Der Prager Frühling und die evangelischen Kirchen in der DDR 9783666557750, 9783525557754

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Der Prager Frühling und die evangelischen Kirchen in der DDR
 9783666557750, 9783525557754

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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte

Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke Reihe B: Darstellungen Band 60

Vandenhoeck & Ruprecht

Cornelia von Ruthendorf-Przewoski

Der Prager Frühling und die evangelischen Kirchen in der DDR

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 9 Grafiken und einer Tabelle Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-140X ISBN 978-3-525-55775-4 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Opposition, Widerstand, widerständiges Verhalten und Resistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Abgrenzungen und zeitlicher Rahmen . . . . . . . . . 4. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Staatliche und staatssicherheitliche Quellen . . . . . . 4.2. Kirchliche Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Zeitzeugen als ergänzende Quellen . . . . . . . . . . .

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II. Begegnungen zwischen den evangelischen Kirchen in der DDR ˇ SSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . und der C ˇ SSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die politische Lage in der C

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Die Situation der Kirchen in der DDR Ende der 1960er Jahre . 1. 1968 in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Angst der SED-Führung vor westlich gesteuerter ,psychologischer Kriegsführung‘ in Prag . . . . . . . . . . . 3. Die kirchenpolitische Linie in der DDR um 1968 . . . . . . 3.1. Politische Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Einmischung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Differenzierungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Kirchliche Antwortversuche . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die neue sozialistische Verfassung der DDR . . . . . . . . . 4.1. Bisherige Verfassung und Verfassungsentwurf . . . . . 4.2. Ringen um Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . ˇ SSR, erreichte Änderungen und die Abstimmung 4.3. Die C 4.4. Nach Inkrafttreten der neuen Verfassung . . . . . . . . 5. Organisatorische Ablösungen zwischen Ost- und Westlandeskirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Die EKD / der BEK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Die EKU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2. Die Situation der Kirchen in der Tschechoslowakei . . . . . . . 2.1. Die Kirchen im Jahre 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Nach dem 21. August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Beziehungen zwischen den Landeskirchen in der DDR und der EKBB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Kontaktaufnahme und -aufbau in den 1950ern . . . . . . . 3.2. Kontakte durch Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Kontakte durch evangelische Werke . . . . . . . . . . . . . 3.4. Nach dem 21. August 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ökumene als Chance der Begegnung und Gefahr der Vereinnahmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Die Vollversammlung des ÖRK 1968 in Uppsala . . . . . . 4.2. Nach dem 21. August 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die protestantische ,Linke‘ in der DDR am Fallbeispiel der CFK und des Bundes Evangelischer Pfarrer . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Bund Evangelischer Pfarrer 1968 . . . . . . . . . . . . . . 2. Die CFK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die III. Allchristliche Friedenskonferenz 1968 in Prag . . 2.1.1. Die Vorbereitung der III. ACFV . . . . . . . . . . 2.1.2. Die III. ACFV in Prag . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Die Bewertung der III. ACFV . . . . . . . . . . . . 2.2. Die Krise 1968 bis 1971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Erste Reaktionen auf den 21. August 1968 . . . . . 2.2.2. Das Übergreifen der Krise auf die internationalen Gremien der CFK – Das Ende der CFK? . . . . . . 2.2.3. Lösungsansätze für die CFK seitens der sozialistischer Staatssekretariate . . . . . . . . . . 2.2.4. Die Umsetzung der sozialistischen Konsolidierung der CFK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Der Regionalausschuss (RA) der CFK in der DDR . . . . 2.3.1. Das Ringen um eine Position nach dem 21. August 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Endlich eine einstimmige Erklärung . . . . . . . . 2.3.3. Die Regionalkonferenz im November 1968 . . . . 2.3.4. Der weitere Verlauf der Krise im RA DDR bis 1971 2.3.5. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 169 . 174 . 176 . 184 . . . . .

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IV. Die Situation in den einzelnen evangelischen Landeskirchen 1968 . 203 1. Die Diskussionen um eine gemeinsame Stellungnahme der evangelischen Landeskirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1.1. Die außerordentliche Bischofskonferenz am 24. August 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Inhalt

2.

3.

4.

5.

6.

1.2. Die weiteren Besprechungen der KKL und der Bischofskonferenz im Herbst 1968 . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Die allgemeine Einschätzung der Landeskirchen durch staatliche Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Evangelische Landeskirche Anhalts . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die Kirchenleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die Synode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Stimmen / Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg . . . . . . . . . 3.1. Die Reaktion der Kirchenleitung in Berlin-Brandenburg . 3.1.1. Spontane Äußerungen nach dem 21. August . . . . 3.1.2. Der Brief an die Kirchen in der Tschechoslowakei . 3.1.3. Die staatliche Beurteilung des Briefes . . . . . . . . 3.1.4. Die Konsequenzen von und für Albrecht Schönherr. 3.2. Die Synode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Sprengel und Kirchenkreise . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Die Generalsuperintendentur Cottbus . . . . . . . . 3.3.2. Der Sprengel Berlin II . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Die Generalsuperintendentur Eberswalde . . . . . . 3.3.4. Die Generalsuperintendentur Potsdam . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes . . . . . 4.1. Bischof Hans-Joachim Fränkel . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1. Gegen Fränkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2. Die neue Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3. Fränkels Fürbittenaktion . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4. Fränkels Brief an Walter Ulbricht . . . . . . . . . . 4.1.5. Weiterhin persona non grata . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die Synode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Die Frühjahrssynode 1968 . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Die Frühjahrssynode 1969 . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Evangelische Landeskirche Greifswald . . . . . . . . . . . . 5.1. Der Bischof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Die Kirchenleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Die Synode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Die mittlere Kirchenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5. Die Pfarrer und andere in der Landeskirche . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs . . . 6.1. Der Bischof und die Leitung der Kirche . . . . . . . . . . . 6.2. Die Synode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Einzelne in der Landeskirche . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1. Otto Schröder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

6.3.2. Die Theologische Fakultät . . . . . . . . . . . . . 6.3.3. Heinrich Rathke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee über die Situation in Greifswald und Mecklenburg . 7. Die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen . . . . . 7.1. Die Bischöfe und die Kirchenleitung . . . . . . . . . . . 7.1.1. Das Wort an die Gemeinden . . . . . . . . . . . . 7.1.2. Die staatliche Beurteilung des Wortes an die Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ˇ SSR . . . . . . . . . 7.1.3. Der Brief an die Kirchen der C 7.1.4. Die Antrittsbesuche Werner Krusches . . . . . . . 7.1.5. Die staatlichen Vorwürfe gegen Krusche . . . . . . 7.2. Die Synode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1. Die Frühjahrssynode 1968 . . . . . . . . . . . . . 7.2.2. Die Herbstsynode 1968 in Magdeburg . . . . . . . 7.3. Die mittlere Kirchenebene und Einzelne . . . . . . . . . 7.3.1. Merseburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2. Johannes Hamel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3. Hans-Jochen Tschiche . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4. Rudolf Rüther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens . . . . . Exkurs: Die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig 8.1. Die Kirchenleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1. Der Brief des Bischofs . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2. Die Reaktionen des Staates . . . . . . . . . . . . . 8.1.3. Resolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2. Die Synode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3. Die mittlere Kirchenebene und Einzelne . . . . . . . . . 8.3.1. Die Ephorie Pirna . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2. Fallbeispiele einzelner Pfarrer . . . . . . . . . . . 8.3.3. Weitere Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Thüringen . . . . 9.1. Die Kirchenleitung und der Bischof . . . . . . . . . . . . 9.2. Die Synode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Die (Kirchen)bezirke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1. Der Superintendentenkonvent . . . . . . . . . . . 9.3.2. Weimar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.

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Motivationen und Handlungsorientierungen für das Handeln in den Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 1. Hoffnungen, Sorgen und zerstörte Träume . . . . . . . . . . . . 433

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Inhalt

2. Folgen für bestimmtes Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Ein Fallbeispiel aus Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Ein Fallbeispiel aus Berlin-Brandenburg . . . . . . . . . 2.3. Das Verhalten der Bischöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Theologie als Schnittstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Staatliches Einordnen theologischer Konzepte . . . . . . 3.2. Theologische Begründungen für kirchliches Handeln . . 3.3. Tradition als Transporteur . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Sekundäre theologische Rechtfertigung des Einmarsches 3.5. Die Auswirkungen auf theologisches Denken am Beispiel Heino Falckes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nachwirken von Prag 1968 in den Kirchen in der DDR? . . . 4.1. Nachwirkungen aus staatlicher Sicht . . . . . . . . . . . 4.2. Nachwirkungen in der Erinnerung von Zeitzeugen . . . 4.3. Nachwirkungen bis 1989? . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . Staatliche Archive . . . . . . . . . . . . Kirchliche Archive . . . . . . . . . . . . Kirchenkreise . . . . . . . . . . . . . . . Weitere archivalische Quellen . . . . . . Mündliche und schriftliche Auskünfte . Allgemeine Quellen . . . . . . . . . . . Periodika und Tages- und Wochenpresse Veröffentlichte Quellen und Literatur . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Biogramme / Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 Ortsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577

Vorwort „Hilf du uns, Gott, unser Helfer, um deines Namens Ehre willen. Errette uns und vergib uns unsere Sünde um deines Namens willen.“ Ps 79,9 Herrnhuter Losung vom 21. August 1968

In der Bearbeitung von Zeitgeschichte ist es besonders wichtig, sich des eigenen Standpunkts bewusst zu sein. Eine Westdeutsche, eine Nichtchristin oder eine ältere Person hätten über die gleichen Quellen anders geschrieben als ich. Zur so genannten Generation der Wendekinder gehörend – war ich 1989 mit zehn Jahren zu jung, als dass mich meine Eltern zu den Friedensgebeten mitgenommen hätten, und gleichzeitig zu alt, weil schon im sozialistischen Bildungssystem eingeschult, um „nichts“ mitzubekommen. Den Ereignissen von 1968 bin ich als 1979er Jahrgang nachgeboren. Gleichzeitig haben mich die Narrative meiner Eltern über 1968 – beide waren unabhängig voneinander 1968 in Prag – mitgeprägt. Meine Eltern gehörten nicht zu oppositionellen Kreisen, sondern waren schlicht Christen und von Beruf Chemiker. Ihnen sei nicht nur für das geduldige Lesen einer geisteswissenschaftlichen Dissertation, die um einiges dicker ist als eine naturwissenschaftliche, gedankt, sondern auch für das Aushalten und Beibehalten stetigen Aufeinanderprallens unterschiedlicher Gemüter, Konfessionen und Meinungen, was Diskussionen von meiner Kindheit an bestimmte. Nicht vergessen will ich meinen Ehemann, der oft auf mich verzichten musste und immer dafür sorgte, dass der Kühlschrank gefüllt war, wenn ich müde von meinen Archivreisen nach Dresden zurückkam. Die Familienrunde, die inzwischen auf 24 Personen von 0 bis 72 Jahren angewachsen ist und hoffentlich noch weiter wachsen wird, war Ablenkung, Ansporn und Bestärkung zugleich. Einige der Zeitzeugen waren in meinem halb katholischen, halb evangelischen Elternhaus hoch geachtet, z. B. Christof Ziemer, Heino Falcke oder Werner Krusche. Die Achtung vor dem gelebten Leben der Zeitzeugen hat mich auch in meinen Recherchen begleitet, selbst wenn ich aus historischer Sicht zu anderen Erkenntnissen kam. Jenseits wissenschaftlicher Forschung lässt sich eine Arbeit, die über mehrere Jahre entsteht, nicht aus dem Lebensvollzug heraushalten. Viele Personen, die mir in den letzten Jahren in verschiedenen Kontexten begegneten und mit welchen ich über meine Arbeit ins Gespräch kam, erzählten mir die unterschiedlichsten Geschichten aus dem Jahre 1968. Ihnen allen sei gedankt. Es sind zu viele, als dass ich sie einzeln aufzählen könnte. Stellvertretend möchte ich an einige erinnern, die mir noch ihr Wissen zur Verfügung stellten, die Fertigstellung der Arbeit jedoch nicht mehr erlebten:

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Vorwort

Werner Krusche, Albrecht Schönherr, Dietrich Spranger, Klaus von Stieglitz, Walter Taut. Allen voran gehört mein Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Klaus Fitschen, Leipzig und meinem Zweitbetreuer der Arbeit, Dr. Peter More , Prag, die mir über die Zeit mit Rat und Tat zur Seite standen. Dr. Stefan Wolle danke ich für das Ausborgen von Quellenmaterial. Allen Archivarinnen und Archivaren sei für ihre Hilfsbereitschaft gedankt! Unvergesslich bleiben in meiner Erinnerung Anne Elise Liskowsky und Angela Bohd lkov . Sie teilten über Monate hinweg mit mir den Arbeitstisch in der Bibliothek. Frau Liskowsy verdanke ich soziologische Hinweise, Frau Bohd lkov bedachte mit mir gemeinsam tschechische Quellen. Jonathan Böhm las das Manuskript, wofür ich ihm verbunden bleibe. Cornelius Reime sei für die Hilfe beim Erstellen des Ortsverzeichnisses gedankt. Besonders hervorheben möchte ich die kritische Lektorierung des Textes durch meine ehemalige Deutschlehrerin Ute Heil. Vor allem jenen, die unter Zeitzeugenperspektive bzw. unter historischer Perspektive die Arbeit gelesen haben und mir wertvolle Hinweise auf die damalige Zeit gaben, sei an dieser Stelle namentlich gedankt: Hermann Beste, Alfred Radeloff, Ludwig Große, Ernst Koch, Martin Kramer, Gerhard Lindemann, Eberhart Natho, Hans-Wilhelm Pietz, Randi Weber, Claus Wergin, Friedrich Winter. Ein besonderer Dank gilt meinem Vikariatsmentor Klaus Goldhahn, der mir nicht nur mit seinem unerschöpflichen Namensgedächtnis weiterhalf, sondern meinem Projekt während des Vikariats wohlwollend gegenüberstand, so dass ich neben den Gemeindeverpflichtungen ein Expos schreiben konnte. Der Studienstiftung des Deutschen Volkes danke ich für das Promotionsstipendium und den Herausgebern für die Aufnahme meiner Dissertation in die Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte. Der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens danke ich für einen Druckkostenzuschuss. Für die Drucklegung wurde die Arbeit überarbeitet und gekürzt. Zur Arbeit mit dem Quellenmaterial merke ich an, dass ich offensichtliche Fehler in der Rechtschreibung, wie fehlende Buchstaben, verbessert habe, um den Lesefluss nicht zu stören. Bei allen in Kapitälchen gesetzten Namen in diesem Band wird ß als ss wiedergegeben. Folgen mehrere Zitate einer Quelle aufeinander, so wird diese, sofern nicht anders gekennzeichnet, beim letzten Quellenzitat in der Fußnote genannt. Dresden, den 15. Juni 2014

Cornelia von Ruthendorf-Przewoski

Einleitung Blickt man auf das Jahr 1968 zurück, stellt sich – gerade im Vergleich zu den turbulenten Ereignissen in Westeuropa, den USA, aber auch zu jenen in der ˇ SSR – der Eindruck ein, in der DDR habe es sich um ein, äußerlich betrachtet, C ruhiges Jahr gehandelt1. Gerade für die Kirchen vollzogen sich in diesem Jahr jedoch grundsätzliche Weichenstellungen durch die neuen Zwänge der geänderten sozialistischen Verfassung von 1968, die Vorbereitungen eines Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR und durch die Ereignisse in Prag2. Insofern kann von 1968 als einem Schwellenjahr für die evangelischen Kirchen in der DDR gesprochen werden3. In der vorliegenden Arbeit wird der Fokus auf den Auswirkungen des Prager Frühlings liegen. Spätestens mit dem Mauerbau 1961 war die Möglichkeit, sich dem sozialistischen System zu entziehen, versperrt worden. Danach war die DDR durch eine Phase der inneren Stabilisierung, des wirtschaftlichen Aufschwungs und der zaghaften Öffnung auch im kulturellen Bereich gegangen. Letztere war allerdings bereits mit dem in der damaligen Umgangssprache so genannten ,Kahlschlagplenum‘ – gemeint ist das 11. Kulturplenum des ZK der SED – 1965 schon wieder vorbei4. Am Rande dieses Plenums wurde auch zum wiederˇ gerügt5. Auch holten Mal durch die SED die zu offene Kulturpolitik der KSC wirtschaftlich gerieten die Ostblockstaaten Anfang der 1960er unter Druck ˇ SSR die Krise durch eine und Handlungszwang. Während Ota Sˇik in der C sozialistische Marktwirtschaft zu überwinden suchte, wurden auch in der DDR Wirtschaftsreformen angestrengt, die vorübergehend mehr Eigeninitiative zuließen, um der Krise zu begegnen6. Nach 1961 mussten sich alle Bevölkerungsschichten einrichten, arrangieren, ihren Platz im eng abgesteckten Rahmen finden. Das betraf auch die Kirchen, die sowohl infolge ihrer Organisationsstruktur und ihrer vielfältigen offiziellen wie inoffiziellen Beziehungen zum ,imperialistischen‘ westlichen Ausland wie auch infolge ihrer 1 Mitter und Wolle beschreiben die Situation treffend mit fast schwarzem Humor: Im Gegensatz zu anderen Ländern „blieb es in der DDR weitgehend ruhig. Brütende sommerliche Hitze lag über dem Land, und nur an den Badestränden kam es zu größeren Menschenansammlungen.“ Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 370. 2 Vgl. Hartweg, SED und Kirche, 17 f; und K hne, 1968, 57. 3 So Kühne vgl. ebd., 42. 4 Ausführlich zum Plenum vgl. Agde, Kahlschlag. ˇ wies die 5 Erstmals bereits ein Jahr zuvor und 1965 noch einmal in abgeschwächter Form. Die KSC Vorwürfe zurück. Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 97 f, 163. 6 Vgl. Sˇik, Frühlingserwachen, 118 – 161. In der DDR: NÖS oder NÖSPL (Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung). Vgl. z. B. Malycha / Winters, Geschichte der SED, 170 – 177.

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Einleitung

bloßen Existenz als scheinbares Überbleibsel überkommener Vorstellungen und Werte dem Staat ein Dorn im Auge waren. Nach den aufflackernden kirchenkampfähnlichen Situationen 1952/53 und 1957/58, aus denen die Kirchen mit großen Verlusten ihrer Mitgliederzahlen hervorgingen, suchten diese nach neuen Wegen, im System der DDR zu überleben. Da sich das System der DDR als langlebiger erwiesen hatte, als ursprünglich erhofft, wurde für die Kirchen zunehmend nach zukunftsweisenden Handlungsoptionen innerhalb des existierenden Systems gesucht, um sich einen eigenen Freiraum offenzuhalten7. Während die westdeutschen Landeskirchen sich mit der 68er-Bewegung auseinandersetzen mussten, wurde diese in den östlichen Gliedkirchen der EKD zwar wahrgenommen, doch lagen die eigenen Sorgen und Hoffnungen schon rein geographisch ganz woanders – weiter östlich in Prag8. Hierin unterschieden sich die Kirchen nicht von der Blickrichtung der Bevölkerung, deren allgemeine Westausrichtung 1968 vorübergehend Richtung Osten abdriftete9. Dabei soll nicht bestritten werden, dass es durchaus Berührungspunkte zwischen östlicher und westlicher Studentenbewegung gab und dass Prag an sich ein solcher Berührungspunkt war10. Weil die 68er-Bewegung nur am Rande in den Blick der östlichen Landeskirchen kam, wird in der Arbeit 7 Pollack spricht von zunehmender „Tendenz zur theologischen Transzendierung der Situation“ nach dem Mauerbau, von „Zurückhaltung von Kritik und Protest und zur Unbestimmtheit bei Handlungsanweisungen“ worin sich widerspiegele, wie eng der Rahmen der Handlungsmöglichkeiten für die Kirchen gesteckt war. Vgl. Pollack, Organisationsgesellschaft, 181. Lepp macht deutlich, dass bereits 1966 östliche Kirchenvertreter bei staatlichen Stellen Irritationen hervorriefen, weil sie nicht mehr dezidiert gegen den Sozialismus waren, sondern sich für dessen „Vermenschlichung“ stark machen würden. Vgl. Lepp, Tabu?, 670. Aus Zeitzeugensicht schrieb Johannes Hempel, späterer sächsischer Landesbischof: „Der Mauerbau hatte die Innenwirkung, daß die ,Überwinterungshoffnung‘ langsam zerbröckelte. Positiv erwuchs daraus die Einsicht, daß wir uns jetzt konzentriert auf die Aufgaben einer christlichen Kirche in diesem Land einstellen müssen. Wir wollten nicht resignieren. Wir wollten nicht aufhören, als Christen zu leben.“ Hahn, Annehmen, 44. ˇ SSR, demgegenüber von westlichen Protesten 8 Mau spricht von „brennendem Interesse“ für die C „allenfalls beiläufig Notiz“ genommen worden sei. Er erklärt dies mit der größeren Bedeutung für die eigene Situation vor Ort. Vgl. Mau, Protestantismus, 96; vgl. auch Ohse, Protestantismus, 132. Kowalczuk verdeutlicht, dass es bis heute kaum eine gemeinsame Erinnerung von Ost und West an 1968 gibt. Vgl. Kowalczuk, Gefahr, 258. Auch Danyel arbeitet die bis heute unterschiedliche Erinnerungskultur zu 1968 in Ost- und Westdeutschland heraus. Er zeigt gleichzeitig jedoch auch Verbindungslinien auf: so waren auf beiden Seiten Studierende prägende Akteure, wurden unterschiedlich stark ausgeprägte Generationen- und Gesellschaftskonflikte ausgetragen. Vgl. Danyel, Das andere „1968“, 75 f, 81 – 84. 9 Vgl. ebd., 75. 10 So Kraushaar, Europäische Revolten, 98 f. Gleichzeitig stellt Schmid Deutschlands 1968ern ein „beschämendes Zeugnis“ aus, weil diese oft theoretisch diskutiert, auf ihre eigene Profilierung ˇ SSR interessiert gewesen seien. bedacht und weniger an den tatsächlichen Verhältnissen in der C Er macht an vielen Beispielen darauf aufmerksam, wie zerstritten die westliche Linke in Bezug auf die Intervention war. Vgl. Schmid, Prager Frühling, 25 f.

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auch nur punktuell auf die weltweite Situation eingegangen werden11. Aufgrund der 68er-Bewegung bildete 1968 auch ein Jahr, in welchem sich die Lebenswelten zwischen den östlichen und den westlichen Landeskirchen der EKD prononciert weiter auseinander entwickelten. Die Anfänge dafür lagen in der Blockbildung nach dem II. Weltkrieg. Seit dem Mauerbau 1961 war die gemeinsame Arbeit über die Mauer hinweg durch die SED immer mehr behindert geworden. Dennoch hatte man zusammenhalten wollen. Die EKD verstand sich und wurde gesehen als ,letzte gesamtdeutsche Klammer‘. So hatte erst im Frühjahr 1967 die EKD in Fürstenwalde sich zwar gegenseitig freigegeben und doch trotzig ihre Einheit erklärt12. Doch mit der neuen sozialistischen Verfassung 1968 war dies nicht mehr möglich, denn die Landeskirchen in ihrer Organisationsstruktur in der EKD waren verfassungsrechtlich nicht mehr abgesichert. So war das Hauptproblem für die acht ostdeutschen Landeskirchen im Frühjahr 1968, wie sie mit dem Verfassungsentwurf, in welchem nicht einmal die Glaubens- und Gewissensfreiheit als grundlegendes Menschenrecht festgehalten war und der gezielt eine sozialistische Gesellschaftsordnung vorantrieb, umgehen sollten. Auf ein gemeinsames Handeln konnten sich die leitenden Geistlichen jedoch nicht einigen. Während der Görlitzer Bischof Hans-Joachim Fränkel am liebsten gar nicht mit dem Staat kommuniziert hätte, betrieb dies der Thüringer Bischof Moritz Mitzenheim. Ein gemeinsamer Brief der evangelischen Bischöfe an die Verfassungskommission kam nur zu Stande, weil Mitzenheim der entscheidenden Sitzung ferngeblieben war. Da die SED ihre Demokratiefähigkeit unter Beweis stellen wollte, wurden im ganzen Land so genannte ,Volksaussprachen‘ organisiert, auf denen im Voraus Zustimmungserklärungen zur Verfassung abgegeben werden sollten. Es gab weiterhin die Möglichkeit, sich mit Eingaben an die Verfassungskommission zu wenden. Insgesamt bezogen sich etwa die Hälfte aller eingereichten Eingaben auf die drohende Einschränkung kirchlichen Lebens. In der schließlich verabschiedeten Verfassung wurden die Begriffe ,Glaubens- und Gewissensfreiheit‘ dann immerhin aufgenommen. In der Abstimmung zur Verfassung konnte zwar mit ,Nein‘ gestimmt werden, doch wer auf diese Möglichkeit aufmerksam machte, lief Gefahr, inhaftiert zu werden13. Während also in der DDR allerorts zu sehen war, wie eine sozialis11 Solche Punkte waren z. B., dass Rudi Dutschke im April 1968 in der Jugendkommission der CFK in Prag sprach oder dass die Berlin-Brandenburgische Kirche von der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen als Anhängerin der neuen Ostpolitik gescholten wurde, weil sie die Deeskalationsversuche ihres Bischofs Kurt Scharf in Westberlin in einem Satz in ihrem Tätigkeitsbericht der Herbstsynode 1968 würdigte. Außerdem wurde nach dem 21. August verstärkt für Vietnam und Biafra als Weltbrennpunkte gebetet, wobei dies als Schutzargument genutzt ˇ SSR verteidigen zu können. wurde, um auch das Gebet für die C Einen guten allgemeinen Einstieg zu 1968 bieten z. B. Gilcher-Holtey, 68er Bewegung; oder Frey, 1968. 12 Vgl. KJ 94 (1967), 27 – 29. 13 Dies geschah mit mehreren Theologiestudierenden. Siehe Kapitel 5.2., 451 – 458.

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tische Partei ,sozialistische Demokratie‘ umsetzte, machte sich im Nachbarland eine sozialistische Partei auf die Suche nach einem ,demokratischen Sozialismus‘. Für viele in der Bevölkerung, außerhalb wie auch innerhalb der Kirchen, erwuchs aus den Ereignissen des Prager Frühlings die Hoffnung, ein ,Sozialismus mit menschlichem Gesicht‘ könnte auch für die DDR neue Möglichkeiten bieten14. Diese Hoffnung wurde umso größer, je länger die Reformen anhielten. Die Hoffnungen wurden dadurch gestärkt, dass es die Reformkommunisten aus der regierenden Partei selbst waren, die eine andere Art von Sozialismus anstrebten und dass vorerst keine sowjetischen Panzer rollten. Auch die Kirchen reagierten auf diese Impulse aus der Politik15. Der Prager Frühling wurde zunehmend zu einer Chiffre voller Hoffnung, ohne dass sich damit direkte politische Forderungen – von der Forderung nach umfassenden Informationsmöglichkeiten abgesehen – verbinden mussten. Daher wird die Aufgabe der vorliegenden Arbeit auch nicht darin bestehen, die politischen Ereignisse des Prager Frühlings nachzuzeichnen, sondern zu erforschen, was sich hinter dieser Chiffre für die Kirchen in der DDR verbarg. Die Kirchen in der DDR – protestantische wie die katholische – erfuhren über die seit den 1950er Jahren vielfach geknüpften Beziehungen von den ˇ SSR aus dem spürbar abnehmenden Hoffnungen, die die Kirchen in der C staatlichen wie ideologischen Druck schöpften. Selbst die als Moskau nah geltende CFK wurde mit ihrer III. Vollversammlung Anfang April in Prag so zum Ideenaustauschort. Auf sie wird eigens in der Arbeit eingegangen, weil sie diejenige übernationale Organisation war, die nach dem 21. August 1968 die tiefste Krise erlebte, von der auch ihre Mitglieder in der DDR direkt betroffen waren16. Für die Kirchen ging es in ihrem Interesse an Prag weniger um eine funktionierende Zivilgesellschaft im modernen Sinne oder um bürgerliche Freiheiten, sondern um einen Weg, sich aus der erdrückenden Umschlingung des Staates zu lösen und eine weniger repressive Staatskirchenpolitik zu erreichen. Umso bitterer war die Enttäuschung, als Truppen des Warschauer Paktes in Prag einmarschierten und überdies von der SED verbreitet wurde, auch Truppen der NVA seien beteiligt17. Denn die SED hatte den Veränderungen im Nachbarland misstrauisch gegenübergestanden, da sie die Gefahr witterte, die ˇ könnte auf ihr Machtmonopol verzichten – ohne Machtmonopol aber KSC 14 Ohse spricht von der Hoffnung in der Bevölkerung – darunter der christlichen – auf neue Freiräume und „dass sich die SED von ihrem totalitären Geltungsanspruch – zumindest ein wenig – lösen würde.“ Ohse, Ostdeutscher Protestantismus, 136. 15 Greschat betont, dass in der kirchlichen Zeitgeschichte zu selten darauf geachtet wurde, dass die entscheidenden Impulse in der Moderne nicht von der Kirche oder der Theologie kommen, sondern von der Politik. Vgl. Greschat, Kirchliche Zeitgeschichte, 56. 16 Wissenschaftlich aufgearbeitet hat die CFK in erster Linie Lindemann. Vgl. Lindemann, Sauerteig; aus tschechischer Sicht kurz vgl. auch Pisˇkula, Conception. 17 So Wenzke in verschiedenen Publikationen. Z. B. Wenzke, NVA und Prager Frühling; ders., Kein Einsatz, 673 – 686.

Fragestellung

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wäre die SED nicht überlebensfähig gewesen. Deswegen reagierte die SED mit scharfen Repressionen gegen alle, die wagten, Zweifel an der Richtigkeit der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings zu äußern18. Die leitenden Geistlichen versuchten sich auf einen gemeinsamen Weg zu verständigen, wie mit der Situation umzugehen sei, scheiterten jedoch wiederum am Thüringer Bischof Mitzenheim und damit an der Differenzierungspolitik des Staates. So reagierten in der Folge die Kirchenleitungen und Einzelne in den Kirchen sehr unterschiedlich auf die Panzer in Prag. Der Traum, auch aus der eigenen Situation staatlicher Repressionen herauszukommen und etwas freier atmen zu können, war ausgeträumt. Hüttel von Heidenfeld, damals Studentenpfarrer in Leipzig, erinnerte sich an die Niedergeschlagenheit: „Die Folge des Einmarsches hat wenige unberührt gelassen. Man reagierte mit einer Depression, orientierte sich um.“19 Der Prager Frühling transformierte sich in den folgenden Jahren jedoch für die einen in eine Chiffre für Demokratie und Freiheit, obwohl er das letztendlich so nicht hatte bieten können, für die anderen in ein bleibendes unruhestiftendes Schreckgespenst – denn er bot die Möglichkeit, Sozialismus fortan pluraler zu denken. So konnte das Wort Sozialismus auch in den Kirchen in den Mund genommen werden, ohne damit den DDR-Staatssozialismus meinen zu müssen.

1. Fragestellung Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Rezeption des Prager Frühlings in den protestantischen Kirchen in der DDR und den Reaktionen, die der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes im August 1968 hervorrief. Daraus ergeben sich drei grundsätzliche Fragekomplexe: ˇ SSR in den 1. Inwiefern wurde der reformkommunistische Prozess in der C evangelischen Landeskirchen in der DDR rezipiert? 2. Welchen Handlungsspielraum hatten die evangelischen Landeskirchen nach der militärischen Beendigung des reformkommunistischen Prozesses und inwiefern loteten sie ihn aus? 3. Aufgrund welcher Motivationen agierten kirchlich gebundene Handlungsakteure, sei es auf kirchenleitender Ebene, in den Synoden, den Gemeinden, als Einzelne? 18 Mitter und Wolle betonen, dass es zwar gelang, den Widerstand zu unterdrücken, die daraus resultierende Ruhe jedoch „einer tiefen inneren Empörung vieler, gerader junger Menschen“ diametral entgegenstand. Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 450. Eckert leitet trotz ähnlicher Protestformen zutreffend einen Unterschied zwischen Ost und West ab: „Im Westen begann der Weg durch die Institutionen und ins Establishment, im Osten der in die Gefängnisse.“ Eckert, 1968 und 1989, 19. 19 Brief von Hüttel von Heidenfeld an die Verfasserin vom 10. 8. 2005.

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Um der ersten Frage auf den Grund zu gehen, muss nachvollzogen werden, wie eine Rezeption möglich war. Lassen sich etwaige Transferprozesse und deren Kommunikationswege, die über Staats- und Ideologiegrenzen hinweg auf die evangelischen Landeskirchen einwirkten, nachzeichnen? Welche Resonanz erzeugte das politische Ereignis von 1968 bei den evangelischen Kirchen in der DDR? Wirkten sich die Reformprozesse in irgendeiner Form auf theologische, ekklesiologische und das Staats-Kirchen-Verhältnis betreffende Vorstellungen aus? Endeten sie im Zuge des 21. August oder gab es eine Art von Überleben oder Sublimierung? Um der zweiten Frage nachzugehen, ist zunächst zu fragen, zu welchen Aktionen und Reaktionen seitens der evangelischen Kirchen es überhaupt kam. Welche Handlungsspielräume loteten Kirchen und Laien innerhalb des totalitären Anspruchs des DDR-Systems aus? Lassen sie sich in Kategorien von Widerstand, Opposition, widerständigem Verhalten, Resistenz oder Staatsakklamation einordnen? Gab es einen Transfer von Gedankengut der Kirchenleitungen in die Gemeinden? Fühlten diese sich bestärkt oder alleingelassen? Agierten sie in Abhängigkeit ihrer Kirchenleitungen oder unabhängig? Reagierten sie eher auf ihre Kirchenleitungen oder direkt auf das politische Geschehen? Wie reagierte der Staat auf kirchliche Handlungen? Zu welchen Maßnahmen griff er und wie wirkten sich diese aus? Inwieweit war die Differenzierungspolitik des SED-Staates erfolgreich? Um dem dritten Fragekomplex nachzugehen, ist zu fragen, aufgrund welcher Handlungsmaximen kirchliche Verantwortungsträger und christliche Laien agierten. Inwiefern ließen sie sich in ihren Motivationen von realpolitischen Überlegungen leiten? Welche Rolle spielten theologische Traditionen als Handlungsmaximen? So wird zu fragen sein, welchen Einfluss eine strikte Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre, wie in der neulutherischen Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre beschrieben, auf die Entscheidungen hatte und ob Theologen, die sich eher an der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 orientierten und mit dem staatlich verfemten Begriff eines ,Wächteramtes‘ der Kirche argumentierten, zu einer anderen Bewertung kamen. Bei all dem ist nicht zu vergessen, dass staatliche Stellen in ihrem Schema von ,fortschrittlich‘ bis ,reaktionär‘ feststaken und theologische Beweggründe nicht mitbedachten. Gab es weitere Einflüsse auf kirchliche Akteure? Wirkten sich z. B. die geographische Lage aus oder Verbindungen nach Westdeutschland, wie es der Staat stetig behauptete? Letztendlich ist danach zu fragen, inwiefern die Kirchen ihre Situation, in der sie 1968 waren, reflektierten und welche Rückschlüsse sie für ihre weitere Arbeit zogen.

Forschungsstand

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2. Forschungsstand „Der Prager Frühling ist bis heute noch das wohl frequentierteste tschechoslowakische Thema der westlichen Historiographie“ schrieb 2003 der Historiker Oldrˇich Tu˚ma20. Dementsprechend vielseitig ist die Literatur und hat sich gerade 2008 zum 40. Jahrestag noch einmal explosionsartig vermehrt. Neben wissenschaftlichen Titeln erschien auch eine Fülle von kleineren regionalen Publikationen und unterschiedlichen Zeitzeugenberichten bzw. Autobiographien21. Von vielen tschechoslowakischen Politikern des Prager Frühlings gab es bereits Autobiographien, in denen das Geschehen von 1968 aus ihrer Sicht behandelt wird22. In aller Regel kommt die Situation in den Kirchen jedoch nicht in den Blick. Es kann hier nur versucht werden, Einblicke in die Literaturlandschaft zu gewinnen, sofern sie für die DDR relevant sind. Eine politische Analyse der Wirkungen des Prager Frühlings auf die Innenpolitik der DDR lieferte – so weit das damals über den Eisernen Vorhang hinweg schon möglich war – 1981 Peter-Claus Burens23. Schon aus den 1990er Jahren ist das Buch von Jan Pauer über die Hintergründe der Militäraktion und das Buch von Lutz Prieß, V clav Kural und Manfred Wilke über die Haltung der SED zum Prager Frühling24. Alle publizierten auch in der Folgezeit immer wieder zum Prager Frühling. Marc Dietrich Ohse beschrieb die Situation der Jugend in der DDR in den 1960er Jahren, für die Prag natürlich wichtig war25. Einen sehr guten Einblick in die Situation von August 1968 mit Fokus auf die Proteste in der DDR bieten die Aufsätze von Ilko-Sascha Kowalczuk: Wer sich nicht in Gefahr begibt… von 199926 und dem inzwischen verstorbenen Bernd Eisenfeld: Hoffnung, Widerstand, Resignation von 200327. Schon 1993 beschäftigten sich Armin Mitter und Stefan Wolle in ihrem Buch Untergang auf Raten unter anderem mit den Folgen des Endes des Prager Frühlings in der DDR28. 2008 zeichnete Wolle in einer Veröffentlichung die Hoffnungen und ˚ ma, Tschechoslowakei 1968, 134. 20 Tu 21 Typische Beispiele für lokale Titel sind: Fischer, Panzer; Gedenkst tte Amthordurchgang, Eisiges Tauwetter. In einem Aufsatz stellte Lübke die Reaktionen auf den Einmarsch im Bezirk Rostock zusammen: L bke, 1968 – Aktionen. Auf regionaler Ebene erschien z. B. ein Sammelband über den Prager Frühling in Sachsen: Hermann, Sachsen; und für Thüringen: Herz, Thüringen im „Frühling 1968“. Ein Beispiel für Zeitzeugenberichte ist: Tautz, Opposition. Ein sehr lesenswertes Beispiel für ein wissenschaftlich aufbereitetes Egodokument ist das Tagebuch des Leipziger Historikers Hartmut Zwahr: Zwahr, Die erfrorenen Flügel. 22 Z. B. Mlyn rˇ, Prager Frühling und ders., Nachtfrost; oder Dubcˇek, Leben für die Freiheit. 23 Burens, Die DDR und der „Prager Frühling“. 24 Pauer, Prag 1968; Priess / Kural / Wilke, Die SED und der „Prager Frühling“. Ein neuerer Aufsatz zum Thema ist: Pauer, Was bleibt. 25 Ohse, Jugend. 26 Kowalczuk, Gefahr. 27 Eisenfeld, Hoffnung. 28 Mitter / Wolle, Untergang. Ebenfalls für ein breiteres Publikum: Wolle, Aufbruch in die Stagnation; oder Wolle, Aufbruch nach Utopia.

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Träume, die sich in der DDR-Bevölkerung um den Prager Frühling rankten, nach und öffnete die Thematik für ein breiteres Publikum29. Allerdings gehörten die Kirchen nicht zu seinen Schwerpunkten. Die Frage nach den Beˇ SSR und DDR, wiederum nicht bezogen auf die Kirchen, ziehungen zwischen C stellte Wolfgang Schwarz in einem 2004 erschienen Buch30. Den Blick aus Sicht ˇ SSR und zugleich der DDR fängt Monika des MfS auf die Situation in der C Tantzscher in ihrer Quellendarstellung ein31. Durch die grundlegenden Studien von Rüdiger Wenzke ist hinreichend geklärt, dass keine primären ˇ SSR operierten32. Gleichzeitig ist zu beKampfverbände der NVA in der C achten, dass die NVA ihren Verbündeten durchaus wertvolle Unterstützungsarbeit bei der Okkupation des Nachbarlandes leistete33. In der Arbeit nimmt die Frage der Beteiligung der NVA deshalb einen Raum ein, weil die damaligen Zeitzeugen durch die damals erhältlichen Informationen davon ausgingen, dass die NVA direkt beteiligt war und auch deutsche Truppen wie ˇ SSR einrückten. Einige Zeitzeugen berichteten, dass sie 1938 wieder in die C erst in den 1990er Jahren erfuhren, dass die NVA nicht selbst mit Kampfverˇ SSR operiert hatte. Gerade an dem Entsetzen über die erneute bänden in der C Beteiligung Deutscher entzündete sich Protest. Die Verurteilung dieser Beteiligung der NVA zieht sich durch die Quellen und auch die kirchlichen Äußerungen. Als Ergebnis einer umfassenden Bearbeitung aus einer internationalen Kooperation von Forschern von Amerika bis Russland über den Prager Frühling erschien 2008 eine – die zwei Bände zusammen gerechnet – mehrere 1000 Seiten umfassende Dokumentation34. Prag 1968 wird hier aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Auffällig an dieser Arbeit ist allerdings, dass von den 69 Beiträgen sich nur zwei mit dem Thema Kirche beschäftigen, und zwar einmal mit der römisch-katholischen Kirche in der ˇ SSR und zum zweiten mit der Ostpolitik des Vatikans. Protestantische KirC ˇ SSR und selbst schon eine chen waren nicht im Blick. Zu den Kirchen in der C Quelle ist das bereits 1968 veröffentlichte Buch Stimmen aus der Kirche der CˇSSR35. Am ausführlichsten befasste sich Jirˇ Frei in seinen Anfang der 1990er ˇ SSR36. Jahre veröffentlichten Büchern mit der Situation der Kirchen in der C Arbeiten zu den Kirchen in der DDR und erst recht zur DDR allgemein gibt es in überbordender Fülle. Auch in Bezug auf die Kirchengeschichte sind wissenschaftliche Zugänge von rein autobiographischen Werken zu unter29 30 31 32 33

Wolle, Traum. Schwarz, Brüderlich entzweit. Tantzscher, Maßnahme Donau. Die Kirchen kommen hier nicht in den Blick. Vgl. Wenzke, Prager Fühling, 28 – 30; ders., NVA und Prager Frühling, 158. So Wenzke, Kein Einsatz, 686. So auch in anderen Publikationen, z. B. ders., NVA und Prager Frühling, 159. 34 Karner / Tomilina / Tschubarjan, Krisenjahr 1968. 35 Ruys / Smol k, Stimmen. 36 Frei, Staat und Kirche.

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scheiden. So schrieben verschiedene kirchliche Verantwortungsträger ihre Erinnerungen auf. Dabei ist es selbst redend ein großer Unterschied, ob dies vor 1989 war, wie im Fall von Altbischof Johannes Jänicke, oder danach, wie im Fall der Altbischöfe Albrecht Schönherr und Werner Krusche37. Was sich in der Zeitgeschichte nicht vermeiden lässt, ist die immer wieder vorkommende Überlappung von Zeitzeugenschaft und professioneller historischer Arbeit. So gibt es Angehörige der Erlebnisgeneration, die selbst Historiker sind oder dazu wurden38. Davon noch einmal zu unterscheiden sind Bücher, die von Zeitzeugen geschrieben wurden, die mit kritischer Reflexion ihrer eigenen Geschichte zu begegnen suchten, die jedoch keine Historiker sind39. Darüber hinaus gibt es verschiedene Interviewbände40. Der Entstehung des Bundes evangelischer Kirchen, dessen Anfänge in das Frühjahr 1968 weisen, wurde bereits umfängliche Aufmerksamkeit durch die Bücher von Claudia Lepp und von Anke Silomon gewidmet41. Ebenso liegen seit geraumer Zeit Einzelstudien und Zeitzeugenberichte zur Sprengung der Paulinerkirche vor42. In einer sehr viel breiteren internationalen und ökumenischen Perspektive nimmt Katharina Kunter kirchliches Handeln in der DDR in den Blick, wobei ihr Hauptaugenmerk auf zeitlich späteren Zusammenhängen liegt43. Gleichzeitig gehört sie zu den wenigen Zeithistorikerinnen, die auch über die Situation der Kirchen in der CˇSSR veröffentlicht haben44. Es gibt jedoch nur wenige Veröffentlichungen – vor allem Aufsätze –, in denen der Prager Frühling unter dem Gesichtspunkt der Reaktionen und Auswirkungen auf den ostdeutschen Protestantismus Berücksichtigung findet. Gerhard Besier stellte Anfang der 1990er Jahre im Prinzip nur fest, dass es keine gemeinsamen Reaktionen der evangelischen Landeskirchen gab45. Ehrhart Neubert geht in seiner Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989 auf die Situation von 1968 ein und betont auch, dass erstmals der Protest systemimmanenten Charakter trug und die Protestierenden in ihren Biografien nachhaltig prägte. Aber angesichts der zeitlichen Breite, in der das Buch angelegt ist, konnten an dieser Stelle nur die Protestaktionen zweier Einzel37 J nicke, Dabeisein; Schçnherr, Zeit; Krusche, Erinnerungen. Interessant ist, dass in den Autobiographien der Prager Frühling eine größere Rolle spielt, als wenn über damalige Bischöfe Biografien geschrieben wurden. Vgl. z. B. die Biographien über Kurt Scharf: Zimmermann, Kurt Scharf; und über Friedrich-Wilhelm Krummacher: M kinen, Mann der Einheit. 38 Beispiele hierfür sind die inhaltsreichen Bücher von Rudolf Mau oder auch Ehrhard Neubert. Vgl. Mau, Eingebunden; ders., Protestantismus; Neubert, Opposition. 39 Z. B. Fritsch / Nçckel, Vergebliche Hoffnung; Grosse, Einspruch! 40 Z. B. Findeis / Pollack, Selbstbewahrung; Liebermann / Fuchs / Wallat, Dissidenten. 41 Lepp, Tabu?; Silomon, Gemeinschaft. 42 Winter, Gewalt; Rutsatz, Gedenken. Aus der Zeitzeugenperspektive z. B. Welzk, Leipzig 1968. 43 Kunter, Kirchen im KSZE-Prozeß; dies., Erfüllte Hoffnungen. 44 Kunter, Zurück nach Europa; dies., Die evangelischen Kirchen; dies., Menschenrechte. 45 Besier, Anpassung, 684 – 694.

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personen mit kirchlichem Hintergrund, Hans-Jochen Tschiche, damals Pfarrer, und Ulrich Schacht, damaliger Theologiestudent, Erwähnung finden46. In einem Aufsatz von Marc-Dietrich Ohse von 2007 Ostdeutscher Protestantismus und Prager Frühling47 will dieser zwar auf die Reaktionen der ostdeutschen Kirchen eingehen, doch findet sich nur ein Hinweis auf den als Kanzelabkündigung verfassten Solidaritätsbrief der Berlin-Brandenburgischen Kirche an die Kirchen im Nachbarland und eine allgemeine Aussage zur Haltung der CFK. Rudolf Mau räumt in seiner Überblicksdarstellung zur DDR-Kirchengeschichte der Problematik des Prager Frühlings immerhin eine Seite ein und erwähnt einige Beispiele, die auch in der vorliegenden Untersuchung eine Rolle spielen werden.48 Ein Artikel der Verfasserin widmet sich diesem Thema, behandelt jedoch nur kurz vor allem die kirchenleitenden Reaktionen und lässt alle weiteren Bezüge außer Acht49. Mark Allinsons Buch streift die kirchliche Situation vom Sommer 1968, die am Ende seines Untersuchungszeitraums liegt, vor allem für Thüringen50. Anlässlich des 40. Jahrestages 2008 widmeten die Mitteilungen zur Kirchlichen Zeitgeschichte mehrere Beiträge dem Thema 1968. Direkt mit dem ostdeutschen Protestantismus beschäftigen sich die Beiträge von Claudia Lepp und Detlef Pollack51. Auch Lepp attestiert den ostdeutschen Protestanten, dass sie „mit großen Erwartungen“ nach Prag schauten und ein Übergreifen auf die DDR erhofften52. Pollack nähert sich eher auf essayistische Weise dem Thema, welches er selbst in der Überschrift als „unerschlossen“ charakterisiert. Dabei geht er auf den Begriff der Kirche im Sozialismus ein, den er als Versuch der Kirchen bezeichnet, „aus der konterrevolutionären Ecke herauszukommen“ und statt im Großen auf Veränderungen im System zu setzen, „auf der Basis einer möglichst breiten Übereinstimmung mit den Machthabern in der DDR partiell Kritik zu üben.“53 Im Allgemeinen sei 1968 für die Bevölkerung eine Bestätigung der Erfahrungen von 1953 gewesen, in einzelnen Gruppen jedoch und in den Kirchen „lebte die mit dem Prager Frühling aufgekommene Hoffnung auf einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz auch nach seiner Niederschlagung weiter – ein paradoxes Phänomen, das es wohl nur in der DDR gab.“54 Obwohl sich die vorliegende Arbeit also in einem Forschungsbereich ansiedelt, der sich schon in der Vergangenheit überdurchschnittlichen Interesses erfreute – dem Prager Frühling sowie den Kirchen in der DDR – weist sie in 46 47 48 49 50 51 52 53 54

Neubert, Opposition, 167 f. Ohse, Ostdeutscher Protestantismus. Mau, Protestantismus. Ruthendorf-Przewoski, Reaktionen. Allinson, Politics. Lepp, Kirchen und ‘68; und Pollack, ‘68er und die DDR. Lepp, Kirchen und ‘68, 64. Pollack, ‘68er und die DDR, 114. Ebd., 120.

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ihrer länderübergreifenden und kirchenspezifischen Fragestellung doch über die jeweilige Binnenperspektive hinaus. Die Handlungsprämissen und -orientierungen von Geistlichen und Laien in dem Jahr, das ihnen vor allem Rechtsunsicherheit durch die neue Verfassung bescherte, blieben bisher weitgehend unbeleuchtet. So fehlt eine grundlegende Untersuchung zu den Versuchen, Einfluss auf die neue Verfassung zu nehmen. Die Geschichte des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR dagegen ist, wie erwähnt, bereits untersucht. Die Situation in den Landeskirchen in der in der zweiten Hälfte des Jahres 1968, die nur jede für sich agierten, obwohl die Ablehnung sowohl des Einmarsches von Truppen des Warschauer Paktes als auch der angenommenen Beteiligung deutscher Truppen auf allen kirchlichen Ebenen allgegenwärtig war, wurde bisher über Zeitzeugenberichte hinaus nur wenig erhellt. Es ist deutlich: 1968 war Prag für die Kirchen in der DDR von Bedeutung, aber die Hintergründe sind kaum erhellt. Die Beziehungsstränge ˇ SSR und der DDR, die einen Transfer und die zwischen den Kirchen in der C positive Wahrnehmung in den Kirchen ermöglichten, wurden bisher nicht untersucht. Bereits 1999 verglich Annabelle Lutz in ihrem Buch Dissidenten ˇ SSR und der DDR, teilte sie in drei geneund Bürgerbewegung diese in der C rationsspezifische Gruppen und machte vor allem für eine mittlere Generation den Prager Frühling als prägenden Faktor aus55. Für die Beziehungen zwischen ˇ SSR und der DDR nach 1968 steht eine neue tscheder Opposition in der C chischsprachige Veröffentlichung zur Verfügung56. Wie jedoch sah es vor 1968 aus, und veränderten die Ereignisse von 1968 die Beziehungen zwischen den Kirchen?

3. Methodisches Vorgehen Im Folgenden soll zunächst darauf eingegangen werden, wie in der vorliegenden Arbeit Kirche definiert wird und welche Deutungskriterien für Proteste angewendet werden. Danach werden der Aufbau der Arbeit und die zeitlichen und thematischen Abgrenzungen erläutert. 3.1. Kirche Kirchen haben den Anspruch, das Evangelium zu verkünden, jedoch nicht ein Parteiprogramm. Dennoch waren sie in der DDR ein politischer Faktor. Ein solcher waren die Kirchen im Sozialismus schon allein durch ihr beharrliches Vorhandensein, also dadurch, dass sie nicht, wie theoretisch nach marxistisch-leninistischer Lehre und Prognosen vorgesehen, ausstarben, obschon sie 55 Lutz, Dissidenten. 56 Vil mek, Solidarita.

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massiv an Mitgliedern verloren. Daher bleibt die politische und gesellschaftliche Dimension nicht außer Acht, waren doch kirchliche Äußerungen unter den Bedingungen der SED-Diktatur eben immer auch eminent politische. In der Arbeit werden die acht evangelischen Landeskirchen in der DDR untersucht. Der Begriff Kirche wird dabei auch, jedoch nicht ausschließlich, institutionengeschichtlich verstanden. Die Verengung des Kirchenbegriffs auf Kirche als Institution, die den Kult sicherstellt und nur für ihre Hauptamtlichen zuständig ist, war eine sozialistische Vorstellung von Kirche, die sich 1968 auch in der Verfassung niederschlug. Gegen diese Verengung auf die Kirche als Institution versuchten sich kirchliche Hauptamtliche und Kirchenmitglieder während der gesamten DDR-Zeit zu wehren. Aber gerade deswegen spielt die Frage der Aufgabe der Kirche als Institution sowohl in den staatlichen als auch in den kirchlichen Quellen eine große Rolle. Während der Staat die Aufgabe der Kirchen allein in der Befriedigung überkommener religiöser Bedürfnisse sah, verstanden die evangelischen Kirchen in der DDR in Anschluss an die Barmer Theologische Erklärung nach These VI, ihre Aufgabe wie folgt: „an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.“ Dies stand den staatlichen Vorstellungen diametral entgegen. In der Auseinandersetzung mit staatlichen Stellen waren die Kirchen darum stetig herausgefordert, sich zu fragen, wie weit sie gehen könnten, ohne ihre Tradition und ihre Identität aufzugeben; welche Strategien sie entwickeln könnten, um sich selbst zu erhalten; und was Kirche dann ist und wo ihre Grenzen sind. Was bedeutet es, das Evangelium zu verkündigen, wenn man weder NGO, Partei, Opposition, Bürgerrechtsbewegung etc. ist? Wenn es Barmen zufolge Auftrag der Kirche ist, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“, so verbindet sich damit der Anspruch, einen geistigen und geistlichen Freiraum jenseits des Staates offenzuhalten, in welchem Platz für Erwartungen, Hoffnungen auf Zukunft, für Wurzeln, Traditionen und für kühne Gedanken bleibt. In diesem Sinne ist es Aufgabe der Kirche gewesen, einen alternativen Resistenzraum gegenüber dem Staat zu erhalten, in dem anders gedacht, gesprochen und gehandelt werden konnte als in der Öffentlichkeit. Kirchliche Äußerungen sollten daher nicht als politische Aufrufe gelesen werden, die sie nicht sein wollten, und auch nicht als Dokumente von Opposition bzw. mangelnder Opposition, in der die Kirchen ebenfalls nicht ihre Aufgaben sahen. Kirche wird über die Institution hinaus als Gemeinschaft der Christinnen und Christen begriffen, die sich dem jeweiligen Bekenntnis aus unterschiedlichsten Gründen zugehörig fühlen. So wird versucht, an exponierten Fallbeispielen die Ebenen der Kirchenkreise und Ortsgemeinden mit einzubeziehen. Auch im Einzelfall gestaltete sich dies allerdings aufgrund der Quellenlage als schwierig, weil Gemeindeglieder aufgrund der staatlichen Amtsträgerfixiertheit kaum im Fokus der Quellen waren. Anhand von Beispielen soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern Kirchenleitungen die einzel-

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nen Ortsgemeinden und einzelne Gemeindeglieder und Pfarrer die Kirchenleitungen beeinflussten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch an den Kirchenleitungen Gemeindeglieder beteiligt waren. Gleichzeitig muss beachtet werden, dass der Staat nur in seinem Sinne handelnde Personen, egal, ob ordiniert oder nicht oder aus welcher Bekenntnistradition stammend, als christliche Stimme akzeptierte und instrumentalisierte. Den Kirchen dagegen wurde abgestritten, für Christinnen und Christen im Allgemeinen oder im Besonderen die Stimme erheben zu dürfen. In einer Information von Mitte Juli 1968, wie mit den Kirchen über die neue Verfassung zu diskutieren sei, wurde dies verdeutlicht: „Die Kirchen sind nicht Interessenvertreter der Christen gegenüber dem Staat. Sie überschreiten ihre Grenzen, wenn sie ,im Namen der Christen‘ zu Fragen der Verwirklichung unserer sozialistischen Demokratie, zu unserer sozialistischen Bildungs- und Kulturpolitik, zur Wehrerziehung u. ä. Stellung nehmen.“ In der gleichen Information wurde der Kirche abgesprochen, Körperschaft öffentlichen Rechts zu sein, weil das eine Privilegierung der Kirche wäre und „die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben […] den Kirchen im Sozialismus nicht zu[kommt]“.57 Da es erklärtes Ziel des Staates war, die Kirche nicht als Vertretung ihrer Mitglieder gelten zu lassen, soll untersucht werden, wie man dennoch dem Staat gegenüber als Gemeinschaft der Christinnen und Christen aufzutreten versuchte. Nicht jeder Christ oder Gemeindepfarrer sah sein Handeln in seiner Kirche beheimatet. Teilweise agierten sie, weil sie in ihrer Kirchenleitung zu wenig Risikobereitschaft zum widerständigen Handeln entdeckten58. Einige handelten aus politischer Überzeugung gegen die ihre Kirchen; ihr Handeln kann daher nur eingeschränkt als kirchliches Handeln interpretiert werden. Zumindest bei denen, die sich in kirchlichen Gremien, wie den Synoden, engagierten, kann davon ausgegangen werden, dass dieses Engagement für ihre Kirchen geschah. Der Begriff Protestantismus erscheint für die vorliegende Untersuchung ebenfalls unscharf und nicht leichter abzugrenzen als der Begriff Kirche. Daher wird in der vorliegenden Arbeit weithin der Begriff Kirche verwendet und deswegen kommen nicht nur die Kirchenleitungen, sondern auch die Synoden in den Blick. Die Kirche in ihren vielfältigen weiteren Lebensbezügen, z. B. in ihrer diakonischen Dimension, kann dabei nicht berücksichtigt werden. Aufgrund des politischen Charakters des Prager Frühlings ist diese kirchliche Ausprägung für die Arbeit nicht relevant59. Wenn man danach fragt, welche Akteure in den Kirchen wichtig waren, so 57 Vgl. Information 8/68 vom 17. 7. 1968 zur Stellung der Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft und zu einigen wesentlichen kirchlichen Argumenten zur neuen sozialistischen Verfassung, 3 f. (Hartweg, SED und Kirche, 54 – 59, 56, 58.) 58 Vgl. auch Heinecke, Konfession, 23 f. 59 Die Berlin-Brandenburgische Kirche schlug z. B. vor, auf ihre Weise auf die Situation in Vietnam zu reagieren, indem sie 100 körperbehinderte Kinder aus Vietnam aufnehmen wollte. Dies wurde von den staatlichen Stellen 1968 nicht genehmigt. Vgl. Rechenschaftsbericht der Kirchenleitung für die Tagung der Provinzialsynode 1968, 14 (BArch DO 4/2946).

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waren dies neben den Bischöfen die Sprecher verschiedener Gruppierungen in den Synoden so z. B. die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft, die in Thüringen den ,Thüringer Weg‘ abzuschwächen suchte, oder in Berlin-Brandenburg die Stimme Hanfried Müllers, die zwar außer ihm selbst kaum einer hören wollte, der aber immer wieder für Unmut und Verwirrung sorgte, weil er aus der Kirche am liebsten eine Unterorganisation der Nationalen Front gemacht hätte. Darüber genossen theologische Lehrer, wie z. B. Johannes Hamel in Naumburg auch über ihre Wirkungsstätte hinaus Ansehen und ihre Stimme wurde gehört. Durchaus relevant für die Arbeit sind die theologischen Entwicklungen jener Jahre. Die 1960er Jahre waren weltweit fortschrittsoptimistisch geprägt und auch der Prager Frühling gehört in diesen Kontext60. Zu den fortschrittsoptimistischen Ausprägungen gehörte die Theologie der Hoffnung von Jürgen Moltmann, die stärker die präsentisch-eschatologische Relevanz der Botschaft Jesu vom Reich Gottes betonte. Die Einfuhr von Moltmanns Büchern aus Westdeutschland war nicht erlaubt. In diesen Kontext gehörte ˇ SSR seinen ebenso der marxistisch-christliche Dialog, der gerade in der C Zenit erreicht hatte und mit dem Ende des reformkommunistischen Experiments zum Erliegen kam. Dialog nach dem Prager Frühling war nicht mehr das gleiche wie davor.

3.2. Opposition, Widerstand, widerständiges Verhalten und Resistenz Rainer Eckert stellt in seiner Einführung zu seiner Bibliographie über Widerstand in der zweiten deutschen Diktatur fest: „Während eine Kontroverse um die Begriffe von Repression und politischer Verfolgung in der DDR bisher ausgeblieben ist, sind die Begriffe Widerstand, Opposition, widerständiges Verhalten und Dissidenz höchst umstritten. Eine sichere methodische Basis ist hier nicht gegeben. Dies hat auch damit zu tun, dass widerständiges Verhalten weiterhin aus den Akten des Repressionsapparates heraus beschrieben wird, dass die Staatssicherheit normales Konfliktverhalten zu Widerstand aufbauschte und gleichzeitig moralisch, intellektuell oder religiös motiviertes Widerstehen außerhalb der Vorstellung des kommunistischen Unterdrückungsapparates blieb. Erst ein totalitärer Anspruch nach vollkommener Harmonie und Gleichschaltung macht auch die geringste Abweichung verdächtig.“61

So kommt Karl Wilhelm Fricke zu der Ansicht, dass aufgrund der Politisierung unpolitisch gemeinter Handlungen durch einen totalitären Staat „bereits eine rein menschliche und gleichsam unpolitische, aus der Spontaneität des Augenblicks geborene Verhaltensweise Opposition oder Widerstand bedeuten 60 Vgl. Pauer, Was bleibt, 87. 61 Eckert, Widerstand, 9.

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[kann].“62 Fricke geht noch weiter und meint, dass bereits eine bestimmte „Passivität“ Widerstand bedeuten kann. Das Problem an diesem Ansatz ist, dass alles zu Opposition und Widerstand werden kann und die Kriterien so deutungsoffen werden, dass sie nicht mehr praktikabel anwendbar sind. Auch die vorliegende Untersuchung stützt sich auf Quellen des Repressionsapparates und hat damit zu kämpfen, dass schon einfache Verweigerungshaltungen wie die Ablehnung einer Unterschrift unter eine Zustimmungserklärung zu den sogenannten ,Hilfsmaßnahmen der Bruderländer‘, die allerorten in der DDR gefordert wurden, durch staatliche Akten als Widerstand betrachtet wurden63. Da eine weite Fassung des Widerstandsbegriffs als nicht praktikabel erscheint, wäre zu fragen, ob eine enge Definition geeigneter wäre. Dabei ist zu beachten, dass die Proteste 1968 erstmals weitgehend systemimmanent waren. Daher trifft eine relativ enge Definition von Widerstand – es handele sich um aktive Handlungen oder Unterlassungen mit dem Ziel, das politische System als solches zu ändern – auch nicht zu. Direkt zu Massenprotesten kam es nicht und die Gruppen gründeten sich erst später in der DDR. Eine Ausnahme bildet der Vortrag von Hans-Jochen Tschiche auf dem Stendaler Kirchentag, dessen Forderung durchaus systemverändernden Charakter hatte, wobei sein Verhalten von den von kirchlichen Verantwortungsträgern in der Kirchenprovinz Sachsen allenfalls gedeckt und geduldet, jedoch als zu radikal abgelehnt wurde64. Wie die Relationen und Abgrenzungen zwischen verschiedenen Graden von Protest in der DDR zu sehen sind, darüber gehen die Meinungen weit auseinander65. Nach der Darstellung unterschiedlicher Möglichkeiten der Kategorisierung kommt Pollack zu dem Ergebnis, dass die Phänomene der politisch alternativen Gruppen, deren eine Wurzel er durchaus auch in der Erfahrung der Niederschlagung des Prager Frühlings sieht, so vielschichtig sind, dass eine einheitliche Kategorienbildung zu einem „Prokrustesbett“ wird66. Genau diesen methodischen Unsicherheiten muss sich auch die vorliegende Arbeit stellen und kann sie nur ansatzweise für den eigenen Bereich definieren. Welche Deutungskriterien wären sinnvoll anzuwenden? Oft werden unterschiedliche Begriffsbildungen aus der Widerstandsforschung der NS-Zeit übernommen und auf die Gruppen aus der Anfangszeit der DDR bis in die 1950er Jahre hinein oder die Gruppen der 1980er Jahre angewendet. Zwischen beiden gibt es kaum personelle Kontinuitäten. Die Situation 1968 fällt schon insofern heraus, dass es Einzelne waren, die, auf welche Art auch 62 Fricke, Opposition und Widerstand, 14. 63 Pollack und Rink schließen aus dem Umstand, dass „völlig harmlose Handlungen, die überhaupt keine politische Intention verfolgen, […] zu staatfeindlichen Akten [werden]“, zu Recht: „In gewisser Weise hat das repressive System der DDR seine Gegner selbst produziert.“ Pollack / Rink, Verweigerung und Opposition, 8. 64 Vgl. Kapitel 4.7.3.3., 347 – 354. 65 Vgl. Pollack, Politischer Protest, 57. 66 Vgl. ebd., 68, 74, 61.

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immer, zu zeigen versuchten, dass sie mit dem staatlichen Vorgehen nicht einverstanden waren. Ein vernetztes Agieren kam nicht zustande. Gemeinsamer Protest in Form von Gruppen ist kaum zu finden67. Als Ausnahme könnte die Kanzelabkündigung der Berlin-Brandenburgischen Kirche betrachtet werden, die mehrere Hundert Pfarrer unterstützten. Die Möglichkeit, Kategorien anhand der Organisiertheit einer Gruppe zu bilden, scheidet für 1968 somit von vorn herein aus68. Auch der Begriff Opposition hat Tücken. Nach sozialistischer Auffassung gibt es in einem sozialistischen Land keine Grundlage für eine Opposition, weil die Staatsmacht alle Interessen des Volkes bereits verkörpere, da sie ja vom Volk ausgehe69. Opposition konnte daher nur gegen die Staatsmacht gerichtet sein70. Gleichzeitig wird Opposition generell als an ein demokratisches, parlamentarisches System gebunden definiert. Innerhalb dessen bietet sie eine politische Alternative an, die in der Regel von einer anderen Partei getragen wird, die zur angegebenen Zeit nicht die Regierung bildet, dies potentiell nach einer demokratischen Wahl jedoch könnte. Eine parlamentarische Opposition gab es nicht in der DDR. Eine Forderung nach Opposition war per se ,konterrevolutionär‘, damit nicht diskutierbar und wurde staatlich verfolgt71. Zudem sind der zu untersuchende Gegenstand der vorliegenden Arbeit die evangelischen Landeskirchen. Die Kirchen verstanden sich selbst nicht als Opposition, schon um ihren Freiraum zu erhalten und Mitglieder zu schützen72. Aus diesen Gründen operiert die Arbeit mit den Begriffen widerständigen Verhaltens und der davon noch einmal zu unterscheidenden Resistenz. Unter 67 So auch z. B. Kowalczuk, Gefahr, 270 f. Er betont, dass auf Grund der fehlenden Organisationszusammenhänge „sich die Vorgänge von 1968 einer Bewertung als Opposition im Sinne einer konventionellen Oppositionsforschung [entziehen].“ Er plädiert deswegen für einen weiten Oppositions- und Widerstandsbegriff. 68 So Klessmann, Opposition und Dissidenz, 52 f. Er versteht unter politischer Opposition „eine zumindest ansatzweise organisierte Form der Abweichung von der herrschenden politischen Linie mit erkennbaren ideologischen und politischen Alternativkonzepten. Dissidenz dagegen ist ein eher diffuses und schwer fassbares Phänomen.“ Unter Resistenz versteht Kleßmann eine „Flucht in gesellschaftliche Nischen“, die es immer gab, aber auch herrschaftsstabilisierend war. Nach diesem Verständnis gab es bis Ende der 1980er Jahre kaum Opposition in der DDR. 69 „In sozialistischen Staaten existiert für eine O.[pposition] gegen die herrschenden gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse keine objektive politische oder soziale Grundlage. Da die sozialistische Staatsmacht die Interessen des Volkes verkörpert und seinen Willen verwirklicht […] richtete sich jegliche O.[pposition] gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung gegen die Werktätigen selbst.“ Kçnig, politisches Wörterbuch, 471. 70 Vgl. Fricke, Opposition und Widerstand, 11. 71 Vgl. ebd., 12. 72 Riley geht so weit zu sagen: „it would have been suicidal for the GDR Church to characterize itself as ,opposition‘“. Riley, Everyday Subversion, 47. Fricke bezeichnete schon in den 1980ern den Weg der Kirche als ein Dilemma und gerade im Verhältnis zur Friedensbewegung als eine „gefahrenvolle[…] Segelfahrt zwischen der Scylla der Opposition und der Charybdis politischer Anpassung.“ Fricke, Opposition und Widerstand, 190.

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widerständigem Verhalten werden aktive Handlungen und Verweigerungen mit dem Ziel verstanden, dem Absolutheitsanspruch des Staates eigenes Denken, Handeln und persönliche Freiheit entgegenzusetzen. Widerständiges Verhalten entzündete sich im Herbst 1968 in der Bevölkerung vor allem an der durch die Regierung suggerierten Beteiligung der NVA, wobei die von Jugendlichen spontan und unorganisiert durchgeführten Demonstrationen und Flugblattaktionen in der Regel systemimmanent in dem Sinne waren, dass sie den Prager Frühling unterstützen wollten. Manches an eine Hauswand geschriebene und vom MfS verfolgte Wort lautete schlicht „Dubcˇek“.73 Weiterhin sind zu widerständigem Verhalten, das 1968 innerhalb der Kirchen auftrat, folgende Formen zu zählen: Kanzelabkündigungen, die Nutzung bzw. Weiˇ SSR oder westlichen Medien, tergabe von Informationsmaterial aus der C Plakate in Schaukästen, Eingaben und Briefe an staatliche Stellen inklusive an ˇ SSR, Symden Staatsratsvorsitzenden, Beihilfe zur Republikflucht über die C ˇ pathiebekundungen bei offiziellen Stellen der CSSR, Austritt aus Parteien oder Organisationen, in diesem Kontext in der Regel aus der CDU und der CFK, die ˇ SSR Äußerungen im Niederlegung von öffentlichen Funktionen sowie Pro-C ungeschützten, nichtprivaten Bereich im weiteren Sinne, beispielsweise bei Predigten, Fürbitten, Gemeindekreisen, Synoden und in Betrieben. Als Resistenz werden Handlungsweisen betrachtet, die aufgrund eigenständiger Traditionen und Meinungen, eigenen Denkens etc. zu abweichendem bzw. von staatlicher Seite unverstandenem oder unerwünschtem Verhalten führten74. Die daraus resultierenden Konfrontationen gehen jedoch nicht oder nicht unbedingt auf politische Ansichten zurück und treten nur aufgrund staatlichen Drucks zu Tage75. Für die Kirchen, die versuchten, eine alternative Tradition und einen eigenen Freiraum zu erhalten, eignet sich dieser Begriff76. Am stärksten war die gesamte Bevölkerung, Christen wie Nichtchristen, von der staatlichen Forderung nach Zustimmungserklärungen und Resolutionen betroffen. Hier waren sehr häufig Einzelne gezwungen, sich durch ihre Unterschrift oder deren Verweigerung politisch zu äußern. Im genuin kirchlichen Bereich gehörten unter anderm dazu: im Frühjahr Eingaben an die Verfassungskommission, das Nutzen der Wahlkabine und die 73 Dies schrieb z. B. der Kabarettist Bernd-Lutz Lange an Leipziger Wände. Vgl. Lange, Mauer, 322 f. 74 Riley meint, dass z. B. totalitäre Sprache letztendlich nicht erfolgreich war, weil die Regime es nicht schafften, alles traditionelle Denken zu vernichten. Vgl. Riley, Everyday Subversion, 42. 1968 wurde schon das Benutzen einer eigenen Sprache kritisiert, die sich nicht dem sozialistischen Sprachgebrauch beugte. Dazu gehörte z. B. statt wie gefordert von Hilfsmaßnahmen, von Besetzung zu sprechen. Vgl. Fernschreiben BV Suhl vom 2. 9. 1968 über Meinungen zur CSSR (ACDP 07-012-1536). 75 Stçver, Leben, 37, 49 f. 76 Ohse verwendet dagegen an dieser Stelle eher die Begriffe Protest und Nonkonfirmismus. Den Begriff Resistenz lehnt er als zu unspezifisch ab. Vgl. Ohse, Herausbildung, 84 f. StadelmannWenz spricht an einer Stelle von kirchlichem Engagement als Möglichkeit für „resitente Rückzugsräume“. Stadelmann-Wenz, Widerständiges Verhalten, 238.

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Ablehnung der neuen Verfassung durch die Nutzung der Möglichkeit, mit „Nein“ zu stimmen. Nach dem 21. August gehörten beispielsweise dazu: Fürbitthilfen der Kirchenleitungen, Fürbitten und Fürbittgottesdienste als genuin kirchliche Ausdrucksform der Beistandsbekundung, das Eintreten für Verhaftete, Relegierte, Entlassene oder anderweitig von staatlichen Repressionen bedrohte Personen als Ausdruck christlicher Fürsorge, die Verweigerung kirchlicher Verantwortungsträger bei der Forderung positiver Äußeˇ SSR. rungen zum 21. August, das Aufrechterhalten von Kontakten in die C

3.3. Aufbau der Arbeit Die Arbeit beginnt mit einem ersten Kapitel zur allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Situation in der DDR und in den Kirchen der 1960er Jahre. Dazu gehörten die staatliche Kirchenpolitik, der Druck, die Namen einiger Landeskirchen zu ändern, die neue Verfassung, die Forderung der Ablösung von der EKD und die Instrumentalisierung staatlich bezeichneter ,Progressiver‘. In einem zweiten Kapitel geht es um die Frage nach den Beziehungen ˇ SSR und deren zwischen den evangelischen Kirchen in der DDR und der C beiderseitigen Kommunikationsmöglichkeiten. Inbegriffen ist die Funktion internationaler ökumenischer Plattformen, die man staatlich steuern wollte. Im Anschluss werden exemplarisch in einem dritten Kapitel die protestantiˇ SSR und DDR am Beispiel der CFK in den Blick genommen. sche ,Linke‘ in C Das vierte Kapitel bildet mit dem ereignisgeschichtlichen Teil über die verschiedenen ostdeutschen Landeskirchen das Kernstück der Arbeit. Hierbei werden in einem Dreischritt jeweils die Kirchenleitungen, die Synoden und einzelne Fallbeispiele in den Blick genommen. So wird versucht, makro- und mikrohistorische Ansätze miteinander zu verbinden. Es kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, jedem Einzelschicksal nachzugehen, auch wenn es für den Einzelnen und seine Familie unter Umständen mit Konsequenzen verbunden war, die bis heute nachwirken. Am Beispiel von Sachsen systematisiert die Arbeit aufgefundene Aussagen von Pfarrern aus Quellen unterschiedlicher Provenienz und überführt diese in eine Statistik. So werden Aussagen über die Meinungen von Pfarren möglich. Da jedoch trotz intensiver Recherche nur von etwa 15 % aller Pfarrer Äußerungen gefunden wurden, können diese Ergebnisse nur Tendenzen aufzeigen. Ein fünftes Kapitel fragt nach den Hoffnungen und Sorgen in Hinblick auf den Prager Frühling, den Motivationen für das Handeln in den Kirchen, den Verhaftungen im Raum der Kirche, den theologischen Hintergründen und Interpretationen sowie den Nachwirkungen von Prag auf die weitere Geschichte der Kirchen in der DDR.

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3.4. Abgrenzungen und zeitlicher Rahmen Mit dem Begriff der evangelischen Kirche sind in der vorliegenden Arbeit die acht ostdeutschen evangelischen Landeskirchen gemeint. Evangelische Freikirchen und weitere christliche Religionsgemeinschaften können in der vorliegenden Arbeit nicht untersucht werden. Im Allgemeinen hielten sich die kleineren Religionsgemeinschaften mit politischen Äußerungen zurück. Sie standen auch nicht im Brennpunkt der Aufmerksamkeit des Staates, was wohl ihrer geringen Stärke geschuldet war77. Auch die Position der römisch-katholischen Kirche kann in dieser Arbeit nicht untersucht werden. Im August 1968 enthielt sie sich einer offiziellen Äußerung78. Dagegen beteiligte sie sich an der Verfassungsdiskussion, indem z. B. Kardinal Alfred Bengsch einen Brief an die Verfassungskommission schrieb. Dieser Brief wurde in den evangelischen Kirchen gelesen und weitergegeben. Die Arbeit setzt zeitlich mit dem Verfassungsentwurf im Januar 1968 ein. Aktionen gegen den 21. August hatten ihren Zenit im Oktober 1968 bereits überschritten. Da die Gründung des BEK 1968 angedacht und 1969 vollzogen wurde, wurden die Frühjahrssynoden 1969 noch mit einbezogen. Nachwirkungen des Prager Frühlings werden an Einzelbeispielen wie Heino Falckes Vortrag auf der Bundessynode 1972 oder der Krise in der CFK bis zur IV. ACFV 1971 nachvollzogen. Neben Kirchenleitungen, Synoden und Einzelnen kommen in der Arbeit auch die ,progressiven‘ Pfarrer in den Blick. Gerade diese Gruppe, oft auch pejorativ Friedenspfarrer genannt – in Anlehnung an die katholischen Frieˇ SSR und weil an der staatlichen ,Friedenspolitik‘ oriendenspriester in der C tiert –, kam mit dem Prager Frühling und dessen Ende in Erklärungsnot. Dabei können zwischen den unterschiedlichen ,progressiven‘ Organisationen wie CDU, CFK, Bund Evangelischer Pfarrer und Weißenseer Arbeitskreis 77 In den staatlich funktionalisierten ,Arbeitskreisen Christen bei der Nationalen Front‘ fanden sich hinsichtlich des Anteils an der Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich viele Mitglieder aus kleineren christlichen Religionsgemeinschaften. Aber auch hier gab es unterschiedliche staatliche Einschätzungen. Ein Beispiel soll genügen: „Während bei der Neuapostolischen Kirche und den 7-Tage-Adventisten in Rostock, Warnemünde, Tessin, Grevesmühlen und Heringsdorf durch die Prediger geäußert wurde, dass nur durch die eingeleiteten Maßnahmen die Lage in der CSSR geklärt werden konnte und die sozialistischen Bruderländer die Friedensinitiative ergriffen haben, zeigen sich bei den Baptisten und Methodisten negative Auffassungen. […] Die CSSR schafft sich ein neues Kleid und es sei richtig, wenn auch wir in der DDR ein neues bekämen, eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist erwünscht.“ Einschätzung der Haltung kirchlicher Kräfte zu den Ereignissen in der CSSR ohne Datum, eingegangen am 3. 10. 1968, 4 (BArch DO 4/2936). 78 Der Staat vermerkte nur drei katholische Priester aus Merseburg, die sich gemeinsam mit ihren evangelischen Kollegen in einem Protesttelegramm zu Wort meldeten und Anspielungen während der 1000-Jahr-Feier des Bistums Magdeburg Anfang September. Vgl. Sch fer, Katholische Kirche, 24 f.

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(WAK) häufige Personalunionen beobachtet werden. Da die CFK 1968 von Theologen getragen wurde, die den Prager Frühling begrüßten und dessen Ende verurteilten, so dass diese Gruppe letztendlich auf sowjetischen Druck hin gesäubert wurde, sind auch in der DDR-Regionalgruppe die Auswirkungen und die Erklärungsnot am stärksten zu spüren. Deswegen wird in der Arbeit die CFK exemplarisch für diese Gruppe untersucht. Neben der drohenden Beschneidung kirchlicher Befugnisse durch die neue Verfassung und damit verbunden der Frage nach der weiteren Möglichkeit in EKD, VELKD und EKU zusammenzuarbeiten, neben dem Erschrecken über die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig79 und neben den Ereignissen in Prag verhandelten die Kirchen 1968 noch ganz andere Themen, die in der Arbeit nicht ausgeführt werden können, aber zumindest benannt werden sollen. Während der gesamten Zeit der DDR waren die Fragen des ,sozialistischen Bildungswesens‘, also die eingeschränkten Möglichkeiten junger Christinnen und Christen, an EOS und Universität zugelassen zu werden, präsent80. 1968 wurde zudem erstmals die schon 1967 beschlossene Streichung verschiedener kirchlicher Feiertage – Ostermontag, Himmelfahrt, Pfingstmontag, Bußtag und Reformationstag – umgesetzt. Eine Eingabe der Bischöfe Jänicke und Noth hatte nichts gebracht81. Außerdem traten ein neues sozialistisches Strafrecht und ein neues Zivilgesetzbuch in Kraft82. Ebenfalls 1968 begann für die angelaufene III. Hochschulreform eine entscheidende Phase, in deren Rahmen auch die Theologischen Fakultäten in Sektionen umgewandelt wurden83. Hinzu traten dann noch die kleinen Gehässigkeiten am Rande: So wurden die Kirchensteueranzeigen in der Tagespresse mit Hinweis auf die Trennung Staat-Kirche für unzulässig erklärt84. Aber auch innerkirchlich gab es viele Themen zu bedenken. So wurde 1968 ein mit der katholischen Kirche gemeinsamer Text des Vaterunsers eingeführt, Fragen nach voller Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft der Gliedkirchen der EKD wurden diskutiert, eine gleichwertige Ordination von Frauen stand in einigen Landeskirchen zur Debatte85. Die EKD hatte eine Denkschrift, „Friedensaufgaben der Deutschen“ herausgegeben, an der sowohl östliche wie westliche Theologen beteiligt waren, die in der DDR jedoch kaum rezipiert wurde86. Zum einen konnte sie in der DDR selbstverständlich nicht veröf79 Auch die Garnisonskirche in Berlin wurde 1968 gesprengt. Proteste wie z. B. ein Beschwerdeschreiben Schönherrs an Ulbricht nützten nichts. Zur Universitätskirche vgl. Kapitel 4.8. Exkurs., 361 – 367. 80 Zu diesen Problemen vgl. z. B. Helmberger, Blauhemd; Hueck, Lerngemeinschaft. 81 Vgl. Bischofsbericht in der Abendveranstaltung am 22. 3. 1968, 2 (BArch DO 4/2971). 82 Vgl. KJ 95 (1968), 199 f. 83 Vgl. Stengel, Fakultäten, 636 – 669; Fitschen, Wissenschaft im Dienste, 615 – 636. 84 Vgl. 15. 2. 1968, Kirchensteueranzeigen in der Tagespresse, ohne weitere Angabe (ACDP 07010-3252). 85 Für Sachsen vgl. Funke, Kanzelstürmerinnen. 86 In kirchlichen Quellen wird sie kaum erwähnt. Für den Staat war diese Studie nur ein weiterer Beweis für „die völlige Liierung der EKD mit der flexiblen Ostpolitik des westdeutschen staats-

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fentlicht werden, zum anderen überlagerte sich ihr Erscheinen im März 1968 mit der Verfassungsdiskussion und ihre Intention geriet durch den 21. August ˇ SSR ins Hintertreffen87. in der C

4. Quellen Die vorliegende Arbeit greift auf Quellen unterschiedlicher Provenienz zurück, um eine möglichst breite Basis zu erhalten, da grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass jede Quelle ihre jeweils eigene Perspektive repräsentiert und keine Quelle objektiv Wirklichkeit wiedergibt. Dabei wird schon auf den ersten Blick eine Quellenasymmetrie zwischen staatlichen und kirchlichen Quellen offenbar. Auf staatlicher Seite wurde möglichst viel berichtet, während die Zurückhaltung auf kirchlicher Seite, schriftliche Quellen zu hinterlassen, die vielleicht einmal gegen Personen verwendet werden könnten, ausgesprochen hoch war88. So stehen z. B. in den kirchlichen offiziellen Protokollen der Konferenz der Kirchenleitungen und der Bischofskonferenz nach dem 21. August je nur der eine Satz, der wenig über die teilweise mehrere Stunden andauernden Debatten aussagt: „Über die Lage in der CSSR wurde gesprochen“. 4.1. Staatliche und staatssicherheitliche Quellen Im Zuge des 21. August setzte eine Berichtsflut von den Kreisen zu den Bezirken und von diesen wiederum an die Dienststelle des Staatssekretariats für Kirchenfragen ein.89 Funktionäre vor Ort berichteten recht unterschiedlich, monopolistischen Herrschaftssystems“. Des Weiteren war man der Meinung, dass sie „die Illusion eines Dritten Weges jenseits der Gegensätze zwischen den Gesellschaftssystemen Sozialismus und Imperialismus [nährt]“. Information Nr. 5/1968 Einschätzung der Studie „Friedensaufgaben der Deutschen“, 2, 5 (BArch DO4/1358 ebenso SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/ 27). Am 12. 8. 1968 erfolgte eine äußerst kritische Stellungnahme, die nach einigem Zögern trotz des 21. August versandt wurde. Die vier Unterzeichnenden sind alle mit der CFK assoziiert. Vgl. Brief von Adler an Behm vom 25. 9. 1968. Anlage. Stellungnahme zur EKD-Studie (EZA 104/ 127). 87 Vgl. Lepp, Tabu?, 651, 653. Lepp beschäftigt sich ausführlich mit Hintergründen, Entstehung und Rezeption der Studie. Vgl. ebd., 600 – 654. 88 Dies wird durch Zeitzeugen immer wieder bestätigt. Z. B. „Aufzeichungen darüber gibt es so gut wie nicht. Wir haben keine Archive angelegt, die bei Haussuchungen durch die Stasi hätten eine Rolle spielen können. Außerdem haben wir aus gleichem Grund keine Übersichten über Aktivitäten aus den Landeskirchen, den Kirchenkreisen oder Gemeinden beim Bund zusammengestellt.“ Brief eines Zeitzeugen an Katharina Kunter vom 27. 3. 2000, 1; vgl. auch Radatz / Winter, Geteilte Einheit, 101 f. 89 Streng genommen gab es kein Staatssekretariat für Kirchenfragen. Es war zwar geplant, wurde

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knapp oder ausführlich, systematisiert oder ungeordnet. Stereotyp finden sich wiederkehrende Sprachfloskeln, z. B.: ,der überwiegende Teil‘, ,die überwältigende Mehrheit‘, ,eine große Anzahl‘, ,die Mehrzahl‘ etc. Dabei kann eine ,überwältigende Mehrheit‘ durchaus eine Minderheit sein, denn auch Kirchenpolitik unterlag bekanntlich staatlicher Ideologisierung von oben und nicht Bedürfnisorientierung von unten. Wie in anderen Bereichen mussten Pläne durchgesetzt und erfüllt werden. Dies bringt ein Problem der Quellen staatlicher Provenienz mit sich: an manchen Stellen ist nicht klar zu erkennen, inwieweit sich diese auf Tatsachen gründen oder als Beweis der Erfüllung zurechtgestutzt wurden. Zusätzlich zu Berichten liegen Dienstbesprechungsprotokolle, Berichte aus den einzelnen Landeskirchen, Gesprächsprotokolle mit verschiedenen kirchlichen Würdenträgern, Maßnahmenpläne, Informationen, Dienstreiseberichte, Eingaben, Briefe etc. vor. Die Informationen wurden auf jeder Stufe gesammelt, gesichtet, verdichtet und nach ideologischen Gesichtspunkten betrachtet. Die Akten im Bundesarchiv zu den einzelnen Landeskirchen aus den einzelnen Bezirken geben daher nur verzerrt und ungenau die jeweilige Situation vor Ort wieder. Es hätte den Umfang der Arbeit gesprengt, auch die Akten aus den Bezirksarchiven mit einzubeziehen. Da im Bundesarchiv in der Überlieferung der Dienststelle des Staatssekretariats für Kirchenfragen in der Regel mindestens zwei Bearbeitungsstufen zu finden sind – zum einen die Berichte, wie sie aus den Bezirken kamen, zum andern die in der Dienststelle in Berlin weiter verdichteten Akten – konnten dennoch an einigen Stellen Verzerrungen und Umdeutungen aufgedeckt werden. So war die Synode von Berlin-Brandenburg im November 1968 nur deshalb als Erfolg gewertet worden, weil die ursprüngliche Linie sich nicht hatte durchsetzen lassen und postwendend das genaue Gegenteil zum Ziel erhoben worden war90. Ergänzend konnten auch Überlieferungen, die in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) ebenfalls im Bundesarchiv liegen, so vor allem Akten der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, mit einbezogen werden. Diese Überlieferungen standen bereits bei verschiedenen Veröffentlichungen zur Verfügung. Am bekanntesten dürften nach wie vor die Arbeiten Gerhard Besiers vom Anfang der 1990er Jahre sein, der einen Großteil der Akten, die in der vorliegenden Arbeit ausgewertet wurden, ebenfalls nutzte, jedoch an vielen Stellen trotz ähnlicher Aktenlage zu anderen Ergebnissen kam. Als weiterer Überlieferungsstrang wurden die Akten des CDU-Ost Archivs, welches nach 1989 nach Sankt Augustin überführt worden war, gesichtet. An vielen Stellen spiegeln diese jedoch nie realisiert. Es blieb bei einer Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Da jedoch kirchliche wie staatliche Quellen selbst den Begriff Staatssekretariat verwenden, werden in der Arbeit die Bezeichnungen Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen und Staatssekretariat für Kirchenfragen synonym verwendet. 90 Vgl. Kapitel 4.3.2., 242 – 246.

Quellen

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Quellen jedoch nur ein weiteres Mal die offizielle SED-Meinung wider. So äußerte sich der CDU-Hauptvorstand gleich am 21. August lobend zum Einˇ SSR. In den Akten der einzelnen Kreis- und Bezirksvorstände marsch in die C zeigen sich dann allerdings auch abweichende Tendenzen. Trotzdem gehören die CDU-Bestände zu den staatlichen Akten und können nur äußerst bedingt kirchliche Sichtweisen widerspiegeln. Zusätzlich zu den bisher genannten Überlieferungen wurden auch Akten der BStU hinzugezogen. Hierbei handelt es sich in überwiegender Zahl ebenfalls um Analysen und Berichte, in geringerem Umfang auch um persönliche oder offizielle Briefe beschatteter Personen, ,Hetzflugschriften‘, IM-Treffberichte und Zeitschriftensammlungen aus der Abteilung 4 der Hauptabteilung XX der evangelischen Linie bzw. der ZAIG. Die Akten der Staatssicherheit zeigen an verschiedenen Stellen eine zusätzliche Sichtweise auf die Ereignisse in den Kirchen in der DDR. So gehen sie von einer noch höheren ,Feindtätigkeit‘ aus, als es die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen tat. Auch das MfS stand unter Erfolgsdruck. Einzelne Dokumente fanden sich zudem nur in diesen Beständen. Da es in der vorliegenden Arbeit um die kirchlichen Aktionsräume geht, ist nicht von vordergründigem Interesse, wer entsprechende Informationen weitergegeben hat. In erster Linie geht es um die jeweiligen Sichtweisen in den verschiedenen Quellen, nicht jedoch um die Aufdeckung der IM-Tätigkeit Einzelner. Daher wurden entsprechende Hinweise nicht direkt in die Untersuchung eingearbeitet91. Der durch die Einwilligungserklärungen ermöglichte Zugang zu personenbezogenen Akten, so von Albrecht Schönherr, Heino Falcke oder Hans-Jochen Tschiche, ergab keine neuen Erkenntnisse. Ein weiteres grundlegendes Problem staatlicher Quellen besteht darin, dass ihre Verfasser versuchten, ideologische Schemata auf unpassende Art und Weise auf kirchliche Strömungen anzuwenden. Grob wurde in den Informationen 1968 zwischen ,progressiv‘ bzw. ,fortschrittlich‘, ,reaktionär‘ bzw. ,konservativ‘ und ,schwankend‘ unterschieden. Als ,progressiv‘ bzw. ,fortschrittlich‘ galt, wer die jeweilige staatliche Linie offiziell und aktiv unterstützte. ,Schwankend‘ wurden 1968 sehr viele der ,Progressiven‘, weil sie über das militärische Eingreifen am 21. August 1968 ins Zweifeln gerieten. ,Konservativ‘ war, wer die ,Hilfsmaßnahmen‘ zum 21. August aus christlichen Beweggründen für falsch hielt, und ,reaktionär‘, wer wagte, dies zu artikulieren92. Gerade diese Kategorien hoben stets auf die staatliche Politik und Ideologie ab. So konnten sich ein Zeuge Jehovas und ein protestantischer Pazifist gemeinsam in der Rubrik ,reaktionär‘ wiederfinden, weil sie den Wehrdienst ablehnten. Ein Katholik, ein hochkirchlicher Lutheraner, ein 91 Nur in den Biogrammen wird erwähnt, wer bekanntermaßen als IM geführt wurde. Die Arbeit lehnt sich in dieser Umgangsweise mit der IM-Tätigkeit Einzelner an die entsprechende Vorgehensweise von Silomon an. Vgl. Silomon, Gemeinschaft, 16 f. Um jemandem zu schaden, war es nicht nötig, IM zu sein, da eine Weitergabe entsprechender Informationen an staatliche Organe die gleiche Wirkung erzielte. Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 398. 92 Vgl. auch Mau, Eingebunden, 101 f.

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Sieben-Tages-Adventist und ein Heiliger der letzten Tage konnten gleichzeitig als ,progressiv‘ bezeichnet werden, wenn sie sich zufällig zum gleichen Sachverhalt apolitisch verhielten. Die Bewegung ,Kein anderes Evangelium‘ konnte sehr positiv bewertet werden, weil der Staatsekretär für Kirchenfragen Hans Seigewasser hoffte, sie könnte die Kirchen spalten93. Auch hatte sich die DDR die Gleichberechtigung von Frauen auf die Fahne geschrieben. Doch stellten Funktionäre für den kirchlichen Bereich fest: „Wer für die ordinierte Theologin ist, hat damit noch lange nicht für den Sozialismus Partei ergriffen.“94 Sicherlich sind diese Beispiele schematisch, doch sollen sie zeigen, dass in den staatlichen Quellen regelmäßig nicht einmal ansatzweise zwischen theologischen Strömungen unterschieden wurde.

4.2. Kirchliche Quellen An kirchlichen Quellen standen in erster Linie die Überlieferungen aus dem Evangelischen Zentralarchiv und den acht ostdeutschen landeskirchlichen Archiven zur Verfügung. Dass dabei die kirchlichen Quellen grundsätzlich kürzer und in damals als brisant empfundenen Punkten weniger aussagewillig als staatliche sind, wurde bereits erwähnt. Kirchliche Quellen wurden mitunter so stark verschlüsselt, dass es aus heutiger Zeit oft schwierig ist, die ursprüngliche Intention der Information herauszufiltern. Dennoch zeigte sich auch hier eine deutlich unterschiedliche Quellenlage. Die verschiedenen Reaktionen der einzelnen Kirchenleitungen lassen sich über einen Sitzungsprotokollentwurf der Bischofskonferenz im EZA und die Leitungsprotokolle der Kirchenleitungen in den jeweiligen Landeskirchenarchiven erschließen. Letztere sind in einigen Landeskirchen noch Sperrakten. Darüber hinaus stehen aus kirchlicher Überlieferung auch Synodalakten, Briefe und Beschwerden, Predigten der Bischöfe, Rundschreiben etc. zur Verfügung. In einige Personalakten konnte Einblick genommen werden, sofern Zustimmungserklärungen vorlagen oder die Sperrfristen abgelaufen waren. Während die Aktenlagen der Archive der Kirchenprovinz Sachsen, Sachsens, BerlinBrandenburg und Görlitz eine eigenständige Darstellung als Korrelativ zu den staatlichen Überlieferungen ermöglichen und es im Falle von Thüringen zumindest möglich war herauszuarbeiten, dass der so genannte ,Thüringer Weg‘ nicht so unumstritten war wie in den staatlichen Quellen immer wieder hervorgehoben, war es im Fall von Anhalt, Mecklenburg und Greifswald aufgrund der mageren Aktenlage nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich, ein eigenes Bild zu zeichnen. Das wird daran liegen, dass sich die Kirchenleitungen in diesen Landeskirchen nicht prononciert auf die eine oder andere Weise zum 93 Vgl. Bauer, Evangelikale Bewegung, 24. 94 Einschätzung der Frühjahrssynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens vom 4.–8. 4. 1970, 1 (BArch DO 4/2962).

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Prager Frühling äußerten. Nur da, wo Widerspruch laut wird, werden Quellen erzeugt. Daher kann für diese Landeskirchen vieles nur vermutet werden. Die betreffenden Kapitel fallen im Vergleich zu den anderen Landeskirchen dementsprechend kurz aus. Um die Entwicklungen der Beziehungen zur EKBB herauszuarbeiten, wurden die Akten, die die Ökumene betreffen, aus dem Archiv der EKBB, welches in Prag liegt, hinzugezogen. Für die CFK wurden zusätzlich Akten aus dem Nachlass Hrom dkas bearbeitet. Dieser befindet sich ebenfalls in Prag, allerdings in der Evangelischen Fakultät. Er wurde erst in der Zeit der Entstehung der vorliegenden Arbeit verzeichnet. In geringem Umfang half die Verfasserin dabei, um die Akten nutzen zu können.

4.3. Zeitzeugen als ergänzende Quellen Aufgrund der Quellenasymmetrie und aufgrund dessen, dass viele schriftliche Quellen auf bestimmte Fragen keine oder nur verzerrte Antworten geben, wurden Zeitzeugenäußerungen als ergänzende Quellen auf unterschiedliche Weise hinzugezogen. Die schriftlichen Quellen geben in der Regel keine Auskunft darüber, wie Entscheidungen entstanden, über welche Netzwerke Kontakte aufgebaut und Informationen weitergegeben wurden, welche Beweggründe zu bestimmten Handlungen führten, aus welchen biografischen und theologischen Prägungen heraus Menschen handelten. Schriftliche Quellen versagen auch oft Antworten über die Hoffnungen, Nöte, Sorgen und Träume von Menschen, die diese angesichts der Demokratisierungsprozesse im Nachbarland hegten. Aus diesen Gründen wurde versucht, die Sichtweise von Zeitzeugen in die Arbeit mit einzubeziehen. Dabei ist zu beachten, dass Zeitzeugenaussagen zwar aus wissenschaftlicher Sicht oft schlicht als mehr oder weniger kritisch zu hinterfragende Quellen betrachtet werden, aus Zeitzeugenperspektive handelt es sich jedoch um deren Lebensgeschichte95. Eberhard Natho schrieb, nachdem er den Text zur Landeskirche von Anhalt gelesen hatte: „Die häufige Zitierung staatlicher Aufzeichnungen (in Ermangelung kirchlicher) hinterläßt für mich den bitteren Beigeschmack: die uns 40 Jahre bedrückt haben und ständig zu bevormunden suchten, gewinnen nun auch noch in die Zukunft hinein Macht mit dem, was sie aufgeschrieben haben.“96 95 Treffend formulieren diese Problematik Mitter und Wolle: „Einundvierzig Jahre sind wenig in der Geschichte eines Volkes, sehr viel dagegen im Leben eines Menschen. Diese simple Tatsache läßt alle kurzen und griffigen Formeln als fragwürdig erscheinen. Bei der Zeitgeschichte geht es auch um Menschen. Viele fühlen sich durch den Umgang mit der Geschichte tief verletzt. Sie sehen durch die radikale Kritik an der DDR-Realität ihre eigene Biographie in Frage gestellt.“ Mitter / Wolle, Untergang, 8. 96 Brief von Kirchenpräsident i.R. Eberhard Natho an die Verfasserin vom 15. 7. 2012.

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Durch die Einbeziehnung von Zeitzeugen konnte der kritische Blick auf die Quellen geschärft werden. Die Schwierigkeit mangels alternativer Quellen, aus der staatlichen Überlieferung kirchliche Zeitgeschichte zu extrahieren, bleibt jedoch bestehen. Die Verfasserin spürte im Laufe der Arbeit, wie sehr die eigene Person im Umgang mit Zeitzeugen von Bedeutung ist. Einige Zeitzeugen begegneten ihr zunächst mit Misstrauen, wurden jedoch offener, wenn sie erfuhren, dass die Verfasserin selbst aus einer christlichen Familie stammt und in der ehemaligen DDR noch einige Jahre zur Schule ging. Deswegen begegnete die Verfasserin den in der Regel älteren Menschen mit Respekt und Vorsicht und ließ deren Perspektive bestehen. Wohl ist die Sichtweise der Zeitzeugen von über vierzig Jahren weiteren Lebens mit Ereignissen wie 1989 und rückwirkenden Sinnkonstruktionen geprägt, dennoch kann sie wertvolle Hinweise und neue Blickwinkel auf die Quellen und die Ereignisse liefern. Es wurde auf Grundlage des Quellenstudiums ein standardisierter Fragebogen mit halboffenen Fragen entwickelt, der sich an den von Katharina Kunter für ihre Habilitation entwickelten Fragebogen über die Situation in den 1980er Jahren anlehnt97. Im ersten Abschnitt wurden Fragen zur zeitgeschichtlichen und biografischen Einordnung gestellt: - Welche weltpolitischen Ereignisse waren für Ihre persönliche Entwicklung prägend? - Welche Aspekte des Jahres 1968 nahmen Sie 1968 in der DDR wahr? - Woher bezogen Sie Ihre Informationen über die Entwicklungen außerhalb der DDR? - Welche Aspekte des Prager Frühlings haben Sie in der DDR wahrgenommen und welche waren Ihnen wichtig? ˇ SSR? Wenn ja, welche, und wie wurden sie - Unterhielten Sie Kontakte in die C unterhalten? - Haben Sie konkret Hoffnungen und Sorgen mit den Ereignissen in Prag verbunden? Welche? - Was bedeutete für Sie der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes ˇ SSR? am 21. August 1968 in die C - Erwuchsen Ihnen aus Ihrem Verhalten im Jahr 1968 persönliche Konsequenzen von staatlicher oder kirchlicher Seite? - Beeinflussten die Ereignisse von 1968 Ihr späteres kirchliches oder politisches Engagement? Wenn ja, in welcher Weise? - An welche Äußerungen / Verlautbarungen im Rahmen der Kirche zum Einmarsch in Prag können Sie sich erinnern? - Welche theologischen Themen / Theologen / Bücher wurden damals in kirchlichen Kreisen am meisten gelesen und rezipiert?

97 Vgl. Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 25 f.

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In einem zweiten Abschnitt wurde nach weiteren vorhandenen Quellen und der Bereitschaft, sich für ein Gespräch zur Verfügung zu stellen, gefragt: - Besitzen Sie selbst schriftliche Quellen zu den Ereignissen von 1968? Welcher Art? - Würden Sie unter Umständen für ein Informationsgespräch zur Verfügung stehen? - Welche weiteren Ansprechpartner / Institutionen (Adressen) sollten Ihrer Meinung nach befragt werden? Ein letzter Abschnitt gab die Möglichkeit für individuelle Ergänzungen: - Weitere Aspekte, die nicht angesprochen wurden: Nach einer ersten Testreihe waren auf Anregung bei Frage 5 hinzugefügt worden: Haben Sie konkret Hoffnungen und Sorgen. Außerdem war Platz für individuelle Ergänzungen hinzugefügt worden. Bis zum Abschluss der Arbeit wurden ca. 80 Personen angeschrieben, die zunächst aus dem vorhandenen schriftlichen Quellenmaterial sowie aus vorhandener Sekundärliteratur ausgewählt wurden. Dabei muss beachtet werden, dass viele wichtige Zeitzeugen bereits verstorben oder über 85 Jahre alt waren. Im ersten Durchgang wurde mit zwei Personen gesprochen, die über 85 Jahre alt waren. Doch stellte sich im Gespräch mit den Angehörigen heraus, dass diese durch das Gepräch emotional sehr aufgewühlt wurden. Deswegen verzichtete die Verfasserin im weiteren Vollzug der Arbeit darauf, aus eigenem Antrieb mit Personen dieser Altersgruppe in Kontakt zu treten. Eine Ausnahme bildet ein Gespräch mit Hebe Kohlbrugge, die zum Zeitpunkt des Gesprächs bereits 96 Jahre alt war98. Da das DDR-Regime amtskirchenfixiert war und sich dies in den Quellen niederschlägt, waren die Personen, die in einer ersten Runde angeschrieben wurden, alle Theologen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass, wer in den unterschiedlichen staatlichen Quellen aktenkundig geworden war, in seiner Haltung entweder als ,reaktionär‘ oder als ,fortschrittlich‘ aufgefallen war. Es ist daher nicht zu erwarten, dass die Ergebnisse aus den Fragebögen die Position der Mehrheit der kirchlich gebundenen Bevölkerung repräsentieren, doch können sie helfen, Motivationen und Beweggründe aufzudecken, aufgrund derer kirchlich gebundene Menschen 1968 aus der schweigenden Masse heraustraten. Aufgrund des Rücklaufs aus der ersten Runde der Fragebögen über weitere mögliche Ansprechpartner wurden in einer zweiten und dritten Runde jeweils die in den 98 Hebe Kohlbrugge war als Niederländerin in der CFK tätig und versuchte einen Studierendenaustausch aufzubauen und dafür zu sorgen, dass eine rege Partnerschaftsarbeit zwischen Kirchen in den Niederlanden und der ehemaligen DDR seit den 1970ern zustande kam. Ohne die Empfehlung und Vermittlung durch den inzwischen bereits verstorbenen Klaus von Stieglitz wäre dieses Gespräch nicht zustande gekommen.

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Fragebögen empfohlenen Personen angeschrieben. Da im Rücklauf der dritten Runde fast ausnahmslos auf bereits angesprochene Personen verwiesen wurde, konnte auf eine weitere Runde verzichtet werden. Die anderen aus den Kontakten gewonnenen Informationen flossen als Hintergrundinformationen an den entsprechenden Stellen in die Arbeit ein. Acht Personen gaben keine Antwort. Unter ihnen waren drei ehemalige als IM registrierte Personen, was ein möglicher Grund für den nicht zustande gekommenen Kontakt sein kann. Fünf Personen gaben entweder selbst oder durch ihre Angehörigen an, dass sie zu alt und oder zu krank wären und daher besser von Fragen abgesehen werden sollte, die sie zu sehr aufwühlen würden. Da insbesondere die meisten kirchenleitenden Persönlichkeiten der 1960er Jahre bereits verstorben sind, konnte auch hier oft nur mit Angehörigen Kontakt aufgenommen werden, wie im Fall von Superintendent Spranger, Bischof Noth und Bischof Schönherr. Mit ca. 60 Personen kam ein Kontakt zustande, etwa 30 Personen füllten den Fragebogen aus. Die anderen schrieben Emails, Briefe, stellten telefonisch Kontakt her oder sprachen die Verfasserin persönlich an. Nur einige Briefe waren von der Struktur her geeignet, zur Auswertung der Fragebögen hinzugezogen zu werden. Die so gewonnene Stichprobe bildet eine Bandbreite theologischer Vorstellungen ab. Nicht bei allen war eine klare Prägung erkennbar. Unter den Antwortenden waren: drei Frauen, davon eine Nichttheologin, drei als ,fortschrittlich‘ bekannte Personen, ein Evangelist, ein hochkirchlicher Lutheraner, zwei Herrnhuter, eine Person, die sich bereits damals in kirchenleitender Position befand, vier später in kirchenleitende Positionen aufgestiegene Personen, darunter ein Bischof, drei Personen, die damals in der Lehre beschäftigt waren, dazu drei, die später in lehrende Positionen gelangten. Die anderen Personen waren als Gemeindepfarrer tätig, einer war später Krankenhausseelsorger. In der Auswertung der Fragebögen wurde auf ein vorgegebenes Kategorienschema verzichtet. Stattdessen wurden die Textsegmente der Antworten Zeile für Zeile betrachtet und Kategorien aus den vorliegenden Antworten entwickelt und daher offen kodiert99. Mit einigen der Angefragten kam auf deren eigenen Wunsch oder auf Anfrage der Verfasserin ein Gespräch zustande. Für diese Hintergrundgespräche wurde der Fragebogen zu einem Leitfadeninterview weiterentwickelt. An weitere Zeitzeugen wurde aufgrund der Quellenlage herangetreten, die diese Personen als besonders interessant erscheinen ließen. Im Fall der tschechischen Interviews ging es vor allem um das informelle Beziehungsgeflecht zwischen Pfarrern aus der EKBB und den evangelischen Landeskirchen in der DDR100. Alle diese Beziehungen begannen in den 1960er Jahren in der Regel auf deutschen Wunsch und wurden auf Pfarrfamilienebenen geführt. In einem Fall kam es zur Verhaftung zweier Töchter einer deutschen Pfarrfamilie. Aus 99 Vgl. Kelle / Kluge, Vom Einzelfall zum Typus, 56 f. 100 Auch in die Slowakei, wo es eine größere lutherische Minderheit gibt, bestanden Kontakte.

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den Gesprächen konnten wertvolle Hinweise auf Handlungsmotivationen, Beziehungsnetzwerke und Personen gewonnen werden. Die gewonnenen Ergebnisse wurden zu den schriftlichen Quellen in Beziehung gesetzt. Für den Fall, dass sie die einzigen Quellen waren, wird dies in der Arbeit gesondert gekennzeichnet. Nach Möglichkeit wurden die Gespräche digital aufgezeichnet. Einige der Befragten baten jedoch darum, darauf zu verzichten, was sie mit lebensgeschichtlichen Abhörmaßnahmen seitens des MfS oder mit Gefängnishaft in DDR-Zeit begründeten. In diesen Fällen wurde auf ein digitales Aufzeichnen verzichtet. Insgesamt wurden 15 Interviews, elf Interviews mit Deutschen, vier mit Tschechen, durchgeführt. Da es jedoch aus historischer Sicht nicht möglich war, Methoden qualitativer Sozialforschung durchzuhalten – so ist es allein schon nicht möglich, aufgrund der vergangenen Zeit ein repräsentatives Sample zu erstellen –, wurden die Interviews als Hintergrundgespräche ausgewertet. Über die Zeitzeugen konnten einige zusätzliche Egodokumente wie Privatbriefe und Predigten erschlossen, aber auch Einsicht in ihre kirchlichen Personalkaten sowie über sie geführte Akten beim MfS gewonnen werden. Für einzelne Teile der Arbeit wurden nach Fertigstellung des Konzeptes zusätzlich Zeitzeugen aus verschiedenen kirchlichen Kontexten und Regionen gebeten, die betreffenden Texte zu lesen. Auf diese Weise wurde der Verwechslung von Personen, der Übertragung von einfachen Fehlern in den Quellen oder der Übernahme von Quellensprache entgegengewirkt. Im Allgemeinen fließt die retrospektive Zeitzeugenperspektive zur Abgleichung und in Abhängigkeit bereits vorhandener schriftlicher Quellen mit in die Arbeit ein. Bei einigen Fallbeispielen sollen jedoch explizit Zeitzeugen zu Wort kommen.

I. Die Situation der Kirchen in der DDR Ende der 1960er Jahre In diesem Kapitel wird zunächst auf die Situation eingegangen, in der sich die Bevölkerung im Frühjahr und Sommer 1968 befand. Anschließend soll die Kirchenpolitik im Jahre 1968 betrachtet und an zwei prägnanten Beispielen, der neuen Verfassung und der geforderten Trennung von östlichen und westlichen Landeskirchen, verdeutlicht werden, wie sich diese 1968 auswirkte.

1. 1968 in der DDR In der engen DDR teilten sich 1968 Leben und Erleben, Hoffnung und Enttäuschung in eine Welt vor und in eine Welt nach dem 21. August. Das Rollen der Panzer ins Nachbarland hat wenige unberührt gelassen1. Dass sich auch ˇ SSR die SED mit Walter Ulbricht an der Spitze volltönend an der Rettung der C im Kampf gegen eine vermeintliche ,Konterrevolution‘ beteiligen wollte, verunsicherte selbst bis dahin fest an die Friedenspolitik und den Friedenswillen der SED und KPdSU Glaubende. Sogar bei sonst loyalen Organisationen wie der CFK breitete sich auf einmal im Regionalausschuss (RA) der DDR Schweigen aus, während hinter den Kulissen mehrere Monate um die Abfassung einer Stellungnahme gerungen wurde. Die SED interpretierte dies als Verwirrung, nicht als Folge ihrer Politik: „Einzelne progressive Geistliche wurden so verwirrt, daß sie eine Protesthaltung bezogen.“2 Zwar füllten sich die Zeitungen trotzdem mit allerorten verlangten und der SED schmeichelnden Stellungnahmen, doch spiegelten diese alles Mögliche wider, jedoch nicht die Gefühlslage in der Bevölkerung der DDR. Die Menschen waren in erster Linie erschrocken, schockiert, paralysiert. Dabei mussten die meisten DDRBürger entweder direkt unterschreiben, dass sie für die ,Hilfsmaßnahmen‘ seien, in Betriebsversammlungen zustimmen oder auf anderem Wege ihre 1 So Hüttel von Heidenfeld in einem Brief an die Verfasserin vom 10. 8. 2005, 2. 2 Vgl. Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen ˇ SSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet Amtsträger zu den Ereignissen in der C der Staatspolitik in Kirchenfragen, 5 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 5. Hier: „In Einzelfällen.“ (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Vgl. auch die bis auf Einzelformulierungen gleichlautende Information vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71).

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Die Situation der Kirchen in der DDR Ende der 1960er Jahre

Zustimmung bekunden3. Tatsächlich kamen viele in Gewissenskonflikte. Tausende verweigerten ihre Unterschrift4. Dennoch unterschrieb die Mehrheit und nahm ihre Unterschrift nur als eine weitere von so vielen, die sie für den Sozialismus schon hatte leisten müssen – unabhängig von ihrer eigenen Meinung. Auf den gesamten Bereich der DDR gerechnet gab es vereinzelt wirkende Proteste. Versuchte Demonstrationen direkt im Anschluss an den 21. August kamen über 200 Personen nicht hinaus5. Ein direkter Einfluss auf das System, das zu keiner Zeit gefährdet war, lässt sich nicht feststellen6. Die größte Welle war schon nach wenigen Wochen vorbei7. Das sah wohl auch das MfS so, denn bereits am 13. September 1968 hob Mielke die erhöhte Einsatzbereitschaft wieder auf8. Bis Oktober zählte das MfS 2129 unterschiedliche Formen von Protesten9. Wie in der übrigen Bevölkerung wagten auch in den Kirchen nur wenige, ihre Ablehnung öffentlich und unverklausuliert zu artikulieren. So war aus staatlicher Sicht die Gefahr der ,Infiltration‘ mit ,revisionistischen Gedanken‘ für dieses Mal recht bald gebannt, doch blieb das Misstrauen der eigenen Bevölkerung gegenüber bis zum Ende der DDR bestehen. Auch deswegen wurden nach dem 21. August 1968 unzählige staatliche und staatssicherheitliche Aktenblätter über die Situation der pädagogischen Intelligenz, der Künstler, der Arbeiter und sämtlicher anderer durch die SED als relevant eingestuften Bevölkerungsschichten – so auch in den Kirchen – verfasst, um mögliche Übeltäter zu finden und gegen diese vorgehen zu können10. Dies sollte nach Möglichkeit schon im Vorfeld geschehen, so dass 3 Vgl. Ohse, Jugend, 196; und Neubert, Opposition, 164. 4 Vgl. Grossbçlting, Niederschlagung, 814; L bke, 1968 – Aktionen, 149; und Kowalczuk, Gefahr, 262. 5 Vgl. Kowalczuk, Gefahr, 261. Einen guten Überblick über die Proteste bieten auch Eisenfeld, Hoffnung; Mitter / Wolle, Untergang; und Stadelmann-Wenz, Widerständiges Verhalten. In Erfurt demonstrierten z. B. am 22. August 150 – 200 überwiegend Jugendliche. Vgl. Tantzscher, Maßnahme Donau, 96; und Neubert, Opposition, 165. Lübke spricht von mehreren Hundert Jugendlichen Anfang September in Schwerin. Vgl. L bke, 1968 – Aktionen, 151. 6 Vgl. Grossbçlting, Niederschlagung, 814. 7 Vgl. Einschätzung der HA IX zu den in Ermittlungsverfahren des MfS festgestellten Angriffen gegen die Hilfsmaßnahmen der fünf sozialistischen Bruderstaaten zur Sicherung der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der CSSR vom 27. 11. 1968 (Tantzscher, Maßnahme Donau, 122 – 129). 8 Vgl. Tantzscher, Maßnahme Donau, 120 f. 9 Vgl. Grossbçlting, Niederschlagung, 813. Ganz anders Schmid, der von einer Protestwelle erheblichen Ausmaßes ausgeht. Vgl. Schmid, Prager Frühling, 32. 10 Das betrifft sowohl die staatlich zuständigen Stellen für Kirchenpolitik wie die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen und die je zuständigen Referenten für Kirchenfragen in den Räten der Bezirke und Kreise, als auch das MfS. Dort wurden verstärkt auch IM eingesetzt: „Verstärkter Einsatz der inoffiziellen Mitarbeiter zur Aufklärung der Reaktionen klerikaler Kräfte auf die getroffenen Maßnahmen, deren Wirksamwerden im Inneren der DDR, das Zusammenwirken mit klerikalen Kräften in der CSSR und die Einflussnahme durch die klerikalen Zentren in Westberlin und Westdeutschland.“ Bericht vom 5. 9. 1968 Aufgaben, Verlauf, Er-

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bereits vor dem 21. August versucht wurde festzustellen, wer Kontakte in die ˇ SSR unterhielt oder wer es wagte, sich für eine Liberalisierung auch in der C DDR auszusprechen. Säuberlich wurden dementsprechend die kirchlichen Amtsträger durch das MfS in ,abwartend‘, ,befürwortend‘ und ,resignierend‘ eingeteilt11. So mischten sich ab Mitte März, als der Hauptgegenstand der staatlichen Berichtsflut noch die Diskussion um die neue Verfassung und deren Belobigung war, bereits Misstöne in das sorgfältig propagierte und inszenierte Bild einer einmütigen ,sozialistischen Menschengemeinschaft‘ in der DDR. Diese war im Jahr zuvor auf dem VII. Parteitag der SED als eine Gesellschaft dargestellt worden, die sich zielsicher auf dem Weg einer ,konkreten und realen Wahrheit‘ befand und für die nun eine eigene sozialistische Verfassung geschaffen worden war. Mit Sorge wurde daher von Seiten der SED wahrgenommen, was das MfS ab Mitte März 1968 über die Bevölkerung vermeldete: „In den Bezirken der DDR wird gegenwärtig zu den Vorgängen in Warschau und in der CSSR unter allen Bevölkerungsschichten diskutiert. Besonders die Meinungsäußerungen über die Erscheinungen in der CSSR sind vom Umfang und der Intensität her ständig angewachsen.“12

Aus den Meinungsäußerungen ging hervor, dass ähnliche Entwicklungen für die DDR vor allem in Form von mehr Freiheit, z. B. Reise- und Meinungsfreiheit, gewünscht wurden. Allerdings wurde in dem Bericht die Meinung vertreten, „daß der überwiegende Teil der Bevölkerung den Vorkommnissen wenig Sympathien entgegenbringt“ und die Menschen daher der Meinung wären, „daß die Urheber und Hintermänner dieser Provokationen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden müßten.“13 Diese Aussage erwies sich nicht der Bevölkerungsmehrheit entsprechend, doch war es schon zeitig der

gebnisse und Schlussfolgerungen aus dem Einsatz der Hauptabteilung XX im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069). 11 Vgl. Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 12 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561). Während hier noch 19 Seiten ausreichten, wuchs eine Information Anfang Mai auf über 100 Seiten an: Auskunft über das System und die Methoden der Feindtätigkeit zur Durchsetzung der Ziele der sogenannten neuen Ostpolitik, besonders gegenüber der CSSR, über ihre Auswirkungen in der CSSR und über die Versuche zur Ausnutzung der Vorgänge in der CSSR zur Forcierung der politisch-ideologischen Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gegen die DDR, 110 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5403). 12 Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 1 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561). Dieses Zitat findet sich immer wieder in der Literatur. Z. B. Mitter / Wolle, Untergang, 430; oder Tantzscher, Maßnahme Donau, 22. 13 Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 1 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561).

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Die Situation der Kirchen in der DDR Ende der 1960er Jahre

Standpunkt der SED14. Nachdem die von ihr kontrollierten Medien bis Mitte ˇ SSR berichtet hatten, änderte sich dies, März so gut wie nicht über die C nachdem Dubcˇek auf dem Dresdner Treffen vom 23. März die anderen sozialistischen Parteien nicht von der Harmlosigkeit des tschechoslowakischen Reformkurses überzeugen konnte15. Zudem kamen Artikel aus tschechoslowakischen Medien, die sich abfällig über die DDR äußerten, was für Ulbricht ˇ die Medien nicht mehr im Griff ein weiterer Beweis dafür war, dass die KSC habe16. So attackierte der SED-Chefideologe Kurt Hager auf einem Philosophenkongress wiederum Josef Smrkovsky´, einen der führenden Köpfe der Reformkommunisten, scharf17. Das Neue Deutschland veröffentlichte in der Ausgabe vom 26. / 27. März 1968 die Rede Hagers. Hager ließ keinen Zweifel daran, dass die SED einen wie auch immer gearteten demokratischen Sozialismus nicht als Sozialismus anerkannte, sondern darin gefährliche ,revisionistische Tendenzen‘ sah18. Mit der anhaltenden propagandistischen Medienkampagne der SED durch die von ihr gelenkte Presse wollte diese verhindern, dass sich die eigene Bevölkerung noch stärker von einem demokratischen Sozialismus anstecken lassen würde19. Sie konnte dies jedoch nicht verhindern.

2. Die Angst der SED-Führung vor westlich gesteuerter ,psychologischer Kriegsführung‘ in Prag Außenpolitisch wollte die SED unbedingt die gleichwertige internationale Anerkennung der DDR als eigenständiger Staat neben der Bundesrepublik erwirken. Dabei wurde sie bis Mitte der 1960er Jahre nur von wenigen Staaten anerkannt. Von Anfang an hatte man sich über den in Westdeutschland üblichen Gebrauch des Wortes ,Zone‘ für die DDR geärgert. Um sich von Westdeutschland abzugrenzen und es gleichzeitig zu überbieten, und um für sich selbst und vor der gesamten Welt Legitimität abzuleiten, hatte sich die DDR frühzeitig zum einzigen antifaschistischen Friedensstaat auf deutschem 14 Während der Wechsel von Novotny´ zu Dubcˇek im Januar noch keine Sorge auslöste, nutzte schon im März die SED in ihrem Sprachgebrauch gegenüber den Reformen im Nachbarland das Wort „Konterrevolution“. Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 421, 423. 15 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 72 – 81; und Hermann, Tribunal, 53, 82. 16 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 83. 17 Vgl. ebd., 81 f; und Wilke, Interventionskoalition, 431. 18 Hagers Äußerungen riefen teilweise starke Kritik vor allem an den Hochschulen hervor. Vgl. ˇ SSR reagierte scharf, der Außenminister der C ˇ SSR Ohse, Jugend, 178. Die Presse aus der C ˇ SSR bei der SED. Vgl. Priess / beschwerte sich beim Botschafter der DDR, der Botschafter der C Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 86 – 94. 19 Vgl. ebd., 81.

Die Angst der SED-Führung

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Boden stilisiert20. Eine unaufgearbeitete nationalsozialistische Vergangenheit wurde alleinig Westdeutschland zugeschrieben. Nachdem Rumänien Anfang 1967 diplomatische Beziehungen zur BRD aufgenommen hatte, erreichte die SED mit Rückendeckung der KPdSU, dass die Teilnehmerstaaten des Warschauer Paktes keine diplomatischen Beziehungen zur BRD aufnehmen sollten, solange diese nicht die DDR und die Oder-Neiße-Grenze anerkannt sowie das Münchener Abkommen von 1938 als ungültig erklärt habe21. 1968 fürchtete die SED, dass der Prager Frühling in Kombination mit der neuen Ostpolitik in Westdeutschland auch zu einer Annäherung zwischen BRD und ˇ SSR führen könne, die die eigene Anerkennung hintertreiben könne22. C Zudem versuchte die SED ab Mitte der 1960er forciert, den Deutschen in der DDR das Bewusstsein einer eigenen sozialistischen Nation DDR anzuerziehen23. Der Alleinvertretungsanspruch der BRD, der am deutlichsten in der Hallsteindoktrin Mitte der 1950er bis Ende der 1960er diplomatisch zum Tragen kam, war für die SED beständiger Beweis für die ,imperialistischen‘ Begehrlichkeiten Westdeutschlands. Mit der Bildung einer Großen Koalition zwischen CDU und SPD 1966 begann in der Bundesrepublik ein Wandel in der Deutschlandpolitik. Mit der vorsichtigen Entwicklung zu einer neuen Ostpolitik, die mehr auf Annäherung als auf Abgrenzung setzte, fühlte sich die SED zunehmend in die Zange genommen,24 denn die bisherigen klaren Argumente gegen den ,Westimperialismus‘ verloren genauso an Kontur wie die Idee eines einzig möglichen sozialistischen Wegs. Auch deswegen drängte ˇ SSR25. Ulbricht früh auf eine klare Politik gegen die Reformer in der C 20 Vgl. M nkler, Antifaschismus, 79 – 81, 86 f. Besonderes Beispiel für diese Legitimation war die Buchenwaldgedenkstätte, die die SED 1953 in Auftrag gab und 1958 einweihte. Vgl. Wilke, Schwur, 41 – 62. 21 Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 227 – 232; und Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 20, 53. Pauer spricht von einer „Art umgekehrter Hallstein-Doktrin“. Pauer, Prag 1968, 81. 22 Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 53, 171. 23 Ein Versuch einer protestantischen Antwort war die Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“, vgl. Lepp, Tabu?, 536 – 538. Lepp bezeichnete die DDR-Bemühungen treffend als „aggressiven DDR-Patriotismus.“ Ebd., 538. Ab Ende Dezember 1970 nannte Ulbricht die DDR eine „sozialistische Nation“. Ebd., 901. Auch in Westdeutschland wurde in den 1960er Jahren über die Begriffe ,Volk‘, Nation‘, ,Vaterland‘ etc. diskutiert, allerdings unter demokratischen Vorzeichen. Ebd., 538 – 571. 24 So Wilke, Interventionskoalition, 434 f. Wilke schreibt überzeugend dazu: „Er [Ulbricht] wiederholte seine These, wonach der Hauptstoß dieser Konterrevolution sich gegen die DDR richtete. Die SED könnte es nicht länger akzeptieren, dass sie in einen politischen Zangenangriff genommen würde: einerseits von der neuen Ostpolitik der Bundesrepublik und andererseits von den Reformern in Prag. Der Erste Sekretär der SED war besorgt, dass beide Vorgänge zur Erosion des Machtmonopols der SED in der DDR beitragen könnten.“ Ohse nannte Ulbricht karikierend eine Art Majestix, der glaubte sein Dorf gegen den Rest der Welt verteidigen zu müssen. Vgl. Ohse, Keinen Dubcˇek, 170. 25 Ulbricht sah die Gefahr einer grundsätzlichen Machterosion der führenden Partei, die die tschechoslowakischen Reformer in Kauf nahmen, was z. B. in dem Verzicht auf Zensur zum Ausdruck kam. Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 422, 424 f.

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ˇ vorgeladen worden Als am 23. März 1968 in Dresden Vertreter der KSC waren, schärfte ihnen Walter Ulbricht gleich zu Beginn ein, doch achtsamer zu sein: „Unser gemeinsamer Todfeind, der Imperialismus, schläft nicht. Er ist bemüht, alle neuen Probleme, die in einem der sozialistischen Länder auftauchen, für seine psychologische Kriegsführung gegen uns alle auszunutzen.“26 In einem ,demokratischen Sozialismus‘ konnte die SED nur ,ideologische Diversion‘, das heißt Auf- und Abweichung erkennen, die ihrer Meinung nach durch den Westen und damit durch den Imperialismus vermittels einer ausgeklügelten so genannten ,Globalstrategie‘ der USA eingefädelt worden war27. Man vertrat die Meinung, dass der DDR-Sozialismus selbstverständlich im Rahmen einer ,friedlichen Koexistenz‘ der Systeme auf wirtschaftlicher Ebene einen ,friedlichen Wettstreit‘ nicht zu fürchten brauche. Eine ,ideologische Koexistenz‘ jedoch könne und dürfe es niemals geben. Parteilichkeit – im Sinne der SED – wurde gefordert, die keinerlei Spielraum ließ. Es gab nur ein Eintreten für die SED oder gegen sie. Grautöne durfte es nicht geben. Jede noch so geringe Abweichung von der einen ,Wahrheit‘, die als ,Revisionismus‘ oder schlimmer noch als ,Konterrevolution‘ galt, sollte bereits im Keim erstickt werden und fast hatte es den Anschein, dass je geringer die Abweichung war, sie desto schärfer abgelehnt wurde28. Mit eben dieser Schärfe war die Sozialdemokratie in der DDR zum Schweigen gebracht worden29. Auf ideologischer Ebene durfte nur eine Partei gewinnen – die SED – und nach dieser Denkweise glaubte man den Westen auf dem absteigenden Ast, der, weil er sich in die Enge getrieben sähe, nun zu Methoden einer ,psychologischen Kriegsführung‘ greifen müsse. Über diesen Umweg konnte die SED dem Prager Frühling unterstellen, direkt vom Westen gesteuert zu sein. Kritik an Missständen konnte im Denken der SED nur von außen kommen30. Diese Denkweise ließ sich beliebig weiter ausdehnen; so auch auf ˇ in Dresden, 26 Stenografische Niederschrift der Beratung der fünf „Bruderparteien“ mit der KSC 23. 3. 1968 (Karner / Tomilina / Tschubarjan, Dokumente, 411.) 27 Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 439. 28 Mau schreibt, dass das Insistieren darauf, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein, gerade in kritischen Phasen wie dem Prager Frühling auch ein Versuch war, sich Legitimation zu verschaffen. Vgl. Mau, Eingebunden, 20. Auch Mitter und Wolle gehen davon aus, dass die Abwehr eine Verteidigung der Legitimation war. Da mit dem Vorhandensein von Gegnern und Feinden alles legitimiert werden konnte, musste desto größere Aufmerksamkeit auf diese verwendet werden, je schwerer sie ausfindig zu machen waren. Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 381. 29 Seit 1950 wurde ,Sozialdemokratismus‘ zum Kampfbegriff, aufgrund dessen zunächst ehemalige Mitglieder der SPD verfolgt wurden. Vgl. Fricke, Opposition und Widerstand, 41. Gerade 1968 verstärkte die DDR ihre Anfeindungen gegenüber der BRD und der Sozialdemokratie. Vgl. Pauer, Prag 1968, 83. Immer wieder wurde auch kirchlichen Vertretern ,Sozialdemokratismus‘ vorgeworfen. Vgl. Funk, DDR-Kirchenpolitik, 13. Nach 1968 konnte dieser Vorwurf mit dem Vorwurf, einem demokratischen Sozialismus Prager Art anzuhängen, in eins fallen. 30 Fricke erläutert diesen Mechanismus als zwingend aus der SED-Ideologie heraus. Denn wird die Gegenwart notwendig ablaufenden historischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen, muss die Wirklichkeit im Zweifelsfall angepasst werden. Jede Abweichung im Inneren muss daher der Klassenfeind von außen verschulden. Vgl. Fricke, Opposition und Widerstand, 18.

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die Kirchen. Die SED war davon überzeugt, dass die westdeutschen evangelischen Landeskirchen, die sie seit Abschluss des Militärseelsorgevertrags 1957 grundsätzlich als ,Nato-‘, oder ,Militärkirche‘ bezeichnete, über den Zwischenschritt der Bundesregierung von den USA gleichgeschaltet wären31. Da nun nach dieser Denkweise wiederum die westdeutschen Kirchen gleichermaßen die ostdeutschen Kirchen beeinflussten, schlussfolgerte man, dass die DDR-Kirchen nicht nur 5. Kolonne32 der Bundesrepublik, sondern quasi auch der USA-Imperialisten waren. So standen vom Beginn der DDR an die ostdeutschen Kirchen immer wieder unter dem Generalverdacht, Agenten und Ausführungsgehilfen des Westens zu sein. Hinzu kam das auf staatlicher Seite herrschende Missverständnis, ein evangelischer Bischof könne seinen Pfarrern den Befehl geben, einer kirchenpolitischen Linie zu folgen, ähnlich wie in der SED eine klare Befehlshierarchie galt, die wiederum dem großen Bruder in Moskau hörig war. So galt die Meinung: „Internationale kirchliche Zentren […] gaben Weisungen an die evangelischen Landeskirchen in der DDR und andere kirchliche Werke, Stellungnahmen gegen die Sicherheitsmaßnahmen [in der CSSR] zu erarbeiten und zu popularisieren.“33 Hervorgehoben wurden hier der ÖRK und ausgerechnet die CFK, was eine seltene Zusammenstellung ist, da letztere als Gegengewicht zum ÖRK von den sozialistischen Staaten gewollt und unterstützt worden war. Aber keine dieser Organisationen hätte, selbst wenn sie es gewollt hätte, einer Landeskirche eine ,Weisung‘ erteilen können. Genauso wenig wollten und konnten die evangelischen Bischöfe ihren Pfarrern im Detail vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen hätten. Dies machte sich der Staat mit den einzelnen ,Progressiven‘ dann durchaus zunutze. Direktiven, von Moskau erteilt und von der Parteispitze bis zur Basis umgesetzt, entsprachen keinem protestantischen Kirchenverständnis bzw. keiner protestantischen Kirchenorganisation. Die deutschen evangelischen Landeskirchen waren in sich eigenständige Gebilde 31 Vgl. Charakterisierung der Feindtätigkeit der verschiedenen Kirchen und Sekten und ihre Verbindung mit feindlichen Zentralen, undatiert, vermutlich Frühjahr 1968, 5 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233). 32 Diese Bezeichnung fällt öfter z. B.: „Gesamtdeutsche Kirchenaktivität bedeutet objektiv, die Kirchen in der DDR so in die Hand zu bekommen, daß sie gegebenenfalls als 5. Kolonne gegen den sozialistischen Staat wirksam werden, im allgemeinen aber als ein latentes Unruhezentrum mit dem Charakter einer politischen Opposition tätig sind.“ Lektion: Grundsätzliche Probleme der Staatspolitik in Kirchenfragen unter besonderer Berücksichtigung der Schwerpunktaufgaben des Jahres 1968/ Brandenburg, den 12. 2. 1968, 7 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/10). Die Lektion war Teil eines Lehrgangs für Funktionäre in verschiedenen Positionen, die für Kirchenfragen zuständig waren. Darauf beziehen sich auch Lepp, Tabu?, 793; sowie Silomon, Gemeinschaft, 33. Ein Auszug ist abgedruckt in: Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 56 – 62. Der Text ist auch in der BStU überliefert (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 33 Vorschlag für eine Konzeption der staatlichen und gesellschaftlichen Organe der DDR zur Zurückdrängung der Angriffe reaktionärer Geistlicher und kirchlicher Zentren gegen die Sicherheitsmaßnahmen der sozialistischen Länder in der CSSR vom 25. 9. 1968, 1 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 835).

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mit eigenen unterschiedlichen Traditionen, wobei in den 1960er Jahren noch immer die Erinnerungen und Wunden an die NS-Zeit präsent waren. Da sie aus staatlicher Sicht jedoch vom Westen abhängig waren, wurden sie als Feinde des sozialistischen Systems betrachtet, woraus auch die fast zwanghaft anmutende Vorstellung resultierte, alle Abweichungen von der durch die SED vorgegebenen Linie in den Kirchen in der DDR entweder Westdeutschland, dem Imperialismus allgemein oder gleich einer ,Globalstrategie‘ der USA zuzuschreiben. Ein sehr typisches Beispiel dafür ist eine 18seitige Information, die durch die Dienststelle des Staatssekretariats für Kirchenfragen im September 1968 an Funktionäre, die im Bereich der Kirchenpolitik tätig waren, als Argumentationshilfe gegenüber kirchlichen Vertretern herausgegeben wurde. Die Information heißt, die beschriebene Abhängigkeit schon voraussetzend: „Der Anteil der westdeutschen Militärkirche an der ideologischen Vorbereitung der konterrevolutionären und antisozialistischen Entwicklung in der CSSR.“34 Ausgehend von verschiedenen Aussagen bundesdeutscher Politiker wurde als ein Mittel „der Mißbrauch von Kirche und Religion für die Zwecke der ideologischen Infiltration“ und der „psychologischen Kriegsführung“ angesehen, um gegen den Kommunismus vorzugehen35. Danach wurden die Landsmannschaften der Vertriebenen angegriffen und mit den beiden Großkirchen in engen Zusammenhang gebracht, als hätte es auf evangelischer Seite nie eine Ostdenkschrift gegeben. Als Beispiel gefährlicher ,psychologischer Kriegsführung‘ wurden die Versuche von ˇ SSR im Sinne der westdeutscher Seite aus angeführt, mit Menschen aus der C Versöhnung Kontakt aufzunehmen. In dieser Kontaktaufnahme sah der Staat allein eine „beabsichtigte Einschleusung des Gedankengutes.“ Als Wirkstätten wurden die Evangelischen Akademien, verschiedene Jugendorganisationen und Werke ausgemacht. Dass unter diesen Personen viele Menschen waren, die „in anderen Fragen zu unseren potentiellen Verbündeten gerechnet werden müssen“, weil sie sich z. B. für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze einsetzten oder zur außerparlamentarischen Opposition gehörten, wurde besonders kritisch gesehen, da „ihre Ausnutzung für die Herstellung von Kontakten, die der genannten Zielstellung dienen, viel gefährlicher und nicht so leicht durchschaubar“ sei. Aufgrund dessen wurde der Einsatz von Friedensdiensten, wie Aktion Sühnezeichen in Theresienstadt, oder die Hilfe an Gedenkstätten als Beispiele aufgezählt, die nur scheinbar „harmlos“ seien, um ˇ SSR hineintragen zu durch die Hintertür „bürgerliche Auffassungen“ in die C 36 können . Scharf wurde Milan Machovec angegriffen, 1968 Professor an der Karlsuniversität Prag und einer der wichtigsten Vertreter des christlich34 Information 15/1968 vom 24. 9. 1968. Sie ist mehrmals im Bundesarchiv überliefert, z. B. (BArch DO 4/566 ebenso DO 4/671 oder DO 4/1438). Sofern nicht anders gekennzeichnet, sind die weiteren Zitate dieser Information entnommen. 35 Vgl. ebd., 1. 36 Vgl. Information 15/1968 vom 24. 9. 1968, 5 – 7 (BArch DO 4/566).

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marxistischen Dialogs. Da die DDR diesen Dialog als Form einer ,ideologischen Koexistenz‘ ablehnte, lehnte sie auch Machovec als Vertreter der ,psychologischen Kriegsführung‘ ab37. Er sei ein „eklatantes Beispiel“ dafür, dass „kirchliche Veranstaltungen und Tagungen in Westdeutschland dazu genutzt [wurden], Vertretern antisozialistischer Programme aus der CSSR eine Plattform zu geben.“ Machovec sei ein „Wegbereiter der Konterrevolution“ der nach dem 21. August „endgültig […] seine Maske fallen [ließ]“, weil er folgenden Appell verfasst hatte: „Der Sozialismus kann nur eine Angelegenheit der freien Menschen, der freien Nationen sein. Vertauscht man ihn mit exportiertem Panzersozialismus für versklavte Vasallenländer, ist alles entstellt und kompromittiert.“38 Nach diesen deutlichen Worten eines überzeugten Marxisten verwundert weder die scharfe Ablehnung der DDR-linientreuen Funktionäre, noch dass Machovec nach dem Scheitern des Prager ˇ SSR zum Opfer fiel. Als Krönung des Frühlings der ,Normalisierung‘ in der C westlichen konterrevolutionären Einflusses wurde jedoch der Aufenthalt des von der DDR mit einem Einreiseverbot bedachten Berlin-Brandenburgischen ˇ SSR gewertet. Dieser Bischofs Kurt Scharf in der zweiten Augusthälfte in der C brachte den Aufruf des Synodalrates der EKBB in der Tasche über die Grenze nach Westdeutschland, um ihn von dort an alle wichtigen internationalen ökumenischen Gremien und die deutschen Landeskirchen zu versenden39. Die staatliche Information vermutete: „Die Redewendungen Scharfs bei seiner Berichterstattung auf der vom Kirchlichen Außenamt organisierten Pressekonferenz über die Ereignisse vom 21.8. und die Termini des von ihm aus Prag mitgebrachten ,Aufrufes‘ des Synodalrates der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder lassen es naheliegend erscheinen, daß Scharf am Zustandekommen dieses Aufrufs unmittelbar beteiligt ist.“

Scharf, umgehend wieder als „Handlanger“ der Regierung in Bonn bezeichnet, der die Konterrevolution „verherrliche“, wurde auch angelastet, dass es seine Initiativen gewesen seien, die auch den ÖRK, den Lutherischen Weltbund, Bischof Hans Lilje, Bischof Hans-Otto Wölber sowie die Kirchen in der DDR dazu bewogen, sich öffentlich gegen den 21. August auszusprechen40. Alle diese Stellungnahmen wurden als „Schützenhilfe“ für die Tschechoslowaken bezeichnet. Dass sich der Pfarrerbund der EKBB gegen die militärische Invasion vom 21. August aussprechen würde, hatte man erwartet, schon weniger einen Einspruch seitens der Tschechoslowakischen Kirche, dass aber Erika Kadlecov , die damalige Leiterin des Prager Staatlichen Kirchenamtes, die 37 Charakterisierung der Feindtätigkeit der verschiedenen Kirchen und Sekten und ihre Verbindung mit feindlichen Zentralen, undatiert, vermutlich Frühjahr 1968, 2, 9 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233). 38 Vgl. Information 15/1968 vom 24. 9. 1968, 10 f (BArch DO 4/566). Dieser Brief war zumindest auch dem RA der CFK bekannt. Vgl. Brief Machovec vom 23.–24. 8. 1968 (EZA 89/80). 39 Näheres in Kapitel 2.2.2., 109 – 111. 40 Vgl. Information 15/1968 vom 24. 9. 1968, 13 – 15 (BArch DO 4/566).

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Christen dazu aufrief, an der Seite der Regierung gegen die Okkupation zu kämpfen, scheint den Funktionären so unglaublich gewesen zu sein, dass ihr Aufruf als einziger statt mit „ist“, mit den Worten „soll es im Aufruf heißen“ eingeleitet wurde41. ˇ SSR wurde vorgeworfen, eine Dem Ökumenischen Rat der Kirchen in der C gemeinsame Botschaft der Kirchen verfasst zu haben, „die eindeutig die Sprache der Konterrevolution spricht.“ Aus heutiger Sicht erscheinen dessen Worte eher vorsichtig gewählt: „An diesen bedrückenden Tagen, da Panzer in der Tschechoslowakei den Frieden in der ganzen Welt bedrohen(!), rufen wir im Gebet den Herrn des Friedens an.“ Damals aber wurde dem Ökumenischen ˇ SSR bescheinigt, „demagogisch“ zu sein, weil er dazu aufrief, sich Rat in der C zum demokratischen Sozialismus zu bekennen. Nach all diesen Stellungnahmen gegen die Okkupation wurde ein westdeutscher Pfarrer zitiert, welcher sich für die ,Maßnahmen‘ des 21. Augustes aussprach42. So stellten sich die Funktionäre eine ideale westliche Kirche vor: eine, die zu jedem Schritt der DDR applaudierte. Da allem der SED unliebsamen eigenständigen Denkens eine absolute Abhängigkeit vom Westen attestiert und so weder den Reformkommunisten in Prag und erst recht nicht den Kirchen in der DDR eine eigenständige Entwicklung und Meinung zugestanden wurde, war es auch leichter, sie in das einfache Freund – Feind Schema einzuordnen und mit gutem Gewissen zu bekämpfen. Dementsprechend wurde dann von der SED-Diktatur die das Völkerrecht verletzende Okkupation der Truppen des Warschauer Paktes als legitime und höchstnotwenige ,Hilfsmaßnahme‘ im Kampf gegen eine sich ausbreitende westlich infiltrierte ,Konterrevolution‘ gerechtfertigt. Denn: „Die militärische Hilfeaktion vom 21.8. ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der CSSR; sie ist die Antwort auf die Einmischung der Kräfte der Konterreˇ SSR.“43 In dem Aufruf an alle volution in die inneren Angelegenheiten der C Bürger vom 21. August 1968 heißt es dementsprechend: „Diese Persönlichkeiten der Partei und des Staates der Tschechoslowakischen Reˇ SSR verbündeten publik haben sich am 21. August an die Regierungen der mit der C sozialistischen Staaten […] mit der Bitte gewandt, in Anbetracht der durch die Wühlarbeit der konterrevolutionären Elemente und der Einmischungsbestrebungen der imperialistischen Mächte entstandenen Gefahr, dem tschechoslowakischen 41 Vgl. ebd., 16. In diesem Aufruf ruft Erika Kadlecov , tatsächlich dazu auf, in dieser schwierigen Situation zusammenzuhalten. Durch die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen wurde sie bereits im Frühjahr 1968 als „aktive Vertreterin des Liberalismus“ bezeichnet und ihr vorgeworfen, dass ihre Mitarbeiter „prowestlich“ seien. Vgl. Kurzinformation über die Aussprache mit den Leitern der Staatsämter für Kirchenfragen der VR Polen und der Ungarischen Volksrepublik am 3.–8. 5. vom 16. 5. 1968, 2 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/15). 42 Vgl. Information 15/1968 vom 24. 9. 1968, 17 f (BArch DO 4/566). 43 Vermerk über den Inhalt einer politischen Information des Staatssekretärs an die politischen Mitarbeiter am 29. 8. 1968, 4 (BArch DO 4/423).

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Brudervolk und Bruderstaat unverzüglich jegliche Hilfe, einschließlich militärischer Hilfe, zu erweisen.“44

Die damals verfügbaren, von der SED kontrollierten Medien versuchten, der eigenen Bevölkerung die direkte militärische Beteiligung der NVA zu suggerieren. Die SED ließ ihre Bevölkerung bewusst in dem Glauben, dass die NVA ˇ SSR begleichberechtigt an der Bekämpfung der ,Konterrevolution‘ in der C teiligt war. Anscheinend hatte Ulbricht mit einer Beteiligung die Gleichwertigkeit der DDR im Ostblock demonstrieren wollen, doch ließ dies die UdSSR nicht zu45. Was Menschen vor allem im Erzgebirge vor dem 21. August wahrnahmen, waren die sich im Grenzgebiet zusammenziehenden Soldaten46. Dazu kam, dass Mitte August Urlaubszeit war. Viele Menschen erwarteten oder hatten bereits Verwandte aus Westdeutschland zu Besuch. Während erstere vergeblich auf ihre Verwandten warteten, mussten sich schon anwesende Westdeutsche, sofern sie sich in den erweiterten Sperrgebieten befanden, melden und wurden entweder direkt oder über Auffanglager zurück ˇ SSR-Bürgern, die im Urlaub in der DDR geschickt47. Ähnlich erging es C ˇ SSR wurde für den Zivilverkehr geschlossen und eine waren48. Die Grenze zur C Sperrzone errichtet49. Auch der Post- und Telefonverkehr wurde unterbrochen50. Gleichzeitig befanden sich auch viele DDR-Bürger gerade zu dieser Zeit ˇ SSR und wurden dort von den Ereignissen überrascht. Dass im Urlaub in der C sich unter diesen Urlaubern auch der Bischofsverweser von Berlin-Brandenburg, Albrecht Schönherr, befand, welcher sich noch kurz vor dem Einmarsch mit dem Berlin-Brandenburgischen Bischof Kurt Scharf aus Westberlin in Prag traf, bevor er in den slowakischen Teil weiterreiste, war Wasser auf die sozialistischen Mühlen, die Schönherr vorwarfen, sich mit Scharf abgesproˇ SSR, der in der Nacht vom 20. zum chen zu haben51. Der Einmarsch in die C 21. August begann, bedeutete für die Bevölkerung in der DDR neben zerschlagenen Hoffnungen und aufbrechenden Ängsten ein vorübergehendes Aussetzen des Alltags. Viele Zeitzeugen berichten, dass sich unmittelbar im 44 Weber, DDR, 303 f. ˇ SSR. Der Marschbefehl blieb 45 Zwei NVA-Divisionen standen marschbereit an der Grenze der C aus. Diese Entscheidung fiel in Moskau. Kurzfristig hatten politische Dubcˇek-Gegner aus Prag, die um die Interventionspläne wussten, darum gebeten, keine Truppen einzusetzen. Vgl. Wenzke, Kein Einsatz, 682. 46 Wenzke spricht in diesem Zusammenhang von einem „regelrechten Heerlager“, welches sich im Süden der DDR im August gebildet hatte. Vgl. ebd., 679. ˇ SSR, Bulgarien, 47 Ebd., 102, 116. Etwa fünfzig „Sammelräume“ für Ausländer aus Ungarn, der C Rumänien, Jugoslawien etc. wurden eingerichtet. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 241 f. 48 Vgl. Grossbçlting, Niederschlagung, 816. 49 Vgl. Tantzscher, Maßnahme Donau, 90 f. Auch wenn die meisten Maßnahmen bald wieder zurückgefahren wurden, ein ,Normalzustand‘ herrschte an der Grenze erst wieder im Frühjahr 1969. Vgl. Wenzke, Kein Einsatz, 684. 50 Vgl. ebd., 681. 51 Vgl. Kapitel 4.3.1.2., 228 – 229.

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Anschluss an den 21. August eine fast unwirkliche Stimmung gleich einem Leichentuch des Schweigens ausbreitete. Den Kontrast dazu bildete das unüberhörbare Rollen der aufmarschierenden Militärmaschinerie in den Grenzgebieten52.

3. Die kirchenpolitische Linie in der DDR um 1968 Nach wie vor war das Ziel der staatlichen Kirchenpolitik, die Kirchen zu neutralisieren, zu verdrängen, abzuschaffen und ihnen, bis sie ausstarben, noch am ehesten einen Platz innerhalb der Nationalen Front zuzuweisen53. Es wurde als Befreiung der Kirche dargestellt, wenn sie sich nicht mehr um die Gesellschaft zu kümmern bräuchte: „Im Sozialismus ist die Kirche, sofern sie die Verfassung und die sozialistische Gesetzgebung strikt beachtet, erst wirklich freie Kirche. Wenn sie sich in die sozialistische Gesellschaft einordnet, kann sie sich völlig ungehindert, allerdings auf ihren Raum und ihren Auftrag beschränkt, ihrer seelsorgerischen und karitativen Tätigkeit hingeben.“54

Dabei gestand man der Kirche keine Zugehörigkeit zur eigenen Gesellschaftsordnung zu55. Intern hieß es daher: „Die Kirchen dagegen sind kein Bestandteil des entwickelten Systems des Sozialismus und seiner Teilbereiche. […] Die weitere Entwicklung des Systems des Sozialismus beinhaltet notwendig die Zurückdrängung des klerikalen Einflusses insgesamt. Das betrifft sowohl die quantitative Seite (Anzahl der Kirchenmitglieder) als 52 Vgl. Wenzke, Sachsen, 92, 99. 53 Zur Staatskirchenpolitik gibt es bereits viele Untersuchungen aus den 1990ern. Verwiesen sei an dieser Stelle auf Vollnhals, Kirchenpolitik. In der Arbeit werden einige für die Situation 1968 relevante Aspekte herausgegriffen. Deutlich charakterisiert Klohr die den Kirchen zugewiesene Rolle: „Für den Sozialismus muß berücksichtigt werden, daß religiöse Anschauungen, einmal entstanden und sozial institutionalisiert (Kirche), ein großes Beharrungsvermögen haben. Im Sozialismus lebt die Kirche im Prinzip nicht von den neuen sozialökonomischen Verhältnissen und den ideologischen und politischen Bedürfnissen der sozialistischen Gesellschaftsordnung, sondern vorwiegend von der Vergangenheit, die in einigen politischen, sozialen, kulturellen und ideologischen Bereichen noch bis in die Gegenwart hineinreicht bzw. von gewissen Einflüssen aus den imperialistischen Staaten. Wenngleich individuelle Konflikte und persönliche Probleme, die unbewältigt bleiben (Leid, Unglück, Krankheit, Einsamkeit usw.), als mögliche Quellen der Religion fortbestehen, so stirbt die Religion als allgemeine gesellschaftliche Erscheinung allmählich ab.“ Klohr, Religion und Atheismus, 15. 54 Lektion: Grundsätzliche Probleme der Staatspolitik in Kirchenfragen unter besonderer Berücksichtigung der Schwerpunktaufgaben des Jahres 1968 / Brandenburg, den 12. 2. 1968, 3 (BArch SAPMO-DY 30/IV A2/14/10). Dieses Zitat ist nicht abgedruckt bei Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung. 55 Es ging vielmehr darum, die Kirche als gesellschaftlichen Faktor zu eliminieren und auf kultische Handlungen zu begrenzen. Vgl. Pollack, Organisationsgesellschaft, 184.

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auch die qualitative Seite der Kirchenzugehörigkeit […] Die Staatspolitik in Kirchenfragen ist auf die Einschränkung der Wirksamkeit der Kirchen als Organisationen und Institutionen gerichtet.“56

Zur Durchsetzung ihrer Ziele nutzte die SED in den 1960ern sowohl administrative Mittel, wie die Ablehnung verschiedenster Anträge, als auch ideologische ,Maßnahmen‘, z. B.: „Enthüllung des faschistischen und imperialistischen Mißbrauchs von Glauben“, „Verstärkung der wissenschaftlich-atheistischen Propaganda“, „Entwicklung und Entfaltung der Tätigkeit der sozialistischen Jugendverbände“, „Entwicklung und Förderung nichtreligiöser Formen für Feierlichkeiten“ wie Namensgebung, Hochzeit, Trauer, „Förderung jedes Differenzierungsprozesses innerhalb der Kirchen und Sekten wie der Bibelkritik, moderner theologischer Strömungen und Konzeptionen bzw. Ansichten, der Säkularisierung, der persönlichen, theologischen und organisatorischen Spaltung und Zersplitterung sowie jede Art individueller wissenschaftlicher Beeinflussung von Gliedern und Führern der Kirchen und Sekten.“57

Offizielle Ansprechpartner für die Kirchen waren die jeweiligen Referenten für Kirchenfragen bei den Räten der Kreise und Bezirke sowie die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen58. Die kirchenpolitische Linie gab dabei während der gesamten Existenz der DDR die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED vor59. Der dritte verdeckt operierende Mitspieler war die kirchenpolitische Abteilung des MfS60. Nach dem 21. August wurden alle diese Ebenen eingeschaltet. Nicht nur wurden mit allen Bischöfen Aussprachen geführt. Auf Bezirksebene wurde ebenso allen Superintendenten eingeschärft, dass jedwede Äußerung, außer eindeutig positiven Stellungnahmen, nicht erwünscht sei. Die gleiche Situation wiederholte sich auf Stadt- bzw. Kreisebene. In sensiblen Bereichen wurde dieses Vorgehen bis auf Angehörige des 56 Vorlage zur Konzeption der prognostischen Tätigkeit für die Staatspolitik in Kirchenfragen, wissenschaftliche Arbeitsgruppe, Berlin, den 9. 1. 1970, 1 f. (BArch DO 4/255). 57 Charakterisierung der Feindtätigkeit der verschiedenen Kirchen und Sekten und ihre Verbindung mit feindlichen Zentralen, undatiert, nach 1967 vor dem 21. 8. 1968. Anlage III Legale Maßnahmen zur Einschränkung der religiösen Tätigkeit, 1 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233). 58 Die meisten Mitarbeiter des Staatssekretärs für Kirchenfragen waren auch als IM registriert. Boyens urteilt über das Staatssekretariat: „Das Staatssekretariat für Kirchenfragen war von Anfang an eine Fehlkonstruktion, weder Fisch noch Fleisch – teils Regierung, teils SED, teils MfS. Im Grunde genommen war es überflüssig.“ Boyens, Staatssekretariat, 127. 59 Vgl. dazu Goerner, Arbeitsgruppe Kirchenfragen. Er charakterisiert den kirchenpolitischen Apparat der SED als Doppelstruktur aus Arbeitsgruppe Kirchenfragen und Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen mit einer parallelen geheimen Informations- und Überwachungsstruktur durch die Kirchenabteilung beim MfS. Vgl. ebd., 74. 60 Das MfS nutzte selbstredend auch inoffizielle Druckmittel. Vgl. Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 9 – 11 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238).

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ˇ SSR 1968 Kirchenvorstandes ausgeweitet61. Dabei wurde die Haltung zur C zum Maßstab der staatlichen Einordnung der Geistlichen62. Ansonsten schlug sich die gerade geltende allgemeinpolitische Linie der SED stets auf die Kirchenpolitik nieder. 3.1. Politische Forderungen Die Kirchen sollten mit ihren internationalen ökumenischen Verbindungen politische Forderungen der DDR nach außen tragen. In den 1960er Jahren waren das vor allem zwei Forderungen: 1. Politische Anerkennung der Souveränität der DDR63 2. Verdammung des Imperialismus am Beispiel Vietnams. Die erste Forderung hatte Implikationen nach innen und außen. Nach innen bedeutete es, dass der Druck erhöht wurde, das Wort Deutschland und alle Anklänge an frühere Ostgebiete aus offiziellen Namen zu streichen. So änderten 1968 auf staatlichen Druck zwei Landeskirchen ihre Namen in eine dem Staat genehmere Form. Die Worte Schlesien und Pommern verschwanden und wurden durch Görlitz und Greifswald ersetzt64. Auch für die Kirchenkanzlei der EKD wurde ein neuer Name gesucht, um dem staatlichen Vorwurf westlicher Beeinflussung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Am Ende einigte man sich auf Evangelische Kirchenkanzlei65. Die Landeskirche Sachsens musste 1968 eine gesamte Ausgabe des Amtsblattes einstampfen, weil darin zu einer Chemnitzer Konferenz eingeladen worden war, die schon vor der Umbenennung der Stadt in Karl-Marx-Stadt so geheißen hatte66. Nach außen bedeutete die Forderung nach Anerkennung, dass kirchliche Vertreter Ende der 1960er den Staat und den Sozialismus nicht nur akzeptieren, sondern ihn als DDR-Staatsbürger im Ausland propagieren sollten. Daran waren Ein- und Ausreiseerlaubnisse für ökumenische Reisen gekoppelt. Aus diesem Grund wurde den Bischöfen Noth und Krummacher 1968 keine Ausreise zur Weltkirchenkonferenz nach Uppsala genehmigt, da beide sich weigerten, ihre 61 So in der Ephorie Pirna. Näheres vgl. Kapitel 8.3.1., 390. 62 Die politisch-operative Arbeit gegen die politisch-ideologische Diversion im kulturellen Bereich und in den Massenmedien, vom 28. 11. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). 63 Die Anerkennung durch ihre Bürger blieb der DDR bis zum Ende verwehrt. Vgl. Riley, Everyday Subversion, 29 f. 64 Vgl. Kapitel 4.4., 270 und 4.5., 301– 302 Die Namensänderungen betrafen nicht nur die Landeskirchen, auch die Baptisten benannten sich z. B. um. Vgl. Kurzbericht über eine Dienstreise nach Dresden und Görlitz am 6. und 7. 2. 1969 vom 10. 2. 1969, 2 (BArch DO 4/2969). 65 Vgl. Silomon, Gemeinschaft, 71. Die bis dahin gesamtdeutsch organisierte ESGiD strich 1967 ebenfalls „in Deutschland“ aus ihrem Namen und teilte sich in zwei selbständige Bewegungen. Vgl. Lepp, Tabu?, 787, 717 – 741. 66 Vgl. Aktenvermerk. Sächsische Landeskirche Dresden vom 18. 9. 1968, 6 (ACDP 07-010-3252 ebenso 07-013-3062).

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Mandate im Rat der EKD niederzulegen67. Die Forderung der Auflösung aller gesamtdeutschen Kirchengremien wurde 1968 durch die neue Verfassung zu einem ganz eigenen Problem68. Die zweite Forderung betraf Vietnam. Immer wieder wurde beklagt, dass die Kirchen keine offiziellen einseitigen Verdammungsurteile aussprachen, sondern meist schwiegen oder versuchten, beide mörderische Seiten des Vietnamkrieges anzusprechen69. Dass 1968 nun, ˇ SSR in einem wie bereits erwähnt, durch die Kirchen Vietnam und die C Atemzug genannt wurden, wirkte auf staatliche Funktionäre wie Hohn. Zwischen staatlicher und kirchlicher Sicht gab es ein mutwilliges Grundmissverständnis, das auch die Auseinandersetzungen um die Rezeption und die Zerschlagung des Prager Frühlings prägte. Die DDR war politisiert bis in den Alltag hinein. Eine ideologisch korrekte Schulung in Marxismus-Leninismus bis in die kleinste Verästelung der Gesellschaft führte ebenso wie die weitgehende Militarisierung – paradoxerweise als Friedenserhaltung dargestellt – dazu, dass auch die kirchliche Arbeit, Öffentlichkeit und Meinung alleinig unter diesem Fokus gesehen wurde70. Wenn die Kirche aufgrund ihrer Botschaft gegen totale Vereinnahmung, gegen Hass und für Frieden plädierte, wurde dies als bloße politische Botschaft interpretiert71. Die Kirche sollte also ˇ SSR beten. Aus Sicht der SED war für Vietnam beten, aber durfte nicht für die C das durchaus logisch, da ihrer Meinung nach in Vietnam die imperialistischen ˇ SSR die Bruderstaaten das Volk USA gegen das Volk vorging, während in der C vor der ,Konterrevolution‘ beschützten. Aus christlicher Sicht war es jedoch nötig, für alle Opfer von Gewalt zu beten und nicht nur ,parteilich‘ für eine Seite. Und mit genau diesem Argument verteidigten Pfarrer dann auch ihr ˇ SSR: „Wir beten doch nur.“72 Dass ein Gebet im Gottesdienst Gebet für die C 67 Im Kapitel 2.4., 138 – 140 wird noch einmal speziell auf die Ökumeneproblematik eingegangen. 68 Vgl. Kapitel 1.5., 81 – 83. 69 In einem Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretariats für Kirchenfragen wurde Bischof Noth Ende März 1967 vorgehalten, dass die sächsische Synode zur Vietnam-Frage weiter schwieg. Außerdem sei nicht deutlich geworden, „daß die dort tagenden Synodalen Bürger der sozialistischen souveränen DDR sind und ihr Handeln davon bestimmt wird.“ Aktenvermerk über das Gespräch mit Bischof Noth am 30. 3. 1967 vom 3. 4. 1967, 1 (BArch DO 4/2963). 70 Z. B.: „Auf deutschem Boden tritt heute glaubhaft für den Frieden ein, wer die Anerkennung der zwei deutschen Staaten und die Notwendigkeit völkerrechtlich gültiger Beziehungen zwischen ihnen durchzusetzen hilft. Dies schließt selbstverständlich Parteinahme für die Politik der DDR ein.“ Informationsschreiben Nr. 3 vom 12. 8. 1968, Argumentation / Rededisposition zu Grundproblemen der neuen sozialistischen Verfassung. Der humanistische Charakter der sozialistischen Verfassung der DDR, 3 f. (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 71 „Die Vertreter der Kirche setzten sich mit dem Mittel öffentlicher Rede im Auftrag des Evangeliums für konkrete Belange von Gemeindegliedern und damit auch für Strukturen kirchlicher Arbeitsbereiche ein. Die Vertreter der Partei- und Staatsführung der DDR haben aber nur die politische Relevanz dieser Äußerungen gewertet.“ (Schultze, Berichte, 14 f.) 72 Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 2 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086).

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ˇ SSR im Herbst 1968 trotzdem eine politische Komponente hatte, war für die C wohl allen Beteiligten bewusst.

3.2. Einmischung In den vielen Gesprächen nach dem 21. August zwischen staatlichen und kirchlichen Vertretern auf verschiedenen Ebenen wurde den Kirchen immer wieder die Einmischung in die Außenpolitik der DDR vorgeworfen. Während betont wurde, dass die Kirche kein Recht habe, sich in staatliche Belange einzumischen, wollte sich der Staat ein „Einspruchsrecht gegen innerkirchliche Verhaltensnormen sichern, die im Widerspruch zur Verfassung oder den gesetzlichen Bestimmungen in der DDR stehen“73. Ziel war die Kontrolle aller gesellschaftlichen Räume, so auch der Kirchen, die Raum für alternative Meinungsbildungsprozesse und Informationsquellen boten und so ständige potentielle Quellen alternativer Vorstellungen blieben. Staatlicherseits als ,reaktionäre‘ Anhänger ,bürgerlicher Ideologie‘ gebrandmarkt, blieben hier alternative Traditionsstränge und Welterklärungsmodelle am Leben, die den Absolutheitsanspruch sozialistischer Wahrheitsideologie begrenzten und so Resistenz begünstigten74. Einer dieser Freiräume waren die evangelischen Synoden. Für diese fanden Wahlen statt, gab es Tagesordnungen, Ausschüsse, ernsthaft geführte Diskussionen. Daher waren gerade bei wichtigen Entscheidungsprozessen staatliche Vertreter immer darum bemüht, die Synoden in Diskussionen oder Abstimmungen in die gewünschte Richtung zu lenken. Synoden wurden von staatlicher Seite mit ,Maßnahmenplänen‘ und Synodenstäben vorbereitet und es wurde mit Personen aus der Kirchenleitung, der Synodalleitung und mit verschiedenen Synodalen vorab gesprochen, um sie zu bewegen, die staatlichen Belange zu vertreten75. Das MfS versuchte IM zu werben, wobei die Synoden durch ihr demokratisches Element schwieriger zu lenken waren76. Staatlicherseits wurde so regelmäßig versucht, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, sich ernsthaft in kirchliche Belange einzumischen. 1968 geschah dies bei der Neuwahl des Bischofs in der Kirchenprovinz Sachsens, bei den Ver73 Vorlage für die Dienstbesprechung zu Fragen der Rechtspersönlichkeit der Kirchen und damit im Zusammenhang stehende Fragen, 19. 3. 1970, 1 (BArch DO 4/401). 74 Haspel spricht von einem „alternative[n] Diskurs der politischen Willensbildung“. Haspel, Politischer Protestantismus, 62. 1970 wurde den Kirchen im Zusammenhang mit den Synoden staatlicherseits z. B. vorgeworfen: „Klar ersichtlich wird, daß die Kirchen sich auf eine Funktion als Sammlungsort für alle die einzurichten versuchen, die, aus welchen Gründen auch immer, mit dem Sozialismus nicht zurechtkommen.“ Protokoll über die Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 13. 11. 1970, 8 (BArch DO 4/401). 75 Diese Gespräche führten auch Vertreter der Blockparteien. Z. B. vgl. Informations-Maßnahmen vom 23. 10. 1968, 1 (BArch DO 4/2936). 76 So auch Neubert, Instrumentalisierung, 338.

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suchen, Synodeneingaben an die Verfassungskommission und Diskussionen über die CˇSSR zu verhindern oder dem Versuch, den Meinungsbildungsprozess des entstehenden BEK zu steuern77. Über die Herbstsynoden 1968 wurde in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen allgemein geurteilt, ˇ SSR-Frage zwar bewusst in den Hintergrund trat, aber dennoch: dass die C „Überall wurde auf den Tagungen erwähnt, daß die Kirchen in Briefen, Stellungnahmen oder sogenannten brüderlichen Worten die Kirchen und Christen in der CSSR während der Zeit der militärischen Hilfsmaßnahmen der fünf sozialistischen Länder unterstützt haben.“78

Gleichzeitig sei nichts von den ,negativen‘ Inhalten zurückgenommen worden, „so dass nach wie vor die Stellung der Kirchenleitungen gegenüber der Konterrevolution in der CSSR und unseren Hilfsmaßnahmen in einer Ablehnung unserer Politik besteht.“79 Dazu sei versucht worden, in allen relevanten Bereichen der Gesellschaft „einen scheinbaren Gegner zu konstruieren, aus dem heraus nachgewiesen werden kann, daß die Kirche notwendig in allen Bereichen der sozialistischen Gesellschaft tätig sein muß, um in der Form der sogenannten ,kritischen Mitarbeit‘ die Verhältnisse im Sozialismus zu ,vermenschlichen.‘“80

Hier wird bereits die spätere Tendenz erkennbar, staatlicherseits hinter kirchlichen Versuchen, gesellschaftlich gehört zu werden, den Einfluss reformsozialistischer Ideale zu wittern. Ein ,vermenschlichter Sozialismus‘ wurde zu einer Art Schreckgespenst.

3.3. Differenzierungspolitik Grundsätzliches Mittel des Staates war dessen Differenzierungspolitik. Danach sollte in den einzelnen Landeskirchen, Freikirchen und religiösen Gemeinschaften sowohl nach Geistlichen, aber auch nach Laien gesucht werden, die aus den unterschiedlichsten Gründen bereit waren, die staatliche politische Linie vorbehaltlos zu unterstützen. So wurden Geistliche in solche der Partei Wohlgesonnene, ihre Politik unterstützende ,Progressive‘ bzw. ,Fortschrittliche‘ und sie ablehnende ,Negative‘, ,Konservative‘ oder ,Reaktionäre‘ 77 Vgl. Einschätzung der Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR vom 6. 12. 1968, 8 (BArch DO 4/2976). In aller Regel urteilten Funktionäre hinterher, das maximal Mögliche erreicht zu haben, aber noch stärker auf Differenzierung setzen zu müssen. 78 Entwurf. Einschätzung der Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR vom 29. 11. 1968, 2 (BArch DO 4/401). 79 Einschätzung der Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR vom 6. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/2976). 80 Entwurf. Einschätzung der Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR vom 29. 11. 1968, 5 (BArch DO 4/401).

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aufgeteilt. Dazwischen wurden ,realistische‘ oder ,schwankende Kräfte‘ verortet81. Nach dieser staatlichen Unterteilung ging man daran, die einen an sich zu binden und auszunutzen und die andern nach Möglichkeit zurückzudrängen oder wenigstens zum Schweigen zu bringen. Dafür wurden eigens Organisationen geschaffen oder kirchliche die genehmer waren, unterstützt. Eindeutig als Mittel der Differenzierungspolitik ins Leben gerufen und kaum die SED-Herkunft kaschierend waren die verschiedenen ,Arbeitsgemeinschaften Christliche Kreise bei der Nationalen Front‘. Sie wurden dazu benutzt, staatliche Kirchenpolitik zu legitimieren. Einige dieser Arbeitsgemeinschaften veröffentlichten nach dem 21. August Stellungnahmen der Art, dass am 21. August der Frieden verteidigt worden sei. Kirchlicherseits grenzte man sich von diesen Arbeitsgruppen und Verlautbarungen ab82. Mitarbeiter des Staatssekretärs für Kirchenfragen monierten die mangelnde Präsenz Geistlicher in den Arbeitsgruppen, z. B. in der von Karl-Marx-Stadt. Hier hieß es, „daß die Arbeitsgruppe Christen beim Stadtausschuß wirklich nur eine auf dem Papier existierende Einrichtung ist. […] Die Arbeitsgruppe Christen besteht zwar aus 20 Personen, aber bis auf einen methodistischen Pfarrer sind es vor allen Dingen Funktionäre, die hier tätig sind.“83 In Cottbus kamen im Herbst 1968 zum Treffen der Arbeitsgruppe der Vorsitzende des Bezirksverbandes der CDU, ein SEDler und der Referent für Kirchenfragen. Dazu vermerkte der Hauptabteilungsleiter in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Hans Weise, handschriftlich: „Das ist doch keine Arb. [sic!] Gruppe! Wo sind die kirchl. [sic!] Amtsträger!?“84 Als eine „starke arbeitsfähige Arbeitsgruppe Christen“ wurde eine in Mecklenburg bezeichnet. Auch ihre Zusammensetzung spricht Bände: „4 CDU-Mitglieder, 4 Mitglieder des Kreisausschusses der NF, 1 LDP-Mitglied (Buchhändler), 1 NDP-Mitglied, Katholik, Hauptbuchhalter im VEB Wasserwirtschaft, 1 DBD-Mitglied, Hauptbuchhalter im Soz. Landwirtschaftlichen Kooperationsverband, 1 parteiloser Prediger der 7.-Tags-Adventisten, 3 Mitglieder der SED.“85

81 Im Verlauf der DDR gab es unterschiedliche Kategorisierungen und Begriffe. Vgl. Goerner, Kirche als Problem, 234 f.; auch Funk, DDR-Kirchenpolitik, 29. 82 So nach dem 21. 8. 1968 in Pirna und Pritzwalk. Vgl. Kapitel 4.8.3.1., 392 und 4.3.3.4., 267 – 268 83 Kurzbericht über die Dienstreise nach Karl-Marx-Stadt am 14. und 15. 11. 1968, vom 21. 11. 1968, 3 (BArch DO 4/2973). 84 Niederschrift vom 27. 10. 1968 über eine Aussprache auf Einladung der Arbeitsgruppe Christliche Kreise, 1 (BArch DO 4/328). Das gleiche Problem bestand im Görlitzer Bereich. Hier hieß es: „Die Wirksamkeit der Arbeitsgruppe Christen ist sehr gering. […] In Niesky ist die Arbeitsgruppe Christen zwar arbeitsfähig, muß aber in ihrer Zusammensetzung verändert werden, da sie fast ausschließlich aus Vertretern von Parteien und Massenorganisationen besteht.“ Einschätzung der Situation in der Görlitzer Kirche anhand des vorliegenden Fragenkomplexes, 17. 1. 1969, 5 (BArch DO 4/2969 ebenso 2970). 85 Einschätzung der Situation im Kreis Lübz und Parchim aufgrund der Dienstreise am 18. 12. 1968, vom 16. 1. 1969, 1 (BArch DO 4/330).

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Nach dem 21. August gab es auch hier Schwierigkeiten und zu Tagungen erschienen z. B. in Magdeburg von 16 eingeladenen Pfarrern nur einer und in Dresden von neun immerhin drei86. In der Folge werden daher Stellungnahmen aus diesem Bereich nicht zu den kirchlichen gezählt, selbst wenn ein Pfarrer dabei gewesen sein sollte87. Als weiteres Mittel zur Differenzierung galt die Gewährung oder Verhinderung von Öffentlichkeit. Während ,Progressive‘ mit Druckgenehmigungen, finanzieller Unterstützung eigener Zeitungen und Platz in staatlichen Presseorganen belohnt wurden,88 hatten unliebsame Pfarrer oft sogar Probleme ihr Gemeindeblatt genehmigt zu bekommen89. Da die SED nach immerwährender Bestätigung ihrer Politik durch ihre Bürger suchte, reichte ihr nicht schweigende Loyalität, sondern sie verlangte Liebe und Hingabe. Ein wichtiger Baustein dafür waren gebetsmühlenartig wiederholte positive öffentliche Stellungnahmen. Diese waren regelmäßig nur bei den ,Progressiven‘ zu erhalten. Nach dem 21. August kippte die Situation allerdings, da selbst bei sonst als sicher geltenden Organisationen wie der CFK oder dem WAK Stellungnahmen auf sich warten ließen. Während man zur Verfassungsdiskussion immerhin noch 51 genehme Stellungnahmen in der Presse zählte, war die Suche nach Personen, die bereit waren, offiziell die staatliche Position zu beziehen, nach dem 21. August beinahe aussichtslos und frustrierte die Funktionäre. So musste in der Dienstbesprechung beim Staatsekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, eine magere Bilanz gezogen werden: „Ebenso unbefriedigend sei, was an Stellungnahmen von positiven Geistlichen in der Tagespresse erscheine, obwohl gerade zur Verstärkung der publizistischen Arbeit von der Dienststelle wiederholt Anstöße gegeben wurden.“90 Auch die CDU wurde unter Druck gesetzt, dass diese doch Stellungnahmen ergattern sollte91. Nie hätten die ,Progressiven‘ so allein dagestanden, resü86 Vgl. Information zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen vom 9. 10. 1968, 5 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Das ist einer der wenigen Zusätze zur gleichnamigen Information vom 19. 9. 1968 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/5). 87 Staatlicherseits wurde durchaus erkannt, dass eine Mitarbeit für Pfarrer „mehr eine taktische Frage“ war. Vgl. Bericht über die Dienstreise nach Schwerin am 31. 1. 1969, vom 10. 2. 1969, 1 f. (BArch, DO 4/330). 88 Vgl. Funk, DDR-Kirchenpolitik, 35. Erinnert sei an die Zeitschrift Glaube und Gewissen, die später von der Zeitschrift Standpunkt abgelöst wurde. 89 So beklagte sich ein Pfarrer Anfang 1969 in einem offiziellen Gespräch, dass er 1968 eines seiner Gemeindeblätter mit der Bemerkung nicht habe drucken dürfen, dass der Ostermontagsgottesdienst nicht bekannt gegeben werden darf. Vgl. Gespräch des Staatssekretärs für Kirchenfragen, der 3 Stellvertreter für Inneres der Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt, Leipzig, der Vertreter der Bezirkssekretariate der NF [Nationalen Front]. und der 3 Vertreter der CDUBezirksverbände am 27. 3. 1969 im Hotel Astoria vom 9. 4. 1969, 4 (ACDP 07-013-2136). 90 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 9. 1968, und am 17. 9. 1968 vom 11. 10. 1968, 5 (BArch DO 4/400). 91 „Es wurde angeregt, daß auch alle Bezirksverbände der CDU eingeschaltet werden und sich bemühen, solche Stellungnahmen von Pfarrern für die Presse zu erhalten.“ Aktenvermerk vom

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mierte Seigewasser Anfang Dezember92. Dass 1968 einem anderen Kommunisten als Walter Ulbricht, ohne Druck, von ganz allein die Herzen zuflogen, löste einen Ärger aus, der fast wie Eifersucht anmutet. So wurden in einer Information über die Situation in den Kirchen beinahe verbittert „offene Sympathieerklärungen für Revisionisten“ erwähnt. Als Beispiel galt ein Pfarrer aus Löwenberg, Berlin-Brandenburg, der gemeint hatte, „er habe noch nie so um einen Kommunisten gebangt wie um Dubcek.“93 Eine solche Äußerung über Ulbricht wäre wohl niemandem in den Sinn gekommen. Dennoch analysierte das MfS: „Im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR wurden umfangreiche Maßnahmen eingeleitet, die zu progressiven Stellungnahmen für die Maßnahmen der 5 sozialistischen Länder führten bzw. in deren Ergebnis sich eine Reihe bekannter leitender Theologen mit reaktionären Kräften in der DDR, die für die konterrevolutionäre Entwicklung eintraten, auseinandersetzten.“94

Als Beweise wurden der Brief von Hanfried Müller an Jan Heller und eine „mündliche Auseinandersetzung“ mit Albrecht Schönherr genannt, wobei zu fragen bleibt, ob dies den Begriff „umfangreich“ rechtfertigen kann95. Differenzierung hieß weiter, dass nicht mit den von den Kirchen gewählten Vertretern gesprochen wurde oder diese als Vertreter der christlichen Bürgerinnen und Bürger anerkannt wurden, sondern mit vom Staat ausgewählten Vertretern, die diesem genehm waren. Grundsätzlich wurden weder gewählte Vertreter der KKL oder der Bischofskonferenz, weder die Landeskirchenleitungen, noch die Synoden von staatlicher Seite als die Vertretung der Christen in der DDR anerkannt und aus Prinzip erst recht nicht Vertreter der EKD96. Jegliche Zusammenarbeit mit Kirchen als Interessenvertretung einer eigenständigen Gemeinschaft wurde strikt abgelehnt. Denn: „Ein partnerschaftliches Verhältnis dem Staat gegenüber würde sie [die Kirchen] in den Rang des Interessenvertreters der religiös gebundenen Bevölkerung dem Staat

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6. 9. 1968. Kirchenpolitische Situation im Zusammenhang mit dem 21. 8., 1 (ACDP 07-0103252). Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 2. 12. 1968 vom 12. 12. 1968, 4 (BArch DO 4/401). Hartweg, SED und Kirche, 68. Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 21 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). Auch bei einem Gespräch bei Seigewasser wurden Hanfried Müller und hier auch Dieter Frielinghaus gelobt, weil sie „den Klärungsprozeß unterstützt“ hätten. Aktenvermerk über ein Gespräch mit den Bruderschaften am 3. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/791 ebenso 2951). Ebd. Z. B.: „Auch wenn beim bisherigen und jetzigen Kräfteverhältnis in der Synode nicht damit gerechnet werden konnte, die Annahme dieses Beschlusses zu verhindern, so ist mit diesen Protesten sowohl unter vielen Christen des Bezirkes wie möglicherweise auch bei Synodalen klar geworden, daß die Synode nicht die legitime Vertreterin der konfessionell gebundenen Bürger des Bezirkes ist.“ Einschätzung der Frühjahrssynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens vom 15.–19. 3. 1969 vom RdB Dresden am 25. 3. 1969, 2 (BArch DO 4/2962).

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gegenüber bringen. Eine solche Stellung hatten sie im bürgerlich-kapitalistischen Staat während der Zeit der Weimarer Verfassung und genießen sie auch heute noch in der westdeutschen Bundesrepublik.“97

Christen und Pfarrer sollten als Einzelpersonen zum Staat ja sagen, bzw. ,progressive‘, dem Staat genehme Akteure, für sich sprechen lassen. Wer als ,progressiv‘ galt, konnte eher auf Druck-, Ausreisegenehmigungen und andere Erleichterungen hoffen. Wer dagegen als ,reaktionär‘ galt, bekam weder Ausreisegenehmigungen noch eine Einreiseerlaubnis für Besucher. Zugesandte theologische Literatur wurde möglichst abgefangen,98 Baugenehmigungen abgelehnt. Auf institutioneller Ebene wurden kirchliche Zentren in den neu entstandenen Neubaugebieten in den 1960er Jahren verhindert. Auf allen Ebenen gab es Gespräche, in welchen die Staatsmacht den Gesprächspartnern ihre jeweiligen Verfehlungen vorwarf und ihnen ,Progressive‘ als Vorbilder vorhielt. So wurde je nachdem gelockt oder gedroht. Da selbst die ,Progressiven‘ 1968 ins Trudeln gerieten und dem Staat als Garanten für christlichen Applaus wegzudriften drohten, wird auf sie in einem eigenen Kapitel dieser Arbeit eingegangen. 3.4. Kirchliche Antwortversuche Es gab unterschiedliche kirchliche Versuche, auf die staatliche Kirchenpolitik zu reagieren. Nach dem konfrontativen Kurs der 1950er Jahre und den erdrutschartigen Kirchenaustritten war deutlich, dass sich ein harter Konfrontationskurs nicht durchhalten ließ. Spätestens mit dem Bau der Berliner Mauer war klar geworden, dass dieser Staat, auf dessen Boden sich acht evangelische Landeskirchen befanden, nicht so schnell aufhören würde zu existieren, und dass die SED-Führung, um an der Macht zu bleiben, sich auch nicht scheute, zu unmenschlichen Methoden zu greifen. Die Landeskirchen mussten sich schon um ihrer Mitglieder willen wohl oder übel auf diese Situation einstellen. Kirchliche Arbeit musste damit fertig werden, dass der Sozialismus als Gegebenheit gesetzt war und nicht ohne weiteres verändert werden konnte99. Wie 97 Vorlage für die Dienstbesprechung zu Fragen der Rechtspersönlichkeit der Kirchen und damit im Zusammenhang stehende Fragen, 19. 3. 1970, 2 (BArch DO 4/401). 98 Z. B. Bücher von Moltmann, Gollwitzer und im Zuge der Krise in der CFK von Casalis standen auf dem Index. Gollwitzer schrieb 1969 einen Brief an Götting, in welchem er sich für eine flexiblere Zollpolitik einsetzte. Brief Gollwitzer an Götting vom 10. 3. 1969 (ACDP 07-010-3456). 99 Johannes Hamel, Dozent am Naumburger kirchlichen Proseminar, dessen Stimme in den Kirchen gehört wurde, sagte im Frühjahr 1972 auf einer Synode in sehr klarer Weise: „Seid nüchtern und nicht berauscht! Wer heute in der Kirche zur Verbesserung der gesellschaftlichen Strukturen aufruft, ist dann ein Illusionist, wenn er nicht zur Kenntnis nimmt: Diese Frage ist im Großen bei uns gelöst. Über die Umstrukturierung der Gesellschaft verfügt die Partei, die den Staat nach unserer Verfassung und in Wirklichkeit führt. So zu tun, als wenn wir auch nur ansatzweise die Möglichkeit hätten, von ganz anderen, nicht marxistisch-leninistischen Prin-

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weit es sinnvoll war, sich auf die gegebene Situation einzulassen, darüber gab es sehr unterschiedliche Vorstellungen, die immer wieder neu mit staatlichen Vorgaben, kirchlichen Wünschen und vor Gott, den eigenen Gemeindegliedern und dem eigenen Gewissen verhandelt werden mussten. So war Mitzenheims Weg der Zugeständnisse ein ganz anderer als die sächsischen Versuche, sich völlig vom Staat fernzuhalten. In Görlitz versuchte man es mit Nichtkooperation, so weit als möglich. Eine konsequente Antwort seitens der Kirchen war, ihren Pfarrern dringend abzuraten, allein zu Gesprächen mit staatlichen Vertretern zu gehen und immer den Superintendenten im Vorfeld zu Rate zu ziehen100. Kontakte zum MfS wurden verboten und bei Anwerbeversuchen auf Dekonspiration als Schutz gesetzt101. Im Naumburger Oberseminar wurden jedem neuen Studienjahrgang Verhaltensweisen für die Abwehr von Kontaktaufnahmeversuchen eingeschärft102. Stellenweise versuchten Kirchenleitungen intern festzulegen, wer befugt sei, mit dem Staat zu sprechen103. Allerdings wurden bei der evangelischen Kirche, anders als bei der katholischen, keine Vertreter bestimmt, die mit dem MfS Kontakt zu halten hatten104. Ein weiterer Versuch, die Differenzierungspolitik des Staates zu unterlaufen, war die Praxis, bestimmten Personen bestimmte Informationen erst so spät zukommen zu lassen, dass sie staatliche Stellen nicht mehr informieren konnten. Wichtige Informationen liefen nicht über den Postweg, weil dieser zu stark kontrolliert bzw. blockiert wurde. Daher baute man ein Informationssystem auf, das via Kurier funktionierte. Die Kanzelabkündigung der Sächsischen Landeskirche zum Abriss der Universitätskirche in Leipzig sollte z. B. streng vertraulich behandelt werden. So bekam sie ein als prosozialistischer Parteigänger und Mitglied im Pfarrerbund bekannter Pfarrer erst am 2. Juni, eine viertel Stunde vor Gottesdienstbeginn. Er ging auch nicht darauf ein und erklärte beiläufig die Regierungspolitik105. Er war übrigens auch der einzige ˇ SSR als sächsische Pfarrer, der in einer Tageszeitung die Ereignisse in der C

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zipien heraus diese Strukturen zu ändern, ist einfach eine politische Narrheit, eine Illusion und kann höchstens der Selbstbeschäftigung arbeitsloser Theologen dienen.“ Referat von Hamel auf der Provinzialsynode der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes am 25. 3. 1972. Zur Frage nach dem Weg der Christenheit in unseren Tagen, wie er erschwert oder erleichtert ist durch die Wege unserer Väter, 16 (BArch DO 4/793). Z. B.: Niederschrift eines Pfarrers aus dem Erzgebirge vom 28. 1. 1969 (LKA DD Best. 2, Nr. 836, Bl. 44). Der Pfarrer berichtet von einem Werbungsgespräch für einen Gesprächskreis von Pfarrern als Gesprächspartner für den Kreisrat. Er verweist dreimal auf den Superintendenten als zuständiger Anlaufstelle. Vgl. auch Neubert, Instrumentalisierung, 334. Vgl. ebd., 330. Vgl. Schultze, Stasi-Überwachung, 13. Vgl. Ergebnisse der Staatspolitik in Kirchenfragen, die in Vorbereitung des 20. Jahrestages der DDR erreicht wurden, vom RdB Dresden, 14. 10. 1969, 2 f. (BArch DO 4/2968). Vgl. Schultze, Stasi-Überwachung, 4. Information über eine Kanzelabkündigung zum Abriß der Universitätskirche Leipzig im Bereich der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen, RdB Dresden, vom 5. 6. 1968, 4 (BArch DO 4/2966).

Die neue sozialistische Verfassung der DDR

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Konterrevolution charakterisierte106. Wie sich die Differenzierungspolitik im Einzelnen 1968 auswirkte, wird in Kapitel 4 behandelt.

4. Die neue sozialistische Verfassung der DDR 1968 war für alle Kirchen und Religionsgemeinschaften in erster Linie die vorgesehene neue Verfassung, die seit Sommer 1967 im Gespräch war, von elementarer Bedeutung. Sie wurde als sozialistische angekündigt und sollte die alte Verfassung von 1949 ablösen. Weil sie die weitere kirchliche Entwicklung stark beeinflusste und in den Diskussionen zunehmend die veränˇ SSR spürbar wurde, soll an dieser Stelle auf sie einderte Situation in der C gegangen werden. Den offiziellen Beschluss zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung fällte die Volkskammer am 1. Dezember 1967107. Daraufhin wurde eine Kommission gebildet, die den neuen Entwurf ausarbeiten sollte. Kirchliche Vertreter durften selbstverständlich nicht mitarbeiten, obwohl sie um Beteiligung gebeten hatten108. Den ersten Entwurf legte die Volkskammer Ende Januar 1968 vor, und obwohl Walter Ulbricht erklärte, dass die Glaubensfreiheit gewährleistet sei, schwante kirchlichen Kreisen nichts Gutes. Zum einen war der Führungsanspruch der SED gleich in Artikel 1 festgeschrieben. Zum anderen machte Ulbricht deutlich, dass sich die Kirchen nur auf dem Boden dieser Verfassung zu bewegen hätten und jegliche Einmischungsversuche von westlicher Seite nicht geduldet werden würden – welche aber als solche gelten würden, blieb wieder einmal der Interpretation von Staat und Partei überlassen109. Über den vorgelegten Entwurf sollte in der gesamten Bevölkerung diskutiert werden und es durften auch Veränderungsvorschläge an die Verfassungskommission eingereicht werden. Die Verfassungsdiskussion – Volks106 Mehr vgl. 4.8.3.2. 107 Sorgenicht / Weichelt / Riemann / Semler, Verfassung 1, 45. In der 30seitigen Ansprache Walter Ulbrichts fielen die Wörter Kirche, Religion oder Christ nicht. 108 Um eine persönliche Unterredung und einen Gedankenaustausch mit Seigewasser und mit Sachverständigen bat Schönherr in seinem Brief an Seigewasser vom 13. 1. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 34 f.). 109 Sorgenicht / Weichelt / Riemann / Semler, Verfassung 1, 52 – 106. Rede Walter Ulbrichts auf der 7. Tagung der Volkskammer am 31. 1. 1968. Eine knappe Seite enthält auch die Ausführungen zur Religionspolitik, die Ulbricht später wiederholen wird. Demnach hat jeder Bürger das Recht zu glauben und „religiöse Handlungen“ durchzuführen. Diese Rechte galten nur dem Einzelnen, nicht den Kirchen. In Richtung dieser sagte er: „Den Kirchen und Religionsgemeinschaften gewährleistet der Verfassungsentwurf eine gute, aber auch die einzig mögliche Plattform der weiteren Beziehungen zum sozialistischen Staat.“ Westliche Abhängigkeiten erklärte er als unzulässig und außerdem sei er sicher: „Unser Verfassungsentwurf schiebt solchen Bestrebungen und Spekulationen den Riegel vor.“ Ebd., 75. So auch in der „Neuen Zeit“ vom 1. 2. 1968, vgl. KJ 95 (1968), 167 f.

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ausprache genannt – sollte aller Welt und den eigenen Bürgern die Demokratiefähigkeit der DDR und der SED demonstrieren. Auf ca. 750 000 Veranstaltungen wurde über die Verfassung diskutiert110. Dabei waren eigenverantwortete Diskussionen außerhalb des von der SED vorgegebenen Rahmens und wirkliche Kritik nicht statthaft111. Die Kirchen versuchten sich, so gut sie konnten, dennoch an diesen Diskussionen zu beteiligen. Ihnen wurde vorgeworfen, die Diskussion „zur Hetze gegen die DDR und ihre Diffamierung auszunutzen“ und in „anmaßender Form eine Präzisierung“ des sie betreffenden Artikels zu fordern112. Der Staatssekretär für Kirchenfragen Hans Seigewasser bezeichnete den Volksentscheid über die Verfassung in einer Dienstbesprechung Ende April 1968 „als Modellfall der Entwicklung der sozialistischen Demokratie, für das ganze sozialistische Lager, insbesondere unter Berücksichtigung der Aufweichungserscheinungen in der CSSR.“113 Ende 1968 sah er sich in dieser Auffassung noch bestärkt. „Sie [die Abstimmung zur Verfassung] war eine deutliche Antwort an die sogenannten Reformer in der CSSR, die nach dem Januar-Plenum der schleichenden Konterrevolution zunehmend das Feld überließen. Die industriell hochentwickelte DDR gab mit ihrer Entwicklung der ebenfalls industriell hochentwickelten CSSR ein klares Beispiel, wie man den Sozialismus aufbaut.“114

ˇ SSR überlegen zu sein, lag Seigewasser auf der allgeMit der Meinung, der C meinen Linie der SED 1968115. 4.1. Bisherige Verfassung und Verfassungsentwurf In der Verfassungsdiskussion wurde schnell klar, dass das Thema Religion und Kirche auf die Frage der individuellen Religionsfreiheit reduziert werden 110 Vgl. Lepp, Tabu?, 595. Sie meint auch, dass viele in der Bevölkerung auf eine Demokratisierung in der DDR hofften. 111 So auch Sch fer, Katholische Kirche, 177. Im Staatssekretariat wurde den Kirchen vorgeworfen, „eine breite Opposition kirchengebundener Menschen zu organisieren. Dafür sprechen solche Tatsachen, daß Pfarrer beider Konfessionen Gemeindeabende und andere Veranstaltungen kircheninternen Charakters benutzen, um Diskussionen über den Verfassungsentwurf zu inszenieren. Der Staatssekretär betonte, daß die Kirche ihre Kompetenzen weit überschreite; sie habe nicht das Recht, eine Verfassungsdiskussion in eigener Regie neben den Ausschüssen der Nationalen Front zu führen.“ Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 1. 3. 1968, 4 (BArch DO 4/400). 112 Vgl. Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der CSSR ergeben, 20. 5. 1968, 5 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). 113 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 4. 1968 mit Fortsetzung am 19. 4. 1968 vom 25. 4. 1968, 2 (BArch DO 4/400). 114 Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär vom 2. 12. 1968 vom 12. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/401). ˇ wurde vor allem 115 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 16, 45. Der KSC Theorieschwäche vorgeworfen.

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sollte, da sich im vorgelegten Verfassungsentwurf nur noch ein vage formulierter Religionsartikel 38 fand, wonach jeder Bürger das Recht habe, „sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben“, und die Kirchen ihre Angelegenheiten gemäß der Verfassung und den Gesetzen der DDR zu ordnen hätten116. Dies bedeutete eine tiefgreifende Veränderung gegenüber den garantierten Rechten der Verfassung von 1949. Denn für jene hatte gerade auch hinsichtlich der Religionsartikel bis in einzelne Formulierungen hinein die Weimarer Reichsverfassung Pate gestanden117. In der ersten Verfassung der DDR waren in den Artikeln 41 bis 48 wichtige Rechte der Kirchen, wie der Rechtsstatus einer Körperschaft öffentlichen Rechts, die Gewährleistung des Eigentums, volle Glaubens- und Gewissensfreiheit, die ungestörte Religionsausübung unter dem Schutz des Staates, dass die Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten selbständig ordnen und verwalten können, das Recht, Kirchensteuern aufgrund der staatlichen Steuerlisten zu erheben, das Recht, in den Schulen Religionsunterricht zu erteilen, die Zulassung zur Seelsorge in Krankenhäusern, Gefängnissen und anderen öffentlichen Anstalten, noch gewährt. In Artikel 41, 2 heißt es sogar: „Jedoch bleibt das Recht der Religionsgemeinschaften, zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen, unbestritten.“ Dass die Realität anders aussah, lässt sich allein aus der Verfassung nicht ablesen. Im Hintergrund stand ein Verständnis von Grundrechten, welche nicht auf einer dem Menschen immanenten Würde beruhten, sondern kraft des Staates gewährt wurden oder nicht118. Da der Marxismus-Leninismus von der Interessensgleichheit von Gesellschaft und Staat – mit anderen Worten der Partei – und dem Individuum ausgeht, wurden die individuellen Rechte immer von den Interessen des Staates beschränkt119. Aber auch wenn diese Grundrechte für die Kirchen und einzelne Christen nicht einklagbar waren und oft genug missachtet wurden, beriefen sich diese doch auf diese verfassungsrechtlich garantierten Rechte und verwiesen in Eingaben und Beschwerden darauf120. Versuchten dies einzelne Christen oder Kirchenvertreter, so wurde ihnen in der Regel gesagt, dass diese Rechte bestünden und eine gegenteilige Behauptung eine Unterstellung sei121. Ebenso wurde den Kirchenleitungen abgesprochen zu Lebensfragen des Volkes Stellung nehmen zu 116 Außerdem wurde in Artikel 6 der Glaubenshass unter Verfolgung gestellt und in Artikel 19 bedeutet, dass alle Bürger unbeschadet ihres religiösen Bekenntnisses vor dem Gesetz gleich seien. 117 Vgl. Friebel, Kirche, 53 f. 118 Kremser verweist darauf, dass daher, nach Marxistisch-Leninistischer Vorstellung, Grundrechte nicht Menschenrechte sind, sondern „bloße durch einen Akt staatlicher Verleihung gewährte Bürgerrechte.“ Kremser, Rechtsstatus, 7. 119 Ebd., 8. 120 Die Aussicht auf Erfolg war äußerst gering. Vgl. ebd., 16. 121 Vgl. Aufstellung der vorgebrachten Argumente zur Verfassungsdiskussion, erstellt am 18. 3. 1968, 3 (BArch DO 4/423). In dieser Zusammenstellung der Argumente von Laien und kirchlichen Mitarbeitern kommt dieses allgemeine Problem gut zum Ausdruck.

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dürfen. Dennoch gab es immerhin theoretisch verfassungsmäßig garantierte Rechte, auf die man sich berufen konnte. Allerdings waren manche der Pfarrer 1968 so desillusioniert, dass sie fragten, ob die eine Verfassung von anderen wirklich so verschieden sei, wenn diese sowieso nicht eingehalten werde?122 Mit der vorgesehenen neuen Verfassung wurden die Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihrem rechtlichen Status, ihrem Eigentum, ihrer Katechese und Seelsorge in einen rechtsunsicheren Raum verwiesen und noch mehr von der jeweiligen Gnade des jeweiligen Funktionärs bzw. der jeweiligen politischen Wetterlage abhängig gemacht. Dagegen betrachtete der Staat den Wegfall von garantierten Rechten nicht als Rechtsunsicherheit, sondern als notwendigen Wegfall von „Privilegierung“.123 Für die evangelischen Landeskirchen stellte sich zudem das Problem der bisher durchgehaltenen gemeinsamen Organisation in der EKD, die nun ebenfalls in einen rechtsunsicheren Raum abglitt. Werner Krusche fasste die Situation in einem Rückblick nach über 40 Jahren so zusammen: „Wir wussten, wer wir jetzt waren und wem wir in die Hände gefallen waren und womit wir zu rechnen hatten.“124 Auf Grund dieser Situation mutet es etwas realitätsfremd an, wenn Seigewasser im Herbst 1968 in einer Dienstbesprechung betont: „Ziel der spezifisch auf unserem Gebiet zu leistenden Arbeit ist, auch bei den Geistlichen eine freudige Bejahung der sozialistischen Verfassung zu erreichen.“125

4.2. Ringen um Änderungen Noch bevor der erste Entwurf der Verfassung veröffentlicht war, versuchten die Kirchenleitungen doch, ihre Stimme zur Verfassung hörbar werden zu lassen. So äußerte sich Albrecht Schönherr dazu in einer Ansprache auf dem Neujahrsempfang des Rates des Bezirkes Frankfurt / Oder für kirchliche Amtsträger und schrieb einen Brief im Auftrag der anderen leitenden Geistlichen an den Staatsekretär für Kirchenfragen, Seigewasser126. In der Ansprache versuchte Schönherr anhand von Beispielen vor allem deutlich zu machen, dass sich christlicher Glaube durch Liebe und Dienst an der Welt äußere, sich selbst dabei nicht in den Vordergrund dränge, jedoch die 122 In dieser Richtung äußerten sich einige Superintendenten von Thüringen. Protokoll des Superintendentenkonvents Frühjahr 1968, 7./8. 3. 1968, 4 (LKAE, A 190). 123 Vgl. Hartweg, SED und Kirche, 54 – 59, 55. 124 Vgl. Hintergrundgespräch mit Werner Krusche am 26. 3. 2009 mit der Verfasserin. Werner Krusche, war zu dieser Zeit noch Dozent am theologischen Seminar in Leipzig, aber schon zum Bischof der KPS gewählt. 125 Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 28. 10. 1968 vom 1. 11. 1968, 4 (BArch DO 4/400). 126 Vgl. KJ 95 (1968), 169 f.; Brief von Schönherr an Seigewasser vom 13. 1. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 34 f.). Schönherr war gemeinsam mit Johannes bereits im Sommer 1967 von der KKL als Verhandlungsvertreter zur Verfassung bestimmt worden. Vgl. Lepp, Tabu?, 790.

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Grundlage christlichen Handelns sei. Wenn man das versteht, „dann könnte man nicht auf den irrigen Gedanken kommen, der einzelne Christ und die christliche Gemeinde verständen ihr Christentum als Abwicklung eines gewiß ehrwürdigen, aber, da vom wirklichen Leben isoliert, sterilen Kultus.“127 Schönherr zielte hier gegen das staatliche Religionsverständnis, als würde sich christlicher Glaube im Abspulen irgendwelcher irrationaler Bewegungsabläufe erschöpfen. In seinem Brief an Seigewasser betonte er zudem, nicht nur für die Kirchen, sondern für alle Christen zu sprechen. Damit verwahrte er sich gegen die staatliche Sicht, dass die Kirchen nicht Interessenvertreter der christlichen Bevölkerung seien und benannte die verschiedenen aus seiner Sicht notwendig in der Verfassung zu verbürgenden Rechte der Kirchen128. Nach Bekanntgabe des Verfassungsentwurfes beteiligten sich die Kirchen nach Kräften an den Diskussionen. Schon am 9. Februar hatte vor Beginn der Synode der EKU eine Bischofskonferenz stattgefunden129. Dazu hatte ein Entwurf für einen Brief aller Bischöfe an Walter Ulbricht vorgelegen. In diesem Entwurf hieß es über das Verhältnis zum Sozialismus: „Die evangelischen Bischöfe respektieren die politischen und ökonomischen Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung.“130 Darüber hinaus plädierte der Entwurf für die Aufnahme normaler Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten. Explizit wurde gebeten, die Möglichkeit eines Wehrersatzdienstes in die Verfassung aufzunehmen, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie das auf Bildung nicht einzuschränken und die Sonnund Feiertage zu schützen. In einem zweiten Abschnitt wurde darum gebeten, Artikel 38 zu erweitern und dazu eine konkrete Formulierung vorgeschlagen. Es gab jedoch zu harsche Kritik an diesem Entwurf131. Mitzenheim wollte nur einem positiven Statement zustimmen, Fränkel gar keinem, weil schon ein Schreiben an sich, wie auch immer ausformuliert, die DDR anerkennen würde132. So gelang es nicht, einen Brief der Bischöfe schon in die Synode der EKU einzubringen, die jedoch ihrerseits die Christen in der DDR darum bat, sich an den Diskussionen zu beteiligen133. Intern wurde weiter um eine Eini-

127 KJ 95 (1968), 170. 128 Trennung von Kirche und Staat, Glaubens- und Gewissensfreiheit, ungestörte Religionsausübung, Diakonie, christliche Unterweisung, Bestätigung des rechtlichen Status’ der Kirchen, selbständige Regelung der inneren Angelegenheiten, Ermöglichung der Selbstfinanzierung, Garantie des Eigentums. (Hartweg, SED und Kirche, 34 f.) 129 Vgl. Winter, EKU, 176 f. 130 Vgl. Abschrift. Brief an Walter Ulbricht. Entwurf vom 9. 2. 1968, 1 f. (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1445). 131 Auf der Synode griff Hamel diesen Brief an. Vgl. Dietrich, Gründung, 32 f. 132 Vgl. Einzelinformation 179/68 vom 19. 2. 1968 über zwei am 9. 2. und 15. 2. 1968 stattgefundene interne Beratungen der evangelischen Bischöfe der DDR über die Annahme eines Schreibens zum Verfassungsentwurf an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, 2 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1445). 133 Vgl. Lepp, Tabu?, 596.

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gung gerungen134. Kurzfristig fand am 15. Februar eine zweite Bischofskonferenz statt, zu welcher sich Mitzenheim entschuldigte135. Auf dieser wurde ein im ersten Teil stark überarbeiteter Brief diskutiert136. In diesem Brief stand nun, statt eines einfachen „wir“ für die Bischöfe, „als Staatsbürger der Deutschen Demokratischen Republik“, und statt die Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung schlicht zu respektieren, hieß es nun: „den Sozialismus als eine Gestalt gerechteren Zusammenlebens zu verwirklichen.“137 Vor dem Hintergrund der ursprünglich im Entwurf enthaltenen Formulierung lässt sich diese umstrittene und missverständliche Formulierung leichter als Ortsbestimmung einer Kirche im Sozialismus und nicht nur als einfache Akklamation des Sozialismus verstehen138. Allerdings wurde damit der IstZustand der Gesellschaft akzeptiert139. Es bleibt zu fragen, ob zu diesem Zeitpunkt schon Reformimpulse aus Prag eine Rolle spielten, da diese erst ab März in der DDR auf breitere Resonanz stießen. Die spätere, mehrdeutige Auslegung der Formel dagegen wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von der Hoffnung auf einen reformsozialistischen Ansatz gespeist140. Im neuen Brief war die Frage eines Wehrersatzdienstes gestrichen worden. Doch hielten es die Bischöfe für „unerläßlich“, dass in der Verfassung „die ,volle Glaubens- und Gewissenfreiheit‘ ausdrücklich zugesichert wird.“ Der Brief sprach von Unklarheiten in Artikel 38, die zu „Komplikationen im Verhältnis von Staat und Kirche“ führen könnten. Wieder wurde eine Neuformulierung vorgeschlagen, nach welcher Selbständigkeit, Rechtsfähigkeit und Eigentum der Kirchen sowie ihr Recht auf Abgaben verankert werden sollten. Der Brief wurde ohne 134 Vgl. ebd., 595 – 600. 135 In Eisenach fand eine Sitzung des Thüringischen Landeskirchenrates statt. Auf dieser Sitzung wurde beschlossen, dass Mitzenheim am 9. Februar richtig gehandelt habe, den Briefentwurf zur Verfassung nicht zu unterschreiben. Ebenso wurde seiner Äußerung, dass die Staatsgrenzen auch die Grenzen der kirchlichen Organisationsmöglichkeiten darstellten, zugestimmt. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass bei staatlichen Gesprächen um eine genauere Auslegung und, wenn möglich, um eine Präzision des Artikels 38 gebeten werden sollte. Vgl. 3. Sitzung des Landeskirchenrates 15./16. 2. 1968 (LKAE, A 122). 136 KJ 95 (1968), 181 f. Diesmal waren auch Hamel und Ringhandt an der Abfassung beteiligt. Vgl. Dietrich, Gründung, 34. 137 Ebd. 138 Besier versteht diesen Text als Akklamation. Vgl. Besier, Anpassung, 654. 139 Später auf den BEK-Synoden wurde weiter um eine Standortbestimmung gerungen. 1971 in Eisenach hieß es: „Eine Zeugnis- und Dienstgemeinschaft von Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik wird ihren Ort genau zu bedenken haben: In dieser so geprägten Gesellschaft, nicht neben ihr, nicht gegen sie.“ (KJ 98 (1971), 353 f.) Auf der BEK-Synode 1973 wurde die Formel noch weiterentwickelt: „Wir wollen nicht Kirche neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus sein.“ (KJ 100 (1973), 181.) Die Formel einer „Kirche im Sozialismus“ blieb in verschiedene Richtungen interpretierbar. Ihre Offenheit war ihre Stärke, weil Staat wie Kirche diese Formel benutzen konnten und völlig unterschiedliche Dinge meinten. Ihre Offenheit war aber gleichzeitig auch ihre größte Schwäche, weil sie zu leicht als Sozialismusakklamation misszuverstehen war. So auch Thumser, Kirche im Sozialismus, 314. 140 Lepp ist der Ansicht, dass für die Formulierung im Brief die durch den Prager Frühling ausgelösten Hoffnungen bereits Impulsgeber waren. Vgl. Lepp, Tabu?, 598.

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Mitzenheims Unterschrift verabschiedet, an Ulbricht versandt und über die Landeskirchen den Gemeinden zugänglich gemacht. Er wurde als Brief aus Lehnin bekannt141. Öffentlicher Raum jedoch wurde Mitzenheim gewährt, der den Brief aus Lehnin auch nachträglich nicht unterschrieb142. In einem Interview mit dem Chefredakteur der CDU-Zeitung Neue Zeit vom 4. Februar lobte er den Verfassungsentwurf143. Direkt auf Artikel 38 angesprochen, äußerte Mitzenheim die Meinung, wichtig sei „die authentische Auslegung“ dieses Artikels. Er zitierte aus Ulbrichts Rede vor der Volkskammer: „In der Formulierung, daß mit Artikel 38 den ,Kirchen und Religionsgemeinschaften eine rechtliche Basis für die ungehinderte Ausübung ihrer Seelsorge‘ – also für Predigt, Unterweisung und Einzelseelsorge – und für die Ausübung ihrer ,gemeinnützigen Tätigkeit‘ gegeben ist, erblicke ich eine gute Grundlage für den Dienst der Kirche.“144

Er schlussfolgerte daraus, „daß den Kirchen ihre Arbeitsmöglichkeiten im bisherigen Umfang gewährleistet bleiben.“145 Bei diesem Verständnis der neuen Verfassung blieb Mitzenheim bis zum Schluss in seinen öffentlichen Äußerungen, wie auf der Bürgervertreterkonferenz in Weimar am 29. Februar. Auf dieser fielen durch Mitzenheim die dann immer wieder zitierten Worte: „Die Staatsgrenzen der Deutschen Demokratischen Republik bilden auch die Grenze für die kirchlichen Organisationsmöglichkeiten.“146 Nach dieser Logik überstiegen die evangelischen Kirchen in Deutschland mit der EKD ihre Organisationsmöglichkeiten. Mit seinem öffentlichen positiven Standpunkt zur neuen Verfassung ging Mitzenheim nicht nur einen anderen Weg als die andern Landeskirchenleitungen, sondern auch einen anderen, als von der Mehrheit in seiner eigenen Landeskirche gewünscht wurde. Nach staatlicher Interpretation gab es nach dem öffentlichen Auftreten Mitzenheims in Weimar zwar „Angriffe“ und „einen starken reaktionären Akzent“ in der Thü141 Vgl. KJ 95 (1968), 181 f. Krummacher hatte bereits einen Tag zuvor als Vorsitzender der KKL und der Bischofskonferenz dem Evangelischen Nachrichtendienst ein Interview zur Verfassung gegeben. (KJ 95 (1968), 179 f.). 142 Vor dem Landeskirchenrat, den Bischöfen, der Synode und den Superintendenten hielt Mitzenheim daran fest, er habe ja nicht unterschreiben können. Vgl. Protokoll der Frühjahrssynode 1968, 13 (LKAE, R 212 Band 1); Protokoll des Superintendentenkonvents Frühjahr 1968 7./8. 3. 1968, 2 (LKAE, A 190). Gegenüber der Jungen Gemeinde aus Riesa, die ihn in einem Brief auf die Schwierigkeiten hingewiesen hatte, die einige in den Betrieben wegen der Verfassung bekommen hatten, äußerte er sich anders. Er schrieb, er hätte den Brief aus Lehnin auch nicht unterschrieben, selbst wenn er ihn zur Unterschrift vorgelegt bekommen hätte, weil seiner Meinung nach der Staat sich nach der vorgeschlagenen Formulierung dann in Bekenntnisfragen hätte einmischen können. Vgl. Brief der Jungen Gemeinde Riesa an Mitzenheim vom 29. 4. 1968 (LKAE, A 860 19/2). 143 KJ 95 (1968), 172. 144 Ebd. 145 Ebd. 146 KJ 95 (1968), 177.

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ringer Kirche,147 doch habe die Synode Mitzenheims Verhalten nachträglich einstimmig zugestimmt148. Ein anderes Bild der Stimmung in der Thüringischen Landeskirche ergibt sich jedoch aus den Synodalakten der Landeskirche und den Akten des Superintendentenkonvents. Aus diesen wird deutlich, dass die überwiegende Zahl der Synodalen und Superintendenten Thüringens, genau wie jene der anderen Landeskirchen, auf eine Änderung des Religionsartikels 38 drängten. Die Superintendenten monierten vor allem die mangelhafte Informationsweitergabe seitens der Landeskirche, weswegen man auf Informationen der katholischen Seite angewiesen gewesen sei149. Hier wird deutlich, dass der Brief des katholischen Kardinals Alfred Bengsch, der für die Wiederaufnahme der bisherigen Religionsartikel plädierte, für viele richtungsweisend war150. In Anlehnung an Bengsch und den Brief aus Lehnin wurde Mitzenheim kritisiert. Staatlicherseits machte man sich keine Illusionen über die Meinungsmehrheit des Superintendentenkonvents: „Auf dem Superintendentenkonvent und in den Eingaben waren zum Teil massive Angriffe gegen den Landesbischof sowie OKR Lotz enthalten. Es war mit Sicherheit anzunehmen, daß weitere Angriffe auf der Synode gestartet würden. Uns ist in der Zwischenzeit bekannt geworden, daß man von den negativen Kräften soweit gehen wollte, den Landesbischof evtl. zum Rücktritt zu zwingen.“151

Auch auf der Frühjahrssynode der Thüringer Landeskirche wurde folgerichtig über die Verfassung diskutiert und eine eigene Eingabe an die Verfassungskommission erwogen152. Letztendlich forderte die Synode den Landeskirchenrat auf, „neben einer authentischen Interpretation auch eine Präzisierung insbesondere des Artikels 38 zu erreichen.“153 In einem weiteren angenommenen Antrag wurde der Landesbischof gebeten, diese Entschließung an die anderen Landeskirchen weiterzugeben und auch in einem Rundbrief zu veröffentlichen, damit dem Eindruck, der Landesbischof würde sich nicht, wie die anderen Landesbischöfe, um eine Änderung des Artikels 38 bemühen, 147 Dienstreisebericht aus dem Staatssekretariat für Kirchenfragen über die Zusammenkunft der Referenten für Kirchenfragen der Thüringer Bezirke zur Vorbereitung der Frühjahrssynode am 13. 3. vom 21. 3. 1968, 1 (BArch DO 4/2976). 148 Information über die Frühjahrssynode der Evangelischen Landeskirche Thüringen vom 16.–20. 3. 1968, 3 (BArch DO 4/2976). Immerhin wurde erwähnt, dass es Stimmen gab, die Landeskirche solle sich für eine konkretere Ausformulierung von Artikel 38 einsetzen. 149 Protokoll des Superintendentenkonvents Frühjahr 1968 7./8. 1968, 2 f. (LKAE, A 190). 150 Vgl. Brief Kardinal Bengsch an Walter Ulbricht vom 5. 2. 1968 (SAPMO-BArch DY 30 /IVA2/ 14/4). Vgl. Sch fer, Katholische Kirche, 230 f. Der Brief wurde in den Kirchen verlesen. Ebd., 236. 151 Information über die Frühjahrssynode der Evangelischen Landeskirche Thüringen vom 16.–20. 3. 1968, 5 (BArch DO 4/2976). 152 Insgesamt lagen sechs Eingaben zur Verfassung vor. Vgl. 3. und 4. ordentliche Tagung der 4. Synode der Evang.-Luth. Kirche in Thüringen. November 1967 und März 1968 (LKAE, R 212 Band 1.). 153 Vgl. Anlage 11 (LKAE, R 212 Band 1).

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etwas entgegen gesetzt werden könne154. Im 86. Rundbrief vom 29. März kam dies dann zum Ausdruck. Mitzenheim erläuterte hier auch seine grundsätzlich unterschiedliche Meinung und Handlungsweise. Seiner Meinung nach hatte der Versuch für die „Generalklausel“ von Artikel 38 „eine zitierfähige authentische Interpretation zu erreichen“, sodass es faktisch keine Beeinträchtigung für den kirchlichen Dienst geben würde, die größte Aussicht auf Erfolg155. Mitzenheim wies darauf hin, dass die Formel der ,Glaubens- und Gewissensfreiheit‘ nun in Artikel 20 verankert sei, der neuformulierte Artikel 39 eine Verbesserung darstelle und dass durch den letzten Satz mit den Möglichkeiten von Vereinbarungen „die Tür offengeblieben ist.“156 Mitzenheim glaubte jedoch, dass im Grunde alle diese Diskussionen nicht das Entscheidende seien, sondern „daß die Gemeinden in der richtigen ,Verfassung‘ sind und daß alle Amtsträger nach bestem Wissen und Gewissen ihren Dienst versehen.“157 Doch wie sollte ohne durch die Verfassung garantierte Rechte eine Volkskirche in der richtigen ,Verfassung‘ bleiben? Die Zukunft zeigte, dass dies unter den gegebenen Umständen nicht möglich war. Manche Landeskirchen sandten Informationen wie den Brief aus Lehnin an alle Pfarrämter und baten auch ihre Mitglieder, je eigene Eingaben zu schreiben158. Mehrere Tausend folgten dieser Bitte. Die meisten kritisierten die Einengung der Glaubens- und Gewissensfreiheit auf einen einzigen, vage formulierten Artikel 38, in welchem nicht einmal die Begriffe ,Glaubens- und Gewissensfreiheit‘ genannt wurden. Sie hatten Angst vor einer noch weitergehenden Einmischung des Staates in innerkirchliche Angelegenheiten. So wurde um die Eigenständigkeit der Kirche gebangt, die Gleichberechtigung 154 155 156 157 158

Vgl. Anlage 12 (LKAE, R 212 Band 2). 86. Rundbrief (Bjçrkman, Lebensraum, 325 – 327, 326 f.). Ebd., 327. Ebd. Hier heißt es, „daß ausgesprochen reaktionäre Geistliche gegen den Verfassungsentwurf Stellung nehmen. So haben diese Geistlichen erreicht, daß Kirchenvorstandsmitglieder Eingaben an die staatlichen Organe gerichtet haben.“ Aufstellung der vorgebrachten Argumente zur Verfassungsdiskussion, erstellt am 18. 3. 1968, 4 (BArch DO 4/423). Für Sachsen: „Die Kirchenleitung der Ev.-Luth. Kirche Sachsen versucht, die Geistlichen und kirchlichen Amtsträger, besonders über die Amtsträger die Laienchristen zu beeinflussen, gegen den Entwurf der Verfassung Stellung zu nehmen. […] d. h. werktätige Bürger christlicher Gesinnung [sollen] mißbraucht werden, indem die Kirchenleitung die Geistlichen der unteren Ebene auffordert, zu organisieren, daß von Laienchristen Eingaben an die staatlichen Organe gerichtet werden.“ Informationsberichte vom 27. 2.; 28. 2. und 25. 3. 1968, 1 (BArch DO4/2972 ebenso BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Für Mecklenburg wird die Versendung einer Informationssammlung an die Pfarrämter aus verschiedenen staatlichen und kirchlichen Texten zur Verfassung mit dem Ziel Eingaben zu erwirken, genannt. Vgl. Einschätzung der Geistlichen, kirchlichen Amtsträger und namhaften Laienchristen in Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheides zur Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik im Bezirk Neubrandenburg, undatiert, 1 f. (BArch DO 4/2936). Bereits am 22. Februar war von der Arbeitsgruppe Kirchenfragen festgelegt worden, dass nur noch Eingaben von Bischöfen beantwortet werden sollten. (Hartweg, SED und Kirche, 20).

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religionsgebundener Menschen angemahnt. Weitere Kritik betraf den Sozialismus, der „als staatstragendes Prinzip die Herrschaft weniger über die Masse der Bevölkerung sichern [würde]“, ebenso, dass das Verhältnis von Marxismus und Atheismus nicht ehrlich ausgesprochen würde, dass sich sozialistische Moral nicht mit christlicher gleichsetzen lasse und die Möglichkeit zur Wehrdienstverweigerung nicht gewährleistet sei159. Während es normalerweise sehr schwer war, Pfarrer dahin zu bringen, dass sie zu den staatlich verordneten Veranstaltungen gingen, stellten die Organisatoren auf einmal fest, dass Pfarrer plötzlich mit Interesse an den Verfassungsdiskussionen teilnahmen. Sie versuchten, diese für kritische Nachfragen zu nutzen160. Auch die Frühjahrssynoden der Landeskirchen beschäftigten sich mit dieser Problematik, viele verfassten eigene Eingaben161. Letztendlich gingen insgesamt 12 454 Vorschläge zur Veränderung ein162. Mehr als die Hälfte der Eingaben betrafen die Bitte um Religionsfreiheit163. Öffentliche kirchliche Zustimmungserklärungen zur Verfassung gab es trotz staatlicher Bemühungen wenige164. Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen zog eine Bilanz aus 51 veröffentlichten Stellungnahmen. Davon wurden sieben im Neuen Deutschland veröffentlicht, 41 in der Neuen Zeit165.

159 Aufstellung der vorgebrachten Argumente zur Verfassungsdiskussion, erstellt am 18. 3. 1968 (BArch DO 4/423). Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen hatte hier die bei ihr eingehenden Berichte der für Kirchen zuständigen Referenten der Bezirke der DDR im März zu einer Aufstellung der verschiedenen Argumente zusammengefasst, die von Laien und kirchlichen Mitarbeitern geäußert worden waren. 160 So z. B. in Plauen. Vgl. Information vom 4. 4. 1968, 1 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Allinson hat für Thüringen herausgearbeitet, dass bei den meisten Diskussionen die Frage nach Religionsfreiheit Hauptthema war. Vgl. Allinson, Politics, 143. 161 Die Eingabe der Sächsischen Synode vgl. KJ (95) 1968, 186 f.; von der KPS vgl. Vorlage des Berichtsausschusses zur neuen Verfassung (AKPS, C1 Nr. 96); von Görlitz vgl. Synode Anlage 27 (AKKVSOL 10/2713). 162 Vgl. Sorgenicht / Weichelt / Riemann / Semler, Verfassung 1, 150. 163 Nach dem abschließenden Bericht einer Sachverständigengruppe zur Verfassungskommission betrafen 7070 Eingaben Veränderungswünsche zu Artikel 38. 6806 Eingaben waren direkt von der Kirche gekommen. (Hartweg, SED und Kirche, 37 – 47, 43 – 47). 164 „Zu dieser Zeit wurden in allen Kreisen große Anstrengungen unternommen, um mit Geistlichen, Kirchenvorstandsmitgliedern und anderen christlichen Persönlichkeiten seitens der staatlichen Organe ins Gespräch zu kommen und sie in geeigneten Fällen auch zu einem öffentlichen Bekenntnis in der Presse zu veranlassen. Die Bereitschaft hierzu war auffallend gering.“ Information des Vorsitzenden des RdB über die Situation unter den Christen und kirchlichen Amtsträgern des Bezirkes im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Volksentscheid vom 2. 4. 1968, 3 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 165 Vgl. Information für die Dienstbesprechung. Beteiligung von Geistlichen am Volksentscheid zur sozialistischen Verfassung vom 6. 4. 1968, vom 10. 4. 1968, 1 f. (BArch DO 4/400).

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ˇ SSR, erreichte Änderungen und die Abstimmung 4.3. Die C Am 26. März wurde der entgültige Entwurf der Verfassung vorgelegt, über den nun abgestimmt werden sollte166. Die drei kleinen Änderungen, die in Religionsfragen erwirkt wurden, verdienen ein Achtungszeichen, obschon es nur ein kleiner Erfolg war. Der staatliche Tenor – ganz im Sinne der Differenzierungspolitik – war, dass es dank Mitzenheims Auftreten zu diesen Änderungen gekommen sei, doch wird die Flut der Eingaben und Bitten den Ausschlag gegeben haben167. Als wichtigste Änderung war der Passus „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ nun doch in Artikel 20 in die Verfassung aufgenommen worden168. Auch Artikel 38 wurde leicht verändert. Artikel 39,2 hieß nun: „Die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik. Näheres kann durch Vereinbarungen geregelt werden.“169 Immerhin war in der Endfassung das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen etwas stärker herausgestellt worden170. Der vage Zusatz mit den Vereinbarungen bereitete dagegen eher neue Probleme, als dass er hilfreich war. Es hatte sich gezeigt, dass die legitime Möglichkeit, seine Bitten über Eingaben an den Staat zu richten, kein probates Mittel war, zustehende Menschenrechte wie Glaubens- und Gewissensfreiheit ernsthaft gegenüber dem Regime einzufordern. Das Eingabewesen degradierte die Eingabeschreiber zu Bittstellern vor dem Regime, es gab kein Recht auf Erfüllung der rechtmäßig ausgesprochenen Erwartungen, und der Prozess nach welchem entschieden wurde, ob einer Eingabe statt gegeben wurde oder nicht, war der Öffentlichkeit entzogen171. Mitzenheim äußerte öffentlich in einem Interview, dass er dankbar für die Veränderungen sei. Er hob die nunmehr enthaltene Formel „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ hervor und dass Artikel 39,2 klarstelle, dass die Kirchen ihre Angelegenheiten selbst regeln können. Außerdem sei mit der neu auf166 Vgl. Sorgenicht / Weichelt / Riemann / Semler, Verfassung 1, 183 f. 167 „In diesem Zusammenhang bat OKR Lotz dem Staatssekretär zu bestellen, daß, wenn überhaupt an dem § 38,2 auch nur irgendeine minimale Änderung in der Formulierung erfolgen sollte, man doch in diesem Zusammenhang positiv auf Bischof Mitzenheim Bezug nehmen möchte, als dessen Hinweise.“ Vermerk über eine Aussprache mit OKR Lotz am 13. 3. 1968, 2 (BArch DO 4/439). Vgl. KJ 95 (1968), 191. Im Kommentar zur neuen Verfassung heißt es, dass die Änderungen auf Mitzenheims Anregung erfolgten. Vgl. Sorgenicht / Weichelt / Riemann / Semler, Verfassung 2, 171. Pollack spricht zutreffend von einem „Disziplinierungseffekt“. Pollack, Organisationsgesellschaft, 218. 168 Nach Kremser war dieses Recht dahingehend eingeschränkt, dass es nur „als ein Bewusstsein verstanden wurde, welches dem Aufbau des Sozialismus zu dienen bestimmt war.“ Kremser, Rechtsstatus, 46. 169 Die kursiv gesetzten Wörter markieren die Änderungen. (KJ 95 (1968), 171). 170 So auch Kremser, Rechtsstatus, 44. 171 Elsner, Stabilisierungsmechanismen, 76 f., 84 f.

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genommenen „Möglichkeit von Vereinbarungen […] die Tür weit geöffnet, in vernünftigen Sachverhandlungen das Verhältnis von Staat und Kirche auch für die Zukunft in einer guten Ordnung zu gestalten.“172 Mitzenheim sprach zum Schluss die Erwartung aus, dass die Christen mit „Ja“ stimmen würden. Ab Mitte März, während die Verfassungsdiskussion auf Hochtouren lief, begannen die Menschen in der DDR auf die Veränderungen im Nachbarland aufmerksam zu werden173. Bei der Verfassungskommission gingen „provokatorische Zuschriften“ ein, die eine „Liberalisierung der Politik der DDR“, ähnlich wie in der CˇSSR, forderten174. Die Menschen verglichen und fragten nach175. Schon damals gingen die Menschen davon aus, dass die Verändeˇ SSR der Grund waren, warum die Diskussionen abgebrochen rungen in der C und die Abstimmung durchgeführt wurde176. Dies sprach auch der Werdaer Pfarrer im Vogtland aus und erklärte, dass er auf eine Liberalisierung nach Ulbrichts Ableben hoffe177. Hager griff in seiner Rede auf dem Philosophenkongress nicht nur Smrkovsky´, sondern, im Zusammenhang mit dem Verfassungsentwurf, auch die westdeutsche Presse an, die sich in ihrer Propaganda gegen den Entwurf auf die Prager Reformen berief178. Der Beschluss, den Verfassungsentscheid durchzuführen, wurde am gleichen Tag verabschiedet, an dem Hager Srmkovsky´ in Prag angriff, und drei Tage nachdem Dubcˇek in Dresden vor den Regierungschefs der später am Einmarsch beteiligten Länder den Reformprozess hatte erklären müssen. Der Verfassungsentscheid wurde für den 6. April angesetzt und Ulbricht 172 Vgl. KJ 95 (1968), 193 f. 173 Vgl. Einschätzung der Geistlichen, kirchlichen Amtsträger und namhaften Laienchristen in Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheides zur Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik im Bezirk Neubrandenburg, undatiert: nach dem Volksentscheid, wahrscheinlich im April 1968, 6 (BArch DO 4/2936). Hier wurden sechs Argumente als Beweisführung für westliche Beeinflussung aufgeführt. Eines davon ist: „In der CSSR habe nunmehr die ,Demokratisierung‘ begonnen (man spekuliert auf ,Veränderungen‘ bei uns).“ 174 Vgl. Hartweg, SED und Kirche, 37 – 47, 41. 175 „Im Zusammenhang mit der Verfassungsdiskussion wurden die in der CSSR erhobenen Forderungen nach ,größerer Meinungs- und Diskussionsfreiheit‘ begrüßt. […] Allgemein wurde jedoch betont, daß eine Entwicklung wie in der CSSR in der DDR vorerst nicht möglich wäre.“ Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der CSSR ergeben, 20. 5. 1968, 7 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). Vgl. auch Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 53 f. 176 „Von einer Reihe von Geistlichen, vor allem der protestantischen Kirche, wird der nach ihrer Ansicht kurzfristig anberaumte Volksentscheid mit den Ereignissen in der CSSR in Zusammenhang gebracht, und es wird die Meinung vertreten, daß durch diese Ereignisse veranlaßt der Volksentscheid in der DDR so schnell wie möglich über die Bühne gebracht werden soll.“ Information vom 4. 4. 1968, 2 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Vgl. auch KJ ˇ SSR kaum Einfluss auf die 95 (1968), 266. Dagegen meint Allinson, dass die Vorgänge in der C Debatte gehabt hätten. Vgl. Allinson, Politics, 146. 177 Vgl. Einschätzung zum Verhalten von Geistlichen, kirchlichen Amtsträgern und christlichen Bürgern beim Volksentscheid über eine neue sozialistische Verfassung der DDR am 6. 4. 1968 vom RdB Karl-Marx-Stadt vom 19. 4. 1968, 6 (BArch DO4/2972). 178 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 85 f.

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erläuterte diesen Beschluss auch unter der Maßgabe der Ereignisse in der ˇ SSR, durch welche er „Aufweichungspropaganda“ befürchtete179. Daher C wurde der Verfassungsentscheid zwei Tage vor der Veröffentlichung des Akˇ in Prag durchgeführt180. In der DDR wurde es nicht tionsprogramms der KSC 181 veröffentlicht . Gleichzeitig kritisierte die SED das Programm stark. Man fürchtete um die Einheit des sozialistischen Lagers und sah das politische Monopol der kommunistischen Parteien bedroht, falls es zu einer Demokratisierung kommen sollte182. An einem demokratischen Sozialismus waren die Machthabenden in der DDR nicht interessiert, sondern allein an einer sozialistischen Demokratie, wie sie in der Verfassung dargestellt wurde, weil diese ihnen ihre Macht garantierte. Daher liefen Anfang April die Propagandamaschinen der SED heiß, mit „Ja“ für die neue Verfassung zu stimmen183. Letztmals gab es in der DDR bei einer Wahl die Möglichkeit, zwischen Ja und Nein zu entscheiden. Der Leiter der Leipziger Spielgemeinde wurde allerdings wegen eines Plakates vorgeladen, welches Christus am Kreuz von einem Kreis umgeben zeigte, auf dem zu lesen stand: „Dieses Dein Nein ist Dein Ja.“184 Wer es wagte, in Flugblättern dazu aufzurufen, mit „Nein“ zu stimmen, lief Gefahr, verhaftet zu werden, wie es einigen Theologiestudierenden, darunter auch einer Frau, erging185. Nach dem Volksentscheid begeisterte man sich staatlicherseits über die „sensationelle[…] Steigerung“ der Beteiligung von Geistlichen, denn überall in den Bezirken war diese, von unter 50 % zur Wahl der Volkskammer von 1967, auf über 90 % hochgeschnellt186. Alle evangelischen Bischöfe bzw. Kirchenpräsidenten nahmen letztendlich an der Wahl teil, auch wenn Beste, Fränkel und Noth erst auf den letzten Drücker erschienen187. Der einzige leitende Geistliche, der nicht teilnahm, war Kardinal Bengsch188. Den Grund für die hohe Beteiligung brachte ein vogtländischer Pfarrer auf den Punkt: „Da er dieses Mal die Möglichkeit habe, ,sich frei zu entscheiden‘, und durch ,ja‘ oder

179 Vgl. ebd., 93. Auch Ohse betont, dass die Hektik des Abstimmens auf den Prager Frühling zurückzuführen sei. Vgl. Ohse, Keinen Dubcˇek, 174. 180 Ohse, Jugend, 179 f. 181 Vgl. Karner / Bischof / Wilke / Ruggenthaler, „Prager Frühling“ und seine Niederwerfung, 32. 182 Ebd., 185 f. 183 Selbst daran Beteiligte meinten: „Wir würden die Bevölkerung überfüttern, sie nur verärgern.“ Information zur Aktion „Optimismus“ vom 5. 4. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7106). 184 Aktenvermerk. Aussprache mit Unionsfreund Flint am 15. 4. vom 16. 4. 1968, 2 (ACDP 07-0133062). 185 Vgl. Stengel, Fakultäten, 596; Morgner, Mühlen, 325 – 71; und vgl. Kapitel 5.2., 459 – 464. 186 Vgl. Information vom 11. 4. 1968, 1 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/4). 187 Vgl. Sekretariat des Hauptvorstandes, 9. Bericht über die Situation am Tag des Volksentscheids, 6. 4. 1968, 19:30, 1 (ACDP 07-012-2111). 188 Beteiligung von kirchlichen Amtsträgern am Volksentscheid, 16. 4. 1968, 1 (ACDP 07-0103252).

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,nein‘ seinen Willen kundtun könne“, nehme er teil189. Ein offenes „Nein“, ohne die Wahlkabine zu betreten, wagten nur wenige, wie z. B. der Oberkirchenrat Gerhard Juergensohn, Görlitz,190 oder Superintendent Meinel aus dem erzgebirgischen Marienberg. Solches Verhalten wurde in der Rückschau dann häufig, wie bei Meinel, mit der Ablehnung des 21. August in einem Atemzug genannt191. Aus dem Erzgebirge stammte auch die eindeutige Aussage einer sächsischen Synodalin über die Verfassung: „Wenn wir dieser Verfassung zustimmen, schaufeln wir uns das eigene Grab.“192 Die hohe Beteiligung galt bei den staatlichen Stellen als Legitimation des Regimes, obwohl man von einer überwiegenden Zahl an „Nein“-Stimmen der Geistlichen ausging193. Nach offizieller Zählung stimmten 94,49 % der DDR189 Vgl. Information vom 4. 4. 1968, 2 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). In dieser Akte befinden sich verschiedene Listen aus den einzelnen Kreisen des Bezirkes Karl-MarxStadt. Akribisch wurde beobachtet, wie sich welcher Pfarrer zur Abstimmung am 6. April verhielt. Nur wenige stimmten offen mit „Nein“ oder „Ja.“ Die Wahlbeteiligung soll bei etwa 91 % gelegen haben, wobei etwa 71 % der Wähler die Wahlkabinen nutzten. Vgl. Information über die Teilnahme der ev. und kath. Geistlichen am Volksentscheid am 6. 4. 1968 im Bezirk Karl-Marx-Stadt vom 9. 4. 1968 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Die Begründungen wiederholen sich aus anderen Landeskirchen, auch wenn die meisten Pfarrer in der Stille mit „nein“ stimmten. Im thüringischen Lobejün erklärten allerdings ein evangelischer und katholischer Pfarrer gemeinsam, dass sie mit „nein“ zu stimmen gedächten und Mitzenheims Meinung, dessen „Privatmeinung“ sei. In Lodersleben nannten Gemeindepfarrer und Katechetin Mitzenheim gar ein „gekauftes Subjekt.“ Vgl. Information über Auffassungen kirchlich gebundener Bürger zur Verfassung, 4 (BArch DO 4/423). 190 Vgl. Information für die Dienstbesprechung. Beteiligung von Geistlichen am Volksentscheid zur sozialistischen Verfassung vom 6. 4. 1968, vom 10. 4. 1968, 1 f. (BArch DO 4/400). 191 Vgl. Vermerk vom 11. 4. 1968 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Über eine Aussprache mit Meinel und einem Pfarrer der Region hieß es, „ihr Mißtrauen zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer zeigte sich in der ausschweifenden Polemik, mit der sie den Hilferuf der patriotischen Kräfte der CSSR anzweifelten.“ RdK Marienberg an den RdB Karl-Marx-Stadt vom 2. 9. 1968. Meinungen Geistlicher, 1 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). „Aus diesen Kreisen kirchlicher Amtsträger wurde bereits in der Verfassungsdiskussion behauptet, daß ,in der Deutschen Demokratischen Republik Demokratie von oben diktiert wird‘, und einige forderten ,eine solche ,Demokratie‘, wie sie in der CSSR angestrebt wird‘, in der DDR zu forcieren.“ Referat zur Funktionärskonferenz zu Kirchenfragen am 9. 12. 1968, 11 f. (BArch DO 4/647). 192 Einschätzung des Volksentscheides im Kreis Marienberg in Bezug auf die Tätigkeit der einzelnen Konfessionen vom 9. 4. 1968, 5 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Diese Aussage einer Synodalin auf einer Belegschaftsversammlung wurde als „besonders aggressiv“ eingestuft. 193 „Mit ihrer Teilnahme, zum großen Teil über 90,0 %, haben damit auch die Geistlichen, die nach wie vor Vorbehalte gegenüber Teilaspekten der Politik von Partei und Regierung entgegenbringen [sic!], den Volksentscheid selbst legalisiert. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die reaktionärsten Vertreter der Kirche, wie zum Beispiel Bischof Fränkel/Görlitz, ausdrücklich vor einer Teilnahme am Volksentscheid gewarnt hatten, eben mit dem Hinweis darauf, daß die Beteiligung zur Legalisierung des Entscheides beiträgt.“ Information vom 11. 4. 1968, 2 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/4). Seigewasser betonte in einer Auswertung des Verfassungsentscheides: „Unabhängig, ob mit ,Ja‘ oder mit ,Nein‘ gestimmt wurde, bedeutet das Ergebnis (die Teilnahme) eine Demonstration für die sozialistische Demokratie.“ Protokoll der

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Bevölkerung der neuen Verfassung zu194. Ein schlechtes Ergebnis für eine Abstimmung in der DDR, die in der Regel Zustimmungsquoten von ca. 99 % proklamierte. 4.4. Nach Inkrafttreten der neuen Verfassung Drei Tage später trat die neue Verfassung in Kraft. Auf der einen Seite versuchten Christen und ihre Kirchenleitungen, wenn ihre Rechte nicht geachtet wurden, auch auf die neue Verfassung zu verweisen. Sie hatten dabei nicht mehr Erfolg als bei der vorherigen Verfassung. Im Grunde hatte sich für den Einzelnen nicht viel geändert. Vorher gab es mehr Artikel, auf die sich Christen berufen konnten und das in Eingaben auch taten – genützt hatte es wenig bis gar nichts. Nun gab es weniger Artikel, die genausowenig nützten195. Für die Kirche als Institution war es indessen noch schwieriger geworden. Die Klausel in der Verfassung zu den Vereinbarungen führte in den Folgejahren zu einer Zementierung der bereits üblichen Gesprächspraxis. Diese gab den Kirchen anstelle eines rechtssicheren Raums nur noch die Möglichkeit, auf Zusagen zu verweisen, die in Gesprächen mündlich hinter geschlossenen Türen durch staatliche Vertreter erteilt wurden.196 Dies öffnete einer Geheimdiplomatie Tür und Tor und die kirchlichen Vertreter blieben Bittsteller197. Aber auch das wenige Erreichte wurde noch staatskonform ausgelegt. In einer staatlichen Argumentationsanleitung für örtliche Funktionäre aus dem Sommer 1968 wurde die Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Artikel 6 als nicht für Christen, sondern für Atheisten gedacht ausgelegt. Denn Glaubensund Gewissensfreiheit hieße nicht nur, dass sich Christen zu ihrem Glauben bekennen dürften, sondern garantiere auch „die Freiheit des Atheisten, seine Überzeugung zu verbreiten“. Glaubens- und Gewissensfreiheit nur für Christen wäre „eine ungerechtfertigte Privilegierung von Christentum und Kirche.“ Glaubens- und Gewissensfreiheit wurde noch weiter eingeschränkt: „Die Autorität des sozialistischen Staates sichert es, daß nicht unter Berufung auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit Angriffe auf die sozialistische Gesellschaftsordnung vorgenommen werden können und daß unter Berufung darauf keine Kriegs-, Völker- und Rassenhetze betrieben werden darf.“

Dies bedeutete, dass die Glaubens- und Gewissenfreiheit in dem Augenblick, da sie sich mit sozialistischen Gesellschaftsvorstellungen nicht in Einklang

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Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 4. 1968 mit Fortsetzung am 19. 4. 1968 vom 25. 4. 1968, 2 (BArch DO 4/400). Sorgenicht / Weichelt / Riemann / Semler, Verfassung 1, 187. Vgl. auch Vollnhals, Kirchenpolitische Abteilung, 79. Vgl. Neubert, Instrumentalisierung, 331 f. Übergänge zwischen staatlichen Gesprächen und Gesprächen mit dem MfS waren fließend. Vgl. Mau, Eingebunden, 182.

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bringen ließ, nicht mehr gegeben war. Gleichzeitig wurde „erwartet“, dass sich ein Geistlicher als „bewußter Bürger unseres sozialistischen Staates verhält“ und dass er sich innerhalb der Grenzen von Verfassung und Gesetzen bewegt. Das bedeutete im Umkehrschluss: „Ein Mißbrauch dieser Tätigkeit[,] mit dem Ziel, Liberalisierungstendenzen in unsere sozialistische Ordnung hineinzutragen oder im Sinne der Bonner Alleinvertretungsanmaßung zu wirken, wird von unserem Staat nicht zugelassen. Desgleichen ist ein Mißbrauch im Interesse der westdeutschen Militärkirche in der DDR nach Artikel 39, Absatz 2 der Verfassung ungesetzlich.“198

Mit anderen Worten: Wer auf den Prager Frühling hoffte oder an der EKD festhielt, bewegte sich außerhalb des von Verfassung und Gesetz der DDR abgesteckten Rahmens. In den Herbstsynoden nahmen die verschiedenen Kirchenleitungen in ihren Tätigkeitsberichten nochmals auf die Verfassung Bezug. Die staatlichen Berichterstatter beklagten: „Zum anderen wurde überall die neue Verfassung ,eigenständig interpretiert‘ und versucht, sich mit der neuen Wirklichkeit auseinanderzusetzen.“199 Zur eigenständigen Interpretation zählte für den Staat schon Noths Hinweis auf die Zusage, dass der Handlungsspielraum für die Kirchen nicht eingeschränkt werden würde: „Wir können freilich nicht verhehlen, daß eine nicht geringe Anzahl von Geschehnissen diesen Zusagen nicht entspricht.“200 Nach dem 21. August war Schönherr Verfassungsbruch vorgeworfen worden201. Zusammenfassend wird deutlich, dass es mit der neuen Verfassung nicht einfach nur um die Einschränkung einzelner Rechte für die Kirche ging. Die neue Verfassung sollte den Entwicklungsstand der sozialistischen Gesellschaft widerspiegeln. In einer solchen waren Kirchen überflüssig. Da sie aber noch da waren, sollten auch sie endlich gezwungen werden, sich verfassungsgemäß gleichzuschalten zu lassen. Auch für die Forderung der Trennung von den Westkirchen nutzte der Staat die in diesem Sinne geformte Verfassung. Die Kirchen sollten in Botmäßigkeit als Verkünderinnen und Aufbaugehilfinnen eines DDR-Realsozialismus in die Pflicht genommen werden können. Die Flut 198 Information 8/68 vom 17. 7. 1968 zur Stellung der Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft und zu einigen wesentlichen kirchlichen Argumenten zur neuen sozialistischen Verfassung, 3 f. (Hartweg, SED und Kirche, 54 – 59, 55 f.). 199 Entwurf. Einschätzung der Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR vom 29. 11. 1968, 2 (BArch DO 4/401). 200 Einschätzung der Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR vom 6. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/2976); Tätigkeitsbericht des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes, erstattet durch Landesbischof D. Noth vor der 19. Ev.-Luth. Landessynode am 9. 11. 1968, II. Teil, 4 (LKA DD, Best. 1, Nr. 384, Bl. 25 – 33). 201 So z. B. Gedächtnisprotokoll von Schönherr vom 13. 9. 1968 über das Gespräch am 6. 9. 1968 bei Seigewasser, 1 (ELAB 35/719). Von einem „glatten Vertrauensbruch“ sprach auch die CDU. Vgl. Aktenvermerk. Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg. Strukturkommission. Aussprache mit Konsistorialrat Stolpe am 19. 9. 1968 vom 20. 9. 1968, 2 (ACDP 07-010-3252).

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der Eingaben zeigt, dass den Kirchen und ihren Mitgliedern der Ernst der Situation bewusst war. Sie versuchten auf dem erlaubten Weg, Änderungen zu erreichen, was aber nur sehr bedingt möglich war. Dennoch wurde das staatliche Ziel der kirchlichen Systemeingliederung nie vollständig erreicht und Kirche blieb ein Raum, in dem versucht wurde das Menschenrecht auf Gewissensfreiheit aufrechtzuerhalten.

5. Organisatorische Ablösungen zwischen Ost- und Westlandeskirchen Seit dem Mauerbau war die gemeinsame Organisation von Ost- und Westlandeskirchen über die innerdeutsche Grenze hinweg noch schwieriger geworden. Der Staat behinderte sie nach Kräften202. 1966 erreichten die Beschränkungen durch die DDR einen neuen Höchststand. So konnte das Amtsblatt der EKD für den Ostbereich nicht mehr erscheinen und viele Mitglieder von gesamtkirchlichen Gremien wurden systematischer als zuvor an der Einreise nach Ostberlin gehindert, was die Gremienarbeit erschwerte203. Trotz der sich abzeichnenden Erschwernisse wollte man zusammenbleiben. So war noch auf der Synode von Fürstenwalde 1967 die Einheit und Gemeinschaft der EKD beschworen worden, allerdings nicht ohne sich auch gleichzeitig gegenseitig „freizugeben“: „Wir werden uns gegenseitig so weit freizugeben haben, daß wir unserem Auftrag in dem Teil Deutschlands, in dem wir leben, gerecht werden.“204 Als Antwort wurde der administrative und ideologische Druck auf die EKD seitens der DDR im Zuge der allgemeinen politischen Anstrengungen um Anerkennung noch weiter verstärkt205. Die Lebensverhältnisse entwickelten sich seit den 1950ern auseinander. Während sich die westlichen Landeskirchen mit der 68er-Bewegung auseinandersetzen mussten, wurde diese Bewegung von den östlichen Landeskirchen, wenn überhaupt, dann nur mit großem Abstand wahrgenommen206. Dass es Menschen geben könne, die sich freiwillig sozialistische Verhältnisse wünschten, schien realsozialistisch geprüften Kirchengliedern abwegig. Mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung wurde das Problem der gemeinsamen Organisationen zwischen Ost und West so akut, dass es nicht mehr aufgeschoben werden konnte207. Die neue Verfassungswirklichkeit, dass 202 203 204 205

Vgl. Lepp, Tabu?, 514. Ebd., 671 f. KJ 94 (1967), 27 – 29, 29. Zu Fürstenwalde insgesamt vgl. Lepp, Tabu?, 688 – 699, 921 – 928. So wurde Krummacher nach seinem Bekenntnis zur EKD in Fürstenwalde staatlicherseits zur Person non grata erklärt und in der Presse scharf attackiert. Ebd., 698 f.; vgl. auch die Einschränkungen zum Reformationsjubiläum 1967, ebd., 705. 206 Vgl. KJ 95 (1968), 1 – 3. 207 So auch Silomon, Gemeinschaft, 14. Dagegen betonte Dietrich, dass nicht die Verfassung die

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sich nach Artikel 39,1 die Kirchen „in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik“ betätigen mussten, und die vom Staat begierig aufgegriffene Mitzenheimische Äußerung, dass die Staatsgrenzen auch die Grenzen der kirchlichen Organisationsmöglichkeiten wären, wirkten wie ein Katalysator208. Artikel 39,2, in welchem die Möglichkeit von zusätzlichen Vereinbarungen erwähnt worden war, beschleunigte den Prozess. Ein Argument für die Bundesgründung war, dass man dem Staat einen Verhandlungspartner geben wollte209. Es war ein janusköpfiger Artikel: Auf der einen Seite weckte er Hoffnung auf weitere Regelungen, auf der anderen Seite schürte er Befürchtungen auf Sonderregelungen mit einzelnen Landeskirchen – hier vor allem Thüringen – die die staatliche Differenzierungspolitik auf Dauer effektiv zementieren könnten210. So wurde auf beiden Seiten, während im Westen die 68er-Bewegung und im Osten der Prager Frühling an Fahrt gewannen, fieberhaft nach Lösungen gesucht, wie verhindert werde, dass Ost und West komplett auseinanderfallen und der Staat dauerhaft einen Keil zwischen die einzelnen östlichen Landeskirchen treiben und sie damit vereinzelt bekämpfen könne. Der Prager Frühling wurde in den Kirchen in der DDR gleich einer Positivfolie wahrgenommen, die einen ganz anderen Sozialismus aufzeigt. Dass Sozialismus in absehbarer Zeit gar nicht mehr sein würde, damit rechnete kaum noch jemand. In Prag wurden die Kirchen nicht bevorzugt, aber die Gängelei des Staates den Kirchen gegenüber hatte weitgehend aufgehört. In Anbetracht der durch die neue Verfassung verstärkten SED-Gängelei erschien ein schlichter Gleichmut durch die führende Partei schon wie Freiheit. Da dies in der DDR nicht gegeben war, mussten Lösungsansätze für die verschiedenen gesamtdeutschen Gremien entwickelt werden, die alle darauf gerichtet waren, die ostdeutsche Seite handlungsfähig zu erhalten oder sich sogar einen kleinen Freiraum zu erobern211. Sie betrafen in erster Linie die EKD, die EKU und die VELKD, sowie Berlin-Brandenburg212. In dieser Arbeit

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Nötigung zu einer Lösung schuf, sondern „der Autoritätsverlust der wichtigsten Sprecher der EKD in Ostdeutschland, insbesondere Krummachers, und der sich damit ankündigende Generationswechsel.“ Dietrich, Gründung, 33. Vgl. Einschätzung der Rechtswidrigkeit der EKD, 13. 9. 1968 (BArch DO 4/423). Hier war noch einmal explizit herausgearbeitet worden, dass nach Artikel 39, 1 die EKD verfassungswidrig ist, weil sie ihren Sitz außerhalb der DDR hatte. Vgl. Lepp, Tabu?, 821. Vgl. Silomon, Gemeinschaft, 56; und Kramer, Kirche, 114. Lepp benennt das kirchliche Handeln zwar reaktiv in Bezug auf den Staat, gleichzeitig jedoch initiativ um sich „noch so viel Freiraum wie möglich zu verschaffen.“ Vgl. Lepp, Tabu?, 812. So auch Schröter und Zeddies, die eine wesentliche Hoffnung darin sahen, durch den Bund „aus dem ständigen Reagieren herauszukommen und eigenständig handeln zu können.“ Schrçter / Zeddies, Nach-Denken, 23. Zur Situation von Berlin-Brandenburg vgl. Kapitel 4.3., 224. Auf die VELKD kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Recht plötzlich und pragmatisch hatten sich Ende 1968 die drei lutherischen Landeskirchen in der DDR Mecklenburg, Sachsen und Thüringen zur VELK-

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wird auf eine ausführliche Darstellung verzichtet, weil die Frage der organisatorischen Erhaltung von Einheit zwischen Ost und West zwar 1968 eine treibende Kraft hinter kirchlichem Handlungsstreben war – und daher wichtig für das Verständnis jenes Jahres –, jedoch nicht direkt mit Prag in Verbindung steht213. 5.1. Die EKD / der BEK Als größte und wichtigste gesamtdeutsche Kirchenorganisation war die EKD auch am stärksten ins Fadenkreuz der SED-Kirchenpolitik geraten. Die kirchlichen Verantwortungsträger suchten daher nach einer Lösung, die die acht ostdeutschen Landeskirchen aus der Blockade durch den Staat nach der Fürstenwalder EKD-Synode wieder herausführen könnte214. Die Vorstellungen und Ideen, wie eine Lösung aussehen könnte, gingen bei den verschiedenen Personen und in Ost und West weit auseinander215. Westlichen Vertretern wäre eine Lösung innerhalb der EKD lieber gewesen, doch stellten sich die Weichen innerhalb kürzester Zeit auf die Gründung eines eigenständigen Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR216. Im gleichen Monat wie der Abstimmung über die Verfassung und deren Inkrafttreten kündigte Schönherr während eines Gesprächs bei Seigewasser die Idee einer eigenständigen Organisation für die Kirchen in der DDR an und versuchte, diese Seigewasser schmackhaft zu machen217. Das schien Schönherr zunächst auch gelungen zu sein, denn auf der nächsten Dienstberatung wertete Seigewasser die Bemühungen um einen Kirchenbund in der DDR durchaus positiv. Es sei ein Versuch, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche „auf eine sachlich neue Art zu regeln. Es hat Andeutungen in der Richtung gegeben, die Bindungen der DDR-Kirchen zur EKD zu lösen und einen ,Bund evangelischer Kirchen der DDR‘ mit weitgehenden Konsequenzen zu schaffen. Eine solche Entwicklung würde bedeuten, daß es gelungen ist, einen entscheidenden Schlag gegen

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DDR zusammengeschlossen. (KJ 95 (1968), 249 – 251). Von den anderen Landeskirchen Ost wie West wurde die Gründung der VELK-DDR als kontraproduktiv für die sich gerade in der Konzeptionsphase befindlichen Gründung eines Bundes evangelischer Kirchen in der DDR und als Bruch mit der gesamtdeutschen VELKD wahrgenommen. Vgl. Lepp, Tabu?, 845. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die ausführliche Darstellung von Lepp. Vgl. Lepp, Tabu?. Vgl. ebd., 812. Vgl. ebd., 797, 924. Lepp spricht von einem „multikausalen Prozess“ mit einer „gewisse[n] Eigendynamik“, den sie auf ca. 130 Seiten im Detail aufdröselt. Vgl. ebd., 802 f. Die Eigenständigwerdung dem Rat der EKD zu empfehlen, beschloss bereits am 16. April 1968 die eingesetzte Konsultativgruppe. Vgl. Vermerk über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am 22. 4. 1968, vom 25. 4. 1968 (BArch DO 4/792).

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die EKD und damit gegen die Bindungen unserer Kirche an die Bonner Militärkirche zu führen.“218

Im Laufe des Jahres änderte sich diese Meinung jedoch. Die staatlichen Befürchtungen um eine Bundesgründung gingen vornehmlich in zwei Richtungen: Zum einen wollte man um jeden Preis eine Art ,Zwillingskirche‘ verhindern, die nur formal von der EKD getrennt wäre, und die die Grundordnung der EKD auch für die DDR-Seite aufrecht erhielte. Zum anderen sollte eine ,Superkirche‘ in Form einer zentralisierten Kirchengemeinschaft der Landeskirchen in der DDR vermieden werden. Stattdessen war die Maxime: „Es geht um die Herstellung der völligen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Landeskirchen der DDR!“219 Zu dieser Unabhängigkeit gehörten für den Staat als „normale Forderungen“ neben der Trennung von der EKD die Auflösung der Dienststellen von EKD und EKU sowie die Forderung, dass die in der DDR wohnenden Synodalen und Ratsmitglieder ihre Mandate niederlegten220. Eine „straffe zentrale Kontrolle“ seitens der Kirchen könnte „nur zum Ziel haben, die Möglichkeiten staatlicher Differenzierung zwischen den Landeskirchen einzuschränken.“221 Daher wollte der Staat „daß das bewährte Prinzip der landeskirchlichen Organisationsform vom Staat weiterhin als die legitime Form der kirchlichen Organisation betrachtet wird.“222 Die Vorbereitungen für die Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR wurden deswegen genau und misstrauisch verfolgt. Eine engere Zusammenarbeit der östlichen Landeskirchen war gerade nicht Ziel. Vielmehr ging es um deren weitestgehende Vereinzelung und Differenzierung, um das uralte Prinzip von divide et impera. Die KKL bildete währenddessen Anfang Juni 1968 eine Struktur- und eine Verhandlungskommission, die konkrete Vorschläge ausarbeiten sollte223. Noch bevor jedoch der Bund klarere Konturen annehmen konnte, erschütterte 218 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 4. 1968 mit Fortsetzung am 19. 4. 1968 vom 25. 4. 1968, 4 (BArch DO 4/400). 219 Argumentation zu den Bemühungen kirchenleitender Kräfte einen „Bund der Evangelischen Landeskirchen der DDR“ zu gründen, undatiert, Mitte des Jahres 1968, 11 (BArch DO 4/566 ebenso 6298). 220 Vgl. Lepp, Tabu?, 813. Bericht des Staatssekretärs Seigewasser über mehrere Gespräche mit verantwortlichen Kirchenmännern, 24. 6. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 59 – 61). 221 Argumentation zu den Bemühungen kirchenleitender Kräfte einen „Bund der Evangelischen Landeskirchen der DDR“ zu gründen, undatiert, Mitte des Jahres 1968, 14 (BArch DO 4/566 ebenso 6298). Der Bund lag daher nicht im Interesse des Staates. Vgl. auch Pollack, Organisationsgesellschaft, 184; Funk, DDR-Kirchenpolitik, 31. 222 Argumentation zu den Bemühungen kirchenleitender Kräfte einen „Bund der Evangelischen Landeskirchen der DDR“ zu gründen, undatiert, Mitte des Jahres 1968, 14 (BArch DO 4/566 ebenso 6298). 223 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der Deutschen Demokratischen Republik am 6. 6. 1968, 1 f. (EZA 102/13). Mitglieder in beiden Kommissionen waren: Schönherr, Jänicke, Johannes und Braecklein. Die Nominierungen erfolgten durch die Landeskirchen. Vgl. Lepp, Tabu?, 810.

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ˇ SSR die Gemüter in der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die C Ost und West. Noch war der Bund nicht gegründet und Mitzenheims Veto gegen jegliche gemeinsame kritische kirchliche Äußerung verhinderte eine gemeinsam hörbare christliche Stimme aus den acht Landeskirchen. Durch die Gründung des BEK wurde dann ein Vetorecht auch in der KKL durch Mehrheitsbeschlüsse ersetzt. Mitzenheim und Lotz hatten genau dies befürchtet und schon im Frühjahr 1968 Seigewasser gegenüber verdeutlicht224. Nach dem 21. August sah sich der Staat in seiner Differenzierungspolitik bestätigt, arbeitete noch forcierter auf eine Trennung von der EKD hin und trat gleichzeitig gegen einen Zusammenschluss der acht ostdeutschen Landeskirchen auf225. Den Herbst über blieben folgende Themen bei den Gesprächen zwischen Kirchenvertretern und staatlichen Funktionären bestimmend: 1. Die Gründung des BEK inklusive einer völligen Trennung von der EKD, 2. Die Situation ˇ SSR. Auch als auf einer Informationstagung der EKD-Synodalen vom in der C 2. bis 4. Oktober über den Stand der Bundesgründung informiert werden sollte, versuchte der Staat, über Gespräche im Vorfeld Einfluss zu gewinnen. Dabei ging es den Funktionären vor allem um die Trennung von der EKD. Des ˇ SSR nicht Weiteren wurde den Teilnehmenden eingeschärft, dass das Thema C auf den Tisch kommen dürfe. Dies sicherte der Vizepräses des Greifswalder Konsistoriums Willy Woelke zu, nicht ohne jedoch seinen staatlichen Gesprächspartner darauf hinzuweisen, dass er Hrom dkas Botschaft mit Interesse gelesen habe. Wie wenig staatliche Stellen informiert waren, zeigt sich schon daran, dass im Vermerk über das Gespräch aus Hrom dka „Romatka“ geworden war226. Die staatliche Sorge war unbegründet. Die divergierenden Meinungen zur Zukunft der ostdeutschen Landeskirchen bargen ausreichenden und erschöpfenden Zündstoff für die östlichen EKD-Synodalen227. Bereits vor der Gründung des Bundes, während seiner Existenz und weit darüber hinaus wurden die Motive der Bundesgründung immer wieder angezweifelt228. Wiederholt wurde darüber diskutiert, inwieweit sich eine Kirche

224 „Mitzenheim und Lotz sind sich darüber im klaren, daß der von einigen Kirchenleitungen angestrebte ,Bund der evang. Kirche in der DDR‘ eine für die Thüringer Kirche gefährliche Problematik enthält. Bisher konnten die Thüringer gegen Beschlüsse der ,Konferenz der Kirchenleitungen‘ ihr Veto einlegen, so daß sie danach nicht an den Beschluß gebunden waren. Jetzt soll ein ,Bund‘ geschaffen werden, der, zentralistisch orientiert, diese föderativen kirchlichen Möglichkeiten beseitigen will.“ (Hartweg, SED und Kirche, 59 – 61, 60). 225 Vgl. Lepp, Tabu?, 837. 226 Vgl. Aktenvermerk, undatiert. Das Gespräch fand am 30. 10. 1968 statt (BArch DO 4/2936). 227 Vgl. Lepp, Tabu?, 826 – 831. Auf der Informationstagung kam auch zum Ausdruck, dass die Synodalen viel stärker an einer Einheit mit der EKD festhalten wollten, als die Kirchenleitungen. Vgl. Ebd., 831. 228 Vgl. Dietrich, Gründung, 23. Krusche wehrte sich nach 1989 dagegen, den einzigen Grund in dem politischen Zwang durch die Verfassung von 1968 zu sehen und nannte neben dieser „Nötigung [sic!]“, die der äußere „Anlaß“ gewesen sei, auch den „Notstand“, dass die EKD

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nach realpolitischen Gegebenheiten richten dürfe und inwieweit sie sich nach ihrem Auftrag durch Jesus Christus richten müsse229. Daneben versuchte Mitzenheim weiterhin, sich für eine losere Struktur stark zu machen, um das eigene landeskirchliche Profil und das Gewicht als anerkannter staatlicher Verhandlungspartner erhalten zu können230. Genau dies in Zukunft zu verhindern war aber eines der Anliegen der anderen Landeskirchen231. Im Herbst und Winter wurde hinter verschlossenen Türen weiter über den Bund verhandelt. Ab Januar 1969 beschleunigte sich der Gründungsprozess. Das Thema ˇ SSR verlor zu diesem Zeitpunkt an Bedeutung, wenn auch die Verhaftungen C die Kirchenleitungen noch beschäftigten und in einigen Frühjahrssynoden noch einmal daran erinnert wurde. Allerdings verhinderte die Selbstverbrennung von Jan Palach Mitte Januar 1969, dass die Situation im Nachbarland vergessen wurde. Im Januar 1969 informierte Schönherr erstmals über den kleinen Kreis der direkt am Gründungsgeschehen Beteiligten hinaus die kirchliche Öffentlichkeit232. Am 6. Februar wurde eine überarbeitete Fassung der BEK-Ordnung durch die Strukturkommission verabschiedet und Ende Februar stimmte die Bischofskonferenz, Anfang März die KKL zu233. Nachdem auch eine zweite Informationstagung der EKD-Synodalen dem Bund nicht grundsätzlich widersprochen hatte, waren nun die Landessynoden an der Reihe, über die Ordnung abzustimmen234. Der Streit um die bleibende Art von Gemeinschaft mit Westdeutschland, die an Artikel 4.4. festgemacht wurde, bei gleichzeitiger staatlicher Forderung diesen Artikel zu streichen oder wenigstens zu entschärfen, zog sich weiter durch die Frühjahrssynoden und die ersten Bundessynoden. Der Staat versuchte wie stets, auf die Frühjahrssynoden der östlichen Landeskirchen Einfluss zu nehmen235. Nicht nur wurde mit den Kirchenleitungen und den Synodalen gesprochen, an die Sächsische Synode, die die erste in der Runde war, wurden ca. 70 Eingaben verschickt, alle mit der Maßgabe, gegen Artikel 4.4. Stellung zu nehmen oder eine Bundesgründung doch noch zu verhindern236. Denn nur wenn alle acht Landeskirchen zustimmen würden, könnte die Gründung tatsächlich vollzogen werden.

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durch die DDR behindert wurde, und die „Notwendigkeit“ um des Auftrags willen, die Zusammenarbeit der Kirchen in der DDR zu stärken. Vgl. Krusche, Denkt, 9. Vgl. Lepp, Tabu?, 826 – 831. Vgl. Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 76. Vgl. Lepp, Tabu?, 828; vgl. auch Dietrich, Gründung, 29. Schönherr gab der ENA ein Interview (KJ 95 (1968), 237 – 243). Die kirchliche Presse hatte über die Strukturdebatte nicht berichten dürfen, da die EKD Tabuthema war. Von verschiedener Seite war die bis dahin mangelnde Information beklagt worden. Kritik kam z. B. von Hildebrandt und Hamel. Vgl. Lepp, Tabu?, 851, 854, 886, 877. Vgl. ebd., 855, 857, 859. Nur Thüringen stimmte in der KKL nicht dafür. Vgl. ebd., 860 – 862. Schützenhilfe holte er sich dabei wieder bei der CDU, dem Bund Evangelischer Pfarrer, den Arbeitsgruppen Christen bei der Nationalen Front. Vgl. ebd., 867. Vgl. ebd., 867; vgl. auch Kapitel 4.8.2., 380 – 381.

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Das staatliche Ansinnen gelang jedoch nicht. Alle Synoden stimmten trotz teilweise scharfer Diskussionen letztendlich mehrheitlich für den Bund237. Es war ein Misserfolg für die staatliche Kirchenpolitik. Man versuchte diesen in einen eigenen Erfolg umzumünzen, indem Wendungen wie: „daß es gelungen ist, zu einem beträchtlichen Grad Unsicherheit in die Synoden hineinzutragen“ verwendet wurden238. Auch die Forderung, dass die EKD-Ratsmitglieder vorzeitig ihre Mandate niederlegen sollten, drang, mit Ausnahme von Thüringen, nicht durch239. Nachdem alle Synoden zugestimmt hatten, setzten die Vertreter der acht Landeskirchen am 10. Juni durch ihre Unterschrift den Bund in Kraft240. Der Staat zögerte mit der Anerkennung und versuchte, weiterhin einzeln mit den Landeskirchen zu reden241. Mit Mitzenheims Rücktritt 1970 wurde dies schwieriger. Weitere Gründe, warum der Staat den Bund letztendlich im Februar 1971 doch anerkannte, mögen in der allgemein sich entspannenden Lage Anfang der 1970er und dem Versuch gelegen haben, die ökumenischen Kontakte der Kirchen für die eigene Anerkennungspolitik zu verzwecken242. Der Staat akzeptierte nun die kirchlich bestimmten Vertreter und nicht mehr nur die, welche ihm am genehmsten waren243. Die Schärfe der Auseinandersetzung um die Trennung von westdeutschen Einflüssen speiste sich auch aus den kritischen Reaktionen in den Landeskirchen ˇ SSR. Die SEDder DDR hinsichtlich des militärischen Eingreifens in der C Funktionäre gingen davon aus, dass sich die Kirchen ohne westlichen Einfluss nicht so weit vorgewagt hätten244.

237 Am engsten war es auf der Berlin-Brandenburgischen Regionalsynode. Lepp argumentiert, dass die überbordende staatliche Propaganda gegen Artikel 4,4 ein Grund war, warum letztendlich in Abgrenzung dazu doch die Zweidrittelmehrheit zustande gekommen war. Vgl. Lepp, Tabu?, 873. 238 Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung am 22. 4. und 28. 4. 1969 beim Stellvertreter des Staatssekretärs bzw. beim Staatssekretär vom 29. 4. 1969, 11 (BArch DO 4/401). 239 Während der Öffentlichkeitsausschuss gegen eine Entpflichtung der bisherigen EKD-Synodalen eintrat, sprach sich der Rechtsausschuss dafür aus. In einem vom Öffentlichkeits- und Rechtsausschuss gemeinsam eingebrachten Antrag wurde letztendlich beschlossen, dass die Mandate der EKD-Synodalen erlöschen sollen. Allerdings legten einige Synodale den Beschluss so aus, dass er erst mit Ende der EKD-Synode wirksam werde. Vgl. Protokoll der Frühjahrstagung der 6. Tagung der IV. Synode vom 2.–5. 5. 1969, am 4. 5., 9 (LKAE, R 212 Band 1). 240 Vgl. Lepp, Tabu?, 876. Klaus Roßberg interpretierte in seinem Buch in seiner Eigenschaft als Offizier des MfS die Bundesgründung als MfS-Unterfangen. Das Buch spiegelt die Vorstellungswelt des MfS von den Kirchen wider, nicht jedoch die kirchliche Welt. Vgl. Rossberg, Kreuz, 23 f., 35, 40. 241 Vgl. Silomon, Gemeinschaft, 106. 242 Auf den ersten Grund verweist Silomon, Gemeinschaft, 23, auf den zweiten Grund Lepp, Tabu?, 892. 243 Dohle bezeichnete dieses Einschwenken als „markantestes Ergebnis der Kirchenpolitik der SED seit 1968.“ Vgl. Hartweg, SED und Kirche, 29. 244 Vgl. Lepp, Tabu?, 927.

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5.2. Die EKU Die Evangelische Kirche der Union, als Nachfolgeorganisation der Altpreußischen Union, war eine der kirchlichen Organisationen, zu denen sowohl westliche als auch östliche Gliedkirchen gehörten. So bekam auch sie den zunehmenden staatlichen Druck nach der Verfassungsänderung zu spüren245. Als Antwort darauf wurden 1968 den Regionalsynoden und den Sektionen des Rates des je eigenen Bereiches weitgehende Kompetenzen gegeben246. Anders als EKD und VELKD hielt sie strukturell als Dachorganisation bis zum Ende der DDR zusammen. Die EKU war für ihre östlichen Glieder eine wichtige Informationsquelle. So ließ auch 1968 der damalige Präsident der EKU, Franz-Reinhold Hildebrandt, den Kirchenleitungen die wichtigsten kirchlichen Dokumente nach dem 21. August mit der Begleitaussage zukommen: „In der Anlage überreiche ich Ihnen einige Dokumente zur Lage in der Tschechoslowakei, insbesondere die Entschließung des Ökumenischen Rates der Kirchen und den Aufruf des Prager Synodalrates sowie die Erklärung der tschechischen Kirche zur Lage in der CSSR. Wenn Sie diese Schriftstücke schon auf anderem Wege erhalten haben sollten, so wird Ihnen ein zweites Exemplar vielleicht doch nützlich sein.“247

Auf diesem Wege erhielten die Kirchenleitungen einen guten Überblick, wie Gegenäußerungen zur Okkupation aussahen, so z. B. die Briefe des Westberliner RA der CFK an Ulbricht, den Josef Hrom dkas und den des ÖRK sowie die Aufrufe der Tschechoslowakischen Kirche, des Synodalrates der EKBB und den des Prager Amtes für Kirchenfragen. An verschiedenen Stellen versuchte die EKU auf die spezielle Situation in ˇ SSR im Sinne aller ihrer Gliedkirchen einzugehen. Zum einen diskutierte der C sie Ende 1968 einen Brief an Ulbricht, der sich in der Bischofskonferenz jedoch nicht durchsetzen konnte248. Zum anderen hatte schon seit Mai 1968 eine Arbeitsgruppe des Öffentlichkeitsausschusses der EKU begonnen, sich mit Prager Gedankengut auseinanderzusetzen, jedoch noch ohne dies explizit im Namen zu erwähnen249. Nach einer Bußtagsmeditation im Oktober 1968 beschäftigte sie sich weiter bis Ende 1969 mit den reformsozialistischen Anˇ SSR, und zwar nun unter der direkten Überschrift: „Welche sätzen aus der C Bedeutung hat die Entwicklung eines demokratischen Sozialismus und seine 245 Vgl. Winter, EKU, 132 – 141. 246 Ebd., 140 f. 247 Brief der Kirchenkanzlei der EKU, Präsident Hildebrandt an Jänicke, Krummacher, Fränkel, Müller, Schönherr (AKKVSOL 12/289). 248 Den Brief verantwortete letztendlich Fränkel allein. Vgl. Kapitel 4.4.1.4., 284 – 286. 249 Vgl. Winter, EKU, 181. Die Bußtagsmeditation findet auch Erwähnung in: Winter, Weg der EKU, 715.

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Humanisierung für den Auftrag der evangelischen Kirchen?“250 Der Ausschuss bestand fast ausschließlich aus ostdeutschen Kirchenvertretern. Die notwendigen, im Osten unerlaubten Quellen brachten westliche Mitglieder mit251. ˇ , verschiedene StelUnter anderem wurden das Aktionsprogramm der KSC ˇ SSR und die Studie des sowjetischen lungnahmen aus den Kirchen der C Atomforschers Andrej Sacharow bearbeitet. Der Ausschuss näherte sich durch vier Referate verschiedenen Blickpunkten eines demokratischen Sozialismus: 1. Die Beurteilung der Konvergenztheorie durch den Marxismus-Leninismus in der DDR. Darstellung und Kritik. ˇ SSR auf die Bundesrepublik 2. Die Auswirkung der Augustereignisse in der C Deutschland. 3. Wie hat die Kirche seit 1945 die Frage der Stellung zum Sozialismus behandelt? 4. Welche Folgerungen ergeben sich aus der Entwicklung des Sozialismus in ˇ SSR für die Stellung von Christen und Kirchen in der DDR zum der C Sozialismus?252 Eine abschließend von Johannes Hamel erarbeitete Vorlage wurde durch den Rat zwar zur Kenntnis genommen, jedoch nicht weiter verfolgt253. Hamel zeigte sich enttäuscht darüber254 und bezeichnete den demokratischen Sozialismus als innermarxistischen Versuch, der den Sozialismus nicht aufgeben, sondern „in rechter Weise anwenden will.“255 In seinem Bericht nannte Hamel in einem ersten Schritt sieben Punkte, die nach Auffassung der Arbeitsgruppe einem demokratischen Sozialismus inhärent seien: 1. Wirtschaftspolitik nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und nicht nach ideologischen Dogmen 2. gänzliche Überwindung des Stalinismus 3. freier Meinungsaustausch und Abschaffung der Zensur 4. Achtung individueller Rechte des Individuums 5. Wahrheit und Wahrhaftigkeit als Kriterien, der sich alle, auch die höchsten Parteigremien zu stellen haben 6. zwar Anerkennung der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei, jedoch ohne dogmatischen Bürokratismus, d. h. ohne Misstrauen vor der freien Entfaltung des Einzelnen und ohne „Legenden“ einer „Verschärfung des Klassenkampfes und der proletarischen Unfehlbarkeit“ 250 Bericht des „Ausschusses für Öffentliche Verantwortung“ der EKU vom 5. 1. 1970 (AKPS, B3 Nr. 667). 251 Vgl. Winter, EKU, 183. 252 Die Aufzählung ist übernommen von Winter, EKU, 183. 253 Ebd. 254 Vgl. Winter, Johannes Hamel, 135. 255 Bericht des „Ausschusses für Öffentliche Verantwortung“ der EKU, 2 – 6 (AKPS, B3 Nr. 667). Die folgenden Zitate ebenfalls dort.

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ˇ SSR Jan Hus 7. Achtung der je eigenen nationalen Traditionen (d. h. für die C und Tom sˇ Masaryk) und Achtung vor dem je eigenen sozialistischen Weg Als grundsätzlichen Denkhorizont in diesen sieben Punkten meinte die Arbeitsgruppe zum einen die drohende Selbstzerstörung der Menschheit und die daraus folgernde zwingende Zusammenarbeit aller Gruppen, zum anderen die unbedingte „Erringung und Behauptung geistiger Freiheit, einschließlich der Freiheit zu öffentlicher Vertretung abweichender Meinungen“ auszumachen. In einem zweiten Schritt postulierte die Arbeitsgruppe, dass sich die Kirchen des Nachbarlandes zum demokratischen Sozialismus bekannt hätten, und zwar alle in der „bewußten Anerkennung der sozialistischen Gesellschaftsstruktur.“ Um dies zu untermauern, analysierte sie verschiedene bekannte ˇ SSR. Sie zitierte aus dem ökumenischen kirchliche Stellungnahmen aus der C ˇ SSR vom 2. September Schreiben von über 25 leitenden Geistlichen aus der C 1968, aus dem Schreiben des Pfarrerbundes der EKBB vom 31. Oktober 1968 und aus einem Schreiben der ,Neuen Orientierung‘ – einer Bewegung innerhalb der EKBB – von 1964. Außerdem nahm sie noch auf Hrom dkas Tätigkeit Bezug. Die Arbeitsgruppe schloss daraus, dass sich die Situation nach dem ˇ SSR zwar verändert habe, was jedoch nicht heiße, dass die 21. August in der C Idee eines demokratischen Sozialismus ad acta gelegt worden sei: „Auch wenn in der Öffentlichkeit die Stimme dieser Bewegung weithin verstummt ist, so geht das Umdenken innerhalb des Marxismus, gewiß in unterschiedlichen Weisen[,] auf der Linie der genannten sieben Forderungen weiter.“ Die Vertreter der Arbeitsgruppe hofften also, trotz der militärischen Niederschlagung ˇ SSR und trotz der gegenteiligen des demokratischen Sozialismus in der C alltäglichen Erfahrung in der DDR, dass es weiterhin zu einem positiven Umdenken im Marxismus hin zu mehr Meinungsfreiheit und Pluralismus käme. Deswegen ging die Arbeitsgruppe noch einen Schritt weiter und forderte, dass sich die Christen in der BRD und in der DDR mit der Situation in ˇ SSR auseinanderzusetzen hätten. Die „ökumenische Verbundenheit […] der C zwinge“ dazu, „ihre [der Brüder in der CSSR] Lage, ihre Aufgaben, ihre Chancen und alle Leiden, die sie um des Evangeliums willen auf sich nehmen, zu kennen, zu verstehen, mit unserem Gebet zu begleiten und ihnen brüderlich zu helfen.“ Dazu gehöre dann auch, „die von dorther gestellten Probleme für unsere je eigene Situation zu durchdenken.“ Und dazu zählte wiederum der demokratische Sozialismus. In der Überlegung, wie dies umgesetzt werden könne, bezog man sich zunächst auf verschiedene Verlautbarungen der evangelischen Kirchen, von einer Synodenerklärung von 1956 bis zu den 10 Artikeln von 1963, ausgehend von der „Anerkennung der göttlichen Anordnung auch über dieses System marxistischer Herrschaft.“ Sich damit auseinanderzusetzen, sei umso wichtiger, als „von anderer Seite her“ versucht werde, zu definieren, was das „Verhältnis von Auftrag und Aufgabe der Christenheit und Sozialismus“ sei. Auch wenn kein Name genannt wurde, war klar, dass bei der zitierten Floskel: „gemeinsame humanistische Verantwor-

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tung“, mit „anderer Seite“ die SED unter Ulbricht gemeint war. Die SED wird kritisiert, weil sie, anstatt für einen „echten Dialog“ und eine „gewisse kritische Funktion nach beiden Seiten hin“ einzutreten, diese Floskel als „Ersatz für diesen nicht gewünschten und unterdrückten wirklichen Dialog zwischen Christen und Marxisten propagiert.“ Die Arbeitsgruppe kam zu dem Schluss, dass ein solcher jedoch nötig sei. Zwei Möglichkeiten wurden als Fazit angeboten: entweder solle der Rat der EKU „diese Aufgabe“ angehen oder der BEK zusammen mit der EKD, denn am Ende sei es die Aufgabe aller Kirchen in Deutschland. Wie bereits erwähnt, nahm der Rat der EKD die Ergebnisse der Arbeitsgruppe zwar zur Kenntnis, ohne jedoch irgendwelche Konsequenzen daraus abzuleiten256. Dennoch sind die Ergebnisse der Arbeitsgruppe hier so ausführlich dargestellt worden, weil sie beispielhaft aufzeigen, dass reformsoˇ SSR 1968 von kirchlichen Verantwortungsträgern zialistische Ideen aus der C in der DDR sehr ernst genommen wurden. Das in den sieben Punkten beschriebene Verständnis eines demokratischen Sozialismus, der Meinungsfreiheit und eigenes Denken zuließ, sich zudem der Wahrheit und Gewährung individueller Freiheitsrechte verpflichtete und die landestypischen Traditionen achtete, wäre ein Sozialismus gewesen, den die Vertreter der Arbeitsgruppe als tatsächliche Alternative zum bestehenden Ulbrichtsozialismus empfunden hätten. Von diesem Korrelativ aus, wie unrealistisch dieses sein mochte, konnte in dem System, in welchem die Kirchen in der DDR zu existieren gezwungen waren, darauf gehofft werden, dass es sich ,verbessern‘ könnte, und es konnte von dieser Hoffnung ausgehend systemimmanent am bestehenden Sozialismus Kritik geübt werden257. Von hier stammten wohl wichtige Denkanstöße, wenn man bedenkt, dass Heino Falcke Mitglied dieser Arbeitsgruppe war, der später auf der Bundessynode 1972 mit seinem Referat ,Christus befreit – darum Kirche für andere,‘ in welchem er neben einer Hoffnung auf eine ,verbesserliche Kirche‘ und eine ,verbesserliche Welt‘ ebenso von einem ,verbesserlichen Sozialismus‘ sprach, für Furore sorgte258.

256 Vgl. Winter, EKU, 183. 257 Inwieweit solche Vorstellungen überhaupt realistisch waren, ist eine eigene Fragestellung. 258 Vgl. Winter, EKU, 183 f. Winter bezeichnet die Arbeitsgruppe hier sogar als „Brunnenstube für die dann anlaufende Diskussion um die sogenannte Wendung ,Kirche im Sozialismus‘ auf der Ebene des BEK.“ Zu Falcke siehe auch Kapitel 5.3.4., 484 – 494.

II. Begegnungen zwischen den evangelischen ˇ SSR Kirchen in der DDR und der C Nachdem im ersten Kapitel aufgezeigt worden ist, vor welchen Herausforderungen die Kirchen in der DDR 1968 standen, soll in diesem Kapitel nachgezeichnet werden, welche Bedeutung die Begegnungen zwischen Christen ˇ SSR und der DDR für die Kirchen hatten. So stellen sich die Fragen, aus der C inwiefern es überhaupt Berührungspunkte zwischen den evangelischen Nachbarkirchen gab, inwiefern solche die Kirchen beeinflussten und inwiefern Informationen und Ideen, die die SED ihren Bürgern über die Reformprozesse im Nachbarland verweigerte, über diesen Weg in die DDR fanden. Dafür soll zunächst in aller Kürze ein Blick auf die Reformprozesse in der ˇ SSR geworfen und die grundsätzlich andere Situation der Kirchen in der C ˇ CSSR herausgearbeitet werden. Darauf aufbauend werden die Beziehungen zwischen den Kirchen näher beleuchtet und an Beispielen präzisiert.

ˇ SSR 1. Die politische Lage in der C Die Reformkommunisten hatten 1968 die Kirchen nicht im Blick, und die Kirchen waren froh darüber, nicht im Blick zu sein1. Da aber die Reformkommunisten mit der Aufarbeitung der stalinistischen Ära Ernst machten und im Laufe der 1960er zunehmend Menschen rehabilitiert wurden, waren davon auch die Kirchen, hier in erster Linie die viel größere katholische Kirche betroffen2. Gerade das Thema der Rehabilitierungen spielte im Prager Frühling eine große Rolle, und der Klub der politischen Häftlinge K231 sorgte dafür, dass es nicht in Vergessenheit geriet3. Die SED dagegen hatte kein Interesse daran, dass auch in ihren Reihen die Idee aufkommen könnte, nach Opfern aus der stalinistischen Zeit zu fragen4. Ulbricht fürchtete für einen 1 Vorstellungen über die Änderung im Umgang mit Gläubigen und deren Institutionen waren eher vage. Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2499. 2 Ebd., 2504. ˇ SSR waren in den 1950ern über 200 000 Personen 3 Während der politischen Prozesse in der C verhaftet, 190 Todesurteile ausgesprochen und 148 vollzogen worden. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 27, 101. Die Rehabilitierungen begannen mit einer durch die ˇ eingesetzten Kommission 1962 zunächst halbherzig; vgl. auch z. B. Vil mek, Prager FrühKSC ling, 51 f., 55. 4 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 91 f.; so auch Schwarz, Brüderlich entzweit, 90.

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ˇ SSR Begegnungen zwischen den evang. Kirchen in der DDR und der C

solchen Fall um seine Stellung und das Thema hatte keine Chance, in der DDRPresse Erwähnung zu finden5. Während in der DDR mit dem Machtwechsel im Kreml von Chruschtschow zu Breschnew 1964 auch die SED wieder eine härtere Gangart anschlug, verˇ SSR das Tauwetter6. Ein Anzeichen dafür war bereits die stärkte sich in der C Kafkakonferenz von 1963. In Folge dieser Konferenz konnte der bis dato ˇ SSR wieder verlegt werden7. Indirekt wurde damit verfemte Kafka in der C zugestanden, dass es auch im Sozialismus Entfremdung geben kann. Dem widersprach vehement die SED, für die die Kafkakonferenz bereits Zeichen von ,Revisionismus‘ in sich barg8. Im darauffolgenden Jahr begann der Wirtschaftswissenschaftler Ota Sˇ k, eine Regierungskommission für Wirtschaftsreformen zu leiten. Sˇ k versuchte, der Wirtschaftskrise Herr zu werden, indem er den Betrieben mehr Mitspracherecht einräumte und den Markt auch in Richtung Westen öffnete9. Gerade die Öffnung Richtung BRD beängstigte die SED10. Zwar ging Sˇ k damit anfangs einen ähnlichen Weg wie die DDR mit ihren Wirtschaftsreformen, die ebenfalls unter anderem auf Dezentralisierung setzte, nur dass diese schon seit 1965 wieder zurückgedrängt wurden, während Sˇ k auf diesem Weg weiterging11. In beiden Staaten waren die Reformen in der jeweiligen Partei umstritten und scheiterten letztendlich am Primat der politischen Ideologie vor der Wirtschaftlichkeit12. Der SED gingen die Reformen ˇ SSR zu weit in Richtung Marktwirtschaft und sie entwickelte – nicht nur der C ˇ SSR – beinahe so etwas wie ein Sendungsbewusstsein, mit gegenüber der C welchem sie die eigenen Wirtschaftsreformen propagierte13. Auf Seiten der 5 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 111. 6 Karner, Bischof, Wilke und Ruggenthaler teilen den Prager Frühling in fünf Phasen ein: 1. Wahrnehmung bis zum Treffen in Dresden / 2. Druck von Ende März bis Ende Juni / 3. Nach den 2000 Worten erhöhter Druck, Entscheidung für Invasion / 4. Von Entscheidung zur Invasion bis tatsächlicher Invasion / 5. Normalisierung. Vgl. Karner / Bischof / Wilke / Ruggenthaler, „Prager Frühling“ und seine Niederwerfung, 28. So sinnvoll diese Einteilung aus politikgeschichtlicher Sicht ist, hilft sie für die kirchengeschichtliche Einteilung nur bedingt, da die ˇ SSR erst später begannen, den Prager Frühling wahr- und ernstzunehmen und Kirchen in der C auch die Normalisierung später einsetzte. 7 Vgl. Vil mek, Prager Frühling, 51. 8 Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 81 f., 84. Goldstücker diskreditierte sich in den Augen der SED, aufgrund von Kontakten zu dem 1964 in Ungnade gefallenen Robert Havemann. Vgl. ebd., 104. 9 Vgl. Kçhler-Bauer, Wirtschaftsreformen, 111 – 118; Kov cˇ, Reform, 41; vgl. auch Sˇik, Frühlingserwachen, 118 – 161. Mitte 1967 kam es zu einem Wirtschaftsabkommen zwischen ˇ SSR und BRD, welches Ulbricht kritisierte. Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 253 f. C 10 Vgl. ebd., 257. 11 Schon die Namen ähnelten sich: DDR: Neues ökonomisches System (der Planung und Leitung), ˇ SSR: Neues System der (planmäßigen) Leitung: Nov soustava rˇ zen . Erich Apel, der in der C DDR maßgeblich für die Wirtschaftsreformen verantwortlich zeichnete, wählte Ende 1965 den Freitod. Zu den Wirtschaftsreformen vgl. Steiner, Weder Plan noch Markt, 29 – 36. 12 Vgl. ebd., 34; Schwarz, Brüderlich entzweit, 270 f. 13 Vgl. ebd., 272, 276.

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ˇ SSR erregte die „ewige Besserwisserei“ der SED Unwillen14. Beide Staaten C nahmen ihre Reformen zurück und versuchten in den 1970er und 1980er Jahren, ihre Bevölkerungen durch erweiterte Sozialsysteme zu befrieden15. Der Schriftstellerkongress im Juni 1967 in Prag markierte einen weiteren Schritt in Richtung Prager Frühling. Hier opponierten Schriftsteller wie M lan Kundera, Ivan Kl ma, Ludv g Vacul k und Pavel Kohout in ungewohnter Deutlichkeit gegen die Bevormundung durch die Kulturpolitik. In Reaktion darauf wurde die Verbandszeitschrift ,Liter rn noviny‘ verboten und einige Schriftsteller aus der Partei ausgeschlossen16. Während die SED dieses harte ˇ SSR auf Kritik17. Das brutale Vorgehen Durchgreifen guthieß, stieß es in der C gegen Studierende im Oktober 1967, die für „mehr Licht“ in ihren Wohnheimen demonstrierten, sorgte für weitere Diskussionen18. Anton n Novotny´s starre Haltung wurde zu einem Stein des Anstoßes auch innerhalb der Partei19. Zudem forderten slowakische Kommunisten mehr Mitspracherecht für ihre Nation20. Anfang Januar 1968 begann eine Teilentmachtung Novotny´s, als das ˇ entschied, die Personalunion von Präsidentenamt und 1. ParteiZK der KSC sekretär – beides bis dato Novotny´ – aufzuheben. Am 5. Januar wurde an Novotny´s statt Alexander Dubcˇek – ein Slowake – zum 1. Parteisekretär gewählt. Der Wechsel erschreckte die Führung der DDR noch nicht ernsthaft. Auch war für sie noch nicht deutlich, ob mit dem Personenwechsel an der Spitze auch ein Kurswechsel einsetzen würde21. Doch als in den folgenden Monaten in allen Gesellschaftsebenen alte Kader gegen neue reformorientierte Kräfte ausgetauscht wurden und vor allem die Partei ab März keine Zensur der Presse mehr durchführte, wurde die SED-Führung hellhörig22. Bereits in einer Information vom 11. März reflektierte sie über die Ereignisse im Nachbarland23. Das Aufgeben der Kontrolle über die Medien kam für die SED dem Aufgeben 14 Vgl. ebd., 273. ˇ SSR vgl. Kçhler-Bauer, Wirtschaftsre15 Vgl. Boyer, Sozial- und Konsumpolitik, 40. Für die C formen, 117 f. 16 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 33. Ende Januar wurde die Zeitschrift wieder erlaubt, die in der Folge eine wichtige Rolle in den Medien spielte. Vgl. ebd., 45. 17 Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 265 f., 269. 18 Vil mek, Prager Frühling, 53. 19 Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 33. 20 Vgl. Pauer, Prag 1968, 21 f. Pauer bezeichnete den slowakischen Faktor als wichtigen Anstoß für die Entmachtung Novotnys und den beginnenden Reformprozess, auch wenn im Zuge des Jahres 1968 sich letzterer in der Slowakei langsamer entfaltete als in Tschechien. Vgl. auch Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 33 f. 21 Doch sammelte die SED Informationen und als Ulbricht zu den Feierlichkeiten anlässlich der 20jährigen Machtübernahme durch die Kommunisten nach Prag fuhr, brachte er dort am Rande sein Missfallen zum Ausdruck, und soll bereits die Situation mit Ungarn 1956 verglichen haben. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 36, 40, 46 f. 22 Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 424. 23 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 56.

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eines wichtigen Teils der Machtsicherung gleich24. Novotny´ selbst musste am 22. März auch in seiner Funktion als Präsident zurücktreten25. Anfang April wurde Ludv k Svoboda neuer Staatspräsident. Am 23. März wurde die neue Prager Führung unter dem Vorwand, es handele sich um ein Treffen für wirtschaftliche Absprachen, kurzfristig nach Dresden bestellt26. In Dresden wurde schnell klar, dass es sich eher um eine Art ,Tribunal‘ handelte, auf welchem die anderen sozialistischen Bruderländer die Prager auf ihre Bündnis- und Sozialismustreue hin befragten, wissen wollten, was sie mit ihrem geplanten Aktionsprogramm bezweckten, und auf welchem die Tschechen und Slowaken den Kurs ihrer Partei vor den anderen Bruderparteien rechtfertigen mussten. Von sowjetischer Seite wurde unmissverständlich klargestellt, dass ein eigenständiger Weg zum Sozialismus nicht erwünscht sei27. Josef Smrkovsky´ wurde in Dresden für verschiedene Interˇ SSR als views mit westdeutschen Medien angegriffen, in welchen er die C 28 Vorbild für die anderen sozialistischen Staaten hingestellt hatte . Die SED ˇ SSR in BRD-Medien als Einmibetrachtete Äußerungen von Seiten der C schung in die inneren Angelegenheiten der DDR, da diese auch von DDRBürgern genutzt wurden. Letztlich wurden in Dresden die Weichen für die weitere Entwicklung gestellt29. Die SED hielt sich infolgedessen an die Interˇ SSR die ,Konterrevolution‘ am Werke sei, weil die KSC ˇ pretation, dass in der C 30 in zunehmenden Maße die Macht nicht mehr fest in den Händen hielt . Dubcˇek wurde zur Umkehr aufgefordert. Doch aller Warnungen der anderen ˇ am kommunistischen Parteien in Dresden zum Trotz verabschiedete die KSC 31 5. April ihr Aktionsprogramm, in dem zu den Forderungen der Bruderparteien in Dresden gegenläufige Akzente gesetzt wurden. Es war kein westlich demokratisches Programm, doch setzte es innerhalb eines sozialistischen ˇ schwächte den Anspruch auf ein MachtRahmens neue Akzente. Die KSC monopol ab. Sie zielte vor allem auf eine innere Demokratisierung der eigenen Partei32. Die Blockparteien und Massenorganisationen sollten nicht mehr bloße Statisten für die kommunistische Partei sein, sondern am Meinungs24 Vgl. ebd., 48, 60. Öffentlich hielt sich die SED mit Kritik bis Ende März zurück. 25 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 61 f. 26 Vgl. Pauer, Prag 1968, 34 – 44; und Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 73 – 81. 27 Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 428. 28 Vgl. ebd., 428; vgl. auch Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 76, 84. Auch die anderen Parteien befürchteten, dass durch das tschechoslowakische Experiment Wünsche der eigenen Bevölkerung nach Demokratisierung zu Tage treten könnten. Vgl. Pauer, Prag 1968, 57, 64 f., 74, 77, 86. 29 So z. B. Wilke, Interventionskoalition, 431. 30 Vgl. ebd., 431; vgl. auch Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 75 f. 31 Vgl. „Für die Entfaltung der sozialistischen Demokratie“. Auszug aus dem Aktionsprogramm der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (Karner / Tomilina / Tschubarjan, Dokumente, 79 – 87). 32 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 96.

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bildungsprozess beteiligt werden. Bürger sollten auch ins kapitalistische Ausland fahren dürfen, Meinungs-, Versammlungs-, Pressefreiheit sollten gewährt werden33. Wichtiger Bestandteil war das Ziel der Föderalisierung für die Slowakei34. Die Rehabilitierung sollte weiter vorangetrieben, die Wirtschaft unabhängiger von staatlicher Leitung werden. Außenpolitisch bekannte ˇ weiter zum sozialistischen Lager und zur Bündnistreue mit der sich die KSC UdSSR, was ihr jedoch von dieser trotz stattfindender Treffen nicht geglaubt ˇ hielten sich Anfang April Reformbefürworter und wurde35. Innerhalb der KSC Reformbremser fast die Waage36. In den folgenden Monaten wurde die Kluft ˇ immer größer. Außerhalb der Partei bildete sich mit dem innerhalb der KSC KAN „Klub engagierter Parteiloser“ ein eigenständiges politisches Engagement jenseits der Partei37. Ernsthafte Demokratisierung musste früher oder später zu Konflikten führen und hätte die Grenzen des Systems gesprengt. Auch der Kaderwechsel ging weiter. Der in Dresden und durch Hager geˇ gewählt38. Oldrˇich scholtene Smrkovsky´ wurde ins Präsidium des ZK der KSC ˇ ern k wurde Regierungschef, Jirˇ H jek Außenminister, stellvertretender C ˇ SSR bewertete das AktiMinisterpräsident Ota Sˇ k39. Die Bevölkerung der C onsprogramm positiv und stand für wenige Monate in der Mehrheit hinter einer kommunistischen Regierung. Die DDR-Bevölkerung erfuhr offiziell ˇ als nichts über dessen Inhalt, denn in der Ablehnung des Programms der KSC ,revisionistisch‘, ,bürgerlich‘ oder ,sozialdemokratisch‘ waren sich die fünf später an der Okkupation beteiligten sozialistischen Bruderländer einig40. Der Reformprozess gewann an Fahrt, die SED wurde nervöser. Die zunehmende Eigenständigkeit der Presse begünstigte zum einen den Aufbau einer Zivilgesellschaft, bot jedoch gleichzeitig den sozialistischen Bruderländern Stoff für Kritik und den Vorwurf einer sich entwickelnden ,Konterrevolution‘41. Doch von den hinter den Kulissen durch die SED angefertigten Analysen bekam die Bevölkerung nichts mit. Nachdem am 1. Mai die Deˇ SSR zu einem freiwilligen großen Zuspruch für einen monstrationen in der C demokratischen Sozialismus geraten waren, an deren Spontaneität andere kommunistische Parteiführer nicht glaubten, wurden Spitzenfunktionäre der

33 Vgl. ebd., 97. 34 Vgl. Pauer, Prag 1968, 30 f; und Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 102. Die Föderalisierung war das Hauptthema der slowakischen Politik und die einzige Reform, die blieb. 35 Vgl. Pauer, Prag 1968, 59 f. Die Prager Reformer versuchten stets ihre Treue herauszustreichen und die viel selteneren Begegnungen mit der westlichen Seite herunterzuspielen. Vgl. ebd., 92 f. 36 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 98; und Pauer, Prag 1968, 25 – 27. ˇ auf ca. 80 % und radikale BefürPauer schätzt gemäßigt reformorientierte Kräfte in der KSC worter wie Gegner der Reformen auf je ca. 10 %. 37 Vgl. ebd., 101. Auch die Sozialdemokratie regte sich neu. Vgl. Pauer, Prag 1968, 28. 38 Wilke, Interventionskoalition, 432. 39 Vgl. Hejzlar, Reformkommunismus, 153 – 157. 40 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 103, 127, 129. 41 Vgl. ebd., 101.

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ˇ wenige Tage darauf wiederum in den Kreml einbestellt42. Breschnew warf KSC Dubcˇek und den anderen Mitgliedern der Delegation vor, die Konterrevolution zu begünstigen. Dem Dementi und den Beteuerungen der Tschechoslowaken glaubte Breschnew nicht. Am 8. Mai trafen sich die Führer der kommunistischen Parteien von Bulgarien, der DDR, der SU, Ungarns und Polens ˇ 43. Sie beschlossen, den Druck auf die erneut – geheim und diesmal ohne KSC ˇ zu erhöhen. Unter anderem fanden Mitte Mai Militärmanöver in SüdKSC ˇ hatte Manövern des Warschauer Paktes in der C ˇ SSR polen statt44. Die KSC zuvor zugestimmt, die dann unter dem Namen Sˇumava von Juni bis Ende Juli stattfanden45. Auf diesem Treffen formulierte Breschnew die nach ihm benannte Doktrin, die erst durch Gorbatschow wieder aufgehoben wurde: Die einzelnen Länder des sozialistischen Blocks durften nicht unabhängig von der UdSSR agieren46. Die SED startete im Mai eine Pressekampagne gegen die ˇ SSR, die im Juni abflaute und nach der Veröffentlichung der ,2000 Worte‘ C wieder aufgenommen wurde47. ˇ einen außerordentlichen Ende Mai beschloss das Plenum des ZK der KSC Parteitag für den 9. September 1968 einzuberufen, der über den weiteren Gang der Reformen beraten sollte48. Ab Juni begannen sich die Reformen zu verselbständigen, so dass die Reformer zunehmend von zwei Seiten unter Druck ˇ SSR vergerieten49. Das am 27. Juni 1968 in verschiedenen Zeitungen der C öffentlichte ,Manifest der 2000 Worte‘, welches von Ludv k Vaculik verfasst worden war, warnte vor der Erlahmung der Reformen und forderte weitergehende Demokratisierung50. Gleichzeitig verschärfte es den Druck auf die ˇ von Seiten der Hardliner im Kreml, die in den ,2000 Worten‘ die ,KonKSC

42 Vgl. Pauer, Prag 1968, 48, 63. Auf dem Treffen sprach Dubcˇek als Beispiel für Konzessionen die Wiederzulassung der griechisch-katholischen Kirche an, was auf wenig Gegenliebe stieß, da die orthodoxen Kirchen als zuverlässiger Partner galten, während die verfolgte griechisch-katholische Kirche, wegen ihrer Anerkennung des Vatikans als konterrevolutionär per se galt. Vgl. auch Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 121. 43 Wilke, Interventionskoalition, 433. 44 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 132; und Pauer, Prag 1968, 69 – 71, 100 – 102. Weitere große Manöver wurden ebenfalls im Sommer 1968 veranstaltet. Vgl. ebd. 134. 45 Wilke, Interventionskoalition, 433. Dies war erst nach sowjetischem Druck erfolgt. Vgl. Pauer, ˇ SSR erst Anfang August. Die Prag 1968, 47, 49. Die letzten sowjetischen Soldaten verließen die C Manöver waren neben militärischer Einschüchterung eine Vorbereitung für den Ernstfall der Intervention. Die Bevölkerung der DDR erfuhr wenig über diese Manöver. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 164 – 167; und Pauer, Prag 1968, 101 – 104. 46 Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 434. Die Grundlagen dafür waren bereits in Dresden formuliert worden. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 81. 47 Vgl. ebd., 133 – 138, 167, 185. 48 Vgl. ebd., 157. 49 Vgl. Karner / Bischof / Wilke / Ruggenthaler, „Prager Frühling“ und seine Niederwerfung, 21. 50 Vgl. Das Manifest der „2000 Worte“, 27. 6. 1968 (Karner / Tomilina / Tschubarjan, Dokumente, 139 – 145).

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terrevolution‘ in Reinform sahen51. Die SED-Führung sah dies ganz genauso. Die ,2000 Worte‘ wurden auch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen als „beredter Beweiß [sic!]“ dafür angesehen, „wie sehr es dem Gegner gelungen ist, in der CSSR Fuß zu fassen.“52 Anfang Juli sandte das Politbüro der KPdSU einen Brief nach Prag, in welchem es die Reformen offiziell kritisierte und parallel zu einer erneuten Zusammenkunft der komˇ jedoch munistischen Parteien in Warschau drängte53. Das Präsidium der KSC lehnte es ab, noch einmal vor einem Tribunal zu erscheinen, erklärte sich aber zu kleinen bilateralen Treffen bereit54. Am 14. Juli 1968 trafen sich die Parˇ in Warteiführer der später am Einmarsch beteiligten Länder ohne KSC schau55. Am 15. Juli schrieben die ab diesem Zeitpunkt so genannten ,Warˇ , der noch einmal eine schauer Fünf‘ einen gemeinsamen Brief an die KSC 56 ˇ deutliche Warnung und Drohung aussprach . Das Plenum des ZK der KSC 57 wies den Brief und die Existenz einer ,Konterrevolution‘ zurück . Zwei Tage später, am 19. Juli 1968, ließ die SED in der Nähe von Dresden einen eigenen Propagandasender in tschechischer, slowakischer und deutscher Sprache installieren58. Schon seit Ende April war seitens der DDR versucht worden, die deutschen Sendungen von Radio Prag zu stören, die sich in der DDR-Bevölkerung großer Beliebtheit erfreuten, weil sie zu den wenigen Möglichkeiten gehörten, Informationen aus erster Hand zu erhalten59. Am 20. Juli wurden die Truppen der fünf Warschauer-Pakt-Staaten in Alarmbereitschaft versetzt60. Vom 29. Juli bis 1. August 1968 fand ein Treffen zwischen Spitzenfunktioˇ in C ˇ iern nad Tisou nahe der Grenze zur nären der KPdSU und der KSC Sowjetunion statt, die die KPdSU als letzten Versuch, politischen Druck zu ˇ -Führung massiv erzeugen, betrachtete. Die sowjetische Seite drohte der KSC 51 Vgl. Karner / Bischof / Wilke / Ruggenthaler, „Prager Frühling“ und seine Niederwerfung, 24. 52 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 4. 7. 1968 vom 5. 7. 1968, 7 (BArch DO ˇ SSR Helmut Ziebart, schrieb noch 1999, „daß 4/400). Der letzte Botschafter der DDR in der C ˇ SSR schon sehr bald von erste Denkansätze für einen demokratischen Sozialismus in der C systemverändernden Kräften des In- und Auslandes in eine breitangelegte Kampagne zur Liquidierung des Sozialismus umfunktioniert wurden. Das Programm der 2000 Worte und andere Konzepte einzelner Prager Klubs belegen das.“ Ziebart, Bilanz, 28. 53 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 178. Auch die anderen vier der Warschauer ,Fünf‘ darunter die SED sandten einen Brief aufgrund der Moskauer Vorlage nach Prag. Vgl. ebd. 180 – 183; auch Pauer, Prag 1968, 106 – 108. 54 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 179, 183. 55 Vgl. Pauer, Prag 1968, 116 – 124. 56 Vgl. Der „Warschauer Brief“: „Die Einheit von Partei und Volk mit allen Mitteln stärken“ (Karner / Tomilina / Tschubarjan, Dokumente, 275 – 283). 57 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 194; und Pauer, Prag 1968, 126. 58 Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 441; und Rçck, Invasion, 157. 59 Vgl. Karner / Bischof / Wilke / Ruggenthaler, „Prager Frühling“ und seine Niederwerfung, 23. 60 Vgl. Pauer, Prag 1968, 132. Einen Tag später wurden auch NVAVerbände, die 7. Panzerdivision und die 11. motorisierte Schützendivision, in erhöhte Einsatzbereitschaft versetzt.

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und deutlich auch mit militärischer Invasion61. Die Verhandlungen stockten, ˇ -Funktionäre versuchten, ihre Politik da keine Seite nachgeben wollte. Die KSC zu erklären, willigten aber nach zähen Verhandlungen mündlich in weitgehende Zugeständnisse ein62. Hauptforderungen von Breschnew waren die Wiederherstellung der Zensur und der Parteimacht, Verbot als oppositionell eingestufter Gruppierungen sowie Kaderveränderungen63. Zwar standen sich ˇ Reformgegner und -befürworter gegenüber, auch hier innerhalb der KSC doch hatten die Reformer das eigene Volk hinter sich64. Die Reformgegner übergaben bei diesem Treffen einen Brief an die sowjetische Seite, in dem sie um Hilfe und Unterstützung baten65. Am 3. August trafen sich die Parteiˇ in Bratislava und rangen um ein spitzen der Invasionstruppen und der KSC gemeinsames Kommuniqu , welches in seiner Doppelbödigkeit verschiedene ˇ -FunkInterpretationen zuließ66. Wieder zurückgekehrt beruhigten die KSC tionäre das Volk, während intern die Streitigkeiten um die Interpretation der Beschlüsse begannen. Bis zum tatsächlichen Einmarsch glaubten die Reformer jedoch, dass die UdSSR nicht einmarschieren würde67. Zu diesem Zeitpunkt hatte die SED ihre Vorbereitungen zur militärischen Intervention bereits abgeschlossen68. Anfang August stellte die DDR in den Medien ihre ˇ urplötzlich ein69. Angriffe gegen die KSC Am 12. und 13. August trafen sich Dubcˇek und Ulbricht in Karlovy Vary70. Ulbricht erfüllte auf diesem Treffen wieder die Rolle eines Lehrmeisters, der seinen tschechoslowakischen Mitgenossen Nachhilfeunterricht in Punkto sozialistischer Aufbau geben wollte71. Kritisch sah er vor allem die Rolle der ˇ SSR72. Dass Ulbricht ankündigte in den Urlaub fahren Massenmedien in der C zu wollen, wurde von Reformern wie DDR-Bürgern als Zeichen der Ent-

61 Ausführlich werden die harschen Verhandlungen bei Pauer beschrieben. Vgl. ebd., 135 – 172. 62 Vgl. Pauer, Prag 1968, 165 f. Während Dubcˇek die Zugeständnisse eher als Anhören der Meinung Breschnews verstand, sah letzterer in seinen Meinungsäußerungen Anordnungen. 63 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 210 f., 213; und Pauer, Prag 1968, 166 – 167. Vor allem gegen Kriegel richteten sich die Angriffe der Parteiführung aus der SU, die auch aus einer antisemitischen Grundhaltung herrührten. 64 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 212. 65 Vgl. Pauer, Prag 1968, 175 f. Unterschrieben war er von Alois Indra, Drahom r Kolder, Anton n Kapek, Oldrˇich Sˇvestka und Vasil’ Bil’ak, wurde jedoch erst nach 1989 der Öffentlichkeit zugänglich. Der Brief ebd., 196 f. Die Härte der geheimen Verhandlungen war für die Bevölkerung ˇ iern wurde daher eher als Erfolg gefeiert. Vgl. ebd., 173. nicht ersichtlich. C 66 Vgl. ebd., 172 – 175. Dies betraf vor allem die Frage nach der Souveränität der je einzelnen sozialistischen Länder für ihren Sozialismus. 67 Vgl. ebd., 111, 194, 225 – 227. 68 Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 442. 69 Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 314; und Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 217. 70 Wilke, Interventionskoalition, 444. 71 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 222. 72 Vgl. Pauer, Prag 1968, 210.

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ˇ iern nad Tisou und spannung gewertet73. So stieg bei DDR-Bürgern nach C Karlovy Vary die Hoffnung, dass sich die kommunistischen Parteien nun doch geeinigt hätten und das Prager Reformwerk eine Chance hätte74. Doch trog diese Hoffnung, die Realität war eine andere. Am 17. August fiel die endgültige Entscheidung zur Invasion im Politbüro ˇ SSR von in Moskau75. In der Nacht vom 20. zum 21. August 1968 wurde die C Truppen des Warschauer Paktes besetzt. Weltweit wurde die Okkupation verurteilt76. Die Okkupanten bezeichneten ihr Vorgehen als ,Hilfsaktion‘, zu der sie von tschechoslowakischer Seite aufgefordert worden wären. Doch der erwähnte Brief der Reformgegner wurde nicht veröffentlicht, die Unterzeichner beschworen angesichts der sich gegen sie entwickelnden Lage, dass er nicht existiere77. In der DDR führte dies dazu, dass selbst Partei- oder Blockparteimitglieder um die Information baten, wer die Hilfesucher gewesen seien. Auf solche Anfragen reagierte die SED mit repressivem Druck. Die ˇ wurden am 21. August verhaftet und in führenden Reformpolitiker der KSC 78 die Sowjetunion verbracht . Doch während der militärische Plan funktioˇnierte, scheiterte der politische Plan der Besetzer, mit moskautreuen KSC 79 Funktionären eine Marionettenregierung einsetzen zu können . Noch in der ˇ Nacht der militärischen Besetzung verurteilte das Parteipräsidium der KSC diese als im Widerspruch zum Völkerrecht stehende Okkupation. Auch das Parlament, der handlungsfähige Teil der Regierung, die Nationalversammlung und die Massenorganisationen verurteilten die Invasion80. Am 22. August ˇ ihr 14. Parteitag an einem geheimen Ort in Prag Vysocˇany wurde von der KSC einberufen, auf welchem sich die Partei gegen die Okkupation aussprach, ein neues Zentralkomitee wählte, ihre verhafteten politischen Führer bestätigte ˇ SSR und zu einem einstündigen Generalstreik aufrief81. Die Bevölkerung der C wehrte sich gewaltlos, kreativ, humorvoll und ohne Zugeständnisse gegen die Besetzung ihres Landes und verwandelte den militärischen Sieg so in eine ˇ SSR 94 Menschen83. Die politische Niederlage82. Im Verlauf starben in der C 73 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 225 f. Auch die meisten Politbüromitglieder der KPdSU weilten zu der Zeit im Urlaub. Vgl. Pauer, Prag 1968, 202. 74 So Allinson, Politics, 147; ähnlich vgl. Wolle, Traum, 144 f. 75 Vgl. Karner / Bischof / Wilke / Ruggenthaler, „Prager Frühling“ und seine Niederwerfung, 40. 76 Vgl. Pauer, Prag 1968, 262. Dazu gehörten auch die westlichen kommunistischen Parteien und Länder wie China, Albanien, Rumänien, Jugoslawien. 77 Vgl. ebd., 259 f. ˇ ern k, Josef Smrkovsky´, Frantisˇek Kriegel, Bohumil Sˇimon und 78 Alexander Dubcˇek, Oldrˇich C ˇ SSR, Ludv k Svoboda, versuchte in den ersten Tagen Josef Sˇpacˇek. Selbst der Präsident der C nach der Okkupation vergeblich, etwas über ihren Aufenthalt in Erfahrung zu bringen. Vgl. Pauer, Prag 1968, 254, 283. 79 Vgl. ebd., 217, 243 – 256. 80 Vgl. ebd., 242, 270 – 272. 81 Vgl. ebd., 267. So wurden in das neue Parteipräsidium auch alle verhafteten Politiker gewählt. Vgl. ebd., 269. 82 Vgl. ebd., 263 – 281.

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angenommene Beteiligung deutscher Truppen wurde in Losungen wie ,1938 – 1968‘ versinnbildlicht84. Da die Okkupation zwar militärisch gelungen, politisch jedoch misslungen war, entschied sich Moskau, nun doch wieder mit ˇ zu verhandeln. dem verhafteten Dubcˇek und weiteren Vertretern der KSC Svoboda hatte in Eigenregie beschlossen, nach Moskau zu fahren. Im Verlaufe der Verhandlungen wurden weitere Partei- und Regierungsvertreter nach Moskau einbestellt. Als Ergebnis der Verhandlungen vom 23. bis 26. August, in denen die Reformer halb Vertreter ihres Landes, halb Geiseln blieben, wurde das Moskauer Protokoll unterzeichnet85. In diesem geheim gehaltenen Dokument wurde die Breschnewdoktrin betont, der 14. Parteitag für ungültig erklärt, Änderungen in Kaderfragen sowie die Zügelung der Massenmedien ˇ SSR angemahnt, festgelegt, dass der Antrag bei der UN, die Situation in der C zu behandeln, zurückzuziehen sei und eine etappenweise Zurückziehung der Truppen versprochen, sofern die Bedrohung gebannt sei86. Das Moskauer Protokoll läutete das Ende des Prager Frühlings ein87. Die als ,Normalisierung‘ bezeichnete Rückführung der tschechoslowakischen Gesellschaft in allen ihren Bereichen in einen Zustand von vor 1968 begann schleichend, griff zunächst auf die Politik und dann nach und nach auf alle weiteren gesellschaftlichen Bereiche inklusive der Wirtschaft über88. Die gerade erst erwachte Zivilgesellschaft versuchte, sich gegen eine ,Normalisierung‘ zu stemmen. Mit dem Vertrag über eine dauerhafte Stationierung sowjetischer Truppen Mitte Oktober 1968 war die Machtposition Moskaus jedoch langfristig gesichert89. Nach und nach wurden die Reformkommunisten aus ihren Ämtern und später auch aus der Partei gedrängt. Von Ende 1969 ˇ gesäubert. Sie verlor fast eine halbe Million bis Ende 1970 wurde die KSC Mitglieder, was fast einem Drittel ihrer Stärke entsprach90. Die Selbstverbrennung von Jan Palach am 16. Januar 1969 rüttelte die Gesellschaft vorübergehend noch einmal wach, doch ließ sich die ,Normalisierung‘ nicht mehr

83 Vgl. ebd., 233. Pauer dankt die relativ geringe Opferzahl vor allem den Massenmedien und den Erfolg des zivilen Widerstandes. Vgl. ebd., 277, 279. 84 Vgl. Schmid, Prager Frühling, 16. 85 Vgl. Pauer, Prag 1968, 286. Pauer betont, angesichts der Ungleichheit der Verhandlungspartner sei es gewagt, von Verhandlungen zu sprechen. Vgl. ebd., 313. Regierung, Parlament und Parˇ SSR aus empfohlen, die Verhandlungen abzubrechen. Ebd., teipräsidium hatten daher von der C 314. Nur Kriegel weigerte sich zu unterschreiben, trotz der Erwartung, damit unter Umständen sein Leben zu riskieren. Vgl. ebd., 321 f. 86 Vgl. Pauer, Prag 1968, 329 f. 87 Blehova, Der Fall, 9 f. 88 Zum Verlauf der politischen Normalisierung z. B. ebd., 9 – 39. Zum politischen Beginn, wie der Annullierung des 14. Parteitages vgl. auch Pauer, Prag 1968, 345 – 347, 368 – 374. Bereits am 31. August verloren die ersten Reformer ihre Posten. Vgl. Ebd., 369. 89 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 240, 266. ˇ SSR, 81. 90 Vgl. Sk la, C

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aufhalten91. Auch in der DDR wurde die Verbrennung von Jan Palach erschrocken zur Kenntnis genommen92. ˇ SSR-Bevölkerung der Sieg ihrer Ein letzter Grund zum Feiern war für die C Eishockey-Mannschaft über die Sowjetunion bereits am 21. März und dann ˇ SSR den Weltmeistertitel sinoch einmal am 28. März 1969, welcher der C cherte. Die Tschechoslowaken feierten ausgelassen auch auf den Straßen, wobei antisowjetische Äußerungen nicht unterblieben. Daraufhin geriet Dubcˇek von Seiten der SU derart unter Druck, dass er am 17. April sein Amt an Gustav Hus k abtreten musste93. Danach verloren auch die anderen Reformer schnell ihre Funktionen. Am Jahrestag der Invasion kam es noch einmal zu Demonstrationen im ganzen Land, die nun schon durch die eigene Polizei und Armee brutal niedergeschlagen wurden94. Im September 1969 wurde die Okˇ nachträglich gutgeheißen. Von April 1969 bis Mai kupation seitens der KSC 1971 erfolgte eine massive Säuberungswelle innerhalb der tschechoslowakischen Bevölkerung95. In den Kirchen blieb der Freiraum etwas länger erhalten und erst mit der Absetzung von Erika Kadlecov als Leiterin des Kirchenamtes und der Rückkehr des Hardliners Karel Hru˚za Mitte 1969 wurde nach und nach der vorhergehende Zustand wieder erreicht96. Hauptgegner blieb in der Tschechoslowakei die katholische Kirche. Aber auch die anderen Kirchen wurden von Unterdrückungsmaßnahmen nicht verschont. So verloren in den 1970er Jahren eine Reihe von Pfarrern der EKBB ihre staatliche Lizenz. Es kam zu Verhaftungen, von denen vor allem politisch denkende Pfarrer betroffen waren, die sich der ,Neuen Orientierung‘ zugehörig fühlten, einem eher losen Kreis, der sich als nichtinstitutioneller Freundeskreis verstand97. Unter den Folgen der ,Normalisierung‘ verlor die tschechoslowakische Gesellschaft jegliche Utopievorstellung und damit auch eine Hoffnung auf einen wie auch immer gearteten demokratischen Sozialismus98. Der Prager Frühling war ja nicht nur durch Panzer liquidiert worden, sondern die ursprünglichen Reformer selbst wickelten ihn mit ab, bis zu dem Zeitpunkt, da sie selbst abgewickelt wurden99. 91 Jan Palach war Glied der EKBB. Jakub Trojan beerdigte ihn. Vgl. Benesˇ, Evangelische Kirche, 169. 92 Im Hauptvorstand der CDU allerdings hatte man hierfür nur den Begriff „Selbstverbrennung“ in Gänsefüßchen übrig. Vgl. Protokoll der 3. Sitzung des Präsidiums des Hauptvorstandes am 4. 2. 1969, 3 (ACDP 07-010-236). 93 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 269 f. ˚ ma, „Normalizace“, 133 f. 94 Tu ˇ SSR, 82. Z. B. wurden ein Drittel der Offiziere, 40 % der Journalisten, 40 % leitende 95 Vgl. Sk la, C Wirtschaftsfunktionäre, 9000 Hochschullehrer, 1500 Rundfunkangestellte ausgetauscht. 96 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 755. 97 Kunter, Menschenrechte, 149. 98 Vgl. Danyel, Das andere „1968“, 79. 99 Vgl. Pauer, Was bleibt, 78; auch Blehova, Der Fall, 41 f. Sie betont, dass die Desillusionierung eben nicht allein auf die Truppenpräsenz, sondern auf die zu kompromissbereite Führung

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2. Die Situation der Kirchen in der Tschechoslowakei ˇ SSR früher eingesetzt als in anderen LänDie Entkirchlichung hatte in der C dern. Mit dem nationalen Erwachen im 19. Jahrhundert waren Ereignisse, die vier Jahrhunderte zurücklagen und die zur Verurteilung und Verbrennung von Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil geführt hatten, durch die grundlegenden Arbeiten von Frantisˇek Palacky´ neu interpretiert und ins Bewusstsein gehoben worden. Zum einen wurde dadurch im 19. Jahrhundert nach und nach die katholische Kirche bereits zu einer Mitakteurin bei der Verhinderung einer eigenständigen tschechischen Nation durch die Habsburger Monarchie stilisiert, zum anderen wurde Jan Hus zum Nationalhelden des tschechischen Volkes. Mit dem Erstarken des tschechischen Nationalbewusstseins im 19. Jahrhundert ging daher eine Abkehr vom Katholizismus österreichischer Prägung und eine Suche nach hussitischem Erbe einher. Nach dem I. Weltkrieg entwickelte sich in der entstehenden ersten Republik konsequenterweise eine antikatholische Strömung100. Während des I. Weltkrieges erstarkte eine zunächst innerkatholische Reformbewegung, die sich nach dem I. Weltkrieg von jener abspaltete. Sie bildete eine eigene hussitische Kirche, hatte mit der historischen hussitischen Bewegung jedoch keine organische Verbindung. Forderungen dieser Reformbewegung waren unter anderem die Liturgie in der Muttersprache, die Priesterehe und eine bessere Ausbildung des Klerus. Sie verstand sich als Tschechoslowakische Nationalkirche. Als solche war sie von Staatsnähe geprägt, was sich auch in Zeiten des Sozialismus nicht grundlegend änderte. Von anderthalb Millionen Tschechen, die der katholischen Kirche in der Zeit nach dem I. Weltkrieg den Rücken kehrten, schlossen sich ca. 800 000 dieser neu entstandenen Kirche an. 60 000 wurden protestantisch, andere blieben konfessionslos101. Als nach dem I. Weltkrieg die erste Republik unter Tom sˇ Masaryk gebildet wurde, kam es zu keiner konsequenten Trennung zwischen Staat und Kirche. Die Verfassung von 1920 garantierte die Gewissens- und Glaubensfreiheit. Verschiedene protestantische Kirchen, so Teile der Böhmischen Brüder, der Reformierten und der Lutheraner, schlossen sich 1918 zur Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder zusammen, außerdem flossen ihr ca. 60 000 ehemalige Katholiken zu. Unter der deutschsprachigen Bevölkerung, die mehrheitlich katholisch und kirchlich nach Österreich orientiert und erst nach dem I. Weltkrieg kirchlich selbständig organisiert war, kam es mit der Machtergreifung der NSDAP in den 1930er Jahren zu einer immer stärkeren Orientierung an Deutschland und dem Wunsch nach Anschluss an das zurückging, die immer mehr Boden und Personal abtrat, bis sie selbst die Macht an Hus k abzugeben hatte. 100 Vgl. Gatz, Tschechien, 190. 101 Vgl. ebd., 191. Für Böhmen: 71 %, Mähren 89 %, unter Deutschen 93 % katholisch.

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Deutsche Reich. Dies führte zu vorher nicht gekannten Spannungen in der Bevölkerung. Mit der deutschen Besetzung gerieten auch die Kirchen weiter unter Druck. Während des II. Weltkrieges mussten die tschechischen theologischen Ausbildungsstätten geschlossen werden. Die Orden durften keine neuen Mitglieder aufnehmen. Durch die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem II. Weltkrieg verlor die katholische Kirche etwa ein Viertel ihrer Mitglieder102. Auf eine kurze Entspannung nach dem II. Weltkrieg, folgte bald eine gravierende Verschlechterung der Situation der Kirchen. So enthielt die tschechoslowakische Verfassung, die nach der kommunistischen Machtübernahme vom Februar 1948 im Mai desselben Jahres verabschiedet wurde, nur die persönliche Gewissensfreiheit und sonst keine weiteren Angaben zum StaatsKirchen-Verhältnis103. Auch in der Verfassung von 1960 gab es keine weitergehenden Freiheiten für die Kirche104. Damit standen die Kirchen in der Tschechoslowakei frühzeitig auf verfassungsrechtlich unsicherem Boden, wie er in der DDR erst mit der Verfassung von 1968 geschaffen wurde. Im Oktober ˇ SR durch Kirchengesetze das Verhältnis zwischen Staat und 1949 war in der C Kirche einseitig neu geregelt und durchgesetzt worden105. Zwar wurde 1949 theoretisch die Gleichberechtigung aller Bekenntnisse und die Bekenntnisfreiheit garantiert – die Praxis sah jedoch ganz anders aus. Jede Wahl eines Geistlichen unterlag nun der Genehmigung des Staates, was faktisch dazu führte, dass in der katholischen Kirche fast zwanzig Jahre lang offiziell keine Priester geweiht werden konnten. Das Eigentum der Kirchen, einschließlich der Kirchengebäude und der kirchlichen Institutionen, kontrollierte der Staat. Geistliche waren Staatsangestellte, die einen Treueeid auf den Staat abzulegen hatten, bei Missliebigkeiten wurde die Lizenz zum Predigen entzogen, und die Gehälter lagen weit unter dem Durchschnitt. Keiner durfte ohne Genehmigung in der Nachbargemeinde Gottesdienst vertreten und kirchliche Drucksachen unterlagen der Zensur. Alle kirchlichen Veranstaltungen mit Ausnahme der Gottesdienste waren genehmigungspflichtig. Der St tn fflrˇad pro veˇci cirkevn – das Staatsamt für Kirchenfragen, das über alle kirchlichen Belange entschied, wurde 1949 eingerichtet. Da auch die theologische Ausbildung staatlich kontrolliert wurde, gab es immer weniger Geistliche. Der Religionsunterricht wurde zwar nicht verboten, jedoch erwuchsen den Teilnehmenden und ihren Eltern Nachteile, so dass die Zahlen einbrachen. Einige kleinere Kirchen wurden in den 1950er Jahren verboten, so z. B. die griechisch-katholische Kirche, die zwangsweise in die orthodoxe Kirche eingegliedert

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Vgl. ebd., 196. Vgl. ebd., 198. Sie war im Gegenteil atheistisch angelegt. Vgl. Cuhra, Staat und Kirchen, 568 f. Vgl. ebd., 558.

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wurde106. Erst 1968 konnte die griechisch-katholische Kirche neu gegründet werden, und auch die Adventisten reorganisierten sich107. Von allen diesen staatlichen Maßnahmen war die katholische Kirche am stärksten betroffen108. Als Mehrheitskirche, deren Leitung mit dem Vatikan an der Spitze zum ,imperialistischen‘ Ausland gehörte, war sie stärker im Fokus als die um Vieles kleineren protestantischen Kirchen. So wurden bis Ende 1948 53 katholische Zeitungen und Zeitschriften verboten109. Die noch kirchlichen Schulen wurden verstaatlicht, kirchliches Eigentum eingezogen. Prokommunistische Priester gründeten 1949 die ,Katholische Aktion‘, die auf eine kommunistische Umfunktionierung der gleichnamigen katholischen Laienbewegung und auf eine sozialistische Gleichschaltung der katholischen Kirche zielte110. Sie wurde daraufhin von den Bischöfen in Hirtenschreiben für ungesetzlich erklärt, woraufhin die staatliche Genehmigungspflicht für Hirtenschreiben eingeführt wurde111. Die Erzbischöfe von Olmütz und Prag wurden im Juni 1949 unter Hausarrest gestellt, weil sie sich gegen die offizielle Überwachung ihrer Verwaltung durch staatlich bestellte Beamte wehrten. Der 1949 vom Vatikan ernannte Weihbischof Frantisˇek Tom ˇsek wurde nicht anerkannt. Im Juli wurden daraufhin alle Förderer des Kommunismus von Rom für exkommuniziert erklärt. 1950 wurden die Orden aufgelöst112. Bis 1954 waren – bis auf einen – alle katholischen Bischöfe verstorben oder an der Ausübung ihres Amtes gehindert. In den 1950er Jahren waren noch etwa drei Viertel der Bevölkerung katholisch, dagegen gehörten nur etwa 8 % der hussitischen Kirche, 4 % der slowakischen lutherischen Kirche, etwa 3 % der EKBB und 2 % der griechisch-katholischen Kirche an113. Zusammenfassend ˇ SSR viel weitgehender in ihren lässt sich sagen, dass die Kirchen in der C Rechten beschnitten und viel tiefer einer dauerhaften Einmischung in ihre inneren kirchlichen Angelegenheiten ausgesetzt waren, als es die Kirchen in der DDR jemals erlebten.

106 Vgl. Cuhra, Römisch-katholische Kirche, 163. 107 Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 2 (125) April 1968, 14. Die Neuzulassung der Griechisch-katholischen Kirche absorbierte fast die gesamte Aufmerksamkeit der Orthodoxen Kirche, die damit erhebliche Probleme hatte. Zu den Adventisten vgl. Pisˇkula, Verbot. 108 Eine ausführliche Darstellung bietet Kaplan, Staat und Kirche. 109 Vgl. Gatz, Tschechien, 199. 110 Vgl. Cuhra, Staat und Kirchen, 561. 111 Vgl. Gatz, Tschechien, 200. 112 Männliche betraf dies in Gänze, weibliche wurden in ihrer Tätigkeit massiv eingeschränkt. Vgl. Cuhra, Staat und Kirchen, 578. 113 Schulze Wessel / Z ckert, Handbuch. Anhang, 903. Konfessionsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 1. 3. 1950.

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2.1. Die Kirchen im Jahre 1968 ˇ SSR hatten gelernt, dem Regime gegenüber misstrauisch Die Kirchen in der C zu sein. In ihrer weitgehend gleichgeschalteten Presse lobten die orthodoxe, die reformierte und die slowakisch-lutherische Kirche im Februar 1968 die kommunistische Machtübernahme von 1948114. Andere Kirchen, unter ihnen auch die EKBB, schrieben nichts dazu. Die einfachen Gemeindeglieder der verschiedenen Konfessionen waren ihren Kirchenleitungen voraus und schrieben dagegen im Februar und verstärkt ab März Briefe, Bitten, Petitionen um Religionsfreiheit an ihre Kirchenleitungen und verschiedene Regierungsorgane115. Die Kirchenleitungen begannen nur zögerlich, den Prager Frühlingsgefühlen zu trauen, um ab März 1968 dann in den Ruf ihrer Glieder einzustimmen und verstärkt und selbstbewusster ihre Anliegen bei der Regierung vorzutragen116. So sind in der ersten Ausgabe der Ökumenischen Nachrichten aus der Tschechoslowakei von Januar 1968 – eine der Quellen für Informationen für die Kirchenleitungen in der DDR, wie auch das MfS feststellte – die Veränderungen nicht zu spüren, während die zweite Ausgabe im April und auch die folgenden des Jahrgangs vollständig im Bann der aktuellen Ereignisse des Prager Frühlings standen117. Die Kirchen begannen, den Prager Frühling zu begrüßen und zu unterstützen, gab er ihnen doch endlich wieder Luft zum Atmen und zu eigenständigeren Handlungsweisen118. Im März 1968 wurde eine Petition mit über 22 000 Unterschriften von Laien und Klerusvertretern an Dubcˇek gerichtet, in der um mehr Freiheit für die katholische Kirche gebeten wurde119. Die Organisation der ,Friedenspriester‘ wurde am 21. März 1968 aufgelöst120. Zu den ersten, die sich über die neue politische Entwicklung äußerten, gehörte die EKBB. In einer Erklärung des Synodalrates der EKBB vom 13. März stellte sich dieser hinter die Entwicklung im Land: „Mit tiefem Verständnis und mit Sympathien verfolgen wir die Demokratisierung unseres öffentlichen Lebens. […] Das Demokratisierungsbestreben würde notge114 115 116 117

Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2500 f. Vgl. ebd., 2502. Vgl. Cuhra, Römisch-katholische Kirche, 156 f. Er beschreibt dies für die katholische Kirche. Vgl. Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 1 (124) Januar 1968; und Nr. 2 (125) April 1968. Das MfS ging davon aus, dass bereits vor dem 21. August operativ bearbeitete Berlin-Brandenburgische Kirchenvertreter, „die Ereignisse in der CSSR sowohl unter Nutzung von Gottesdiensten als auch anderen kirchlichen Veranstaltungen begrüßten und ihre Sympathie für die konterrevolutionären Kräfte in der CSSR zum Ausdruck brachten.“ Geholfen hätten dabei die „eingeschleusten ökumenischen Nachrichten“. Einschätzung zur Lage im Verantwortungsbereich der Abteilung XX im Zusammenhang mit der Aktion „Genesung“ vom 14. 10. 1968, 1 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). 118 So Benesˇ, Evangelische Kirche, 158 f. 119 Vgl. Gatz, Tschechien, 209. Die Petition fand ihren Weg auch in den östlichen Teil der EKU (EZA 108/1086). 120 Vgl. Gatz, Tschechien, 210.

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drungen auf halbem Wege bleiben, wenn es nicht auch die Bürger mit christlichem Bekenntnis einschließen würde.“121

Darüber hinaus wurde eine Neuorientierung der Kirchenpolitik weg von reiner Aufsicht hin zu einer Zusammenarbeit in der Gesellschaft und eine Aufhebung der Diskriminierungsmaßnahmen erbeten. Im Frühjahr 1968 gerieten die führenden Vertreter der CFK, Josef Hrom dka und Jaroslav Ondra, die als staatsnah galten, von Seiten ihrer Kirche zunehmend unter Druck122. Hrom dkas Sympathien galten 1968 dem Prager Frühling, nicht jedoch dem Verhalten seiner Kirche. Hrom dka sah in den Petitionen und Aufrufen der EKBB die gefährliche Tendenz, Privilegien zurückhaben zu wollen und so den Prager Frühling nur für den eigenen Vorteil zu nutzen, anstatt wirklich an der neuen Art von Gesellschaft zu bauen, von der er träumte123. Auch die anderen Kirchenleitungen schwenkten im Frühjahr 1968 mehr oder minder abrupt in das Lob für die neue Regierungsweise ein124. Vorsichtiger formulierten Stimmen aus der Tschechoslowakischen Kirche, die die Demokratisierung guthießen und das Selbstbestimmungsrecht der Kirche einforderten „im Interesse eines produktiven Dialogs des Christentums mit dem Marxismus als einer notwendigen Voraussetzung der Zusammenarbeit an den gemeinsamen Aufgaben des Humanismus.“125 Die den kommunistischen Reformkurs begrüßenden Stellungnahmen aus den Kirchenleitungen sollten jedoch nicht vergessen lassen, dass einfache Gemeindeglieder mit diesen Zustimmungen nicht immer einverstanden waren, weil sie aufgrund ihrer Erfahrungen jeglichem Kommunismus eine Absage erteilten126. Aus den Bitten bzw. Forderungen verschiedener Kirchen des Frühjahrs 1968 um Erleichterungen lässt sich erschließen, was die Kirchen am meisten belastete:127 So wünschten sie sich eine Zusammenarbeit mit dem Kirchenamt statt eine reine Aufsicht desselben. Sie wollten die Aufhebung der Diskriminierungsmaßnahmen, ein Selbstbestimmungsrecht für die Kirchen, Religionsfreiheit, die Änderung der Verfassung und der Kirchengesetze, die Anhebung der Pfarrgehälter auf Mittelschullehrerniveau, die Gleichsetzung der theologi-

121 Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 2 (125) April 1968, 1. Frei attestiert der EKBB, durch Hrom dkas Schutz eine günstigere Lage als die anderen Kirchen in ˇ SSR gehabt zu haben. Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2507 f. der C 122 „Von verschiedenen Seiten hört man, Hromadka, Ondra und Cihak kämpften im Augenblick um ihre Haut. Die Kirche sei ihnen gegenüber sehr ablehnend und versuche sie aus ihren Funktionen zu verdrängen.“ Bericht Bassarak Prag 15./16. 5. 1968 vom 17. 5. 1968, 4 (EZA 675/ 108); vgl. auch Frei, Staat und Kirche, 2501. 123 Vgl. Mor e, Unsere Kirchen, 317 f. 124 Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2499 – 2515. 125 Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 2 (125) April 1968, 12. 126 So auch Frei, Staat und Kirche, 2508. 127 Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 2 (125) April 1968, 13 f.

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schen Fakultäten,128 die Rehabilitierung zu Unrecht verurteilter Pfarrer und Laien, die Erlaubnis zu Seelsorge, Katechese, Religionsunterricht und karitativem Dienst der Kirche, keine Beschränkung des Gottesdienstes und die Möglichkeit, Gemeinden je nach Erfordernis einzurichten. ˇ hatte von sich aus die Kirchen kaum im Blick und behandelte die Die KSC Fragen der Kirchenpolitik erstmals Ende März. Sie nahm einen Passus in ihr Aktionsprogramm auf, in welchem sie auch um die Zustimmung der religiösen Bevölkerung warb129. Ende März 1968 wurde der Leiter des staatlichen Kirchenamtes, Karel Hru˚sa, von Erika Kadlecov abgelöst130. Kurz darauf wurde die gesamte Leitung des Prager Kirchensekretariats ausgetauscht. Damit zog vorübergehend ein anderes Klima in das Staat-Kirchen-Verhältnis ein. Zwar wurden die Gesetze nicht geändert, jedoch offener ausgelegt131. Wichtig für die Kirchen waren auch die Rehabilitierungen. Anfang 1968 hatte es noch ca. 1500 katholische Priester ohne staatliche Genehmigung gegeben und auch viele Geistliche in den kleineren Kirchen waren von dieser massiven Einschränkung betroffen. 1968 waren von den 13 bestehenden katholischen Diözesen nur vier mit Bischöfen besetzt, drei katholische Bischöfe befanden sich in Haft, der letzte inhaftierte Priester wurde erst Anfang Juli 1968 entlassen132. Bis zum 21. August veränderte sich die Situation der Kirchen tatsächlich spürbar zum Besseren. 2.2. Nach dem 21. August ˇ SSR in den allgeIm Zuge des 21. August reihten sich die Kirchen in der C genwärtigen Protest der Bevölkerung ein und verurteilten den Einmarsch der fremden Truppen als unrechtmäßige Okkupation ihres Landes. Noch unter dem Eindruck der rollenden Panzer verfassten Glieder des Synodalrates der EKBB am Vormittag des 21. Augusts einen Aufruf, in dem sie um Unterstützung und Fürbitte seitens ihrer ökumenischen Partner in aller Welt baten133. Es war die schärfste Verurteilung von Seiten einer Kirche134. Da Prag bereits besetzt war, versandten sie den Aufruf über ein Postamt, welches außerhalb der Stadt lag. Auch Kurt Scharf, der Bischof von Berlin und stellvertretender 128 Letztendlich wurden die drei in Prag existierenden theologischen Fakultäten (katholisch, hussitisch und evangelisch) erst 1990 in die Karlsuniveristät reinkorporiert. Vgl. Kunsˇt t, Geschichte der Theologie, 806. ˇ dies nicht 129 Vgl. Cuhra, Römisch-katholische Kirche, 158. Cuhra hebt hervor, dass die KSC uneigennützig tat, sondern weil sie Angst hatte, dass ihr sonst kirchliche Vertreter die Initiative abnehmen würden. 130 Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2499; vgl. auch Cuhra, Römisch-katholische Kirche, 159. 131 Vgl. Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 2 (125) April 1968, 15. 132 Vgl. Cuhra, Römisch-katholische Kirche, 155; und Frei, Staat und Kirche, 2503 f. 133 Vgl. „Kirche fordert Abzug der Besatzungstruppen.“ Abschrift epd ZA Nr. 194, 24. 8. 1968 (EZA 102/292). Darin der Aufruf des Synodalrates der EKBB im Wortlaut. 134 Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2514.

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Vorsitzender des Rats der EKD war und der die Okkupation in Prag erlebte, brachte den Aufruf mit in die westliche Welt und sorgte für dessen Verbreitung. Dass Scharf die Verbreitung des Aufrufs von Synodalen der EKBB so aktiv betrieb, wurde ihm in der DDR von staatlicher Seite äußerst übel genommen135. Als er am 22. August zurückkehrte, veranlasste er, dass dieser Aufruf an die Gemeinden von Westberlin ging, mit der Bitte um Verlesung im Gottesdienst und um eine eventuelle Entschließung der Gemeinden. Über 80 Gemeinden folgten seiner Bitte, hunderte Menschen unterschrieben136. Die Kirchenkanzlei der EKD leitete diesen von Scharf übermittelten Aufruf gemeinsam mit einem Aufruf zur Fürbitte am 23. August an alle Gliedkirchen der EKD in der Bundesrepublik weiter137. Scharf ließ dazu noch ausführen, dass der Synodalrat der EKBB die christlichen Kirchen darum gebeten habe, sich zu diesem Aufruf zu bekennen und überall zur Fürbitte aufzurufen. Zwecks einer schnellen Verbreitung wurde der Aufruf ebenso an den Evangelischen Pressedienst weitergeleitet138. Bevor er am 23. August weiter Richtung Genf reiste, gab Scharf noch in Frankfurt / Main eine Pressekonferenz, in welcher er sich bewundernd über den gewaltlosen Widerstand der Prager Bevölkerung äußerte und versicherte, dass jene hinter der Regierung stehe139. Seigewasser beurteilte Scharfs Bemühungen als Versuche zur „Rettung der 135 So auch die Bewertung durch das MfS: „An ihrem Zustandekommen [mehrere Stellungnahmen] war unmittelbar der Westberliner Bischof Scharf […] beteiligt. Scharf ist nicht nur mitverantwortlich für die Abfassung, sondern er veranlasste auch das Verschicken dieser Erklärungen an die Mitgliedskirchen des Weltkirchenrats, insbesondere an die evangelischen Landeskirchen der DDR.“ Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289); ähnlich auch: Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). 136 Vgl. (ELAB 1/380). Alleiniger Inhalt dieser Akte sind Stellungnahmen und Unterschriftenlisten von über 80 Westberliner Gemeinden, einige legten Listen zum Unterschreiben aus, andere stimmten per Handzeichen ab. 137 Brief der Kirchenkanzlei der EKD an die Leitungen der Gliedkirchen der EKD in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) vom 23. 8. 1968, 1 – 3 (ELAB 1/910); vgl. auch Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlussfolgerungen vom 12. 9. 1968, 1 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). Den Aufruf aus der EKBB nannte Seigewasser „angebliche Bitten der Kirchen in der CSSR um brüderlichen Beistand.“ Vermerk über den Inhalt einer politischen Information des Staatssekretärs an die politischen Mitarbeiter am 29. 8. 1968, 1 (BArch DO 4/423). 138 Vgl. „Kirche fordert Abzug der Besatzungstruppen.“ Abschrift epd ZA Nr. 194, 24. 8. 1968 (EZA 102/292). 139 „Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Prag rief Scharf die evangelischen Gemeinden in Deutschland und die Ökumene zur Bekundung der ,Solidarität‘ mit der Bevölkerung und den Christen der Tschechoslowakei und zur ,Fürbitte‘ auf. Scharf erklärte, es sei die Hoffnung der christlichen Kirchen in der CSSR, daß überall in der Welt Sympathiekundgebungen und Fürbittgottesdienste stattfinden.“ Einzel-Information 920/68 vom 27. 8. 1968 über die Haltung von Bischof Scharf / Westberlin zur Situation in der CSSR und seine Verbindung zu Bischof Schönherr / Berlin, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233).

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Konterrevolution“ und äußerte gegenüber dem Ökumenebeauftragten Walter Pabst, jener sei ein „Kriegsberichterstatter“140. Insgesamt wurde dem Westen vorgeworfen, Netze der „Hetze“ und „provokatorische Umtriebe“ zu organisieren141. In dem Aufruf der EKBB wurde beklagt, dass „die Souveränität und Freiheit unserer Republik durch einen Angriff von außen verletzt worden sind.“ Die Mitglieder des Synodalrates stellten sich namentlich hinter die gewählte Regierung ihres Landes, sahen in deren Streben „die Fortsetzung unserer besten nationalen und geistigen Traditionen“, protestierten gegen die Okkupation und verlangten den Rückzug der Armeen. Alle Gemeindeglieder wurden dazu aufgerufen, „auf dem betretenen Weg treu weiterzugehen“ und sich „als Diener der Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Freiheit zu bewähren.“ Die Mitglieder des Synodalrats erinnerten an den gewaltlosen Widerstand in anderen Teilen der Welt, beteten um Glaubensfreiheit und sprachen ihre Hoffnung auf den Sieg der „Wahrheit des Herrn“ aus142. Wie anders sich die Beziehungen zwischen Staat und Kirche 1968 gestaltet hatten, zeigte sich in einem Aufruf an alle Geistlichen und Gläubigen des Landes durch das zu anderer Zeit so gefürchtete Prager Kirchenamt vom 25. August 1968. In diesem Aufruf wurde zunächst auf die Religionsfreiheit abgehoben, die Christen aber gebeten, nicht zu vergessen: „daß Sie als Christen nicht frei sind, wenn Sie nicht als Bürger frei sind.“143 Es wurde gebeten, über alte Differenzen hinweg die Gemeinsamkeiten zu sehen und zu einer klaren Haltung zu finden. Und zwar: „1. Im kompromißlosen, einmütigen Widerstand gegen die schändliche, erniedrigende und widerrechtliche Okkupation. 2. In konsequenter Fortsetzung der demokratischen Linie unserer Politik, wie sie seit Januar formuliert und begonnen ist. 3. In der Treue zu den legalen Organen und Repräsentanten dieses Landes [….].“

Die Christen selbst sollten „standhaft sein, stolz, sich nicht mißbrauchen lassen, mit niemandem und unter keinen Umständen kollaborieren!“ Außerdem sollte denen geholfen werden, die unter den Zuständen am meisten litten, „den Alten, Schwachen, Bedrohten“144. Das Kirchenamt bat, den Menschen zu helfen, Mut und Vertrauen nicht zu verlieren. Trotz aller früheren 140 Vgl. Vermerk über den Inhalt einer politischen Information des Staatssekretärs an die politischen Mitarbeiter am 29. 8. 1968, 1 (BArch DO 4/423); und vgl. Aktenvermerk über eine Unterredung im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 17. 9. 1968, 5 (EZA 102/374). 141 Vgl. Entwurf. Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. 8. 1968 vom 17. 10. 1968, 2 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/5). 142 Brief der Kirchenkanzlei der EKD vom 23. 8. 1968 an die Leitungen der Gliedkirchen der EKD in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West), darin der Aufruf zur Fürbitte, 1 f. (ELAB 1/910). Das MfS sammelte solche Dokumente natürlich auch. Vgl. Abschrift von Abschrift. Aufruf des Synodalrates der EKBB am 21. 8., 1 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 143 Epd Nr. 38/68 Wortlaut der Erklärungen und Stellungnahmen, 9 (ELAB 1/910). Dieser Aufruf war in Abschriften zumindest den Kirchenleitungen in der DDR zugänglich. Z. B. (AKPS, B3 Nr. 472). 144 Epd Nr. 38/68 Wortlaut der Erklärungen und Stellungnahmen, 9 (ELAB 1/910).

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Fehler und Verletzungen der Religionsfreiheit bat die damalige Leitung des Kirchenamtes die Christen um Beteiligung am Widerstand. Neben den allgemeinen Unterstützungsaufrufen zur reformkommunistischen Linie der Regierung wurde aber deutlich, dass das Kirchenamt die vornehmliche Rolle der Christen in der Diakonie sah. Einen Tag später, am 26. August 1968, schrieben die Kirchen aus dem Ökumenischen Rat der Tschechoslowakei und die katholische Kirche eine Botschaft „an die Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb des Landes“, in der sie zum Gebet aufriefen. Sie baten darum, gegen die Okkupation mit „dezenten Erklärungen und Parolen“ zu protestieren, aber nicht zu beleidigen und zu provozieren. Auch hier folgte das Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus: „Wir erklären, daß wir zusammen mit unserer legalen Regierung und der kommunistischen Partei nicht vom Weg unseres demokratischen Sozialismus abweichen werden. Dieser Weg allein führt zur wahren Zukunft der Tschechoslowakei.“ Direkt wandten sie sich an die Mütter der einmarschierten Soldaten, die sie baten, ihren Einfluss auf ihre Söhne einzusetzen, damit diese nicht auf unschuldige Erwachsene und Kinder schössen. Alle Christen, namentlich die der UdSSR, der weiteren sozialistischen Länder und auch aller weiteren Staaten wurden gebeten, sich mit den tschechischen und slowakischen Christen zu solidarisieren: „Vereinigt Euch mit uns in unserem Bemühen – durch Gebet und konkretes Handeln!“145 Am 2. September folgte eine weitere offizielle Botschaft durch den Ökuˇ SSR an alle Christen des Landes146. Unter menischen Rat der Kirchen der C vielen christlichen Worten wurde hier den Gläubigen für ihren gewaltlosen Widerstand gedankt und den verfassungsmäßigen Vertretern des Staates das Vertrauen ausgesprochen. Und wieder bekannten sich die Kirchen zu den Entwicklungen eines demokratischen Sozialismus: „Wir bekennen uns nach unserem christlichen Gewissen zur Verwirklichung der Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und menschlichen Gleichheit im demokratischen Sozialismus. Das ist der Grund unserer Solidarität und Treue zur sozialistischen Ordnung.“147 Mit ihren Botschaften reihten sich die Kirchen auf ihre Weise in den passiven Widerstand der Bevölkerung ein. Nach dem 21. August 1968 wurde der Gesellschaft die Luft zum Atmen ganz allmählich wieder genommen. Da die Kirchen nicht im primären Fokus der sozialistischen Machtpolitik standen, dauerte es hier etwas länger, bis die Reglementierungen wieder auf dem Stand von vor 1968 waren. Die theologische Auseinandersetzung bezog sich im Herbst 1968 immer wieder auf Hus 145 Epd Nr. 38/68, 8 Botschaft an die Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb des Landes (ELAB 1/ 910). ˇ SSR bei den 146 Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2513 f. Frei meinte, dass der Ökumenische Rat in der C Kirchengliedern in keinem hohen Ansehen stand. 147 Die Botschaft gehört zu den Texten, die hektographiert in den Kirchenleitungen zirkulierten und in verschiedenen Archiven aufbewahrt sind. Die Ausgabe Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei Jahrgang XV, Nr. 5 (128) besteht nur aus diesem Aufruf.

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und die hussitische Zeit148. Jakub Trojan stellte in einem Artikel des Wochenblattes der EKBB Kostnick jiskry vom 16. Oktober 1968 den gewaltlosen Widerstand seines Volkes in eine Reihe mit der Bewegung von Martin Luther King in den USA. Auch er bezog sich auf Hus, darauf, dass „die Wahrheit über allem steht“ und daneben auf das biblische Beispiel von David und Goliath149. Die Frage nach dem Spezifischen von Tschechen und Slowaken für die Völkergemeinschaft beantwortete Trojan mit dem Rückbezug auf Hus: „Heute wissen wir und staunen darüber, weil wir nicht mehr an Wunder glauben, daß wir seit Hus und der Reformation bis in die neuzeitliche Geschichte mit dieser unveräußerlichen Botschaft über die grundsätzliche Bedeutung der Wahrheit und Gerechtigkeit für das Leben des Einzelnen und der Völker durch die Geschichte schreiten.“150

Der Schlachtruf der Hussiten „veritas vincit“ wurde so zur Hoffnung in der Not: Am Ende wird die Wahrheit siegen, egal, was gerade passiert. Auch eine Erklärung des Pfarrerbundes der EKBB, der nichts mit dem Pfarrerbund in der DDR gemeinsam hatte und 1972 verboten wurde, suchte nach Deutung in der aussichtlosen Situation des eigenen Volkes. Der Leidensweg Jesu war ein Bezugspunkt: „Wir versuchen nun wieder aufs Neue, den Sinn unserer Geschichte, in der immer wieder die wehrlose Wahrheit durch physische Macht überwältigt, gekreuzigt und likvidiert [sic!] wurde und doch wieder neu sich erhob und siegte, zu klären. Im Lichte des Evangeliums sehen wir darin etwas Grundlegendes im Wege Jesu Christi, der ja als der Weg der Machtlosigkeit zugleich ein Weg der Hoffnung ist und sogar für diejenigen, die noch auf uralte Weise und Kraft der Waffen vertrauen.“

Gleichzeitig wurde der demokratische Sozialismus hochgehalten, „dessen Programm es fertigbrachte, unsere Nationen und Freunde in vielen Ländern, die sich oft mit persönlichem Risiko mit unserem Weg solidarisch erklärten, neu zu inspirieren.“ Zu einem weiteren Bezugspunkt wurde auch hier die Tradition: „Mit Freude stellen wir fest, daß in ihr [der Bevölkerung] die besten Traditionen unserer Geschichte, in denen es um soziale, politische und religiöse Freiheit für Jedermann ging, wieder erwachen. […] In der Konzeption von Johannes Hus und J.A. Comenius ist die Wahrheit ein Appell, sich der Gerechtigkeit anzunehmen und um die Erneuerung aller menschlichen Dinge sich zu bemühen. […] Wir sind auch in der Realisation des Vermächtnisses T.G. Masaryks nicht weitergekommen, nämlich in 148 Weitere wichtige historische Bezugspunkte waren die Theologen Jan Amos Comenius und Petr Chelcˇicky´. Vgl. Benesˇ, Evangelische Kirche, 160. 149 Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 6 – 7 (129 – 130) September – Oktober 1968, Aus dem Aufsatz des evang. Pfarrers J. S. Trojan in dem Wochenblatt Kostnick jiskry vom 16. 10. 1968. 150 Ebd.

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der Überwindung religiöser Lauheit und in dem Versuch[,] das Evangelium neu auszudrücken.“

Nach dieser Einleitung wurden die brennendsten Probleme in vier Punkten zusammengefasst: die unbedingt zu achtende Souveränität jeder Nation, die Unnatürlichkeit, dass fremde Truppen anwesend sind, was deprimierend sei und die Nachjanuarpolitik gefährde, der weiterhin nötige „Zugang zu unretuschierten Informationen, Ablösung kompromittierter und unfähiger Personen, Rehabilitierung, neue Wirtschaftsreform, Betriebsräte, Versammlungsfreiheit, aktive Mitarbeit an der Gestaltung der Politik […] Gleichberechtigung der Christen in der Gesellschaft, Dialog zwischen Christen und Marxisten usw.“

sowie die Föderalisierung zwischen Tschechen und Slowaken. Abschließend erklärte der Pfarrerbund, indem auch er sich auf die hussitische Tradition berief: „Die Wahrheit des Herrn wird siegen, auch wenn sie zeitweise unterdrückt wird.“151 Noch im Februar 1969 stellte sich die Synode der EKBB hinter die Ereignisse des Prager Frühlings. Die Erklärung reflektierte die aktuelle Situation der beginnenden ,Normalisierung.‘ Durch diese drohe von innen die Gefahr von „Halbwahrheiten“, von außen „Gewaltandrohung“.152 Sie betonte die Tapferkeit sowie wiederum den Bezug zu Wahrheitssuche und die Einigkeit des Volkes nach dem 21. August in dessen gewaltlosem Widerstand. Noch einmal sprach sie sich klar für die Entwicklungen in der ersten Hälfte des Jahres 1968 aus. In den Jahren davor seien dagegen im Namen des Sozialismus Taten begangen worden, „die in verschiedenen Formen gegen die Fundamente der Menschlichkeit gerichtet waren.“ Der Einmarsch wurde als nicht zu rechtfertigen und als gefühlloses Eingreifen von außen bezeichnet. Beklagt wurde, dass „die Wahrheit aufhört zu sein“ und die Dinge nicht mehr bei ihrem wahren Namen benannt werden könnten. „Es ist erschütternd, was einige für brüderliche Hilfe halten, was für manche Unrecht und Verletzung heißt.“ Beklagt wurde die allerorts spürbare Resignation. Dagegen rief die Synode in der Hoffnung der befreienden Gnade Christi dazu auf, niemals aufzuhören „die Dinge so zu sehen, wie sie tatsächlich sind. Wir dürfen niemals aufhören, zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden.“ Im letzten Abschnitt wurde trotz allem erklärt, dass die Versöhnung in Christus allen Menschen gelte, auch denen der okkupierenden Länder, sie sei „aber nur in der Wahrheit möglich und in der freien Suche der gleichberechtigten Partner nach Wahrheit.“153 In dieser Erklärung wurde der Schmerz über die Okku151 Vgl. Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 8 (131) Dezember 1968, Evangelische Pfarrer zur heutigen Lage, 53 – 55. 152 Eine deutsche Übersetzung dieser Erklärung wurde nur im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Kirche gefunden. Vgl. Synode an das Volk (ELAB 1/910). Auf Tschechisch ist sie veröffentlicht: Synod sv mu n rodu, Krˇestˇansk revue Februar 1969, 26. 153 Ebd.

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pation deutlich, den die große Mehrheit der Tschechen und Slowaken teilte, sowie der Rückbezug auf Hus. Gleichzeitig wurde die sich bemerkbar machende ,Normalisierung‘ beklagt und als Unrecht verworfen. Es war der letzte offene Protest seitens eines kirchenleitenden Gremiums154. In der Folgezeit wurde dieser Standpunkt nicht durchgehalten155. Mit der Rückkehr Hru˚zas als Leiter des Kirchenamtes im Sommer 1969 wurden die Zugeständnisse für die Kirchen nach und nach wieder zurückgenommen156. Die ,Friedenspriester‘ gründeten sich im August 1970 neu unter dem Namen ,Pacem in terris‘. Wieder konnten keine Priester geweiht werden. Die katholische Kirche spaltete sich in eine offizielle Seite und eine Untergrundkirche, in der zwischen 1950 und 1989 etwa 40 Geheimbischöfe und zwischen 200 und 600 Geheimpriester geweiht wurden, unter denen sich nicht nur Verheiratete, sondern sogar Frauen befanden157. Auch die Orden wurden wieder in die faktische Illegalität gedrängt158. 1972 verschärfte sich die staatliche Kirchenpolitik weiter, indem die kirchlichen Kinder- und Jugendcamps verboten und der Pfarrerbund der EKBB, der eine wichtige Kommunikationsmöglichkeit der Pfarrer untereinander bildete, aufgelöst wurde159. Wieder verloren mehrere Pfarrer ihre staatliche Lizenz. So war spätestens 1972 der Zustand von vor 1968 wieder hergestellt worden und er verschlechterte sich sogar noch weiter160. Die DDR wurde aus dieser Perspektive wieder als ein Land gesehen, in welchem die Kirchen viel mehr Freiheiten genossen, beinahe als ein „Paradies“161. Dennoch hatte die kurze Verschnaufpause des Prager ˇ SSR geholfen, zu überleben162. Frühlings den Kirchen in der C 1977 entstand die Charta 77. Auch katholische und evangelische Pfarrer unterschrieben, ebenso christliche Laien. In ihrem menschenrechtlichen Engagement wurden sie weder von ihren Kirchenleitungen noch von der internationalen Ökumene unterstützt – auch nicht von Kirchen in der DDR163. 154 155 156 157 158 159 160

Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2514. Vgl. Benesˇ, Evangelische Kirche, 156. So Cuhra, Römisch-katholische Kirche, 170. Vgl. Gatz, Tschechien, 220. Dies führte nach 1989 zu nicht unerheblichen Problemen. Vgl. Cuhra, Staat und Kirchen, 579. Vgl. Kunter, Menschenrechte, 150. Eindrücklich beschreibt eine Petition von 31 Mitgliedern der EKBB an die Tschechoslowakiˇ SSR. Vgl. sche Bundesversammlung vom Mai 1977 die bedrückende Lage der Kirchen in der C ˇ SSR, Lage der evangelischen Kirche der böhmischen Brüder, 7 – 12. C 161 So äußerten sich 2009 in Leipzig bei den Theologischen Tagen sowohl der damalige Dekan Prudky´, als auch Benesˇ in Podiumsdiskussionen. 162 Die kurze Verschnaufpause zur Regeneration für die Kirchen zählt Cuhra sogar zu den wichtigsten Aspekten des Prager Frühlings. Vgl. Cuhra, Römisch-katholische Kirche, 170. Verschiedene Kirchen meldeten z. B. im Herbst 1968 in die Höhe schnellende Zahlen von angemeldeten Kindern zum Religionsunterricht, die EKBB um fast 400 %. Vgl. Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 8 (131) Dezember 1968, 59. So auch die slowakische evangelische Kirche, vgl. Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 6 – 7 (129 – 130) September – Oktober 1968, 45. 163 Vgl. Kunter, Menschenrechte, 165; dies., Zurück nach Europa, 153.

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Die Kirchenleitung gab dem erhöhten Druck seitens der Machthabenden ˇ änderte sich auch nicht mit der Regierung nach. Der politische Kurs der KSC Gorbatschows 1985. Aber in den Kirchen begann sich nun doch Widerstand zu regen. 1985 verurteilte die EKBB erstmals die Verhaftung eines Pfarrers. Im Dezember 1987 initiierten katholische Laien eine Petition zur Einhaltung der Religionsfreiheit. Sie wurde von über 500 000 Katholiken, Protestanten und Juden unterzeichnet164. Erst im Sommer 1989 konnten vier seit Jahrzehnten vakante Bischofsitze der katholischen Kirche wieder besetzt werden165. Am 12. November 1989 sprach Papst Johannes Paul II. Agnes von Böhmen heilig166. Als Kardinal Tom sˇek am 21. November aus Rom zurückkehrte, rief er die Katholiken auf, sich der Protestbewegung anzuschließen, die am 17. November als Samtene Revolution begonnen hatte167. Am 22. November traten V clav Havel, Alexander Dubcˇek und Kardinal Tom ˇsek gemeinsam für das Bürgerforum auf dem Balkon des Wenzelsplatzes auf. Erst Anfang 1990 wurde aus dem Gesetz von 1949 die staatliche Zustimmung zur Ausübung geistlicher Tätigkeit und der Treueid abgeschafft und in der Verfassung von 1993 die Gedanken, Gewissens- und religiöse Bekenntnisfreiheit garantiert168.

3. Die Beziehungen zwischen den Landeskirchen in der DDR und der EKBB Offizielle Beziehungen und Kontakte zwischen den beiden sozialistischen Nachbarn wurden in den 1950er und 1960er Jahren auf vielen gesellschaftlichen Ebenen, wie den Parteien, aber auch im künstlerischen Bereich, in den Betrieben oder Massenorganisationen geknüpft169. Diese kühlten sich jedoch bereits ab Mitte der 1960er Jahre vor allem wegen ideologischer Differenzen spürbar ab170. Die tschechoslowakische Seite fühlte sich von Seiten der DDR – nicht nur auf Parteiebene, sondern bei ganz verschiedenen gesellschaftlichen Begegnungen – gemaßregelt, von oben herab behandelt, bevormundet171. Hin und wieder versuchten Tschechen und Slowaken über z. B. betriebliche Verbindungen ihren Partnern Prager Ideen nahezubringen oder sie nach dem 164 165 166 167 168 169

Ebd., 154. Ebd., 153. Vgl. Cuhra, Staat und Kirchen, 613 f. Vgl. Kunter, Zurück nach Europa, 155. Ebd., 157. ˇ und SED vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit; ZimmerZu den Beziehungen zwischen KSC mann, Sozialistische Freundschaft; und Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“. 170 Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 103, 148, 153 – 155, 161 f. Schwarz beschreibt dies neben dem politischen, auch für den kulturellen und wissenschaftlichen Bereich. 171 Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 149.

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21. August zu Stellungnahmen bzw. Protest aufzufordern172. Doch was staatlicherseits über Jahre an Kontakten, Beziehungen und Freundschaften aufgebaut worden war, zerbrach im Zuge des 21. August und kam weitgehend zum Erliegen173. Im Folgenden soll der Fokus jedoch auf die sich aufbauenden ˇ SSR und in der DDR gerichtet werKontakte zwischen Protestanten in der C den. Die katholische Kirche unterhielt viele eigene Beziehungen zur Nachbarkirche, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann174.

3.1. Kontaktaufnahme und -aufbau in den 1950ern Nach dem II. Weltkrieg war es zunächst sehr schwierig, Verbindungen zu knüpfen175. Jede der Kirchen hatte mit den Auswirkungen des Krieges und mit dem beginnenden Aufbau sozialistischer Strukturen zu kämpfen, wobei die Zwischenzeit, bis zur Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1948, sich ˇ SR wurden durch relative Freiheit für die Kirchen auszeichnete176. Aus der C etwa 3 Millionen Deutsche vertrieben. Die meisten waren katholisch, doch mussten auch ca. 150 000 Protestanten, die meistenteils der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Schlesien und Mähren angehörten, ihre Heimat verlassen177. Bereits 1945 meldeten die EKBB, aber auch die Tschechoslowakische Kirche Ansprüche auf das zurückbleibende Vermögen an178. Offizielle Verhandlungen wurden mit der EKBB geführt. Doch fiel das Vermögen per Gesetz im Mai 1948 an den Staat179. Viele Kirchengebäude konnten von der Tschechoslowakischen Kirche genutzt werden. Zurückbleibende evangelische Deutsche schlossen sich der EKBB an180. Krieg und Vertreibung hatten auf beiden Seiten, sowohl in der Tschechoslowakei, als auch in beiden Teilen Deutschlands in der Bevölkerung zu tiefen Verletzungen und Ressentiments geführt181. In den 1950ern kämpften beide sozialistische Bruderländer um eine Imageverbesserung bei dem jeweils anderen, die sich jedoch erst mit 172 Z. B. Information 367/68 Reaktionen auf die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 24. 8. 1968, 6 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069 ebenso Nr. 7106); vgl. auch Zimmermann, Sozialistische Freundschaft, 436. 173 So auch Ivanicˇkov , Krise der Beziehungen, 283. Zum Zerbrechen allen Vertrauens vgl. auch ˇ SSR, 12. Zimmermann, Sozialistische Freundschaft, 438 – 446; und Schwarz, DDR und C 174 Einiges dazu bei Sch fer, Katholische Kirche, z. B. 222, 242, 283. 175 Vgl. zu diesem Unterkapitel auch Ruthendorf-Przewoski, Echo von Prag. 176 Vgl. Z ckert, Religion und Kirchen, 502 f. 177 Vgl. Bendel, Kirchliche Vergemeinschaftung, 870. 178 Vgl. Heinke-Probst, Deutsche Evangelische Kirche, 185; und Z ckert, Religion und Kirchen, 537 f. 179 Vgl. Heinke-Probst, Deutsche Evangelische Kirche, 186. 180 Vgl. Z ckert, Religion und Kirchen, 519. 181 Anschaulich beschreibt Zimmermann die Situation in den 1950er und 1960er Jahren aus tschechoslowakischer Sicht, aber auch von DDR-Seite aus. Vgl. Zimmermann, Sozialistische Freundschaft, 177 – 194.

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der Verselbstständigung von privaten Kontakten in den 1960ern allmählich durchsetzte. Solche waren von der SED nicht gern gesehen, weil sie sich zunehmend ihrer Kontrolle entzogen und zu Einfallstoren für die Ideen einer Demokratisierung wurden182. Im besetzten Deutschland war mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 die Grundlage und Voraussetzung dafür gegeben worden, dass die deutschen evangelischen Kirchen wieder ökumenische Beziehungen aufbauen konnten, und es war ein Grundstein für den Weg zur Versöhnung gelegt worden. Ende der 1940er bis in die 1950er hinein war es Theologen aus der ˇ SR kaum möglich, das Land zu verlassen. Eine Ausnahme bildete Josef C Hrom dka183. Zum einen war er international bekannt, zum anderen plädierte er dafür, den Osten ernst zu nehmen und, nachdem die westlichen Demokratien im Münchner Abkommen versagt hatten, nun die Hoffnungen auf die Sowjetunion zu setzen184. 1948 hielt er eines der Hauptreferate auf der Gründungsversammlung des ÖRK in Amsterdam in Auseinandersetzung mit John Foster Dulles185. Seine positive Stellung zum Sozialismus brachte ihm auf westlicher Seite Kritik und Misstrauen ein. 1957 wurde ihm der Lenin-Preis verliehen. Aber auch Hrom dkas Ausreisemöglichkeiten waren bis Mitte der 1950er Jahre eng begrenzt186. Ausgesprochene Einladungen zu Synoden der EKD oder zu Kirchentagen konnten von der EKBB nicht wahrgenommen werden, da es Ein- bzw. Ausreisebeschränkungen gab187. Dies änderte sich erst ab Mitte der 1950er Jahre, als die Staatskirchenpolitik nach dem Tod von Stalin zum einen begann, weniger repressiv zu sein, zum anderen entdeckte, dass man die kirchlichen weltweiten Netzwerke gut für die eigene Propaganda nutzen konnte188. Am Anfang stand ein einwöchiger Besuch Martin Niemöllers im Frühjahr 1954 in der Prager Evangelischen Fakultät189. Niemöllers Engagement im Weltfriedensrat oder sein Besuch in Moskau zwei Jahre zuvor waren in der westdeutschen Öffentlichkeit umstritten, doch kam ihm sein Ruf, ,links‘ zu sein, und seine Opposition zur Politik Adenauers zugute190. Er konnte nach Prag fahren, auch weil der tschechoslowakische Staat die Kontakte der Kirchen zu engagierten Laien, die gleichzeitig bundesdeutsche Politiker waren, mit182 Vgl. ebd., 411. 183 Zur Biographie Hrom dkas vgl. Neum rker, Hrom dka, 33 – 144. 184 Hrom dka stand mit dieser Einschätzung nicht allein da. Das als Verrat des Westens an den Tschechoslowaken empfundene Münchner Abkommen schien eine Ausrichtung auf die UdSSR auch für Politiker wie Edvard Benesˇ unvermeidlich zu machen. Vgl. Brenner, München, 188 f. 185 Vgl. Mor e, Unsere Kirchen, 309 f. Beide Vorträge in: Studienkommission des Oekumenischen Rates in Genf, internationale Unordnung, 85 – 167. 186 Vgl. Mor e, Unsere Kirchen, 309 f. 187 Z. B. Einladungen zur EKD Synode 1951, 1952 und 1954, zum Kirchentag 1951 und 1953 sowie ˇ CE/ Karton XXVI 7). verschiedene Anträge für das Prager Kirchenamt (Archiv C 188 Vgl. Mor e, Unsere Kirchen, 310; auch Pisˇkula, Conception, 260. 189 Vgl. Tschechisch-deutsche Arbeitsgruppe, Der trennende Zaun, 48. 190 Vgl. Greschat, Feind dieses Staates, 352 f.; und Pisˇkula, Conception, 262.

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nutzen wollte191. Im Sommer des gleichen Jahres bekamen der Neutestamentler Josef Soucˇek und das Laienmitglied des Synodalrates Alois Sklenarˇ die Ausreisebewilligung zum letzten gesamtdeutschen Kirchentag in Leipzig192. Dort trafen sie mit Kirchenvertretern wie Otto Dibelius oder Martin Niemöller, aber auch mit Emil Fuchs zusammen. Darüber hinaus fühlten sie sich freundlich und herzlich aufgenommen und berichteten zu Hause, dass sie bei den Deutschen weder nationalsozialistische Abneigung noch Stolz vorgefunden hätten: „Es erscheint uns, daß sich in dieser Richtung in der Tat etwas wesentlich verändert hat.“193 Und auch die Beobachtung, „daß die Befreiung von nationalen Vorurteilen bei unseren Brüdern in Deutschland kräftige Fortschritte gemacht hat“, ließ Soucˇek zu der Überzeugung gelangen, dass weitere ökumenische Beziehungen sehr wünschenswert seien194. Sein Wunsch ging bald in Erfüllung und er konnte im darauf folgenden März für eine Woche in die BRD zur EKD-Synode reisen. Während seiner Reise traf er zudem in Bonn unter anderem mit Helmut Gollwitzer, Hans Joachim Iwand und Wilhelm Schneemelcher zusammen195. Die Kontakte, die Soucˇek in Bonn geknüpft hatte, entwickelten sich weiter. Schwierig blieb, dass nur als ,fortˇ SR ausreisen und missliebige schrittlich‘ geltende Kirchenvertreter aus der C 196 westliche nicht einreisen durften . Daher sticht ins Auge, dass 1955 erstmals eine offizielle Delegation der EKD in die Tschechoslowakei fahren konnte. Die neun Teilnehmer stammten nicht nur aus beiden Teilen Deutschlands, es waren auch Personen darunter, deren Haltung durch die sozialistischen Kirchenämter alles andere als fortschrittlich eingestuft wurde, wie Otto Dibelius oder Johannes Hamel, der erst 1953 in der DDR verhaftet worden war197. Im Herbst des gleichen Jahres erfolgte der offizielle Gegenbesuch und von da an ergingen regelmäßig Einladungen zu wichtigen kirchlichen Ereignissen auf beiden Seiten198. Die offiziellen Beziehungen führten in den folgenden Jahren 191 Diese seien der einzige Weg zu direkten Kontakten mit westdeutschen Politikern. Vgl. ebd., 265. 192 Vgl. Ruthendorf-Przewoski, Echo von Prag, 77. 193 Bericht Soucˇeks an den Synodalrat der EKBB über den Kirchentag in Leipzig, 2. Übersetzung ˇ CE/ Karton XXVI 7). aus dem Original (Archiv C 194 Ebd., 3. 195 Bericht Soucˇeks über die Synode der EKD in Espelkamp und über weitere Besuche in ˇ CE/ Karton XXVI 7). Deutschland (Archiv C 196 Dies betraf z. B. Hans Lilije. Lindemann nennt Heinrich Vogel, Helmut Gollwitzer sowie Martin ˇ SR besuchen konnten. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 659. Niemöller, die 1957 die C 197 Weitere Teilnehmer waren Gustav Heinemann auf westlicher Seite, sowie OKR Erich Graudehin, damals leitender Jurist der (Ost-) Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD und Geschäftsführer des deutsch-tschechischen Konvents. Über den Besuch berichtete auch das Presseorgan der CDU-Ost, die „Neue Zeit“ Nr. 94, 23. 4. 1955, 3, ohne Dibelius oder Heinemann namentlich zu erwähnen. Als einziger westlicher Vertreter wird beiläufig ohne nähere Erklärung Wilhelm Niesel aufgezählt, damals Professor für Systematik in Wuppertal und unter anderem Mitglied im Rat der EKD. 198 Verschiedene Einladungen, Zusagen, Danksagungen etc. aus den Jahren 1955 – 65 (Archiv ˇ CE/ Karton XXVI 7). C

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zu Kontakten zwischen einzelnen Landeskirchen und kirchlichen Werken. Die ˇ SSR waren auf Hilfe von Seiten der EKD und Kirchen in der DDR wie in der C der kirchlichen Werke in Westdeutschland angewiesen. Nach dem Bau der Mauer 1961 und der damit einhergehenden Eingrenzung der Bewegungsmöglichkeiten versuchte die SED für ihre Bevölkerung, stattdessen die Reisemöglichkeiten in den Osten zu erweitern. Daher verhandelten ˇ SSR ab 1962 über Erweiterungen des die Außenministerien der DDR und der C Touristenverkehrs199. 1963 wurde die Visapflicht abgeschafft und bis 1968 ˇ SSR rasant an200. Mit der Verstiegen die Reisen von DDR-Bürgern in die C ˇ SSR konnten die Kontakte von einfachung der Einreisebestimmungen in die C den offiziellen Ebenen in die Gemeinden getragen werden bzw. konnten sie sich unabhängig davon aufbauen lassen. Die Verständigungssprache war in der Regel Deutsch, das viele tschechische und slowakische Theologen fließend sprachen und schrieben. Als die Kontakte nicht mehr auf offizielle Ebenen beschränkt waren und private Kontakte zwischen einfachen Gemeindegliedern geknüpft wurden, begannen auch Christinnen und Christen aus DDR Tschechisch zu lernen, teils aus Interesse, teils um ihren guten Willen zu zeigen, allerdings mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Bis auf wenige Ausnahmen blieb die Verständigungssprache Deutsch201. Einen Sonderfall bilden die sorbischen Gemeinden, die aufgrund ihrer eigenen westslawischen Muttersprache keine Schwierigkeiten hatten, mit den Nachbarn in Kontakt zu treten oder tschechische Medien zur Informationsbeschaffung zu nutzen202. Der Versuch des evangelischen sorbischen Superintendenten Gerhard Wirth, im Juli 1968 etwas über die kirchlichen Anliegen Dubcˇeks in der sorbischen Kirchenzeitung Pomhay Boy zu veröffentlichen, scheiterte natürlich. Der Domowina-Verlag lehnte ab und sandte den Text an das ZK der SED203. Im

199 Vgl. Trutkowski, Ostblock, 81 f. 200 Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 197. 201 Ein Zeitzeuge berichtete, dass er in den 1960ern mit Erfolg Tschechisch lernte, um an Informationen zu gelangen. Vgl. Fragebogen 14. Im Besitz der Verfasserin. So erfolgreich waren nur wenige. Wichtige Dokumente wurden daher auf Deutsch zugänglich gemacht, wie z. B. der Brief Hrom dkas an den sowjetischen Botschafter, der sich auch in Privatbesitz befindet und laut Zeitzeugenberichten unter der Hand weitergegeben wurde. Vgl. PB Große und Hintergrundgespräch mit Ludwig Große am 17. 8. 2009. 202 Ein eindrückliches allgemeinhistorisches Beispiel dafür bildet das veröffentlichte Tagebuch des Leipziger Historikers sorbischer Nationalität Hartmut Zwahr. Er notierte, dass Sorben in jenen Tagen allgemein als Übersetzer gefragt waren. Vgl. Zwahr, Die erfrorenen Flügel, 84. 203 Wirth wollte dazu schreiben: „Wir wünschen unseren christlichen, slawischen Brüdern in der CSSR, daß sich aus diesem politischen Frühling 1968 in ihrem Land eine bessere Zukunft entwickeln möge, als es die vergangenen zwanzig grausamen Jahre waren. Der Geist des Bischofsbriefes an den Ersten Sekretär der KPC erscheint uns dazu berufen zu sein, gemeinsames Bemühen der Christen und Nichtchristen für eine bessere, anständigere, friedliche Zukunft zu dienen.“ Die Aktivität der evangelischen Kirche hinsichtlich der Entwicklung in der CSSR vom 20. 8. 1968, 2 (BStU, MfS, BV Dresden, AKG, Nr. 7549).

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Umkehrschluss lehnten nach dem 21. August ein großer Teil der Sorben sowie die Pfarrer im Bezirk Bautzen die ,Hilfsmaßnahmen‘ ab204. Die kurze Zeit der Öffnung in den 1960er Jahren nutzten beide Seiten dazu, ihre Beziehungen zu intensivieren. Die Wege der Kontaktsuche und -aufnahme waren dabei so vielfältig wie die Phantasie und Findigkeit von Menschen, die einander ohne moderne Kommunikationsmittel zu finden trachteten. Es sollen hier nur einige der gängigen Varianten dargestellt werden205.

3.2. Kontakte durch Reisen Ein Weg war das Reisen. Bereits 1967 fuhren etwa 1,3 Millionen DDR-Bürger ˇ SSR und etwa halb so viele Tschechen und Slowaken in die DDR206. in die C Beliebtes Ziel war die Ostsee, wo es auch evangelische Erholungsheime gab207. Am Ostseestrand kam man miteinander ins Gespräch208. Die Kirchen versuchten sich gegenseitig zu unterstützen. In zwei Erholungsheimen der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder wurde seit 1958 jeden Sommer tschechischen und ostdeutschen Pfarrfamilien ein je zweiwöchiger gemeinsamer Urlaub ermöglicht. Solche gegenseitigen Urlaubsreisen wurden nach kurzer Unterbrechung ab Anfang der 1970er Jahre wieder möglich209. Ein sächsischer Pfarrer berichtete, dass seine Landeskirche Mitte der 1960er Jahre angefragt habe, wer eine Pfarrfamilie für einen Erholungsurlaub aufnehmen könnte. Seine Familie sagte zu und aus dem Urlaub entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den Pfarrfamilien210. Walter Pabst, Ökumenebeauftragter der evangelischen Bischöfe seit 1964, lernte in seinem Urlaub in J nsk L zneˇ 1966 einige dortige Amtsbrüder kennen und bat nun seinerseits die 204 Vgl. Wenzke, Sachsen, 109. 205 Als Quellen dienen im Folgenden auch Berichte von Zeitzeugen. Ein Zeitzeuge gab an, seit 1963 zu verschiedenen Pfarrern der EKBB Kontakt zu haben. Unter anderen gab es „wechselseitige Besuche, gemeinsame Gottesdienste, Jungendrüstzeiten, Familien- und Gemeindepartnerschaften!“ Fragebogen 21. Im Besitz der Verfasserin. 206 Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 286; und Zimmermann, Sozialistische Freundschaft, 386. 207 So waren elf Tschechoslowaken im Sommer 1967 auf Urlaub im evangelischen Zingsthof an der Ostsee. Vgl. Brief an Pabst vom 21. 9. 1967 (EZA 102/292). 1968 musste eine Pfarrfamilie aus ˇ SSR zurückkehren. dem Seebad Heringsdorf auf Usedom ihren Urlaub abbrechen und in die C Vgl. Information 370/68, 25. 8. 1968, 5 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069) In Heringsdorf machten auch tschechoslowakische Parteifunktionäre Urlaub. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 143. 208 Hintergrundgespräch mit Christoph Schmidt am 6. 8. 2005. Er erzählte, mit einem zufällig ˇ SSR mehr als hundert Meter in die Ostsee hineingelaufen zu kennen gelernten Arzt aus der C sein, um sich dort im Sommer 1968 ohne Angst vor unliebsamen Mithörern über die Situation im Nachbarland unterhalten zu können. Diese Angst war durchaus nicht unbegründet, da das MfS Tschechoslowaken, die ihren Urlaub 1968 an der Ostsee verbrachten, besonders observierte. Vgl. Trutkowski, Ostblock, 108. 209 Vgl. verschiedene Anfragen (EZA 102/292 und EZA 108/1849). 210 Email eines sächsischen Pfarrers an die Verfasserin vom 7. 9. 2011.

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Thüringer Landeskirche, in umgekehrter Form diesen Pfarrfamilien einen Urlaub in Thüringen zu ermöglichen211. Die zustimmende Antwort traf wenige Tage später ein: „Im vergangenen Jahr hatten wir 25 Gäste dieser Art in unseren Eisenacher Erholungsheimen. Ich halte das für einen wichtigen Dienst im Rahmen der oekumenischen Diakonie unserer Kirche.“212 Zum Dank wurde wiederum Pabst in Gemeinden der EKBB eingeladen, die er im Anschluss an die III. ACFV in Prag 1968 besuchte213. Dieser Besuch ermöglichte Pabst direkten Einblick in die Erleichterungen für die Kirchen auf Gemeindeebene, die er in einem Bericht so an die leitenden kirchlichen Verantwortungsträger weitergab214. Bei der weiteren Organisation half in der Regel auf tschechischer Seite Jirˇ Otter215. ˇ SSR reisen wollte, dem half Wer von offizieller kirchlicher Seite in die C Pabst nach Möglichkeit bei der Organisation von Einreisegenehmigungen, der Herstellung von Kontakten, Übernachtungen etc216. Je offizieller ein Besuch war, desto mehr war zu beachten. So konnte Ingo Braecklein im Juli 1967 an ˇ esky Te˘ˇs n teilnehmen217. Der Bischof der den Reformationsfeierlichkeiten in C KPS, Johannes Jänicke, fuhr mit Heinrich Ammer und Peter Schicketanz zehn Tage im September 1967 auf Besuchsreise in die Slowakische Evangelische Kirche. Immer waren verschiedene Formulare nötig, Befürwortungsschreiben der eigenen Kirche, Einladungsschreiben der einladenden Kirche, Antrag auf Devisenumtausch, ein Reisepass, zum Teil Lebensläufe218. Auch der Unitätsdirektor der Herrnhuter Brüdergemeine, Erwin Förster, wandte sich im März 1967 an Pabst, ob dieser helfen könne, weil drei Delegierte aus der DDR zur ˇ SSR eingeladen worden waren219. Nun habe er auf Unitätssynode in die C dreimaliges Nachfragen bezüglich der Ausreiseanträge bisher keine Antwort von den Behörden bekommen220. Pabst wandte sich daraufhin an die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Dort erklärte der zuständige Mitarbeiter, dass den Delegierten kein offizieller Geldumtausch erlaubt werden würde, und fragte, ob jene unter diesen Umständen die Ausreisean211 Brief Pabst an Mitzenheim vom 29. 12. 1966 (EZA 102/292). 212 Brief OKR Heinz Kranich an Walter Pabst vom 3. 1. 1967 (EZA 102/292). ˇ esk Trˇebov mit Pfarrer Miloslav Dobrkovsky´. Brief Ladislav Dost l an 213 So die Gemeinde C Pabst vom 19. 1. 1967; Brief Pabst an Dost l vom 3. 3. 1967; Brief von Pabst vom 4. 1. 1968 (EZA 102/292). Pabst organisierte für die Pfarrfamilie Dobrkovsky´ für das darauf folgende Jahr über die Thüringer Landeskirche einen Urlaubsplatz. Vgl. Brief Pabst an Kranich vom 20. 12. 1968 und 27. 12. positive Antwort (EZA 102/292). 214 Aktenvermerk Pabst über die Teilnahme an der III. Allchristlichen Friedenskonferenz, undatiert, 13 (EZA 102/211). 215 Brief Pabst an Otter vom 17. 1. 1968 (EZA 102/292). 216 Vgl. Findeis / Pollack, Selbstbewahrung, Interview mit Walter Pabst, 197 – 206. 217 Anschreiben Braecklein an Pabst vom 19. 5. 1967 und Weiterleitung des Antrags an das Staatssekretariat für Kirchenfragen vom 29. 5. 1967 (EZA 102/292). 218 Entwurf. Brief Papst an das Staatssekretariat für Kirchenfragen vom 27. 7. 1967 (EZA 102/292). 219 Entwurf. Brief Pabst an das Staatssekretariat für Kirchenfragen vom 20. 4. 1967 (EZA 102/292). 220 Brief Förster an Pabst vom 2. 3. 1967. Dreimalige Nachfrage Försters nach dem Stand der Dinge (EZA 102/292).

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träge aufrechterhalten wollten221. Pabst bestätigte dies. Dennoch verzögerte sich die Angelegenheit immer wieder, bis endlich am 1. Juli die Ausreisegenehmigung erteilt wurde. Doch waren die Anträge noch immer nicht fertig bearbeitet. Erst im letzten Augenblick konnten die drei Delegierten ausreisen. Grund waren Bedenken gegen Förster seitens des Rates des Bezirkes Dresden222. Dass diese Bedenken ihre Berechtigung hatten, zeigte sich darin, dass Förster die Ereignisse des Herbstes 1968 zum Anlass nahm, aus der CDU auszutreten223. Als im April 1968 Vertreter der Brüderunität wieder in die ˇ SSR fahren wollten, wurde dies unter Hinweis auf die politische Lage abgeC lehnt224. 1966 wollte eine Gruppe von sächsischen Vikaren Prag besuchen. Dafür wandten sie sich an Walter Pabst,225 der den Kontakt zur Prager Fakultät über Jan Milicˇ Lochman vermittelte226. Die beiden Kirchenämter wurden informiert, offizielle Einladungen geschrieben und dann noch einmal private Einladungen erwirkt227. Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig es war, eine Studienfahrt nach Prag zu organisieren, und wie sowohl Pabst als auch die Prager Fakultät als Anlauf-, aber auch Beratungsstelle fungierten. Noch komplizierter war es, als 1966 auch das kirchliche Proseminar Naumburg eine Studienfahrt nach Prag plante. Diesmal erfolgte der Kontakt über Hrom dka. Da die Fahrt nicht genehmigt wurde, wandte sich der Rektor des Proseminars Wilhelm Bischoff an Pabst228. Letzterer fuhr selbst kurz darauf im August 1966 nach Prag und versuchte neben seinen anderen Terminen vor Ort zu helfen. Schwierigkeiten bereitete die Unterbringung. Abgesehen vom mangelnden Platz brauchte eine Unterkunft im Theologenwohnheim die Zustimmung des Prager Kirchenamtes. Pabst empfahl daher dem Proseminar in Naumburg diese Schwierigkeiten dadurch zu umgehen, dass man versuchen sollte, in einem Studentenwohnheim der Prager Universität unterzukommen, denn dafür musste man das Staatssekretariat nicht informieren. Zu den individuellen Kontakten gehörten auch evangelische und katholische Jugendgruppen, ˇ SSR bereisten229. Nicht zuletzt sollte daran die in den 1960er Jahren die C

221 Auszug. Aktenvermerk über eine Unterredung im Staatssekretariat für Kirchenfragen vom 7. 6. 1967 (EZA 102/292). 222 Ebd. 223 Vgl. Antwortschreiben Unitätsdirektor Erwin Förster vom 13. 9. 1968 auf die Einladung zum 12. Parteitag der CDU (ACDP 07-011-2163). 224 Brief Theodor Gill an Pabst vom 2. 1. 1970. Jahreskonferenz der Brüderunität in der CSSR (EZA 102/292). 225 Brief von Studiendirektor Gottfried Voigt an Walter Pabst, vom 8. 1. 1966 (EZA 102/292). 226 Entwurf. Brief von Pabst an Lochman vom 18. 1. 1966. Antwort vom 15. 2. 1966 (EZA 102/292). 227 Auszug. Aktenvermerk über eine Unterredung im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 12. 3. 1966 (EZA 102/292). 228 Brief von Wilhelm Bischoff an Walter Pabst vom 9. 8. 1966 (EZA 102/292). ˇ SSR „Um die Jugend 229 Vgl. Lepp, Tabu?, 761. Man veranstalte von beiden Kirchen Reisen in die C wieder stärker an die Kirche zu binden.“ Entwicklungen der Kirchen, Religionsgemeinschaften

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erinnert werden, dass nicht nur viele Vertriebene die Lockerung der Reisebestimmungen in den 1960ern nutzten, um ihre alte Heimat wiederzusehen, sondern dass die Vertreibungen nicht alle familiären Verbindungen in Mitteleuropa zerschlagen hatten bzw. auch das Entstehen neuer binationaler Ehen ˇ SSR und Familien nicht verhindert werden konnte230. Diejenigen, die in der C gewesen waren, berichteten zu Hause davon231. ˇ SSR oder Aber nicht nur Tschechoslowaken und Deutsche trafen sich in C DDR, sondern auch West- und Ostdeutsche: Verwandte und Bekannte nutzten ˇ SSR in den 1960er Jahren, um sich zu sehen232. die Reisemöglichkeiten in die C ˇ SSR233. 1963 So fuhren nicht nur Ost-, sondern auch Westdeutsche in die C 234 waren die Grenzen für Bundesbürger geöffnet worden . Das MfS berichtete, ˇ SSR im Vergleich zu dass derartige Treffen zwischen Ost und West in der C 235 1967 um das Vierfache angestiegen waren . So bot auch für kirchliche ˇ SSR in den 1960ern eine gute Partnerschaften zwischen Ost und West die C Möglichkeit, sich zu begegnen. West- und ostdeutsche Partnergemeinden ˇ SSR und wurden dabei von fuhren zu gemeinsamen Rüstzeiten in die C 236 Tschechoslowaken unterstützt . Auch Westdeutsche vermittelten Kontakte in ˇ SSR237. Ende Oktober 1966 fand in Prag eine Zusammenkunft der ESGiD die C zwischen Verantwortlichen aus Ost und West statt. Es kam zu weiteren Begegnungen, die so unauffällig wie möglich gestaltet wurden238. Noch Mitte

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und der konfessionell gebundenen Bürger unter den Bedingungen der sozialistischen Ordnung im Bezirk Erfurt 11. 3. 1969, 9 (BArch DO/4 2976). Das bekannteste Beispiel im literarischen Bereich dürfte Reiner Kunze sein, der durch seine ˇ SSR kam. Er trat 1968 aus Protest aus der SED aus Ehefrau in Kontakt mit Künstlern aus der C ˇ SSR. und sein Buch „Die wunderbaren Jahre“ von 1976 verurteilte den Einmarsch in die C ˇ SSR auf Selbst CDU-Mitglieder versuchten ihren Funktionären zu erklären, dass sie in der C keine Konterrevolution gestoßen seien: „Unionsfreunde und parteilose christliche Bürger aus den Kreisen Löbau und Meißen, die in letzter Zeit die CSSR besuchten, vertreten den Standpunkt, daß die Entwicklung dort absolut ruhig und friedfertig sei und damit eine Besorgnis unsererseits zur Entwicklung in der CSSR unbegründet ist.“ BV Dresden. Informationsbericht vom 31. 7. 1968, 4 (ACDP 07-011-267). Dies beeinflusste die Meinung zu Hause. Anfang August meinten CDU-Mitglieder in Leipzig: „wir hätten doch wohl in der Vergangenheit die Dinge in der CSSR übertrieben, da Besucher aus der DDR bei ihrem Aufenthalt in der CSSR kaum etwas von konterrevolutionären Umtrieben gemerkt hätten.“ BV Leipzig. Informationsbericht 1/ VIII/68 vom 12. 8. 1968, 2 (ACDP 07-011-268). Pauer spricht von hundertausenden ost- und westdeutschen Familienmitgliedern. Vgl. Pauer, 1968, 274. Vgl. Karner / Bischof / Wilke / Ruggenthaler, „Prager Frühling“ und seine Niederwerfung, 23; auch Wolle, Aufbruch, 359. Vgl. Ihme-Tuchel, Beziehungen, 22. Bericht zur Lage an der Staatsgrenze Süd im Bereich der Bezirksverwaltung Dresden vom 15. 7. 1968, 4 (BStU, MfS, BV Dresden, AKG, Nr. 7549). Z. B. „1967 und 1968 eine Woche Kanufahrt mit westdeutscher Partnergemeinde unter Leitung eines Tschechen.“ Fragebogen 25. Im Besitz der Verfasserin. Z. B. „Durch eine Bekannte aus der Bundesrepublik habe ich im Frühjahr 1968 Kontakte zu führenden Reformpolitikern in Prag bekommen.“ Fragebogen 3. Im Besitz der Verfasserin. Vgl. Lepp, Tabu?, 706, 757 f., 761 f.

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August 1968 trafen sich der Berlin-Brandenburgische Bischof Scharf, welcher zugleich Stellvertretender Ratsvorsitzender der EKD war und seit dem Mauerbau nicht mehr in die DDR einreisen durfte, mit dem Bischofsverweser von Berlin-Brandenburg Schönherr in Prag239. Seitens der DDR versuchte man, diese Reisen einzuschränken oder wenigstens zu kontrollieren. So wurde 1968 von drei Pfarrern aus dem Bezirk Suhl, die Reiseanträge gestellt hatten, ein Antrag abgelehnt240. Besonders kritisch entwickelte sich in den Augen der DDR die Lage in den Gemeinden der Grenzgebiete. Das MfS stellte fest, dass Gemeindeglieder Veranstaltungen auf der anderen Seite der Grenze besuchten und ältere Menschen an Gottesˇ SSR teilnahmen241. Allgemein wurde registriert, dass die diensten in der C Bevölkerung aus den Grenzgebieten häufiger ins Nachbarland fuhr, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Für den Bezirk Dresden berichtete das MfS von einer Erhöhung der Anzahl der Reisenden um mehr als die Hälfte gegenüber dem ersten Halbjahr 1967242. Die Reisenden brachten nicht nur ˇ SSR mit in die DDR, die eigene Eindrücke und verbotene Zeitungen aus der C Reisen hatten auch Einfluss darauf, wie DDR-Bürger den 21. August wahrnahmen. Ein Zeitzeuge fasste die Tendenz zu höherer Betroffenheit kurz und ˇ SSR starke persönliche Konknapp zusammen: „Durch Anwesenheit in C frontation, Betroffenheit und Verantwortung: Austritt aus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft.“243 Ein anderer Weg der Informations- und Kontaktaufnahme waren Vortragsund Besuchsreisen von verschiedenen Theologieprofessoren aus Prag, wie Josef Hrom dka oder Milosˇ Bicˇ, die das Interesse für die Kirchen auf der anderen Seite weckten244. Auf diesen Veranstaltungen wurden nicht nur In239 Mehr vgl. Kapitel 4.3.1.2., 228 – 229. 240 Information Berlin, den 4. 7. 1968, 2 (BArch DO/4 2976). ˇ SSR besuchte, 241 Als ein Pfarrer Anfang Mai mit 30 Gemeindegliedern eine Gemeinde in der C hieß es, dass solche Reisen in Zukunft „auf jeden Fall zu unterbinden“ seien. Vgl. Verbindungen von Geistlichen und kirchlichen Amtsträgern des Bezirkes Karl-Marx-Stadt zu Geistlichen und Kirchgemeinden in der DDR, 17. 7. 1968 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). „Am 6. 7. 1968 wurde bei der Ausreise von 2 Bürgern aus dem Kreis Plauen über die GÜST Schönberg in die CSSR festgestellt, daß zu diesem Zeitpunkt in der CSSR eine kirchliche Veranstaltung stattfand und diese Personen daran teilnehmen wollten. In diesem Zusammenhang wurde in Erfahrung gebracht, daß zum gleichen Zeitpunkt ein Reisebus aus dem Kreis Plauen zu dieser kirchlichen Veranstaltung […] ausgereist ist.“ Information über negative Kirchen- und Sektenkreise vom 10. 10. 1968, 4 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). Dass ältere Menschen Gottesdienste besuchten, vgl. Bericht zur Lage an der Staatsgrenze Süd im Bereich der Bezirksverwaltung Dresden vom 15. 7. 1968, 2 (BStU, MfS, BV Dresden, AKG, Nr. 7549). 242 Vgl. ebd., 1 f., 5. und: „Die Ursachen für die Erhöhung der Anzahl der Reisenden liegen u. a. darin, daß sich eine Reihe von DDR-Bürgern an Ort und Stelle von der Situation in der CSSR überzeugen wollen.“ 243 Fragebogen 25. Im Besitz der Verfasserin. Er war 1968 18 Jahre alt und wurde später verhaftet. Vgl. Email an die Verfasserin vom 7. 11. 2011. 244 Einer der Zeitzeugen berichtete, dass Bicˇ Anfang der 1960er im erzgebirgischen Elterlein einen

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formationen ausgetauscht, sondern auch Adressen. So berichtete ein Zeitzeuge, er habe als Student Hrom dka nach einem Vortrag an der Universität Leipzig angesprochen, ob er ihm nicht Kontakte zu tschechischen Theologiestudierenden vermitteln könnte. Hrom dka gab die Adresse weiter an einen seiner damaligen Assistenten, Milan Opocˇensky, und dieser wiederum ˇ SSR kümmerte sich darum, dass der Leipziger tatsächlich Post aus der C bekam245. Hrom dka bereiste auch Westdeutschland, wo er für den christlichmarxistischen Dialog zu werben versuchte. Sehr zum Ärger der DDR, ˇ SSR diese Reisen nicht ein246. Über die Universitäten bzw. schränkte die C kirchlichen Ausbildungsstätten konnten immer wieder Studierende und Dozenten zu Studienaufenthalten in die DDR kommen247. Der Alttestamentler Jan Heller, der gerade in Berlin lehrte, hielt im Juni 1968 einen Vortrag im Jungˇ SSR sprach. Unter männerwerk, in welchem er über die Vorgänge in der C anderem wünsche er, „daß in der DDR eine ähnliche Entwicklung wie in der CSSR vonstatten gehe und da[ß] es dabei kein zweites Ungarn gibt. Er sei davon überzeugt, daß es in der DDR auch so wie in der CSSR verlaufen würde.“248 Der Prager Philosophieprofessor Milan Machovec entwickelte in der zweiten Hälfte der 1960er eine rege Vortragstätigkeit und war in verschiedenen evangelischen und katholischen Studentengemeinden zu Gast249. Neben Berlin sprach er z. B. in den Studentengemeinden von Leipzig, Halle und Greifswald250. Bei einem dieser Vorträge von Machovec saß der Berliner Ge-

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Vortrag über „Evangelisches Leben jenseits der nahen Grenze“ gehalten habe. „Die persönl. [sic!] Begegnung mit diesem Mann war ,Schlüsselerlebnis‘ und initiierte mein Interesse für die Brüderkirche und die Tschechen.“ Er baute Kontakte auf, lernte Tschechisch. Vgl. Fragebogen 20. Im Besitz der Verfasserin. Auch ein Pfarrer, der 1968 in der Görlitzer Kirche tätig war, erwähnt in seinen Erinnerungen Besuche von Bicˇ. Vgl. Leue, Pfarrer-Leben, 112. Hintergrundgespräch mit Miroslav Rozborˇil am 24. 3. 2010. Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 262 f. Über die EKU wurden Studierenden Studienaufenthalte am Sprachenkonvikt ermöglicht. Vgl. Verschiedene Dankschreiben (EZA 108/1849). Zu Heller vgl. den Brief Müller an Heller in Kapitel 5.3.4., 479. Vgl. Einzel-Information 48/68 vom 24. 7. 1968 über die Haltung von Mitgliedern des „Studentenkreises im evangelischen Jungmännerwerk“ zu den Ereignissen in der CSSR, 3 (BStU, MfS, BV Berlin, AKG, Nr. 510). „Es wurden aber auch Beispiele bekannt, daß revisionistische und reaktionäre Kräfte versuchen, Einfluß auf bestimmte Kreise in der DDR und anderen sozialistischen Ländern zu nehmen. Ein Höhepunkt dieser Verbindungen, die sich entwickelt haben, war das Auftreten des […] Prodekan[s] der Philosophischen Fakultät der Prager Karlsuniversität und Prof. für Marxismus-Leninismus […] vor der KSG in Berlin der DDR.“ Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der CSSR ergeben, 20. 5. 1968, 3 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233 auch Nr. 3238). Vgl. Schorlemmer, Heimat, 147. 1967 traf in Halle auf diese Weise Heino Falcke erstmals bei einem gemeinsamen Podiumsgespräch mit Machovec zusammen und lernte dessen Interpretation der Bergpredigt kennen, die ihn tief beeindruckte. Vgl. Falcke Hintergrundgespräch vom 24. 11. 2009. Vgl. Bericht der ESG Greifswald an das Evangelische Konsistorium vom 1. 10. 1968, 1 (LKAG 10/ESG).

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neralsuperintendent Günter Jacob unter den Zuhörern.251 Nach dem 21. August waren die Studentengemeinden ein Ort, wo die staatlichen ,Hilfsmaßnahmen‘ offen kritisiert wurden252. Die verschiedenen ESGen und KSGen ˇ SSR zu erhalten waren nicht nur ein Treffpunkt, um Informationen aus der C und Kontakte zu knüpfen, sondern auch Orte der Begegnung zwischen Ost und West durch die Teilnahme von westdeutschen Studierenden. Bei den Begegnungstreffen wurde natürlich auch über die neue Verfassung, die Siˇ SSR und die Studentenunruhen in der BRD diskutiert253. Hier tuation in der C kamen ostdeutsche christlich geprägte Studierende in Berührung mit der Studentenbewegung in Westdeutschland. Die Diskussionen trugen allerdings für beide Seiten eher frustrierenden Charakter. Während sich die westdeutsche Seite mehr politisches Engagement und Auseinandersetzung mit sozialistischen Theoriegebäuden von den östlichen Teilnehmern wünschte, brachten diese, ausgehend von ihrem realsozialistischen Alltag, wenig Verständnis für solche Debatten auf254. Aber nicht nur in die ESGen wurden ˇ SSR eingeladen, sondern auch in andere Theologen und Philosophen aus der C evangelische Institutionen. So fanden sowohl an der Evangelischen Akademie in Westberlin als auch an der Evangelischen Akademie in Ostberlin seit Mitte ˇ SSR statt255. Im der 1960er Jahre Veranstaltungen mit Referenten aus der C September 1968 befand das MfS, dass auch diese Institutionen zu denen gehörten, die „eine Basis zur Sammlung von politisch negativen Personenkreisen darstellen“ und „den Kurs der antisozialistischen Kräfte in und außerhalb der CSSR [unterstützen].“256

251 Vgl. Information über die Sitzung der ev. Kirchenleitung Berlin-Brandenburg am 3. 5. 1968 vom 9. 5. 1968, 2 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2). 252 „Einzelne Mitarbeiter der Theologischen Fakultäten bzw. der Evangelischen Studentengemeinde führten spontan Unterschriftensammlungen und Protestresolutionen gegen die Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder durch.“ Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 5 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238); „Nach dem 21. 8. 1968 gab es in den einzelnen Seminaren Kurzversammlungen über die Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder. In einer dieser Versammlung trat ein Angehöriger der Studentengemeinde auf und verurteilte öffentlich die Sicherungsmaßnahmen der sozialistischen Staaten. Er bezeichnete den Einmarsch als eine Vergewaltigung und als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder.“ Dienstreisebericht am 25. 2. 1969 über eine Dienstreise nach Magdeburg, 3 f. (BArch DO 4/584). 253 Vgl. Lepp, Tabu?, 777. 254 Vgl. ebd., 775 – 777. 255 Vgl. Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der CSSR ergeben, 20. 5. 1968, 1 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233 auch Nr. 3238). Ein Zeitzeuge aus BerlinBrandenburg erinnerte sich, dass Machovec auch zu Pfarrertagungen eingeladen wurde. Vgl. Brief an die Verfasserin von Anfang August 2012. 256 Vgl. Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlussfolgerungen vom 12. 9. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774).

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3.3. Kontakte durch evangelische Werke Weitere wichtige Informations- aber auch Kontaktbörsen waren evangelische Werke257. Mit ihren verschiedenen mehr praktisch-theologischen Ansätzen stellten sie für den Staat ein noch größeres Problem dar, da sie sich nicht auf Vortragstätigkeit beschränkten, sondern praktisch, mit Büchersendungen, Arbeitseinsätzen etc. halfen und dafür auch Christen aus der DDR direkt in die ˇ SSR schickten. Im Zuge der Ereignisse 1968 wurden der Aktion SühnezeiC chen, dem Gustav-Adolf-Werk, dem evangelischen Jungmännerwerk und der Gossner Mission „zunehmende feindliche Tätigkeit“ vorgeworfen258. Weil darüber hinaus Aktion Sühnezeichen und Gossner Mission als diejenigen galten, die sich offen auf die Seite der Konterrevolution gestellt hätten, soll im Folgenden auf diese eingegangen werden259. Die Aktion Sühnezeichen war 1958 durch Lothar Kreyssig ins Leben gerufen worden. Seit 1961 war sie in Ost und West geteilt. Da es von der DDR aus nicht möglich war, junge Leute für ein Jahr ins Ausland zu schicken, wurden seit 1962 Sommerlager durchgeführt260. 1966 fuhren erstmals auch zwei 257 „Im Rahmen der sogenannten Kontaktpolitik und der Laienarbeit im Inneren bestehen seitens der evangelischen Kirche schon seit Jahren Bemühungen, Kontakte nach der CSSR und andere sozialistische Länder zu schaffen und mit ihrer Hilfe ideologische Diversion zu betreiben.“ Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der CSSR ergeben, 20. 5. 1968, 1 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233 auch Nr. 3238). 258 Vgl. Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 7 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). Bis hier wörtlich auch bei: Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 4 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). Zu den Kontakten des evangelischen Jungmännerwerks vgl. Einzel-Information 48/68 vom 24. 7. 1968 über die Haltung von Mitgliedern des „Studentenkreises im evangelischen Jungmännerwerk“ zu den Ereignissen in der CSSR (BStU, MfS, BV Berlin, AKG, Nr. 510); vgl. auch Mitter / Wolle, Untergang, 436. Ebenso das GAW: „Die ,Goßner Mission‘ und das ,Gustav-Adolf-Werk‘, die beide als kirchliche Organisationen mit der besonderen Aufgabe arbeiten […] Kontakte in die sozialistischen Länder herzustellen und diese für die Schaffung von Positionen zur Durchführung der politisch-ideologischen Diversion zu benutzen.“ Die politisch-operative Arbeit gegen die politisch-ideologische Diversion im kulturellen Bereich und in den Massenmedien, vom 28. 11. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). Auch das GAW wurde von Zeitzeugen als Kontaktvermittlungsstelle genannt. Fragebogen 32. Im Besitz der Verfasserin. 259 „Die ,Goßner Mission‘ und ,Aktion Sühnezeichen‘ entlarvten sich im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen gegenüber der CSSR als offene Verbündete der konterrevolutionären und antisozialistischen Kräfte in und außerhalb der CSSR. Es wurde bekannt, daß leitende Mitarbeiter dieser Organisation […] aktiv an der Herausbildung konterrevolutionärer Gruppen in der CSSR mitgewirkt haben.“ Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 8 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). Bis hier wörtlich auch bei: Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 4 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). 260 Doellinger, Peace Through Reconciliation, 167 f.

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Gruppen nach Theresienstadt und Lidice. In den nächsten beiden Jahren wurden diese Aktionen durch den Staat torpediert, indem keine Ausreisegenehmigungen erteilt wurden. Unbeschadet dessen fuhr man illegal in die ˇ SSR261. Kreyssig scheint, wie viele damals im Frühjahr 1968, gehofft zu C ˇ SSR auch auf die DDR abfärben würde262. Wie haben, dass die Situation in der C schwierig die Lage für Initiativen war, die versuchten über die Blockgrenzen hinweg für Versöhnung einzutreten, zeigt ein Brief, den der damalige westliche Leiter von Aktion Sühnezeichen, Franz von Hammerstein, an diejenigen Freunde von Aktion Sühnezeichen schrieb, die die Arbeit in Osteuropa unterstützten. Hammerstein teilte mit, dass alle Freiwilligen aus Prag und Theresienstadt zurück seien. Er forderte die Freunde auf, sehr vorsichtig mit Sympathieäußerungen zu sein, „weil wir den Gegnern der CSSR womöglich Argumente für die Theorie geben, daß der Westen sich einmische und Einfluß in der CSSR gewinnen will.“263 Außerdem sollte die Haltung der Bevölkerung und auch der Christen gewürdigt werden, jedoch so, dass klargestellt würde, „daß wir die CSSR nicht aus dem Ostblock herauslösen wollen.“264 Hammerˇ SSR nicht abstein betonte, dass die Brücken aufgrund der Besetzung der C gebrochen werden sollten, sondern unter den schwierigen Bedingungen die Versöhnungs- und Friedensarbeit weitergeführt werden müsse. Wiederum anders war die Situation der Gossner Mission, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts als Missionswerk gegründet worden war. In der DDR wurde sie 1954 neu gegründet und seit 1962 als Werk der Berlin-Brandenburgischen Kirche zugeordnet265. Wichtig war der Gossner Mission stets die ˇ SSR direkt in Laienarbeit. In der Folge wurde ihr vorgeworfen, Ideen aus der C 266 die Betriebe hineingetragen zu haben . In den 1960ern war die Gossner 261 Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der CSSR ergeben, 20. 5. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233 auch Nr. 3238); auch: „Durch diesen Kontakt mit ASZ beteiligte ich mich 1967 an einem (von DDR Behörden als illegal eingestuften) Sommerlager im ehemaligen KZ Theresienstadt (Terezin [sic!]). Außerdem besuchten uns – als Erholungssuchende – 1967 für 14 Tage das Pfarrerehepaar Jaroslav Nedbal, Jihlava (Iglau), Böhmische Brüder.“ Fragebogen 31. Im Besitz der Verfasserin; vgl. auch Maser, Kirchen in der DDR, 86; und Neubert, Opposition, 199 f. 262 Vgl. Auskunft über das System und die Methoden der Feindtätigkeit zur Durchsetzung der Ziele der sogenannten neuen Ostpolitik, besonders gegenüber der CSSR, über ihre Auswirkungen in der CSSR und über die Versuche zur Ausnutzung der Vorgänge in der CSSR zur Forcierung der politisch-ideologischen Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gegen die DDR, Anfang Mai 1968, 112 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5403). 263 Brief Hammerstein an die Freunde unserer Arbeit in Osteuropa vom 30. 8. 1968 (ELAB 1/910). 264 Ebd. 265 Vgl. Wippermann, Sendung oder Sammlung?, 20, 38 – 40. 266 Vgl. ebd., Sendung oder Sammlung?, 50; auch: „,Die Goßner Mission‘ forcierte schon nach den Januar-Ereignissen in der CSSR ihre Arbeit mit Werktätigen aus den strukturbestimmenden Zweigen der Volkswirtschaft der DDR. Bei den Veranstaltungen in Berlin und Cottbus wurden die teilnehmenden Personen mit revisionistischen Ideologien und Ideologen konfrontiert.“ Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 7 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289).

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Mission in Berlin eine der Anlaufstätten, über die Kontakte zwischen Theoˇ SSR und der DDR sowie der BRD zustande kamen. So belogen aus der C richtete Jakub Trojan, dass er mit dem damaligen Leiter der Gossner Mission in der DDR, Bruno Schottstädt, gut befreundet war267. Mit Bruno Schottstädt, der von 1954 bis 1980 die Gossner Mission leitete und auch in der CFK engagiert und zeitweise Mitglied in der CDU war, galt sie als ,fortschrittlich‘268. Mit ihren Versuchen, sich gesellschaftlich zu engagieren, stieß sie bei Kirchenleitungen wie Staat auf Misstrauen, wobei letzterer versuchte, sie gegen die Kirchen zu instrumentalisieren269. An der Gossner Mission wird deutlich, wie schnell eine Umetikettierung in der DDR von ,fortschrittlich‘ zu ,reaktionär‘ möglich war. Nach dem 21. August wurde sie als Beispiel dafür angeführt, wie „unter dem Deckmantel einer Scheinloyalität […] eine verdeckte, schleichende politisch-ideologische gegnerische Tätigkeit“ möglich sein konnte, die auch direkt mit dem Schlagwort ,demokratischer Sozialismus‘ etikettiert wurde270. Man folgerte: „Auf Grund der Tatsache, daß sich die ,Goßner Mission‘ nach dem 21. August als Zentrum antisozialistischer Wühlarbeit betätigte, sind ihre Möglichkeiten, insbesondere im Blick auf ihre ökumenischen Verbindungen und Kontakte, einzuschränken.“271 Bereits im März nahm das MfS Schottstädt als Beispiel, dass es in den evangelischen Kirchen Anhänger des neuen Kurses in Prag gab. Ihm wurde vorgeworfen, die ˇ SSR als „Modellfall“ bezeichnet zu haben, dass „in Demokratisierung in der C der CSSR die Parteilinie legerer durchgeführt“ werde und dass „auch in DDR […] eine Liberalisierung möglich [sei].“272 Schottstädt verband die Reformen in Prag mit der Hoffnung auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen Christen

267 Hintergrundgespräch mit Jakub Trojan vom 17. 3. 2010. Direkte ökumenische Beziehungen unterhielt die Gossner Mission vornehmlich in die Niederlande, die Schweiz, Finnland und die ˇ SSR. Vgl. Wippermann, Sendung oder Sammlung?, 46. C 268 „Die Goßner Mission zeigt sich äußerlich und in ihren Formulierungen sehr progressiv. Damit sind aber für den Gegner Möglichkeiten der Ausnutzung dieser Organisation gegeben.“ Ohne Name, 28. 2. 1968, 4 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). 269 Vgl. Wippermann, Sendung oder Sammlung?, 27, 49, 52. 270 Vgl. Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 70. Ausführlich zitiert auch bei Wippermann, Sendung oder Sammlung?, 147. 271 Vgl. Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 71. 272 Bericht 15/68 vom 21. 3. 1968 über Gespräche in der Goßner Mission zur Verfassung der DDR im Zusammenhang mit der Lage in der CSSR, 1 f. (BStU, MfS, BV Berlin, AKG, Nr. 479); vgl. auch Information 330/68 vom 22. 3. 1968 die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 13 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561). Der gleiche Fall wird zwei Monate später noch als Beispiel genommen. Vgl. Auskunft über das System und die Methoden der Feindtätigkeit zur Durchsetzung der Ziele der sogenannten neuen Ostpolitik, besonders gegenüber der CSSR, über ihre Auswirkungen in der CSSR und über die Versuche zur Ausnutzung der Vorgänge in der CSSR zur Forcierung der politisch-ideologischen Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gegen die DDR, Anfang Mai 1968, 112 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5403).

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und Marxisten auch in der DDR. Im Mai berichtete das MfS von reger Zusammenarbeit zwischen der Gossner Mission und der ,Neuen Orientierung‘273. Am 20. August schrieb das MfS eine Einzelinformation über eine von Schottstädt geplante Tagung zum christlich-marxistischen Dialog im September in Berlin274. Man hatte mindestens acht Personen in Erfahrung geˇ SSR anreisen wollten bracht – wahrscheinlich auch Jakub Trojan – die aus der C und die man der ,Neuen Orientierung‘ zuordnete275. Über letztere war das MfS der Meinung: „Die ,Neue Orientierung‘ ist mit Unterstützung der ,Goßner Mission‘ geschaffen worden. Zwischen den Vertretern beider kirchlicher Werke bestehen enge Beziehungen. Die Vertreter der ,Neuen Orientierung‘ sind bei den jüngsten Ereignissen in der CSSR aktiv als Anhänger der ,Reformer‘ in Erscheinung getreten.“276

Auch wenn diese Zeilen zeigen, wie wenig sich das MfS in kirchlichen Strukturen auskannte – die ,Neue Orientierung‘ war weder ein Werk, noch war sie durch die Gossner Mission gegründet worden – so war doch die Beobachtung zutreffend, dass die Gossner Mission Kontakte koordinierte und dass ˇ SSR interessiert war277. Das die ,Neue Orientierung‘ an Veränderungen in der C MfS machte deutlich, dass eine solche Tagung zu organisieren im Widerspruch zu dem bisherigen Bild des als ,fortschrittlich‘ geltenden Schottstädt stand. Es schlug daher vor, über eine ,Aussprache‘ durch die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen auf Schottstädt einzuwirken, „auf die Durchführung dieser Tagung zu verzichten.“278 Am 5. September ging dann ein vertraulicher Hinweis beim Staatssekretariat für Kirchenfragen ein, dass Schottstädt eine ökumenische Tagung vom 9. bis 13. September 1968 in Berlin 273 „Zwischen der ,Neuen Orientierung‘ und der ,Goßner Mission‘ erfolgt ein ständiger Austausch von Mitarbeitern, von Materialien und praktischen Arbeitserfahrungen. Die theoretischideologischen Positionen dieser ,Neuen Orientierung‘ entsprachen in ihrem Inhalt bereits schon vor 2 Jahren den Forderungen der jetzt in Erscheinung tretenden reaktionären Kräfte in der CSSR. Die ,Neue Orientierung‘ analysiert ihrerseits die Möglichkeiten des Eindringens in andere kirchliche Organisationen sowie in Positionen des Staatsapparates. Diese Tätigkeit konnte teilweise mit Erfolg durchgeführt werden.“ Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der CSSR ergeben, 20. 5. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233). 274 Vgl. Einzel-Information 876/68 vom 20. 8. 1968 über die geplante ökumenische Tagung der „Goßner-Mission der DDR“ in der Zeit vom 9.–13. 9. 1968 in Berlin (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1544). 275 Vgl. Email von Jakub Trojan an die Verfasserin vom 9. 11. 2011. Leider existieren die Kalender aus dieser Zeit nicht mehr, da Trojan sie bei einer Familie in der Gemeinde versteckte, die sie später aus Angst vernichtete. 276 Vgl. Einzel-Information 876/68 vom 20. 8. 1968 über die geplante ökumenische Tagung der „Goßner-Mission der DDR“ in der Zeit vom 9.–13. 9. 1968 in Berlin, 4 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1544). 277 Vgl. Hintergrundgespräch Jakub Trojan vom 17. 3. 2010. 278 Vgl. Einzel-Information 876/68 vom 20. 8. 1968 über die geplante ökumenische Tagung der „Goßner-Mission der DDR“ in der Zeit vom 9.–13. 9. 1968 in Berlin, 5 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1544).

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plane279. Bereits am Tag darauf wurde Schottstädt zum Gespräch gebeten. Schottstädt versicherte, dass keine Tagung, sondern nur ein Arbeitsgespräch stattfinden werde280. Das MfS wertete das besagte Arbeitstreffen jedoch nicht nur als Tagung, sondern als „Funktionärskonferenz“ der Gossner Mission, auf welcher man ˇ SSR deder Konvergenztheorie gefrönt und über den Reformkurs in der C battiert habe, obwohl die Tagung doch untersagt worden war. Schottstädt habe darauf verwiesen und den Teilnehmenden eingeschärft, dass nichts nach außen dringen dürfe und es wie ein zufälliges Treffen aussehen solle281. Den größten Raum nahmen während der drei Tage die Diskussionen um die Siˇ SSR ein. Die Teilnehmenden waren sich einig in der Ablehnung tuation in der C des militärischen Eingreifens und dass es am schlimmsten sei, dass wieder Deutsche dabei gewesen seien. Schottstädt soll diese Diskussion mit den Worten eröffnet haben: „Unsere engsten Verbindungen, unsere Herzen schlagen für die CSSR.“282 Im Verlauf der Tagung wurde der Brief Hrom dkas an den sowjetischen Botschafter in Prag, Stepan Wassiljewitsch Tscherwonenko, vorgelesen, den Carl Ordnung, der als Gast vom Hauptvorstand der CDU anwesend war, zur Verfügung gestellt hatte. Im Zusammenhang mit der ˇ SSR wurden auch Vorgänge in der DDR diskutiert, so die Verhaftung der C Havemannsöhne, das Verbot des Kirchentages von Berlin-Brandenburg und dass Jänicke in Magdeburg sein Wort an die Gemeinden zurückgezogen ˇ SSR bedankte sich für die Hilfe und hatte283. Der anwesende Pfarrer aus der C Unterstützung. Für das MfS war eindeutig, dass hier ,Maßnahmen‘ zu erfolgen hätten. Es schlug vor, die Gossner Mission nicht mehr als kirchliche Organisation zu betrachten, alle Kontakte staatlicher Stellen zu ihr und ihrem Leiter abzubrechen und sämtliche Ein- sowie Ausreiseanträge negativ zu bearbeiten284. Diese Vorschläge wurden umgesetzt. Außerdem wurde gegen Schott279 Aktenvermerk. Geplante ökumenische Tagung der Gossner Mission vom 9. 9.–13. 9. 1968 in Berlin, vom 5. 11. 1968 (BArch DO 4/535). 280 Ebd. Handschriftlich wurde am 6. 9. hinzugefügt, dass die Tagung abgesagt wurde. 281 Vgl. „Zu Beginn der ,Tagung‘ erklärte [Name geschwärzt] in offensichtlicher Verärgerung, die Zusammenkunft müsse unbedingt als ,intern‘ betrachtet werden. […] Er wies darauf hin, es sei durch ,das Eingreifen staatlicher Stellen‘ im Augenblick nicht möglich, die Tagung in der geplanten Form durchzuführen […] Nach außen solle der Anschein erweckt werden, als handele es sich um das zufällige Zusammentreffen von Mitarbeitern der ,Goßner Mission‘, zu dem dann noch einige Freunde hinzugekommen seien.“ Und: „Auch bei Beendigung der ,Tagung‘ wies [Name geschwärzt] darauf hin, er habe das Treffen ,unter Zwang‘ zeitlich kürzen müssen, wobei er alle Teilnehmer zur ,Vorsicht‘ mahnte, damit Inhalt und Zusammenkunft überhaupt den staatlichen Organen nicht bekannt werden.“ Einzel-Information 1054/68 vom 19. 9. 1968 über eine inoffizielle Tagung der „Goßner-Mission“ der DDR vom 9.–11. 9. 1968 in Berlin, 3 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1579). 282 ebd., 7. Und: „Charakteristisch dabei ist, daß sich alle Diskussionsteilnehmer gegen die Maßnahmen der fünf Warschauer Vertragstaaten wandten und die Entwicklung in der CSSR vor dem 21. 8. 1968 befürworteten.“ 283 Vgl. ebd., 10. 284 Vgl. ebd., 12.

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städt eine der typischen Aktionen in Gang gesetzt, die ihn in kirchlichen Kreisen diskreditieren sollte, weil er „als ein offener Parteigänger der konterrevolutionären Kräfte in der CSSR bekannt wurde und aktiv Versuche unternommen hat, eine ähnliche Entwicklung in der DDR anzubahnen.“285 Dabei wurde eine kompromittierende NS-Vergangenheit konstruiert, was eine allgemein gängige Form war, als ,Gegner‘ identifizierte Personen zu desavouieren286. Wie diese Aktion aussah, wird aus einem Brief von Generalsuperintendent Günter Jacob deutlich, den er in seiner Funktion als Vorsitzender des Kuratoriums der Gossner Mission in der DDR an den Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, am 7. November 1968 schrieb287. Diesem legte Jacob Seigewasser ein anonymes Schreiben über die NS-Vergangenheit von Bruno Schottstädt bei. Letzterem war vorgeworfen worden, einem Erschießungskommando angehört zu haben. Jacob bezeichnete diese Aktion als finstere Machenschaft, die es eigentlich verdiene, „mit Schweigen übergangen zu werden. […] Aber da möglicherweise dieses Pamphlet auch Ihrer Dienststelle anonym zugesandt worden ist, lege ich als Vorsitzender des Kuratoriums der Gossner-Mission in der DDR Wert darauf festzustellen, daß hier niederträchtige Verdrehungen und Verleumdungen vorliegen.“288

Jacob war ebenfalls auf der Tagung vom 9. bis 11. September anwesend und hatte einen Vortrag gehalten289. Am 8. November 1968 schrieb Schottstädt selbst einen vierseitigen Brief an Hauptabteilungsleiter Hans Weise vom Staatssekretariat für Kirchenfragen. Nachdem Weise am 16. Oktober in einem Telefonat ein Gespräch abgelehnt hatte, legte Schottstädt nun noch einmal schriftlich dar, was auf jenem anderthalbtägigen Arbeitsgespräch verhandelt worden war. Weise habe nämlich dem Brief zufolge in jenem Telefonat gesagt: „Sie haben sich nicht mit religiöserbaulichen Dingen beschäftigt, sondern Dinge behandelt, die Sie überhaupt nichts angehen.“290 Schottstädt war bemüht, die Wogen zu glätten und zu rechtfertigen, was auf jener Tagung geschehen sei: „Es wurde uns allen klar, daß wir die jüngsten Ereignisse nicht isoliert betrachten dürfen […]. Es wurde auch davon gesprochen, daß der Einfluß westlicher Länder – besonders der Bundesrepublik – in die CSSR hinein dazu geführt habe, daß dort Tendenzen entstanden sind, die gesellschaftliche Entwicklung zu stoppen oder sogar nach rückwärts zu drehen. Dies alles haben wir sehr kritisch beurteilt und verurteilt. 285 Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 20 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). 286 Vgl. M nkler, Antifaschismus, 86 f. 287 Vgl. Brief von Jacob an Seigewasser vom 7. 11. 1968 (BArch DO 4/355). 288 Ebd. 289 Vgl. Einzel-Information 1054/68 vom 19. 9. 1968 über eine inoffizielle Tagung der „GoßnerMission“ der DDR vom 9.–11. 9. 1968 in Berlin, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1579). 290 Brief von Schottstädt an Weise vom 8. 11. 1968, 1 (BArch DO 4/355).

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Es wurde auch geäußert: die Globalstrategie der USA, gekoppelt mit einer psychologischen Kriegsführung, spielen im Zusammengang mit den Ereignissen in der CSSR eine ganz große Rolle.“291

Schottstädt war der Meinung, damit auf der richtigen Seite zu stehen: „Ich meinte, dies sei ein klarer parteilicher Standpunkt.“292 Es sei also im Sinne der DDR gesprochen worden! Schottstädt rechtfertigte sich, warum er diese Tagung durchführte: „Und nun meine ich, daß es Aufgabe von verantwortlichen Christen bleibt, unter der Voraussetzung des christlichen Glaubens die Mitverantwortung in der Gesellschaft zu bedenken. […] Somit muß ich den Satz zurückweisen, daß wir uns nicht mit religiös-erbaulichen Dingen beschäftigt hätten, sondern mit Dingen, die uns nichts angehen. Gerade das Umgekehrte haben wir in den ganzen Jahren – und nun gerade auch innerhalb der CFK bewußt gelernt und getan: die Beschreibung der Friedensaufgabe der Christen in der Gesellschaft.“293

Schottstädt beteuerte, dass er ein „verantwortlicher Staatsbürger“ sei und auch sein wollte294. Schottstädts Brief endete bitter: „Ich von mir aus kann nur sagen, daß ich oft für die DDR ,meinen Kopf hingehalten habe‘. Ich habe mich wirklich für die DDR eingesetzt, als einer der hier verantwortlich mitdenkt und auch in bestimmten Organisationen mittut.“295 Doch das staatliche Urteil stand fest. In einem Gespräch Jacobs mit Seigewasser im April 1969 verwandte sich dieser dafür, „daß der ,verfahrene Karren‘ der Goßner Mission wieder flott gemacht werden müsse“, denn der Geschäftsführer Schottstädt könnte weder mit der Dienststelle Gespräche führen, noch würde er Ein- oder Ausreiseerlaubnisse bekommen296. Vom Staatssekretär wurde daraufhin „unmißverständlich“ erklärt, dass man mit Schottstädts „Eigenmächtigkeiten“ nicht einverstanden sei, weil er im internationalen ökumenischen Bereich Einladungen ausspräche und Zusagen gäbe, ohne die Dienststelle zu informieren. Anlass für den Abbruch der Kontakte zu Schottstädt sei aber die Tagung im letzten Herbst in Berlin gewesen, zu der er, trotz klarer gegenteiliger Vorgabe der Dienststelle, Gäste aus dem kapitalistischen Ausland habe sprechen lassen.

291 292 293 294 295 296

Ebd., 2. Ebd., 3. Ebd. Ebd., 2. Ebd., 4. Vgl. Vermerk über ein Gespräch des Genossen Staatssekretär Seigewasser mit Generalsuperintendent Jacob am 14. 4. 1969 vom 21. 4. 1969, 4 (BArch DO 4/2950); vgl. auch Wippermann, Sendung oder Sammlung?, 28, 39, 147, 153. Wippermann nennt die Verweigerung von Ein- und ˇ SSR mehrmals, ohne auf Ausreisegenehmigungen für Schottstädt wegen seiner Meinung zur C die Hintergründe einzugehen.

Die Beziehungen zwischen den Landeskirchen in der DDR und der EKBB 135 „Schottstädt beteiligte sich an diesem Gespräch aktiv […] und versprach, das notwendige dazu beizutragen, den schwergeprüften Brüdern der CSSR zu helfen. Schottstädt entwickelt ökumenische Aktivitäten, die nicht im Sinne unserer Staatspolitik in Kirchenfragen liegen. Sein zwielichtiges Verhalten führte dazu, daß so lange mit ihm keine weiteren Beziehungen aufrechterhalten werden können, bis er wieder eine klare Vertrauensbasis mit der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen herstellt.“297

Im Juni 1969 gab es einen erneuten Anlauf, indem Schottstädt mit Gerhard Bassarak sprach. Das Gespräch verlief unterkühlt. Schottstädt warf Bassarak vor, dass von ihm eine falsche Aussage stamme, diesmal über seine Zugehörigkeit zur HJ, und er ihn in der CFK zurückdränge. Bassarak dementierte dies298. Im weiteren Verlauf versuchte Schottstädt Bassarak verschiedene Vorschläge über die nächsten ökumenischen Aufgaben zu unterbreiten, auf die Bassarak jedoch nicht einging. Noch zwei Jahre später wurde Schottstädt sein Verhalten nach dem 21. August vorgehalten und vom Staatssekretariat betont: „daß unser Verhältnis abgebrochen wurde, war nicht unsere Schuld, denn sein [Schottstädts] Auftreten, besonders während und nach den CSSREreignissen, und noch einige andere Vorkommnisse haben uns veranlaßt, bestimmte Konsequenzen zu ziehen.“299 Schottstädt versuchte nachzuweisen, dass er auf der rechten Seite stehe: er kenne viele Marxisten und CDU-Mitglieder, arbeite in der Nationalen Front, in der Ökumene und der CFK und im Bund Evangelischer Kirchen mit300. Aber es dauerte noch einige Jahre, bis Schottstädt wieder ins Ausland fahren durfte. Zur Entspannung der Situation könnte beigetragen haben, dass Schottstädt 1974 in die CDU eintrat301. Auch nahm das MfS 1975 Kontakt zu Schottstädt auf, mit dem Ziel, ihn als IM zu werben.302 An den Schwierigkeiten, die Schottstädt für die Gossner Mission nach seiner Tagung im Herbst 1968 mit staatlichen Stellen hatte, kann man ablesen, wie schwer es für Personen war, die für ein ganzes Werk Verantwortung trugen, bei ihrer Meinung zu bleiben, weil sie damit die Arbeit eines 297 Vermerk über ein Gespräch des Genossen Staatssekretär Seigewasser mit Generalsuperintendent Jacob am 14. 4. 1969 vom 21. 4. 1969, 4 (BArch DO 4/2950). 298 Gespräch mit Schottstädt am 27. 6., vom 2. 7. 1969 von Bassarak (BArch DO 4/355). „Außerdem stellt er fest, daß er nach dem 21. August eine törichte Veranstaltung über die CSSR gemacht habe.“ 299 Information vom 21. 8. 1970, 1 (BArch DO 4/355). 300 Ebd. 301 Vgl. Wippermann, Sendung oder Sammlung?, 147, 153. Die Fakten stehen hier in einer Erzählung Schottstädts unverbunden nebeneinander, doch passt der zeitliche Rahmen. 302 Vgl. (BStU MfS BV Berlin, AIM 6182/91 Bd. 1) darin Vorschlag zur Kontaktaufnahme vom 6. 5. 1975; Kontaktgespräche und Bericht über die durchgeführte Werbung vom 2. 11. 1975. Ebenfalls in dieser Akte befindet sich eine Gegendarstellung von Schottstädt vom 14. 3. 1994. Schottstädt berichtet ebenfalls von den Kontaktgesprächen, die alle in seiner Wohnung stattfanden, dass er aber eine Zusammenarbeit abgelehnt habe. Hinweise auf anschließend tatsächlich durchgeführte Treffen, Treffberichte oder dass Schottstädt z. B. bereit gewesen wäre, in eine konspirative Wohnung zu gehen, fanden sich nicht.

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ganzen Werkes gefährden konnten. Hinzu kommt, dass Schottstädt aus eigener Sicht zu den linksgerichteten Theologen in der DDR zu zählen ist.

3.4. Nach dem 21. August 1968 Mit dem 21. August 1968 veränderten sich persönliche Beziehungen schlagˇ SSR-Gemeinden zunächst weiterhin reisen artig. Während Glieder aus C konnten, schlossen sich die Grenzen für die DDR-Seite und waren nur mehr auf überwachten postalischen Wegen überwindbar303. Zwar gab es weiterhin Einladungen von Seiten der EKBB, doch kam z. B. zum 50jährigen Jubiläum der Gründung der EKBB Ende des Jahres 1968 niemand aus der DDR, und auch 1969 konnten wiederum nur vom Staat als sehr ,fortschrittlich‘ betrachtete Personen auf Aus- bzw. Einreisegenehmigungen hoffen304. Während ˇ SSR nach dem 21. August die vielfältigen Beziehungen zwischen DDR und C fast zum Erliegen kamen, betraf dies nicht die kirchlichen Kontakte. Dies lag sicherlich daran, dass sich keine der ostdeutschen Landeskirchen dazu herˇ SSR als ,Hilfsmaßnahme‘ zu klassifizieren305. Sie gab, die Besetzung der C schwiegen oder versicherten ihren befreundeten Kirchen, für sie zu beten und mit ihnen zu klagen. Der Brief, den die Berlin-Brandenburgische Kirchenˇ SSR schrieb und den sie als Kanzelabkündigung in leitung an die Kirchen der C ihrer Landeskirche verlesen ließ, begründete diese auch mit den „Stunden gemeinsamen Bekennens und Anbetens auf ökumenischen Tagungen und gelegentlich vieler persönlicher Begegnungen.“306 Aufgrund ihres Briefes gab es für diese Landeskirche keine Ausreisegenehmigungen307. Die Landeskirchen waren nun noch stärker als zuvor darauf angewiesen, Informationen über die Situation im Nachbarland über Umwege wie die EKD, die EKU oder den ÖRK zu erhalten. Immerhin konnte Pabst im November 1968 nach Genf fahren und wählte die Fahrt so, dass er einen Zwischenaufenthalt in Prag hatte. Während seines Aufenthaltes in Prag auf der Hinreise schickte er eine Nachricht an die EKBB, ob ein Gespräch am 14. November 303 Am 31. 8. wurden die Grenzen wieder geöffnet, jedoch nur unter starken Einschränkungen. Vgl. Trutkowski, Ostblock, 110. 304 Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 8 (131) Dezember 1968, 50. Jahrestag der Vereinigung, 57. ˇ SSR 305 Allgemein waren Verurteilungen der Okkupation aus aller Welt für die Kirchen in der C 1968 wichtig. Vgl. Benesˇ, Evangelische Kirche, 168. 306 KJ 95 (1968), 267. 307 Vgl. Aktenvermerk über eine Unterredung im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 17. 9. 1968, 2 (EZA 102/374). Ausreisegenehmigungen gab es auch nicht in die Schweiz und nach Österreich, und für westliche Personen, die sich offen gegen den 21. August gestellt hatten, keine Einreisegenehmigungen. Auf Ausreiseanfragen gab Pabst daher die Antwort: „Ausreisegenehmigungen in die CSSR zu erhalten, ist augenblicklich schwierig.“ Antwort Pabst auf Anfrage wegen Dienstreise in die CSSR, 23. 5. 1969 (EZA 102/292).

Die Beziehungen zwischen den Landeskirchen in der DDR und der EKBB 137

möglich sein würde308. Auf seiner Rückreise wurde Pabst dann von Jirˇ Otter am Flughafen abgeholt und zum amtierenden Synodalsenior gebracht. Während eines längeren Gesprächs erzählte dieser von der Verdreifachung der Anmeldungen zum Religionsunterricht seit Januar 1968 und von der Zuversicht der Kirchen: „Die Kirchen haben die Hoffnung, daß der Reformkurs der Regierung fortgeführt werden kann. Alle Pfarrer, die aus politischen Gründen aus ihrem Dienst entfernt wurden, sind wieder in ihre Ämter eingesetzt. Behinderungen durch die Kirchensekretäre der Kreissekretäre gibt es nicht mehr. Mit einiger Sorge sehen allerdings die ˇ Kirchen der finanziellen Zukunft entgegen; denn gerade die Reformer in der KSC treten dafür ein, sämtliche Zuschüsse an die Kirche einzustellen.“309

Am Abend gab Pabst in einer Gemeinde in Prag seinerseits einen Bericht über die Lage der Kirchen in der DDR. Aus der Slowakischen Lutherischen Kirche erhielten die Kirchen in der DDR, abgesehen von der Information, dass der Generalbischof J n Chabada schwer krank und die Bischöfe Andrej L’ Katina und Sˇtefan Katlovsky´ verstorben seien, die Nachricht, dass auch das kirchliche Leben in der Slowakei aufblühe und sich hier die Teilnahme am Religionsunterricht sogar vervier- bis verfünffacht habe310. Im März 1970 schrieb Otter an Pabst einen Dankesbrief, in welchem er auf Pabsts Besuch anspielte und auch auf die Beziehungen zwischen den Kirchen einging: „Und ich bin froh, daß unsere bisherigen Beziehungen, die sich auch in den letzten zwei schwierigen Jahren gut gewährt hatten [sic!] /wir wollen auch nicht Ihren letzten kurzen Besuch in Prag vergessen/, auch weiterhin fortsetzen werden. Ich muß auch Ihnen sagen, daß ich mit großem Interesse die Entwicklung Ihrer kirchlichen Ereignisse in der DDR verfolge.“311

Otter meinte damit die Bildung des BEK. Pabst antwortete kurz darauf, dass er ebenfalls darum bitte, in Verbindung zu bleiben, und erklärte Otter seine neue Funktion im BEK als Referent für ökumenische Beziehungen312. ˇ SSR 1970 entspannte sich die Ausreisepolitik der DDR in Bezug auf die C wieder. So konnte zum 300. Todestag von Comenius im Oktober 1970 neben dem Kirchenpräsidenten der Anhaltischen Landeskirche und einem Oberˇ SSR fahren313. Im November fuhr Braecklein zur kirchenrat auch Pabst in die C Amtseinführung des neuen Generalbischofs J n Michalko in den slowaki308 Vgl. Aus einem Aktenvermerk über eine Dienstreise nach Genf (9.–14. 11. 1968), 1 (EZA 102/ 292). 309 Vgl. ebd., 1. 310 Vgl. ebd., 2. Alle drei amtierenden Bischöfe der lutherischen slowakischen Kirche verstarben bis 1970. Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2508. 311 Vgl. Brief Otter an Pabst 12. 3. 1970 (EZA 102/292). Deutschfehler im Original. 312 Vgl. Antwortbrief Pabst an Otter 31. 3. 1970 (EZA 102/292). 313 Vgl. Einladung EKBB durch Otter an Schönherr vom 22. 6. 1970 zum 300. Gedenken des Todes von Comenius 17.–18. 10. 1970 in Prag (EZA 102/292).

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ˇ SSR314. Die Einführung des pass- und visafreien Reiseverkehrs schen Teil der C ˇ SSR und der DDR erleichterte gegenseitige BeAnfang 1972 zwischen der C suche privater Natur.

4. Ökumene als Chance der Begegnung und Gefahr der Vereinnahmung Die sozialistischen Staaten versuchten die internationale Ökumene für ihre politischen Ziele nutzbar zu machen. In den 1960er Jahren entstanden an den staatlichen Theologischen Fakultäten in der DDR extra Lehrstühle für Ökumenik, deren Inhaber zumeist auch inoffizielle Mitarbeiter des MfS waren315. In der Regel erhielten kirchliche Vertreter in den 1960er Jahren nur dann eine Ausreisegenehmigung zu einer ökumenischen Tagung, wenn sie sich dort offiziell für die Anerkennung der DDR einsetzten und sich selbst als DDRBürger bezeichneten316. Für Kirchenvertreter aus Ost und West waren ökumenische Treffen ein wichtiger Ort zum Austausch und für Absprachen. Sie wollten einander begegnen, an den theologischen Debatten teilnehmen und diese mitgestalten. So wurde z. B. 1965 zwischen Jacob, Scharf und Krummacher abgesprochen, dass man sich, im Falle einer Abdankung des Berlin-Brandenburgischen Bischofs Dibelius, für eine Wahlsynode einsetzen wolle317. In Uppsala 1968 versuchten die DDR-Delegierten ihren westdeutschen Amtsbrüdern die Situation, die mit der neuen Verfassung eingetreten war, zu erklären und erläuterten, wie ein neu zu gründender Bund aussehen könnte318. Dennoch soll an dieser Stelle nur auf ˇ SSR und zwei Punkte genauer eingegangen werden, die für die Kirchen in der C in der DDR 1968 in ihrer Beziehung zueinander von Bedeutung waren: zum einen ihre Begegnung auf der Weltkonferenz in Uppsala und zum anderen die Reaktion des ÖRK und verschiedener Mitgliedskirchen auf die Okkupation.

4.1. Die Vollversammlung des ÖRK 1968 in Uppsala Bereits im Vorfeld von Uppsala trat in der DDR das Problem auf, dass einigen Delegierten die Ausreise verweigert wurde. Dabei spielte die Funktion der 314 Einladung Braecklein zur Amtseinführung von Jan Michalko zum neuen Generalbischof am 17. 11. 1970 (EZA 102/292). 315 Vgl. Stengel, Fakultäten, 655; vgl. auch Richter, Pietismus, 243. 316 Vgl. Findeis / Pollack, Selbstbewahrung, Interview mit Walter Pabst, 199. 317 Vgl. Lepp, Tabu?, 667 f. 318 Vgl. ebd., 814; vgl. auch Findeis / Pollack, Selbstbewahrung, Interview mit Walter Pabst, 200 f.

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betreffenden Person eine nachgeordnete Rolle. So durften die Bischöfe Gottfried Noth und Friedrich-Wilhelm Krummacher nicht nach Uppsala fahren. Gemeinsam sandten sie einen Protestbrief an Seigewasser. In diesem Brief stellten sie unmissverständlich klar, dass ihnen die Teilnahme in Uppsala unmöglich gemacht werde, wenn ihre Ausreise an die Forderung, auf ihre Funktion als Mitglieder im Rat der EKD mit einer schriftlichen Erklärung zu verzichten, gekoppelt sei319. Sie seien gewählt worden und würden diesem ihnen übertragenen Mandat nicht untreu werden. Im Nachgang erklärte Noth bei einem Gespräch mit Seigewasser, „daß seine Nichtteilnahme in Ubsalla [sic!] dem Staat der DDR nicht genützt, sondern eher geschadet habe. Viele leitende Kirchenleute haben das mit Befremden zur Kenntnis genommen.“320 In einem weiteren Gespräch mit Noth Ende Oktober 1968 bedeutete Seigewasser ihm, „daß diese Entscheidung nicht gegen die Person Noth als Landesbischof, sondern ausschließlich gegen die Person Noth als Mitglied des Rates der EKD gefällt werden mußte. In dieser Frage, die von prinzipieller Bedeutung im Kampfe um die Zerschlagung des Alleinvertretungsanspruchs des Bonner Staates sei, wird es kein Nachgeben und keine Kompromisse geben.“321

In der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen wurde genau geprüft und auf einer Liste zusammengestellt, wer eine Ausreisebewilligung nach Uppsala bekam und wer nicht322. Bei den Abgelehnten folgte je eine Zeile mit der Begründung – entweder weil sie Mitglied im Rat der EKD waren, wie Krummacher und Noth, oder aufgrund ihrer „negativen politischen Haltung“, was im Sommer 1968 in der Regel gleichbedeutend mit Sympathien für eine Demokratisierung des Sozialismus war. Nur bei Landessuperintendent Otto Schröder aus Mecklenburg sah man sich genötigt, der „negativen politischen Haltung“ noch ein „absolut“ als Verstärkung hinzuzusetzen. Keiner der Jugenddelegierten hatte nach Uppsala fahren dürfen. Die Begründung war hier gewesen, dass sie zu jung seien. Ein Delegierter wurde abgelehnt, weil er Geheimnisträger sei, die anderen wegen ihrer politischen Haltung. Von Seiten der Dienststelle des Staatssekretariats für Kirchenfragen war der Vorschlag gekommen, „im Fall der Ablehnung von Ausreiseanträgen Ersatzleute zu ökumenischen Konferenzen zu entsenden“, doch waren sich die Verant319 Vgl. Brief Krummacher und Noth an Seigewasser vom 26. 6. 1968, 1 (EZA 4/22) auch (BArch DO 4/2936). Am selben Tag schrieben in diesem Sinne auch Beste und Schönherr an Seigewasser. Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Kirchenleitung am 24. 7. 1968, 2 (LKAG 5/10612 Bd. XVIII). 320 Niederschrift über das Gespräch mit Landesbischof Noth vom 14. 7. 1969, 2 (BArch DO 4/2968 auch 4/429). 321 Aktenvermerk über eine Aussprache des Staatssekretärs mit Landesbischof Noth und Konsitorial-Präsident Johannes am 29. 10. 1968 vom 31. 10. 1968, 6 (BArch DO 4/429). 322 Vgl. An das ZK der SED Arbeitsgruppe Kirchenfragen von Weise vom 10. 6. 1968 (BArch DO 4/ 650).

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wortlichen in den Landeskirchen einig, diesem Vorschlag nicht nachzugegeben323. Dass es auf allen stattfindenden Herbstsynoden zu kritischen Anmerkungen kam, wenn Ausreisebewilligungen durch den Staat nicht gewährt worden waren, wurde von diesem als „neue […] Form der Einmischung in staatliche Entscheidungen“ gewertet324. Uppsala ist ein typisches Beispiel für den Versuch, über die Ausreisebewilligungen und -ablehnungen Einfluss auf internationale ökumenische Gremien zu nehmen. Fahren durfte, wer nicht direkt mit der EKD in Zusammenhang stand, von wem man sich erhoffte, dass er international für die Anerkennung der DDR als souveränem Staat eintreten würde, und wer etwaige Sympathien für das Experiment im Nachbarland vor den Behörden verborgen gehalten hatte. In der schwedischen Stadt Uppsala fand dann vom 4. bis 20. Juli 1968 unter dem Thema: „Siehe, ich mache alles neu!“ die IV. Vollversammlung des ÖRK statt. Zu den 704 Delegierten kamen Beobachter, Berater, Gäste, Mitarbeiter, so dass der offizielle Bericht eine Gesamtzahl von 2700 Menschen nennt, die in ˇ SSR Uppsala zusammentrafen325. Dort wurden die Reformprozesse in der C nicht offiziell verhandelt, dennoch waren sie durch die Erzählungen der Deˇ SSR Gesprächsthema. Dass sich Generalsuperintendent legierten aus der C Jacob in seiner Ablehnung des 21. August immer wieder auf die Gespräche mit Josef Hrom dka, Jaroslav Ondra und Andrej Zˇiak in Uppsala bezog, ist ein deutliches Zeichen dafür. Darauf berief er sich nicht nur in verschiedenen Gesprächen mit staatlichen Stellen, sondern ebenfalls in seiner Absage zum 12. Parteitag der CDU und in seinem Brief an den Vorsitzenden des Bundes evangelischer Pfarrer, in welchem er dessen Argumentation für den Einmarsch zurückwies. Aus den Gesprächen sei hervorgegangen, dass es in der ˇ SSR weder eine antisowjetische Stimmung, noch eine Konterrevolution geC geben habe und die Parallele zu Ungarn unzulässig sei326. Auch Schönherr äußerte seine Verwunderung in einem Gespräch Seigewasser gegenüber, dass ihm das Treffen mit Scharf in Prag so sehr angelastet wurde, weil dieses nur sehr kurz und unbedeutend gewesen sei, im Vergleich zu den 18 Tagen, die er mit ihm in Uppsala zusammen gewesen sei327. Carl Ordnung, der Sekretär des Regionalausschusses der CFK in der DDR, schrieb einen 17-seitigen Bericht über Uppsala an den CDU-Vorsitzenden Gerald Götting, in welchem er klar zwischen ,gut‘ und ,böse‘ unterschied und 323 Vgl. Entwurf. Brief Pabst an Noth vom 26. 9. 1968 (EZA 102/374). 324 Vgl. Entwurf. Einschätzung der Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR vom 29. 11. 1968, 3 (BArch DO 4/401); kirchlich z. B. Tätigkeitsbericht des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes, erstattet durch Landesbischof Noth vor der 19. Ev.-Luth. Landessynode am 9. 11. 1968, II. Teil, 1 (LKA DD, Best. 1, Nr. 384). 325 Vgl. Goodall, Bericht aus Uppsala 1968, XV. 326 Abschrift. Brief Jacob an Schäfer vom 9. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2950); vgl. auch Kapitel 3.1., 151. 327 Aktenvermerk vom 5. 9. 1968 über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am 4. 9. 1968, 5 (BArch DO 4/791 ebenso 792).

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über die einzelnen Gespräche und deren Beteiligte berichtete328. Sein Fazit war, dass die Konferenz als ganze der Konvergenztheorie verpflichtet gewesen sei. Als Mangel empfand Ordnung, dass nicht über die europäische Sicherheit gesprochen und die deutsche Frage ausgeklammert worden sei. Sehr genau ˇ SSR auch Personen delegiert worden waren, die beobachtete er, dass aus der C er als „reaktionäre Exponenten der Kirchenleitung der Böhmischen Brüder“ ˇ apek und Pavel Sˇimek rechnete329. bezeichnete und zu denen er Vladimir C Ebenso hatte er beobachtet, dass Ondra von seinen Landsleuten nach Möglichkeit geschnitten wurde. Auf zwei Seiten berichtete Ordnung, was er aus Gesprächen über die Spannungen an der Comenius-Fakultät in Prag und über den seit dem Frühjahr 1968 sehr schwierigen Stand von Ondra, Hrom dka und Opocˇensky bei den eigenen Leuten herausgehört hatte330. An der Fakultät sei gegen die CFK demonstriert worden, sie seien als Stalinisten beschimpft worden, man versuche Opocˇensky aus seiner Stelle in Genf zu hebeln. Denˇ SSR ihre jetzige Entwicklung in den noch waren jene der Meinung, dass die C Griff bekommen würde und sprachen sich grundsätzlich für den Reformˇ SSR kam Ordnung zu folprozess aus331. Über die Bedeutung des Themas C gendem Urteil: „Zwar wurden die Entwicklungen in der CSSR in Uppsala offiziell nicht erörtert. In vielen Einzelgesprächen und Randdiskussionen jedoch wurden sie als Beweis für die Konvergenztheorie bewertet. Es gehe in sozialistischen wie in kapitalistischen Ländern um eine Strukturänderung in Richtung auf Demokratisierung, wurde behauptet. Andererseits muß gesagt werden, daß die christliche Haltung für eine Konvergenztheorie besonders anfällig ist. Geht doch der christliche Glaube von der Einheit der Menschheit und der Einheit der Welt aus. Es wird in Zukunft notwendig sein, die ganze Frage der internationalen Klassenauseinandersetzung auch unter theologischen Aspekten zu diskutieren und herauszuarbeiten, daß es nicht genügt, formal von der einen Welt zu reden, sondern deutlich zu machen, daß es uns um die eine Welt des Friedens und des Sozialismus geht, gegen die Welt imperialistischer Unterdrückung und Kriege.“332

ˇ SSR in einem Kurzreferat gesprochen Nur Lochman habe öffentlich über die C ˇ SSR geschehe, sei nur, dass man und die These vertreten, was heute in der C 328 Vgl. Bericht von Ordnung an Götting. Zur IV. Weltkirchenkonferenz in Uppsala, undatiert (ACDP 07-010-3252). 329 Vgl. ebd., 8. 330 Vgl. ebd., 8 f. Auch die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen ging davon aus, dass Hrom dka und Lochman sich aufgrund von Druck aus ihren Kirchen zurückhielten. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 765. 331 Information 1021/68 vom 16. 9. 1968, die Reaktion internationaler kirchlicher Gremien auf die Ereignisse in der CSSR, 7 (BStU, MfS, ZAIG 1570 ebenso HA XX/4, Nr. 1233); und gleichlautende Information vom 4. 9. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086, 6). 332 Bericht von Ordnung an Götting. Zur IV. Weltkirchenkonferenz in Uppsala, undatiert, 5 (ACDP 07-010-3252).

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den Menschen mehr Verantwortung gebe. Positiver bewertete Ordnung selbstverständlich die Teilnehmer, die gleichzeitig in der CFK aktiv waren. Über die neu gewählten Kommissionen und den Zentralausschuss rechnete Ordnung sehr genau auf, wer wo wie viele Sitze bekam und ob diese Verteilung zwischen BRD und DDR gerecht sei. In diesem Zusammenhang zählten dann auch Personen ,positiv‘ für die DDR, die sonst eher kritisch beurteilt wurden, wie Johannes Hamel, Werner Krusche und Ulrich Kühn, die in die ÖRKKommission Glaube und Kirchenverfassung gewählt worden waren333. Auch der Staat war der Meinung, dass Uppsala eine Konferenz war, „die im Zeichen der imperialistischen Konvergenztheorie stand.“334 Insgesamt urteilte man, dass Uppsala weder einen Rück- noch einen Fortschritt bedeutet habe335. Darüber war man etwas verärgert, hatte man sich doch von Aufnahme der Russisch-Orthodoxen Kirche und der Beteiligung von Vertretern der CFK mehr versprochen. Doch traten letztere nicht geschlossen auf, und bei den Vertretern der Russisch-Orthodoxen Kirche sah man das Problem, „daß mitunter ihr theologischer Konservativismus sie daran hindert, richtige politisch-taktische Entscheidungen zu treffen.“ So hatten diese den westdeutschen Hans Lilje ärgerlicherweise ins Präsidium gewählt, doch nur, weil die schwedische Gegenkandidatin eine Frau gewesen war. Bei der CFK sah man ˇ SSR-Vertreter, „veranlaßt durch die zusätzlich das Problem, dass sich die C Vorgänge in der CSSR und eingeschüchtert durch die teilweise sehr massive Kritik des reaktionären Flügels der eigenen Kirchen“, bei politischen Diskussionen zurückhielten. Sehr genau wurde „Germany“ unter die Lupe genommen. Vom ersten Tag an hatten beide deutsche Delegationen unter diesem Schild bunt gemischt beisammen gesessen, nach einem Tag wurde das Schild entfernt. Gespräche und Kontakte konnten nicht kontrolliert werden. Über die DDR-Delegierten zeigte man sich verschnupft, weil sie zum größten Teil „völlig passiv“ gewesen seien. Selbst die beiden, die im Plenum das Wort ergriffen, hätten „beide die Gelegenheit, als bewußte Bürger der DDR aufzutreten, verschenkt.“ Dabei waren die Delegierten im Vorfeld beim Staatssekretär „ausdrücklich aufgefordert“ worden, „als selbständige Delegation der Kirchen der DDR aufzutreten und sich nicht an die EKD binden zu lassen.“ Auch nahmen die Delegierten nicht den anempfohlenen Kontakt zu den Delegierten der anderen sozialistischen Länder auf. Ganz „problematisch“ sah man das Verhalten bei Wahlen und Abstimmungen. Denn, „obwohl sich auch hierbei die Delegierten unterschiedlich verhielten, muß man feststellen, daß ein nicht geringer Teil regelmäßig falsch gestimmt hat.“ Zusammenfassend bescheinigte man der DDR-Delegation „allenfalls neutralistisches Verhal333 Vgl. ebd., 13. Eng: „Faith and Order“. 334 Information über einige aktuelle kirchenpolitische Aspekte vom 27. 1. 1969, 1 (BArch DO 4/ 330). 335 Information 14/68 Berlin, den 30. 9. 1968, Einschätzung der IV. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), 1 f. (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 520). Alle weiteren Zitate stammen aus dieser 14-seitigen Einschätzung.

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ten“336. Im Nachgang zu Uppsala wurde den DDR-Delegierten erklärt, dass sie in Hinblick auf ihr Auftreten als Staatsbürger der DDR versagt hätten337. 4.2. Nach dem 21. August 1968 Bereits am 21. August schrieben ÖRK, Lutherischer Weltbund, Reformierter Weltbund und die Konferenz evangelischer Kirchen in Europa ein Sympaˇ SSR „im thietelegramm, in welchem sie versicherten, mit den Brüdern in der C 338 Gebet verbunden“ zu sein . Mit weiteren Äußerungen waren sie angesichts der „undurchsichtigen“ weltpolitischen Lage sehr vorsichtig339. Am 22. August sandte der Generalsekretär des ÖRK Eugene Carson Blake an alle Mitgliedskirchen, deren Regierungen das militärische Eingreifen in der ˇ SSR unterstützten, ein gleichlautendes Telegramm mit der Bitte, „unverC züglich die Einstellung oder Position Ihrer Kirche zu jüngsten Ereignissen in der Tschechoslowakei mitteilen zu wollen.“340 Außerdem teilte er mit, dass eine Handreichung mit Auszügen aus früheren ÖRK-Erklärungen zum Problem Frieden gesendet werde und er, Blake, vorerst keine neue Erklärung aus der Leitung des ÖRK vorschlage341. Auch an die acht ostdeutschen Landes336 Information 14/68 Berlin, den 30. 9. 1968, Einschätzung der IV. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), 14 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 520). 337 Vgl. Entwurf. Kurzbericht über die Aussprache mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz Niklot Beste am 19. 9. 1968, vom 20. 9. 1968, 4 (BArch DO 4/2936). Die CDU beschloss bei einer Auswertung den kirchlichen Vertretern Ähnliches zu sagen: „Es ist beabsichtigt, den kirchlichen Vertretern ihr Versagen in Hinblick auf ihr Auftreten als Staatsbürger der DDR nachdrücklich deutlich zu machen.“ Aktenvermerk vom 8. 8. 1968, 2 (ACDP 07-013-3062). 338 Information 1021/68 vom 16. 9. 1968, die Reaktion internationaler kirchlicher Gremien auf die Ereignisse in der CSSR, 1 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1570 ebenso HA XX/4, Nr. 1233); auch „In Auswirkung des bereits seit längerem vor sich gehenden Ausbaus des Einflusses der USA und Westdeutschlands auf die leitenden Gremien der kirchlichen Weltorganisationen (Ökumenischer Rat der Kirchen, Lutherischer Weltbund, Reformierter Weltbund) erfolgte von deren Repräsentanten eine offene Parteinahme bzw. Unterstützung der antisozialistischen und konterrevolutionären Kräfte in der CSSR.“ Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlussfolgerungen vom 12. 9. 1968, 1 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). Außerdem wurde der „Versuch unternommen, die evangelischen Landeskirchen in der DDR zu einer ähnlichen Haltung zu veranlassen. Und sie in Widerspruch zu den Maßnahmen vom 21. 8. 1968 und zur Politik der Regierung der DDR zu bringen.“ ebd. 339 Vgl. Aktennotiz vom 2. 9. 1968 (LKAE, A 800 10/11). 340 Dokumentation, undatiert, 3. Telegramm Eugen Blake vom 22. 8. 1968 (EZA 102/292). 341 Ebd.; vgl. auch Memorandum von Frederick Nolde, Direktor der Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten (KKIA) des ÖRK in Genf vom 22. 8. im Wortlaut, 1 – 3. Darin verschiedene Äußerungen des ÖRK von Evanston bis Uppsala über Frieden, Verzicht auf Massenvernichtungswaffen und andere Gewalt und Achtung der Souveränität auch der kleinen Staaten. Dieses Memorandum ist in allen Landeskirchlichen Archiven zu finden z. B. (EZA 102/ 292); und vgl. Information 1021/68 vom 16. 9. 1968, die Reaktion internationaler kirchlicher Gremien auf die Ereignisse in der CSSR, 1 – 3 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1570 ebenso HA XX/4, Nr. 1233); und gleichlautende Information vom 4. 9., 1 – 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086).

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kirchen, die EKD, die EKU und das Lutherische Kirchenamt, ging dieses Telegramm. Allerdings erhielten die Kirchenleitungen in der DDR dieses nicht, da es abgefangen und zurückgehalten wurde342. Die Kirchen in der DDR erfuhren erst Anfang Oktober den Telegramminhalt343. Trotzdem hielt der Staat die Einberufung der evangelischen Bischofskonferenz für den 24. August in Berlin für eine direkte Aufforderung aus dem Westen, unter anderem durch Blake344. Daraufhin wurde der ÖRK von Kirchenvertretern aus Polen und Russland gebeten, keine offizielle Stellungnahme abzugeben, der Patriarch der orthodoxen Kirche Bulgariens ließ wissen, dass er nicht die Absicht hätte, sich politisch zu äußern, und die Reformierte Kirche signalisierte, dass sie sich später äußern würde345. Der Ökumenische Rat der Kirchen von Ungarn schrieb eine umständliche Erklärung, in welcher er militärische Lösungen bedauerte, gleichzeitig eine Parallele zu 1956 zog und erklärte, dass Hrom dka damals in seiner prosowjetischen Stellungnahme recht gehabt habe346. Kirchen aus der DDR wurden nicht erwähnt. Am 28. August sandten der Generalsekretär des ÖRK Blake und der Vorsitzende des Zentralausschusses Madathilprampil Mammen Thomas sowie zwei Stellvertreter eine anderthalbseitige Erklärung zur Lage in der Tschechoslowakei an die Mitgliedskirchen des ÖRK. Damit sollte eine Antwort auf ˇ SSR gegeben den indirekt erhaltenen Appell der Mitgliedskirchen aus der C werden. Nachdem man Erkundigungen bei den von den Ereignissen betroffenen Kirchen eingeholt hatte, war man zu einer Positionierung gelangt, die in fünf Punkten dargestellt wurde. So wurde erstens die Okkupation als „militärische Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Tschechoslowakei“ 342 Vgl. Information vom 22. 8. 1968 Telegramm des Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf an Landeskirchen der DDR (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Im Anhang das Telegramm. Dazu die Information, dass die Telegramme „bisher nicht zugestellt worden“ seien. 343 Brief Generalsekretariat ÖRK an Pabst vom 20. 9. 1968, Mitteilung, dass außer dem Telegramm vom 22. und der Erklärung vom 27. nichts geschickt wurde. Antwort Pabst vom 2. 10. „Das von Ihnen erwähnte Telegramm vom 22. 8. 68 ist hier nicht eingetroffen.“ Am 14. 10. erfolgte die Antwort mit Telegramminhalt (EZA 102/292). 344 „Der direkten Aufforderung des Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen, Carson Blake, und den Anregungen der EKD-Vertreter Westdeutschlands folgend, wurde am 24. 8. 1968 eine Konferenz der Kirchenleitungen der DDR […] einberufen, um hier das Vorgehen der Kirchen in ihrer Stellungnahme zu den Ereignissen in der CSSR abzustimmen und festzulegen.“ Information vom 9. 10. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 1 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Bis auf wenige Formulierungen gleichlautend wie die gleichnamige Information Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5). Gerade diese ersten zitierten Sätze sind nur in der Information vom 9. 10. so scharf formuliert. 345 Ökumenischer Pressedienst Nr. 36 – Jg. 35, 3. 10. 1968, 2 (Nachlass Hrom dka ETF 3-29-1). 346 Abschrift. Stellungnahme der Generalversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen von Ungarn zu den Ereignissen in der Tschechoslowakei, 2, 6 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086).

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bedauert, zweitens festgestellt, dass die dortige Regierung mit legalen Mitteln versucht habe, mehr Freiheit zu gewähren und mehrheitlich von ihrer Bevölkerung unterstützt worden sei, drittens wurden Auswirkungen aufgrund des Vertrauensbruches der UdSSR befürchtet, viertens an letztere appelliert, die Truppen möglichst zeitnah zurückzuziehen, und fünftens erfolgte eine klare Option für die Tschechoslowaken und die Bitte um Fürbitte. „Wir fühlen uns eins mit den Kirchen und dem Volk der Tschechoslowakei und drücken ihnen unsere Anteilnahme in dieser schweren Prüfung aus. Wir unterstützen ihren gewaltlosen Widerstand gegen die erzwungene Wiedereinführung geistiger, intellektueller und sozialer Kontrollen, die für eine tapfere und mutige Nation unannehmbar sind.“347

Auf dieses Schreiben reagierten verschiedene Kirchen aus dem Ostblock, vor allem aus den Sowjetrepubliken, mit Unverständnis und Ablehnung, insbeˇ SSR eine Intervention gegeben sondere auf die Feststellung, dass es in der C hätte. Kirchen aus der DDR wurden nicht erwähnt348. Der Patriarch von Moskau gab am 28. September eine Stellungnahme ab, in welcher er das Vorgehen seines Landes rechtfertigte. Er gebrauchte die üblichen sozialistischen Argumente, dass man nicht emotional reagieren solle, dass der 21. August eine „Bekundung – wenn auch in einer außerordentlichen Form – der Solidarität“ gewesen sei349. Ein drohender Bürgerkrieg hätte verhindert werden können und er verwies auf das Motto der III. ACFV „Suche den Frieden und jage ihm nach!“ als Aufforderung, alles für die Festigung des Friedens zu tun350. In diesem Kontext fällt das Unisono-Schweigen der Kirchen und religiösen Gemeinschaften aus der DDR besonders auf351. Der Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, hielt den vier Kirchenleitungen, die etwas gegen den 21. August gesagt hatten, die offiziellen Beifallsbekun347 Die Erklärung findet sich mit der Bitte um Fürbitte in den Landeskirchenarchiven. Z. B. (ELAB 35/719). Ebenso beim MfS: Ökumenischer Rat der Kirchen. Information, 28. 8. 1968 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 348 Ökumenischer Pressedienst Nr. 36 – Jg. 35, 3. 10. 1968 2 – 4 (Nachlass Hrom dka ETF 3-29-1). So der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, der Patriarch von Georgien, die evangelisch-lutherischen Kirchen aus Lettland und Estland sowie Baptisten aus der Sowjetunion. Der ˇ SSR bedankte sich dagegen und der rumänische Metropolitanrat der orthodoxen Kirche der C Patriarch sandte eine Botschaft der Rumänischen Kirchen, die sich für das Freiheitsrecht der Tschechoslowaken aussprach. 349 So immer wieder, z. B. Erklärung seiner Heiligkeit des Patriarchen von Moskau und ganz Russland Alexy, zu den Ereignissen in der Tschechoslowakei vom 28. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 350 Ebd., 3. 351 Besier führt das Schweigen der Kirchen in der DDR darauf zurück, dass diese Angst hatten, sich vom SED-Staat zu distanzieren. Die Wahrnehmung, dass vier Landeskirchen auf die Aufforderungs Blakes schwiegen, stimmt. Besier geht jedoch weiter in der Aussage „die vier anderen wiesen das Ansinnen des ÖRK-Generalsekretärs Calson Blake sogar dezidiert zurück.“ Der Quellenbefund weist jedoch darauf hin, dass keine Landeskirche letzteres tat. Vgl. Besier / Wolf, Pfarrer, 21.

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ˇ SSR Begegnungen zwischen den evang. Kirchen in der DDR und der C

dungen anderer Kirchen aus den sozialistischen Ländern vor Augen und meinte, dass die vier anderen Kirchen in der DDR wenigstens geschwiegen hätten. Damit wertete er das Schweigen in gewissem Sinne also positiv. Eine einheitliche Erklärung des ÖRK hatte nicht zustande kommen können, da auch Kirchen Mitglied waren, die sich nicht gegen ihre okkupierenden Regierungen stellten. Der Brief wurde von Seiten der Dienststelle des Staatssekretariats als weiterer Versuch gewertet, sich von westlicher Seite einzumischen352. Er war in den Gemeinden in der DDR kaum bekannt. So fragte z. B. das Katechetische Seminar Potsdam deswegen bei der Berlin-Brandenburgischen Kirchenleitung nach. Sie hätten zufällig von dieser Erklärung gehört und sich gewundert, dass in ihren Gemeinden davon nichts zu erfahren war. Daher wollten sie nun wissen, ob die Kirchenleitung den Brief bekommen habe und ob sie gedächte, diesen ihren Gemeinden und der Regierung bekannt zu geben. Denn „wir sind der Ansicht, daß nur informierte Gemeinden auch aktive Gemeinden sein können.“353 Eine Antwort bekamen die Seminaristen am 16. Dezember: Ja, der Brief sei Ende September eingegangen. Allerdings habe es schon den Brief der Kirchenleitung gegeben, der allen Pfarrern zur Verfügung gestellt und „von den meisten am 8. September 1968 verlesen worden“ sei354. Bei Gesprächen mit dem Staatsekretär für Kirchenfragen, Seigewasser, allerdings habe dieser von selbst die Erklärung des ÖRK angesprochen, „ehe sie unseren Vertretern dem Wortlaut nach bekannt war.“355 Die Notwendigkeit zur Information sei dringend geboten, allerdings wäre auch die Kirchenleitung nicht immer ausreichend informiert. „Das ist besonders schwerwiegend in einem Fall, in dem die öffentliche Information und Propaganda der kirchlichen Auffassung entgegengesetzt ist.“356 Insgesamt lässt sich sagen, dass der Brief von 1968, der auf die Unterdrüˇ SSR direkt eingeht, sich von der Richtung der interckungssituation in der C nationalen ökumenischen Gremien in den 1970er und 1980er Jahren abhebt. So war man zwar in ÖRK und KEK auch in diesem Zeitraum über die Situation ˇ SSR informiert, doch äußerte man sich nicht mehr öffentlich dazu357. in der C

352 Vgl. Gedächtnisprotokoll von Schönherr vom 13. 9. 1968 über das Gespräch am 6. 9. 1968 bei Seigewasser, 1 (ELAB 35/719). 353 Brief des Katechetischen Seminars Potsdam an die Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg vom 22. 10. 1968 (ELAB 35/719). 17 Unterschriften. 354 Vgl. Brief des Evangelischen Konsistoriums an das Katechetische Seminar vom 16. 12. 1968, 1 (ELAB 35/719). 355 Vgl. ebd., 2. 356 Ebd. 357 Kunter, Menschenrechte, 155 f. Es fehlte nunmehr das „klare öffentliche Wort.“ Ähnlich argumentierte sie in: Kunter, Schlussakte.

III. Die protestantische ,Linke‘ in der DDR am Fallbeispiel der CFK und des Bundes Evangelischer Pfarrer Im ersten Kapitel wurde schon darauf hingewiesen, dass der Staat so genannte ,Progressive‘ unter den Christen als Mittel der Differenzierungspolitik betrachtete. Nach dem 21. August 1968 erwartete die SED die gewohnte Beipflichtung zu ihrer Politik. Seigewasser hatte Anfang 1968 die Meinung geäußert, dass „dort, wo aus der Respektierung des Aufbaus des Sozialismus die aktive Mitarbeit an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft wird, wo die Kirche sich auf ihre Aufgaben beschränkt und ihre Forderung nach der Ausübung eines Wächteramtes aufgibt, dort gibt es auch, wie die Praxis erweist, keine Konflikte.“1

Seigewasser sah diese Erwartungen in bestimmten ,progressiven‘ Gruppierungen, die er als ,unsere Verbündeten‘ bezeichnete, verwirklicht. Explizit erwähnte er die Arbeitsgruppen Christen bei der Nationalen Front, den Bund Evangelischer Pfarrer, die Berliner Konferenz und den Regionalausschuss der CFK in der DDR2. Dabei war Seigewasser schon Anfang 1968 nicht vollständig von deren Wirksamkeit überzeugt: „Die Frage ist, ob die genannten Gruppierungen genügend Initiative entwickeln und ob das, was sie tun, immer in der richtigen Vorstellung von ihren Aufgaben und ihrer Rolle geschieht.“3 Zum einen konnten die ,Progressiven‘ nie mehr als einen kleinen Teil Geistlicher binden, die dann häufig gleich in mehreren dieser Kreise aktiv waren4. Im Frühjahr 1968 waren z. B. dem RA der CFK in der DDR 207 Personen per 1 Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 59. 2 Neben den von Seigewasser erwähnten, wäre noch der WAK oder die Kirchliche Bruderschaft Sachsens zu nennen. Vgl. Funk, DDR-Kirchenpolitik, 34. Weitere Organisationen wie der Weltfriedensrat besaßen wenig Bedeutung für die Kirchenpolitik und spielen in den Quellen keine Rolle. 3 Grundsätzliche Probleme der Staatspolitik in Kirchenfragen unter besonderer Berücksichtigung der Schwerpunktaufgaben des Jahres 1968 / Brandenburg, den 12. 2. 1968, 36 f. (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/10). Dieses Zitat ist nicht mit abgedruckt bei Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung. 4 Von 22 erwähnten Namen eines Protokolls beim Bund Evangelischer Pfarrer finden sich über die Hälfte auch im Regionalausschuss der CFK. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des Bundes vom 30. 10. 1968, 1 (ACDP 07-013-2139). Als 1969 in der CFK DDR ein neuer Regionalausschuss zu wählen war, stellte Carl Ordnung eine Liste von 54 Mitgliedern der CDU bzw. des Pfarrerbundes auf, die kommen sollten, um ein erwünschtes Ergebnis zu garantieren. Vgl. die Ausführungen zur CFK in diesem Kapitel, 196 – 197.

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Unterschrift verpflichtet, die aber nicht alle Theologen waren5. Zudem konnten sie trotz der Öffentlichkeit, die ihnen in der sozialistischen Presse zugebilligt wurde, nur wenig Einfluss in den Kirchen gewinnen6. Unter ihnen gab es ein breites Spektrum von Motivationen, in diesen Organisationen mitzuarbeiten. Einige waren links und oder staatsloyal eingestellt, andere hofften auf diese Weise, Vorteile für die Kirche herauszuschlagen oder waren von ihren Kirchen geschickt worden7. Manche, z. B. Emil Fuchs, standen in der Tradition der religiösen Sozialisten, die im Sozialismus tatsächlich eine Alternative sahen8. Eine Motivation für Geistliche, in solchen Gruppierungen mitzuarbeiten, war noch in den 1960ern aus der Erfahrung des II. Weltkrieges heraus ein unbedingtes Eintreten für den Frieden, den man gegenüber anderen Werten als vorrangig erachtete und für den man sogar Kompromittierung in Kauf nahm9. 1968 kam hinzu, dass auch ,Progressive‘ von der Aufbruchsstimmung aus Prag beeinflusst wurden. Zur der III. ACFV, bei der Anfang April ungefähr 700 Menschen in Prag waren, hatten sich 36 Delegierte aus der DDR ein eigenes Bild machen können. Angesichts der Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus und des Willens, für unbedingten Frieden einzutreten, angesichts sowjetischer Panzer und gewaltlosen Widerstands der ˇ SSR-Bevölkerung gerieten selbst Geistliche, die bis dato klar auf der Linie der C ,Friedenspolitik‘ der DDR gestanden hatten, so sehr in Bedrängnis, dass sie nicht mehr eindeutig „Ja“ zur DDR-Politik zu sagen vermochten. Sieht man von der Blockpartei CDU10 und von einigen Arbeitsgruppen Christliche Kreise bei der Nationalen Front ab, so waren die Quelle für die sporadischen staatstreuen Aussagen, die im Herbst 1968 veröffentlicht wurden, Personen aus dem Bund Evangelischer Pfarrer11. Sowohl der RA der CFK als auch der WAK 5 Protokoll der Sitzung des Regionalausschusses der CFK / DDR am 11. 3. 1968, 1 (EZA 675/109). 6 Vgl. Heinecke, Konfession, 108. 7 Lindemann geht davon aus, dass 1963 z. B. Hans-Jochen Tschiche oder Martin Kramer von ihrer Kirchenleitung zur Mitarbeit bewegt worden waren. Diese sorgten anfangs für kritische Stimmen im RA der CFK der DDR, die Mitte der 1960er verstummten. Die Konflikte kamen 1968 voll zum Ausbruch. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 713 f. 747. Martin Kramer meint selbst zu seinem Engagement: „Ich wollte die CFK – wie vorher auch schon den Bund Evangelischer Pfarrer in der DDR – nicht allein lassen, sondern mit Fragen von innen konfrontieren, die in der Kirche gestellt wurden, und in der Kirche Fragen laut werden lassen, die von dort kamen.“ Brief Kramers an die Verfasserin vom 18. 1. 2010, 1 f. 8 Funk, DDR-Kirchenpolitik, 35. 9 Für die 1950er hat Schmutzler anhand des Engagements von Johannes Herz im Weltfriedensrat eine ähnliche Sicht herausgearbeitet. Sie führt den Nachweis, dass Herz’ Wille um Frieden zu fast jedem Preis nicht politisch motiviert war, sondern christlich. Vgl. Schmutzler, Evangelischsozial, 318. 10 Zum Verhalten der CDU 1968 vgl. Ruthendorf-Przewoski, Ost-CDU 1968. 11 Die epd zählte fünf solcher Veröffentlichungen, vgl. epd Nr. 38/68 Wortlaut der Erklärungen und Stellungnahmen, 22 (ELAB 1/910). Im Evangelischen Pfarrerblatt hieß es zwar „zahlreiche gesellschaftliche Institutionen und Einzelpersönlichkeiten“ hätten Stellung genommen, doch waren neben der Stellungnahme des Pfarrerbundes und aus der CDU nur zwei Pfarrer vertreten: Gerhard Herrmann, Altenbergen (CDU) und Erich Arndt, Bützow (Evangelisches Pfarrerblatt 9/

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waren hingegen verstummt12. In der Folge kam es in allen ,progressiven‘ Kreisen zu Personalveränderungen, in allen wurde massiver staatlicher Druck ausgeübt. Aus diesen Gründen soll den ,Progressiven‘ in dieser Arbeit mit einem eigenen Kapitel Raum gegeben werden, obwohl sie nur wenige waren und die Kirchen ihnen von Anbeginn bis zum Ende der DDR sehr kritisch gegenüberstanden. Als Fallbeispiele wurden der Bund Evangelischer Pfarrer und die CFK ausgewählt. Es wäre auch möglich, andere Beispiele zu wählen13. Ersterer wurde ausgewählt, weil von ihm eine der raren Stellungnahmen stammt, die den 21. August rechtfertigten und es darauf von kirchlicher Seite ˇ SSR Widerspruch gab. Die Entscheisowohl aus der DDR als auch aus der C dung für die CFK fiel, weil sie eine realsozialistisch geprägte internationale Organisation war, die ihren Sitz in Prag hatte und von Anfang an einen starken deutschen Impetus hatte – der westdeutsche Theologe Hans Joachim Iwand gehörte zu den Gründern.

1. Der Bund Evangelischer Pfarrer 1968 Der Bund Evangelischer Pfarrer war aufgrund einer staatlichen Initiative 1958 gegründet und bereits 1974 wieder aufgelöst worden14. Die in ihn gesetzten 68, 251 f.). In der folgenden Ausgabe kam noch Erich Evers, Demmin, hinzu, sowie einige Arbeitsgruppen Christliche Kreise (Evangelisches Pfarrerblatt 10/68, 279 f.). 12 Der Weißenseer Arbeitskreis (WAK) gründete sich Ende der 1950er Jahre aus einem bruderrätlichen Kontext und nahm verschiedene Personen in sich auf, die in Dibelius’ Frontalopposition gegen die SED keinen Ausweg sahen. Auch hier kam es nach dem 21. August zu Auseinandersetzungen. Hanfried Müller hatte einen Gegenbrief zu dem von Schönherr unterzeichneten und als Kanzelabkündiung verlesenen Brief der Berlin-Brandenburger Kirchenleitung vorbereitet, der sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Vgl. Aktenvermerk vom 12. 9. 1968, 1 f. (BArch DO4/791). Auf der entscheidenden Sitzung am 23. 9. 1968 war die Hälfte der Mitglieder für Schönherr, die andere gegen ihn. Vgl. Bericht über die Tagung des Weißenseer Arbeitskreises am 23. 9. 1968, 3 (ACDP 07-13-2136). In der Folge sollten deswegen staatlich unbequeme Personen herrausgedrängt werden. Vgl. Entwurf. Einschätzung der Synode der Kirche Berlin-Brandenburg vom 1.–5. 11. 1968, am 8. 11. 1968, 10 (BArch DO 4/444 ebenso 2946). Haspel weist auf die Veränderungen hin und betont, dass man den WAK von Anfang der 1960er Jahre nicht mit der Position der ,Weißenseer Blätter‘ in den 1980ern verwechseln darf. Vgl. Haspel, Politischer Protestantismus, 101 f. 13 Ein anderes Beispiel ist der christlich-marxistische Dialog, der in den 1960ern gerade in der ˇ SSR eine große Rolle spielt. Er rechtfertigt eine eigene Arbeit. Wichtige tschechische Vertreter, C allen voran Milan Machovec, wurden in Kirchen in der DDR gelesen und zu seinen Vorträgen 1967/68 in verschiedenen ESGen in der DDR erschienen Hunderte. Da aber in der CFK eine größere Personalunion mit anderen christlichen, an der SED orientierten Organisationen in der DDR bestand, er von offizieller Seite in der DDR von vornherein abgelehnt wurde und das ,revisionistische‘ Potential viel größer war – ist die CFK das bessere Beispiel. Der 21. August war im christlich-marxistischen Dialog ebenfalls Ab- und Umbruch. Widmann spricht sinnvoller Weise für nach 1968 von einem „Postdialog“. Vgl. Widmann, Gespräch, 136. 14 Vgl. Mau, Eingebunden, 109 – 114. Zur Auflösung des Bundes hieß es, dass der Bund „keine

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staatlichen Hoffnungen, ein Gegengewicht zu den ,reaktionären‘ Kirchenleitungen bilden zu können, erfüllte er nicht15. Er blieb eine Randerscheinung und hatte trotz oder vielleicht gerade wegen massiver staatlicher Unterstützung nie mehr als 200 Mitglieder16. Ende 1968 traten auch wieder interne Spannungen im Pfarrerbund zutage. Die einen wollten wenigstens nicht „in das Fahrwasser der CDU und der Nationalen Front“ geraten, während die anderen der Meinung waren: „Wir sind ein Teil der Nationalen Front, wir sind Nationale Front.“17 Die Kirchen blieben auf Distanz. Krusche erklärte in einem Gespräch mit Vertretern des Pfarrerbundes 1969 unumwunden, dass er diese als „Sprecher außerkirchlicher Stellen in der Kirche“ ansehe. Er begründete dies folgendermaßen: „Es habe noch niemals eine Äußerung des Pfarrerbundes zu kirchenpolitischen Fragen gegeben, die von der Stellung und den Äußerungen der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen abweiche. Aus dieser vollständigen Übereinstimmung ergebe sich für ihn, daß eben der Pfarrerbund eine Stimme für außerkirchliche Instanzen wäre.“18

Das war auch 1968 nicht anders, denn der Pfarrerbund erfüllte den staatlichen Wunsch nach einer christlichen öffentlichen Stellungnahme, die sich für die staatlichen ,Hilfsmaßnahmen‘ aussprach. So erschien am 7. September 1968 in der Neuen Zeit, dem Presseorgan der CDU, eine Erklärung des geschäftsführenden Ausschusses des Pfarrerbundes aus dessen Rundbrief19. Der Grundtenor der in der Neuen Zeit veröffentlichten Stellungnahme war, dass ˇ SSR gewesen sei, die Maßman sehr beunruhigt über die Situation in der C nahmen letztendlich aber gutheiße, weil es um die Verteidigung des Friedens gegangen sei. Man wolle sich „nicht beeinflussen [lassen] von Leuten, die

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Resonanz mehr unter den Geistlichen hat“, die Kirchenleitungen ihn nie akzeptierten und „gegenwärtig nur 45 amtierende Geistliche und 110 sonstige kirchliche Mitarbeiter, Theologen und Rentner als Mitglieder“ habe. „Die durch die Einstellung der Tätigkeit des Pfarrerbundes eingesparte ca. 160 000 Mark jährlich werden zur Unterstützung der Arbeit der Arbeitsgruppen ,Christliche Kreise‘, des Regionalausschusses der Christlichen Friedenskonferenz und der Berliner Konferenz katholischer Christen genutzt.“ Einstellung der Tätigkeit des „Bundes Evangelischer Pfarrer in der DDR“ 22. 7. 1974, 1 – 3 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/24). So hieß es auch 1968 in der Dienstbesprechung bei Seigewasser, „daß dem ,Bund evangelischer Pfarrer‘ geholfen werde, bis zum 20. Jahrestag ein klareres politisches Profil zu gewinnen. ,Pfarrerblatt‘ und ,Glaube und Gewissen‘ müßten so verbessert werden, daß sie größere Öffentlichkeitswirkung erhalten.“ Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 4. 1968 mit Fortsetzung am 19. 4. 1968, vom 25. 4. 1968, 4 (BArch DO 4/400). Vgl. Mau, Eingebunden, 109 – 114. Protokoll der Vorstandssitzung des Bundes vom 30. 10. 1968, 2 – 4 (ACDP 07-013-2139). Diese Grabenkämpfe liefen relativ unbeschadet aktueller politischer Linien. Bericht von Trebs über ein Gespräch von Vertretern des Pfarrerbundes mit Bischof Krusche und anderen Vertretern der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen am 3. 9. 1969, 2 (ACDP 07013-2126). Die Erklärungen auch (Mitgliederrundbrief 9/68) und (Evangelisches Pfarrerblatt 9/68 und 10/ 68).

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vorgeben, den Frieden zu wollen, deren Handlungsweise aber geeignet ist, Voraussetzungen für einen künftigen Krieg zu schaffen!“20 Diese Voraussetzung sah man in einem „Herausbrechen der CSSR“ aus den sozialistischen ˇ SSR. Man hoffte auf einen für „alle Staaten und in einem eigenen Weg der C annehmbare[n] Weg in die Zukunft.“ Doch selbst hier war die Okkupation nicht unumstritten21. Später wurde von einigen Mitgliedern des RA der CFK in der DDR beklagt, dass die Erklärung in verkürzter Form abgedruckt worden sei. Weniger scharfe Töne wurden ausgelassen. Sie nahmen es als Beweggrund für sich, besser keine Stellungnahme abzugeben22. Einen Tag nach der Veröffentlichung in der Neuen Zeit schrieb Generalsuperintendent Günter Jacob einen geradezu entgeisterten Brief in scharfem Ton an den Vorsitzenden des Pfarrerbundes Georg Schäfer. Jacob schrieb, dass er die Erklärung „mit Bestürzung“ gelesen habe, und bezog sich in seiner Argumentation – wie auch sonst oft im Herbst 1968 – auf Gespräche mit Hrom dka, Ondra und Zˇiak auf der Vollversammlung des ÖRK in Uppsala. Aus diesen ging für Jacob hervor, dass es weder eine antisowjetische Stimˇ SSR gegeben habe und auch die mung noch eine Konterrevolution in der C Parallele zu Ungarn unzulässig sei. Die Erklärung des Pfarrerbundes wies er als „Behauptung“ zurück. „In aller Offenheit“ müsse Jacob sagen, dass der Pfarrerbund „die ökumenische Verbundenheit in der Stunde einer schweren Belastungsprobe verleugnet“ und „unglaubwürdig“ mache. Jacob fragte, warum der Pfarrerbund nichts zu der „beschämenden Tatsache“ zu sagen habe, dass wieder deutsche Uniformen an einer Besatzung beteiligt seien, wo doch die letzte mit ihren „schwere[n] Opfer[n]“ noch lange nicht vergessen sei. Nun müsse der Pfarrerbund sich fragen lassen, wie er den „tschechischen Brüdern, auch Professor Hrom dka (den man doch wohl im Ernst nicht zum Konterrevolutionär stempeln will!) in die Augen sehen könne[…].“ Klar grenzte sich Jacob vom Pfarrerbund und ähnlichen Vereinigungen ab und bezeichnete sie als „Kreise[…], die offenbar grundsätzlich und immer durch andere, nichtkirchliche Instanzen gebunden sind.“ Jacob beendete seinen Brief mit dem Hinweis auf seinen „tiefen Schmerz über solch ein Wort des Pfarrerbundes.“23 Innerkirchlich wurden von diesem Brief Kopien angefertigt und den anderen Landeskirchen zugänglich gemacht24. 20 Vgl. alle Zitate aus der Erklärung Garantie für den Frieden („Neue Zeit“, Jg. 24, Nr. 212, 7. 9. 1968, 5). 21 So lehnte der stellvertretende Vorsitzende Bickelhaupt zum damaligen Zeitpunkt jede Stellungnahme ab. Vgl. Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 5 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/5). Außerdem erklärte er, nicht am CDU-Parteitag teilzunehmen. Er wurde daraufhin auf der Rednerliste ersetzt. Vgl. Information 369/68 vom 24. 8. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7106). 22 Bericht von Ordnung über die Regionalausschusssitzung am 9. 9. vom 13. 9. 1968, 1 f. (BArch DO 4/4774). Die ungekürzte Erklärung (Evangelisches Pfarrerblatt 9/68, 251). 23 Abschrift des Briefes von Jacob an Schäfer vom 9. 9. 1968 (BArch DO 4/2950). 24 Ein Abzug davon fand sich z. B. in Görlitz in Fränkels Handapparat (AKKVSOL 12/289). Am

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Dass der Brief Jacobs Kreise zog, wird daran erkennbar, dass Schäfer in seinem Tätigkeitsbericht auf der Mitgliederversammlung am 22. und 23. Oktober 1968 mit nur einem Satz auf das positive Votum des Pfarrerbundes zur DDR-Verfassung und in zwei Sätzen auf Uppsala einging. Für die Verteidigung der Haltung des Pfarrerbundes gegenüber den Ereignissen in der ˇ SSR brauchte er immerhin zwei Seiten. Schäfer begann damit, dass einige C Mitglieder sich mehr Zurückhaltung bei Erklärungen gewünscht hätten, und verteidigte daraufhin explizit die positive Erklärung zum Einmarsch in die ˇ SSR. Er hob das Beispiel eines Pfarrers hervor, der anstelle der KanzelabC kündigung der Berlin-Brandenburgischen Kirchenleitung die Erklärung des Bundes von der Kanzel verlesen habe. Schäfer nahm auch den kritischen Brief Jacobs auf und verteidigte die eigene Haltung mit der Gefährlichkeit der neuen Ostpolitik, die nur darauf aus sei, das sozialistische Lager zu schwächen. Er war der Ansicht: „Viele Bürger der befreundeten CSSR haben die Gefahr nicht erkannt genau so, wie auch Pfarrer und kirchenleitende Brüder hinter den Liberalisierungsparolen nicht den Pferdefuß der Reaktion gesehen haben.“ Der Pfarrerbund habe also dazu etwas sagen müssen. Und was er sagte, bedeutete seiner Meinung nach, „daß wir keineswegs die Glaubensverbundenheit mit unseren Brüdern verleugnet haben“ – wie Jacob ihm vorgeworfen hatte, sondern ihnen Hilfe geben wollten, „ihre Situation richtig zu erkennen.“ ˇ SSR doch zwischen Ebenfalls gegen Jacob erklärte Schäfer, dass man in der C den Uniformen der Faschisten und der NVA unterscheiden könne. Letztendlich war er der Meinung, man habe richtig gehandelt und „heute beginnen auch die von der feindlichen Propaganda verwirrten Bürger der CSSR, die Notwendigkeit der Maßnahmen vom 21. August richtig zu würdigen.“25 Miroslav Rodr, damals Senior des Westböhmischen Seniorates der EKBB ˇ SSR, widersprach einer solchen Auffassung vehement26. Rodr aus Rokycany, C hatte bereits am 17. Oktober einen Brief an die Leitung des Bundes Evangelischer Pfarrer geschrieben27. Er hatte das Pfarrerblatt vom September gerade erst erhalten und schrieb nun, damit nicht fälschlicherweise angenommen werde, dass ein Schweigen aus der EKBB mit einer Zustimmung verwechselt werden könne. Rodr ging in seinem Brief mit der Erklärung des Pfarrerbundes 9. 10. gab er diesen Brief neben anderen Dokumenten in der Kirchenleitung bekannt und es wurde beschlossen, ihn allen Superintendenten zugänglich zu machen. Vgl. Protokoll der Kirchenleitung vom 9. 10. 1968, 2 (AKKVSOL 11/673). 25 Referat zur Mitgliederversammlung 1968 von Georg Schäfer (Evangelisches Pfarrerblatt 12/68, 311 – 315). 26 Rodr hatte um 1968 einen Konflikt mit dem Kirchensekretär in Pilsen und wurde darin von Pfarrern, wie Trojan, Koc b und Hlav cˇ, unterstützt. Am Ende stand ein Brief von ihm von 1969, wo er die Aufhebung des Sekretariats für Kirchenfragen vorschlug. Später wurde ihm die staatliche Lizenz entzogen. Vgl. Email von Peter More an die Verfasserin vom 2. 2. 2011. 27 Der Brief gehört zu Dokumenten, die in einer Akte zu kirchlichen Reaktionen zum 21. August in der Abteilung 4 der Hauptabteilung XX des MfS gesammelt wurden. Vgl. Brief von Miroslav Rodr an den Bund evangelischer Pfarrer vom 17. 10. 1968 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Die folgenden Zitate sind diesem Brief entnommen.

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schwer ins Gericht. Denn „ich bin nicht einverstanden.“ Auf die Absicht des Evangelischen Pfarrerbundes, „ein helfendes Wort“ zu bringen, weiß Rodr nur eine Antwort: „Es ist das Ihnen [sic!] nicht gelungen. Ihr Wort ist eine einseitige Information und das ist in dieser Zeit gefährlich.“ Rodr versuchte eine Brücke zu bauen, indem er meinte, der Pfarrerbund selbst sei „Opfer“ solch einseitiger Informationen geworden, appellierte aber an die Verantwortung, sich um gute Informationen zu bemühen. In der Folge versuchte Rodr, selbst einige Informationen zu liefern und direkt auf die Erklärung des Pfarrerbundes zu antworten. So kenne er keine Leute, die nur vorgäben, den Frieden zu wollen. Er fragte, ob es immer noch so eindeutig sei, „daß mit der Besatˇ SSR der Sache des Friedens und Sicherheit in der Welt gedient ist?“ zung der C Rodr erklärte, das Gegenteil sei eingetreten, dass nun der Kalte Krieg und auch ein III. Weltkrieg wieder viel näher seien und „daß wir wieder Jahre und viel Arbeit brauchen werden, wenn wir wirklich das Vertrauen unter den Völkern herstellen und den Frieden befestigen wollen.“ Er verglich die Situation mit der von vor 30 Jahren und meinte, dass damals die deutsche Armee behauptet habe, zur „Errettung“ zu kommen, die niemand gewollt und der keiner eine Träne nachgeweint habe. Gegen den Vorwurf von antisozialistischem Einfluss wehrte er sich ebenfalls. Der Sozialismus habe eine alte Tradition, und nun habe man einen neuen Weg zu diesem angefangen. Das ganze Volk habe im Sommer für die Kommunisten gestimmt. „Ohne Druck, eigentlich ohne Regie von außen, hat unser ganzes Volk für die vier Männer und ihre Richtung ˇ ern k, Smrkovsky´. Wissen Sie eigentlich, gestimmt: Für Svoboda, Dubcˇek, C daß diese vier alle Kommunisten sind? Auch die Kirche hat ganz eindeutig so gestimmt.“ Rodr meinte, sein Volk sei doch vernünftig genug, wenn es eine Gefahr gegeben hätte, um Hilfe zu rufen. So sei sie ungerufen gekommen und „wir brauchen sie nicht.“ Rodr fragte den Briefleser, ob es wirklich keine andere Möglichkeit gegeben habe, keinen anderen für alle annehmbaren Weg, „also auch für uns annehmbar?“ Er fragte, ob der Pfarrerbund die Brüder in ˇ SSR vergessen, noch mehr, sie einfach verurteilt habe und warum man der C sie als Christen nicht vor der Erklärung um ihre Meinung gefragt habe. Sein Fazit war klar: Sollte man vom Pfarrerbund noch etwas erwarten oder „Sie aus der Reihe unserer Freunde, ja Brüder abschreiben?“ Man werde es daran erkennen, ob sich der Pfarrerbund die Mühe machen werde, nach der Wahrheit zu suchen und diese dann nicht zu verschweigen. Rodr fragte in einem post scriptum, ob es möglich wäre, den Brief zu veröffentlichen oder ihn wenigstens weiterzugeben. Veröffentlicht wurde er selbstredend nicht, weitergegeben schon: an die Staatssicherheit.

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2. Die CFK An dieser Stelle soll am Beispiel der CFK der Strudel nachgezeichnet werden, in welchen ,Progressive‘ durch 1968 gerieten. Die Christliche Friedenskonferenz – kurz CFK – ging offiziell vor allem auf Josef L. Hrom dka zurück. Sie wurde 1958 als östliches Pendant zum ÖRK in Prag gegründet und von den sozialistischen Staaten forciert und unterstützt28. Anfangs war die CFK ein Sammelbecken durchaus unterschiedlicher friedensbewegter Köpfe aus Ost und West und wurde als Möglichkeit betrachtet, miteinander und untereinander Kontakt aufzunehmen29. Als es Ende der 1950er, Anfang der 1960er noch ˇ SSR zu kommen, nutzten auch Theologen aus der nicht so einfach war, in die C DDR die CFK, um Kontakte zu knüpfen30. Ungewollt führte die CFK zu transnationalen Kontakten, die so nicht geplant waren31. Die westlichen Mitglieder der CFK ließen sich um der Kontakte willen auf Kompromisse bis hin zu prosowjetischen Verlautbarungen ein und nahmen undemokratische Verfahrensweisen in Kauf32. Ob der Preis zu hoch war, das war umstritten33. Das Interesse an solchen Kontakten ging jedenfalls weit über eine sozialistische Friedenspolitik, wie sie die sozialistischen Staaten wünschten, hinaus, und

28 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 657. Auf Anfrage Bassaraks wurden 1969 20.000 Mark bewilligt, die auf dessen Konto für die Finanzierung der CFK-Tagungen 1969 in der DDR überwiesen werden sollten. Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 20. 10. 1969, vom 23. 10. 1969, 10 (BArch DO 4/401). Als katholisches sozialistisches Pendant sollte die 1964 gegründete Berliner Konferenz dienen, die jedoch noch weniger Wirkkraft entfalten konnte als die CFK. Auch hier wurde über den 21. August heftig gestritten, doch war der Hinweis auf unterschiedliche Standpunkte aus der Veröffentlichung der Stellungname gestrichen worden, so dass es so klingen musste, als wären alle Beteiligten in der Berliner Konferenz für die Okkupation gewesen. Verschiedene Zeitungsabschriften und Protestbriefe wurden durch die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED gesammelt. (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/36). Mehr zur Berliner Konferenz vgl. Sch fer, Um ,anzukommen‘. 29 Vgl. Stengel, Fakultäten, 417, Anmerkung 225.; und Lindemann, Sauerteig, 682. Teilweise wurde sie als einzige Kontaktmöglichkeit gesehen. Vgl. ebd., 708. 30 Vgl. Lepp, Tabu?, 470; vgl. Ruthendorf-Przewoski, Echo von Prag, 84 f.; und Email vom 20. 2. 2010 von Ludwig Große an die Verfasserin. 31 Vgl. Ruthendorf-Przewoski, Echo von Prag, 84. So verhalf die CFK z. B. dem damaligen ostdeutschen Pfarrer Hans-Jochen Tschiche zu einem Kontakt mit einem tschechischen Pfarrer. In den 1960er Jahren besuchten sie sich gegenseitig, predigten in den je anderen Kirchen. Tschiche gehörte zu jenen in der DDR, die mit einem demokratischen Sozialismus sympathisierten und daraus kein Hehl machten. Er wandte sich nach 1968 von der CFK ab. Vgl. Hintergrundgespräch der Verfasserin mit Hans-Jochen Tschiche am 5. 2. 2010. 32 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 705, 739. 33 So war Otto Dibelius gegen die CFK eingestellt, zeigte aber in den 1960ern für Pfarrer Verständnis, die um der Kontakte willen nach Prag fuhren. Dibelius kritisierte an Hrom dka, dass dieser zu viele Parallelen zwischen dem Neuen Testament und dem Kommunismus zog. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 696 f., 718 f.

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teilweise richtete es sich dagegen34. Mit den Ereignissen von 1968 bzw. 1969 war für viele westliche Mitglieder der CFK die Schmerzgrenze überschritten. Die DDR warf westlichen Mitgliedern von Anfang an vor, dass viele nur um der persönlichen Kontakte zwischen Ost und West willen mitarbeiteten, der Konzeption eines ,dritten Weges‘ anhingen und die CFK ideologisch ,aufzuweichen‘ suchten35. Bereits seit 1964 befürchteten die DDR-Funktionäre auch in der CFK einen Hang zu einem vermenschlichten Sozialismus36. Die sozialistischen Staaten hatten dennoch Interesse an einer solchen Konferenz, weil ihre eigenen Friedensorganisationen wie der Weltfriedensrat zu eindeutig allein ihren Interessen dienten. Mit einer christlich kaschierten Friedensorganisation hofften sie, über die Indienstnahme der Kirchen eine breitere Einflussmöglichkeit und größere Akzeptanz für ihre Interessen zu erreichen37. Sie organisierte sich in verschiedenen Ausschüssen und den Allchristlichen Friedenskonferenzen; Repräsentanten nach außen waren der Präsident und der Generalsekretär, die durch erstere gewählt wurden38. 1968 sollten diese Strukturen hin zu mehr Macht für den Arbeitsausschuss und weniger Befugnissen für die Friedenskonferenzen, die nicht so leicht zu steuern waren, verlagert werden39. Mitglieder konnten in der CFK nicht nur Kirchen, sondern auch Gruppen und Einzelpersonen werden40. Im Ostblock waren die Kirchen mit Ausnahme derer aus der DDR als solche Mitglied, in nichtsozialistischen Staaten bildeten sich nach und nach Regionalausschüsse. ˇ SSR standen der CFK distanziert gegenüber41. Die Kirchen in der C

34 „Dieser Hinweis macht deutlich, daß Bewegungen wie die CFK […] zu Kontaktaufnahmen gerade auch von solchen benutzt werden, die mit den Intentionen und Zielen dieser Bewegungen nichts zu tun haben, die vielmehr, ganz im Gegenteil, versuchen, solche Kontakte zur Umkehrung dieser Intentionen und Ziele zu benutzen.“ Die Herausbildung spezifischer christlicher Friedensbewegungen, 30. 5. 1968, 8 (ACDP 07-013-3309). 35 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 666, 678, 705, 715. 36 Vgl. ebd., 718, 720, 752. 37 Pisˇkula geht entgegen bisheriger Vorstellungen sogar davon aus, dass die Friedenskonferenz ˇ war und diese ihren Wunsch an Hrom dka herangetragen habe, Idee und Projekt der KSC nachdem ein eigener Versuch gescheitert war. Vgl. Pisˇkula, Conception, 258, 267. 38 Die Strukturen der CFK entwickelten sich mit dem Anwachsen der Bewegung und wurden immer wieder leicht verändert und angepasst. Statut der CFK (BArch DO 4/255). Zu den Organen der CFK zählten: Die Allchristliche Friedensversammlung, das Komitee für Fortsetzung der Tätigkeit, der Arbeitsausschuss, das Internationale Sekretariat, die Studienabteilung sowie die Kommissionen. Vgl. Roer, Christliche Friedenskonferenz, 91 – 96. 39 Vgl. Vorschlag des A.[rbeits]A.[usschuss] für die Strukturveränderungen, III. ACFV, März 1968 (Nachlass Hrom dka ETF 3-29-14). Auf der III. ACFV wurde Nikodim als Vorsitzender des Arbeitsausschusses gewählt, der so größeres Gewicht gewann. Für ein zu überarbeitendes Statut wurde eine Strukturkommission eingesetzt, welche im Mai 1968 in Prag tagte. Unter anderem wurde über die Frage diskutiert, ob Vollversammlung oder Arbeitsausschuss, wenn nötig, den Generalsekretär und Präsidenten wählen dürfte. Ein Jahr später wurden diese Fragen akut. 40 Gerade bei Einzelpersonen stellte sich die Frage, wer eigentlich wen delegiert. Vgl. Roer, Christliche Friedenskonferenz, 94. 41 Vgl. Frei, Staat und Kirche, 2501. Frei meint, dass die meisten Christen die CFK gleichgültig

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Inhaltlich sollte der Hauptimpetus der CFK, wie schon der Name sagt, auf christlicher Friedenspolitik liegen, allerdings unter einem ostblockpolitischen Vorzeichen. In den ersten Jahren ging es vor allem um die atomare Bedrohung in der Welt und um die Deutschlandfrage42. Gerade Hrom dka sah darin den Schlüssel zu einer weltweit möglichen Friedenspolitik. Das Schlagwort war die sogenannte ,friedliche Koexistenz‘ der Blöcke43. Dazu gehörte die Anerkennung des Status quo nach dem II. Weltkrieg, die Anerkennung beider deutscher Staaten, ein Verzicht der Nichtatommächte, selbst zu solchen werden zu wollen, und der Abschluss eines Nonproliferationvertrages44. In den 1960ern wurden zudem die Vietnampolitik der USA und die Politik Israels scharf angegriffen. Gerade letzteres führte zu starken Spannungen mit westlichen Mitgliedern45. Obwohl auch die CFK begann, sich dem Nord-Süd-Konflikt zu öffnen, blieb für sie viel länger als im ÖRK die Deutschlandfrage der bestimmende Faktor für eine mögliche Friedenspolitik46. Seitens des DDR-Staates war man 1968 recht zufrieden mit der CFK, mit der es gelungen sei, „positive, dem Frieden und dem gesellschaftlichen Fortschritt dienende Beschlüsse und Aktionen im Weltmaßstab durchzusetzen.“47 Man hatte die Erfahrung gemacht, dass es „nur in extremen Fällen möglich ist, internationale kirchliche Organisationen lediglich von außen, durch publizistische Polemik, durch Gewährung bzw. Verweigerung von Aus- und Einreisegenehmigungen (Visa) und andere administrative Mittel beeinflussen zu wollen.“48 Das sei zu auffällig und hätte zu „Protesten“ geführt. Daher sei es besser, „von innen“ zu wirken und genehmen Personen in möglichst einflussreiche Positionen zu verhelfen. In der CFK wurde dieser Weg gegangen und mit ihr sei es möglich „die proimperialistischen Kräfte zu Zugeständnissen zu zwingen, ohne ihnen eine wirkliche Einflußmöglichkeit zu bieten […]. Es liegt ihnen daran, sich ,die Tür offen zu halten‘. Das zwingt sie, in bestimmten politischen Fragen nachzugeben.“49 Über die CFK hoffte man auf

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oder ablehnend zur Kenntnis nahmen und sie 1968 eher als Relikt betrachteten, welches nur aufgrund seiner internationalen Vernetzung nicht so leicht abzuwickeln war. Vgl. Lepp, Tabu?, 469 – 487; und Lindemann, Sauerteig, 687, 709. Vgl. ebd., 656. Das bedeutet Kernwaffensperrvertrag. Vgl. z. B. Informationsbulletin der christlichen Friedenskonferenz, Nr. 43 – 12/1967 (EZA 102/210). Vgl. Lindemann, Sauerteig, 748 f. Schon 1965 war es zu Streitigkeiten über unausgewogene Israelkritik seitens der CFK gekommen, die die Gefahr von Antisemitismus in sich barg. Vgl. ebd., 736 f. Vgl. Lepp, Tabu?, 474. Charakterisierung der Feindtätigkeit der verschiedenen Kirchen und Sekten und ihre Verbindung mit feindlichen Zentralen, undatiert, nach 1967 vor dem 21. 8. 1968. Anlage 1. Erfahrungen zur Möglichkeit, mit progressiven Kräften in protestantischen Organisationen den „Weltkirchenrat“, die „Christliche Friedenskonferenz“ und andere kirchliche Organisationen in fortschrittlichem Sinne zu beeinflussen, 1 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233). Ebd. Ebd., 3.

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andere internationale kirchliche Organisationen, wie den ÖRK oder die KEK, Einfluss nehmen zu können. Diese Situation kippte 1968, so dass auch die CFK zu den Organisationen gezählt wurde, in denen „schädliche Ansichten verbreitet“ wurden50. Denn Aufgabe der CFK war nach Meinung der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen „die Friedenspolitik des sozialistischen Lagers gegenüber den aggressiven und revanchistischen Bestrebungen des Monopolkapitalismus und Imperialismus zu unterstützen. […] Heute muß jedoch festgestellt werden, daß die CFK gegenwärtig dieser Aufgabe nicht gerecht wird.“51

Grund für diese Beurteilung war, dass die CFK vorübergehend zu einem Akteur geworden war, der die Idee eines demokratischen Sozialismus unterstützte und der seine internationalen Kontakte nutzte, um gegen die Besetzung ˇ SSR und die ,Normalisierung‘ zu protestieren. der C 2.1. Die III. Allchristliche Friedenskonferenz 1968 in Prag Der Termin für die III. ACFV war bewusst vor die ÖRK-Versammlung in Uppsala gelegt und die Vorbereitung begonnen worden, bevor sich die Lage in ˇ SSR in den Augen anderer sozialistischer Länder in eine zu beunruhider C gende Richtung zu entwickeln begann52. 2.1.1. Die Vorbereitung der III. ACFV Grundsätzlich hielt man seitens der DDR die Konzeption für die III. ACFV, die im Dezember 1966 in Prag auf einer Tagung des Internationalen Sekretariats der CFK erarbeitet wurde, für annehmbar. Man war der Meinung, dass in die Abschlussdokumente der III. ACFV die Forderung nach „Schaffung eines Systems der europäischen Sicherheit zwischen allen Staaten Europas“ eingefügt werden sollte. Dazu gehöre: die Anerkennung der DDR und der OderNeiße-Grenze, die Ungültigkeitserklärung des Münchner Abkommens, ein Atomwaffensperrvertrag, die militärische Abrüstung bzw. Rüstungsbegrenzung in Mitteleuropa. Ziel solle die Erhaltung des Status quo sein. Außerdem sei die „Aufnahme allseitiger diplomatischer und Handelsbeziehungen zu fördern“. Auch bei Personalfragen hatte man Vorschläge, als wichtig wurde aber vor allem die „paritätische Beschickung“ der III. ACFV und möglichst 50 Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 69. 51 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 und der gegenwärtigen Situation vom 27. 2. 1969, 1 (BArch DO 4/4774). 52 Vgl. Konsultation für die Vorbereitung der III. ACFV in Bukarest vom 18.–23. 9. 1967 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-14). Erste Festlegungen gab es aber schon 1966. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 754.

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aller anderer Gremien der CFK durch Vertreter aus BRD und DDR erachtet. Bereits 1967 wurde Internationalisierung des Apparates der CFK gefordert53. Dass dies bis 1968 nicht gelang, wurde im Rückblick als ein Grund für die Krise in der CFK gewertet54. Im März 1968 liefen die Vorbereitungen auch in der DDR auf Hochtouren. 36 Delegierte sollten nach Prag fahren55. Auf die Zusammensetzung der Delegation hatte der Staat über Einreisebewilligungen Einfluss genommen, die zum Beispiel die Redakteurin der „Zeichen der Zeit“ nicht erhielt56. Zudem wurden alle Delegierten kurzfristig für den 25. März nach Berlin eingeladen57. Ziel dieses Treffens war seitens der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, die Teilnehmer aus der DDR im Vorfeld auf einer Linie zu halten. Überdies wurde die Delegation aus der DDR angewiesen, sich nicht in die Ereignisse in Prag einzumischen58. Und derselbe Funktionär, der diese Anweisungen gegeben hatte, wohnte zur gleichen Zeit in Prag im selben Hotel wie Gerhard Bassarak, Hanfried Müller und dessen Frau Rosemarie MüllerStreisand59. Neben je einem Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED und dem Staatssekretariat für Kirchenfragen sandte auch das MfS zwei operative Mitarbeiter nach Prag, die für die zehn IM aus der DDR-Delegation zuständig waren60. Die IM sollten die Vertreter der USA überwachen, Resolutionen durchsetzen, geplante „Kontaktpolitik“ westlicher Vertreter sowie wichtige Personen ausspähen und Kontakte zu eventuell später Anzuwerbenden knüpfen61. Außerdem waren für fünf der sechs Arbeitsgruppen IM eingeteilt worden. Die operativen Mitarbeiter wiederum hatten die Aufgabe, die IM zu überwachen und Kontakt zu den anderen Mitarbeitern ˇ SSR und der anderen sozialistischen sowie den Sicherheitsorganen der C Staaten, die ebenfalls eigene Leute sowie IM geschickt hatten, zu halten62. In Moskau wurde unter Vertretern der verschiedenen staatlichen Kirchenämter im März über die III. ACFV verhandelt. Bereits im Vorfeld sollten 53 Entwurf. Vorschläge zur Konzeption für die III. Allchristliche Friedensversammlung vom 31. 3.–4. 4. 1968 in Prag vom 9. 5. 1967, 1 – 5 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 265). 54 Vgl. die folgende Darstellung. Die ROK hatte am 20. 3. 1967 bereits eine solche Internationalisierung angemahnt. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 762. 55 Zur Delegation gehörten z. B. Mitzenheim, Schöhnherr, die beiden Hertzsch, Bandt, Bassarak, das Ehepaar Müller, Trebs, Wirth und Ordnung. Pabst fuhr als Beobachter der KKL mit. 56 Aktenvermerk von Pabst über die Teilnahme an der III. Allchristlichen Friedenskonferenz, undatiert, 3 (EZA 102/211). 57 Regionalausschuß der Christlichen Friedenskonferenz in der DDR. An alle Teilnehmer der III. Allchristlichen Friedensversammlung, 20. 3. 1968 (LKAE A 860 17/4). 58 Aktenvermerk von Pabst über die Teilnahme an der III. Allchristlichen Friedenskonferenz, undatiert, 7 f. (EZA 102/211). 59 Vgl. Henkys, Prager Notizen, 19. 60 Vgl. Ohne Titel, Berlin den 19. 3. 1968 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 265). Das Prager Kirchenamt mischte sich in die CFK zu dieser Zeit schon nicht mehr ein. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 754. 61 Vgl. Plan für den operativen Einsatz zur III. Allchristlichen Friedensversammlung, 11. 3. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 265). 62 Vgl. ebd., 3.

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Posten und Mehrheiten in der CFK gesichert werden. So sollten im Arbeitsausschuss 60 % der Mitglieder aus sozialistischen Ländern stammen. Als Schwierigkeiten für die III.ACFV benannte Gerhard Bassarak die Frage der Strukturen innerhalb der CFK, das Memorandum Hrom dkas, die Studentenunruhen in Warschau und die „labile Situation in Prag“63. Mit dem Memorandum von Hrom dka, welches er für die III. ACFV vorbereitet hatte, war man nicht einverstanden, weil dieser darin tendentiell eine Kurskorrektur zu einer von der SU unabhängigeren Sozialismusentwicklung vornahm64. Aus diesem Grund wurde darauf hingewirkt, dass es während der III. ACFV zu keiner Diskussion um das Memorandum kam. Von Seiten der CFK waren sechs Arbeitsgruppen vorgesehen: theologische Fragen, internationale Fragen, wirtschaftliche Fragen, Fragen der Entwicklungsländer, Jugendfragen, ökumenische Fragen. Für jede Arbeitsgruppe wurde eine Vorlage erarbeitet, um einen je eigenen Bericht in der Arbeit der Arbeitsgruppen zu erstellen. Damit sollte der Fokus von längeren Referaten zu verstärkter Arbeit innerhalb der einzelnen Arbeitsgruppen verlagert werden.

2.1.2. Die III. ACFV in Prag Die III. Allchristliche Friedenskonferenz fand vom 31. März bis zum 5. April 1968 mit ca. 600 Teilnehmern, Beobachtern und Gästen in Prag statt. In den offiziellen Dokumenten ist wenig vom Prager Frühling zu spüren, außer in den Reden Hrom dkas und in einem Antrag Josef Smol ks65. Im Verlauf der III. ACFV wurde nach Möglichkeit versucht, die aktuelle Situation vor der Tür zu lassen. So waren tschechische Tageszeitungen im Konferenzgelände nicht zu bekommen. In den durch die große Teilnehmerzahl schwerfälligen Arbeitsgruppen wurden Vorschläge einzelner Teilnehmer, auf den Reformprozess einzugehen, zurückgewiesen66. Während im Plenum die westlichen Delegierten und die Vertreter der Dritten Welt inhomogen abstimmten, verhielten sich ˇ SSR und der DDR in ihren die östlichen Delegationen mit Ausnahme der C Abstimmungen geschlossen. Dadurch konnten kritische Stimmen in den Hintergrund gedrängt werden. Die Tschechoslowaken verharrten weitgehend in Schweigen, was ihnen von westlicher Seite als Begrüßung der Reformprozesse ausgelegt wurde, während die Delegierten der DDR ganz unterschiedlich 63 Aktenvermerk von Bassarak über die Verhandlungen in Moskau vom 14.–16. 5. 1968 vom 18. 3. 1968, 4 (EZA 675/108) auch (BArch DO 4/2874). 64 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 758 f. 65 Hrom dka, Rettet den Menschen. 66 „Als in einigen Arbeitsgruppen Wünsche anderer Delegierter vorgetragen wurden, in den Konferenzentschließungen den gegenwärtigen Wandlungsprozeß in der CSSR positiv zu erwähnen, wurde von der Verhandlungsleitung eine Bitte des CFK-Arbeitsausschusses und des Internationalen Sekretariats vorgetragen, die ACPC möge jede Einmischung in die Angelegenheiten der CSSR unterlassen.“ Henkys, Prager Notizen, 19.

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in Erscheinung traten. So engagierten sich Gerhard Bassarak, Hanfried Müller und Rosemarie Müller-Streisand durch Diskussionsbeiträge für eine östliche Linie, während andere Delegierte schwiegen und dennoch anders abstimmten. Auch die Bischöfe Moritz Mitzenheim und Albrecht Schönherr hielten sich zurück67. ˇ SSR nicht aus der VollDennoch war der Veränderungsprozess in der C versammlung der CFK herauszuhalten. Bassarak schob dieses Problem vor allem den tschechischen Delegierten Josef Hrom dka, Josef Smol k und Milan Opocˇensky´ zu, die in ihren jeweiligen Handlungsspielräumen, Hauptvortrag, Jugendkommission und Antrag ans Plenum, jeweils auf verschiedene Weise auf die Situation ihres Landes aufmerksam machten68. So wich der Präsident der CFK Hrom dka während des von ihm gehaltenen zweiten Hauptvortrags am Nachmittag des ersten Tages von seinem vorgefertigten Manuskript ab, ging auf die Ereignisse seines Landes als einen Schritt in die richtige Richtung ein und bezeichnete sie als eine große Erneuerung69. Es war übliche Praxis, selbst Grußworte im Vorfeld erst der CFK-Zentrale vorzulegen, die diese dann freigab70. Nun sprach Hrom dka plötzlich von der neuen Hoffnung, dem neuen Interesse und von neuer Verantwortung in seinem Land für einen neuen Sozialismus. „Es ist kein Schritt rückwärts, sondern es ist ein Schritt vorwärts.“71 Der gleiche Satz, nur im Präteritum, tauchte in seinem Memorandum nach dem 21. August wieder auf72. Hrom dka beteuerte, dass diese Erneueˇ selbst angestoßen worden und nicht von rungen von innen und von der KSC außen ,inkolportiert‘ seien. Er hielt diese neue Art des Sozialismus für zutiefst christlich und warnte die Christen davor, sich in ein „selbstgerechtes Ghetto zurück[zu]ziehen, daß wir die Welt der Welt überlassen.“73 Der Druck sei verschwunden, nun müssten die Christen nachweisen, ob sie reif für ihre Aufgabe seien: „Denn wir stehen vor einer Riesenaufgabe: auf der sozialistischen Grundlage die großen Werke und das große Erbe der Reformation, des Mittelalters und der Neuzeit wieder zu erneuern und zu re-interpretieren und 67 Ebd., 18. 68 Aktennotiz zur III. ACFV von Bassarak, eingegangen am 25. 4. 1969, 2 (BArch DO 4/2873). 69 Bericht über den Verlauf und das Ergebnis der III. Allchristlichen Friedensversammlung vom 31. 3. bis 5. 4. 1968 in Prag, vom 11. 4. 1968, 6 f. (BArch DO 4/494). Ohne inhaltliche Angabe wurde davon berichtet. 70 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 724. 71 Vgl. Rede Hrom dkas an die Delegierten der III. ACFK 1968, 2 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-9) auch (EZA 102/211). Sie wurde in Auszügen den Delegierten in einer Information vom 2. April in verschiedenen Übersetzungen zur Verfügung gestellt (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-6). Ebenso stehen die Sätze in eingängiger Übersetzung im Informationsbulletin der CFK, Nr. 46, 4/ 1968, 6 – 8. Auch Henkys geht darauf ein: „Völlig überraschend kam offensichtlich den meisten osteuropäischen Delegierten Hromadkas Lobpreis der gegenwärtigen tschechoslowakischen Entwicklung und sein damit verbundener Ruf zur Selbstkritik.“ Henkys, Prager Notizen, 16. 72 Hrom dka, Memorandum, 310. 73 Vgl. Rede Hrom dkas an die Delegierten der III. ACFK 1968, 2 (Nachlass Hrom dka ETF 3-289).

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schöpferisch weiterzugestalten.“74 Hrom dka schloss mit der Bitte um Beistand der versammelten Christen durch Verständnis und Fürbitte. Die russische Delegation soll ausgesprochen „sauer“ auf diese Rede reagiert haben75. Sie wurde später in den offiziellen Papieren nicht veröffentlicht. Die Auseinandersetzungen in der Jugendkommission spiegelten die allgemeine weltweite Situation der Studentenbewegung wider. Ein Bericht aus der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen sah in der Kommission „eine […] Plattform für jene Kräfte […], die gegenwärtig in Prag den Sozialismus bekämpfen und gegen die Partei zu Felde ziehen.“76 Die Spannungen mit der Leitung der CFK hatten schon im Vorfeld begonnen, weil die Jugendkommission einen Vertreter des SDS einladen wollte, um originäre Informationen zu erhalten. Obwohl man sich auf einen gemäßigteren Vertreter geeinigt hatte, kam Rudi Dutschke77. Sein Referat wurde kontrovers diskutiert78. Er soll von DDR-Delegierten gefragt worden sein, ob er sich für die Anerkennung der DDR einsetzen würde, was er mit dem Hinweis verneinte, nicht nach Ostberlin einreisen zu dürfen79. „Außerdem sei es nötig, zunächst in der DDR die Diktatur über das Proletariat durch die Diktatur des Proletariats abzulösen.“80 Dutschke übte Kritik sowohl am kapitalistischen als auch am sozialistischen System81. In einem staatlichen Bericht über Dutschke wurde vor allem bemerkt, dass er eine Übertragung des Demokratisierungsˇ SSR auch auf andere sozialistische Staaten wünschte82. Die prozesses in der C CFK-Verantwortlichen waren über Dutschkes Auftreten nicht erbaut und verhinderten, dass es im Plenum zu einer Diskussion um verschiedene Sozialismusmodelle kommen konnte83. Ebenfalls mit dem Ziel, durch anwesende 74 Ebd. 75 Vgl. Henkys, Prager Notizen, 18. So auch in Presseberichten, zusammengestellt von T th für die Tagung des Internationalen Sekretariats im Mai 1968 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-11). 76 Bericht über den Verlauf und das Ergebnis der III. Allchristlichen Friedensversammlung vom 31. 3.–5. 4. 1968 in Prag, vom 11. 4. 1968, 4 (BArch DO 4/494). 77 Zum Auftreten Rudi Dutschkes in der Gruppe E (Jugend) der III. ACFV (SAPMO-BArch DY 30/ IVA2/14/34). Dutschke sprach auch vor über 1000 Studierenden der Karlsuniversität, in welcher er ähnliche Kritikpunkte anbrachte. Vgl. Kraushaar, Europäische Revolten, 92. 78 Bericht über die politische Situation in Prag während unseres Aufenthaltes vom 31. 3.–5. 4. 1968 anläßlich der III. Allchristlichen Friedensversammlung vom 2. 5. 1968 (BArch DO 4/255). Klaus-Peter Hertzsch erinnerte sich an Dutschke, „als ziemlich langweilig und trocken.“ Brief Hertzsch an die Verfasserin vom 17. 11. 2009, 1. 79 Dutschke war vor dem Mauerbau aus der DDR emigriert. 80 Vgl. Aktenvermerk von Pabst über die Teilnahme an der III. Allchristlichen Friedenskonferenz, undatiert, 6 (EZA 102/211). 81 Vgl. Henkys, Prager Notizen, 20. „Er [Dutschke] plädierte ohne Zurückhaltung für das tschechoslowakische Experiment, den Sozialismus mit der Freiheit zu verbinden, und stellte es als Vorbild für die übrigen Ostblockstaaten hin.“ Ebd. 82 „Der Demokratisierungsprozeß in der CSSR schreite voran und er müsse auch in der DDR, in Polen und der Sowjetunion wirksam werden.“ Bericht über den Verlauf und das Ergebnis der III. Allchristlichen Friedensversammlung vom 31. 3.–5. 4. 1968 in Prag, vom 11. 4. 1968, 5 (BArch DO 4/494). 83 Vgl. Widmann, Gespräch, 134; auch Lindemann, Sauerteig, 761.

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Vertreter der Gruppen die Lage angemessener erfassen zu können, wurde mit knapper Mehrheitsentscheidung eine Gruppe Prager Studenten von der Juˇ SSR beteiligt gendkommission eingeladen, die an den Veränderungen in der C waren. Dies verschärfte die Auseinandersetzungen noch, weil die Leitung der CFK dieser Einladung nicht entsprochen hatte84. Völlig entsetzt war man seitens aller anwesenden sozialistischen Staatskirchenamtsvertreter, als die Jugendkommission auf das Ansinnen einer Demonstration kam, und völlig entgeistert war man, dass das Prager Kirchenamt dem aufgeschlossen gegenüberstand. Über die ungarischen Vertreter hieß es, diese hätten gemeint: „Es sei nicht erforderlich, daß andere Staaten die bitteren Lehren der ungarischen Genossen aus dem Jahre 1956 ein zweites Mal ziehen müßten.“85 Eine Jugenddemonstration zuzulassen, deren Losungen, Stoßrichtung und Dynamik man nicht im Voraus planen konnte, lag außerhalb jeder möglichen Konzession. Sie wurde dann auch nicht durchgeführt86. Westliche Teilnehmer der III. ACFV dagegen nahmen die Aufmüpfigkeit der Jugend als gegeben hin87. Auch in dem Bericht, der dem Plenum von der Jugendkommission vorgelegt wurde, klingen kritische Töne an. In unterschiedlichen Situationen müsse man auch zu unterschiedlichen Strategien gegen den Imperialismus finden, Jugendliche aus sozialistischen Ländern seien in Gefahr, von der internationalen Bewegung abgekoppelt zu werden, außerdem gäbe es unterschiedliche Formen des Sozialismus und überhaupt: „Wenn die Jugendkommission nicht ein Programm durchführen kann, das für junge Leute relevant ist, die unmittelbar in Reformbewegungen stehen, dann sollte sie wahrscheinlich ihre Arbeit einstellen.“88 Im Mai wurde durch das Internationale Sekretariat der CFK beschlossen, diesen Bericht nicht mit der Dokumentation zur III. ACFV zu veröffentlichen89. Im Januar 1969 schrieben einige Mitglieder der Gruppe E einen kritischen Brief an die CFK, aus welchem hervorgeht, dass sie sich mehr Transparenz wünschten und für die Vorjahrsentwicklungen in Prag waren90. Auch die Änderungen in der Vietnampolitik der USA und die Ermordung von Martin Luther King ließen die Teilnehmer der III. ACFV in ihrer politisch 84 Vgl. Aktenvermerk von Pabst über die Teilnahme an der III. Allchristlichen Friedenskonferenz, undatiert, 7 (EZA 102/211); auch Henkys, Prager Notizen, 21.; und Bericht über den Verlauf und das Ergebnis der III. Allchristlichen Friedensversammlung vom 31. 3.–5. 4. 1968 in Prag, vom 11. 4. 1968, 4 f. (BArch DO 4/494). 85 Ebd, 6. 86 Vgl. Ebd. 87 Vgl. Brief des Regionalausschusses USA, Bemerkungen zu der III. ACFV, 11. 5. 1968, 1 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-11). 88 E2 Neue Gesellschaft und neues Bewußtsein, 2 f. (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-10). 89 Vgl. Informationsbulletin der CFK, Nr. 46, 4/1968, 16.; auch ebd., 18. Erwähnung fand der Satz über die Einstellung der Arbeit und das Treffen mit tschechoslowakischen Studenten. 90 Vgl. Letter written by some members of the committee of the Youth Commission and sent to all members of Group E at the Third CPC Assembly, copy for members of the Working Committee and the International Secretariat, January 1969, 2 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-24).

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vorgezeichneten Haltung plötzlich schwanken. Trotzdem wurde eine Vietnamresolution gegen Stimmen von Delegierten aus der USA angenommen91. Doch hatte sich der Ton im Vergleich zu vorhergehenden Resolutionen leicht geändert. So fiel zwar einmal das Wort „imperialistisch“, doch andere wie „Aggressionskrieg“, „Aggressor“, „antikommunistisch“, „Unterdrückung und Ausbeutung“ oder „feudal“ fehlten. Dies sahen auch einige Delegierte aus den USA92. Schließlich war in abweichenden Einzelanträgen der andere Geist zu spüren. So wurde am 5. April, dem letzten Konferenztag, über den Text der Botschaft der III. ACFV beraten. Hier nun brachte Josef Smol k einen Antrag ein, in dem es um die „Notwendigkeit demokratischer Kontrolle der monopolisierten Macht“ ging93. Dieser Antrag fand großen Anklang. Die einzige Gegenstimme kam von Gerhard Bassarak, während sich die ungarischen und die Delegierten aus der DDR enthielten. Die CDU urteilte über Smol ks Antrag: Da „ist eigentlich alles drin: Die Konvergenztheorie und die Nord-Süd-Problematik, die im Sinne des Sozialismus negative Beantwortung der Machtfrage […] und […] auch alte Modelle des kalten Krieges.“94

2.1.3. Die Bewertung der III. ACFV Im Nachgang wurde die III. ACFV sehr unterschiedlich bewertet. Von kirchlicher Seite berichtete Walter Pabst, der von der KKL in der DDR als Beobachter nach Prag entsandt worden war, dass viele kirchliche Verantworˇ SSR der Situation zuversichtlich gegenüberstünden und tungsträger in der C viele Schwierigkeiten im kirchlichen Alltag verschwunden seien95. Ganz anders sah Rudi Bellmann, stellvertretender Leiter der Arbeitsgruppe 91 Dagegen hatte Charles West Hrom dkas Äußerungen zu Vietnam in seinem Memorandum sehr gelobt: „I find what he said about Vietnam to be well expressed and delicately balanced. Most of us who are fighting our Government’s policy there would hardly want to say less.“ Letter of the United States Committee of the CPC, 18. 3. 1968, reaction to Memorandum to the III. ACPA, 1 (Nachlass Hrom dka ETF, 3-29-2). 92 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 745 f., 760. Lindemann betont, dass sie dennoch „recht dezidiert“ ausgefallen sei. Dazu auch: „One example of this positive, open mood was the fact that the statement on Vietnam which was supported by the Assembly was more acceptable to the American delegates than in previous times, and many of the propaganda-style or hard-line phrases did not appear in the final statement.“ The Third All-Christian Peace Assembly by David Strong, Richmond, Methodist Church, 1. Material für den Arbeitsausschuß Paris 1968, 2 (Nachlass Hrom dka ETF 3-29-1). 93 Vgl. Ruys / Smol k, Stimmen, 202; auch Informationsbulletin der CFK, Nr. 46, 4/1968; und Henkys, Prager Notizen, 20. Zum Abstimmungsverhalten vgl. Aktenvermerk von Pabst über die Teilnahme an der III. Allchristlichen Friedenskonferenz, undatiert, 9 (EZA 102/211). 94 Vgl. Die Herausbildung spezifischer christlicher Friedensbewegungen, 30. 5. 1968, 9 (ACDP 07013-3309). 95 Vgl. Aktenvermerk von Pabst über die Teilnahme an der III. Allchristlichen Friedenskonferenz, undatiert, 13 (EZA 102/211).

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Kirchenfragen im ZK der SED, die Situation in Prag. Während der III. ACFV traf er sich mit dem schon zurückgetretenen ehemaligen Leiter des Kirchenˇ estm r C sarˇ mit weiteren gerade amtes, Karl Hru˚za, und auf Einladung von C anwesenden für Kirchenpolitik zuständigen Personen der später am Einmarsch beteiligten Länder96. C sarˇ versuchte, die Anwesenden von der poliˇ zu überzeugen, allerdings ohne Erfolg. Bellmann zeigte tischen Linie der KSC sich stattdessen beunruhigt über „eine gesteigerte ideologische Aktivität revisionistischer Kräfte zur Weiterführung des Aufweichungsprozesses.“97 Anzeichen waren für ihn die feindselige Stimmung gegen Kurt Hager, der ja kurz vorher Smrkovsky´ angegriffen hatte, der Rücktritt Hru˚zas, der durch Erika Kadlecov ersetzt worden war, der Empfang beim Oberbürgermeister anlässlich der III. ACFV, ohne dass ein DDR-Delegierter eingeladen worden war, und die seiner Meinung nach revisionistischen Tendenzen von Philosophen und Soziologen an der Prager Universität, allen voran Milan Machovec. Bei der Presse stach ihm vor allem die Prager Volkszeitung ins Auge, die „nahezu auf der Linie der westdeutschen Sozialdemokratie liegt.“98 Auch Weise beklagte in seinem Bericht in der Dienstbesprechung bei Seigewasser, dass das Prager Kirchenamt keine Hilfe war und „Auch die III. Versammlung selbst hat unter den Entwicklungen in der CSSR gelitten.“99 Seines Erachtens positivere Aussagen schrieb er den Delegationen der ROK und aus der DDR zu. Im Mai 1968 tagte das Internationale Sekretariat der CFK in Prag. Dafür waren verschiedene Rückmeldungen zusammengestellt worden. Die gesammelten Stimmen aus der westlichen Welt gingen in die gleiche Richtung: Es sei weiterhin gut eine Versöhnung zwischen Ost und West anzustreben. Aber die Konferenz habe unter Zeitdruck gestanden, die vorbereiteten Materialien seien von nicht ausreichendem Niveau, die Arbeitsgruppen zu groß, Diskussionen kaum möglich gewesen und die brillante Rede Hrom dkas zu Beginn, in der er auch die Reformprozesse gewürdigt habe, sei während der Konferenz zu sehr unter den Tisch gefallen100. Ganz anders die einzige östliche Rück96 Bericht von Bellmann über die politische Situation in Prag während der III. ACFV in Prag vom 2. 5. 1968, 4 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/34); vgl. auch Bericht über den Verlauf und das Ergebnis der III. Allchristlichen Friedensversammlung vom 31. 3.–5. 4. 1968 in Prag, vom 11. 4. 1968, 1 (BArch DO 4/494). 97 Bericht von Bellmann über die politische Situation in Prag während der III. ACFV in Prag vom 2. 5. 1968, 1 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/34). 98 Ebd., 4. 99 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 4. 1968 mit Fortsetzung am 19. 4. 1968 vom 25. 4. 1968, 5 (BArch DO 4/400). 100 Vgl. Rückmeldungen aus Westdeutschland, Frankreich, Nord- und Südamerika und Indien. Etwas heraus fällt der Brief durch Casalis, der Misstrauen und Ämterschacher bedauert. (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-11). Vgl. auch Lindemann, Sauerteig, 763; so auch Henkys: „Der Ton, den Prof. Hrom dka in seinem Referat am ersten Tage angeschlagen hatte, war in den Beratungen der Konferenz kaum mehr zu hören. Erst in der letzten Viertelstunde klang er wieder an, als Hrom dka in seinem Schlußwort nicht etwa ein Lob der Konferenz und eine Würdigung ihrer Arbeitsergebnisse vorbrachte, sondern die Delegierten bat, sich die Frage zu

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meldung durch Bassarak. Er meinte, die Konferenz in ihrer Methode sei vorzüglich gewesen, die Ergebnisse gehörten in Anbetracht der Umstände wie den „abenteuerlichen Erwartungen […] auf den Prager Frühling“ durch westliche Delegierte zu den besten überhaupt. Er bemängelte nur strukturelle Fragen101. So schlug er vor, es Einzelpersonen unmöglich zu machen, Einzelanträge ans Plenum zu stellen. Er nannte keine Namen, aber zu diesen Einzelanträgen hatte ja auch Smol ks gehört. Solchen hätte man entschiedener entgegen treten müssen. Die Schwierigkeiten in der Jugendkommission dagegen „werden sich wahrscheinlich durch den Wechsel in der Leitung von selber lösen.“102 Die Beschlüsse der III. ACFV wurden sehr schnell von den sich überschlagenden Ereignissen des Jahres 1968 überholt103.

2.2. Die Krise 1968 bis 1971 Der 21. August 1968 stürzte die CFK in eine langanhaltende Krise, in der zeitweilig eine Spaltung drohte. Das MfS war von der Krise so beunruhigt, dass es Anfang September die Existenz der CFK in Frage stellte104. Im Zusammenhang dieser Arbeit ist der Fokus auf die Folgen im Regionalausschuss in der DDR gerichtet105.

2.2.1. Erste Reaktionen auf den 21. August 1968 Direkt am 21. August 1968 verurteilte das Prager CFK-Sekretariat das Vorgehen der sozialistischen Bruderländer als „widerrechtliche Okkupation […] und eine ernste Bedrohung […] für den Frieden in der ganzen Welt.“106 Der Generalsekretär der CFK Jaroslav Ondra rief alle Regionalausschüsse dazu auf, den Einmarsch ebenfalls zu verurteilen107. Dass viele dieser Bitte folgten, ˇ h ks und Josef Hrom dkas wurde später ihm und dem Verhalten Jaroslav C

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stellen, ob hier auch geistlich etwas geschehen sei und glaubwürdig für den Frieden gearbeitet worden sei.“ Henkys, Prager Notizen, 25. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 764. Vgl. Bemerkungen zur III. ACFV, Bassarak, 12. 5. 1968, 1 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-11) und (EZA 675/108). Vgl. ebd. 3. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 764. Vgl. Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlussfolgerungen vom 12. 9. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). Für weitergehende Fragen zur CFK vgl. Lindemann, Sauerteig, vor allem 766 – 801. Arbeitsmaterial für den Arbeitsausschuß Paris Oktober 1968 1b (Nachlass Hrom dka ETF 329-1). Vgl. Information 1021/68 vom 16. 9. 1968, die Reaktion internationaler kirchlicher Gremien auf die Ereignisse in der CSSR, 8 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1570 ebenso HA XX/4, Nr. 1233); so auch schon in einer gleichlautenden Information der HA XX/4 des MfS vom 4. 9 1968, 6 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086).

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angelastet108. Hrom dka, der nach dem Trauma des Münchner Abkommens 1938 alle Hoffnung in Hinblick auf den Westen verloren und auf die UdSSR gesetzt hatte und sogar Leninpreisträger war, verfasste einen entgeisterten Brief an den sowjetischen Botschafter in Prag, Tscherwonenko, in welchem er die Ereignisse des 21. August als Okkupation scharf verurteilte. Hrom dka schrieb über den Prager Frühling als einen Erneuerungsprozess und „einen mächtigen Versuch, die Autorität der Kommunistischen Partei zu stärken, die Verantwortung für den Aufbau des Sozialismus in unserem Volke zu erwecken, die Liebe zu dem sowjetischen Volke zu erneuern und die Sache des Sozialismus zu einer dynamischen Macht in dem internationalen Leben zu machen.“109

Ihm sei bekannt gewesen, dass dieser Prozess von Seiten der UdSSR nicht richtig verstanden worden sei, doch hätte er Vertrauen in die „staatsmännische Weisheit“ der Politiker in der Sowjetunion gesetzt. Umso schmerzhafter erlebe er die Intervention. Er fand starke Worte, seine Gefühle auszudrücken: „Mein innigstes Gefühl ist Enttäuschung, Leid und Scham. Es gibt in meinem Leben keine größere Tragödie als dieses Ereignis.“110 Hrom dka befürchtete, dass dieser Einmarsch auch im Volk nicht wieder Gutzumachendes auslösen und sich Liebe nun in Hass verwandeln würde. „Die sowjetische Regierung hätte keinen tragischeren Irrtum begehen können. Es ist ein unermeßliches Unglück. Das moralische Gewicht des Sozialismus und des Kommunismus wurde auf lange Zeit erschüttert.“111 Dieser Brief war der Bischofskonferenz bereits am 24. August 1968 bekannt. In der Folge zirkulierte er unter den Pfarrern und prägte rückwirkend eine positivere Sichtweise auf Hrom dka. Seitens der DDR wurde einer solch klaren Ablehnung der Okkupation durch den Prager Stab entgegengehalten, dass dieses dazu geführt habe, „daß die Tätigkeit der CFK seither völlig von den, noch dazu verzerrt dargestellten Problemen eines Mitgliedlandes beherrscht und die weitere Existenz dieser bedeutenden christlichen Friedensbewegung aufs Spiel gesetzt wurde.“112 In der internen Analyse des Staatssekretariats für Kirchenfragen vom 30. Dezember 1968 hieß es: „Als am 21.8. 1968 die fünf sozialistischen Staaten dem Ersuchen führender Persönlichkeiten der Tschechoslowakischen KP und Regierung entsprachen und einer konterrevolutionären Entwicklung in der CSSR durch militärische Hilfe für die so108 Vgl. Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlußfolgerungen vom 12. 9. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). 109 Hrom dka, Memorandum, 302. 110 Ebd., 303. ˇ SSR gewesen sei, der 111 Ebd.; Frei meinte, dass Hrom dka der einzige Protestschreiber aus der C seine Kritik am 21. August ausschließlich darauf gründete, dass dieser militärische Schritt der UdSSR „den Interessen des Weltkommunismus und insbesondere denen der Sowjetunion abträglich sei.“ Frei, Staat und Kirche, 2501 f. 112 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 1 f. (BArch DO 4/255).

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zialistische Staatsmacht zuvorkamen, brachte für diese bedeutungsvolle Entscheidung auch ein erheblicher Teil der leitenden Persönlichkeiten der CFK kein Verständnis auf. Unter Mißbrauch ihres Amtes nahm vor allem die Mehrheit der tschechoslowakischen Funktionäre des CFK-Apparates ablehnend zu den Ereignissen Stellung.“113

Dass sie so reagierten, wurde darauf geschoben, dass der Westen auf die Bildung einer neuen ,rechten Gruppierung‘ gedrängt habe114. Als weiterer ˇ SSR am Störfaktor wurde die EKBB gesehen, die sich von den Kirchen in der C deutlichsten gegen den Einmarsch ausgesprochen hatte. Ihr wurde eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses innerhalb der Kirchen in der Tschechoslowakei angelastet. „Bewährte progressive Geistliche wurden, falls sie sich der ,neuen‘ Entwicklung nicht anpaßten, durch andere unbekannte reaktionäre Kräfte zurückgedrängt. Besonders die Kirche der Böhmischen Brüder nahm in ungünstiger Weise Einfluß auf das gesamte kirchliche Geschehen und auch auf die CFK.“115

Aus diesem Grund schrieb Ende 1969 der als Leiter des Kirchenamtes wiedereingesetzte Hru˚za an Seigewasser: „Das Monopol, das sich die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder in der Christlichen Friedenskonferenz geschaffen hat, müssen wir um jeden Preis zerschlagen.“116 In den Folgejahren wurde dieses Ziel umgesetzt. Neben der zu engen Verquickung zwischen der CFK mit der Situation in der ˇ SSR sah die Dienststelle des Staatssekretärs einen weiteren Grund für die C CFK-Krise in der mangelnden theoretischen Klarheit bei politischen Angelegenheiten. Und wieder wurden einerseits westlicher Einfluss und andererseits nicht genutzte Einflussmöglichkeiten auf den Westen verantwortlich gemacht. So seien immer mehr Menschen zwischen West und Ost auch zu Tagungen gereist. Als Beispiel wird die Tagung der Paulusgesellschaft 1967 in Mari nsk L zneˇ genannt. Ohne Schlagwörter oder Protagonisten des damit 113 Ebd. 114 „Unter dem Druck konterrevolutionärer und antisozialistischer Kräfte in der CSSR auf fortschrittliche Persönlichkeiten des öffentlichen und kirchlichen Lebens ließen sich solche ehemals positiven Kräfte wie Prof. Hromadka, Präsident der PCF, Pfarrer Ondra, Generalsekretär der PCF u. a. auf feindliche Positionen ziehen und zu negativen Handlungen hinreißen. Unter der Leitung von Prof. Hromadka (CSSR), Pfarrer Ondra (CSSR), Prof. Casalis (Frankreich) u. a. entstand innerhalb der PCF eine rechte Gruppierung. Zur ideologischen Untermauerung der Ziele dieser rechten Kräfte verfaßte Hromadka einen Brief an den sowjetischen Botschafter in Prag und ein sogenanntes Memorandum zu den Ereignissen in der CSSR. Beide Dokumente diffamieren die an den Hilfsmaßnahmen für die CSSR beteiligten 5 sozialistischen Staaten und ihre Politik.“ Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). 115 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 und der gegenwärtigen Situation vom 27. 2. 1969, 11 (BArch DO 4/4774). 116 Übersetzung eines Briefes vom 12. 11. 1969 von Hru˚za an Seigewasser, 1 (BArch DO 4/355).

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verbundenen christlich-marxistischen Dialogs zu erwähnen,117 wurde der Schluss gezogen: „Hier [in Mari nsk L zneˇ] wurden bereits theoretisch ,dritte Wege‘ zum Sozialismus konzipiert und die Zielvorstellung eines ,demokratischen Sozialismus‘ ausgearbeitet.“118 Eine solche Diskussion verschiedener Sozialismen sei dann auch in die CFK eingedrungen mit dem Ziel, diese aufzusprengen. Die Ablehnung des 21. August westlich des Eisernen Vorhangs in den Regionalausschüssen war flächendeckend: „Fast alle Regionalausschüsse des westlichen Auslandes – angefangen von dem Westberliner bis zum japanischen Regionalausschuß – haben im Sinne Ondras gegen die Sicherungsmaßnahmen protestiert bzw. ihr Mißfallen durch Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht.“119 Der Westberliner Regionalausschuss hatte gar einen Brief an Ulbricht geschrieben, in welchem er den sofortigen Abzug der NVA-Einheiten forderte120. Bedauernd wurde auch die Ablehnung der rumänischen Kirchen zur Kenntnis genommen. Zustimmung kam nur von der ROK, aus Ungarn und von einigen kleineren Kirchen aus der UdSSR121. Auch verschiedene westliche Theologen zogen ihre Konsequenzen aus der Krise und distanzierten sich von der CFK. So stellte der Berliner Theologe Heinrich Vogel – von Anfang an mit in der CFK aktiv, schon 1959 als einziger Westler im Arbeitsausschuss vertreten122 und mit Hrom dka per Du – Anfang 1971 seinen Platz im Arbeitsausschuss der CFK zur Verfügung123. Bereits am 117 Vgl. aber Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 und der gegenwärtigen Situation vom 27. 2. 1969, 8 (BArch DO 4/4774). In dieser sonst gleichlautenden Analyse wurde in einem Einschub nun erwähnt, „daß selbst innerhalb der CFK die Behandlung wichtigster konkreter politischer Probleme und praktischer gemeinsamer Aufgaben zugunsten eines solchen unverbindlichen ,Dialogs‘ [zwischen Christen und Marxisten] vernachlässigt wurde.“ Interessanterweise wurden nur Protagonisten auf christlicher Seite erwähnt: Lochman, Smol k, Opocˇensky´. 118 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 8 (BArch DO 4/255). 119 Einzel-Information 1049/68 vom 17. 9. 1968 über die Tagung des Regionalausschusses der „Prager Christlichen Friedenskonferenz“ der DDR am 9. 9. 1968 in Berlin-Weißensee und die weitere Arbeit dieser internationalen Organisation, 6 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1591). 120 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 und der gegenwärtigen Situation vom 27. 2. 1969, 4 (BArch DO 4/4774); vgl. auch Information. Brief des Regionalausschusses der Prager Christlichen Friedenskonferenz (PCF) in Westberlin an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und 1. Sekretär des Zentralkomitees der SED, Genossen Walter Ulbricht, vom 26. 8. 1968 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 121 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 3 (BArch DO 4/255). Genannt wurden in der Analyse von Dezember lediglich die Russisch-Orthodoxe Kirche und die ungarischen Mitgliedskirchen in der CFK. In der gleichlautenden Analyse vom Februar 1969 kamen auch weitere Kirchen aus der SU, aus Georgien, der lettischen und estnischen SSR hinzu. 122 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 662. 123 Vogel schrieb: „Nun aber kann ich nur feststellen, daß ich in den Möglichkeiten einer von mir noch verantwortbaren Mitarbeit im Arbeitsausschuß schach matt gesetzt worden bin. […] Ich

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1. September 1968 schrieb der fanzösische Theologe George Casalis einen Brief an Gerald Götting, der dessen Entsetzen über die Okkupation widerspiegelte: „Dieser tragische Irrtum ist einem Mord am Sozialismus gleich.“124 Auch Charles West vom Regionalausschuss aus der USA solidarisierte sich im September mit Hrom dka und schrieb im Dezember 1968 einen Brief an diesen, in welchem er sich für Mut zu Differenzen, zu offenem Dialog und stärkerer theologischer Arbeit aussprach125. In einem persönlichen Gespräch mit Ordnung im Sommer 1969 plädierte West dafür, dass man die Arbeit der CFK statt auf der Basis politischer Fragen wieder auf dem christlichen Bekenntnis gründen sollte. „Deshalb solle man in Zukunft auf politische Aussagen und Resolutionen verzichten.“126 So war es nur folgerichtig, dass die sozialistischen Kirchenämter zwar die CFK weiterhin als „ein Instrument für die Durchsetzung der politischen Ziele der sozialistischen Staaten“ nutzen, dabei aber unliebsame Personen herausdrängen wollten. „Bedingung für die Weiterarbeit ist das Ausscheiden der reaktionären Kräfte und die Liquidierung ihres Einflusses.“127 Als Namen fielen: Georges Casalis, Charles West und in anderen Zusammenhängen auch Heinz Kloppenburg. 2.2.2. Das Übergreifen der Krise auf die internationalen Gremien der CFK – Das Ende der CFK? Der Termin für eine Tagung des Arbeitsausschusses und des Internationalen Sekretariats in Paris vom 1. bis zum 4. Oktober war bereits vor den Augusttagen abgesprochen worden128. Die Ostblockstaaten versuchten nun Druck auszuüben, diesen Termin zu verschieben, was ihnen jedoch nicht gelang. Sie befürchteten westlichen Einfluss und eine Verurteilung der am Einmarsch beteiligten Staaten129.

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halte es für ein Gebot der Redlichkeit, meinen Sitz und meine Stimme im Arbeitsausschuß der Christlichen Friedenskonferenz zur Verfügung zu stellen.“ Brief Vogel an Nikodim 4. 1. 1971, handschriftlicher Entwurf (EZA 665/149). Vgl. Abschrift. Brief Casalis an Götting 1. 9. 1968, 1 (EZA 665/149). Vgl. Stellungnahme Charles West 23. 9. 1968 (EZA 89/80); und Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 und der gegenwärtigen Situation vom 27. 2. 1969, 10 (BArch DO 4/4774). In der Analyse wird das Charles West als sehr reaktionäres Verhalten ausgelegt. West hatte wie Hrom dka in Princeton gelehrt und war mit diesem befreundet. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 774. Aktenvermerk von Ordnung über ein Gespräch mit Charles West, USA, in Berlin am 18. 7. 1969 vom 28. 7. 1969, 1 (BArch DO 4/4774). Bericht über die Tagung der Genossen der Staatsämter für Kirchenfragen in Prag vom 17.–19. 2. 1970, vom 16. 3. 1970, 4 (BArch DO 4/2884). 1971 stellten die Hinausgedrängten eine Dokumentation aus ihrer Sicht zusammen. Vgl. Casalis / de Graaf / Jacoby / Kloppenburg / de Santa Ana / Schwarz / Tolen, CFK 1968 – 1971. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 769. In einer staatlichen Analyse wird von einem Gespräch in der

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Als Arbeitsmaterial hatte das Sekretariat verschiedene Reaktionen nach dem 21. August zusammengestellt, die in unterschiedlicher Deutlichkeit die Okkupation verurteilten130. Für die Sitzung des Arbeitsausschusses und des Internationalen Sekretariats in Paris verfasste Hrom dka Mitte September ein Memorandum, in welchem er über die grundsätzlichen Möglichkeiten einer Weiterarbeit der CFK reflektierte131. Es war in drei Teile gegliedert. Im ersten fragte er, „ob der Sozialismus in der Lage ist, sich schöpferisch zu entwickeln, und ob er die Weltgemeinschaft beeinflussen wird, und hier besonders die jüngere Generation, indem er überzeugende Ideen, moralische Offenheit und politische Weisheit bietet.“ In einem zweiten Teil fragte Hrom dka nach der Wirklichkeit in und der Bedeutung der Sowjetunion. Er ging auf die Probleme ˇ SSR der 1950er Jahre ein, auf politische Prozesse und Fehler der in der C Kommunistischen Partei in dieser Zeit. Im dritten Teil kam Hrom dka auf die Ereignisse von 1968 zu sprechen und stellte sich hinter die Entwicklung seit dem Januar 1968: „Eine wahre Revolution für einen echteren, schöpferischeren und menschlicheren Sozialismus war im Entstehen. Es war ein Schritt vorwärts, nicht zurück.“ Er kam zu dem Schluss, dass durch die Ereignisse des 21. August die Antikommunisten bestärkt wurden, die die Geschehnisse „nur als neuen Beweis des wahren Charakters der Sowjetunion sahen.“ Hrom dka stellte die vergebliche Frage: Warum? Und ob die Okkupanten nicht einfach Angst vor einem demokratischen Sozialismus gehabt hätten. Er fand den 21. August 1968 noch schwerer zu verkraften als die Okkupation durch Hitler. Von letzterem habe man nichts Gutes erwarten können. „Aber am 21. August waren es unsere Freunde und Verbündeten, die in unser Land einfielen, ohne eingeladen zu sein. Ihr Schritt stand im Widerspruch zu jeder internationalen Abmachung, im Widerspruch zu den Prinzipien der Nichteinmischung, der territorialen Unverletzbarkeit und staatlichen Souveränität der sozialistischen Länder.“

Warum? Diese Frage blieb für Hrom dka unbeantwortet. Hrom dka schilderte die Woche nach der Okkupation als einen „ruhmreichen Teil unserer Geschichte“, weil die Einheit der Nation in diesen Tagen stärker gewesen sei denn je. In einem letzten Teil fragte er, was als Nächstes getan werden solle. Damit meinte er wieder die CFK. Er ging mit der bisherigen Praxis der CFK ins Gericht, kritisierte, dass ihr Aufgaben von außen aufgegeben, oft nicht frei abgestimmt würde und das Christliche zu sehr der Ummäntelung diente. Er ˇ ih k und Mitgliedern des bundesdeutschen RA berichtet, in dem Gossener Mission zwischen C es darum gegangen wäre, „auf eine Verurteilung der fünf sozialistischen Staaten hinzuarbeiten.“ Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 3 f. (BArch DO 4/255). 130 Vgl. Sammlung verschiedener Stellungnahmen (Nachlass Hrom dka ETF 3-39-1). 131 Hrom dka, Memorandum, 302 – 325. In mehrfacher Ausführung auf Englisch auch z. B. (Nachlass Hrom dka ETF 3-29-1). Das Memorandum war nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Die folgenden Zitate sind daraus entnommen.

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plädierte dafür, jeden Formalismus abzulegen, sich von Vorurteilen zu befreien und sich klar zu positionieren. Er fragte: „Sollen wir gezwungen werden, Normalisierung als Grab unserer Sehnsüchte nach freier Menschlichkeit und nach einem lebendigen schöpferischen und menschlichen Sozialismus zu verstehen?“ Er plädierte für die Erneuerung menschlichen Vertrauens, für Aufrichtigkeit und mutige Hoffnung; für das Finden einer gemeinsamen Sprache und das Beseiteschieben von taktischen Erwägungen, für den Mut zur Selbstkritik und einen wirklichen Dialog132. Dass ein solcher Dialog nicht möglich war, zeigt ein neunseitiges Antwortschreiben verschiedener sowjetischer Kirchenvertreter, allen voran des Metropoliten von Leningrad und Nowgorod und Vizepräsidenten der CFK Nikodim133. Sie warfen Hrom dka die Vermengung von Politik und persönlicher Meinung vor. Hrom dkas Memorandum bezeichneten sie als „beleidigend“ für die sozialistischen Bruderländer und unterstellten ihm eine „tendenziöse“ Auslegung der Nachkriegsgeschichte. Die Briefschreiber waren der Ansicht, dass sich die Ereignisse des 21. August „ganz natürlich aus den Beziehungen ergaben, die die sozialistischen Länder zueinander unterhalten.“ Hrom dkas Ausführungen dagegen entbehrten „jeglicher objektiven Grundlage“, hätten einen „nationalistischen und subjektiven Charakter“, die die Ereignisse „dramatisieren“ und die Situation „verschärfen“ würden. Hrom dka würde „nicht von Tatsachen sprechen“ und er solle „davon Abstand nehmen, Ihre durchaus persönlichen subjektiven Stellungnahmen und sogar Ihre private Thematik anderen aufzuzwingen.“ Sie forderten, Hrom dka solle sich ihrer Einschätzung anschließen, sonst würde es bedeuten, ihm „das Vertrauen […] als Präsidenten der CFK zweifellos [zu] entziehen.“ Sein Memorandum jedenfalls, welches „ausschließlich Ihre durchaus privaten Gedanken und äußerst subjektiven Stellungnahmen“ enthalte, würde die Teilnehmer der CFK zu „nichts verpflichten.“ Am Ende wurde die Hoffnung ausgesprochen, Hrom dka möge seine Meinung ändern134. Hauptthema war in Paris anstelle der weiteren Tagesordnung die Diskusˇ SSR. Zu einer Einigung kam es nicht. Brisansion um die Situation in der C terweise war den beiden DDR-Delegierten in Paris am Flughafen die Einreise verweigert worden135. Delegierte der anderen sozialistischen Staaten waren anwesend, hatten aber einen schweren Stand. In Berlin beim Staatssekretär wurde die Pariser Tagung als Misserfolg gewertet, denn die Arbeit der CFK sei

132 Ebd., 320. 133 Antwort auf das Memorandum Hrom dkas vom 28. 9. 1968 durch verschiedene Patriarchen (EZA 665/149). Die folgenden sind Zitate daraus entnommen. 134 Ebd. 8. 135 Vgl. Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 4 (BArch DO 4/255). Auch der Ungar T th bekam kein Visum. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 769 f.

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„nahezu lahm gelegt.“136 Die Diskussionen zogen sich teilweise bis 5 Uhr in der Frühe hin137. In einem Kommuniqu vom 4. Oktober wurde erstmals in einem CFK-Papier Uneinigkeit der verschiedenen Positionen festgehalten138. In einem der letzten Sätze wurde in der Wir-Form betont, es sei besonders wichtig, dass Äußerungen aus der Zeit der Krise nicht später zu Verfolgung und Bestrafung führten. Doch genau dazu kam es später. In seiner Abschlussansprache thematisierte Hrom dka mit Hilfe biblischer Verse des Propheten Jeremia 20,7.9 und 45,4 – 5a seine tiefe innere Verunsicherung ob der Arbeit der CFK139. Hier wurden seine Müdigkeit und der Wunsch deutlich, die CFK aufzugeben. Gleichzeitig trieb ihn die Frage um, in welcher Verantwortlichkeit die CFK stehe und weiterarbeiten müsse. Die Ansprache zeigt einen innerlich gebrochenen Mann. Hrom dka sah anscheinend keinen Sinn mehr. Andererseits betonte er, dass man weiter machen müsse, da man sonst innerlich verbrennen würde. Mit dem 77. Psalm hoffte er auf Gott, darauf, dass es gegen den Augenschein doch einen Sinn gebe, auch wenn dieser zurzeit menschlich nicht erfassbar sei. Und so appellierte Hrom dka an das Gewissen seiner Zuhörer, nichts für sich selbst und alles für Gott und die Welt zu wollen. „Aber das kann nur geschehen in voller vollkommenen Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, in der Buße.“140 Und bevor Hrom dka mit dem Vaterunser schloss, bat er: „Und doch lassen wir uns wenigstens einander versprechen, daß wir zusammen bleiben“ und zwar nicht für die jeweils eigenen Länder, sondern für Gott141. Zwei Wochen nach der Tagung in Paris schrieb Hrom dka einen Brief an Kloppenburg. Darin zeigt sich Hrom dkas Enttäuschung und Weitsicht. Er fragte Kloppenburg, ob jener eine Weiterarbeit überhaupt für möglich halte, was er selbst, Hrom dka, doch hoffe. Er fragte sich, ob es noch möglich wäre, mit den anderen osteuropäischen Mitgliedern weiterzuarbeiten und „ob man nicht versuchen wird, uns das Vertrauen zu entziehen und die Tätigkeit der CFK auf andere Grundlage zu stellen.“142 Genau dies sollte ein Jahr später geschehen. Und er fragte, ob die westlichen RAs fähig und bereit wären, die Arbeit der CFK aufrechtzuerhalten. Auch Hrom dkas Dilemma wegen des 21. August wird in diesem persönlichen Brief noch einmal deutlich. Hrom dka fragte sich, ob jeglicher Sozialismus nur mit Gewalt aufrecht er-

136 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 5 (BArch DO 4/255). 137 So Kloppenburg. Vgl. epd Grüner Dienst Nr. 39/68, 1 (EZA 8/1122). 138 Casalis u. a., CFK 1968 – 1971, 17 – 20. 139 Vgl. Tonbandabschrift des Schlußwortes Hrom dkas aus Paris (Nachlass Hrom dka ETF 3-291); auch (Casalis u. a., CFK 1968 – 1971, 20 – 25). 140 Vgl. Tonbandabschrift des Schlußwortes Hrom dkas aus Paris, 3 (Nachlass Hrom dka ETF 329-1). 141 Vgl. ebd., 3. 142 Vgl. Brief Hrom dkas an Kloppenburg vom 17. 10. 1968, 1 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-8).

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halten werden könne und ob sein Traum sich überhaupt verwirklichen ließe, ˇ SSR im Frühjahr hatte Gestalt annehmen sehen: den er in der C „Die Synthese des realistischen, ökonomischen und politischen Sozialismus einerseits und der großen, schöpferischen Kulturgüter der durch das Christentum geformten Geschichte andererseits hat bei uns eine ganz konkrete Form angenommen. Diese Synthese ist keine Realität bis jetzt, aber sie ist zu einer der aktuellsten Aufgaben unserer Generation geworden.“143

Auch verschiedene andere Briefe Hrom dkas zwischen Ende 1968 und Ende 1969, die zusammengestellt wurden, zeugen von seiner Zerrissenheit144. Der Tenor ist pessimistisch. Einerseits blieb Hrom dka bei seinem Standpunkt, dass die westlichen Demokratien nicht höher stünden als die eigene Gesellˇ SSR ohne die SU die eigene Souveränität nicht verteidigen schaft, dass die C könne und dass es deswegen „darum geht, daß der Sozialismus menschlicher, überzeugender und tiefer wird.“145 Andererseits beschrieb er die Situation seines Landes in trüben Farben. Es gebe Unsicherheit und Angst und schamlosen Druck, Menschen würden in Partei und Gesellschaft aus ihren Funktionen gedrängt. „Von oben nach unten kehren alte, verbrauchte Menschen zurück – oder es kommen neue, die die Situation moralisch-politisch schwieriger und noch untragbarer machen, als sie vor dem Januar 1968 war.“146 Hrom dka bezeichnete die beginnende Normalisierung als „tötendes, schwüles Intermezzo.“147 Er beschwor, „daß es uns gelingt, den Geist des Prozesses vom vorigen Jahr zu retten.“148 Dies schien er in der CFK zu versuchen. Aber wo sei die Grenze? „Lieber ein Ende mit der Arbeit machen, als irgendwelche Kompromisse schließen!“149 Er schrieb, dass man ihm wohl noch eine Chance geben würde, sich zu „bewähren“, „wenn wir uns der ,neuen‘ Situation anpassen. Aber davon kann keine Rede sein!“150 In einem Brief, den er einen Tag nach seinem Rücktritt schrieb, meinte er, dass ihm die weitere Kraft fehle und er zum Greis geworden sei. Über die Resignation schrieb er: „Gott befohlen! Ich selbst jedoch spüre lebhaft, daß es keinen anderen Weg geben konnte und daß wir uns sonst selbst verraten hätten.“151 Dieser Schritt wurde ihm später von vielen hoch angerechnet, darunter von Kirchenleuten in der DDR, die sonst der CFK und Hrom dka kritisch gegenüber standen. Er143 Ebd., 2. 144 Sie wurden in Auszügen auf vier Seiten zusammengestellt. Es konnte nicht ermittelt werden, wer sie ursprünglich zusammenstellte. Eine Abschrift findet sich im Nachlass Gollwitzers (EZA 686/8601); auch (EZA 102/292). 145 Vgl. Brief vom 12. 9. 1969 (EZA 686/8601). 146 Vgl. Brief vom 3. 10. 1969 (EZA 686/8601). 147 Ebd. 148 Ebd. 149 Vgl. Brief vom 17. 10. 1969 (EZA 686/8601). 150 Ebd. 151 Vgl. Brief vom 15. 11. 1969 (EZA 686/8601).

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innert sei hier an Hamels Nachruf auf Hrom dka auf der Herbstsynode der Kirchenprovinz Sachsens: „als am Ende seines Lebens die Hoffnungen, die er irdisch hatte, nämlich restlos zerbrachen […] hat er nicht den bequemen Weg gewählt, sondern ist bis zum Schluß einer geblieben, der Gottes Todesurteil auch über unsere Pläne und Wünsche auf sich nimmt.“152

2.2.3. Lösungsansätze für die CFK seitens der sozialistischer Staatssekretariate Mitte September 1968 besprachen sich die Staatsämter für Kirchenfragen von Ungarn, der UdSSR, der DDR, von Polen und Bulgarien wegen des weiteren Vorgehens bezüglich der CFK. Man diagnostizierte die Krise, wollte aber die CFK nicht so einfach fallen lassen153. Noch im Oktober 1968 trafen sich auf Initiative des Internationalen Sekretärs Karel T th sieben Vertreter der CFK zu einer „brüderlichen Beratung“ über die Zukunft der CFK in Moskau154. Ein Protokoll wurde nicht angefertigt, doch Empfehlungen zusammengestellt. Die wichtigsten waren die Internationalisierung des Stabes durch mindestens zwei Mitarbeiter z. B. aus Ungarn und der DDR sowie die Verbreiterung der Basis der RAs. Zudem sollte der Internationale Sekretär alle Manuskripte der Zeitschrift der CFK vorher einsehen, die beigeordneten Generalsekretäre sollten die Arbeit des Generalsekretärs gemeinsam verantworten. Mit anderen Worten: Die Tschechen sollten zurückgedrängt und deren Arbeit besser zensiert und kontrolliert werden155. In eine ähnliche Richtung gingen die Überlegungen in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Als Lösungsansätze, um die CFK wieder in ein von staatlicher Seite erwünschteres Fahrwasser zu lotsen, wurden vorgeschlagen: Westliche Ideologien zurückdrängen, die Regionalausschüsse und deren Zusammenarbeit untereinander stärken, die Leitung der CFK aus tschechoslowakischen Händen nehmen, Mitarbeiter austauschen, Stellungnahmen aus den Reihen der CFK zu politischen Ereignissen nur nach Zustimmung von Arbeitsausschuss und Internationalem Sekretariat gestatten, „Diskutiererei“ verhindern und die Koordination der Arbeit bei den verschiedenen sozialistischen Staatsämtern und damit den Einfluss auf die CFK verbessern156. Allerdings war man im Februar 1969 einer Konsolidierung der 152 Brief Hamels an Seigewasser vom 15. 3. 1971. Anhang. Gedenkrede auf Professor Josef Hrom dka, gehalten auf der Synode der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Wernigerode im November 1970, 2 (AKPS, B3 Nr. 367). 153 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 768. 154 Vgl. Empfehlungen aus dem Treffen 7 Mitglieder der CFK in Moskau, 29. 10. 1968 (Nachlass Hrom dka ETF 3-29-24). 155 Vgl. Ebd., 1 f. 156 Vgl. Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, Schlußfolgerungen, 13 – 15, 13 (BArch DO 4/255); und „Die vorliegende Analyse zeigt, daß sich die CFK in einer entscheidenden Krisensituation befindet.“ Ebd.

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Lage in der CFK nicht viel näher gekommen157. Weder eine Internationalisierung des Prager Stabs noch eine Themenkonzentration hatten erreicht werden können. Hrom dkas Verhalten wurde auf sein hohes Alter geschoben: „Ihm ist es – wahrscheinlich auch aufgrund seines Alters – nicht gelungen, die Ereignisse des letzten Jahres bzw. die gegenwärtige Entwicklung zu verarbeiten.“158 Dennoch entschieden sich die ROK, Seigewasser und die CDU, Hrom dkas 80. Geburtstag komplett zu ignorieren159. Zusätzlich zu den Lösungsansätzen vom Dezember 1968 wollte man nun verstärkt auf eine größere Anbindung an die Kirchen in der SU und hier vor allem an die RussischOrthodoxe Kirche und auf Nikodim setzen, die der Dienststelle des Staatssekretärs als unbedenklich und staatsnah galten160. Als besonders problematisch wurde das Verhalten des Prager Kirchenamtes angesehen. Denn es unterhielt zu diesem Zeitpunkt keine Kontakte zu anderen Kirchenämtern und wies Vorhaltungen als Einmischung zurück161. Daher wurde ihm von den anderen Kirchenämtern vorgeworfen, die Kirchenpolitik sich selbst zu überlassen und den Kirchen aus Dank für ihr Verhalten nach dem 21. August 1968 volle Freiheiten zu gewähren und zu vergessen, dass Kirchen und auch die CFK erzogen und angeleitet werden müssten162. Die Schwierigkeiten mit dem Prager Kirchenamt lösten sich in dem Augenblick, als die reformkommunistisch orientierte Leiterin Kadlecov wieder durch ihren Vorgänger Hru˚za ersetzt wurde. Mit diesem Personalwechsel wurde der Reformprozess für die Kirchen gestoppt und wieder in Gleise von vor 1968 zurückgelenkt163. Um die Krise in der CFK in realsozialistischem Sinne zu überwinden, wurden im Herbst des Jahres 1969 mehrere internationale Ausschusssitzungen 157 So war man der Meinung, die Tagung des Internationalen Sekretariats in Prag vom 14.–16. 1. 1969 „zeigte zwar einerseits eine gewisse Stabilisierung der Situation, ließ aber andererseits deutlich werden, daß alle genannten negativen Tendenzen nach wie vor in starkem Maße wirksam sind.“ Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 und der gegenwärtigen Situation vom 27. 2. 1969, 12 (BArch DO 4/4774). 158 Ebd. 159 Aussprache am 2. 6. 1969 bei Staatssekretär Seigewasser über kirchenpolitische Probleme, 4 (ACDP 07-013-3253); vgl. auch Lindemann, Sauerteig, 776. 160 Vgl. Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 und der gegenwärtigen Situation vom 27. 2. 1969, 19 f. (BArch DO 4/4774). 161 ebd., 13 f. 162 „Ausdrücklich wird damit der Dank für ihre Haltung während der Ereignisse um den 21. 8. 1968 verbunden. Der sogenannten ,monolithischen Konzeption des alten Sozialismus‘ wird die ,Notwendigkeit der historischen Realisierung des demokratischen pluralistischen Sozialismus‘ gegenübergestellt. […] Damit aber verzichtet die gegenwärtige Leitung des Prager Amtes ausdrücklich und nachhaltig auf jede politische Erziehungs- und Leitungsfunktion gegenüber den Kirchen und auch der CFK.“ Ebd. 163 Bereits wenige Tage nach seiner Wiedereinsetzung suchte Hru˚za über die Botschaft der DDR wieder Kontakt zu Seigewasser. Vgl. Brief aus der Botschaft an Seigewasser vom 15. 8. 1969 mit der Information über die Wiedereinsetzung Hru˚zas (BArch DO 4/355); vgl. auch Lindemann, Sauerteig, 782, Anm. 220.

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der CFK in der DDR organisiert und wichtige Weichen gestellt164. Dazu gehörten unter anderem die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 21. bis 24. Oktober in Buckow, die Sitzung des Internationalen Sekretariats vom 16. bis 18. Oktober in Ferch / Potsdam und die der Strukturkommission vom 19. bis 20. Oktober in Ferch165. Selbst Seigewasser wunderte sich darüber, „wer denn seine Zustimmung zu einer solche Fülle von Tagungen der Ausschüsse der CFK in der DDR gegeben habe.“ Seine Mitarbeiter erklärten ihm, „unsere Dienststelle sei zu diesem Fragenkomplex nicht konsultiert worden.“166 Die Strategie der sozialistischen Blockstaaten für die Tagungen war unter den Staatssekretariaten für Kirchenfragen dieser Länder am 25. September sorgsam durchdacht und abgesprochen worden167. Es wurde vor allem der beschlossene Rücktritt Ondras vorbereitet168. Auch die Zusammenarbeit zwischen StB und MfS in Punkto Kirchenfragen wurde im Oktober 1969 in Vorbereitung der Tagungen in der DDR wieder aufgenommen169. So erklärte sich das MfS bereit, durch geeignete IM Ondra während seines Aufenthalts in der DDR überwachen zu lassen170.

2.2.4. Die Umsetzung der sozialistischen Konsolidierung der CFK Es ist erstaunlich, wie wenig sich die Krise in den allgemeinen Arbeitspapieren ˇ SSR blieb ständiger Beder CFK 1969 niederschlug. Die Situation in der C gleiter, taucht aber nur unterschwellig auf171. Darüber lagen die üblichen 164 Zusammenfassender Bericht über die Tagungen leitender CFK-Gremien in der DDR im Oktober 1969, vom 20. 11. 1969, 1 – 13 (BArch DO 4/255). 165 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 778. 166 Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatsekretär vom 1. 8. 1969, 11 (BArch DO 4/401). 167 Vgl. Konzeption für die Beratung der verantwortlichen Genossen der Staatsämter für Kirchenfragen der sozialistischen Staaten zur Vorbereitung der CFK-Veranstaltungen im Oktober in der DDR (26. 9. 1969); vgl. zusammenfassendes Protokoll der Staatsämterberatung zur Vorbereitung der CFK-Veranstaltungen im Oktober in der DDR (26. 9. 1969) vom 15. 10. 1969 (BArch DO 4/2874); vgl. in der Rückschau: Zusammenfassender Bericht über die Tagungen leitender CFK-Gremien in der DDR im Oktober 1969, vom 20. 11. 1969, 1 (BArch DO 4/255); vgl. auch Lindemann, Sauerteig, 778. 168 „Konsultationen zwischen allen sozialistischen Ländern […], wie bei der Lösung dieser Aufgabe konkret vorgegangen werden soll, da diese Personen wie Ondra und Hromadka die Unterstützung der kapitalistischen Länder haben.“ Bericht vom 17. 10. 1968. Beratung mit Vertretern der Sicherheitsorgane der CSSR am 15. 10. 1969 in Dresden, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 265). 169 Vgl. ebd., 1 f. 170 Vgl. ebd, 6; und: „Das MfS der DDR wird mit den vorhandenen Möglichkeiten das Bestreben der staatlichen Organe unterstützen, aus der CFK eine effektive Friedensorganisation zu machen, in welcher die sozialistischen Länder die führende Rolle spielen werden.“ ebd., 3 f. 171 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 773. Auch Ondra war 1969 bereit, „wenn man zunächst die tschechische Frage ausklammere und direkt an die Ergebnisse und Aussagen der III. AFV anknüpfe.“ Bericht von Ordnung über die Sitzung des Regionalausschusses am 22. 1. 1969 vom 27. 1. 1969, 5 (BArch DO 4/4774).

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Themen – immer unter dem Blickwinkel des Klassenkampfes betrachtet – Vietnam, Israel, Dritte Welt, Imperialismus, deutsche Frage, Status quo, und ˇ SSR172. Unter der Oberfläche nur bei letzterem, wenn überhaupt, ein Wort zur C ˇ SSR. Während bis 1968 viele der Ausallerdings brodelte das Thema der C schusssitzungen in Prag stattgefunden hatten, wurde nun nach Möglichkeit an anderen Orten getagt. So traf sich der Arbeitsausschuss Mitte Februar 1969 in ˇ SSR im dreiseitigen Warschau. Ihm war die Erwähnung der Situation in der C Entwurf eines Kommuniqu s immerhin noch zwei Zeilen wert173. In Warschau hatte Hrom dka nach Mehrheitsbeschluss immerhin über die Lage in der ˇ SSR berichten dürfen. Eine Diskussion darüber wurde jedoch mit MehrC heitsbeschluss abgelehnt. Hrom dka reiste daraufhin sofort ab174. Die Umsetzung der durch die sozialistischen Kirchenämter erarbeiteten Strategien wurde im Herbst 1969 in der DDR für alle Beteiligten spürbar. Casalis wurde der Satz zugeschrieben, er käme, denn „er wolle ,die Beerdigung‘ der CFK in der DDR nicht versäumen.“175 Den Reigen eröffnete die Sitzung des Internationalen Sekretariats in Ferch / Potsdam vom 16. bis 18. Oktober. Hier wurde, wie besprochen, damit begonnen, Generalsekretär Ondra mit dem erklärten Ziel seines Rücktritts massives Versagen nach der Krise und eine egoistische, nationale und antikommunistische Haltung vorzuwerfen, um den Stab internationalisieren und sowjetisieren zu können176. Ondra wurde vorgeworfen, die partiellen Probleme eines kleinen Landes den eigentlich wichtigen Weltproblemen vorgeordnet zu haben. Allerdings schreckte man doch vor einer offiziellen Kraftprobe in den Gremien zurück. Denn in diesen saßen ja auch westliche Mitglieder der CFK, die zwar oft sehr linken Ideen und Idealen anhingen, direkte Gewalt und den offensichtlichen Bruch von Völkerrecht, der im Zuge des 21. August geschehen war, jedoch ablehnten. Diese positionierten sich zudem in der Mehrheit zu Ondra, weshalb man ihnen daher unter anderem „Aggressivität“ und „Zynismus“ vorwarf177. 172 Im Bericht der Internationalen Kommission der CFK, die vom 2.–4. 6. 1969 in der BRD in Georgsmarienhütte tagte, waren die fünf vorgegebenen Themen: Naher Osten, Südostasien, Afrika, Lateinamerika und europäische Sicherheit. Im letzten Punkt ging es vor allem um die Forderung einer Sicherheitskonferenz und die Anerkennung der DDR. Nur hier taucht die ˇ SSR auf: „In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, daß in einigen westeuropäischen und C neutralen Ländern Kräfte wirken, die eine Anerkennung der DDR befürworten. […] Die Ereignisse des 21. August 1968 haben in mancher Hinsicht einen Rückschlag für diese Tendenzen verursacht – wobei freilich zu fragen ist, ob das erstarrte Verhalten wirklich eine Folge des 21. August oder in vielen Fällen nur ein Vorwand ist, sich bei der bisherigen Weigerung zu verhalten.“ Bericht der Internationalen Kommission der CFK vom 2.–4. 6. 1969 durch Bujevskij, Internationaler Sekretär der CFK, 8 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-6). 173 Vgl. Draft of the Communiqu , 2 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-24). 174 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 774 f. Auch über die Ablösung Hrom dkas wurde hinter den Kulissen beraten. Die ROK stelle ihre Zahlungen an die CFK ein. Vgl. ebd., 776 f. 175 Zusammenfassender Bericht über die Tagungen leitender CFK-Gremien in der DDR im Oktober 1969, vom 20. 11. 1969, 12 (BArch DO 4/255). 176 Vgl. ebd., 1 f. 177 Vgl. ebd., 12.

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Einen direkten Bruch wollte man jedoch in der CFK möglichst vermeiden. Dem Vorgehen der östlichen Länder schloss sich auf westdeutscher Seite deutlich nur Herbert Mochalski an. Verschiedene andere Vertreter westlicher Regionalausschüsse suchten Ondra in Schutz zu nehmen oder stellten sich direkt hinter ihn. Während im Internationalen Sekretariat die Stimmen gegen Ondra das Übergewicht hielten, stand im Arbeitsausschuss eine Mehrheit zu ihm. Die entsprechende Sitzung fand vom 21. bis 24. Oktober in Buckow statt. ˇ SSR höchstens in In den vorher erarbeiteten Papieren klang das Thema der C Nebensätzen in Berichten der RAs über ihre Tätigkeit der letzten Zeit an. Auch ˇ SSR möglichst klein gehalten werden. So hier sollte auf Druck das Problem C wurde bei dem einleitenden Referat zur weltpolitischen Lage postwendend von westlichen Teilnehmern kritisiert, dass dieses Thema nicht genügend berücksichtigt worden sei178. Auch im weiteren Verlauf der Tagung scheint es ˇ SSR zu unterdrücken. Vor allem Mitnicht gelungen zu sein, das Thema C glieder der CFK, die aus der westlichen Welt stammten, kritisierten die Art und Weise des Vorgehens der sozialistischen Staaten, allen voran der Sowjetunion; Casalis verglich den zu erzwingenden Rücktritt Ondras sogar mit dem Rücktritt Dubcˇeks179. Dementsprechend wurden Gegenstimmen zum östlich staatsamtlich abgestimmten Kurs als „maßlos und unverschämt“ und „brutal“ bezeichnet180. In dem Kommuniqu des Arbeitsausschusses der CFK ˇ SSR, und zur CFK nur: fand sich nichts zur Lage in der C „Eingehende Beratungen waren der inneren Problematik der Bewegung und der Verbesserung der Arbeit der CFK, der Arbeit der Studienabteilung, von Kommissionen und Konsultationen gewidmet, die auf verschiedenen Ebenen, mit zahlreichen Partnern und in vielen Teilen der Welt geplant sind.“181

Ondras Rücktritt hatte man noch nicht erzwingen können. Dennoch war die staatliche Seite der Meinung, es seien ihre Vorkehrungen gewesen, die „die Pläne westlicher Vertreter, die CFK in ein Instrument des ,Dialogs‘ und der ideologischen Diversion gegen die sozialistischen Staaten ,umzufunktionieren‘ hatten verhindern können.“182 Nach Ondras und Hrom dkas Rückkehr aus der DDR sprach der Leiter des 178 Vgl. ebd., 5 f. 179 „Casalis legte ein offen feindseliges Verhalten gegen die sozialistischen Staaten an den Tag, die sich an den Hilfsmaßnahmen gegen die konterrevolutionären Machenschaften in der CSSR beteiligt hatten. […] Er verglich die gegenwärtige Situation in der CFK mit der der CSSR am 21. 8. 1968. So wie die Sowjetunion damals mit der CSSR verfahren sei, solle heute offenbar mit der CFK verfahren werden. So wie Dubcek in der CSSR geopfert wurde, solle Ondra in der CFK geopfert werden. Den nur als ,maßlos und unverschämt‘ zu charakterisierenden Ausführungen Casalis’ folgten de Graaf/Holland und Terrel, wobei sich besonders de Graaf ganz brutale Ausfälle gegen die Sowjetunion und gegen die ROK leistete.“ Ebd., 6. 180 Vgl. ebd., 7. 181 Kommunique, 2 (BArch DO 4/2874). 182 Zusammenfassender Bericht über die Tagungen leitender CFK-Gremien in der DDR im Oktober 1969, vom 20. 11. 1969, 10 (BArch DO 4/255).

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tschechoslowakischen Kirchenamtes Hru˚za mit beiden. Hru˚za berichtete in einem Brief an Seigewasser, dass Ondra trotz intensiver Gespräche zunächst nicht gewillt gewesen sei, zurückzutreten. „Erst nach gewissen administrativem [sic!] Druck, als ich ihm drohte, daß wir ihm den Reisepaß abnehmen würden und der CFK den finanziellen Beitrag entziehen, entschloß er sich, am 4.11. zurückzutreten.“183 Die Gespräche mit Hrom dka gestalteten sich noch schwieriger. Hru˚za berichtete, dass er mit Hrom dka mehr als vier Stunden gesprochen habe, Hrom dka jedoch „sagte immer wieder ein und dasselbe, daß ,der 21. August 1968 eine Okkupation der CSSR‘ war.“ Er lehnte ab, seine Meinung zu ändern, und beharrte darauf, „daß die CSSR ein unfreier Staat ist.“184 Ondra trat am 5. November 1969 zurück185. Kurz nach den Turbulenzen in Buckow und Ferch in der DDR fand Anfang November 1969 eine Regionalkonferenz des RA der CFK in der BRD in Bad Kreuznach statt186. Hrom dka war anwesend und kündigte hier in einer Ansprache seinen eigenen Rücktritt als Präsident an, aus Solidarität mit seinem Generalsekretär187. Für den 14. November 1969 stellte er sein Amt zur Verfügung. In dieser Ansprache verdeutlichte er, dass die CFK seines Erachtens für gegenseitige Kontakte da sei und dazu dienen solle, gegenseitig Vorurteile abzubauen. Krisen habe es immer gegeben, doch anders als heute hätten in vorhergehenden Krisen Gespräch und Dialog nicht aufgehört. Hrom dka parallelisierte die Situation in der CFK mit der Situation in seinem eigenen Land und deswegen war sein Fazit: „Vielleicht muß die Arbeit, wie wir sie getan haben, sterben, vielleicht muß sie sterben, damit sie wieder aufersteht. Als Präsident der Christlichen Friedenskonferenz kann ich es nicht auf mich nehmen, dieselben Methoden zu dulden, die auf der politischen Ebene bei uns jetzt üblich sind. Von dem, was ich gesagt und geschrieben habe, nehme ich nichts zurück.“188

Dennoch hoffte Hrom dka, dass die Krise auch die Chance zu Selbstkritik, Läuterung und Neuanfang bieten könnte, und rief dazu auf, nicht aufzugeben. Sein letzter Satz war: „Ich bitte Euch alle, nicht aufzuhören, sondern weiterzuarbeiten.“189 In einem vertraulichen Interview mit der epd in Bad Kreuznach Anfang 183 Übersetzung eines Briefes vom 12. 11. 1969 von Hru˚za an Seigewasser, 1 (BArch DO 4/355). 184 Ebd. 185 Vgl. Zusammenfassender Bericht über die Tagungen leitender CFK-Gremien in der DDR im Oktober 1969, vom 20. 11. 1969, 11 (BArch DO 4/255). „(Von Metropolit Nikodim soll ihm im Gespräch unter vier Augen hierfür der 31. 12. d. J. als letzter Termin genannt worden sein.)“ Ebd. Ondras Abschiedsbrief in Abschrift (EZA 102/211). 186 Auf der Konferenz in Bad Kreuznach verließen drei Mitglieder die Versammlung. Sie gründeten einen eigenen RA, der ursprüngliche RA löste sich auf. 187 Vgl. Das Wort des Präsidenten der Christlichen Friedenskonferenz, Josef. L. Hrom dka, auf der Regionalkonferenz der CFK in Bad Kreuznach am 7. 11. 1969 (EZA 686/8601). 188 Ebd., 3. 189 Ebd.

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November äußerte Hrom dka die Meinung, dass man zwar auf Ondra feuere, im Grunde aber ihn selbst meine190. Ondra habe man „in aller Stille, geräuschlos“ beseitigen wollen. Er aber habe sich mit ihm solidarisch erklärt und dies dadurch vereitelt. Hrom dka warf seine eigene Person in die Waagschale: „Ich werde es nie zulassen, daß man auf der christlichen Ebene mit uns Christen ebenso umgeht, wie das gegenwärtig mit den Menschen auf der politischen Ebene geschieht.“191 Er wolle nicht die CFK politisch instrumentalisieren lassen. Es kann natürlich die Frage gestellt werden, ob nicht schon immer von Moskau versucht worden war, die CFK politisch zu instrumentalisieren. Hrom dka jedenfalls sah dies entweder nicht so oder die Einflussnahme war für ihn verschmerzbar gewesen. Erst in der Situation nach 1968 kam der Punkt, an dem für ihn kein Kompromiss mehr möglich war192. Hrom dka fühlte sich verletzt: „Sie glauben, ich würde doch alles mitmachen“, aber „zur bloßen Dekoration gebe ich mich nicht her.“193 Auf die Frage, ob die CFK gescheitert sei, meinte Hrom dka, dass dies zu befürchten sei, er aber hoffe, dass die RAs – wobei er ausschließlich westliche Ausschüsse nannte – die Arbeit tragen könnten. Nach Hrom dkas Tod stellte sich heraus, dass sich auch diese Hoffnung nicht erfüllte und sich der größte Teil der RAs, die Hrom dka im Blick hatte, bald selbst auflöste. Die Person Hrom dka galt für die östlichen Staatsämter im Grunde als nicht mehr tragbar, weil er sich von seinem Verhalten im Vorjahr nicht distanzierte194. Aber er war hochbetagt und genoss international Ansehen – das Problem würde sich auf biologischem Weg bald erledigt haben195. Hrom dka starb tatsächlich noch im selben Jahr. Zu seiner Beerdigung bekamen vom RA der DDR Walter Saft, Günter Wirth und Carl Ordnung eine Ausreisegenehmigung,

190 Vgl. epd-Vertraulich Nr. 30 vom 12. 11. 1969 (EZA 686/8601). 191 Ebd., 8. 192 In seinem Abschiedsbrief schrieb Hrom dka, dass der erzwungene Rücktritt „rein politisch war“ und die Vorwürfe an Ondra ihren Grund in „den tragischen Tagen des Sommers 1968 veröffentlichten Äußerungen“ von Hrom dka hatten. Er sei „schockiert“ und habe „Ekel“ angesichts der Art und Weise, wie ohne Kompromissbereitschaft mit Ondra umgegangen worden sei. Vgl. Abschrift. Brief Hrom dkas an die Mitglieder des Arbeitsausschusses der Christlichen Friedenskonferenz vom 14. 11. 1969. (EZA 102/211 und ebenso 686/8601). 193 Epd-Vertraulich Nr. 30 vom 12. 11. 1969, 9 (EZA 686/8601). 194 „Prof. Hromadka setzte sich daraufhin in einer Art mit der Entwicklung in der CSSR, dem Sozialismus und seiner Haltung zur Sowjetunion auseinander, die erkennen ließ, daß er aus seinem schädlichen antisowjetischen Verhalten nach dem 21. August 1968 nicht gewillt ist, entsprechende Lehren zu ziehen. […] Spätestens durch diesen Beitrag von Prof. Hromadka wurde das CSSR-Problem in die Diskussion hineingetragen und spielte dann eine nicht unbeträchtliche Rolle.“ Zusammenfassender Bericht über die Tagungen leitender CFK-Gremien in der DDR im Oktober 1969, vom 20. 11. 1969, 9 (BArch DO 4/255). 195 Hrom dka vorläufig zu belassen, wurde auf einem Treffen zwischen Offizieren der Staatsiˇ SSR und DDR besprochen. Vgl. Bericht vom 17. 10. 1968, Beratung mit Vercherheit aus C tretern der Sicherheitsorgane der CSSR am 15. 10. 1969 in Dresden, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 265).

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während Hrom dkas Freund Günter Jacob vergeblich darum bat196. Dass sich Hrom dka mit Ondra solidarisierte und dann so wirkmächtig versterben würde, hatte niemand vorausgesehen. Einerseits konnte nun ein angenehmerer Präsident installiert werden. Ab Februar 1970 übernahm Nikodim diese Aufgabe für eine Übergangszeit. Andererseits verhinderte Hrom dkas Solidarisierung mit Ondra und sein plötzlicher Tod den Versuch der staatstreu sozialistischen Seite, mit einem Rücktritt Ondras die Krise der CFK zu lösen. Sie verschärfte sich im Gegenteil zunächst noch einmal Ende Februar 1970. Auf einer Sitzung des Arbeitsausschusses am 27. Februar 1970 in Prag wurde schon um die Tagesordnung gestritten. Dabei war es mit dem Rücktritt der beiden wichtigsten Leitungspersonen dringend nötig, sich über die Art und Weise einer möglichen Weiterarbeit zu verständigen. Als versucht wurde, ohne Diskussion einfach zur Tagesordnung überzugehen, brach der Widerspruch völlig auf. Einige Mitglieder beteiligten sich fortan nicht mehr an den Abstimmungen, einige verließen schließlich den Raum197. Am nächsten Morgen legten Vertreter von neun westlichen Regionalausschüssen während der Sitzung des Arbeitsausschusses der CFK in Prag ihre Mitarbeit nieder198. In einem Brief kritisierten sie die „Ereignisse und Methoden der letzten Monate,“ monierten, dass keine Diskussionen möglich gewesen waren und Entscheidungen erzwungen wurden, damit „die Arbeit weitergehen [sollte], als ob nichts geschehen wäre.“199 Dies „überschritt die Grenze des Erträglichen“, wobei sie klargestellt wissen wollten, „daß wir in Solidarität mit den sozialistischen Ländern für den Frieden in der Welt zu arbeiten haben.“200 Beklagt wurde, dass die Ursprungsideale der Gründer der CFK, trotz Unterschiedlichkeit gemeinsam nach Frieden zu streben, verlassen worden seien. Gesprächsversuche scheiterten. Eine erneute Annäherung wäre nur durch eine Revidierung des Briefes möglich gewesen. So warfen nun die verbliebenen Mitglieder des Arbeitsausschusses den Briefschreibern vor, „die Einheit in der Mitarbeit mit den Brüdern zu stören“ und gar kein Interesse an einer Überwindung der Krise zu haben201. In einem Brief von Nikodim als Vorsitzendem des Arbeitsausschusses und Janusz Makowski als amtierendem Generalsekretär wurde in minutiöser Argumentation der Spieß herumgedreht und denen, die die Arbeit niedergelegt hatten, „Verlust an Solidarität“, Ausweichen 196 Protokoll über die Sitzung des Regionalausschusses der CFK in der DDR am 12. 1. 1970, 2 (EZA 89/49). Auch Jacob beendete im Januar 1972 Jacob seine Mitarbeit in der CFK. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 798 f. 197 Vgl. Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses der CFK, 27. und 28. 2. 1970 in Prag, 4 (BArch DO 4/4775). 198 Vgl. ebd., 5. 199 Abschrift. Brief vom 27. 2. 1970, 1 f. (BArch DO 4/4775). Der Brief wurde vollständig veröffentlicht im Informationsbulletin der CFK, Nr. 56, 4/1970. Die Stellungnahme des Arbeitsausschusses schließt sich an. 200 Ebd. 201 Vgl. Informationsbulletin der Christlichen Friedenskonferenz, Nr. 56, 4/1970, 4.

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vor Schwierigkeiten und Absonderung vorgeworfen202. Ihr Verhalten schade der CFK und stehe im „ernsten Widerspruch“ zur Realität203. In einer Aussprache zwischen Bassarak und Weise von der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen wunderte sich Weise, „daß ein derartiges Verhalten angesichts der politischen Konsolidierung die gegenwärtig in der CSSR vor sich gehe (z. B. parteipolitische Maßnahmen gegen opportunistische ehemalige Regierungsmitglieder), überhaupt noch möglich ist.“204 Ende Juli 1970 hatte wieder eine Beratung zwischen Vertretern der Staatskirchenämter in Moskau stattgefunden. Thema war die weitere Konsolidierung der CFK205. Hru˚za schloss sich dort in einem Referat der Meinung der sowjetischen Genossen an, „daß es zur kurzfristigen Überwindung der Krisensituation in der CFK erforderlich sei, die CFK von diesen Leuten zu säubern.“206 Die wichtigsten Namen waren wieder West, Casalis und Kloppenburg207. Stattdessen sollten neue Personen aus der Dritten Welt gewonnen werden208. Bereits im November 1969, als Kloppenburg und Casalis bei Seigewasser vorstellig wurden, um für Ondra einzutreten, wurden sie zurückgewiesen. „Es wird keine Desorganisation auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens in den sozialistischen Staaten zugelassen, nach dem Motto sog. westlicher sozialistischer Prägung. Konterrevolutionäre Manöver werden in den Anfängen erstickt. Man muß Ursache und Wirkung unterscheiden, davon ist auch die CFK nicht ausgeschlossen.“209

Casalis durfte in der Folge nicht mehr in der DDR publizieren210. Nach dem bereits beschriebenen Protest im Februar 1970 sah man gerade darin eine

202 Vgl. Informationsbulletin der Christlichen Friedenskonferenz, Nr. 56, 4/1970, 5 – 9, 5. 203 Vgl. ebd. 204 Vermerk über eine Aussprache von Weise mit Bassarak am 25. 3. 1970 über Probleme der CFK, 1 (BArch DO 4/4775). In diesem Gespräch wurde überlegt, inwieweit der Vertrieb des links orientierten Blattes ,Junge Kirche‘ in der DDR überhaupt vertretbar wäre, da es von Casalis und Kloppenburg redigiert werde. Ebd., 2; vgl. auch Lindemann, Sauerteig, 788, Anm. 285; 845, Anm. 393. 205 Information an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats vom 2. 9. 1970 über Beratungen zu internationalen kirchenpolitischen Problemen vom 27. 7.–2. 8. 1970 in Moskau, 2 (SAMPO-BArch DY 30/IV A2/14/15). 206 Ebd., 8. 207 Vgl. Protokoll über die Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 24. 8. 1970, vom 26. 8. 1970, 4 (BArch DO 4/401). 208 Information an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats vom 2. 9. 1970 über Beratungen zu internationalen kirchenpolitischen Problemen vom 27. 7 – 2. 8. 1970 in Moskau, 2 (SAMPO-BArch DY 30/IV A2/14/15). 209 Vermerk vom 25. 11. 1969 über einen Besuch von OKR Kloppenburg und Casalis beim Staatssekretär, 3 (BArch DO 4/494). 210 „Ich möchte Sie bitten nach den Gründen für dieses Verbot zu forschen und sie mir eventuell mitzuteilen. Welche sie auch sein mögen, ich protestiere dagegen […].“ Brief Casalis an Seigewasser 31. 3. 1970 (EZA 665/149).

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Möglichkeit, Kloppenburg und ihn auszuschalten211. Im Herbst 1970 wurden beide von ihrer Funktion als Vizepräsidenten abberufen212. Im weiteren Verlauf der Krise lösten sich bis 1971 die meisten westlichen RAs auf, wie in Großbritannien213 oder in den Niederlanden,214 spalteten und lösten sich später auf, wie in der Bundesrepublik215 oder der Schweiz, nahmen an der IV. ACFV 1971 in Prag nicht teil, wie der RA in Westberlin216 oder wurden aus der CFK ausgeschlossen, wie der RA in Frankreich217. Um den Konsolidierungsprozess in der CFK abzuschließen, wurde für Herbst 1971 die IV. ACFV vorgezogen. 1959 hatte mit OKR Lotz aus Thüringen erstmals ein Kirchenleitungsmitglied aus der DDR teilgenommen und nach einem Ansteigen der Teilnehmerzahlen in den 1960ern, als sich auch Mitzenheim, Schönherr und Jacob beteiligten, war Lotz 1971 wiederum der Einzige218. Kurz vor Beginn der IV. ACFV wurden die DDR-Delegierten im Staatssekretariat für Kirchenfragen unterwiesen. Dieses reagierte verärgert, denn einer der Delegierten stellte „unqualifizierte Fragen“, z. B. ob mit „einer ,Rehabilitierung‘ von Dubcˇek zu rechnen“ sei219. Es wurde betont, dass keiner der anderen Delegierten „ein derart niedriges Niveau an den Tag legte.“220 Der Störenfried wurde später nicht wieder in den RA gewählt. Das nach dem 21. August formulierte Ziel der Konsolidierung der CFK wurde um den Preis der Ausstoßung unliebsamer Mitglieder erreicht221. Die leeren Reihen versuchte man durch neue Gesichter aus dem Westen und der Dritten Welt aufzufüllen. Die EKD hatte die Einladung, einen Beobachter zu schicken, abge211 Vgl. Protokoll über die Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 24. 8. 1970 vom 26. 8. 1970, 4 (BArch DO 4/401). 212 Vgl. Beschlüsse des Arbeitsausschusses der CFK, Budapest, 29. 9.–1. 10. 1970, 1 (EZA 665/149). 213 Vgl. Schweizer evangelischer Pressedienst, Nr. 5, Blatt 16, 3. 2. 1971 (ELAB 37/293 und 294). 214 Vgl. Schreiben Irene Jacoby (EZA 89/80). Darin Dokumentation: Auflösung englischer RA: 19. 12. 1970; Frankreich ausgeschlossen: Frühjahr 1971; Italiens Vorsitzender Giorgio Giradet tritt zurück: Juli 1971; W-Berlin keine Teilnahme IV. ACFV 1971; Schweiz 1971 Mehrheit für Auflösung, 6 verließen die Gruppe, wollen weitermachen; NL Selbstauflösung. 215 Die Spaltung bestand aus drei Mitgliedern: Renate Riemeck, Herbert Mochalski und Heinz Engler, die 1970 einen zweiten RA gründeten. Im Juni 1971 wurden die Mitglieder des ersten aufgerufen, über eine Selbstauflösung abzustimmen. Vgl. Christliche Friedenskonferenz Regionalausschuss in der Bundesrepublik Deutschland, Beschluß der Mitgliederversammlung vom 11. / 12. 6. 1971 (BArch DO 4/4775). 216 Vgl. Abschrift. Beschluß der Mitgliederversammlung der Christlichen Friedenskonferenz in Westberlin am 17. 6. 1971 (BArch DO 4/4775). 217 Vgl. Brief des amtierenden Generalsekretärs der CFK Nikodim, vom 14. 4. 1971 (BArch DO 4/ 4775). 218 Vgl. Aktenvermerk von Ordnung, 26. 8. 1971 (BArch DO 4/249). 219 Vgl. Aussprache vom 23. 9. 1971, Vorbereitung der IV. ACFV, handschriftlich (BArch DO 4/ 249). 220 Ebd. 221 „Das wichtigste Ergebnis ihrer von den soz. [sic!] Staatsämtern unterstützten Konsolidierungspolitik besteht in der konsequenten Verdrängung jener Kräfte, die die CFK in ein Instrument der Politik des Monopolkapitals verwandeln wollten.“ Ohne weitere Angaben, 1 (BArch DO 4/249).

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lehnt, während der BEK zwei Personen entsandte222. Auf der IV. ACFV wurde Nikodim zum Präsidenten der CFK und T th zum Generalsekretär gewählt223. Damit war der Konsolidierungsprozess auf Kosten eines massiven Bedeutungsverlustes der CFK abgeschlossen worden.

2.3. Der Regionalausschuss (RA) der CFK in der DDR Die evangelischen Landeskirchen der DDR standen der Arbeit der CFK reserviert gegenüber, da diese aus ihrer Sicht zu nah an der politisch-sozialistischen Linie war224. Sehr deutlich wurde dies z. B. 1970 in einer Unterredung mit dem Leiter der Abteilung Kirchenfragen der CDU, Gerhard Quast, zum Ausdruck gebracht: „Solange von maßgebender Seite der CFK in der DDR beleidigende und verletzende antikirchliche Äußerungen kämen, sei eine Annäherung der DDR-Kirchen an die CFK schwierig.“225 So hatte sich ein RA aus Menschen unterschiedlicher Couleur gebildet, die sich gemeinsam für den Erhalt des Friedens in Europa und in der Welt einsetzen wollten. Dazu gehörten sowohl kirchlich gebundene Mitarbeiter aus unterschiedlichen kirchlichen Positionen als auch Mitglieder der CDU oder des evangelischen Pfarrerbundes sowie Nichttheologen. Die wichtigsten Teilnehmer an der III. ACFV von landeskirchlicher Seite waren: Moritz Mitzenheim und Albrecht Schönherr, ferner Günter Jacob und Walter Pabst226. Bereits nach der III. ACFV sah die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen bei einigen Mitgliedern der CFK problematische Tendenzen. So war eine Schlussfolgerung: „Der Regionalausschuß muß sich darauf konzentrieren, Angehörige der Regionalkonferenz der CFK, die in der Arbeit in der CFK lediglich ein Mittel sehen, ihre eigenen Interessen bzw. die der durch sie vertretenen Institutionen, aber im Widerspruch zu den Zielen der CFK stehenden Absichten zu verfolgen, nach und nach durch zuverlässige progressive Kräfte zu ersetzen.“227 222 Vgl. Abschrift. Brief des Vorsitzenden des Rates der EKD Landesbischof Dietzfelbinger an das Generalsekretariat der Allchristlichen Friedenskonferenz vom 14. 8. 1971 (BArch DO 4/4775). Zur Kritik der EKD am BEK zu dieser Entscheidung. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 802. 223 Vgl. Roer, Christliche Friedenskonferenz, 57 f. 224 Vgl. Henkys, Prager Notizen, 15; so auch immer wieder Zeitzeugen, z. B. Hintergrundgespräch mit Werner Krusche am 26. 3. 2009. Auch in Polen gab es einen RA. Vgl. Lindemann, Sauerteig, 694. 225 Aktenvermerk über eine Unterredung mit dem Leiter der Abteilung Kirchenfragen der CDU Quast am 13. 2. 1970 in Berlin. Auszug (EZA 102/212). 226 Teilnehmerliste der III. ACFV (EZA 102/211). 227 Vorschläge und Schlußfolgerungen, die sich aus dem Verlauf und den Ergebnissen der III. Allchristlichen Friedensversammlung in Prag vom 31. 3.–5. 4. 1968 für die weitere Arbeit mit der CFK in nationalen und internationalen Rahmen ergeben, vom 10. 4. 1968, 2 (BArch DO 4/ 1249).

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2.3.1. Das Ringen um eine Position nach dem 21. August 1968 Von der Krise, in die die CFK nach dem 21. August stürzte, blieb jedoch auch der RA in der DDR nicht verschont. Dennoch erwartete der Staat, wenigstens hier eine der ersehnten positiven Stellungnahmen erhalten zu können. Diese Zielvorgabe war am 2. September 1968 von Seiten der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen mit Ordnung und Bassarak für das Treffen am 9. September abgesprochen worden228. Noch vor der ersten Sitzung des RA telefonierte Bassarak mit Ondra in Prag, um sich mit ihm über die „Haltung der CFK zu den konterrevolutionären Machenschaften in der CSSR“ zu beraten229. Ondras Antwort war deutlich: „Solange die Okkupanten in seiner Heimat wären, wird er in keines der Länder reisen, die sich an dieser Okkupation beteiligt haben.“230 Bei derart konträren Meinungen war keine Verständigung möglich. Auch Ordnung nahm postalisch Kontakt zu Ondra auf. Ordnung selbst war im August in Jansk L zneˇ in einem Heim der EKBB im Urlaub und hatte noch am 20. August bei Hrom dka in dessen Sommerhaus vorgesprochen231. Nach der Situation im Lande gefragt, wertete Hrom dka den Erneuerungsprozess als Rettungsversuch für die Partei, den Sozialismus und die Freundschaft zur Sowjetunion. Konterrevolutionäre Kräfte gebe es nicht, aber viel Polemik gegen die CFK in kirchlichen Kreisen232. Die Geistlichen, mit denen Ordnung den Urlaub verbrachte, schätzte er als „ziemlich naiv und leichtgläubig“ ein, mit einem „unkritischen Freiheitsbegriff,“ jedoch war keiner „gegen den Sozialismus und die führende Rolle der KP“ oder gegen die DDR233. Nach dem 21. August änderte sich die Situation, da nun von tschechischer Seite in Diskussionen Parallelen zu 1938 gezogen wurden. Am 23. August kehrte Ordnung zurück. In seinem Brief an Ondra vom 9. September schrieb er nun, dass es schwierig sei, eine Position zu finden zwischen der Freundschaft zu den Tschechen und der Loyalität zum 228 „Am 9. 9. tritt der Regionalausschuß der DDR der Prager Christlichen Friedenskonferenz in der Hauptstadt der DDR zu einer Sitzung zusammen. Unter Vorsitz von Carl Ordnung (Vorsitzender des Regionalausschusses der DDR der Prager Christlichen Friedenskonferenz) und Teilnahme von Prof. Bassarak (Internationaler Sekretär der Prager Christlichen Friedenskonferenz) ist vorgesehen, eine positive Stellungnahme zu den Maßnahmen der Warschauer Pakt-Staaten zu beschließen. Eine entsprechende Absprache hat am 2. 9. im Staatssekretariat für Kirchenfragen mit Ordnung und Bassarak stattgefunden.“ Information vom 4. 9. 1968, Reaktion internationaler kirchlicher Gremien auf die Ereignisse in der CSSR, 6 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 229 Vgl. Aktenvermerk 5. 9. 1968, von Weise (BArch DO 4/487). 230 Ebd. 231 Vgl. Bericht Ordnungs vom 28. 8. 1968, 2 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/34); vgl. auch Hintergrundgespräch der Verfasserin mit Carl Ordnung am 9. 12. 2009. Der Einmarsch wäre zunächst ein Schock gewesen. 232 Vgl. Bericht Ordnungs vom 28. 8. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/34). 233 Vgl. ebd., 5.

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Staat. Er schrieb, dass er nichts von einer Konterrevolution gespürt hätte, wohl aber eine große Naivität, ein unkritisches Anknüpfen an Masaryk und den Westen. Er meinte, dass die Maßnahmen völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen, aber notwendig um willen des Sozialismus gewesen wären234. Daher votierte Ordnung auch von Anfang an für eine klare Stellungnahme im RA. In einer ersten mehrstündigen Sitzung am 9. September traten die Spanˇ SSR zu werten sei, offen zutage235. nungen darüber, wie die Situation in der C Von den 13 anwesenden Mitgliedern positionierten sich nur vier offen zu den so genannten ,Hilfsmaßnahmen.‘ Es waren Gerhard Bassarak, Günter Wirth, Carl Ordnung und Dieter Frielinghaus236. Offen dagegen wandten sich Hellmut Bandt, Martin Kramer und Theophil Funk. Selbst der Vorsitzende des RA, Karl-Heinz Bernhardt, hatte Bedenken237. Bandt fragte an, ob nicht die Reˇ SSR allein mit den Problemen fertig geworden wäre; außerdem gierung der C sei mit dieser „Aktion“ alles Vertrauen, das in kirchlichen Kreisen in Hinsicht auf den Kommunismus gewachsen sei, zerbrochen238. Auf der anderen Seite argumentierte Bassarak, „daß die CSSR nicht einen eigenen Weg zum Sozialismus, sondern den Weg zu einem eigenen Sozialismus habe gehen wollen. […] Daß Panzer in Prag stehen [,] sei nicht unsere Schuld, sondern die der Tschechen.“239 Dem widersprach Frielinghaus und wies die Schuld dem Imperialismus zu. Offizieller Anlass für die Suche nach einer Position waren eine Anfrage des Schweizerischen Regionalausschusses vom 26. August an alle Regionalausschüsse der an der Intervention beteiligten Länder, über welche sich jener „zutiefst erschrocken, betrübt und empört“ zeigte und anfragte, „was Sie selber über das ganze Geschehen denken“240, sowie das Schreiben des West234 Brief Ordnung an Ondra vom 9. 9. 1968 (EZA 89/47). 235 „Unter den anwesenden Mitgliedern des Regionalausschusses der PCF der DDR gab es die unterschiedlichsten Auffassungen hinsichtlich der Notwendigkeit der militärischen Besetzung der CSSR.“ Einzel-Information 1049/68 vom 17. 9. 1968 über die Tagung des Regionalausschusses der „Prager Christlichen Friedenskonferenz“ der DDR am 9. 9. 1968 in Berlin-Weißensee und die weitere Arbeit dieser internationalen Organisation, 4 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1591). Aus dem offiziellen Protokoll sind keine inhaltlichen Argumente ersichtlich. Vgl. Protokoll über die Sitzung des Regionalausschusses der CFK am 9. 9. 1968 in Berlin vom 13. 9. 1968, 1 (EZA 675/109). 236 Selbst Walter Feurich, der, aus einer BK-Tradition stammend, sich doch als Gründer und Leiter der Kirchlichen Bruderschaft Sachsens weit auf den Staat inklusive Staatssicherheit einließ, wurde im Herbst 1968 als „sehr problematisch“ eingeschätzt. Aktenvermerk vom 6. 9. 1968. Kirchenpolitische Situation im Zusammenhang mit dem 21. 8., 2 (ACDP 07-010-3252). 237 Vgl. Bericht von Ordnung über die Regionalausschusssitzung am 9. 9. vom 13. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/4774); übernommen in: Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 9 (BArch DO 4/255). 238 Bericht von Ordnung über die Regionalausschußsitzung am 9. 9. vom 13. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/4774). 239 Vgl. ebd., 3. 240 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 3 (BArch DO 4/255); vgl. auch Abschrift des Briefes (BArch DO 4/4774); und

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berliner Regionalausschusses an Walter Ulbricht241. In der Diskussion wurde auch über die Kanzelabkündigung der Berlin-Brandenburgischen Landeskirche gesprochen. Immerhin trug diese Schönherrs Unterschrift, der ja auch stellvertretender Vorsitzender des RA war. Die Frage, ob Schönherr vorher darüber mit der Leitung des RA gesprochen habe, wurde verneint242. Schönherr selbst ließ sich zu allen RA-Sitzungen im Herbst 1968 entschuldigen243. Wirth und Ordnung hatten je einen Entwurf zum RA mitgebracht. Beide erwiesen sich jedoch als nicht konsensfähig244. Denn auch hinsichtlich der Frage, ob man sich zu diesem Zeitpunkt überhaupt äußern solle und könne, konnte keine Einigkeit erzielt werden. Ordnung zufolge gab am Ende die Befürchtung den Ausschlag, mit einer Erklärung könnte das gleiche geschehen wie mit jener des Vorstandes des Bundes Evangelischer Pfarrer. Bei ihrer Veröffentlichung in der Zeitung der CDU, der Neuen Zeit, seien jene Passagen gekürzt worden, die eine „Betroffenheit über die Ereignisse vom 21. August und den folgenden Tagen zum Ausdruck gebracht hätten.“245 So wurde beschlossen, Frielinghaus mit einem ausführlichen Antwortschreiben zu beauftragen246. Entgegen der Absprachen war keine Stellungnahme zustande gekommen. Zur nächsten Sitzung am 20. September legte Frielinghaus das beauftragte Schreiben vor247. In ihm lehnte er sich deutlich an die offizielle DDR-Argu-

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Abschrift des Briefes in der Einzel-Information 1049/68 vom 17. 9. 1968 über die Tagung des Regionalausschusses der „Prager Christlichen Friedenskonferenz“ der DDR am 9. 9. 1968 in Berlin-Weißensee und die weitere Arbeit dieser internationalen Organisation, 3 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1591). Protokoll über die Sitzung des Regionalausschusses der CFK am 9. 9. 1968 vom 13. 9., 1 (EZA 675/109). Vgl. ebd. Vgl. die entsprechenden Protokolle (EZA 675/108 und 109). In einer staatlichen Information hieß es, er nehme nicht teil „um ,unliebsamen Auseinandersetzungen‘ zu entgehen.“ Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlussfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/22). „Wirth und ich hatten je einen Entwurf für eine Erklärung formuliert. Wobei Wirths Erklärung das Maximum und meine das Minimum einer möglichen Stellungnahme des Regionalausschusses bedeutete. […] Dabei zeigte sich, daß die von Wirth unter keinen Umständen eine Mehrheit bekommen hätte. Selbst gegen meine Stellungnahme wandten sich Bandt, Kramer, Funk und Schottstädt. Andere Teilnehmer sprachen sich nicht offen dafür aus.“ Bericht von Ordnung über die Regionalausschußsitzung am 9. 9. vom 13. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/4774). Ebd., 1 f. Vgl. Einzel-Information 1049/68 vom 17. 9. 1968 über die Tagung des Regionalausschusses der „Prager Christlichen Friedenskonferenz“ der DDR am 9. 9. 1968 in Berlin-Weißensee und die weitere Arbeit dieser internationalen Organisation, 6 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1591). Das MfS schrieb sich diesen Erfolg zu: „Durch ständige Beeinflussung inoffizieller Mitarbeiter konnte der Kreis der positiven Kräfte innerhalb der Prager Christlichen Friedenskonferenz (Regionalausschuß der DDR) vergrößert werden und wurde zum aktiven Handeln veranlaßt. Von dieser Gruppe wurde ein Brief an den Schweizer Regionalausschuss der Prager Christli-

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mentation an. So ging er in seinem Entwurf von Vietnam aus, das gegen den Imperialismus kämpfe. Der Imperialismus nun kämpfe mit unterschiedlichen Mitteln – in Europa versuche er ideologisch in sozialistische Länder einzuˇ SSR mit dem Ziel geschehen, das Land aus dem dringen. Das sei in der C sozialistischen Lager zu lösen. Ohne ein Stoppen dieser Tendenzen hätte es die ˇ SSR in die Abhängigkeit gleich einem neokolonialistischen Land getrieben. C Die Tschechoslowaken wären missbraucht worden, was er mit den Worten Tragik, Infamie und Verbrechen bezeichnete. Daher könnten diese nun auch das notwendige Eingreifen nicht verstehen. „Wir sind uns nicht einig darüber, ob das Eingreifen mit militärischen Mitteln richtig und notwendig war.“248 Aber man sei sich im RA einig, dass dieser Eingriff schmerzlich sei, ihm eine „ernsthafte imperialistische Provokation“ vorausging, und man sei betroffen „daß der Imperialismus nur die Sprache der Gewalt zu respektieren scheint.“249 Frielinghaus geht noch auf die Schwierigkeit ein, dass wieder Deutsche dabei seien, verweist aber auf den Alleinvertretungsanspruch Westdeutschlands. Zwar tauchen in der politischen Argumentation die Begriffe Schuld, Versöhnung und Vergebung im politischen Kontext auf, doch wurden sie nicht in einen theologischen Kontext gestellt. Einen weiteren Entwurf hatte Bandt erarbeitet. Um diese Entwürfe muss es zu einer „heftigen Auseinandersetzung“ gekommen sein250. Nach verschiedenen Vorschlägen und Diskussionen entschied man sich mit knapper Mehrheit, dass Frielinghaus seinen Brief an die Schweizer mit einem Begleitschreiben senden sollte, in dem stand, dass man sich noch nicht auf eine einhellige Meinung habe einigen können und daher Frielinghaus gebeten habe, diesen Brief als seinen auszuarbeiten und auch in seinem Namen abzusenden. Dies geschah251. Die Schweizer antworteten im Dezember in einem an alle Mitgliedskirchen und Regionalausschüsse gerichteten Schreiben, das die Bitte enthielt, möglichst keiner Spaltung Vorschub zu leisten252. Im RA entschied man sich, weiter nach einer gemeinsamen Erklärung zu suchen und den Entwurf von Bandt als Grundlage zu nutzen. Dies wurde in der Dienststelle des Staatsekretärs für Kirchenfragen missbilligt. „Dadurch, daß andere Mitglieder des RA sich entweder überhaupt gegen jede Stellungnahme aussprachen oder aber die jeweils vorgelegten Entwürfe kritisierten, kam

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chen Friedenskonferenz verfaßt.“ Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 21 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). Brief Frielinghaus vom 10. 9. 1968, 5 (BArch DO 4/4774). Ebd. Vgl. Bericht von Ordnung über den Regionalausschuß am 20. 9. 1968 vom 25. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/4774). Vgl. Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 10 (BArch DO 4/255). Vgl. Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 und der gegenwärtigen Situation vom 27. 2. 1969, 4 (BArch DO 4/4774). Dieses Schreiben wurde in der Analyse positiv bewertet.

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es im RA zu lang anhaltenden Auseinandersetzungen. Genährt wurden diese in starkem Maße durch den von Bandt vorgelegten Entwurf einer Stellungnahme. Dieser Entwurf hielt die Uneinigkeit im RA fest, indem er neben der Zustimmung der einen, die Ablehnung oder Bedenken der anderen formulierte.“253

Vermutet wurde, dass Bandt hoffte, damit die Spannungen zwischen den verschiedenen Fronten austarieren zu können, was allerdings der sozialistischen Vorstellung einer klaren Parteilichkeit widersprach254. Das MfS vermutete bei den Gegnern des Briefes von Frielinghaus ,Gruppenbildung‘ und Absprache im Vorfeld255. Im RA wurde derweil eine Redaktionskommission für einen überarbeiteten Entwurf aus je zwei Vertretern der unterschiedlichen Meinungen gegründet. Da aber zur Sitzung der Redaktionskommission Wirth nicht erscheinen konnte, wurde eine Veränderung in klare, den Einmarsch unterstützende Aussagen nicht erreicht256. Vor der nächsten Sitzung am 23. Oktober tagte der Redaktionsausschuss noch einmal. Da diesmal Kramer verhindert war, sprach Ordnung im Vorfeld die Hoffnung aus: „In dieser Zusammensetzung dürften sich zweifellos die notwendigen Änderungen des Entwurfes durchsetzen lassen.“257 Die staatliche Seite war inzwischen ungeduldig geworden, verlangte Arbeitsfähigkeit und „man [sollte] sich von jenen Kräften, die die Arbeit dieser Gruppen bewusst lähmen, im Zuge der Auseinandersetzung trennen, falls alle Mittel geduldiger und beharrlicher Überzeugung erfolglos bleiben.“258 Denn schleunigst sollte der RA so aufgestellt werden, dass er mit den anderen östlichen Mitgliedern der CFK fähig wäre, „auf das Prager Zentrum der CFK dahingehend einzuwirken, daß von dort aus die antisozialistische Tätigkeit eingestellt wird.“259 Am 23. Oktober tagte der RA zum dritten Mal nach dem 21. August. Ordnung legte nun den geänderten Entwurf einer Stellungnahme vor260. Am selben Tag wurde in Magdeburg Bischof Krusche in sein Amt eingeführt. Martin Kramer entschied sich, dennoch nach Berlin zu fahren, weil der Riss den RA 253 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 9 (BArch DO 4/255). 254 „Übersehen wurde dabei, daß ein solches Papier niemandem helfen, aber fast allen schaden würde.“ ebd., 10. 255 Vgl. Einzel-Information 1092/68 vom 1. 10. 1968 über die Tagung des Regionalausschusses der „Prager Christlichen Friedenskonferenz“ (PCF) der DDR am 20. 9. 1968 in Berlin, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1591). 256 Vgl. Bericht von Ordnung über den Regionalausschuss am 20. 9. 1968 vom 25. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/4774). 257 Vgl. ebd., 3. 258 Information der Arbeitsgruppe Kirchenfragen im ZK der SED an Paul Verner vom 17. 10. 1968 über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 70). 259 Ebd., 70 f. 260 Vgl. Protokoll über die Sitzung des Regionalausschusses der CFK in der DDR am 23. 10. 1968, 1 (EZA 675/108).

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etwa in der Hälfte teilte und jede Stimme zählte261. Sofort brachen die Streitigkeiten wieder auf. Bandt lehnte den Entwurf ab, weil „jede Kritik an den Maßnahmen vom 21. August sowie die Feststellung unserer Uneinigkeit in der Beurteilung des 21. August weggelassen worden sei.“262 In der sich anschließenden grundsätzlichen Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, wozu denn überhaupt solch eine Erklärung gut sein solle. Das Gegenargument war, dass endlich eine Orientierung gegeben werden müsse und man so auch der internationalen CFK helfen könne. Ein Diskussionspunkt blieb die Frage, ob man eine Uneinigkeit in einer Erklärung festhalten dürfe oder nicht. Auf der einen Seite wurde damit argumentiert: „jede formulierte Uneinigkeit [sei] Wasser auf die Mühlen des kalten Krieges.“ Auf der anderen, dass man die unterschiedlichen Meinungen zumindest andeuten müsse, wolle man auf der westlichen und der tschechischen Seite der CFK und auch in kirchlichen Kreisen überhaupt gehört werden. Da man sich nicht einigen konnte, wurde die Redaktionskommission erneut um einen neuen Entwurf gebeten. Die schon länger festgelegte Regionalkonferenz Ende November geriet in Gefahr, da diese ohne eine gemeinsame Erklärung verschoben werden sollte263. Man hatte sich festgebissen, kam nicht vorwärts, nicht zurück. Daraufhin schaltete sich Seigewasser direkt ein, führte mit verschiedenen Mitgliedern des RA Gespräche und Ordnung wurde mehrmals in die Dienststelle einbestellt264. Man hatte in diesen Kreisen eine schnelle Zustimmung erwartet und nicht „ernste Probleme“ und war froh, als sich die Situation langsam „positiv“ zu entwickeln begann265. Doch „erst nach intensiver Diskussion in und außerhalb des RA gelang es, diese Zwiespältigkeit in der am 1. 11. 68 angenommenen Erklärung bis auf ein Minimum zurückzudrängen.“266

261 Vgl. Brief Kramers an die Verfasserin vom 11. 1. 2010, 3. Auf die Frage, ob ihm Konsequenzen erwachsen seien, antwortete Kramer, dass dies nicht direkt der Fall gewesen sei, er jedoch z. B. von Wirth als „Rechtsaußen“ eingeschätzt worden sei. Diese Einschätzung schrieb er bereits 1969 an Ordnung. Vgl. Brief Kramer an Ordnung vom 29. 12. 1969 (EZA 89/49). 262 Bericht von Ordnung über die Sitzung des Regionalausschusses am 23. 10. 1968 vom 24. 10. 1968 (BArch DO 4/4774). 263 Protokoll über die Sitzung des Regionalausschusses der CFK in der DDR am 23. 10. 1968, 2 (EZA 675/108). 264 Vgl. Information der bevorstehenden Regionalkonferenz der CFK (29.–30. 11. 1968) vom 25. 11. 1968, 2 (BArch DO 4/4774). Diese Informationen sind durchgestrichen und tauchen später nicht mehr auf. 265 „Auch im Regionalausschuß der CFK in der DDR (RA) traten nach dem 21. 8. ernste Probleme auf. Auf vier Sitzungen beschäftigte sich der RA fast ausschließlich mit den Ereignissen in der CSSR.“ Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 vom 30. 12. 1968, 9 (BArch DO 4/255). 266 Ebd., 10.

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2.3.2. Endlich eine einstimmige Erklärung Am 1. November 1968 einigte man sich im RA auf eine Erklärung, die sogar einstimmig gefasst wurde. Diskussionsgrundlage waren zuvor der überarbeitete Entwurf von Bandt und Ordnung und ein Entwurf von Klaus-Peter Hertzsch. Letzterer wurde noch einmal überarbeitet und dann als Erklärung angenommen267. Diese wurde der Einladung vom 4. November zur Regionalkonferenz der CFK am 29. und 30. November 1968 neben dem Programm angehängt, mit der Bemerkung, die Erklärung vorerst nicht zu veröffentlichen268. Ebenso wurde sie an alle Mitglieder des Internationalen Sekretariats sowie die Regionalausschüsse und Mitgliedskirchen geschickt269. Über Walter Pabst wurde sie auch an die leitenden Geistlichen mit der Bitte um vertrauliche Kenntnisnahme gesandt270. Erst nach der Regionalkonferenz wurde sie in den Dezembermitteilungen der CFK abgedruckt und offiziell an die Kirchenleitungen verschickt271. In dieser Erklärung wurde nicht verschwiegen, dass man die Länge von vier Sitzungen zur Einigung gebraucht hatte: „Obwohl wir selber die dringende Notwendigkeit sahen, den Mitarbeitern und Freunden der CFK in dieser Angelegenheit eine Orientierung zu geben, erschien uns dies wenig sinnvoll, solange wir unseren Standpunkt nur in einem Wortlaut formulieren konnten, dem lediglich ein Teil von uns hätte zustimmen können […].“

Man gestand sich ein, dass es nicht möglich gewesen war, sich auf eine ,richtige‘ Form des Sozialismus zu einigen. Gleichzeitig wurde konstatiert, „daß es nicht unsere Aufgabe als CFK sein kann, uns in die innersozialistische Diskussion über die richtige Form des Sozialismus einzuschalten“, sondern es in der CFK immer und gerade jetzt darum gehen sollte, sich auf die Friedensbewahrung zu konzentrieren. Dafür wären emotionale Reaktionen wenig hilfreich, es gelte eine Analyse zu unternehmen. Mit Bezug auf die Botschaft der III. ACFV wurde darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Krisenherde der Welt voneinander abhängig seien, der Imperialismus friedensgefährdend sei und daher die Lage in Europa äußerst labil und „daß jeder Wunsch nach Veränderung des Status quo in diesem Gebiet zum dritten Weltkrieg führen muß. Daß es Wünsche und Bestrebungen gab, besonders seitens 267 Vgl. Protokoll über die Sitzung des Regionalausschusses der CFK am 1. 11. 1968, vom 13. 11. 1968, 3 (EZA 675/108). 268 Vgl. Einladung zur Regionalkonferenz am 29. und 30. 11. vom 4. 11. 1968 (EZA 102/211). 269 Vgl. Bericht Ordnung an Weise über die Tagung des Regionalausschusses der CFK vom 1. 11., vom 21. 11. 1968, 1 (BArch DO 4/4774). 270 Vgl. Erklärung des Regionalausschusses der CFK in der DDR und Vermerk von Walter Pabst an sechs leitende Geistliche vom 20. 11. 1968. Abschrift (AKPS, B3 Nr. 472). 271 Sie findet sich in den verschiedenen Landeskirchlichen Archiven z. B. (LKAE, A 860 Bd. 17/4).

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des westdeutschen Imperialismus, die CSSR aus dem sozialistischen Lager herauszulösen, ist nicht zu leugnen […]. Die Tatsache, daß viele Menschen in der CSSR die daraufhin eingeleiteten militärischen Aktionen nicht als eindeutige Hilfsaktionen verstanden, ändert nichts daran, daß die Ereignisse der letzten Monate nur vor dem Hintergrund der Friedensgefährdung und der notwendigen Stärkung der europäischen Sicherheit zu verstehen sind.“

Zudem wurde noch in Selbstkritik erklärt, dass die CFK nichts gegen die „Fehlentwicklungen“ unternommen habe272. Obwohl in dieser Erklärung nur noch in homöopathischer Dosis etwas von den Diskussionen und inneren Kämpfen zu spüren war, galt sie auf staatlicher Seite noch immer nicht als „zufrieden stellend“, denn „genau gesehen nimmt die Erklärung zu den Hilfsmaßnahmen vom 21.8. überhaupt nicht Stellung.“273 Es fehlte ein deutliches und simples ,Ja‘ zu den Augustereignissen und ein klares Bekenntnis zum Sozialismus und zur DDR. Überdies hatte die CFK hier nur über sich geredet, nicht aber gegen andere: „Die Erklärung verurteilt mit keinem Wort die negative Haltung einiger Kirchenleitungen bzw. kirchenleitender Kräfte in dieser Frage.“274 So war man der Meinung, dass die Einstimmigkeit der Erklärung zum einen „auch auf das Fehlen klarer Aussagen zurückzuführen ist“, zum anderen sich daraus ergab, dass zwei der drei Gegner der ,Hilfsmaßnahmen‘ zur Sitzung vom 1. November gar nicht anwesend waren, um dagegen stimmen zu können275. Dies hatte auch Bandt so gegenüber Ordnung geäußert276. Daneben diskutierte der RA über die Gefahr einer Spaltung der CFK, gründete eine Redaktionskommission für den Entwurf einer weiteren Erklärung des Regionalausschusses und legte das Tagesprogramm für die Regionalkonferenz fest.

2.3.3. Die Regionalkonferenz im November 1968 Etwa 50 Mitglieder erschienen zur Regionalkonferenz277. Im Vorfeld waren aufgrund der als ungenügend empfundenen Erklärung vom 1. November 272 Erkl rung des Regionalausschusses der CFK in der DDR, Mitteilungen der CFK, Dezember 1968, 321. Diese Argumentation macht deutlich, dass Stabilität und Sicherheit als wichtiger erachtet wurden als Menschenrechte und Freiheit. 273 „Eine einfache klare Aussage, daß die militärischen Maßnahmen vom 21. 8. 68 notwendig waren und deshalb Zustimmung finden müssen, fehlt.“ Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 10 (BArch DO 4/255). 274 Ebd., 11. 275 Vgl. Ebd., 11, 9. Bandt und Funk waren abwesend. 276 „Bandt erklärte, daß er unsere Erklärung zur CSSR-Frage nicht gut fände. Er hätte wahrscheinlich während der Sitzung nicht zugestimmt, aber er wolle diese Erklärung nun loyalerweise als Erklärung des RA akzeptieren.“ Bericht Ordnung an Weise über die Tagung des Regionalausschusses der CFK vom 1. 11., vom 21. 11. 1968, 3 (BArch DO 4/4774). 277 Vgl. Teilnehmerliste der CFK-Regionalkonferenz 29. / 30. 11. 1968 (BArch DO 4/4774).

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durch die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen Richtlinien für die Durchführung der Regionalkonferenz entwickelt worden278. Diese wurden kurz vor Beginn in einem Gespräch an Ordnung weitergegeben279. Auf der Regionalkonferenz sollte eine Lösung der Meinungsverschiedenheiten nicht mehr durch Kompromisse gesucht werden, sondern durch „klare politische Aussagen und Entscheidungen, selbst auf die Gefahr hin, daß sich einige von der CFK trennen.“280 In einem einleitenden Bericht zur Regionalkonferenz sollte, um „weitschweifige CSSR-Diskussionen“ oder gar eine Spaltung zu verhindern, dieses Thema nach Möglichkeit abgeschlossen werden, damit man endlich die anstehenden Aufgaben, wie den 20. Jahrestag der DDR und die Arbeit mit den Kirchen, angehen könnte281. Zudem sollte zur „Festigung“ stärker mit anderen östlichen RAs zusammengearbeitet werden. Den Teilnehmern wurde als Material der Brief Hanfried Müllers und ein Artikel aus dem Pfarrerblatt beigegeben, während das Memorandum Hrom dkas nicht bekannt gegeben wurde – es war nicht einmal Schönherr als stellvertretendem Vorsitzenden bekannt – und auf der Konferenz wurde über das vierteljährige Tauziehen um eine einstimmige Erklärung kaum etwas verlautbart282. Mit dem Ergebnis der Regionalkonferenz war die Dienststelle des Staatssekretärs recht zufrieden, denn „es gelang, die Behandlung des CSSR-Themas auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.“283 Außerdem habe sich ein „politisch klarer Kern“ herauskristallisiert, auf den man sich in der anstehenden Konsolidierung der internationalen CFK stützen könne. Darüber hinaus wurde endlich eine „Erklärung mit klarer antiimperialistischer Aussage verabschiedet.“284 Dass in dieser Erklärung wieder zu typisch sozialistischen For278 Vgl. Information der bevorstehenden Regionalkonferenz der CFK (29.–30. 11. 1968) vom 25. 11. 1968, 1 – 5 (BArch DO 4/4774). Dieser Text entspricht der Passage zur Regionalkonferenz in der DDR aus den Analysen vom 30. 12. 1968 und vom 27. 2. 1969 bis auf einige in dieser Information durchgestrichene Sätze und dem Ergebnis der Regionalkonferenz. 279 Vgl. Information der bevorstehenden Regionalkonferenz der CFK (29.–30. 11. 1968) vom 25. 11. 1968, 4 (BArch DO 4/4774). Diese Anmerkung wurde durchgestrichen. 280 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 11 (BArch DO 4/255). 281 Vgl. ebd., 11. 282 „Bernhardt erwähnte zwar die intensive Arbeit des Regionalausschusses an der CSSR Erklärung (4 Sitzungen), hat aber kaum Näheres dazu gesagt.“ Bericht über die Regionalkonferenz der Christlichen Friedenskonferenz in der DDR vom 29.–30. 11. 1968 in Berlin Weißensee, vom 3. 12. 1968, 1 (PB Schicketanz). Zum Brief von Hanfried Müller vgl. Kapitel 5.3.4., 479 – 484. Der Artikel im Pfarrerblatt wird vermutlich die Zustimmungserklärung des Bundes Evangelischer Pfarrer sein. Vgl. Information der bevorstehenden Regionalkonferenz der CFK (29.–30. 11. 1968) vom 25. 11. 1968, 5 (BArch DO 4/4774). Dass das Memorandum nicht bekanntgegeben wurde, war einer der Kritikpunkte, der einen Teilnehmer zum Austritt aus der CFK veranlasste. Vgl. Austrittsbrief an Ordnung vom 16. 12. 1969, 3 (BArch DO 4/4774). 283 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968, vom 30. 12. 1968, 12 (BArch DO 4/255). 284 Ebd. Diese Erklärung wurde mit 44 Ja-Stimmen, 9 Neinstimmen und 6 Enthaltungen verabschiedet. Dieses Ergebnis bleibt zwar immer noch weit hinter der erstrebten Einmütigkeit

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meln gegriffen worden war, schien ausreichend darüber hinwegzutrösten, ˇ SSR mit keinem Wort erwähnt wurde. Vielleicht war dass die Situation der C auch schlicht die Zeit der Beifallsbekundungen für die ,Hilfsaktionen‘ schon vorbei. Damit war die CFK-Regionalgruppe endlich wieder „auf Linie“ gebracht285. Allerdings war die CFK wohl nicht der Ort gewesen, an dem SEDKirchenpolitiker mit einem viermonatigen Kampf um eine Zustimmung gerechnet hatten. Rückblickend beurteilte der RA die Regionalkonferenz kritisch: „Es wäre besser gewesen, wenn man über die Stellungnahmen aus der CFK zu den Ereignissen in der CSSR eine kurze gedrängte Information gegeben und im Anschluß daran eine beschränkte Zeit zu [sic!] Anfragen zur Verfügung gestellt hätte. Auf diese Weise wäre verhindert worden, daß diese Frage gegen Schluß der Konferenz immer wieder auftauchte.“286

Außerdem wäre ein solches Vorgehen vertrauensbildender gewesen, als einfach zu versuchen, das Thema unter den Tisch zu kehren. Peter Schicketanz, der als beobachtender Gast von Seiten der Kirchenprovinz Sachsen an der Konferenz teilnahm und dieser Bericht erstattete, beurteilte die Lage etwas ˇ SSR „das geheime Thema der Regionalkonferenz.“288 anders287. Er nannte die C Aus seinen Beobachtungen schloss er, dass dieses Thema nach Möglichkeit keine Erwähnung finden sollte, was aber vor allem in den Diskussionen nicht gelang. Sein Fazit war: „Die CSSR-Krise hätte die DDR-CFK zerbrochen, wenn nicht durch die Richtlinien einfach eine geordnete Weiterarbeit vorgezeichnet gewesen wäre. Die augenblickliche Linie kämpferischer Antipropaganda ist deutlich zu spüren.“289

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zurück, hat aber zumindest eine Zweidrittelmehrheit für sich. Schon in der kurz nach der Regionalkonferenz stattfindenden Dienstbesprechung bei Seigewasser wurde zur Regionalkonferenz vermerkt, „daß auf dieser Konferenz bisher am eindeutigsten positiv zu den Hilfsmaßnahmen vom 21. August 1968 Stellung genommen wurde.“ Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär vom 2. 12. 1968 vom 12. 12. 1968, 8 (BArch DO 4/401). Besier resümiert: „Damit hatten es die SED-Kirchenpolitiker geschafft. Innerhalb weniger Monate waren die Ansätze von Widerstand erfolgreich niedergekämpft worden.“ Besier, Anpassung, 487. Bericht von Ordnung über die Sitzung des Regionalausschusses am 22. 1. 1969 vom 27. 1. 1969, 1 (BArch DO 4/4774). Schicketanz berichtete der Kirchenleitung der KPS von der Regionalkonferenz. Vgl. 11. Sitzung der Kirchenleitung vom 6./7. 12. 1968, 9 (AKPS, B3 Nr. 13). Bericht über die Regionalkonferenz der Christlichen Friedenskonferenz in der DDR vom 29.–30. 11. 1968 in Berlin Weißensee, vom 3. 12. 1968, 2 (PB Schicketanz). Außerdem: „Dieses Thema [CSSR] sollte verschwiegen werden, weil man wußte, daß die Arbeit der CFK auseinander brechen könnte daran. Dennoch tauchte das Thema immer wieder in der Diskussion auf.“ ebd. Ebd., 3.

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2.3.4. Der weitere Verlauf der Krise im RA DDR bis 1971 Mit der Erklärung der Regionalkonferenz der CFK in der DDR vom November 1968 war die Krise noch nicht beendet. 1969 war man vor allem darauf beˇ SSR möglichst nicht aufbrechen zu lassen und zur Tadacht, das Thema C gesordnung überzugehen. So wurden im Winter 1968/69 bilaterale Gespräche mit den RAs von Westdeutschland, Westberlin und der Schweiz290 angestrebt und man war froh dass es, auch wenn die Treffen nicht zustande kamen, in den Vorgesprächen gelang, „die CSSR-Problematik, auch als ,sogenannte tschechische Frage‘ bezeichnet, nicht zum Mittelpunkt der Diskussion werden zu ˇ SSR ins lassen.“291 Versuche mit dem erst im Juni 1968 gegründeten RA in der C Gespräch zu kommen – konkret für Ende Januar geplant – scheiterten immer wieder schon an der Uneinigkeit über einen Treffpunkt. Die Tschechoslowaken weigerten sich standhaft, nach Berlin zu fahren292. Sie waren der Meinung, das Gespräch solle in Prag stattfinden, „damit die Teilnehmer aus der DDR sich an Ort und Stelle von der Haltung der tschechischen Bevölkerung überzeugen können.“293 Als im September 1969 endlich zwei Vertreter aus der ˇ SSR eintrafen, erklärten sie die Schwierigkeiten mit den anhaltenden DisC kussionen und dass die Erklärung des Regionalausschusses aus der DDR „als ein ähnlicher Schlag empfunden worden [sei], wie die Maßnahmen vom 21. August selbst.“294 Zu einem Gespräch kam es in diesem Jahr nicht mehr295. Mitte des Jahres 1969 wurde neben einem Besuch von Vertretern der Rumänisch-Orthodoxen Kirche auch einer mit Vertretern der Russisch-Orthodoxen Kirche sowie mit protestantischen Kirchen aus der SU organisiert296. Mitte des Jahres 1969 musste man seitens der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen einräumen, dass das Ziel, die CFK von der Basis her 290 Vgl. Bericht von Ordnung über die Sitzung des Regionalausschusses am 22. 1. 1969 vom 27. 1. 1969, 3 (BArch DO 4/4774). Im Februar fuhren Bassarak, Frielinghaus und Ordnung in die Schweiz, was von einigen andern Mitgliedern des Regionalausschusses als zu „einseitig“ kritisiert wurde. Vgl. Bericht von Ordnung über das Gespräch mit dem Schweizer Regionalausschuss am 6. und 7. 2. und eine Begegnung mit Generalsekretär Ondra am 8. 2. 1969, vom 13. 2. 1969, 1 – 3 (BArch DO 4/4774). 291 Analyse der Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz seit dem 21. August 1968 und der gegenwärtigen Situation vom 27. 2. 1969, 18 (BArch DO 4/4774). 292 Man war sich innerhalb des Regionalausschusses uneinig, ob man auf Berlin als Ort beharren oder einlenken und nach Prag fahren solle. Als Kompromiss sollten dann zunächst zwei Vertreter für weitere Gespräche eingeladen werden. Vgl. Bericht von Ordnung über die Sitzung des Regionalausschusses der CFK am 30. 6. 1969 vom 2. 7. 1969, 4 f. (BArch DO 4/4774). 293 Aktenvermerk Ordnung an Weise vom 28. 1. 1969, 1 (BArch DO 4/4774). 294 Bericht von Ordnung vom 9. 9. 1969, 2 (BArch DO 4/4774). 295 Vgl. Bericht von Ordnung über die konstituierende Sitzung des neuen Regionalausschusses der DDR am 12. 1. 1970 vom 26. 1. 1970, 4 (BArch DO 4/4774). 296 Vermerk vom 19. 5. 1969, Regionalausschuss der CFK in der DDR / Situation und weitere Vorhaben, 2 (BArch DO 4/4774); vgl. auch Bericht von Ordnung über die Sitzung des Regionalausschusses der CFK am 30. 6. 1969 vom 2. 7. 1969, 1 (BArch DO 4/4774).

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zu stärken, nach der Regionalkonferenz 1968 nicht erreicht worden war. Weder hatte sich der „positive Kern“ wirklich vergrößert, noch die „häufig negativ oder destruktiv operierende Gruppe“ verkleinert297. Allerdings war es anˇ SSR-Problematik in die informelle Ebene abzuscheinend gelungen, die C drängen: „Die sog. tschechische Frage sei im Plenum überhaupt nicht diskutiert, sondern nur in einem Nachtgespräch im kleinen Kreis erörtert worden. Dabei habe Ondra erklärt, dass er keine andere Möglichkeit sehe, als die gegenwärtige Regierung seines Landes zu unterstützen.“298 Auf der Regionalkonferenz vom 17. bis 18. November 1969 in Berlin-Weißensee stand die Neuwahl des Regionalausschusses an. Durch die Dienststelle des Staatssekretärs war über das letzte Jahr hinweg immer wieder die Entwicklung der Haltung einzelner Mitglieder des RA, vor allem derjenigen, die den 21. August kritisch sahen, genau beurteilt worden. Für den neuen RA erhoffte sich die staatliche Seite eine Verschiebung in eine ,fortschrittliche‘ Richtung299. Um dies zu erreichen, wurde von Ordnung eine Liste mit insgesamt 54 Mitgliedern der CDU, des Pfarrerbundes und Parteilosen erstellt, die für diese Tagung zu aktivieren seien, um das erwünschte Ergebnis zu befördern300. Es gelang letztendlich zu erreichen, dass „es in allen entscheidenden politischen Fragen eine sichere linke Mehrheit gab.“301 Kramer schrieb Ende 1969 einen Brief an Ordnung, in welchem er auf seinen Eindruck hinweist, dass es Vorabsprachen gegeben habe302. Durch diese waren die Abstimmungen gesichert und unliebsame Vertreter wurden aus dem RA gedrängt303. Daneben galt es, der neuen Situation, die durch den Rücktritt Ondras entstanden war, möglichst Herr zu werden und Diskussionen zu verhindern. Mit 297 Vermerk vom 19. 5. 1969, Regionalausschuss der CFK in der DDR / Situation und weitere Vorhaben, 1 (BArch DO 4/4774). In diesem Vermerk wird erstmals Schönherr namentlich der ,negativen‘ Gruppe zugeordnet. Schönherr selbst hatte in einem Brief im Januar 1969 an den RA mitgeteilt, dass er nun wieder intensiver in der CFK mitarbeiten wolle. Vgl. Bericht von Ordnung über die Sitzung des Regionalausschusses am 22. 1. 1969 vom 27. 1. 1969, 1 (BArch DO 4/4774). 298 Bericht über die Sitzung des Regionalausschusses der CFK am 30. 6. 1969 vom 2. 7. 1969, 2 (BArch DO 4/4774). 299 Vgl. Vermerk vom 19. 5. 1969 Regionalausschuss der CFK in der DDR/ Situation und weitere Vorhaben, 3 (BArch DO 4/4774). 300 Vgl. Zur Vorbereitung der Neuwahl des Regionalausschusses der CFK vom 1. 9. 1969 von Ordnung (BArch DO 4/4774). 301 Bericht von Ordnung über die CFK-Regionalkonferenz 1969 vom 24. 11. 1969, 2 f. (BArch DO 4/4774). Weiter hieß es: „Von den ca. 120 Teilnehmern gehörten mindestens Zweidrittel [sic!] zu bewußten und teilweise seit Jahren aktiv politisch tätigen Bürgern unseres Staates.“ Um dies zu verdeutlichen wurden aufgelistet: Sächsische Bruderschaft: 10 Teilnehmer, WAK: 10 Teilnehmer, Pfarrerbund: 9 Teilnehmer, Thüringische Landeskirche: 4 Teilnehmer, Quäker: 4 Teilnehmer, Gossner-Mission: 3 Teilnehmer. Zu CDU heißt es: „Besonders hilfreich war das klare Auftreten zahlreicher Mitglieder der CDU.“ 302 Vgl. Brief Kramer an Ordnung vom 29. 12. 1969 (EZA 89/49). 303 Kramer berichtet, dass er gar nicht gefragt worden war, ob er erneut kandidieren wolle. Vgl. Brief an die Verfasserin vom 11. 1. 2010, 3.

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den Wahlergebnissen und einer verabschiedeten Erklärung war Ordnung zufrieden304. Als einzige Schwachstelle nannte Ordnung das Referat von Bandt, denn „die Schlußausführungen von Bandt, in denen er auf die Bedeutung der Feindesliebe für den Christen hinwies, provozierte[n] sofort Fragen nach den Ereignissen in der CSSR und danach.“305

2.3.5. Ausblick ˇ SSR längerfristig angelastet. Ihm Bandt wurde seine andere Meinung zur C wurde vorgeworfen, die Arbeit der CFK zu behindern und politisch nicht vertretbar zu sein306. Schon 1967 war Bandt durch Kritik an der seiner Ansicht nach viel zu einseitigen Israelerklärung des Arbeitsausschusses der CFK aufgefallen, weil in dieser eine Anerkennung von Israel als Staat fehlte307. Neben dem RA war er auch im Arbeitsausschuss der CFK tätig gewesen. Bandt sympathisierte relativ offen mit den westlichen Vertretern, die aus Protest im Februar 1970 den Arbeitsausschuss verlassen hatten308. Im Oktober 1970 wurde in der Dienstbesprechung bei Seigewasser über ihn gesprochen. Er vertrete „eine eigene, der offiziell festgelegten Linie für die künftige CFKArbeit entgegengesetzte Position.“ Daher wurde darüber gesprochen „Maßnahmen einzuleiten, die zu einem Führungswechsel im Regionalausschuss DDR der CFK führen und gewährleisten, daß Prof. Bandt aus der verantwortlichen Arbeit des Regionalausschusses ausgeschaltet wird.“309 Bereits im Dezember 1970 konnte auf der Dienstbesprechung zur Kenntnis genommen werden, dass Bandt seine „Mitarbeit im Regionalausschuß bis auf weiteres ruhen lassen“ werde310. Auch Bassarak äußerte sich über Bandt abfällig311. Im 304 „Dieses [Wahl]ergebnis zeigt deutlich, […] daß vor allem progressiv und parteilich auftretende Kandidaten mehr Stimmen als früher erhielten, während viele von denen, die sich etwa im Blick auf die Ereignisse in der CSSR als schwankend erwiesen, die auch in ihrer antiimperialistischen Haltung unklar sind, zurückfielen.“ Bericht von Ordnung über die CFK-Regionalkonferenz 1969, vom 24. 11. 1969, 7 (BArch DO 4/4774). 305 Ebd., 5. 306 „In diesem Zusammenhang wurde im Verlauf der Beratung festgestellt, daß Prof. Dr. Bandt als Mitglied des Regionalausschusses der DDR und des Arbeitsausschusses die politischen Anforderungen der CFK-Arbeit nicht erfüllt. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, daß er die Arbeit der CFK durch Ansichten, die denen der Spalter ähneln, behindert.“ Vermerk vom 26. 10. 1970 über eine Beratung mit Bassarak und Ordnung über CFK-Probleme, mit Seigewasser, Weise und Wormann, 1 (BArch DO 4/4775). 307 Vgl. Lindemann, Sauerteig, 748. 308 Vgl. Protokoll über die Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 5. 10. 1970, 5 (BArch DO 4/ 401). 309 Ebd. 310 Protokoll über die Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 18. 12. 1970, 10 (BArch DO 4/ 401). 311 Vgl. Aktennotiz. Gespräch mit Schottstädt am 27. 6. vom 2. 7. 1969 von Bassarak, 2 (BArch DO 4/355).

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Juni 1971 schrieb Bandt in einem Brief an Bassarak, in welchem er einen Schlussstrich unter seine Mitarbeit in der CFK zu setzen suchte: „Und gebe zugleich der leisen Hoffnung Ausdruck, daß nun, nachdem ich inzwischen wirklich aus allen [Unterstreichung im Original] internationalen Gremien der CFK raus bin, die fortgesetzten politischen Beschuldigungen und Verdächtigungen gegen mich (deren Urheber ich nicht feststellen kann, deren Auswirkungen ich aber weit über die CFK hinaus in meiner Arbeit als Hochschullehrer vor allem im letzten halben Jahr schwer zu fühlen bekommen habe) allmählich etwas nachlassen werden.“312

Nicht nur in der CFK, sondern auch als Hochschullehrer für Systematische Theologie war er unter Druck gesetzt worden. 1972 wurde Bandt von seiner Funktion als stellvertretender Sektionsdirektor entbunden313. Er trat für politisches Engagement aus christlichem Verständnis ein und berichtete seinen Studenten auch über die Schwierigkeit politischen Engagements am Beispiel der Kontroversen in der CFK314. 1971 schrieb er eine Erklärung für den RA, in der er seine Nominierung zur IV. ACFV zurückzog315. Diese hätte er allerdings sowieso nicht wahrnehmen können: „Eine Erwägung, Bandt auf die Liste zu setzen, wurde von Koll. Weise mit dem Hinweis an Ordnung abgelehnt, wenn Ordnung sich nicht traue, Bandt klarzumachen, dass seine Nominierung nicht in Betracht käme, würde er (Weise) das selber tun.“316 Dagegen profitierte ˇ SSR und wurde im Februar Bassarak von seiner staatsnahen Linie in Sachen C 317 1969 aus Halle nach Berlin berufen . Bandt war bei weitem nicht der einzige Fall. In den folgenden Jahren kehrten viele bisherige Mitglieder dem RA den Rücken318. Schmerzhaft deutlich wurde dies in den Reihen der CFK an rückläufigem Spendenaufkommen und fehlenden Mitgliedsbeiträgen. Von den Landeskirchen waren über die KKL zum letzten Mal für die III. ACFV 1000 Mark überwiesen worden319. 1971 wurde in einer Sitzung des RA festgestellt: „Spenden sind um beinahe M 5000,– zurückgegangen, 97 Leute (1/3) haben Beitragszahlung 312 Brief von Bandt an Bassarak vom 19. 6. 1971, Abschrift (BArch DO 4/4775). 313 Vgl. Stengel, Fakultäten, 585, Anmerkung 24. 314 Vgl. Hintergrundgespräch mit Rüdiger Lux am 24. 11. 2009, der zwischen 1968 und 1970 in Greifswald bei Bandt studierte. 315 Vgl. Erklärung zur Vorlage auf der Sitzung des RA an 29. 6. 1971 (BArch DO 4/4775). 316 Aktennotiz zur Nominierung der Teilnehmer des RA in der DDR für die IV. ACFV (BArch DO 4/249). 317 Vgl. Stengel, Fakultäten, 628. 318 Austrittsbrief an Ordnung vom 16. 12. 1969, abgesandt mit einem weiterem Brief vom 17. 1. 1970, 1 f. (BArch DO 4/4774) auch (EZA 89/49). Der Autor, Superintendent HeinemannGrüder, stellte seine Zahlungen ein. Als Gründe nannte er die Rücktritte Ondras und Hrom dkas, die Beteiligung Deutscher am 21. August 1968 und die Unklarheit, worauf sich die CFK nun gründe, auf Antiimperialismus oder die biblische Botschaft. 319 Protokoll der Sitzung des Regionalausschusses der CFK in der DDR am 5. 5. 1971, 6 (PB Feurich).

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eingestellt wegen ,Krise‘ od. [sic!] polit. [sic!] Profilierung der CFK.“320 Noch weitaus detaillierter beschreibt ein Brief von Ordnung an den Hauptabteilungsleiter Weise vom 29. April 1971 die Finanzlage der CFK. Als Ursachen für den Rückgang der Zuwendungen nannte Ordnung verschiedene Gründe, die er an drei Personengruppen festmachte. Der erste Grund sei politischer Natur. Ordnung nennt neun Namen, darunter Theodor Gill, Rudolf Rüther und Hans-Jochen Tschiche321. Die zweite Personengruppe, die ihre Zahlungen einstellte, war herausgedrängt worden. Ordnung umschreibt das Problem, dass es auf Grund des „Konsolidierungsprozesses“ nötig gewesen sei „manche Entscheidungen, vor allem im Blick auf Personalfragen, in einem kleineren Kreis zu prüfen und den unmittelbaren Einfluß aller Mitglieder der Regionalkonferenz auf solche Entscheidungen zurückzudrängen.“322 Wieder benennt Ordnung mehrere Beispiele. Zur dritten Personengruppe gehörten Mitglieder des RAs, die einfach noch nicht bezahlt hatten. Sehr kritisch verwies Ordnung auf eine „bedenkliche Verengung unserer Basis in den Kirchen.“323 Neben allem anderen war der mit Abstand größte Spender, Emil Fuchs, gestorben und nicht nur die Kirchen hatten die Zahlung eingestellt, sondern auch der Pfarrerbund und der Friedensrat324. Schon nach der III. ACFV war in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen eine wichtige Schlussfolgerung, nach und nach unliebsame Mitglieder hinauszudrängen und durch „zuverlässige progressive Kräfte zu ersetzen.“325 Doch zeigte sich das Hinausdrängen oft gar nicht als notwendig. ˇ SSR im August 1968, der AblehNach dem militärischen Eingreifen in der C nung des 21. Augusts durch Josef L. Hrom dka und nach seinem Rücktritt und Sterben 1969 distanzierten sich viele auf unterschiedliche Weise selbst von der CFK. So kündigte Günter Jacob im Oktober 1969 seine Mitarbeit in der CFK auf326. Albrecht Schönherr distanzierte sich von der CFK327. Bassarak war Anfang der 1970er das einzige Mitglied im Arbeitsausschuss und im Internationalen Sekretariat aus der DDR328. Im Dezember 1989 bekannte in der 320 Ebd. 321 Vgl. Brief Ordnung an Weise vom 29. 4. 1971, 1 (BArch DO 4/249); vgl. auch Hintergrundgespräch vom 8. 12. 2009 mit Theodor Gill. 322 Brief Ordnung an Weise vom 29. 4. 1971, 2 (BArch DO 4/249). 323 Ebd. 324 Vgl. ebd., 3. 325 Vorschläge und Schlußfolgerungen, die sich aus dem Verlauf und den Ergebnissen der III. Allchristlichen Friedensversammlung in Prag vom 31. 3. bis 5. 4. 1968 für die weitere Arbeit mit der CFK in nationalen und internationalen Rahmen ergeben, vom 10. 4. 1968, 2 (BArch DO 4/1249). 326 „Generalsuperintendent D. Jacob, Cottbus, hat der Leitung des Regionalausschusses der Christlichen Friedenskonferenz in der DDR mitgeteilt, daß er künftig innerhalb der CFK nicht mehr mitarbeitet. Eine Begründung wurde nicht gegeben.“ RdB Cottbus, Aktenvermerk vom 21. 10. 1969 über einen telef. Anruf […], Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen (ACDP 07-013-3495). 327 Vgl. Schçnherr, Zeit, 209. 328 Vgl. Roer, Christliche Friedenskonferenz, 98 f.

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Rückschau auch Ordnung, dass die Schuld der CFK „in der beinahe totalen Abwesenheit von Kritik an den inneren Verhältnissen in den sozialistischen Ländern“ gelegen habe und gerade nach 1968 die „stalinistische Linie“ mit staatlichem Druck durchgesetzt worden war329. Zusammenfassend lässt sich an der CFK der Prager Frühling und dessen Ende beispielhaft als eine Scheidelinie zwischen den sich sowohl christlich als auch links verstehenden Gruppierungen ablesen330. Bis 1968 hatte man Konflikte zwischen der christlichen Linken im Westen und der im Osten ausgleichen und mit christlicher und sozialistischer Rhetorik, vor allem Friedensrhetorik kitten und übertünchen können. 1968, mit der klaren Verletzung ˇ SSR durch militärische Gewalt, wurden die Unterder Souveränität der C schiede zwischen Christen, die auf einen Reformsozialismus setzten, und solchen, die sich auf den Realsozialismus einließen, unüberbrückbar. Sozialistische Friedenspolitik konnte Frieden sagen und Krieg meinen. Christliche Friedenspolitik konnte das aus sich selbst heraus nicht, zumindest nicht ohne ihr Gesicht zu verlieren. In den Jahren 1969 bis 1971 kam es in den Reihen der CFK zu einer radikalen Linienformierung auf die SU hin. Der Präsident wurde ein russischer, der Generalsekretär zunächst ein polnischer, 1971 ein ungarischer Theologe. In der DDR ging ein Drittel der Mitglieder oder wurde verdrängt. Ende 1969 war die Formierung in der DDR bereits so weit vorangeschritten, dass die in der DDR organisierten Tagungen zum Schauplatz der Entmachtung der bis dato tschechischen Führung der Organisation werden konnten. Gerade auch Christen und Pfarrer mit Affinität zu sozialdemokratischen oder sozialistischen Ideen, oder auch solche, die zwar mit Sozialismus nicht so viel zu tun haben wollten, sich aber einfach nur aus dem christlichen Streben nach mehr Frieden in der Welt in der CFK engagiert hatten, standen vor einer schwierigen Entscheidung. Die einen hielten dem Staat weiterhin die Treue, befürworteten den Einmarsch oder nahmen ihn als notwendiges Übel hin und ließen sich in der Folge noch stärker auf die real-sozialistische Ideologie ein. Die anderen distanzierten sich deutlich von der militärischen Lösung und wurden daraufhin aus prosozialistischen Gremien gedrängt oder legten von selbst ihre Ämter nieder331. Sie hatten die Entwicklungen in Prag als 329 Ordnung, Geschichte der CFK, 72, 74. 330 Die Situation führte „zu einer ,Scheidung der Geister‘“. So zitiert Ohse Reinhard Steinlein. Vgl. Ohse, Ostdeutscher Protestantismus, 140. 331 „Ein Studienkollege, der in den vorhergehenden Jahren sehr stark mit dem DDR-Sozialismus sympathisierte (Sozialismus als Verwirklichung des Reiches Gottes, so bei einer Magdeburger Großdemonstration), wurde durch die CSSR Ereignisse 68 ganz anderen Sinnes.“ Fragebogen 6. Im Besitz der Verfasserin. Klaus Peter Hertzsch gehört zu denen, die sich zurückzogen. Er schreibt: „Der Eindruck, in Zukunft seien Gespräche und Entscheidungen nur noch unter dem Schutz und der Herrschaft sowjetischer Panzer möglich, führte dazu, dass ein entscheidener Teil der Konferenz – darunter wohl auch Hromadka selber, der an diesem Schock wohl wirklich gestorben ist – jede weitere Teilnahme kündigte, andere versuchten, zu retten, was noch zu retten war, und wieder andere hielten den Weg der neuen Kräfte in Prag für schmerzlich, aber

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Chance einer gerechteren Gesellschaftsordnung begrüßt und waren dementsprechend über die militärische ,Lösung‘ entsetzt. Manche dieser Menschen fanden ihre Hoffnungen in den 1980ern in der Friedensbewegung wieder und wurden in den Jahren der Friedlichen Revolution 1988 bis 1990 politisch aktiv.

friedensfördernd. Dass mein Kontakt nur noch locker war, gehört natürlich in diesen Zusammenhang.“ Brief von Klaus-Peter Hertzsch an die Verfasserin vom 17. 9. 2009, 1 f.

IV. Die Situation in den einzelnen evangelischen Landeskirchen 1968 Im vierten Kapitel soll die Situation in den Landeskirchen in der DDR vor allem nach dem 21. August 1968 in den Blick genommen werden. Dabei werden makro- und mikrohistorische Zugriffe aufeinander bezogen und miteinander verbunden. Nach einem allgemeinen Einblick über die landeskirchenübergreifenden Bemühungen in der Konferenz der Kirchenleitungen und der Bischofskonferenz werden die acht Landeskirchen einzeln untersucht. Der Schwerpunkt liegt hier auf der makrohistorischen Ebene, auf den Kirchenleitungen, den leitenden Geistlichen. Demgegenüber wird auf der mikrohistorischen Ebene auf einzelne Kirchenkreise und exemplarische Fallbeispiele eingegangen werden. Dabei ist zu beachten, dass die Landeskirchen, die mit eigenen Aktionen hervortraten und so mit dem Staat in Konflikt gerieten, viel mehr Quellen auf beiden Seiten erzeugten, als dies in den zurückhaltenderen Landeskirchen der Fall war. Die Unterkapitel fallen daher sehr unterschiedlich aus. Dennoch wurden alle acht Landeskirchen aufgenommen, um die Bandbreite möglichen Handelns angemessen darstellen zu können.

1. Die Diskussionen um eine gemeinsame Stellungnahme der evangelischen Landeskirchen Die Kirchenleitungen in der DDR hatten die Ereignisse und vor allem die durch den Prager Frühling ausgelösten Erleichterungen für die Nachbarkirchen aufmerksam verfolgt. Vom Einmarsch der Truppen des Warschauer ˇ SSR waren die Kirchen in der DDR genauso überrascht und Paktes in die C geschockt wie die Bevölkerung. Die Landeskirchenleitungen standen daher vor der Frage, welches Handeln in dieser Situation angemessen sei. Die Meinungen darüber gingen weit auseinander. 1.1. Die außerordentliche Bischofskonferenz am 24. August 1968 Neben der Konferenz der Kirchenleitungen (KKL) gab es die Konferenz der evangelischen Bischöfe, die vor der Gründung des BEK beratende Funktion hatte. Bereits einen Tag nach dem Einmarsch wurden die leitenden Geistlichen

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der acht Landeskirchen telefonisch für Sonnabend, den 24. August, zu einer Sondersitzung nach Berlin gerufen1. Dieses Telefonat nahm der Thüringische Landesbischof Moritz Mitzenheim zum Anlass, bei Staatssekretär Hans Seigewasser um ein Gespräch nachzusuchen, welches in zwei Teilen am Freitag, dem 23. August 16:00 Uhr, und am Sonnabend, dem 24. August 13:00 Uhr stattfand und somit die Bischofskonferenz vor- und nachbesprach. Im ersten Teil, vor der Bischofskonferenz, erklärte Seigewasser Mitzenheim das Eingreifen der fünf Warschauer-Pakt-Staaten seit dem 21. August als notwendigen Akt zur Friedenserhaltung. Zudem warnte Seigewasser ihn namentlich vor dem Görlitzer Bischof Hans-Joachim Fränkel und dem sächsischen Bischof Gottfried Noth, die bestimmt eine gegenteilige und damit ,reaktionäre‘ und westliche Meinung vertreten würden2. Am 24. August 1968 fand vormittags die Bischofskonferenz statt3. Nicht alle leitenden Geistlichen hatten sich so kurzfristig einfinden können, da es mitten in der Urlaubszeit war. Niklot Beste (Mecklenburg) als Vorsitzender war anwesend, ebenso Hans-Joachim Fränkel (Görlitz), Johannes Jänicke (KPS) und Moritz Mitzenheim (Thüringen). Gottfried Noth (Sachsen) hatte sich durch OLKR Samuel Kleemann vertreten lassen, Albrecht Schönherr (Berlin-Brandenburg) durch Generalsuperintendent Gerhard Schmitt, denn er selbst war ˇ SSR, Martin Müller (Anhalt) durch OKR Werner Gerhard und noch in der C Friedrich-Wilhelm Krummacher (Greifswald) durch Propst Erich Werner. Im offiziellen Protokoll der Bischofskonferenz wurde das Ergebnis in drei Sätzen zusammengefasst, die keinen Aufschluss über die Meinungen, Vorschläge und ˇ SSR besprochen wurde, dass Diskussionen geben: dass die Situation in der C 1 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, Entwurf von Pabst, 1 (EZA 102/15). 2 Vgl. Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 2 (BArch DO 4/439). 3 Neben dem Bericht über die Gespräche zwischen Seigewasser und Mitzenheim fertigte auch das MfS ein Verlaufsprotokoll über die Konferenz der Bischöfe an. Vgl. Einzel-Information 908/68 über eine außerordentliche Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, vom 25. 8. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1547). Sie entspricht im Wortlaut einer Information vom 24. 8. 1968, nur dass noch zwei Absätze zu Kardinal Bengsch angefügt sind, dass er Zurückhaltung empfohlen hat und nur persönlich geäußert habe, dass er das Vorgehen der Sowjetunion nicht verstehe. Die offizielle Niederschrift und einen ausführlichen Entwurf des Treffens verfasste Pabst. Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, Entwurf von Pabst, 8 Seiten (EZA 102/15). Alle drei Quellen wurden nah an den Ereignissen, noch am 24. August oder den Tagen darauf, geschrieben und sind der Form nach Diskussionsverlaufsprotokolle. Der Entwurf Pabsts weicht in Form, Sprache, Ablauf im Einzelnen und Ergebnis von der staatlichen und der staatssicherheitlichen Quelle in einer Weise ab, dass davon auszugehen ist, dass den Berichten unterschiedliche Informationsquellen zugrunde liegen. Allein die Abfolge der Anwesenden ist je anders. Auch verlas nach kirchlichem Protokoll Jänicke ein Wort an die Gemeinden, nach staatlichem Bericht den Entwurf einer Kanzelabkündigung, nach MfS-Angaben brachte er eine Fürbitte ein. Da Pabst als Protokollant während der Sitzung mitschrieb, stützt sich der im Folgenden beschriebene Ablauf der Ereignisse vornehmlich auf diese Quelle.

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davon Abstand genommen wurde, ein Wort an die Regierung oder die Gemeinden zu senden, und dass zu Fürbitten aufgerufen werden soll4. Direkt im Anschluss an die Bischofskonferenz traf sich Mitzenheim mit Seigewasser, denn die Bischofskonferenz schloss um 12:40 Uhr und bereits 20 Minuten später begann das Gespräch zwischen den beiden. Mitzenheim erklärte, dass es zu keiner Einigung und keinerlei Beschlüssen gekommen sei5. Daher wären keine Aktionen außer gelegentlichen Fürbitten zu befürchten6. Seigewasser wollte zudem wissen, ob die Konferenz auf westliche Bestrebungen hin einberufen worden sei, bekam jedoch von Mitzenheim keine Aufschluss gebende Antwort. Dennoch wurde der übliche Schluss gezogen, dass die Bischofskonferenz auf Betreiben von Scharf und Blake zustande gekommen sei7. Mitzenheim wurde lobend erwähnt, da durch sein Veto ein gemeinsames Vorgehen der Landeskirchen verhindert worden sei8. Ähnlich hieß es auch in späteren internen Informationen immer wieder, er hätte eine „offene Provokation“ verhindert9. Die CDU stellte in ihrem Aktenvermerk weiter überspitzend die Rolle Mitzenheims heraus. Ihrer Ansicht nach seien alle kirchlichen Vertreter für einen Brief an die Regierung und für eine Kanzelabkündigung an die Gemeinden gewesen. Erst die Erklärung Mitzenheims, dass dies „Landesverrat“ sei, habe die anderen außer Jänicke dazu gebracht,

4 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin (EZA 102/15). 5 Vgl. Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 6 (BArch DO 4/439); vgl. auch Information, Außerordentliche Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin vom 24. 8. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 6 „Er [Mitzenheim] befürchtet, daß, trotzdem keine Beschlüsse gefaßt wurden, einige Bischöfe, z. B. Fränkel und Jänicke, die Situation in ihrer Fürbitte doch erwähnen werden.“ Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 3 (BArch DO 4/439); vgl. auch Besier, Anpassung, 684 f. 7 Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 5 (BArch DO 4/ 439). 8 „Bischof Mitzenheim muß sich in dieser Konferenz sehr aktiv um die Verhinderung einer Provokation bemüht haben. Er erklärte uns, er habe von Anfang namentliche Abstimmung verlangt und habe sich fast 10 Mal [sic!] an der Diskussion beteiligt, mehrmals mit einem Veto.“ Ebd., 3. 9 Z. B. Entwurf einer Information über den Brief der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg an die im ökumenischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen in der CSSR vom 26. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/791). Auch das MfS hob Mitzenheims Rolle lobend hervor. „Durch das entschiedene Auftreten des Landesbischofs Mitzenheim, der zuvor eine eingehende Aussprache mit dem Genossen Staatssekretär Seigewasser hatte, gelang es den reaktionären Kräften nicht, die Landeskirchen der DDR auf eine einheitliche Linie festzulegen.“ Information vom 9. 10. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 1 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086); ebenso Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 67.

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Abstand von ihrem Vorhaben zu nehmen10. Das MfS ging noch einen Schritt weiter und stellte es als eigene Leistung dar, dass es eine DDR-weite Kanzelabkündigung verhindert hätte, wenn es heißt: „Durch operative Maßnahmen konnte verhindert werden, daß auf der außerordentlichen Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR am 24.8. eine gemeinsame Stellungnahme der Bischöfe erarbeitet wurde. Es kam so zu keiner Kanzelabkündigung mit gleichem Wortlaut und am gleichen Tage in den Gottesdiensten aller evangelischen Kirchen in der DDR, wie dies geplant war.“11

Aufgrund von Mitzenheims Aussage hielt der Staat die Kirche für einigermaßen neutralisiert, befürchtete aber Fürbitten12. Als sich in der Folge vier Landeskirchenleitungen bzw. deren Bischöfe, doch auf unterschiedliche Weise gegen den Einmarsch wandten, scheint Mitzenheim unter Druck geraten zu sein. Er warf den anderen Bischöfen vor, sich nicht an die Vereinbarungen gehalten zu haben. Er bemängelte in einem Brief Mitte Oktober das zu kurze Protokoll und bat um Einsichtnahme in den Protokollentwurf Walter Pabsts, um seine Sicht der Dinge untermauern zu können: „Ich bedaure, daß das Protokoll über Punkt 1 der Tagesordnung der Bischofskonferenz vom 24.8., über den über 2 Stunden diskutiert wurde, derart kurz ist.“13 Pabst hatte zwar einen fünfseitigen ausführlicheren Entwurf eines Protokolls angefertigt, aus dem dann aber durch den Vorsitzenden Beste sämtliche Diskussionsbeiträge ˇ SSR gestrichen worden waren14. Mitzenheim stellte selbst noch einmal in zur C seinem Brief klar: „daß ich aus den in der Bischofskonferenz von mir genannten Gründen in dieser Sache nicht nur gegen eine gemeinsame, sondern gegen jede Kanzelabkündigung war und bin.“15 Zu den öffentlichen Stellungnahmen hätte es, seiner Meinung nach, besser nicht kommen sollen16.

10 Vgl. Aktenvermerk vom 27. 8. 1968, Außerordentliche Bischofskonferenz am 24. 8., 1 (ACDP 07010-3252). 11 Vgl. Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlußfolgerungen vom 12. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774); ähnlich auch Bericht vom 5. 9. 1968 Aufgaben, Verlauf, Ergebnisse und Schlußfolgerungen aus dem Einsatz der Hauptabteilung XX im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR, 5 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069). Wie ungenau das MfS arbeiten konnte, zeigt eine Analyse der Hauptabteilung XX von Ende November 1968. Dort wurde das Datum der Konferenz verwechselt und Krummacher gemeinsam mit Fränkel eine „feindliche Erklärung“ unterstellt, der jedoch gar nicht anwesend war. Vgl. Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 4 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). 12 Vgl. Information 370/68, 25. 8. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069 ebenso Nr. 7106). 13 Brief Mitzenheims an die Geschäftsstelle der KKL am 18. 10. 1968, 1 (EZA 102/15) und (LKAE, A 800 10/11). Laut Protokoll dauerte die gesamte Sitzung nur zwei Stunden 40 Minuten. 14 Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, Entwurf von Pabst (EZA 102/15). 15 Brief Mitzenheims an die Geschäftsstelle der KKL am 18. 10. 1968, 2 (EZA 102/15) und (LKAE, A 800 10/11). 16 „Die Geschehnisse in Magdeburg und in Berlin haben inzwischen gezeigt, daß es auch dort wie

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Auch nach der Einsichtnahme in den Entwurf blieb er bei seiner Haltung „daß am 24.8. beschlossen worden ist, weder eine gemeinsame Kanzelabkündigung noch Abkündigungen in den einzelnen Landes- und Provinzialkirchen zu erlassen.“17 Doch der Entwurf, auf den sich Mitzenheim bezog, ist verschieden interpretierbar. Von Mitzenheim abgesehen waren die anderen Anwesenden dafür, dass sich ihre Kirchen, auf welche Weise auch immer, zu der aktuellen ˇ SSR äußern sollten. In der zweistündigen Diskussion stanSituation in der C den drei Varianten zur Debatte: Ein Wort an den Vorsitzenden des Staatsrates, ein Wort an die Kirchgemeinden, eine Anregung für die Pfarrer zur Fürbitte.18 Gleich zu Beginn hatte Bischof Fränkel einen Fürbittvorschlag und Bischof Jänicke den Entwurf eines Wortes an die Gemeinden eingebracht. Mitzenheim positionierte sich von Anfang an gegen jede gemeinsame Äußerung der Bischofskonferenz und forderte zu äußerster Zurückhaltung auf19. Als Gründe nannte er mangelnde Information, die Notwendigkeit, die Lage nüchtern zu ˇ SSR nicht eingegriffen hatte20. Abgesebetrachten, und dass die Armee der C ˇ SSR zu kümmern, denn: „Die hen davon bräuchte man sich gar nicht um die C sozialistischen Länder würden sich ihrer Sache schon selber annehmen.“21 Insbesondere trat er gegen eine Analogie zum Jahr 1938 auf. Mitzenheim ˇ SSR aus und sprach sich sogar gegen eine Fürbitte mit Namensnennung der C bekräftigte dies noch einmal auf besondere Rückfrage des Vorsitzenden Beste22. Spätestens an diesem Punkt der Diskussion wurde deutlich, dass an Mitzenheim eine gemeinsame Verlautbarung scheitern würde. Dennoch wurde weiter diskutiert. Fränkel nahm Mitzenheims Argument auf, dass man sich nicht von Emotionen leiten lassen solle. Dabei sei ihm sowohl wichtig, in ˇ SSR nicht zu schweigen, als auch dieser Stunde gegenüber den Kirchen der C

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in den 6 anderen Landeskirchen gut gewesen wäre, man hätte sich an den Beschluß gehalten, wie ich ihn verstanden habe und verstehe.“ ebd. Brief Mitzenheims an die Geschäftsstelle KKL am 23. 12. 1968 (EZA 102/15) und (LKAE, A 800 10/11). So in dem Protokoll der Bischofskonferenz und in der staatlichen Gesprächsnotiz mit Mitzenheim. Vgl. Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 3 (BArch DO 4/439). Und: „Die Interventionen von Mitzenheim verhinderten das Schreiben an den Staatsratsvorsitzenden. […] Auch die unter 2, genannte allgemeine Kanzelabkündigung als bindende Festlegung konnte durch das Verhalten des Landesbischofs verhindert werden.“ Ebd. Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, Entwurf Pabst, 2 (EZA 102/15). Ebenso argumentiert Mitzenheim laut staatlicher Gesprächsnotiz. Vgl. Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 2 (BArch DO 4/439). Ebd. 3. Nach Besier war es Beste, der sich vergeblich um ein gemeinsames Vorgehen der Landeskirchen bemühte. Vgl. Besier, Vision, 25. Doch kam keiner der Vorschläge von ihm und er war als ˇ SSR Vorsitzender eher Moderator. Beste setzte sich für Fürbitten unter Namensnennung der C ein.

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die eigenen Gemeinden nicht allein zu lassen und ihnen durch eine Fürbitte eine Hilfe an die Hand zu geben. Kleemann in Vertretung von Landesbischof Noth sprach die Resolutionen an, durch die viele Menschen unter Druck gesetzt wurden23. Durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen wurde ihm im Nachgang bescheinigt, „besonders demagogisch“ zu sein, da er aufgrund der seit Monaten zu beobachtenden Truppenbewegungen im Raum der Sächsischen Landeskirche die Vermutung äußerte, dass der 21. August bereits beˇ SSR gekommen sei24. schlossene Sache war, bevor ein Hilfegesuch aus der C Beste verwies auf Hrom dkas Brief an Tscherwonenko, Generalsuperintendent Schmitt auf den Aufruf der EKBB. Beide Stellungnahmen gegen den 21. August aus der Nachbarkirche waren den leitenden Geistlichen also bereits bekannt. Sie waren sich zwar unsicher, inwiefern eine Kanzelabkündigung oder ein Wort an den Vorsitzenden des Staatsrates ratsam sei, aber sie alle wollten Fürbittaufrufe. Mitzenheim verdeutlichte nun nochmals, dass er gegen Fürbitten, Kanzelabkündigungen sowie gegen ein Wort an den Vorsitzenden des Staatsrates sei, da alle diese Unternehmungen missverstanden oder missbraucht werden könnten25. Seine Bedenken kulminierten in der Frage: „Soll es zum völligen Bruch zwischen Staat und Kirche kommen?“26 Einen solchen wollte Mitzenheim unter allen Umständen verhindern. Durch Mitzenheims Veto entstand eine Pattsituation, die jegliche Beschlussfähigkeit lähmte27. Kleemann schlug daher als Ausweg vor: „In dieser heutigen Besprechung sollten keine Beschlüsse gefaßt werden. Jeder Beteiligte sollte zuhause seinem Bischof und seiner Kirchenleitung über den Gesprächsgang berichten. Dann sollten etwaige Schritte von den Landeskirchen verantwortet werden.“28 Fränkel versuchte dennoch zu einem gemeinsamen Handeln anzuspornen: „Können wir an den Betriebsresolutionen dieser Tage vorübergehen? Sollte unsere Fürbitte für die Menschen in der CSSR nicht konkret geschehen? Wird nicht unserer Vollmacht durch unser Schweigen Schaden zugefügt? Es gibt nicht nur eine Ge-

23 Zu den Resolutionen vgl. Kapitel 4.8.1.3., 376 – 378. Nach der MfS-Information sprach auch Fränkel das Problem der Resolutionen an. Vgl. Information Außerordentliche Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin vom 24. 8. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/ 4, Nr. 1086). 24 Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 4 (BArch DO 4/ 439). 25 Vgl. Ebd., 3. 26 Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, Entwurf von Pabst, 5 (EZA 102/15). 27 So auch Besier, Anpassung, 684. 28 Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, Entwurf von Pabst, 7 (EZA 102/15).

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fährdung der Kirche von außen, sondern auch von innen. Sollten wir nicht doch an die Regierung schreiben?“29

Doch auf Fränkels Frage, ob man guten Gewissens schweigen könne, entgegnete Mitzenheim, ob man denn, mangelnder Informationen halber, guten Gewissens reden könne30. So wurde letztendlich als einzige gemeinsame Vorgehensweise der Bischöfe ˇ SSR beschlossen, Fürbitten in den Gemeinden anzuregen, in denen die C speziell genannt werden sollte. Nur Mitzenheim widersprach noch einmal selbst einer solchen konkreten Fürbitte31. Dieses Ergebnis könnte als eine Art Minimalkompromiss ohne Mitzenheim bezeichnet werden. Einig waren sich ˇ SSR die leitenden Geistlichen lediglich darin, dass, wenn man wegen der C nicht an die Regierung schreibe, man auch nichts zu Biafra sagen würde32. Weitergehende Entscheidungen wurden an die einzelnen Landeskirchen delegiert und abgesprochen, dass man sich gegenseitig informieren wolle. Mitzenheim hatte im Gegensatz zu den anderen verstanden, dass nur die Fürbitten der jeweiligen Auslegung der Landeskirchen unterlägen, nicht aber ˇ SSR überhaupt33. ein wie auch immer gestaltetes Auftreten zum Sachverhalt C Die anderen Landeskirchen hatten die Ergebnisse wie Kleemann dagegen so aufgefasst, dass es zwar zu keiner gemeinsamen Erklärung gekommen war, aber jede Landeskirche einzeln ihr Vorgehen entscheiden und verantworten solle. In den folgenden Monaten versuchten sie, auf unterschiedliche Weise Spielräume zu nutzen oder Konfrontationen zu vermeiden. Mitzenheim bestand aber darauf, sowohl in einem Brief vom 18. Oktober als auch vom 23. Dezember, dass kein Vorgehen geplant gewesen sei34. Nur so konnte er anscheinend sein Gesicht gegenüber dem Staat wahren.

29 Ebd. 30 Vgl. Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 6 (BArch DO 4/439). 31 „Den Bischöfen wird nahegelegt, zur Fürbitte in den Gemeinden anzuregen, und zwar unter konkreter Nennung der Geschehnisse in der CSSR (Landesbischof Mitzenheim widerspricht der Konkretion der Fürbitte)“. Entwurf und Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, 2 bzw. 6 (EZA 102/15). 32 Vgl. Niederschrift über die Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, 2 (EZA 102/15). Genauso wurden im Herbst 1968 Äußerungen zu Vietnam von denen zur ˇ SSR abhängig gemacht. Durch den Biafra-Krieg Ende der 1960er Jahre, in dem Biafra die C Unabhängigkeit von Nigeria zu erkämpfen trachtete, war in Biafra eine humanitäre Katastrophe entstanden. 33 Ebd., 2. Der mehrdeutige Satz, der im Folgenden zur Debatte stand, lautete: „Wir wollen davon absehen, ein Wort an die Regierung und ein Wort an unsere Gemeinden zu richten.“ 34 Brief Mitzenheims an die Geschäftsstelle der KKL vom 18. 10. 1968 und vom 23. 12. 1968 (EZA 102/15).

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1.2. Die weiteren Besprechungen der KKL und der Bischofskonferenz im Herbst 1968 Die weiteren Treffen der KKL und der Bischofskonferenz im Herbst 1968 kreisten um das alles bestimmende Thema der Fragen bezüglich der Strukturkommission und damit auch nach der Gründung des BEK. Das Thema ˇ SSR war dabei beständiger Begleiter. Auch im Fall der Bischofskonferenz C vom 19. September traf sich Mitzenheim direkt, am frühen Abend vor Beginn der Konferenz, mit Seigewasser. Ihm wurden die neuesten Entwicklungen, vor allem die verschärfte kirchenpolitische Situation in Berlin-Brandenburg geschildert. Seinerseits legte Mitzenheim die Tagesordnung der Konferenz dar. Zusätzlich stellte er die Arbeit der Bischofskonferenz in Frage, was er am Beispiel der eigenständigen Handlungsweisen von vier der acht ostdeutschen Landeskirchen verdeutlichte. Denn: „trotz einmütiger Festlegung seitens der Bischöfe, daß keine Kanzelabkündigungen hinsichtlich der Situation in der CSSR erfolgen sollten, hätten immerhin die Hälfte der Landeskirchen sich nicht an diese Übereinkunft gehalten […]“35. Über die CˇSSR wurde vor allem anhand der inzwischen erfolgten Kanzelabkündigung von Berlin-Brandenburg diskutiert36. Schönherr berichtete in der Bischofskonferenz über den Brief, den seine Kirche an die im Ökumenischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen in der Tschechoslowakei geschrieben habe und der von den Kanzeln verlesen worden sei. Außerdem beschrieb er die Probleme, die es wegen dieses Briefes zwischen seiner Kirche und dem Staat gebe. Schönherr fragte in diesem Zusammenhang, ob er nicht aus der Strukturkommission zur Vorbereitung des Bundes herausgenommen werden könne, was die anderen Bischöfe jedoch zurückwiesen. Krummacher fragte an, ob es denn nicht möglich gewesen sei, diesen Brief Berlin-Brandenburgs mit den anderen Kirchenleitungen abzustimmen. Mitzenheim erinnerte an die oben genannte Übereinkunft, nichts zu tun. Der Kirchenpräsident Anhalts, Müller, erklärte, dass er dem Inhalt des Briefes zustimmen könne und sich bei gegebener Möglichkeit angeschlossen hätte. Propst Fleischhack, in Vertretung von Bischof Jänicke, berichtete von einer geplanten Kanzelabkündigung in seiner Kirche und Bischof Fränkel schlug vor, dass darin die Solidarität mit Berlin-Brandenburg ausgedrückt werden solle37. 35 Kurzbericht über eine Aussprache mit Mitzenheim am 19. 9. 1968 von 17.00 Uhr bis 18.15 Uhr vom 20. 9. 1968, 1 f. (BArch DO 4/2975). 36 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 19. 9. 1968 in Berlin, 3 f. (EZA 102/15). 37 Laut einer Aktennotiz über ein Gespräch zwischen Stolpe und Quast vom selbigen Tag sollte durch Görlitz und Magdeburg der Antrag eingebracht werden, den Brief der Berlin-Brandenburgischen Kirche auch in den anderen Kirchen von den Kanzeln zu verlesen: „Ein Antrag aus Görlitz und Magdeburg, eine Solidaritätsaktion mit der Berlin-Brandenburgischen Kirche durchzuführen. Danach sollen alle anderen Kirchen aufgefordert werden, den Brief an den

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Schönherr jedoch bat die anderen leitenden Geistlichen, von besonderen Aktionen abzusehen und nur die Gelegenheit zu Gesprächen zu nutzen38. Hier wird deutlich, unter welchem staatlichen Druck Schönherr in diesen Wochen stand. Noth zeigte sich einverstanden, bat aber darum, die Frage einer etwaigen Solidarisierung mit Berlin-Brandenburg für den Fall einer zu großen Bedrängnis seitens des Staates nicht ad acta zu legen. Auch im Dezember wirkten die Ereignisse um die Tschechoslowakei noch spürbar nach. Inzwischen waren Ermittlungsverfahren angestrengt, Verhaftungen durchgeführt und auch schon Urteile gesprochen worden. Die Landeskirchen waren durch diese Verhaftungen beunruhigt. Auch waren Theologiestudierende inhaftiert worden, die gegen die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig oder gegen die neue Verfassung protestiert hatten. Zur Bischofskonferenz vom 9. Dezember waren alle leitenden Geistlichen der evangelischen Landeskirchen anwesend. Inzwischen gab es auch erste Ergebnisse der Strukturkommission. Zudem hatte sich die VELKDDR auf der Freiberger Synode konstituiert und war damit der staatlichen Forderung nach Trennung von der gesamtdeutschen lutherischen Organisation der VELKD nachgekommen. Für dieses nicht abgesprochene Vorgehen wurden die Lutheraner kritisiert39. Der erste Tagesordnungspunkt beschäftigte sich wieder ˇ SSR40. Allerdings ging es nun um die erwähnten mit den Ereignissen in der C Verhaftungen. Die leitenden Geistlichen berichteten jeweils von den ihnen bekannten Fällen in ihren Kirchen. Bischof Fränkel legte den Entwurf eines Schreibens an den Vorsitzenden des Staatsrates vor, der durch die EKU angeregt und im Vorfeld mit Beste besprochen worden war41. Kirchenpräsident Müller und Bischof Krummacher brachten den Vorschlag einer allgemeinen Bitte um Gnadenerlass oder das Eintreten durch die jeweilige Gliedkirche im Einzelfall ein. Bischof Beste regte eine Eingabe unter Verwertung der dargestellten Verhaftungsfälle an. Wieder war Mitzenheim gegen jede Stellungnahme und argumentierte erneut, dass eine kirchliche Äußerung missbraucht werden könne. Diesmal pflichtete ihm Schönherr bei und gab zu bedenken, dass „es bei dem Selbstverständnis dieses Staates als politische Kampfansage

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Ökumenischen Rat der Kirchen in der CSSR ebenfalls als Kanzelabkündigung zu verlesen. Nach Stolpes Meinung hat dieser Antrag aber keine Aussicht, da nicht nur Mitzenheim, sondern auch Schönherr selbst einem solchen Versuch widersprechen wird.“ (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 74.) Vgl. Besier, Vision, 26. Die KPS solidarisierte sich dennoch in einem Schreiben. Vgl. Kapitel 4.7.1., 328 – 329. Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Bischöfe in der DDR am 9. 12. 1968 in Berlin vom 10. 12. 1968, 3 (EZA 102/15) und Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR am 10. 12. 1968 in Berlin, 2 (EZA 102/13). Zur VELKD vgl. Kapitel 1.5., Anmerkung 212 dieser Arbeit. Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Bischöfe in der DDR am 9. 12. 1968 in Berlin vom 10. 12. 1968, 1 (EZA 102/15). Vgl. Kapitel 4.4.1.4., 284 – 286.

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mißverstanden würde.“42 Er wolle sich aber für die Betroffenen persönlich einsetzen43. Im Ergebnis waren sich zwar alle einig, etwas für die Inhaftierten tun zu wollen, doch konnten sie sich nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen: „Eine gemeinsame sofortige Eingabe ist nicht möglich, auch eine allgemeine Bitte um Begnadigung wird nicht für angemessen gehalten.“44 Als Minimallösung wollten alle das Gespräch mit den verantwortlichen Funktionären suchen. Fränkel und Krusche behielten sich eine eigene schriftliche Eingabe vor. Das MfS berichtete in einer Information über diese Diskussion etwas anders. Fränkel habe den Entwurf vorgelegt und dazu bemerkt: „Ich kann das Gerede von der politisch-moralischen Einheit nicht mehr hören. Auf uns kommt eine neue Welle des Kirchenkampfes zu […]“45. Mitzenheim, Schönherr und Beste lehnten ab, daraufhin habe es keine Diskussion mehr gegeben. Fränkel aber habe auf seinem Standpunkt beharrt und den Brief als persönliche Eingabe abgesandt46. Mitzenheim berichtete diesmal zwei Tage später einem Vertreter des Staatssekretariats für Kirchenfragen von diesem Treffen und vor allem von der Initiative Fränkels. Diese habe sich aber aufgrund seines Vetos und durch das reservierte Verhalten weiterer Geistlicher nicht durchsetzen können47.

42 Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Bischöfe in der DDR am 9. 12. 1968 in Berlin vom 10. 12. 1968, 2 (EZA 102/15). 43 Schönherr war zu diesem Zeitpunkt noch immer unter enormem Druck seitens des Staates. Vgl. Hintergrundgespräch mit Schönherr vom 8. 8. 2005. Wie sich dieser Druck genau äußerte, vgl. Kaptitel 4.3.1. 44 Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Bischöfe in der DDR am 9. 12. 1968 in Berlin vom 10. 12. 1968, 2 (EZA 102/15). 45 Die Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR am 9. 12. 1968 und über die Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen der DDR am 10. 12. 1968 in Berlin, 5 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1624). 46 Legt man das kirchliche Protokoll und die Berichte des MfS nebeneinander, fallen die Unterschiede noch deutlicher ins Auge. Zwar stimmen die ersten Tagesordnungspunkte überein, doch steht von dem, was im KKL-Protokoll unter 1. behandelt wird, nichts im Bericht des MfS und umgekehrt nichts von dem, was im MfS-Bericht unter 1. verhandelt wurde im KKL-Protokoll. In der Strukturdebatte, dem nächsten Punkt, interessierte sich das MfS vor allem für die Trennung von der EKD und was dazu gesagt worden sei, während davon im KKL-Protokoll wiederum nicht die Rede ist. Zu den restlichen fünf Tagesordnungspunkten meinte das MfS lediglich, dass es „nur theologische Bemerkungen“ gegeben habe. Damit waren diese abschließend behandelt und nur noch die Frage zu klären, wer aus Westdeutschland anwesend war. Beide Quellen legten völlig unterschiedliche Schwerpunkte und sind außer an Datum, Abfolge der Tagesordnungspunkte und anwesender Personen kaum als gleiche Ereignisse zu erkennen. Es ist ein typisches Beispiel dafür, welch divergierende Schwerpunkte gesetzt wurden. 47 Vgl. Vermerk über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und OKR Lotz am 11. 12. 1968 vom 12. 12. 1968, 1 (BArch DO 4/2975).

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1.3. Die allgemeine Einschätzung der Landeskirchen durch staatliche Stellen Die Wochen und Monate nach dem 21. August zeigten, dass Mitzenheim zwar von staatlicher Seite als Gesprächspartner gesehen wurde, seine Aussagen jedoch keine für die anderen Landeskirchen und erst recht nicht für die Pfarrer und Gemeinden geltenden waren. Letztere reagierten verschieden und spontan48. Die erste Probe, wie sich ,die Kirche‘ im breiteren Raum nach dem Scheitern eines gemeinsamen landeskirchenübergreifenden Vorgehens zum 21. August stellen würde, waren die Gottesdienste am 25. August 1968, die nach Möglichkeit ,abgesichert‘ wurden. Das MfS registrierte, „daß in allen Bezirken der DDR in den Gottesdiensten am 25. August in unterschiedlicher ˇ SSR eingegangen wurde. Form, offen oder verdeckt auf die Situation in der C Schwerpunkte bildeten dabei die Landeskirchen von Berlin-Brandenburg und von Sachsen.“49 Dies blieb auch an den folgenden Sonntagen so50. Die einzelnen Landeskirchenleitungen entschieden sich in den Wochen nach dem 21. August zu unterschiedlichen Handlungsstrategien. Vier der acht Landeskirchen meldeten sich auf unterschiedliche Weise zu Wort und der Staat verstand dies als Angriff und Eingriff in seinen eigenen Machtbereich. Die anderen vier schwiegen auf verschiedene Weise51. Diese Vielstimmigkeit bzw. Vielschweigsamkeit setzte sich auch in den mittleren Kirchenstrukturen und bis in die einzelnen Gemeinden hin fort. Der Staat sah darin gute Angriffsmöglichkeiten, durch weitergehende Ungleichbehandlung und Differenzierung einen Keil zwischen die Kirchen zu treiben52. Seigewasser nannte auf einer politischen Information vom 29. August gegenüber seinen Mitarbeitern als vordringlichsten Punkt: „der diffamierende Vorwurf“ einer Gleichsetzung mit 1938 „ist entschieden zurückzuweisen.“53 48 Vgl. Vorschlag für eine Konzeption der staatlichen und gesellschaftlichen Organe der DDR zur Zurückdrängung der Angriffe reaktionärer Geistlicher und kirchlicher Zentren gegen die Sicherheitsmaßnahmen der sozialistischen Länder in der CSSR vom 25. 9. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 835). 49 Information 921/68 vom 27. 8. 1968, die Haltung in evangelischen Kirchenkreisen der DDR zu den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 3 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1550). 50 „Viele Geistliche haben in den Gottesdiensten mündlich zu den Ereignissen in der CSSR Stellung genommen.“ Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlußfolgerungen vom 12. 9. 1968, 4 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). 51 In Thüringen, Anhalt, Mecklenburg und Greifswald „ist es zu keinen organisierten Aktionen gegen die Maßnahmen vom 21. August gekommen.“ Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 67). 52 Vgl. Vorschlag für eine Konzeption der staatlichen und gesellschaftlichen Organe der DDR zur Zurückdrängung der Angriffe reaktionärer Geistlicher und kirchlicher Zentren gegen die Sicherheitsmaßnahmen der sozialistischen Länder in der CSSR vom 25. 9. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 835). Zu diesem Fazit kommt auch Lepp. Vgl. Lepp, Tabu?, 837. 53 Vermerk über den Inhalt einer politischen Information des Staatssekretärs an die politischen Mitarbeiter am 29. 8. 1968, 2 f. (BArch DO 4/423).

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Daher müsse in den Bezirken durchgesetzt werden, „daß ab sofort und über eine längere Periode individuelle Gespräche mit allen Geistlichen und kirchlichen Amtsträgern geführt werden.“54 Eine namentliche Liste mit Geistlichen, die bereit seien, sich öffentlich zum 21. August zu äußern, sei zusammenzustellen, die politische Arbeit mit den Geistlichen sei „in strenge Kontrolle“ zu nehmen55. In gleicher Richtung erfolgte am 30. August 1968 eine operative Anleitung für alle Bezirke, um die tatsächliche Situation abzuschätzen, ,progressive‘ Kräfte zu unterstützen und letztere zur Stellungnahme zu befähigen. Dazu sollte in unzähligen Aussprachen mit den Geistlichen das Warum des Eingreifens immer wieder erklärt werden. Es zeigte sich allerdings, dass alles Erklären nichts nützte56. Dennoch blieb das staatliche Ziel bestehen: „Die Geistlichen müssen sich zu dieser Entwicklung positiv erklären.“57 Am 4. und 5. September verschärfte sich die Situation nochmals aufgrund der bevorstehenden Kanzelabkündigung von Berlin-Brandenburg58. Ziel war nun, es unmöglich zu machen, dass Kanzelabkündigung, Fürbitten oder Briefe von Bischöfen oder Kirchenleitungen von den Geistlichen verbreitet werden konnten. Die Bezirke sollten im Fall von Vermutungen von „gegen uns gerichteten Erklärungen oder Fürbitten“ sofort Bericht erstatten, um „sofort mit den Superintendenten und Geistlichen entsprechende Gespräche zu führen.“59 Mit Schönherr wurde am 7. September ein Grundsatzgespräch geführt, in dem er aufgefordert wurde „seinen Brief sofort zurückzuziehen“, die Gottesdienste wurden weiterhin überwacht60. In einer Information der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED Mitte September wurde allgemein für die evangelischen Amtsträger in der DDR diagnostiziert: „Die Mehrzahl der Geistlichen folgt der Linie der reaktionären EKD-Politik und tritt gegen die Hilfsaktionen der fünf Bruderländer in Gottesdiensten und kirchlichen Veranstaltungen auf.“ Ein weiterer Teil der 54 Ebd., 3. 55 Ebd. 56 „Teile der Geistlichen verstehen unsere Politik in der CSSR-Frage nicht.“ Ebd., 2. Handschriftlich wurde vor den Satz das Wort „Große“ ergänzt. Alle Beschönigungsversuche nützten wenig. 57 Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 9 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 8 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 58 „Die Verstöße der Bischöfe gegen unsere Politik waren mit unterschiedlicher Aggressivität und Konsequenz vorbereitet; am stärksten und eindeutigsten jedoch im Bereich der Kirche BerlinBrandenburg.“ Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 2 (SAPMO-BArch DY 30/ IV A2/14/22). 59 Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 9 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 8 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 60 Vgl. ebd., 9. Weiteres vgl. das Kapitel 4.3.1.3., 234 – 236.

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Geistlichen weiche jedweder politischen Stellungnahme bewusst aus, was auf den „Standpunkt eines abstrakten Pazifismus der Gewaltlosigkeit“ zurückgeführt werde. Hinzu kämen die ,Reaktionären‘: „Die reaktionären Kräfte sahen in der Entwicklung der CSSR ein Modell für ihren eigenen Kampf gegen den Sozialismus und identifizierten sich sogar mit der Konterrevolution.“ Dagegen sei „nur ein ganz kleiner Teil“ der ,Progressiven‘ von Anfang an im Sinne des Staates aufgetreten. Weiterhin wurden als Vorgehensweise seitens der Bezirke „die systematische Durchführung von Einzelgesprächen mit Geistlichen, die Unterstützung und Stärkung der progressiven Kräfte, die Organisation von Stellungnahmen dieser Geistlichen, die Verhinderung von gegen unsere Politik gerichteten Erklärungen und ein schnelles umfassendes Informationssystem“ angemahnt61. Weitergehende Überlegungen, wie den Kirchen beizukommen sei, setzten auf die typische Differenzierung und damit Ungleichbehandlung zwischen genehmen und weniger genehmen kirchlichen Verantwortungsträgern. Da Mitzenheims Abwehr jeglicher gemeinsamer Aktion auf der Bischofskonferenz als Erfolg der Differenzierungspolitik gewertet wurde, sollte wiederum bei Mitzenheim angesetzt werden. Bei ihm hoffte man zu erreichen, dass er sich öffentlich im Namen seiner Landeskirche im staatlichen Sinne zum 21. August positionieren würde62. Beste, als Vorsitzender der Bischofskonferenz, sollte unter Druck gesetzt werden, sich mit seiner Kirchenleitung bei Bischof Schönherr über dessen Brief zu beschweren63. Weiterhin setzte der Staat auf die bisher immer Zuverlässigen, wie WAK und RA der CFK in der DDR. Neben eigenen öffentlichen Stellungnahmen sollte sich ersterer von Schönherr als Mitglied distanzieren und letzterer verstärkt Druck auf den Prager Stab der CFK ausüben und sein Verhalten verurteilen64. Die Einla61 Vgl. Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 9 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 5 – 8 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 62 „Die Beeinflussung der evangelisch-lutherischen Landeskirche Thüringen muß so erfolgen, daß sich Bischof Mitzenheim im Namen seiner Landeskirche öffentlich äußert, nicht Befehlsempfänger westdeutscher oder ausländischer Kirchen zu sein und sich seine Meinung zu internationalen Fragen nicht durch Bischof Scharf vorschreiben läßt. Des Weiteren müßte Bischof Mitzenheim so beeinflußt werden, seine eigene positive Haltung darzulegen.“ Vorschlag für eine Konzeption der staatlichen und gesellschaftlichen Organe der DDR zur Zurückdrängung der Angriffe reaktionärer Geistlicher und kirchlicher Zentren gegen die Sicherheitsmaßnahmen der sozialistischen Länder in der CSSR vom 25. 9. 1968, 3 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 835). 63 Vgl. ebd., 4. Dieser Druck wurde bereits am 19. September bei einem Gespräch ausgeübt. Vgl. Entwurf. Kurzbericht über die Aussprache mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz Niklot Beste am 19. 9. 1968, vom 20. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2936). 64 Der WAK solle sich „von der Zusammenarbeit seines Mitgliedes Bischof Schönherr mit dem westberliner Bischof Scharf und von der Haltung Schönherrs als Gefolgsmann der EKD-Führung distanzieren“, dafür ein Dokument verabschieden und an die Öffentlichkeit bringen. Der RA der CFK DDR „erarbeitet einen offenen Brief an den Präsidenten der PCF, Prof. Hromadka, Prag und an das Schweizer Regionalkomitee der PCF. Darin werden die Haltung von Hromadka,

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dungen zu den Delegiertenkonferenzen der CDU lehnte die Mehrzahl der Pfarrer ab. Die Pfarrer mit Verbindungen zur CDU sollten durch Artikel in der Neuen Zeit überzeugt und doch zu ,positiven‘ Stellungnahmen gebracht werden65. Bis Sommer 1968 galt Krummacher als Hauptfeind und war unter Beschuss geraten, Schönherr dagegen als ,progressiv‘ gehandelt worden. Durch die Kanzelabkündigung wurde nun Schönherr über Nacht „zur zentralen reaktionären Figur in der DDR […], wie es Bischof Krummacher, Greifswald[,] nach der Synode der evangelischen Kirche in Fürstenwalde 1967 war.“66 Alle staatlichen Stellen sollten von seiner Gefährlichkeit unterrichtet werden und sich gegen ihn wenden. Seine Mitarbeiter wurden in typischer Weise als Faschisten bezeichnet, weiterhin sollte ihm auch widerständiges Verhalten gegen den 21. August, welches sich unabhängig von ihm in Berlin-Brandenburg entwickelt hatte, angelastet werden, wie z. B. die ,Hetzbriefe‘ von Jugendlichen aus Frankfurt/ Oder. Demgegenüber sollte die katholische Kirche, weil sie sich zurückgehalten hatte, in Gesprächen gelobt und bei Bengsch „in der Passierscheinfrage nach Westberlin großzügiger verfahren“ werden67. Ziel und Zweck war, eine weitere Differenzierung innerhalb und zwischen den Kirchen zu erreichen und den „Einfluß der reaktionären Kräfte“ abzuschwächen. Man hoffte, „die positive politisch-ideologische Erziehung würde verstärkt“ und dadurch könnten endlich die ersehnten ,positiven‘ Stellungnahmen erreicht werden68. Doch änderte sich nichts. Weder äußerte sich Mitzenheim öffentlich, noch protestierte Beste bei Schönherr oder waren sich die sonst ,positiven‘ Kräfte einig. Weder konnten die Pfarrer politisch in die erwünschte Richtung gedrängt oder die Berlin-Brandenburgische Kirche mit Schönherr dazu bewegt werden, sich von ihrem Brief zu distanzieren. Auch Mitte Oktober hieß es: „Es ist den gegnerischen Kräften zweifellos gelungen, relativ breite Kreise kirchlicher Amtsträger zu verwirren. Darunter befinden sich auch Pfarrer, die in der vergangenen Zeit politische Ereignisse relativ

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dem Generalsekretär der PCF Ondra und dem Regionalkomitee der Schweiz verurteilt, da diese sich praktisch mit den konterrevolutionären Kräften solidarisieren“ und mit Hilfe von „sehr zuverlässigen Kräften“ im RA CFK DDR sollte „verstärkter Druck auf das Internationale Sekretariat“ ausgeübt werden. Vorschlag für eine Konzeption der staatlichen und gesellschaftlichen Organe der DDR zur Zurückdrängung der Angriffe reaktionärer Geistlicher und kirchlicher Zentren gegen die Sicherheitsmaßnahmen der sozialistischen Länder in der CSSR vom 25. 9. 1968, 4 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 835). Vgl. ebd., 5. Ebd. Und: „Über die Gefährlichkeit der gegenwärtigen Haltung Bischof Schönherrs in der CSSRFrage und über seine Rolle als Nachfolger von Bischof Krummacher als Repräsentant der Einheit der ,EKiD‘ muß bei allen staatlichen und gesellschaftlichen Organen in der DDR Klarheit geschaffen werden und dementsprechende Maßnahmen zur Zurückdrängung seines Einflusses eingeleitet werden.“ Ebd, 6. Vgl. ebd., 7. Ebd.

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vernünftig und sachlich einschätzten.“69 Als Ursache wurden nun drei Faktoren benannt: „Viele“ Pfarrer seien gegen militärische Gewalt, „nicht wenige“ seien für einen menschlichen Sozialismus und die CFK mit Hrom dka habe „schädliche Ansichten“ verbreitet. „Ein Großteil der Pfarrer aber lehnt nach wie vor jede Stellungnahme ab.“70 Das bedeutete in erster Linie, dass sich Pfarrer weigerten, Zustimmungserklärungen für die Presse abzugeben. Doch genau solche wollte der Staat. In den Dienstbesprechungen bei Seigewasser wurde die Haltung der Kirchen rege diskutiert. Seigewasser erklärte in der Dienstbesprechung vom 11. September, „daß einige Kirchenleitungen unter dem Eindruck der Hilfsmaßnahmen vom 21.8.68 für die CSSR eine negative Haltung einnahmen und in bisher nicht dagewesenem Maße gegen unseren Staat aktiv werden. Offensichtlich wollen diese Kirchenleitungen die Gelegenheit nutzen[,] das Wächteramt gegenüber dem Staate herauszustellen.“71

Sie hätten das Ziel, ihren Einfluss zu verbreitern. „Die konterrevolutionären Umtriebe in der CSSR und die Gegenmaßnahmen der beteiligten sozialistischen Länder sind einigen Kirchenleitungen willkommener Anlaß für eine Stimmungsmache gegen unseren Staat.“72 Außerdem wurde herausgestellt, „daß die Situation in den Kirchen und unter den Geistlichen zu keinerlei übertriebenen [sic!] Optimismus Veranlassung gebe. […] Immerhin seien mindestens 4 Landeskirchen-Leitungen in der DDR auf die Position der Konterrevolution in der CSSR gegangen.“73 Und auch im Oktober betonte Seigewasser in einer Dienstbesprechung, dass die Kirchen unter Hinweis darauf, zu „Lebensfragen der Nation Stellung nehmen zu können“, wie es in der alten Verfassung noch theoretisch zugesichert war, „anläßlich der notwendigen Stationierung von Truppen der sozialistischen Bruderländer in der CSSR, bis zur strafrechtlich relevanten Handlung der staatsfeindlichen Hetze vorgestoßen [sind].“74 Das MfS dagegen wertete im November 1968 seine Tätigkeit in Bezug auf die Kirchen als vollen Erfolg:

69 Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 69). 70 Ebd. 71 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 9. 1968, und am 17. 9. 1968 vom 11. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/400). Zum Begriff Wächteramt vgl. Kapitel 5.3.1., 464 – 467 dieser Arbeit. 72 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 9. 1968, und am 17. 9. 1968 vom 11. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/400). 73 Ebd., 5. 74 Vorlage zur Dienstbesprechung. Zum Problem der möglichen Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche (Artikel 39, Abs. 2 der Verfassung) vom 23. 10. 1968, 7 f. (BArch DO 4/647).

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„Jedoch lediglich in 3 Landeskirchen (Sachsen – Dresden; Berlin-Brandenburg und Kirchenprovinz Sachsen – Magdeburg) wurden von den Kirchenleitungen Erklärungen zu den CSSR-Ereignissen verfaßt. Durch den Einsatz operativer Mittel konnten jedoch Pläne und Absichten reaktionärer Kräfte rechtzeitig in Erfahrung gebracht und durch Einleitung staatlicher Maßnahmen verhindert werden.“75

Das MfS schlug weitergehende Maßnahmen gegen die Kirchen vor. Dazu gehörte auch die „Zersetzung einzelner negativer Kirchenführer, kirchlicher Institutionen, Einrichtungen und Organisationen. […] Zersetzungs- und Differenzierungsmaßnahmen sind dabei besonders gegen die Bischöfe der Landeskirche Berlin-Brandenburg, Dresden und der Konsistorialbezirke Greifswald und Görlitz, in Absprache mit der HA XX, zu organisieren und durchzuführen.“76

Aufgrund seiner Rede in Fürstenwalde gehörte Krummacher noch zu den Zielpersonen, während die Kirchenprovinz Sachsen mit dem neuen Bischof Krusche noch nicht aufgezählt wird. In den folgenden Jahren verschob sich der Fokus von Krummacher weg, hin zu Krusche. Weil die Landeskirchen so disparat reagierten, ist es nötig, sie einzeln zu betrachten.

2. Die Evangelische Landeskirche Anhalts Die anhaltische Landeskirche war mit reichlich einer viertel Million Kirchenmitgliedern, für die ca. 120 Pfarrer zuständig waren, zahlenmäßig die zweitkleinste der acht ostdeutschen Landeskirchen77. Sie gehörte zu den unierten Kirchen, war zwar nicht Bestandteil der altpreußischen Union gewesen, trat aber 1960 der EKU bei. Ihre Gestalt erhielt sie bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während des II. Weltkrieges war ihre Leitung in der Hand der Deutschen Christen. Zu den führenden Personen im Landesbruderrat der Bekennenden Kirche gehörte in Anhalt Martin Müller, der dann 75 Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 5 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). 76 Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 9 – 11 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). 77 Vgl. KJ 97 (1970), 342. Im Fall der Anhaltischen Landeskirche sind leider so gut wie keine kirchlichen Quellen für den Untersuchungszeitraum erhalten. So fehlt das Protokollbuch des Landeskirchenrates der 1960er und Anfang der 1970er Jahre. Akten zum Staats-Kirchen-Verˇ SSR sind, anders als in den anderen landeskirchlichen Archiven, nicht hältnis in Bezug auf die C vorhanden. Die Synodenakten geben keinen weiteren Aufschluss als aus den staatlichen ersichtlich. Vgl. Email des Landesarchivars des Landeskirchlichen Archivs der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Günter Preckel, an die Verfasserin vom 6. 2. 2012.

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von 1961 bis 1970 Kirchenpräsident war78. Nach 1945 wurde die DC-Kirchenleitung aufgelöst und durch eine bruderrätliche ersetzt. Die Landeskirchenleitung bestand aus dem Landeskirchenrat, der sich aus dem Kirchenpräsidenten und drei Oberkirchenräten zusammensetzte. Politisch war die Landeskirche Anhalts den Räten der Bezirke Halle und Magdeburg zugeordnet. In den 1960er Jahren entwickelten sich ökumenische Kontakte zur EKBB und später auch zur Hussitischen Kirche79. Als 1970 ein neuer Kirchenpräsident zu wählen war, kam unter anderem auch Gottfried Forck, damals Predigerseminarleiter in Brandenburg, in Frage. Staatlicherseits war dieser Kandidat nicht genehm. In einer stichpunktartigen einseitigen Zusammenstellung wurden seine ,Vergehen‘ aufgeführt. Dazu gehörten neben Hetze gegen die DDR, Unterstützung der Konterrevolution in Ungarn und Freundschaft mit Scharf auch: „war 1968 in der CSSR“80. Zudem habe er sich über die Friedenspolitik der UdSSR ,diffamierend‘ geäußert, weil ˇ SSR deren Verlautbarungen „im strikten Widerspruch“ zur Praxis, wie in der C 81 oder im Nahen Osten etc. stünden . Nachfolger von Müller wurde Eberhard Natho. Forck wurde 1981 Nachfolger von Albrecht Schönherr im Bischofsamt in Berlin-Brandenburg. Aus staatlicher Perspektive galt Anhalt als loyale Landeskirche, in der eine ,positive‘ Grundhaltung vorherrsche, nur werde „nicht immer die Aufgabe und die Stellung der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft richtig verstanden.“82 Seigewasser nannte als ein Ziel 1968, die anhaltische Kirche näher auf den ,Thüringer Weg‘ hin zu orientieren83. 2.1. Die Kirchenleitung Kirchenpräsident Martin Müller wurde vom Staat für ,progressiv‘ gehalten, obwohl dieser durchaus deutliche Worte vor allem für einen Zusammenhalt 78 Vgl. Schrçter, Martin Müller. 79 Im Frühjahr 1968 waren zwei Geistliche zu Besuch in Prag. Es gab auch Kontakte zu einem der Pfarrer, denen in den 1970ern die Lizenz entzogen wurde. Vgl. Email von Radeloff an die Verfasserin vom 11. 7. 2012. 80 Information vom 15. 10. 1970 zur Anhaltinischen Kirche, einseitiger Anhang Dr. For[c]k (BArch DO 4/2957). 81 Vgl. Anruf RdB Potsdam, 20. 10. 1970, 4 (BArch DO 4/2957). 82 Plan zur Fortführung der Arbeit mit der Landeskirche Anhalt, 20. 10. 1972, 2 (BArch DO4/794). Die CDU sah dies ähnlich. Schon 1966 vermerkte man in einem Bericht: „Die relativ große Aufgeschlossenheit dieser Kirche eröffnet für die Einflußnahme unserer Partei Möglichkeiten, die bisher noch nicht voll genutzt werden.“ Bericht „Die politisch-ideologische Arbeit der CDU auf kirchenpolitischem Gebiet im Jahre 1966“ Zur Haltung und zu den Ergebnissen unserer Arbeit in den einzelnen Kirchen, Religionsgemeinschaften und Gruppierungen, Anlage 2, 2 f. (ACDP 07-013-3994). 83 Vgl. Lektion: Grundsätzliche Probleme der Staatspolitik in Kirchenfragen, 36 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/10). Dieser Teil ist nicht mit abgedruckt bei: Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 56 – 62.

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der EKD finden konnte84. So hatte er sich in einem Brief vom März 1967 Götting gegenüber, als Reflex auf dessen Schlusswort gegen die EKD auf einer Theologentagung in Jena im Februar 1967, noch vor der Fürstenwalder EKDSynode für die Einheit der EKD stark gemacht und eine Trennung als „Wunschbild“ der CDU bezeichnet85. Im Februar 1968 betonte Müller auf der EKU-Synode, dass in der evangelischen Kirche „dringendes Interesse“ an einer Diskussion zur Verfassung bestünde, da man die Hoffnung auf eine Übernahme der Bestimmungen aus der Verfassung von 1949 gehabt habe, und dass der vorgeschlagene Artikel 38 „viele Fragen völlig offen läßt, die durch die bisherige Verfassung geregelt waren“ und auch die „öffentlich rechtliche Stellung“ offen bliebe86. Auf derselben Synode wurde ein Brief Müllers an Seigewasser verlesen, der zum Anlass für ein Gespräch genommen wurde, in welchem Müller von Seigewasser Konsequenzen, wie z. B. Hausverbot, angedroht wurden87. Im Zuge der Kanzelabkündigung in Berlin-Brandenburg sprachen Anfang September die jeweils zuständigen Räte der Bezirke mit den anderen leitenden Geistlichen, um ähnliche Aktionen zu verhindern. Auch mit Kirchenpräsident Müller fand am 5. September in Dessau ein solches Gespräch statt. Er meinte dabei für seine Landeskirche, dass „so etwas nicht infrage komme.“88 Außerdem wurde nach Berlin gemeldet, dass in der Anhaltischen Kirche insgesamt bisher nichts Auffälliges vorgefallen sei. Die Kirchenleitung versuchte sich auch hier für die ihnen bekannten Fälle von Verhaftungen gegenüber staatlichen Stellen einzusetzen, die jedoch im Gegensatz zu Fällen in anderen

84 Die CDU bezeichnete ein Gespräch von Anfang 1969 als „außerordentlich positiv.“ Aktenvermerk vom 24. 1. 1969 (ACDP 07-013-2164). Zum Einsatz für die EKD vgl. Kirchengeschichtliche Kammer der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Martin Müller, 34, 41. 85 Vgl. Lepp, Tabu?, 685 f. Brief Müllers an Götting vom 4. 3. 1967 (Henkys, Bund der Evangelischen Kirche, 94 f.). 86 Vgl. Bericht des stellvertretenden Ratsvorsitzenden Kirchenpräsident Müller auf der Synode der Evangelischen Kirche der Union am 10. 2. 1968, 15 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/23); vgl. auch Winter, EKU, 176 f. 87 Vgl. Aktenvermerk vom 11. 3. 1968. Aussprache mit Unionsfreund Flint am 8. 3. 1968 (ACDP 07-013-3062). Müller hatte die Androhung strafrechtlicher Konsequenzen herausgehört. Vgl. Aktenvermerk über ein Gespräch des Staatssekretärs mit dem Kirchenpräsidenten Müller, Dessau am 23. 2. 1968, vom 7. 3. 1968 (BArch DO 4/2957). 88 Aktennotiz. Haltung der Anhaltinischen Kirchenleitung zur CSSR, vom 6. 9. 1968 (BArch DO 4/ 2957). Ähnlich: „Kirchenpräsident Müller, Dessau, erklärte, daß für die Anhaltinische Kirche derartige Dinge (Kanzelabkündigungen und Fürbitten) nicht infrage kämen.“ Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Auch die CDU charakterisierte Müllers Haltung als „ganz eindeutig.“ Aktenvermerk vom 6. 9. 1968. Kirchenpolitische Situation im Zusammenhang mit dem 21. 8., 2 (ACDP 07-010-3252).

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Landeskirchen vor Weihnachten wieder frei kamen89. In weiteren Gesprächen ˇ SSR dann kaum eine Rolle. zwischen Staat und Kirche spielte die C

2.2. Die Synode Die anhaltische Synode tagte zweimal im Jahr. 1968 befand sie sich in ihrer 7. Wahlperiode 1964 bis 1970. Präses war Gerhard Rudolf Kootz, der vom Staat als ,progressiv‘ eingestuft wurde90. Im Frühjahr 1968 richtete die anhaltische Synode zur Verfassungsfrage eine eigene Eingabe an die Verfassungskommission,91 entgegen den Äußerungen von Präses Kootz in Gesprächen mit staatlichen Stellen, aus denen letztere geschlossen hatten, dass es in Anhalt keine Bedenken zum Artikel 38 gebe92. Auf der Herbstsynode 1968 ging es vor allem um die Strukturfragen in Blick auf die Zukunft der EKD. Der staatliche Bericht hob hervor, dass „ein nicht unwesentlicher Teil der Synodalen sich progressiv in der Synode verhalten haben und es zu keinen politischen Provokationen kam.“93 Kirchenpräsident Müller ging in seinem Bericht auf die besondere Glaubensverbundenheit der evangelischen Kirchen in Deutschland ein und warnte vor landeskirchlichem Partikularismus94. Daneben sprach er weitere politische Probleme an. So hob er auf die Artikel 20 und 39 der neuen Verfassung ab und auf die Zusicherung Ulbrichts, dass sich die Möglichkeiten der Kirche nicht verschlechtern würˇ SSR kam Müller im Zusammenhang mit der den. Auf die Situation in der C Vollversammlung des ÖRK in Uppsala zu sprechen. Müller betonte, dass der ÖRK immer wieder an die Regierungen in der Welt appelliere, auf Gewalt zu verzichten. Als Beispiele nannte er Vietnam, den Nahen Osten und Nigeria ˇ SSR. Der ÖRK habe „auch zu der uns alle tief und schließlich auch die C bewegenden Krise in der CSSR seine Stimme erhoben“, wogegen Mitgliedskirchen aus der UdSSR widersprochen hätten. Müller stellte seine Landeskirche in eine Reihe mit dem ÖRK, wenn er sagte:

89 Vgl. Auszug aus der Niederschrift über die Erweiterte Referentenbesprechung am 8. 1. 1969 in Berlin (EZA 102/292). 90 Information zu Veränderungen in evangelischen Kirchenleitungen in der DDR im Jahre 1970, 3 (BArch DO 4/1437). 91 Evangelische Frühjahrssynoden 1968, 9 (ACDP 07-010-3252). Bereits 1967 äußerte die Synode ihre Besorgnis in Bezug auf die Verfassung. Vgl. Einschätzung der Herbstsynode der Evangelischen Landeskirche Anhalts vom Rat der Stadt Dessau vom 20. 11. 1967, 4 (BArch DO 4/2958). 92 Vgl. Information über Diskussion zur Verfassung, 8. 2. 1968, 1 (BArch DO 4/2957). 93 Einschätzung der Herbstsynode der Evangelischen Landeskirche Anhalts vom 19. 11. 1968, 1 (BArch DO 4/2958). Kootz hatte in geschlossener Sitzung einen Antrag gestellt, die Mitarbeit in der EKD zu beenden, stand damit jedoch allein. Vgl. Lepp, Tabu?, 843. 94 Vgl. Ebd; vgl. auch Tätigkeitsbericht des Landeskirchenrates zur Synode der Landeskirche Anhalts, vom 15. 11. 1968, 20 (BArch DO 4/2958).

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„Wir haben unsererseits den Gemeinden empfohlen, auch der Völker und Kirchen in der CSSR fürbittend zu gedenken, damit sie in ihrer gespannten Lage den rechten Weg zur Gestaltung ihres Lebens in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit finden. Es kann kein Zweifel sein, daß der Weg des gewaltlosen Widerstandes, wie ihn Dr. Martin Luther King, der in Uppsala für die Eröffnungspredigt vorgesehen war, im gerechten Kampf für die Menschenrechte seiner schwarzen Brüder so überzeugend gegangen ist und auf dem er sein Leben zum Opfer bringen mußte, nicht nur in der Christenheit, sondern in der gesamten Menschheit immer mehr an Sympathie gewinnt.“95

Müller griff hier nicht nur einfach die Notwendigkeit der Fürbitte auf. Indem ˇ SSR mit dem im Frühjahr ermordeten er die Fürbitte für die Menschen in der C Martin Luther King verband, parallelisierte er beide Ereignisse. So würdigte er den gewaltlosen Widerstand im Nachbarland öffentlich vor der Synode, ohne ihn als solchen direkt zu benennen. Es ist die einzige Stelle, an der Müller so explizit und öffentlich zeigte, dass seine Meinung zu dem militärischen Vorgehen im Nachbarland kritisch war. Die nächste Synode im Frühjahr 1969 stand dann ganz im Zeichen der bevorstehenden Bundesgründung. Man glaubte staatlicherseits zeitweise sogar, hier eine reelle Chance zu bekommen, die Ordnung zu kippen96. Doch zeigte sich in Gesprächen, die mit den Synodalen geführt worden waren, dass außer Kootz niemand bereit war, im staatlichen Sinne zu sprechen97. Im Endeffekt stimmten 31 Synodale für die Ordnung, zwei dagegen und einer ˇ SSR spielte keine Rolle mehr. enthielt sich der Stimme. Die Situation in der C

95 Die Zitate zum Tätigkeitsbericht, vgl. Tätigkeitsbericht des Landeskirchenrates zur Synode der Landeskirche Anhalts, vom 15. 11. 1968, 21 (BArch DO 4/2958); vgl. auch Einschätzung der Herbstsynode der Evangelischen Landeskirche Anhalts vom 19. 11. 1968, 5 (BArch DO 4/2958). Der Abschnitt wurde komplett hier zitiert und der gewaltlose Widerstand nochmals unterstrichen und mit Ausrufezeichen versehen. 96 „Nach bisherigen Einschätzungen der Evangelischen Landeskirche Anhalts bestand die Möglichkeit, daß bei genügender politischer Information der Synodalen eine Ablehnung der ,Ordnung‘ des ,Bundes‘ bzw. eine endgültige Absage an die EKD (EKU) durch die Synode dieser Kirche zu erreichen wäre.“ Bericht zur Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalts (18.–20. 4. 1969) vom 24. 4. 1969, 1 (BArch DO 4/2958). 97 Mit etwa einem Drittel der Synodalen wurde gesprochen. Vgl. Bericht zur Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalts (18.–20. 4. 1969) vom 24. 4. 1969, 1 (BArch DO 4/2958). Zu Kootz vgl. Kurzbericht über eine Aussprache des Stellvertreter Inneres beim Rat der Stadt Dessau am 11. 4. 1969 mit Herrn Kootz, Präses der Synode der Landeskirche Anhalts, 1 (BArch DO 4/2958); vgl. auch Maßnahmeplan zur Durchführung der Synode vom März 1969 (BArch DO 4/2958). Kootz arbeitete seinen Bericht an die Synode in Form einer Entschließung aus, dessen Inhalt die Missverständlichkeit des Artikels 4.4. darstellen sollte.

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Weitere Stimmen / Resümee Allgemein fällt auf, dass der Staat sich kaum die Mühe machte, einzelne Stimmen in Anhalt zu hören. Anscheinend war ihm die Landeskirche zu unbedeutend und er sich ihrer ,positiven‘ Linie sicher. Kirchenleitung und Synode wurden für ,progressiv‘ gehalten. Auch gegenüber den Kirchenkreisen, für die jeweils ein Kreisoberpfarrer zuständig war, stufte man die Zusammenarbeit als ,vertrauensvoll‘ ein98. Nur wurde beklagt, dass jene einem ,Sozialdemokratismus‘ anhingen und es in Anhalt Widerstände gegen die Politik des Landeskirchenrates seitens einiger Pfarrer gebe, die sich in ihrem Verhalten lieber an die Kirchenprovinz Sachsen mit Bischof Krusche zu halten suchten99. Spezifische Einzelstimmen finden sich in den Quellen jedoch nicht. Der Bezirksverband der CDU berichtete, dass mit den Pfarrern gesprochen worden sei. Diese würden die Ereignisse in den Predigten nicht behandeln und im Allgemeinen „eine aufgeschlossene Meinung“ vertreten100. Auch ein Informationsbericht des Kreisverbandes Dessau der CDU teilte Ende Oktober zunächst mit, dass keine ,reaktionären‘ Reaktionen von katholischen oder evangelischen Geistlichen bekannt und nur die Diskussionen ,emotional‘ seien. Erst zum Schluss wird ein anderer Tenor bemerkbar, der vermuten lässt, dass sich die Haltung der anhaltischen Pfarrerschaft nicht von der anderer Landeskirchen unterschied: „Kirchliche Amtsträger sowie Mitglieder des Laienrates und Kirchenvorstandes sprachen von einer Invasion, Bruch der Glaubwürdigkeit, Verletzung der internationalen Rechte, waren nicht legitimiert und Deutsche marschieren wieder.“101 Zu denen, die am 1. Mai in Prag an Dubcˇek und Svoboda vorübergezogen waren, gehörten auch ein Oberkirchenrat und ein Pfarrer der anhaltischen Kirche, die gerade auf ökumenischen Besuch in Prag waren102.

3. Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg Die Landeskirche Berlin-Brandenburg gehörte zu den unierten Kirchen und vor dem II. Weltkrieg zur Altpreußischen Union, die nach dem I. Weltkrieg in Folge der Auflösung des landesherrlichen Kirchenregiments gegründet worden war. Sie war territorial die größte ostdeutsche Landeskirche und ihr Ge98 Vgl. Von der Realität ausgehend, um die Zukunft meistern zu können, Gesprächsnotiz (BArch DO 4/2957). 99 Vgl. Plan zur Fortführung der Arbeit mit der Landeskirche Anhalt, 20. 10. 1972, 1 (BArch DO 4/ 794). 100 Fernschreiben aus Halle vom 4. 9. 1968 (ACDP 07-012-1536). 101 Informationsbericht KV Dessau vom 28. 10. 1968, 5 (ACDP 07-011-263). 102 Vgl. Email von Radeloff an die Verfasserin vom 11. 7. 2012.

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biet überschnitt sich mit den Bezirken Cottbus, Frankfurt / Oder, Potsdam, Schwerin, Neubrandenburg und Berlin. Ihr gehörten nicht ganz zwei Millionen Kirchenglieder an, für die ca. 830 Pfarrer zuständig waren103. Damit stand sie zahlenmäßig an dritter Stelle. Eingeteilt war sie in Kirchenkreise, die vier Sprengeln mit je einem Generalsuperintendenten zugeordnet waren: Berlin II, Eberswalde, Potsdam und Cottbus104. Seit 2004 bildet sie gemeinsam mit der ehemaligen Evangelischen Kirche der Schlesischen Oberlausitz die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, kurz EKBO. Berlin-Brandenburg hatte über die gesamte DDR-Zeit durch die Trennung von Berlin in Ost und West eine Sonderposition, da auch Westberlin zu ihrem Gebiet gehörte. Jede kirchliche Äußerung wurde hier im besonderen Maße als vom ,Westimperialismus‘ beeinflusst gesehen. Außerdem stand sie in Berlin in ständiger direkter Konfrontation mit den Zentralstellen des Staates. Otto Dibelius wurde 1945 Bischof von Berlin-Brandenburg und war von 1949 bis 1961 zudem Ratsvorsitzender der EKD. Dibelius‘ Linie gegenüber dem sich formenden DDR-Staat war eindeutig. 1959 verfasste er eine Obrigkeitsschrift, die für erhebliche Diskussionen sorgte, weil er darin der DDR absprach, noch eine Obrigkeit im Sinne von Röm 13 zu sein105. 1959 wurde eine Notverordnung verabschiedet, die es ermöglichte, je in Regionalsynoden zusammenzutreten und beschlussfähig zu sein, ohne die Landeskirche durch staatlichen Druck in Ost und West auseinandersprengen zu lassen. So konnte der Mauerbau von 1961 die Landeskirche nicht trennen, obwohl der Bischof keine Einreisegenehmigung mehr bekam und auch der damalige EKD-Ratsvorsitzende Kurt Scharf, der gemäß der Notordnung 1961 zum Verweser des Bischofsamts bestellt worden war, nicht mehr nach Ostberlin zurückkehren durfte. Staatliches Ziel blieb die konsequente Aufspaltung der Landeskirche. 1966 wählten beide Regionalsynoden trotz staatlichen Drucks Kurt Scharf zum Nachfolger von Otto Dibelius. Scharf wurde in der Folgezeit staatlicherseits massiv attackiert und nicht als Bischof akzeptiert. Von 1962 bis 1966 übte Günter Jacob das Amt des Verwesers des Bischofsamtes für die Region Ost aus. Im Januar 1967 wurde der Generalsuperintendent von Eberswalde, Albrecht Schönherr, der neue Verwalter im Bischofsamt. Mit dieser Wahl wurde von der Kirchenleitung versucht, auf den Staat zuzugehen, da Schönherr Mitglied im WAK und in der CFKwar106. Von staatlicher Seite wurde er stets als Bischof von Berlin-Brandenburg angesprochen, obwohl er diesen Titel offiziell erst ab 1972 trug. An dieser Landeskirche wurde besonders deutlich, wie weit Sorgen und Nöte 1968 in Ost und West auseinandergingen. Während Scharf immer wieder 103 Vgl. KJ 97 (1970), 342. 104 Vgl. Radatz / Winter, Geteilte Einheit, 191. Diese Einteilung galt ab 1963. 105 Vgl. KJ 86 (1959), 123 – 129. Zur Diskussion vgl. Friebel, Kirche und politische Verantwortung, 241 – 244. 106 So auch Lepp. Vgl. Lepp, Tabu?, 680 f.

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zwischen Studenten, Polizei und Berliner Senat zu vermitteln suchte und die 68er Bewegung vor der Kirche nicht halt machte, war man in Ostberlin mit der neuen Verfassung der DDR und den Strukturdebatten beschäftigt107. Am stärksten wurde hier auf die Veränderung von Artikel 38 des Verfassungsentwurfs gedrängt108. Signifikant mehr Geistliche gingen zur Abstimmung. ˇ SSR Auch beginnende Hoffnungen auf eine Demokratisierung wie in der C wurden staatlicherseits registriert109. Am empfindlichsten reagierte der Staat auf die Zuversicht, dass sich nun in der DDR etwas am System Sozialismus ändern müsse. Auch bei einigen Berliner Kirchenvertretern vermutete das MfS die Hoffnung auf solcherlei Änderungen, wobei der Name Havemanns gefallen sei110. Außerdem war dem MfS diesbezüglich Siegfried Ringhandt namentlich aufgefallen, der als ausgesprochen ,reaktionär‘ galt und über den berichtet wurde: „daß der Berliner Oberkonsistorialrat und Propst Ringhand [sic!] die Ereignisse in der CSSR nicht nur begrüßte, sondern bereits eine Art Konzeption entwickelte, wie in der DDR in spätestens 2 Jahren die gleiche Situation hervorgerufen werden kann wie jetzt in der CSSR.“111

Schönherr selbst schien gespaltener und pessimistischer in Bezug auf die ˇ SSR gedacht zu haben, zumindest soll er im Frühjahr gemeint haben, man C müsse sich auf eine „,harte Welle‘ gefaßt machen.“112 Vor dem 21. August 1968 galten neben Mitzenheim auch er und Jacob dem Staat als ,fortschrittliche‘ Kirchenführer. Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen war der Ansicht: „Mit der Thüringer Kirche, mit Bischof Schönherr und Generalsu107 Vgl. Radatz / Winter, Geteilte Einheit, 40. 108 Vgl. Information über Meinungen von Geistlichen und christlichen Bürgern zum Entwurf der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik im Bezirk Neubrandenburg, undatiert, noch vor der Abstimmung (BArch DO 4/2936). Diese Forderung zieht sich durch die sechs Seiten. Zu den allgemein vertretenen Argumenten zur neuen Verfassung kam die Forderung eines Streikrechts. Vgl. Einschätzung der Geistlichen, kirchlichen Amtsträger und namhaften Laienchristen in Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheides zur Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik im Bezirk Neubrandenburg, undatiert, 6 (BArch DO 4/ 2936). 109 Ebd., 6. 110 „Von einigen führenden Funktionären der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg wurden in einer internen Unterhaltung die ,Freiheits‘- und Demokratisierungsbestrebungen begrüßt. In diesem Zusammenhang wurde die Person Havemann erwähnt, auf den man sich stützen müsse, falls in der DDR ähnliche Probleme stünden.“ Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 13 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561). 111 Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der CSSR ergeben, 20. 5. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233 auch Nr. 3238); vgl. auch Lepp, Tabu?, 595. Ringhandt war Mitglied im Öffentlichkeitsausschuss der EKU. 112 Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 13 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561).

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perintendent Jacob kommen wir doch bereits gut aus.“113 Dies änderte sich mit ˇ SSR der Reaktion der Kirchenleitung auf das militärische Eingreifen in der C schlagartig.

3.1. Die Reaktion der Kirchenleitung in Berlin-Brandenburg Nachdem es in den Tagen nach dem 21. August in der Kirche zu spontanen eigenen Äußerungen und Aktionen sowohl aus dem Umkreis unterschiedlicher kirchlicher Leitungsebenen, als auch vonseiten einiger Gemeindepfarrer gekommen und die Kirchenleitung um Hilfestellung gebeten worden war, beriet diese ein gemeinsames Vorgehen.

3.1.1. Spontane Äußerungen nach dem 21. August In den ersten Äußerungen zeigte sich, dass viele Menschen Angst vor Krieg hatten114. Vor allem die Gottesdienste am 25. August waren Orte, wo der Situation im Nachbarland gedacht wurde. Der Kreisverband der CDU Treptow berichtete aus seinem Bereich: „Nach der Übersicht aus den Kirchgemeinden vom 25. 8. 1968 wurde in den Predigten in den Gottesdiensten überall zu den Ereignissen in der CSSR Stellung genommen.“115 Verärgert stellte das MfS fest: „Die Gottesdienste in den evangelischen Kirchen waren am 25.8.68 in Berlin relativ gut besucht.“116 Daneben fiel dem MfS „verstärkte Sichtagitation“ für den Frieden auf, das heißt, dass die Schaukästen der Gemeinden genutzt wurden117. Dass Pfarrer und Laien verstärkt untereinander Kontakt suchten und sich gegenseitig berieten und selbst, dass in einem Frauenkreis in Finsˇ SSR gebetet wurde, notierte das MfS118. In terwalde für die Geschwister in der C den Gottesdiensten wurde an erster Stelle in den Fürbitten für die Menschen in 113 Vermerk über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am 22. 4. 1968, vom 25. 4. 1968, 7 (BArch DO 4/792 ebenfalls DO 4/433). 114 So der Jugendpfarrer Berlin-Mitte, „daß er und andere Amtsbrüder Besorgnis vor einem Krieg hätten.“ Information 367/68, Reaktionen auf die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 24. 8. 1968, 9 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069 ebenso Nr. 7106). Es wurde die Angst vor einem III. Weltkrieg geäußert und dass Westberlin als nächstes dran wäre. Vgl. Information 369/68 vom 24. 8. 1968, 2 f. (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7106). 115 Informationsbericht des KV Berlin-Treptow zum 30. 8. 1968 vom 28. 8. 1968, 2 (ACDP 07-011270). 116 Information 371/68, 25. 8. 1968, Reaktionen auf die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 4 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069). 117 Vgl. Information 921/68 vom 27. 8. 1968, die Haltung in evangelischen Kirchenkreisen der DDR zu den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 4 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1550). 118 Vgl. Bericht 102/68 vom 11. 9. 1968 über die bisher bekanntgewordenen Diskussionen von Pfarrern, kirchlich gebundenen Personen und Mitgliedern von Sekten zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer, 5 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3073).

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ˇ SSR gebetet119. Auch Jacob gedachte in seinem Gottesdienst der Mender C schen im Nachbarland und betete um Frieden120. Schönherr war noch im Urlaub. Einige Pfarrer gingen in ihren Predigten mehr oder minder deutlich auf die Situation ein, andere nutzten die Möglichkeit der öffentlichen Buße am Anfang der Gottesdienste. Einige markante Beispiele seien herausgegriffen: So hieß es in der Golgathakirche in der Borsigstraße – der Kirche in der Nähe des Sprachenkonvikts: „Besser sei der, der Sünden begangen habe, aber diese einsehe und den Willen zur Besserung zeige, als der, der alles besser wissen wolle und glaube, alles besser zu machen und sich dabei über die Meinung anderer hinwegsetze. Es gehe um Hoffnung und Vertrauen und dies könne eine Armee nicht herstellen. […] Falsch ausgelegte Solidarität hätte schon viel Unheil angerichtet.“121

Superintendent Reinhard Steinlein bewies gleich am 25. August in einem Gottesdienst in Finsterwalde vor ca. 250 Teilnehmenden, dass er seiner ,reaktionären‘ Linie treu blieb: In seiner Predigt horchte das MfS mit, „daß Demut nicht mit Unterwürfigkeit gleichzusetzen sei. […] Demut erfordere auch ein Selbstbewußtsein, wofür gegenwärtig das tschechische und das slowakische Volk das beste Beispiel geben würden, dies sei auch für die deutschen Christen zu beachten.“ Im Gebet betonte er, „daß Gott denen helfen möge, die wie in der CSSR um Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen und der Obrigkeit Kraft verleihen solle, ihre Macht nicht zur Unterdrückung zu mißbrauchen.“122 Deutlich wird, dass die militärische Beteiligung der NVA für die Pfarrer der größte Stein des Anstoßes war. Der Pfarrer in Dahme betonte, dass in der NVA auch „gute Christen“ seien, der Pfarrer in Straupitz, dass einige Soldaten streiken würden und im Gefängnis wären,123 und in Kyritz äußerte ein Pfarrer – allerdings nur im Gespräch: „Sollte ich dazu aufgerufen werden, eine Waffe

119 Fürbitten waren allgegenwärtig und finden sich in den meisten Quellen, die über die Meinungen innerhalb der Kirchen berichteten. Z. B. Information 921/68 vom 27. 8. 1968, die Haltung in evangelischen Kirchenkreisen der DDR zu den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1550). 120 Vgl. Bericht 102/68 vom 11. 9. 1968 über die bisher bekanntgewordenen Diskussionen von Pfarrern, kirchlich gebundenen Personen und Mitgliedern von Sekten zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer, 4 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3073). 121 Information 371/68, 25. 8. 1968, Reaktionen auf die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 4 f. (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069). 122 Bericht 94/68 vom 26. 8. 1968 über weitere Diskussionen und Vorkommnisse im Zusammenhang mit den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer bezüglich der Lage in der CSSR, 5 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3065). Zu der Kanzelabkündigung meinte Steinlein, „daß er das, was er selbst mit beschlossen hat, auch entgegen den staatlichen Weisungen durchsetzt.“ Bericht 102/68 vom 11. 9. 1968 über die bisher bekanntgewordenen Diskussionen von Pfarrern, kirchlich gebundenen Personen und Mitgliedern von Sekten zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer, 7 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3073). 123 Vgl. Ebd., 5.

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in die Hand zu nehmen, würde ich es vorziehen, mich als Kriegsdienstverweigerer erschießen zu lassen.“124 Ein Arbeitskreis aus dem Kirchenkreis Calau bat die Kirchenleitung am 26. August, den Gemeinden eine Anleitung an die Hand zu geben, und schlug vor, überdies einen Brief an Stoph und oder Ulbricht zu schreiben. In einem vorgeschlagenen Entwurf eines Wortes an die Gemeinden sollte zum einen zum Gebet für alle Beteiligten einschließlich Politiker und Soldaten und zum Frieden aufgerufen werden. Zum anderen sollte zu bestimmten Verhaltensweisen aufgerufen werden: Christen sollten sich auf die eigene Schuld, gerade als Deutsche, besinnen, sich umfassend informieren und vor allem keine staatlich erwünschte Stellungnahmen abgeben oder ihnen zustimmen125. Auch wollte man die Haltung zum Wehrdienst überprüft wissen. In diesem Brief spiegeln sich die größten Schwierigkeiten wider: die mangelnde und ausgesprochen propagandistische Informationspolitik der DDR, die allseits geforderten Resolutionen und die Angst vor Krieg126.

3.1.2. Der Brief an die Kirchen in der Tschechoslowakei Nachdem die Bischofskonferenz am 24. August zu keinem Ergebnis gekommen war, sah es die Kirchenleitung aufgrund dieser Vorgänge, Vorschläge und Anfragen als notwendig an, eine eigene Antwort zu finden. Daher wurde ein ˇ SSR entworfen127. Währenddessen befand sich der Brief an die Kirchen in der C Verwalter des Bischofsamtes, Albrecht Schönherr, eben dort. Und noch bevor er zurückkehrte, war dem MfS bereits bekannt, dass er sich mit Bischof Scharf in Prag getroffen hatte128. Dass sich die beiden dort treffen mussten, war eine unmittelbare Konsequenz der DDR-Politik, Scharf nicht mehr in die DDR einreisen zu lassen. Das MfS schlug vor, Schönherr nach seiner Rückkehr zur Aussprache zu Seigewasser zu bestellen und ihm klarzumachen, „daß sein 124 BV Potsdam, zu aktuellen Problemen, 26. 8. 1968 (ACDP 07-12-1536). 125 Vgl. Brief an die Kirchenleitung vom 26. 8. 1968. Angehängter Entwurf (ELAB 35/719). 126 Der Superintendent von Calau sagte dagegen im Gespräch über die staatliche Weisung am 6. September zu, diese einzuhalten. Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. [Da es in dem Bericht heißt, dass die morgigen Gottesdienste wegen des Briefes abgesichert würden, muss der Bericht am 7. 9. entstanden sein] über die Gespräche mit den Superintendenten, 2 (BArch DO 4/2936 ebenso 423). Im entscheidenden Gottesdienst am 8. September wiederum legte er eine Gedenkminute für Wehrdienstverweigerer ein und erinnerte an die Menschen in den Gefängnissen. Vgl. Zusammenfassender Bericht des RdB Cottbus über die Haltung der Geistlichen der Ev. Kirche Berlin–Brandenburg zu den Ereignissen in der CSSR vom 14. 11. 1968, 3 (BArch DO 4/328). ˇ SSR am 127 Vgl. Schçnherr, Zeit, 234 – 37. Schönherr fand bei seiner Rückkehr aus der C 26. August die Idee eines Briefes bereits vor. 128 Vgl. Einzel-Information 920/68 vom 27. 8. 1968 über die Haltung von Bischof Scharf / Westberlin zur Situation in der CSSR und seine Verbindung zu Bischof Schönherr / Berlin, 1 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso ZAIG, Nr. 1549).

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Zusammentreffen mit Scharf und seine illegalen Verhandlungen als Fortsetzung ,gesamtdeutscher‘ kirchlicher Tätigkeit gewertet werden und sein Verhalten im Widerspruch zur Kirchenpolitik der DDR steht.“129 Später wurde ˇ SSR ihm vorgeworfen, mit Scharf den Solidaritätsbrief für die Kirchen in der C von Berlin-Brandenburg geplant zu haben, was gar nicht möglich war, da das Treffen schon am 12. oder 13. August stattfand130. Es wurde sogar kolportiert, Scharf und Schönherr hätten gemeinsam an der Sitzung des Synodalrates der EKBB am 21. August teilgenommen131. Am 30. August wurde auf der Kirchenleitungssitzung unter anderem über ˇ SSR gesprochen. Alle Anwesenden waren gegen die die Situation in der C Anwendung militärischer Gewalt132. Die Sekretärin Schönherrs, die alle Informationen an das MfS weitergab, wusste zunächst nicht, dass auf dieser ˇ SSR beschlossen Sitzung bereits ein Solidaritätsbrief an die Kirchen in der C 133 worden war, der von allen Kanzeln verlesen werden sollte . Sobald sie dies am 2. September in Erfahrung bringen konnte, schrieb sie den Brief ab, gab ihn an das MfS weiter und wurde daraufhin täglich zu Treffen mit ihrem Führungsoffizier bestellt134. Um diese für das MfS sehr lukrative Quelle nicht zu dekonspirieren, wurde das Wissen über den Brief zunächst zurückgehalten135. Es wurde vorgeschlagen, Schönherr, unter dem Vorwand von Scharfs öffentlicher ˇ SSR, durch Seigewasser nach Bitte um Solidarität mit den Kirchen in der C Aktionen der Kirchenleitung zu fragen, um ohne Dekonspiration von dessen Sekretärin den Inhalt des Briefs in Erfahrung bringen zu können136. Zu diesem Gespräch war Schönherr dann am 4. September bei Seigewasser geladen, in welchem über den Stand der Strukturfragen bezüglich der EKD und eines zu gründenden BEK, über das Treffen zwischen Scharf und Schönherr in Prag und über die Haltung Schönherrs und der Berlin-Branˇ SSR gesprochen wurde137. Schönherr wurde bedenburgischen Kirche zur C 129 Ebd., 2. 130 Vgl. Schçnherr, Zeit, 234. Nach staatlicher Angabe am 12. August. Vgl. Aktenvermerk vom 4. 11. 1968 über ein Gespräch des Staatssekretärs mit Bischof Schönherr und Generalsuperintendent Jacob in der Dienststelle des Staatssekretärs am 31. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/433 und ebenso DO 4/2950). „Zu einer entsprechenden Verabredung von Maßnahmen sei es aber nicht gekommen, schon deshalb nicht, weil damals noch niemand den Gang der Ereignisse voraussagen konnte.“ Ebd.; vgl. auch Hintergrundgespräch mit Schönherr am 9. 8. 2005. 131 Vgl. Vermerk. Hanfried Müller vom 10. 1. 1969, 1 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 139). 132 Vgl. Bericht über die Sitzung der evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg am 30. 8. 1968, 2 f. (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 88). 133 Vgl. Ebd. 134 Vgl. Information vom 3. 9. 1968 über durchgeführte und geplante provokatorische Handlungen der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg, 3; vgl. auch die weiteren Treffberichte der Akte (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 93). 135 Vgl. Ebd. 136 Vgl. 2. Information vom 4. 9. 1968 zu provokatorischen Handlungen der ev. Kirchenleitung Berlin-Brandenburg, 2 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 95). 137 Über dieses Gespräch existieren sowohl von Seigewasser als auch von Schönherr Gedächtnisprotokolle: Aktenvermerk vom 5. 9. 1968 über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am

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deutet, dass gerade weil Scharf mit Zuhilfenahme des Briefes der EKBB vom 21. August Politik für Bonn mache, der ,Alleinvertretungsanspruch‘ der EKD zurückgewiesen werden müsse. Außerdem würden noch zu viele Kirchenleute vor allem im östlichen Teil Berlins mit Scharf liebäugeln. Schönherr habe da sicherlich einen schweren Stand und es wäre gut, wenn er nach Berlin umziehe. Umso befremdlicher sei, dass Schönherr sich ausgerechnet mit Scharf Mitte August in Prag getroffen hätte. Schönherr betonte Seigewasser gegenüber, dass er sich von niemandem in die Kirche reinreden lasse, auch nicht von Scharf. Er befürchtete zu Recht, dass man das Treffen mit Scharf zum Anlass nehmen könnte, dem östlichen Teil Berlin-Brandenburgs in seinem Vorgehen wieder völlige Westabhängigkeit vorzuwerfen138. Die weiteren Ereignisse zeigten, dass die Dienststelle Schönherr seine Unabhängigkeit von Scharf ˇ SSR nicht glaubte139. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde über die C gesprochen. Zunächst wurde auf notwendig gewordene Gespräche mit dem sächsischen Bischof Noth und mit der Görlitzer Kirchenleitung hingewiesen, die eine „absurde Haltung“ an den Tag gelegt hätten140. Vor allem deren Vergleich mit der faschistischen Besetzung von 1938 wurde dabei hervorgehoben. Schönherr antwortete, dass man innerhalb der Kirchen beunruhigt über die Notwendigkeit militärischer Mittel sei, sprach von einer „schweren Enttäuschung“ und deutete vorsichtig in Richtung Vietnam. Außerdem stehe das ˇ SSR, Ulbricht sei erst kurz zuvor in Karlsbad Volk zur der Regierung der C gewesen, es habe weitere Verhandlungen gegeben und letztendlich „fürchtet [er] einen Rückschlag für die Attraktivität des Sozialismus.“141 Daraufhin

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4. 9. 1968 (BArch DO 4/791 ebenso 792); und Gedächtnisprotokoll von Schönherr vom 13. 9. 1968 über das Gespräch am 6. 9. 1968 bei Seigewasser (ELAB 35/719). Auch die CDU fertigte einen Aktenvermerk an, in welchem Schönherr neben Vertrauensbruch vor allem vorgeworfen wird, die Situation zu „verniedlichen“ und zu „bagatellisieren“. Vgl. Aktenvermerk. Zusammenschluß der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 6. 9. 1968, nach Informationen von Flint und Weise, 1 (ACDP 07-010-3252). Vgl. Aktenvermerk vom 5. 9. 1968 über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am 4. 9. 1968, 5 (BArch DO 4/791 ebenso 792). „Es gab eine direkte Aufforderung Scharfs an die Kirchen in der DDR; [sic!] besonders an die Berlin-Brandenburgische Kirche, die Konterrevolution in der CSSR durch entsprechende Stellungnahmen zu unterstützen.“ Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 9. 1968 und am 17. 9. 1968 vom 11. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/400). Etwas später fiel in einer Information der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED das Urteil noch eindeutiger aus: „trotz formaler Beteuerung seiner [Schönherrs] Unabhängigkeit […] in entscheidenden politischen Situationen dem Westberliner Bischof Scharf hörig.“ Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 67). Vgl. Aktenvermerk vom 5. 9. 1968 über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am 4. 9. 1968, 5 (BArch DO 4/791 ebenso 792). ebd. Die gleichen Formulierungen in: Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 3 (SAPMO-BArch DY 30/ IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086).

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wurden Schönherr gegenüber die staatlichen Argumente vorgebracht, dass man Ungarn habe verhindern wollen, dass militärische Mittel nicht ideal wären, aber man doch darauf achten müsse, wo die Ursachen lägen, und dass, nur weil man in der Tatra – dort war Schönherr im Urlaub gewesen – nichts von einer Konterrevolution gespürt habe, dennoch Erweise gebracht worden seien, dass es sie gegeben habe und noch gebe. Außerdem habe der Westen die ˇ SSR aus dem sowjetischen Block herauszulösen versucht. Der Aktenvermerk C endete mit der Bemerkung, dass Schönherr diese Ausführungen „lediglich zur Kenntnis genommen habe.“142 In Reaktion auf dieses Gespräch wurde die Vervielfältigung des Briefes gestoppt, um am darauf folgenden Tag nochmals beraten zu können143. Interessant ist, dass in diesem Aktenvermerk vom 5. September die Frage an Schönherr nicht dokumentiert ist, ob seine Kirche etwas in Bezug auf die ˇ SSR plane, obwohl das Gespräch auch diesem Zweck dienen sollte. Es drängt C sich eher der Eindruck auf, als sei in der 112-stündigen „Aussprache“ lediglich vor Schönherr die staatliche Meinung rezitiert und auf Aktionen anderer Landeskirchen verwiesen worden144. Dennoch muss die Frage gestellt worden sein und Schönherr hatte ausweichend geantwortet. Denn im Nachhinein wurde ihm nach Bekanntwerden des Briefes Unehrlichkeit vorgeworfen und in einem erneuten Gespräch am 31. Oktober soll er wörtlich gesagt haben: „Ich glaube nicht recht, Herr Staatssekretär, daß sie von mir volle Offenheit erwartet haben.“145 Einen Tag nach dem Gespräch, am 5. September, wurde nochmals über den vorliegenden Brief an die im Ökumenischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen in der Tschechoslowakei diskutiert. Schönherr empfand ihn nun als zu spitz, milderte ihn an einigen Stellen und riet davon ab, ihn als Kanzel-

142 Aktenvermerk vom 5. 9. 1968 über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am 4. 9. 1968, 6 (BArch DO 4/791 ebenso 792). 143 Vgl. Situation innerhalb der evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg vom 5. 9. 1968, 1 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 96). 144 Vgl. Aktenvermerk vom 5. 9. 1968 über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am 4. 9. 1968, 6 (BArch DO 4/791 ebenso 792). 145 Aktenvermerk vom 4. 11. 1968 über ein Gespräch des Staatssekretärs mit Bischof Schönherr und Generalsuperintendent Jacob in der Dienststelle des Staatssekretärs am 31. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/433 und ebenso 2950). Zum Vorwurf der Unehrlichkeit: „Obwohl Bischof Schönherr [am 4. 9. 1968] bereits klare Vorstellungen davon hatte, einen Brief an alle Geistlichen der Kirche zu verfassen, verschwieg er das gegenüber Staatssekretär Seigewasser auch auf eine entsprechende Anfrage.“ Information – Nr. 11/68 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen vom 19. 9. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und: „Es darf nicht vorkommen, daß Kirchenführer staatlichen Organen die Zusage geben, zu den Ereignissen in der CSSR keine Stellungnahme abzugeben und dann trotz dieser Zusage Stellungnahmen herauszugeben.“ Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlußfolgerungen vom 12. 9. 1968, 6 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774).

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abkündigung zu verbreiten146. Seine Änderungen wurden angenommen, doch stimmten die weiteren Anwesenden für eine Kanzelabkündigung147. Schönherr beugte sich der Mehrheit, kennzeichnete den Brief mit seiner alleinigen Unterschrift und verlas ihn auch selbst am folgenden Sonntag148. Er trug so die Entscheidung der Kirchenleitung und vertrat in den Auseinandersetzungen mit staatlichen Stellen, die in ihm den Hauptverantwortlichen sahen, auch die Meinung, dass die Kanzelabkündigung eine richtige Entscheidung gewesen war. Der Brief wurde am gleichen Tag – mit einem Begleitschreiben versehen – vervielfältigt und über verschiedene persönliche Kuriere an die Superintendenten versandt149. Gleichzeitig wurde er an verschiedene Personen in der ˇ SSR geschickt150. Nachweislich ist er auch bei der Kirchenleitung der EKBB C eingegangen151. Senior Emil Stehl k war derjenige, der darüber in der Synodalratssitzung berichtete, derselbe, der Schönherr während seiner Rückreise aus der Tatra geholfen hatte152. Es war ein vorsichtig formulierter Brief geworden, der zeigen wollte, dass die Christen aus ihrer Landeskirche in dieser schwierigen Lage an ihre Ge146 Vgl. Einzel-Information 1002/68 vom 6. 9. 1968 über eine außerordentliche Sitzung der evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg in der DDR am 5. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1233 ebenso Nr. 1560). Im Anhang der Brief und das Anschreiben. Der gleiche Text ohne Angaben findet sich als Abschrift in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen (BArch DO 4/423). Eine weitere Abschrift findet sich bei der CDU (ACDP 07-013-3252). Zur Situation vgl. auch Besier, Vision, 25 f. Der weitere Verlauf zeigt allerdings, dass der Versuch Schönherrs, dem Brief die Spitzen zu nehmen, nicht fruchtete, da die entscheidenden Sätze in beiden Entwürfen stehen. Der ursprüngliche Text vgl. Information über durchgeführte und geplante provokatorische Handlungen der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg vom 3. 9. 1968, 1 f. (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 91 f.). 147 Nach einem Aktenvermerk über ein Gespräch zwischen CDU und Stolpe soll Jacob treibende Kraft gewesen sein, während Horst Lahr sich gegen eine Kanzelabkündigung ausgesprochen habe. Vgl. Aktenvermerk. Aussprache mit Konsistorialrat Stolpe am 19. 9. 1968 vom 20. 9. 1968, 1 (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 73). Dagegen war der Entschluss nach Aussage von Schönherrs Sekretärin dem MfS gegenüber einstimmig. Vgl. Information über provokatorische Handlungen der ev. Kirchenleitung Berlin-Brandenburg vom 6. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 99). 148 Vgl. Entwurf einer Information über den Brief der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg an die im ökumenischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen in der CSSR vom 26. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/791). 149 Vgl. KJ 95 (1968), 266; vgl. auch Information über provokatorische Handlungen der ev. Kirchenleitung Berlin-Brandenburg vom 6. 9. 1968, 2 f (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 99 f.). 150 Z.B. über den Stadtjugendpfarrer und Schönherrs Sekretärin. Vgl. Information Nr. 457/68 vom 18. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6134 ebenso Nr. 6774). Aber auch Schönherr selbst hatte ein Exemplar verschickt. Vgl. Treffbericht vom 23. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 108). ˇ CE Z pisy ze zased n synon rady C ˇ eskobratck c rkve evang. (3. 1. 1968 – 151 Archiv C 18. 12. 1968, Nr. 46, 147). Schönherr berichtete in der Kirchenleitungssitzung am 11. Oktober 1968, „daß der Brief in der CSSR angekommen sei, veröffentlicht und sehr gut aufgenommen worden ist.“ Information über die Sitzungen der evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg am 11. und 17. 10. 1968, 1 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 118). 152 Vgl. Schçnherr, Zeit, 234.

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schwister im Nachbarland dachten, für sie beteten und die persönlichen Begegnungen nicht vergessen hatten. Der Brief betonte, dass die Christen aus Berlin-Brandenburg ebenso darunter litten, dass noch immer zu militärischen Mitteln zur Lösung politischer Fragen gegriffen wurde. Und der Brief benannte die Belastung, dass wieder – zumindest laut offizieller Propaganda – deutsche Soldaten in die Tschechoslowakei eingedrungen waren. Man wollte ˇ SSR und um den Frieden in der beten um die Freiheit der Menschen in der C Welt. Der Brief endete mit Trost und Mahnung und der Herrnhuter Losung für den 21. August 1968. Für einen heutigen Leser klingt dieser Brief eher harmlos153. Die staatlichen Maßnahmen, die nach Bekanntwerden dieses Briefes anliefen, zeigen allerdings eine ganz andere Interpretation. 3.1.3. Die staatliche Beurteilung des Briefes Als am Freitag, dem 6. September, die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen von diesem Brief erfuhr, setzte sie sofort alle Hebel in Bewegung, um dessen Verbreitung zu unterbinden, der von der Dienststelle keinesfalls als harmlos eingestuft wurde154. Im Gegenteil, die Kirche hatte verbotenes und gefährliches Terrain betreten. Telefonisch wurden sofort alle betroffenen Räte der Bezirke und der Magistrat von Berlin von dem Brief in Kenntnis gesetzt155. Eine erste Beurteilung lautete: „Dieses Schreiben stellt eine für die Kirchen unzulässige Einmischung in Angelegenheiten der sozialistischen Außenpolitik wie überhaupt der sozialistischen Staatspolitik dar. Es entspricht in seiner Linie den Direktiven der EKiD, unterstützt die Bonner Außenpolitik der Einmischung in die Verhältnisse in der CSSR, begünstigt objektiv die Kräfte der Konterrevolution und diffamiert die sozialistische Hilfe der fünf sozialistischen Bruderstaaten.“156

Diese Beurteilung fand Eingang in spätere Informationen157. Aus dieser telefonischen Information geht auch hervor, welche Sätze vor allem als „diffamierend“ empfunden worden: 153 Ohse meinte daher, man könne ihn „auch als Dokument der Verzagtheit, kirchenpolitischer Zurückhaltung und als Ausdruck der Differenzen in der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen hinsichtlich einer angemessenen Reaktion auf den 21. August lesen.“ Ohse, Ostdeutscher Protestantismus, 140. 154 Vgl. Entwurf einer Information über den Brief der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg an die im Ökumenischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen in der CSSR vom 26. 9. 1968 (BArch DO 4/791). 155 Vgl. Telefonische Information an die Räte der Bezirke Potsdam, Frankfurt/Oder, Cottbus, Neubrandenburg und an den Magistrat der Hauptstadt Berlin vom 6. 9. 1968 (BArch DO 4/423) ebenso (ACDP 07-010-3252). 156 Ebd., 1. 157 Vgl. Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968, zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem

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„Wir danken es auch Eurer Besonnenheit und Festigkeit, daß es zu keinem größeren Blutvergießen gekommen ist, und hoffen, daß es auch hinfort nicht dazu kommt. Wir wissen und verstehen, daß es Euch besonders verletzt hat, daß unter den einrückenden Truppen Deutsche und auch Christen gewesen sind.“158

Obwohl so vorsichtig formuliert, kritisierte das Schreiben zu deutlich die außenpolitische Linie der DDR, d. h. die Haltung gegen den Prager Frühling, die Billigung militärischer Mittel zur Konfliktlösung, die suggerierte Beteiligung der NVA am Truppeneinsatz. Als unmöglichster Vorwurf wurde jedoch der nur implizit benannte Vergleich 1938 – 1968 betrachtet. Die Funktionäre der SED verstanden ihre DDR als antifaschistischen Staat, der nicht mit Faschismus gleichzusetzen war. Die Anweisung an die Bezirke sah weiter vor, allen Superintendenten am folgenden Sonnabend die „staatliche Weisung“ zu geben, dass sie die Kanzelabkündigung zu „unterbinden“ hätten. „Eine Diskussion über diese Weisung ist nicht möglich.“159 Im Falle einer Weigerung sei auf die Folgen zu verweisen. Noch am Sonnabend selbst sollte über die Ergebnisse berichtet werden. Auch Schönherr, der doch erst einen Tag zuvor da gewesen war, wurde für den nächsten Tag, Sonnabend, den 7. September 8:30 Uhr, erneut zu Seigewasser bestellt. Seigewasser stufte das Gespräch später als eine „prinzipielle Diskussion“ mit dem „Charakter einer ernsten staatlichen Belehrung“ ein160. Schönherr wurde in dem relativ kurzen Gespräch von etwa einer halben Stunde Vertrauensbruch vorgeworfen, weil er in dem Gespräch zwei Tage zuvor nichts gesagt hatte161. Schönherr verteidigte sich mit dem Argument, dass es damals noch keine Entscheidung der Kirchenleitung gegeben und er seine Meinung zum Thema gesagt habe162. Ziel des Gesprächs war es, Schönherr dazu zu bewegen, die Kanzelabkündigung zurückzuziehen und den

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Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 4 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Telefonische Information an die Räte der Bezirke Potsdam, Frankfurt/Oder, Cottbus, Neubrandenburg und an den Magistrat der Hauptstadt Berlin vom 6. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/423). ebd., 2. Information von Seigewasser über das Büro Ulbricht an Ulbricht, zugeleitet am 26. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/423). In einer Information vom 18. September wurden die Ereignisse von seiten des MfS so dargestellt, dass Schönherr bei der ersten Unterredung bei Seigewasser eine Erklärung abgegeben habe, dass von seiten seiner Kirche nichts zu erwarten sei. „Trotz dieser Zusage“ sei der Brief verfasst und trotz der „Aufforderung“ den Brief nicht zu verlesen, sei er am 8. September „von fast allen Kanzeln“ verlesen worden. Vgl. Information Nr. 457/68 vom 18. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6134 ebenso Nr. 6774). Von einem „glatten Vertrauensbruch“ sprach auch die CDU. Vgl. Aktenvermerk. Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg. Aussprache mit Konsistorialrat Stolpe am 19. 9. 1968 vom 20. 9. 1968, 2 (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 74). Vgl. Gedächtnisprotokoll von Schönherr vom 13. 9. 1968 über das Gespräch am 6. 9. 1968 bei Seigewasser, 1 (ELAB 35/719) ebenso (EZA 102/292).

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Brief nicht weiterzuleiten163. Schönherr notierte die staatliche Beurteilung: „Es handele sich um den Beginn eines konzentrischen Kampfes der Kirchen gegen die DDR.“164 Und obwohl schon zwei Tage zuvor erklärt worden war, 1938 – 1968 werde „als besonders schwerwiegende Kränkung empfunden“, nahm der Brief darauf Bezug165. Seigewasser erteilte daher Schönherr die „staatliche Weisung“, die Schönherr als Zitat vermerkte: „Die Bekanntgabe des Briefes an die Gemeinden findet nicht statt.“166 Jegliche Diskussion sei sinnlos. Unverhohlen drohte Seigewasser andernfalls mit dem Abbruch der Beziehungen, vor allem für den Fall, dass der Brief im Westen bekannt werden sollte. Schönherrs Beteuerungen, dass der Brief nur aus der Initiative der eigenen Kirchenleitung ohne den Westen entstanden sei, um Solidarität zu zeigen, den Gemeinden eine Hilfe an die Hand zu geben und überschießende Aktionen zu mäßigen, wurden von der anderen Gesprächsseite nicht für wahr gehalten oder nicht wahrgenommen. Trotz der unverhohlenen Drohungen kam Schönherr der Aufforderung Seigewassers nicht nach, sicherte nur zu, die Kirchenleitung in Kenntnis zu setzen167. Die Rücksprache erfolgte noch am gleichen Tag168. Das MfS notierte, Schönherr habe die Auseinandersetzung als „außerordentlich hart“ bezeichnet169. Gleich anschließend habe er sich mit Ringhandt besprochen, ob es nicht doch möglich sei, die Kirchenleitung einzuberufen, „da er nicht die alleinige Verantwortung für den Versand des Briefes tragen wolle.“170 Ringhandt sei dagegen gewesen, der Brief sei beschlossen und abgeschickt. „Er sei absolut nicht bereit, irgendwelche Konzessionen zu machen, denn sonst würde es zur Gewohnheit werden, daß der Staat ständig um Erlaubnis gefragt werden müsse.“171 Es sei nur zu erwarten, 163 Vgl. Entwurf einer Information über den Brief der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg an die im ökumenischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen in der CSSR vom 26. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/791). 164 Gedächtnisprotokoll von Schönherr vom 13. 9. 1968 über das Gespräch am 6. 9. 1968 bei Seigewasser, 1 (ELAB 35/719). 165 Vgl. ebd., 1. So auch die staatliche Seite, vgl. Information von Seigewasser über das Büro Ulbricht an Ulbricht, zugeleitet am 26. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/423). 166 Gedächtnisprotokoll von Schönherr vom 13. 9. 1968 über das Gespräch am 6. 9. 1968 bei Seigewasser, 1 (ELAB 35/719). 167 Vgl. ebd., 2. In einem Aktenvermerk der Abteilung für Kirchenfragen der CDU hieß es: „Er nahm auch den Hinweis des Staatssekretärs, daß das den Abbruch der Beziehungen zwischen der Berlin-Brandenburgischen Kirche und den staatlichen Organen bedeuten würde und sich äußerst negativ auf die Arbeit der von ihm geleiteten Strukturkommission auswirken müßte, ohne sichtbare Reaktion zu Kenntnis.“ Aktenvermerk. Ereignisse in der CSSR vom 11. 9. 1968, 1 (ACDP 07-010-3252). 168 Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 3 (BArch DO 4/2936 ebenso 423). 169 Vgl. Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 4 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573 ebenso HA XX/4, Nr. 1233). 170 Ebd., 5. 171 Ebd.

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dass nun die Superintendenten unter Druck gesetzt würden. Genau dies geschah bereits. Alle Superintendenten wurden zu Gesprächen einbestellt, in welchen ihnen staatlich verboten wurde, die Kanzelabkündigung weiterzugeben172. Derart alarmiert wurden am Sonntag, dem 8. September, im Bereich der Berlin-Brandenburgischen Kirche „sämtliche Gottesdienste überwacht.“173 Einen Tag später wurde in der Morgenbesprechung beim Staatssekretär für Kirchenfragen die Lage analysiert. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus. Die Lage wurde als wesentlich verschärft betrachtet, da die Kirchenleitung mitsamt den meisten Pfarrern tatsächlich gewagt hatte, sich nicht an die staatliche Weisung zu halten174. Nun sollte geprüft werden, inwiefern man der Kirche juristisch beikommen könne, weil sie sich „der Verfassungsverletzung schuldig gemacht hat.“175 Wiederum einen Tag später, am Dienstag, dem 10. September, war eine erste Stellungnahme erarbeitet. Den Geistlichen von Berlin-Brandenburg wurde vorgeworfen, mit dem Brief ihren eigenen Leuten zu schaden176. Außerdem sei der den Kirchen zugebilligte Bereich in der Verfassung im Artikel 39 klar umrissen, nämlich „die religiösen Bedürfnisse der gläubigen Bürger zu befriedigen.“ Jedoch „die Außen- und Militärpolitik unseres Staates einzuschätzen und sogar Stellungnahmen dagegen im Gottesdienst zu organisieren, steht der Kirche als Institution nicht zu.“ Der Kirche wurde Defätismus vorgeworfen, weil ihr Tun das Ziel habe, „Unruhe in die Bevölkerung und sie in Widerspruch zu staatlich notwendigen Maßnahmen zu bringen und somit ihr Vertrauen zur Staatsmacht zu untergraben.“ Daher kam man zu dem Ergebnis, all diejenigen, die diesen Brief verlesen hatten sowie Bischof Scharf als Drahtzieher, theoretisch strafrechtlich nach § 107 des Strafgesetzbuches 172 Mehr vgl. Kapitel 4.3.3. 247 – 250. 173 Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 3 (BArch DO 4/2936 ebenso 423). 174 „Die Kirchenleitung hat die staatliche Weisung, die Kanzelabkündigung zu unterlassen, nicht befolgt. Nur sehr wenige Superintendenten und Pfarrer sind ihr nachgekommen.“ Festlegungen aus der Morgenbesprechung beim Staatssekretär vom 9. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2967). Das MfS urteilte ähnlich: „Durch die Überprüfungen des MfS wurde bekannt, daß während der Gottesdienste im Bereich der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg am 8. 9. 1968 zum überwiegenden Teil die Materialien der Kirchenleitung […] im vollen Wortlaut verlesen wurde.“ Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 6 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573 ebenso HA XX/4, Nr. 1233). 175 Festlegungen aus der Morgenbesprechung beim Staatssekretär vom 9. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/ 2967). 176 „Mit dem Inhalt dieses Briefes treten sie somit gegen eine völkerrechtlich verbindliche Maßnahme unseres Staates, die auch ihre christlichen Bürger dadurch schützt, daß sie durch die Verhinderung der Konterrevolution in der CSSR den Frieden sichert, auf. Sie nehmen damit gegen die Belange ihrer Gemeindemitglieder Stellung.“ Stellungnahme zum Brief des Bischofs Schönherr an die im ökumenischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen in der CSSR und an alle Pfarrer, Pastoren und Prediger der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg vom 10. 9. 1968, 1 (BArch DO/4 423 ebenso 792 und 400). Die weiteren Zitate ebd., 2 – 4.

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zur Rechenschaft ziehen zu können. Vorgeworfen wurde ihnen unter anderem staatsfeindliche Hetze, staatsfeindliche Zielsetzung, spontane staatsfeindliche Gruppenbildung und Amtsmissbrauch. Allerdings kam man zu dem Schluss, dass „aus innen- und außenpolitischen Gründen“ diese Möglichkeiten praktisch nicht ausgeschöpft werden können. Doch scheinen nicht alle SEDFunktionäre die offizielle Verurteilung des Briefes persönlich geteilt zu haben. Ein Zeitzeuge berichtete, dass ein SED-Funktionär, dem er nach der Verlesung zufällig auf der Straße begegnete sei, zu ihm sagte: „Das habt ihr gut gemacht!“177 Aus einer Information Mitte September wird deutlich, wie man gegen die renitente Kirche weiter vorzugehen gedachte. „Keine Anträge auf Genehmigungen, ganz gleich welcher Art“ dürften bearbeitet werden, es sei denn von Pfarrern, die der staatlichen Weisung gefolgt waren178. Es sollte geprüft werden, wer in der Kirche für Berlin nur eine Aufenthaltserlaubnis besitze, um entsprechend Druck ausüben zu können, was im Fall Schönherr geschah. Es sollte geprüft werden, ob man Studierenden an kirchlichen Hochschulen die Aufenthaltserlaubnis entziehen könne. Alle Verordnungen sollten besonders genau kontrolliert werden, einschließlich des Geschenk- und Päckchenverkehrs179. Professor Heinrich Vogel, selbst in der CFK und damals schon Emeritus, sollte keine Einreisen mehr genehmigt bekommen. Kirchliche Einrichtungen sollten nicht mehr mit ausländischen Gästen verkehren dürfen und bei Zuwiderhandeln mit Schließung bedroht werden. „Alle strafbaren Handlungen, die durch Geistliche der Kirche Berlin-Brandenburgs anfallen und bisher aus kirchenpolitischen Gründen in der Regel niedergeschlagen wurden, werden für die nächste Zeit wie bei jedem anderen Bürger geahndet.“180 Zudem sollte überlegt werden, ob man nicht die Staatszuschüsse sperren könnte. Damit sollte den kirchlichen Vertretern klar gemacht werden, dass all diese Konsequenzen hatten gezogen werden müssen, „da sie im Interesse aller Bürger und der gemeinsamen humanistischen Verantwortung liegen.“181 In der Umsetzung wurden dann von der Sperrung der Staatsleistungen und der Inhaftierung Ordinierter abgesehen. Druck wurde vor allem über die Nichtbearbeitung von Anträgen, über abschlägige Ein- und Ausrei177 Fragebogen 26. Im Besitz der Verfasserin. 178 Das hieß vor allem Druck-, Bau- und Einfuhrgenehmigungen. Vgl. Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 6 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/22). 179 Vgl. ebd., 6. Das Verschwinden von Paketen war ein stetes Problem für alle Landeskirchen. Am 20. September wurde dieses Problem in der KKL besprochen und dazu aufgefordert, immer um Verlustmeldungen vom Absender zu bitten und Päcken per Einschreiben, Pakete als Wertsendung zu versenden. Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR am 20. 9. 1968, 3 (EZA 102/13). 180 Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 7 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/ 22). 181 Ebd.

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seanträge, über die Verhaftung angehender Theologen, über Repressalien gegenüber Angehörigen kirchlicher Mitarbeiter sowie auf Personen wie Schönherr direkt ausgeübt182. Dass zu solchen Maßnahmen gegriffen werden musste, lastete Seigewasser der Landeskirche selbst an. Er erklärte in einer Information an Ulbricht: „Wenn reaktionäre Kräfte in den Kirchenleitungen die durch die Verfassung umrissene Betätigungsmöglichkeit der Kirche unter Mißbrauch der Religion zu politischen Zwecken willkürlich auf Gebiete der Politik erweitern wollen, müssen sie eventuelle Folgen ihres ungesetzlichen Verhaltens, die für die Kirche entstehen können, selbst tragen.“183

Auf der Suche nach den Motivationen, den Brief zu schreiben, kam man zu unterschiedlichen Erklärungen. Zum einen hielt man den Brief für eine direkte Aufforderung von westlicher Seite, namentlich von Scharf. Zum anderen sei es den ,reaktionären‘ Kräften der Kirchenleitung darum gegangen zu zeigen, dass die Landeskirche eine „Kraftprobe“ mit den „staatlichen Organen“ bestehen könne184. In den Augen der CDU war der Brief die „größte Provokation in der DDR.“185 Das MfS war der Ansicht, die Kirchenleitung habe die Mehrheit der Geistlichen unter Druck gesetzt, ihrer „negative[n] Haltung“ zu folgen186. Es kam außerdem zu dem Schluss, dass die Pfarrer aus materieller Angst um ihre Bezüge der Kirchenleitung gefolgt waren187. Die Möglichkeit, dass die Kanzelabkündigung einer jener seltenen Momente war, in der Pfarrer und Kirchenleitung im Handeln einer Meinung waren, war anscheinend eine nicht zu denkende Möglichkeit.

182 Den Druck bekam auch Pabst zu spüren. Da es keine Beziehungen zwischen Berlin-Brandenburg und dem Staat gebe, wurden Ein- und Ausreiseanträge nicht bearbeitet. Vgl. Aktenvermerk über eine Unterredung im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 17. 9. 1968, 2, 4 (EZA 102/374). 183 Information von Seigewasser über das Büro Ulbricht an Ulbricht, zugeleitet am 26. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/423). 184 „Es ging den reaktionären Kräften in der Kirchenleitung […] um eine einheitliche Aktion möglichst aller Superintendenten und großer Teile der Geistlichen gegen die staatliche Politik in Bezug auf die Situation in der CSSR. Es soll der Nachweis geführt werden, daß die Kirche einer Kraftprobe mit den staatlichen Organen in Berlin-Brandenburg standhalten will.“ Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/22). 185 Aktenvermerk. Ereignisse in der CSSR vom 11. 9. 1968, 1 (ACDP 07-010-3252). 186 Vgl. Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlußfolgerungen vom 12. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774); vgl. auch Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). 187 Ebd.

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3.1.4. Die Konsequenzen von und für Albrecht Schönherr In der Dienstbesprechung beim Staatssekretär für Kirchenfragen wurde im September darüber diskutiert, wie man nun mit Schönherr umgehen solle. Immerhin sei dieser „bis hart an den Rand einer Lüge gegangen.“188 Dennoch solle er „nicht fallengelassen werden“, da er in der Vergangenheit „oft weitgehend progressive Standpunkte vertreten“ habe189. Gleichzeitig solle er nicht „sanft angefaßt“ werden: „Im Gegenteil: Künftig kommt es darauf an, ihm unseren Standpunkt in prinzipieller Härte entgegenzustellen.“190 Wie bei den Pfarrern war man in der Dienststelle bei Schönherr der Meinung, dass man ihn strafrechtlich zur Rechenschaft ziehen könne. Dies wurde ihm auch angedroht191. Schönherr selbst rechnete mit einer Verhaftung.192 Neben den vielen ,Aussprachen‘ in der Dienststelle erwuchsen Schönherr auch im persönlichen Bereich Konsequenzen aus seiner Unterschrift und der Weigerung, diese zurückzuziehen. Während Schönherr noch am 4. September von Seigewasser ermutigt worden war, nach Berlin umzuziehen, wandte sich das Blatt nun grundlegend. Am 19. Dezember erarbeitete die Dienststelle eine Stellungnahme zu dessen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung in Berlin. Darin hieß es, dass ihm ein Umzug zu einer Zeit nahegelegt worden sei, da er sich um „ein gutes sachliches Verhältnis“ zu den jeweiligen staatlichen Stellen inklusive dem Staatssekretär bemüht habe193. Inzwischen trage er jedoch im Gegenteil durch die enge Bindung an Scharf, die EKD und die ,reaktionären‘ Kräfte in Berlin-Brandenburg – genannt wurden Ringhandt, Hildebrandt und Figur – und die Kanzelabkündigung zu „einer wesentlichen Verschärfung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat“ bei194. Außerdem könnten in Berlin 188 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 9. 1968, und am 17. 9. 1968 vom 11. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/400). 189 Ebd. 190 Ebd. Auch Bruderschaften wurde als Aufgaben für das kommende Jahr nahegebracht, dass man Schönherr zu einer „eindeutigen“ Position bringen müsse. Vgl. Aktenvermerk über ein Gespräch mit den Bruderschaften am 3. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/791 ebenso 2951). 191 Vgl. Aktenvermerk vom 4. 11. 1968 über ein Gespräch des Staatssekretärs mit Bischof Schönherr und Generalsuperintendent Jacob in der Dienststelle des Staatssekretärs am 31. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/433 ebenso 2950). 192 Vgl. Information vom 3. 9. 1968 über durchgeführte und geplante provokatorische Handlungen der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg, 2; und Situation innerhalb der ev. Kirchenleitung nach Verabschiedung des Briefes an die Kirchen der CSSR vom 17. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 92, 106). 193 Vgl. Stellungnahme von 19. 12. 1968 zum Antrag von Bischof Schönherr zur Aufenthaltserlaubnis in Berlin (BArch DO 4/792). 194 Ebd. und weiter: „Sein provokatorischer Brief an die Kirchen in der CSSR anläßlich der Hilfsmaßnahmen der fünf sozialistischen Länder läßt erkennen, daß er trotz eines ausführlichen Gespräches beim Genossen Staatssekretär vor Veröffentlichung des Briefes nicht bereit war, den politischen Realitäten und der Vernunft Rechnung zu tragen.“ Franz-Reinhold Hildebrandt war Präsident der Kirchenkanzlei der EKU und ständiger Gast in der Kirchenleitung.

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Westdeutsche durch den Tagespassierschein mit ihm direkt in Verbindung treten. Aus diesen Gründen wurde der Antrag abgelehnt. Auch auf die Familie Schönherrs wurde der Druck verstärkt. So wurde seinem jüngsten Sohn zunächst der Zugang zur EOS verwehrt195. Dessen Klassenlehrer bestätigte ihm zwar Intelligenz, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit, zudem Höflichkeit und Hilfsbereitschaft schwächeren Schülern gegenüber. All das wurde allerdings gegen ihn ausgelegt. Er versuche, in der Klasse den Ton anzugeben, über seine christliche Weltanschauung und Pazifismus zu diskutieren und benehme sich gegenüber klassenbewussten Schülern „überheblich, borniert und z. B. gehässig“196. Neben weiteren ,Argumenten‘ wurde vor allem hervorgehoben: „Er bekennt sich zwar offen zum Sozialismus in der DDR (weil er in unserem Staat lebt), zeigt aber in solchen entscheidenden Situationen, wie am 21. August 1968, daß er keine klassenmäßigen Schlußfolgerungen zieht. In einem Gespräch mit einem Klassenkameraden brachte er zum Ausdruck: ,Das, was die Sowjetunion in der CSSR tut, ist reiner Imperialismus.‘“197

Solche Argumente vertrat er auch offen im Unterricht. Sein Lehrer empfahl ihn daher nicht an die EOS. An sich waren solche Ablehnungen gängige Praxis. Doch Schönherrs Sohn wurde nicht einfach so abgelehnt, sondern diese Ablehnung wurde durch die Dienststelle des Staatssekretariates für Kirchenfragen eigens noch einmal voll bestätigt198. Schönherr bemühte sich in der Folge um Schadensbegrenzung. So schrieb er Anfang Oktober einen Brief an Bassarak, in welchem er dessen Vorwurf, gelogen zu haben, zurückwies199. Auf einer Reise nach Ungarn, ebenfalls im Oktober, hielt er sich offiziell äußerst zurück. Nur in internen Gesprächen mit ungarischen Kirchenvertretern positionierte er sich gegen das militärische ˇ SSR und damit gegen die offiziellen Äußerungen der UnEingreifen in der C garischen Kirchen200. Des Weiteren sprach er die neue Verfassung als Problem an und äußerte Sympathie für die Leitung der CFK201. Am 25. November wurde Schönherr erneut zu einer ,Aussprache‘ ins Staatssekretariat für Kirchenfragen geladen. Im Verlauf des Gesprächs versuchte er einzulenken und das Verhältnis zwischen Staat und seiner Kirche wieder zu verbessern. Er gestand den Gesprächspartnern zu, dass er selbst von politischen Dingen nicht genügend verstehe, aber die geforderte Entschuldigung und ein EingeVgl. Hintergrundgespräch mit Schönherr am 9. 8. 2005. Beurteilung für den Schüler Johannes Schönherr vom 5. 11. 1968. Abschrift (BArch DO/ 4 792). Ebd. Ebd. Handschriftlich wurde die Ablehnung verzeichnet und bestätigt. Vgl. Brief Schönherrs an Bassarak, am 8. 10. 1968 (BArch DO 4/792). Vgl. Information an den Genossen Staatssekretär, vom 1. 11. 1968 (BArch DO 4/792 ebenso 313 und 240). 201 Vgl. Vermerk vom 25. 11. 1968 über ein Gespräch mit dem Genossen Potodczky vom Staatsamt in Budapest am 22. 11. 1968, 2 (BArch DO 4/792).

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ständnis, mit der Kanzelabkündigung einen Fehler begangen zu haben, legte er nicht ab202. In anderen Gesprächen mit verschiedenen staatlichen Vertretern versuchten Schönherr, Manfred Stolpe und weitere Kirchenvertreter, den Brief als für den Staat doch im Grunde nützlich hinzustellen, denn so habe man schärfere Protestaktionen einzelner Pfarrer oder Konvente eindämmen können203. So hofften sie wahrscheinlich, wieder mit dem Staat ins Gespräch kommen und einige Sanktionen abschwächen zu können. Anfang 1969 versuchte Schönherr, sein Problem der Zuzugserlaubnis und der Nichtannahme seines Sohnes zur EOS bei einem Gespräch mit Seigewasser, in welchem es eigentlich um die bevorstehende Bundesgründung ging, anzubringen. Doch Seigewasser wiegelte ab, die Dienststelle sei dafür nicht zuständig und außerdem solle Schönherr sein „politisch falsches Verhalten“ zum 21. August bedenken204. Mitte 1969 beschrieb Schönherr seine Situation in einem Brief an Seigewasser als „grotesk“205. Erst sei er gedrängt worden umzuziehen, bis die Kirchenleitung im Juni 1968 endlich dem Umzug zugestimmt habe, eine mündliche Zusage des Oberbürgermeisters habe er schon gehabt. Doch bis heute habe er keine Benachrichtigung auf den schriftlichen Antrag erhalten. Handschriftlich ist unter seinem Brief vermerkt, dass der Staatssekretär mit ihm gesprochen habe, jedoch: „solange Brieffunktion nicht geklärt, keine Möglichkeit.“206 Die Situation blieb jedoch bis 1972 bestehen207. Schönherr selbst zog ebenfalls Konsequenzen aus den Ereignissen von 1968. Im Herbst 1964 hatte er für ein Jahr den Vorsitz des RA der CFK in der DDR innegehabt, hatte dieses Amt dann Ende 1965 aus Rücksicht auf seine Kirchenleitung an Bernhardt abgegeben, blieb allerdings Stellvertreter208. Während er im Frühjahr 1968 noch der DDR-Delegation zur III. ACFV angehörte, distanzierte er sich im Zuge der Krise von ihr. Er zog sich vom WAK

202 Vgl. Kurzbericht über eine Aussprache mit Bischof Schönherr am 25. 11. 1968, vom 27. 11. 1968, 4 (BArch DO 4/423). 203 Z. B. Aktenvermerk. Aussprache mit Konsistorialrat Stolpe am 19. 9. 1968 vom 20. 9. 1968, 1 (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 73). 204 Vgl. Protokoll über die Aussprache beim Staatssekretär für Kirchenfragen mit Bischof Schönherr und Konsistorialrat Stolpe am 21. 1. 1969 vom 22. 1. 1969, 5 (BArch DO 4/566). 205 Brief Schönherrs an Seigewasser vom 4. 6. 1969 (BArch DO 4/792). 206 Ebd. Zusätzlich wurde Anfang Juni 1969 in einem Gespräch zwischen verschiedenen Funktionären abgesprochen, die Zuzugsgenehmigung an die Klärung der Trennung von BerlinBrandenburg zu koppeln. Vgl. Aussprache am 2. 6. 1969 bei Staatssekretär Seigewasser über kirchenpolitische Probleme, 2 (ACDP 07-013-3253). 207 Vgl. Mau, Protestantismus, 104. 1972 wurde über Schönherr geurteilt: „Bischof Schönherr unterstützt die außenpolitische Konzeption der DDR sowohl als Vorsitzender des Bundes als auch als Bischof der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg. Er ist aber nicht bereit, die kirchenpolitischen Konsequenzen für sich voll zu ziehen. Hier wirken stark sozialdemokratische Ideen.“ Information zur politischen Situation und zu aktuellen Tendenzen in den evangelischen Kirchen in der DDR vom 4. 12. 1972, 12 (BArch DO 4/402). 208 Vgl. Brief Schönherrs an Hrom dka vom 12. 9. 1964 und Brief Ordnungs an Hrom dka 20. 12. 1965, 2 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-14).

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zurück209. Ebenso lehnte er wie die Mehrzahl der Pfarrer eine Teilnahme an einer der Bezirksdelegiertenkonferenzen der CDU ab210.

3.2. Die Synode Die Synode von Berlin-Brandenburg tagte in Regionalsynoden. Gerade die östlichen Regionalsynoden standen immer unter besonderer staatlicher Beobachtung und versuchter Beeinflussung. Im Herbst 1968 war der Grund vor ˇ SSR. Das kirchliche Hauptthema allem der Brief der Kirchenleitung in die C dagegen war die Diakonie. Im Frühjahr 1969 stand mit der bevorstehenden Bundesgründung schon ein ganz anderes Thema im Vordergrund. Präses der Synode war bis 1970 Superintendent Fritz Figur. Die Teilsynode Ost fand vom 1. bis 5. November 1968 statt211. Am 23. Oktober 1968 stimmte man sich in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen mit den Referenten für Kirchenfragen der einzelnen Bezirke über die kommende Herbstsynode ab. Wie sollte mit dem Brief in die ˇ SSR und der bevorstehenden Gründung eines eigenständigen Bundes der C östlichen Landeskirchen umgegangen werden? Die Verständigung über letzteres Thema war relativ einfach und eindeutig: Ziel blieb die völlige Trennung von der EKD, jedoch ohne eigenständige Annäherung der östlichen Landesˇ SSR kirchen untereinander212. Die Frage jedoch, wie man mit dem Thema C umgehen sollte, war schwieriger zu klären. Zunächst schätzten die staatlichen Funktionäre die Situation so ein, dass Schönherrs Brief in der Kirche kritisch gesehen würde, da er zu Streitigkeiten zwischen den Landeskirchen geführt habe und niemand mehr Interesse an ihm habe. Daher entschieden sich die Referenten für Kirchenfragen, dass eine Diskussion über diesen Brief in der Synode zu provozieren sei. Als Offensive sollte ein Schreiben aus dem Bezirk Potsdam dienen, das Schönherrs Brief verurteilte. Es sollte kurz vor der 209 Vgl. Schçnherr, Zeit, 204. 210 Vgl. Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/ 22). Der Bezirksvorstand von Neubrandenburg z. B. klagte, dass viele Pfarrer unter Hinweis auf den 21. August die Einladungen nicht annahmen. „Sie sehen den Einmarsch der sozialistischen Länder in die CSSR als eine Vergewaltigung des tschechoslowakischen Volkes an. Viele äußerten, wenn ihnen die Garantie gegeben werden könnte, daß die Probleme der CSSR nicht auf die Tagesordnung der Konferenz kommen, werden sie an der Tagung teilnehmen, denn es ist ihnen unmöglich, bei Behandlung dieses Problems beruhigt zu sein oder sogar den getroffenen Maßnahmen zuzustimmen.“ BV Neubrandenburg. Berichterstattung vom 3. 9. 1968, 1 f. (ACDP 07-012-1536). 211 Die Teilsynode von Berlin-West fand vom 15.–19. 11. 1968 ebenfalls unter dem Thema Diakonie in Spandau statt. 212 Vgl. Vermerk über eine Beratung mit den Referenten für Kirchenfragen der Berlin-Brandenburger Bezirke zur Vorbereitung der bevorstehenden Herbstsynode der Landeskirche am 23. 10. 1968 vom 24. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/2946).

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Synode am 30. Oktober in der Neuen Zeit veröffentlicht werden213. Ziel war, dass die Synode sich von dem Brief der Kirchenleitung distanzierte oder ihn sogar verurteilte. Auf Grundlage dieser Entscheidungen wurde bestimmt, mit welchen Synodalen im Vorfeld über die beiden Themen gesprochen werden sollte. Als aus diesen Gesprächen jedoch deutlich wurde, dass die Beurteilung, die Kanzelabkündigung würde in der Kirche kritisch gesehen, nicht haltbar war, wurde der staatliche Plan für die Synode kurzfristig am 29. Oktober umgekehrt: der Brief sei zu verschweigen und die Veröffentlichung der Gegendarstellung in der Neuen Zeit zurückzuziehen214. Die Befürchtung war, dass eine Kontroverse über den Brief auf der Synode zur Vertrauensfrage für Schönherr führen könnte, die dieser bestehen würde. Dies würde wiederum eine indirekte Befürwortung des Briefes bedeuten und damit das Gegenteil von dem erreichen, was staatlich erwünscht war. Daher könne „eine Auseinandersetzung über den Schönherr-Brief auf der Synode nicht in unserem Interesse liegen.“215 Einen Tag vor Beginn der Synode wurden Schönherr und Jacob zu einem Gespräch zu Seigewasser in die Dienststelle geladen. Gesprächsgegenstand der ˇ SSR und der etwa dreistündigen Unterredung waren die Ereignisse in der C Brief der Kirchenleitung. Noch einmal wurde den beiden erklärt, dass der Brief auf „völliges Unverständnis [ge]stoßen“ und das Verhältnis zum Staat schwer belastet sei216. Man habe schon Verständnis für „gefühlsmäßige“ Äußerungen, „aber den Verstand gänzlich auszuschalten, […] das dürfte auch für Vertreter der Kirche gefährlich sein.“217 Die protestantischen Kirchen Polens und Ungarns wurden als Vorbild hingestellt und „die vier anderen Kirchen haben wenigstens geschwiegen und damit sicherlich klüger reagiert.“218 Schönherr betonte wieder die Eigenständigkeit des Briefes und dass er als Trost gedacht ˇ SSR war, während Jacob wiederum auf die Gespräche mit Theologen aus der C zur Vollversammlung des ÖRK in Uppsala verwies. Im Grunde gab es weder neue Argumente, noch ein Einlenken einer der beiden Seiten. Seigewasser forderte: „Das Eingreifen der fünf sozialistischen Staaten hat den Frieden gerettet und ist als eine besonnene Tat für den Frieden zu betrachten. Zu diesem Standpunkt der Vernunft müßten sich auch die Kirchen in der DDR ˇ SSR durchringen.“219 Gegen Ende des Gesprächs warnte er davor, das Thema C 213 Vgl. ebd., 3. Der Brief wird nicht näher geschildert. Wahrscheinlich handelte es um das Schreiben des Kreisausschusses Pritzwalk „Arbeitsgruppe Christliche Kreise“ der Nationalen Front vom 24. 9. 1968 (ELAB 35/719). Siehe Kapitel 4.3.3.4., 267. 214 Vgl. Nachtrag zum Aktenvermerk vom 24. 10. 1968 am 29. 10. 1968, Vorbereitung der Herbstsynode der Landeskirche Berlin-Brandenburg (BArch DO 4/2946). 215 Ebd. 216 Vgl. Aktenvermerk vom 4. 11. 1968 über ein Gespräch des Staatssekretärs mit Bischof Schönherr und Generalsuperintendent Jacob in der Dienststelle des Staatssekretärs am 31. 10. 1968, 1 (BArch DO 4/433 ebenso 2950). 217 Ebd., 2. 218 Ebd. 219 Ebd., 4.

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auf der Synode „hochzuspielen“220. Beide Kirchenmänner versicherten, dass dies nicht von ihnen intendiert sei. Seigewasser stellte zudem klar, dass eine ˇ SSR im GeÄußerung der Synode zu den aufgrund von Protesten für die C fängnis sitzenden Jugendlichen für ihn inakzeptabel sei221. Als zusätzliche indirekte staatliche Botschaft wurden wenige Tage vor Synodenbeginn Vikare aus Berlin-Brandenburg im Zusammenhang mit dem 21. August verurteilt222. Die Synode vermied eine öffentliche Äußerung, betete aber für die Vikare223. Das eigentliche Thema der Synode war die Diakonie, doch dieses Thema interessierte die staatliche Seite wenig und kommt in ihren Berichten nicht zum Tragen224. Der Rechenschaftsbericht vor der Synode ging auf verschieˇ SSR-Thematik war nur ein Punkt unter dene Fragen der Kirche ein. Die C vielen. In dem Exemplar, dass sich in den staatlichen Akten über die Synode befindet, wurden drei Stellen handschriftlich durch Ausrufungszeichen besonders gekennzeichnet: die Kritik an den Zugangsvoraussetzungen zur EOS, die Kritik am Umgang mit der neuen Verfassung und der Absatz über die ˇ SSR225. Gleich zu Beginn hob der Rechenschaftsbericht hervor, dass es C wichtig sei, nicht zum Getriebenen zu werden, sondern Änderungsprozesse aktiv mitzugestalten. So wurden verschiedene strukturelle Änderungen ge220 Ebd., 5. 221 Das Thema wird erst rückwirkend im Bericht über die Synode erwähnt: „Bischof Schönherr erklärte in dem Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser ,seine Befürchtungen‘, daß in der Synode zu den Verurteilungen von Jugendlichen negativ Stellung bezogen würde. Auch in dieser Frage wurde ihm durch den Genossen Staatssekretär und der Leitung der Synode gegenüber durch die dort anwesenden Vertreter der staatlichen Organe nachdrücklich erklärt, daß wir keine Einmischung in staatliche Angelegenheiten dulden werden.“ Entwurf. Einschätzung der Synode der Kirche Berlin-Brandenburg vom 1.–5. 11. 1968, am 8. 11. 1968, 9 (BArch DO 4/444 ebenso 2946). 222 Insgesamt waren drei ehemalige Theologiestudenten aus dem Sprachenkonvikt in Berlin ˇ SSR geschrieben hatten. In dem verurteilt wurden, weil sie einen Brief an die Botschaft der C Brief war wieder davon gesprochen worden, dass man sich ob der Beteiligung Deutscher nach 30 Jahren schäme. Im Frühjahr 1969 wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Vgl. Winter, Beziehungen des ”Sprachenkonvikts”, 215. Stolpe hatte am 31. Oktober eine Aussprache mit Quast von der CDU. Quast warnte vor Provokationen und drohte: „Ich [Quast] fragte ihn, ob denn Schönherr etwa der Meinung sei, daß der Staat auf die Dauer Provokationen eines Bischofs dulden und nur Vikare zur Verantwortung ziehen werde.“ Synode Berlin-Brandenburg und Strukturkommission. Aussprache mit Konsistorialrat Stolpe am 31. 10. 1968 vom 1. 11. 1968, 2 f. (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 79 f.). 223 Verärgert nahmen staatliche Vertreter zur Kenntnis, dass in der Andacht zur Eröffnung des zweiten Sitzungstages auch „für die Lösung internationaler Konflikte“ gebetet wurde. Als Erklärung hieß es auf der Synode dazu: „Das sei besonders daher nötig, da einige, die sich dafür eingesetzt haben, gegenwärtig verhaftet und gefangen sind.“ 1. Information über den Verlauf der Synode Berlin-Brandenburg vom 1.–5. 11. 1968, 1 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/20). 224 Es gibt eine MfS Information, die im Wesentlichen Stellen zu politischen Fragen aus dem Rechenschaftsbericht von Schönherr zitiert. Vgl. Information 1248/68 vom 8. 11. 1968 über die Herbstsynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg in der Zeit vom 1.–5. 11. 1968, 7 Seiten (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1611). 225 Vgl. Rechenschaftsbericht der Kirchenleitung für die Tagung der Provinzialsynode 1968, 12 – 14 (BArch DO 4/2946) ebenso (ELAB 35/719).

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nannt und auf die Schwierigkeiten einer Mission, z. B. in Neubaugebieten, eingegangen. Die Schwierigkeit eines EOS-Zugangs für christliche Kinder wurde als brennend bezeichnet, die Sprengung des Turms der Heilig-KreuzKirche in Potsdam bedauert und dabei darauf hingewiesen, dass dies kein Fall einer „guten Auslegung des verfassungsmäßigen Mitbestimmungsrechts“ gewesen sei226. Auf die Verfassungsdiskussion wurde ebenso eingegangen wie auf ein Recht der Kirche auf kulturelle Veranstaltungen. Das Angebot, 100 körperbehinderte Kinder aus Vietnam aufzunehmen, konnte aufgrund staatlicher Ablehnung nicht umgesetzt werden. Ein Absatz beschäftigte sich ˇ SSR, dem jegliche Schärfe geauch mit dem Brief an die Kirchen in der C nommen worden war. Es wurde betont, dass es keinen „Anstoß von außen“ gegeben habe227. Der Brief sei als „ein Wort brüderlicher Tröstung gedacht“ gewesen und auch in diesem Sinne verstanden worden; „Sensationsmache“ sei nicht damit betrieben worden, wichtig bleibe das Bemühen um Versöhnung und Frieden228. Als Kirche, die sich nicht von Westberlin trennen lassen wollte, wurde im Tätigkeitsbericht auch auf die Studentenunruhen dort hingewiesen und das positive Votum der Westberliner Regionalsynode zu Bischof Scharfs Vorgehen begrüßt. Auch auf den Entwurf einer Ordnung für einen eigenständigen Bund wurde eingegangen, dabei jedoch betont, dass an der Gemeinschaft mit den Kirchen in der BRD festgehalten werden soll. Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen urteilte über die Synode, dass die Kirche versuche, mit Hilfe einer ,kritischen Mitarbeit‘ ihren Einfluss auf die Gesellschaft auszuweiten229. Kritisch wurde bewertet, dass die Lösung von der EKD nicht als Absage an die Gemeinschaft der Christen in Deutschland verstanden werden sollte. Schönherr wurde hier Verkennung der Realität und Abhängigkeit von Westberlin unterstellt. Die positive Erwähnung Scharfs im Tätigkeitsbericht sah man als Beweis an, „daß hier 226 Ebd., 12. An der Humboldtuniversität kritisierten einige Geschichtsstudenten das Abreißen der Garnisionskirche. Sie wurden relegiert. Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 471. 227 Vgl. Rechenschaftsbericht der Kirchenleitung für die Tagung der Provinzialsynode 1968, 14 (BArch DO 4/2946) ebenso (ELAB 35/719). Dies spielt noch einmal auf die Vorwürfe seitens Seigewassers an, der Brief sei zwischen Schönherr und Scharf Mitte August in Prag abgesprochen worden. 228 „Die Kirchenleitung hat den Brief den Gemeinden ihres Kirchengebietes bekannt gegeben und empfohlen, ihn im Gottesdienst zu verlesen. Viele Fragen und Anstöße aus den Gemeinden hatten erkennen lassen, daß eine Äußerung der Kirchenleitung erwartet wurde. Der Brief war als ein Wort brüderlicher Tröstung gedacht und ist, wie wir erfahren haben, von den Empfängern auch so verstanden worden. […]. Nach wie vor kommt es darauf an, soviel an uns ist, dazu beizutragen, Wunden zu heilen und zur Versöhnung und Frieden beizutragen.“ Ebd. 229 „Mit dieser Methode [der kritischen Mitarbeit] wird aus dem Engagement der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger in der sozialistischen Gesellschaft eine Form der ideologischen Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Staates der Arbeiter und Bauern, der Gestaltung des Sozialismus und der Diktatur des Proletariats. Das soll zu einer organisierten Struktur der ideologischen Diversion führen.“ Entwurf. Einschätzung der Synode der Kirche BerlinBrandenburg vom 1.–5. 11. 1968, am 8. 11. 1968, 1 (BArch DO 4/444 ebenso 2946). Alle folgenden Zitate von hier, 1 – 10.

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eindeutig sozialdemokratische Positionen der Liberalisierung bezogen werden.“ Man ging soweit, diese Erwähnung als „Unterstützung der Politik von Brandt und Wehner gegen die DDR“ zu bewerten. Die kirchliche Kritik an der neuen Verfassung wurde als „eindeutig unrichtige[…] Auslegung“ zurückgewiesen, die Äußerungen zu einer eigenen Kulturarbeit, der EOS, dem Abriss der Potsdamer Kirche und den Bibelrüstzeiten als „anmaßende ˇ SSR wurden noch einmal die Weise“ zu reden bezeichnet. Zum Thema C Anstrengungen hervorgehoben, dem Bischof und „einer großen Anzahl von Synodalen“ zu untersagen, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Mit den vorsichtigen Formulierungen war man dennoch nicht zufrieden, da diese erfolgten, „ohne jedoch auch nur einen Satz vom Inhalt des Schreibens zurückzunehmen oder einzuschränken.“230 Über Schönherr wurde der Stab gebrochen. Er habe seine Chance beim Staat vertan, weil er sich mit den falschen, nämlich den ,reaktionären‘ Leuten seiner Landeskirche eingelassen habe, eindeutig zur Sozialdemokratie gekommen sei und sich Scharf unterordne. So sei es auf der Synode für die ,reaktionäre‘ Seite nicht einmal mehr nötig gewesen, sich offen zu positionieren und durchzusetzen, weil ihnen Schönherr schon durch den Rechenschaftsbericht „zuarbeitete.“ Positiv wurde der WAK hervorgehoben, der sich gegen die „politisch feindliche Konzeption der Kirchenleitung“ gestellt habe, ohne dass dies näher spezifiziert wurde231. Dies wirkt wie Hohn, hatte doch Schönherr selbst lange in diesem Kreis mitgearbeitet und distanzierte sich erst aufgrund der hier ˇ SSR auch das Auseinverhandelten Themen. Zugleich wurde am Thema C anderdriften der ,Progressiven‘ eben durch die unterschiedliche Beurteilung ˇ SSR deutlich, da der staatliche Bericht beanstandete, der Ereignisse in der C dass Synodale, die vorher den WAK unterstützt hätten, nun nicht mehr dazu bereit seien232. Dass das Ziel ursprünglich gewesen war, den Brief öffentlich zur Diskussion zu stellen und seine Verurteilung zu erreichen, wurde mit keiner Silbe mehr erwähnt. In dem Bericht über die Synode wurde die Veränderung des Maßnahmenplanes nicht erwähnt, als wäre schon am ˇ SSR zu unterdrücken. Nach 23. Oktober beschlossen worden, das Thema C einer achtseitigen Mängelliste mutet das letztendliche Resümee, die Synode sei in Bezug auf den veränderten Maßnahmenplan, als Erfolg zu werten, übertrieben an: „Wir können einschätzen, daß es uns gelungen ist, eine Diskussion über Fragen der CSSR zu verhindern und die Synode dazu zu

230 Ebd., 3. Im Entwurf handschriftlich hinzugefügt. 231 Ebd., 7. Letztendlich hatte nur Hanfried Müller versucht, die staatlichen Forderungen einer totalen Trennung von der EKD in die Synode zu tragen. 232 „Die in der vorigen Synode die Gruppe des Weißenseer Arbeitskreises aktiv unterstützenden Geistlichen aus dem Bereich der Superintendentur Schüler / Cottbus waren diesmal nicht bereit, unsere politische Konzeption zu unterstützen, da sie nach den Ereignissen in der CSSR und den militärischen Hilfsmaßnahmen der 5 sozialistischen Länder ein politisches Engagement ablehnen.“ Ebd., 8.

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zwingen, Strukturfragen zu diskutieren.“233 Die nächste außerordentliche Regionalsynode, Anfang Mai 1969, hatte als einzigen Grund die Verabˇ SSR spielte keine Rolle mehr. schiedung der Ordnung des Bundes234. Die C

3.3. Die Sprengel und Kirchenkreise Anders als in den anderen Landeskirchen waren die Auseinandersetzungen in den einzelnen Sprengeln, Kirchenkreisen und Gemeinden nicht im gleichen Maße von den Pfarrern vor Ort abhängig. Dort überlegten diese in stärkerem Maße je für sich, mit befreundeten Kollegen, in ihren Konventen, Gemeindekirchenräten, Kreissynoden und anderweitigen Gremien, wie in dieser Situation evangeliumsgemäß gehandelt werden sollte oder auch gar nicht gehandelt zu werden bräuchte. In Berlin-Brandenburg stand der Bitte der Kirchenleitung, ihren Brief von den Kanzeln zu verlesen, das staatliche Verbot gegenüber, eben dies zu tun. Aber auch hier suchten die einzelnen Pfarrer und Superintendenten unterschiedliche Antworten und Ausweichmanöver, wessen Wort höher zu achten sei: das der eigenen Kirchenleitung oder das der eigenen Regierung und womit sich das eigene Gewissen und das Evangelium in dieser Situation am ehesten vertrugen. Daher wird in den folgenden Einzelbetrachtungen auch dieser Brief die größte Rolle spielen. Mit allen Superintendenten oder deren Vertretern waren am Sonnabend, dem 7. September, durch die entsprechenden Referenten für Kirchenfragen der Bezirke oder Kreise aufgrund der Weisung vom 6. September ,Aussprachen‘ geführt worden, um die Verlesung des Briefes an die Kirchen in ˇ SSR als Kanzelabkündigung zu unterbinden. Für die Gesprächsabläufe der C war durch die Dienststelle des Staatssekretariats vorgegeben worden: „Eine Diskussion über diese Weisung ist nicht möglich. Die Superintendenten sind im Weigerungsfall auf die Folgen zu verweisen, die eintreten müssen, wenn derartige für die Kirche unzulässige und in ihrer Wirkung provozierende Maßnahmen durchgeführt werden.“235 In den meisten Fällen blieben diese ,Aussprachen‘ ohne das erwünschte Ergebnis. Die meisten Superintendenten kamen der Forderung, den Brief gar nicht erst an die Pfarrer weiterzuleiten, nicht nach. Begründungen waren, dass dieser Brief immerhin von der Kirchenleitung kam und sie darüber nicht hinweggehen könnten, unabhängig von ihrer eigenen Meinung. Die staatliche Weisung wäre eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Kirche, während der Brief als Fürbitte keine Einmischung in staatliche Angelegenheiten darstelle. Auch 233 Ebd., 9 f. 234 Vgl. Lepp, Tabu?, 872. 235 Telefonische Information an die Räte der Bezirke Potsdam, Frankfurt / Oder, Cottbus, Neubrandenburg und an den Magistrat der Hauptstadt Berlin vom 6. 9. 1968, 1 f. (BArch DO/4 791 ebenso 152 und 423).

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der zusätzlichen Forderung, die staatliche Weisung bei ihren Pfarrern durchzusetzen, kamen die meisten nicht nach. Ausweichargumente waren, dass man erst mit der Kirchenleitung Rücksprache halten wolle oder man die Weisung zwar weitergeben könne, es jedoch im Ermessen jedes Pfarrers stehe, ob er sie befolgen würde236. Zeitnah wurden die Rückläufe aus den Gesprächen in einem namenlosen Bericht zusammengefasst, der 30 Äußerungen der 48 Superintendenten bzw. deren Vertreter der Berlin-Brandenburgischen Kirche enhält237. Vier Superintendenten sagten zu, die staatliche Weisung an die Pfarrer weiterzugeben238. Nur einer sicherte zu, dass der Brief in seinem Bereich nicht verlesen werden würde239. Zehn wichen einer Antwort aus und verwiesen auf unterschiedliche Weise auf die Kirchenleitung, 16 sagten klar, dass sie der Weisung nicht Folge leisten würden. Zudem weigerten sich drei überhaupt, zu den Gesprächen zu erscheinen. Die Meinungen der weiteren Superintendenten, die nicht namentlich erwähnt sind, gehören zu der Gruppe die sich unter der „Mehrheit“ verbirgt, die auf die Gespräche „mit großer Zurückhaltung“ reagierte240 bzw. die „keine klare Stellungnahme“ abgaben241. Prozentual bedeutet dies:

236 „Die meisten Superintendenten erklärten jedoch, sie würden sich an die Weisung ihrer Landeskirche halten, da diese für sie bindend sei.“ Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 6 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573 ebenso HA XX/4, Nr. 1233). 237 Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich am 7. 9. 1968 über die Gespräche mit den Superintendenten (BArch DO 4/2936 ebenso 423); vgl. Pfarralmanach für die Evangelische Kirche in BerlinBrandenburg Stand 1970, 9 – 13. 238 So auch in späteren Berichten: Z. B. Information über die Situation in der Kirche BerlinBrandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/22); und Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 8 (SAPMO-BArch DY 30/ IV A2/14/5). CDU-Berichte erwähnen – leicht abweichend – drei Superintendenten. „Die Superintendenten beriefen sich fast überall auf die Weisungen ihrer Kirchenleitungen. Nur die Superintendenten Himmel, Karlshorst, Detert, Oranienburg und Schulz, Zossen, erklärten, daß sie gegen eine Kanzelabkündigung seien, aber wahrscheinlich auch in ihren Gemeinden die Verlesung nicht verhindern könnten.“ Aktenvermerk. Ereignisse in der CSSR vom 11. 9. 1968, 1 (ACDP 07-010-3252). 239 Dazu siehe Oranienburg, Kapitel 4.3.3.3.1., 263 – 264. 240 So für den Bezirk Potsdam, in welchem laut Bericht mit allen Superintendenten gesprochen wurde und zunächst die Mehrheit mit obiger Aussage bezeichnet wurde. Zehn Superintendenten wurden nicht namentlich erwähnt. Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 4 (BArch DO 4/2936 ebenso 423). 241 So für den Bezirk Frankfurt / Oder, in welchem fünf Superintendenten nicht namentlich erwähnt wurden. Aber „Von keinem Sup. [sic!] gibt es eine klare Stellungnahme, daß sie der Weisung des Staates Folge leisten werden.“ ebd., 5.

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Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg Abbildung 1. Verhalten der Superintendenten Brief nicht verlesen; 2,0% Zusage Weisung weiterzugeben; 6,3%

nicht zu Gesprächen; 6,3%

Berufung auf Kirchenleitung; 20,8%

klare Zurückweisung; 33,3%

Zurückhaltung; 31,3% Quelle: eigene Berechnungen. N = 48

Wie umfassend in den einzelnen Gemeinden von Berlin-Brandenburg mit ˇ SSR Stellung geHilfe der Kanzelabkündigung zu den Ereignissen in der C 242 nommen wurde – darüber differieren die Quellen . Übereinstimmung gibt es aber darin, dass sich die Mehrheit der Pfarrer von ca. 66 bis 90 % an der Kanzelabkündigung beteiligte243. So beurteilte die Dienststelle des Staatsekretärs für Kirchenfragen die Situation in einer Information vom 19. September folgendermaßen: dass „erstmalig in der gesellschaftlichen Entwicklung unserer Republik einheitlich mit ganz wenigen Ausnahmen die Superintendenten eines ganzen Kirchenbereiches sich gegen die Weisung der staatlichen Organe auflehnten.“244 Auch Ulbricht erlangte von diesem Brief Kenntnis und ließ über sein Büro bei der Dienststelle genauer nachfragen245. Ulbricht wurde durch Seigewasser von der Weigerung Schönherrs, den Brief zurückzuziehen, in Kenntnis gesetzt. In einer Information Seigewassers an Ulbricht zählt dieser die prozentualen Ergebnisse nach den Ermittlungen der Dienstelle – auf Grundlage der Berichte aus den Bezirken – auf: Bezirk Potsdam 70 %, Frankfurt/ Oder 50 %, Cottbus 40 %. Dann folgen Angaben zur Hauptstadt, die als Fortsetzung der Aufzählung erscheint mit „in der Hauptstadt, wo 50 % […].“ Beim Überfliegen unterläuft leicht der Fehler, Hauptstadt 242 Da Kirchen- mit Bezirks- bzw- Kreisgrenzen nicht übereinstimmten und oft auch keine Namen genannt wurden, konnte auf der Kirchenkreisebene nicht immer konkret zugeordnet werden. 243 Ca. zwei Drittel ist dabei der niedrigste angenommene Wert durch die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED. Vgl. Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 67). 244 Vgl. Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 8 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 7 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 245 Vgl. Anfrage Büro Ulbricht an Seigewasser vom 19. 9. 1968 (BArch DO 4/423).

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Die Situation in den einzelnen evangelischen Landeskirchen 1968

50 % zu lesen. Aber der Satz geht weiter. „In der Hauptstadt, wo 50 % der Kirchen kontrolliert wurden (40 Kirchen), wurde lediglich in drei [sic!] der Brief nicht verlesen.“246 Rechnet man diese Zahlen hoch, so haben in den kontrollierten Kirchen der Hauptstadt 92,5 % der Pfarrer den Brief verlesen. Diese deutliche Zahl, die beinahe an sozialistische Wahlergebnisse heranreichte, wollte man dann anscheinend doch nicht so explizit nennen. Die Zahl 40 % in Cottbus wurde Ende Oktober ebenfalls auf ca. 80 % präzisiert247. Auch die Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg war der Meinung, dass der Brief in der Mehrheit verlesen worden war248. Auf dem Gesamtephorenkonvent mit allen Superintendenten Mitte Oktober 1968 wurden keine Stimmen gegen den Brief der Kirchenleitung laut.249

3.3.1. Die Generalsuperintendentur Cottbus In Cottbus war Günter Jacob Generalsuperintendent. Von 1962 bis 1966 hatte er das Bischofsamt nebenamtlich verwaltet. Jacob war einer der Initiatoren der Kanzelabkündigung, verlas sie in Cottbus und empfahl sie den Pfarrern seines Bereichs zum Verlesen250. Eigens zu diesem Zweck hatte er einen Pfarrersonderkonvent am Sonnabend dem 7. September abends zusammengerufen251. Zwei Superintendenten hatten sich am 7. September bereit erklärt, die staatliche Weisung weiterzugeben. Etwa 80 % der Pfarrer hatten nach staatlichen Angaben den Brief verlesen. Eine genaue Aufstellung aller Geistlichen im Amt wurde am 14. November 1968 an die Dienststelle gesandt. Von den 144 Geistlichen hatten 24 den Brief nicht, 105 den Brief verlesen, je drei den Brief kommentiert bzw. im Gemeindekirchenrat behandelt, fünf waren krank oder 246 Information von Seigewasser über das Büro Ulbricht an Ulbricht zugeleitet am 26. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/423). Die Zahlen liegen einer Information vom 16. 9. 1968 zugrunde. Vgl. Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 4 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/22). 247 Vgl. Vermerk über eine Beratung mit den Referenten für Kirchenfragen der Berlin-Brandenburger Bezirke zur Vorbereitung der bevorstehenden Herbstsynode der Landeskirche am 23. 10. 1968 vom 24. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/2946). 248 So z. B. in einem Brief des Evangelischen Konsistoriums an das katechetische Seminar Potsdam vom 16. 12. 1968, 1 (ELAB 35/719). 249 Vgl. Bericht über den Gesamtephorenkonvent der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, 1 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 119). 250 Vgl. Zusammenfassendes Protokoll über eine Aussprache mit Superintendenten der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg am 17. 12. 1968 in Cottbus, 5 (BArch DO 4/328); und ebd.: „Er selbst hat den Brief im wesentlichen [sic!] konzipiert und trägt somit eine besondere Verantwortung, wenn auch die Kirchenleitung diesen Brief später vom Grundsatz her zugestimmt hat.“ 251 Vgl. Bericht 102/68 vom 11. 9. 1968 über die bisher bekanntgewordenen Diskussionen von Pfarrern, kirchlich gebundenen Personen und Mitgliedern von Sekten zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer, 7 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3073); und ebd.: „Der Generalsuperintendent Jacob hat nach vorliegenden Hinweisen dabei seinen Einfluß geltend gemacht, daß eine Verlesung des Briefes erfolgt.“

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im Urlaub, und in vier Fällen hatte man keine Information252. Prozentual bedeutete dies: Abbildung 2.Verlesen der Kanzelabkündigung in der Generalsuperintendentur Cottbus Krank/Urlaub; 3,5% Brief im GKR ; 2,1%

Brief kommentiert; 2,1%

Verhalten unbekannt; 2,8%

Brief nicht verlesen; 16,7%

Brief verlesen; 72,9%

Quelle: eigene Berechnungen. N = 144

Bereits am 11. September führte das MfS auf 15 Seiten die Meinungen von Pfarrern aus dem Cottbusser Bereich auf. Es kam zu dem Ergebnis, „daß der größte Teil der evangelischen Pfarrer unseres Bezirkes eine ablehnende Haltung zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer bezüglich der Lage in der CSSR einnimmt.“253 ,Positive‘ Meinungen hatte man nur ,vereinzelt‘ angetroffen. So meinte ein Pfarrer aus Calau, es sei richtig, den Frieden zu erhalten, aber er sei „trotzdem nicht mit allen Maßnahmen […] einverstanden.“254 Eine Pfarrerin aus Lübben nannte den Brief „eine Provokation seitens der Kirchenleitung.“255 Im Zuge der Auswertung der eingehenden Berichte der

252 Vgl. Zusammenfassender Bericht des RdB Cottbus über die Haltung der Geistlichen der Ev. Kirche Berlin–Brandenburg zu den Ereignissen in der CSSR vom 14. 11. 1968, 1 f. (BArch DO 4/328). Die gleichen Zahlen werden von der Bezirksverwaltung Cottbus des MfS aufgezeichnet, vgl. Bericht 17/69 vom 5. 2. 1969 über Tendenzen in der Arbeit der evangelischen und katholischen Kirche sowie der illegalen Sekte Zeugen Jehova im II. Halbjahr 1968. Handschriftlicher Vermerk: wurde auf Weisung des Leiters der BV nicht abgeschickt, 2 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3115). Schon am Dienstag, dem 10. September war im RdB Cottbus eine erste Auflistung von 56 Pfarrern zusammengestellt worden, die den Brief verlesen hatten. Vgl. Information über die Kanzelabkündigung der Berlin-Brandenburgischen Kirche am 8. 9. 1968 (BArch DO 4/328). 253 Bericht 102/68 vom 11. 9. 1968 über die bisher bekanntgewordenen Diskussionen von Pfarrern, kirchlich gebundenen Personen und Mitgliedern von Sekten zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer, 1 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3073). 254 Ebd. 255 Ebd., 7. Ihr Superintendent erklärte: „daß er selbst am 21. 8. 1968 in der CSSR war und dies ein

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einzelnen Informanten, die die Gottesdienste ausgespäht hatten, stellte auch der Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres fest, dass einige bisher als ,positiv‘ eingestufte Pfarrer den Brief verlesen hatten und andere, bisher Unauffällige, nicht. Insgesamt wurden drei Pfarrer ermittelt, die sich im Gottesdienst am 8. September für die ,Hilfsmaßnahmen‘ ausgesprochen hätten. Ihre Argumentation war, dass so der Friede gerettet worden sei und sich ˇ SSR bemühe256. Viele wichen den staatlichen die UdSSR um die Probleme der C Anfragen aus. Ein Pfarrer meinte, „daß man zu den Vorgängen und Erklärungen schweigen müsse, er komme da nicht mehr mit“, ein anderer, „daß Politik ein schlechtes Geschäft sei.“257 Ablehnende Meinungen waren allgegenwärtig. Zwei Pfarrer beschlossen zusätzlich zur Kanzelabkündigung, dem Staat ihre abweichende Meinung kund zu tun. Der eine schrieb Briefe an die leitenden Funktionäre seines Kreises, der andere einen solchen an Walter Ulbricht258. Das MfS registrierte „sehr drastische Ausdrücke“, ohne diese genauer auszuführen259. Aus Gebersdorf hieß es, man solle „jede Einmischung von Außen unterlassen“, eine Pfarrerin erklärte: „daß das Eingreifen der Truppen nicht richtig sei, dadurch die beginnende Demokratisierung in der CSSR abgebrochen werde und die Maßnahmen an die Besetzung von 1938 erinnern.“ Zusätzlich zur Kanzelabkündigung äußerten sich Pfarrer in ihren Predigten. So sprach ein Pfarrer von ˇ SSR, der „eine große Schande für uns alle“ sei260. „einem Überfall“ auf die C „Eine Weltmacht und ihre Satelliten hätten sich aus großer Angst nicht anders zu helfen gewußt, als Panzer und Soldaten einzusetzen, leider auch noch einmal wieder deutsche Soldaten, obwohl wir doch genug gelernt haben müßten.“ Der 21. August sei „eine vollkommene Fehlkalkulation.“261 In einem Gespräch beim Rat des Bezirkes Cottbus am 3. Dezember wurden Jacob zur Untermalung, dass das Verhältnis zum Staat „schwer belastet“ sei, Aussagen von Pfarrern aus seinem Bereich zitiert, die „provokatorischen

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schwerer Tag für die Bevölkerung der CSSR gewesen sei. Die Truppen seien mit Gewalt einmarschiert und auch Deutsche seien wieder mit dabei.“ ebd., 10. Vgl. Zusammenfassender Bericht des RdB Cottbus über die Haltung der Geistlichen der Ev. Kirche Berlin–Brandenburg zu den Ereignissen in der CSSR vom 14. 11. 1968, 2 (BArch DO 4/ 328). Bericht 102/68 vom 11. 9. 1968 über die bisher bekanntgewordenen Diskussionen von Pfarrern, kirchlich gebundenen Personen und Mitgliedern von Sekten zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer, 2 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3073). Vgl. Zusammenfassender Bericht des RdB Cottbus über die Haltung der Geistlichen der Ev. Kirche Berlin–Brandenburg zu den Ereignissen in der CSSR vom 14. 11. 1968, 3 (BArch DO 4/ 328). Vgl. Bericht 102/68 vom 11. 9. 1968 über die bisher bekanntgewordenen Diskussionen von Pfarrern, kirchlich gebundenen Personen und Mitgliedern von Sekten zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer, 2 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3073). Ebd., 9; und Ebd: „In allen Predigten dieser 10 Kirchgemeinden [Kreis Forst] standen die Probleme der CSSR und die Haltung der Kirche dazu im Mittelpunkt.“ Ebd., 9.

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Charakter“ hätten, von jenen im Gottesdienst vertreten wurden und für die Jacob die Verantwortung und Schuld gegeben wurde. Denn erst der Brief der Kirchenleitung und die Weiterleitung an die jeweiligen Pfarrer habe sie zu solchen Äußerungen veranlasst. Jacob entgegnete, dass die Kirchenleitung ihre Schritte und deren Konsequenzen reiflich bedacht habe und aus „ökumenischer Verantwortung“ und „um den Pfarrern eine Antwort zu geben“ gehandelt habe. Jacob verwies auf die deutsche Vergangenheit und betonte, dass auch heute – im Dezember 1968 – die Kirchenleitung, wie er selbst, zu diesem Brief stehe. Bei der tschechoslowakischen Bevölkerung hätten Emotionen angesichts der NVA-Uniformen auftreten müssen. Das Wort Emotionen wurde im staatlichen Gesprächsprotokoll in Anführungszeichen gesetzt. Derartige „Emotionen“ konnte oder wollte man sich anscheinend nicht vorˇ SSR. Er unterstrich, stellen. Jacob erwähnte wieder die Theologen aus der C dass die Kirchenleitung nicht an deren Glaubwürdigkeit zweifle und widersprach Bassaraks Charakterisierung von Hrom dka als einem „kleinkarierten Schwätzer.“ Die Moskauer Verhandlungen hätten durchaus eine neue Lage gebracht und die Kirchenleitung erachte die Angelegenheit nun für erledigt. Der stellvertretende Vorsitzende für Inneres des Bezirks Cottbus war dagegen der Meinung, dass sich die Kirche hier „gegen den Staat politisch engagierte“ und fragte, warum dann nicht auch gleichermaßen „gegen die Verbrechen der USA oder das Terror-Regime in Griechenland protestiert wird.“ Jacob zog sich aus der Schlinge, indem er meinte, dass es doch so viel besser wäre, wenn die ˇ SSR, andere Standpunkte als der Staat vertrete und Kirche, in Fragen der C „somit bei anderen Verlautbarungen nicht in den Verdacht kommen kann, das verlängerte Sprachrohr des Politbüros der SED zu sein.“ Im weiteren Verlauf der Unterredung sprach sich Jacob noch für Verhaftete aus, sagte zu, mit den provokanten Pfarrern zu reden und stimmte einem Gespräch zwischen dem Rat des Bezirkes, der Nationalen Front und der CDU mit den Superintendenten zu, nicht ohne seine Bedenken gegen die Teilnahme der CDU auszusprechen262. Zu diesem Gespräch kam es am 17. Dezember 1968. Vorformuliertes Ziel des Rates des Bezirkes Cottbus war, „die Superintendenten davon zu überzeugen, daß ihr Verhalten gegenüber der Politik unseres Staates falsch war und es nunmehr notwendig ist, zu neuen Einsichten zu gelangen, um dadurch das Verhältnis der kirchlichen Amtsträger zu ihrem Staat in Ordnung zu bringen.“263

262 Vgl. Niederschrift über eine Aussprache mit Generalsuperintendent Jacob, Cottbus, am 3. 12. 1968 beim RdB Cottbus vom 4. 12. 1968, 1 – 5 (BArch DO 4/2950). Zu den Verhaftungen von drei Mädchen aus Frankfurt Oder vgl. Kapitel 5.2.2., 455 – 458. 263 Zusammenfassendes Protokoll über eine Aussprache mit Superintendenten der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg am 17. 12. 1968 in Cottbus, 1 (BArch DO 4/328).

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Dies gelang nicht. Die Superintendenten blieben, jeweils schärfer oder versöhnlicher, klarer oder vorsichtiger formuliert, bei ihrer Meinung, dass der Brief der Kirchenleitung gerechtfertigt gewesen sei. So meinte Superintendent Wilhelm Wurm, Luckau, dass es die Menschen habe aufatmen lassen, eine andere Stimme als die des Staates zu hören, und das Motiv für den Brief letztendlich die Beteiligung der NVA am Einmarsch gewesen sei. Gerade die Problematik der Beteiligung der NVA führte im Endeffekt nur dazu, dass sich staatliche und kirchliche Vertreter gegenseitig mangelndes Geschichtsbewusstsein vorwarfen. Superintendent Günter Genetzke, Spremberg, führte aus, dass der Westen keine Rolle gespielt habe, sondern die Haltung der CFK, die erkannt habe, dass Waffengewalt keine Lösung für Fragen politischer und ideologischer Natur sei264. Superintendent Joachim Werdin, Guben, erinnerte an Hrom dka. Dass ausgerechnet die CFK Argumente gegen die staatliche Meinung lieferte, war nicht vorgesehen und es ist somit auch kein Wunder, dass 1969 auf Biegen und Brechen die Konsolidierung der CFK in Moskauer Manier in Angriff genommen wurde. Beide Seiten stritten darüber, ob sich Menschen in der DDR nun eine eigene Meinung bilden dürften oder nicht. Während die kirchliche Seite dies mit Hinblick auf die Verfassung befürwortete, betonten die staatlichen Vertreter wiederum,265 dass man in der DDR eine freie Meinung haben dürfe, sofern sie mit der staatlichen Meinung kompatibel sei. Jedoch dürfe die Kirche die Meinungsbildung nicht in ihrem Sinne beeinflussen. Ein weiter vorgebrachtes Argument für den Brief war die Bitte um Fürbitte seitens der tschechischen Freunde, die durch den Einmarsch betroffen und betrübt gewesen seien. So wurde von den Superintendenten, aber auch durch Jacob versucht, durch das Einbeziehen einer persönlichen Beziehungsebene, die politische Dimension des Briefes und des Streites zu entschärfen, was aber nicht gelang. Denn die staatliche Seite konterte zum einen auf der politischen Ebene, dass es eine „notwendige Pflicht der Klassengenossen“ gewesen sei, der Aufforderung „physischer Vernichtung“ von Kommunisten und ,Fortschrittlichen‘ entgegenzutreten266. Und Hans Weise, Hauptabteilungsleiter in der Dienststelle des Staatssekretariats für Kirchenfragen, schilderte ebenfalls auf der persönlichen Ebene Eindrücke aus seinen ˇ SSR über die Verwirrung der Bevölkerung. Auch eine politische Reisen in die C Argumentationsweise durch Superintendent Reinhard Steinlein, Finsterwalˇ SSR um das Selbstbestimmungsrecht des Volkes gegangen de, dass es in der C 264 Gegenüber der CDU hatte Genetzke im September erklärt, dass, wenn Schönherr die Kanzelabkündigung zurückziehe, auch er sie zurückziehen würde. Vgl. Fernschreiben BV Cottbus vom 9. 9. 1968 (ACDP 07-011-261). 265 Es waren Hauptreferent Weise von der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen und der Stellvertreter für Inneres des RdB Cottbus, die für Kirchenfragen zuständigen Referenten der Kreise Senftenberg und Finsterwalde, ein Vertreter der Nationalen Front und ein Vertreter der CDU. 266 Vgl. Zusammenfassendes Protokoll über eine Aussprache mit Superintendenten der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg am 17. 12. 1968 in Cottbus, 3 (BArch DO 4/328).

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sei, in der Verfassung das Recht auf eigene Meinungsbildung verankert sei und „der Kirche nach wie vor das Recht zur Stellungnahme bei Lebens- und Grundsatzfragen zugestanden werden [müsse], da sie eine große Organisation ist“, stieß auf sofortigen Widerstand267. Weise hakte augenblicklich ein, dass die Kirche eben keine Organisation sei und nie werde. Jacob ging soweit, zu sagen, dass die Kirchenleitung den Brief überdenken werde, sofern nachgeˇ SSR für die Sicherheit und den wiesen werde, dass das Eingreifen in der C status quo in Europa notwendig gewesen sei. Denn die staatlichen Vertreter hatten wieder erklärt, dass der 21. August ein Blutvergießen verhindert habe und der Brief neben der neuen Ostpolitik die Konterrevolution der ,2000 Worte‘ unterstützte. Einer der Superintendenten drehte den immerwährenden Spieß der staatlichen Argumentation um, die Kirchen seien Schuld am schlechten Staats-Kirchen-Verhältnis, indem er meinte, dass die Gesamtheit der Bevölkerung anders denke als der Staat und dieser sich anstrengen müsse, um seine, Superintendent Paul Schülers, Mitarbeit neu zu erringen268. Im Gesprächsverlauf wurde auch verständlich, warum Jacob über eine Beteiligung der CDU an den Gesprächen nicht gerade erfreut gewesen war. Denn der Vertreter der CDU erklärte: „Als Christ steht er voll hinter den Maßnahmen der Regierung“, und als in seiner Gemeinde der Brief verlesen wurde, „war er erschüttert und konnte keine Erleichterung seines Gewissens als Christ feststellen […].“269 Damit fiel er den anderen Anwesenden in den Rücken. Zum Schluss des Gesprächs erfolgte neben der Einladung zu einem nächsten Gespräch am 13. Januar,270 die staatliche Forderung der völligen Trennung von Westberlin, die gegen Siegfried Ringhandt, Gerhard Schmitt, Franz-Reinhold Hildebrandt und Reinhard Steinlein durchzusetzen sei271. Darauf erwiderte der anwesende Steinlein, dass er nicht kommen werde, es für ihn jedoch eine Ehre sei, in dieser Reihe genannt zu werden. Das Gespräch endete im Dissens. Jacob sprach sich nicht nur einmal gegen das militärische Eingreifen in der ˇ SSR aus. Als in der Neuen Zeit eine Stellungnahme des Pfarrerbundes abC gedruckt wurde, die dieses Eingreifen guthieß, schrieb Jacob einen empörten 267 Ebd. 268 Vgl. ebd., 6. Schüler sagte weiter: „Unendlich viele Dinge sind zu klären und betrüben Tausende und Tausende von Christen. Die Auslegung von Meinungen einzelner Christen zu den CSSR-Ereignissen ist nicht menschlich und kaum noch zu verkraften. Die Gesamtheit der Bürger geben ein anderes Bild ab, als es der Staat hat.“ Wahrscheinlich zielte Schüler darauf ab, dass er anders als in der vorhergehenden Synode, nicht mehr bereit war, den WAK zu unterstützen. Vgl. den Abschnitt zur Synode, Anmerkung 232. 269 Zusammenfassendes Protokoll über eine Aussprache mit Superintendenten der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg am 17. 12. 1968 in Cottbus, 4 (BArch DO 4/328). Der Pfarrer, der in jener Gemeinde den Brief verlesen hatte, galt dabei bis dato als ,fortschrittlich.‘ 270 Vgl. RdB Cottbus. Niederschrift über eine Zusammenkunft mit kirchlichen Amtsträgern am ˇ SSR spielte 13. 1. 1969 in Erchau/Kreis Calau, vom 3. 2. 1969 (BArch DO 4/328). Das Thema C kaum eine Rolle, einer direkten Frage der staatlichen Seite wurde ausgewichen, vgl. ebd., 46. 271 Vgl. Zusammenfassendes Protokoll über eine Aussprache mit Superintendenten der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg am 17. 12. 1968 in Cottbus, 7 (BArch DO 4/328).

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Brief an den Vorsitzenden des Pfarrerbundes272. Jacob argumentierte darin und auch gegenüber staatlichen Vertretern immer wieder mit den Gesprächen, die er im Sommer auf der Vollversammlung des ÖRK in Uppsala mit Josef Hrom dka, Jaroslav Ondra und Andrej Zˇiak geführt habe. Diese hätten ihm versichert, „daß konkrete Elemente einer konterrevolutionären Bewegung in der CSSR nicht gegeben waren.“273 Mit dem gleichen Hinweis lehnte er die Einladung der CDU zum 12. Parteitag im Herbst 1968 ab274. Bis 1968 hatte Jacob beim Staat als ,fortschrittlich‘ gegolten, dies änderte sich nun aprupt. Im Februar 1969 wurde ihm eine Morgenfeier im Radio abgelehnt275. Als er im April 1969 darum bat, zum 80. Geburtstag seines Freundes Hrom dka fahren zu dürfen, wurde er von Seigewasser abgewiesen, der meinte, dass er einen solchen „demonstrativen Besuch“ aufgrund von Hrom dkas Verhalten nach dem 21. August 1968 ablehne276. Auch ein weiterer Reisewunsch Jacobs zu einer Konferenz der EKBB 1969 wurde wegen der „ideologisch-konterrevolutionären Situation“ in der EKBB abgelehnt277. Da weder in Warschau noch in Budapest weitere Einladungen vorlagen, ging man in Berlin davon aus, dass Jacob, aufgrund der Haltung seiner Landeskirche zum 21. August, als Einziger aus den sozialistischen Ländern eingeladen worden war. Ende 1969 wurde ihm eine Sondergenehmigung zum Bezug von Literatur aus Westdeutschland entzogen und er wiederum warf staatlichen Funktionären 1970 vor, dass das MfS 90 % seiner Post einbehalte. Jacob vermutete, dass dies aufgrund seiner Haltung zum 21. August geschehe, und versuchte einzulenken. Er erklärte den Funktionären, dass er dazu eine „neue Einstellung“ gewonnen habe, den anderen leitenden Kirchenmännern ihre Haltung „verziehen“ worden sei und wenn er weiterhin in „Ungnade“ stehe, wolle er sein Amt als Bevollmächtigter der Kirchenleitung gegenüber dem Rat des Bezirkes Cottbus niederlegen278. Die Funktionäre bestritten die Vorwürfe.

272 Vgl. Kapitel 3.1., 151. 273 Vgl. Niederschrift über eine Aussprache mit Generalsuperintendent Jacob, Cottbus am 3. 12. 1968 beim RdB Cottbus vom 4. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/2950). 274 „In Erinnerung an meine letzten Gespräche mit Prof. Hrom dka, Generalsekretär Ondra und Prof. Ziak, Bratislava, möchte ich Ihnen in aller Offenheit in diesem Zusammenhang sagen, daß mich die Stellungnahme der CDU zur tschechischen Situation außerordentlich schmerzt und mir derzeitig eine Teilnahme an Veranstaltungen Ihrer Partei unmöglich macht.“ Antwortschreiben von Günter Jacob vom 11. 9. 1968 (ACDP 07-011-2163). 275 Vgl. Aktennotiz, Gespräch mit Generalsuperintendent Jacob am 6. 5. 1969 (BArch DO4/2950). 276 Vgl. Vermerk über ein Gespräch des Genossen Staatssekretär Seigewasser mit Generalsuperintendent Jacob am 14. 4. 1969 vom 21. 4. 1969, 5 (BArch DO 4/2950). 277 Vgl. Aktenvermerk. Reise von Generalsuperintendent Jacob nach Prag vom 27. 5. 1969 (BArch DO 4/2950). 278 Vgl. Niederschrift über ein Gespräch mit Generalsuperintendent Jacob, Cbs. [sic!] am 15. 10. 1970, 3 – 4 (BArch DO4/2950).

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3.3.1.1. Fallbeispiel Guben Auf die staatliche Weisung, den Brief nicht zu verlesen, antwortete der Superintendent von Guben, Joachim Werdin, gegenüber den staatlichen Vertretern, „daß sie am Sonntag ja sehen werden, ob der Brief verlesen wird oder nicht.“279 Am nächsten Tag setzte er das Konsistorium umgehend über die Aussprache beim Rat des Kreises Guben in Kenntnis280. Die Verlesung des Briefes der Kirchenleitung sei verboten worden. Er teilte weiter mit, dass in Eisenhüttenstadt ein Pfarrer und eine Pfarrerin zum Oberbürgermeister in der gleichen Angelegenheit bestellt waren. Der Staat war hier schneller als die Kirche, da die Pfarrerin den Brief noch gar nicht erhalten hatte. Werdin teilte weiter mit, dass, soweit er es in Erfahrung bringen konnte, von den Gemeindepfarrern sonst niemand aufgesucht worden war und mit einer Ausnahme entschlossen waren, den Brief zu verlesen. Mit diesem einen handelte er den Kompromiss aus, den Brief doch zu verlesen, und die am meisten beanstandeten Sätze über die NVA-Beteiligung wegzulassen281. Von seiten des Rates des Bezirkes Cottbus wurde über dieses Gespräch berichtet, dass Werdin sich auf Hrom dka berief, dass „der Einmarsch der Truppen eine Tragödie sei.“282 Es ist eines von mehreren Beispielen, dass Hrom dkas Äußerungen gegen den Einmarsch innerhalb der kirchlichen Argumentation in der DDR dem Staat gegenüber verwendet wurden. Über die Frage, ob er, Werdin, sich an die Weisung zu halten gedenke, verglich er diese mit ähnlichen, die sein Vater von den Nationalsozialisten erhalten und sich nicht daran gehalten habe. Ein weiterer Pfarrer aus Guben fiel dadurch auf, dass er gemeinsam mit seinem ˇ SSR erarbeiten wollte283. Gemeindekirchenrat eine Stellungnahme zur C ˇ SSR Gerade im Bezirk Cottbus scheint es verstärkt Beziehungen in die C gegeben zu haben, da auch im Herbst 1968 tschechoslowakische Geistliche mit Gemeindegliedern im Bezirk Cottbus evangelische Gemeinden besuchten284. Eine solche Gemeindepartnerschaft bestand zwischen Guben und Nosislav in 279 Bericht 102/68 vom 11. 9. 1968 über die bisher bekanntgewordenen Diskussionen von Pfarrern, kirchlich gebundenen Personen und Mitgliedern von Sekten zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer, 7 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3073). 280 Vgl. Brief von Superintendent Werdin an das Konsistorium vom 8. 9. 1968 (ELAB 35/719). Gesprächspartner waren der Stellvertreter für Inneres des Kreises Guben und der Stellvertreter des Vorsitzenden des Kreises Eisenhüttenstadt / Land.. 281 Vgl. Ebd. 282 Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 3 (BArch DO 4/2936 ebenso 423). 283 Zusammenfassender Bericht des RdB Cottbus über die Haltung der Geistlichen der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg zu den Ereignissen in der CSSR vom 14. 11. 1968, 3 (BArch DO 4/328). 284 Vgl. ebd., 4; und „Aus Cottbus wurde berichtet, daß zur Zeit größere Schwierigkeiten durch das negative Auftreten größerer Delegationen von CSSR-Geistlichen entstehen (Guben, Weißwasser, Cottbus.)“ Vermerk über eine Beratung mit den Referenten für Kirchenfragen der Berlin-Brandenburger Bezirke zur Vorbereitung der bevorstehenden Herbstsynode der Landeskirche am 23. 10. 1968 vom 24. 10. 1968, 4 (BArch DO 4/2946).

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der Nähe von Brünn285. Der tschechische Pfarrer sprach öffentlich im Gottesdienst dabei auch den Vergleich 1938 – 1968 aus. Dies könnte eine deutliche Meinungsäußerung der Pfarrer unterstützt haben. Zu einem ganz anderen Ergebnis kam der Kreisverband der CDU von Guben. Er berichtete am 9. September – einen Tag nach der Kanzelabkündigung: „Der Superintendent hat am Sonntag den Brief der Kirchenleitung in Guben verlesen, obwohl mit ihm vorher eine Aussprache stattgefunden hat, die ihn davon abhalten sollte. Die Maßnahmen in der CSSR werden von ihnen verurteilt. Die christlichen Bürger aber erkennen jetzt, daß es notwendig war, sie sind dankbar, daß kein Krieg entstanden ist. Es gibt allerdings Freunde, die fragen, weshalb die Grenzen in der CSSR nach Westdeutschland nicht von der Polizei der CSSR besetzt werden, sondern von der Sowjetarmee.“286

3.3.2. Der Sprengel Berlin II In Berlin als Hauptstadt der DDR war die Situation besonders angespannt. Hier war ein Schwerpunkt der Proteste287. Am 25. August hielten sich Pfarrer in den Gottesdiensten mit wie auch immer auslegbaren Aussagen noch zurück288. Die CDU klagte, dass die meisten Pfarrer sich ausschwiegen, Gespräche ablehnten oder schon vereinbarte Zusagen zurücknähmen289. Der Generalsuperintendent von Berlin war Gerhard Schmitt. Schmitt galt dem Staat als persona non grata. Der Magistrat von Berlin weigerte sich, mit ihm zu reden290. Auch der für Ende September geplante Kirchentag konnte nicht stattfinden291. Schmitt selbst verlas den Brief in der Erlöserkirche292. Die Zu285 Der ehemalige Pfarrer der EKBB von Nosislav Ctirad Novak berichtete über Nosislav, dass Gemeindeglieder 1968 oder 1969, solange es noch erlaubt war, in Guben waren. Vgl. Hintergrundgespräch mit Novak am 24. 3. 2010. 286 Vgl. KV Guben an das Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU. Informationsbericht vom 9. 9. 1968, 3 (ACDP 07-011-261). 287 Allein in Berlin waren 3528 Flugblätter und 272 „Hetzlosungen“ festgestellt worden. Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 460. 288 „Unser Augenmerk galt über das Wochenende insbesondere der Situation in den Kirchgemeinden, vor allem dem Auftreten der Amtsträger in den Gottesdiensten. […] Daraus ist ersichtlich, obwohl nicht alle Kirchen erfaßt werden konnten, daß sich die Pfarrer beider Konfessionen sehr zurückgehalten haben und weder etwas für noch gegen die getroffenen Maßnahmen der Länder des Warschauer Paktes gesagt haben. […] Offensichtlich vermeidet man ein Engagement, ehe Richtlinien der Kirchenleitung vorliegen.“ BV Groß-Berlin. Sonderinformation vom 26. 8. 1968, 3 (ACDP 07-012-1536). 289 Vgl. BV Groß-Berlin. Sonderinformation vom 28. 8. 1968, 3 (ACDP 07-012-1536). 290 Vgl. Vermerk über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am 22. 4. 1968 vom 25. 4. 1968, 1 (BArch DO 4/792 ebenfalls 433). 291 Vgl. Aktenvermerk. Berliner Kirchentag 6. 9. 1968 (ACDP 07-010-3252). 292 Vgl. Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 7 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573; ebenso HA XX/4, Nr. 1233).

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rückhaltung der Pfarrer änderte sich mit dem als Kanzelabkündigung verlesenen Brief der Kirchenleitung, der in etwa 90 % der überwachten Kirchen verlesen worden war. Ein Zeitzeuge berichtete, dass er nach der Verlesung der Kanzelabkündigung in der Berliner St. Marienkirche erwartet habe, verhaftet zu werden. Die Stadt sei voll mit FDJ-Blauhemden gewesen und zwar auch vor und in der Kirche293. Zudem waren in Berlin auch kirchliche Organisationen und Ämter konzentriert. Sprachenkonvikt und Theologische Fakultät waren hier. Die Haltung der Dozenten am Sprachenkonvikt war eindeutig ablehnend. Als Beispiel sei Rudolf Mau erwähnt, der damals Dozent am Sprachenkonvikt war. Der einzige in Berlin bekannte Pfarrer – so die Beobachtung der CDU –, der dem Brief der Kirchenleitung „offen ablehnend“ gegenüberstehe, sei zu ihm gegangen und habe ihn gebeten, den Brief nicht zu verlesen, was Mau jedoch ablehnte294. Er verlas den Brief „naturgemäß mit erhöhtem Puls“, wie er selbst in der Rückschau sagt295. In seiner Predigt rief er dazu auf, das Vertrauen nicht zu verlieren. Durch „Keine Gewalt der Erde“ könne Gottes Versprechen „ungültig gemacht werden.“296 Denn wo Gott sei, verliere das Gesetz der Geˇ SSR in den Mund zu nehmen, kam seine walt seine Geltung. Ohne das Wort C Wut, seine Verzweiflung über die Ohnmacht angesichts der Gewalt zum Ausdruck: „Aber wo ist Jesus Christus heute – jetzt, in den Tagen, die wir jetzt durchleben müssen? Es kann uns wohl bange werden, wenn wir, wie eben, in den vergangenen Tagen und Wochen, wahrhaft ohnmächtig wieder mit ansehen müssen, wie die bloße, unverhüllte Gewalt ihre Triumphe feiert!“297

Und Mau sprach voller Bewunderung vom gewaltlosen Widerstand der Menschen im Nachbarland, wieder ohne explizit zu werden. Und doch wird jedem Zuhörer klar gewesen sein, worum es ging: „wie Menschen ohne Waffen, nur mit ihren Händen, ihrem Wort, der Tapferkeit ihrer Herzen gegen eine schwerbewaffnete Übermacht sich zur Wehr zu setzen versuchen und doch schließlich erliegen müssen – nicht festhalten und schützen können, was ihrem Leben Sinn und Hoffnung gegeben hat.“298 293 Fragebogen 27. Im Besitz der Verfasserin. 294 Vgl. BV Groß-Berlin. Information über die Reaktion in den Berliner Kirchen auf den Brief der Kirchenleitung vom 16. 9. 1968, 2 (ACDP 07-011-270); und KV der CDU Berlin-Mitte. Informationsbericht vom 12. 9. 1968, 1 (ACDP 07-011-270). Nach diesem Bericht wurde in Berlin Mitte die Kanzelabkündigung in der St. Marienkirche, der Domgruftkirche, der Sophienkirche, der Golgathakirche, der St. Elisabethkirche, der Johann Evangelist-Kirche, der St. Petrikirche, der St. Georgenkirche und der Zionskirche verlesen. Vgl. ebd., 1 f. 295 Email von Mau an die Verfasserin vom 10. 11. 2009. 296 Email von Mau an die Verfasserin vom 27. 10. 2009. Anhang. Predigtauszug vom 8. 9. 1968. 297 Ebd. 298 Ebd.

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Mau fragte angesichts dieses Geschehens, ob am Ende doch nur Resignation und stille Verzweiflung blieben. Seine Antwort war ein „Nein!“, weil Gottes Zusage, und hier sprach er mit der Bergpredigt, den Sanftmütigen gelte, den nach Gerechtigkeit Hungernden und den sich um Frieden Mühenden. Diese Verheißung gelte „trotz allem.“ Mau selbst vermutete, dass er wohl aufgrund der nichtzentralen Lage der Gemeinden, in denen er Dienst tat – BerlinLichtenberg, Barmherzigkeit, und Berlin-Mitte, St. Johannes Evangelist –, unbehelligt geblieben sei. Allerdings war sein Verlesen durch die CDU registriert und weitergemeldet worden. Demgegenüber waren an der Humboldt-Universität in der Theologischen Fakultät besonders staatsloyale Professoren aktiv in der Kirchenpolitik, z. B. das Professorenehepaar Müller / Müller-Streisand. Diese wie auch Günther Kehnscherper sprachen sich für die militärische Beendigung des Prager Frühlings aus, weil dieser ,Konterrevolution‘ gewesen sei299. Theologiestudierende dagegen zogen bereits während der Verfassungsdiskussion im ˇ SSR und stellten die führende Rolle der SED in Frühjahr Parallelen zur C 300 Frage . Im Juli 1968 formulierten sie unbequeme Fragen an Vertreter des Marxismus-Leninismus und brachten als Beispiel, dass bürgerliche Freiheiten ˇ SSR ins Spiel301. Nach dem doch nicht so schlecht sein könnten, wieder die C 21. August wurden dem CDU-Mitglied und Professor Herbert Trebs unangenehme Fragen gestellt wie die, was Konterrevolution sei oder wer eigentlich die Kriterien für den richtigen Sozialismus bestimme. Ob es der sei, der die stärksten Bataillone habe? Wie viele Personen denn um Hilfe rufen müssten, damit eine Invasion zustande käme?302 Als Hintergrund solcher Diskussionen wurde die Kanzelabkündiung gesehen303. Einzelne Theologiestudierende zeigten ihre Ablehnung offen. Die Verhaftungen im Frühjahr 1969 standen aber mit Flugblättern in Zusammenhang, deren Intention der Aufruf zum „Nein“ bei der Abstimmung über die neue Verfassung war304. Präses Figur hatte die staatliche Weisung, den Brief nicht zu verlesen, mit 299 Vgl. Stengel, Fakultäten, z. B. 379, 597. Die Streitigkeiten an der Berliner Fakultät ziehen sich durch das gesamte Buch. Es gab im Lehrkörper auch andere Stimmen. So erklärte ein Oberassistent, „daß die Maßnahmen des sozialistischen Lagers eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der CSSR bedeuten und daß er einen starken Rechtsruck in den westlichen Ländern, besonders in den USA vermutet.“ Information 360/68 Reaktionen auf die Veränderungen in der CSSR vom 21. 8. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069). 300 Vgl. Stengel, Fakultäten, 595. 301 Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 436 f. 302 Vgl. BV Groß-Berlin. Sonderinformation CSSR vom 11. 9. 1968, 2 (ACDP 07-011-270). 303 Vgl. ebd., 3. 304 Zu diesem Fall vgl. Linke, Theologiestudenten, 193 – 279. Einer der Studierenden kam mit einer Plakette mit der Aufschrift „es lebe Dubcek“ ein anderer mit einer „blau-weiß-roten Kokarde“. Vgl. Stengel, Fakultäten, 596 f., Anmerkung 94. Ein weiterer versandte den Brief an ˇ SSR mit der Zusatzbemerkung, der Brief „sei vor drei Wochen in allen einen Bekannten in die C Kirchen verlesen worden und der Staat habe sehr stark dagegen protestiert.“ Information Nr, 457/68 vom 18. 9. 1968, 6 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6134 ebenso Nr. 6774).

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der Bemerkung entgegen genommen, dass die Kirchenleitung noch über das Gespräch zwischen Seigewasser und Schönherr beraten müsse und er dessen ˇ SSR ein, verlas Ergebnis abwarten werde305. Er ging in seiner Predigt auf die C den Brief und betete unter anderem für Schönherr und Inhaftierte306. Ähnlich äußerten sich auch andere Superintendenten im Bereich Berlin. Superintendent Eckhardt Brix hatte schon Anfang April auf dem Pfarrkonvent in Berlinˇ SSR gutgeheißen: „Man müsse nach Mitte die „Liberalisierung“ in der C Mitteln und Wegen suchen, in Wahrnehmung der Rechte eines jeden Staatsbürgers ähnliches zu tun wie in der CSSR.“307 Sein Vertreter ließ sich im September gar nicht erst auf ein staatliches Gespräch ein308. Anders Superintendent Himmel in Lichtenberg. Er versprach dem Staat, er wollte sich darum bemühen, die Weisung durchzusetzen, auch wenn er nicht verstehe, was der Staat gegen den Brief habe und er nicht versprechen könne, die Pfarrer überhaupt noch zu erreichen. Er baute den Brief dann in seine Predigt ein309. Die CDU berichtete, dass der Brief doch in diesem Superintendenturbereich verlesen worden sei310. Ein Pfarrer in Niederschönhausen verlas den Brief nicht im Wortlaut, sondern erwähnte ihn und führte in der Fürbitte Klage, „daß immer noch militärische Mittel eingesetzt werden, um politische Probleme zu lösen.“311 In den Fürbitten wurde fast überall der Menschen in der ˇ SSR gedacht und oft gleichzeitig Vietnam erwähnt312. C Als Beispiel für eine typische Meinung von Pfarrern damals sei eines der üblichen Gespräche erwähnt, welches die CDU am 8. Oktober in BerlinLichtenberg mit einem der Pfarrer führte. Dieser lehnte das Gespräch nicht völlig ab, stellte aber einige unangenehme Fragen. Dabei bleibt der Bericht 305 Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 3 (BArch DO 4/2936 ebenso 423). 306 Vgl. Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 7 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573; ebenso HA XX/4, Nr. 1233). Figur bekam später auch Hrom dkas Brief an Tscherwonenko persönlich zugesendet, woraufhin Schönherrs Sekretärin das MfS alarmierte. Vgl. Treffbericht vom 23. 9. 1968 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 107). 307 Auskunft über das System und die Methoden der Feindtätigkeit zur Durchsetzung der Ziele der sogenannten neuen Ostpolitik, besonders gegenüber der CSSR, über ihre Auswirkungen in der CSSR und über die Versuche zur Ausnutzung der Vorgänge in der CSSR zur Forcierung der politisch-ideologischen Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gegen die DDR, Anfang Mai 1968, 111 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5403). 308 Vgl. Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 4 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/ 22). 309 Vgl. ebd. 310 Vgl. BV Groß-Berlin. Information über die Reaktion in den Berliner Kirchen auf den Brief der Kirchenleitung vom 16. 9. 1968, 1 (ACDP 07-011-270). 311 Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 7 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573; ebenso HA XX/4, Nr. 1233). 312 Vgl. ebd.

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neutral und fällt kein Urteil über die politische Haltung des Pfarrers, sondern verharrt auf der deskriptiven Ebene. Der Pfarrer meinte über seine Gesprächspartner: „Es fehle bei uns jeglicher Sinn für Humor.“ Er beklagte ˇ SSR meinte er, dass ihn die „BeProbleme bei Druckgenehmigungen. Zur C setzung“ sehr „erschüttert“ habe. Seine Informationen kämen dabei aus erster Hand. „Er hatte zu dieser Zeit gerade Besuch aus der CSSR, von diesem erfuhr er, daß gerade die eingeführte Pressefreiheit und andere Maßnahmen das Leben in der CSSR zu einem echten Ringen nach Verbesserung geführt hätten und daß die Tschechen sehr froh darüber waren.“

Dubcˇek nannte er einen „kluge[n] Politiker“, aber einmal würde er durch unsere Presse „verdammt“, dann wieder „gelobt.“ Deswegen müsse man auf andere Informationen zurückgreifen. Die Kanzelabkündigung sah er als nicht dramatisch an. „Die sogenannte Kanzelabkündigung wäre nichts weiter gewesen, als dass man einen Brief verlesen hätte, den die Kirche geschrieben hat und wovon die Gemeinde unterrichtet werden sollte.“ Gespräche mit staatlichen Organen empfand er als unbefriedigend und mahnte an, auch Scharf und Krummacher seien doch Gesprächspartner, er verstehe nicht, warum man denn immer nur Mitzenheim „gelten lasse.“ Im weiteren Gesprächsverlauf nannte er noch Hitler und Stalin in einem Atemzug als Beispiele für Gewaltherrschaft, auch wenn er gleich einschränkte, dass er sie nicht gleichsetzen wolle. Zu guter Letzt lehnte er auch die Planwirtschaft ab, weil sie zu „eng“ sei und keine „schöpferische Eigeninitiative gelten“ lasse313. 3.3.3. Die Generalsuperintendentur Eberswalde In Eberswalde war Schönherr pro forma neben seinem Amt als Bischofsverweser Generalsuperintendent, doch hatte er einen bevollmächtigten Vertreter314. Schönherr verlas den Brief. In Eberswalde selbst verlas ihn Superintendent Erich Schuppan auf einem Kreiskirchentag vor etwa 450 Personen315. In Schönherrs Bereich ereignete sich der einzige Fall eines Superintendenten, der im Gespräch seinem staatlichen Gesprächspartner nicht nur versprochen hatte, den Brief selbst nicht zu verlesen, sondern dass dieser in seinem Bereich nicht verlesen werden würde316. Ebenso verlas der Superintendent von Brüssow, Heinz Kutschenreiter, den Brief nicht und erwähnte ihn auch nicht an313 Vgl. Gespräch mit Pfarrer […] am 8. 10. 1968 pro CSSR, 1 f. (ACDP 07-013-3994). 314 Vgl. Schçnherr, Zeit, 228 f. 315 Vgl. Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 4 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/ 22). 316 Vgl. Bericht. undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 4 (BArch DO 4/2936 ebenso 423).

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derweitig317. Die meisten anderen Superintendenten ließen sich auf die staatlichen Gespräche ein, zeigten dort jedoch, dass sie zu ihrer Kirchenleitung standen, gaben die Kanzelabkündigung weiter und verlasen sie selbst318. Im Oktober räumte der Rat des Bezirks Neubrandenburg ein, dass in seinem Bereich noch viele Geistliche „von einem angeblich ,vermenschlichten Sozialismus‘ träumen“ und eine „Liberalisierung des Sozialismus für einen guten Weg halten.“319 Das ginge nicht an. „Die Illusionen sind zu zerschlagen.“320 3.3.3.1. Fallbeispiel Oranienburg Der Superintendent von Oranienburg, Ernst Detert, soll zunächst ein Gespräch mit der CDU folgendermaßen abgewehrt haben: „Die Lage ist defiziel [sic!], ich möchte mich noch nicht äußern.“321 Später hielt er sich an ein Versprechen Funktionären gegenüber, den Brief vorerst nicht weiterzugeben. Er wollte ihn erst am folgenden Mittwoch zum Pfarrkonvent besprechen322. Daraufhin beschwerte sich ein Pfarrer, der zu dieser Zeit im Urlaub war, bei Schönherr, über seinen Superintendenten. Denn dieser habe am Sonnabend auf die Anfrage, ob denn nicht ein Brief der Kirchenleitung gekommen sei, nichts gesagt und den Brief auch nicht wenigstens an die Pfarrer weitergegeben, die er hätte erreichen können. Der Beschwerdeschreiber hatte Erkundigungen eingezogen und hob hervor, dass die Verteilung im Kirchenkreis Templin sogar funktioniert habe, derweil der Superintendent im Urlaub ge317 Vgl. Brief der Referentin für Kirchenfragen des Bezirkes Neubrandenburg an den Staatsekretär für Kirchenfragen vom 17. 9. 1968 (BArch DO 4/2936). Ansonsten hatten im Bezirk Neubrandenburg vier weitere Pfarrer, ein Katechet, ein Vikar, ein Prediger und ein Genossenschaftsbauer den Brief nicht verlesen. Anscheinend hatten auch nicht alle Pfarrer den Brief, der durch Kuriere weitergeleitet wurde, erhalten. Vgl. Bericht über die Verlesung des Briefes der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg an den ökumenischen Rat der Kirchen in der CSSR. Neubrandenburg. Eingegangen am 13. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2936). 318 Vgl. Ebd., 1; vgl. auch Aktenvermerk über einen Telefonanruf, Bezirk Neubrandenburg, vom 9. 9. 1968 (BArch DO 4/2936). Dazu kam „auf dem kirchlichen Jugendtag in Strausberg wurde er vor 500 Jugendlichen verlesen.“ Information über die Situation in der Kirche BerlinBrandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 4 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/22). Ganz anders z. B. der aufgrund der Jugendarbeit als besonders ,reaktionär‘ geltende Superintendent Wolfgang von der Heydt, mit dem es staatlicherseits keinen Kontakt gab. Er wurde in einem Fragespiegel des Bezirkes Neubrandenburg besonders erwähnt: „seine Argumente sind jetzt: der Staat will den Kirchenkampf, die Vertreter der Kirche sind keine gleichberechtigten Bürger, durch die Maßnahmen in der CSSR wäre die Freiheit der Bürger dieses Landes unterdrückt worden.“ Einschätzung der kirchenpolitischen Situation im Bezirk Neubrandenburg ausgehend vom vorliegenden Fragespiegel, 16. 1. 1969, 3 (BArch DO 4/2936). 319 Maßnahmeplan des RdB Neubrandenburg zum 20. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). 320 Ebd., 5. 321 BV Potsdam. Informationsbericht, vom 28. 8. 1968 (ACDP 07-012-1536). 322 Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 4 (BArch DO 4/2936 ebenso 423).

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wesen sei. Dessen Stellvertreter in Templin war sich unsicher gewesen und hatte bei einem ,progressiven‘ Pfarrer um Rat gefragt, der sowohl zum WAK als auch zum Pfarrerbund gehörte323. Dieser Pfarrer – es war Horst Kasner – hatte zur unangenehmen Überraschung der Funktionäre die Verlesung des Briefes empfohlen und ihn auch selbst verlesen324. So wurde der Brief im Bereich Templin in der Mehrzahl verlesen325. Nun beschwerte sich der Pfarrer, der zu Oranienburg gehörte, dass Detert „allen Schwierigkeiten nach Innen und Außen [sic!] aus dem Wege gehen“ wolle326. Dass er den Brief nicht weitergegeben habe, sei jedoch „fatal“. Dies stelle eine Entmündigung der Pfarrer dar. Denn „es ist ja letztendlich meine Entscheidung, ob ich den Brief dann auch vorgelesen hätte, deren Konsequenzen ich zu tragen hätte.“327 Schönherr sprach daraufhin mit dem Superintendenten und es wurde beschlossen, den Brief in diesem Kirchenkreis mit einer Woche Verspätung am 15. September zu verlesen. Das MfS allerdings deutete den Vorfall ganz anders. Detert wurde namentlich als Beispiel genommen, „daß eine nicht geringe Zahl von Pfarrern des Bezirkes sich weigerte, genanntes Dokument der Kirchenleitung zu verlesen oder nur unbedeutende inhaltliche Passagen des Rundbriefes in ihre Gebete bzw. Gottesdienste einbezog.“328 Er habe seine Pfarrer mit Erfolg beeinflusst. Dass die Einflussnahme darin bestand, dass er den Brief zunächst nicht weitergab und die Pfarrer gar keine Chance hatten, etwas aus einem Schreiben in der Gemeinde zu erwähnen, welches sie nicht kannten, findet so wenig Erwähnung wie die Tatsache, dass jene den Brief eine Woche später verlasen. 3.3.3.2. Fallbeispiel eines ,Progressiven‘ Superintendent Curt-Jürgen Heinemann-Grüder galt in einigen Fragen als gesprächsbereit und zählte zu den ,Progressiven‘329. Er gehörte der CFK an und 323 Vgl. Einschätzung der kirchenpolitischen Situation im Bezirk Neubrandenburg ausgehend vom vorliegenden Fragespiegel, 16. 1. 1969, 3 (BArch DO 4/2936) und Anmerkung in diesem Dokument. 324 Vgl. Aktenvermerk über einen Telefonanruf […], Bezirk Neubrandenburg, vom 9. 9. 1968 (BArch DO 4/2936); und „Unangenehm war sie von der Haltung des Pfarrers Kasner überrascht. Seine Argumentation: Der Einmarsch der Truppen der sozialistischen Länder bedeutet eine Unterdrückung der Demokratie in der CSSR. Auch im Sozialismus müßten Reformen durchgeführt werden.“ Dienstreisebericht am 30. 8. 1968 in Rostock vom 5. 9. 1968, 6 (BArch DO 4 2936). Kasner ist der Vater der späteren Bundeskanzlerin Angela Merkel. 325 Vgl. Bericht über die Verlesung des Briefes der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg an den ökumenischen Rat der Kirchen in der CSSR. Neubrandenburg. Eingegangen am 13. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). 326 Brief an Schönherr vom 13. 9. 1968 (ELAB 35/719). 327 Ebd. 328 Einschätzung zur Lage im Verantwortungsbereich der Abteilung XX im Zusammenhang mit der Aktion „Genesung“ vom 14. 10. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). 329 Vgl. Einschätzung der Geistlichen, kirchlichen Amtsträger und namhaften Laienchristen in

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war im April zur III. ACFV in Prag330. Zudem war er im Leiterkreis des WAK331. Für die 800-Jahr-Feier hatte er Niemöller 1968 nach Gramzow eingeladen. Dieser hatte zugesagt, bekam aber im Mai 1968 keine Einreiseerlaubnis mit der Begründung, dass er zu pazifistisch sei332. Der Fall wurde auch bei einer Sitzung der östlichen Mitglieder des Rates der EKD besprochen333. Heinemann-Grüders Verhalten erschien im Herbst 1968 zunächst ambivalent. In einem ersten Bericht über die Aussprache mit ihm hieß es, dass er hinter dem Brief stehe und seinen Pastoren nicht vorschreiben könne, wie sie damit ˇ SSR war er der Ansicht, dass umzugehen hätten334. Über die Situation in der C es dort „nur konterrevolutionäre Feuerchen gegeben“ habe335. Da die Truppen nicht gerufen worden seien, handele es sich um eine militärische Intervention. Und „man müsse doch dem tschechischen Volk selbst überlassen, wie sie ihren Sozialismus aufbauen wollen.“336 Zudem sei der Brief zur Versöhnung gedacht gewesen. In der DDR könne eine vergleichbare Situation eintreten. Hier würden Leute unterschreiben und doch ganz anderes denken. HeinemannGrüder nannte als wirkliche Frontlinie die westliche Staatsgrenze. In einem späteren Bericht wurden diese Aussagen so interpretiert, dass er unter westlichem Einfluss stehe, die Konterrevolution befürworte, an das Ende des Sozialistischen Lagers glaube und keinen Unterschied zwischen Wehrmacht und NVA ziehe337. Den Brief allerdings verlas er laut staatlichem Bericht dann doch nicht. Auf einem Kreisfrauentreffen arbeitete er den Brief in seine Predigt ein, jedoch so, dass der staatliche Berichterstatter meinte, „daß von staatlicher Seite kein Anstoß daran genommen werden kann.“338 Gesammelt wurde anˇ SSR und den Posaunenchor. Auch in seinem schließend für Vietnam, die C Kirchenkreis Gramzow wurde der Brief nicht verlesen. Auf dem Superintendentenkonvent Mitte Oktober 1968 nannte der Superintendent von Gramzow den Brief der Kirchenleitung zwar gut, forderte aber gleichzeitig, dass die

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Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheids zur Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik im Bezirk Neubrandenburg, undatiert, 5 (BArch DO 4/2936). Vgl. Teilnehmerliste III. ACFV (EZA 102/211). Wahlergebnis des neuen Leiterkreis des Weißenseer Arbeitskreises, undatiert (EZA 675/108). Vgl. Bredendiek, Idelogische Lage, 13 f. Walter Bredendiek sagte daraufhin ebenfalls seine Teilnahme ab. „Kirchenpräsident D. Niemöller hat, obwohl Leninpreisträger die Einreise in die DDR zu einem Gemeindetag in Granzow [sic!] nicht erhalten mit der ausdrücklichen Begründung, man wünsche ihn wegen seiner pazifistischen Einstellung nicht.“ Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 13. und 14. 6. 1968, 8 (LKAG 3/62). Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 1 (BArch DO 4/2936 ebenso 423). Ebd. Ebd. Vgl. Bericht über die Verlesung des Briefes der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg an den ökumenischen Rat der Kirchen in der CSSR. Neubrandenburg. Eingegangen am 13. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2936). Ebd., 4.

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Kirchenleitung das Münchner Abkommen für ungültig erklären müsse.339 Das staatliche Urteil änderte sich. Er „spiele[…] sich fortschrittlich auf“, doch sei sein Verhalten „undurchsichtig.“340 Denn Heinemann-Grüder war eindeutig gegen die Okkupation, machte keinen Hehl aus seiner Meinung und zog eigene Konsequenzen. So schrieb er Ende 1969 einen Brief an den Regionalausschuss der CFK in der DDR: „Meine kritische Stellung zum militär-politischen Eingriff in der CSSR unter Beteiligung unseres Staates, den ich […] für nicht autorisiert halte, in einem ehemals von Hitlerdeutschland okkupierten Land ohne ausdrückliches Hifeersuchen seiner damaligen Regierung mit einzumarschieren, ist bekannt.“341

Mit demselben Brief kündigte er an, dass seine Mitarbeit in der CFK ruhe und er seinen Beitrag ab 1970 einstelle. 3.3.4. Die Generalsuperintendentur Potsdam In Potsdam war Horst Lahr Generalsuperintendent. Auf der entscheidenden Sitzung der Kirchenleitung hatte er Bedenken geäußert, verlas die Kanzelabkündigung dann aber in Potsdam342. Auch in diesem Bereich der BerlinBrandenburgischen Kirche wurde der Brief verlesen und in der Regel mit ˇ SSR, oft in Verbindung mit Vietnam und Fürbitten für die Menschen in der C 343 den Soldaten gebetet . Weitere Äußerungen der Superintendenten, die das MfS registrierte, waren unter anderem, dass der 21. August die „eiskalte Wahrheit“ gezeigt habe, ein „endgültiger Scheidepunkt“ und eine „Tragödie“ sei und man sich als Deutscher „schämen“ müsse, weil wieder Deutsche beteiligt gewesen seien344. Gegenüber der CDU meinte Superintendent Wolfgang 339 Vgl. Bericht über den Gesamtephorenkonvent der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, 1 (BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2, 119). 340 Vgl. Einschätzung der kirchenpolitischen Situation im Bezirk Neubrandenburg ausgehend vom vorliegenden Fragespiegel, 16. 1. 1969, 2 (BArch DO 4/2936). 341 Brief von Heinemann-Grüder an Ordnung vom 16. 12. 1969 mit 2. Teil vom 17. 1. 1970, 1 (EZA 89/49). 342 Vgl. Information über die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg und Vorschläge zu Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit vom 16. 9. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/ 22). 343 Vgl. Einschätzung zur Lage im Verantwortungsbereich der Abteilung XX im Zusammenhang mit der Aktion „Genesung“ vom 14. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). Dazu auch, dass „sie in ihren Fürbitten für die CSSR auch die bewaffneten Streitkräfte der sozialistischen Länder einbezogen unter dem Aspekt, daß es zu keinem größeren Blutvergießen kommt.“ Ebd. 344 Vgl. Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 6 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573; ebenso HA XX/4, Nr. 1233). Auch zur ESG Potsdam bemerkte das MfS, „daß von den Angehörigen der ESG der Liberalisierungsprozeß der CSSR als nachahmenswert angesehen wurde.“ Einschätzung zur Lage im

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Funke, Kyritz, er halte das militärische Eingreifen für völkerrechtlich bedenklich. Für die DDR wünsche er sich „größere Freiheit“ und „weniger Bürokratismus“, und in Richtung seiner Gesprächspartner erklärte er: „Auch müßten neben der SED die CDU und andere Parteien selbständig etwas zu sagen haben.“345 Ganz anders beurteilte Pfarrer Hans-Joachim Brühe aus Grünfeld die Lage. Er war im Vorstand des Bundes evangelischer Pfarrer, in der CDU, im Regionalausschuss der CFK in der DDR und in der Arbeitsgruppe Christen des Bezirkes und bezeichnete den Brief als „unerhörte Einmischung der Kirche, ein Politikum.“346 Die Kirche erzeuge damit Konflikte, während der Staat um eine sachliche Staats-Kirchen-Beziehung bemüht sei. In der Morgenbesprechung bei Seigewasser wurde er daher besonders ,positiv‘ herausgestellt347. Ohne Begründung war der Superintendent von Pritzwalk dagegen zu denen gezählt worden, die sich in den Gesprächen vom 7. September besonders ,reaktionär‘ verhalten hätten348. Mitte Oktober erhielten die Pfarrer im Kirchenkreis Pritzwalk einen Beschluss der Arbeitsgruppe Christen der Nationalen Front, Kreisausschuss Pritzwalk, zugeleitet. In diesem stand nicht nur, dass sich Christen und Marxisten darin einig seien, dass durch den ˇ SSR ein Weltkrieg verhindert worden sei, sondern es wurde „Einsatz“ in der C auch Unverständnis für die westlich orientierte „provokatorische Haltung der Kirchenleitung“ geäußert349. Daraufhin wurde im Pfarrkonvent überlegt, wie man sich verhalten könne. Eine Gegendarstellung, in welcher sich die Pfarrer klar hinter ihre Kirchenleitung stellten, wurde angefertigt, von zwölf Pfarrern unterschrieben und an die Arbeitsgruppe Christliche Kreise gesandt350. Nach dem Bericht eines Teilnehmers der nächsten Sitzung dieser Arbeitsgruppe wurde dieses Schreiben am Ende durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Kreises verlesen und nicht weiter behandelt351. Es ist ein all-

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Verantwortungsbereich der Abteilung XX im Zusammenhang mit der Aktion „Genesung“ vom 14. 10. 1968, 4 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). BV Potsdam. zu aktuellen Problemen, 26. 8. 1968 (ACDP 07-012-1536). Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 4 (BArch DO 4/2936 ebenso 423). Festlegungen aus der Morgenbesprechung beim Staatssekretär vom 9. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/ 2967 ebenso 429). Ähnlich auch in weiteren Informationen. Vgl. z. B. Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 5 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 4 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Vgl. Bericht, undatiert, vermutlich vom 7. 9. über die Gespräche mit den Superintendenten, 4 (BArch DO 4/2936 ebenso 423). Vgl. Als Anhang am Brief des Superintendenten von Pritzwalk, Ratzmann, an den Generalsuperintendenten Lahr vom 5. 11. 1968, Abschrift des Beschlusses der Nationalen Front des demokratischen Deutschland Kreisausschuß Pritzwalk „Arbeitsgruppe Christliche Kreise“ vom 24. 9. 1968 (ELAB 35/719). Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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tägliches Beispiel, wie man versuchte, sich gegen staatliche Vereinnahmungen zur Wehr zu setzen – in der Regel ohne großen Erfolg. Dass der Pfarrkonvent Pritzwalk auch in anderen Fällen streitbar war, zeigte er in einer 17seitigen kritischen Stellungnahme zum BEK im Frühjahr 1969352.

Resümee Der Brief der Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg an die Kirchen in der ˇ SSR, der am 8. September als Kanzelabkündigung in den meisten GemeinC den verlesen wurde, erzielte von allen christlichen Stellungnahmen die größte und breiteste Wirkung. Nur hier war es zu einer derartig flächendeckenden Stellungnahme der Kirchenleitung in den Gemeinden über eine Fürbitte hinaus gekommen. Obwohl der Brief vorsichtige Formulierungen enthielt, war die Kritik am Einsatz militärischer Mittel und der damals vorausgesetzten Beteiligung der NVA für jeden Zuhörer erkennbar. Der Staat reagierte empfindlich. Er gab die staatliche Weisung heraus, dass der Brief nicht zu verlesen sei und drohte mit dem Abbruch der Beziehung zur Landeskirche und mit strafrechtlichen Konsequenzen. Umso größer war der Schock auf Seiten des Staates, als die kirchlichen Verantwortungsträger auch der mittleren Ebene und die Pfarrer sich bis auf Ausnahmen nicht an diese Weisung hielten und trotz der Drohungen und Verbote den Brief von den Kanzeln verlasen. Viele Pfarrer griffen den Brief nicht nur auf und verlasen ihn, sondern fügten in den Gottesdiensten ihre eigenen Gedanken, Sorgen und Zweifel mit ein. Andererseits stammt aus dem Bereich Berlin-Brandenburg auch der einzige Versuch, nämlich durch Hanfried Müller, das militärische Vorgehen theologisch zu rechtfertigen353; der Vorsitzende des Bundes evangelischer Pfarrer gehörte zu dieser Kirche und Pfarrer Hans Joachim Brühe – ebenfalls im Vorstand des Bund evangelischer Pfarrer – lehnte den Brief der Kirchenleitung scharf ab. Der Staat sah in Berlin-Brandenburg ein zusätzliches Einfallstor an Beeinflussung durch Berlin-West mit Bischof Scharf. Die Angst einer Beeinflussung durch den ,Klassenfeind‘ erhitzte die Gemüter staatlicherseits zusätzlich. Berlin-Brandenburg war die einzige Kirche, deren Haltung zu den ˇ SSR westlich des eisernen Vorhangs im Wortlaut bekannt Ereignissen in der C geworden war. So stand im halb-EKD-offiziellen Kirchlichen Jahrbuch, dass die meisten kirchlichen Äußerungen zum 21. August aus der DDR öffentlich nicht zugänglich seien, und es wurde nur der Brief von Berlin-Brandenburg abgedruckt354. Nachdem der Staat die Kanzelabkündigung nicht hatte verhindern können, 352 Vgl. Lepp, Tabu?, 870. 353 Vgl. Kapitel 5.3.4., 479 – 484. 354 Vgl. KJ 95 (1968), 266 f.

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strebte er eine nachträgliche Distanzierung der Landeskirche von ihren eigenen Aktivitäten an. Jedoch konnte er sich damit weder auf der Synode noch bei den Geistlichen durchsetzen. Auch Monate nach der Kanzelabkündigung hielt die Landeskirche daran fest355. Der Brief der Kirchenleitung, auch wenn immer wieder betont wurde, dass er keinesfalls politisch zu verstehen sei, wurde fast zu einem Symbol für das Recht, unabhängig zu denken, sich eine eigene Meinung zu bilden, aus eigenem Gewissen zu handeln und einen eigenen Weg zu gehen, wie minimal die Abweichung vom vorgezeichneten staatlichen Weg letztendlich auch sein möge.

4. Die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes Die Görlitzer Kirche gehörte zu den Kirchen, die aus der altpreußischen Union hervorgegangen waren. Sie zählte daher zu den unierten Landeskirchen und hatte sich für die Bildung der EKU eingesetzt. Während der NS-Zeit war das Konsistorium in Breslau/Wroclaw überwiegend in DC-Hand, während Bischof Otto Zänker zu einem Teil der Bekennenden Kirche zählte356. Er wurde 1941 zwangspensioniert. Nachdem die DC-Kirchenleitung Anfang 1945 Breslau verlassen hatte, bildete sich dort eine bruderrätliche Kirchenleitung neu mit Ernst Hornig an der Spitze. Sie konnte zunächst noch in Breslau arbeiten, wurde jedoch Ende 1946 ausgewiesen, nachdem schon die Mehrheit ihrer Glieder vertrieben worden war, und fasste letztendlich in Görlitz Fuß357. 1964 übernahm Hans-Joachim Fränkel das Bischofsamt von Ernst Hornig, welches er bis 1979 bekleidete. Die Versuche der Görlitzer Kirche, Kontakte zu ihren ehemaligen Gemeinden aufrechtzuerhalten, wie durch die Übermittlung von Lesepredigten in deutscher Sprache, wurden nach Möglichkeit erschwert oder unterbunden358. Kritisch wurden auch Kontakte zu sich organisierenden evangelischen Schlesiern in Westdeutschland gesehen359. Die evangelische Kirche von 355 Im Verhalten der Geistlichen gab es keine Veränderung, „so daß eingeschätzt werden muß, daß man nach wie vor an die Richtigkeit der Verlesung dieser Abkündigung glaubt.“ Bericht 17/69 vom 5. 2. 1969 über Tendenzen in der Arbeit der evangelischen und katholischen Kirche sowie der illegalen Sekte Zeugen Jehova im II. Halbjahr 1968. handschriftlicher Vermerk: wurde auf Weisung des Leiters der BV nicht abgeschickt, 1 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3115); und „In der Mehrheit treten sie für ein gutes Verhältnis zum Staat ein. Sie haben den Wunsch, einen Dialog über ihren ,Auftrag‘ zu führen. Unser sozialistischer Staat hätte durch die Ereignisse in der CSSR an Autorität eingebüßt.“ Einschätzung der kirchenpolitischen Situation im Bezirk Neubrandenburg ausgehend vom vorliegenden Fragespiegel, 16. 1. 1969, 2 (BArch DO 4/2936). 356 Vgl. Seidel, Kirche mit großen Opfern, 23. 357 Ausführlich vgl. Seidel, Kirche mit großen Opfern. Auf die Streitigkeiten zwischen Naumburger und Christophori-Richtung kann hier nicht eingegangen werden. 358 Vgl. Fitschen, Minderheitenkirchen, 150 – 154. 359 Vgl. Lotz, Deutung des Verlustes, 194 f.

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Schlesien – so ihr Name bis 1968 – wurde unter den Generalverdacht der Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestellt360. Zudem wurde dem Bischof 1968 in den Mund gelegt, er wiegele die Jugend auf, für die Rückgewinnung dieser Gebiete einzutreten, und Anfang 1969 wurde in einem allgemeinen Fragespiegel als erwähnenswert befunden, dass in den einzelnen Gemeindekirchenräten viele Schlesier seien361. Der Präses der Synode galt den Behörden als „eingefleischter Schlesier“362. Im Görlitzer Kirchengebiet hatten viele vertriebene Schlesier in ,ihrer‘ Kirche alte neue Heimat gefunden – die Sorge für diese war 1951 in Artikel 34d der Kirchenordnung zur Aufgabe jeder Gemeinde gemacht worden – denn immerhin wurden kirchliche Traditionen bewahrt363. Im Namen der Kirche verblieb vorerst das Wort Schlesien, obwohl es Anfang der 1950er schon zu Auseinandersetzungen auf Kreis-, Bezirks- und Regierungsebene gekommen war364. Da der größte Teil der Landeskirche im Bereich des Rates des Bezirkes Dresden lag, wurden die meisten Informationen, die man über Görlitz in Erfahrung bringen konnte, hier gesammelt sowie ,Aussprachen‘ vorbereitet und ,Maßnahmenpläne‘ erstellt. Nach einer Zeit der Ruhe wurde seitens des Rates des Bezirks Dresden Ende 1967 die Kirche wieder aufgefordert, ihren Namen zu ändern365. Das Wort Schlesien im Namen zu führen wurde als revanchistisch eingestuft. Dieser Name erinnerte an Flucht und Vertreibung aus den ehemaligen Ostgebieten, ein Thema, welches zu DDR-Zeiten tabuisiert wurde366. Im Frühjahr 1968 reagierte die Synode der Landeskirche auf den staatlichen Druck und benannte sich in die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes um, ähnlich wie aus der Pommerschen die Greifswalder Landeskirche wurde367. 1992 wurde diese Namensänderung

360 Dies ging so weit, dass 1968 ein Plakat für den Kirchentag Ende Juni 1968 in Görlitz verboten wurde, denn: „Die Form der Anbringung eines Kreuzes durch Schriftzeichen lasse vermuten, daß hier in versteckter Form die Oder-Neiße-Grenze angedeutet werde und die Häuser rechts polnisches Territorium symbolisieren können.“ CDU KV Görlitz an BV Vorsitzenden Dresden, Evgl. Kirchentag, Görlitz, den 19. 6. 1968, 1 (ACDP 07-013-2136). Einspruch und ein Gespräch Mitte Juni zwischen Oberbürgermeister und Fränkel nützten nichts. 361 Vgl. Einschätzung der Situation in der Görlitzer Kirche anhand des vorliegenden Fragenkomplexes, 17. 1. 1969, 5 (BArch DO 4/2969 ebenso 2970). 362 Vgl. Einschätzung der Görlitzer Kirchenleitung vom 2. 12. 1968, 3 (BArch DO 4/2970). 363 Vgl. Schott, Territorium und Symbol, 35 – 38; auch Fichtner, Zeitzeugenschaft, 47. Gleichzeitig fällt auf, dass verschiedene Autoren die „Geschichtsvergessenheit“ durch 40 Jahre DDR-Tabuisierung beklagten. Dazu vgl. auch Lotz, Deutung des Verlustes, 119 f. 364 Vgl. Erläuterungen Fränkels zur Frage der Namensänderung vor der Provinzialsynode der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes 1968, Synodenprotokoll 1968, 23 (AKKVSOL 10/2713). 365 Ebd., 23 f.; vgl. auch K hne, Frei für Gott, 54. 366 Ausführlich dazu vgl. Lotz, Deutung des Verlustes. 367 Vgl. Ness, Anpassung oder Selbstverleugnung, 163 – 168. Es half nicht zur Entspannung des Verhältnisses mit dem Staat, da dieser dies als „eine längst fällige Nachholeleistung“ bezeichnete. Vgl. Aktennotiz des RdB Dresden vom 17. 3. 1971 über ein Gespräch mit OKR Juergensohn, 2 (BArch DO 4/2970); vgl. auch Kapitel 4.5., 301 – 302.

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wieder revidiert. 2004 fusionierte die Görlitzer Kirche mit Berlin-Brandenburg zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische-Oberlausitz. Obwohl die Landeskirche nach dem II. Weltkrieg durch die Oder-NeißeGrenze etwa 90 % ihres Gebietes verloren hatte und nun die kleinste Landeskirche der sich bildenden DDR war, entschied die Synode 1950, eine eigenständige Kirche zu bleiben. Sie zählte nur sechs Kirchenkreise: Görlitz, Hoyerswerda, Niesky, Reichenbach, Ruhland und Weißwasser. In ihrem Dienst standen lediglich etwa 90 Pfarrer, die für ca. 200 000 Glieder zuständig waren368. Auch aufgrund ihrer Kleinheit konnte die Görlitzer Kirche geschlossen auftreten369. Im Grunde wusste man staatlicherseits bis Ende der 1960er Jahre über die inneren Prozesse und etwaigen Meinungsverschiedenheiten dieser Kirche wenig, die Ansatzpunkte für die staatliche Differenzierungspolitik hätten geben können. Daran konnte auch das MfS zu diesem Zeitpunkt anscheinend noch nicht viel ändern370. Von staatlichen Funktionären wurde diese Kirche in den 1960ern wie ein monolithischer Block empfunden. Dies betraf sowohl die Kirchenleitung, als auch die Superintendenten und die Pfarrerschaft sowie die einzelnen Gemeinden vor Ort371. Die Görlitzer Kirchenleitung, bestehend aus zehn Personen, wurde Ende der 1960er in staatlichen Berichten als „reaktionärste“ in der DDR charakterisiert372. Als Instrumente der staatlichen Kirchenpolitik, dieser Situation Herr zu werden, wurde versucht, Fränkel zu isolieren und ihn durch MfS-Zersetzungsmaßnahmen zu zermürben, einzelne Pfarrer zur Mitarbeit zu bewegen und der Kirche verschiedene Genehmigungen nicht zu erteilen373. So war die 368 Vgl. KJ 97 (1970), 342. 369 Vgl. Lotz, Deutung des Verlustes, 197 – 200. Lotz nennt als weitere Gründe die ländliche Gegend und die persönliche Autorität von Hornig und Fränkel. 370 Zu dieser Einschätzung kommt auch Lotz. Vgl. Lotz, Deutung des Verlustes, 248. Brauckmann und Bunzel sagen, dass erst Ende der 1960er Interna aus dem Konsistorium an das MfS weitergegeben wurden. Vgl. Brauckmann / Bunzel, Rückblick, 19, Anmerkung 22. 371 „Die Kirchenleitung tritt nach außen hin einheitlich auf und vertritt die Linie des Bischofs. Über innerkirchliche Differenzen, die – wenn auch zögernd – von einzelnen Pfarrern zum Ausdruck gebracht werden, bestehen Unklarheiten.“ Einschätzung der Situation in der Görlitzer Kirche anhand des vorliegenden Fragenkomplexes, 17. 1. 1969, 1 (BArch DO 4/2969 ebenso 2970); „Über Auseinandersetzungen in den Pfarrkonventen gibt es nur wenige Beispiele. Ingesamt muß eingeschätzt werden[,] daß über den Inhalt der Auseinandersetzungen so gut wie nichts bekannt ist.“ ebd., 3; „Es besteht kein konkreter Überblick. Fakt ist, daß bei den Wahlen in den letzten Jahren die wenigen positiven Kräfte aus den Gemeindekirchenräten ,herausgewählt‘ wurden.“ ebd., 5. 372 So auch noch 1970. Vgl. Analyse über die derzeitige kirchenpolitische Situation im Stadt- und Landkreis Görlitz, vom 22. 12. 1970, 1 (BArch DO 4/796). 373 Gegen Fränkel wurden seit den 1950er Jahren Zersetzungsversuche unternommen. Ende der 1960er schlug das MfS vor: „Zersetzungs- und Differenzierungsmaßnahmen sind dabei besonders gegen die Bischöfe der Landeskirche Berlin-Brandenburg, Dresden und der Konsistorialbezirke Greifswald und Görlitz, in Absprache mit der HA XX, zu organisieren und durchzuführen.“ Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den

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Görlitzer Kirche mehr als andere Kirchen von Ein- und Ausreiseverweigerungen betroffen. Schon zu Fränkels Amtseinführung als Bischof hatten die Präsides der westlichen EKU-Kirchen Ernst Wilm und Joachim Beckmann keine Einreiseerlaubnis bekommen374. 1967 besuchte Martin Niemöller Görlitz und wurde zu einem Empfang beim Rat der Stadt Weißwasser geladen. Gleichzeitig wurde ihm eine Aufenthaltsgenehmigung für den Kreis Weißwasser nicht erteilt, so dass er die dortige Kirchengemeinde nicht besuchen durfte375. Im September 1967 konnte dann der Prager Alttestamentler Milosˇ Bicˇ einige Gemeinden der Kirche besuchen. Verschiedene andere ökumenische Besuche scheiterten an staatlichen Genehmigungen, so dass die Synode 1968 die Kirchenleitung beauftragte, Einspruch gegen diese Behinderungen zu erheben376. Kurz nach der Synode wurde im Frühjahr 1968 dem Görlitzer ˇ SSR mit der Begründung Konsistorialrat Rese ein Tagespassierschein in die C 377 verwehrt, dass er nicht „würdig“ sei . Auch andere Genehmigungen, z. B. für Baufragen oder Druckgenehmigungen, wie für den regionalen Kirchentag 1968 in Görlitz, erwiesen sich als schwierig378. Die politisch verhängten Einschränkungen für die Kirche und Schickanen gegen Einzelne brachten jedoch nicht das erwünschte Ergebnis. Mitte Januar 1969 war in einem zusammenfassenden Fragespiegel über die Görlitzer Kirche die Frage gestellt worden: „Welche progressiven Geistlichen gibt es im Bereich der Kirche?“ Die Anwort lautete lakonisch: „Es gibt keine.“379. Die Pfarrer lehnten Gruppengespräche ab, die hinter dem Rücken Fränkels stattfinden sollten380. Die Art und Weise, in der Fränkel immer wieder massiv angegriffen wurde, brachte nicht den er-

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Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 9 – 11 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). Ein operativer Vorgang wurde 1972 gegen Fränkel eröffnet. Vgl. Ness, Görlitz und Dresden, 47. Vgl. Schultze, Fränkel, 11. Vgl. Rundverfügung Nr. 9/67 vom 14. 3. 1967. Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung von 1967, 14 (AKKVSOL 12/683). Vgl. Provinzialsynode. Beschluß „Behinderung ökumenischer Kontakte“ 23. 4. 1968 (AKKVSOL 12/1442). Protokoll des Pfarrkonvents Görlitz vom 17. 4. 1968, 2 (AKKVSOL 12/1307). Ersteres vgl. Rundverfügung Nr. 13/68 vom 27. 3. 1968, Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung von 1968, 17 – 18 (AKKVSOL 12/683). Letzteres: „Obwohl wir nicht mehr mit Druckgenehmigungen rechnen können, sind wir im Blick auf die Durchführung unseres Kirchentages voller Zuversicht und in großer Vorfreude.“ Rundverfügung Nr. 25/68 vom 4. 6. 1968, Evangelischer Kirchentag in Görlitz (AKKVSOL 12/683). Vgl. Einschätzung der Situation in der Görlitzer Kirche anhand des vorliegenden Fragenkomplexes, 17. 1. 1969, 4 (BArch DO 4/2969 ebenso 2970). Die Antworten zu diesem Fragespiegel für andere Landeskirchen umfassen in der Regel mindesten eine Seite. Vgl. Ebd., 3 f.; und: „Die Kirchenleitung ist bestrebt, keine Differenzierung unter den Geistlichen zuzulassen. Bisher ist es auch nicht gelungen, einzelne real denkende Geistliche, die isoliert voneinander arbeiten, zusammenzuführen, um wenigstens einen kleinen positiven Kern zu schaffen.“ ebd.

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wünschten Differenzierungsdruck, sondern schweißte die kleine Kirche eher noch stärker zusammen.381

4.1. Bischof Hans-Joachim Fränkel Bischof Fränkel war für die kleine Landeskirche von zentraler Bedeutung. Er prägte sie nachhaltig, an Fränkels Persönlichkeit führte kein Weg vorbei382. Er erhielt den Anspruch aufrecht, dass die Kirche – obwohl so klein geworden – gleichrangig unter den anderen Landeskirchen sei383. Dass Fränkel ein streitbarer Geist war, zeigte sich in verschiedenen Auseinandersetzungen mit dem Staat, wie 1956, 1958, 1961 und auch 1968384. Staatlicherseits richteten sich die Bemühungen vor allem darauf, den Einfluss Fränkels, der als übermächtig empfunden wurde, zurückzudrängen. Gleichzeitig bedeutete es aber auch, dass durch die Persönlichkeit Fränkels und das übergroße Augenmerk des Staates, das fast ausschließlich auf ihn gerichtet war, die Kirchenleitung als Leitung in der Wahrnehmung sehr stark hinter ihrem Bischof zurücktrat. Auch weitere Personen sowie die mittleren und unteren Kirchenebenen traten neben Fränkel in den Hintergrund. Daher zeichnet die vorliegende Arbeit im Falle Görlitz die unterschiedlichen Auseinandersetzungen nach, in deren Zentrum in der Regel Fränkel gesehen wurde. Die Zersetzungsversuche gegen die Person Fränkel und die Diskussionen um eine ,Wende‘ hin zu einer moderateren und gesprächs- und konzessionsbereiten Haltung gegenüber der DDR und deren Kirchenpolitik Mitte der Siebziger Jahre können hier nicht weiter erörtert werden385.

381 Kurzbericht über eine Dienstreise nach Görlitz am 19. 1. 1971, vom 20. 1. 1971, 1 (BArch DO 4/ 796); vgl. auch Dringende Information für den Staatssekretär 26. 2. 1971 (BArch DO 4/437). Daraus geht hervor, dass kirchenintern „mit allen Superintendenten die Frage einer möglichen Teilnahme besprochen wurde (22. 2. 1971). Es wurde festgelegt, daß entweder alle Geistlichen, einschließlich der Kirchenleitung teilnehmen, oder niemand. […] Seitens der Kirchenleitung ist man außerdem der Auffassung, daß anscheinend verschiedene staatliche Kreise beabsichtigen, in der Görlitzer Kirche eine Palastrevolution zu erreichen. Das wird nicht geschehen.“ Aus der Antwortnotiz geht hervor: „Die Kirchenleitung wird auf keinen Fall eingeladen.“ ebd. 382 So Wensierski, Diakonische Kirche, 26. Kühne bezeichnete ihn als „Markenzeichen“ der Landeskirche. Vgl. K hne, Frei für Gott, 21. 383 Vgl. Schultze, Fränkel, 1. 384 Ness, Leitende Persönlichkeiten, vor allem ab 49. 385 Vgl. Brauckmann / Bunzel, Rückblick. Zur ,Wende‘ Mitte der 1970er Jahre vgl. Pietz, Suche nach dem Recht.

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4.1.1. Gegen Fränkel Fränkel galt beim Staat als persona non grata386. Auf Jahre war Umgang mit ihm nicht erwünscht387. So waren er und Krummacher nicht zu den staatlichen Empfängen zum Reformationsjubiläum 1967 eingeladen worden388. An diese SED-Vorgabe hielt sich auch die Blockpartei CDU, die z. B. seinen 60. Geburtstag bewusst überging389. Offizielle Gespräche mit der Kirchenleitung – so hieß es 1971 – seien erst dann möglich, wenn Fränkel wenigstens von einer seiner Positionen abrücken würde390. Immer wieder steckten sich staatliche Stellen das Ziel, Fränkel zum Rücktritt zu zwingen, weil er zu den „reaktionärsten Kirchenführern in der DDR“ gehöre391. Die Versuche, Einfluss auf die Görlitzer Kirche zu nehmen, mit dem Ziel, dass sie sich von ihrem Bischof lossage, waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Diese Konfliktlinien waren nicht neu. Bereits 1958 wurde Fränkel, damals Oberkonsistorialrat, im Ergebnis einer 1958 gegen ihn gestarteten und staatlich gelenkten öffentlichen Kampagne als Kritiker des Systems bekannt392. Hintergrund war sein Auftreten auf der Synode der EKD vom 26. bis 30. April 1958, die später als so genannte Atomsynode bekannt wurde. Zu deren Beginn hatte der Staat versucht, sich mit Hilfe von Delegationen auf der Synode Gehör zu verschaffen, und zwar so lautstark, dass sich die Synode gestört fühlte. Fränkel stand auf und beschwerte sich393. Ihm wurde daraufhin in der DDR-Presse vorgeworfen,

386 Fränkel wurde auch in den Folgejahren als persona non grata bezeichnet. Z. B. Ende 1973. Vgl. Information über das Gespräch des Staatssekretärs mit Bischof Schönherr und Bischof Gienke am 23. 11. 1973, 4 (BArch DO 4/796). Jenes Gespräch behandelte vor allem den Vortrag Fränkels in der Annenkirche in Dresden am 8. 11. 1973. 387 So wurde z. B. Günter Jacob nahe gelegt, Fränkel zu einem Empfang anlässlich des Cottbusser Kirchentages auszuladen, falls staatliche Vertreter teilnehmen sollen. Vgl. RdB Cottbus. Niederschrift über eine Aussprache mit Oberkonsistorialrat Juergensohn, Görlitz, am 29. 2. 1972, 1 (BArch DO 4/796). 388 Vgl. BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233 II. Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit, 20. 389 Vgl. Aktenvermerk 31. 7. 1969 (ACDP 07-013-2164). Zusätzlicher Grund war seine Wahl zum Vorsitzenden der EKU 1969. Vgl. Aktenvermerk 13. 12. 1971, 1 (ACDP 07-013-2121). 390 „Das Gespräch sei nur deshalb unmöglich, weil das bisherige Verhalten des Bischofs die Staatsorgane zwingen würde, ein solches Gespräch abzubrechen. […] Das in Görlitz erwartete Gespräch zwischen Staatssekretär und Kirchenleitung wird erst dann zustande kommen, wenn Bischof Fränkel wenigstens von einer seiner Positionen […] abrückt und wenn Juergensohn uns persönlich voll garantieren kann, daß sich der Bischof in einem Gespräch mit dem Staatssekretär oder dem Rat des Bezirkes so verhält, daß das Gespräch von staatlicher Seite nicht abgebrochen werden muß.“ Aktennotiz des RdB Dresden vom 17. 3. 1971 über ein Gespräch mit OKR Juergensohn, 3 (BArch DO 4/2970). 391 Vgl. Arbeitsplan für das II. Halbjahr 1968 vom 19. 7. 1968, 13 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). 392 Vgl. Findeis / Pollack, Selbstbewahrung, Interview mit Hans-Joachim Fränkel, 69. 393 Vgl. Erklärung der Evangelischen Kirchenleitung in Görlitz zur Angelegenheit Oberkonsistorialrat Fränkel vom 5. 5. 1958 (AKKVSOL 12/411). In der Akte sind neben Zeitungsartikeln, Zuschriften von Gemeindegliedern, die von Beschimpfungen gegen Fränkel in Schule und

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für Krieg und Atomtod zu sein. Die staatliche Liste an Vorwürfen über Fränkels etwaige Verfehlungen war 1968 lang. Ihm wurde vorgeworfen, 1953 zur „konterrevolutionären Clique“ in der Görlitzer Kirche gehört, sich gegen die Kollektivierung gewandt, 1963 die 10 Artikel über Freiheit und Dienst der Kirche in der Görlitzer Kirche diskutiert, immer wieder gegen sozialistisches Bildungssystem und Wehrdienst polemisiert, zu Reformationsfeierlichkeiten 1967 vor internationalem Publikum die Kirchenpolitik des Staates als Ausrottung des Glaubens bezeichnet zu haben und 1968 aggressiv gegen die Verfassung und für die Tschechoslowaken aufgetreten zu sein394. Fränkel fand nichtsdestotrotz bis in die siebziger Jahre hinein immer wieder klare Worte gegen staatliche Unterdrückungsstrukturen. Ein besonderer Dorn im Auge war dem Staat Fränkels beständiger Rückgriff auf die Zeit der Bekennenden Kirche. Fränkel kam aus einer klaren BKTradition, war während der NS-Zeit inhaftiert und knüpfte in seinen Vorträgen und Gesprächen mit staatlichen Stellen auch deutlich an diese Zeit an. Diese beständigen Vergleiche nahm man nicht nur 1968 als Gleichsetzung des NS-Regimes mit dem eigenen wahr. Fränkel betonte in seinen Reden immer wieder die notwendige Wahrnehmung eines durchaus auch für beide Seiten unbequemen Wächteramtes der Kirche und setzte dem staatlichen Absolutheitsanspruch als Richtschnur die Barmer Theologische Erklärung entgegen, so dass Jesus Christus letztgültiger Herr blieb und die Orientierung an ihm den Ausschlag geben sollte395. Fränkel wollte sich die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche nicht nehmen lassen396. Diese konsequente theologische Rückbindung vor allem an die 5. These der Barmer Theologischen Erklärung, den stetigen Hinweis auf ein Wächteramt der Kirche gegenüber dem Staat und das Erinnern an die Breslauer Synode der Altpreußischen Union, die sich 1943 gegen die Judenvernichtung ausgesprochen hatte, war unbequem. Als Verdeutlichung dieser Haltung wurde er in einer Analyse über die kirchenpolitische Situation von 1970 folgendermaßen zitiert: „Nicht von einer Verfassung, sondern vom Auftrag des Herrn her, ergibt sich Recht und Pflicht des Wächteramtes. Dieses Wächteramt ist nicht einseitig, sondern allseitig. Die Melodie muß rein bleiben und nicht unter dem Gesichtspunkt des geringsten Risikos ertönen.“397

Dass Fränkel am 8. Juli 1969 zum Vorsitzenden des Rates der EKU gewählt wurde, obwohl bekannt war, dass er als persona non grata galt, wurde staat-

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Betrieben berichten, von Beurlaubungen, von Verweisungen von Schulen, sowie Briefe und Flugblätter gegen Fränkel enthalten. Vgl. Einschätzung der Görlitzer Kirchenleitung vom 2. 12. 1968, 1 f. (BArch DO 4/2970). So regelmäßig in seinen Reden vor der Synode bis Mitte der 1970er Jahre. Vgl. K hne, Frei für Gott, 32 f. Vgl. ebd., 23. Analyse über die derzeitige kirchenpolitische Situation im Stadt- und Landkreis Görlitz vom 22. 12. 1970, 1 (BArch DO 4/796).

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licherseits als Affront empfunden398. Als Vorsitzender der EKU trat er für deren Einheit ein399. Dies stand in unlösbarer Spannung zur staatlichen Kirchenpolitik, welche nicht nur eine strikte Trennung von der EKD, sondern auch von der EKU forderte400. Kirchlicherseits wurden Kirchenleitung, Synode, einzelne Pfarrer und Gemeindeglieder in den 1960ern nicht müde, immer wieder klarzustellen, dass sie zu ihrem Bischof stünden401.

4.1.2. Die neue Verfassung Zur Verfassungsdiskussion schaltete sich Fränkel als Bischof ein. Bereits im Juni 1967 waren im Konsistorium die ersten Schriftstücke eingegangen, die die Kirchenleitung darum baten, sich dafür einzusetzen, dass die bisherigen Religionsartikel in der Verfassung nach Möglichkeit auch in einer neuen Verfassung erhalten werden und den einzelnen Christen Material für etwaige Diskussionen an die Hand zu geben402. Dies wurde ihnen zugesagt403. Vor allem wurde versucht, die Geistlichen über die Kirchenkreise nach Möglichkeiten mit alternativen Informationen zu versorgen. Im Februar wurde ihnen so der Brief von Schönherr an Seigewasser zugänglich gemacht404. Staatlicherseits wurde die Verfassungsdiskussion dazu genutzt, in der Öffentlichkeit gegen Fränkel zu polemisieren. So erhob Wolfgang Heyl von der CDU auf einer Versammlung der Nationalen Front vom 12. Februar 1968 in Görlitz schwere Vorwürfe gegen den Bischof. Er warf Fränkel vor: 1. 2. 3. 4. 5.

Abhängigkeit von Bonn und Festhalten an der EKD Aufwiegelung der Jugend, Schlesien zurückzufordern Aussage der Staat rotte Glauben und Glaubensleben aus Aussage gute Arbeit sei nicht wichtig Entsetzen ökumenischer Gäste über Grußwort beim Reformationsjubiläum405

398 Vgl. Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 98. 399 Vgl. Winter, EKU, 146 f.; auch Huber, Auftrag, 60. 400 Vgl. Kurzbericht über eine Dienstreise nach Niesky am 18. 11. 1969 vom 25. 11. 1969, 2 (BArch DO 4/2969). 401 Vgl. das Folgende und die Äußerungen der Synode. 402 Vgl. z. B. Beschluss der Kreissynode Ruhland. Rechte der Kirche in der geplanten neuen Verfassung vom 2. 6. 1967, an das evangelische Konsistorium (AKKVSOL 12/336). 403 Vgl. Antwort vom 29. 6. 1967 an den zuständigen Superintendenten (AKKVSOL 12/336). 404 Vgl. Schreiben des Konsistoriums der Evangelischen Kirche von Schlesien an die Herren Ephoren vom 7. 2. 1968 (AKKVSOL 12/336). Ein weiterer Weg für Informationen und für Erwachsenenbildung war das Amt für Gemeindedienst, welches 1965 eingerichtet wurde. Vgl. Wensierski, Diakonische Kirche, 27. 405 Vgl. Rundverfügung Nr. 7/68 vom 16. 2. 1968 an die Geistlichen und Werke im Kirchengebiet, Bericht über die Vorgänge im Zusammenhang mit der Versammlung der Nationalen Front in Görlitz, 1 (AKKVSOL 12/683) auch (BArch DO 4/2970).

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Da Fränkel selbst nicht anwesend, sondern auf der EKU-Synode in Babelsberg war, widersetzte sich Konsistorialrat Gotthard Bunzel diesen Unterstellungen und berichtete am nächsten Tag auf der EKU-Synode. Andere kirchliche Gesprächsbeiträge waren gar nicht erst zugelassen worden. Fränkel gab daraufhin auf der Synode am 13. Februar eine Gegendarstellung ab und kritisierte den Verfassungsentwurf406. Fränkel erklärte unter anderem, dass bei einer Herrschaft der Werktätigen über die Bürger die Gleichberechtigung nicht mehr garantiert sei, die Kirche das sozialistisch ideologische Vorzeichen einer Verständigung mit dem Ziel einer Wiedervereinigung nicht akzeptieren könne, sondern nur, wenn eine Selbstbestimmung vorläge, „ansonsten muß man einen Willen zur Diktatur erkennen, der ein Wille der Einschränkung ist.“407 Freiheit gäbe es nur, wenn diese auf ganz Deutschland bezogen wäre, und der Artikel 38 sei unbefriedigend. Wenige Tage später wurden die Geistlichen des Görlitzer Kirchengebietes über die Situation und Fränkels Stellungnahme in Kenntnis gesetzt, bekamen eine von Fränkel erarbeitete Handreichung zugesandt und wenig später den Brief aus Lehnin408. Das Besondere an Fränkels Handreichung war, dass hier nicht nur Kritik an fehlenden Rechten für Christen und Kirche geübt, sondern direkt das sozialistische Wesen der neuen Verfassung kritisiert wurde409. Da im Entwurf Sozialismus als „oberster Wert“ postuliert werde, bedeute dies, dass sich alle anderen Werte an ihm zu messen hätten und ihm nachgeordnet seien. Da aber der Sozialismus laut Verfassungsentwurf im Prozess der Geschichte zugleich Ziel der Verfassung sein sollte, hingen die Bürgerrechte in „Parteilichkeit“ und „Dienst“ von diesem Ziel ab. Sozialismus erschien in der Konsequenz – so die Handreichung – als „Zukunftsglaube.“ Daraus folge, dass alle Rechte nur sozialismuskonform wahrgenommen werden könnten. Was aber sei dann mit jenen Menschen – nicht nur Christen – die „den Absolutheitsanspruch des Sozialismus,“ dessen Form von der marxistisch-leninistischen Partei bestimmt werde, nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten? Was solle dann 406 Vgl. ebd.; und Stellungnahme von Fränkel vor der Synode der EKD zu den gegen ihn in Görlitz erhobenen Angriffen (BArch DO 4/2970). EKD ist ein Schreibfehler der staatlichen Abschrift; vgl. Information. Verhalten von Bischof Fränkel auf der Synode der EKU vom 22. 2. 1968 (BArch DO 4/2970). In der Rundverfügung wurde auch das durch die Presse verdrehte Auftreten Bunzels richtig gestellt. In der „Neuen Zeit“ vom 14. 2. 1968 war aus Bunzels Unterstützung für Fränkel und seiner Verfassungskritik, die Mitteilung entstanden, Bunzel sei der Ansicht, „daß die neue sozialistische Verfassung die Bonner Alleinvertretungsanmaßung ad absurdum führen werde.“ 407 Information. Verhalten von Bischof Fränkel auf der Synode der EKU vom 22. 2. 1968 (BArch DO 4/2970). 408 Am 21. 2. beschloss die Kirchenleitung, allen Geistlichen eine Handreichung von Fränkel als Hilfe zu geben. Vgl. Protokoll der Kirchenleitung vom 21. 2. 1968, 2 (AKKVSOL 11/673). Diese ist enthalten in der Rundverfügung Nr. 8/68 vom 23. 2. 1968 an alle Geistliche (AKKVSOL 12/ 683). Die verschiedenen Stellungnahmen werden staatlicherseits erwähnt. Vgl. Kurzbericht über die Dienstreise nach Görlitz am 19. 3. 1968 vom 22. 3. 1968, 1 (BArch DO 4/2970). 409 Erwägungen zum Entwurf einer „Verfassung des Sozialistischen Staates Deutscher Nation“ – Eine Hilfe zum Gespräch, 1 – 5 (BArch DO 4/423 ebenso 2970). Hier auch die folgenden Zitate.

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der Rechtstatus der Kirche sein, was ist mit „Tätigkeit in Übereinstimmung mit der Verfassung“ gemeint? Nach der Formulierung im Entwurf konnte der Passus so ausgelegt werden, dass die Kirchen „der Verwirklichung des Sozialismus zu dienen haben. Das aber wäre angesichts des sich aus dem Entwurf ergebenden Verständnisses des Sozialismus ein unmögliches Verlangen.“ Schlussfolgernd wurde empfohlen, dass sich jeder Christ für die Freiheit der religiösen Erziehung, für das Recht der Kirchen, sich zu Lebensfragen des Volkes zu äußern, für das Recht auf Seelsorge, für die Bestätigung des Rechtsstatus‘ der Kirchen und Religionsgemeinschaften, für deren Selbstständigkeit in Ordnung, Verwaltung und Finanzierung sowie die Trennung von Staat und Kirche einsetzen solle. Anfang März schrieb der Präses der Synode, Hans Schwidtal, einen Brief an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden410. Als Grund für das Schreiben gab Schwidtal die Angriffe auf Fränkel während der Veranstaltung vom 12. Februar an. Er kritisierte, dass diese Vorwürfe in Abwesenheit Fränkels erhoben worden seien und er somit keine Chance hatte, sich dazu zu verhalten. Schwidtal betonte, dass er den Brief in Übereinstimmung mit der Kirchenleitung, als Präses der Synode, in seiner Funktion als Repräsentant der Kirchgemeinden und nach Aussprache mit seinem Bischof schreibe. Danach widerlegte er die einzeln vorgebrachten Punkte gegen Fränkel: Erstens gäbe es so wenig eine ,Nato-Kirche‘, wie eine ,Warschauer-Pakt-Kirche‘. ,Nato-Kirche‘ sei ein Schlagwort politischer Propaganda. Die bestehende Spaltung Deutschlands – deren Überwindung auch im neuen Verfassungsentwurf angestrebt werde – „erfordert nicht die Preisgabe religiöser Glaubensgemeinschaft.“ Die Bezeichnung der EKD als ,Nato-Kirche‘ habe durch deren OstDenkschrift erst recht keinerlei Anhaltspunkt mehr. Da der Bischof sich zweitens zu den Grundsätzen dieser Denkschrift bekannt habe, sei es eine Verleumdung, ihm zu unterstellen, er fordere vor Jugendlichen die schlesischen Ostgebiete zurück. Drittens setze sich der Bischof als oberster Seelsorger natürlich dafür ein, dass christlicher Glaube ungehindert ausgeübt und christliche Erziehung ermöglicht würde. Die vierte Anschuldigung sei so abwegig, dass sie keiner Richtigstellung bedürfe. Und fünftens habe Fränkel sich in Wittenberg für die Lebendigkeit des Geistes der Reformation eingesetzt, „wozu auch die von Luther in Wort und Schrift gepredigte Freiheit des Christenmenschen gegenüber aller Angst und Menschenfurcht gehöre.“ Dass ökumenische Vertreter entsetzt gewesen wären, sei nicht bekannt. Abschließend warnte Schwidtal davor, dass falsche Anschuldigungen auf den Angreifer zurückfielen und erinnerte an die Kampagne gegen Fränkel von 1958. Der letzte Satz, gleichzeitig Fazit des Briefes, stellte unmissverständlich klar: „Einen so angegriffenen Bischof wird seine Kirche nicht im Stich lassen.“ Die 410 Vgl. Brief von Präses Schwidtal an den Vorsitzenden des RdB Dresden vom 7. 3. 1968 (AKKVSOL 12/411); auch als Rundverfügung Nr. 18/68 vom 19. 4. 1968 (AKKVSOL 12/683); und in den Synodalakten (AKKVSOL 10/2713) und (BArch DO 4/2970). Hier die folgenden Zitate.

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Frühjahrssynode sprach Fränkel ihr Vertrauen aus und gab Schwidtals Brief ihre Zustimmung411. Die zuständigen regionalen Funktionäre kamen im Nachgang des 12. Februar, der unter anderem auch als Auftakt für die Vorbereitung der Frühjahrssynode betrachtet worden war, zu dem Schluss, dass der Angriff gegen Fränkel nicht stark genug geführt worden sei412. Fränkel selbst befürchtete zwar zu Recht, dass seitens der DDR eine Beteiligung am Volksentscheid über die Verfassung als Legitimation ihrer selbst und ihrer Partei begriffen werden würde, nahm jedoch, wie die Superintendenten der Landeskirche, letztendlich daran teil, um mit „Nein“ zu stimmen413.

4.1.3. Fränkels Fürbittenaktion Im Spätsommer 1968 legte Fränkel für seinen Handapparat eine Akte ,Fürbitte ˇ SSR 1968‘ an, in welcher er alle kirchlichen Informationen über die C ˇ SSR C sammelte, die er bekommen konnte. Es ist eine der umfassendsten und gleichzeitig am meisten komprimierten Akten zu diesem Thema414. Mitte September gab er durch die EKU erhaltene Dokumente an die Superintendenten weiter, um auch diese zu informieren415. Dazu gehörte der offene Brief der Regionalgruppe der CFK Berlin West an Ulbricht, Hrom dkas Brief an Tscherwonenko, der Brief des ÖRK, der Aufruf des Synodalrates der EKBB vom 21. August und eine Erklärung der Tschechoslowakischen Kirche. Im Oktober folgten der Protestbrief Jacobs an den Bund evangelischer Pfarrer und der Brief von Milan Machovec gegen die Okkupation416. Bereits einen Tag nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes ˇ SSR formulierte Fränkel eine Fürbitte für den kommenden Sonntag in die C und gab sie noch am gleichen Tag an alle Geistlichen des Kirchengebietes weiter. Weitere Abzüge erhielten EKD, EKU, die Landeskirchen in der DDR und der katholische Bischof Gerhard Schaffran.417 Fränkel bat, seine Fürbitte unter Hinweis auf das Stuttgarter Schuldbekenntnis in die allgemeinen Fürbitten im Gottesdienst einzufügen. Die Fürbitte lautete: „Herr, unser Gott, 411 Diese Haltung wurde allen Gemeindekirchenräten bekannt gegeben. Vgl. Rundverfügung Nr. 18/68 vom 19. 4. 1968 an die Herren Superintendenten und alle Gemeindekirchenräte unseres Kirchengebietes sowie den Parochialverband Görlitz (AKKVSOL 12/ 683). Im Anhang wurde Schwidtals Brief mitversandt. 412 Vgl. Kurzbericht über die Dienstreise nach Görlitz am 19. 3. 1968 vom 22. 3. 1968, 1 (BArch DO 4/2970). 413 Vgl. Einschätzung der Situation in der Görlitzer Kirche anhand des vorliegenden Fragenkomplexes, 17. 1. 1969, 1, 3 (BArch DO 4/2969 ebenso 2970). 414 Fränkel sammelte und bewahrte hier sorgfältiger als das in anderen zentralen Kirchenstellen geschah und übergab die Akte erst mit seiner Pensionierung (AKKVSOL 12/289). 415 Vgl. die entsprechenden Dokumente und Notiz der Weitergabe an die Superintendenten vom 16. 9. 1968 (AKKVSOL 12/289). 416 Vgl. Protokoll der Kirchenleitung vom 9. 10. 1968, 2 (AKKVSOL 11/673). 417 Vgl. Fürbitte und Verteiler (AKKVSOL 12/289).

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nimm dich des schwergeprüften tschechoslowakischen Volkes an und schenke ihm, daß es sein Leben in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit gestalten kann; uns aber vergib alles, worin wir an unserem Nachbarn schuldig geworden sind!“418 Diesen Fürbittenentwurf brachte Fränkel dann auch zur Sitzung der Bischöfe vom 24. August 1968 ein, konnte die anderen Teilnehmer jedoch nicht davon überzeugen, seine Formulierungen zu übernehmen. In Görlitz las Pfarrer Hans-Joachim Kohli am 25. August in der Dreifaltigkeitskirche ein vergleichbares Gebet419. Ein Mithörer im Gottesdienst berichtete es so weiter: „Gewalt führt zur Behinderung des Fortschritts. Wir bitten für das tschechische Volk, daß es bald wieder in Friede, Eintracht und Gerechtigkeit leben kann. Wir bitten um Vergebung dessen, was dieses Volk durch uns erdulden muß. Dieses Gebet gelte [sic!] für alle Kirchen des evangelischen Görlitzer Kirchengebietes.“420

Anscheinend weckte diese Mitteilung noch einmal Ängste vor Fürbitten oder gar Kanzelabkündigungen für den kommenden Sonntag. Kohlis Fürbitte war am Donnerstag, dem 29. August in Dresden aktenkundig. Walter Breitmann vom Rat des Bezirkes Dresden rief freitags um 16:50 Uhr in Berlin an, um Seigewasser zu informieren. Man ging davon aus, dass für den 1. September eine Kanzelabkündigung, inhaltlich „eindeutig provokatorisch“, geplant sei421. Möglich sei auch, dass es sich um eine „sogenannte Fürbitte“ handele422. Der Rat des Bezirkes Dresden versuchte Bischof Fränkel noch für den gleichen Tag um 18:00 Uhr einzubestellen423. Allerdings lautete die kirchliche Auskunft, er sei im Urlaub. Sein Vertreter, Oberkonsistorialrat Gerhard Juergensohn, war ebenso wie weitere verantwortliche Vertreter nicht erreichbar, und so wurde dieses Gespräch abgesetzt424. Die Räte der Kreise wurden zu sofortigen Gesprächen am Freitag oder 418 Fürbitte und Brief Fränkels sind verschiedentlich veröffentlicht: Brauckmann / Bunzel, Rückblick, 24 – 26; Fr nkel, Evangelische Kirche, 199 f. 419 „Es habe auch Pfarrer Kohli der Vorkommnisse in der CSSR in nicht zu verantwortender Weise gedacht.“ Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 31. 8. 1968, vom 4. 9. 1968 durch Johannes (LKA DD, Best. 2, Nr 569, B2 111). 420 Auszüge aus den Informationsberichten der Räte und Städte vom 29. 8. 1968, 4 (BArch DO 4/ 2966). 421 Vgl. Anruf des Genossen Walter Breitmann – Dresden (16.50 Uhr) für den Staatssekretär am 30. 8. 1968 (BArch DO 4/2970). 422 Ebd. 423 Vgl. Weitere Stellungnahmen und Argumente kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom RdB Dresden zusammengestellt am 2. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2966). 424 Juergensohn zählte zu einer neuen Generation im Konsistorium und war im Unterschied zu vielen anderen, kein Schlesier. Vgl. Lotz, Deutung des Verlustes, 197. Trotzdem bezeichnete ihn der Staat als „Scharfmacher“, weil er zur Verfassung offen mit „Nein“ gestimmt hatte. Vgl. Einschätzung der Situation in der Görlitzer Kirche anhand des vorliegenden Fragenkomplexes, 17. 1. 1969, 2 (BArch DO 4/2969 ebenso 2970); und Einschätzung der Görlitzer Kirchenleitung vom 2. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/2970).

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Sonnabend mit allen Superintendenten und Pfarrern abgeordnet425. Darin sollten etwaige Kanzelabkündigungen und Fürbittgebete untersagt werden, die in irgendeiner Form die Ereignisse im Nachbarland berühren könnten. Bei Nichtbeachtung sollten „schwerwiegende Komplikationen“ und „volle Verantwortung für die Folgen“ angedroht werden426. Alle Kirchen des Görlitzer Gebietes wurden für die Gottesdienste vom 1. September ,abgesichert‘, das heißt staatlich zuverlässige Personen zur Kontrolle hingeschickt. Erleichtert nahm der Staat zur Kenntnis, dass durch Aussprachen mit den Superintendenten in drei Kreisen hatte erreicht werden können, „daß von einem weiterem [sic!] Verlesen der Empfehlung Abstand genommen wurde.“427 Dagegen lehnten in der Superintendentur von Hoyerswerda Superintendent Heinz ˇ SSR weiterhin den staatlichen Graefe und die Pfarrer die Intervention in die C 428 Stellen gegenüber ab . Aus den unterschiedlichen Informationen geht allerdings nicht hervor, in wie vielen Gemeinden die Fürbitte schon am 25. August verlesen worden war429. Auch mit Superintendent Helmut Lehmann, Kirchenkreis Niesky, wurde ein Gespräch geführt, über das dieser einen Aktenvermerk an das Konsistorium sandte. Bereits am 28. August 1968 war er zu einem Gespräch beim Rat des Kreises gebeten worden. Der Anlass wurde als sehr ernst bezeichnet und auf provokatorische Äußerungen verwiesen, ohne den Grund zu nennen. Als Lehmann auf Konkretisierung drängte, wurde ihm nur die Äußerung eines Pfarrers präsentiert, nämlich: „daß Ulbricht und andere schon längst ins Zuchthaus gehören.“430 Zwar gelte politische Meinungsfreiheit, „aber diese dürfe sich nicht gegen den Staat, seine Verfassung und Politik richten.“431 Lehmann meinte, dass doch sachliche Kritik möglich sein müsse und Begriffe, z. B. Revanchismus, sehr dehnbar seien und man doch dann jede sachliche Kritik in eine solche Richtung auslegen könne. „Ich drängte mit der Frage, ob eine Kritik etwa an den gegenwärtigen politischen, 425 Vgl. Anruf des Genossen Walter Breitmann – Dresden (16.50 Uhr) für den Staatssekretär am 30. 8. 1968 (BArch DO 4/2970). 426 Vgl. Weitere Stellungnahmen und Argumente kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom RdB Dresden zusammengestellt am 2. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2966). 427 Kurzbericht über eine Dienstreise nach Görlitz in der Zeit vom 26. 9.–27. 9. 1968 vom 1. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/2970). 428 Vgl. Bericht ohne Titel, undatiert, über die Görlitzer Kirche, angehängt an einen Brief von Wilke an den Rat der Stadt Görlitz vom 11. 2. 1969, 3 (BArch DO 4/2970). 429 „Im Bereich der Görlitzer Kirche sind mit den Superintendenten Aussprachen geführt worden (Bischof Fränkel und sein Stellvertreter sind im Urlaub), wobei diese zusicherten, auf die Pfarrer einzuwirken, keine Fürbittgottesdienste durchzuführen und provokatorische Fürbittgebete zu unterlassen.“ Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 2 f. (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086) Beide Informationen sind allerdings zu einer Zeit entstanden, als die Fürbittaktion schon vorbei war. 430 Aktenvermerk. Gespräch beim RdK am 28. 8. 1968 (AKKVSOL 12/1442). 431 Ebd.

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vor allem militärischen Maßnahmen nicht erwünscht oder nicht gestattet sei.“432 Ihm wurde ausweichend geantwortet. Er selbst meldete daraufhin ˇ SSR an. Wie man für Kritik an der gegenwärtigen Politik gegenüber der C Vietnam bete, so auch für die Tschechoslowaken. Lehman erklärte noch, „daß wir Pfarrer hier keiner Sonderregelung unterworfen sein möchten, sondern jeder Bürger, der sich kritisch äußert, geschützt ist.“433 In seiner Gesprächsnotiz vermutete Lehmann, dass der Zweck des Gesprächs gewesen sei, nur eine schriftlich vorbereitete Erklärung weiterzugeben, Diskussionen jedoch zu ˇ SSR nicht vermeiden, da eine wirkliche Diskussion über die Situation in der C möglich gewesen sei. Mit dieser Vermutung lag Lehmann richtig. Die staatliche Weisung war, an Vertreter der Kirche weiterzugeben, dass kritische Äußerungen nicht statthaft und jede inhaltliche Diskussion darüber zu vermeiden sei. In der Folge wurde anhand der Fürbitte Fränkels seitens der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen die so ersehnte Differenzierung unter den Geistlichen in Görlitz ausgemacht. Diese zeige sich darin, „daß die Empfehˇ SSR nur von einem lung des Bischofs Fränkel zu den Ereignissen in der C Pfarrer in Görlitz-Stadt verlesen wurde“, und zwar von dem schon erwähnten Kohli434. Kohli soll während einer Aussprache beim Rat des Kreises Görlitz geäußert haben, „daß nur er wahrer Marxist sei.“435 Dem Oberbürgermeister von Görlitz soll Kohli erklärt haben, nur er selbst sei ein guter Sozialist, alle anderen Amtsbrüder seien reaktionär436. Anfang März 1969 kam in einem Gespräch des stellvertretenden Vorsitzenden für Inneres von Görlitz mit Konsistorialrat Reese die Rede auf Kohli. Reese erklärte dazu, er wundere sich, dass Kohli so etwas gesagt haben solle, da er diesen für einen der „klügsten Pfarrer“ hielte, die genau wüssten, was sie sagen und was nicht. Dazu gehöre auch, „daß Kohli den Sozialismus ganz besonders studiere, nicht um Marxist zu werden, sondern [sic!] ihn zu widerlegen.“437 Auch im Görlitzer Pfarrkonvent scheint über Kohlis Meinung debattiert worden zu sein438. Aus den 432 Ebd. 433 Ebd. 434 Kurzbericht über eine Dienstreise nach Görlitz in der Zeit vom 26. 9.–27. 9. 1968 vom 1. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/2970). 435 Bericht ohne Titel, undatiert, über die Görlitzer Kirche, angehängt an einen Brief von Wilke an den Rat der Stadt Görlitz vom 11. 2. 1969, 3 (BArch DO 4/2970). 436 Vgl. Gespräch mit Konsistorialrat Reese am 27. 2. 1969 durch den Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, vom 1. 3. 1969, 1 (BArch DO 4/2971). 437 Ebd., 3. 438 Vgl. Bericht ohne Titel, undatiert, über die Görlitzer Kirche, angehängt an einen Brief von Wilke an den Rat der Stadt Görlitz vom 11. 2. 1969, 3 (BArch DO 4/2970); und Gespräch mit Konsistorialrat Reese am 27. 2. 1969 durch den Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, vom 1. 3. 1969, 1 (BArch DO 4/2971). Gegen Kohli wurden in späteren Jahren operative Vorgänge des MfS eingeleitet. Vgl. Brauckmann / Bunzel, Rückblick, 28. Zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation lebte Pfarrer i.R. Kohli noch in Görlitz. Von einem Interview musste jedoch aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes leider abgesehen werden.

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Protokollen des Pfarrkonvents des Görlitzer Kirchenkreises lassen sich jedoch keine inhaltlichen Diskussionen ablesen. Sie zeigen aber zumindest beispielhaft, dass in den Konventen die aktuellen Fragen nicht ausgespart wurden. So berichtete Bunzel über die Veranstaltung der Nationalen Front. Das Schreiben Noths zur Sprengung der Paulinerkirche wurde 1968 ebenso besprochen wie der Bericht von Pabst über die III. ACFV in Prag439. Im Oktober kam Fränkel selbst und erläuterte den Stand der Bundesgründung440. Ebenso wurde im Konvent über den Brief Berlin-Brandenburgs an die Kirchen in der ˇ SSR, den Brief Hrom dkas an Tscherwonenko und auch über den Brief C Fränkels an Ulbricht gesprochen441. Noch im September kam es wegen der Fürbitte zwischen Seigewasser auf der einen und Fränkel sowie Juergensohn auf der anderen Seite zu einem „harten“ Gespräch442. Der Rat des Bezirkes Dresden reagierte zusätzlich, indem er am Sonnabend, dem 31. August, den sächsischen Landesbischof Noth in Dresden vorlud, obwohl er mit ihm ja erst am Tag zuvor ein Gespräch geführt hatte. Aus der kirchlichen Gesprächsnotiz über diese Vorladung geht hervor, dass staatliche Stellen äußerst beunruhigt über den Fürbittenaufruf waren, weil die Pfarrer diesem doch Folge geleistet hatten: „Diese Fürbitte sei im gesamten dortigen Bereich der Kirche am vergangenen Sonntag gehalten worden.“443 Eine solch flächendeckende Ablehnung der staatlichen Politik sollte nicht Schule machen, obwohl es nur eine Fürbitte betraf. Die Erinnerung an das Stuttgarter Schuldbekenntnis und die damit verbundene Bitte um Vergebung für erneutes Vergehen am Nachbarvolk missfiel444. Die Parallele zu 1938, obwohl nicht explizit ausgesprochen, war zu deutlich spürbar. Auch deswegen reagierten die verschiedenen staatlichen Stellen so empfindlich. Bischof Fränkel traf hier als erster in einer öffentlichen kirchlichen Reaktion diesen wunden Punkt. Die staatlichen Funktionäre wollten auf keinen Fall „mit den Faschisten auf eine Stufe gestellt werden“, und sie betrachteten eine solche Andeutung als „Hetze gegen den Staat.“445 Dabei war durch die Kirchenleitung 439 Vgl. Protokolle des Pfarrkonvents des Kirchenkreises Görlitz vom 14. 2. 1968, 1; und vom 19. 6. 1968, 1 (AKKVSOL 12/1307). 440 Vgl. Protokoll des Pfarrkonvents des Kirchenkreises Görlitz vom 16. 10. 1968, 2 (AKKVSOL 12/ 1307). 441 Vgl. Protokolle des Pfarrkonvents des Kirchenkreises Görlitz vom 16. 10. 1968, 3; vom 27. 11. 1968, 2; und vom 15. 1. 1969, 3 (AKKVSOL 12/1307). 442 Vgl. Aktennotiz des RdB Dresden vom 17. 3. 1971 über ein Gespräch mit OKR Juergensohn, 1 (BArch DO 4/2970). 443 Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 31. 8. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, B2. 111 V). 444 Am schwierigsten wurde die Formulierung Fränkels empfunden, „daß die Deutschen schon in der Vergangenheit am tschechoslowakischen Volk schuldig geworden seien.“ Information – Nr. 11/68 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen vom 19. 9. 1968, 2 f. (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/5). 445 Weitere Stellungnahmen und Argumente kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom RdB Dresden zusammengestellt am 2. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2966).

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des schlesischen Restgebietes die Frage der Schuld an die Problematik des Verlusts der Heimat als Gericht Gottes gekoppelt worden446. Fränkel war in diesem Fall bereit, ein Gebet zu sprechen, welches eindeutig politisch verstanden werden konnte. Dagegen wurde staatlicherseits registriert, dass er Gebete für Vietnam ablehnte, weil „das Gebet in seinem Wesen zerstört werde, wenn man es zum politischen Protest macht.“447 Da die Fürbitte die nichtkirchliche Öffentlichkeit nicht erreichte, blieb ihre Wirkung auf den innerkirchlichen Bereich beschränkt. Im Nachgang wurde die Fürbitte Fränkels stellenweise in staatlichen Berichten auch als Kanzelabkündigung bezeichnet448. Wie weitreichend am 25. August in den Gottesdiensten des Görlitzer Kirchengebietes diese oder eine derartige Fürbitte verlesen wurde, lässt sich nicht mehr genau eruieren, da der Staat auf diese Fürbitte nicht vorbereitet war und nicht flächendeckend die Gottesdienste überprüfte, wie etwa in Berlin-Brandenburg zwei Wochen später. Die staatlichen Maßnahmen liefen in Görlitz erst an, nachdem man durch Fränkel bereits am 25. August vor vollendete Tatsachen gestellt worden war. 4.1.4. Fränkels Brief an Walter Ulbricht Am 12. Dezember sandte Fränkel einen Brief an Walter Ulbricht, in welchem er für Verhaftete eintrat. Dieser Brief ist einer der Gründe, warum Fränkel weiterhin als persona non grata galt. Anfang Januar wurde in Berlin in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen über ihn geurteilt: „Während der Ereignisse in der CSSR verhielt er sich zurückhaltend. An seine Pfarrer versandte er ein Fürbittgebet, ohne darauf zu drängen, daß es von allen Geistlichen in der Kirche verlesen wird. Seine wahre Meinung zu dieser Frage dokumentierte er in einem Brief an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR Ende vergangenen Jahres.“449

Laut staatlicher Aktenlage hatte Fränkel zunächst ohne Erfolg versucht, weitere Pfarrer zu bewegen, den Brief zu unterschreiben, was jedoch von allen abgelehnt worden sei, und so galt der Brief als „Alleinritt“ des Bischofs450. 446 Vgl. Lotz, Deutung des Verlustes, 196. 447 Analyse über die derzeitige kirchenpolitische Situation im Stadt- und Landkreis Görlitz vom 22. 12. 1970, 2 (BArch DO 4/796). 448 Vgl. z. B. Bericht ohne Titel, undatiert, über die Görlitzer Kirche, angehängt an einen Brief von Wilke an den Rat der Stadt Görlitz vom 11. 2. 1969, 3 (BArch DO 4/2970). Auch Brauckmann und Bunzel bezeichnen die Fürbitte Fränkels als Kanzelabkündigung, durch die das ganze Kirchengebiet gebetet habe. Vgl. Brauckmann / Bunzel, Rückblick, 24. 449 Einschätzung der Situation in der Görlitzer Kirche anhand des vorliegenden Fragenkomplexes, 17. 1. 1969, 1 (BArch DO 4/2969 ebenso 2970). 450 Vgl. Kurzbericht über eine Dienstreise nach Dresden und Görlitz am 6. und 7. 2. 1969 vom 10. 2. 1969, 5 (BArch DO 4/2970). „In Görlitz-Stadt jedoch habe der Bischof versucht, seinen provokatorischen Brief an den Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Walter Ulbricht, zu den

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Nach Fränkels eigener Aussage handelte er in Übereinstimmung mit seiner Kirchenleitung451. Dies deckt sich mit dem einstimmigen Beschluss der Kirchenleitung vom 11. Dezember, nach welchem Fränkel den Brief „in Verantwortung seines Amtes“ absenden sollte452. Es war von daher kein ,Alleinritt‘, eher ein abgesprochener ,Alleingang‘, für den Fränkel die Verantwortung übernahm. Hintergrund waren Diskussionen im Herbst 1968 in der EKU geˇ SSR und der Verhaftungen in der wesen, was man angesichts der Lage in der C DDR tun könne453. Am 5. November wurde in einer Sitzung des Rates der EKU über die staatlichen Maßnahmen – also auch die Inhaftierungen – gesprochen, und welche öffentliche Verantwortung die Kirchen hätten. Im Ergebnis wurde Fränkel beauftragt, im Einvernehmen mit dem Berliner Propst Siegfried Ringhandt ein Schreiben zu entwerfen454. Fränkel arbeitete daraufhin noch im November einen Brief an Ulbricht aus455. Auf der nächsten Sitzung am 3. Dezember wurde dieser Entwurf ausgegeben und besprochen456. Man bat Kirchenpräsident Martin Müller, sich mit Niklot Beste als Vorsitzendem der KKL in Verbindung zu setzen, um diesen Brief eventuell als gemeinsames Schreiben der leitenden Bischöfe in die Bischofskonferenz einzubringen457. Dazu kam es jedoch nicht. Vermutlich scheute sich Beste wegen Moritz Mitzenheim458. In der Bischofskonferenz vom 9. Dezember 1968 konnten sich die leitenden Geistlichen tatsächlich wieder vor allem wegen Mitzenheim nicht auf ein gemeinsames Handeln in Bezug auf die Verhaftungen einigen. Nach

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Problemen der inhaftierten Jugendlichen anläßlich der Ereignisse in der CSSR unterschreiben zu lassen. Die Geistlichen haben das geschlossen abgelehnt.“ Ebd. So auch Brauckmann / Bunzel, Rückblick, 27 – 29. Vgl. Fr nkel, Evangelische Kirche, 199. Hier schrieb er selbst über jenen Vorgang: „Als gegen junge Menschen in der DDR, die sich zu dem Einmarsch der Staaten des Warschauer Vertrages in die Tschechoslowakei kritisch geäußert hatten, gerichtlich vorgegangen wurde, bemühte sich die Görlitzer Kirchenleitung um einen gemeinsamen Schritt der Leitenden Geistlichen bei der Regierung der DDR. Als ein solcher Schritt nicht zustande kam, entschloß sich der Vorsitzende der Kirchenleitung in Übereinstimmung mit ihr zu einem Alleingang und richtete an den Vorsitzenden des Staatsrates, Walter Ulbricht, folgenden Brief.“ Danach folgt der Brief. Vgl. Protokoll der Kirchenleitung vom 11. 12. 1968, 1 (AKKVSOL 11/673). Vgl. Winter, EKU, 181 f. Vgl. Niederschrift über die 177. Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche der Union am 5. 11. 1968 in Berlin, 1 (AKPS, B3 Nr. 603); Entsprechender Abschnitt vgl. auch Auszugsweise Abschrift aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKU am 5. 11. 1968 (EZA 8/979). Vgl. Entwurf an den Staatsrat der Deutschen Demokratischen Republik z.H. des Herrn Staatsratsvorsitzenden Ulbricht (AKKVSOL 12/289). Vgl. Niederschrift über die 178. Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche der Union am 3. 12. 1968 in Berlin, 1 (AKPS, B3 Nr. 603). „Der Rat bittet Kirchenpräsident Dr. Müller, sich vor der nächsten Bischofskonferenz mit dem Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR in Verbindung zu setzen, um die Angelegenheit in der Bischofskonferenz, gegebenenfalls in der nächsten Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen, zu behandeln. Gedacht ist an ein gemeinsames Vorgehen der leitenden Geistlichen oder der Konferenz im Sinne des genannten Entwurfs.“ Ebd. Vgl. handschriftliches Protokoll vom 3. 12. 1968 (AKPS, B3 Nr. 603).

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diesem Ergebnis hatten Fränkel und Krusche erklärt, dass sie sich eigene Eingaben vorbehalten würden459. Daher sandte Fränkel einen Tag nach dem Beschluss der Görlitzer Kirchenleitung am 12. Dezember 1968 den Brief in eigener Verantwortung an Ulbricht. Inhaltlich trat der Brief für Nachsicht gegenüber den Verhafteten ein. In ihm heißt es: „Im Zusammenhang mit dem Eingreifen von Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages angesichts der politischen Entwicklung in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik ist es zu gerichtlichen Verfahren, aber auch administrativen Maßnahmen gegenüber Bürgern unseres Staates gekommen, die aus innerer Gewissensverpflichtung eine der Regierung widersprechende Auffassung bekundet haben. […] Ich habe ernste Bedenken gegenüber der Weise, wie diesem Widerspruch begegnet wurde.“

Fränkel schrieb im weiteren Verlauf, dass die Christenheit in aller Welt sich immer wieder gegen militärische Mittel zur Konfliktlösung positioniert habe. So trügen auch die Kirchen in der DDR eine Mitverantwortung für die Menschen, „die aus dieser Erkenntnis heraus freimütig ihren Widerspruch zu den Ereignissen des 21. August bekundet haben.“ Fränkel verwies auf die in der Verfassung garantierte Gewissensfreiheit und bat für jene Menschen daher, „nicht so sehr auf die Form zu sehen, sondern auf die innere Nötigung der Gewissen.“ Der Bischof beendete den Brief mit einer dreifachen Bitte: „es möchte von weiteren Gerichtsverfahren oder anderen Maßnahmen gegenüber solchen Bürgern abgesehen werden, die aus innerer Nötigung des Gewissens ihre Bedenken gegenüber den militärischen Maßnahmen bekundet haben, soweit rechtskräftige Urteile ergangen sind, möchte auf eine Vollstreckung verzichtet werden, wie das bereits in einigen Fällen geschehen ist, soweit Dienstentlassungen erfolgt sind, möchten diese rückgängig gemacht werden.“460

Gegenüber dem Briefentwurf hatte er alle Wir-Formen durch Ich-Formen ersetzt, ihn sonst aber nur minimal abgeschwächt. So stand nun statt „Mitwirkung deutscher Truppen“, „Mitwirkung unserer Nationalen Volksarmee“461. 459 Siehe Kapitel 4.1.2., 212. Winter berichtet, dass die KKL zögerte, weil sie befürchtete, ein solcher Brief könnte die Situation der Inhaftierten eher erschweren. Vgl. Winter, EKU, 182. 460 Bischof Fränkel an den Staatsrat der Deutschen Demokratischen Republik z. Hd. d. Herrn Staatsratsvorsitzenden Ulbricht. Abschrift (AKKVSOL 12/289). Fränkel sandte den Brief außerdem in Durchschlägen an Hildebrandt als Präsident der EKU, an Beste als Vorsitzenden der KKL und an Krusche. Vgl. Abschriften der Briefe (AKKVSOL 12/289); auch (AKPS, B3 Nr. 368). Dieser Brief findet sich im EZA wie im BArch und in den meisten Landeskirchlichen Archiven. Er wurde verschiedentlich veröffentlicht: Brauckmann / Bunzel, Rückblick, 24 – 26. Fr nkel, Evangelische Kirche, 199 f. 461 Vgl. Entwurf an den Staatsrat der Deutschen Demokratischen Republik z.H. des Herrn Staatsratsvorsitzenden Ulbricht (AKKVSOL 12/289).

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Als staatliche Antwort kam es Anfang Januar 1969 in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen zwischen diesem und Fränkel zu einer ,Aussprache‘. Fränkel wurde erklärt, dass seine Aktion grundsätzlich unzulässig sei und er damit nur seiner Kirche schade, während Fränkel erklärte, dass er von dem Brief nicht gedenke Abstand zu nehmen. Dieser Bericht wurde zweimal überarbeitet, zunehmend ideologisiert und sprachlich verschärft. In der folgenden Übersicht werden drei Bearbeitungsstufen des Berichtes über diese Begegnung nebeneinander gestellt, um die Ideologisierung zu veranschaulichen. Sie zeigt gleichzeitig wie schematisch derartige ,Aussprachen‘ abliefen:462 Ablauf

Entwurf Kurzbericht

Einführung „Die Unterredung war notwendig geworden.“

Erster Bericht

Endgültiger Bericht

„Bischof Fränkel wurde Bischof Fränkel wurde zum Staatssekretär gela- vom Staatssekretär vorden.“ geladen.“

Thema

Eingabe Fränkels, „in der F. sich mit notwendig gewordenen Maßnahmen gegenüber Jugendlichen in der DDR beschäftigt.“

Eingabe Fränkels „die Fragen der notwendigen Maßnahmen gegen einen Personenkreis betraf, der von den Organen unserer Justiz strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden mußte.“

Eingabe Fränkels. Wie zweite Version und zusätzlich: „wegen organisierter Hetze gegen die Hilfsaktion der fünf sozialistischen Staaten vom 21. August 1968.“

Abwehr

Fränkel „in der ernsten Auseinandersetzung zunächst erklärt“, dass solche Schreiben „unzulässig seien“

Fränkel „unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß es nicht Aufgabe der Kirche ist, […] sich in innere Angelegenheiten unseres Staates einzumischen.“

Fränkel „unmißverständlich belehrt, daß es gemäß der Verfassung für die Kirchen unzulässig ist, innere Angelegenheiten unseres Staates zum Gegenstand kirchlicher Intervention zu machen.“

Zeugen

Fränkel „darauf aufmerksam gemacht, daß […] sich alle anderen Bischöfe einen solchen Schritt versagt [haben].“

„Dem Bischof wurde vorgeworfen“ „trotz der Bedenken aller anderen Bischöfe […]“

„Dem Bischof wurde vorgeworfen“ „obwohl […] bei allen anderen Bischöfen Bedenken“

462 Bericht über eine Aussprache mit Bischof Fränkel / Görlitz am 10. 1. 1969 in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen vom 13. 1. 1969 in drei je überarbeiteten Versionen (BArch DO 4/437). Dabei sind in der zweiten Version die Veränderungen handschriftlich eingetragen. Alle Zitate sind diesen Versionen entnommen.

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(Fortsetzung) Ablauf

Entwurf Kurzbericht

Erster Bericht

Endgültiger Bericht

Grund Fränkel

-

„christliches Gewissen“ „im Interesse unseres Staates“

„christliches Gewissen“ „im Interesse unseres Staates“

Staat im Recht

„Dem Bischof wurde noch einmal die Notwendigkeit der friedenssichernden Maßnahmen vom 21. Aug. 1968 verdeutlicht.“

„Dem Bischof wurde noch einmal die Notwendigkeit der friedenssichernden Maßnahmen vom 21. Aug. 1968 verdeutlicht.“

„Dem Bischof wurde eingehend die Notwendigkeit der friedenssichernden Maßnahmen vom 21. Aug. 1968 verdeutlicht.“

Zeugen

Positive Stellungnahmen anderer Kirchen „als Beweis für die Richtigkeit […] unterbreitet“

Positive Stellungnahmen Positive Stellungnahmen anderer Kirchen „als anderer Kirchen „zur Beweis für die RichtigKenntnis gebracht.“ keit […] unterbreitet“

Recht

Religionsgemeinschaft nicht „Rechtsvertreter einzelner Gruppen von Menschen oder direkt als Rechtsanwalt“

Religionsgemeinschaft nicht „Rechtsbeistand einzelner Gruppen von Menschen

Religionsgemeinschaft nicht „Rechtsbeistand einzelner Gruppen von Menschen“

Gesetz

„natürlich auch u. Umständen mit Jugendlichen, sofern sie straffällig geworden sind.“

„natürlich auch u. Umständen mit Jugendlichen, sofern sie straffällig geworden sind.“

„nicht zulassen, daß kleine Gruppen, den Interessen der sozialistischen Gemeinschaft zuwiderhandeln[,] organisierte ideologische Diversion, also staatsfeindliche Tätigkeit betreiben.“

Fränkel im Unrecht

Einige wieder frei, schon „wo die Eingabe des Bischofs noch gar nicht abgesandt war.“ „einige Verfahren z. Z. noch anhängig“

„informiert, daß ein großer Teil dieser Jungendlichen“ wieder frei, „völlig unabhängig von seiner provokatorischen Eingabe.“

„erklärt, daß dank der Großmut des sozialistischen Staates ein Teil der ursprünglich in Haft genommenen“ wieder frei, „und das völlig unabhängig von der provokatorischen Eingabe Fränkels.“

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(Fortsetzung) Ablauf

Entwurf Kurzbericht

Erster Bericht

Endgültiger Bericht

Schaden

„unmißverständlich erklärt, daß er mit einer solchen Aktion nur seiner Kirche schade“

„darauf aufmerksam gemacht, daß er mit einer solchen Aktion nur den Gliedern seiner Kirche schade.“

„weiter nachdrücklich darauf verwiesen worden, daß er mit seiner Aktion nur den Gliedern seiner Kirche schade.“

Antwort Fränkel

„blieb […] bei seiner Meinung, daß sein Brief […] einen sittlichen Wert habe.“ „betonte“, dass er „vollinhaltlich hinter diesem Schreiben stehe“

„blieb […] bei seiner Meinung, daß sein Brief […] einen sittlichen Wert habe.“ „betonte“, dass er „vollinhaltlich hinter diesem Schreiben stehe“

„Trotz“ „blieb […] bei seiner Meinung, daß sein Brief […] einen sittlichen Wert habe.“ „betonte“, dass er „vollinhaltlich hinter diesem Schreiben stehe“

Antwort Staat

„noch einmal […] Unzulässigkeit […] erläutert.“ „Brief als völlig unberechtigt zurückgewiesen.“ „Es werde daher auch keine Antwort auf ihn geben.“

„noch einmal […] Unzulässigkeit […] erläutert.“ „Brief als völlig unberechtigt zurückgewiesen.“ „Das sei die Antwort auf seine Eingabe.“

„abschließend – wegen der starren Haltung des Bischofs – […] Unzulässigkeit […] erläutert.“ „Brief als sachlich unzulässig und inhaltlich unberechtigt zurückgewiesen.“

Fazit über Fränkel

„zeigte sich von Belehrung unbeeindruckt“ Dank, dass einige Jugendliche wieder frei.

„zeigte sich von Belehrung unbeeindruckt“ „beweist, daß er an seiner reaktionären Haltung unserem Staat gegenüber nach wie vor festhält und an einer Verbesserung des Verhältnisses […] überhaupt nicht interessiert ist.“

„Das Gesamtverhalten Bischof Fränkels bewies, daß er an seiner bekannten reaktionären Haltung unserem Staat gegenüber nach wie vor festhält und persönlich an einer Verbesserung des Verhältnisses […] überhaupt nicht interessiert ist.“

Die zunehmende Ideologisierung verläuft auf mehreren Ebenen. Markante Beispiele seien herausgegriffen: Zum einen wurde die Wortwahl verschärft. Während in dem ersten Entwurf davon die Rede war, dass die Unterredung „notwendig geworden“ sei, hieß es in der zweiten Version, Fränkel sei „zum Staatssekretär geladen“, und in der dritten, er sei von selbigem „vorgeladen“ worden. Im ersten Entwurf wurde dem Bischof der Sachverhalt „erklärt“, im zweiten wurde ihm „zu verstehen gegeben“ und im Bericht wurde er „belehrt.“ Die aktive Rolle Fränkels wurde zunehmend negiert und in eine Art Vorführung und Belehrung des Bischofs umgewandelt.

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Zum zweiten wurde nur im Entwurf zweimal von Jugendlichen gesprochen. In der ersten Überarbeitung nur noch einmal. In der zweiten Version wurden Jugendliche durch „Personenkreis […], der von den Organen unserer Justiz strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden mußte“ ersetzt, in der dritten Version trat noch „wegen organisierter Hetze gegen die Hilfsaktion der fünf sozialistischen Staaten vom 21. August 1968“ hinzu. Aus dem Endbericht geht nicht mehr hervor, dass sich Fränkel für Jugendliche einsetzte und wie diese in Haft geraten waren, aus der sie nur dank der „Großmut“ des Staates entlassen wurden. Zum dritten flossen mit den Überarbeitungen typische sozialistische Floskeln in den Bericht ein. Erst ab der zweiten Variante wurde von „Einmischung in innere Angelegenheiten“ gesprochen, erst in der Endform zusätzlich auf die Verfassung verwiesen, von „organisierter Hetze“ und „ideologische[r] Diversion“ gesprochen. Zum vierten wurden die vorzeitigen Entlassungen im ersten Entwurf nur als zeitlich unabhängig von Fränkels Eingabe gekennzeichnet, während in den Überarbeitungsstufen zunächst die Eingabe als „provokatorisch“ eingestuft und das staatliche Handeln in der Endform zu dessen „Großmut“ hochstilisiert wurde. Zum fünften wurde Fränkel zunehmend persönlich die Schuld gegeben, wenn aus „einer solchen Aktion“ „seine Aktion“ wurde, er „trotz“ der staatlichen ,Belehrung‘ bei seiner „starren Haltung“ blieb und sein Brief nicht nur „völlig unberechtigt“, sondern „sachlich unberechtigt“ sei. Fränkels Dank, den er laut Entwurf geäußert hatte, fand keine Erwähnung mehr. Stattdessen wurde erst auf seine „reaktionäre“, dann auf seine „bekannte reaktionäre Haltung“ rekurriert, die an einer Verbesserung des Verhältnisses erst „nicht interessiert“ und schließlich „persönlich nicht interessiert“ sei. So wurde Fränkel von Version zu Version mehr zur persona non grata stilisiert.

4.1.5. Weiterhin persona non grata Diesen Stempel behielt Fränkel. Sein Brief wurde auf einige Jahre als weiterer Beweis dafür betrachtet, dass Fränkel als Bischof untragbar sei und man seine Ablösung erreichen müsse. Erschwerend wurde ihm zur Last gelegt, dass er auf der Bischofskonferenz im Dezember 1968 versucht habe, die anderen Bischöfe mit ins Boot zu holen463. Es ist beachtlich, dass er allein diesen Brief verantwortete, nachdem die anderen Bischöfe sich nicht dazu durchringen konnten, den Brief gemeinsam zu vertreten, was sicherlich ein größeres Gewicht gehabt und den Kirchen Achtungspunkte gebracht hätte, den Staat jedoch mit nicht kalkulierbaren Folgen noch grundsätzlicher verärgert hätte. 463 Vgl. Aktennotiz des RdB Dresden vom 17. 3. 1971 über ein Gespräch mit OKR Juergensohn, 2 (BArch DO 4/2970).

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Keiner der anderen Bischöfe fand 1968 eine so klare Sprache und hatte den Mut, sich auf diese Art und Weise für seine Gemeindeglieder und für andere einzusetzen. In dem Gespräch, das Bischof Werner Krusche mit dem Rat des Bezirkes Magdeburg am 17. Dezember 1968 führte, argumentierte jener ähnlich. Fränkel hatte seinen Entwurf zur Bischofskonferenz vom 9. Dezember 1968 eingebracht. An Krusche sandte Fränkel am 12. Dezember eine Abschrift464. Krusche lag der Brief also vor und es ist wahrscheinlich, dass er in der eigenen Argumentation mit dem Rat des Bezirks Magdeburg von dort aus einige Argumente übernommen hat. Fränkel erklärte auch vor der Frühjahrssynode 1969, dass sich Krusche ebenfalls eingesetzt habe465. Im Nachgang zu diesen Ereignissen konstatierte Anfang Februar 1969 ein Mitarbeiter der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen bei einer Dienstreise nach Görlitz: „Bischof Fränkel kann seine Funktion nicht weiter ausüben.“466 Im Mai wurde betont, dass die von der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK aufgestellte Forderung, Bischof Fränkel in seiner Position abzulösen, „real zu sehen ist und die differenzierte Arbeit durch die Bezirke Dresden und Cottbus zu organisieren ist.“467 Seigewasser war pessimistisch, er meinte auf einer Dienstbesprechung Ende April 1969, man müsse „die Lehre beachten, die uns die Forderung nach Absetzung des Bischofs erteilt hat. Es ist das Gegenteil eingetreten. Fränkel konnte seine Stellung in der Görlitzer Kirche und Synode nur noch festigen und ausbauen.“468 Es wurde diskutiert, ob eine Rücktrittsforderung durch ,progressive Kreise‘ durchzusetzen sei, wie man eventuelle Rücktrittsabsichten des Bischofs beschleunigen könne, und es wurde sogar schon über einen angenehmeren Nachfolger spekuliert469. Dagegen äußerte man 1971 Juergensohn gegenüber, dass „keine innerkirchliche Palastrevolution“ geplant sei470. Um Fränkel zusätzlich unter Druck zu setzen, wurde versucht, ihm eine Nazivergangenheit unterzuschieben. Diese Strategie ging jedoch nicht auf, weil die Kirchenleitung und die Superintendenten unbeirrbar zu ihrem Bischof hielten471. Außerdem war allgemein bekannt, dass Fränkel mehrmals während der NS-Zeit verhaftet worden war. Er versuchte, wiederholt darauf zu verweisen, dass er gemeinsam mit Kommunisten im 464 Vgl. Anschreiben von Bischof Fränkel an Bischof Krusche vom 12. 12. 1968 bezüglich des sich in der Anlage befindlichen Schreibens an den Staatsratsvorsitzenden (AKPS, B3 Nr. 368). 465 Vgl. Synodenprotokoll 1969, 40 (AKKVSOL 10/2714). 466 Kurzbericht über eine Dienstreise nach Dresden und Görlitz am 6. und 7. 2. 1969 vom 10. 2. 1969, 5 (BArch DO 4/2970). 467 Kurzbericht über die Dienstreise nach Dresden / Pirna-Sebnitz am 20. 5. 1969, vom 27. 5. 1969, 1 (BArch DO 4/2969). 468 Protokoll der Dienstbesprechung am 22. 4. und 28. 4. 1969 beim Stellvertreter des Staatssekretärs bzw. beim Staatssekretär vom 29. 4. 1969, 12 (BArch DO 4/401). 469 Vgl. Ergänzung zum Dienstreisebericht vom 7. 2. 1969 vom 13. 2. 1969, 1 (BArch DO 4/2969). 470 Aktennotiz des RdB Dresden vom 17. 3. 1971 über ein Gespräch mit OKR Juergensohn, 4 (BArch DO 4/2970). 471 Vgl. Kurzbericht über eine Dienstreise nach Niesky am 18. 11. 1969 vom 25. 11. 1969, 1 (BArch DO 4/2969).

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Gefängnis gesessen habe. Von Seiten des Staates wurden solche Rückgriffe auf die Vergangenheit nicht akzeptiert472. Der Brief vom Dezember 1968 wurde in der Folge zum Bestandteil eines Lasterkatalogs, der Fränkel bei staatlichen Gesprächen – sofern diese überhaupt zustande kamen – immer wieder vorgehalten wurde wie noch im Frühjahr 1973 bei Seigewasser im Nachgang seiner damaligen Rede vor der Synode473. Fränkel war bekannt für seine scharfen Vorträge. Sein Synodenvortrag im Frühjahr 1973 wurde von staatlichen Stellen gegenüber Fränkel als „böswillig“ charakterisiert474. Ihm wurde neben den üblichen Vorwürfen, im Auftrag des Westens zu handeln, eine oppositionelle Bewegung anzustreben und Sozialismus mit Faschismus gleichzusetzen, auch unterstellt, eine zum Prager Frühling vergleichbare Situation in der DDR erzeugen zu wollen. Doch das würde er nicht erreichen: „Der Bischof schafft es nicht, eine DubcekSituation in der DDR zu schaffen [schaffen wurde handschriftlich durch provozieren ersetzt]. Die Menschen gehen mit uns.“475 Von Fränkel wurde wieder gefordert, er müsse endlich sein Verhältnis mit dem Staat in Ordnung bringen476. Mit seinen Versuchen für Christen zu sprechen, würde er diese „unmündig“ machen. Seine Auslegung der Verfassung wurde als „sektiererisch“ eingestuft, seine Rede als „Dienst gegen die DDR.“477 Fränkel erklärte dagegen, er sei falsch verstanden worden. Er habe nicht den Führungsanspruch der Partei in Frage gestellt, sondern einen unbegrenzten Anspruch auf den Menschen. Ihm sei es um Toleranz gegangen. Seigewasser wiederum verstand es als „Arroganz“ Fränkels, „den sozialistischen Staat auf seine Weltverantwortung hin anzusprechen.“478 Wieder verwies Fränkel auf seine Zeit in der BK, in der er gelernt habe, „daß die Kirche Verantwortung für die Welt hat.“479 Das Gespräch führte zu keiner Annäherung, im Gegenteil: Die Angriffe auf Fränkel in Gesprächen mit anderen kirchlichen Vertretern und in 472 Hier ein Beispiel von 1973: „Das positive Erbe des Kirchenkampfes wird von ganz anderen Leuten vertreten als von Ihnen. […] Wir hören uns nicht mehr länger an, daß Sie angeblich der Einzige sind, der wie ein Wächter über dem positiven Erbe des Kirchenkampfes wacht.“ RdB Dresden. Gespräch mit Bischof Fränkel beim Vorsitzenden des RdB am 27. 11. 1973, 2 (BArch DO 4/796). 473 Zu den zwei Vorträgen Fränkels 1973 und den Folgen im Einzelnen vgl. Ness, Görlitz und Dresden, 47 – 71. 474 Information über ein Gespräch mit Bischof Fränkel am 9. 4. 1973 vom 9. 4. 1973, 1 (BArch DO 4/796). 475 Ebd., 6: vgl. auch Einschätzung des Vortrages des Bischofs der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes D. Fränkel am 1. 4. 1973 (Hartweg, SED und Kirche, 215 – 220, 219). Hier ist nur von der „konterrevolutionären Losung“ Fränkels die Rede, weil dieser den Führungsanspruch der Partei begrenzen will. 476 Information über ein Gespräch mit Bischof Fränkel am 9. 4. 1973 vom 9. 4. 1973, 4 (BArch DO 4/796). 477 Ebd., 5 f. 478 Ebd., 2. 479 Ebd., 3.

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anonymen Briefen wurden nur verstärkt480. Als Antwort darauf übergaben im Mai 1973 Vertreter der Görlitzer Kirchenleitung ein Aide-m moire, in welchem betont wurde, dass die Synode bei zwei Enthaltungen Fränkels Vortrag zugestimmt habe und diesen im Einzelnen verteidige481. Staatliche Stellen stellten weiterhin ihre ablehnende Meinung zu Fränkel gegenüber einzelnen Pfarrern und Gemeindekirchenräten klar. So beschrieb der Gemeindekirchenrat von Hähnichen in einem Brief an das Konsistorium, wie in einem Gespräch mit staatlichen Vertretern, welches aus Anlass des Vortrags Fränkels im August 1973 in Hähnichen abgehalten wurde, von jenen über Fränkel geurteilt worden sei. Diese hätten die „bekannten Stichworte“ wie Informationsfreiheit, Einschränkung der Menschenrechte, „Begrenzung des Führungsanspruches der Partei“ etc. verwendet482. Dabei hob der Gemeindekirchenrat die Angst der örtlichen Funktionäre vor letzterem heraus: „Besonders letzteres wurde von den Staatsvertretern mit großer Entschiedenheit zurückgewiesen, und man führte als abschreckendes Beispiel die Verhältnisse in der CSSR unter Dubcek an.“483 Insgesamt seien die Funktionäre zu dem Schluss gekommen: „daß Bischof D. Fränkel gegen den Sozialismus ist, mit unhaltbaren Behauptungen arbeitet und eine feindliche Ideologie verbreitet.“484 Noch fünf Jahre nach dem Prager Frühling fiel dem Gemeindekirchenrat eines Dorfes in der Provinz die Angst der Funktionäre vor Prag auf, was vor allem am Führungsanspruch der Partei festgemacht wurde. Fränkels Ablehnung des Absolutheitsanspruches des Staates, die er unter Bezugnahme auf die Barmer Theologische Erklärung formulierte, womit er gleichzeitig für die Unabhängigkeit der Kirche und die Glaubensfreiheit der Menschen eintrat, wurde von Seiten des Staats mit Prag in Verbindung gebracht. Ähnliches geschah mit dem wohl bekanntesten Vortrag Fränkels in der Annenkirche 1973485. Wieder äußerte er in dieser Zeit der Entspannungspolitik für staatliche Ohren ungehörig deutlich Kritik an der alltäglichen Situation für Christen in der DDR. Mit dem Rückgriff auf Barmen verdeutlichte Fränkel, dass für Christen Jesus Christus allein Herr sei und Anspruch auf das gesamte Leben jedes Einzelnen erhebe und lehnte damit jeglichen ideologischen Absolutheitsanspruch einer marxistisch-leninistischen Partei wie der 480 Ausführlich vgl. Ness, Görlitz und Dresden, 52 – 55. 481 Vgl. Aktenvermerk vom 17. 5. 1973; vgl. Aide-m moire, durch Vertreter der Görlitzer Kirchenleitung am 17. 5. 1973 in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen überreicht, 1 f. (BArch DO 4/796); vgl. Ness, Görlitz und Dresden, 55 f. 482 Vgl. Brief Gemeindekirchenrat Hähnichen an das Konsistorium Görlitz vom 14. 8. 1973. Gespräch zwischen Vertretern des Staates und des Gemeindekirchenrates Hähnichen am 6. 8. 1973 in Hähnichen, 1 (AKKVSOL 12/411). 483 Ebd. 484 Ebd. 485 Vgl. KJ (100) 1973, 161 – 167; Ness, Görlitz und Dresden, 56 – 59; und Brauckmann / Bunzel, Rückblick, 51 – 54.

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SED ab. Wie auch schon in anderen Vorträgen vertrat Fränkel den Anspruch, dass Gott auch in dieser Gesellschaft Gutes tun könne, „mit deren Willen, ohne deren Willen und auch gegen deren Willen.“486 Er trat für die öffentliche Verantwortung der Kirche ein, die den staatlichen Vertretern auch die unangenehmen Dinge sagen müsse. Er forderte die Einhaltung der Menschenrechte ohne Vorbedingungen, Glaubens- und Gewissensfreiheit und Toleranz. Dabei war sein Beispiel, wie auch in den anderen Reden, die Frage sozialistischer Bildung und die vielen Schwierigkeiten, die christlich gebundene Kinder und deren Eltern hätten. Im Nachgang zu diesem Vortrag schlugen die kirchenpolitischen Wellen noch höher. Da Fränkel in Dresden auf dem Boden der Sächsischen Landeskirche gesprochen hatte, wurden nicht nur er, sondern auch der sächsische Bischof – inzwischen Johannes Hempel – und der Präsident des Landeskirchenamtes, Kurt Johannes, mehrmals in Dresden vorgeladen, in welchem beide angegriffen wurden, weil sie diesen Vortrag nicht verhindert hatten487. Fränkel selbst erhielt eine staatliche ,Belehrung‘ in Dresden. Diese verlief in angespannter Atmosphäre und wurde nach ca. einer halben Stunde abgebrochen488. In Reaktion auf dieses Gespräch schrieb die Kirchenleitung einen Brief an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, Manfred Scheler, in welchem sie die Einsetzung eines Ausschusses über die gegen Fränkel vorgebrachten Vorwürfe mitteilte. Darüber hinaus verwahrte sie sich dagegen, dass Fränkel sich nicht zu den gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen äußern dürfe, und protestierte gegen den Umgangston: „Die Kirchenleitung hält den Umgangston des Herrn Vorsitzenden, wie er in folgenden Wendungen zum Ausdruck kam: ,Sie haben nichts zu fragen. Sie haben Ohren, Sie können ja hören‘ und ,Halten Sie die Klappe‘ nicht für angemessen.“489 In der staatlichen Argumentation gegen Fränkel wurden Prag bzw. Dubcˇek nicht mehr namentlich erwähnt, doch wurden Fränkel dieselben Vorwürfe gemacht: „Um es deutlich zu sagen, Bischof Fränkel fordert eine Liberalisierung der Ideologie in

486 KJ (100) 1973, 163. 487 Schon im Vorfeld waren sie aufgefordert worden, etwaige Provokationen zu verhindern. Vgl. Auftreten von Bischof Fränkel am 8. 11. 1973 in Dresden vom 30. 10. 1973, 1 (BArch DO 4/796). Aus der Rückschau: vgl. Auftreten von Bischof Fränkel am 8. 11. 1973 in Dresden vom 9. 11. 1973, 1 (BArch DO 4/796). Und im Nachgang vgl. Gespräch mit Bischof Hempel beim Vorsitzenden des RdB Dresden am 21. 11. 1973 (BArch DO 4/796); und Anruf aus Dresden am 27. 11. 1973. Gespräch mit Bischof Hempel und Bischof Fränkel (BArch DO 4/796). 488 „Was danach folgte, war keine Auseinandersetzung, kein Gespräch, sondern von staatlicher Seite eine schroffe Zurechtweisung, von Fränkels Seite ein inhaltlich und äußerlich unverschämtes Benehmen.“ Gespräch mit Bischof Fränkel beim Vorsitzenden RdB Dresden am 27. 11. 1973, 1 (BArch DO 4/796); und vgl. Anruf aus Dresden am 27. 11. 1973. Gespräch mit Bischof Hempel und Bischof Fränkel, 1 f. (BArch DO 4/796). 489 Brief der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes an den RdB Dresden z.Hd. des Vorsitzenden, Herrn Scheler vom 29. 11. 1973 (AKKVSOL 12/411); und vgl. Ness, Görlitz und Dresden, 60.

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der DDR, obwohl er verbal davon abzurücken vorgibt.“490 Gerade die Zuˇ im Frühjahr 1968 war dieser rücknahme des Machtmonopols durch die KSC seitens der SED vorgeworfen worden. Und auch Fränkel wurden solche Wünsche unterstellt: „Der Pluralismus der Weltanschauung, die Zurücknahme der führenden Rolle der Arbeiterklasse und die Aufgabe ihrer marxistischleninistischen Ideologie, [sic!] sind die von ihm erklärten Zielstellungen.“491 Trotz der veränderten innen- und außenpolitischen Situation 1973 hörte der Staat überall Prager Ideen umgehen, wo sein absoluter Führungsanspruch angezweifelt wurde. Dies geschah relativ unabhängig davon, ob sich jemand ernsthaft von Prager Reformideen inspiriert fühlte oder aufgrund anderer Traditionen – wie der christlichen und hier besonders der Barmer Theologischen Erklärung – für eine Begrenzung staatlicher Macht eintrat. Staat und MfS verstärkten ihre Differenzierungs- und Zersetzungsmaßnahmen gegen Fränkel. Ab Mitte der siebziger Jahre klangen bei Fränkel versöhnlichere Töne an492. 4.2. Die Synode Im Görlitzer Kirchengebiet gab es keine zeitnahe Synode zu den Ereignissen in ˇ SSR. Auf den Synoden standen andere kirchliche und politische Proder C bleme im Vordergrund. In der Synode 1968 betraf dies die Namensänderung der Kirche und den Entwurf der DDR-Verfassung, auf der Synode 1969 die bevorstehende Gründung des BEK. Präses der Synode war Hans Schwidtal493.

4.2.1. Die Frühjahrssynode 1968 Auf der Synode vom 22. bis 25. März standen unter anderem die Änderung des Namens, Kirchengesetze zum Dienstrecht, Fragen der Konfirmation und damit automatisch auch der Benachteiligung von Kindern christlicher Eltern, Abendmahlsgemeinschaft und Gottesdienst sowie Finanzen auf der Tagesordnung494. Obenauf lag zunächst ein anderes Thema. In der Aussprache zum Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung wurde nachgefragt, warum denn nichts zu den letzten Angriffen auf Fränkel in jenem Bericht stehe495. Daraufhin 490 Argumentation zur Fränkel-Rede vom 15. 11. 1973, 2 (BArch DO 4/796). 491 Ebd., 3. 492 Zu den Maßnahmen gegen Fränkel. Vgl. Ness, Görlitz und Dresden, 59 – 71. Teilweise wird von einer Wende bei Fränkel gesprochen. 493 „Er wird als der geistige Kopf des reaktionären Flügels in der Görlitzer Kirchenleitung eingeschätzt.“ Einschätzung der Situation in der Görlitzer Kirche anhand des vorliegenden Fragenkomplexes, 17. 1. 1969, 2 (BArch DO 4/2969 ebenso 2970). 494 Vgl. Provinzialsynode der Evang. Kirche des Görlitzer Kirchengebietes 1968, Tagesordnung (AKKVSOL 10/2713). 495 Vgl. Synodenprotokoll 1968, 12 (AKKVSOL 10/2713).

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erklärte Juergensohn, dass der Bischof dies nicht gewollt habe und dass es außerdem wichtig sei, wie sich die Synode dazu stelle. Dann berichtete er von dem unbeantworteten Brief Schwidtals an den Rat des Bezirkes Dresden und von weiteren verschiedenen Beschwerden bei staatlichen Stellen. Die Synode sprach Fränkel ihr Vertrauen aus496. In der Abendsitzung folgte der Bericht des Bischofs497. Die Frage der Namensänderung nahm einen großen Teil des zweiten Tages ein. Fränkel hatte eingangs für eine Änderung plädiert498. Aus dem kirchlichen Protokoll lässt sich in keiner Weise die staatliche Behauptung wiederfinden, Fränkel habe sich in revanchistischer Weise gegen die Namensänderung eingesetzt499. Den gesamten Nachmittag diskutierten die Synodalen teilweise hochemotional, was eine Namensänderung bedeuten würde. Am Ende des Tages wurde das Gesetz aber doch angenommen500. So sollte verhindert werden, dass die Kirche allein ihres Namens wegen bezichtigt werden konnte, ,reaktionär‘ zu sein. Den staatlichen Berichterstattern war neben der Namensänderung vor allem die Haltung der Synode zur Verfassung wichtig501. Zum Thema der Verfassung orientierte sich Fränkel bis in die Formulierungen hinein an seiner Handreichung502. Ganz explizit formulierte der Bischof vor der Synode über die Handreichung hinaus, dass mit einem Sozialismus als Zukunftsglaube, wie in der Verfassung beschrieben, „die in der fünften Barmer These bezeichneten Grenzen überschritten“ sind503. Weil über die Verfassung in geschlossener Sitzung verhandelt wurde, konnten staatliche Berichterstatter nicht viel in Erfahrung bringen, da die Informationen über die nichtöffentlichen Sitzungen der Synode jeweils auf Angaben eines einzigen Synodalen beruhten504. Als am 25. März in der Synode 496 Vgl. Ebd., 44. 497 Vgl. Ebd., 14; vgl. Bericht des Bischofs auf der Tagung der 5. Provinzialsynode am 22. 3. 1968 (AKKVSOL 10/2713). Die staatlichen Berichterstatter sahen den Bericht sehr kritisch. „Der Bericht des Bischofs entspricht der Konzeption des Rates der EKD und EKU und ist somit eine offene Unterstützung der westdeutschen Kiesinger-Strauß-Konzeption. […] Es ist zu bemerken, daß von der überwiegenden Mehrzahl der Zuhörer der Inhalt dieser Punkte […] nicht begriffen wurde und es nicht bewußt wurde, daß es eine offene Provokation gegen unseren sozialistischen Staat und ihre führende Partei ist.“ Bericht über den Verlauf der Synode der Evangelischen Kirche Görlitz am 22. 3. 1968, 3 (BArch DO 4/2971). 498 Vgl. Synodenprotokoll 1968, 24 (AKKVSOL 10/2713). 499 Vgl. Kurzbericht über die Dienstreise nach Görlitz am 19. 3. 1968 vom 22. 3. 1968, 2 (BArch DO 4/2970). 500 Vgl. Synodenprotokoll 1968, 22 – 30 (AKKVSOL 10/2713). 501 Vgl. Kurzbericht über die Dienstreise nach Görlitz am 19. 3. 1968 vom 22. 3. 1968, 2 (BArch DO 4/2970). 502 Vgl. Bericht des Bischofs auf der Tagung der 5. Provinzialsynode am 22. 3. 1968, 10 – 18 (AKKVSOL 10/2713). Vgl. auch KJ 95 (1968), 182 f. 503 Vgl. Bericht des Bischofs auf der Tagung der 5. Provinzialsynode am 22. 3. 1968, 13 (AKKVSOL 10/2713). 504 Z. B. Fortsetzung des Berichtes über den Verlauf der Synode der evangelischen Kirche in Görlitz am 23. und 24. 3. 1968, 1 (BArch DO 4/2971).

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die Eingabe zum Verfassungsentwurf an den Staatsrat diskutiert wurde, konnte der staatliche Berichterstatter nur bemerken: „Inhalt ist nicht bekannt.“505 Die Synode nahm die Eingabe an die Verfassungskommission einstimmig an506. Sie bat darin um die Garantie voller Glaubens- und Gewissensfreiheit. Auch drohe durch die Erhebung des Sozialismus zum Höchstwert „die Gefahr einer einschneidenden Verengung der Grundrechte und Freiheiten aller Bürger“, und die Synode verwies auf Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte507. Außerdem sei es wichtig, sowohl Regierte, als auch Regierende an eindeutige Verfassungsvorschriften zu binden – also auch die SED. Am 25. März fiel einigen Synodalen auf, dass der Vertreter des Bezirksverbandes der CDU Dresden im Vorraum zur nichtöffentlichen Sitzung die Namen der Mitglieder der einzelnen Arbeitsgruppen abschrieb508. Was danach geschah, darüber gehen der staatliche Bericht und das kirchliche Protokoll auseinander. Während im staatlichen Bericht zu lesen ist, dass daraufhin Fränkel persönlich aus der Synode herausgekommen sei und zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert habe,509 ist es im kirchlichen Verlaufsprotokoll ein anderer, welcher der Synode mitteilt, „dass er den Mann aus dem Haus gewiesen und ihm die Zettel mit den Namen abgenommen habe.“510 Über eine Reaktion der Synode steht nichts im Protokoll. Der staatliche Bericht dagegen fand wichtig zu erwähnen, dass Fränkels Bericht über den Vorfall „durch starke Puh-Rufe aufgenommen“ worden sei511.

4.2.2. Die Frühjahrssynode 1969 Die staatliche Seite interessierte sich nur für die bevorstehende Bundesgründung und die Position Fränkels. Für diese beiden Punkte wurde im Vorfeld der Synode seit Februar versucht, auf Synodale einzuwirken, um die Trennung von der EKD zu erreichen512 und „den Bischof politisch zu entlarven 505 506 507 508 509 510 511 512

Ebd. Synodenprotokoll 1968, 45 (AKKVSOL 10/2713). Synode, Anlage 27 (AKKVSOL 10/2713). Vgl. Fortsetzung des Berichtes über den Verlauf der Synode der evangelischen Kirche in Görlitz am 23. und 24. 3. 1968, 1 (BArch DO 4/2971); und vgl. Synodenprotokoll 1968, 42 (AKKVSOL 10/2713). Fortsetzung des Berichtes über den Verlauf der Synode der evangelischen Kirche in Görlitz am 23. und 24. 3. 1968, 1 (BArch DO 4/2971). Synodenprotokoll 1968, 42 (AKKVSOL 10/2713). Fortsetzung des Berichtes über den Verlauf der Synode der evangelischen Kirche in Görlitz am 23. und 24. 3. 1968, 2 (BArch DO 4/2971). Kurzbericht über eine Dienstreise nach Dresden und Görlitz am 6. und 7. 2. 1969 vom 10. 2. 1969, 5 f. (BArch DO 4/2970); vgl. auch Maßnahmeplan vom 18. 3. 1969, 1 (BArch DO 4/ 2971).

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und seine Ablösung vorzubereiten.“513 Ziel war, „Unruhe“ in die Synode bringen, da man nicht mit offenen Aktionen gegen den Bischof rechnen ˇ SSR noch konnte514. Auch sollte in Erfahrung gebracht werden, ob das Thema C eine Rolle spielen würde515. Man war sich dessen bewusst, dass die Görlitzer Synode wohl kaum der Ort sein könne, die Ordnung des Bundes und damit seine Gründung zu verhindern516. Fränkels Position zum Bund war pragmatisch: Der Bund sei eine durch die Verfassung erzwungene Notwendigkeit, sonst kämen die Kirchen mit ihr unweigerlich in Konflikt517. Nach anhaltenden Diskussionen erfolgte am letzten Tag der Sitzung der Bericht des Ordnungsausschusses, der mit 12 gegen 3 Stimmen den Bund als „beste unter allen schlechten Möglichkeiten“ zur Annahme empfahl518. Die Ordnung des Bundes wurde in der Synode angenommen519. Um die Position Fränkels zu schwächen, war der staatliche Plan, Fränkel auf der Synode dafür anzugreifen, dass dieser in der Görlitzer Kirche nicht ausreichend über seinen Brief an Ulbricht vom Dezember 1968 informiert habe. Allerdings kam man zu dem Ergebnis, dass die Position des Bischofs „noch ziemlich stabil“ sei und man ihn nicht herausfordern könne520. Dies machte 513 Einschätzung der Synode der Ev. Kirche des Kirchengebietes Görlitz vom 21.–24. 3. 1969, 1 (BArch DO 4/2971). 514 Maßnahmeplan vom 18. 3. 1969, 1 (BArch DO 4/2971). 515 „Pfarrer […] hält es auch nicht für möglich, daß Bischof Fränkel seinen Brief an den Vorsitzenden des Staatsrates im Zusammenhang der Ereignisse in der CSSR auf der Synode hochspielen wird. Fränkel habe die Pfarrer lediglich informiert, daß er im ,Alleingang‘ einen Brief an die Regierung geschrieben habe. Der Inhalt sei den Pfarrern nicht erläutert worden. F. habe nur bemerkt, daß er sie informieren will, falls etwas gegen ihn in der Presse oder sonst dergleichen unternommen werden sollte.“ Aktennotiz über eine Aussprache am 18. 2. 1969 mit Pfarrer […] vom 20. 2. 1969, 1 (BArch DO 4/2971). 516 Einschätzung der Synode der Ev. Kirche des Kirchengebietes Görlitz vom 21.–24. 3. 1969, 2 (BArch DO 4/2971). 517 Vgl. Bericht über die Synode der Görlitzer Kirche vom 21.–24. 3. 1969, 1. Verhandlungstag, 2 (BArch DO 4/2971); vgl. auch K hne, Frei für Gott, 50, 52; und Lepp, Tabu?, 868. 518 Synodenprotokoll 1969, 41 (AKKVSOL 10/2714). 519 In zweiter Lesung: 73 Anwesende, 61 ja, 10 nein, 2 Enthaltungen. Vgl. Ebd., 43; vgl. auch Bericht über die Synode der Görlitzer Kirche vom 21.–24. 3. 1969, 4. Verhandlungstag, 24. 3. 1969, 1 (BArch DO 4/2971). 520 „Allgemein wird festgestellt, daß die Position des Bischofs noch ziemlich stabil ist. Er wird als Person charakterisiert, die gerecht ist und Autorität genießt, wenn er sich auch manchmal von ,Emotionen‘ leiten läßt. […] Es gibt aber auch Stimmen, besonders unter den Laiensynodalen (Kreis Weißwasser), die den Bischof als ,brutal, herausfordernd und reaktionär‘ bezeichnen.“ Kurzbericht über eine Dienstreise nach Görlitz am 12. 3. 1969 vom 17. 3. 1969, 2 (BArch DO 4/ 2970). Die Formulierungen gegen Fränkel wurden wenige Tage zuvor aus Cottbus nach Berlin berichtet. Vgl. Einschätzung über die Vorbereitung zur Synode der Ev. Kirche Görlitz vom 21.–24. 3. 1969 vom 11. 3. 1969, RdB Cottbus, 2 (BArch DO 4/2971). Die Formulierungen, die für Fränkel gedeutet werden konnten und im gleichen Bericht direkt darunter zu finden sind, wurden in „emotional“ und „ziemlich stabil“ abgeschwächt: „im Kreis Hoyerswerda wurde der Bischof als eine Person bezeichnet, welche große Autorität genießt, da sie gerechte Entscheidungen trifft. Dabei läßt sich Fr. von Empfindungen leiten, wie er es z. B. während der CSSREreignisse getan habe.“ ebd.

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man auch am Brief der Synode an Seigewasser fest, in welchem sich diese gegen die Verleumdungen wehrte und klarstellte, dass der Bischof das Vertrauen der Synode besäße521. Fränkel selbst schilderte in seinem Bischofsbericht ein Gespräch beim Rat des Bezirks Dresden am 30. März 1968. Dort habe man ihm vorgeworfen, die Verfassung zu verunglimpfen, dass Görlitzer Pfarrer aufgerufen hätten, mit „Nein“ zu stimmen, und ihm war vorgehalten worden, dass solche Dinge „zu konterrevolutionären Stimmungen führen würden.“522 Fränkel äußerte dabei seine Dankbarkeit, dass der Staat seinen Vorschlag zur „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ in die Verfassung aufgenommen habe. „Sein Vorschlag“ wurde im staatlichen Bericht unterstrichen und mit einem Ausrufezeichen versehen523. Dass Fränkel diese Änderung auf sein Wirken bezog, verärgerte. Fränkel erklärte in Richtung Staat, die Kirche wolle keine „Gouvernante“ sein, aber es sei für jenen nur vorteilhaft, „wenn die Kirche kritisch aus christlicher Verantwortung sich äußert.“524 Durch Synodale wurde in der Diskussion um Fränkel im Sinne des staatlich gewünschten Vorgehens schließlich kritisch angefragt, warum die Synode über den Inhalt des Briefes, den der Bischof wegen des 21. August 1968 geschrieben habe, nichts wisse. Fränkel gab knapp zur Antwort, dass dieser Brief vertraulich gewesen sei und er erst mit Seigewasser darüber hatte sprechen wollen525. Der wegen der Angriffe gegen den Bischof eingesetzte Ausschuss schlug einen Brief an Seigewasser vor, in dem eine der Lügen explizit aufgeklärt werden sollte. Die Synode entschied sich für die über Fränkels Verhalten am 17. Juni 1953526. Es war ein mutiger Schritt seitens der Synode, ausgerechnet das Beispiel des 17. Juni anzusprechen, den die DDR-Regierung am liebsten dem völligen Vergessen anheim stellen wollte. Der staatliche Lasterkatalog, in 521 Vgl. Bericht über die Synode der Görlitzer Kirche vom 21.–24. 3. 1969, 4. Verhandlungstag, 24. 3. 1969, 1 (BArch DO 4/2971). Der Brief vgl. Rundverfügung Nr. 13/69 vom 15. 4. 1969, Brief an den Staatssekretär für Kirchenfragen (AKKVSOL 12/684). Die Rundverfügung ging an die Superintendenten und alle Gemeindekirchenräte; und vgl. Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes. Die Regionalsynode an Herrn Staatssekretär für Kirchenfragen der Deutschen Demokratischen Republik, vom 27. 3. 1969, per Einschreiben. (BArch DO 4/796). 522 Vgl. Bericht des Bischofs auf der 3. ordentlichen Tagung der 5. Provinzialsynode der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes vom 21.–24. 3. 1969, 8 (AKKVSOL 10/2714); und vgl. Bericht über die Synode der Görlitzer Kirche vom 21.–24. 3. 1969, 1. Verhandlungstag, 2 (BArch DO 4/2971). 523 Vgl. Ebd., 6. 524 Ebd. 525 „Der Bischof beantwortete die Fragen der Synodalen, warum sie nichts wissen, was in dem Brief des Bischofs anläßlich der Ereignisse am 21. August steht, mit folgenden Bemerkungen: Der Brief an den Staatsratsvorsitzenden war vertraulich und durfte nicht veröffentlicht werden. Er sieht auch vorläufig nicht die Notwendigkeit ein, von seiner Seite aus den Inhalt des Briefes bekanntzugeben. Er möchte erst noch einmal mit dem Staatssekretär Seigewasser sprechen.“ Bericht über die Synode der Görlitzer Kirche vom 21.–24. 3. 1969, 4. Verhandlungstag, 24. 3. 1969, 1 (BArch DO 4/2971). 526 Synodenprotokoll 1969, 38 (AKKVSOL 10/2714).

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welchem die angeblichen Vergehen Fränkels gesammelt worden waren, war ja viel länger, und es wäre möglich gewesen, ein etwas weniger brisantes Thema zu wählen. Fränkel erklärte zu den Vorwürfen gegen ihn: „Er habe an jenem Tage weder den Oberbürgermeister gesehen, noch sei er im Rathaus gewesen, noch habe er etwas mit Rowdys zu tun gehabt. Nach dem 17. Juni allerdings, als sich alles wieder beruhigt hatte, hätten Bischof D. Hornig, Superintendent Paul Demke und er um Vorsprache bei der Sowjetischen Kommandantur in Görlitz gebeten. Nach anfänglicher Verweigerung sei ihnen diese gewährt worden. Dabei seien sie als Fürsprecher für diejenigen aufgetreten, die sich am 17. Juni hatten hinreißen lassen, und hätten für sie um Milde gebeten.“527

Da sich Fränkel auch 1968 in seinem Brief für Gnade gegenüber Verhafteten ˇ SSR von hier aus nur ein kurzer eingesetzt hatte, war es zur Frage nach der C Weg. Zudem wurde auf der Synode nach der Haltung der anderen Bischöfe gefragt. Fränkel verwies daraufhin auf Krusche und einer der Synodalen auf Bischof Noth528. Die Synode gab sich damit zufrieden. Sie stimmte dem Vorhaben des Briefes zu, wünschte nur eine Überarbeitung, in der noch stärker zum Ausdruck kommen solle, dass sie hinter ihrem Bischof stehe. Für die Synode waren der Bund und die Angriffe gegen Fränkel zwar zwei wichtige und emotional diskutierte Themen, den breitesten Raum nahmen jedoch Fragen der Jugendarbeit ein. Resümee Die evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes war die einzige Kirche, die den Staat durch Fränkels Fürbitte bereits vor vollendete Tatsachen stellte, so dass der Staat erst im Nachhinein reagieren konnte. Anders als in Sachsen, Berlin und der Kirchenprovinz Sachsen hatte man in der Görlitzer Kirche zu wenige sicherheitsdienstliche Informanten, um genau über die Vorgänge, Vorstellungen und Absichten in ihr informiert zu sein. So konnte man nicht im gleichen Maße im Vorfeld Maßnahmen ergreifen, um Briefe, Fürbitten, Kanzelabkündigungen zu verhindern, wie dies in anderen Landeskirchen mit unterschiedlichem Erfolg geschehen konnte. Insgesamt wurde der Görlitzer Kirche vom Rat der Stadt Görlitz im Juli 1969 ein ,Umdenkungsprozess‘ bescheinigt, da sie ihren Namen geändert und an der Abstimmung über die neue Verfassung teilgenommen hatte. Man war der Meinung, die große Mehrheit auf seiner Seite zu haben. Dies war aber nicht mehr als Augenwischerei. Das ˇ SSR wurde anders gewertet und Verhalten hinsichtlich der Ereignisse in der C 527 Ebd., 39. 528 Ein Synodaler „erklärt, daß auch Landesbischof Noth, Dresden, und Präsident Dr. Johannes in der Angelegenheit der Inhaftierten nach der Tschechenkrise energisch beim Rat des Bezirkes vorstellig geworden seien. Auch gegen Landesbischof Noth wurden ähnliche Angriffe gerichtet, wenn auch in anderer Weise.“ Ebd., 40.

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spiegelt die Situation in der Görlitzer Kirche – wenn auch durch die sozialistische Brille betrachtet – eher wider: „Es muß jedoch eingeschätzt werden, daß die Görlitzer Kirchenleitung sowie einige Pfarrer in unserer Stadt nach wie vor die festgelegte Linie der EKD entsprechend der vorgegebenen Tätigkeit auf dem Gebiet der DDR verfolgen. So hat sich unter Leitung des Bischofs die ˇ SSR und der Synode Reaktion dieser Kräfte anläßlich der Ereignisse in der C 1969 mit aller Deutlichkeit zum Fürsprecher einer Liberalisierung des Sozialismus gemacht.“529 Auch einige Jahre später musste die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen resümieren: „Das Gebiet der Kirche Görlitz unter Leitung von Bischof Fränkel muß als das politisch negativste in der DDR eingeschätzt werden. Es ist bisher nicht gelungen, im Bereich dieser Landeskirche echte Differenzierungen unter den Geistlichen zu erreichen.“530

5. Die Evangelische Landeskirche Greifswald Die Pommersche Kirche gehörte zu den unierten Landeskirchen. Im 19. Jahrhundert zu Preußen gehörig, lag ihr Konsistorium in Stettin. Sie war Teil der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union. Nach 1933 setzten sich die Deutschen Christen durch, dagegen wurde die Bekennende Kirche gegründet; viele Pfarrer suchten jedoch nach einem ausgleichenden Weg der Mitte531. Pommern war ähnlich wie Görlitz durch den Verlust ehemaliger Ostgebiete schwer betroffen. Die übrig bleibenden Gemeinden fühlten sich in der Mehrheit lutherischen Traditionen verpflichtet532. Ab Juni 1945 siedelte die Kirchenleitung nach Greifswald über. Bis Ende des Jahres nahm eine provisorische Kirchenleitung die Arbeit auf533. 1947 wurde Karl von Scheven als Bischof eingeführt. Ihm folgte von 1955 bis 1972 Friedrich-Wilhelm Krummacher. Ende der 1960er Jahre hielten sich knapp eine halbe Million Kirchenmitglieder zur Greifswalder Kirche, die von ca. 220 Pfarrern versorgt wurden534. Wiederum ähnlich wie Görlitz wurde die Landeskirche ab Mitte der 1960er Jahre unter Druck gesetzt, ihren Namen ,Pommersche Kirche‘, der zu sehr an die ehemaligen Ostgebiete erinnerte, zu ändern. Wie Görlitz kam sie im Frühjahr 1968 dieser Forderung einer Namensänderung nach und benannte 529 Plan der politisch-ideologischen und organisatorischen Arbeit auf kirchenpolitischem Gebiet im Stadtgebiet Görlitz, Rat der Stadt Görlitz, 18. 7. 1969, 1 (BArch DO 4/796). 530 Information zur politischen Situation und zu aktuellen Tendenzen in den evangelischen Kirchen in der DDR vom 4. 12. 1972, 11 (BArch DO 4/402). 531 Vgl. dazu Sass, Greifswalder Weg, 23. 532 Vgl. ebd., 22. Dies könnte nach Saß eine Ursache für mögliche Abstinenz in politischen Äußerungen sein. 533 Vgl. Harder, Das pommersche Konsistorium, 68 f. 534 Vgl. KJ 97 (1970), 342.

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sich in ,Evangelische Kirche Greifswald‘ um535. Dieser Schritt wurde staatlicherseits als „längst fällige Übereinstimmung mit der politischen Wirklichkeit“ quittiert536. Im Nordosten der Republik war es nicht möglich, westliches Fernsehen zu empfangen, und die Informationsbeschaffung daher schwieriger als anderswo537. In den 1980er Jahren begab sich die Landeskirche durch Bischof Horst Gienke auf den umstrittenen so genannten ,Greifswalder Weg‘538. 2012 fusionierte die Landeskirche gemeinsam mit der Mecklenburgischen und der Nordelbischen zur Nordkirche.

5.1. Der Bischof Bischof Krummacher stand Ende der 1960er Jahre unter massivem staatlichen Druck. 1960 war er zum Vorsitzenden der Kirchlichen Ostkonferenz gewählt worden, der Vorgängerin der KKL. Bereits 1962 wurde ihm erstmals durch den Staat mitgeteilt, dass Mitzenheim, und nicht mehr er, als Ansprechpartner akzeptiert werden würde. Hintergrund des Streites war das neue Wehrpflichtgesetz. Angriffsfläche für den staatlichen Druck bot dabei, dass Krummacher anfangs dem Nationalsozialismus aufgeschlossen gegenübergestanden hatte. Dies wurde ihm nun vorgeworfen und zusätzlich noch kolportiert, er hätte mit der Gestapo zusammengearbeitet539. Dass Krummacher während seiner Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion dem Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) beigetreten war, wurde dabei nicht berücksichtigt. Knapp ein Jahr verweigerte der Staat jedes Gespräch mit ihm, der Rat des Bezirkes sogar bis Ende 1964540. Krummacher versuchte in den 1960ern einen Ausweg zu finden und übte willentlich Zurückhaltung zu rein politischen Themen541. Durch seinen Rechenschaftsbericht auf der Fürstenwalder Synode 1967, den die Synode einstimmig annahm und die Fürstenwalder Erklärung hinzufügte, und in welchem er den Zusammenhalt der EKD 535 Vgl. M kinen, Mann der Einheit, 188. 536 Einschätzung der Geistlichen, kirchlichen Amtsträger und namhaften Laienchristen in Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheides zur Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik im Bezirk Neubrandenburg durch den Stellv. des Vorsitzenden für Inneres, undatiert, 4 (BArch DO 4/2936); vgl. auch „Es ist deshalb durchhaus keine ,politische Vorleistung‘, sondern selbstverständliche Anerkennung der Verfassungsrealität, wenn die Kirchenleitungen von Görlitz und Greifswald auf ihre objektiv revanchistische Anmaßung in der Amtsbezeichnung ,Schlesische‘ bzw. ,Pommerische‘ Kirche verzichtet haben.“ Information 8/ 68 vom 17. 7. 1968 zur Stellung der Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft und zu einigen wesentlichen kirchlichen Argumenten zur neuen sozialistischen Verfassung (Hartweg, SED und Kirche, 54 – 59, 55). 537 Vgl. Sass, Greifswalder Weg, 41. 538 Vgl. dazu Sass, Greifswalder Weg. 539 Vgl. M kinen, Mann der Einheit, 103 f. 540 Vgl. ebd., 117 – 119, 150. 541 Vgl. ebd., 124, 154, 158.

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in die Nähe einer Bekenntnisfrage rückte, geriet er wieder ins Fadenkreuz der staatlichen Kirchenpolitik542. Krummacher galt erneut als persona non grata, erhielt keine Ausreisegenehmigungen, wurde zu staatlichen Empfängen nicht eingeladen und die Beziehungen zu ihm wurden unterbrochen543. Offiziell startete der Staat eine Pressekampagne544 und inoffiziell organisierte das MfS Zersetzungsmaßnahmen gegen ihn545. So brachte das MfS einen Brief an Pfarrer und weitere leitende kirchliche Angestellte in Umlauf, der Krummacher vorwarf, 1939 den deutsch-polnischen Bischof Julius Bursche an die Gestapo ausgeliefert zu haben546. Andere kirchliche Verantwortungsträger wurden auf Krummachers Verhalten angesprochen547. Das MfS suchte nach Querverbindungen zwischen ihm und Menschen, die die Entwicklungen in ˇ SSR auf die DDR übertragen wollten548. Ende 1968 verbuchte das MfS der C diese Maßnahmen als erfolgreich und als ausschließlich eigenes Verdienst: „Die Zersetzungsmaßnahmen […] wurden fortgeführt, in deren Ergebnis eine tiefgreifende Wirkung erzielt wurde. Bischof Krummacher hat sich bei zentralen Besprechungen der Bischöfe usw. in letzter Zeit sehr zurückgehalten.“549 Krummacher bemühte sich nach 1967 um Schadensbegrenzung im Verhältnis Staat – Kirche. So gab er dem Evangelischen Nachrichtendienst am 14. Februar 1968 ein Interview zur Verfassung, in welchem er sich für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR aussprach550. Vielen ging dieses In542 Vgl. ebd., 180 – 183; vgl. auch Vermerk über ein Gespräch mit Bischof Schönherr am 22. 4. 1968, vom 25. 4. 1968, 7 (BArch DO 4/792 ebenfalls 433). 543 Vgl. M kinen, Mann der Einheit, 183. 1967 war er zudem in den Rat der EKD gewählt worden. Deswegen wurde ihm, wie auch dem sächsischen Bischof Noth die Einreise nach Schweden zur Vollversammlung des ÖRK nicht gestattet und er durfte auch nicht zum Exekutivkomitee des LWB nach Genf fahren. Vgl. Kapitel 2.4.1., 138 – 140; und Niederschrift über die Sitzung der Kirchenleitung am 28. 8. 1968, 2 (LKAG 5/10612 Bd. XVIII). 544 Nach Fürstenwalde wurde er vom ND persönlich angegriffen. Vgl. Goeckel, Evangelische Kirche, 88 f. 545 Bereits 1955 hatte das MfS die Arbeit gegen die Greifswalder Kirche begonnen und Krummacher zwischenzeitlich durch 13 IM beobachten lassen. Vgl. Sass, Greifswalder Weg, 25 f. Saß beschreibt für die kirchliche Situation in den 1980ern, dass in keiner anderen Landeskirche so viele hochrangige Amtsträger enge Kontakte zum MfS unterhielten. Vgl. ebd., 43. Diese Kontakte waren in den 1960en noch nicht so weit ausgebaut. 546 Vgl. Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit, 20, 27 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233 II). 547 In einem Gespräch zwischen Stolpe und Quast Ende Oktober 1968 erklärte letzterer zwar, weder CDU noch andere Stellen aus der DDR hätten mit dem Brief etwas zu tun, im gleichen Atemzug jedoch forderte er: „Wenn Krummacher nicht zwischen alle Stühle geraten wolle, solle er sich endlich überlegen auf welche Weise er seine Loyalität gegenüber der DDR beweisen wolle.“ (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 78). 548 „Es konnten Hinweise zu Querverbindungen zu Intellektuellen und Künstlern erarbeitet werden. Von diesen Kräften konnte im Wesentlichen ihre feindliche Konzeption aufgeklärt werden, die darin bestand, die konterrevolutionäre und antisozialistische Entwicklung in der CSSR auf die DDR zu übertragen.“ Analyse des II. Halbjahres 1968 der HA XX/4 vom 28. 11. 1968, 11 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289). 549 Ebd., 20. 550 Vgl. KJ 95 (1968), 179 f.

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terview an Zugeständnissen zu weit551. Staatlicherseits wurde es als Beginn für mögliche verbesserte Beziehungen gewertet552. Auch die Gespräche mit dem Rat des Bezirkes versuchte er dafür einzusetzen553. Krummachers Kurs bezeichnete Seigewasser in diesem Zusammenhang als „Zick-Zack-Linie“554. Seine Funktion in der EKD legte er nicht nieder555. Im September 1969 wies Krummacher das Ansinnen des Chefredakteurs der CDU-Zeitung Neue Zeit, Hermann Kalb, zurück, für den 20. Jahrestag der DDR einen Artikel zu schreiben. Als Grund gab Krummacher an, dass er dieses Ansinnen für „einigermaßen überraschend“ hielt, da dieselbe Zeitung bisher ein Bild von ihm bis hin zu „persönlichen Verunglimpfungen“ gezeichnet hatte556. In dieser Zeitung zu schreiben, würde ihn daher unglaubwürdig erscheinen lassen. Die Greifswalder Kirche war von Verhaftungen Theologiestudierender im Zuge der Flugblattaktion zur neuen Verfassung betroffen557. Über Mitzenheim versuchten die Bischöfe, unter der Hand den Verhafteten zu helfen. In der Stille zu wirken, scheint Krummachers Ansatz nach 1967 gewesen zu sein, mit dem er mehr zu erreichen erhoffte als mit Konfrontation. Diese Haltung, sein Versuch, das Verhältnis zum Staat nach 1967 wieder zu verbessern und seine grundsätzliche Zurückhaltung sich in rein politischen Fragen zu äußern, könnten Gründe sein, warum er öffentlich zu dem militärischen Eingreifen in ˇ SSR schwieg. der C ˇ SSR blieb unterschwellig erhalten. Auch im Juli 1969 notierte Das Thema C Krummacher noch „CSSR, NVA“ als Gesprächspunkte mit dem Staat558. Im September 1969 erklärte der zuständige Referent für Kirchenfragen vom Rat des Bezirkes Rostock in einem Gespräch Krummacher gegenüber, der sich wieder über die sanktionierten Möglichkeiten, westliche theologische Literatur zu erhalten, beklagte, dass der Staat bezüglich von Einfuhrgenehmi-

551 Vgl. Einzelinformation 179/68 vom 19. 2. 1968 über zwei am 9. 2. und 15. 2. 1968 stattgefundene interne Beratungen der evangelischen Bischöfe der DDR über die Annahme eines Schreibens zum Verfassungsentwurf an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, 4 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1445). Gründe könnten sein, dass Krummacher versuchte, das Stigma von Fürstenwalde loszuwerden, oder er wollte verhindern, dass nur Mitzenheims Vorstellungen publik wurden. Ersteres meint Lepp, Tabu?, 597; letzteres M kinen, Mann der Einheit, 187. 552 Vgl. Aktenvermerk vom 22. 2. 1968, Aussprache mit Unionsfreund Flint am 21. 2. 1968, 1 (ACDP 07-010-3252); vgl. auch Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 1. 3. 1968, 4 (BArch DO 4/400). Hier wurde die Erklärung als „weitgehend“ bezeichnet. 553 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Kirchenleitung am 20. 5. 1968, 1 (LKAG 5/10612 Bd. XVIII). 554 Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 1. 3. 1968, 4 (BArch DO 4/400). 555 In einem Gespräch im Juli 1969 beim RdB Rostock glaubte er dafür das Verständnis der Funktionäre zu erhalten, auch wenn diese enttäuscht waren. Vgl. Besprechung am 17. 7. 1969 beim RdB Rostock, 2 f. (LKAG 3/13). 556 Brief von Kalb an Krummacher vom 17. 9. 1969, 1 (LKAG 3/3). 557 Siehe Kapitel 5.2.3., 460 – 464. 558 Besprechung am 17. 7. 1969 beim RdB Rostock, Gesprächspunkte, 1 (LKAG 3/13).

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gungen westlicher theologischer Literatur „,sehr, sehr engherzig‘ seien. Denn sie wollten nicht eine 2. CSSR.“559 5.2. Die Kirchenleitung Im Frühjahr 1968 beschäftigte sich die Kirchenleitung am 22. Februar 1968 auf Grundlage des Briefes aus Lehnin und des Interviews von Krummacher mit der neuen Verfassung560. Es wurde beschlossen, Eingaben an den Verfassungsausschuss auf Gemeindeebene und von Einzelpersonen anzustoßen. Abgesehen davon war man der Ansicht, dass die Eingaben, die an die Kirchenleitung wegen der Verfassung gerichtet worden waren, durch den Brief der Bischöfe aus Lehnin hinreichend berücksichtigt worden seien561. Staatlicherseits wurden keine ,negativen‘ Äußerungen von Kirchenleitung und ˇ SSR Pfarrerschaft registriert562. Auch über die aktuellen Ereignisse in der C sprach die Kirchenleitung auf ihrer Sitzung vom 28. August 1968, als Krummacher von der außerordentlichen Bischofskonferenz vom 24. August berichtete563. Entschlüsse ergaben sich diesmal nicht daraus. Wiederum wurde von verschiedenen staatlichen Stellen bestätigt, dass die Kirchenleitung nichts unternommen habe564. Auf ihrer Dezembersitzung beschäftigte sich die Kirchenleitung mit der Frage, ob sich die Bischöfe wegen der Menschen, die sich aufgrund des 21. Augusts in DDR-Gefängnissen befänden, an Ulbricht wenden sollten. Hintergrund war der durch die EKU angeregte Brief Fränkels565. Einerseits war man der Meinung, dass schon etwas unternommen werden 559 Vermerk über den Besuch des Herrn Macht in meiner [Krummachers] Wohnung am 11. 9. 1969, 2 (LKAG 3/13). 560 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Kirchenleitung am 22. 2. 1968, 1 f. (LKAG 5/10612 Bd. XVIII). 561 Vgl. ebd., 2. Eingaben lagen von den Gemeindekirchenräten von Horst und Stoltenhagen sowie der Kreissynode Grimmen vor, denen es um eine Neuformulierung von Artikel 38 ging. 562 Dienstreisebericht vom 17. 1. 1969. Durcharbeitung des Fragespiegel[s] über die politischideologische Situation der ev. Landeskirchen in der DDR am 12. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). 563 Niederschrift über die Sitzung der Kirchenleitung am 28. 8. 1968, 2 (LKAG 5/10612 Bd. XVIII). 564 „Nach der Übersicht des Gen. Macht hat die Kirchenleitung in Greifswald zu den Ereignissen in der CSSR nicht Stellung genommen und auch keine Empfehlungen an ihre Superintendenten gegeben.“ Dienstreisebericht am 30. 8. 1968 in Rostock vom 5. 9. 1968, 6 (BArch DO 4/2936); vgl. auch Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086); und Aktenvermerk vom 6. 9. 1968. Kirchenpolitische Situation im Zusammenhang mit dem 21. 8., 2 (ACDP 07010-3252). Der einzige Hinweis auf ein Fürbittgebet seitens Krummachers, muss eine Verwechslung mit der Mecklenburgischen Landeskirche sein. Vgl. Dienstreisebericht vom 17. 1. 1969. Durcharbeitung des Fragespiegel[s] über die politisch-ideologische Situation der ev. Landeskirchen in der DDR am 12. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). 565 Siehe Kapitel 4.4.1.4., 284 – 286; vgl. auch Niederschrift über die KL.-Sitzung am 5. 12. 1968. Auszug zur besonderen Vorlage (LKAG 5/30202 Bd. X).

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müsse, andererseits empfand man den Staatsratsvorsitzenden nicht als die richtige Adresse. Vorgeschlagen wurde, dass Vertreter der am meisten betroffenen Landeskirchen beim Staatssekretär für Kirchenfragen und eventuell auch beim Generalstaatsanwalt vorstellig werden sollten566. In allen drei Fällen ging die Behandlung der aktuellen politischen Fragen auf Anstöße von anderen Landeskirchen bzw. kirchlichen Verantwortungsträgern zurück.

5.3. Die Synode Auf der Frühjahrssynode war die Namensänderung vollzogen worden. Thema der Herbstsynode war vor allem die Situation von Jugendlichen. Der Staat hielt die Synodalen zum großen Teil für ,reaktionär‘567. Dennoch versuchte er im Vorfeld auf Synodale einzuwirken, die Frage der EKD anzusprechen, doch äußerten letztere Meinungen wie: „Je weniger in der jetzigen Zeit über eine Loslösung von der EKD gesprochen wird, um so leichter würde in der Zukunft ˇ SSR spielte der entscheidende Schritt durchgeführt werden können.“568 Die C keine Rolle, zumindest blieb sie sowohl im staatlichen Bericht über die Synode als auch im Bischofsbericht unerwähnt569. Auf der nächsten außerordentlichen Synode der Greifswalder Kirche Anfang Mai 1969 wurde dann die Ordnung für den Bund evangelischer Kirchen angenommen570.

5.4. Die mittlere Kirchenebene ˇ SSR politisch Nicht alle Superintendenten waren mit der in Bezug auf die C abstinenten Haltung ihrer Kirchenleitung und ihres Bischofs zufrieden. Auf dem Superintendentenkonvent Mitte September 1968 wurde über die Möglichkeiten diskutiert, wie auf die Situation im Nachbarland adäquat reagiert werden solle. Der Bischof blieb vorsichtig, sprach davon, die „schwachen 566 „Die Meinung geht dahin, daß die Kirche nicht einfach schweigen dürfe. Am besten sei es, wenn von einigen Vertretern auch denjenigen Landeskirchen, in deren Gebiet besonders schwerwiegende Fälle vorgekommen sind, ein Gespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen, evtl. auch mit dem Generalstaatsanwalt, geführt werde.“ Niederschrift über die Sitzung der Kirchenleitung am 5. 12. 1968, 2 (LKAG 5/10612 Bd. XVIII). 567 „Eine genaue politische Einschätzung über die Synodalen konnte nicht gegeben werden. Es wurde nur berichtet, daß ein großer Teil der Synodalen reaktionäre Einstellungen besitzen und zum großen Teil Leute aus dem Mittelstand sind.“ Dienstreisebericht vom 17. 1. 1969. Durcharbeitung des Fragespiegel[s] über die politisch-ideologische Situation der ev. Landeskirchen in der DDR am 12. 12. 1968, 6 (BArch DO 4/2936). 568 RdB Rostock. Bericht über den Ablauf der Herbstsynode der Greifswalder Landeskirche in der Zeit vom 15.–17. 11. 1968, 1 (BArch DO 4/2936). 569 Vgl. ebd.; und Bericht für die Tagung der Landessynode in Züssow, 15. 11. 1968 von Bischof Krummacher, 3 (LKAG 3/168). 570 Vgl. RdB Rostock. Aktenvermerk vom 6. 5. 1969 (BArch DO 4/2936).

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Möglichkeiten“ zu nutzen und dass es die Aufgabe sei, „die Menschen bei uns vor Emotionen und Torheiten zu bewahren.“571 Einige Superintendenten brachten verschiedene Informationen ein – z. B. den Aufruf der Kirchen aus ˇ SSR vom 2. September – und man tauschte sich über die Lage in den der C Gemeinden aus. Es wurde angefragt, warum der Solidaritätsbrief aus BerlinBrandenburg in anderen Landeskirchen – namentlich erwähnt wurden Sachsen und die KPS –, jedoch nicht in der eigenen verbreitet werde und warum es keine gemeinsame Erklärung der Bischöfe gebe. Krummacher bat „um Verständnis, daß große öffentliche Aktionen nicht dazu geeignet sind, in der augenblicklichen Situation zu helfen.“572 Staatlicherseits wurden die Superintendenten Ende 1968 nach ihrer Einstellung etwa zur Hälfte in ,positiv‘ und ,negativ‘ unterteilt. Ob jemand ,negativ‘ bzw. ,positiv‘ eingestuft wurde, hing vor allem von dessen Einstellung ˇ SSR ab. Den ,negativen‘ Superintendenten wurde bescheinigt: „Ihre zur C negative Haltung drückt sich besonders darin aus, daß bei Aussprachen oder Konventen sie durchblicken lassen, daß es an der Zeit wäre, den Sozialismus zu vermenschlichen und ihn demokratischer zu gestalten.“573 Dabei würden sie „ständig“ mit Wörtern wie „Freiheit“ und „Demokratie“ argumentieren. Die ,positiven‘ dagegen würden sich dadurch auszeichnen, „daß sie staatliche Maßnahmen und auch die Verständigungs- und Friedenspolitik unseres Staates anerkennen.“574 Zwei der staatlicherseits Ende des Jahres zu den ,positiven‘ gezählten Superintendenten sprachen Mitte März 1968 mit Funktionären des Rates des Bezirkes Rostock über die neue Verfassung. Hier wurde zugesichert, dass an der kirchlichen Arbeit nichts geändert zu werden brauche. Allerdings dürfe sie nicht „mißbraucht“ werden575. Als Beispiel dieses Missbrauches wurden die sächsischen Jugendgottesdienste angeführt. Die Funktionäre versicherten, dass man keine Staatskirche wolle, die „harte Formulierung“ von Artikel 38,2 jedoch auf „gegenwärtige Spannung zurückzuführen“ sei576. Die beiden Superintendenten beriefen sich in ihrer Kritik an der SED auf die Vorgänge in ˇ SSR: „Wir beanstandeten den Führungsanspruch der SED, Polen und der C denn die Vorgänge in Polen und der CSSR zeigten, daß ein Korrekturorgan erforderlich sei.“577 Zudem forderten sie, dass nicht mehr gegen Bischof Krummacher in der Öffentlichkeit polemisiert werden sollte. Dass die beiden dennoch ,positiv‘ eingestuft wurden, mag daran liegen, dass sie sich auf Gespräche einließen. Außerdem war einer der beiden bereits seit 1960 IM für das 571 Konzept. Niederschrift über den Superintendentenkonvent am 16. 9. 1968, 1 (LKAG 3/196a). 572 Ebd. 573 Dienstreisebericht vom 17. 1. 1969. Durcharbeitung des Fragespiegel[s] über die politischideologische Situation der ev. Landeskirchen in der DDR am 12. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). 574 Ebd., 3. 575 Aktenvermerk über eine Besprechung am 20. 3. 1968 in Grimmen, Kulturbund, 2 (LKAG 3/13). 576 Ebd., 3. 577 Ebd., 1.

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MfS578. Vor welchem Hintergrund dieser im Herbst 1968 das militärische Eingreifen ablehnte, ist nicht bekannt579. Kirchenmänner, die sich zustimmend zu den staatlichen ,Hilfsmaßnahmen‘ äußerten, fanden sich nur wenige. Einen solchen Fall glaubte man erfreut bei Propst Hans Schulz aus Ziethen zu finden580. Er gab eine Stellungnahme ab, in der er den 21. August als Solidarität der Sozialisten im Großen wertete, als Weg, eine Aufweichung durch den Imperialismus zu verhindern, und da die DDR im Warschauer Pakt sei, müsse sie auch dabei sein. Zudem würde in der ˇ SSR die Jugend vernachlässigt, was zu Gammelei und Randaliererei führe581. C Der einzige Wermutstropfen war, dass er diese Stellungnahme mit der ausdrücklichen Bitte abgegeben hatte, sie auf keinen Fall zu veröffentlichen. Damit war sie für den Staat quasi nutzlos, denn genau solche Stellungnahmen zur Veröffentlichung in der Presse wurden gesucht. 5.5. Die Pfarrer und andere in der Landeskirche Oberkonsistorialrat Willy Woelke wurde im November 1968 in einem Gespräch, in welchem es um nicht genehmigte Bauvorhaben ging, die Gretchenfrage vorgelegt: „wie er die Politik unseres Staates zu den Ereignissen in der CSSR einschätzt?“582 Woelke äußerte sich vorsichtig, sagte, dass er den Truppeneinsatz für unnötig hielte und es besser gewesen wäre, wenn sich die DDR nicht beteiligt hätte. Daraufhin wurde ihm bedeutet, dass der Staat „Kenntnis von Äußerungen Geistlicher während gottesdienstlicher Handlungen erhalten habe[n], die auf die Problematik CSSR anspielten.“583 Man wollte von Woelke wissen, ob dies durch den Bischof veranlasst war. Woelke antwortete einfach mit „nein.“ Seitens der Kirchenleitung wurde äußerste ˇ SSR geübt und viele Pfarrer verhielten sich Zurückhaltung beim Thema C 584 ähnlich . 578 Vgl. Sass, Greifswalder Weg, 8, 34, 49. Es handelt sich um den späteren Oberkonsistorialrat Siegfried Plath. Er war auch Mitglied in der CDU. Als solchem wurden ihm gute „Ansätze“ attestiert, die vorübergehend „im Zusammenhang mit den Vorgängen in der CSSR zunächst wieder vorbei zu sein schienen“, sich danach jedoch wieder besserten. Vgl. BV Rostock. Information zum 12. Parteitag vom 28. 11. 1968, 4 f. (ACDP 07-011-256). 579 Vgl. Fernschreiben BV Rostock vom 10. 9. 1968 (ACDP 07-012-1536). Darin wird berichtet, ˇ SSR Plath und alle Pfarrer seines Bereiches eine Teilnahme an dass auf Grund der Lage in der C der Bezirksdelegiertenkonferenz ablehnen, „da der Standpunkt der CDU ja bekannt sei.“ 580 Vgl. Meinungen kirchlicher Kreise zur Lage in der CSSR im Bereich Neubrandenburg, eingegangen am 13. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2936). Diese Einschätzung war nach Konsultationen mit den Räten der Bezirke Schwerin und Rostock zustande gekommen. 581 Vgl. ebd., 2. 582 RdB Rostock. Aktenvermerk über ein Gespräch des Stellv. für Inneres, Seinbach mit Vizepräsident Woelke am 14. 11. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). 583 Ebd., 3. 584 Vgl. Einschätzung der Situation im KV der CDU Stralsund vom 5. 12. 1968, 3 (ACDP 07-011-

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Gerade jüngere Menschen jedoch fühlten sich von dem Experiment in der ˇ SSR angezogen. So hatte die ESG Greifswald den Prager marxistischen C Philosophieprofessor Milan Machovec mit einem Vortrag über Christentum und Marxismus bei sich zu Gast585. Christliche Jugendliche beriefen sich nach dem 21. August in Greifswald und Rostock auf Artikel 8,1 der Verfassung, dass von der DDR niemals ein Eroberungskrieg ausgehen würde, und hielten den ˇ SSR und für eine 21. August für eine „Verletzung der Souveränität“ der C „Beschränkung der Freiheit.“586 Der damals an der Theologischen Fakultät tätige Fred Mahlburg beschrieb, dass er mit Freunden in Greifswald an der Durchfahrtsstraße Richtung Berlin stand und den in die Heimat eskortierten tschechoslowakischen Touristen zuwinkte. Eine Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus habe er sich bis in den Herbst 1989 bewahrt587. Direkt an der Greifswalder Fakultät war vor allem der Systematiker Hellmut Bandt betroffen. Engagiert in der CFK, teilte er die Verurteilung der ,Hilfsmaßnahmen‘ durch den tschechoslowakischen CFK-Stab als Tragödie und Invasion. So konnte er sich nicht zu der geforderten Beifallsbekundung für die SEDPolitik durchringen. Damit bewirkte er gemeinsam mit anderen eine Pattsituation im Regionalausschuss der CFK, die erst durch eine Säuberungsaktion gegen Unliebsame, Bandt inklusive, beendet werden konnte588.

Resümee Insgesamt unterscheidet sich die Situation in Greifswald kaum von der in Mecklenburg, weswegen auf eine eigene Zusammenfassung für Greifswald an dieser Stelle verzichtet werden kann. Damit wird auch deutlich, dass die später so unterschiedliche Entwicklung in Mecklenburg und Greifswald in den 1970er und 1980er Jahren für die 1960er Jahre noch nicht zutrifft.

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256). Die CDU beklagte hier, dass sie in diesem Kreisverband mit noch keinem einzigen Pfarrer oder anderwärtigen Amtsträger hatte ins Gespräch kommen können. Vgl. Bericht an das Evangelische Konsistorium vom 1. 10. 1968, 1 (LKAG ESG). BV der CDU Rostock. Fernschreiben vom 16. 9. 1968 an die Parteileitung der CDU zur Meinungsbildung über TASS-Erklärung im Bezirk Rostock (ACDP 07-012-1536). Vgl. Mahlburg, Mein 68, 12. Mahlburg beschreibt die Regung vieler in jenen Tagen: „Wir waren enttäuscht und bitter bis zu Tränen am Radio.“ Ebd. Mahlburg, als Schüler Bandts, beschreibt die Situation kurz. Er selbst konnte nicht fertig promovieren. Eine kurze Notiz zu den Sticheleien gegen Bandt bietet Th mmel, Greifswald, 248; vgl. auch Kapitel 3.2.3.5., 197 – 198.

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6. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs Mecklenburg gehörte zu den lutherischen Landeskirchen. Erst 1933 hatte sie sich aus den beiden Teilen Mecklenburg-Strelitz und Mecklenburg-Schwerin gebildet589. Die Kirchenleitung war während der NS-Zeit deutschchristlich orientiert. Nach 1945 war es zunächst teils britisch, teils amerikanisch besetzt, so dass sich die DC-Kirchenleitung noch bis kurz vor dem Wechsel Mecklenburgs in den sowjetischen Sektor im Amt halten konnte. Nach Abdankung und Verhaftung des DC-Bischofs Walther Schultz übernahm der Vorsitzende des BK-Landesbruderrates Niklot Beste, zunächst als kommissarischer Landesbischof die Amtsgeschäfte und wurde 1946 von der Synode bestätigt590. Bis 1971 blieb er Bischof. Anfang August 1968 wurde Beste zum Vorsitzenden der KKL gewählt und trat damit die Nachfolge von Krummacher an. Nachfolger Bestes im Bischofsamt wurde Heinrich Rathke591. Rechtlich vertrat der Oberkirchenrat die Kirche592. Nicht ganz eine Million Kirchenglieder zählte die Mecklenburgische Landeskirche Ende der 1960er Jahre, in der ca. 390 Pfarrer ihren Dienst versahen593. 2012 schloss sich Mecklenburg gemeinsam mit Pommern und Nordelbien zur Nordkirche zusammen594.

6.1. Der Bischof und die Leitung der Kirche Die Leitung der Kirche – ab 1972 durch ein Leitungsgesetz als Kirchenleitung neu geregelt – setzte sich aus Landesbischof, Präses der Synode sowie Vertretern des Oberkirchenrates und der Synode zusammen595. Bereits am 21. und 23. August 1968 waren durch den zuständigen Referenten für Kirchenfragen des Rates des Bezirkes Schwerin Gespräche mit Beste geführt worden. Beste verhielt sich zurückhaltend. Er äußerte Bedenken gegen das gewaltsame Vorgehen, die Einmischung von außen, sein und vieler Menschen Unverständnis für die Art der Krisenbearbeitung – ansonsten müsse man abwarten596. 589 Vgl. http://www.kirche-mv.de/Geschichte-nach-der-Reformation.7284.0.html. letzter Abruf: 26. 1. 2012. 590 Vgl. Mau, Protestantismus, 23; und Beste, Kirchenkampf, 229. 591 Vgl. Information zu Veränderungen in evangelischen Kirchenleitungen in der DDR im Jahre 1970, 4 (BArch DO 4/1437). Staatliche Stellen waren über die Wahl Rathkes nicht begeistert. Er galt zwar nicht als absolut reaktionär, aber man hatte auch nicht den eigenen Wunschkandidaten einbringen können. 592 In anderen Landeskirchen das Konsistorium oder das Landeskirchenamt. 593 Vgl. KJ 97 (1970), 342. 594 Vgl. Dittmers, Nordkirche. 595 Vgl. Ebd. 596 Vgl. RdB Schwerin. Verhalten kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom 27. 8. 1968, 1 (BArch DO 4/330).

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Wenige Tage nach der Bischofskonferenz fand in Mecklenburg eine Besprechung zwischen Bischof, Oberkirchenrat und Landessuperintendenten statt, wo mehrere Stunden kontrovers über mögliche Handlungsalternativen diskutiert wurde597. Beste berichtete von den Beratungen der Bischöfe in Berlin und den verschiedenen Möglichkeiten, die erwogen worden waren. ˇ SSR angesprochen, indem er auf Dort hatte Beste als Vorsitzender das Thema C die Bestürzung der Gemeindeglieder und die Anfragen aus den Gemeinden verwies und die von Fränkel formulierten Fürbitten verlesen hatte. Als Argument für die Entwicklungen im Nachbarland vor dem 21. August bezog er sich auf Hrom dka, der für die Reformbestrebungen seiner Regierung war. Gegen Mitzenheims Argument, dass Fürbittformulierungen missbraucht werden könnten, hatte er die Fürbittpraxis für verhaftete Pfarrer im Dritten Reich ins Feld geführt, die nicht politisch gemeint gewesen wären, und dafür plädiert, auch heute den Pfarrern und Gemeinden eine Formulierung als Hilfe an die Hand zu geben598. Auf der Besprechung am 27. August schlug Landessuperintendent Hans Detlof Galley aus Güstrow vor, einen Brief an alle Geistlichen zu schreiben, und kritisierte das militärische Vorgehen als Einˇ SSR scharf599. Seiner Ansicht nach hatte sich die UdSSR damit marsch in die C diskreditiert, da sie doch sonst vorgebe, ,Friedensmacht‘ zu sein. Er wandte sich gegen die Entschließungen, Stellungnahmen und Resolutionen, die überall in den Betrieben gefordert wurden und den Einmarsch als ,Hilfsmaßnahme‘ kennzeichnen sollten. Dagegen schloss sich Landessuperintendent Georg Steinbrecher, Wismar, der Haltung Mitzenheims an, beklagte jedoch dabei die Macht Ulbrichts. Dieser sei „der letzte Stalinist in der Welt.“600 Andere hielten sich in der Diskussion zurück. Durch Landessuperintendent Joachim Alstein, Ludwigslust, kamen die Parallele zu 1938 und das Stuttgarter Schuldbekenntnis zur Sprache601. Am Ende setzte sich jedoch ein abgeschwächter Fürbittentwurf von Oberkirchenratspräsidenten Konrad Müller

597 Vgl. Brief von Beste vom 30. 8. 1968 an Pabst (LKAS, LB Beste 309); vgl. auch RdB Schwerin. Verhalten kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom 27. 8. 1968, 2 (BArch DO 4/330). 598 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, Entwurf von Papst, 5 (EZA 102/15). 599 Vgl. RdB Schwerin. Verhalten kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom 27. 8. 1968, 3 (BArch DO 4/330). Eine kirchliche Überlieferung wurde an dieser Stelle nicht gefunden. Warum Beste von seiner Haltung in der Bischofskonferenz abrückte, ist nicht bekannt. Das MfS konstatierte, dass die Anwesenden zwar sehr unterschiedlicher Meinung waren. „Sie waren jedoch einstimmig der Auffassung, sich mit Meinungsäußerungen zurückzuhalten.“ Information 148/68 vom 11. 9. 1968 über die Reaktion der Bevölkerung auf die Hilfsmaßnahmen der fünf sozialistischen Länder gegenüber der CSSR, 15 (BStU, MfS, BV Rostock, Leiter, Nr. 19). 600 RdB Schwerin. Verhalten kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom 27. 8. 1968, 3 (BArch DO 4/330). 601 Vgl. Ebd., 3. Staatlicherseits wurde diese Diskussion als „demagogisch“ gekennzeichnet.

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durch602. Die letztendlich an die Pastoren weitergegebene Fürbitte mit der Empfehlung zur Verlesung im kommenden Sonntagsgottesdienst lautete: „Herr, unser Gott, wir bitten dich, hilf den Völkern dazu, daß sie nebeneinander in Frieden leben können; nimm auch die durch die Ereignisse der letzten Zeit Betroffenen in deinen Schutz. Herr, wir beugen uns vor dir in Demut und bitten dich: Hilf, daß die Schuld, die die Völker miteinander haben, durch deine Barmherzigkeit überwunden wird!“603

ˇ SSR als auch An dieser Formulierung fällt auf, dass sie sowohl das Reizwort C eine Parallelisierung zu 1938 vermied. Damit blieb sie hinter dem Kompromiss der Bischofskonferenz zurück, den Gemeinden Fürbitten vorzuschlagen, „und zwar unter konkreter Nennung der Geschehnisse in der CSSR.“604 Der Rat des Bezirkes sandte die Fürbitte an die Dienststelle des Staatssekretärs, allerdings mit der Bemerkung, dass sich Beste gegen alle „negativen Vorschläge“ durch Superintendenten auf der Konferenz der Landessuperintendenten vom 27. August gewehrt und seine Formulierung durchgebracht habe605. Die Fürbitte wurde von staatlicher Seite als so harmlos eingestuft, dass Mecklenburg in der Folge stets zu den Landeskirchen gezählt wurde, in denen die Kirˇ SSR geschwiegen habe606. chenleitung zu den Ereignissen der C Am 19. September 1968 erschien Beste, in seiner Funktion als Vorsitzender 602 Vgl. Besier, Vision, 25; und „Obwohl Landesbischof Beste in der Konferenz der Kirchenleitungen Protestaktionen organisieren wollte, veranlaßte ihn die offensive Auseinandersetzung zu diesen Fragen in einer Sitzung der Mecklenburgischen Kirchenleitung am 27. 8. zu taktieren und gegen alle Vorschläge seiner Superintendenten zu einer Kanzelabkündigung oder ähnlichen konkreten Weisungen an die Pfarrer aufzutreten.“ Information – Nr. 11/68 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen vom 19. 9. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Hier wird Bestes Rolle auf der Bischofskonferenz überbewertet. Beste ˇ SSR, aber auf der Bischofskonferenz als war zwar für Fürbitten unter Namensnennung der C Vorsitzender eher moderierend in Erscheinung getreten. Brauckmann und Bunzel erklären das Vorgehen Müllers als Intrige eines GM des MfS gegen Beste. Vgl. Brauckmann / Bunzel, Rückblick, 25. 603 Brief von Beste vom 30. 8. 1968 an Pabst (LKAS, LB Beste 309); vgl. auch Referent für Kirchenfragen, Text in Abschrift vom 29. 8. 1968 (BArch DO 4/330). 604 Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR am 24. 8. 1968 in Berlin, Entwurf von Papst, 6 (EZA 102/15). 605 Vgl. Meinungen kirchlicher Kreise zur Lage in der CSSR im Bereich Neubrandenburg. Eingegangen am 13. 9. 1968, 1(BArch DO 4/2936). 606 So in den verschiedensten Informationen, Berichten und Einschätzungen. Die Räte der Bezirke stuften dies als Erfolg ihrer Arbeit ein, wenn sie gegenüber der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen äußerten, „daß ihre Arbeit mit Kirchgemeinderatsmitgliedern und Synodalen auch einen politisch meßbaren Einfluß auf die Kirchenleitung genommen hat. In der Schweriner Landeskirche hat es in zurückliegender Zeit weder reaktionäre Kanzelabkündigungen noch ein provozierendes Verhalten auf Synoden oder anderen kirchlichen Gremien gegeben.“ Bericht über die Dienstreise am 21./22. 4. 1970 nach Schwerin, vom 24. 4. 1970, 2 f. (BArch DO 4/330).

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der Bischofskonferenz, zu einer Art Antrittsbesuch beim Staatssekretär für Kirchenfragen. Die staatliche Seite verstand das Gespräch als eine „gründliche Instruktionsstunde“607. Man sprach über seine Funktion, die Strukturkomˇ SSR, die eingetrübte Situation zwischen Staat und Kirche in mission, die C Berlin-Brandenburg, über das Bildungssystem und Uppsala. Beste verhielt sich während der dreieinhalbstündigen Unterredung höflich, vorsichtig und ˇ SSR erklärte er, dass er keine eigene Aktion in seiner sehr zurückhaltend. Zur C Landeskirche angeregt habe, er auch nicht zu denen gehöre, die die jetzige Situation mit der faschistischen Okkupation 1938 gleichsetzen würden, aber „dennoch bleibe bei ihm ein ,ernstes Fragezeichen‘ offen, dahingehend, ob die Beteiligung der NVA der DDR nicht ,klugerweise‘ hätte vermieden werden können.“ Über die Situation in Berlin-Brandenburg meinte Beste, dass er Schönherr doch bisher als „quasi linken Kirchenmann“ wahrgenommen habe, und er versuchte die Wogen zu glätten. Daraufhin wurde Beste „aufgetragen“, seine Funktion zu nutzen, „daß die Kräfte in Berlin-Brandenburg, die die Verschärfung der Situation herbeigeführt hätten, solche Aktionen künftig unterlassen.“ Dies wurde auch mit Blick auf die Situation in der Ephorie Pirna ausgesprochen. Da Beste die ganze Zeit über ruhig, freundlich und unverbindlich blieb, wurde ihm von seiten der Dienststelle eine „etwas schwerfällige Auffassungsgabe“ bescheinigt. Beste verfolgte, was sich in den anderen Lanˇ SSR tat und scheint im Nachhinein unzufrieden deskirchen in Bezug auf die C gewesen zu sein, dass man sich in seiner Landeskirche nicht wenigstens zu einer konkreteren und klareren Fürbitte hatte durchringen können608. Der Staat rechnete es sich wiederum als Verdienst an, „daß sie [die Kirchenleitung] sich z. B. im Jahre 1968 nicht wagen konnte, eine offene Stellungnahme gegen die Maßnahmen der fünf sozialistischen Staaten zur Verhinderung der Konterrevolution in der CSSR herauszugeben.“609 6.2. Die Synode Auf der Frühjahrssynode 1968 kamen wie auf den meisten anderen Synoden die Sorgen um die neue Verfassung zum Tragen. Es wurde beschlossen, an 607 (BArch DO 4/2936) Entwurf. Kurzbericht über die Aussprache mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz Niklot Beste am 19. 9. 1968, vom 20. 9. 1968, 5. Die folgenden Zitate ebd. 2 – 5. 608 „Bischof Beste klage neuerdings darüber, daß die Stellungnahme der Landeskirche Mecklb. [sic!] zu den Ereignissen in der CSSR mittels der bekannten Fürbitte zu schwach gewesen sei.“ RdB Schwerin. Information. Die Synode der Ev. Luth. Landeskirche Mecklb. vom 14.–17. 11. 1968, eingegangen am 24. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/2936). In seiner Handakte ˇ SSR, z. B. der ROK, der CFK, von Hrom dka, der EKBB, des sammelte er Stellungnahmen zur C ÖRK und die der anderen Landeskirchen in der DDR (LKAS, LB Beste 309). 609 RdB Schwerin. Erfüllungsbericht über die Aufgaben im Jahre 1968 – als Zwischenbilanz zu den Maßnahmen zum 20. Jahrestag der DDR – unter besonderer Berücksichtigung der politischen Haltung der ev. Kirchenleitung vom 2. 12. 1968, 5 (BArch DO 4/330).

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Walter Ulbricht als Leiter der Kommission zur Ausarbeitung der neuen Verfassung, eine eigene Eingabe zu verfassen und zu schicken610. Ferner sollte der Brief aus Lehnin an alle Pfarrämter gesandt und somit die Gemeinden zur eigenen Auseinandersetzung und zu Eingaben aufgefordert werden. Die Beteiligung am Volksentscheid war auch unter den Mecklenburger Geistlichen ausgesprochen hoch, allerdings aus anderen als den staatlich erwünschten Gründen611. ˇ SSR Auf der Herbstsynode im November 1968 wurde nicht offen über die C gesprochen. Der Staat versuchte seine Vorstellung einer Totaltrennung von der EKD den Synodalen in Vorgesprächen einzuschärfen612. Im Frühjahr 1969 war die Mecklenburgische Landessynode die zweite, die über die Ordnung des Bundes abstimmte. Der Staat versuchte über Mitglieder der Kirchenleitung und Synodale eine Vertagung der Abstimmung zu erreichen, doch wurde die Ordnung mit je 43 Ja zu 3 Stimmenthaltungen angenommen613. In seinem Bischofsbericht klagte Beste über mangelnde Informationen, äußerte sein Bedauern, dass Landessuperintendent Otto Schröder nicht hatte an der ÖRKVollversammlung in Uppsala teilnehmen dürfen, nannte Probleme zur Verfassung, zur EOS, zu den kirchlichen Feiertagen, zum Dialog zwischen Marˇ SSR als Beispiel für xisten und Christen und erwähnte in einem Satz auch die C 614 nötige gewaltfreie Problemlösungen . Daneben wurde ausgesprochen kontrovers über die Vereinigung der drei lutherischen Landeskirchen zur VELKDDR gestritten – ein Synodaler verließ aus Ärger die Synode –, da sie für viele Synodale überraschend und vorschnell war und einer Zertrennung der VELKD gleichkam615. 6.3. Einzelne in der Landeskirche Generell hielten sich die Geistlichen der Mecklenburgischen Landeskirche, ähnlich wie ihre Leitung, mit politischen Äußerungen zurück. Ein Teil lehnte Gespräche mit Funktionären ab und verweigerte persönliche Äußerungen616. 610 Vgl. Bericht über die 7. Tagung der VII. ordentlichen Landessynode der Ev.-Luth. Landeskirche Meckl. [sic!] vom 7.–10. 3. 1968 in Schwerin, 1, 6 (BArch DO 4/2936). 611 RdB Schwerin. Erfüllungsbericht über die Aufgaben im Jahre 1968 – als Zwischenbilanz zu den Maßnahmen zum 20. Jahrestag der DDR – unter besonderer Berücksichtigung der politischen Haltung der ev. Kirchenleitung vom 2. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/330). 612 Vgl. RdB Schwerin. Information vom 21. 10. 1968, 1 (BArch DO 4/2936); und RdB Schwerin. Information – Maßnahmen vom 23. 10. 1968, 1 (BArch DO 4/2936). 613 Bericht über die Tagung der Synode der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklb. [sic!] vom 19.–23. 3. 1969 vom 23. 3. 1969, 7 (BArch DO 4/330). 614 Ergänzung zum Bericht über die Synode vom 24. 3. 1969, 1 f. (BArch DO 4/330). 615 Vgl. Bericht über die Tagung der Synode der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklb. [sic!] vom 19.–23. 3. 1969 vom 23. 3. 1969, 7 f., 10 (BArch DO 4/330); vgl. Bericht BV Schwerin Landessynode vom 19.–23. 3. 1969 vom 6. 5. 1969, 2 f. (ACDP 07-013-2127). 616 So weigerte sich der Leiter des Katechetischen Seminars in Schwerin etwas zu sagen, „auf

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In Mecklenburg wurden am ersten Sonntag nach der militärischen Intervention die Gottesdienste überwacht. Während für den Bezirk Schwerin sowohl von ,positiven‘ Äußerungen als auch von „militante[n] Geistliche[n]“ die Rede war, welche die Kirchenleitung mit Blick auf das Stuttgarter Schuldbekenntnis drängen würden, „endlich zu Aktionen zu kommen“617, vertrat man im Bezirk Rostock die Ansicht, „daß von den Predigern nicht auf die Hilfsmaßnahmen gegenüber der CSSR eingegangen wurde.“618 In einem Bericht des Bezirkes Rostock, in welchem etwa ein Sechstel aller Geistlichen des Bezirkes namentlich aufgeführt wurde, bündelte man die ,negativen‘ Meinungen folgendermaßen: „Das Eingreifen der 5 sozialistischen Bruderländer ist eine ungerechtfertigte Einmischung in die inneren Angelegenheiten der CSSR und eine Unterdrückung der Freiheit des Volkes[,] das eine ,Demokratisierung‘ des Sozialismus mit Mehrheit verlangt. Die ,Demokratisierung‘ des Sozialismus muß auch in der DDR kommen.“619

Ein Pfarrer in Herzfeld aus dem Schweriner Bezirk, erklärte gegenüber der CDU: „Ich bin für Dubcek, er hat nur sein Bestes für sein Land gewollt. Seine Art Kommunismus hätte mir auch gefallen.“620 Dem gegenüber standen die ,Progressiven‘, die der Staat in der Hoffnung auf entsprechende Stellungnahmen ansprach. Nur wenige Pfarrer stimmten zu, dass durch die Intervention von Warschauer-Pakt-Staaten der Frieden erhalten worden wäre und keiner vertrat den Standpunkt, „daß damit vor

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Grund seiner Wut, die es ihm verbiete, den Mund aufzumachen.“ RdB Schwerin. Verhalten kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom 27. 8. 1968, 1 (BArch DO 4/330). Ebd., 2. Information 148/68 vom 11. 9. 1968 über die Reaktion der Bevölkerung auf die Hilfsmaßnahmen der fünf sozialistischen Länder gegenüber der CSSR, 15 f. (BStU, MfS, BV Rostock, Leiter, Nr. 19). Dabei seien viele ,schwankend‘ oder ,negativ.‘ Die gesammelten Argumente konnte man überall in der DDR hören: „Menschen unterdrückt“, „bedauerlich“, „Einmischung“, „selbst entscheiden“, „glaube nicht, daß es dort so starke konterrevolutionäre Kräfte gab“ etc. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch der RdB Rostock: „Konzentrierte negative Erscheinungen durch kirchliche Kräfte wurden im Bezirk nicht festgestellt.“ RdB Rostock. Einschätzung der Haltung kirchlicher Kräfte zu den Ereignissen in der CSSR, undatiert, eingegangen am 3. 10. 1968, 4 (BArch DO 4/2936). Ebd., 3. So auch ein Teil der Superintendenten. Vgl. Dienstreisebericht vom 17. 1. 1969. Durcharbeitung des Fragespiegel[s] über die politisch-ideologische Situation der ev. Landeskirchen in der DDR am 12. 12. 1968, 2 f. (BArch DO 4/2936). Fünf Superintendenten werden demgegenüber als ,positiv‘ gewertet, weil sie die „Verständigungs- und Friedenspolitik“ der DDR anerkennen würden. BV Schwerin an das Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU, 30. 8. 1968. Berichterstattung zur Lage in der CSSR zum 3. 9. 1968, 2 (ACDP 07-012-1536). Ein weiterer Pfarrer erklärte noch konsequenter seine Ablehnung und dass er, solange Regierung und CDU „keine andere Politik betreib[en]“, er an Versammlungen und Konferenzen wie der Bezirksdelegiertenkonferenz nicht teilnehmen wird. Solche Absagen waren im Herbst 1968 üblich. Vgl. BV Schwerin. Meinungsbildung zur Entwicklung in der CSSR vom 13. 9. 1968, 2 (ACDP 07-011-257).

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allem in der CSSR der Sozialismus erhalten bleibt.“621 Soweit gingen nur zwei Theologen an der Universität.622 Bereit, sich im staatlichen Sinne zu äußern, erklärten sich Domprediger und SED-Mitglied Karl Kleinschmidt,623 die Arbeitsgruppe christlicher Kreise in Schwerin624 und zwei Pfarrer vom Bund evangelischer Pfarrer625. 6.3.1. Otto Schröder Der Landessuperintendent Otto Schröder gehörte zu denjenigen, die 1968 keine Ausreisegenehmigung zur Vollversammlung des ÖRK nach Uppsala bekamen. Ihm war eine „absolut negative politische Haltung“ attestiert worden626. Schröder war nicht nur abgelehnt worden, weil er für die Demokratisierungstendenzen im Nachbarland war, sondern weil er dies auch sagte. Mitte Juni 1968 hatte Schröder beim zuständigen Referenten für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Schwerin um ein Gespräch nachgesucht. Dieses behandelte vor allem die abgelehnte Ausreisegenehmigung nach Uppsala und eine weitere Ablehnung, einen Kollegen betreffend. In dem Gespräch sprach Schröder von einer „Re-Sozialisierung“ bzw. vom „Re-Sozialisierungsprozeß“627. Er sei froh, dass dieser vorangehe und „die Diktatur und der Stalinismus verdrängt werde.“628 Deswegen seien die Ablehnungen nicht gerechtfertigt. In ein paar Jahren würde der Prozess auch in der DDR ankommen und dann würde seine Meinung im Zuge dieses Prozesses salonfähig werden, ohne dass er sie ändern müsse. Schröder war sich sicher: „Im Rahmen der ,Re-Sozialisierung‘ müsse ein Geistlicher einen Spielraum gewinnen, wie er ihn anstrebe[,] und er sei ˇ SSR nicht sicher, ihn in ein paar Jahren zu erreichen.“629 Obwohl das Wort C fiel, wurde nach Berlin berichtet. Anfang Juli wurde Schröder in der Dienstbesprechung bei Seigewasser als Beispiel dafür genommen, „daß es unter den kirchlichen Amtsträgern die Hoffnung und Erwartung gibt, die CSSR-Ereig621 RdB Rostock. Einschätzung der Haltung kirchlicher Kräfte zu den Ereignissen in der CSSR, undatiert, eingegangen am 3. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). Neun Namen wurden als ,positiv‘ genannt. 622 Zur Situation an den theologischen Fakultäten in Greifswald und Rostock vgl. Kapitel 4.6.3.2. 317 – 318. 623 Vgl. Information 367/68 Reaktionen auf die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 24. 8. 1968, 9 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069 ebenso Nr. 7106). 624 Vgl. RdB Schwerin. Verhalten kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom 27. 8. 1968, 2 (BArch DO 4/330). Davon drei Geistliche. 625 Vgl. Dienstreisebericht am 30. 8. 1968 in Rostock vom 5. 9. 1968, 4 (BArch DO 4/2936). Hier werden sechs Personen namentlich erwähnt, die bereits genannten inklusive. Drei der Personen sind in ,Arbeitsgruppen Christliche Kreise‘ aktiv, drei im Bund evangelischer Pfarrer, zwei zusätzlich in der CFK. 626 Vgl. An Arbeitsgruppe Kirchenfragen, von Weise vom 10. 6. 1968 (BArch DO 4/650). 627 Niederschrift über eine Aussprache mit Landessuperintendent Schröder, Parchim am 17. 6. 1968 vom 19. 6. 1968, 1 (BArch DO 4/330). 628 Ebd. 629 Ebd., 3.

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nisse möchten sich auch in der DDR wiederholen oder auf die DDR übergreifen.“630 So wurde Schröders ,Resozialisierung‘ verstanden. Als gefährlich wurde Schröder nach dem 21. August vor allem deshalb eingestuft, weil er sich Gesprächen gegenüber aufgeschlossen und nicht „offen feindselig“ zeige, sondern den Menschen „sehr geschickt“ seine Vorstellungen nahe zu bringen verstehe631. „Scheinbar ganz nebenbei fügt er dann hinzu, daß es doch selbstverständlich sei, daß auch der Sozialismus in der DDR noch demokratisiert werden müßte.“632 Problematisch daran sei, so der zuständige Referent für Kirchenfragen, „daß die Bürgermeister von dem Auftreten Schröders begeistert sind.“633 Anscheinend hatte Schröder seine Gesprächspartner gekränkt, indem er ihnen „Stalinismus“ und „dogmatischen SU-Marxismus“ vorgeworfen hatte634. Auch ein Jahr später erklärte der Rat des Bezirkes Schwerin, Schröder sei „militanter Antikommunist“ und „seit über einem Jahr ein Revisionist vom Schlage der ehemals progressiven und heute den antisozialistischen Kräften in und außerhalb der CSSR dienenden kirchlichen Amtsträgern.“635 6.3.2. Die Theologische Fakultät An den Theologischen Fakultäten in Rostock und Greifswald vertraten Gert Wendelborn und Gerhard Kehnscherper in Gesprächen mit staatlichen Vertretern die Meinung, „daß damit vor allem in der CSSR der Sozialismus erhalten bleibt.“636 Wie überall im Land wurde auch an der Universität Rostock eine schriftliche Stellungnahme auf einer Sondersitzung des Senates am 22. August 1968 unterzeichnet. Die einzige Stimmenthaltung stammte vom Dekan der Theologischen Fakultät, Ernst-Rüdiger Kiesow637. Auf Nachfrage erläuterte er seine Haltung mit seiner christlichen Überzeugung, dass nicht Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 4. 7. 1968, 4 f. (BArch DO 4/400). Dienstreisebericht am 30. 8. 1968 in Rostock vom 5. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). Ebd. Ebd. RdB Schwerin. Erfüllungsbericht über die Aufgaben im Jahre 1968 – als Zwischenbilanz zu den Maßnahmen zum 20. Jahrestag der DDR – unter besonderer Berücksichtigung der politischen Haltung der ev. Kirchenleitung vom 2. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/330). Ähnlich vgl. Einschätzung der Situation in der Landeskirche Schwerin ausgehend vom vorliegenden Fragespiegel vom 16. 1. 1969, 2 (BArch DO 4/330). 635 RdB Schwerin. Information über die Haltung einiger kirchenleitender Kräfte, vom 6. 6. 1969, 1 (BArch DO 4/330). 636 RdB Rostock. Einschätzung der Haltung kirchlicher Kräfte zu den Ereignissen in der CSSR, undatiert, eingegangen am 3. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). 637 Vgl. Kiesow, Theologen 25 – 29; und „Zu dieser Gruppe von Geistlichen müssen auch die Theologen Prof. Haendler, Prof. Beier und Prof. Kiesow gezählt werden, die sich der Zustimmung einer Erklärung des Senats der Universität Rostock zu den Ereignissen in der CSSR enthielten. Gleiche Erscheinungen gibt es an der Universität Greifswald.“ RdB Rostock. Einschätzung der Haltung kirchlicher Kräfte zu den Ereignissen in der CSSR, undatiert, eingegangen am 3. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/2936).

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ˇ SSR ihre Probleme selbst lösen solle wieder Deutsche dabei sein sollten, die C und er sich nicht in einen innerparteilichen Streit einmischen wolle. Außer einer Aussprache beim Rektor entstanden ihm, nach eigener Aussage, keine Nachteile ob seiner Haltung638. ˇ SSR zu tun hatte, versetzte die Ein weiterer Fall, der nur mittelbar mit der C Rostocker Fakultät in Unruhe. Einer der Assistenten kehrte aus seinem Urlaub ˇ SSR nicht zurück. Es war Stefan Noth, Assistent im Bereich Altes in der C Testament. Er wurde im Herbst 1968 gemeinsam mit Freunden wegen versuchter Republikflucht verhaftet639. Der Fall erhielt zusätzliche Brisanz, da Noth der Sohn des amtierenden Sächsischen Landesbischofs Noth war. Stefan Noth war der einzige Bischofssohn, der 1968 inhaftiert war. Die Bischöfe versuchten sich allgemein für die aus unterschiedlichen Gründen Verhafteten einzusetzen. Im Zuge des häufigen Briefwechsels zwischen den Bischöfen schrieb Mitzenheim einen Brief an Noth, in dem er ihm Hilfe für dessen inhaftierten Sohn anbot640. Noth bedankte sich in einem Antwortschreiben bei Mitzenheim für dessen Hilfsangebot, lehnte es gleichzeitig jedoch ab, weil er nicht den Eindruck erwecken wollte, dass er sein Amt für seine Familie ausnutze641. Obwohl dies hart erscheinen mag, verhinderte Noth so, erpressbar zu werden. Noths Sohn wurde zu 3 12 Jahren Zuchthaus verurteilt und gelangte nach seiner Haftzeit in die BRD642. Von seiten der CDU konnten Verhaftete auf kein Verständnis hoffen. Der Bezirksverband der CDU Schwerin bezeichnete die Verhaftung Noths und seines Freundes als „peinliche[…] Vorfälle“643. Hinzu komme: „Die Bürger unserer Stadt forderten eine strenge und empfindliche Bestrafung der Rädelsführer ohne Unterschied der Person.“644 Auch Heiko Lietz, bis 1966 Theologiestudent an der Fakultät und 1968 Bausoldat, verfasste ein Protestschreiben und sammelte Unterschriften dafür645. 1973 wurde ein weiterer Rostocker Theologiestudent, Ulrich Schacht, verhaftet und zu 7 Jahren verurteilt646. Er hatte sich 1970 an einer Mahnwache ˇ SSR ausgeam Grab von Jan Palach beteiligt. Daraufhin wurde er aus der C wiesen. 1971 wurde er relegiert.

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Vgl. Kiesow, Theologen, 25 – 29. Vgl. ebd., 30 f. Vgl. Brief Mitzenheim an Noth vom 3. 4. 1969 (LKAE, MM 109). Vgl. Brief Noth an Mitzenheim vom 10. 4. 1969 (LKAE, MM 109). Vgl. Niederschrift über das Gespräch mit Landesbischof Noth vom 14. 7. 1969, 2 (BArch DO 4/ 2968 auch BArch 4/429). „Diese peinlichen Vorfälle als Ausfluß der reaktionären Grundhaltung einiger kirchlicher Amtsträger führten allerdings noch nicht zu besseren Erkenntnissen, sondern werden eher noch als Beweis für die Einschränkung der persönlichen Freiheit ausgelegt.“ BV der CDU Rostock. Information vom 15. 11. 1968, 4 (ACDP 07-011-256). KV Schwerin-Stadt. Information vom 27. 9. 1968, 5 (ACDP 07-011-257). Vgl. L bke, 1968 – Aktionen, 153. Vgl. Fricke, Opposition und Widerstand, 149. Nach 3 Jahren wurde er in die BRD freigekauft. Vgl. auch http://www.ulrich-schacht.de. Letzter Abruf: 8. 8. 2011.

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6.3.3. Heinrich Rathke Zu den wenigen Pastoren, die 1968 als ,negativ‘ auffallend bezeichnet wurden, gehörte Pastor Rathke aus Rostock-Südstadt. Der Bezirksverband der CDU berichtete Ende Juli 1968 über „einige gefährliche Tendenzen“647. Nicht nur lasse Rathke tschechische Pfarrer in der Michaeliskirche über die Situation im eigenen Land berichten, er organisiere auch, „daß Jugendliche einzeln nach Prag reisen, dort zu Delegationen zusammengestellt werden, um den Liberalisierungsprozeß in der CSSR zu studieren.“ Nach dem 21. August berichtete der Rat des Bezirkes Rostock von einem „Schwerpunkt“ in Rostock-Südstadt, wo „während der Ostseewochen vor Jugendlichen Pfarrer aus der CSSR über den Liberalisierungsprozeß sprachen.“648 Die kirchliche Jugendarbeit stand von seiten der SED unter besonders misstrauischer Beobachtung. So verwundert es nicht, dass Anfang Januar erschrocken über Landesjugendpastor Wolfgang Schmidt berichtet wurde, er habe vor kirchlichen Jugendmitarbeitern Hrom dkas Brief verlesen, der den 21. August klar als Okkupation verurteile und dazu erwähnt, Hrom dka habe auch den Lenin-Orden zurückgeˇ SSR der Gegeben649. Interessant ist Rathkes Versuch, die Situation in der C meinde und den Jugendlichen näher zu bringen, auch deshalb, weil er selbst nur wenige Jahre später Bischof von Mecklenburg wurde und die Landeskirche auf einen klarer systemkritischen Weg gegenüber dem DDR-Regime führte650.

Resümee über die Situation in Greifswald und Mecklenburg Der Rat des Bezirks Rostock, dessen Bereich sich mit den Landeskirchen Mecklenburg und Greifswald überschnitt, beurteilte beide Kirchenleitungen als äußerst zurückhaltend. Gleichzeitig war er der Ansicht, dass dies nicht die „wahre Einstellung“ sei, sondern „eher eine taktische Maßnahme“651. Hinter verschlossenen Türen würden sie ganz anders denken: „In internen Kreisen bejammern sie das Scheitern der Konterrevolution in der CSSR durch das Eingreifen der 5 sozialistischen Bruderländer und sehen darin ihre Hoff647 BV Rostock Information vom 26. 7. 1968, 2 (ACDP 07-011-256). 648 RdB Rostock. Einschätzung der Haltung kirchlicher Kräfte zu den Ereignissen in der CSSR, undatiert, eingegangen am 3. 10. 1968, 4 (BArch DO 4/2936). 649 Vgl. Information über einige aktuelle kirchenpolitische Aspekte vom 27. 1. 1969, 6 (BArch DO 4/330). 650 Vgl. Herbstritt, Wegbereiter, 4 – 6. 651 Vgl. RdB Rostock. Einschätzung der Haltung kirchlicher Kräfte zu den Ereignissen in der CSSR, undatiert, eingegangen am 3. 10. 1968, 1 (BArch DO 4/2936).

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nungen auf eine sogenannte ,Demokratisierung‘ des Sozialismus auch bei uns in der DDR zerschlagen.“652

Dass zumindest ein waches Interesse vorhanden war, zeigt sich 1968 in einigen Rundschreiben des Oberkirchenrates an die Pastoren in Mecklenburg. Unter vielen anderen Informationen wurden ihnen Auszüge aus den Ökumenischen ˇ SSR zugänglich gemacht, die seit April 1968 über den Nachrichten aus der C Demokratisierungsprozess berichteten653. Über die Pastoren urteilte der Rat des Bezirkes Rostock: „Die negativen Meinungen der evangelischen Pastoren können im wesentlichen auf einen Nenner gebracht werden. ,Das Eingreifen der 5 sozialistischen Bruderländer ist eine ungerechtfertigte Einmischung in die inneren Angelegenheiten der CSSR und eine Unterdrückung der Freiheit des Volkes, das eine ,Demokratisierung‘ des Sozialismus mit Mehrheit verlangt. Die ,Demokratisierung‘ des Sozialismus muß auch in der DDR kommen.“654

Dagegen nannten die Funktionäre der Bezirke Schwerin, Rostock und Neubrandenburg, in deren Gebiet sich vornehmlich die Landeskirchen Greifswald, Mecklenburg und Berlin befanden und die den gesamten Norden der Republik abdeckten, gemeinsam namentlich sechs Pastoren, die sich ,positiv‘ staatlichen Stellen gegenüber äußerten, was noch nicht hieß, dass sie dies öffentlich taten655. Die übrigen, das heißt die absolute Mehrheit der Pastoren, äußerten sich entweder gar nicht oder ablehnend gegenüber den sozialistischen ,Hilfsmaßnahmen‘ vom 21. August656. Die im Bericht gesammelten Argumente finden sich überall in der Republik: der 21. August sei ein Eingriff ˇ SSR, schade dem Sozialismus, erinnere in die inneren Angelegenheiten der C an Hitler 1938, die Tschechoslowaken wählten Dubcˇek und hätten großes ˇ SSR, man sollte Vertrauen zu ihm, so bestätigten auch die Besucher aus der C ˇ die CSSR ihren eigenen Weg gehen lassen und dieser Weg solle auch in den anderen sozialistischen Ländern stattfinden, außerdem wären die Informationen aus der DDR-Presse einseitig. Selten waren dagegen Meinungen wie: 652 Ebd. 653 Vgl. z. B. Rundschreiben des Oberkirchenrates vom 27. 5. 1968; und Rundschreiben des Oberkirchenrates vom 2. 10. 1968 (LKAS, OKR Gen (alt) 129). In ersterem wurde der Demoˇ SSR vom kratisierungsprozess dargestellt, letzteres enthielt die Botschaft der Kirchen in der C 2. September 1968. 654 RdB Rostock. Einschätzung der Haltung kirchlicher Kräfte zu den Ereignissen in der CSSR, undatiert, eingegangen am 3. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/2936). 655 Vgl. Meinungen kirchlicher Kreise zur Lage in der CSSR im Bereich Neubrandenburg. Eingegangen am 13. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2936). Dabei hatten die Funktionäre „außerordentliche Bedenken, ob auch nur einer von ihnen bereit sein wird, seine Meinung in der Presse, im Funk oder im Fernsehen zu vertreten.“ Ebd., 6. 656 Von Saß meint für die 1980er Jahre: „Innerhalb der Pfarrerschaft waren alle politischen Positionen vertreten, von einer absoluten Gegnerschaft zur DDR bis hin zur aktiven Mitarbeit in der Nationalen Front.“ Sass, Greifswalder Weg, 70. So allgemein formuliert, lässt sich das auch für die 1960er sagen, doch waren die aktiv Mitarbeitenden in der absoluten Minderzahl.

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die Landsmannschaften seien ungefährlich, die Oder-Neiße-Grenze nicht endgültig und Dubcˇek gut, weil er katholische Priester aus der Haft entlassen habe. Dennoch endete der Bericht mit den Worten: „Unter den ev. Christen konnte im allgemeinen bisher eine positive Haltung festgestellt werden, selbst einige kirchliche Angestellte stimmten den Maßnahmen der SU und den bisher gegebenen Erklärungen unserer DDR zu.“657 Sechs Pfarrer rechtfertigten in der SED-Sicht ein solches Fazit, obwohl zuvor zwei Seiten über die Mehrzahl der sich gegen die ,Hilfsmaßnahmen‘ aussprechenden Geistlichen referiert worden war. Keine Erfolge vorweisen zu können, passte nicht in das Konzept der Berichte. Während in Greifswald von Bischof und Kirchenleitung keine Empfehlung an die Gemeinden herausgegeben wurde, beschloss man in Mecklenburg einen Fürbitteinschub für die Gemeinden herauszugeben. Dieser war so formuliert, dass der Staat keinen Anstoß daran nahm. Beide Landeskirchen wurden durch den Staat zu den vieren gezählt, die sich 1968 weder ,positiv‘ ˇ SSR geäußert hatten. Im Allgemeinen noch ,negativ‘ zu den Vorgängen in der C reagierten die Geistlichen ähnlich wie ihre jeweiligen Kirchenleitungen658. Es bliebe zu fragen, ob dies daran lag, dass sie sich an ihren Bischöfen orientierten, oder an einer allgemeinen Mentalität.

7. Die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen Die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen entstand im Zuge der territoralen und politischen Neuaufteilung durch den Wiener Kongress 1815. Hauptsächlich aus Gebieten gebildet, die ehemals zu Sachsen gehörten, entstand eine preußische Provinz, die in ihrer Zerstückelung provisorische Züge trug659. Nach der Aufhebung des Landesherrlichen Kirchenregiments gehörte sie als Provinzialkirche zur Kirche der Altpreußischen Union. 1933 gewannen die Deutschen Christen die Wahlen. Das neu eingeführte Bischofsamt besetzte bis 1936 Friedrich Peter, an dessen Person sich die innerkirchliche Opposition entzündete660. Pfarrernotbund und Bekennende Kirche blieben jedoch schwach vertreten. Insgesamt tendierten die unterschiedlichen kirchlichen Strömungen eher zu Kompromisslösungen als zu harten Auseinandersetzungen661. 1945 wurde Ludolf Müller – während der NS-Zeit Vertreter der Provinz Sachsen im Bruderrat – Vorsitzender der vorläufigen Kirchenlei657 Meinungen kirchlicher Kreise zur Lage in der CSSR im Bereich Neubrandenburg. Eingegangen am 13. 9. 1968, 4 (BArch DO 4/2936). 658 „Die Mehrzahl der Geistlichen verhält sich wie Bischof D. Dr. Beste.“ RdB Schwerin. Verhalten kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR vom 27. 8. 1968, 1 (BArch DO 4/330). 659 Vgl. Tullner, Entstehung der preußischen Provinz Sachsen, 14. 660 Vgl. Grossbçlting, Evangelische Christen, 208 – 210. 661 Vgl. ebd., 214.

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tung. 1945 zunächst mit der vorläufigen geistlichen Leitung betraut, wurde er mit Einführung des Bischofsamtes von 1947 – 1955 Landesbischof. Sein Nachfolger im Amt wurde Johannes Jänicke. Im Oktober 1968 stand für die Kirchenprovinz Sachsen wieder ein Wechsel im Bischofsamt an, da Jänicke in den Ruhestand trat. Der Staat versuchte ohne Erfolg in die Wahl des neuen Bischofs einzugreifen, um eine ihm möglichst wohlgesonnene Figur als neuen Bischof installieren zu können. Man musste jedoch erkennen: „In der Kirchenprovinz Magdeburg reicht der Einfluß der politisch progressiven Kräfte noch nicht aus, die Nominierung einer negativen Persönlichkeit für das Amt des Bischofnachfolgers zu verhindern.“662 Werner Krusche wurde zum Landesbischof gewählt, auf der Frühjahrssynode berufen und am 23. Oktober 1968 in sein Amt eingeführt. Die Kirchenprovinz Sachsen war in acht Sprengel untergliedert, denen je ein lutherischer Propst vorstand, hinzu kam für die reformierten Gemeinden der reformierte Senior. Etwas über 1000 Pfarrer versahen ihren Dienst für reichlich 2 Millionen Glieder. Damit war die KPS zahlenmäßig die zweitgrößte Landeskirche663. Politisch waren die Gebiete der KPS den Bezirken Magdeburg, Halle, Erfurt, Leipzig, Cottbus, Suhl, Potsdam, Gera, Dresden zugeordnet. Die meisten Verhandlungen mit staatlichen Stellen wurden in Magdeburg durchgeführt, da sich dort die Kirchenleitung befand. Seit Anfang 2009 ist die KPS mit der Thüringischen Landeskirche zur Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands der EKM fusioniert. 7.1. Die Bischöfe und die Kirchenleitung In den Herbst 1968 fiel die Übergabe des Bischofsamtes von Jänicke an Krusche. Daher wird von beiden die Rede sein. 7.1.1. Das Wort an die Gemeinden Am 24. August 1968 hatte Bischof Jänicke den Entwurf eines Wortes an die Gemeinden in die Bischofskonferenz eingebracht. Dieses fand wohl Anerkennung, „aber sich diesem Wort anzuschließen […], war keiner der Anwesenden bereit.“664 Jänicke wollte es daraufhin wenigstens in seiner Landeskirche am 1. September, dem Jahrestag des Beginns des II. Weltkrieges, der 1968 auf einen Sonntag fiel, verbreiten lassen. 662 Lektion: Grundsätzliche Probleme der Staatspolitik in Kirchenfragen unter besonderer Berücksichtigung der Schwerpunktaufgaben des Jahres 1968/ Brandenburg, den 12. 2. 1968, 35 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/10). Ein Auszug ist abgedruckt in (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, hier ähnlich, 62). 663 Vgl. KJ 97 (1970), 342. 664 J nicke, Dabeisein, 218.

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Dieses Wort nahm zuerst Bezug auf den II. Weltkrieg und die Schuld des deutschen Volkes. Es war in drei thematische Abschnitte geteilt. Der erste Abschnitt beinhaltete allgemein formulierte Bitten um Versöhnung und Frieden. Jänicke ging zunächst auf die Erkenntnis der Schuld gerade des deutschen Volkes in der Geschichte unter expliziter Nennung des II. Weltkrieges ein. In einem kurzen Bezug auf die aktuelle Situation schrieb er weiter: „Aufs Neue bitten wir Ihn, daß Er mit unserem Volk nicht handle nach seinen Sünden, sondern daß Er uns Raum gebe zu einer tätigen Buße.“ Darauf folgte wieder die allgemeine Bitte um die Erhaltung des bedrohten Friedens. Im zweiten Abschnitt konkretisierte Jänicke das Wort auf die Situation in der ˇ SSR: „Im Blick auf die Ereignisse der letzten Tage, die die Welt erneut in C Unruhe und Bestürzung versetzt haben, sind wir von großer Sorge erfüllt und in unserem Gewissen bedrängt, nicht zu schweigen.“ Diese Sorge drückte Jänicke durch die Formulierung von Fragen aus. Er fragte, ob „die Bemühungen um eine Entspannung und um eine Friedensordnung unter den Völkern durch die Aktion von Truppen des Warschauer Paktes in der CSSR nicht auf lange Sicht zunichte gemacht“ würden. Er fragte, ob die Glaubwürdigkeit des Sozialismus durch die Vorfälle nicht schwer leiden müsse, fragte nach der Glaubwürdigkeit der Mahnung der Regierungen zum Gewaltverzicht und ob in einem solchen Klima eine „neue Gesellschaftsordnung in Freiheit und Menschenwürde gedeihen“ könne. Der dritte Abschnitt leitete die Fürbitten ein. Es wurde betont, dass Christen sich „schuldig machen, wenn wir aus Menschenfurcht dieser Sorge nicht Ausdruck gäben.“ Jänicke schloss sein Wort mit einer Fürbitte im „Bewußtsein unserer Hilflosigkeit und Ohnmacht angesichts der gegenwärtigen Situation.“ Er betete für die, die Gewalt ausübten, und die, die unter Gewalt litten, für die Gemeinden in der CˇSSR, für die Soldaten der NVA, die zur Gemeinde gehören, „daß sie Deiner Macht und Gnade mehr vertrauen als menschlichem Wort und menschlicher Macht!“, für Versöhnung und Frieden und dafür, dass die Wahrheit über die Lüge in dieser Welt siege. Das Wort endete mit der üblichen Bitte um Erbarmen665. Um dieses Wort zu verbreiten, legte Jänicke es dem Rat der Kirchenleitung am 26. August 1968 vor666. Dieser beschloss, es nicht nur als Hirtenbrief, sondern vom Rat der Kirchenleitung ausgehen zu lassen, um ihm größeres Gewicht zu verleihen. Nachdem Konsistorialpräsident Wilhelm Koch zu bedenken gegeben hatte, dass es in Zukunft zu Schwierigkeiten der Vervielfältigungsmöglichkeiten kommen könne, wurde beschlossen, es durch Kuriere über die Pröpste und Superintendenten bis hin zu den Pfarrern und Gemeinden gelangen zu lassen667. Am gleichen Tag fand zufälligerweise die 665 Vgl. Wort an die Gemeinden (AKPS, B2 Nr. 221, Bd. 2); vgl. J nicke, Dabeisein, 220. 666 Vgl. Protokoll der 17. Sitzung des Rates der Kirchenleitung am 26. 8. 1968, 1 (AKPS, B3 Nr. 133). 667 Vgl. Ebd. Das Versenden brisanter Informationen über den Dienstweg der Superintendenturen oder Kuriere war gängige Praxis der Kirchen. Vgl. auch Information 921/68 vom 27. 8. 1968, die

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monatliche Besprechung mit den Superintendenten statt. Ihnen wurde das Wort vorgelegt, mit ihnen besprochen und anschließend von der überwiegenden Mehrheit befürwortet668. Daraufhin wurde das Versenden des Wortes in die Wege geleitet. Wie einschneidend die Ereignisse aus dem Nachbarland empfunden wurden, zeigt stellvertretend eine kurze Mitteilung eines Laienmitglieds der Kirchenleitung erwähnt, in der es eigentlich um eine Teilnahmeentschuldigung ging: „Die Ereignisse in unserm Nachbarland beunruhigen das eigene Gemüt doch sehr, es sind mehr die Gedanken des geistigen Miterlebens als die Sorge, was im ganzen politisch daraus werden soll. In jedem Fall werden wir durch die getroffenen politischen Maßnahmen aus unserer scheinbaren Sicherheit herausgerufen.“669

7.1.2. Die staatliche Beurteilung des Wortes an die Gemeinden Am nächsten Morgen wurde Jänicke zum Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Magdeburg, Kurt Ranke, bestellt, dem das Wort bereits vorlag670. Ein Mitglied der eigenen Kirchenleitung hatte staatliche Stellen informiert671. Ziel dieser Unterredung war, Jänicke dazu zu bewegen, das Wort zurückzuziehen und die weitere Verbreitung zu verhindern672. Ranke erklärte unmissverständlich, „daß er die Weitergabe und Bekanntgabe des Wortes des Rates der Kirchenleitung untersage und schärfste Maßnahmen einleiten werde, um die Verbreitung zu verhindern.“ Weder in seinem Hause noch in der Kirche dürfe es Stellungnahmen gegen die Regierung geben. Ranke drohte mit der Einstellung der Staatszuschüsse, die nicht dazu da wären, „solche ,Schweinereien‘ zu

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Haltung in evangelischen Kirchenkreisen der DDR zu den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 2 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1550 ebenso HA XX/4, Nr. 1233). Laut MfS-Bericht soll es keine Einigung über den endgültigen Wortlaut des Wortes gegeben und dieses Wort zu diesem Zeitpunkt der Sächsischen Landeskirche bereits vorgelegen haben. Der im Anhang beigelegte Entwurf unterscheidet sich jedoch kaum von dem verabschiedeten Wort. Vgl. J nicke, Dabeisein, 221. Nur Ammer äußerte Bedenken. Vgl. BV Magdeburg. Information über die Haltung kirchenleitender Kreise zur gegenwärtigen Situation in der CSSR vom 2. 9. 1968, 1 (ACDP 07-011-262). Teilnahmeentschuldigung vom 23. 8. 1968 (AKPS, B3 Nr. 28). Vgl. Vermerk über ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des RdB Magdeburg, Herrn Ranke am 27. 8. 1968, 11 Uhr (AKPS, B2 Nr. 221, Bd. 2); und J nicke, Dabeisein, 222 f. Vgl. Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 6 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 6 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Vgl. Information 921/68 vom 27. 8. 1968, die Haltung in evangelischen Kirchenkreisen der DDR zu den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 2 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1550 ebenso HA XX/4, Nr. 1233).

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verbreiten.“ Auf die nochmalige Anfrage Jänickes, ob man nicht in dieser Sache seine Meinung äußern dürfe, hieß es: „Nur die Regierung der DDR.“673 Jänicke versuchte mit dem gleichen Argument wie Noth und Schönherr in ähnlichen ,Gesprächen‘, seine Handlungsweise vor den staatlichen Funktionären zu rechtfertigen: er habe mit dem Wort versuchen wollen, unbedachten Äußerungen einzelner Superintendenten oder Pfarrer zuvorzukommen. Der staatlichen Forderung, das Wort sofort zurückzuziehen, wich Jänicke aus. Er behielt sich die Rücksprache mit dem Rat der Kirchenleitung vor, zog in Betracht, dass der Staat versuchen könne, das Wort zu beschlagnahmen. Dem Rat des Bezirkes war die Sache anscheinend auch nicht geheuer. An die Staatsicherheit wurde über den Ausgang dieses Gesprächs berichtet: „Bischof Jänicke erklärte während dieser Unterredung, daß er diese Weiterleitung nicht verhindern und auch nicht allein darüber entscheiden könne.“674 Darunter wurde der Vermerk nachgetragen, dass das Wort zurückgezogen worden sei. Dennoch wurden zur Sicherheit nach Möglichkeit alle Gottesdienste am 1. September 1968 kontrolliert675. Die Arbeitsgruppe Kirchenfragen im ZK der SED beurteilte das Gespräch später als „harte[n] Protest der Staatsorgane.“676 In seiner Autobiographie beschrieb Jänicke, wie schwierig die Situation für ihn war. Er stand kurz vor der Übergabe des Bischofsamtes an seinen Nachfolger. Der Staat hatte seine Forderungen und die möglichen Folgen bei Zuwiderhandlung unmissverständlich dargestellt. Das Wort war bereits an die Pröpste ergangen und die Superintendenten erwarteten es. Jänicke schrieb selbst: „würde ich es jetzt zurückziehen, so mußte ja notwendig der Eindruck entstehen, ich sei in den Knien weich geworden und hätte den Drohungen nachgegeben.“677 Trotzdem zog er das Wort zurück. Seine Entscheidung sah er im Folgenden vorweggenommen: Der Staat selber habe das Wort an die Pfarrer verbreitet, indem er jene durch die Kreisräte vorladen ließ, um eben dieses Wort zu verbieten. Die Pfarrer, die es noch gar nicht kennen konnten, hätten es erst durch staatliche Stellen kennengelernt. Dadurch habe es Zugang zu einer größeren kirchlichen Öffentlichkeit gefunden. Jänicke war der Ansicht: „Tatsächlich sind dann doch einzelne Passagen aus meinem Wort, vor allem aus der Fürbitte, von den Pfarrern in den Gemeinden verwendet worden. 673 J nicke, Dabeisein, 222 f. 674 Information 921/68 vom 27. 8. 1968, die Haltung in evangelischen Kirchenkreisen der DDR zu den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 3 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1550 ebenso HA XX/4, Nr. 1233). 675 Vgl. ebd; und nach dem Gottesdienst vgl. Dienstreisebericht vom 2. 9. 1968, 5 (BArch DO 4/ 2976). 676 Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 67). 677 J nicke, Dabeisein, 223. Besier fällte Jahre später das von Jänicke befürchtete Urteil: „Selbst Jänickes Versuch den Text wenigstens in den Gottesdiensten seiner eigenen Landeskirche verlesen zu lassen, scheiterte an massiven Drohungen staatlicher Stellen.“ Besier, Anpassung, 685.

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Das mußte mir genügen.“678 Inwieweit das Wort tatsächlich Verwendung fand, darüber gingen die Meinungen auseinander. So meinte das MfS nach der Überprüfung der Gottesdienste vom 1. September, dass es in den Predigten nicht verwendet worden sei679. In einer späteren Auswertung wurde dies wieder zurückgenommen. Denn bereits eine Woche später hieß es aus dem Bezirk Cottbus, dass dort in Gemeinden, die zur KPS gehörten, ein Brief verlesen worden sei „den der Bischof Jähnigen [sic!] bereits einigen Pfarrern zugestellt hatte.“680 Mitte September hieß es über den Brief Noths und das Wort Jänickes, dass diese „lediglich als Informationen an die Geistlichen herausgegeben wurden, das hat jedoch nicht verhindert, daß Geistliche in ihren Predigten diesen Brief mit verwendeten.“681 Im Dezember wurde dieser Satz auf höherer Ebene wieder dahingehend abgewandelt, dass das Wort nur als Information an die Pfarrer gegangen sei und es „diese nicht in jedem Falle in ihren Gottesdiensten verlesen haben.“682 In den Berichten des Bezirksverbandes der CDU Magdeburg wiederum wurde die Klage laut, Jänickes Wort sei zwar zurückgezogen, die Argumentation jedoch „mündlich in Umlauf gesetzt“ worden683. Und eine Zeitzeugin erinnerte sich: „Bischof Jänicke schrieb ein Wort an die Gemeinden, das er aber dann zurück zog, aber es spielte dennoch eine große Rolle. Fürbitte immer wieder in den Gottesdiensten.“684 Das Wort scheint von den Pfarrern zur Kenntnis genommen worden zu sein, doch muss offen bleiben, wie breit dieses Wort in den Gemeinden aufgenommen wurde. Am 30. September kam es zu einem recht heftigen Gespräch zwischen OKR Heinrich Ammer und Konsitorialpräsident Wilhelm Koch auf kirchlicher Seite und dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Magdeburg, Fritz Steinbach, und Oberreferent Fritz Bellstedt auf Seiten des Staates. Zu678 J nicke, Dabeisein, 224. Dass es wegen des Wortes zu Aussprachen in der KPS gekommen war, geht auch aus dem Protokoll der 9. Sitzung der Kirchenleitung am 27./28. 9. 1968, 2 hervor. (AKPS, B3 Nr. 13). 679 Vgl. Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 2 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573 ebenso HA XX/4, Nr. 1233); vgl. auch Information vom 2. 9. 1968. Gottesdienste in den Landeskirchen der DDR, in welchen anläßlich des Weltfriedenstages am 1. 9. 1968 Stellungnahmen der Bischöfe zu den Ereignissen in der CSSR vorgesehen waren, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Nach Aussage des MfS zog Jänicke auch wegen der neuen politischen Situation, die durch das Moskauer Kommunique entstanden sei, das Wort zurück. Vgl. ebd. 680 Bericht 102/68 vom 11. 9. 1968 über die bisher bekanntgewordenen Diskussionen von Pfarrern, kirchlich gebundenen Personen und Mitgliedern von Sekten zu den Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer, 5 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3073). 681 Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlußfolgerungen vom 12. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). 682 Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 4 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). 683 Informationsbericht des Bezirksvorstandes Magdeburg der CDU an das Sekretariat des Hauptvorstandes vom 29. 11. 1968, 5 (ACDP 07-011-262). 684 Fragebogen 4. Im Besitz der Verfasserin.

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nächst ging es noch einmal um das Wort an die Gemeinden. Der Vorwurf des Rates des Bezirkes lautete, dass die Kirche politisch dem Staat in den Rücken gefallen sei, die Konterrevolution unterstütze und auf Weisung westlicher Kräfte handle. Ein Wächteramt der Kirche gebe es nicht, daher könne sie sich auch nicht zu politischen Fragen äußern, und „die Kirche und ihre Amtsträger hätten weder von der Kanzel noch im Gebet zur Politik des Staates Stellung zu nehmen.“685 Danach führte der Rat des Bezirkes noch einen Lasterkatalog der Magdeburger Kirchenleitung auf, die mit deren neustem Vergehen – dem versuchten Wort an die Gemeinden – abschloss. Den beiden Kirchenleuten sei „unmißverständlich und mit aller Schärfe“ gesagt worden, dass die Kirchenleitung für alle „negativen Aktionen“ ihrer Geistlichen „volle Verantwortung“ trage, als Beispiel habe man den Kirchentag in Stendal angeführt und angedroht, „daß künftig die Zahlung der Staatzuschüsse davon abhängig gemacht wird, wie die Kirchenleitung sich gegenüber der DDR verhält.“686 Diese typische staatliche Rede war den staatlichen Vertretern wichtig, während die kirchlichen Vertreter sie anscheinend über sich hinwegrauschen ließen und ihr keinen Wert beimaßen, da sie in ihrem Vermerk nicht weiter erwähnt wird. Dagegen betonten die kirchlichen Vertreter, dass zwar die Kirche die Obrigkeit nach dem Evangelium anzunehmen habe, sie ihr jedoch ebenso sagen müsse, „was vom Evangelium her recht sei“687, weil auch die Regierung unter Gott stehe. Auch solle nicht in Politik eingegriffen, sondern zur rechten Fürbitte aufgerufen und der Gefahr begegnet werden, dass „nicht Heißsporne durch Übereifer Schaden stifteten.“688 Nun sei das Wort zurückgezogen worden, aber Pfarrer hätten sowieso durch die Räte der Kreise davon erfahren. Obwohl der Vergleich 1938 – 1968 im Wort nicht direkt angesprochen wurde, hatte dies die staatliche Seite doch so gehört und empfand, dass dies „die schärfste Beleidigung [sei], die man der Regierung der DDR zufügen könne.“689 Die staatlichen Vertreter erwähnten nur, dass sie die kirchlichen Argumente „energisch“ zurückgewiesen hätten. Daraufhin hätten die kirchlichen Vertreter eingeräumt, dass das Wort an die Gemeinden ein Fehler gewesen sei, wären davon abgerückt und wollten das nächste Mal den Staat vorher „konsultie-

685 Vermerk über das Gespräch mit dem RdB am 30. 9. 1968, vom 2. 10. 1968, 1 (AKPS, B3 Nr. 368). 686 Information über eine Aussprache des Stellv. d. Vorsitzenden für Inneres – Genossen Steinbach – mit dem Präsidenten Koch und dem Oberkonsistorialrat Ammer der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen am 30. 9. 1968 beim RdB Magdeburg vom 2. 10. 1968, 2 (SAPMOBArch DY 30/IVA2/14/11). 687 Vermerk über das Gespräch mit dem RdB am 30. 9. 1968 vom 2. 10. 1968, 1 (AKPS, B3 Nr. 368). 688 Ebd. 689 Ebd., 2. Auch bei der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED sah man den Satz am kritischsten, in welchem von den Truppen des Warschauer Paktes die Rede war. Vgl. Information – Nr. 11/68 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen vom 19. 9. 1968, 2 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5).

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ren“690. Darüber wiederum findet sich im kirchlichen Vermerk kein Wort. Sollten solche Worte gefallen sein, sah man sie vermutlich nur als diplomatische Beruhigungsformeln an, die nichts darüber aussagten, wie man sich beim nächsten Mal tatsächlich zu verhalten gedachte. Danach wendete sich das Gespräch den Fragen der Trennung von EKD und EKU zu. In einem späteren Gespräch Mitte Dezember mit OKR Ammer wurde das Wort an die Gemeinden wieder als eine der Enttäuschungen benannt, die dem Rat des Bezirkes Magdeburgs durch die Magdeburger Kirchenleitung zugefügt worden seien691. Als die CDU im Herbst versuchte, Pfarrer für ihre Bezirksdelegiertenkonferenz zu werben, war neben dem Fall Rüther, auf den noch einzugehen sein wird, auch das Wort von Jänicke ein Argument, nicht teilzunehmen. So erklärte Superintendent Horst Teichgräber, Seehausen, dass der Vorsitzende des Rates des Bezirkes doch eben erst erklärt habe, „sie mögen sich in ihrer Tätigkeit auf den kirchlichen Raum beschränken und sich aus politischen Erörterungen heraushalten.“692

7.1.3. Der Brief an die Kirchen der CˇSSR Am 23. September 1968 wurden in der Sitzung des Rates der Kirchenleitung ˇ SSR weitere Überlegungen zum kirchlichen Vorgehen zur Situation in der C diskutiert. Sollte das Wort an die Gemeinden nachträglich nun doch noch in den Gemeinden verlesen werden? Der Rat entschied sich dagegen und auch gegen ein neues Wort zur Situation693. Am 27. September 1968 trat die Kirchenleitung zusammen694. Inzwischen war die Botschaft von kirchlichen ˇ SSR bekannt geworden, ebenso die Reaktion aus dem Amtsträgern aus der C ÖRK, der Brief aus Berlin-Brandenburg und Hrom dkas Brief an den Botschafter der UdSSR. Es wurde beschlossen, seinerseits einen Brief an die im ˇ SSR zu senden. Ökumenischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen in der C Verschiedene Vorschläge wurden diskutiert und letztendlich ein neuer erarbeitet und einen Tag später einstimmig verabschiedet. Es wurde beschlossen, den Brief über die Pröpste den Superintendenten und den Pfarrern zuzustellen. Die anderen Landeskirchen in der DDR sollten Anfang Oktober unterrichtet werden, ebenso der ÖRK. In diesem kurzen Brief vom 28. Sep690 Vgl. Information über eine Aussprache des Stellv. d. Vorsitzenden für Inneres – Genossen Steinbach – mit dem Präsidenten Koch und dem Oberkonsistorialrat Ammer der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen am 30. 9. 1968 beim RdB Magdeburg, vom 2. 10. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/11). 691 Vgl. Vermerk über eine Besprechung beim RdB Magdeburg am 13. 12. 1968, 2 (AKPS, B3 Nr. 368). 692 KV Osterburg. Information vom 12. 11. 1968, 2 (ACDP 07-011-262). 693 Vgl. Protokoll der 19. Sitzung des Rates der Kirchenleitung am 23. 9. 1968, 1 (AKPS, B3 Nr. 133). 694 Vgl. Protokoll der 9. Sitzung der Kirchenleitung vom 20. 9. 1968, 2 (AKPS, B3 Nr. 13).

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tember 1968 stellte sich die Kirchenleitung hinter den Brief aus Berlin-Brandenburg. Außerdem werde füreinander gebetet und Verbundenheit signalisiert, wie es im 1.Kor 12,26 heißt: „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied herrlich gehalten wird, so freuen sich alle Glieder mit.“695 Eine Antwort auf diesen Brief konnte nicht gefunden werden, ˇ SSR angekommen und wurde ins Tschechische übersetzt696. doch ist er in der C Eine staatliche Reaktion gab es vorläufig nicht, da der Rat des Bezirkes Magdeburg erst im Zusammenhang mit der Herbstsynode vom 19. bis 22. Oktober 1968 von dem Briefwechsel zwischen der KPS und den Kirchen in ˇ SSR erfuhr. Sowohl der Brief von den Kirchen in der C ˇ SSR an die Christen der C in der Welt, als auch die Antwort der KPS vom 28. September war am Sonnabend, dem 20. Oktober, in einer geschlossenen Sitzung der Synode den Synodalen vorgelesen worden. Die Synodalen hatten beide Briefe jedoch nicht in Kopie bekommen, da keine Information nach draußen dringen sollte. In einem Gespräch mit Ammer am 31. Oktober verlangte der Rat des Bezirkes die Aushändigung dieses Briefwechsels, dessen genauen Inhalt er nicht kannte. Ammer sprach am selben Tag mit dem gerade neu eingeführten Bischof Krusche. Krusche wehrte ab, eine solche Entscheidung gehöre in den Rat der Kirchenleitung. Dieser entschied sich am selben Tag gegen die Aushändigung, weil die Synodalen sie ja auch nicht bekommen hätten. Als Kompromiss wurden beide Briefe beim Rat des Bezirkes vorgelesen. Dieser machte sich Notizen und daraus geht hervor, dass er sich wiederum vor allem an Formulierungen zum Truppeneinsatz der NVA stieß, daran, dass sich die Kirchenleitung hinter den Brief aus Berlin-Brandenburg stellte und dass in den ˇ SSR gedacht worden Kirchen in Gottesdiensten und Fürbitten des Volkes der C 697 sei . Anfang Januar übersandte der Moskauer Patriarch auch der Kirchenˇ SSR, in der er das Einprovinz Sachsen seine Erklärung zur Krise in der C greifen Moskaus rechtfertigte. Gleich in der ersten Sitzung der Kirchenleitung wurde entschieden, dass Bischof Krusche gar nicht auf dieses Schreiben reagieren sollte698. 7.1.4. Die Antrittsbesuche Werner Krusches Werner Krusche übernahm sein Bischofsamt zur Zeit der Turbulenzen um einen ,Prager Herbst‘, der dem Frühling gefolgt war. Bei seiner Amtseinfühˇ SSR ein, doch rung im Magdeburger Dom ging Krusche nicht direkt auf die C sprach er gegen „die Politik der Gewaltanwendung.“ Daraus schlussfolgerte 695 Brief an die Kirchen in der CSSR vom 28. 9. 1968 (AKPS, A Gen. Nr. 3665). ˇ eskobratck c rkve evang. od 3. ledna 1968 do 18.XII 1968 696 Vgl. Z pisy ze zased n synon rady C ˇ CE, SRC ˇ CE KP SACHSEN 1968 – 1999). Nr. 46,171. (Archiv C 697 Vgl. Information im Nachtrag zum Bericht über die Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen am 19.–22. 10. 1968 vom RdB Magdeburg vom 31. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/2954 ebenso SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/20). 698 Vgl. Protokoll der 1. Sitzung der Kirchenleitung am 10./11. 1. 1969, 3 (AKPS, B3 Nr. 14).

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die CDU, dass er damit „wahrscheinlich die Hilfsaktion gegenüber der CSSR meinte.“699 Ende des Jahres standen dann die Antrittsbesuche Krusches an, in denen ˇ SSR ebenfalls Raum einnahm700. Bei seinem Antrittsbesuch im das Thema C Staatssekretariat für Kirchenfragen vom 12. November 1968 wurde Krusche zu seiner Vorstellung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche befragt. Krusche nahm Bezug auf das Kommuniqu von 1958, dessen Rede vom ,Respektieren‘ er für richtig erachte. Darauf wurde ihm geantwortet, dass zehn Jahre später mehr nötig sei, als lediglich den Aufbau des Sozialismus zu ,respektieren‘ und er in allen ,heiklen Fragen‘ staatliche Stellen konsultieren solle701. Man müsse merken, dass die Christen in die sozialistische Gesellschaft hineingehörten. Die staatlichen Vertreter brachten hier das Stichwort ,Kirche im Sozialismus‘ ein und zeigten Unverständnis, dass sich die Bischöfe politisch unterschiedlich verhalten würden702. Einige „sähen offenbar kein Hindernis, als Bischöfe prononciert zu politischen Fragen Stellung zu nehmen.“703 Das hieß natürlich: im Sinne des Staates. Dagegen sei das Verhältnis der Kirchenprovinz Sachsen zum Bezirk Magdeburg durch die Einmischungsˇ SSR „empfindlich versuche der Kirchenleitung zu den Ereignissen in der C 704 gestört“ . Gute Beziehungen hingen vom Verhalten des Bischofs ab und davon, inwieweit er positiv auf seine Pfarrer einwirke. Diesen deutlichen Hinweis, sich an Mitzenheim zu orientieren, ignorierte Krusche und brachte stattdessen die Gewissensnöte der jungen Pfarrer zur Sprache, die sich gegen ˇ SSR ausgesprochen hatten705. Seigewasser widersprach den Einmarsch in die C Krusches Darstellung vehement. Dem Bischof wurde wieder dringend geraten, vorher mit den staatlichen Stellen zu reden, damit solche ,Fehleinschätzungen‘ nicht wieder passierten. Krusche wich vorsichtig aus. Ihm läge zwar an einem guten Verhältnis zum Staat, aber er behalte sich doch seine eigene Meinung vor. Seigewasser hielt dagegen, dass gerade in spannungsreichen Zeiten solche Äußerungen nur provokatorisch aufgenommen werden könnten und es 699 Informationsbericht des Bezirksvorstandes Magdeburg der CDU an das Sekretariat des Hauptvorstandes vom 29. 11. 1968, 6 (ACDP 07-011-262). 700 Werner Krusche äußerte sich selbst in seiner Autobiographie ausführlich zu diesen Gesprächen. Vgl. Krusche, Erinnerungen, 279 – 300. 701 Vgl. Kurzbericht über ein Gespräch mit Bischof Krusche und OKR Ammer beim Staatssekretär am 12. 11. 1968, vom 13. 11. 1968, 1 (BArch DO 4/956). 702 Aktennotiz von Werner Krusche vom 14. 11. 1968 über den Antrittsbesuch beim Staatssekretär für Kirchenfragen vom 12. 11. 1968, 1 (AKPS, B3 Nr. 367). 703 Ebd., 2. Einen Satz eher fällt der Name Mitzenheims. 704 „Das i.a. gute Verhältnis der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen zum Bezirk sei freilich empfindlich gestört worden, als die Kirchenleitung im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR sich in außenpolitische Fragen einzumischen versucht hätte. […] Ehe man solche kirchlichen Aktionen starte, müßte man sich wenigstens von den staatlichen Stellen informieren lassen. Man erwarte gar nicht, daß alle staatlichen Maßnahmen sofort verstanden würden.“ Kurzbericht über ein Gespräch mit Bischof Krusche und OKR Ammer beim Staatssekretär am 12. 11. 1968, vom 13. 11. 1968, 1 (BArch DO 4/956). 705 Ebd., 2.

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Aufgabe des Bischofs sei, den jungen Pfarrern ein gutes Gewissen zu verschaffen. Krusche müsse den Pfarrern begreiflich machen, dass auch ein kirchlicher Amtsträger ein „guter Staatsbürger unseres sozialistischen Staates sein kann.“706 Wie dies aussehen könne, wurde an der Verhaltensweise der evangelischen und orthodoxen Kirchen der vier anderen an der Militäraktion beteiligten ,sozialistischen Bruderländer‘ exemplifiziert. Sie alle hatten das Vorgehen ihrer Regierungen offiziell gebilligt. Dagegen meinte der Staatssekretär, „daß es ein sehr ernstes Zeichen sei, daß eine Reihe von Landeskirchen in der DDR der provokativen Aufforderung von Generalsekretär Blake (Genf), Stellung zu nehmen gegen die Maßnahmen vom 21. August 1968 Folge[,] geleistet haben.“707 Den Brief aus Berlin-Brandenburg griff Seigewasser besonders an, weil er trotz ausgesprochenen Verbotes von den Kanzeln verlesen worden sei. Krusche notierte dazu: „Wir haben erklärt, daß wir uns über das Verhalten unserer Schwesternkirche nicht zu äußern vermöchten“ und fügte selbstkritisch in Klammern gesetzt hinzu: „haben freilich nicht deutlich genug gesagt, daß wir dieses Verhalten für richtig hielten.“708 In diesem Zusammenhang erklärte Krusche, dass die Kirche sich wie der Samariter um die zu kümmern habe, die am Boden lägen. Vor allem von Jugendlichen würde die ˇ SSR sage, „ob ihr die eigene Sicherheit Kirche gefragt, warum sie nichts zur C wichtiger sei als das Eintreten für die, denen Unrecht geschehen ist.“709 Der Staatssekretär fragte auch nach, was die Kirche im Fall Tschiche zu tun gedenke. Seigewassers Resümee aus diesem ersten Gespräch war klar: „Damit gab Bischof Krusche zu verstehen, daß er von seinem genau festgelegten ideologischen Standpunkt auch als Bischof ,keinen Deut abzuweichen‘ gewillt ist. Daraus kann geschlußfolgert werden, daß es noch harte Auseinandersetzungen mit Bischof Krusche geben wird.“710 Genau dies trat in den folgenden Jahren ein. Zwei Wochen später, am 26. November 1968, erfolgte der Antrittsbesuch beim Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Magdeburg. Krusche führte aus, dass er ein gutes Verhältnis wünsche, dass die Kirche aber zu gesellschaftlichen und politischen Fragen Stellung beziehen müsse, „wenn sie vom Evangelium her dazu genötigt werde, wenn sie also durch ihr Schweigen das Evangelium verriete.“711 Wieder kam der Fall Tschiche zur Sprache, wobei deutlich mit Verhaftung gedroht wurde712. Das Gespräch wandte sich dann der 706 Ebd. 707 Ebd., 3. 708 Aktennotiz von Werner Krusche vom 14. 11. 1968 über den Antrittsbesuch beim Staatssekretär für Kirchenfragen vom 12. 11. 1968, 3 (AKPS, B3 Nr. 367). 709 Ebd. 710 Kurzbericht über ein Gespräch mit Bischof Krusche und OKR Ammer beim Staatssekretär am 12. 11. 1968, vom 13. 11. 1968, 3 (BArch DO 4/956). 711 Aktennotiz Gespräch Krusche und OKR Ammer mit Vorsitzenden des RdB Magdeburg Ranke, vom 26. 11. 1968, 2 (AKPS, B3 Nr. 368). 712 Vgl. ebd., 3.

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größeren Erwartung des Staates zu, dass sich die Kirche gesellschaftlich einbringe, z. B. in der CDU. Krusche antwortete, viele hätten „echte Hemmungen“ von der CDU vereinnahmt zu werden, da diese so auftrete, als ob bestimmte politische Entscheidungen auch von Christen gutgeheißen würden713. Als Beispiel führte er die Haltung der CDU zur Sprengung der Universitätskirche in Leipzig an714. Gegenüber den Vorsitzenden der Bezirksverbände der CDU von Magdeburg und Halle wurde Krusche im März 1969 noch deutlicher. Die CDUVertreter notierten über des Bischofs Meinung: „Die CDU würde von der SED in einen Sog hineingezogen, der eine eigenständige Politik unmöglich mache. Wir würden nur Zustimmungserklärungen abgeben und hätten kein eigenes Profil mehr. Die CDU sei ein Transmissionsriemen der SED und habe die Aufgabe, die Christen möglichst geräuschlos in den Sozialismus einzubringen. Wir würden weder Interessen der Christen noch Anliegen der Kirchen vertreten.“

Natürlich protestierte die CDU, doch kam man tatsächlich in keiner politischen Frage überein. Zudem beanstandete der Bischof mangelnden „Spielraum für den Meinungsstreit und für kritische Einwände“ in der DDR. Aber er sei optimistisch, dass sich die Demokratie in der DDR „entwickeln“ könne. Die CDU-Seite betonte daraufhin, „daß es bei uns keine Chance für eine sogenannte Liberalisierung oder ideologische Aufweichung gibt.“ Dass Krusche ein Sozialismusmodell eines anderen Staates für geeigneter halten könnte, schwang in seinen Äußerungen mit, doch wurde nicht näher darauf eingegangen. Letztendlich stufte die CDU das Gespräch trotzdem als freundlich und nützlich ein, doch attestierte sie der Magdeburger Kirchenleitung „starre politische Fronten“ und befürchtete ebenfalls, dass die „kirchenpolitische Situation unter dem neuen Bischof noch komplizierter geworden ist.“715 Bereits Mitte Dezember war Krusche wieder zum Gespräch beim Rat des Bezirkes Magdeburg geladen. Grund war eine Rundverfügung vom Oktober 1968, in der es um den Konflikt zwischen Jugendweihe und Konfirmation ging. Der KPS wurde vorgeworfen, sie übe auf Jugendliche Gewissenszwang aus, wenn sie diese von der Jugendweihe fernzuhalten suche. Als Krusche auf die Schwierigkeit hinwies, dass auf der einen Seite Marxisten und Christen gemeinsam die Gesellschaft aufbauen sollten, gleichzeitig jedoch jeder Koexis713 Vgl. ebd., 4; vgl. auch BV Magdeburg. Information über die Haltung kirchenleitender Kreise zur gegenwärtigen Situation in der CSSR vom 2. 9. 1968, 4 (ACDP 07-011-262). 714 Mit Hinweis auf die Sprengung der Leipziger Universitätskirche lehnte Krusche eine Teilnahme am 12. Parteitag der CDU ab. Vgl. Antwortschreiben von Krusche auf Einladung zum 12. Parteitag vom 15. 9. 1968 (ACDP 07-011-2163). 715 Vertraulicher Bericht über ein Gespräch der CDU-Bezirksverbände Magdeburg und Halle mit dem Bischof der evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen am 26. 3. 1969 in Magdeburg, 1 – 4 (ACDP 07-013-3253); auch (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/11).

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tenz der Kampf angesagt werde, antwortete Steinbach: „Wohin die ideologische Koexistenz führe, wäre in der CSSR deutlich geworden.“716 Aus der Rundverfügung wurde vor allem der Satz kritisiert: „Weil ich an Christus glaube und mein Leben Gott verdanke, sage ich zum ökonomischen Sozialismus ja, zum ideologischen nein.“717 Die SED sah darin zu Recht den Versuch, sich des Totalitätsanspruchs der SED wenigstens in einigen Bereichen zu erwehren. Nach Beendigung des offiziellen Gesprächs versuchte Krusche, sich auch für die Verhafteten einzusetzen, die ihm aus der Kirchenprovinz Sachsen bekannt waren718. Am 25. Februar 1969 kam es zu einem erneuten Gespräch in Magdeburg, nun mit der ganzen Kirchenleitung719. Staatlicherseits wurden OKR Ammer und Konsistorialpräsident Koch positiv, die weiteren Mitglieder der Kirchenleitung als „reserviert“ und Krusche als „äußerst problematisch“ bezeichnet, da er die „Position eines Hemmschuhes“ einnehme. Krusche hatte erneut davon gesprochen, dass er ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Staat wünsche, worunter er aber ein Gespräch auf Augenhöhe verstehe. So sprach er wieder die Schwierigkeiten von Kindern christlicher Eltern in der Schule an und verwies auf das Problem der eingeschränkten Meinungsfreiheit, die zur Heuchelei erziehe. Krusches Vorstellung des Verhältnisses von Staat und Kirche war eine Umkehr der staatlichen Vorstellungen: „Die Kirche kann keine Reklame für eine Gesellschaftsordnung machen. Sie anerkennt die gesellschaftliche und politische Ordnung, in der sie jeweils lebt, und versucht, in ihr ihren Dienst zu tun, indem sie auf jede nur mögliche Weise die Liebe Christi zu den Menschen bringt. Insofern wirkt sie nicht nur gesellschaftserhaltend, sondern auch gesellschaftsverändernd, da die Liebe das schöpferische Prinzip der Umwandlung ist.“720

Das waren genau die Dinge, die der Staat nicht wollte. Eine gesellschaftsverändernde Kraft wurde der Kirche keinesfalls zugebilligt. Dass Krusche beteuerte, „daß die Kirche im sozialistischen Staat und nicht Kirche gegen den sozialistischen Staat sein wollte und will, sollte man ihr nicht bestreiten“, nützte wenig, da dies ein Kirchenbild ablehnte, welches Kirche einfach im sozialistischen Staat aufgehen ließe721. Krusche griff auch den staatlich an716 Vermerk über das Bischofsgespräch vom 17. 12. 1968, 4 (AKPS, B3 Nr. 368). 717 Abschrift. Rundverfügung 35/68 Konfirmation und Jugendweihe, vom 16. 10. 1968, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/6). 718 Siehe Kapitel 5.2.3., 458 – 459. 719 Vgl. Information über ein Gespräch mit der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen am 5. 2. 1969 in Magdeburg vom 21. 2. 1969 (BArch DO 4/435). 720 Vgl. Brief Krusches an die Superintendenten und Pröpste vom 10. 2. 1969, 3 (AKPS, B3 Nr. 368). Da das Gespräch in der sozialistischen Presse entgegen der kirchlichen Sichtweise dargestellt wurde, entschied die Kirchenleitung, Krusches Ansprache vor den staatlichen Vertretern an die Superintendenten und Pröpste als Ergänzung zur Presse weiterzugeben. Vgl. Protokoll der 2. Sitzung der Kirchenleitung am 7./8. 2. 1969, 2 (AKPS, B3 Nr. 14). 721 Ebd., 4. Unterstreichungen im Original.

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gefeindeten Begriff des Wächteramtes auf. Er wies darauf hin, dass die Kirche niemals entbunden sei, Gottes Wort in konkrete gesellschaftliche Situationen zu sprechen. Doch „das von uns gewünschte volle Ja zum Sozialismus können wir solange nicht sagen, als der Atheismus ein integrierendes Element des Sozialismus ist.“722 Krusche ging in seiner Kritik noch weiter. Er thematisierte das Auseinandertreiben der beiden deutschen Staaten, kritisierte, dass Familien zerrissen und sogar an der Grenze aufeinander geschossen würde. Wenn die Anerkennung der DDR helfe, die Situation zu entspannen, so sei er dafür. Bei einem weiteren Antrittsgespräch beim Rat des Bezirkes Erfurt vom 16. Mai 1969 hatte Krusche jedoch die völkerrechtliche Anerkennung der DDR an die Notwendigkeit geheimer Wahlen gekoppelt723. Krusche erinnerte beim Thema der Wahl an die Verhaftung von mehreren Menschen, die nur durch Flugblätter darauf aufmerksam machen wollten, dass man bei der Verfassung mit ,nein‘ stimmen könne. Der Vorsitzende des Rates behauptete, er kenne keinen solchen Fall. Aber welches Gesellschaftsmodell er denn bevorzuge, wurde Krusche gefragt. Er erwiderte, „daß ich mir durchaus ein sozialistisches Deutschland vorstellen könne, nur müsse es ein Sozialismus sein, der erheblich mehr Freiheit gewähre, als es gegenwärtig in der DDR der Fall ist.“724 Auf die Frage, was er sich denn unter mehr Freiheit vorstelle, verwies Krusche auf die Schwierigkeiten, genügend Informationen zu erhalten, auf die Problematik der Reisefreiheit und des Sperrgebiets. Daraufhin führte der Vorˇ SSR an, „um zu zeigen, zu welchen Folgen besitzende das Beispiel der C stimmte Freiheitsparolen führten“, und deutete zusätzlich auf die wirtschaftliche Krisensituation725. Als Krusche mit der Frage konterte, ob diese nicht vielleicht erst wegen der Maßnahmen des Warschauer Paktes entstanden sei, wurde er zurückgewiesen.

7.1.5. Die staatlichen Vorwürfe gegen Krusche Sozialdemokratischen oder auch nur demokratischen Einflüssen zu unterliegen, war ein beliebter allgemein und floskelhaft vorgetragener Vorwurf seitens des Staates, der nicht auf Prager Ideen verweist726. Doch in all den Gesprächen mit Krusche schwang jene Frage mit, die sich nach 1968 beinahe ˇ SSR? Die staatzur Gretchenfrage entwickelt hatte: Wie hältst Du’s mit der C ˇ SSR als Beispiel lichen Stellen wollten in Erfahrung bringen, ob Krusche die C für das verstand, was er einen Sozialismus mit mehr Freiheit nannte. Krusche 722 Ebd., 5. 723 Vgl. Gesprächsnotiz über einen Besuch beim Vorsitzenden des RdB Erfurt vom 16. 5. 1969, 1 f. (AKPS, B3 Nr. 368); vgl. auch Schultze, Berichte, 22. 724 Ebd., 2. 725 Ebd. 726 Vgl. Schultze, Stasi-Überwachung, 11. In einer staatlichen Konzeption wurde der Kirchenleitung der KPS auch 1973 vorgeworfen, „demokratischen Einflüssen“ zu unterliegen.

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wich diesen Fragen aus. Dennoch stand die staatliche Meinung über Krusche bald fest. Krusche entwickle sich zu einem ,negativen Schwerpunkt‘, bei dem Gespräch beim Rat des Bezirkes Erfurt sei er „negativer als irgendein anderer Bischof in der DDR aufgetreten.“727 Vorgeworfen wurde ihm, sich vor der EKD zu „verbeugen“, die DDR zu „verleumden“ und neben der Aussage über die nicht freien Wahlen der Meinung zu sein, „der Sozialismus müsse erst verbessert werden, bevor er sich zur DDR bekennen könne.“728 Seigewasser schlug daraufhin vor, Krusche keine Ausreisegenehmigungen zu erteilen. Zu einem Antrittsbesuch beim Rat des Bezirkes Halle kam es nicht mehr, denn „der Vorsitzende lege z. Zt. keinen Wert darauf, daß der Bischof einen Antrittsbesuch bei ihm mache.“729 In den folgenden Jahren wurden Krusche tatsächlich mehrere Auslandsreisen nicht gestattet730. Außerdem wurde er von Ordnung in der Neuen Zeit scharf angegriffen und ihm unter anderem „politische Blindheit“ vorgeworfen731. Nebenbei wurde Krusche ähnlich wie Fränkel zu bestimmten Feierlichkeiten nicht eingeladen732. Ende 1970 sollte in einem Gespräch beim Rat des Bezirkes Erfurt mit Vertretern der Kirchenleitung der Kirchenprovinz versucht werden, die Situation etwas zu entschärfen733. Dass hier ein ideologisches Grundsatzgespräch stattfand, zeigt sich allein schon an den Gesprächsteilnehmern und an dem Zeitaufwand von etwa vier Stunden. Auf staatlicher Seite waren neben Seigewasser auch die sich mit Kirchenfragen beschäftigenden Funktionäre der Bezirke Erfurt, Magdeburg, Halle und Leipzig anwesend. Bischof Krusche stand neben zwei Oberkonsistorialräten auch Albrecht Schönherr zur Seite. 727 Aussprache am 2. 6. 1969 bei Staatssekretär Seigewasser über Kirchenpolitische Probleme, 2 (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 87). 728 Ebd. 729 Vermerk über ein Gespräch beim RdB Halle am 26. 8. 1969 mit OKR Ammer (AKPS, B3 Nr. 365). Als Grund wird das Antrittsgespräch in Erfurt angegeben. 730 Z. B. 1970 zur Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes nach Frankreich, zum Nordisch-Deutschen-Konvent nach Schweden. 731 Schönherr zog daraufhin einen Beitrag für diese Zeitung zurück. Er meinte zudem, dass Ordnung Krusche der „größten Todsünden“ bezichtigt habe, die es damals für einen DDRPolitiker habe geben können: als Anhänger der Konvergenztheorie und als Sozialdemokraten. Vgl. Brief Schönherrs an den Chefredakteur der „Neuen Zeit“, Hermann Kalb, vom 22. 12. 1970, 1 (AKPS, B3 Nr. 359). Auch Krusche schrieb eine Erwiderung an Ordnung, die er in Kopie an die Pröpste weitergab. Vgl. Brief Krusches an die Pröpste vom 22. 1. 1971 (AKPS, B3 Nr. 359). 732 Zum 10. Jahrestag der Begegnung zwischen Emil Fuchs und Walter Ulbricht, den die CDU organisierte, hatte diese partiell Einladungen verschickt, die Krusche und Fränkel nicht berücksichtigten. Daraufhin beschlossen die leitenden Geistlichen, dass keiner gehen solle. Vgl. Aktenvermerk über Informationen des Kirchenpräsidenten der anhaltinischen Landeskirche Eberhard Natho vom 3. 2. 1971 (ACDP 07-013-2129). 733 Vgl. Niederschrift über eine Aussprache mit Vertretern der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen am 9. 12. 1970 (BArch DO 4/793); und Vermerk über ein Gespräch beim RdB Erfurt am 9. 12. 1970 (AKPS, B3 Nr. 368). Es kann hier nicht auf alle Aspekte des Gesprächs eingegangen werden, verwiesen sei an dieser Stelle auf die Autobiographie Krusches, die das Gespräch bis in Einzelheiten bedenkt.

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Anknüpfend an das Gespräch vom 16. Mai 1969 war das grundsätzliche Ziel, Krusche dazu zu bringen, öffentlich für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR einzutreten und von seinen kritischen Äußerungen abzulassen. In dem Gespräch fragte Seigewasser Krusche an einer Stelle direkt nach den Quellen seiner Argumentationen: „Wenn Sie von Demokratisierung unserer Gesellschaftsordnung sprechen, meinen Sie dann eine Entwicklung, wie sie die Konterrevolutionäre in der CSSR 1968 wollten?“734 Es kam zu keiner direkten Erwiderung Krusches, da Seigewasser selbst weiterredend wieder auf den Kern des Gesprächs der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR abhob und dann andere Gesprächsteilnehmer zu Wort kamen. Krusche reagierte auf die Vorwürfe, indem er versuchte, mit Röm 13 auf eine grundsätzliche Anerkennung der gegebenen Obrigkeit, die für Ordnung, Gerechtigkeit und Frieden einzutreten habe, zu verweisen. Gleichzeitig „trete er aber für die Haltung einer kritischen ,Offenheit‘ ein.“735 Dies rief Widerspruch hervor, denn in einer ,sozialistischen Gesellschaft‘ gehe es nicht um eine ,kritische‘, sondern eine ,parteiliche‘ Stellungnahme. „Das Stichwort der Demokratisierung sei im Munde kirchlicher Männer gefährlich, weil es gar zu leicht die liberale Demokratie zur Voraussetzung habe. Die gäbe es bei uns nicht. Solche kritischen Äußerungen könnten zu einer Position führen, wie sie in der CSSR ihren Ausdruck gefunden hätten.“736

Gegen Ende des Gesprächs wurde Schönherrs Vorschlag aufgenommen, dass Krusche sich im Zuge seines Aufenthalts zur Konferenz Europäischer Kirchen zur Anerkennung der DDR äußern solle737. Noch im Januar 1971 warf Seigewasser Krusche auf einer Veranstaltung der Arbeitsgruppe Christliche Kreise in Halle vor, falsche Schlussfolgerungen zu ziehen. Seigewasser unterstellte Krusche neben Sozialdemokratismus das Bestreben, ein Wächteramt einer privilegierten Kirche „gegenüber einem Staat mit ,liberalisiertem‘, ,demokratisiertem‘ und ,vermenschlichtem‘ Sozialismus“ errichten zu wollen.“738 Auf der Konferenz in Nyborg im Frühjahr 1971 war Krusche dann Hauptreferent. Als er auf einer Pressekonferenz nach dem Verhältnis der Kirchen zum Staat befragt wurde, antwortete er mit seiner Vorstellung einer ,kritischen Solidarität‘739. Krusche wurde mehr und mehr als Hauptvertreter eines ,Sozialdemokratismus‘ betrachtet740. Ende 1972 wurden 734 Vgl. Niederschrift über eine Aussprache mit Vertretern der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen am 9. 12. 1970, 5 (BArch DO 4/793). 735 Vermerk über ein Gespräch beim RdB Erfurt am 9. 12. 1970, 4 (AKPS, B3 Nr. 368). 736 Ebd., 5. 737 Ebd., 7. 738 Vgl. Seigewasser. Redekonzeption für die hallische Veranstaltung der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise“ und Universitätstheologen am 26. 1. 1971 im Puschkinhaus Halle, 2 (BArch DO 4/ 440). 739 Vermerk über ein Gespräch beim RdB Magdeburg am 14. 6. 1971, 2 (AKPS, B3 Nr. 368). 740 Vgl. Hartweg, SED und Kirche, 159, 181 – 197.

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ihm „sozialdemokratische[…] Ideologien und Modellvorstellungen“ sowie der Versuch vorgeworfen „die ideologische Unterwanderung des ,Bundes‘ zu organisieren und die sozialistische Entwicklung ideologisch zu stören.“741 Der grundlegende Zwiespalt änderte sich in den folgenden Jahren nicht.

7.2. Die Synode Die Synode der Kirchenprovinz Sachsen tagte zweimal im Jahr. Von 1964 bis 1980 war der Rechtsanwalt Helmut Waitz Präses der Synode. Auf der Frühjahrssynode 1968 war er gerade erneut gewählt worden.

7.2.1. Die Frühjahrssynode 1968 Die Frühjahrssynode fand vom 15. bis 20. März in Halle statt. Sie stand vornehmlich unter dem Zeichen der Wahlen der Ausschüsse, des neuen Bischofs und der Mitglieder der Kirchenleitung. Daneben beschäftigte sie sich auch mit dem Verfassungsentwurf. Aus verschiedenen Gemeinden waren diesbezüglich Eingaben an die Synode gerichtet worden742. Der Berichtsausschuss erarbeitete eine Eingabe an die Kommission zur Ausarbeitung einer sozialistischen Verfassung in der DDR, die mit wenigen Änderungen von der Synode einstimmig angenommen wurde743. Die Gemeinden erhielten sie zur Kenntnisnahme. Diese Eingabe wurde staatlicherseits umgehend als „Machwerk“ bezeichnet744. Den Hauptschuldigen glaubte man in Johannes Hamel zu erkennen, den man nicht nur als Verfasser der Eingabe betrachtete, sondern der auch auf der Synode zum Brief der Bischöfe aus Lehnin Stellung bezog und durchaus zutreffend erklärte, der Verfassungsentwurf beschreibe die DDR als „große Erziehungsanstalt.“745 Die Synode hatte unter Rückbezug auf ein Zitat 741 Information zur politischen Situation und zu aktuellen Tendenzen in den evangelischen Kirchen in der DDR vom 4. 12. 1972, 12 (BArch DO 4/402). So auch Ende 1973 Krusche und Falcke. Vgl. Konzeption für ein Gespräch mit dem Leiter der Kirchenkanzlei der EKU in der DDR vom 7. 12. 1973, 4 (BArch DO 4/424). 742 Vgl. Protokoll 2. Sitzungstag, 17. 3., 1 (AKPS, C1 Nr. 969); und vgl. Information 354/68 vom 1. 4. 1968 über die Frühjahrssynoden der Evangelischen Kirchen der Kirchenprovinz Sachsens und Thüringens, 5 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1466). Anträge lagen z. B. von den Kreissynoden Loburg, Gommern und Barleben vor. 743 Vorlage. Berichtsausschuss zur neuen Verfassung (AKPS, C1 Nr. 96). 744 Bericht über die Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 15. 3. bis 20. 3. 1968 in Halle / S. am 19. 3. 1968, 4 (BArch DO4/2954). 745 Information 334/68 vom 28. 3. 1968 über eine interne Ausarbeitung einer Stellungnahme zum 1. Entwurf der neuen Verfassung durch Pfarrer […], Rektor des Kirchlichen Oberseminars Naumburg, im Auftrage der evangelischen Bischöfe der DDR und über das Auftreten […] während der Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, 2 f. (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1462).

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Friedrich Engels und unter Hinweis auf die UN-Charta der Menschenrechte geschrieben, dass die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Gleichberechtigung aller Bürger ausdrücklich durch die Verfassung gewährleistet sein solle. Außerdem solle die führende Partei nicht nur Befugnisse erhalten, sondern solle auch begrenzt und kontrolliert werden. Daher sei eine Umformulierung von Artikel 38 „unerläßlich, um die Komplikationen im Verhältnis zwischen Staat und Kirche und zwischen einzelnen christlichen Bürgern und Staatsorganen nicht zu vermehren [,] sondern zu vermindern.“746 Als Fazit beklagte der staatliche Bericht, dass keiner auf der Synode „sich offen zu unserem sozialistischen Staat und seinen Errungenschaften bekannt hätte.“747 7.2.2. Die Herbstsynode 1968 in Magdeburg Wie üblich war es auch im Vorfeld der Herbstsynode 1968 zu ,Aussprachen‘ mit Synodalen und Mitgliedern der Kirchenleitung gekommen, um eventuelle politisch negative Äußerungen schon im Vorfeld zu unterbinden. Das bedeutete im Herbst 1968, dass die Trennung von der EKD forciert werden und ˇ SSR während der Synode nicht zur Sprache kommen sollte748. das Thema C ˇ SSR vor der Jänicke hatte ursprünglich geplant, über die Situation in der C 749 Synode zu sprechen . In zwei Gesprächen Anfang Oktober beim Rat des Bezirkes Magdeburg mit Jänicke, Ammer, Waitz und Koch wurden diese beˇ SSR fallenzulassen. Nachdem diese Gespräche nochmals arbeitet, das Thema C auf einer Kirchenleitungssitzung ausgewertet worden waren, gab Jänicke ˇ SSR explizit zu erwähnen750. Den schließlich nach und verzichtete darauf, die C Kirchenleitungsmitgliedern war erklärt worden, dass sie die Verantwortung für einen positiven Verlauf trügen751. Auf der Synode wurde dann seitens der Leitung versucht, möglichst vorsichtig zu agieren752. Weitere Themen auf der 746 Vgl. Schultze, Berichte, 237 – 239, 238 f. 747 Bericht über die Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 15. 3. bis 20. 3. 1968 in Halle / S. am 19. 3. 1968, 5 f. (BArch DO4/2954). 748 Vgl. Kurzbericht über die Dienstreise nach Magdeburg am 14. 10. 1968, vom 16. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/2954). 749 Vgl. Erste Information über die Synode der Kirchenprovinz Sachsen 21. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/444). 750 Vgl. Einschätzung der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 19.–22. 10. 1968 in Magdeburg vom 22. 10. 1968, 8 (BArch DO4/2954). 751 Kurzbericht über die Dienstreise nach Magdeburg am 14. 10. 1968 vom 16. 10. 1968, 1 (BArch DO 4/2954). 752 Vgl. Protokoll der Sitzung des Missionarisch-diakonischen Ausschusses, 19. 10. 1968 (AKPS, C1 Nr. 97). Hier erklärte der zeitweilig als Gast anwesende Präses, dass zum Bischofsbericht keine besonderen Anträge gestellt werden sollten, sondern nur Anliegen bei der Aussprache geäußert werden können. Z. B. wurde nicht erwähnt, dass kirchliche Persönlichkeiten aus Westdeutschland keine Einreisegenehmigung erhalten hatten. Vgl. Einschätzung der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 19.–22. 10. 1968 in Magdeburg vom 22. 10. 1968, 2 (BArch DO4/2954).

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Synode waren Fragen zum Stand der Strukturkommission, zur Taufordnung und zum Abendmahl. Im Tätigkeitsbericht des Bischofs sprach dieser zu zwei nicht kircheninternen Themen753. Zum einen verwies er auf die Verfassung von 1949, in welcher der Kirche noch ausdrücklich das Recht zugestanden worden war, sich zu lebenswichtigen Fragen des Volkes öffentlich zu äußern. Jänicke erklärte, dies müsse auch weiterhin in einer positiven Verantwortung für den Staat geschehen, was zu Widersprüchen mit diesem führen könne. Wenn die KPS sich aus christlicher Verantwortung heraus äußere, dann in eigener Verantwortung und nicht in Abhängigkeit von anderen754. Wenn die Kirche schwiege, versäume sie ihren Auftrag. Daher gelte: „Wir sind dessen gewiß, daß damit in Krisensituationen auch dem Staat letztlich besser gedient ist, als mit Schweigen oder mit wenig überzeugenden Akklamationen.“755 Das zweite politische Thema betraf die Frage der vormilitärischen Übungen mit Waffen an Schulen und Hochschulen, aufgrund derer es bei einer Reihe von Verweigerungen dieser Übungen zu Benachteiligungen gekommen war. Schriftliche Eingaben Jänickes sowohl an den Nationalen Verteidigungsrat als auch an den Staatsratsvorsitzenden waren ohne Antwort geblieben756. ˇ SSR nicht explizit ansprach, ließ es sich Obwohl Jänicke das Thema der C dennoch nicht aus allen Diskussionen heraushalten. In der unter Ausschluss der Öffentlichkeit folgenden Aussprache zum Bischofsbericht wurden zwei ˇ SSR gestellt. Zum einen beantragte Propst Münker, die SynAnträge zur C ˇ SSR odalen sollten sich bei ihren Pfarrern über aktuelle Fragen wie die der C informieren. Dieser Antrag wurde angenommen. Hamel dagegen konnte sich ˇ SSR an die Synodalen mit einem Antrag, die Briefe der Kirchenleitung zur C 757 auszuhändigen, nicht durchsetzen . In den Ausschüssen wurde offener über die aktuelle politische Lage und den diesbezüglichen Auftrag der Kirche diskutiert. Der Ordnungsausschuss fragte ˇ SSR: „Sind die auf den 21. August 1968 in Mittelzum Bischofsbericht zur C europa erfolgten Ereignisse genügend berücksichtigt? Gehört in der gegenwärtigen Lage ein qualifiziertes Schweigen zur Aufgabe der Kirche?“758 Aus dem Protokoll des Berichtsausschusses wird deutlich, dass die oben zitierten ˇ SSR bezogen worden Stellen aus dem Tätigkeitsbericht Jänickes auf die C 753 Vgl. Bericht von Bischof Johannes Jänicke auf der 2. Tagung der VI. Synode vom 19. 10. 1968 (Schultze, Berichte, 240 – 249). 754 Wie stets glaubten die staatlichen Berichterstatter dies nicht. Vgl. Einschätzung der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 19.–22. 10. 1968 in Magdeburg, vom 22. 10. 1968, 3 (BArch DO4/2954). 755 Bericht von Bischof Johannes Jänicke auf der 2. Tagung der VI. Synode vom 19. 10. 1968 (Schultze, Berichte, 240 – 249, 245). 756 Vgl. Ebd., 246; vgl. auch Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der Deutschen Demokratischen Republik am 6. 6. 1968, 5 (EZA 102/13). 757 Vgl. Protokoll der 2. Tagung der VI. Synode der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 20. 10. 1968, 2 (AKPS, C1 Nr. 97). 758 Protokoll der Sitzung des Ordnungsausschusses, 19. 10. 1968, 1 (AKPS, C1 Nr. 97).

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waren, auch ohne dass das Thema benannt worden war759. Zunächst sollte zu 13 Punkten aus dem Bericht Jänickes Stellung bezogen werden, darunter das ˇ SSR, mit Angabe der Seite im Bischofsbericht. Auch wenn also die Thema der C ˇ SSR nicht explizit benannt worden war, wussten die Anwesenden, worum es C ging. In der folgenden Sitzung des Berichtsausschusses schrumpften die Punkte auf drei zusammen: Öffentliche Meinungsäußerung, Vorgänge in der ˇ SSR und Hunger in der Welt760. Der erarbeitete Ausschuss eine Vorlage mit C dem Ziel, sie zusammen mit dem Bischofsbericht den Gemeinden zukommen zu lassen. Die Synode nahm die Vorlage an. In der Beurteilung der Synode durch den Rat des Bezirkes Magdeburg wurde sie als Fazit wörtlich zitiert: „Wie Christen in bedrängten Situationen ihren Platz finden können, das hat uns der Brief der geeinten Christenheit der Völker der CSSR vom 2.9.68 gezeigt. Wir sind für dieses Glaubenszeugnis dankbar und machen uns den Brief der Kirchenleitung vom 28.9.68 an die Christen in der CSSR zu eigen.“761 ˇ SSR in der Synode zur Sprache, weil Gegen staatlichen Willen kam die C einzelne Synodale wie der Senior des refomierten Kirchenkreises Fritz Schröter oder Johannes Hamel aus Naumburg das Thema in die Diskussion einbrachten762. So notierten die staatlichen Beobachter der öffentlichen Aussprache am 20. Oktober, dass „es keine negativen Äußerungen gegen unseren Staat“ gegeben habe außer dem Diskussionsbeitrag von Schröter. Dieser hatte ˇ SSR im Bischofsbericht vermisse. „Wir müssen der Brüder gesagt, dass er die C in der CSSR gedenken. Uppsala ist wichtig – CSSR ist wichtiger. Wir müssen Solidarität üben mit denen, die durch ihr Eintreten in der Frage CSSR heute Nachteile haben.“763 Sich auf einer Synode gegen den Einmarsch in Prag auszusprechen, hatte Folgen unterschiedlicher Art. Dies war ein Grund, warum Schröter Anfang 1969 keine Ausreisegenehmigung nach Zürich erhielt764. ˇ SSR in einer geAm 22. Oktober abends kam schließlich das Thema C schlossenen Sitzung der Synode explizit auf den Tisch. Wie bereits erwähnt 759 Vgl. Protokoll der Sitzung des Berichtsausschusses, 19. 10. 1968 (AKPS, C1 Nr. 97). 760 Vgl. Protokoll der Sitzung des Berichtsausschusses, 20. 10. 1968 (AKPS, C1 Nr. 97). 761 Beschluss der Synode zum Bericht (Schultze, Berichte, 250 f.); vgl. Drucksache 53/68 (AKPS, C1 Nr. 97). 762 Vgl. Kurzbericht über die Dienstreise nach Magdeburg am 14. 10. 1968, vom 16. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/2954). 763 Einschätzung der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 19.–22. 10. 1968 in Magdeburg, vom 22. 10. 1968, 6 (BArch DO4/2954). Außerdem wurde die Zustimmung Hamels registriert: „Nach dem Auftreten des Sen. Schröter begab sich sofort Pfarrer Hamel zu ihm, und aus den Gebärden war ersichtlich[,] daß Hamel ihm seine Sympathie ausdrückte.“ 764 Schröter schrieb am 17. 1. 1969 einen Brief an das Staatssekretariat für Kirchenfragen (BArch DO 4/355). In diesem Brief berief er sich auf die Artikel 20 und 39 der neuen Verfassung. Er erwähnte sein Rede- und Auftrittsverbot durch die Gestapo und seine Suspendierung und fragte: „Quittieren Sie so, wie Sie nunmehr zu entscheiden beliebten, den Kampf und das Opfer eines Antifaschisten?“

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ˇ SSR und wurde den Synodalen der Briefwechsel zwischen den Kirchen in der C der KPS verlesen, aber nicht ausgeteilt. In dieser Sitzung scheint es zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen zu sein, warum der Bischof in seinem ˇ SSR gesagt und damit staatlichem Druck Tätigkeitsbericht nichts direkt zur C nachgegeben habe. Einige machten sich für ein gesondertes Wort der Synode zu diesem Thema stark, konnten sich aber nicht durchsetzen765. Daher war das abschließende Urteil des Staates auch, dass es dank der guten Arbeit der Funktionäre gelungen sei, auf der Synode „Angriffe gegen unsere Hilfsmaßnahmen in der CSSR, die von einem Geistlichen geführt werden sollten, zu verhindern.“766 Im folgenden Frühjahr auf der außerordentlichen Synode vom 11. bis 13. April war das einzige Thema die bevorstehende Gründung des Bundes der evangelischen Kirchen. Wie auf den anderen Synoden, wurde die Ordnung angenommen767. 7.3. Die mittlere Kirchenebene und Einzelne Im Folgenden soll an einigen Beispielen die Situation in der Kirchenprovinz Sachsen jenseits der kirchenleitenden Gremien dargestellt werden. Im Allgemeinen ähnelte die Situation der in den anderen Kirchen. Pfarrer und Gemeinden waren wenig gewillt, sich über die aktuelle politische Situation überhaupt zu äußern768. Eine Ausnahme war Pfarrer Hans Gerhard Vibrans, der gleichlautende Beschwerdebriefe an unterschiedliche staatliche Stellen schrieb, hauptsächlich weil die Beteiligung der NVA nicht vereinbar mit dem Völkerrecht sei769. Am stärksten spürte die Zurückhaltung die CDU, in deren 765 Vgl. Information im Nachtrag zum Bericht über die Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen am 19.–22. 10. 1968 vom RdB Magdeburg vom 31. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/2954); ebenso (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/20). Zu diesen gehörten Schröter, Hamel und Propst Richter aus Quedlinburg. 766 Einschätzung der Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR vom 6. 12. 1968, 7 (BArch DO 4/2976). Mit diesem einen ist vermutlich Hamel gemeint. 767 Vgl. Schultze, Berichte, 252 f. 768 Dies geht aus Berichten der CDU hervor. Dazu finden sich einzeln erwähnte Äußerungen von ˇ SSR „um eine normale Entwicklung zu einem besseren SoziaPfarrern, dass es sich in der C lismus handele.“ Bezirkssekretariat Erfurt an das Sekretariat des Hauptvorstandes. Zur Lage in der CSSR 17. 9. 1968, 2 (ACDP 07-012-1536). 769 Vgl. Brief Vibrans an Volkskammerpräsidenten Dieckmann, Walter Ulbricht, Ministerpräsident Stoph, Armeegeneral Hoffmann (BArch DO 4/539); auch (EZA 108/1086). Vibrans war Pfarrer in Großgrimma-Grunau. Die Gemeinde existiert nicht mehr. Zur Zeit der Entstehung der Arbeit begann man deren Abriss für den Braunkohletagebau. Als Vibrans keine Antwort bekam, schrieb er nach einem Monat erneut. Vgl. Brief vom 27. 9. 1968 (BArch DO 4/539). Daraufhin holte die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen Erkundigungen über Vibrans ein und kam zu dem Schluss, dass ein Gespräch „politisch nicht zweckmäßig wäre“ da es dann dazu käme, „in absehbarer Zeit eine Vielzahl solcher Gespräche in unserer Dienststelle zu führen.“ Brief von Weise an das Sekretariat des Präsidenten der Volkskammer der DDR vom

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ˇ SSR zu momeist vergeblichen Versuchen, Pfarrer für sich und gegen die C ˇ SSR „nicht bilisieren. In der Mehrzahl würden die Pfarrer die Situation in der C richtig einschätzen.“770 Wenn diese nach Zustimmungserklärungen gefragt würden, „lehnten sie mit Achselzucken ab.“771 Dabei suchte die CDU nach vorzeigbaren Ergebnissen. Ein Pfarrer namens Schulz wurde z. B. mehrfach in den Berichten der CDU aus Magdeburg ohne Begründung als einer derjenigen angeführt, die das militärische Eingreifen guthießen. Schulz hatte gemeint, „daß er mit diesen Maßnahmen einverstanden ist, wenn sich ergibt, daß der größte Teil der Bevölkerung der CSSR hinter diesen Maßnahmen steht.“772 Diese Bedingung wurde wohlweislich unterschlagen, da dadurch deutlich wurde, dass der Pfarrer durchaus nicht für das militärische Eingreifen war. Von den acht Pröpsten sowie dem reformierten Senior äußerte sich letzterer, ˇ SSR. wie schon erwähnt, mehrmals öffentlich gegen den Einmarsch in die C Zwei bis drei weiteren Pröpsten und mehreren Superintendenten wurde in den ˇ SSR staatlichen Berichten ein ,negatives‘ Verhalten zu den Vorgängen in der C 773 bescheinigt . Öffentlich positionierte sich niemand im staatlichen Sinne.

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7. 11. 1968 (BArch DO 4/539). In einem Brief wurde Vibrans erklärt „daß gerade verantwortliches Handeln und auch das Eingreifen militärischer Kräfte der Deutschen Demokratischen Republik dazu geführt haben, daß es nicht gelungen ist, die offene Konterrevolution in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik auszulösen.“ Brief von Weise an Vibrans vom 7. 11. 1968 (BArch DO 4/539). 1969 sprachen sich staatliche Stellen gegen seine Berufung als Pfarrer in Lützen aus und es wurde ihm mit Ausreiseverbot gedroht. Vgl. Vermerk über ein Gespräch beim RdB Halle am 4. 12. 1968 zwischen dem Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres […] und Oberkonsistorialrat Ammer, 6 (AKPS, B3 Nr. 365). Vibrans trat die Stelle 1969 an. Vgl. Hans Gerhard Vibrans (AKPS, A, Spec P. PA – 639a). Informationsbericht des Bezirksvorstandes Magdeburg der CDU an das Sekretariat des Hauptvorstandes vom 29. 11. 1968, 5 (ACDP 07-011-262). Als Gegenargumente der Pfarrer ˇ SSR gebe es keine Konterrewurden die auch sonst allgemein verbreiteten genannt: in der C volution, das militärische Eingreifen sei Bruch des Völkerrechts, Einmischung in die inneren ˇ SSR, Vereitelung der Demokratisierungsbemühungen, die Vorgänge Angelegenheiten der C weisen Parallelen zu 1938 auf und die Beteiligung der NVA stehe im Widerspruch zur Verfassung. KV Wernigerode an den Hauptvorstand der CDU. Informationsbericht zum 15. 9. 1968 vom 8. 10. 1968 (ACDP 07-011-262). Auch hier war das Hauptargument der Pfarrer die Frage der Beteiligung der NVA. BV Magdeburg. Information vom 22. 8. 1968, 2 (ACDP 07-012-1536). Z. B. den Pröpsten Fleischack und Heldt [sic!]. Vgl. Kurzbericht über die Dienstreise nach Magdeburg am 14. 10. 1968, vom 16. 10. 1968, 1 f. (BArch DO 4/2954). Allerdings war Held kein Propst, sondern Superintendent im Kirchenkreis Schönhausen. Er war zudem nach Aussage der CDU der einzige Superintendent, der sich von der Kirchenleitung distanzierte. Vgl. BV Magdeburg. Information über die Haltung kirchenleitender Kreise zur gegenwärtigen Situation in der CSSR vom 2. 9. 1968, 2 (ACDP 07-011-262); weiter „Bei Probst [sic!] Dr. Verwiebe – Erfurt und Sup. Mebus – Erfurt sowie den Sup. Mehl – Sömmerda und Kratochwil – Tennstedt handelt es sich ebenfalls um eifrige Vertreter der Ideologie der sogenannten EKD, die auch gegen die Maßnahmen des 21. August 1968 verstärkt sprechen.“ Maßnahmenplan zur Vorbereitung des 20. Jahrestages der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik auf kirchenpolitischen Gebiet vom RdB Erfurt, 16. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/2976). Vier weitere Superintendenten wurden erwähnt. Vgl. Bericht: Entwicklung der Kirchen, Religionsgemein-

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7.3.1. Merseburg Im Raum Merseburg schrieben am 23. August zehn evangelische und katholische Pfarrer gemeinsam ein Protesttelegramm an den Vorsitzenden des Ministerrates774. Es ist ein seltenes und das einzige ökumenische Beispiel, dass sich auch katholische Geistliche klar gegen die Maßnahmen ab dem 21. August positionierten. Der Inhalt des Telegramms war einfach: „Wir sind bestürzt.“775 Das Telegramm wurde ebenfalls an den Vorsitzenden des Rates des Bezirks geschickt,776 weswegen es wahrscheinlich auf eine Stufe mit dem Brief der Pfarrer aus der Ephorie Pirna gestellt wurde. Die zehn Pfarrer wurden daraufhin einzeln zu Aussprachen zum Rat des Kreises bestellt. Ende September schrieb der bereits erwähnte zuständige Propst zu Halle und Merseburg Münker einen Brief an seine Superintendenten, welchem er die Briefe der ˇ SSR beilegte, damit diese wiederum die Briefe an die Kirchenleitung an die C Pfarrer weitergeben konnten. In seinem Anschreiben sprach sich Münker dagegen aus, die Briefe als Kanzelabkündigung zu verwenden, war jedoch der Ansicht, „daß das Material der beiden Briefe überall dort im vollen Wortlaut zu verwenden ist, wo Menschen beunruhigt fragen: Wie sollen wir recht beten, und wie stehen wir recht in der Gemeinschaft mit unseren Brüdern in der CSSR?“777 Sein Ziel war, damit zwei Gefahren gleichzeitig abzuwehren: „sowohl dem billigen ,Reden zum Fenster hinaus‘, wie dem ängstlichen Schweigen, wo konkrete geistliche Anrede geboten ist.“778 Münker gab so die beiden Briefe der Kirchenleitung an die Pfarrer weiter, nachdem Jänicke das Wort zurückgezogen hatte und noch bevor die Synode beschloss, den Brief nicht auszuhändigen.

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schaften und der konfessionell gebundenen Bürger unter den Bedingungen der sozialistischen Ordnung im Bezirk Erfurt, vom 11. 3. 1969, 17 (BArch DO 4/2976). Auch der Stellvertretende Superintendent von Suhl lehnte den Einmarsch ab und ein weiterer Pfarrer in Suhl meinte, nach dem 21. August „müsse man sich schämen, Deutscher zu sein.“ Dienstreisebericht vom 2. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2976). Vgl. Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 7 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 6 f. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Die CDU vermerkte diesen Vorgang auch, allerdings war hier von elf Pfarrern und einer Eingabe an den Vorsitzenden des Ministerrates die Rede. Vgl. Aktenvermerk vom 6. 9. 1968. Kirchenpolitische Situation im Zusammenhang mit dem 21. 8., 2 (ACDP 07-010-3252). Vgl. Sch fer, Katholische Kirche, 242 f. „In Merseburg sandte die ev. [sic!] Pfarrerschaft, sekundiert durch Unterschriften kath. [sic!] Pfarrer, die sich nicht an ihre innerkirchlichen Empfehlungen gehalten hatten, ein Protestschreiben an den Staatsrat und an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes.“ Informationsbericht des Bezirksvorstand Halle vom 27. 9. 1968, 5 (ACDP 07-011-263). Brief des Propstes zu Halle und Merseburg an die Superintendenten der Propstei vom 30. 9. 1968 (EZA 104/944). Ebd.

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7.3.2. Johannes Hamel Johannes Hamel gehört zu den ostdeutschen Theologen, die über viele Jahre hinweg in der Kirchenprovinz Sachsen, aber auch über diese hinaus prägenden Einfluss hatten. Dies lag zum einen an seiner Biografie: Er war durch seine Verhaftung im Jahr 1953 – zu diesem Zeitpunkt war er Studentenpfarrer in Halle – bekannt geworden779. Hamel gehörte zu jenen Personen, die ungewöhnlich klar und offen auch in der Öffentlichkeit ihre Meinung sagten. Von 1955 bis 1976 prägte er als Dozent für Praktische Theologie an der kirchlichen Hochschule in Naumburg evangelische Theologiestudierende. Über viele Jahre war er darüber hinaus in den Synoden der KPS und der EKU engagiert. Für den Staat war er eine persona non grata. Als im Frühjahr 1968 die Wahl eines neuen Bischofs für die Kirchenprovinz Sachsen anstand, hatte der Staat vor allem die Sorge, dass Johannes Hamel kandidieren könnte. Über ihn hieß es, dass die Kirchenleute der Meinung wären, „daß Hamel die Lage in der Kirchenprovinz Sachsen am besten beherrscht, theologisch gut sei und von der Mehrheit der Synodalen anerkannt würde.“780 Die Beurteilung des Bezirkes Magdeburgs, die an die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED ging, fiel dementsprechend gegenteilig aus. Es wurde darauf verwiesen, dass Hamel 1953 inhaftiert gewesen und an den 10 Artikeln und weiteren nicht wohlgelittenen Handreichungen maßgeblich beteiligt gewesen sei. Das Fazit war daher eindeutig: „Dieser Mann ist nach unserer Auffassung einer der reaktionärsten Kräfte.“781 1968 wirkte er unter anderem an kirchlichen Eingaben zum Verfassungsentwurf mit und sorgte dafür, dass sich der Ausschuss für öffentliche Verantwortung EKU mit den Reformimpulsen für einen deˇ SSR auseinandersetzte und darüber remokratischen Sozialismus in der C flektierte, was dies für die evangelischen Kirchen in der DDR bedeuten könnte782. Mitte September 1968 schrieb er einen Brief an Politbüromitglied und Ersten Sekretär der Bezirksleitung der SED im Bezirk Halle, Horst Sindermann, in welchem er die ,Hilfsmaßnahmen‘ als Okkupation, Unrecht, Aggression, ja als „Maßnahme, die ein kleines Volk vergewaltigt hat“, brandmarkte783. Deutsche hätten sich nach 1938 nicht beteiligen dürfen, sollten schnellstmöglich abgezogen werden, und er, Hamel, schäme sich. Das Vertrauen, welches die Partei wolle, sei „sofern es vorhanden war – schwer geschädigt worden.“784 Auf der Herbstsynode 1968 fiel er staatlichen Beobˇ SSR immer wieder einforderte. An achtern dadurch auf, dass er das Thema C 779 Ausführlich dazu vgl. Thulin, Durch Verhaftung. 780 Brief der SED-Bezirksleitung Magdeburg an Bellmann vom 1. 2. 1968, 2 (SAPMO-BArch DY 30/IV/A2/14/3). 781 Ebd. 782 Vgl. Kapitel 1.5.2., 88 – 91. 783 Briefe und Flugbl tter zu 1968 in der DDR, Brief Hamel an Sindermann, 181. 784 Ebd.

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dem folgenden Beispiel soll verdeutlicht werden, dass punktuell die Frage nach der kirchlichen Haltung zum Prager Frühling immer wieder aufbrach. Auf der Herbstsynode 1970 in Wernigerode hielt Hamel einen Nachruf auf Josef L. Hrom dka, der postwendend gegenüber Krusche in dem schon erwähnten Gespräch mit dem Rat des Bezirkes Erfurt vom 9. Dezember 1970 als ,konterrevolutionär‘ bezeichnet wurde. Hamel habe, „wenn auch nur andeutungsweise, auf seinen Brief an den Botschafter der UdSSR in der CSSR hingewiesen.“785 Krusche wies die Anschuldigungen zurück786. Hamel schrieb daraufhin im März 1971 einen Brief an Seigewasser, in welchem er ihm sein Referat beilegte, um diese offenen Anschuldigungen zu entkräften. Oberflächlich betrachtet bestand dieses Referat lediglich in einer Laudatio auf den verstorbenen Hrom dka. Von direkten Bezügen auf die Situation der Besetˇ SSR im August 1968, in der Hrom dka jenen Brief an den Botzung der C schafter der UdSSR schrieb, ist nichts zu lesen. Allerdings bescheinigte Hamel Hrom dka, unbequem gegenüber Christen wie Marxisten gewesen zu sein, beiden Seiten oft Äußerstes zugemutet und selbst seinen guten Ruf in Gefahr ˇ gesucht, sei für gebracht zu haben. Er habe immer das Gespräch mit der KSC einen echten Dialog zwischen Christen und Marxisten eingetreten und „als am Ende seines Lebens die Hoffnungen, die er irdisch hatte, nämlich restlos zerbrachen […] hat er nicht den bequemen Weg gewählt, sondern ist bis zum Schluß einer geblieben, der Gottes Todesurteil auch über unsere Pläne und Wünsche auf sich nimmt.“787 Dass mit diesen zerbrochenen Hoffnungen auf das Scheitern des Prager Frühlings und auf das Scheitern der CFK angespielt wurde, hatten die Beobachter der Synode ganz richtig erkannt. Hamel stellte Hrom dkas Handeln gegen Ende seines Lebens als Beispiel für Christen in Ost und West dar. Außerdem hatte Hamel Hrom dka als Beispiel für einen echten christlich-marxistischen Dialog angeführt; eine Art des Dialogs, in dem der anderen Seite gut zugehört, aber auch unangenehme Wahrheiten ausgesprochen würden. Hamel zitiert hier Hrom dka: „Wenn nicht Recht und Würde in den Sozialismus eingebaut werden, dann wird der Sozialismus sein großes und hohes Ziel nicht erreichen.“788 An einem derart ausgerichteten Dialog waren die staatlichen Funktionäre nicht interessiert. Die staatlichen Beobachter nahmen Krusche übel, dass dieser Hamel in seinem Schlusswort für dessen Ausführungen dankte, ihn bestätigte und ebenfalls Hrom dka als beispielgebend für die Kirchen in der DDR nannte. Krusche erklärte, dass Hrom dka vor 1968 bei vielen nicht gut angesehen gewesen sei und er seinen Ruf durch 785 Brief Hamels an Seigewasser vom 15. 3. 1971, 1 (AKPS, B3 Nr. 367). Er nahm Bezug auf einen kirchlichen Vermerk über das Gespräch vom 9. 12. 1970 (AKPS, B3 Nr. 368). 786 Vgl. aus einer Niederschrift über eine Aussprache mit Vertretern der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen am 9. 12. 1970, 9 (BArch DO 4/793). 787 Brief Hamels an Seigewasser vom 15. 3. 1971. Anhang. Gedenkrede auf Professor Josef Hrom dka, gehalten auf der Synode der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Wernigerode im November 1970, 2 (AKPS, B3 Nr. 367). 788 Ebd.

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ˇ aufs Spiel gesetzt habe. Die Beobachter die Redebereitschaft mit der KSC deuteten Krusches Worte wohl richtig, wenn sie meinten: „Hätte er [Hrom dka] den Brief während der Ereignisse 1968 in der CSSR nicht geschrieben, wäre er vergessen, wollte der Bischof damit andeuten.“789 Verärgert wurde in einer Dienstbesprechung des Staatssekretärs für Kirchenfragen zur Kenntnis genommen, dass Hamel sich in seiner Laudatio nicht auf Hrom dka als Gründer der CFK bezogen hatte, sondern auf den „Hromadka, der im Zusammenhang mit den Umtrieben der Konterrevolution in der CSSR in das Fahrwasser der Konterrevolution geraten war!“790 Und ausgerechnet diesen späten Hrom dka hatte Hamel als Vorbild gesetzt. In dem Gespräch am 9. Dezember beklagten die staatlichen Vertreter, dass die Synode solch ,reaktionärem‘ Treiben keinen Einhalt geboten habe791. Hamels Äußerungen zu Hrom dka wurden Ende Dezember 1970 in einer allgemeinen Beurteilung der Synoden in der DDR in überspitzter Weise wiedergegeben, wie er sie so explizit nicht getätigt hatte: „Pf. Hamel bezeichnete Prof. Hromadka aus der CSSR nach seiner offenen Unterstützung für die Konterrevolution als einen ,mutigen Christen, der das Kreuz bis an das Ende getragen hat.‘“792 Ein Jahr später wurde Hamel von Seigewasser in einem Gespräch mit dem Kirchenpräsidenten Anhalts, Eberhard Natho, noch stärker als Sympathisant der ˇ SSR benannt: „Wenn Herr Hamel vor der Synode Reformkommunisten der C in Halle gesagt habe, der Sozialismus sei besser als die Zustände in der DDR, dann sei dies in der Nähe von Alexander Dubcˇek und eine Äußerung, die nicht mehr unwidersprochen bleiben dürfe.“793 Natho verstand Seigewassers Ausführungen folgendermaßen: „Nach meiner Interpretation dieser Passagen wollte Seigewasser wohl sagen, Kirche darf niemals mehr sagen, denken, in Gang setzen wollen, als vom Staat bereits gesagt,

789 Einschätzung über den Verlauf der 5. Tagung der VI. Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 6. 11.–10. 11. 1970 in Wernigerode, RdB Magdeburg vom 10. 11. 1970, 9 (BArch DO 4/793). 790 Protokoll zur Dienstbesprechung beim Staatssekretär am Freitag, dem 13. 11. 1970, 6 (BArch DO 4/401). 791 Vgl. Niederschrift über eine Aussprache mit Vertretern der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen am 9. 12. 1970, 7 (BArch DO 4/793). 792 Einschätzung der Herbstsynoden der Ev. Landeskirchen in der Deutschen Demokratischen Republik, vom 29. 12. 1970, 7 (BArch DO 4/444). 793 Bericht über ein Gespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen Hans Seigewasser, am 6. 12. 1971 mit Kirchenpräsident Natho, 3 (AKPS, B3 Nr. 367). In den staatlichen Akten zu diesem Gespräch wird der direkte Bezug zu 1968 nicht hergestellt: „Staatssekretär Seigewasser machte andererseits deutlich, daß man solche gefährlichen Tendenzen, wie sie der ehemalige Seminardirektor, Pf. Hamel, in Naumburg auf der letzten provinzialsächsischen Synode vertreten habe, natürlich von einem sozialistischen Staat nicht hingenommen werden könnten und würden auch nicht einfach nur registriert.“ Kurzer Vermerk über den Besuch des anhaltinischen Kirchenpräsidenten Natho beim Staatssekretär, 7. 12. 1971, 2 (BArch DO 4/794).

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gedacht, in Gang gesetzt worden ist. Es ist nicht Aufgabe der Kirche, den Sozialismus zu verbessern.“794

Massiv versuchten staatliche Stellen, bei der KPS zu erreichen, Hamel aus seinen kirchlichen Funktionen zu drängen. 1969 betrieben diese vergeblich seine Abberufung aus Naumburg, weil er mit Studenten offen über die Reˇ SSR diskutiert hatte795. formprozesse in der C

7.3.3. Hans-Jochen Tschiche Auch Hans-Jochen Tschiche gehört zu den bekannteren ostdeutschen Theologen796. Bekannt wurde er allerdings durch seine politische Tätigkeit, die weit nach den Ereignissen von 1968 liegt. In den 1980ern engagierte er sich als Bürgerrechtler in der Friedensbewegung und wechselte nach der Friedlichen Revolution in die Politik. So war Tschiche unter anderem Mitbegründer des Neuen Forums und dessen Vertreter am Runden Tisch in Magdeburg. Von 1990 bis 1998 war er Fraktionsvorsitzender der Grünen im Magdeburger Landtag und maßgeblich am Magdeburger Modell – der Rot-Grün-Minderheitsregierung unter Tolerierung der PDS – beteiligt797. 1968 gehörte Tschiche – damals Pfarrer in Meßdorf, Altmark – zu den vielen in der DDR, die in Bezug auf die Reformprozesse des Prager Frühlings Hoffnungen hegten und von der gewaltsamen Beendigung des reformsozialistischen Projekts tief enttäuscht waren798. Bereits über die neue Verfassung äußerte er sich in den öffentlichen Diskussionen kritisch und schrieb mit Kollegen und einem Superintendenten eine Eingabe an die Verfassungskommission799. Im Gegensatz zur Mehrheit seiner Zeitgenossen führte seine Enttäuschung jedoch dazu, dass er auf dem Stendaler Kirchentag im September 794 Bericht über ein Gespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen Hans Seigewasser, am 6. 12. 1971 mit Kirchenpräsident Natho, 3 (AKPS, B3 Nr. 367). 795 Vgl. Winter, Johannes Hamel, 135, 140. 796 Hans-Jochen Tschiche sei nochmals gedankt für das Zur-Verfügung-Stellen persönlicher Dokumente, der Erlaubnis, seine kirchliche Personalakte einzusehen sowie der Möglichkeit eines Gesprächs am 8. 1. 2010. 797 Vgl. www.tschiches.de. letzter Abruf 31. 3. 2012. 798 Er selbst schrieb in seinen autobiografischen Aufzeichnungen: „1968 war kein gutes Jahr. Jeder, der auf einen Sozialismus mit menschlichen Antlitz hoffte, sollte tief enttäuscht werden.“ Und „Der Prager Frühling war meine Hoffnung zu jener Zeit. Ich dachte, jetzt bekommt der Sozialismus das Gesicht, das ich mir immer gewünscht habe, jetzt tut sich zum Westen wirklich eine Alternative auf.“ Tschiche, Erinnerungen, 19, 21. Ausführlicher vgl. auch Tschiche, Boykottnest, 56 – 59. Kurz geht Tschiche auf diese Situation auch ein in: Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt, Leben mit der DDR, 63 f. 799 Zu ersterem vgl. Informationsbericht des Bezirkssekretariates der CDU Magdeburg an das Sekretariat des Hauptvorstandes zum 15. 2. 1968, 5 (ACDP 07-11-262); und Auszug aus dem Protokoll der 1. Sitzung des Rates der Kirchenleitung vom 6. 1. 1969, 1 (AKPS, A Gen. 3640). Zur Eingabe vgl. Tschiche, Erinnerungen, 19 f.

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1968 seiner Ettäuschung Luft machte. Tschiche hatte in der Arbeitsgruppe II: ,Es läßt sich miteinander leben‘, die unter der Leitung von Peter Schicketanz stand, ein Referat ,Es läßt sich miteinander leben in der Gesellschaft‘ vor etwa 100 Teilnehmern gehalten800. Anstelle des vorher abgesprochenen Konzeptes sprach er frei. Was Tschiche wortwörtlich sagte, lässt sich nicht genau rekonstruieren, da die Tonbänder vernichtet wurden, doch weisen die verschiedenen Berichte und Erinnerungen auf eine Systemkritik an Ost wie West hin801. Aus eigener Erinnerung sagte er: „Beide Systeme, sowohl im Westen als auch im Osten, sind nicht in der Lage, friedlich zu koexistieren. Diese Systeme sind lebensbedrohend. Sie sind Kinder des Kalten Krieges. Wir müssen sie von innen her zersetzen. Laßt uns Sand im Getriebe sein!“802 Schicketanz erinnert sich an noch weitergehende Spitzensätze: „Die Regierungen in Pankow und Bonn sind beide unfähig und gehörten beseitigt, weil sie die Probleme der dritten Welt, Hunger usw. nicht lösen wollen oder können.“803 Der zuständige Propst Eichenberg, der tendenziell gegen Tschiche eingestellt war, berichtete ebenfalls, dass Tschiche von den Christen aktives Engagement zur Veränderung der Verhältnisse in Ost und West und den Sturz der jeweiligen Systeme gefordert habe. Tschiche sei der Meinung, dass dazu ein kleiner Prozentsatz genüge. Und schließlich: „Da unsere Funktionäre nicht in der Lage sind, die Fragen zu lösen, müssen sie durch brauchbarere ersetzt werden. Der Widerstand, der bisher von Einzelnen betrieben wurde, muß in Gruppen zusammengefaßt werden.“804 Nach Eichenberg sei Tschiches Vorstellung ein „nach vorn geöffneter Sozialismus.“805 Selbst wenn solche Sätze nur in abgeschwächter Form gefallen sein sollten, genügten sie vollständig, den Staatsapparat in Alarmbereitschaft zu versetzen. Abgesehen davon, dass Tschiche und seine Familie ins Visier des MfS gerieten, versuchten Funktionäre auf verschiedenen Ebenen Druck auf Tschiche aufzubauen und ihn zu isolieren. Eine Ebene war dabei die Kirchenleitung und das Konsistorium. Die Kirche sollte Tschiche für den Staat disziplinieren. So wurde Krusche gegenüber sowohl bei seinem Antrittsbesuch beim Staatssekretär für Kirchenfragen am 12. November als auch beim Rat des Bezirkes Magdeburg am 26. November auf Tschiche angesprochen. Seigewasser sprach von Tschiche als von einem „äußerst negativ eingestellten Pfarrer“, der in Stendal geäußert habe, „er könne sich mit einem liberalen Marxismus befreunden, wie er in der CSSR

800 Vgl. Email von Schicketanz an die Verfasserin vom 12. 8. 2010. 801 Vgl. Auszug aus dem Protokoll der 1. Sitzung des Rates der Kirchenleitung vom 6. 1. 1969, 2 (AKPS, A Gen. 3640). 802 Tschiche, Erinnerungen, 22 f. 803 Email von Schicketanz an die Verfasserin vom 12. 8. 2010. 804 Propst Eichenberg über Pfarrer Tschiche am 2. 1. 1969 (AKPS, A Gen. 3640); vgl. auch Auszug aus dem Protokoll der 1. Sitzung des Rates der Kirchenleitung vom 6. 1. 1969, 2 (AKPS, A Gen. 3640). 805 Ebd.

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versucht werde.“806 Ammer soll Seigewasser gegenüber versichert haben, „daß diese ,leidige Angelegenheit‘ im vom Staat gewünschten Sinne geregelt werden würde.“807 Von staatlicher Seite aus wurde mit Verhaftung gedroht808. Bei einem Gespräch beim Rat des Bezirkes Magdeburg am 12. Dezember wurde das Thema Tschiche, das eigentlich schon als erledigt betrachtet worden war, gegenüber Ammer mit der Begründung wieder aufgerollt, dass zum einen Gedanken von Tschiche in der Gemeinde kursierten und zum anderen er Miturheber des schlechten Abschneidens einer der LPGs sei809. Daher solle Tschiche die Stelle wechseln und den Bezirk verlassen. Ammer erklärte daraufhin, dass dies nur durch ein Disziplinar- oder Versetzungsverfahren möglich sei. Dafür sei das Evangelische Konsistorium zuständig, aber zuvor solle versucht werden, die Angelegenheit über den zuständigen Propst Eichenberg zu regeln. Damit zeigten sich die staatlichen Stellen einverstanden, betonten aber noch einmal, dass diese Sache für sie „ernst und dringlich sei.“810 Dem zuständigen Propst Friedrich-Carl Eichenberg war Tschiche nicht recht geheuer. In ihm hatte Tschiche daher keinen Befürworter. Im Gegenteil: Eichenberg trat sowohl dem Staat gegenüber als auch in der Kirchenleitung, zu der er gehörte, gegen Tschiche auf811. Während der Staat Eichenbergs Verhalten Tschiche gegenüber „als Beweis seines ehrlichen Bemühens, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche nicht zu trüben“ wertete, war Tschiche der Meinung, dass sie schlicht weder persönlich noch theologisch miteinander zurechtkämen812. Eichenberg gehörte nicht nur zu einer anderen Generation, sondern auch einer anderen theologischen Prägung an und hielt solch dezidiert politisches Auftreten eines Pfarrers für verkehrt813. Tschiche vernachlässigte seiner Meinung nach die Gemeinde zugunsten eigener Profilierung

806 Aktennotiz von Werner Krusche vom 14. 11. 1968 über den Antrittsbesuch beim Staatssekretär für Kirchenfragen vom 12. 11. 1968, 2 (AKPS, B3 Nr. 367). 807 Kurzbericht über ein Gespräch mit Bischof Krusche und OKR Amer beim Staatssekretär am 12. 11. 1968 vom 13. 11. 1968, 4 (BArch DO 4/2956). 808 Vgl. Aktennotiz Gespräch Krusche und OKR Ammer mit Vorsitzenden des RdB Magdeburg Ranke, vom 26. 11. 1968, 3 (AKPS, B3 Nr. 368). 809 Vgl. Vermerk über eine Besprechung beim RdB Magdeburg am 19. 12. 1968, 5 (AKPS, B3 Nr. 368). 810 Ebd. 811 In der Sitzung der Kirchenleitung vom 6./7. 12. 1968 berichtete der Bischof von seinen Antrittsbesuchen und der Fall Tschiches wurde von Propst Eichenberg dargelegt (AKPS, B3 Nr. 13). 812 Vgl. Einschätzung der im Bezirk Magdeburg wohnhaften Mitglieder der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, vom 18. 12. 1968, 4 (SAPMO-BArch DY 30/ IV A2/14/11). Die Kirchenleitungsmitglieder wurden daran bemessen, wie sie sich zum 21. August verhalten hatten. 813 Vgl. Tschiche, Erinnerungen, 23; vgl. auch Hintergrundgespräch mit Hans-Jochen Tschiche vom 8. 1. 2012.

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auf intellektuellem Gebiet814. Als in der Altmark einige Pfarrer und Superintendenten im Herbst 1968 mit Hilfe des Wortes Bischof Jänickes das Thema ˇ SSR aufgriffen, wurden sie von Eichenberg dazu angehalten, dies zu unterC lassen815. Um den Druck auf Tschiche und die Kirchenleitung weiter zu erhöhen, damit jener aus dem Bezirk Magdeburg verschwinde, verabschiedeten der Rat der Gemeinde Meßdorf und der Ortsausschuss der Nationalen Front am 23. Dezember 1968 eine Resolution gegen Tschiche. Die Botschaft war eindeutig: „Mit Bestürzung und großem Unverständnis haben wir Kenntnis erhalten von Äußerungen des Pfarrers Tschiche – der offen zum Kampf gegen die Arbeiter- und Bauern-Macht aufgerufen hat –, dem Staat, dem wir unsere Perspektive in Glück und Frieden verdanken. Wir distanzieren uns auf das Schärfste von diesen Äußerungen […] Wir fordern von der Kirchenleitung des Bezirkes Magdeburg eine Versetzung des Pfarrers, da wir in seinen Äußerungen eine grobe Verletzung des menschlichen Gefühls und der Auffassung eines jeden Bürgers unserer Gemeinde zu unserem Staat sehen.“816

Diese Resolution wurde über den Rat des Bezirkes Magdeburg der Kirchenleitung am 10. Januar zugeleitet. Einen Tag später wurde sie in der Kirchenleitung vorgelesen und über die Angelegenheit beraten. Eichenberg berichtete über die verschiedenen von ihm geführten Gespräche und Schicketanz noch einmal über den Stendaler Kirchentag. Es wurde beschlossen, Tschiche tatsächlich den Rat zu erteilen, sich um eine andere Pfarrstelle zu bemühen und gegebenenfalls Urlaub zu beantragen. Sollte er das nicht tun, müsse er die Konsequenzen selbst tragen, „seine Äußerungen seien jedoch nicht von der Gesamtkirche als evangelische Verkündigung zu akzeptieren.“817 Gegenüber dem Rat des Bezirkes Magdeburg sollte darauf gedrungen werden, dass Tschiche auf einer neuen Stelle nicht gleich wieder dieselben Schwierigkeiten bekäme. Am 13. Januar 1969 wurde Tschiche zu einer Sitzung des Rates der Kirchenleitung gebeten, auf der er alleiniger Tagesordnungspunkt war. Der Bischof wiederholte die einzelnen Kritikpunkte, die seitens des Staates gegen

814 Vgl. Propst Eichenberg über Pfarrer Tschiche am 2. 1. 1969 (AKPS, A Gen. 3640); und Tschiche, Boykottnest, 56 f. 815 Vgl. Kurzbericht über die Dienstreise nach Magdeburg am 14. 10. 1968 vom 16. 10. 1968, 1 f. (BArch DO 4/2954). 816 Abschrift. Resolution des Rates der Gemeinde Messdorf [sic!] und des Ortsausschusses der Nationalen Front vom 23. 12. 1968, 1 (BArch DO 4/435); vgl. Propst Eichenberg über Pfarrer Tschiche am 2. 1. 1969, 2 (AKPS, A Gen. 3640). In diesem Gespräch soll Tschiche berichtet haben: „als die Bürgermeisterin gehört habe, daß T. im Jahre 1968 nicht in der CSR [sic!] gewesen sei, habe sie die ganzen Anschuldigungen für weniger tragisch genommen.“ 817 Protokoll der ersten Sitzung der Kirchenleitung am 10./11. 1. 1969, 2 (AKPS, B3 Nr. 14).

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Tschiche angeführt worden waren818. Im Grunde ging es um die Frage, inwieweit sich ein Christ und insbesondere ein kirchlicher Amtsträger politisch engagieren dürfe. Tschiche bezog zu den einzelnen Punkten Stellung, stritt sie nicht ab und begründete sein politisches Engagement mit der Nachfolge Jesu, „die gerade das Eingehen des Risikos notwendig mache.“819 Krusche bestätigte dies zwar, war jedoch der Ansicht, dass Tschiches Art des Engagements „ebenso unrealistisch wie sinnlos [sei] und nur zu einem harten Eingreifen des Staates führen [könne].“820 Auch der Präses sah nur zwei Alternativen: Entweder Tschiche suche sich eine andere Pfarrstelle oder er müsse mit einem baldigen Eingreifen des Staates rechnen, also mit Verhaftung, Verurteilung, Gefängnis. Die Kirchenleitung versuchte, Tschiche zu ersterem zu bewegen. „Der Rat der Kirchenleitung wolle Pfarrer Tschiche nicht drängen, aber die Kirchenleitung gebe ihm den dringenden Rat, daß er sich um eine andere Pfarrstelle bewerben möchte.“821 Tschiche bat sich daraufhin eine Bedenkzeit bis zum 16. Januar aus. Nach dieser Bedenkzeit stimmte er zu, vier Wochen Sonderurlaub zu beantragen und sich auf eine neue Pfarrstelle zu bewerben822. Diese Entscheidung teilte der Bischof dem Rat des Bezirkes Magdeburg mit. Bei einem Gespräch mit dem Abteilungsleiter für Kirchenfragen, Bellstedt, am 24. Januar in Magdeburg erklärte dieser, dass die „staatlichen Stellen größten Wert darauf legten, daß Tschiche möglichst bald aus dem Bezirk Magdeburg herauskommt.“823 Während Tschiche von der Kirchenleitung unter Druck gesetzt wurde, erfuhr er von seiner Gemeinde und von Kollegen Unterstützung. Am 14. Januar 1969 sprachen Mitglieder des Gemeindekirchenrates von Meßdorf bei Propst Eichenberg vor824. Sie wollten wissen, was eigentlich los sei. Einer der Ältesten berichtete, dass er bei der Sitzung, in der obige Resolution verabschiedet worden sei, dabei gewesen sei. Auf Anfrage hätten sie gemeint, „ihr Pfarrer habe in der Kirche nichts Staatsgefährdendes gesagt.“825 Als sie sich an der Abstimmung nicht beteiligten, wurden sie gefragt, ob sie für Staatsgefährdendes seien, was sie verneinten. Dies wurde als Stimme gegen Tschiche gewertet. Aus dem Gespräch ging als Resümee hervor, dass die Ältesten Tschiche gern als Pfarrer behalten wollten, ihm aber in der jetzigen Auseinandersetzung 818 Vgl. Protokoll der 2. Sitzung des Rates der Kirchenleitung am 13. 1. 1969, 1 (AKPS, A Gen. 3640). 819 Ebd. 820 Ebd., 2. Dies zitiert auch Tschiche, Boykottnest, 58. 821 Ebd. 822 Vgl. Brief vom 22. 1. 1969 (Personalakte Tschiche im Konsistorium Magdeburg); vgl. auch Protokoll der 2. Sitzung der Kirchenleitung am 7./8. 2. 1969, 2 (AKPS, B3 Nr. 14). 823 Vermerk über eine Besprechung mit Abteilungsleiter Bellstedt am 24. 1. 1969 in Magdeburg von OKR Reggelin (Personalakte Tschiche im Konsistorium Magdeburg). 824 Vgl. Notiz über das Gespräch von Propst Eichenberg mit dem Gemeindekirchenrat Meßdorf am 14. 1. 1969, 1 (AKPS, A Gen. 3640). 825 Ebd.

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nicht zu helfen vermochten826. Auch ein Sonderkonvent des Kirchenkreises Osterburg Ende Januar ergriff gegen Eichenberg und für Tschiche Partei, so dass die Wogen nicht geglättet werden konnten827. Tschiche überlegte in dieser Zeit, was er tun könne828. Anfang Februar schrieb er einen Brief an den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Magdeburg, Alois Pisnik, mit dem Ziel, die Situation zu klären. Er erreichte jedoch das Gegenteil. Später nannte er seinen Versuch naiv829. Eichenberg unterstellte Tschiche daraufhin psychopathische Veranlagungen und meinte, dass dessen Verhandlungen nur negative Folgen haben könnten830. Zusätzlich schrieb Tschiche am 11. Februar an den Bischof, der diesen Brief aber erst am 24. Februar bekam und zuvor seinerseits an Tschiche geschrieben hatte831. Ende Februar erkrankte Tschiche, was ein weiteres vorgesehenes Gespräch im Konsistorium in Magdeburg am 28. Februar verhinderte. Gespräche mit verschiedenen staatlichen und kirchlichen Vertretern folgten, führten jedoch nicht weiter832. Mitte März wurden in der Sitzung der Kirchenleitung drei Möglichkeiten erwogen: Tschiche könne seine Zusage, die Stelle zu wechseln, zurückziehen, man könne ihm einen Studienauftrag für ein Jahr übertragen oder man könne ihn kommissarisch für eine andere Pfarrstelle beauftragen833. Die Kirchenleitung entschloss sich, Tschiche bei seinem Wort nehmen zu wollen und ihren dringenden Rat zu wiederholen, die Stelle zu wechseln, um ihn mit einer anderen Pfarrstellenverwaltung zu beauftragen, sofern er letzterem zustimme. Tschiche blieb vorerst krank und in Meßdorf. Ende März nahm er seinen Dienst dort wieder auf. Krusche schrieb ihm am 12. Mai einen Brief, in welchem er ihn in Kenntnis eines Schreibens des Stellvertreters des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Magdeburg setzte. Aus staatlicher Sicht hätte Tschiche „gegen den Artikel 2 Absatz 2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, den §106 Ziffer 2 und 3, den § 133 Ziffer 2 und den § 138 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik [verstoßen].“834 826 Vgl. Ebd., 2. Eichenberg wird in diesem Bericht polemisch gegen Tschiche, wenn er als letzten Satz schreibt: „Was könnte aus diesen netten Leuten werden, wenn ihnen jemand die wirkliche Botschaft sagte.“ 827 Vgl. Eichenberg über den Sonderkonvent des Kirchenkreises Osterburg vom 29. 1. 1969 am 31. 1. 1969 (Personalakte Tschiche im Konsistorium in Magdeburg); vgl. auch Tschiche, Erinnerungen, 24. 828 In seinen Erinnerungen beschreibt Tschiche seine Überlegungen folgendermaßen: „,Wenn du weggehst‘, dachte ich bei mir, ,dann bist du vor dir selbst moralisch erledigt. Erst die Mächtigen entlarven, und wenn es hart auf hart kommt, dann kneifst du!‘“ ebd., 25. 829 Ebd. 830 Vgl. Gesichtspunkte zum Schreiben des Pfarrer[s] Tschiche an den 1. Sekretär der SED Bezirksleitung Alois Pisnick vom 14. 2. 1969 (AKPS, A Gen. 3640). 831 Vgl. Protokoll der 3. Sitzung der Kirchenleitung am 14. / 15. 3. 1969, 2 (AKPS, B3 Nr. 14). 832 Vgl. Vermerk vom 6. 3. 1969 (Personalakte Tschiche im Konsistorium Magdeburg). 833 Ebd. 834 Brief Krusches an Tschiche vom 12. 5. 1969, 1 (AKPS, A Gen. 3640). Die Kirchenleitung hatte

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Bisher sei nur aus Rücksicht auf das Staats-Kirchen-Verhältnis nichts weiter geschehen. Krusche beschwor Tschiche nahezu, indem er schrieb: „Die Zurücknahme Ihres gegebenen Wortes hat – bisher jedenfalls – weniger Folgen für Sie als für andere gehabt“ und gab ihm nochmals den Rat, sich auf eine andere Stelle zu bewerben835. Am 20. Mai 1969 kam es auf gegenseitigen Wunsch erneut zu einem Gespräch zwischen OKR Ammer und dem Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres beim Rat des Bezirkes Magdeburg. Seitens des Staates wurde Klage geführt, dass es der Kirchenleitung nicht gelungen sei, Tschiche aus Meßdorf zu entfernen, und ihr wurde Vertrauensbruch vorgeworfen. Ammer erklärte, dass die Möglichkeiten der Kirchenleitung erschöpft seien836. Anfang Juli beschwerte sich die Bürgermeisterin von Meßdorf, dass die Kirchenleitung keine Antwort auf ihre Anfrage vom Dezember gegeben habe. Mitte des Monats antwortete Bischof Krusche. Er schrieb, dass die Resolution aus Meßdorf vom 23. Dezember in der schwierigen Situation wenig hilfreich gewesen sei: „Der Herrn Pfarrer Tschiche von seiten der Kirchenleitung gegebene Rat mußte auf diese Weise fast notwendig in den Verdacht geraten, unter der Pression dieser Resolution gegeben worden zu sein. Die Pfarrer unserer Kirche erwarten aber mit Recht von der Kirchenleitung, daß sie sich zu ihnen stellt, wenn sie wegen der rechten Verkündigung der Wahrheit des Evangeliums angegriffen werden.“837

Die Kirchenleitung habe den Rat dennoch erteilt, heißt es weiter. Nun habe jedoch Pfarrer Tschiche seine Zusage die Stelle zu wechseln zurückgenommen und seit Ende März seine Tätigkeit in Meßdorf weitergeführt. Im Grunde versuchte die Kirchenleitung die Quadratur des Kreises. Sie saß zwischen den beiden Stühlen der Forderung des Rates des Bezirkes Magdeburg einerseits und andererseits dem Anspruch, schützend vor ihren Pfarrern zu stehen. Dazwischen suchte sie zu lavieren. Die Drohung einer Verhaftung nahm sie sehr ernst und wollte eine solche verhindern, aber die Haltung und Vorgehensweise Tschiches war ihr viel zu radikal. Das Konsistorium entschied sich gegen ein Disziplinarverfahren, weil Tschiches Fall ein politischer war und damit nicht in seine Zuständigkeit fiel: „Das Konsistorium sieht sich nicht in der Lage, in diesem Falle in ein fremdes Amt einzugreifen.“838 Das hieß mit anderen Worten, dass der Staat, wenn er eine Bestrafung wünschte, sie schon

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beschlossen, dass Krusche einen Brief schreiben solle, in dem Tschiche die Äußerungen des Staates nahegebracht werden sollten und dass der Rat eines Stellenwechsels weiterhin bestünde. Vgl. Protokoll der 5. Sitzung der Kirchenleitung am 9./10. 5. 1969, 1 (AKPS, B3 Nr. 14). Brief Krusches an Tschiche vom 12. 5. 1969, 2 (AKPS, A Gen. 3640). Vgl. Vermerk über ein Gespräch beim RdB Magdeburg am 20. 5. 1969 (AKPS, A Gen. 3640 und AKPS, B3 Nr. 368). Auch ein Briefwechsel zwischen Bischof Krusche und dem Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres beim RdB Magdeburg brachte keine Veränderung. Vgl. Auszug aus dem Protokoll der 5. Sitzung der Kirchenleitung vom 9./10. 5. 1969 (AKPS, A Gen. 3640). Brief Krusches an den Rat der Gemeinde Meßdorf vom 14. 7. 1969, 2 (AKPS, A Gen. 3640). Protokoll der 5. Sitzung der Kirchenleitung am 9. / 10. 5. 1969, 3 f. (AKPS, Rep. B3, Nr. 14).

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selbst vornehmen müsse. Es unterstützte damit nicht Tschiches politische Haltung, doch schützte es ihn in seinem Amt839. Politisch unliebsame Personen über den Umweg der Kirche zu disziplinieren versuchte der Staat immer wieder840. Tschiche arbeitete auch in den folgenden Jahren als Pfarrer in Meßdorf und blieb ein kritischer Geist. 1970 wurde eines seiner Kinder nicht zur EOS zugelassen. Tschiche schrieb daraufhin, wie viele Eltern, eine Eingabe an die Eingabestelle des Sekretariats des Staatsrates. Darin brachte er zum Ausdruck: „Für die Ablehnung ist vielmehr das Urteil der Zulassungskommission und anderer Stellen – so wurde mir gesagt – über meine Person ausschlaggebend gewesen. Es hat im vergangenen Jahr mit dem Rat des Kreises und dem Rat des Bezirkes heftige Auseinandersetzungen über den richtigen Weg zum Sozialismus gegeben. Mir ist unbegreiflich, daß man Unschuldige – noch dazu Kinder – benachteiligen will, um andere zu treffen.“841

Tschiche wechselte in den 1970er Jahren tatsächlich die Pfarrstelle. Er wurde Mitarbeiter und später Leiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt842. Doch dieser Wechsel verschärfte eher die Konflikte mit staatlichen Stellen. Es dauerte nicht lange, bis staatlicherseits erneut ein Stellenwechsel gefordert wurde. Wieder wurde verlangt, dass die Kirchenleitung ein Disziplinarverfahren gegen Tschiche einzuleiten habe843. In der Kirchenleitung gab es auch inhaltliche Kritik an seiner Arbeit. Abermals riet die Kirchenleitung Tschiche zum Stellenwechsel. Da jedoch die Mehrheit des Kuratoriums für ihn stimmte, konnte er bleiben844. 7.3.4. Rudolf Rüther Rudolf Rüther – Jahrgang 1929 – war als Jugendlicher in Kriegsgefangenschaft geraten, hatte Theologie und Pädagogik studiert und war seit 1957 Pfarrer in 839 So auch Schicketanz: „Staatliche Stellen forderten von der Kirchenleitung, Tschiche abzusetzen oder mindestens zu versetzen. Die Kirchenleitung hat sich nicht hinter diese Äußerung von Tschiche gestellt, aber hinter die Person und ihr Amt.“ Email Schicketanz an die Verfasserin vom 12. 8. 2010. 840 Vgl. Neubert, Instrumentalisierung, 339 f. „Die am häufigsten versuchte und oft auch erfolgreich zum Zuge gekommene Instrumentalisierung des Kirchenrechtes bestand in der Anwendung des kirchlichen Disziplinarrechtes im Interesse der SED-Politik. Das MfS hat immer wieder, fast schon stereotyp, versucht, mit Hilfe von IM, vornehmlich Juristen in den Kirchen, die politische Disziplinierung über innerkirchliches Disziplinarrecht zu vollziehen.“ Mit Hilfe von IM gelang dies auch in einigen Fällen, ohne dass den Betroffenen bewusst war, dass das MfS im Hintergrund die Fäden zog. Neubert zählt verschiedene Beispiele aus den 1970ern und 1980ern auf. Vgl. Ebd., 341. 841 Brief Tschiches an die Eingabestelle des Sekretariats des Staatsrates vom 31. 3. 1970 (AKPS, A Gen. 3640). 842 Über diese Arbeit und die Schwierigkeiten vgl. Tschiche, Boykottnest. 843 Vgl. Schultze, Stasi-Überwachung, 9. 844 Vgl. ebd., 10. Tschiche wurde in den 1980ern vom MfS im OV „Spitze“ bearbeitet. Vgl. ebd., 6.

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Bülstringen. Daneben engagierte er sich politisch845. 1968 war er Vorsitzender der Arbeitsgruppe Christliche Kreise beim Bezirksausschuss der Nationalen Front, Abgeordneter des Bezirkstages und Mitglied des Bezirksvorstands der CDU in Magdeburg. Zudem leitete er die Ortsgruppe der CDU in Bülstringen. Anfang 1968 wurde seine Arbeit in der CDU gelobt und in Erwägung gezogen, ihn in den Hauptvorstand zu wählen846. Er gehörte zu den wenigen Pfarrern, die Stellungnahmen zum Verfassungsentwurf abgaben, die diesen begrüßten847. Rüthers Fall steht daher exemplarisch dafür, was geschah, wenn ein ,Fortschrittlicher‘ eine eigene Meinung formulierte, die ihn in Widerspruch zum staatlichen Agieren brachte. Rüther selbst schreibt in der Rückschau über Prag: „Dabei hätten solche Veränderungen uns allen gutgetan, und Dubcˇek hatte das Vertrauen auch unseres Volkes. Es war höchste Zeit für solch einen Schritt. Meine Frau und ich waren begeistert. Womöglich könnte das Experiment Sozialismus auf deutschem Boden doch noch gelingen?!“848 Als die Panzer am 21. August rollten, sei er entgeistert gewesen und habe sich entschlossen zu handeln. Rüther schrieb am 23. August 1968 an den Bezirksausschuss der Nationalen Front, er werde alle politische Arbeit ab sofort ruhen lassen. „Dies gilt, bis die Einmischung in die inneren Partei- und Landesinteressen der CSSR – gegen den dortigen Volkswillen – beendet wird und die Truppen des Warschauer Vertrages und damit unsere eigenen sich aus dem willkürlich besetzten Territorium der CSSR auf ihre bisherigen Standorte zurückziehen.“849

Den gleichen Wortlaut sandte er an den Bezirksvorstand der CDU Magdeburg und den Nationalrat, sowie ein Protesttelegramm an die Neue Zeit850. Einen Tag später besuchten ihn drei Vertreter des CDU-Bezirksvorstandes Magdeburg851. Diese versuchten über zwei Stunden, ihn von seinen Vorhaben abzubringen und ihn davon zu überzeugen, seine Schreiben zurückzuziehen. Rüther erklärte dazu, er sei bisher schon nicht völlig auf einer Linie mit der CDU gewesen, habe sich jedoch „von Ereignis zu Ereignis immer wieder – 845 Zu seinen politischen Funktionen, vgl. seine Autobiographie: R ther, Zukunft, 183 – 199. 846 „Auf zentralen Veranstaltungen mit kirchl. Amtsträgern ist Ufrd. Rüther ständig sehr progressiv und sehr profiliert aufgetreten. Es wird vorgeschlagen, ihn als Nachfolgekandidat in den HV zu wählen.“ Mitteilung Abteilung Kirchenfragen. Vorbereitung eines Kandidatenvorschlages für die Neuwahl des Hauptvorstandes, 4 (ACDP 07-010-6053). 847 Vgl. Informationsbericht des Bezirkssekretariates der CDU Magdeburg an das Sekretariat des Hauptvorstandes zum 1. 3. 1968 (ACDP 07-011-262). 848 R ther, Zukunft, 215. 849 Protestschreiben gegen den Einmarsch in die CSSR, 23. 8. 1968 (Wenzke, NVA und Prager Frühling, 255). 850 Vgl. Sekretariat des Hauptvorstandes. 4. Bericht zur Meinungsbildung über die Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer in der CSSR vom 26. 8. 1968, 5 (ACDP 07-012-1536). 851 Vgl. Ergebnis der Aussprache mit Unionsfreund Pfarrer Rüther am 24. 8. 1968 (ACDP 07-0121536). Rüther selbst beschreibt, wie zuvor das MfS vorgesprochen und mit Verhaftung gedroht hatte. Vgl. R ther, Zukunft, 216.

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bisher mit Erfolg – zu einer positiven Einstellung zu unserer politischen Entwicklung durchgerungen.“852 Dass nun zu militärischen Mitteln gegriffen worden sei, habe für ihn das Fass zum Überlaufen gebracht. Ob er weiter Mitglied der CDU bleiben wolle, habe er noch nicht entschieden. Alles Reden der drei Vertreter des Bezirksvorstandes nützte nichts, Rüther erklärte, dass sein Schritt das Ergebnis von „gründlichen Überlegungen“ sei, und rückte auch in der Folge nicht davon ab853. Daraufhin wurde er von der Liste des 12. Parteitags der CDU gestrichen, galt nicht mehr als Kandidat für den neuen Bezirksvorstand, und die Arbeitsgruppe Christliche Kreise wählte einen neuen Vorsitzenden854. Seigewasser bezeichnete Rüther Ende August in einer politischen Information an seine Mitarbeiter als Beispiel für „Fälle, wo auch bewährte progressive Geistliche plötzlich großen Schwankungen erliegen.“855 Problematisch war Rüther für die CDU zudem, weil er versuchte, die Ortsgruppe Bülstringen zu einer Protestresolution zu bewegen856. Bülstringen wurde daher in der Folge zum „besonders krassen Beispiel“ und zu einem „politisch-ideologischen Schwerpunkt.“857 In der Ortsversammlung am 29. August „kam es zu recht lebhaften bis harten Auseinandersetzungen.“ Rüther habe den ganzen Ortsverband auf seine Seite ziehen wollen, was ihm trotz mehrstündiger Diskussionen jedoch nicht gelungen sei. Nur eine Unionsfreundin habe gesagt: „Wir sind stolz auf unseren Pfarrer, der in dieser Situation solchen Bekennermut zeigt.“ Die Argumente gegen den Einmarsch waren die gleichen wie überall. Als der Vertreter des Bezirkssekretariats versuchte, auf Unterschiede zwischen 1938 und 1968 zu verweisen, antwortete Rüther: „Jawohl, es besteht ein Unterschied, die Typen der Panzer sind heute anders.“ Anhand dieses berichteten Ausspruchs unterstrich der Bezirksverband, die „Gefährlichkeit“ Rüthers. Obwohl die Protestresolution nicht angenommen wurde, ging die CDU davon aus, dass ihre gesamte Bülstringer Ortsgruppe gegen die ,Hilfsmaßnahmen‘ sei. Sie forderte daraufhin, alle anderen Ortsgruppen zu überprüfen, „ob solche Fälle negativer Beeinflussung auch in anderen Verbänden zu verspüren sind.“858 Sehr verärgert war der Bezirksverband der CDU Magdeburg über Rüther, 852 Ergebnis der Aussprache mit Unionsfreund Pfarrer Rüther am 24. 8. 1968, 1 (ACDP 07-0121536). 853 Ebd., 2. 854 Vgl. Informationsbericht des Bezirkssekretariates der CDU Magdeburg an das Sekretariat des Hauptvorstandes zum 27. 8. 1968 (ACDP 07-011-262). 855 Vermerk über den Inhalt einer politischen Information des Staatssekretärs an die politischen Mitarbeiter am 29. 8. 1968, 2 (BArch DO 4/423). 856 Vgl. Informationsbericht 20/68, Stand der Meinungsbildung innerhalb der Partei über die Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer in der CSSR vom 10. 9. 1968, 5 (ACDP 07-011632). 857 Vgl. BV Magdeburg. Informationsbericht vom 30. 8. 1968, 2 f. (ACDP 07-011-262 ebenso 07012-1536). Hier auch die folgenden Zitate. 858 Informationsbericht 20/68, Stand der Meinungsbildung innerhalb der Partei über die Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer in der CSSR vom 10. 9. 1968, 5 (ACDP 07-011-632).

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der ihnen „einen denkbar schlechten Dienst erwiesen“ habe859. Durch Rüthers ˇ SSR habe dieser viele sonst Ablehnen des militärischen Eingreifens in der C ,progressive‘ Pfarrer verunsichert. Für die Arbeitsgruppe Christen seien mit fast 40 Pfarrern Gespräche geführt worden, die sich zwar in der Mehrheit von Rüther distanziert hätten, sich aber weigerten, in der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen. Ein einziger Pfarrer bilde hier eine Ausnahme und dieser sei bereits Mitglied der CDU und im Bezirksvorstand860. Auch sagten im Kreisˇ SSR und den Fall Rüther verband Osterburg alle Pfarrer unter Verweis auf die C der CDU für die Bezirksdelegiertenkonferenz ab861. Anfang September wurde Rüther, der auf dem 12. Parteitag einen Diskussionsbeitrag halten sollte, durch einen zuverlässigen Redner ersetzt862. Die Magdeburger Bezirksdelegiertenkonferenz verurteilte Rüthers Handeln „einmütig“863. Gegen ihn wurde ein Parteiverfahren eingeleitet, da er die ,konterrevolutionären Kräfte‘ unterstütze864. Zwei weitere Personen traten im Bezirksverband Magdeburg aus der CDU aus865. Rüther wurde am 2. Dezember 1968 aus der CDU ausgeschlossen und seine Frau durfte nicht mehr als Lehrerin arbeiten866. Er stellte seine Zuwendungen an die CFK ein867. 1989 war Rudolf Rüther Mitbegründer des Neuen Forums in Nordhausen868. Resümee Bischof Jänicke befand sich im Herbst 1968 in einer schwierigen Situation, da er sein Amt im Oktober des Jahres an seinen Nachfolger Krusche ohne großen Konflikt im Staats-Kirchen-Verhältnis übergeben wollte. Dies floss in seine Überlegungen ein, sich dem staatlichen Druck zu beugen und sein bereits auf den Weg gebrachtes Wort an die Gemeinden zurückzuziehen. Inwieweit dieses Wort dennoch Eingang in das Verhalten der Pfarrer in der Kirchenprovinz 859 Informationsbericht des Bezirksvorstandes Magdeburg der CDU an das Sekretariat des Hauptvorstandes vom 29. 11. 1968, 6 (ACDP 07-011-262). 860 Ebd. 861 Vgl. KV Osterburg. Information vom 12. 11. 1968, 2 (ACDP 07-011-262). 862 Vgl. Aktenvermerk 9. 9. 1968. Diskussionsvorbereitung 12. Parteitag (ACDP 07-011-2163). 863 Informationsbericht Nr. 22/68 vom 20. 9. 1968, Abschlussbericht über die Bezirksdelegiertenkonferenzen, 5 (ACDP 07-011-632). Ein Diskussionsbeitrag eines Handwerkers, der sich auf der Konferenz getraute, gegen den 21. August zu sprechen, wurde ebenfalls verurteilt. 864 Vgl. KV Haldesleben an den Hauptvorstand der CDU. Informationsbericht III/68, Berichtszeitraum vom 15. 7.–15. 10. 1968 vom 21. 10. 1968, 2 (ACDP 07-011-262). 865 Vgl. BV Magdeburg Informationsbericht des Bezirkssekretariates der CDU Magdeburg an das Sekretariat des Hauptvorstandes zum 6. 9. 1968, vom 5. 9. 1968, 1 (ACDP 07-012-1536). 866 Vgl. R ther, Zukunft, 216 f. 867 Vgl. Stand der gezahlten Beiträge für die Arbeit des DDR-Regionalausschusses der CFK in der Zeit vom 1. 1.–9. 10. 1970 (EZA 89/49). 868 Vgl. http://www.chronikderwende.de/_/lexikon/biografien/biographie_jsp/key=r%25fcther_ rudolf.html, letzter Abruf, 5. 8. 2009. Zu den Ereignissen in Nordhausen 1989 vgl. auch Spindler: Protestkulturen, 32 – 35.

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Sachsen fand, muss offen bleiben. Der erst im September versandte Solidaritätsbrief der Kirchenleitung an die EKBB wurde vonseiten des Staats erst mit einmonatiger Verspätung zur Kenntnis genommen. Der Brief wurde von kirchenleitender Seite trotz Aufforderung nicht schriftlich an die staatlichen Stellen weitergegeben. Obwohl die Kirchenleitung eine ähnliche Aktion wie Berlin-Brandenburg zurückzog und viel leiser agierte, wurde sie vom Staat dennoch zu den vier Landeskirchen gezählt, die sich gegen das militärische Vorgehen im Nachbarland gewandt hatten. In den folgenden Jahren geriet die Kirchenprovinz Sachsen in staatlichen Berichten immer wieder unter Verdacht, Gedanken aus Prag in die DDR hinein transferieren zu wollen. Dies lag daran, dass hier Theologen nicht nur kritisch auf Probleme des Realsozialismus hinwiesen, unter denen Christen zu leiden hatten (das taten in der Regel auch die anderen Kirchen), sondern selbst inhaltlich und ,ideologisch‘ über den Sozialismus und dessen Veränderung nachdachten. Als Hauptverdächtige galten: der neue Bischof Krusche wegen seiner Rede von einer ,kritischen Solidarität‘ und Johannes Hamel aus Naumburg, der z. B. an der Eingabe der Synode zur Verfassung mitgearbeitet ˇ SSR immer wieder einhatte und auch auf der Herbstsynode das Thema C forderte. Dazu gehörte auch Heino Falcke, ab 1973 Propst in Erfurt, vor allem wegen seines zu DDR-Zeiten in kirchlichen Kreisen sehr bekannten Hauptreferates auf der Synode des BEK 1972 in Dresden: Christus befreit – darum Kirche für andere. Ihre Kritik war jedoch systemimmanent angelegt. Viel radikaler auf Systemveränderung drängend und nach Krusches Ansicht unrealistisch, weil den Staat zu Konsequenzen provozierend, waren die Ansichten des damaligen Dorfpfarrers und späteren Akademieleiters Hans-Jochen Tschiche. Gleichwohl sah die SED in der systemimmanenten Kritik eine Gefahr. Ende 1970 wurde über die unierten Kirchen allgemein geurteilt, es ginge ihnen „um die Darlegung einer eigenständigen Geschichtskonzeption, die sich gegen unsere gesellschaftliche Entwicklung richtet.“869 Die „Theoretiker“ der Kirchen – und hier wurde Krusche genannt – würden eine „ideologische Korrektur des Sozialismus“ anstreben870. Direkt weiter hieß es: „Die sozialdemokratische Konzeption der ,Vermenschlichung‘ des Sozialismus findet breiten Niederschlag, gepaart mit einer Verfälschung des Revolutionsbegriffes und einer politisch-ideologisch gefährlichen Unterscheidung von Substanz und Erscheinungsform des Sozialismus.“871

Den unierten Kirchen wurde mit Krusche als Kopf nicht nur Sozialdemokratismus vorgeworfen, sondern Sozialdemokratismus wurde hier mit der 869 Einschätzung der Herbstsynoden der Ev. Landeskirchen in der Deutschen Demokratischen Republik, vom 29. 12. 1970, 2 (BArch DO 4/444). 870 Ebd. 871 Ebd., 3.

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wichtigsten Losung des Prager Frühlings gleich gesetzt. Dadurch wurde klar, was der eigentliche Vorwurf an Krusche, Falcke und weitere Kirchenleute war: Ihnen wurde zur Last gelegt, eine eigene vom Prager Frühling inspirierte Sozialismusinterpretation zu entwickeln. Indem sie ,Substanz‘ und ,Erscheinungsform‘ des Sozialismus unterschieden, mit anderen Worten sozialistische Utopie und Realsozialismus, wurden sie frei zu eigener Deutung. Was heute manchmal als Sozialismusaffinität bezeichnet wird, bedeutete in einer Welt, die nun einmal realsozialistisch war, nicht die Hoffnung aufzugeben, dass man auch in dieser Welt etwas bewirken und das Evangelium Jesu Christi verkündigen könne.

8. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens Sachsen gehörte seit 1539 zu den von der Reformation geprägten Gebieten. Wie die anderen Landeskirchen wurde auch die sächsische 1918 aus der Verbindung von Thron und Altar entlassen. 1922 gab sie sich eine Verfassung, in deren Folge Ludwig Ihmels zu ihrem ersten Bischof gewählt wurde. 1933 gewannen auch hier die Deutschen Christen die Kirchenwahlen. 1933 wurde der sächsische Pfarrernotbund gegründet872. Im Sommer 1933 wurde Friedrich Coch als Landesbischof eingesetzt873. Ca. zwei Drittel der Pfarrer suchten jedoch einen Mittelweg zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche und wurden zur sogenannten Mitte gezählt874. Nach Ende des II. Weltkrieges wurde versucht, an Strukturen von vor 1933 anzuknüpfen und die Sächsische Landeskirche wieder aufzubauen, worum sich zunächst Franz Lau von 1945 bis 1947 in der Position des Landessuperintendenten verdient machte. 1947 wurde der ehemalige Leiter der Bekennenden Kirche in Sachsen, Hugo Hahn, der 1938 aus Sachsen ausgewiesen worden war, zum Bischof gewählt, ein Amt, welches er bis 1953 innehatte875. Von 1953 bis 1971 leitete Gottfried Noth als Bischof die Landeskirche. Noth war von 1966 bis 1968 zudem stellvertretender Vorsitzender der KKL und ab 1955 auch Mitglied im Rat der EKD. Aufgrund dieser Mitgliedschaft durfte er 1968 nicht zur Vollversammlung des ÖRK in Uppsala ausreisen. Präsident des Landeskirchenamtes war von 1960 bis 1975 Kurt Johannes. Wichtige Verhandlungen mit staatlichen Stellen wurden in der Regel mit dem Rat des Bezirkes Dresden 872 Vgl. Lindemann, Landeskirche Sachsens und der Nationalsozialismus, 204. 873 Vgl. ebd., 196. Nach einer zwischenzeitlich versuchten kirchlichen Befriedung durch einen Landeskirchenausschuss wurde dieser 1937 abberufen und der Deutsche Christ und Mitglied der NSDAP Johannes Klotsche im Landeskirchenamt etabliert. Vgl. ebd., 214 – 222. 874 Speziell zur Situation der Mitte in Sachsen entsteht derzeit eine Dissertation von Mandy Rabe in Leipzig. Zur Situation in Sachsen zu Kriegsende und in den ersten Nachkriegsjahren vgl. Hein, Sächsische Landeskirche, 29. 875 Vgl. ebd., 11, 13.

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geführt. Die mittlere Ebene umfasste damals 32 Kirchenbezirke, denen je ein Superintendent vorstand. Insgesamt waren 1968 in der Landeskirche ca. 1300 Pfarrer im Dienst876. Mit ca. 3 Millionen Kirchengliedern bildete Sachsen mit Abstand zahlenmäßig die größte Landeskirche in der DDR877. Sachsen ist traditionell lutherisch geprägt. Die sogenannte Zwei-Reiche-, eigentlich Zwei-Regimenten-Lehre Luthers wurde meist als Aufforderung zu großer Zurückhaltung bei staatlichen bzw. politischen Angelegenheiten gewertet878. Das galt sowohl für Äußerungen gegen staatliche Aktionen als auch für staatlicherseits geforderte prosozialistische Aussagen oder für die Mitarbeit in prosozialistischen Gremien, wie der Kirchlichen Bruderschaft Sachsens oder den Arbeitsgruppen Christliche Kreise bei der Nationalen Front879. Zu dieser Zurückhaltung rief die Kirchenleitung auf, was von ihr selbst als auch der Synode und weiten Teilen der Pfarrerschaft so gehalten wurde880. Damit unterschied sich die sächsische Landeskirche von der ebenfalls lutherischen thüringischen Landeskirche mit Mitzenheim als Bischof. Nicht ganz zu Unrecht sahen staatliche Beobachter einen weiteren Grund der sächsischen Zurückhaltung in den weitgespannten Frömmigkeitsrichtungen der Landeskirche, deren Leitung stets um Ausgleich bemüht war881. Die Sächsische Landeskirche lag in unmittelbarer Nachbarschaft zur Tschechoslowakei. Daher waren ihre Gemeinden auch am massivsten von den Truppenbewegungen und der Sperrzone betroffen, die entlang der Grenze eingerichtet worden war882. Die CDU berichtete von „erregten Diskussionen“ 876 Vgl. Pfarrverzeichnis der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens. 877 Vgl. KJ 97 (1970), 342. 878 So antwortete ein Pfarrer im Ruhestand auf die Anfrage der Verfasserin zu 1968 mit großer Selbstverständlichkeit: „Als lutherischer Theologe bin ich noch immer auf der Seite der ,ZweiReiche-Lehre‘ Martin Luthers. Danach hat die Kirche das Reich Gottes zu verkündigen und sich nicht in staatliche Gewalt einzumischen.“ Brief von Christian Näcke vom 4. 8. 2005 an die Verfasserin. 1968 war Näcke Pfarrer in Bischofswerda. In Bischofswerda sprachen Pfarrer in ˇ SSR an. einem Pfarrgespräch noch 1969 das Thema C 879 Walter Feurich gründete die kirchliche Bruderschaft Sachsens 1961 mit vier weiteren Mitstreitern. Sie polemisierte in den folgenden Jahren immer wieder gegen die Landeskirche. 1968 kritisierte die Kirchliche Bruderschaft Sachsens Noth für seinen Einsatz in Bildungsfragen. 1969 forderte sie eine absolute Trennung von der EKD. Vgl. Aktenvermerk über ein Gespräch mit den Bruderschaften am 3. 12. 1968, 2 (BArch DO 4/791 ebenso 2951). 880 Z. B. verabschiedete die Synode 1963 eine Erklärung an alle Pfarrer und stellvertretenden Vorsitzenden der Kirchvorstände, in der sie diese zu Zurückhaltung aufrief. „Aber die Kirche muß es, will sie ihrem Auftrag treu bleiben, unterlassen[,] zu bestimmten Vorschlägen, Programmen und Vorgängen im politischen Bereich Stellung zu nehmen.“ KJ 90 (1963), 158. Staatlicherseits wurde dies als Angriff auf die eigene Differenzierungspolitik wahrgenommen, was sicher auch die Intention war. 881 „Einen großen Teil ihrer Kraft benötigt sie zum Ausgleich der innerkirchlichen Gegensätze zwischen den sogenannten Reformern, die für eine zeigenössisch-attraktive Kirche eintreten, und den Theologisch-Politisch-Konservativen.“ Ergebnisse der Staatspolitik in Kirchenfragen, die in Vorbereitung des 20. Jahrestages der DDR erreicht wurden, RdB Dresden, vom 14. 10. 1969, 2 f. (BArch DO 4/2968). 882 Wenzke bezeichnet Sachsen als „eines der wichtigsten Auf- und Durchmarschgebiete der

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angesichts „der Ereignisse in der CSSR, der Truppentransporte und damit der von Panzern zerfahrenen Straßen“883. Dies bedeutete, dass die Bevölkerung Sachsens viel unmittelbarer betroffen war und tatsächlich Angst vor einem neuen Krieg hatte, da sie aus aus eigener Anschauung von NVA und sowjetischen Truppen in den heimischen Wäldern wusste. Exkurs: Die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig Für die Sächsische Landeskirche kam 1968 mit der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli am 30. Mai in Leipzig zusätzlich ein traumatisches Ereignis hinzu884. Es war ein überwiegend regionaler Konflikt in Sachsen885. Mitte Mai waren sich die leitenden Geistlichen in der DDR einig, dass es um das Schicksal des Gotteshauses schlecht bestellt war, und sie waren sich gleichzeitig ihrer eigenen Ohnmacht den staatlichen Stellen gegenüber bewusst. Denn: „letzten Endes ist das Schicksal dieser Kirche eine Prestigefrage für die politischen Stellen geworden.“886 Nach der Zerstörung der Kirche sprach die

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sowjetischen Hauptkräfte.“ Wenzke, Sachsen, 125 f. Als ein sächsischer Pfarrer von Funkˇ SSR stehe, antwortete er: „Die Pfarrerschaft und tionären befragt wurde, wie die Kirche zur C ich persönlich sind der Meinung, daß es nicht richtig war, daß unsere Jungs (NVA) mit in die CSSR einmaschiert [sic] sind. […] Wir, als der befreundete Nachbarstaat, werden keinen guten Ruf mehr haben. Vor 30 Jahren waren es auch die Deutschen, die einmaschiert [sic] sind, um den Frieden zu erhalten. Was gekommen ist, haben wir alle verspürt.“ Er war direkt von der Sperrzone betroffen, da sein 76-jähriger Schwiegervater zurück nach Westdeutschland musste. Vgl. Auszüge aus den Informationsberichten der Räte und Städte vom 29. 8. 1968, 1 f. (BArch DO 4/2966). KV Meißen Informationsbericht vom 9. 8. 1968, 2; vgl. Kurzinformation über einen Brigadeeinsatz im BV Dresden vom 15. 7. 1968, 3 (ACDP 07-011-267); und vgl. Hermann, Prager Frühling, 43. Die Ereignisse wurden bereits in der Arbeit von Christian Winter wissenschaftlich aufgearbeitet. Vgl. Winter, Gewalt. Zudem ist eine Fülle weiterer Literatur, auch aus der Zeitzeugenperspektive erschienen. Vgl. Winter, Gewalt, 269. Viele Pfarrer der sächsischen Landeskirche hatten in Leipzig studiert und fühlten sich mit Ort und Kirche besonders verbunden. Auch deswegen erreichte der Protest viele Gegenden in Sachsen. In Neueibau und Neusalza Spremberg traten z. B. einige CDU-Mitglieder wegen der Sprengung der Kirche in Leipzig aus der CDU aus. Vgl. Kurzinformation über einen Brigadeeinsatz im BV Dresden vom 15. 7. 1968, 4 (ACDP 07-011-267). In anderen Landeskirchen wurde über die Situation in Leipzig intern berichtet, z. B. auf einem Greifswalder Superintendentenkonvent. Vgl. Konzept. Niederschrift über den Superintendentenkonvent am 16. 9. 1968, 3 (LKAG 3/196a). In der KPS meinte der Propst der Altmark, Eichenberg, gegenüber der CDU, dass er aus „baulichen Gesichtspunkten“ den Abriss akzeptieren könne. „Er sprach sich jedoch wiederholt scharf gegen die nach seiner Ansicht falschen Methoden (angeblich keine Verhandlungen mit der zuständigen Kirchenleitung, Räumung der Kirche durch die Polizei) aus.“ Bericht über ein Gespräch mit dem evangelischen Propst der Altmark, Herrn Eichenberg, am 1. 7. 1968 in Stendal vom 3. 7. 1968, 2 (ACDP 07013-3060). Niederschrift über die Beratung der östlichen Ratsmitglieder und der leitenden Geistlichen der Gliedkirchen in der Deutschen Demokratischen Republik am 18. 5. 1968, 6 (LKAG 3/62).

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KKL der sächsischen Landeskirche ihr Beileid aus887. Da Walter Ulbricht selbst aus Leipzig stammte, gab es auf höchster Ebene Interesse am Verschwinden der Universitätskirche und der Entwicklung Leipzigs zu einer sozialistischen Vorzeigestadt. Überregional ging es um das ideologisch sichtbare Zeichen, eine funktionstüchtige Kirche an einem zentralen Ort der Stadt wegzusprengen. Damit traf die SED nicht nur irgendein Gebäude, sondern eines, das in seinem Inneren mit eigenständigem kirchlichen Leben erfüllt und ein Anziehungspunkt für Leipziger Besucher war888. Religion sollte im öffentlichen Blickfeld und erst recht im Bildungssektor nicht mehr erkennbar sein. Die 3. Hochschulreform lief auf Hochtouren und eine sozialistische Universität sollte keinen geistigen Freiraum jenseits ideologisch vorgegebener wissenschaftspositivistischer Positionen erhalten889. Die aus dem 13. Jahrhundert stammende und im II. Weltkrieg nur wenig beschädigte Kirche bot neben der Universitätsgemeinde der ausgebombten katholischen Propsteikirchengemeinde einen solchen geistigen und geistlichen Raum. Dadurch war die katholische Kirche von den Abrissplänen, die sich ab Beginn der 1960er Jahre abzeichneten, ebenfalls betroffen. Seit sich Ende der 1950er Gerüchte um eine zunächst beabsichtige Verschiebung und bald die Zerstörung der Universitätskirche verdichteten – eine offizielle Debatte war zu keiner Zeit möglich –, setzten sich Christen wie Nichtchristen für deren Erhaltung ein890. Auf christlicher Seite ist das Engagement der Theologischen Fakultät und der beiden Studentengemeinden hervorzuheben891. Der damalige Dekan der Fakultät, Ernst-Heinz Amberg, enthielt sich als einziger in der entscheidenden Senatssitzung der Stimme892. Hinzu kamen über die Jahre immer wieder Eingaben, Anfragen und Briefe von kirchenleitender Ebene, von der Synode und aus dem Leipziger Superintendenturbereich893. Auch auf katholischer Seite setzte man sich auf verschiede-

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Gleiches galt für die Potsdamer Garnisonskirche. Dass es eine politische Entscheidung war, bestätigten Parteifunktionäre intern. Vgl. Winter, Gewalt, 158. Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der Deutschen Demokratischen Republik am 6. 6. 1968, 3 (EZA 102/13). Vgl. Winter, Gewalt, 272. Vgl. ebd., 254. Zum spezifischen Wissenschaftsverständnis, das mit dem Vorhandensein einer Universitätskirche nicht in Einklang zu bringen war, vgl. Lux, Wissenschaft, 42 f. Vgl. Winter, Gewalt, 44, 47, 191. Auch Proteste gegen die Informationspolitik nützten nichts. Vgl. ebd., 57, 106. Bereits im Januar 1964 wurde täglich in der ESG für den Erhalt der Kirche gebetet. Vgl. ebd., 110. Theologiestudierende schrieben 1968 einen Brief mit der Bitte um Informationen an den Chefarchitekten Siegel. 102 Personen unterschrieben. Vgl. ebd, 165. Der als Ansprechpartner angegebene Nikolaus Krause wurde später im Jahr verhaftet und zu 22 Monaten Haft verurteilt, von denen er 20 im Gefängnis blieb. Vgl. ebd., 217 f. Auch Emil Fuchs und Moritz Mitzenheim verwandten sich ohne Erfolg in Selbstüberschätzung ihrer Verbindungen für die Kirche. Vgl. ebd., 59, 231, 271. Vgl. ebd., 281 f. Ebenso sprach er sich auf verschiedenen Gremien gegen die Sprengung aus. Z. B. Anfragen der Kirchenleitung und Noths an Ulbricht und Dieckmann im Herbst 1963, an den Leipziger Oberbürgermeister und den RdB im Frühjahr 1964 und 1968, sowie ein Schreiben an alle Pfarrämter oder Erklärungen von Superintendent Herbert Stiehl im Herbst

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nen Ebenen für die Kirche ein894. Weitere starke Befürworter hatte die Universitätskirche durch Denkmalschützer, die auf den kunsthistorischen Wert der Kirche zu verweisen suchten, durch Kulturhistoriker und einzelne Angehörige des Lehrkörpers anderer Fakultäten, z. B. dem Ägyptologen Siegfried Morenz895. Morenz gehörte zu den Befürwortern der Prager Reformpolitik896. Prominentester Bremser der Abrisspläne war Kulturminister Hans Bentzien897. Dass die Kirche nicht bereits früher, wie geplant, abgerissen worden war, lag vor allem an ökonomischen Engpässen898. Die schnelle Zuspitzung des Konfliktes 1968 und die Sprengung der Kirche, die nur wenige Tage zwischen Abrissbeschluss und Sprengung ließ – der endgültige Politbürobeschluss fiel am 7. Mai 1968 –, war logische Konsequenz ideologischer Härte im sich seit Jahren abzeichnenden Schicksal der Kirche899. Die allgemeinpolitische Lage des Jahres 1968 wirkte sich zusätzlich ungünstig auf die lokale Situation in Leipzig aus. Durch die Verfassung fühlte sich die SED in ihrer Führungsrolle bestätigt, gleichzeitig jedoch durch die Ereignisse in der ˇ SSR verunsichert. Parallel zu den Beschlussfassungen zur Sprengung beC ˇ SSR zu gannen die verschiedenen Gremien, sich mit der Situation in der C 900 beschäftigen . Am 23. Mai wurde in der Stadtverordnetenversammlung die Sprengung bei einer Gegenstimme bestätigt. Daneben wurde ein Antrag angenommen, eine Kommission einzusetzen, die die Theologische Fakultät und das Theologische Seminar – die kirchliche Hochschule also – auf Urheberschaft an dem Widerstand gegen die Beseitigung der Universitätskirche untersuchen sollte901. Dabei zog der Antragsteller eine direkte Linie zu den Erˇ SSR und drohte rechtliche Konsequenzen an. Der Bericht eignissen in der C bestätigte später diese Urheberschaft. Der Fakultät wurde unter anderem mangelnde sozialistische Erziehungsarbeit vorgeworfen. An einer Stelle geht der Bericht direkt auf einen Studenten ein, der auf Schweden als Möglichkeit eines Sozialismus „ohne die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei“ verwiesen hatte, was im Bericht mit „konterrevolutionären Kräften in der CSSR“ in Zusammenhang gebracht wurde902. Trotz des scharfen Tons kam

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1960, 1963 und 1968, die in den Leipziger Gottesdiensten verlesen wurden. Vgl. ebd., 68, 102 f., 120 f. Die Synode schrieb 1967 und 1968 eine Eingabe. Vgl. ebd., 166, 190 f., 269. Auf katholischer Seite setzte sich vor allem der Propst Ernst Pfeiffer ein. Vgl. ebd., 53, 56. Allen voran der Leiter der Dresdner Arbeitsstelle des Instituts für Denkmalpflege, Hans Nadler. Vgl. ebd., 53, 161 f. zu Morenz vgl. ebd., 59, 282. Vgl. Zwahr, Erinnern erfordert Wissen, 62. Vgl. Winter, Gewalt, 116, 122. Er wurde Anfang 1966 von seiner Funktion abgelöst. Vgl. ebd., 140. Vgl. ebd., 115, 247. Vgl. ebd., 178. So der Bezirksvorstand der CDU am 20. Mai oder das Parteiaktiv der Universität am gleichen Tag. Vgl. ebd., 189, 192. Ebenso die Bezirksleitung der SED am 22. Mai. Vgl. ebd., 194. Vgl. ebd., 197. Vgl. Bericht der zeitweiligen Kommission der Abgeordneten der Stadtverordnetenversammlung und der Mitglieder des Akademischen Senats der Karl-Marx-Universität über ihre Arbeit

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es zu keinen weiteren Folgen für die Fakultät. Inzwischen war die SED von den Ereignissen des 21. August absorbiert, wodurch möglicherweise ein weiteres Vorgehen gegen Fakultät und Theologisches Seminar aus dem Fokus geriet903. Auch im allgemeinen Bewusstsein wurden die Leipziger Vorgänge von der ˇ SSR in der Wahrnehmung zurückgedrängt904. Situation in der C Die Sorge der SED im Hinblick auf ihre kommunistische Schwesterpartei in ˇ SSR, die ihre ,führende Rolle‘ immer weniger wahrzunehmen schien, der C verstärkte den Willen der SED, in der DDR Ruhe und Stabilität und Führung aufrecht zu erhalten. Auch dies war ein Grund für die rasante Abwicklung und das brutale Vorgehen zwischen Beschluss und tatsächlicher Sprengung905. Vor dem Hintergrund des sich entwickelnden Prager Frühlings betrachtet war die Sprengung der Universitätskirche eine Machtdemonstration der SED906. Es war ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass die SED nicht gewillt war, ˇ SSR in den eigenen Reihen und im eigenen den Reformgedanken aus der C Land Raum zu gewähren. Gleichzeitig stellte es eine Demonstration dessen dar, was die SED unter einer ,führenden Rolle der sozialistischen Arbeiter- und Bauernpartei‘ und einer sozialistischen Demokratie verstand. Dieses Vorgehen zerstörte die Hoffnungen auf eine Reformierbarkeit des DDR-Systems, was sich in der harten Haltung der SED gegenüber Prager Reformideen weiter manifestierte907. Christen fühlten sich wieder einmal mehr als Menschen zweiter Klasse908. Dennoch wagten Menschen in Leipzig auf unterschiedliche Weise, ihren Unmut über die Zerstörung der Kirche zu äußern. Ein Höhepunkt des Protestes war die Plakataktion zum Bachfest, als sich vor 1800 Zuschauern, darunter Politprominenz, ein Plakat per Selbstauslöser entrollte, auf dem die Umrisse der Paulinerkirche mit deren Lebensdaten 1240 – 1968 zu sehen waren und der Wiederaufbau gefordert wurde909. Dies ist eine der spektakulärsten Aktionen in der Protestgeschichte der DDR910. Im Freundeskreis der ˇ SSR gestritten, Akteure wurde intensiv über die Reformbemühungen in der C doch gehen die Bewertungen in der Rückschau weit auseinander. Stefan Welzk und Harald Fritzsch, die beiden Hauptakteure der Plakataktion, beschrieben

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an der Theologischen Fakultät der Karl-Marx-Universität und am Theologischen Seminar Leipzig, vom 8. 8. 1968, 5 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/43); ebenso (ACDP 07-010-3252); vgl. Winter, Gewalt, 233 – 236. So auch Winter, Gewalt, 236 f. Noch im Juli war den Theologen von Seigewasser vorgeworfen worden, dass sie „den Widerstand bis auf die Straße trugen.“ Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 4. 7. 1968 vom 5. 7. 1968, 3 (BArch DO 4/400). So auch Winter, Gewalt, 293. Dies war auch in der CDU der Fall. Vgl. ebd., 228. So auch Winter, Gewalt, 248, 283. So auch Winter, Gewalt, 255. So auch Winter, Gewalt, 291. Dieses Fazit zog die CDU aus den Berichten verschiedener Bezirksverbände, wie Dresden, Gera und Karl-Marx-Stadt. Vgl. Informationsbericht Nr. 15 / 68, 4 f. (ACDP 07-011-632). Vgl. Winter, Gewalt, 232. Vgl. Zwahr, Erinnern erfordert Wissen, 65.

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beide, wie sehr sie der Prager Frühling beeindruckte, dass sie damals viel darüber diskutierten und auf ein Überspringen des „Prager Freiheitsvirus[’]“ hofften911. Alexander Dubcˇek sei ihr Held gewesen912. Auch der Cousin Harald Fritzschs, Günter Fritzsch, der von der Aktion wusste, schrieb über die Diskussionen und Sympathien im Freundeskreis913. Er wurde im Sommer 1971 verhaftet und zu sechs Jahren strengen Strafvollzugs verurteilt. Aus seinen Beschreibungen der Verhöre durch das MfS wird deutlich, dass dieses verˇ SSR sowie Bestrebunsuchte, den Verhafteten direkte Verbindungen in die C gen zu ähnlichen Liberalisierungen in der DDR nachzuweisen914. Dietrich Koch berichtete noch detailreicher von vergleichbaren Versuchen des MfS, mit dem Unterschied, dass er im Prager Reformsozialismus aufgrund der Sowjetunion „nie eine Chance“ gesehen habe915. Die SED befürchtete vor dem Hintergrund der weltweiten Studentenproˇ SSR ein Abfärben auf den teste im Allgemeinen und speziell im Blick auf die C 916 lokalen Rahmen Leipzigs . Die auftretenden Proteste wurden durch die SED ˇ SSR betrachtet917. in direktem Zusammenhang mit und im Vergleich zur C Tatsächlich lassen sich die Proteste um die Paulinerkirche als einziger auch studentischer Protest 1968 in der DDR beschreiben, der öffentlich bekannt wurde918. Die Menschenansammlungen vor der Kirche waren in den Tagen vor der Sprengung größer als die größten versuchten Demonstrationen nach dem 21. August919. Gleichzeitig waren die Proteste, anders als im Zuge des 21. August, in erster Linie auf die Erhaltung der Kirche und nicht politisch auf eine Veränderung des Systems gerichtet920. Neben den Protestaktionen Einzelner und von Gruppen, die vor allem in Leipzig Verhaftungen und Prozesse nach sich zogen, wirkt die Landeskirche aus heutiger Sicht übervorsichtig. Die Landeskirchenleitung verabschiedete eine Kanzelabkündigung für den 2. Juni 1968, die sie trotz wiederholter For911 Vgl. Welzk, Leipzig 1968, 52; und weiter: „Ich war ja wie fast alle aus dem Leipziger Freundeskreis in den Monaten zuvor nach Prag und Bratislava geradezu gewallfahrt, um das zu erleben – ein befreites feierndes Volk, einen repressionsfreien Sozialismus, mit allen Menschen- und Bürgerrechten.“ Ebd., 104; ähnlich auch Fritzsch: „Wir waren so beeindruckt von den Veränderungen in Prag, daß wir ernsthaft darangingen, uns Gedanken über ähnliche Reformen in der DDR zu machen.“ Fritzsch, Flucht aus Leipzig, 51. 912 Vgl. ebd., 50. 913 Vgl. Fritzsch, Gesicht zur Wand, 25 f., 76. 914 Vgl. ebd., 30, 51, 91 f. 915 Vgl. Koch, Verhör, 415 – 419; ebenso ders., Nicht geständig, 119 – 121. 916 So auch Winter, Gewalt, 193, 205, 283. 917 Vgl. ebd. 204 f.; vgl. auch Schnapka-Bartmuss, Studentengemeinden, 307. ˇ SSR 918 Vgl. Winter, Gewalt, 277 f., 283 f. Der Protest gegen das militärische Eingreifen in der C war auch an den Universitäten gegeben, doch konnte er sich nicht vernetzen. Die Einzelnen wurden herausgegriffen und bestraft, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. 919 In den Tagen davor zwischen 100 – 300 Personen, am 27. Mai 300 – 400 Personen, am Sprengungstag mehrere 1000 Personen. Vgl. ebd., 209, 211, 291. Vom 23.–31. Mai wurden 97 Personen zugeführt. Vgl. ebd., 217. 920 So auch Winter, Gewalt, 293.

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derung von seiten des Rates des Bezirkes Dresden nicht zurückzog921. Aus dieser Erklärung sprach die Betroffenheit und Ohnmacht, dass alle Bemühungen um die Erhaltung des Gotteshauses erfolglos geblieben waren. Es heißt: „Den Schmerz darüber kann uns niemand verargen“ aber auch „wir wollen uns aber dadurch nicht verbittern und nicht zu unheiligem Zorn verführen lassen.“922 Die Kanzelabkündigung wurde in den Gemeinden verlesen923. Obwohl sanft formuliert, wurde sie als Versuch gewertet, „die kirchlichen Amtsträger und christlichen Bürger in Widerspruch zum Staat zu bringen.“924 Während noch Berichte geschrieben, Menschen verhaftet, Untersuchungsverfahren eingeleitet sowie Eingaben und Protestbriefe an verschiedene staatliche Stellen verfasst wurden925 und auch die Landeskirchenleitung eine weitere Eingabe vorbereitete,926 überkreuzten sich die Ereignisse mit denen in Prag, die über den regionalen Kontext weit hinausreichten. Im Tätigkeitsbericht vor der Herbstsynode 1968 wurde das Thema der Universitätskirche aufgegriffen, ebenso wie die Ereignisse in Prag. Die große Enttäuschung darüber wurde noch einmal laut, dass alle Bemühungen um den Erhalt dieses Kirchenbaus ohne Erfolg geblieben waren. Leise Kritik wurde am staatlichen Vorgehen geübt: „Wir bedauern diese Entscheidung nach wie vor und konnten nicht davon überzeugt werden, daß sie unumgänglich notwendig war.“927 Dass auf der Herbstsynode der Bericht der Kirchenleitung noch einmal den Abriss der Universitätskirche ansprach, wurde seitens der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen als „Angriffe gegen unsere gesellschaftliche Konzeption“ betrachtet928. 921 Vgl. ebd., 230. Dort ist auch die Kanzelabkündigung veröffentlicht, 319. 922 Kanzelabkündigung (Winter, Gewalt, 319). 923 „Nach Mitteilung der Referate Kirchenfragen der Räte der Bezirke Leipzig und Karl-MarxStadt wurde die Kanzelabkündigung im gesamten Bereich der Landeskirche Sachsen verlesen.“ Information über eine Kanzelabkündigung zum Abriß der Universitätskirche Leipzig im Bereich der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen, RdB Dresden, vom 5. 6. 1968, 4 (BArch DO 4/2966). 924 Einschätzung auf kirchenpolitischem Gebiet und Schlußfolgerungen zur Verbesserung der politischen Massenarbeit durch die staatlichen Organe, undatiert, nach dem 1. 9. und vor dem 15. 12. 1968, 6 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375); Entwurf vom 19. 8. 1968 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 925 So schrieben z. B. am 8. Juli 1968 die Pfarrer des Kirchenbezirkes Freiberg gemeinsam einen Brief an den Staatssekretär für Kirchenfragen. Vgl. Einschätzung der politisch-operativen Situation auf dem Gebiet der Kirchen beider Konfessionen sowie der verbotenen Sekte der Zeugen Jehovas vom 14. 8. 1968, 1 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, 375). 926 Seigewasser bezeichnete sie in einem Brief vom 30. 9. 1968 an Willi Barth, Arbeitsgruppe für Kirchenfragen beim ZK der SED, als „demagogisch-raffiniert“ (BArch DO 4/429); vgl. auch Winter, Gewalt, 237. 927 Tätigkeitsbericht des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes, erstattet durch Landesbischof Noth vor der 19. Ev.-Luth. Landessynode am 9. 11. 1968, II. Teil, 6 (LKA DD, Best. 1, Nr. 384, Bl. 25 – 33); vgl. Winter, Gewalt, 238. 928 Vgl. Entwurf. Einschätzung der Herbstsynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR vom 29. 11. 1968, 4 (BArch DO 4/401).

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Die Verschränkung der unterschiedlichen Ereignisse in Sachsen führte dazu, dass bereits viel Kraft und widerständiges Verhalten für die Universitätskirche eingesetzt worden war. So agierte die Kirchenleitung im Herbst 1968 noch vorsichtiger als im Frühjahr. Teilweise warfen die Pfarrer ihrer Landeskirche vor, nicht genug getan zu haben929. Interessant ist, dass der Rat des Bezirkes Dresden die Sachlage völlig anders bewertete. Er behauptete sogar, eine Entwicklungslinie erkennen zu können: „Der Bischof und die beiden Amtsträger wurden darauf aufmerksam gemacht, daß wir wiederholt festgestellt haben, daß durch Briefe und Hinweise des Landeskirchenamtes an alle Pfarrer der Anlaß zu provokatorischen [sic!] Auftreten von Pfarrern gegeben wurde. Von früheren Beispielen abgesehen, zeichnet sich da eine Linie von dem Abriß der Leipziger Universitätskirche bis zu der heutigen Situation in der CSSR ab.“930

Hier tritt eine Differenz von kirchlicher Selbstwahrnehmung und staatlicher Fremdwahrnehmung zu Tage. Diese hatte ihren Ursprung zum einen in einer unterschiedlichen Bewertung von auch geringfügig abweichendem Verhalten und zum anderen in einer unterschiedlichen Auffassung von Parteidisziplin bzw. protestantischer Selbst- und Gewissensentscheidung des Einzelnen.

8.1. Die Kirchenleitung Am Donnerstag, dem 29. August, berichtete OLKR Johannes Samuel Kleemann in der Sitzung der Kirchenleitung von der Uneinigkeit in der Bischofskonferenz931. Ein gemeinsames Wort an die Regierung oder die Gemeinden sei nicht zustande gekommen, doch gebe es zumindest keine Bedenken bezüglich eines Fürbittenaufrufes. Wie dieser umzusetzen sei, liege in der Entscheidung der einzelnen Landeskirchen. Noth legte in dieser Sitzung einen Brief an alle Pfarrer der Landeskirche vor, der Zustimmung erntete. Er wurde über die Superintendenten an die Pfarrer weitergeleitet932.

929 Vgl. Winter, Gewalt, 210. 930 Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen [sic! regelmäßig ohne s] am Montag, dem 1[1]. 9. 1968, vom 11. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2963). 931 Vgl. Protokoll der 26. Sitzung der Kirchenleitung vom 29. 8. 1968 (LKA DD, Best. 4, Nr. 32, Bl. 111). 932 Brief Noths an alle Pfarrer der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens vom 29. 8. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 96 f.); und (Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens 12/13/2008, B35 f.)

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8.1.1. Der Brief des Bischofs Noth rief in seinem Brief gleichzeitig eindringlich zu Zurückhaltung und Fürbitte für die Nachbarn auf. Noth begann mit den Worten: „Die letzten Wochen, und vor allem die letzten Tage, haben über die Welt eine bestürzende Unruhe gebracht, die bis zur Stunde nicht überwunden ist. Wir Pfarrer werden von vielen Seiten gefragt und finden uns selbst als Fragende. Natürlich haben wir die Pflicht, uns gewissenhaft zu orientieren über alles das, was mit den Ereignissen in der Tschechoslowakei und ihrer Vorgeschichte zusammenhängt. Wir müssen aber auch wissen, daß uns als Pfarrern von unserem Amt und Auftrag her Zurückhaltung in unseren Äußerungen geboten ist, gleichviel, ob man eine Stellungnahme von uns erwartet oder ob wir meinen, persönlich Partei ergreifen zu müssen. Es mag ein gutes Stück Selbstbeherrschung kosten, sich nicht von noch so begreiflichen Emotionen bestimmen zu lassen.“933

Im weiteren Verlauf des Briefes schlug Noth einen vierfachen Fürbittaufruf vor: für das tschechoslowakische Volk, für das eigene, für die leidenden Völker und für die Mächtigen. Indem Noth die Fürbitte für die Nachbarn an erste Stelle setzte, hob er sie hervor und milderte sie gleichzeitig durch die Nennung anderer Länder, wie Vietnam, Biafra und auch Israel, ab: „Im besonderen wollen wir beten für das tschechoslowakische Volk, daß es davor bewahrt werde, ein Opfer der politischen Leidenschaften zu werden; daß es in Würde und Entschlossenheit tue, was für sein eigenes Schicksal und für das Zusammenleben der Völker in gegenseitiger Achtung am besten ist; daß die Verkündigung des Evangeliums in den christlichen Kirchen der Tschechoslowakei kräftig sei zu Trost und Weisung, zur Vergebung und Hoffnung.“934

Mit diesem Brief unterstützte Noth den Minimalkompromiss der Bischofskonferenz vom 24. August, konkrete Fürbitten in den Gemeinden anzuregen. ˇ SSR naGleichzeitig formulierte er sehr vorsichtig, erwähnte zwar die C mentlich, jedoch ohne direkten Hinweis auf die militärischen Operationen. Noth selbst gedachte im Gottesdienst am 1. September in der Dresdner ˇ SSR und betete um Ruhe und Kreuzkirche in der Fürbitte der Situation in der C 935 Gerechtigkeit .

933 Ebd. 934 Ebd. 935 Vgl. Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 3 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573 ebenso HA XX/4, Nr. 1233).

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8.1.2. Die Reaktionen des Staates Die Reaktionen des Staates zeigen, dass dieser selbst vor einer Fürbitte Angst hatte und nicht ertragen wollte und konnte, dass seinen Weisungen nicht Folge geleistet wurde. Bereits einen Tag nachdem die Kirchenleitung den Brief gebilligt hatte, am 30. August, wurde Noth beim Rat des Bezirkes Dresden, „unmißverständlich mitgeteilt […], daß jedwede Stellungnahme zu den Ereignissen in der CSSR in allen kirchlichen Zusammenkünften zu unterbleiben hat.“936 Einen Tag später, am Sonnabend, dem 31. August, wurde er erneut zum Rat des Bezirkes gerufen. Gesprächseinstieg war das Fürbittgebet, das im Görlitzer Kirchengebiet von Bischof Fränkel veranlasst worden war937. Beim Rat des Bezirkes war man in Sorge, ähnliches könnte in Sachsen am nächsten Tag in den Gottesdiensten geschehen. Unbedingt solle eine Kanzelabkündigung unterbunden werden. Noth erklärte daraufhin, dass eine Kanzelabkündigung nicht vorgesehen sei, Fürbitten seien aber die Aufgabe der Kirche und zwar sowohl im Allgemeinen für die Welt als auch zur aktuellen Situation. Damit meinte er seinen Brief938. Zunächst gaben sich die Vertreter des Rates des Bezirkes damit zufrieden. Am selben Abend jedoch ereilte Noth noch ein Anruf: „auch eine Erwähnung der Tschechoslowakei im Gebet sei nicht erwünscht, es könnten bei der gegenwärtigen Lage Komplikationen entstehen.“939 Noth wies dieses Ansinnen zurück. Anfangs wurde dennoch gehofft, ˇ SSR in Sachsen damit erledigt sei940. dass das Thema C Dass Noth seinen Brief trotz der Gespräche beim Rat des Bezirkes verbreiten ließ, erschreckte die Funktionäre. Das MfS hielt diesen Brief für ein Bischofswort, welches jener von den Kanzeln verkünden lassen wolle941. Die 936 Information zum Brief des Landesbischof Noth (BArch DO 4/2963). 937 Vgl. Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 31. 8. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 111 V.). 938 Die staatliche Seite scheint dies nicht als Placet für den Brief verstanden zu haben. Aus einer knappen Ergebnisangabe der Sitzung der Kirchenleitung vom 10. 9. 1968 über das Gespräch vom 31. 8. „Die Rücknahme des Briefes ist nicht erfolgt“, lässt sich schließen, dass Noth und Johannes ihre Ausführungen so verstanden. (LKA DD, Best. 4, Nr. 32, Bl. 118). 939 Anruf am 31. 8. 1968 abend 12 8 Uhr (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 111 R.). 940 „Die ursprüngliche Absicht, seine Pfarrer zu einer Fürbitte für die CSSR aufzufordern, ließ er [Noth] nach Gesprächen mit dem stellvertretenden Ratsvorsitzenden in Dresden fallen. Nach unserer Kenntnis hat es außerhalb der Gebete in kirchlichen Veranstaltungen keine Stellungnahme von Pfarrern dazu gegeben.“ Aktenvermerk vom 6. 9. 1968. Aussprache mit Landesbischof Noth am 9. 9. in Dresden, 1 (ACDP 07-010-3252). Die Informationen der CDU waren allerdings veraltet. 941 So z. B. „Bischof Noth, Dresden, beabsichtigt, im Bereich seiner Landeskirche […] das nachstehende Bischofswort von den Kanzeln verkünden zu lassen:“ Es folgt der Brief. Information, Stimmungen aus kirchlichen Kreisen zur Situation in der CSSR, 31. 8. 1968, 1 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086); vgl. auch: Information 967/68 vom 1. 9. 1968, Noths Brief an die Gemeinden (BStU, MfS, ZAIG, 1553; ebenso HA XX/4, Nr. 1233). Zu dem Brief hieß es, dass beabsichtigt sei diesen am selbigen Tag von den Kanzeln zu verlesen. Ebenso Information

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Überwachung der Gottesdienste am 1. September hatte ergeben, dass der Brief zur Grundlage von Predigten diente942. Diese Erkenntnis und die Wahrnehmung, dass der Brief von einigen Pfarrern doch als Kanzelabkündigung verstanden worden war, rief Berlin auf den Plan943. Am 4. September berieten vormittags in Berlin Vertreter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, vom Sekretariat für Kirchenfragen und vom Ministerium des Innern über den Brief. Nachmittags fuhr ein Mitarbeiter Seigewassers nach Leipzig und unterrichtete die betroffenen Bezirksfunktionäre über Inhalt und Maßnahmen, „die sichern [sollten], daß der Inhalt des Briefes nicht popularisiert und keine Fürbitte geleistet wird.“944 Bezeichnend ist, dass man zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, wem der Brief des Bischofs alles zugegangen war945. Zu den Maßnahmen gehörten Aussprachen mit allen Superintendenten, Überwachung der Gottesdienste und ein Gesamtbericht. Druck solle nicht ausgeübt werden, aber auch nichts geduldet werden, was die ,konterrevolutionären Kräfte‘ unterstütze. „Wir müssen so vorgehen, daß die Kirche keine Handhabe bekommt, sich hilfesuchend an westliche Kreise zu wenden.“946 Seigewasser stufte Noths Haltung in einem Gespräch mit Schönherr am 5. September als „absurd“ ein947. Da Noth in den Gesprächen beim Rat des

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1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 3 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573; ebenso HA XX/4, Nr. 1233). Vgl. Information vom 2. 9. 1968, Gottesdienste in den Landeskirchen der DDR, in welchen anläßlich des Weltfriedenstages am 1. 9. 1968 Stellungnahmen der Bischöfe zu den Ereignissen in der CSSR vorgesehen waren, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). Dazu wurden exemplarisch sechs Beispiele aus der Landeskirche angeführt. Vgl. Information Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5). Aus Plauen wurde berichtet, dass dort der Brief bereits am 1. September verlesen worden sei, was der stellvertretende Superintendent bestätigt habe. Vgl. Bericht des RdB Karl-Marx-Stadt über die Verhaltensweise der Geistlichen zum Brief des Landesbischof[s] Noth im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR vom 9. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2972); ebenso (BStU, MfS, BV KarlMarx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Auch einige Zeitzeugen erinnern sich an den Brief als an eine Kanzelabkündiung. So z. B. Klaus Goldhahn. Anmerkungen zum Expos Juli 2008, 2. Ein damals in der Nähe von Freiberg tätiger Pfarrer meinte, dass er sich an staatliche Bitten, Mitteilungen nicht öffentlich zu verlesen, grundsätzlich nicht gehalten habe. Vgl. Fragebogen 32. Im Besitz der Verfasserin. Ein anderer Pfarrer schrieb direkt von Noths Brief als Kanzelabkündigung. Vgl. Fragebogen 17. Im Besitz der Verfasserin. Information „Brief Landesbischof D. Noth“ vom 5. 9. 1968, 1 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). „Gegenwärtig ist noch nicht bekannt, ob alle Pfarrer den Brief erhalten haben, da selbst von progressiven Geistlichen keine Hinweise usw. gegeben worden sind.“ ebd. Ebd., 2. Vgl. Aktenvermerk vom 5. 9. 1968 (BArch DO 4/792). Dies ist nicht neu. Nach einem Gespräch in Berlin bei Seigewasser 1967 wird über Noth ähnlich geurteilt. Vgl. Aktenvermerk über das Gespräch mit Bischof Noth am 30. 3. 1967 vom 3. 4. 1967, 3 (BArch DO 4/2963). Die CDU bescheinigte ihm dagegen im Herbst 1968 „große Zurückhaltung“ und außerhalb der DDR

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Bezirkes Dresden beteuerte, dass es keine Kanzelabkündigung geben werde, er aber den Brief an seine Pfarrer sandte, wurde seitens Seigewassers konstatiert: „daß Bischof Noth – wie die Vorfälle in Dresden ausweisen – bis zur Lüge gegenüber den Staatsorganen geht.“948 Bereits zum 9. September wurde der Landesbischof vom Rat des Bezirkes Dresden erneut zu einem Gespräch aufgefordert. Grund war diesmal ein Brief der Pfarrer der Ephorie Pirna an die Vorsitzenden der Kreise Pirna und Sebnitz949. Der Inhalt dieses Gesprächs ist sowohl durch eine kirchliche wie eine staatliche Gesprächsniederschrift belegt950. Zwar dokumentieren beide Quellen exakt den gleichen Gesprächsablauf, doch ist die staatliche Version insgesamt länger, bei politischen Aussagen schärfer formuliert, erhebt weitergehende Vorwürfe und ist deutlicher an einer politischen Meinung der kirchlichen Teilnehmer interessiert. Die kirchliche Version erwähnt politische Standpunkte nur, ohne sie auszuführen, legt dafür aber größeren Wert auf Zugeständnisse für einzelne Menschen und das Verständnis für abweichende Meinungen bei den staatlichen Funktionären. Von dem Fall der Ephorie Pirna ausgehend, führten die Funktionäre zunächst den staatlichen politischen Standpunkt aus, den die Kirchenleute mit Schweigen erwiderten. Im weiteren Gesprächsgang wurde über die Erklärung des Synodalrates der EKBB vom März 1968 und über den Aufruf von Mitgliedern desselben vom 21. August diskutiert. Die staatlichen Vertreter behaupteten, dass sowohl der Bischofsbrief, als auch der Brief aus Pirna davon abhängig seien. In der staatlichen Niederschrift über das Gespräch finden sich sogar Worte von Kurt Johannes als Zitat, in welchem er sich hinter Forderungen der Erklärung vom März stellt: „Freiheit für die Kirche, Liberalisierung des gesellschaftlichen Lebens – Vermenschlichung des Sozialismus und Freiheit für internationale Begegnungen.“951 Diese Äußerungen, die bedeuteten, dass sich der Präsident des Landeskirchenamtes Sachsens grundlegende Forderungen des Prager Frühlings über den Umweg der EKBB zu eigen gemacht hätte, erwähnt die kirchliche Niederschrift nicht. Allerdings machten Bischof und Präsident deutlich, dass die Erklärung des Synodalrates der EKBB, die sich positiv zum Prager Frühling stellte, in der Sächsischen Landeskirche allgemein bekannt sei. Dies

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„erwies er sich stets als loyaler Bürger der DDR.“ Aktenvermerk vom 6. 9. 1968. Aussprache mit Landesbischof Noth am 9. 9. in Dresden, 1 (ACDP 07-010-3252). Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 9. 1968 und am 17. 9. 1968 vom 11. 10. 1968, 3 (BArch DO 4/400). Zu Pirna vgl. Kapitel 4.8.3.1., 386 – 389. Vgl. Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 9. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 113 V.); und Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am Montag, dem 1[1]. 9. 1968 vom 11. 9. 1968 (BArch DO 4/2963). Die erstere Datenangabe stimmt nicht, da sowohl landeskirchliche Quellen, als auch staatliche Quellen davon ausgehen, dass das Gespräch am 11. 9. stattfand. Außerdem war der 1. September kein Montag. Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am Montag, dem 1[1]. 9. 1968 vom 11. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2967).

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sei leicht zu erklären, schließlich habe diese auch der III. Allchristlichen Friedenskonferenz Ende März in Prag vorgelegen. Gegen dieses Argument konnten die staatlichen Vertreter nicht viel einwenden, da die CFK bis zur Verurteilung der ,Hilfsmaßnahmen‘ als Okkupation durch ihren Präsidenten Hrom dka in sozialistischen Staaten wohl gelitten war. Das Gespräch wandte sich danach der Problematik der geforderten Resolutionen zu, auf die noch extra eingegangen werden wird. Auch über Verhaftungen und Misshandlungen im Zusammenhang der Sprengung der Universitätskirche in Leipzig – im staatlichen Bericht werden sie als „angeblich“ abqualifiziert – wurde gesprochen. Die staatliche Forderung, „daß die Pfarrer ihr Amt nicht für politische Zwecke mißbrauchen“952 dürfen, wurde als „vor allem läßt man nicht zu, daß sich Pfarrer von der Kanzel her politisch äußern“953 gehört, doch zeigte das Resümee der jeweiligen Seite, wie unterschiedlich das Gespräch aufgefasst worden war. Während die staatliche Niederschrift sicher ist, den kirchlichen Amtsträgern den staatlichen politischen Standpunkt klar gemacht zu haben und dass „es von der Haltung der Landeskirchenleitung abhängt, wie weit sich die Beziehungen positiv entwickeln“954, klang in der kirchlichen Niederschrift die Hoffnung an: „Es scheint gelungen zu sein, verständlich zu machen, daß keinerlei Provokation beabsichtigt war und wird, daß aber die Kirche und ihre Vertreter erwarten dürfen, in den Anliegen gehört zu werden, die sie vertreten müssen und die sie mit den staatlichen Vertretern diskutieren wollen.“955

Mitte September wurde Sachsen dennoch in einem Zuge mit Berlin-Brandenburg und der Kirchenprovinz Sachsen genannt, der Brief weiter als Biˇ SSR gerichtet schofswort bezeichnet, welches gegen die ,Maßnahmen‘ in der C gewesen sei und „von der Mehrzahl der Pfarrer zur Grundlage der Predigten genommen wurde.“956 Nur durch rechtzeitige Beeinflussung sei erreicht worden, dass Noth seine Kanzelabkündigung zu einer Information abgeschwächt habe, gleichwie Jänicke sein Wort zurückgezogen habe957. In seinem 952 Ebd., 3. 953 Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 9. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 113 V.). 954 Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am Montag, dem 1[1]. 9. 1968 vom 11. 9. 1968, 4 (BArch DO 4/2967). 955 Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 9. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 113 V.). 956 Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 3 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573 ebenso HA XX/4, Nr. 1233). 957 Vgl. Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlußfolgerungen vom 12. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774). Im Dezember wurde dann resümiert, dass dieses Ziel „durch den Einsatz operativer Mittel“ erreicht worden sei, die die entsprechenden kirchlichen Verlautbarungen rechtzeitig in Erfahrung bringen und abschwächen bzw. vereiteln konnten. Vgl. Material über die im Jahre 1968

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Schreiben habe Noth „zur Stellungnahme gegen ,Gewaltanwendungen‘ (Hilfsmaßnahmen der 5 sozialistischen Bruderländer) auf[ge]fordert.“ Die sofortigen Aussprachen hätten bewirkt, „daß es zu keiner Abkündigung in dem von der Kirchenleitung gewollten Sinne kam“, somit sei sie gescheitert958. Das stimmte so nicht, da der Brief nicht als Kanzelabkündigung gedacht war. Gleichwohl hatten sich nicht wenige in Sachsen ein klareres Wort des Bischofs gewünscht959. Am 29. Oktober kam es erneut zu einer Aussprache zwischen Seigewasser und zwei seiner Mitarbeiter auf der einen und Noth und Johannes auf der anderen Seite. Anlass war die nicht erteilte Einreiseerlaubnis für den Generalsekretär der KEK Glen Garfield Williams. Williams dürfe wegen der Äußerungen des ÖRK über den 21. August nicht kommen und weil man ihn doch nicht wegen der problematischen Haltung einiger Amtsträger in der sächsischen Landeskirche zu den Ereignissen in Prag in Verlegenheit bringen könne960. Weitere Themen waren nochmals die neue Verfassung, weitere Ablehnungen von Ein- und Ausreiseanträgen, die geforderte Trennung von der EKD, der Abriss der Universitätskirche und die Vorkommnisse nach dem 21. August 1968 in der sächsischen Landeskirche. Auch Noth wurde vorgehalten, dass alle anderen Kirchen im ÖRK, deren Regierungen an den ,Hilfsmaßnahmen‘ beteiligt waren, den Brief des Generalsekretärs des ÖRK Blake zurückgewiesen hätten, allen voran Ungarn. „Nur einige Landeskirchen in der DDR glaubten verpflichtet zu sein, die Position von Carson Blake zu beziehen. Das waren – mit Unterschieden in der Schärfe der Aktion – sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 4 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238). 958 Vgl. Bericht über das II. Halbjahr 1968 vom 16. 1. 1969, 2 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 959 Auf dem Pfarrertag am 24. September hatte Georg-Siegfried Schmutzler im Namen der Theologisch-Pädagogischen Arbeitsgemeinschaft den Landesbischof um ein öffentliches Wort ˇ SSR gebeten. Noth wich mit dem Hinweis auf unklare der Solidarität mit den Menschen in der C Informationen aus, die Mitglieder der Theologisch-Pädagogischen Arbeitsgemeinschaft waren enttäuscht, dass ihre Kirchenleitung nicht klar Stellung bezog: „In der TPA empfanden wir das schroffe Abschmettern unserer Bitte schmerzlich und beschämend, obwohl wir nicht daran zweifelten, daß die Skrupel unseres Landesbischofs echt waren.“ Schmutzler, Gemeindepädagogik, 111 f. 960 Vgl. Aktenvermerk über eine Aussprache des Staatssekretärs mit Landesbischof Noth und Konsitorial [sic!]-Präsident Johannes am 29. 10. 1968, vom 31. 10. 1968, 1 (BArch DO 4/429 auch 2963); und (SAPMO-BArch DY 30/IVA2/14/11); „Man müsse sich nur vorstellen, wenn es beispielsweise in Pirna zu Gesprächen zwischen ihm und kirchlichen Stellen käme und wenn er vor die peinliche Situation gestellt würde, zu den Problemen im Zusammenhang mit dem 21. August 1968 Stellung zu nehmen.“ Niederschrift über das Gespräch im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 29. 10. 1968, 1 (LKA DD, Best. 2, Nr. 835). Gegenüber dem Ökumenebeauftragten der KKL wurde die Absage mit Spannungen zwischen Kirche und örtlichen Organen begründet. Vgl. Aktenvermerk über ein Telefongespräch mit Weise vom Staatsekretariat für Kirchenfragen am 4. 10. 1968, 1 (EZA 102/374).

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die Berlin-Brandenburgische Kirche, die Sächsische Landeskirche, die provinzsächsische Kirche und die Görlitzer Kirche. Die vier anderen Landeskirchen hielten es für richtiger zu schweigen, darunter selbst die Kirche, der Bischof Krummacher vorsteht.“961

Seigewasser behauptete, der Staat habe „keine rasche positive Stellungnahme von den Kirchen in der DDR erwartet“, aber doch wenigstens, „daß die Kirchen nicht von vornherein negativ reagieren“, und er empfahl den Kirchen, sich Gedanken über ihre Existenz in einem sozialistischen Staat zu machen962. Noths Beteuerung, dass ihn seine Lebenserfahrung gelehrt habe, in solchen Situationen immer besser zurückhaltend zu sein und er mit diesem Brief auch seine Superintendenten vor unüberlegten Handlungen hatte bewahren wollen, nützte nichts963. Solange sich an all den beanstandeten Dingen nichts ändere, würden Leute wie Williams nicht einreisen können. Als Noth daraufhin ansprach, dass es für die Menschen in der DDR schwierig sei, genuine Informationen zu beschaffen, erwiderten die staatlichen Vertreter, dass sich die Kirche nicht auf westliche Medien verlassen solle, sondern alle Schritte mit den zuständigen staatlichen Organen im Vorfeld absprechen solle. Dieser übliche Rat wurde von Noth und Johannes mit Schweigen quittiert. Noch einmal wurde in Hinblick auf die neue Verfassung betont, dass die Kirche ihr Verhältnis zu einem Staat verbessern solle, der doch gerade mit dem Verfassungsentscheid in einem beeindruckenden demokratischen Vorgang dargelegt habe, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihm stehe. Auch die Eingabe der Landeskirchenleitung zum Abriss der Universitätskirche wurde thematisiert. Sie wurde von Seigewasser als „Fleißarbeit“ bezeichnet, die in freundlichen und verbindlichen Worten voller „Fangfragen“ sei. Der Beschluss zum Abriss sei „völlig demokratisch legitimiert“, die Universitätskirche sei kein denkmalswürdiger kirchlicher Bau und darüberhinaus Eigentum des Staates gewesen964. Den Vertretern der Landes961 Aktenvermerk über eine Aussprache des Staatssekretärs mit Landesbischof Noth und Konsitorial [sic!]-Präsident Johannes am 29. 10. 1968, vom 31. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/429 auch 2963); und (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/11); ähnlich auch: „Vier Kirchen, zu denen auch die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens gehöre, hätten eine westliche Position bezogen, wobei durchaus anerkannt werde, daß die Stellungnahmen graduell verschieden seien. In Brandenburg sei es vor allen Dingen beschwerlich, daß der Brief an die Kirche in der CSSR an die Vorgänge vor 30 Jahren erinnere und daß dieser vor etwa 70 % der Gemeinden des Kirchenbereiches öffentlich verlesen worden sei.“ Niederschrift über das Gespräch im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 29. 10. 1968, 2 (LKA DD, Best. 2, Nr. 835). 962 Vgl. Aktenvermerk über eine Aussprache des Staatssekretärs mit Landesbischof Noth und Konsitorial [sic!]-Präsident Johannes am 29. 10. 1968, vom 31. 10. 1968, 4 (BArch DO 4/429 auch 2963); und (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/11). 963 Ebd., 3. Ähnlich äußerte sich Noth gegenüber Götting. Ihr Anliegen sei gewesen, „zu verhindern, daß sich irgend ein Pfarrer in ihrer Kirche zu unvorsichtigem Handeln verleiten lasse. Deswegen hätten sie ihre Pfarrer ermahnt, keine Stellung zu beziehen.“ Aktenvermerk. Sächsische Landeskirche Dresden vom 18. 9. 1968, 5 (ACDP 07-010-3252 ebenso 07-013-3062). 964 Aktenvermerk über eine Aussprache des Staatssekretärs mit Landesbischof Noth und Konsi-

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kirchenleitung wurde vorgeworfen, „daß sie mit dieser Eingabe erneut Beunruhigung in die Reihen der kirchlich gebundenen Bürger unseres Staates tragen wollten.“965 Damit war der Fall für Seigewasser erledigt. Anfang 1969 überlagerte die bevorstehende Gründung des BEK die Themen des vorangegangenen Jahres. Resümierend fasste Berlin die Haltung von Noth ˇ SSR zusammen: „er [Noth] […] sorgte in einem Brief an alle in Bezug auf die C Pfarrer für die Verschleierung der konterrevolutionären Entwicklung.“966 In einem Grundsatzgespräch zwischen dem Staatssekretär für Kirchenfragen, den Räten der Bezirke Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden, Vertretern der Nationalen Front und der CDU auf der einen und Mitgliedern der Leitung der Landeskirche Sachsens auf der anderen Seite am 27. März 1969 in Dresden bestand das Hauptziel in dem Versuch, wieder miteinander zu reden. Die kirchlichen Vertreter kritisierten vor allem die Flut der Schreiben zur Synode gegen die Gründung des BEK und sprachen das Thema Bausoldaten an967. Nur ein Pfarrer, der gleichzeitig Mitglied der Kirchenleitung war, ließ es sich nicht ˇ SSR zu sprechen zu kommen. Er erklärte: nehmen, noch einmal auf die C „Aber am schwersten zu verantworten ist wohl ihre Haltung zur CSSR. Wir sind froh, daß wir dies nicht mitverantworten müssen, aber wir fallen Ihnen [sic!] auch nicht in den Arm.“968 Die CDU sah in dieser Äußerung Revisionismus am Werk969. Aus einer Information der SED-Parteileitung in Dresden vom 22. April 1969 geht hervor, welche inhaltlichen Schlüsse die Funktionäre aus den verschiedenen kirchlichen Äußerungen zogen. Sie waren der Meinung, dass die

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torial [sic!]-Präsident Johannes am 29. 10. 1968, vom 31. 10. 1968, 4 f. (BArch DO 4/429 auch 2963); und (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/11). Ebd., 5; vgl. auch Niederschrift über das Gespräch im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 29. 10. 1968, 3 (LKA DD, Best. 2, Nr. 835); und Winter, Gewalt, 238. Einschätzung der Situation in der Landeskirche Sachsen aufgrund des vorliegenden Fragespiegels, 10. 1. 1969, 1 (BArch DO 4/2969). Vgl. Gespräch des Staatssekretärs für Kirchenfragen, der 3 [sic!] Stellvertreter für Inn. der Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt, Leipzig, der Vertreter der Bezirkssekretariate der NF. [Nationalen Front] und der 3 [sic!] Vertreter der CDU-Bezirksverbände am 27. 3. 1969 vom 9. 4. 1969 (ACDP 07-013-2136). Niederschrift über das Gespräch des Staatssekretärs für Kirchenfragen und der Räte der Bezirke Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden mit der Leitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am 27. 3. 1969, 4 (BArch DO 4/429). Diese Äußerung wurde weiter zitiert, allerdings ohne den letzten Halbsatz. Vgl. Information vom 22. 4. 1969 des Mitarbeiters des 1. Sekretärs in Dresden, 8 (BArch DO 4/2968). In mehreren Gesprächen wurde verschiedenen Vertretern des Landeskirchenamtes bedeutet, dass solche Äußerungen nicht tragbar seien. Vgl. Gesprächsnotizen vom 22. 5.; 9. 6. und 24. 6. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 48, 49, 53.). Vgl. Gespräch des Staatssekretärs für Kirchenfragen, der 3 [sic!] Stellvertreter für Inn. der Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt, Leipzig, der Vertreter der Bezirkssekretariate der NF. [Nationalen Front] und der 3 [sic!] Vertreter der CDU-Bezirksverbände am 27. 3. 1969 vom 9. 4. 1969, 5 (ACDP 07-013-2136). „Der Marxismus-Leninismus in der DDR ist revisionsbedürftig, ohne daß dabei die DDR aus den Angeln gehoben werden solle.“ Noch mehr rieb man sich an der Aussage: „In der DDR grinst der Militarismus durch jede Tapete.“ ebd.

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ˇ SSR in dem Sinne Kirchen durchaus Hoffnungen in die Entwicklungen in der C gesetzt hatten, wieder verstärkten Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen im eigenen Land zu gewinnen970. Diese hätten aus früheren Fehlern insofern gelernt, dass sie nicht mehr offen antikommunistisch aufträten, sondern stattdessen „lehren und verbreiten sie heute bewußt und planmäßig[,] straff organisiert[,] die Auffassung ,eines demokratischen, vermenschlichten Sozialismus‘ in der DDR.“971 Die ,Reaktionären‘ in den Kirchen wollten Sozialismus mit Demokratie und Freiheit verbinden und opponierten aus dieser Haltung heraus gegen die Führungsrolle der SED. Liberalisierung sei ein weiteres Stichwort und all diese Ideen bewegten sich wiederum auf der Linie der EKD und damit des Westens972.

8.1.3. Resolutionen Zwar versuchten auch andere kirchliche Verantwortungsträger für Menschen einzutreten, die aufgrund ihrer Haltung 1968 mit staatlichen Stellen in Konflikt geraten waren, doch beschäftigte sich nur die sächsische Landeskirche explizit mit der Frage der allseits geforderten Resolutionen in Schulen, Universitäten und an Arbeitsstellen973. Die Landeskirchenleitung in Sachsen setzte sich dabei vor allem für die Schülerinnen und Schüler ein, die sich geweigert hatten, eine Resolution zu unterschreiben. In dem bereits erwähnten Gespräch am 9. September beim Rat des Bezirkes Dresden bezog sich der Bischof auf die Ereignisse an der Kreuzschule Dresden, die er aus erster Hand kannte, da eines seiner Kinder dort zur Schule ging. Die kirchlichen Vertreter hörten die staatliche Zusicherung, „daß solche Resolutionen nicht in ihrem Sinne seien und sie der Sache sofort nachgehen würden.“974 Es ginge ihnen nicht um formale Resolutionen, sondern um Unterweisung der Schüler. Wenn diese dann in Resolutionen mündeten, „wolle man dies freilich auch nicht hindern.“975 Der Bischof bat daraufhin noch einmal dringend darum, „daß Benachteiligungen solcher, die sich an Resolutionen nicht beteiligen können, unterbleiben.“976 Die staatlichen Funktionäre sahen in diesem kirchlichen Bemühen nur Versuche, von den eigentlichen Gesprächsthemen 970 Vgl. Information vom 22. 4. 1969 des Mitarbeiters des 1. Sekretärs in Dresden, 7 (BArch DO 4/ 2968). 971 Vgl. ebd. 972 Vgl. ebd., 9. 973 Schönherr meinte, dass die Situation in dieser Hinsicht in Sachsen besonders scharf gewesen sei. Möglicherweise setzte sich Sachsen deswegen für Betroffene ein. Vgl. Hintergrundgespräch mit Schönherr vom 9. 8. 2005. 974 Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 9. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 113 R.). 975 Ebd. 976 Ebd.

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abzulenken977. Kirchlicherseits dagegen nahm man die Aussage, dass diese Art von Resolutionen nicht im staatlichen Sinne seien, ernst und forderte in den folgenden Tagen Mitarbeitende auf, über Schwierigkeiten zu berichten und sich in der Auseinandersetzung auf den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden zu berufen978. In den folgenden Wochen gingen Berichte aus verschiedenen Teilen der Landeskirche im Landeskirchenamt ein, die alle die Situation von Jugendlichen betrafen979. Aus diesen ging hervor, in welchem Maße die Art und Weise des Umgangs mit verlangten Resolutionen von den jeweiligen Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrern abhing980. Die damalige sächsische Landeskatechetin Gertraudis Tietz berichtete von einem Fall, in dem eine Lehrerin einfach einige Kinder, deren Eltern als überzeugte Kommunisten in Erscheinung getreten waren, exemplarisch um Stellungnahmen gebeten habe und die Kinder christlicher Eltern gar nicht erst fragte981. In einem anderen Fall bat der Lehrer die Kinder sehr um Unterschrift, damit er keinen Ärger mit dem Direktor bekäme982. Auf der anderen Seite wurden in Klingenthal einem Schüler und einer Schülerin der 10. Klasse der EOS eröffnet, dass sie wegen ihres mangelnden Klassenbewusstseins ohne Abitur abgehen müssten983. Angespannt war die Situation an der Kreuzschule in Dresden984. Eltern von Zehntklässlern versuchten bei einem Elternabend, auf die Zusagen des Gesprächs vom 9. September zu verweisen. Der Direktor antwortete sinngemäß: „Der Rat des Bezirkes ist für die Kreuzschule nicht 977 „Bischof Noth und Dr. Johannes wollten im weiteren Verlauf des Gespräches ablenken [ablenken ist mit Hand unterstrichen] und berichten ,besorgt‘, daß in verschiedenen Schulen – besonders in der Kreuzschule – noch nicht wahlberechtigte Schüler und Kinder zu mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen zur Lage in der CSSR veranlaßt wurden.“ Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am Montag, dem 1[1]. 9. 1968 vom 11. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2963). 978 In der Kirchenleitungssitzung am 10. September wurde dazu berichtet, dass der Rat des Bezirkes versichert habe: „Es ginge zwar um eingehende Unterrichtung der Schüler, aber sie dürften nicht zu einer Unterschrift gezwungen werden.“ Protokoll der 27. Sitzung der Kirchenleitung am 10. 9. 1968 (LKA DD, Best. 4, Nr. 32, Bl. 118). 979 In einem Fall wurden Mitglieder einer JG wegen zweier aufgetauchter Plakate zur Freiheit der ˇ SSR vernommen, in allen anderen Fällen ging es um Stellungnahmen von Schülerinnen und C Schülern. Berichte kamen z. B. aus Dresden (auch Romain-Rolland), Nassau, Pirna, Marienberg, Seiffen-Heidelberg, Seiffen, Oelsnitz, Klingenthal. 980 Befragte Zeitzeugen bestätigten das disparate Bild. 981 Vgl. Mitteilung der Landeskatechetin vom 19. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 152). 982 Vgl. Brief des Pfarrers aus Deutschendorf über die Unterschriftenleistung von Schulkindern bei Stellungnahme zu den politischen Ereignissen in der letzten Zeit (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 133). 983 Vgl. Bericht, Bedrängung von Oberschülern (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 146). 984 Als hier z. B. Unterschriften in der Klasse 4 unter Sätze wie: „Der opferreiche Einsatz der sozialistischen Länder rettete den Frieden in Europa und in der ganzen Welt und diente der Niederschlagung der Konterrevolution und der Sicherheit des Sozialismus“ verlangt wurden und alle Kinder unterschrieben, verwahrten sich die Eltern gemeinsam in einer Elternversammlung vom 5. 10. gegen ein solches Unterfangen auch für die Zukunft. Vgl. Ohne Bezeichnung (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 147, 153, 154).

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maßgebend.“985 Als die Frau des Landesbischofs etwas zu dem Gespräch ergänzen wollte, hieß es: „Ich bin nicht kompetent für die privaten Probleme Ihres Gatten.“986 Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse sollten unterschreiben, daß sie, wenn nötig, mit der Waffe in der Hand zur Verteidigung bereit seien987. An der Kreuzschule wurde hart vorgegangen, möglicherweise, weil hier durch die Kruzianer besonders viele Kinder aus christlichen Elternhäusern versammelt waren und auch Kinder von Mitarbeitern des Landeskirchenamtes. Gleichzeitig wusste das Landeskirchenamt dadurch am besten über die Vorgänge an dieser Schule Bescheid. Auch in Pirna wurden Kinder unter Druck gesetzt, und Superintendent Spranger berief sich vergeblich auf das Gespräch beim Rat des Bezirkes988. Nachdem mehrere ähnliche Briefe und Mitteilungen eingegangen waren, schrieb Johannes am 1. Oktober einen Brief an den Rat des Bezirkes Dresden. Darin nahm er Bezug auf das Gespräch vom 9. September, in dem „von einem der Herren des Rates des Bezirkes Dresden geäußert [wurde], daß nach Anweisung des Ministeriums für Volksbildung in allen Schulen Informationen über die Ereignisse in der CSSR zu geben seien, aber keine Resolutionen verlangt würden.“989 Nun sei es aber doch zu solchen gekommen und es sei so, dass diejenigen, die die Unterschrift verweigert hätten, „erheblich in Bedrängnis gebracht werden und sich in der Art, wie mit ihnen verfahren wird, bloßgestellt sehen.“990 Johannes bat, dass sich der Rat des Bezirkes dieser Fälle annehme. In einem weiteren Gespräch beim Rat des Bezirkes Dresden vom 21. Oktober 1968 sicherte dieser auf erneute Anfrage Johannes’ zu, „daß der Vorsitzende des Rates des Bezirkes auf Grund unseres Briefes vom 1. Oktober 1968 den Bezirksschulrat angewiesen hätte, die Kreisschulräte zu veranlassen, von Unterschriftenerzwingung abzusehen. Dies sei erfolgt […].“991 In einem Gespräch vom 6. November bestätigten dies die Vertreter der Landeskirche zumindest für die Fälle in Dresden und in Pirna, was ein Erfolg kirchlichen Bemühens war. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sich etwas an dem grundsätzlichen Problem der erschwerten Zugangsmöglichkeiten für junge Christinnen und Christen zu Ausbildungsstätten wie EOS oder Universitäten änderte992. 985 986 987 988 989 990 991 992

Brief eines Vaters und Pfarrers vom 3. 10. 1968 (LKA DD, Best. 2. Nr. 569, Bl. 132). Ebd. Vgl. Resolutionen in Schulen zu politischen Fragen (LKA DD, Best. 2 Nr. 569, Bl. 127). Vgl. Brief von Spranger an Johannes vom 23. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 124). Durch die Unterdrucksetzung der eigenen Tochter war Spranger persönlich betroffen. Entwurf. Brief an den RdB Dresden, Herrn stellvertretenden Vorsitzenden Riedel vom 1. 10. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 130.). Ebd. Niederschrift über eine Besprechung beim RdB Dresden am 21. 10. 1968, zwischen dem Präsidenten Johannes und dem stellv. Vorsitzenden Riedel (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 10). Auch Schmitt-Teichert meint, dass staatliche Zusagen nicht halfen. Vgl. Schmitt-Teichert, Hoffnung, 85.

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8.2. Die Synode Die Synode der sächsischen Landeskirche tagte halbjährlich. Präsident war von 1967 bis 1983 der Ofensetzermeister Johannes Cieslak993. Die Frühjahrssynode 1968 beschäftigte sich in Bezug auf politische Fragen mit der neuen Verfassung. Sie schrieb eine eigene Eingabe, in der sie sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte berief und um Meinungs-, Informations-, Bildungs-, Gewissens-, und Religionsfreiheit in der Verfassung sowie um Familienzusammenführungen über die Grenze hinweg bat994. Politische ˇ SSR und die Themen auf der Herbstsynode waren die Universitätskirche, die C Frage der Trennung von der EKD. Die Frühjahrssynode 1969 war dann die erste, die über die Ordnung des neu zu gründenden BEK abstimmte. Vor allen Synoden versuchte der Staat, so auch in Sachsen, durch Gespräche auf Synodale und Kirchenleitung einzuwirken. Der Rat des Bezirkes Dresden drang in einem solchen Gespräch mit Johannes und OKR Gottfried Fuß darˇ SSR Zurückhaltung auf der Herbstsynode 1968 zu üben. Die auf, in Punkto C Antwort war, dass es nicht gut sei, die Synodalen zu bevormunden, aber es wurde zugesichert, zumindest den Fall Pirna nicht zu erwähnen. Ansonsten sei man um Sachlichkeit bemüht. „Leider seien auch Dinge vorgekommen, wie ja auch die staatlichen Stellen wüssten, die unterschiedliche Auffassungen zwischen staatlichen und kirchlichen Stellen hervorgerufen hätten. Natürlich könnten die Vorgänge in der CSSR nicht unberührt bleiben […]“995. Von dem 18seitigen Tätigkeitsbericht des Landeskirchenamtes beschäftigten sich dann zweieinhalb Seiten mit dem Verhältnis von Staat und Kirche. Angesprochen wurden die staatlichen Ausreiseverweigerungen nach Uppsala – darunter die ˇ SSR und die Zerfür den Landesbischof –, die Verfassung, das Thema der C störung der Universitätskirche in Leipzig. Kurz wurden die Synodalen über den Stand der Strukturkommission zur Frage des zukünftigen Verhältnisses 993 Cieslak galt staatlicherseits als ,reaktionär‘. Z. B.: „Cieslak ist bestrebt, durch geschickt getarnte Vorschläge der Strukturänderung die Bundessynode politisch reaktionär zu beeinflussen und die realistischen Kräfte zurückzudrängen. In seiner politischen Grundhaltung ist er durchgängig ein Vertreter von Positionen des Sozialdemokratismus.“ Gespräch mit Präses [sic!] Cieslak am 10. 5. 1973, RdB Dresden, 4 (BArch DO 4/795). 994 Vgl. Antrag Nr. 75 des Sozial-ethischen Ausschusses (LKA DD, Best. 1, Nr. 341, Bl. 86 – 88). Der Antrag wird einstimmig angenommen. Vgl. Protokoll der 18. öffentlichen Sitzung der 19. Ev.Luth. Landessynode (LKA DD, Best. 1, Nr. 330, Bl. 68); vgl. auch KJ 95 (1968), 186 f.; und Einschätzung zum Verhalten von Geistlichen, kirchlichen Amtsträgern und christlichen Bürgern beim Volksentscheid über eine neue sozialistische Verfassung der DDR am 6. 4. 1968 vom RdB Karl-Marx-Stadt vom 19. 4. 1968, 3 – 5 (BArch DO4/2972). Als zusätzliche Problemkreise kamen Meinungsfreiheit, freier Empfang von Druckerzeugnissen, Freizügigkeit, Wehrdienst und Führungsanspruch der SED in Art 1 zur Sprache. 995 Niederschrift über eine Besprechung beim RdB Dresden am 6. 11. 1968 zwischen dem Präsidenten Johannes, OKR Fuß, dem 1. stellv. Vorsitzenden[,] Herrn Opitz[,] und dem stellv. Vorsitzenden[,] Herrn Riedel (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 13).

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zur EKD informiert. Der weitere Bericht beschäftigte sich mit Problemen des Gemeindeaufbaus und alternativen Gottesdienstformen, mit Christenlehre und kirchlicher Jugendarbeit, vor allem in Bezug auf staatliche Behinderungen, mit Fragen der theologischen Aus- und Weiterbildung und Schwierigkeiten, wie mit der neuen Feiertagsordnung und den damit weggefallenen kirchlichen Feiertagen umzugehen sei. ˇ SSR umfassten eine halbe Seite Die Äußerungen zu den Ereignissen in der C und vermieden eine politische Stellungnahme. Hingewiesen wurde in diesem Zusammenhang auf die legitime Aufgabe der Kirche zur konkreten Fürbitte996. Kurz geht der Bericht auf die Bemühungen der Landeskirchenleitung ein, sich vor allem für Kinder einzusetzen, die an Schulen Resolutionen hatten unterschreiben sollen. Das militärische Eingreifen im Nachbarland wurde also auf der Synode thematisiert, doch trat es als ein Problem unter mehreren auf. Über weitergehende Diskussionen wie auf der Synode von Berlin-Brandenburg oder der Kirchenprovinz Sachsen ist nichts bekannt. 1969 war die sächsische Frühjahrssynode die erste, die über die Grundordnung des Bundes abstimmen sollte. In den im Vorfeld von Seiten des Staats geführten Gesprächen konnte keiner der Synodalen dazu gedrängt werden, auf der Synode im Sinne der staatlichen Kirchenpolitik zu agieren997. Hinzu traten staatlich organisierte Eingaben wie von der kirchlichen Bruderschaft Sachsens oder der Christlichen Arbeitskreise an die Synode998. Obwohl diese ihre Wirkung verfehlten, redete sich der Rat des Bezirkes das Ergebnis positiv: „So ist mit diesen Protesten sowohl unter vielen Christen des Bezirkes wie möglicherweise auch bei Synodalen klar geworden, daß die Synode nicht die le-

996 „Ohne über die einzelnen politischen Vorgänge ein Urteil zu fällen, stand die menschliche Seite des Geschehens im Blickfeld, als sich Pfarrer und Kirchenvorstände zu den Ereignissen äußerten oder das Gespräch suchten. Es gehört zu den legitimen Aufgaben der Kirche, in solchen Zeiten, da die Gefahr der Vermengung edelster Absichten mit destruktiven Kräften besteht, zur Fürbitte aufzurufen. Dies hat der Landesbischof in einem Brief an die Pfarrer getan. Fürbitte verlangt Konkretion, so wie dies auch im Blick auf andere Krisenherde im Weltgeschehen schon immer geschieht. Dieser Hirtenbrief war keine Kanzelabkündigung. Er wollte und konnte keinerlei Parteinahme sein, sondern genau das sagen, was in einem solchen Augenblick durch die Kirche zu geschehen hat.“ Tätigkeitsbericht des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes, erstattet durch Landesbischof D. Noth vor der 19. Ev.-Luth. Landessynode am 9. 11. 1968, II. Teil, 5. (LKA DD, Best. 1, Nr. 384, Bl. 25 – 33). 997 Vgl. Einschätzung der Frühjahrssynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens vom 15.–19. 3. 1969 vom RdB Dresden am 25. 3. 1969, 1 (BArch DO 4/2962). Letztendlich sprach nur der Vertreter der CDU im staatlichen Sinne. Vgl. Frühjahrssynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen vom 15. 3.–19. 3. 1969 vom RdB Dresden, am 15. 3. 1969, 1. Verhandlungstag, 4 (BArch DO 4/2962). 998 Vgl. Eingaben, Gesuche und Beschwerden an die 19. Landessynode Mai 1966–November 1968 (LKA DD, Best. 1, Nr. 343). Eine Eingabe ganz anderer Art stammt von der EKD Ost-Synodalin Magdalena Kupfer, die ihr Mandat niederlegte, weil sie für die Gründung des Bundes keine innere Notwendigkeit annahm, sondern äußere Beschlüsse und Gründe. Vgl. Eingabe vom 3. 3. 1969. Lepp erwähnt ca. 70 Eingaben. Vgl. Lepp, Tabu?, 867.

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gitime Vertreterin der konfessionell gebundenen Bürger des Bezirkes ist.“999 Ende März beschwerten sich landeskirchliche Vertreter über die Menge dieser „Protestschreiben“ als Versuch staatlicher Manipulation1000. Auf der geschlossenen Sitzung am 15. März 1969 beschäftigte sich die Synode alleinig mit den Fragen zur Ordnung des Bundes. Der Präsident des Landeskirchenamtes Johannes erläuterte in seinem Bericht zunächst den aktuellen Stand. Einerseits wolle man schon länger zusammenwachsen, andererseits sei auch nicht zu übersehen, „daß von außen gedrückt wird.“1001 Die Ordnung wurde letztendlich mit 59 zu drei Stimmen angenommen1002. Die Synodalen waren sich der Tragweite ihrer Entscheidung dabei durchaus bewusst: „Während die Atmosphäre der bisherigen Tagung in der üblichen Weise durch Arbeitslärm, Zwischengespräche und leise Unruhe wie auf jeder Arbeitstagung gekennzeichnet war, trat mit Beginn dieses Punktes absolute und gedrückte Stille ˇ SSR spielte keine Rolle mehr. ein.“1003 Die Situation in der C

8.3. Die mittlere Kirchenebene und Einzelne Nachdem Landesbischof Noth trotz mehrerer Gespräche nicht abgehalten werden konnte, seinen Brief an alle Pfarrer zu senden, wurden staatliche ,Aussprachen‘ mit allen Superintendenten angeordnet. Ziel war „zu verhindern, daß in Gottesdiensten die Hilfsaktion der sozialistischen Länder für die CSSR diffamiert wurde.“1004 Daher sollten diese „nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht [werden], daß Äußerungen zu den außenpolitischen Fragen, wie zur Lage in der CSSR, nicht Aufgabe der Kirche ist und sein kann [sic!]. Sollte dies dennoch geschehen, so muß dies der Staat als eine

999 Einschätzung der Frühjahrssynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens vom 15.–19. 3. 1969 vom RdB Dresden am 25. 3. 1969, 2 (BArch DO 4/2962). 1000 Gespräch des Staatssekretärs für Kirchenfragen, der 3 [sic!] Stellvertreter für Inn. der Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt, Leipzig, der Vertreter der Bezirkssekretariate der NF. [Nationalen Front] und der 3 [sic!] Vertreter der CDU-Bezirksverbände am 27. 3. 1969 vom 9. 4. 1969, 3 (ACDP 07-013-2136). 1001 Tonbandabschrift der geschlossenen Sitzung vom 15. 3. 1968, 4 (LKA DD, Best. 1, Nr. 390). 1002 Vgl. Protokoll der 26. öffentlichen Sitzung der 19. Ev.-Luth. Landessynode, 18. 3. 1969 (LKA DD, Best. 1, Nr. 330, Bl. 184). 1003 Frühjahrssynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen vom 15. 3.–19. 3. 1969 vom RdB Dresden, am 18. 3. 1969, 3. und 4. Verhandlungstag, 1 (BArch DO 4/2962). Genau beschreibt der Bericht die Abstimmungsmodalitäten einer geheimen Wahl. Hier wurde im kleinen Maßstab Demokratie geübt, was staatlicherseits mit Misstrauen verfolgt wurde. Ebd., 2 f. 1004 Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 2 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086).

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Einmischung in staatliche Angelegenheiten werten. Dies könne ernsthafte Konflikte nach sich ziehen.“1005

Die Superintendenten ihrerseits sollten auf die Pfarrer einwirken, damit auch ˇ SSR äußerten. Einige Superindiese sich nicht zu den Ereignissen in der C tendenten lehnten ein solches Gespräch von vornherein ab1006. Die anderen antworteten übereinstimmend, dass es keinen Auftrag zu Kanzelabkündigung oder Fürbitte gebe, man aber auf die Fragen der Gemeindeglieder eingehen müsse. Das Gebet allerdings sei eine innere Angelegenheit der Kirche, in die sich der Staat nicht einmischen dürfe. „Das sei eine reine Frage der Glaubensund Gewissensfreiheit, die mit Politik nichts zu tun habe.“1007 Wenn sie für ˇ SSR Frieden in Vietnam beteten, ginge es nicht an, zu den Problemen in der C nichts zu sagen. Und die Gebete für Vietnam seien schließlich auch nie als Einmischung in die Angelegenheiten des Staates betrachtet worden. Bereits ˇ SSR im Gebet war den staatlichen Stellen jedoch zuviel. die Erwähnung der C Darüber hinaus hielten sich die meisten Superintendenten zurück. Andere jedoch äußerten ihre abweichende Meinung deutlich. Superintendent Gerhart Wendelin, Dresden-Stadt, wurde zum Stadtrat ˇ SSR in der bestellt, weil Pfarrer in Dresden zu deutlich auf die Situation der C Predigt eingegangen seien und von einer „Einmischung in die innere Angelegenheit der CSSR“ gesprochen hätten1008. Die meisten beteten auch hier für den Frieden. In seinem Bereich meinte nur der Seelsorger des Friedrichstädter Krankenhauses, dass er für die Maßnahmen sei, weil „ich bei den Faschisten auch verfolgt wurde, deshalb sind wir alle verpflichtet[,] dafür zu sorgen, daß sich das nicht noch einmal wiederholt und der Frieden in der Welt erhalten bleibt.“1009 Der Superintendent für den Kirchenbezirk Dresden-Land, Johannes Rudolph, weigerte sich in der Aussprache, seine Pfarrer anzuweisen, keine Für1005 Information über das Ergebnis der Aussprachen mit den Superintendenten der Sächsischen Landeskirche aufgrund des Schreibens des Landesbischof[s] Noth an die Pfarrer zur Lage in der CSSR, vom RdB Dresden vom 8. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2966). 1006 Im Bezirk Karl-Marx-Stadt drei. Vgl. Bericht des RdB Karl-Marx-Stadt über die Verhaltensweise der Geistlichen zum Brief des Landesbischof[s] Noth im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR vom 9. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2972); ebenso (BStU, MfS, BV KarlMarx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 1007 Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 2 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 1008 Vgl. Niederschrift von Superintendent Wendelin, undatiert, eingegangen im LKA am 11. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 115). So z. B. in der Zionsgemeinde, in der Versöhnungskirche oder in der Heilandskirche. In letzterer sagte der Pfarrer: „alles steht hinter Dubcek. […] In der CSSR gebe es keine Konterrevolution, denn die Menschen, die etwas verändern wollten, sind ja Kommunisten.“ Auszüge aus den Informationsberichten der Räte und Städte vom 29. 8. 1968, 2 f., 6 (BArch DO 4/2966). 1009 Auszüge aus den Informationsberichten der Räte und Städte vom 3. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/ 2966).

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ˇ SSR durchzuführen. Das sei Sache bittgottesdienste für die Menschen in der C seiner Pfarrer, wobei er meinte, „daß er sich sogar freuen würde, wenn dies einer seiner Pfarrer tun würde.“1010 Der ihn zur Aussprache begleitende Pfarrer brachte zum Ausdruck, dass er viel für den Sozialismus und Dubcˇek übrig habe. In seiner Predigt sprach letzterer unter anderem vom „2. Überfall auf die CSSR“, zog eine Parallele zu Ungarn und Vietnam, erklärte „Gott ist bei ˇ SSR stehe hinter der legalen Regierung den Unterdrückten“, die Kirche in der C ˇ ernik und rief die Gemeinde auf, für Svoboda, C ˇ ern k und Dubcˇek zu C beten1011. Auf der anderen Seite gab es auch hier einen Pfarrer, der die Hoffnung aussprach, dass auf diese Weise ein Dritter Weltkrieg habe verhindert werden können1012. Bereits im Zusammenhang mit der Abstimmung über die neue Verfassung hatte Superintendent Friedrich Kruspe in Karl-Marx-Stadt gemeint, „daß er seine Brüder in der CSSR beneide, weil es nach seiner Annahme dort für die Kirche zu größeren Freiheiten käme.“1013 In der Aussprache mit dem Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt brachte er nun seine Erschütterung über den Einmarsch zum Ausdruck. Die Tschechoslowaken hätten doch nur eine neue Art von Sozialismus aufbauen wollen, und die Russen hätten einen großen Fehler begangen1014. Der Superintendent von Karl-Marx-Stadt I, Gotthart Fehlberg, sagte direkt am 21. August seine Beteiligung an der Bezirksdelegiertenkonˇ SSR ferenz der CDU ab. Er habe bis zum vorhergehenden Tag Besuch aus der C gehabt. Der Pfarrer habe ihm erzählt, „daß die christlichen Kirchen in der CSSR angesichts der Entwicklung in der letzten Zeit sehr aufgeatmet hätten und mit dem bisher eingeschlagenen Kurs voll einverstanden waren.“1015 Be1010 Information über das Ergebnis der Aussprachen mit den Superintendenten der Sächsichen Landeskirche aufgrund des Schreibens des Landesbischof[s] Noth an die Pfarrer zur Lage in der CSSR, vom RdB Dresden vom 8. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2966). 1011 Vgl. Auszüge aus den Informationsberichten der Räte und Städte vom 29. 8. 1968, 6 (BArch DO 4/2966). Die Kirchenleitung wurde auf diesen Fall angesprochen. Vgl. Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am Montag, dem 1[1]. 9. 1968. vom 11. 9. 1968, 4 (BArch DO 4/2963). 1012 Vgl. Auszüge aus den Informationsberichten der Räte und Städte vom 29. 8. 1968, 2 (BArch DO 4/2966). 1013 Einschätzung zum Verhalten von Geistlichen, kirchlichen Amtsträgern und christlichen Bürgern beim Volksentscheid über eine neue sozialistische Verfassung der DDR am 6. 4. 1968 vom RdB Karl-Marx-Stadt vom 19. 4. 1968, 6 (BArch DO4/2972). Die beiden Aussagen wurden immer wieder in Berichten zitiert. Z. B. Information vom 29. 7. 1968, Meinungen der christlichen Bevölkerung zu den Vorkommnissen in der CSSR (BArch DO 4/2972); ebenso (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378); ohne Titel, 15. 8. 1968, 4 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375); oder Entwurf vom 19. 8. 1968 Einschätzung auf kirchenpolitischem Gebiet und Schlußfolgerungen zur Verbesserung der politischen Massenarbeit durch die staatlichen Organe, 10 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 1014 Vgl. Bericht des RdB Karl-Marx-Stadt über die Verhaltensweise der Geistlichen zum Brief des Landesbischof[s] Noth im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR vom 9. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2972); ebenso (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 1015 BV Karl-Marx-Stadt, 21. 8. 1968, Meinungsbildung zur Mitteilung von TASS und der Erklä-

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reits vor dem 21. August war dem MfS über Fehlberg zu Ohren gekommen, dass er auf einem Pfarrkonvent Dubcˇek gelobt und seine Sympathien für die Entwicklungen im Nachbarland geäußert habe1016. Im Namen des Konventes schrieb Fehlberg am 11. September 1968 an das Landeskirchenamt mit der Bitte, der Landesbischof möge doch als Zeichen der Verbundenheit einen Brief ˇ SSR richten, mit dem, „was brieflich überhaupt gesagt an die Kirchen in der C werden kann.“1017 Noth riet daraufhin zur Vorsicht1018. Dem Superintendenten von Marienberg, Gottfried Meinel, wurde „ausschweifende[…] Polemik“ vorgeworfen, weil auch er sich mit seiner Meinung nicht zurückhielt1019. Bei seinem Stellvertreter, den man in seiner Wohnung aufsuchte, hatte man nicht ˇ SSR und wusste über sie von den mehr Glück. Auch er kannte Pfarrer in der C Erleichterungen für die Kirche. „Alle Christen seien interessiert daran, daß die eingeleiteten Maßnahmen der neuen Regierung erhalten bleiben, da sie doch einige Erschwernisse beseitigen.“1020 Er hielt die ,Hilfsmaßnahmen‘ für nicht richtig, noch weniger eine Beteiligung der NVA wegen der Parallele zu 1938. Die meisten Pfarrer aus diesem Bereich schwiegen sich jedoch gegenüber vom Staat geschickten Personen über ihre Meinung aus. Keiner äußerte sich im staatlichen Sinne1021. Staatlicherseits wurde es als Erfolg der „Auseinandersetzungen“ mit den Superintendenten gewertet, dass es im gesamten Bezirk Karl-Marx-Stadt zu keiner Kanzelabkündigung gekommen sei – die gar nicht vorgesehen war –, sondern meist nur allgemein für den Frieden gebetet wurde1022.

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rung des Zentralkomitees der SED, des Staatsrates und des Ministerrates der DDR (ACDP 07012-1536). Vgl. Einschätzung der politisch-operativen Situation auf dem Gebiet der Kirchen beider Konfessionen sowie der verbotenen Sekte der Zeugen Jehovas vom 14. 8. 1968, 2 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). Superintendentur Karl Marx Stadt I an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt am 11. 9. 1968 (LKA DD, Nr. 569, Bl. 118). Auf dem nächsten Konvent berichtete Fehlberg davon, wodurch das MfS Kenntnis erhielt. Vgl. Einschätzung der politisch-operativen Situation auf dem Gebiet der Kirche und der verbotenen Sekte Zeugen Jehova vom 16. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). Vgl. RdK Marienberg an den RdB Karl-Marx-Stadt vom 2. 9. 1968, Meinungen Geistlicher, 1 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). RdK Marienberg. Niederschrift vom 6. 9. 1968 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Z. B.: „Aus den Aussprachen mit den Genossen Bürgermeistern in den letzten Tagen war zu entnehmen, daß ihre Bemühungen, etwas konkretes [sic!] über die Stimmungen und Meinungen aus diesen Kreisen zu erfahren, erfolglos verlaufen. […] Zur Zeit ist uns kein Fall im Raum der ev. Geistlichen bekannt, der die Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer zur Frage CSSR als richtig und notwendig ansieht.“ RdK Marienberg an den RdB Karl-Marx-Stadt vom 2. 9. 1968, Meinungen Geistlicher, 2 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Zudem wurden die Fürbittgottesdienste direkt auf die Beschlüsse der Bischofskonferenz zurückgeführt. Vgl. Bericht über den Stand über Meinungsäußerungen von Geistlichen, kirchlichen Amtsträgern und christlichen Bürgern zu den Ereignissen in der CSSR vom 4. 9. 1968, 4 (BArch DO 4/2972); ebenso (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378).

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Da im Kirchenbezirk Borna der Superintendent verhindert war, übernahm der Vorsitzende der Bezirkssynode das Gespräch. Stichpunktartig schrieb er danach an das Landeskirchenamt, was er gesagt hatte: „Gegen den Willen der Bevölkerung und Regierung erfolgte die Besetzung. Wiedergabe eines Gesprächs mit einem Prager: ,Wir wollen den Sozialismus nicht abschaffen, aber wir wollen Sozialismus und Demokratie, ohne Konzentrationslager!‘ Ansehen der Deutschen geschädigt; der Entspannung, dem Frieden und dem Sozialismus geschadet. Verschiedene Wege des Sozialismus. Begriff Konterrevolution ungeeignet. Die kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens und Jugoslawien und Rumänien haben Besetzung verurteilt.“1023

Als Fazit warf Seigewasser Noth Ende Oktober in einem Gespräch vor, „daß seine Superintendenten, besonders nach den Ereignissen in der CSSR und im Zusammenhang mit den Hilfsmaßnahmen der fünf sozialistischen Staaten vom 21. August 1968, eine sehr problematische Stellung bezogen haben und militant gegen die Politik der Regierung der DDR zur Sicherung des Friedens aufgetreten seien.“1024

8.3.1. Die Ephorie Pirna Auf einer Dienstbesprechung in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen wurde festgelegt, die Vorgänge in der Ephorie Pirna „im Rahmen einer umfassenden streng vertraulichen Information über die Lage in der Evangelischen Kirche im Hinblick auf die Hilfsmaßnahmen vom 21. August 1968 als ein Beispiel für die mögliche Erledigung ähnlich gelagerter Fälle an die Referenten für Kirchenfragen bei den Räten der Bezirke und an die politischen Mitarbeiter der Dienststelle zu geben […].“1025

Die hier dargestellten Ereignisse zeigen, dass Pirna zwar beispielhaft für staatliches Vorgehen war, jedoch auch dessen Grenzen aufzeigte und sich in Eine vergleichbare Situation ergab sich in den Gottesdiensten vom 8. September: „Insgesamt kann eingeschätzt werden, daß die Fürbittgottesdienste im Wesentlichen den Inhalt des Briefes von Landesbischof D. Noth widerspiegelten. Offene Provokationen waren nach den Mitteilungen der Kreise / Städte nicht zu verzeichnen.“ Bericht des RdB Karl-Marx-Stadt über die Verhaltensweise der Geistlichen zum Brief des Landesbischof[s] Noth im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR vom 9. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2972); ebenso (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 1023 Bericht über das Gespräch, das am 6. 9. 1968 beim Kreisrat Borna geführt worden ist (LKA DD, Nr. 569, Bl. 120). 1024 Aktenvermerk über eine Aussprache des Staatssekretärs mit Landesbischof Noth und Konsitorial-Präsident [sic!] Johannes, Dresden am 29. 10. 1968 vom 31. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/ 429 auch 2963); und (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/11). 1025 Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 9. 1968 und am 17. 9. 1968 vom 11. 10. 1968, 4 (BArch DO 4/400).

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der Folge als Vorbild für eine „mögliche Erledigung“ als schlecht geeignet erwies. Nach Diskussionen war auf einer einberufenen Ephoralkonferenz der Ephorie Pirna am 5. September beschlossen worden, einen Brief an die Vorsitzenden der Räte der Kreise Pirna und Sebnitz zu schreiben. Zuvor hatten Pfarrer wie Christof Ziemer berichtet, was sie aus eigener Anschauung über die Situation im Nachbarland wussten1026. Hauptverfasser des Briefes waren Christoph Schmidt, Christof Ziemer, der Superintendent Dietrich Spranger und Peter Koch1027. Schriftführer war nach eigenen Angaben der stellvertretende Superintendent Walter Taut1028. Der Brief wurde mit wenigen Änderungen auf der gleichen Sitzung angenommen und sofort unterzeichnet. Alles musste sehr schnell entschieden werden1029. Einige Pfarrer wollten den Brief als Kanzelabkündigung nutzen, konnten sich mit diesem Vorschlag aber nicht durchsetzen. In den nächsten Tagen wurden nichtanwesende Pfarrer aufgesucht, damit auch sie unterschrieben, um eine möglichst breite Basis zu erhalten. Dies gelang. 46 Personen unterschrieben. In der Ephorie Pirna gab es damals 46 Pfarrer. Nur zwei unterschrieben nicht. Drei Pfarrer befanden sich im Urlaub. Darüber hinaus unterschrieben der Superintendent, die Bezirkskatechetin, der Jugendwart, der Kirchenmusikdirektor von Pirna und ein Ruheständler. Damit waren alle kirchlichen Berufsgruppen repräsentiert. Der Brief war in vier Unterpunkte geteilt. In den ersten beiden Abschnitten ˇ SSR und die Außenpolitik gerichtet. Es wurde war die Perspektive auf die C ˇ SSR hingewiesen zunächst auf die Verbundenheit mit der Bevölkerung der C und dass die Entwicklung einer sozialistischen Demokratie auch den Grundlagen der Verfassung der DDR entspreche. Außerdem seien die Slowaken, Tschechen und die dortigen Kirchen zum überwiegenden Teil für die Entwicklung. Dabei zitierte der Brief wörtlich aus der Erklärung des Synodalrates der EKBB vom 13. März, in welcher sich dieser vorsichtig positiv zu den politischen Entwicklungen geäußert hatte. Im zweiten Abschnitt wurde darauf hingewiesen, dass auch die Regierung und Parteiführung im Nachbarland nichts gegen die Entwicklungen einzuwenden hatten. In der Folge 1026 „Christof Ziemer […] hatte sich persönlich, vor Ort in Prag, über den Prager Frühling informiert und berichtete in der schnell einberufenen Ephoralkonferenz.“ Brief von Taut an die Verfasserin vom 23. 10. 2009, 1; vgl. auch Gespräch der Verfasserin mit Christof Ziemer vom 1. 8. 2005. Ein anderer Pfarrer berichtete, dass das Schreiben „nach bewegenden Erlebnisberichten von Kolleg(inn)en verfasst wurde, die auf der Rückkehr vom Urlaub in Prag und anderen Städten der CSSR Gewalt gegen Zivilisten gesehen hatten.“ Vgl. Brief eines Pfarrers, der mit unterzeichnete, an die Verfasserin vom 28. 5. 2011. 1027 Peter Koch war damals Jugendwart in Pirna. In staatlichen Quellen gilt Dietrich Spranger als Urheber. Information über die Maßnahmen bezüglich des Briefes der Superintendentur Pirna an die Räte der Kreise Pirna und Sebnitz vom 11. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2967). 1028 Vgl. Brief von Taut an die Verfasserin vom 23. 10. 2009, 1. 1029 Ein Pfarrer schrieb: „Den bewussten Brief habe ich gar nicht richtig durchgelesen. Unterschrieben habe ich nach Beendigung der Ephoralkonferenz, als alles sehr schnell gehen musste.“ Brief eines Pfarrers, der mit unterzeichnete, an die Verfasserin vom 3. 7. 2011, 1.

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kritisierte der Brief das Vorgehen der eigenen Regierung und der weiteren beteiligten ,Bruderstaaten‘: „Umso unverständlicher ist uns, daß fünf Staaten des Warschauer Vertrages ihre Beurteilung der Lage zum Anlaß nahmen, gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit der tschechoslowakischen Bevölkerung Truppen in die CSSR zu entsenden. […] Es will uns nicht einleuchten, daß die Sprache der Waffen die Sprache des Friedens und der Völkerverständigung ist. Die Todesopfer und die vielen Verletzten belasten schwer die Ereignisse der Augusttage in der CSSR.“1030

Ab dem dritten Punkt des Briefes änderte sich die Perspektive hin zu den Auswirkungen innerhalb der DDR. So wurde den Medien vorgeworfen, „daß die Darstellung der Ereignisse in der CSSR in Presse, Rundfunk und Fernsehen der DDR nicht nur einseitig, sondern irreführend ist.“1031 Im letzten Punkt wurde die Problematik der Resolutionen und Unterschriftenaktionen angesprochen, die allenthalben gefordert wurden. Mit diesem Brief wagte die Ephorie deutlicher als die Kirchenleitung, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten kritisch zu äußern. Interessanter noch als der Brief selbst ist jedoch das Maßnahmenpaket, das darauf folgte. In einem ersten Gespräch mit Spranger war dieser als Superintendent wie alle anderen aufgefordert worden, eine etwaige Kanzelabkündigung zu unterlassen1032. Spranger antwortete, dass von ihm keine ausgehen werde, aber jeder Pfarrer müsse die Botschaft in die jeweilige Zeit sprechen und gerade die letzten Ereignisse könnten dabei nicht übergangen werden. Dann wies er den stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Kreises Pirna auf den Brief hin, der jenem noch gar nicht bekannt war1033. Nachdem der Brief jedoch eingetroffen war, wurde er nach Abstimmung mit der Bezirksleitung der SED sofort nach Berlin, an Seigewasser und an den Vorsitzenden des Ministerrates, Willi Stoph, weitergeleitet mit der Zusage, dass alles Notwendige bereits eingeleitet worden sei1034. Dazu gehörte, dass bereits am 6. September die Bürgermeister des Kreises Sebnitz durch den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden, Manfred Scheler, instruiert wurden und ab dem 7. September die Aussprachen 1030 Brief an den Herrn Vorsitzenden des RdK Prina/Sebnitz vom 5. 9. 1968 (LKA DD, Best. Nr. 569, Bl. 112 V). Der Brief ist auch abgelegt z. B. (BArch DO 4/2967); (BStU, MfS, BV Dresden, KD Sebnitz, Nr. 4155); und Abschrift. Brief an Seigewasser und Vorsitzenden des Ministerrates Stoph vom 6. 9. 1968 (ACDP 07-010-3252). 1031 Ebd. 1032 Es kam zu mehreren Gesprächen, zu denen Spranger mit seinem Stellvertreter Taut ging. Dieser beschrieb eines der Gespräche wie folgt: „In großer Runde wurden wir empfangen und erlebten, wie sich die Genossen gegenseitig versicherten, dass die Maßnahmen für die Erhaltung des Friedens richtig und gut gewesen seien. Wir selber waren nicht gefragt, erhoben auch keinen Einspruch, gingen aber verwundert wieder unsers Wegs.“ Brief von Taut an die Verfasserin vom 23. 10. 2009, 1. 1033 Vgl. Gespräch beim RdK Pirna am 5. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 110). 1034 Vgl. Abschrift. Brief an Seigewasser und Vorsitzenden des Ministerrates Stoph vom 6. 9. 1968, 3 (ACDP 07-010-3252).

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begannen1035. Spranger wurde erneut zu einem Gespräch mit den beiden Vorsitzenden der Räte der Kreise Sebnitz und Pirna einbestellt, die dessen Ergebnis per Fernschreiben nach Dresden übermittelten. Spranger wurde Provokation, Einmischung und Kompetenzüberschreitung vorgeworfen und dass „mit diesem Brief die Position der Konterrevolutionäre der CSSR vertreten wird.“1036 Spranger versuchte zu beschwichtigen, dass der Brief keine Provokation gegen die Verfassung, die Regierung oder den Sozialismus sein sollte. „Lediglich in der Frage der militärischen Hilfeleistung der 5 sozialistischen Staaten sind Zweifel aufgetreten.“1037 Die beiden Räte dagegen vertraten die Auffassung, „daß man mit diesem Brief testen wollte, inwieweit reagieren die Staatsorgane auf solche Provokationen.“1038 Diese Auslegung zog sich durch die weiteren staatlichen Überlegungen und erklärt den eingangs erwähnten Vorschlag, mit dem staatlichen Vorgehen im Fall Pirna ein Exempel zu statuieren. In der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen gab es für Pirna eine eigene Akte, die nur diesen Fall behandelte1039. Der Brief aus Pirna wurde in der Folge in staatlichen Anleitungen und Berichten auf verschiedenen Ebenen immer wieder als das exemplarische Beispiel an prominenter Stelle genannt, während andere Vorkommnisse nur vereinzelt erwähnt wurden1040. Auch dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Beste, wurde in einem Gespräch mit Seigewasser neben der Situation in Berlin-Brandenburg das Beispiel Pirna vor Augen geführt: „Der Bischof wurde darüber belehrt, daß die sozialistische Staatsmacht nicht gewillt ist, auch nur irgend eine gegnerische oder gar feindliche Aktion kirchlicher Gruppen auf dem Territorium der DDR zuzulassen, das gelte auch hinsichtlich der Unterschriftenaktion kirchlicher Persönlichkeiten aus dem Raume Sebnitz/Pirna.“1041

Bereits einen Tag nachdem der Brief verabschiedet worden war, wurde Noth als Landesbischof telefonisch zu einem Gespräch mit dem Rat des Bezirkes gerufen. Das Gespräch fand am 9. September statt. Ultimativ forderte der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden, Rolf Opitz, 1035 Vgl. Bericht über die Durchführung der Weisung des Vorsitzenden des RdB Dresden, Genossen Scheler, vom 6. 9. 1968, 1 (BStU, MfS, BV Dresden, KD Sebnitz, Nr. 4155). 1036 Fernschreiben an den Vorsitzenden des RdB Dresden, Genossen Scheler, vom 7. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2967); ebenso (BStU, MfS, BV Dresden, KD Sebnitz, Nr. 4155). 1037 Ebd. 1038 Ebd., 2; So auch schon vgl. Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am Montag, dem 1[1]. 9. 1968, vom 11. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2963). Dieser Absatz wurde in dem Brief extra angestrichen. 1039 Vgl. Anleitung der Räte der Bezirke (Bezirksmappen) Dresden 1967 – 1968 (BArch DO 4/ 2967). Inhaltlich ausschließlich Pirna und Sebnitz. 1040 Die CDU glaubte zunächst, die Pfarrer hätten sich in einem Schreiben „an den Vorsitzenden des Ministerrats gewandt.“ Aktenvermerk. Ereignisse in der CSSR vom 11. 9. 1968, 3 (ACDP 07-010-3252). 1041 Entwurf. Kurzbericht über die Aussprache mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz Niklot Beste, am 19. 9. 1968, vom 20. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2936).

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Noth auf, das Schreiben aus Pirna in einer Stellungnahme bzw. Erklärung zu verurteilen1042. Der Brief verstoße gegen die staatliche Friedenspolitik. Er wurde als „Mittelding zwischen Provokation und Unfreundlichkeit“ eingestuft und als Übertreten kirchlicher Kompetenzen gewertet1043. Besonders empfindlich zeigten sich die staatlichen Vertreter im Blick auf die Zitation aus dem Synodalbeschluss der EKBB aus dem Frühjahr desselben Jahres. Noth verurteilte Brief und Briefschreiber jedoch nicht, sondern versuchte zu vermitteln, zu erklären, zu beschwichtigen. Er betonte, dass der Brief keine Kanzelabkündigung war, sich auf freier Entscheidung der Pfarrer gründete, überdies das Vertrauen der Pfarrerschaft zum Staat zum Ausdruck bringe und keine westliche Sicht darstelle, sondern den Diskussionsbedarf aufzeige1044. Zwar solidarisierte sich Noth nicht mit dem Schreiben aus Pirna, welches viel deutlicher Kritik übte, als er es selbst getan hatte, doch nahm er die entsprechenden Personen in Schutz. Es ist ein typisches Beispiel für die Unterscheidung von Werk und Person nach 1.Kor 3. Auch wenn Noth der Brief der Pfarrer zu deutlich war, suchte er die Menschen als Personen zu schützen. Die staatlichen Vertreter hatten für eine solche Unterscheidung kein Verständnis. Noth wurde bedeutet, dass er die volle Verantwortung für den Brief trage. Auf die Drohung, dass sich die Verfasser des Briefes außerhalb der Gesetze der DDR bewegten, konterte Noth, dass der Brief aufgrund von Fragen von Gemeindegliedern und Pfarrern geschrieben worden sei. „Dagegen könnte man doch nichts sagen. Das Mitfühlen und Mitdenken steht nicht außerhalb der Verfassung.“1045 Doch die staatlichen Vertreter beschuldigten Noth, dass er durch seinen Brief an alle Pfarrer dieses Schreiben überhaupt erst provoziert hätte. Noth blieb bei seiner Meinung, und das Gespräch wendete sich der Frage der Resolutionen zu. Am gleichen Tag wurde der Fall Pirna in der Morgenbesprechung bei Seigewasser beraten. Man war sich einig, dass die „Organisation solcher Proteste […] nicht geduldet werden können [sic!].“1046 Denn 1042 Vgl. Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 9. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 113 V); vgl. auch Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am Montag, dem 1[1]. 9. 1968, vom 11. 9. 1968, 3 (BArch DO 4/2963). 1043 Vgl. Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 9. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 113 V); vgl. auch Schmitt-Teichert, Hoffnung, 84. 1044 Vgl. Niederschrift über ein Gespräch beim RdB Dresden am 9. 9. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 113 V). Ähnlich äußerte sich Noth auch gegenüber der CDU. Es sei ein vertraulicher Brief gewesen, was „völlig loyal“ sei und „von dem Vertrauen zu den staatlichen Organen“ zeuge. Eine Kanzelabkündigung sei nicht erfolgt und es könne daher auch nicht mit Berlin-Brandenburg gleichgesetzt werden. Vgl. Aktenvermerk. Sächsische Landeskirche Dresden vom 18. 9. 1968, 5 f. (ACDP 07-010-3252 ebenso 07-013-3062); und (BArch DO 4/ 2963). 1045 Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am Montag, dem 1[1]. 9. 1968, vom 11. 9. 1968, 1 f. (BArch DO 4/2963). 1046 Festlegungen aus der Morgenbesprechung beim Staatssekretär vom 9. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2967 ebenso 429).

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„er [jeder Bürger] hat aber nicht das Recht, gegen Beschlüsse der Regierung und Staatsführung Gruppen von Menschen in Bewegung zu bringen und sie zu negativen Aktionen zu veranlassen, die auf die Durchkreuzung von Regierungs- und Staatsführungsmaßnahmen gerichtet sind.“1047

Einen Tag später, am 10. September, berieten Vertreter verschiedener staatlicher Stellen aus Berlin, Dresden und der Region einschließlich der Staatssicherheit über den Fall1048. Folgende Maßnahmen, die alle zum Ziel hatten, dass der Brief zurückgezogen werden solle, wurden, neben wöchentlichen Meldungen nach Berlin, beschlossen:1049 1. Gespräche mit dem Superintendenten. Darin Drohung mit dem Strafgesetzbuch, mit einer etwaigen NS-Vergangenheit und mit etwaigem Einfrieren der Staatszuschüsse. 2. Politische Bearbeitung der beiden Pfarrer, die nicht unterschrieben hatten. 3. Einzelgespräche mit allen übrigen Geistlichen, Bevorzugung der Geistlichen, die nicht unterschrieben hatten, durch Geld und Druckgenehmigungen. 4. Öffentliche und positive Äußerungen zum 21. August auf möglichst breiter Front und zusätzlich Gespräche mit den Kirchenvorstandsmitgliedern1050. 5. Alle Anträge der Gemeinden aus der Ephorie bis auf weiteres stoppen. Diese Maßnahmen entsprachen den üblichen Droh- und Bevorzugungsstrategien des Staates. Selbstverständlich interessierte sich auch das MfS für die Vorgänge1051. In den folgenden Wochen wurde mit der Umsetzung begonnen. Dabei standen die staatlichen Stellen unter Erfolgsdruck, diese unerhörte Situation zu beenden1052. Die Pfarrer reagierten sehr unterschiedlich auf die staatlichen Vorladungen 1047 Ebd. 1048 Vgl. Information über die Maßnahmen bezüglich des Briefes der Superintendentur Pirna an die Räte der Kreise Pirna und Sebnitz vom 11. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2967). Die CDU, an diesem Gespräch nicht beteiligt, schlug vor, mit Hilfe von Unterschriften die Absetzung von Spranger zu fordern. Vgl. Kurzbericht über die Dienstreise nach Dresden am 2. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/2967). 1049 Anlage zur Information über die Maßnahmen bezüglich des Briefes der Superintendentur Pirna an die Räte der Kreise Pirna und Sebnitz vom 11. 9. 1968 (BArch DO 4/2967). 1050 Mit dem Kirchenvorstand von Hinterhermsdorf war bereits am 26. 8. gesprochen worden. Vgl. Auszüge aus den Informationsberichten der Räte und Städte vom 29. 8. 1968, 3 (BArch DO 4/2966). Der Pfarrer unterschrieb. 1051 Vgl. (BStU, MfS, BV Dresden, KD Sebnitz, Nr. 4155). 1052 So berichtete Seigewasser von einem Gespräch mit dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Alfred Neumann. „In diesem Gespräch hat Gen. Neumann gefordert, daß unsere Dienststelle, hier [gemeint ist der Brief aus Pirna und Sebnitz] und wo immer es notwendig ist, präzise Untersuchungen durchzuführen hat.“ Den Geistlichen sei klar zu machen, „daß Aktionen wie die in Pirna/Sebnitz, sie hart in die Nähe des Strafgesetzbuches bringen.“ Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 11. 9. 1968, und am 17. 9. 1968 vom 11. 10. 1968, 4 (BArch DO 4/400).

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und die überwachten Gottesdienste, die den ersten drei Maßnahmenpunkten entsprachen. Während die einen der Aufforderung zu den Gesprächen nachkamen, weigerten sich andere und wurden daraufhin in ihren Wohnungen aufgesucht. Die beiden Pfarrer, die nicht unterschrieben hatten, bekamen Besuch. Der eine weigerte sich, seine Gründe näher darzulegen, „um meinen Amtsbrüdern nicht in den Rücken zu fallen“, und meinte, dass ihm die Trennung von Staat und Kirche wichtig, er jedoch Einzelgänger sei1053. Der andere meinte, dass der Ton des Briefes „sehr aggressiv“ sei und er deswegen nicht unterschrieben habe1054. Mehrere Pfarrer erklärten, dass der Brief nicht von der Kirchenleitung initiiert worden sei, sondern ihre Meinung wiedergebe, dass der Einmarsch nicht notwendig gewesen sei und die Zustimmung ˇ fehle. Auch auf eigene Anschauung durch C ˇ SSR-Reisen aus dem ZK der KSC oder Briefkontakte wurde verwiesen. Ein Pfarrer sprach von Augenzeugenberichten über eine Schießerei in Liberec1055. Kritisiert wurden weiterhin die erzwungenen Unterschriften aus der Bevölkerung1056. Das größte Zugeständnis war, dass ein Pfarrer bereit war, sich mit den anderen zu beraten und das Ergebnis mitzuteilen. Für den Vorwurf, dass sie mit ihrem Brief der Konterrevolution Vorschub leisteten, zeigte kein Pfarrer Verständnis1057. Während in den Gottesdiensten – wenn, dann nur sehr vorsichtig – die Situation in der ˇ SSR bzw. die Aussprachen thematisiert wurden, mussten die verschiedenen C staatlichen Ebenen inklusive MfS resigniert feststellen, dass alle Geistlichen bei ihrer Meinung zum Brief blieben1058. Daraufhin wurde noch einmal über den Umweg des Landeskirchenamtes versucht, auf die Ephorie Druck auszuüben. Der stellvertretende Vorsitzende des Rates des Bezirkes Dresden bat am 21. Oktober den Präsidenten des Landeskirchenamtes Johannes beinahe, dass der Brief zurückgezogen werden müsse. Denn: „Die Berliner Stellen erwarten dies.“1059 Doch brachte auch dieses Gespräch die staatlichen Stellen ihrem Ziel nicht näher. Noch fast ein Jahr später erklärte Johannes: 1053 Vgl. Zusammenfassung der Aussprachen mit den ev. Pfarrern des Kreises Sebnitz, 17. 9. 1968, 2; und RdK Sebnitz an den RdB Dresden. Bericht über die Durchführung der Weisung des Vorsitzenden des RdB Dresden, Genossen Scheler, vom 6. 9. 1968, 1 (BStU, MfS, BV Dresden, KD Sebnitz, Nr. 4155). 1054 Vgl. Zusammenfassung der Aussprachen mit den ev. Pfarrern des Kreises Sebnitz, 17. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, BV Dresden, KD Sebnitz, Nr. 4155). 1055 Vgl. ebd., 5. 1056 Vgl. ebd., 3. 1057 Vgl. ebd., 5. 1058 Vgl. Information über Gespräche mit ev. Pfarrern, RdK Pirna, 12. 9. 1968 (BArch DO 4/2967); vgl. auch: „Sup Spranger war nicht bereit, auch nur einen Schritt zurückzugehen. Ihre Haltung entspräche auch der Linie des Landesbischofs.“ Aktenvermerk vom 18. 9. 1968 (BArch DO 4/2967); vgl. auch Bericht über die Durchführung der Weisung des Vorsitzenden des RdB vom 6. 9. 1968, vom 7. 9. 1968, 4; und Information. Kreisdienststelle Sebnitz, vom 18. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, BV Dresden, KD Sebnitz, Nr. 4155). 1059 Niederschrift über eine Besprechung beim RdB Dresden am 21. 10. 1968 zwischen dem Präsidenten Johannes und dem stellv. Vorsitzenden Riedel (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 11).

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„Das Schreiben im Anschluß an den 21. August 1968 sei aus offener und ehrlicher Absicht erfolgt, habe den Zweck gehabt, die staatlichen Stellen über die Meinungen in der Bevölkerung und Pfarrerschaft zu unterrichten, und deshalb könne man doch nicht immer wieder den Schreibern den Vorwurf machen.“1060

Währenddessen wurde Punkt vier des Maßnahmenplanes in die Wege geleitet. Am 21. September druckte die Sächsische Zeitung eine Stellungnahme der Arbeitsgruppe Christliche Kreise Sebnitz. Darin heißt es: „Wir haben die Notwendigkeit der Maßnahmen vom 21. August verstanden und stimmen überein mit dem Standpunkt der DDR zu den Ereignissen in der CSSR. Diesen Standpunkt sollte jeder unserer christlichen Bürger einnehmen.“ Zusätzlich hatte der Leiter der Arbeitsgruppe, der gleichzeitig CDU-Mitglied war, am 18. September einen Brief an Superintendent Spranger geschrieben. In diesem rechnete er den Unterzeichnern des Briefes positiv an, dass sie „Opfer einer gewissenlosen Propaganda und Hetze geworden sind“, schränkte jedoch sofort ein, „daß die Unterzeichner dieses Schreibens nicht im Sinne aller Gläubigen gehandelt haben, denn der überwiegende Teil der Christen unserer DDR ist stolz darauf, daß die Regierung unseres Staates seit Jahr und Tag beharrlich für die Erhaltung des Friedens eintrat und weiterhin eintritt, so auch in der CSSR-Frage […]“1061.

Daher erwarte die Arbeitsgruppe, „daß Sie sich um der Wahrheit willen um eine Korrektur Ihrer Meinung bemühen.“1062 Spranger antwortete kurz und höflich, dass die Fragen des Friedens wesentlich für den Dienst eines evangelischen Pfarrers seien. Er verstehe aber nicht, woher der Arbeitskreis Kenntnis von dem nichtöffentlichen Schreiben habe. Die Schreiber hätten die Aufforderung der beiden Staatsfunktionäre ernst genommen, in „vertrauensvoller Offenheit“ Sorgen und Fragen von Christen vorzutragen. „Wir meinten, daß diese Offenheit nötig und möglich ist.“1063 Spranger kritisierte den Vertrauensbruch der staatlichen Stellen, die den Brief weitergaben1064. In den folgenden Monaten wurden immer wieder Druckgenehmigungen abgelehnt. So wurde z. B. den Kirchennachrichten von Pirna die Genehmigung nicht erteilt, weil zuvor Wörter wie ,fröhlich‘ oder ,besinnlich‘ zu streichen 1060 Vgl. Niederschrift über eine Besprechung beim RdB Dresden am 28. 7. 1969 zwischen Oberreferent Breitmann, Herrn Dohle und OKR Knauf und Präsident Johannes (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 59). 1061 Brief des Leiters der Arbeitsgruppe an Spranger vom 18. 9. 1968. Abschrift (BArch DO 4/ 2967). 1062 Ebd. 1063 Antwortbrief von Spranger vom 20. 9. 1968. Abschrift (BArch DO 4/2967). 1064 Trotz der beiden Schreiben der Arbeitsgruppen war Seigewasser nicht zufrieden und warf dem Kreissekretär wie dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Christliche Kreise vor, ihre Arbeit zu „vernachlässigen.“ Beide waren Mitglied der CDU. Vgl. Aktenvermerk über 20. JT [Jahrestag] (ACDP 07-013-3062).

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wären1065. Dem stellvertretenden Superintendenten Taut wurde eine Druckgenehmigung von Plakaten und Einlasskarten für ein Orgelkonzert in Sebnitz unter Hinweis auf seine Unterschrift verwehrt1066. Zudem wurden Westpakete nicht zugestellt1067 und Pfarrer bekamen keine Genehmigung für den Besuch nächster Verwandter aus Westdeutschland1068. Ein Pfarrer berichtete, dass er ˇ SSR registriert wurden, ein anbespitzelt und seine privaten Reisen in die C derer von regelmäßigen Besuchen des MfS, die erst aufhörten, als er die Stelle wechselte1069. Eine Tochter Sprangers wurde nicht zur EOS zugelassen. In den nächsten Jahren wurde Spranger der Brief bei den vierteljährlichen Grundsatzgesprächen beim Rat des Kreises immer wieder vorgehalten1070. Auf eine Schwäche des Briefes stieß allerdings der Rat des Kreises Pirna. Denn bei den staatlichen Gesprächen, auch mit Katecheten durchgeführt, wurde deutlich: Die „Katecheten seien darüber verärgert, daß sie den Brief der Superintendentur Pirna an die Vors[itzenden] der Räte Pirna und Sebnitz nicht unterschreiben konnten.“1071 Weiterhin wurde als typische Differenzierungstaktik versucht, die Superintendentenebene und das Landeskirchenamt auszuschalten und direkt mit einzelnen Pfarrern zu verhandeln. So wurde ein Pfarrer Ende Juni 1969 zu einem Gespräch mit einem Vertreter der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen gebeten. Er dürfe Amtsbrüder mitbringen. Als jener zögerte und erst mit dem Superintendenten Rücksprache hielt, wurde er mehrmals telefonisch zurückgerufen, und es wurde schon der Termin mitgeteilt, ohne dass die Zusage des Pfarrers vorlag. Er bat daraufhin das Landeskirchenamt um Hilfe1072. Das Gespräch kam zustande, indem außer jenem und einigen weiteren Pfarrern auch der Superintendent und OKR Gerhard Knauf teil1065 Auf Beschwerde hin wurde zugesagt, „daß derartige Sticheleien, wie sie hinsichtlich der Kirchennachrichten für Pirna mit Pirna-Copitz und Dorf Wehlen, wie auch für Maxen mit Burkhardtswalde, Bad Schandau, Heidenau-Christus und Liebethal erfolgt sind, nicht mehr vorkommen sollen.“ Niederschrift über eine Besprechung beim RdB Dresden am 28. 7. 1969 zwischen Oberreferent Breitmann, Herrn Dohle und OKR Knauf und Präsident Johannes (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 59). Doch bereits im September wurde ein neuer Fall verhandelt. Vgl. Niederschrift über eine Vorsprache beim RdB Dresden, am 10. 9. 1969 zwischen Herrn Riedel, Herrn Dohle und Präsident Johannes (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 64). 1066 Vgl. Wöchentliche Meldung des RdK Sebnitz vom 27. 9. 1968 (BArch DO 4/2967). 1067 Vgl. Hintergrundgespräch mit Spranger am 8. 8. 2005; und Brief von Taut an die Verfasserin vom 23. 10. 2009. Der Sachverhalt wurde in einem Gespräch vom 10. 10. 1969 direkt angesprochen. Die staatlichen Vertreter wiesen den Vorwurf zurück. Vgl. Gespräch mit Vertretern des Staatsapparates am 10. 10. 1969 (LKA DDR, Best. 2, Nr. 836, Bl. 77). 1068 Vgl. Niederschrift über eine Besprechung beim RdB Dresden am 21. 10. 1968 zwischen dem Präsidenten Johannes und dem stellv. Vorsitzenden Riedel (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 12). 1069 Vgl. Fragebogen 20. Im Besitz der Verfasserin; und Brief eines Pfarrers, der mit unterzeichnete, an die Verfasserin vom 28. 5. 2011. Auch dass er dem Superintendenten diese Besuche mitteilte, änderte das nicht. 1070 Vgl. Hintergrundgespräch mit Spranger am 8. 8. 2005. 1071 Information des RdB Dresden vom 27. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2967). 1072 Vgl. Notiz an Johannes von Knauf vom 26. 6. 1969 (LKA DD, Best. 2, Nr. 836, Bl 53).

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nahmen. Die Differenzierung gelang nicht. Im staatlichen Bericht steht als Resümee: „Es wurde wieder deutlich, daß, obwohl bereits im November vergangenen Jahres die taktische Linie zur Arbeit in Pirna und Sebnitz festgelegt wurde, unsere Konzeption nicht weitergekommen war. Es zeigte sich, daß es bei den Genossen und Kollegen große Unsicherheit gibt, wie jetzt nach dem Brief zur CSSR und nachdem die Geistlichen nicht bereit waren, ihre Unterschrift zurückzunehmen, weitergearbeitet werden soll.“1073

Bereits Mitte Juli wurde ein anderer Pfarrer vom Rat des Bezirks Dresden zu einem Einzelgespräch gebeten. Auch dieser informierte die leitenden Stellen und ging nicht allein1074. Spranger erinnerte in der Folge die Pfarrer an die in Sachsen üblichen Verhaltensweisen. Die Pfarrer sollten Gespräche nicht sofort zusagen, sondern zunächst den Superintendenten informieren. Sie sollten nicht allein gehen und Einladungen der Nationalen Front möglichst nicht wahrnehmen1075. Die Frage ist, inwieweit solche Maßnahmen Wirkung zeigen. Offensichtlich waren die Funktionäre des Kreises auf eine geschlossene Haltung der ganzen Ephorie nicht vorbereitet. Sie wussten nicht, wie weiter mit Pfarrern umzugehen sei, die sich geschlossen staatlichen Weisungen entgegenstellten und nicht bereit waren, ihr Anliegen zurückzunehmen. Dies geht aus einem Kurzbericht über eine Dienstreise eines Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen im Oktober 1968 hervor: „Bei den Gesprächen mit den Geistlichen war ihnen gesagt worden, wenn sie sich nicht positiv zu unserer Entwicklung stellen, d. h. ihre Unterschrift zurückziehen, werden sie nicht mehr Verhandlungs- oder Gesprächspartner der staatlichen Organe sein können. Jetzt sind die Funktionäre unsicher, wie sie weiter mit den Geistlichen 1073 Kurzbericht über die Dienstreise nach Pirna und Sebnitz am 30. 6. und 1. 7. 1969, 2 (BArch DO 4/2967). Zu diesem Gespräch am 30. 6. 1969 sind zwei kirchliche Gesprächsnotizen ˇ SSR nicht erwähnt wird. Die angesprochene Unsicherheit lässt vorhanden, in der das Thema C sich aus diesen Notizen erahnen. Den Pfarrern gelang es, eine nicht erwünschte Grundsatzdiskussion über Sozialismus und ihre Gesprächsthemen anzubringen. Nach der Gesprächsnotiz von OKR Knauf „ließ sich Dr. Wilke [einmal] zu einer lauteren Tonart hinreißen.“ Gespräch mit Wilke, Sekretariat für Kirchenfragen, Dohle, RdB Dresden, Herrn Lissner, RdK Pirna, und Herrn Schirdewan, ebenfalls RdK Pirna, am 30. 6. 1969 (LKA DD, Best. 2, Nr. 836, Bl. 54). Fragen, Bedenken, Einwände und Einzelbeispiele der Pfarrer wurden seitens der Staatsfunktionäre bagatellisiert. Vgl. Niederschrift über ein Gespräch zwischen Staatsfunktionären und Pfarrern des Kirchenbezirkes Pirna am 30. 6. 1969 in Pirna (LKA DD, Best. 2, Nr. 836, Bl, 62). 1074 Vgl. Niederschrift von OKR Knauf am 18. 7. 1969 (LKA DD, Best. 2, Nr. 836). Diese Taktik wurde weiter verfolgt und kirchlicherseits mit Absprachen und gemeinsamem Hingehen beantwortet. Vgl. Brief Spranger an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt vom 27. 11. 1969 (LKA DD, Best. 2, Nr. 836, Bl. 82). 1075 Vgl. Informationsbericht November 1969 des RdB Dresden, vom 30. 11. 1969, 1 f. (BArch DO 4/2968).

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sprechen sollen. Die Geistlichen selbst stellen verwundert Fragen, warum trotzdem mit ihnen gesprochen wird. Diese politisch falsche Formulierung, die offensichtlich aus einer Momentan-Reaktion in Pirna hervorgegangen ist, lähmt in gewisser Weise die Kräfte.“1076

Der Maßnahmenplan griff nicht. Die Geistlichen standen allesamt zu dem Brief und betonten, dass es ihre Aufgabe sei, sich der Nöte der Bevölkerung anzunehmen und diese sei nun einmal durch den Truppenaufmarsch im Sommer 1968 in großer Sorge gewesen1077. Es zeigte sich, dass nur ein begrenztes immer wieder angewendetes Maßnahmenpaket von Drohungen, Bevorzugungen und Isolierungen zur Verfügung stand, das, aufgrund innerkirchlicher Solidarität, selbst nach einem Jahr keine Erfolge zeitigte. Es ist ein Beispiel für möglich gewesenes, widerständiges Verhalten in kirchlichen Kreisen, das nicht für die Kirchenleitungen vereinnahmt werden kann. Dass dieser Brief geschrieben wurde, hatte sicherlich als eine Ursache die Lage der ˇ SSR. Die dort lebenden Menschen waren Ephorie direkt an der Grenze zur C besonders von den Truppenbewegungen betroffen. Übereinstimmend wird von nächtlichem Erwachen durch Panzerlärm und russischen Stimmen berichtet1078. Wie im Erzgebirge wurden auch hier Verwandte aus Westdeutschland interniert und zurückgeschickt1079. Die Not, auf diese Ereignisse in irgendeiner Form zu reagieren, war hier besonders drängend1080. In verschiedenen Gesprächen wies Bischof Noth darauf hin, dass die Menschen in den Grenzgebieten besonders betroffen seien1081. Hinzu kam, dass die Ephorie 1076 Kurzbericht über die Dienstreise nach Dresden am 2. 10. 1968, 1 (BArch DO 4/2967). 1077 So auch noch ein Jahr später. Vor allem gelte das für jene Nöte, „die diese aus Angst vor dem Staat nicht laut äußere. Auf diesem Hintergrund müsse man auch die Eingabe gegen den 21. 8. 68 sehen, denn die Bevölkerung dieser Ephorie habe vorher sorgenvoll den Truppenaufmarsch beobachtet […]“ Kirchenpolitischer Informationsbericht Juli 1969 vom RdB Dresden vom 5. 8. 1969, 3 (BArch DO 4/2968). 1078 So schrieb einer der Pfarrer an die Verfasserin: „Mehrere Stunden hörten wir nachts das Dröhnen der Panzer, von Pirna aus zur tschechischen Grenze [ist es] nicht weit, die in die CSSR einrückten.“ Brief vom 28. 5. 2011 an die Verfasserin. Auch Ziemer berichtete vom nächtlichen Rollen der Panzer. Vgl. Hintergrundgespräch mit Christof Ziemer am 1. 8. 2005. 1079 Vgl. Brief von Taut an die Verfasserin vom 23. 10. 2009, 1: „Sebnitz ist Grenzgebiet. Am Tag des Einmarschs kam unsere Mitarbeiterin fassungslos zur Arbeit. Die Stimmung und die Spannung waren überall zu spüren. Wir erwarteten den Besuch meines Bruders aus dem Westen. Und er kam. Uns war klar, daß er bei der polizeilichen Anmeldung Schwierigkeiten bekommen würde und warteten bis kurz vorm Meldeschluss und wurden erwartet [sic!]… Er wurde interniert und dann abgeschoben.“ 1080 So fand z. B. am darauf folgenden Abend, dem 22. August 1968, in der Hospitalkirche in Pirna eine Gebetsandacht für den Frieden statt. Vgl. (Ephoralarchiv Pirna Akte 596). 1081 Z. B. „Besonders sind die Pfarrer der beiden Grenzkreise von den Ereignissen in der CSSR berührt. Seit dem Januar 1968 haben sich erfreulicherweise enge brüderliche Kontakte entwickelt.“ Niederschrift über das Gespräch mit Vertretern des Landeskirchenamtes der Ev.Luth. Landeskirche Sachsen am Montag, dem 1[1]. 9. 1968, vom 11. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/ 2963); „Andererseits müsse man sehen, daß es gerade für diese Pfarrer in unmittelbarer Grenznähe und auf Grund zahlreicher Kontakte zur CSSR, viele besondere Probleme gegeben

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vergleichsweise klein war. Eine weitere staatliche Überlegung war, dass der Protest so stark war, weil in dieser Ephorie viele junge Pfarrer arbeiteten. Betrachtet man die 43 Unterzeichner unter diesem Aspekt, so gehörten hier tatsächlich viele Pfarrer der jüngeren Generation an. Einer der Mitinitiatoren, Christof Ziemer, war erst wenige Wochen im Amt. Etwa die Hälfte der Pfarrer war nicht älter als Mitte 30. Keinem anderen kirchlich oder christlich engagierten Auftreten in Sachsen zu den Ereignissen des 21. August 1968 wurde staatlicherseits solche Aufmerksamkeit gezollt. Aus den Aussprachen mit dem Landesbischof und den Superintendenten wird deutlich, dass die Situation im Nachbarland in den anderen Kirchenkreisen ebenfalls mit großer Sorge gesehen wurde. Auch andere fanden klare Worte, doch waren alle weiteren Aktionen auf wenige oder Einzelpersonen bezogen. Dass eine Ephorie sich gemeinsam zum Handeln entschied, ist das Besondere und macht den Brief aus Pirna singulär. 8.3.2. Fallbeispiele einzelner Pfarrer Bereits am 21. August begannen staatliche Stellen, mit verschiedenen Pfarrern ,Aussprachen‘ zu führen. In Leipzig trafen sich die schnell erreichbaren Pfarrer nach Rücksprache mit dem Superintendenten, um gemeinsam zum Stadtrat für Inneres zu gehen. Sie waren ohne Angabe von Gründen für 15:00 Uhr dort einbestellt worden. Nach der erfolgten Darstellung der Ereignisse sollten die Pfarrer ihre Fragen aussprechen. Diese erklärten jedoch, dass die Eindrücke zu frisch seien, die Informationen ungenügend, außerdem dürften sie sowieso nicht frei sprechen und bedauerten, dass die Spannungen in der Welt sich nun wieder verstärkt hätten1082. Diese Aussagen spiegeln recht gut die allgemeine Zurückhaltung der Pfarrer in Gesprächen mit staatlichen Vertretern wider, denn ihre Meinung formulierten sie meist nur durch die Blume. Nach dem ersten Schock begannen der Superintendent und einige Pfarrer in Leipzig deutlicher zu werden. Das MfS meinte, dass am 25. August zwar noch „keine einheitliche Linie erkennbar war“, jedoch aufgrund von Noths Brief am darauf folgenden Sonntag die Predigten „aggressiver“ ausgefallen seien1083. Als Beispiele wurden einige Predigtauszüge aus Leipzig zitiert. So hieß es, man solle sich nicht denen unterordnen, „die Gewalt über euch haben“, man mahnte Verantwortung an und brachte als Beispiel Wehrdienstverweigerer. Superintendent Stiehl betonte, dass das Wort Gottes allein das Leben hat und sich zur Wehr setzt gegen „Gesetz, habe.“ Aktenvermerk. Sächsische Landeskirche Dresden vom 18. 9. 1968, 6 (ACDP 07-0103252 ebenso 07-013-3062). 1082 Vgl. Bericht über ein Pfarrer-Gespräch am 21. 8. 1968 (Tag der tschechischen Okkupation) beim Stadtbezirk Südwest (LKA DD, Best. 2, 569, Bl. 95); vgl. auch Schmitt-Teichert, Hoffnung, 83. 1083 Vgl. Auszug aus der Einzelinformation 48/68 der ZAIG vom 11. 9. 1968, 6 (BStU, MfS, HA XX/ 4, Nr. 1241).

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Gnadenlosigkeit, Herzlosigkeit, Starrheit, die Behörden in ihrer Bürokratie.“1084 Auch das Leipziger Umland wurde durchleuchtet und über den Trebsener Pfarrer berichtet, er hielte den 21. August für eine „Invasion“ und eine „Schande“, vor allem die Beteiligung der NVA, sprach seine Bewunderung für die Tschechen aus und erklärte: „Ulbricht ist jedenfalls nicht so beliebt wie Dubcek und Svoboda.“1085 Ein Pfarrer im Kirchenbezirk Annaberg schickte am 22. August ein Schreiben an den Rat des Kreises Annaberg, mit je einem Durchschlag an den Staatsrat und an seinen Superintendenten. Er schrieb, dass er selbst 1938 als Soldat in der tschechoslowakischen Republik mit einmarschiert und so zum Augenzeugen und Mittäter geworden sei. Weiter schrieb er: „Ich bin darum zutiefst empört, daß sich nunmehr wieder eine deutsche Regierung hergibt, ein Land militärisch zu besetzen, welches uns in keiner Weise bedroht hat. Ich protestiere als Bürger dieses Staates gegen den Einsatz unserer Armee und gegen eine Propaganda, die unserem Volk glaubenmachen will, daß diese Tat unserer Regierung gut und notwendig sei.“1086

Sofort nach Eingang seines Schreibens wurde der Pfarrer am 23. August zu einer anderthalbstündigen Aussprache ins Rathaus von Oberwiesenthal einbestellt. Gefragt nach seinen Beweggründen, erklärte er, dass er, seitdem die Panzer rollten, nicht mehr hätte schlafen können, auch sei er gegen jede Form von ˇ SSR sei doch ein sozialistischer Staat, eben nur etwas anders als die Gewalt. Die C Sowjetunion. „Der Einmarsch sei nicht notwendig gewesen. Auch bezweifle er, daß um Hilfe gebeten wurde. Aus der nichtssagenden Erklärung in der Presse ginge das nicht hervor.“1087 Außerdem müsse man dann auch China, Rumänien, Albanien und Jugoslawien besetzen. Von dem Einmarsch 1938 habe er genug gehabt und das sei jetzt wieder das gleiche. Da immer gesagt würde, dass jeder seine Meinung sagen dürfe, habe er dies nun nicht als Pfarrer, sondern als Bürger aus eigenem Antrieb getan. Daraufhin wurde ihm lang und breit „in geduldiger und überzeugender Argumentation“ auseinanderzusetzen versucht, warum er nicht Recht habe1088. Aber nach der Aussprache war vor der Aussprache. Zwar erklärte sich der Pfarrer bereit, alles noch mal zu überdenken und die Presse zu verfolgen, aber das würde voraussichtlich nichts an seiner Meinung ändern, die im Übrigen nicht beeinflusst wäre. Die staatliche Seite wollte wissen, ob er seine Meinung in der Gemeinde sagen würde. Dazu äußerte sich der Pfarrer nicht. Am Schluss wurde ihm versichert, dass man ihm doch helfen 1084 Ebd. 1085 Ebd., 7. 1086 Abschrift des Briefes von Pfarrer […] vom 22. 8. 1968 (BArch DO 4/2972); ebenso (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 1087 Ebd. 1088 Information über die durchgeführte Aussprache mit Pfarrer […], Oberwiesenthal, RdK Annaberg, 23. 8. 1968, 1 (BArch DO 4/2972); ebenso (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378).

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wolle, den richtigen Standpunkt gegen die Konterrevolution zu finden. Gleichzeitig wurde ihm gedroht: „Wir werden nicht dulden, daß man die Konterrevolutionäre unterstützt, und er müsse sich der daraus entstehenden Konsequenzen bewußt sein, zumal die Lage erfordere, daß im Grenzgebiet besondere Wachsamkeit notwendig sei und alles getan werden muß, die Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten.“1089

Abschließend wurde ein Einfluss der ,westdeutschen Militärkirche‘ auf den Pfarrer konstatiert. Eine andere Einordnungskategorie hatte man nicht oder wollte man nicht wahrhaben. In einem zusammenfassenden Bericht des Bezirkes Karl-Marx-Stadt wurde dieser Fall erwähnt und mit den Worten, dass ihm „in überzeugender Argumentation seine falsche Haltung zu diesen Fragen dargelegt wurde“, abgeschlossen1090. Ein anderer Pfarrer begründete seine Gesprächsverweigerung gegenüber den Funktionären vor seiner Tür ebenfalls damit, dass er 1938 gegen seinen Willen habe mit einmarschieren müssen. Ihm wurde umgehend eine „unbedingt sture Haltung“ attestiert1091. Ein Versuch, Menschen wieder für das Evangelium zu begeistern, war die Reihe ,Gottesdienste einmal anders‘, bei denen Theo Lehmann federführend war. Diese vor allem von Jugendlichen besuchten Gottesdienste waren den Funktionären ein Dorn im Auge, sollte doch die Kirche aussterben. Wegen des großen Zuspruchs wurden diese Gottesdienste besonders durch das MfS observiert1092. Über Lehmann wurde berichtet, dass dieser der Meinung sei, „daß man eine Ideologie nicht militärisch retten solle. […] Ein Kommunismus Dubcek’scher [sic!] Prägung würde seiner Meinung nach zum Weltkommunismus führen. Bei einem derartigen Kommunismus würde er auch objektiv keinen Widerspruch zwischen Kommunismus und Christentum sehen.“1093

Auch am 1. September 1968 veranstaltete Lehmann einen solchen Gottesdienst. Als Eingangslied wählte er „Wenn wir in höchsten Nöten sein“, als Ausgangslied „Verleih uns Frieden.“1094 Er stieg auf die Kanzel, erklärte, dass am gleichen Tag vor 29 Jahren der Zweite Weltkrieg begonnen hatte und er 1089 Ebd., 2. 1090 Bericht über den Stand über Meinungsäußerungen von Geistlichen, kirchlichen Amtsträgern und christlichen Bürgern zu den Ereignissen in der CSSR vom 4. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/ 2972); ebenso (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 1091 Vgl. RdK Plauen, den 30. 8. 1968, Meinungen der Geistlichen im Landkreis Plauen, 2 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 1092 „Es gelang dabei die Ein- und Anschleusung mehrerer IM in den engsten Kreis der Initiatoren.“ Ohne Name, 28. 2. 1968, 5. Schwerpunkte der Linie vier: Gottesdienst einmal anders (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375); vgl. auch Vogler, Reaktionen, 74. 1093 Einschätzung der politisch-operativen Situation auf dem Gebiet der Kirche und der verbotenen Sekte Zeugen Jehova vom 16. 10. 1968, 1 f. (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). 1094 Brief Lehmann an die Verfasserin vom 21. 10. 2009 mit Kopien des damaligen Gottesdienstablaufes und Fürbitten im Anhang.

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ˇ SSR außerstande sei, eine Predigt zu halten. angesichts der Situation in der C Stattdessen rief er zu Buße und Fürbitte auf und verließ daraufhin demonstrativ die Kanzel. In den Fürbitten betete er unter anderem „für alle Menschen, die den Frieden in Gefahr bringen, daß sie mit ihrer Fahrlässigkeit nicht neues Unheil über die Völker bringen“, für die DDR, für Walter Ulbricht, für ˇ SSR und Vietnam1095. die NVA, den Frieden, das Volk der C ˇ SSR insgeSpuren, die davon zeugen, dass Pfarrer den Menschen in der C heim die Daumen drückten, finden sich immer wieder. So erklärten zwei jüngere Pfarrer im Gespräch im Bereich Zittau, dass sie den Sozialismus durchaus positiv bewerteten, allerdings einen Sozialismus mit menschlichem Gesicht1096. Aber während der eine wieder den Vergleich zu 1938 zog, fragte der andere: „Was würden Sie tun, wenn Sie morgen aufstehen und fremde Soldaten stehen vor der Tür? Ich finde diesen Weg als [sic!] grob und plump.“1097 ˇ SSR nicht mehr Zeit eingeBeide bedauerten, dass der Entwicklung in der C räumt worden sei. Einer meinte, dass die Menschen die Entwicklung gewollt ˇ SSR verfolgt worden seien. hätten und dass unter Novotny´ Amtsträger in der C „Deshalb hätte man 1968 der CSSR ruhig seinen [sic!] Willen lassen sollen, ohne mit militärischer Gewalt einzugreifen.“1098 Darüber hinaus erzählte einer der beiden, dass sie an die Eisenbahnstrecke gegangen seien und den Zügen ˇ SSR zugewunken hätten, um so ihre Sympathie zu zeigen1099. Ein aus der C Pfarrer im Kirchenbezirk Bautzen versuchte seinen Gesprächspartnern klarzumachen, was sie falsch machten. Er bezeichnete sich dabei selbst als ,Roten‘ und meinte: „Aber ich muß Ihnen ehrlich sagen, Ihre Genossen machen das sehr plump, das ist direkt blöd. Ich muß das wiederholen, daß damit das Vertrauen untergraben wird. Werden Ihre Genossen nicht geschult?“1100 Er war der Meinung, dass es nicht angehe, alle Tschechen als Konterrevolutionäre hinzustellen, und dass wegen der schlechten Informationslage die Menschen gezwungen seien, Westsender zu hören, er selber höre Radio Prag. Im Endeffekt ordneten ihn die Gesprächspartner trotzdem als einen derjenigen ein, 1095 Vgl. ebd; allgemein vgl. Information vom 2. 9. 1968, Gottesdienste in den Landeskirchen der DDR, in welchen anläßlich des Weltfriedenstages am 1. 9. 1968 Stellungnahmen der Bischöfe zu den Ereignissen in der CSSR vorgesehen waren, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086); und Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 3 f. (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573; ebenso HA XX/4, Nr. 1233). 1096 Vgl. Bericht über das Pfarrergespräch am 18. 7. 1969 in Zittau vom 7. 8. 1969, 1 (BArch DO 4/ 2968). 1097 Auszüge aus den Informationsberichten der Räte und Städte vom 29. 8. 1968, 3 (BArch DO 4/ 2966). 1098 Kirchenpolitischer Informationsbericht Juli 1969 vom RdB Dresden vom 5. 8. 1969, 3 (BArch DO 4/2968). 1099 Vgl. Fragebogen 7. Im Besitz der Verfasserin. 1100 Stellungnahmen und Argumente kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR (Auszüge aus den Informationsberichten der Kreise und Städte) zusammengestellt vom RdB Dresden, am 3. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/2966).

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die die Maßnahmen des Staates für nötig hielten, da sie einen III. Weltkrieg verhindert hätten. Seine Kritik nahmen sie natürlich nicht an. ˇ SSR ab Oktober 1968 in den Allgemein gingen die Diskussionen um die C sächsischen Kirchgemeinden zurück1101. Latent blieb die Situation im Nachbarland Thema. Ende Januar 1969 fragten Pfarrer im Kirchenbezirk Zwickau bei einem Gespräch zwischen dem Superintendenten und 21 Geistlichen mit staatlichen Funktionären: „In der DDR lehnt man den Pluralismus im Sozialismus in der CSSR ab. Warum ist man so engherzig?“1102 Im Juli 1969 beschwerte sich der Rat des Bezirkes Dresden bei Präsident Johannes, dass der Pfarrer aus Olbersdorf bei Zittau „die Zeichen der Zeit nicht erkannt habe.“1103 Kurz nach dem 21. August habe er ein Bild in den Schaukasten der Kirche gehängt, welches der Staat „beschwerlich“ fand. Das MfS hatte in seiner Predigt gar gehört: „Wenn die Christen stärker und einig wären, dann hätte der Einmarsch in die CSSR verhindert werden können.“1104 Nun war wieder etwas vorgefallen. „Es seien dort drei Bilder aufgehängt gewesen, und zwar links ein Bild vom Veits-Dom, Prag, rechts ein Bild vom Kreml, Moskau, und in der Mitte ein Bild, auf dem zwei Hühner zu sehen waren, die sich um einen Regenwurm stritten.“1105 Johannes versprach mit dem Pfarrer zu reden. Als der Jahrestag des 21. August näher rückte, herrschte eine angespannte Stimmung. Es wurde befürchtet, dass Pfarrer es wagen würden, darauf einzugehen1106. Diese Sorge war fast unbegründet. Nur im Stadtbereich Dresden bezogen sich zwei Pfarrer auf die Ereignisse. Während in Dresden-Nord ein Pfarrer ein neues „Kruzifiks [sic!], welches mit einem ernsten und leidenden Christus versehen war“, einweihte und erklärte, dass es „unter dem Eindruck der Ereignisse in der CSSR“ hergestellt worden sei, wurde ein Pfarrer auf der anderen Elbseite deutlicher: „Jesus wird den Status quo verändern. Wer nicht verändert, leidet an Sklerose, wer aber den Mut hat, ihn zu durchbrechen, stiftet heilsame Unruhe.“1107 Es folgte ein Gebet für das tschechoslowakische Volk.

1101 Vgl. Einschätzung der politisch-operativen Situation auf dem Gebiet der Kirche und der verbotenen Sekte Zeugen Jehova vom 16. 10. 1968, 1 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). 1102 Kurzbericht über die Dienstreise in den Bezirk Karl-Marx-Stadt am 29. und 30. 1. 1969 vom 10. 2. 1969 (BArch DO 4/2973). 1103 Niederschrift über eine Besprechung beim RdB Dresden am 7. 7. 1969 zwischen dem Präsidenten Johannes und dem stellv. Vorsitzenden Riedel (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 56). 1104 Vgl. Information 1031/68 vom 12. 9. 1968, die Haltung verschiedener Landeskirchen der evangelischen Kirche der DDR zu den Ereignissen in der CSSR, 3 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1573 ebenso HA XX/4, Nr. 1233). 1105 Niederschrift über eine Besprechung beim RdB Dresden am 7. 7. 1969 zwischen dem Präsidenten Johannes und dem stellv. Vorsitzenden Riedel (LKA DD, Best. 2, Nr. 560, Bl. 56). 1106 Vgl. Kirchenpolitischer Informationsbericht Juli 1969 vom RdB Dresden vom 5. 8. 1969, 5 (BArch DO 4/2968). 1107 Informationsbericht August 1969 des RdB Dresden, vom 4. 9. 1969, 1 f. (BArch DO 4/2968).

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8.3.3. Weitere Äußerungen Des Weiteren verhielten sich die Pfarrer sehr unterschiedlich, ob und wie sie ihre Meinung äußerten. In den Akten der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, in denen der CDU, des MfS und in kirchlichen Akten lassen sich die Meinungen von knapp 120 Pfarrern namentlich zuordnen1108. Hinzu kommen die Pfarrer der Ephorie Pirna sowie zwei Äußerungen von Vikaren und einer Vikarin. All diese Meinungsäußerungen zusammengenommen entsprachen ca. 12,5 % aller sächsischen Pfarrer. Da in den sächsischen Bezirken besonders gründlich berichtet wurde, bietet sich Sachsen für eine Zusammenstellung an1109. Die Äußerungen sind in der Regel nach Kreisen und Bezirken in Listen ohne System aufgeführt. Dazu kommen verstreute Einzelmeldungen. Es ist davon auszugehen, dass sich solche Äußerungen in den Akten niederschlugen, die auf die eine oder andere Weise auffällig waren. Da das staatliche Ziel war, mit allen erreichbaren Pfarrern zu sprechen, um ihre Meinung zu erfahren, ist davon auszugehen, dass fast 90 % der sächsischen Pfarrer ähnlich wie die Kirchenleitung sich darum bemühten, den staatlichen Gesprächspartnern keinen Einblick in das zu geben, was sie selbst dachten. Ein Pfarrer im Erzgebirge drückte dies im Gottesdienst so aus: „Sicher wollt Ihr meine Meinung zum Geschehen wissen. Ich sage Euch nichts, weil ich weiß, daß in solchen Situationen immer jemand unter uns sitzt, der das schlecht auslegt.“1110 Daher ist die Zusammenstellung nicht repräsentativ und kann nicht im soziologischen Sinne als Sample gewertet werden. Der Anteil der Personen, deren Meinung unklar ist, wird bedeutend höher sein. Wer Zurückhaltung übte, sagte meist, Politik gehe ihn nichts an, wich aus, schwieg oder wies jegliche Stellungnahme zurück. Selbst die sonst als ,progressiv‘ bekannten Pfarrer hielten sich zurück1111. Ein einziger Pfarrer in Sachsen gab 1108 Im Bundesarchiv finden sich von den Räten der Bezirke zusammengestellte Quellen, z. B. Stellungnahmen und Argumente kirchlicher Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR (Auszüge aus den Informationsberichten der Räte und Städte vom 29. 8. 1968) (BArch DO 4/ 2966). 1109 Ähnliche Zahlen gibt es für Berlin-Brandenburg, allerdings nur für bestimmte Kirchenkreise und immer in Bezug auf die Verlesung bzw. Nichtverlesung der Kanzelabkündigung. Oft gibt es nur anonyme Zahlenwerte. 1110 Telef. Durchsage, RdK Annaberg. 27. 8. 1968 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). 1111 „Die seit dem 21. 8. 68 mit Geistlichen und kirchlichen Amtsträgern in allen Kreisen geführten individuellen Aussprachen lassen im wesentlichen eine große Zurückhaltung, auch bei progressiven Geistlichen, erkennen. Neben einer Reihe von Pfarrern, die die Lage real einschätzen und sich positiv äußern, gibt es mehrere, die ganz offen ihre negative Einstellung zu den Ereignissen in der CSSR zum Ausdruck bringen. Hier wird deutlich, daß sie der Einflußnahme westlicher Propaganda sowie kirchenleitender Gremien unterliegen.“ Bericht des RdB Karl-Marx-Stadt über Meinungsäußerungen von Geistlichen, kirchlichen Amtsträgern und christlichen Bürgern zu den Ereignissen in der CSSR vom 2. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/

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eine öffentliche Stellungnahme ab. Dieser Pfarrer, Gottfried Zimmermann, gehörte dem Bund evangelischer Pfarrer und der Kirchlichen Bruderschaft Sachsens an. In der Sächsischen Zeitung vom 22. August 1968 schrieb Zimmermann, „eine Konterrevolution in der CSSR hätte auch das Leben in den sozialistischen Nachbarstaaten bedroht und damit die wichtigste Grundlage der Sicherheit in Europa negativ beeinflußt.“1112 Das Leid von Ungarn 1956 habe verhindert werden müssen. Er äußerte weiterhin die Hoffnung, dass die ˇ SSR bleiben müssten. Sein Fazit war, „daß der Truppen nicht lange in der C Frieden der Konterrevolution in den Arm fiel, darüber bin ich als Christ sehr froh.“1113 Andere Pfarrer, die sich in den Gesprächen mit der staatlichen Seite einverstanden zeigten, wollten diese Meinung nicht öffentlich in der Zeitung sehen. 15 solcher Meinungen konnten ermittelt werden. 30 Pfarrer verweigerten eine politische Stellungnahme, bei 13 war den staatlichen Stellen nicht klar, was die Pfarrer meinten. Dazu gehörten z. B. auslegbare Bibelzitate, aber auch Pfarrer, die einmal angaben dafür und dann dagegen zu sein. 105 Pfarrer sagten den staatlichen Vertretern unmissverständlich, dass sie gegen die ,Hilfsmaßnahmen‘ seien. Prozentual bedeutete dies: Abbildung 3. Stellungnahmen sächsischer Pfarrer offizielle Stellungnahme; 0,6% unklar; 8,0%

keine Stellungnahme; 18,5%

pro Einmarsch; 9,3%

gegen Einmarsch; 64,8%

Quelle: eigene Berechnungen aus allen namentlich in den Quellen zuordbaren Pfarrern. N = 162

Bei den namentlich in den Akten erwähnten Pfarrern war die mittlere Generation der Mittdreißiger bis Endvierziger schwach vertreten. Dies lag daran, dass gerade diese Generation im II. Weltkrieg aufgerieben wurde. Die auf den 2972). Diese Einschätzung ähnelt den Beobachtungen staatlicher Stellen in den anderen beiden Bezirken. 1112 Vgl. Zimmermann, In den Arm gefallen. Sächsische Zeitung, vom 22. 8. 1968, 3. 1113 Ebd. Er hatte ebenfalls der neuen Verfassung zugestimmt. Vgl. Brief eines Pfarrers an den Bund evangelischer Pfarrer in der DDR vom 11. 1. 1968 (BArch DO 4/2966).

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ersten Blick ungleich anmutende Verteilung der Pfarrgeneration in der unteren Abbildung ergibt sich daraus, dass die jüngere Generation für den Jahrgang angesetzt wurde, der nicht mehr direkt in den Krieg eingezogen wurde, und die ältere für den Jahrgang, der vor dem I. Weltkrieg geboren worden war und seine Jugend noch vor der NS-Zeit erlebte und 1968 bereits Mitte 50 war. Geht man von der Überlegung aus, dass die jüngere Generation 1968 stärker protestierte, müsste sich dies auch in der nichtrepräsentativen Stichprobe widerspiegeln, da der Staat ja gerade jene Pfarrer namentlich notierte, die durch Stellungnahmen auffielen. 1968 gilt allgemein als Jahr, in welchem die Jugend rebellierte. Tatsächlich war der Anteil junger Pfarrer in der Ephorie Pirna hoch. Erwarten könnte man also, dass die Jüngeren am stärksten ihren Protest äußerten und diese Haltung mit zunehmendem Alter abnahm. Auf die 162 Pfarrer bezogen, ergibt sich jedoch überraschender Weise ein etwas anderes Bild: Abbildung 4. Stellungnahmen sächsischer Pfarrer in Jahrgängen Jahrgang 1902–1914 offizielle Stellungnahme; 2,2%

unklar; 2,2%

Jahrgang 1915–1931

Jahrgang 1932–1943

offizielle Stellungnahme; 0,0%

unklar; 4,1%

unklar; 23,7%

keine Stellungnahme; 17,4%

keine Stellungnahme; 18,4% gegen Einmarsch; 60,9%

pro Einmarsch; 17,4%

offizielle Stellungnahme; 0,0%

gegen Einmarsch; 55,3% keine Stellungnahme; 18,4%

gegen Einmarsch; 75,5%

pro Einmarsch; 2,6% pro Einmarsch; 2,6% N=49

N=38

N=46

Die Stichprobengröße ist so klein, dass sich nur Tendenzen ablesen lassen. Tatsächlich scheinen sich jüngere Pfarrer eher gegenüber staatlichen Fragestellern geäußert zu haben, dass sie gegen die ,Hilfsmaßnahmen‘ vom 21. August waren. Die mittleren Jahrgänge taten am seltensten ihre Meinung kund; hier ist der höchste Anteil an unklaren Stellungnahmen zu verzeichnen. Die älteren Pfarrer sagten wieder deutlicher ihre Meinung, sowohl in staatlich genehmer als auch in abweisender Art. Warum dies so war, kann nur vermutet werden. Die mittlere Generation ist in dieser Stichprobe die kleinste Gruppe. Diese Generation erlebte den II. Weltkrieg in der Regel als Soldat. Vielleicht hat diese Prägung sie gelehrt, vorsichtig zu sein. Es gibt allerdings einige ältere Pfarrer, die die offiziell behauptete Beteiligung der NVA 1968 mit der Begründung ablehnten, dass sie selbst 1938 mit bei der Besetzung der ,RestTschechei‘ dabei waren. Neben Prägungen im II. Weltkrieg könnten auch

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Erlebnisse um den 17. Juni 1953 bei der Zurückhaltung eine Rolle spielen, die die Jüngsten noch nicht bewusst erlebt hatten. Letztendlich könnten aber auch ganz einfache Gründe, wie familiäre und berufliche Verpflichtungen, eine Rolle gespielt haben, warum die mittlere Generation vorsichtiger war. An dieser Stelle besteht weiterer Forschungsbedarf, den die vorliegende Arbeit nicht abdecken kann. Nur bei einigen Pfarrern wurden die Beweggründe für ihre jeweilige Meinung notiert. Als Grund, der militärischen Intervention zuzustimmen, wurde zweierlei genannt: zum einen die Angst vor einem neuen Krieg, zum anderen ˇ SSR faschistische Einflüsse gegeben. Als häufigster Ablehhätte es in der C nungsgrund wurde mit Abstand die Parallele 1938 – 1968 genannt und dass sich die NVA deshalb nicht beteiligen solle. Am zweithäufigsten wurde auf die Notwendigkeit von Frieden verwiesen, wobei dies von beiden Seiten als Arˇ SSR vergument verwendet wurde. Dann wurde auf die Situation in der C ˇ wiesen. Man sei für Dubcek, für die Reformen, es habe keine Konterrevolution ˇ SSR und gegeben, man solle sich nicht in die inneren Angelegenheiten der C ˇ die Freiheit der Tschechen einmischen und wer in der KSC habe denn um Hilfe gerufen? Am vierthäufigsten wurde auf die Universitätskirche in Leipzig verwiesen, dass Gebete wichtig seien und auch die Angst vor Krieg genannt. Weitere Argumente waren, dass Verhandlungen besser gewesen wären, dass das Vorgehen gegen die eigene Verfassung gewesen sei oder dass die Kirchen ˇ SSR für die Veränderungen gewesen seien. Die Argumente zeigen, dass in der C sich innerhalb der Pfarrerschaft bis auf die Universitätskirche die gleichen Argumente wiederfinden wie in der Allgemeinbevölkerung, und dass mit Abstand die behauptete Beteiligung der NVA Hauptgrund für die Ablehnung des staatlichen Vorgehens war1114. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Befund im Wesentlichen auf die christliche Bevölkerung in Sachsen übertragen lässt, die sich mit unbedachten Äußerungen zurückhielt1115. Selbst Hauskreise waren im Fokus des MfS und galten als ,illegal‘, was gerade im pietistisch geprägten Erzgebirge absurde Züge annahm. Das MfS versuchte in die Hauskreise einzudringen und sie ,aufzuklären‘1116. Sie fand in Karl-MarxStadt aber nur zwei Bibelkreise, in denen man sich neben der Bibellektüre auch „gegen die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten in der CSSR aus [sprach].“1117

1114 Zu dem Ergebnis, dass die Ablehnung der Beteiligung der NVA das Hauptthema war, kommt auch eine Auswertung der Verfasserin von Kreisverbandsberichten der CDU 1968 aus unterschiedlichen Bezirken der DDR. Vgl. Ruthendorf-Przewoski, Ost-CDU 1968, 17. 1115 „Im allgemeinen ist die christliche Bevölkerung in der Diskussion zu den Vorkommnissen sehr zurückhaltend.“ Telef. Durchsage RdK Karl-Marx-Stadt/Land, 28. 8. 1968 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378); vgl. auch Vogler, Reaktionen, 94. Vogler spricht von einer Sympathie im Kleinen bzw. im Stillen. 1116 Vgl. Ohne Name, 28. 2. 1968, 5 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). 1117 Einschätzung der politisch-operativen Situation auf dem Gebiet der Kirche und der verbo-

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Resümee Die Sächsische Landeskirche war durch ihre grenznahe Lage am stärksten von ˇ SSR betroffen. In den 1960er Jahren hatten sich vielfältige der Situation in der C Kontakte zu Gemeinden im Nachbarland entwickelt und waren gerade im Frühjahr 1968 intensiviert worden1118. Eine Fahrt nach Prag dauerte von Dresden nicht länger als eine Fahrt nach Berlin. Daher ist es nicht verwunderlich, dass hier nicht nur die Kontakte am leichtesten zu knüpfen waren, sondern dass der Staat hier auch die meisten Sympathieäußerungen für den Prager Frühling in der Bevölkerung zählte1119. Zwar gab es auch unter der sächsischen Pfarrerschaft Sympathien für das tschechoslowakische Projekt. Die überwiegende Mehrzahl der Pfarrer in der Landeskirche, schätzungsweise bis zu 80 %, behielten ihre Meinung über die Situation im Nachbarland jedoch für sich, viele beteten aber um Frieden im Nachbarland1120. Die Sächsische Landeskirche stand 1968 unter massivem Druck aufgrund der drohenden und Ende Mai vollzogenen Sprengung der Universitätskirche in Leipzig. Hier setzte sich die Landeskirchenleitung stärker ein, auch wenn sich in der Kanzelabkündigung vom 2. Juni und dem Brief an alle Pfarrer vom 29. August vergleichbare Töne grundsätzlicher Zurückhaltung finden, die für Sachsen typisch waren. Das Verhalten zu den Ereignissen in Prag war noch zurückhaltender. Noth schrieb einen Brief an alle Pfarrer, in welchem er zur ˇ SSR aufrief. Zu weiter gehenden Äußerungen, wie konkreten Fürbitte für die C ˇ SSR, z. B. einem Solidaritätsschreiben an die Brüder und Schwestern in der C konnte er sich trotz Anfragen aus der Pfarrerschaft nicht durchringen. Er befürchtete dadurch den tschechoslowakischen Kirchen mehr zu schaden als zu nutzen. Die grundsätzliche Zurückhaltung der sächsischen Landeskirchenleitung in politischen Fragen verhinderte, dass sie sich öffentlich deutlich positiv zur Staatsmacht der DDR stellte, als Preis waren die kritischen Äußerungen dann ebenso verhalten und vorsichtig. Singulär ist der Brief, den die Ephorie Pirna an die Räte der Kreise Sebnitz und Pirna schrieb. Bemerkenswert war nicht nur der offene Ton, in welchem tenen Sekte Zeugen Jehova vom 16. 10. 1968, 3 (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). 1118 Das MfS beobachtete mehr gegenseitige Besuche und gemeinsame ökumenische grenzübergreifende Abende. Vgl. Information vom 6. 8. 1968 zum Verhalten kirchlicher Kreise zu den Vorkommnissen i[n] d[er] CSSR (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 378). Die ˇ SSR CDU beobachtete im Bezirk Dresden, dass mehr Pfarrer und Kirchvorstände in die C fuhren. Vgl. BV Dresden. Informationsbericht vom 31. 7. 1968, 4 (ACDP 07-011-267). 1119 Vgl. Stadelmann-Wenz, Widerständiges Verhalten, 101; vgl. auch Hermann, Prager Frühling, 38. Hermann betont, dass die ehemals sächsischen Gebiete immer wieder Schwerpunkte von widerständigem Verhalten waren, so auch 1953 und 1989. 1120 Vogler dagegen geht zumindest für den Raum des Bezirkes Karl-Marx-Stadt davon aus, dass sich die Zurückhaltung der Kirchen nach dem 21. August schlagartig änderte und sie nun Stellung gegen den 21. August bezogen. Vgl. Vogler, Reaktionen, 74.

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Missstände angezeigt wurden, sondern insbesondere, dass sich fast alle Pfarrer zur persönlichen Unterschrift bereitfanden und auch der Kirchenmusikdirektor, die Bezirkskatechetin, der Jugendwart, ein Ruheständler und eine Vikarin unterschrieben. Darin zeigte sich eine selten anzutreffende Einigkeit der verschiedenen kirchlichen Berufsfelder. Darüber hinaus hielten sie den Differenzierungsversuchen des Staates stand.

9. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Thüringen Die thüringische Landeskirche gehörte zu den lutherischen Kirchen. Entstanden war sie erst nach dem I. Weltkrieg aus ursprünglich sieben, später acht Landeskirchen im mitteldeutschen Raum1121. Ende der 1960er Jahre fühlten sich ca. 1 200 000 Kirchenglieder der Thüringer Landeskirche zugehörig, die von ca. 750 Pfarrern versorgt wurden1122. In der DDR gehörte die Landeskirche zu den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl. Dabei waren die Zugehörigkeiten der Bezirke und der Landeskirchen Thüringen, der Kirchenprovinz Sachsen und Anhalts wie ein Flickenteppich so ineinander verwoben, dass sich die Pfarrer und Gemeinden notwendigerweise im Austausch befanden. Während der NS-Zeit war Thüringen eine wichtige Stütze nationalsozialistischer Politik1123. Kirchlich gewannen die Deutschen Christen bei den Wahlen zum Landeskirchentag im Juli 1933 mit 90,2 % auch in Thüringen die absolute Mehrheit1124. Anfang 1934 wurde mit Martin Sasse ein Mann Bischof, der bereits seit 1930 überzeugtes Mitglied der NSPAP war1125. Nach dessen Tod wurde Hugo Rönck zunächst Präsident und legte sich erst im März 1945 den Titel Bischof zu1126. In diesen Jahren wurde die Thüringer Kirche gleichgeschaltet. Ende April 1945 wurde Hugo Rönck von der amerikanischen Besatzungsmacht in Eisenach festgenommen. Widerstand formierte sich unter anderem in der aus verschiedenen Strömungen im Juni 1934 in Weimar gegründeten Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft (LBG) in Thüringen1127. 1937 trat der sich reichsweit organisierende Wittenberger Bund hinzu, in 1121 Vgl. Schreier, Gründung, 16. Einen einführenden Überblick bietet auch Koch-Hallas, Thüringen, 22 – 30. 1122 Vgl. KJ 97 (1970), 342. 1123 Vgl. Koch, Nationalsozialismus in Thüringen, 151. 1124 Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 41; und Koch, Nationalsozialismus in Thüringen, 152. 1125 Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 51, 58 f. 1126 Auch Röck war Mitglied der NSDAP, wurde zwar 1944 aus der Partei ausgeschlossen, jedoch nicht aus ideologischen Gründen. Vgl. Ebd., 77 f. 1127 Vgl. Helasepp , Lutherische Bekenntnisgemeinschaft, 88 – 93. In ihr verbanden sich verschiedene Strömungen, sie nahm Impulse aus Pfarrernotbund und BK auf. Sie blieb jedoch unabhängig und unterstellte sich erst 1939 dem Lutherrat. Vgl. ebd., 243. Die LBG war in der Folgezeit nicht nur vonseiten des Regimes, sondern auch von der Landeskirche Repressionen ausgesetzt. Vgl. ebd., 221 – 228; und Koch-Hallas, Thüringen, 67 f.

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welchem sich Pfarrer, die sich zur LBG oder zur Mitte zählten, sammeln konnten und der sich gegen die DC wandte, aber auch Distanz zur BK wahrte1128. Moritz Mitzenheim schwenkte 1936 von der DC zur BK um und wurde in der LBG aktiv. 1943 wurde er deren Vorsitzender1129. 1945 übernahm die LBG mit Mitzenheim an der Spitze die Leitung der Landeskirche. Im Laufe des Jahres legte sich Mitzenheim den Titel Bischof zu. Nach dem II. Weltkrieg stand zunächst das Bemühen um den Wiederaufbau der zerstörten Landeskirche an erster Stelle. Da großer Personalmangel herrschte, musste wie in anderen Landeskirchen mit den vorhandenen Pfarrern, sofern sie nicht zu eindeutig belastet waren, weitergearbeitet werden1130. Das MfS sammelte in späteren Jahren belastendes Material über unbequeme Menschen und über solche, die es sich zu Diensten machen wollte. Dies galt auch für kirchliche Mitarbeiter. Eine NS-Vergangenheit war einer der wichtigsten kompromittierenden Angriffspunkte1131. Dies könnte ein Grund sein, warum in Thüringen nicht mehr Widerstand gegen staatliches Vorgehen zu verzeichnen war1132. 9.1. Die Kirchenleitung und der Bischof Der Thüringer Landesbischof Moritz Mitzenheim verfolgte ursprünglich einen typisch lutherisch-konservativen Kurs einer Zwei-Regimenten-Lehre: Die Kirche solle das Evangelium predigen, sich aber nach Möglichkeit in politischen Dingen zurückhalten1133. Die Konfrontationslinien verliefen hier wie überall vor allem in Fragen der Kinder- und Jugendarbeit der Kirche. Mitzenheim setzte sich für die ihm bekannt werdenden Fälle immer wieder bei Regierungsstellen ein. In den Konfliktjahren 1952/53 war sein Einsatz diesbezüglich unermüdlich1134. 1955 war Mitzenheim zunächst wie die leitenden 1128 Vgl. Helasepp , Lutherische Bekenntnisgemeinschaft, 219. Bereits 1936 begann die Zusammenarbeit zwischen Mitte und LBG, indem man einen gemeinsamen Vertrauensrat gründete. Vgl. ebd., 185. 1129 Bei der DC war er, da er darauf gebaut hatte, dass diese Bibel und Bekenntnis nicht antasten und Volk und Kirche verbinden würde. Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 50, 291 f. 1130 Vgl. Koch, 75 Jahre Protestantismus, 6. Zum Problem der Entnazifizierung vgl. auch Seidel, Sturm und Gericht, 171 – 180. 1131 Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 262, 273. 1132 Seidel spricht von rechten Wurzeln „staatspolitischer Kollaboration“ in Thüringen: „Eine besondere akzentuierte Kompromittiertheit der Kirche im Dritten Reich ist mitverantwortlich für ihre besondere Kompromissbereitschaft unter der SED-Diktatur.“ Seidel, Übergang, 10. Koch-Hallas meint, dass nicht theologische Gründe für die Staatsloyalität in der Thüringer Kirche Ausschlag gebend waren, „sondern vielmehr in der Kooperation der DC mit dem NSStaat bzw. der ehemaligen DC mit dem MfS begründet lag.“ Koch-Hallas, Thüringen, 372. 1133 Vgl. ebd., 115. 1951 erklärte er noch, dass die Kanzel weder im ,reaktionären‘ noch im ,fortschrittlichen‘ Sinne missbraucht werden dürfe. Eine Meinung, die durchaus ähnlich vom sächsischen Landesbischof Noth in den 1960ern vertreten wurde. Vgl. ebd., 305. 1134 Vgl. ebd., 145 – 147.

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Geistlichen der anderen Landeskirchen der Meinung, dass Jugendweihe und Konfirmation nicht miteinander vereinbar seien. Als die Synode 1958 mit knapper Mehrheit für eine tolerantere Haltung votierte, fühlte er sich übergangen. Doch trug er in der Folge diese Entscheidung mit, was ihm viel Kritik eintrug1135. Der Staat sah hier einen Ansatzpunkt, zwischen den Landeskirchen zu ,differenzieren‘, um deren Einigkeit zu stören, sie so zu schwächen und gegeneinander auszuspielen. Mitzenheim sollte als Gesprächspartner aufgebaut und später durch einen loyalen Nachfolger ersetzt werden1136. Nach und nach manövrierte sich Thüringen mit Mitzenheim an der sichtbaren Spitze in einen stärker staatsloyalen Kurs hinein. Dieser wurde ab Ende der 1950er Jahre als so genannter ,Thüringer Weg‘ bekannt – eine Bezeichnung, die von staatlicher Seite mit dem Ziel der Differenzierung an die Thüringer Kirche herangetragen wurde. Vor allem der Kirchenjurist Gerhard Lotz, Oberkirchenrat und Stellvertreter des Bischofs in weltlichen Angelegenheiten von 1948 bis 1976, dabei von 1956 bis 1976 im Hauptvorstand der CDU und seit Mitte der 1955er Jahre als IM „Karl“ verpflichtet, steuerte diesen staatsnahen Kurs der Thüringer Kirche an1137. Mitzenheim vertraute Lotz, der ihm im Gegenzug beim Verfassen von Stellungnahmen, Rundbriefen, Reden etc. behilflich war, dabei jedoch unter anderem seine Post abfing und wichtige Informationen an das MfS weitergab und mit jenem das Vorgehen absprach1138. Für das MfS wurde Lotz zu einem der wichtigsten Informanten und Akteure, mit dessen Hilfe versucht wurde, die Kirchen – allen voran Thüringen – zu beeinflussen und über alle aktuellen innerkirchlichen Diskurse und Handlungsstrategien, Interna und Personalia bis hin zu kompromittierendem Material auf dem neuesten Stand zu sein1139. Lotz suchte zudem, eine innerkirchliche Opposition zu Mitzenheim im staatsloyalen Weimarer Arbeitskreis zu organisieren, um stärkeren Einfluss auf die Kirche zu gewinnen1140. Zu einer innerkirchlichen Opposition ganz anderer Art wurde die nach dem Krieg fortgeführte LBG. Sie übte immer wieder Kritik am Kurs der Kirchenleitung und mahnte einen 1135 Vgl. ebd., 180 f., 185. 1136 Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 199, 201 f. 1137 Vgl. Vollnhals, Stasi-Akte Gerhard Lotz, 116 – 120; Neubert, Instrumentalisierung, 335; und Koch-Hallas, Thüringen, 200. Ausführlich zur Akte Lotz auch ebd., 253 – 261, 284. Koch-Hallas bezeichnet Lotz als eigentlichen „Architekten und Lenker des ,Thüringer Weges.‘“ ebd., 304. 1138 Vgl. ebd., 202 f. Lotz wurde so zu einer Schlüsselfigur. Vgl. ebd., 256. Koch-Hallas bezeichnet Mitzenheim als „Marionette“ von Lotz. Vgl. ebd., 325. 1139 Vgl. ebd., 184, 254, 256, 258, 260, 277. Wie stark das MfS in die Landeskirchen eingreifen und ihnen schaden konnte, ist umstritten. Vor allem das synodale Prinzip verhinderte, dass die Landeskirchen von außen gesteuert werden konnten. Vgl. ebd., 244 f., 276, 285. Die meisten Geistlichen verschlossen sich einer Zusammenarbeit mit dem MfS. Vgl. Ebd., 276. Lotz dagegen gab z. B. bei Zersetzungsmaßnahmen des MfS juristische Hinweise. Vgl. Ebd., 260. 1140 Vgl. ebd., 277. Anfangs gehörten dem Weimarer Arbeitskreis ca. 40 Personen in leitenden Funktionen an. Vgl. ebd., 335; und vgl. Dietrich, Weimarer Arbeitskreis, 46 – 48.

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anderen Umgang mit dem Staat an. Es erfolgten Anfragen an Mitzenheim, der ja selbst aus der LBG kam, doch konnte sich die LBG auf der Synode mit ihren Anliegen zunächst nicht durchsetzen1141. Mitzenheim entfremdete sich so immer mehr von den anderen Landeskirchen, wurde jedoch gleichzeitig vom Staat als einziger Gesprächspartner hofiert1142. In den folgenden Jahren wurde die Kritik an ihm seitens der anderen Landeskirchen – vor allem der lutherischen – immer lauter. Sie waren von den Einzelaktionen Thüringens wenig begeistert. Als Konsequenz wurde Mitzenheim unter anderem 1961 aus dem Rat der EKD herausgewählt. Sein Vorgehen war und ist umstritten1143. Auch 1969 meinten Mitglieder der Sächsischen Landeskirchenleitung in staatlichen Gesprächen: „Das Verhalten der Thüringer Synode und des Bischofs [zur Gründung des BEK] werden von der Kirchenleitung als politisch zwar möglich, theologisch aber nicht zu rechtfertigen dargestellt. In der Sächsischen Kirchgemeinden [sic!] habe man genug Arbeit damit, die Verwirrung aufzuklären, die durch Äußerungen des ,roten Moritz‘ verursacht werde.“1144

Der ,Thüringer Weg‘ wurde nicht nur für schwierig gehalten, weil er vom Staat als Argument gegen die restlichen Landeskirchen Verwendung fand, wenn diese einen anderen Weg wählten. Problematisch war auch, dass für die kirchliche Basis Mitzenheims Äußerungen in Widerspruch zu ihrem Alltag standen. Seine Äußerungen waren in der Regel die einzigen, die in der Presse abgedruckt wurden und in der Öffentlichkeit ein einseitig gefärbtes Bild verbreiteten. Im Frühjahr 1969 hatte die LBG deswegen eine Eingabe an die Synode geschrieben. In einem erklärenden Brief von Werner Leich, damals Oberpfarrer und Vorsitzender der LBG an den Präsidenten der Synode, Rudolf Lotz, erläuterte er als Grund der Eingabe: „Es ist das Unverständnis der Mehrzahl unserer bewußten Gemeindeglieder gegenüber der Tatsache, daß von Seiten kirchlicher Amtsträger, insbesondere unseres Herrn Landesbischofs, in der Öffentlichkeit zu tagespolitischen Anlässen zustimmende Erklärungen gegenüber dem Staat abgegeben werden, ohne die Beschwernisse der Gemeindeglieder ebenso öffentlich anzusprechen.“1145 1141 So Koch-Hallas, Thüringen, 372. 1142 Negative Schreiben an Mitzenheim hielt Lotz nach 1958 zurück und staatliche Stellen behandelten kirchliche Vorhaben in Thüringen etwas großzügiger als in anderen Landeskirchen. Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 228 f., 316. 1143 Vgl. ebd., 328, 338. Durch Annedore Becker entsteht derzeit im Rahmen einer Dissertation in Leipzig eine Biographie über Mitzenheim: „Moritz Mitzenheim (1891 – 1977). Eine biographische Studie.“ 1144 Kirchenpolitischer Informationsbericht Juli 1969 vom RdB Dresden vom 5. 8. 1969, 3 (BArch DO 4/2968); vgl. auch Ergebnisse der Staatspolitik in Kirchenfragen, die in Vorbereitung des 20. Jahrestages der DDR erreicht wurden, vom RdB Dresden, vom 14. 10. 1969, 2 f. (BArch DO 4/2968). 1145 Brief Leichs an Lotz vom 16. 4. 1969, 1 (LKAE, R 212 Band 1).

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Auch die anderen Landeskirchen hatten Mühe, Mitzenheims Vorgehen für die eigenen Gemeindeglieder zu erklären. Aus dem Norden berichtete die CDU, dass dort unter einigen Pastoren und Katecheten im Herbst 1968 die Meinung herrschte: „er ist ein alter Herr und weiß nicht mehr so recht, wo er steht.“1146 Mitzenheim blieb in der Folge zwar bei einer Zwei-Regimenten-Lehre, doch legte er sie zunehmend staatspositiver aus1147. Er versuchte durch eine staatsnahe Politik und Gespräche, Konzessionen für die Kirche, aber auch für einzelne Menschen auszuhandeln und einen Raum für die Kirche offen zu halten1148. Anscheinend hofften auch manche Christinnen und Christen anderer Landeskirchen, dass Bischof Mitzenheim aufgrund seines in der sozialistischen Presse dargestellten besseren Verhältnisses zu staatlichen Organen ihnen eher helfen könnte als die eigenen Landeskirchenleitungen und baten ihn um Hilfe1149. Weiterhin galt für Mitzenheim, dass die Kirche das Evangelium predigen solle und der Staat als Obrigkeit zu respektieren sei. Doch änderte sich die Bedeutung dessen, was unter einer Respektierung zu verstehen sei. Die Zurückhaltung in politischen Dingen wurde immer mehr zugunsten eines Verständnisses von Respektierung der Obrigkeit aufgegeben, das bedeutete, die von dieser Obrigkeit geforderten staatsbürgerlichen Pflichten zu erfüllen. Unter staatsbürgerlichen Pflichten verstand die DDR jedoch die aktive politische Mitarbeit im Land und damit am Aufbau des Sozialismus1150. Das führte in der Folge zu harten Auseinandersetzungen, ob z. B. Pfarrer sich in der Nationalen Front engagieren dürften. Zwar koppelte Mitzenheim theoretisch die Respektierung der Obrigkeit weiterhin an die Bedingung, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet sei, doch 1146 BV Schwerin. Berichterstattung für den Monat November 1968 vom 28. 11. 1968, 2 (ACDP 07011-257). 1147 Dietrich spricht zutreffend von einer Zwei(Be)Reiche-Lehre. Vgl. Dietrich, Weimarer Arbeitskreis, 45. Koch-Halles spricht immer wieder davon, dass Mitzenheim zwar seiner Theologie im Sinne einer Zwei-Regimenten-Lehre treu geblieben sei, doch diese so deutungsoffen gewesen sei, dass Mitzenheim durch Lotz manipulierbar und lenkbar wurde. So wurde die Lehre von einer Abgrenzungs- zu einer Kooperationslehre. Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 304, 325, 368, 373 f. 1148 Vgl. ebd., 301, 314. Dass es ihm ehrlich um dieses Bemühen ging, ist ihm nicht abzusprechen. Vgl. ebd., 316, 345. 1149 In den Akten finden sich verzweifelte Briefe mit der Bitte um Hilfe. In den Briefen spiegelt sich die Bandbreite der Probleme wider, die in der DDR auftraten: Nichtzulassung zur EOS, keine Zuzugsgenehmigung von minderjährigen Kindern zu ihren in der BRD lebenden Eltern, keine Möglichkeit, nahen Verwandten jenseits der Grenze in schwerer Krankheit und Sterben beizustehen, Entziehung der Studienzulassung, wegen Meldung zu den Bausoldaten, Beschlagnahmung theologischer Literatur, keine Druckgenehmigungen und auch die verzweifelte Mutter eines Jugendlichen, der nach dem 21. August verschiedene Losungen geschrieben hatte und nun in Untersuchungshaft war. Vgl. (LKAE, A 860 19/2). In der Regel verwies Mitzenheim die Bittsteller an die jeweiligen Landeskirchen. Er selbst schrieb z. B. im Juli 1968 einen Brief an Seigewasser, in welchem er ihn bat, Reisen in die BRD zu erleichtern. Vgl. Brief Mitzenheim an den Staatssekretär für Kirchenfragen vom 19. 7. 1968 (LKAE, A 860 21/3). 1150 Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 287 f.

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stellte er die Obrigkeit nicht in Frage, obwohl der Staat die Glaubens- und Gewissensfreiheit mutwillig immer wieder verletzte1151. Dass diese in der sozialistischen Verfassung von 1968 wiederum an die Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten und damit an eine Bejahung des Sozialismus gebunden wurden und somit schon verfassungstheoretisch nicht umfassend gewährleistet waren, schien Mitzenheim nicht zu stören. Da Mitzenheim in den 1960er Jahren bereits über 70 Jahre alt und der dienstälteste Bischof war, machten sich Personen verschiedener Seiten Gedanken um die Nachfolge1152. Zudem wurde Mitzenheim, je älter er wurde, umso schwieriger lenkbar. So drohte er Mitte 1968 Funktionären der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen: „Wenn Sie Krach mit der Kirche haben wollen, dann können Sie ihn haben!“1153 Hintergrund für diese Äußerung waren Nichtzulassungen von Christen zu erweiterter Bildung und Beeinträchtigungen kirchlicher Kulturarbeit. Den Rechenschaftsbericht vor der Synode 1969 fertigte er allein an und konnte erst nach einem längeren Gespräch davon überzeugt werden, diesbezügliche Äußerungen herauszunehmen1154. Seigewasser befürchtete eine Veränderung, da „sich in Thüringen unter der mittleren und niederen Geistlichkeit eine Opposition gegen Landesbischof Mitzenheim gebildet hat.“1155 Favorisiert wurde Ende der 1960er Jahre Walter Saft, doch wurde Ingo Braecklein von 1970 bis 1978 Mitzenheims Nachfolger1156. Die staatlichen Stellen waren mit dieser Wahl zufrieden, versprach jener doch, den ,Thüringer Weg‘ weiterzuführen1157. Allerdings wurde das bald eingeschränkt, weil Braecklein nicht bereit war, Mitzenheims Kurs „nahtlos fortzusetzen“1158. Auf einer Dienstbesprechung sprach Seigewasser

1151 Vgl. ebd., 287, 300, 304. 1152 Vgl. Arbeitsplan für das II. Halbjahr 1968 vom 19. 7. 1968, 13 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3289); vgl. Aktenvermerk vom 22. 7. 1969. Gespräch mit Unionsfreund Flint am 21. 7., 1 (ACDP 07013-3253). 1153 Vermerk über die Aussprache mit Landesbischof Mitzenheim am 17. 6. 1969 vom 18. 6. 1969, 3 (BArch DO 4/439). 1154 Vgl. Aktenvermerk über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim am 4. 12. 1969 (BArch DO 4/2975). 1155 Lektion: Grundsätzliche Probleme der Staatspolitik in Kirchenfragen unter besonderer Berücksichtigung der Schwerpunktaufgaben des Jahres 1968/ Brandenburg, den 12. 2. 1968, 35 (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 62). 1156 Vgl. Lepp, Tabu?, 876; vgl. Aussprache am 2. 6. 1969 bei Staatssekretär Seigewasser über Kirchenpolitische Probleme, 2 (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 88). Auch 1977 / 1978 favorisierte das MfS Saft als Bischofskandidaten. Vgl. Schilling, Bearbeitung, 231. 1157 Koch-Halles meint, die Wahl Braeckleins sei vom MfS „als besonderen Triumph“ betrachtet worden und dass er einer der „Wunschkandidaten“ der DDR-Regierung war. Vgl. KochHallas, Thüringen, 248, 257, 290. 1158 Information zu Veränderungen in evangelischen Kirchenleitungen in der DDR im Jahre 1970, 2 (BArch DO 4/1437).

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von einer „Rechtsentwicklung“1159. In der Folge schwenkte Braecklein nach und nach auf den allgemeinen Kurs des BEK ein1160. 1976 trat Lotz in den Ruhestand. Von 1978 bis 1991 übte Werner Leich, der in den 1960er Jahren Leiter der LBG gewesen war, das Amt des Bischofs aus. 1968 verhinderte Mitzenheims Verhalten ein gemeinsames Auftreten der acht ostdeutschen Landeskirchen. Im Februar 1968 unterschrieb er als einziger nicht den Brief der Bischöfe aus Lehnin, in welchem jene um Veränderungen des Verfassungstextes baten. Im Gegenteil, seine später viel zitierte Äußerung, dass die Staatsgrenzen auch die Grenzen kirchlicher Organisationsmöglichkeiten seien, stützte die staatliche Forderung einer Trennung der EKD. Ebenso wenig stimmte Mitzenheim auf der Bischofskonferenz einer kritischen Äußerung zu den Augusttagen in Prag zu. Als einziger Bischof ˇ SSR im Gebet1161. Mitzenheim wandte er sich sogar gegen die Nennung der C war auch nicht bereit, sich in der Frage der Verhaftungen gemeinsam mit den anderen leitenden Geistlichen an den Staat zu wenden. Als allerdings kurz vor Weihnachten 1968 das MfS vor seiner Tür stand und über die Möglichkeiten der Aussetzung der U-Haft von vorerst fünf verhafteten Theologiestudenten aus dem Jenaer Konvent mit ihm sprechen wollte, setzte sich Mitzenheim sofort für die Inhaftierten ein. Und auch die Familie des Thüringer Studenten, der wegen Protests gegen die Sprengung der Universitätskirche in Haft saß, wurde auf Beschluss des Landeskirchenrats bis zu dessen Entlassung finanziell unterstützt1162. Auf seiner Sitzung vom 29. August 1968 erklärte der Landeskirchenrat einstimmig, dass das Auftreten Mitzenheims in der Bischofskonferenz richtig gewesen sei und beschloss, dass es in der aktuellen Situation keines besonderen Fürbittaufrufs bedürfe1163. Es solle auf vorhandene agendarische Formulierungen im Gebet um Frieden zurückgegriffen werden. Dieses Ergebnis

1159 Protokoll über die Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 13. 11. 1970, 10 (BArch DO 4/ 401). 1160 Koch-Halles meint, dass sich die ,fortschrittliche‘ Haltung in der Landeskirche unter Braecklein fortsetzte und die politische Abhängigkeit andauerte. Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 291, 367. 1161 Ludwig Große wehrt sich dagegen, dass die Thüringer Kirche eine Kanzelabkündigung verhindert habe. Vgl. Grosse, Einspruch!, 535. Es bleibt offen, wie sich andere verhalten hätten, wenn auf Mitzenheims Veto nicht solch ein Verlass gewesen wäre, doch ein gemeinsames Vorgehen der Landeskirchen scheiterte nach aller Aktenlage – kirchlichem Protokoll wie staatlichen Berichten und MfS-Protokoll – an Mitzenheim, der zu allen Vorschlägen sein Veto einlegte. 1162 Zu den Verhaftungen vgl. Kapitel 5.2., 458 – 464 und 454 – 455 dieser Arbeit. 1163 Vgl. 12. Sitzung des Landeskirchenrats 29. 8. 1968, 1 (LKAE, A122). Dass der Landeskirchenrat vielleicht nicht ganz so eindeutig gegen eine Äußerung der Landeskirche war, zeichnet sich dann nur an einer Diskussion in Vorbereitung der Synode ab. Siehe Kapitel 4.9.2., 415 – 416.

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teilte der Landeskirchenrat einen Tag später wie abgesprochen den anderen Landeskirchen mit1164. So wurde denn im Herbst 1968 die Thüringer Landeskirche und vor allem Mitzenheim von den unterschiedlichen staatlichen Stellen als besonders vorbildlich hervorgehoben, weil sie sich nicht gegen die staatliche Politik gewandt hatten1165. Mitte Oktober hieß es in einer allgemeinen Information: „Einsicht in politische Realitäten und Vertrauen zur Politik der Regierung der DDR hat in dieser komplizierten Situation jedoch nur die Leitung der Thüringischen Landeskirche bewiesen.“1166 Im Frühjahr 1969 berichtete der Rat des Bezirkes Erfurt, dass in den Kirchen die ,Hilfsmaßnahmen‘ „stark diskutiert“ worden seien, doch weil „die Thüringer Landeskirchenleitung jede gemeinsame Aktion ablehnte und sich nicht in die Maßnahmen des Staates einmischte, […] gelang es auch der Magdeburger Kirchenleitung nicht, größere Aktionen durchzusetzen, (außer einigen Bittgottesdiensten).“1167 Auch hier wurde Mitzenheim als ,positiv‘ gegenüber den anderen abgehoben. Anfang Januar 1969 trafen sich Vertreter des Staatssekretariats für Kirchenfragen, der Thüringer Bezirke und der CDU mit Vertretern des Landeskirchenrates1168. Anwesend waren ebenfalls Vertreter der Presse. In diesem Gespräch wurde beiderseits das vorbildhafte Verhältnis zwischen der Landeskirche Thüringen und den staatlichen Funktionären dargestellt. Die Verfassung sei gut und die Ängste vieler Vertreter der Kirchen, dass sich das Verhältnis Staat-Kirche eintrüben würde, habe sich nicht bewahrheitet, die Kirche habe in der DDR einen Raum für ihren Dienst. Zwei kirchliche Vertreter sprachen von guten Erfahrungen als Mitglieder der Arbeitsgruppen 1164 „Ferner ist er [der Landeskirchenrat] sich darüber einig, daß das Gebet um Frieden nicht anders formuliert, sondern wie bisher in einer der Formulierungen gesprochen werden soll, wie sie die Agende anbietet.“ Brief Landeskirchenrat Thüringen vom 30. 8. 1968 (EZA 104/ 944). 1165 Z. B.: „Positiv trat die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen in Erscheinung, wo Bischof Mitzenheim keine politischen Stellungnahmen gegen die DDR und die anderen Warschauer Vertragsstaaten zuließ.“ Einschätzung der Situation auf der Linie XX/4 in Bezug auf die Ereignisse in der CSSR und sich ergebende Schlußfolgerungen vom 12. 9. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774); „Nach unseren bisherigen Informationen gibt es im Bereich der Kirchenleitung Thüringen [– auch in den Konventen –] keine gegen unsere Politik gerichteten Äußerungen.“ Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 3 (SAPMO-BArch DY 30/IV A2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 3 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). In ersterer der Zusatz „– auch in den Konventen –“. 1166 Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 67 f.). 1167 Referat Kirchenfragen des Bezirkes Erfurt: Entwicklungen der Kirchen, Religionsgemeinschaften und der konfessionell gebundenen Bürger unter den Bedingungen der sozialistischen Ordnung im Bezirk Erfurt, 11. 3. 1969, 5 f. (BArch DO 4/2976). 1168 Anlass des Gesprächs war der Maßnahmenplan für den 20. Jahrestag der DDR. Vgl. Vermerk über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und OKR Lotz am 11. 12. 1968, vom 12. 12. 1968, 3 (BArch DO 4/2975).

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Christliche Kreise1169. Staatlicherseits wurde es als großer Erfolg gewertet, dass sich hier erstmals die ganze Landeskirchenleitung an der Seite des Bischofs politisch in ,positiver‘ Weise geäußert habe. Für den Staat war wichtig, eine ˇ SSR und die Verurteilung des Briefes von Schönherr an die Kirchen in der C Forderung der Trennung von der EKD zu hören1170. Auf die Frage, warum Mitzenheim so handelte, wie er es tat, gab er selbst verschiedene Antworten. So begründete er seine Blockadehaltung gegen die anderen leitenden Geistlichen gegenüber Seigewasser mit der Respektierung der staatlichen Macht im Sinne einer Zwei-Reiche-Lehre: „daß man Verständnis dafür haben müsse, daß die SU im Interesse ihrer und der Sicherheit des sozialistischen Lagers gehandelt habe. Natürlich sei das eine Aktion der Macht, aber gegen die staatliche Macht hat Luther niemals etwas einzuwenden gehabt. Man müsse unterscheiden zwischen Macht und Gewalt.“1171

Im März 1969 begründete er wiederum Seigewasser gegenüber sein Handeln mit mangelnder Information und der Sorge um die Kirchen im Nachbarland: „Wenn ich, ohne Näheres über die Vorgänge in der CSSR zu wissen, in der Bischofskonferenz am 24. 8. 68 dringend mahnte, von einer Kanzelabkündigung abzusehen, da die wenigen Informationen sich widersprächen und wir nicht wissen könnten, ob wir den Kirchen in der CSSR mit einer Abkündigung einen guten Dienst tun würden, so finde ich in Chabadas Brief die Richtigkeit meiner Stellungnahme bestätigt und bin um der Sache willen froh, daß die meisten der evangelischen Kirchen in der DDR meinen Rat beachtet haben.“1172

Mitzenheim empfand die Situation in Prag also als eine politische und damit als keine, die die Kirche etwas angehe. Gegenüber den Superintendenten dagegen stilisierte Mitzenheim sein Schweigen schon als eine Art der Ablehnung des staatlichen Vorgehens, da ein „vielsagendes Schweigen“ als Verneinung 1169 Vgl. Niederschrift über die Beratung des Staatssekretärs, Seigewasser, mit dem Bischof der Thüringer Landeskirche, Mitzenheim, und Vertretern des Landeskirchenrates (BArch DO 4/ 2975). 1170 „Der große Erfolg vergangener Monate und des Gesprächs vom 9. 1. 69 ist es, daß das gesamte Kollektiv der Kirchenleitung bereit ist, vor der politischen Öffentlichkeit die Haltung des Bischofs zu unterstützen […].“ Besonders erfreut war man über einen Oberkirchenrat: „Er verurteilt die Haltung Bischof Schönherrs während der CSSR Ereignisse und spricht sich für eine ganz klare Trennung der DDR Kirchen von der EKD aus.“ Antworten auf den Fragenspiegel durch die Referenten für Kirchenfragen in den Bezirken Erfurt, Gera, Suhl, 1 (BArch DO 4/2976). 1171 Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 4 f. (BArch DO 4/439) 1172 Brief Mitzenheims an Seigewasser vom 12. 3. 1969, im Anhang der Brief von Jan Chabada, Generalbischof der Slowakischen Evangelischen Kirche vom 27. 2. 1969 (BArch DO 4/438). Darin nur die allgemeine Äußerung, dass die Lage der Kirche schwierig sei, sowie Grüße an Seigewasser und Götting. Einen gleichlautenden Brief sandte Mitzenheim am gleichen Tage an Götting. Vgl. Brief Mitzenheim an Götting vom 12. 3. 1969 (ACDP 07-013-3253).

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ausreiche, vor allem, wenn es von jemandem komme, der normalerweise etwas sage1173. Die staatlichen Quellen zeigen jedoch, dass Mitzenheims Schweigen nicht als Verneinung, sondern als Bejahung verstanden wurde. Der Staat sah folgerichtig die Gegner seiner Politik nicht in der Kirchenleitung, sondern in der Synode und unter den Superintendenten1174.

9.2. Die Synode So, wie der Staat Schwierigkeiten erst auf der Ebene der Synode und der Superintendenten ausmachte, so herrschte in anderen Landeskirchen die Meinung vor: „Z. B. kann mit Thüringen auf synodaler Basis zusammengearbeitet werden, auf der Basis der Kirchenleitungen nicht mehr.“1175 In Thüringen ergab sich allerdings durch die Verfassung von 1951 ein größerer Spielraum für den Bischof auch auf der Synode, weil dieser zugleich Vorsitzender der Synode, des Landeskirchenrates und des Superintendentenkonvents war1176. Die Synode tagte halbjährlich. Auf der Frühjahrssynode der Thüringer Landeskirche stand wie in den anderen Landeskirchen die Frage im Raum, wie mit dem Entwurf zur neuen Verfassung umzugehen sei. Da sich der Bischof mit seinen Äußerungen auf der Bürgerkonferenz in Weimar besonders exponiert hatte, lagen sechs Eingaben an die Synode vor, die alle ihr Unverständnis über Mitzenheims Äußerungen vorbrachten. Auf der Synode wurde scharf diskutiert. Letztendlich wurde in einer Entschließung der Landesbischof aufgefordert, sich für eine authentische Interpretation des bisherigen Artikels 38 sowie für eine Änderung desselben einzusetzen1177. Schon aus der Vorbereitungssitzung des Landeskirchenrats mit dem Präsidium der Synode und den Ausschussvorsitzenden für die Herbstsynode am 30. Oktober 1968 konnten die Spannungen zur Frage nach der Haltung der ˇ SSR nicht herThüringer Landeskirchenleitung zu den Ereignissen in der C ausgehalten werden. Der Landesbischof verwies auf den Beschluss des Lan1173 Vgl. Herbstsuperintendentenkonvent 4.–6. 11. 1968, Bericht Mitzenheims, 9 (LKAE, MM 87). 1174 Über den Bischof heißt es 1968 in einem staatlichen Fragespiegel: „Der Bischof steht zu allen erfragten Grundsatzproblemen unserer gesellschaftlichen Entwicklung positiv: Es wird erinnert an seine Ausführungen auf der Bürgervertreterkonferenz in Weimar zur Verfassung, an mehrfache Stellungnahmen zum Krieg der USA in Vietnam, an sein Verhalten auf der Bischofskonferenz am 24. 8. 68 wegen der Ereignisse in der CSSR, an seine Unterstützung der Friedenspolitik der DDR […].“; „Die Gegner des politischen Weges der Kirchenleitung sitzen nicht in ihr, sondern in der Synode und unter den Superintendenten.“ Antworten auf den Fragenspiegel 1968 durch die Referenten für Kirchenfragen in den Bezirken Erfurt, Gera, Suhl, 1 und 2 (BArch DO 4/2976). 1175 Niederschrift über die außerordentliche Sitzung der östlichen Ratsmitglieder in der DDR am 11. 10. 1968, 2 (LKAG 3/62). 1176 Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 245. 1177 Vgl. Kapitel 1.4.2., 71 – 73.

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deskirchenrates, nach welchem es weder eine Kanzelabkündigung noch eine andere ähnliche Äußerung geben sollte. Einer der Synodalen erklärte, dass er vom Landeskirchenrat „schnellere und ausführlichere Hilfe“ erwartet hätte1178. OKR Erich Stegmann, früher Vorsitzender der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, distanzierte sich daraufhin von der Haltung Mitzenheims. Sofort schaltete sich jedoch OKR Lotz ein und führte anhand des Sitzungsprotokolls vom 29. August aus, dass die damaligen Beschlüsse einstimmig gewesen seien. Stegmann selbst hatte drei Tage vor jener Sitzung des Landeskirchenrates im August eine Einladung der CDU zur Bezirksdelegiertenkonferenz mit Hinweis auf die derzeitig gegebenen Verhältnisse abgelehnt1179. Der Bischofsbericht auf der Herbstsynode enthielt dann kein Wort zur ˇ CSSR. Daraufhin befragte Pfarrer Ludwig Große, Mitglied der LBG, den Bischof, warum es zu keiner Stellungnahme des Landeskirchenrates gekommen sei, obwohl es Anfragen aus den Gemeinden gegeben habe. Große klagte, „die Landeskirchenleitung hätte sich ausgeschwiegen und den Gläubigen keine Antwort gegeben.“1180 Er verwies auf das Schreiben seines eigenen Konvents Weimar an den Landeskirchenrat. Nachdem er noch betont hatte, dass er zu dieser Frage beauftragt worden sei, verlas er das Schreiben, welches als Kanzelabkündigung gedacht gewesen war1181. Mitzenheim ging direkt auf diese Anfrage ein. Er berichtete von den Vorgängen in den Bischofskonferenzen vom 24. August und 19. September in ähnlicher Weise wie im Superindendentenkonvent und betonte auch, dass die Superintendenten informiert gewesen seien. Weiterhin unterstrich er das gute Verhältnis der Thüˇ SSR1182. Außerdem habe die weitere Entwickringer Kirche zu jenen in der C lung der Ereignisse wieder gezeigt, dass das Thüringer Verhalten das richtige gewesen sei. Und abgesehen davon „sei es Sache der Marxisten[,] sich mit ihren Klassenbrüdern auseinanderzusetzen.“1183 In der Mehrheit war die Landessynode mit anderen Problemen wie dem Zusammenhalt der EKD und dem Pastorinnengesetz beschäftigt. Wie auf den anderen Synoden im Frühjahr 1969 wurde in Thüringen die Ordnung des Bundes verhandelt. Im Vorfeld war versucht worden, die Synodalen zu beeinflussen und mit Landesbischof Mitzenheim und OKR Lotz war 1178 Vgl. Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Landeskirchenrats mit dem Präsidium der Synode und den Ausschußvorsitzenden vom 30. 10. 1968, 3 (LKAE, R 212 Band 2). 1179 Vgl. Fernschreiben BV Gera vom 26. 8. 1968 (ACDP 07-012-1536). 1180 Bericht über die Synode der Landeskirche Thüringen vom 5.–8. 12. 1968, 3 (BArch DO 4/ 2976); vgl. auch Protokoll der Herbstsynode 1968, 6 (LKAE, R 212. Bd. 2). 1181 Siehe Kapitel 4.9.3.2., 423 – 426. 1182 Als Beispiel führt er den Brief an Bischof Chabada aus der Slowakei an, „der infolge der Ereignisse krank geworden war.“ Protokoll der Herbstsynode 1968, 6 (LKAE, R 212. Bd. 2). 1183 Bericht über die Synode der Landeskirche Thüringen vom 5.–8. 12. 1968, 3 (BArch DO 4/ 2976); vgl. auch Grosse, Einspruch!, 537. Große beschreibt die Diskussion als „harte Auseinandersetzung.“

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über verschiedene Möglichkeiten in der Thüringer Synode gesprochen worden. Immerhin würde Thüringen seine Möglichkeit verlieren, per Veto in der Konferenz der Kirchenleitungen die eigene Linie durchzusetzen1184. Weder Mitzenheim noch Lotz hielten es jedoch für möglich, durch einen entsprechenden Beschluss der Thüringer Synode die Bundesgründung zu stoppen1185. Auf der Thüringer Frühjahrssynode wurde dann einstimmig der Ordnung des Bundes zugestimmt1186. Anders als auf den anderen Landessynoden wurde beschlossen, dass die Mandate der EKD-Synodalen bei dieser erlöschen sollten1187. Daneben wurde auf dieser Synode das Pastorinnengesetz verabschiedet, das Frauen die volle Ordination ermöglichte1188. Eine Eingabe der LBG gegen öffentliche Erklärungen von kirchlichen Amtsträgern ohne vorherige Absprachen, die sich gegen Mitzenheim richtete, konnte sich jedoch nicht durchsetzen1189. 9.3. Die (Kirchen)bezirke Da von Landeskirchenrat und Bischof keine Handlungsanweisung, die über ein Schweigen hinausgegangen wäre, zu verzeichnen war, lag eine etwaige Initiative bei Einzelnen. Solche versuchte der Staat zu überwachen, um sie möglichst im Keim ersticken zu können. Am 30. August kamen die Referenten für Kirchenfragen der Bezirke Erfurt, Gera und Suhl zusammen, um gemeinsam mit einem Mitarbeiter des Staatssekretariats für Kirchenfragen die Lage zu besprechen1190. Die Referenten waren sich bei ihrer Besprechung 1184 Vgl. Bericht des Staatssekretärs Seigewasser über mehrere Gespräche mit verantwortlichen Kirchenmännern, 24. 6. 1968, 1 (Wilke / Maser / Goerner / Kubina, Gründung, 67). 1185 „Zunächst einmal muß festgestellt werden, daß Landesbischof D. Mitzenheim, vor allem aber Oberkirchenrat Lotz, sehr depressiv über die Entwicklung einer gegen sie gerichteten Opposition unter den Thüringer Synodalen sprachen. […] Er [Mitzenheim] finde mit seinen mündlichen und schriftlichen Erklärungen eben nicht nur Zustimmung, sondern auch Ablehnung in der eigenen Kirche. Aus dieser Überzeugung kamen Mitzenheim und Lotz auch zu dem Schluß, daß es für sie und den Landeskirchenrat keine andere Möglichkeit gäbe, als die, der Ordnung des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR zuzustimmen.“ Information über das Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Oberkirchenrat Gerhard Lotz und Hans Seigewasser und Hermann Kalb am 22. 4. 1969 in Eisenach, vom 24. 4. 1969, 2 (BArch DO 4/439). 1186 Vgl. Protokoll der Frühjahrstagung der 6. Tagung der IV. Synode vom 2.–5. 5. 1969, am 4. 5. 1969, 9 (LKAE, R 212 Band 1). 1187 Vgl. ebd., 9 f. Allerdings legten einige Synodale den Beschluss so aus, dass er erst mit Ende der EKD-Synode wirksam wird. Außerdem sollten die späteren Synodalen des Bundes die Interpretation von Artikel 4.4. der Grundordnung klären. Vgl. auch Bericht über die Synode der Landeskirche Thüringen vom 2.–5. 5. 1969 vom 5. 5. 1969 (BArch DO 4/2976). 1188 Vgl. Information über Aussprache mit Synodalen der evangelisch-lutherischen Landeskirche Thüringen in Vorbereitung der Synode vom 2. 5.–5. 5. 1969, vom 28. 4. 1969, 5 (BArch DO 4/ 2976). 1189 Vgl. Lepp, Tabu?, 875. 1190 Vgl. Dienstreisebericht des Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen Dohle vom 2. 9. 1968 (BArch DO 4/2976).

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darüber einig, dass die Geistlichen, die in ihrem Bereich der KPS angehörten, ˇ SSR ablehnten oder sich stärker häufiger und deutlicher das Vorgehen in der C in Äußerungen zurückhielten. Es zeigte sich, dass die Informationen und Ergebnisse in den einzelnen Bezirken weit auseinander gingen. Im Bezirk Gera gab es bis Ende August keine Übersicht über die Meinungen der Geistlichen. Es hatten keine systematischen Gespräche stattgefunden. Das Gespräch mit ,Progressiven‘ war zwar gesucht worden, aber nicht zustande gekommen1191. Die CDU sammelte und berichtete nach Möglichkeit. Sie berichtete über Oberpfarrer Rudolf Triebner in Gera, darüber, dass er die Hoffnung habe, dass die Maßnahmen nicht den Friedensbemühungen schaden, und über einen Superintendenten, der sich ,positiv‘ geäußert habe1192. Unter ,positiv‘ wurde auch die Aussage des Superintendenten von Gera-Land verbucht, der zum Ausdruck gebracht hatte, dass er sehr überrascht gewesen sei, nicht an die Ausweitung des Konfliktes glaube und davon ausgehe, dass die sozialistischen Länder die Angelegenheit „schnellstens erledigen werden.“1193 Von den meisten Pfarrern sei allerdings keine Meinung in Erfahrung zu bringen. Die CDU berichtete aus dem Bereich von einem Pfarrer, einem Kirchenjuristen und einem Synodalen, dass sie ein „klares Bekenntnis zum Standpunkt“ hätten1194. Gleichzeitig erklärte ein Angestellter des Kreiskirchenamtes in Gera seinen Austritt aus der CDU mit der Begründung, dass er jede Gewaltanwendung ablehne1195. Der Pfarrer aus Dietrichshütte schlug der CDU die Tür ins Gesicht mit den Worten: „Sie werden wohl kaum erwarten können, daß ich bei den derzeitigen Ereignissen an einer Konferenz einer Partei teilnehme, die sich gleichschalten läßt und schweigt.“1196 Auch hier wird ˇ SSR pflegten oder sich in wieder deutlich, dass Menschen, die Kontakte in die C den letzten Jahren selbst ein Bild der Lage vor Ort hatten machen können, dies ˇ SSR abzulehnen. So zum Grund nahmen, das militärische Eingreifen in der C erklärte ein Pfarrer aus Jena der CDU, „er müsse sich vor seinen tschechischen Freunden wegen der Beteiligung unserer Volksarmee an den Maßnahmen schämen.“1197 Die CDU klagte in den Kreisverbänden, dass bereits aufgebaute

1191 Vgl. ebd., 1. 1192 Vgl. Fernschreiben BV Gera vom 22. 8. und vom 26. 8. 1968 (ACDP 07-012-1536). Rechtschreibung geglättet. 1193 BV Gera Informationsbericht vom 31. 8. 1968, 3 (ACDP 07-011-265). Diese Stellungnahme wurde vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU allerdings als Beispiel „für eine Reihe von Unklarheiten“ in kirchlichen Kreisen herausgestellt. Vgl. Sekretariat des Hauptvorstandes. 4. Bericht zur Meinungsbildung über die Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer in der CSSR vom 26. 8. 1968, 3 (ACDP 07-012-1536). 1194 Vgl. Fernschreiben BV Gera vom 10. 9. 1968 (ACDP 07-012-1536). 1195 Vgl. ebd. 1196 Ebd. 1197 Fernschreiben BV Gera vom 26. 8. 1968 (ACDP 07-012-1536). Rechtschreibung geglättet.

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Kontakte durch den 21. August wieder zerbrächen und „die Gespräche ins Stocken geraten.“1198 Im Bezirk Suhl zentrierten sich alle Informationen bei der Bezirksleitung der SED. Hier traf man unter den Geistlichen auf die gleichen Argumente wie in der Bevölkerung, sie würden sich tendenziell reaktionärer verhalten, jedoch die Bevölkerung nicht beeinflussen1199. Bis Ende August waren mit fast 100 Geistlichen Gespräche geführt worden, in denen 90 % keine Stellung bezogen oder den Einmarsch ablehnten1200. Auch die CDU führte Gespräche und stieß dabei allenthalben auf Ablehnung. Der Bezirksverband der CDU hatte 40 Geistliche zu seiner Bezirksdelegiertenkonferenz eingeladen, von denen immerhin 22 teilnahmen und zwei einer Resolution der Konferenz zustimmten, die die ,Maßnahmen‘ begrüßten1201. Dennoch ist diese Zahl der Beteiligung höher als bei anderen Bezirksdelegiertenkonferenzen in der DDR1202. Insgesamt konnten ein Superintendent und sieben Pfarrer dazu gebracht werden, sich in den Gesprächen ,positiv‘ zu äußern. Inwieweit sie durch weitere Gespräche auch zu öffentlichen Stellungnahmen bewegt werden könnten, war Ende August unklar1203. Von den besuchten Gottesdiensten war es nur in Mengersgereuth-Hämmern und Steinbach zu Äußerungen gegen das militärische Vorgehen gekommen1204. Im Bezirk Erfurt hatte man mit beinahe 200 Geistlichen gesprochen. 17 Geistliche wurden aufgeführt, die für den Einmarsch seien, darunter vier mit starken Vorbehalten. Angeführt wird die Liste durch Mitzenheim, Lotz und Saft, letzterer mit Vorbehalt1205. Mitzenheims Schweigen wurde also als Befürwortung ausgelegt. Dagegen verdeutlichten drei Pfarrer aus Eisenach, dass sie in der militärischen Intervention eine europäische Katastrophe sähen1206. Einer dieser Pfarrer war selbst noch im August in Prag gewesen. Bei den Gesprächen dort sei ihm aufgefallen, dass die überwiegende Mehrheit nicht aus dem sozialistischen Lager ausscheiden wolle. Auch sei es doch richtig, die 1198 So z. B. im Kreisverband Gera-Land. Vgl. KV Gera-Land an die Parteileitung der CDU. Umfassende Berichterstattung vom 11. 11. 1968, 4 (ACDP 07-011-265). 1199 Vgl. Ebd., 2. 1200 Vgl. Dienstreisebericht des Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen Dohle vom 2. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2976). 1201 Vgl. BV Gera. Informationsbericht vom 31. 8. 1968, 3 (ACDP 07-011-265). Dazu kam, dass von Pfarrern „so gut wie keine positive Stellungnahme zu den Maßnahmen der fünf sozialistischen Staaten zu erhalten war. Viele Pfarrer enthalten sich bis heute jeglicher Meinungsäußerung.“; vgl. auch Dienstreisebericht des Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen Dohle vom 2. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2976). 1202 In Neubrandenburg kamen z. B. von 130 Personen nur elf, von denen sich nur einer, Mitglied im Bund evangelischer Pfarrer, im staatlichen Sinne äußerte. Vgl. Ruthendorf-Przewoski, Ost-CDU 1968, 15. 1203 Vgl. Dienstreisebericht des Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen Dohle vom 2. 9. 1968, 2 (BArch DO 4/2976). 1204 Ebd., 3. 1205 Ebd. 1206 Ebd., 4.

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ˇ durch Überzeugung für sich Frage der Macht und der führenden Rolle der KSC zu entscheiden, wie es Alexander Dubcˇek geschafft habe. Sympathie habe dieser doch gerade durch seine Reformpolitik erwirkt. Daher sollten die Länder, die am Einmarsch beteiligt seien, ihre Politik durch Reformen überdenken, sonst liefen sie Gefahr, nicht mehr verstanden und abgelehnt zu werden. Deutlich äußerte er, dass seine Hoffnung auf Reformen in der DDR enttäuscht worden sei1207. Die CDU traf ebenfalls auf diese Haltung. So sei ein Pfarrer einfach nicht davon abzubringen gewesen, „daß es sich bei den Geschehnissen in der CSSR um eine normale Entwicklung zu einem besseren Sozialismus handele.“1208 Auch Pfarrer in Sondershausen wurden genannt, die allgemein gegen die Kirchenleitung, die sozialistische Jugenderziehung, den 21. August und die Verfassung seien1209. Das gewichtigste Gegenargument betraf, wie überall in der Republik, die Teilnahme der NVA, in der eine Parallele zu 1938 gesehen wurde. Darüber hinaus wurde geäußert, dass man dem Sozialismus und dem Frieden mehr schaden als nützen würde und die weitere Entwicklung hätte abwarten sollen, da es keine Konterrevolution gegeben habe1210. 9.3.1. Der Superintendentenkonvent Die Superintendentenkonvente waren eine Organisationsmöglichkeit auf der Ebene der mittleren Leitungsebene der Kirche. Vorsitzender war auch hier nach der Verfassung der Bischof. Bereits der Superintendentenkonvent Anfang März, auf welchem vor allem über die Verfassung gesprochen worden war, hatte gezeigt, dass die meisten Superintendenten mit der politischen Gangart ihres Bischofs nicht einverstanden waren1211. Im Laufe des Jahres nahmen die Spannungen noch zu. Wie aufgeheizt die Stimmung gegen die Kirchenleitung auf dem Superintendentenkonvent vom 4. bis 6. November 1968 war, zeigte sich an einem Satz im Protokoll. Anscheinend hatten die Superintendenten ihren Unmut während Mitzenheims Bericht hörbar gemacht und auch dazwischen geredet und so bat Mitzenheim im Anschluss darum: „auf dem Superintendentenkonvent in Zukunft studentische Mißfal-

1207 Vgl. Abschrift eines Gespräches eines Pfarrers als Anhang an den Dienstreisebericht des Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen Dohle vom 2. 9. 1968, 1 (BArch DO 4/ 2976). 1208 Bezirkssekretariat Erfurt an das Sekretariat des Hauptvorstandes. Zur Lage in der CSSR 17. 9. 1968, 2 (ACDP 07-012-1536). 1209 Antworten auf den Fragenspiegel durch die Referenten für Kirchenfragen in den Bezirken Erfurt, Gera, Suhl, 4 (BArch DO 4/2976). 1210 Dienstreisebericht des Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen Dohle vom 2. 9. 1968, 2, 5 f. (BArch DO 4/2976). 1211 Vgl. Kapitel 1.4.2., 72.

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lens- oder Beistimmungsäußerungen zu unterlassen und die Diskussion zum Bericht bei den folgenden Einzelberichten mit anzubringen.“1212 Der Bericht des Bischofs auf dem Superintendentenkonvent selbst beschreibt die Geschichte der Thüringer Landeskirche vom Ende des I. Weltkrieges an. Darin wird deutlich, dass Mitzenheim auch von seiner inneren theologischen Haltung her nicht gegen den Einmarsch in Prag protestiert hätte, weil er dies als eine „kirchenfremde“ Angelegenheit ansah. Er sagte: „Es wäre verkehrt, nur das Positive in der Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse zu sehen und hervorzuheben. Es wäre aber ebenso verkehrt, dies zu verschweigen und das Negative zu betonen. Wir müssen beides klar erkennen und vom Auftrag der Kirche her handeln. Kirchenfremde Motive, die nicht unehrenhaft zu sein brauchen, dürfen für unser kirchliches Handeln nicht entscheidend sein. Den Dienst der Kirche unserem Volke zu erhalten, muß oberster Gesichtspunkt sein.“1213

Mitzenheim erwähnte kurz die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig, weil sich unter den Verhafteten und Verurteilten auch zwei Thüringer Theologiestudenten befanden. Allerdings seien jene nicht wegen der Universitätskirche verhaftet worden und die Landeskirchenleitung würde für sie das Mögliche tun. Auf zwei Seiten ging der Landesbischof auf die Problematik der ˇ SSR ein. Er führte sie mit der Bemerkung ein, dass „junge Amtsbrüder“ C erwartet hätten, dass sich der Landeskirchenrat äußert, wie sie sich verhalten sollten. Nun berichtete er, dass er am 24. August zur Bischofskonferenz gefahren sei, „um für den Dienst der Kirche schädliches Verhalten verhüten zu helfen.“ Zu den Argumenten der mangelnden Information und dass die Situation sich sehr rasch verändern könnte, treten hier noch zwei weitere: es ging um „verschiedene Arten des Kommunismus“ – also wie erwähnt um etwas Kirchenfremdes –, außerdem sei nicht sicher, inwieweit eine Äußerung den tschechoslowakischen Kirchen helfen oder schaden würde. Das erste Argument zeigt wieder, dass sich Mitzenheim als Bischof von dem Konflikt nicht angesprochen fühlte, weil es ein Konflikt zwischen zwei konkurrierenden Formen von Kommunismus war. Ein Konflikt also, der zwischen den sozialistischen Organen ausgetragen werden müsse und in dem die Kirche nichts zu suchen habe. Auch warum sich Mitzenheim in der Bischofskonferenz ˇ SSR in den Fürbitten gewandt habe, erklärte er: „Was gegen die Nennung der C die Fürbitte betrifft, so vertrat ich den Standpunkt, dabei keinen Namen zu nennen, da es schief ist, die CSSR allein zu nennen, und ebenso schief, sie in einem Atemzug mit Vietnam und Biafra zu nennen.“ Dementsprechend sei in der Bischofskonferenz beschlossen worden, weder ein Schreiben an die Regierung, noch eine Kanzelabkündigung zu verfassen. Nur die Fürbitten seien den einzelnen Landeskirchen überlassen worden. Unterstützung für seine 1212 Protokoll Herbstsuperintendentenkonvent 4.–6. 11. 1968, 2 (LKAE, A 190). 1213 Herbstsuperintendentenkonvent 4.–6. 11. 1968, Bericht Mitzenheims, 2 (LKAE, MM 87). Sofern nicht anders vermerkt, stammen die folgenden Zitate aus dem Bericht Mitzenheims.

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Haltung habe er im Landeskirchenrat und im Lutherischen Weltbund erhalten. Auf der nächsten Bischofskonferenz sei herausgekommen, dass sich sechs Landeskirchen im Großen und Ganzen an die Absprachen gehalten hätten, Berlin-Brandenburg und die Kirchenprovinz Sachsen jedoch nicht. Der Brief Schönherrs habe dazu geführt, „daß dadurch Schönherrs Gesprächsmöglichkeiten mit der Regierung infrage gestellt seien.“ Als noch schwerwiegender empfand er die Abkündigung in der KPS. Diese sage, „daß das Gewissen die Kirchenleitung so bedränge, daß sie nicht schweigen könne.“ Infolge eines „harten Gesprächs“ sei nun die Kanzelabkündigung zurückgezogen worden. Mitzenheims Meinung zu diesem Fall war eindeutig: „Das ist peinlich und schädlich, nicht nur für die Kirchenprovinz Sachsen.“ Seiner Meinung nach hätte sich die Kirchenleitung vorher Gedanken über ihre Schritte machen müssen. Er wolle nicht urteilen, „aber es zeigt sich, daß besser als ein solches Vorgehen ein Schweigen ist. Es gibt ja auch ein vielsagendes Schweigen, besonders[,] wenn eine Stelle schweigt, von der man sonst zu wichtigen Fragen des öffentlichen Lebens ein Wort zu hören gewohnt ist.“1214 Anscheinend meinte er hier sich selbst. Eines Rundschreibens hätte es nicht bedurft, weil ja die Superintendenten von den Visitatoren über die Beschlüsse des Landeskirchenrates unterrichtet worden waren. Im weiteren Bericht ging Mitzenheim noch einmal auf den Brief der Bischöfe aus Lehnin ein. Seiner Meinung nach hätte nach der von den Bischöfen vorgeschlagenen Umformulierung des Artikels 38 der Staat in die Fragen des Bekenntnisses hineinreden können. Der wichtigste Grundsatz der Thüringer Kirche sei aber stets gewesen, „daß der Staat nicht in das Leben der Kirche hineinzureden hat.“1215 Dass Mitzenheim mit seiner staatsloyalen Politik eben diesen Satz nicht einforderte, scheint er nicht so gesehen zu haben. Mitzenheim meinte, dass man mit den Methoden des Kirchenkampfes heute nicht weiter komme, die Situation sei eine andere. „Heute gilt es, in erster Linie den für den Dienst der Kirche vorhandenen Raum mit echtem christlichen Gemeindeleben zu füllen.“ Denn die Kirche sei nicht an eine Staats- oder Gesellschaftsordnung gebunden, sondern „hat in jede Ordnung hinein das Wort von Gottes Gericht und Gnade zu sagen.“ Nachdem Mitzenheim noch auf die Strukturkommission eingegangen war, wandte er sich innerkirchlichen, gottesdienstlichen Fragen zu und votierte klar für die Ordnung des traditionellen lutherischen Gottesdienstes und gegen gemeinsame ökumenische Gottesdienste. Den Bericht schloss er mit Losung ˇ SSR sind nicht belegt1216. und Lehrtext. Weitere Diskussionen über die C

1214 Ebd. Im Protokoll des Superindtendentenkonvents ist dazu zu lesen: „Beredtes Schweigen ist oft mehr als reden. Die agendarischen Fürbitten genügen auch in diesem Fall. Bei einer namentlichen Nennung müßten viele problematische Brennpunkte der Gegenwart genannt werden. Eine Abgrenzung ist fast unmöglich.“ Protokoll Herbstsuperintendentenkonvent 4.–6. 11. 1968, 2 (LKAE, A 190). 1215 Herbstsuperintendentenkonvent 4.–6. 11. 1968, Bericht Mitzenheims, 11 (LKAE, MM 87). 1216 Große berichtet im Allgemeinen von weiter geführten Diskussionen, die sich zu einer „in-

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9.3.2. Weimar Im Bereich Weimars kam es zu dem einzigen belegten Fall in der Thüringer Kirche, da sich mehrere zusammenschlossen, um gemeinsam ihre Meinung über das militärische Eingreifen im Nachbarland kundzutun1217. Einer der Initiatoren war Ludwig Große, der bereits unmittelbar nach dem 21. August einen Brief an den Landeskirchenrat verfasste, in dem unter Hinweis auf die ˇ SSR gebeten wird, jahrelangen Verbindungen zu Gemeinden der EKBB in der C „die Reichweite unserer politischen Verantwortung zu prüfen und zugleich nach Möglichkeiten zu suchen, ihr zu entsprechen.“1218 Als Begründung ˇ SSR genannt wurden die Verbindungen zu evangelischen Gemeinden in der C und dass man dort erfahren habe, dass die Besetzung von 1938 noch immer das Verhältnis belastete und eine Aussöhnung erschwerte1219. Da von der Kirchenleitung keine Verlautbarung kam, versuchten Pfarrer im Kreis Weimar, auf eigene Initiative eine Kanzelabkündigung für ihren Bereich zu verbreiten. Am 23. August verfassten sie eine Abkündigung, die für die Superintendentur Weimar gedacht war1220. „Aus der uns von Gott gebotenen Verantwortung für die Welt“, baten sie die Gemeinden, die von ihnen vorgeschlagene Abkündigung zu bedenken1221. Man wisse um die heftigen politiˇ SSR, und darum, dass auch deutsche schen Auseinandersetzungen in der C Truppen beteiligt seien, was aufgrund der deutschen Vergangenheit die Gewissen beschwere. Man wisse jedoch nicht genau, wie die Schwestern und Brüder in der Tschechoslowakei zu diesen Ereignissen stünden. Man wisse nur, dass sie um Fürbitte und Beistand gebeten hätten. Dieser Bitte solle mit folgenden Worten entsprochen werden: „Wir wollen daher unsere Brüder und Schwestern in unsere Fürbitte einschließen, daß ihnen und ihrem Lande Unrecht, Gewalt, Blutvergießen erspart bleibe. Zugleich sollten wir uns um unserer Brüderlichkeit willen mit öffentlichen Stellungnahmen

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nerkirchlichen und darüber hinaus wirklichen zweiten Öffentlichkeit entwickelt“ hätten. Große schriftlich an die Verfasserin am 19. 7. 2009. Vgl. Ruthendorf-Przewoski, Echo von Prag, 93 – 95. Brief an den Landeskirchenrat der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, undatiert (PB Große). Inzwischen veröffentlicht in: Grosse, Einspruch!, 724 f.; vgl. auch Hintergrundgespräch mit Ludwig Große am 17. 8. 2009. Diese Verbindungen waren über Peter Pokorny´, Neutestamentler in Prag, zustande gekommen. Er war in den 1960ern in Jena gewesen und über Klaus-Peter Hertzsch in den so genannten Ketzerkonvent – einem Konvent ehemaliger Ordinanden von 1957, die sich später teilweise zur LBG hielten – eingeladen worden. Über diese Verbindungen wurde auch versucht, Solidarität nach dem 21. August 1968 zu üben. Vgl. Grosse, Mutuum colloquium, 72 f. Vgl. Grosse, Einspruch!, 536. Vgl. Entwurf der Abkündigung Weimar als Anhang an den Dienstreisebericht des Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen Dohle vom 2. 9. 1968. Abschrift (BArch DO 4/ 2976). Kanzelabkündigung und Gebet veröffentlicht in Grosse, Einspruch!, 726.

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zurückhalten, von denen wir nicht wissen, ob sie der Lage unserer Brüder und Schwestern gerecht werden.“1222

Diese zweite Bitte um Zurückhaltung war ein Reflex auf die sonst oft erfolgten thüringischen Loyalitätsbekundungen. Im Fall des 21. August war diese Sorge unbegründet, da sich Mitzenheim entschieden hatte zu schweigen, was die Pfarrer jedoch nicht wissen konnten. Zusätzlich wurde ein besonderer, von der Perikopenreihe abweichender Predigttext vorgeschlagen, 1.Kor 12, 12 f.24b–27, und empfohlen, anhand dieses Textes über Spaltungen zu sprechen1223. In diesem Text geht es um das paulinische Gemeindebild, in der eine Gemeinde wie ein Leib mit vielen Gliedern sei, die aufeinander achten und füreinander Sorge tragen sollen. Im Vers 26 heißt es passend: „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied herrlich gehalten wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ Abschließend wurde im Entwurf darauf hingewiesen, dass die Abkündigung dem zuständigen Superintendenten und dem Landesbischof übermittelt worden sei, jedoch keine offizielle Antwort – weder Zustimmung noch Ablehnung – eingegangen sei. Diese Zeile wurde später gestrichen. Da die Abkündigung erst am 23. August verfasst wurde, war eine offizielle Antwort auch unwahrscheinlich, da sie bereits zwei Tage später, am 25. August, dem ersten Sonntag nach der militärischen Intervention in der ˇ SSR, verlesen werden sollte. Dennoch erfuhr der Staat zeitig genug davon, C um den Superintendenten unter Druck zu setzen, die Verlesung zu verbieten. Auch wurde der Leiter des Kreissekretariates der CDU zu den Pfarrern geschickt, um mit ihnen „Beschwichtigungsgespräche“ zu führen1224. Dem staatlichen Bericht zufolge konnte ein Verbot vonseiten des Superintendenten und die Nichtverlesung der Abkündigung in den Gottesdiensten auch tatsächlich erreicht werden1225. Dem widerspricht, dass Ludwig Große den Text als erfolgte Kanzelabkündiung nochmals auf der Thüringer Herbstsynode verlas. Große gab auf Anfrage 17 Gemeinden namentlich an, in denen die Abkündigung verlesen worden sei1226. Die CDU berichtete damals zwar direkt nicht von dieser Abkündigung, aber von der vom Staat abweichenden Haltung einiger Pfarrer aus dem Kreis Weimar. Diese beklagten, mangelhaft über die ˇ SSR informiert zu sein, und drei Pfarrer wurden naGeschehnisse in der C mentlich als Beispiele angegeben, die „ihre Zustimmung zum Einmarsch der 5 Bruderländer des Warschauer Vertrages nicht geben könnten.“1227 Über einen weiteren Pfarrer wurden „Bedenken“ gemeldet und über Große in einer 1222 Entwurf der Abkündigung Weimar als Anhang an den Dienstreisebericht des Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen Dohle vom 2. 9. 1968. Abschrift (BArch DO 4/2976). 1223 Die Empfehlung zur Auslegung so nur im Entwurf. Vgl. Grosse, Einspruch!, 726. 1224 So Grosse, Einspruch!, 371 f. 1225 Vgl. Dienstreisebericht des Mitarbeiters des Staatssekretariats für Kirchenfragen Dohle vom 2. 9. 1968, 5 (BArch DO 4/2976). 1226 Vgl. Ruthendorf-Przewoski, Echo von Prag, 94. Große geht inzwischen von noch mehr Gemeinden aus. Brief Großes an die Verfasserin vom 10. 7. 2012. 1227 Fernschreiben vom 27. 8. 1968 aus Erfurt (ACDP 07-012-1536).

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Aussprache die „vollkommenste Ablehnung.“1228 Von einem Reflex, der sich auf die obige Abkündigung beziehen könnte, berichtete die CDU über den Pfarrer aus Weimar-Schöndorf. Dieser habe vor „übervollem Gotteshaus“ am 25. August gesagt: „Die Kirche werde sich von öffentlichen Stellungnahmen fernhalten, da eine solche von den Christen in der CSSR nicht verstanden würde. Diese Haltung gründe sich auf einen Beschluß der Geistlichen, der allerdings nicht von allen Pfarrern unterschrieben wurde. In sein Gebet schloß er die Bitte um eine friedliche Lösung der schwebenden Fragen ein.“1229

Zusätzlich wurde der Text an vier Gemeinden der EKBB versandt1230. Dass Ludwig Große einer derjenigen war, die hinter der Abkündigung standen, wird aus weiteren Briefen ersichtlich, die er in dieser Zeit schrieb. So protestierte er am 26. August in einem Brief bei der Thüringischen Landeszeitung gegen deren Berichterstattung. Diese stehe „in direktem Widerspruch zur Meinung aller Menschen aus der CSSR, mit denen ich sprechen konnte.“ Außerdem sei die Beteiligung Deutscher Beendigung „alles mühsam wiedergewonnenen Vertrauens unserer Nachbarn.“1231 Ähnlich argumentierte er in Briefen desselben Tages an die Arbeitsgruppe Christliche Kreise beim Bezirksausschuss der Nationalen Front. Und da ihm keine Stellungnahme dieses Gremiums gegen die Beteiligung der NVA bekannt sei, zog er seine Zusage zu einem Gesprächstermin mit Carl Ordnung zurück1232. Große hielt weiter Kontakt zu ˇ SSR. Bereits Ende August erreichte ihn ein Brief Gemeinden der EKBB in der C mit auf den ersten Blick belanglosem Inhalt, doch mit Hinweis darauf, dass die Bibelstelle Joh 8,32 tröstlich sei. Unter dieser Bibelstelle steht zu lesen: „Und [ihr] werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“1233 Dies ist ein typisches Beispiel für den Rückgriff auf das Wort „Wahrheit“, was in der Regel in Hinblick auf den hussitischen Widerstand gedeutet wurde1234. Dieses Wort findet sich immer wieder in den Quellen. Dass ˇ SSR schrienicht nur Große den Kontakt hielt, sondern auch andere in die C ben, zeigt eine Antwort an Große Anfang Januar 1969 aus Kutn Hora: „Wir haben viele freundliche Briefe aus der DDR erhalten; manche von ihnen haben wir öffentlich vorgetragen – besonders diejenigen, welche nicht Resignation ausdrücken. Auch von Euch […] haben wir erfreuliche Zeugnisse empfangen – bitte grüßt alle, die uns geschrieben haben. […] Und was unsere hiesige Verhältnisse und 1228 1229 1230 1231 1232

Ebd. Ebd. Vgl. Grosse, Einspruch!, 536. Brief an die Redaktion der „Thüringischen Landeszeitung“ vom 26. 8. 1968 (PB Große). Vgl. Brief an den Bezirksausschuß der Nationalen Front, Arbeitsgruppe „Christliche Kreise“ vom 26. 8. 1968 (PB Große). Inzwischen veröffentlicht in Grosse, Einspruch!, 727. 1233 Brief aus Kutn Hora an die Junge Gemeinde in Tannroda und Thangelstedt vom 31. 8. 1968 (PB Große). 1234 Vgl. Kapitel 2.2.2., 112 – 115.

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Anliegen anbelangt, alle sollen wissen, daß es uns nicht um unser Schicksal geht, […] sondern um unser aller aktive Stellung zur Aufgabe, die gegebene Welt durch die Wahrheit überwinden zu lassen.“1235

Dass einige Pfarrer entgegen ihrer Kirchenleitung sich über die Lage im Nachbarland äußerten, mag zum einen in einer anders verstandenen Verantwortung für die Welt zu suchen sein, mit der sie selbst ihre Kanzelabkündigung begründeten. Gleichzeitig hatte z. B. Ludwig Große seit 1963 persönliche Kontakte zu Pfarrern aus der EKBB, die zu Gemeindepartnerschaften wurden. In den 1960er Jahren fuhr er mit seiner Konfirmandenklasse gemeinsam mit Freunden aus der EKBB, darunter auch Jakub Trojan, ins Altvatergebirge1236. Ihm habe dabei vor allem die Versöhnung mit den Nachbarn am Herzen gelegen1237. In Großes Privatarchiv finden sich neben dem Brief von Hrom dka an Tscherwonenko und einer brieflichen Situationsschilderung über Jan Palach auch ein Exemplar der Charta 771238. Die Verbindungen hielten über die politischen Umbrüche hinweg bis in das neue Jahrtausend. Große wurde später Superintendent in Saalfeld. Gegen ihn leitete das MfS einen operativen Vorgang ein1239. Auf nichtkirchlicher Seite gab es in Weimar in Form von Flugblättern Proteste gegen den 21. August1240.

Resümee Der Thüringer Landesbischof Moritz Mitzenheim betrachtete im Herbst 1968 sein Schweigen als ausreichendes politisches Statement. In der Bischofskonferenz hatte er gegen alle weitergehenden Varianten, sich gegen das militärische Eingreifen im Nachbarland kirchlich zu äußern, sein Veto eingelegt. Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass das Schweigen aus Thüringen vom Staat bereits als Erfolg gewertet wurde, obwohl man aus Thüringen zustimmendere Töne gewöhnt war. Doch solche waren 1968 auch aus Thüringen nur seitens der CDU zu hören. Eine solche Ausnahme ist die Stimme eines Pfarrers aus Altenbergen der in einer persönlichen Stellungnahme an den Bezirksvorstand unter anderem verlauten ließ: „Ich halte die Maßnahmen für sehr schwerwiegend, aber für unbedingt notwendig. […] Wenn die Truppen der vereinigten sozialistischen Staaten in die CSSR eingereist 1235 Brief aus Kutn Hora an Große und Gemeinde vom 13. 1. 1969 (PB Große). Sprachfehler im Original. 1236 Email von Große an die Verfasserin vom 20. 2. 2010. 1237 Vgl. Hintergrundgespräch mit Ludwig Große am 17. 8. 2009. 1238 Vgl. (PB Große). 1239 Vgl. Schilling, Bearbeitung, 222; vgl. auch (PB Große). 1240 Allinson bezeichnet sie sogar als einzigen organisierten Protest. „The only signs of organised protest were in Weimar, where leaflets called for a sit dowen strike, and young people encouraged passers-by to participate in it.“ Allinson, Politics, 150.

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sind, so wird das die Entwicklung in der CSSR stark beeindrucken, es wird aber auch jedem anderen, der evtl. von außen her Einfluß auf diese Entwicklung nehmen möchte, eine ernste Warnung sein, daß er es nicht nur mit der CSSR, sondern mit dem gesamten sozialistischen Lager aufnehmen muß. In diesem Sinne halte ich die Maßnahmen (des heutigen Tages) für eine wichtige Handlung im Sinne der Erhaltung des Friedens.“1241

Er war Bezirksvorstandsmitglied der CDU und im Bund evangelischer Pfarrer. Dem gegenüber standen zwei Ausnahmen in der CDU, die durch Austritt ihr Nichteinverstandensein mit dem 21. August demonstrierten. Dabei ist zu beachten, auch wenn die Bischöfe und kirchenleitenden Mitarbeiter großen Einfluss auf die Geschicke einer Landeskirche hatten und haben, dass eine Landeskirche als solche sich weder auf ihren Bischof, noch z. B. auf ihren leitenden Juristen reduzieren lässt. Selbst in der Dienststelle des Staatssekretärs war man sich darüber im Klaren, wenn im April 1969 auf einer Dienstbesprechung als genereller Eindruck über Thüringen geurteilt wurde: „In Thüringen geht die Kirchenspitze politisch mit uns, während die Basis nicht sichere Position bezieht.“1242 Der Staat sah in Thüringen unter den Pfarrern die gleichen Schwierigkeiten wie in den anderen Landeskirchen1243. Die überwiegende Mehrzahl der Pfarrer behielt auch in Thüringen ihre Meinung für sich1244. Das MfS war sich sicher, dass dieses Schweigen als Ablehnung des militärischen Eingreifens im Nachbarland zu verstehen sei, auch wenn dies maximal aus Andeutungen zu hören sei1245. Sowohl an der Verfassungsfrage als auch an der Tschechoslowakeiproblematik schieden sich die Geister der Thüringischen Landeskirche ebenso wie in den anderen Landeskirchen – mit dem Unterschied, dass das Schweigen aus Thüringen vom Staat als ,progressiv‘ gegenüber seinem Tun aufgefasst und den anderen Kirchen als vorbildlich vorgehalten worden war.

1241 Fernschreiben BV Erfurt vom 22. 8. 1968 (ACDP 07-012-1536). Rechtschreibung geglättet. Auf denselben Fall nimmt Allinson als einziges öffentliches Statement in staatlichem Sinne Bezug. Vgl. Allinson, Politics, 154. 1242 Protokoll der Dienstbesprechung am 22. 4. und 28. 4. 1969 beim Stellvertreter des Staatssekretärs bzw. beim Staatssekretär, vom 29. 4. 1969, 12 (BArch DO 4/401). 1243 Er hatte vor allem Angst vor ,Sozialdemokratismus‘. Vgl. Konzeption eines Betreuungssystems für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Thüringens, vom 3. 3. 1971, 2 (BArch DO4/646). 1244 Ähnlich auch Allinson: „There are no reports of turbulent priests damning the Czechoslovak invasion from the pulpit. Rather, most clergy, parish councillors and churchgoers exercised great reserve and remained silent unless asked. […] The churches’ silence did not, however, signify acceptance.“ Allinson, Politics, 154. 1245 Vgl. Herz, Thüringen im „Frühling 1968“, 79.

V. Motivationen und Handlungsorientierungen für das Handeln in den Kirchen Das Handeln in den evangelischen Landeskirchen in der DDR 1968 war unterschiedlich. Im kirchenleitenden Handeln reichte es von einem Stummbleiben wie in Anhalt über ein ,vielsagendes‘ bzw. ,qualifiziertes‘ Schweigen in Thüringen und leise Fürbitten im Norden der DDR über klarere Fürbittaufrufe wie in Sachsen, interne Solidaritätsbriefe in der Kirchenprovinz Sachsen bis hin zu Schreiben an den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht wie in Görlitz und einer öffentlichen Kanzelabkündigung in Berlin. Im Ostblockvergleich fällt das unisono und ökumenisch anmutende, jedoch nicht abgesprochene Schweigen der Kirchen, katholisch wie evangelisch, der Freikirchen und christlichen Gemeinschaften in der DDR auf.1 Deutlich ist dabei: Je klarer Handlungsvorgaben von kirchenleitender Seite an die Gemeindepfarrer weitergegeben wurden, desto klarer war auch deren Handlungsweise. Gerade am Beispiel von Berlin-Brandenburg wurde deutlich, dass die Vorgaben der Kirchenleitung für die Pfarrer eine Art Schutzschild darstellten, das sie in den ,Aussprachen‘ mit Funktionären nutzen konnten, da sie im Zweifel auf die Kirchenleitung verweisen konnten. Schwieriger war es für Pfarrer, die das kirchenleitende Handeln ihrer Landeskirche als zu unentschlossen oder als falsch empfanden. Wer es wagte, deutlicher Kritik an staatlichem Handeln zu äußern, musste mit erheblichem staatlichen Druck rechnen, der teilweise auch über die Kirchenleitungen an die Pfarrer weitergegeben wurde. Hier spielte die staatliche Drohung von Verhaftungen eine große Rolle, wie am Beispiel von Pfarrer Hans-Jochen Tschiche gezeigt werden konnte. Allerdings schützten 1968/69 die Kirchenleitungen ihre Pfarrer, auch wenn sie ihnen zu scharf formulierten, wie am Beispiel Pirnas zu sehen war. Gleichzeitig gab es nicht mehr als eine buchstäbliche Handvoll offizieller ,positiver‘ Stellungnahmen ,fortschrittlicher‘ Pfarrer. Diese waren alle in mindestens einer der staatlich durchwirkten Organisationen wie dem Bund evangelischer Pfarrer oder der CDU eingebunden. Ihre Äußerungen wurden

1 Ingesamt zeichnet Limberger in seiner Untersuchung über die Situation in Polen ein disparates Bild, doch zeigen sich die kritischen Stimmen verhaltener und weniger, während die zustimmenden Stimmen ausgeprägter sind als in der DDR. So kommt er zu dem Ergebnis, dass öffentliche Äußerungen, wie z. B. in einer Predigt, die große Ausnahme waren. Vgl. Limberger, Polen, 469. Maximal wurde um Frieden gebetet. Vgl. Ebd., 471. Von Klerus aus der zweiten Reihe sei maximal im Privaten Kritik geäußert worden. Vgl. Ebd., 479. Das Unmutspotential sei dabei höher gewesen als in der Allgemeinbevölkerung. Vgl. Ebd., 476.

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staatlicherseits als kirchliche veröffentlicht und angepriesen, kirchlicherseits jedoch nicht als kirchlich verstanden und isoliert. Die Handlungsmotivationen waren ganz unterschiedlich und sind nicht eindimensional zu erklären. Als stärkster Antrieb erwies sich die propagandistische Lüge der SED, die NVA sei direkt am militärischen Einsatz beteiligt gewesen. Die Bestürzung über die vermeintliche Beteiligung war groß, war doch die letzte Okkupation durch deutsche Truppen nicht einmal 30 Jahre her. Der auf der Hand liegende Vergleich zwischen 1938 und 1968 und die Anwendung militärischer Gewalt erhöhte die Bereitschaft aufzubegehren bei Geistlichen, die sonst eher nicht in Erscheinung traten2. Dies war auch der Grund, warum sonst als ,fortschrittlich‘ geltende Pfarrer nicht bereit waren, die üblichen staatskonformen Stellungnahmen abzugeben, wie die Diskussionen im Regionalausschuss der CFK gezeigt haben. In Einzelfällen distanzierten sie sich von der SED-Linie mit der Folge, dass sie aus allen Ämtern gedrängt wurden, sofern sie nicht selbst zurücktraten, wie das Beispiel von Rudolf Rüther veranschaulicht. Der Hauptgrund, sich gegen die so genannten ,Hilfsmaßnahmen‘ vom 21. August 1968 zu wenden, lag daher seitens der Pfarrer und Gemeindeglieder nicht in Sympathien für das reformsozialistische Projekt – auch wenn solche vorhanden waren –, sondern in der Bestürzung über die vermeintliche Beteiligung deutscher Soldaten3. Die Ablehnung von Gewalt vor dem Hintergrund christlicher Motive und der Erfahrungen aus dem II. Weltkrieg waren starke Gründe, sich gegen die ,Hilfsmaßnahmen‘ zu wenden, doch waren sie nicht die einzigen. Wichtig waren die Hoffnungen darauf, dass sich durch die Demokratisierungsversuche etwas ändern könnte, und sei es nur, dass sie in Erleichterungen für das ˇ SSR geschehen kirchliche Leben münden würden, wie dies tatsächlich in der C war. Kenntnis davon hatten die Kirchen, ihre leitenden Geistlichen, Pfarrer und Gemeindeglieder durch die vielfältig entstandenen Kontakte in den 1960er Jahren. Diese persönlichen Kontakte waren gleichzeitig eine weitere starke Handlungsmotivation4. Auffällig war bei der Arbeit mit Zeitzeugen, dass fast drei Viertel der Befragten angaben, direkte und persönliche Kontakte ˇ SSR gehabt zu haben. Die Art der Kontakte war dabei ganz verschiein die C 2 Der SED galt dies als ,revisionistische‘ Argumentation. Denn „unfähig, geschichtliche Zusammenhänge wissenschaftlich zu erkennen, beziehen sie die Linie imperialistischer Geschichtsfälschung und kommen zu falschen geschichtlichen Parallelen (1938/68).“ Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 69). 3 Sehr deutlich wird dieser Zusammenhang durch einen mit „Abkündigung“ über- und mit „Evangelische Christen in der DDR“ unterschriebenen A5-Zettel. Hier hieß es, protestiert werden müsse, weil „Deutsche erneut in einem anderen Staat eingerückt sind. […] So nicht! Es ist genug Unheil durch befehlswillige Deutsche in anderen Ländern geschehen.“ Die Abkündigung endet mit einem Gebetsaufruf. Vgl. (EZA 108/1086). Es konnte nicht geklärt werden, von wem und aus welchem Gebiet der DDR dieses Dokument stammt. 4 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Zimmermann für den allgemeingesellschaftlichen Raum. Vgl. Zimmermann, Sozialistische Freundschaft, 472.

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den. Sie reichte von Urlaubsbegegnungen über relativ lose Arbeitskontakte bis hin zu Verwandtschaft und persönlichen Freundschaften, die meist über den Umweg von kirchlichen Kontakten über Partnerschaften, Werke, Hochschulen etc. entstanden waren5. Nicht zu vernachlässigen ist der Faktor der geographischen Lage, der mittelbar mit Kontakten und Begegnungen in Verbindung steht. Aus dem Süden der Republik war es näher und daher einfacher, z. B. mit ˇ SSR zu fahren. Wer aus einer Landeskirche dieser einem Tagesvisum in die C Gegend stammte, hatte eher Gelegenheit, sich ein eigenes Bild von der Lage im Nachbarland zu bilden als ein Christ aus Mecklenburg oder Pommern. Hinzu kommt, dass im südlichen Grenzraum der DDR seit dem Sommer Truppen zusammengezogen wurden. Zwar gab es offizielle Verlautbarungen, die besagten, dass es sich um bloße Manöver handele, doch misstraute die Bevölkerung solchen Erklärungen, wie der Kreisverband der CDU aus Löbau weitermeldete: „Die Bevölkerung glaubte natürlich weitestgehend nicht an die offizielle Darstellung, daß es sich dabei um Manöver handele. Diese ihre Ansicht wurde erhärtet durch die Tatsache, daß diese Einheiten in den Wäldern unseres Kreises wochen- und monatelang stationiert waren. Zwischen den Truppen und der Bevölkerung hatten sich Beziehungen angeknüpft und die sowjetischen Soldaten haben auf Anfragen öfter geantwortet: ,nix Manöver – kleine Bruder krank‘.“6

ˇ SSR hinein, von Um den 21. August erfolgten Truppenbewegungen in die C denen die Bevölkerung der Grenzregionen unmittelbar betroffen war. Die simple geographische Nähe und das Erleben rollender Panzer durch die eigenen Dörfer sollte als Grund, warum die Landeskirchen im Norden der Republik stiller waren als im Süden, nicht unterschätzt werden7. Ein weiterer Faktor war das Alter eines Menschen zum Zeitpunkt des militärischen Eingreifens. Gerade in der Kriegsgeneration wurden traumatische Erinnerungen aus der Zeit des II. Weltkriegs präsent, wodurch sich Ängste vor einer neuen Eskalation manifestierten8. Das eigene Kriegserleben konnte zu unterschiedlichen Handlungsweisen führen. Die wenigen ,positiven‘ Stellungnahmen argumentierten, dass der Frieden im größeren Rahmen um jeden Preis, also auch um den Preis militärischer Gewalt, erhalten werden müsse9. ˇ SSR und DDR siehe Kapi5 Zum Entstehen von kirchlichen Beziehungen zwischen Christen in C tel 2.3.1., 117 – 131. 6 Informationsbericht KV Löbau vom 26. 9. 1968, 2 (ACDP 07-011-267). 7 Wolle erklärt mit der geographischen Nähe auch den Befund, dass im Bezirk Karl-Marx-Stadt die größte Zahl der Verhaftungen stattfand. Vgl. Wolle, Aufbruch, 375. 8 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 244. 9 Prieß, Kural und Wilke bezeichnen es als eines der „Meisterstücke“ der SED, die Ängste, Sorgen und das Interesse an Frieden, die Fragen um Vietnam, eines Neonazismus in der BRD und die weltweite Studentenbewegung in die Entscheidung für oder gegen den Sozialismus als Garanten des Friedens zu gießen. Die wenigen ,positiven‘ Stellungnahmen von Pfarrern lassen sich in diesen Kontext einordnen. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 142.

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Auch wenn dies eine propagandistische Auslegung der SED-Linie war, sollte die tatsächliche Angst in der Bevölkerung gerade im Grenzbereich vor einem neuen Krieg ernst genommen werden10. Diese führte in den meisten Fällen jedoch nicht zur Begrüßung der militärischen Intervention, sondern dazu, nach Möglichkeit nichts zu sagen, sich noch mehr in den sicheren Raum der eigenen vertrauten Kreise zurückzuziehen und zu hoffen, dass es vorbeigehen möge, ohne dass der eigenen Familie Schaden zugefügt würde. In einigen Fällen führte das Rollen der Panzer zur genau gegensätzlichen Handlungsmotivation. Einige Pfarrer erklärten, selbst 1938 dabei gewesen zu sein, und dass dies niemals wieder geschehen dürfe. Sie äußerten deutlich ihre Meinung gegenüber Funktionären in Gesprächen oder schrieben Briefe. In der jüngeren Generation spielte die Kriegsangst kaum eine Rolle. Wer in den 1940er Jahren und später geboren worden war, kannte nichts anderes als das sozialistische System. Die erste Pfarrergeneration, die aus eigenem bewussten Erleben nichts anderes als Sozialismus kannte, ging Mitte der 1960er Jahre ins Amt. Diese Generation argumentierte eher systemimmanent. Sie waren auch eher diejenigen, die in den Reformprozessen des Nachbarlandes eine Chance sahen und auf Veränderungen im sozialistischen Gefüge hofften. Die Zerstörung dieser Hoffnung bildete die Grundlage für eine weitere Handlungsmotivation. Dagegen lässt sich ein stetig durch die SED behaupteter Einfluss von westlicher Seite als Handlungsmotivation nicht nachweisen. Im Folgenden wird zunächst den Hoffnungen, Sorgen und zerstörten Träumen 1968 bei kirchlich gebundenen Personen in der DDR nachgegangen. Danach soll auf die Folgen aufmerksam gemacht werden, die ein bestimmtes Handeln nach sich zog. In einem dritten Punkt wird aufgezeigt, inwiefern theologische Traditionen Meinungen transportieren konnten und sich auf die Haltung gegenüber dem 21. August auswirkten. An einem Beispiel wird verdeutlicht, ob und inwiefern das militärische Eingreifen und die damit einhergehende Zerstörung eines reformkommunistischen Versuchs sich auf theologisches Denken in der DDR auswirkte. In einem letzten Punkt soll die Frage verfolgt werden, ob und inwiefern sich in den Kirchen in der DDR die Prager Reformprozesse auswirkten und weiterwirkten.

10 Vgl. ebd., 158 f. Von ähnlichen Ängsten berichtete die CDU: „In den Kreisen Dippoldiswalde, Pirna, Sebnitz, Bautzen, Löbau und Zittau, die eine gemeinsame Grenze mit der CSSR haben, gab es Besorgnis dahingehend, daß durch die ,Einmischung‘ ein militärischer Konflikt in Europa entstehen könnte.“ Informationsbericht BV Dresden vom 30. 8. 1968, 3 (ACDP 07-0121536).

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1. Hoffnungen, Sorgen und zerstörte Träume In der Rückschau verbinden viele Menschen, die damals in den Ländern östlich des Eisernen Vorhangs lebten, das Jahr 1968 mit dem Prager Frühling und den Hoffnungen, die sie damals verspürten11. Auch in der DDR hofften ˇ SSR ein Vorbild sein und in der DDR mehr Freiheiten Menschen, dass die C und Demokratie einziehen könnten12. Wie weit die politischen Hoffnungen reichten und wie viele sie teilten, lässt sich in der Rückschau nicht quantifizieren. Der Kreisverband der CDU Berlin-Mitte berichtete im Mai, „daß auch der Spuk in den Köpfen zahlreicher Bürger Berlins vorhanden ist.“13 Dies traf zum Beispiel auf Studenten, Wissenschaftler und auf Künstler zu14. Der Bezirksverband der CDU von Berlin schrieb Ende Juli 1968 den Satz: „Ein wenig mehr Demokratie könnte uns auch nicht schaden“, vor allem der Intelligenz und der Jugend zu15. Dagegen berichtete der Kreisverband Klötze aus dem Bezirk Magdeburg, dass vor allem die dortigen parteilosen Bauern hofften, „daß Liberalisierungsmaßnahmen der CSSR sich auch auf die Politik bei uns in der DDR auswirken werden.“16 Erschrocken registrierten Führungskader bei einem Kontrolleinsatz in Cottbus und Dresden, einige CDU-Mitglieder „gingen in ihrem Unverständnis so weit, daß sie sagten: Auch hier in der DDR müßte ein Dubcek her.“17 Selbst innerhalb der SED gab es Mitglieder, die die ˇ SSR für günstiger hielten als die eigene18. Der promiEntwicklung in der C nenteste Befürworter in der DDR war der 1964 aus der SED ausgeschlossene Robert Havemann19. Deutlich wird, dass in allen Teilen der DDR Menschen auf Veränderungen 11 12 13 14 15 16 17

So auch Danyel, Das andere „1968“, 75. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 15. Politische Informationen. KV Berlin-Mitte vom 30. 5. 1968, 1 (ACDP 07-011-270). Vgl. Tantzscher, Maßnahme Donau, 22; vgl. auch Mitter / Wolle, Untergang, 436 f. Vgl. BV Groß-Berlin Information vom 29. 7. 1968 (ACDP 07-011-270). Informationsbericht KV Klötze vom 29. 5. 1968, 2 (ACDP 07-011-262). Kurzinformation über einen Kontrolleinsatz in den Bezirksverbänden Cottbus und Dresden, 2 (ACDP 07-011-261). Meist blieben CDU-Mitglieder vorsichtiger, auch wenn in den Kreisverˇ SSR diskutiert wurde. Man ärgerte sich über eingeschränkte Reisebänden überall über die C möglichkeiten, stellte unbequeme Fragen. Noch einen Tag vor dem Militäreinsatz berichtete der Kreisverband Worbis die Ansicht: „Spielt doch die derzeitige Lage in der CSSR nicht zu hoch. Laßt doch die Lage erst klarere Formen annehmen, die wollen doch dort liberalisieren, sie wollen freier leben. Wir sollten uns doch gar nicht einmischen. Es sind doch alles Kommunisten die miteinander und untereinander verhandeln, sie werden schon den richtigen Weg finden. Dieser Weg kann doch nur Sozialismus heißen.“ KV Worbis. Information vom 20. 8. 1968, 1 f. (ACDP 07-011-265). 18 Vgl. Allinson, Politics, 147. Durch innere Parteidisziplin der SED wurden bis Ende 1968 223 Ausschlüsse, 55 Streichungen, 109 strenge Rügen und 135 Rügen ausgesprochen. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 245 f.; vgl. auch Wolle, Aufbruch, 378. 19 Für Havemann war hier erstmals der Versuch gegeben, ernsthaft Sozialismus und Demokratie zusammenzudenken. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 38, 139 – 141.

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hofften und dass sich dies nicht auf eine Bevölkerungsgruppe einengen lässt20. Das MfS fasste noch im März 1968 zusammen, „die negativen und feindlichen Diskussionen nehmen einen geringen Umfang ein und beschränken sich überwiegend auf Meinungen einzelner Personen.“21 Dies änderte sich im ˇ SSR in der Bevölkerung überall Fortgang des Jahres, da die Vorgänge in der C diskutiert wurden22. Gleichzeitig scheint es jedoch nicht der Fall zu sein, dass die Mehrheit der Bevölkerung politisch aktiv einen solchen Kurs unterstützte23. Jedenfalls waren die Sympathien für die Nachbarn nicht stark genug, dass sie zu größeren Protesten geführt hätten24. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass die gewalttätig erzwungene Beendigung des Prager Frühlings auch von Menschen in der DDR als Schlüsselerlebnis wahrgenommen wurde25. Die Wünsche auf Veränderungen in der DDR hatte das MfS bereits im März notiert. Sie betrafen vor allem ein Mindestmaß an Freiheit, weniger ein konkretes politisches Reformprogramm: Freiheit, in den Westen zu fahren, Änderungen in der Verfassung zu erreichen, mehr Freiheit in Bezug auf Kultur, Meinungsäußerung, Informationsaustausch und weniger Zensur26. Die meisten DDR-Bürger genossen jenseits der Politik in erster Linie die Mögˇ SSR zugänglich wurden. In Prag konnten sie lichkeiten, die ihnen in der C westliche Zeitungen erwerben, es gab Schallplatten begehrter westlicher Bands zu kaufen27. Dies wurde als ein Ausdruck von Freiheit empfunden, dabei wurde die persönliche Lebensqualität meist als wichtiger eingestuft als ˇ SSR stieg sprunghaft an29. Dabei hatten die Politik28. Der Reiseverkehr in die C ˇ SSR 20 So kam ein Produktionsleiter eines VEB aus Zittau begeistert von einer Tagung in der C zurück und meinte: „Wenn man Walter Ulbricht ablösen würde, so hätten wir in der DDR auch diese Freiheiten wie in der CSSR.“ Ähnliche Meinungen wurden bei einem Zittauer Arzt und SED-Mitglied, einem Tischler aus Kamenz, einem Malermeister aus Bischheim und einem Arbeiter aus Pirna gefunden. Ein Bauer aus dem Kreis Kamenz wünschte sich die gleiche Redefreiheit. Vgl. Diskussionen zur Entwicklung in der CSSR. 5. 7. 1968, 3 f. (BStU, MfS, BV Dresden, AKG, Nr. 7549). 21 Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 7 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561). 22 Vgl. Schmitt-Teichert, Hoffnung, 70. 23 Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 438. 24 Vgl. ebd., 370. Ähnlich auch Prieß, Kural und Wilke, die es mit Mauerbau, ansteigendem Lebenstandard in den 1960ern in der DDR und dem Wissen um die stationierten sowjetischen Panzer, die die SED-Herrschaft verteidigen würden, erklären. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 142. 25 Dies meinen übereinstimmend auch Danyel, Das andere „1968“, 75; Pauer, Was bleibt, 75; und Mitter / Wolle, Untergang, 370. 26 Vgl. Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 7 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561); vgl. z. B. auch Schmitt-Teichert, Hoffnung, 70. 27 Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 299; ähnlich auch Wolle, Traum, 147 f. 28 Vgl. Stçver, Leben, 46. Er beschreibt sowohl für NS-Staat, als auch für DDR, dass innerhalb der

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die Tschechoslowaken weitgehende Reisefreiheit und wurden von DDR-Bürgern darum beneidet, dass sie im Gegensatz zu ihnen selbst ins westliche Ausland fahren konnten30. Die SED-Führung sah diese Entwicklungen mit großer Sorge. Sie bemühte sich nach Möglichkeit, Quellen einzudämmen, die Informationen über die ˇ SSR in der DDR verbreiteten. Die von der SED kontrollierte Presse schwieg C sich entweder aus oder polemisierte gegen die Reformkommunisten. SEDFunktionäre waren der Meinung, selbst den besseren Sozialismus zu verkörpern. An einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Prager Reformern oder deren Ideen zeigten sie keinerlei Interesse31. Dass Ideen und Zielvorgaben aus ˇ SSR ihre eigene Bevölkerung elektrisierten und in der DDR Hoffnungen der C auf mehr Demokratie und Freiheitsrechte weckten, schürte Ängste der SED, ˇ auftreten und die ließ sie politisch scharf gegen die Repräsentanten der KSC 32 eigene Bevölkerung engmaschig überwachen . Gleichzeitig versuchte die SED, eine offene Diskussion über die Ereignisse im Nachbarland zu unterbinden und ihre eigenen Kader sowie die Bevölkerung in ihrem Sinne zu indoktrinieren33. Sie behinderte den Vertrieb tschechoslowakischer Zeitungen in der DDR und verbot die Auslieferung der Prager Volkszeitung Mitte Mai komplett34. Durch strenge Kontrollen an der Grenze und Überwachung verdächtiger Personen versuchte die SED, der diffusen Informationswege Herr zu werden35. Doch kam sie mit ihren Pressekampagnen, den verstärkten Grenzˇ SSR nicht kontrollen und der Einstellung der Werbung für Reisen in die C gegen die eigene Bevölkerung an. Diese wollte jenseits verordneter Politik an dem Gefühl teilhaben, selbst bestimmen zu können, was gefällt und was nicht.

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Arbeiterschaft wirtschaftliche Interessen vor politischen Interessen standen und weitet das auf die Gesamtbevölkerung aus. Im Vergleich zum Vorjahr stieg er um mehr als ein Drittel. Vgl. Wenzke, Sachsen, 113. Karner / Bischof / Wilke / Ruggenthaler, „Prager Frühling“ und seine Niederwerfung, 23. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 151. Vgl. ebd., 106. Vgl. ebd., 105. Vgl. ebd., 105, 138. Es war nicht das erste Mal. 1966 wurde das tschechoslowakische Kulturblatt „Universum“ in der DDR nicht mehr zugestellt. Die Volkszeitung wurde kritisiert. Vgl. Schwarz, Brüderlich entzweit, 259 f. „Es ist notwendig[,] den ideologischen Einfluß, wie er aus der gegenwärtigen Entwicklung in der CSSR resultiert, nicht in unser Gebiet eindringen zu lassen bzw. wenn er eingedrungen ist, streng unter Kontrolle zu halten.“ An das Ministerium für Staatsicherheit. 1. Stellvertreter des Ministers, ohne Titel, 4. 6. 1968, 2 (BStU, MfS, BV Dresden, AKG, Nr. 7549). Welche Mittel dafür angewandt wurden, z. B. „Ständige gemeinsame Kontrolle der Reisetätigkeit westdeutscher und ausländischer verdächtiger Personen in die DDR und die sozialistischen Länder, die im Sinne der feindlichen Kontaktpolitik, der Verbreitung gegnerischer Aktionen und der Informationsabschöpfung, sowie der Kuriertätigkeit ausgenutzt werden.“ Material über die im Jahre 1968 sichtbar gewordenen Schwerpunkte auf Linie XX/4 und die sich in Auswertung der Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder sowie den Beschlüssen der Partei ergebenden Aufgaben vom 9. 12. 1968, 9 – 11 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3238).

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Die Menschen bezogen ihre Informationen über die westlichen Medien wie Deutschlandfunk, RIAS, Fernsehen36. Weitere wichtige Medien waren die Prager Volkszeitung, die auf Deutsch erschien, die deutschen Sendungen von Radio Prag oder die auf Deutsch erscheinende Kulturzeitung „Im Herzen Europas“ sowie persönliche Kontakte37. Dennoch: Wie viele Menschen in der DDR von Hoffnungen ergriffen waren, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die christliche Bevölkerung ˇ SSR nicht von in der DDR in ihrer Aufmerksamkeit für die Vorgänge in der C der sonstigen Bevölkerung unterschied. Gleichzeitig kann auch für diesen Bevölkerungskreis nicht mehr festgestellt werden, wie viele mit Hoffnungen nach Prag schauten38. Im Folgenden soll daher eher ein Stimmungsbild eingefangen werden. Dazu wurde neben schriftlichen Quellen auch auf Antworten von Zeitzeugen im Rahmen einer Fragebogenauswertung zurückgegriffen39. Die Stimmung in den Gemeindekreisen beschrieb ein Zeitzeuge als „Frühlingswehen.“40 Auch die Hinzuziehung von Zeitzeugen kann nicht klären, wie viele kirchlich geprägte Menschen Hoffnungen auf Prag setzten, doch können sie zeigen, warum kirchlich geprägte Menschen ihre Hoffnungen mit Prag verbanden und um welche Art von Hoffnungen es sich handelte. Zeitzeugen können aufzeigen, welche Aspekte des Jahres 1968 als wichtig wahr36 Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 431. Ulbricht war sich des Hangs seiner Bevölkerung zu ˇ SSR immer wieder vor, Informationen in die Westmedien bewusst und warf den Medien der C Westpresse zu lancieren, was einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR gleichkäme. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 124. Auch Pauer kommt zu dem Schluss, dass aufgrund der westlichen Medien Prager Ideen in der DDR bekannt wurden und desto stärker von der SED versucht wurde, Vorstellungen der Übertragbarkeit auf die DDR zu unterdrücken. Vgl. Pauer, Prag 1968, 86. 37 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 82; vgl. auch: „Für uns ist es sehr interessant, daß sich die deutschsprachigen Sendungen des Prager Rundfunks neuerdings größter Beliebtheit erfreuen. Starkes Interesse für Außenpolitik (CSSR) ist zu verzeichnen.“ KV Dessau Berichterstattung 16. 7. 1968, 7 (ACDP 07-011-263). Auch dem MfS war der Hang der ˇ SSR sowie persönlichen Kontakten wohl beBevölkerung zu Westmedien, Medien aus der C wusst. Vgl. Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 3, 9, 15 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561); und ohne Name, 15. 8. 1968, 4 f. (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). 38 Die kirchliche Seite war in der Regel zu vorsichtig, potentiell sie verdächtig machende schriftliche Quellen zu hinterlassen. Staatliche und staatssicherheitliche Quellen unterscheiden oft nicht zwischen christlich oder nichtchristlich und die Mengenangaben sind mit großer Vorsicht zu bewerten. Ähnliches gilt für die Quellen der CDU. Bei dieser finden sich im Nachgang der Ereignisse Spuren, dass so genannte ,parteilose Christen‘, von denen noch einmal die Pfarrer unterschieden wurden, ebenfalls das militärische Vorgehen 1968 mit der faschistischen Okkupation von 1938/1939 verglichen. Vgl. z B. Informationsbericht BV Dresden vom 30. 8. 1968, 4 (ACDP 07-012-1536); oder: „Kirchlich eng gebundene Bürger bzw. Mitglieder mit stark ausgeprägter pazifistischer Einstellung lehnen die Maßnahmen in der CSSR mitunter völlig ab.“ 2. Bericht zur Mitteilung von TASS und der Erklärung des Zentralkomitees der SED, des Staatsrates und des Ministerrates der DDR vom 22. 8. 1968, 3 (ACDP 07-012-1536). 39 Zur Methodik vgl. die Ausführungen in der Einleitung. 40 Fragebogen 7. Im Besitz der Verfasserin.

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genommen wurden, und sie können etwas über die Informationswege aussagen. Außerdem können sie Auskuft geben, inwiefern sich Prag als Schlüsselerlebnis graduell in andere Schlüsseldaten ihrer Biografie bzw. der gesellschaftlichen Entwicklung einordnet. Aus der Rückschau zeigte sich bei den Befragten folgendes Bild in Bezug auf die Aspekte von 1968, die in der DDR wahrgenommen wurden:

ˇ SSR mit großem Abstand genannt wurde, kann auch daran liegen, Dass die C dass den Befragten bewusst war, dass es in dem Fragebogen um die Reformprozesse von 1968 ging. Selbst wenn man dies berücksichtigt, fällt auf, dass der mit Abstand am zweithäufigsten genannte Aspekt, nämlich, dass die Trupˇ SSR in penpräsenz in der DDR 1968 so groß war, ebenfalls direkt mit der C Verbindung steht. Die die Kirchen am meisten bedrängenden Ereignisse in der DDR – neue Verfassung, Sprengung der Leipziger Universitätskirche, Beginn der organisatorischen Trennung von der EKD – werden zwar ebenfalls genannt, doch mit deutlichem Abstand. Ebenso fällt auf, dass die Studentenbewegung in der BRD nicht nur weniger benannt wurde, sondern dass diejenigen, die sie benannten, teilweise noch extra dazu schrieben, dass sie davon entweder „wenig“ erfuhren oder sie sogar mit „wenig Sympathie“ verfolgten. Als konkretes Ereignis aus der 1968er Bewegung in Westdeutschland wurde nur das Attentat auf Rudi Dutschke mehrfach genannt, ein einzelner Zeitzeuge erwähnte Benno Ohnesorg. Manch kirchlich gebundener Mensch in der DDR stand den Studentenprotesten skeptisch gegenüber, unter anderem, weil diese

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seiner Meinung nach zu unreflektiert zu wissen meinten, was Sozialismus sei41. Eine Ausnahme bildete Berlin, wo es möglich war, das Geschehen näher zu verfolgen42. Was heutzutage allgemein mit 1968 in Deutschland verbunden wird, spielte bei kirchlich gebundenen Menschen in der DDR in der Rückschau eine untergeordnete Rolle. Dies korrespondiert mit den schriftlichen kirchlichen Quellen43. Das bedeutet nicht, dass sich zwischen dem Prager Frühling und der weltweiten Studentenbewegung nicht ein Zusammenhang erkennen ließe, sondern nur, dass für kirchlich gebundene Menschen die allgemein zunehmende Freiheit und die zunehmende Freiheit der Kirchen in ˇ SSR viel beachtenswerter war, weil sie genuin etwas mit der eigenen der C Perspektive in einem ebenfalls realsozialistischen Land zu tun hatte. ˇ SSR konnten direkt in der C ˇ SSR erlebt oder in Die Veränderungen in der C persönlichen Berichten nachvollzogen werden, die Veränderungen westlich des Eisernen Vorhangs nur über Berichte und Medien. Geistliche und Laien ˇ SSR spürten Veränderungen in ihrem kirchlichen Alltag und aus der C transportierten diese positiven Erfahrungen über Begegnungen mit Geistlichen und Laien in die DDR. Etwa dreiviertel der Zeitzeugen gaben an, Konˇ SSR gehabt zu haben44. Die Zeitzeugen gaben unisono an, takte in die C Westmedien genutzt zu haben, selbst einer der ,fortschrittlichen‘ Pfarrer, der ˇ SSR bis heute als ,Konterrevolution‘ bezeichnet, den Frühling 1968 in der C verließ sich nicht nur auf die DDR-Berichterstattung45. Eine zusätzliche, den Kirchenleitungen zugängliche Information waren die Ökumenischen Nachrichten aus der Tschechoslowakei, die 1968 im 15. Jahrgang erschienen. Sie wurden von der Auslands- und Informationsabteilung des Ökumenischen Rates der Kirchen in unregelmäßigen Abständen auf Deutsch und Englisch herausgegeben46. 1968 war Hrom dka als Vorsitzender dieser Abteilung dafür verantwortlich. Ab April 1968 informierte sie in allen ihren Ausgaben über die aktuelle Stimmungslage in den Kirchen. Sie veröffentlichte die Forderungen der Kirchen ebenso wie ab Ende August die Solidaritätserklärungen der Kirchen für die eigene Regierung und gab Auskunft über theologische Bewältigungsversuche der jeweils aktuellen Situation. In der Dezemberausgabe bedankte sich die Redaktion explizit bei ihren Lesern: „Zum Schluß des Jahres, das durch so viele bedeutende internationale und inländische Ereignisse gekennzeichnet war, von denen viele unmittelbar unsere Völker und 41 Dies hat Lepp z. B. für die Partnerschaftsarbeit im Bereich der ESG gezeigt. Vgl. Lepp, Tabu?, 775, 777. 42 Vgl. Linke, Theologiestudenten, 233. 43 Dieser Befund zieht sich durch die ostdeutschen Landeskirchlichen Archive. 44 Eigene Berechnungen auf Basis des Fragebogens. 45 Vgl. Fragebogen 30. Im Besitz der Verfasserin. Nur ein Zeitzeuge gab an, dass er keine Westmedien empfangen konnte. Vgl. Fragebogen 7. Im Besitz der Verfasserin. Als Ausgleich bezog er die Zeitschrift ,Im Herzen Europas.‘ 46 Sie finden sich in verschiedenen Landeskirchenarchiven; und auch beim MfS vgl. (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086).

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Kirchen betrafen, möchten wir allen Lesern für das Interesse für unser Bulletin und besonders für die zahlreichen Kundgebungen der christlichen Solidarität mit uns danken.“47

Über diesen Weg wussten die Kirchenleitungen, wo die Nachbarkirchen gerade standen. Auch der Ökumenebeauftragte der evangelischen Bischöfe, ˇ SSR an die KirWalter Pabst, leitete eingehende Informationen aus der C chenleitungen weiter. EKD und EKU bemühten sich, ihre östlichen Gliedkirchen mit Hilfe zusammengestellter Dokumente über die jeweilige Situation in ˇ SSR auf dem Laufenden zu halten48. Wichtiger aber waren die vielseitigen der C Informationswege, die auf persönlichen Kontakten oder auf direkten Erfahrungen im Land beruhten, Reisende, die aus Prag berichteten oder Zeitungen mitschmuggelten. Innerhalb der Kirchen hatten diese längst eigene Informations- und Kuriersysteme entwickelt, über die sie Nachrichten bis in die Gemeinden weitergeben konnten. Ein Zeitzeuge erzählte aber auch von der Angst der Gemeindeglieder: „Nur warnten mich Gemeindeglieder im Mai oder Juni 1968, über das im April in der ˇ SSR Erlebte im Ehepaarkreis zu sprechen. Sie weigerten sich, Einladungen dazu C auszutragen, da sie offenbar Informationen hatten, die ich nicht besaß. Ich habe dann in ungezählten Einzelgesprächen erzählt.“49

Dies ist ein typisches Beispiel, wie über die in den 1960er Jahren aufgebauten persönlichen Kontakte Pfarrer in ihren Gemeinden in der DDR von der ˇ SSR berichteten. Andersherum wurden auch kirchlichen Situation in der C befreundete Pfarrer und Theologen aus den Nachbarkirchen eingeladen, die dann in Gemeinden und Kreisen von ihren Erfahrungen berichteten50. Das MfS verfolgte mit Sorge die offiziellen wie privaten Kontakte zwischen den Kirchenvertretern und Gemeindegliedern, bei denen die aktuellen politischen Ereignisse besprochen wurden. Aus den unterschiedlichsten kirchlichen Betätigungsfeldern und Gruppen sammelte es Informationen, von Hauskreisen über ESG, theologische Fakultäten, kirchliche Werke, einzelne Pfarrer – um nur einige zu nennen51. Das Anwachsen der individuellen Kontakte zwischen Pfarrern, aber auch unter Gemeindegliedern, wertete das MfS im Nachhinein

47 Ökumenische Nachrichten aus der Tschechoslowakei, Jg. XV, Nr. 8 (131) 12/1968, 67. 48 Vgl. Kapitel 1.5.2., 88. In den Landeskirchenarchiven findet sich überall eine Dokumentation, in ˇ SSR, dem ÖRK und auch der Brief von Hrom dka an der wichtige Texte von den Kirchen in der C Tscherwonenko zusammengestellt waren. Vgl. Dokumentation 7 Seiten (EZA 102/292). 49 Fragebogen 33. Im Besitz der Verfasserin. 50 Zu den vielfältigen Kontaktaufnahmen in den 1960ern vgl. Kapitel 2.3.1., 117 – 131. 51 Vgl. z. B. Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der CSSR ergeben, 20. 5. 1968 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3233 auch Nr. 3238). Zur ESG in Potsdam vgl. Kapitel 4, Anmerkung 344.

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als Anzeichen für „eine sympathisierende Haltung mit der ,Demokratisierung‘ ˇ SSR.“52 in der C Beunruhigt wurde bereits im März 1968 vom MfS festgestellt, dass in den kirchlichen Leitungsebenen zwar eine abwartende Haltung zu überwiegen schien, jedoch abwartend in zwei Richtungen: zum einen in der Hoffnung, dass sich die Bestrebungen im Nachbarland am Ende doch positiv auf die DDR auswirken könnten und sich auch in der DDR die Beziehungen zwischen Staat und Kirche auflockern könnten, zum anderen in der Furcht, die DDR-Führung könnte als Reaktion im eigenen Land hart durchgreifen, „um alle Nachahmungsbestrebungen ,in den Griff‘ zu bekommen.“53 Das MfS kam zu dem Schluss, „daß sich leitende kirchliche Kreise [Unterstreichung im Original] an den Vorkommnissen in der VR Polen und in der CSSR, insbesondere an der weiteren Entwicklung in der CSSR, außerordentlich interessiert zeigen. Das Augenmerk dieser Kreise richtet sich dabei gegenwärtig darauf, Informationen aus kirchlichen Kreisen der CSSR zu sammeln und – wie geäußert wurde – zu ,sondieren‘, um daraus Schlußfolgerungen zur Lage der Kirche in der CSSR ziehen zu können. Besonders leitende evangelische Kirchenführer sind bestrebt, Verbindungen zu kirchlich gebundenen Kräften, soweit sie sich gegenwärtig in der DDR aufhalten, zu Abschöpfungsgesprächen über die Entwicklung in der CSSR auszunutzen.“54

Die Beobachtung, dass vor allem Geistliche bis hin zu den Kirchenleitungen jede sich bietende Gelegenheit nutzten, sowohl offizielle wie auch persönliche Begegnungen in beiden Ländern, um mehr über die kirchliche Lage im Nachbarland zu erfahren, erhärtete sich für das MfS in den folgenden Monaten. Im Mai berichtete es zudem, dass „einige reaktionäre evangelische Würdenträger in der DDR offen mit den Ereignissen in der CSSR sympathisieren.“55 Wiederum gehe es diesen darum, „daraus Schlußfolgerungen zur 52 Information 921/68 vom 27. 8. 1968, die Haltung in evangelischen Kirchenkreisen der DDR zu den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 4 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1550). 53 Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 12 f. (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561). Die Einteilung in „abwartend“, „resignierend“ und „befürwortend“ änderte sich nicht in einer Einschätzung von Mai 1968. Vgl. Auskunft über das System und die Methoden der Feindtätigkeit zur Durchsetzung der Ziele der sogenannten neuen Ostpolitik, besonders gegenüber der CSSR, über ihre Auswirkungen in der CSSR und über die Versuche zur Ausnutzung der Vorgänge in der CSSR zur Forcierung der politischideologischen Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gegen die DDR, Anfang Mai 1968, 110 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5403). 54 Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 12 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561). 55 Auskunft über das System und die Methoden der Feindtätigkeit zur Durchsetzung der Ziele der sogenannten neuen Ostpolitik, besonders gegenüber der CSSR, über ihre Auswirkungen in der CSSR und über die Versuche zur Ausnutzung der Vorgänge in der CSSR zur Forcierung der

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Lage der Kirche in der DDR ziehen zu können.“56 Anscheinend verstärkten ˇ SSR ihren Prozess aufrechtsich, je länger die Reformkommunisten in der C erhalten konnten, umso mehr die Sympathien für diese Art von Sozialismus. Mit Sorge beobachtete die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen neue Töne in den Kirchen. Diesen wurde am 4. Juli in einer Dienstbesprechung attestiert, dass sie sich „sehr energisch um eine Positionsbestimmung im Sozialismus bemühen“, die zum Ziele habe, gleichberechtigte Partner des Staats zu sein und sich dafür teilweise „mit scheinbar marxistischen Gedanken“ zu „tarnen“57. Landessuperintendent Otto Schröder aus Schwerin wurde als Beispiel für diejenigen aufgeführt, die auf ein Übergreifen ˇ SSR auf die DDR hofften. Als Gegenmittel sollte „aufder Reformen in der C merksam beobachtet werden, damit wir diesen Spekulationen und Illusionen auf die wirksamste Weise entgegentreten und sie zerstören können.“ Doch war man der Meinung, „daß in der DDR weder der Boden noch die Bedingungen einer Entwicklung wie in der CSSR gegeben sind.“58 Vom gleichen Tag stammt die Präambel zum Arbeitsplan für das II. Halbjahr 1968 in der Dienststelle. Darin wurden die erwähnte Positionsbestimmung und die scheinbar marˇ SSR hin präzisiert und wie so oft als Abhänxistischen Gedanken auf die C gigkeit von Westdeutschland beschrieben: „Es gibt noch viele Geistliche, die Anhänger oder Verfechter der Theorie des sogenannten dritten Weges sind, die – besonders bestärkt durch die Ereignisse in der CSSR – von einem angeblich ,vermenschlichten Sozialismus‘ träumen und die von Bonn lautstark propagierte ,Liberalisierung‘ des Sozialismus für einen guten Weg halten.“59

Ende Juli wurde dies nach der Weltkirchenkonferenz in Uppsala noch weiter präzisiert. Den Kirchen wurde nun die „Störung der sozialistischen Bewußtseinsentwicklung“ vorgeworfen60. Als Beispiel dafür galt der Prager Theologe Jan Milicˇ Lochman, der in Uppsala für „die Humanisierung als gemeinsames Ziel von Christen und Marxisten“ geworben hatte, was Basis für eine „offene, demokratische, sozialistische Gesellschaft in Freiheit“ sein könne61. Solche Töne galten der Dienststelle des Staatssekretariats als klare Kompetenzüberschreitung. Sie standen im Widerspruch zur Verfassung, laut derer sich die Kirchen „auf die Seelsorge und die ihr zukommende gemeinnützige Tätigkeit

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politisch-ideologischen Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gegen die DDR, Anfang Mai 1968, 111 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5403). Ebd. Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 4. 7. 1968 vom 5. 7. 1968, 6 (BArch DO 4/400). Ebd., 4 f. Information 7/68 Präambel zum Arbeitsplan II. Halbjahr 1968 der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen vom 4. 7. 1968, 2 (Hartweg, SED und Kirche, 49 – 54, 50). Ohne Titel, 30. 7. 1968, 1 (BArch DO/4 355). Ebd.

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zu beschränken“ hatten62. Eine sozialistische Gesellschaft in Freiheit war nicht erwünscht, noch weniger, dass Kirchen eine gesellschaftspolitische Stimme erheben dürften. Auf einer Dienstbesprechung in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen vom 16. August 1968 hieß es dann, aus den Bezirken werde berichtet, dass sich „etliche Geistliche mit den sogenannten Reformern in der CSSR völlig solidarisieren.“63 ˇ SSR auseinanderzusetzen und Die Gründe, sich mit den Ereignissen in der C Hoffnungen zu hegen, waren so unterschiedlich wie die Menschen. Einige hofften auf ideologische Veränderungen hin zu einem anderen Sozialismus, andere ganz pragmatisch auf weniger Druck von Seiten des Staates. Denn auch wer dem Sozialismus grundsätzlich ablehnend gegenüberstand, konnte sehen, ˇ SSR verbesserte. Man hoffte, dass dass sich die Situation der Kirchen in der C ein demokratischer Sozialismus auch in der DDR neue Existenzmöglichkeiten für die Kirchen und Freiheiten bieten und wenigstens ein bisschen auf die DDR abfärben könnte64. In der Gemeindearbeit wurde einfach darauf gehofft, dass sich der eigene Spielraum etwas vergrößern möge, dass die alltägliche kirchliche Arbeit nicht mehr behindert würde, dass die kleinen, aber zermürbenden Schikanen und Sticheleien von staatlicher Seite unterbleiben würden, dass Kinder wieder religiös sozialisiert werden könnten, ohne dass deren Eltern Angst um die Zukunft ihrer Kinder haben müssten. Gleichzeitig waren solche Erleichterungen in der DDR nicht zu spüren65. Ein seltenes Beispiel einer innerkirchlichen Aussage über den eigenen Blickwinkel auf die ˇ SSR bilden die Berichte von Walter Pabst. Anlässlich Veränderungen in der C der III. ACFV weilte dieser Anfang April in Prag und besuchte im Anschluss noch Gemeinden der EKBB66. Pabst berichtete: „Die maßgebenden Persönlichkeiten der CSSR-Kirchen sehen der Auswirkung der politischen Veränderungen auf die kirchlichen Verhältnisse mit Zuversicht entgegen. Zahlreiche bisherige Behinderungen des kirchlichen Lebens (Anmeldung kirchlicher Veranstaltungen, Schwierigkeiten bei der Vertretung des Ortspfarrers durch Nachbaramtsbrüder u. ä.) sind bereits gefallen. – Bemerkenswert war, daß bei der Wahl von Staatspräsident Svoboda die leitenden Geistlichen als Ehrengäste eingeladen waren.“67 62 Ebd. 63 Protokoll der Dienstbesprechung beim Stellvertreter des Staatssekretärs am 16. 8. 1968, 2 (BArch DO 4/400). In einer allgemeinen Information hieß es in der Rückschau, dass „nicht wenige Amtsträger der Kirche“ sich hatten „z. B. von der Theorie einer ,Vermenschlichung des Sozialismus‘ beeindrucken lassen.“ Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 69). 64 Vgl. Lepp, Tabu?, 595; und dies., Die Kirchen und ‘68, 64. 65 Ein Zeitzeuge erinnerte eher das Gegenteil: „Hatte stets große Schwierigkeiten mit Druckgenehmigungen usw. 1968 wuchs die Kirchenfeindschaft der Genossen ins Unerträgliche.“ Fragebogen 9. Im Besitz der Verfasserin. 66 Zur ACFV vgl. Kapitel 3.2., 159 – 163 der Arbeit. 67 Aktenvermerk von Pabst über die Teilnahme an der III. Allchristlichen Friedenskonferenz, ohne

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Auf der Durchreise nach Genf Ende Mai 1968 machte Pabst noch einmal einen Zwischenstopp in Prag und besuchte den Synodalrat der EKBB, um neueste Informationen aus erster Hand zu erhalten. So erfuhr er von den Wünschen der EKBB, die diese an die Regierung gerichtet hatte, dass der slowakische Bischof Chabada politisch angeschlagen war und Hrom dka einen schweren Stand hatte. Nach seiner Rückkehr berichtete er: „Heute schon ist die Kirche in allen ihren Arbeitszweigen so gut wie völlig frei; lediglich bei Pfarrstellenbesetzungen muß noch die Zustimmung der Regierung eingeholt werden, da die Pfarrer ihre Besoldung vom Staat empfangen.“68 Mit Interesse gab er die Beobachtung weiter, dass in den Schaufenstern inzwischen Bilder von Masaryk zu sehen seien. Die Art der Wahrnehmung, wie sie bei Walter Papst deutlich wird, ist als typisch zu bezeichnen. Die Prager Reformprozesse wurden weniger in ihrer allgemeinpolitischen Dimension wahrgenommen als vielmehr in ihren Auswirkungen auf die kirchlichen Freiräume. Prag wurde zu einer Chiffre für Hoffnung auf Demokratisierung, größere Handlungsspielräume, geringere Repressionen durch die eigene Regierung und zukunftsweisende Kirchenpolitik auch in der DDR. Dass kirchliche Vertreter in der ˇ SSR zu einem Staatsakt als Gäste geladen waren, schien schließlich auf eine C neue Wertschätzung der Kirchen hinzuweisen. Dass den Kirchen in der DDR im Frühjahr 1968 gerade durch die neue DDR-Verfassung jegliche Rechtssicherheit genommen und auch die theoretisch zugesicherte Religionsfreiheit des Einzelnen schwerer fassbar geworden war, scheint die auf Prag gesetzten Hoffnungen eher noch forciert als abgeschwächt zu haben. Zwar wurde in den Kirchen nicht übersehen, dass es sich immer noch um ein sozialistisches ˇ SSR gespiegelt, dass es sich in System handelte, aber von den Kirchen in der C einem demokratischen Sozialismus besser lebe als in einer sozialistischen Demokratie mit demokratischem Zentralismus69. Es ging also weniger um die Hoffnung auf einen bestimmten Typ von Sozialismus, auch wenn bei einigen die Hoffnung vorhanden war, endlich eine Art Sozialismus gefunden zu haben, der sich reformieren und zum Besseren entwickeln ließ. Ein Sozialismussystem, das die Kirchen nicht als Feind betrachtete und nicht mit Druck nachzuhelfen suchte, damit sich die Menschen von den Kirchen abwandten, sondern die Kirchen schlicht in Ruhe ließ, fühlte sich fast wie Freiheit an. Damit überschnitten sich die Hoffnungen in der Kirche mit den Hoffnungen, die das MfS bereits im März in der Allgemeinbevölkerung ausgemacht hatte, nur dass sie auf den kirchlichen Raum spezifiziert waren70.

Datum, 13 (EZA 102/211). Pabst berichtete über seine Erlebnisse in den Kirchen in der DDR, z. B. in der KKL. 68 Aktenvermerk über meine Dienstbesprechungen in Genf vom 27.–31. 5. 1968 (EZA 102/292). 69 Pauer erklärt für den allgemeinpolitischen Bereich, wie es möglich war, zu übersehen, „daß auch der ,Prager Frühling‘ das Ergebnis einer kumulativen Entwicklungskrise des bürokratischen Herrschaftssystems sowjetischen Typs war.“ Pauer, Prag 1968, 15. 70 Vgl. Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die

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Der Befund der Quellen, dass in den Kirchen auf ganz verschiedene Dinge gehofft wurde, spiegelt sich auch in den Angaben wider, die Zeitzeugen auf die Frage nannten, welche Aspekte des Prager Frühlings 1968 in der DDR wahrgenommen wurden:

Mit großem Abstand wurde von fast zwei Dritteln der Befragten angegeben, dass sie trotz allem darauf gehofft haben, dass sich Ähnliches in der DDR vollziehen könne, wogegen die Hoffnung, dass sich etwas im ganzen Ostblock verändern könne, aufallend schwächer ausgeprägt war. Über die Hälfte gab an, dass sie den Prager Frühling als Ringen um einen menschlicheren bzw. besseren Sozialismus wahrgenommen hätten. Bei einigen fiel hier das Wort „verbesserlich“, was sicherlich in der Rückschau mit Heino Falckes Rede von einem „verbesserlichen Sozialismus“ von 1972 zusammengedacht wurde. „Wir hofften, die Sozialismus-Vorstellung in der CSSR würde auch auf die DDR übergreifen. In meiner Stasi-Akte steht durchgehend, dass ich Anhänger

Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 7 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561).

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dieser Vorstellung gewesen sei.“71 Erstaunlich ist dabei, dass sich diese Hoffnung quer durch alle Generationen, theologischen Strömungen und Aufgabenfelder zieht. So gab ein Pietist genauso an, gehofft zu haben, dass sich auch in der DDR etwas verändern könne, wie ein junger Pfarrer, der sich zur kirchlichen Bruderschaft Sachsens hielt, und ein Lutheraner gab zwar an, dass er „eigentlich kaum“ gehofft habe, doch hätten ihm die Ereignisse Mut gemacht72. Nur ein Zeitzeuge aus dem Bereich der CFK bezeichnete den Prager Frühling als Gegen- bzw. Konterrevolution73. Sehr häufig erinnerte man sich an Dubcˇek. Ein Zeitzeuge schrieb: „Dubcˇek war unser Idol. Riesige Hoffnung. Ständig deutschsprachige Sendungen aus Prag gehört, in denen offen über alles gesprochen wurde. So was hatte man noch nie gehört. […] Hoffnung, dass Prag gelingt und nach der DDR überschwappt.“74 Ein anderer schrieb: „In meinem Arbeitszimmer hing lange Zeit ein Pressefoto von Alexander Dubcˇek.“75 Was auch DDR-Bürger an Dubcˇek beeindruckte, war, dass er so anders war als der typische Apparatschik. Ein Zeitzeuge erinnerte sich: „Nachts in Prag auf der Straße Dubcˇek und Smrkovski getroffen, ohne Leibwächter zu bemerken.“76 Dabei wird deutlich, dass die Hoffnungen tatsächlich relativ diffus waren. Es ging allgemein um Freiheit, dass Meinung und Presse frei seien, dass es offener und freier in der DDR zugehe, dass man etwas unabhängiger von der UdSSR sei, und um Demokratisierung. „Es lag so etwas wie ein Hoffnungslied in der Luft, es könnte auch in der DDR so was geben wie einen ,Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘. Wie das konkret aussehen sollte, war mir nicht klar. Auf jeden Fall hatte er was mit ,Freiheit‘ und ,Menschenwürde‘ zu tun.“77 Dabei hätten sich allerdings bei etwa einem Viertel schon Sorgen eingeflochten, „ob es gelingen könnte?“78 Auch an die Abschottungsversuche der DDR erinnerte man sich und an die Sorge vor einem Krieg, wobei der direkte Vergleich zu 1953 in der DDR oder 1956 in Ungarn von erstaunlich Wenigen genannt wurde. Auffällig ist, dass nur Wenige Konkreteres benannten. Nur die ,2000 Worte‘ fanden Erwähnung; weitere Reformkommunisten, von Svoboda abgesehen, wurden nicht genannt79. Wenige entsannen sich z. B. der III. ACFV im Frühjahr in Prag. Wichtiger war der christlich-marxistische Dialog mit Milan 71 72 73 74 75 76 77 78 79

Fragebogen 13. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 9. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 30. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 10. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 27. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 14. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 28. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 4. Im Besitz der Verfasserin. Die 2000 Worte gehören zu den wenigen Texten des Prager Frühlings, die nachweislich in der DDR gelesen wurden. Das MfS berichtete, dass in Dresden ein Blockparteimitglied die 2000 Worte lobend hervorhob und dass es von einem Mitarbeiter im Institut von Manfred von Ardenne in Umlauf gebracht wurde. Vgl. Diskussion zur Erklärung der 6 Bruderparteien in Bratislava. 7. 8. 1968, 2 f. (BStU, MfS, BV Dresden, AKG, Nr. 7549).

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Machovec an der Spitze. Zwei Zeitzeugen schließlich nannten Jan Palach. Der Blick nach Prag bedeutete also Hoffnung für die eigene Situation, ohne ihn mit spezifischem Inhalt tschechoslowakischer Debatten füllen zu müssen. Aus dieser Hoffnung erwuchs nach dem 21. August auch ein wichtiger Grund für die Ablehnung der ,Hilfsmaßnahmen‘80. Auf die Frage, was das militärische Eingreifen der Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968 bedeutete, trat ein erklärbarer Unterschied zu den schriftlichen Quellen zutage. Während aus den schriftlichen Quellen verschiedener Provenienz immer wieder hervorgeht, dass die Parallele 1938 – 1968 und die vermeintliche Beteiligung von deutschen Truppen als Kritikpunkt die größte Rolle spielten, stellt sich die Wertung bei den Befragten etwas anders dar:

Die schriftlichen Quellen berücksichtigten in der Regel nicht die Emotionen, sondern nur die politischen Aussagen. Dagegen umschreiben die Befragten 80 „Besonders bei letzteren [Unionsfreunden, Pfarrern, Angehörigen der wissenschaftlichen und medizinischen Intelligenz sowie bei einigen Studenten] erwächst die Ablehnung der Hilfsmaßnahmen für die CSSR häufig aus Spekulationen, daß die Entwicklung in der CSSR in gewisser Hinsicht auch für die DDR ,Modell‘ sein könnte.“ Informationsbericht 20/68 Stand der Meinungsbildung innerhalb der Partei über die Maßnahmen der sozialistischen Bruderländer in der CSSR vom 10. 9. 1968, 4 (ACDP 07-011-632).

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die Bedeutung des militärischen Eingreifens in erster Linie emotional81. Die Gefühle waren Enttäuschung, Trauer und Verzweiflung. Die militärische Beˇ SSR wurde mit Wut, Empörung und Entsetzen wahrgenommen, setzung der C für eine Schande gehalten und als beschämend empfunden. Es entwickelte sich ein Solidaritätsgefühl mit den Tschechoslowaken, welches sich jedoch nicht offen ausdrücken durfte. Das Gefühl der Scham trifft wieder auf den Quellenbefund. Wenn Pfarrer ihre Ablehnung gegen den 21. August begründeten, was sie in der Mehrheit mit dem Hinweis auf die deutsche Beteiligung taten, taucht immer wieder der Satz in den Quellen auf: „ich schäme mich.“82 Noch drastischer umschrieb ca. ein Fünftel der Befragten die Situation als Schock, als Katastrophe und einfach schrecklich. Es sei „ein Karfreitag für den Ostblock“83, ein „Tiefschlag“84, und die „Hoffnung auf Veränderbarkeit des Sozialismus ist Illusion.“85 Mit depressiven oder resignierten Worten umschrieb fast die Hälfte der Befragten ihre Empfindungen und Erinnerungen: „Starke Empörung, Lähmung, Trauer, Resignation, Verdrängung, Erfahrung der Ohnmacht, Verhaftungen von bekannten Kommilitonen, Diskussionen mit ML – Lehrbeauftragten an der Uni Jena, Drohungen“86. Die Reaktion sei eine Art kollektiver Depression und Resignation gewesen. Etwa ein Drittel gab an, dass sie das militärische Eingreifen als Ende der Hoffnungen und Anfang vom Ende empfanden und dass nun keine Änderung mehr möglich sei. Es liegt nahe, dass die Interpretation als „Anfang vom Ende“ eine Art Rückprojektion auf 1968 nach 1989 sein könnte, da in der Rückschau tatsächlich von einem Anfang vom Ende gesprochen werden kann87. Gleichzeitig lag in der Erfahrung, dass einem reformsozialistischen Ansatz, selbst wenn er von einer kommunistischen Partei versucht wurde, keine Hoffnung auf Erfolg beschieden war, tatsächlich eine Zäsur88. Nur zwei Personen, ein damals 18jähriger und ein damals bereits 41jähriger, gaben an, dass eine Hoffnung auf Veränderungen geblieben sei. Eine ähnliche Mischung von Hoffnung und Enttäuschung findet sich in vielen Zeitzeugendarstellungen, die seit 1989 entstanden sind und eigentlich auf die

81 Eine Kodierung der Antworten und Entwicklung von Kategorien erwies sich hier als schwieriger, da die Antworten oft eng beieinanderlagen, ohne dass deutlich wurde, ob tatsächlich das Gleiche gemeint war. 82 Siehe Kapitel 4.3.3.4., 266; 4.7.3.2., 344; und 4.9.3., 418. 83 Fragebogen 7. Im Besitz der Verfasserin. 84 Fragebogen 24. Im Besitz der Verfasserin. 85 Fragebogen 25. Im Besitz der Verfasserin. 86 Fragebogen 5. Im Besitz der Verfasserin. 87 Vgl. Karner / Bischof / Wilke / Ruggenthaler, „Prager Frühling“ und seine Niederwerfung, 42. 88 So Ohse, Keinen Dubcˇek, 178. Mitter und Wolle schrieben bezeichnend: „In Prag starb am 21. August 1968 die Utopie des Sozialismus“ und sprachen zutreffend von einer „inneren Krise“ in der DDR-Gesellschaft 1968. Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 481.

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Voraussetzungen für die Friedliche Revolution zielen89. Einen Versuch, die Enttäuschung und Resignation zu überwinden, wagte Heino Falcke mit seinem Vortrag auf der Bundessynode 1972 in Dresden, auf den noch eingegangen werden wird.

2. Folgen für bestimmtes Handeln In der Logik der Differenzierungspolitik konnte, wer im Sinne der jeweiligen SED-Parteilinie handelte, auf Belohnung und Bevorzugung durch staatliche Stellen hoffen. Sicherheit gab es dafür nicht, da auch die staatliche Gunst willkürlich und kurzlebig war. Gerhard Bassaraks Anliegen, als Professor von Halle nach Berlin zu wechseln, wurde z. B. unter Hinweis auf seine ,positive‘ ˇ SSR-Frage zügig bearbeitet, und er wurde im Februar 1969 Haltung in der C nach Berlin berufen90. Neutralität konnte es im Sinne marxistischer Parteilichkeit nicht geben. Da es westlichen Führungen nütze, „wenn Sozialisten Neutralisten werden – und also ist dieser Neutralismus ein Schritt zur Konterrevolution.“91 Auf der Dienstbesprechung am 20. Januar 1969 erklärte Seigewasser die SED-Vorstellung von Freiheit: „Freiheit für das Volk schaltet Freiheit für die Feinde des Volkes aus.“92 In der Nationalen Front habe jeder Bürger die Möglichkeit, „in voller Freiheit an der Lenkung und Leitung des Staates oder in anderer Form an der Entwicklung der Gesellschaft mitzuwirken.“93 Ein anderer Begriff von Freiheit gehöre in das „Diversionsarsenal der Gegner des Sozialismus.“94 Jede Nichtäußerung konnte in diesem Sinne schon als Konterrevolution und jede eigenständige Rede als feindlich eingestuft werden. Unter kirchlichen Verantwortungsträgern in der DDR fand sich niemand bereit, dem staatlichen Wunsch zu folgen und das völkerrechtswidrige miliˇ SSR öffentlich gutzuheißen. Dies gilt nicht nur für tärische Eingreifen in der C die evangelischen Landeskirchen, sondern auch für die katholische und die Freikirchen. Dies unterscheidet die kirchliche Situation z. B. von der in der 89 Z. B. aus einem Interview mit Ruth Misselwitz: „Ein ganz wichtiges Datum war der Einmarsch der Russen in Prag im Jahre 1968. Wir schauten alle auf Prag und dachten, es bewege sich etwas im sozialistischen Lager, es gebe eine Demokratisierung. Doch als dieser Aufbruch brutal niedergewälzt wurde, entstand eine tiefe Enttäuschung in unserer Generation. Die Hoffnung auf eine Demokratisierung verloren wir nicht gänzlich, das Vertrauen in die Staatsführung war uns aber abhanden gekommen.“ Hofmann, Mutig gegen Marx & Mielke, 14. 90 Vgl. Stengel, Fakultäten, 628. 91 Brief Müller an Heller, 16 (BArch DO 4/423 und 273). Müller bezieht sich hier auf eine Rede Walter Ulbrichts vom 20. 9. 1968 zurück. 92 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 20. 1. 1969 vom 30. 1. 1969, 5 (BArch DO 4/401). 93 Ebd. 94 Ebd.

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Sowjetunion oder Ungarn, wo es entsprechende Zustimmungserklärungen gab, die den evangelischen Landeskirchen als vorbildhaft hingestellt wurden. Gleichzeitig wurden die Landeskirchen, die „wenigstens geschwiegen“ hatten, den anderen Landeskirchen als „klüger“ vorgehalten95. Die mit großem Abstand häufigste Reaktion in der Pfarrerschaft auf das militärische Eingreifen im Nachbarland war ebenfalls eisiges Schweigen96. Doch auch Pfarrern, die in ˇ SSR beteten, die in Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen für die C ihren Predigten deutliche Worte fanden, die in Gesprächen mit staatlichen Stellen oder in Schaukästen mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hielten, die sich nicht an die staatliche Weisung hielten und die Kanzelabkündigung in ˇ SSR oder EingaBerlin-Brandenburg verlasen, die Solidaritätsbriefe in die C ben an staatliche Stellen schrieben oder auch nur aus aktuellem Anlass Einladungen zu den CDU-Bezirksdelegiertenkonferenzen absagten, geschah offiziell nichts. Da die Kirche für ihre Mitarbeiter einen gewissen Schutzraum bot, äußerten viele Prediger und Liturgen ihre Ablehnung zumindest in verklausulierter Form. Eine typische Form der Verklausulierung war, in den Gottesdiensten und anderen kirchlichen Veranstaltungen in einem Atemzug ˇ SSR zu beten. In dieser für Frieden in Vietnam und für Frieden in der C Hinsicht hatten Geistliche einen größeren Freiraum als andere DDR-Bürger97. Dabei waren die kritischen Rückfragen überall die gleichen98. Für ,einfache‘ Christen, die nicht durch eine Anstellung bei der Kirche geschützt waren, konnte bereits eine Nichtunterstützung der SED-Linie ein Risiko bedeuten. Wer sich weigerte, eine Zustimmungserklärung in Schule, Ausbildungsstätte oder Betrieb zu unterschreiben, lief Gefahr, einen EOSPlatz zu verspielen oder relegiert zu werden. Er oder sie musste Befragungen vor wechselnden Funktonären über sich ergehen lassen, musste mit Benachteiligungen im Beruf rechnen. Kritik in einer Einwohnerversammlung 95 Aktenvermerk vom 4. 11. 1968 über ein Gespräch des Staatssekretärs Seigewasser, mit Bischof Schönherr und Generalsuperintendent Jacob in der Dienststelle des Staatssekretärs am 31. 10. 1968, 2 (BArch DO 4/433 und 2950). 96 Zu diesem Ergebnis kommt auch Allinson für Thüringen. Vgl. Allinson, Politics, 154. 97 Eisenfeld betont zu recht, dass das Regime gegenüber allen anderen „rigoros und mit abschreckenden Urteilen vor[ging].“ Eisenfeld, Hoffnung, 800. Bernd Eisenfeld gehörte selbst zu den nichtkirchlichen Personen, die 1968 für Ideen des Prager Frühlings eintraten. Nach dem ˇ SSR, verteilte Einmarsch am 21. August 1968 schrieb er ein Telegramm an die Botschaft der C Flugblätter und wurde daraufhin im September 1968 verhaftet und im Januar 1969 zu einer 2 12 jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Vgl. Fricke / Steinbach / Tuchel, Opposition, 157 – 161. Für die nichtkirchliche DDR-Bevölkerung vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 158. 98 In einer Information des MfS vom 22. 8., in der die Kirchen nicht erwähnt wurden, zeigten sich die gleichen Anfragen, z. B.: Wer namentlich um Hilfe gebeten? / Warum so wenig Nachrichten ˇ SSR? / Was mit Rolle Dubcek? / Warum NVA beteiligt? / Nicht nun Erhöhung der aus der C Kriegsgefahr? / Volk soll selbst entscheiden! / Warum Gewalt? / Rückschlag für Sozialismus. Vgl. Information 361/68 Reaktionen auf die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten, 22. 8. 1968, 3 f. (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 7069).

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konnte für eine Festnahme ausreichen99. Christlicher Pazifismus war nicht gelitten100. Wer seiner Ablehnung der SED-Linie Ausdruck verlieh, wer seine Meinung versuchte anderen Menschen mitzuteilen, sei es durch Demonstration, durch Flugblätter oder teilweise schon allein durch Mundpropaganda lief Gefahr, inhaftiert zu werden. Das Rechtssystem arbeitete für die Interessen der ˇ SSR Verhafteten sollte das SED101. Für die im Zusammenhang mit der C mögliche Strafmaß voll ausgeschöpft werden102. Dies traf 1968 vor allem Jugendliche103. Von den 1189 Fällen strafrechtlich Verfolgter im Oktober waren ca. 75 % unter 30 Jahre104. 313 Personen bis 20 Jahre waren verhaftet worden, von denen die meisten Jugendlichen kurz vor Weihnachten entlassen wurden105. Inwieweit ihre Handlungen auch von christlichen Motiven herrührten, lässt sich nicht mehr ermitteln. Zwar sammelte das MfS akribisch die Vorfälle und wertete sie aus, doch interessierte das MfS mehr, aus welcher Altersgruppe jemand stammte, ob er zuvor schon auffällig gewesen war, ob er Arbeiter war, Künstler oder gar zur Intelligenz gehörte. Ob jemand christlich war oder nicht, interessierte in diesen Listen und Statistiken – jedenfalls in diesem Falle – nicht. Eine christliche Handlungsweise wurde aus Perspektive des Staates nur unter den kirchlichen Hauptamtlichen gesucht. Über Proteste welcher Art auch immer wurde in den DDR-Medien selbstverständlich nicht berichtet. In den Zeitungen standen nur Erfolgsmeldungen. Die meisten Protestierenden wussten nichts voneinander, konnten nichts voneinander wissen, konnten sich nicht absprechen oder gar vernetzen106. Zwar waren die Proteste größer als erwartet, doch gab es zu keinem Zeitpunkt ein Sicherheitsrisiko für die Partei107. An dieser Stelle soll nicht den weithin bekannten Fällen von verhafteten Kindern prominenter Intellektueller und Parteifunktionären nachgegangen 99 Fragebogen 25. Im Besitz der Verfasserin. 100 Dennoch erklärten sogar einige christliche Wehrpflichtige in der NVA, im Ernstfall nicht schießen zu wollen. Vgl. Wenzke, Kein Einsatz, 685; ders., „Prager Frühling“ 1968, 215. 101 Vgl. Kremser, Rechtsstatus, 18. 102 Vgl. 2. Information zur weiteren Bearbeitung von Strafverfahren wegen Straftaten im Zusammenhang mit den Ereignissen in der CSSR vom 4. 9. 1968, vertrauliche Dienstsache 1. (BStU, MfS, Zentralarchiv allg., 629/70 Band 4b.) 103 Unvernetzt, ohne Erfahrung und mit einfachen Mitteln wurden die meisten schnell gefasst. Sie erhielten lange Haftstrafen und verloren ihre berufliche Perspektive. Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 450. Kowalczuk weist zu Recht darauf hin, dass bei der Mehrzahl der Protestierenden, die vor allem Jugendliche waren, nicht die Entwicklung seit dem Januarplenum zur Politisierung führte, sondern erst die militärische Niederschlagung gleichsam als Katalysator wirkte. Vgl. Kowalczuk, Gefahr, 268; ders., Prager Frühling, 289. 104 Vgl. Kowalczuk, Gefahr, 262. 84,2 % waren Arbeiter, 1,7 % Intellekuelle und 8,5 % Schüler/ Studenten. Vgl. ebd. Anfang Oktober hatte das MfS 2129 Protestkundgebungen und davon 1360 zu den „wesentlichen Vorkommnissen gezählt.“ Tantzscher, Maßnahme Donau, 35 f. 105 286 Entlassungen und noch ca. 20 anhängige Prozesse. Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 455. 106 In den 1980er Jahren, wurde vor allem zwischen den kirchennahen Gruppen versucht sich zu vernetzen, was nur bedingt gelang. Vgl. Pollack / Rink, Verweigerung und Opposition, 12. 107 Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 245.

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werden, sondern einigen weit weniger bekannten Verhaftungen im kirchlichen Bereich108. Anders als in früheren Konflikten verhaftete der Staat keine Geistlichen. Das Regime war subtil genug geworden, sich an die Ungeschützteren zu halten, die nicht im Pfarramt waren. Das Regime drohte kirchlichen Amtsträgern mit Verhaftung. Diese Drohgebärden nahmen sich durchaus realistisch aus, da 1968 mehrere Kinder von Pfarrern und einer Pfarrvikarin, Theologiestudenten und Theolgiestudentinnen, ein Assistent einer theologischen Fakultät sowie einige Vikare verhaftet wurden109. In einer Information der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED vom 17. Oktober ist ein kurzer Abschnitt über Verhaftungen enthalten. Nach dem 21. August sei „eine verstärkte gegnerische Tätigkeit durch kirchlich gebundene Jugendliche festzustellen.“110 Als Beispiele wurden zwei Töchter des Jugendpfarrers in Frankfurt / Oder, die Flugblätter hergestellt hatten, der Sohn einer Pfarrvikarin aus dem Kreis Nordhausen, der ,Hetzlosungen‘ geschrieben hatte, und der Sohn des sächsischen Landesbischofs Noth, der gemeinsam mit einem weiteren Theologiestudenten versucht hatte, über die ˇ SSR zu fliehen, genannt111. Gerade letzterer Fall, der primär nichts mit C Protesten gegen den 21. August zu tun hatte, aber von der Information explizit „in diesem Zusammenhang“ gesehen wird, zeigt ein grundsätzliches Problem für die Angehörigen und auch die Kirchenleitungen auf. Die meisten Verhaftungen erfolgten erst nach dem 21. August. Da den Angehörigen nicht mitgeteilt wurde, aus welchem Grund eine Verhaftung erfolgte, konnte teilweise nur gemutmaßt werden, ob jemand wegen Protest gegen die neue Verfassung, die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig, die Niederschlagung des Prager Frühlings oder wegen versuchter Republikflucht bzw. Beihilfe verhaftet worden war. Im Folgenden soll auf zwei Fallbeispiele genauer und anschließend auf das Handeln der Bischöfe eingegangen werden112.

108 Zu den bekanntesten Fällen dürften die Verhaftungen der Tochter des Direktors des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Erika Berthold, des Sohns des stellvertretenden Kulturministers, Thomas Brasch, der beiden Söhne Havemanns und Rosita Hunziger gehören. Vgl. Neubert, Opposition, 165 f.; vgl. auch Mitter / Wolle, Untergang, 453. 109 Vgl. Ruthendorf-Przewoski, Echo von Prag, 88 f. Der damalige Stand von einem Vikar muss nach oben korrigiert werden. 110 Information über die Lage in den Kirchen der DDR nach dem 21. August 1968 vom 17. 10. 1968 (Hartweg, SED und Kirche, 66 – 71, 70). 111 Zur Verhaftung von Noths Sohn siehe Kapitel 4.6.3.2., 318. 112 Während der Entstehungszeit der vorliegenden Arbeit hatte die Verfasserin mit neun Personen direkten Kontakt, die aus unterschiedlichen Gründen 1968 verhaftet wurden. Da einige der Personen gebeten haben, anonym zu bleiben, entschied sich die Verfasserin aus Rücksichtnahme ohne Ausnahme alle zu anonymisieren. Insgesamt konnten 32 Namen von Personen ermittelt werden, die 1968 inhaftiert wurden. Personen, die vorübergehend festgenommen wurden, sind nicht mitgezählt. Für den wissenschaftlichen Aussagewert spielen die Namen keine Rolle.

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2.1. Ein Fallbeispiel aus Leipzig Auch im Bereich der sächsischen Landeskirche wurden Menschen verhaftet, allerdings meist mehr oder weniger im Zusammenhang mit der Sprengung der Universitätskirche Leipzig113. Im Laufe der Proteste gegen die Sprengung wurden immer wieder Personen vorübergehend festgenommen, bis zum 30. Mai insgesamt 107114. Drei Theologiestudenten erhielten Bewährungsstrafen und wurden exmatrikuliert, unter fünf weiteren Personen, die verurteilt wurden, war je ein Student der Fakultät und der Theologischen Hochschule115. Auf letzteren soll an dieser Stelle eingegangen werden. Auch er ist eigentlich in die Situation um die Sprengung der Universitätskirche einzuordnen. Der Staat hatte allerdings Interesse daran, möglichst weitergehende Tatbestände feststellen zu können. Weil der Staat davon ausging, dass die Proteste nicht nur an der Fakultät, sondern auch an der Theologischen Hochschule organisiert würden, musste eine Person gefunden werden, an der man den Beweis dafür erbringen könnte116. Es wurde jemand gefunden, der zwar an keinem der Proteste teilgenommen hatte, dem man aber Sympathien nachweisen zu können meinte. Jener hatte sich beim Jugendkreis der Landeskirchlichen Gemeinschaft im März mit einigen Mitgliedern besprochen und dort die Ansicht geäußert, dass bei der Abstimmung zur neuen Verfassung mit „Nein“ gestimmt werden solle117. Außerdem habe er auf einem der Nachhausewege geäußert, dass er Radio Prag höre, weil die DDR-Presse unˇ SSR berichte. Ebenfalls auf dem Nachvollständig und unwahr über die C hauseweg Mitte Mai habe er dazu aufgefordert, sich an einem Stehstreik bei der Universitätskirche Leipzig zu beteiligen. In diesen drei mündlichen Meinungsäußerungen trafen drei kirchliche Problemkreise von 1968 zusammen: die neue Verfassung, der Prager Frühling und die Sprengung der Universitätskirche. Dass es diesen Studenten traf, scheint eher Zufall gewesen zu sein. Er hatte etwa 4 12 Jahre den Jugendkreis der Landeskirchlichen Gemeinschaft geleitet118. Nach den Abenden waren sie immer zu viert zur Straßenbahn gegangen, darunter ein Mädchen. Dieses war im Mai eher zufällig abends vor der Leipziger Oper verhaftet worden. In den Verhören wurde herausgefunden, 113 Weitere Personen, die im Umfeld der Universitätskirchensprengung verhaftet wurden, hatten z. B. auf Flugblättern dazu aufgefordert, zur neuen Verfassung mit „Nein“ zu stimmen. Vgl. Winter, Gewalt, 183, 217. 114 Vgl. Stengel, Fakultäten, 601. 115 Vgl. ebd. 116 Kurz referiert auch Schmitt-Teichert diesen Fall. Vgl. Schmitt-Teichert, Hoffnung, 73. 117 Vgl. Gedächtnisaufzeichnungen über die Hauptverhandlung vom 26. 9., 1. 10. und 30. 10. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 135 – 142); und vgl. Hintergrundgespräch der Verfasserin mit dem Betroffenen am 28. 10. 2009. 118 Die folgenden persönlichen Angaben sind dem Hintergrundgespräch der Verfasserin mit dem Betroffenen am 28. 10. 2009 entnommen.

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dass sie von einem geplanten Stehstreik Theologiestudierender am Himmelfahrtstag wusste. Außerdem erzählte sie von den Äußerungen des Theologiestudenten. Die Berichte des Mädchens über die Meinungsäußerungen des Studenten reichten für eine Verhaftung am 29. Mai 1968 aus. Seine Kommilitonen vermuteten, dass er verhaftet worden sei, weil er Informationen an westliche Medien weitergegeben habe119. Er selbst erzählte, dass er eigentlich gar keine Zeit gehabt hatte, sich um die politischen Geschehnisse zu kümmern, weil er seit Ende 1967 mitten im I. Theologischen Examen steckte. Noch vor dem Examensbeginn hatte er allerdings Milan Machovec bei seinem Vortrag in der Leipziger Studentengemeinde erlebt. Die Geschehnisse in der ˇ SSR habe er nur am Rande mitbekommen und „im Herzen gewünscht, dass C Veränderungen auch bei uns kommen.“ Unter Veränderungen stellte er sich vor, dass diejenigen, die regiert würden, nicht nur theoretisch mitbeteiligt würden, sondern praktisch mit eigenen, auch kritischen Äußerungen zu Veränderungen beitragen könnten. Von dem Stehstreik habe er am Mensatisch nebenbei erfahren, wo die Empörung über die bevorstehende Sprengung allgemein groß gewesen sei. Er selbst habe gar nicht hingehen wollen, weil er die Zeit für das Examen gebraucht habe. In den Verhören wurde ihm nachzuweisen versucht, dass er auch an Plakat- und Flugblattaktionen beteiligt gewesen sei, was er entkräften konnte, da er zur fraglichen Zeit gar nicht in Leipzig war. Dennoch sei er durch seinen Aufruf zum Stehstreik zum „Rädelsführer“ stilisiert worden. Gefährlicher drohte ihm zu werden, dass er als Jugendleiter an einer Jugendkreispartnerschaft aktiv beteiligt war. Mehrere Jahre hatten jeweils zur Messe Frühjahrsbegegnungen im Gemeinschaftshaus der Leipziger Landeskirchlichen Gemeinschaft stattgefunden. Im Sommer hatte man sich zur Rüstzeit in Ungarn getroffen. Dies konnten sich die Jugendlichen natürlich nicht selbst leisten, und das MfS hatte großes Interesse daran zu erfahren, woher die Mittel gekommen waren. Es handelte sich um Gelder des bundesdeutschen Innenministeriums für deutsch-deutsche Begegnungen. Dies traute sich der Student in den Verhören jedoch nicht zu sagen, weil er Angst hatte, dass es ihm zum Schlechten ausgelegt werden würde. Das MfS versuchte, ihm ob des unbekannten Geldflusses CIA- und BND-Kontakte und Spionage zu unterstellen. Den 21. August erlebte er in Einzelhaft. Da er nur die Flieger über Leipzig hörte und aus der großen Unruhe auf den Gängen schließen konnte, dass in kurzer Abfolge Menschen verhaftet worden waren, glaubte er in jenen Tagen, der III. Weltkrieg sei ausgebrochen. Dennoch ging er nicht auf das Angebot sofortiger Entlassung bei Zusammenarbeit mit dem MfS ein. Nach eigenen Angaben habe er immer geglaubt, das MfS bluffe nur, wenn es ihm drohte, dass es ihn auch verschwinden lassen könne. Nachdem er erfahren hatte, dass die Anklage auf Spionage und 14 Jahre 119 Dies berichtete eine Leipziger Studentin beim zweiten Treffen des Arbeitskreises von Theologiestudenten der Theologischen Ausbildungsstätten in Berlin. Vgl. Linke, Theologiestudenten, 198.

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zielte, sei er über das letztendliche Strafmaß erleichtert gewesen. Die Anklage wegen Spionage war fallen gelassen worden. Mitzenheim versuchte, sich für ihn und noch einen zweiten Theologiestudenten aus der Thüringer Landeskirche bei staatlichen Stellen einzusetzen120. Im September und Oktober 1968 erfolgten die Hauptverhandlungen beim Bezirksgericht Leipzig. Ungewöhnlicherweise fanden diese nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und so hatten während der Verhandlungen 25 bis 30 Studierende des Theologischen Seminars Leipzig im Zuschauerraum Platz genommen und schrieben mit. Ebenso war ein sächsischer Kirchenjurist anwesend121. Ein thüringischer Superintendent überreichte dem Gericht eine Bürgschaftserklärung von Landesbischof Mitzenheim für den Studenten. Dieser wurde wegen staatsgefährdender Propaganda und Hetze nach § 19, Absatz 1, Ziffer 2 des Strafgesetzbuches angeklagt122. In der Anklageschrift hieß es unter anderem, dass seine Handlungen „erheblich gesellschaftsgefährlich“ seien, weil sie andere zu ebensolchem Verhalten anstiften könnten. Dann wurde ohne stichhaltige inhaltliche Begründung auf die Situation in der ˇ SSR übergeleitet. C „Wohin eine solche inkonsequente Haltung führt, zeigen unter anderen [sic!] auch die Bestrebungen der Konterrevolution in der CSSR, die die Unzufriedenheit der Bürger ausnutzt, um gegen die sozialistischen Verhältnisse vorzugehen. Damit solche Erscheinungen bei uns in der DDR ausgeschlossen sind, muß Menschen[,] die so handeln, wie es der Beschuldigte tat, durch die Rechtssprechung das Handwerk gelegt werden.“123

Wohlgemerkt, das „Handwerk“, welches diesem Theologiestudenten gelegt werden sollte, bestand darin, dass er unbedacht offen seine Meinung auf dem Nachhauseweg geäußert hatte und ein Mädchen unter dem Druck des MfS diese Meinung weitergegeben hatte. Im Urteil wurde ihm zur Last gelegt: „daß die Äußerungen des Angeklagten an diesem Tage [22. Mai 1968. Anmerkung der Verfasserin] objektiv geeignet waren, andere Bürger gegen die Arbeiter- und Bauernmacht aufzuwiegeln, ergibt sich insbesondere aus den Äußerungen des Angeklagten über die Notwendigkeit von Aktionen, ähnlich wie in Polen und der CSSR, die auf die Herbeiführung solcher Wirkungen gerichtete Zielsetzung, die sich eindeutig auf die ideologische Aufweichung und Unterwühlung der Arbeiter- und Bauernmacht in der DDR richtete.“124 120 Vgl. Zusatzbericht zu den Gesprächen mit Landesbischof Mitzenheim am 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, und am 24. 8. 1968 um 13:00 Uhr (BArch DO 4/355). 121 Von diesem stammt wahrscheinlich die Niederschrift über die Verhandlung im Landeskirchenarchiv von Sachsen. Vgl. Email an die Verfasserin vom 31. 5. 2009. 122 Vgl. Gedächtnisaufzeichnungen über die Hauptverhandlung vom 26. 9., 1. 10. und 30. 10. 1968 (LKA DD, Best. 2, Nr. 569, Bl. 135 – 142). 123 Anklage (Privatbesitz des damals Beschuldigten). 124 Ebd.

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Die Schwere dieser Vorwürfe könne auch nicht dadurch entkräftet werden, dass es, wie die Anklage selbst zugesteht, dem Theologiestudenten um die ˇ SSR Verhinderung der Sprengung der Universitätskirche und nicht um die C ging. Es wird deutlich, dass an diesem Studenten, der durch keinerlei Protestaktion in Erscheinung getreten war, und erst recht nicht im Zusammenˇ SSR, ein Exempel statuiert werden sollte, um deutlich zu mahang mit der C chen, was mit Personen geschehe, die auf ähnliche Entwicklungen wie die in ˇ SSR hofften. Es ist gleichzeitig ein Beispiel dafür, dass auch relativ under C politische Menschen, die in ihrer Lebenssituation von anderen Dingen, wie einem Examen, absorbiert waren, dennoch über die Ereignisse im Nachbarland bereits vor deren Beendigung sprachen. Er wurde zu einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt. Da er noch nach dem alten Strafgesetzbuch verurteilt worden war, war das Strafmaß geringer als bei anderen Fällen. In seiner Sitzung vom 9./10. Oktober 1968 beschäftigte sich der Landeskirchenrat in Thüringen mit seinem Fall. Es wurde beschlossen, seine Frau finanziell zu unterstützen, indem der Landeskirchenrat das Stipendium an sie auszahlte, solange jener im Gefängnis sei125. Im Frühjahr 1969 wurde er vorzeitig entlassen und der Rest der Strafe in zwei Jahre Bewährung umgewandelt126. Dem waren zwei Gnadengesuche Mitzenheims vorangegangen127. Er selbst ist Mitzenheim heute noch dankbar dafür, dass er sich für ihn einsetzte. Hochachtung blieb ihm für Werner Krusche erhalten, der damals sein Dozent war. Beide gingen davon aus, dass er als Stellvertreter hatte büßen müssen und der Staat lieber Krusche hätte treffen wollen. Im Sommer 1969 konnte er sein begonnenes Examen abschließen. Anschließend wurde er in den Dienst der thüringischen Landeskirche übernommen. Er ist bis heute in der Landeskirchlichen Gemeinschaft aktiv.

2.2. Ein Fallbeispiel aus Berlin-Brandenburg Das zweite Fallbeispiel wurde in der Information der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED vom 17. Oktober erwähnt. Es ist nicht der einzige Fall von Verhaftungen im Bereich der Berlin-Brandenburgischen Landeskirche. Unter anderem wurden auch zwei Vikare dieser Kirche zwei Tage vor Beginn der Herbstsynode verurteilt128. 125 Vgl. Protokoll der 14. Sitzung des Landeskirchenrates, 9./10. 10. 1968, 1 (LKAE, A122). 126 Vgl. Protokoll der 6. Sitzung des Landeskirchenamtes, 15./16. 4. 1969, 4 (LKAE, A122). 127 Das Bemühen um ein Gnadengesuch, hatte Mitzenheim schon in seinem Bericht auf dem Superintendentenkonvent im Herbst 1968 erwähnt. Vgl. Bericht Mitzenheims zum Herbstsuperintendentenkonvent vom 4.–6. 11. 1968, 7 (LKAE, MM 87); vgl. auch Hintergrundgespräch mit dem Betroffenen am 28. 10. 2009. Ein weiterer Thüringer wurde im Oktober zu 27 Monaten verurteilt, auf ein Gnadengesuch Mitzenheims hin Mitte Juli 1969 vorzeitig aus der Haft entlassen und seine Strafe in Bewährung umgewandelt. Vgl. Grosse, Einspruch!, 415. 128 Vgl. Kapitel 4.3.2., 244.

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Mitte September 1968 wurden drei Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren aus Frankfurt / Oder verhaftet. Es waren die zwei Töchter des dortigen Kreisjugendpfarrers und die eine Freundin der beiden129. Die drei hatten ohne Wissen ihrer Eltern auf der alten Schreibmaschine aus dem Pfarrbüro Flugblätter ˇ SSR nur dem geschrieben. In diesen beklagten sie, dass das Eingreifen in der C Sozialismus schaden könne und dass die Tschechen und Slowaken ungute Erinnerungen an 1938 haben könnten. Sie stellten etwa 150 Exemplare her und verschickten sie an Adressen, die sie dem Telefonbuch entnahmen. Nach eigener Aussage bedachten sie nicht, dass zur damaligen Zeit in der Regel vor allem SED-Leute ein Telefon besaßen. Die Flugblätter verteilten sie ganz in der Nähe und nicht im Nachbarort. Dass ihre Aktion die nachfolgenden Konsequenzen haben könnten, überblickten sie in ihrem jugendlichen Alter nicht. Die Ermittlungen der Staatssicherheit dauerten drei Wochen, bis sie zur Verhaftung der drei Jugendlichen führten. Warum ihre Kinder inhaftiert wurden, darüber ließ man die Eltern im Unklaren. Im Grunde erfuhren diese erst nach plötzlicher Beendigung der Untersuchungshaft kurz vor Weihnachten, was genau vorgefallen war. Davor hatte nur die zweitälteste Tochter des Kreisjugendpfarrers diesem während eines Besuches einen Zettel zustecken können. Auf die Frage angesprochen, warum sie diese Flugblätter geschrieben hätten, erzählten Vater und Tochter von den persönlichen Beziehungen nach Mähren, die seit etwa 1963/1964 zu den dortigen Pfarrersleuten Kalus aus Miroslav bei Brno bestanden hatten. Der Kontakt war seiner Erinnerung nach über Jan Milicˇ Lochman vermittelt worden. Einer der Söhne jenes Miroslaver Pfarrers meinte, der Synodalrat der EKBB hätte bei seinem Vater angefragt, ob er Interesse an einem Kontakt zu ostdeutschen Theologen habe130. In den darauf folgenden Jahren kam es nicht nur zu gegenseitigen Besuchen. Die beiden ältesten Töchter beteiligten sich jedes Jahr an einen im Zuge der Jugendarbeit der EKBB organisierten Forsteinsatz in Kunvald. Diese Forsteinsätze waren seitens der EKBB jährlich als ein Ausweichmanöver veranstaltet worden, um Jugendlichen eine Art Rüstzeit zu ermöglichen131. Anfang der 1970er Jahre wurden sie seitens des Staatskirchenamtes verboten. Ein weiterer Kontakt war ebenfalls Anfang der 1960er zu einer Pfarrfamilie in Karl-MarxStadt geknüpft worden, so dass auch einige Jugendliche von dort beteiligt

129 Die persönlichen Angaben sind dem Hintergrundgespräch der Verfasserin mit Vater und zweitälteste Tochter vom 4. 1. 2010 entnommen. Auf diesen Fall geht auch Stadelmann-Wenz kurz ein. Vgl. Stadelmann-Wenz, Widerständiges Verhalten, 96 f. 130 Vgl. Hintergrundgespräch mit Pavel Kalus am 31. 3. 2010. 131 Von 1960 – 1974 fuhr Vladim r Kalus mit Jugendlichen nach Kunvald. Obwohl ihm 1972 die staatliche Lizenz entzogen wurde, konnte er diese Einsätze zunächst weiterführen. Ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre übernahm sein Sohn diese Arbeit. Zu den Forsteinsätzen, vgl. Hlav cˇ / Eli sˇov / Louck , Evangelick brigady, 81.

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waren132. An diesem Fallbeispiel zeigt sich erneut, welche Bedeutung persönliche Kontakte ins Nachbarland hatten. Eine aktenkundliche Unterstützung seitens der Kirche für diesen Fall ließ sich nicht finden133. Doch versuchte sich Günter Jacob Anfang Dezember beim Rat des Bezirkes Cottbus für verhaftete junge Menschen zu verwenden. Seine Haltung war: „Wegen Äußerungen und Handlungen zu den Ereignissen in der CSSR sitzen junge Menschen im Gefängnis bzw. sehen ihrer Verurteilung entgegen (Lübbenau und Frankfurt / Oder). Diese haben nichts anderes als er selbst und viele Pfarrer getan. Anstelle dieser jungen Menschen müßten die Pfarrer auf der Anklagebank sitzen. Er selbst fühlt sich z. Zt. im Gefängnis, weil er in dieser Frage mehr als diese jungen Menschen getan hat. Aber diese sitzen jetzt an ihrer Stelle im Gefängnis. Ursprünglich hatte er die Absicht, beim Staatsanwalt eine Selbstanzeige zu erstatten.“134

Auch verschiedene Relegationen von jungen Menschen sprach Jacob an. Seine Aussagen wurden allerdings sofort zurückgewiesen. Über die Wirkung solcher Gespräche kann nur spekuliert werden. Zumindest sehen sich die Betroffenen bis heute nicht von ihrer Kirche im Stich gelassen. Nachdem die beiden Töchter verhaftet worden waren, fuhr nach eigenen Angaben der Vater nach Berlin ins Konsistorium, um direkt bei Manfred Stolpe vorzusprechen und ihn um Rat zu fragen. Er habe an Stolpe gedacht, weil dieser einige Jahre zuvor das neue Jugendstrafgesetz und dessen Lücken in einer Kreisjugendpfarrerkonferenz erläutert habe. Stolpe habe ihm vor allem mitgeteilt, dass seine Kinder bei weitem kein Einzelfall seien und ihm einen guten Rechtsanwalt empfohlen. Einige Zeit später habe er eine Gelegenheit genutzt, Günter Jacob auf seinen Fall anzusprechen. Dieser habe ihn gefragt, was die Kirche denn tun könne, ob man die beiden vielleicht auf eine Fürbittenliste setzen solle. Daraufhin habe er selbst gemeint, besser nichts zu tun, die Kirchenleiˇ SSR schon Ärger genug. Selbst hatte er tung habe ja wegen des Briefes in die C diesen Brief auch verlesen und bis heute aufgehoben. Die Eltern waren machtlos. Da das Gefängnis in Hörweite der einen Kirche in Frankfurt / Oder lag, ging die Mutter der beiden vom Tag ihrer Verhaftung bis zum Tag der Entlassung jeden Abend 18:00 Uhr die Glocken läuten, um den beiden Mut zuzusprechen. Diese Botschaft wurde von den Töchtern im Gefängnis gehört. Einige Jahre später bekam die Familie keine Zuzugsgenehmigung nach Berlin. Ansonsten kam es zu keinen weiteren zusätzlich einschränkenden Maßnahmen. Die jüngere der beiden Töchter wurde später in der Aktion Sühnezeichen 132 Für diese Informationen sei dem sächsischen OLKR Martin Lerchner, der ein Sohn dieser Familie ist und als Jugendlicher mit in Kunvald war, gedankt. 133 Wolle leitete daraus ab, dass offizielle Kirchenkreise sie nicht unterstützten. Vgl. Wolle, Anpassung und Opposition, 27. 134 Niederschrift über eine Aussprache mit Generalsuperintendent Jacob, Cottbus am 3. 12. 1968 beim RdB Cottbus vom 4. 12. 1968, 4 (BArch DO 4/2950).

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aktiv und engagierte sich in den 1980er Jahren in Dresden in der Friedensbewegung. 2.3. Das Verhalten der Bischöfe Dass an dieser Stelle auf die Bischöfe eingegangen wird und nicht auf Kirchenleitungen oder weitere Kreise, liegt am staatlichen Umgang mit und der staatlichen Vorstellung von Kirche. Da die Kirchenstruktur hierarchisch verstanden wurde, konnten am ehesten die Bischöfe versuchen, die Fälle von Verhaftungen anzusprechen. Aus den beiden Fallbeispielen wird aber deutlich, dass auch andere kirchliche Verantwortungsträger mitzuwirken suchten. Auf den verschiedenen Bischofskonferenzen im Herbst 1968 waren die Verhaftungen Thema. Allerdings gab es unterschiedliche Meinungen, wie man darauf reagieren solle. Mitzenheim setzte auf interne Verhandlung. Als er sich vor Beginn der Konferenz vom 19. September mit Seigewasser traf, versuchte er, auch etwas über die zwei inhaftierten Studenten aus Thüringen zu erfahren135. Von Seiten der EKU war dagegen angeregt worden, einen Brief an den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht zu schreiben. In der Magdeburger Kirchenleitung wurde am 6. und 7. Dezember 1968 über diese Möglichkeit diskutiert. Bischof Krusche wurde mit auf den Weg zur Bischofskonferenz gegeben, dass, „wenn sich nicht alle Bischöfe für einen solchen Schritt entscheiden, […] könne der Bischof auch bei einem von ihm allein verantworteten Schritt des Einverständnisses der Kirchenleitung gewiß sein.“136 Da sich die Bischofskonferenz tatsächlich nicht einigen konnte, den Brief, den der Görlitzer Bischof Fränkel auf Anregung der EKU verfasst hatte, gemeinsam abzusenden, schickte ihn Fränkel in eigener Verantwortung an Ulbricht137. Alle wollten sich jedoch in Gesprächen mit den zuständigen Stellen für die Verhafteten einsetzen. Damit hatte sich Mitzenheims Weg durchgesetzt. Auch Krusche, der gerade erst das Bischofsamt von Jänicke übernommen hatte, entschied sich letztendlich gegen eine Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden und für das Gespräch mit dem Rat des Bezirkes, weil er dachte, eine Eingabe sei missverständlich und missdeutbar138. Er sprach nach Beendigung des offiziellen Gesprächs am 17. Dezember 1968 beim Rat des Bezirkes 135 Mitzenheim erfuhr, dass ein Theologiestudent aus der Haft entlassen worden war. Wegen des zweiten kündigte er an, nochmals mit dem Generalstaatsanwalt sprechen zu wollen. Vgl. Kurzbericht über eine Aussprache mit Mitzenheim am 19. 9. 1968 von 17.00 Uhr bis 18.15 Uhr vom 20. 9. 1968 (BArch DO 4/2975). 136 Sitzung der Kirchenleitung vom 6./7. 12. 1968, 3 (AKPS, B3 Nr. 13). Allerdings wird diese Aussage eingeschränkt: „Jedoch müsse dabei deutlich werden, daß sich die Kirche nicht zum Fürsprecher derer mache, die aus grundsätzlicher Gegnerschaft gegen den Staat oder verwandten Motiven gehandelt haben.“ Ebd. 137 Siehe Kapitel 4.4.1.4., 284 – 286. 138 Vgl. Gespräch beim RdB Magdeburg vom 17. 12. 1968 (AKPS, B3 Nr. 368).

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Magdeburg die Verhaftungen in seinem Bereich an, von denen er wusste139. Hier äußerte er seine Einwände gegen Verhaftungen aufgrund von Äußerungen, die der offiziellen Meinung zum 21. August 1968 widersprachen. Er habe „schwere Bedenken gegenüber der Art und Weise, wie diesem Widerspruch begegnet worden sei.“140 Er fühle „eine gewisse Mitverantwortung, als die Kirchen in ihrer Verkündigung und in sonstigen Verlautbarungen immer wieder darauf hingewiesen haben, daß der Einsatz militärischer Macht kein taugliches Mittel zur Lösung politischer Fragen sei.“ Er rekurrierte in seiner Argumentation weiterhin auf die Gewissensfreiheit, die in der Verfassung garantiert sei. Daraufhin besprach er die ihm bekannt gewordenen einzelnen Fälle von Verurteilungen in der Kirchenprovinz Sachsen. Er bat in Hinsicht auf das Weihnachtsfest um Begnadigungen und sprach von positiver Beeinflussung der Jugend, „wenn sich unser Staat hier als stark und großzügig zeigte, daß er Gnade vor Recht ergehen lassen könnte.“ Das Fazit der Gesprächsnotiz war eher ernüchternd: „Eine direkte Zusage wurde nicht gegeben, aber es ist wohl anzunehmen, daß die Dinge weitergemeldet werden.“ Ob mit solchen Gesprächen etwas erreicht werden konnte, bleibt offen. Die Argumentation ähnelt der Fränkels, die dieser in seinem Entwurf eines Briefes an den Staatsratsvorsitzenden in der Bischofskonferenz vom 10. Dezember eingebracht hatte und später dann auch so absandte141. Der Jugendliche, der Losungen geschrieben hatte und dafür zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden war, wurde am 23. Dezember 1968 entlassen und die Strafe zur Bewährung ausgesetzt142. Kurz davor wurden wieder zwei Theologiestudierende aus der Kirchenprovinz Sachsen verhaftet, die in Jena studierten143. 139 Vgl. Vermerk über das Bischofsgespräch vom 17. 12. 1968 (AKPS, B3 Nr. 368). Anfang November sprach die Kirchenleitung über die beiden ihr bekannten Fälle. Vgl. Protokoll der 22. Sitzung des Rates der Kirchenleitung am 4. 11. 1968, 3 (AKPS, B3 Nr. 133). Im ersteren handelte es sich um den Sohn einer Pfarrvikarin, der Losungen geschrieben hatte. Die Mutter schrieb Anfang Oktober einen Brief an Mitzenheim, in der Hoffnung, er würde sich ihres Sohnes besser annehmen können als die Landeskirchenleitung in Magdeburg, weil er bessere Kontakte zum RdB Erfurt habe und vielleicht den Staatsanwalt kenne. Darüber hinaus war sie der Meinung: „Ich bin sehr erstaunt darüber, daß es in unserem sozialistischem [sic!] Staat keine andere Möglichkeit gibt, sechzehnjährige Jugendliche von der Richtigkeit politischer Maßnahmen zu überzeugen als das Untersuchungsgefängnis.“ (LKAE, A 860, Bd. 19/211). Im zweiten Fall handelte es sich um einen Vikar, der mit anderen einen Brief an den Botschafter ˇ SSR in der DDR geschrieben, ihn jedoch dann nicht abgeschickt, sondern vernichtet der C hatte. Der Vorfall wurde aber bei staatlichen Stellen bekannt und er zu 1 Jahr und 6 Monaten wegen Staatshetze verurteilt. 140 Vgl. Vermerk über das Bischofsgespräch vom 17. 12. 1968 (AKPS, B3 Nr. 368). Hier die folgenden Zitate. 141 Entwürfe dieses Briefs finden sich in den einzelnen Landeskirchenarchiven, so dass davon auszugehen ist, dass Krusche in seiner Argumentation auf Fränkel zurückgreifen konnte. Vgl. (AKPS, B3 Nr. 368). 142 Vgl. Protokoll der ersten Sitzung der Kirchenleitung am 10./11. 1. 1969, 1 (AKPS, B3 Nr. 14). 143 Ebd., 2. Dazu: „Er [Krusche] bittet, daß zunächst die Nachricht darüber nicht verbreitet werden möchte, um den Verhafteten nicht zu schaden.“ Ebd.

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Diese Verhaftungen betrafen einen Kreis von Theologiestudierenden, der im Frühjahr Flugblätter in Jena, Berlin und Greifswald verteilt hatte, in welchem die Studierenden darauf aufmerksam machten, dass es die Möglichkeit gab, zum Verfassungsentscheid mit „Nein“ zu stimmen144. Zudem hatten diese in einem Arbeitskreis von Theologiestudenten der Theologischen Ausbildungsstätten in der DDR offen über die aktuellen politischen Fragen wie die ˇ SSR und den Abriss der Verfassungsdiskussion, die Hochschulreform, die C Universitätskirche in Leipzig diskutiert. Gegenseitig setzten sich die Studierenden von Texten wie dem Brief Kardinal Bengschs zur Verfassungsreform, ˇ in Kenntnis145. Von den ,2000 Worten‘ oder dem Antwortschreiben der KSC Ende 1968 bis Frühjahr 1969 wurden in diesem Zusammenhang nach und nach insgesamt 20 Theologiestudierende verhaftet. 17 Studierende wurden 1969 wieder entlassen, es fanden jedoch Disziplinarverfahren mit folgenden Exmatrikulationen und Verwarnungen statt. Die anderen wurden zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt146. Von Anfang an wurde hier der Weg interner Gespräche beschritten. Diesen Weg forderte das MfS, das die Verhafteten als Druckmittel einsetzte. Am 20. Dezember waren die ersten fünf Studenten auf ihrer Reise in die Weihnachtspause verhaftet worden147. Am gleichen Tag rief das MfS bei OKR Gerhard Lotz an, ob der Landesbischof noch zu sprechen sei. Fünf Minuten später erschienen zwei Herren. Sie setzten Mitzenheim und Lotz namentlich von fünf Verhaftungen aus dem Konvikt in Jena in Kenntnis148. Es sei eine politische Angelegenheit und handele sich um Flugblätter. Die Bitte, ein solches Flugblatt einsehen zu können, wurde verneint. Mitzenheim wusste daher nicht genau, aus welchem inhaltlichen Grund die Verhaftungen vorgenommen worden waren. Er wurde darauf hingewiesen, dass es möglich sei, die U-Haft bis zum Hauptverfahren unter der Bedingung auszusetzen, dass nichts in der Westpresse bekannt werden dürfe. Darüber hinaus sollten die Bischöfe die Angelegenheit vertraulich behandeln, z. B. sollten die Namen der Betroffenen auf keiner Fürbittenliste erscheinen149. Damit waren die Spielregeln gesetzt. Bei Geheimhaltung und quasi ,Konspiration‘ könnte die Kirche etwas für die 144 Ausführlich ist der Fall dargestellt bei Linke, Theologiestudenten, 193 – 279. Auf Jena zugeschnitten ist der Fall ebenfalls dargestellt bei Morgner, Mühlen, 325 – 371; und kurz vgl. Stengel, Fakultäten, 596. 145 Linke, Theologiestudenten, 198, 201. Das MfS versuchte unter vielen anderen Vorwürfen auch ˇ SSR herbeiführen zu erhärten, die Studierenden hätten eine ähnliche Entwicklung wie in der C ˇ SSR wollen. Vgl. ebd., 203, 213. Zwei der Berliner Studenten waren in der Botschaft der C gewesen, um dort ihre Sympathie zu bezeugen. Vgl. ebd., 229. In die Botschaft waren in den Tagen nach dem 21. August mehrere Tausend DDR-Bürger gegangen. Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 462. 146 Vgl. Stengel, Fakultäten, 596. 147 Vgl. Linke, Theologiestudenten, 212. 148 Vgl. Niederschrift vom 23. 12. 1968 von Lotz (LKAE, MM 109). Zum Vorschlag von Seiten des MfS Mitzenheim zu informieren vgl. Linke, Theologiestudenten, 213. 149 Ebd., 2.

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Verhafteten tun, wenn sie jedoch an die Öffentlichkeit ginge, blieben die Betroffenen in Haft und ihnen würde der Prozess gemacht. Mitzenheim erklärte daraufhin, dass er sich mit den jeweiligen Bischöfen in Verbindung setzen und die Angelegenheit besprechen würde. Das tat er umgehend. Die Niederschrift über das Gespräch mit dem MfS wurde den Bischöfen der betroffenen Landeskirchen zur Verfügung gestellt150. Mitzenheim verfasste gleichlautende Briefe an Krummacher und Krusche, da die Verhafteten aus den Landeskirchen von Greifswald und der KPS stammten. In diesen Briefen riet er, sich an die staatlichen Vorgaben zu halten und sich nächstmöglich persönlich zu verständigen, und schlug als Termin das nächste Treffen der Strukturkommission in Berlin Anfang Januar 1969 vor. Dort dankten Krummacher und Krusche in der Mittagspause Mitzenheim für seinen Einsatz und sagten zu, nichts zu unternehmen, weil sie sich davon einen günstigen Verlauf für die Verhafteten erhofften151. Am 10. Januar schrieb Mitzenheim an den Minister für Staatssicherheit Erich Mielke. In diesem Brief teilte er mit, dass er mit den beiden anderen Bischöfen in Verbindung getreten sei und alles daran gesetzt habe, dass die Angelegenheit vertraulich bleibe. Daher nehme er an, dass die Voraussetzungen, die U-Haft auszusetzen, erfüllt seien. Deswegen bitte er nun, die weitere Notwendigkeit der U-Haft zu überprüfen und „ob nicht von einer Maßnahme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen werden könnte, denn offensichtlich hat das Verhalten der Studenten doch keine schädlichen Auswirkungen gehabt.“152 Dieser Brief hatte keine Auswirkungen. Im Februar wurde Mitzenheim vonseiten des MfS mitgeteilt, dies liege daran, dass sich der Fall „ungünstig“ ausgeweitet hätte153. Näheres erfuhr er nicht. Dass sich die Angelegenheit in der Öffentlichkeit nicht herumgesprochen habe, wurde auf das Wirken Mitzenheims zurückgeführt und ihm positiv ausgelegt. Mitzenheim erwähnte, dass sich im Konvikt in Jena Angehörige nach dem Verbleib ihrer Kinder erkundigt hätten, und er sprach die Hoffnung aus, „daß die Klärung der Angelegenheit nicht mehr lange auf sich warten lassen möge.“154 Auch Angehörige aus anderen Landeskirchen hatten sich an Mitzenheim und die anderen Bischöfe gewandt155. Die Ausweitungen des Falls bedeuteten zunächst jedoch, dass weitere Theologiestudierende in Haft kamen und nun 150 Z. B. (LKAG 3/194). 151 Vgl. Linke, Theologiestudenten, 216. Am 14. Januar berichtete Lotz seinem Führungsoffizier über den Stand der Besprechungen. Vgl. ebd. 152 Brief Mitzenheims an Milke vom 10. 1. 1969, 1 f. (LKAE, MM 109). 153 Vgl. Niederschrift vom 12. 2. 1969 (LKAE, MM 109). 154 Ebd. 155 Z.B. „Die amtliche Nachricht von der Staatsanwaltschaft Gera erreichte uns am 27. 12. 68. Am 12. Januar hatten wir ein Gespräch mit unserm Bischof D. Krummacher, der uns über das informierte, was er uns sagen konnte. Wir wären gerne damit einverstanden, daß ein von Ihnen erwählter Rechtsanwalt sich der Sache annähme, wenn es nötig wird. Wir hoffen aber, daß eine Regelung der Angelegenheit auf dem Verwaltungswege, wie sie in Aussicht gestellt wurde, das nicht erforderlich macht.“ Brief von betroffenen Eltern an Mitzenheim (LKAE, MM 109); vgl. auch Linke, Theologiestudenten, 217.

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auch die Landeskirchen Berlin-Brandenburg und Sachsen betroffen waren. Die Bischöfe hielten sich gegenseitig auf dem Laufenden, sobald sie neue Informationen erhielten156. So recht wussten sie nicht, warum die Studierenden verhaftet worden waren. Man wusste von der Flugblattaktion, wenn auch nichts Genaues. Es wurde jedoch vermutet, dass es sich um noch mehr handeln könnte157. Anfang Februar erwähnte eine Studentin, die später selbst verhaftet wurde, in einer Nachricht an Krummacher, dass der Berliner Dekan ˇ SSR Hans-Hinrich Jenssen der Meinung sei, dass die Verhaftungen mit der C zusammenhingen158. Mitzenheim war jedoch dagegen, dass sich das gesamte Bischofskollegium mit der Frage der Verhaftungen befassen sollte, obwohl inzwischen mehr als die Hälfte der Landeskirchen betroffen war159. Dagegen hatte der Arbeitskreis von Theologiestudenten der Theologischen Ausbildungsstätten in der DDR bereits auf seiner dritten Sitzung im Oktober 1968 Fürbitten für die Verhafteten empfohlen. Auf seiner vierten Sitzung Mitte Januar wurde über die Verhaftungen in Jena berichtet. Inzwischen war diesbezüglich von Seiten der Studenten mit Bischof Krummacher Kontakt aufgenommen worden, der jedoch zur Zurückhaltung riet. Heftig diskutierten die Studierenden, ob eine solche „Mauschelei“ zwischen Staat und Kirche richtig und ob dies im Sinne der verhafteten Kommilitonen sei, die dadurch eventuell freikämen. Ein weiteres Treffen fand nicht mehr statt, da inzwischen im Zuge der erwähnten Ausweitungen der Ermittlungen die Initiatoren des Kreises ebenfalls verhaftet worden waren160. Am 24. März kontaktierte das MfS Mitzenheim erneut161. Vier der fünf Theologiestudierenden aus Jena – darunter eine Frau – seien freigelassen worden. Es werde weiter ermittelt und ein Prozess angestrengt. Mitzenheim verständigte daraufhin sofort telefonisch die betroffenen Bischöfe sowie den Studentenpfarrer von Jena. Außerdem teilte er Krummacher und Krusche mit, welche Studenten noch in U-Haft saßen. Am 27. März bedankte sich Krusche und setzte Mitzenheim gleichzeitig von weiteren Verhaftungen in Berlin in Kenntnis. Am zweiten April wurde bei sieben weiteren Theologiestudierenden die U-Haft unterbrochen. Zwei Studenten aus Berlin blieben in Haft. Am selben Tag benachrichtigte Mitzenheim brieflich Schönherr, Noth und 156 So war z. B. eine weitere Studentin aus Greifswald im Februar nach Berlin zum Verhör, jedoch am Abend wieder zurückgebracht worden. Vgl. Aktennotiz von Werner Krusche vom 11. 3. 1969 an Krummacher, Schicketanz und Ammer, 1 (LKAG 3/194). 157 „Herr S[…] deutete an, daß die Verhaftungen noch auf etwas anderes als die Flugblattaktionen in Jena und anderen Städten (auch in Greifswald – wie ich heute erfuhr) zurückzuführen seien. […] Doch handle es sich hier vorerst um Vermutungen.“ Notiz vom 27. 2. 1969 an Krummacher (LKAG 3/194). 158 Vgl. Nachricht an Krummacher, ohne Datum, Krummacher antwortete zeitnah am 5. 2. 1969 (LKAG 3/194). Auch Krummacher wendete sich an den Generalstaatsanwalt. Vgl. Linke, Theologiestudenten, 218 f. 159 Vgl. ebd., 217 f. 160 Vgl. ebd., 201 f. 161 Vgl. Niederschrift vom 24. 3. 1969 durch Mitzenheim (LKAE, MM 109).

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Krummacher. Da an ein Weiterstudieren zunächst nicht zu denken war, schlug Mitzenheim vor, die Studierenden in der Zwischenzeit, bis weitere Entscheidungen gefallen seien, in einem kirchlichen diakonischen Dienst einzusetzen162. Einen Tag später erfolgte die Antwort Schönherrs. Er bedankte sich sehr im Namen der Kirchenleitung für den Einsatz Mitzenheims163. Nachdem auch aus den anderen Landeskirchen die Nachricht eingetroffen war, dass alle Studierenden im diakonischen Dienst unterkommen könnten,164 wurde dies am 25. April telefonisch an das MfS weitergegeben165. Als Krusche bei einem Gespräch beim Rat des Bezirkes Erfurt am 16. Mai 1969 die Verhaftungen von Menschen ansprach, die nur durch Flugblätter darauf aufmerksam hätten machen wollen, dass man bei der Verfassung mit ,Nein‘ stimmen könne, behauptete der Vorsitzende des Rates, er kenne keinen solchen Fall166. Am 25. Juni konnte Mitzenheim die frohe Botschaft an alle beteiligten Bischöfe weitergeben, „daß auch der letzte Theologiestudent aus der U-Haft entlassen sei und daß Verfahren nicht zu erwarten seien.“167 Es waren allerdings noch drei Theologiestudierende in Haft, deren Prozesse und Urteilsbegründungen jedoch weg von der Flugblattaktion in andere Richtungen gelenkt worden waren168. In den darauf folgenden Tagen trafen die Dankesschreiben ein169. Die Bischöfe hatten sich entschieden, sich den Vorgaben des MfS unterzuordnen und die Verhaftungen nicht bekannt zu machen, um den Verhafteten nicht zu schaden. Dieses Vorgehen war und ist umstritten170. Krummacher fühlte sich in diesem Verhalten unverstanden, wie er in einem Brief an Krusche am 14. März 1969 schrieb: 162 Vgl. gleichlautende Briefe an Schönherr, Noth und Mitzenheim vom 27. 3. 1969 und Niederschrift vom 2. 4. 1969 durch Lotz (LKAE, MM 109). 163 „Da ich wohl annehmen kann, daß Sie sich in dieser Sache persönlich eingesetzt haben, möchte ich Ihnen namens unsere Kirchenleitung sehr danken. Die Freude bei den Angehörigen ist natürlich groß. Bei einem Amtsbruder des Sprengels Eberswalde sind es zwei Söhne, die zu Ostern wieder da sind.“ Brief Schönherrs an Mitzenheim vom 3. 4. 1969 (LKAE, MM 109). Außerdem teilte Schönherr Mitzenheim mit, dass sein von der EOS abgelehnter Sohn nun doch zugelassen wurde. 164 Vgl. Brief von OKR Knauf an Mitzenheim vom 16. 4. 1969; Brief von Krummacher an Mitzenheim vom 19. 4. 1969; Briefe Krusches an Mitzenheim vom 2. und 5. 5. 1969 (LKAE, MM 109). 165 Vgl. Aktennotiz vom 24. 4. 1969 (LKAE, MM 109). 166 Vgl. Gesprächsnotiz über einen Besuch beim Vorsitzenden des RdB Erfurt vom 16. 5. 1969, 1 f. (AKPS, B3 Nr. 368). 167 Briefe von Mitzenheim am 25. 6. 1969 an Noth, Krummacher und Krusche (LKAE, MM 109). 168 Für Kommilitonen und Kirchenleute war nicht ersichtlich, warum diese in Haft belassen wurden. So war z. B. ein Student aufgrund von Briefen, die er Jahre zuvor an einen russischen Brieffreund geschrieben hatte, zu 2 12 Jahren verurteilt worden. Vgl. Linke, Theologiestudenten, 239, 236, 244, 272. 169 Vgl. Brief Krummachers vom 27. 6.; und Brief Krusches vom 30. 6. an Mitzenheim (LKAE, MM 109). 170 Kritisch z. B. Morgner, Mühlen, 354. Stellenweise auch die Darstellung bei Linke, Theologiestudenten.

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„Für mich selbst ist es ein wenig bitter, wenn man hören muß, daß Studenten oder Eltern enttäuscht seien, weil wir nicht alles, was wir tun, laut verkünden. Das Entscheidende ist doch, daß wir den Betroffenen helfen, und nicht, daß wir öffentlich Unruhe machen.“171

Die Frage, auf welchem Wege den Verhafteten besser zu helfen gewesen wäre, durch Veröffentlichung oder durch Agieren im Stillen, lässt sich im Nachhinein nicht mehr beantworten172. Schwierig ist am Vorgehen der Bischöfe, dass sie sich den Vorgaben des Staates unterordneten und nicht einmal wagten, die Studierenden auf Fürbittlisten zu setzen.

3. Theologie als Schnittstelle Es soll an dieser Stelle nicht umfassenden systematischen Erörterungen zu theologischen Strömungen der 1960er Jahre Raum gegeben werden, die umfangreiche systematisch-theologische Untersuchungen jenseits kirchengeschichtlicher Methoden erfordern würden. An dieser Stelle soll stattdessen schlaglichtartig nach einem Blick auf das „staatlich-theologische“ Verständnis auf drei Auswirkungen aufmerksam gemacht werden: Zum einen welche theologischen Begründungen für das eigene Handeln gegeben wurden? Zum zweiten inwiefern die eigene Tradition als Transporteur genutzt wurde, um die eigene Meinung am Staat vorbei zu schleusen? Und zum dritten inwiefern es durch die Geschehnisse um den Prager Frühling zu Rückwirkungen in den theologischen Raum kam? Dies soll am Beispiel Heino Falckes untersucht werden. 3.1. Staatliches Einordnen theologischer Konzepte Im Prinzip war der Staat weder fähig noch willens, unterschiedliche theologische Konzepte zum Verhältnis von Staat und Kirche zu erkennen und als solche einzuordnen. Den jeweils eigenen Traditionen der Landeskirchen lief die staatliche Kirchenpolitik schon darin entgegen, dass sie ohne Beachtung von theologischen Traditionen und Landeskirchengrenzen nur in die Kategorien von ,fortschrittlich‘ bis ,reaktionär‘ einteilte, den östlichen Theologen keine von westlicher Politik unabhängigen Gedanken zugestehen wollte und materialistisch dachte, nicht aber in der Lage war, theologische Gründe für Handlungsweisen zu reflektieren. Die staatliche Meinung, was Kirche zu sein habe, war eindeutig. Sie habe „die religiösen Bedürfnisse gläubiger Bürger zu befriedigen“, solange diese noch nicht überwunden seien173. Eine eigenstän171 Brief von Krummacher an Krusche vom 14. 3. 1969, 1 (LKAG 3/194). 172 Vgl. Winter, EKU, 182. 173 Vgl. Information 8/68 vom 17. 7. 1968 zur Stellung der Kirchen in der sozialistischen Gesell-

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dige Kirche passte nicht ins Konzept. „Der sozialistische Staat bedarf weder des Placet noch des ,Wächteramtes‘ der Kirche, um den gesellschaftlichen Aufbau zu organisieren und zu leiten.“174 Ungeachtet der Tradition, der Kirche oder der Situation wurde überall ein solches ,Wächteramt‘ vermutet, ohne dieses in irgendeiner Weise theologisch zu füllen175. Man verstand es schlicht als unerhörten Machtanspruch der Kirche, als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des sozialistischen Staates und seiner Gesellschaft und den Versuch, Kontrolle auszuüben176. Ein eigener Wahrheitsanspruch sollte der Kirche nicht zugestanden werden. So hieß es z. B. in der Präambel zum Jahresplan der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen für 1973: „Der Anspruch der Kirchen, angeblich im Besitz einer ,höheren Wahrheit‘ und einer gesellschaftlichen Konzeption der ,größeren und besseren Freiheit‘ zu sein, ist falsch und eine Anmaßung. Es gibt nur ein Konzept, das allen Kriterien der Wahrheit standhält, und nur einen Weg, der zur Freiheit der Völker wie des einzelnen Menschen führt, das Konzept des einheitlichen, weltweiten antiimperialistischen Friedenskampfes, der seinem Wesen und Charakter nach internationaler Klassenkampf unter der Führung der kommunistischen Arbeiterparteien mit der KPdSU an der Spitze und der sozialistischen Staatengemeinschaft unter Führung der Sowjetunion ist. Gegenüber dieser konkreten und realen Wahrheit gibt es keine angeblich übergeordnete oder auch ,höhere Wahrheit‘.“177

Der Begriff des ,Wächteramts‘ wurde dementsprechend als Schlagwort gegen alles verwendet, was nicht Akklamation war. So wurde Noth 1967 über die sächsische Synode vorgehalten, dass diese sich in Sachen Bildungssystem an den Minister für Volksbildung gewandt und damit eingemischt habe. Das wurde mit der Bemerkung abgelehnt, „die Kirche könne sich im sozialistischen Staat kein Wächter- oder Kontrollamt anmaßen.“178 1968 wurden die Eingaben um Änderung der Verfassung und die Äußerungen gegen den

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schaft und zu einigen wesentlichen kirchlichen Argumenten zur neuen sozialistischen Verfassung, 3 f. (Hartweg, SED und Kirche, 54 – 59, 56). Kirchen, Religionsgemeinschaften und die konfessionell gebundenen Bürger unter den Bedingungen der sozialistischen Ordnung in der DDR. Ein allgemeiner Überblick. Nr. 34, 1968, 8 f. (ACDP 07-010-3252). Z B. „Noch immer gibt es eine große Anzahl von Pfarrern beider Konfessionen im Bezirk, die Aktionen der Kirchenleitungen zur Erhaltung eines ,kirchlichen Wächteramtes‘ unterstützen.“ Bericht: Entwicklung der Kirchen, Religionsgemeinschaften und der konfessionell gebundenen Bürger unter den Bedingungen der sozialistischen Ordnung im Bezirk Erfurt, vom 11. 3. 1969, 4 (BArch DO 4/2976). Vgl. Information vom 22. 4. 1969 des Mitarbeiters des 1. Sekretärs in Dresden, 11 (BArch DO 4/ 2968). Entwurf. Präambel zum Arbeitsplan der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen für das I. Halbjahr 1973, 20. 12. 1972, 9 (BArch DO 4/402). Aktenvermerk über das Gespräch mit Bischof Noth am 30. 3. 1967 vom 3. 4. 1967, 1 (BArch DO 4/2963).

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21. August als Einmischung und als Versuche der Ausübung eines Wächteramts gewertet. „Unter der Losung ,Sozialistisch arbeiten, ja – sozialistisch leben, nein‘ versuchen sie [,] christliche Bürger in Gewissenskonflikte zu bringen. Diese Einmischung geht von der bewußt organisierten Provokation gegenüber den Hilfsmaßnahmen der fünf Bruderländer am 21. August, wie die Beispiele der Pfarrerschaft von Pirna und Sebnitz zeigten, bis zu den organisierten Protesten zu neuen sozialistischen Gesetzen bei der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft und anderer staatlicher Maßnahmen.“179

Dass in der Ephorie Pirna kirchliche Mitarbeitende versucht hatten, staatliche Funktionäre in einem Brief auf die reale Situation und die Probleme aufmerksam zu machen, wurde ebenfalls als ,Wächteramt‘ bezeichnet: „Die Argumentation vom Wächteramt ist in der Ephorie Pirna in der Variante verbreitet, daß gesagt wird, die Amtsträger hätten die Verantwortung dafür, bei Gelegenheit ihrer Gespräche mit den staatlichen Organen jene Nöte der Bevölkerung vorzutragen, die diese aus Angst vor dem Staat nicht laut äußere. Auf diesem Hintergrund müsse man auch die Eingabe gegen den 21. 8. 68 sehen, denn die Bevölkerung dieser Ephorie habe vorher sorgenvoll den Truppenaufmarsch beobachtet.“180

Ernst genommen wurden die Anfragen nicht, sondern als gegen den Staat gerichtet abgewehrt. Den Kirchenleitungen von Berlin-Brandenburg und Görlitz wurde vorgeworfen, dass sie die neue Verfassung ,angreifen‘ würden, weil sie mehr ,Befugnisse‘ haben wollten. In Klammern stand das Wort Wächteramt181. Dabei nahm vor allem Bischof Fränkel aus Görlitz tatsächlich immer wieder unter Rückgriff auf die Barmer Theologische Erklärung die reformiert-barthianische Vorstellung eines Wächteramtes der Kirche auf. Diese lehnt vor allem einen sich selbst überhöhenden und absolut setzenden Staat ab, weil Christus alleinig Erlöser ist, und verwahrt sich ebenso gegen die Aneignung von staatlichen Aufgaben durch die Kirche. Bischof Krusche aus Magdeburg versuchte, den Staat zu beruhigen: „Die Bekennende Kirche hat vom Wächteramt der Kirche gesprochen. Vielleicht ist das ein mißverständlicher Ausdruck, weil er also verstanden werden könnte, als wolle die Kirche die Gouvernante, die Aufpasserin der Gesellschaft sein. Davon kann keine 179 Information vom 22. 4. 1969 des Mitarbeiters des 1. Sekretärs in Dresden, 11 (BArch DO 4/ 2968). 180 Kirchenpolitischer Informationsbericht Juli 1969 vom RdB Dresden vom 5. 8. 1969, 3 (BArch DO 4/2968). 181 Vgl. Analyse der kirchenpolitischen Situation und der Tätigkeit der staatlichen Organe auf dem Gebiet der Kirchenpolitik im Bezirk Cottbus anhand des vorgegebenen Fragespiegels, vom 22. 1. 1969, 2 (BArch DO 4/328).

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Rede sein. Aber von dem Auftrag, das Wort Gottes in die konkrete gesellschaftliche Situation hinein zu sagen, ist sie niemals entbunden.“182

Doch beruhigten solche Aussagen den Staat keineswegs. Auch Krusches Rede einer ,kritischen Solidarität‘ und Falckes Referat auf der Bundessynode 1972 wurden schlicht als neue Spielart eines anmaßenden Wächteramtes subsumiert183.

3.2. Theologische Begründungen für kirchliches Handeln Angesichts der gewaltlos Widerstand leistenden Nachbarn drängte sich die Frage auf, ob die evangelischen Landeskirchen nicht gemeinsam in Erscheinung treten könnten. So trafen sich die leitenden Geistlichen am 24. August in Berlin zur Beratung. Die Brisanz der Lage war allen bewusst. Aus dem Diskussionsprotokoll ergab sich, dass auf der einen Seite die Notwendigkeit gesehen wurde, aus einer christlichen Verantwortung und vom Evangelium her Einspruch zu erheben und die Gemeinden in ihren Fragen nicht allein zu lassen, sondern ihnen eine Handlungsoption zu geben. Gleichzeitig waren sich die leitenden Geistlichen angesichts des gewalttätigen Vorgehens gegen einen friedlichen Versuch, Sozialismus eigenständig zu denken, bedrückend bewusst, dass kritische Stimmen nicht geduldet würden, und ihnen war klar, dass solchen Stimmen staatliche Repressionen drohten. Die Angst um die Sicherheit der Gemeinden und Gemeindeglieder und ein Verantwortungsgefühl für die Aufrechterhaltung christlich-volkskirchlichen Lebens, was, wie die Lehren aus 1953 und 1958 gezeigt hatten, in einer kirchenkampfähnlichen Situation nicht durchzuhalten war, bremste Überlegungen, stärker in Aktion zu treten. Mitzenheims Veto gegen eine wie auch immer geartete gemeinsame Aktion lag in der Sorge begründet, dass es zu einem Totalbruch zwischen Staat und Kirche kommen könne, was zum Nachteil für die Gemeinden geraten könne. Zudem war seiner Meinung nach jede öffentliche Äußerung seitens des Staats interpretierbar, manipulierbar und damit missbrauchbar. Im Endeffekt hielt er das militärische Vorgehen gegen den reformkommunistischen Kurs für einen innerkommunistischen Streit. Seigewasser gegenüber führte Mitzenheim auch Luther an: „Gegen die staatliche Macht hat Luther niemals etwas einzuwenden gehabt.“184 Aus seiner theologischen Interpretation einer ZweiRegimenten-Lehre war es nur ein kleiner Schritt zu sagen, dass innerparteiliche Streitigkeiten die Kirche nichts anzugehen hätten. Fränkel und Jänicke 182 Information über ein Gespräch mit der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen am 5. 2. 1969 in Magdeburg, als Anlage die Ansprache Krusches, 4 (BArch DO 4/435). 183 Vgl. die Ausführungen in diesem Kapitel zu Falcke, 484 – 494. 184 Bericht über ein Gespräch mit Landesbischof Mitzenheim und Staatssekretär Seigewasser und Flint. 1. Teil: Freitag, 23. 8. 1968, 16:00 Uhr, 2. Teil: Sonnabend, 24. 8., 13:00 Uhr, 4 f. (BArch DO 4/439).

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dagegen betonten, dass man aus Gewissensverantwortung nicht schweigen dürfe. Bereits in der Bischofskonferenz wurde so deutlich, dass unterschiedliche theologische Grundhaltungen zu unterschiedlichen Handlungsmaximen führen konnten. Aus einer stärker lutherisch geprägten Tradition einer ZweiReiche- oder Zwei-Regimenten-Lehre, die die Unterscheidung zwischen Weltlichem und Geistlichem stärker betont, wurde tendenziell zurückhaltender agiert als aus der eher reformierten Tradition einer Königsherrschaft Christi, die stärker davon ausgeht, das gesamte Leben eines Christen – einschließlich des politischen Bereichs – unter dem Blickwinkel des Glaubens zu betrachten185. Einigkeit herrschte letztendlich nur darüber, dass aus christlicher Verantwortung heraus und angesichts der Verfehlungen der Kirchen in der jüngeren Geschichte ein gewalttätiges Vorgehen gegen ein schwächeres und gewaltlos Widerstand leistendes Nachbarvolk unter keinen Umständen von kirchlicher Seite begrüßt werden könne. Darin zeigt sich, dass die kirchlichen Verantwortungsträger der 1960er Jahre meist BK-Traditionen entstammten, wenn auch aus unterschiedlichen Flügeln der BK. Darüber hinaus hatten die meisten Geistlichen, die in den 1960er Jahren im aktiven Dienst waren, noch prägende eigene Erinnerungen an den II. Weltkrieg, auch wenn sie zur DC oder zur Mitte gehört hatten oder noch zu jung für die kirchenpolitischen Turbulenzen jener Jahre waren. Zur Orientierung in der DDR waren für Theologen sowie für einfache Christen die Erfahrungen aus der NS-Zeit wichtig, und zwar vor allem die Barmer Theologische Erklärung186. Es finden sich nur wenige explizite, aber sehr viele implizite Hinweise darauf in den schriftlichen Quellen. Explizit verwies im Frühjahr 1968 ein Mitglied der sächsischen Kirchenleitung auf Barmen, wenn von diesem in einem Gespräch mit staatlichen Vertretern, unter anderem Seigewasser, gesagt wurde: „Sie vom Staat stehen vor uns im Vollgefühl Ihres Staatsoptimismus, aber seit Barmen 1934 stellen wir da Fragen: weder Rassenwahn noch Klassenkampf sind theologisch gestaltende Kräfte.“187 Dies ist eine deutliche Absage an die staatliche Ideologie unter Hinweis auf These I der Barmer Theologischen Erklärung, in welcher gesagt wird, dass es keine andere Quelle kirchlicher Verkündigung außer Gottes Wort geben kann. Die immer wiederkehrende Ablehnung eines Absolutheitsanspruchs des Staates weist auf These V der Barmer Theologischen Erklärung, in welcher einerseits verworfen wird, dass der Staat „totale Ordnung menschlichen Lebens“, andererseits ebenfalls, dass die Kirche durch Übernahme staatlicher Aufgaben „Organ des Staates“ sein könne. Die Barmer Theologische Erklärung enthält dabei sowohl Anklänge an eine reformierte Königsherrschaft Christi als auch an eine luthe185 Vgl. Leonhardt, Grundinformation Dogmatik, 381 – 386. 186 Vgl. Mau, Eingebunden, 177 f. Durch Personen aus der BK wurden die Erfahrungen direkt in die neue Situation mitgenommen. Vgl. Krçtke, Barths und Bonhoeffers Bedeutung, 281. 187 Niederschrift über das Gespräch des Staatssekretärs für Kirchenfragen und der Räte der Bezirke Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden mit der Leitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen am 27. 3. 1968 in Dresden, 4 (BArch DO 4/429).

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rische Zwei-Regimenten-Lehre188. Denn der Staat wird grundsätzlich anerkannt. Ihm wird die Aufgabe zugesprochen, „unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen.“ Fränkel versuchte, diesen Weg von Zwei-Regimenten-Lehre und ihrer Fassung in Barmen als hilfreicher Orientierung in der DDR zu gehen189. Er führte dieses Anerkennen bei gleichzeitiger Begrenzung auf der Görlitzer Frühjahrssynode von 1968 so aus: „Wir bekennen uns zu Jesus Christus als dem Herrn, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden. Darum ist Christus auch der Herr über die Inhaber der Staatsgewalt, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie das wissen oder nicht wissen. Das große Ja, das Gott in Christus zur Welt gesprochen hat, schließt ein, daß Gott den Menschen mittels der Ordnung des Staats einen durch Recht und Frieden geschützten Raum geben will, in welchem sie die Möglichkeit haben, ungehindert das Wort von der Versöhnung Gottes zu hören. Daher bekennen wir uns als Kirche dazu, daß die Inhaber der Staatsgewalt nach göttlicher Anordnung für Recht und Frieden zu sorgen haben. […] Die Grenze [des Staates. Anmerkung d. Verfasserin] liegt darin, daß Gott allein in letzter Autorität die Gewissen binden kann.“190

Vor diesem Hintergrund konnte nach Röm 13 der Staat, auch der DDR-Staat, als staatliche Obrigkeit anerkannt werden, ohne ihm eine totale Verfügungsgewalt einzuräumen. Allerdings wurde die DDR nicht mehr in ihrer Grundlegitimation in Frage gestellt, sondern nur in ihren Ausprägungen kritisiert191. Die Frage ist, wie in den 1960er Jahren, angesichts der Mauer, eine grundsätzliche Infragestellung des Staates von der Kirche und ihren Gliedern hätte lebbar sein können. Kirche konstituiert ja nicht den Staat, doch bedeutet Anerkennung nicht, den Staat auf die Rechtmäßigkeit seiner Machtausübung nicht mehr zu befragen192. Krusche versuchte in einem Gespräch beim Rat des Bezirks Erfurt Ende 1970 den Funktionären zu erklären, dass er mit Röm 13 die Regierung als gegebene Obrigkeit anerkenne, die für Ordnung, Gerechtigkeit und Frieden einzutreten habe; gleichzeitig „trete er aber für die Haltung einer kritischen ,Offenheit‘ ein.“193 Hamel ging in seiner Kritik weiter, indem er auf der Görlitzer Synode 1972 erläuterte, dass Paulus in Röm 13 nicht etwa „Untertanengehorsam“ predige, sondern dass die römischen Beamten

188 Vgl. K hn, Rechtfertigung der „Obrigkeit“, 248. 189 Vgl. H ffmeier, Provozierende Freiheit, 92 f. 190 Bericht des Bischofs auf der Tagung der 5. Provinzialsynode am 22. 3. 1968, 9 (AKKVSOL 10/ 2713); vgl. auch K hne, Frei für Gott, 36 f. 191 Dies kritisierte z. B. Richter, Zweideutigkeit, 410. Der Letzte, der das tat, war Otto Dibelius mit seiner Obrigkeitsschrift 1959. Vgl. K hn, Rechtfertigung der „Obrigkeit“, 250 – 254. 192 Vgl. Krçtke, Barths und Bonhoeffers Bedeutung, 291 f. Krötke betont, „daß sie bzw. einzelne kirchenleitende Personen in die Dunkelzonen unbegrenzter Machtausübung hineingezogen werden“ wenn Kirche aufhört, den Staat auf die Begrenztheit seiner Macht zu verweisen. Vgl. Ebd., 295. 193 Vermerk über ein Gespräch beim RdB Erfurt am 9. 12. 1970, 4 (AKPS, B3 Nr. 368).

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als „Dienstmänner des Herrn, die Liturgen Gottes […] im Rahmen ihrer ihnen von Gott gegebenen Befugnisse“ seien. „Den politischen Bereich nicht als den Bereich anzuerkennen, in dem die Frage nach Gehorsam und nach Ungehorsam, nach Gut und Böse auch gestellt wird, im politischen Bereich kein verantwortliches Handeln zu kennen, läßt uns dem Zorn Gottes verfallen. Darüber muß sich die Christenheit heute und nicht bloß gestern klar sein.“194

Es gab auf der anderen Seite weiterhin gerade im lutherischen Bereich Tendenzen, an ein neulutherisches Modell der Zwei-Reiche-Lehre anknüpfend, dem Staat gegenüber weitestgehend loyal zu sein195. Dennoch wäre es falsch, dem Luthertum grundsätzlich zu unterstellen, aufgrund einer Zwei-RegimentenLehre staatsnah zu handeln. Luther trennt in dieser Lehre nicht weltlichen und geistlichen Bereich völlig voneinander – in beiden wirkt Gott –, er unterscheidet sie, um den geistlichen Bereich vor dem Zugriff des weltlichen Bereichs vice versa zu schützen196. Auch wenn Luther kein aktives Widerstandsrecht zugesteht, ist in CA XVI dennoch eine Grenze staatlichen Handelns angesprochen: „Wenn aber der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht befolgt werden kann, soll man Gott mehr gehorchen als den Menschen.“197 Luther bestreitet in seiner Schrift von 1523, die sich mit der Frage der Obrigkeit beschäftigt, deren Recht über den geistlichen Bereich des Einzelnen. Daraus lässt sich ableiten, dass der Staat kein Recht hat, über die Weltanschauung seiner Bürger zu entscheiden198. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aus unterschiedlichen theologischen Konzepten ähnliche Schlüsse gezogen werden können und aus den gleichen Konzepten unterschiedliche Schlüsse199. Es kommt auf die jeweilige Situation, die Tradition und die Prägung der Akteure nicht nur im theologischen Bereich an. Sowohl aus einer eher reformiert orientierten Lehre von der 194 Referat von Dozent Hamel auf der Provinzialsynode der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes am 25. 3. 1972. Zur Frage nach dem Weg der Christenheit in unseren Tagen, wie er erschwert oder erleichtert ist durch die Wege unserer Väter, 14 (BArch DO 4/793). 195 So urteilte z. B. Haspel über die Kundgebung der Bischofskonferenz der VELKD von 1952, dass mit dieser die Bischöfe einer unpolitischen Kirche das Wort redeten, die den jeweiligen status quo zu bestätigen bereit war. Vgl. Haspel, Politischer Protestantismus, 70. Die Kundgebung findet sich in KJ 79 (1952), 27 – 33. Auch Koch-Hallas kritisiert, dass Lutheraner so selbst die Regime von Nationalsozialisten und Kommunisten respektieren konnten. Vgl. Koch-Hallas, Thüringen, 303. 196 Vgl. ebd., 297. 197 Luther benutzt Act 5,29 auch in seiner Schrift: Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei. Vgl. K hn, Rechtfertigung der „Obrigkeit“, 240. 198 Vgl. ebd., 239. 199 So auch Findeis und Pollack, die nach Lektüre verschiedener Schriften von Kirchenführern feststellten: „Von unterschiedlichen theologischen Positionen aus konnte man zu ähnlichen politischen Schlussfolgerungen, etwa einer kritischen Einstellung zur Obrigkeit, gelangen. Ebenso führten ähnliche theologische Argumentationsfiguren, etwa die Zwei-Reiche-Lehre Luthers, nicht selten zu entgegengesetzten politischen Konsequenzen. Zwischen theologischem Ansatz und politischem Standpunk ließ sich kein konsistenter logischer Zusammenhang herstellen.“ Findeis / Pollack, Selbstbewahrung, 10.

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Königsherrschaft Christi, die Gottes Wirken in alle Lebensbereiche hinein postuliert, als auch aus einer Zwei-Regimenten-Lehre, die nicht weltlichen und kirchlichen Bereich absolut voneinander scheidet, lässt sich ein sich selbst transzendierender Absolutheitsanspruchs eines Staates abwehren200. Und umgekehrt gab es sowohl aus dem reformierten als auch aus dem lutherischen Bereich Versuche, die Kirche völlig in den Staat hinein aufzulösen201. Wichtiger als das jeweilige Traditionskonstrukt ist der hermeneutische Zugang, unter welchem man die Tradition deutet. Wenn dieser Zugang, wie bei Hanfried Müller, der Klassenkampf ist, wird, egal nach welcher Theologie, immer Anpassung an den sozialistischen Staat das Ergebnis sein. Um sich ein besseres Bild machen zu können, welche theologischen Themen in den 1960er Jahren für kirchlich gebundene Menschen in der DDR Bedeutung hatten, wurden Zeitzeugen auch dazu befragt. Da Mehrfachnennungen möglich waren, wurden insgesamt über 50 verschiedene Titel bzw. Namen genannt. Berücksichtigt man jedoch nur diejenigen, die mindestens von zwei Personen erwähnt wurden, schränkt sich die Liste auf 15 Themen bzw. Bücher ein: Bei den Antworten fällt sofort eine Merkwürdigkeit ins Auge. Gefragt worden war nach theologischen Themen, Theologen und Büchern. Die meisten Zeitzeugen antworteten jedoch mit Milan Machovec, der ein tschechischer Marxist und gemeinsam mit Hrom dka Vorkämpfer für einen christlich-marxistischen Dialog war. An zweiter Stelle wurde immer noch mit einem Drittel Moltmann genannt, dem 1964 mit seiner Theologie der Hoffnung ein Bestseller in der theologischen Welt gelungen war. Auch er war in den christlichmarxistischen Dialog involviert. Die Bonhoeffer-Rezeption mit einer „Kirche für andere“ begann in den 1960er Jahren ebenfalls Wirkung zu zeitigen, auch wenn sie erst am Anfang stand202. Aus den Angaben der Zeitzeugen wird deutlich, dass sich die theologischen Interpretationen in die allgemeine theologische Strömung der Zeit einordnen lassen. Dazu gehörte ein christlichmarxistischer Dialog, der als echt wahrgenommen wurde, weil mit Machovec und V te˘zslav Gardavsky´, den immer noch mehr Personen nannten als Barth, Marxisten gefunden worden waren, die fähig und willens waren zuzuhören, mit ihrer eigenen Ideologie kreativ umzugehen und die transzendierenden Momente darin zu erkennen. Allein die Titel ihrer Bücher, „Jesus für Atheis-

200 Scheliha zeigt auf, dass sich die Übereinstimmungen auf die Begrenzung der staatlichen Macht, Unterschiede dagegen auf die Konsequenzen für die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft beziehen. Vgl. Scheliha, Protestantische Ethik, 193. 201 Vgl. Sass, Greifswalder Weg, 254. 202 Bonhoeffers Vermächtnis wurde erst nach und nach ab Mitte der 1960er in den Kirchen in der DDR erschlossen. Vgl. Krçtke, Barths und Bonhoeffers Bedeutung, 283. Das lag auch daran, dass bis in die 1970er nur wenig von Bonhoeffer in der DDR veröffentlicht werden konnte. Vgl. Krçtke, Dietrich Bonhoeffer, 96. Widerstand und Ergebung wurde das erste Mal 1957 in der DDR veröffentlicht und seine Reden über eine mündige Welt und vom religionslosen Christentum riefen breites Interesse hervor. Vgl. ebd., 98.

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ten“ und „Gott ist nicht ganz tot“, wiesen auf bewegliche Geister hin203. Sie ließen die Hoffnung aufkeimen, dass Christen und Marxisten einander etwas im Guten zu sagen hätten und der Sozialismus entwicklungsfähig sei. Moltmann griff von christlicher Seite die Hoffnung auf eine veränderbare Welt auf, indem er stärker die Komponente der präsentischen Eschatologie betonte, in der das Reich Gottes zwar noch nicht in dieser Welt vollendet werden könne, doch Hoffnung auf tatkräftiges Beginnen möglich werde. In den 1960er Jahren glaubten viele, dass der Sozialismus auf dem Vormarsch sei und eine Chance hätte, und einige dachten auch, dass er an präsentisch-eschatologische Ideale anschlussfähig sei204. Es muss kaum gesagt werden, dass realsozialistische Funktionäre solche Annäherungsversuche als mindestens revisionistisch, wenn nicht konterrevolutionär verurteilten. Dass man sich an Machovec noch 203 Vgl. Machovec, Jesus; Gardavsky´, Gott. Dieses Buch von Machovec erschien erst 1972. Bereits 1965 erschien sein Buch mit dem nicht ganz so griffigen Titel: Marxismus und dialektische Theologie. Barth, Bonhoeffer und Hrom dka in atheistisch-kommunistischer Sicht. 204 Vgl. K hne, 1968, 50. Anfang der 1990er Jahre diskutierten Theologen auf einer Tagung zu Falckes Referat 1972 die Frage, ob dies revisionistisch gewesen sei. Falcke bejahte dies. In der Diskussion wurde der Zusammenhang mit Prager Reformideen herausgestellt und dass es nicht verwundert, dass Falckes Rede „als die Einforderung der Fortführung des Prager Experiments verstanden werden konnte.“ Es wurde betont, dass der Sozialismusbegriff damals deutungsoffener und akzeptierter war. Vgl. Dohle, Zum Weg der Evangelischen Kirchen, 121 f.

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so lebhaft erinnert, ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass kirchlich gebundene ˇ SSR schauten. In den Menschen aus der DDR mit Hoffnungen auf die C schriftlichen Quellen werden die genannten Personen eher selten angeführt. Die kirchlichen Vertreter haben es tunlichst vermieden, sie den staatlichen gegenüber zu erwähnen, war doch z. B. Moltmann auf legalem Wege in der DDR nicht zu erhalten. In den staatlichen Quellen begegnen sie nur in der Form, dass sie abgelehnt werden. Einen Reflex auf diese Ablehnungen findet sich im Brief von Hanfried Müller an Jan Heller.

3.3. Tradition als Transporteur Viele Geistliche wichen auf den reichen Schatz christlicher Tradition aus, um am Staat vorbei ihre Meinung zu den Geschehnissen den Gemeindegliedern anzuzeigen. Die offensichtlichste und häufigste Schutzfunktion, über die eine eigene politische Meinung transportiert wurde, war das Fürbittgebet im Gottesdienst. Außer Mitzenheim waren sich alle leitenden Geistlichen einig, ˇ SSR notwendig seien. In dass solche Fürbitten unter konkreter Nennung der C vier Landeskirchen wurde von leitender Seite zu solchen Fürbitten aufgerufen. Aber unabhängig davon ist in allen Landeskirchen offen oder verdeckt, oft als zusätzlicher Schutz unter gleichzeitiger Nennung von Vietnam und oder Biafra, für die Menschen im Nachbarland, für deren Freiheit, um Gewaltlosigkeit und oft noch um Vernunft für die Politiker gebetet worden. Beklagten sich Funktionäre daraufhin bei Pfarrern oder leitenden Geistlichen, so wurde dies abgewiesen. In Sachsen erklärten die Superintendenten, „daß sie nur zu den Ereignissen in der CSSR beten wollten; denn das sei eine reine Frage der Glaubens- und Gewissensfreiheit, die mit Politik nichts zu tun habe.“205 Andere argumentierten, dass das Gebet innerste Aufgabe der Kirche sei. Wenn der Staat dies verbiete, mische er sich in die inneren Angelegenheiten der ˇ SSR gebetet werden Kirche ein. Immer wieder hieß es, wenn nicht für die C solle, dann auch nicht mehr für Vietnam oder Biafra. Seltener schon wurde so offen in den Predigten die Situation im Nachbarland benannt, dass dies für die staatlichen Horcher im Gottesdienst erkennbar war. An dieser Stelle soll exemplarisch am Beispiel von zwei Predigten, der eines Herrnhuter Pfarrers und der eines aus Berlin-Brandenburg, gezeigt werden, wie Pfarrer in der damaligen Situation mit Hilfe von Tradition Sprache fanden, ihre Haltung auszudrücken und in einen christlichen Horizont zu stellen206. 205 Information – Nr. 11/68 vom 19. 9. 1968 zur Haltung der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger zu den Ereignissen in der CSSR und der staatlichen Leitungstätigkeit auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen, 2 (SAPMO-DY 30/IVA2/14/5); und gleichlautende Information vom 9. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1086). 206 An dieser Stelle sei allen Zeitzeugen sehr herzlich gedankt, die mir ihre Predigten anvertrauten.

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Die erste Predigt wurde am 25. August 1968 über 1. Kor 15, 1 – 11, einen klassischen Auferstehungstext, gehalten. Der Prediger begann die Predigt: „Es war am Mittwoch früh. Die Stille war noch ungetrübt.“ Er berichtete davon, wie er seine Predigtnotizen überflogen und dabei auf das Losungsbuch gestoßen sei. Am 21. August 1732 seien die ersten Missionare aus Herrnhut ausgezogen, „Boten des Friedens, die in andere Länder zogen, unbewaffnet ˇ SSR gefallen wäre, wusste jeder, worum es […].“ Ohne dass ein Wort über die C ging und wie der Prediger zu den Ereignissen stand. In die Stille des Mittwochs sei die Nachricht vom Einmarsch gefallen und alles sei anders gewesen. Gegenwärtig nur eines: „Die Wirklichkeit dieser Welt, in der der Schwache dem Stärkeren ausgeliefert ist und in der die Generalstäbe der Großmächte mit ihren sogenannten Notwendigkeiten das letzte Wort haben.“ Der Prediger verwarf die Möglichkeit, sich rein auf die Lehre von Sünde und Vergebung und Auferstehung zurückzuziehen. Man könne nicht sagen „Christus hat die Welt überwunden, ohne zu sagen, wie wir das meinen.“ Denn diese Botschaft sei da, „in dieser Welt zu wirken.“ Diese Botschaft hieße, dass Christus gestorben und auferstanden sei für unsere Sünden, die Sünden aller. „Also z. B. die Sünden der Amerikaner und der Russen.“ Auch Pilatus habe aus „politischen Notwendigkeiten“ gehandelt. „Er hatte alle Entschuldigungen für sich, die die Mächtigen für alle Gewalttaten vorzubringen wissen.“ Doch wer die Macht habe, habe auch die Verantwortung, und deswegen könne niemand Pilatus seine Verantwortung abnehmen. Zu Pilatus kämen auch die römischen Soldaten, „Vollstrecker fremden Willens.“ Für alle ohne Ausnahme sei Jesus gestorben. „Christus starb für die Mächtigen. Und er starb für die Vietnamesen, für die Biafraner und für die Tschechen und Slowaken.“ Und sogar für uns Deutsche sei er gestorben, „die wir vor 30 Jahren sangen ,Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.‘ Für uns Deutsche, die auch heute noch meinen, die getreusten Schildknappen der jeweiligen Weltmacht sein zu müssen.“ Christi Botschaft sei die heilende Botschaft der Wahrheit. „Jesus nannte das Unrecht beim Namen, sonst wäre er wohl nicht gekreuzigt worden.“ Dabei betonte der Prediger, dass Jesus die Unterdrücker nicht gehasst habe. Daher solle die Gemeinde auch heute in jedem, Unterdrücktem wie Unterdrücker, den Menschen sehen, „für den Christus gestorben ist.“ Daraufhin kam der Prediger auf die Auferstehung und das Zeugnis derselben zu sprechen. Zwar sei das Regiment von Christus in den Völkern nicht klar zu erkennen, doch gebe es auch hier Zeugen, „die uns hoffen lassen für die Völker.“ Solche Zeichen seien zwar immer vermischt mit Sünde, aber doch sichtbar. Als Beispiel nannte der Prediger amerikanische und sowjetische Christen, die sich nicht mit der Politik ihres Staates identifizierten, weil Christus ihnen wichtiger sei. Nicht nur unter Christen, in allen Bereichen von Wissenschaft und Kultur sei fruchtbare Zusammenarbeit mit anderen Völkern im Entstehen. Der Prediger war überzeugt: „Überall wo es um Verbindung der Menschen untereinander geht, wo der Glaube den Menschen nicht unterjochen, sondern verstehen und lieben will, da ist der auferstandene

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Christus am Werke.“ Am Werke sei er auch bei allen, egal ob sozialistisch oder kapitalistisch, die „sich um die Humanisierung der Politik bemühen, um den Vorrang des Menschlichen in allem gesellschaftlichen Bemühen.“ Er schränkte jedoch ein: „Damit ist nicht gesagt, daß christlicher Glaube und Humanismus dasselbe sei.“ Dieser Christus, der größer sei, sei zu bezeugen. In seinem Schlusswort ermahnte der Prediger die Gemeinde, dass Kreuz und Auferstehung zusammengehörten und beides zum Leben. „Und wenn Pilatus fragt: ,So bist du dennoch ein König?‘, so wissen wir die Antwort: er ist der König, dem zu dienen das Beste ist, was es für uns gibt. Amen.“ Hier wurde von Anfang bis Ende kein Zweifel daran gelassen, wer Herr im Hause für die Gemeinde sein sollte: Christus. Mit der historischen Parallele zu den Missionaren wurde ein Gegenkonzept zur Gewalt der Weltmacht SU gesetzt. Pilatus wurde mit ihr parallelisiert. Und sie wurde nicht aus ihrer Verantwortung für das getane Unrecht entlassen, bei aller Rechtfertigung und Verdrehung, die in den Medien zu finden war. Dabei sei Christus für ausnahmslos alle gestorben. Sogar für die Deutschen, womit der Prediger die Parallele zu den Nationalsozialisten zog. Mit der Benennung der Deutschen als „getreusten Schildknappen“ kritisierte er oder spottete gar über das Handeln der DDR-Regierung. Wie von Jesus solle Unrecht beim Namen genannt, die Ungerechten sollen jedoch nicht gehasst werden. Doch beim Kreuz blieb der Prediger nicht stehen. Er ging über zur Auferstehung und bezeugte Christus als den, der der eigentliche Herr sei. Er versuchte damit, der Gemeinde Hoffnung in einer scheinbar hoffnungslosen Situation zu geben. Da, wo ein Gegenkonzept zum gerade geschehenden Unrecht, wo Überwindung der Blöcke entstehe – auch wenn seine Beschreibungen vom Zusammengehen von Russen und Amerikanern eher utopisch waren –, dort sei auch etwas von Christi Reich sichtbar. Er sprach von „Humanisierung“ in der Politik, ohne den geringsten Zweifel daran zu lassen, dass er damit nicht die von der SED und CDU propagierte Einheit von Christentum und Humanismus meinte. Es schwang die Übersetzung von Humanisierung – Vermenschlichung bzw. ˇ SSR – mit. Zu guter Letzt ermahnte er menschlicher machen, das Ziel in der C die Gemeinde, wenn die politische Macht nach Loyalität frage, klar zu sagen, wo die eigene sei: bei Christus, nicht bei der herrschenden Macht. Damit wies er den Totalitätsanspruch der SED zurück, ohne diese Doktrin beim Namen nennen zu müssen. In dieser vorliegenden Predigt handelt es sich um ein klar durchgeführtes Beispiel, wie über historische Parallelisierung der Ereignisse um den Tod Jesu diese half, zu aktuellem Unrecht Stellung zu beziehen, ohne dass es eine im engeren Sinne politische Predigt geworden wäre. Die zweite Predigt stammt von Anfang September 1968. Sie hat einen ganz anderen Aufbau und ist in ihrem Duktus verhaltener. Der Prediger schreibt selbst, dass er damals „wie die meisten Kollegen eine gehörige Portion Angst vor harten Repressalien der DDR-Behörden [hatte].“207 Im selben Gottes207 Brief eines Pfarrers aus Berlin-Brandenburg an die Verfasserin vom 10. 6. 2011.

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dienst wurde die Kanzelabkündigung von Berlin-Brandenburg verlesen. Die Predigt bezieht sich auf einen Vers aus 2. Kor 3,4 – 9. Weil er der Gemeinde „Wegweisung“ geben wolle „inmitten des verworrenen und verwirrenden Geschehens unserer Tage“, greife er Vers 6 heraus. „Gott hat uns tüchtig gemacht zu Dienern des neuen Bundes.“ In fünf Schritten ging der Prediger auf einzelne Worte des Verses ein. 1) Er betonte, dass, egal was passiere, Gott der Handelnde sei. Ohne Gott „wäre von vornherein alles aus.“ 2) Er betonte, dass Gott mit den Menschen zu tun haben wolle, wie sie seien. Seine Einladung ergehe „an Mühselige und Beladene, an Schuldige und Bedrückte, an Hoffnungslose und Verängstigte.“ Diese sollten auf Jesus schauen, der nicht mit Gewalt sein Werk vollbringe, sondern sich selbst opfere. 3) Gott wolle seine unperfekte Gemeinde immer wieder befähigen. 4) Als Diener überblicke man nur einen kleinen Verantwortungsbereich. „Gott führt manchmal schwer verständliche Wege.“ Wichtig sei, Vertrauen zu bewahren. 5) Der neue Bund beinhalte „helfen, trösten, Glauben wecken, Hoffnung schenken, Freude stiften, Wunden verbinden, vergeben und unsere Feinde lieben.“ Dieser eher unscheinbare Dienst habe einen eigenen Glanz, eine Herrlichkeit, die diese Welt überstrahle. Erkennen könne man sie z. B., „wenn angesichts schwerwiegender Ereignisse noch mehr da ist als ohnmächtige Wut oder blinder Haß oder gottlose Angst.“ Als Beispiel bediente sich der Prediger einer Propagandageschichte aus der Zeitung. Eine russische Panzerbesatzung habe, als plötzlich tschechische Demonstranten aufgetaucht seien und sie nicht mehr hätten bremsen können, den Panzer umgelenkt, seien einen Abhang hinunter gestürzt und umgekommen. Der Prediger meinte, diese hätten „mehr für die Versöhnung und den Frieden zwischen den Völkern getan als ganze Armeen je tun können.“ Ein Horcher wird an einer solchen Predigt kaum Anstoß genommen haben, stellte der Prediger doch eine russische Panzerbesatzung als Vorbild hin. Auffällig an dem Text ist, dass achtmal hoffen / Hoffnung / Hoffnungslosigkeit in unterschiedlichen Zusammenstellungen auftaucht. Es ist dreimal von Angst die Rede, von Verzweiflung, starrer Gesetzlichkeit und dreimal von Vertrauen, von gewiss sein. Dieser Prediger versuchte in erster Linie, seiner Gemeinde Hoffnung und Mut angesichts der aktuellen Situation zuzusprechen, ihnen Zuversicht zu geben, dass Gott der Handelnde bleibe, egal was geschehe. Er selbst beschreibt als Skopus 43 Jahre später: „Wie verworren und katastrophal sich auch die politische Lage entwickeln mag: Gott hat seine Gemeinde nicht vergessen, ja er will sie gebrauchen als Diener für etwas anderes als Unterdrückung und Ideologie.“208 Ebenfalls im Gottesdienst, doch viel subtiler, wurden weitere Traditionen verwendet. Als Beispiel, wie vielfältig gottesdienstliche Traditionen eingesetzt wurden, sei ein Gottesdienst in Potsdam vom 25. August erwähnt. Der Geistliche, ein Superintendent im Ruhestand, ging an der Stelle des agend208 Ebd.

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ˇ SSR ein. Er sagte unter arischen Bußbekenntnisses auf die Situation in der C anderem: „Wieder regieren Panzer und andere Waffen, d. h. die Gewalt, die von außen in einem fremden Volk eingesetzt wird, um es unter Druck zu setzen. Zum ersten Mal seit 1945 sind, Gott sei es geklagt, wieder Deutsche dabei. Wieder herrscht Kriegsrecht. Wieder soll mit Lüge, Täuschung und halben Wahrheiten die Schuld und Verantwortung der anderen Seite zugeschoben werden.“209

Dies war eine deutlich politisch kritische Position und war sicher auch so gemeint. Wenn man dabei berücksichtigt, dass diese Worte an der Stelle im Gottesdienst gesprochen wurden, an der normalerweise das öffentliche Bußbekenntnis der Gemeinde steht, so bekommen sie eine zusätzliche theologische Dimension: die von Buße, Schuld und der Frage nach Absolution, Vergebung. Danach bat er die Gemeinde, das Wochenlied ausnahmsweise als erstes zu singen, und sagte dazu: „Wir tun das im Gedenken an das Volk der CSSR, an unsere Brüder und Schwestern in diesem Lande. Die uns nahestehende Kirche der Böhmischen Brüder in Prag hat den Weltrat der Kirchen, zu dem auch wir gehören, und damit uns[,] zur Fürbitte aufgerufen.“210 Und so wurde ein Lied, welches Martin Luther 1524 geschrieben hatte, radikal aktualisiert: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen. Dein gnädig Ohren kehr zu mir und meiner Bitt sie öffne; denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, Herr, vor dir bleiben?“211 Die Fürbitte widmete er vor allem dem Volk in der Tschechoslowakei, „das tapfer ohne Anwendung von Waffen und Gewalt seine Freiheit und Selbstbestimmung auf seinem eigenen Weg des Sozialismus verteidigt.“ Eine Abschrift seiner Worte sandte er an Hrom dka212. Biblische Texte wurden im Herbst 1968 ausgewählt, um Worte für die aktuelle Situation zu finden. Auf der tschechoslowakischen Seite wurde z. B. am ˇ SSR 13. November zur Präsidiumssitzung des Ökumenischen Rates in der C über Eph 4,1 – 16 gepredigt, wo vor allem die Einigkeit angemahnt wird. Im Festgottesdienst zum 50jährigen Bestehen der EKBB am 1. Dezember 1968 predigte Hrom dka über Jes 63,7 – 9. Es ist ein Trostwort an Israel in seiner Not. Ein Hirtenbrief der Bischöfe der Tschechoslowakischen Kirche Ende Oktober 1968 schloss mit Off 2,10, wo es heißt, dass man sich nicht vor Leid 209 Erklärung von Superintendent i.R. Funke zu Beginn des Gemeindegottesdienstes in PotsdamBornstedt am 25. 8. 1968, 1 (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-12). 210 Ebd. 211 Heute: Evangelisches Gesangbuch, Lied Nr. 299. 212 Vgl. Erklärung von Superintendent i.R. Funke (Nachlass Hrom dka ETF 3-28-12). Wahrscheinlich ders. äußerte in einem Gespräch gegenüber der CDU Ende August: „für uns hier in der DDR möchte ich mir größere Freiheit wünschen und etwas weniger Bürokratismus. Auch müßten neben der SED die CDU und andere Parteien selbständig etwas zu sagen haben.“ BV Potsdam an das Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU, zu aktuellen Problemen, 26. 8. 1968 (ACDP 07-12-1536).

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und Gefängnis und Bedrängnis fürchten soll. An einen Thüringer Pfarrer schrieb ein befreundeter Kollege aus der EKBB in einem Brief, Joh 8,32 sei ein Trost: „und ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Auch auf deutscher Seite wurden Bibeltexte verwendet. Die Kanzelabkündigung aus Berlin-Brandenburg endete mit dem Hinweis auf die Herrnhuter Losung vom 21. August 1968 aus Ps 79,9: „Hilf du uns, Gott, unser Helfer, um deines Namens Ehre willen. Errette uns und vergib uns unsere Sünde um deines Namens willen.“ Die Bußtagsmeditation der EKU wich aus aktuellem Anlass – unter andeˇ SSR – vom vorgesehenen Perikopentext ab. rem wegen der Vorgänge in der C Ursprünglich sollte am Buß- und Bettag 1968 über Röm 2,1 – 11 gepredigt werden; über einen Text also, in welchem es um Gottes Gericht, die individuelle Schuld und das Nicht-übereinander-Richten geht. Von der Arbeitsgruppe des Öffentlichkeitsausschusses der EKU wurde nun für 1968 ein anderer Text angeregt: Klagelieder 3,40 – 50. Das ist ein Text, in dem es ebenfalls um Gericht, Umkehr und Schuld geht, jedoch in einem ganz anderen Kontext. Er greift Aspekte wie Verzweiflung und Trauer über bestehende und nicht zu ändernde Zustände auf. In der eigentlichen Meditation zum Text bezeichnete man die Verse 46 f. als besonders treffend: „Alle unsere Feinde reißen ihr Maul auf über uns. Wir werden gedrückt und geplagt mit Schrecken und Angst. Wasserbäche rinnen aus meinen Augen über den Jammer der Tochter meines Volks. Meine Augen fließen und können’s nicht lassen, und ist kein Aufhören da.“213 Der Rat gab diese Meditation als Empfehlung an seine Glieder weiter214. Als Begründung für die Änderung des Textes wurden in der Empfehlung keine Namen oder Länder benannt, aber in dem Text konnten die Pfarrer sowohl ˇ SSR und weitere Vietnam als auch den Tod von Martin Luther King, die C 215 ˇ SSR Weltereignisse finden . In der Meditation zum Text wurde dann die C explizit als Beispiel aufgezählt und die Ratlosigkeit angesichts der Weltsituation deutlich vorgebracht: „Man kann nichts machen, denn ihr ,Maul‘, ihre Reden, ihre Stimmstärke lassen uns verstummen. Wie sollte man mit Vernunftgründen, mit Wahrhaftigkeit, mit Zivilcourage gegen diese ,Lautsprecher‘ angehen können? Die ,Feinde‘ reißen ihr Maul auf gegen Ohnmächtige und fühlen sich durch die Hilflosigkeit der betenden Gemeinde bestätigt und gerechtfertigt.“216 213 Meditation über Klagelieder Jeremias 3,40 – 50 zum Bußtag 1968, 5 (AKPS, B3 Nr. 603). Klagelieder 3, 46 – 49 Lutherübersetzung, revidierte Fassung 1964. 214 Winter verweist auf einen Brief Ernst Wilms zur Verwendung in Westfalen. Vgl. Winter, EKU, 182. Die KPS übernahm diesen Vorschlag und gab ihn als Empfehlung des Bischofs vom 7. 11. 1968 in die Gemeinden. Der Text der Empfehlung des Bischofs deckt sich dabei weitestgehend mit dem der Empfehlung der EKU. Vgl. Winter, EKU, 182; und Empfehlung des Bischofs zum Bußtag 1968 vom 7. 11. 1968 (AKPS, B3 Nr. 603). In Görlitz versandte man sie einen Tag später. Vgl. Rundverfügung Nr. 38/68 8. 9. 1968 (AKKVSOL 12/683). 215 Vgl. Empfehlung des Bischofs zum Bußtag 1968 vom 7. 11. 1968, 1 (AKPS, B3 Nr. 603). 216 Ebd., 4.

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Es wurde von einer Katastrophe gesprochen und der Unsicherheit, wie lange diese Welt noch bestehe. Die Lage sei so hoffnungslos, weil die jeweiligen Machthaber ihre Taten auch noch rechtfertigten, keine Kritik zuließen und sich so selbst blockierten217. Die Christen wurden aufgefordert, zu suchen, wo sie selbst mitschuldig an der Situation geworden sind, resignierten, sich ins Private flüchteten. Es bleibt unklar, in welchem Maße die Meditation in den einzelnen Gemeinden in der EKU ungesetzt wurde218. Mit der neuen Feiertagsregelung der DDR war der Bußtag in der DDR erstmals kein Feiertag mehr.

3.4. Sekundäre theologische Rechtfertigung des Einmarsches Es gab nur wenige Theologen, die die Linie der DDR guthießen und dies auch in der Öffentlichkeit vertraten. Allein Hanfried Müller versuchte, das militäˇ SSR sogar theologisch zu begründen. Daher soll rische Vorgehen gegen die C auf ihn hier ausführlicher eingegangen werden. Als im September 1968 in der Dienststelle des Staatsekretärs für Kirchenfragen überlegt wurde, wie man die ,progressiven‘ Kräfte stärken könnte, brachte Müller mehrere eigene Vorschläge ein219. Unter anderem wolle er einen ˇ SSR schreiben220. In jenem Brief erklärte Müller Brief an einen Freund in der C den 21. August als eine Maßnahme zur Verhinderung der Konterrevolution. Adressat war der Prager Alttestamentler Jan Heller, der in den beiden davor liegenden Jahren in Berlin war221. Müller und Heller kannten sich aus der Arbeit der CFK, und in Berlin war der Kontakt vertieft worden. Hellers Autobiographie zufolge nahm Hanfried Müller ihn sehr freundlich auch im privaten Kontext auf222. Allerdings wusste Heller, dass kirchliche Kreise Müller nicht vertrauten. Man war nicht immer einer Meinung, verhielt sich aber freundschaftlich zueinander. Erst im Sommer 1968 war Heller nach Prag zurückgekehrt. Kurz nach dem 21. August 1968 fragte Müller Heller wie er zu der Entwicklung in Prag stehe. Daraufhin schrieb dieser ihm einen kurzen Brief in klassischem Griechisch. Hellers Meinung war eindeutig: „der 21.8. ist den Iden des März gleich, als Hitler unser Land raubte. Jeder unserer Bürger, der das ableugnet, ist ein käufliches Subjekt und ein Lügner. Jeder Fremde, der das 217 Ebd. 218 Vgl. Winter, EKU, 182. 219 Für Hanfried Müller erschien 2006 eine Festschrift, deren erster Beitrag von Egon Krenz, der letzte von Margot Honecker stammt. Dazwischen findet sich wiederholt der Begriff Konterrevolution und das Bedauern darüber, dass man vor dem Sieg der Konterrevolution 1989 doch schon so weit gewesen wäre. Vgl. Kraft, Kirche und Welt. 220 Vgl. Aktenvermerk vom 12. 9. 1968 (BArch DO 4/791). ˇ SSR] 221 Vgl. Brief Ondra [in Funktion des Sekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen in der C an Vogel vom 24. 7. 1965 (EZA 665/149). Dank, dass Vogel Jan Heller als Gastdozent an die Humboldt-Uni einlädt. 222 Vgl. Heller, Podvecˇern deˇjov n , 105.

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nicht glaubt, glaubt der Lüge. Und jeder, der das rechtfertigt, nimmt am Verbrechen teil.“223 Müllers Antwortbrief war weder persönlich noch alleinig an Heller gerichtet224. Einen Durchschlag des Briefes erhielt der Staatssekretär für Kirchenfragen Seigewasser, und auch Heller bekam nur einen solchen225. In einem Begleittext zum Brief gab Müller seine Motivation an: er bezeichnete den 21. August als „reinigendes Gewitter“ und „notwendige Aktion“. Es sei verständlich, wenn dieser Brief verletzend auf den Freund wirken müsse, aber „die Freundschaft kann gebieten, den Freund zu verletzen, um ihn an Schlimmem zu hindern.“ Der Schmerz sollte geachtet und nach Möglichkeit gelindert werden, aber Sentimentalität soll nicht über der Freundschaft stehen. Außerdem sei aus der „voreiligen“ Reaktion der Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg zu sehen, dass ein offenes Reden über die Ereignisse notwendig sei. Denn jene „beschränkt sich in Analyse und Beurteilung auf das Datum des 21.8.68, hofft auf Verhandlungen statt Taten, lobt die Passivität statt der Aktivität, sieht die Beteiligung der DDR am Schutz der CSSR nationalistisch begrenzt und meint, eine Kirchenleitung könne fraglos die einmütige Position aller Christen in politicis aussprechen.“

Die alles entscheidende Frage stellte Müller erst nach etwa der Hälfte des eigentlichen Briefes auf Seite 14 von 23. „Strittig ist doch offenbar die einfache Frage, ob bei Euch am 21. 8. 1968 eine schleichende Konterrevolution präventiv an der vollen Entfaltung gehindert oder aber ob eine gute sozialistische Entwicklung gestört wurde.“ Dieser Frage versuchte Müller von drei Seiten nachzugehen, die jedoch ineinander verschwammen: der erste Teil des Briefes ist eher theologisch ausgerichtet, der zweite Teil politisch und die letzten fünf Seiten verweisen auf die nationalpatriotische Seite der Tschechen. Müller knüpfte auf der ersten Seite zunächst an die Zeilen Hellers an, indem er die Frage stellte, ob es denn gerecht sei, wenn er allein aufgrund seiner Meinung als Fremder und Lügner beurteilt werde. Der Grundannahme einer Analogie zwischen 1938 und 1968, die aus Hellers Zeilen hervorgeht, widerspricht Müller. Er will dieser aufgrund eigener Beobachtungen entgegentreten und rückhaltlos offen sprechen. Müller begann seine Argumentation mit einem Vergleich zur Israelproblematik. Wer vormals als „Philosemit“ galt, gelte nun nach „ein paar Blitzkriegen“ als „Antisemit“ ohne seine Meinung geändert zu haben, während umgekehrt die „Nachfolgeorganisation der Waffen-SS“ – wen immer Müller 223 Begleittext zum Verständnis des beiliegenden Briefes von Hanfried Müller, 1 (BArch DO 4/423 ebenso 273). 224 Alle Zitate, sofern nicht anders gekennzeichnet, sind diesem Brief entnommen. Vgl. Brief von Hanfried Müller an einen Freund in der CSSR (BArch DO 4/423 ebenso 273); ebenso (ACDP 07013-3309). 225 Vgl. Heller, Podvecˇern deˇjov n , 105.

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damit genau im Blick hatte – aufgewertet würde. Dieses Beispiel übertrug er daraufhin auf Böhmen und sich selbst. Während des Krieges sei er – Müller – verdächtig gewesen, „Philoböhme“ zu sein, und auch danach, wenn es in Westdeutschland um München oder Vertreibung ging. Nun, nach der neuen Ostpolitik der Annäherung, deren Ziel es seiner Meinung nach sei, „nicht mehr einzelne Menschen, sondern ganze Länder aus dem sozialistischen ˇ SSR geLager abzuwerben“, und die einen Umschwung in der Politik der C genüber der DDR und der BRD mit sich gebracht habe, gelte er als „Antiböhme.“ Auch die Kirche trage Schuld an Fehlinterpretationen, weil sie, wie am Stuttgarter Schuldbekenntnis zu sehen, nur auf außenpolitische und nicht zugleich auf innenpolitische Schuld geachtet habe. Folge sei ein „Kollektivschuldkomplex“, weil man „die außenpolitische Schuld nicht als Klassenfrage, also als Schuld des deutschen Imperialismus und Faschismus, sondern als nationale Frage, also als Schuld der deutschen Nation ohne Unterschied ihrer herrschenden und unterdrückten Klasse mißdeutete.“ Das Darmstädter Wort habe dann zwar die innenpolitische Schuld der Kirche angesprochen, aber keine nachhaltige Wirkung entfalten k önnen, so dass ein emotionaler Schuldkomplex in den Kirchen und infolgedessen gegenüber Tschechen und Slowaken entstanden sei, vergleichbar dem gegenüber Israel. Daher werde das Problem im nationalen Verhältnis betrachtet, anstatt als Verhältnis beider Nationen zu Sozialismus und Imperialismus betrachtet zu werden. „Das schlechte Gewissen gesellschaftlich unbewältigter Vergangenheit“ führe dazu, dass nicht rückhaltlos die Wahrheit ausgesprochen werden könne. Aber es müsse doch nachdenklich machen, wenn Menschen, die nie vorher für Sozialismus zu haben waren, nun den „demokratischen Sozialismus“ feierten. Zu diesen zählte Müller in einer Linie „,National-Sozialisten‘, ,Christliche Sozialisten‘, ,liberale‘ oder ,demokratische‘ ,Sozialisten‘“. Müller beklagte, dass die bisher geltenden Kategorien „seitenverkehrt“ verwendet würden: „links ist rechts und progressiv konservativ und revolutionär traditionalistisch und sozialistisch dogmatisch und leninistisch stalinistisch und modern progressiv und fortschrittlich reaktionär“. ˇ SSR ein, die Müller ging weiterhin auf die Situation der Kirche in der C immer ein Vorbild gewesen sei, weil sie als Minderheitenkirche nicht in die Versuchung gekommen sei, im „Klassenkampf“ zu weltlicher Macht zu gelangen. Nun sei eben diese Kirche „kleinbürgerlich“ geworden, weil sie mit religiöser Neutralität reagiere, obwohl „Gott uns zu besserem [sic!] beruft[,] als zur Neutralität“. Müller wandte sich gegen Heller, der seiner Meinung nach unreflektiert übernehme, was als „tschechisch“ gelte. Aber „Besonnene“ – dazu zählte Müller sich selbst – seien doch etwas anderes als „Verräter“ und „Einstimmigkeit kein Kriterium für Wahrheit.“ Müller hielt den Weg zu „Eurem Reformsozialismus“ aus Hrom dkas Theologie heraus für „nahe liegend“, von Smol k her für zwingend, aber von ihm – Heller –

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her für unverständlich. Müller sagte „NEIN.“226 Er vermutete, dass das hussitische und das Schwejksche Erbe „die Methode gegeben habe[,] für das, was geschehen ist.“ Müller parallelisierte sich daraufhin mit Barth, denn wie Barth zur Zeit der Deutschen Christen deren Interpretation von Luthers Erbe angefragt habe, so frage er, Müller jetzt auch. Müller meinte in einer Eigeninterpretation einer Zwei-Reiche-Lehre, dass es bei den Nachbarn zu einem „heillosen Durcheinander“ von göttlicher und menschlicher Ordnung gekommen sei. Es würde nicht mehr klar unterschieden z. B. zwischen „Hoffnung des Glaubens für die Welt und irdischen Perspektiven“ oder „Gottes Gnade und menschlicher Nachsicht“ oder „Auftrag der Kirche und der Verantwortung der Welt.“ Gefährlich sei die „Säkularisation des Wortes Gottes“. Damit meine Müller jedoch nicht eine „Resäkularisierung des Säkularen“, nämlich dass das eigentlich Säkulare, z. B. das von der Kirche nur „usurpierte“ Eigentum der Kirche wieder an die Welt fällt, sondern dass „Spirituales säkularisiert“ wird. Um seinen Gedankengang zu erklären, nannte Müller den Begriff der Versöhnung als Beispiel und warf deswegen dem Theologen Josef Smol k „Ausbrechen aus verantwortlicher Theologie vor, wenn Smolik von Revolution und Reformation sprach.“ Desweiteren kritisierte er, dass Smol k nicht genau zwischen der Sphäre des Glaubens und der Welt unterschieden habe. Müller wollte die Kirche zu einem Christus zurückrufen, und zwar in seiner Gestalt als „loqv¶ dokou“227. Aus dem Ruf nach einer ecclesia semper reformanda dürfe man nicht auf eine zu revolutionierende Welt schließen, die keinen Herren kennt. So würde z. B. Feindesliebe zu „Versöhnlertum in der Welt“ oder Gottes Reich mit dem „,Reich der Freiheit‘ als sozialpolitischem Ziel“ verwechselt. Das Evangelium ist nach Müller kein Programm, sondern Gottesverheißung, die dazu führt, dass die Gemeinde Jesu „ihre Feinde lieben und zugleich das Böse hassen darf.“ Ginge das nicht, würde das Evangelium zum Vorwand, „einen Kompromiß mit dem Unrecht“ einzugehen. Mit Unrecht meinte Müller aber nicht die gewalttätige Beendigung des Prager Reformprojektes. In der Folge verurteilte Müller gleich eine ganze Reihe marxistischer Philosophen und Theologen in einem Zug, denn in den benannten Verwechslungen sah Müller „die Quelle, aus der die ,moderne‘ Bloch und Moltmann, Machovec und Smolik vereinigende Religion oder Demagogie fließt, die in ihrer scheinbar so aufgeklärten Weltoffenheit wie seit Röm 1,18 ff. Schöpfer und Geschöpf durcheinanderbringt, alles verkehrt, der Welt nicht hilft und in aller Frömmigkeit dem Evangelium widerspricht wie alle Frommen in Israel.“

226 Ebd., 8. Großschreibung im Original. 227 Ebd., 9. Diese theologische Kategorie geht auf den Philipperhymnus in Phil 2 zurück. Übersetzt heißt es: in Gestalt eines Knechtes oder in Gestalt eines Sklaven.

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Aus dieser Perspektive sei auch der christlich-marxistische Dialog zu sehen. Diese „elitäresoterische Intelligenz“ beträfe „häretisch chiliastische Theologen“ auf der einen, „abweichend revisionistische Marxisten“ auf der anderen Seite in ihrer „intellektuellen Arroganz“ ihren Gemeinden bzw. Parteien gegenüber. ˇ SSR sei, dass man Das Problem in der sozialistischen Entwicklung der C „interpretiere“ anstatt zu „verändern.“ Anstatt „in planvollem Fortschreiten die Fehler zu überwinden“ sei Kafka wiederentdeckt worden und Machovec finde gar im Sozialismus Entfremdung. Nun nahm sich Müller Machovec und Moltmann vor, zwei prominente Vertreter des christlich-marxistischen Dialogs. Während er Machovec eine Revision des Marxismus, seine Öffnung zur Transzendenz und eine „scheinimmanente Sozialdemagogie“ vorwarf, wird Moltmann die Öffnung der Theologie zur Immanenz vorgeworfen. „Beide treffen sich in einer die Religion in chiliastische Sozialdemagogie modifizierenden existentialen Lebensinterpretation, indem sie sich darin einigen, daß man den Marxismus und das Christentum ,entdogmatisieren‘ müsse.“ Heraus käme ein „Band ideologischer Koexistenz“, „ein Koalitionsgespräch zwischen Häretikern und Revisionisten“, die vergäßen, dass „Gegensätze nicht durch Dialoge, sondern durch Klassenkämpfe gelöst werden.“ Damit endete der theologische Teil des Briefes. Müller geht von einer sich selbst versklavenden Kirche aus, die sich freiwillig dieser Welt unterwirft, die keinen Herrn kennt228. Mit seinem Hinweis auf den Philipperhymnus wird die Kirche direkt mit Christus parallelisiert, jedoch nur in seiner Selbstentäußerung, durch die er die Welt erlöse, nicht in seiner Verherrlichung und Auferstehung. Ersteres ist eine theologische Verdrehung, denn nicht die Kirche erlöst nach christlicher Vorstellung die Welt, sondern Christus. Letzteres ist eine Verkürzung, da das Kreuz allein noch nicht christliche Hoffnung stiften kann, sondern dazu die Hoffnung braucht, die der Auferstehungsbotschaft zugrunde liegt229. Seine Interpretation einer Zwei-Reiche-Lehre trennt Gott und Welt vollständig ohne Möglichkeit einer wie auch immer gearteten gegenseitigen Durchdringung, so dass Gott in dieser Welt nichts mehr verloren hat. Müllers hermeneutischer Schlüssel ist nicht mehr, „was Christum treibet“, sondern der parteiliche Klassenkampf, nach welchem sich die dienende Kirche in diese Parteilichkeit zu stellen und damit den Realsozialismus unterwürfig zu adaptieren hat. Weder seine ZweiReiche-Lehre noch seine Hermeneutik bewegen sich auf dem Boden reformatorischer Lehre. Stattdessen führt seine Zwei-Reiche-Lehre, die die Welt als Herr-lose interpretiert und die Kirche zur freiwilligen Sklavin dieser Welt machen will, im Zusammenhang mit dem Klassenkampf als hermeneutischem Schlüssel zu 228 Eine solche Vorstellung begegnet in den 7 Sätzen von 1963, die vom WAK verfasst wurden, zu welchem auch Hanfried Müller gehörte. Vgl. KJ 90 (1963), 194 – 198. 229 Vgl. auch Thumser, Kirche im Sozialismus, 200.

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einer Form sozialistisch deformierter Adaptionstheologie230. Eine solche Art von theoretisch entpolitisierter Adaptionsideologie war im Sinne der SED, jedoch weder im Sinne von Reformierten noch von Lutheranern231. Praktisch war diese Art von Theologie eindimensional politisch überdeterminert und politisch überformt, dabei hatte sie durch ihre totale Einpassung in die herrschende Ideologie jegliche politische Funktion einer kritischen Reflexion bestehender Weltverhältnisse aufgegeben. Müllers politische Argumentation folgte der Linie der SED und attestierte ˇ SSR eine Konterrevolution, die das Land durch „akute psychologische der C Kriegsführung“ über verschiedene Kanäle, z. B. den christlich-marxistischen Dialog infiltriert habe. Was Heller sicher besonders verletzte, war der Sachverhalt, dass sich Müller zum Schluss an ihn als Böhmen wandte und seine Verwunderung darüber ausdrückte, dass der 21. August als „tiefe Verletzung Eurer nationalen Ehre empfunden wird.“ Die Parallelisierung von 1938 – 1968 sei ihm „restlos unverständlich“. Denn 1938 sei eine „Aggressions- und Annexionsgewalt“, 1968 eine „militärische Schutzmacht“ gekommen. Müller ˇ SSR vor Hitler ging in seinen Vermutungen so weit, dass die Sowjetunion die C beschützt hätte, wenn 1938 schon ein sozialistisches Lager vorhanden gewesen wäre. Müller griff die griechischen Worte Hellers pºqmor – käufliches Subjekt und ve¼stgr – Lügner auf und verglich sie mit der Situation 1938. „Heim ins Reich“ ist für ihn direkt vergleichbar mit „heim nach Europa.“ Auch 1953 und 1961 führte er als Vergleiche an, nämlich dass „wir“ die sowjetischen Panzer damals als „solidarischen Schutz“ begriffen. Jan Heller schrieb in seiner Autobiographie, dass er auf diesen Brief nicht geantwortet, ihn auch nie wieder gelesen habe, dass wäre über seine Kraft gegangen232. Die Freundschaft zerbrach über diesem Pamphlet.

3.5. Die Auswirkungen auf theologisches Denken am Beispiel Heino Falckes Heino Falcke war 1964 bis 1973 Leiter des Predigerseminars der EKU in Gnadau, dann über die Friedliche Revolution hinaus bis 1994 Propst in Erfurt und gehört zu den wichtigsten kritischen Mitdenkern und Gestaltern in den Kirchen in der DDR. Bekannt wurde er einer breiteren kirchlichen Öffentlichkeit aufgrund seines Referates auf der Bundessynode in Dresden am 230 Falcke nannte dies eine „konfliktverdrängende Anpassungsideologie“. Falcke, Funktion der Zweireichelehre, 71. Die kritische und orientierende Relevanz des Evangeliums wird unterdrückt, die Notwendigkeit Regierende an ihre Verantwortung zu erinnern, unterschlagen, die Kirche im Klassenkampf neutralisiert. Vgl. ebd., 74. Krötke nannte es eine „extreme Form der Zwei-Reiche-Lehre.“ Krçtke, Dietrich Bonhoeffer, 292. 231 Vgl. Haspel, Politischer Protestantismus, 81. Zum gleichen Ergebnis führen die Versuche Müllers, seine Theologie aus der Königsherrschaft Christi bzw. aus Barmen herzuleiten. 232 Vgl. Heller, Podvecˇern deˇjov n , 105.

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30. Juni 1972: „Christus befreit – darum Kirche für andere“233. In den 1980er Jahren gehörte Falcke zu den Vordenkern des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und war Stellvertretender Vorsitzender der Ökumenischen Versammlung in der DDR 1988/89. Mit dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker 1971 und dem bevorstehenden Grundlagenvertrag zwischen DDR und BRD hatte sich die Situation im Sommer 1972 im Vergleich zu der vier Jahre zuvor verändert. Dennoch soll aus dem vielfältigen Wirken Falckes das erwähnte Referat herausgegriffen werden, weil es von seiten der SED als Bedrohung wahrgenommen wurde und darin gezeigt wird, wie Hoffnungen aus den Reformprozessen im Frühjahr 1968 unterschwellig in den Kirchen in der DDR weiterlebten234. Stein des staatlichen Anstoßes war der Satz: „Unter der Verheißung Christi werden wir unsere Gesellschaft nicht loslassen mit der engagierten Hoffnung eines verbesserlichen Sozialismus.“235 Falcke selbst interpretiert in der Rückschau seinen Vortrag als Versuch, eine Antwort auf die bleierne Schwere zu finden, die über die DDR-Gesellschaft nach dem Ende des Prager Hoffnungsexperimentes gefallen war: „Inhaltlich und intentional ging es mir aber zentral darum, die kollektive Depression, die sich nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 ausgebreitet hatte, zu überwinden. Gegen die lähmende depressive Rede ,man kann doch nichts machen‘ wollte ich die Hoffnungspraxis aufbieten, die von der Auferweckung des gekreuzigten Christus in die Welt ausging und ausgeht.“236

ˇ SSR gewesen, doch lernte er Milan Falcke selbst war 1968 nicht in der C Machovec auf einer gemeinsamen Podiumsdiskussion in der hallensischen Studentengemeinde kennen237. Inhaltlich knüpfte das Referat an die Bundessynode 1971 an, doch trafen einige Begriffe den Nerv staatlicher Ängste. Die Brisanz dieses Referates deutete sich bereits im Vorfeld der Synode an. Schon in der Vorbereitungskommission wurde durch IM versucht, den Vortrag abzumildern, indem der Begriff vom „verbesserlichen“ Sozialismus nicht fallen oder dann wenigstens auch von „verbesserlicher“ Kirche gesprochen werden sollte238. Letzteres nahm Falcke auf. Vier Tage vor diesem Referat kamen der Staatsekretär für Kirchenfragen, Seigewasser, und weitere Vertreter des Staates mit Vertretern 233 Dieses Referat hat die weitere Entwicklung der Kirchen in der DDR maßgeblich beeinflusst. Zur Vor- und Wirkungsgeschichte vgl. Kunter, Christus befreit. 234 So Mau, Protestantismus, 111. Auch in einem Gespräch zwischen Bischof Rathke und Vertretern des Staatssekretärs für Kirchenfragen wurde Falcke von jenen in die Nähe des Prager Frühlings gerückt. Vgl. Gesprächsnotiz von Rathke am 25. 8. 1972 (EZA 101/50); vgl. auch Neubert, Opposition, 251 – 255. 235 Falcke, Christus befreit, 21. 236 Telefongespräch mit Heino Falcke am 2. 8. 2009. 237 Vgl. Hintergrundgespräch mit Heino Falcke am 24. 11. 2009. 238 Vgl. Neubert, Instrumentalisierung, 350 f.

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des BEK zusammen. Während die kirchliche Seite versuchte zu erklären, was ,kritische Solidarität‘ sei, lehnten die staatlichen Vertreter diese Formel strikt ab239. Seigewasser hob hervor, dass „in zunehmende[m] Maße von der dienenden Kirche gesprochen werde“ und grenzte davon ein ,Wächteramt‘ der Kirche scharf ab240. Unter Wächteramt verstand Seigewasser eine unzulässige Kritik der Kirche am Staat und sah in Krusches Rede von einer ,kritischen Solidarität‘ eine neue Spielart: „Eine neue Variante dieses Wächteramtes seien die angeblich positiven und negativen Seiten des Sozialismus, durch die das Ja zum Sozialismus relativiert werden solle. Kritische Solidarität sei die Formel. Der Sozialismus benötige keine gesellschaftskritische Funktion der Kirche. […] Kirchen könnten nicht Teilhaber an der bürgerlich-klerikalen Marxismuskritik sein.“241

Der Kirche stand aus Sicht Seigewassers weder eine eigenständige Sozialismus- und Marxismusinterpretation noch Kritik an staatlichem Handeln zu242. Was Sozialismus sei, bestimmten die staatlichen Funktionäre. Ein Sozialismus, der in irgendeiner Weise zu verbessern, zu verändern, kritisch zu hinterfragen sei, war Sache der Chefideologen – wobei der Realsozialismus offiziell keiner Verbesserung bedurfte –, nicht aber eines Kirchenmenschen. Und eine Kirche, die nicht nur in Einzelfragen, sondern am Gesamtansatz der Gesellschaft mitdiskutieren und mitgestalten wollte, überschritt eindeutig die ihr zugewiesenen Kompetenzen. Dieses Mitdenken und Mitgestalten beanspruchten jedoch Krusche in seiner Rede von ,kritischer Solidarität‘ und Falcke mit der ,konkret unterscheidenden Mitarbeit.‘ Er sprach mit seinem Referat genau diese wunden Punkte an und ging noch darüber hinaus243. Schon aus der Überschrift „Christus befreit – darum Kirche für andere“ wird erkennbar, dass Falcke sich auf Bonhoeffer zurückbezog. In der DDR gab es eine offiziell staatlich akzeptierte Bonhoefferrezeption, in welcher dieser zu einem ,antifaschistischen Widerstandskämpfer‘ stilisiert wurde244. Eine ,Kir239 Vgl. Information über das Gespräch des Staatssekretärs mit dem Vorstand des Bundes ev. Kirche in der DDR am 26. 6. 1972 (Hartweg, SED und Kirche, 197 – 210, 200 – 202, 209). Hauptkonflikt war zu dieser Zeit die VVO. 240 Vgl. Vermerk über ein Gespräch des Vorstandes der Konferenz mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen am 26. 6. 1972, 5 (AKPS, B3 Nr. 367). 241 Ebd.; vgl. auch Hartweg, SED und Kirche, 209. 242 So auch Krçtke, Dietrich Bonhoeffer, 100. Falcke meinte, dass es „eine unglaubliche Zumutung“ für den Staat gewesen sei, „sie [die Gesellschaft] für verbesserungsbedürftig zu halten.“ Hintergrundgespräch mit Heino Falcke am 24. 11. 2009. Der Staat sei der Ansicht gewesen: „Theologie und Kirche haben nicht eine Diskussion über verschiedene Spielarten von Sozialismus zu eröffnen und darin für einen wahren Sozialismus zu plädieren, sie haben sich vielmehr in den real existierenden Sozialismus einzufügen.“ Ders., Funktion der Zweireichelehre, 71. 243 Falcke wollte „nicht einfach das Deutungsmonopol der Partei anerkennen“, sondern „mitreden über das, was Sozialismus sein kann. Und das war natürlich im höchsten Maße konfliktös.“ Ohne Verfasser, Sozialismusaffinität und Revisionismus, 34. 244 Vgl. Krçtke, Dietrich Bonhoeffer, 95.

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che für andere‘ sollte eine Kirche sein, die nicht für sich selbst eintritt, die Buße tut, auf ,Privilegien verzichtet‘, allein für andere da ist. Sie sollte in solchem Maße weltlich werden, dass Christen die Freiheit gelassen wird, „diese Welt auch zu sehen, wie sie ist, und auf die ,Arbeitshypothese: Gott‘ zu verzichten, die Freiheit zu atheistischer Welt-anschauung.“245 Dies bedeutete ein Sichauflösen in die atheistische Welt hinein, ein Dienen ohne Möglichkeit, den Dienstherrn ob seiner Lauterkeit zu hinterfragen. Diese Lesart war in der Kirche nicht mehrheitsfähig246. In den Gemeinden wurde Bonhoeffer eher dadurch zum Vorbild, dass er als christlicher Märtyrer in letzter Konsequenz für seinen Glauben eingetreten war247. Falcke brachte nun einen Bonhoeffer zur Geltung, dessen ,Kirche für andere‘ eine solidarische Existenz mit der Welt und für die Welt bedeutete, doch eine Welt, die Christus durch sein Handeln befreit hat und die daher nicht gottlos oder christuslos ist, sondern das Potential zur Veränderung in kritischer Auseinandersetzung mit den vorgegeben Verhältnissen hat. Nicht weil Christus am Kreuz gestorben ist, muss auch die Kirche sterben, wie Hanfried Müller meinte, sondern weil Christus die Welt am Kreuz befreit hat, wird die Kirche mit frei, einen Blick und den Mut für nötige gesellschaftliche Veränderungen bzw. Verbesserungsmöglichkeiten zu erhalten. Die Stärke von Falckes Referat war, dass es ihm gelang, aus einer klaren theologischen Verankerung heraus die zentralen gesellschaftlichen Probleme der DDR anzusprechen. So ging er mit Röm 8 von einer biblischen Grundlegung aus, um über Freiheit ins Gespräch zu kommen, denn es habe wohl Freiheitsrevolutionen gegeben, doch diese „bringen noch nicht den freien Menschen hervor.“248 Christi Heilshandeln am Kreuz greife tiefer ein in unser Leben, weil es unseren Freiheitsbegriff von dem Verständnis der Autonomie des Ich und dem Zwang, etwas aus sich machen müssen, in eine Freiheit eines neuen Vertrauenkönnens führe, weil Christus uns restlos angenommen habe. Christus befreit so Menschen zu Mündigkeit und Verantwortungsfähigkeit. Das hing für Falcke eng zusammen mit einer Befreiung von Angst, da Angst, auch die vor Ideologien, unmündig mache. Denn „wer Angst hat ist beherrschbar, man kann ihn gefügig machen und benutzen.“ Wer mündig ist, traut sich etwas. Das bedeutete für Falcke: „Mündigkeit wagt das offene Wort, verantwortet sich vor anderen, stellt sich der Kritik, sucht das verbindliche Gespräch. Sie verfällt nicht in Pluralismus als einer Ideologie der Unverbindlichkeit, aber sie lässt eine Vielheit von Meinungen gelten 245 So vgl. M ller, Dietrich Bonhoeffer, 46. 246 Vgl. Krçtke, Dietrich Bonhoeffer, 96. Krötke bezeichnet sie zu Recht als Missbrauch und Versuch, damit Machtpolitik zu betreiben. Vgl. Krçtke, Barths und Bonhoeffers Bedeutung, 293. 247 Vgl. Krçtke, Dietrich Bonhoeffer, 95. 248 Allein das konnte schon als Angriff auf einen sozialistischen Revolutionsbegriff gewertet werden. Alle Zitate von Falckes Referat aus Falcke, Christus befreit.

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und ermutigt zu selbständigem Denken. Wenn Gott es riskiert, mündige Partner zu haben, sollten Kirche und Gesellschaft nicht weniger riskieren.“249

Wenn Falcke forderte, dass Kirche und Gesellschaft zu mündigen Partnern werden sollten, bedeutete das auch innerhalb der Rahmenbedingungen der vorgegebenen Gesellschaft, in diesem Fall der sozialistischen, aktiv zu werden. Denn Christus befreit nicht nur den einzelnen Menschen zu sich selbst, sondern daraus resultierend auch zum „Dasein für andere“. Falcke redete jedoch nicht jenen das Wort, die Bonhoeffers ,Kirche für andere‘ so deuteten, dass sich Kirche aufzulösen habe hinein in die Gesellschaft250. Falcke redete keiner sozialistischen ,Parteilichkeit‘ das Wort, in der nur richtig ist, was die Partei sagt. Unter einer „bedingungslos annehmende[n] Liebe Gottes“, die eine „grenzüberschreitende Liebe“ sei, verwischen sich nicht Unterschiede. Diese Unterschiede könnten benannt und ausgehalten werden, Abgrenzungen auf Kosten anderer würden unnötig. Dieses „für andere Dasein“ bedeutete für Falcke vor allem, mit den Leidenden solidarisch zu werden. Falcke wandte sich gegen die geltende Ideologie, wenn er sagte: „Es gibt Stimmen, die es nicht wahrhaben wollen, dass auch in der sozialistischen Gesellschaft unbehebbares Leiden, quälende Sinnfragen, Selbstentfremdung und Schmerz des Todes bleiben.“ Und Leiden wahrzunehmen hieß für Falcke in der Konsequenz, nicht alles beim Alten zu lassen und mit einer „verbesserlichen Welt zu rechnen, auch gegen alle Erfahrung.“ Das geht nur mit neu geschöpfter Hoffnung, zu der Christus befreien will251. Einer solchen Befreiung zu neuer Hoffnung gegen Angst und Pessimismus bedarf nach Falcke nicht nur der Einzelne, sondern auch die Kirche. In dem Abschnitt „Die Befreiung der Kirche zum Dienst“ sprach Falcke viele innerkirchliche, heiße Eisen an, bis hin zum Umgang mit der sozialistischen Gesellschaft, und hoffte auf eine „verbesserliche Kirche“. Falcke plädierte dafür, Wort Gottes und Engagement im „Alltag der Welt“ nicht gegeneinander auszuspielen, sondern füreinander fruchtbar zu machen. Das hieß für ihn nicht, sich in vorverfasste Analysen und Konzeptionen wie der des Sozialismus einpfropfen zu lassen, sondern aus dem Evangelium einen freien Blick für die Situation zu gewinnen und aus der Deutung zur Veränderung zu kommen. Falcke forderte dazu auf, sich und die Kirche vom Evangelium her bewegen zu lassen. Doch was besagte dies konkret für den Einzelnen, die Kirche und die Gesellschaft in der DDR? Der Staat verlangte, gesellschaftliches Engagement allein aus der sozialistischen Sicht zu betreiben und den Glauben im Privaten 249 Zu Falckes Verständnis von Freiheit und Mündigkeit aus dem Gerechtfertigtsein des Einzelnen vor Gott heraus, vgl. auch Thumser, Kirche im Sozialismus, 120 – 122. 250 Falcke knüpft hier auch an Rathkes Vortrag an, da eine Kirche für andere nicht bedeutet, zu werden wie die anderen. Vgl. Feil, Impulse Dietrich Bonhoeffers, 22 f. 251 „Das der Kirche aufgetragene Evangelium als Befreiungsbotschaft zu interpretieren, war in der DDR damals ebenso brisant wie dringlich. In dem Defizit an bürgerlich-demokratischen Freiheiten lag der Kernschaden des politischen Systems, der durch den Prager Frühling öffentlich gemacht und darum streng tabuisiert war.“ Falcke, Synode des Kirchenbundes, 40.

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zu lassen. Dagegen forderte Falcke, das ganze Leben aus dem Befreiungsruf Christi zu leben und nicht ins Private abdrängen zu lassen, was bedeuten würde, das Evangelium gleichsam zu „emeritieren“. Christen sollten dagegen darauf vertrauen, dass Christus Herrscher ist über alles und damit auch in einer sozialistischen Gesellschaft. Dies befreie zur Mitarbeit. Mündige Mitarbeit in einer sozialistischen Gesellschaft bedeutete für Falcke: „Christus befreit aus der lähmenden Alternative zwischen prinzipieller Antistellung und unkritischem Sich-vereinnahmen-lassen zu konkret unterscheidender Mitarbeit. Das ist nicht eine Ideologie des Sich-Heraushaltens oder eines dritten Weges. Es ist der Weg einer aus Glauben mündigen Mitarbeit, die von einer besseren Verheißung getragen ist, als der Sozialismus sie geben kann.“

Falcke stellte unmissverständlich die christliche Verheißung über die sozialistische, ohne erstere in eine Zukunftsvertröstung auf ein Jenseits münden zu lassen oder das Diesseits zu verklären. Falcke forderte zum Engagement auf, „wo es gilt, die sozialistische Gesellschaft als gerechtere Form des Zusammenlebens aufzubauen“ – womit er eine Formel des Briefes der Bischöfe aus Lehnin von 1968 aufnahm –, aber er stellte sich auch kritisch gegen einen „übersteigerten Anspruch“ des Sozialismus, alles besser machen zu können. Deswegen gelte es, sich auch da zu engagieren, wo „sozialistische Gesellschaft enttäuscht“. Daraufhin fielen die Sätze, denen das Schlagwort des ,verbesserlichen Sozialismus‘ entstammt: „Eben weil wir dem Sozialismus das Reich der Freiheit nicht abfordern müssen, treiben uns solche Erfahrungen nicht in die billige Totalkritik, die Ideal und Wirklichkeit des Sozialismus vergleicht und sich zynisch distanziert. Unter der Verheißung Christi werden wir unsere Gesellschaft nicht loslassen mit der engagierten Hoffung eines verbesserlichen Sozialismus.“

Falcke fragte selbst, ob das nicht zu große Forderungen seien, meinte jedoch, dass Christus auch zur Weisheit befreit, zu unterscheiden, was möglich sei und was nicht und zum „verantwortlichen Kompromiss“. Mündige Mitverantwortung bedeutete für ihn, sich für die Schwachen und Benachteiligten in der eigenen Gesellschaft einzusetzen, aber z. B. auch in der Dritten Welt. Um dieser Mitarbeit willen war für Falcke jedoch eine offene Diskussion nötig, wo „Andersdenkende nicht sogleich als Falschdenkende behandelt würden“, und er sprach direkt die führende Rolle der Partei an, die doch besser „als Autorschaft von Freiheit und Hilfe zu mündiger Selbstverantwortung erkennbar würde“. Dazu gehörte für Falcke neben Partnerschaftlichkeit auch Urteilsfähigkeit durch Information. Und Falcke forderte die Kirchen auf, ein Beispiel dafür abzugeben: „So könnte es in der Kirche eine kritische Öffentlichkeit, eine Stätte des freien Wortes, eine Offenheit für radikale Fragen und angstfreie Lernbereitschaft geben.“ Zum Schluss seines Referates griff Falcke über die Frage nach dem Sinn von Arbeit und Leistung das immerwährende Problem der Benachteiligungen im

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Bildungssektor auf, wenn er einforderte, „dass bei Ausbildung und Berufswahl klare Fähigkeiten und Neigungen angemessen berücksichtigt werden.“ Und er widersprach der sozialistischen Vorstellung, „dass der Mensch durch die Arbeit zum Menschen werde.“ Er beleuchtete kritisch eine Leistungsgesellschaft und forderte auch von der Kirche, die Füllung von Freizeit neu zu überdenken. So schloss er mit einem Hinweis auf das Herrenmahl, in dem sich für Falcke die Freiheiten, die Christus schenkt, bündeln. Falckes Referat stellte eine Form systemimmanenter Kritik dar, die versuchte, Sozialismus als Utopie ernst zu nehmen, ohne ihm das Evangelium neben- oder gar unterzuordnen. Viele der anwesenden Synodalen verstanden den Vortrag als Kritik an der Form des Sozialismus, wie er in der DDR existierte. Vor allem von den sogenannten ,fortschrittlichen‘ Kräften auf der Synode wurde er als zu kritisch empfunden, anderen ließ er sich zu weit auf einen wie auch immer gearteten Sozialismus ein252. Für staatliche Funktionäre war das Reizwort ,verbesserlicher Sozialismus‘. Sie vermuteten dahinter einen Sozialismus, der nur in die Konterrevolution führen konnte, wie man am Beispiel des Prager Frühlings gesehen hatte253. Es wirkte anscheinend so etwas wie ein „Dubcˇek-Trauma“ nach254. Gab es Ansätze in diesem Referat, die auf eine Verbindung zu Prag wiesen? Immerhin hatte Falcke ja betont, dass seine Vorstellungen keinen dritten Weg bedeuteten. In Falckes Vortrag finden sich Forderungen, die nicht aus der Vorstellung eines demokratischen Sozialismus heraus entwickelt sind, die jedoch Analogien bilden. In Prag war im Frühjahr 1968 die Pressezensur faktisch aufgehoben worden, und Falcke forderte für eine mündige Urteilsfähigkeit Zugang zu Informationen. Falcke schwebte eine Kirche als „kritische Öffentlichkeit, ˇ vom eine Stätte des freien Wortes“ vor255. Das Aktionsprogramm der KSC April 1968 forderte gesellschaftliche Initiative, Falcke rief zur Mitarbeit auf, und zwar zu einer verantwortlich und selbständig mitdenkenden, zu „konkret ˇ vom April unterscheidender“ Mitarbeit256. Das Aktionsprogramm der KSC 1968 forderte offenen Meinungsaustausch, Falcke das Zulassen der „Vielheit von Meinungen.“ Schon mit der Kafkakonferenz 1963 war es möglich geworden, von einer Selbstentfremdung des Menschen im Sozialismus zu sprechen, und Falcke betont in seinem Vortrag, dass es auch in der sozialis252 Vgl. Haspel, Einführung, 8; ders., Politischer Protestantismus, 149 f. Falcke erinnert, dass vor allem die hörbare Nähe zum Prager Frühling kritisch angefragt wurde, weil diese „eine unproduktive Marxismusdiskussion“ und damit eine „ideologische Konfrontation“ auslösen könnte. Vgl. Falcke, Synode des Kirchenbundes, 38. 253 Zum einen deutet der allgemeine Revisionismusvorwurf darauf hin, zum anderen wurde dies auch in einem Gespräch Bischof Rathke gegenüber geäußert. Vgl. Haspel, Politischer Protestantismus, 151. 254 So nannte es Horst Dohle, damals Referatsleiter in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, auf einer Tagung 1991. Vgl. Dohle, Zum Weg der Evangelischen Kirchen, 117. 255 Vgl. Falcke, Christus befreit, 22. 256 Vgl. ebd., 21.

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tischen Gesellschaft Selbstentfremdung geben kann. Sicherlich lassen sich noch weitere Parallelen finden. Von staatlicher Seite wurden sie als gefährliche Infiltration von Ideen eines demokratischen Sozialismus gedeutet257. Falcke selbst versuchte damals, sich von einer solchen Interpretation zu distanzieren, wenn er in dem Vortrag sagte, dass es sich nicht um den ,dritten Weg‘ handele. Darauf angesprochen, schrieb Falcke über 40 Jahre später: „Ich musste mich gegen eine politische Einordnung in als ,konterrevolutionär‘ abgestempelte Positionen wie ,dritter Weg‘ und ,Prager Frühling‘ wehren, aus einem taktischen und einem sachlichen Grund: Ich wollte verhindern, in politisch längst ,erledigte‘ und nicht mehr diskussionswürdige Schubfächer weggepackt zu werden. Und ich wollte dabei [sic!] beharren, dass meine politischen Folgerungen stringent aus theologischen Voraussetzungen abgeleitet sind, die genuin kirchliche Leitlinien des Handelns sind.“258

Dennoch wurden staatliche Funktionäre sofort aktiv. So wurde Schönherr, Braecklein, Natho und Stolpe sowie dem Präsidium der Synode der „staatliche Standpunkt […] dargelegt“.259 Unter staatlichem Druck wurde noch während der Synode erreicht, dass der Vortrag nicht zu den öffentlichen Synodalunterlagen gezählt wurde, die allen Synodalen zugingen. Nur im Sekretariat des BEK stand er zur Verfügung260. Heino Falcke äußerte sich auf einer Tagung nach der Friedlichen Revolution von 1989 Schönherr gegenüber, gerade weil das Referat in der Vorbereitungsgruppe in den Grundzügen gebilligt worden war: „Man hat mich damals etwas im Regen stehen lassen. […] Man ließ mich buchstäblich fallen.“261 Eine Veröffentlichung durfte bis zum Ende der DDR nicht erfolgen. Dennoch verbreitete es sich unter der Hand schnell in den kirchlichen Kreisen der DDR262. In einer folgenden Pressekampagne gegen

257 So auch Goeckel, Evangelische Kirche, 202. 258 Email von Heino Falcke an die Verfasserin vom 4. 8. 2009; „Die konsequent durchgehaltene theologische Argumentation des Referates hatte also nicht nur ihre innertheologische Stringenz, sie hatte auch eine politische, ja sogar eine kirchenpolitische Funktion. Es sollte so deutlich wie möglich werden, dass die Kirche nicht unter Klassenkampf und Ideologiestreit zu verrechnen ist, dass sie auch nicht das politische Konzept des ,dritten Weges‘ vertritt, ihre Freiheitsbotschaft vielmehr aus einer ganz anderen Quelle gespeist wird.“ Falcke, Synode des Kirchenbundes, 40. 259 Information über den Verlauf und die Ergebnisse der 4. Tagung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (Hartweg, SED und Kirche, 210 – 215, 213). 260 Vgl. Ohne Verfasser, Sozialismusaffinität und Revisionismus, 27. 261 Schçnherr, Bedeutung Dietrich Bonhoeffers. Aus der Diskussion, 58. Falcke fand auch „unerfreulich“, dass nicht offen über den Konflikt und über die Drohungen von staatlicher Seite gesprochen wurde. Vgl. Hintergrundgespräch mit Heino Falcke am 24. 11. 2009. 262 Vgl. Haspel, Einführung, 7. Seine Bedeutung wird heute so hoch eingeschätzt, dass seine Schrift in der Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Band V, als Quelle aufgenommen wurde, 280 – 289. Online: http://www.ekd.de/aktuell_presse/pm54_2007_kps_falcke_bundessynode_1972.html. Letzter Abruf: 3. 4. 2012.

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den Vortrag wurde Falcke ,Dubcˇekismus‘ vorgeworfen263. In einer Einschätzung, die alle Mitglieder der SED-Führung erhielten, wurde vermutet, dass mit Hilfe von Falckes Referat hatte „getestet“ werden sollen, wie weit es der Kirche möglich sei, „Theorien und Auffassungen der bürgerlichen Ideologie, besonders des Sozialdemokratismus und Revisionismus, zur Geltung zu bringen.“264 Falcke wurde unter anderem vorgeworfen, die Kirche in eine Oppositionsrolle drängen zu wollen, und außerdem sei es in seinem Referat „zu groben Entstellungen und Verzerrungen der sozialistischen Wirklichkeit“ gekommen265. Falcke erhielt Ausreiseverbot266. Noch weiter gingen Vertreter des Rates des Bezirkes Magdeburg in einem Gespräch mit OKR Heinrich Ammer im Oktober 1972 im Vorfeld der Synode der KPS. Ammer wurde auf die bevorstehende Synode und besonders den Kirchenleitungsbericht angesprochen. In diesem Zusammenhang wurde auf das Referat von Falcke übergeleitet. Die staatlichen Vertreter sagten Falcke nicht nur nach, dass seine Gedanken aus Prag stammten, sondern dass er diese von einem westlichen Theologen übernommen habe, womit wieder eine westliche Abhängigkeit konstruiert wurde. „Das Stichwort vom ,verbesserlichen Sozialismus‘ sei nicht neu, es stamme nicht von Ephorus D. Falcke, sondern von Jürgen Moltmann, der anläßlich einer Tagung der Paulusgesellschaft in einem Gespräch über den ,Dialog‘ zwischen Christen und Marxisten unter diesem Stichwort die ganze Situation unter Dubcek in der Tschechoslowakei angesprochen habe.“267

ˇ SSRDamit wurde auf einen Schlag abqualifiziert, was man 1968 an der C Entwicklung besonders verwerflich fand: die Prager Reformkommunisten, den marxistisch-christlichen Dialog, die Öffnung gegenüber dem Westen. Wenn von einem ,verbesserlichen Sozialismus‘ geredet werde, solle die Kirche beachten, dass die staatlichen Vertreter es in diesem Zusammenhang sehen müssten. Ammer erklärte daraufhin, dass Falcke kein Schüler Moltmanns, sondern Barths sei und „daß seine These vom verbesserlichen Sozialismus im Zusammenhang mit der These von der verbesserlichen Welt und der verbesserlichen Kirche stünde und gegen eine falsche Resignation der Christen in der sozialistischen Gesellschaft gerichtet sei.“268 Verärgert wurde von staatli263 Vgl. Neubert, Instrumentalisierung, 351. Auch in der Mecklenburgischen Kirchenzeitung wurde gegen Falcke angeschrieben. Vgl. Haspel, Politischer Protestantismus, 155. 264 Information über den Verlauf und die Ergebnisse der 4. Tagung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (Hartweg, SED und Kirche, 210 – 215, 211). 265 Vgl. ebd., 112. 266 Vgl. Hintergrundgespräch mit Heino Falcke am 24. 11. 2009. 267 Vermerk über ein Gespräch beim RdB Halle am 24. 10. 1972 mit OKR Ammer, 5 (AKPS, B3 Nr. 365). 268 Ebd. Dabei war Falcke mit Moltmann befreundet und meint selbst, dass Aufsätze von jenem, das Gespräch mit Milan Machovec und die Auseinandersetzung mit Ernst Bloch durchaus als Hintergründe für das Dresdner Referat zu sehen sind. Vgl. Hintergrundgespräch mit Heino Falcke am 24. 11. 2009.

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chen Beobachtern der Herbstsynode der KPS im November 1972 festgestellt, dass Falckes Referat im Bericht vor der Synode, trotz der staatlichen Aussage, dass es im Zusammenhang mit dem Prager Frühling gesehen werde, ausdrücklich aufgenommen wurde269. Ende 1972 wurde in einer internen Information der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen die kirchliche Situation aus staatlicher Sicht beschrieben. Allenthalben sah man positive Entwicklungen und doch auch wieder nicht. Falckes Referat wurde als ,Provokation‘ begriffen, die jedoch gescheitert sei270. Während sich Görlitz weiterhin den Ruf der reaktionärsten Landeskirche erhielt, vermutete die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen zunehmend in der Kirchenprovinz Sachsen die eigentlichen ideologischen Köpfe: „Die Kirche der Kirchenprovinz Sachsen ist auch weiterhin ideologisches Zentrum der Ausarbeitung von Alternativkonzeptionen gegen den Sozialismus.“271 Der nächste große Eklat erfolgte im Empfinden staatlicher Stellen durch Bischof Fränkel auf der Görlitzer Synode im Frühjahr 1973 und dann noch einmal verschärfter in einem Vortrag desselbigen im Herbst 1973 in der Annenkirche in Dresden. In dem Gespräch, welches mit Fränkel nach der Synode im Frühjahr 1973 geführt wurde, verteidigte sich dieser unter anderem mit dem Argument, „daß er den Begriff des verbesserlichen Sozialismus bewußt nicht gebraucht habe.“272 Falckes Referat wurde weiter als anstößig bewertet – Ende 1973 wurde ihm die Forderung nach einem „abweichenden Sozialismus-Modell“ unterstellt –, obwohl es mit seiner Hoffnung auf einen ,verbesserlichen Sozialismus‘ systemimmanent blieb und zumindest partiell das DDR-System anerkannte273. Die Schwäche seiner Rede war, dass sie systemaffin ausgelegt werden konnte, weil die Kritik systemimmanent war und nicht auf Abschaffung des Systems Sozialismus drängte. Diese Schwäche war gleichzeitig die Stärke. Mit seinen Forderungen nach Akzeptanz von Meinungsvielfalt, nach freiem Zugang zu Informationen, nach dem Zugeständnis, dass es Selbstentfremdung auch im Sozialismus geben könne und schließlich dem Selbstbewusstsein, dass das 269 Vgl. Einschätzung der Herbstsynode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Halle vom 17.–21. 11. 1972, vom RdB Magdeburg vom 22. 11. 1972, 3 (BArch DO 4/793). 270 „Die Konzeption des Dr. Falcke auf der Synode des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR in Dresden 1972, den Sozialismus zu verbessern, scheiterte an der gesellschaftlichen Realität, wenn es auch noch genügend Kräfte unter den loyalen Geistlichen gibt, die nach wie vor ,zwischen den Fronten‘ stehen möchten, einen ,dritten Weg‘ suchen oder für ideologische Koexistenz und politischen Pluralismus eintreten.“ Information zur politischen Situation und zu aktuellen Tendenzen in den evangelischen Kirchen in der DDR vom 4. 12. 1972, 8 (BArch DO 4/402). 271 Ebd. 272 Information über ein Gespräch mit Bischof Fränkel am 9. 4. 1973 vom 9. 4. 1973, 8 (BArch DO 4/796). 273 Vgl. Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 30. 10. 1973 zur Einschätzung der Führungskräfte in den Evangelischen Kirchen und den sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen und Maßnahmen (Hartweg, SED und Kirche, 225 – 232, 230).

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Evangelium die bessere Verheißung hat, musste er zwangsläufig in unauflösbaren Konflikt mit dem Totalanspruch der SED geraten274. Seine Idee eines ,verbesserlichen Sozialismus‘ wurde von der SED als gefährlicher eingestuft als eine offene Ablehnung ihres Systems275. Falcke gelang es, ausgehend von einer biblischen Grundlage und konsequent theologisch argumentierend, seine Vorstellung einer ,konkret unterscheidenden Mitarbeit‘ in die aktuelle Situation in der DDR hinein zu kontextualisieren276. Er verortete seine Hoffnung auf Veränderung in der konkreten damaligen Situation, und es gelang ihm, dass diese Hoffnung andere erfasste und Nährboden für eine ,systemimmanente Opposition‘ wurde277. Insofern war es ihm gelungen, mit seinem Vortrag gegen die von ihm empfundene Depression in der Gesellschaft nach 1968 wirken zu können.

4. Nachwirken von Prag 1968 in den Kirchen in der DDR? Mit Falckes Vortrag „Christus befreit – darum Kirche für andere“, auf welchem im vorangehenden Abschnitt ein besonderes Augenmerk lag, ist bereits eine erste Antwort auf die Frage nach etwaigen Nachwirkungen des Prager Frühlings in den Kirchen in der DDR gegeben worden. Bei Falcke gehen diese Nachwirkungen in zwei Richtungen. Zum einen versuchte er, gegen die von ihm empfundene Depression in der Gesellschaft nach 1968 wirken zu können, indem er dazu aufrief, die Hoffnung auf eine ,verbesserliche Welt‘ niemals aufzugeben. Zum anderen öffnete er den Raum weiter für eine selbständige Sozialismusinterpretation jenseits staatlicher Vorgaben. Eine der wichtigsten Nachwirkungen des Prager Frühlings war, dass, wer von Sozialismus sprach, nun aus eigener Anschauung einen anderen Sozialismus meinen konnte als die Regierung. Sozialismus wurde plural, kirchliche wie staatliche Vertreter konnten die gleichen Worte benutzen, ohne das gleiche zu meinen. Die ˇ SSR. Auf tscheKonsequenzen daraus waren gegenläufig zu denen in der C choslowakischer Seite hatten vor 1968 auch in den Kirchen Hoffnungen auf eine Demokratisierbarkeit des Sozialismus zu blühen begonnen. Diese 274 So Neubert, Systemgegnerschaft, 354. Neubert schreibt zudem: „Angepasste Kirchenleute sagten unter Hinweis auf eines der wichtigsten Prager Reformdokumente: ,Es wären die 1000 Worte in deutscher Sprache.‘“ Ebd. 275 So Krçtke, Dietrich Bonhoeffer, 100; vgl. auch ders., Barths und Bonhoeffers Bedeutung, 281, Anmerkung 7; so auch Sch fer, Katholische Kirche, 179. 276 Vgl. Haspel, Politischer Protestantismus, 165. 277 So Neubert: „Der Hauptvortrag von Falcke […] wurde zu einem energischen Widerspruch gegen jede Vereinnahmungsstrategie und ein Plädoyer für politische Freiheit und gesellschaftliche Mündigkeit.“ Neubert, Opposition, 251. An anderer Stelle bezeichnet Neubert – selbst ehemaliger Bürgerrechtler – Falckes Referat als „große Freiheitsrede [, …] die […] zu einem wichtigen Impuls für eine vom protestantischen Geist getragene systemimmanente Opposition wurde.“ Neubert, Instrumentalisierung, 351.

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schwanden im Zuge des 21. August 1968 nachhaltig278. Dagegen ist zumindest für den kirchlichen Bereich in der DDR in den 1950er und bis Mitte der 1960er Jahre eine weit verbreitete Sozialismusaversion zu beobachten. Während nach dem 21. August auch hier die Hoffnungen auf einen anderen Sozialismus zerbrachen, schlug doch die Sozialismusaversion nach und nach in den 1970er Jahren in eine umstrittene Sozialismusaffinität um und oszillierte um theologische Konstrukte wie ,Kirche im Sozialismus.‘ Dadurch, dass es möglich geworden war, das Wort Sozialismus zu benutzen und ganz unterschiedliche Dinge damit zu meinen und zu assoziieren, konnte diese Formel leichter von unterschiedlichen Seiten verwendet werden279. Ein Zeitzeuge, der Anfang der 1950er geboren wurde, schrieb: „Anders als die Generation meines Vaters, die oft nach dem 21. 8. 1968 jede Sozialismushoffnung aufgab, kam bei der damals jüngeren Generation in Ost und West die ,Sozialismuseuphorie‘ erst Anfang der siebziger Jahre zum Tragen. Der Prager Frühling blieb da eher ein Hoffnungszeichen.“280

Bei dem Wort ,Sozialismus‘ war fortan zu fragen: Welchen Sozialismus meinst Du jetzt? Falckes Referat auf der Dresdener Bundessynode 1972 mit der Rede vom ,verbesserlichen Sozialismus‘ gehört in diesen Zusammenhang.“281 In den 1980ern erschienen neue theologische Konzepte, das Beziehungsgeflecht von Politik und Kirche auszuloten, z. B. durch die von der sächsichen Kirchenleitung eingebrachte Rede von einem ,begrenzten politischen Mandat der Kirche‘282. Doch eine Hoffnung auf einen ,verbesserlichen‘ Sozialismus wurde nicht gänzlich aufgegeben, wie man noch im Herbst 1989 bemerken konnte.

4.1. Nachwirkungen aus staatlicher Sicht Obwohl die Situation 1968 weitestgehend ruhig geblieben war, misstraute der Staat diesem Frieden. Er hielt ihn für trügerisch, und in den Folgejahren blieben ,Prag‘, ,Prager Linie‘ ,1968‘, ,dritter Weg‘, ,Liberalisierungstendenzen‘, ,Demokratisierung des Sozialismus‘, ,Vermenschlichung‘ und ähnliche Ausdrücke Reiz- und Signalwörter. Sehr aufmerksam wurde die ,Normalisierung‘ im Nachbarland verfolgt. Sobald dort Proteste, wie nach der Selbstverbrenˇ SSR bei der Eishonung Jan Palachs, nach dem Sieg der Mannschaft der C 278 Vgl. Danyel, Das andere „1968“, 79; vgl. Sch fer, Katholische Kirche, 179; und Lutz, Dissidenten, 151. 279 Eine klare Definition blieb die Formel schuldig. Nach Jüngel gab es drei Möglichkeiten, die Formel zu verstehen: als Ortsbestimmung, als Option für einen ,verbesserlichen Sozialismus‘, als Option für den real-existierenden Sozialismus. Vgl. J ngel, Kirche im Sozialismus, 7. Ausführlich vgl. Thumser, Kirche im Sozialismus. 280 So sieht es auch Lutz für diese Generation. Vgl. Lutz, Dissidenten, 148. 281 Fragebogen 35. Im Besitz der Verfasserin. 282 Vgl. Petzold, Begrenztes politisches Mandat, 72.

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ckeyweltmeisterschaft über die Sowjetunion oder am 21. August 1969 aufflackerten, gingen auch MfS und SED in Alarmbereitschaft283. Hinter jeder Handlung, die auch nur im Entferntesten auf Veränderung des DDR-Sozialismus zu zielen schien, wurde die Idee eines demokratischen Sozialismus vermutet, die mit der westdeutschen Sozialdemokratie gleichgesetzt wurde. Prag war zu einem beharrlich drohenden Schattenschreckgespenst geworden. Dieses war vor allem deshalb so bedrohlich, weil sich hinter ihm die übergroße Angst vor Machtverlust verbarg. Denn in Prag hatte eine kommunistische Partei begonnen, ihren absoluten Führungsanspruch abzumildern. Auch im Zuge der neuen Verfassung wurde den Bischöfen von Mecklenburg, Greifswald und Berlin-Brandenburg unterstellt, dass sie versuchten, „die Grundsätze von Partei und Regierung [zu] negieren bzw. [zu] versuchen, sie zu liberalisieren. Das äußert sich darin, daß viele Geistliche und auch die Kirchenleitungen vorgeben, nichts gegen den Sozialismus und gegen die sozialistische Menschengemeinschaft zu haben, wohl aber gegen den Führungsanspruch der Partei der Arbeiterklasse.“284

Dem Führungsanspruch der SED stattzugeben hätte bedeutet, sich selbst aufzugeben. In den Monaten nach dem Ende des Prager Frühlings, wurde von staatlichen Funktionären mit Argusaugen jegliche kirchliche Regung nach einer etwaigen Verbindung zu einem demokratischen Sozialismus durchsucht, die auf Wiederbelebungs- und Weiterlebensbestrebungen deuten könnte. An vielen Stellen und bei vielen Personen meinte man, ein Weiterleben Prager Ideen ausmachen zu können. Im Einzelnen lässt sich oft gar nicht sagen, ob Tatsachenbefunde vorlagen oder sich darin eher die eigene Furcht der SED vor Machtverlust widerspiegelte. Ende Oktober 1968 glaubte man in der Dienstbesprechung beim Staatssekretär für Kirchenfragen, „daß viele kirchenleitende Persönlichkeiten in der DDR noch immer in der illusionären Hoffnung leben, die Entwicklung in der CSSR könnte doch noch im für den Sozialismus negativen Sinne verlaufen.“285 Namentlich Schönherr, Jänicke und Jacob seien nach dem 21. August „vorgeprellt“286. Mitte Januar 1969 erklärte Seigewasser, was Kirchenvertreter

283 Z. B. „Es sind Maßnahmen getroffen worden, die ein schnelles Reagieren der staatlichen Organe in den Tagen um den 21. August 1969 ermöglichen.“ Kirchenpolitischer Informationsbericht Juli 1969 vom RdB Dresden vom 5. 8. 1969, 5 (BArch DO 4/2968); vgl. auch Grossbçlting, Niederschlagung, 817. 284 Vgl. Einschätzung der Geistlichen, kirchlichen Amtsträger und namhaften Laienchristen in Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheides zur Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik im Bezirk Neubrandenburg, undatiert, 4 (BArch DO 4/2936). 285 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 28. 10. 1968 vom 1. 11. 1968, 4 (BArch DO 4/400). 286 Ebd.

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meinten, wenn sie darauf drangen, dass es Pluralismus in der Gesellschaft, also mehr als nur die eine Wahrheit der SED geben könne: „Aber mindestens seit dem Januar-Plenum des ZK der KP der CSSR sollte klar sein, was eigentlich mit dem Pluralismus der Ideologien angestrebt wird. Es geht darum, in die Front der sozialistischen Staaten Breschen zu schlagen, die Ideologie des Marxismus-Leninismus zu untergraben und die Arbeiterklasse zu spalten und damit zu lähmen.“287

Wenn Kirchenvertreter versuchten, dem alleinigen Wahrheitsanspruch des Staates ihren eigenen im Glauben entgegenzusetzen, konnte geschehen, dass sie mit den Prager Reformkommunisten assoziiert wurden. Zutiefst misstrauisch wurde jedwede Gesprächsbereitschaft von bekanntermaßen als ,reaktionär‘ Eingestuften betrachtet. Allein z. B. die Tatsache, dass sich der Präses der sächsischen Synode Johannes Cieslak Anfang Februar 1969 auf ein Gespräch einließ, wurde folgendermaßen gedeutet: „Seine jetzige Gesprächsbereitschaft beruht lediglich darauf, daß er, durch die Situation in der CSSR ermuntert, neue Positionen für die Kirche erobern will, sich offensiv darum bemüht, [sich] in staatliche Belange einzumischen und die Synode zum Partner des Staates und der Gesellschaft deklarieren will.“288

Diese Schlussfolgerung wurde gezogen, weil Cieslak im selben Gespräch Machovec erwähnt hatte. Auf einer Dienstbesprechung im März 1969 bei Seigewasser wurde Angehörigen theologischer Fakultäten, aber auch anderen Universitätsangehörigen vorgeworfen, „massive Versuche“ zu unternehmen, „die ,Prager politische Linie‘ der ideologischen Aufweichung auch in die DDR hineinzudrücken“, ohne dass dies näher spezifiziert worden wäre289. Auf der gleichen Beratung wurde beklagt, dass sich ein Kirchenrat auf einer Delegiertenkonferenz der Nationalen Front in Berlin „zum Fürsprecher des Pluralismus der Ideologien“ gemacht und „Partnerschaft zwischen Staat und Kirche“ gefordert habe290. Wiederum wurde dies als „Prager Linie“ gedeutet291. Dabei war der kirchliche Anspruch eines eigenen Wahrheitsanspruches gegen den Totalanspruch des Staates kein anderer als vor 1968. Im Sommer 1969 bemängelten Funktionäre aus dem Bezirk Cottbus neben vielen anderen Ärgernissen, wie, dass es im Bezirk keine Mitglieder im Pfarrerbund gebe, keine Aktivität des WAK und keinen Überblick über die Arbeitsgruppen Christliche 287 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 20. 1. 1969 vom 30. 1. 1969, 2 (BArch DO 4/401). 288 Kurzbericht über eine Dienstreise nach Dresden und Görlitz am 6. und 7. 2. 1969 vom 10. 2. 1969, 3 (BArch DO 4/2969). 289 Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung beim Stellvertreter des Staatssekretärs am 18. 2. 1969, vom 12. 3. 1969, 5 (BArch DO 4/401). 290 Vgl. ebd., 3. 291 Ebd.

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Kreise, dass eines der Argumente der Pfarrer sei: „CSSR (immer noch).“292 Latent blieb die Empfindlichkeit des Staates in puncto Prag erhalten. Ende 1970 hieß es in der Dienstberatung bei Seigewasser: „Der Sozialismus ist die höchste mögliche Gesellschaftsformation; und wenn der Sozialismus gesiegt hat, dann ist es einfach unzulässig, ihn ,verbessern‘, ,vermenschlichen‘ und ,demokratisieren‘ zu wollen. Das sind Zielsetzungen des Sozialdemokratismus innerhalb der imperialistischen Globalstrategie gegen den Sozialismus.“293

Anfang 1971 sah sich Seigewasser in einer staatlich organisierten Ansprache ˇ SSR aufzufahren. Er beklagte, vor Theologen noch immer genötigt, gegen die C dass Geistliche „anfällig für Theorien“ seien, die dazu da wären, „um die ideologischen Positionen des Sozialismus zu erschüttern.“ Dazu gehörten für ˇ SSR 1968, die ihn Pluralismus, „verschiedene Wege zum Sozialismus“, die C Konvergenztheorie, die neue Ostpolitik als „trojanisches Pferd“ und der marxistisch-christliche Dialog294. Seigewasser warf den Kirchen vor, dass sie sich „zu aktiven Verfechtern der sogenannten tschechoslowakischen ,Erneuerung‘ der marxistisch-leninistischen Partei“ gemacht hätten „unter der Parole, es sei notwendig[,] einen ,Sozialismus mit menschlichem Gesicht‘ zu schaffen, Demokratie und Sozialismus zu vereinigen zu einem ,demokratischen Sozialismus‘.“295 Unmissverständlich stellte er klar: „Den Sozialismus mit der Demokratie zu vereinen, einen angeblich demokratischen Sozialismus schaffen zu wollen, wie es die Konterrevolution in der CSSR proklamiert hat, ist absoluter Blödsinn, ein leeres Schlagwort ohne jeden konkreten Inhalt.“296 Seigewasser nannte auf einer ähnlichen Rede Ende 1972 Willy Brandt als Urheber. „Er [Brandt] möchte, daß seine Konzeption des sogenannten ,demokratischen Sozialismus‘ in der DDR akzeptiert wird. Herr Brandt mutet der DDR und ihrer Bevölkerung, besonders der Arbeiterklasse also zu, ihre sozialistischen politischideologischen Positionen zu revidieren, wenn nicht gar aufzugeben. In der Konsequenz wäre das Liquidation aller unserer sozialistischen Zielsetzungen. Gäben wir diesen Erwartungen nach, würden wir eines Tages die Restaurierung der kapitalistischen Ausbeuterordnung unter der Verbrämung des ,demokratischen Sozialismus‘ nach dem Muster erleben, das uns die CSSR im Jahre 1968 geliefert hat.“297 292 Zwischenbericht über die Erfüllung des Arbeitsplanes zum 20. Jahrestag im Bezirk Cottbus (Stand vom 12. 8. 1969), 1 – 3 (BArch DO 4/328). 293 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär am 18. 12. 1970 vom 11. 1. 1971, 2 (BArch DO 4/401). 294 Vgl. Seigewasser. Redekonzeption für die hallische Veranstaltung der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise“ und Universitätstheologen am 26. 1. 1971 im Puschkinhaus Halle, 5 – 7 (BArch DO 4/440). 295 Ebd., 5. 296 Ebd., 7. 297 Die letzten beiden Wörter wurden handschriftlich gestrichen und durch „liefern wollte“ er-

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Indem stetig der Westen und die Sozialdemokratie für die versuchten Reforˇ SSR verantwortlich gemacht wurden, war es nicht mehr men von 1968 in der C nötig, sich ernsthaft mit den Reformgedanken auseinanderzusetzen bzw. damit, dass es Kommunisten gewesen waren, die ohne westliche Beeinflussung aus der Gegenwartssituation heraus versucht hatten, auf eine Erosionskrise im Realsozialismus zu reagieren. Den Kirchen wurde weiterhin vorgeworfen, dass sie auf eine „ideologische Veränderung des Sozialismus durch seine ,Vermenschlichung‘, seine ,Humanisierung‘ und ,Demokratisierung‘, also auf die ideologische Unterwanderung und Aufweichung der DDR“ warteten298. Dabei würden die meisten Geistlichen zwar im „fortschrittlichen Gewande“ auftreten, „sie meinen aber nicht den Sozialismus, den die Werktätigen der DDR täglich mit so großen Anstrengungen aufbauen, sondern einen imaginären Sozialismus der Reformen auf dem Wege der Konvergenz“, eben einen „,verbesserten‘, ,menschlichen‘ und ,demokratischen Sozialismus‘“299. Gegen diese Gedanken sollte den Kirchen klargemacht werden: „Politische Alternativen gegen den Sozialismus kann es nicht geben. Sie tragen in jedem Fall den Charakter einer ideologischen Konterrevolution oder Diversion“ und „die sozialistische Demokratie läßt sich niemals vom demokratischen Sozialismus ersetzen.“300 Der Prager Frühling blieb in den folgenden Jahren ein Schreckgespenst für DDR-Machthabende. Als sich der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz 1976 in Zeitz selbst verbrannte, befürchtete die SED eine Parallele zu Jan Palach. Die Gründung der Solidarnos´c´ in Polen war für sie noch schlimmer ˇ SSR301. Noch im August 1989 vermeldete das MfS als die Situation in der C Besorgnis angesichts des 21. Jahrestages der Niederschlagung des Prager Frühlings darüber, dass Fürbitten in Berlin und Leipzig geplant seien302.

4.2. Nachwirkungen in der Erinnerung von Zeitzeugen Im Vergleich zu vielen anderen Ländern blieb es in der DDR 1968 weitgehend ruhig. Dennoch wird in der Literatur betont, dass Zeitzeugen fast unisono erklären, dass dieses Jahr für sie maßgeblich war, sogar für ihr politisches Handeln

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setzt. Vgl. Staatssekretär Hans Seigewasser. Referat zur festlichen Veranstaltung mit kirchlichen Amtsträgern des Bezirkes Gera zum 50. Jahrestag der Gründung der Sowjetunion am 16. 11. 1972, 21 (BArch DO 4/439). Er hielt eine fast identische Rede am 7. 12. 1972 im Bezirk Magdeburg (BArch DO 4/435). Vgl. Entwurf. Präambel zum Arbeitsplan der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen für das I. Halbjahr 1973, 20. 12. 1972, 5 (BArch DO 4/402). Ebd., 5 f. Information zur politischen Situation und zu aktuellen Tendenzen in den evangelischen Kirchen in der DDR vom 4. 12. 1972, 17 (BArch DO 4/402). Vgl. Wilke / Kubina, Lage in Polen, 335 f.; Wilke, Solidarnos´c´, 250, 252, 254. Vgl. Grossbçlting, Niederschlagung, 807.

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1989303. Als prägend wird der Prager Frühling und vor allem dessen Ende benannt. Dies kann auch an politisch interessierten Christen in der DDR beobachtet werden. Ist diese biografische Bedeutung von 1968 nur eine Rückprojektion, eine Art Ost-Mythos 1968, oder prägte 1968 tatsächlich nachhaltig? Wie ˇ SSR und deren gewaltsame Beprägend die Reformprozesse von 1968 in der C endigung für das eigene politische Denken und Handeln waren, lässt sich aus den damaligen schriftlichen Quellen nicht eruieren. Die Frage lässt sich auch aus Zeitzeugenkontakten nicht letztgültig klären, da es sich um Rückprojektionen aus einer späteren Phase des jeweiligen Lebens handelt, die sich genauso in einen Ost-Mythos 1968 einordnen ließen. Aber Zeitzeugen können aufzeigen, inwiefern sich Prag als Schlüsselerlebnis in andere Schlüsseldaten graduell einordnet. Das Ergebnis aus der Befragung von 50 Zeitzeugen, die entweder als Theologen oder als Nichttheologen in der DDR in der Kirche aktiv waren, ist unerwartet304. Auf die Frage nach den sie prägenden weltpolitischen Ereignissen – Mehrfachnennungen waren möglich – ergab sich folgendes Bild:305 Demnach waren die weitaus prägendsten Erfahrungen für über die Hälfte der Befragten der II. Weltkrieg und die Nachkriegszeit. Dies gaben selbst Personen an, die erst nach dem II. Weltkrieg geboren wurden und dies mit den traumatischen Erlebnissen ihrer Eltern begründeten. Es schließt sich an, dass alle Ereignisse, die von mindestens einem Viertel der Zeitzeugen als prägend benannt wurden, an die Frage erneuter militärischer Gewalt gekoppelt sind. Diese wird gleichermaßen gefürchtet wie abgelehnt und nicht als legitimes Mittel der Konfliktlösung toleriert. Sowohl die Benennung des II. Weltkrieges als prägendster Erfahrung als auch die Ablehnung militärischer Gewalt deckt sich mit den Ergebnissen aus den zeitgenössischen Quellen von 1968. Hauptkritik und Hauptmotivation, sich gegen das staatliche Vorgehen zu äußern, war die angenommene Beteiligung der NVA. Eine Zeitzeugin erinnerte das, was auch 1968 bestimmender Ablehnungsfaktor in den Quellen ist: „Es gab auch die Nachricht, DDR-Soldaten seien mit beteiligt (inhaltlich waren sie es ja auch): Das war das Beschämendste, wurde als Schande empfunden von uns!“306 Der Prager Frühling wird ebenfalls als weltpolitisches Ereignis benannt, das als prägend empfunden wurde, ordnet sich aber in weitere Ereignisse wie Mauerbau und die Friedens- und Umweltbewegung der 1980er Jahre ein. Am prägendsten war er für die Vertreter, die in den 1950er Jahren geboren wurden und 1968 als ersten prägenden weltpolitischen Einbruch in ihr Leben emp-

303 Vgl. Pauer, Was bleibt, 75. 304 An dieser Stelle sei sehr herzlich Katharina Kunter gedankt, die mir ihre Zeitzeugenfragebögen für ihre Habilitation für die Auswertung dieser Frage zur Verfügung stellte. Dadurch konnte die Zahl auf 50 Personen erhöht werden. 305 Nur Daten die mindestens von drei Personen genannt wurden, sind aufgenommen worden. 306 Fragebogen 4. Im Besitz der Verfasserin.

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fanden307. Die Friedliche Revolution an sich erscheint erstaunlicherweise als nicht gleichermaßen prägend wie die Jahre zuvor. Auffallend ist ebenfalls, dass, während 1953 durchaus als prägend erfahren wurde, Ungarn 1956 dagegen abfällt. Dies entspricht dem Quellenbefund von 1968, in welchem der Verweis auf 1953 und 1956 zwar durchaus hier und dort auftaucht, jedoch im Gegensatz zum Vergleich 1938 – 1968 nicht ins Gewicht fällt. Während 1938 – 1968 erst nach dem 21. August bestimmender Faktor der Diskussionen wurde und sich im Frühjahr noch keine Hinweise darauf in den Quellen finden, ist der Verweis auf 1953 oder 1956, wenn, dann eher in Quellen vor dem 21. August zu finden. So befürchtete ein Pfarrer aus dem sächsischen Plauen bereits Ende Juli 1968, dass die Kommunisten die SU zu Hilfe rufen würden. „Wenn dies geschieht, dann endet alles wie in Ungarn 1956“, gleichzeitig hoffte er aber, „daß sich die Demokratisierung wie in der CSSR auch in der DDR durchsetzen müsste.“308 Während der Vergleich 1938 – 1968 zum Handeln aktivierte, ließ der Hinweis auf 1953 eher verstummen309.

307 Vgl. Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 142. 308 Information über negative Kirchen- und Sektenkreise vom 10. 10. 1968, 2 (BStU, MfS, BV KarlMarx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375). Bereits in einer Information des MfS im März 1968 wurde allgemein erwähnt, dass in den Diskussionen Parallelen sowohl zu Ungarn 1956 als auch zur DDR 1953 erwogen wurden. Vgl. Information 330/68 vom 22. 3. 1968, die Reaktion der Be-

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Wie die Ereignisse des Prager Frühlings späteres politisches Handeln mittel- oder unmittelbar beeinflussten, darüber gehen die Meinungen der Zeitzeugen weit auseinander. Anders als bei allen anderen Fragen gab es hier keine Antworten, welche eine Mehrheit der Befragten in ähnlicher Form ˇ SSR gaben. Etwa ein Fünftel gab an, nach 1968 verstärkt an Kontakten in die C festgehalten und sich um Versöhnung bemüht zu haben310. Ansonsten reichen die Meinungen von Bestärkung im Antikommunismus bis zum Kampf gegen den Antikommunismus311. Streckt man die Kategorien ganz weit, so sagte etwa ein Drittel, die Ereignisse 1968 hätten sie beeinflusst, offener Kritik zu üben oder allgemein kritischer zu sein oder sich für Demokratie oder Menschenrechte einzusetzen312. Zwar hätten sie nicht mehr auf eine Änderung eines Sowjetsozialismus gehofft, aber gleichzeitig sich nicht selbst in den bestehenden Verhältnissen aufgeben wollen. So meinte ein Zeitzeuge: „Die Erfahrung mit diesen Ereignissen hat mich in meiner kritischen Einstellung gegenüber dem Sozialismus bestärkt, aber auch gezeigt, dass wir uns nicht der trügerischen Hoffnung hingeben dürften, es würde sich an unserer Situation, in der wir von der Sowjetunion beherrscht waren, sehr bald etwas ändern lassen. – In der Jugendarbeit, in der ich damals tätig war, haben wir uns umso mehr bemüht, zu kritischem Denken anzuregen, das offene Gespräch zu pflegen und demokratisches Verhalten einzuüben.“313

Ein anderer erklärte: „Skepsis, ob der Sozialismus sowjetischer Prägung je reformfähig werden würde; positiv der andauernde Versuch, die Geltung der Menschenrechte mit der Sozialismus-Idee zu verbinden.“314 Insgesamt scheint es anders als bei den anderen Fragen hier einen großen Unterschied zu machen, zu welcher Generation eine Person gehört315. Nur drei Personen gaben

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völkerung der DDR über die Ereignisse in der CSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR, 5, 8 (BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1561). Fricke meint, dass die Bevölkerung zwar „in kritischer Sympathie“ den Reformbestrebungen gegenüberstand, aber aufgrund der Erfahrungen von 1953 und 1961 „ohne Illusionen“. Er leitet dies aus der Beobachtung ab, dass nur eine Minderheit der jungen Generation offen protestierte. Dies bedeutete nicht, dass Ältere keine Hoffnung hatten, sondern, dass sie aus Erfahrung und im Wissen um die Konsequenzen durch die Staatsmacht, ihrer Sympathie nicht offen Ausdruck zu geben wagten. Vgl. Fricke, Opposition und Widerstand, 148. Fragebögen 14, 19, 21. Im Besitz der Verfasserin. Z. B. „Wir haben Briefe an Freunde in der CSSR geschrieben, zum Zeichen, dass wir an sie denken, und sind danach immer wieder hingefahren.“ Fragebogen 4. Im Besitz der Verfasserin. Fragebögen 9, 10 und 30. Im Besitz der Verfasserin. Z. B. „Offener in der Kritik am realen Sozialismus. Kaum Erwartung echter Veränderung, eher Erwartung staatlicher Gewalt gegen Kritiker. Mitarbeit bei Aktion Sühnezeichen.“ Fragebogen 25. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 3. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 13. Im Besitz der Verfasserin. Lutz teilt in ihrem Buch die Dissidenten bzw. Bürgerrechtler in drei Generationen. Die erste erhielt danach ihre Prägung im Zweiten Weltkrieg, die mittlere in den 1960er Jahren und die jüngste reflektierte vor allem auf realsozialistische Defizite. Dies geht nicht ganz konform mit

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an, dass 1968 direkter Einflussfaktor für ihr Handeln im konziliaren Prozess gewesen sei, und einer, dass es seine Mitwirkung auf regionaler Ebene an der Friedlichen Revolution beeinflusst habe316. Die letzteren vier waren alle im Jahr 1968 junge Erwachsene, in den 1940ern geboren. Ein weiterer Zeitzeuge, Christof Ziemer, der in den 1980er Jahren Superintendent in Dresden und Initiator und Vorsitzender der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und von daher ebenfalls eng mit dem konziliaren Prozess verbunden war, sagte für seine Altersgruppe zurückschauend: „Für uns war Prag, also dieser ,Prager Frühling‘, auch zunächst eine starke Herausforderung der Ermutigung, nach einer Reform zu suchen. Die Niederschlagung des Prager Frühlings war für uns im Grunde kein Argument dagegen, sondern ein Argument, zu dem man nur sagen konnte: mit Panzern werden nicht die besseren Argumente vernichtet.“317

An dieser Aussage kann ein Grund abgelesen werden, warum in der DDR das Ende des Prager Frühlings nicht im gleichen Maße dauerhaft als Ende von ˇ SSR. In der C ˇ SSR Hoffnungen auf Reformen gedeutet wurde wie in der C vernichteten nicht nur Panzer den Prager Frühling, sondern die Reformen wurden auf sowjetischen Druck von den gleichen Eliten abgewickelt, die ihn beschworen hatten, und diese Personen fielen dann nach und nach der ,Normalisierung‘ zum Opfer318. Die Helden wurden zu Antihelden. Darüber hinaus wurde eine ganze Bevölkerungsgruppe verdrängt. Die innenpolitischen Konflikte von 1969 bis zu den radikalen Säuberungen Anfang der 1970er Jahre drangen nicht so stark in das Bewusstsein der Kirchen in der DDR vor wie die Reformversuche von 1968 und die Panzer. Das lag auch daran, dass gerade diejenigen, die von der ,Normalisierung‘ am stärksten in Mitleidenschaft gezogen wurden und in den 1970ern ihre staatliche Lizenz zum Predigen verloren und nicht mehr als Pfarrer arbeiten konnten, nicht mehr reisen durften. In der Rückschau beklagen sie, dass nur wenige Kirchenleute aus der DDR überhaupt den Mut aufgebracht hätten, sie zu besuchen und direkt mit ihnen das Gespräch zu suchen319.

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den Beobachtungen der Verfasserin, nach denen der Zweite Weltkrieg bis in die mittlere Generation hinein als prägend erfahren wurde. Vgl. Lutz, Dissidenten, 30 f. Fragebogen 7. Im Besitz der Verfasserin. Hintergrundgespräch mit Christof Ziemer am 1. 8. 2005. Vgl. Pauer, Was bleibt, 78. So Jakub Trojan in einem Hintergrundgespräch mit der Verfasserin am 17. 3. 2010. Für die 1970er und 1980er Jahre hat Katharina Kunter herausgearbeitet, wie wenig persönliche Berührungspunkte es zwischen den christlichen Chartisten auf der einen Seite und der entstehenden Friedens- und Umweltbewegung in der DDR gegeben hat. Vgl. Kunter, Menschenˇ SSR wurden rechte, 165. Dennoch gab es Kontakte und Samisdat- und Tamisdattexte aus der C verstärkt wieder in den 1980er Jahren gelesen. Bei Markus Meckel wurde z. B. im Februar 1985 durch das MfS eine Aktentasche mit verschiedenen Materialien sichergestellt und unter dem Stichwort: „reaktionäre konzeptionelle Darlegungen internationaler sozialismusfeindlicher

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Motivationen und Handlungsorient. für das Handeln in den Kirchen

In der DDR waren die Proteste auf Einzelne beschränkt geblieben, die auch als Einzelne die Folgen zu tragen hatten und davon geprägt wurden320. Außerdem gab es in der DDR kaum abweichende politische Programme und kein Gesicht oder Idol, das in gleichem Maße für die Reformprozesse stand und der breiten Masse der Bevölkerung bekannt war wie Alexander Dubcˇek in der ˇ SSR. Während 1989 Dubcˇek wieder auf dem Wenzelsplatz sprach – auch C wenn deutlich wurde, dass seine Form von Politik 21 Jahre später keine Mehrheit mehr fand – gab es in der DDR keinen Dubcˇek321. Diejenigen, die erklärten, dass die Ereignisse von 1968 sie nicht direkt beeinflussten, waren bereits Anfang der 1930er Jahre geboren worden. Sie hatten ihre ersten Prägungen bereits vorher erfahren. So schrieb einer dieser Zeitzeugen: „Eigentlich nicht; die Erfahrungen von 1953 blieben dominant, sie wurden nur bestätigt.“322 Ein anderer: „Nein, jedenfalls nicht mehr als alle anderen politisch wichtigen Ereignisse.“323 Dennoch kann dies nicht verallgemeinert werden. Ein Zeitzeuge aus dem gleichen Jahrgang 1931 meinte, dass ihn vor allem Kriegsende und Mauerbau geprägt hatten. Aber er hielt die intensive Beschäftigung mit Marx und Marxismus, und hier vor allem mit tschechischen Marxisten wie Gardavsky´ und Machovec, für eine Folge von 1968. Seine eigene damalige Haltung reflektierte er kritisch und meinte: „Aus heutiger Sicht waren damals viele unter uns blauäugig. Wir erkannten zu wenig, dass das Stichwort ,Gewalt‘ nicht nur die Verfehlung einzelner, sondern dem System zugehörig war.“324 Ganz anders Jugendliche, die Anfang der 1950er Jahre geboren wurden. Ein Pfarrer, der 1968 noch keiner war, da er erst 16 Jahre alt war, hatte als Jugendlicher Losungen geschrieben und war dafür inhaftiert worden. Für ihn war 1968 eine Grunderfahrung: „Ja, ich wurde ein politischer Pfarrer: Frage nach dem ,sozialistischen Menschenbild‘ – ,Kirche für andere‘ – ,Gesellschaftl.

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Autoren“ eingeordnet. Darunter zählten für das MfS auch Jirˇ H jek mit dem Vermerk: Sprecher der Charta 77 sowie Zdenek Mlynarˇ. Vgl. Staatsicherheitsprotokoll: Vorschlag zur Durchführung operativer Maßnahmen zum „OV Wanderer“ (Markus Meckel), 25. 2. 1985, 252 – 256, 253 (Meckel / Gutzeit, Opposition in der DDR). Ludwig Große zeigte der Verfasserin am 17. 7. 2009 ein altes Exemplar der Charta 77. Vgl. Neubert, Opposition, 167 f. Auch Lutz betont, dass es in der DDR kein vergleichbares Ereignis wie die Normalisierung gegeben habe, in der eine ganze Bevölkerungsgruppe ausgeschlossen wurde und der Widerstand im Gegensatz dazu individuell blieb. Vgl. Lutz, Dissidenten, 99. Vgl. Kowalczuk, Prager Frühling, 290. Zwar stand in der DDR Robert Havemann für eine andere Form von Sozialismus, doch hatte er zu keinem Zeitpunkt vergleichbar prägenden Einfluss in die Masse der Bevölkerung hinein. Lutz sieht die Debatte um eine Reform des Sozialismus in der DDR nach Prager Muster als zentrales Thema der Generation der Kriegskinder an und verweist auf Rudolf Bahro. Gleichzeitig verweist sie auch auf Robert Havemann. Lutz, Dissidenten, 107. Fragebogen 16. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 18. Im Besitz der Verfasserin. Fragebogen 31. Im Besitz der Verfasserin.

Nachwirken von Prag 1968 in den Kirchen in der DDR?

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[sic!] Diakonie.‘“325 Ein weiterer späterer Pfarrer, 1952 geboren, schrieb, eigentlich über sein Engagement in den 1980er Jahren befragt: „Sozialismus mit menschlichem Antlitz hieß unsere Utopie. Der geistige Kopf dieser Bewegung in der DDR, Heino Falcke, sprach vom ,verbesserlichen Sozialismus‘. Das hat uns eingeleuchtet. […] 1968 – das war wohl das entscheidende Datum, so eine Art Initialzündung.“326 4.3. Nachwirkungen bis 1989? Die Situation 1989 weist weit über den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit hinaus, und es kann hier nicht der Ort sein, die Ereignisse von 1989 zu beleuchten327. Dass es 1989 zu einem Zusammenbruch des Systems kommen konnte, hat vielfältige Gründe und jeder Versuch, monokausal zu argumentieren, wirkt verkürzend328. So waren es weder ausschließlich die Massen 1989 auf den Straßen, noch ausschließlich Gorbatschow, die Situation in Polen, die Friedensgebete, die Ausreisebewegung, die katastrophale Situation in Wirtschaft und Umwelt usw329. Genauso wenig wäre es zulässig, den Prager Frühling als ausschließlich prägenden politischen Faktor für die Meinungsbildung der Menschen zu sehen, die sich später in den 1980er Jahren engagierten. Auffällig ist jedoch, dass es immer wieder Protagonisten von 1989 gibt, die selbst auf 1968 verweisen. In mancher Autobiographie wird dem Prager Frühling sogar ein Extrakapitel eingeräumt330. Bei einigen kann in der Tat eine biographische Linie vom politischen Engagement 1968 zu späterem Engagement bis 1989 und darüber hinaus gezogen werden. Dies gilt sowohl für Nichtchristen, Nichttheologen als auch für Theologen331. Christof Ziemer, 1968 Mitinitiator des Briefes der Ephorie aus Pirna, ist ein typisches Beispiel. Noch bekannter dürfte Hans-Jochen Tschiche sein, der auf dem Kirchentag in Stendal 1968 eine Systemveränderung in Ost und West forderte und von 1990 325 Fragebogen 11. Im Besitz der Verfasserin. 326 Brief von Johannes Staemmler an Katharina Kunter vom 31. 12. 1999, 1 f. Im Besitz von Katharina Kunter. (Autorisiert für diese Arbeit am 3. 5. 2011.) Lutz geht davon aus, dass nur die Generation, zu der jener Pfarrer gehört, von Prag beeinflusst war, weil sie sich hier erstmals gegen das Regime auflehnte. Vgl. Lutz, Dissidenten, 104. 327 Die Literatur zu 1989 ist Legion. Einen guten Einblick in die Situation bietet z. B. Kowalczuk, Endspiel. 328 Wielgohs und Pollack sprechen vom Zusammentreffen „unterschiedlicher – ökonomischer, politischer und kultureller, exogener und endogener – Prozesse“. Wielgohs / Pollack, Ressourcen und Gelegenheiten, 9. 329 Auch für Gorbatschows Reformen werden die Prager als Vorgänger bezeichnet. Vgl. Wilke, Interventionskoalition, 446. Bollinger bezeichnete die Reformen Gorbatschows als „Plagiat“ der Reformen in Prag. Vgl. Bollinger, Dritter Weg, 21. 26; vgl. auch K hne, 1968, 58. 330 Z. B. Schorlemmer, Heimat, 145 – 159. 331 Ein Beispiel aus dem nichtkirchlichen Bereich ist Rudolf Bahro. Vgl. Stçver, Leben, 49. Ein weiterer bekannter Bürgerrechtler ist Gerd Poppe. Vgl. Priess / Kural / Wilke, SED und „Prager Frühling“, 243.

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Motivationen und Handlungsorient. für das Handeln in den Kirchen

bis 1998 Fraktionsvorsitzender der Grünen im Magdeburger Landtag war. Nicht so bekannt ist Rudolf Rüther, der bis 1968 in der CDU engagiert war, aufgrund seiner Ablehnung des 21. Augusts 1968 aus allen Ämtern und schließlich aus der CDU gedrängt wurde und 1989 in Nordhausen Mitbegründer des Neuen Forums wurde. Auch die Jugendliche, die 1968 in Frankfurt / Oder verhaftet wurde, engagierte sich in den 1980er Jahren in der Friedensbewegung. Bekannt ist, dass 1989 eine Revolution war, die von der mittleren Generation getragen wurde, bei der von einer Prägung durch 1968 ausgegangen werden kann332. In der Literatur wird daher von den 1989ern auch als von „verspäteten 1968ern“ gesprochen333. Zwar blieb es 1968 in der DDR ruhig, doch fürchtete die SED zu Recht unter der Oberfläche gärende Prozesse, die sie zwar soweit unterdrücken konnte, dass sie nicht an die Oberfläche gelangten, die jedoch dadurch auch nicht sichtbar und nicht kontrollierbar waren334. Dass die Idee eines reformierbaren Sozialismus bzw. eines ,Dritten Weges‘ im Herbst 1989 noch einmal kurzzeitig aufflammte, war zum einen in solchen Prägungen aus den 1960er Jahren begründet, zum anderen war bis 1989 an eine dann so schlagartig eingetretene völlige Systemumwälzung noch gar nicht zu denken, und in Peking wurde noch im Sommer 1989 vorgeführt, dass es auch eine ,chinesische Lösung‘ gab. Dass die Idee eines reformierbaren ,verbesserlichen‘ Sozialismus ausgerechnet unter dem Dach der Kirchen in der DDR untergründig überlebte, hatte seine Wurzeln im Herrschaftsverhalten der SED. Da letztendlich allein die Kirchen übrigblieben, da diese nicht in das System der Massenorganisationen integriert waren, als widerwillig geduldeter, geschützter Raum, und weil durch den gemeinsam durchgehaltenen kirchlichen Widerstand gegen die neue Veranstaltungsverordnung von 1970 nur hier nichtangemeldete Veranstaltungen legal stattfanden, konnte sich in diesem resistent gebliebenen Zwischenraum Potential widerständigen Verhaltens sammeln335. 332 Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 370; so auch Eckert, 1968 und 1989, 22. Hermann verweist auf die Rede von 1989 als „Revolution der Vierzigjährigen“ und berichtet ebenfalls von der Erfahrung, dass Zeitzeugen von sich aus von 1968 erzählen. Vgl. Hermann, Sachsen, 5; ähnlich auch Grossbçlting, Niederschlagung, 819; so auch Allinson, Politics, 153. 333 Ohse geht davon aus, dass diese „Ost-68er“, die er auch als „verspätete 68er“ bezeichnet zwar in kirchlichen Kreisen und eventuell teilweise bei der sozialistischen Intelligenz diskurs- und mehrheitsfähig waren, jedoch nicht in der DDR-Gesellschaft insgesamt. Vgl. Ohse, Keinen Dubcˇek, 178. Pauer spricht von einer „unsichtbaren Generation“, die von 1968 inspiriert 1989 zum Zuge kam. Vgl. Pauer, 1968, 275. 334 Kowalczuk geht davon aus, dass 1968 zwar kein besonderes Jahr in punkto widerständigen Verhaltens in der DDR gewesen wäre, hier jedoch „Prozesse in Gang gesetzt wurden, die letztendlich zum Herbst 1989 hinführten.“ Kowalczuk, Prager Frühling, 290; und ders., Gefahr, 273. 335 Vgl. Stçver, Leben, 49. Ähnlich sah dies auch Eisenfeld: „So blieb der Geist des ,Prager Frühlings‘ im Wesentlichen nur noch unter dem Dach der evangelischen Kirche erhalten. Das zeigte auch eine spätere Befragung von Oppositionellen, die ihr widerständiges Verhalten zumeinst in die Tradition des ,Prager Frühlings‘ stellten.“ Eisenfeld, Hoffnung, 806. Ohse

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Die Integrationskraft von Prager Ideen, und der spätere Rückbezug auf diese lag nicht nur darin begründet, dass sich Anhänger sozialistischer und demokratischer Ideen hier wiederfinden konnten, sondern auch darin, dass das Experiment aus der Außenperspektive nicht zu Ende geführt worden war. Tschechoslowaken dachten hier durch die erlebten Panzer und die durchlebte ,Normalisierung‘ anders. Für sie war das Experiment endgültig gescheitert. Anders in der DDR: Durch die theoretische Offenheit – hätte, wäre, wenn – waren Träumen und Phantasie wenig Grenzen gesetzt, und Menschen unterschiedlichster Denkweisen glaubten, hier wieder ansetzten zu können336. Dagegen stimmte die Mehrheit der DDR-Bevölkerung 1989 und 1990 buchstäblich mit den Füßen ab337. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Ereignisse von 1968 für viele Menschen außerordentliche Bedeutung hatten, die später in den 1980er Jahren aktiv wurden. Doch wenn die prägende Kraft vom Prager Frühling 1968 auch ausgesprochen stark war, bildete er doch nicht den ausschließlichen Bezugsrahmen. Die Kriegs- und Nachkriegsgeneration war maßgeblicher vom II. Weltkrieg geprägt. Und auch nach 1968 traten prägende Momente hinzu. Frühere Prägungen eines Menschen bleiben zwar bestehen, doch sind sie nicht statisch zu verstehen und werden durch neue Ereignisse umgeprägt bzw. überlagert, wie die Friedensbewegung in den 1980ern, die in die Friedliche Revolution mündete, prägend war. Doch hören die Prägungen auch hier nicht einfach auf. Wie 1968 kein statisch prägendes Ereignis war, so auch nicht 1989. Kaum einer der Zeitzeugen schaute allerdings über die Zeit von 1990 hinaus. Jeweils nur einmal wurden Ereignisse nach 1989 als prägend benannt: der Golfkrieg 1991, der Bürgerkrieg in Jugoslawien, Afghanistan. In diesem Sinne sollte zwar ,Prag 1968‘ nicht zum alleinigen Fallstrick für das Regime 1989 stilisiert werden, doch war es kein unbedeutender Aspekt in einer Reihe von Prägungen338. sieht ein Bleiben von Prager Ideen vor allem bei Intellektuellen, Schülern und Studierenden. Vgl. Ohse, Keinen Dubcˇek, 177. 336 Vgl. Mitter / Wolle, Untergang, 370. Die beiden fragen, ob sich Akteure einen „vielleicht irrationale[n] Rest der romantischen Illusion des Prager Frühlings“ bis in den Herbst 1989 bewahrten, oder ob dies nur die Retrospektive und Mythenbildung so erscheinen ließ. Ebd. Auch Lutz kommt zu dem Schluss, dass Prag 1968 „zur Projektionsfläche für ein wie auch immer geartetes linkes bzw. humanistisches Gesellschaftskonzept in Ost und West“ wurde und bezeichnet Prag 1968 als „eine international beobachtete Spielwiese politischer Utopien von Menschen mit unterschiedlichsten politischen Zielen.“ Lutz, Dissidenten, 49. Linien lassen sich bis heute ziehen, wenn man bedenkt, dass im Parteiprogramm der Partei die Linke die Forderung eines demokratischen Sozialismus enthalten ist. Vgl. http://www.die-linke.de/partei/dokumente/programm-der-partei-die-linke/iii-demokratischer-sozialismus-im-21-jahrhundert. letzter Abruf: 6. 6. 2014. 337 Vgl. Eckert, 1968 und 1989, 22 f. 338 An dieser Stelle ist Allinson Recht zu geben: „While the construction of the Berlin Wall represented a physical watershed in the GDR’s development, 1968 was its ideological equivalent and a new test of the SED’s progress in socialising its subjects and its own ranks. […] However, 1968 alone did not determine the GDR’s ultimate fate. This depended on other, later factors […].“ Allinson, Politics, 139.

Schlussbetrachtung Für den Staat gab es nur entweder – oder. Landeskirchenleitungen, die auch nur leise Kritik übten oder ihre Pfarrer nicht maßregelten, galten als generell ,negativ‘. Landeskirchenleitungen, die nichts sagten, was den Staat störte, schätzte man als ,positiv‘ ein. Staatliches Ziel blieb, Geistliche zu finden, die öffentlich das gewalttätige Gebaren im Nachbarland gutheißen. Doch fanden sich dazu buchstäblich nicht mehr als eine Handvoll Theologen bereit. Auf jegliche kirchliche Kritik bzw. auf jeden anderen, eigenen Gedanken reagierten staatliche Stellen allergisch, aus Angst, Widerstand und Opposition Entwicklungsräume zu gewähren. Im Anschluss an den 21. August 1968 blieb es in der DDR weitgehend ruhig. Der Regierung der DDR gelang es, Proteste im Keim zu ersticken. 1968 bedeutete dennoch eine Scheidelinie. Hier gruppierten sich politische Lager um. Dies galt in erster Linie für jene Personen, die sich nach dem II. Weltkrieg vor allem für den Frieden engagierten und in diesem Ziel scheinbar mit sozialistischen Staatszielen übereinstimmten. Sie stellten die Sehnsucht nach Frieden über alle anderen Menschenrechte und wurden in ihrem Friedensstreben vom Staat instrumentalisiert. 1968 zerstob angesichts rollender sozialistischer Panzer und einer bedrängten, doch gewaltlos Widerstand leisˇ SSR der letzte Schein sozialistischer Friedenstenden Bevölkerung in der C rhetorik. Wenn es der Machtsicherung Moskaus diente, bedeutete Kampf für den Frieden nichts anderes als Krieg. Menschen, die sich in Organisationen wie der CFK in Ost und West engagierten, mussten sich entscheiden. Im August 1968 hielten sich Befürworter und Gegner des Einmarsches in Organisationen wie der CFK, dem Bund Evangelischer Pfarrer oder dem WAK etwa die Waage. Die einen hielten dem Staat weiterhin die Treue, befürworteten das militärische Vorgehen oder nahmen es als notwendiges Übel hin und ließen sich in der Folge ganz auf die real-sozialistische Ideologie ein. Die anderen distanzierten sich deutlich von der militärischen Lösung und wurden daraufhin aus prosozialistischen Gremien gedrängt oder legten von selbst ihre Ämter nieder. Das betraf bis zu einem Drittel der Mitglieder in den genannten Organisationen. Sie hatten die Entwicklungen in Prag begrüßt und strebten weiterhin nach einer gerechteren Gesellschaftsordnung. Einige finden sich in den 1980er Jahren in der Friedensbewegung wieder. Die CFK erholte sich von dieser Krise nicht mehr. Der WAK wurde stromlinienförmig auf sozialistische Linie gebracht, der Bund Evangelischer Pfarrer Anfang der 1970er aufgelöst. Welche Handlungsoptionen hatten die Kirchen angesichts einer militärischen Machtdemonstration und eines gewalttätigen Eingreifens im Nachbarland? Zur Auswahl stand nicht viel mehr als Akklamation, Schweigen oder

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Schlussbetrachtung

Nennung des Unrechts beim Namen. Letzteres konnten sie konkret tun, indem sie z. B. über Gebete, Predigten, Briefe, Kanzelabkündigungen, interne Veröffentlichungen, Synoden etc. eine Art kleiner Gegenöffentlichkeit schufen. Sie konnten für Menschen eintreten, die mit dem Regime in Konflikt geraten und dafür bestraft worden waren. Letzteres war im Prinzip nur inoffiziell möglich, was sich in die allgemeine Tendenz hin zu inoffiziellen Gesprächen einordnet1. Eine aktive Oppositionsrolle zu bilden lag 1968 in weiter Ferne, und die Kirchen verstanden sich auch nie in ihrem Selbstbild als Opposition. Eine Machtprobe mit dem Regime hätten die Kirchen 1968 nicht bestanden, zumal die Erinnerungen an die Konfrontationen in den 1950er Jahren noch frisch waren und tief saßen. Mit der neuen Verfassung waren die Kirchen in einen rechtsfreien Raum abgedrängt worden. Gleichzeitig bleibt kritisch zu bewerten, dass die Kirchenleitungen nicht mehr Mut in der Auseinandersetzung mit dem Staat fanden und sich nicht offener und nachdrücklicher für Inhaftierte einsetzten. Netzwerke bildeten sich erst in späteren Jahren heraus, vielleicht war auch die Nichtvernetzung 1968 ein Grund für spätere Versuche, sich enger zusammenzubinden. 1968 verhielten sich die Kirchenleitungen der acht evangelischen Landeskirchen sehr unterschiedlich. Dieses unterschiedliche Verhalten spiegelt nicht nur unterschiedliche Traditionen und Haltungen wider, sondern deutet auch den Handlungsspielraum an, der den evangelischen Landeskirchen gegeben war. Und es ist zu sehen, dass die Kirchenleitungen verschieden mutig oder weniger mutig darin waren, die Grenzen dieses Spielraumes auszuloten. Dabei sollte vermieden werden, aus der Rückschau und im Wissen um das Ende der DDR, Rückschlüsse auf den damaligen Handlungsspielraum zu ziehen. Aus der komfortablen Position einer freiheitlichen Gesellschaft kostet es weitaus weniger, eine abweichende Haltung an den Tag zu legen. Die Situation der östlichen Landeskirchen war keine in Freiheit. Anders als z. B. die Russisch-Orthodoxe Kirche fand sich keine Kirche, weder evangelisch noch katholisch noch eine Freikirche in der DDR, zu einer Akklamation des völkerrechtswidrigen Verhaltens des Warschauer Paktes bereit. Darüber hinaus sind alle Handlungsoptionen zu finden. Daher ist einerseits zu berücksichtigen, dass, obschon es kein gemeinsames Agieren der Kirchen gab, an dieser Stelle die Antwort nicht heißen kann, dass die Landeskirchen gar keinen Handlungsspielraum nutzten. Andererseits ist es als Erfolg der Differenzierungspolitik des Regimes zu werten, dass die Kirchen zu keiner gemeinsamen Stimme fanden. Auf der entscheidenden Sitzung scheiˇ SSR, am terten alle Versuche, selbst der einer gemeinsamen Fürbitte für die C Thüringer Bischof Moritz Mitzenheim. Eine gemeinsame Stimme jedoch, und wäre sie noch so leise gewesen, hätte ein Achtungszeichen bedeutet. Damals, für jene Menschen, die ob ihres Gewissens bereit waren, das Risiko einer Inhaftierung zu tragen, und auch heute. Dass der Solidaritätsbrief der Berlin1 Vgl. Pollack, Organisationsgesellschaft, 183, 217.

Schlussbetrachtung

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Brandenburgischen Kirche, der als Kanzelabkündigung verlesen wurde, als einzige Aktion jenseits des Eisernen Vorhangs bekannt wurde und heute die einzige Aktion einer Kirche ist, die, wenn überhaupt, über die eigenen Landeskirchengrenzen erinnert wird, zeigt eine Handlungsoption auf, die real gegeben war2. Die Kanzelabkündigung, die von mehreren hundert Pfarrern gegen das ausdrückliche Verbot des Staates verlesen wurde, war die größte gemeinsam durchgeführte Aktion, die 1968 in der DDR stattfand. Dennoch blieben Aussagen von den Kirchenleitungen, sofern sie getätigt wurden, vage und deutungsoffen. Wo von den Kirchenleitungen Handlungsmaximen für ihre Mitarbeitenden vorgegeben wurden – wie in Berlin-Brandenburg oder auch dazu gegensätzlich in Thüringen –, hielt sich die Mehrheit an die Vorgaben. Dabei wussten sich Christen aus Berlin-Brandenburg und ˇ SSR stellten, Görlitz, die sich leise oder laut gegen den Einmarsch in die C zumindest im Einvernehmen mit ihrer Kirchenleitung, auch wenn diese ihnen im konkreten Fall kaum helfen konnte. In Sachsen und der KPS wussten dies zumindest die Geistlichen. In Landeskirchen, in welchen die Kirchenleitung ˇ SSR bekannt gab, trauten sich auch eher die Pfarrer, etwas ihre Meinung zur C zu sagen. Alle Landeskirchenleitungen hatten Schwierigkeiten, ihren staatlichen Gesprächspartnern verständlich zu machen, warum sie jene Pfarrer, die viel klarer Positionen gegen den 21. August bezogen als sie selbst, nicht maßregelten. Dies war für die staatliche Seite schwer verständlich, weil dort eigenständiges Denken jenseits der Parteidoktrin mit entsprechenden Maßnahmen bestraft wurde. Den individuellen Faktor im Protestantismus suchte der Staat zwar einerseits in seiner Differenzierungspolitik für sich nutzbar zu machen, andererseits blieb dieser ihm zutiefst suspekt. 1968 verliefen Fälle, in denen Pfarrer sich weiter als erlaubt vorgewagt hatten und der Staat Konsequenzen forderte, kirchlicherseits im Sande. Die Kirchenleitungen stellten sich 1968 nicht hinter die Meinungen und Handlungen ihrer Pfarrer, aber schützten diese dennoch als ihre Pfarrer. Selbst in Thüringen widersprachen Pfarrer ihrer Kirchenleitung, ohne dass sie zu diesem Zeitpunkt ihr Amt gefährdet hätten. Unter den kirchlichen Mitarbeitenden war die Ablehnung der ,Hilfsmaßnahmen‘ allgegenwärtig. Die stärkste Motivation, sich gegen die staatliche Lesart der mit dem 21. August 1968 beginnenden ,Hilfsmaßnahmen‘ zu stellen, war die angenommene Beteiligung Deutscher und der sich damit aufdrängende Vergleich zu 1938. Darüber hinaus wünschten sich auch viele kirchliche Mitarbeiter Veränderungen wie im Nachbarland. Zahlreiche Pfarrer und alle kirchlichen Verantwortungsträger gehörten einer Generation an, 2 Nicht ganz die Hälfte der Zeitzeugen konnte sich noch an irgendein Handeln aus der eigenen Landeskirche erinnern. Das einzige kirchliche Unterfangen, welches über die Kirchengrenzen hinaus von einigen bis heute erinnert wird, ist dies, dass Schönherr einen Brief an die Kirchen in ˇ SSR geschrieben habe. Auswertung der Zeitzeugengespräche und Fragebögen. Im Besitz der der C Verfasserin.

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Schlussbetrachtung

ˇ SSR durch deutsche die selbst noch die vorhergehende Okkupation der C Truppen erlebt hatten. Die leitenden Geistlichen hatten während des Kirchenkampfes der 1930er und 1940er Jahre zu unterschiedlichen Flügeln der Bekennenden Kirche gehört. Aus der Tragödie des II. Weltkrieges war christlicher Pazifismus gestärkt hervorgetreten. Ein solcher vertrug sich nicht mit einer völkerrechtswidrigen militärischen Okkupation des Nachbarlandes. Der Vergleich von 1938 zu 1968 traf auf der staatlichen Seite den schmerzhaftesten Punkt3. Denn wichtigster Legitimationsfaktor der DDR war die Abgrenzung gegenüber der BRD als einzigem deutschen antifaschistischen Staat4. Nun wurde den Funktionären der Spiegel vorgehalten, dass das Verhalten der KPdSU und in ihrem Schlepptau auch der SED völkerrechtswidrig war, genauso wie die Annektierung der ,Rest-Tschechei‘ völkerrechtswidrig war. Damit war es faschistischem Gebaren durchaus ähnlich. Das verletzte zutiefst. Die SED reagierte aggressiv auf diesen Spiegel. Indem sie einen Vergleich 1938 – 1968 als westliche Propaganda abtat, und Menschen, die darauf aufmerksam zu machen suchten teilweise hart bestrafte, entledigte sie sich der unangenehmen Aufgabe, ihr eigenes Verhalten und das des ,Großen Bruders‘ ernsthaft zu reflektieren. Trotz des Schutzraumes der Kirche, die diesen ihren Mitarbeitern bot, bedeutete deren abweichendes Verhalten, Nachteile für die eigenen Kinder in Kauf zu nehmen. Für den einzelnen konnte allein eine nicht geleistete Unterschrift Relegation von der Schule, vom Studium, Behinderung im beruflichen Alltag bedeuten. Außerhalb des kirchlichen Schutzraumes führte eine wie auch immer versuchte abweichende öffentliche Meinungsäußerung zur Verhaftung. Die kirchlichen Strukturen konnten sie nicht schützen, und ob die Bitten und Gesuche der leitenden Geistlichen für ihre Glieder von Wirkung auf staatliche Entscheidungen waren, bleibt offen. Jede einzelne Äußerung, die nicht das gleiche sagte, wie der Staat forderte, bleibt als mutig zu honorieren. Es war ein Versuch, sich ein Minimum an innerer und äußerer Freiheit und aufrechten Ganges innerhalb eines Regimes zu erhalten, welches totale Unterwerfung in jedem Lebensbereich forderte. Mit der Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR wurde dann eine stärkere Vernetzung und die Verhinderung einer erneuten Pattsituation, wie sie 1968 entstanden war, angestrebt. Die Schwierigkeiten, in einer gemeinsamen Äußerung zur Verfassung auf einen Nenner zu kommen und die Unfähigkeit, nach der gewalttätigen Beendigung des Prager Frühlings zu einer Stimme zu finden, wirkten wie ein Katalysator auf die bereits be-

3 Der „diffamierende Vorwurf, die Hilfsaktionen vom 21. 8. sei […] mit der hitlerischen Annektion der CSR von 1938 gleichzusetzen, ist entschieden zurückzuweisen.“ Vermerk über den Inhalt einer politischen Information des Staatssekretärs an die politischen Mitarbeiter am 29. 8. 1968, 2 f. (BArch DO 4/423). 4 So auch Allinson, Politics, 151.

Schlussbetrachtung

513

gonnenen Überlegungen über einen engeren Zusammenschluss der östlichen Landeskirchen5. ˇ SSR waren in den Die Kontakte zwischen den Kirchen in der DDR und der C 1960er Jahren ein wichtiger Weg, direkte Informationen über die Situation im Nachbarland zu erhalten. Die Kirchenleitungen in der DDR nahmen den Reformprozess mit großem Interesse auf, allerdings nicht aufgrund seiner politischen Prägung, sondern weil die Kirchenleitungen von den sich abschwächenden Beschränkungen der religiösen Entfaltungsmöglichkeiten der Kirchen in der Tschechoslowakei erfuhren. Im Prager Frühling sahen die Kirchen daher nicht in erster Linie eine Chance auf eine funktionierende Zivilgesellschaft im modernen Sinne und auf bürgerliche Freiheiten, sondern schlicht einen Weg aus der Unterdrückung hin zur Duldung durch den Staat. Sie hofften auf eine weniger repressive Staatskirchenpolitik. Eine einzigartige Besonderheit stellen die Kontakte zwischen den Kirchen insofern dar, als dass sie nach dem 21. August im Gegensatz zu allen anderen institutionellen ˇ SSR anhielten. Dass sich die Kirchen in der Kontakten zwischen DDR und C ˇ SSR zu begrüßen, war die wichtigste DDR weigerten, die Okkupation in der C Voraussetzung für die anhaltenden guten Beziehungen und für die Versöhnungsarbeit der Kirchen.

5 Vgl. Pollack, Organisationsgesellschaft, 221 f.

Quellen- und Literaturverzeichnis Unveröffentlichte Quellen Staatliche Archive Archiv für Christlich-Demokratische Politik St. Augustin / Bonn (ACDP): Zentralbestand Ost-CDU: 07-010-236; 07-010-3252; 07-010-3456; 07-010-6053; 07-011-256; 07-011-257; 07-011-261; 07-011-262; 07-011-263; 07-011-265; 07-011-267; 07-011-268; 07-011-270; 07-011-632; 07-011-2163; 07-012-1536; 07-012-2111; 07-013-2121; 07-013-2126; 07-013-2127; 07-013-2129; 07-013-2136; 07-013-2139; 07-013-2164; 07-013-3060; 07-013-3062; 07-013-3252; 07-013-3253; 07-013-3309; 07-013-3495; 07-013-3994

Bundesarchiv (BArch)

Bestand DO 4: Staatssekretär für Kirchenfragen: 152; 24; 249 255; 258; 273; 313; 328; 330; 355; 400; 401; 402; 423; 424; 429; 433; 435; 437; 438; 439; 440; 444; 487; 494; 535; 539; 566; 579; 584; 646; 647; 650; 671; 791; 792; 793; 794; 795; 796; 1249; 1358; 1437; 1438; 2873; 2874; 2884; 2936; 2946; 2950; 2951; 2954; 2956; 2957; 2958; 2962; 2963; 2966; 2967; 2968; 2969; 2970; 2971; 2972; 2973; 2975; 2976; 4774; 4775; 6298

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch) Bestand DY 30/IV 2/14: ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen: DY 30/IV/A2/14/3; DY 30/IV/A2/14/4; DY 30/IV A2/14/5; DY 30/IV A2/14/6; DY 30/IV A2/14/7; DY 30/IV A2/14/10; DY 30/IV A2/14/11; DY 30/IV A2/14/15; DY 30/IV A2/14/20; DY 30/IV A2/14/22; DY 30/IV A2/14/23; DY 30/ IV A2/14/24; DY 30/IV A2/14/27; DY 30/ IV A2/14/34; DY 30/IV A2/14/36; DY 30/IV A2/14/43

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) BStU, MfS, AIM 2834/88 II,2 BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6134; Nr. 6774; Nr. 7069; Nr. 7106 BStU, MfS, BV Berlin, AKG, Nr. 479; Nr. 510 BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 375, Nr. 378; Nr. 380; Nr. 520 BStU, MfS, BV Dresden, AKG, Nr. 7549 BStU, MfS, BV Dresden, KD Sebnitz, Nr. 4155

516

Quellen- und Literaturverzeichnis

BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 3065; Nr. 3073; Nr. 3115 BStU, MfS, BV Rostock, Leiter, Nr. 19 BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 265; Nr. 835; Nr. 1086; Nr. 1233; Nr. 1241; Nr. 3233; Nr. 3238; Nr. 3289; Nr. 8386 BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6774; Nr. 7069; Nr. 7106 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1445; Nr. 1462; Nr. 1466; Nr. 1544; Nr. 1547; Nr. 1549; Nr. 1550; Nr. 1560; Nr. 1561; Nr. 1570; Nr. 1573; Nr. 1579; Nr. 1591; Nr. 1598; Nr. 1611; Nr. 1624; Nr. 5403

Kirchliche Archive Archiv der Evangelischen Kirche der Schlesischen Oberlausitz (AKKVSOL)

Bestand 10: Provinzialsynode der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes: 2713, 2714 Bestand 11: Kirchenleitung: 673 Bestand 12: Konsistorium: 289, 336, 411, 683, 684, 1307, 1442

Archiv der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder/ Cˇeskobratrsk c rkev evangelick (Archiv CˇCE) Karton XXVI 7 Zahranicˇn c rkve Neˇmecko. vy´ch. i z p. 1945 – 1954, 1927 – 1934. Akce „Tabarz“ 1958 – 1968. ˇ eskobratck c rkve evang. od 3. ledna 1968 do 18.XII 1968 Z pisy ze zased n synon rady C Nr. 46

Evangelisches Landeskirchliches Archiv in Berlin (ELAB)

Bestand: ELAB 1: Evangelisches Konsistorium Berlin-Brandenburg (West): 1/380, 1/910 Bestand: ELAB 35: Evangelisches Konsistorium Berlin-Brandenburg (Ost) 35/719 Bestand 37: Nachlass Zimmermann, Wolf-Dieter: 37/293; 37/294

Evangelisches Zentralarchiv in Berlin (EZA)

Bestand 4: Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle 4/22 Bestand 8: Kirchenkanzlei der EKU-Bereich Bundesrepublik Deutschland und Berlin West: 8/979, 8/1122 Bestand 89: Christliche Friedenskonferenz, Regionalkonferenz DDR: 89/49, 89/80 Bestand 101: Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR:

Unveröffentlichte Quellen

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101/50 Bestand 102: Geschäftsstelle der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR: 102/13, 102/210, 102/211, 102/212, 102/13, 102/15, 102/292, 102/374 Bestand 104: Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR: 104/127, 104/944 Bestand 108: Kirchenkanzlei der EKU -Bereich DDR-: 108/1086, 108/1849 Bestand 675: Nachlass Bassarak, Gerhard: 675/108, 675/109, 665/149 Bestand 686: Nachlass Gollwitzer, Helmut: 686/8601

Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (AKPS)

Bestand A: Konsistorium der Kirchenprovinz Sachsen: A, Gen. 3640 A, Spec P. PA – 639a. Bestand B: Bischöfliche Registraturen: Bestand B2: Bischof Johannes Jänicke: B2, 221 Bestand B3: Bischof Werner Krusche: B3, Nr. 13.; B3, Nr. 14; B3, Nr. 28; B3, Nr. 133; B3, Nr. 359; B3, Nr. 365; B3, Nr. 366; B3, Nr. 367; B3 Nr. 368, B3, Nr. 472; B3, Nr. 603; B3, Nr. 667 Bestand C 1: Synode C1, Nr. 96

Landeskirchliches Archiv Greifswald der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (LKAG)

Bestand 3: Bischofskanzlei Krummacher: 3; 13; 62; 168; 194; 196a Bestand 5: Konsistorium: 5/10612 Bd. XVIII 5/30202 Bd. X Bestand 10: ESG: Allgemeine und verschiedene Angelegenheiten 1959 – 73

Landeskirchliches Archiv Außenstelle Schwerin (LKAS) Bestand 3: Oberbehörden: OKR Gen (alt) 129 LB Beste 139 und 309

Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (LKA DD) Bestand 1: Landessynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1948 – 1996: Nr. 330, Nr. 341, Nr. 343, Nr. 384, Nr. 390 Bestand 2: Landeskirchenamt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1945 – 1990:

518

Quellen- und Literaturverzeichnis

Nr. 560, Nr. 569, Nr. 835, Nr. 836 Best. 4: Kirchenleitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens Nr. 32

Landeskirchenarchiv Eisenach (LKAE)

Bestand A: Landeskirchenamt / Landeskirchenrat, Allgemeine Abteilung: A 800 10/11; A 860 17/4; A 860 19/2; A 860 21/3; A 122; A 190; A 783 Bd. 11 Bestand: R: Landeskirchenamt / Landeskirchenrat, Rechtsabteilung: R 212 Band 1 und 2 Bestand: Nachlass Mitzenheim: MM 87; MM 109

Kirchenkreise Ephoralarchiv Pirna

Akte 596

Weitere archivalische Quellen Nachlass Hrom dka ETF (Evangelick teologick fakulta)

ˇ eskoslovensky´ vy´bor obr ncu˚ m ru atd.: Bestand 3 – 28 KMK, C 6, 8, 9, 10, 11, 12, 14, 24 Bestand 3 – 29 1, 2, 14, 24

Konsistorium Magdeburg

Personalakte Tschiche im Konsistorium Magdeburg.

Privatbesitz

Walter Feurich, Dresden (PB Feurich) Ludwig Große, Bad Blankenburg (PB Große) Pfarrer i.R. Theo Lehmann, Chemnitz (PB Lehmann) Peter Schicketanz, Hannover (PB Schicketanz)

Mündliche und schriftliche Auskünfte Hintergrundgespräche

Theodor Gill am 8. 12. 2009. Ludwig Große am 17. 8. 2009. Einer der Verhafteten am 28. 10. 2009. Eine der Verhafteten und ihr Vater am 4. 1. 2010. Heino Falcke am 24. 11. 2009. Pavel Kalus am 16. 3. 2010. Werner Krusche am 26. 3. 2009.

Unveröffentlichte Quellen Ulrich Kühn am 19. 11. 2009. Rüdiger Lux 24. 11. 2009. Citrad Novak 24. 3. 2010. Carl Ordnung am 2. 12. 2009. Miroslav Rozborˇil am 24. 3. 2010. Christoph Schmidt am 6. 8. 2005. Albrecht Schönherr am 9. 8. 2005. Dietrich Spranger am 8. 8. 2005. Jakub Trojan am 17. 3. 2010. Hans-Jochen Tschiche 8. 1. 2010. Christof Ziemer am 1. 8. 2005.

Fragebögen

34 Fragebögen anonymisiert.

weitere Auskünfte

Brief eines Pfarrers, damals Ephorie Pirna, an die Verfasserin vom 28. 5. 2011. Brief eines Pfarrers, damals Ephorie Pirna, an die Verfasserin vom 3. 7. 2011. Brief eines Pfarrers aus Berlin-Brandenburg an die Verfasserin vom 10. 6. 2011. Brief Hüttel von Heidenfeld an die Verfasserin vom 10. 8. 2005. Brief Klaus-Peter Hertzsch an die Verfasserin vom 17. 9. 2009 Brief Martin Kramer an die Verfasserin vom 11. 1. 2010. Brief Martin Kramer an die Verfasserin vom 18. 1. 2010. Brief eines Zeitzeugen an Katharina Kunter vom 27. 3. 2000. Brief von Theo Lehmann an die Verfasserin vom 21. 10. 2009. Brief von Christian Näcke an die Verfasserin vom 4. 8. 2005. Brief von Eberhard Natho an die Verfasserin vom 15. 7. 2012. Brief von Walter Taut an die Verfasserin vom 23. 10. 2009. Email eines sächsischen Pfarrers an die Verfasserin vom 7. 9. 2011. Email eines 1968 Verhafteten an die Verfasserin vom 31. 5. 2009. Email von Ludwig Große an die Verfasserin vom 20. 2. 2010. Email von Peter Schicketanz an die Verfasserin vom 12. 8. 2010. Email von Jakub Trojan an die Verfasserin vom 9. 11. 2011. Email von Rudolf Mau an die Verfasserin vom 27. 10. 2009. Email von Rudolf Mau an die Verfasserin vom 10. 11. 2009. Email von Peter More an die Verfasserin vom 2. 2. 2011. Email von Heino Falcke an die Verfasserin vom 4. 8. 2009. Email von Günter Preckel an die Verfasserin vom 6. 2. 2012. Email von Alfred Radeloff an die Verfasserin vom 11. 7. 2012. Klaus Goldhahn. Anmerkungen zum Expos Juli 2008. Mündliche Auskunft von Martin Lerchner Telefongespräch mit Heino Falcke am 2. 8. 2009.

519

520

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Veröffentlichte Quellen und Literatur Die in Zeitschriften und dem Kirchlichen Jahrbuch veröffentlichten Schreiben sind nicht einzeln aufgeführt.

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Veröffentlichte Quellen und Literatur

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Veröffentlichte Quellen und Literatur

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Abkürzungsverzeichnis AGCK ACFV AKG AKPS AKKVSOL APU BArch BEK BK BND BRD BStU

Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der DDR Allgemeine Christliche Friedensversammlung (en. ACPC) Auswertungs- und Kontrollgruppe Landeskirchliches Archiv der Kirchenprovinz Sachsen Archiv der Evangelischen Kirche der Schlesischen Oberlausitz Evangelische Kirche der Altpreußischen Union Bundesarchiv Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR Bekennende Kirche Bundesnachrichtendienst Bundesrepublik Deutschland Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR BV Bezirksverband CDU Christlich-Demokratische Union CFK Christliche Friedenskonferenz (cz: KMK, en: CPC) CIA Central Intelligence Agency ˇ SR/C ˇ SSR Tschechoslowakische Sozialistische Republik C DBD Demokratische Bauernpartei Deutschlands DC Glaubensbewegung Deutsche Christen DDR Deutsche Demokratische Republik DD LKA Landeskirchenarchiv der Sächsischen Landeskirche DSF Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft EKBB Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder EKD/EKiD Evangelische Kirche in Deutschland EKM Evangelische Kirche Mitteldeutschlands EKU Evangelische Kirche der Union ELAB Evangelisches Landeskirchen Archiv Berlin ena Evangelischer Nachrichtendienst in der DDR epd Evangelischer Pressedienst EOS Erweiterte Oberschule ESG Evangelische Studentengemeinde EZA Evangelisches Zentralarchiv FDJ Freie Deutsche Jugend GM Geheimer Mitarbeiter des MfS HA XX/4 Hauptabteilung des MfS, zuständig für Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund HJ Hitlerjugend

540 IM JG KD KEK KJVD KG KGB KKL KL KPD KPdSU KPS ˇ KSC KV KZ LABB LDP LKAE LKAS LBG LPG LWB MdB MfS NATO ND NDP NF NKFD NS NT NVA OKR OLKR ÖRK OV PB PHS PT PUT RA RdB

Abkürzungsverzeichnis

Inoffizieller Mitarbeiter des MfS Junge Gemeinde Kreisdienststelle MfS Konferenz Evangelischer Kirchen Kommunistischer Jugendverband Deutschlands Kirchengeschichte Komitet gossudarstwennoj besopasnosti, sowjetischer Gemeindienst Konferenz evangelischer Kirchenleitungen in der DDR Kirchenleitung Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kirchenprovinz Sachsen ˇ eskoslovenska (Kommunistische Partei Komunistick Strana C der Tschechoslowakei) Kreisverband Konzentrationslager Landeskirchliches Archiv Region Berlin Brandenburg Liberaldemokratische Partei Deutschlands Landeskirchenarchiv Eisenach Landeskirchenarchiv Schwerin Lutherische Bekenntnisgemeinschaft Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Lutherischer Weltbund Mitglied des Bundestags Ministerium für Staatssicherheit North Atlantic Treaty Organization Neues Deutschland Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationale Front Nationalkomitee freies Deutschland Nationalsozialismus Neues Testament Nationale Volksarmee Oberkirchenrat bzw. Oberkonsistorialrat Oberlandeskirchenrat Ökumenischer Rat der Kirchen Operativer Vorgang Politbüro Parteihochschule Praktische Theologie Politische Untergrundtätigkeit Regionalausschuss der CFK Rat des Bezirkes

Abkürzungsverzeichnis

541

RdK RWB SA SED SPD ST StB S C UdSSR UNO ˇ V KSC

Rat des Kreises Reformierter Weltbund Sturmabteilung Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Systematische Theologie ˇ SR / C ˇ SSR) St tn bezpecˇnost (Staatssicherheitsdienst in der C St tn fflrˇad pro ve˘ci c rkevn (Staatsamt für Kirchenfragen) Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations Organisation Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei VEB Volkseigener Betrieb VELKD Vereinigte Lutherische Kirche Deutschlands VELKDDR Vereinigte Lutherische Kirche in der DDR VVO Veranstaltungsverordnung WAK Weißenseer Arbeitskreis ZAIG Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe ZK Zentralkomitee Alle sonstigen Abkürzungen entsprechen dem Standard der Theologischen Realenzyklopädie (TRE).

Biogramme / Personenverzeichnis Bei unvollständigen Daten sind diese entweder nicht zu ermitteln gewesen oder unterlagen dem Datenschutz. Personen, die nur innerhalb von Aufzählungen in den Fußnoten vorkommen, werden nicht berücksichtigt. Adenauer, Konrad 118 geb. 5. 1. 1876 Köln, gest. 19. 4. 1967 Bad Honnef-Röhndorf Jurist, 1917 – 1933 Oberbürgermeister von Köln, 1920 – 1933 Präsident des preußischen Staatsrats, 1945 Oberbürgermeister von Köln, 1946 – 1949 CDU-Vorsitzender in der britischen Besatzungszone, 1950 – 1966 Bundesvorsitzender der CDU, 1949 – 1963 erster Bundeskanzler der BRD, 1951 – 1955 zugleich Bundesaußenminister. Alstein, Joachim 311 geb. 18. 7. 1905 Wesenberg, gest. 31. 12. 1991 Ludwigslust 1932 Ordination, 1932 – 1953 Pastor in Alt Strelitz, 1953 – 1973 Landessuperintendent in Ludwigslust. Amberg, Ernst-Heinz, Prof. 362 geb. 11. 6. 1927 Kayna (bei Zeitz) amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1946 Studium in Leipzig, 1956 Promotion, 1960 Habilitation, 1961 – 1965 Dozent für ST, 1965 – 1992 Professur für ST in Leipzig, 1970 – 1990 Mitgl. der Sächsischen Landessynode, 1968 Stimmenthaltung als Dekan wegen der Sprengung der Paulinerkirche. Ammer, Heinrich 122, 324, 326 – 329, 333, 338, 349, 353, 492 geb. 20. 2. 1909 Stadtroda Thüringen, gest. am 3. 8. 1976 Magdeburg 1934 Ordination, 1936 Pf. der BK in Potsdam, ab 1938 Pf. in Emden, 1939 – 1947 in Krieg und Kriegsgefangenschaft, 1947 Pf. in Genthin, ab 1952 Konsistorialrat, 1958 – 1974 Oberkonsistorialrat. Bahro, Rudolf 504 f geb. 18. 11. 1935 Bad Flinsberg, gest. 5. 12. 1997 Berlin 1954 – 1959 Studium Philosophie in Berlin, Redakteur für verschiedene Zeitungen, 1972 – 1977 Dissertation, Ablehnung, 1973 – 1976 Manuskript „Die Alternative“, 1977 Verhaftung, Urteil auf 8 Jahre Freiheitsentzug, 1979 Entlassung in die BRD, 1979 – 1985 Mitgl. Die Grünen, Promotion und Habilitation, freier Publizist, 1990 a.o. Prof. für Solzialökonomie in Berlin. Bandt, Hellmut, Prof. 158, 186 – 192, 197 f, 309 geb. 23. 9. 1917 bei Berlin, gest. 19. 5. 1976 Greifswald Studium in Berlin, 1937 wegen BK vom Studium verwiesen, 1955 Promotion, seit 1958 Prof. für ST in Greifswald, Mitgl. im WAK und in der CFK. Barth, Karl, Prof. 471 f, 482, 492 geb. 10. 5. 1886 Basel, gest. 10. 12. 1968 vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 27.

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Biogramme / Personenverzeichnis

Barth, Willi 366 geb. 15. 9. 1899 Ingersleben, gest. 5. 5. 1988 Berlin Tischler, 1920 KPD, 1930 stellv. Bürgermeister von Ingersleben, 1931 – 1933 Bezirkssekretär der „Roten Hilfe“ des Bezirksverbands Thüringen, 1934 – 1936 Emigration in Prag, 1938 – 1942 Emigration und Inhaftierung in England und Kanada, 1942 – 1946 Tischler, Rückkehr, verschiedene Parteifunktionen, 1954 – 1977 Leiter der AG/Abteilung Kirchenfragen beim ZK der SED. Bassarak, Gerhard, Prof. 135, 154, 158 – 160, 163, 165, 182, 185 f, 195, 197 – 199, 240, 253, 448 geb. 3. 2. 1918 Ostpreußen, gest. 22. 9. 2008 Schildow 1945 – 1950 Studium in Halle, 1953 Ordination, 1953 – 1957 Reisesekretär der ESG der DDR und Studentenpf. in Berlin, 1958 Mitbegründer des WAK, 1965 Promotion in Prag, 1963 – 1976 Internationaler Sekretär der CFK, 1978 – 1990 Vizepräsident der CFK, 1967 Prof. für Ökumenik in Halle, ab 1969 in Berlin, 1983 emeritiert. Beim MfS als IM „Bus“ geführt. Beckmann, Joachim, Prof. 272 geb. 18. 7. 1901 Wanne-Eickel, gest. 18. 1. 1987 Düsseldorf vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 31. Bellmann, Rudolf (Rudi) 163 f geb. 6. 11. 1919 in Lengenfeld, gest. 6. 1. 2002 1934 – 1937 Rechtsanwaltslehrling und Prozessagent, 1937 – 1944 Wehrmacht, 1944 – 1946 sowjetische Kriegsgefangenschaft, Mitgl. NKFD, 1946 SED, verschiede Funktionen in der Presse, 1955 – 1976 polit. Mitarbeiter bzw. stellv. Leiter Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, von 1977 – 1988 Leiter derselben, 1989 Ruhestand. Bellstedt, Fritz 326, 351 geb. am 25. 3. 1929 Landmaschinenschlosser, bis 1950 in Landwirtschaft tätig, 1957– Juli 1989, erst als Referent, dann Leiter des Sektors Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Magdeburg. Bengsch, Alfred, Dr. Kardinal 31, 72, 77, 204, 216, 460 geb. 10. 9. 1921 Berlin, gest. 13. 12. 1979 Berlin 1941 – 1944 Wehrmacht, 1944 – 1946 amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1946 – 1950 Studium, 1950 Priesterweihe, 1956 Promotion, seit 1959 Weihbischof in Berlin, seit 1961 Bischof von Berlin, 1962 Erzbischof, 1967 Kardinal, ab 1961 Vorsitzender der Berliner Ordinarienkonferenz (ab 1976 Berliner Bischofskonferenz). Bentzien, Hans 363 geb. 4. 1. 1927 Greifswald 1944 Wehrmacht, NSDAP, 1945 britische Kriegsgefangenschaft, 1945/46 KPD/SED, 1946 – 1948 Neulehrer in Greifswald, 1948 – 1950 Studium Geschichte, verschiedene SED-Funktionen, 1955 – 1958 Studium in Moskau, 1958 – 1961 Sekretär für Kultur und Bildung der SED-Bezirksleitung Halle, 1961 – 1966 Kulturminister, nach 11. Plenum des ZK der SED abgelöst, 1966 – 1975 Direktor des Verlages Neues Leben in Berlin, Wechsel zu Funk und Fernsehen, 1989/90 Generalintendant des Fernsehens der DDR bzw. des DFF. Bernhardt, Karl-Heinz, Prof. 186, 193, 241 geb. 21. 7. 1927 in Erfurt, gest. 12. 8. 2004 Dresden 1952 Assistent in Greifswald, 1957 Habilitation, 1959 Prof. für AT in Rostock, 1966

Biogramme / Personenverzeichnis

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Berlin, 1965 – 1985 Vorsitzender des DDR-RA der CFK, beim MfS als IM „Jäger“ geführt. Beste, Niklot, Dr., Bischof 77, 139, 204, 206 – 208, 211 f, 215 f, 285, 310 – 315, 321, 388 geb. 30. 6. 1901 Ilow, gest. 24. 5. 1987 Gießen vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 36. Bickelhaupt, Götz 151 geb. 9. 6. 1928, gest. 30. 11. 1982 1950 Ordination, ab 1955 Pf. in Lauscha / Thüringen, ab 1981 in Gera, in den 1960ern zeitweilig stellv. Vorsitzender des Bundes evangelischer Pfarrer, Mitgl. CDU, CFK. Bicˇ, Milosˇ, Prof. 125 f, 272 geb. 19. 11. 1910 Wien, gest. 28. 4. 2004 Prag Studium von Theologie und Philologie in Prag, Marburg und Montpellier, Pf. in Domazˇlice, während der NS-Zeit verhaftet, 1940 – 1945 Zwangsarbeiter, zeitweise in Buchenwald und Dachau, ab 1948 Prof. für AT in Prag, Mitbegründer der CFK, 1977 aus politischen Gründen pensioniert. Biermann, Wolf 501 geb. 15. 11. 1936 Hamburg Liedermacher, 1953 Übersiedlung in die DDR, Studium, 1961 – 1963 Aufbau des Berliner Arbeiter- und Studententheaters b.a.t., verboten, Kandidat der SED, gestrichen, seit 1963 freischaffend, zeitweise Auftrittsverbot, Freundschaft mit Robert Havemann, 1965 erste Lieder und Gedichte in BRD veröffentlicht, 1965 totales Auftritts- und Publikationsverbot, 1976 erster öffentlicher Auftritt, Genehmigung Tournee durch die BRD, Ausbürgerung, Proteste, viele Preise. Bischoff, Wilhelm 123 geb. 5. 8. 1930 Schmersau Studium in Berlin und Göttingen, 1955 Vikar, 1958 Hilfsprediger in Halle, 1958 Studium klassischer Philologie und Archäologie, 1963 Rektor des Proseminars in Naumburg, 1975 Pf. in Salzwedel, 1983 Oberkonsistorialrat in Magdeburg, 1990 Ruhestand. Blake, Eugene Carson 143 – 145, 205, 331, 373 geb. 7. 11. 1906 St. Louis, gest. 31. 7. 1985 Davenport 1928 Theologiedozent in Lahore (Indien), 1932 presbyterianischer Pfarrer in New York, 1935 in Albany (New York), 1940 in Pasadena (Kalifornien), 1951 Generalsekretär der Presbyterianischen Kirche in den USA, ab 1954 Mitgl. im Zentralausschuss, Exekutivausschuss und Finanzausschuss des ÖRK, 1966 – 1972 Generalsekretär des ÖRK. Bloch, Ernst, Prof. 472, 482, 492 geb. 8. 7. 1885 Ludwigshafen (Rhein), gest. 4. 8. 1977 Tübingen 1905 – 1908 Studium der Philosophie in München und Würzburg, 1908 Promotion, 1917 – 1919 Journalist in der Schweiz, Reisen, 1926 – 1933 Publizist in Berlin, Emigration, 1938 – 1949 USA, 1948 Prof. in Leipzig, 1957 Zwangsemeritierung, Vortragsreisen, 1961 nicht in die DDR zurückgekehrt, Gastprof. in Tübingen, 1968 Unterstützung der Studentenbewegung. Braecklein, Ingo 84, 122, 137, 411 f, 491 geb. 29. 8. 1906 Eisenach, gest. 5. 8. 2001 Triptis ab 1927 Studium in Jena, Marburg, Tübingen, 1931 Pf. in Esperstedt / Kyffhäuser, 1933 – 1939.1945 – 1950 Pf. in Allendorf, 1933 NSDAP, Wittenberger Bund, 1939 – 1945

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Biogramme / Personenverzeichnis

Wehrmacht, britische Kriegsgefangenschaft, 1950 – 1959 Superintendent in Weimar, 1959 OKR und Mitgl. des Landeskirchenrates, 1970 – 1978 Bischof in Thüringen, Präses der 1. Synode des BEK, 1978 Ruhestand, beim MfS als IM „Ingo“ geführt. Brandt, Willy 246, 498 geb. 18. 12. 1913 Lübeck, gest. 8. 10. 1992 Unkel SPD-Politiker, 1949 – 1957 MdB, 1950 – 1957 Mitgl. seit 1955 Präsident des Westberliner Abgeordnetenhauses, 1957 – 1966 Regierender Bürgermeister von Westberlin, 1964 – 1987 Vorsitzender der SPD, 1966 Stellv. von Kiesinger und Bundesminister des Auswärtigen, 1969 – 1974 Bundeskanzler. Breitmann, Walter 280 geb. 21. 11. 1902 Dresden, gest. 1. 7. 1983 Liegnitz 1933 – 1945 in der illegalen SPD, Oberreferent beim Rat des Bezirkes Dresden, 1962 Ruhestand. Breschnew, Leonid 94, 98, 100 geb. 19. 12. 1906, gest. 10. 11. 1982 Moskau 1938 Gebietssekretär der KPdSU in der Ukraine, 1941 – 1945 Politischer Kommissar in der Roten Armee, 1950 1. Sekretär der Moldawischen SSR, 1952 Sekretär des ZK, 1957 Mitglied des Präsidiums der KPdSU, 1957 Politbüro, ab 1964 1. Sekretär, ab 1966 Generalsekretär des ZK der KPdSU. Brix, Eckhardt 261 geb. 15. 5. 1910, gest. 28. 4. 1991 1961 – 1976 Superintendent in Berlin. Br he, Hans-Joachim 267 f geb. 1926 Pf. in Grünfeld, im Vorstand des Bundes evangelischer Pfarrer. Br sewitz, Oskar 499 geb. 30. 5. 1929 Willkischken, Litauen, gest. 22. 8. 1976 Halle / S. 1944 Wehrdienst, Kriegsgefangenschaft, Schumacher, 1964 – 1969 Predigerschule in Erfurt, 1970 Ordination und Pf. in Rippicha, 18. 8. 1976 öffentliche Selbstverbrennung in Zeitz. Bultmann, Rudolf, Prof. 472 geb. 20. 8. 1884 Wiefelstede (Oldenburg), gest. 30. 7. 1976 Marburg vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 48. Bunzel, Gotthard 277, 283 geb. 31. 10. 1916 Gersdorf, Kreis Bunzlau, gest. 26. 3. 2008 1937 – 1941 Theologiestudium in Tübingen, Berlin und Breslau, 1943 Ordination, 1949 – 1981 Konsistorialrat in Görlitz, 1982 Ruhestand. Bursche, Julius, Bischof 303 geb. 16. 9. 1862 Kalisz, gest. 20. 2. 1942 Berlin in Haft vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 49. Casalis, George, Prof. 63, 164, 169, 177 f, 182 geb. 4. 1. 1917 Reims, gest. 16. 1. 1987 Managua 1935 – 1939 Studium der Theologie in Paris und Basel, Mitarbeit in R sistance, 1946 französischer Militärpfarrer in Berlin, 1960 – 1973 Prof. in Paris; Vizepräsident der CFK, im Zuge der Krise 1970 von seinen Ämtern der CFK enthoben.

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Chabada, J n 137, 414, 443 geb. 10. 2. 1915 V glasˇ, gest. 18. 4. 1970 Bratislava 1933 – 1937 Studium in Bratislava, ab 1951 Generalbischof der evangelischen Kirche A.B. in der Slowakei, engagiert in CFK. Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch 94 geb. 3. bzw. 15. 4. 1894 Kalinowka, 11. 9. 1971 Moskau 1918 Mitgl. der KPdSU und der Roten Armee, verschiedene Funktionen, 1934 – 1966 Mitglied des ZK der KPdSU, 1939 – 1964 Mitglied des PB der KPdSU, 1939 1. Sekretär des ZK der KPdSU in der Ukraine, 1953 – 1964 1. Sekretär des ZK der KPdSU, 1948 – 1964 sowjetischer Ministerpräsident, 1964 abgesetzt. Cieslak, Johannes 379, 497 geb. 14. 1. 1914 Seifhennersdorf, gest. 19. 8. 2003 ebenda Ofensetzermeister, 1934 – 1937 inhaftiert, ab 1942 Wehrmacht, 1951 – 1983 Mitgl. der Sächsischen Landessynode, Mitgl. Lückendorfer Arbeitskreis, 1967 – 1983 Präsident der Sächsischen Landessynode, Mitgl. der KKL, 1969 – 1977 Mitgl. des Präsidiums der BEK-Synode. ˇ estm r 164 C sarˇ, C geb. 28. 1. 1920 Hostomitz, gest. 24. 3. 2013 Prag ˇ , 1957 Chefredakteur Rud Pravo und 1961 ab 1945 verschiedene Funktionen in der KSC Nov mysl, 1963 Minister für Schulwesen, 1965 Botschafter in Bukarest, April bis ˇ , Juni–November 1968 Vorsitzender des TscheAugust 1968 Sekretär des ZK der KSC chischen Nationalrates, 1970 Parteiausschluss. Coch, Friedrich, Bischof 359 geb. 11. 12. 1887 Eisenach, gest. 9. 9. 1945 Hersbruck vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 52. Cox, Harvey, Prof. 472 geb. 19. 3. 1929 Malvern / Pennsylvania amerikanischer Theologe, 1957 ordiniert zum baptistischen Pf., 1963 Dr. phil, 1969 Prof. in Harvard, Schwerpunkte: Ökumenische Theologie und Befreiungstheologie, 1965 Stadt ohne Gott?. ˇ apek, Vladim r 141 C geb. 11. 10. 1902 Trˇebechovice pod Orebem, gest. 4. 6. 1981 Pf. der EKBB, Vizesenior der EKBB 1956 – 1969. ˇ ern k, Oldrˇich 97, 101, 153, 383 C geb. 27. 10. 1921 Moravsk Ostrava, gest. 19. 10. 1994 Prag 1958 – 1970 Mitgl. des ZK, 1963 – 1968 Vorsitzender der staatlichen Plankommission, 1966 – 1979 Mitgl. des Parteipräsidiums, 1968 – 1970 Ministerpräsident, Ende 1970 Parteiausschluss. ˇ h k, Jaroslav 108, 165, 170 C geb. 20. 6. 1921, gest. 25. 8. 1993 1954 Pf. in Jesen k, später Olmütz und Prag, 1961 Sekretär der CFK, tritt in Folge der Krise um Hrom dka und Ondra zurück. Demke, Paul 300 geb. 29. 1. 1897 Nieder Cosel / Rothenburg, gest. 21. 8. 1960 Görlitz 1924 Ordination in Breslau, Pf. in Görlitz ab 1950, Superintendent in Görlitz ab 1950.

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Biogramme / Personenverzeichnis

Detert, Ernst 248, 263 f geb. 1. 4. 1900 Berlin, gest. 14. 2. 1984 1927 Pf. in Brügge, 1933 in Rathenow, nach II. Weltkrieg Superintendent in Oranienburg. Dibelius, Friedrich Karl Otto, Dr. Lic., Bischof 119, 138, 154, 224, 469 geb. 15. 5. 1880 Berlin, gest. 31. 1. 1967 Berlin (West) vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 58. Dieckmann, Johannes 341, 362 geb. 19. 1. 1893 Fischerhude, gest. 22. 2. 1969 Berlin 1919 Generalsekretär der DVP Osnabrück, 1921/22 Duisburg, 1922 Dresden, 1929 – 1933.1946 – 1952 Abgeordneter des Sächsischen Landtags, 1933 – 1939.1941 – 1945 Geschäftsleiter im Bereich Kohle erst Sachsen, dann Schlesien, 1945 Mitgründer der LDPS, Vorsitzender der LDPD-Fraktion, 1948 – 1952 Minister für Justiz in Sachsen, ab 1949 einer der stellv. Vorsitzenden der LDPD, seit 1949 Präsident der (erst provisorischen) Volkskammer, ab 1960 einer der stellv. Vorsitzenden des Staatsrats. Dobrkovsky´, Miloslav 122 geb. 1920, gest. 1996 ˇ esk Trˇebov . Pfarrer der EKBB in Prag, Horowitz, Pilsen und C Dohle, Horst, Prof. 490 geb. 2. 10. 1935 Rabenstein 1952 SED, 1953 – 1957 Studium der Geschichte, 1963 Promotion, ab 1963 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Referat für Kirchenfragen im RdB Dresden, ab 1965 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Staatssekretärs für Kirchenfragen, ab 1969 Sektorenleiter für Kirchenfragen beim RdB Dresden, 1974 – 1988 persönlicher Referent des Staatssekretärs, 1989 Habilitation, 1990 Pressesprecher des Amtes für Kirchenfragen beim DDR-Ministerrat, Ruhestand, vom MfS als IME „Horst“ geführt. Dubcˇek, Alexander 29, 46, 62, 76, 95 – 103, 107, 116, 120, 153, 178, 183, 223, 262, 293 f, 315, 320 f, 346, 355, 365, 383, 384, 397, 404, 420, 433, 444 f, 492, 504 geb. 27. 11. 1921 Uhrovec, gest. 7. 11. 1992 Prag ˇ , 1963 – 1968, 1. Sekretär der slowakischen KP, 1968 1. 1958 – 1970 Mitgl. des ZK der KSC ˇ Sekretär der KSC, 17. 4. 1969 abgewählt, 25. 5. 1970 Parteiausschluss, 1989 rehabilitiert, Präsident des Parlaments bis 1992. Dulles, John Foster 118 geb. 25. 2. 1888 Washington D.C., gest. 24. 5. 1959 ebenda Jurist und Politiker, 1911 – 1949 Anwalt, US-Delegierter bei der Gründung der UNO, Ende der 1940er Berater des Außenministers, 1953 – 1959 Außenminister der USA unter Eisenhower. Dutschke, Rudi 15, 161, 437 geb. 7. 3. 1940 Schönefeld (Brandenburg), gest. 24. 12. 1979 Aarhus (Dänemark) 1961 Übersiedelung nach Westberlin, Wortführer der Studentenbewegung, führendes Mitgl. im SDS (Sozialistischen Studentenbund Deutschlands), 1968 durch ein Attentat schwer verletzt. Eichenberg, Friedrich-Carl 348 – 352, 361 geb. 3. 8. 1915 Chemnitz, gest. 12. 11. 2007 Klein-Schwechten 1937 – 1939.1950 – 1953 Studium in Leipzig, Tübingen, Berlin, 1940 – 1949 Wehrmacht

Biogramme / Personenverzeichnis

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und Kriegsgefangenschaft, 2. 8. 1953 Ordination, Pf. in Breitenbrunn, 1960 in Freiberg, 1966 1. Domprediger Stendal und Propst der Altmark, 1980 Ruhestand. Eisenfeld, Bernd 449 geb. 9. 1. 1941 Falkenstein / Vogtland, gest. 12. 6. 2010 Berlin Lehre Bankkaufmann, 1959 – 1961 Studium der Finanzwirtschaft in Gotha, tätig in unterschiedlichen Banken, seit 1964 verschiedene Protestbriefe, 1966 – 1967 Bausoldat, vom MfS OV eingeleitet, Betätigungsverbot in der Staatsbank, 1968 Finanzökonom im Chemieingenieurbau in Leipzig, wegen Flugblättern gegen den 21. August 2 12 Jahre Haft, 1975 Übersiedlung in die BRD, bis 1989 vom MfS bearbeitet, 1992 – 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der BStU. Falcke, Heino, Dr. 35, 91, 126, 358, 359, 444, 448, 464, 467, 472, 484 – 495, 505 geb. 12. 5. 1929 Reisenburg / Westpreußen 1946 – 1951 Studium in Berlin, Göttingen und Basel, seit 1952 im Dienst der KPS, 1954 – 1956 Studieninspektor am Predigerseminar Wittenberg, 1956 wiss. Assistent an der Universität Rostock, dort Promotion und Habilitation, 1958 – 1963 Gemeindepfarrer, 1963 – 1973 Rektor des Predigersemiars der EKU in Gnadau, 1973 Propst in Erfurt, 1988/89 stellv. Vorsitzender der ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, 1994 Ruhestand. Fehlberg, Gotthart Albrecht Willibald 383 f geb. 8. 9. 1906 Dindigul (Ostindien), gest. 6. 1. 1974 Karl-Marx-Stadt 14. 5. 1933 Ordination in Sosa / Erzgebirge, 1935 Pf. in Oberwiesenthal, 1937 in Kamenz, 1947 in Leipzig, 1953 Pf. und Superintendent in Karl-Marx-Stadt I, emeritiert 1973. Feurich, Walter 186, 360 geb. 4. 10. 1922 Dresden, gest. 4. 2. 1981 Dresden Studium in Leipzig, 1944 Vikar der BK, 1946 ordiniert, Pf. in Dresden, 1945 – 1948 Mitglied CDU, Gründer der Kirchlichen Bruderschaft Sachsens 1961, Mitglied im Friedensrat der DDR, im Regionalausschuss der CFK in der DDR, Mitherausgeber von Glaube und Gewissen, vom MfS als IM „Klemm“ geführt. Figur, Fritz 239, 242, 260 f geb. 14. 2. 1904 Berlin, gest. 29. 5. 1991 1930 Pf. in Berlin, Mitgl. BK, 1947 – 1969 Superintendent in Berlin, ab 1955 Vizepräses, 1959 – 1970 Präses der Synode in Berlin-Brandenburg, 1965 Vizepräses der EKDSynode, 1967/77 Verwalter des Bischofsamtes von Berlin-Brandenburg. Fleischhack, Heinz 210 geb. 16. 6. 1913 Magdeburg, gest. 9. 4. 1988 Halle / S. 1932 – 1936 Studium in Halle und Marburg, Mitgl. BK, 1939 ordiniert, Hilfsprediger in Eisleben, 1942 – 1949 Kriegsdienst und – gefangenschaft, 1950 – 1955 Pf. in Eisleben, 1955 – 1958 Mitgl. des Konsistoriums der KPS, 1958 – 1978 Propst in Magdeburg und Stellv. des Bischofs. Flint, Fritz 204 geb. 11. 3. 1917 Bad Doberan, gest. 7. 6. 1999 Kaufmännische Ausbildung und Verkäufer, 1938 – 1945 Wehrmacht, 1945 britische Kriegsgefangenschaft, 1946 CDU, verschiedene CDU-Funktionen, 1957/58 Vorsitzender des BV Cottbus, danach Groß-Berlin, Berliner Abgeordneter in der Volkskammer, 1960 – 1977 Stellvertreter des Staatssekretärs für Kirchenfragen, 1977 Ruhestand.

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Biogramme / Personenverzeichnis

Fçrster, Erwin Alfred 122 f geb. 28. 1. 1901 Ebersdorf / Thüringen, gest. 10. 12. 1980 Herrnhut 1921 Apothekerlehre in Neuwied, 1922 Studium der Theologie, 1929 Ordination, 1932 Pfarrer in Neusalz (Oder), 1935 Mitglied der Direktion, 1937 Mitglied der Herrnhuter Missionsdirektion, Schul- und Pfarrdienst während der Kriegszeit, 1947 Rückkehr in die Direktion, 1961 Vorsitzender der Direktion der Brüder-Unität, 1971 Ruhestand. Forck, Gottfried, Dr. Bischof 219 geb. 6. 10. 1923 Ilmenau, gest. 24. 12. 1996 Rheinsberg 1942 Wehrmacht, amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1947 – 1951 Studium in Bethel, Basel, Heidelberg, Westberlin, 1954 – 1959 Studentenpfarrer in Ostberlin, 1956 Promotion, 1959 – 1963 Pf. in Lautawerk, 1963 – 1972 Leiter des Brandenburger Predigerseminars, seit 1971 Mitglied der KL, ab 1973 Mitglied der Synode des BEK, 1977 Vizepräses, ab 1973 Generalsuperintendent in Cottbus, 1981 – 1991 Bischof in BerlinBrandenburg, 1984 – 1987 Vorsitzender des Rates der EKU. Fr nkel, Hans-Joachim, Bischof 15, 69, 77, 204, 207 – 212, 269 – 301, 305, 311, 335, 369, 458 f, 466 f, 469, 493 geb. 31. 8. 1909 Liegnitz, gest. 21. 12. 1996 Marburg 1928 – 1932 Theologiestudium in Breslau und Tübingen, 1935 Verhaftung in Oppeln, 1936 Ordination, 1936 – 1943 Pfarrer in Prischen, Kaltwasser, Seidenberg, 1937 Verhaftung in Görlitz, 1940 Wehrmacht, 1941 Verwundung, 1943 – 1945 Pfarrer in Breslau, 1945 Mitglied der Kirchenleitung, 1947 – 1949 Kirchenrat in Görlitz, 1950 Oberkonsistorialrat, 1964 – 1979 Bischof in Görlitz, 1969 – 1973 Vorsitzender des Rates der EKU. Frielinghaus, Dieter, Dr. 62, 186 – 189, 195 geb. 14. 11. 1928 Braunschweig Studium in Göttingen, 9. 11. 1957 Ordination reformierter Pf. in Dresden, ab 1975 – 1993 in Bergholz, 1984 – 1990 Vorsitzender des Moderamens der reformierten Gemeinden in der DDR, Mitgründer Kirchliche Bruderschaft Sachsens, Mitgl. im Regionalausschuss der CFK, heute Mitgl. DKP. Fritzsch, Günter 365 1968 Student in Leipzig, Physiker. Fritzsch Harald, Prof. 364 f geb. 1943 1968 Student in Leipzig, Physiker. Fuchs, Emil, Prof. 119, 148, 199, 362 geb. 13. 5. 1874 Beerfelden (Odenwald), gest. 13. 2. 1971 Berlin (Ost) vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 82. Funk, Theophil, Dr., 186 f, 192 geb. 11. 12. 1912 Budapest, gest. 1. 1. 1983 Dresden Methodist, ab 1931 Studium Theologie, Anglistik, Geschichte, in Leipzig, Tübingen, Heidelberg, Sarospatak (Ungarn), ab 1936 Prediger, 1940 – 1945 Wehrmacht, 1940 Promotion, nach 1945 Jugendarbeit, 1952 – 1961 Dozent an der Schule der Methodistenkirche in Bad Klosterlausnitz, 1961 Pf. in Plauen, 1971 in Dresden, 1973 Ruhestand, seit 1959 Mitgl. in CFK, leitete CFK Studienkommission Frieden und Ökumene in der DDR.

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Funke, Gotthold, 477 geb. 1. 4. 1901, gest. 1. 3. 1975 1934 Pf. in Betsche, 1944 in Rietdorf, 1945 – 1967 in Dahme, dort auch Superintendent. Funke, Wolfgang, 266 f geb. 20. 10. 1910, gest. 7. 3. 1998 Superintendent in Kyritz-Wusterhausen Fuss, Gottfried Wilhelm Otto 379 geb. 28. 1. 1906 Frankenstein, gest. 11. 9. 1981 Holzminden 5. 6. 1932 Ordination in Cavertitz (Oschatz), 1934 Pf. in Cavertitz / Olganitz, 1948 Pf. in Dresden, 1951 Oberkirchenrat in der Sächsischen Landeskirche, 1971 emeritiert. Galley, Hans Detlof 311 geb. 19. 8. 1907 Colmar / Elsass, gest. 7. 8. 1993 1931 – 1946 Pastor in Dambeck / Kreis Ludwigslust, 1939 – 1941 Heeresdienst, 1946 Pastor in Rostock, 1960 – 1975 Landessuperintendent des Kirchenkreises Güstrow. Gardavsky´, V teslav, Dr. 471 f, 504 geb. 24. 10. 1923 Ostrava, gest. 7. 3. 1978 in Proset n Dramatiker, Dichter, marxistischer Philosoph, 1951 Berufssoldat, 1953 Dozent an der Militärakademie in Brünn, zunächst für internationale Beziehungen, ab 1955 für Philosophie, 1963 Promotion, 1968 Habilitation, November 1970 Parteiausschluss, Entlassung aus Armee und Akademie, 1971 – 1973 Tankwart, 1974 – 1978 Verkäufer, Lagerarbeiter, Fahrer, Veröffentlichungen im Samisdat, starb an physischer und psychischer Entkräftung durch Verhöre, Durchsuchungen, Anklagen etc. des StB, Protagonist des christlich-marxistischen Dialogs. Genetzke, Günter 254 geb. 30. 8. 1912, gest. 20. 4. 1974 Superintendent in Spremberg. Gerhard, Werner 204 geb. 23. 6. 1910 Hochkirch bei Liegnitz 1935 Hilfsprediger in Waldenburg, seit 1937 verschiedene Pfarrämter, seit 1958 Kreisoberpfarrer, seit 1963 Oberkirchenrat, 1977 Ruhestand. Gienke, Horst, Bischof 302 geb. 18. 4. 1930 Schwerin 1949 – 1954 Studium in Rostock, 1954 Ordination, Pf. in Blankenhagen, 1960 in Rostock, 1964 – 1971 Rektor des mecklenburgischen Predigerseminars, seit 1964 Mitglied der mecklenburgischen Synode, 1969 – 1989 der Synode des BEK, 1972 – 1989 Bischof in Greifswald, 1973 – 1976. 1987 – 1989 Vorsitzender des Rates der EKU, 1976 – 1981 Vorsitzender der AGCK, 1989 Vertrauensentzug durch Synode, vom MfS als IM „Orion“ registriert. Gill, Theodor Heinrich, Bischof 123, 199 geb. 11. 11. 1928 Paramaribo / Suriname Studium der Theologie in Berlin, Göttingen, Basel, 1955 Ordination, 1958 Dozent am Zinzendorf-Seminar in Gnadau, 1960 Direktor der Gnadauer Anstalten, 1965 Pfarrer in Gnadau (zusätzlich), 1971 nebenamtliches Mitglied der Direktion, 1973 hauptamtliches Mitglied der Direktion, 1980 Bischof.

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Biogramme / Personenverzeichnis

Gollwitzer, Helmut, Prof. 63, 119, 472 geb. 29. 12. 1908 Pappenheim, gest. 17. 10. 1993 Berlin (West) vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 90. Gorbatschow, Michail Sergejewitsch, 98, 116, 501, 505 geb. 2. 3. 1931 Priwolnoje Jurastudium in Moskau, 1952 KPdSU, verschiedene Funktionen, 1971 Mitgl. des ZK, 1978 ZK Sekretär für Landwirtschaft, 1980 Mitgl. des PB, 1985 – 1991 Generalsekretär der KPdSU, 1988 – 1991 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets, 1990 Friedensnobelpreis. Gçtting, Gerald 63, 140, 169, 220, 374, 414 geb. 9. 6. 1923 Nietleben 1942 – 1945 Reichsarbeitsdienst, Wehrmacht, 1946 CDU, 1947 – 1949 Studium, verschiedene Funktionen in der CDU, 1949 – 1990 Abgeordneter der Volkskammer, 1954 – 1958 stell. Präsident der Volkskammer, 1960 – 1989 stellv. Vorsitzender des Staatsrats, seit 1963 Mitgl. des Albert-Schweitzer-Komitees, 1966 – 1989 CDU-Vorsitzender, 1969 – 1976 Präsident der Volkskammer, 2. 11. 1989 Rücktritt als Vorsitzender der CDU, 17.11. Abberufung aus dem Staatsrat, Dez. 1989–Febr. 1990 U-Haft, 1991 Parteiausschluss. Graefe, Heinz 281 geb. 3. 10. 1911 Pless / Oberschlesien, gest. 10. 1. 1997 Forchheim 1937 Ordination in Kattowitz, 1954 – 1976 Pf. und Superintendent in Hoyerswerda, 1976 emeritiert. Grosse, Ludwig 416, 422 – 426, 504 geb. 27. 2. 1933 Zeutsch / Saale 1951 – 1956 Studium in Jena, 1957 – 1970 Pfarrer in Tannroda, 1966 Synodaler der thüringischen Landessynode, 1970 – 1988 Superintendent in Saalfeld, seit 1959 Mitgl., seit 1960 Landesbruderrat und seit 1980 Vorsitzender der LBG, ab 1973 Mitgl. der Synode des BEK, 1977 – 1989 Mitgl. der KKL, 1981 Mitvorbereitung der ersten ,Umweltsynode‘ in Thüringen, 1989 Moderator am Runden Tisch Bildung in Erfurt, 1992 Mitglied der EKD-Synode. Hager, (Leonhart) Kurt, Prof. 46, 76, 97, 164 geb. 24. 7. 1912 Bietigheim, gest. 18. 9. 1998 Berlin 1930 KPD, 1933 KZ Heuberg, 1934 Schweiz, 1937 – 1939 im spanischen Bürgerkrieg, Exil in Großbritannien, 1946 Rückkehr, verschiedene Funktionen bei Propaganda, 1949 Prof. für Dialektik und historischen Materialismus in Berlin, 1954 Mitgl. und 1955 Sekretär des ZK der SED, ab 1963 Mitgl. des PB und Leiter der Ideologischen Kommission beim PB, 1958 Abgeordneter der Volkskammer, ab 1967 Vorsitzender des Ausschusses für Volksbildung der Volkskammer, 1976 – 1989 Mitgl. des Staatsrats, 1989 Ausscheiden aus Funktionen, 1990 Ausschluss aus SED-PDS. Hahn, Hugo, Bischof 359 geb. 22. 9. 1886 Reval, gest. 5. 11. 1957 Dresden vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 97. H jek, Jirˇ , Prof. 97, 504 geb. 6. 6. 1913 bei Benesˇov, gest. 22. 10. 1993 Prag Politiker, 1939 verhaftet, in Haft bis Ende des Zweiten Weltkriegs, 1945 – 1958 Abgeordneter der Nationalversammlung, 1953 Prof. für Internationale Beziehungen in Prag, 1955 – 1958 Botschafter in Großbritannien, 1958 – 1962 stellv. Außenminister, 1962 –

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ˇ SSR bei der UN, anschließend Erziehungsminister, ab 8. 4. 1968 1965 Vertreter der C Außenminister, September 1968 Rücktritt, 1970 Parteiausschluss, Mitunterzeichner der Charta 77. Hamel, Johannes Gotthilf Heinrich 26, 63 f, 69 f, 86, 89, 119, 142, 174, 337, 339 – 341, 344 – 347 geb. 19. 11. 1911 Schöningen, gest. 1. 8. 2002 Wernigerode Studium in Tübingen, Königsberg, Halle, 1938 Vikar BK Magdeburg und Halle, Hilfsprediger, 1942 – 1945 Soldat, 1945 Lagerpf. Florenz und Pisa, 1946 – 1955 Studentenpfarrer in Halle, 1953 verhaftet, 1955 – 1976 Dozent für Praktische Theologie am Katechetischen Oberseminar Naumburg, mehrmals Rektor, 1951 – 1973 Mitgl. der Synode der KPS und der EKU. Hammerstein, Franz von, Dr. 129 geb. 6. 6. 1921 Kassel, gest. 15. 8. 2011 Berlin 1944/45 als Sippenhäftling inhaftiert, 1946 – 1950 Studium in Bethel, Göttingen, Chicago, Washington D.C., Mitbegründer von Aktion Sühnezeichen 1958, 1968 – 1975 Generalsekretär in Westdeutschland, 1976 – 1978 Referent für Jüdisch-christlichen Dialog beim ÖRK, 1978 – 1986 Direktor der Evangelischen Akademie in Berlin. Havel, V clav 116 geb. 5. 10. 1936 Prag, gest. 18. 12. 2011 Vlcˇice-Hr decˇek tschechischer Schriftsteller, Dissident und Politiker, 1968 Vorsitzender des „Klubs unabhängiger Schriftsteller“, Aufführungs- und Publikationsverbot, Mitinitiator der Charta 77, mehrmals inhaftiert, 1989 bis 1992 Staatspräsident der Tschechoslowakei, 1993 bis 2003 Präsident von Tschechien. Havemann, Robert, Prof. 94, 225, 433, 451, 504 geb. 11. 3. 1910 Berlin, gest. 9. 4. 1982 Grünheide 1929 – 1933 Chemiestudium in München und Berlin, 1935 Promotion, 1943 Habilitation, 1943 als Leiter einer antifaschistischen Widerstandsgruppe zum Tode verurteilt, ab 1946 Prof. für Physikalische Chemie in Berlin, 1949 Übersiedlung in die DDR nach Protest gegen Nuklearpolitik der USA, Abgeordneter der (provisorischen) Volkskammer, 1950 SED, 1964 Ausschluss aus SED, fristlose Entlassung, Berufsverbot, Hausarrest, bedeutendster Systemkritiker in den 1960ern. Heidenfeld, Konrad Hüttel von 17 geb. 23. 3. 1930 Merseburg 1961 – 1967 Pf. in Leuna, 1967 – 1972 Studentenpfarrer in Leipzig, 1972 Leiter Predigerseminar Brandenburg, 1979 – 1995 Pf. in Berlin-Buch. Heinemann-Gr der, Curt-Jürgen 198, 264 – 266 geb. 20. 8. 1920 Berlin, gest. 4. 11. 2010 Karlsruhe Kriegsdienst und 1943 – 1947 französische Gefangenschaft, 1947 – 1952 Studium in Bethel, Heidelberg, Berlin, 1951 Übersiedelung in DDR, 1954 Ordination, Pf. in Dobbrikow, 1957 Provinzialpf. in Potsdam, 1961 – 1974 Pf. und Superintendent in Gramzow, Übersiedlung in BRD, ab 1975 Pf. in Niefern, 1981 emeritiert, bis 1969 Mitgl. in WAK und CFK. Heller, Jan, Prof. 62, 126, 473, 479 – 481, 484 geb. 22. 4. 1925 Pilzenˇ, gest. 15. 1. 2008 Prag 1945 – 1948 Studium in Prag und Basel, 1948 – 1951 Vikar der EKBB in Horˇovice, ab 1950 Dozent für AT, 1966 – 1968 Dozent an der Humboldt Universität und der Kirch-

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Biogramme / Personenverzeichnis

lichen Hochschule in Westberlin, 1977 – 1992 Prof. für AT in Prag, führender Übersetzer des Alten Testamentes der Tschechischen ökumenischen Übersetzung von 1979, Mitgl. in CFK. Hempel, Johannes, Dr. Bischof 14, 294 geb. 23. 3. 1929 Zittau Studium in Tübingen, Heidelberg, Westberlin, 1952 Rückkehr in die DDR, 1955 – 1958 Pf. in Gersdorf, 1958 – 1963 Pf. in Leipzig, Promotion, 1963 – 1971 Studentenpf. in Leipzig, 1967 – 1971 Studiendirektor am Leipziger Predigerkolleg, 1972 – 1994 Bischof in Sachsen, 1982 – 1986 Vorsitzender der KKL, 1983 – 1991 einer der Präsidenten des ÖRK, 1991 stellv. Vorsitzender des Rates der EKD, 1994 Ruhestand. Hertzsch, Klaus-Peter, Prof. 158, 161, 191, 200 f, 423 geb. 23. 9. 1930 Jena Studium Theologie und Germanistik in Jena, Zürich, 1957 – 1959 Vikariat und Konviktsinspektor in Jena, 1959 – 1966 Studentenpf. in Jena, bis 1966 Generalsekretär der Geschäftsstelle der ESG in Berlin, 1957 Promotion, 1968 Dozent, 1974 – 1995 Prof. für PT in Jena, seit 1977 Mitgl. der thüringischen Synode, 1978 – 1990 Mitgl. der Synode des BEK, ab 1960 Mitgl. CFK. Heyl, Wolfgang 276 geb. 21. 8. 1921 Borna, gest. 14. 5. 2014 1939 NSDAP, 1941 – 1945 Soldat, seit 1949 CDU, verschiedene Funktionen, 1954 – 1958 Vorsitzender des BV Leipzig, 1958 – 1966 stellv. Generalsekretär der CDU, 1958 – 1990 Mitgl. der Volkskammer, 1963 – 1989 Vorsitzender der CDU-Fraktion, 1966 – 1971 Mitgl. des Präsidiums und des Sekretariats des CDU-Hauptvorstandes, 1971 – 1989 stellvertretender Vorsitzender der CDU, 1976–Nov. 1989 Mitglied des Präsidiums der Volkskammer. Hildebrandt, Franz-Reinhold 86, 88, 239, 255 geb. 12. 1. 1906 Brausberg (Ostpreußen), gest. 18. 12. 1991 vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 112 f.. Himmel, Hermann 261 geb. 21. 6. 1908, gest. 17. 9. 1984 1956 – 1973 Superintendent in Berlin-Lichtenberg. Hoffmann, (Karl-) Heinz 341 geb. 28. 11. 1910 Mannheim, gest. 2. 12. 1985 Strausberg 1930 KPD, 1935 Emigration in die UdSSR, 1937 – 1939 im Bürgerkrieg in Spanien, 1941 – 1944 Mitarbeit im Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR, 1942 – 1944 Lehrer einer Antifa-Schule, 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1946/47 persönlicher Mitarbeiter von Wilhelm Pieck, dann Walter Ulbricht, verschiedene Funktionen, 1952 – 1955 Chef der Kasernierten Volkspolizei, ab 1952 Mitgl. im ZK der SED, 1957 – 1960 1. Stellv. und 1960 – 1985 Minister für Nationale Verteidigung, ab 1961 Armeegeneral. Honecker, Erich 485 geb. 25. 8. 1912 Neunkirchen / Saar, gest. 29. 5. 1994 Santiago de Chile 1930 KPD, 1937 – 1945 inhaftiert, 1946 Erster Vorsitzender der FDJ, seit 1949 Mitgl. ZK der SED, ab 1958 Mitgl. des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, seit 1971 Vorsitzender und erster Sekretär des ZK der SED, seit 1976 Generalsekretär und Vorsitzender des Staatsrats, 1989 Rücktritt von allen Ämtern.

Biogramme / Personenverzeichnis

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Hornig, Ernst, Bischof 269, 271, 300 geb. 25. 8. 1894 Kohlfurt, gest. 5. 12. 1976 Bad Vilbel-Heilsberg vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 116 f.. Hrom dka, Josef Lukl, Prof. 85, 88, 90, 108, 118, 120, 123, 125 f, 132, 140 f, 144, 151, 154 – 156, 159 – 161, 164 – 181, 185, 193, 199, 208, 217, 253 – 257, 279, 283, 311, 319, 328, 345 f, 372, 426, 438, 443, 471 f, 477, 481 geb. 8. 6. 1889 Hodslavice (Mähren), gest. 26. 12. 1969 Prag 1907 – 1912 Studium in Wien, Basel, Heidelberg, Aberdeen, 1912 ordiniert, 1919 Habilitation, ab 1920 Professor ST in Prag, Vorsitzender der tschechoslowakischen christlichen Studentenbewegung, 1939 Emigration in die USA, Lehre in Princeton bis 1947, Rückkehr nach Prag, 1950 – 1966 Dekan, 1948 – 1968 Mitgl. des Zentralausschusses des ÖRK, 1957 Lenin-Preis, 1958 Mitinitiator der CFK, deren Präsident bis 1969, Mitinitiator des christlich-marxistischen Dialogs. ˚ za, Karel 103, 109, 115, 164, 167, 175, 179, 182 Hru ˇ SSR vor 1968 und wieder ab Sommer 1969. Leiter des staatlichen Kirchenamtes in der C Hus k, Gustav 103 f geb. 10. 1. 1913 Dfflbravka, gest. 18. 11. 1991 Bratislava ˇ , führend beteiligt am slowakischen slowakischer kommunistischer Politiker, 1933 KSC Nationalaufstand, verschiedene Parteifunktionen, 1950 – 1960 inhaftiert, 1963 rehabiˇ , 1975 – 1989 litiert, politischer Wiederaufstieg, 1969 – 1987 Generalsekretär der KSC ˇ SSR. Staatspräsident der C Ihmels, Ludwig, Prof. Bischof 359 geb. 29. 6. 1858 Middels (Ostfriesland), gest. 7. 6. 1933 Leipzig vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 120 f.. Iwand, Hans Joachim, Prof. 119, 149 geb. 11. 7. 1899 Schreibendorf (Schlesien), gest. 2. 5. 1960 Bonn vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 121. Jacob, Günter, Dr. 127, 133 f, 138, 140, 151 f, 181, 183, 184, 199, 224 – 227, 232, 243, 250, 252 – 256, 274, 279, 457, 496 geb. 8. 2. 1906 Berlin, gest. 29. 9. 1993 Berlin vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 122. J nicke, Johannes, Bischof 21, 32, 84, 122, 132, 204 f, 207, 210, 322 – 328, 338 – 340, 343, 350, 357, 372, 458, 467, 496 geb. 23. 10. 1900 Berlin, gest. 30. 3. 1979 Halle / S. vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 123. Jenssen Hans-Hinrich, Prof. 462 geb. 11. 11. 1927 Greifswald, gest. 10. 2. 2003 Berlin 1955 Promotion, 1956 Pf. in Spantekow / Mecklenburg, 1960 – 1993 Prof. für PT an der Humboldtuniversität in Berlin, 1964 – 1968 Dekan der theologischen Fakultät in Berlin, Mitgl. im Hauptvorstand der CDU. Johannes, Kurt 68, 84, 294, 300, 359, 369, 371, 373 f, 377 – 379, 381, 391, 400 geb. 13. 7. 1905 St. Avold / Lothringen, gest. 15. 6. 1981 Dresden Jurist, seit 1933 Anwalt, 1940 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1949 Wechsel in den kirchlichen Dienst, 1950 Kirchenrat, 1957 OKR, 1959 OLKR, 1960 – 1975 Präsident des sächsischen Landeskirchenamtes.

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Biogramme / Personenverzeichnis

Juergensohn, Gerhard 78, 274, 280, 283, 291, 296 geb. 22. 2. 1911 Mohilow / Rußland, gest. 23. 3. 1996 Berlin 21. 6. 1937 Ordination in Berlin, 1940 Pf. in Reetz / Belzig, 1952 – 1964 Pf. und Superintendent in Bad Wilsnack, 1964 – 1977 theol. Oberkonsistorialrat in Görlitz, 1977 Ruhestand. Kadlecov , Erika, Dr. 51 f, 103, 109, 164, 175 geb. 20. 6. 1924 Philosophiestudium in Prag, Soziologin, Leiterin der Abteilung Theorie und Soziologie der Religionen der Akademie der Wissenschaften, 1968–Mitte 1969 Leiterin des Prager ˇ , unterschrieb 1977 die Charta 77. staatlichen Kirchenamtes, verließ die KSC Kalb, Hermann 304 geb. 20. 10. 1924 Jena, gest. 25. 2. 2011 Berlin 1941 – 1945 Wehrmacht, 1946 Jurastudium in Jena, 1946 CDU, verschiedene Funktionen, 1950 – 1990 Abgeordneter der Volkskammer, 1966 – 1969 Mitgl. des Präsidiums der Volkskammer, 1960 – 1989 Mitgl. im Präsidium des CDU-Hauptvorstandes, 1961 – 1971 Chefredakteur des CDU-Zentralorgans Neue Zeit, 1977 – 1989 Stellv. und 1990 Staatssekretär für Kirchenfragen, vom MfS als IM „Hugo“, „Hermann“, bzw. „Schütz“ erfasst. Kalus, Vladim r 456 geb. 1930, gest. 1977 Pf. der EKBB in Chr st bei Pilsen und Miroslav bei Brno, 1960 – 1974 Brigaden in Kunvald, 1972 Entzug der staatlichen Lizenz. Kasner, Horst 264 geb. 6. 8. 1926 Berlin, gest. 2. 9. 2011 Berlin ab 1948 Studium in Heidelberg, Bethel, Hamburg, 1954 Übersiedlung in die DDR und Pf. in Quitzow, ab 1957 Pf. in Templin, Leiter des Pastoralkollegs in Berlin-Brandenburg in Templin, im WAK und der CFK. Katina, Andrej L’udov t, Bischof 137 geb. 4. 2. 1909 Zvolen, gest. 23. 10. 1968 Myjava 1929 – 1933 Studium in Bratislava, 1933 ordiniert, 1935 – 1946 Pf. in Bad n, 1952 – 1968 Bischof des Westdistrikts der evangelischen Kirche A.B. in der Slowakei. K tlovsky´, Sˇtefan 137 geb. 14. 4. 1906, gest. 4. 5. 1968 Kosˇice Dekan der theologischen Fakultät, 1958 – 1968 Bischof des östlichen Distrikts der Slowakischen Evangelischen Kirche A.B. Kehnscherper, Gerhard, Prof. 317 geb. 16. 11. 1903 Bromberg, gest. 4. 8. 1988 Greifswald 1927 Promotion, ab 1929 Pf. in Zechlin, 1933 NSDAP, 1935 ausgeschlossen, ab 1934 in Diakonie in Berlin, 1939 – 1945 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1946 Pf. in Bad Freienwalde, ab 1951 Dozent in Potsdam, 1958 Prof. für Angewandte Theologie in Greifswald, Kontroversen um NS-Vergangenheit, 1969 Ruhestand, Mitglied in CDU und CFK. Kehnscherper, Günther 260 geb. 23. 5. 1929 Rio de Janeiro, gest. 23. 6. 2004 Berlin 1955 Pf. in Altenhagen, 1966 Dozent für PT Humboldtuniversität Berlin, 1970 – 1993 Prof. in Greifswald, Mitgl. CDU, Mitgl. Bund evangelischer Pfarrer.

Biogramme / Personenverzeichnis

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Kennedy, Robert Francis 501 geb. 20. 11. 1925 Brookline / Massachusetts, gest. 6. 6. 1968 Los Angeles / Kalifornien amerikanischer Politiker, Senator von New York, während des Präsidentschaftswahlkampfes erschossen. Kiesinger, Kurt Georg 296 geb. 6. 4. 1904 Albstadt-Ebingen, gest. 9. 3. 1988 Tübingen 1933 NSDAP, 1935 Rechtsanwalt in Berlin, 1940 – 1945 wiss. Hilfsarbeiter und stellv. Leiter der Rundfunkabteilung im Auswärtigen Amt, 1945 Internierung in Ludwigsburg, 1948 Entlastung durch das Spruchkammergericht, Rechtsanwalt, 1949 – 1958. 1969 – 1980 MdB, 1958 – 1966 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, 1966 – 1969 Bundeskanzler, 1967 – 1971 Bundesvorsitzender der CDU. Kiesow, Ernst-Rüdiger, Prof. 317 geb. 9. 1. 1926 Schönhagen / Ostprignitz, gest. 16. 6. 2003 Rostock 1943 – 1945 Reichsarbeitsdienst, Wehrmacht und Kriegsgefangenschaft, 1946 – 1950 Studium in Greifswald und Berlin, 1951 – 1961 wiss. Assistent in Berlin. 1955 Promotion, 1961 – 1965 Pf. in Berlin-Pankow, 1965 Dozent, 1967 – 1991, Prof. für PT in Rostock, 1968 – 1970 Dekan der Theologischen Fakultät in Rostock, ab 1970 Synodaler in Mecklenburg, ab 1973 Mitglied der Synode des BEK, 1984 KKL. King, Martin Luther 113, 162, 222, 478, 501 geb. 15. 1. 1929 Atlanta, gest. 4. 4. 1968 Memphis / Tennessee Pfarrer und prominenter Führer des Civil Right Movements in den USA, erschossen. Kleemann, Johannes Samuel 204, 208 f, 367 geb. 2. 6. 1899 Chemnitz, gest. 28. 12. 1991 Dresden 15. 8. 1926 Ordination, Pfarrer in Werda / Vogtland, 1936 Meißen, 1947 Radebeul, seit 1945 OLKR in Dresden, 1969 emeritiert. Kleinschmidt, Karl 316 geb. 26. 4. 1902 Hannover, gest. 13. 8. 1978 Schwerin vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 136. Kl ma, Ivan 95 geb. 14. 9. 1931 Prag, Schriftsteller 1941 – 1945 als Kind im KZ Theresienstadt, Arbeit als Journalist, nach 1968 Publikationsverbot, 1969/79 USA. Kloppenburg, Heinz 169, 172, 182 f geb. 10. 5. 1903 Elsfleth / Wesermarsch, gest. 18. 2. 1986 Bremen vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 137. Knauf, Richard Gerhard 393 f geb. 6. 2. 1913 Schönefeld bei Leipzig, gest. 7. 6. 1996 Dresden 25. 6. 1939 Ordination, 1942 Pf. in Chemnitz, 1950 Taucha, 1955 Leipzig, 1964 Glauchau und Superintendent, 1968 OKR in Dresden, 1969 OLKR in Dresden, 1978 emeritiert. Koch, Dietrich 365 geb. 27. 8. 1937 in Leipzig 1968 Student in Leipzig, später Physiker, inhaftiert, ab 1973 in Essen als Philosoph tätig. Koch, Peter 386 geb. 22. 6. 1937 1963 Dienst als Kirchgemeindehelfer für Jugendarbeit in Pirna bzw. Bezirksjugendwart in Pirna, 1970 – 1972 auch Dozent für Jugendkunde am Diakonenhaus.

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Biogramme / Personenverzeichnis

Koch, Wilhelm, Dr. 323, 326, 333, 338 geb. 11. 12. 1903 Mühlhausen (Thüringen), gest. 10. 9. 1989 Haar üb. Neuhaus Jurist, 1930 Promotion, 1934 Rechtsanwalt, Mitgl. NSDAP, Kriegsdienst, 1955 Leitung Kreiskirchenamt in Stendal, 1959 Konsistorialrat in Magdeburg, 1965 Oberkonsistorialrat, 1966 – 1971 Konsistorialpräsident, Mitgl. Rat der EKU, KKL. Kohlbrugge, Hebe 39 geb. 8. 4. 1914 Utrecht niederländische Widerstandskämpferin in der NS-Zeit, 1944 inhaftiert, KZ Ravensbrück, reformierte Theologin, bis Ende der 1960er in der CFK, seit 1963 Engagement, dass niederländische Studierende in Osteuropa studieren konnten, Aufbau von Partnergemeinden zwischen Niederlande und DDR-Kirchen. Kohli, Hans-Joachim 280, 282 geb. 28. 10. 1913, gest. 26. 7. 2011 1932 – 1936 Studium in Breslau und Dorpat, 1939 Ordination, Pf. Paschkerwitz, nach dem II. Weltkrieg in Freiberg und Grüna, ab 1956 in Görlitz, 1979 Ruhestand. Kohout, Pavel 95 geb. 20. 7. 1928 Prag ˇ , Arbeit als Journalist, Mitinitiator der Charta 77, 1979 AusSchriftsteller, 1945 KSC bürgerung nach Österreich. Kootz, Gerhard Rudolf 221 f geb. 1912 Hoyerswerda, gest. 9. 8. 2000 Dessau Bücherrevisor, Steuerberater, 1963 – 1970 und 1976 – 1987 Präses der Landessynode Anhalts, Mitglied des Landeskirchenausschusses und Vorsitzender des Verwaltungsrates der Anhaltischen Diakonissenanstalt, ab 1969 Mitgl. Synode des BEK. Kramer, Martin 148, 186 f, 189 f, 196 geb. 16. 2. 1933 Berlin 1952 – 1957 Studium in Halle, 1964 Pf. Magdeburg, bis 1970 auch Studentenpfarrer, 1964 Mitgl. Synode KPS, ab 1969 Mitgl. Bundessynode, und KKL, 1971 – 1980 Vizepräses der Synode der KPS, 1980 – 1990 Konsistorialpräsident, 1991 Mitgl. Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, 1995 Ruhestand. Kreyssig, Lothar, Dr. 128 f geb. 30. 10. 1898 Flöha, gest. 5. 7. 1986 Bergisch-Gladbach vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 145. Kriegel, Frantisˇek 100 – 102 geb. 10. 4. 1908 Stanislau, gest. 3. 12. 1979 Prag 1940 – 1945 als Militärarzt bei der Roten Armee in China, 1949 – 1952 stellvertretender ˇ , 1968 MitGesundheitsminister, danach wieder Arzt, 1966 Mitglied des ZK der KPC ˇ glied des Präsidiums des ZK der KPC, Vorsitzender des ZK der Nationalen Front, Ende August 1968 Weigerung das Moskauer Protokoll zu unterzeichnen, 1969 alle Ämter verloren, Mitunterzeichner der Charta 77. Krummacher, Friedrich-Wilhelm, Dr., Bischof 56, 71, 81, 138 f, 204, 210 f, 216, 218, 262, 274, 301 – 307, 310, 374, 461 – 463 geb. 3.8. 1901 Berlin, gest. 19. 6. 1974 Altefähr / Rügen vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 146. Krusche, Werner, Dr., Bischof 21, 68, 85, 142, 150, 189, 212, 218, 223, 286, 291, 300, 322, 329 – 337, 345 f, 348, 351 – 353, 357 – 359, 455, 458, 461 – 463, 466 f, 469, 486

Biogramme / Personenverzeichnis

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geb. 28. 11. 1917 Lauter / Erzgebirge, gest. am 24. 7. 2009 Magdeburg 1940 – 1944 Wehrmacht, 1945 – 1949 Studium in Leipzig, Bethel, Basel, Heidelberg, Göttingen, 1953 Promotion, nach Übersiedlung 1954 Pf. in Dresden, ab 1958 Leiter des Predigerseminars Lückendorf, 1966 Dozent für ST an der Kirchlichen Hochschule Leipzig, 1968 – 1983 Bischof in der KPS, 1976 – 1979 Vorsitzender des Rates der EKU (Bereich DDR), 1981 – 1982 Vorsitzender der KKL, 1983 Ruhestand. Kruspe, Friedrich Martin 383 geb. 12. 3. 1905 Meißen, gest. 1. 7. 1980 Wuppertal ordiniert 22. 5. 1932 in Geilsdorf bei Plauen, 1934 Pf. Geilsdorf, 1937 Leipzig, 1958 Pf. und Superintendent Kirchenbezirk Karl-Marx-Stadt II, 1970 emeritiert. K hn, Ulrich, Prof. 142 geb. 13. 3. 1932 Halle / S., gest. 29. 11. 2012 Leipzig 1949 – 1954 Studium in Leipzig, Assistent und Pf. in Leipzig, 1962 Habilitation, 1964 Ordination, 1967 – 1969 Dozent für ST am Sprachenkonvikt, 1969 bis 1983 am Theologischen Seminar in Leipzig, 1983 – 1987 Prof. für ST in Wien, anschließend in Leipzig, 1969 – 1977 Mitgl. der BEK-Synode, 1972 – 1983 der sächsischen Synode, 1997 Ruhestand, 1968 – 1991 Mitgl. Kommission für Glaube und Kirchenverfassung beim ÖRK. Kundera, M lan 95 geb. 1. 4. 1929 Brünn ˇ , 1950 Parteiausschluss, 1967 Wiederaufnahme, 1970 erneut Schriftsteller, 1948 KSC Ausschluss, seit 1975 in Frankreich, seit 1980 in Paris. Kutschenreiter, Heinz 262 geb. 30. 8. 1915 Superintendent in Brüssow. Lahr, Horst, Dr. 232, 266 geb. 2. 9. 1913 Halle / S., gest. 26. 6. 2008 Potsdam Pf. in Brumby (KPS), 1951 Lehrauftrag für KG und ST in Naumburg, 1963 – 1978 Generalsuperintendent in Potsdam. Lau, Franz, Prof. 359 geb. 18. 2. 1907 Leipzig, gest. 6. 6. 1973 Leipzig vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 153. Lehmann, Helmut 281 f geb. 1. 12. 1912 Görlitz, gest. 2. 7. 1983 Görlitz ordiniert 1. 10. 1939, ab 1949 Pf. in Nieder Seifersdorf, 1964 – 1977 Superintendent in Niesky, 1978 Ruhestand. Lehmann, Theo, Dr. 398 geb. 19. 5. 1934 Dresden 1964 Pf. in Karl-Marx-Stadt, 1976 Landesevangelist der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, 1998 in Ruhestand. Leich, Werner 409, 412 geb. 31. 1. 1927 Mühlhausen / Thüringen 1944 Arbeits- / Wehrdienst, ab 1947 Studium in Lausanne, Leipzig, Berlin und Göttingen, 1954 Pf. in Wurzbach / Lobenstein, seit 1960 Synodaler der thüringischen Landessynode, 1970 – 1978 deren Vizepräsident, 1966 – 1977 Vorsitzender der LBG, 1967 Oberpf. in Lobenstein, 1969 Superintendent in Lobenstein, 1978 – 1992 Landesbischof der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, 1986 – 1990 Vorsitzender der KKL.

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Biogramme / Personenverzeichnis

Lietz, Heiko 318 geb. 4. 10. 1943 Schwerin Bürgerrechtler, 1961 – 1966 Studium in Rostock, 1967 – 1970 Vikar, dazwischen Bausoldat, Haft wegen Totalverweigerung, 1970 Pastor in Güstrow, ab 1979 aktiv in der Friedensbewegung, 1980 Abbruch der kirchlichen Amtstätigkeit, 1981 – 1988 Hauswirtschaftspfleger bei der Volkssolidarität Rostock, 1989 Mitarbeit im Neuen Forum, verschiedene politische Ämter, 1997 Austritt aus Bündnis 90 / Die Grünen, 1994 – 1999 Mitgl. der mecklenburgischen Synode. Lilje, Hans, Dr., Bischof 51, 142 geb. 20. 8. 1899 Hannover, gest. 6. 1. 1977 Hannover vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 157 f. Lochman, Jan Milicˇ, Prof. 123, 141, 441, 456 geb. 3. 4. 1922 Noveˇ Meˇsto nad Metuji, gest. 21. 1. 2004 Basel Studium in Prag, Pfarrer der EKBB, ab 1960 Prof. für ST, CFK, 1968 – 1992 Prof. in Basel, engagiert im christlich-marxistischen Dialog, 1968 – 1975 Mitglied im ÖRK Zentralund Exekutivausschuss. Lotz, Gerhard, Dr. 72, 75, 85, 183, 408 – 410, 412, 416 f, 419, 460 f geb. 22. 4. 1911 Altenburg, gest. 10. 12. 1981 Eisenach vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 161. Lotz, Rudolf, Dr. 409 geb. 16. 8. 1901 Meiningen, gest. 28. 10. 1973 Eisenach Jurist, 1926 Promotion, Rechtsanwalt, Notar, Stadtrat in Eisenach, 1937 NSDAP, April / Mai 1945 vorübergehend Bürgermeister in Eisenach, 1954 – 1972 Präsident der Thüringischen Synode. Machovec, Milan 50 f, 126 f, 149, 164, 279, 309, 446, 453, 471 f, 482 f, 485, 492, 497, 504 geb. 23. 8. 1925 Prag, gest. 15. 1. 2003 Prag marxistischer Philosoph, führend im marxistisch-christlichen Dialog, 1953 Prof. für dialektischen Materialismus und Marxismus-Leninismus in Prag, 1970 relegiert, Organist, Unterzeichner der Charta 77, daraufhin absolutes Berufsverbot, 1989 rehabilitiert, bis 1993 Prof. in Prag. Mahlburg, Fred 309 geb. 1940 Barth Maurerlehre in Rostock, Theologiestudium in Greifswald, Assistent in Greifswald bei Bandt, 1975 – 1985 Pastor in Morgenitz (Usedom), ab 1985 Akademiearbeit in Rostock, seit 1998 Leiter der evangelischen Akademie in Rostock, 2003 Ruhestand Makowski, Janusz 181 geb. 18. 3. 1912 Kalisz / Polen, gest. 1972 Journalist, Politiker in verschiedenen Funktionen, 1963 – 1972 Abgeordneter im Sejm, 1970/71 amtierender Generalsekretär der CFK. Masaryk, Tom sˇ, G., Prof. 90, 104, 113, 186, 443 geb. 7. 3. 1850 Hodon n, gest. 14. 9. 1937 L ny Philosoph und Politiker, Studium in Wien und Leipzig, 1879 Habilitation, 1882 – 1911 Prof. der Philosophie in Prag, 1891 – 1893 Abgeordneter des böhmischen Landtags und zusätzlich 1907 – 1914 Mitgl. des Wiener Reichrats, 1918 – 1935 erster Präsident der Tschechoslowakischen Republik.

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Mau, Rudolf, Prof. 259 f geb. 13. 3. 1927 Güstrow / Meckl. 1943 – 1945 Flakhelfer und Soldat, 1947 – 1952 Theologiestudium in Halle, Greifswald und Basel, 1959 Promotion, 1964 Habilitation an der Humboldt Universität in Berlin, 1965 Pf., 1965 Aufnahme einer Dozentur am Sprachenkonvikt in Berlin, 1965 – 1991 Dozent des Kirchlichen Lehramtes (1990: Professor) für KG am Sprachenkonvikt, 1991 an der Humboldtuniversität, 1992 emeritiert. Meinel, Max Gottfried 78, 384 geb. 5. 6. 1909 Schneeberg / Erzgebirge, gest. 24. 6. 1988 Bad Windsheim ordiniert 13. 6. 1937 in Dewitz, 1939 Pf. in Liebethal, 1950 in Schönheide, 1959 Pf. und Superintendent in Marienberg, 1969 emeritiert. Michalko, J n, Prof., Bischof 137 geb. 16. 10. 1912 Vazˇec, gest. 1990 Bratislava 1933 – 1937 Studium in Bratislava und Basel, 1937 Ordination, 1946 Promotion, Prof. für ST in Bratislava, 1960 – 1968 Dekan, 1970 – 1990 Generalbischof der Slowakischen Evangelischen Kirche, 1971 Mitgl. im Arbeitsausschuss der CFK, 1975 Vizepräsident der CFK. Mielke, Erich 44, 461 geb. 28. 12. 1907 Berlin, gest. 22. 6. 2000 Berlin 1927 KPD, 1931 Flucht in die UdSSR wegen Mord an zwei Polizisten, 1936 – 1939 Spanien, 1939 – 1944 Belgien und Frankreich, 1945 Rückkehr, 1946 – 1949 Vizepräsident der Deutschen Verwaltung des Innern, 1950 – 1955 Staatssekretär im MfS, 1955 – 1957 stellv. Minister, 1957 – 1989 Minister für Staatssicherheit in der DDR, 1989 Parteiausschluss und U-Haft, 1993 Verurteilung, 1995 vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung. Mitzenheim, Moritz, Bischof 15, 17, 64, 69 – 73, 75 f, 82, 85 – 87, 158, 160, 183 f, 204 – 213, 215 f, 225, 262, 285, 302, 304, 311, 318, 330, 360, 362, 407 – 417, 419 – 422, 424, 426, 454 f, 458 – 463, 467, 473, 510 geb. 17. 8. 1891 Hildburghausen, gest. 4. 8. 1977 Eisenach vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 175 f. Mochalski, Herbert 178, 183 geb. 28. 2. 1910 Görlitz, gest. 27. 12. 1992 Hannover vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 176. Moltmann, Jürgen, Prof. 26, 63, 471 – 473, 482 f, 492 geb. 8. 4. 1926 Hamburg 1952 Pf. in Bremen, 1957 Prof. in Wuppertal, 1967 – 1994 Prof. für ST in Tübingen, 1963 – 1983 Mitgl. der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung beim ÖRK, zeitweilig Mitgl. CFK. Morenz, Siegfried, Prof. 363 geb. 22. 11. 1914 Leipzig, gest. 14. 1. 1970 Leipzig ab 1946 Dozent in Leipzig, 1952 Prof. für Ägyptologie und Religionshistorik in Leipzig, 1961 – 1966 Prof. in Basel, ab 1966 Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. M ller, Hanfried 26, 62, 149, 158, 160, 193, 246, 260, 268, 471, 473, 479 – 484, 487 geb. 4. 11. 1925 Celle, gest. 3. 3. 2009 Berlin 1945 – 1952 Theologiestudium in Bonn und Göttingen, 1952 Disziplinarverfahren und

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Biogramme / Personenverzeichnis

Ablehnung des Prüfungsantrags, Übersiedelung in die DDR, 1956 Promotion in Berlin, ab 1958 im WAK, 1963 Mitautor der sieben Sätze, Mitarbeiter in CFK, 1964 – 1990 Prof. für Systematik in Berlin, 1982 – 2006 Hg. der Weißenseer Arbeitsblätter, beim Mfs als IM „Michael“ geführt, verheiratet mit Rosemarie Müller-Streisand. M ller, Konrad, D. Dr.jur. 311 geb. 12. 2. 1900 Schlettau / Kreis Annaberg, gest. 8. 4. 1977 Ludwigslust 1926 Konsistorialassessor beim Landeskirchenamt Dresden, 1927 Konsistorialrat Dresden, 1933 an das Bezirkskirchenamt Dresden versetzt, 1945 zurück ins LKA Dresden berufen, 1950 Oberlandeskirchenrat in Dresden, 1959 Oberkirchenratspräsident in Mecklenburg, 1970 emeritiert. M ller, Ludolf, Bischof 321 geb. 8. 10. 1882 Kalbe (Milde), gest. 14. 2. 1959 Magdeburg vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 180. M ller, Martin, Dr., Kirchenpräsident 204, 210 f, 218 – 222, 285 geb. 24. 3. 1903 Dessau, gest. 9. 7. 1989 Dessau vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 181. M ller-Streisand, Rosemarie, Prof. Dr. 158, 160, 260 geb. 11. 8. 1923 Berlin Studium in Berlin, Bonn und Göttingen, 1952 Übersiedlung in die DDR, ab 1958 Dozentin, 1969 – 1983 Prof. für KG in Berlin, Mitgherausgeberin Weißenseer Arbeitsblätter, verheiratet mit Hanfried Müller. M nker, Walter 339, 343 geb. 19. 11. 1913 Dahlbruch, gest. 14. 1. 1998 Wernigerode 1936 Assistent in Halle, 1939 ordiniert, 1939 – 1946 in Krieg und Kriegsgefangenschaft, Pf. in Losse, ab 1953 Superintendent in Gardelegen, ab 1967 Propst zu Halle und Merseburg, 1978 Ruhestand. Natho, Eberhard 37, 219, 346, 491 geb. 24. 6. 1932 Dessau 1954 – 1958 Studium der Theologie in Greifswald, 1960 ordiniert und Pf. in Güsten, 1961 – 1970 Stadtverordneter in Güsten, ab 1964 Mitglied der anhaltischen Landessynode, 1970 – 1994 Kirchenpräsident der anhaltischen Landeskirche, 1971 Verdienstmedaille der DDR, 1979 – 1981 Vorsitzender des Rates der EKU, 1981 Vorsitzender der AGCK, 1995 Ruhestand. Niemçller, Martin, Kirchenpräsident 118 f, 265, 272 geb. 14. 1. 1892 Lippstadt, gest. 6. 3. 1984 Wiesbaden vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 185. Nikodim, Boris Rotov, Dr. Metropolit 155, 171, 175, 179, 181, 184 geb. 16. 10. 1929, gest. 5. 9. 1978 Vatikanstadt ROK, 1960 Bischof und Präsident des Moskauer Patriarchats, 1961 Erzbischof von Jaroslawl und Rostow, 1963 Metropolit von Leningrad und Nowgorod, 1961 Mitglied des ZA des ÖRK, 1969 Präsident der CFK, 1974 Exarch von Westeuropa, 1975 einer von sechs Präsidenten des ÖRK. Nolde, Frederick, Prof. 143 geb. 1899, gest. 1972 Prof. in Philadelphia, während des II. Weltkrieges Einsatz für eine Menschenrechts-

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charta und eine Vereinigung ähnlich des Völkerbundes, seit 1946 Direktor der Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten (KKIA) des ÖRK. Noth, Gottfried 32, 56, 57, 77, 80, 139, 204, 208, 211, 230, 283, 300, 303, 318, 325 f, 359 f, 362, 367 – 375, 381, 384 f, 388 f, 395 f, 405, 407, 451, 462, 465 geb. 26. 1. 1905 Dresden, gest. 9. 5. 1971 Dresden Theologiestudium in Leipzig und Erlangen, 1930 Ordination, 1932 Pf. in Zethau, 1942 in Dresden, Mitgl. in BK, 1944/45 Sanitätssoldat, Kriegsgefangenschaft, 1945 kommissarischer OKR, 1950 OLKR, seit 1953 Landesbischof in Sachsen, 1955 – 1969 Mitglied des Rates der EKD, 1954 – 1971 Mitgl. im Zentralausschuss des ÖRK, 1969 stellv. Vorsitzender der KKL. Noth, Stefan 318, 451 geb. 1943 bis 1968 Assistent in Rostock, 1968 wegen Beihilfe zur Republikflucht zu 3 12 Jahren Zuchthaus verurteilt, in die BRD entlassen, 1990 – 2004 Direktor des Kreuzgymnasium in Dresden. Novotny´, Anton n 46, 95 f, 399 geb. 10. 12. 1904 Letnˇan, gest. 28. 1. 1975 Prag ˇ , 1941 – 1945 KZ Mauthausen, ab 1946 Mitgl. des ZK, Politiker, seit 1921 Mitgl. der KSC ˇ. ab 1951 Mitgl. des politischen Sekretariats, 1953 – 1968 1. Sekretär der KSC Ohnesorg, Benno 437 geb. 15. 10. 1940 Hannover, gest. 2. 6. 1967 Berlin Student, während einer Anti-Schah-Demonstration erschossen. Ondra, Jaroslav Neˇmec, Prof. 108, 140 f, 151, 165, 168, 176 – 182, 185, 196, 256 geb. 18. 3. 1925, gest. 8. 4. 2000 Theologe, Philosoph und Jurist, einer der engsten Mitarbeiter Hrom dkas, 1945 – 1948 Studium in Prag, 1951 – 1955 Pf der EKBB in Zracˇ nad S zavou, bis 1967 Pf. in Prag, Promotion, 1959 – 1969 Generalsekretär der CFK und Sekretär der Ökumenischen Rat ˇ SSR, erder Kirchen und Sekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen in der C zwungener Rücktritt 1969, 1970 – 1975 Jurastudium, ab 1970 Dozent, ab 1978 Prof. für Philosophie in Prag, 1990 emeritiert. Opitz, Rolf 388 geb. 3. 8. 1929 Weißig, gest. 11. 5. 2006 1945 KPD, 1946 SED, verschiedene Funktionen in SED, 1962 – 1966 1. Stellv. des Vorsitzenden des R.d.B. Dresden, 1966 – 1968 Berater in Sansibar, 1968/69 1. Stellv. des Vorsitzenden des R.d.B. Dresden, 1969 – 1972 Stellv. des Ministers für die Anleitung und Kontrolle der Bezirks- und Kreisräte, 1974 – 1989 Vorsitzender des R.d.B. Leipzig. Opocˇensky, Milan, Prof. 126, 141, 160, 168 geb. 5. 7. 1931 Hradec Kr lov (Königgrätz), gest. 31. 1. 2007 Prag 1950 Studium in Prag, 1954 – 1967 Assistent bei Hrom dka, 1955 Ordination EKBB, 1960 – 1968 Vorsitzender der CFK Jugendkommission, aktiv im christlich-marxistischen Dialog, 1967 – 1973 Europasekretär des WSCF (World Student Christian Federation) in Genf, 1973 Prof. für Sozialethik in Prag, 1989 – 2000 Generalsekretär des RWB. Ordnung, Carl 132, 140 – 142, 147, 158, 169, 180, 185 – 200, 335, 425 geb. 18. 10. 1927 Lengenfeld, gest. 3. 6. 2012 Berlin Methodist, 1948 – 1951 Studium der Germanistik, Geschichte, Psychologie und Theo-

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Biogramme / Personenverzeichnis

logie in Leipzig, Lehrer in Reichenbach, 1952 CDU, 1957 Redakteur des CDU-Organs Neue Zeit, 1958 Abteilungsleiter für Kirchenfragen im CDU-Hauptvorstand, seit 1962 Sekretär des DDR-RA der CFK, 1990 Referent in der Abteilung Außen- und Sicherheitspolitik im Amt des Ministerpräsidenten Lothar de Maizi re, 1990 Austritt aus der CDU, 1990 – 2002 Vorsitzender der Nachfolgeorganisation der CFK. Otter, Jirˇ , Dr. 122, 137 geb. 31. 7. 1919 1944/45 in Deutschland interniert, 1948 Pf. der EKBB in Mari nsk L zneˇ, 1951 Senior des westböhmischen Seniorats, 1953 Promotion, ab 1965 Sekretär in der EKBB-Zentrale, 1972 – 1996 Kirchenrat, zuständig für ökumenische Beziehungen. Palach, Jan 86, 102 f, 318, 426, 444, 446, 495, 499 geb. 11. 8. 1948 Meˇln k, gest. 19. 2. 1969 Prag ab 1966 Philosophiestudium in Prag, am 16. 2. 1969 Selbstverbrennung aus Protest gegen die Passivität der tschechischen Gesellschaft in Bezug auf Okkupation und ,Normalisierung‘. Palacky´, Frantisˇek 104 geb. 14. 6. 1798 Hodslavice, gest. 26. 5. 1876 Prag Historiker und Politiker, seit 1838 Landeshistoriograph der böhmischen Stände, lehnte 1948 die Teilnahme an der Frankfurter Nationalversammlung ab, Präsident des Slawenkongresses in Prag, 1861 – 1875 Abgeordneter des böhmischen Landtags. Wichtigstes Werk: Geschichte von Böhmen 1836 – 1967. Pabst, Walter 111, 121 – 123, 136 f, 158, 163, 184, 191, 204, 206, 238, 283, 439, 442 f geb. 19. 9. 1912 Oppurg / Berlin, gest. 12. 1. 1999 Berlin 1932 – 1936 Studium, ab 1936 Mitgl. BK, deswegen Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst, 1937 – 1941 illegaler Vikar der LBG, 1941 Amtierungsverbot, 1948 – 1953 Studentenpfarrer in Jena, 1953 – 1963 Superintendent in Gotha, 1948 – 1963 Mitglied der Thüringer Synode, 1955 – 1964 Vorsitzender der LBG, seit 1964 OKR im Kirchenamt der VELKD in Berlin, ökumenischer Beauftragter, ab 1969 stellv. Leiter des Sekretariats des BEK, 1970 – 1980 Geschäftsführer der AGCK in der DDR. Peter, Friedrich Franz, Bischof 321 geb. 4. 10. 1892 Merseburg, gest. 17. 4. 1960 Gronau vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 193. Pisnik, Alois 352 geb. 8. 11. 1911 Leoben, gest. 8. 10. 2004 Rostock 1933 Beitritt zur österreichischen KP, mehrfach verhaftet, ab 1945 verschiedene Funktionen in der KPD bzw. SED, 1952 – 1979 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Magdeburg, 1950 – 1989 Mitgl. im ZK der SED, 1958 – 1990 Abgeordneter der Volkskammer, 1980 – 1990 Mitgl. im Staatsrat der DDR. Plath, Siegfried, Dr. 308 geb. Sept. 1931 Geiblershof / Greifenhagen, gest. 27. 11. 2010 Koserow / Usedom 1950 – 1955 Studium in Greifswald, 1958 Promotion, 1959 Ordination, Pf. in Semlow, 1964 Superintendent in Grimmen, 1973 Konsistorialrat in Greifswald, 1975 Oberkonsistorialrat, 1975 – 1985 Leiter des Greifswalder Konsistoriums, Mitgl. der KKL, vom MfS als IM / IMB „Hiller“ geführt, trat 1993 von seinen Ämtern zurück. Quast, Gerhard 184, 244, 303 geb. 1931

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Jurist, CDU, seit 1955 in der Hauptabteilung von Nuschke angestellt, seit 1955 als IM „Otto“ registriert. 1960 Persönlicher Referent Göttings, 1965 – 1975 Leiter Abteilung Kirchenfragen. Ranke, Kurt 324 geb. 28. 7. 1920 Benndorf / Mansfelder Land, gest. 26. 2. 1999 1940 – 1944 Wehrmacht, 1944 – 1947 sowjetische Kriegsgefangenschaft, 1947 Rückkehr, 1948 SED, verschiedene Funktionen, 1960 – 1985 Vorsitzender des Rates des Bezirkes Magdeburg, 1985 Ruhestand. Rathke, Heinrich, Dr., Bischof 310, 319, 488 geb. 12. 12. 1928 Mölln 1944 Marinehelfer, britische Kriegsgefangenschaft, 1949 – 1953 Studium in Kiel, Erlangen, Tübingen und Mainz, 1953 Übersiedlung in die DDR, Vikar in Bad Doberan, 1954 Ordination, 1955 Pf. in Warnkenhagen, 1960 Promotion, 1962 Pf. in RostockSüdstadt, 1959 Mitglied der mecklenburgischen Synode, 1970 Landespf. in Güstrow, 1971 – 1983 Bischof in Mecklenburg, 1977 – 1981 leitender Bischof der VELKDDR, 1984 Pf. in Crivitz, 1991 Ruhestand. Reese, Helmut 282 geb. 7. 4. 1909 Groß Boschpol, Lauenburg / Pommern, gest. 12. 1. 2002 Görlitz 1928 – 1932 Theologiestudium in Breslau, Wien, Marburg, Kiel, 24. 9. 1935 Ordination in Breslau, 1936 – 1956 Pfarrer in Daubitz und Rietschen, 1945 – 1948 Vertreter des Superintendenten in Weißwasser, 1947 – 1950 Mitgl. der Kirchenleitung, 1956 – 1978 Pf. in Görlitz, 1952 – 1982 nebenamtlicher Konsistorialrat in Görlitz. Ringhandt, Siegfried 70, 225, 235, 239, 255, 285 geb. 1906, gest. 1991 1934 Ordination, Hilfsprediger in Reichenow, 1936 in Netzbruch, 1937 in Illmersdorf, Mitgl. BK, mehrfach verhaftet, 1940 Pf. in Betschke, 1945 in Illmersdorf, 1946 Superintendent in Seelow, 1950 Mitglied der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg, 1958 – 1960 Leiter des WAK, 1959 Studentenpf. in Berlin, 1966 Propst in Brandenburg, 1971 Ruhestand. Rodr, Miroslav 152 f geb. 1913, gest. 1985 seit 1939 Pfarrer der EKBB, 1968 Senior des Westböhmischen Seniorates der EKBB (damals Pfarrer in Rokycany), 1972 Entzug der staatlichen Lizenz. Rçnck, Hugo, Bischof 406 geb. 12. 4. 1908 Altenburg, gest. 8. 2. 1990 Eutin vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 209. Rudolph, Johannes 382 geb. 23. 10. 1910 Eibenstock, gest. 17. 6. 1989 Dresden ordiniert 3. 11. 1935 in Bockelwitz / Leisnig, 1940 Pf. in Bockelwitz mit Sitten, 1949 Neustadt in Sachsen, 1960 Pf. in Dresden und Superintendent für den Kirchenbezirk Dresden-Land, 1975 emeritiert. R ther, Rudolf 199, 328, 354 – 357, 430, 506 geb. 30. 7. 1929 Brandenburg 1957 Ordination, 1957 – 1959 Hilfsprediger in Bülstringen, 1959 – 1970 Pf. ebenda, 1970 – 1994 Pf. in Nordhausen, 1994 Ruhestand.

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Biogramme / Personenverzeichnis

Sacharow, Andrej Dimitrijewitsch 89 geb. 21. 5. 1921 Moskau, gest. 14. 12. 1989 ebenda Atomphysiker und Bürgerrechtler, 1975 Friedensnobelpreis. Saft, Walter, Prof. 180, 411, 419 geb. 26. 11. 1923 Wasungen, gest. 19. 4. 2010 Bad Kissingen 1942 – 1948 Wehrmacht und Kriegsgefangenschaft, Studium in Berlin und Jena, 1953 Pf. in Friedelshausen, 1957 in Hildburghausen, 1959 in Pfersdorf / Hildburghausen, 1962 Leiter der Evangelischen Akademie Thüringen, 1964 Promotion, 1964 Rektor des Predigerseminars in Eisenach, 1969 Rektor des Pastoralkollegs in Eisenach und Kirchenrat, 1975 Mitgl. des Landeskirchenrats, OKR, Prof. für Ökumenik in Jena, 1988 Ruhestand, 1968 durch das MfS geworben, IMS „Salzmann“. Sasse, Martin, Bischof 406 geb. 15. 8. 1890 Groß Drenzig / Brandenburg, gest. 28. 8. 1942 Eisenach vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 213. Schacht, Ulrich 22, 318 geb. 9. 3. 1951 Stollberg Bäckerlehre, 1968/69 Pflegepraktikum, 1969 – 1972 Studium Religionspädagogik und Theologie, 1973 Verhaftung anschließend Haft bis Ende 1976, Entlassung in die BRD, ab 1977 Studium Politikwissenschaften und Philosophie, Journalist, seit 1998 freischaffender Autor und Publizist in Schweden. Sch fer, Georg 151 f geb. 15. 4. 1915 Groß-Umstadt, gest. 20. 4. 1977 Pf. in Berlin-Karlhorst, 1967 – 1974 Vorsitzender des Bundes evangelischer Pfarrer, CDU, 1969 Mitglied des Nationalrates der Nationalen Front. Schaffran, Gerhard, Weihbischof 279 geb. 4. 7. 1912 Leschnitz, gest. 4. 3. 1996 Dresden 1937 Priesterweihe, Militärpf., Gefangenenseelsorger in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, 1959 Dozent für PT in Neuzelle, 1962 Weihbischof im Erzbischöflichen Amt Görlitz, 1970 Bischof von Meißen, später Dresden-Meißen bis 1987, 1980 – 1982 Vorsitzender der Berliner Bischofskonferenz. Scharf, Kurt, Bischof 15, 51, 53, 109 f, 125, 138, 140, 205, 219, 224, 228 – 230, 236, 238, 239, 245 f, 262, 268 geb. 21. 10. 1902 Landsberg an der Warthe, gest. 28. 3. 1990 Berlin vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 215. Scheler, Manfred 294, 387 geb. 20. 3. 1929 Gablenz, gest. 2. 6. 2014 Dresden SED-Funktionär, 1946 SPD / SED, verschiedene Funktionen in FDJ und SED, 1963 – 1982 Vorsitzender des R.d.B. Dresden, wegen „unparteilichen Verhaltens“ abberufen, 1982 – 1990 1. Sekretär und stellv. Vorsitzender des Zentralvorstands des VdgB (Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe), nach 1990 Funktionen im Fußball. Scheven, Karl von 301 geb. 16. 2. 1882 Leopoldshagen (Anklam), gest. 7. 10. 1954 Bad Wiessee vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 216. Schicketanz, Peter Gerhard, Dr. 122, 194, 348, 350 geb. 25. 4. 1931 Görlitz 1951 – 1957 Studium in Halle und Basel, Ordination und Promotion 1960, 1960 – 1964

Biogramme / Personenverzeichnis

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Pf., ab 1965 persönlicher Referent des Bischofs, 1968 Konsistorialrat, später Oberkonsistorialrat in Magdeburg, 1979 – 1986 Rektor der Evangelischen Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogik in Potsdam, 1996 Ruhestand, Engagement für Bausoldaten. Schmidt, Christoph Heinz 121, 386 geb. 14. 8. 1937 Breitenbrunn ordiniert 20. 12. 1964, Pf. in Stürza / Pirna, 1971 in Lohmen, Ephorie Pirna, 1993 Krankenhauspf. in Dresden, 1999 emeritiert. Schmidt, Wolfgang 319 geb. 26. 7. 1929 1955 ordiniert in Woosten, 1965 – 1969 Landesjugendpastor in Mecklenburg, 1969 – 1973 Pastor in Helsingfors / Finnland, ab 1973 Pastor in Bad Oldesloe, 1991 Ruhestand. Schmitt, Gerhard 204, 208, 255, 258 geb. 9. 9. 1909 Taupadel, gest. 8. 10. 2000 Berlin Mitgl. der SA und NSdAP, 1942 Militärpf., 1951 Pf. und ab 1954 Landessuperintendent in Güstrow, OKR im Konsistorium von Berlin-Brandenburg, 1964 – 1974 Generalsuperintendent von Ostberlin. Schmutzler, Siegfried 373 geb. 14. 3. 1915 Leipzig, gest. 11. 10. 2003 Dresden 1953 Pf. in Dresden und Studieninspektor im Predigerseminar Lückendorf, 1954 Studentenpfarrer in Leipzig, 1957 Verurteilung zu fünf Jahren Zuchthaus, 1961 Entlassung, bis 1981 Pf. in Dresden, theologisch-pädagogischer Berater im LKA Dresden, ab 1970 Mitglied der Kommission Kirchliche Arbeit mit Kindern und Konfirmanden des BEK, 1991 rehabilitiert. Schneemelcher, Wilhelm, Prof. 119 geb. 21. 8. 1914 Berlin, gest. 6. 8. 2003 Bad Honnef Pf. in Stöckheim, 1938 Promotion, Arbeit an der Preußischen Akademie der Wissenschaften, wegen politischer Unzuverlässigkeit 1939 entlassen, Buchhändlerlehre, Kriegsdienst, 1945 Pf. in Northeim, 1949 Habilitation, 1954 – 1979 Prof. für NT und Patristik in Bonn, 1967/68 Rektor, engagiert im Dialog mit den orthodoxen Kirchen. Schçnherr, Albrecht, Bischof 21, 32, 35, 53, 62, 65, 68 f, 80, 83 f, 86, 125, 139 f, 149, 160, 183 f, 187, 193, 196, 199, 204, 210 – 212, 214 – 216, 219, 224 – 232, 234 – 246, 249, 261 – 264, 276, 313, 325, 335 f, 370, 414, 422, 462 f, 491, 496, 511 geb. 11. 9. 1911 Katscher / Oberschlesien, gest. 9. 3. 2009 Potsdam 1929 – 1933 Studium in Tübingen und Berlin, 1935/36 Predigerseminars in Finkenwalde (Bonhoeffer), 1936 Ordination, 1938 Pf. in Brüssow, 1940 – 1945 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1946 Superintendent in Brandenburg / Havel, 1958 Mitinitiator des WAK, 1963 Generalsuperintendent in Eberswalde, 1964 – 1966 kommissarischer Leiter des RA der CFK in der DDR, 1967 – 1972 Verwalter des Bischofsamtes in Berlin, 1972 – 1981 Bischof in Berlin, 1969 – 1981 Vorsitzender der KKL. Schottst dt, Bruno 130 – 136, 187 geb. 14. 4. 1927 Dierberg, gest. 25. 4. 2000 Berlin 1945 – 1948 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1953 Vikar, 1954 Gründer der Goßner Mission in der DDR, 1965 Ordination und Leiter der Goßner Mission, Mitgl. CDU, CFK, 1982 Pf. in Berlin, 1992 Ruhestand. Schrçder, Otto 139, 314, 316 f, 441 geb. 8. 4. 1921 Dzidno / Kr. Bromberg, gest. 18. 10. 1994 Krakow am See

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Biogramme / Personenverzeichnis

1941 – 1945 Wehrmacht, Studium in Halle, Bethel, Göttingen, Rostock, 1951 Ordination, ab 1957 Landespf. für Volksmission in Güstrow, 1966 – 1980 Landessuperintendent in Parchim, 1958 – 1966 Mitgl. der mecklenburgischen Synode, 1973 – 1977 Präses der Synode des BEK, Mitgl. des KKL Vorstands, 1984 Ruhestand. Schrçter, Fritz, Dr. 340 geb. 28. 9. 1904 Güsten / Anhalt, gest. 16. 5. 1973 Berlin 1923 – 1926 Studium in Marburg und Halle, 1930 Ordination, 1932 Promotion, 1931 – 1938 Pf. in Wörbzig / Anhalt, Mitgl. BK, 1938 – 1945 Rede- und Auftrittsverbot, 1938/39 Leiter des Predigerseminars der BK in Darkehmen-Angerapp / Ostpreußen, ab 1940 Wehrdienst, Gefangenschaft, 1950 Pf. in Magdeburg, 1955 – 1971 Domprediger in Halle, Senior des refomierten Kirchenkreises, KPS. Sch ler, Paul 255 geb. 13. 3. 1910 Bückgen bei Senftenberg, gest. 26. 11. 1986 1949 Pf. in Cottbus, 1950 – 1975 Superintendent in Cottbus. Schultz, Walther 310 geb. 20. 8. 1900 bei Grevesmühlen, gest. 26. 6. 1957 Schnakenburg / Elbe 1927 Ordination, 1928 Pf. bei Güstrow, führend in DC, 1931 NSDAP, 1933 – 1945 „Landeskirchenführer“ bzw. Landesbischof, 1945 Verhaftung, Entlassung aus dem Dienst, Tätigkeit in Gärtnerei, 1952 Versehung der Pfarrstelle Schnakenburg, 1956 Pf. ebenda. Schulz, Hans 308 geb. 20. 11. 1905 Anklam, gest. 1989 ordiniert 25. 10. 1931, 1932 Pfarrer in Belgrad-Labehn, 1938 Pfarrer in Bublitz, 1939 Superintendent in Bublitz, 1947 Pfarrer in Ziethen, 1948 Propst von Pasewalk, 1955 – 1974 Mitgl. der Kirchenleitung der Greifswalder Kirche, 1964 Stellv. Vorsitzender derselben. Schuppan, Erich 262 geb. 23. 3. 1915 Eberswalde, gest. 3. 9. 2006 Eberswalde Mitgl. BK, 1941 Ordination, Pf. und 1961 Superintendent in Eberswalde, 1978 – 1983 Generalsuperintendent in Eberswalde, Mitgl. der Synode der EKU und Berlin-Brandenburgs. Schwidtal, Hans, Dr. jur. 278 f, 295 f geb. 3. 11. 1893 Altwasser / Waldenburg, gest. 16. 8. 1985 Görlitz Rechtsanwalt und Notar, Mitglied der BK, 1950 – 1971 Präses der Görlitzer Provinzialsynode, gleichzeitig Mitgl. der Kirchenleitung, 1951 – 1967 Vizepräses der Synode der EKU. Seigewasser, Hans 36, 61 f, 66, 68 f, 83 – 85, 110, 133 f, 139 f, 145 – 147, 164, 167, 175 f, 179, 182, 190, 197, 204 f, 210, 213, 217, 219, 220, 228 – 230, 234 f, 238, 239, 241, 243 – 245, 249, 256, 261, 267, 276, 280, 283, 291 f, 299, 304, 316, 330 f, 335 f, 345 – 349, 356, 364, 366, 370 f, 373 – 375, 385, 387 – 390, 411, 414, 448, 458, 467 f, 480, 485 f, 496 – 498 geb. 12. 8. 1905 Berlin, gest. 18. 10. 1979 Rom 1921 USPD, 1922 SPD, 1932 KPD, 1934 – 1945 Zuchthaus Luckau, KZ Sachsenhausen und KZ Mauthausen, 1945/46 Mitarbeiter des ZK der KPD und bis 1950 der SED, 1950 – 1979 Abgeordneter der Volkskammer, 1953 Vorsitzender des Präsidiums des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer, 1953 – 1970 Mitgl. des Präsidiums des

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Nationalrates der Nationalen Front, 1959 – 1961 Mitgl. der SED-Bezirksleitung Berlin, 1960 – 1979 Staatssekretär für Kirchenfragen. Sindermann, Horst 344 geb. 5. 9. 1915, gest. 20. 4. 1990 Berlin 1933 Verhaftung, bis 1945 Haft, 1945/46 KPD/SED, Redakteur verschiedener Zeitungen, 1954 – 1963 Leiter der Abteilung Agitation und Propaganda im ZK der SED, 1958 – 1963 Kandidat, 1963 – 1989 Mitgl. des ZK der SED, 1967 – 1989 Politbüromitglied, 1963 – 1989 Abgeordneter und 1967 – 1989 Präsident der Volkskammer, 1963 – 1971 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle, 1976 – 1989 stellv. Vorsitzender des Staatsrats, 3. 12. 1989 Ausschluss aus der SED. Sklenarˇ, Alois 119 1953 – 1969 im Synodalrat der EKBB. Smol k, Josef, Prof. 159 f, 163, 165, 168, 481 f geb. 17. 3. 1922 Jicˇ n, gest. 4. 2. 2009 Prag 1949 Pf. in Pardubice, 1950 Habilitation, Dozent in Prag, 1966 Prof. für PT in Prag, 2003 emeritiert. Smrkovsky´, Josef 46, 76, 96 f, 101, 153, 164, 445 geb. 26. 2. 1911 Velenka, gest. 14. 1. 1974 Prag ˇ , im Zweiten Weltkrieg in Illegalität, 1946 Abgeordneter im ParlaPolitiker, 1933 KSC ment, 1949 – 1951 stellv. Landwirtschaftsminister, 1951 verhaftet, zu lebenslang verurteilt, 1955 Haftentlassung, 1963 Rehabilitation, im März 1968 Mitgl. des Parteipräsidium, 18.4. 1968 Präsident der Nationalversammlung, 21. 8. 1968 verhaftet, 1970 Verlust aller Ämter, Parteiausschluss. Sçlle, Dorothee, Prof. 472 geb. 30. 9. 1929 Köln, gest. 27. 4. 2003 Göppingen 1949 – 1954 Studium in Köln, Freiburg, Göttingen, seit den 1960ern auch Schriftstellerin, 1975 – 1987 Prof. für ST in New York, Mitinitiatorin des politischen Nachtgebets 1968 – 1972 in Köln. Soucˇek, Josef B. 119 geb. 1902, gest. 1972 Pf. der EKBB, später Prof. für NT in Prag, führender Übersetzer des Neuen Testamentes für die „Tschechische ökumenische Übersetzung“ von 1979, 1966 – 1970 Dekan der Evangelischen Theologischen Fakultät in Prag. Spranger, Dietrich Johannes 378, 386 – 388, 392 – 394 geb. 29. 5. 1916 Dresden, gest. 7. 11. 2008 Dresden 12. 12. 1948 ordiniert in Falkenstein, 1953 Pfarrer in Falkenstein, 1959 Pf. und Superintendent in Pirna, 1981 emeritiert. Stegmann, Erich 416 geb. 1. 10. 1906 Straßburg / Elsaß, gest. 30. 3. 1994 Falken / Werra 1930 Ordination, bis 1939 Hilfspfarrer, Mitglied im Pfarrernotbund und der LBG, 1939 Redeverbot, Amtsenthebung, 1940 – 1945 Soldat, 1947 – 1975 Mitglied der Thüringer Synode, 1947 – 1960 Superintendent in Pößneck, bis 1967 in Kahla, 1964 – 1967 Vorsitzender der LBG, ab 1967 Mitglied des Landeskirchenrates, OKR, 1976 Ruhestand. Stehl k, Emil 232 geb. 14. 7. 1906

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Biogramme / Personenverzeichnis

Vikar in Brno, Pfarrer in Rovecˇn , 1937 – 1969 Pf. in Prosteˇjov, 1957 – 1969 Senior des Märhisch-Schlesischen Seniorats, 1969 Ruhestand. Steinbach, Fritz 326, 333 geb. 11. 2. 1925 Zeitz, gest. 5. 12. 1988 Magdeburg 1956 – 1960 Abteilungsleiter der SED Bezirksleitung Magdeburg, 1960/61 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Magdeburg, 1961 – 1982 Stellvertretender Vorsitzender für Inneres. Steinbrecher, Georg, Prof. 311 geb. 26. 7. 1902 Wien, gest. 1. 12. 1970 Wismar 1924 Vikar in Wien, 1925 Religionsprofessor in Wien, 1934 Pastor in Wismar / Marien, 1946 – 1958 Landessuperintendent im Kirchenkreis Stargard, 1958 – 1970 Landessuperintendent im Kirchenkreis Wismar. Steinlein, Reinhard 227, 254 f geb. 5. 11. 1919 Berlin, gest. 25. 10. 2006 Berlin Wehrmacht, Verwundung, bis 1942 Studium, erneute Einberufung, 1943 auf Urlaub Ordination, 1944 französische Kriegsgefangenschaft, Lagerpf., 1946 Pf. in Fürstenwalde, 1951 Konsistorialrat in Berlin, 1956 – 1969 Superintendent in Finsterwalde, anschließend bis 1984 in Nauen, Mitglied in der Synode des BEK, Austritt aus der KL von Berlin-Brandenburg aus Kritik gegen das Spitzengespräch 1978. Stiehl, Herbert Alfred 362, 396 geb. 27. 11. 1909 Leipzig, gest. 17. 4. 1992 Leipzig Ordination am 28. 2. 1937 in Röhrsdorf bei Heidenau, 1947 Pf. in Dresden, 1953 – 1975 Pf. und Superintendent in Leipzig-Stadt, 1975 emeritiert. Stolpe, Manfred 241, 457, 491 geb. 16. 5. 1936 Stettin Jurastudium in Jena, Referendar der EKU, 1963 persönlicher Referent des Vorsitzenden der KL von Berlin-Brandenburg, 1964 Konsistorialrat des Konsistoriums BerlinBrandenburg, 1969 Oberkonsistorialrat, 1969 – 1981 Leiter des Sekretariates des BEK, 1982 – 1990 Präsident des Konsistoriums in Berlin, 1990 SPD, 1990 – 2002 Ministerpräsident von Brandenburg, 2002 – 2005 Bundesverkehrsminister. Vom MfS als IM „Sekretär“ registriert, Art der Kontakte zum MfS umstritten. Stoph, Willi 228, 387 geb. 9. 7. 1914 Berlin, gest. 13. 4. 1999 Berlin Maurerlehre, 1931 KPD, 1940 Kriegsdienst, ab 1945 verschiedene Funktionen für Wirtschaft in der SED, 1950 – 1989 Mitgl. und 1950 – 1953 Sekretär des ZK der SED, 1953 – 1989 Mitgl. des PB, 1952 – 1955 Minister des Inneren, 1954 – 1962 Stellv. Vorsitzender des Ministerrates, 1956 – 1960 Minister für Nationale Verteidigung, 1962 – 1964 erst Stellv. Vorsitzender dann Vorsitzender des Ministerrats bis 1989, 1973 – 1976 Vorsitzender des Staatsrats, 7. 11. 1989 Rücktritt, 3. 12. 1989 Ausschluss aus der SED. Strauss, Franz Josef 296 geb. 6. 9. 1915 München, gest. 3. 10. 1988 Regensburg CSU-Politiker, 1956 – 1962 Bundesverteidigungsminister, 1966 – 1969 Bundesfinanzminister, 1978 – 1988 Ministerpräsident von Bayern. Svoboda, Ludv k 96, 101 f, 153, 223, 383, 397, 442, 444 f geb. 25. 11. 1895 Hroznat n, gest. 20. 9. 1979 Prag ˇ SSR Bataillons auf Seiten der UdSSR, 1943 im II. Weltkrieg ab 1941 Befehlshaber eines C

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Brigadegeneral, 1948 – 1950 Verteidigungsminister, Verlust aller Ämter, 1952 inhaftiert, ˇ SSR. Wiederaufstieg, 1968 – 1975 Präsident der C Sˇ k, Ota 13, 94, 96 geb. 11. 9. 1919 Pilsen, gest. 22. 4. 2004 St. Gallen 1940 – 1945 KZ Mauthausen, 1962 – 1969 Direktor des Wirtschaftsinstituts der Akaˇ , 1968 stellv. Ministerpräsident, demie der Wissenschaften und Mitgl. des ZK der KPC 1969 Parteiausschluss, 1970 Aberkennung der Staatsbürgerschaft, 1970 – 1991 Prof. in St. Gallen Sˇimek, Pavel 141 geb. 1917, gest. 2003 1959 – 1971 Synodalkurator der EKBB. Taut, Walter 386 f, 393 geb. 25. 10. 1926 Linz / Donau, gest. 30. 1. 2011 Dresden 18. 7. 1954 ordiniert in Seelitz, 1961 Pf. in Sebnitz, stellvertretender Superintendent in Pirna, 1973 Pf. in Leipzig, 1982 Pf. in und Leitung der Ev. Heil- und Pflegestätte Kleinwachau, 1991 emeritiert. Teichgr ber, Horst Otto Günter 328 geb. 27. 8. 1918, gest. 12. 7. 2003 Studium in Bethel, Heidelberg, Göttingen, 1949 Hilfsprediger in Meuselwitz, dann Gera, 1950 Hilfspf. in Waltersdorf ab 1951 in Tschirma, ab 1953 Pf. dort, 1955 Pf. in Halle, 1959 Pf. in Magdeburg, 1966 – 1980 Pf. und Superintendent, Seehausen / Altmark. Tillich, Paul 472 geb. 20. 8. 1886 Starzeddel bei Guben, gest. 22. 10. 1965 Chicago Illinois (USA) 1904 – 1909 Studium Philosophie, Theologie in Berlin, Tübingen, Halle, Breslau, 1910 Dr. phil., 1912 Lizentiat Theologie, Ordination, Feldgeistlicher, 1915 Habilitation, 1929 Prof. in Frankfurt / Main, 1929 SPD, 1933 Entlassung, Emigration in die USA, Prof. an unterschiedlichen Universitäten in den USA. Thomas, M.M. (Madathilprampil Mammen) 144 geb. 15. 5. 1916 Thiruvalla / Indien, gest. 3. 12. 1996 Thiruvalla / Indien Mitgl. Syrische Mar-Thoma-Kirche von Malaba, 1968 – 1975 Vorsitzender des Zentralausschusses des ÖRK, 1990 – 1993 Gouverneur in Indien. Tietz, Gertraudis 377 geb. 24. 11. 1913 Hönigern, gest. 20. 5. 1972 Dresden 1948 Bezirkskatechetin in Auerbach, 1959 Sächsische Landeskatechetin, 1948 – 1959 Mitglied der sächsischen Landessynode. Tom sˇek, Frantisˇek, Prof., Erzbischof 106, 166 geb. 30. 6. 1899 Stud nka, gest. 4. 8. 1992 Prag 1922 Priesterweihe, 1934 Assistent in Olmütz, 1938 Promotion, im II. Weltkrieg Religionslehrer, 1947 Prof. für Religionspädagogik in Olmütz, 1948 alle theologischen Fakultäten geschlossen, 1949 Geheimweihe zum Weihbischof in Olmütz, 1951 – 1954 interniert, 1962 – 1966 Teilnahme am II. Vatikanischen Konzil, 1965 Apostolischer Administrator Erzbistum Prag, 1977 Erzbischof in Prag. T th, K roly, Dr., Bischof 171, 174, 184 geb. 3. 4. 1931 bei Györ / Ungarn 1956 Pf. der Reformierten Kirche in Ungarn, 1966 Promotion, 1971 – 1978 Generalse-

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Biogramme / Personenverzeichnis

kretär der CFK, 1978 – 1990 Präsident der CFK, 1977 – 1988 Vizepräsident des Reformierten Weltbundes, 1977 – 1991 Bischof des Donau-Distrikts. Trebs, Herbert 158, 260 geb. 16. 7. 1925 Halle / S. Wehrmacht, 1947 CDU, 1947 – 1951 Studium in Halle, Aspirantur in Leipzig, 1954 – 1955 Hauptreferent für Kirchenfragen der CDU, 1955 – 1964 Kirchenredaktion der Neuen Zeit, 1963 Promotion, 1966 Habilitation, 1967 – 1976 Abgeordneter der Volkskammer, 1967 – 1990 Prof. für Ökumenik an der Humboldt-Universität in Berlin, 1967/ 68 Mitgl. der Verfassungskommission, vom MfS als IM „Anton“ registriert. Trojan, Jakub Schwarz 103, 113, 130-131, 152, 426 geb. 13. 5. 1927 Paris 1946 – 1948 zunächst Studium an Handelsschule, 1949 – 1955 Theologie, dazwischen Militärdienst, 1956 – 1974 Pfarrer der EKBB, 1970 Promotion, 1971 Abschluss als Ingenieur, 1974 Entzug der staatlichen Predigtlizenz, Arbeiter, Buchhalter, Unterzeichner der Charta 77, 1992 Prof. für theologische Ethik in Prag, 1990 – 1996 Dekan der Evangelischen Theologischen Fakultät. Triebner, Rudolf, 418 geb. 14. 8. 1908 Hof / Bayern, gest. 13. 6. 1977 in Mönchengladbach Studium in Jena, Tübingen, Greifswald, 1933 Ordination in Sonneberg, 1934 Hilfsprediger in Steinsdorf, 1940 Pfarrer in Frießnitz, 1942 – 1945 Kriegsdienst, 1946 Pfarrer in Gera, 1959 – 1974 Oberpfarrer in Gera. Tscherwonenko, Stepan Wassiljewitsch 132, 166, 208, 279, 283, 426 geb. 16. 9. 1915 Okin / Ukraine, 11. 7. 2003 Moskau 1940 KPdSU, verschiedene Funktionen, 1959 – 1965 Botschafter in China, 1965 – 1973 Botschafter in Prag, 1973 – 1982 Botschafter in Frankreich. Tschiche, Hans-Jochen 27, 35, 148, 154, 199, 331, 347 – 354, 358, 429, 505 geb. 10. 11. 1929 Kossa 1948 Studium Berlin, 1949 – 1950 Lehrgang für Lehrer der russischen Sprache, nach Weigerung einer politischen Organisation beizutreten Entlassung, 1950 – 1955 Theologiestudium in Berlin, 1958 Ordination, 1960 – 1975 Pf. in Meßdorf, 1975 – 1990 erst Studienleiter, ab 1978 Leiter der Ev. Akademie in Magdeburg, seit den 1980 Jahren in der Friedensbewegung aktiv, Mitgründer Neues Forum, 1989/90 Runder Tisch, 1990 Mtgl. der Volkskammer, Okt. 1990 – 1998 MdL Sachsen-Anhalt, 1994 – 1998 Vorsitzender der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen. Ulbricht, Walter 43, 46 – 48, 53, 62, 65, 69, 71, 76, 88, 91, 93 – 95, 100, 168, 187, 221, 228, 230, 238, 249, 252, 279, 281, 283 – 286, 298, 305, 311, 314, 341, 362, 397, 399, 429, 434, 436, 458, 485 geb. 30. 6. 1893 Leipzig, gest. 1. 8. 1973 Berlin Politiker, Tischler, 1912 SPD, 1919 KPD, 1928 – 1933 Mitgl. des Reichstags, 1933 – 1945 Exil, ab 1938 UdSSR, 1950 Generalsekretär der SED, 1949 – 1955 stellv. Ministerpräsident der DDR, 1953 – 1971 1. Sekretär des ZK der SED, 1955 – 1961 erster stellv. Ministerpräsident, 1960 – 1973 Staatsratsvorsitzender. Vacul k, Ludv g 95, 98 geb. 23. 7. 1926 Brumov (Südmähren) Schriftsteller, 1967 Parteiausschluss, Autor des „Manifest der 2000 Worte“, 1968 Publikationsverbot, Mitinitiator der Charta 77.

Biogramme / Personenverzeichnis

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Vibrans, Hans Gerhard 341 f geb. 25. 4. 1927 Dobberkau, gest. 6. 5. 1975 Lützen ordiniert 19. 6. 1952, 1966 Pfarrer in Grunau, ab 1969 in Lützen. Vogel, Heinrich, Prof. Dr. 119, 168 f, 237, 479 geb. 9. 4. 1902 Pröttlin, gest. 25. 12. 1989 Berlin vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 265. Waitz, Helmut 337 f geb. 4. 4. 1910 Magdeburg, gest. 12. 3. 1993 Magdeburg Rechtsanwalt, 1939 – 1945 Wehrmacht, ab 1952 Mitgl. der Provinzialsynode der KPS, 1964 – 1980 Präses der Provinzialsynode der KPS, 1969 – 1973 Vizepräses der Bundessynode des BEK, 1970 – 1976 Präses der Synode der EKU (Bereich DDR), 1979 stellvertretender Vorsitzender des Rates der EKU, ab 1980 juristischer Mitarbeiter im Konsistorium in Magdeburg. Wehner, Herbert 246 geb. 11. 6. 1906 Dresden, gest. 19. 1. 1990 Bonn Politiker, zunächst KPD, 1946 SPD, 1958 – 1973 stellv. SPD-Vorsitzender, 1966 – 1969 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, 1969 – 1983 SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Weise, Hans 60, 133, 164, 182, 198 f, 254 f geb. 1917 bis 1949 Mitarbeiter der Kriminalpolizei, 1952 Landesparteischule, 1953 – 1957 Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, 1957 – 1982 Hauptabteilungsleiter in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, IM und OibE des MfS. Welzk, Stefan, Dr. 364 Beteiligt an Protestatktionen 1968 in Leipzig, damals Physikstudent, Flucht in den Westen, Promotion in Philosophie, Promotion in Wirtschaftswissenschaften. Wendelborn, Gert, Prof. 317 geb. 13. 7. 1935 Rostock 1953 – 1958 Studium in Rostock, 1964 Promotion, 1969 Habilitation, 1969 außerordentlicher Prof. für Ökumenik, 1989 ordentlicher Prof. für KG, Mitgl. CDU und CFK, vom MfS als IMS „Heinz Graf“geführt, 1992 wegen IM-Tätigkeit entlassen. Wendelin, Gerhart Adolf 382 geb. 8. 5. 1912 Dresden, gest. 25. 7. 1984 Celle 29. 11. 1936 Ordination in Freiberg, 1936 – 1937 Lehrvikar, ab 1939 Pf. in Schmiedefeld bei Kamenz, ab 1951 in Dresden, 1959 – 1973 Pf. und Superintendent in Dresden-Stadt, 1967 EKD-Synodaler (Ost), 1973 emeritiert. Werdin, Joachim 254, 257 geb. 1922 Superintendent in Guben. Werner, Erich 204 Propst der Greifswalder Kirche West, Charles C., Prof. 163, 169, 182 geb. Plainfield / New Jersey reformierter Pf., Missionar in China, Direktor des ökumenischen Instituts in Bossey,

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Biogramme / Personenverzeichnis

1961 – 1991 Prof. für Ethik am Princeton Theological Seminary, USA, 1979 – 1984 Dekan. Williams, Glen Garfield 373 f geb. 14. 9. 1923 Newport / Großbritannien, gest. 28. 3. 1994 Genf / Schweiz 1955 – 1959 baptistischer Pf., 1959 – 1968 Leiter der Europaabteilung des ÖRK, 1968 – 1986 Generalsekretärs der KEK Wilke, Hans, Dr. 394 geb. 9. 9. 1932 Philosophiestudium in Berlin, 1949 FDJ, 1950 SED, 1957 – 1990 Mitarbeiter, später Abteilungsleiter in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, vom MfS als GHI (Geheimer Hauptinformator) „Horst“ geführt. Wilm, Ernst 272 geb. 27. 8. 1901 Reinswalde, gest. 1. 3. 1989 Lübbecke vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 276. Wirth, Hans Gerhard 120 geb. 26. 6. 1911 Wartha / Kreis Hoyerswerda, gest. 6. 1. 2000 in Bautzen 2. 1. 1938 ordiniert in Schirgiswalde, 1946 Pf. Bautzen, 1947 Pfarrer Neschwitz und ab 1958 auch sorbischer Superintendent, 1976 emeritiert. Wirth, Günter 158, 180, 186 f, 189 f geb. 7. 12. 1929 Brand-Erbisdorf, gest. 5. 12. 2009 Berlin 1947 CDU, 1952/53 Hauptreferent beim CDU-Hauptvorstand, 1954 – 1958 Sekretär des CDU-Hauptvorstandes, 1960 – 1989 Mitgl. im CDU-Hauptvorstand, 1972 – 1989 Mitgl. im Präsidium desselben, 1961 – 1963 stellv. Chefredakteur des CDU-Organs Neue Zeit, 1964 – 1970 Cheflektor im Union Verlag Berlin, 1973 – 1985 Chefredakteur, 1986 – 1990 Herausgeber des „Standpunkt“, Mitgl. CFK. Woelke, Willy 85, 308 geb. 19. 3. 1905 Westpreußen, gest. 24. 1. 1976 Oldenburg Jurist, seit 1937 im evangelischen Konsistorium der Provinz Pommern in Stettin, seit 1947 Oberkonsistorialrat in Greifswald, seit 1958 Vizepräsident, ständiger Vertreter von Bischof Krummacher, 1972 Ruhestand. Wçlber, Hans-Otto 51 geb. 22. 12. 1913 Hamburg, gest. 10. 8. 1989 ebenda 1940 – 1945 Kriegsdienst, 1945 – 1956 Jugendpastor in Hamburg, ab 1959 Vertreter des Bischofs, ab 1964 Bischof in Hamburg, 1977 – 1983 Bischof in Nordelbien, 1969 – 1975 leitender Bischof der VELKD Wurm, Wilhelm 254 geb. 15. 3. 1906 1968 Superintendent in Luckau, Berlin-Brandenburg Z nker, Otto, Dr., Bischof 269 geb. 29. 6. 1876 Herzkamp, gest. 30. 1. 1960 Bielefeld vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 281. Ziemer, Christof 386, 395 f, 503, 505 geb. 28. 8. 1941 Gollnow / Polen 1960 – 1965 Studium in Berlin und Halle, 1968 Pf. in Pirna, 1972 – 1974 Studieninspektor am Predigerseminar in Lückendorf, 1974 – 1980 Leiter der Theologischen Studienabteilung des BEK, 1980 – 1992 Pf. und Superintendent in Dresden, 1987 – 1989

Biogramme / Personenverzeichnis

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Vorsitzender der Vorbereitungsgruppe und des Präsidiums der Ökumenischen Versammlung, 1992 aus kirchlichem Dienst ausgeschieden, bis 1993 in Kroation, 1998 – 2003 interreligiöse Friedensarbeit in Sarajevo, 2003 Pf. in Riesa, 2006 Ruhestand. Zimmermann, Gottfried 402 geb. 16. 9. 1913 Chemnitz, gest. 1978 ordiniert 3. 7. 1938 Störmthal, Pf. in Schmeckwitz bei Kamenz, Mitgl. im Bund Evangelischer Pfarrer, vom MfS als IM „Lucas“ geführt. Zˇiak, Andrej 140, 151, 256 geb. 1905, gest. 1989 Pressburg Politiker seit 1946 im Parlament, 1968 Vizepräsident des neubegründeten Föderalparlaments in Prag, 1970 erzwungener Rücktritt, gehörte zur Evangelischen Kirche in der Slowakei, von Anfang an Mitgl. der CFK-Führung.

Ortsverzeichnis

Albanien 101, 397 Amsterdam 118 Annaberg-Buchholz 397, 401 Bad Kreuznach 179 Bad Schandau 393 Barleben 337 Bautzen 121, 399, 432 Berlin (Ost-Berlin / West-Berlin) 15, 22, 25 f, 28, 32, 34, 36, 51, 53, 55, 62 f, 80, 82, 87, 107, 109 – 111, 114, 119, 125 – 136, 138, 142 – 144, 146 f, 149 f, 152, 154, 158, 168 f, 171, 183 f, 186 f, 189, 193 – 196, 198, 204 – 214, 216, 218 – 221, 223 – 226, 228 – 239, 241 – 245, 247 – 266, 268, 271, 279 f, 283 – 285, 298, 300, 307, 309, 311 – 313, 316, 320, 328 f, 331, 358, 370, 372, 374 f, 380, 387 – 391, 401, 405, 422, 429, 433, 438, 448 f, 453, 455, 457, 460 – 462, 466 f, 473, 475 f, 478 – 480, 496 f, 499, 507, 510 f, 516, 539 f Biafra 15, 209, 368, 421, 473 Bischheim 434 Bischofswerda 360 Böhmen 104, 116 f, 481, 484 Bonn 51, 80, 84, 119, 139, 230, 233, 276 f, 348, 441, 515 Brandenburg 26, 34, 36, 49, 53 f, 62, 80, 82, 125, 127, 132, 146 f, 149, 187, 204 f, 210 f, 213 f, 216, 218 – 220, 223 – 226, 228 – 239, 241 – 245, 247 – 255, 257, 261 – 266, 268, 271, 283 f, 307, 313, 322, 328 f, 331, 358, 372, 374, 380, 388 f, 401, 411, 422, 429, 449, 455, 462, 466, 473, 475 f, 478, 480, 496, 511, 540 Bratislava 100, 256, 365, 445 Breslau 269, 275 Brno 456

Buckow 176, 178 f Budapest 183, 240, 256 Bukarest 157 Bulgarien 53, 98, 144, 174 Bülstringen 355 f Burkhardtswalde 393 ˇ eska Trˇebov 122 C ˇ esky Teˇsˇin 122 C China 101, 397 ˇ iern nad Tisou 99, 101 C Cottbus 60, 129, 199, 224, 226 – 228, 233 f, 246 f, 249 – 257, 269, 274, 291, 298, 322, 326, 433, 457, 466, 497 f Deutschendorf 377 Dippoldiswalde 432 Dorf Wehlen 393 Dresden 48, 56, 61 f, 64, 76, 94, 96 – 99, 120, 123 – 125, 176, 180, 218, 270 – 272, 274, 278, 280 f, 283 f, 290 – 297, 299 f, 322, 358 – 361, 364, 366 f, 369, 371 f, 374 – 383, 385, 387 – 396, 399 f, 405, 409, 432 – 436, 445, 448, 458, 465 f, 468, 484, 493, 495 – 497, 503 Eberswalde 224, 262, 463 Eisenach 70, 122, 406, 417, 419, 518, 540 Elterlein 125 Erfurt 44, 124, 322, 334 – 336, 341 – 343, 345, 358, 406, 413 – 415, 417, 419 f, 424, 427, 459, 463, 465, 469, 484 Erzgebirge 53, 64, 78, 395, 401, 404 Espelkamp 119 Estland 145 Ferch / Potsdam Finnland 130

176 f

578

Ortsverzeichnis

Frankfurt / Main 110 Frankfurt / Oder 68, 224, 247 f, 451, 456 f, 506 Frankreich 164, 167, 183, 335, 385 Freiberg 211, 366, 370 Fürstenwalde 15, 81, 83, 216, 218, 220, 302 – 304 Genf 110, 118, 136 f, 141, 143 f, 303, 331, 443 Georgien 145, 168 Georgsmarienhütte 177 Gera 322, 364, 406, 414 – 420, 461, 499 Gommern 337 Görlitz 15, 36, 56, 60, 64, 74, 78, 126, 151, 204, 210, 218, 230, 269 – 277, 279 – 287, 291 – 302, 369, 374, 429, 458, 466, 469 f, 478, 493, 497, 511 Greifswald 36, 56, 85, 126, 198, 204, 213, 216, 218, 270 f, 301 – 306, 308 f, 316 f, 319 – 321, 361, 460 – 462, 471, 496, 517 Grevesmühlen 31 Großbritannien 183 Großgrimma-Grunau 341 Güstrow 311 Hähnichen 293 Halle 126, 198, 219, 223, 322, 332, 335 – 338, 342 – 344, 346, 410 – 412, 448, 492 f, 498 Heidenau 393 Helsinki 501 Heringsdorf 31, 121 Hinterhermsdorf 390 Hoyerswerda 271, 281, 298 Indien 164 Israel 156, 177, 197, 368, 477, 481 f Italien 183, 385 Jansk L zneˇ (Johannisbad) 121, 185 Jena 220, 412, 418, 423, 447, 459 – 462 Jihlava 129 Jugoslawien 53, 101, 385, 397, 507

Kamenz 434 Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) 49, 56 f, 60 f, 73 f, 76, 78, 125, 130, 142 f, 364, 366, 370, 373, 375, 379, 381 – 385, 397 f, 400 f, 404 f, 431, 436, 456, 468, 501 Karlovy Vary (Karlsbad) 100 f Klingenthal 377 Klötze 433 Kunvald (Kunwald) 456 f Kutn Hora (Kuttenberg) 425 f Lehnin 71 – 73, 277, 305, 314, 337, 412, 422, 489 Leipzig 17, 19, 21, 29, 32, 61, 64, 68, 77, 115, 119 f, 124, 126, 211, 322, 332, 335, 359, 361 – 367, 370, 372, 375, 379, 381, 396 f, 404 f, 409, 421, 437, 451 – 454, 460, 468, 499 Leningrad 171 Lettland 145 Liberec 391 Lidice 129 Liebethal 393 Löbau 124, 431 f Lobejün 78 Loburg 337 Lodersleben 78 Löwenberg 62 Lübbenau 457 Ludwigslust 311 Magdeburg 31, 61, 127, 132, 189, 200, 206, 210, 218 f, 291, 322, 324, 326 – 333, 335 f, 338 – 342, 344, 346 – 353, 355 – 357, 413, 433, 458 f, 466 f, 492 f, 499, 506, 518 Mähren 104, 117, 456 Mari nsk L zeˇ (Marienbad) 167 f Marienberg 78, 377, 384 Maxen 393 Meißen 124, 361 Mengersgereuth-Hämmern 419 Merseburg 31, 343 Meßdorf 347, 350 – 354 Miroslav 126, 152, 456 Moskau 16, 49, 53, 99, 101 f, 118, 145,

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Ortsverzeichnis 158 f, 174, 180, 182, 253 f, 326, 329, 400, 509 Nassau 377 Naumburg 26, 63 f, 123, 269, 337, 340, 344, 346 f, 358 Neubrandenburg 73, 76, 224 f, 233 f, 242, 247, 263 – 266, 269, 302, 308, 312, 320 f, 419, 496 Neueibau 361 Neusalza Spremberg 361 Niederlande 39, 130, 183 Niesky 60, 271, 276, 281, 291 Nordhausen 357, 451, 506 Nowgorod 171 Nyborg 336 Oberwiesenthal 397 Oelsnitz 377 Olmütz 106 Osterburg 328, 352, 357 Ostsee 121 Paris 163, 165, 169 – 172 Pilsen 152 Pirna 56, 60, 291, 313, 343, 371, 373, 377 – 379, 385 – 396, 401, 403, 405, 429, 432, 434, 466, 505, 518 Pirna-Copitz 393 Plauen 74, 125, 370, 398, 501 Polen 45, 52, 98, 130, 144, 161, 174, 184, 225, 243, 307, 429, 434, 436, 440, 444, 454, 499, 502, 505 Potsdam 146, 219, 224, 228, 233 f, 242, 245 – 250, 263, 266 f, 322, 362, 439, 476 f Potsdam-Bornstedt 477 Prag 13 – 17, 19 – 23, 25 – 27, 29 – 32, 37 f, 44, 46 – 48, 50 – 53, 57, 66, 70, 76 f, 80, 82 f, 88, 93 – 103, 106 – 111, 114 – 119, 121 – 126, 129 f, 132, 136 f, 140 f, 148 f, 154 f, 157 – 169, 175, 177, 181, 183 – 187, 189, 195, 199 f, 203, 215, 219, 223, 228 – 230, 234, 245, 256, 260, 265, 272, 283, 292 – 295, 309, 319, 329, 334, 340, 345, 347, 355, 358 f, 361, 363 – 366, 371 – 373, 385 f, 399 f, 405, 412, 414, 419,

421, 423 f, 431 – 439, 441 – 452, 464, 472, 477, 479, 482, 485, 488, 490 – 500, 502 – 507, 509, 512 f Princeton 169 Pritzwalk 60, 243, 267 f Quedlinburg

341

Reichenbach 271 Riesa 71 Rokycany 152 Rom 106, 116 Rostock 19, 31, 264, 304 – 309, 311, 315 – 320 Ruhland 271, 276 Rumänien 47, 53, 101, 385, 397 Schlesien 56, 117, 270, 276 Schönhausen 342 Schweiz 130, 136, 183, 187 f, 195, 215 f Schwerin 44, 61, 224, 308, 310 – 318, 320 f, 410, 441, 517, 540 Sebnitz 291, 371, 386 – 388, 390 – 395, 405, 432, 466 Seiffen 377 Seiffen-Heidelberg 377 Sömmerda 342 Sondershausen 420 Sowjetunion 99, 101, 103, 118, 145, 161, 166, 170, 178, 180, 185, 204, 240, 302, 365, 397, 449, 465, 484, 496, 499, 502, 540 Steinbach 326 – 328, 333, 419, 449 Stendal 27, 327, 347 f, 350, 361, 505 Stettin 301 Stralsund 308 Strelitz 310 Suhl 29, 125, 322, 343, 406, 414 f, 417, 419 f Tennstedt 342 Tessin 31 Theresienstadt 50, 129 Trebsen 397 Tschernobyl 501

580

Ortsverzeichnis

Ungarn 53, 95, 98, 126, 140, 144, 151, 168, 174, 219, 231, 240, 243, 373, 383, 402, 445, 449, 453, 501 Uppsala 56, 138 – 143, 151 f, 157, 221 f, 243, 256, 313 f, 316, 340, 359, 379, 441 USA 13, 48 – 50, 57, 113, 134, 143, 156, 158, 162 f, 169, 253, 260, 415 Vatikan 20, 98, 106 Vietnam 15, 25, 56 f, 163, 177, 188, 209, 221, 230, 245, 261, 265 f, 282, 284, 368, 382 f, 399, 415, 421, 431, 449, 473, 478 Warnemünde 31 Warschau 16 f, 23, 38, 45, 47, 52, 85, 98 f, 101, 117, 132, 159, 177, 185, 203 f, 213,

226 f, 256, 258, 278 f, 285 f, 308, 315 f, 323 – 325, 327, 334, 355, 387, 404, 413, 424, 440, 446, 449, 510 Wehlen 393 Weimar 63, 67, 71, 406, 408, 410, 415 f, 423 f, 426 Weimar-Schöndorf 425 Weißwasser 257, 271 f, 298 Wernigerode 174, 342, 345 f Wismar 311 Wuppertal 119 Zittau 399 f, 432, 434 Zürich 340 Zwickau 400