Prolegomena zu den spätantiken Konstitutionen: Nebst einer Analyse der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe 9783772828867, 9783772833274, 3772828868

Forscher zum "Codex Theodosianus", einer Exzerptensammlung römischer Kaisergesetze, machen zwangsläufig Annahm

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Prolegomena zu den spätantiken Konstitutionen: Nebst einer Analyse der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe
 9783772828867, 9783772833274, 3772828868

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Hinführung
I Prinzipien spätantiker Gesetzgebung und der Codex-Theodosianus-Kompilation
Die Notwendigkeit einer Sammlung
Typologie spätantiker Kaisernormen
1 Einzelfallerlasse (Reskripte im weiteren Sinne)
2 Konstitutionen
3 Ausfertigungen
Geltung
1 Was bedeutet promulgare?
2 Gab es ein Publikationserfordernis?
3 Gab es eine empfänger- oder reichsteilabhängige Geltung?
Zur Genese spätantiker Gesetze
1 Autorenschaft
2 Veranlassung
3 Bestätigungen
Der Auftrag an die Codex-Theodosianus-Kompilatoren
Das Kriterium der generalitas
Das Schicksal des Texts
Die Realität der Sammlung
1 Auswahl der Texte
a) Kompilatorenfehler
b) Späterer Textverlust
c) Nichtauffindbarkeit
d) Ausgeschieden aufgrund trivialer Formalkriterien
e) Ausgeschieden, da in Abweichung vom geltenden Recht
f) Ausgeschieden, da das generalitas-Kriterium nicht erfüllt war
2 Spitze des Eisbergs oder brauchbare Übersicht?
3 Aufteilungsphänomene
4 Änderungen im Text
Gesetzeslage und Realität
Zur Sprache des spätantiken Kaiserrechts
1 Allgemeines Vokabular in abweichender Bedeutung
2 Sprachliche Ungenauigkeiten im Fachwortschatz
3 Textkritisches
Formale Angaben von Gesetzen und Exzerpten
Zusammenfassung
II Der Hintergrund
Vererben und Erben in der Spätantike
Erbrechtliche und verwandte Sanktionen außerhalb der Heterodoxengesetzgebung
CTh. 4.6.3 [21. Juli 336]
ßb_Kleriker1_bß(a(Kleriker1)a)(b(Kleriker1)b)CTh. 16.2.20 [30. Juli 370]
CI. 5.9.1/CI. 6.56.4 [18. Dezember 380]
CTh. 16.2.27 [21. Juni 390]
CTh. 3.12.3 [8. Dezember 396]
CTh. 9.14.3 [4. September 397]
CTh. 3.18.2 [zwischen 408 und 437?]
Strafen gegen Heterodoxe (abgesehen von erbrechtlichen Sanktionen)
Gesetzesumgehung in Theorie und Praxis
Formulierungen in Gesetzestexten vom Typ »Ausschluss aus der Gemeinschaft«
Die spätantike Infamie
Möglicherweise relevante Passagen bei Sozomenos
Zusammenfassung und Ausblick
III Manichäer
CTh. 16.5.7 [8. Mai 381]
CTh. 16.5.9 [31. März 382]
CTh. 16.5.18 [17. Juni 389]
CTh. 16.5.40 [22. Februar 407]
Manichäer in der praktischen Rechtsanwendung
Zusammenfassung
IV Donatisten
CTh. 16.6.4 [12. Februar 405]
CTh. 16.5.54 [17. Juni 414]
Die erbrechtlichen Sanktionen gegen Donatisten in nichtjuristischen Texten
Aug. in euang. Ioh. 6.25
Aug. serm. 47.22
Aug. epist. 93.5.19
Zusammenfassung
Exkurse
Zur Datierung des zweiten Buchs von Contra litteras Petiliani
Aug. epist. Divj. 10
Die Chronologie der Schriften Augustins
Zeittafel
V Eunomianer
CTh. 16.5.17 [4. Mai 389]
CTh. 16.5.23 [20. Juni 394]
CTh. 16.5.25 [13. März 395]
CTh. 16.5.27 [25. Dezember 395]
CTh. 16.5.36 [6. Juli 399]
CTh. 16.5.49 und 50 [1. März 410]
CTh. 16.5.58 [6. November 415]
Zusammenfassung
VI Apostaten
CTh. 16.7.1 [2. Mai 381]
CTh. 16.7.2 [20. Mai 383]
CTh. 16.7.3 [21. Mai 383]
CTh. 16.7.4 und 5 [9. Juni 391]
CTh. 16.7.6 [23. März 396]
CTh. 16.8.28 und 16.7.7 [7. April 426]
Zusammenfassung
VII Erbrechtliche Sanktionen nach 428
CTh. 16.5.65 [30. Mai 428]
Nov. Val. 18: De Manichaeis [19. Juni 445]
Die antieutychianischen Gesetze CN 480 [18. Juli 452] und CN 489 [1. August 455]
Hunerichs antikatholisches Edikt [24. Februar 484]
Justinian und der Codex Iustinianus
Ausblick
Ergebnisse
Nachschlageteil
Bibliografie
Abkürzungen
Schlagwortregister
Stellenregister und Ausgabenverzeichnis
Register der Bibelstellen
Register der BGB-Paragrafen

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Peter Riedlberger Prolegomena zu den spätantiken Konstitutionen

Peter Riedlberger

Prolegomena zu den spätantiken Konstitutionen Nebst einer Analyse der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe

frommann-holzboog · Stuttgart-Bad Cannstatt 2020

Im Sommersemester 2019 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen

Gedruckt mit Hilfe der Gertrud-und-Alexander-Böhlig-Stiftung

D21

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7728-2886-7 eISBN 978-3-7728-3327-4 © frommann-holzboog Verlag e. K. · Eckhart Holzboog Stuttgart-Bad Cannstatt 2020 www.frommann-holzboog.de Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg Gesetzt aus der Century Old Style (URW). Als nichtlateinische Schriften werden OdysseaU, NewJerusalemU und LateefiLSU (alle Linguist’s Software) verwendet. Gesamtherstellung: Memminger MedienCentrum Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ, καὶ ἐὰν εἰδῶ πᾶσαν τὴν γνῶσιν, ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, οὐθέν εἰμι.

Die Römer, so spottete ein antiker Autor, sagen nur einmal im Leben die Wahrheit, und zwar in ihrem Testament. Der heutige Mensch braucht dafür nicht bis zu seinem Ableben zu warten: Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand das Vorwort eines wissenschaftlichen Werks je lesen wird, ist derart gering, dass kein Grund besteht, hier die Dinge nicht so zu sagen, wie sie sind. Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2019 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Vor zehn Jahren – wie viel ist seitdem geschehen! – bedankte ich mich bei Markus Schauer, dass er den weiten Weg »vom pittoresken Bamberg ins nasskalte Kiel« auf sich genommen hatte. Ich habe die Strecke umgekehrt zurückgelegt, und zwar auf verschlungenen Wegen. Die ursprüngliche Idee zum vorliegenden Buch stammt aus dem Jahr 2009. Fünfzehn Monate lang in den Jahren 2011/12 wurde es mit einem Fellowship der Minerva-Stiftung an der Tel Aviv University gefördert. Im Jahr 2014 war ich dann ein halbes Jahr akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Römisches Recht in Tübingen, 2015/16 konnte ich mit voller Kraft an den »Prolegomena« weiterarbeiten, dank einer großzügigen Finanzierung durch die Universität Bamberg. Seit dem Beginn meines ERC Starting Grants zu den Konzilien beanspruchte dieser meine reguläre Arbeitszeit. Ich hatte übrigens zweifach großes Glück: erstens, den Grant zu erhalten, zweitens, ihn in Bamberg ansiedeln zu können, wo ich auf die Unterstützung so vieler zählen darf. Meine Dankesschuld zumal bei Hartwin Brandt ist enorm: Mir advena öffnete er sämtliche Türen in Bamberg und ermöglichte mir bereits vor dem Grant-Erfolg, weiter wissenschaftlich arbeiten zu können. Wenn ich zurückdenke und mich frage, warum ich dieses Mal so ungleich mehr Zeit benötigte als für die vorherigen Bücher, so fallen mir mehrere Gründe ein. Erstens war der Moment nicht gut: Während man mit der Gießkanne Promotionsstipendien verteilt und der so generierte Output von fraglichem Nutzen ist (denn viele der Geförderten werden im Berufsleben kaum vom »Dr.« vor dem Namen profitieren; genauso wenig aber auch der Steuerzahler – außer vielleicht er hat Freude an OECD-Statistiken, in denen sich nun der Prozentsatz Promovierter in Deutschland erhöht), ist die Postdoc-Phase, jedenfalls ab dem vierten Jahr, wenn die Fellowships rar werden, nahe am Hobbes’schen Naturzustand der Menschheit.

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vorwort

Zweitens ertrank ich in Literatur, und bei allem anfänglichen Ehrgeiz, nichts auszulassen, weiß ich doch am Ende des Vorhabens, dass meine bibliografischen Lücken groß sind. Hinzu kommt, dass die Literaturverwertung nicht immer gewinnbringend war. Anders als bei den Büchern zu Goripp und Domninos war ich dieses Mal wiederholt mit Arbeiten konfrontiert, die – da zahlreiche Belege falsch oder Originaltexte sprachlich missverstanden waren – den Leser gar nicht voranbrachten. Wissenschaftliche Arbeit im 21. Jahrhundert gleicht einem Rennen zwischen Hase und Igel: Egal, wie viel Zeit man investiert, egal, wie viele Wochenenden man durcharbeitet – stets wird der Igel gewinnen, der ohne Rücksicht auf die Evidenz oder die Literatur Behauptungen aufstellt und mit Fußnoten garniert, die nicht selten ins Leere weisen. Das Ringen mit den Quellen bleibt oft ohne Honorierung; zunehmend wird abgestellt auf einfache metrische Größen wie Zahl der Publikationen, Textmenge oder Ranking des Publikationsorts. Mein Zeitaufwand, die Belege selbst nachzulesen und nötigenfalls im Kontext zu verorten, war mitunter enorm. Wenn dieser Zeitaufwand in keiner Relation zum Nutzen stand (weil zu viele der Belege vom Igel-Typ waren), konnte ich meine Ungeduld in der resultierenden Fußnote nicht immer verbergen; ich muss den Leser bereits hier um Nachsicht bitten. Drittens verschob sich der Fokus meines Buchs. Aus einer Studie zur Heterodoxengesetzgebung wurde letztlich eine Darstellung meiner Vision der spätantiken Gesetzgebung. An einem vermeintlich kleinen Exempel von ungefähr zwanzig Konstitutionen will ich demonstrieren, auf welche Weise man nach meiner Überzeugung mit diesem Material weiterkommt: Nur dann, wenn man um ein Verständnis dieser Texte ringt – ebenso banal sprachlich wie hinsichtlich des Kontexts (und zwar ebenso des juristischen wie des sachlichen, in diesem Fall zumeist theologischen) –, lassen sich neue belastbare Ergebnisse erzielen. Mit vielen habe ich über Einzelfragen korrespondiert; und ich weiß, dass mein Versuch scheitern wird, alle aufzuzählen. Jedenfalls großen Dank schulde ich Serena Ammirati, Lorena Atzeri, Lale Behzadi, Philippe Blaudeau, Hanns Christof Brennecke, Denis Feissel, Manfred Flieger, Matthew Hoskin, Andrea Jördens, Konstantin Klein, Peter Konerding, Tommaso Mari, Dominic Moreau, Isabel Niemöller, Netanel Olhoeft, Yann Rivière, Benet Salway, Boudewijn Sirks, Ignazio Tantillo, Lieve Van Hoof, Peter Van Nuffelen, Clemens Weidmann und Gregor Wurst. Niemanden habe ich mehr und öfter mit Fragen behelligt als Simon Corcoran, dem ich herzlich für seine hilfreichen Antworten danke. Das vorliegende Buch wäre unmöglich gewesen ohne Amanuensis, und Amanuensis würde nicht existieren ohne Günther Rosenbaum. Auch stehe

vorwort

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ich in Ingo G. Maiers Schuld: Er hat mir (und der ganzen Fachwelt) seine Sammlung der vollständigen Konstitutionen, die außerhalb der Codices überliefert sind, überlassen. Ganz besonderen Dank, weil sie das Manuskript vollständig gelesen und zahllose wichtige Anmerkungen gesetzt haben, schulde ich Thomas Graumann, Rudolf Haensch und Christian Schnabel (mit dem solennen Disclaimer: Alle gleichwohl enthaltenen Fehler und Ungereimtheiten sind allein meiner Dummheit bzw. Dickköpfigkeit zuzuschreiben). Thomas Graumann behütete mich vor zahllosen Irrtümern, die ansonsten dem Fachfremden unterlaufen wären; vor allem aber lehrte er mich, dass die Patristik (nicht anders als das Römische Recht) ein Fach sui iuris ist, in dem der unbedachte Althistoriker beängstigend schnell zum Dilettanten wird. Rudolf Haensch begleitete die Entwicklung dieser Arbeit (ebenso übrigens wie die des ERC-Antrags und des daraus resultierenden Projekts) mit viel Einsatz und entscheidender Unterstützung. Bei der stets undankbaren Hatz auf Rechtschreibfehler und Inkonsistenzen konnte ich nun schon zum dritten Mal auf die freundliche Hilfe von Bertold Brockel und Walter Sorger zählen, die ebenso wie Jana Lobe und Conny Lobe viel Zeit investierten, um das Manuskript zu einem besseren zu machen. Ich weiß zudem Ulrich Lambrecht großen Dank, den ich für seine Adleraugen ebenso wie für seine immensen Kenntnisse um die Eigenheiten der Schreibung und Flexion des Deutschen bewundere. Die Gestaltung des vorliegenden Buchs war aufwändig. Dass diese meine Referenz an die US-amerikanische Typografie der Zwischenkriegszeit Wirklichkeit werden konnte, verdanke ich vielen: Zunächst meinem lieben Freund Jean Urban Andres, von dem der wunderschöne Satz stammt (wie schon der des »Goripp«) und der zahllose Sonderwünsche und Korrekturläufe mitgetragen hat – ich freue mich bereits aufs nächste Projekt mit ihm. Dann Phil Payne von Linguist’s Software, der den Einsatz der schönsten nichtlateinischen Schriften, die ich kenne, möglich machte. Und natürlich meinem Verlag frommann-holzboog, der in seiner entschiedenen Ausrichtung auf Kompetenz im Lektorat und Qualität in der Herstellung ganz wie ein Relikt aus einer besseren Zeit wirkt. Stellvertretend danke ich Sarah Huber und Harald Schmitt, aber tatsächlich war jeder Kontakt nach Bad Cannstatt von Sachkunde, Effizienz und Freundlichkeit geprägt. Die Publikation ermöglichte ein namhafter Druckkostenzuschuss der Gertrud-und-Alexander-Böhlig-Stiftung, deren Förderung mich (abgesehen natürlich vom willkommenen Finanziellen) besonders freut: Gertrud und Alexander Böhlig haben nicht nur ihr Vermögen, sondern auch und vor allem ihr Leben

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vorwort

der Wissenschaft gewidmet, und zumal Arbeiten von Alexander Böhlig werden in meinem Manichäerkapitel von großer Bedeutung sein. Ich danke meinen Münchner rechtswissenschaftlichen Lehrern, Stephan Lorenz und Petra Witt, die mir die für die Promotion notwendigen Kenntnisse im geltenden Recht verschafften. Mit der Juristischen Fakultät Tübingens, meinem ersten akademischen Arbeitgeber, verbinde ich viele angenehme Erinnerungen. Ich habe mich sehr gefreut, dass Gottfried Schiemann das Korreferat dieser Arbeit übernommen hat, wofür ich ihm herzlich danken möchte. Bei meinem Doktorvater Thomas Finkenauer stehe ich für vieles in einer tiefen Dankesschuld: so für die intensive akademische Betreuung und die entschlossene Unterstützung in dunklen Zeiten – angefangen aber natürlich damit, dass er vor etlichen Jahren überhaupt das Wagnis auf sich nahm, den damaligen juristischen Laien unter seine Fittiche zu nehmen. Das Buch sei gewidmet meiner Frau Loredana, mit der ich die diversen Abenteuer der letzten zehn Jahre überstanden habe, und den Gelehrten, auf deren Unterstützung ich während der Durststrecke der Postdoc-Phase jederzeit zählen konnte (in alphabetischer Reihenfolge): Hartwin Brandt, Thomas Finkenauer und Rudolf Haensch. Ohne einen der drei wäre das vorliegende Buch nach aller Wahrscheinlichkeit nicht vollendet worden. München, 5. Februar 2020

Peter Riedlberger

inhaltsverzeichnis Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I

Prinzipien spätantiker Gesetzgebung und der Codex-Theodosianus-Kompilation . . . . . . . . . . . . . . . Die Notwendigkeit einer Sammlung . . . . . . . . . . . . . . . Typologie spätantiker Kaisernormen . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einzelfallerlasse (Reskripte im weiteren Sinne) . . . . . . 2 Konstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Ausfertigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Was bedeutet promulgare? . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Gab es ein Publikationserfordernis? . . . . . . . . . . . . 3 Gab es eine empfänger- oder reichsteilabhängige Geltung? Zur Genese spätantiker Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Autorenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Veranlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Bestätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Auftrag an die Codex-Theodosianus-Kompilatoren . . . . . . Das Kriterium der generalitas . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Schicksal des Texts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Realität der Sammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Auswahl der Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kompilatorenfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Späterer Textverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtauffindbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausgeschieden aufgrund trivialer Formalkriterien . . e) Ausgeschieden, da in Abweichung vom geltenden Recht f) Ausgeschieden, da das generalitas-Kriterium nicht erfüllt war . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Spitze des Eisbergs oder brauchbare Übersicht? . . . . . 3 Aufteilungsphänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Änderungen im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzeslage und Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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inhaltsverzeichnis

Zur Sprache des spätantiken Kaiserrechts . . . . . . . . 1 Allgemeines Vokabular in abweichender Bedeutung 2 Sprachliche Ungenauigkeiten im Fachwortschatz . 3 Textkritisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formale Angaben von Gesetzen und Exzerpten . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II Der Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vererben und Erben in der Spätantike . . . . . . . . . . . . . . . Erbrechtliche und verwandte Sanktionen außerhalb der Heterodoxengesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CTh. 4.6.3 [21. Juli 336] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CTh. 16.2.20 [30. Juli 370] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CI. 5.9.1/CI. 6.56.4 [18. Dezember 380] . . . . . . . . . . . . . CTh. 16.2.27 [21. Juni 390] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CTh. 3.12.3 [8. Dezember 396] . . . . . . . . . . . . . . . . . . CTh. 9.14.3 [4. September 397] . . . . . . . . . . . . . . . . . CTh. 3.18.2 [zwischen 408 und 437?] . . . . . . . . . . . . . . Strafen gegen Heterodoxe (abgesehen von erbrechtlichen Sanktionen) Gesetzesumgehung in Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . Formulierungen in Gesetzestexten vom Typ »Ausschluss aus der Gemeinschaft« . . . . . . . . . . . . . . Die spätantike Infamie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglicherweise relevante Passagen bei Sozomenos . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III Manichäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . CTh. 16.5.7 [8. Mai 381] . . . . . . . . . . . CTh. 16.5.9 [31. März 382] . . . . . . . . . . CTh. 16.5.18 [17. Juni 389] . . . . . . . . . . CTh. 16.5.40 [22. Februar 407] . . . . . . . . Manichäer in der praktischen Rechtsanwendung Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . .

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409 437 449 463 471 485 492

inhaltsverzeichnis

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IV Donatisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CTh. 16.6.4 [12. Februar 405] . . . . . . . . . . CTh. 16.5.54 [17. Juni 414] . . . . . . . . . . . Die erbrechtlichen Sanktionen gegen Donatisten in nichtjuristischen Texten . . . . . . . . . . . Aug. in euang. Ioh. 6.25 . . . . . . . . . . . . Aug. serm. 47.22 . . . . . . . . . . . . . . . . Aug. epist. 93.5.19 . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . Exkurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Datierung des zweiten Buchs von Contra litteras Petiliani . . . . . . . . Aug. epist. Divj. 10 . . . . . . . . . . . . . . . Die Chronologie der Schriften Augustins . . . . Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . 495 . . . . . . . . . . 548 . . . . . . . . . . 576

V

Eunomianer . . . . . . . . . . . CTh. 16.5.17 [4. Mai 389] . . . . . CTh. 16.5.23 [20. Juni 394] . . . . CTh. 16.5.25 [13. März 395] . . . CTh. 16.5.27 [25. Dezember 395] . CTh. 16.5.36 [6. Juli 399] . . . . . CTh. 16.5.49 und 50 [1. März 410] CTh. 16.5.58 [6. November 415] . . Zusammenfassung . . . . . . . .

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VI Apostaten . . . . . . . . . . . . . . . CTh. 16.7.1 [2. Mai 381] . . . . . . . CTh. 16.7.2 [20. Mai 383] . . . . . . . CTh. 16.7.3 [21. Mai 383] . . . . . . . CTh. 16.7.4 und 5 [9. Juni 391] . . . . CTh. 16.7.6 [23. März 396] . . . . . . CTh. 16.8.28 und 16.7.7 [7. April 426] Zusammenfassung . . . . . . . . . .

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inhaltsverzeichnis

VII Erbrechtliche Sanktionen nach 428 . . . . . . . . . . . CTh. 16.5.65 [30. Mai 428] . . . . . . . . . . . . . . . . Nov. Val. 18: De Manichaeis [19. Juni 445] . . . . . . . . Die antieutychianischen Gesetze CN 480 [18. Juli 452] und CN 489 [1. August 455] . . . . . . . . . . . . . . . . Hunerichs antikatholisches Edikt [24. Februar 484] . . . . Justinian und der Codex Iustinianus . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . 765 . . . . . 765 . . . . . 784 . . . .

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Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 Nachschlageteil . . . . . . . . . . . . . . Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . Schlagwortregister . . . . . . . . . . . Stellenregister und Ausgabenverzeichnis Register der Bibelstellen . . . . . . . . Register der BGB-Paragrafen . . . . .

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hinführung »Die Strukturen dieses Flechtwerks von Normen gegen Häretiker, Heiden und Juden aufzuzeigen, war das verdienstvolle Bemühen des Verfassers. Freilich bleibt oft nur der Eindruck eines sinnlosen Hin und Her, einer Vielfalt ohne alle Konsequenz«. So pessimistisch resümiert Mayer-Maly (S. 206) in seiner durchaus positiven Besprechung der Arbeit von Noethlichs zur Heterodoxengesetzgebung. Und in der Tat kann man sich des Eindrucks von Mayer-Maly oft nicht erwehren. Tatsächlich stehen, was die Heterodoxengesetzgebung angeht, Quellenlage und Forschungsstand in einem widersprüchlichen Verhältnis. Im Codex Theodosianus findet sich eine Vielzahl von Gesetzen gegen Heterodoxe (ein praktischer Sammelbegriff für alle, die zu einem gegebenen Zeitpunkt aus einer bestimmten Perspektive nicht als rechtgläubig akzeptiert werden). Hinzu kommt die außerjuristische Überlieferung bei Historikern, Kirchenschriftstellern und in anderen Texten, die uns gelegentlich einen Einblick erlaubt, wie diese Gesetze in der Praxis wirkten. Aber all dies will nicht so recht zusammenkommen – die (vermeintliche?) Rechtslage und die praktische Anwendung scheinen sich oft zu widersprechen, und auch die juristische Situation selbst schwankt nach Ausweis der Codex-Theodosianus-Texte vermeintlich mit einiger Beliebigkeit. Man hat verschiedene Erklärungsansätze vorgeschlagen, so zumal den reaktiven Charakter der Gesetzgebung, die also allein von konkreten Anfragen ausgelöst worden sei und der daher jedes planende Element gefehlt habe. Eine weitere Idee war, die Verbindlichkeit bestimmter Gesetze in Abrede zu stellen: Sie hätten eine lokal eng begrenzte Gültigkeit aufgewiesen und könnten somit nicht zur Rekonstruktion der allgemeinen Situation herangezogen werden; Divergenzen zwischen verschiedenen Gesetzen erklärten sich also durch die jeweils geografisch eingeschränkte Geltung. Oder aber man sprach weiten Teilen der Gesetzgebung a priori die tatsächliche Relevanz ab: Es habe sich nur um Säbelrasseln gehandelt, eine praktische Anwendung sei gar nicht vorgesehen gewesen, man müsse also nicht sonderlich ernst nehmen, was da so genau in den Gesetzen stehe. Diesen Ansätzen unterliegen jeweils folgenreiche Vorstellungen hinsichtlich der Grundlagen spätantiker Gesetzgebung und Rechtspraxis. Der erste Schritt jeder Beschäftigung mit dem Codex Theodosianus sollte daher sein, sich des eigenen Standpunkts bewusst zu werden, und das auf wohlbegründeter Grundlage. Mein ursprünglicher Plan war, dies in einem kurzen, vor-

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geschalteten Einleitungskapitel mit Verweisen auf die relevanten Studien zu erledigen. Als sich mehr und mehr herausstellte, wie sehr meine Vorstellungen von dem abwichen, was als die Communis Opinio zu gelten hat, wuchs dieses Einleitungskapitel ins Hypertrophe an: Es musste direkt aus den Quellen gearbeitet werden, und mögliche Gegenargumente durften nicht ignoriert werden, sondern waren in Ausführlichkeit zu prüfen. Nicht wenige Codex-Theodosianus-Studien machen sich durch eine strenge Scheidung zwischen Generellem und Speziellem angreifbar. Gelehrte, die theoretisch über allgemeine Fragen wie Normengültigkeit arbeiten, verzichten oft darauf, die Auswirkungen ihrer Ideen über das reich überlieferte Material hinweg zu prüfen (sodass ihnen entgeht, dass ihr mühevoll konstruiertes Modell an den Quellen unmittelbar scheitert); umgekehrt folgen Autoren, die über einzelne Rechtsgebiete arbeiten, ganz unreflektiert weitreichenden methodischen Annahmen, etwa hinsichtlich der regionalen Geltung (ohne sich Gedanken zu machen, woher diese Annahmen stammen und wie gut sie eigentlich begründet sind). Ich halte es für wichtig, beides zu verbinden: Nur ein Modell, das sich auch in der »Praxis« (wenn man die Arbeit an den CodexTheodosianus-Fragmenten so nennen will) bewährt, muss ernst genommen werden; und nur eine Analyse, die auf begründetem Fundament errichtet ist, verdient Zutrauen. Daher der Doppelcharakter des vorliegenden Buchs: Nach dem generellen Teil folgt die detaillierte Analyse eines bestimmten Phänomens, nämlich der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe. Die erbrechtlichen Sanktionen sind intrinsisch interessant, da mit ihnen unmittelbar bemerkenswerte Fragen (etwa hinsichtlich ihres Strafcharakters) verbunden sind, die sich einer trivialen Antwort entziehen (→ S. 253). Hinzu kommt, dass in ihrem Fall besonders aussagekräftige außerjuristische Quellen zur Verfügung stehen; und aus praktischer Warte bieten sie den Charme, ein eng umrissenes Corpus darzustellen, bei dem eine Analyse in der Ausführlichkeit, die mir notwendig scheint, überhaupt erst möglich ist. Denn einerseits habe ich versucht, den Texten sprachlich auf den Grund zu gehen. Bei einer oberflächlichen Lesung der Konstitutionen bleibt vieles im Ungefähren; der sprachliche Bombast erweckt oft den Eindruck, als würde sich hinter der barocken Fassade wenig Inhalt verbergen. Tatsächlich handelt es sich bei den Kaisergesetzen um herausragende Beispiele spätantiker Kunstprosa, die den Zwängen dieses Genres (also Rhythmisierung, Abundanz, Preziosität u. a., → S. 232) unterliegen, und nur wer mit den Texten ringt, hat überhaupt erst die Chance, ihnen das Gemeinte zu entlocken. Ferner habe ich größten Wert auf den Kontext gelegt. Wenn man ohnehin mit exzerpierten Fragmenten ohne Einleitung arbeiten muss, ist eine Betrachtung des Weni-

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gen, was man hat – sprich: des ganzen Fragments oder, im Falle aufgeteilter Konstitutionen, aller zusammengehörigen Fragmente –, umso wichtiger. Daher werde ich die Konstitutionen mit den erbrechtlichen Sanktionen vollständig zitieren, vollständig übersetzen und vollständig interpretieren. Ich bin der Ansicht, dass sehr schnell ein falscher Eindruck entsteht, wenn man sich nur auf die direkt einschlägigen Passagen in den ohnehin gekürzten Fragmenten beschränkt: Gehen wir davon aus, dass die Kompilatoren ihre Arbeit typischerweise auftragsgemäß erledigt haben und somit der ganze allgemein relevante Regelungsgehalt eines Erlasses überliefert ist, dann ist es schon signifikant, ob dieser Kern ausschließlich in einer erbrechtlichen Sanktionierung besteht (vgl. CTh. 16.7.1) oder ob es sich – betrachtet man den ganzen überlieferten Text – um nur eine vergleichsweise unbedeutende Bestimmung unter vielen handelt (vgl. etwa CTh. 16.5.54). Freilich ist dieses Verfahren sehr platzintensiv und ließ sich nur bei den CTh.-Fragmenten mit erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe durchhalten; in allen anderen Fällen musste ich verkürzen, aber ich habe versucht, das von mir Weggelassene, soweit es mir wichtig erschien, wenigstens anzudeuten. Ausführlichkeit war mir auch in einer weiteren Hinsicht wichtig, nämlich bezüglich der Diskussion der Sachfragen (insbesondere des Hintergrunds). Denn eine Verortung der Gesetzgebung in die Realität ihrer Zeit kann nur gelingen, wenn man weiß, worüber man spricht. Die Einleitungen mögen lang sein, aber ich halte ihre Ausführlichkeit für unerlässlich. Wenn einem z. B. klar ist, wer »Arianer« und wer »Jungarianer« wirklich waren, kommt man gar nicht erst auf die Idee, diesen Gruppen Solidarität anzudichten (→ S. 629). Der Plan des vorliegenden Buchs ist wie folgt: Das erste Kapitel (mit Überlänge) präsentiert meine Sicht des Codex Theodosianus, auf der alles Weitere aufbaut. Das zweite Kapitel verengt den Fokus auf die erbrechtlichen Sanktionen und handelt die vor einer Detailanalyse zu klärenden Aspekte ab. Die nächsten vier Kapitel verfolgen den Gang der erbrechtlichen Sanktionen gegen die vier Heterodoxengruppen, die von ihnen betroffen waren. Ein letztes Kurzkapitel skizziert, wie es mit den erbrechtlichen Sanktionen von 428 bis Justinian (und darüber hinaus) weiterging. Vorab noch ein paar Anmerkungen zur Präsentation. Für die Auflösung der Siglen antiker Texte sei auf das kombinierte Stellenregister und Ausgabenverzeichnis verwiesen (→ S. 863). Abweichungen vom Text meiner dort angegebenen Standardausgaben habe ich bei meinen Zitaten (zumeist durch Fußnote) kenntlich gemacht. (Im Fall von CTh.-Fragmenten geht es dann regelmäßig um die Herstellung des Texts der Originalkonstitution, nicht des CTh.-Archetyps, → S. 242.) Allerdings habe ich ohne Kennzeichnung Orthografie und Interpunktion beliebig so verändert, wie es nach

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meinem Dafürhalten der Verständlichkeit dient. Das gilt sogar für epigrafisch und papyrologisch überlieferte Texte. Meine Übersetzungen sind mit Bedacht sehr interpretativ. Es ist offensichtlich unnütz, einen schwer verständlichen lateinischen Text in einen kaum besser verständlichen deutschen zu übertragen. Der Leser sei eingeladen, mein Verständnis von z. B. volumus (»wir ordnen an«) oder promulgare (»erlassen«, nicht: »veröffentlichen«) in CTh.-Fragmenten in Frage zu stellen; wenn ich diese Wörter so übersetze, wie ich es tue, gebe ich eine Interpretation in Kurzform und stelle mich damit der Kritik. Eine Ausnahme mache ich bei den Abstrakta als Selbst- und Fremdanreden in der dritten Person, deren Schwulst sich wohl am besten durch Eindeutschung (»Unsere Klemenz«, »Deine Magnifizenz«) transportieren lässt; 1 ferner erlaubt dies, zwischen z. B. Magnitudo und Amplitudo bzw. Clementia und Mansuetudo auch in der Übersetzung klar zu unterscheiden. Die Datierungen der Konstitutionen gebe ich im Regelfall nach Seeck an. Freilich ist es einfacher, die Unrichtigkeit eines bestimmten Datums zu beweisen, als das tatsächliche Jahr wiederherzustellen. Wann immer mich Seeck davon überzeugt, dass die Überlieferung falsch sein muss, seine eigene Angabe aber keineswegs alternativlos erscheint, habe ich sein Jahr zwar übernommen, aber mit Fragezeichen markiert. Literaturverweise habe ich so kurz wie nur irgend möglich gehalten. Dabei verwende ich Kapitälchen in ungewohnter Weise. Sie dienen nicht der Kennzeichnung aller Personennamen, sondern verweisen stets auf einen Eintrag in der Bibliografie. Andt sollte man also lesen als: »Andt, Édouard: La procédure par rescrit. – Paris 1920«. So erklären sich auch Formulierungen nach Art von »Fridh ist Cassiodors Sprachgebrauch gewidmet« statt »Die Monografie Fridhs …«. Bei einem Autor, von dem sich mehrere Arbeiten in der Bibliografie finden, kann eine besonders oft zitierte ohne Datum angegeben sein (sie ist dann in der Bibliografie durch Unterstreichung markiert), ansonsten stets mit Jahreszahl. Der Pfeil (also z. B. → S. 16) verweist ausnahmslos auf das vorliegende Buch selbst. Dieser Hinweis mag notwendig sein, um Angaben wie »Wieling 1990, S. 467; → S. 193« richtig zu dechiffrieren. Fußnoten gebe ich dabei mit einer nachgestellten kleinen Zahl an; → S. 463111 führt also zu meiner Anmerkung 111 auf Seite 463. Das Adjektiv »spätantik« verwende ich typischerweise nur für die Zeit zwischen Konstantins Alleinherrschaft und dem späten 5. Jahrhundert; wenn ich also z. B. von »spätantiker Gesetzgebung« spreche, meine ich damit weder Diokletian noch (vor allem nicht!) Justinian. Tatsächlich stellen die Regierungen Konstantins und Justinians markante Einschnitte in der spätantiken Rechtsgeschichte dar. Um nicht von

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Ausführlich zu diesen Abstrakta als Ehrentitel Fridh, S. 169–195, freilich mit seinem Schwerpunkt auf Cassiodor. Weitere Beispiele, die sich nur in anderen Autoren finden, ließen sich problemlos hinzufügen, etwa Religio Tua (Augustin an einen Beamten, → S. 21). Vgl. ferner Honig, S. 85–126 (Selbsttitulatur); Classen, S. 75 f. mit Anm. 27; Corcoran, S. 324–332; Zilliacus, S. 23.

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»postkonstantinischer, präjustinianischer« (z. B.) Gesetzgebung sprechen zu müssen, habe ich mir, faute de mieux, diese Umdefinierung von »spätantik« erlaubt. Die unpublizierte Übersetzung des verstorbenen Jean Rougé wurde für die zweisprachigen Ausgaben der Teams sowohl um Delmaire als auch um Magnou-Nortier benutzt. Die genauen Leistungen sind nicht rekonstruierbar; laut Magnou-Nortier (S. 22) habe Rougés Übersetzung ihrem Team »beaucoup servi, … sans que nous en soyons pour autant tributaires«; aber angesichts wortidentischer Passagen zwischen Magnou-Nortier und Delmaire (vgl. z. B. → S. 463111, → S. 558) dürfte dies Rougés Beitrag nicht ausreichend würdigen. Bei beiden Bänden der Delmaire-Ausgabe steht Rougé hingegen als Übersetzer auf dem Titelblatt, aber im Vorwort des zweiten Bands findet sich (Delmaire II, S. 7): »Cette traduction a été revue et corrigée (parfois profondément modifiée)«. Da in jedem Fall in Rougés Übersetzung eingegriffen wurde, die einzelnen Beiträge nicht zuordenbar sind und zudem in beiden Fällen Teams arbeiteten (sodass jeder Kurzname bereits eine Vereinfachung darstellt), zitiere ich die Übersetzungen als Delmaire und Magnou-Nortier. Ich habe mich in der Bibliografie auf die Angabe der Werke beschränkt, die ich tatsächlich irgendwann in der Arbeit anführe. Gelesen wurde erheblich mehr. Doch ein reines Paraphrasieren des (scheinbaren) Inhalts der Kaiserkonstitutionen hilft niemand, und insbesondere dann nicht, wenn die Paraphrase umso vager wird, je mehr die vom Text gestellte Herausforderung zunimmt. Beiträge, bei denen grundsätzliche Missverständnisse den Resultaten den Boden entziehen, habe ich ebenfalls oft übergangen. Sollte ein Autor dieselbe Idee in verschiedenen Werken in sehr ähnlicher Form vertreten haben, zitiere ich meist nur die neueste (oder die ausführlichste) Version. Angesichts des enormen Umfangs des Schrifttums ist es unvermeidbar, dass mir Wichtiges entgangen ist; vom Fehlen eines gegebenen Werks in der Bibliografie ist also keinesfalls ein Werturteil von meiner Seite abzuleiten.

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prinzipien spätantiker gesetzgebung und der codex-theodosianus-kompilation Wer über spätantikes Recht arbeitet, macht dabei zwangsläufig gewisse Annahmen (allzu selten explizit, zumeist nur implizit), von denen die Sicht auf unsere wichtigste einschlägige Quelle – nämlich den Codex Theodosianus – abhängt. Der Codex Theodosianus besteht bekanntlich aus Gesetzesexzerpten, deren Urtexte uns in den allermeisten Fällen unbekannt bleiben. Wurde beim Exzerpierungsprozess dramatisch modifiziert oder im Regelfall gar nicht? Darf man davon ausgehen, dass (zumindest in den vollständig überlieferten Büchern des CTh.) die meisten einschlägigen Gesetze 1 dargeboten sind? Oder besitzen wir nur wenige, zufällige Tropfen aus einer großen Flut? Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl der exzerpierten Gesetze – nach festen Regeln oder nach Wichtigkeit oder nach kontemporärer Rechtslage oder gar mehr oder weniger zufällig? Wie steht es um die geografische Gültigkeit der gesammelten Gesetze: Gelten sie nur für den Reichsteil des erlassenden Kaisers? Oder gar nur für den Amtsbereich des empfangenden Beamten? Dies sind nur wenige der Fragen, über die man sich Gedanken machen sollte, ehe man an ein Thema aus der spätantiken Gesetzgebung herangeht. Dieses Kapitel soll meine Position zu alledem darlegen. 2

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Korrekterweise müsste man stets von »Fragmenten« (nicht »Gesetzen«) sprechen, wenn man die im Codex Theodosianus gesammelten Texte meint. Freilich würde man sich diese sprachliche Präzision mit so viel Umständlichkeit erkaufen, dass man lieber gelegentlich diese kleine Ungenauigkeit in Kauf nimmt. Dies folgt übrigens zudem dem älteren Sprachgebrauch, der jedes Fragment in den antiken Corpora lex zu nennen pflegt. Die zentralen Monografien zum Codex Theodosianus und zur spätantiken Gesetzgebung sind Gaudemet 1979, Matthews, Sirks, Honoré, Harries, Archi. Dem Titel nach möglicherweise nicht auf den ersten Blick zentral erscheinend, aber in meinen Augen fundamental sind die folgenden vier Bücher: Bianchi Fossati Vanzetti, Classen, Feissel, Corcoran. Was die sehr umfangreiche Aufsatzliteratur angeht, sind besonders wichtig Wal, Sargenti, Puliatti 2008, ferner die in Harries/Wood gesammelten Beiträge sowie folgende Abschnitte in Monografien: Seeck (S. 1–18); Schmidt-Hofner (S. 21–34).

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Die Notwendigkeit einer Sammlung Es ist für einen modernen Beobachter schwer vorstellbar, welch schwierigen – man möchte sagen: chaotischen – Bedingungen ein Römer bis zur Spätantike gegenüberstand, wenn er sich für die geltende Rechtslage interessierte. Man sollte doch erwarten, dass so etwas Bedeutsames wie Änderungen am geltenden Recht systematisch gesammelt würden, sodass sich ein jeder (oder: zumindest der mit dem Recht Befasste) unmittelbar informieren könnte. Doch dies war nicht der Fall. Ein bezeichnendes Beispiel bietet ein Schriftwechsel von Plinius dem Jüngeren, damals Statthalter von Pontos-Bithynien, mit Kaiser Trajan: Plinius, der in einer Ausnahmesituation als Legat die ansonsten von Prokonsuln verwaltete Provinz leitete, fragte an (Plin. epist. 10.72), ob ein bestimmtes Senatusconsultum gleichwohl einschlägig sei, obwohl dieses nur von »Prokonsuln« spreche. Kaiser Trajan (Plin. epist. 10.73) schrieb zurück, Plinius möge ihm doch eine Kopie des Senatusconsultums schicken, dann könne er das entscheiden. Wohlgemerkt: Die kaiserliche Zentrale in Rom bittet den Statthalter in der fernen Provinz um eine Kopie eines Senatsbeschlusses, ganz offensichtlich deshalb, weil man ihn in den römischen Archiven nicht auffinden konnte oder gar nicht erst die mehr oder weniger aussichtslose Suche unternehmen wollte (das Anfordern aus dem fernen Kleinasien war da wohl jedenfalls schneller). Noch instruktiver ist ein weiterer Brief des Plinius (epist. 10.65): Plinius war mit dem Problem freigeborener Kinder konfrontiert, die man ausgesetzt hatte und die dann von anderen als Sklaven aufgezogen worden waren. Konnten diese eigentlich Freigeborenen ihre Freiheit einfordern? Und wenn ja, mussten sie dann wenigstens finanziellen Ersatz für die Ausgaben derer leisten, die sie großgezogen hatten? Gewisse Personen (offensichtlich derartige »Pflegeeltern«, inhaltlich treffender müsste man sprechen von »Aufzuchtinvestoren«) hatten Plinius ein Edikt des Augustus sowie vier Kaiserbriefe (je einen von Vespasian und Titus sowie zwei von Domitian) vorgelegt. Freilich blieb Plinius recht skeptisch hinsichtlich der textlichen Authentizität dieser Kaisergesetze und fragte deswegen bei Trajan an – der habe doch sicher diese Schreiben im unverfälschten Original archiviert. Zudem störte sich Plinius daran, dass sich keiner dieser Texte auf Pontos-Bithynien bezog, und er wollte nicht nach exempla urteilen. Von der kaiserlichen Zentrale (Plin. epist. 10.66) wurde lediglich eines der Schreiben (einer der domitianischen Briefe) als authentisch bestätigt, doch da unter den Provinzen, die darin genannt wurden, Bithynien fehlte, erschien dem Kaiser diese Regelung irrelevant, und er entschied anders (die Zöglinge wurden frei und mussten den »Pflegeeltern« auch nichts bezahlen).

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Die Episoden mit Plinius und Trajan spielten sich um 112 n. Chr. ab. Man kann sich leicht vorstellen, wie sich die mit diesem System verbundenen Probleme im Lauf der folgenden Jahrhunderte vervielfachten. Es ergingen ja immer neue kaiserliche Erlasse, gerichtliche Entscheidungen, dazu Senatsbeschlüsse usw.! Die Rechtsunsicherheit war groß, denn niemand konnte sich wirklich sicher sein, welches Recht gerade für ihn galt. Im Jahr 333 antwortete Konstantin in einem Brief (Sirm. 1) verwundert seinem eigenen Prätoriumspräfekten, der bei ihm hinsichtlich der rechtlichen Verbindlichkeit von Urteilen durch Bischofsgerichte angefragt hatte: Er, Konstantin, habe doch schon längst eine entsprechende Regelung erlassen, die dem Prätoriumspräfekten offensichtlich unbekannt geblieben war (und deren Inhalt Konstantin nunmehr wiederholte). Man kann sich anhand der Schriften Augustins und anderer Quellen des so reich dokumentierten spätantiken Nordafrika ein Bild machen, wie problematisch die Situation um das Jahr 400 geworden war. Als im Jahr 411 (Folliet, S. 250) Florentin, Mitglied im Verwaltungsstab des militärischen Kommandeurs von Afrika, einen gewissen Faventius verhaftet hatte und diesen möglichst schnell zur Aburteilung an den Statthalter überstellen wollte, entwickelte Augustin emsige Betriebsamkeit. Er schickte erfolglos einen seiner Presbyter bei Florentin vorbei, ferner schrieb er selbst an Florentin; beide Male berief er sich dabei auf ein Gesetz, das einem Verhafteten vor der Überstellung 30 Tage Zeit ließ, um seine Angelegenheiten zu arrangieren (Augustins Hoffnung war, dass sich während dieser Galgenfrist irgendwie eine Lösung finden ließe): quae lex, sicut mihi memoratus presbyter renuntiavit, Tuae Religioni recitata est, tamen etiam nunc eam cum his litteris identidem misi, »Dieses Gesetz wurde – wie mir der erwähnte Presbyter berichtet hat – Deiner Religio vorgelesen; gleichwohl habe ich auch jetzt dieses Gesetz zusammen mit diesem Brief noch einmal übersandt« (Aug. epist. 114). Eine bloße Bezugnahme auf die Konstitution reichte also nicht; sicherheitshalber verlas und übermittelte man den Gesetzestext, und zwar, wohlgemerkt, an einen Amtsträger als Empfänger. 3 Man könnte argumentieren, dass in diesem Fall die Übermittlung des Gesetzestexts nicht unbedingt eine mögliche Unkenntnis des Empfängers

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Vieles an dieser Affäre (die wir nur aus Aug. epist. 113–116 kennen) ist höchst bemerkenswert. Übrigens zitiert Augustin in insgesamt drei verschiedenen Briefen paraphrasierend aus diesem Gesetz (epist. 113–115), dessen einschlägige Passage noch dazu im Codex Theodosianus überliefert ist (CTh. 9.2.6 von 409; Folliet, S. 247 f.; → S. 235353).

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voraussetzt, sondern vielleicht nur seiner Einschüchterung dienen sollte. Doch diese Erklärung greift nicht bei einem weiteren Brief, den Augustin im Jahr 428 verfasste (Aug. epist. Divj. 10, → S. 600). In diesem Schreiben wandte sich Augustin an seinen engen Freund, den ausgebildeten Juristen Alypius (Aug. conf. 6.8.13, 6.10.16), der sich gerade in Italien aufhielt: Er, Alypius, solle sich beim Kaiserhof verwenden, dass der Kaiser ein Gesetz gegen Menschenhändler erlasse. Als Blaupause solle ein vorhandenes Gesetz dienen, das »Kaiser Honorius an den Präfekten Hadrian« geschickt hatte (epist. Divj. 10.4): Hanc legem subiunxi huic commonitorio meo, quamvis et Romae facilius possit forsitan inveniri, »Ich habe dieses Gesetz meinem Schreiben beigefügt, obwohl es sich vielleicht auch in Rom ohne größere Probleme auffinden lassen sollte«. Hadrian war Prätoriumspräfekt für Italien und Afrika in den Jahren 401–405 und 413–414 (PLRE I, S. 406 s. v. Hadrianus 2), d. h., dieses Gesetz war nicht einmal eine Generation alt. Trotzdem war sich Augustin keineswegs sicher (possit forsitan inveniri), ob Alypius trotz all seiner juristischen Erfahrung den Text in Rom (!) würde auftreiben können. Noch eine Episode aus Augustins Korrespondenz: Nicht nur der Statthalter Plinius kurz nach 100, sondern auch der Bischof Augustin kurz nach 400 zählte die Rechtsprechung zu seinen wichtigsten Aufgaben. 4 Die Probleme hatten sich indes wenig gewandelt: Augustin wie Plinius hatte über Fälle fraglicher Freiheit zu entscheiden, und wie dem Plinius, so hatte man auch dem Augustin obskure Gesetze vorgelegt, um möglicherweise freie Personen als Sklaven zu beanspruchen. Also schreibt Augustin besorgt an einen Juristen (epist. Divj. 24.2): Moveor tamen quibusdam constitutionibus, quae mihi oblatae sunt … Proinde easdem constitutiones misi considerandas Eximietati Tuae, quarum duas sentio ipsam rem loqui, ceteras autem aut non intellego aut ad id, quod quaeritur, omnino non pertinent, »Allerdings alarmieren mich einige Konstitutionen, die man mir vorgelegt hat … Daher habe ich Deiner Eximietät diese Konstitutionen zur Begutachtung übersandt. Zwei davon betreffen meines Erachtens den vorliegenden Sachverhalt, die anderen aber 4

Bemerkenswerterweise hätte der Mailänder Rhetorikprofessor Augustin statt als Bischof auch als Statthalter enden können (so jedenfalls stellt er es viel später in seinen Lebenserinnerungen hin, Aug. conf. 6.11.19), Suppetit amicorum maiorum copia: ut nihil aliud et multum festinemus, vel praesidatus dari potest, »Die Zahl einflussreicher Freunde [am Kaiserhof in Mailand] ist gewaltig: Um nicht etwas anderes – und großes! – anzusteuern, sollte für unsereins zumindest das Amt eines praeses herausspringen«. Man versteht die juristische Ratlosigkeit mancher iudices umso besser, wenn man sich vergegenwärtigt, dass womöglich öfters Statthalterposten an Kandidaten solcher Qualifikation gingen.

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verstehe ich entweder nicht oder aber haben mit dem, worum es geht, überhaupt nichts zu tun«. Da niemand einen Überblick über den Gesamtbestand an Gesetzen hatte, konnte es zudem leicht passieren, dass sich Skrupellose ihre Gesetze selbst fälschten: Plinius’ Zweifel hinsichtlich der von den »Pflegeeltern« vorgelegten Gesetze haben wir schon kennengelernt. In der Spätantike war die Situation nicht anders. Im Jahr 387 übermittelte Theodosius I. eine Konstitution folgenden Inhalts (CTh. 16.5.16): »einige Arianer« legten eine Version eines Gesetzes von ihm vor (proferre, z. B. bei Gericht), die ihren Zwecken dienlich sei; er, Theodosius, wolle durch das vorliegende (offensichtlich weithin auszuhängende) Gesetz klarstellen, dass nullam huiusmodi iussionem e Nostro sacrario profluxisse, »kein derartiges Gesetz aus Unserer Zentrale ergangen sei«; und wer das fürderhin zu behaupten wage, der sei wegen falsum (worauf Verbannung oder Tod stand) anzuklagen. 5 Diese Authentizitätszweifel erklären auch, warum Gemeinden für sie vorteilhafte Kaiserbriefe gern in Stein verewigen ließen. Es ging dabei nicht nur um Lokalstolz, sondern auch darum, dass man etwas vorzuweisen hatte: Ein Brief, der da Wort für Wort »in Stein gemeißelt« war, musste doch echt sein; auch konnte er nicht in Vergessenheit geraten. Dass die Ungewissheit hinsichtlich der Existenz von bestimmten Normen keineswegs ungewöhnlich war, illustriert auch die folgende Passage. In einer Rede aus den 380er Jahren an den Stadtrat von Antiocheia (dem er aufgrund seiner Abkunft nahestand, aber als Rhetorikprofessor selbst nicht angehörte) übte Libanios heftige Kritik an den Mitgliedern. Einer der Abschnitte (or. 48.15 f.) lautet: Καὶ μὴν κἀκεῖνό γε ἀκούω πολλάκις ἐνταυθοῖ λεγόμενον, ὡς εἴη νόμος βασιλέως ἐνδοξοτάτου πάντας ὧν οἱ πάπποι βουλευταί, δεῖν ἐν τῇ βουλῇ τετάχθαι, κἂν ὦσι θυγατριδοῖ. καὶ ὄμνυτέ γε τοῦτον εἶναι τὸν νόμον καὶ παρ’ ὅτῳ κέοιτο προστίθετε, καὶ οὐκ ἀπιστῶ. διὰ τί οὖν μὴ ἧκεν εἰς μέσον; διὰ τί μὴ δέδεικται; διὰ τί μὴ ἀνέγνωσται; διὰ τί μὴ τὸ βουλευτήριον σωμάτων ἐνέπλησεν; εἰ γὰρ

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Eine Arbeit zu gefälschten spätantiken Konstitutionen fehlt, aber vgl. Kaiser 2007, S. 337–340, der sich jedoch auf überlieferte Beispiele beschränkt, d. h., Testimonien nicht behandelt. Weitere hochkaiserzeitliche Belege bieten Mod. D. 48.10.33 sowie CI. 9.22.3 von 227. In den Akklamationen der gesta senatus (→ S. 138) wird mehrfach Befürchtungen hinsichtlich späterer Manipulationen Ausdruck verliehen (Gest. in sen. 5), so z. B. Ne interpolentur constituta, plures codices fiant, »Damit die Gesetze nicht interpoliert werden, sollen mehrere Codices angefertigt werden«; ferner soll man den Text ausschreiben (d. h. ohne Verwendung der notae iuris genannten, schwer lesbaren Kürzel, vgl. Bischoff in Bischoff/Nörr, S. 12 f.) und zum eventuellen Abgleich Kopien in öffentlichen scrinia (Archiven) aufbewahren.

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prinzipien spätantiker gesetzgebung ἔστι μὲν ὁ νόμος, εἰσὶ δὲ ὑμῖν γλῶτται, ἔστι δὲ ὦτα τοῖς ἄρχουσι, τί τὸ κωλῦον τὴν βουλὴν τὰ αὑτῆς κομίσασθαι; … 16. … τούτων τοίνυν οὐδὲν ἂν ἦν, εἴ τις ὑμῶν ἤθελε χρῆσθαι τῷ νόμῳ, νῦν δ’ ὁ μὲν νόμος κεῖται, οἱ δὲ τρυφῶσιν.

Und dann wäre da noch eine Sache: Ich höre hier oft, es gebe da ein Gesetz eines hochangesehenen Kaisers, wonach alle, deren Großväter Ratsmitglieder waren, in den Rat eintreten müssten, auch wenn sie nur Töchtersöhne seien [d. h., nicht der männlichen Linie folgen]. Ihr schwört, dieses Gesetz existiere! Ihr fügt auch noch hinzu, bei wem es herumliege! Das will ich gar nicht in Zweifel ziehen. Aber – warum wurde es denn nicht veröffentlicht? Warum wurde es nicht ausgehängt? Warum wurde es nicht verlesen? Warum hat es die Kurie nicht mit Menschen [d. h. Neumitgliedern] gefüllt? Denn falls das Gesetz existiert und falls ihr Zungen [zum Sprechen] und die Statthalter Ohren [zum Hören] haben, was steht eigentlich im Weg, dass sich die Kurie holt, was ihr gehört? … 16. … All dies würde nicht passieren, wenn einer von euch dieses Gesetz in Anwendung bringen wollte. So aber liegt dieses Gesetz [ungenutzt] herum, während sie [die Stadtrat-Drückeberger] es sich wohlergehen lassen.

Trotz aller Kritik am Phlegma der Stadtratsmitglieder ist Libanios so fair, seine großen Zweifel an der Existenz des Gesetzes zu artikulieren. Erstaunlicherweise gab es das Gesetz übrigens wirklich! 6 Je mehr Gesetze (notfalls auch obskure) man kannte, desto eher ließ sich ein Rechtsstreit gewinnen. Die klassische Stelle dazu ist eine Karikatur, die Ammian bald nach 390 von spätantiken Rechtsanwälten zeichnet (Amm. 30.4.11 f.): …, qui iuris professi scientiam, quam repugnantium sibi legum abolevere discidia … Trebatium loquuntur et Cascellium et Alfenum et Auruncorum Sicanorumque iam diu leges ignotas … et si voluntate matrem tuam finxeris occidisse, multas tibi suffragari absolutionem lectiones reconditas pollicentur [Dann gibt es an Rechtsanwälten noch] diejenigen, die ein [vollständiges] Wissen des Rechts vorgeben (ein solches ist freilich aufgrund der Divergenzen der einander widersprechenden Gesetze unmöglich geworden!) … sie reden von Trebatius, Cascellius, Alfenus [republikanische bzw. augusteische Juristen] und den heute längst vergessenen Gesetzen der Aurunker und Sikaner [italisches bzw. sizilisches Volk, beide vor Beginn der Kaiserzeit verschwunden] … Und wenn du ihnen weismachst, du hättest die eigene Mutter vorsätzlich umgebracht, dann

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CTh. 12.1.51 (362, der »hochangesehene Kaiser« ist also Julian): Eos indulserunt veteres principes ex materno genere curialibus Antiochenis adscribi, quos patris dignitas nullius vindicaret iuri civitatis, »Frühere Kaiser haben gewährt, dass den Ratsherren von Antiocheia Männer aus der weiblichen Linie hinzugesellt werden, sofern der Rang ihres Vaters sie nicht für das Recht [d. h. die Kurie] einer anderen Stadt reklamiert«.

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versichern sie dir, dass dir zahlreiche arkane Regelungen zum Freispruch verhelfen würden.

Was Ammian hier persifliert, ließe sich wie folgt zusammenfassen: Ganz gleich, welches Anliegen ein Klient hat (und sei’s die Straflosigkeit eines Muttermords) – jedes Problem lässt sich lösen, sofern nur der spätrömische Anwalt ein passendes Gesetz aufzutreiben vermag. Nicht immer sind solche Gesetze Gemeingut, manchmal muss man bei der Suche auch etwas weiter zurückgehen – in Ammians grotesker Überzeichnung bis zu den Anfängen des Prinzipats, bis zur Republik, ja bis hin zu den alten Italikern und ihren Nachbarvölkern (doch auch realiter zitieren z. B. Augustin und Optat wörtlich aus konstantinischen Verlautbarungen, die beachtliche Zeit zurücklagen). 7 Ohne zentrales Register und ohne Übersicht über den Gesamtbestand des geltenden Rechts geschah es leicht, dass sich widersprechende Konstitutionen ergingen. Die dadurch entstandene Situation beklagt nicht nur Ammian (repugnantium sibi legum … discidia), sondern auch der Anonymus de rebus bellicis. 8 Dergleichen Widersprüche waren nicht nur dem Faktum geschuldet, 7 8

Aug. epist. 88.4, c. Cresc. 3.70.81; Optat. app. 3 p. 204–206, app. 5–7 p. 208–212, app. 9 f. p. 212–216; vgl. Corcoran 2015, S. 86 mit Anm. 94. Im letzten Abschnitt des Werks findet sich (Anon. reb. bell. 21.1), restat unum de Tua Serenitate remedium ad civilium curarum medicinam, ut confusas legum contrariasque sententias, improbitatis reiecto litigio, iudicio Augustae Dignationis illumines, »noch zu erwähnen ist ein [mögliches] Heilmittel vonseiten Deiner Serenität zum Kurieren der Sorgen der Bürger, nämlich dass Du die verwirrten und widersprüchlichen Aussagen der Gesetze durch das Urteil deiner Kaiserlichen Dignation erleuchtest, wobei du [allerdings] die Prozesse der Unredlichen zurückweist«. Die Kritik an der Widersprüchlichkeit der Gesetze ist klar – aber schlägt der Anonymus hier vor, der Kaiser solle eine Kompilation der Gesetze veranlassen, wie allgemein angenommen wird (vgl. etwa die Paraphrase von Schlinkert, S. 283: der Autor »calls for the legal order to be founded anew on a firmly institutionalized base consisting of a canon of normative texts«)? Dafür spräche leges sowie die Erhellungsmetapher, die sich auch bei Theodosius II. findet (vgl. Nov. Theod. 1 § 1, velut sub crassa demersae caligine obscuritatis vallo … discussis tenebris … lumen legibus dedimus, »wie in dichter Finsternis durch einen Wall herabgesunkener Düsternis [war man zuvor vom Verständnis des Kaiserrechts getrennt] … durch Austreibung der Dunkelheit … haben wir den Gesetzen Licht gegeben«), sowie vor allem die Kapitelüberschrift (De legum vel iuris confusione purganda, »Die Bereinigung der Konfusion der Gesetze und des Rechts«); dies ist die kanonische Deutung der Stelle (Brandt, S. 128; Matthews 1992, S. 49, »an appeal for a codification«). Doch geht es dem Anonymus wirklich um eine Kompilation? Mir scheint eher, er wolle, dass der Kaiser selbst Fälle an sich zieht und gerecht urteilt (iudicium), was angesichts der wirren Rechtslage besonders wichtig ist (ein chaotischer Zustand, der nur durch kaiserliche Auslegung »erhellt« bzw. »be-

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dass ältere Konstitutionen oft in Vergessenheit gerieten, sondern auch, dass die verschiedenen spätantiken Kaiser zumindest theoretisch eine Samtherrschaft ausübten, in der ein jeder Gesetze erließ, deren Geltung, wie wir später sehen werden (→ S. 89), nicht auf den eigenen Herrschaftsbereich beschränkt war. Wer konnte ausschließen, dass nicht längst eine Konstitution am anderen Ende des Römischen Reichs ergangen war, die die scheinbar geltende Rechtslage auf den Kopf gestellt hatte? Und selbst wenn es ein Archiv aller Texte gegeben hätte, wäre es alles andere als einfach gewesen, den Überblick zu bewahren: Wir kennen viele Beispiele dafür, dass ganz unterschiedliche Fragen in ein und derselben, ellenlangen Konstitution geregelt wurden (vgl. z. B. Bianchi Fossati Vanzetti, S. 39). Zudem waren die Textfassungen nicht zuverlässig: Neben Fälschungen (die übrigens auch Theodosius II. Sorgen bereiteten, → S. 142) waren stets auch textkritische Probleme zu befürchten (→ S. 240). Iura novit curia, also das Prinzip, dass eine Streitpartei nicht auf existente Gesetze hinweisen muss, weil die Justiz hinsichtlich des Gesetzesbestands als allwissend gilt, ist kein römisches Konzept. In einem Prozess konnte es jederzeit passieren, dass jemand mit einer Konstitution daherkam, die praktisch vergessen (oder möglicherweise gefälscht) war oder, angesichts mangelnder Veröffentlichung, nie bekannt gemacht worden war und die zu kennen mithin nicht einmal theoretisch möglich gewesen wäre. Wir werden uns später detailliert ansehen, in welcher Weise der Codex Theodosianus Licht in dieses Dickicht bringen sollte; dazu ist es freilich nötig, zuvor die Grundlagen der spätantiken Gesetzgebung kennenzulernen.

Typologie spätantiker Kaisernormen Spätantike Rechtsvorschriften lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: solche von übergreifender Geltung (Konstitutionen) und solche von Geltung (eigentlich) nur für einen Einzelfall (Reskripte im weiteren Sinn; zur terminologischen Abgrenzung von Konstitutionen vgl. → S. 4140). Freilich ist die reinigt« werden kann); freilich soll der Kaiser böswilligen Klägern (litigium improbitatis) keine Plattform bieten (vgl. zur Idee, dass Kaiser gerechter als andere Richter urteilen, die Passage Amm. 30.4.1 f., wo der schurkische Prätoriumspräfekt Modestus [→ S. 70331] Kaiser Valens davon abbringt, selbst über die Fälle der kleinen Leute zu entscheiden, sodass diese dann kriminellen Richtern ausgeliefert sind). In jedem Fall ist der Anonymus kein Vorreiter einer spätantiken Kodifikationsbewegung (Brandt, S. 127–133, gegen Nörr 1963).

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Scheidelinie zunächst nicht scharf gezogen, denn wie wir schon bei Plinius gesehen haben, konnten Richter (jedenfalls zu seiner Zeit) nach exempla urteilen (später hingegen konnten Reskripte niemals über den konkreten Fall hinaus beachtlich sein, → S. 35). Umgekehrt wurden für den Codex Theodosianus ausschließlich Normen mit sogenannter generalitas, »Allgemeingültigkeit«, gesammelt, und wir werden sehen, dass keineswegs jede Konstitution generalitas besaß (→ S. 154). Eine Klassifikation nach Empfänger ist auch nicht möglich, weil an Würdenträger sowohl Reskripte als auch Konstitutionen adressiert werden konnten (→ S. 38, → S. 51). Warum es gleichwohl sinnvoll ist, die beiden Kategorien zu unterscheiden, wird bei näherer Betrachtung schnell klar. Fangen wir mit den Einzelfallerlassen an.

1 Einzelfallerlasse (Reskripte im weiteren Sinne) Kaiserliche Einzelfallerlasse 9 ergingen in Reaktion auf eine Anfrage, mit der typischerweise (aber → S. 38) ein Sonderprivileg erbeten oder eine Rechtsfrage geklärt werden sollte. Solche Anfragen konnten als Petition (preces, supplicatio, libellus) von Privatpersonen bzw. Personengemeinschaften stammen oder aber von einem Richter, der mit einer sogenannten consultatio die kaiserliche Zentrale um Auskunft in einem konkreten Fall bat. Die Antwort konnte erfolgen, indem der Kaiser etwas direkt auf den Petitionsbrief schreiben ließ (hochkaiserzeitlich subscriptio, spätantik annotatio genannt) 10 und, jedenfalls 9

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Reskripte werden angesichts der Quellensituation hauptsächlich im Kontext der Kaiserreskripte bis Diokletian behandelt (dazu v. a. Honoré 1994, S. 33–70; Corcoran, S. 43–74) bzw. der Statthalterreskripte aus Ägypten (Haensch 1994); die wichtigste übergreifende Arbeit bietet wohl Nörr 1981. Konsequent spätantiken Reskripten gewidmet ist der Beitrag von Feissel, S. 363–383. Diese Arbeiten erschließen die ältere Literatur, für weitere bibliografische Hinweise vgl. auch Kaser/Hackl, S. 634, insb. Anm. 11 und 12, sowie Sirks 2001, S. 121 Anm. 1. Die entscheidenden Arbeiten zu Annotationen sind Turpin 1988 und Feissel (S. 366–369), die beide quellennah und sorgfältig argumentieren, dabei aber leider nicht zu deckungsgleichen Ergebnissen gelangen. Für Turpin ist eine Annotatio ein Reskript, das der Kaiser tatsächlich höchstpersönlich zur Kenntnis nahm; für Feissel hingegen ein direktes Reskript, das also dem Anfrager (nicht einem Beamten) zuging. Beide Deutungen schließen sich nicht aus, aber man müsste in Ausführlichkeit prüfen, ob man sie wirklich kombinieren darf. Nicht zielführend sind hingegen die Ausführungen von Mathisen, eine Annotatio sei einfach nur die Gewährung eines Privilegs an eine Privatperson; sie basiert auf einer selektiven Quellenverwertung, die auch nicht frei von Missverständnissen ist (vgl. etwa seine S. 31 f. zu Nov. Val. 19). Tatsächlich wurden Privilegien an Privatpersonen auch, aber nicht nur durch Anno-

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in nachtetrarchischer Zeit, 11 eigenhändig abzeichnete; 12 so wurden in der Spätantike manchmal Privilegien gewährt. Alternativ konnten die zuständigen Mitarbeiter (üblicherweise ohne direkte Kenntnisnahme des Kaisers) dem Anfragenden einen gesonderten Brief

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tatio gewährt (vgl. → S. 2914; die meisten dort gegebenen Belege sind auch dafür einschlägig); umgekehrt gewährt keine der drei Annotationen, deren Wortlaut wir kennen, ein Privileg an eine einzelne Person. Von diesen drei Annotationen ist eine inschriftlich überliefert (DF 56, dazu ausführlich Feissel, S. 185–204), die beiden anderen in den Akten von Chalkedon (ACO 2.1.1, p. 153.8–10; ACO 2.1.1, p. 178.6–8). Die Texte sind jeweils so knapp, dass sie wirklich den Anschein erwecken, man habe sich kurz genug gefasst, um die Formulierung aufs Dokument packen zu können (Feissel, S. 367; dort auch weitere Indizien für diese Verfahrensweise). Aus diokletianischer Zeit gibt es einen verbalen und damit wohl eindeutigen Beleg für ein tatsächliches Dazuschreiben: CI. 8.47.5 (291, adnuimus votis tuis secundum ea, quae adnotavimus, »wir gewährten dein Anliegen gemäß dem, was wir ›annotierten‹« (sofern nicht »annotieren« nachträglich von Annotatio desubstantiviert wurde, d. h., an der vorliegenden Stelle i. S. v. »eine [möglicherweise eigenständige] Annotatio verfassen« steht). Dass die Annotatio irgendwann später ein separates Schreiben darstellte, ist unbelegt; der Wortsinn spricht dagegen, ebenso die Kürze der überlieferten Annotationen. Ein mögliches Gegenindiz stellen Belege dar, wonach eine Annotatio »Einstellungsvoraussetzung« für die militia beim Kaiser war (CTh. 6.30.12, 6.30.15 § 1, 6.30.18). Vielleicht gab es also doch auch Annotationen als eigenständige Schreiben; oder aber diesen Annotationen ging eine (formalisierte?) Petition des Kandidaten voraus, die kaiserlich gegengezeichnet wurde. Dass der Kaiser nicht selbst alles schreibt, ist nicht nur eine praktische Erwägung, sondern folgt auch aus dem Ende von DF 56 (jedenfalls nach Wiederherstellung durch Feissel, siehe gleich) und aus Not. dign. or. 19.6 f., Magister memoriae: adnotationes omnes dictat et emittit, »Magister memoriae: Er diktiert alle Annotationen und verschickt sie« – er wird sie ja wohl nicht dem Kaiser diktiert haben! Das Abzeichnen erfolgte möglicherweise (wie bei hochkaiserzeitlichen Subskriptionen) mit dem einen Wort scripsi (Feissel, S. 195 f., bei der Diskussion von DF 56). Vgl. Corcoran 2007, S. 227, S. 249, zu den Annotationen in einer Inschrift von 305. Bei dem Text hat man den Eindruck, die Annotationen ergehen ohne Mitwirkung des Kaisers direkt durch die kriminellen Caesariani. Vgl. CTh. 8.5.14 pr., contra adnotationem manus Nostrae; CTh. 16.5.52 pr., adnotatione manus Nostrae. Auch unterscheidet kein Gesetz je zwischen kaiserlich-eigenhändiger und fremder Annotatio, und Annotationen haben mehr Gewicht als Reskripte, die – offenbar anders als Annotationen – ohne Mitwirkung des Kaisers entstehen (vgl. die nächste Fußnote). Gelegentlich erscheint in den Quellen eine specialis annotatio, die Gaudemet (1980, S. 1081, mit Verweis auf Godefroy) als »eigenhändig« versteht – doch findet sich ein speciale rescriptum auch nicht selten (CTh. 5.15.19, 9.40.7, 12.1.33, 12.1.85 und öfter), was zeigt, dass specialis nicht »kaiserlich-eigenhändig«, sondern »speziell für diesen Fall ausgestellt« bedeutet (es wird also tautologisch gebraucht). Ebenso wenig stellt das rescriptum simplex, das

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zurückschicken – den nannte man rescriptum. Im Falle einer Petition war es aber auch möglich, dass der gesonderte Brief stattdessen (oder zusätzlich) an einen untergebenen Beamten ging mit der Anweisung, die darin gegebene Entscheidung bezüglich des Anfragers zu beachten (das nennt man heute indirektes Reskript). Annotationen – immerhin vom Kaiser persönlich abgezeichnet! – zählten mehr als Reskripte, bei denen mitunter die zuarbeitenden Helfer des Kaisers nicht immer das taten, was sich der Herrscher eigentlich gewünscht hätte. 13 Terminologisch gilt die eben gegebene Aufteilung für unseren Untersuchungszeitraum, also das Ende des 4. und den Anfang des 5. Jahrhunderts. In dieser Zeit enthalten zahlreiche Gesetze Formulierungen wie »sei es nun annotatio oder rescriptum« (d. h., die beiden Ausdrücke decken offensichtlich das ganze Phänomen ab). 14 Bald nach Beginn des 5. Jahrhunderts findet sich indes nur noch eine andere Formulierung, nämlich »sei es nun annotatio oder pragmatica«. 15 Pragmatiken waren also an die Stelle der Reskripte getreten, und es stellt sich die Frage, ob dies nur eine terminologische Veränderung darstellte oder auch eine sachliche.

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durch viele moderne Darstellungen der Typen von Reskripten geistert, einen gesonderten Typus dar, denn die Junktur rescriptum simplex erscheint ausschließlich (!) in Nov. Val. 19, und simplex wird dort nicht restriktiv, sondern attributiv gebraucht (der Unterschied besteht zwischen den besonders bedeutsamen annotationes und den bescheideneren rescripta, letztere werden als simplicia charakterisiert – was keineswegs impliziert, dass es neben den Annotationen weitere rescripta gab, die nicht simplicia gewesen wären). Dies deuten an CTh. 13.11.10 (399), Nov. Val. 19 pr., §§ 1, 3 (445) sowie CI. 1.23.7 § 1 (477). Vgl. ferner CTh. 10.10.20 (392), CTh. 9.21.10 (393), CTh. 4.14.1 § 1 (424), jeweils i. S. v. »und nicht einmal dann, wenn’s eine Annotatio wäre«. Radikal anders hingegen Konstantin (CTh. 1.2.1 von 313?), wonach Annotationen ohne zusätzliches Reskript unbeachtlich seien; offenbar wollte sich Konstantin entweder gegen Fälschungen oder ausufernde Interpretationen einer allzu kurzen Notiz seiner Hand absichern. Spätere Kaiser folgten ihm darin nicht. CI. 11.62.8 (386), CTh. 10.10.20 (392), CTh. 9.21.10 (393), CTh. 12.1.137 (393), CTh. 14.4.8 (408), CTh. 15.3.5 (412), CTh. 10.10.27 pr. (418?). Insbesondere in den Novellen des Theodosius kehren entsprechende Formulierungen häufig wieder (Nov. Theod. 5.2 § 1, 6 § 4, 8 pr., 17.1 § 3, 17.2 § 5, 19 § 2, 24 §§ 2, 3), sie finden sich aber auch unter Honorius (CTh. 16.5.52 pr., CI. 4.61.12). Am bezeichnendsten ist dabei der Fall des Honorius, weil unter seinem Namen nach 415 (→ S. 574) beide Varianten belegt sind, sodass zumindest in seiner Kanzlei rescriptum und pragmaticum identisch sein müssen (vgl. etwa CTh. 16.5.52 pr. mit CTh. 10.10.27 pr.), wobei ferner (nur) zu seiner Zeit die Junktur pragmaticum rescriptum belegt ist (vgl. die gleich im Haupttext zitierte Collatio-Passage).

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Kein Begriff in der spätantiken Gesetzgebung ist umstrittener als der der pragmatica. Godefroy und Mommsen gelangten zu diametral entgegengesetzten Vorstellungen (Bianchi Fossati Vanzetti, S. 76 Anm. 26; vgl. ferner Kußmaul, S. 17–19); Kußmaul hat sich darüber habilitiert; 16 mehr als die Hälfte des Buchs Bianchi Fossati Vanzetti ist dieser Frage gewidmet; 17 Feissel kam häufig in Aufsätzen auf das Wesen der pragmatica zurück. 18 Der nicht herzustellende Konsens kann nur bedeuten, dass der Begriff, zu unterschiedlichen Zeiten und von unterschiedlichen Autoren verwendet, verschiedene Bedeutungen trägt. Nicht einmal die Nomenklatur ist evident. Sofern sich überhaupt das Genus bestimmen lässt (sehr viele Belege stehen in formgleichen obliquen Kasus wie pragmaticis), begegnen sowohl pragmaticum als auch pragmatica; das zu ergänzende Substantiv bei pragmaticum muss rescriptum sein, bei der femininen Variante begegnen verschiedene Wörter mit der Bedeutung »Gesetz«, so sanctio, iussio oder lex. Der Unterschied ist nicht inhaltlich (ein pragmaticum [rescriptum] scheint also nichts anderes als eine pragmatica [sanctio] zu sein), 19 sondern geografisch: Sofern anhand 16

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Kußmaul, S. 31 f., schließt aus den Stellen, die Annotationen und Pragmatiken in einem Atemzug nennen, dass Pragmatiken (wie Annotationen) besonders privilegierte Reskripte neben den normalen Reskripten seien (dass Reskripte nicht erwähnt werden, erkläre sich also durch ein stillschweigendes a-fortiori-Argument: nicht einmal eine Annotatio bzw. pragmatica kann hier helfen). Das erscheint nicht naheliegend. Es gibt keine Quellenstelle, die Pragmatiken von Reskripten abgrenzen würde. Kußmaul versucht, unvereinbare Passagen in Einklang zu bringen, und gelangt damit zu einer wackeligen Rekonstruktion (vgl. S. 40 f.), die außerordentlich kompliziert ist und nur unter zahlreichen unabgesicherten Annahmen funktioniert. So zählt Kußmaul, S. 32 Anm. 42, oraculum ganz willkürlich als Synonym von rescriptum und findet dann sehr viel mehr rescriptum-Belege. Tatsächlich handelt es sich bei oraculum um einen untechnischen Begriff, der in den Novellen von Theodosius II. als Oberbegriff für Annotationen und Pragmatiken verwendet wird (vgl. Nov. Theod. 6 § 4; Nov. Theod. 8 pr.), in den Novellen von Valentinian III. und der späteren Kaiser hingegen als Synonym von lex, sanctio usw. erscheint. Bianchi Fossati Vanzetti (S. 99, S. 110 f.) sieht in der pragmatica eine verwaltungsinterne Kommunikationsform, die man unter anderem für die Gewährung von Petitionen, die Privatleute eingereicht hatten, nutzte. Das ist sicher richtig, doch freilich stellt sich dann die Frage der Abgrenzung zu Konstitutionen, die ja ebenfalls verwaltungsinterne Anweisungen enthalten können. Nach Feissel, S. 369 f., ist die pragmatica der Reskripttypus, der ab dem Beginn des 5. Jh.s alle anderen Formen verdrängt oder zumindest zurückdrängt; was die pragmatica auszeichnet, ist die vom Text der möglicherweise veranlassenden Petition unabhängige Formulierung sowie die Zustellung an einen Beamten (nicht etwa an einen anfragenden Privatier). Nicht jede pragmatica muss von einer Petition veranlasst sein (Feissel, S. 372; vgl. z. B. → S. 106). Erstens differenziert kein Text zwischen pragmatica und pragmaticum; zweitens werden zumeist morphologisch identische Formen (wie pragmaticis) gebraucht, wo eine Differenzierung für den Leser gar nicht möglich wäre; drittens vergleiche man das

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der Form feststellbar, erscheint in westlichen Novellen nur die neutrale, in östlichen nur die feminine Form (zu alledem Bianchi Fossati Vanzetti, S. 75–77, mit den Belegen). Auf Deutsch lässt sich die Unbestimmtheit im Plural nachformen (»Pragmatiken«), im Singular werde ich (willkürlich) die Form pragmatica benutzen. Die Etymologie ist ungeklärt. 20 Klar muss jedenfalls sein, dass die spätantike pragmatica nichts mit der »pragmatischen Sanktion« des Mittelalters oder der Frühen Neuzeit – die eine Regelung fundamentalen Charakters darstellt – zu tun hat (zur dramatischen Bedeutungsverschiebung vgl. Kußmaul, S. 14–17). Die große Unsicherheit erklärt sich vielleicht dadurch, dass der Typus der pragmatica womöglich weniger scharf definiert war, als man gemeinhin denkt, und man nicht alle Beobachtungen hinsichtlich Pragmatiken generalisieren darf. Bei der Collatio von 411 (→ S. 574) wird eindeutig formuliert, dass Pragmatiken unabhängig von einer auslösenden Petition stehen (Coll. Carth. 3.38, arbitror non latere pragmaticis rescriptis preces inseri non solere, »Ich denke, [Dir] dürfte nicht unbekannt sein, dass man pragmatischen Reskripten die Petition nicht einzufügen pflegt«), aber es ist unklar, inwieweit dies eine allgemeingültige Aussage ist (Feissel, S. 369 f.), und zudem gibt es gute Argumente anzunehmen, dass bereits hochkaiserzeitliche Reskripte so formuliert waren, dass eine Kenntnis des Petitionstexts nicht vorausgesetzt wurde (»häufig recht präzise Sachverhaltswiederholungen«, zum Argument

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Honorius-Schreiben von 411, das aus berufenem Munde sowohl als pragmaticum rescriptum wie auch als lex, sanctio und praeceptio bezeichnet wird (siehe gleich im Haupttext). Mommsen (1904, S. 53 f. Anm. 5) sieht einen Zusammenhang mit pragmaticus, »Anwalt«; Kußmaul (S. 95–97, in der Nachfolge von Karlowa) leitet das Wort ab von πράγματα, i. S. v. »Staatsgeschäfte« (wie die »pragmatische Geschichtsschreibung« des Polybios), d. h. »ein Reskript in einer öffentlichen Angelegenheit … diese Bezeichnung [hat] den Zweck …, die in einer causa publica erlassenen Reskripte von den übrigen zu unterscheiden«. Diese Erklärung überzeugt mich gar nicht: (i) die von Kußmaul präferierte Bedeutung ist jedenfalls im spätantiken Griechisch überhaupt nicht naheliegend (weswegen er ja auch auf Polybios zurückgreifen muss); (ii) rescriptum pragmaticum wäre nach der Erklärung von Kußmaul eine sinnvolle Junktur, aber was machen wir dann mit einer sanctio pragmatica? (Kußmauls Ausführungen dazu, S. 96 f., sind schwer nachvollziehbar; er behauptet ebenso begründungslos wie irrig, sanctio werde für kaiserliche Urteile, Gesetze und Reskripte verwendet; meint er, sanctio stehe als Totum pro parte für Reskript?); (iii) sachlich ist die Idee ohnehin unmittelbar falsifizierbar, da wir zahlreiche Belege für Pragmatiken im Kontext von Privatprivilegien besitzen (→ S. 2915), wo es sich also keinesfalls um »in einer öffentlichen Angelegenheit« erlassene Reskripte handelt. Vgl. zur Kritik an Kußmaul Bianchi Fossati Vanzetti, S. 165–167. Ich selbst würde eine ganz banale Etymologie vorschlagen: »auf eine Sache bezogener«, d. h. »einzelfallbezogener Erlass«; vgl. Feissel, S. 274, »une lettre … [qui] traite ordinairement, comme son nom l’indique, d’affaires particulières (à la différence des lois générales)«.

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vgl. Nörr 1981, S. 29 f.). Das Honorius-Schreiben wird vom zuständigen Würdenträger technisch als pragmaticum rescriptum bezeichnet (Coll. Carth. 3.38), an anderen Stellen aber als imperialis sanctio (Coll. Carth. 1.3.9 f.) bzw. lex (Coll. Carth. 1.4.52); autoreferenziell nennt sich CN 324 (a. E.) praeceptio. Der eigentliche Text von CN 324 unterscheidet sich in keiner Weise von einem spätantiken Kaiserbrief. Honorius erwähnt zwar eine katholische Gesandtschaft, aber keine schriftliche Petition. Die Verlautbarung enthält keinen Publikationsbefehl. Die allermeisten Pragmatiken, die wir kennen, finden sich in den Novellen Valentinians III. Bei diesem Kaiser sind Pragmatiken niemals mit Publikationsbefehl versehen, während umgekehrt Briefe, die keine Pragmatiken sind, so gut wie immer einen Publikationsbefehl enthalten. Zudem weisen die Pragmatiken Valentinians III. keinen Reskriptcharakter auf: Es handelt sich um Anweisungen an Würdenträger, die genauso gut als zu publizierender Brief hätten ergehen können. Inschriftlich kennen wir zwei Pragmatiken, eine von Theodosius II., durch die er den Zoll des Hafens von Mylasa regelt (DF 46; Kußmaul, S. 80–83), eine von Valentinian III., mit der er den Stadtpräfekten Postumian beauftragt, dem ansonsten unbekannten v. i. Castus eine vergoldete Bronzestatue aufzustellen (La Regina in Scaroina/La Regina, S. 175– 181; Inscr. AE 2014, 149). Beiden fehlt der Publikationsbefehl, genauso wie den theodosianischen Pragmatiken in den Konzilsakten (CN 425, CN 426, eventuell CN 445, vgl. Kußmaul, S. 84 f.). Ich würde also annehmen, dass ein entscheidendes Charakteristikum einer pragmatica die vom Kaiser nicht angeordnete Publikation ist (was freilich nicht ausschließt, dass der Text letztlich doch veröffentlich wird – vergleiche die Honorius-pragmatica und die beiden Inschriften). Ursprünglich wurde das Wort nur für Reskripte verwendet (so im oben zitierten Collatio-Beleg), später auch für nicht zu veröffentlichende Konstitutionen. Ob Schreiben an Nichtwürdenträger (etwa Rescr. ad constit., → S. 138) ebenfalls Pragmatiken waren oder eine eigene Kategorie (namens rescriptum?) bildeten, lässt sich nicht sagen. Die stereotype Formel »sei es Annotatio oder pragmatica« aus den Novellen von Theodosius II. scheint zu implizieren, dass es keine weitere Form gab. Dazu passt auch, dass Zenon (CI. 1.23.7) offenbar voraussetzt, dass es bislang Pragmatiken an Einzelpersonen gab (auch wenn er diese künftig untersagt). Andererseits gibt es für die Formel »sei es Annotatio oder pragmatica« keinen einzigen Beleg in den Novellen von Valentinian III.; ganz im Gegenteil, in Nov. Val. 19 wird ein Gegensatzpaar annotatio versus rescriptum (nicht pragmatica) diskutiert. Insofern sollte man für die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts am besten einen terminologischen Unterschied zwischen West und Ost annehmen. Mit den Gesetzen Markians stimmen übrigens nicht einmal die eben gegebenen Beobachtungen überein: Dort findet sich nämlich eine pragmatica mit Publikationsbefehl (Nov. Marc. 2), und er bestimmt in einer anderen Konstitution (CI. 12.40.10 § 7), ita ut nemo vel ex sacro rescripto vel ex divina adnotatione seu pragmatica sanctione contra hanc legem uti possit excusationis auxilio, »wobei niemand gegen dieses Gesetz eine Befreiung aus kaiserlichem Reskript, kaiserlicher Annotatio oder pragmatischem Erlass geltend machen kann« – sodass also bei ihm selbst die klare Gegenüberstellung Annotatio versus pragmatica, wie wir sie aus den theodosianischen

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Novellen kennen, aufgelöst ist. 21 Bei späteren Pragmatiken handelt es sich um Einzelfallerlasse (vgl. Feissel, S. 274–276, S. 381–383), die offenbar stets auf Anfragen zurückzugehen (vgl. hingegen pragmatica als Bezeichnung des Begleitbriefs, den nach Theodosius II. ein Kaiser dem anderen zur Übermittlung neuer Gesetze schreiben soll).

In einem Gesetz Zenons von 477 findet eine Neudefinition des Worts rescriptum statt, das dort als Oberbegriff für annotatio und pragmatica sanctio verwendet wird (CI. 1.23.7 pr.). In ähnlicher Weise verwenden moderne Autoren – abweichend vom spätantiken Sprachgebrauch des 4. und frühen 5. Jh.s – »Reskript« nicht selten in einem weiteren Sinn als Oberbegriff, der zugleich Annotationen, Pragmatiken und zudem auch noch »Reskripte im engeren Sinn« abdeckt. In der Hohen Kaiserzeit konnten kaiserliche Reskripte an Privatleute von größter juristischer Bedeutung sein 22 und dienten vielfach der Fortentwicklung 23 des Rechts (Wenger, S. 429; Honoré 1994, S. 41 f.): Wenn ein spezifisches Rechtsdetail auf Anfrage geklärt worden war, wurde das so entstan21 22

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Ähnlich auch in CI. 4.59.2 pr. (Zenon, 483) und in CI. 1.22.6 (Anastasius, 491). Die klassische Stelle dafür ist Ulp. D. 47.12.3.5, Divus Hadrianus rescripto poenam statuit quadraginta aureorum in eos qui in civitate sepeliunt … generalia sunt rescripta et oportet imperialia statuta suam vim optinere et in omni loco valere, »Der divinisierte Hadrian legte in einem Reskript eine Strafe von 40 Goldmünzen für Personen fest, die innerhalb einer Stadt bestatten … Reskripte sind generalia, und kaiserlichen Bestimmungen muss Geltung verschafft werden, und sie müssen überall gelten«; damit (so der Kontext der Stelle) auch in einer Stadt, in der lokalrechtlich das innerstädtische Bestatten eigentlich erlaubt wäre. Anders Corcoran, S. 49: »Rescripts do not legislate. They do not seek to change the law. Rather they seek to make an authoritative, or even definitive, exposition of what the law already is«, womit er sich freilich gegen den Wortlaut der von ihm selbst zitierten Ulpianpassage D. 1.4.1 stellt. Dass man in Reskripten oft darauf insistiert, nur das geltende Recht zu bestätigen, entspricht der konservativen Tendenz römischer Gesetzgebung (→ S. 129). Natürlich versteht sich, dass es angemessenere Formen für bewusste Neuerungen gab (Kaiserbrief, Edikt), zumal ein Reskript per Definition nur auf eine konkrete Anfrage antwortete. Trotzdem kann Corcoran, S. 54, nicht überzeugen: »But even where a rescript provides the first known example of some significant difference from previous legal practice, it does not follow that it … was intended to alter the general law«. Wenn dem so wäre, warum wurden dann Reskripte öffentlich ausgehängt, und warum machten sich Rechtsgelehrte die Mühe, sie zu kopieren? Ein recht klares Beispiel ist das Reskript Mark Aurels an Popilius Rufus (wörtlich zitiert in I. 3.11), das Fast-Zeitgenossen (Ulp. D. 40.5.2) wie Spätere (CI. 7.2.15 pr.) eindeutig als Änderung der Rechtslage wahrnahmen. Die hohe rechtliche Bedeutung der Reskripte ergibt sich ferner im Umkehrschluss daraus, dass später ihre Präjudizeigenschaft explizit abgeschafft werden musste (→ S. 35).

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dene Reskript nicht nur dem Anfragenden zugestellt, sondern auch durch Aushang veröffentlicht, sodass jedermann Zugang zu diesen Texten hatte (und Interessierte sie kopieren konnten). Reskripte werden häufig in den erhaltenen Fragmenten der hochkaiserzeitlichen Juristen zitiert. Auch die Epigrafik zeigt, dass Kaiserreskripte verallgemeinert werden konnten (vgl. Harries 1994, S. 36). 24 Freilich: Inwieweit und unter welchen Umständen sich ein Reskript als exemplum (also Präjudiz) heranziehen ließ, ist uns Heutigen im Einzelnen unklar und war fraglos auch in der Antike nicht in der dogmatischen Präzision geregelt, wie sie der heutige Jurist erwarten würde (hervorragende Diskussion bei Nörr 1981, S. 37–45). Die ersten beiden Sammlungen des Kaiserrechts, die Codices Gregorianus und Hermogenianus aus diokletianischer Zeit (→ S. 134), sammelten fast ausschließlich solche Privatreskripte. Das hängt fraglos mit der Person der Kompilatoren zusammen (die jeweils offenbar bequemen Zugriff auf genau diese Texte hatten), beweist aber andererseits auch, dass in diokletianischer Zeit die Privatreskripte noch als genauso relevant und allgemeinverbindlich angesehen wurden wie in der Hohen Kaiserzeit. Ganz anders hingegen die Situation im 5. Jahrhundert: Am Hof des westlichen Kaisers Valentinian III. entstand im Jahr 426 ein Gesetz (genau genommen eine Oratio; zu den Einzelheiten → S. 161), wonach Reskripte – selbst wenn sie auf Anfrage eines Richters in einem rechtlichen Zweifelsfall oder als Privileg für eine ganze Provinz ergangen sein sollten – ausnahmslos nur für den spezifischen Fall galten. Zuwiderhandelnde Richter – die also ein für einen anderen Fall ergangenes Reskript als exemplum akzeptierten – wurden mit hoher Geldstrafe bedroht, und wer als Anwalt mit einem fallfremden Reskript zu argumentieren versuchte, der sollte dem totalen Rangverlust (Infamie, → S. 364) anheimfallen. In die umfassende Sammlung des Codex Theodosianus, die im östlichen Reichsteil entstand, wurde kein einziges Reskript auf24

Es gibt auch ein berühmtes nichtepigrafisches Beispiel: Severus Alexander untersagte Statthaltern, Personen nachzustellen, die beim Kaiser Berufung einlegten. Formal handelte es sich dabei um ein Reskript an den bithynischen Provinziallandtag, von dem auch die ursprüngliche Anfrage ausgegangen war. Der Text ist uns auf zwei sehr unterschiedlichen Wegen überliefert: Einmal angeführt von Paulus, der seinerseits damit in den Digesten zitiert wird (Paul. D. 49.1.25), andererseits papyrologisch, und zwar in zwei verschiedenen Kopien (P. Oxy. 17.2104 sowie P. Oxy. 43.3106). Der besser erhaltene Papyrus P. Oxy. 17.2104 enthält einen Vermerk, wann der Text beim ägyptischen Präfekten eingegangen war. Man sieht, dass das an den bithynischen Provinziallandtag gerichtete Schreiben von diversen Personen – dem Juristen Paulus, dem Präfekten von Ägypten, (offenbar) zwei verschiedenen Bewohnern von Oxyrhynchos – ganz klar als allgemeingültig angesehen wurde.

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genommen (→ S. 4342), was im Umkehrschluss impliziert, dass sie keine Relevanz mehr über den konkreten Fall hinaus besaßen. Anders als früher wurden Reskripte zumindest im 5. Jahrhundert auch nicht mehr publiziert: Bei den Novellen Valentinians III. ist einer der entscheidenden Unterschiede zwischen den Pragmatiken und den allgemeinverbindlichen Gesetzen der fehlende bzw. vorhandene Publikationsbefehl. Wann dieser Bedeutungsverlust der Reskripte einsetzt bzw. abgeschlossen ist, lässt sich nicht genau sagen. Die früheste eindeutige Aussage ist eine Konstitution des Arkadius aus dem Jahr 398, die Reskripten jede rechtliche Bedeutung über den konkreten Fall hinaus abspricht (CTh. 1.2.11 von 398, im Kontext geht es um Reskripte auf eine Anfrage eines Richters hin; solchen Reskripten würde man ja am ehesten Allgemeinverbindlichkeit zuschreiben wollen, 25 vgl. Kußmaul, S. 24 f.). Das ist der sichere Terminus ante quem. Uns sind aus der postdiokletianischen Spätantike erstaunlich wenige Privatreskripte überliefert, und die allermeisten, die wir kennen, stammen aus der Periode vor 320. 26 Für die Zeit 326–333 ist uns der Wortlaut eines konstantinischen Privatreskripts an einen Agrippinus teilweise auf Papyrus erhalten (P. SB 16.12692). Nicht nur die Tatsache, dass man den Text in Ägypten kopierte und ihn im Jahr 339 im Rahmen eines Prozesses verlas (überliefert ist uns der Text übrigens im Protokoll dieses Prozesses), sondern auch und vor allem, dass in CI. 7.39.2 (365) für genau die in dem Privatreskript enthaltene Bestimmung eine lex Constantiniana zitiert wird, zeigt, dass man diesem Reskript generelle Bedeutung zumaß. 27 Das setzt unseren Terminus post quem auf 326.

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Anders Sirks 2001, S. 133: »CTh. 1.2.11 … states that a rescript given in reply to a consultatio by a judge, may only be used for that particular trial and not in another. Nota bene: only this kind of rescript! Other rescripts could apparently be used in a more general way«. Sirks liest den Theodosianus hier wie ein modernes Gesetzbuch, das alle Fälle abdecken muss; er beachtet nicht, dass es in der konkreten auslösenden Anfrage offensichtlich nur um die höchstrangigen Reskripte ging. Warum sollten Briefe an Privatleute mehr zählen als solche an Richter? Warum wurden sie, trotz ihrer angeblichen Gültigkeit, dann nicht gesammelt? Warum werden sie weder in den Fragmenten des Codex Theodosianus noch in der kontemporären Literatur zitiert? Sirks weitere Idee, ihre Gültigkeit sei dann im Westen durch die Oratio von 426 abgeschafft worden (→ S. 161), kann genauso wenig überzeugen, denn der Fokus des Texts liegt auf der Definition von generalitas (und nicht auf der angeblich revolutionären Abschaffung der Reskriptgeltung). Liste der 13 sicheren und möglichen Reskripte Konstantins vor 324 bei Corcoran, S. 301 f.; ferner S. 142–151 für (mögliche) Reskripte anderer Tetrarchen. Dass man diesem Reskript im Jahr 365 generelle Bedeutung beilegte, bedeutet noch lange nicht, dass es die Redakteure in den 430ern als lex generalis hätten ansehen müssen (so irrig Sargenti, S. 380).

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Kann man ihn sogar auf 365 (das Datum des eben erwähnten CI.-Fragments) hochsetzen? Das würde bedeuten, dass man zu diesem Zeitpunkt nicht nur alte Reskripte als verbindlich betrachtete (was sich möglicherweise mit Bestandsschutz erklären ließe), sondern auch neu verfasste. Ausgerechnet aus der Regierungszeit von Valentinian I. und Valens sind uns zufälligerweise einzelne Privatreskripte in einer Sammlung des 5. Jh.s überliefert (Consult. 9.2, 9.5, 9.6), 28 was zu implizieren scheint, dass damals Reskripte als rechtlich relevant betrachtet wurden (denn offenbar hat man sie publiziert, und Rechtsgelehrte fanden sie so weit beachtsam, dass sie sie abschrieben und sammelten). Folgt man dieser Logik, kann der Bedeutungsverlust der Reskripte erst in der Zeit zwischen 365 und 398 stattgefunden haben. Die Formulierung der Arkadius-Konstitution CTh. 1.2.11 (Rescripta … in futurum his tantum negotiis, »Reskripte … sollen künftig [!] nur noch für die Angelegenheiten …«) spricht eher für eine Neuregelung als für eine Bestätigung, weswegen mir eine Datierung ganz am Ende des 4. Jh.s am plausibelsten erscheint. Im frühen 5. Jh. war der Prozess jedenfalls abgeschlossen: Abgesehen von den eben genannten vier Privatreskripten (d. h. dem konstantinischen an Agrippinus und den drei aus valentinianischer Zeit) ist uns – soweit ich sehe – nur ein einziges Reskript für die Zeit ab 324 bis ins 6. Jh. hinein erhalten, und die Überlieferung dieses Ausnahmereskripts erfolgt gerade nicht in einer juristischen Sammlung als mögliches Präjudiz für andere Fälle (vielmehr handelt es sich um eine Privilegierung, die die Begünstigten selbst veröffentlichten, um ihre Vorrechte zu proklamieren). 29 Bemerkenswerterweise genossen aber andererseits die bereits bequem in den Codices Gregorianus und Hermogenianus gesammelten vorkonstantinischen Reskripte definitiv Bestandsschutz: Sie galten weiter, auch noch zur Zeit des Codex Theodosianus (→ S. 136197), und wurden später für den Codex Iustinianus ausgeschlachtet. In für ihn typischer Weise (→ S. 4549, → S. 5981) verfügte Justinian (CI. 1.14.12) im Jahr 529, dass (§ 3) omnem imperatoris legum interpretationem sive in precibus sive in iudiciis sive alio quocumque modo factam, »jede Auslegung der Gesetze durch den Kaiser bei Petitionen [d. h. Reskripte], bei Prozessen [d. h. Dekrete] oder in beliebigen sonstigen Zusammenhängen« allgemeinverbindlich sei, wobei er sich ausdrücklich auf die alte Zeit bezieht (§ 5; vgl. Ulp. D. 1.4.1 pr.). Was die Bedeutung von

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Die anderen valentinianischen Briefe in Kapitel 9 der Consultatio sind an Würdenträger gerichtet, etwa an den Stadtpräfekten (9.1) oder einen Prätoriumspräfekten (9.3). Liebs 1983, S. 486, listet sie ohne Begründung als Reskripte (d. h. auf eine consultatio hin?). Es könnte sich aber genauso gut um Konstitutionen handeln, die nicht in den Codex Theodosianus exzerpiert wurden. Das Reskript ad constitutionarios (Rescr. ad constit.): Valentinian III. bestätigt darin den Adressaten (zwei Schreibern) das exklusive Privileg, Abschriften des Codex Theodosianus herzustellen: Sie tragen das rechtliche Risiko für Fehler in der Abschrift (Fälschung), während umgekehrt niemand sonst Kopien anfertigen darf. Offensichtlich setzten die so Privilegierten diesen Text an den Anfang mancher Codex-Theodosianus-Kopien (Matthews, S. 32), gleichsam als Copyright-Hinweis (»copyright« im ganz strengen Wortsinne).

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Reskripten angeht, darf man also keinesfalls von der justinianischen Epoche auf das 5. Jahrhundert rückschließen.

Erwähnungen von spätantiken Reskripten in kaiserlichen Konstitutionen oder in der außerjuristischen Literatur lassen sich fast immer einem von zwei Kontexten zuordnen: Bitten um ein Sonderprivileg oder Anfragen im Zusammenhang mit einem Gerichtsfall. Bei den Sonderprivilegien liegt zumeist der Wunsch zugrunde, eine für den Anfragenden nachteilige Regelung ignorieren zu dürfen. Dabei handelt es sich besonders oft um Steuerverpflichtungen, aber z. B. auch um erbrechtliche Zurücksetzungen von Konkubinenkindern (→ S. 98) 30 oder aber um das Verbot der Cousinenehe (→ S. 310). In den Schriften (vor allem den Briefen) des Libanios werden derlei Privilegien und entsprechende Anfragen häufig erwähnt (Liste bei Wiemer 2011, S. 154 Anm. 130). In den Gesetzen erscheinen Sonderprivilegien zumeist in Formulierungen, die einschärfen, dass gegen die jeweils vorliegende Regelung kein Reskript (nicht einmal ein bereits ergangenes) helfe (siehe gleich weiter unten). Umgekehrt kommt nur selten vor, dass Ausnahmen per Reskript als explizit möglich genannt werden (so in CTh. 3.10.1 zur Cousinenehe oder in Nov. Val. 19, wonach Begnadigung bei Tötungsdelikten nur durch Annotatio möglich sei). Der andere Kontext von Reskripten ist prozessual: Prozesse konnten durch ein Reskript des Kaisers entschieden werden (vgl. → S. 520, → S. 531). Prozessparteien konnten de facto zu jedem Zeitpunkt eine Eingabe an den Kaiser richten (auch wenn die Kaiser dies durch zahlreiche Gesetze einzuschränken versuchten). 31 Eine Petition an den Kaiser war sogar möglich, ehe der Prozess überhaupt begonnen hatte; daraus entwickelte sich der sogenannte Reskriptprozess, bei dem das Verfahren durch eben diese Anfrage beim Kaiser (und nicht etwa durch Klage beim örtlichen Richter) überhaupt erst in Gang gesetzt wurde (Andt; Kaser/Hackl, S. 633–636). Aber nicht nur 30

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Libanios’ Anstrengungen, seinen Konkubinensohn Kimon erben zu lassen, die bald von Erfolg gekrönt, bald dann doch wieder enttäuscht wurden, erinnern den Betrachter an die Beschwerlichkeiten des Scrat. Im vorletzten Akt erhält Libanios ein rettendes Reskript von Theodosius I. (→ S. 343), letztlich stirbt aber Kimon vor Libanios selbst. Zu Lebzeiten Julians war anscheinend der Plan gewesen, dass Kimon nach seines Vaters Ableben das entsprechende Reskript von Julian selbst hätte erbitten sollen (Liban. or. 17.37). Sie finden sich vor allem in den Titeln CTh. 1.2 (etwa CTh. 1.2.3: kein Reskript möglich, wenn bereits ein edictum peremptorium erging) und CTh. 11.30 (etwa CTh. 11.30.6: nicht bei anhängigen Verfahren; CTh. 11.30.17: ausgeschlossen, wenn eine mögliche Berufung nicht stattfand). Vgl. dazu Andt, S. 20–35.

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die Prozessparteien, sondern auch ein zweifelnder Richter konnte den Kaiser brieflich (consultatio) um Rat bitten; die Antwort darauf war ebenso ein Reskript. Im Untersuchungszeitraum begegnen nur selten Reskripte, die man nicht unter eine der beiden genannten Kategorien subsumieren kann: Die Anordnung der Collatio von 411 (CN 324) wurde bereits erwähnt (→ S. 32, vgl. ferner → S. 208). Ein weiteres Beispiel ist das (nur durch Testimonien bekannte) Schreiben Gratians gegen »Pseudobischöfe und Manichäer«, das verschiedene Quellen übereinstimmend als rescriptum bezeichnen (→ S. 42647). Es wurde auf Anfrage des Bischofs Hydatius von Mérida ausgestellt und verfügte die Verbannung gegen Priscillian und zwei seiner Parteigänger. Wie bei der Collatio muss auch in diesem Fall das Reskript indirekt (d. h. an einen Würdenträger adressiert) gewesen sein, denn Hydatius selbst hätte gar keine Möglichkeit gehabt, eine Exilierung durchzusetzen. Vielleicht bietet Avell. 18 ein weiteres Beispiel: Auf eine Eingabe von Presbytern (Avell. 17) reagiert Honorius (Avell. 18) mit einem Schreiben an seinen Stadtpräfekten. Strukturell entspricht dieser Fall den anderen (kirchliche, d. h. nichtstaatliche Eingabe; indirektes Reskript an einen Würdenträger), aber leider steht das Wort rescriptum nur in der (wohl nicht zum ursprünglichen Dokument gehörigen) Überschrift; autoreferenziell bezeichnet sich die Verlautbarung ganz unbestimmt als oraculum (Avell. 18.2). Andererseits ist es auch bei CN 324 so, dass sich im Text selbst das Wort rescriptum nicht findet (→ S. 32), aber alle Zeitgenossen das Schreiben als ein solches ansehen (→ S. 208). Wie dem auch sein mag: Es ist diese Unterart von Reskripten, die sich zum Genre der Pragmatiken entwickelt (bzw. die im Fall von CN 324 bereits ein pragmaticum rescriptum ist).

Die durch Privilegierung geschaffene Ungleichbehandlung brachte gelegentlich Kaiser dazu, gegen Reskripte generell vorzugehen bzw. wenigstens diese Absicht öffentlich zu proklamieren. In einem Edikt verkündet Konstantin im Jahr 315 (CTh. 1.2.2): Contra ius rescripta non valeant … Quod enim publica iura perscribunt, magis sequi iudices debent, »Gegen das Recht sollen Reskripte nicht gelten … Richter müssen vielmehr dem folgen, was die allgemeinen Gesetze vorschreiben«, 32 aber praktisch alle Privatprivilegien, auf die der Codex 32

Dieses Konstantin-Gesetz wird übrigens sehr unterschiedlich verstanden: Liebs 1983, S. 486, denkt, Konstantin mache hier Tabula rasa, indem er alle vom gerade geltenden Recht abweichenden Reskripte pauschal für ungültig erklärt (aber Konstantins Maßnahme weist doch in die Zukunft, es geht nicht nur um bereits vorhandene Reskripte); Corcoran, S. 192, behauptet, dies sei »not an innovative measure«, da »rescripts contra ius should never have been valid in any case«. Das überzeugt nicht: Wenn etwa Theodosius I. dem Libanios entgegen der von ihm selbst verschärften Rechtslage ausdrücklich eine Schenkung an seinen illegitimen Sohn erlaubt (→ S. 343), dann ist das für Theodosius I. sicher kein ungültiges Reskript! Für Kußmaul, S. 12, handelt es sich um eine revolutionäre Maßnahme: Konstantin stelle hier

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Theodosianus anspielt oder die ich im weiteren Verlauf dieses Buchs aus der zeitgenössischen Literatur erwähnen werde, sind jünger; und obwohl sie geltendes Recht im Einzelfall außer Kraft setzten, galten sie. Und freilich, wer könnte einen römischen Kaiser daran hindern, eine Ausnahme von der Ausnahme zu schaffen? 33 Wenn Kaiser hinsichtlich der Sanktionen, die für bestimmte Tatbestände gelten, eigens betonen, dass dagegen keine Reskripte helfen, handelt es sich einerseits um Selbstappelle (bzw. Appelle an kaiserliche Nachfolger), andererseits um Vorkehrungen gegen kriminelle Untergebene. 34 Eine nachvollziehbare Einschränkung macht eine Teilbestimmung der 426-Oratio (→ S. 161, hier CI. 1.19.7): Rescripta contra ius elicita … praecipimus refutari, nisi forte aliquid est, quod non laedat alium …, »Gegen das Recht erschlichene Reskripte sind – so ordnen wir an – … [von Richtern] zurückzuweisen, außer es handelt sich um etwas, was keinem anderen schadet …«. Die Probleme im Zusammenhang mit Reskripten rührten also offensichtlich vor allem daher, dass damit am geltenden Recht vorbei Fälle entschieden wurden. Kaiser Zenon bestimmt später, nämlich im Jahr 477, dass überhaupt nur noch nach Anfragen von Korporationen, Stadträten, Provinzen usw. und gar nicht mehr infolge von Privatpetitionen Pragmatiken ergehen sollen (CI. 1.23.7). 35 Es ist kaum vorstellbar, dass dieser Versuch, die Bevor-

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einen neuen Grundsatz auf, wonach nicht jede kaiserliche Entscheidung lex sei (Kußmaul bezieht CTh. 1.2.3, → S. 157, ohne weitere Begründung auf CTh. 1.2.2, was mir unmöglich scheint und, selbst wenn es richtig wäre, nicht zur Begründung seiner Ansicht ausreichen würde). Tatsächlich ist das Konstantin-Gesetz rein deklamatorisch: Ein paar Jahrzehnte später schreibt Stadtpräfekt Symmachus (rel. 44.1) an seinen Kaiser Valentinian II.: Vestrae tantum Clementiae liberum est inique elicita rescripta rescindere, »Nur Eurer Klemenz steht es frei, in krimineller Weise erschlichene Reskripte für ungültig zu erklären«. Den Widerspruch zum konstantinischen Gesetz kann man nur auflösen wie Honoré (1986, S. 168 f. Anm. 47): »The fact that there were constitutions which declared the illegal rescripts to be ipso iure void … did not help a judge in Symmachus’ position, unless he was exceptionally selfconfident [sic]«. Freilich besaßen derlei Privilegien offenbar wirklich exzeptionellen Charakter: So erwähnt Libanios das ihm von Theodosius gewährte Sonderrecht immer wieder voller Stolz (Sammlung und Diskussion der Stellen bei Wiemer 1995, S. 99–101). Darauf weisen jedenfalls die (angeblichen) Gründe hin, aufgrund derer Leute überhaupt zu Privilegien kamen: Nach CTh. 16.5.25 pr. (395) habe man Sonderprivilegien spe correctionis, »in der Hoffnung auf Besserung [der Betroffenen]«, ausgestellt; in CTh. 16.5.6 (381) wird pauschal jedes Reskript annulliert, das von Häretikern per fraudem elicitum, »betrügerisch erlangt«, wurde. Dies ist wohlgemerkt eine Neuregelung von Zenon, nicht die Definition von pragmatica (wie Hermanowicz, S. 197, glaubt, die dann auf dieser Grundlage Ereignisse des frühen 5. Jh.s interpretiert).

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zugung einzelner Personen mit guten Kontakten in höchste Kreise zu verhindern, erfolgreicher war als frühere.

2 Konstitutionen Neben diesen (u. U. verallgemeinerbaren) Einzelfallregelungen gab es auch verschiedene Arten von Normen, die bewusst von einem möglichen Einzelfall losgelöst 36 (selbst wenn sie von einem solchen letztlich veranlasst waren) eine Weisung gaben. Altertumswissenschaftler nennen sie generisch zumeist »Konstitutionen«, 37 der Einfachheit halber (und zudem mit gutem Grund) kann man auch von »Gesetzen« 38 sprechen, alternativ von »Verordnungen«, »Regelun36

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Die Darstellung von Schmidt-Hofner, S. 34, ist unzutreffend: »Die im Codex Theodosianus gesammelten Konstitutionen setzten … also als leges generales Recht, das über den Einzelfall hinaus Präzedenzcharakter besaß«. Schmidt-Hofner operiert auch sonst (vgl. S. 26 f.) mit einem »Präzedenzcharakter« von Konstitutionen. Doch nur dann, wenn überhaupt die Regelung eines Einzelfalls (nicht: eines abstrahierten Tatbestands) vorliegt, stellt sich die Frage, ob man das (sagen wir) dem Libanios ausnahmsweise gegebene Privileg verallgemeinern, d. h., ihm Präzedenzcharakter zuweisen kann (→ S. 343). Wenn andererseits die Petition der Pelagia dazu führt, dass fürderhin holografische Testamente gültig sind (→ S. 121), dann liegt das nicht an einem angeblichen Präzedenzcharakter der entsprechenden Konstitution, sondern an der darin allgemein getroffenen Regelung: Sie erwähnt zwar den Fall der Pelagia, setzt aber eine vom Konkreten losgelöste Norm. Bereits in der Hohen Kaiserzeit war constitutio der Passepartout-Terminus für Kaisergesetze (Ulp. D. 1.4.1.1; Gai. 1.5), der damals Reskripte miteinschloss. Anders in der Spätantike, wo streng zwischen Kaisergesetzen und Reskripten geschieden wird (→ S. 4140). In der klassischen Zeit ist eine lex (das lateinische Wort, das gern eins zu eins mit »Gesetz« gleichgesetzt wird) eine von der Volksversammlung beschlossene Norm (Gai. 1.3, Lex est, quod populus iubet atque constituit, »Eine lex ist, was das Volk anordnet und bestimmt«). Doch in der Spätantike (und das gilt autoreferenziell für normative Texte ebenso wie für die zeitgenössische Literatur) ist das üblichste Wort für kaiserliche Normen aller Art lex (nicht etwa constitutio). Es gibt zudem keinen Grund, eine künstliche Differenzierung in der modernen Fachterminologie einzuhalten, da es in der Spätantike keine Volksversammlungen mehr gab und daher keine Verwechslungsgefahr besteht. Liebs hat mehrfach behauptet, die Verwendung von lex für Kaisernorm beginne schlagartig mit Konstantin (Liebs 1992, S. 12: »Konstantin änderte [!] dann auch die Terminologie, wozu er sich vielleicht durch den Senatsbeschluß für berechtigt hielt, der ihm nach der Niederwerfung des Maxentius den Vorrang unter den Kaisern einräumte. Während die vom Kaiser erlassenen allgemeinen Anordnungen bisher edictum oder statutum hießen, nennt Konstantin, was er festsetzt, ungeniert lex«;

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gen«, »Verfügungen«, »Erlassen«, besser aber nicht von »Dekreten«. 39 Unbedingt zu vermeiden ist allerdings der abusiv generische Gebrauch der Bezeichnungen »Reskripte« 40 und »Edikte« 41 für spätantike Konstitutionen, denn beides sind streng definierte Begriffe (unglücklicherweise wird in dieser Hinsicht

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Liebs 2010b, S. 518: »Hinzu kommt, dass der römische Senat alsbald nach ponte Molle Konstantin den ersten Rang unter den regierenden Kaisern, also auch als Gesetzgeber einräumte und dieser von da an seine Verfügungen ungeniert leges nannte; bis dahin war diese Bezeichnung … nur ausnahmsweise auch für Kaiserkonstitutionen gebraucht worden«). In einer langen Fußnote zählt Liebs (1992, S. 12 Anm. 5) zahlreiche CTh.-Stellen mit lex in diesem Sinne auf. Aber da die Sammlung des CTh. bekanntlich erst ab dem Jahr 313 (und damit nach dem angeblich so wichtigen Senatsbeschluss) einsetzt, ist das eine Übung ganz ohne Beweiskraft – überzeugend wären nur Belege, die zeigten, dass man vor 312 das Wort lex vermied. Nun haben wir leider nur ganz wenige Kaisergesetze aus den Jahren davor (und keines von Konstantin), aber bereits in diesem minimalen Sample erscheint lex autoreferenziell auch im Höchstpreisedikt von 301 (die Belege dafür in derselben Fußnote von Liebs, der trotzdem seine These nicht aufgibt). Übrigens ist die der Fachliteratur so präsente Gegenüberstellung von iura – älteres Juristenrecht – und leges – Kaisergesetze – spätantik fast unbelegt; es handelt sich um ein nur modern geläufiges Gegensatzpaar, das anscheinend vor allem auf Savigny zurückgeht (vgl. Gaudemet 1950). Zur Beschreibung der beiden Kategorien kann man die Begriffe als moderner Betrachter schon verwenden, solange man nur nicht glaubt, man würde damit einer fest etablierten antiken Terminologie folgen (wie z. B. Matthews, S. 11, denkt). Ein »Dekret« im modernen Sinn ist eine Rechtsnorm, die die Exekutive ohne Mitwirkung der Legislative setzt. Für die spätantike Situation ohne Gewaltenteilung ergibt es offensichtlich keinen Sinn, »Dekret« im etablierten modernen Sinn zu verwenden. Ein decretum im Sinne des klassischen römischen Rechts ist ein kaiserliches Gerichtsurteil, das allgemeine Rechtskraft entfaltet (dergleichen lässt sich nur für die frühe Spätantike nachweisen, vgl. CI. 9.1.17 von 299, dort freilich sententia, nicht decretum genannt). Andererseits ist es auch wahr, dass spätantike Konstitutionen öfters das Wort decretum ganz generisch als »Kaisergesetz« verwenden (vgl. etwa CTh. 16.6.4 pr., → S. 54988). Ein moderner Autor, der »Dekret« i. S. v. »Kaisergesetz« benutzt, hat damit eine antike Rechtfertigung (wenn auch trotzdem keinen guten Grund). Anders als in der Hohen Kaiserzeit (vgl. die Belege bei Volterra 1971, S. 848–853; vgl. z. B. I. 3.11 pr., § 1 mit Ulp. D. 40.5.2) zählen Reskripte nach spätantikem Sprachgebrauch nicht zu den Konstitutionen! Das findet sich so in der zeitgenössischen Literatur (vgl., wie Augustin Konstitutionen anführt, → S. 21, → S. 524, jeweils als lex, mit der Weise, wie er auf ein Reskript verweist, → S. 520, → S. 566, rescribere bzw. rescriptum) genauso wie in normativen Texten. Bereits in der Titelgliederung trennt der Codex Theodosianus scharf zwischen Konstitutionen (behandelt in CTh. 1.1, De constitutionibus principum et edictis) und Reskripten (behandelt in CTh. 1.2, De diversis rescriptis). Dieselbe Unterscheidung wird auch innerhalb aller dort gesam-

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in der Literatur viel gesündigt, was große Verwirrung stiften kann). Was Reskripte sind, haben wir gerade gesehen; zu den Edikten kommen wir gleich. Die allermeisten Texte, aus denen Fragmente für den Codex Theodosianus exzerpiert wurden, gehören einem von zwei Typen an, nämlich den Briefen und den Edikten. Der einzige andere Typus, der sonst noch immerhin gelegentlich erscheint, ist die Oratio. Nur ganz vereinzelt erscheinen auch andere Typen, die uns hier aber nicht weiter interessieren sollen. 42 Sehen wir uns zunächst die Edikte an.

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melten Fragmente durchgehalten. Die einzige mögliche Ausnahme, die ich überhaupt sehe, ist CTh. 13.3.13 (387), … eorum tenorem … quae a divae memoriae patre Nostro constituta sunt, a Nobis quoque confirmata ex huius auctoritate rescripti faciet omnifariam custodiri, »[Deine Magnifizenz] wird dafür sorgen, dass der Inhalt dessen …, was von Unserem Vater divinisierter Erinnerung verfügt und auch von Uns gemäß der Autorität dieses Reskripts bestätigt wurde, vollumfänglich eingehalten wird«. Aber auch das wird keine Ausnahme sein, denn vermutlich handelt es sich um ein separates Reskript – huius also i. S. v. »zuvor erwähnt«, nicht in autoreferenziellem Sinne. Denn CTh. 13.3.13 ist an den Stadtpräfekten gerichtet, inhaltlich geht es aber um die archiatri, die offensichtlich ein Reskript erlangt hatten, das mit einem separaten Brief an den Stadtpräfekten ergänzt wurde. Dass Kaiser mit Briefen auf nichtprozessuale Würdenträgeranfragen (suggestiones) antworteten, bedeutet noch lange nicht, dass man derlei Kaiserschreiben an Würdenträger Reskripte nannte (→ S. 51). Wenn z. B. Graf (S. 222) Folgendes behauptet: »the imperial letters, although excerpted in the Code for their general importance, originally were … rescripta, not constitutiones, to be technical«, dann liegt dem eine selbstgestrickte Definition von rescriptum und constitutio zugrunde, die nichts mit der Verwendung dieser Wörter in den kontemporären Quellen zu tun hat. Wir werden gleich im Haupttext sehen, was ein Edikt ist. Eine zweifelsfrei generische Verwendung des Worts edictum für Kaiserbriefe findet sich ausschließlich in manchen Gesetzen Valentinians III. (→ S. 76113). Man tut gut daran, die sonst in den Quellen stets durchgehaltene Scheidung auch in der Fachliteratur aufrechtzuerhalten. Zugegebenermaßen verwenden nicht wenige Autoren das Wort »Edikt«, »edict«, »édit« usw. abusiv für jedes Gesetz, aber aufgrund der Existenz des technischen Begriffs edictum sollte man dies tunlichst vermeiden. Besonders verwirrend ist die Terminologie von Errington: Er (1997b, S. 48) handelt über CTh. 16.5.6, ein Gesetz in Form eines Briefs an einen Prätoriumspräfekten. In einer Fußnote (Anm. 135) beschwert er sich zu Recht über die ungenaue Terminologie eines früheren Gelehrten – »Clearly not a rescript (but so Ritter …)« –, wobei er selbst aber auf derselben Seite ebendiesen Brief mehrfach als »edict« – »edict issued to Eutropius«, »the edict to Eutropius« – bezeichnet. Bei diesen anderen Typen handelt es sich um Regelungen, deren allgemeinverbindlicher Charakter nicht auf den ersten Blick einleuchtet; wir kommen auf sie im Abschnitt über die Praxis der Kompilation zurück (→ S. 210). Es handelt sich dabei um Auszüge aus Wortprotokollen (CTh. 8.15.1 unter Konstantin, CTh. 7.20.2 von 326?, CTh. 11.39.5 von 362, CTh. 11.39.8 von 381, CTh. 1.22.4 von 383, CTh. 4.20.3 von

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Mit einem Edikt wendet sich der Kaiser direkt an die Bevölkerung, entweder an die ganze 43 oder an einen Teil (etwa an die Bewohner einer Provinz oder, sehr häufig, an die Bewohner seiner Hauptstadt Rom bzw. Konstantinopel). Im Fall einer Samtherrschaft (wie sie in der Spätantike den Regelfall darstellte) erließ nominell nie ein Kaiser allein ein Edikt, sondern stets das ganze Kaiserkollegium (→ S. 112). Auch andere Träger von Herrschaft konnten edizieren, wobei wir aber für die Spätantike keine gesicherte Liste der dazu berechtigten Würdenträger besitzen: Sehr häufig begegnen Edikte der Prätoriumspräfekten, die analog zum Kaiserkollegium ein Kollegium der Prätoriumspräfekten bildeten und immer gemeinsam edizierten (→ S. 113). Klar ist ferner, dass auch die Stadtpräfekten sowie die Statthalter Edikte lokaler Gültigkeit erlassen konnten (Beispiele: DF 2, DF 5, DF 59bis, 44 DF 104; P. Oxy. 8.1101, P. Oxy. 9.1186; CN 374). Mitunter finden sich Belege, dass auch andere Würdenträger zu edizieren vermochten (Comes rerum privatarum, die Heermeister, → S. 5364; ein Comes rei militaris, DF 62; sogar ein Tribunus et notarius, CN 325, CN 326, CN 328). 45 Doch im Codex Theodo-

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386). Man darf vielleicht spekulieren, dass sie einem generellen Gesetz beigefügt waren (»was hier im Protokoll steht, soll allgemein beachtet werden«), und die Kompilatoren kürzten sinnvollerweise direkt die einschlägige Protokollpassage ein. Manche, darunter Liebs (1983, S. 486 mit Anm. 14; zu weiteren Proponenten der These vgl. Corcoran, S. 302 Nr. 12), haben behauptet, CTh. 1.2.4 (319) an den anderweitig unbekannten Crepereius Donatianus ohne genannten Rangtitel sei ein Privatreskript; Liebs (1983, S. 486 mit Anm. 11) tat dies zusätzlich für CI. 7.32.10 (ein Text, der ursprünglich aus dem CTh. stammen muss) an einen anderweitig unbekannten Maternus ohne genannten Rangtitel. Freilich ist dieses Vorgehen unmethodisch: Zahlreiche konstantinische Konstitutionen sind an Personen ohne Rangtitel gerichtet, und nur weil wir diese Empfänger zufälligerweise aus anderen Kontexten als Würdenträger kennen, kommt niemand auf die Idee, darin Reskripte zu sehen (z. B. CTh. 2.8.1 an Helpidius, CTh. 4.9.1 an Bassus, CTh. 5.8.1 an Volusianus, alle übrigens mit propositum, nicht datum, in der Subskription, wie CTh. 1.2.4 an Crepereius Donatianus). Anstatt anzunehmen, CTh. 1.2.4 sei das einzig sicher regelwidrig exzerpierte Reskript, liegt es viel näher zu glauben, dass – wie bei zahlreichen anderen konstantinischen Gesetzen – der Rangtitel des Empfängers fehlt und Crepereius Donatianus (und Maternus) zufälligerweise sonst unbekannt sind. Wobei hierfür eindeutige Beispiele aus nachtetrarchischer Zeit fehlen. Edikte ad populum richten sich, jedenfalls soweit wir dies nachvollziehen können, nicht an alle Bürger des Römischen Reichs, sondern vielmehr an die Bewohner der Hauptstadt, d. h. Rom oder Konstantinopel (→ S. 45). Mittlerweile publiziert von Feissel in Feissel/Wörrle, S. 276. Insofern führt es möglicherweise in die Irre, wenn mitunter bei den spätantiken Kaiseredikten auf das ius edicendi abgestellt wird, das sich aus dem imperium des

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sianus finden sich ausschließlich Kaiseredikte gesammelt; andere Edikte kennen wir insbesondere dank der Epigrafik, der Papyrologie und den Konzilsakten (vgl. Classen, S. 92–98). Hochkaiserzeitliche Kaiseredikte beginnen stets mit dem oder den Kaisernamen inklusive voller Titulatur, gefolgt von dicit, edicit oder λέγει (bzw. deren Pluralformen, möglicherweise auch in einer Vergangenheitsform), also z. B. im Fall von Domitian (Inscr. ILS 9059): Imp. Caesar divi Vespasiani f. Domitianus Aug. Germanicus pontifex maximus trib. potest. VIII imp. XVI censor perpetuus p. p. dicit, »Kaiser Domitian [usw.] sagt:« oder im Fall von Hadrian (Inscr. AE 2013, 2182; Außenseite des Diploms), Imp. Caesar divi Traiani Parthici f. divi Nervae nepos Traianus Hadrianus Aug. pont. maximus trib. potest. III cos. III, dicit, »Kaiser Hadrian [usw.] sagt:«. Auch zu Beginn der Spätantike ist dies noch nachweisbar (CI. 3.3.2, 3.11.1, 7.62.6, alles möglicherweise Fragmente desselben Edikts der vier Tetrarchen von 294, vgl. Corcoran, S. 171–173 mit Literatur): Impp. Diocletianus et Maximianus AA. et CC. dicunt, »Die Kaiser Diokletian und Maximian, Augusti, sowie die Caesares sagen:«. Dasselbe lässt sich auch die ganze Spätantike über bei epigrafisch, papyrologisch oder anderweitig überlieferten nichtkaiserlichen Edikten nachvollziehen (so bei allen sieben Texten, die oben in der Klammer als Beispiele für Edikte von Stadtpräfekten und Statthaltern gegeben wurden, ferner bei CN 328 und den Prätoriumspräfektenedikten CN 351, CN 423, CN 520, Nov. Iust. 167). Doch aus der Zeit nach 294 bis Justinian (DF 49) gibt es kein einziges sicheres (und überhaupt nur ein mögliches) 46 Beispiel eines exzerpierten oder vollständigen Kaiseredikts mit dieser Formel. Und das eben erwähnte justinianische Edikt stammt aus seinen ersten Jahren auf dem Kaiserthron; seine späteren Edikte verwenden ebenfalls keine Form von »sagen« in der

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Kaisers herleite (vgl. z. B. Sirks 2003, S. 147). Derlei Archaismen helfen nicht, die spätantike Situation zu verstehen. Wer genau in der Spätantike edizieren darf und mit welchem Umfang (bei einem Statthalter ist das offensichtlich, aber wer ist vom Edikt eines Comes rerum privatarum betroffen?), ist unerforscht. Übrigens ist auch in der Hohen Kaiserzeit die Situation komplizierter, denn dort begegnen nicht nur Edikte von hohen Beamten, sondern auch von Quästoren und Priestern (vgl. Benner, S. 28). ACO 2.1.3, p. 61.2 f.: Valentinian und Valens λέγουσι Νικαεῦσιν, »sagen den Nikaiern«. Aber in der Ediktsformel steht nach dem Prädikat i. S. v. »sagen« kein Adressat (wie hier Νικαεῦσιν)! Wahrscheinlich bot die ursprüngliche Inskription die lateinische Briefgrußformel (salutem dicunt), und das χαίρειν ging beim Übersetzungsprozess oder später verloren (vgl. Corcoran, S. 133).

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Inskription. 47 Vielleicht täuscht die Überlieferung, 48 wahrscheinlicher scheint jedoch angesichts der zahlreichen, auch ungekürzten Gegenbelege aus völlig unterschiedlichen Kontexten – ganz zu schweigen vom Kontrast zu den kontemporären nichtkaiserlichen dicit-Edikten –, dass für Kaiseredikte die Formel nach der Tetrarchie außer Gebrauch geriet und erst von Justinian kurzzeitig als Archaismus wiederbelebt wurde. 49 Wenn die Edikte im CTh. nicht mit dicit o. ä. beginnen, wie erkennt man sie dann überhaupt? Denn weder im Inhalt (und das gilt erst recht, wenn wir nur den Regelungskern überliefert haben) noch in der Subskription 50 unterscheiden sie sich von Briefen. Sieht man sich die Inskriptionen des CTh. durch (vollständige Listen bei Mommsen 1905, S. CLXII-CLXIV), finden sich sechs Typen von Fragmenten, die man (weitgehend) zu Recht mit Edikten identifizieren kann:

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Keines der eindeutig identifizierbaren Edikte in den justinianischen Novellen (Nov. Iust. 13, 14, 69, 122, 132, 141) verwendet die dicit-Formel (bzw. ihr griechisches Äquivalent). Ihre Inskriptionen lassen sich hingegen mit anderen spätantiken Edikten parallelisieren (Name des Kaisers, Adressat, fakultativ zusätzlich ἴδικτον, selten Kaisername und ἴδικτον ohne Adressat). Nach diesem Befund hat also Justinian den Archaismus nur zu Beginn seiner Herrschaft verwendet und bald wieder aufgegeben. Dillon (S. 36) denkt, auch die spätantiken Kaiseredikte hätten ausnahmslos mit dicit o. ä. begonnen und ihre Inskription sei für »legal collections« modifiziert worden. Doch angesichts der Tatsache, dass die allermeisten außerhalb der »legal collections« vollständig erhaltenen Edikte Inskriptionen im Stil der CTh.-Fragmente tragen, spricht wenig für seine These. Ein besonders starkes Gegenargument bieten Dossiers, die sowohl nichtkaiserliche Edikte (mit der Formel) als auch kaiserliche (ohne die Formel) enthalten – warum sollten nur die zweiteren modifiziert worden sein? Ein solches Beispiel bietet ein Edikt der Prätoriumspräfekten, das in den Novellen (Nov. Iust. 167) überliefert ist und die dicit-Formel verwendet – anders als alle Edikte Justinians in den Novellen (vgl. die vorhergehende Fußnote). Das Argument ist, dass wir ja durchaus die Inskriptionen etlicher Kaiseredikte haben (neben den CTh.-Fragmenten noch einige wenige vollständige von ganz unterschiedlicher Herkunft), gleichwohl aber niemals, außer (vielleicht) bei dem ValentinianValens-Text an die Nikaier, die dicit-Formel erscheint. Mehr noch: Laut der Oratio von 426 (→ S. 162) erkennt man ein Edikt daran, dass es das Wort edictum enthält (inserto edicti vocabulo nuncupantur; edicti … nuncupatione); von dicit in der Inskription ist hingegen nicht die Rede. Dass Justinian Archaismen bewusst wiederbelebt, ist bekannt, man vergleiche die Wiedereinführung der mandata (→ S. 5981) und den Versuch der Wiederbelebung von Reskripten und Dekreten (→ S. 36). Eine Ausnahme liegt vor, wenn mit der Subskription eines Edikts ausnahmsweise der direkte Veröffentlichungsbefehl durch den Kaiser überliefert ist, was bei zwei Edikten Valentinians III. der Fall ist (Nov. Val. 9 und 16, vgl. → S. 247373).

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1. Keinem Zweifel unterliegen die seltenen Fragmente, die mit edictum überschrieben sind (z. B. CTh. 16.5.38, CTh. 16.6.3). 2. Dann gibt es (ebenfalls selten) Texte an »Volk und Provinziale«, z. B. CTh. 15.14.5, ad universos provinciales et populum, oder, besonders eindeutig, CTh. 4.4.5, edictum ad populum urbis Constantinopolitanae et ad omnes provinciales. 3. Die weitaus meisten der Texte, die man als Edikte ansehen muss, richten sich nur an den populus. Dass mit populus die Bevölkerung der Hauptstadt gemeint ist, beweist nicht nur die Gegenüberstellung Volk – Provinzbewohner (vgl. Nr. 2), sondern auch die Existenz von Edikten, die den populus spezifizieren (CTh. 10.18.2, CTh. 16.1.2, jeweils an den populus urbis Constantinopolitanae), sowie ferner die Tatsache, dass manche der populus-Edikte ganz offensichtlich lokalrömischen Bezug haben (etwa CTh. 11.1.18 oder das Hosenträgeredikt, → S. 330). 51 4. Dann gibt es etliche Edikte, die (scheinbar, → S. 48) nur an die Provinzialen ergehen (z. B. CTh. 7.20.8, ad universos provinciales; CTh. 9.27.6, edictum ad provinciales). 5. Manche Fragmente richten sich nur an die Bewohner einer bestimmten Provinz (etwa CTh. 1.1.1, ad Lusitanos, oder CTh. 7.1.6, Mauris Sitifensibus) und sollten damit Edikte sein, wobei freilich im Einzelfall auch andere Deutungen möglich sind. 52 6. Schließlich finden sich gelegentlich Fragmente mit der mysteriösen adedictum-Inskription (etwa CTh. 9.34.7, ad edictum), bei denen ungeklärt 51

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Wal, S. 286 Anm. 19: »Im 5. Jahrhundert hat man anscheinend die Worte populo Romano der westlichen Publikationsformel auf die Bevölkerung der Stadt Rom bezogen (sonst hätte man im östlichen Publikationsbefehl nicht das entsprechende Constantinopoli(tanis) civibus nostris aufgenommen); ursprünglich muss aber m. E. der populus Romanus das ganze römische Volk gewesen sein«. Dabei übersieht van der Wal, dass ältere Edikte, die sich tatsächlich an die ganze Reichsbevölkerung richteten (etwa die sogenannte constitutio Antoniniana oder Diokletians Höchstpreisedikt), nicht ad populum adressiert waren, sondern ganz klassisch mit »[der/ die Kaiser] sagt/sagen« beginnen. Bei diesen Fragmenten kann man sich keineswegs sicher sein, dass es sich tatsächlich um Edikte handelt, vgl. CTh. 5.10.1, Imp. Constantinus A. Italis suis, wo das suis auf einen Brief hinzuweisen scheint (mehr solche Fälle bei Dillon, S. 45–57, der von »›Epistolary‹ edicts« spricht). Mommsen (1905, S. CLXIV) stellt in seiner Übersicht Gesetze zusammen, die z. B. an das Concilium Byzacenorum, die provinciales Byzaceni und die Byzaceni gerichtet sind, was illustriert, dass Briefe und lokale Edikte kaum zu unterscheiden sind. Ein besonders erstaunliches Beispiel ist CTh. 8.11.2 (365), Idem AA. provincialibus salutem dicunt, wo fraglos ein Überlieferungsfehler vorliegt (wahrscheinlich ist ein Provinzialadjektiv ausgefallen).

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ist, ob es sich um ein textkritisches Problem (also ad … edictum, wobei die Empfänger entfallen sind – freilich ist die Wortstellung dann atypisch) oder um ein Begleitschreiben zu einem Edikt (wobei wir dann in keinem Fall das eigentliche Edikt kennen) handelt. 53 Leider sind nur wenige vollständige Kaiseredikte aus der Zeit von Konstantin bis vor Justinian erhalten. Die vier Edikte in den Novellen tragen die Inskriptionen ad populum (Nov. Val. 5), ad populum Romanum (Nov. Val. 16) oder populo Romano (Nov. Val. 9) bzw. lapidar edictum (Nov. Marc. 1). Das Markian-Edikt betrifft eindeutig ein reichsweites Thema (nämlich prozessrechtliche Fragen in den Provinzen), ebenso zwei der drei valentinianischen Edikte (Nov. Val. 9 und 16); anders das dritte valentinianische Edikt (Nov. Val. 5), das eine lokalrömische Frage regelt. Ebenfalls einen rein lokalrömischen Bezug hat das Edikt aus der Collectio Avellana; es ist mit edictum ad populum überschrieben (Avell. 24). Eine Verlautbarung von Valentinian und Valens an die Nikaier (ACO 2.1.3, p. 61.2–17, λέγουσι Νικαεῦσιν) hat ebenfalls rein lokalen Bezug, nämlich die Bestätigung des Metropolisrangs von Nikaia; wahrscheinlich handelt es sich dabei aber um einen Brief, nicht um ein Edikt (→ S. 4446). Den Erzrivalen Nikaias, nämlich Nikomedeia, beschwichtigte Valentinian 54 jedenfalls mit einem Brief (ACO 2.1.3, p. 61.23–27, Νικομηδεῦσι χαίρειν), der alle Rechte von Nikomedeia ungeschmälert garantiert. Als beide Texte beim Konzil von Chalkedon verlesen werden, sind sie für die versammelten Bischöfe jeweils ein νόμος (ACO 2.1.3, p. 60.34; ACO 2.1.3, p. 61.18 f.). In Julians Epistolar finden sich vier Schreiben, bei denen es sich womöglich um Edikte handelt. Sie sind adressiert »an die Alexandriner« (epist. 53

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Z. B. Kußmaul (in Habicht/Kußmaul, S. 142 f.) vertritt die Begleitschreiben-Theorie. Solche Begleitschreiben gab es natürlich; in Ägypten sind sie für Erlasse »auf beliebigen Verwaltungsebenen nachweisbar« (Jördens 1997, S. 336; Jördens 2001, S. 41, S. 57, dort jeweils auch Literatur und Belege). Sie begegnen auch in der Spätantike. Das Problem ist allerdings, dass die sicheren Begleitschreiben in der Inskription (wie jeder andere Brief) ihren Empfänger aufführen und nicht eine Inhaltsangabe à la ad edictum machen (vgl. CTh. 10.10.19 von 387 an die Dekurionen von Alexandreia, worin auf einen Brief an den Prätoriumspräfekten verwiesen wird; CTh. 6.4.7 von 354 an den Stadtpräfekten mit Verweis auf einen Brief an den Prätoriumspräfekten; CTh. 16.11.2 an den Prokonsul von Afrika; ferner CTh. 1.5.1, CTh. 7.20.1, CTh. 16.6.4, zu Letzterem vgl. → S. 548). Diskussion bei Gaudemet 1979, S. 32 f.; Corcoran, S. 171 Anm. 5. Und zwar, wohlgemerkt, der handschriftlichen Überlieferung nach angeblich Valentinian allein (→ S. 112166).

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110 f.), »an die Bürger von Bostra« (epist. 114) und »an die Edessener« (epist. 115, wobei »an die Edessener« konjektural hergestellt ist). Tatsächlich ist die Sache nur bei epist. 114 eindeutig: Dieser Text bezeichnet sich nämlich selbst zweimal autoreferenziell als διάταγμα, »Edikt« (→ S. 128190), und trägt eine Subskription ganz im Stil sonstiger Konstitutionen. Da in den anderen drei Schreiben das Wort διάταγμα gar nicht erscheint, handelt es sich bei ihnen vielleicht eher um Briefe; andererseits verfügt der Kaiser am Ende von epist. 111 persönlich den Aushang, wie wir das sonst nur von hauptstädtischen Edikten kennen (→ S. 59, vgl. → S. 79). Jedenfalls besitzen wir das Gesetz zur Bestätigung des Konzils von Chalkedon unzweifelhaft in Form eines Edikts (genau genommen: auch in Form eines Edikts, siehe gleich). Dieses Edikt ist in einer Fassung an universis populis, »alle Menschen 55 [Provinzialen?]« (CN 476, vgl. Apparat sowie ACO 2.2.2, p. 94.13) gerichtet. In einer anderen Fassung, die uns nur in griechischer Übersetzung vorliegt, ist der Empfänger hingegen wie folgt angegeben: τοῖς πολίταις ἡμῶν τοῖς Κωνσταντινουπολίταις, »unseren konstantinopolitanischen Mitbürgern« (ACO 2.1.3, p. 120.12–121.10). (Eine weitere Ausfertigung desselben Texts war als Brief an den Prätoriumspräfekten Palladius gerichtet, CI. 1.1.4). Ausgehend von diesen beiden Fassungen desselben Edikts mit unterschiedlichen Adressaten lässt sich eine plausible Erklärung für die zahlreichen Fälle ableiten, in denen Edikte hauptstadtübergreifender Relevanz (z. B. das Schatzsucheredikt, → S. 402) entweder nur an den populus oder nur an die Provinzialen gerichtet sind: Offenbar darf man vermuten, dass derlei Edikte in zwei Fassungen existierten, wovon die eine in der Hauptstadt, die andere überall sonst ausgehängt wurde. Nur eine von beiden Fassungen hat man jeweils für den Codex Theodosianus exzerpiert. (Davon abgrenzen muss man natürlich die Fälle von Edikten lokalrömischen bzw. lokalkonstantinopolitanischen Interesses an den populus, von denen gewiss keine Version für die Provinzialen existierte.) Wir werden später sehen, dass es noch eine andere Variante gibt, nämlich dass dasselbe Gesetz in der Hauptstadt als Edikt an den populus, überall sonst aber nicht in Form eines Kaiseredikts, sondern als an Würdenträger adressierter Kaiserbrief verbreitet wurde; zu diesen Kaiserbriefen kommen wir jetzt. Nur ein einstelliger Prozentsatz der Konstitutionen, aus denen für den CTh. exzerpiert wurde, waren Edikte, knapp 95 % (Sirks, S. 85) hingegen Briefe, die der Kaiser zumeist an Prätoriumspräfekten, seltener an zivile Zentralbeamte oder Prokonsuln (bestimmte hochrangige Statthalter, die nicht den 55

Vgl. → S. 400.

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Präfekten unterstellt waren – im Verlauf dieses Buchs wird uns der Prokonsul von Afrika oft begegnen), noch seltener an andere Statthalter, Vikare, militärische Kommandeure oder andere hohe Beamte richtete (für ungewöhnlichere Empfänger vgl. → S. 209). Was man fachwissenschaftlich »Briefe« nennt, heißt in den juristischen Quellen nur recht selten so (etwa in CTh. 6.4.7 von 354, litteris ad Hilarianum praefectum praetorio destinatis praecepimus, »in einem Brief, den wir an den Prätoriumspräfekten Hilarian gerichtet hatten, ordneten wir an«). Meistens erscheinen die Briefe in den Kaisergesetzen mit einem der für Konstitutionen unterschiedslos gebrauchten Wörter bezeichnet, also u. a. lex, constitutio, constituta, praeceptio, praecepta, iussio, iussa, dispositio, sanctio oder decreta; 56 ein typisches selbstrefenzielles Beispiel ist etwa CTh. 16.5.17, post hanc Nostri oraculi sanctionem, »ab dem Zeitpunkt dieses Unseres Erlasses«, was in einem Brief an einen Prätoriumspräfekten steht. Auch für Zeitgenossen waren derlei Briefe vor allem eines, nämlich: Gesetz. So schreibt Augustin (epist. Divj. 10.3) über einen Brief: imperator Honorius ad praefectum Hadrianum legem dedit, »Kaiser Honorius sandte an den [Prätoriums-]Präfekten Hadrian eine lex«. Wie bei den Edikten, so sind auch bei den Briefen im Codex Theodosianus nur Exzerpte überliefert, nämlich die Passagen mit juristischem Regelungsgehalt. 57 Glücklicherweise (und anders als im Fall der Edikte) sind uns außerhalb des Codex Theodosianus zahlreiche vollständige Briefe erhalten, sodass wir uns ein gutes Bild verschaffen können: Wir haben die sechzehn 58 Sirmond56

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Kußmaul, S. 52, versucht, eine spezielle Bedeutung von lex herauszuarbeiten, was aber in der Aporie endet. Tatsächlich lässt sich allenfalls bei den Novellen von Valentinian III. eine spezifische Semantik von lex bestimmen, nämlich als Gegenbegriff zu pragmatica (vgl. Bianchi Fossati Vanzetti, S. 75); aber nicht einmal die gleichzeitigen Novellen von Theodosius II. weisen diesen Kontrast in derselben Schärfe auf. Vgl. etwa Nov. Theod. 6, eine Regelung, die sich autoreferenziell in § 3 als sanctio perpetuo valitura legis in morem, »ewig nach Art [!] einer lex gültige sanctio« bezeichnet; dazu im Widerspruch die autoreferenzielle Bezeichnung lex in § 4; und ein Publikationsbefehl (der typisch für die leges von Valentinian III. ist) findet sich darin nicht. Freilich mit Unschärfen; gelegentlich findet sich dann doch eine Publikationsanweisung (z. B. CTh. 6.23.4 § 2, 8.4.26, 9.42.14, 10.6.1) oder auch eine Einleitung (z. B. CTh. 16.6.4). Sirmonds ursprüngliche Publikation von 1631, die Appendix codicis Theodosiani novis constitutionibus cumulatior, umfasst 21 Nummern und damit sozusagen 21 Sirmondsche Konstitutionen. Ich werde stets von den 16 Konstitutionen sprechen, andere Autoren wiederum (z. B. Huck 2012, S. 82) zählen 18 Sirmondsche Konstitutionen. Diese Inkonsistenz hat mit der Beschaffenheit der Sammlung zu tun (vgl. Cimma 1995, S. 360–362): Von seinen 21 Konstitutionen entnahm Sirmond 18 derselben

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schen Konstitutionen, die sich teilweise mit Vorlagen (→ S. 219) des Codex Theodosianus überschneiden und uns einen Einblick in den Exzerpierungsprozess erlauben; aus der Zeit zwischen Codex Theodosianus und Codex Iustinianus sind rund 80 Novellen überliefert, die allermeisten davon Briefe; zudem könnte man aus der zeitgenössischen Literatur und der epigrafischen Überlieferung über 200 weitere Konstitutionen sammeln. 59

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(alten) Sammlung, die in einer Handschrift (und einer direkten Abschrift derselben) überliefert ist (Teilmengen dieser 18 Konstitutionen finden sich auch anderweitig überliefert). Die ersten 16 davon sind diejenigen, auf die sich Mommsen bei seiner Edition beschränkt, da es sich um ungekürzte, authentische Gesetze handelt; das sind die kanonischen 16 Sirmondschen Konstitutionen. Nummer 17 und 18 sind hingegen keine vollständigen Gesetze, sondern sind bereits in der Handschrift als Auszüge aus dem Codex Theodosianus, Titel 27, gekennzeichnet (man verwendet sie, um Titel 27 von Buch 1 teilweise zu rekonstruieren, → S. 195). Die letzten drei Texte fand Sirmond in anderen Handschriften (Cimma 1995, S. 360 f. Anm. 8; Mommsen 1905, S. CCCLXXX) und setzte sie zu der überlieferten Sammlung der achtzehn: Nr. 19 ist wahrscheinlich (→ S. 202), Nr. 20 ist garantiert eine Fälschung (Kaiser 2007, S. 296–312), Nr. 21 ist CTh. 16.6.4 (von Sirmond offenbar abgedruckt, weil von ihm in Handschrift Y in einer Fassung entdeckt, die einen besseren Text bot als den der kontemporären Ausgaben auf Grundlage nur von E [→ S. 175269], vgl. Mommsen 1905, S. LXXXVIII; Sirmonds Nr. 21 nutzt die besseren Varianten von Y, hält sich aber nicht sklavisch an diese Handschrift). Diese Arbeit ist noch zu leisten. Einstweilen ist die Sammlung, die man gemeinhin zitiert, Haenel 1857; doch sein Werk basiert auf völlig veralteten, oft miserablen Texteditionen. Insbesondere stand Hänel Mitte des 19. Jh.s für die Konzilstexte nur Migne zur Verfügung, während man heute auf die hervorragenden ACO-Editionen zurückgreifen kann. Coleman-Norton fertigte englische Übersetzungen zahlreicher Texte zum Verhältnis von Kirche und Staat in der Spätantike an, unter denen sich viele der vollständigen Konstitutionen befinden (die ja, überlieferungsbedingt, zumeist Bezug zur Kirche besitzen). Ich zitiere die vollständigen Konstitutionen (sofern möglich) mit der Coleman-Norton-Nummer als Abkürzung; in meinem Quellenverzeichnis lässt sich die jeweils beste verfügbare Edition nachsehen. Für eine heutige Zusammenstellung der vollständigen Konstitutionen wird man vor allem auf die mehrfach aktualisierte Liste von Ingo G. Maier (nur im Internet verfügbar, derzeit unter: www.notitiadignitatum.org/extracod.pdf; keine griechischen Texte, mitunter aber antike lateinische Übersetzungen griechischer Konstitutionen, die leider nicht als solche markiert sind; keine gedruckte Publikation geplant) sowie auf das Verzeichnis der epigrafisch überlieferten Kaisergesetze von Feissel (S. 62–70) zurückgreifen. Was die papyrologische Überlieferung angeht, so ist die Ausbeute an spätantiken Kaiserkonstitutionen gering, zudem ist die Liste von Taubenschlag 1952 völlig veraltet. Insbesondere im Rahmen des REDHIS-Forschungsprojekts um Dario Mantovani erfolgen derzeit wichtige Publikationen (vgl. z. B. → S. 176), wobei die betreffenden Texte allerdings oft recht knapp sind.

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Dank diesen Texten wissen wir, wie ein Kaiserbrief typischerweise aussieht. Diese Briefe sind (anders als die meist lapidar-kurzen Reskripte: Corcoran, S. 46 f.) oft erstaunlich lang: So umfasst Sirm. 12 beispielsweise rund 3.000 Zeichen, CN 400 in der vollständig erhaltenen griechischen Version circa 12.000 Zeichen. Dabei ist der Overhead (also der Text ohne juristischen Regelungsgehalt) erheblich und nimmt regelmäßig mehr als die Hälfte des Umfangs ein. So blieben im Codex Theodosianus von Sirm. 12 knapp die Hälfte, von CN 400 sogar nur ein Viertel übrig! 60 Üblicherweise gliedert sich ein solcher Kaiserbrief in drei Teile. Im ersten Teil (vgl. Bianchi Fossati Vanzetti, S. 28 f.) erklärt der Kaiser, wie die Angelegenheit zu seiner Kenntnis gelangte oder was ihn sonst zum Agieren brachte. Häufig (aber keineswegs immer) wird dort auf einen Bericht (suggestio) eines Beamten verwiesen, den der Kaiser mit dem Brief beantwortet (dazu später mehr → S. 119). Bei aller terminologischen Unschärfe, die für die spätantiken Kaisergesetze geradezu typisch ist (→ S. 227), wird dabei ein solcher Bericht nie consultatio und die kaiserliche Antwort nie rescriptum genannt – diese beiden Formen der Kommunikation zwischen Kaiser und Würdenträger (consultatio – rescriptum einerseits, suggestio – litterae/lex andererseits) muss man also streng voneinander abgrenzen! 61 Statt eines Beamtenberichts kann aber auch eine private Petition oder ein konkreter Rechtsfall den Kaiser zur Änderung der allgemeinen Regeln bewegen; darauf würde er dann hier ebenfalls Bezug nehmen (Bianchi Fossati Vanzetti, S. 37; vgl. → S. 121). In diesem Abschnitt finden sich ferner regelmäßig weitere einleitende Worte, etwa in der Heterodoxengesetzgebung Schimpftiraden gegen die sanktionierten Gruppen, oder aber Überlegungen ganz allgemeiner Art, die mitunter durchaus widersprüchlich sein können. 62 In den Codex-Theodosianus-Fragmenten 60

61 62

Die Berechnung bei CN 400 bezieht sich natürlich auf das erhaltene griechische Exzerpt im Codex Theodosianus (→ S. 219327); für den Vergleich mit Sirm. 12 wurden die Zeichenzahlen der beiden Fragmente, die daraus exzerpiert wurden (nämlich CTh. 16.5.43 und CTh. 16.10.19), zusammengezählt. Anders anscheinend in der tetrarchischen Zeit, vgl. Corcoran, S. 163–169. Man vergleiche etwa Nov. Val. 31 pr. (451), Cum pure et fideliter observari debeant quae caventur in legibus …, »Während man ja das, was in den Gesetzen vorgeschrieben ist, peinlich genau einhalten muss …« mit Nov. Theod. 11 pr. (439), Cum in omnibus rebus tum vel maxime moderamen desideratur in legibus, per quas delinquentes pro qualitate criminum convenit emendari. Nec enim utile est vel a iudicibus observandum, quod modum emendationis excedit, »Zwar ist in allen Dingen Maßhalten wünschenswert, am meisten aber bei den Gesetzen, durch die man Übertreter in Abhängigkeit von der Schwere ihrer Vergehen bessern sollte. Was das Maß der Besserung überschreitet, ist demnach weder sinnvoll noch für Richter beachtlich« [es geht im

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haben sich derlei Einleitungen nur selten erhalten, und zwar im Fall von Kompilationsfehlern (so etwa bei CTh. 16.6.4, → S. 548). Der zweite Abschnitt – der Regelungskern –, der erstaunlich kurz sein kann, umfasst die eigentliche Bestimmung. Grundsätzlich wurde nur dieser Bereich in den Codex Theodosianus exzerpiert. Der dritte Abschnitt mit der Weiterleitungs- und/oder Publikationsaufforderung ist fakultativ; in zahlreichen vollständigen Kaiserbriefen fehlt er, und man wird dann mitunter daran zweifeln, ob in solchen Fällen der Kaiserbrief tatsächlich in der Absicht verfasst wurde, ein allgemeingültiges Gesetz zu schaffen (→ S. 200). Es wäre falsch zu behaupten, dieser dritte Abschnitt befinde sich stets am Ende. Das gilt zwar meistens, aber eben nicht immer (Gegenbeispiele, bei denen dieser Befehl vor oder inmitten der eigentlichen Regelung steht, sind etwa Sirm. 6, 10, 14 oder Nov. Val. 18). Selten (und nur im Fall von Kompilationsfehlern) findet er sich in Codex-Theodosianus-Fragmenten. Es lässt sich ein Unterschied zwischen den Novellen und den älteren Konstitutionen festmachen: Sofern überhaupt eine Verbreitung angeordnet wird, 63 geschieht dies in den Novellenbriefen durch Publikationsbefehl, in den Sirmondschen Konstitutionen hingegen häufiger lediglich durch Aufforderung zur Weiterleitung an die Statthalter (typisches Beispiel: Sirm. 12, ad rectores provinciarum sublimis Magnificentia Tua faciet pervenire et digno per omnes iubebit vigore servari, »Deine sublime Magnifizenz wird [dieses Gesetz] den Provinzstatthaltern zukommen lassen und anordnen, dass es mit gebotenem Engagement von jedermann einzuhalten sei« (vgl. ferner → S. 199). Ob die Statthalter dann routinemäßig trotzdem zur Publikation schritten oder nicht, darüber kann man nur spekulieren. (Ganz selten findet sich sogar eine Kombination aus Weiterleitungs- und Publikationsbefehl, etwa in Sirm. 16, wo der Prätoriumspräfekt den Inhalt des Gesetzes den Statthaltern mit Briefen, der Bevölkerung mit Edikten zur Kenntnis bringen soll.)

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Kontext nicht darum, Richter von Übertreibungen bei der Strafzumessung abzuhalten; vielmehr begründet der Kaiser so, warum er ein ganzes Gesetz nunmehr aufhebt, vgl. → S. 316]. Laut Schmidt-Hofner (2015, S. 71 Anm. 17) erscheinen derlei Publikationsbefehle »in almost all Novels to the Theodosian Code and in the Sirmondian Constitutions«, aber das trifft nicht zu. Tatsächlich enthalten mehr als ein Drittel der valentinianischen Novellen keinen Publikationsbefehl (→ S. 206), ebenso wie sogar drei Viertel der Sirmondschen Konstitutionen (würde man fragwürdigerweise Weiterleitungsaufforderungen als Publikationsbefehle zählen, hätte man immer noch sieben von 16 Sirmondschen Konstitutionen ohne solchen Vermerk, → S. 199).

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Mit einem Publikationsbefehl weist der Kaiser den empfangenden Würdenträger, zumeist einen Prätoriumspräfekten, 64 an, den Brief »durch den Aushang von Edikten« (edictis propositis) zu veröffentlichen, um so die Regelung »allen Menschen« bekannt zu machen. Eine ganz typische Formulierung, die sich dutzendfach parallelisieren ließe, lautet etwa (CTh. 6.23.4 § 2): Illustris Auctoritas Tua statuta Nostrae Clementiae edictis propositis ad omnium notitiam faciet pervenire, »Deine illustre Autorität wird die Verordnungen Unserer Klemenz durch Aushang von Edikten der Kenntnis aller Menschen zukommen lassen«. 65 In der Literatur wird dafür ein kaskadierendes System beschrieben: Der Prätoriumspräfekt leitet den Brief an die einzelnen Provinzstatthalter seiner Präfektur weiter, die dann den Brief zusammen mit ihrem Edikt veröffentlichen sollen. Diese Variante, die sich bei zahlreichen bekannten Autoren 66 findet, halte ich für eine seltene Ausnahme: 67 Sofern die Formulierung im 64

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Es gibt auch Briefe an andere Empfänger mit Publikationsaufforderung, so Nov. Theod. 5.1 an den Comes rerum privatarum mit dem klassischen Abschluss in § 5, Illustris igitur Auctoritas Tua statuta Nostrae Clementiae pro devotione sincera sollemniter edictis propositis ad omnium notitiam faciat pervenire, »Deine illustre Autorität soll also die Verordnungen Unserer Klemenz aus echter Devotion in üblicher Weise durch Aushang von Edikten der Kenntnis aller Menschen zukommen lassen«; ebenso Nov. Theod. 7.4 § 10 an den Heermeister Ariobindus. Vgl. zur Formulierung von Publikationsaufforderungen Fridh, S. 165–169; Kußmaul, S. 54–56, S. 61, S. 65 f. Z. B. Feissel, S. 22, »L’édit de la préfecture suffisait pour l’affichage dans la capitale mais non dans les provinces, où la publication était du ressort du gouverneur local. Il fallait, une fois reçue la constitution par l’intermédiaire de la préfecture, que le gouverneur émette à son tour à l’intention des provinciaux un edictum de sa façon«; Matthews, S. 186: »As we saw in the discussion of the Sirmondian Constitutions, pretorian prefects were regularly [!] told when receiving laws to send them to provincial governors with letters instructing the governors to promulgate the texts by posting edicts«; Matthews ist derart überzeugt von diesem Ablauf, dass er das lateinische Hanc igitur legem sublimis Magnificentia Tua cunctas per dioceses sibi creditas publicabit edictis (Sirm. 2) ohne weiteren Beleg erklärt als »sending the law to provincial governors with the instruction to display it under the authority of their own edicts« (S. 133). Ich sehe nur ein entsprechendes Beispiel, aber auch hier geht es nicht um eine Kaskade, sondern um zusätzliche Edikte der Provinzstatthalter neben den Edikten des Prätoriumspräfekten: Nov. Val. 26 § 1 (448), Magnificentia Tua … perferri eas in notitiam omnium … tam Suis quam provincialium iudicum decernet edictis, »Deine Magnifizenz … soll verfügen, dass sie [Theodosius’ Novellen] … sowohl durch Ihre Edikte [d. h. der Magnifizenz] als auch durch die Edikte der Provinzstatthalter zur Kenntnis aller gebracht werden«.

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Gesetz eindeutig ist, handelt es sich eigentlich immer um das Edikt des Prätoriumspräfekten; 68 sehr häufig figurieren die Provinzstatthalter gar nicht in der Publikationsaufforderung (wie in dem eben gegebenen Beispiel); und bei zweifelhaften Formulierungen kann man das Edikt gleichermaßen gut auf Prätoriumspräfekt wie Statthalter beziehen. 69 Manchmal sollen gar die Statthalter überhaupt erst durch die Präfektenedikte von der Maßnahme erfahren. 70 Vor allem sind die wenigen auf uns gekommenen Belege für Publikationsedikte – mit einer Ausnahme – stets Präfektenedikte (vier Prätoriumspräfektenedikte, ein Stadtpräfektenedikt); und bei der einen Ausnahme erhält der Beamte (ein Tribunus et notarius in Spezialmission) den Brief direkt vom Kaiser, es findet also ebenfalls keine Kaskade statt. 71 Es gibt keinen epigrafischen Beleg für die angebliche Gesetzeskaskade. 72 68

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Unter den zahlreichen Belegen vgl. z. B. Sirm. 16, illustris Magnificentia Tua legis tenorem litteris suis edictisque propositis ad omnium iudicum et provincialium notitiam faciet pervenire; Nov. Theod. 3 § 10, propositis Excellentiae Suae sollemniter edictis; Nov. Val. 2.4, Illustris et praecelsa Magnificentia Tua lege salubriter constituta edictis propriis in universorum faciet pervenire notitiam; Nov. Val. 34 § 6, illustris et praecelsa Magnificentia Tua ad designatos provinciales sub programmate suo. Sirm. 9, Quod illustris Magnificentia Tua in omnium notitiam datis ad singularum iudices provinciarum litteris faciet pervenire, ut universis id proposita sollemniter edicta declarent, »Dies wird Deine illustre Magnifizenz durch Absendung von Briefen an die Statthalter der einzelnen Provinzen der Kenntnis aller zuführen, sodass in üblicher Weise ausgehängte Edikte dies allen vor Augen führen«. CTh. 8.4.26 (406?), sanctione hac edictis propositis divulganda, ut provinciarum iudices sciant, »wobei diese Anordnung durch Aushang von Edikten zu publizieren ist, damit die Provinzstatthalter wissen, dass …«; Nov. Maior. 2 § 6, … divulgabit edictis, ut ad provinciales remedia concessa perveniant et iudices ex Nostra praeceptione cognoscant, »[deine illustre Magnitude] wird [mein Gesetz] durch Edikte bekanntmachen, damit zu den Provinzialen die gewährten Abhilfen gelangen und damit die Statthalter aus Unserer Anordnung erfahren, dass …«; Nov. Marc. 2 § 7, … per universos populos ac provinciarum iudices edictis propositis divulgari curabit, »… wird die Bekanntmachung unter allen Menschen und Provinzstatthaltern durch Aushang von Edikten besorgen lassen«. Die folgenden Belege geben jeweils zuerst den Brief, dann das Publikationsedikt an: CN 350 f., CN 373 f., CN 422 f., CN 445 f., CN 519 f., die Ausnahme (Edikt durch Tribunus et notarius): CN 324 f. Abgesehen vom letzten Paar finden sich diese Texte auch zusammengestellt bei Bianchi Fossati Vanzetti, S. 212–222, die allerdings mitunter spätere lateinische Übersetzungen von Texten abdruckt, bei denen man besser mit den erhaltenen griechischen Vorlagen arbeiten sollte. Feissel, S. 22, verweist auf mehrere Kompositdossiers, von denen er auf S. 56 sieben auflistet. Doch nur eines davon (Kasai, DF 62) endet wirklich mit einem Edikt, und dort ist die Situation nicht mit unseren Fällen vergleichbar (beim kaiserlichen Schreiben handelt es sich nicht etwa um eine Konstitution an einen hohen Würdenträger, sondern um ein Reskript an die Lokalhonoratioren, vgl. Feissel 2016,

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Zu einem der angeblich wichtigsten Belege für die Kaskade (nämlich Sirm. 12) muss ich kurz weiter ausholen. Die beiden prestigeträchtigsten Statthalterschaften nicht nur der Hohen Kaiserzeit, sondern auch der Spätantike waren die Prokonsulsposten von Asien und der Africa Proconsularis. Die Provinz Asien war nicht Teil der Präfektur Oriens, genauso wenig wie die Africa Proconsularis Teil der Präfektur »Italien, Illyrien und Afrika« war. 73 Für Asien ist dies für die Zeit des Valens ausdrücklich bei Eunap (vit. soph. 7.65 f. [= 7.5.5 Giangrande]) belegt: … εἰς ἀρχὴν μετέστησε μείζονα, 74 ἀνθύπατον αὐτὸν ἐπιστήσας τῆς νῦν ἰδίως Ἀσίας καλουμένης. … 66. … ἔστι δὲ ἀρχῶν ἐνδοξοτάτη, καὶ οὐ κατήκοος τοῦ τῆς αὐλῆς ἐπάρχου …

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S. 672–676, S. 685–687). Die für unsere Zwecke wichtigste Inschrift dürfte Kos (DF 14; ausführlich: Feissel 2009) sein, eine griechische Verlautbarung des Statthalters, der sich darin auf ein Kaisergesetz und ein πρόσταγμα des Kollegiums der Prätoriumspräfekten bezieht. Der Anfang des Statthaltertexts fehlt. Ist das πρόσταγμα das Publikationsedikt oder nur ein Weiterleitungsbrief (technisch edictum wäre nämlich διάταγμα, nicht πρόσταγμα, vgl. Katzoff, S. 819)? Ist die Statthalterverlautbarung technisch ein (weiteres?) Edikt oder nur ein erklärendes Begleitschreiben (vgl. → S. 60)? Da diese Fragen offen bleiben, hilft auch die Kos-Inschrift nicht weiter. Zu Asien vgl. Not. dign. or. 2 mit einer abschließenden Aufzählung der Provinzen von Oriens (wo Asien fehlt), zur Africa Proconsularis Not. dign. oc. 2 mit einer abschließenden Aufzählung der Provinzen der Präfektur von »Italien, Illyrien und Afrika« (wo die Proconsularis fehlt). Die Diözese Afrika umfasste übrigens fünf Provinzen, Byzakium, Numidien, die beiden Mauretanien und Tripolitanien, nicht aber die Africa Proconsularis. Es gab ebenfalls eine Diözese Asia (oder Asiana), die man gleichermaßen von der prokonsularen Provinz Asien unterscheiden muss, die nicht Teil dieser Diözese war. Die Ausgaben und Kommentare vor Goulet schreiben hier χείρονα, freilich zu Unrecht. Die Eunap-Überlieferung basiert auf einer Florentiner Handschrift, von der sich alle jüngeren Handschriften ableiten, sodass nur diese in Betracht zu ziehen ist. Bei ihr findet sich zwar χείρονα, sie bietet aber auch die Korrektur μείζονα durch m.1 »Correctio eadem manu facta, quas Vitas scripsit aut certe eiusdem fere aetatis« (Vollebregt, S. 50; ebenso Goulet im Apparat). Vollebregt, S. 112 f., hält (begründungslos) den Vikarsposten für höher und entscheidet sich deswegen für χείρονα, worin ihm Becker (S. 397) folgt, der von einer »Degradierung des Klearchos« spricht, die allerdings »nur dem Schein nach unvorteilhaft« war. Tatsächlich ist der Schritt vom Vikar zum Prokonsul von Asien (oder Afrika) in jeder Hinsicht eine Beförderung, keine Degradierung: (i) in der Notitia Dignitatum stehen die Prokonsuln vor den Vikaren; (ii) laut CTh. 6.10.2 (381) stehen Prokonsuln rangmäßig über Vikaren (Notariorum primicerios … non solum vicariis anteponi, sed etiam proconsulibus aequari sancimus, »wir ordnen an, dass die notariorum primicerii … nicht nur über die Vikare gestellt werden, sondern sogar die gleiche Stufe wie Prokonsuln einnehmen«); (iii) wir kennen prosopografisch etliche Fälle, dass gewesene Vikare zu Prokonsuln aufstiegen (Aelius Claudius Dulcitius, Clodius Octavianus, Iulius Festus

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prinzipien spätantiker gesetzgebung [Kaiser Valens] … beförderte ihn auf einen höheren Posten: Er machte ihn zum Prokonsul der Provinz, die heute Asien (im eigentlichen Sinne) heißt. … 66. … Das ist die prestigeträchtigste aller Statthalterschaften, und sie untersteht nicht dem Prätoriumspräfekten …

Im Kontext geht es um Klearch (PLRE I, S. 211 f. s. v. Clearchus 1), der sich als Vikar der Diözese Asien (streng zu unterscheiden von der Provinz Asien!) mit seinem Prätoriumspräfekten überworfen hatte und dann von dem ihm wohlgesonnenen Kaiser Valens befördert wurde, um nicht mehr besagtem Prätoriumspräfekten zu unterstehen. Warum ich so ausführlich auf ein Detail der spätantiken Verwaltungsstruktur eingehe? Sirm. 12 wurde am 25. November 407 an den Prätoriumspräfekten von Italien abgeschickt; am 5. Juni 408 wurde die Konstitution mit dem Edikt des Prokonsuls von Afrika in Karthago publiziert. Bei Matthews, S. 186, klingt das dann so: »[Das Gesetz] was then sent by the prefect to Africa … [Was es laut Matthews zudem gegeben haben muss, sind] ›letters‹ by which the prefect would convey the imperial constitution to the proconsul with instructions [!] to publish it with his edict«. Die Rekonstruktion kann aber so nicht stimmen, denn Matthews übersieht dabei, dass der Prätoriumspräfekt dem Prokonsul keine »instructions« zu geben hatte. Der extrem lange Abstand zwischen datum und propositum ist daher nicht vollständig als »journey time« (Matthews, S. 184) anzusehen – er erklärt sich vielmehr damit, dass ein Gesetz, das eigentlich gar nicht an den Prokonsul von Afrika gerichtet war, ihn über irgendwelche Umwege doch erreichte und von ihm mit eigenem Edikt publiziert wurde. Kurzum: Sirm. 12 ist gerade kein Beleg für die Kaskade Kaiser → Prätoriumspräfekt → untergeordneter Statthalter, sondern zeigt, dass die Angelegenheit viel komplizierter ist. 75

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Hymetius, Chilo, Thalassius sowie möglicherweise Markian, → S. 709, und Caecilian, vgl. PLRE II, S. 244–246 s. v. Caecilianus 1); ein Gegenbeispiel (d. h. ein gewesener Prokonsul, der erst danach Vikar wurde) wäre mir nicht bekannt; (iv) für die Mehrzahl der prosopografisch bekannten Vikare ist dieser Posten das Ende der Karriereleiter, während es umgekehrt sehr viele Prokonsuln später noch zum Prätoriumsoder Stadtpräfekten bringen (Malcus, S. 145, S. 148); und (v) zu guter Letzt haben wir auch noch ein explizites Quellenzeugnis, noch dazu ausgerechnet von Eunap selbst (hist. 29.2): Μουσώνιος … τήν … ἁλιτενῆ χώραν τῆς Ἀσίας ἐπῆλθε, καὶ ὁ τὴν ἀνθύπατον καὶ μείζονα ἔχων ἀρχὴν πρὸς τὰς ἐπιδημίας ἐξίστατο, »Musonius … begab sich zur Küstenregion von Asien, und der Prokonsul – obwohl er den höheren Posten innehatte – ließ ihm bei den Visitationen den Vortritt«. Musonius (PLRE I, S. 613 s. v. Musonius 2) war damals Vikar von Asien (vgl. Amm. 27.9.8). Im November 407 hat Honorius noch ein weiteres Gesetz erlassen, das Fragen der Religionsgesetzgebung in Afrika regelte. CTh. 16.2.38 und CTh. 16.5.41 sind Fragmente daraus (→ S. 566), beide sind auf den 15. November datiert. Aus Sirm. 12 wurden ebenfalls zwei Texte entnommen (CTh. 16.5.43 und CTh. 16.10.19), die im Codex Theodosianus auf den 15. November (nicht auf den 25. November wie Sirm. 12) datiert sind. Sirm. 12 (und die daraus entnommenen Exzerpte) sind, wie gesagt,

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Die Publikationsedikte der Prätoriumspräfekten sind in allen bekannten Fällen (jedenfalls nominell) Edikte des ganzen Kollegiums der Prätoriumspräfekten, nicht einzelner Präfekten (→ S. 113). Wenn der Kaiser den angeschriebenen Präfekten zumeist auffordert, die Regelung »allen Menschen« zur Kenntnis zu bringen, kann es sich dabei faktisch aber nur um »alle Menschen« im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Präfekten handeln. 76 Kaiserbrief und Präfektenedikt werden als Dossier publiziert, wobei in sämtlichen papyrologischen und inschriftlichen Beispielen ab dem 3. Jh. die Dokumente in rangmäßig absteigender Reihenfolge angeordnet sind, d. h. ausnahmslos der Kaiserbrief zuerst (Feissel, S. 189 f.; vgl. Corcoran, S. 246). Das deckt sich mit wiederkehrenden Formulierungen, das kaiserliche Schreiben sei einem anderen Text »vorangestellt« oder »voranzustellen« (ausgedrückt mit Formen von praeferre oder anteferre). 77 Gelegentlich finden wir in der Subskription von Briefen den Hinweis, dass sie sub edicto oder sub

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an den Prätoriumspräfekten adressiert, CTh. 16.2.38/16.5.41 hingegen an den Prokonsul – und das entweder am selben Tag oder innerhalb weniger als zwei Wochen! Zumindest der Inhalt von CTh. 16.5.41 (»späte Reue hilft«, → S. 565) hat definitiv Relevanz über die prokonsulare Provinz hinaus, und CTh. 16.2.38/16.5.41 entstand in Reaktion auf eine Gesandtschaft der gesamtafrikanischen Bischöfe (vgl. Conc. Afr. p. 215.1149–1157), d. h., der Prokonsul als Adressat des Gesetzes erklärt sich auch nicht durch die Identität der Petenten. Die Vermutung drängt sich auf, dass es von CTh. 16.2.38/16.5.41 weitere Ausfertigungen gab, d. h. für Prätoriumspräfekt und/ oder afrikanischen Vikar. Vgl. zu diesen CTh.-Fragmenten Demougeot. Es gibt wenige Belege, in denen dies explizit formuliert ist: Sirm. 2 (405), Hanc igitur legem sublimis Magnificentia Tua cunctas per dioceses sibi creditas publicabit edictis, »dieses Gesetz also wird Deine sublime Magnifizenz in allen Dir anvertrauten Diözesen mittels Edikten veröffentlichen«; Sirm. 4 (335, eine Weiterleitungs-, keine Publikationsaufforderung): ac volumus, ut excellens Sublimitas Tua litteris suis per dioecesim sibi creditam commeantibus iudices moneat instantissime huiuscemodi debitam reverentiam custodiri, »und wir befehlen, dass Deine exzellente Sublimität mit Ihren Briefen, die den Ihr anvertrauten Bereich [dioecesis untechnisch gebraucht] durcheilen sollen, die Statthalter ermahne, solch geschuldete Ergebenheit strengstens einzuhalten«. Der beste Beleg ist aber CTh. 11.13.1 (383, an den Prätoriumspräfekten von Italien, oder, um genau zu sein: von »Italien, Illyrien und Afrika«): Igitur Sinceritas Tua id ipsum per omnem Italiam, tum etiam per urbicarias Africanasque regiones ac per omne Illyricum praelata oraculi huius auctoritate firmabit, »Daher wird Deine Sinzerität genau dies in ganz Italien [d. h. Italia annonaria], ferner in den urbikarischen [Italia suburbicaria] und afrikanischen Regionen und in ganz Illyrien bekräftigen, wobei die Autorität dieses Kaiserbriefs dem voranzustellen ist«. Klare Beispiele: CTh. 8.4.6, CTh. 11.12.4, Nov. Val. 21.1 § 7, Nov. Val. 23 § 9, Nov. Val. 25 § 10, CN 325; weitere Beispiele, nicht alle eindeutig, bei Mommsen 1905, S. CLVIf.

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programmate (edictum und programma sind Synonyme) 78 eines bestimmten Amtsträgers veröffentlicht wurden, was man »zusammen mit einem Edikt«, 79 nicht »[räumlich] unterhalb eines Edikts hängend« verstehen muss. 80 Häufig wird das Publizieren per Edikt mit einem Wort aus der Wortfamilie sollemnis verbunden, z. B. cum edictorum sollemnitate (CTh. 1.1.5 von 429) oder propositis Excellentiae Suae sollemniter edictis (Nov. Theod. 3 § 10), was »wie üblich« 78

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Vgl. ThLL s. v. programma, tatsächlich geht es bei den meisten der dort aufgeführten Belege um das Edikt eines Würdenträgers, der ein kaiserliches Gesetz veröffentlicht (ThLL 10.2.1767.62–10.2.1768.1). Vgl. CTh. 8.8.9, CTh. 13.5.38, jeweils sub elogio, »zusammen mit einem Bericht [überstellen]«; es geht im Kontext jeweils um die Überstellung (mittere, deducere) eines Gefangenen an den Richter. Genau dieselbe Idee wird bei den hochkaiserzeitlichen Juristen (Marcian. D. 48.3.6.1, Cels. D. 48.3.11.1, Mod. D. 49.16.3 pr.) mit cum elogio statt sub elogio ausgedrückt, wiederum stets in Sätzen, deren Verb überstellen (mittere, remittere) bedeutet. Mommsen (1905, S. CLVI; 1892, S. 421 mit Anm. 2) und Seeck (S. 10) geben eine abweichende Deutung des sub: Formulierungen mit sub seien, analog zu anteferre usw., als lokale Angabe, mit dem Kaiserbrief ausgehängt »unter« dem Beamtenedikt, zu verstehen. Aber erstens deckt sich das nicht mit dem epigrafischen Befund; zweitens wäre post (nicht sub) der Gegensatz zu ante oder prae; drittens ist es schon auffällig, dass das »Voransetzen« stets auf verschiedene Weise verbal ausgedrückt wird, während sich das angebliche »Hintansetzen« nur in einer bestimmten präpositionalen Verbindung beobachten ließe; man vergleiche viertens Nov. Val. 34 § 6, ad designatos provinciales sub programmate suo Nostra edicta faciat pervenire: Soll man glauben, der Kaiser bestünde expressis verbis darauf, dass seine Regelung an zweiter Stelle komme? Ein Gegenargument, das Wal (S. 290 Anm. 31) ins Feld geführt hat, ist klar falsch: »Schon [!] in den lateinischen Gesetzen des 5. Jahrhunderts heissen diese Edikte bisweilen programmata (weil sie üblicherweise vor dem zu veröffentlichenden Gesetz standen)«; erstens stehen sie nicht »üblicherweise davor«, zweitens ist programma ein griechischer Standardterminus für »öffentliche Verlautbarung«, der jedenfalls in Ägypten einen fließenden Übergang aus ptolemäischer Zeit in die römische Epoche erlebte, wo er dann zum Synonym für edictum wurde (Wilcken, S. 130–133). Die beiden angeblichen Belege bei Matthews (S. 186 f.) helfen ebenfalls nicht: Im sogenannten »Toleranzedikt« ist das überlieferte praelata programmate Tuo haec scripta … ubique proponere (Lact. mort. pers. 48.12) unübersetzbar, es muss entweder zu praelato oder zu programmati korrigiert werden. Angesichts der griechischen Version Euseb. hist. eccl. 10.5.14, προταχθέντα τοῦ σοῦ προστάγματος ταῦτα τὰ ὑφ’ ἡμῶν γραφέντα πανταχοῦ προθεῖναι, und der Formulierung des konstantinischen Gesetzes Frg. Vat. 249.10, quae … [programma]ti Tuo praeferenda est, ist die Korrektur zu programmati zwingend (Mommsen 1892, S. 421 Anm. 3); vgl. auch Corcoran, S. 246 mit Anm. 78, der zwar den Ablativ nicht beanstandet, aber ebenfalls den Kaiserbrief an erster Stelle sieht. Bei Matthews’ zweitem Beleg, P. Cair. Isid. 1, ist das entscheidende Relativpronomen ergänzt und die von Matthews akzeptierte Ergänzung sicher falsch (Feissel, S. 82 Anm. 61).

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(nicht: »in formeller Weise«) bedeutet, da es gar nicht so selten durch ex more vertreten wird (z. B. Nov. Theod. 5.3 § 2, 7.1 § 3, 22.2 § 17; Nov. Marc. 4 § 5, 5 § 4; Nov. Anth. 3 § 3; CN 489; jeweils edictis ex more propositis). Freilich konnten Statthalter nicht nur Kaiserbriefe, sondern auch kaiserliche Edikte publizieren. Die überlieferten Edikte selbst enthalten keine Publikationsaufforderungen (was folgerichtig ist: sie geben ja »dem Volk« Anweisungen, nicht dem Statthalter), und in zwei Fällen (Nov. Val. 9, 16) ist sogar überliefert, dass der Kaiser höchstpersönlich den Aushang verfügte. Andererseits kennen wir zumindest aus tetrarchischer Zeit das Beispiel eines ausführlichen Statthalterpublikationsedikts (Corcoran, S. 179, Nr. 11a) zu einem Kaiseredikt (nämlich zum Höchstpreisedikt), und Papyri geben Hinweise auf weitere Publikationsedikte zu Kaiseredikten (P. Cair. Isid. 1, Corcoran, S. 174 f., Nr. 4; P. Oxy. 31.2558, Corcoran, S. 182, Nr. 16). Beispiele aus nachtetrarchischer Zeit sind mir nicht bekannt.

Aber warum erlässt ein spätantiker Kaiser nur selten eine Regelung als eigenes Edikt und zieht es stattdessen in den allermeisten Fällen vor, Anweisungen in einen Brief zu kleiden und diesen durch ein Beamtenedikt ergänzen zu lassen? Schließlich konnte er ja den zusätzlichen Kommentar des Präfekten oder sonstigen Beamten – sofern dieser nicht direkt vor Ort am Kaiserhof greifbar war – weder zuvor kontrollieren noch überhaupt zur Kenntnis nehmen. Das Ganze wird noch mysteriöser, wenn man bedenkt, dass (sofern die Inskription fehlt oder nichtssagend ist) weder Inhalt noch Sprache Rückschlüsse erlauben, ob es sich beim Urtext eines gegebenen Exzerpts um ein Edikt oder einen Brief handelte. Zunächst darf man nicht vergessen, dass das Verfahren keine Neuerung der Spätantike ist, sondern auf hochkaiserzeitlichen Abläufen basiert: Die mandata, die Statthalter Plinius von Kaiser Trajan erhalten hatte, 81 waren der Bevölkerung bekannt (epist. 10.110), offenbar hatte Plinius sie zusammen mit einem eigenen Edikt (vgl. epist. 10.96.7) publiziert, vielleicht sogar wört81

Solche mandata gab es offenbar in der Spätantike nicht mehr, ehe sie Justinian ausdrücklich wiederbelebte (Nov. Iust. 17). Bei den mandata von CTh. 1.3.1 (383) geht es nicht um Statthalter-mandata im klassischen Sinn. Nur scheinbar ein Beleg für mandata ist CI. 1.50.2 (427), ein Gesetz, bei dem mandata in der Inskription erscheint und das Statthaltern bestimmte Vollmachten erteilt. Denn der Text ist an den Prätoriumspräfekten gerichtet, der offensichtlich die ihm unterstellten Statthalter informieren soll; es handelt sich also nicht um direkte Instruktionen. Mehr noch: Die Inskription ist derart ungewöhnlich (mandata impp. Theodosii et Valentiniani AA. missa ad Antiochum ppo. per referendarium, quae sic habent, »mandata der Kaiser …, die mittels referendarius an … geschickt wurden und folgendermaßen lauten«), dass es sich keinesfalls um die Originalformulierung handeln kann. Vgl. auch Wal, S. 279 mit Anm. 3.

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lich – jedenfalls verfuhr so der spätere Kaiser Antoninus Pius, als er selbst noch Statthalter von Asien war (sub edicto, Marcian. D. 48.3.6.1). Es gibt noch einen hochkaiserzeitlichen Präzedenzfall, wenn auch auf anderer Ebene: Aus dem dank den Papyri besonders gut dokumentierten Ägypten kennen wir ab »dem späteren II. Jhdt.« (Jördens 1997, S. 336) Fälle, in denen der Statthalter, der Präfekt von Ägypten, Normen nicht per Edikt setzt, sondern einen Brief an untergeordnete Beamte schreibt und diese zur Publikation dieses Briefs auffordert; der Brief richtet sich formal an die Beamten, inhaltlich aber an die Bevölkerung, sodass er direkt (d. h. ohne weitere Ausarbeitung bzw. Umformulierung o. ä.) veröffentlicht werden konnte. Ein sehr gutes Beispiel, ein Brief vom 14. Juni 156 des Präfekten an die mittelägyptischen Gauvorsteher (Strategen), wurde von Jördens (2001) publiziert und mustergültig besprochen. Die Publikationsaufforderung dieses Briefs gleicht dem, was uns aus der Spätantike vertraut ist: ταύτης μου τῆς ἐπιστολῆς ἀντίγραφον προτεθῆναι βούλομαι ἔν τε ταῖς μητροπόλεσι καὶ καθ’ ἑκάστην κώμην ὡς πάντες εἰδέναι τὰ διατεταγμένα, »Ich ordne an, dass Abschriften meines

vorliegenden Briefs in den Zentralorten und sämtlichen Dörfern ausgehängt werden, damit alle das Angeordnete wissen«. In der uns erhaltenen Fassung veröffentlicht dann einer dieser Strategen den Brief mit einem (ebenfalls erhaltenen) Begleittext, der aber wohlgemerkt kein Edikt ist. Derlei Publikationsbefehle finden sich oft in den auf Papyri erhaltenen lokal-ägyptischen Erlassen (Jördens 2001, S. 67 f., mit zahlreichen Belegen). Der Ausdruck »damit alle das Angeordnete wissen« ist formelhaft und lässt sich vielfach in den Papyri parallelisieren (Jördens 2001, S. 58 f., S. 68 f.), hat aber auch ca. 300 Jahre später analoge Entsprechungen: Nov. Val. 19 § 4, ut salubria constituta nullus ignoret; Nov. Maior. 7 § 18, ita ut quae statuta sunt … in cunctorum notitiam perferantur. Wenn man annimmt, dass sich die kaiserliche Normensetzung per Brief statt Edikt vom Vorbild der Statthalter ableitet (Jördens 1997, S. 347 f., selbst nimmt eine parallele Entwicklung an, wobei allerdings frühe Zeugnisse für die Kaiser gänzlich fehlen), 82 verschiebt sich freilich nur das Problem: Warum erlassen Statthalter nicht stets ein Edikt, sondern schreiben ab der Mitte des 2. Jahrhunderts mitunter lieber einen Brief an untergebene Beamte?

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Natürlich kennen wir zahlreiche Briefe von hochkaiserzeitlichen Kaisern an Würdenträger, und zwar nicht nur aus der Korrespondenz des Plinius, sondern auch durch Zitate in den justinianischen Sammlungen (etwa D. 1.12.1 pr., D. 11.4.1.2, D. 50.6.6.1 und öfter, ferner CI. 3.31.1, CI. 9.43.1) und durch grundwissenschaftliche Überlieferung. Aber nur selten gibt es einen Hinweis, dass eine solche Regelung generelle Bedeutung haben soll (so z. B. im Fall von D. 11.4.1.2). Ich würde die allermeisten dieser Briefe als Einzelfallregelungen interpretieren, die – wenn sie zufälligerweise bekannt wurden – als exemplum dienen konnten; aber ein solcher Ablauf war – anders als in der Spätantike – nur im Ausnahmefall von den Kaisern selbst vorgegeben.

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Nur Seeck (S. 10) scheint sich Gedanken über den Sinn des Verfahrens gemacht zu haben; aus einem der sechs bekannten Paare von Kaiserbrief und Publikationsedikt (CN 350 f.) folgert er für alle: »aus dem weitläufigen Schwulst des Kaiserbriefes selbst hätte der beschränkte Untertanenverstand kaum zu erkennen vermocht, was eigentlich gemeint sei. So wurde das Präfektenedikt zur eigentlichen Rechtsquelle, die für das Publikum und die Gerichte maßgebend war, während die unverständlichen Phrasen des vorausgeschickten Gesetzes nur einen ornamentalen Schnörkel dazu bildeten«. 83 Das ist eine pragmatische Erklärung, die sich leider nur nicht mit den überlieferten Publikationsedikten in Einklang bringen lässt. Tatsächlich lassen sich die sechs erhaltenen Publikationsedikte nicht über einen Kamm scheren, aber der Verdeutlichung des bombastisch gehaltenen Kaisertexts dienen sie normalerweise nicht. 84 Die richtige Erklärung muss also eine andere sein. Die folgenden Bemerkungen basieren auf Eindrücken, die man mithilfe einer systematischen Untersuchung bestätigen bzw. korrigieren müsste: 1. Vorab ein Wort der Warnung: Der Vergleich mit Ägypten zeigt, dass die Präfekten dort alles Mögliche per Edikt veröffentlichten, von Bekanntmachungen (z. B. Beginn einer neuen Kaiserherrschaft) über die Regelung von Einzelfällen bis hin zu generellen Normen, allerdings mit einem Schwerpunkt auf den Letzteren (Katzoff, S. 821; vgl. ferner Benner, S. 27 f.). Es gelingt also kaum, im besonders gut dokumentierten Ägypten Charakteristika von Edikten herauszuarbeiten, die über das Formale (Einleitung mittels λέγει) hinaus-

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Wahrscheinlich davon abhängig (aber ohne Verweis) Liebs 1992, S. 15: »… zumal der Provinzgouverneure. Nur sind deren Edikte gewöhnlich nichts weiter als Kurzfassungen in sachlichem Stil der mit allem rhetorischen Pomp geschmückten Kaisergesetze«. Den naheliegenden Vergleich zwischen erhaltenen Begleitedikten und zugehörigen Kaiserbriefen führte bislang nur Bianchi Fossati Vanzetti (S. 50–53) durch. Meine Eindrücke (die ich anderswo vorlegen werde) stimmen nicht immer mit den ihrigen überein, insbesondere nicht bei CN 373 f. Einstweilen nur so viel: Seecks Vorstellung wird nur vom Paar CN 350 f. (PPO) gestützt (Edikt kürzer, klarer, mit dem Regelungsgehalt). Bei CN 422 f. (PPO) ist das Edikt genauso lang und genauso geschraubt, bei CN 519 f. (PPO) möglicherweise bombastischer als der Brief selbst, bei gleichzeitig mangelhafter Wiedergabe des Regelungsgehalts. Das Edikt des Paars CN 445 f. (PPO) nennt knapp die Themen des Schreibens und besteht ansonsten im Wesentlichen in der Aufforderung, die kaiserliche Verlautbarung zu lesen. Bei den Paaren CN 373 f. (PVR) und CN 324 f. (Tribunus et notarius) handelt es sich um echte Ausführungsgesetze, die sinnvolle Zusatzregelungen in Ergänzung des Briefs treffen und weitere Angaben machen.

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gehen; insofern steht zu befürchten, dass ein solches Unterfangen bei den Kaiseredikten mit ihrer schmaleren Quellenbasis erst recht zum Scheitern verurteilt ist. 2. Es könnte eine chronologische Komponente geben: So arbeitet Konstantin anscheinend öfter mit Edikten als seine Nachfolger (vgl. Dupont, S. 587 f.), doch möglicherweise verzerrt der Codex Theodosianus hier unsere Perspektive. 85 3. Es ist offensichtlich, dass die Kaiser in ihren Hauptstädten eher ein Edikt verwendeten als außerhalb 86 – obwohl sie dort genauso gut indirekt hätten operieren können (d. h. via Brief an den praefectus urbi) und dies auch oft taten. Viele der Hauptstadtedikte sind von rein lokalem Interesse; in anderen Fällen wissen wir, dass die dort gegebenen Bestimmungen außerhalb der Hauptstadt per Edikt an die provinciales oder per Brief verbreitet wurden. In jedem Fall aber erklärt sich die Typuswahl im Fall der Hauptstadtedikte durch den Adressatenkreis (nicht etwa durch den Inhalt). 4. Da Edikte außerhalb der Hauptstadt anscheinend selten ergingen, darf man davon ausgehen, dass die Untertanen aufhorchten, wenn ausnahmsweise der Kaiser selbst (und nicht ein ihm untergebener Beamter) zu ihnen sprach (die Diskussion zum afrikanischen Einheitsedikt von 405 mag dazu einen Eindruck vermitteln: → S. 544). Diese besonders markante Form der Anordnung wurde, wie es scheint, für grundsätzliche Fragen eingesetzt (und aufgespart), 87 während das regelungstechnische Klein-Klein eher in Briefen an Würdenträger untergebracht wurde. 88 85

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Es ist klar, dass die Codex-Theodosianus-Redakteure für die konstantinischen Gesetze andere Quellen (offenbar Privatsammlungen) heranzogen als für spätere Konstitutionen (→ S. 189). Vielleicht waren ja in den Sammlungen, die man für spätere Kaiser verwendete (Archive, andere Privatsammlungen …) Briefe bequemer greifbar, während die für Konstantin ausgewerteten Zusammenstellungen überproportional oft den abgeschriebenen Text proponierter Edikte überlieferten? Andererseits wissen wir von zahlreichen tetrarchischen Edikten – es gibt also durchaus eine Tradition, in der Konstantin stehen könnte. Das zeigt nicht nur der Anteil der Hauptstadtedikte unter den vollständig erhaltenen Edikten, sondern auch die große Zahl der Codex-Theodosianus-Ediktfragmente, die sich an den populus richten. Beispiele: CTh. 7.13.8, 380 (wer nicht im Heer dienen darf, soll sich nicht als Rekrut melden); CTh. 9.27.6, 386 (Aufforderung zur Anzeige korrupter Würdenträger); CTh. 9.14.2, 391 (Recht zur bewaffneten Selbsthilfe sogar gegen Soldaten); CTh. 7.13.16 f., 406 (Appell, sich zum Heer zu melden). Vgl. ferner Dupont, S. 590 f. Vgl. auch dazu die Situation in Afrika: Das Einheitsedikt legt die Grundlagen, detaillierte Strafen finden sich in einem zusätzlichen Brief (→ S. 547). Bei dem Paar CTh. 10.10.12 f. gegen Delatoren (380) ist im CTh. der Brief (CTh. 10.10.12) an den

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5. Die Edikte an einzelne Provinzen, von denen sich Fragmente im Codex Theodosianus finden, bedürfen einer genauen Untersuchung; es könnte mitunter vorkommen, dass es sich dabei um reichsweite Edikte handelt, deren Inskription an die lokale Provinz angepasst wurde (sofern es sich nicht einfach um Briefe an den Landtag handelt). Neben Edikten und Briefen ist der dritte Konstitutionentypus, von dem uns öfters Auszüge im Codex Theodosianus begegnen, die Oratio (Classen, S. 8 mit Verweisen). In der Hohen Kaiserzeit zumindest nominell ein Antrag des Princeps im Senat, der zu einem Senatusconsultum führte (Gai. 2.285; Paul. D. 23.2.16 pr.; vgl. Wenger, S. 387 mit Anm. 76; Talbert, S. 294–297), handelte es sich bei einer spätantiken Oratio in allen formalen Elementen um einen Brief an den Senat (von Rom oder Konstantinopel), der unmittelbar 89 eine Norm setzte, ohne dass irgendwie eine Diskussion oder Abstimmung vorgesehen gewesen wäre. Die vollständigen Orationes enthalten nicht einmal Publikations- oder Weiterleitungsaufforderungen (dafür mitunter die Angabe, wer die Oratio im Senat verlesen hat, vgl. Mommsen 1905, S. CLIV). Oratio-

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Comes rerum privatarum erheblich länger als das gleichzeitige Edikt (CTh. 10.10.13) an die Provinzialen. Offenbar wollte Theodosius mit dem Edikt die Bevölkerung knapp und bündig über die erfreuliche Tatsache informieren, dass er etwas gegen die verhassten Delatoren unternimmt – die dazu nicht notwendigen Details scheinen dem Würdenträgerschreiben vorbehalten (da aber beide Verlautbarungen nur als CTh.-Exzerpte vorliegen, lässt sich leider nicht ausschließen, dass die unterschiedliche Ausführlichkeit der Texte auf die Arbeit der Redakteure zurückgeht). Deswegen ist es unrichtig, wenn Liebs 1992, S. 15, behauptet: »Im Codex Theodosianus sind 52 Teilstücke aus 27 Senatsbeschlüssen dieser Art erhalten«. Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass eine Oratio zu einem Beschluss führte, und was publiziert wird (übrigens auch inschriftlich, → S. 64), sind die Orationes selbst; in Orationes wird nicht darum gebeten, einen Beschluss zu fassen, sondern vielmehr wird unmittelbar auf autoritäre Weise angeordnet (ein Beispiel für viele: Nov. Val. 1.3 § 5, et fortunarum et famae iubemus esse discrimen, »… wir befehlen, dass Konfiskation und Infamie drohe …«). Der Zusammenhang wird vollends evident dank Symm. rel. 8: Senatoren gaben zu viel Geld für öffentliche Veranstaltungen aus und bemaßen die Redepräzedenz nach aufgewandtem Geld; das hat Valentinian II. per Oratio untersagt (§ 2); zugleich wies er die Senatoren an, einzelne Details auszuarbeiten, was zu einem Senatusconsultum führte (§ 3); dieses muss aber erst durch ein Kaisergesetz bestätigt werden (§§ 3, 4). Die genau gegensätzliche Bemerkung in einem Gesetz aus just demselben Jahr 384 (CI. 1.16.1, Quamvis consultum senatus perpetuam per se obtineat firmitatem, … »Obwohl ja eigentlich ein Senatusconsultum von sich aus permanente Gültigkeit erlangt, [bestätigen wir gleichwohl die Regelungen]«) ist daher als Höflichkeitsbezeugung zu verstehen.

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nes-Fragmente im Codex Theodosianus betreffen sehr grundsätzliche Dinge (vgl. z. B. → S. 138, → S. 161) oder aber Fragen, die Senatoren unmittelbar angehen (z. B. CTh. 9.1.13); epigrafisch überlieferte Beispiele (DF 60, DF 96, DF 99) dienten der Ehrung einzelner Senatoren; die seltenen Orationes, die literarisch vollständig überliefert sind, können grundsätzlicher Natur sein (Nov. Val. 1.3) oder aber bieten Inhalte, die mit dem Senat bzw. den Senatoren in Zusammenhang stehen (Nov. Theod. 15.1; Nov. Maior. 1; Avell. 23; vgl. Symm. rel. 8). Wie bei Briefen und Edikten gilt, dass der Regelungskern einer Oratio ununterscheidbar von dem anderer Konstitutionstypen ist. Ohne Inskription oder eine Passage mit Anrede an die Senatoren ist eine Oratio nicht identifizierbar als solche. Den Orationes ist nichts Mündliches zu eigen, genauso wenig wie den Edikten (jeweils trotz des etymologischen Wortsinns). Alle spätantiken Konstitutionstypen sind letztlich als Schreiben zu begreifen, die sich im Fall von Edikten an breite Bevölkerungsgruppen, im Fall von Orationes an den Senat und im Fall von Briefen an Würdenträger (oder andere Personen oder Personengruppen) richten. Edikte lässt der Kaiser in der Hauptstadt selbst veröffentlichen, oder sie werden von Würdenträgern publiziert. Briefe werden, sofern man sie überhaupt bekannt macht, von Würdenträgern publiziert (nie vom Kaiser selbst). Wir wissen nichts darüber, wie die Publikation von Orationes erfolgte (sofern man sie überhaupt veröffentlichte).

3 Ausfertigungen Kaisergesetze, die in Form von Briefen erlassen wurden, gingen nachweisbar oft an mehrere Empfänger in verschiedenen Ausfertigungen, also in gleichberechtigten Originalen mit möglichen Modifikationen. Insofern lässt sich auch nicht von dem maßgeblichen »Urtext« eines Gesetzes sprechen. Möglicherweise geschah der Erlass in Form von Briefen nicht nur oft, sondern sogar zumeist in mehreren Ausfertigungen, aber darüber kann man nur spekulieren, denn üblicherweise wurde nur jeweils eine Ausfertigung für die Codex-Theodosianus-Exzerpierung herangezogen. Aber wir haben guten Anlass zu glauben, dass – wenn der eine Prätoriumspräfekt angeschrieben wurde und die Angelegenheit nicht von lokal beschränktem Interesse war – eine zweite Ausfertigung zumindest an seinen Kollegen (sofern existent) ging: CTh. 7.7.1 von 366?, dedimus litteras ad viros clarissimos praefectos praetorio, »Wir sandten Briefe an die v. c. Prätoriumspräfekten«, CTh. 10.19.9 von 378, datis ad illustres viros praefectos Galliarum et Italiae litteris … praecipimus, »Durch Ab-

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sendung von Briefen an die v. i. Präfekten von Gallien und Italien haben wir verfügt, dass …«. Eine ganze Reihe von Fragmenten, die von Konstantin stammen und offenbar zu derselben Originalkonstitution aus dem Jahr 326 gehören (Seeck, S. 42 f.), sind im Codex Theodosianus (ungewöhnlicherweise) ad praefectos adressiert. 90 Wenn hingegen ausdrücklich nur an einen Prätoriumspräfekten geschrieben wird, gibt es dafür regelmäßig einen nachvollziehbaren Grund, nämlich rein lokales Interesse. 91 Übrigens wenden sich Kaiser – trotz aller proklamierter Reichseinheit und Kollegialität – anscheinend (→ S. 112167) nie an Funktionäre, die einem anderen Kaiser unterstehen. Mitunter finden sich im Codex Theodosianus Fragmente, die aus verschiedenen Ausfertigungen desselben Gesetzes exzerpiert wurden; unter den (leider sehr raren) Fällen, in denen wir vollständige Konstitutionen dank der Parallelüberlieferung besitzen und zugleich entsprechende Fragmente im Codex Theodosianus vorfinden, gibt es regelmäßig solche, bei denen es sich um verschiedene Ausfertigungen handelt (deswegen sollte man in diesen Fällen auch nicht formulieren, dass wir die »Vorlagen« von Codex-TheodosianusFragmenten besitzen; oft ist vielmehr richtig, dass wir die Ausfertigung eines Gesetzes haben, von dem eine andere Ausfertigung für den Codex Theodosianus ausgeschlachtet wurde). Unter diesen Fällen sticht einer heraus. Es handelt sich um ein Gesetz von Valentinian III. aus dem Jahr 425, mit dem er u. a. die Religionsgesetzgebung des gerade besiegten Usurpators Johannes aufhebt. Wir besitzen eine Ausfertigung vollständig, nämlich die an den gallischen Prätoriumspräfekten (Sirm. 6). Der Codex Theodosianus zitiert aus zwei 92 weiteren Ausfertigungen, nämlich an den Comes rerum privat-

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CTh. 6.27.1, 7.13.1, 7.21.2, 8.4.5, 8.7.4, 8.7.5, 8.7.6, 12.1.14, 12.1.18. CTh. 6.4.7 (354): Konstantius II. schreibt an den Stadtpräfekten, er habe dem Prätoriumspräfekten Hilarian Anweisung gegeben, sämtliche Senatoren aus Hilarians Zuständigkeitsbereich nach Rom zu schicken; CTh. 10.10.19 (387): Theodosius informiert den alexandrinischen Stadtrat, er habe in dessen Sinne an den zuständigen Prätoriumspräfekten Cynegius geschrieben. Seeck (S. 5; vorsichtiger Matthews, S. 159) meint, es gebe sogar Fragmente von noch einer weiteren Ausfertigung, die an den Prokonsul von Afrika ging; es handelt sich dabei um CTh. 16.2.46 und CTh. 16.5.63. Zwar wurde die zugrunde liegende Konstitution ebenfalls von Valentinian III. während seines Aufenthalts vom Sommer 425 in Aquileia erlassen, aber es gibt keine signifikanten sprachlichen Überschneidungen, und sogar der Inhalt ist (jedenfalls in der CTh.-Version) anders: Nach CTh. 16.5.63 sollen Heterodoxe enteignet (und nicht nur von Städten ferngehalten) werden, CTh. 16.2.46 garantiert die Privilegien von Kirchen und Klerikern (so auch Sirm. 6 und CTh. 16.2.47, freilich mit dem entscheidenden und in den CTh. mitexzerpierten Zusatz, dass dies nicht für Privilegien gilt, die erst der Usurpator

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arum (CTh. 16.2.47, 16.5.64), und an den Stadtpräfekten von Rom (CTh. 16.5.62). Das Spannende sind die Unterschiede zwischen den Ausfertigungen. Es finden sich erstens Abweichungen, die sich unmittelbar aus der Sache erklären. So heißt es in den Fassungen, die an den gallischen Prätoriumspräfekten bzw. an den Comes rerum privatarum gehen, dass diverse heterodoxe Sekten ab ipso aspectu urbium diversarum, »sogar auf Sichtweite von den verschiedenen Städten«, fernzuhalten seien (Sirm. 6 bzw. CTh. 16.5.64), während dieselbe Stelle in der Fassung an den Stadtpräfekten wie folgt lautet: ab ipso aspectu urbis Romae, »sogar auf Sichtweite von der Stadt Rom« (CTh. 16.5.62). Dieselbe Ausfertigung enthält zudem zwei weitere Sätze, die spezifisch die Situation in Rom betreffen. Manche kleine Unterschiede lassen sich durch mangelnde Sorgfalt beim Abschreiben erklären, sei es in der späteren Überlieferung oder unmittelbar bei der Erstellung des ursprünglichen Briefs, oder aber es fanden unterschiedliche Kürzungen bei der Aufnahme in den Codex Theodosianus statt. So beginnt die Liste der Betroffenen in der ersten Fassung mit Manichaeos omnesque haereticos vel schismaticos sive mathematicos (Sirm. 6), die Stadtpräfektenfassung bietet Manichaeos haereticos schismaticos sive mathematicos (CTh. 16.5.62), während wir in der Fassung des Comes Folgendes lesen: Manichaeos haereticos sive schismaticos (CTh. 16.5.64, also ohne die mathematici). Verwirrend ist, dass alle Fragmente (also nicht nur Ausfertigungen, sondern auch Fragmente aus derselben Ausfertigung!) eine jeweils unterschiedliche Tagesdatierung aufweisen. Über das Jahr, nämlich 425, herrscht Einigkeit. Aber die Prätoriumspräfektenausfertigung bietet VII id. Iul. (9. Juli) und die Fassung des Stadtpräfekten XVI kal. Aug. (17. Juli). Für den Brief an den Comes gibt es zwei Daten, den VIII id. Aug. (6. August, CTh. 16.5.64) bzw. VIII id. Oct. (8. Oktober, CTh. 16.2.47) – immerhin ist der Anfang VIII id. identisch, was auf ein textkritisches Problem hinweist. 93 Doch selbst wenn man das Datum von CTh. 16.2.47 zu VIII id. Aug. korrigiert, 94 muss man weiter feststellen, dass sich die Datierungen unserer drei Ausfertigungen über die Spanne eines ganzen Monats erstrecken (vom 9. Juli bis zum 6. August). Selten wurden Erklärungen für diesen Befund gegeben, eine überzeugende bislang nicht. 95 Selbst wenn man mir darin folgen will, dat.-Angaben auf das

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Johannes verliehen hat). Mir scheint nicht sinnvoll, diese offensichtlich unabhängige Regelung für Afrika als weitere Ausfertigung zu zählen. Dasselbe Phänomen weisen übrigens auch die Fragmente aus dem Brief an den Prokonsul (vgl. die vorhergehende Fußnote) auf: prid. non. Iul. (6. Juli, CTh. 16.2.46) sowie prid. non. Aug. (4. August, CTh. 16.5.63). Dies bietet sich nicht nur deswegen an, weil der August näher an den anderen Daten liegt, sondern ergibt sich auch aus dem Ort der Subskription, Aquileia: Dort ist Valentinian nur bis Sommer 425 belegt, während er sich ab Ende Oktober 425 in Rom nachweisen lässt. Nicht überzeugend ist jedenfalls Seeck, S. 5: Kaiser Valentinian III. hatte »Dutzende von Unterschriften zu leisten, und damals war er ein sechsjähriges Bübchen, dem es gewiß große Mühe machte, unter die Verfügungen seiner Mutter die erforderlichen

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Datum der Absendung (nicht der Unterzeichnung) zu beziehen (→ S. 247373), drängt sich keine unmittelbar einleuchtende Lösung auf.

Obwohl wir nur relativ wenige Beispiele für verschiedene Ausfertigungen desselben Gesetzes haben, begegnen uns derlei zeitliche Diskrepanzen gar nicht so selten. Um die Beispiele von Seeck (S. 5) aufzugreifen: Mit CTh. 8.7.21–23 behält sich Theodosius II. die Ernennung der Mitarbeiter hoher Würdenträger vor; die Fassung an den Prätoriumspräfekten ist auf den 22. Juni 426 datiert, die Ausfertigungen für Stadtpräfekt und Comes sacrarum largitionum hingegen erst auf den 1. Juli. Zwei Jahre zuvor hatte Theodosius II. bestimmte Zuständigkeiten neu geregelt: Die Fassung des Quästors (CTh. 1.8.2) datiert auf den 26. April 424 (so zu Recht Seeck, S. 349 zum 26. April), die des Magister officiorum (CTh. 1.8.3) hingegen auf den 29. April. Allerdings unterscheiden sich diese beiden Ausfertigungen sprachlich sehr deutlich, und dies illustriert, dass man unter den modernen Begriff der »Ausfertigung« ganz unterschiedliche Phänomene subsumiert: Dass Briefe, die identisch sind oder sich bis auf minimale bzw. sachlich unmittelbar einleuchtende Änderungen gleichen, als zwei Ausfertigungen zu gelten haben, ist naheliegend. Aber Ausfertigungen im Sinne Seecks sind eben auch eigenständig formulierte Texte, die sachlich dasselbe regeln und in engem zeitlichen Zusammenhang stehen (vgl. etwa CTh. 9.42.12 und 9.42.13, vom selben Tag, mit demselben Inhalt, aber neu formuliert). Leider begeht Seeck öfters einen Zirkelschluss, wenn er inhaltlich weitgehend identische Konstitutionen, die mit großem zeitlichen Abstand an unterschiedliche Empfänger ergingen, zu Ausfertigungen erklärt und deswegen dann eine Umdatierung vornimmt. Beispielsweise untersagte im Jahr 397 Honorius in einem Edikt u. a. das Hosentragen in der Stadt Rom (CTh. 14.10.2, → S. 330), Usum tzangarum adque bracarum intra urbem venerabilem nemini liceat usurpare, »Niemandem soll es gestattet sein, sich das Tragen von Reiterstiefeln [tzangae] 96 und Hosen innerhalb der ehrwürdigen

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Segenswünsche zu kritzeln. Es ist daher wohl begreiflich, daß man das verzärtelte Kind nicht fortdauernd anstrengen mochte, sondern ihm ausgiebig Zeit ließ, sich von den einzelnen Unterschriften zu erholen«. Matthews, S. 158–160, spekuliert, dass die Ausfertigungen an den Comes und an den Prokonsul nicht direkt vom Kaiser abgeschickt wurden, sondern über den Prätoriumspräfekten von Italien liefen – diese Relaisstation (so scheint Matthews zu denken) habe Zeit gekostet. Aber warum sollte der Prätoriumspräfekt von Italien direkt mit dem Comes und dem afrikanischem Prokonsul kommunizieren, die ihm beide nicht unterstanden (für den Prokonsul → S. 55)? Vgl. Rummel, S. 159, insb. Anm. 347; ferner, für spätere Quellen (und Verbote), Müller, S. 352.

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Stadt anzumaßen«. Als Strafe bestimmte Honorius dafür nicht weniger als vollständige Enteignung und lebenszeitliches Exil. Zwei Jahre später schreibt Honorius an den Stadtpräfekten und wiederholt dabei seine Bestimmung (CTh. 14.10.3): Intra urbem Romam nemo vel bracis vel tzangis utatur, »Innerhalb der Stadt Rom soll niemand Hosen oder tzangae tragen«. Die Strafandrohung ist nunmehr anders und besteht aus einer Stäupung (sofern der Stand des Übertreters dies zulässt) und der Vertreibung aus der Stadt. 97 Seeck (S. 77) hingegen stellt ohne viel Federlesens fest: »Die Fragmente stammen aus zwei Ausfertigungen desselben Gesetzes« und datiert das Edikt von 397 auf 399 um. Ähnlich, aber mit besseren Argumenten, geht er bei den Eugenius-Amnestien vor (→ S. 363156).

Wenn im Codex Theodosianus also gleiche oder ähnliche Textfassungen begegnen, so sind das keineswegs immer verschiedene Ausfertigungen desselben Gesetzes. Dabei kann es sich wie im vorstehenden Beispiel um die Wiederaufnahme älterer Gesetzgebung in späteren Gesetzen handeln, die mitunter in ähnlicher oder gar identischer Formulierung erfolgt (zum Phänomen der Bestätigungen allgemein vgl. → S. 124). Ferner kommt es auch vor, dass derselbe Text bei der Kompilation absichtlich oder versehentlich zweimal einsortiert wurde (→ S. 215). Aber selbst bei zeitlicher und thematischer Koinzidenz kann der Ausfertigungsbegriff hochproblematisch sein, wie das Paar Avell. 23 f. zeigt. Beide Texte sind auf denselben Tag datiert, den 15. März 419. Inhaltlich geht es jeweils um das Osterfest des Jahres 419: Die zuständige Synode könne den Streit der beiden Anwärter auf das römische Bischofsamt, Bonifaz und Eulalius, leider nicht mehr rechtzeitig bis zum Hochfest lösen; deswegen habe Honorius entschieden, als Zelebranten des Osterfests den neutralen Bischof von Spoleto nach Rom zu holen. Avell. 23 ist eine Oratio an den Senat, freilich ohne jeden normativen Kern (abgesehen allenfalls von dem Appell, Tumult während des Osterfests zu vermeiden), Avell. 24 ein Edikt an den populus, das immerhin die Adressaten vor Tumulten warnt (freilich ohne Strafandrohung). Die beiden Texte sind allein schon angesichts ihrer Form Oratio bzw. Edikt klar Gesetze, trotz des schwach ausgeprägten normativen Charakters. Der Inhalt ist weitgehend identisch, auch mit ähnlichen Ideen (»wichtige Dinge darf man nicht überhastet entscheiden«), aber völlig neu formuliert – und das anscheinend am selben Tag! Soll man hier von zwei Ausfertigungen desselben Gesetzes sprechen? Es ist offensichtlich gar nicht so einfach, eine brauchbare Definition von »Ausfertigung« zu geben.

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Die deutlich abweichende Bestrafung ist der entscheidende Unterschied zwischen den Fragmenten, was Matthews (S. 241) übersieht.

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Wenn ein Kaiser zum selben Thema an verschiedene Empfänger schreibt, können diese Briefe ganz unterschiedlich ausgestaltet sein, wie das Paar Avell. 8 f. demonstriert, zwei Briefe an den römischen Stadtpräfekten bzw. Vikar, die schismatische Versammlungen in einem Bannradius von 20 Meilen um Rom unterbinden sollen. Der zweite Brief nimmt direkt auf den ersten Bezug (Habes et urbanae in hoc auxilium praefecturae; nam etiam Olybrium clarissimum atque illustrem virum pari Serenitas Nostra convenit arbitrio … Et facile praestabitis duo, quod singuli praestare possitis, »Du hast dabei auch die Unterstützung der Stadtpräfektur; denn Unsere Serenität hat auch dem v. c. v. i. Olybrius in diesem Sinne Weisung gegeben … Und zu zweit werdet ihr mühelos erledigen, was ihr [auch] einzeln hinkriegen könntet«), ist aber sonst (abgesehen von nulla/nullus intra vicesimum lapidem, »keine/keiner innerhalb des 20. Meilensteins«) ganz neu formuliert. Wiederum stellt sich die Frage: Sind das zwei »Ausfertigungen« derselben Weisung? Oder zwei separate Briefe, die dasselbe regeln? Dass der Übergang fließend ist, erweist das Paar Avell. 11 f. aus dem Jahr 371: Wiederum handelt es sich um zwei Briefe an Stadtpräfekt bzw. Vikar, wiederum geht es darum, dieselbe innerkirchliche Parteiung aus Rom fernzuhalten, wiederum nimmt der eine Brief auf den anderen Bezug (de hac autem eadem observantia ad v. c. Maximinum vicarium urbis Romae dedisse Nos conducibilem iussionem etiam Censurae Tuae volumus innotescere, »auch wollen wir Deine Censura darüber informieren, dass wir dem Vikar der Stadt Rom, dem v. c. Maximinus, einen zweckdienlichen Erlass mit derselben Anweisung zugeschickt haben«). Anders als bei Avell. 8 f. sind bei Avell. 11 f. jedoch viel mehr wörtliche Übernahmen bzw. geringfügige Modifikationen durch Synonymentausch festzustellen (divinitus datum bzw. divinitus institutum; quam provocat meritum noxiorum bzw. quam provocant merita delinquentum usw.). Ein interessanter Metatext ist der Brief Konstantins an die numidischen Bischöfe vom 5. Februar 330 (Optat. app. 10 p. 213–216). Darin erwähnt der Kaiser, dass er hinsichtlich ihrer Angelegenheiten an den rationalis und an den consularis von Numidien geschrieben habe; aus letzterem Brief ist ein Fragment im Codex Theodosianus erhalten (CTh. 16.2.7), das auf denselben Tag wie der Brief an die Bischöfe datiert ist und gewisse sprachliche Überschneidungen aufweist, aber keineswegs eins zu eins identisch ist (vgl. Matthews, S. 270–274). All diese Vorbemerkungen waren notwendig, ehe wir uns den Verteilerlisten zuwenden können; denn anders als bei einem E-Mail-Verteiler dürfen wir nicht unbedingt davon ausgehen, dass jeder Empfänger eine identische Version erhielt. In einigen wenigen Fällen sind in den Subskriptionen von Gesetzen bzw. Gesetzesfragmenten die Verteilerlisten mitüberliefert. Inwieweit diese Listen

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vollständig sind, muss dahingestellt bleiben – allerdings steht fest, dass es sich dabei nicht um Kompilationsartefakte handelt (also um Listen, die womöglich erst die CTh.-Redakteure selbst für ihren eigenen Gebrauch zusammengestellt haben könnten), sondern um etwas, was bereits beim Ausgangstext präsent war, denn auch mehrere vollständige Konstitutionen tragen entsprechende Angaben. Von den Verteilerlisten (die sich, wie gesagt, in den Subskriptionen finden und die offenbar aus Angaben im Zentralarchiv stammen) muss man die Empfängerpluralitäten abgrenzen. Diese finden sich in manchen Inskriptionen; oft sind dort mehrere Personen namentlich genannt, etwa im Fall von CTh. 6.23.1, Impp. Honorius et Theodosius AA. Urso pu. et Aureliano ppo. Orientis et Strategio ppo. Illyrici, »Die Kaiser Honorius und Theodosius an den Stadtpräfekten Ursus, an Aurelian, Prätoriumspräfekt von Oriens, und an Strategius, Prätoriumspräfekt von Illyrien«. Womöglich standen sie also bereits so in der Originalkonstitution, sofern sie nicht erst von den Kompilatoren aus verschiedenen Ausfertigungen, die ihnen vorlagen, zusammengestellt wurden. 98 Das methodische Problem mit solchen Empfängerpluralitäten ist, dass man die Existenz weiterer Ausfertigungen nie ausschließen kann: Vielleicht wäre es ja (sofern diese Inskriptionen auf die Originale zurückgehen) ehrenrührig gewesen, im selben Briefkopf z. B. den Statthalter einer kleinen Provinz neben einem Prätoriumspräfekten zu erwähnen; vielleicht musste z. B. die Fassung für den Comes rerum privatarum leicht abweichend formuliert werden usw. Daher erlauben sie (anders als die – hoffentlich! – vollständigen Verteilerlisten) keinen klaren Blick auf den Personenkreis, der jeweils die Kopie einer Konstitution erhielt. 99 Neben dieser Art von Empfängerpluralität – mit zwei oder drei namentlich genannten Würdenträgern – gibt es noch die Variante, bei der die Kaiser angeblich ihr Schreiben an alle hohen Offiziere (d. h. Comites und Heermeister: CTh. 1.21.1, 7.7.5 sowie 7.4.18 und 7.9.3 aus derselben Konstitution) bzw. an alle »Prokonsuln, Vikare und Statthalter« (CTh. 11.6.1), nur an alle Vikare (CTh. 1.15.12), nur an alle Statthalter (CTh. 8.1.12) oder sogar an »sämtliche Bischöfe« (CTh. 16.2.10) adressieren. Man fragt sich, ob hier nicht eine Ver-

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Seeck, S. 6, weist etwa auf CTh. 1.12.6 hin, ein Fragment, das an den Prokonsul sowie an den Vikar von Afrika gerichtet ist, im Weiteren aber die zweite Person Singular verwendet. Daraus schließt er, dass es ursprünglich separate Adressen gab. Trotzdem könnte es natürlich weitere Kopien gegeben haben. Listen von Fragmenten mit solchen Empfängerpluralitäten haben Mommsen 1905, S. CLVII, und Seeck, S. 6, S. 7 Anm. 1, zusammengestellt.

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teilerliste in die Anschrift rutschte; mir scheint es z. B. kaum denkbar, dass ein Kaiser seine Prokonsuln nicht namentlich anschreibt. Diese Fragmente beweisen, dass durchaus sehr zahlreiche Kopien derselben Konstitution erstellt und verschickt werden konnten – ob es sich dabei um seltene Ausnahmen oder den Regelfall handelt (was uns angesichts der ansonsten personalisierten Empfänger verborgen bleibt), muss offen bleiben. Kommen wir nun zu den Verteilerlisten, die sich in Subskriptionen erhalten haben. Die meisten von ihnen stammen aus der Zeit von Theodosius II. und seinem Nachfolger Markian. CTh. 12.1.187 von 436 (weitere Fragmente CTh. 12.1.188 und CTh. 8.4.30, das letztere auch mit Verteilerangabe) ging an die beiden Prätoriumspräfekten in der östlichen Reichshälfte, ebenso Nov. Theod. 26 von 444. Nov. Theod. 7.4 von 441 ist an den Heermeister Ariobindus adressiert, eine weitere Ausfertigung geht an Heermeister Aspar. CTh. 1.8.1 von 415 ist an den Heermeister Florentius gerichtet, weitere Fassungen sollen der Heermeister Sapricius, der Magister officiorum Helio und der Quästor Eustathius erhalten. Nov. Marc. 2 (450), ein Steuernachlass, geht an den Prätoriumspräfekten von Oriens, den Comes sacrarum largitionum und den Comes rerum privatarum sowie den Praepositus sacri cubiculi (aber anscheinend nicht an den Prätoriumspräfekten von Illyrien). CN 477 und CN 480, beides Gesetze von 452, gehen an die beiden Prätoriumspräfekten der östlichen Reichshälfte, den Stadtpräfekten und den Magister officiorum. CTh. 6.28.8 von 435 ist an den Magister officiorum adressiert; weitere Ausfertigungen gehen an die beiden Prätoriumspräfekten der östlichen Reichshälfte, den Stadtpräfekten, die Comites von Ägypten und Oriens, den Praefectus Augustalis, den Prokonsul von Achäa und die Vikare der Diözesen Asien und Pontika. CTh. 11.28.9 von 414 ist an den Prätoriumspräfekten von Oriens adressiert und gewährt eine Steuerindulgenz für ganz Oriens mit Ausnahme dreier Bergbaudistrikte. Die Verteilerliste hier ist so merkwürdig, dass sie vollständig zitiert sei: De eadem re scriptum edictum ad populum: ad Marcianum comitem sacrarum largitionum: Musellio praeposito sacri cubiculi: de titulis ad domum sacram pertinentibus: ad rectores provinciarum: et de metallariis edictum ad populum per provincias Illyrici et ad rectores provinciarum. In gleicher Angelegenheit wurde geschrieben: – ein Edikt an den populus – an Markian, den Comes sacrarum largitionum – an Musellius, den Praepositus sacri cubiculi

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prinzipien spätantiker gesetzgebung Hinsichtlich der Steuern, die dem Kaiserhof zustehen: – an die Provinzstatthalter Hinsichtlich der Minenarbeiter: – ein Edikt an den populus in den illyrischen Provinzen und – an die Provinzstatthalter

Man sieht, dass der Kaiser nicht nur an den Prätoriumspräfekten von Oriens schreibt, sondern auch selbst direkt an die Provinzstatthalter, und zwar anscheinend mit leicht verändertem Fokus (sofern ich de titulis ad domum sacram pertinentibus recht verstehe). Warum überhaupt Illyrien einbezogen wird (es geht, wohlgemerkt, um eine Steuerindulgenz, die nur für Oriens gilt!), ist nicht offensichtlich. Allerdings finden sich im CTh.-Titel zu den metallarii (CTh. 10.19) mehrere Gesetze, wonach ortsgebundene Bergleute nicht abwandern sollen; nachher sehen wir uns ein Beispiel an (→ S. 104), in dem es konkret um metallarii aus Oriens geht, die auf eigene Faust nach Illyrien übersiedeln. Vielleicht sollte das Verbot, sie aufzunehmen, noch einmal eingeschärft werden – schließlich profitieren ja ausgerechnet die metallorum debitores als einzige in Oriens nicht von der Indulgenz. Aber leider findet sich in CTh. 10.19 kein entsprechendes Gesetz von 414. Erheblich älter als die bislang erwähnten Verteilerlisten ist die von CTh. 8.7.11: Diese Konstitution von 371 wurde emissa ad magistros militum et comites et duces omnes, »an sämtliche Magistri militum, Comites und Duces abgeschickt«, sodass also jeder höhere Militär eine Kopie erhielt. Aus den Verteilerlisten lassen sich mehrere wichtige Schlussfolgerungen ziehen: 1. Es gibt keinen Standardverteiler. Man würde vielleicht erwarten, dass man immer wieder auf dieselbe definierte Gruppe von Funktionären trifft, an die regelmäßig Ausfertigungen neuer Kaisergesetze in Briefform abgeschickt werden. Aber eine solche feste Gruppe typischer Empfänger lässt sich nicht entdecken. 2. Um alle Bestandteile eines Reichsteils im Sinne der Kaskadentheorie abzudecken, müsste ein Kaiser beide Prätoriumspräfekten (im Osten vor Arkadius nur den von Oriens), den Stadtpräfekten seiner Hauptstadt und einen Prokonsul (im Westen: von Afrika; im Osten: von Asien) anschreiben. Doch keine einzige Verteilerliste bietet all diese Würdenträger, nicht einmal CTh. 6.28.8. 100 100 Dort fehlt – warum auch immer – der Prokonsul von Asien (trotz des identischen

Titels »Prokonsul« nimmt der in CTh. 6.28.8 genannte Prokonsul von Achäa Hesych

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3. Wir haben mit CN 476 und CTh. 11.28.9 bereits zwei unabhängige Beispiele dafür kennengelernt, dass derselbe Text als Edikt ergehen und zusätzlich als Brief an einen oder mehrere Prätoriumspräfekten (neben weiteren Würdenträgern) abgeschickt werden konnte (im Fall von CN 476 anscheinend sowohl als Edikt an die Hauptstadtbewohner als auch an die Provinzialen, → S. 48). 101 Dergleichen kam sicher öfter vor. 102 Es gibt noch zwei Gesetze mit Verteilerliste, die freilich aus unserem chronologischen Rahmen fallen. Das erste davon ist das sogenannte Edictum de accusationibus (→ S. 222), dessen Text sich aus diversen inschriftlichen Exemplaren (Corcoran 2007, S. 225, S. 249 f.) zusammenpuzzeln lässt. Zudem erscheint eine Passage daraus im Codex Theodosianus, dort als Brief von Kaiser Konstantin an einen Stadtpräfekten (CTh. 9.5.1). Das ursprüngliche Edictum de accusationibus stammt aber kaum von Konstantin, sondern nach aller Wahrscheinlichkeit von Galerius. 103 Die Überschrift der Inschriften lautet wohl (zugegebenermaßen ist diese Stelle nur eineine ganz andere Stellung ein: Seine Provinz ist Teil der Diözese Makedonien, er untersteht damit dem makedonischen Vikar sowie dem illyrischen Prätoriumspräfekten, vgl. Not. dign. or. 3.8). 101 Es gibt ferner eine Regelung des Honorius aus dem Jahr 397, von der sich sieben Fragmente im CTh. und ein zusätzliches im CI. erhalten haben. Mit einer Ausnahme bieten all diese Fragmente in der Inskription den Empfänger ad senatum et populum (z. B. CTh. 13.5.27; die Ausnahme CTh. 14.15.3, ad senatum). Matthews (S. 223) spricht von einem »edict … to the Senate and people«, aber was soll ein Edikt an den Senat (!) sein? Das in der textlichen Abfolge erste der Fragmente, CTh. 14.15.3, beweist, dass es sich um eine Oratio handelt, denn darin werden die Senatoren direkt angesprochen (certum habetis, patres conscripti, quantum curarum impendimus pro Vestris ac populi commodis, »Ihr wisst genau, meine Herrn Senatoren, wie viel Sorge wir für Euer und des Volkes Wohlergehen aufwenden«). Ob das ad populum auf ein zusätzlich ergangenes Edikt oder aber einen Kompilationsfehler (ausgelöst von pro Vestris ac populi commodis?) verweist, lässt sich nicht sagen. 102 Ein weiteres Beispiel: CTh. 10.10.12 ist ein Brief des Theodosius I. vom 30. Januar 380 an seinen Comes rerum privatarum, in dem er den verhassten Delatoren (→ S. 289) das Handwerk erschwert. Vom Folgetag stammt CTh. 10.10.13, ein Edikt an die Provinzialen zum selben Thema, das sich zu einem guten Teil aus CTh.10.10.12-Formulierungen zusammensetzt. Dabei wurde geringfügig umformuliert, teils ohne Notwendigkeit, teils weil dies tatsächlich sachlich geboten war (so steht im Comes-Brief: neque sane introduci eum satis erit …, verum dirigendus is erit ad eam provinciam provinciasve, »denn es reicht nicht, dass er vor [deinem] Gericht auftritt …, sondern er muss in die Provinz bzw. Provinzen gebracht werden [wo sich die angeblich einziehbaren Ländereien befinden]«; daraus wird im Edikt: primum apud virum clarissimum comitem inducantur, deinde ad provinciam provinciasve ducantur, »zuerst sollen sie vor dem [Gericht des] v. c. Comes auftreten, dann sollen sie in die Provinz bzw. Provinzen gebracht werden«). 103 Dies zeigt Corcoran 2007 in höchst plausibler Weise auf. Es gibt eine enorme Menge

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mal erhalten) 104 Exemplum sacri edicti, »Wiedergabe eines kaiserlichen Edikts«, der Text endete ungefähr 105 wie folgt: Super his itaque omnibus tam ad praefectos Nostros quam etiam ad 106 praesides et rationalem et magistrum privatae scripta direximus, quorum exempla alio edicto Nostro subdita. Cuiusmodi legem statutumque contineant, 107 plenissime declaratur. Daher haben wir betreffs all dieser Dinge sowohl an Unsere Präfekten als auch an die Statthalter, den rationalis und den magister privatae Schreiben gerichtet, deren wörtliche Wiedergabe Unserem anderen Edikt unten angefügt ist. Es wird klipp und klar ausgedrückt, was für eine Verordnung und Bestimmung sie enthalten. 108 Ein weiteres Edikt (Inscr. CIL III 13569; Corcoran 2007, S. 234, S. 250) kennen wir bislang 109 nur aus einer Inschrift, die allerdings in örtlichem Zusammenhang mit einer der Kopien des Edictum de accusationibus steht: 110 Etenim ut tum et iis universisque palam fieret, quid super omnibus tam praefectis Nostris quam etiam praesidibus provinciarum, rationali quoque et privatae magistro scripserimus, exempla subesse praecepimus, ut isdem quoque omnibus cognitis provinciales Nostri per Benevolentiam Nostram consultum sibi esse laetentur.

104 105

106 107 108

109

110

an Literatur zum Edictum de accusationibus; da uns der Text nur am Rande interessiert, sei deswegen auch hierfür auf Corcoran 2007 verwiesen. Nämlich im Exemplar von Lyttos (mein L, siehe nächste Fußnote). Von den sieben Inschriften bieten drei (I: Inscr. CIL V 2781, L: Inscr. CIL III 12043, P: Habicht in Habicht/Kußmaul, S. 136) diese Passage, wobei die Texte nicht ganz übereinstimmen. Die Orthografie habe ich beliebig angepasst. So P; I: et; fehlt bei L. So P; I: contineat; in L fehlt die Endung. Corcoran 2007, S. 240, schreibt contineat – declaratur, übersetzt aber doch, als würde er declarant lesen: »copies of which … give the fullest exposition of what sort of law and statute it contains«. Kußmaul in Habicht/Kußmaul, S. 139 f., hat contineant – declaratur, er übersetzt »Was ihr Text … als Rechtsnorm und Satzung enthält, wird aufs ausführlichste erklärt«; er zieht also exempla in einen von cuiusmodi abhängigen Relativsatz hinein, was aber angesichts der Verbindung mit quorum unmöglich ist. Sofern man nicht das von P, I, L einheitlich überlieferte declaratur zu declarant ändern will, sehe ich nur eine naheliegende Lösung, nämlich die Annahme einer Ellipse des Hilfsverbs in einem von quorum abhängigen Relativsatz. Es soll eine Umschrift und ein Foto einer weiteren, verlorenen Kopie aus Ephesos geben; der Text ist aber noch nicht publiziert (vgl. Corcoran 2007, S. 225). Da aus Ephesos auch eines der Exemplare des Edictum de accusationibus stammt, liegt es nahe, auch hier einen Zusammenhang zu vermuten. Doch ist dies beim derzeitigen Kenntnisstand reine Spekulation. Wiederum ist der Text geglättet, als würde ich von einer Handschrift edieren.

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Damit nämlich nicht nur ihnen [den direkt Betroffenen], sondern auch allen [anderen] zur Kenntnis gelange, was wir betreffs all dieser Dinge an Unsere Präfekten, die Provinzstatthalter, den rationalis und den magister privatae geschrieben haben, gaben wir Anweisung, eine Wiedergabe dieses Schreibens unten beizufügen, damit Unsere Provinzbewohner, nachdem sie auch all das gelesen haben, über die Fürsorge durch Unsere Benevolenz frohlocken können. Die identische Verteilerliste, die Anweisung, dass die scripta unten beizufügen seien, der Verweis vom einen Edikt auf das »andere« Edikt, die Auffindesituation des Inschriftenpaars – all dies sind sehr starke Indizien, dass beide Inschriften zusammengehören und dass möglicherweise ein dritter Text ähnlichen Inhalts, der ebenfalls in dieselbe Zeit und in denselben Fundkontext gehört, die genannten scripta bietet (Corcoran 2007, S. 237–243; anders Kußmaul in Habicht/Kußmaul, S. 142 f., der einen ad-edictum-Brief vermutet, → S. 4753). Ob die Briefe an die einzelnen Empfänger adaptiert waren oder nicht, lässt sich nicht sagen. Ich habe scripta singularisch übersetzt, weil ich es für unvorstellbar halte, dass mehrere Ausfertigungen nacheinander wiedergegeben wurden, aber freilich könnte scripta genauso gut »Briefe« im Plural bezeichnen (auch der Plural exempla spricht eher gegen als für meine Deutung). Da der erlassende Kaiser anordnet, dass die scripta zusätzlich publiziert werden sollen, werden sie kaum mit den Edikten inhaltlich identisch gewesen sein – wir haben hier also keinen Beleg, dass dasselbe Gesetz zugleich als Edikt sowie als Beamtenbrief erlassen wurde. 111 Dank diesen beiden Verteilerlisten lässt sich eindrucksvoll zeigen, dass sich die kaiserlichen Rundschreiben an die Prätoriumspräfekten mindestens bis in die tetrarchische Zeit zurückverfolgen lassen, wofür es sonst nur wenige Belege gibt (so CI. 10.42.10 aus der Zeit der ersten Tetrarchie, ein Brief ad praefectos).

Wir müssen noch das möglicherweise überraschende Phänomen besprechen, dass Normen gleichen Inhalts zum selben Zeitpunkt als Edikt und als Brief erlassen wurden. Neben den eben gegebenen Belegen gibt es noch weitere Indizien, die auf eine Verwischung des Unterschieds zwischen Edikt und Brief hindeuten könnten. So muss man sich fragen, ob nicht in den (seltenen) Fällen, in denen ein Brief scheinbar autoreferenziell »Edikt« genannt wird, ebenfalls eine Situation mit verschiedenen Ausfertigungen zugrunde liegt und die Textfassung des Edikts ohne angemessene Adaption als Brief verschickt wurde. Tatsächlich ist es aber so, dass sich sämtliche Belege abgesehen von Vorkommnissen in den Novellen Valentinians III. anders erklären lassen; 112 und

Zu CTh. 9.5.1, dem Konstantinbrief, der sich mit dem Edictum de accusationibus teilweise deckt, kommen wir später noch (→ S. 222). 112 Freilich ist hier große Sorgfalt geboten; Wal, S. 300 Anm. 42, bietet eine Liste von (angeblichen) Kaiserbriefen, die edictum als Selbstbezeichnung enthalten (man 111

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bei Valentinian III., wo ganz ungewöhnlich edictum selbstreferenziell in Kaiserbriefen gebraucht wird, 113 gibt es keinen Anlass zu glauben, dieselben Maßnahmen seien von einem separaten Edikt begleitet worden. In Gesetzen des 5. Jh.s 114 begegnet das Adjektiv edictalis als perfektes Synonym von generalis, womit der Kaiser einen Brief als allgemeingültige Regelung markiert (typisch also etwa: edictali lege sancimus, »mit [vorliegendem] ›ediktalen‹ Gesetz bestimmen wir«). Das bedeutet aber keineswegs, dass Edikt und Brief als Typen ineinanderfließen; edictalis, »ediktartig«, vertritt hier eindeutig generalis (das häufig auftritt in Formulierungen à la generali lege sancimus, »mit [vorliegendem] Gesetz mit generalitas bestimmen wir«). Das Adjektiv edictalis bezieht sich also nicht auf die Form des Gesetzes, sondern auf seine Allgemeingültigkeit: »ediktsähnlich«, d. h., einzuhalten wie ein Edikt (Wal, S. 303). Gleichwohl: Könnte das parallele Erlassen desselben Gesetzes als Edikt und als Brief nicht bedeuten, dass die zuvor gezogene scharfe Trennlinie zwischen Kaiseredikt und Kaiserbrief nur eine scheinbare ist? Dass also Kaisergesetze regelmäßig in beiden Fassungen vorlagen und zufälligerweise öfter die Briefe für den Codex Theodosianus exzerpiert wurden? 115 Die Antwort ist ein klares »Nein«. Wir werden bei der Donatistenpolitik des Honorius erleben, dass genau ein kaiserliches Edikt Spuren im Codex Theodosianus hinterlassen hat, und genau dieses eine Edikt erscheint in einem späteren Gesetz des Honorius als »das« edictum de unitate (→ S. 54482). Ein Kaiseredikt außerhalb

könnte ergänzen: CTh. 14.3.11 von 364?, Hac sanctione generaliter edicimus …, »Durch diese Regelung edizieren wir in genereller Weise …«). Doch sieht man sich seine Belege durch, so stellt man fest, dass bei den CTh.-Fällen das genannte edictum nicht zwingend autoreferenziell sein muss: Es könnte sich jeweils um ad-edictumBriefe handeln, oder das genannte edictum ist ein Edikt, das erst der angeschriebene Würdenträger später erlassen soll. Typisches Beispiel: CTh. 1.5.1, edicto omnes provinciales monemus, ut …, »Mit einem Edikt [d. h. nicht mit dem vorliegenden Text!] weisen wir alle Provinzialen an, dass sie …«. 113 Eindeutig ist die Angelegenheit lediglich in manchen Novellen Valentinians III. (Nov. Val. 8.2 pr., praesentis edicti auctoritate removemus; Nov. Val. 23 § 6, praesenti iubemus edicto; Nov. Val. 25 § 1, iustitiam praesentis edicti; Nov. Val. 34 § 6, Nostra edicta; CI. 1.14.4, oraculo praesentis edicti, 429 von Valentinian III.). 114 Zum ersten Mal in CTh. 2.31.1 von 422 (Igitur in perpetuum edictali lege sancimus, »Daher bestimmen wir für alle Zukunft mit [dem vorliegenden] ›ediktalen‹ Gesetz«), im CTh. noch in CTh. 10.10.31 (422), häufig in den Novellen Valentinians III., gelegentlich in Novellen anderer Kaiser. 115 Kluge Gedanken zum Verhältnis Brief und Edikt finden sich bei Corcoran (S. 198– 203), der sich freilich dabei vor allem mit der Situation zur Zeit der Tetrarchen beschäftigt.

geltung

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der eigenen Hauptstadt ist, jedenfalls im fortgeschrittenen 4. und frühen 5. Jahrhundert, durchaus etwas Besonderes.

Geltung Die reale Bedeutung der spätantiken Kaiserkonstitutionen zum Zeitpunkt ihres Erlasses und der unmittelbaren Folgezeit hängt davon ab, inwieweit sie damals theoretisch galten und praktisch beachtet wurden. Hätten etwa die für den Codex Theodosianus gesammelten Gesetze nur einen sehr geringen Geltungsbereich besessen und wären zudem weithin ignoriert worden, dann wäre ihre reale Bedeutung offensichtlich recht beschränkt. Sieht man sich die heutige Literatur durch, so scheint die Communis Opinio zu sein, dass die Geltung der spätantiken Konstitutionen begrenzt war und sie im Regelfall nur für den Amtsbereich des Würdenträgers galten, an den sie adressiert waren. 116 In den Worten Schmidt-Hofners (S. 24 f.): »Grundsätzlich gilt dabei: Sofern keine anderslautenden Belege namhaft gemacht werden können, dürfen die Bestimmungen einer Konstitution oder einzelne darin geschilderte Sachverhalte lediglich auf den explizit benannten oder – in der Mehrzahl der Dokumente das Hauptkriterium – durch den Amtsbereich ihres Adressaten definierten Gel-

116 Zumal Errington behauptete vielmals apodiktisch die auf den Amtsbereich des Emp-

fängers begrenzte Geltung (ein Beispiel für viele: Errington 1997b, S. 48: »laws issued to secular officials were in principle regional«), freilich (soweit ich sehe) ohne je den Versuch einer Beweisführung zu unternehmen (in Errington 1997b, S. 21 f. Anm. 6, verweist er dafür zu Unrecht auf mehrere Autoren, die eine reichsteilbegrenzte – wohlgemerkt aber nicht empfängerabhängige – Geltung behaupten, sowie auf Luzzatto, der ebenfalls keine empfängerabhängige, sondern eine für bestimmte Konstitutionen provinzbegrenzte Gültigkeit annimmt; Luzzatto arbeitet mit relativ wenigen Quellenpassagen, v. a. hochkaiserzeitlichen Literaturstellen und den Inskriptionen spätantiker Kaiseredikte, die ja mitunter an Provinzbewohner gerichtet sind; doch da bei Luzzatto Briefe an Prätoriumspräfekten oder andere Würdenträger außer Provinzstatthaltern gar nicht erscheinen, ist sein Modell unvollständig). Genauso beleglos bleibt die folgende beiläufige Behauptung von Leppin (1999, S. 470), von der dann weitere Schlussfolgerungen abhängen: »Zur Zeit ihrer Verkündigung [gemeint offenbar: des Erlasses] bezogen die Verfügungen [gemeint: die Konstitutionen, die später für den CTh. exzerpiert wurden] sich jedoch zunächst nur auf den Amtsbereich des jeweiligen Beamten, dessen Anfrage oftmals die Regelung durch den Kaiser provoziert hatte, und galten nicht ohne weiteres für den Rest des Reiches«.

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tungsraum bezogen werden«. Bezeichnenderweise bleibt diese weitreichende Behauptung in dem ansonsten gründlich dokumentierten Kapitel SchmidtHofners ohne Beleg. Konkurrierend zum Modell, dass die Geltung von Konstitutionen auf den regionalen Amtsbereich des empfangenden Würdenträgers beschränkt geblieben sei, existiert die Vorstellung einer Existenz von »westlichem« und »östlichem« Recht: Die Teile des Römischen Reichs wären demnach getrennte Rechtsgebiete gewesen, aber innerhalb eines Reichsteils hätte eine dort erlassene Konstitution überall Gültigkeit erlangt. Um wiederum (für viele) Schmidt-Hofner (S. 25) zu zitieren: »[weder] hatten … die Maßnahmen Valentinians automatisch Rechtskraft in Valens’ Reichsteil noch umgekehrt; dies entspricht dem noch im 5. Jahrhundert geltenden System«. Es ist klar, dass sich die beiden Modelle nicht vereinbaren lassen (außer man nimmt an, jedes in einem gegebenen Reichsteil erlassene Gesetz sei automatisch jedem Würdenträger dieses Reichsteils zugestellt worden – aber dann hätte die Empfängergeltung keinerlei praktische Relevanz, und wir wären letztlich doch allein bei der Reichsteilgültigkeit). Trotzdem werden die beiden Varianten oft so behandelt, als könnten sie zugleich existieren. Schmidt-Hofner (S. 351–359) etwa erörtert ausführlich die Frage der reichsteilübergreifenden Gesetzgebung; doch in diesem Kapitel fehlt das Modell der Geltung für den Adressatenbereich völlig, er spricht nur noch davon, dass die Gesetze des einen Reichsteils für den anderen bestätigt werden – was zu implizieren scheint, dass ein Gesetz des erlassenden Kaisers automatisch für seinen ganzen Reichsteil gültig sei. Übrigens würde ein Beweis automatischer Geltung von Normen über die Reichsteile hinweg den Nachweis der Gültigkeit unabhängig vom Empfänger bereits einschließen. Ehe wir zur Diskussion dieser Fragen kommen, müssen wir allerdings vorbereitend zwei andere Probleme klären.

1 Was bedeutet promulgare? In vollständiger Fassung erhaltene Gesetze enden oft mit einer Publikationsaufforderung, die selten auch in Codex-Theodosianus-Fragmenten erhalten ist. Ein typisches Beispiel (die genauen Formulierungen variieren) wäre etwa (CTh. 6.23.4 § 2, 437): Illustris Auctoritas Tua statuta Nostrae Clementiae edictis propositis ad omnium notitiam faciet pervenire, »Deine illustre Autorität wird die Verordnungen Unserer Klemenz durch Aushang von Edikten der Kenntnis aller Menschen zukommen lassen«. Hier sehen wir auch das Mot

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juste für »veröffentlichen«, nämlich proponere, »aushängen«. Dieses Verb begegnet in Subskriptionen, die den Tag der Veröffentlichung angeben (etwa CTh. 1.16.6, Proposita k. Nov. Constantinopoli Basso et Ablavio conss.), oder in Publikationsbefehlen, die der Kaiser für eigene Edikte selbst erteilt (etwa Nov. Val. 16 § 2: Et manu divina: Proponatur amantissimo Nostri populo Romano, »In der Handschrift des Kaisers: Das soll für Unser heißgeliebtes römisches Volk ausgehängt werden«). Bereits in der Hohen Kaiserzeit verfügten Statthalter die Publikation mit einem aufnotierten proponi volo, »Aushang angeordnet!« (Inscr. AE 1994, 1645b; Inscr. AE 1929, 61). Neben proponere, »aushängen«, kann »veröffentlichen« alternativ auch mit publicare ausgedrückt werden. Freilich erscheint publicare niemals in konkreten Zusammenhängen (also nicht: *Publicetur oder *Publicata oder *edictis publicatis), sondern ausschließlich in Formulierungen wie etwa Nov. Theod. 12 § 2, Illustris itaque et magnifica Auctoritas Tua quae providentissime constituta sunt edictis propositis publicari praecipiat, »Deine illustre und magnifike Autorität soll also anordnen, dass die in höchster Vorsorge getroffenen Bestimmungen durch den Aushang von Edikten veröffentlicht werden«, oder CTh. 7.18.9 (396), postquam edictum Nostrum intra eam urbem, quam quisque habitat, fuerit publicatum, »nachdem Unser Edikt in der jeweiligen Stadt, in der einer wohnt, veröffentlicht wurde«. Ob publicare in jedem Fall auf ein Aushängen verweist oder ein solches »Veröffentlichen« möglicherweise auch (nur) durch Verlesen (vgl. z. B. → S. 24) erfolgen konnte, muss offen bleiben. 117 Der heutige Fachterminus für die Bekanntmachung eines Gesetzes lautet »Promulgation«. Wenn ich diese Wortfamilie konsequent in meinem Text vermeide und lieber von »Veröffentlichung« oder »Publikation« spreche, so liegt dies daran, dass die lateinische Wortfamilie promulgare im 4. und 5. Jahrhundert nicht unbedingt »promulgieren« in diesem Sinne bedeutet. Wer in den für die Spätantike relevanten Wörterbüchern unter promulgare nachschlägt, wird dort tatsächlich »[ein Gesetz] veröffentlichen« o. ä. finden. 118 Doch bei zahlrei117 Eine hervorragende Sammlung von Passagen zur Publikation aus der außerjuristi-

schen Literatur bietet Puliatti 2008, S. 110–113. 118 Heumann/Seckel s. v., »bekannt machen, eröffnen« – aber immerhin »Bekannt-

machung … ; Verordnung [!]« für das Substantiv; Blaise s. v., »répandre, enseigner … propager« – aber auch hier »(méton.) décret« neben »promulgation … annonce … publication, proclamation« für das Substantiv. Der ThLL-Artikel promulgo (10.2.1903.60–1906.37) hat zwar einen Abschnitt laxius, in den aber auch unterschiedslos Belege anderer Bedeutung einsortiert sind. Bemerkenswert hingegen die im ThLL zitierten Glossen, darunter z. B. νομοθετῶ: promulgo, sancio legem, constituo. Der ThLL-Artikel promulgatio (10.2.1902.70–1903.48) ist wenig hilfreich, da

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chen spätantiken Kaiserkonstitutionen liegt beweisbar eine andere Bedeutung vor, nämlich »erlassen« – also das, was der Kaiser tut, ehe das Gesetz durch die Edikte der Präfekten (oder der anderen Beamten) tatsächlich »veröffentlicht« wird. Ein paar schlagende Beispiele seien zitiert: Nov. Theod. 14 § 9, Illustris itaque ac magnifica Auctoritas Tua legem saluberrime promulgatam ad omnes populos edictis propositis faciat pervenire, »Deine illustre und magnifike Autorität wird das höchstsegensreich erlassene [›promulgierte‹] Gesetz durch Aushang von Edikten allen Menschen zukommen lassen« (d. h., ein bereits »promulgiertes« Gesetz muss erst noch publiziert werden); CTh. 4.4.3 § 2, Nec enim novum promulgamus, sed divi Constantini sanctionem … secuti decreta statuimus, »Denn wir erlassen [›promulgieren‹] keine neue Regelung, sondern folgen der Verfügung des divinisierten Konstantin …, wenn wir bestimmen, …« (in einem Brief, der ja erst vom empfangenden Würdenträger publiziert werden muss); CTh. 6.8.1, Nos ad hanc promulgationem Macrobi viri illustris merita provocarunt, »zu diesem Erlass [›zu dieser Promulgation‹] haben Uns die Verdienste des v. i. Macrob bewegt« (wiederum in einem Brief); CN 350, Iuvat autem per omne … imperium Nostrum … huiusmodi promulgata diffundi, »Aber ich will, dass alles derartig Erlassene [›Promulgierte‹] in Unserem ganzen Reich verbreitet wird« (also: es ist bereits »promulgiert«, d. h. »erlassen«, muss aber noch »verbreitet« werden); CI. 1.14.2, sed leges fiant his dumtaxat negotiis atque personis, pro quibus fuerint promulgata, »sondern sollen nur Regelungen sein für genau diejenigen Angelegenheiten und Personen, für die sie erlassen wurden« (pro, »für«; nicht ad, »an«; es geht um »erlassen zum Vorteil von«, nicht »publizieren, d. h., zur Kenntnis geben [lediglich] an«); CTh. 6.30.21, wo promulgavimus parallel gesetzt wird zu praecipimus (»wie wir hinsichtlich … ›promulgierten‹, ordnen wir auch hinsichtlich … an«); CTh. 16.2.28 (390) mit dem Widerruf einer lex, quae … nuper est promulgata; sie soll, si iam nota est, »sofern sie schon bekannt ist«, entfernt werden, d. h., ein Gesetz kann »promulgiert« sein, aber ist trotzdem womöglich noch unbekannt; Nov. Theod. 2 § 3, quaecumque … Vestra Perennitas generaliter promulgavit, »was auch immer … Eure Perennität [Anrede an den westlichen Kaiser] mit generalitas erlassen [›promulgiert‹] hat« (man »erlässt« etwas mit generalitas, aber man »veröffentlicht« nicht mit generalitas); Nov. Theod. 22.1 § 4, Hac igitur perpetuo duratura promulgatione decernimus, »Dies bestimmen wir mit einem permanent gültigen Erlass [›Promulgation‹]« (offensichtlich permanent gültiger »Erlass«, nicht »Publikation«). Der beste Beleg ist CTh. 16.2.3 (320er Jahre), ein Gesetz, das den Gültigkeitsbeginn einer älteren (verlorenen) Konstitution regelt. Laut dieser älteren Regelung dürfen Dekurionen oder Personen, die so reich sind, dass sie decurionabile wären, nicht mehr in den Klerus eintreten. Nur den Mittellosen steht dieser Weg offen. Dem Kaiser ist nun zu Ohren gekommen, dass man neuerdings (reiche) Personen, die ante er konkreten Gebrauch (»Veröffentlichung«) und tropische Verwendung (»Erlass«) bewusst nicht unterscheidet (actio promulgandi, fere meton. de eo ipso, quod promulgatur) und die Belege daher bunt mischt.

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legis promulgationem, »vor ›Promulgation‹ des Gesetzes«, Kleriker wurden, in die Kurie zwingen will. Er möchte klarstellen, dass diese unbelästigt bleiben sollen – nur wer post legem latam, »nach Erlass [!] des Gesetzes«, versuche, sich durch Eintritt in den Klerus vor seinen Pflichten zu drücken, solle Ärger bekommen. Also: legem promulgare und legem ferre sind für den Autor synonym, und ferre wird man niemals als »veröffentlichen« verstehen können! Bei den allermeisten Codex-Theodosianus-Belegen aus der Wortfamilie promulgare bleibt unentscheidbar, ob sie »erlassen« bedeuten oder vielleicht doch (kausatives) »publizieren« (und das dann womöglich als Metonymie für »erlassen«). Ein Beispiel wäre etwa CTh. 16.5.58 § 4, Confirmatis itaque prioribus legibus, quae promulgatae sunt tam circa inhibendos conventus Eunomianorum, »Nachdem wir also die früheren Gesetze bestätigt haben, die ›promulgiert‹ wurden, um den Versammlungen der Eunomianer Einheit zu gebieten«. Eigentlich gemeint ist hier »erlassen«, aber freilich ließe sich auch »veröffentlichen« (als Metonymie für »erlassen«) verstehen. All diese Stellen sind also kein Beleg dafür, dass promulgare »erlassen« heißen muss, aber sie stellen noch weniger einen Beleg für das Gegenteil (also promulgare i. S. v. »veröffentlichen«) dar. Überhaupt sehe ich im ganzen Corpus – also im Codex Theodosianus, den posttheodosianischen Novellen und den anderweitig vollständig überlieferten Konstitutionen dieser Zeit – nur einen einzigen Beleg, wo ein Wort aus der Wortfamilie promulgare als »veröffentlichen« zu verstehen ist: Nov. Val. 3 § 5, Illustris et praecelsa Magnitudo Tua huius legis saluberrima constituta sub edictorum promulgatione faciet in omnium notitiam pervenire, »Deine illustre und präzelse Magnitude wird die höchstsegensreichen Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes unter der ›Promulgation‹ von Edikten zur Kenntnis aller gelangen lassen«. Nun haben wir nicht eben wenige Publikationsaufforderungen überliefert, sodass das nicht nur bedeutungsmäßig, sondern überhaupt an sich singuläre promulgare/-atio in diesem Kontext umso auffälliger wirkt. Handelt es sich um einen Archaismus, also um promulgare in der klassischen Bedeutung? Oder vielleicht gar um ein textkritisches Problem (vgl. edictorum propositione: Nov. Theod. 23 § 3; Nov. Maior. 9)? Oder geht es doch um den »Erlass« von Edikten? In jedem Fall ändert dieser singuläre Beleg nichts am Befund, nämlich dass es zahlreiche Stellen im Corpus gibt, an denen sich promulgare ausschließlich als »erlassen« (nicht als »publizieren«) auffassen lässt.

Es ist also eine vernünftige Arbeitshypothese, in unseren Texten promulgare zunächst einmal als »erlassen« zu verstehen. Wem das zu weit geht, der wird trotzdem nicht umhinkommen, meine schwächere Schlussfolgerung zu akzeptieren: Angesichts des Materialbestands ist es voreilig und unmethodisch, in CTh.-Texten promulgare/promulgatio ohne weiteren Hinweis automatisch i. S. v. »veröffentlichen«/»Veröffentlichung« zu verstehen.

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2 Gab es ein Publikationserfordernis? Mussten spätantike Gesetze publiziert sein, um Geltung zu erlangen? Ohne dies zu begründen, gehen viele bekannte Gelehrte – Mommsen (1900, S. 165; 1905, S. CLVI), Seeck (S. 11), Matthews (S. 187), Sirks (2010, S. 60 f.) – ganz automatisch davon aus. Aber dies hieße, modernes Rechtsverständnis unhinterfragt in die römische Antike zurückzuprojizieren, worauf bereits Nörr (in Bischoff/Nörr, S. 39 f.) in den Sechzigern und Bianchi Fossati Vanzetti (S. 65) in den Achtzigern hingewiesen haben. Bianchi Fossati Vanzetti (S. 59–67) hatte auf wenigen Seiten argumentiert, dass eine Publikation nicht konstitutiv zur Erlangung der Gültigkeit gewesen sei; unlängst hat Kreuzsaler in einem klugen Artikel diese Idee wieder aufgegriffen und mit dem vorsichtigen Fazit (S. 243) geschlossen, dass sich zumindest eine Publikation als Voraussetzung der Geltung nicht nachweisen lässt, was freilich kein Beweis für die Gegenposition sei. Kreuzsaler stützte sich dabei in erster Linie auf papyrologisch-epigrafisches Material sowie CTh.-Texte; ich will ihr Argument hier mit weiteren methodischen Ansätzen und zusätzlichem Material untermauern (vor allem aus CTh. und den außerhalb überlieferten Konstitutionen, ferner aus der spätantiken nichtjuristischen Literatur). 119 119 Unlängst wollte Kaiser (2010) zeigen, dass Justinian die Publikation als unabding-

bare Voraussetzung der Gültigkeit ansah; auch behauptete er, dass man von der justinianischen Situation auf frühere Verhältnisse (offenbar auch des 4. und 5. Jahrhunderts, da er Kreuzsaler und Bianchi Fossati Vanzetti kritisiert) rückschließen könne. Letztere Idee verdient kein Zutrauen, da Kaiser die gesamte frühere Evidenz ausblendet und sein einziges Argument darin besteht (S. 201), dass es »keine Anzeichen dafür [gebe], dass sich unter Justinian die Grundlagen der Geltung eines Kaisergesetzes tiefgreifend geändert haben«. Kaiser operiert mit mehreren justinianischen Novellen, insbesondere mit Nov. Iust. 66. Dort stellt Justinian in einem konkreten Fall auf die Publikation ab, kommt auf die Publikation und Geltung weiterer bestimmter Konstitutionen zu sprechen und schreibt en passant, dass auch alle anderen Gesetze, die da vielleicht auch noch nicht weitergeleitet wurden, möglichst schnell in die Provinzen abzusenden seien. Hätte Kaiser Recht, würden sich doch all diese Fragen gar nicht stellen: Justinian müsste nur auf das geltende Recht verweisen und seinen Würdenträgern einschärfen, dieses gefälligst einzuhalten. Tatsächlich schreibt Justinian zu Beginn: πολλῶν διὰ τοῦτο κινδυνευσασῶν διαθηκῶν ἐκπεσεῖν εἰς τὸ μὴ πληρωθῆναι τὰ ἐν αὐταῖς γεγραμμένα, διὰ τὸ κἂν εἰ γεγόνασιν οἱ νόμοι, πλὴν μὴ γνωσθῆναι ἢ τοῖς ἐν ταῖς ἐπαρχίαις ἢ καὶ ἐνταῦθα, οὔπω τυχὸν προτεθέντες οὐδὲ γενόμενοι φανεροί, ἀναγκαῖον ᾠήθημεν τὰ τοιαῦτα νόμῳ βραχεῖ διορίσασθαι. Θεσπίζομεν τοίνυν, ἐξ ἐκείνου τὰς ἡμετέρας διατάξεις τὰς ὑπὲρ διαθηκῶν κρατεῖν, ἐξ ὅτου καταφανεῖς ἐν κοινῷ γεγόνασι …, »Da nun zahlreiche

Testamente Gefahr laufen, dass die in ihnen enthaltenen Bestimmungen nicht erfüllt

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Eine naheliegende, wenn auch bislang nicht verfolgte Herangehensweise besteht darin, sich die Rückbezüge in den Gesetzen selbst genauer anzusehen. Oft erfolgen solche temporalen Verweise in der Form post legem 120 bzw. ante legem. 121 Wer auf die Publikation abstellen möchte, wird behaupten, dass sich diese sehr kurzen Formeln auf den Veröffentlichungszeitpunkt beziehen. Freilich scheitert diese Argumentation, wenn die legis latio explizit genannt wird, also etwa mit ex die latae legis oder in vergleichbarer Form. 122 Bei den Formeln ante bzw. post legem datam, Nov. Theod. 26 § 5 bzw. CTh. 16.5.7 § 1, und a latae legis exordio, CTh. 16.5.9 § 1, wird man ebenfalls nicht die Veröffentlichung als Geltungsbeginn herbeiargumentieren können. Wir haben gesehen, dass promulgare nicht unbedingt »veröffentlichen« heißen muss und zumal dass in einem Fall (CTh. 16.2.3) ante legis promulgationem sowie post legem latam nachweisbar als Äquivalente verwendet werden. Ich würde daher Belege, die auf eine promulgatio abstellen, auf den Zeitpunkt des »Erlasses« (nicht: der »Veröffentlichung«) beziehen; aber sicherer ist es, die entsprechenden Beispiele 123 unter »non liquet« zu verbuchen. In keinem

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werden – weil die Gesetze zwar erlassen, aber in den Provinzen oder sogar hier [in Konstantinopel] nicht bekannt wurden, weil man sie nicht proponierte und sie nicht zugänglich wurden –, hielten wir es für notwendig, derlei Dinge in einem kurzen Gesetz zu regeln. Wir verfügen also, dass unsere Bestimmungen hinsichtlich Testamenten ab dem Zeitpunkt gelten sollen, ab dem sie allgemein öffentlich bekannt wurden …«. In dem ganzen Gesetz, das ja nach Auffassung Kaisers eine einzige Bestätigung der geltenden Rechtslage sein soll, wird niemals auf die geltenden Regelungen verwiesen; niemals erscheint eine Bemerkung, dass sich all dies ohnehin verstehe o. ä. – Kaiser unternimmt keinen Versuch, diesen offensichtlichen Widerspruch zu seiner These auszuräumen. Z. B. CTh. 9.9.1 § 6 (329?), post legem enim hoc committentes morte punimus, »Wer dies ›nach dem Gesetz‹ anstellt, den bestrafen wir mit dem Tod«; ebenso CTh. 10.20.17 (427); CTh. 15.1.14 (365); CTh. 16.8.25 pr. (423); mit post hoc edictum CTh. 7.22.12 (398). Z. B. CTh. 5.15.17 (364), in eodem statu fundi maneant, in quo ante legem divi Iuliani fuerant, »die Landgüter sollen in derselben Situation verbleiben, in der sie ›vor dem Gesetz‹ des divinisierten Julian gewesen waren«; ebenso CTh. 2.27.1 § 3; CTh. 5.1.1; CTh. 8.4.30 § 1; CTh. 9.9.1 § 1; CTh. 10.20.10; CTh. 12.1.187; CTh. 12.1.188; mit ante sanctionem CTh. 4.14.1 §§ 4, 5. Z. B. CTh. 16.5.7 pr. (381); CTh. 12.1.177 § 1 (413); CTh. 9.14.3 § 3 (397); CTh. 5.11.8 (365); CTh. 12.1.6 (318?); CTh. 16.6.6 pr. (413); Nov. Sev. 2 (465). CTh. 3.5.1, eam solam donationem ex promulgatae legis tempore valere sancimus, »wir verfügen, dass nur eine solche Schenkung nach dem Zeitpunkt der ›Promulgation‹ des Gesetzes gültig ist, die …«; CTh. 3.12.3 a. E. (396); CTh. 10.20.17 (427); CTh. 12.3.2 § 1 (423). Mit auctoritas i. S. v. »Gesetz«: CTh. 5.16.32, ex promulgatae auctoritatis die.

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Fall darf man jedoch solche Stellen ohne Weiteres auf die Publikation beziehen! Ebenso unverwertbar scheint die Angabe post edicti huius auctoritatem, »nach Geltung [?] dieses Edikts« (CTh. 7.19.1 von 399). Allerdings gibt es eine Handvoll Gesetze, die fraglos auf die Veröffentlichung abstellen. Zwei dieser Stellen taugen nicht als Beleg für ein allgemeines Publikationserfordernis. 124 Mehrfach ist der Verweis auf das Publikationsdatum mit einer Fristsetzung verbunden (»binnen vier Monaten nach Publikation hat das erledigt zu sein, andernfalls …«); 125 diese ungewöhnlichen Fristsetzungen lösen offenbar den gleichermaßen ungewöhnlichen Bezug auf den Publikationszeitpunkt aus. 126 Ansonsten bin ich nur auf drei Belege 127 gestoßen. Alle diese Stellen verwenden übrigens publicare (nie proponere).

124 CTh. 5.3.1 (434) hat Streitigkeiten um den Nachlass von Klerikern zum Thema:

Anhängige Prozesse sollen »ganz eingestellt werden« (penitus sopiantur), und post huius legis publicationem, »nach Publikation dieses Gesetzes«, sind neue nicht mehr einzuleiten. Also wird faktisch gar nicht auf den Publikationszeitpunkt abgestellt – denn ganz gleich, ob dann ein Fall bereits rechtshängig ist oder nicht, ein Erfolg vor Gericht ist jedenfalls verwehrt. Ganz ähnlich Nov. Theod. 2 § 2 (447): Die neuen Gesetze, die Theodosius II. in den Westen übermittelt, betreffen nur Prozesse, die eo tempore quo publicantur [nämlich die neuen Gesetze], noch laufen; was bereits entschieden ist, soll nicht wieder aufgerollt werden. 125 In diese Kategorie gehören CTh. 11.1.34 (429), vier Monate Zahlungsfrist für afrikanische Gutsbesitzer; CTh. 7.18.8 (383), zwei Monate Frist für die Auslieferung von Deserteuren; CTh. 7.18.9 (396), vier Monate Frist für die Auslieferung von Deserteuren mit der präzisesten Angabe aller Fragmente: postquam edictum Nostrum intra eam urbem, quam quisque habitat, fuerit publicatum, »nachdem Unser Edikt in der jeweiligen Stadt, in der einer wohnt, veröffentlicht wurde«. 126 Kreuzsaler, S. 223 f., auf Grundlage ganz anderer Evidenz: »Im Übrigen betrifft der Publikationsbefehl in SB XX 14662 eine besondere Rechtswirkung der Publikation, nämlich den Fristenlauf. Das Edikt des Sempronius Liberalis belegt zweifelsfrei, dass der Beginn des Fristenlaufs von der Publikation per Aushang abhängig gemacht wird. Diese rechtliche Wirkung der Publikation von Normen ergibt sich schon aus der praktischen Notwendigkeit, einen bestimmten Tag für den Beginn des Fristenlaufs zu benennen. Berücksichtigt man die längeren Wegzeiten und die für die notwendigen verwaltungstechnischen Vorgänge aufzuwendende Zeit, scheidet das Datum des Erlasses als Fristbeginn bei kurzen Fristen von vornherein aus«. 127 CTh. 9.31.1 (409), niemand darf Kinder post istius legis publicationem Hirten zur Erziehung übergeben, sonst wird er selbst als Räuber betrachtet; CTh. 16.2.37 (404), wer post publicationem edictorum stadtfremde Kleriker im eigenen Haus aufnimmt, dem droht die Konfiskation desselben; CTh. 16.5.34 pr. (398), wenn sich Eunomianer post publicatam sollemniter iussionem in Städten erwischen lassen, riskieren sie den Tod und ihre Gastgeber die Konfiskation ihres Hauses.

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Fassen wir zusammen: Man müsste zahllose Ausdrücke als gewagte Metonymie werten (also z. B. post legem latam als »nach Publikation des Gesetzes« verstehen), um die Vorstellung einer grundsätzlich erforderlichen Publikation zu retten. Freilich konnte der Kaiser (warum auch nicht?) eine Sanktion erst mit der Aushängung vor Ort drohen lassen, was er aber nur selten tat und dann oft in Zusammenhang mit dem Beginn eines Fristlaufs. In jedem Fall geben die zahlreichen Rückverweise auf den Geltungsbeginn keinerlei Handhabe, um von einem allgemeinen Publikationserfordernis auszugehen. Welche weiteren Argumente gibt es? Fast ganz an den Anfang des Codex Theodosianus haben die Redakteure ein Schnipsel gesetzt, dem dadurch (scheinbar) der Charakter einer Grundsatzregelung zukommt: CTh. 1.1.2 (391), Perpensas Serenitatis Nostrae longa deliberatione constitutiones nec ignorare quemquam, nec dissimulare permittimus, »Wir erlauben niemandem, die Konstitutionen, die durch langes Abwägen Unserer Serenität durchdacht wurden, nicht zu kennen bzw. Unkenntnis derselben vorzuschützen«. Der Kaiser argumentiert also gerade nicht mit einer »erfolgten breitflächigen Publikation« o. ä.! Das lange Fragment CTh. 2.27.1 (421) endet auf Et quamvis nescire promulgata non liceat, per omnem hunc annum pendere iubemus edictum, »Und obwohl es nicht freisteht, in Unkenntnis von ›Promulgiertem‹ zu sein, ordnen wir an, dass das Edikt dieses [?] ganze Jahr lang proponiert bleiben soll«. 128 Hier hängt die Interpretation an der Bedeutung von promulgare; wenn es an dieser Stelle (wie nachweislich oft) als »erlassen« zu verstehen ist, würde es sich sogar um einen harten Gegenbeweis wider die Publikationstheorie handeln. Verstörend ist ein fehlendes Publikationserfordernis nur für unser modernes Rechtsempfinden: Wie kann es sein, dass ein Verfahren nach einer Norm entschieden wird, die den Streitparteien (und/oder dem Richter) unbekannt war und die sie eventuell gar nicht kennen konnten? Aber wir haben auf den ersten Seiten dieses Kapitels gesehen (→ S. 20), dass durchaus einem Prätoriumspräfekten erlassene Konstitutionen unbekannt bleiben konnten und dass diejenigen Richter, deren juristische Praxis uns dank ihrer Korrespondenz besonders vertraut ist – also Plinius und Augustin –, regelmäßig mit ihnen 128 Bei CTh. 2.27.1 geht es um Schuldscheine. Binnen zwölf Jahren hat eine Novation zu

erfolgen (§ 5); ist dies wegen mehrjähriger Abwesenheit des Schuldners nicht möglich, soll sich der Gläubiger (zur Verhinderung der Verjährung) ein Edikt vom Richter besorgen, das an der Tür des Gläubigers angebracht wird (§ 6). Das Wort edictum in der vorliegenden Passage (ebenfalls § 6) muss also auf das eben genannte Richteredikt (nicht auf die Konstitution selbst, die als Brief, nicht Edikt gehalten ist!) zurückverweisen. Aber von einer Jahresfrist (per hunc [!] annum) ist in der ganzen Konstitution nie die Rede.

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völlig unbekannten Normtexten konfrontiert waren. Ich kenne keinen literarisch bezeugten Fall, in dem irgendjemand versuchen würde, die Gültigkeit eines Gesetzes durch die fehlende Möglichkeit einer vorherigen Kenntnisnahme in Frage zu stellen. Auch zielen nicht sämtliche erhaltenen Publikationsbefehle auf eine Publikation »an alle« ab: Nov. Theod. 21 gewährt Gardeoffizieren gewisse Vorrechte und garantiert zudem die Exklusivität der Elitetruppe; u. a. legt die Konstitution fest, dass militia-Mitglieder niedriger Rangstufe, die sich in die besonders privilegierten Gardetruppen (scholares, domestici) einschleichen, mit einer Geldstrafe von fünf Pfund Gold zu belegen und aus der militia auszustoßen sind. Die Novelle endet mit folgender Formel (§ 4): Illustris itaque Auctoritas Tua legem hanc perpetuo valituram ad devotissimorum scholarium notitiam perferri praecipiat, »Deine illustre Autorität soll also anordnen, dass dieses Gesetz, das auf immer gelten soll, zur Kenntnis meiner tiefstergebenen Gardisten [scholares] gebracht werde«. Ohne dass eine Bekanntmachung des Gesetzes über den Kreis der Gardisten hinaus vorgesehen war, steht völlig außer Frage, dass hier eine gültige Norm geschaffen wurde, die auch für Nichtgardisten galt – z. B. für Personen, die eine niedrige Stellung innerhalb des Staatsdiensts einnahmen und Ambitionen auf ein Pöstchen als domesticus hegten. Wir werden gleich sehen, dass man sich auf im anderen Reichsteil erlassene Konstitutionen berufen konnte, die offenbar nicht vor Ort publiziert wurden – anscheinend war die fehlende Möglichkeit der Kenntnisnahme der theoretischen Gültigkeit nicht abträglich (→ S. 100). Auch dies erinnert an die Situation bei Plinius 300 Jahre früher, als die »Pflegeeltern« kaiserliche Normen vorlegten, die offensichtlich nicht für Pontos-Bithynien erlassen worden waren (denn diese Provinz kam darin nicht vor) und die ihnen lediglich in Privatabschriften zur Verfügung standen – nur so lassen sich Plinius’ Zweifel hinsichtlich der Authentizität erklären. Doch die fehlende Publikation vor Ort stört Plinius nicht – ihn irritiert vielmehr, dass Pontos-Bithynien in diesen Texten gar nicht erwähnt wird. Die besten Belege gegen ein Publikationserfordernis stammen aus der außerjuristischen Literatur. Da wäre zunächst ein Augustinbrief (Aug. epist. Divj. 10, → S. 600), auf den wir noch öfter zurückkommen werden. Es handelt sich um ein ausführliches Schreiben, in dem Augustin seinen Freund Alypius mit Lobbyarbeit beim Kaiserhof betraut: Der Bischof von Hippo benötigt ein Gesetz gegen Menschenhändler, das massive Sanktionen vorsehen soll, aber nicht die potenziell zum Tod führende Bleigeißelung (weil ansonsten die Kleriker niemanden mehr anzeigen könnten, da sie befürchten müssten, eventuell den Tod eines Menschen zu verschulden). Dieses Gesetz soll der Kaiser in

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Kraft setzen, indem er ein vorhandenes Gesetz als Blaupause nimmt, entsprechend modifiziert und dann bestätigt. Außerdem schreibt Augustin: et necesse est ad eosdem comprimendos hanc legem in publicum fortasse proferri, »ferner muss man, um ihnen [den Menschenhändlern] Einhalt zu gebieten, dieses Gesetz vielleicht öffentlich bekannt machen«. Hier ist ganz klar, dass der Erlass eines gültigen Gesetzes und sein fakultatives Publizieren (legem in publicum fortasse proferri) für Augustin zwei verschiedene Dinge sind! D. h., ihm reicht nicht, ergriffene Menschenhändler nach diesem neuen Gesetz abzuurteilen und damit andere abzuschrecken – noch effizienter wäre es aus generalpräventiver Sicht, dieses Gesetz »vielleicht« auch von vornherein überall anzuschlagen. Der stärkste Beleg ist aber die Libanios-Stelle, die wir uns eingangs angesehen haben (→ S. 24). Das Gesetz, um das es dort geht, wurde definitiv nie in Antiocheia durch Anschlag oder Verlesung publiziert – jedenfalls behauptet Libanios dies mit Verve vor dem (unmittelbar betroffenen) Rat in Antiocheia und fordert dabei Widerspruch geradezu heraus (der ganz offensichtlich nicht möglich war). Mit genauso viel Nachdruck gibt aber Libanios auch zu verstehen, dass an der Gültigkeit dieser definitiv unveröffentlichten Norm – sofern sie denn irgendwo doch existiere – nicht zu zweifeln sei. Sehen wir uns die Argumente der Gegenseite an. Schwind, der die einzige Monografie »zur Frage der Publikation im Römischen Recht« (so auch ihr Titel) verfasste, sah in der Entstehungszeit des Codex Theodosianus den Moment des Umschwungs, zu dem die Publikation konstitutive Wirkung erhielt, »d. h. daß die Anwendbarkeit einer Vorschrift … von der Möglichkeit ihrer Kenntnisnahme abhängig gemacht [wurde]« (Schwind, S. 180). Sein einziges Argument lautet wie folgt (S. 179 f.): »Als Zweck der Proposition wird jetzt vielfach angegeben: es soll sich niemand mit der Unkenntnis entschuldigen können«. Tatsächlich untermauert Schwind sein »vielfach« mit gerade einmal zwei Belegen, CTh. 2.27.1 (wie ich denke, ein Fehlbeleg: → S. 85) sowie Nov. Val. 6.1 § 4, Quam legem ne quis se ignorasse confingat, per omnes provinciarum civitates edictis sollemnibus divulgabit, »Damit niemand lüge, er habe dieses Gesetz nicht gekannt, wird sie [sc. illustris Auctoritas Tua o. ä., fehlt im Original] es in allen Städten der Provinzen mit den üblichen Edikten verbreiten«. Wenn man sich die Mühe macht und sich die erhaltenen Publikationsanweisungen systematisch durchsieht, findet man in der Tat noch drei weitere Begründungen in Schwinds Sinne: 129 Nov. Anth. 1 § 5, … ne cui supersit ignoratio129 Nicht hierher gehören dagegen Nov. Val. 19 § 4, … ut salubria constituta nullus igno-

ret, »damit alle die segensreichen Anweisungen kennen« (denn dies belegt nur, dass

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nis auxilium, quominus caute quae sunt decreta serventur, »… damit keinem die Zuflucht zur Unwissenheit bleibe, um unsere Beschlüsse nicht sorgsam auszuführen«; Sirm. 16 (408), ne quis contumaciae suae culpam praecepti ignoratione tueatur …, »damit niemand den eigenen schuldhaften Ungehorsam durch Unkenntnis der Regelung verteidige …«; CN 350 (418), ne scientiae fortasse dissimulatio pastum praestet errori atque impune se quisquam putet audere quod condemnatum vigore publico sese finxerit ignorare, »damit nicht womöglich vorgespielte Unkenntnis den Nährboden für Fehlverhalten bereite und niemand auf die Idee komme, er könne ungestraft etwas wagen, was er angeblich nicht weiß, obwohl es doch mit Staatsgewalt verboten wurde«. Freilich ist der Schluss von Schwind keineswegs zwingend, denn die Verteidigung der (vorgeblich) Unwissenden muss nicht unbedingt auf eine Ungültigkeit der Regelung mangels Möglichkeit der Kenntnisnahme abzielen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sie eine Entschuldigung geltend machen wollten (ganz gleich, ob diese rechtlich nun beachtlich war oder nicht). 130 Dass letztere Erklärung richtig ist, zeigt eine Passage in einem der wenigen erhaltenen Präfektenedikte (→ S. 6184; CN 446 aus dem Jahr 448): ἅπαντες εἴσεσθε ἐκ τοῦ προλαβόντος 131 θείου θεσπίσματος δηλουμένου Ἑλληνίδι φωνῇ, ὥστε μηδένα τούτων ἄγνοιαν προφασίζεσθαι, »[dies] werdet ihr alle aus der vo-

rausgehenden kaiserlichen Verlautbarung wissen, die in Griechisch veröffentlicht ist, sodass niemand Unkenntnis über diese Angelegenheiten vorschützen kann«. Dieses Präfektenedikt wurde in Ägypten ausgehängt; der Präfekt von Oriens schreibt, dass sich bitte niemand auf Unkenntnis berufen möge, schließlich sei ja das kaiserliche Gesetz auf Griechisch publiziert. Nun wird man nicht behaupten wollen, die Konstitutionen römischer Kaiser des 5. Jahrhunderts hätte man in für die Provinzialbevölkerung verständliche Sprachen übersetzt aushängen müssen, damit sie Gültigkeit erlangen. Eine potenzielle Berufung auf das Nichtverständnis muss also rechtlich unbeachtlich sein und

Kenntnis wünschenswert ist); Nov. Val. 23 § 9, provinciis provinciarumque rectoribus celeriter innotescere propositis iubebit edictis, ut criminosis poena reddatur, »… wird die schnelle Benachrichtigung von Provinzen und Provinzstatthaltern durch Aushang von Edikten anordnen, damit den Kriminellen die Strafe zuteil wird« (ohne Kenntnis durch die Statthalter keine Bestrafung, d. h., die Begründung ist rein pragmatisch). 130 Kreuzsaler, S. 219 f., prüfte, ob es sich bei der mangelnden Beachtung nichtpublizierter Normen eventuell um einen Fall entschuldbarer Rechtsunkenntnis handele, ist aber selbst skeptisch, ob die Digestenstellen zum error iuris für unsere Problematik mit Gewinn herangezogen werden können. 131 Bei Schwartz nur im Apparat, der προλάμποντος (»vorausleuchtend«) in den Text setzt.

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kann lediglich auf einen Gnadenakt abzielen. Wenn aber der Hinweis des Prätoriumspräfekten so zu verstehen ist, liegt es nahe, die entsprechenden (seltenen) Bemerkungen der Kaiser auf dieselbe Weise zu interpretieren. Fassen wir zusammen: Es gibt zahlreiche starke Indizien, die gegen das Erfordernis der Publikation sprechen; die literarischen Stellen würde ich sogar als »Beweise« (nicht »Indizien«) ansehen. Die Gegenseite legt (sieht man von Schwinds ausgesprochen schwachem Argument ab) keine Belege vor – letztlich scheint das Unbehagen der Modernen dahinterzustecken, dass es »doch nicht sein kann«, dass jemand nach einer nichtpublizierten Norm – die er also gar nicht kennen kann – gerichtet wird. Aber wir haben mehrfach erlebt, dass Richter wie Plinius und Augustin mit Gesetzen konfrontiert werden, die sie weder kennen noch deren Authentizität sie ohne Weiteres verifizieren können (→ S. 20). Wir werden später ein Beispiel sehen, wo weder Kläger noch Beklagter noch Richter die Norm kennen, sondern nur der Kaiserhof (und der sich dabei entweder irrt oder analog oder böswillig argumentiert, → S. 536).

3 Gab es eine empfänger- oder reichsteilabhängige Geltung? Wenn aber die Geltung gar keine Publikation voraussetzt, dann erscheint das so oft postulierte Prinzip (→ S. 77116), dass Gesetze nur im Amtsbereich des Adressaten Gültigkeit erlangen, umso unwahrscheinlicher. Tatsächlich spricht sehr wenig für diese Hypothese. Eine »Master Copy« spätantiker Konstitutionen kennen wir nicht – in den uns vorliegenden Fassungen sind sie stets als Ausfertigung an einen bestimmten Würdenträger adressiert (bzw. als Oratio an den Senat oder als Edikt an eine Bevölkerungsgruppe). Folgt man also der Geltungsbereichstheorie, würden wir kein einziges zweifelsfrei reichsweit gültiges Gesetz kennen! Ein reichsweites (oder wenigstens reichsteilweites) Gesetz würde eine Verteilergruppe voraussetzen, die keinem der erhaltenen Verteiler entspricht (→ S. 69). Niemals finden sich Formulierungen im Sinne von »dieses Gesetz soll aber fürs ganze Reich gelten«, niemand in den außerjuristischen Quellen argumentiert je damit, ein bestimmtes Gesetz sei ungültig, weil nicht ursprünglich an den örtlich zuständigen Würdenträger adressiert. Umgekehrt gibt es Fälle, bei denen explizit die Geltung im Gesetzestext geografisch eingeschränkt wird (→ S. 109), woraus man folgern darf, dass ansonsten eine theoretisch reichsweite Geltung implizit vorausgesetzt wurde. Ferner gibt es zahlreiche Fälle von Gesetzen, bei denen die Geltung für Regionen belegt ist, die nicht dem aus dem CTh. bekannten Empfänger ent-

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sprechen: Das Zehnpfundgoldgesetz liegt uns als Exzerpt einer Ausfertigung vor, die an den Prätoriumspräfekten von Oriens gerichtet ist (CTh. 16.5.21), gleichwohl war das Gesetz in Nordafrika bekannt, und es wurde dort nach ihm geklagt und verurteilt (→ S. 511, → S. 514). Valentinians Gesetz gegen erbschleichende Kleriker ist in der Codex-Theodosianus-Version ungewöhnlicherweise an den Bischof von Rom gerichtet (CTh. 16.2.20), aber in der Folgezeit beschweren sich zahlreiche Christen an ganz unterschiedlichen Orten über dieses Gesetz, einschließlich Hieronymus im fernen Palästina (→ S. 298). Die antipaganen Maßnahmen von Konstantius II. in den CTh.-Fassungen (CTh. 16.10.4–6) sind, soweit ersichtlich, 132 stets an westliche Würdenträger adressiert, aber Libanios im Osten (or. 14.41, or. 30.7) klagt über sie. Laut Zosimos (4.3.2 f.) beschwerte sich der Prokonsul von Achäa über die Probleme, die ein bestimmtes Gesetz in seiner Provinz verursachte (dazu später mehr, → S. 103); wir kennen dieses Gesetz als CTh. 9.16.7, adressiert an den Prätoriumspräfekten von Oriens. Doch Achäa gehörte zur Diözese Makedonien, die damals Teil der Präfektur »Italien, Illyrien und Afrika« war. Bereits weiter oben ist uns Sirm. 12 begegnet (→ S. 55), eine Konstitution, die an den Prätoriumspräfekten von »Italien, Illyrien und Afrika«, Curtius, gerichtet ist, die aber laut Subskription der Prokonsul von Afrika (der dem Prätoriumspräfekten gar nicht unterstellt war!) zusammen mit einem eigenen Edikt veröffentlichte. Derlei Beispiele lassen sich beliebig vermehren. Die Vertreter der regionalen Geltung würden wohl argumentieren, dass jeweils ein Überlieferungsfehler vorliegt oder aber es zusätzliche regionale Ausfertigungen gab, die uns nicht erhalten sind. Tatsächlich liegt es nahe, dass die Kaiser bei Gesetzen, die ihnen wichtig waren, von vornherein mit breiten Verteilern arbeiteten. Doch auch wenn ein lokaler Funktionär nicht von oben über ein Gesetz informiert worden war, werden Prozessparteien ihnen vorteilhafte kaiserliche Verlautbarungen aus ganz anderen Kontexten (sogar aus dem anderen Reichsteil) bei Gericht vorgelegt haben. In vielen Fällen mag dieses Normen-Recycling nicht unbedingt der Intention des Kaisers entsprochen haben – daher die ganze Diskussion um generalitas. Doch der Adressat eines Gesetzes bzw. der eigentlich erlassende Kaiser werden nie als Faktoren bei der Definition von generalitas herangezogen. Um dieses Modell zu belegen, will ich mich bei der Beweisführung auf den äußersten Fall beschränken, nämlich auf die Geltung über die beiden Reichsteile hinweg. Sofern es sich zeigen lässt, dass westliche Gesetze auch im Osten 132 Bei CTh. 16.10.6, in Mailand abgeschickt, fehlt der Adressat in der Inskription.

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galten und umgekehrt, ergibt sich die Geltung über die verschiedenen Präfekturen eines Reichsteils hinweg offensichtlich a fortiori. Während der älteren deutschsprachigen Rechtsgeschichte die Geltung über die einzelnen Reichsteile hinweg evident war, 133 dürfte die Beschränkung der Geltung von Konstitutionen auf den jeweiligen Reichsteil die heute herrschende Lehre sein. 134 Dieser Umschwung setzte mit den Arbeiten von Gaudemet 135 ein. Gaudemet (1956, S. 328–331) beobachtete zunächst, dass Konstitutionen mit lokal begrenzter Bedeutung (also etwa wenn im Westen ein Verbot erlassen wird, Bergleute 136 nach Sardinien zu befördern, CTh. 10.19.6) stets von dem Kaiser erlassen werden, zu dessen Reichsteil die jeweilige Region gehört. Freilich wäre alles andere sehr überraschend, und dies ist vor allem kein Gegenbeweis zur übergreifenden Geltung. Ferner identifizierte Gaudemet (1956, S. 331–337) Bereiche, in denen die Rechtsordnung in West und Ost angeblich auseinanderklaffte; auch meinte Gaudemet beweisen zu können, dass Bestätigungen von Gesetzen stets die eigene Reichshälfte betreffen, wofür er etliche Belege angibt. Tatsächlich basieren beide Behauptungen auf einer abusiven Verwertung der in der spät133 So etwa für Mommsen (freilich unter dem Vorbehalt der Publikation), Krüger oder

Karlowa (Belege bei Gualandi, S. 22). De Bonfils behauptete wiederholt (2001, S. 108; 2012, S. 234), Mommsen und Krüger hätten »fermamente«, »mit Nachdruck«, auf der Trennungshypothese bestanden, freilich stets aus zweiter Hand mit Bezug auf Gaudemet 1955, S. 319. Das schreibt Gaudemet an der angegebenen Stelle zwar tatsächlich, aber zu Unrecht und ohne jeden Beleg. An anderem Ort gibt Gaudemet (1956, S. 320 f.) hingegen an, er habe in Mommsens Prolegomena nichts zu diesem Thema gefunden (S. 320 Anm. 1; wobei sich Mommsen in verschiedenen Aufsätzen sehr wohl zu dieser Frage geäußert hat), und er setzt Krüger (korrekt und mit Beleg, S. 321 Anm. 1) unter die Vertreter der reichsteilübergreifenden Geltung. 134 Für De Bonfils 2012, S. 234, ist der Streit praktisch beendet (»Accesi sostenitori hanno affermato, ma taluni lo affermano ancora«). Namhafte Vertreter der Reichsteilbegrenzung sind neben Gaudemet etwa Sirks und Schmidt-Hofner, neuerdings De Bonfils (2001, 2012) und Laquerrière-Lacroix; freilich gibt es auch wichtige Gegenstimmen, so Jones (S. 472 f.), Pergami (S. XXIV–XLV), Honoré (S. 130–132) und Pietrini. Nicht festlegen will sich Lepore (2000, 2012), der sich mehrfach in umfangreichen Schriften äußerte. 135 Die ursprüngliche Arbeit muss Gaudemet 1956 sein, denn in Gaudemet 1955 (S. 319 Anm. 1) nimmt er darauf einschließlich der finalen Paginierung Bezug und sieht in De Dominicis (von 1954!) eine Bestätigung seiner früheren Arbeit. 136 Sehr wohl Bergleute (si qua navis metallarium ad Sardiniam transtulerit); es geht nicht um »importations de métaux en Sardaigne«, wie Gaudemet 1956, S. 328, das Lateinische missversteht.

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antiken Gesetzgebung allgegenwärtigen Bestätigungen (→ S. 124): Wann immer sich ein Kaiser mit einem Gesetz auf eine Konstitution eines Kaisers der eigenen Reichshälfte bezieht, nimmt Gaudemet dies als Beleg für seine These. Wann immer er auf ein Gesetz eines Kaisers der anderen Reichshälfte verweist, erklärt Gaudemet dies ohne Weiteres (d. h., ohne dass die Texte irgendwelche Hinweise in diese Richtung liefern würden) zur »Rezeption«. Eigentlich müsste man die Argumentation von Gaudemet Beleg für Beleg aufrollen, was aber zu viel Platz kosten würde. Daher beschränke ich mich auf eine Illustration seiner problematischen Methodik anhand von Beispielen, die mit den erbrechtlichen Sanktionen zu tun haben. Gaudemet (1956, S. 333 f.) nennt mehrere Fälle, wie innerhalb des Westens Gesetze bestätigt werden, darunter etwa die Bezugnahme des westlichen Kaisers Gratian (CTh. 16.7.3) auf das Manichäergesetz des westlichen Kaisers Valentinian I. (→ S. 435); doch dass Theodosius I. dasselbe im Osten tut (CTh. 16.5.7) und sich dabei ausdrücklich auf ein vorheriges Gesetz beruft (→ S. 434) – das nur das von Valentinian I. sein kann –, ignoriert Gaudemet. An anderer Stelle kommt Gaudemet (1956, S. 345 f.) erneut auf CTh. 16.7.3 zurück: »Un exemple plus net d’emprunt législatif est au contraire offert par la loi de Gratien [CTh. 16.7.3], qui … retire aux apostats le droit de tester. La même peine avait été édictée [freilich in einem Brief, nicht durch Edikt!] par Théodose deux ans plus tôt. C’est elle que Gratien se contente de faire sienne negata testandi licentia vindicamus admissum. Cette ›admission‹ est vraiment la réception en Occident d’un droit oriental«. Erstens missversteht Gaudemet offenbar das Latein; admissum bedeutet »Vergehen« (»wir bestrafen ein Vergehen«) und hat hier semantisch nichts mit französisch »admission«, »Akzeptanz, Übernahme«, zu tun. Zweitens übergeht er den Widerspruch, dass er zehn Seiten zuvor CTh. 16.7.3 auf ein westliches, valentinianisches Gesetz bezogen hat, nun aber dasselbe Gesetz zur Rezeption eines östlichen, theodosianischen Gesetzes macht. In CTh. 16.7.3 stellt Gratian in der Tat fest, dass die Manichäer weiterhin so bestraft werden sollen, wie dies Valentinian I. und viele »unsrige« Gesetze vorsahen. Tatsächlich sollte das »unsrige« Gesetz die Maßnahme von Theodosius I. (→ S. 437) sein, die sich Gratian (in dessen Namen sie ja unter anderem ergangen ist) hier zu eigen macht. CTh. 16.7.3 bietet also ganz im Gegenteil gute Indizien (freilich keinen Beweis) für die reichsteilübergreifende Geltung. Dass Bestätigungen innerhalb eines Reichsteils häufiger vorkommen, braucht nicht weiter zu verwundern: Vor Ort erlassene Maßnahmen waren schlichtweg bekannter und konnten daher leichter als Vorlage für Anfragen bzw. neue Regelungen herangezogen werden. Wenn Kaiser Gesetze aus der anderen Reichshälfte explizit aufheben – das sind harte Belege, dass diese Normen ansonsten sehr wohl beachtlich gewesen wären –, gibt Gaudemet (1956, S. 328, S. 336) den Formulierungen ohne Diskussion Bedeutungen, die sie nicht haben können (CTh. 12.1.158, → S. 102154; CTh. 4.6.8, → S. 102). Bei seiner Diskussion der Bestätigungen und der vorgeblichen »législation orientale« usw. blendet Gaudemet zudem gänzlich aus, dass fast nie (die wenigen Ausnahmen sehen wir uns nachher alle im Original an, → S. 100) von »westlichen« bzw.

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»östlichen« Gesetzen die Rede ist, sondern von Gesetzen, die (z. B.) Valentinian I. erlassen hat. Die Zuschreibung ist also beinahe ausnahmslos eine personale, keine geografisch-administrative, was auch die außerjuristischen Quellen bestätigen, wo die Gesetze nach erlassendem Kaiser (wir werden sehen, dass ein »Gesetz des Theodosius« eine wichtige Rolle in Afrika spielt, → S. 159), nicht nach Region zitiert werden.

Schließlich nimmt Gaudemet (1956, S. 340–344) das Argument vorweg, dass formal alle Gesetze vom Kaiserkollegium und nicht von einzelnen Kaisern erlassen werden (→ S. 112), und betont, dass es sich dabei um eine Konvention handelt. Das stimmt natürlich, ändert aber nichts an der Tatsache, dass keine uns überlieferte Konstitution irgendeinen Marker trägt, dass sie »westlich« oder »östlich« sei; dies lässt sich nur aus dem in der Subskription angegebenen Ort und dem Namen und Titel des Empfängers (sofern es sich um einen Brief handelt) erschließen. Nehmen wir die Konstitution als Beispiel, aus der CTh. 8.8.2 stammt: Das Fragment ist auf den 25. Oktober 379 datiert, bietet keinen Ort in der Subskription und ist an Potitus vic. adressiert. Ohne PLRE I zur Hand hätten gewiss auch viele heutige Althistoriker Probleme, dieses Gesetz unmittelbar als westlich bzw. östlich zu erkennen. 137 Ob es für einen Richter im frühen 5. Jahrhundert so viel leichter gewesen wäre? In einer von Gaudemet unabhängigen Studie wies De Dominicis nach, dass kaum ein Brief je an einen Beamten im jeweils anderen Reichsteil adressiert ist (→ S. 112167). Das ist richtig, kann aber freilich die Hypothese von Gaudemet nicht beweisen. Das (jedenfalls scheinbar) wichtigste Argument für eine reichsteilbegrenzte Deutung lieferte Gualandi (das wir daher ausführlich besprechen müssen, → S. 97). Jüngere Studien bringen, soweit ich sehe, keine wesentlichen neuen Argumente. So geht Laquerrière-Lacroix von einer fehlenden reichsteilüberschreitenden Geltung als bereits bewiesenem Faktum aus und interpretiert in diesem Sinne das Material. Die wortreichen Fleißarbeiten von Lepore (2000 und 2012) führen gewaltige Mengen von Literatur an und referieren breit frühere Meinungen. Hingegen beschränkt sich der methodische Zugang bei der Quellenarbeit weitgehend auf eine Analyse von Formalia spätantiker Kaisergesetze; wenn er doch im Detail 137 Potitus war übrigens vicarius urbis Romae, das Gesetz wurde also im Westen erlas-

sen. Möglicherweise ging der Absendeort erst bei der Kompilation (oder später) verloren: Seeck (S. 252, zum 22. Sept.) denkt, dass CTh. 8.8.2 aus derselben Originalkonstitution wie CTh. 4.16.2 stammt (an Potitus vic., abgeschickt am 22. September in Rom). Dafür spricht, dass der Empfänger identisch ist und inhaltlich Ähnliches geregelt wird, dagegen das unvereinbare Datum, das auch nicht durch einen kleinen Eingriff entsprechend korrigiert werden könnte.

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Texte bespricht (so Lepore 2012, S. 151–187, nur zu CTh. 10.19.7), bleibt die Analyse unzureichend. 138 Explizit lehnt er eine Festlegung ab, ob man nun von einer reichsteilübergreifenden Gültigkeitsautomatik ausgehen darf oder nicht, nimmt dann aber inkonsequenterweise an anderen Stellen doch getrennte Rechtsgebiete an. 139 Tatsächlich enthalten die antiken juristischen Texte selbst keinen einzigen belastbaren Hinweis darauf, dass sich die Beachtlichkeit auf einen Reichsteil beschränkt hätte. Konstantin verfügte, dass Konstitutionen nur gelten, wenn sie datiert sind (CTh. 1.1.1); und in der Tat begegnet eine fehlende Konsulndatierung auch in der Praxis als guter Grund, um vor dem Richter die Gültigkeit von kaiserlichen Verlautbarungen zu bestreiten, die von der Gegenseite vorgelegt wurden (Aug. coll. c. Don. 3.19.37, 3.23.41). Aber wir haben keinerlei Indiz dafür, dass es irgendeinen Kaiser gekümmert hätte, den Ort oder Adressaten des Erlasses (laut den Anhängern des Gültigkeitssprengels ja ganz entscheidende Informationen) als verpflichtende Bestandteile eines Gesetzestexts zu definieren. Als Theodosius II. die Konstitutionen für seinen Codex sammeln ließ, wurden gleichermaßen »westliche« wie »östliche« Konstitutionen berücksichtigt und bunt gemischt in denselben Titeln untergebracht, und zwar wiederum ohne jede Markierung. In den Metatexten zum Codex Theodosianus (CTh. 1.1.5, CTh. 1.1.6, Nov. Theod. 1, Nov. Theod. 2) wird nie explizit erwähnt, dass »westliche« ebenso wie »östliche« Konstitutionen zu sammeln seien – Theodosius II. spricht nur von den Gesetzen aller legitimen Kaiser seit Konstantin. Dies legt nahe, dass es nicht überraschend ist, Konstitutionen ohne Unterscheidung nach dem Reichsteil des ursprünglich erlassenden Kaisers zusammenzustellen – und das wiederum ist ein star138 Dem entscheidenden Punkt an CTh. 10.19.7 widmet Lepore (2012, S. 168) von sei-

nen 37 Seiten gerade einmal 2,5 Zeilen: »Riferendosi alla pars Orientis [tatsächlich steht im Gesetz nur Oriens, gemeint also nach aller Wahrscheinlichkeit die Präfektur], Valentiniano I lascia, infatti, implicitamente intendere che le ›iussiones‹ di Valente da lui richiamate non trovavano applicazione automatica in Occidente«. In Wirklichkeit ist die Angelegenheit nicht so einfach (→ S. 103). 139 Sirks, S. 13, zählt Lepore (unter Verweis auf Lepore 2000) zu Unrecht unter die Anhänger der automatischen Gültigkeit (vgl. sein Fazit, wo er eine Festlegung vermeidet, nämlich Lepore 2000, S. 397 = 2012, S. 99: »Appare ovviamente prematuro e azzardato … formulare un giudizio anche solo parziale sul tema unità-divisione normativa«, mit den Stellen, wo er dann doch eindeutig von einer Reichsteilbegrenzung ausgeht: Lepore 2012, S. 184, »[Valens wollte nicht überschreiten] i limiti territoriali del proprio potere normativo«). Nicht weniger irrig ist es, wenn Sirks, S. 13, die Arbeit von Pietrini »seiner« Seite, d. h. den Anhängern der Reichsteilgültigkeit, zuschlägt – tatsächlich vertritt Pietrini das Gegenteil.

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kes Indiz für eine allgemeine Gültigkeit. Oder soll man etwa mit Matthews glauben, dass mit dem Codex Theodosianus schlagartig das gesamte Recht aus dem jeweils anderen Reichsteil Geltung erlangte, das Inkrafttreten des Codex Theodosianus gleichsam revolutionär gewesen sei? Doch wenn dem so wäre, warum findet sich auch dazu nicht der geringste Hinweis in den Metatexten zum Codex Theodosianus? 140 Konsequenter als Matthews behauptet daher Sirks (S. 189–194), ein weiterer Anhänger der reichsteilbegrenzten Geltung von Konstitutionen, dass sich daran auch nach der Codex-Theodosianus-Exzerpierung nichts änderte!141 Doch die Idee ist realitätsfern: »Aber wie sollte ein Richter, der nicht über die umfassenden Informationsmöglichkeiten der kaiserlichen Kanzleien verfügte, erkennen, ob ein CTh-Text aus der Zeit zwischen 364 und 437, etwa CTh 8,17,2 oder 3, einst ein West- oder ein Ostgesetz gewesen war?«, wendet sein Rezensent Liebs (2010b, S. 535) ein. Man könnte hinzufügen, dass sich die große Revolution damit nur um ein Jahrhundert verschöbe: Folgte man Sirks, dann wäre wohl einer der dramatischsten Aspekte des Codex Iustinianus, dass er zahllose westliche Bestimmungen, die bis dahin im Osten ungültig waren, dort schlagartig in Kraft setzte (ohne dass Justinian darauf je in seinen Begleitgesetzen anspielen würde). 142

140 Matthews (S. 58 Anm. 8) stellt daher auch überrascht fest: »Paradoxically, laws pre-

viously published only in eastern or western ›partes imperii‹ acquired theoretical [?] authority in both, simply by their inclusion in the Theodosian Code«. 141 Als Beleg gibt er Nov. Val. 27 an, in der Valentinian III. die Verjährung nach 30 Jahren einführt, obwohl bereits früher ein östliches Gesetz (CTh. 4.14.1 von 424) dasselbe geregelt habe. Tatsächlich bezieht sich Valentinian III. ausdrücklich auf dieses Gesetz und deklariert sein eigenes Gesetz als Bestätigung und Ausweitung (§ 3, Illam namque pia mente praestando viam huic alteri praebuit, qua beneficia eius latius panderentur. Praecipimus igitur …, »Denn dadurch, dass er jenes [Gesetz] in väterlicher Weise erlassen hat, hat er den Weg bereitet für dieses weitere Gesetz, mit dem wir seine Wohltaten ausweiten [und zwar inhaltlich, nicht geografisch]. Daher ordnen wir an …«). Wenn laut Nov. Val. 21.1 § 3 ein Paar den Valentinian III. um das ius liberorum ersuchte, dann heißt das nicht, dass CTh. 8.17.3 (womit Theodosius II. pauschal das ius liberorum verliehen hatte) im Westen ungültig war, sondern dass das Paar dies nicht wusste oder sich gegen alle Eventualitäten absichern wollte (vgl. Libanios, → S. 97). 142 Trotzdem scheint dies Falchi 1991 zu glauben (vgl. z. B. seine S. 100). Freilich lässt sich aus methodischer Sicht vieles gegen seine Arbeit einwenden. So arbeitet Falchi durchgehend mit dem Gegensatzpaar leges generales und leges territoriales (vgl. seine S. 1), ohne je anzudeuten, dass leges territoriales ein von ihm konstruierter Neologismus ist, der sich weder konzeptuell noch lexikalisch (abgesehen von zwei isolierten

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Die Proponenten der reichsteilbegrenzten Geltung scheinen insgesamt allzu modern zu denken; 143 irgendwie scheint stets die Idee eines iura novit curia mitzuschwingen. Aber so funktioniert das römische Rechtswesen nicht. Prozessparteien werden stets sämtliche Konstitutionen vorlegen, die ihrer Sache dienlich sein könnten. Ein Richter mag im Zweifel sein, ob ein Text authentisch oder einschlägig ist; nie jedoch gibt es einen Hinweis, dass ein Text mangels richtigen Reichsteils abgelehnt wurde. Die einzige Scheidelinie hinsichtlich des erlassenden Kaisers, die wir in den Quellen nachvollziehen können (vgl. z. B. → S. 139), ist die zwischen legitimen (und daher postum divinisierten) Kaisern und illegitimen Kaisern, d. h. Usurpatoren. Die Implikationen einer angeblichen reichsteilabhängigen Geltung scheinen auch nie zu Ende gedacht worden zu sein. Nehmen wir doch die Provinz Achäa, die bei der Samtherrschaft von Valentinian I. und Valens zum westlichen Reichsteil (→ S. 113) gehörte, nach der Kaisererhebung von Theodosius I. zum östlichen (Jones, S. 156), kurzfristig wahrscheinlich wieder zum westlichen (oder sollte man »mittleren« sagen?) von Valentinian II. (Jones, S. 159), nach der Rückeroberung durch Theodosius I. endgültig zum östlichen (Jones, S. 183, S. 370). Für Vertreter der empfängerabhängigen Geltung ist die Sache einfach: Alles, was den Prokonsul von Achäa als Gesetz erreichte und vor Ort publiziert wurde, ist dort Gesetz. Wer hingegen mit Reichsteilen operiert wie Gaudemet, geht offenbar (diskutiert wurde das meines Wissens nie) davon aus, dass in dem Moment, in dem Achäa z. B. an den Osten fällt, der gesamte westliche Acquis verloren geht und nunmehr das östliche Recht gilt. Freilich ist Einteilung in West und Ost ohnehin eine Simplifikation. Wenn mit Theodosius I., Valentinian II. und Gratian (später durch den kurzfristig an-

Belegen für territorialis in völlig anderer Bedeutung bei Agrimensoren) auf antike Vorbilder berufen kann. 143 Das ist etwa der Fall bei De Bonfils 2001, S. 108 f.; 2012, S. 234 f., der sich überhaupt nur vorstellen kann, dass eine Norm aus dem anderen Reichsteil entweder fallweise bestätigt wird oder aber dass es einen automatischen Rezeptionsmechanismus gab – die vielfach belegte Bottom-Up-Variante, dass Prozessparteien für sie günstige Normen bei Gericht vorlegen, wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Gaudemet 1956, S. 338 f., begeht sogar eine echte Petitio Principii: Er denkt die Möglichkeit an, man könnte bestimmte Beobachtungen durch eine reichsweite Geltung von Konstitutionen erklären. Aber diese Idee verwirft er sofort: Das könne nicht sein, weil ja der resultierende Zustand »intolérable« gewesen wäre. Hätte Gaudemet auch das außerjuristische Material herangezogen, hätte er beobachten können, wie die Betroffenen der Spätantike mit dieser in der Tat schwer erträglichen Situation praktisch umgingen.

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erkannten Maximus ersetzt) drei Kaiser in drei »Teilen« regieren – haben wir dann drei Gebiete oder zwei westliche plus ein östliches? Doch alle bisherigen Argumente sind Plausibilitätserwägungen und damit leicht angreifbar. Auch das e-silentio-Argument, dass nirgendwo eine Begrenzung auf den Reichsteil erwähnt wird, ist nur ein Indiz (so dreht auch Sirks 1986, S. 273, den Spieß um und stellt fest: »Nowhere is it stated that the constitutions collected in the Codex were valid everywhere«). Gehen wir daher die wenigen Passagen im Einzelnen durch, die als Belege für oder gegen eine reichsteilübergreifende Geltung taugen. Beginnen wir die Diskussion mit der Passage, die den Vertretern der herrschenden Lehre – dass es nämlich keine automatische Geltung über die Reichsteile hinweg gab, dass also stets bestätigt werden musste – als Eckstein ihrer Theorie gilt. 144 Es handelt sich um eine Stelle in der Autobiografie des Libanios (or. 1.145), auf die zuerst Gualandi in diesem Zusammenhang aufmerksam gemacht hat: Σὸν ἔργον, ὦ δαῖμον, καὶ τὸ τεθῆναι νόμον τῶν παίδων τοῖς νόθοις ἐπίκουρον. τὸ μὲν οὖν ἐπὶ νοῦν τε αὐτὸν τῷ πρεσβυτέρῳ τοῖν βασιλέοιν ἐλθεῖν ἕνα τε τῶν κρατούντων τοῖς ἐκείνου γεγονέναι γράμμασι, κοινῆς τοῦτο ἔστω τῆς τῶν ἐν χρείᾳ τοῦ νόμου καθεστηκότων τύχης, τὸ δὲ τὸν νεώτερον ἥκιστα αὐτὸν ἐπαινοῦντα μάλιστα ἐπαινοῦντα φανῆναι ποιῆσαί τε κύριον, ἐπειδή με ἐξουσίας τῆς ἀπ’ αὐτοῦ δεόμενον ᾔσθετο, πῶς οὐκ ἂν ἐν δίκῃ τῆς ἐμῆς κριθείη τύχης; ἥ με πολλῆς τε καὶ βαρείας ἠλευθέρωσεν ἀνίας, ὡς τῆς αὐτῆς ἡμέρας τελευτὴν μὲν ἐμοί, πτωχείαν δὲ ἐκείνῳ τὴν ἐσχάτην οἰσούσης.

Dein Werk, o Daimon, war auch der Erlass des Gesetzes zugunsten von Kindern aus illegitimen Verbindungen [νόθοι]. [Zugegeben:] Dass es dem älteren der beiden Kaiser [d. h. dem westlichen Kaiser Valentinian I.] in den Sinn kam und dass es durch seine Briefe 145 zu einem geltenden Gesetz wurde – das könnte durchaus auf das Wirken der Tyche aller zurückgehen, die dieses Gesetz brauchten. Aber dass der jüngere [d. h. der östliche Kaiser Valens], der [eigentlich] mit diesem Gesetz überhaupt nicht einverstanden war, nach außen hin dann doch ganz und gar damit einverstanden war und es in Anwendung brachte [ποιῆσαι κύριον] – wie sollte man auf den Schluss kommen, dies sei nicht durch meine persönliche Tyche veranlasst, da sie merkte, dass ich die durch dieses Gesetz gewährte Möglichkeit brauchte? Sie befreite mich von viel schwerer Sorge, hätte doch sonst ein und derselbe Tag mir den Tod, ihm [Libanios’ Konkubinensohn Kimon] bitterste Armut gebracht.

144 Sirks, S. 13 f.; Schmidt-Hofner, S. 358; De Bonfils 2001, S. 116–118. 145 Oder: »durch seinen Brief«. Es muss offen bleiben, ob es hier um eine oder mehrere

Ausfertigungen geht.

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Im Kontext geht es um den anderweitig kinderlosen Libanios, der seinem einzigen Sohn Kimon sein Vermögen zukommen lassen wollte. 146 Kimons Mutter war Sklavin des Libanios gewesen, und Kaiser Konstantin hatte die Vererbung an Kinder aus unstandesgemäßen Ehen verboten (→ S. 290). Im Jahr 371 erging ein Gesetz, wonach man ein Zwölftel des eigenen Vermögens an den illegitimen Teil der Familie vererben durfte bzw. sogar ein Viertel, sofern es keine legitimen Abkömmlinge gab und die eigenen Eltern vorverstorben waren. Die für den Codex Theodosianus exzerpierte Ausfertigung (CTh. 4.6.4) erging in Konz bei Trier an den römischen Stadtpräfekten Ampelius, ist also in der Tat ein valentinianisches Gesetz. Die Libanios-Passage scheint Folgendes zu besagen (so Gualandi und die Anhänger der getrennten Reichsteillegislation): Das Gesetz stammte von Valentinian, der es in seinem Reichsteil in Kraft setzte; Valens, der von der Neuregelung nichts hielt, bestätigte sie dann aber überraschend doch auch für den Osten. In jedem Fall sind der Erlass (auf den Westen beschränkt) und die Bestätigung (für den ganzen Osten) getrennte Vorgänge. Diese Deutung ignoriert aber die Tyche-Kommentare: Dass das Gesetz erlassen wurde, könnte man eventuell dem »guten Stern« aller Betroffener (nicht: »aller Betroffener im Westreich«!) zuschreiben, das ποιῆσαι κύριον hingegen allein dem »guten Stern« des Libanios (was ein absurder Kommentar wäre, wenn es sich um eine Bestätigung zugunsten aller Bewohner des Ostreichs gehandelt hätte!). Mir scheint die einzig plausible Interpretation des Texts die folgende: Valentinian I. hatte die Idee für das Gesetz und machte es zum geltenden Gesetz – wovon alle Betroffenen (egal, ob nun im West- oder Ostreich) profitierten. Dass sich Valens im speziellen Fall des Libanios trotz seiner allgemeinen Bedenken daran hielt, das ist allein dem Verdienst der Tyche des Individuums Libanios geschuldet. Offensichtlich hatte also Libanios zur Absicherung gegen alle Eventualitäten bei Valens angefragt, ob ein von ihm, Libanios, errichtetes oder zu errichtendes Testament 147 zugunsten des 146 Vgl. PLRE I, S. 92 f. s. v. Cimon Arabius; Wiemer 2011, S. 137 f. mit Anm. 43; Evans

Grubbs 2014, S. 38–40. 147 Für den dahinterstehenden Gedanken (und als Beleg, dass dergleichen öfter vorkam)

vgl. den Fall des Leonius (→ S. 643, → S. 125187), Nov. Val. 21.1 § 2: Nam cum liceat cunctis … iudicia suprema componere, procul dubio manebit firmior haec voluntas, quae testimonio principis et subscriptione condetur, »Denn obwohl es ja allen freisteht, ihren letzten Willen [auf gewöhnliche Weise gültig] niederzulegen, wird ein Testament ohne jeden Zweifel besonders unanfechtbar sein, wenn es durch Zeugnis und Unterschrift des Kaisers errichtet wird«. Das eigentliche »Errichten« war freilich im Fall des Leonius bereits zuvor erfolgt, denn er hatte dem Kaiser samt seiner Petition (die

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Kimon entsprechend der valentinianischen Regelung 148 gültig sei, was – Tyche sei Dank – Valens nicht verweigerte. 149 Diese Rekonstruktion entspricht überdies der Art und Weise, wie Libanios die Junktur ποιῆσαι κύριον verwendet, die in seinem Sprachgebrauch keineswegs »für einen Reichsteil global bestätigen«, sondern vielmehr »als zuständiger Würdenträger im konkreten Fall in Anwendung bringen« bedeutet. 150 Als einige Jahre später Theodosius I. die konstantinische Regelung wieder in Kraft setzte, reagierte Libanios mit einer Gesandtschaft seines Stadtrats 151 an Theodosius I., die letztlich von Erfolg gekrönt war und zu einem Sonderprivileg zugunsten des Libanios führte (→ S. 343). Eine ähnliche Anfrage oder Gesandtschaft wird man sich unter Valens vorstellen dürfen: Sicherheitshalber hatte Libanios noch einmal beim örtlichen Kaiser nachgefragt oder nach-

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die Bestätigung eines wechselseitigen Testaments unter Ehegatten erbat) bereits das von sieben Zeugen bestätigte Testament vorgelegt. Dass Libanios das im Westen ergangene Gesetz überhaupt kannte (vgl. dazu Gualandi, S. 29 f.), ist bemerkenswert (vgl. → S. 102 hinsichtlich der Unkenntnis im Westen) und illustriert, wie gut er vernetzt war. Ähnlich, aber nicht identisch, interpretiert Pietrini, S. 523 f., das Geschehen: »sembra che di fronte all’intervento di Libanio l’imperatore Valente si trovi costretto a prendere posizione, ossia parrebbe che egli non possa più continuare ad ignorare (o a fingere di ignorare) il provvedimento occidentale … Valente, dunque, sembra tenuto a dare applicazione alla lex del collega anche nella sua pars, a meno di emanare una norma contraria, a sua volta, al provvedimento di Valentiniano«. Freilich geht es bei den Demarchen des Libanios um die Anwendung ausschließlich auf seinen eigenen Fall (»meine persönliche Tyche«). Bei Libanios kehrt regelmäßig die Idee wieder, dass existierende Gesetze »in Anwendung gebracht« werden müssen; »[er] argumentiert … in Briefen, in denen er Statthalter zum Handeln auffordert, ohne ihr Eingreifen blieben die Gesetze des Kaisers toter Buchstabe« (Wiemer 2011, S. 155; dort auch eine umfangreiche Stellensammlung in Anm. 134). Eine solche Passage ist epist. 1273. In diesem kurzen Brief wendet sich Libanios an Ulpian, den Statthalter der Phoinike: Libanios’ Schüler Chrysogonos ist Waise und wird von seinen Vormündern ausgeplündert. Libanios anempfiehlt diesen Fall dem Statthalter mit den Worten: σὺ δ’, ὥσπερ εἴωθας, ποιήσεις τοὺς νόμους δήπου κυρίους, »Du aber wirst die Gesetze in Anwendung bringen, wie es dir Gewohnheit ist«. ποιῆσαι κύριον bedeutet also geltendes Recht in die Praxis umzusetzen, nicht hingegen die Wirkung von bislang unbeachtlichen Normen überhaupt erst zu begründen. Dass der antiochenische Stadtrat trotz seiner ambivalenten Beziehung zu Libanios diese Mission überhaupt unternahm, dürfte sich wahrscheinlich aus Eigeninteresse erklären: Mit dem Vermögen des Libanios wäre Kimon potenziell decurionabile geworden. Libanios und Kimon hatten deswegen einen weiteren Plan in petto, nämlich Kimon durch Aufnahme in die höhere militia von allfälligen Stadtratspflichten zu befreien (vgl. insb. Liban. epist. 959.5–7).

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fragen lassen, um die Dinge unangreifbar vor seinem Tod zu regeln – nicht, dass sein Testament nach seinem Ableben angegriffen würde. Weil also Valentinians Gesetz »allen« half, muss man diese Passage – im Gegensatz zur gängigen Deutung – als starken Beleg für eine (jedenfalls theoretische) Gültigkeitsautomatik zwischen den Reichsteilen werten. Und dass Valens’ Aktion allein dem Libanios half, sollte in jedem Fall bedeuten, dass – ganz gleich, was Valens da genau tat – er keinen offiziellen Akt der Inkraftsetzung für den ganzen Osten vollzog. Sehen wir uns nun der Reihe nach die seltenen Gesetze an, die von »westlichen« bzw. »östlichen« Regelungen sprechen. Eine besonders aufschlussreiche Stelle enthält CTh. 16.5.48 vom 21. Februar 410 gegen »Montanisten, Priscillianisten und andere Formen derart frevelhaften Aberglaubens«. Darin werden die Mitglieder betroffener Gruppen vom erstrebenswerten Staatsdienst ausgeschlossen, der damals (ob zivil oder militärisch) militia hieß. Allerdings liegt das Hauptaugenmerk auf dem Hinweis, dass dieser Ausschluss sie keineswegs von der finanziell drückenden Zugehörigkeit zu einer Kurie oder der cohortalis militia (vgl. → S. 653) entbinde. Das, so führt CTh. 16.5.48 weiter aus, folge auch nicht aus einer Passage in einem westlichen Gesetz: Nec enim placet ex lege, quae in occidentalibus partibus promulgata praedictas caerimonias ita insecuta est, ut ab omni contractu eos et propemodum Romana conversatione submoverit, cohortalis militiae vel curiarum eos necessitatibus liberari, »Denn durch das Gesetz, das im westlichen Reichsteil erlassen [›promulgiert‹] wurde und das die vorgenannten Sekten dergestalt sanktioniert, dass es sie von jedem Verkehr und beinahe vom römischem Umgang abtrennt, wird nicht bestimmt, dass sie von den Verpflichtungen der cohortalis militia oder der Kurien zu befreien seien«. Bei diesem westlichen Gesetz sollte 152 es sich um CTh. 16.5.40 handeln, das Honorius am 22. Februar 407 gegen »Manichäer, 152 Das ältere Honoriusgesetz CTh. 16.5.40 ist nicht nur gegen Montanisten (»Phryger

und Priscillianisten«), sondern auch gegen Manichäer gerichtet. Das zitierende Gesetz CTh. 16.5.48 von Theodosius II. erwähnt die Manichäer nicht namentlich, was aber kein Hindernis für die Identifizierung darstellt. Der konkrete Anlass war ja offensichtlich, dass sich ein Montanist (nicht ein Manichäer) auf CTh. 16.5.40 berufen hatte, und deswegen wird auch nur der Fall des Montanisten, der so der cohortalis militia nicht entkommen kann, geregelt. Delmaire I, S. 302 Anm. 2, identifiziert das westliche Gesetz mit CTh. 16.5.42 (408), das Mitgliedern aller Sekten das intra palatium militare verbietet. Aber in CTh. 16.5.48 wird dem älteren Gesetz kein explizites militia-Verbot zugeschrieben, sondern vielmehr der »Ausschluss aus dem römischen Leben« (wie er sich in CTh. 16.5.40 findet, nicht aber in CTh. 16.5.42); und die verhasste cohortalis militia (d. h. die finanziell belastende militia in den Provinzen) findet sich im Vergleich zum hochbegehrten Dienst als Palatinus am anderen

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Phryger und Priscillianisten« erlassen hatte (dazu ausführlich → S. 471). Den Betroffenen wurde darin die Geschäftsfähigkeit genommen, sie konnten keine Zuwendungen von Todes wegen oder Geschenke empfangen, konnten nicht verschenken, kaufen, verkaufen oder Verträge abschließen. Gleich im Principium wurde dies zusammengefasst als Huic itaque hominum generi nihil ex moribus, nihil ex legibus sit commune cum ceteris, »Dieser Sorte Mensch sei daher nichts an Sitten, nichts an Gesetzen mit den übrigen gemeinsam«. Offenbar war also ein cleverer Montanist auf die Idee gekommen, aus seinen rechtlichen Beschränkungen wenigstens den Vorteil zu ziehen, den Lasten der Kurie und anderer Zwangszugehörigkeiten zu entkommen, indem er achselzuckend auf seine Absonderung von der Gesellschaft verwies. Ein Richter legte diese Frage dem Kaiser vor, der in Reaktion das als CTh. 16.5.48 teilweise erhaltene Gesetz erließ. Dem Ansinnen des findigen Montanisten wird ein Riegel vorgeschoben – den Fängen der Kurie oder der cohortalis militia zu entkommen, gelang wenigen, und verhasste Häretiker wären gewiss die letzten, bei denen der Kaiser ein Auge zudrücken würde. Das ursprüngliche Gesetz ist für den Autor von CTh. 16.5.48 eine lex in occidentalibus partibus promulgata; also nicht »das ursprünglich im Westen erlassene Gesetz«, sondern »das im Westen erlassene Gesetz«. Das klingt nicht so, als wäre je im Osten eine formale Bestätigung des fraglichen Gesetzes erfolgt, wie sich das die Anhänger der reichsteilbegrenzten Geltung vorstellen würden. Gleichwohl fühlt sich Theodosius II. veranlasst, auf die mutmaßliche Anfrage, ob die Konstruktion des schlauen Montanisten möglich sei, mit der Absendung einer neuen Regelung zu antworten. In dieser Konstitution sagt er nun nicht etwa, dass Gesetze des Westreichs niemals in seinem Reichsteil beachtlich seien; oder dass er in diesem speziellen Fall dem Gesetz des Westreichs in seinem Reichsteil die Gültigkeit versage; nein, er sagt lediglich, dass aus den Bestimmungen des fraglichen Gesetzes nicht zu folgern sei, Montanisten könnten sich so vor Kurie oder cohortalis militia drücken. Er nimmt also eine Auslegung bzw. Klarstellung zu einem Gesetz vor – was freilich voraussetzt, dass er es für in seinem Reichsteil gültig erachtete. 153

Ende der Skala: Niemand hätte sich auf ein Verbot des intra palatium militare berufen können, um der cohortalis militia zu entgehen (→ S. 653). 153 Gaudemet 1956, S. 330, fasst die Regelung hingegen folgendermaßen zusammen: »Il [Arkadius] y repoussait l’application en Orient d’une loi in occidentalibus partibus promulgata«, was wenig mit dem tatsächlichen Inhalt des Texts zu tun hat.

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Ferner wäre da CTh. 12.1.158 (398), Vaccillare … plurimos ordines civitatum comperimus, quia Iudaicae superstitionis sunt et quadam se lege, quae in Orientis partibus lata est, necessitate subeundorum munerum aestimant defendendos. Itaque hac auctoritate decernimus, ut eadem, si qua est, lege cessante … omnes … cuiuscumque superstitionis sint, ad complenda suarum civitatum munia teneantur, »Uns ist zu Ohren gekommen, dass etliche Stadtratsmitglieder … auf dumme Gedanken kommen: Sie sind nämlich jüdischen Unglaubens und meinen, sie könnten sich aufgrund eines bestimmten Gesetzes, das im östlichen Reichsteil erlassen wurde, vor der Pflicht zur Übernahme von munera schützen. Daher verordnen wir mit vorliegendem Erlass [auctoritas], dass selbiges Gesetz – sofern es überhaupt existiert – außer Kraft trete … und alle – ganz gleich welchen Unglaubens – zur Erfüllung der munera ihrer Städte gehalten sind«. Honorius’ Zweifel, ob besagtes östliches Gesetz denn nun überhaupt existiere (die unbegründet waren: CTh. 16.8.13 von 397), verraten uns viel über die damalige Situation. Entscheidend für unsere Fragestellung ist seine Reaktion: Er abrogiert das Gesetz – was nur dann notwendig ist, wenn es überhaupt (trotz seiner Unkenntnis!) theoretisch in seinem Reichsteil gültig gewesen wäre. 154 Ähnliches lässt sich beim folgenden Beleg beobachten: Wenn Theodosius II. im Jahr 428 (CTh. 4.6.8) ausdrücklich die vorherige Regelung – fraglos die des Arkadius 155 von 405 (CTh. 4.6.6) – bestätigt und die betroffenen Konkubinenkinder vor der legis, quae nuper lata est, asperitas, »der Härte des neulich erlassenen Gesetzes«, in Schutz nimmt, so kann damit nur CTh. 4.6.7 (Valentinian III., 426 oder 427, → S. 193296) gemeint sein. Für Gaudemet 1956, S. 336, ist das »un nouvel exemple du rejet des solutions occidentales et de la fidélité à la législation orientale antérieure«. Gaudemet stellt sich gar nicht die Frage, warum Theodosius II. extra ein Gesetz gegen eine Regelung erließ, die – jedenfalls laut Gaudemet – in seinem Reichsteil ohnehin nicht galt.

154 Vgl. Pietrini, S. 526 f. Allein die vorliegende Stelle reicht aus, um die Idee einer

reichsteilbegrenzten Gültigkeit zu falsifizieren. Gaudemet (1956, S. 328) hingegen paraphrasiert lege cessante wie folgt: [diese Formulierung] »écarte en tous cas l’argument d’analogie qu’elle pourrait fournir«. Wie er die »Ablehnung einer möglichen Analogie« in cessare hineinlesen will, führt Gaudemet nicht aus. 155 Evans Grubbs (2014, S. 40 mit Anm. 73) schreibt dieses Gesetz wiederholt Theodosius II. zu. Der damals vierjährige Theodosius II. war zwar bereits zum Mitkaiser neben seinem Vater Arkadius und seinem Onkel Honorius erhoben, aber Arkadius war noch am Leben.

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Manche Passagen lassen sich weder für die eine noch für die andere Seite als Beleg nehmen. Laut Zosimos (4.3.2 f.) untersagte Valentinian I. (!) bald nach der endgültigen Trennung der beiden Kaiser (im August 364) nächtliche Opferungen, was jedenfalls in Achäa zunächst beachtet wurde (denn der dortige Prokonsul Praetextat intervenierte erfolgreich bei Valentinian). Besagtes Gesetz scheint als CTh. 9.16.7 überliefert: Der Inhalt passt und auch das Datum (9. September 364). Allerdings ist der Adressat Secundus Prätoriumspräfekt von Oriens und gehört damit zum Reichsteil des Valens (!), das überlieferte Gesetz sollte also von Valens, nicht Valentinian I., stammen. In der Subskription fehlt die Ortsangabe. Wer an getrennte Reichsteillegislation glaubt (Gaudemet 1956, S. 327; Schmidt-Hofner, S. 354), argumentiert, die Brüder hätten die Maßnahme noch gemeinsam verabredet und dann jeweils getrennt erlassen. Doch auch wer nicht daran glaubt, hat keine Schwierigkeit anzunehmen, dass es sich um eine gemeinsam vereinbarte oder aber von Valens im Nachgang zu Valentinian I. explizit aufgegriffene Maßnahme handelt. Mit CTh. 6.23.3 von 432 verleiht Valentinian III. bestimmten Bediensteten am Kaiserhof, den decuriones und den silentiarii (zu beiden Jones, S. 571 f.), bestimmte Privilegien, was Theodosius II. mit CTh. 6.23.4 (437) bestätigt: beneficia, quae Dominus ac filius Noster Valentinianus semper Augustus erga eos contulit, confirmamus, »die Privilegien, die Unser Herr 156 und Sohn Valentinian, Kaiser auf immer, ihnen gegeben hat, bestätigen wir«. Doch das ist eine ganz normale Bestätigung wie viele andere auch (→ S. 124), die keinen Hinweis darauf gibt, dass das Gesetz von Valentinian III. zuvor im Osten notwendigerweise ungültig gewesen wäre. Ganz im Gegenteil: Der eigentliche Inhalt von CTh. 6.23.4 besteht in der Verleihung zusätzlicher Privilegien; die Bestätigung des Acquis ist also nur die Einleitung. Bemerkenswerterweise ist CTh. 6.23.3 selbst genauso aufgebaut: Erst bekräftigt Valentinian III. den Bestand – omnia privilegia, quae iam dudum divorum principum iudicio meruerunt, legis istius praeceptione noveris esse firmata, »du sollst wissen, dass sämtliche Privilegien, die sie sich bereits früher gemäß dem Urteil divinisierter Kaiser verdient haben, durch die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes bestätigt werden« –, dann fügt er weitere Vorrechte hinzu. Valentinian III. spricht pauschal von den früheren Kaisern, Theodosius II. hingegen bezieht sich auf das letzte solche Gesetz – eben das des Valentinian III. Angesichts dieses Befunds erscheint eine Bewertung der theodosianischen Konstitution als Bestätigung für den anderen Reichsteil als recht willkürlich. Das Gesetz, das in meinen Augen noch am ehesten als Beleg für eine reichsteilbegrenzte Gültigkeit dienen könnte, ist CTh. 10.19.7 (373?):

156 Vgl. CTh. 12.1.160, consulatu Domini Nostri Honorii Augusti fratris Aeternitatis Meae

IIII et …, »in dem Jahr des Konsulats Unseres Herren Honorius Augustus, des Bruders Meiner Äternität, zum vierten Mal, und …«; dominus allein kommt oft vor, sogar im Vokativ domine von Theodosius II. als Anrede an seinen jüngeren Mitkaiser Valentinian III., Nov. Theod. 2 § 3.

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prinzipien spätantiker gesetzgebung Quemadmodum Dominus Noster Valens per omnem Orientem eos, qui ibidem auri metallum vago errore sectantur, a possessoribus cunctis iussit arceri, ita Sinceritas Tua universos per Illyricum et dioecesim Macedonicam provinciales edicto conveniat, ut nemo quemquam Thracem ultra in possessione propria putet esse celandum … Ganz wie Unser Herr Valens in ganz Oriens anordnete, dass Leute, die dort dem Golde in unstetem Herumstreifen nachjagen, von sämtlichen Großgrundbesitzern zurückgewiesen werden müssen, so soll Deine Sinzerität alle Provinzialen in Illyrien und der makedonischen Diözese 157 durch ein Edikt auffordern, dass keiner fürderhin auf die Idee komme, einen Thraker auf seinem Gut zu verstecken …

In der Sache geht es um ortsgebundene Goldschürfer aus Thrakien, die besonderem fiskalischen Druck ausgesetzt waren (vgl. Amm. 31.6.6); sie hatten sich illegalerweise auf Wanderschaft begeben und arbeiteten nun anderswo für Gutsbesitzer. Valens hatte in der Präfektur Oriens 158 ein Gesetz veröffentlichen lassen, das Gutsbesitzer vor derlei Fehlverhalten warnte. Da CTh. 10.19.7 Thrax und Goldschürfer gleichsetzt und nur in den Grenzregionen zum Osten publiziert werden soll, geht es offensichtlich nur um Goldschürfer aus Thrakien, d. h. aus Valens’ Reichsteil. Da es vor allem im Interesse des Valens lag, diese in Thrakien zu halten, sollte auch die Anfrage, 159 die zu CTh. 10.19.7 führte, logischerweise aus dem Osten stammen, womöglich von Valens selbst: Seine Anordnung an die Gutsbesitzer »in ganz Oriens« 157 Warum die Diözese Makedonien – neben Pannonien und Dakien eine der drei Diöze-

sen der zur Zeit Valentinians I. nicht existenten Präfektur Illyrien (Jones, S. 126) – unlogischerweise neben Illyrien selbst genannt wird, weiß ich nicht. »Illyrien« als Synonym für die Diözese Pannonien scheint erst später belegt zu sein (→ S. 113); und wenn wirklich die pannonische Diözese gemeint wäre (so offenbar Sirks, S. 15, der jedenfalls immer nur von der »illyrischen Diözese« spricht), so fragt man sich erstens, warum die dakische Diözese (geografisch zwischen der pannonischen und der makedonischen gelegen) anscheinend absichtlich ausgenommen ist, und zweitens, warum nur bei Makedonien das dioecesis dabeisteht. Vielleicht darf man spekulieren, dass man in der zugrunde liegenden Anfrage darum gebeten hatte, entsprechende Warnungen den Gutsherren in der Diözese Makedonien »oder besser gleich in ganz Illyrien« (alternativ: »in ganz Illyrien, besonders aber in der Diözese Makedonien«) zukommen zu lassen. 158 Unter Valentinian I. und Valens gab es nur drei Präfekturen, zwei im Westreich, eine (nämlich Oriens) im Ostreich (→ S. 113). In dieser Zeit ist also die Präfektur Oriens mit dem Ostreich deckungsgleich. 159 Valentinian I. schreibt ja an den Prätoriumspräfekten von »Italien, Illyrien und Afrika«, weist ihn aber – auf den ersten Blick unerklärlicherweise – an, die Regelung ausschließlich »in Illyrien und der makedonischen Diözese« zu veröffentlichen. Da es auch anderswo Probleme mit abwandernden Bergleuten gab (anscheinend war Sardinien ein bevorzugtes Refugium geplagter metallarii, vgl. CTh. 10.19.6 und 10.19.9), kann die Beschränkung keine pragmatische Veranlassung gehabt haben. Es muss eine konkrete Anfrage zugrunde liegen.

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(weil er nur dort publizieren konnte) bliebe folgenlos, wenn seine thrakischen Bergleute zu den nahen Grundherren in Makedonien abwanderten (die noch niemand eingeschüchtert hatte). Ich würde die Formulierung Valens per omnem Orientem … iussit darauf beziehen, dass das (an sich überall gültige) Valensgesetz nur in ganz Oriens veröffentlicht wurde, was durch Edikte »in Illyrien und der makedonischen Diözese« ergänzt werden müsse. In diesem Fall liegt mit CTh. 10.19.7 also kein Beleg für eine reichsteilbegrenzte Gültigkeit vor. Freilich ließe sich Valens per omnem Orientem … iussit auch anders verstehen: Valentinian meint vielleicht, dass Valens »bekanntlich ja nur für Oriens« erlassen kann. Möglich wäre dieses Verständnis, aber dann würde man per Orientem, nicht per omnem Orientem erwarten. Tatsächlich kennen wir ein Valensgesetz bezüglich streunender metallarii, nämlich CTh. 10.19.5. Häufig wird dies als das Gesetz angesehen, auf das CTh. 10.19.7 Bezug nimmt – das scheint angesichts des unterschiedlichen Fokus unwahrscheinlich (laut CTh. 10.19.7 bedroht seine Valensvorlage Gutsherren, CTh. 10.19.5 hingegen erwähnt Gutsherren gar nicht und wendet sich direkt gegen die metallarii). Aber die genaue Formulierung von CTh. 10.19.5 ist aufschlussreich: Nullam partem Romani orbis credidimus relinquendam, ex qua non metallarii, qui incolunt latebras, producantur, »Wir meinten, dass kein Teil der römischen Welt [!] auszulassen sei, aus dem nicht die metallarii, die in Schlupfwinkeln hausen, vorzuführen seien«. Anhänger der Reichsteilgültigkeit sollten eigentlich die Formulierung Romanus orbis als grobe Provokation gegenüber Valentinian I. ansehen! Da dies keinesfalls so gemeint sein kann, folgt daraus, dass – wenn es überhaupt eine Reichsteilbegrenzung geben sollte – diese angesichts der Kollegiumsfiktion in offiziellen Kontexten totgeschwiegen wird. Und das wiederum impliziert, dass eine Interpretation i. S. v. »bekanntlich ja nur für Oriens« falsch sein muss.

Als sich mit der Fertigstellung des Codex Theodosianus die Abläufe änderten – damit nicht nach der umfangreichen Kompilationsarbeit, die die vorherige Unübersichtlichkeit beseitigen sollte, alsbald wieder Chaos entstünde –, wurden auch neue Regeln für die Übermittlung zwischen den Reichsteilen aufgestellt. Sie verraten uns viel über den vorherigen Zustand: CTh. 1.1.5 In futurum autem si quid promulgari placuerit, ita in coniunctissimi parte alia valebit imperii, ut non fide dubia nec privata adsertione nitatur, sed ex qua parte fuerit constitutum, cum sacris transmittatur adfatibus in alterius quoque recipiendum scriniis et cum edictorum sollemnitate vulgandum. Missum enim suscipi et indubitanter optinere conveniet, emendandi vel revocandi potestate Nostrae Clementiae reservata. Declarari autem invicem oportebit nec admittenda aliter. Wenn man aber künftig beschließen sollte, etwas zu erlassen, dann wird das im anderen Teil des ganz eng verbundenen Reichs gelten, wobei man sich aber

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prinzipien spätantiker gesetzgebung weder auf fragwürdige Authentizität noch Behauptungen von Privatleuten stützen darf. Nein; vielmehr soll die Regelung aus dem Reichsteil, in dem sie erlassen wurde, mit einem kaiserlichen Begleitschreiben übermittelt werden als ein Gesetz, das in den scrinia [Kanzleien oder Archiven] auch des anderen Teils zu empfangen und wie gewohnt mit Edikten zu verbreiten ist. Man wird übereinkommen, dass die Regelung empfangen werden und ohne Wenn und Aber Geltung erhalten soll (wobei die Möglichkeit des Modifizierens und Abrogierens Unserer Klemenz vorbehalten bleibt). Regelungen müssen also gegenseitig offiziell übermittelt werden – ansonsten dürfen sie nicht [vor Gericht] zugelassen werden.

Nov. Theod. 1 § 5 His adicimus nullam constitutionem in posterum velut latam in partibus Occidentis aliove in loco ab … Valentiniano posse proferri vel vim legis aliquam obtinere, nisi hoc idem divina pragmatica Nostris mentibus intimetur. Ferner darf künftig keine Konstitution, die z. B. von … Valentinian im westlichen Reichsteil oder sonst irgendwo erlassen wurde, [bei Gericht] vorgelegt werden oder irgendeine Gesetzeskraft erlangen, wenn selbiges [den Erlassungsakt?] nicht eine kaiserliche pragmatica Uns bekannt gemacht hat.

Nov. Theod. 2 pr. … legem Nostra Pietas promulgavit, quae … praeciperet, … si quid iuris ab altero Nostrum postea conderetur, id demum in alterius quoque principis regno vires proprias obtinere, quod generatim constitutum esset et divinis prosequentibus scriptis ad alterum principem fuisset emissum. … Unsere Pietät erließ ein Gesetz, das … anordnete, … dass, wenn eine Regelung von einem von Uns beiden fürderhin erlassen werde, diese nur dann auch im Reich [regnum] des anderen Kaisers die ihr eigene Kraft entfalte, wenn sie mit generalitas erlassen wurde und zusammen mit einem kaiserlichen Begleitschreiben an den anderen Kaiser übersandt wurde.

Man fasst diese Passagen allgemein so auf, als werde hier die Reichsteilung auf juristischer Ebene besiegelt; Ost- und Westreich akzeptieren die gegenseitigen Gesetze nur nach eigener Bestätigung. 160 Mir will es nicht gelingen, dies in die gerade zitierten Passagen hineinzulesen. Was wir hier haben, ist ein Schutzmechanismus, der das Entstehen einer neuen chaotischen Situation, wie sie vor dem Codex Theodosianus herrschte, verhindern soll: Damit nicht wieder in ein paar Jahren irgend-

160 So etwa Laquerrière-Lacroix, S. 471 (»toute constitution occidentale … doit rece-

voir sa confirmation [!] et être publiée pour devenir applicable en Orient«).

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jemand mit einer Konstitution daherkommt, die angeblich (fides dubia) von (sagen wir) Valentinian III. erlassen wurde und deren zweifelhafte Authentizität auf der eigenen Versicherung des Interessierten beruht (privata assertio), gibt es jetzt ein geregeltes Verfahren: Nur Konstitutionen, die der jeweils andere Kaiser selbst für »generell« und wichtig genug hält und dies durch gesondertes Anschreiben persönlich kommuniziert, sind beachtlich. D. h., es findet Kontrolle statt, aber eben nicht durch den empfangenden Kaiser, sondern durch den erlassenden Kaiser. Mehr ist nicht erforderlich, um der fremden Regelung Geltung zu verschaffen: Dem jeweiligen Kaiser 161 bleibt es zwar vorbehalten, Gesetze aus dem anderen Reichsteil, die ihm nicht gefallen, nachträglich zu modifizieren oder ganz zu abrogieren; 162 aber nirgendwo wird auch nur angedeutet, dass er zunächst eine (potenziell verweigerbare) Bestätigung geben müsste. Man beachte auch das in partibus Occidentis aliove in loco, »im westlichen Reichsteil oder sonst irgendwo«: Es geht gerade nicht um das von Gaudemet postulierte territoriale Prinzip (Westen versus Osten), sondern um ein personales (Gesetzgebung von Kaiser X und Kaiser Y, ganz gleich, wo sie gerade sind). 163 Man kann nicht übersehen, wie sehr Kaiser Theodosius II. in

161 Das Nostrae von emendandi vel revocandi potestate Nostrae Clementiae reservata muss

man auf das Kaiserkollegium beziehen, nicht als Pluralis maiestatis auf Theodosius II. allein. Denn dies entspricht der üblichen Verwendung (→ S. 112); und würde es nur um Theodosius II. gehen, bliebe das künftige Verhältnis zwischen den Reichsteilen ganz ungeregelt. Praktisch stellte sich das Problem ohnehin nicht: Valentinian III., so viel jünger und nur Kaiser dank des Eingreifens von Theodosius II., war ganz klar der Juniorpartner. 162 Mit CTh. 4.6.8 von 428 (→ S. 102) haben wir eben ein Beispiel gesehen, wie Theodosius II. die (in diesem Fall zu harsche) Gesetzgebung von Valentinian III. korrigiert. 163 Theodosius I. ist für die Anhänger der Reichsteilgültigkeit schwer in den Griff zu bekommen. Von 379 bis 392 war er (nur) Kaiser des östlichen Reichsteils, war aber bereits 388–391 zur Niederwerfung des Maximus im Westen (wo Valentinian II. Kaiser war) und erließ dort zahlreiche Gesetze, ehe er in den Osten zurückkehrte. Sind das jetzt westliche Gesetze? Oder östliche? Oder reichsweite? Gaudemet (1956, S. 351 f.) behauptet (ohne dies näher zu begründen), dass Theodosius I. westliches Recht schafft, wenn er an westliche Funktionäre schreibt, und umgekehrt östliches, wenn die Adressaten östliche Würdenträger sind. Doch dann müsste Gaudemet konsequenterweise Kopien an die weiteren Würdenträger des jeweiligen Reichsteils postulieren (sonst wären wir nicht mehr bei reichsteilbegrenzter, sondern bei empfängerabhängiger Geltung). Nähme man dies tatsächlich an, würde sich sogleich die Frage aufdrängen, warum Theodosius nicht auch die Funktionäre seines anderen Reichsteils in den (fiktiven) Verteiler einbeziehen sollte. All diese Widersprüche illustrieren, dass Gaudemet sein Modell nicht in aller Konsequenz durchdacht hat.

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drei jeweils neu formulierten Passagen dieses Verfahren immer wieder als Neuigkeit herausstellt und es insbesondere in der ersten Stelle von dem abgrenzt, was offenbar der vorherige Zustand war: fides dubia, privata assertio. Diese erste Passage besagt auch, dass die vom anderen Reichsteil übermittelten Konstitutionen prinzipiell mit Edikten zu publizieren seien; damit wollte man den problematischen Zustand beenden, dass zuvor die nicht vor Ort veröffentlichten (und damit weithin unbekannten) Normen aus dem anderen Reichsteil bei Rechtsstreitigkeiten überraschend vorgelegt werden konnten. Diese Deutung findet Bestätigung in Nov. Val. 26 (448), der Novelle, in der Valentinian III. die östlichen Novellen samt Begleitschreiben an seinen Prätoriumspräfekten zur Publikation weiterleitet: perferri eas in notitiam omnium cum supradicta venerabili iussione simul missa, quae nihil dubitationis reliquit, … decernet, »[Deine Magnifizenz] soll verfügen, dass sie [die Novellen] zur Kenntnis aller gebracht werden, samt dem zugleich übersandten, oben erwähnten ehrwürdigen Erlass [des Theodosius], der keinen Raum für Zweifel lässt«. Also: Was »keinen Raum für Zweifel lässt«, ist der Brief des Theodosius (weil dieser darin Authentizität und generalitas der übermittelten Gesetze garantiert), nicht die Anweisung des Valentinian III. Es geht also nicht darum, dass Valentinian III. die Gesetze akzeptieren müsste. Tatsächlich scheinen Arbeiten, die mit einer reichsteilbegrenzten Geltung operieren, irgendwie im luftleeren Raum zu hängen; sie blenden die Situation spätantiker Gesetzgebung aus. Kaiser erlassen nicht Gesetze mit Geltung für ihren Reichsteil, sondern schicken Briefe an einzelne Würdenträger, möglicherweise regelmäßig in identischer Kopie an andere Würdenträger. Ein »Reichsteil« kommt dort nie ins Spiel. Hinzu tritt die unreflektierte Vorstellung eines Top-Down-Verfahrens: In diesen Arbeiten ist oft die Rede von den »Kanzleien« in West und Ost und ihrer unterschiedlichen Rechtsentwicklung, die jedoch reine Hypothese bleiben. Was wir hingegen bestens aus zahlreichen kontemporären Quellen kennen, ist die Bottom-Up-Version: Vor Gericht will irgendjemand etwas durchsetzen und legt dazu ein (mehr oder weniger) passendes Gesetz vor. Zweifel an der Geltung betreffen dann beispielsweise den Präjudizcharakter (handelt es sich um eine Regelung für einen Einzelfall?), die Einschlägigkeit oder die Authentizität, niemals jedoch die Tatsache, ob das Gesetz nun »westlich« oder »östlich« ist. Wenn nun also Gesetze aus dem anderen Reichsteil gültig waren, die weder bestätigt noch überhaupt bekannt waren, folgt a fortiori, dass innerhalb eines Reichsteils sowieso alle Konstitutionen vor Gericht eingebracht werden konnten, unabhängig davon, an wen sie adressiert waren. Das e-silentio-Argument von eben lässt sich übrigens erweitern: Auch der Adressat einer Rege-

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lung spielt niemals eine Rolle, wenn die Gültigkeit von Gesetzen diskutiert wird. 164 Schauen wir uns trotzdem noch ein paar Stellen an. Da wäre CTh. 12.1.177 aus dem Jahr 413. Darin findet sich eine ganz unerhörte Sonderregelung für die Städte des vastatum Illyricum (»des verheerten Illyriens«): Wer nicht Dekurio ist und gleichwohl eine dekurionenartige öffentliche Ausgabe finanziert, erhält dadurch in dieser Stadt eine Rangstelle wie ein Dekurio, wird aber nicht wirklich zum Dekurio (d. h., verfällt nicht den dramatischen finanziellen Nachteilen). Freilich soll das Ganze ausschließlich für Illyrien gelten: apud omnes dumtaxat Illyrici civitates praecipimus observari, »wir ordnen an, dass [Folgendes] in allen Städten Illyriens –aber nur Illyriens! – zu beachten sei« steht im Principium; der letzte Satz (§ 1 a. E.) lautet: Quam legem, ex quo lata est videlicet valituram, per omne dumtaxat Illyricum praecipimus observari, »Wir ordnen an, dass dieses Gesetz, das freilich erst ab dem Zeitpunkt seines Erlasses gültig sein soll, in ganz Illyrien – aber nur in Illyrien! – zu beachten sei«. Dieses Gesetz ist, wenig überraschend, an den illyrischen Prätoriumspräfekten gerichtet. Wir lernen daraus: Ein spätrömischer Gesetzgeber macht es glasklar, wenn er will, dass der Anwendungsbereich einer Konstitution regional beschränkt ist; für die Proponenten der Adressatenhypothese müsste bereits die Tatsache ausreichen, dass das Gesetz nur an den illyrischen Prätoriumspräfekten adressiert ist und es (ihrer Logik folgend) keine weiteren Adressaten geben kann, um ihm jede Geltung außerhalb Illyriens abzusprechen. Der Brief (epist. Divj. 10), den Augustin an seinen Freund Alypius richtet und worin er ihn bittet, ein vorhandenes Gesetz von Kaiser Honorius »dergestalt bestätigen« zu lassen, dass es für seine Bedürfnisse passt, wurde bereits erwähnt (ausführlich dazu später → S. 600). Die Konstitution, die Augustin als Vorlage verwendet, war an den Prätoriumspräfekten von »Italien, Illyrien und Afrika« gerichtet, der auch für ganz Nordafrika außer der Africa Proconsularis zuständig war. Nun befand sich aber Hippo (und somit auch Augustin) in der prokonsularen Provinz; trotzdem schreibt er in tantum ea nos uti coepimus, in quantum, »wir haben es nur insoweit einzusetzen [!] begonnen, als …«; er fürchtet zudem, die Anwendung könnte überhand nehmen: metuimus, ne forte alii eos homines … ad poenam per hanc legem debitam trahant, 164 Für ein hochkaiserzeitliches Beispiel vgl. Mod. D. 27.1.6.2, ὅπερ δηλοῦται ἐξ ἐπιστολῆς Ἀντωνίνου τοῦ Εὐσεβοῦς γραφείσης μὲν τῷ κοινῷ τῆς Ἀσίας, παντὶ δὲ τῷ κόσμῳ διαφερούσης, »wie sich ergibt aus einem Brief von Antoninus Pius, der zwar

an das Koinon von Asien geschrieben wurde, aber die ganze Welt betrifft«.

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»wir haben Angst, dass vielleicht Dritte diese … Menschen … der durch dieses Gesetz vorgeschriebenen Strafe zuführen könnten«. Dass Augustin keine Version für den Prokonsul kennt, sondern ausschließlich die für den Prätoriumspräfekten, ist offenbar kein Problem. Und in der Tat: Bereits oben wurde der Fall erwähnt, bei dem ein an den Prätoriumspräfekten gerichtetes Gesetz in dieser Ausfertigung vom Prokonsul von Afrika zusammen mit einem eigenen Edikt veröffentlicht wurde (→ S. 55). Ferner sei an all die Fälle erinnert, bei denen wir positiv wissen, dass Gesetze in Regionen galten, die nicht dem Empfänger ihrer CTh.-Version unterstanden (→ S. 89). Wenn Theodosius II. explizit anordnet, dass für seinen Codex auch solche Gesetze zu exzerpieren seien, die nicht reichsweit gelten (→ S. 147), formuliert er wie folgt: vel in certis provinciis seu locis valere aut proponi iussae, »auch wenn von ihnen angeordnet wurde, dass sie [nur] in bestimmten Provinzen bzw. Orten gelten bzw. veröffentlicht werden sollen«; er stellt also auf eine einschränkende Klausel (wie beim Gesetz für Illyrien) oder einen begrenzten Publikationsbefehl ab – nicht aber auf einen eingeschränkten Adressatenkreis (also nicht: »auch wenn sie nur an bestimmte Statthalter abgeschickt wurden«). Überhaupt funktioniert die Idee der adressatendefinierten Gültigkeit ohnehin nur bei Empfängern mit geografisch definiertem Amtsbereich, also meinetwegen dem Prätoriumspräfekten von Illyrien. Dort könnte man sich, theoretisch, vorstellen, dass die Norm nur für seinen Amtsbereich gelten soll. Aber was ist dann mit Gesetzen, die wir nur aus Ausfertigungen kennen, die an Zentralbeamte wie den Comes sacrarum largitionum gerichtet sind? Gelten die dann überall? Oder gelten die nirgendwo? Keiner der Anhänger der empfängerbegrenzten Geltung hat sich, soweit ich sehe, je zu dieser Frage geäußert. Hinzu kommt, dass Gesetze fast nie mit Empfänger zitiert wurden, was gleichermaßen für die juristischen wie außerjuristischen Quellen gilt, und wenn dies doch geschieht, dann nur in Ausnahmefällen mit der regionalen Zuständigkeit des Empfängers. Ganz offenbar maß man ihr keine Bedeutung bei. Beispiele für die seltenen Fälle, in denen ein Empfänger genannt wird: Seine Vorlage für eine neue Regelung gegen Sklavenhändler (→ S. 600) nennt Augustin ein Gesetz, das Kaiser Honorius an den Prätoriumspräfekten Hadrian geschickt hatte (ohne Angabe der Präfektur); aber wie gesagt, nutzt Augustin dieses Gesetz außerhalb des angeblichen Geltungssprengels. In CTh. 5.1.2 (368?) verweist Valens auf eine constitutio divi Constantini ad Bassum praefectum urbis emissa, »eine Konstitution des divinisierten Konstantin, die an den Stadtpräfekten Bassus geschickt wurde«; wir

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kennen ihren Regelungskern als CTh. 5.1.1 (318). Valens, der östliche Kaiser, »bewahrt [!] das alte Recht und bestätigt die konstantinische Konstitution« (unter Modifikationen); eine Konstitution, wohlgemerkt, die Valens nur in einer Fassung kannte, die an den Stadtpräfekten der westlichen Hauptstadt Rom ergangen war. In Nov. Val. 32 pr. bezieht sich Valentinian III. auf ein Gesetz, das Honorius an den Präfekten Palladius (ohne geografische Angabe der Präfektur) geschickt hatte und das in den Codex Theodosianus exzerpiert worden war; die Angabe »Palladius« sollte also nur das Nachschlagen im CTh. erleichtern (freilich ist schwer nachvollziehbar, warum man nicht auch Buch und Titel angab, → S. 251).

Eine Frage wäre noch zu klären. Wenn keine formale Übermittlung stattfand (die ja erst mit dem Codex Theodosianus geregelt wurde), wie verhinderte man dann, dass die Rechtsgebiete (trotz theoretischer Gültigkeit der Gesetze) auseinanderdrifteten? Erstens fand in gewissem Rahmen eine solche Drift statt, wie die von Gaudemet und seinen Nachfolgern gesammelten Belege teilweise illustrieren. Zweitens darf man den Bottom-Up-Effekt nicht unterschätzen: Ein effizienter Anwalt zeichnete sich dadurch aus, alle der eigenen Seite potenziell nützlichen Normen (ganz gleich, wann und wo erlassen) zu kennen und sie, wenn angebracht, bei Gericht vorzulegen (worüber sich Ammian lustig macht, → S. 24). Gegebenenfalls leitete der Richter sie im Rahmen einer consultatio an »seinen« Kaiser weiter, der sie dann entweder bestätigte oder aber für nicht anwendbar erklärte. Wenn wir der Überlieferung trauen dürfen, geschah dies aber nur selten durch Abrogation (was angesichts der Kollegiumsfiktion nur die Ultima Ratio sein konnte), sondern eher durch modifizierende Bestätigung. Drittens versteht sich, dass die Reichsteile nicht wirklich getrennt sind. Bereits im Fall der thrakischen Bergbaumigranten (→ S. 103) scheint eine direkte Kommunikation zwischen den Kaisern die wahrscheinlichste Variante zu sein. Nicht nur Nov. Theod. 2, ein Schreiben von Theodosius II. an Valentinian III., sondern auch ein Brief von Honorius an seinen Bruder Arkadius ist uns erhalten (Avell. 38); 165 Symmachus wollte im Namen 165 Dagegen ist der angebliche Briefwechsel zwischen Honorius und Theodosius (CN

375 II/III) fraglos unecht. Für die Bibliografie vgl. Chrysos; freilich ist sein eigenes Argument (S. 246) gegen die Echtheit von CN 375 III, »regnum nostrum stellt … im Munde eines römischen Kaisers eine sprachliche Unmöglichkeit dar«, falsch (vgl. Nov. Theod. 2 pr., in alterius quoque principis regno, »auch im Reich des anderen Kaisers«; Nov. Maior. 1, regni Nostri … successus, »die Erfolge … Unseres Reichs«). Und CN 375 II »in seiner Echtheit als ein unanfechtbares Dokument anzusehen« (Chrysos, S. 244), weil der Brief Ideen aus einem Papstbrief aufgreift, überzeugt gar nicht. Neuerdings hat Millar (2006, S. 54) beide Schreiben ohne weitere Diskussion als authentisch akzeptiert. Tatsächlich sind die Texte erstens inhaltlich verdächtig: Die darin getroffene Regelung hinsichtlich Illyrien ist kontemporär in-

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von Valentinian II. an Theodosius I. und Arkadius schreiben (→ S. 113168); und aus dem Vorfeld von Chalkedon ist uns ein reger Briefverkehr innerhalb der kaiserlichen Familie erhalten (ACO 2.3.1, p. 13.1–17.6). Es gibt also keinen vernünftigen Grund anzunehmen, man hätte sich nicht wenigstens über wichtigere Gesetzgebungsunternehmungen gegenseitig informiert.

Zur Genese spätantiker Gesetze 1 Autorenschaft Spätantike Gesetze ergehen nach aller Wahrscheinlichkeit 166 stets im Namen des ganzen Kaiserkollegiums, d. h. aller zugleich regierenden Kaiser (freilich sofern der tatsächlich verantwortliche Kaiser sie als legitim ansieht). Ein Beispiel wäre etwa Imppp. Gratianus, Valentinianus et Theodosius AAA. ad Eutropium ppo., »Die Kaiser Gratian, Valentinian und Theodosius an den Prätoriumspräfekten Eutrop«. Ausnahmslos sind die Kaisernamen in absteigender Anciennität gereiht. Zur Bestimmung des tatsächlich erlassenden Kaisers muss man sich an den empfangenden Beamten halten (denn Kaiser adressieren eigentlich 167 niemals Briefe an Beamte, die ihnen nicht unterstehen) sowie an das Datum und den Ort der Absendung (→ S. 247). existent, der Kotau beider Kaiser vor der römischen Kirche in dieser Form ebenfalls zeitgenössisch unwahrscheinlich. Dazu kommt, dass beide Schreiben sprachlich viel zu schlicht für authentische Kaiserbriefe sind; wer die sicher echten Kaiserschreiben aufmerksam durchliest und dann CN 375 II/III vergleicht, wird den Stilunterschied kaum übersehen können. Und wenn man akzeptiert, dass der Antwortbrief CN 375 III (mit den praefectos praetorii Illyrici [sic], den »Präfekten des illyrischen Prätoriums«) unecht ist, ist es wenig überzeugend, mit Chrysos an der Echtheit der Anfrage CN 375 II festhalten zu wollen. 166 Manche Briefe scheinen, jedenfalls nach Ausweis der Überlieferung, nur von einem Kaiser verfasst zu sein; der Brief von Valentinian I. an die Bürger von Nikomedeia (→ S. 4754) ist uns bereits begegnet, ein weiteres Beispiel wäre ein Brief des Honorius an den Prokonsul von Afrika aus dem Jahr 419 (Avell. 35). Doch sind derlei Zeugnisse so selten, dass man wohl besser von Überlieferungsfehlern ausgeht (zum Nikomedeia-Brief vgl. etwa Classen, S. 40). Und in CTh.-Inskriptionen fehlen häufig nicht nur Caesares, sondern auch solche Augusti, denen kein nachhaltiger Erfolg beschieden war (so Konstans oder Konstantius III.); sie wurden aber keineswegs systematisch getilgt (vgl. Seeck, S. 112). 167 Die möglichen Ausnahmen bei De Dominicis, S. 387–390, besprochen bei Gaudemet 1979, S. 24–27 (Gaudemets Liste der Ausnahmen S. 24 Anm. 5 und S. 25 Anm. 1). Mindestens einige dieser Ausnahmen sind nur scheinbar und erklären sich durch

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Wie die Kaiser ein Kollegium bilden, so tun dies auch die Prätoriumspräfekten. Nach Konstantius II. bis zum Tod von Theodosius I. gab es normalerweise drei Präfekten, zwei im Westen – nämlich einen für den Nordwesten mit Spanien und der Tingitana (per Gallias) sowie einen für Italien, Illyrien und Afrika (zumeist nur per Italiam genannt) – sowie einen im Osten, für die Präfektur Oriens (per Orientem). Nach Theodosius’ Tod gab es vier, da im Osten noch der für (Ost-)Illyrien, per Illyricum, hinzukam. Ihm unterstanden nur die beiden Diözesen Makedonien und Dakien, während die dritte illyrische Diözese, Pannonien, beim westlichen Reichsteil verblieben war; daher hieß das Amtsgebiet des wichtigeren der beiden westlichen Prätoriumspräfekten weiterhin »Italien, Illyrien und Afrika«, auch wenn das westliche Illyrien gerade einmal aus der einen Diözese Pannonien bestand, die folgerichtig bald nicht mehr Pannonia, sondern schlicht Illyricum hieß (Jones, S. 156, S. 183; Fitz, S. 1195, S. 1315 f.). Die Edikte der Prätoriumspräfekten ergehen ausnahmslos durch das Kollegium, also nicht nur durch den einzelnen Präfekten, der es faktisch erlässt. Uns sind nur vier Begleitedikte der Prätoriumspräfekten zu Kaiserkonstitutionen erhalten (→ S. 6184), aber wir kennen eine ganze Reihe eigenständiger Edikte des Kollegiums der Prätoriumspräfekten (Feissel, S. 53, S. 399–428).

Die Fiktion des erlassenden Kollegiums wird in offiziellen Kontexten außerhalb der Gesetze oft durchgehalten. So richtete der Stadtpräfekt Symmachus seine relationes zumeist 168 an alle amtierenden Kaiser. Als die afrikanischen Bischöfe zwei Gesandte zu Kaiser Honorius in Italien schickten, auf dass dieÜberlieferungsfehler (Schmidt-Hofner, S. 353–358, zu Recht gegen Pergami, S. XLII–XLIV, der anhand dieser wenig belastbaren Evidenz die reichsteilübergreifende Geltung nachweisen wollte; freilich beweist Schmidt-Hofner nicht das Gegenteil, wenn er Pergamis Irrweg aufzeigt). 168 Innerhalb der Brieftexte werden regelmäßig die amtierenden Kaiser im Plural angesprochen, während die Inskription mitunter im Singular steht (z. B. bei rel. 1, D. N. Valentiniano semper Aug., aber im Text die Anrede domini imperatores). In manchen Ausgaben (so schon in der Editio princeps) werden vom Herausgeber die Anreden angepasst. So steht in der Budé-Ausgabe von Callu statt des überlieferten Vokativs Domini Imperatores vielmehr Domine Imperator Valentiniane inclyte, victor ac triumphator semper Auguste – wohlgemerkt, ohne jede handschriftliche Absicherung und noch dazu ohne irgendeinen Hinweis im Apparat! Genauso gut hätte man ja auch die Empfängerangabe um die Mitkaiser ergänzen können. Freilich ist die Angelegenheit komplizierter. Zwei Relationes, die angesichts des Inhalts wirklich nur an Valentinian II. allein, nicht an das ganze Kaiserkollegium gerichtet sind (rel. 13, eine Gratulation zu Valentinians Dezennalien; rel. 43, in Valentinians II. Namen soll an Theodosius I. und Arkadius geschrieben werden), verwenden durchgehend die zweite Person Singular (also etwa als Anrede an den Kaiser Clementia Tua, »deine [!] Klemenz«), und bei den Relationes 14, 21 und 34 liegt eine Mischung von Anreden vor, die mir nicht auf Überlieferungsprobleme zurückzugehen scheint: Symmachus wechselt in die zweite Person Singular, wenn er Verwandtschaftsverhältnisse beschreibt (z. B. divus genitor Tuus für Valentinian I., der ja nur Vater von Valenti-

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ser Gesetze in ihrem Sinne bestätige, formulierten sie die Instruktionen für ihre Botschafter konsequent so, als würden diese sich an eine Pluralität (d. h. in diesem Fall: Arkadius, Honorius, Theodosius II.) wenden, also z. B. Petendum etiam, ut lex, quae … ab Eorum quoque Pietate hactenus repetatur, »Außerdem muss ersucht werden, dass das Gesetz, das …, auch von Deren [d. h. der drei Kaiser] Pietät dergestalt erneuert werde, dass …« (→ S. 526). Bischof Appion adressierte seine berühmte Petition (deren von Theodosius II. eigenhändig abgezeichnete Abschrift auf Papyrus erhalten ist) aus Syene im äußersten Süden Ägyptens ganz korrekt an Θεοδοσίῳ καὶ Βαλεντινιανῷ, »Theodosius und Valentinian« (P. Leid. 2 Z). Davon abgrenzen muss man freilich das Phänomen des Pluralis maiestatis, der regelmäßig in Gesetzen selbst dann begegnet, wenn gerade nur ein Kaiser regiert (vgl. Corcoran, S. 318– 320). Umgekehrt wird die Fiktion in der Formulierung von Gesetzen nicht immer konsequent verwirklicht. Ein Beispiel haben wir bereits gesehen (nämlich CTh. 10.19.7: ein Brief faktisch von Valentinian I., nominell auch von Valens, in dem Valens in der dritten Person erscheint, → S. 103), weitere lassen sich dem leicht hinzufügen (vgl. z. B. CTh. 11.1.6, CTh. 6.4.30, Nov. Val. 27 § 3, Nov. Val. 32 pr., Nov. Anth. 2 pr.; für Konstitutionen von Theodosius II. vgl. Millar 2006, S. 12). Sogar der Singular begegnet trotz Kollegiumsfiktion und Pluralis maiestatis (vgl. Corcoran, S. 320–323, insb. S. 321 Anm. 22). 169 Außerhalb von formalen Kontexten gab man sich selten die Mühe, vom Kollegium zu sprechen: Das Zehnpfundgoldgesetz von 392 ist für Augustin ein Gesetz des Theodosius (→ S. 524), obwohl mindestens von Kaiser Arkadius miterlassen. 170 Das Gesetz über Sklavenhändler schickte laut Augustin »Honorius« an den Prätoriumspräfekten Hadrian (→ S. 49), obwohl damals mindestens Arkadius mitregierte, eventuell auch schon Theodosius II. (Allerdings wünscht sich Augustin im selben Brief inkonsequenterweise, dass die piissimi nian II., nicht von Theodosius I. und Arkadius war) oder seinen Kaiser besonders affektvoll ansprechen will (z. B. quae divini pectoris Tui sollicitavit quietem). 169 Freilich gibt es auch Fälle, in denen der Singular notwendigerweise stehen muss. Wenn Kaiser Theodosius I. im Jahr 390 seinem Prätoriumspräfekten Tatian schreibt (CTh. 12.1.121), das Vermögen von Mitgliedern des Dekurionenstands, die zu Klerikern geweiht wurden, sei nur dann nicht anzutasten, wenn die Ordination ante secundum consulatum Mansuetudinis Meae, »vor dem zweiten Konsulat Meiner [!] Mansuetude«, erfolgt sei, kann nicht Nostrae stehen: Im Jahr 388 (um das es geht) war nur Theodosius I. zum zweiten Mal Konsul, nicht aber seine Mitkaiser Valentinian II. und Arkadius. 170 Laut Codex Theodosianus auch noch von Valentinian II., der allerdings in Wahrheit kurz zuvor umgekommen war.

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Christianique principes – also Valentinian III. und Theodosius II. – das neue Gesetz erlassen sollen, obwohl die Anfrage realiter nur an Valentinian III. geht.) Als Augustin nach der Verhaftung des Faventius gegenüber Florentin auf ein kaiserliches Gesetz pochte, berief er sich gegenüber diesem Amtsträger auf die lex imperatoris, nicht: imperatorum (entsprechende Formulierungen in leichter Modifikation finden sich in jedem der Briefe epist. 113–115). Derlei Stellen ließen sich beliebig vermehren, Gegenbeispiele finden sich nur selten. 171 Die Schizophrenie der Kollegiumsfiktion ist in keinem Gesetz offensichtlicher als in Nov. Theod. 1, einer Regelung, die – natürlich – im Namen von Theodosius II. und Valentinian III. ergeht, dann aber regelt, unter welchen Umständen Gesetze Geltung erlangen, die im anderen Reichsteil erlassen wurden. Wir haben einen Ausschnitt aus diesem Text bereits in anderem Zusammenhang betrachtet (→ S. 106), nun interessieren uns folgende Formulierungen (§ 5): constitutio … lata in partibus Occidentis … ab invictissimo principe filio Nostrae Clementiae perpetuo Augusto Valentiniano, »eine Konstitution, die … vom unbesiegbaren Kaiser, dem Sohn Unserer Klemenz, dem ewiglichen Augustus Valentinian, im westlichen Reichsteil … erlassen wurde« (d. h. »erlassen von« mit nur einer Person) bzw. (§ 6) quae per Orientem Nobis auctoribus promulgantur, »die von Uns als Autor [trotz grammatikalischen Plurals: Theodosius II. allein] im Ostreich [Oriens, vgl. → S. 151225] erlassen werden«. Diesem antiken Sprachgebrauch folgen wir Moderne, wenn auch wir ohne Weiteres davon sprechen, »Theodosius« oder »Honorius« habe dieses oder jenes Gesetz erlassen. Freilich ist das nicht nur hinsichtlich der Kollegiumsfiktion eine Verkürzung: Damit ist lediglich gemeint, dass das Gesetz vom Hof des genannten Kaisers stammt, nicht anders, wie wenn die Digestenwissenschaft die Konvention benutzt, »Justinian« tropisch für das Wirken seiner Rechtswissenschaftler zu verwenden (»hier formuliert Justinian um«, »das lässt Justinian weg«). 172 Wie genau die kaiserliche Gesetzgebung stattfand, 171 Derartige Gegenbeispiele wären etwa Aug. c. Cresc. 3.47.51, ad eiusdem Theodosii

filios provocandum putavit, »[ein verurteilter Häretiker] meinte, er müsse Berufung bei den Söhnen ebendieses Theodosius einlegen«; epist. 105.2.4, ad imperatores catholicos ausus est appellare, »er wagte, bei den katholischen Kaisern Berufung einzulegen«. Beide Stellen beziehen sich auf dieselbe Episode (den Crispin-Prozess), realiter geht es um eine Berufung bei Honorius (→ S. 520). Zum Zeitpunkt der Berufung Crispins war Theodosius II. bereits ebenfalls Augustus (seit 402). Augustin ignoriert also den Kleinkindkaiser oder subsumiert ihn – den Enkel – unter filii. 172 Freilich kommt es immer wieder vor, dass manche Moderne von einem solchen tropischen Gebrauch der Kaisernamen in unreflektierter Weise auf antike Verhält-

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darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. So ist natürlich klar, dass Kindkaiser ihre Gesetze nicht selbst ausgestalteten; beispielsweise war beim Erlass der Oratio mit Zitiergesetz und generalitas-Definition (→ S. 161) der nominell verantwortliche Valentinian III. gerade einmal sieben Jahre alt. 173 Dasselbe mag man annehmen dürfen im Falle besonders schwacher Kaiser, die nach Ausweis unserer Quellen unter der Fuchtel bestimmter starker Persönlichkeiten wie z. B. Stilicho, Rufin, Eutrop oder Galla Placidia standen. 174 Freilich wäre es aus mehreren Gründen naiv, z. B. einfach jedes Gesetz des Honorius dem Stilicho (bis zu dessen jähen Sturz) zuzuschreiben. Erstens werden viele Details der Rechtsfortgestaltung den ambitionierten germanischen Heermeister schlichtweg nicht interessiert haben, und zweitens kann man nicht ausschließen, dass Honorius eigene Interessen entwickelte. So fragte man sich in Afrika nach dem Tod des Stilicho, wer denn nun eigentlich hinter der scharfen antidonatistischen Gesetzgebung der letzten Jahre steckte: der gerade gestürzte und ermordete Heermeister (wie die Donatisten hofften) oder der flügge gewordene Theodosius-Sohn (wie Augustin meinte, worin er auch Recht behielt, → S. 572). Wie die Suche nach dem Urheber auf der Ebene der Verantwortlichkeit in der Aporie endet, so gelangen wir auch kaum zu einem befriedigenderen Ergebnis beim Versuch, den Urheber auf der Ebene der Formulierung zu bestimmen (Gaudemet 1979, S. 13–16). Optimistischer war Honoré (S. 12–14), der ohne Weiteres davon ausging, alle Gesetzestexte seien vom Quästor 175 vernisse rückschließen. In den Worten von Classen, S. 69: »Vor der aller historischen Erfahrung widersprechenden, naiven Auffassung, die Kaiser hätten nicht nur stets den Inhalt ihrer Erlasse ganz allein bestimmt, sondern darüber hinaus in der Regel die Texte Wort für Wort selbst aufgesetzt, kann nicht genug gewarnt werden; es ist erstaunlich, daß sich dieser Irrtum bis in die jüngste Zeit unter Historikern und Juristen immer wieder findet«. 173 Valentinian III. wurde am 2. Juli 419 geboren (Seeck 1920b, S. 399 zu 64, 32), die berühmte Oratio trägt den 6. oder 7. November 426 als Datum (→ S. 161). Warum laut Harries Valentinian III. zu diesem Zeitpunkt ein »four-year-old« (Harries 2010, S. 4) bzw. »then aged 5« (Harries, S. 36) gewesen sein soll, ist nicht nachvollziehbar. 174 Angeblich soll Pulcheria versucht haben, ihrem politisch desinteressierten Bruder Theodosius II. das Abzeichnen ungelesener Dokumente abzugewöhnen, indem sie ihm die Weggabe seiner Ehefrau Eudocia in die Sklaverei unterschreiben ließ. Ganz abgesehen von ihrer intrinsischen Unwahrscheinlichkeit ist die Anekdote nur bei deutlich späteren Autoren überliefert. 175 Über den Quästor findet sich in der Notitia Dignitatum (or. 12.3 f., oc. 10.3 f.): sub dispositione v. i. quaestoris: leges dictandae, »Zuständigkeitsbereich des v. i. Quästors: Diktieren der Gesetze« mit dem Zusatz (or. 12.6, ähnlich oc. 10.6): officium non habet, sed adiutores de scriniis quos voluerit, »er hat keinen festen Stab, aber sehr

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fasst; weswegen man, sofern man die Gesetzesfragmente chronologisch sortiert und kleinste stilistische Unterschiede im Sprachlichen erfasst, mit sozusagen Morelli’scher Methode die Hand der verschiedenen Quästoren erkennen und sogar ihre approximativen Wirkungszeiten bestimmen könne. Tatsächlich muss Honorés Versuch (mindestens für seine Arbeit am Codex Theodosianus) 176 als gescheitert betrachtet werden. Zugegebenermaßen lässt sich manchmal eine stilistische Verwandtschaft chronologisch nahestehender Gesetze feststellen (→ S. 302, dort aber in Abweichung von Honoré!). Doch ob der spekulativ rekonstruierbare Autor dann aber wirklich der Quästor ist oder ein Zuarbeiter des Quästors oder (wer sollte es ihm verbieten?) der Kaiser selbst 177 – wir wissen es einfach nicht (vgl. Matthews, S. 179). Man könnte vermuten, dass manches Gesetz, das von einer Anfrage ausgelöst wurde (dazu gleich mehr), Phrasen aus ebendieser Anfrage (soweit rhythmisch möglich) aufgriff. Während dies Spekulation bleiben muss, lässt sich hingegen mehrfach nachweisen, dass aus älteren Gesetzen Formulierungen wortwörtlich übernommen wurden. Es wird also nicht – anders als Howohl von ihm frei gewählte Zuarbeiter aus den Kanzleien«. Dass der Quästor offiziell für das Diktieren der Gesetze zuständig war, ist gut belegt, z. B. wenn sich Symmachus brieflich bei seinem Freund Ausonius beschwert, dass der – in dieser Zeit nicht nur ein erfolgreicher Dichter, sondern auch als Quästor dienend – sich nicht melde (epist. 1.23.3): Quaestor es, memini; consilii regalis particeps, scio; precum arbiter, legum conditor, recognosco, »Quästor bist du, ich erinner’ mich schon; an den kaiserlichen Kabinettssitzungen nimmst du teil, ich weiß ja; Entscheider über Petitionen, Errichter [conditor] von Gesetzen [bist du], das ist mir schon klar«. Aus diesen und ein paar weiteren Stellen schließt Honoré (S. 12 f.): »From Valentinian I onwards, then, if not earlier, the quaestor drafted general laws«. Man sollte eher daraus schließen, dass der Quästor formal dafür zuständig war; was nicht ausschließt, dass manche Kaiser eigene Ideen hatten, dass Passagen wörtlich aus Vorlagen übernommen wurden oder dass die adiutores massiv zuarbeiteten. Von diesen drei Punkten lassen sich die ersten beiden belegen, der dritte ist intrinsisch wahrscheinlich. 176 Für seine vergleichbare Analyse der früheren Reskripte, bei denen er die a libellis bzw. magistri libellorum voneinander abgrenzen wollte (Honoré 1994), vgl. die durchaus wohlmeinende Besprechung von Millar zur ersten Auflage, wo er (Millar 1986, S. 276) allerdings auch die scharfen Wertungen weniger freundlicher Rezensenten referiert und mit britischem Understatement resümiert: »As regards the methods of stylistic analysis which H. chose to employ, it seems clear that we have to conclude that they were not the best ones available«. 177 Honoré hat dazu nur einen Satz zu sagen (S. 12 Anm. 114): »Laws composed by emperors are very unusual«, wobei er ausschließlich auf einen eigenen Aufsatz zu Justinian (!) verweist. Ein besserer Referenzpunkt wären hingegen die griechischen Briefe in Julians eigenem Epistolar, die klare Überschneidungen mit lateinischen Texten des CTh. zeigen, → S. 219327.

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noré apriorisch voraussetzt – jedes Gesetz von Grund auf neu formuliert. Wenn Honoré dann ausgerechnet eine solche wörtliche Übernahme aus einem älteren Text als stilistisch typisch für einen von ihm angenommenen späteren Quästor ansieht (→ S. 680), verliert man unweigerlich das Vertrauen in Honorés Stilempfinden; und die Beweiskraft der Morelli’schen Methode erstreckt sich nur so weit, wie das Zutrauen zu ihrem Verwender reicht. Das Fazit ist also unbefriedigend: Trotz vieler Indizien wissen wir nicht genau, wer die spätantiken Konstitutionen veranlasst und wer sie im Einzelnen ausformuliert hat. Solange man sich dessen bewusst ist, dass die spätantike Legislation für uns in einer Black Box stattfindet, ist es gleichgültig, welches Etikett wir auf diese Black Box kleben – etwa tropisch den Namen des regierenden Kaisers, oder generell »der Kaiser«, oder eine nicht näher definierte Bezeichnung wie die kaiserliche »Zentrale« oder »Kanzlei« (so etwa Classen, S. 82).

2 Veranlassung Fergus Millar beschrieb 1977 in seinem wegweisenden Buch The Emperor in the Roman World den vorspätantiken Kaiser als im Wesentlichen reagierend: Er setzt üblicherweise keine selbstinitiierte Politik ins Werk, sondern ist in allererster Linie damit ausgelastet, die zahlreichen Anfragen, die von allen Seiten auf ihn einprasseln, zu bescheiden. Zwar kann er auch dadurch die Rechtsfortbildung in eine persönliche Richtung lenken, aber wohlgemerkt nur dann, wenn überhaupt entsprechende Anfragen eintreffen. Die Kontroverse um das von Millar gezeichnete Bild hat Schmidt-Hofner (S. 11–18) ausführlich dokumentiert und in die Spätantike weiterverfolgt. Schmidt-Hofner selbst prüft es anhand der Gesetzgebung von Valentinian I. und neigt einer vermittelnden Lösung zu. Zu Recht lehnt er im Fazit (Schmidt-Hofner, S. 341) die Kategorien ab, die der Titel seines Buchs – »Reagieren und Gestalten« – definiert: Eine Maßnahme, die sich auf eine Anfrage bezieht, ist formal reagierend, kann aber inhaltlich in beliebigem Ausmaß gestaltend sein. Nun besteht unsere Quellenbasis zu Valentinian I. zum allergrößten Teil aus kontextlosen Gesetzesfragmenten, sodass jede Interpretation, ob dieses oder jenes CTh.-Fragment aus einer ursprünglich reaktiven oder aber spontan erlassenen Konstitution stammt, in den meisten Fällen Spekulation bleiben muss. Quellenmäßig eine sehr viel festere Basis stellen die zahlreichen vollständig erhaltenen Konstitutionen dar (→ S. 49), in deren Einleitungen die Kaiser oft (aber keineswegs immer) den Auslöser für ihr Eingreifen benennen.

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Anhand der mehreren hundert vollständigen Konstitutionen aus unserer Zeit ließe sich dazu eine aussagekräftige Statistik erstellen; bislang wurden immerhin die Novellen von Valentinian III. durch Bianchi Fossati Vanzetti (S. 33–38) sorgfältig ausgewertet. Von den 46 valentinianischen Novellen beziehen sich 17 (37 %) auf die suggestio des Würdenträgers, an den sie gerichtet sind; vier weitere erwähnen zwar eine offizielle Funktionärsanfrage, richten sich aber an einen anderen Würdenträger (9 %). Wiederum vier Novellen verweisen auf konkrete Petitionen namentlich genannter Privatleute (9 %), zwei weitere Novellen stellen Spezialfälle dar (4 %). 178 Damit bleiben immerhin 19 Novellen (41 %), bei denen kein Bezug auf eine konkrete Eingabe hergestellt wird. Das schließt freilich nebulöse Verweise wie die folgenden nicht aus: aditi exoratique sumus, »man trat an Uns heran und flehte Uns an« (Nov. Val. 2.4), frequens ad Nos … querela pervenit, »oft gelangte zu Uns … die Beschwerde« (Nov. Val. 16), querimonia plurimorum, »die Beschwerde recht vieler Leute« (Nov. Val. 27 pr.), oder ne ulterius querella procedat, »damit das Klagen nicht weitergeht« (Nov. Val. 35).

Man wird ihre Ergebnisse grosso modo verallgemeinern dürfen, zumal laut Honoré (S. 133) von den 81 vollständigen Novellen von Theodosius II. und Valentinian III. zusammen 37 auf den Beamten, auf dessen Bericht das Gesetz zurückgeht, verweisen. 179 Ein typisches Beispiel, wie sich der Kaiser auf einen Bericht (suggestio) vonseiten eines Würdenträgers bezieht, ist etwa Nov. Theod. 22.1 § 1, Huius iniquissimae rei acerbitate commotam Celsitudinem Tuam a Nobis remedium postulasse praesens suggestio declarat, »Deine vorliegende suggestio hat zum Inhalt, dass Deine Celsitude, aufgewühlt von der Bitternis dieser außerordentlichen Ungerechtigkeit, von uns Abhilfe erbeten hat«. Solche Würdenträgeranfragen (Harries, S. 47–53) begegnen natürlich auch in der zeitgenössischen Literatur, so etwa in der folgenden Stelle von Libanios, in der wir ähnliche Motive in der Formulierung (schlimmer Zustand, Erbeten von Abhilfe) wiederfinden (or. 48.19): τὸν Ἀπρώνιον ἐννοεῖτε τὸν ἀπὸ τῆς Χαλκηδόνος μέχρι τῶν πρὸς Κιλικίαν ὅρων ἄρχοντα καὶ ὡς ἠλέησε τὰς βουλὰς καὶ ὡς ἐμήνυσε βασιλεῖ τὴν περὶ αὐτὰς τύχην καὶ ὡς ᾔτησεν ἴασιν … 178 Es handelt sich dabei um Nov. Val. 26 (Übermittlung der Gesetze aus der östlichen

Reichshälfte, → S. 108) und Nov. Val. 18 (das Manichäergesetz im Kontext von Bischof Leos Manichäerhatz, → S. 785), wo jeweils keine suggestio o. ä. zugrunde liegt, gleichwohl aber Valentinian III. durchaus einen klaren externen Anstoß hat. 179 Freilich müsste demnach der Anteil der theodosianischen Novellen, die infolge einer suggestio ergingen, höher als derjenige der valentinianischen Novellen sein.

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prinzipien spätantiker gesetzgebung Ihr denkt da an den Apronios, dessen Amtsgebiet sich von Chalkedon bis zur kilikischen Grenze erstreckte [d. h. die Diözese Pontika – Apronios war also Vikar]: dass er sich der Kurien erbarmte, dem Kaiser Meldung über ihr [trauriges] Los machte und um Abhilfe bat …

Wir haben bereits gesehen (→ S. 27), dass neben der suggestio, die zu einem Gesetz führen kann, auch die consultatio existierte, mit der ein Würdenträger um Auskunft in einem anhängigen Prozess bittet (worauf der Kaiser mit einem Reskript Antwort gibt). Das dritte lateinische Wort für ein Würdenträgerschreiben, relatio, ist weniger streng definiert. Alles Mögliche kann eine relatio sein. 180 So finden sich denn auch ganz unterschiedliche Schreiben in der Sammlung der relationes des Stadtpräfekten Symmachus, deren Spektrum von Dankesbriefen (z. B. 1, 2) und Glückwunschadressen (z. B. 13, 47) über Bitten um Privilegien für andere (z. B. 5, 42) bis hin zu consultationes (z. B. 16, 19, 28, 39) und suggestiones (z. B. 14) reicht. In zwei der consultationes (16, 28) geht es um ganz konkrete Fälle, in denen Symmachus aus bestimmten Gründen verfahrenswidrig eine Berufung zum Kaiser zugelassen hatte, und tatsächlich richtet Valentinian II. Ende 384 an Symmachus eine Konstitution, mit der er solche Berufungen künftig generell erlaubt. 181 Neben den Beamtenbriefen konnten auch Petitionen (preces) von privater Seite zu einer Gesetzesänderung führen. Bei den Gesetzen, die infolge einer Privatpetition ergehen, bitten die Petenten (soweit ersichtlich) niemals um eine generelle Gesetzesänderung, sondern lediglich um ein Reskript, das ihren konkreten Fall betrifft. Im Senatsprotokoll zum Codex Theodosianus (→ S. 138) findet sich folgender kollektive Wunsch in einer Akklamation (Gest. in sen. 5): Ut ad preces nullae leges promulgentur, rogamus, »Wir bitten, dass keine Gesetze auf eine Petition hin erlassen werden«. Dabei dürfte es (pace Honoré, S. 133) kaum um Fälle wie die gleich genannten gehen, sondern um forschere Anfragen, mit denen von vornherein eine echte Gesetzesänderung (nicht nur ein Reskript) erbeten wurde (vielleicht darf man die Gesandtschaft der afrikanischen katholischen Bischöfe gegen die Donatisten als einen solchen Fall von preces werten, → S. 526). 180 Synonym für consultatio: in den Titeln CTh. 11.29 und CTh. 11.30, ganz deutlich z. B.

in CTh. 11.29.4; Synonym für suggestio: In CTh. 9.19.3 (368?) maßregelt Valentinian I. den Prokonsul von Afrika, weil er sich den Gebrauch der kaiserlichen Kanzleischrift anmaße; die consultationes relationesque aus Afrika verwenden skandalöserweise diese Schrift. Weitere CTh.-Beispiele sind CTh. 8.5.55, 11.1.9, 15.5.4; aus den Novellen: ein suggestio-artiger Bericht des Bischofs von Rom: Nov. Val. 17 pr.; ein Schreiben zwischen Statthalter und Prätoriumspräfekt, Nov. Val. 23 § 6. 181 Ob das entsprechende Gesetz CTh. 11.30.44 direkt in Antwort auf eine der beiden erhaltenen relationes ergangen ist, bleibt freilich unbeweisbar.

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Sehen wir uns Beispiele für derlei Gesetze an. In Nov. Val. 8.1 unterscheidet der Kaiser ganz klar zwischen dem Bescheid des konkreten Falls (§ 3, In praesenti vero causa viro illustri Auxiliari domum restitui iubemus invasam …, »Im vorliegenden Fall aber ordnen wir an, dass dem v. i. Auxiliaris das okkupierte Stadthaus zurückzugeben sei …«) und der allgemeinen Regelung (§ 2, quia … frequenter pro multorum negotiis specialis querella commonuit omnibus profutura decerni, »da ja … häufig eine spezifische Beschwerde zur Mahnung wird, für die Angelegenheiten vieler Menschen etwas zu verordnen, was dann allen nutzen wird«). Ein anderes Exempel bietet Nov. Val. 21.2 (→ S. 643): Darin geht es um das vollständig eigenhändig abgefasste (»holografische«), aber zeugenlos errichtete Testament der Micce, aus dem die Pelagia erben will. Das erlaubt ihr Valentinian III. auch und verfügt zudem die allgemeine Gültigkeit holografischer Testamente für die Zukunft. Zusätzlich werden in derselben Novelle auch noch weitere Details des Testierrechts modifiziert, die in keinerlei Zusammenhang mit dem Bittgesuch der Pelagia stehen. Man muss hier offenbar gut-thukydideisch zwischen Ursache (Regelungswille der kaiserlichen Zentrale hinsichtlich des Testierrechts) und Anlass (Petition der Pelagia) trennen. Noch ein Beispiel, wieder im Zusammenhang mit dem eigentlich regelwidrigen Testament einer Erblasserin, die dieses Mal den Namen Hypatia trug (→ S. 273). Wir sind im Jahr 455. Seit dem Jahr 370 war es Witwen untersagt, nichtverwandte Kleriker letztwillig zu berücksichtigen, die Erblasserin Hypatia hatte es trotzdem getan. Kaiser Markian bestätigte nicht nur das eigentlich ungültige Testament, sondern nahm auch den konkreten Fall der Hypatia zum Anlass, um das seit fast drei Generationen geltende Verbot Valentinians I. (→ S. 296) aufzuheben (Nov. Marc. 5 § 1 von 455, vgl. → S. 30778). Soll man etwa glauben, Markian wäre sonst nicht auf diese Idee gekommen? Es wäre höchst verwunderlich, wenn nicht der eine oder andere Kleriker über die Jahre mit diesem Gesetzesänderungswunsch an die Kaiser seit Valentinian I. herangetreten wäre. Wenn dies dann erst im Jahr 455 geschah, dann garantiert nicht deshalb, weil der Fall Hypatia endlich des Kaisers Interesse auf diese bislang völlig übersehene Frage gelenkt hätte. Umgekehrt gaben die spätantiken Kaiser – trotz gelegentlich anderslautender Proklamationen (→ S. 38) – fraglos zahlreiche Privatprivilegien contra ius heraus, die keine allgemeine Gesetzesänderung auslösten: Als Theodosius I. dem Libanios ein rescriptum contra ius gewährte, sodass dieser seinem Konkubinensohn schenkweise Vermögenswerte übertragen konnte (→ S. 343), hat dieser Kaiser den Vorfall eben nicht zum Anlass genommen, die Bestimmung generell zu ändern: Obwohl Libanios fraglos nicht der einzige war, der sich in seiner familiären Situation bittend an den Kaiser wandte,

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wollte Theodosius I. nur eine Ausnahmegenehmigung gewähren, nicht aber die Rechtslage allgemein modifizieren. Auch wenn ein Kaiser also eine Privatpetition als Anlass der Gesetzesänderung nennt, heißt das noch lange nicht, dass wir den Grund seines Agierens kennen. Mehr noch: Es drängt sich sogar der Verdacht auf, dass es Autoren von Gesetzen schlichtweg für guten Stil hielten, eine veranlassende Person zu nennen, dass also das, was »Reaktion« zu sein scheint, in manchen Fällen nur vorgeschoben und der Textsorte »Konstitution« geschuldet ist. Das würde ich unbedingt für den Fall der Hypatia annehmen, und auch das Gesetz zum Micce-Testament leitet Valentinian III. wie folgt ein (Nov. Val. 21.2, 446): Cum sciamus et divos principes et Clementiam Nostram condendarum legum fomitem frequenter invenisse de precibus, iuvat ex facto, quod nuper evenit, cunctis profutura sancire, »Da bekanntlich sowohl die divinisierten Kaiser als auch Unsere Klemenz häufig den Anlass [fomes] zum Erlass von Gesetzen in Petitionen fanden, ist es Uns eine Freude, ausgehend von einer unlängst vorgefallenen Angelegenheit Regelungen zu treffen, die allen Menschen künftig von Nutzen sein werden«. Doch selbst wenn eine Anfrage eine Regelung nachweislich auslöste, bedeutet das noch lange nicht, dass ein willenloser Kaiser ausgearbeitete Vorschläge zu gültigen Normen erklärte: In einem Fall liegt uns sowohl die zugrunde liegende Petition afrikanischer Bischöfe wie der normative Kern der daraus resultierenden Konstitution vor; wir werden sehen, dass sich der Kaiser durchaus von der Eingabe inspirieren ließ, aber dennoch sehr wohl sein Gesetz unabhängig gestaltete und viel strengere Maßnahmen ins Werk setzte (→ S. 564; für weitere Beispiele vgl. → S. 51740, → S. 783). All dies zeigt, dass »Reagieren« versus »Gestalten« als dichotomes Modell für den spätantiken Regierungsstil in der Tat nicht überzeugen kann. Gerade da Verweise auf konkrete suggestiones oder Petitionen namentlich genannter Absender so häufig sind, fällt ihr Fehlen auf. Betroffen sind davon anscheinend 182 oft besonders grundlegende Gesetze (die also nicht das Alltags-Klein-Klein regeln), darunter etwa Nov. Val. 27 (449), ein Gesetz, das die Gültigkeit der 30-jährigen Verjährung für alle Fälle festschreibt (und als Veranlassung nur nebulös auf die »Beschwerde vieler« verweist: Quam Nobis necessitatem ferendae legis iusta imposuit querimonia plurimorum, »Die berechtigte Beschwerde recht vieler Leute hat Uns die Notwendigkeit, dieses Gesetz zu erlassen, auferlegt«) oder Nov. Theod. 3 mit einem Rundumschlag gegen 182 Wie so oft, käme man hier weiter mit einer systematischen Auswertung der mehre-

ren hundert vollständig erhaltenen Gesetze – eine Kärrnerarbeit, die freilich erst noch zu leisten ist und eine brauchbare Edition derselben voraussetzen würde.

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Heterodoxe (den Theodosius II. in §§ 1, 8 mit philosophischen Erörterungen begründet, worin er auch auf ominöse Wetterkapriolen im vorausgehenden Jahr hinweist) oder Nov. Val. 10 (441), ein Gesetz, das Steuerprivilegien für hochgestellte Persönlichkeiten und Kleriker streicht (man kann sich schwer vorstellen, dass jemand diese Bitte offen als suggestio an den Kaiser herantrug). Wie bereits bei der Diskussion der Autorenschaft scheint das Fazit auch in diesem Abschnitt zunächst wenig befriedigend: Bei den Codex-TheodosianusFragmenten – die den allergrößten Teil unseres Materials ausmachen – fehlen die Einleitungen, sodass wir nicht sagen können, welcher Umstand (zumindest angeblich) zur Normensetzung führte. Mehr noch: Wie eben gesehen, bin ich durchaus skeptisch, ob jede nominell proklamierte Veranlassung der tatsächliche Grund war; es könnte sich um einen Anlass (im thukydideischen Sinne) handeln oder sogar nur um ein Zugeständnis an die Art und Weise, wie der Comment den inneren Aufbau einer Konstitution vorsah. Und selbst wenn eine Anfrage zugrunde lag, die den Kaiser zum Reagieren brachte, konnte seine Reaktion derart eigenständig ausfallen, dass eine Abgrenzung zum Agieren schwerfällt. Demnach würde ich anhand eines ganz anderen Kriteriums Vermutungen anstellen, wann der Kaiser Anfragen bescheidet und wann er (ob nun anlasslos oder nicht) umfangreiche eigene Ideen gesetzgeberisch umsetzt. Meine Methodik setzt voraus, dass die Kompilatoren im Regelfall sorgfältig arbeiteten (vgl. → S. 186). Wenn dann ein CTh.-Fragment ziemlich kurz ist, darf man vermuten, dass auch die vollständige Konstitution nicht mehr Regelungsgehalt bot. Trifft dieses kurze Fragment ferner nur Bestimmungen für eine spezielle Konstellation, spricht viel dafür, dass das Gesetz in Antwort auf eine ganz konkrete Anfrage erging. Warum es trotzdem von den Kompilatoren exzerpiert wurde, werden wir später besprechen. 183

183 Nach meinem Modell hat der erlassende Kaiser in der vollständigen Konstitution

eine Formulierung verwendet, die ich generalitas-Marker nenne (ausdrückliche Bekräftigung der Ewigkeit oder Generalität der Regelung oder breiter Publikationsbzw. Weiterleitungsbefehl, → S. 200). Allerdings ist es eine berechtigte Frage, warum der Kaiser eine so spezielle Regelung überhaupt mit einer Formulierung versah, die man später als generalitas-Marker verstand. Aber man vergleiche Nov. Val. 8.1 §§ 1, 3–5, wo die Eingabe des v. i. Auxiliaris breit geschildert und dann beschieden wird – für die allgemeine Publikation (§ 6) hätte doch die generelle Regelung von § 2 ausgereicht. Aber anstatt den konkreten Fall in ein Reskript zu packen und nur die allgemeine Bestimmung weithin proponieren zu lassen, zieht man es vor, auch den auslösenden Konflikt der Bevölkerung detailreich zur Kenntnis zu bringen.

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Umgekehrt stellt die schiere Länge eines Gesetzes allein kein Indiz für Originalität dar: Wenn dort lediglich verschiedene früher erlassene Maßnahmen aufgezählt werden (Beispiel: bestimmte als häretisch angesehene Gruppen dürfen keine Kleriker weihen; sie sind aus Städten zu vertreiben; sie dürfen keine Versammlungsstätten errichten …), kann es sich um eine Bestätigung handeln, die lediglich den aktuell geltenden Rechtszustand zusammenfasst. Wenn aber ein Gesetz viele unterschiedliche Konstellationen regelt und Fallunterscheidungen vornimmt (Beispiel: wenn der häretische Erblasser Hauserben hat, dann … ; andernfalls …), lässt sich daraus zwar nicht ableiten, dass die (verlorene) Einleitung keine Anfrage nannte – an das Pelagia-Gesetz als Gegenbeispiel sei erinnert. Andererseits vermute ich sehr stark, dass eine Konstitution mit umfassendem normativen Kern, der sich durch Regelungsfreudigkeit auszeichnet und verschiedene Tatbestände berücksichtigt, oft auf den Gestaltungswillen der kaiserlichen Zentrale verweisen sollte. Denn weder in Privatpetitionen noch in relationes des Symmachus noch in kirchlichen Anfragen, wie wir sie aus Nordafrika oder den Konzilsakten kennen, finden sich ausformulierte Blaupausen für Gesetze: Man will normalerweise 184 genau eine Konstellation beschieden bekommen, weswegen es keine Fallunterscheidung geben kann. Wenn der Kaiser ein Mehr regelt, wird dies meistens auf ihn zurückgehen.

3 Bestätigungen Ein auffälliges Charakteristikum der spätantiken Gesetzgebung sind die zahlreichen Wiederholungen. 185 Blättert man durch den Codex Theodosianus, findet man in ein und demselben Titel häufig mehrere Fragmente, die jeweils dieselbe Bestimmung (wenn auch in anderen Worten) treffen. Dass diese Ge-

184 Vielleicht könnte manchem die Petition der afrikanischen Bischöfe, die jedenfalls bei

ihrem Vorschlag für die erbrechtliche Sanktionierung der Donatisten durchaus ein paar Variablen berücksichtigen (→ S. 540), als Gegenbeispiel erscheinen. Aber gerade der Vergleich der Detailfülle von CTh. 16.6.4 mit der Petition zeigt, dass mein Modell auch hier ganz gut funktioniert: Was Honorius letztlich regelt, geht weit über das Angefragte hinaus. 185 Es scheint keine Arbeit eigens zu den Bestätigungen zu geben, aber vgl. die klugen Bemerkungen von Harries, S. 82–88, S. 212. Dass uns die Bestätigungen so typisch spätantik erscheinen, ist wohl nur ein Überlieferungsphänomen, vgl. D. 27.1.6.8, aus einer Konstitution des Commodus, der eine Verfügung des Antoninus Pius wörtlich zitiert, die ihrerseits einen älteren Erlass von Hadrian referiert und bestätigt.

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setze erlassen wurden, erklärt sich teils aus dem Fehlen eines zentralen Registers und einer einfachen Möglichkeit, das geltende Recht zu zitieren: Wenn sich ein Amtsträger beim spätantiken Kaiser kundig machte, wie dieser oder jener Fall zu entscheiden sei, war es einfacher, die Rechtslage noch einmal zusammenzufassen, anstatt auf frühere Gesetze zu verweisen, die der Anfragende im Zweifelsfall doch nicht aufgefunden hätte. In der gekürzten Fassung, in der die allermeisten Normen auf uns gekommen sind, bleibt von einer solchen Antwort nur die generelle Regelung übrig. Dem systematischen Leser erscheint daher der Codex Theodosianus – wo all diese Fragmente gesammelt und typischerweise im selben Titel hintereinander stehen – unweigerlich als redundant. Das Schreiben des Amtsträgers (oder auch Petenten) an den Kaiser muss dabei nicht unbedingt von einer tatsächlichen Unkenntnis der Rechtslage ausgelöst sein: In vielen Fällen dürfte der Wunsch zugrunde gelegen haben, sich rückzuversichern, ob die aktuelle Regelung (möglicherweise ja von einem Vorgänger oder Mitkaiser erlassen) tatsächlich den Wünschen des amtierenden Kaisers entsprach. 186 Eigentlich hatten Kaiserkonstitutionen kein Verfallsdatum – im Gegenteil, von früheren legitimen Kaisern erlassene Gesetze wurden als besonders beachtlich proklamiert (→ S. 129) –, aber wenn zur Lösung eines aktuellen Falls ein alter Erlass herangezogen werden musste, konnte eine Rückversicherung beim Kaiser gewiss nicht schaden. 187 Oder aber eine 186 Ein Beispiel: Der Stadtpräfekt Symmachus (rel. 39) ist im Jahr 384/5 mit dem Fall

der gerade volljährig gewordenen Musa konfrontiert, deren väterliches Erbe teilweise durch ihren Vormund weggegeben worden war. Musa erhielt eine Ausnahme, um noch verspätet klagen zu können. Aber der Fall konnte auch innerhalb der Nachfrist nicht abgeschlossen werden, woran allein der Richter schuld war. Der Prozessgegner beharrte nun auf einem konstantinischen Gesetz (CTh. 2.6.1 von 316), dass es keine weiteren Verlängerungen mehr geben dürfe. Der Anwalt der Musa hingegen verwies auf ein gerade einmal 20 Jahre altes Gesetz von Valentinian I. (CTh. 11.31.2 von 365), wonach eine weitere Verlängerung möglich sei, sofern es ohne Schuld der Prozesspartei zur Verzögerung gekommen war und diese vielmehr dem Richter zuzuschreiben sei. Aufgrund dieses Widerspruchs in den Gesetzen, so Symmachus, sei ihm selbst keine Entscheidung möglich, weswegen er sich an das Kaiserkollegium wende. Man sieht: Obwohl die zweite Regelung erheblich jünger war, die lex specialis darstellte und evident gerecht war, zog Symmachus vor, sich rückzuversichern. In seiner (nicht erhaltenen) Antwort wird sich Valentinian II. entweder an die konstantinische oder an die valentinianische Regelung gehalten haben; wenn ihm die Angelegenheit wichtig war und er dies mit generalitas tat, hätte er eine weitere Bestätigung geschaffen – und zwar offensichtlich weder aus »Verzweiflung« noch zu »Propaganda«-Zwecken (→ S. 130). 187 Ein schönes Beispiel bietet Nov. Val. 21.1 von 446: Iam dudum quidem divus avuncu-

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solche Nachfrage wurde in der Absicht gestellt, ein an sich geltendes Gesetz offiziell aufheben zu lassen (was natürlich voraussetzt, dass der nachteilig Betroffene aus irgendeinem Grund die Unterstützung des anfragenden Würdenträgers besaß). Unklar bleibt, ob Rückfragen bei Auslegungsproblemen verpflichtend waren oder nur aus weiser Voraussicht erfolgten. 188 Neben den angefragten Bestätigungen gibt es auch die unangefragten. Ein gutes Beispiel ist CTh. 16.11.3 (410). Das Codex-Theodosianus-Fragment lautet vollständig (ohne Inskription und Subskription): Ea, quae circa catholicam legem vel olim ordinavit antiquitas vel parentum Nostrorum auctoritas religiosa constituit vel Nostra Serenitas roboravit, novella superstitione submota integra et inviolata custodiri praecipimus, »Was hinsichtlich der katholischen Religion einst das Altertum anordnete oder die religiöse Autorität Unserer Vorfahren verfügte oder Unsere Serenität bekräftigte, das soll – so befehlen wir – nach Beseitigung des neuen Unglaubens ganz und ungeschmälert eingehalten werden«. Hätten wir nur diesen Text, könnten die Spekulationen über seine Verlus Noster testamentorum compendia generali lege complexus formulam iuris antiqui et inanem verborum conquisitionem non necessariam iudicavit validissimam statuens voluntatem, cum de Nostris altaribus coniuges petunt, ut decedenti prius succedat superstes. Sed quoniam Leonius vir spectabilis munitus veteribus constitutis Nostram supplex maluit expectare sententiam, occasionem novandae legis amplectimur, »Eigentlich hat ja bereits vor langer Zeit Unser divinisierter Onkel [Honorius] Vereinfachungen für Testamente mit einer lex generalis geregelt und dabei die Formulierungen des alten Rechts und die sinnlose Wortklauberei für überflüssig erklärt. Er hat dabei auch festgelegt, dass ein Testament zweifelsfrei gültig sei, wenn Ehegatten von Uns direkt erbitten, dass der überlebende Gatte dem Erstverstorbenen nachfolge. Aber da der v. s. Leonius, obwohl ihm die alten Regelungen zu Gebote standen, lieber als Petent Unser Urteil abwarten wollte, nehmen wir gern diese Gelegenheit zur Bestätigung des Gesetzes wahr«. 188 Wir haben gesehen, dass Plinius kurz nach 100 nicht nach Analogie urteilen wollte und es vorzog, an Trajan zu schreiben (→ S. 20) – was impliziert, dass er theoretisch nach Analogie hätte urteilen können. Das entspricht dem Verständnis der Juristen Julian und Ulpian (vgl. D. 1.3.10–13, D. 1.3.32 pr.; Kaser I, S. 213). Justinian hingegen besteht in solchen Fällen darauf, konsultiert zu werden (Const. Tanta 18; vgl. CI. 1.14.12 §§ 3–5). Der früheste mir bekannte Beleg für eine Rückfragepflicht ist CI. 1.14.11 von 474 (CI. 1.14.1 ist sinnverändernd aus dem Kontext gerissen und möglicherweise stark verändert, vgl. die Vorlage CTh. 1.2.3; Nov. Marc. 4 pr. von 454 erzwingt Anfragen nicht: Der Kaiser muss Unklarheiten beseitigen, damit Richter nicht »schwanken« – nicht etwa, damit sich Richter die Anfragen sparen). Ob Richter um 400 frei mit Analogien arbeiten durften, ist deswegen aber keineswegs sicher; man muss mangelnde dogmatische Durchdringung des Problems befürchten und darf umgekehrt davon ausgehen, dass es vom Comment vorgegebene Grenzen gab: Im Zweifel konnte eine Anfrage beim Kaiser nicht schaden.

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anlassung beliebig ins Kraut schießen (zu den Varianten »Verzweiflung« und »Propaganda« kommen wir gleich, → S. 130). Tatsächlich ist uns diese Konstitution ausnahmsweise vollständig erhalten: Es handelt sich um den Ladungsbefehl für die Collatio von 411 (CN 324; zur Collatio vgl. → S. 574). Von den 3.700 bis 3.800 Zeichen des Originals blieben wenig mehr als 200 als Fragment übrig (also ca. 6 %). Während die vollständige Fassung regelt, nach welchen Spielregeln die Collatio zu laden und durchzuführen war, bleibt in der Kürzung nur das kleine Schnipsel von allgemeinerer Bedeutung, das im Original dem Empfänger gleichsam als Nachsatz eine allgemeine Richtschnur vorgab (id ante omnia servaturus, ut ea, quae circa catholicam legem … custodias, »wobei du in erster Linie darauf achtgeben musst, dass du alles, was hinsichtlich der katholischen Religion …, einhältst« – die Auslassung entspricht dem restlichen Inhalt von CTh. 16.11.3). 189 Das Wiederholen der Gesetze wird gelegentlich in den Einleitungen der vollständig erhaltenen Konstitutionen thematisiert. So findet sich recht bald nach dem Anfang des Collatio-Ladungsbefehls (CN 324) folgender Satz: Nos tamen eadem frequentius non piget replicare, quae omnium retro principum devota in deum definivit auctoritas, »Aber Wir werden nicht müde, häufig zu wiederholen, was die gottergebene Autorität aller früheren Kaiser bestimmt hat …«; Honorius’ Begründung dafür ist, dass niemand später sagen soll, zu seinen Zeiten sei die Sache Gottes vernachlässigt worden! Auch andere Rechtfertigungen für das Wiederholen finden sich. In einer Novelle gibt Theodosius II. als Grund dafür an, dass eigentlich die vorhandenen Gesetze ausreichen würden, er aber rechtskonformes Verhalten dem Strafen vorzieht (Nov. Theod. 8 pr., 439): repetitio vero legum Nostrae est humanitatis indicium, si quidem, cum priorum aculei adversus temeratores earum sufficerent corrigendos, admoneri tamen per legis repetitionem delinquentes volumus quam poenas exigi delictorum. Ideo calcatam legem, quae de navigiis non excusandis olim fuerat promulgata, suggestione Tuae Sub189 CN 324 ist im Protokoll der Collatio von 411 zweimal überliefert, und zweimal bietet

der Text subreptione statt des Worts superstitione im Codex Theodosianus. Korrekt ist ohne jeden Zweifel subreptione: Die alten Gesetze sind ungeschmälert einzuhalten, »wobei das neuartige, erschlichene Gesetz aufgehoben ist«. Tatsächlich bietet CN 324 einen ganzen Absatz über den Anfang 410 kurzfristig gültigen Toleranzerlass (→ S. 573), der Honorius mittlerweile reute und dessen Ungültigkeit er nun betont. Ohne diesen Kontext ist subreptione (»Erschleichung«) natürlich unverständlich. Haben die Kompilatoren daher absichtlich zu superstitione geändert? Das Ergebnis ist unglücklich, denn der Donatismus war zu diesem Zeitpunkt bereits ungefähr ein Jahrhundert alt, also gewiss kein neuartiger Unglaube (wäre CN 324 nicht erhalten, würde wohl so mancher CTh. 16.11.3 auf den Pelagianismus beziehen). Fand also vielleicht doch keine bewusste Modifikation statt, sondern das banale superstitione entstand bereits vor der Kompilation durch einen Kopistenfehler aus dem ungewöhnlichen subreptione?

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limitatis edocti humanis sensibus saluberrima repetere scita compellimur, »das Wiederholen von Gesetzen ist jedoch Zeichen Unserer Humanität, da wir ja – obwohl doch die Sanktionen der früheren Gesetze zur Besserung ihrer unbesonnenen Verletzer ausreichen würden – Übertreter lieber durch die Wiederholung eines Gesetzes mahnen als Strafe für Übertretungen einfordern wollen. Informiert durch die suggestio Deiner Sublimität über die Missachtung des Gesetzes, das man einst hinsichtlich des Verbots der Exemtion von Schiffen erlassen hatte, sind wir daher gezwungen, den Gemütern der Menschen die höchstsegensreichen Regeln zu wiederholen«. Anscheinend ist also diese Bestätigung als Warnschuss gedacht: Eigentlich gibt es bereits alle notwendigen Regelungen, um Übertreter abzuurteilen, aber durch diese Wiederholung führt ihnen Theodosius II. ein letztes Mal die Folgen ihres Tuns vor Augen. Das Originalgesetz (CTh. 13.7.2) stammte übrigens aus dem Jahr 406, war also zum Zeitpunkt der Novelle bereits mehr als eine Generation alt. Möglicherweise glaubten daher manche Übertreter, die Regelung – da offenbar mehr oder weniger vergessen – straffrei ignorieren zu können. Und in der Tat unterstellt Valentinian III. in einem fast gleichzeitigen westlichen Gesetz implizit, dass ein »frisches« Verbot mehr gilt als eine ältere Untersagung (Nov. Val. 6.1 pr., 440): Frequentare saepius constituta temeritas plectenda compellit, ut inexcusabilis culpa sit, quam etiam recens prohibitio non emendat. Nulli enim concedi fas est, si toties vetita, nunc quoque severius interdicta temptaverit, »Zu strafende Dreistigkeit zwingt uns, Bestimmungen häufig zu wiederholen, sodass eine Schuld unverzeihlich sei, die auch ein frisches Verbot nicht bessert. Denn niemandem darf man Zugeständnisse machen, wenn er Dinge, die schon oft verboten und auch jetzt noch strenger untersagt sind, unternehmen sollte«. Als sich Augustin ein neues Gesetz bzw. eine modifizierte Bestätigung gegen Sklavenhändler wünscht, verweist er auf frühere Zeiten, wo die Situation incomparabiliter longe minus fuit, quando tamen imperator Honorius ad praefectum Hadrianum legem dedit, »unvergleichlich weniger problematisch war, als Kaiser Honorius ein Gesetz an den Präfekten Hadrian schickte« (→ S. 600). Das alte Gesetz hatte also nach weniger als 30 Jahren seine abschreckende Kraft zu einem guten Teil eingebüßt. Der schönste Beleg dafür, dass ein »frisches« Gesetz mehr zählt als ein »abgestandenes«, findet sich in einer hebräischen Exegese, deren Redaktion in der Spätantike abgeschlossen wurde (Siphre Deut. 33, p. 59.9 f.): ‫ אלא‬,‫שלא יהו בעיניך כדיוטגמא ישנה שאין אדם סופנה‬ ‫ שהכל רצים לקראתה‬,‫כדיוטגמא חדשה‬, »[Das bedeutet,] dass sie [Gottes Gebote] in deinen Augen nicht sein sollen wie ein altes Edikt, 190 das kein Mensch respektiert, 191 sondern wie neues Edikt, zu dem alle hinrennen«. 190 Der griechische Terminus technicus διάταγμα (das ist die exakte Entsprechung von

lateinisch edictum, vgl. Katzoff, S. 819) ist im hebräischen Original als ‫ דיוטגמא‬transliteriert. Das Wort begegnet (in dieser oder anderen Transliterationen) mittelhebräisch auch in Kontexten, die nichts mit dem Römischen Reich zu tun haben, z. B. »er (Josua) verbreitete das Edikt« oder »ein König hatte zehn ungerathene Söhne, … welche seine zehn Edikte übertraten« (Belege von Levy I, S. 395, s. v. ‫)דיוטגמא‬. 191 Dies ist die Standardbedeutung von ‫ ספן‬im Mittelhebräischen, vgl. Levy III, S. 567, s. v.: »Scheu, Ehrfurcht haben, achten«.

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Aber es gibt noch einen anderen wichtigen Grund für Wiederholungen, oder, besser gesagt, scheinbare Wiederholungen. Wer eine Änderung der Rechtslage will, formuliert dies öfters (vgl. → S. 526, → S. 600) nicht als Bitte um ein neues Gesetz, sondern äußert den Wunsch, ein bereits vorhandenes Gesetz möge »dergestalt bestätigt« werden, dass es die eigenen Interessen verwirkliche. Hintergrund wird sein, dass es angesichts der häufigen Bestätigungen bereits gültiger Regelungen niederschwelliger für den Gesetzgeber war, eine solche Modifikation einfließen zu lassen, als ein dezidiert »neues« Gesetz zu erlassen. Anders als heute, wo das »Reformieren« (sprich: Ändern) automatisch erstrebenswert erscheint und sich daher Politiker durch »Reformieren« (nicht durch »Bewahren« des Vorhandenen) profilieren, war der spätantike Gesetzgeber konservativ (vgl. Honig, S. 127–144): Es klingt geradezu defensiv, wenn Arkadius schreibt: CTh. 4.4.3 § 2 (402?), Nec enim novum promulgamus, sed divi Constantini sanctionem et inclytae recordationis sententiam patris Serenitatis Nostrae Nostraque super huiusmodi causa, quae sunt ex antiquioribus propagata, secuti decreta statuimus, »Denn wir erlassen keine neue Regelung, sondern folgen der Verfügung des divinisierten Konstantin, ferner einem Beschluss des Vaters gerühmten Andenkens Unserer Serenität sowie Unseren eigenen einschlägigen Erlassen, die die vorherigen fortsetzen, wenn wir bestimmen, …«. Dieselbe Idee liegt einer Formulierung fünf Jahre früher am Hofe seines jüngeren Bruders in Mailand zugrunde (CTh. 16.2.30, 397): Non novum aliquid praesenti sanctione praecipimus, »Nichts Neues verordnen wir mit vorliegendem Erlass«. Wie in den spätantiken Kaiserkonstitutionen üblich (→ S. 238), existiert nicht das eine Mot juste für »wiederholen«: Ganz austauschbar erscheinen repetere, replicare, renovare, novare, roborare, confirmare, geminare, iterare u. a. Die Wiederholungen müssen zudem nicht explizit erfolgen (»hiermit bekräftige ich das Gesetz von …«); dies kann auch implizit geschehen (d. h. durch Referat der geltenden Rechtslage). Regelungen werden (jedenfalls soweit nachvollziehbar) nur in Ausnahmefällen durch wörtliches Zitat (vgl. → S. 675, → S. 554) erneuert, zumeist hingegen in bewusst anderer Formulierung. Die neue sprachliche Ausgestaltung gibt dabei typischerweise nicht jedes Detail der ursprünglichen Regelung wieder, sondern fasst das Wesentliche zusammen. Ob das in der älteren, »bestätigten« Konstitution zusätzlich Geregelte weiter galt, lässt sich nicht eindeutig sagen: Ist die Bestätigung kurz und allgemein gehalten (»ansonsten gelten die alten Vorschriften weiter«), braucht man daran nicht zu zweifeln. Ist die (vorgebliche) Bestätigung hingegen sehr ausführlich, könnte hingegen sein, dass Auslassungen bewusst erfolgten, um die bisherige Gesetzeslage zu modifizieren. Möglicherweise ist die richtige

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Erklärung auch einfach, dass der Bestätigung eine Anfrage zugrunde lag, in der das später ausgelassene Detail keine Rolle spielte. Angesichts der Häufigkeit von Wiederholungen bleibt regelmäßig unklar, ob eine Regelung, die zum ersten Mal in einem bestimmten CTh.-Fragment begegnet, dann auch wirklich neu eingeführt wurde. Denn bei dem Fragment könnte es sich um eine Bestätigung einer älteren Regelung handeln, deren frühere Ausformulierungen nicht exzerpiert wurden (vgl. Schmidt-Hofner, S. 30 f.). Die Vielzahl der Bestätigungen muss man also durch ein Bündel konvergierender Ursachen erklären: Erstens und vor allem durch die aus vielen Gründen unübersichtliche Rechtslage; zweitens durch den Wunsch von Amtsträgern und Petenten, womöglich kritische Rechtsfragen sicherheitshalber dem Kaiser vorzulegen; drittens durch die Argumentationsweise der Kaiser, die aus Konservativismus auch Neuerlasse zur »Bestätigung« des bewährten Alten deklarierten; viertens durch die Methode, Neuregelungen anzufragen, indem man darum bittet, Vorhandenes »dergestalt zu bestätigen«; fünftens durch die Existenz von Phantombestätigungen, die (wie CTh. 16.11.3) entstehen, wenn von einem Gesetz sehr speziellen Inhalts nach der Exzerpierung nur eine beiläufige allgemeine Bemerkung übrig bleibt. In der Literatur werden die Bestätigungen allerdings regelmäßig ganz anders interpretiert. Die häufigste Deutung ließe sich mit dem Schlagwort »Verzweiflung« beschreiben: Wie ein quengelndes Kind an der Supermarktkasse, das umso lauter schreit, je weniger die Mutter Anstalten macht, den Schokoladenriegel zu bezahlen, so soll der Kaiser umso häufiger seine Erlasse aussenden, je weniger Beachtung sie finden. 192 Eine Vielzahl von Bestätigun192 Typische Beispiele: Bradbury, S. 133: »It has often been pointed out, and rightly so,

that the very repetition of the laws in the Theodosian Code suggests that they were in many instances unenforced«; Gaudemet 2000, S. 62: »Les lois sont mal appliquées. Leur répétition en est la preuve«; Gaudemet 1956, S. 332: »Cette mesure … fut probablement assez mal respectée, car il fallut la renouveller [sic] à plusieurs reprises«; S. 333: »Ces répétitions … témoignent de l’inefficacité d’une législation qu’il faut périodiquement rappeler à l’indifférence ou à l’hostilité des citoyens«. Dass es nach allem, was wir wissen, ausgerechnet die Anfragen der Würdenträger waren, die den Erlass dieser Gesetze in Form von Antwortbriefen auslösten, blenden Betrachter wie Gaudemet aus. Nach einem Schnelldurchgang durch die Apostatengesetzgebung folgert Gaudemet (2000, S. 65): »Ici encore la répétition des mêmes peines laisse sceptique sur l’efficacité de la législation répressive«. Tatsächlich lässt keines der Apostatengesetze die vorherige Rechtslage unverändert – nur wenn man alle Details (Unterscheidung Getaufte/Ungetaufte, Ausschlussfrist für postume Klagen, mögliche Begünstigte aus der engen Familie …) ignoriert und ein ganz holzschnittartiges Bild zeichnet, kann man von »des mêmes peines« sprechen.

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gen soll so zum Kronzeugen für besonders geringe Gesetzestreue werden, während sie in meinem Modell lediglich anzeigt, dass offenbar ungewöhnlich viele entsprechende Anfragen beim Kaiserhof eintrafen, die dann regelmäßig nach geltender Gesetzeslage beantwortet wurden. Dass es z. B. auffallend viele Konstitutionen im Zusammenhang mit Dekurionen gibt, braucht niemanden zu verwundern: Der Stadtadel hatte einerseits den Leidensdruck, andererseits die Möglichkeiten, um beim Kaiser vorstellig zu werden (nach der Verzweiflungshypothese wären hingegen die Dekurionengesetze schamloser als alle anderen ignoriert worden). Die Quellenpassagen, die die Verzweiflungsthese stützen, tun dies nur scheinbar. So schreibt Valentinian III. (Nov. Val. 8.1 § 2), … quia illicitis ausibus videmus quae sunt … salubriter constituta calcari …, merito praecedentia inclitorum principum parentumque Nostrorum statuta renovamus, »… weil wir sehen, dass durch illegale Dreistigkeiten segensreiche Regelungen mit Füßen getreten werden …, erneuern wir mit gutem Recht die früheren Bestimmungen der gerühmten Kaiser und Unserer Vorfahren«. Aber in Nov. Val. 8.1 geht es konkret um genau einen einzigen Fall, wie wir aus dem Rest des Texts wissen (→ S. 646); als sich dieser einzige Fall nach Eintreffen der Petition der Gegenpartei tatbestandlich als völlig anders geartet darstellte, widerrief Valentinian das ganze Gesetz (Nov. Val. 8.2) – es ging also beim Erlass von Nov. Val. 8.1 nachweislich nicht um allgemeine Probleme mit der Gesetzestreue! Die Propagandathese hat Schmidt-Hofner vorgeschlagen. In einem Aufsatz (SchmidtHofner 2015) zur Gesetzgebung der Jahre 364/365 stellt er etliche Male fest (z. B. S. 79, 83, 86), dass die gerade besprochenen Maßnahmen nur die jeweilige Gesetzeslage bestätigen, und stellt sich die Frage, warum der Kaiser dies per Konstitution (doch offenbar mit Publikationsbefehl, sonst wäre sie nicht im Codex Theodosianus gesammelt?) und nicht mit einem Reskript tat: »The explanation is that in this entire series of laws it is not their legal substance that was important, but rather the message they conveyed to the senatorial aristocracy. We encounter here a phenomenon one might call ›ostentatious legislation‹: whether or not their legal relevance warranted it, as many rulings as possible were generalized, thus ensuring that their messages reached a wide audience among the ruling classes« (S. 80). Schmidt-Hofners Idee ist, dass der neue Kaiser Valentinian I. ohne dynastische Legitimation besonders viel Propaganda nötig hatte: »Why was legislation of all things chosen by the new dynasty as a medium for these communicative strategies? One advantage of the type of (general) laws preserved in the Theodosian Code, as has been shown, consisted in the fact that there existed a well-functioning process for publishing them throughout the empire or in their recipients’ area of jurisdiction … these laws offered a highly effective medium of communication: they reached a far larger portion

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of the population than panegyrics or similar texts, and they were able to convey both more specific and more complex messages than, for example, coins and other visual mass media« (S. 91 f.). Tatsächlich spricht wenig für Schmidt-Hofners Hypothese. Zwar haben wir aus den Jahren 364/365 besonders viele Fragmente in absoluten Zahlen, aber der relativ hohe Anteil an Bestätigungen ist auch bei späteren Kaisern so nachzuweisen; Bestätigungen sollte man also besser nicht spezifisch-valentinianisch erklären. An anderer Stelle warnte Schmidt-Hofner (S. 34) zu Recht davor, »die Konstitutionen des Codex Theodosianus … wie die Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches zu lesen« – aber genau dies tut er hier, wenn er regelmäßig von »der« Rechtslage ausgeht, die man (wie er impliziert) zu kennen habe. Wenn sich der Begründer einer neuen Dynastie zu zahlreichen Rechtsfragen äußern muss – zumal so kurz nach dem großen Umbruch durch Julian –, dann ist daran wenig Erstaunliches: Viele Würdenträger werden sich gefragt haben, wie es denn nun weitergehen solle, und es lag nahe, Valentinians Antworten breit zu publizieren. Wir wissen übrigens gar nicht, ob all die exzerpierten Konstitutionen wirklich Publikationsbefehle trugen (SchmidtHofner selbst geht an anderer Stelle fälschlicherweise davon aus, »fast alle« Sirmondschen Konstitutionen und Novellen würden Publikationsbefehle enthalten, was unrichtig ist, → S. 5263). Nachher werden wir sehen, dass nachweislich etliche Konstitutionen mit Weiterleitungsbefehl (aber ohne Publikationsbefehl) für den Codex Theodosianus ausgeschlachtet wurden (→ S. 199). Auch lässt sich belegen, dass kontemporäre lokale Würdenträger für eine Publikation kaiserlicher Maßnahmen trotz mangelnden Publikationsbefehls optierten (DF 18, DF 19, jeweils von Valens an den Prokonsul von Asien) – all das sind gewichtige Einwände gegen eine von oben gesteuerte »Propaganda« in Schmidt-Hofners Sinne. Das Hauptproblem ist freilich, dass Schmidt-Hofner zugunsten einer modernistischen, monokausalen Hypothese alles andere ausblendet, was wir über Bestätigungen wissen. Eine weitere Theorie stammt von Sirks (2010, S. 57 f.): »Repetitions appear illusory, reducible to rules for different regions«, mit der Fußnote: »Such in any case is the outcome of our research into the law on the navicularii, pistores, suarii and some other corpora … ; a similar phenomenon is distinguishable with the decurions«. Die Behauptung von Sirks lässt sich anhand des sehr umfangreichen Materials zu den Wiederholungen unmittelbar falsifizieren (z. B. durch die zahllosen Fälle, in denen ein Kaiser seine eigenen Regelungen bestätigt, vgl. etwa wiederum CTh. 16.11.3 oder CN 480/CN 489).

Der Auftrag an die Codex-Theodosianus-Kompilatoren Wir haben gesehen, mit welch unübersichtlicher Situation nicht nur Rechtssubjekte, sondern auch Amtsträger des Römischen Reichs zurechtkommen mussten. Der Gedanke, dem mit einer systematischen Sammlung abzuhelfen, war naheliegend, und das vermutlich nicht nur für einen modernen Betrach-

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ter. Dass man eine solche über lange Zeit trotzdem nicht anging, könnte durchaus mit dem abschreckenden Umfang dieser Aufgabe zu tun gehabt haben. Als dann doch eine erste Zusammenstellung unternommen wurde, geschah dies wahrscheinlich 193 ohne offiziellen Auftrag und mit begrenztem Fokus: Ein Mann namens (wahrscheinlich) 194 Gregorius sammelte im letzten Jahrzehnt vor dem Jahr 300 fast ausschließlich (aber vgl. Corcoran, S. 37 f.; 193 Anders Turpin 1987, S. 624–626 (gefolgt von Corcoran, S. 29, S. 95; vorsichtiger

hingegen Corcoran 2013, S. 301), der argumentiert, dass es nichts zu bedeuten habe, dass die Codices die Namen von Privatpersonen und nicht Kaisern trugen, da ja auch der erste Codex von Theodosius II. nicht nach ihm hätte benannt werden sollen (→ S. 142). Das überzeugt nicht, weil von Anfang an sehr wohl ein Codex Theodosianus hätte folgen sollen. Den Ehrennamen unter diesen Umständen für den Zwischenschritt zu verbrauchen, wäre absurd, und Turpins Argument »we do not know what other name Theodosius would have chosen [für den Zwischenschritt]« unbrauchbar; es wäre nur dann beweiskräftig, wenn die diokletianischen Codices ebenfalls nur Zwischenschritte für eine weitergehende Sammlung gewesen wären und/oder wenn Theodosius II. seine Materialsammlung nach einem Zuarbeiter hätte benennen wollen. Turpin argumentiert weiter, dass die beiden Codex-Zusammensteller »imperial officials« waren. Doch die mögliche offizielle Position von Hermogenian bedeutet gar nichts; denn eine solche (und höhere) hatten ja z. B. auch Ulpian und Papinian inne, ohne dass ihre Werke offiziell veranlasst gewesen wären. Zudem gibt es keinen Hinweis auf (und starke Indizien gegen) eine Zusammenstellung des Codex Gregorianus durch einen Kompilator in offizieller Stellung (siehe gleich im Haupttext). Turpins Hauptargument ist das Interesse der Rechtsschulen an den beiden Codices, woran, angesichts ihrer fortgesetzten Gültigkeit (→ S. 136197), nichts Verwunderliches ist. Mit derselben Methodik müsste man doch zu dem Schluss kommen, dass auch die sententiae Pauli offiziell veranlasst gewesen seien! Und dass Theodosius II. die beiden Codices zum Vorbild nahm bzw. Justinian sie exzerpieren ließ, hat nichts mit einer angeblich offiziellen Veranlassung zu tun: Für die CTh.-Exzerpierung gab es schlichtweg kein anderes Vorbild, und die Exzerpierung der beiden diokletianischen Codices – die ja weiter gültig waren – lag auf der Hand. Es gibt also kein valides Argument für eine vom Kaiser angeordnete Sammlung, wohl aber bedeutsame dagegen: die Benennung der Codices nach Privatpersonen sowie die formal auf die eigentlich weniger bedeutsamen Reskripte eingeschränkte Sammlung. 194 Die Namen der Zusammensteller sind nicht separat überliefert und müssen aus den Bezeichnungen der Codices rekonstruiert werden. Hermogenian lässt sich wahrscheinlich mit einem aus den Digesten bekannten Juristen und inschriftlich bezeugten Prätoriumspräfekten identifizieren, Gregorius ist eine reine Rekonstruktion (Corcoran 2013, S. 293, S. 295). Doch die Alternative scheint ausgeschlossen: Ein Personenname *Gregorianus ist unbelegt, außer in späteren juristischen Texten, wo er ganz offensichtlich sekundär von Codex Gregorianus abgeleitet ist bzw. verkürzt für »Codex Gregorianus« steht (anders Sperandio, S. 209–214, der die fragwürdige Evidenz dieses Materials dem eindeutigen Befund der Onomastik vorzieht; er beachtet auch nicht, dass in den Quellen das Werk, das offiziell »Codex Theodosianus«,

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Liebs 2010b, S. 519) kaiserliche Privatreskripte aus der Zeit von Hadrian bis zu seiner Gegenwart. Die Arbeit des Gregorius wurde durch einen Mann namens (wahrscheinlich) Hermogenian fortgesetzt, 195 der in seinem Werk ausschließlich (so plausibel Corcoran 2013, S. 293) Privatreskripte aus zwei Regierungsjahren Diokletians (293 und 294) sammelte. Es liegt nahe, diesen Hermogenian mit einem gleichnamigen Juristen zu identifizieren, den wir aus den Digesten bzw. aus einer Inschrift kennen. Da nun Hermogenians Texte keine Propositionsangaben bieten (ihnen also kaum ausgehängte und abgeschriebene Reskripte, sondern eher die archivierten Originalfassungen zugrunde liegen), scheint es nicht allzu verwegen, in Hermogenian den damals für die Beantwortung von Petitionen zuständigen Würdenträger (magister libellorum) zu vermuten; Hermogenian hätte demnach also seine eigenen Texte publiziert. Gregorius’ Fragmente enthalten hingegen Veröffentlichungsangaben oder beginnen mit Exemplum sacrarum litterarum, stammen also oft nachweislich von Vorlagen ab, die ihrerseits auf Abschriften proponierter Gesetze zurückgehen (Corcoran, S. 45; Corcoran 2013, S. 296). Gregorius könnte zusätzlich Archivmaterial verwendet haben, genauso gut aber auch nur auf ältere Privatsammlungen zurückgegriffen haben (zur Diskussion Corcoran, S. 29–31). Gregorius mit Honoré (1994, S. 155) ebenfalls zum magister libellorum zu erklären, ist – gerade angesichts der Unterschiede zu Hermogenian (durch externe Testimonien belegter Jurist, enger chronologischer Fokus, keine Veröffentlichungsvermerke) – außerordentlich unplausibel und erklärt sich fraglos aus dem psychologisch nachvollziehbaren Wunsch, den von Honoré selbst hypothetisierten Magistern konkrete Namen zuzuweisen. Die Ergebnisse beider Sammlungen sind der Codex Gregorianus und der Codex Hermogenianus (grundlegend Corcoran 2013; Corcoran, S. 25–42), die man von der Antike bis heute meist zusammen in einem Atemzug nennt. Das Wort »Codex« bedeutet hier, dass diese Zusammenstellungen physikalisch die Form von Büchern (also codices) annahmen und nicht etwa als eine Ansammlung von Schriftrollen konzipiert waren (vgl. Corcoran 2013, S. 288). Es war just in dieser Zeit, um die Wende zum 4. Jh. n. Chr., dass der Codex (der übrigens bereits seit langer Zeit existiert hatte) sich allmählich gegen die Schriftrolle durchzusetzen begann (Birt, S. 360–366). Trotz des falschen → S. 136198, hieß, häufig als der »Theodosianus« erscheint, vgl. Mommsen 1905, S. XIf.). 195 Corcoran wies darauf hin, dass diese – allgemein angenommene – Abfolge gar nicht so sicher ist: Gregorius und Hermogenian könnten in irgendeiner Weise konzertiert gearbeitet haben, oder Hermogenian könnte sein Projekt vor dem des Gregorius durchgeführt haben (Corcoran 2013, S. 297 f.).

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Freunds »Codex« hat die Arbeit des Gregorius und seines Fortsetzers (genauso wenig wie die der Theodosianus-Kompilatoren) wenig mit einer rechtlichen »Kodifikation« zu tun. Das moderne Konzept der »Kodifikation« als eine erschöpfende, in sich abgeschlossene, systematische Darstellung bzw. Neuordnung des Rechts kam erst im 19. Jh. auf; das Wort begegnet zuerst bei Bentham (Wesener, S. 203 f.; Sperandio, S. 301), offensichtlich abgeleitet von Gesetzesbuchnamen wie etwa Code civil, die ihrerseits mit der Kette Codex Iustinianus, Codex Theodosianus, Codex Gregorianus in einer terminologischen (aber nicht strukturellen!) Tradition bis hin zur ersten diokletianischen Sammlung stehen. Von der »Kodifikation« muss (jedenfalls, wenn man den Begriff irgendwie fachsprachlich verwendet) unbedingt die »Kompilation« abgegrenzt werden, womit man »eine Zusammenstellung vorhandenen Rechtsmaterials, vorhandener Rechtsquellen bezeichnet, welche nur eine neue Anordnung finden, ohne dass ein echter Systemgedanke vorhanden wäre« (Wesener, S. 204). Da nun die Codices Gregorianus, Hermogenianus und Theodosianus einfach nur sammeln, »was da ist«, ohne den Versuch zu unternehmen, Widersprüche zu beseitigen oder Lücken zu schließen, handelt es sich eindeutig um Kompilationen. Wer unreflektiert den Begriff »Kodifikation« für den Codex Theodosianus verwendet (so Archi plakativ im Titel, aber auch regelmäßig Matthews, z. B. S. 90), lässt damit unnötige Assoziationen zu systematisch aufgebauten, auf Vollständigkeit und Widerspruchslosigkeit hin konzipierten Gesetzesbüchern der Moderne aufkommen.

Beide Codices sind heute verloren, wurden aber massiv für den Codex Iustinianus exzerpiert, sodass wir eine gute Vorstellung ihrer Inhalte haben. Dank seltener echter (d. h. unredigierter) Zitate mit mehr oder weniger genauer Herkunftsangabe, die sich in verschiedenen anderen Sammlungen finden, lässt sich ein sehr ungefähres Bild ihrer Originalgestalt gewinnen (Corcoran 2013, S. 285 f.). Daher wissen wir, dass ein Prinzip, das später auch für den Theodosianus und den Iustinianus grundlegend war, bereits Gregorius eingeführt hatte (Sperandio, S. 307 f.): die sachliche Gliederung, die in einzelne Teilabschnitte (tituli) erfolgte, worin die Fragmente dann chronologisch angeordnet waren (Corcoran, S. 39; Corcoran 2013, S. 288–293). So gab es etwa im 5. Buch des Gregorianus einen Titel De nuptiis (vgl. Coll. Mos. 6.4). Anders als Gregorius fand Hermogenian keinen Nachfolger, 196 obwohl Privatreskripte noch über mehrere Jahrzehnte bedeutsam blieben. Erst nach 400 gab es keinen Grund mehr, sie zu sammeln (→ S. 35). Doch offensichtlich war 196 Allerdings wurden beide Codices nachträglich mehrfach mit zusätzlichem Material

angereichert (Corcoran, S. 37; vgl. Corcoran 2013, S. 297–300). So erklärt sich etwa, dass Diokletians Manichäerkonstitution aus dem Codex Gregorianus zitiert wird (→ S. 423) oder dass die Consultatio den Codex Hermogenianus als Herkunft der valentinianischen Privatreskripte (→ S. 36) angibt.

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man heilfroh über den Acquis: Eine spätantike Kaiserkonstitution aus der Zeit zwischen Konstantin und Theodosius II. bestätigte ausdrücklich die rechtliche Verbindlichkeit der Codices Gregorianus und Hermogenianus. 197 Die Wertschätzung für die Arbeit des Gregorius (und seines Nachfolgers) lässt sich auch daran ablesen, dass Theodosius II. seine Sammlung in offensichtlicher Bezugnahme Codex Theodosianus 198 und Justinian die seinige Codex Iustinianus nannte: »Codex« plus ein deonymisches Adjektiv auf -ianus waren zur eingeführten Marke für eine Rechtssammlung geworden. Doch nicht in jeder Hinsicht folgte Theodosius II. den diokletianischen Vorbildern. Der wichtigste Unterschied ist, dass im Codex Theodosianus nur Kaiserkonstitutionen (und auch nur die genereller Geltung, d. h. mit generalitas) gesammelt wurden, nicht aber die Reskripte (die umgekehrt den allergrößten Teil des Materials der beiden diokletianischen Codices dargestellt hatten). Und während Gregorius bis auf Hadrian zurückging (und vielleicht nur deswegen keine früheren Reskripte aufnahm, da er nichts Älteres auftreiben konnte), ließ Theodosius II. bewusst erst ab Konstantin sammeln. 197 Die westgotische Interpretatio (→ S. 173) zu CTh. 1.4.3 (dem sogenannten Zitier-

gesetz, → S. 161) enthält folgenden Satz: Gregorianum vero et Hermogenianum ideo lex ista praeteriit, quia suis auctoritatibus confirmantur ex lege priore sub titulo de constitutionibus principum et edictis, »Den Gregorianus und den Hermogenianus lässt das vorliegende Gesetz deswegen unerwähnt, weil diese hinsichtlich ihrer Geltung durch ein Gesetz weiter oben im Titel ›Über die Konstitutionen und Edikte der Kaiser‹ [heute CTh. 1.1] bestätigt werden«. Man beachte, wo die Bestätigung der beiden Reskriptensammlungen einsortiert war: Nicht im Titel zu Reskripten (deren Geltung ja fraglich war), sondern im Konstitutionentitel (wo es gerade um allgemeine Verbindlichkeit geht). Der Vorschlag von Corcoran (S. 40 f.) und Matthews (2001, S. 15 f.), die erwähnte Bestätigung mit CTh. 1.1.5 zu identifizieren (laut Corcoran ein Versehen des Interpretatio-Autors, der CTh. 1.1.5 missverstand; Matthews äußert sich gar nicht zur Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Inhalt von CTh. 1.1.5 und dem angeblich dort Bestätigten; er scheint also nicht von einem Irrtum, sondern – schwer nachvollziehbar – von einer berechtigten Lesart auszugehen), kann angesichts der Lücken, mit denen uns CTh. 1.1 überliefert ist (T verbürgt die Vollständigkeit erst ab CTh. 1.1.5 bis zum Ende des Titels), nicht überzeugen. Allein schon die Tatsache, dass die beiden diokletianischen Codices später für das Breviar (in geringem Umfang) und für den CI. exzerpiert wurden, zeigt ja, dass sie auch nach dem Codex Theodosianus weiter galten, wofür kaum eine fortgesetzte Fehlinterpretation von CTh. 1.1.5 die Grundlage gewesen sein wird. 198 Der Codex Theodosianus erscheint in den antiken Quellen unter verschiedenen Namen, so auch als (lediglich) Theodosianus oder als corpus Theodosianum. Mommsen folgte den Handschriften und entschied sich für das blanke Theodosianus als Titel (Theodosiani libri XVI), aber es besteht kein Zweifel, dass der offizielle Name Codex Theodosianus war (vgl. die Belege bei Krüger 1905, S. 329 f.).

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Ich halte es für ausgeschlossen, dass Theodosius II. dadurch an den Codex Hermogenianus anschließen wollte: Erstens deckte der zwar weitere Jahre der Herrschaft Diokletians ab, aber eben nicht alle, und zumal nicht die Wirren der Folgezeit. Zweitens und vor allem interessierte sich Theodosius II. ohnehin nicht für Privatreskripte – es hätte also keinerlei Überschneidung gegeben, auch wenn er weiter zurückgegangen wäre (was Dillon, S. 27 f., übersieht). Der Beginn mit Konstantin hat auch nichts mit dessen Förderung des Christentums zu tun; 199 denn Julians Konstitutionen ließ Theodosius II. sehr wohl sammeln (jedenfalls die ohne Bezug zur Religionspolitik), und da er die Codices Gregorianus und Hermogenianus exzerpieren lassen wollte (→ S. 141), hätte er damit sehr viele Entscheidungen bestätigt, die ausgerechnet von Diokletian stammten (ferner auch solche von Valerian und Decius). Eine mögliche Erklärung, die mir eher einleuchtet, ist die folgende: Das Projekt von Theodosius II. war ohnehin ambitioniert (bzw. überambitioniert, → S. 148), es war also sinnvoll, eine Grenze zu ziehen. Wie sich zeigen lässt, basiert bereits die Exzerpierung der konstantinischen Gesetze auf durchaus zweifelhafter Textbasis (nämlich Privatsammlungen mitunter recht fragwürdiger Qualität, vgl. Dillon, S. 19); wäre man weiter zurückgegangen, hätte sich das Problem des Ausgangsmaterials unweigerlich verschlimmert. Unter Konstantin änderten sich zudem zahlreiche Grundlagen 200 – auch insofern war also seine Herrschaft ein naheliegender Startpunkt. Was scheinbar dafür sprechen könnte, Konstantins Christentum als Beginn der Gesetzessammlung anzusehen, ist die Tatsache, dass das älteste Gesetz im Codex Theodosianus nach der dort überlieferten Datierung in den Januar 313 gehört, 201 d. h., der Codex Theodosianus scheint Konstantins Gesetzgebung ab der Schlacht an der Milvischen Brücke (28. Oktober 312) zu sammeln. Diese Beobachtung lässt sich aber auch einfacher damit erklären, dass vor diesem Zeitpunkt Maxentius Herr 199 Anders Barnes 2001, S. 684: »it seems certain that Theodosius intended the com-

mission to begin with the conversion of Constantine to Christianity«; noch dezidierter Volterra (1983, S. 217 f.), der im Codex Theodosianus ein programmatisches Unternehmen sah, dessen eigentlicher Zweck darin bestanden haben soll, die Gesetze der heidnischen Kaiser überflüssig zu machen! 200 In den Worten von Nörr (1963, S. 130): »Die revolutionäre, weitgehend inkonsequente, dem bisher geltenden Recht häufig widersprechende Gesetzgebung Konstantins«. 201 Nämlich CTh. 10.10.1 und CTh. 13.10.1, beides Fragmente aus demselben Edikt ans Volk von Rom. Tatsächlich (d. h. nach Wiederherstellung der wohl korrekten Datierung) ist der älteste Text im Codex Theodosianus aber CTh. 13.10.2, eine Regelung, die aus dem Jahr 311 (und in Wirklichkeit von Licinius) stammen sollte (Seeck, S. 52 f.; → S. 190).

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über Italien und Afrika war. Sofern man zu Recht annimmt, dass bei der Kompilation des Codex Theodosianus auf afrikanische und italische Archive und Sammlungen zurückgegriffen wurde, versteht sich, warum Gesetze des Konstantin erst ab dessen Sieg aufgefunden werden konnten (Dillon, S. 30–34). Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen den diokletianischen Codices und der theodosianischen Sammlung ist, dass es sich nunmehr um eine offizielle Unternehmung, nicht um ein privates Projekt, handelte. Dies wissen wir, da uns mehrere Metatexte zur Entstehung des Codex Theodosianus innerhalb der bzw. zusammen mit den Rechtssammlungen überliefert sind. Wir werden die meisten dieser Metatexte im Weiteren genauer betrachten, doch hier vorab ein Überblick: Der ursprüngliche Sammelauftrag ist CTh. 1.1.5 vom 26. März 429 (siehe gleich im Anschluss). CTh. 1.1.6 vom 20. Dezember 435 scheint denselben Auftrag an eine neue Kommission zu wiederholen, enthält aber bei genauerer Betrachtung signifikante Modifikationen (→ S. 146). Nov. Theod. 1 vom 15. Februar 438 verkündet den Abschluss des Projekts und bestimmt, dass alte Regelungen ab dem 1.1.439 nur noch in der CTh.-Version zitiert werden dürfen. Mit dem Codex Theodosianus ändern sich die Abläufe hinsichtlich Gesetzen, die im anderen Reichsteil ergehen (→ S. 105): Zur Garantie ihrer Authentizität müssen sie mit einem Begleitschreiben von Kaiser zu Kaiser übermittelt werden. Ein solches Begleitschreiben ist Nov. Theod. 2 vom 1. Oktober 447; Nov. Val. 26 vom 3. Juni 448 ist der zugehörige Publikationsbefehl an den Prätoriumspräfekten von Italien. Eine Handschrift überliefert ein Privatreskript (Rescr. ad constit.), das zwei Männern das Privileg verleiht, Codex-Theodosianus-Handschriften herzustellen und zu vertreiben (→ S. 3629). Als Anhang zu diesem Reskript ist das Senatsprotokoll aus dem Jahr 438 überliefert, in dem diese beiden Männer bereits als verantwortlich für die Kopienherstellung genannt werden (Gest in sen. 7). Eine Interpretation dieser Senatssitzung als offizielle Annahme des Codex Theodosianus im Westreich ist unhaltbar. Die entscheidenden Arbeiten zu den gesta senatus und dem Reskript zugunsten der beiden constitutionarii (»Konstitutionen-Verleger«?) sind Salway 2013 und Atzeri 2008.

Die Konstitution, die den ursprünglichen Auftrag zur Sammlung gab, wurde in einiger Ausführlichkeit in den Codex Theodosianus selbst exzerpiert (CTh. 1.1.5). 202 Es handelt sich um eine auf den 26. März 429 datierte Oratio an den Senat von Konstantinopel. Sie ist zu lang, als dass man sie hier ganz wiedergeben könnte, aber alle wesentlichen Abschnitte werden wir uns im Detail ansehen. 202 Dieses Fragment wurde nicht ins Breviar (→ S. 172) aufgenommen. Es ist erhalten

erstens dank des Turiner Palimpsests T (→ S. 176273, dort ohne Anfang), zweitens dadurch, dass es bei der stenografierten Senatssitzung (den gesta senatus, siehe Haupttext) verlesen und im Protokoll zitiert wird (sodass sich der Text von CTh. 1.1.5 auch in der einzigen Handschrift mit dem Protokoll, A, findet).

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Kaiser Theodosius II. ordnet im Namen des Kaiserkollegiums an, nach dem Vorbild der beiden vorhandenen Reskriptencodices sämtliche Konstitutionen von Kaiser Konstantin bis hin zu sich selbst und seinem Kollegen zu sammeln, sofern sie ein bestimmtes Kriterium erfüllen: Ad similitudinem Gregoriani atque Hermogeniani codicis cunctas colligi constitutiones decernimus, quas Constantinus inclitus et post eum divi principes Nosque tulimus, edictorum viribus aut sacra generalitate subnixas. Wir beschließen, dass nach dem Vorbild des Codex Gregorianus und Hermogenianus alle Konstitutionen zu sammeln sind, die der gerühmte Konstantin, die divinisierten Kaiser nach ihm und Wir erlassen haben, sofern sie sich auf die Kraft von Edikten oder kaiserliche generalitas berufen können.

Das ad similitudinem bezieht sich auf die grundlegende Gliederung (und zwar in Titel, dort chronologische Reihung). 203 Der entscheidende Unterschied zwischen den diokletianischen Sammlungen und dem Projekt von Theodosius II. ist im selben Satz angesprochen: Es geht nicht mehr um Privatreskripte, sondern um constitutiones mit dem zusätzlichen Auswahlkriterium edictorum vires aut sacra generalitas subnixae; was damit gemeint ist, werden wir später ausführlich besprechen (→ S. 153).

203 Corcoran machte auch auf weitere mögliche Gemeinsamkeiten aufmerksam: Die 16

Bücher des Codex Theodosianus könnten den 15 Büchern des Codex Gregorianus plus dem einen des Codex Hermogenianus entsprechen (Corcoran 2013, S. 289; freilich ist ungewiss, ob der Gregorianus überhaupt 15 Bücher umfasste); die Gliederung der Bücher 2 bis 4 des Codex Theodosianus folgt dem prätorischen Edikt, wofür die diokletianischen Codices das Vorbild geliefert haben könnten (Corcoran 2013, S. 290 f.; wobei, wie Corcoran betont, das Argument möglicherweise zirkulär ist: Die rekonstruierte Struktur des Gregorianus basiert auf dem Codex Iustinianus, der seinerseits womöglich dem Theodosianus und gar nicht dem Gregorianus folgt!). Ungeklärt ist, ob die Theodosianus-Redakteure auch in der Verkürzung auf den juristischen Regelungsgehalt dem Vorbild von Gregorius und Hermogenian folgten (Verkürzung bereits in den diokletianischen Sammlungen nehmen an Volterra 1971, S. 1094; Honoré 1994, S. 54: »undoubtedly«). Denn die dort gesammelten Reskripte waren tendenziell ohnehin sehr knapp (was ganz besonders dann gilt, wenn es sich um Anmerkungen auf dem Petitionsblatt selbst handelte), d. h., es könnte durchaus sein, dass in vielen Fällen gar keine weitere Kürzung mehr notwendig war (vgl. Corcoran, S. 46 f.; Feissel, S. 205; für ein Beispiel eines vollständigen Reskripts aus dem 3. Jh. vgl. Feissel, S. 72, mit gerade einmal 20 Wörtern). Dass freilich später die Gregorianus-Texte für den Codex Iustinianus weiter gekürzt wurden, lässt sich durch Vergleich mitunter zeigen (etwa anhand von CI. 1.18.2, vgl. Volterra 1971, S. 1030).

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Dass und warum wirklich alle qualifizierten Gesetze aus dem vorgegebenen Zeitraum Aufnahme in die Kompilation finden sollen, erläutert ein späterer Abschnitt aus derselben Konstitution: Sed cum simplicius iustiusque sit praetermissis eis, quas posteriores infirmant, explicari solas, quas valere conveniet, hunc quidem codicem et priores diligentioribus compositos cognoscamus, quorum scholasticae intentioni tribuitur nosse etiam illa, quae mandata silentio in desuetudinem abierunt, pro sui tantum temporis negotiis valitura. Es wäre zwar einfacher und zweckmäßiger, diejenigen Konstitutionen wegzulassen, die von späteren außer Kraft gesetzt werden, und nur diejenigen aufzuführen, die als gültig anzusehen sind. Doch wollen wir anerkennen, dass dieser Codex und seine Vorgänger [d. h. Gregorianus und Hermogenianus] für besonders sorgfältige Leute zusammengestellt sind, deren gelehrtem 204 Interesse es zugestanden sei, auch diejenigen Verordnungen zu kennen, die allein für die Umstände ihrer Entstehungszeit gültig sein sollten und die, dem Stillschweigen überlassen, außer Gebrauch gerieten.

Dies ist eine für die Interpretation des Codex Theodosianus ganz wesentliche (und nicht selten in der Forschung übersehene) 205 Aussage. Die Kompilatoren sollten also gerade nicht einen Überblick über das zu Zeiten von Theodosius II. geltende Recht geben – ihr Auftrag bestand vielmehr darin, sämtliche Kaiserkonstitutionen ab Konstantin zu sammeln, um so besonders Interessierten (den diligentiores) das Quellenmaterial möglichst vollständig an die Hand zu geben. Auf Grundlage dieser Materialsammlung sollte, wie eine weitere Passage der vorliegenden Konstitution zeigt, dann später ein Codex des geltenden Rechts zusammengestellt werden. Warum überhaupt dieser Zwischenschritt? Honoré (1986, S. 163) schrieb zur Textbasis des Codex Theodosianus: »unless a legislator expressly repeals those laws or parts of laws which he no longer wishes to remain in force, there is no neat division between obsolete 204 Mit scholasticus könnte theoretisch sowohl auf die Gelehrsamkeit als auch auf die

Schule Bezug genommen werden. Da jedoch veraltete Konstitutionen im Unterricht für Praktiker irrelevant sind, scheidet eine Deutung als »schulisch« aus. 205 Typische Beispiele für diesen methodischen Fehler bieten etwa Martroye 1923, S. 598, »l’institution des defensores ecclesiarum de la loi du 15 novembre 407 subsistait encore à l’époque de la promulgation du code Théodosien, le 15 février 438, puisque les textes qui les concernent y ont été insérés«, oder Enßlin, S. 11, »Jedenfalls hat noch des Kaisers Enkel Theodosius II. kein Bedenken getragen, das Reskript [sic] in den Codex Theodosianus aufzunehmen und ihm wird man schwerlich noch Heidenfreundlichkeit zutrauen wollen«.

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and currently valid laws. A later law is often partly but not wholly inconsistent with an earlier one, and this is notably true of many apparent duplications in the Theodosian code. On a first reading two texts seem identical, but on further reflection prove to be slightly but significantly different«. Der präzise Vergleich der einzelnen Regelungen ist ausgehend von der Materialsammlung, in der die jeweils relevanten Passagen im selben Titel versammelt sind, sehr viel leichter auszuführen; umgekehrt wäre es eine enorme Herausforderung, all die getrennten Arbeitsschritte – Exzerpierung, Neugliederung, Auffinden kleinster Inkonsistenzen – auf einmal leisten zu wollen. Eine Publikation der »Materialsammlung« war zwar an sich nicht notwendig, aber wie Theodosius II. schreibt, war sie ja ohnehin nur für Rechtsgelehrte gedacht (die bereits dank der diokletianischen Codices den Umgang mit widersprüchlichen Sammlungen gewohnt waren). Worum es Theodosius II. damals wirklich ging, war das projektierte finale Werk: Ex his autem tribus codicibus, et per singulos titulos cohaerentibus prudentium tractatibus et responsis, eorundem opera, qui tertium ordinabunt, Noster erit alius, qui nullum errorem, nullas patietur ambages, qui Nostro nomine nuncupatus sequenda omnibus vitandaque monstrabit. Ad tanti consummationem operis et contexendos codices – quorum primus omni generalium constitutionum diversitate collecta nullaque extra se, quam iam proferri liceat, praetermissa inanem verborum copiam recusabit, alter omni iuris diversitate exclusa magisterium vitae 206 suscipiet – deligendi viri sunt singularis fidei, limatioris ingenii. Aus diesen drei Codices [d. h. Gregorianus, Hermogenianus und der neuen »Materialsammlung«] sowie aus den Abhandlungen und Gutachten der Gelehrten, die für die einzelnen Titel einschlägig sind, wird durch die Mühen derselben Leute, die den dritten Codex [also die »Materialsammlung«] zusammenstellen, ein weiterer Codex von Uns entstehen. Er wird keinen Fehler, keine unklaren Stellen enthalten. Er wird Unseren Namen tragen und allen Menschen aufzeigen, was zu tun und was zu lassen ist. Es sind Männer einzigartiger Loyalität und größter Klugheit auszuwählen, um ein solch gewaltiges Werk zu realisieren und die [beiden] Codices zusammenzustellen: – den ersten, in dem all die widersprüchlichen Konstitutionen mit generalitas gesammelt werden und keine derzeit noch [bei Gericht] vorlegbare ausgelassen wird, wobei er aber die unnütze Wortfülle nicht übernimmt, – den zweiten, der – nach Ausschaltung aller juristischen Widersprüchlichkeit – eine Richtschnur des Lebens darstellen wird.

206 Salzman, S. 362, schließt wenig überzeugend aus dieser Formulierung, die Codex-

Theodosianus-Kompilation »was inspired by a moral or rather religious [!] goal«.

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Wiederum sagt Theodosius II. klipp und klar, dass jede derzeit noch auffindbare Konstitution in die Sammlung aufzunehmen sei. Allfällige Widersprüche in der Zusammenstellung sind nicht zu korrigieren, denn dieser Schritt ist für den später zu schaffenden »Codex Theodosianus« (qui Nostro nomine nuncupatus) vorgesehen. Im ersten Schritt, der Materialsammlung (codex tertius), soll dagegen die vorhandene Textbasis möglichst lückenlos zusammengestellt werden. Die Vollständigkeit wird in einer Hinsicht eingeschränkt: Gefälschte Gesetze sind natürlich auszuscheiden. Dies scheint Theodosius II. eine so selbstverständliche Vorgabe, dass er sie nur en passant erwähnt: Hos a Nostra Perennitate electos eruditissimum quemque adhibituros esse confidimus, ut communi studio vitae ratione deprehensa iura 207 excludantur fallacia. Wir vertrauen darauf, dass die Männer, die von Unserer Perennität ausgewählt worden sind, die besten Experten zu Rate ziehen werden, um in gemeinsamer Arbeit unechte Gesetze, die sie mit gesundem Menschenverstand [? vitae ratione] identifizieren, auszuscheiden.

Angesichts der beständigen Zweifel (→ S. 23), ob es sich bei einer vorgelegten Konstitution nicht vielleicht doch um eine Fälschung handelte, war dies eine unerlässliche Vorarbeit. Die Redakteure erhielten ferner Anweisungen, wie sie die Materialbasis aufzubereiten hatten. Zunächst waren die einzelnen Konstitutionen in ein festgelegtes Schema (nämlich in die auch heute erhaltene Gliederung in »Titel«) zu bringen. Im Falle, dass eine Konstitution verschiedene Dinge regelte und mithin in zwei oder mehr solcher Titel passte, sollte das Material entsprechend aufgeteilt werden. Et primum tituli, quae negotiorum sunt certa vocabula, separandi ita sunt, ut, si capitulis diversis expressis ad plures titulos constitutio una pertineat, quod ubique aptum est, collocetur; Und als erstes sollen »Titel« – d. h. klare, inhaltsbeschreibende Bezeichnungen – abgegrenzt werden, wobei, wenn eine gegebene Konstitution gemäß ihren einzelnen Abschnitten in mehrere verschiedene Titel passen sollte, der Inhalt dort unterzubringen sei, wo er jeweils hingehört. 208 207 Einer der zahlreichen Belege für iura i. S. v. »Kaiserkonstitutionen« (also nicht:

»Juristenrecht«), vgl. → S. 4138. 208 Vielfach hat Sirks (S. 60, S. 70, S. 146, S. 178, S. 180 f.) behauptet, nicht die jeweils

einschlägige Passage, sondern das nicht aufgegliederte Fragment sei in jeden einzelnen Titel vollständig zu setzen. Die Idee ist schon a priori wenig plausibel, aber Sirks glaubte, aus sprachlichen Gründen unbedingt daran festhalten zu müssen: Sirks, S. 181: »the … wording prescribes that a constitution with different subject-matters shall be placed under every title to which it is appropriate, so that there will be quite

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Die Titelgliederung folgt konzeptuell dem Vorbild der beiden diokletianischen Reskriptencodices. 209 Ob Gregorianus und Hermogenianus längere Texte auch unter verschiedene Titel aufteilten, wissen wir nicht; aber da Reskripte normalerweise nur ganz knapp eine Detailfrage regelten, dürfte sich das Problem dort zumeist gar nicht gestellt haben. 210 Da zusammengehörige Fragmente sich relativ leicht identifizieren lassen (nämlich durch identische Inskription und Subskription und eventuell anhand der »Schnittmarken« et cetera sowie post alia, → S. 214), kann man mithilfe von sehr zahlreichen Beispielen gut nachvollziehen, dass die Kompilatoren der Aufteilungsanweisung zumeist sorgfältig nachkamen. Wenn etwa dieselbe Konstitution Vererbungsfragen bei Juden und Apostaten regelt, dann findet der Abschnitt zu den Juden seinen Platz in CTh. 16.8, De Iudaeis, Caelicolis et Samaritanis, »Juden, Caelicoli und Samaritaner«, der zu den Apostaten in CTh. 16.7, De apostatis, »Apostaten« (→ S. 751). Die Konstitution, die Augustin dem Florentin erst vorlesen lässt und dann noch einmal persönlich übersendet (→ S. 21), wurde im Codex Theodosianus auf mindestens sechs Titel aufgeteilt. 211 Gelegentlich entschieden sich die Kompilatoren auch bewusst dazu, dasselbe Stück identisch in zwei Titeln abzulegen (etwa wenn Apostaten die testimonia verboten werden, was man dann nicht nur in den Apostatentitel CTh. 16.7 einsortiert hat, sondern gekürzt auch in den Titel CTh. 11.39, De fide testium et instrumentorum, »Beweiskraft von Zeugen und Urkunden«. Freilich kommen auch Fehler vor: So verhängt CTh. 16.10.24 pr. Enteignung und Verbannung gegen Manichäer, Montanisten und Ostertagsabweichler, findet sich aber im Titel CTh. 16.10, De paganis, sacrificiis et templis, »Heiden, Opferungen und Tempel«, eingereiht – und zwar deswegen, weil § 1 desselben a lot of duplicates, triplicates, etc. There is grammatically no room to assume that the emperor meant to attribute the various sections to different titles, however natural this seems (also to us)«. Es ist nicht nachvollziehbar (vgl. Liebs 2010b, S. 524), wie Sirks diese Passage so missverstehen kann: Das Subjekt zu collocetur ist nicht constitutio, sondern vielmehr der Subjektssatz quod ubique aptum est. 209 Zahlreiche kluge Beobachtungen zur Art und Weise, in der CTh.-Titel formuliert wurden, finden sich bei Bassanelli Sommariva. 210 Gelegentlich finden wir Texte aus den beiden alten Sammlungen im CI. aufgeteilt (so CI. 1.19.1 und 7.13.1; oder CI. 4.10.4 oder 5.74.1); es könnte sich dabei freilich ohne Weiteres um eine Innovation der CI.-Redakteure handeln. Die Seltenheit solcher Belege an sich bedeutet nichts, weil Reskripte ohnehin kurz waren und typischerweise nur ein Thema behandelten. 211 Vgl. Seeck, S. 316; »mindestens«, weil wir nicht wissen können, ob nicht Fragmente in Titeln der lückenhaft erhaltenen Bücher 1–5 verloren gingen – zumindest ein Fragment stand ja nachweislich irgendwo in Buch 1–5 (jetzt als CI. 1.55.8 erhalten).

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Fragments dann wirklich von Heiden (und übrigens auch von Juden) handelt und ein nachlässiger Redakteur die notwendige Trennung versäumte bzw. falsch durchführte. 212 Innerhalb der einzelnen Titel sollen die Fragmente nicht in willkürlicher Ordnung stehen, sondern sie sind in chronologische Reihung zu bringen: quod in utramque dici partem faciet varietas, lectionum probetur ordine non solum reputatis consulibus et tempore quaesito imperii, sed ipsius etiam compositione operis validiora esse, quae sunt posteriora, monstrante. Angelegenheiten, die verschiedene Konstitutionen auf widersprüchliche Weise regeln, sind in Abhängigkeit von der chronologischen Reihenfolge der Passagen zu entscheiden, die nicht nur durch eine Überprüfung von Konsulndatierung und Kaiserangabe herauszufinden sei; vielmehr soll allein schon der Aufbau des Werkes selbst zeigen, dass diejenigen Regelungen größere Gültigkeit besitzen, die später erlassen wurden.

Theodosius II. wünscht sich für die erste Materialsammlung Vollständigkeit um den Preis, dass auch einander widersprechende Kaiserkonstitutionen Eingang finden. Die Klärung der Widersprüche soll im späteren Werk geschehen; vorerst soll lediglich die Reihenfolge der Passagen die Gültigkeit insofern andeuten, als die Fragmente innerhalb der einzelnen Titel chronologisch zu ordnen sind und die jüngeren, also weiter gegen Ende der einzelnen Titel stehenden Passagen, bei Widersprüchen Vorrang vor den älteren haben. 213 212 CTh. 16.8.27 (Bestätigung der Rechtslage für Juden), CTh. 16.5.60 (Bestätigung der

Häretikergesetze), CTh. 16.10.23 (Enteignung und Exil für opfernde Heiden) und CTh. 16.10.24 (pr.: ebenfalls Enteignung und Exil für Manichäer usw.; § 1: Schutz für friedlich lebende Heiden und Juden) gehören zu derselben Originalkonstitution (→ S. 681119). Dass der Text von 23 und 24 beim Kompilationsvorgang in separate Fragmente aufgeteilt wurde, dürfte von der inhaltlich abweichenden Bestimmung für Manichäer usw. ausgelöst worden sein. Man ging dabei nachlässig vor: Da es einen Satz später dann doch wieder um Heiden geht, hätte man das Manichäerstück als eigenes Fragment heraustrennen müssen. Die Passagen zu Heiden hätte man nach Entfernung des Manichäerstücks als ein Fragment in CTh. 16.10 ablegen können (so bieten 23 und 24 das seltene, aber keineswegs beispiellose Phänomen zweier Fragmente aus derselben Originalkonstitution in demselben CTh.-Titel, → S. 213); das Manichäerstück hätte ans Ende von CTh. 16.5.60 (oder alternativ als separates Fragment nach CTh. 16.5) gehört. 213 Diese Regel zum Umgang mit Normenkollisionen, die dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori (die Formulierung ist freilich unantik) entspricht, findet sich bereits klar ausgedrückt bei Mod. D. 1.4.4, Αἱ μεταγενέστεραι διατάξεις ἰσχυρότεραι τῶν πρὸ αὐτῶν εἰσιν, »Die später ergangenen Konstitutionen gelten mehr als die vor ihnen [erlassenen]«.

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Diese Anweisung haben die Editoren pflichtgemäß erfüllt; die einzelnen Konstitutionen sind innerhalb der Titel stets chronologisch sortiert – jedenfalls, wenn man den Zeitangaben in den Subskriptionen selbst folgt. Leider ist das Datum dort sehr häufig fehlerhaft (vgl. Barnes 2001, S. 683 f.), was sich in zahllosen Fällen anhand innerer Evidenz nachweisen lässt. Das ist etwa dann der Fall, wenn das Gesetz an einen Empfänger gerichtet ist, der nach der Konsulndatierung noch nicht oder nicht mehr im Amt war (ein Beispiel unter vielen: CTh. 15.14.13 vom 3. August 413 verdammt die Erinnerung an den mittlerweile toten Usurpator Heraclian, an den angeblich zwei Jahre später CTh. 16.5.56 abgeschickt wird). Die falschen Daten erklären sich unterschiedlich: Fraglos ist mit Schreibfehlern in den Vorlagen der Kompilatoren und während der späteren Textüberlieferung zu rechnen, vor allem aber wurden viele der Datierungen offenbar bereits zum Zeitpunkt der Entstehung des Codex Theodosianus falsch interpoliert (Seeck, S. 18–23; vgl. Bernier zur Interpolation von Kaiserkollegien). In mühevoller Arbeit versuchte Seeck, die mutmaßlich richtigen Daten wiederherzustellen. Typischerweise zitiert man heute für CTh.-Konstitutionen die Daten aus Seecks »magisterial Regesten …, to which all serious historians of the period have had constant recourse« (Barnes 2001, S. 671). Freilich war seine Arbeit unter Zeitgenossen nicht unumstritten (vgl. Wenger, S. 537 Anm. 64; Croke, S. 234–237), da Seeck beim Korrigieren recht radikal vorging; auch meiner Ansicht nach schoss er nicht selten über das Ziel hinaus (→ S. 67). In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele gute Argumente für Umdatierungen geliefert (so z. B. von Delmaire, vgl. → S. 574; Honoré 1986, S. 192 f.; Liebs 2010b, S. 531 Anm. 100; vgl. Blaudeau, S. 149 mit Anm. 34 f.; vgl. ferner die Übersicht von Lenski in Frier, S. xciv-xcvi), doch leider gibt es keine Sammelliste all dieser Vorschläge. Eine überarbeitete Neuauflage von Seeck ist ein Desiderat.

Andere Passagen außer der eigentlichen juristischen Regelung blieben bei der Zusammenstellung des Codex Theodosianus auf der Strecke. Auch dazu gibt Theodosius II. einen klaren Auftrag: … ut constitutionum ipsa etiam verba, quae ad rem pertinent, reserventur, praetermissis illis, quae sanciendae rei non ex ipsa necessitate adiuncta sunt. … dass der Text der Konstitutionen, soweit er einschlägig ist, im Wortlaut [ipsa verba] erhalten bleibt, wobei allerdings weggelassen werden soll, was – ohne zur Regelung der Angelegenheit unbedingt notwendig zu sein – [sonst] beigefügt wurde.

Dies bedeutet also, dass die Mitglieder der Codex-Kommission – die dann im Weiteren namentlich aufgezählt werden – vorliegende Gesetze um überflüssige Passagen kürzen, nicht aber in die Formulierung der eigentlichen Regelungen eingreifen durften.

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Nach dem Gesetz von 429 plante Theodosius II. also ein Projekt, das die justinianische Kompilation vorweggenommen hätte bzw. sogar über sie hinausgegangen wäre: Nach der Materialsammlung (codex tertius), in der bereits das Unechte ausgeschieden, das Überflüssige entfernt und das Material in chronologischer Reihung auf die verschiedenen Titel verteilt worden wäre, wollte er in einem zweiten Schritt einen Codex des geltenden Rechts – der dann erst Codex Theodosianus heißen sollte – schaffen. Darin wären dann alle Widersprüche beseitigt und dazu auch noch die juristischen Autoren in dieselben Titel eingearbeitet worden, was also im Ergebnis sozusagen eine integrierte Version von Digesten und Codex Iustinianus auf dem Stand der 430er Jahre dargestellt hätte. Aber wie viele andere vor und nach ihm musste Theodosius II. die Erfahrung machen, dass nicht jedes Projekt wie geplant funktioniert. Das Gesetz vom 26. März 429 ist nämlich nicht das einzige, das die Entstehung des Codex Theodosianus zum Inhalt hat. Knapp sieben Jahre später ergeht eine weitere Konstitution 214 von Theodosius II., die eine Rechtssammlung anordnet (CTh. 1.1.6, 20. Dezember 435). Die darin berufene Kommission zeigt nur geringe Überschneidungen mit der von 429; 215 man kann daraus den Schluss ziehen, dass der Kaiser mit dem bisherigen Team nur bedingt zufrieden war. Die für uns relevanten Passagen in diesem späteren Gesetz lauten: Omnes edictales generalesque constitutiones vel in certis provinciis seu locis valere aut proponi iussae, quas divus Constantinus posterioresque principes ac Nos tulimus, indicibus rerum titulis distinguantur, ita ut non solum consulum dierumque supputatione, sed etiam ordine compositionis apparere possint novissimae. Ac si qua earum in plura sit divisa capita, unumquodque eorum, diiunctum a ceteris apto subiciatur titulo et circumcisis ex quaque constitutione ad vim sanctionis non pertinentibus solum ius relinquatur. 214 Wir wissen nicht, ob es sich um eine Oratio oder um einen Brief handelt (Inskription:

Idem AA., ohne Empfänger). Die Konstitution blieb nur dank des Turiner Palimpsests erhalten (→ S. 176273), d. h., ihre Überlieferung hing buchstäblich am seidenen Faden. Es ist ein belustigendes Gedankenexperiment, sich auszumalen, wie die Theorien heute ins Kraut schössen, wäre CTh. 1.1.6 nicht überliefert und versuchte man, den Befund des Codex Theodosianus (nur) mit den Anweisungen von CTh. 1.1.5 in Einklang zu bringen. 215 Es gibt wohlgemerkt nur zwei Kommissionen, die von 429 (CTh. 1.1.5) und die von 435 (CTh. 1.1.6). Bei der »third commission« von Schlinkert (S. 288) handelt es sich um ein Missverständnis: In Nov. Theod. 1 § 7 von 438 erwähnt der Kaiser lobend einige (aber nicht alle) Mitglieder der zweiten Kommission. Das ist kein weiteres Gremium, sondern eine Teilmenge der zweiten Kommission.

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1. Quod ut brevitate constrictum claritate luceat, adgressuris hoc opus et demendi supervacanea verba et adiciendi necessaria et demutandi ambigua et emendandi incongrua tribuimus potestatem, scilicet ut his modis unaquaeque illustrata constitutio emineat. 2. Erunt contextores huius Theodosiani codicis: … 3. … ut absolutionem codicis in omnibus negotiis iudiciisque valituri nullumque extra se novellae constitutioni locum relicturi, nisi quae post editionem huius fuerit promulgata, nullum possit inhibere obstaculum. Sämtliche Konstitutionen, die edictales oder generales sind (auch wenn 216 von ihnen angeordnet wurde, dass sie [nur] in bestimmten Provinzen bzw. Orten gelten bzw. veröffentlicht werden sollen), die der divinisierte Konstantin, die nachfolgenden Kaiser und Wir erlassen haben, sind in inhaltsbeschreibende Titel zu gliedern, wobei man nicht nur anhand der Konsuln- und Tagesdatierung, sondern allein schon anhand der Reihenfolge der Zusammenstellung sehen soll, welche am jüngsten sind. Wenn sich eine dieser Konstitutionen in mehrere Abschnitte gliedert, sollen diese jeweils, getrennt von den anderen, unter den einschlägigen Titeln einsortiert werden. Und indem man aus jeder Konstitution streicht, was nicht zur juristischen Regelung 217 gehört, soll allein das Recht 218 übrig bleiben. 1. Damit sich das auf eine knappe Textfassung reduzierte Recht durch Klarheit auszeichne, gewähren Wir denjenigen, die sich an dieses Werk machen, die Vollmacht, überflüssige Wörter wegzulassen, notwendige hinzuzufügen, missverständliche zu ändern und unpassende zu emendieren, mit dem Ziele freilich, dass eine jede Konstitution, nachdem sie durch diese Eingriffe klarer gefasst wurde, inhaltlich evident sei. 216 Anders z. B. Dillon, S. 23 (»all edictal and general constitutions or [!] those ordered

… to be published in certain provinces or places«), was freilich keinen Sinn ergibt; er unternimmt auch gar nicht erst den Versuch zu erklären, warum eine Konstitution, die nur in bestimmten Provinzen zu veröffentlichen ist, gerade deswegen sammelwürdig sein soll. 217 Sirks, S. 150–154, hat breit argumentiert, vis sanctionis bedeute nicht »Regelungsgehalt«, sondern »aktuelle Rechtslage«, d. h., beim Exzerpieren sei alles aus den Konstitutionen zu streichen, was sich nicht mit dem geltenden Recht zum Zeitpunkt der Kompilation vereinbaren lasse. Seiner Idee widerspricht alles, von der Semantik des Lateinischen (sanctio bedeutet »Gesetz«, nicht »Rechtslage«) über den Kontext (Sirks’ Idee findet sich in keinem der zahlreichen Metatexte auch nur angedeutet) bis hin zu dem uns vorliegenden Codex Theodosianus, der ja eine ungeglättete Materialsammlung mit vielen Widersprüchen und sogar später explizit wieder aufgehobenen Gesetzen darstellt (→ S. 192). Vgl. auch Dillon, S. 21 f. 218 Der Gebrauch von ius hier (Regelungskern, juristischer Gehalt) scheint sich schwer parallelisieren zu lassen, ist aber freilich unmittelbar verständlich. Es handelt sich pace Harries (2011, passim, z. B. S. 366) kaum um einen Terminus technicus (andernfalls wäre man für weitere Belegstellen dankbar).

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prinzipien spätantiker gesetzgebung 2. Die Redakteure dieses »Codex Theodosianus« werden sein: … 3. …, damit kein Hindernis die Fertigstellung dieses Codex aufhalten kann, der bei allen Rechtsgeschäften [negotia] und Gerichtsverhandlungen gelten und keinerlei Raum lassen soll für unbekannte, zusätzliche [novella] 219 Konstitutionen, die nicht in ihm enthalten sind – außer wenn sie [erst] nach seiner Publikation erlassen [promulgare] wurden.

Das Principium enthält (abgesehen von einer etwas ausführlicheren Erklärung der Aufnahmekriterien, dazu mehr ab → S. 154) eigentlich nichts Neues. Dass die veralteten Konstitutionen exzerpiert werden sollen, wird nicht mehr explizit formuliert, ergibt sich aber aus omnes [!] … constitutiones. § 1 hingegen stellt eine wesentliche Änderung zum Gesetz von 429 dar. Nach der damaligen Anweisung hätten die Kommissionsmitglieder ausschließlich kürzen dürfen. Nun wird ihnen erlaubt, weitere Änderungen vorzunehmen: nämlich Wörter zu ergänzen, unklare Stellen schärfer zu fassen und Textverderbnisse zu emendieren. 220 Offensichtlich zeigte die Erfahrung der dazwischenliegenden Jahre, dass eine auf das Kürzen beschränkte Redaktionstätigkeit der gestellten Aufgabe nicht angemessen war. Das Gesetz von 435 weist noch einen weiteren, ganz wesentlichen Unterschied zum Projekt von 429 auf: Von dem zweiten, um Widersprüche geglätteten Codex ist hier nicht mehr die Rede. Offensichtlich hatte der Kaiser seine Ambitionen heruntergeschraubt und gab sich angesichts der bisherigen Miss219 Zu meiner Übersetzung von novellus vgl. OLD s. v. novus 2, 4. Die Semantik ist nicht

»tatsächlich neu entstanden«, sondern »überraschend auftretend, unbekannt«. 220 Zugegebenermaßen ist emendare incongrua nicht eindeutig: emendare ist zwar das

Mot juste für »emendieren« (vgl. ThLL 5.2.462.11–18), kann aber auch weniger technisch verwendet werden, und incongruum ist gerade kein Terminus technicus für Korruptel (mendum). Voß (S. 71) versteht die Formulierung als Auftrag, »aus den Konstitutionen die größten stilistischen Ungereimtheiten (incongrua) zu entfernen und den Text zu einer klareren Anordnung umzuschreiben« bzw. »unpassende Bezeichnungen [zu] verbessern (emendandi incongrua)«. Aber incongrua bedeutet ebenfalls nicht »stilistische Ungereimtheiten«. Und wenn die Kompilatoren diese Weisung tatsächlich erhielten, dann haben sie sie geflissentlich ignoriert: Die Fragmente keiner der exzerpierten Konstitutionen, von denen sich eine vollständige Ausfertigung außerhalb des Codex Theodosianus erhalten hat, weisen eine solche Bearbeitung auf. Umgekehrt ist es schlichtweg naheliegend, dass Theodosius II. den Redakteuren Vollmacht gab, klare Schreibfehler zu entfernen (was allerdings nachweislich nicht immer geschah, → S. 240). Jedenfalls irrig ist die Ansicht von Harries (2011, S. 346 f.), »the compilers conspicuously failed to remove the rhetoric«, wobei sie mit »rhetoric« (so scheint es jedenfalls) die Kunstprosa meint, in der die Konstitutionen gehalten sind – ein Neuredigieren in Digestenlatein wird nirgendwo angeordnet, im Gegenteil sollen nach Möglichkeit die ipsa verba erhalten bleiben.

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erfolge mit dem Etappenziel als neuem Schlusspunkt zufrieden. Wir sahen, dass gemäß dem ursprünglichen Plan erst der zweite, bereinigte Codex den Namen des Kaisers führen und Codex Theodosianus heißen sollte. Nunmehr verwendet Theodosius II. diesen Ehrentitel für den ursprünglich als Materialsammlung gedachten ersten Codex (§ 2), offenbar im sicheren Wissen, dass es keinen zweiten geben würde. 221 Überdies schreibt Theodosius II. dem Codex einen neuen Zweck zu. Er soll – trotz identischer Konzeption! – nicht mehr als Materialsammlung für Rechtsgelehrte dienen, sondern vielmehr die einzig zitable Textbasis für alle bis dahin ergangenen Kaisererlasse darstellen. Dies bestätigt auch die Konstitution, mit der Theodosius II. gut zwei Jahre später den Abschluss der Codex-Theodosianus-Redaktion verkündete (Nov. Theod. 1 § 3 vom 15. Februar 438): Quamobrem detersa nube voluminum, in quibus multorum nihil explicantium aetates attritae sunt, compendiosam divalium constitutionum scientiam ex divi Constantini temporibus roboramus, nulli post kal. Ian. concessa licentia ad forum et cotidianas advocationes ius principale deferre vel litis instrumenta componere, nisi ex his videlicet libris, qui in Nostri nominis vocabulum transierunt et sacris habentur in scriniis. Wir haben den Nebel der Schriftrollen beiseitegewischt, in denen sich die Lebenszeit vieler Leute verlor, die trotzdem nicht daraus schlau werden konnten. Wir bestätigen 222 [roboramus] also das auf gelehrter Grundlage erstellte 221 Zu diesem relativ klaren Ablauf gibt es erstaunlich viel Literatur mit teilweise ganz

fantastischen Ideen. So vertritt Manfredini die erstaunliche Auffassung, der uns vorliegende Codex Theodosianus (mit all seinen Widersprüchen und trotz der nicht eingearbeiteten älteren Juristen) sei das in CTh. 1.1.5 geplante Endziel! Matthews (S. 59 f.) erklärt die Idee einer Aufgabe des ursprünglichen Projekts als »surely based upon a misreading of the evidence«. Theodosius II. habe weiter auf das Endziel von CTh. 1.1.5 hingearbeitet, gegenteilige Ansichten z. B. von A. H. M. Jones seien »a misunderstanding«. Tatsächlich lässt Matthews in seiner engagierten Diskussion die entscheidende Tatsache, dass die eigentlich als Zwischenschritt geplante »Materialsammlung« nunmehr den Ehrentitel Codex Theodosianus erhält, einfach unter den Tisch fallen. Matthews’ Hauptargument ist, dass in der Senatssitzung (→ S. 138) das frühere Gesetz CTh. 1.1.5 verlesen wird, woraus folge: »[der Senat] was invited to view the earlier law as initiating a process brought successfully through to completion«. Das entspräche dann aber der Ansicht von Manfredini, widerspricht hingegen Matthews’ eigener Vorstellung, dass das Endziel von CTh. 1.1.5 nie erreicht wurde (»It is true that this further project never [!] came to fruition«). 222 Nicht: »wir setzen in Kraft« bzw. »we give force to« (so Salway 2013, S. 331) o. ä.; roborare ist eines der Verben, die regelmäßig für Bestätigungen verwendet werden, etwa CTh. 10.10.24 (405), Pro inclyti principis Constantini sanctione, quam Nos etiam hac lege roboramus, »Gemäß der Regelung des gerühmten Kaisers Konstantin, die

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prinzipien spätantiker gesetzgebung Kompendium [scientia compendiosa] der Konstitutionen der divinisierten Kaiser seit der Zeit des divinisierten Konstantin. Ab dem ersten Januar darf niemand bei Gericht oder alltäglichen Anwaltsgeschäften Kaiserrecht vorbringen oder Prozessurkunden verfassen, sofern er sich nicht an die Bücher hält, die Unseren Namen erhalten haben und sich in den kaiserlichen scrinia [Kanzleien oder Archiven] finden.

Auch hier gibt es keinen Hinweis mehr auf die Existenz eines ambitionierteren Projekts. Ganz im Gegenteil, die Benennung der ungeglätteten Sammlung als Codex Theodosianus wird bestätigt (libri, qui in Nostri nominis vocabulum transierunt), ebenso die Funktion dieses Codex: Es war ab dem 1. Januar 439 223 nicht mehr möglich, eine Konstitution auf anderer Textgrundlage zu zitieren als nach den im Codex Theodosianus gesammelten Fragmenten. Und trotzdem halte ich es für falsch (oder mindestens fragwürdig), wenn man gemeinhin das Datum 1. 1. 439 als den Tag nennt, an dem der Codex auch Wir durch das vorliegende Gesetz bestätigen, …« oder CTh. 16.11.3 (410), → S. 126. 223 Dieses Datum wurde in Frage gestellt. Nov. Theod. 1 § 3 verfügt, dass post kal. Ian. niemand Gesetze nach anderer Grundlage als nach dem Codex Theodosianus zitieren dürfe. Nun ist Nov. Theod. 1 § 3 vom 15. Februar 438, also muss es um den Januar 439 gehen. Barnes (2001, S. 685) argumentiert, dass Nov. Theod. 3 vom 31. Januar 438 stammt und bereits nicht mehr in den CTh. eingearbeitet ist; folglich müsse der Stichtag der 1. Januar 438 sein (vgl. CTh. 1.1.6 § 3, wonach eine im CTh. fehlende Konstitution ungültig ist, es sei denn, sie wäre post editionem huius [d. h. des CTh.] erlassen – danach wäre also Nov. Theod. 3 ungültig). Freilich bleibt Barnes eine Erklärung schuldig, wie er sich die Auswirkungen seines Modells rückwirkender Geltung konkret vorstellt (was passiert, wenn jemand am 30. Januar 438 legalerweise eine Konstitution zitierte, die er nach der Konstitution vom 15. Februar bereits ab 1. Januar nicht mehr hätte zitieren dürfen?). Die letzte in den Codex Theodosianus eingearbeitete Konstitution ist vom 16. März 437 (CTh. 6.23.4) – mit einer Lücke von weniger als einem Jahr zwischen dem ursprünglichen Erscheinen des letzten eingearbeiteten Texts und der Fertigstellung des Manuskripts ist die Literaturverwertung des Codex Theodosianus sehr viel besser als die der allermeisten geisteswissenschaftlichen Dissertationen. Bedenkt man, dass zwischen Februar 438 und Januar 439 zahlreiche höchst sorgfältige Kopien herzustellen und zu verbreiten waren, muss man diese Zeitspanne ohnehin als durchaus ambitioniert empfinden. Besser nimmt man post editionem nicht ganz wörtlich und versteht es als »nach Redaktionsschluss« (oder akzeptiert alternativ, dass dem Autor von CTh. 1.1.6 im Jahr 435 entging, dass aus rein praktischen Gründen »Redaktionsschluss« und »Publikation« zeitlich nicht zusammenfallen können). Merkwürdigerweise nimmt Barnes für seine eigene Hypothese Honoré und Matthews als Vorgänger in Anspruch, die jedoch an den von Barnes angegebenen Stellen nichts dergleichen behaupten; zumindest Honoré (S. 132) gibt an anderer Stelle sogar ausdrücklich den 1.1.439 an!

der auftrag an die codex-theodosianus-kompilatoren

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Theodosianus »in Kraft trat« (bzw. »went into force« o. ä.). 224 Zum Vergleich: Am 1. 1. 1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft, und als in der Silvesternacht 1899 die Korken knallten, veränderte sich das geltende Recht auf dem Territorium des Deutschen Reichs schlagartig in dramatischer Weise. Aber wenn man sich für einen Augenblick vorstellen will, die Kompilatoren hätten ihre Anweisungen buchstabengetreu ausgeführt und keinen Fehler gemacht – dann hätte sich vom 31. 12. 438 auf den 1. 1. 439 nichts – aber auch gar nichts! – am geltenden Recht des Römischen Reichs geändert. Natürlich durfte man sich danach nicht mehr auf Konstitutionen berufen, die nicht in den Codex Theodosianus exzerpiert waren. Aber wenn sie dort fehlten (und kein Kompilationsfehler vorlag!), dann waren sie eben als gefälscht oder aufgrund mangelnder generalitas aussortiert worden (und hätten damit auch vor Gericht unbeachtlich sein sollen). Ferner galt ausschließlich diejenige Textfassung, die im Codex Theodosianus enthalten war; aber diese sollte ja gerade keine sinnmodifizierenden Änderungen enthalten (die sich also nur durch Kompilationsfehler ergeben konnten). Was sich also vom 31. 12. 438 auf den 1. 1. 439 änderte, war die Zitiergrundlage des geltenden Rechts – nicht aber dessen Substanz. Ein weiterer, sehr starker Beleg dafür scheint mir der § 6 derselben Novelle (Nov. Theod. 1 § 6) zu sein: Quod observari necesse est in his etiam, quae per Orientem Nobis auctoribus promulgantur; falsitatis nota damnandis, quae ex tempore definito Theodosiano non referuntur in codice, exceptis his, quae habentur apud militum sancta principia, vel de titulis publicis expensarum aliarumque rerum gratia, quae in regestis diversorum officiorum relata sunt. Das muss auch bei den [Gesetzen] beachtet werden, die von Uns als Autor im Ostreich 225 erlassen werden. [Gesetze], die man ab dem festgelegten Zeitpunkt 224 Am ehesten ließe sich dies in Nov. Theod. 2 pr. hineinlesen: aliam mox legem Nostra

Pietas promulgavit, quae … confecto codici vires auctoritatemque tribueret, »Unsere Pietät erließ alsbald ein weiteres Gesetz, das … dem zusammengestellten Codex Kräfte und Autorität verlieh«. Der Satz läuft folgendermaßen weiter: nec aliter in iudicio quas contineret leges, nisi ex ipso proferrentur, valere praeciperet, »und anordnete, dass vor Gericht die darin enthaltenen Gesetze ausschließlich dann gültig sein sollten, wenn sie genau nach diesem Codex zitiert wurden«. Die Formulierung soll also den Inhalt der alia lex in neuen Worten wiedergeben, die ihrerseits von roborare, »bestätigen«, spricht (Nov. Theod. 1 § 3, constitutionum scientiam … roboramus, nulli … concessa licentia … ius principale deferre …, nisi ex his videlicet libris). 225 Dies ist einer der seltenen Belege, in denen alleinstehendes Oriens nachweislich nicht »Präfektur Oriens« bedeutet, sondern das ganze Ostreich bezeichnet. Ein weiteres Beispiel ist etwa CTh. 7.16.1, Hostis publicus Stilicho novum adque insolitum

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prinzipien spätantiker gesetzgebung nicht im Codex Theodosianus vorfindet, sind mit der Brandmarkung »Fälschung!« abzustrafen. Ausgenommen sind solche [Konstitutionen], die in den geheiligten Kommandanturen der Armee verwahrt werden, sowie solche bezüglich staatlicher Steuern zum Zwecke [der Deckung] von Ausgaben und anderer Dinge, die sich in den Registern der verschiedenen Amtsstellen befinden.

Unmittelbar zuvor schrieb Theodosius II. in § 5, dass neue Novellen aus dem westlichen Reichsteil nur dann vor Gericht eingebracht werden können, wenn sie jeweils direkt an ihn, Theodosius II., kommuniziert werden; dies sollte natürlich verhindern, dass jemand vor Gericht ein ansonsten unbekanntes westliches Gesetz aus dem Hut zauberte (vgl. → S. 100). Der erste Teil von § 6 bezieht sich auf diese Prozedur; auch seine, des Theodosius, neue Gesetze, müssen direkt an den Mitkaiser kommuniziert werden. Wie der daran anschließende Ablativus absolutus ab exceptis his auf Novellen bezogen werden könnte, sehe ich nicht. Es geht darin um Gesetze, die ausnahmsweise nicht in den Codex Theodosianus eingetragen sind (also keinesfalls um Novellen, die dort sowieso nicht zu finden sind). Obwohl der Ablativus absolutus syntaktisch zum Hauptsatz mit der Novellenanerkennung gehört, steht für mich außer Zweifel, 226 dass er einen neuen Gedanken einleitet, nämlich eine allgemeine Abschlussbemerkung zu Gültigkeitsfragen: Eine Konstitution aus der Zeit vor dem Redaktionsschluss, die nach dem 1. 1. 439 vorgelegt wurde, anstatt ihr Exzerpt aus dem Codex Theodosianus zu zitieren, galt hiernach automatisch als Fälschung (unabhängig von ihrer tatsächlichen Authentizität). Aber man macht Ausnahmen für Gesetze, die in den offenbar als besonders zuverlässig angesehenen Archiven des Militärs schlummerten oder sich in anderen staatlichen Archiven befanden und mit Steuern und Ausgaben zu tun hatten. Nichts illustriert besser als diese Klausel, dass der Codex Theodosianus lediglich eine neue Zitiergrundlage war. 227 reppererat, ut litora et portus crebris vallaret excubiis, ne cuiquam ex Oriente ad hanc imperii partem pateret accessus, »Der Hochverräter Stilicho hatte zu der beispiellosen und völlig unüblichen Maßnahme gegriffen, die Küsten und Häfen mit zahlreichen Posten zu belegen, damit niemand aus dem Ostreich [Oriens] zu unserem Reichsteil [haec imperii pars] gelangen konnte«. 226 Würde man hingegen versuchen, den Ablativus absolutus auf die östlichen Novellen zu beziehen, käme man zu keiner sinnvollen Deutung: Novellen, die Theodosius II. selbst erlässt, hätten als Fälschung zu gelten, außer sie werden in den Codex Theodosianus eingetragen oder lagerten bereits in den genannten Archiven. 227 Diese Stelle, die – wenn ich sie korrekt interpretiere – von größter Bedeutung ist, wird selten diskutiert. Man vergleiche aber immerhin die Ansichten von Dillon und Sirks. Dillon (S. 24) schreibt: »Military and financial records and other miscellaneous documents kept in official archives were also omitted from the Codex Theo-

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Das Kriterium der generalitas Zahlreiche kaiserliche Verfügungen, die wir für die Zeit von 313 bis 437 von außerhalb des Codex Theodosianus kennen (→ S. 49), haben dort keine Spur hinterlassen. Das kann man teilweise durch spätere Textverluste erklären (→ S. 179), teilweise sicher auch dadurch, dass nicht alle relevanten Gesetze aufgefunden werden konnten: Unter den konstantinischen Regelungen finden sich besonders oft solche mit einem Propositionsdatum in der Subskription. Sie wurden also von der ausgehängten Fassung abgeschrieben und gelangten wohl erst über Privatsammlungen in die CTh.-Kompilation (→ S. 189), und fraglos war die Vollständigkeit solcher Privatsammlungen viel stärker dem Zufall unterworfen als die von Archivmaterial. Ferner ist es unvorstellbar, dass bei einem so gewaltigen Unternehmen, wie es der Codex Theodosianus war, den Redakteuren nicht mitunter auch echte Fehler unterliefen, d. h., sie verwerteten Gesetze nicht, die sie aufgefunden hatten und hätten exzerpieren müssen (→ S. 186). Aber all diese Faktoren zusammen reichen nicht einmal annähernd aus, um das Fehlen so vieler Gesetze zu erklären. Das entscheidende Nadelöhr muss ein anderes sein. Manche Autoren haben behauptet, dass die Kompilatoren Gesetze, die nicht im Einklang mit jüngeren standen, aussortierten (→ S. 191). Dem widerspricht freilich der wiederholt klar geäußerte Auftrag des Theodosius II., mehr noch aber der fertige Codex Theodosianus mit In-

dosianus. Unlike imperial constitutions, these documents remained in force and could still be cited in court. Unlike private rescripts, the content of such documents will have had little to do with imperial law«. Wie kann eine Militärarchivalie (»military record«), deren Inhalt nach Dillons Interpretation ohnehin wenig mit Kaiserrecht zu tun hatte, gültig (»in force«) geblieben sein? Wenn ich ihn recht verstehe, denkt er, es gehe in der vorliegenden Stelle um Steuerlisten o. ä., die weiter als Beweismittel dienen konnten – aber Beweismittelfragen haben nichts mit der Normengültigkeit zu tun, die hier das Thema ist. Sirks (S. 188) schreibt: »Apparently not all general rules had been included in the code, but those concerning military and primarily financial matters seem to have been left out. We could call these general rules concerning the internal affairs of a governmental department. To a certain extent these had nevertheless been included in the code«. Geht es jetzt um »allgemeine Gesetze« oder um »interne Regeln«? Wenn es um »interne Regeln« geht, welche Relevanz könnten sie dann im Kontext – der das allgemeine Rechtsgefüge betrifft – besitzen? Wenn es um »allgemeine Regeln« geht: Das ganze Buch 7 des Codex Theodosianus ist der Armee gewidmet – viel zu viel, als dass man dies »to a certain extent« nennen könnte.

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kongruenzen auf jeder Seite, insbesondere, wenn man die feinen Unterschiede (→ S. 140) mit in Rechnung stellt. Tatsächlich haben wir ein von Theodosius II. gesetztes Kriterium noch gar nicht betrachtet, und dieses Kriterium ist, wie sich im Weiteren zeigen wird, der entscheidende Auswahlmechanismus. Es geht um die generalitas. Im Gesetz von 429 beschränkte Theodosius das Sammeln auf constitutiones edictorum viribus aut sacra generalitate subnixae, »Gesetze, die sich auf die Kraft von Edikten oder kaiserliche generalitas berufen können« (im selben Gesetz spricht er später noch einmal verkürzt von den generales constitutiones). Offenbar dieselbe Einschränkung ist im zweiten Sammelauftrag von 435 so formuliert: edictales generalesque constitutiones vel in certis provinciis seu locis valere aut proponi iussae, »Konstitutionen, die edictales oder generales sind (auch wenn 228 von ihnen angeordnet wurde, dass sie [nur] in bestimmten Provinzen bzw. Orten gelten bzw. veröffentlicht werden sollen)«. Zumal dieser letzte Ausdruck erweckt den Anschein, als gäbe es eine klare Definition von generalitas, die es einem Kompilator erlauben würde, bei einem Gesetz, das (sagen wir) nur in Illyrien gelten sollte und ausschließlich dort anzuschlagen war, die generalitas festzustellen. Aus alledem folgt im Gegenschluss auch, dass es Konstitutionen (!) gab, denen die generalitas fehlte. Dass Reskripte als Einzelfallregelungen ohnehin keine generalitas besaßen, ist klar – aber offensichtlich gab es auch Kaisergesetze, die – jedenfalls nach dem generalitas-Begriff der theodosianischen Sammlung – nicht generales waren. Um herauszufinden, was generalitas im Sinne der Theodosianus-Kompilation ist, stehen drei methodische Ansätze zur Verfügung. Erstens werden wir versuchen, die knappen, eben gegebenen Formulierungen aus sich selbst heraus zu verstehen. Zweitens existiert im Codex Theodosianus eine Definition von generalitas. Da sie allerdings weder zeitlich noch örtlich in den Kontext der Codex-Theodosianus-Redaktion gehört, darf man nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass sie auf die Arbeit der Kompilatoren zu beziehen ist; gleichwohl muss der Text analysiert werden. Drittens kann man sich der generalitas heuristisch nähern: Wenn man davon ausgeht, dass sich die Redakteure im Prinzip an ihren Auftrag hielten, 229 braucht man nur die vollständig erhaltenen Konstitutionen mit der Codex-Theodosianus-Sammlung zu vergleichen und

228 Natürlich kann vel hier nicht »oder« bedeuten (→ S. 147216). 229 Wir haben bereits gesehen, dass sie in den meisten Fällen aufteilten, wie sie sollten,

wenn auch mit seltenen Fehlern (→ S. 143); wir werden später sehen, dass sie sich auch beim Kürzen weitgehend an ihren Auftrag hielten, auch hier freilich mit nachweisbarem, aber seltenem Schlendrian (→ S. 241).

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kann dann Kriterien ableiten, wann Konstitutionen exzerpiert wurden – und wann nicht. Dieser dritte Ansatz scheint mir am ehesten erfolgversprechend, setzt aber voraus, dass man sehr genau im Blick behält, in welchen Fällen andere Faktoren als die generalitas das Fehlen erklären könnten. Gemeint sind damit vor allem die Nichtauffindbarkeit durch die Kompilatoren (insbesondere ein Problem der frühen, zumal der konstantinischen Gesetze) und möglicher Textverlust des Codex Theodosianus zwischen der Publikation im Jahr 438 und dem heutigen Bestand. Der Plan der nächsten Abschnitte sieht also wie folgt aus: Im vorliegenden Kapitel versuchen wir einerseits, die Metatexte des Codex Theodosianus selbst zu verstehen, und sehen uns andererseits die in abweichendem Kontext gegebene generalitas-Definition genau an. Im nächsten Kapitel, das gleichsam einen Einschub darstellt, betrachten wir das weitere Schicksal des CodexTheodosianus-Texts, um diese Vorarbeit für den Vergleich zu leisten. Im übernächsten Kapitel geht es um »Die Realität der Sammlung«: Welche Texte wurden ausgewählt? Welche generalitas-Kriterien sind daraus ableitbar? Welche Änderungen wurden vorgenommen? Es sei vorweggenommen, dass sich die aus den Metatexten gewonnenen Kriterien ziemlich gut mit den heuristischen vereinbaren lassen. Sowohl in CTh. 1.1.5 als auch in CTh. 1.1.6 finden sich zwei Aspekte dessen, was in CTh. 1.1.5 als generales constitutiones zusammengefasst wird: einerseits irgendein Zusammenhang mit Edikten (edictorum vires, edictales), andererseits generalitas ansonsten bzw. in einem weiteren Sinne (sacra generalitas, generales). Wir haben bereits gesehen, dass das Adjektiv edictalis in den ersten Jahrzehnten des 5. Jh.s zum Synonym für generalis wurde (→ S. 76); unsere Interpretation muss sich also notgedrungen allein auf den Ausdruck edictorum vires stützen. Im Zusammenhang kaiserlicher Gesetzgebung sind uns zwei Arten von Edikten begegnet: Die Kaiseredikte und die Publikationsedikte der Empfänger. Aufgrund des Plurals würde ich a priori an die Publikationsedikte denken, und zwar, genauer, an die vom Kaiser in den Gesetzestexten gegebenen Befehle an Würdenträger, solche Publikationsedikte zu erlassen. 230 Mit ande230 Anders Matthews, der nicht an die angeordnete Publikation (d. h. den Publikations-

befehl im Gesetzestext, → S. 52) denkt, sondern die erfolgte Publikation (was nur durch den Propositionsvermerk in der Subskription nachweisbar wäre). Er schreibt (Matthews, S. 67): »Only a relatively small proportion [von Kaiserbriefen im CTh.] actually recorded the fact that they had been formally posted … There is nothing surprising in this, since before the law of 426 it would not have occurred to anyone transcribing the law that this element [!] was essential for a constitution to possess

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ren Worten: Wenn der Kaiser expressis verbis im Würdenträgerbrief anordnet, diese seine Regelung sei überall anzuschlagen, dann war sie ihm doch offenbar so wichtig, dass man ihr Allgemeinverbindlichkeit zuschreiben darf. Dass man zum Zeitpunkt der CTh.-Kompilation einen Zusammenhang zwischen generalitas und Publikationsedikten sah, ergibt sich aus weiteren Passagen in CTh.-Metatexten, nämlich solchen, die die Übermittlung von Gesetzen zwischen den Reichsteilen betreffen. Bereits in CTh. 1.1.5 bestimmt Theodosius II.: In futurum autem si quid promulgari placuerit, ita in coniunctissimi parte alia valebit imperii, ut … ex qua parte fuerit constitutum, cum sacris transmittatur adfatibus in alterius quoque recipiendum scriniis et cum edictorum sollemnitate vulgandum, »Wenn man aber künftig beschließen sollte, etwas zu erlassen, dann wird das im anderen Teil des ganz eng verbundenen Reichs gelten, wobei … die Regelung aus dem Reichsteil, in dem sie erlassen wurde, mit einem kaiserlichen Begleitschreiben übermittelt werden soll als ein Gesetz, das in den scrinia auch des anderen Teils zu empfangen und wie gewohnt mit Edikten zu verbreiten ist«. Als dann tatsächlich Novellen kommuniziert werden, erwähnt Theodosius das Verfahren noch einmal. Es geht um quod generatim constitutum esset, »das, was mit generalitas erlassen wurde« (Nov. Theod. 2 pr.). Theodosius weist seinen »Sohn« und Mitkaiser an: eas igitur … cunctis ex more facias divulgari, »lass also diese [Gesetze] allen wie üblich bekannt machen« (§ 3). Ist der zweite Aspekt, generalitas, identisch mit dem ersten, d. h., ist eine Konstitution dann und nur dann generalis, wenn sie einen Publikationsbefehl enthält? Oder ist generalitas der Oberbegriff, und Konstitutionen, die anhand des Publikationsbefehls als generales erkannt wurden, sind nur eine Teilmenge? Das Wort aut weist darauf hin, dass eher die zweite Erklärung richtig ist, wofür es auch weitere starke Indizien gibt (siehe gleich). general validity«. Das ist völlig unplausibel, denn nach dieser Interpretation legen empfangende Würdenträger (und nicht erlassende Kaiser!) fest, was generalis ist und was nicht; auch hätten die Redakteure keinesfalls mit zentralem Archivmaterial arbeiten dürfen (wo die Proposition gar nicht vermerkt war), sondern hätten – wie auch immer – eruieren müssen, was man in den Provinzen anschlug und was nicht. Matthews (S. 67 Anm. 27) versucht sein Argument zu retten, indem er hinzufügt, die Redakteure hätten stets von folgender Maxime ausgehen dürfen: »a law sent in the form of a letter to a provincial governor was ›ordered to be valid,‹ even if there were no specific record of its promulgation by posting«. Aber warum gab es dann nur bei bestimmten Konstitutionen Publikationsbefehle, wenn sowieso jeder Brief (sofern ich Matthews recht verstehe) zu proponieren war? Im Ergebnis glaubt Matthews jedenfalls, dass jeder Kaiserbrief an einen »provincial governor« automatisch ein Gesetz mit generalitas war (so noch einmal ausdrücklich Matthews, S. 70)!

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Und was soll sacra generalitas, »kaiserliche generalitas«, bedeuten? Mit anderen Worten: Ist sacer hier deskriptiv (d. h., generalitas ist eine Eigenschaft, die es ohnehin nur bei Kaiserkonstitutionen geben kann) oder restriktiv, d. h., impliziert es, dass es auch eine nichtkaiserliche generalitas gibt? Richtig ist die zweite Variante: … προσῆκον ἡγησάμην καθολικήν τινα περὶ τούτου ποιήσασθαι διάταξιν, »… ich hielt es für angemessen, dazu eine [d. h. die hier vorliegende] καθολικὴ διάταξις zu erlassen«, schreibt im Jahr 156 n. Chr. der Präfekt von Ägypten, wobei καθολικὴ διάταξις das exakte griechische Äquivalent von generalis constitutio ist (Jördens 2001, S. 62 f.; vgl. Jördens 1997, S. 342 f.). Es geht also bei sacra generalitas darum, was der erlassende Kaiser als generalis ansieht; nicht darum, was eventuell ein proponierender Würdenträger im Begleitedikt formuliert, dem er womöglich seine eigene, untergeordnete generalitas zuschreibt. Sehen wir uns nun an, wie im Codex Theodosianus generalis verwendet wird. Dort finden sich mehrere Passagen, die Regelungen, die generales (oder, im frühen 4. Jh. offenbar synonym, publicae) sind, von Reskripten abgrenzen: CTh. 1.2.2 (315), Contra ius rescripta non valeant … Quod enim publica iura perscribunt, magis sequi iudices debent, »Gegen das Recht sollen Reskripte nicht gelten … Richter müssen vielmehr dem folgen, was die publica iura vorschreiben«; CTh. 1.2.3 (kurz vor 320), rescripta ante edictum propositum impetrata suam habeant firmitatem … quae vero postea sunt elicita, nullum robur habeant, nisi consentanea sint legibus publicis, »vor Aushang eines [peremptorischen] 231 Edikts erlangte Reskripte sollen gelten … solche [Reskripte] aber, 231 Ich verstehe die Stelle also exakt so wie CTh. 1.2.5: Solange ein Rechtsstreit noch

offen ist, kann man sich an Konstantin wenden. Ist die Sache entschieden, wäre ein Eingreifen des Kaisers sine gravi partis alterius dispendio, »ohne großen Schaden der Gegenpartei«, nicht möglich, weswegen sich Konstantin Petitionen um »die Aufhebung [nur das kann relaxatio im Kontext bedeuten] einer peremptorischen Einrede«, praescriptionis … peremptoriae relaxatio, oder »gegen ein Edikt«, contra edictum, verbittet. Da es bei CTh. 1.2.5 um einen Prozess geht, muss es das peremptorische Edikt sein. CTh. 1.2.3 wurde ganz anders aufgefasst (freilich ohne Diskussion von CTh. 1.2.5) in der Nachfolge Seecks (S. 164 f.) z. B. von Kußmaul, S. 12 Anm 2, oder Liebs 2010b, S. 520, wonach das edictum vielmehr CTh. 1.2.2 sei (d. h., es geht um den Zeitpunkt des Aushangs von CTh. 1.2.2). Dies ist unmöglich, weil Ubi … specialiter exoramur, id observetur klar auf die Zukunft verweist, nicht auf frühere Anfragen. Sirks, S. 10 f., versteht den Text so, dass künftig eine Veränderung der allgemeinen Regelungen nicht mehr durch Reskript erfolgen solle, sondern zwingend durch Edikt, wofür er auf Novellen verweist, die durch Privatpetitionen ausgelöst wurden (→ S. 121) – früher (so Sirks) habe man dafür kein Edikt gebraucht, das Reskript habe gereicht. Dass sein Vorschlag unplausibel ist, ergibt sich neben vielem anderen auch daraus, dass alle von ihm angeführten Novellen Briefe, keine Edikte, sind.

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die man sich danach ergaunert, sollen keinerlei Kraft haben, sofern sie nicht im Einklang mit den leges publicae stehen«; CTh. 1.1.4 (393), Generale praeceptum beneficio speciali anteferendum est, »Ein generale praeceptum ist einem Spezialprivileg vorzuziehen«. Allerdings hat leges publicae in den nichtjuristischen Quellen des späten 4. und frühen 5. Jh.s andere Bedeutungen. Einerseits handelt es sich um die »staatlichen Gesetze« im Gegensatz zu den kirchlichen (so bei Aug. epist. Divj. 9.2 oder Coll. Carth. 3.89), andererseits (öfter) um »die Gesetze«, etwa wenn Augustin (in euang. Ioh. 88.4) im Rahmen einer Argumentationskette den Fall betrachtet, dass böse Könige böse Menschen bestrafen, so Kriminelle, die contra leges publicas verstoßen haben; oder wenn Possidius (→ S. 515) von einer multa … auraria publicis legibus contra haereticos constituta, von einer »Goldstrafe, die gesetzlich gegen Häretiker bestimmt ist«, spricht. An diesen Stellen ist publicae ganz offensichtlich nicht restriktiv gebraucht, sondern fungiert lediglich als Epitheton ornans.

Insgesamt erscheint generalis im Codex Theodosianus gar nicht so selten, und zwar zumeist als ausdrückliche Kennzeichnung, dass die gerade zu erlassende Regelung als generalis zu verstehen sei, 232 oder aber in Bezugnahme auf früher erlassene Gesetze. 233 In manchen Fällen scheint generales sanctiones kaum mehr als »die Gesetze« zu bedeuten (wie wir das hinsichtlich leges publicae in

232 So z. B. CTh. 4.22.3 (389), generali lege sancimus; CTh. 5.12.2 (415), generali sanc-

tione mandemus; CTh. 12.3.2 (423), generali sanctione decernimus; CTh. 8.1.15 (415), generali lege censemus; CTh. 8.2.5 (401), CTh. 11.7.21 (412), CTh. 12.1.181 (416), jeweils generali lege sancimus; CTh. 8.4.21 (410), generali lege decernimus; noch öfter in anderen Formulierungen. 233 Beispiele: CTh. 7.4.22 (396), quae generali lege divi patris senioris Valentiniani constituta sunt, »was durch eine lex generalis meines divinisierten Vaters Valentinian des Älteren bestimmt wurde« [wird hier bestätigt]; CTh. 10.10.30 § 1 (421), sicut iam generali lege decretum est, »wie es ja bereits durch eine lex generalis bestimmt ist«; CTh. 16.5.58 § 5 (415), pro norma generalium sanctionum aerario Nostro absque dubio socientur, »… sollen [diese Immobilien] nach Maßgabe der generales sanctiones ohne Wenn und Aber Unserer Kasse zugeschlagen werden«; CTh. 16.5.59 (423), … ceterique haeretici sciant universa sibi hac quoque constitutione denegari, quae illis generalium sanctionum interdixit auctoritas, puniendis, qui contra generalium constitutionum interdicta venire temptaverint, »… sowie alle weiteren Häretiker sollen wissen, dass ihnen auch durch die vorliegende Konstitution alles untersagt wird, was ihnen die Autorität der generales sanctiones verboten hat, wobei die zu bestrafen sind, die gegen die Verbote der generales constitutiones zu agieren versuchen sollten«; CTh. 16.8.20 § 1 (412), quamvis retro principum generalibus constitutis satis de hac parte statutum esse videatur, »obwohl ja eigentlich durch die generalia constituta der früheren Kaiser genug darüber bestimmt ist«.

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nichtjuristischen Quellen diagnostiziert haben; so etwa in CTh. 16.5.58 und 16.5.59). Wenn ein Gesetz autoreferenziell als generalis bezeichnet wird, d. h., wenn es einen Passus à la generali lege/sanctione decernimus/sancimus/mandamus/ censemus enthält, dann schreibt diesem Gesetz zumindest sein Erlasser ausdrücklich generalitas zu, und warum sollten die Kompilatoren von diesem Urteil abgewichen sein? Weiter: Eine solche autoreferenzielle Aussage gehört nicht zum Regelungskern, d. h., ihre Exzerpierung in den Codex Theodosianus stellt streng genommen einen Kompilationsfehler dar. Das bedeutet umgekehrt, dass sie in den allermeisten Fällen entfallen sein dürfte. Es ist zumindest eine statthafte Hypothese anzunehmen, dass zahlreiche Konstitutionen deswegen exzerpiert wurden, weil sie eine solche Bemerkung enthielten, die für uns aber nicht mehr sichtbar ist. Die große Masse der Erwähnungen von generalis gehört ins 5. Jh., aber bereits ab Theodosius I. finden sich etliche Belege. Abgesehen von zwei konstantinischen Beispielen (die nicht technisch sein müssen: CTh. 11.30.3; 16.8.3) finden sich erste klare Belege ab den 360ern: CTh. 14.3.11 (364?); 11.36.20 (369); 4.17.1 (374); 2.2.1 (376). Auch für Augustin im frühen 5. Jh. ist die generalis lex fraglos ein Terminus technicus: Das Zehnpfundgoldgesetz nennt er (epist. 185.7.25, → S. 524) eine lex piissimae memoriae Theodosii, quam generaliter in omnes haereticos promulgavit; über den Inhalt eines Reskripts zu einem Erbstreit schreibt er (c. Parm. 1.12.19) ex illa generali lege praeceptum est, »[darin] wurde aufgrund jener generalis lex [mit erbrechtlichen Sanktionen für Häretiker] bestimmt« [nämlich dass jemand im konkreten Rechtsstreit obsiegt, → S. 531]. All das bedeutet: Als die Kommission im Jahr 429 den Auftrag erhielt, Konstitutionen mit generalitas zu sammeln, war das kein für die Kompilierung neugeprägter Begriff, sondern ein Konzept, das seit mehr als zwei Generationen existierte und das Kaiser immer öfter benutzten, um ihre Konstitutionen damit ausdrücklich als allgemeinverbindlich zu kennzeichnen. Unklar ist allerdings, wie scharf das Konzept der generalitas definiert war. Waren nur Konstitutionen, in deren Text generalis autorefenziell gebraucht wurde, mit generalitas ausgestattet? War das mögliche Abstellen auf den Publikationsbefehl eine Neuerung der Theodosianus-Kompilatoren, oder war dies bereits früher ein Kriterium? Uns fehlen die Quellen, um diese Fragen für das späte 4. und frühe 5. Jahrhundert beantworten zu können, aber aus der Zeit unmittelbar vor der Kompilation, nämlich aus dem Jahr 426, steht uns eine bemerkenswerte Quelle zum Verständnis des Konzepts der generalitas zur Verfügung. Es handelt sich

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um die Reste einer Regelung, die generalitas definiert. Allerdings ist sie aus mehreren Gründen problematisch. Erstens sind ihre Fragmente nicht im Codex Theodosianus überliefert (wo sie freilich einst gestanden haben müssen, → S. 171), sondern nur durch den Codex Iustinianus. Dies bedeutet, dass wir nicht nur weitere Kürzungen, sondern vor allem beliebig grobe Texteingriffe nicht ausschließen können. Zweitens steht die Regelung von 426 weder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Kompilationsauftrag von 429 noch in örtlichem: Zwar ist sie wie dieser als Oratio an den Senat gehalten, aber an den Senat von Rom (nicht von Konstantinopel). Ist es statthaft, ein östliches Gesetz von 429 mit den Definitionen eines westlichen von 426 zu interpretieren? Fast immer wird dies ohne Weiteres bejaht. Matthews (S. 66) verweist darauf, dass die östlichen Kompilatoren ja offenbar dieses Gesetz kannten (und folglich, so darf man seinen Gedankengang zu Ende führen, danach handelten). 234 Kußmaul (S. 21) meint, »die knappen Formeln der Gesetze von 429 und 435 setzen voraus, daß der Leser eine ausführlichere Definition kennt. Eine derartige Definition findet sich in einem Gesetz, das Valentinian III … als Oratio an den Senat geschickt hat«, was offenbar bedeuten soll, dass die wahrgenommene Lückenhaftigkeit der theodosianischen Gesetze bereits die Zusammengehörigkeit erweise. Für Sirks (S. 58) ist der chronologische Zusammenhang Beweis genug: »In view of the recent issuing of the constitution of 426 …, it [CTh. 1.1.5] must refer to the definitions in it« (dazu ausnahmsweise zustimmend sein Rezensent Liebs 2010b, S. 520: »was Verf. zu Recht mit dem kurz zuvor in Ravenna ergangenen umfangreichen Gesetz … zusammenbringt«). Dillon (S. 25) nimmt die Tatsache der Exzerpierung als Begründung: »Valentinian III had established their [Edikte und Orationes] … generalitas, and the Theodosian commissioners will have observed this definition insofar as it was not superseded by the constitutions of Theodosius himself … In light of the certain inclusion of Valentinian’s law in the Codex Theodosianus, it is natural to assume it will have influenced the designation of general constitutions at least as conceived in the initial plans of 429«. Honoré (S. 255–257) geht sogar so weit, mit einer weiteren verwegenen 235 Identifikation den eigentlichen Autor der westlichen 426-Ora234 Vgl. ferner Matthews, S. 169: »in his law of 435, Theodosius confirmed [!] the de-

finition that Valentinian III gave in his address to the Senate of 7 November 426«; S. 291: »the definition of generalitas was a formal one; a law must either have been an edict or have been a text addressed to a public official and published by him under his own edict«; S. 293: »[Die Oratio von 426] has a direct bearing on the principles enjoined on the first editorial commission«. 235 Sieht man sich die Diskussion von Honoré durch, die sich über mehr als zwei Druck-

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tio mit dem späteren Vorsitzenden der im Jahr 429 eingesetzten Codex-Theodosianus-Kommission gleichzusetzen! Wenger (S. 433) liest den Codex Theodosianus wie ein modernes Gesetzbuch: »Cod. Iust. 1, 14, 3 (J. 426) verordnen die Mitkaiser Theodosius und Valentinian in Form einer Legaldefinition: Leges ut generales …«; auf diese »Legaldefinition« verweist Wenger (S. 537 mit Anm. 60) dann beim Kompilatorenauftrag zurück. Schauen wir uns also die 426-Oratio an. Man findet in den Codices Theodosianus und Iustinianus zahlreiche Fragmente, die laut ihrer Inskriptionen und Subskriptionen aus einer Oratio stammen, die Valentinian III. am 6. oder 7. November 426 an den Senat schickte. Die meisten dieser Fragmente betreffen das Erb- und Schenkungsrecht, 236 einige aber auch ganz grundlegende Fragen der Gültigkeit von Normen. 237 Handelt es sich um zwei Orationes oder nur um eine? Anhand der Subskriptionen lässt sich dies kaum entscheiden, 238 und letztlich bleibt sich dies auch gleich, denn wenn es wirklich nur eine einzige Oratio war, dann umfasste sie zwei inhaltlich stark voneinander abgesetzte Teile (so zu Recht Classen, S. 35 Anm. 88). Die Diskussion zur Normengeltung steht jedenfalls in keinem für uns nachvollziehbaren Zusammenhang mit den erb- und schenkungsrechtlichen Fragmenten. Von den fünf Fragmenten zur Normengeltung betreffen zwei das Thema »Reskripte«; sie enthalten wenig Neues. 239 Ein Fragment (CTh. 1.4.3) ist das berühmt-berüchtigte Zitiergesetz, das die rechtliche Gültigkeit der Schriften von Papinian, Paulus, Gaius, Ulpian und Modestin bestätigt; bei Kontroversen sollten die Richter mechanisch abzählen, welche Ansicht eine Mehrheit findet,

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seiten erstreckt, so findet man dort kein einziges ernsthaftes Argument. Tatsächlich lässt sich sein Gedankengang folgendermaßen zusammenfassen: CTh. 1.1.5 nennt Antiochus (den Kommissionsvorsitzenden) einen »gewesenen Quästor«, ex quaestore; er muss also vor dem Jahr 429 Quästor gewesen sein – warum z. B. nicht im Jahr 426 im Westreich? CTh. 4.1.1, 5.1.8, 8.13.6, 8.18.9, 8.18.10, 8.19.1 sowie, nur im CI. überliefert, CI. 6.30.18. CTh. 1.4.3, sowie, nur im CI. überliefert, CI. 1.14.2, 1.14.3, 1.19.7, 1.22.5. Es scheint so, als wären die Fragmente zum Erb- und Schenkungsrecht zumeist auf den 7. November datiert, während die Fragmente zur Normengeltung tendenziell eher den 6. November aufweisen. Doch finden sich mehrfach beide Tage für ein und denselben Text handschriftlich belegt, was angesichts der Ähnlichkeit im Schriftbild (VII id. bzw. VIII id.) nicht weiter verwundert. CI. 1.19.7: Richter haben Reskripte contra ius zu ignorieren, außer sie schaden niemand anderem (z. B. eine Begnadigung); CI. 1.22.5: Reskripte, die auf einer falschen Darstellung des Anfragenden basieren, gelten nicht, selbst wenn sie den Gesetzen entsprechen.

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mit Papinian als Tie-Breaker. Man hat das Zitiergesetz heftig kritisiert (klassisch Jones, S. 471: »this rule has justly been regarded as the low-water mark of Roman jurisprudence«), aber immerhin manifestiert sich darin wenigstens eine Wertschätzung der Juristen der Hohen Kaiserzeit (die ansonsten im Codex Theodosianus praktisch komplett ausgeblendet sind). Die letzten beiden Fragmente der 426-Oratio betreffen die Frage der generalitas. Ich habe sie in umgekehrter Reihenfolge angeordnet, weil mir so der Ablauf logisch erscheint (aufgrund identischer Datierung kann es ja leicht zu einer Vertauschung innerhalb des Titels gekommen sein): [CI. 1.14.3] Leges ut generales ab omnibus aequabiliter in posterum observentur, quae vel missa ad venerabilem coetum oratione conduntur vel inserto edicti vocabulo nuncupantur, sive eas Nobis spontaneus motus ingesserit sive precatio vel relatio vel lis mota legis occasionem postulaverit. Nam satis est edicti eas nuncupatione censeri vel per omnes populos iudicum programmate divulgari vel expressius contineri, quod principes censuerunt ea, quae in certis negotiis statuta sunt, similium quoque causarum fata componere. 1. Sed et si generalis lex vocata est vel ad omnes iussa est pertinere, vim obtineat edicti; interlocutionibus, quas in uno negotio iudicantes protulimus vel postea proferemus, non in commune praeiudicantibus, nec his, quae specialiter quibusdam concessa sunt civitatibus vel provinciis vel corporibus, ad generalitatis observantiam pertinentibus. [CI. 1.14.2] quae ex relationibus vel suggestionibus iudicantium per consultationem in commune florentissimorum sacri Nostri palatii procerum auditorium introducto negotio statuimus vel quibuslibet corporibus aut legatis aut provinciae vel civitati vel curiae donavimus, nec generalia iura sint, sed leges fiant his dumtaxat negotiis atque personis, pro quibus fuerint promulgata. 240 … [CI. 1.14.3] Als generales sollen künftig von allen gleichermaßen diejenigen Gesetze beachtet werden, die – entweder durch eine an den ehrwürdigen Senat abgeschickte Oratio erlassen – oder mit dem explizit verwendeten Wort »Edikt« bezeichnet werden, und zwar ganz gleich, ob Uns spontan der Gedanke dazu kam oder ob eine Petition, ein Würdenträgerbericht [relatio] oder ein laufender Prozess das Gesetz nötig machte. Es ist jedoch 241 hinreichend, dass diese Gesetze – die Bezeichnung »Edikt« tragen oder

240 Einer der eindeutigen Belege, wo promulgare nur »erlassen«, keinesfalls »veröffent-

lichen« bedeuten kann. 241 Spätantik nam in anknüpfend-adversativem Sinn (»aber«) ist häufig, vgl. Heumann/

Seckel s. v.; Blaise s. v.; Hofmann/Szantyr, S. 505 f.

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durch Edikt [programma] der iudices 242 unter allen Menschen bekannt gemacht werden oder – dass sie ganz ausdrücklich die Bestimmung enthalten, dass die Kaiser festgelegt haben, dass die für ganz bestimmte Angelegenheiten getroffenen Regelungen auch den Ausgang ähnlicher Fälle regeln sollen. 1. Aber auch, – wenn ein Gesetz als generalis bezeichnet ist oder – wenn von ihm angeordnet wird, dass es alle betreffe, soll es die Kraft eines Edikts erhalten. Entscheidungen [interlocutiones], die Wir, richtend über eine bestimmte Angelegenheit, vorgebracht haben oder künftig vorbringen werden, stellen kein allgemeines Präjudiz dar. Und was eigens bestimmten Städten, Provinzen oder Körperschaften gewährt wurde, gehört auch nicht zu dem, was generell beachtlich ist. [CI.1.14.2] [Denn?] was wir aufgrund von Berichten [relationes] oder Anfragen [suggestiones] von iudicantes im Rahmen einer consultatio für eine zur Beratung im gemeinsamen Rat der höchsten Würdenträger Unseres kaiserliches Palaststabs vorgelegte Angelegenheit entschieden haben; oder was (ganz gleich, welchen) Körperschaften oder Gesandten oder einer Provinz, einer Stadt oder einem Stadtrat gewährt wurde – all das sind auch keine Gesetze mit generalitas [iura generalia], sondern sollen nur Regelungen [leges] sein für genau diejenigen Angelegenheiten und Personen, für die sie erlassen wurden 243 …



CI. 1.14.2 f. scheint sich folgendermaßen zusammenfassen zu lassen: Eine Regelung besitzt unstreitig generalitas, wenn es sich um eine Oratio oder um ein Edikt handelt. Auch wenn eine Norm weder eine Oratio noch ein Edikt ist – es sich also offenbar um einen Brief handelt – kann sie in die Kategorie der Gesetze fallen, die die »Kraft eines Edikts« (vis edicti) erhalten. Gesetze mit »Kraft eines Edikts« sind solche, die per omnes populos, »unter allen Menschen«, durch Würdenträgeredikte veröffentlicht wurden; oder die explizit als generalis gekennzeichnet sind; oder die sinngemäß eine äquivalente Formulie-

242 Wenn ich hier iudices ausnahmsweise nicht als »Statthalter« übersetze, dann des-

wegen, weil auch die Prätoriumspräfekten (vgl. z. B. Amm. 16.8.13, inter ordinarios iudices Rufinus primus praefectus praetorio) und die Vikare zu den iudices gehörten (und bekanntlich Kaisergesetze mit ihrem Edikt publizierten). 243 Es ist jedenfalls eindeutig, dass CI. 1.14.2 und 1.14.3 § 1 dieselben Fälle meinen (was man an den Körperschaften sieht). Daher sollten sich auch die interlocutiones und die per consultationem statuta entsprechen, d. h., es geht um Urteile bzw. Reskripte des Kaisers jeweils auf Anfrage in konkreten, anhängigen Gerichtsverfahren. Anders hingegen CI. 1.14.3 pr., wo die Rede von Konstitutionen ist, die auch dann allgemein gültig sind, wenn sie ursprünglich durch eine Würdenträgeranfrage oder eine lis mota veranlasst wurden.

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rung (»soll alle Menschen betreffen«, »soll auch ähnliche Fälle regeln«) enthalten. Unschädlich für die generalitas ist, wenn den Anlass zum Gesetz eine konkrete Anfrage lieferte, solange nur klar ist, dass der Kaiser daraus eine allgemeingültige Regel ableiten wollte. Die Oratio gibt auch Gegenindikationen. Interlocutiones, hier höchstwahrscheinlich abusiv im Sinne von »Urteile« gebraucht (d. h. das, was man früher decreta genannt hätte), 244 besitzen keine generalitas; Privilegien für Städte, Provinzen oder Körperschaften auch nicht. Diese beiden Gegenbeispiele finden sich sowohl am Ende von CI. 1.14.3 als auch am Anfang von CI. 1.14.2; mein ergänztes »denn« soll anzeigen, dass diese beiden Partien unmittelbar aneinander anzuschließen scheinen. 245 Kommen wir zur Ausgangsfrage zurück: Darf man die römische Oratio von 426 direkt auf die konstantinopolitanische Oratio von 429 beziehen, wie dies implizit oder explizit die meisten Autoren tun? Oder, wie Schmidt-Hofner (S. 21 f. Anm. 35) formuliert: »In der Forschung wird heute kaum mehr bezweifelt, daß das dem CTh zugrunde liegende Konzept der generalitas dasselbe ist wie das 426 angewandte«. Trotz dieses weitreichenden 246 Forschungskonsenses dürfte diese Idee relativ leicht falsifizierbar sein. In dem oben aus Platzgründen weggelassenen Schluss von CI. 1.14.2 werden Prozessparteien mit Infamie (typische Folge von Fehlverhalten vor Gericht, vgl. → S. 358) bedroht, sofern sie die Gesetze auf verschlagene Weise interpretieren sollten; und iudices droht eine hohe Amtsstrafe von 30 Pfund Gold für verschiedene Prozessvergehen, darunter 244 Im technischen Sinn bezeichnet man als interlocutiones alle richterlichen Verfügun-

gen vor dem endgültigen Urteil; bei diesen stellt sich die Frage der Verallgemeinerbarkeit gar nicht erst, und diese interlocutiones spielen zudem keine Rolle beim Reskriptprozess. Mehr noch: Verstünde man interlocutiones technisch, bliebe der mögliche Präjudizcharakter definitiver Urteile in der 426-Oratio unerwähnt (anders Kußmaul, S. 25 f., der freilich ausblendet, wie ungenau auch sonst mit Fachvokabular umgegangen wird). 245 Reskripte für Privatpersonen werden anscheinend nicht erwähnt: personae am Ende des zitierten Stücks von CI. 1.14.2 bezieht sich ja auf provincia, civitas, curia als Personenmehrheit. Das Fehlen der Privatreskripte wird man durch ein implizites a-fortiori-Argument erklären müssen (nicht einmal das, was für eine ganze Provinz gilt, … geschweige denn …). Bemerkenswerterweise vermeidet die 426-Oratio die Nennung des Terminus technicus der Pragmatiken. Die Novellen Valentinians III., die keinen Publikationsbefehl enthalten, sind fast durchgehend explizit als pragmatische Sanktion ausgewiesen, was das Fehlen dieses Begriffs hier umso auffälliger macht. 246 Eine Ausnahme stellt Bianchi Fossati Vanzetti (S. 6) dar, die zu Recht auf den Unterschied hinsichtlich territorialer Geltung zwischen der valentinianischen und der theodosianischen generalitas-Definition hinweist (siehe gleich im Haupttext).

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wohl auch die Anwendung von nicht einschlägigen (d. h. insbesondere nicht generellen) Regelungen. Die Oratio von 426 soll also offenbar das Gerichtswesen im Westen regeln: Legt jemand einen Rechtstext bei Gericht vor und ist der Richter im Zweifel, ob die darin formulierte Norm im konkreten Fall anwendbar ist, dann untersteht dies nicht länger der Beliebigkeit seines Ermessens, sondern er hat ganz einfache, mechanische Kriterien, wonach er das zu entscheiden hat – genauso mechanisch übrigens wie das in derselben Oratio gegebene Abzählkriterium für die alten Juristen des Zitiergesetzes! Die Oratio enthält keinen Hinweis darauf, dass ihre generalitas-Definition irgendeinen anderen Zweck gehabt hätte (vgl. Volterra 1983, S. 208), und keinesfalls war sie als Handreichung für eine Kommission gedacht, die erst drei Jahre später im anderen Reichsteil eingesetzt werden sollte. Aber freilich könnte es trotzdem sein, dass sich besagte Kommission an die dort zu anderen Zwecken gegebene Definition gehalten hat. Doch vergleicht man den Befund aus dem Codex Theodosianus mit der generalitasDefinition der Valentinian-Oratio, findet man unmittelbar zahlreiche Widersprüche: Erstens fehlen im Codex Theodosianus zahlreiche Orationes sowie Kaiseredikte von lokalrömischem Interesse. 247 Honorius’ Verlautbarungen zum Osterfest des Jahres 419 (→ S. 68) wurden zum Beispiel nicht für den Codex Theodosianus exzerpiert – und zwar weder die Oratio noch das Edikt. Keine einzige der Orationes, die wir aus Inschriften kennen, wurde exzerpiert (→ S. 64). Entweder arbeiteten die Kompilatoren also extrem unzuverlässig, oder nicht jede Oratio besaß für sie automatisch generalitas. 248 Ferner gab Theodosius II. den Auftrag, alle Gesetze mit generalitas zu sammeln, auch wenn sie nur in bestimmten Provinzen gelten sollten (vel in certis provinciis seu locis valere aut proponi iussae), was voraussetzt, dass es für Theodosius II. Gesetze lokaler Geltung mit generalitas geben kann. Anders die Valentinian-Oratio, wonach nicht reichsweite Privilegierungen nie generalitas

247 Es ist zu kurz gedacht, wenn Harries (2010, S. 5) behauptet, das Oratio-Edikt-Krite-

rium aus der 426-Oratio »was also consistent with the criteria used by the Theodosian Code compilers in their selection of appropriate constitutions, as both … are contained therein«. Es geht nicht darum, dass es im Codex Theodosianus hin und wieder auch einmal ein Edikt oder eine Oratio gibt – relevant ist vielmehr die Tatsache, dass die Kompilatoren erwiesenermaßen zahlreiche Edikte und Orationes weggelassen haben! 248 Anders Dillon (S. 57, »Letters to the Senate are perhaps the only unambiguous form of general law«), der aber das Fehlen der anderweitig überlieferten Orationes nirgends thematisiert. Tatsächlich ist die 426-Oratio die einzige Quelle überhaupt, wonach Orationes stets generalitas besitzen.

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besitzen können (nec his, quae specialiter quibusdam concessa sunt civitatibus vel provinciis … ; quae … provinciae vel civitati … donavimus, nec generalia iura sint; lex … ad omnes [!] iussa est pertinere als typische lex generalis). Tatsächlich haben sich die Exzerptoren an den Theodosius-Auftrag (und nicht das 426Kriterium) gehalten: Uns ist bereits CTh. 12.1.177 (413, → S. 109) untergekommen, ein Gesetz, das den illyrischen Städten (und nur den illyrischen!) eine ganz ungewöhnliche Ausnahme gewährt, ebenso CTh. 11.28.9 (414, → S. 71) mit der Steueramnestie für Oriens (aber nur für Oriens!). 249 Derselbe Unterschied im generalitas-Verständnis zwischen TheodosianusKompilation und Valentinian-Oratio findet sich auch bei den Privilegien für Körperschaften: Nach der 426-Oratio besitzen sie niemals generalitas, aber im Codex Theodosianus, in den doch ausschließlich die Gesetze mit generalitas exzerpiert werden sollten, wimmelt es nur so von Konstitutionen zugunsten von Ärzten und Professoren (CTh. 13.3), Handwerkern (CTh. 13.4), navicularii (CTh. 13.5, 13.6) oder fabricenses (CTh. 7.8.8). Dasselbe gilt für Städte: So werden dem Stadtadel von Alexandreia besondere Privilegien eingeräumt (CTh. 12.1.189–191), ebenso dem von Antiocheia (CTh. 12.1.51, → S. 246). Mit anderen Worten: Die Oratio von 426 ist in vielerlei Hinsicht nicht mit dem Befund des Codex Theodosianus vereinbar. Da die Unvereinbarkeit sogar teilweise (Geltung nur in bestimmten Provinzen) für den Wortlaut der theodosianischen Kompilatorenanweisung selbst gilt, kann man dafür auch nicht eine mögliche Nachlässigkeit der Redakteure verantwortlich machen. Man sollte vielmehr die Ausgangsthese aufgeben und stattdessen akzeptieren, dass die Oratio von 426 nur ein Versuch ist, die Frage nach der generalitas in den Griff zu bekommen. Wir haben gesehen, dass es bereits Plinius nicht so ganz klar war, inwieweit er nach exempla urteilen sollte oder nicht (→ S. 20). In der Spätantike nach 400, als Reskripte definitiv nicht als Präjudiz dienen konnten, war manches klarer, aber eben nicht alles. Die hemdsärmelige Passage

249 Ohne jede Evidenz spekuliert Harries, dass regionale Einschränkungen, die in den

CTh.-Text übernommen wurden, eventuell unbeachtlich geworden sein könnten (Harries 1994, S. 35): »Laws therefore could be ›general‹ without being universal – a concession which left open the question of whether a constitution addressed and applicable to one province or area was also to be applied to the Empire as a whole, by virtue of its inclusion in the Theodosian Code«. Warum sollte eine Spezialregel, von der unzweideutig auch im CTh. steht, dass sie nur in Illyrien gilt (→ S. 109), trotzdem anderswo gelten? Der CTh. bietet ein Fragment (→ S. 330), wonach das Tragen von Hosen in der Stadt Rom verboten ist – soll man wirklich annehmen, dass mit dem 1. Januar 439 auf dem Gesamtgebiet des Römischen Reichs jedwedes Hosentragen justiziabel wurde?

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aus derselben Oratio von 426 mit dem sogenannten Zitiergesetz (→ S. 161) zeigt, dass ihr Autor unbedingten Regelungswillen besaß und sich dabei auch mit eher grobschlächtigen Lösungen zufriedengab. 250 Ganz ähnlich sollte man seine generalitas-Definition verstehen, nämlich als den nicht unbedingt bis ins Letzte durchdachten Versuch, ein schwieriges Problem faustregelartig zu lösen. Ein Richter sollte eine ganz einfache Richtlinie an die Hand bekommen, wie er mit Konstitutionen umgehen sollte, die ihm Prozessparteien vorlegten. Daher auch die sehr unterschiedlichen Gesichtspunkte der Entscheidungsfindung, die teils typologischer Natur (Edikt, Oratio), teils am Textinhalt orientiert sind (allgemeiner Publikationsbefehl, Verwendung von generalis oder edictum, expliziter Hinweis auf allgemeine Übertragbarkeit). Da es jeweils um eine Begriffsbestimmung des bereits vorhandenen, aber in Einzelheiten unklaren generalitas-Konzepts ging, braucht nicht wunderzunehmen, dass der 426-Autor und die Theodosianus-Kompilatoren teilweise zu sehr ähnlichen Ergebnissen gelangten (so im Fall des allgemeinen Publikationsbefehls oder des ausdrücklichen generalitas-Hinweises) – das heißt aber noch lange nicht, dass ansonsten alles andere deckungsgleich gewesen wäre. Betrachtet man die 426-Oratio losgelöst von der Codex-TheodosianusKompilation und um ihrer selbst willen, lassen sich einige interessante Beobachtungen machen. Theodosius II. (und die Kompilatoren) standen ja vor dem Problem, über die Allgemeinverbindlichkeit von Kaisergesetzen zu entscheiden, deren Urheber selbst womöglich gar nicht in dieser Kategorie gedacht hatten. Es geht also bei der theodosianischen Kompilation um ex-postEntscheidungen. Anders die 426-Oratio, wo es (abgesehen von einer Passage) stets um die generalitas von Gesetzen geht, die nominell von Valentinian III. selbst erlassen wurden oder werden! Das ist so der Fall beim ersten Satz von CI. 1.14.3 pr. (Nobis), bei CI. 1.14.3 § 1 (protulimus vel postea proferemus) sowie bei CI. 1.14.2 (statuimus, donavimus). Die einzige Ausnahme ist CI. 1.14.3 pr., zweiter Satz, wo tatsächlich »die Kaiser« erscheinen (quod principes censuerunt). Es lässt sich nicht ausschließen, dass diese Inkonsequenz erst durch die CI.-Redaktion entstand. Nimmt man die 426-Oratio als etwas spezifisch Valentinianisches, erklärt sich eine weitere Beobachtung: Die valentinianischen Novellen zeichnen sich durch einen fast konsequenten Gebrauch des Worts edictalis aus, um ein Gesetz als allgemeingültig zu kennzeichnen (→ S. 200), was (mehr oder weniger) dem satis est edicti eas nuncupatione censeri in der 426-Oratio entspricht. 250 Zur Ungelenkheit der Juristerei an Valentinians III. Hof, so wie sie uns in seinen

Novellen begegnet, vgl. Sirks, S. 227 Anm. 663, sowie Liebs 2010b, S. 537.

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Übrigens scheint das Konzept, dass ein Kaiserbrief die vis edicti (CI. 1.14.3 § 1), die »Kraft eines Edikts«, entwickeln könne oder – zur Erreichung allgemeiner Geltung – müsse, einzigartig zu sein: Bei Theodosius II. standen die »Kräfte von Edikten« (fraglos zu verstehen als »Publikationsedikte«) als Alternative zur (anderweitig möglichen) generalitas (edictorum viribus aut sacra generalitate subnixae), hier leitet sich die generalitas von der »Kraft eines Edikts« ab. Der Autor der 426-Oratio vertritt offenbar ein ungewöhnliches Konzept der Normengeltung, wonach sich letztlich (fast) 251 alles vom Edikt ableitet: Der Kaiserbrief erlangt dadurch Geltung, dass er Ediktkraft erhält.

Das Schicksal des Texts Ehe wir Überlegungen anstellen können, welche der anderweitig überlieferten Konstitutionen bei der Codex-Theodosianus-Kompilation bewusst übergangen wurden, müssen wir uns erst das weitere Schicksal des Texts ansehen. Denn wenn eine uns bekannte Konstitution in Mommsens Ausgabe fehlt, muss klar sein, wann sich dies problemlos durch Überlieferungsverlust erklären lässt – und wann nicht. Mit der grundsätzlichen Konzeption als Materialsammlung, die auch alles Widersprüchliche und Veraltete umfassen sollte (→ S. 140), war eine weitere Überarbeitung bzw. Kürzung des Codex Theodosianus ein naheliegender Gedanke. Dies geschah sowohl im Osten wie im Westen, und zwar unabhängig voneinander. Das östliche Projekt ist der Codex Iustinianus: In den Jahren um 530 ließ Kaiser Justinian in zwei Etappen 252 einen Codex des Kaiserrechts zusammenstellen, der den gesamten noch aktuellen Inhalt der Codices Gregorianus, Hermogenianus und Theodosianus umfasste, dazu den Regelungskern der seither ergangenen Novellen einschließlich seiner eigenen. Das Projekt entsprach ziemlich genau dem ursprünglichen, später aufgegebenen Ziel von Theodosius II., sofern man davon absieht, dass Justinian das Juristenrecht 251 Die Oratio steht in ungeklärter Weise außerhalb des Modells – entwickelt auch sie

die Kraft eines Edikts? Oder steht sie gleichberechtigt neben dem Edikt? Derlei Ungereimtheiten kann man als typisch für das Rechtswesen an Valentinians Hof ansehen (vgl. die vorhergehende Anmerkung). 252 Über die erste Auflage des Codex Iustinianus wissen wir sehr wenig (vgl. Corcoran 2008); alle Aussagen im Weiteren betreffen daher notgedrungen die größtenteils (aber gleichwohl unvollständig) überlieferte zweite Auflage des Codex Iustinianus (den sogenannten codex repetitae praelectionis).

das schicksal des texts

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nicht in den Codex einarbeiten, sondern in einem separaten Werk, den Digesten, sammeln ließ. Bei der Erstellung des Codex Iustinianus wurde sehr frei mit dem Material umgegangen, was wir zumindest hinsichtlich des Codex Theodosianus – wo uns große Teile des Ausgangstexts vorliegen – nachvollziehen können: Zunächst wurde alles Veraltete ausgeschieden (etwa finden sich die erbrechtlichen Sanktionen gegen Eunomianer nicht mehr eigens erwähnt, weil Justinian derlei Einschränkungen gegen alle Häretiker vorsah). Die Texte wurden noch viel stärker gekürzt und alles unklar Ausgedrückte beliebig neuformuliert. 253 Die Texte wurden ferner bearbeitet, um sie der Gesetzeslage anzupassen. Nicht mehr existente Institute strich man heraus (so die einst erlaubte öffentliche Haruspizin oder die Hinrichtung bei den Spielen), durch Entfernung einzelner Wörter oder Modifikationen generalisierte man (so in den Fällen nullum praedium per Africam bzw. a provincialibus Afris oder indem man Romam aeternam zu Romam veterem et novam machte) oder adaptierte den Inhalt (indem etwa neque agentes in rebus in einer Aufzählung verschwindet). Begriffe wurden mit Erklärungen ergänzt (nicht immer ganz im ursprünglichen Sinne, so in den Fällen perpetuarii iuris hoc est emphyteuticarii iuris oder exceptis Caesarianis id est catholicianis), was auch teilweise dazu genutzt wurde, das Ermessen des Richters einzuschränken (z. B. wenn durch die Ergänzung in minoribus causis id est usque ad quinquaginta solidorum summam die »minderschweren« Fälle eine klare Definition erhalten). 254 Nicht nur Glossen wurden hinzugefügt, sondern auch weitergehende, mitunter sinnverändernde Zusätze gemacht (vgl. CI. 1.23.4, 255 CI. 4.20.11 § 1, CI. 12.22.2 pr., CI. 12.59.3 pr.) bzw. sinnentstellende Kürzungen vorgenommen. 256 253 Ausführlich zu diesen Modifikationen Grupe, sowie, speziell zu Buch 16, Falchi

1991, S. 91–101. Vgl. etwa → S. 292. Im Fall von Textverderbnissen geschah dies ohne Ambitionen, das historisch richtige Original zu treffen, vgl. → S. 240. 254 All diese Beispiele sind Delmaire 2012 entnommen, der jeweils zahlreiche weitere gut kommentierte Belege für die einzelnen Überarbeitungsweisen bietet. 255 Die Vorlage von CI. 1.23.4 im Codex Theodosianus ist CTh. 1.1.1, die konstantinische Regelung, wonach edicta sive constitutiones unbeachtlich seien, sofern undatiert (→ S. 94); die CI.-Redakteure ersetzten die »Edikte und Konstitutionen« dann mit beneficia personalia und sortierten das Fragment folgerichtig in den CI.-Titel zu Reskripten und Pragmatiken ein! Wenn z. B. Dillon (in Frier, S. 309 Anm. 301) zu CI. 1.23.4 eine Anmerkung »= C.Th. 1.1.1« setzt, ist das nicht unproblematisch – nach Wortlaut und Formalia sind die beiden Fragmente zwar fast identisch, aber inhaltlich eben radikal anders. 256 Das beste Beispiel dafür ist CTh. 1.2.3 und CI. 1.14.1, wo es im CTh.-Original darum geht, ob ein Reskript auch nach der Veröffentlichung eines Edikts (eines perempto-

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Die Mehrzahl der aus dem CTh. entnommenen CI.-Fragmente ist im Vergleich zu den theodosianischen Vorlagen signifikant verändert. 257 Und die Redakteure gingen sogar so weit, mehrere aus verschiedenen Originalkonstitutionen stammende CTh.-Fragmente zu einem CI.-Fragment zusammenzufügen! Aus CTh. 16.6.1 (einem westlichen Gesetz von 373) und CTh. 16.6.2 (einem Gesetz von 377) wurde CI. 1.6.1 zusammengebastelt, mit den formalen Angaben von CTh. 16.6.2: Der Wortlaut des Briefs, den einst Valentinian an den Prokonsul von Afrika schickte, finden wir also im CI. (zusammen mit nichtzugehörigem Text) unter dem Namen des Valens an den Vikar von Asien. 258 Es gibt noch gewagtere Fälle: CTh. 16.9.1 (335, Konstantin, aus Sirm. 4), CTh. 16.9.2 (339, Konstantin [sic]) und CTh. 16.9.4 (417, Theodosius II.) fließen als CI. 1.10.1 zusammen, und zwar mit den formalen Angaben von CTh. 16.9.2. Aus CTh. 16.5.5 (379), CTh. 16.5.24 (394) und CTh. 16.5.28 (395) wird CI. 1.5.2 mit den formalen Daten von 379; danach hätte es also 379 eine »Legaldefinition« von Häresie gegeben, die sich tatsächlich erst in einem Brief von 395 findet (dort als Antwort auf eine ganz spezifische Anfrage in Zusammenhang mit einem Bischof namens Heuresios). CI. 9.28.1 ist eine kreativ umgeschriebene Zusammenfassung von CTh. 9.28.1 und CTh. 9.28.2, mit der Inskription des erstgenannten Theodosianus-Gesetzes von 392 und der Subskription des zweiten von 415! rischen im konkreten Fall, wie ich vermute: → S. 157231) gültig ist, während die CI.Version aussagt, dass die Interpretation von Gesetzen allein dem Kaiser zusteht! Übrigens ist CTh. 1.2.3 (nur teilweise durch Palimpsest überliefert) von Mommsen aus CI. 1.14.1 ergänzt, wodurch Mommsen möglicherweise eine stark umgeschriebene Version in seinen CTh.-Text setzte. 257 Laut Sirks (S. 83 Anm. 213) erweisen sich aus einem Sample von 338 CI.-Fragmenten, die man mit ihren CTh.-Vorlagen vergleichen kann, 172 als umgeschrieben und nur 111 als nicht oder allenfalls minimal modifiziert. Der Vergleich wurde übrigens laut freundlicher Mitteilung von Sirks von ihm selbst durchgeführt (d. h., die in seiner zugehörigen Fußnote zitierte Literatur ist nicht als Beleg, sondern als nützliches, aber nicht unmittelbar relevantes Zusatzmaterial aufzufassen). 258 Tatsächlich ist die Angelegenheit noch komplizierter. CTh. 16.6.2 ist an Flavian, Vikar von Afrika, gerichtet, bietet aber den dazu nicht passenden Absendeort Constpl. Seeck (S. 109 f.) korrigierte daher Constpl. zu Confl. (Confluentibus, d. h. Koblenz), was sich zudem in Gratians Itinerar einfügt. Offensichtlich bemerkten auch die Redakteure des Codex Iustinianus das Problem, denn sie änderten das Amt des Adressaten von »Vikar von Afrika« zu »Vikar von Asien« (aus unerfindlichen Gründen wird im CI. zudem auch der Name »Flavianus« zu »Florianus« entstellt; tatsächlich handelt es sich beim Adressaten um den berühmten Virius Nicomachus Flavianus, → S. 707, der als Vikar von Afrika auch aus Augustin, Ammian und durch eine Inschrift bekannt ist, vgl. PLRE I, S. 347).

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Da also diese Texte beliebig modifiziert sein können, ist es nur gut, wenn ein Zitieren nach »CI.« dem Leser unmittelbar signalisiert, dass Argwohn angebracht ist. Mit seriöser Methode könnte man sie ohnehin nicht einreihen: Zwar verwendet der Codex Iustinianus dasselbe Strukturprinzip, wie es seit dem Gregorianus üblich war – also Bücher, Titel, Fragmente –, aber die Bezeichnungen der Titel und ihre Verteilung über die Bücher hinweg wurden neu festgelegt. Auch hat man Fragmente aus Titeln herausgenommen und in andere Titel gesetzt, wenn sie nach Vorstellung der CI.-Redakteure dorthin besser passten. 259 Obwohl wir also wissen, dass – abgesehen von besonderen Ausnahmefällen – alles Material im Codex Iustinianus für die Zeit von 313 bis 437 aus dem Codex Theodosianus stammt, 260 steht uns keine seriöse Methode 259 Vgl. die Tabellen bei Mommsen 1905, S. XIII–XXVII, sowie Falchi 1989, S. 59–66.

Oft ist die Gliederung der beiden Codices (allein schon aus pragmatischen Gründen) durchaus ähnlich. Aber nehmen wir das 11. CTh.-Buch als Beispiel. Äquivalente seiner Titel finden sich im CI. in den Büchern 1, 4, 7, 10, 11. Oder Buch 12: Seine Titel finden sich zwar allesamt im 10. Buch des CI. wieder, aber in dieser Reihenfolge (die folgenden Zahlen beziehen sich auf die Titelnummern des 10. CI.Buchs; »ø« bedeutet, dass der CTh.-Titel ohne CI.-Pendant bleibt; CTh. 12.1 entspricht also CI. 10.32 usw.): 32, 37, 34, 36, 43, 72–75, ø, ø, 65, 76–77, ø, ø, 52, 38, ø. Das Ganze wird noch verworrener, wenn man tatsächlich die einzelnen Gesetze und nicht nur die Titel betrachtet. Nehmen wir CTh. 12.1.6 aus dem CTh.Titel De decurionibus, »Dekurionen«. Die meisten Gesetze, die aus CTh. 12.1 übernommen wurden, fanden ihren Platz in CI. 10.32, De decurionibus et filiis eorum et qui decuriones habentur quibus modis a fortuna curiae liberentur, »Dekurionen, ihre Söhne und Männer, die als Dekurionen angesehen werden, und wie sie vom Los der Kurie befreit werden«. Aber nicht alle: CTh. 12.1.6 sanktioniert illegitime Beziehungen zwischen Dekurionen und Sklavinnen und gelangte als CI. 5.5.3 in den CI.-Titel De incestis et inutilibus nuptiis, »Inzest und ungültige Ehen«. Dies ist nur ein Beispiel für zahllose: Es ist offensichtlich unmöglich, auf Basis des CI. die CTh.-Struktur im Detail zu rekonstruieren. 260 Vgl. Mommsen 1905, S. LIX–LX. Bei den CTh.-Büchern, die wir vollständig haben, können wir ja die enthaltenen Fragmente mit den Pendants im CI. abgleichen. Auch war der Codex Theodosianus zum Zeitpunkt der CI.-Kompilation seit fast einem Jahrhundert alleinige Zitiergrundlage. Es wäre sehr merkwürdig, wenn die CI.-Kompilatoren trotzdem Forschergeist entwickelt und Textzeugen für uralte, längst außer Kraft getretene Konstitutionen gesucht hätten (die den CTh.-Kompilatoren entgangen waren oder die sie als gefälscht ausgeschieden hatten). Die genannten »besonderen Ausnahmefälle« betreffen Fragmente aus konstantinischer Zeit, die (sicher oder höchstwahrscheinlich) nicht aus dem Codex Theodosianus stammen. Ihre Quelle ist ein später erweiterter (→ S. 135196) Codex Hermogenianus. Diese Fragmente nennen in ihrer Inskription den Licinius: CI. 3.1.8, 7.22.3, 6.1.3, 7.16.41, vgl. Corcoran, S. 36, nach Mommsen 1905, S. LIX Anm. 1. Die kategorische Aussage von Matthews (S. 90), »It has never been doubted that the Theodosian Code was the source for the

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zur Verfügung, mithilfe des Codex Iustinianus Überlieferungslücken im Codex Theodosianus zu schließen: Die (ohnehin textlich möglicherweise massiv modifizierten) CI.-Fragmente kann man nur spekulativ in Codex-TheodosianusTitel einreihen, bzw. (noch schlimmer) man ist gezwungen, konjektural zusätzliche Codex-Theodosianus-Titel zu schaffen, indem man sie aus dem Codex Iustinianus herübernimmt. 261 Justinian war nicht der einzige Herrscher, der im 6. Jh. das Dickicht des römischen Rechts lichten wollte. Bereits 506 hatte der westgotische König Alarich II. seine Sammlung veröffentlicht, die wir Lex Romana Visigothorum oder Breviarium Alarici nennen. Das Breviar umfasste nicht nur eine Auswahl aus dem Codex Theodosianus, den posttheodosianischen Novellen sowie den Codices Gregorianus und Hermogenianus, sondern theoretisch auch aus dem Juristenrecht; Letzteres beschränkt sich praktisch auf die Pauli Sententiae, einen umgeschriebenen Gaius und einen einzigen verwaisten Satz aus Papinian. Von Gregorianus und Hermogenianus ist ebenfalls fast nichts übrig. Vom Codex Theodosianus, der einst vielleicht 3.400 Fragmente umfasste, bietet das Breviar 398. 262 Mit anderen Worten: Es lässt knapp 90 % des Urbestands weg. Dabei ist der Verlust über die Bücher hinweg sehr unterschiedlich: Von Buch 7 (Militär) und 14 (Regelungen für Rom, Konstantinopel und andere Städte) blieb jeweils nur ein einziges Fragment übrig (CTh. 7.1.1, 14.7.1), von Buch 6 (Rangstufen) gerade einmal zwei (CTh. 6.5.1, 6.5.2). Andere Bücher, deren Inhalt für die Westgoten von größerer Relevanz war, stießen freilich auf überproportionales Interesse, so zumal die Bücher 2 bis 4 (Privatrecht) und Buch 9 (Strafrecht).

laws included in the Codex Justinianus for the period 312–437; nor has it been claimed that any other source apart from the Theodosian Code was involved«, ist also in dieser überspitzten Form falsch. 261 Sirks 2013, S. 126–131, vertritt eine ganz ähnliche Einschätzung. Er hat dazu als Gedankenexperiment die Bücher 9 und 13 aus Breviar und CI »rekonstruiert« und den Befund mit den tatsächlich erhaltenen Büchern verglichen; sein Ergebnis zeigt, dass dieses Vorgehen in der Tat wenig Nutzen zeitigt. 262 Zur Zahl der Breviarfragmente siehe Haenel 1849, S. IX, Anm. * nach Anm. 23. An derselben Stelle gibt Hänel 3.400 als Zahl der Fragmente des Theodosianus-Archetyps an. Sirks (S. 84) errechnet stattdessen »circa 3250«, aber seine Berechnung ist nicht nachvollziehbar: Er behauptet ohne Verweis, Mommsen habe die Zahl der verlorenen Konstitutionen auf 480 geschätzt (ich finde – trotz gründlicher Suche – eine solche Angabe bei Mommsen nicht) und addiert dann 480 zur Zahl der bekannten Fragmente, 2.777; er ignoriert dabei, dass auch unter den verlorenen Konstitutionen solche gewesen sein müssen, die man aufteilte.

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So misslich es ist, dass die Breviarredakteure fast 90 % übergingen, so erfreulich ist ihr Vorgehen: Im Regelfall haben sie nämlich die übernommenen Theodosianus-Fragmente weder gekürzt noch modifiziert. 263 Sogar die Buchund Titelreihenfolge des Originals wurde beibehalten. Leider sind die Titel nicht nummeriert, und wenn ganze Titel entfallen (was häufig der Fall ist), kann man ohne externe Evidenz weder den Verlust entdecken noch Titeln aus dem Breviar die korrekte Nummer zuweisen. Zu jedem Gesetz 264 fügten die Kompilatoren einen Kommentar hinzu: die interpretatio. In seiner Vorrede beschreibt Alarich das Werk als haec, quae excerpta sunt vel clariori interpretatione composita, als »das, was exzerpiert bzw. als gut verständlicher Kommentar verfasst wurde«. Oft beschränkt sich der Kommentar allerdings auf haec lex interpretatione non eget/indiget, »Dieses Gesetz benötigt keinen Kommentar«. Manchmal finden sich auch Bemerkungen zur Arbeitsweise, etwa in den seltenen Fällen von Kürzungen: Reliqua pars legis de Manichaeis ideo facta non est, quia evidenter in novellis invenitur, »Der restliche Teil des Gesetzes, der die Manichäer betrifft, ist deswegen hier nicht wiedergegeben, weil diese Bestimmungen klar formuliert in den Novellen aufzufinden sind« (zu CTh. 16.7.3, gemeint Nov. Val. 18, → S. 785), oder auch, wenn man sich für vermeintlich Überflüssiges entschuldigt: Similis est haec lex superiori, sed quia evidentior est, et istam inseruimus. Nam illa hoc amplius habet, quod et de adoptivo filio loquitur, »Das vorliegende Gesetz [CTh. 5.1.7] ähnelt dem weiter oben Wiedergegebenen [CTh. 5.1.2], aber weil es klarer formuliert ist, haben wir es zusätzlich eingefügt. Aber jenes [d. h. CTh. 5.1.2] hat den Mehrwert, dass es auch die Adoptivsöhne erwähnt«. Da CTh. 5.1.7 Adoptivsöhne nicht nennt und die Breviarkompilatoren nicht in den Text eingreifen, müssen sie also zusätzlich zum eigentlich ausreichenden und besser formulierten CTh. 5.1.7 auch noch CTh. 5.1.2 vollständig in die Sammlung aufnehmen. 265 Derlei Bemerkungen beweisen, dass die interpretationes durch

263 Das lässt sich leicht feststellen, indem man die Breviarversionen von CTh.-Fragmen-

ten mit den CTh.-Fragmenten aus den Handschriften vergleicht, die den CTh. selbst überliefern. Vgl. Krüger 1912, S. 352 mit Anm. 14. 264 Wenn also Gaudemet (1958, S. 223) das Vorhandensein einer interpretatio als Indiz dafür nimmt, einem Text komme besondere Bedeutung zu, wird man ihm nicht zustimmen können. 265 Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich zwei Konstitutionen, die anscheinend dasselbe besagen, bei genauerer Betrachtung doch als unterschiedlich erweisen (→ S. 140). Soll man in die Nichtnennung des Adoptivsohns irgendetwas hineininterpretieren?

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Alarichs Kompilatoren um 500 verfasst wurden. 266 Entsprechend vorsichtig muss man bei dem Heranziehen der interpretationes als Quelle sein. Manchmal steckt Wissen dahinter, das uns heute fehlt (wenn etwa verlorene Konstitutionen erwähnt werden, so in den interpretationes zu CTh. 1.4.3, → S. 136197; zu CTh. 4.4.1; zu Nov. Theod. 11, → S. 316), aber im Regelfall ist die interpretatio lediglich eine Ansicht, die nicht automatisch besser begründet sein muss als die eines heutigen Interpreten; schlimmer, mitunter wird die Rechtslage darin gemäß westgotischen Verhältnissen modernisiert (Beispiele bei Matthews 2001, S. 28–31). Kommen wir zum Codex Theodosianus, wie er sich edieren lässt. 267 Glücklicherweise besitzen wir nicht nur den Codex Iustinianus und das Breviar, sondern auch zwei Handschriften – R und V –, die jeweils einen umfangreichen Abschnitt des vollständigen Codex Theodosianus bieten und zudem fast aneinander anschließen. 268 Bei R sind vier Blätter ausgefallen, ansonsten 266 Möglicherweise griffen sie dabei auf ältere Kommentare zurück; allerdings ist diese

Frage in der rechtshistorischen Literatur sehr umstritten (Krüger 1912, S. 353 mit Anm. 20; Wenger, S. 557; Liebs 1987, S. 175, S. 183–188). 267 Die beste knappe Darstellung der Codex-Theodosianus-Überlieferung (mit klaren Diagrammen und Abbildungen aus den wichtigsten Handschriften) findet sich bei Salway 2012, S. 22–31; ausführlich bei Matthews, S. 85–120; vollständig bis zu seiner Zeit bei Mommsen 1905. Einen neuen Überblick über die CTh.-Überlieferung bietet Coma Fort, ein Buch, das für spätere Entwicklungen und insbesondere zum Auffinden der modernen Literatur unentbehrlich ist. Mommsens Prolegomena kann Coma Fort freilich nicht ersetzen, da er diese nicht selten unrichtig wiedergibt (vgl. z. B. seine S. 57 f. mit Anm. 73 mit dem, was wirklich bei Mommsen steht). 268 Trotzdem handelt es sich nicht um zwei nachträglich getrennte, zusammengehörige Bände (wie Gavinet, S. 280 mit Anm. 4, ohne Begründung behauptet; wohlwollend zitiert bei Blaudeau, S. 145 f.), wie bereits ein flüchtiger Blick auf die z. B. bei Salway (2012, S. 25 f.) bequem zugänglichen Abbildungen zeigt: R ist in Unzial-, V in Halbunzialschrift gehalten. Was freilich sein könnte, ist, dass R und V Repräsentanten (!) einer zweibändigen Theodosianus-Ausgabe darstellen: Immerhin nummeriert R die Lagen ab Buch 1, V ab Buch 9, und bei T waren nur die Lagen der ersten acht Bücher nummeriert (andererseits können wir nicht ausschließen, dass R einst den gesamten Codex Theodosianus bot und die Nummerierung weiterlief, vgl. Mommsen 1905, S. XLIII). Durch die Literatur geistert zudem die Idee, dass R und V Repräsentanten einer dreibändigen Ausgabe seien (also mit den Bänden 1–5, 6–8, 9–16): So unlängst Blaudeau, S. 145, der behauptet, Perrat sei nach »critères paléographique et codicologique« zu diesem Ergebnis gelangt. Doch folgt man Blaudeaus Verweis – er zitiert Perrat nicht direkt –, gelangt man über Vézin, S. 96, zu Mallon/Marichal/Perrat, Nr. 60. Dabei handelt es sich um wenige Sätze in einem Tafelband zur lateinischen Schrift, bei denen es sich nicht um eigene Forschungsergebnisse Perrats handelt, sondern um eine Paraphrase des dort zitierten Omont. Omont (S. 2) seinerseits

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umfasst R CTh. 6.2.12 bis 8.18.8 (was fast den Abschluss des 8. Buchs darstellt – ganz am Ende fehlt eines der vier Blätter), V bietet CTh. 9.1.1 bis 16.10.12 mit Lücken im 16. Buch. Aber ausgerechnet aus dem 16. und letzten Buch (das der Religionsgesetzgebung gewidmet ist und das uns deswegen im Weiteren ganz besonders oft beschäftigen wird) bieten eine Handvoll Breviarmanuskripte (darunter E, Y und O) viel zusätzliches Material; am wichtigsten unter ihnen ist E, eine Handschrift, die das 16. Buch sogar komplett enthält. 269 Damit haben wir den Codex Theodosianus ab CTh. 6.2.12 bis zum Ende fast vollständig erhalten; doch freilich müssen wir in diesem Bereich neben den bekannten Blattverlusten, die sich teilweise aus anderem Material ergänzen lassen, 270 weitere, unerkannte Lücken in Rechnung stellen. Zwar braucht man die Tatsache, dass die Scholia Sinaitica (Schol. Sinait. 52) eine Theodosianus-Konstitution Nr. »126« nennen, die sich mit keiner bekannten Konstitution identifizieren lässt (vgl. Kaiser 2007, S. 316), 271 nicht allzu ernst zu nehmen. 272 Schwerer wiegt aber der Fall von CTh. 13.11.2:

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macht diese Behauptung begründungslos (und ganz en passant) in seinem fünfseitigen (!) Vorwort zur Faksimile-Ausgabe von R, das bezeichnende Fehler enthält und klar zu erkennen gibt, dass sich Omont nicht näher mit der Textgeschichte des CTh. beschäftigt hat. Blaudeaus »critères paléographique et codicologique« sind das Ergebnis einer akademischen Stillen Post, bei der alle Beteiligten darauf verzichteten, die Angaben der jeweils unmittelbar vorausgehenden Relaisstation zu prüfen. Tatsächlich ist die Idee einer dreibändigen CTh.-Ausgabe angesichts der Lagenzählung von R sicher falsch (so bereits Girard, S. 494, im Jahre 1909 in der Rezension zu Omont; vgl. ferner Coma Fort, S. 43 mit Anm. 1). Mommsen (1905, S. CXXII; ausführlicher S. LXXXVII–XCII). Offenbar wollten Kirchenleute (denen ja die Textüberlieferung oblag) besonders viel Gesetzgebung zur Kirche bewahren, die möglicherweise irgendwann einmal nützlich sein konnte. Wann immer sich der E-Text des 16. Buchs gegen andere Handschriften prüfen lässt, erweist er sich als überproportional oft von Korruptelen betroffen. Dementsprechend ungewiss ist die Textgestalt bei solchen Partien, die sich allein in E finden. Der Blattverlust von R betrifft (Mommsen 1905, S. XLIII): (i) alles zwischen CTh. 6.4.33 und CTh. 6.5; (ii) fast den ganzen Titel CTh. 6.38, De perfectissimatus dignitate (nur der erste Satz von CTh. 6.38.1 ist teilweise erhalten), und alles Folgende bis zum Anfang von Buch 7; (iii) nach CTh. 8.14.1, einschließlich des Anfangs von CTh. 8.15; (iv) alles nach CTh. 8.18.8. Ungefähr die Hälfte der Lücke (i) kann dank T ergänzt werden; in Lücke (ii) fällt das Inhaltsverzeichnis von Buch 7, sodass relativ wenig echter Textverlust zu beklagen ist; Lücke (iv) lässt sich (weitgehend oder gar vollständig?) mit Breviarmaterial schließen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Kaiser verwendet die alte Zählung nach Zachariä von Lingenthal; seine Nr. 19 entspricht Nr. 52 in der modernen Zählung. Denn diese Passage ist sehr lückenhaft überliefert, entsprechend unsicher ist das Zitat. Hinzu kommt, dass in Schol. Sinait. 5 auf eine Konstitution Nr. 120 in Titel

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Dieser Text fehlt in V, wurde aber zufällig vom (heute verlorenen) Turiner Palimpsest T 273 überliefert, der Fetzen aus den meisten Theodosianus-Büchern bot. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine spätere Interpolation, denn CTh. 13.11.2 wurde als CI. 11.48.10 in den Codex Iustinianus übernommen. Wir hätten keine Möglichkeit gehabt, diese Lücke in V festzustellen, denn V zählt CTh. 13.11.3 als Konstitution Nr. »II« dieses Titels usw., kaschiert also diese Lücke mit einer angepassten Nummerierung. Ein anderer Palimpsest – der ansonsten unbedeutende Halberstadiensis – weist auf eine weitere übersprungene Konstitution hin: Das Fragment, das V als CTh. 12.1.181 überliefert, ist dort als »CLXXXII« gezählt. Sofern dies nicht ein Fehler im Halberstadiensis ist, fehlt also in unseren Ausgaben auch ein Text dieses Titels (Mommsen 1905, S. LVII). Von einem weiteren Fall wissen wir dank P. Vindob. L 95. Bislang unpublizierte, aber auf mehreren Konferenzen vorgestellte Forschungen von Serena Ammirati aus dem REDHIS-ERC-Projektteam von Dario Mantovani zeigen, dass dieser Papyrus, ein langer Fetzen, der jeweils ca. vier bis acht Zeichen pro Zeile bietet, mit CTh. 14.22.1 bis CTh. 14.25.1 beschrieben war. Die jeweils überlieferten Zeichen lassen sich mit unserem Text deckungsgleich parallelisieren – doch der Streifen bietet zwischen CTh. 14.24.1 und dem Titel von CTh. 14.25 eine uns unbekannte Konstitution, die an den Stadtpräfekten Symmachus gerichtet war und die man als CTh. 14.24.2 zählen sollte. Wie oft solche Fälle auftreten, kann man nicht sagen; da wir trotz der gelegentlichen Parallelüberlieferung zu R und V (durch Nr. 69 des Codex Hermogenianus verwiesen wird, also ebenfalls ganz unplausible Werte, die an den Angaben der Scholia (bzw. an den Lesungen der Editoren) zweifeln lassen. Und selbst wenn »126« richtig überliefert wäre, bestünde angesichts des Themas (Vertreter des Statthalters) eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Konstitution einst im ohnehin nur unvollständig erhaltenen ersten CTh.-Buch fand (vgl. CI. 1.50). Wenn übrigens die Scholia Sinaitica an anderer Stelle (Schol. Sinait. 2) den Codex Theodosianus zitieren, tun sie das nach Buchnummer, Titelnummer, Konstitutionennummer; freilich könnten diese Angaben in der Lücke von Schol. Sinait. 52 ausgefallen sein. 273 Der Palimpsest T, der uns so viele sonst verlorene Konstitutionen bewahrte (darunter CTh. 1.1.6, → S. 146), der bei der Rekonstruktion der Gliederung der ersten CTh.-Bücher eine entscheidende Rolle spielte und der eine Abschätzung des Verlorenen erlaubte (siehe gleich im Haupttext), wäre beinahe ganz unbekannt geblieben: Erst im 19. Jahrhundert entdeckt (Mommsen 1905, S. XXXIX) und zum ersten Mal sauber (zudem als Apographum, d. h. Pseudo-Faksimile) von Krüger im Jahr 1880 (Krueger 1880) ediert, ging er nicht einmal ein Vierteljahrhundert später zugrunde, als eine Feuersbrunst in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar 1904 rund 3.000 (von insgesamt 4.500) Handschriften der Turiner Sammlung vernichtete (Gorrini, S. 38, S. 42).

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das Breviar und fragmentarische Überlieferungsträger wie T) keine weiteren solchen Auslassungen kennen, scheinen derlei unerkannte Lücken eher selten zu sein. 274 Während sich also die Bücher 6 bis 16 des Codex Theodosianus weitgehend vollständig rekonstruieren lassen, haben wir weniger Glück, was die ersten fünf Bücher (und Titel 1 sowie die Fragmente 1–11 von Titel 2 des sechsten Buchs) angeht. Gelegentlich helfen auch hier Zusätze in Breviarhandschriften (vgl. Mommsen 1905, S. LXXXII–LXXXVII); insbesondere bietet eine Handschrift, nämlich A, den Bereich CTh. 1.4.1 bis 1.16.6 recht 275 vollständig. Auch werden in ganz unterschiedlichen Kontexten einzelne Gesetze aus dem Codex Theodosianus zitiert, die sich – falls aus Buch 1 bis 5 – ebenfalls dort einsetzen lassen. 276 Der Palimpsest T bot auch einige Passagen aus den ersten fünf Büchern (Übersicht bei Mommsen 1905, S. XL–XLI). 277 274 Zwei der drei Fälle lassen sich als Versehen erklären: CTh. 13.11.2 und CTh. 13.11.3

bieten identische Inskriptionen und Subskriptionen, es handelt sich also um eine Konstitution, die im selben Titel aufgeteilt wurde (→ S. 213). Dass ein Schreiber hier um ein Fragment verrutschte, ist leicht nachvollziehbar. Die Titel CTh. 14.18 bis 14.25 umfassen jeweils nur eine einzige Konstitution; das erklärt womöglich, warum in V die zweite Konstitution von CTh. 14.24 (also CTh. 14.24.2) fehlt, ein Text, der noch dazu extrem kurz war. Andererseits: Wer bereits dreimal in den wenigen Passagen, die wir anderweitig prüfen können, schludert, bei dem ist mehr Schindluder zu befürchten. 275 Aber nicht ganz vollständig: Blatt 2 des Palimpsests T überliefert CTh. 1.5.4 bis CTh. 1.5.14 und beweist, dass A unter diesen elf Fragmenten zwei überspringt (CTh. 1.5.6, 1.5.12; angesichts der identischen Inskriptionen von CTh. 1.5.7 bzw. 1.5.13 leicht als Schreiberversehen erklärbar). Man muss davon ausgehen, dass A auch in Bereichen, die wir nicht anderweitig kontrollieren können, Lücken aufweist. 276 Nur zwei Beispiele: Im Corpus der Gromatiker findet sich ein Abschnitt ex corpore Theodosiani secundo libro titulo de finium regundorum mit fünf Gesetzen, den man nach CTh. 2.26 setzt (das Breviar hat nur eines dieser fünf Gesetze bewahrt). Die Sirmondschen Konstitutionen 17 und 18 (→ S. 4958) tragen jeweils die Überschrift lex de Theodosiano sub titulo XXVII de episcopali definitione; da es sich ja eigentlich nur um Buch 1 handeln kann, rekonstruiert man damit einen Titel CTh. 1.27 (→ S. 195), und zwar ohne weitere Fragmente aus dem Breviar oder irgendeiner anderen Quelle. 277 Es gibt noch weitere Bruchstücke aus vollständigen Theodosianus-Handschriften, die allerdings nicht helfen, die Lücken der Bücher 1–5 zu schließen, vgl. Mommsen 1905, S. LVII–LVIII. Neufunde bzw. -zuschreibungen seit Mommsen sind: i. P. Oxy. 15.1813 mit CTh. 7.8.9 bis 7.8.14; ii. die Fragmente aus Zürich und der römischen Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana (publiziert von Caravale): Eine spätantike CTh.Handschrift wurde im Mittelalter palimpsestiert und der Palimpsest in der Frühen Neuzeit in Stücke geschnitten und als Buchbindematerial verwendet; ins-

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Sowohl der Palimpsest T als auch die Handschrift R enthielten ursprünglich den CTh.-Text von Anfang an; da ihre Lagen (fast ausschließlich Quaternionen zu 16 Seiten) eine Nummerierung aufweisen (bzw. im Fall von T: aufwiesen) 278 und die Schreiber den Zeichenspiegel gleichmäßig laufen ließen, kann man ziemlich genau errechnen, wie viel trotz aller Restaurationsmühen für die Bücher 1–5 und den Anfang von Buch 6 fehlt: Uns gehen dort fast zwei Drittel des Texts ab (vgl. Mommsen 1905, S. XXXVIII). Dabei haben wir noch Glück im Unglück, denn – wie bereits erwähnt – interessierten sich die Kompilatoren des Breviars weit überproportional für die ersten fünf Bücher, insbesondere für Buch 2 bis 4. 279 Matthews (S. 101–118) hat in einiger Ausführlichkeit gesamt 50 Fetzen aus sechs Seiten finden sich in Zürich und Rom und bieten Teile von Konstitutionen aus den Büchern 6, 10 und 11 (leider ohne Lücken zu schließen); iii. P. Vindob. L 81 (Mitthof 2006, S. 416 f.): wenige, zusammenhangslose Wörter aus einer ansonsten unbekannten Konstitution der Theodosius-Söhne, die mit ex codice Theodosiano eingeleitet wird; iv. P. Vindob. L 95 mit CTh. 14.22.1 bis CTh. 14.25.1 (siehe oben im Haupttext; noch unpubliziert, die Publikation durch Serena Ammirati steht bevor); v. P. Vindob. L 128 mit Fragmenten möglicherweise aus Buch 2 des Codex Theodosianus (Publikation durch Serena Ammirati erfolgt ebenfalls in der nahen Zukunft); vi. eine Reihe von Papyrusfetzen in Berlin, die zu einem Papyruscodex gehörten und einst wohl das Ende von Buch 4 des Codex Theodosianus boten (Ammirati, S. 93) – auch sie wird Serena Ammirati im Rahmen des REDHIS-Projekts publizieren. Eine Fehlzuschreibung ist P. Bodl. I 2. Dabei handelt es sich um Palimpsestfragmente aus Ägypten, auf denen sich als Unterschrift »the words PROCVRATOR, PROCVRATORES, or parts of them, often repeated« finden und die paläografisch ins 5. oder 6. Jh. gehören (Madan/Craster, S. 12). Marichal (S. 137, Nr. 312) schlug daher zögerlich (d. h. mit Fragezeichen) vor, dies als CTh.-Fragment zu identifizieren. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Wortliste zur Wurzel cura (in cura, de cura, ex cura, procura, procurae, procurat et, procurator, procuratores usw.), vgl. Ammirati, S. 78; Scappaticcio, S. 163–183. 278 Allerdings endet die Quaternionennummerierung bei T nach den ersten acht Büchern. 279 Matthews, S. 89: Das Breviar hat aus Buch 1 bis 5 insgesamt 96 Titel übernommen, aus den restlichen elf Büchern zusammen lediglich 84. Matthews verweist darauf, dass die Statistik noch eindrucksvoller sein müsste, wenn man die Fragmente abzählte – was ich versucht habe. Sofern ich mich nicht verzählt habe, entfallen von den 398 Breviarfragmenten knapp 60 % auf die Bücher 1–5, die überproportional zu den Büchern 2–4 gehören (fast vier Fünftel aller Fragmente der Bücher 1–5). Die folgenden Angaben sind absichtlich ungenau, weil ich nicht ausschließen kann, dass mir beim Zählen Fehler unterliefen, und es zudem oft unklar ist, was man als Frag-

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dargestellt, aus welchen Flicken sich Mommsens Edition der ersten fünf Bücher zusammensetzt. Rekonstruiert man den Codex Theodosianus auf die eben umrissene Art und Weise, kommt man auf ungefähr 75 % des einstigen Gesamtwerks; aus den einschlägigen Codex-Iustinianus-Fragmenten ohne Parallele in den CTh.-Büchern 1 bis 5 könnte man immerhin den ungefähren Inhalt von fünf weiteren Prozentpunkten rekonstruieren. 280 Die Faustregel lautet also: Ab Buch 6 (sieht man von dessen ersten beiden Titeln ab) darf man grundsätzlich davon ausgehen, dass sich fehlende Konstitutionen nicht durch späteren Ausfall erklären (freilich nicht mit absoluter Gewissheit: → S. 175). Abgesehen von Passagen, die vom Palimpsest T geliefert werden, bietet unsere Codex-Theodosianus-Ausgabe für Buch 1 bis 5 hingegen nur ein Gerippe, 281 das ungefähr zur Hälfte der Auswahl der Breviarment ansehen soll (Mommsen hat etwa Testimonien mit Fragmentnummer in die Ausgabe aufgenommen, so etwa CTh. 3.1.10 oder CTh. 5.19.2; manchmal sind die »Fragmente« auch nur winzige Fetzen, die man kaum eigens zählen möchte, so z. B. CTh. 5.12.1 oder CTh. 5.16.35): Von den Fragmenten der ersten fünf Bücher stammen wenig mehr als die Hälfte aus dem Breviar, ein Viertel aus T, knapp ein Fünftel aus A und gut 5 % aus anderen Quellen (in dieser Statistik werden Fragmente, die sich im Breviar finden, nur für das Breviar gezählt). Bücher 2 bis 4 basieren überwiegend auf dem Breviar (wobei in Buch 4 das Breviar allerdings nur wenig mehr als die Hälfte beisteuert). Buch 1 stammt zur Hälfte aus A, zu einem Viertel aus dem Breviar und zu einem weiteren Viertel aus T und anderen Quellen. Buch 5 rekonstruiert man zu rund 40 % aus dem Breviar und zu rund 60 % aus T. 280 Die Abschätzung geschieht wie folgt: Der vollständige CTh. bot rund 3.400 Fragmente (→ S. 172); es gibt laut Sirks (S. 84) im CI. 261 Fragmente aus dem CTh., die sich dort nicht finden, was 7,7 % entspricht. Diese 7,7 Prozentpunkte darf man aber nicht einfach zu den 75 Prozentpunkten unserer bisherigen Abschätzung der Textmenge addieren, denn die Bezugsgrundlage ist eine andere (nämlich: Zahl der Fragmente, nicht ihr Umfang in Zeichen). Der Wert von 7,7 Prozentpunkten ist – angesichts der textlich weiter reduzierten CI.-Versionen – tendenziell zu hoch; da eine Angabe mit einer Genauigkeit von mehr als 5 Prozentpunkten ohnehin unseriös wäre, komme ich auf den gerundeten Wert von 80 % (ebenso Sirks, S. 84, allerdings mit einer abweichenden Berechnung, → S. 172262). 281 Wer dies nicht berücksichtigt, zieht sehr angreifbare Schlussfolgerungen. So stellt Sargenti, S. 376, fest, dass Theodosius II. in seiner Einführungskonstitution zum CTh. ankündigt, dass dank des Sammelwerks nunmehr klar sein solle, quibus verbis stipulatio colligatur, »mit welchen Worten eine Stipulation verbindlich gemacht werde«, während gerade einmal fünf Fragmente im 3. und 4. Buch erhalten sind, die Stipulationen erwähnen. Da uns diese Bücher aber nur bruchstückhaft erhalten sind, könnten das einst sehr viel mehr gewesen sein. Auch vermisst Sargenti, S. 382, eine

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kompilatoren folgt (die andere Hälfte basiert darauf, was von T zufälligerweise erhalten blieb oder was irgendwann aus dem vollständigen Theodosianus in Breviarhandschriften ergänzt oder in anderem Kontext herausgeschrieben wurde). Hat man eine Konstitution einst in eines der ersten fünf Bücher exzerpiert, so beträgt die durchschnittliche 282 Wahrscheinlichkeit rund zwei Drittel, dass wir sie nicht kennen! separat überlieferte Konstitution (Sirm. 1) im entsprechenden Titel CTh. 1.27; aber der ist überhaupt nur durch zwei Zitate rekonstruiert (→ S. 195). Gaudemet 1956, S. 336, schreibt zu CTh. 5.1.9, worin eine ältere (verlorene) Konstitution zum Intestaterbrecht teilweise aufgehoben wird: »L’abrogation de cette loi explique que nous n’en trouvions plus trace au C.Th.«. Korrekt rekonstruiert wäre folgender Ablauf: Angenommen, diese ältere Konstitution wäre in den CTh. exzerpiert worden; dann hätte sie sich wohl in CTh. 5.1 befunden; ein Titel, den wir nur aus dem Breviar kennen; da die Breviarredakteure (anders als die CTh.-Kompilatoren) Veraltetes sowieso beiseiteließen, hätte ein Fragment aus der älteren Konstitution in keinem Fall bei uns ankommen können. Anders formuliert: Gaudemet verwechselt die Auswahl der Breviarredakteure mit derjenigen der CTh.-Kompilatoren. Volterra 1983 argumentiert, man habe die heute nur im CI. überlieferten Fragmente der Oratio von 426 (→ S. 161) absichtlich aus dem CTh. herausgelassen, weil sie dort inhaltlich nicht gepasst hätten (z. B. seine S. 209). Doch es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass die CI.-Kompilatoren für diese Zeit andere Quellen als den CTh. verwendet haben. Dies übersieht Volterra ebenso wie die Lückenhaftigkeit, in der dieser Bereich des ersten CTh.-Buchs überliefert ist. Die Art und Weise, mit der er das Gegenargument beiseitewischt (Volterra 1983, S. 205 Anm. 24: »in nessuno dei numerosi manoscritti del Breviario vi è la benché minima traccia delle costituzioni che si presumono mancare«), zeigt, dass ihm die Überlieferungssituation des Codex Theodosianus in keiner Weise bewusst ist. Ebenso Purpura, S. 174 f.: »Se … non furono inseriti i brani riguardanti la lex generalis dell’oratio valentiniana del 426 (si utilizzò solo la Citiergesetz), tutto ciò … denota che per i redattori orientali era il testo stesso del Codice da solo sufficiente a rendere superflue tutte le precedenti dichiarazioni sulle leges della cancelleria occidentale …«, der ebenfalls keinerlei Hinweis darauf gibt, dass ihm klar ist, auf welcher Grundlage die moderne Edition des CTh. hier basiert. Auch Lokin (S. 365 f.) macht sich ausführlich Gedanken, warum die 426-Oratio absichtlich nicht in den CTh. exzerpiert worden sei, während man sie aber später doch in den CI. übernommen habe – wiederum offenbar in Unkenntnis der textlichen Lücken unserer CTh.-Ausgabe. 282 Man muss natürlich im Einzelfall immer genau hinschauen. Steht für den relevanten Titel beispielsweise ein Blatt aus T zur Verfügung, ändern sich die Voraussetzungen (→ S. 187). Ferner muss in manchen Büchern besonders viel bzw. besonders wenig Verlust in Rechnung gestellt werden. Auch wenn die CTh.-Bücher nicht gleich lang waren, hier dennoch zur Illustration die ungefähre Zahl der Fragmente, die sich für die ersten fünf Bücher rekonstruieren lassen: Buch 1: ca. 140 (relativ viel dank A), Buch 2: ca. 100 (relativ viel dank Breviar), Buch 3: knapp 60 (besonders wenig, da T fast ganz ausfällt); Buch 4: ca. 85; Buch 5: ca. 60.

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Die maßgebliche Ausgabe des Codex Theodosianus stammt von Theodor Mommsen. Mommsen hatte die Arbeit am Theodosianus Ende 1898, kurz vor seinem 81. Geburtstag, aufgenommen. Als er fünf Jahre später verstarb, war die Edition nicht nur im Manuskript abgeschlossen, sondern sogar im komplizierten Satz, der alle CI.-Modifikationen am Rand vermerkt und für jedes einzelne Fragment genau angibt, in welchen Handschriften es jeweils überliefert ist. Nur die Einleitung konnte Theodor Mommsen nicht mehr selbst fertigstellen: Seine schwarzumrandete Todesanzeige ist auf einem unpaginierten Blatt zwischen Seite VIII und IX abgedruckt, die auch angibt, ab welcher Seite ungenannte amici die Einleitung typis mandanda curaverunt. Nicht zu diesen amici gehörte Paul Krüger, obwohl nur dieser namentlich auf dem Titelblatt genannt ist: Theodosiani libri XVI … edidit adsumpto apparatu P. Kruegeri Th. Mommsen. Bei der dahintersteckenden Geschichte zwischen Mommsen und Krüger hat Matthews (S. 91–101) geradezu leidenschaftlich für Krüger Partei ergriffen. Allerdings basiert seine einseitige Darstellung auf mehreren Missverständnissen sowohl inhaltlicher wie sprachlicher Natur. Krüger hatte selbst eine CTh.-Ausgabe geplant, und dies anscheinend schon seit 1868 (Schulz, S. XIV). Doch selbst dreißig (!) Jahre später war Krüger kaum 283 über Handschriftenautopsien hinausgekommen. Weil Mommsen einerseits klar war, dass eine brauchbare Theodosianus-Ausgabe ein dringliches Desiderat war, andererseits, dass Krüger die Sache nie zu Ende bringen würde (Schulz, S. XXVII), schlug er ihm im September 1898 vor, die Edition gemeinsam zu besorgen. Der Vorschlag war höchst diplomatisch gehalten: Mommsen bot an, einen weiteren CoHerausgeber hinzuzuziehen (was nie geschah – wahrscheinlich wollte Mommsen nur 283 Krüger (1905, S. 319) schreibt in seiner Rezension der Mommsen-Ausgabe: »So

hatte ich bis 1896 die Bücher 6–16, zum Teil auch Buch 1 fertiggestellt«, und auch in seiner Autobiografie zwanzig Jahre später gibt er an (Krüger 1925, S. 156), die CTh.-Ausgabe sei 1898 »zum Teil … schon fertiggestellt« gewesen und Mommsen habe nur »das Fehlende … ergänzen« wollen. Auch brieflich bittet Krüger darum, dass Mommsen ihm seine als »Druckmanuskript zusammengestellte Vorarbeit« nach Abschluss der Ausgabe zurücksende. Den besten Einblick in Krügers Vorarbeiten dürfte seine Besprechung von Mommsens Ausgabe geben: Offenbar hatte Krüger im Wesentlichen den Text von R und V transkribiert und dabei insbesondere fehlende Zeilenanfänge und -enden von R ergänzt, denn hierzu merkt Krüger diverse Differenzen zu Mommsens Entscheidungen (bzw. unangegebene Übernahmen durch Mommsen) an. Andererseits kommentiert Krüger in keiner Weise Emendationen (oder gar Konjekturen) im weiteren Text; er hat auch nichts zu sagen zur Art und Weise, in der Mommsen die verschiedenen Handschriften für Buch 16 gewichtet. Dies deutet darauf hin, dass Krügers Druckmanuskript sehr weitgehend auf den Haupthandschriften basierte.

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den Eindruck vermeiden, dass er nun an Krügers Stelle trete; möglicherweise ging es ihm auch darum, das Projekt gegen sein vorzeitiges Ableben abzusichern), und war bereit, auf sämtliche Tantiemen zugunsten Krügers und des Dritten zu verzichten; ja, Mommsen erklärte sogar ausdrücklich, das Projekt Codex Theodosianus überhaupt nicht anzugehen, sofern Krüger diese Kooperation ablehne (Schulz, S. XXIII–XXV). Anders als Krüger (1905, S. 319 f.) es selbst darstellte (»Mit Freuden ging ich auf diesen Vorschlag ein«), gab er seine Handschriftenkollationen nur missmutig heraus. Wie Krüger selbst berichtet, war die Kooperation eine sehr einseitige Angelegenheit: »Bis 1899 erhielt ich fortlaufend Mitteilungen über den Gang der Arbeit; einzelnes wurde bei gelegentlichen Zusammenkünften besprochen. Dann brachten die Reisen Mommsens … eine Stockung in den Berichten; Ende 1900 erhielt ich eine Druckprobe, mit der ich mich einverstanden erklärte«. Mit anderen Worten: Krüger beteiligte sich in keiner Weise an der Arbeit! Nur die ersten Monate rapportierte Mommsen an seinen »Mitherausgeber« Krüger, ehe er diese nutzlose Kommunikation einstellte. Krüger (1905, S. 319) selbst erklärt seine mangelnde Mitarbeit mit der »Aufgabe …, mich in das neue bürgerliche Gesetzbuch einzuarbeiten, [und] … mir auch davon abgesehen meine amtlichen Obliegenheiten ein fortlaufendes Mitarbeiten unmöglich [machten]«. In Mommsens Briefen klingt immer wieder an, wie sehr Krüger in seinen Antworten über die eigene Arbeitsbelastung jammerte. 1903, offensichtlich nach Jahren ohne weiteren Austausch, teilte ihm dann Mommsen brieflich mit (Schulz, S. XXVI), dass er nun fast fertig sei und mit Ausnahme zweier Palimpseste 284 sämtliche Handschriftenkollationen Krügers persönlich oder über Vertreter habe nachprüfen lassen. »Ich möchte ihm angeben, wie sich danach Titel und Vorrede gestalten sollten; als eigentlicher Mitherausgeber könnte er mich nicht wohl bezeichnen … Unter diesen Umständen trat ich von der Ausgabe zurück«, schreibt Krüger (1905, S. 320). 285 Man merkt Krüger die Pikiert284 Nämlich T und W. Doch bei Palimpsest T geht es nicht um privat mitgeteilte Erkennt-

nisse Krügers, sondern um Krügers Publikation aus dem Jahr 1880 (Krueger 1880). Palimpsest W (Mommsen 1905, S. LVIII) bietet einige wenige Blätter aus den Büchern 14, 15 und 16, die dort zur Bestimmung der Textgestalt herangezogen werden; es gibt keine Konstitution, für die W der einzige Textzeuge wäre. Mommsen beauftragte auch sonst Helfer, Handschriften für ihn in Augenschein zu nehmen, die er nicht selbst einsehen konnte, so etwa Anna Parker in Oxford (vgl. Croke, S. 228– 232; Mommsen 1905, S. LXVII); was W angeht, ist also die Arbeit Krügers eigentlich nicht anders zu bewerten als die von Anna Parker für O. 285 Krügers Deutsch in diesem Brief wurde ganz missverstanden von Coma Fort. Im direkten Anschluss an das oben zitierte Stück schreibt Krüger (1905, S. 320), er habe allein schon deswegen als Herausgeber zurücktreten müssen, »weil Mommsen in vielen wichtigen Fragen zu Ergebnissen gelangt war, von deren Richtigkeit ich mich nicht überzeugen kann; und auch hinsichtlich der handschriftlichen Überlieferung ist Mommsen zu Angaben geführt worden, deren Vertretung er mir nicht zumuten konnte«. Coma Forts Paraphrase dieser Stelle verkehrt ihren Inhalt ins Gegenteil (Coma Fort, S. 462 f.): »… porque [Krüger] reconocía en definitiva la supe-

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heit an; und auch hier ist seine Darstellung unrichtig, 286 denn in seinem Antwortbrief an Mommsen (7. 2. 1903) findet sich keine Andeutung eines gerade eben erfolgten Rücktritts als Herausgeber. Krüger beklagt vielmehr, dass Mommsen seine Vorarbeiten fast ganz ungenutzt gelassen hatte. Er, Krüger, habe früher eigentlich an eine Formel wie »auf Grund der Krügerschen Vorarbeiten« gedacht, da diese ja nun nicht zutreffe, wisse er gar nicht, was er vorschlagen solle. Die Sache wäre vielleicht anders, hätte er, Krüger, an der Korrektur mitgewirkt, aber das habe er absichtlich gar nicht erst angeboten, weil er mit so vielen anderen Pflichten überlastet sei. In seiner postwendenden Antwort schreibt Mommsen (Schulz, S. XXVII): »[ich] kann … mich mit Ihrem Appell an mein Ermessen [wie Krügers Beteiligung in der Ausgabe bezeichnet werden soll] nicht zufrieden geben. Als Mitherausgeber Sie zu nennen widerspricht den Tatsachen und sicherlich auch Ihrem eigenen Willen. … Daß ich die Arbeit übernommen habe, kann ich insofern nicht bereuen, weil die Ausführung derselben durch Sie, nach Ihren damaligen und Ihren jetzigen Äußerungen, doch wenig gesichert war und die Arbeit einmal gemacht werden mußte«. In Mommsens Brief findet sich die Formel, die letztlich aufs Titelblatt kam: adsumpto apparatu, wobei adsumpto apparatu bedeutet »unter Zuhilfenahme/Einsichtnahme der Vorarbeiten« – Matthews’ Übersetzung (S. 97), »Krüger’s name stands … on the title page … as responsible for the apparatus criticus«; (S. 98) »his appearance on the title page as the author of the apparatus criticus« ist ein sprachliches Missverständnis hinsichtlich sowohl adsumere als auch apparatus (vgl. Mommsen an Krüger, Schulz, S. XXVI: »Sie [waren] bei der Herstellung des Apparats nicht beteiligt und [sind] dafür nicht verantwortlich«). Tatsächlich missversteht Matthews auch Krügers reale Leistung für Mommsens Ausgabe; während Matthews (S. 98) ohne nähere Begründung von »Krüger’s very considerable contribution« spricht und die Mommsen-Edition als (S. 97) »Mommsen’s (and Krüger and Meyer’s) edition« bezeichnet, beschränkte sich Krügers Beitrag fast 287 nur auf eine unpublizierte Kollation des weniger wichtigen Palimpsests W. rioridad de Mommsen al haber resuelto cuestiones importantes y problemas de la tradición manuscrita de las que él mismo admitía su falta de competencia«. 286 Wiederum gibt Krüger auch in seiner späteren Autobiografie eine verzerrte (um nicht zu sagen: eklatant unrichtige) Darstellung (Krüger 1925, S. 156): Die Kooperation mit Mommsen ging »in die Brüche …, als für unsere Urteile über den kritischen Wert der zugrunde gelegten Handschriften eine Einigung nicht zu erreichen war«. Dies wird durch die erhaltene Korrespondenz der beiden, ferner Krügers eigene Darstellung von 1905 und schließlich durch die editorische Situation (die Gewichtung von Handschriften ist fast nie ein Problem bei der CTh.-Edition, oft gibt es ja nur einen einzigen Textzeugen) ganz und gar widerlegt. 287 Allerdings hat Mommsen auch Vorschläge von Krüger zur Heilung beschädigter Stellen von R übernommen, ohne diese anzumerken (Krüger 1905, S. 324): »meine Emendationen und Ergänzungen stehen, soweit sie von Mommsen gebilligt worden, jetzt ohne Namen, müssen also auf den Herausgeber bezogen werden; das war, wenn wir beide Herausgeber geblieben wären, verständlich, mußte aber nach meinem Rücktritt umgestaltet werden«.

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Das schlimmste Missverständnis von Matthews ist freilich, dass er Mommsen als Schurken hinstellt, der sich Krügers Vorarbeiten bemächtigte und ihn dann aus dem Projekt drängte. Welche Rechte hatte Krüger denn an einer Ausgabe, an der er 30 Jahre saß und nicht vorankam? Tatsächlich müssen wir froh sein, dass Mommsen nicht allzu viel Rücksicht auf Krügers Gefühle nahm und in einem Wettlauf gegen die eigene Lebenserwartung 288 eine bestmögliche Edition des Theodosianus-Texts vorlegte. Krüger wollte die CI.-Fragmente konjektural einreihen, was er in den ersten Büchern seiner eigenen CTh.-Ausgabe auch tat, die zu publizieren er dann im hohen Alter doch noch anfing; teilweise fügte er dem Codex Theodosianus sogar konjektural weitere Titel hinzu. Sonderlich seriös ist das Verfahren nicht – Mommsen hatte es von Anfang an abgelehnt. Da sich Krüger ohnehin nicht an der Arbeit beteiligte, gab es darüber auch keinen Streit. Tatsächlich hatte Mommsen (Schulz, S. XXIV) Krüger zur Güte vorgeschlagen, dass man alles CI.-Material außerhalb der CTh.Struktur zusätzlich abdrucken könnte (am besten, so Mommsen, zusammen mit sämtlichen vollständigen Konstitutionen der Spätantike – aber dafür reichte seine Lebenszeit dann doch nicht, und wir warten bis heute auf eine solche Sammlung, → S. 5059). 289 Mommsen starb Ende 1903, und obwohl seine Theodosianus-Ausgabe samt Prolegomena bereits im Jahr 1904 im Handel verfügbar war (Barnes 2001, S. 675), trägt sie das Publikationsjahr 1905.

Mommsen entschied sich zu Recht dafür, die CI.-Fragmente nicht einzureihen. Das energische Gegenplädoyer von Matthews (S. 100) basiert auf einer durchgehenden Unterschätzung der Probleme: »it cannot always be certain to which title in the Theodosian Code they [CI.-Fragmente] should rightly be restored«, meint Matthews, doch tatsächlich kann man nie sicher sein (→ S. 171259); »it is true that some texts have undergone editorial amendment in their citations in the Codex Justinianus«, gibt Matthews zu, doch tatsächlich ist die Mehrzahl der Texte umgeschrieben, und zwar oft in einer Weise, die vom Euphemismus »editorial amendment« nicht mehr abgedeckt ist. 290 288 Noch vor Beginn des Projekts schrieb Mommsen am 10. Oktober 1898 an Krüger

(Schulz, S. XXIVf.): »In meinem Alter kann ich nur Pläne machen von heute auf morgen; die Nacht, da niemand wirken kann, ist unter allen Umständen nicht fern«. 289 Mir liegen Abbildungen des Briefverkehrs zwischen Mommsen und Krüger vor, die aus den jeweiligen Nachlässen in der Staatsbibliothek zu Berlin (Mommsen) und der ULB Bonn (Krüger) stammen. Sobald möglich, werde ich diese im Rahmen einer ausführlicheren Darstellung ihrer gescheiterten CTh.-Kooperation publizieren. 290 Die Bewertung von Matthews scheint sich heute im wissenschaftlichen Diskurs durchgesetzt zu haben; vgl. z. B. Blaudeau, S. 142, der die Krüger-Ausgabe ohne Weiteres als »considérée comme plus proche sans doute de l’édition originelle du Code« bezeichnet.

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Wenn man eine editorische Entscheidung Mommsens kritisieren will, dann handelt es sich um eine ganz anders geartete, die man zwar gut nachvollziehen kann, aber die Probleme nach sich zieht und letztlich zu zahlreichen Inkonsequenzen führt: Es geht darum, dass Mommsen Fehler, die womöglich im Archetyp von 438 enthalten waren, nicht korrigiert (natürlich mit gutem Recht als Herausgeber des Codex Theodosianus!), nicht anmerkt (was die Benutzung erschwert) – und manchmal dann doch korrigiert (und hier beginnt die Inkonsequenz, → S. 243).

Die Realität der Sammlung 1 Auswahl der Texte Theodosius II. betont mehrfach, dass die Sammlung für den festgelegten Zeitraum, also ab Konstantin, eine vollständige sein soll. Wir wissen jedoch indirekt von zahlreichen Konstitutionen, von denen es keine Spur im Codex Theodosianus gibt. Innerhalb des Codex Theodosianus selbst wird auf rund 70 Gesetze Bezug genommen, die sich selbst dort nicht wiederfinden (→ S. 205); von den 16 Sirmondschen Konstitutionen gibt es nur für zehn Exzerpte im Codex Theodosianus; auch sind zahlreiche weitere Konstitutionen vollständig überliefert bzw. durch literarische Erwähnungen belegt, die womöglich die Voraussetzungen für eine Exzerpierung erfüllt hätten, aber im Codex Theodosianus trotzdem fehlen. Wie lässt sich dies erklären? Folgende Erklärungen sind denkbar: a. die Kompilatoren pfuschten b. späterer Textverlust: die Konstitution wurde exzerpiert, aber das Fragment ist verloren c. Nichtauffindbarkeit: die Kompilatoren hatten die Originalkonstitution nie in Händen d. ausgeschieden, da triviale Formalkriterien nicht erfüllt waren (Zeitrahmen, divus …) e. ausgeschieden, da die Konstitution nicht dem zum Zeitpunkt der Kompilation geltenden Recht entsprach f. ausgeschieden, da das generalitas-Kriterium nicht erfüllt war Es sei vorweggenommen, dass ich (f) für die wesentliche Erklärung halte; aber ehe wir mit heuristischer Methodik das generalitas-Kriterium bestimmen

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können, müssen wir klären, inwieweit diese anderen Faktoren zu berücksichtigen sind.

a) Kompilatorenfehler Prüft man anhand anderer Kriterien, wie sorgfältig die Kompilatoren ihren Anweisungen folgten, so erhält man den begründeten Eindruck, dass sie ihre Aufgabe insgesamt nicht schlecht gemeistert und sich vor allem an die Vorgaben gehalten haben. Jedenfalls würde ich so ihre Arbeit beim Kürzen bewerten (wo ich innerhalb des Samples nur einen echten Fehler sehe, → S. 241, und eine nach den Vorgaben unerklärliche Auslassung, → S. 221 – sofern das Edictum de accusationibus unberücksichtigt bleibt, dessen CTh.-Version offenbar auf einem anderen Ausgangstext basiert). Diese Wertung wird durch ihre Leistung beim Aufsplitten der Konstitutionen bestätigt, wo man nur selten Verstöße gegen den Auftrag feststellen kann (→ S. 143). Ich würde daher dringend davor warnen, diese Erklärung überzubeanspruchen. Man darf (und muss sogar) gelegentliche Versehen erwarten, aber man sollte diese Möglichkeit nicht zu einer wichtigen Variante aufbauschen.

b) Späterer Textverlust Schauen wir uns zwei konkrete Beispiele an: Aus zahlreichen Literaturstellen ist bekannt, dass Theodosius I. die Ehe zwischen Cousin und Cousine als Inzest einstufte und bei strenger Strafe untersagte (→ S. 30981). Dieses Gesetz ist uns nicht überliefert, aber falls es je in den Codex Theodosianus exzerpiert wurde, dann aller Wahrscheinlichkeit nach doch in den Titel CTh. 3.12, De incestis nuptiis, »Inzestuöse Ehen«. Nun sind uns die erhaltenen Fragmente dieses Titels fast 291 ausschließlich durch das Breviar überliefert – und dessen Kompilatoren hätten wenig Grund gehabt, ein aufgehobenes Gesetz zu übernehmen (→ S. 172). Also kann man unterstellen (bzw. zumindest nicht ausschließen), dass das Fehlen des theodosianischen Cousineninzestgesetzes auf späteren Textverlust zurückgeht. Nun zu einem Beispiel, das ganz analog zu sein scheint: Wir wissen aufgrund eines Rückbezugs in CTh. 4.6.4 sowie diverser Libanios-Passagen, dass 291 Nur CTh. 3.12.1 stammt nicht aus dem Breviar, der Text ist aber in mehreren Breviar-

handschriften ergänzt.

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Konkubinenkinder ab Konstantin nicht mehr erben konnten, während Valentinian zu einer liberaleren Regelung fand; Theodosius I. kehrte zur konstantinischen Strenge zurück, was aber später ebenfalls wieder korrigiert wurde (Wieling 1990, S. 467; → S. 193). Das theodosianische Gesetz ist nicht im Codex Theodosianus überliefert, und wiederum läge es eigentlich nahe, auf die Buchnummer zu verweisen: Die Vererbung an Konkubinenkinder ist geregelt in CTh. 4.6, De naturalibus filiis et matribus eorum, »Illegitime Kinder und ihre Mütter«, und folglich hätte das Theodosius-Gesetz erst bei der Breviarkompilation ausfallen können. Aber hier lässt sich das Gegenteil beweisen: Zufälligerweise steht uns für CTh. 4.6.2 (Ende) bis 4.6.7 (Anfang) durchgehend der Palimpsest T zur Verfügung; auch der vollständige Codex Theodosianus enthielt also keine einschlägige Konstitution des Theodosius I. zwischen CTh. 4.6.4 (371) und CTh. 4.6.5 (397). Diese beiden Fälle sollen illustrieren, dass Argumentationen, die das Fehlen mit späterem Textverlust erklären wollen, viele Faktoren berücksichtigen müssen. Das grundsätzliche Prinzip ist klar: Sofern eine fehlende Konstitution angesichts ihres (wahrscheinlichen) Inhalts vermutlich in die Bücher 1 bis 5, an den Anfang des 6. Buchs oder in eine der bekannten Lücken exzerpiert worden wäre, ist es erheblich wahrscheinlicher, dass sie uns unbekannt bleibt, als dass sie sich zufälligerweise in dem so bruchstückhaft überlieferten Material wiederfindet. Das Argument greift nicht, wenn ausnahmsweise T für die entsprechende Passage einspringt. Doch die Angelegenheit ist komplizierter. Erstens kann man sich hinsichtlich des scheinbar offensichtlichen Exzerpierungsorts leicht täuschen. So ist das 16. Buch der Religionsgesetzgebung gewidmet; es enthält in verschiedenen Titeln auch Regelungen zur kirchlichen Jurisdiktion (z. B. CTh. 16.2.23, 16.2.41, 16.11.1). Würde man angesichts dieses Befunds erwarten, dass der eigentliche Titel zur episcopalis audientia im ersten Buch (CTh. 1.27) stand? Nur durch zwei Exzerpte in einer einzigen Handschrift wissen wir überhaupt davon (→ S. 195). Der Titel CTh. 16.9 heißt Ne Christianum mancipium Iudaeus habeat, »Ein Jude darf keinen Christen als Sklaven haben«, und bietet fünf Gesetze, die mehrheitlich den Kauf christlicher Sklaven durch Juden verbieten. Genau dasselbe regelt CTh. 3.1.5 – doch diese Konstitution wurde (nur) nach CTh. 3.1, De contrahenda emptione, »Der Kaufvertrag«, exzerpiert! Zweitens müssen wir mit unerkannten Lücken in unseren Haupthandschriften R und V rechnen, bei denen – anders als im Fall von CTh. 13.11.2 – nicht zufälligerweise T einspringt. Diese beiden Faktoren könnten durchaus eine größere Rolle spielen, als man intuitiv vermuten würde; jedenfalls legt dies Nov. Val. 32 pr. (451) nahe

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(ausführlich zitiert → S. 229). Darin nimmt Valentinian III. Bezug auf eine Konstitution, die Honorius an den Prätoriumspräfekten Palladius geschickt hat und die in Theodosianum redacta corpus, »in den Codex Theodosianus exzerpiert«, wurde. Angesichts des referierten Inhalts müsste sich die HonoriusKonstitution eigentlich finden im (soweit man weiß, abgesehen von einer Lücke am Anfang, vollständig erhaltenen) Titel 8.15, De his quae administrantibus vel publicum officium gerentibus distracta sunt vel donata, »Was an Würdenträger und Staatsbedienstete verkauft bzw. verschenkt wurde«. Doch weder dort noch anderswo findet sich eine entsprechende Regelung. Hätte Valentinian III. die Honorius-Konstitution erwähnt, aber nicht ausdrücklich auf ihre Aufnahme in den Codex Theodosianus hingewiesen, ginge die heutige Forschung zweifellos davon aus, dass sie nicht exzerpiert wurde. So bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es am Ende von Titel 8.15 eine unerkannte Lücke oder die Honorius-Konstitution wurde doch an eine andere Stelle exzerpiert (etwa nach CTh. 3.1 oder in einen der in Buch 1 ganz ausgefallenen Titel).

c) Nichtauffindbarkeit Nichtauffindbarkeit ist nach Matthews die Hauptursache für das Fehlen von Konstitutionen im Codex Theodosianus. 292 Da Matthews die Frage der generalitas ohne plausibles Argument (→ S. 156230) so entscheidet, dass jeder Beamtenbrief automatisch generalitas besitzt, hat er außerordentlich viele Gesetze, die zu sammeln wären. So schreibt er (Matthews, S. 128) z. B. zu den Sirmondschen Konstitutionen: »All these texts, being addressed to public officials, take the form of general legislation. There is no prima facie reason why any should have been rejected by the editors of the Theodosian Code – on the contrary, every reason to include them«. Das Fehlen zahlreicher Konstitutionen kann er damit nicht mehr durch die Kompilationskriterien erklären, sodass ihm – nach Ausschluss aller anderen Möglichkeiten – als letzte Variante die Nichtauffindbarkeit bleibt (Matthews, S. 127): »As to whether these laws were not found, or were found but rejected, by the editors of the Code, the

292 Bereits vorweggenommen bei Wenger, S. 537: »Daß nicht alle generellen Gesetze

tatsächlich Aufnahme fanden, hängt mit der Schwierigkeit der Beschaffung und insbesondere der Unvollständigkeit der kaiserlichen Archive, wo die Originale lagen, und der sonstigen Entnahmestellen, vielleicht auch mit nicht durchgreifend gleicher Sorgfalt der Kommission zusammen«.

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first alternative is by far the more likely«. Oder, noch ausdrücklicher (Matthews, S. 65): »If a law of whose existence we know from another source was not included in the Code, it was not because the editors had found but rejected it, but because they had not found it in the first place«. Der Haken an dieser Erklärung ist, dass ja auch ganz rezente Gesetze aus dem 5. Jahrhundert fehlen (beispielsweise Sirm. 5 von 419, Sirm. 13 von 419, DF 46 wahrscheinlich aus der Zeit 427–429), bei denen eine Nichtauffindbarkeit nicht unbedingt naheliegt. Freilich muss man differenzieren, und zwar in Abhängigkeit von dem Quellenmaterial, das die Exzerptoren benutzten. Es herrscht Einigkeit darüber, dass für rezente östliche Gesetze (hauptsächlich) östliche Archive verwendet wurden (Mommsen 1900, S. 166; Seeck, S. 2; Sirks, S. 141). Für rezente westliche Gesetze hat man offizielle Archive in Afrika und Italien (Seeck, S. 12), afrikanische Privatsammlungen (Mommsen 1900, S. 173) 293 oder »a central archive« (Sirks, S. 141) 294 vermutet. Doch wie dem auch sein mag: Angesichts der ungefähr gleichen Repräsentanz von westlichen zu östlichen Gesetzen im Codex Theodosianus (bzw. sogar eines leichten westlichen Übergewichts, Seeck, S. 2) wird man das westliche Ausgangsmaterial – ganz gleich, wie es denn nun wirklich beschaffen war – nicht als unvollständiger als das östliche ansehen dürfen. Ganz anders sieht es aus, wenn wir nicht geografisch, sondern chronologisch differenzieren (Dillon, S. 19; vgl. Matthews, S. 216): Von den 336 konstantinischen Konstitutionen, von denen sich Fragmente im Codex Theodosianus befinden, weisen 125 Empfängervermerke (wie proposita oder lecta) auf, d. h., sie stammen höchstwahrscheinlich aus Privatsammlungen (die entstanden, indem jemand das proponierte Gesetz abschrieb). Waren aber die konstantinischen Texte so sehr dem Überlieferungszufall ausgesetzt, dass die Kompilatoren nur das in die Finger bekamen, was sich auf verschlungenen Wegen von den Kopien erhalten hatte, die Interessierte, die zufälligerweise 293 Das Argument von Mommsen (1900, S. 172) ist, dass zahlreiche westliche Erlasse an

afrikanische Empfänger gehen, aber an viele verschiedene, sodass also nicht nur (z. B.) das Archiv des Prokonsuls benutzt wurde. 294 Freilich wird man gegenüber den Argumenten von Sirks – der sich nicht vorstellen kann, dass jemand Empfängerarchive oder Privatsammlungen nutzt, wenn er doch ein Zentralarchiv verwenden kann – skeptisch bleiben. Die implizite Voraussetzung (nämlich die Existenz der umfassenden Zentralarchive) wird nie belegt, und vor allem widerlegt Sirks nie die Argumentation der Gegenseite (dass sich nämlich Propositionsvermerke und andere Details nicht mit Zentralarchivmaterial vereinbaren lassen). Vgl. auch Liebs 2010b, S. 531.

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zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort waren, angefertigt hatten, dann ist es offensichtlich wenig sinnvoll, Argumente aus dem Fehlen konstantinischer Regelungen im Codex Theodosianus abzuleiten.

d) Ausgeschieden aufgrund trivialer Formalkriterien Ein Beispiel: CTh. 16.10.5 (353) hebt ein Gesetz des Magnentius auf, das nächtliche heidnische Opferungen erlaubt hatte. Das Magnentius-Gesetz selbst ist uns nicht überliefert, was aber im Einklang mit den Sammelkriterien steht: Der Usurpator Magnentius brachte es postum nicht zum divus, und die Kompilatoren sollten ja nur die Gesetze der divi sammeln. Unter den zahlreichen erhaltenen CTh.-Fragmenten gibt es kein einziges, das offenkundig die trivialen Formalkriterien – also nur Konstitutionen der postum als legitim angesehenen Kaiser ab Konstantin bis zu Theodosius II. und Valentinian III. – verletzen würde. Es finden sich jedoch Fragmente, bei denen man anscheinend unabsichtlich gegen diese Vorgaben verstoßen hat. So wurde CTh. 13.10.2 nach den im Codex Theodosianus überlieferten Angaben von Konstantin im Jahr 313 abgeschickt, was dem formalen Rahmen entspräche – doch das Gesetz muss in Wirklichkeit von Licinius stammen, denn es ist an den Statthalter von Lykien-Pamphylien gerichtet, eine Provinz, die Konstantin erst mehr als ein Jahrzehnt später kontrollierte (und eine Umdatierung von CTh. 13.10.2 auf die Zeit nach 324 scheitert daran, dass Diokletian ohne vorangestelltes divus, d. h. als noch lebend, erwähnt wird). Seeck (S. 53 f.) hat weitere solche Fälle gesammelt, die in erster Linie pseudokonstantinische Gesetze betreffen (CTh. 4.12.1, die zusammengehörigen Fragmente CTh. 8.4.3, 10.7.1, 10.20.1, 12.1.5 sowie eventuell CTh. 8.5.2). Ein weiteres Beispiel ist CTh. 9.5.1, die CTh.-Version des Edictum de accusationibus, das ursprünglich wohl von Galerius (oder Licinius) stammte (→ S. 222). Die Konzentration dieser Fehlzuschreibungen auf die konstantinische Zeit illustriert erneut die Unzuverlässigkeit der Textüberlieferung: Offenbar enthielten die verwendeten Privatsammlungen durchaus einige Fehler. Allerdings hat Seeck (S. 54) auch auf zwei mögliche späte Fälle von Falschzuschreibungen hingewiesen, die beide potenziell den Usurpator Maximus betreffen. CTh. 6.28.4 mit dem überlieferten Datum 8. 9. 387 und dem Ort Mailand passt nicht zu Valentinian II., der bereits zuvor aus dieser Residenzstadt vor Maximus geflüchtet war. Aber anstatt von einer Fehlzuschreibung auszugehen, sollte man vielleicht besser mit der PLRE (I, S. 702 s. v. Pinianus 1) den Monat des Gesetzes korrigieren, wie dies ja auch in vielen anderen Fällen notwendig ist (→ S. 66, → S. 145). Das zweite

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von Seeck für Maximus beanspruchte Fragment ist CTh. 9.36.1: Das Gesetz wurde 385 in Trier abgeschickt, wo zu diesem Zeitpunkt nur Maximus gewesen sein kann; also ist das Datum oder der Ort oder die Kaiserzuschreibung falsch. Der Empfänger, der Vikar Desiderius, ist ansonsten unbelegt und damit laut Seeck wohl eher ein Würdenträger des besiegten Usurpators als einer der besser bekannten Männer, die den legitimen Kaisern dienten. Freilich sind Gesetze an Vikare eher ungewöhnlich, und sieht man sich die Listen bei Mommsen (1905, S. CXCV-CXCIX) durch, so stellt man auf den ersten Blick fest, dass kaum ein Vikar je zweimal im Codex Theodosianus genannt wird. Dieses Argument von Seeck ist also nicht beweiskräftig. Umgekehrt gibt es Indizien, die gegen Maximus als Urheber sprechen: Erstens scheint sich CTh. 9.36.2 (Honorius, 409) auf CTh. 9.36.1 zu beziehen (→ S. 358), d. h., bereits eine Generation vor der theodosianischen Sammlung wurde CTh. 9.36.1 als unproblematisch angesehen; zweitens zeigt CTh. 2.4.4, dass Valentinian II. im Jahr 385 in sehr ähnlicher Materie gesetzgeberisch tätig war. In der Abwägung scheint mir wahrscheinlicher, einen Fehler in der Subskription (anstatt hinsichtlich des erlassenden Kaisers) anzunehmen.

Wenn also die Kompilatoren nachweislich bei den Formalkriterien Fehler machten und Konstitutionen aufnahmen, die sie hätten auslassen sollen, darf man dann auch das Gegenteil vermuten? Dass sie Konstitutionen aufgrund der Formalkriterien ausschieden, die sie nicht hätten ausscheiden sollen? Das wäre ein klarer Kompilationsfehler und entspräche meinem Punkt (a) oben. Aber die zweifelsfreien Fehler bei den Formalkriterien betreffen ausschließlich konstantinische Beispiele, und dort wird man eher annehmen, dass bereits die Textbasis der Kompilatoren – d. h. die von ihnen ausgewerteten Privatsammlungen – entsprechende Probleme aufwies. Dass sich solche Fehler für die nachkonstantinische Zeit nie belegen und nur selten begründet vermuten lassen, illustriert vielmehr die Sorgfalt der Kompilatoren.

e) Ausgeschieden, da in Abweichung vom geltenden Recht Manche Autoren – insbesondere Sirks und Huck – behaupten, das Fehlen zahlreicher Konstitutionen im Codex Theodosianus erkläre sich in erster Linie dadurch, dass die Kompilatoren systematisch veraltete Konstitutionen wegließen. Bereits auf den ersten Blick erscheint diese Theorie unplausibel, und zwar aus zwei ganz unterschiedlich gearteten Gründen. Erstens ordnet Theodosius II. im Auftrag von 429 unzweideutig an, dass alle Konstitutionen, und explizit auch die veralteten, gesammelt werden sollen (→ S. 142). Im Auftrag von 435 wird dies nicht mehr so ausdrücklich wiederholt, doch nach wie vor

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lautet der Auftrag, omnes [!] constitutiones zu sammeln, sofern sie die Kriterien (ab Konstantin, generalitas …) erfüllen – eine Beschränkung auf die aktuelle Rechtslage wird nicht erwähnt. Weitere Anweisungen hängen davon ab (so insbesondere die chronologische Reihung innerhalb der Titel, die laut Kaiser Theodosius sofort zeigen soll, welche Bestimmung am jüngsten und damit bei Divergenzen zu beachten ist – nach Sirks und Huck dürfte es ja gar keine Divergenzen geben). Man müsste also annehmen, dass die Kompilatoren diesen ganz wesentlichen Aspekt ihres Auftrags mutwillig ignorierten. Zweitens können wir in fast jedem Titel des Codex Theodosianus beobachten, dass die Redakteure sehr wohl teilweise veraltete, ja sogar später explizit wieder aufgehobene Konstitutionen exzerpierten. Das mehrfache Hin und Her bei den erbrechtlichen Sanktionen gegen Eunomianer ist das augenfälligste Beispiel (→ S. 635); es ist so unübersehbar, dass Sirks zur Rettung seiner Theorie postulierte, das 16. Buch stelle eine Ausnahme dar, und (nur) dort seien veraltete und/oder aufgehobene Gesetze exzerpiert worden (Sirks, S. 154). 295 Gehen wir daher als ein Beispiel für zahllose einen Titel durch, der sich nicht im 16. Buch befindet. Wir haben bereits gesehen (→ S. 187), dass das später abrogierte Konkubinenkindergesetz von Theodosius I. im einschlägigen Titel CTh. 4.6 fehlt. Aber dies war ja nicht das einzige Hin und Her: Die ursprüngliche Regelung durch Konstantin fehlt (freilich setzt der überliefernde Palimpsest erst beim Ende von CTh. 4.6.2 ein; sie könnte also im verlorenen Gesetz CTh. 4.6.1 oder am Anfang von CTh. 4.6.2 gestanden haben), Valentinian I. liberalisiert die Regelung (CTh. 4.6.4, ein Zwölftel kann an den illegitimen Teil vererbt werden, sofern es eine legitime Familie – d. h. Kinder, Enkel oder Eltern – gibt; andernfalls sogar ein Viertel), das Theodosius-Gesetz fehlt, Honorius (CTh. 4.6.5, 397) bestätigt ausdrücklich die Regelungen Konstantins und seines Vaters Theodosius und schließt Konkubinenkinder von der Erbschaft aus. Arkadius hingegen (CTh. 4.6.6, 405) wiederholt fast exakt die Regelung des Valentinian I. (CTh. 4.6.4) mit der Erbfähigkeit der Konkubinenkinder beschränkt auf ein Zwölftel bzw. ein Viertel, in Abhängigkeit von der Existenz legitimer Deszendenten bzw. einer überlebenden Mutter. Valentinian III. (CTh. 4.6.7) beschränkt den maximal vererbbaren Teil gene-

295 Tatsächlich gibt es im 16. Buch neben den Eunomianergesetzen auch noch weitere

besonders offensichtliche Aufhebungen, so hinsichtlich des Testierens von Frauen zugunsten von Kirchen (→ S. 306), der Freiheit von Mönchen, Städte aufzusuchen (vgl. CTh. 16.3.1 und CTh. 16.3.2), oder der Zahlungen von Diasporajuden (vgl. CTh. 16.8.14 und CTh. 16.8.17).

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rell auf ein Achtel. Diese Regelung hebt Theodosius II. (CTh. 4.6.8) explizit auf und kehrt zur vorherigen Regelung – also offensichtlich zur Lösung von Valentinian I. und Arkadius – zurück. 296

296 Theodosius II. beschwert sich über die asperitas, »Härte«, des unlängst ergangenen

Gesetzes. Tatsächlich ist die Neuregelung Valentinians III. aber nur dann ungünstiger für Konkubinenkinder, wenn es keine legitime Familie gibt. Arjava 1998 störte sich so sehr an dem scheinbaren Widerspruch zwischen der angeblichen Härte und der tatsächlichen Besserstellung (jedenfalls, sofern es eine legitime Familie gibt), dass er den Ausfall einer Regelung (sein imaginiertes Gesetz CTh. 4.6.7a) postulierte. Diese Hypothese ist sicher falsch, denn CTh. 4.6.8 bezieht sich fraglos auf die Konstitution, zu der CTh. 4.6.7 gehörte (Tate, S. 25–27), denn Theodosius II. sagt ausdrücklich, dass die Regelungen bezüglich Freigelassener aus der zu modifizierenden Konstitution weitergelten sollen; diese Passage ist als CTh. 4.10.3 erhalten, ein Fragment, das mit der Schnittmarke post alia (→ S. 214) beginnt und das an denselben Empfänger wie CTh. 4.6.7 gerichtet ist, der nur im März/April des Jahrs 426 als Prätoriumspräfekt belegt ist und aus prosopografischen Erwägungen diese Stellung höchstens bis Februar 428 innehatte (vgl. PLRE II, S. 1248). Tate (S. 20–22) wies ferner zu Recht darauf hin, dass unser Mommsen-Text von CTh. 4.6.7 zum größten Teil aus der Lex Romana Burgundionum stammt: Diese verweist auf den Codex Theodosianus, und Mommsen hat die Passage (bei der völlig unklar ist, ob sie Zitat oder Paraphrase ist) konjektural zu CTh. 4.6.7 (dessen Anfang im Palimpsest T überliefert ist) gesetzt. Wer kann denn sicher sagen, dass die Wiedergabe unverfälscht und vollständig ist? Tate (S. 22–24) spekuliert daher (in Nachfolge von Voci), dass die Regelung Valentinians III. nicht nur die maximale Erbschaft beim Fehlen einer legitimen Familie von einem Viertel auf ein Achtel reduzierte, sondern dass sie zusätzlich, im Falle ihrer Existenz, statt des Zwölftels vielmehr überhaupt nichts vorsah. Diese zunächst plausibel erscheinende Idee ist aber ebenfalls verkehrt, denn die Interpretatio zu Nov. Theod. 22.1 informiert uns, dass im CTh. festgelegt sei, dass im Falle der Existenz (!) einer legitimen Familie ein Achtel an den illegitimen Teil vererbt werden könne. Der CTh.-Verweis muss sich auf CTh. 4.6.7 beziehen: Nur dort begegnet der Wert »ein Achtel«, und CTh. 4.6.7 stammt von 426 oder 427, während CTh. 4.6.8 von 428 das späteste Gesetz im CTh. ist – dazwischen kann kein Gesetz ausgefallen sein. Die Kompilatoren des Breviars lasen also eine Version von CTh. 4.6.7, die inhaltlich kaum anders war als Mommsens Rekonstruktion, und sahen in CTh. 4.6.8 keine generelle Aufhebung von CTh. 4.6.7 (das mag ein Versehen sein; vielleicht betrachteten sie aber mit gutem Recht lediglich die Reduktion von einem Viertel auf ein Achtel im Fall des Fehlens einer legitimen Familie als aufgehoben, denn nur dies war eine »harsche« Bestimmung). Die valentinianische Regelung hat also unabhängig von der Existenz einer legitimen Familie ein Achtel vorgesehen; das mag auf Unachtsamkeit beim Formulieren zurückgehen oder aber auf die Tendenz am Hofe Valentinians III. während seiner ersten Jahre, komplexe juristische Fragen, insbesondere erbrechtliche, auf eher plumpe Weise zu regeln (→ S. 167, → S. 752). Die Konstitution von Theodosius II. hingegen

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Dieses kleine Beispiel illustriert, dass sich widersprüchliche Konstitutionen in verschiedene Kategorien einteilen lassen. Da gibt es Fälle, dass nach einem Gesetz dessen explizite (Teil-)Aufhebung im selben Titel überliefert ist (wie bei den Eunomianern oder CTh. 4.6.7/8 oder CTh. 6.3.2 f./4 oder CTh. 9.42.2/4). 297 Kaum schwerer zu übersehen sind die Fälle, in denen zwei Gesetze – womöglich direkt nacheinander – einen Sachverhalt diametral entgegengesetzt regeln, ohne dass sich das zweite explizit als Aufhebung des ersten bezeichnen würde (so etwa CTh. 15.6.1 und CTh. 15.6.2, 298 oder, oben im Beispiel, CTh. 4.6.5 und CTh. 4.6.6). Zahlreiche weitere Beispiele für diese ersten beiden Kategorien finden sich bei Honoré (S. 142–149). Legion sind die Fälle, in denen es gewisse Abweichungen zwischen Gesetzen gibt und man das ältere (da sein ganzer restlicher Regelungsgehalt irgendwie später im selben Titel doch noch einmal kommt) problemlos weglassen könnte. Ein Beispiel dafür aus unserem Titel wäre CTh. 4.6.4 und CTh. 4.6.6; in CTh. 4.6.4 findet sich keine Regelung, die nicht auch CTh. 4.6.6 bieten würde, und CTh. 4.6.6 unterscheidet sich vom älteren Gesetz nur insoweit, dürfte von einem konkreten Fall ausgelöst sein: Die gesetzlichen Erben eines Erblassers ohne legitime Familie klagten gegen dessen illegitimen Nachkommen, der ein Viertel erben sollte. Auf Grundlage der valentinianischen Konstitution versuchten sie, den Erbteil von einem Viertel auf ein Achtel zu drücken; der illegitime Nachkomme (oder der Richter) wandte sich an den Kaiser, der daraufhin diesen Teil der valentinianischen Konstitution abrogierte. 297 Besonders bemerkenswert ist der Fall von CTh. 16.2.27 (21. Juni 390), das durch CTh. 16.2.28 (23. August 390) explizit aufgehoben wird. Das Aufhebungsgesetz enthält folgende Bestimmung: eatenus animadvertat esse revocatam, ut de omnium chartis, si iam nota est, auferatur neque quisquam aut litigator ea sibi utendum aut iudex noverit exequendum, »[Deine Sublimität?] soll beachten, dass es [besagtes Gesetz] aufgehoben ist. Es ist aus den Papieren aller – sofern es bereits bekannt ist – zu entfernen. Jeder Prozessteilnehmer bzw. jeder Richter soll wissen, dass man es nicht vorlegen bzw. nicht danach urteilen darf«. Das Bemerkenswerte ist die Entfernung aus den omnium chartae – denn offensichtlich lief die Tilgung nicht allzu gründlich ab, sonst hätten die Kompilatoren das Originalgesetz CTh. 16.2.27 40 Jahre später nicht auffinden können. 298 Auf diesen offensichtlichen Fall geht auch Sirks (S. 154 f.) ein; doch was er in die Texte hineinlesen will, steht dort nicht: Maiumam, foedum adque indecorum spectaculum, denegamus, »den Maiumas, dieses schmuddelige und ungehörige Schauspiel, verbieten wir«, bedeutet laut Sirks angeblich, dass der Maiumas an sich legal bleibe, nur theatralische Aufführungen im Kontext des Maiumas verboten seien: »To say that CTh. 15.6.2 prohibits the feast, thus giving us a case of contradicting laws, is therefore not possible«. Doch angesichts des Hauptsatzes Maiumam … denegamus ist es vielmehr die von Sirks vorgeschlagene sprachliche Interpretation, die nicht möglich ist.

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als der Vater des Erblassers unerwähnt bleibt. Würde man auf solche kleinen Unterschiede abstellen, ließen sich in praktisch jedem längeren Titel mehrere Beispiele dieser Art finden. Die Behauptung von Huck (2012, S. 89), im Codex Theodosianus seien Dubletten und Widersprüche, anders als bei regelgerechtem Exzerpieren zu erwarten gewesen wäre, »extrêmement rares«, steht in krassem Widerspruch zur Evidenz. Wenn also eigentlich nichts für die Idee spricht, die Redakteure hätten global veraltete Konstitutionen aussortiert, welche Argumente bringen dann Sirks und Huck überhaupt für ihre Behauptung vor? Die These von Sirks scheint von einem eigenwilligen und klar falschen Verständnis von vis sanctionis in der Kompilatorenanweisung (→ S. 147217) abzuhängen: Wenn die Redakteure auf die vis sanctionis einkürzen sollen, bedeute das nicht »auf den Regelungskern«, sondern »auf die geltende Rechtslage« (Sirks, S. 151 f.). Er gibt weiter an, er sei zu dieser Interpretation »not just by chance« gekommen, sondern sie basiere auf seinen Arbeiten zu den corpora naviculariorum, »where we did not encounter any obsolete law«. Nun umfasst der Codex Theodosianus durchaus auch andere Themen, und so räumt Sirks zu Recht ein, dass seine Theorie »will in the end depend on actual research on the texts, as to whether they really contradict each other or not« (Sirks, S. 154); das ist methodisch richtig, und angesichts der oben zum beliebig gewählten Titel CTh. 4.6 angestellten Beobachtungen ist der Gegenbeweis bereits geführt. Nur in sehr seltenen Fällen untersucht Sirks selbst derlei Widersprüche, und dann wirkt seine Argumentation ausgesprochen ergebnisorientiert (→ S. 194298). Wie Sirks unter Beschränkung auf die Regelungen zu den corpora naviculariorum sehr globale Aussagen über den Codex Theodosianus macht, so geht auch Huck nur von einem besonderen Thema aus, nämlich dem spätantiken Bischofsgericht. Der dafür einschlägige Titel ist CTh. 1.27, De episcopali definitione. Dieser Titel ist besonders trümmerhaft überliefert – er fehlt im Breviar ganz, und wir wissen von seiner Existenz ausschließlich durch zwei Zitate in einer Handschrift, die jeweils mit lex de Theodosiano sub titulo XXVII de episcopali definitione eingeleitet werden; Mommsen hat diese beiden Zitate als CTh. 1.27.1 und 1.27.2 in seine Ausgabe gesetzt. Die Buchnummer basiert auf der Hypothese, dass von den fünf Büchern, wo dieser Titel verloren gegangen sein kann, thematisch am ehesten das erste in Frage kommt, und darauf, dass sich der entsprechende CI.-Titel in dessen erstem Buch befindet (als CI. 1.4). Die von Mommsen vergebenen Fragmentnummern 1 und 2 sind willkürlich – wir wissen nicht, wie viele weitere Exzerpte in diesem Titel standen. Nun ist die Handschrift, die diese beiden Fragmente überliefert, ausgerechnet diejenige mit den 16 Sirmondschen Konstitutionen; man kann die beiden Fragmente auch als Sirm. 17 und Sirm. 18 zählen (→ S. 4958). Jemand hatte also eine Sammlung vollständiger Konstitutionen vorliegen, von denen mehrere die episcopalis audientia betrafen; er reicherte diese Sammlung am Schluss mit zwei weiteren Fragmenten aus dem einschlägigen CTh.-Titel an. Man darf plausiblerweise vermuten, dass man die bereits vorliegende Zusammenstellung vollständiger Gesetze nicht mit dem Ex-

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zerpt einer Konstitution »ergänzt« hätte, deren ungekürzte Version ohnehin schon Teil der Sammlung war. 299 Mit anderen Worten: Wäre eine der Konstitutionen Sirm. 1 bis 16 nach CTh. 1.27 exzerpiert worden, hätten wir keine Möglichkeit, dies zu wissen. Das zweite Gesetz (Sirm. 18, d. h. unser CTh. 1.27.2 von 408) wird zudem in der Handschrift mit hoc validior, quia omnibus posterior kommentiert; man darf allein schon das omnes als Hinweis nehmen, dass eine Reihe weiterer Gesetze aus CTh. 1.27 verloren sind. Dafür spricht auch der entsprechende CI.-Titel 1.4, wo sich CTh. 1.27.2 als CI. 1.4.8 wiederfindet; CI. 1.4 bietet immerhin elf weitere Konstitutionen aus der Zeit vor 438. Auch wenn vielleicht nicht alle aus CTh. 1.27 stammen, so ist dies z. B. für CI. 1.4.7 unbedingt wahrscheinlich. All das ignoriert Huck. Tatsächlich glaubt er, die CTh.-Kompilatoren hätten bewusst nur genau die beiden Gesetze in den Titel gesetzt, die uns zufälligerweise überliefert sind (Huck 2009, S. 54)! Es handele sich um einen »titre idéal« mit nur zwei Gesetzen, das eine von Konstantin, dem christlichen Kaiser par excellence, das andere von Theodosius II., dem regierenden Kaiser. Wo dann wohl die Vorlage von CI. 1.4.7 (398, Honorius) im Codex Theodosianus gestanden haben könnte, ist eine Frage, die Huck schlichtweg übersieht. Im Codex Theodosianus findet sich kein Exzerpt von Sirm. 1 (womöglich stand es einst in CTh. 1.27 und fiel späterem Textverlust zum Opfer). Huck baut nun eine Argumentation auf der darin en passant gegebenen Bestimmung auf, dass der Bischof auch dann Richter sein kann, wenn eine von beiden Parteien dies nicht möchte. Dies widerspricht allem, was wir sonst über die episcopalis audientia wissen, und deswegen, so Huck, habe man das Gesetz bewusst nicht exzerpiert. Mit derselben Methode geht er (Huck 2012, S. 92–96) die weiteren weggelassenen Konstitutionen durch, entdeckt jeweils kleine Unterschiede zu im CTh. überlieferten Regelungen, erklärt diese zur Ursache des Ausschlusses und zieht das Fazit (S. 97): »il semble évident que leur absence n’est en rien due au hasard, mais bien plutôt à la volonté de certains compilateurs«. Aus der Tatsache, dass diese Idee in diametralem Widerspruch zum Kompilatorenauftrag steht, schließt Huck (2012, S. 88), dass dieser schlichtweg ignoriert wurde. Auf die zahlreichen Fälle von beibelassenen Widersprüchen im Codex Theodosianus geht Huck nicht ein und bietet keine Erklärung an, um seine These zu retten. 299 Huck (2012, S. 94) dreht das Argument um: »il est, tout d’abord, extrêmement peu

probable que la CS 3 ait été inscrite, à un moment ou à un autre, dans le titre I, 27 du Code, et ceci pour la simple raison que ce titre nous a, en fait, été transmis par le manuscrit des Sirmondiennes ; or, au sein de ce manuscrit, seules les CS 17 et 18 (aujourd’hui devenues nos CTh I, 27, 1 et I, 27, 2) sont signalées comme faisant partie du titre I, 27 du Code«. Huck glaubt also, der Kopist der Sirmondschen Konstitutionen hätte bei den vollständigen Konstitutionen unbedingt dazuschreiben müssen, in welchen Titel sie exzerpiert wurden! Die Idee ist a prori recht weit hergeholt und scheitert zudem unmittelbar daran, dass bei den zehn erwiesenermaßen exzerpierten Sirmondschen Konstitutionen auch nicht dabeisteht, dass sie für den Codex Theodosianus ausgeschlachtet wurden und wo ihre Auszüge zu finden sind.

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Auch lässt sich Hucks Methode mühelos falsifizieren, indem man die Gegenprobe mit den exzerpierten Sirmondschen Konstitutionen macht: So wurde aus Sirm. 4 u. a. das Fragment CTh. 16.9.1 exzerpiert (kauft und beschneidet ein Jude einen nichtjüdischen Sklaven, wird dieser frei), das in deutlichem Kontrast zum Regelungsgehalt von CTh. 16.9.2 steht (kauft und beschneidet ein Jude einen nichtjüdischen Sklaven, so fällt der Sklave an den Fiskus, der Jude wird hingerichtet). Wiederum gibt Huck keine Erklärung, wie solch ein Befund in seine Theorie einzubauen wäre. Neben Sirks und Huck argumentieren gelegentlich auch andere Gelehrte mit der Idee, dass Konstitutionen aus inhaltlichen Gründen ausgelassen wurden, ohne aber diese Vorstellung generell zu erläutern. So hat man bei Sirm. 3 von 384 behauptet, der Text sei aufgrund inhaltlicher Nuancen nicht exzerpiert worden. Laut Banfi (S. 174 f.) sei dies deswegen geschehen, weil Sirm. 3 im Widerspruch zu CTh. 16.2.12 von 355 und CTh. 16.2.23 von 376 stehe; so würden in Sirm. 3, anders als in CTh. 16.2.12, nicht nur Bischöfe, sondern auch andere Kleriker mit dem kirchlichen Gerichtsstand privilegiert. 300 Diese Argumentation überzeugt gar nicht: Nicht nur würde hier das neuere Gesetz zugunsten des älteren weggelassen – noch dazu ignoriert Banfi bei seinem Gedankengang, dass man Sirm. 15 von 411 (wo ebenfalls neben Bischöfen auch Kleriker privilegiert werden!) sehr wohl als CTh. 16.2.41 exzerpiert hat. Cimma (1989, S. 104 f.) wiederum erklärt die Auslassung von Sirm. 3 damit, dass dort – anders als in CTh. 16.2.12 von 355 – der privilegierte Gerichtsstand der Kleriker einer Einschränkung unterliegt (quantum ad causas tamen ecclesiasticas pertinet, »soweit es sich freilich um kirchliche Fälle handelt«). Auch hier gilt das zu Banfi Gesagte: Wiederum würde die jüngere Konstitution der älteren geopfert, und wiederum ist die inhaltliche Begründung leicht zu widerlegen, denn CTh. 16.2.23 und 16.11.1 – jeweils mit ähnlichem Vorbehalt wie Sirm. 3 – haben sehr wohl den Weg in den Codex Theodosianus gefunden.

Die Autoren, die von einem globalen Ausschluss veralteter Konstitutionen ausgehen, tun dies entweder unreflektiert (wie Banfi oder Cimma) oder ignorieren die große Masse des Materials bei gleichzeitig eigenwilliger Interpretation von Einzelfällen (so Sirks und Huck). Insbesondere Huck hat eine Tendenz, den Ausschluss von Gesetzen durch minimale Divergenzen zu erklären. So soll z. B. Sirm. 13 deswegen nicht exzerpiert worden sein, weil diese Konstitution nur einen knappen Schutzradius von 50 Fuß für das Kirchenasyl festlege, während nach CTh. 9.45.4 auch Baulichkeiten und Anlagen um die Kirche herum Sicherheit bieten sollen (Huck 2012, S. 96; wenn es um den Inhalt dieser Konstitution geht, sollte man übrigens vorzugsweise mit der ungekürzten Fassung – CN 400 – anstatt mit dem Exzerpt CTh. 9.45.4 arbeiten). Gegen seine Idee spricht aber nicht nur, dass es zahllose Beispiele für solche Widersprüche im Codex Theodosianus gibt, sondern auch, dass die Kompilatoren 300 Den angeblichen Widerspruch zwischen Sirm. 3 und CTh. 16.2.23 führt Banfi nicht

aus; mir jedenfalls sticht keine besondere Divergenz ins Auge.

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– wenn man schon annehmen will, dass sie bewusst ihren Auftrag verletzten – bei solchen kleinen Divergenzen einfach den Text hätten adaptieren bzw. kürzen können, anstatt die ganze Konstitution wegen eines Halbsatzes zu verwerfen (vgl. z. B. → S. 221). Richtet man sich nach dem Befund des Codex Theodosianus, so lässt sich a priori nur ein Bereich feststellen, in dem ganz offensichtlich ältere Gesetze im Widerspruch zur Kompilatorenanweisung fehlen: Obwohl zahlreiche Konstitutionen der divinisierten Kaiser Julian, Konstantius II. und Valens für den Codex Theodosianus ausgeschlachtet wurden, findet sich dort kein einziges Fragment dieser Kaiser, 301 das Heiden bzw. Homöer (→ S. 611) begünstigen bzw. Christen oder Nizäner benachteiligen würde (Delmaire I, S. 53). Konkret: Zwei der wichtigsten Privilegien, von denen die als katholisch angesehenen Kirchen seit Konstantin profitierten, waren ihre Erbfähigkeit (CTh. 16.2.4, → S. 587) als antike Vorform einer juristischen Person sowie die episcopalis audientia, d. h. die Tatsache, dass der Bischof als Richter fungieren konnte (Sirm. 1; CTh. 16.2.12; CTh. 1.27.1; Augustin ist uns in dieser Funktion bereits begegnet, → S. 22). Julian (epist. 114, p. 194.9–11) verweist darauf, dass die »Galiläer« (wie er die Christen zu nennen pflegt) beide Privilegien nun nicht mehr besitzen. Ferner kritisiert Ammian an Julian, dass er Christen untersagt hatte, als Lehrer zu wirken (Amm. 22.10.7, 25.4.20). Doch weder die julianischen Maßnahmen noch die später erfolgte Wiederherstellung des früheren Rechtszustands lassen sich im CTh. fassen. Dieser Aspekt von Julians Herrschaft scheint im CTh. bewusst ausradiert. 302 Wir wissen nicht, ob es eine heimliche Zusatzanweisung gab oder dieses Resultat vorauseilendem Gehorsam geschuldet war; eine heimliche Zusatzanweisung scheint aber glaubhafter (denn ansonsten wären kaiserliche Anordnungen bewusst und noch dazu in offensichtlicher Weise verletzt worden). Wenn dem aber so war, lässt sich unmöglich ausschließen, dass es nicht auch 301 Mit CTh. 16.1.4 (teilweise, aber ohne die spannende Passage, noch einmal exzer-

piert als CTh. 16.4.1, dort mit dem falschen Ort Konstantinopel) gewährt Valentinian II. den Homöern Versammlungsfreiheit; aber das Gesetz favorisiert die Homöer nicht, sondern gewährt ihnen lediglich Duldung. Die Erklärung von Gaudemet (2000, S. 54), die Redakteure hätten den Text deswegen (versehentlich) exzerpiert, weil sie »n’ont pas mesuré la signification théologique du renvoi aux conciles de Rimini et de Constantinople (360)«, ist nicht überzeugend. Angesichts der Strafen, die im weiteren Text des Fragments Aufrührern angedroht werden, hätte auch der unaufmerksamste Redakteur verstehen müssen, dass es um womöglich problematische Häretiker geht. 302 Bezeichnenderweise meint auch Ammian (22.10.7), Julians Verbot sei obruendum perenni silentio, »mit ewigem Schweigen zu bedecken«.

die realität der sammlung

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noch andere inoffizielle Anordnungen gab; z. B. vermute ich dies (→ S. 201) für die Gesetzgebung gegen die Pelagianer (die sich nirgends im Codex Theodosianus fassen lässt). Freilich muss man unterscheiden: In den Fällen, die in meinen Augen bestätigt erscheinen, wurde ein ganzer Bereich der Gesetzgebung unterdrückt; es geht also nicht um das Entfernen einzelner veralteter Gesetze.

f)

Ausgeschieden, da das generalitas-Kriterium nicht erfüllt war

Wenn das Nadelöhr tatsächlich die von mir favorisierte Variante generalitas ist, müssten sich die generalitas-Kriterien der Theodosianus-Redakteure heuristisch bestimmen lassen, indem man die vollständig überlieferten Konstitutionen mit dem Befund des Codex Theodosianus vergleicht. Beginnen wir mit den Sirmondschen Konstitutionen, die uns ein gutes Ausgangssample bieten: Von den 16 Konstitutionen wurden zehn für den Codex Theodosianus ausgeschlachtet, sechs hingegen finden sich im Codex Theodosianus, wie er uns überliefert ist, nicht wieder. Wenn man sich die zehn exzerpierten ansieht, stellt man schnell fest, dass sich in neun von zehn eine Publikationsaufforderung (Sirm. 2, 10) oder eine Weiterleitungsanweisung an sämtliche untergebenen Statthalter (Sirm. 4, 6, 11, 12) oder beides (Sirm. 9, 14, 16) findet. Manche (aber nicht alle) dieser Gesetze enthalten zudem Formulierungen hinsichtlich einer zeitlich unbeschränkten Gültigkeit (Sirm. 6: omni aevo mansura quae iussimus; Sirm. 11: oraculum … in omne aevum perpeti firmitate duraturum; Sirm. 14: praesentis legis aeternitate). Sirm. 15 bietet (nur) einen Hinweis auf die permanente Gültigkeit (Quapropter placitura omnibus legis aeternitate sancimus, »Deswegen verordnen wir mit jedermann willkommener Ewigkeit dieses Gesetzes, dass …«) – da freilich der Schluss von Sirm. 15 fehlt, kann man nicht ausschließen, dass dort nicht vielleicht doch noch eine Publikations- oder Weiterleitungsaufforderung stand. Geht man hingegen die sechs nichtrezipierten Konstitutionen durch, so fällt unmittelbar auf, dass keine einzige von ihnen eine Publikationsaufforderung oder Weiterleitungsanweisung enthält. In Sirm. 5, 7, 8 oder 13 gibt es überhaupt keinen Fingerzeig auf eine irgendwie womöglich intendierte generalitas, d. h., es fehlt nicht nur der Publikations-/Weiterleitungsbefehl, sondern es gibt auch keine Formulierung, die »ewige« oder (beispielsweise) »generelle« Gültigkeit proklamieren würde. Ewigkeitsvermerke enthalten allerdings Sirm. 3 (adque idcirco continua lege sancimus, »und deswegen verordnen wir mit einem kontinuierlich gültigen

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Gesetz«) und vor allem Sirm. 1 (hoc perpetua lege firmamus, »das bestätigen wir mit einem ewigen Gesetz«; Gravitatem Tuam et ceteros pro utilitate omnium latum in perpetuum observare convenit, »Deine Gravität und alle anderen müssen das, was zum Nutzen aller Menschen erlassen wurde, auf ewig einhalten«). Doch sofern diese beiden Konstitutionen in den Codex Theodosianus exzerpiert wurden, 303 könnten sie durchaus erst später verloren gegangen sein, da beide die Rechtsprechung durch Bischöfe betreffen und daher möglicherweise im lückenhaft überlieferten Titel 1.27 standen (→ S. 195). Ausgehend von den Sirmondschen Konstitutionen haben wir also die Grundzüge eines ziemlich einfachen Modells gewonnen, das beschreibt, nach welchen Kriterien die Kompilatoren die generalitas einer aufgefundenen Konstitution feststellten. Eine Konstitution mit einem breiten Weiterleitungs- und/oder Publikationsbefehl wurde demnach automatisch als generalis angesehen. Möglicherweise reichte es auch aus, wenn stattdessen ein Hinweis auf eine permanente Gültigkeit gegeben war (wie beispielsweise oraculum in omne aevum duraturum o. ä.); das können wir aber noch nicht entscheiden, weil jede exzerpierte Sirmondsche Konstitution mit einer solchen Angabe ohnehin den Weiterleitungs-/Publikationsbefehl aufwies (bzw. der Schluss fehlt und deswegen keine begründete Entscheidung möglich ist). Weiter: Keine der Sirmondschen Konstitutionen verwendet eine Formulierung im Stile von generali lege sancimus o. ä., wie wir sie oft in den Novellen und auch gar nicht so selten im CTh. finden. Ich halte es für unvorstellbar, dass solche Formulierungen nicht als generalitas-Marker gewertet wurden, und sehe sie als gleichberechtigt an mit in omne aevum duraturum usw. (Man kann übrigens feststellen, dass in den valentinianischen Novellen, die man als leges generales interpretieren muss, regelmäßig ein autoreferenzielles edictalis lex steht, während in den theodosianischen Novellen, die leges generales darstellen sollten, dasselbe mit victura in omne aevum lex, lex perpetuo valitura o. ä. markiert wird). Neben den Sirmondschen Konstitutionen kennen wir neun weitere (mehr oder weniger) vollständig erhaltene Konstitutionen, von denen Fragmente im Codex Theodosianus enthalten sind (→ S. 219327). Sie ermöglichen (jedenfalls teilweise) eine Prüfung unseres Modells. Drei dieser Konstitutionen, nämlich Frg. Vat. 249, CN 400 und CN 422 (die beiden letztgenannten Texte in Grie303 Verschiedene Gelehrte behaupteten, Sirm. 1 sei eine Komplettfälschung; aber diese

Idee wurde nie mit ernsthaften Argumenten untermauert, und tatsächlich spricht sehr wenig dafür (vgl. Kaiser 2007, S. 338 f.).

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chisch erhalten), weisen Publikationsbefehle auf. Frg. Vat. 35 trägt an auffälliger Stelle (Frg. Vat. 35.7) den Hinweis cui legi deinceps cuncti parere debebunt, »diesem Gesetz müssen von nun an alle Menschen gehorchen«, aber keinen Publikationsbefehl. Daraus würde ich schließen, dass ein Gesetz, das zwar keinen Publikations- und/oder Weiterleitungsbefehl, dafür aber einen Hinweis auf permanente (bzw. generelle) Gültigkeit enthält, als generalis betrachtet wurde (was ja auch einem wörtlichen Verständnis von edictorum vires aut [!] sacra generalitas entspricht, → S. 139). Drei Texte sind zu lückenhaft, um als Basis für Argumente dienen zu können; mögliche generalitas-Marker würden in den Fassungen, die wir haben, ohnehin fehlen (DF 12 – eine Inschrift ohne Schluss; Frg. Vat. 37 – lückenhaft überliefert durch Palimpsest; Coll. Mos. 5.3 – keine vollständige Konstitution, sondern eine offensichtlich bereits gekürzte Fassung). Das Edictum de accusationibus weist zu viele Besonderheiten auf, als dass man aus ihm Schlüsse ziehen sollte. 304 Dass CN 324 – ein pragmatisches Reskript! – exzerpiert wurde, sehe ich als eindeutigen Kompilationsfehler an (→ S. 208). Wenn man die Gegenprobe machen und umgekehrt die vollständig erhaltenen Kaiserkonstitutionen durchsehen will, die keine Spur im Codex Theodosianus hinterlassen haben, steht man vor dem Problem, dass es derzeit keine vernünftige Edition gibt. Ich habe daher mit der Sammlung von Ingo G. Maier gearbeitet (→ S. 5059). Sie bietet weitere gut 100 Gesetze für die Zeit von 337 bis 437 (337 wurde als Startpunkt gewählt, weil bei konstantinischen Gesetzen die Gefahr zu groß ist, dass sie gar nicht erst aufgefunden wurden). Mit vier Ausnahmen – die wir gleich durchgehen – fügen sich all diese Texte in mein Modell: CTh.-Exzerpte fehlen, wenn die vollständigen Konstitutionen weder Publikations- noch Weiterleitungsbefehl tragen und sie auch keinen anderen generalitas-Marker aufweisen (d. h. keine Proklamation einer permanenten Gültigkeit oder keinen expliziten Ausweis als generalis o. ä.). Die vier Ausnahmen sind die folgenden: 1. In meinen Augen nur durch Absicht erklärbar ist die Auslassung von CN 350 (418) gegen die Pelagianer, mit klarer Publikationsanweisung. Dies 304 Sein inschriftlicher Text dürfte ein Edikt von Galerius sein (→ S. 222); das CTh.-

Gesetz (angeblich von Konstantin) enthält auffällige textliche Abweichungen, sodass wir nicht sicher sein können, wie der Ausgangstext wirklich aussah (→ S. 222). Zudem enthält der Text der Inschrift sogar einen Verteiler, wobei unklar ist, was da weitergeleitet werden sollte – wäre dieser Abschnitt in der Fassung, die die Kompilatoren kürzten, enthalten gewesen, hätte er ohne Weiteres als generalitas-Marker (miss-)verstanden werden können.

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wird dadurch bestätigt, dass sich kein einziges Fragment im Codex Theodosianus gegen die Pelagianer richtet (obwohl wir eine Reihe von Erlassen aus anderen Quellen kennen, vgl. Marcos); nicht einmal in der besonders langen Liste von CTh. 16.5.65 (→ S. 765) finden sie Erwähnung (CTh. 16.5.65 ist zwar ein östliches Gesetz, aber die westlichen Donatisten werden darin sehr wohl verdammt, obwohl sie zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes CTh. 16.5.65 von weitaus geringerer Bedeutung als die Pelagianer waren). 2. DF 106, die »Tavola di Trinitapoli« (um 370: Ruggeri, S. 813), bietet ebenso einen ganz ausdrücklichen Publikationsbefehl: Sublimitas Tua continuo innotescere omnibus faciat tam salutare decretum quippe cum ad perpetuitatem provisionis et gratiae celeberrimis in locis urbium singularum tabulis id [a]eris incidat, »Deine Sublimität soll den derart segensreichen Erlass allen permanent bekannt machen, insofern sie ihn zur Ewigkeit der Anordnung und Gnade an besonders volkreichen Stellen der einzelnen Städte auf Bronzetafeln einschneiden lasse«. Möglicherweise wurde der Text ins erste CTh.-Buch exzerpiert und ist als späterer Textverlust zu verbuchen (vgl. Ruggeri, S. 814); wenn nicht, handelt es sich um einen Kompilationsfehler bzw. um den Fall, dass ein Gesetz nicht aufgefunden wurde. 3. Ein Honorius-Gesetz von 418 (Epist. Arel. 8), das sich in der Collectio Arelatensis (einer im Frühmittelalter in Arles zusammengestellten Briefsammlung) findet, bietet zwar keinen Publikationsbefehl, aber immerhin mansura in aevum auctoritate decernimus, »wir ordnen mit ewiglich bleibender Autorität an«, und hätte damit nach den von mir vermuteten Kriterien gesammelt werden müssen. Es richtet sich (nur) an den gallischen Prätoriumspräfekten und trifft lokale Regelungen für Gallien, was freilich seiner generalitas nicht im Wege steht (→ S. 154). Auch hier gilt das eben Gesagte: Wenn nicht sein Exzerpt später im ersten CTh.-Buch verloren ging, ist das Fehlen regelwidrig und muss sich als Kompilationsfehler oder durch mangelnde Auffindbarkeit erklären. 4. Eine weitere mögliche Auslassung betrifft ein angebliches Gesetz des Honorius von 417 (Sirm. 19, → S. 4958) mit eindeutigem Weiterleitungsbefehl (ad notitiam omnium ordinariorum iudicum facias pervenire, »lass dies der Kenntnis aller ordinarii iudices zukommen«). Freilich ist manches an diesem Text verdächtig: Dies fängt mit der merkwürdigen Textüberlieferung an (nur in einer Handschrift, Paris. lat. 1564, zusammen mit kirchlichem Material). Der Text ist viel zu kurz für eine vollständige Konstitution, trotzdem umfasst er einen typischen Einstieg (inter publicas

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necessitates etiam hoc ad Nos voluimus pertinere) und einen typischen Schluss (Vale, Constanti parens carissime atque amantissime Nobis). Die Weiterleitung an die ordinarii iudices (statt an die iudices) ist völlig ungewöhnlich. Die Subskription mit regestum ist fast (regesta in CTh. 11.28.14 von 423) ohne Parallele in einer antiken Konstitution. Kurzum: Die Authentizität dieser Konstitution scheint sehr fraglich. Angesichts dutzender von Kaisergesetzen, die zu meinem Modell passen, erscheint mir die Zahl von drei bis vier Gegenbeispielen gering. Keines dieser vier Gegenbeispiele ist völlig unerklärlich, und es gibt keinen Grund, apriorisch die Möglichkeit (seltener) Fehler auszuschließen. Wenn der empirisch arbeitende Naturwissenschaftler eine Kurve durchs Streudiagramm legt, dann will er möglichst viele Werte auf plausible Weise deuten. Seltene Ausreißer wird man in einer nichtidealen Welt unmöglich vermeiden können. Ausführliche Gedanken über das Fehlen verschiedener vollständiger Konstitutionen hat sich auch Sargenti gemacht. Was die Einzelinterpretationen angeht, handelt es sich um eine kluge und sorgfältige Arbeit. Aber zwei grundlegende Probleme untergraben seine Resultate: Erstens vermisst Sargenti mehrfach Konstitutionen, deren Fragmente – wären sie exzerpiert worden – man höchstwahrscheinlich in die Bücher 1–5 gesetzt hätte; aus ihrem Fehlen sollte man nichts ableiten, da es sich leicht um späteren Textverlust handeln könnte (→ S. 179). Zweitens sagt Sargenti nie explizit, welche Sammelkriterien er den Kompilatoren konkret zuschreibt. Zwar gibt er an, generalitas definiere sich nach formalen wie auch nach inhaltlichen Kriterien, führt dies aber nicht weiter aus (Sargenti, S. 388). Er stellt immer wieder fest, dass viele der gesammelten Texte angeblich keine generalitas besitzen (S. 388, S. 390), 305 während umgekehrt Texte mit generalitas vermeintlich fehlen (S. 380 f.). 306 Seine Argumentation kann man aber nicht nachprüfen, weil er bei jedem besprochenen Text offenbar willkürlich (d. h. ohne jedes erklärte Kriterium) entscheidet, ob er nun generalis sein müsse oder nicht. Anhand von Sargentis Bemerkungen kann man rekonstruieren, dass sich sein tatsächlicher generalitas-Begriff rein auf den Inhalt beschränkt (»so ein wichtiges Gesetz fehlt«, »so ein unwichtiger Einzelfall ist aufgenommen«), d. h., dass generalitas für ihn – anders, als er selbst behauptet – keinen formalen Aspekt hat. 305 Etwa die exzerpierte Konstitution nach dem Fall von Eutrop, die man nicht verall-

gemeinern könne (→ S. 209; Sargenti, S. 388 f.). 306 So das Konstantin-Privatreskript an Agrippinus, das später anscheinend als verbind-

lich angesehen wurde (→ S. 35).

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Sargenti stellt eine sehr hohe Anzahl von Verstößen gegen seine eigenen impliziten, diffusen Kriterien fest und schließt daraus (Sargenti, S. 398), dass sich die Kompilatoren nicht an ihren Auftrag gehalten haben. Ich würde aus Sargentis Befund – nämlich dass sich keine Korrelation zwischen wahrgenommener Wichtigkeit und Aufnahme in den CTh. zeigt – im Gegenteil schlussfolgern, dass das generalitas-Kriterium ein weitgehend formales gewesen sein muss. Das erscheint a priori ohnehin plausibler: Für den Codex Theodosianus wurden ungefähr 3.000 Konstitutionen exzerpiert. 307 Wir können kaum seriös abschätzen, wie viele Konstitutionen die Exzerptoren lesen mussten, um ihre Aufnahmeentscheidung zu treffen. Zöge man die Sirmondschen Konstitutionen zum Vergleich heran, dann käme noch einmal die Hälfte als Ausschuss hinzu; nimmt man hingegen Ingo G. Maiers Extracod-Sammlung für die Zeit zwischen 337 und 437 als Ausgangsbasis, dann wären die Redakteure mit achtmal so viel Ausschuss wie zu exzerpierenden Konstitutionen konfrontiert gewesen! Nimmt man die Länge einer typischen vollständigen Konstitution mit rund 4.500 Zeichen an (vgl. → S. 51), d. h. mit ungefähr einer Word-Seite, wird unmittelbar begreiflich, dass allein die Durchsicht dieser Textmasse eine monumentale Aufgabe dargestellt hat. Angesichts dessen liegt eine schnelle Auswahl nach formalen Kriterien erheblich näher als eine zeitintensive nach inhaltlichen; zudem hätte ja die inhaltliche Analyse immer noch im zweiten Schritt, für den ursprünglich geplanten »Codex Theodosianus« (→ S. 142), erfolgen sollen. Leider kann man aus mehreren Gründen nicht prüfen, wie sich das gewonnene generalitas-Modell mit den indirekt bezeugten, aber im Codex Theodosianus fehlenden Gesetzen vereinbaren lässt. Dazu bräuchte man zunächst eine saubere Liste aller anderweitig erwähnten Konstitutionen; 308 unter die307 Sirks (S. 85) gibt 2.700 an, aber seine Berechnung ist im Einzelnen nicht nachvoll-

ziehbar (→ S. 172262). Honoré 1986, S. 165 mit Anm. 20, nennt 2.529 als Zahl der Ausgangskonstitutionen – angesichts des auf die Einerstelle exakten Werts berücksichtigt er offenbar nur die erhaltenen CTh.-Fragmente. Wenn wir davon ausgehen, dass wir 80 % des CTh. kennen und man wirklich 2.529 (Honoré) oder 2.307 (Sirks, S. 84) Ausgangskonstitutionen zugrunde legen darf, so wird man wohl von rund 3.000 ausgewerteten Quelltexten ausgehen dürfen. 308 Man könnte sogar noch einen Schritt weitergehen und nicht nur auf eindeutig belegte Gesetze abstellen, sondern auch auf das angewandte Recht. Freilich wird dann die Angelegenheit im Einzelnen immer unsicherer: Beispielsweise wird uns ständig berichtet, wie Manichäer verbannt werden – und das lange Zeit, ehe das erste uns bekannte Gesetz Manichäer überhaupt mit dem Exil bedroht (→ S. 485). Könnte hier ein Gesetz fehlen? Oder sprachen die Richter Verbannungsurteile aufgrund eigener Machtvollkommenheit (coercitio) aus?

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sen müsste man wiederum diejenigen markieren, die in Buch 1 bis 5 (oder in sonstige bekannte Lücken) gehören würden, da sich ihr Fehlen möglicherweise anders als durch den Kompilationsprozess erklärt. Ebenso wäre bei den konstantinischen Gesetzen in Rechnung zu stellen, dass ihre Abwesenheit ohne Weiteres auf Nichtauffindbarkeit zurückgehen könnte. In den CodexTheodosianus-Fragmenten werden rund 70 Gesetze erwähnt, die sich dort nicht wiederfinden. Sirks (S. 85, S. 140) kam auf diese Zahl, indem er die »not extant«-Anmerkungen in der Pharr-Übersetzung abzählte. Ich kenne keine vollständige 309 Liste dieser zitierten und verlorenen Gesetze, die zudem um literarisch bezeugte Gesetze zu ergänzen wäre. Auch sind womöglich Dubletten zu befürchten (sofern Sirks wirklich nur sämtliche »not extant«-Fußnoten zählte und dabei Verweise, die sich plausiblerweise auf dieselbe verlorene Ausgangsregelung beziehen sollten, nicht ausschied). Doch selbst wenn man diese Liste hätte, käme man kaum weiter: Da meine generalitasHypothese rein formale Kriterien postuliert, kann man diese eigentlich nur an den Ausgangstexten selbst prüfen. Denn ein inhaltlich sehr wichtiges Gesetz muss nicht zwangsläufig eine Formulierung aufweisen, die ex post als generalitas-Marker verstanden wurde. Schließlich waren die Gesetze im Ausgangsmaterial des Codex Theodosianus ja gültig unabhängig davon, ob der erlassende Kaiser (z. B.) einen Publikationsbefehl gegeben hatte oder nicht. Erst nachträglich, bei der Kompilation, wurde daraus ein wichtiges Kriterium, um ihre dauerhafte Gültigkeit festzustellen. Was ich damit sagen will: Ein Gesetz, das einem späteren Kaiser so bedeutsam (und generell?) erschien, dass er darauf in seiner eigenen, für den Codex Theodosianus exzerpierten Regelung Bezug nahm, war womöglich für den CTh.-Redakteur seinerseits – aufgrund eines fehlenden Markers – keineswegs generalis. Das alte Gesetz wäre übergangen, die Bestätigung hingegen exzerpiert worden. Nehmen wir wiederum die Konstitution als Beispiel, die Augustin als Vorlage für ein neues Gesetz gegen Sklavenhändler nehmen wollte (→ S. 22). Honorius hatte sie an den Prätoriumspräfekten Hadrian geschickt, d. h., sie war zum Zeitpunkt der Kompilation nicht einmal eine Generation alt, und Augustin selbst erwähnt ja, dass Alypius sie eigentlich problemlos in Rom finden müsste. Wie kann so ein Text im Codex Theodosianus fehlen? An der Auffindbarkeit kann es nicht liegen, und dem Inhalt nach wird er kaum in die ersten fünf Bücher exzerpiert worden sein. Nun lautet bezeichnenderweise einer der Wünsche des Augustin bezüglich der neuen Konstitution (→ S. 600) folgendermaßen: et necesse est ad eos309 Für den Zeitabschnitt 379–455 allerdings zu finden bei Honoré, S. 146 Anm. 258.

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dem comprimendos hanc legem in publicum fortasse proferri, »ferner muss man, um ihnen [den Händlern] Einhalt zu gebieten, dieses Gesetz vielleicht öffentlich bekannt machen«. Möglicherweise darf man die vorsichtige Formulierung (fortasse) und die Tatsache, dass Augustin eigentlich nur Dinge anmerkt, die er beim neuen Gesetz anders haben will, als Hinweis darauf deuten, dass das Gesetz des Honorius keinen Publikationsbefehl enthalten hatte. Eine gewisse Möglichkeit zur Prüfung dieser generalitas-Definition besteht in einer Analyse der posttheodosianischen Novellen, die ich an anderer Stelle ausführlich vorlegen werde. Natürlich wurden die Novellen nicht für den Codex Theodosianus exzerpiert (und die Codex-Iustinianus-Exzerpte, die nach anderen Vorgaben erstellt wurden, sind für unsere Fragen irrelevant), aber man kann immerhin überprüfen, inwieweit die drei oben gegebenen Kriterien korrelieren. Unter Ausschluss von Sonderfällen (Kaiseredikten, Orationes, Aufhebungen usw.) und verstümmelten Texten (bei denen sich nicht sagen lässt, ob relevante Informationen im z. B. verlorenen Schluss enthalten waren) lassen sich durchaus bemerkenswerte Zusammenhänge konstatieren: Erstens finden sich (mit einer Ausnahme) keine Weiterleitungsbefehle mehr, sondern nur noch Publikationsaufforderungen. 310 Zweitens zeigt sich eine starke Korrelation zwischen (i) Publikationsaufforderung, (ii) dem Selbstausweis als generalis/edictalis und (iii) ausdrücklichen Hinweisen, dass ein Gesetz auf immer (z. B. in aevum/in aeternitate/perpetuo/iugiter/semper) gelten soll (z. B. valitura/victura/mansura/duratura); dem steht umgekehrt eine sehr starke Korrelation zwischen der Selbstbezeichnung als »pragmatisch« und dem Fehlen einer Publikationsaufforderung gegenüber. 311 Das lässt auf ein Schema zweier Typen von Kaiserbriefen schließen, die also entweder generalis oder »pragmatisch« sind. Was generalis ist, soll dauerhaft gelten und veröffentlicht werden, was »pragmatisch« ist, ist eine Einzelfallregelung, für die keine Publikation vorgesehen ist. Eine pragmatica muss dabei keineswegs ein Reskript sein – ja, genau genommen scheint es sich bei keiner einzigen der Pragmatiken unter den Novellen um ein Reskript zu handeln! –, 312 aber jede dieser Pragmatiken ist ausnahmslos eine Einzelfallregelung. Es lassen sich ferner interessante Unterschiede hinsichtlich der gesammelten Novellen feststellen (die ja auf unterschiedliche antike Zusammenstel310 Bei den Sirmondschen Konstitutionen waren die Weiterleitungsbefehle sogar häufi-

ger (→ S. 199). Die einzige Ausnahme unter den Novellen ist Nov. Marc. 3, Celsitudo igitur Tua haec, quae per hanc pragmaticam legem sanximus, rectoribus provinciarum declarare non differat, »Daher soll Deine Celsitude keine Zeit verlieren, den Inhalt unserer pragmatica lex [!] den Provinzstatthaltern zu übermitteln«. 311 Die einzige echte Ausnahme ist Nov. Marc. 2; Nov. Marc. 3 (in der vorhergehenden Fußnote) verbindet die Selbstbezeichnung pragmatica mit einer Weitergabeaufforderung (aber keinem Publikationsbefehl). 312 D. h., weder wird je rescriptum autorefenziell gebraucht noch weist der Text die Charakteristika eines Reskripts auf (also Antwort auf eine consultatio in einem konkreten Gerichtsfall; oder Privilegierung einer Privatperson o. ä.).

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lungen zurückgehen): Während z. B. alle Theodosius-Novellen klar generalitas aufweisen, gibt es unter den Valentinian-Novellen gleichermaßen solche mit generalitas als auch ohne (d. h. Pragmatiken). Auch finden sich (nur) in der Valentinian-Sammlung zwei generelle Konstitutionen zusammen mit ihrer vollständigen Aufhebung (Nov. Val. 7.1 f. sowie Nov. Val. 8.1 f.). Beide Beobachtungen beweisen, dass der Zusammensteller der Valentinian-Novellen offenbar eine Codex-Theodosianus-artige Vollständigkeit erreichen wollte, die nur den Gelehrten, nicht den Praktiker, interessieren konnte.

Einen Teilaspekt kann mein Modell derzeit allerdings nicht erklären, nämlich die Kriterien, nach denen Kaiseredikten bzw. Orationes generalitas zugeschrieben wurde. Denn Publikationsbefehle erscheinen nur in Kaiserbriefen, bei Kaiseredikten werden sie allenfalls in Begleitschreiben gegeben (→ S. 4753), bei Orationes haben wir keine Anhaltspunkte hinsichtlich einer möglichen Veröffentlichung. Gemäß der 426-Oratio besitzen Kaiseredikte und Orationes immer automatisch generalitas; das deckt sich aber überhaupt nicht mit unserem Befund, denn von den uns auf anderem Wege vollständig erhaltenen Orationes und Kaiseredikten wurde kein einziger Text (wiederum abgesehen vom Sonderfall des Edictum de accusationibus, das man jedenfalls nicht in seiner Ediktform verwertet hat) für den Codex Theodosianus exzerpiert. Dieser Verlust ist zu umfangreich, als dass man ihn durch späteren Textschwund o. ä. erklären könnte. Auch der Blick auf die Novellen – bei denen es sich ja womöglich um Gesetze handelt, für die generalitas intendiert war – hilft nicht. Unter den Novellen Valentinians finden sich drei Edikte (Nov. Val. 5, 9, 16), die jeweils autoreferenziell edictum im Text verwenden. Das entspricht den Kriterien der 426-Oratio, die ja selbst ein valentinianisches Gesetz ist; man kann davon aber kaum auf ältere, vorvalentinianische Gesetze rückschließen. Nur in Nov. Val. 16 (§ 1) findet sich ein Ewigkeitshinweis (in perpetuum, »auf ewig«). Wenn die anderen Valentinian-Edikte als generell intendiert sind (was nach Valentinians eigenen Kriterien nicht bezweifelt werden kann), ist bei ihnen die Korrelation zwischen generalitas und weiteren Hinweisen also schwach (freilich reicht ja laut Valentinian III. selbst die explizite Erwähnung des Worts edictum aus, sodass generalitas-Marker hier entbehrlich sind). Bei dem weiteren Edikt (Nov. Marc. 1) und den Orationes (Nov. Val. 1.3; Nov. Maior. 1) finden sich ebenfalls keine der Formulierungen, die bei exzerpierten Briefen auffallen. Kurzum: Ich weiß nicht, anhand welcher Kriterien die Kompilatoren bei Kaiseredikten und Orationes über die Aufnahme entschieden. In jedem Fall reichte der Typ allein nicht aus: Sonst wäre der Codex Theodosianus z. B. voll von Ehren-Orationes, wie wir sie aus den Inschriften (DF 60, DF 96, DF 99) kennen.

Machen wir nun die Gegenprobe und sehen uns die Texte an, die trotz (womöglich) mangelnder generalitas exzerpiert wurden. Unter den vollständig er-

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haltenen Konstitutionen sehe ich nur eine, die ungeachtet fraglicher generalitas exzerpiert wurde, nämlich CN 324, bei der aber auch manch anderes auf einen Sonderfall hindeutet. CN 324 wurde als CTh. 16.11.3 exzerpiert (→ S. 126). Die Originalkonstitution – die Aufforderung, die Collatio von 411 zu laden – enthält nichts, was man als generalitasMarker interpretieren könnte. Ganz im Gegenteil: Alle Beteiligten – vom zuständigen Würdenträger (Marcellinus: Coll. Carth. 3.38) über die katholische Seite (Augustin: Coll. Carth. 3.20.3) bis hin zur donatistischen (Montanus: Coll. Carth. 3.65.1; Emeritus: Coll. Carth. 3.37, 3.39, 3.49) – sehen darin explizit ein rescriptum; der zuständige Würdenträger Marcellinus gibt sogar klar zu verstehen, dass es sich um ein pragmaticum rescriptum handelt (Coll. Carth. 3.38). Zudem ist die exzerpierte Bestimmung banal, ja nahezu inhaltsleer. Merkwürdig ist der ganze Titel, in dem das CN-324-Exzerpt landete, nämlich CTh. 16.11, De religione. Das 16. Buch ist insgesamt der Religionsgesetzgebung gewidmet, d. h., unspezifischer als De religione kann ein Titel dort gar nicht heißen. Dieser 11. Titel ist der letzte, er wirkt appendixartig angesetzt. Er umfasst nur drei Fragmente, die man allesamt problemlos in tatsächliche Kategorien hätte einsortieren (CTh. 16.11.1 zur episcopalis audientia nach CTh. 16.2 oder CTh. 1.27; CTh. 16.11.2 ist das Begleitschreiben bzw. die Publikationsanweisung zum Edikt CTh. 16.5.38/16.6.3; CTh. 16.11.3 wäre in CTh. 16.1 gut aufgehoben gewesen) oder am besten gleich ganz hätte weglassen können (das gilt für CTh. 16.11.2 noch mehr als für CTh. 16.11.3). Ich würde spekulieren, dass am Ende der Kompilation die drei Fragmente übrig waren, gegen deren Aufnahme man sich ursprünglich entschieden hatte, und es irgendjemand reute, die Exzerpte zu entsorgen; diese Person verfügte nachträglich doch noch ihre Aufnahme, der lieben Vollständigkeit halber. Man wollte sie nicht mehr einsortieren (weil das Exemplar bereits geschrieben war?) und fügte sie als eine Appendix an CTh. 16 an, und zwar in einem neuen Titel, für dessen Bezeichnung man auf nichts Besseres als De religione kam. 313

Geht man von den CTh.-Fragmenten aus, zu denen uns die Vorlagen fehlen, so kann man sich der generalitas-Frage einerseits nach formalen, andererseits nach inhaltlichen Gesichtspunkten nähern.

313 Zu einer diametral entgegengesetzten Bewertung kommt Dovere (S. 98 f.): »In defini-

tiva, la prospettiva di fondo dei tre testi concentrati sotto la rubrica De religione sembra essere la medesima. … l’idea che grazie allo loro organica successione traspirava ora sul rapporto imperium-catholica lex si mostrava coerente e concludente; frutto intelligente dell’esperta selezione compilatoria, essa poteva degnamente apparire il modo migliore e contemporaneamente succinto per costituire il segmento terminale del Codex«. Obwohl Dovere die drei Fragmente auf nicht weniger als 30 Druckseiten bespricht, finde ich bei ihm kein einziges Argument, das diese enthusiastische Wertung absichern würde.

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Zunächst zu den inhaltlichen Kriterien. Es gibt zahlreiche Gesetze, deren generalitas für diejenigen, die an eine inhaltlich definierte generalitas glauben, nicht unbedingt naheliegt. Zum Beispiel haben wir mehrere Gesetze im Nachgang zum Fall großer Strippenzieher, so CTh. 9.42.14 (396, Rufin); CTh. 9.40.17 (399, Eutrop); CTh. 9.42.21 (408, Stilicho). Welche Relevanz konnten derlei Konstitutionen zum Zeitpunkt der Kompilation, also eine Generation später, noch haben? Eine einleuchtende Erklärung für ihre Aufnahme lässt sich aus CTh. 9.42.14 ableiten: Dieses Fragment aus dem Gesetz nach Rufins Fall weist einen Kompilationsfehler auf, denn die breite Publikationsanweisung wurde nicht entfernt (hoc edictis propositis per omnes provincias praecipimus divulgari, »wir ordnen an, dass dies durch Aushang von Edikten in sämtlichen Provinzen verbreitet werde«). Damit dürfen wir ohne Weiteres vermuten, dass der verantwortliche Redakteur zumindest in diesem Fall rein mechanisch vorging, was wiederum meinem Modell entspricht. Eine ähnliche breite Publikation darf man sich auch bei der Abrechnung mit den anderen grauen Eminenzen vorstellen, und es ist auch nicht abwegig anzunehmen, dass sich weitere, auf den ersten Blick inhaltlich verwunderliche Fälle so erklären, etwa die überlieferten Osteramnestien in CTh. 9.38 (die ja jeweils nur einmalig galten) oder CTh. 6.4.30, wo es um die Organisation der Geburtstagsfeierlichkeiten des Honorius geht. Bei diesen Anlässen liegt die Vermutung nahe, dass der Kaiser diese erfreulichen Nachrichten weithin veröffentlichen ließ. Die häufige Präsenz solcher Fragmente im Codex Theodosianus fügt sich gut in mein Modell einer formalen generalitas-Definition; postuliert man hingegen, dass sich generalitas nach inhaltlichen Kriterien bemaß, muss man sehr zahlreiche Kompilationsfehler annehmen. Das Modell einer formalen generalitas erlaubt auch eine Deutung, weswegen die beiden Osteramnestien in den Sirmondschen Konstitutionen (Sirm. 7, 8) nicht exzerpiert wurden, obwohl sich doch Fragmente anderer solcher Texte in CTh. 9.38 finden: Sirm. 7 und 8 enthalten keinen Publikationsbefehl und keinen anderen generalitas-Marker. Nun sind alle in CTh. 9.38 gesammelten Osteramnestien ausnahmslos westlich, die nicht exzerpierten Konstitutionen Sirm. 7 und 8 hingegen beide östlich. War es vielleicht üblich, dass Osteramnestien im Westen – anders als im Osten – Publikationsbefehle enthielten? Es gibt aber auch Fragmente, deren generalitas umgekehrt aus formalen Kriterien fraglich erscheint. Zwar gibt es im Codex Theodosianus keinen einzigen Text, der nachweislich (vgl. → S. 4342) aus einem Privatreskript exzerpiert wurde. Aber es gibt Briefe, die nicht an hohe Würdenträger gerichtet sind, sondern an Provinzialversammlungen, Kurien, Körperschaften, Per-

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sonenmehrheiten von Staatsbediensteten, 314 »die« Juden oder bestimmte Vertreter von ihnen, »die« Kleriker oder »alle« Bischöfe bzw. an einzelne Bischöfe, ja sogar an einen orientalischen Vasallenfürsten (CTh. 12.13.6; zum Rest vgl. Mommsen 1905, S. CLXIII-CLXV). Noch auffälliger sind die sechs Fragmente, die gar keinen Empfänger haben, sondern bei denen es sich um Auszüge aus Wortprotokollen handelt (→ S. 4242). Keinem der genannten Empfänger hätte der Kaiser die Anweisung geben können, die getroffene Regelung durch Edikte zu verbreiten; mehr noch, im Falle der Protokolle hätte es ja noch nicht einmal einen Empfänger gegeben. Dasselbe (d. h. die mangelnde Möglichkeit breiter Publikation durch Edikte) gilt natürlich auch, wenn rangniedrige Beamte als Empfänger erscheinen, etwa der defensor civitatis Seneca (CTh. 1.29.2). (Wenn man übrigens meinem Modell nicht folgen will und lieber mit den Kriterien der 426-Oratio arbeitet, muss man dennoch feststellen, dass diese Konstitutionen auch mit dem dort definierten generalitas-Begriff keinesfalls vereinbar sind.) Wer nun behaupten möchte, dass all diese Texte zu Unrecht für den Codex Theodosianus verwertet wurden und damit eine grobe Verletzung der Kompilationskriterien vorliegt, den wird man nicht falsifizieren können. Aber plausibel ist diese Vorstellung nicht: Insbesondere die Exzerpierung der Protokolle kann keinesfalls versehentlich geschehen sein, und die große Vielzahl von Fragmenten aus Briefen an nichtstaatliche Empfänger (die also nicht breit publizieren konnten) macht fortgesetzte Schlamperei als Erklärung zumindest unwahrscheinlich. Umgekehrt lässt sich eine recht einfache Erklärung geben, warum die Kompilatoren diesen Texten generalitas zuschrieben: Es dürfte sich um Dokumente handeln, die im Anhang eines Würdenträgerbriefs übermittelt wurden und von denen der Hauptbrief bestimmte, sie seien »auf immer« einzuhalten oder als generell anzusehen oder weithin zu verbreiten. Wenn sich der Hauptbrief selbst nicht für eine Exzerpierung eignete (z. B. weil er die Bestimmungen nicht genau oder alternativ zu weitschweifig wiederholte), könnte man sich ans beigefügte Dokument gehalten haben. So erwähnt Theodosius I. in CTh. 10.10.19 an die Stadtratsmitglieder von Alexandreia, er habe in ihrer Sache an den Prätoriumspräfekten geschrieben, worauf eine sehr knappe Inhaltsangabe des Präfektenbriefs folgt. Man muss sich nur vorstellen, dass die Kanzlei den Brief an den Stadtrat an den Präfektenbrief anhängte und ent314 CTh. 6.29.4 (ad agentes in rebus), 6.35.5 (ad universos palatinos), 14.1.4 (Exsuperan-

tio, Iulio et ceteris decurialibus); hierher kann man vielleicht auch CTh. 7.20.3 (ad universos veteranos) stellen.

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weder auf ihn verwies oder aber dieselben Bestimmungen so verschwurbelt wiederholte, dass den Redakteuren die Alternativfassung besser gefiel. Und Rescr. ad constit. (wohlgemerkt, ein Reskript, keine Konstitution – aber mir geht es nur ums Prinzip) bezieht sich ausdrücklich auf das angehängte Protokoll (subdita senatus amplissimi gesta testantur …, »das unten beigefügte Protokoll des Hohen Senats belegt …«). Wenn in ähnlichen Konstitutionen mit Anlage ebenfalls nicht immer der ganze Regelungsgehalt des Protokolls wiederholt wurde, sie also nicht allein verständlich waren, wäre den Kompilatoren gar nichts anderes übrig geblieben, als für die Exzerpierung auf den Protokolltext selbst zurückzugreifen. Fassen wir zusammen. Ausgehend von meinem heuristischen Ansatz würde ich den generalitas-Begriff der Exzerptoren wie folgt beschreiben: Kaiserbriefe werden für den Codex Theodosianus exzerpiert, (i) wenn sie eine Anweisung enthalten, die Regelung sei allen Menschen und/oder Statthaltern bekannt zu machen; (ii) oder wenn sie sich selbst als generalis o. ä. bezeichnen oder (iii) dauerhaft (in aevum, perpetuo …) gelten sollen. Nach welchen Kriterien Kaiseredikte und Orationes als exzerpierungswürdig eingestuft wurden, weiß ich nicht; klar ist aber, dass nicht automatisch jedes Kaiseredikt bzw. jede Oratio exzerpiert wurde. Diese heuristisch gewonnenen Kriterien überschneiden sich in gewissem Umfang mit den Kriterien der 426-Oratio: Der Publikationsbefehl und der explizite Ausweis als generalis sind beiden gemeinsam, und diese beiden Marker dürften die meisten Fälle abdecken. Unterschiede gibt es hinsichtlich Weiterleitungsaufforderungen (die nach der 426Oratio nicht ausreichen würden, nach dem Befund des Codex Theodosianus aber schon), Kaiseredikten und Orationes (die nach der 426-Oratio stets generalitas besäßen, was aber nach dem CTh.-Befund nicht für die Theodosianus-Redakteure gegolten haben kann), Formeln vom Typ »ewige Gültigkeit« (die in der 426-Oratio jedenfalls nicht explizit genannt werden) und Regelungen mit regionaler Gültigkeit (die nach der 426-Oratio nicht generell sein können, nach den CTh.-Kriterien aber sehr wohl).

2 Spitze des Eisbergs oder brauchbare Übersicht? Eine Frage, die unmittelbar an die Auswahl der Texte anschließt, ist grundlegend für jede Analyse spätantiker Gesetzgebung: Wenn wir einmal von den besonders lückenhaft erhaltenen CTh.-Büchern absehen – inwieweit stimmt das vom Codex Theodosianus ableitbare Bild mit der Realität der Rechtslage überein? So behauptet Huck mehrfach (und ohne nähere Begründung), dass

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uns extrem viele Texte fehlen (Huck 2009, S. 37 � 2012, S. 83), und was uns bleibe, sei »la seule partie émergente d’une sorte d’immense ‹ iceberg › législatif« (2009, S. 38 � 2012, S. 83). Träfe dies derart pointiert zu, wäre offensichtlich jeder Rückschluss von erhaltenen Fragmenten auf die tatsächliche Rechtslage unmöglich. Tatsächlich muss man differenzieren. Letztlich kann ja mehr oder weniger jede kaiserliche Verlautbarung als legislativer Akt angesehen werden, und sei es nur die abschlägige Antwort auf eine Privatpetition oder ein Brief an einen Würdenträger, irgendjemandem eine Statue aufzustellen. Nimmt man all diese administrativen Schreiben – von denen es unzählige gegeben haben muss – als Grundgesamtheit, dann kennen wir wirklich nur einen winzigen Bruchteil dessen, was es einst so gab. Freilich: Die ganz überwiegende Mehrheit dieser Texte dürfte für die allermeisten juristischen Fragestellungen irrelevant sein. Was ich hier theoretisch postuliere, lässt sich trefflich anhand von Ingo G. Maiers Extracod-Sammlung illustrieren. Sieht man sich diese Texte durch, so muss man feststellen, dass wir in der Tat nur einen winzigen Bruchteil davon als Fragmente im Codex Theodosianus wiederfinden. Andererseits kann man ebenfalls beobachten, dass tendenziell ausgerechnet die rechtlich gehaltvolleren Texte dorthin exzerpiert wurden. Das ist angesichts der Kompilationskriterien auch nicht weiter verwunderlich: Was wirklich wichtig war, statteten die erlassenden Kaiser mit Merkmalen aus (also breitem Publikationsbefehl oder explizitem Hinweis auf ewige Gültigkeit oder ausdrückliche generalitas), die später als generalitas-Marker interpretiert wurden. Wenn umgekehrt kein solcher Marker enthalten war, wenn also der erlassende Kaiser weder eine Publikation anordnete noch seiner Anweisung explizit besondere Geltung zuschrieb, dann intendierte er für sie wohl auch keine Bedeutung über den Moment hinaus. Trotzdem konnte auch eine solche Regelung später große Wichtigkeit erlangen: Es musste nur ein Interessierter ihrer habhaft werden, sie musste in Juristenkreisen zirkulieren und dann im Bottom-Up-Verfahren so lange vor Gericht eingebracht werden, bis irgendeine Richteranfrage beim Kaiser in einem generellen (bestätigenden oder widersprechenden) Gesetz mündete. In solchen Fällen fehlt uns zwar die ursprüngliche Regelung, aber das, was letztlich wirkungsmächtig wurde (nämlich das resultierende generelle Gesetz), ist uns sehr wohl erhalten. Überhaupt kommen uns die zahlreichen Bestätigungen zu Hilfe: Relevante Gesetze wurden in vielen Fällen früher oder später bestätigt, und wenn die Originalkonstitution untergegangen ist – sei es, weil ihr ein generalitas-Marker fehlte, sei es, dass die Kompilatoren schluderten, oder sei es aus

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einem anderen Grund –, so bleibt uns immerhin in vielen Fällen eine Bestätigung. Das mag zu chronologischen Missverständnissen führen (indem man die Bestätigung zu Unrecht als Ersterlass ansieht, → S. 130), aber zumindest dürfte der Bestand ungefähr gesichert sein. Oben (→ S. 185) haben wir gesehen, dass es zahlreiche Verlautbarungen gibt, die keine Spur im Codex Theodosianus hinterlassen haben. Aber das soll uns keinesfalls den Blick darauf verstellen, dass tatsächlich viele der Konstitutionen, die in zeitgenössischen Texten diskutiert werden, sehr wohl im Codex Theodosianus erscheinen, so etwa (um wahllos einige Beispiele herauszugreifen) das Zehnpfundgoldgesetz (→ S. 524), die antidonatistischen erbrechtlichen Sanktionen (→ S. 589), Valentinians Gesetz gegen erbschleichende Kleriker (→ S. 298), das Gesetz zur Überstellung von Angeklagten aus der Faventius-Affäre (→ S. 21), das vielfach erwähnte Gesetz, das Homöern Versammlungen erlaubte (CTh. 16.1.4, vgl. Matthews, S. 247), und viele, viele andere. Es darf also keinesfalls der Eindruck entstehen, der Verlust anderweitig erwähnter Gesetze sei die Regel. Freilich: Ohne eine Liste der bezeugten Konstitutionen lässt sich keine Statistik erstellen. Ich gehe davon aus, dass die Kompilatoren ihren Auftrag im Großen und Ganzen sorgfältig ausführten, sodass uns also im Wesentlichen (d. h. abgesehen von Textverlust und Versehen) das erhalten ist, was Theodosius II. für erhaltenswert hielt. Ich denke ferner, dass die generalitas-Definition, mit der die Kompilatoren arbeiteten, durchaus so beschaffen war, dass sie recht effizient die Spreu vom Weizen trennte und uns die wesentlichen Regelungen überlieferte. Uns mag nur ein winziger Bruchteil der antiken Kaiserbriefe erhalten sein, aber dieser winzige Bruchteil dürfte die Gesetzgebung der fraglichen Jahrzehnte in vernünftiger Weise abbilden. Oder, in anderen Worten: Ja, ist es sinnvoll, anhand der CTh.-Fragmente über spätantikes Recht zu arbeiten (wobei dies für Themen, die die Bücher 1–5 betreffen, nur eingeschränkt gilt).

3 Aufteilungsphänomene Die Kompilatoren hatten den Auftrag erhalten, den Regelungskern einer Konstitution auf verschiedene Titel zu verteilen, sofern dessen Inhalt für mehr als einen Titel einschlägig war (→ S. 143). Sie hielten diese Vorgabe weitgehend ein, freilich mit Ausnahmen: Gelegentlich wurde eine eigentlich gebotene Aufteilung versäumt (→ S. 143), umgekehrt wurde manchmal innerhalb desselben Titels aufgeteilt (dazu ausführlich Bianchini). Beispielsweise zerlegte man eine am 20. August 399 abgeschickte Konstitution in drei Teile, wovon

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man aber zwei (16.10.17, Duldung von Gastmählern, und 16.10.18, Verbot von Tempelzerstörungen) dann doch in denselben Titel (CTh. 16.10, De paganis, sacrificiis et templis, »Heiden, Opferungen und Tempel«) setzte. 315 Auch wurden etwa 16.7.4 und 16.7.5 (→ S. 735) ebenfalls derselben Konstitution entnommen, dann aber getrennt in denselben Titel (nämlich den Apostatentitel CTh. 16.7) gesetzt: Der erste Text schärft die erbrechtlichen Sanktionen gegen getaufte Apostaten ein, der zweite handelt von abgefallenen Würdenträgern, die (zusätzlich zur allgemeinen Bestrafung) ihre Stellung verlieren. Dieses Phänomen lässt sich auch etliche andere Male beobachten. 316 Wahrscheinlich hatten die Kompilatoren zunächst längere Konstitutionen in inhaltlich unterschiedliche Passagen zerlegt; man ging wohl ursprünglich davon aus, dass dafür verschiedene Titel geschaffen würden, aber letztlich wurden doch manchmal Passagen aus einer Konstitution in denselben Titel gesetzt (Bianchini, S. 247). Bianchini hat festgestellt, dass das Phänomen ausschließlich Gesetze bis 429 betrifft. Anscheinend arbeitete also die zweite CTh.-Kommission (→ S. 146) anders als die erste (Bianchini, S. 247–251). 317 Man kann sich vorstellen, dass der zweiten Kommission bereits eine feste Buch-Titel-Struktur zur Verfügung stand, sodass unmittelbar klar war, was wohin zu setzen war, während die erste Kommission zunächst einfach Gesetze zerlegte und sich dann erst Gedanken machte, welche Titel man überhaupt festlegen solle. Bei vielen der aufgeteilten Gesetze finden sich »Schnittmarken«, nämlich post alia am Anfang eines Fragments beziehungsweise et cetera am Ende. 318 Freilich ist dies keineswegs immer der Fall, 319 und umgekehrt gibt es Schnittmarken, zu denen sich kein dort anzufügendes Fragment im Codex Theodosia315 Das dritte Teilstück, das die Gerichtsbarkeit der Bischöfe behandelt, findet sich da-

gegen als CTh. 16.11.1 in einem anderen Titel. 316 Die Liste von Bianchini (S. 244 Anm. 22) ist sehr nützlich, aber (wie sie selbst an-

deutet: »in prima approssimazione«) unvollständig: So fehlt etwa das eben genannte Paar CTh. 16.10.17/18. 317 Diese Beobachtungen widerlegen auch die (ohnehin ganz spekulative) Idee von Matthews (S. 70 f.), die erste Kommission von 429 habe sich auf das Sammeln der Konstitutionen beschränkt, während erst die zweite von 435 »in earnest« Kürzungen vorgenommen und auf die Titel verteilt habe. 318 Was ich der Einfachheit halber »Schnittmarken« nenne, sind natürlich Auslassungsvermerke: post alia und et cetera (sowie ihre griechischen Äquivalente) begegnen auch außerhalb des Codex Theodosianus bei gekürzten Texten; für juristische Belege vgl. Volterra 1971, S. 1011–1015. 319 Wie Matthews (S. 145) fälschlich für Fragmente, die auf verschiedene Titel aufgeteilt wurden, behauptet; tatsächlich ist nur etwas mehr als ein Drittel der betroffenen Fragmente so markiert, vgl. Sirks, S. 155.

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nus findet (was sich aber mutmaßlich durch Textverluste des Codex Theodosianus erklärt, vgl. Maas, S. 653) oder an die kein weiteres Fragment anzusetzen ist. 320 Wenn also die Schnittmarken vorliegen, helfen sie beim Aneinanderfügen zusammengehöriger Fragmente; ihr Vorhandensein bedeutet aber nicht unbedingt, dass ein weiteres Fragment folgt, und ihr Fehlen beweist nicht, dass aus der Ursprungskonstitution nicht auch weitere Fragmente exzerpiert wurden. Ihnen liegen offensichtlich Inkonsistenzen beim Redaktionsprozess zugrunde. 321 Die Identifikation von verschiedenen Ausfertigungen desselben Gesetzes wird durch ein anderes Aufteilungsphänomen erschwert, nämlich durch die Dubletten (Honoré, S. 151 f.; Übersicht bei Gaudemet 1957, S. 255). 322 Im Fachdiskurs verwendet man den Begriff leges geminatae, der freilich ganz unterschiedliche Phänomene zusammenfasst (Gaudemet 1957, S. 262–264; Sirks, S. 157–162): (i) mehr oder weniger gleiche Ausfertigungen desselben Texts an unterschiedliche Empfänger, die wegen geringer inhaltlicher Nuancen nebeneinander aufgenommen wurden (→ S. 65); (ii) identische Passagen aus ein und derselben Ausfertigung, die aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit

320 Man vergleiche CTh. 16.8.5 mit Sirm. 4: Das CTh.-Fragment endet zwar auf et cetera,

ist aber selbst das letzte Stück, das der ungekürzten Konstitution Sirm. 4 entnommen ist; danach folgt nur noch die Weiterleitungsaufforderung. 321 Maas (S. 660) gab folgende Deutung: Zu jedem Fragment musste ja Inskription und Subskription der vollständigen Konstitution ergänzt werden. Anstatt beides sofort beim Zergliedern hinzuzufügen, markierten Redakteure womöglich nur das Fehlen durch diese Vermerke, und Schreiber sollten diese Angaben später ergänzen; dabei vergaßen diese Schreiber mitunter, die Vermerke zu entfernen. Ganz leuchtet mir die Idee nicht ein: Wie sollte man denn bei einem Fragment ohne Inskription und Subskription diese Angaben nachträglich noch ergänzen können? Es gibt doch kein anderes Kriterium, um ein Fragment X einer Konstitution Y zuzuordnen – sobald Inskription und Subskription einmal weggelassen sind, ist das Fragment verwaist. Ich würde daher eher an verschiedene Kompilatorenpersönlichkeiten denken, von denen die einen pedantischer vorgingen als die anderen und deswegen stets Auslassungen formell markierten. 322 Gaudemet 1957, S. 256, stellt fest, dass wir aus den ersten vier Büchern sehr wenige haben und fragt: »Faut-il en conclure que le travail fut plus hâtif après le livre IV et que l’on fit moins attention aux doublets, ou que l’importance des textes justifiait les répétitions plus fréquentes après le Livre IV ?«. Seine Wahl der Grenze mit Buch 4 ist merkwürdig, weil wir aus Buch 5 noch weniger Dubletten haben (nämlich keine einzige!). Die naheliegende Antwort ist, dass wir die ersten fünf Bücher des Codex Theodosianus bekanntlich zu einem Großteil nur in der Auswahl des Breviars besitzen (→ S. 179), dessen Redakteure sehr wenig Grund gehabt hätten, ausgerechnet Dubletten in ihre magere Sammlung zu übernehmen.

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zweimal in den Codex Theodosianus in verschiedene Titel ablegt wurden (etwa die Regelung, dass Apostaten kein testimonium leisten dürfen, was man sowohl nach CTh. 16.7, De apostatis, »Apostaten«, als auch, weiter verkürzt, nach CTh. 11.39, De fide testium et instrumentorum, »Beweiskraft von Zeugen und Urkunden«, einsortiert hat, → S. 143); 323 (iii) Bestätigungen, die ausnahmsweise mit wörtlichen Zitaten erfolgen; (iv) echte Kompilationsfehler. Wenn ein mehr oder weniger identischer Text demselben Empfänger zugeht, liegt der Verdacht eines Kompilationsfehlers nahe. Sehen wir uns drei Fälle aus der Heterodoxengesetzgebung an. Das erste Beispiel sind die beiden Texte CTh. 16.5.31 und 32, die hier ungekürzt wiedergegeben sind. Unterstreichungen markieren identische Textteile, Fettdruck minimal modifizierte: Auctores doctoresque Eunomianorum facinoris investigati clericique maxime, quorum furor tantum suasit errorem, e civitatibus pellantur extorres. Ne Eunomianorum tanta dementia perseveret, sublimis Magnificentia Tua omni studio auctores doctoresque Eunomianorum investigare festinet clericique eorum maxime, quorum furor tantum suasit errorem, de civitatibus pellantur extorres et humanis coetibus segregentur. CTh. 16.5.31 und 32 sind jeweils an den Prätoriumspräfekten Caesarius gerichtet, 31 am 21. April (XI kal. Mai.) 396, 32 am 22. April (X kal. Mai.) 396. Dabei ist 32 offensichtlich eine im Vergleich zu 31 weniger stark redigierte Fassung. Man kann spekulieren, dass zwei Redakteure unabhängig voneinander dieselbe Ausgangskonstitution in die Finger bekamen, sie unterschiedlich kürzten und die Dublette bei der Endredaktion durchrutschte, weil Eingangsworte und Datum der überarbeiteten Fragmente unterschiedlich waren (wobei die scheinbare Datumsdifferenz in lediglich einer Haste besteht). Das zweite Beispiel ist das Paar CTh. 16.5.51 und 56, jeweils wiederum vollständig zitiert. Oraculo penitus remoto, quo ad ritus suos haereticae superstitionis obrepserant, sciant omnes sanctae legis inimici plectendos se poena et proscriptionis et sanguinis, si ultra convenire per publicum execranda sceleris sui temeritate temptaverint. 323 Weitere solche Beispiele sind CTh. 12.1.24 und CTh. 6.22.2, ferner CTh. 16.1.4 und

CTh. 16.4.1, allerdings jeweils mit Unterschieden in der Textgestalt und abweichender Subskription.

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Sciant cuncti, qui ad ritus suos haeresi superstitionis obrepserant, sacrosanctae legis inimici plectendos se poena et proscriptionis et sanguinis, si ultra convenire per publicum exercendi sceleris sui temeritate temptaverint, ne qua vera divinaque reverentia contagione temeretur. Beide Fragmente sind jeweils an Heraclian, den Comes von Afrika, gerichtet, und zwar am 25. August – doch 51 im Jahr 410, 56 angeblich im Jahr 415. Das kann aber nicht sein, weil Heraclian im Jahr 413 rebellierte und noch im selben Jahr umkam (PLRE II, S. 539 f. s. v. Heraclianus 3). Beide Versionen müssen auf denselben Ausgangstext zurückgehen, der unterschiedlich gekürzt wurde, wobei sich die Varianten (hier fettgedruckt) ebenso gut durch textkritische Probleme wie durch redaktionelle Eingriffe erklären könnten. Wiederum werden wohl zwei Kompilatoren dieselbe Konstitution bearbeitet haben, die ihnen womöglich aus unterschiedlicher Quelle vorlag. 324 Bei Bestätigungen, die mit wörtlichen Zitaten arbeiten, kann das Ergebnis leider sehr ähnlich ausschauen. Ein Beispiel dafür, das wir später ausführlich besprechen werden, bieten CTh. 16.6.4 und 5, scheinbar jeweils am 12. Februar 405 an denselben Prätoriumspräfekten gerichtet, trotzdem ist aber wohl der eine Text eine spätere Bestätigung des anderen (→ S. 554). Wir würden womöglich erwarten, dass aus früheren, zu bestätigenden Bestimmungen wörtlich zitiert wird, anstatt immer neue Formulierungen für dieselben Regelungen zu finden. Tatsächlich lässt sich mitunter nachweisen, dass sich Gesetzesautoren von früheren Regelungen in ihren Formulierungen inspirieren ließen, aber trotzdem besaß man offensichtlich den Ehrgeiz und den Stilwillen, neue Texte zu schaffen, die aber dann doch zum Fastplagiat werden konnten. Ein letztes Beispiel soll dies verdeutlichen. Das ist § 1 von CTh. 16.5.25 vom 13. März 395 (→ S. 651): Eunomianorum vero perfidam mentem et nequissimam sectam speciali commemoratione damnamus statuimusque omnia, quae contra illorum vesaniam decreta sunt, illibata custodiri, illud addentes, ne quis memoratae sectae militandi aut testandi vel ex testamento sumendi habeat facultatem, ut sit omnibus commune damnum, quibus etiam communis est religionis

324 Weitere solche Beispiele sind CTh. 12.1.143 und CTh. 12.1.144 (identische Inskrip-

tion und Subskription, in unterschiedlicher Kürzung), CTh. 12.1.157 und CTh. 12.1.158 (identische Inskription, bis auf die Monatsangabe identische Subskription, in unterschiedlicher Kürzung).

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furor, cessante videlicet, si quid a patre Nostro quibusdam fuerat super testandi iure beneficio speciali concessum. Und das ist § 4 von CTh. 16.5.58 vom 6. November 415 (→ S. 673): Confirmatis itaque prioribus legibus, quae promulgatae sunt tam circa inhibendos conventus Eunomianorum quam etiam circa interdictas novissimas voluntates aut liberalitates, illud addimus, ut, si qui de Eunomianis speciali beneficio meruerant, ut eis testamenti factio indulgeretur vel donandi vel accipiendi ex largitate licentia tribuatur, priventur hoc beneficio et pares ceteris sint, quibus pares sunt in dogmatis pravitate. Beide Sätze laufen strukturell identisch: Zunächst wird festgelegt, dass die alten Gesetze weiterhin gelten sollen (wobei 58 einschränkt bzw. präzisiert, indem dort darauf verwiesen wird, dass es um Versammlungen sowie Erb- und Schenksanktionen geht). Dann kommt ein Nachsatz, eingeleitet mit einer flektierten Form von illud addere. Die Ergänzung hat den Inhalt, dass Spezialprivilegien einzelner Eunomianer pauschal für ungültig erklärt werden. Bei 25 geht es nur um das Testierrecht, bei 58 dann auch um das Schenkungsrecht (bei 25 konnte es dafür keine Spezialprivilegien geben, weil den Eunomianern im Jahr 395 das Schenken noch gar nicht verboten war). Die Ergänzung bietet zudem in beiden Texten die Begründung, dass alle, die dieselbe Häresie teilen, auch dieselben negativen Folgen erleiden müssen. Wer CTh. 16.5.58 formulierte, hatte also das zwanzig Jahre ältere Gesetz CTh. 16.5.25 zur Hand, modernisierte seinen relevanten Inhalt und formulierte teilweise neu. 325 Angesichts der enormen Zahl von Fragmenten des Codex Theodosianus sind die vergleichsweise seltenen Fehlsortierungen und Dubletten in meinen Augen ein guter Indikator, dass die Kompilatoren ihre Aufgabe weitgehend sorgfältig erledigten. Bei den Aufteilungsphänomenen muss man freilich immer genau hinschauen, denn sowohl Dubletten als auch Fehlsortierungen können sich auf ganz unterschiedliche Weise erklären: Im Fall der scheinbaren Dublette CTh. 16.5.25/58 handelt es sich nicht um einen Kompilatorenfehler, ebenso wenig wie z. B. bei der doppelten Einsortierung des Apostaten-Testimoniums.

325 Zu CTh. 16.5.58 und Honorés These vgl. → S. 680.

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4 Änderungen im Text Gemäß ihren Anweisungen sollten die Kompilatoren lediglich sinnvoll verkürzen und behutsam modifizieren, nicht jedoch verfälschend umschreiben (→ S. 148). Die große Masse der Urtexte der Kaiserkonstitutionen ist verloren, sodass wir das Vorgehen der Kompilatoren nur anhand einer winzigen Stichprobe prüfen können: Wir haben insgesamt 19 für den Codex Theodosianus exzerpierte Konstitutionen anderweitig überliefert, entweder im Original oder in einer vorlagennahen Ausfertigung (was allerdings Textverluste bzw. textliche Eingriffe in den längeren Fassungen nicht ausschließt). Von diesen 19 Konstitutionen finden sich zehn in der Sirmondschen Sammlung, 326 neun sind auf verschiedenen anderen Wegen überliefert. 327 Diese zehn Sirmondschen Konstitutionen sind mit Ausnahme von Sirm. 15 (dort fehlt der Schluss) vollständig, von den neun anderen sind sechs (weitgehend) vollständig (CN 324, CN 400, CN 422, Frg. Vat. 35, Frg. Vat. 249 und das Edictum de accusationibus, Edict. de accus.), einmal fehlt der Schluss (DF 12), in einem Fall handelt es sich um einen recht lückenhaft durch Palimpsest überlieferten Text (Frg. Vat. 37), und eine Konstitution ist in der uns vorliegenden Parallel-

326 Es handelt sich um die Nummern 2, 4, 6, 9–12, 14–16. Sirks (S. 239, ebenso in

Anm. 701) behauptet, elf, nicht zehn, Sirmondsche Konstitutionen seien exzerpiert worden, aber wenn man seine Belege durchsieht, merkt man, dass er Nr. 14 doppelt gezählt hat (nämlich als Nr. 14 und als Nr. 13). 327 Zwei epigrafisch (Edict. de accus. > CTh. 9.5.1; DF 12 > CTh. 1.16.8, ohne Schluss); drei unter den vatikanischen Fragmenten (Frg. Vat. 35 > CTh. 3.1.2; Frg. Vat. 37 > CTh. 10.17.1, diese zweite Konstitution sehr lückenhaft; Frg. Vat. 249 > CTh. 3.30.2, CTh. 8.12.1, Consult. 9.13 [ein Fragment, das als Herkunft den Codex Theodosianus angibt]); eine in der Mosaicarum et Romanarum legum collatio (Coll. Mos. 5.3 > CTh. 9.7.6, höchstwahrscheinlich ist auch die Collatio-Version bereits verkürzt); drei in verschiedenen Konzilsakten, wovon nur ein Fall einfach ist (CN 324 > CTh. 16.11.3); eine weitere Konstitution ist im griechischen Original überliefert, im Codex Theodosianus finden sich – singulär! – sowohl ein lateinisches als auch ein griechisches Exzerpt nacheinander (CN 400 > CTh. 9.45.4; vgl. dazu Stolte, S. 148– 150, S. 153 f.); im dritten Fall besitzen wir die vollständige Konstitution nur auf Griechisch, sie lässt sich dennoch sehr gut mit ihrem lateinischen Exzerpt vergleichen (CN 422 > CTh. 16.5.66). Diese Liste findet sich bereits bei Mommsen 1905, S. XXX, der zudem noch auf zwei Juliangesetze verweist, von denen sich ähnliche Versionen in dessen griechischen Briefen finden (epist. 136b > CTh. 9.17.5; epist. 75b > CTh. 13.3.4). Freilich ist der textliche Zusammenhang – allein schon aufgrund der unterschiedlichen Sprachen – nicht so eng, als dass sie sich für unsere Zwecke nutzen ließen (für einen Vergleich siehe Volterra 1971, S. 914 f., S. 917–920).

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fassung so knapp, dass sie wohl auch in dieser Textgestalt – wie man annehmen muss – verkürzt ist (Coll. Mos. 5.3). Vergleicht 328 man die vollständigen Konstitutionen mit den aus ihnen hervorgegangenen Theodosianus-Fragmenten, so stellt man fest, dass die meisten von ihnen in nachvollziehbarer Weise auf den rechtlichen Gehalt reduziert wurden (Sirm. 2, 4, 9–12, 14, 16, CN 324, CN 400, CN 422, Frg. Vat. 35, Frg. Vat. 249). Bei den nicht ganz vollständig erhaltenen Gesetzen lässt sich immerhin sagen, dass von dem erhaltenen Text nicht mehr hätte exzerpiert werden müssen (Sirm. 15, DF 12, Frg. Vat. 37, Coll. Mos. 5.3). Dieser Vergleich kann hier nicht im Einzelnen durchgeführt werden, weil die vollständigen Konstitutionen dafür viel zu lang sind; freilich ist diese Ansicht Konsens der Literatur 329 und lässt sich zudem anhand der Texte leicht selbst verifizieren. Damit bleiben nur zwei vollständige Konstitutionen, deren Exzerpierung regelwidrig erscheint, nämlich Sirm. 6 und das Edictum de accusationibus (Edict. de accus.), ein Edikt des Konstantin, Licinius oder, am ehesten, Galerius. Beide Texte haben gemeinsam, dass sie in Ausfertigungen vorliegen, die nicht mit den Vorlagen der CTh.-Fragmente identisch sind. Sirm. 6 ist uns bereits begegnet: Es handelt sich um das Gesetz, das bald nach der Machtübernahme des Valentinian III. die Religionsgesetzgebung neu organisierte und aus dem zahlreiche Fragmente in den Codex Theodosianus exzerpiert wurden (→ S. 65). Angesichts der Thematik sollten alle Exzerpte ins 16. Buch gehören, das vollständig erhalten ist, d. h., man wird hinsichtlich vermisster Passagen aus der Langversion nicht mit einem späteren Verlust argumentieren können. Freilich ist Sirm. 6 an den gallischen Prätoriumspräfekten adressiert, während sämtliche CTh.Fragmente an andere Empfänger gerichteten Ausfertigungen entstammen, deren Inhalt zum Teil nachweislich divergiert; man kann also nicht ausschließen, dass feststellbare Unterschiede bereits in den ursprünglichen Ausfertigungen enthalten waren (anstatt dass sie erst bei der CTh.-Exzerpierung entstanden). Relativ weit am Anfang fehlt der Ablativus absolutus his manentibus, quae circa eos sanxit antiquitas, »wobei weitergilt, was über sie [Kleriker] das Altertum verordnet hat«. Ich halte dies für eine berechtige Auslassung von Redundantem, während

328 Ausführlich für die Sirmondschen Konstitutionen bei Matthews, S. 129–165; Cimma

1995, S. 371–383; für Frg. Vat. 249 bei Volterra 1971, S. 1030–1033. 329 So Maas, S. 649, hinsichtlich der Sirmondschen Konstitutionen. Ebenso Honoré

1986, S. 161, »A comparison … confirms this policy of verbal fidelity. … The editorial policy was that of fidelity to the texts«. Cimma 1995, S. 372 f., stellt hinsichtlich der Nr. 2, 9, 11, 15, 16 dasselbe fest (»il testo presenta varianti minime«). Zu DF 12 in diesem Sinne Feissel, S. 222.

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Cimma 1995, S. 382, darin merkwürdigerweise eine substanzielle Veränderung sieht. 330 Ein ganzer Absatz fehlt, wonach Bischof Patroclus von Arles die pelagianischen Bischöfe zu versammeln habe, die, sollten sie die Rückkehr zum Katholizismus verweigern, aus Gallien zu verbannen seien. Der Verlust dieses Absatzes braucht niemanden zu verwundern, denn er betrifft die spezifische Situation in Gallien und fehlte daher nach aller Wahrscheinlichkeit in den anderen Ausfertigungen, die als Exzerpierungsgrundlage dienten (wovon eine andererseits mehr zur Situation in Rom bot: → S. 66). Wahrscheinlich haben die Redakteure diese Passage also nie gelesen, und wenn doch, hätten sie nachvollziehbaren Grund gehabt, diese Anordnung von lediglich tagesaktuellem Interesse wegzulassen. 331 Dagegen ist die dritte Weglassung (Cimma 1995, S. 382) schwer erklärlich: Iudaeis quoque vel paganis causas agendi vel militandi licentiam denegamus. Quibus Christianae legis nolumus servire personas, ne occasione dominii sectam venerandae religionis inmutent, »Ferner verbieten wir Juden und Heiden, als Advokaten oder in der militia zu wirken. Wir untersagen, dass diesen Gruppen Personen christlicher Religion als Sklaven dienen, damit sie nicht aufgrund ihrer Stellung als Herr die Zugehörigkeit zur ehrwürdigen Religion verändern«. Die Regelung ist nicht tagesaktuell; sie hat auch nicht mit spezifisch gallischen Fragen zu tun. Die Sätze unmittelbar davor und unmittelbar danach wurden exzerpiert (CTh. 16.5.64), d. h., man wird nicht argumentieren können, dass dieser Satz in einer längeren Passage mit Irrelevantem übersehen wurde. Es gibt drei Möglichkeiten: Erstens könnte die Passage aufgrund eines Kompilatorenfehlers verloren gegangen sein. In den Häretikertitel CTh. 16.5 hätte sie the330 Sirm. 6 bietet: Clericos etiam, quos indiscretim ad saeculares iudices debere deduci inf-

austus praesumptor edixerat, episcopali audientiae reservamus, his manentibus, quae circa eos sanxit antiquitas. Fas enim non est, ut divini muneris ministri temporalium potestatum subdantur arbitrio, »Auch die Kleriker, die der unselige Usurpator durch Edikt unterschiedslos den weltlichen Richtern hatte vorführen lassen, behalten wir dem Bischofsgericht vor, wobei weitergilt, was über sie das Altertum verordnet hat. Denn es ist nicht Recht, dass die Diener der göttlichen Liturgie dem Richtspruch weltlicher Würdenträger unterworfen werden«. In CTh. 16.2.47 fehlt nun der unterstrichene Teil. Cimma 1995, S. 382, schreibt dazu »il risultato complessivo finisce per essere completamente diverso, perché ne risulta una vigorosa affermazione del privilegium fori dei chierici, affermazione niente affatto contenuta in C.Sirm.6«. Aber diese Bestätigung ist sehr wohl in Sirm. 6 enthalten, und es ist schwer nachzuvollziehen, wie diese Auslassung zu einem Ergebnis führen soll, das »completamente diverso« sein soll. 331 Es lässt sich beobachten, dass öfters Bestimmungen nur aktueller Bedeutung weggelassen wurden. So fehlt etwa im Exzerpt von Sirm. 12, dass Honorius die Agentes in rebus Maximus, Julian und Eutych(i)us mit der Ausführung betraute. Zugegebenermaßen gibt es auch genug Gegenbeispiele (man denke etwa an die Behandlung des illegitimen Sohns des Licinianus, → S. 292); auch dies illustriert die unterschiedliche Kürzungstechnik der einzelnen Redakteure.

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matisch nicht gepasst, d. h., dass sie in CTh. 16.5.64 fehlt, ist korrekt. Kam dann möglicherweise das separat angelegte Exzerpt abhanden? Oder, zweitens, die Bestimmung fand sich nicht in der für den Codex Theodosianus exzerpierten Ausfertigung: CTh. 16.5.64 ist nämlich an den Comes rerum privatarum adressiert und, laut Matthews (S. 158) »omits the clause excluding Jews and pagans from the militia, as not falling within the competence of the comes rei privatae«. Freilich bietet CTh. 16.5.64 sehr wohl die Passage, wonach Heterodoxe auf Sichtweite von den Städten fernzuhalten seien, und Matthews ignoriert den naheliegenden Einwand, was denn dies nun mit den direkten Zuständigkeiten eines Comes rerum privatarum zu tun haben soll. Oder, drittens, die Passage wurde absichtlich unterdrückt, was ich nicht ausschließen möchte: Das Gesetz ist von 425, d. h. aus den letzten Jahren vor der Entstehung des Codex Theodosianus. Da ferner gilt, dass die jeweils jüngere Bestimmung im Codex Theodosianus Gültigkeit besitzt, wäre eine unerwünschte Regelung im Gesetz von 425 unmittelbar in Kraft. Nun ist es so, dass Theodosius II. den Juden das Hinzukaufen christlicher Sklaven verbietet, nicht das Eigentum an ihnen generell (CTh. 16.9.4 von 417; vgl. CTh. 16.9.5 von 423); es gibt sonst kein Gesetz, das Heiden das Eigentum an christlichen Sklaven untersagen würde; auch gibt es sonst kein Gesetz, das Juden von der Advokatur ausschließen würde (im Gegenteil: → S. 378). Wäre also Theodosius II. mit diesen Regelungen nicht einverstanden gewesen, hätte er zur Korrektur umgehend eine Novelle erlassen müssen; vielleicht wählte er die einfachere Alternative und ließ ausnahmsweise bei der Exzerpierung von den sonstigen Standards abweichen. Das Edictum de accusationibus (Edict. de accus.) – ein echtes Kaiseredikt – wurde in Griechenland und Kleinasien breit publiziert, wir kennen sieben verschiedene Inschriften (Feissel, S. 123, Nr. 11). Die epigrafische Version verrät keinen Autor, man hat verschiedene tetrarchische Kaiser – Konstantin, Licinius, Galerius – vorgeschlagen (Feissel, S. 183 f. mit Anm. 65; sowie vor allem Corcoran 2007, S. 232, S. 239 f.). Das Exzerpt im Codex Theodosianus (CTh. 9.5.1) hat die Form eines Briefs, den angeblich Kaiser Konstantin im Jahr 314 an den Stadtpräfekten Maximus schickt; Maximus war freilich erst fünf Jahre später im Amt (vgl. PLRE I, S. 590). Das Fragment steht im Titel zur lex Iulia maiestatis und umfasst zwei Abschnitte, nämlich zur Anklage wegen maiestas (der dort richtig einsortiert ist) und zur Anklage des Herrn oder Patrons durch eigene Sklaven oder Freigelassene (der separat nach Titel CTh. 9.6 hätte einsortiert werden müssen). Was fehlt, ist der einleitende Paragraf, wonach Ankläger sehr wohl im Grundsatz auftreten dürfen, allerdings mit schwerer Bestrafung im Fall einer Falschanklage rechnen müssen. In den exzerpierten Abschnitten sind Formulierungen adaptiert (z. B. wurde eiusmodi obiectus … quemquam … tueatur zu in huiuscemodi re convictus … quisquam … defendatur). Auch wurde die Änderung von illud quoque tormentis erui oporteat zu illum quoque tormentis subdi oportet durchgeführt: Anstatt Mitwisser mit der Folter in Erfahrung zu bringen, soll im Codex Theodosianus nur noch der Mitwisser selbst (der auf ungenannte Weise offenbar bereits entdeckt worden ist) gemartert werden. Man hat dies als bewusste rechtliche Aktualisierung des Gesetzes durch die Redak-

die realität der sammlung

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teure gedeutet (vgl. Corcoran, S. 190 Anm. 86); angesichts der anderen redaktionellen Eingriffe würde ich eher vermuten, dass ein Überarbeiter die Formulierung sprachlich missverstand (so Maas, S. 650) oder, eher, aufgrund von früheren Abschreibfehlern bereits in korrupter Form vorgelegt bekam und sie dann unglücklich korrigierte. Dafür spricht auch, dass es kein unmittelbar nachvollziehbares Motiv gibt, die an sich naheliegende Regelung zu entfernen: Warum sollte man darauf verzichten, weitere Verschwörer mit allen Mitteln zu enttarnen? Und wenn man dies doch tun wollte: Warum lässt man den Satz nicht einfach weg, anstatt ihn auf fragwürdige Weise umzuschreiben? Es ist völlig unklar, wann diese textlichen Änderungen durchgeführt wurden. Oft geht man ohne Weiteres davon aus, die Korrektur sei in die Zeitstufe der CTh.Redakteure zu setzen. Aber da diese beim Anpassen von Formulierungen sonst eher behutsam vorgingen, sollte man besser annehmen, dass bereits ihre Vorlage (irgendeine Sammlung konstantinischer bzw. in diesem Fall pseudokonstantinischer Konstitutionen) diese Abweichungen aufwies (vgl. Matthews, S. 263–270; Corcoran 2007, S. 242). Das Argument ist für meine Zwecke problematisch, da zirkulär (denn ich will ja gerade anhand von Textunterschieden überprüfen, ob die Redakteure sanft in die Vorlage eingriffen oder regelwidrig massiv). Freilich steht fest, dass die epigrafische Version ein Edikt, das angebliche CTh.-Exzerpt ein Brief ist; dass die epigrafische Version kaum von Konstantin stammen kann; und dass sich hinter den redaktionellen Änderungen in der CTh.-Version kein unmittelbar einleuchtendes inhaltliches Motiv feststellen lässt. All dies sind gute Gründe, die Modifikationen bereits in der von den Kompilatoren aufgefundenen Textversion zu vermuten. Der letzte Abschnitt des epigrafischen Edikts zu famosi libelli fehlt ganz; er hätte unbedingt in den vollständig erhaltenen Titel CTh. 9.34 gehört. Freilich stellt sich wiederum die Frage, ob die Vorlage der Theodosianus-Kompilatoren – die sprachlich offenbar deutlich überarbeitet war und zudem zumindest in der Inskription oder Subskription einen klaren Fehler aufwies – diesen Abschnitt überhaupt enthielt. Wie und wo diese Vorlage entstand, darüber kann man beliebig Vermutungen anstellen. 332

Man kann recht leicht im Selbstversuch Einblick in die Kürzungstechnik gewinnen: Wenn man sich eine der vollständigen, aber auch in exzerpierter Form bekannten Konstitutionen vornimmt und sie anweisungskonform bearbeitet (also Reduktion auf den Regelungskern möglichst ohne Umformulieren; Aufteilen, sofern verschiedene CTh.-Titel einschlägig sind), wird man – so 332 Nicht überzeugen kann die Idee, den CTh.-Brief mit einem der in der Inschrift er-

wähnten Würdenträgerbriefe (→ S. 74) zu identifizieren (Corcoran 2010, S. 116 [ursprünglich von 1993]; später aber wieder aufgegeben, vgl. Corcoran 2007, S. 241): Warum sollte dieser Brief solche textlichen Änderungen enthalten? Auch sollen die Briefe laut Inschrift zusätzliche Informationen bieten, was doch (mehr oder weniger weitgehende) textliche Identität ausschließen sollte.

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jedenfalls meine eigene Erfahrung – recht nahe an den CTh.-Versionen herauskommen. Bei der Bearbeitung zeigten die Redakteure unterschiedliches Engagement: Bei manchen Konstitutionen wurden nur Anfang, Schluss sowie klar irrelevante Passagen entfernt (etwa Sirm. 12 oder 14). Andere Konstitutionen fanden tüchtigere Bearbeiter, die auch noch einzelne überflüssige Halbsätze wegließen (etwa Sirm. 4 oder 16); 333 selten wurde weiter verkürzt, indem weitschweifige Teilsätze in präziser und bündiger Weise neu formuliert wurden (so gelegentlich Sirm. 4). 334 Eine Untersuchung der CTh.-Fragmente, zu denen keine vollständigen Versionen existieren, kann naturgemäß keinen fehlenden Regelungsgehalt entdecken; dagegen lassen sich aber mitunter nachlässige Exzerpierungen feststellen, bei denen Auszuscheidendes in die endgültige Fassung Aufnahme fand. Um nur drei Beispiele von sehr vielen zu nennen: Bei CTh. 11.1.1 oder CTh. 16.6.4 oder CTh. 6.23.4 § 2 a. E. ließe sich jeweils problemlos kürzen (für die jeweils erhaltenen, »überflüssigen« Teile müssen wir jedoch besonders dankbar sein, weil sie uns einen seltenen Ein333 Beim Kürzen konnten Nuancen auf der Strecke bleiben oder echte Fehler entstehen.

Ein solcher Fehler lässt sich im Exzerpt aus Sirm. 16 beobachten (→ S. 241). An anderer Stelle desselben Exzerpts findet sich eine gestraffte Passage aus Sirm. 16, die im Vergleich zum Original einen leicht modifizierten Regelungsgehalt aufweist. Mommsen (1905, S. CXX) sieht dies als bewusste inhaltliche Modifikation an; doch angesichts der erwiesenen Nachlässigkeit des zuständigen Kompilators würde ich auch in diesem Fall eher an gedankenloses Kürzen glauben wollen. 334 Fridh, S. 22, schreibt: »La Const. Sirm. 4 est résumée … sous une forme complètement remaniée«. Es würde zu weit führen, dies hier im Einzelnen zu diskutieren, aber wer Sirm. 4 mit CTh. 16.9.1 und 16.8.5 vergleicht, wird der Wertung Fridhs (jedenfalls, was das »complètement« angeht) kaum zustimmen können. Ebenso Cimma 1995, S. 373 f.; sie spricht von »uno sforzo per ›tradurre‹ in termini giuridici un linguaggio alquanto faticoso, … riformulare la norma con terminologia non enfatica e tecnicamente corretta«. Anders Matthews, S. 147: »[CTh. 16.9.1] partly reproduces Sirm. 4 verbatim, then proceeds by summary of its contents, but preserving or adapting phrases from the original, with consequent changes to the grammatical structure. … [CTh. 16.8.5] is an abbreviated version … but again preserves the sequence of thought and several expressions from the original«. Wenn wir hier nur kurz CTh. 16.9.1 mit dem Original vergleichen, so stellt man fest: Überflüssige Sätze wurden weggelassen. Aus dem quispiam Iudaeorum wurde das kürzere (!) quis Iudaeorum, aus circumcidere non perhorruerit das kürzere (!) circumciderit, aus circumcisus quidem istius statuti mensura libertatis conpos effectus eiusdem privilegiis potiatur das klarere, aber inhaltsgleiche minime in servitute retineat circumcisum, sed libertatis privilegiis, qui hoc sustinuerit, potiatur. Ein »vollständiges« Umschreiben betrifft nur diesen letzten Satz, nicht das ganze Fragment; und während der letzte Satz jetzt sehr viel klarer ist, ist er nicht unbedingt »juristischer« oder »technisch korrekter«.

gesetzeslage und realität

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blick in anderweitig Verborgenes bieten); offensichtlich machte es sich der zuständige Redakteur in diesen Fällen besonders leicht. Anders verhält es sich mit CTh. 11.36.20: Dort wird der Fall des abgesetzten Bischofs Chronopius geschildert, den ein Gericht aus 70 Bischöfen verurteilt hatte und der sich mit einer (regelwidrigen) Berufung beim Stadtpräfekten gegen den Schuldspruch zu wehren versuchte; Valentinian I. ließ ihn abblitzen und legte ihm vielmehr eine Geldstrafe zugunsten der Armen auf. Das Fragment endet folgendermaßen: Quod in hac causa et ceteris ecclesiasticis fiat, »Das soll in diesem Fall und auch sonst in klerikalen Fällen geschehen«. Eine redaktionelle Entfernung des Einzelfalls hätte diese allgemeine Regel unverständlich gemacht. Natürlich wäre es möglich gewesen, den Text so umzuschreiben, dass Chronopius gar nicht mehr vorkommt (»Wenn ein Kleriker vor einem Bischofsgericht steht und dann …«), doch wiederum zeigt sich die Scheu der CTh.-Kompilatoren vor Modifikationen am kaiserlichen Wort, die über das Belanglose hinausgehen. Anders das Vorgehen der CI.-Redakteure, die zwar den rechtlichen Gehalt nicht antasteten, aber den Chronopius ganz herausredigierten (CI. 1.4.2 = 7.65.4a).

Gesetzeslage und Realität Das vorliegende Buch ist ein rechtsgeschichtliches, kein historisches; insofern könnte eine der methodischen Hauptschwierigkeiten, der der Historiker (aber nicht der Rechtshistoriker) die Stirn bieten muss, unbeachtet bleiben: Inwieweit lassen sich normative Texte als Quellen für die historische Realität heranziehen? Dürfen wir davon ausgehen, dass erlassene Gesetze weitgehend in die zeitgenössische Wirklichkeit umgesetzt wurden, oder sollten wir sie besser nur als Quellen für die Aspirationen der kaiserlichen Regierung auffassen? Bei entsprechenden Diskussionen in der Forschungsliteratur geht es in erster Linie um die Frage, wie die häufigen Wiederholungen der bestehenden Gesetzeslage zu werten sind. 335 Da sich andere und bessere Erklärungen für derlei Bestätigungen anbieten (→ S. 124), scheint es wenig überzeugend, allein von der Zahl der Wiederholungen auf die Ineffizienz einer Regelung rückzuschließen. Ein anderer methodischer Ansatz bestünde in der Auswertung der Einleitungen vollständig erhaltener Konstitutionen. Aber inwieweit ist einer Tirade wie der folgenden (Sirm. 12) Glauben zu schenken? Compulsi igitur Donatistarum pertinacia, furore gentilium, quae quidem mala desidia iudicum, coniventia officiorum, ordinum contemptus accendit, necessarium putamus iterare quae iussimus, »Angesichts des Starrsinns der Donatisten und des Rasens der Heiden – die die böswillige Untätigkeit der Statthalter, die Kon335 Ausführlich mit zahlreichen Literaturverweisen bei Dillon, S. 156–159, insb. S. 157

Anm. 3 und 4; ferner Harries, S. 77–98.

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nivenz der Officia und die Missachtung durch die Stadträte anstachelt – halten wir es für erforderlich, unsere Verordnungen zu wiederholen«. Man muss diese Einleitungen fraglos mit einer gewissen Skepsis betrachten (vgl. → S. 5162). Tatsächlich wird die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegen; jedenfalls deuten darauf die nichtnormativen Texte hin. Bei der Faventius-Affäre ignoriert ein Beamter namens Florentin ein kaiserliches Gesetz beharrlich (→ S. 21); doch andere Würdenträger mussten schmerzhaft feststellen, dass solches Fehlverhalten zu sehr empfindlichen Strafen führen konnte (→ S. 366, → S. 520). Die Bedeutung der Donatisten ging nach dem Erlass massiver Gesetzgebung gegen sie innerhalb weniger Jahre mit großer Geschwindigkeit zurück (→ S. 584). Was die erbrechtlichen Sanktionen gegen Donatisten angeht (→ S. 589), erweckt Augustin nie den Eindruck, als habe es sich beim einschlägigen Gesetz um einen Papiertiger gehandelt. Unlängst hat Feissel (2017, S. 482 f.) die Effektivität einer sehr konkreten Regelung aufgezeigt: Im Jahr 368 wurde untersagt, einen defensor unter den Dekurionen auszuwählen, und in der Tat ist danach kein einziger solcher defensor mehr belegt. Andererseits sind die Klagen bei Libanios über Gesetze, die man endlich in Anwendung bringen müsste, Legion (Liste bei Wiemer 2011, S. 155 Anm. 134); freilich ist das vom antiochenischen Redner gezeichnete Bild insgesamt widersprüchlich (Wiemer 2011, S. 156). Die zahllosen Bitten an Kaiser um die Gewährung von Privilegien beweisen, dass die Bewohner des Reichs das Recht jedenfalls als nicht gänzlich ignorabel ansahen. Und trotz seiner schlechten Erfahrungen mit Florentin hat Augustin (allein oder zusammen mit den afrikanischen Bischöfen) noch mehrfach versucht, maßgeschneiderte Gesetze vom Kaiser zu erhalten. Ganz unabhängig davon, wie emsig nun lokale Würdenträger die kaiserlichen Vorstellungen in die Tat umsetzten oder auch nicht: Jedenfalls gehen Vorstellungen wie die von Bradbury (S. 137) an den antiken Realitäten vorbei: »These laws [es geht im Kontext um Opferverbote] are best regarded as moral proclamations designed to instruct and discipline society through a combination of exhortation and threat«. Denn solche Gesetze lagen schriftlich auch in Regionen vor, die durch monatelange Reisen von der kaiserlichen Zentrale entfernt waren. Wenn ein Kaiserbrief für ein Vergehen den Tod vorsah – woher sollte der Statthalter denn wissen, dass es sich bei dieser spezifischen Konstitution nur um eine »Mahnung und Drohung« handelte? Wie sollte ein Kaiser, der da angeblich nur eine »moralische Proklamation« hatte machen wollen, verhindern, dass ein pflichtbewusster Statthalter in einer fernen Provinz den Delinquenten anweisungskonform aburteilt und hinrichtet?

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Zur Sprache des spätantiken Kaiserrechts Das Verständnis der Codex-Theodosianus-Fragmente und überhaupt der spätantiken Kaiserkonstitutionen ist aus zahlreichen Gründen eine Herausforderung. Es ist klar, dass Kenntnisse im römischen Recht unabdingbare Voraussetzung sind. Doch selbst wer mit exzellenten Digestenkenntnissen an die Kaiserkonstitutionen herantritt, wird seine Schwierigkeiten haben. Zunächst einmal sind die ungekürzten Kaiserkonstitutionen typischerweise erstaunlich lang (→ S. 51). Man muss sich durch recht viel Text kämpfen, ehe man überhaupt zum Regelungskern kommt. Doch selbst wenn man bei diesem angelangt ist (oder von vornherein mit einem CTh.-Fragment arbeitet), muss man feststellen, dass der Text oft schwer verständlich bleibt, wofür es mehrere Ursachen gibt: Erstens sind wir mit nicht wenigen textkritischen Problemen konfrontiert, bei denen besondere methodische Herausforderungen zu beachten sind (→ S. 242). Zweitens wird selbst grundlegendes Vokabular wie velle oder potissimum in abweichender Bedeutung gebraucht (→ S. 236); drittens wird mit juristischem Fachvokabular nicht eben pfleglich umgegangen (→ S. 238), was sich einerseits aus einem unbedingten Streben nach lexikalischer Variation erklärt, andererseits offenbar auch aus juristischer Inkompetenz und Sorglosigkeit (die die Autoren der Kaiserkonstitutionen freilich nicht davon abhält, durch abusive Verwendung von Fachjargon den Anschein von Professionalität zu erwecken); 336 viertens ist selbst dann, wenn das Gemeinte schließlich verstanden ist, der Regelungsgehalt oft immer noch erstaunlich unbestimmt: Was genau soll denn z. B. eine gravis censio, eine »schwere Strafe«, sein, die leitende Manichäer treffen soll (→ S. 430)? 337 Fünftens gilt (was im Übrigen auch einige der vorgenannten Punkte zusammenfasst): Sprachliche Variatio, die Einhaltung des Prosarhythmus, das Aufschei336 Daher muss man sich unbedingt davor hüten, unüberlegt auf Reizwörter in spätanti-

ken Konstitutionen anzuspringen. Wer supplicium liest, denkt an die Todesstrafe; aber Theodosius I. mahnt, niemanden strafweise (loco supplicii) in einen Stadtrat (!) zu zwingen, da Übeltäter eine Strafe (poena), nicht eine Ehrung erhalten sollen (CTh. 12.1.108), und selbst supplicium existimationis extremum et ultio inexpiabilis meint nicht mehr als »Infamie« (CTh. 7.13.9). À propos »Infamie«: Insbesondere das lateinische Wort infamia (technisch »Infamie« oder untechnisch einfach nur »Schande«) hat für viel Verwirrung in der Forschung gesorgt (→ S. 358). 337 Man darf annehmen, dass die Auslegung des Gemeinten dem Richter überlassen blieb, der im Rahmen der cognitio extra ordinem selbst bestimmen konnte, was er beispielsweise für eine schwere Strafe hielt (→ S. 732). In jedem Fall sollte man sich bewusst sein, dass die Dinge in solchen Fällen nicht klarer wären, wenn man den Volltext (anstelle des Codex-Theodosianus-Fragments) hätte.

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nenlassen eigener Originalität sind dem Formulierer spätantiker Gesetze wichtiger als die Klarheit der Regelung. Die Bestimmung des Gemeinten verkommt unter diesen Umständen schnell zum Ratespiel. 338 Das Ergebnis lässt den Leser, nicht zuletzt den modernen Juristen, mitunter ratlos zurück. So schreibt Honoré (1986, S. 134): »Often they [die Gesetze] seem to tease the reader by inviting him to decipher an enigmatic text. Laws are presumably meant to be understood and obeyed. What is the point of expressing them in language which puzzles both the layman and the lawyer?«. Oder, in gründerzeitlicher Wortgewalt (Krüger 1912, S. 312): »Der Stil, in welchem die Konstitutionen geschrieben sind, hat sich gegenüber der vorigen Periode wesentlich verschlechtert. Während noch die Diocletianischen Verordnungen in Knappheit des Ausdrucks und Schärfe des Gedankens denen des zweiten Jahrhunderts kaum nachstehen, ist seit Anfang dieser Periode eine schwülstige Rhetorik und Geschwätzigkeit eingerissen«. 339 Wer sich als moderner Leser der spätantiken Kaiserkonstitutionen über ihre mangelnde Verständlichkeit beklagt, befindet sich in guter Gesellschaft. Im Divjak-Brief 10 betreibt Augustin die Exegese einer Honorius-Konstitution mit denselben philologischen Methoden, mit denen wir dies auch heute täten. Gemäß Augustins Interpretation geht es in besagtem Gesetz um »echte« Sklaven, nicht um gekidnappte Freie, was er wie folgt begründet (epist. Divj. 10.3), ita ut ea quoque mancipia fisco sociari iusserit, quod utique nullo modo de liberis diceret, »Daher sagt er [der Kaiser] auch, dass diese Sklaven dem Fiskus zu übereignen seien, was er natürlich keinesfalls mit Bezug auf [gekidnappte] Freie sagen würde«. Im Divjak-Brief 24 wendet sich Augustin an einen Juristen mit der Bitte um Klärung; ihm wurden mehrere Konstitutionen vorgelegt, von denen er ein paar – wie er selbst schreibt! (→ S. 22) – gar nicht versteht. Doch Augustin war nicht nur einer der größten Intellektuellen seiner Zeit (und ehemaliger Rhetorikprofessor zu Mailand), sondern zudem in seiner Stellung als Richter der episcopalis audientia regelmäßig mit Konstitutionen konfrontiert. Sogar in den Einleitungen der vollständig erhaltenen Konstitutionen klingt regelmäßig an, dass mancherlei an den Texten unverständlich blieb. In 338 Wirklich problematisch wird die Angelegenheit, wenn sich selbst beim besten Willen

nicht mehr eindeutig bestimmen lässt, was denn nun eigentlich verfügt wird. Bei Tatbeständen des Hosenträgeredikts bleibt beispielsweise unklar, ob die Betroffenen deportiert oder lebenszeitlich relegiert werden – doch der juristische Unterschied ist groß, denn davon hängt das Bürgerrecht der Verurteilten ab (→ S. 330). 339 Weitere Urteile in diesem Sinne gesammelt und zitiert bei Eich/Eich, S. 75 f. Anm. 1.

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den Worten Valentinians III. (Nov. Val. 32 pr., 451): Quae plerique in legibus constituta dissimulant, necesse est recenti iussione sanciri, ut omni ambiguitate submota instauratione solidiora reddantur. In administratione enim et in militia positis emendi licentiam denegatam superflua nonnullorum dicitur esse persuasio, cum lex divi Honorii ad Palladium praefectum praetorio missa, in Theodosianum redacta corpus, hanc copiam talibus legatur dedisse personis, »Gesetzliche Bestimmungen, die viele Leute offenbar missverstehen, 340 muss man durch erneuten Erlass bestätigen, damit sie durch die Wiederholung nach Beseitigung aller Unklarheiten stabiler ruhen. Konkret: Angeblich existiert eine übertriebene Vorstellung bestimmter Leute, wonach Mitglieder von Verwaltung und militia nicht kaufen dürfen, obwohl doch das Gesetz des divinisierten Honorius, das an den Prätoriumspräfekten Palladius geschickt und in den Codex Theodosianus exzerpiert wurde, so gelesen werden muss, dass es derlei Personen diese Möglichkeit [sehr wohl] einräumt« (vgl. → S. 188). Oder, wenige Jahre später, Markian (Nov. Marc. 4 pr., 454): Leges sacratissimae, quae constringunt omnium vitas, intellegi ab omnibus debent … Si quid vero in isdem legibus latum fortassis obscurius fuerit, oportet id imperatoria interpretatione patefieri, ut omnis sanctionis removeatur ambiguum, »Die kaiserlichen Gesetze, die das Leben aller Menschen regeln, müssen von allen Menschen verstanden werden … Wenn aber in besagten Gesetzen womöglich etwas in unklarer Weise bestimmt ist, dann muss dies durch kaiserliche Deutung erklärt werden, sodass die Vieldeutigkeit eines jeden Gesetzes beseitigt werde«. Obwohl also offenbar die Zeitgenossen selbst das Problem sehr wohl wahrnahmen, wurde keine Lösung versucht: Die posttheodosianischen Novellen sind genauso geschraubt, untechnisch und langatmig wie die älteren Konstitutionen. Und obgleich ein wesentlicher Arbeitsschritt bei der Kompilation des Codex Theodosianus darin bestand, die umfangreichen Passagen ohne Regelung zu entfernen, nahm man dies nicht als Anregung, bei neuen Konstitutionen auf derlei Overhead gleich zu verzichten (oder ihn zumindest weniger umfangreich zu halten). Das demonstriert, dass der Stil der spätantiken Kaiserkonstitutionen nicht aus Unfähigkeit resultierte, sondern einem bewussten Wollen folgte. Das lässt sich auch relativ einfach nachweisen. Wenn Krüger (wie oben zitiert) zwischen den knappen, gedankenscharfen Verordnungen des Diokletian und dem Schwulst seiner Nachfolger eine Trennlinie zieht, so irrt er. Denn unter den diokletianischen Texten sind nur die so zahlreich über340 Natürlich müsste dissimulare eigentlich »vorgeblich missverstehen« bedeuten; aber

angesichts superflua persuasio im nächsten Satz scheint es um eine echte, nicht vorgespielte Fehldeutung zu gehen.

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lieferten Reskriptfragmente lakonisch und frei von Selbstrechtfertigung, 341 während das vielleicht beste Beispiel überhaupt für »schwülstige Rhetorik und Geschwätzigkeit« in römischen Konstitutionen ausgerechnet die extrem lange Einleitung zu Diokletians Höchstpreisedikt ist (Corcoran, S. 207–213), die Krüger ebenso ignoriert 342 wie weitere diokletianische Texte mit langer Einleitung und barocker Sprache, so das Inzestedikt (Coll. Mos. 6.4) oder den Manichäerbrief (→ S. 410). Diese gewiss nicht zufällige Diskrepanz zwischen Reskript- und Konstitutionenstil beweist, dass die Sprache der Kaiserbriefe ganz bewusst gestaltet war. 343 Und mehr noch: »Der vielfach gekünstelte Ausdruck … ist aber nicht ein ›Kanzleistil‹ im Sinne des AltmodischVerschrobenen, sondern gerade eine moderne, dem Zeitgeschmack entsprechende und von den gleichzeitigen Briefautoren und Rednern in ähnlicher Form gepflegte Redeweise« (Classen, S. 74). Das bedeutet: Wir müssen bei den Faktoren, die uns das Verständnis erschweren, zwischen den ungewollten (darunter natürlich die späteren textkritischen Probleme, aber vermutlich auch die juristische Inkompetenz mancher Autoren), den inhaltlich erwünschten (etwa unbestimmte Strafbestimmungen, die dem Richter im Kognitionsverfahren großen Ermessensspielraum ließen) und den stilistisch angestrebten differenzieren. Die stilistisch angestrebten Elemente betreffen sowohl den Inhalt – nämlich die ausführlichen selbstrechtfertigenden Einleitungen – als auch die Sprachgestaltung im engeren Sinne. Die Entstehung dieses Stilwillens ist bislang noch nicht verstanden, was nicht zuletzt daran liegt, dass uns das Material für die Zeit zwischen Severern und Diokletian weitgehend fehlt. 344 Der ab Diokletian voll ausgebildete neue 341 Vgl. Corcoran, S. 51: »The language of imperial virtues or self-promotion is largely

absent from rescripts, being a mark of letters and edicts«. 342 Sirks (S. 91) behauptet, Edikte hätten einen anderen Stil als Briefe: »here [bei Edik-

ten] we may expect the style to be direct and such is indeed the case«. Dies belegt Sirks mit zwei Verweisen, doch handelt es sich dabei um den exzerpierten Regelungskern, der nichts darüber aussagen kann, wie »direct« oder nicht der Text insgesamt formuliert war. Ebenso Liebs 1992, S. 15: »Die Edikte der Kaiser sind weniger stark aufgeputzt als seine [sic] gewöhnlichen Gesetze«, ohne Beleg. 343 Leicht anders erklärt Vernay, S. 267–269, den Unterschied: Er argumentiert, dass die Texte in verschiedenen Kanzleien (ab epistulis bzw. a libellis) entstanden, denen unterschiedliche Persönlichkeiten vorstanden (Literaten bzw. Juristen). Freilich verschiebt sich damit nur die Frage: Denn warum hat man die Bearbeitung der Reskripte Juristen, die der Konstitutionen Literaten anvertraut? 344 Wichtig und nützlich ist Ries (1983, S. 166–223), der die Entwicklung ab dem frühen Prinzipat chronologisch nachvollzieht; vgl. ferner die kurzen, aber klugen Anmerkungen von Vernay (S. 264–267).

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Typus – mit bombastischer Sprache und ausführlicher Selbstrechtfertigung – wurde in einen Zusammenhang mit dem angeblich zunehmend rigiden Herrschaftsstil gebracht (jedenfalls, was die Rechtfertigung in der Einleitung angeht). 345 Das kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen, 346 vor allem aber deswegen nicht, weil selbstrechtfertigende Einleitungen typisch für alle möglichen Arten spätantiker Texte sind, von lateinischen hexametrischen Epen (Riedlberger 2010, S. 36 mit Anm. 102, S. 89 Anm. 343) bis hin zu griechischen mathematischen Werken (Riedlberger 2013, S. 35 f.). Es handelt sich also – ganz wie beim abundanten Sprachstil und dem Prosarhythmus – um eine spätantike Modeerscheinung, die uns vielerorts begegnet. Eine wichtige Beobachtung von Ries (1983, S. 203) ist, dass sich die Einleitungen der Konstitutionen »nicht zu formelhaften Floskeln entwickelt« haben, sondern »das Bestreben der Verfasser erkennen [lassen], in jedem Einzelfall originelle Aussagen zu machen«. Das Streben nach dieser Form von Originalität lässt sich parallelisieren mit dem Ehrgeiz, Gesetzespassagen neu zu formulieren (anstatt wörtlich zu zitieren) und zahlreiche Periphrasen für Fachvokabular zu verwenden (anstatt auf den Terminus technicus zurückzugreifen). Was die sprachliche Ausgestaltung angeht, so steht jedenfalls fest, dass man bereits in der frühen Kaiserzeit den stilistischen Aspekt von Normen sehr ernst nahm. Selbst ein Kaiser wie Mark Aurel war auf dem Höhepunkt seiner Macht nicht davor gefeit, von seinem alten Lehrer deswegen geschulmeistert zu werden (Fronto p. 159.1–7; vgl. Benner, S. 165 f.): 345 Ries (1983, S. 212–223) diskutiert drei Varianten: Platon (der ein Proöm für Gesetze

fordert), die zeitgenössische Rhetorik (allerdings nicht als Sprachstil, sondern ebenfalls hinsichtlich der formalen Forderung nach Einleitungen), vor allem aber die »Herrschaftsform« (S. 220): »der Dominat als Musterbeispiel einer Herrschaftsform, die ihre Berechtigung nicht aus einem im formalen Verfahren hergestellten Konsens der Beherrschten herleitete, [bedurfte] der Selbstrechtfertigung in besonderem Maße«, (S. 222): »Im Gesetzesstil scheint sich hier das Herrschaftsverständnis widerzuspiegeln. Je mehr sich die Macht auf eine Person beschränkt, desto deutlicher wird das Bemühen um die Rechtfertigung dieser Macht im Gesetz selbst«; Eich/Eich (S. 92): »die beschriebene Metamorphose des kaiserlichen Verlautbarungsstils [ist] … keine bloße Stilverschiebung, sondern ein Indikator, der auf tiefgreifende Veränderungen im Habitus und Selbstverständnis der Monarchen und ihres Stabes hinweist«. 346 So muss – trotz Mommsen – die Frage erlaubt sein, ob ein Kaiser der Hohen Kaiserzeit wirklich weniger Herr im Haus war als ein solcher der Spätantike; auch ist es jedenfalls keine anthropologische Konstante, dass dominante Herrscher mehr Aufwand auf die Begründung ihrer Maßnahmen verwenden (dies lehren etwa die typischerweise selbstrechtfertigungsfreien hellenistischen Königsbriefe). Ferner zeigte Benner (vgl. ihr Fazit, S. 191), dass sich angeblich typische Elemente des spätantiken Verlautbarungsstils bereits Jahrhunderte zuvor nachweisen lassen.

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prinzipien spätantiker gesetzgebung Unum edictum tuum memini me animadvertisse, quo periculose scripseris vel indigna defecto aliquo libro; huius edicti initium est: »florere in suis actibus inlibatam iuventutem«. quid hoc est, Marce? hoc nempe dicere vis, cupere te Italica oppida frequentari copia iuniorum. quid in primo versu et verbo primo facit »florere«? quid significat »inlibatam iuventutem«? quid sibi volunt ambitus isti et circumitiones? alia quoque in eodem edicto sunt eiusmodi. Ich erinnere mich, dass mir eins deiner Edikte aufgefallen ist. Darin hast du in ziemlich gewagter Weise so formuliert, dass es selbst einer mottenzerfressenen Schriftrolle unwürdig gewesen wäre! Dein Edikt geht folgendermaßen los: florere in suis actibus inlibatam iuventutem [»Dass gedeihe auf ihren Gefilden die ungeschmälerte Jugend …«] – Ja, was soll denn das, mein lieber Marcus? Gewiss willst du aussagen, du hättest es gern, die italischen Städte würden von einer Vielzahl junger Leute bevölkert. Was macht da florere, »gedeihen«, in der ersten Zeile und als erstes Wort? Was bedeutet denn inlibatam iuventutem, »ungeschmälerte Jugend«? Was sollen denn diese Um- und Irrwege? Und da findet sich noch mehr Derartiges in besagtem Edikt!

In der Spätantike kam der sprachlichen Ausgestaltung von Konstitutionen noch ein ungleich größerer Stellenwert zu. Es dürfte keine Übertreibung sein, von einer Dominanz des Stils über den Inhalt zu sprechen. Vor allem drei Aspekte definieren diesen spätantiken Stil: 347 Abundanz, Preziosität und Prosarhythmus. Die Abundanz 348 manifestiert sich durch Synonymenhäufungen und umständliche Periphrasen. Was die Preziosität angeht, so kritisiert ja bereits 347 Auffälligkeiten in der Grammatik ignoriere ich hier, da sie das Verständnis normaler-

weise nicht erschweren. Allgemein zum Sprachgebrauch des Codex Theodosianus gibt es nur eine einzige direkt einschlägige Monografie, nämlich Vidén, wobei es sich um drei separate Einzelkapitel handelt (eines davon betrifft nur Cassiodor; die anderen beiden bieten Untersuchungen zum Partizip Futur bzw. Gerundiv in präskriptiver Verwendung sowie Häufigkeitsstudien – getrennt nach Ost und West – zum Vokabular des Befehlens, des Gewährens sowie der schlussfolgernden Partikeln). Vidéns Arbeit lässt erahnen, wie viel linguistische Arbeit an den spätantiken Kaiserkonstitutionen noch möglich wäre. Die wichtigste Studie zum spätantiken Kanzleistil, Fridh, ist ausschließlich Cassiodor gewidmet, zitiert aber regelmäßig CTh.-Stellen als Vergleichsmaterial; ein Phänomen, das bei Cassiodor ganz fehlt, wird man bei Fridh allerdings vergeblich suchen. Auch kann er nicht immer überzeugen (vgl. seine S. 138, wo er CTh. 16.5.58 als Beweis dafür nimmt, dass »on traitait relegatio et deportatio comme synonymes dans la chancellerie byzantine de cette époque« – tatsächlich findet sich diese Gleichsetzung nur an dieser Stelle; es handelt sich offenbar um ein Versehen, das sich durch den Kompositcharakter der Konstitution erklärt, → S. 328111). Überblicke über die in den Konstitutionen verwendeten Stilmittel bieten Voß, S. 57–70, und Honig, S. 41–61. 348 Die wesentliche Studie ist Zilliacus, der sich freilich auf das Griechische beschränkt

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Fronto den Mark Aurel für veraltete, unpräzise Wörter anstelle des klaren Mot juste; dies erreicht in der Spätantike ein ganz anderes Ausmaß, wo sich die Preziosität sogar auf das juristisch-technische Vokabular erstreckt. 349 Der dritte wesentliche Faktor, die Rhythmisierung, wird von der modernen Forschung meist übersehen. Doch die vollständigen spätantiken Kaisergesetze verwenden durchgehend einen Prosarhythmus (Hall/Oberhelman), der das akzentuierende Cursus-System (wie es sich in der Spätantike bei Ammian und im Mittelalter in den Papsturkunden findet) mit den quantitativen Klauseln der klassischen römischen Beredsamkeit (wie sie der Lateinschüler anhand von Cicero-Texten erlernt) zu verbinden suchte; idealerweise fallen dabei Ictus und Akzent zusammen. 350 Dieses (nur modern) Cursus mixtus genannte System (dazu vgl. Oberhelman, insb. S. 228 f.) manifestiert sich etwa in den Prosawerken von Symmachus und Vegez, zweier Autoren, die als römischer Stadtpräfekt bzw. als Comes im Consistorium jeweils sehr hohe administrative Ämter der illustren Rangstufe bekleideten. Der Cursus mixtus würde bei der Edition vollständiger Konstitutionen eine außerordentliche Hilfestellung bei der Verifikation der Textgestalt bieten. 351 Auch ermöglicht er, Kürzungen bzw.

und mit einer sehr kleinen Materialbasis arbeitet; und wenn er über das rein Linguistische hinausgeht, werden seine Deutungen schnell bedenklich (S. 18 will er z. B. die Abundanz der griechischen Urkunden davon ableiten, dass eventuell Schreiber nach Textlänge bezahlt wurden!). 349 Ein bemerkenswertes Beispiel bietet Frg. Vat. 35 (die von mir hier zitierte Passage wurde unverändert nach CTh. 3.1.2 § 1 übernommen): subsellia vel (ut vulgo aiunt) scamna, »subsellia oder, wie man umgangssprachlich sagt, scamna«. Sowohl scamnum als auch subsellium kann »Bank« bedeuten; aber an der vorliegenden Stelle geht es um »längliche Landstreifen«, die auf Latein sonst nur als scamna, nicht aber als subsellia, belegt sind. 350 Die typischen Klauseln der spätantiken Konstitutionen sind Kretikus-Spondeus für den Cursus planus, Dikretikus sowie Kretikus-Tribrachys für den Cursus tardus, schließlich Ditrochäus für den Cursus velox. Allerdings begegnen auch andere metrische Formen (Hall/Oberhelman, S. 206). 351 Leider wurde meines Wissens noch nie eine Edition der spätantiken Kaisergesetze unter Beachtung des Rhythmus erstellt. Nachdem Mommsen von Maas auf diesen Faktor hingewiesen worden war, antwortete Mommsen folgendermaßen brieflich (am 8. 7. 1903, zitiert bei Maas, S. 651 Anm. 2): »Ich muß in dieser Hinsicht mein Unvermögen bekennen, das meine wie alle übrigen Ausgaben dieser Schriftsteller [gemeint: antike Rechtstexte] wesentlich beeinträchtigt; habe dies auch bei dem Cassiodor und dem Eugippus empfunden. Aber ich sehe wohl den Mangel, kann ihm aber nicht abhelfen«. Welche Hilfestellung der Cursus bei der Heilung von Stellen leisten kann, haben Hall/Oberhelman, S. 211–213, in faszinierender Weise anhand einiger Novellen-Passagen illustriert.

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Umformulierungen der Codex-Theodosianus- und/oder -Iustinianus-Redakteure festzustellen (denn diese gaben beim Edieren nicht darauf acht). 352 Das rhythmische Korsett ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für die sprachliche Gestaltung: Wenn um jeden Preis bestimmte metrisch-akzentuierte Sequenzen einzuhalten waren, konnte nicht immer die juristisch klarste Formulierung Eingang in den Gesetzestext finden. Aber nicht jede Merkwürdigkeit in den spätantiken Konstitutionen erklärt sich durch einen dezidierten Stilwillen. Manchmal (wenn auch selten) schimmert eine echte Missachtung des Juristischen durch, und wer so wenig vom Thema versteht, wird auch kaum juristisch präzise Texte formulieren können – selbst wenn er es wollte (CTh. 16.5.17): non habeant possidendi licentiam, non petendi, non etiam relinquendi heredhitatiem nomine principali, non fideicommissario, non legatario, non tacito fideicommisso vel quamcumque in huiuscemodi negotiis nuncupationem iuris ordo constituit, »sie sollen nicht mehr die Möglichkeit haben, eine Erbschaft – weder im strengen Wortsinn noch unter dem Namen Fideikommiss noch unter dem Namen Legat noch durch tacitum fideicommissum oder welche Bezeichnung auch immer das Rechtssystem bei derlei Angelegenheiten festgelegt hat – zu besitzen, einzufordern oder auch nur zu hinterlassen«. Insbesondere das verallgemeinernde Relativpronomen deutet auf ein echtes Desinteresse an den rechtlichen Feinheiten hin. Angesichts der Tatsache, dass die CTh.-Konstitutionen innerhalb eines Zeitraums von mehr als einem Jahrhundert von zahlreichen verschiedenen Autoren verfasst wurden, darf man sich auch nicht darüber wundern, dass es Inkonsistenzen gibt. So lässt sich einerseits beobachten, dass man regelmäßig den Ehrgeiz entwickelt, bei Gesetzestexten neu zu formulieren. Das betrifft nicht nur Bestätigungen, die in Paraphrase statt durch Zitat ergehen, sondern auch unterschiedliche Ausfertigungen derselben Regelung, die man mit geringem zeitlichen Abstand, ja sogar am selben Tag jeweils individuell formulierte (z. B. → S. 68; für ein weiteres mögliches Beispiel → S. 363). Und wenn Augus352 Darauf hat Maas, S. 651, hingewiesen. Anders merkwürdigerweise Hall/Oberhel-

man, S. 203, die anhand einer Stichprobe feststellen, dass »about 90 % of the clausulae in the legal codes [gemeint: CTh. und Novellen, nicht CI.] conform to one of the three forms of the cursus«. Vergleicht man vollständige Konstitutionen mit ihren Exzerpten, stellt man fest, dass der Cursus ignoriert wird; freilich werden oft lange Passagen unverändert übernommen, und möglicherweise fanden solche unredigierten Passagen überdurchschnittlich oft Eingang in die Stichprobe (auch sind die ungekürzten Novellen ohnehin ganz rhythmisiert). Was die Arbeit der CI.-Redakteure angeht, vgl. Hall/Oberhelman, S. 210 f. mit Anm. 37.

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tin die relevante Passage eines Gesetzes (das er einem widerspenstigen Amtsträger übersenden und zusätzlich verlesen ließ) in seinen Werken referiert, tut er dies jeweils in anderer Paraphrase, anstatt sich an eine Formulierung (oder gar an das Original) zu halten. 353 Auf der anderen Seite wird in manchen Bestätigungen dann doch nicht neu formuliert, sondern man übernimmt Passagen wortwörtlich oder lässt sich zumindest stark von ihnen inspirieren (→ S. 215). Es ist ferner auf Anhieb oft schwer zu sagen, welche Formulierungen unter »Bombast« zu subsumieren sind und welche nicht. Ein Beispiel: Eine der häufigen kaiserlichen Selbstanreden ist Nostra Perennitas, »Unsere Perennität«; sie wird offenbar gänzlich austauschbar mit z. B. Nostra Clementia, »Unsere Klemenz«, gebraucht. 354 Während hier also der Ewigkeitsbezug Bombast ist, hat er bei Gesetzen (victura in omne aevum lex, lex perpetuo valitura usw.) eine ganz konkrete Bedeutung und markiert die permanente Gültigkeit (und damit generalitas) einer Regelung. Sehen wir uns im Folgenden wichtige Einzelaspekte der Sprachproblematik genauer an. Die hier gegebenen Beispiele werden wir einerseits im Verlauf dieses Buchs gelegentlich brauchen, sodass es sich lohnt, sie an einer Stelle zu sammeln. Andererseits sind sie gut geeignet, das generelle Problem zu illustrieren. Die Textkritik, die wir hier ebenfalls näher betrachten werden, steht freilich auf einer ganz anderen sachlichen Stufe als der Stilwille. Aber aus der Sicht des Codex-Theodosianus-Lesers ist es oft schwer (oder, wenn der Prosarhythmus nicht hilft, unmöglich) zu entscheiden, ob sich eine Merkwürdigkeit als Korruptel oder als Preziosität erklärt.

353 Die folgenden Texte habe ich nicht übersetzt, da es mir um die (stets leicht unter-

schiedliche) Formulierung im Lateinischen geht: Aug. epist. 113, ut eum apud acta municipalia interrogari faciat, utrum sibi velit dies triginta concedi, quibus agat sub moderata custodia in ea civitate, in qua detentus est, ut sua ordinet sumptusque provideat; epist. 114, ut ad gesta municipalia perducantur atque illic interrogentur, utrum velint triginta dies in ea civitate, ubi tenentur, agere sub moderata custodia ad parandos sibi fructus vel rem suam, sicut necesse fuerit, ordinandam; epist. 115, ut actis municipalibus interrogarentur, qui praecepti fuerint exhibendi, utrum velint in ea civitate sub custodia moderata triginta dies agere, ut rem suam ordinent vel praeparent sumptus; der »Urtext« lautet (CTh. 9.2.6): … municipalibus actis interrogentur, an velint iuxta praeceptum triumphalis patris nostri XXX diebus sibi concessis sub moderata et diligenti custodia propter ordinationem domus propriae parandosque sibi sumptus in civitate residere. 354 Vgl. CTh. 7.7.4 mit CTh. 15.1.49 (jeweils Theodosius II. an einen Prätoriumspräfekten).

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1 Allgemeines Vokabular in abweichender Bedeutung Mit Heumann/Seckel liegt ein hervorragendes Wörterbuch der lateinischen juristischen Quellen vor, dessen Schwerpunkt freilich eher auf den Digesten liegt, nicht bei den spätantiken Kaiserkonstitutionen und ihrer oft abweichenden Semantik. Doch selbst mit Heumann/Seckel, ferner mit dem Standardwörterbuch für spätantikes Latein (Blaise) und mit dem Thesaurus Linguae Latinae ausgestattet, wird man gelegentlich wiederkehrendes Konstitutionenvokabular antreffen, das bislang nicht semantisch erschlossen wurde (z. B. potissimum unten). Ich gehe im Folgenden auf ein paar Wörter ein, die uns öfters begegnen werden. Sie dienen nicht nur als Illustration der möglichen Schwierigkeiten, sondern es bietet sich auch an, sie hier vor die Klammer zu ziehen, damit ich später hierher verweisen kann. Wenn ein spätantiker Kaiser eine Form von velle wie z. B. volumus, »wir wollen«, benutzt, dann bedeutet das inhaltlich sehr wohl zumeist »wir ordnen an«. 355 Die Formulierung ist recht häufig in den Kaiserkonstitutionen (im Codex Theodosianus: über 150 Mal), in keinem Fall liegt ein »wir würden uns ja eigentlich wünschen, befehlen aber nicht« nahe, selten liegt neutrales »wir wollen« vor (für Beispiele vgl. → S. 127, → S. 747110), zuallermeist ist klar, dass damit »wir befehlen« gemeint sein muss – man könnte dafür problemlos dutzende von Beispielen geben, uns soll hier ein einziges genügen, 356 das wenige Monate nach Cunctos populos von Theodosius I. erging: CTh. 7.22.10 (8. 7. 380), Non solum in diversis officiis militantes, sed etiam vacantes rebus propriis veteranorum ac militum filios armatae militiae volumus sociari. Nulla igitur sit excusationis occasio, »Wir wollen [!], dass [sämtliche] Veteranen- und Soldatensöhne dem bewaffneten Staatsdienst zugeführt werden – und zwar nicht nur diejenigen, die in verschiedenen zivilen Stellen im Staatsdienst stehen, sondern auch diejenigen, die [als Berufslose] für ihre eigenen Angelegenheiten frei sind. Es soll also keinerlei [!] Möglichkeit für eine Ausrede geben!«. Anscheinend nur aufgrund seines Sprachgefühls und jedenfalls ohne Belege baut z. B. Errington (→ S. 399, zu Cunctos populos) eine weitreichende Argumentation auf volumus i. S. v. »wir würden uns ja eigentlich wünschen [befehlen aber nicht]« auf; Leppin (1999, S. 468 Anm. 61), der Widersprüche in der Heidengesetzgebung von Konstantius II. erklären will, indem er volumus als frommen Wunsch statt kaiserliche Anordnung versteht, ist sich des Problems bewusst, meint aber, man dürfe »keine starre Bedeutung unterstellen, sondern muß kontextbezogen interpretieren«. Trotzdem müsste er doch dann unter den zahlreichen Codex-Theodosianus-Belegen einen einzigen bei-

355 Das gilt übrigens nicht nur für spätantike Kaiser, sondern auch für hochkaiserzeit-

liche Statthalter: → S. 79. 356 Wer mehr möchte: In CTh. 16.5.40 (→ S. 471) kommt dreimal volumus vor und kann

jedes Mal nur »wir ordnen an« bedeuten.

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bringen können, wo volumus eindeutig »wir wollen [tun oder befehlen es aber trotzdem nicht]« bedeutet. Ein ähnliches Understatement wie bei volumus zeigt sich in monitio; eine monitio ist nicht die sanfte Mahnung eines schüchternen Kaisers, sondern eine unumstößliche Anordnung (anders Errington, wiederum ohne Belege, → S. 43469). Eine Wortverbindung, die einerseits oft in den Kaisergesetzen erscheint, andererseits eine recht gewöhnungsbedürftige Bedeutung aufweist, ist ita ut. Diese Kombination bedeutet in der großen Mehrzahl der Fälle »wobei«, d. h., eine neue Bestimmung wird mit neutraler Sinnrichtung dem zuvor Gesagten angefügt (seltener in diesem Sinne begegnet ut allein). Noch besser als die Übersetzung durch »wobei« ist wohl tatsächlich die Beiordnung durch harte Interpunktion. Entscheidend ist, dass keinerlei konsekutive Sinnrichtung vorliegt. Der Codex Theodosianus bietet mehrere hundert Belege für dieses ita ut; es wird uns sehr häufig im Verlauf dieses Buchs begegnen. Hier nur ein frappierendes Beispiel (CTh. 3.30.4, 331), in dem es um pflichtvergessene Vormünder geht: quodsi pauperes sint, capitis deminutione plectantur et desinant cives esse Romani, ita ut ius integrum ipsis minoribus reservetur, »wenn sie allerdings arm sind, soll sie eine capitis deminutio treffen und sie sollen nicht länger römische Bürger sein, wobei das ungeschmälerte Recht den Minderjährigen selbst erhalten bleiben soll«. Es ist klar, dass die Straflosigkeit der Minderjährigen nicht aus der Strafe der Vormünder folgt, d. h., ita ut darf keinesfalls konsekutiv im normalen Sinne aufgefasst werden. Bei diesem Beispielsatz kann man einen adversativen Sinn erkennen (»Den Minderjährigen hingegen soll …«), aber das ist keineswegs bei jeder ita-ut-Verwendung der Fall. Das neutrale »wobei« funktioniert hingegen stets. Nicht selten findet sich ein inhaltsleeres videri, dessen Verwendung allein dem Prosarhythmus oder dem Wohlklang geschuldet ist. Ein gutes Beispiel dafür bietet CTh. 7.13.9 (380), wo es um kriminelle Machenschaften im Zusammenhang mit Rekrutierungen geht: In his, si male se gesserint, corrigendis non mediocrem fore denuntiamus severa animadversione sententiam, cum iudices supplicium existimationis extremum et ultio inexpiabilis exceptura videatur, »Wir verkünden, dass bei der Bestrafung derjenigen, die sich schändlich verhalten sollten, das Urteil bei strenger Ahndung nicht milde sein wird, insofern Statthalter künftig die äußerste Ehrenstrafe und eine unsühnbare Rache trifft [offensichtlich nicht: scheinbar trifft]«. Weitere entsprechende Beispiele bieten CTh. 16.8.28 (426, → S. 755) und CTh. 16.8.20 § 1 (412, → S. 158233) In den Kaiserkonstitutionen steht potissimum regelmäßig im Sinne von potius (»vielmehr«, »rather«, »plutôt«). Diese Bedeutung findet sich weder bei Heumann/ Seckel noch bei Blaise oder im OLD, ja anscheinend nicht einmal im ThLL. Aber die Sache ist eindeutig: Wenn laut CTh. 4.11.2 (349) eine vierzigjährige Verjährungsfrist in bestimmten Fällen nicht gilt und der anfragende Statthalter »beim vorliegenden Fall und allen künftigen« dies potissimum einhalten soll, dann soll er die neue Regelung nicht »hauptsächlich«, sondern »vielmehr« einhalten; wenn der Apostat nicht testamentarisch über seinen Nachlass verfügen kann, sondern die Erbschaft potissimum an seine christlichen gesetzlichen Erben gehen soll, dann soll der Nachlass

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nicht »vorzugsweise« an sie gehen, sondern »vielmehr« (→ S. 757124). Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich beibringen.

2 Sprachliche Ungenauigkeiten im Fachwortschatz Während somit bestimmte alltägliche Wörter wie velle oder ita ut oder videri über die spätantiken Kaisergesetze hinweg eine regelmäßige Umdeutung erfahren und somit ein Kanzleijargon entsteht, ist der Sprachgebrauch bei den nicht alltäglichen Wörtern – sprich: bei den juristischen Fachbegriffen – in verblüffender Weise ungenau (vgl. Voß, S. 5, S. 39–41, S. 62–64). Ein eindrucksvolles Beispiel bietet die Infamie, ein in spätantiker Zeit sehr klares rechtliches Konzept (→ S. 357), das aber mit einer so großen Vielzahl von Begriffen und Umschreibungen in den Konstitutionen ausgedrückt wird, dass Atzeri (2016) mehr als dreißig inhaltsreiche Druckseiten darüber schreiben konnte. Ähnliche Beobachtungen könnte man auch hinsichtlich anderer fest definierter rechtlicher Konzepte anstellen; so lässt sich zwar nicht bezweifeln, dass es die Kategorien der honestiores und humiliores auch noch in spätantiker Zeit gab (→ S. 365161), aber die für sie verwendeten Bezeichnungen variieren derart stark, dass man gar nicht so recht weiß, wie man diese Gruppen in dieser Periode nennen soll (denn die von modernen Historikern bevorzugten Begriffe honestiores und humiliores finden sich im Codex Theodosianus niemals nebeneinander). Alle Synonyme für Häresie hat Zinser (S. 217) gesammelt. 357 Ein weiteres schönes Beispiel findet sich bei Honoré (1986, S. 134 f.), der aufzeigt, in wie umständlicher Weise der Terminus technicus ius perpetuum umschrieben wird. Neben diesen Fällen, in denen Fachtermini ebenso aufwändig wie grundlos vermieden bzw. variiert werden, steht das Phänomen, dass die Kaiserkonstitutionen wohldefinierte juristische Begriffe ungenau oder gar falsch verwenden. Ein gutes Beispiel stellt die falzidische Quart dar, lateinisch die Falcidia. Eine lex Falcidia von 41 oder 40 v. Chr. hatte bestimmt, dass der Erblasser jedem einzelnen Erben maximal 75 % seines individuellen Anteils durch Vermächtnisse nehmen durfte – ein Viertel, eben die falzidische Quart,

357 Allerdings nicht ganz zuverlässig: Wenn der Kaiser sagt, eine Häresie soll publicum

crimen sein, dann präsentiert er damit nicht ein weiteres Synonym für »Häresie«, sondern nimmt eine rechtliche Modifikation mit konkreten Auswirkungen vor (allgemeines Akkusationsrecht, → S. 472).

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musste den einzelnen Erben also jeweils gelassen werden. 358 Im Codex Theodosianus erscheint das Wort Falcidia insgesamt vier Mal (davon zweimal in demselben Gesetz), und nie bezeichnet es das, was es in der juristischen Fachsprache (wie wir sie aus den in den Digesten gesammelten Autoren kennen) eigentlich bezeichnen sollte. Übrig geblieben ist nur eine vage Idee »ein Viertel von einer Erbschaft«; Vermächtnisse (um die es in der lex Falcidia eigentlich ging) erscheinen dabei nicht. So bestimmt CTh. 16.8.28 (426, → S. 751), dass Juden ihre Abkömmlinge, die zum Christentum übertreten, nicht enterben und ihnen mindestens ihren vollen Intestaterbteil testamentarisch hinterlassen müssen; hatten sich diese Abkömmlinge allerdings kriminelle Handlungen gegenüber ihren Aszendenten zuschulden kommen lassen (die ansonsten eine Enterbung gerechtfertigt hätten), soll ihnen zur Belohnung für ihre Konversion zumindest die Falcidia, also ein Viertel des Intestaterbteils, verbleiben. CTh. 9.14.3 (397, Urtext der Lex Quisquis, → S. 311) konfisziert das Vermögen von Hochverrätern und sorgt dafür, dass auch ihre Söhne lebenszeitlich mittellos verbleiben; hingegen soll allen Töchtern zusammen zumindest die Falcidia aus dem Vermögen der Mutter verbleiben (§§ 2, 5) – wohlgemerkt, nicht individuell, sondern kollektiv: Wie die Mutter diese 25 % unter den Töchtern aufteilt, bleibt ihr überlassen. Und wenn ein Erblasser stirbt, der keine Abkömmlinge außer Enkeln von einer vorverstorbenen Tochter hat, würde nach klassischer Regelung der Nachlass an seine Agnaten fallen; CTh. 5.1.4 § 1 (389) lässt aber die Enkel drei Viertel erben, das letzte Viertel fällt als Falcidia an die Agnaten. 359 Wenn Falcidia nachweisbar derart umgedeutet wird, lässt sich der Verdacht nicht von der Hand weisen, dass dies auch bei anderen Termini der Fall ist. Wir werden im Weiteren sehen, dass ich von einem ähnlich lockeren Gebrauch von ius Romanum ausgehe (das dann nicht das römische Bürgerrecht mit all seinen Facetten inklusive der Fähigkeit zur patria potestas umfasst, sondern ausschließlich das Testierrecht und das Erbrecht aus Testament, → S. 287). Neben dem Umschreiben klar definierter Begriffe und dem Missbrauch von Fachvokabular muss hier noch ein Phänomen Erwähnung finden: Formulierungen, die den Eindruck erwecken, sie würden ein festes Konzept meinen, tatsächlich aber in sehr unterschiedlichen Situationen Verwendung finden.

358 Kaser I, S. 756 f.; II, S. 561 f.; Hennig (S. 20–27); letztere Arbeit bietet ferner eine

gründliche Aufarbeitung des langen Nachlebens der falzidischen Quart. 359 Zur abusiven Verwendung von Falcidia für den Pflichtteil vgl. Urbanik, S. 130–141,

sowie Hennig, S. 26 mit Anm. 38, und Kaser II, S. 515.

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Für Formulierungen vom Typ »Ausschluss aus der Gesellschaft« werden wir dies später im Einzelnen durchexerzieren (→ S. 345).

3 Textkritisches Wir hätten auch dann genug Verständnisschwierigkeiten, wenn uns die spätantiken Kaiserkonstitutionen als Autografen vorlägen. Doch das tun sie nicht, und so treten zu den bereits geschilderten Herausforderungen noch weitere, die teils klassisch-textkritischer, teils ungewohnter methodischer Natur sind. Ein 360 konkretes Beispiel zur Verdeutlichung des Problems: In einem Gesetz gegen Manichäer und Montanisten bestimmte Honorius (CTh. 16.5.40 § 6, 407, → S. 471): Servos etiam extra noxam 361 esse volumus, si dominum sacrilegum revertentes ad ecclesiam catholicam servitio fideliore transierint, »Wir bestimmen ferner, dass Sklaven kein Delikt begehen, wenn sie einen frevelhaften Herrn verlassen und in einem treueren Dienst zur katholischen Kirche übergehen«. Dass die hier gegebene deutsche Wiedergabe inhaltlich richtig ist, erweist sich nicht nur aus dem inneren Zusammenhang, sondern auch aus anderen Regelungen der Heterodoxengesetzgebung, die dem orthodoxen Sklaven des Heterodoxen die Möglichkeit geben, ihn zu verlassen. Nun ist aber andererseits klar, dass reverti nicht »verlassen« bedeuten kann. Der lateinische Text ist der der Mommsen-Edition; für CTh. 16.5.40 haben wir zwei Textzeugen, von denen V revertentes, E reverentes bietet – beides offensichtlich unsinnig. Nach aller Wahrscheinlichkeit bot die ursprüngliche Konstitution relinquentes (was Mommsen als Vorschlag in seinen Apparat gesetzt hat). Daraus wurde irgendwann (sei es beim Kopieren der Konstitution oder bei der Eintragung ins Archiv oder erst bei der Arbeit der Kompilatoren) das falsche rever(t)entes. Wir können sicher sein, dass dieser Fehler im offiziellen Archetyp des Codex Theodosianus stand, denn bereits die Redakteure des Codex Iustinianus fanden offenbar diese Verderbnis vor: In ihrer üblich burschikosen Manier machten sie daraus das sinnmäßig (freilich nicht textkritisch) befriedigende evitantes (CI. 1.5.4 § 8). Selten lässt sich nachweisen, dass ein Fehler nicht im verwendeten Ausgangstext stand, sondern unmittelbar durch die Kompilatoren verursacht wurde. Das bemerkenswerteste Beispiel bietet ein Theodosianus-Fragment, dessen textliche Gestalt 360 Für weitere, die gewiss auf den Archetyp zurückgehen, vgl. Mommsen 1905, S. CXIX. 361 Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet im Kontext »Sklave« das Wort noxa ganz un-

technisch verwendet wird.

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durch Breviar und Palimpsest T doppelt abgesichert ist: CTh. 5.7.2 (408), Si quis itaque huic praecepto fuerit conatus obsistere actor, conductor procuratorque, dari se metallis cum poena deportationis non ambigat, »Wenn daher ein Geschäftsführer, Pächter oder Verwalter wagen sollte, sich dieser Anweisung zu widersetzen, so soll er keine Zweifel daran haben, dass er bei gleichzeitiger Deportation ins Bergwerk gesteckt wird«. Die Deportation (→ S. 321) ist eine Spielart der Verbannungsstrafe, die das Opfer stets auf eine Insel oder in eine Oase führt – nicht aber in ein Bergwerk! Die Verbindung von Deportation und Bergwerksstrafe im vorliegenden Fragment ist völlig singulär. Der Text wurde auch in den Codex Iustinianus (CI. 8.50.20) übernommen, wo der zitierte Satz Wort für Wort identisch ist, abgesehen von ambiget statt ambigat. Doch ganz ausnahmsweise steht uns mit Sirm. 16 eine ungekürzte, auf anderem Weg überlieferte Ausfertigung desselben Gesetzes zur Verfügung, und dort lesen wir: Quam sanctionem adeo volumus custodiri, ut, si quisquam temeritate sacrilega praeceptis fuerit conatus obsistere, actor et conductor procuratorque, qui ad tuendam absentis domini possessionem esse detegitur, dari se metallo aut poenam deportationis non ambigat subiturum, »Wir ordnen an, dass diese Regelung derart streng einzuhalten sei, dass, wenn einer aus frevlerischer Unverfrorenheit versuchen sollte, sich diesen Anweisungen zu widersetzen, er als Geschäftsführer bzw. als Pächter oder Verwalter, der erwiesenermaßen das Landgut eines abwesenden Herren hüten sollte, keine Zweifel haben soll, dass er ins Bergwerk gesteckt wird bzw. die Deportationsstrafe erleidet«. Gemeint war also, dass der nicht freigeborene Geschäftsführer (actor) ins Bergwerk gesteckt, der freie Pächter (conductor) hingegen deportiert werden soll. 362 Das war bereits im Urtext unglücklich (aber noch verständlich) ausgedrückt, wurde dann aber beim Kürzen und Redigieren verfälscht. Es ist klar, dass man die Fassung aus der vollständigen Konstitution nicht in den CTh.-Text setzen darf, aber es wäre gleichwohl schön, bereits in der CTh.-Ausgabe gewarnt zu werden, wie die scheinbar juristisch singuläre Regelung entstanden ist. Man will sich übrigens gar nicht ausmalen, wie viele andere vermeintlich einzigartige und unerklärliche Bestimmungen auf vergleichbare Nachlässigkeiten zurückgehen! 363 362 Zum Vergleich CTh. 16.5.40 § 7 (407), … si dominus ignoravit, actor vel procurator

possessionis coercitus plumbo perpetuo metallorum operi deputetur, conductor, si idoneus [richtig: ingenuus] est, deportabitur, »Wenn der Eigentümer nichts davon gewusst hat, soll ein Geschäftsführer bzw. Verwalter des Guts mit Bleigeißeln ausgepeitscht und zu lebenslanger Bergwerksarbeit verurteilt werden. Ein Pächter wird, sofern er frei ist, deportiert«. Die jeweilige Bestrafung von actor bzw. conductor ist (abgesehen von der Stäupung des actor) identisch in den Konstitutionen von 407 und 408. Doch 407 wird der procurator mit dem unfreien actor, im Folgejahr aber mit dem freien conductor gleich behandelt. Tatsächlich teilt der procurator mit dem actor die Unfreiheit (CTh. 2.32.1 von 422: Erwähnung eines peculium von actor bzw. procurator; CTh. 4.12.5 von 362: impliziert servilis condicio für beide); vgl. ferner CTh. 12.1.92 (382). Liegt bei Sirm. 16 ein textliches Problem vor (d. h., steht procuratorque an der falschen Stelle?), oder ist dies noch im Rahmen der sprachlichen Ungenauigkeit spätantiker Konstitutionen? 363 Ein weiteres mögliches Beispiel bietet Sirm. 15, exzerpiert als CTh. 16.2.41. Darin

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Vergleicht man CI.-Fassungen mit CTh.-Fassungen, so stellt man in vielen Fällen fest, dass antike Leser über dieselben Stellen stolperten wie unsereins heute (denn genau diese schwer verständlichen Stellen sind im CI. oft radikal geglättet). Umgekehrt darf man aus der Existenz so zahlreicher schwieriger Passagen schließen, dass die Codex-Theodosianus-Kompilatoren sehr zurückhaltend hinsichtlich Emendationen blieben: Sie ließen in vielen Fällen lieber einen problematischen Text aus ihrer Vorlage stehen als eigenmächtig zu konjizieren. Das stellt den Herausgeber des Codex Theodosianus vor ein Dilemma. Bekanntlich (→ S. 175) basiert unser Codex-Theodosianus-Text über weite Strecken auf nur jeweils einer einzigen Handschrift (R respektive V), deren Lesarten selten durch parallele Überlieferung (Breviar, Codex Iustinianus, rare Palimpseste oder andere Überlieferungsträger) kontrollierbar sind. Was soll man also mit einem offensichtlichen Fehler in R oder V machen, wenn die Redakteure in der Vorlage aufgefundene Fehler regelmäßig unverbessert in den Codex-Theodosianus-Archetyp übernahmen? Mommsen betonte, dass R und V sorgfältig geschriebene Handschriften seien, die chronologisch nahe am Archetyp stehen, und gelangte zu einem sehr optimistischen Urteil (Mommsen 1900, S. 163): »Die Textüberlieferung im theodosischen Gesetzbuche darf insofern eine vortreffliche genannt werden, als die Lesung des im Jahre 438 promulgirten Archetyps im Allgemeinen zweifellos feststeht«. Mit anderen Worten: Ohne es jemals in aller Konsequenz auszusprechen, geht Mommsen also davon aus, dass die Lesarten von R und V normalerweise nicht zu korrigieren sind; darin vorhandene Fehler haben bereits die Kompilatoren sehenden Auges in ihren Archetyp übernommen bzw. selbst verursacht, und es ist nicht Aufgabe eines Herausgebers, den Archetyp zu verbessern. In der Tat: Wie würde man verstehen, dass der CI. evitantes hat, läse man die Konjektur relinquentes in der maßgeblichen CTh.-Ausgabe?

geht es um Anklagen gegen Kleriker, die in der Originalkonstitution als hoc genus miserandae intentionis, »diese Art beklagenswerter Anklage«, qualifiziert werden. In CTh. 16.2.41 wird daraus hoc genus laudabilis intentionis, »diese Art lobenswerter Anklage«. Das Gesetz regelt die Bestrafung von Falschanklägern; in Sirm. 15 ist die Anklage »beklagenswert«, weil sie sich gegen einen Kleriker und damit gegen einen (wie man annehmen sollte) besonders sittenfesten Menschen richtet. Diesen Gedankengang konnte der Codex-Theodosianus-Exzerptor nicht nachvollziehen und sieht die Anklage vielmehr als »lobenswert« an, da unter großem persönlichen Risiko durchgeführt. (Eine andere Erklärung wäre, dass laudabilis ursprünglich ist und erst in der späteren kirchlichen Transmission von Sirm. 15 zu miserandae »korrigiert« wurde.)

zur sprache des spätantiken kaiserrechts

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Freilich gibt es hier mehrere Probleme. Erstens ist es illusorisch anzunehmen, dass beim Abschreiben eines Texts von der Länge des Codex Theodosianus keine Fehler entstehen. Und in der Tat korrigiert Mommsen zahlreiche solcher kleinen (und größeren) Versehen, wobei er, wie er selbst zugibt, keiner konsistenten Methode folgt. 364 Barnes (2001, S. 677 f.) hat Mommsens Vorgehen folgendermaßen charakterisiert: Stammt ein Verbesserungsvorschlag von Cujas oder Godefroy und hat sich dadurch eine gewisse Anciennität erworben, setzt ihn Mommsen in den Text; eigene Emendationsideen verbannt Mommsen zumeist (aber nicht immer) in den Apparat. Eine Durchsicht von Mommsens Ausgabe zeigt, dass die Polemik von Barnes nicht ganz fern der Wahrheit ist. Mit anderen Worten: Verbesserung von Verbesserungswürdigem geschieht in Mommsens Ausgabe mit einer gewissen Beliebigkeit. Zweitens mehren sich die Hinweise, wonach Mommsens Prämisse – dass nämlich unsere entscheidenden Manuskripte R und V so gepflegt sind, dass sie den CTh.-Text praktisch fehlerfrei überliefern – mehr Wunschdenken als Realität ist. Die Zürcher-römischen CTh.-Fragmente (→ S. 177277) aus verschiedenen Büchern weisen keine Unterschiede zum R-Text auf, aber mehrere zum V-Text, was auf zwei Handschriftenfamilien (und damit auf zwei verschiedene Textqualitäten) hinzuweisen scheint. Zudem wissen wir, dass in V zwei Konstitutionen fehlen (→ S. 176). Bei den durch V überlieferten Büchern muss man also wohl skeptischer sein, als dies Mommsen war; und auch hinsichtlich der Bücher, die aus R stammen, weist seine Ausgabe gewisse Probleme auf. 365 Drittens ist und bleibt das Ganze ein unlösbares Problem – in den Worten von Maas (S. 648 f.): »Bei der Rekonstruktion des Archetypus von 438 kann die Kritik jedoch nicht stehen bleiben, obwohl die methodisch sichere Arbeit 364 Mommsen 1905, S. CXXI: »Equidem si quas eius generis mendas certo deprehendere

mihi visus sum, a tollendis eis non semper abstinui commode magis quam religiose«, »Was mein Vorgehen angeht: Wenn ich derlei Fehler [die auf den Archetyp zurückgehen] nach meinem Dafürhalten mit Gewissheit entdeckt habe, dann habe ich (eher pragmatisch als pedantisch vorgehend) nicht immer darauf verzichtet, sie zu beseitigen«. 365 Leider hat R einen Brandschaden erlitten, sodass Teile des Rands ganz fehlen oder angedunkelt sind. In seiner Rezension kritisiert Krüger (1905, S. 321–324) Mommsen dafür, nicht auf seine (d. h. Krügers) Lesungen vertraut zu haben, die sich oft mit denen früherer Forscher decken, und stattdessen lieber frei ergänzt zu haben. Instinktiv möchte man Krüger Recht geben (S. 322: »Ist es überhaupt schon vorgekommen, daß jemand … über das achtzigste Lebensjahr hinaus … sich … ungeminderte Sehkraft erhalten hätte?«), aber in Ermangelung einer weiteren Prüfung ist auch ein Jahrhundert später die Angelegenheit immer noch offen (vgl. Sirks 2013, S. 124 f.).

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hier endet«. Denn wer mit den Texten arbeiten muss und die Gesetzgebung in ihrer Entstehungszeit (nicht in der später kanonischen Form) verstehen will – was vermutlich für die große Mehrzahl der heutigen Codex-TheodosianusForscher zutrifft –, wird nicht immer ganz glücklich über diese editorische Entscheidung sein. 366 Am besten wäre es wohl, offensichtliche Fehler, die mutmaßlich auch im Archetyp standen, in einer Ausgabe des Codex Theodosianus zwar im Text zu lassen, aber die wahrscheinlichen Korrekturen an gesonderter Stelle anzugeben. Teilweise vermerkt Mommsen notwendige Verbesserungen – so etwa relinquentes –, doch wenn er es tut, dann im gewöhnlichen Apparat (während doch zumindest bei relinquentes eigentlich kein Zweifel bestehen kann, dass es niemals im Codex-Theodosianus-Text stand!). Doch in vielen Fällen deutet er offensichtliche Vorschläge zur Herstellung der ursprünglichen Textgestalt nicht einmal an. 367 Sogar ungrammatische Sätze finden sich in der Ausgabe. 368

Formale Angaben von Gesetzen und Exzerpten Beschäftigen wir uns kurz mit den formalen Angaben, wie wir sie bei vollständigen Kaisergesetzen und Codex-Theodosianus-Exzerpten finden. Diese werden in der Literatur oft ausführlich diskutiert (in Anlehnung an die Digestenexegese, wo dieses Vorgehen unbedingt geboten ist), während sie im weiteren Verlauf dieser Arbeit zumeist unbesprochen bleiben. Als Beispiel wollen wir uns CTh. 16.7.1 ansehen, eine Konstitution, deren inhaltliche Analyse an anderer Stelle (→ S. 720) in diesem Buch erfolgen wird.

366 Barnes 2001, S. 677: »Mommsen’s text is corrupt, even nonsensical in a large num-

ber of passages« mit Verweis auf Pharr, S. vii: »It has not been possible to extract satisfactory meanings from a great number of passages … In most of these passages the text is corrupt«. Freilich zeigt Barnes wenig Bewusstsein für das methodische Problem der verschiedenen Textstufen. 367 Zwei Beispiele: CTh. 16.5.40 § 7 bietet idoneus als Gegensatz zu Sklave: fraglos stand hier einst ingenuus (→ S. 481140). Nach CTh. 16.5.49 sollen verbotene Schenkungen zwischen Eunomianern dem sacrarium zugutekommen. Eine solche Metonymie wäre singulär, höchstwahrscheinlich stand in der Originalkonstitution aerarium (Delmaire I, S. 304 Anm. 1; → S. 66597). 368 Etwa CTh. 16.5.7 § 3, a conspectu celebri civitate penitus coerceantur [offensichtlich celebris civitatis], oder CTh. 16.5.54 § 5, tantum pensione poenae nomine cogantur inferre, quantum in conductione pensitare consuerunt [offensichtlich pensionis].

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Imppp. Gratianus, Valentinianus et Theodosius AAA. ad Eutropium ppo. His, qui ex Christianis pagani facti sunt, eripiatur facultas iusque testandi et omne defuncti, si quod est, testamentum submota conditione rescindatur. Dat. VI non. Mai. Constantinopoli Syagrio et Eucherio conss. Die Kaiser Gratian, Valentinian und Theodosius an den Prätoriumspräfekten Eutrop: Denjenigen, die von Christen zu Heiden wurden, soll Befugnis und Recht zum Testieren entrissen werden. Jedes Testament eines Verstorbenen, sofern es eines gibt, soll unter Annullierung der Errichtung aufgehoben werden. Abgeschickt am 6. Tag vor den Nonen des Mai in Konstantinopel unter dem Konsulat von Syagrius und Eucherius. [2. Mai 381]

Dies ist der ganze Text des Fragments, wie er im Codex Theodosianus überliefert ist. Die erste Zeile ist die sogenannte Inskription mit dem herrschenden Kaiserkollegium und dem Adressaten der Konstitution. Das Gesetz ergeht im Namen der drei Kaiser, tatsächlich aber durch den Kaiser, in dessen Herrschaftsbereich sich der Adressat Eutrop (damals Prätoriumspräfekt von Illyrien, Belege bei PLRE I, S. 317 s. v. Eutropius 2) und der Absendeort Konstantinopel befinden. Es handelt sich also um ein Gesetz des östlichen Kaisers Theodosius I. 369 Sieht man sich den Codex Theodosianus durch, so wird man feststellen, dass die dort exzerpierten Ausfertigungen östlicher Gesetze zumeist an den Prätoriumspräfekten von Oriens gerichtet sind (vgl. Mommsen 1905, S. CLXXII–CLXXVIII). Verdient es daher besondere Aufmerksamkeit, wenn ein Gesetz – wie das hier vorliegende – ungewöhnlicherweise, aber keineswegs singulär (vgl. Mommsen 1905, S. CLXXIX) an den Prätoriumspräfekten von Illyrien gerichtet ist? Wohl kaum. Knapp zwei dutzend Konstitutionen sind an Eutrop von Illyrien gerichtet, die alle möglichen Dinge regeln, von Fragen im Zusammenhang mit einer stipulatio Aquiliana (CTh. 2.9.2) über Geldgeschenke zur Verlobung (CI. 5.1.3) bis hin zum Umgang mit Untersuchungs369 Es ist wenig hilfreich, das Kaiserkollegium als Ganzes als Gesetzgeber aufzuzählen,

vgl. etwa Lim 2008, S. 151; Harries, S. 19, S. 36, S. 63; Wenger, S. 536: »Der Kaiser [Theodosius II.] plante mit Valentinian III., seinem Mitkaiser, nach dem Cod. Theod. 1, 1, 5 erhaltenen Erlasse … zunächst viel Größeres«; Lokin, S. 361: »Already in an oratio ad senatum in 426, the co-emperors [!] tried to draw up a comprehensive regulation about the two valid legal sources in their time (leges and ius)«. Den erlassenden Kaiser sollte man stets selbst prüfen, denn auch den größten Gelehrten unterlaufen hier Flüchtigkeitsfehler (z. B. schreibt Mommsen, S. 608 Anm. 7, unser Gesetz dem Gratian zu).

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häftlingen (CTh. 9.3.6). Es wäre schwierig, derlei Regelungen aus der kontemporären illyrischen Situation herzuleiten, sodass es unmethodisch ist, speziell für das vorliegende Gesetz einen illyrischen Hintergrund anzunehmen. 370 Es lohnt also im Regelfall 371 nicht, sich Gedanken darüber zu machen, weswegen ein bestimmtes CTh.-Fragment an diesen oder jenen Würdenträger adressiert ist. Zumeist wird man annehmen dürfen, dass zufälligerweise diese bestimmte Ausfertigung den Exzerptoren zuerst unter die Finger kam (und eine womöglich zusätzliche Fassung an den, sagen wir, Prätoriumspräfekten von Oriens daher unexzerpiert blieb). Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es in den meisten Fällen noch viel weniger Sinn ergibt, aus der Person des Empfängers etwas herleiten zu wollen. 372 Aus diesem Grund werde ich die Adressaten von Konstitutionen üblicherweise ignorieren (außer, es gibt speziellen 370 Errington (1997b, S. 48) sieht ein anderes Gesetz (CTh. 16.5.6), das vier Monate

vor dem unsrigen von Theodosius I. an denselben Eutrop gerichtet wurde, (ausschließlich) als »set of instructions for the current and future governors of the warravaged provinces of the Praetorian Prefecture of Illyricum« an und versucht auf den Folgeseiten, es mit der Situation in Illyrien in Zusammenhang zu bringen; seine Diskussion ist dabei wenig überzeugend und der methodische Ausgangspunkt ohnehin fraglich. Barone-Adesi (S. 143 f.) diskutiert ebenfalls ein Gesetz an Eutrop (CTh. 16.5.7); es handelt sich um die Regelung, die als erste erbrechtliche Sanktionen gegen Manichäer (und damit überhaupt gegen eine Häretikergruppe) verhängt, und dies in großer Ausführlichkeit. Barone-Adesi wundert sich darüber, dass die Konstitution doch eigentlich nur die Manichäer betreffen sollte, die sich »nella minuscola prefettura illiriciana« befinden. Doch innerhalb von weniger als einem Jahr schickt Theodosius I. ein weiteres Gesetz ab (CTh. 16.5.9), in dem er ausdrücklich auf den Inhalt des Eutrop-Gesetzes Bezug nimmt (manente ea condicione de bonis, quam omni huic officinae imposuimus, »weiterhin gilt die Regelung hinsichtlich des Vermögens, die wir dieser ganzen Sekte auferlegt haben«) – aber dieses neue Gesetz ist an Florus, den Prätoriumspräfekten von Oriens, nicht Illyrien, gerichtet! 371 Natürlich ist es eine spannende Frage, warum bei CTh. 5.13.1 (341) ganz singulär ad edictum Heliopolitanorum in der Inskription steht; oder warum, nicht weniger singulär, CTh. 16.10.8 (382) an den Dux der Osrhoene adressiert ist; oder warum eine berühmte Valentiniankonstitution ausgerechnet aus der Fassung exzerpiert wurde, die der Kaiser an den römischen Bischof geschickt hat (→ S. 296). Aber solange Gesetze an die höchsten Würdenträger – Prätoriumspräfekten, Stadtpräfekten, Comites der Zentralregierung, Prokonsuln – gehen, braucht man sich derlei Fragen nicht zu stellen. 372 Wenn eine Konstitution gegen Heidenapostaten (CTh. 16.7.4 f.) an den Prätoriumspräfekten von Italien, Virius Nicomachus Flavianus, geschickt wird, dann, so Vincenti (S. 408), »probabilmente non è casuale la scelta del destinario [sic]: Virio Nicomaco Flaviano … era un pagano convinto«. Vincenti führt seine Andeutung nicht weiter aus (meint er etwa, Theodosius I. wollte absichtlich Nicomachus Flavianus demütigen?), aber sie ist angesichts des Amts des Empfängers in jedem Fall fehl am Platze.

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Anlass, etwa eine chronologische Diskrepanz zwischen der Amtszeit des Adressaten und dem Datum der Subskription). Der eigentliche Text des Fragments (hier ungewöhnlich kurz) sollte den gesamten Regelungskern umfassen. Im vorliegenden Fall lässt die Kürze vermuten, dass tatsächlich nicht mehr generell geregelt wurde. Es ist wohl keine allzu kühne Annahme, sich als Hintergrund einen konkreten Fall vorzustellen, der entschieden und von dem dann (nur) diese Regel als allgemeinverbindlich abgeleitet wurde. Aber dazu mehr bei der inhaltlichen Besprechung dieses Texts (→ S. 720). Die letzte Angabe ist die Subskription, typischerweise ein mit dat. gekennzeichnetes Datum sowie ein Ort. Man hat dies bislang als Datum und Ort des Erlasses verstanden, tatsächlich handelt es sich aber höchstwahrscheinlich um Datum und Ort der Absendung des Schriftstücks (als Analogie: nicht das Abfassungsdatum eines modernen Briefs, sondern der Tag des Poststempels). 373 Alternativ oder zusätzlich können auch Datum und Ort des Empfangs des Briefs (acceptum, einige dutzend Male im CTh.) oder des Aushangs des Gesetzes (propositum) genannt werden. In Ermangelung eines offiziellen Erlassdatums mussten diese Daten in die Exzerpte übernommen werden: Erstens bestimmte ein Edikt von Konstantin, das an sehr prominenter Stelle im Codex Theodosianus figuriert (CTh. 1.1.1), dass »Edikte oder Konstitutionen« sine die et consule, »ohne Tages- und Jahresangabe«, ungültig seien; die Maßnahme sollte offenbar die Nachsuche im Archiv erleichtern, wenn jemand mit 373 Der vollständige Nachweis würde uns zu weit vom Thema wegführen und soll einer

eigenen Publikation vorbehalten bleiben. Daher hier in aller Kürze die wesentlichen Punkte. Dass dat. »the confirmation by the emperor of the consistory draft« sei (Sirks, S. 88), davon gehen alle aus (Seeck, S. 11, usw.), ein Argument dafür hat allerdings noch keiner geliefert. Dahinter steckt wohl die Annahme, dass man doch unbedingt den Tag des Erlasses dokumentieren müsse. Aber dare und accipere sind Komplementärbegriffe im Lateinischen; es ist höchst inkonsequent, unter acceptum den Ankunftstag zu verstehen, unter datum hingegen nicht den Absendetag. Mancher würde entgegenhalten, dass man in Urkunden den Absendetag als emissum zitiert, doch es gibt kein einziges Beispiel einer Konstitution, die verschiedene Tage für datum und emissum böte. Entscheidend ist, dass datum, gefolgt von einer Datumsangabe, auch bei Briefen erscheint, die keine Gesetze darstellen, ja nicht einmal kaiserlich sind. Überdies lässt sich einige Male nachweisen, dass die dat.-Angabe nach der kaiserlichen Unterschrift an anderer Stelle im Dokument hinzugefügt wurde (Nov. Val. 1.3 § 7, … Et manu divina: optamus Vos felicissimos ac florentissimos Nostrique amantissimos per multos annos bene valere, sanctissimi ordinis patres conscripti. Et ad latus: Dat. III non. Mart. Romae … ; ebenso Nov. Val. 9, Nov. Val. 16). Man kann dem noch weitere Argumente hinzufügen, doch zu alledem mehr in der separaten Publikation.

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einem vergessenen (und möglicherweise schlichtweg gefälschten) Gesetz daherkam. 374 Zweitens waren die Fragmente im CTh. bekanntlich chronologisch anzuordnen, um eine Bestimmung des geltenden Rechts zu ermöglichen – was ebenfalls nur mithilfe solcher Angaben möglich war. Anhand der Subskriptionen kann man das Itinerar des jeweils erlassenden Kaisers nachvollziehen; dadurch und durch das genannte Kaiserkollegium und die oft prominenten Empfänger (zu deren Prosopografie es in vielen Fällen außerjuristische Quellen gibt) stehen mehrere unabhängige Angaben zur Verfügung, um die Datenkonsistenz zu prüfen. Dabei muss man allzu oft feststellen, dass das Datum (seltener der Ort oder die Namen in der Inskription) falsch ist (→ S. 145). Außer im Fall von solchen chronologischen Problemen werde ich normalerweise nichts zur Subskription sagen. 375

Zusammenfassung Meine Rechtfertigung für dieses überlange Einleitungskapitel ist, dass man nicht sinnvoll über die spätantike Gesetzgebung arbeiten kann, wenn man sich nicht selbst (und dem Leser) klarmacht, mit welchen methodischen Annahmen man agiert. Angesichts der gigantischen Textmengen (ungefähr 3.000 verwertete plus ein Vielfaches unverwerteter Konstitutionen) und der schlampigen Archive war die Herausforderung der Kompilatoren enorm. Es ist offensichtlich, dass vor allem frühe Konstitutionen (das betrifft ganz besonders solche konstantinischer Zeit) nur dank privater Sammlungen aufgefunden werden konnten und 374 Übrigens bestimmt CTh. 1.1.1 nichts darüber, um welches Datum es sich handeln

soll! Unsereins würde instinktiv erwarten, dass es nur um das Datum des Erlasses gehen könne; aber vgl. etwa CTh. 1.15.4, CTh. 2.10.5, CTh. 3.1.5, CTh. 7.4.14, CTh. 8.5.1 usw., die allesamt keine dat.-Angabe tragen, sondern nur ein acc.-Datum. Wäre ein Erlassdatum zwingend erforderlich gewesen, hätte keine dieser Konstitutionen in den CTh. aufgenommen werden dürfen! Dies beweist, dass »irgendein« mitüberliefertes Datum (also: Absenden, Eintreffen, Aushang …) ausreichte: Es ging offenbar nur darum, Richtern einen Hinweis auf die ungefähre Entstehungszeit eines Gesetzes zu geben; bereits dies vereinfachte ihre Recherchen ungemein, wenn z. B. die Echtheit einer vorgelegten Konstitution in Frage stand. 375 Übrigens ist die Subskription unseres Beispielfragments nicht ohne Interesse: Offenbar wurde hier die Reihenfolge der Konsuln nachträglich geändert, von Eucherio et Syagrio (Theodosius I. ließ nach Ausweis aller Papyri seinen Onkel Eucherius stets an die erste Stelle setzen) zu Syagrio et Eucherio (so die Reihenfolge in allen Inschriften aus Gratians Reichsteil), vgl. Bagnall/Cameron/Schwartz/Worp, S. 297.

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man daher von vornherein mit großen Lücken rechnen muss. Auftragsgemäß wurden alle Konstitutionen, auch die durch spätere Regelungen überholten, exzerpiert; die einzige offensichtliche Ausnahme betrifft die sensible Religionsgesetzgebung. Das wesentliche Nadelöhr beim Kompilationsprozess war das generalitas-Kriterium. Die allermeisten Texte werden nach dem ersten Überfliegen beiseitegelegt worden sein, da sie keinen allgemeinen Publikations- oder Weiterleitungsbefehl, kein semper valitura o. ä. und auch keinen Vermerk, das Gesetz solle generalis o. ä. sein, enthielten. Insofern steht uns in der Tat nur die Spitze des Eisbergs aller administrativen Verlautbarungen zur Verfügung. Aber wir dürften die meisten Texte besitzen, denen die erlassenden Kaiser in ihrer Zeit größere Relevanz zugemessen haben. Ein Abgleich mit den vollständig erhaltenen Konstitutionen und den literarisch erwähnten Gesetzen zeigt, dass die Auswahl nicht perfekt, aber insgesamt gar nicht schlecht ist. Wir müssen jederzeit mit Lücken rechnen, dürfen aber andererseits nicht glauben, aus einer Flut genereller Gesetze seien nur vereinzelte, zufällige Reste erhalten. Auch textlich darf man zum Codex Theodosianus insgesamt großes Vertrauen haben. Die Kompilatoren scheuten Eingriffe derart, dass sie sogar emendierungsbedürftigen Text stehen ließen. Der Vergleich mit den vollständigen Konstitutionen zeigt, dass sie zuverlässig auf die Passagen mit juristischem Regelungsgehalt einkürzten. Nur im Einzelfall lässt sich ein inhaltlicher Fehler nachweisen, der beim Redigieren entstand (→ S. 241). Belege für die Reduktion des Regelungskerns durch das Weglassen eigentlich zu exzerpierender Bestimmungen sind selten; zudem betreffen sie (freilich soweit wir dies ausnahmsweise überprüfen können) ausschließlich Fälle, bei denen die CTh.-Fragmente anderen Ausfertigungen entnommen wurden als denjenigen, die uns die entsprechende Maßnahme als Ganzes bieten (d. h., die Divergenzen könnten sich möglicherweise auch durch Unterschiede in den Ausfertigungen erklären, → S. 220). Ein Ergänzen (d. h. nicht Kürzen oder Modifizieren) des Regelungsgehalts ist an keiner Stelle nachweisbar, für eine Interpolationenjagd (wie sie Bauman 1967, S. 54, betreibt) gibt es also beim Codex Theodosianus keinen Raum, jedenfalls was Interpolationen im Sinne von Modifikationen durch die Kompilatoren selbst angeht. 376 Im Ergebnis bedeutet dies, dass meine Perspektive eine optimistische ist: Sieht man von den 376 Krüger (1905, S. 325) verwendet einen anderen Interpolationenbegriff: Er meint

damit Änderungen, die (möglicherweise unfreiwillig) in der späteren Textgeschichte auftraten. Die entsprechende Liste bei Mommsen (1905, S. CXXI f.) ist kurz und ohne auffällige Einträge.

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trümmerhaft überlieferten Büchern 1–5 ab, kann man im Großen und Ganzen vernünftig mit dem Codex Theodosianus arbeiten, der uns für die rund 125 Jahre, deren Kaisergesetzgebung er sammelt, ein halbwegs zuverlässiges Bild über den Regelungsgehalt derjenigen Konstitutionen vermittelt, die die erlassenden Kaiser selbst als so wichtig ansahen, dass sie sie entsprechend textimmanent markierten. Obwohl der Codex Theodosianus mit seiner Buch- und Titeleinteilung den Eindruck eines systematischen Gesetzbuchs erweckt, ist er doch etwas ganz anderes: Man hat lediglich aus dem Vorhandenen zusammengetragen, was unter bestimmte Kriterien fiel. Gab es im Ausgangsmaterial entsprechende Regelungen, finden sie sich im Codex Theodosianus, andernfalls klafft eine Lücke in der Systematik. Auch muss man sich von der Vorstellung einer entwickelten Dogmatik verabschieden, wie sie so grundlegend für die heutige Rechtswissenschaft ist. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein unpubliziertes Gesetz – auch wenn es fast allen unbekannt war – Geltung besaß; ausdrücklich formuliert als Grundsatz findet man das aber nirgendwo, und das muss keineswegs ein Überlieferungsverlust sein. Eher hat das niemand als Problem angesehen, und wäre daraus ein Streit vor Gericht entstanden, hätte man wohl pragmatisch (oder per Anfrage an den Kaiser) eine Lösung gefunden. Entscheidend ist es, den Bottom-Up-Zugang nicht aus dem Blick zu verlieren. Es gilt eben nicht iura novit curia. Prozessparteien legen alle potenziell günstigen Konstitutionen, derer sie irgendwie habhaft werden konnten, dem Richter vor, der daraus dann schlau werden soll (und im Zweifelsfall – wie Augustin – bei einem befreundeten Juristen oder – wie Plinius – beim Kaiser nachfragt). Wie wir in den Folgekapiteln werden beobachten können, nehmen spätantike Konstitutionen oft explizit oder implizit aufeinander Bezug, mitunter sogar wörtlich, aber nicht selten mit Missverständnissen. Es gibt nicht »das Recht«, das der Kaiserhof kennt und das sich widerspruchsfrei in Normen manifestiert; was es gab, war eine unübersehbare Vielzahl (eine »Nebelwolke«, eine »Finsternis«, um Theodosius’ II. Bilder zu gebrauchen) von Gesetzen, über die jeder, vom Anwalt über den Richter bis hin zum Kaiser, zum Zeitpunkt der Codex-Theodosianus-Kompilation den Überblick verloren hatte. Wenn ein Gesetz in einem konkreten Fall von einer Partei vorgelegt und vom Richter weitergeleitet wurde, musste der Kaiser reagieren – und traf dabei womöglich nicht die Absicht des ursprünglichen Gesetzgebers, sei es, dass der aktuelle Kaiser andere Intentionen hatte, sei es, dass er das Gesetz missverstand. Aber das sehen wir uns besser nachher anhand konkreter Beispiele an.

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Eine weitere Merkwürdigkeit sei noch erwähnt. In vielerlei Hinsicht hatte man mit dem Codex Theodosianus Tabula rasa gemacht: Auf einmal gab es einen festen Bestand an zweifellos gültigen Regelungen in einer kanonischen Textfassung, die auf das Relevante beschränkt war. Wer sich für Gesetze zu einem bestimmten Thema interessierte, konnte im einschlägigen Titel nachsehen – welch ein Unterschied zu dem zuvor herrschenden Chaos! Doch alle Sünden, die römische Gesetzgeber in den vorhergehenden Jahrhunderten begangen hatten, wurden ab dem Moment, in dem der Codex Theodosianus fertiggestellt war, genauso wie eh und je wiederholt. Die inanis verborum copia, die »unnütze Wortfülle« (→ S. 141), wie Theodosius II. die Einleitungen und Schlussabschnitte von Konstitutionen nennt, weist zwischen den vorherigen ganzen Konstitutionen und den Novellen (einschließlich seiner eigenen) keinen Unterschied auf. Die unpräzisen Formulierungen, die antiken Richtern (z. B. Augustin, → S. 22) genauso große Zweifel bereiteten wie uns, finden sich dort nicht anders als früher. Auch die Unsitte, ganz unterschiedliche Themen in dieselbe Konstitution zu packen – was die Auffindung durch Betroffene erschwerte und die CTh.-Kompilatoren zum Zwischenschritt der Fragmentaufteilung zwang –, findet sich in den Novellen nicht anders als vorher (Bianchi Fossati Vanzetti, S. 38–40). Sogar der Selbstausweis von Regelungen als generalis erfolgt – abgesehen von den Novellen Valentinians – keineswegs so konsistent, wie man dies erwarten würde, nachdem die Kommission offenbar viel Mühe hatte darauf verwenden müssen, die generalitas bei alten Gesetzen ex post zu bestimmen. 377 Nicht einmal der Acquis der Kompilation wurde so genutzt, wie man dies vielleicht erwarten würde: Nur sehr selten wird auf den Codex Theodosianus verwiesen, und wenn dies geschieht, dann in absichtlicher Ungenauigkeit 378 – warum gab man nicht einfach Buch und Titel an, 377 Bei Valentinian III. kann man feststellen, dass sich seine Gesetze in den meisten

Fällen selbst entweder (i) als edictalis oder generalis bezeichnen und dann einen Publikationsbefehl aufweisen; oder (ii) sich selbst Pragmatiken nennen und dann keinen Publikationsbefehl enthalten. Bei Theodosius II. und den anderen Kaisern mit Novellen ist die Zuordnung nicht ganz so präzise. 378 Nov. Val. 32 pr., lex divi Honorii ad Palladium praefectum praetorio missa, in Theodosianum redacta corpus, »das Gesetz des divinisierten Honorius, das an den Prätoriumspräfekten Palladius geschickt und in den Codex Theodosianus exzerpiert wurde«; Nov. Marc. 4 § 1, super Constantinianae legis ea parte, »hinsichtlich des Teils des konstantinischen Gesetzes«; Nov. Marc. 5 pr. lex divae memoriae Valentiniani et Valentis et Gratiani … divae memoriae Valentiniani Theodosii et Arcadii constitutio, »ein Gesetz von Valentinian, Valens und Gratian – divinisierter Erinnerung – … eine Konstitution von Valentinian, Theodosius und Arkadius – divinisierter Erinnerung –«. Die Verweise in Nov. Marc. 5 sind insofern bemerkenswert, als sie das ganze

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wie dies ja auch die kontemporäre Juristenliteratur zu tun pflegt (vgl. z. B. → S. 176272)? Auch hätte man bei Bestätigungen auf die nach CTh. geltende Rechtslage verweisen und diese eventuell durch neue Regelungen ergänzen können – aber wie gehabt, mischt man bunt die Wiederholungen einzelner bereits länger gültiger Bestimmungen mit neuartigen Regelungen (vgl. z. B. Nov. Val. 18 § 3 gegen die Manichäer, → S. 788). Nur in einem Bereich könnte sich möglicherweise etwas verbessert haben, nämlich hinsichtlich der Publikation neuer Gesetze. Theodosius II. gibt vor, dass neuerlassene Gesetze aus dem jeweils anderen Reichsteil im empfangenden Reichsteil publiziert werden müssen (→ S. 105). Das sollte doch eigentlich implizieren, dass eigene Gesetze, für die generalitas intendiert ist, ohnehin im eigenen Reichsteil zu proponieren sind. Und tatsächlich ist es so, dass erhaltene Novellen von Theodosius II. fast immer einen Publikationsbefehl aufweisen. Aber auch hier lässt sich eine bezeichnende Ausnahme feststellen: Nov. Theod. 18 enthält keine solche Anordnung, ist aber dennoch offenbar ein Gesetz mit generalitas (Nov. Theod. 18 § 1, hac mansura in aevum lege sancimus, »wir bestimmen mit dem vorliegenden Gesetz, das auf immer gelten soll, dass …«). Dass man bei der Gestaltung der Novellen die Erfahrungen aus der Codex-Theodosianus-Kompilation so ganz und gar ignorierte, demonstriert in markanter Weise, welchen kulturellen Zwängen die Autoren von Konstitutionen unterlagen.

Kaiserkollegium der Inskription zitieren (und nicht nur den realiter erlassenden Kaiser); das erste Gesetz ist zudem durch wörtliches Zitat aus dem Inhalt unmittelbar als CTh. 16.2.20 identifizierbar (nach dem zweiten Zitat weist Nov. Marc. 5 eine Lücke auf, sodass ungewiss ist, ob man auch den anderen Verweis so eindeutig zuordenbar machte). Zu Nov. Marc. 5 vgl. → S. 30778.

II

der hintergrund Ab dem Jahr 381 begegnen uns erbrechtliche Sanktionen gegen Heterodoxe. Diese Strafregelungen sind aus mancherlei Grund bemerkenswert. Zunächst einmal sind erbrechtliche Sanktionen keine Standardmaßnahme des spätantiken (oder auch früheren) römischen Sanktionskatalogs; sie verlangen also eine eigene Erklärung. Dies gilt umso mehr, als es sich bei diesen erbrechtlichen Strafen vordringlich um das Verbot handelt, selbst ein Testament zu errichten. Weitere Beschränkungen, die dann etwa das eigene Erben aus Testament oder das Erben bzw. Vererben im Intestaterbgang oder gar verwandte Felder (Schenkungen, Verkäufe) betreffen, können hinzutreten (und tun dies tendenziell auch mit fortschreitender Zeit) – daher auch die umständliche Bezeichnung »erbrechtliche und verwandte Sanktionen« im Titel dieses Buchs. Doch im Zentrum steht stets das Verbot, ein eigenes Testament zu errichten, was freilich die Deutung erschwert: Wenn es in vorspätantiker Zeit erbrechtliche Sanktionen gab (etwa im Rahmen der augusteischen Ehegesetzgebung), wurde das eigene Erben eingeschränkt; wer nicht tut, was der Gesetzgeber von einem will (nämlich heiraten und Kinder in die Welt setzen), erleidet potenziell finanzielle Verluste. 1 Warum geht man in der Spätantike nicht genauso gegen Heterodoxe vor? Ein Testierverbot trifft (jedenfalls vordergründig) nicht den Erblasser, sondern die möglichen testamentarischen Erben. Und in vielen Fällen (zumal, wenn es Abkömmlinge gab) könnten diese weitgehend mit den Intestaterben identisch gewesen sein. Wäre in solchen (wohl nicht gerade seltenen) Konstellationen die verhängte Sanktion nicht ein gänzlich stumpfes Schwert geblieben? Der Sinn und Zweck der erbrechtlichen Gesetzgebung gegen Heterodoxe ist also keineswegs unmittelbar einleuchtend. Eine weitere Besonderheit ist die Tatsache, dass sich die erbrechtlichen Sanktionen über ein knappes halbes Jahrhundert hinweg nicht zu einer Standardstrafe entwickelten, die man routinemäßig über beliebige Heterodoxe (oder gar andere Tätergruppen) verhängt hätte. 2 Was die Heterodoxengesetz-

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Diesen wichtigen Unterschied übersieht Gaudemet 1989, S. 615, der die Strafen der augusteischen Ehegesetzgebung und die erbrechtlichen Sanktionen der Spätantike als »incapacités analogues« ansieht. Das wird in der Literatur oft nicht beachtet. So behauptet etwa De Giovanni, S. 83, dass »gli eretici« erbrechtlich sanktioniert werden, wofür er dann bunt gemischt

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gebung angeht, so treffen erbrechtliche Sanktionen über lange Zeit grosso modo nur vier wohldefinierte Gruppen: Apostaten (und zwar genauer gesagt: Apostaten vom Christentum hin zum Heidentum), Manichäer, Eunomianer und Donatisten. Abweichungen davon sind selten und betreffen jeweils einzelne Gesetze (d. h., es gibt keine weiteren Bestätigungen solcher Maßnahmen und damit keinen Kontext). 3 Zwar werden bei allen vier Gruppen im Laufe der Zeit die erbrechtlichen Sanktionen massiver; doch handelt es sich stets um Sanktionen, die jeweils für die vier definierten Gruppen spezifisch sind. Mit anderen Worten: Der Umfang ist bei den vier Gruppen also stets ein anderer. Würde man nicht viel eher erwarten, dass von einer Gruppe zur anderen verwiesen wird (etwa, als fiktives Beispiel: »Donatisten unterliegen denselben erbrechtlichen Sanktionen wie Manichäer, als da wären …«)? Doch dies ist nie der Fall. 4 Erst im umfangreichen Häretikergesetz von 428 (CTh. 16.5.65, → S. 765) werden erbrechtliche Sanktionen (bei Erfüllung eines gewissen Tatbestands) unspezifisch gegen »Häretiker« verhängt. Aus den darauf folgenden Jahrzehnten zwischen Codex Theodosianus und Codex Iustinianus stehen uns weit weniger Heterodoxengesetze als Quellenmaterial zur Verfügung, aber immerhin zeigen zwei Gesetze gegen Eutychianer von 452 und 455 (CN 480, CN 489, → S. 791; das zweite Gesetz auch gegen Apollinarianer, unter die Eutyches subsumiert wurde), dass die erbrechtlichen Sanktionen nunmehr als eine üblich gewordene Standardbestrafung gegen eine neuartige Heterodoxengruppe eingesetzt werden konnten; sie sind also Teil des gängigen Strafarsenals gegen Häretiker geworden. Einen endgültigen Abschluss

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Gesetze gegen die drei betroffenen häretischen Gruppen anführt. Weitere Beispiele für dieses Vorgehen stellen Guichard, S. 71, und Fargnoli, S. 150, dar. In einem einzigen Apostatengesetz geht es nicht nur um Apostaten zum Heidentum hin, sondern auch um solche zum Judentum und zum Manichäismus hin (CTh. 16.7.3 von 383, → S. 727); zwei Manichäergesetze sanktionieren nicht nur Manichäer, sondern auch gewisse asketische Sekten, die der Gesetzgeber (womöglich zu Unrecht) als manichäisch ansieht (CTh. 16.5.7 von 381, → S. 437; CTh. 16.5.9 von 382, → S. 449); ein umfassendes Manichäergesetz, das unter anderem die erbrechtlichen Sanktionen wiederholt, nennt völlig parallel Montanisten neben den Manichäern als betroffen – dies ist nicht zuletzt deswegen merkwürdig, weil wir kaum Hinweise besitzen, dass damals überhaupt noch Montanisten in der westlichen Reichshälfte aktiv waren (CTh. 16.5.40 von 407, → S. 471). Gaudemet 1989, S. 615, spricht davon, dass die Sanktionen gegen die Manichäer auf die anderen Gruppen ausgeweitet wurden und gibt dann einen pauschalen Überblick über alle Regelungen, einschließlich z. B. des Kontrahierungsverbots (das aber für Donatisten bereits vor den Manichäern bestand; und Eunomianern und Apostaten waren nur Umgehungsgeschäfte verboten).

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findet die Entwicklung der erbrechtlichen Sanktionen unter Justinian, als dann Häretiker völlig vom Erben und fast völlig vom Vererben (Vererben an orthodoxe Nachkommen war möglich) ausgeschlossen werden (→ S. 801). Zu diesem Zeitpunkt ist dann nichts Verwunderliches, nichts Erklärungsbedürftiges mehr an dieser Strafart: Wer von solch einschneidenden materiellen Sanktionen bedroht ist, hat jedenfalls guten Grund, das Für und Wider einer allfälligen Konversion zur Orthodoxie genau abzuwägen. Wie aber soll man sich die kaiserlichen Intentionen während der knapp fünfzig Jahre zwischen dem Einsetzen der erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe im Jahr 381 und dem Gesetz von 428 erklären? Triviale Ideen scheiden unmittelbar aus: Wäre es einfach nur darum gegangen, Heterodoxe unter Androhung erheblicher privatrechtlicher Nachteile zur Orthodoxie zu treiben – warum steht dann stets das aktive Testieren (nicht die Erbfähigkeit) im Mittelpunkt? Und warum hätten sich dann die erbrechtlichen Sanktionen über fast fünf Jahrzehnte auf vier Gruppen beschränken sollen? Auch andere, bereits weniger simplizistische Erklärungen können bei näherer Betrachtung nicht überzeugen. Delmaire (I, S. 355 Anm. 4) etwa wies auf folgende Möglichkeit hin: 5 Geisteskrankheit machte es im römischen 6 Recht (wie natürlich auch im geltenden, § 2229 Abs. 4 BGB) unmöglich, ein gültiges Testament zu errichten. Nun wird Heterodoxie in Gesetzen oft mit Wahnsinn in Verbindung gebracht. 7 Allerdings stört bei dieser Erklärung erheblich, dass ausgerechnet unter den zahlreichen Konstitutionen mit erbrechtlichen Sanktionen nur eine einzige, nämlich CTh. 16.5.25 (§ 1), die vesa-

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Delmaires genaue Formulierung lautet: »Le prétexte est peut-être la folie qui est une cause ordinaire d’interdiction«; danach würde er also in der Geisteskrankheit nur einen möglichen Vorwand (also nicht die eigentliche Ursache) des Entzugs sehen. Doch der Entzug wird separat verhängt, es wird ja gerade nicht auf die für Wahnsinnige gültige Rechtslage verwiesen. Der potenzielle Zusammenhang zwischen der den Häretikern zugeschriebenen Geisteskrankheit und ihrer Intestabilität wird bei Zuccotti (einer Monografie, die dem furor haereticorum gewidmet ist) nicht diskutiert (dort S. 181–186 zur Intestabilität). Ulp. reg. 20.13; Paul. sent. 3.4a.11; Marcian. D. 5.2.2. Einige Beispiele aus der Zeit von Theodosius I.: CTh. 16.1.2 § 1 (380), dementes vesanosque (über Häretiker); CTh. 16.5.6 pr. (381), nulla ad exercendam animi obstinatioris dementiam pateat occasio (über Häretiker); CTh. 16.5.24 (394), haereticorum dementia. Auch die Paganen werden in der Gesetzgebung oft genug als verrückt bezeichnet, wenn auch anscheinend nicht in den Gesetzen von Theodosius I. (aber vgl. CTh. 16.10.2 von 341, sacrificiorum insania; Nov. Theod. 3 § 1 von 438, tam mente captus … tam … feritatis immanitate damnatus, über Juden, Samaritaner, Heiden und Häretiker).

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nia und den furor der Betroffenen erwähnt. 8 Hinzu kommt, dass man dann wohl eine direkte Entsprechung zur rechtlichen Situation erwarten würde, die für Geisteskranke einschlägig ist. Doch manchmal wird Heterodoxen eine eingeschränkte Testierfähigkeit gelassen (vgl. CTh. 16.7.6), vor allem aber wird in bestimmten Konstellationen nicht einfach nur die Testierfähigkeit genommen, sondern man zieht auch das Vermögen für den Fiskus ein (vgl. CTh. 16.5.7 pr.), was nun so gar nicht zur Idee einer Assimilation an die Rechtslage für Geisteskranke passen will. Der furor der Heterodoxen, der öfters in den Gesetzen erwähnt wird, hat also mit Sicherheit keinen rechtlichen Gehalt, sondern ist allein sprachlicher Bombast in pejorativer Funktion. Dass man zwischen den juristischen Inhalten spätantiker Konstitutionen und den Assoziationen, die ihre sprachliche Verpackung herstellt, sorgsam zu trennen hat, wird uns noch öfter begegnen (→ S. 352). Bei der Besprechung der Apostatengesetzgebung schlug Nemo-Pekelman (S. 136) vor, es könnte Proselytismus zu dem Zweck gegeben haben, sich die Erbschaften der Bekehrten zu sichern. Die erbrechtlichen Sanktionen sollten demnach derlei Bestrebungen bekämpfen. Für diese Idee spricht sehr wenig: In den zahlreichen Gesetzen selbst gibt es keinerlei Indiz in diese Richtung (d. h., niemals wird in den Begründungen auf angeblich missionierende Erbschleicher 9 Bezug genommen). Man vergleiche hingegen die Gesetze gegen erbschleichende katholische Kleriker (→ S. 296, → S. 304), bei denen dann nicht nur über solche Kirchenmänner geschimpft wird, sondern auch die gesetzliche Regelung folgerichtig gefasst ist (die Erblasserin verliert nicht ihr Testierrecht gänzlich, sondern kann einfach Kleriker nicht bedenken). Übrigens wäre diese Erklärung ohnehin nur für Apostaten (die ja ihre Religion gewechselt haben) theoretisch denkbar – Nemo-Pekelman blendet aus, dass entsprechende Gesetze auch gegen Manichäer, Eunomianer, Donatisten erlassen wurden und dass diese Gesetze unabhängig von einem vorherigen Religionswechsel galten. 8

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Das besonders lange Fragment CTh. 16.5.65 (→ S. 765) spricht ganz zu Beginn auch von der haereticorum … insania, allerdings lange, bevor die erbrechtlichen Sanktionen dort Erwähnung finden. Allenfalls in diese Richtung ließe sich folgende Regelung interpretieren: CTh. 16.5.49 (→ S. 664) proklamiert, dass sich Eunomianer gegenseitig nichts mehr vererben oder schenken dürfen, was sie sonst »durch wechselseitige Schmeicheleien, List und Betrug zu erhalten pflegen«. Allerdings ist dort nicht von Konversion zum Eunomianismus die Rede; »wechselseitige Schmeicheleien, List und Betrug« ist schlichtweg die kaiserliche Beschreibung der sozialen Beziehungen unter Eunomianern.

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Humfress (2007, S. 258) wiederum sieht – jedenfalls hinsichtlich der einschlägigen Sanktionen für Donatisten – ein Vorbild in kirchlichen Kanones: »In the early fifth century ›Donatists‹ also had civil disabilities applied to them in imperial legislation; although we should note in this context that the canons of African church councils had already specified that property was not to be left by certain Christians to pagans and heretics, even if they were relatives«. Die zugehörige Fußnote lautet: »See e. g. the decisions of the council of Hippo in 393 (Mansi ii. 917). Other regional church councils in both the East and West had issued similar judgments. Honoré, Law in Crisis, 232, notes the imposition of civil disabilities against ›Donatists‹ in the imperial constitutions«. Was der unmotivierte Verweis auf Honoré soll, bleibt unklar; auf der angegebenen Seite geht es übrigens um CTh. 16.5.40 (nicht »CTh. 16.5.50«, wie Honoré unrichtig angibt), ein Gesetz, das Sanktionen gegen Manichäer und Montanisten (nicht aber gegen Donatisten) verhängt und von dem nur Honoré (fälschlicherweise) behauptet, dass es um »disabilities of Donatists« gehe (vielleicht hat er versehentlich mit der modifizierten CI.-Version des Fragments gearbeitet: → S. 805). Humfress’ Hinweis auf »other regional church councils in both the East and West« ist zu unbestimmt, als dass er irgendjemandem nützlich sein könnte (und scheint der Angabe im Haupttext, es gehe um »African church councils«, zu widersprechen). Damit bleibt nur Hippo 393, dessen Kanones man heute üblicherweise nicht nach Mansi, sondern nach der 200 Jahre jüngeren Munier-Edition zitiert. Sieht man sich die Bestimmungen durch, findet sich nichts Einschlägiges. Prüft man also doch die von Humfress gegebene Mansi-Spalte, so muss man ein erstes Hindernis überwinden: Die Bandnummer ist falsch. Wenn man dann den richtigen Band gefunden hat (nämlich den dritten), so stellt man überrascht fest, dass von Humfress nicht auf einen bestimmten Kanon verwiesen wird, sondern einfach auf den Beginn des Texts, d. h. auf Mansis Präfatio zu Hippo 393. Letztlich bleibt einem nur übrig zu erraten, was sie vielleicht meinen könnte, denn das von ihr behauptete Verbot findet sich nicht unter den Kanones des Konzils. Vermutlich geht es um Conc. Afr. p. 37.96–98: Ut episcopi vel clerici eis qui Christiani catholici non sunt, etiamsi consanguinei fuerint, nec per donationes rerum suarum aliquid conferant, »Dass Bischöfe und Kleriker Leuten, die keine katholische Christen sind – und seien sie auch Blutsverwandte –, nichts von ihrem Eigentum durch Schenkungen zukommen lassen dürfen«. Wenn dem so ist, dann sind die »certain Christians« genau genommen »Kleriker« und das untersagte Hinterlassen (»not to be left«) in Wirklichkeit ein Schenkungsverbot. Doch ausgerechnet im Fall der Donatisten wissen wir ganz genau, wie es zu den erbrechtlichen Sanktionen kam, und eine Berufung auf innerkirchliche Regelungen spielte dabei jedenfalls keinerlei Rolle (→ S. 541). 10

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Diese möglicherweise etwas ausführlich geratene Widerlegung ist notwendig, da die unverbürgten Behauptungen von Humfress bereits zitiert werden. So wiederholt sie ihr ansonsten durchaus kritischer Rezensent Liebs (2010a, S. 512) offenbar zustimmend im Indikativ, und das in einem Absatz, in dem er ihre Argumentation »mit guten Quellenzeugnissen« lobt.

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Keine dieser Deutungen vermag zu überzeugen; die Standarderklärung für die erbrechtlichen Sanktionen ist, wenig überraschend, also ganz anderer Natur. Sie basiert auf zwei Beobachtungen: Erstens wird das Testierrecht in einem spätantiken juristischen Text mit dem Bürgerrecht gleichgesetzt oder zumindest als dessen wichtigste Konsequenz angesehen (→ S. 286), zweitens proklamieren mehrere der Gesetze mit erbrechtlichen Sanktionen selbst, dass sie den Betroffenen das »römische Recht« entziehen (→ S. 260), und stellen dies zudem bisweilen in einen Zusammenhang mit der Distanzierung des Heterodoxen von der Gemeinschaft aller. Daraus leitet man ab, dass sich die erbrechtlichen Sanktionen in erster Linie aus der Symbolik erklären: Weil sich der Heterodoxe vom Katholizismus, also der Gemeinschaft aller vernünftigen, rechtschaffenen Menschen (identifiziert mit den Bürgern des Römischen Reichs) distanziert, soll er auch formal aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen sein – dadurch nämlich, dass er sein Testierrecht (ist gleich: Bürgerrecht) verliert. Obwohl dieses Räsonnement durchaus Lücken und Härten aufweist – die wichtigste davon ist: Wenn es tatsächlich um den Entzug des Bürgerrechts gegangen wäre, warum hat man es dann nicht einfach entzogen? (vgl. → S. 287) –, ist dies die Erklärung, die Gelehrte seit Godefroy 11 geben. Zumal Theodor Mommsen vertrat diese Theorie in seinem »Strafrecht«. Mommsen (S. 992) sah in Diokletians Vorgehen gegen Christen eine Vorlage: Damals wurde Christen das Klagerecht weitgehend genommen. 12 »Nicht gerade die gleiche, aber wohl eine gleichartige Zurücksetzung ist enthalten in

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Gothofredus (S. 225): »Notanda interim haec, sic ut dicam, Intestabilitatis poena, cuius quaenam ratio, quae proportio cum hoc Apostasiae crimine sit, merito quaeri potest: aut cur non potius alia imposita fuerit? Verum eam indicare videtur ipsemet Theodosius Magnus l. 2 infr. verbis illis, ut sint absque Iure Romano. … Quare eos, qui Ecclesiam & civitatem Dei desererent, civium Romanorum iure potissimo multandos Christiani Principes, atque eatenus in peregrinitatem redigendos, crediderunt«. Zuletzt findet sich dieser Gedanke wieder bei Zuccotti, S. 182–186. Lact. mort. pers. 13.1, Postridie propositum est edictum quo cavebatur, ut … adversus eos omnis actio valeret, ipsi non de iniuria, non de adulterio, non de rebus ablatis agere possent, »Am nächsten Tage wurde ein Edikt proponiert, in dem bestimmt wurde, dass … jede Klage gegen sie [die Christen] gültig sei, dass sie selbst aber nicht wegen iniuria, adulterium oder Diebstahl klagen könnten«. An anderer Stelle verweist Mommsen (S. 593 Anm. 2) zudem auf Euseb. hist. eccl. 9.10.12, wonach sich Christen weder in Städten noch sonst irgendwo aufhalten durften (was das hyperbolisch geschilderte Aufenthaltsverbot genau umfasste, muss also offen bleiben), wobei diese Beschränkung doch freilich ganz anders geartet ist als der Entzug des Klagerechts.

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der Intestabilität der späteren Strafgesetze«, behauptet Mommsen. 13 Aber inwieweit kann man den praktisch völligen Verlust des Schutzes durch die Gesetze mit einer Einschränkung vergleichen, die in vielen Fällen (wenn die gesetzliche Erbfolge ohnehin die gewünschte ist, sodass es gar kein Testament braucht) ganz folgenlos bleibt? Soll man ferner glauben, dass Theodosius’ I. Gesetzgebung absichtlich an ein Vorbild anknüpft, das fast ein Jahrhundert zurücklag? Mommsen schreibt weiter: »Zu Grunde liegt immer die Unfähigkeit zur Errichtung eines Testaments; aber die Rechtsbeschränkung greift darüber hinaus, zwar nicht bis zur Entziehung des Bürgerrechts, wobei der Verlust des Testirrechts auch in erster Reihe steht …, aber doch bis zu wesentlicher Einschränkung der jedem Reichsangehörigen zukommenden Verkehrsund Klagerechte. Eine allgemein gültige Definition der zu dem durch den Wortlaut gegebenen Inhalt hinzutretenden Erweiterung lässt sich nicht geben, da sie durchaus von den oft schwankend und unklar gefassten Specialgesetzen abhängt«. Brauchbare Belege gibt er dafür keine, 14 und tatsächlich wäre es auch unmöglich, seine weitreichenden Behauptungen mit Verweisen auf Codex-Theodosianus-Gesetze zu untermauern. Eine Einschränkung der Klagerechte für Heterodoxe sehe ich im Untersuchungszeitraum gar nicht (aber vgl. → S. 396, → S. 789); zur Verhinderung von Umgehungsversuchen untersagt man den betroffenen Heterodoxen regelmäßig Schenkungen und Schein13

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Wenig konsequent will Mommsen an anderen Stellen im »Strafrecht« aus den in der vorausgehenden Fußnote zitierten Laktanz- und Euseb-Passagen bereits die Intestabilität für Christen während der Christenverfolgungen herleiten (Mommsen, S. 593: »[die] privatrechtliche Zurücksetzung unter der Form der Intestabilität, [ist] zuerst, wie es scheint, bei den Christenverfolgungen des dritten Jahrhunderts, als Massenstrafe aufgekommen«; S. 604 Anm. 4: »Die Anfänge der Intestabilität scheinen den Christenverfolgungen anzugehören«). Dies hat nichts mit dem Wortlaut der beiden Passagen zu tun, die Mommsens einzige Belege sind. Noch merkwürdiger ist, dass Mommsen (S. 992, vgl. S. 686 mit Anm. 7) zudem eine Kontinuitätslinie von der diokletianischen Verfolgung über ein bestimmtes konstantinisches Gesetz (das angeblich Intestabilität gegen Frauen verhängte, die mit einem Sklaven eine Beziehung führten) bis hin zur Intestabilität für Heterodoxe ziehen will. Aber besagte Konstitution CTh. 9.9.1 gegen Verbindungen mit Sklaven enthält gar keine Intestabilitätssanktion! Die Kinder aus einer solchen Beziehung dürfen aus dem Vermögen der Mutter nach § 2 nichts durch letztwillige Verfügung, nach § 3 nichts im Intestaterbgang erhalten; es handelt sich also um ein Erbverbot für die Kinder. Niemand verbietet der betroffenen Frau, zugunsten anderer Personen ein gültiges Testament zu errichten – was sich aus § 2 ergibt, der explizit eine Umgehung zugunsten der Kinder per interpositam personam untersagt. Nur an der durch drei Punkte markierten Auslassung verweist er auf eine CassiusDio-Stelle, in die recht viel hineingelesen wird, → S. 322.

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verkäufe (manchmal auch jede Art von Geschäft), aber all dies hat nichts mit dem kompletten Wegfall des Rechtsschutzes unter Diokletian zu tun. Die im Alltag wohl dramatischste Einschränkung wäre das Verbot, Kaufverträge abzuschließen; doch in den Heterodoxengesetzen findet es sich inter alia und so beiläufig, dass es nicht als Hauptsanktion intendiert sein kann, sondern nur eine allfällige fraus legis von vornherein ausschließen soll. Die Idee der Marginalisierung der Heterodoxen durch die erbrechtlichen Sanktionen bereicherte Gaudemet durch einen weiteren Gedanken. Er schrieb (Gaudemet 1989, S. 596): »L’infidèle est frappé d’incapacités en général d’ordre successoral et il est exclu des fonctions publiques. Il devient un citoyen de seconde zone, parfois un étranger à l’empire chrétien. … C’est ainsi une nouvelle classification des personnes qui se substitue aux classifications anciennes, citoyens, latins, pérégrins. … Les centaines de lois qui répriment l’hérésie … attestent … l’importance d’une classification fondée sur la religion«. Doch Gaudemet übersieht dabei, dass die angeblich hunderte von Gesetzen gegen Heterodoxe in ihrer großen Mehrzahl nur Kleriker, nicht Laien sanktionieren (→ S. 319); und dass nur eine Minderheit von häretischen Laien (nämlich die Angehörigen der vier Gruppen) »incapacités … d’ordre successoral« erleidet. Merkwürdigerweise blendet Gaudemet auch den eminent wichtigen Gegensatz honestior/humilior (spätantik besser: honestus/vilis) aus, der gänzlich von der Religion losgelöst ist (sofern nicht ausnahmsweise Häresie zur Infamie und damit zur Herabstufung zum einfachen Menschen führt, → S. 364); diese Distinktion als Nachfolgerin des Gegensatzes Bürger/Nichtbürger zu sehen (und nicht etwa Orthodoxer/Heterodoxer), dürfte sehr viel eher dem Quellenbefund entsprechen. Dass die erbrechtlichen Sanktionen den symbolischen Ausschluss aus der Gemeinschaft der Römer darstellten, ist deswegen eine so beliebte These, weil in den Formulierungen der Texte gelegentlich darauf rekurriert wird, dass die Betroffenen durch Testierverbote das römische Recht verlören, nicht mehr »nach dem Recht aller Menschen« lebten, dass sie Peregrine seien usw. 15 Freilich bedeutet die spätantike Gleichsetzung von Testierrecht und 15

Vgl. CTh. 16.5.7 pr. (381, Manichäer), quoniam isdem sub perpetua inustae infamiae nota testandi ac vivendi iure Romano omnem protinus eripimus facultatem neque eos aut relinquendae aut capiendae alicuius hereditatis habere sinimus potestatem, »Denn wir entreißen ihnen unter dem ewigen Mal eingebrannter Infamie jedes Recht, ein Testament zu errichten und nach römischem Recht zu leben. Wir dulden es nicht, dass sie die Möglichkeit haben, eine Erbschaft letztwillig zu hinterlassen oder zu erwerben«; CTh. 16.7.2 (383, Apostaten), omnem in quamcumque personam testamenti condendi interdicimus potestatem, ut sint absque iure Romano, »Wir untersagen ihnen

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Bürgerrecht (wohl aufgrund der Situation der Latini Juniani: → S. 286), dass ein Testierrechtsentzug (auch wenn er möglicherweise aus ganz handfesten, eben nicht symbolischen Gründen verhängt wurde) im sprachlichen Bombast der Kaisergesetze ohnehin mit einem Bürgerrechtsentzug gleichgesetzt worden wäre, um eine eindringlichere Formulierung zu erlauben. Entsprechende Phrasen sind also möglicherweise einfach sprachlicher Schmuck, nicht eigentliche Substanz, und besitzen daher wenig Beweiskraft (vgl. → S. 352). Ein gewichtiges Argument gegen die Symboliktheorie ergibt sich aus dem weiteren Gang der Gesetzgebung, der offensichtlich pragmatischer, nicht symbolischer Natur war: Gegen alle Gruppen, die von erbrechtlichen Sanktionen betroffen sind, werden nämlich irgendwann auch entsprechende Schenkungsverbote erlassen. 16 Das ergibt funktional unmittelbar Sinn: Wer sein Hab und

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jede Möglichkeit der Testamentserrichtung zugunsten ganz gleich welcher Person, sodass sie ohne römisches Recht dastehen«; CTh. 16.7.5 (391, Apostaten): Quid enim his cum hominibus potest esse commune, qui infandis et feralibus mentibus gratiam communionis exosi ab hominibus recesserunt?, »Was kann denn diesen mit der Menschheit gemein sein, die in frevelhaftem, verderblichem Sinne die Annehmlichkeit der Gemeinschaft hassen und sich von der Menschheit entfernt haben?«; CTh. 16.5.17 (Mai 389, Eunomianer) und CTh. 16.5.18 (Juni 389, Manichäer) rauben den Betroffenen jeweils Testier- und Erbfähigkeit, die erhaltenen Fragmente schließen mit nihil ad summum habeant commune cum reliquis, »Kurzum, nichts sollen sie mit den anderen Menschen gemein haben«, bzw. nihil ad summum his sit commune cum mundo, »Kurzum, nichts soll ihnen gemein sein mit der Menschheit«; CTh. 16.5.23 (394, Eunomianer; Rückgewähr der Möglichkeit, testamentarisch zu vererben und zu erben): vivant iure communi, scribant pariter ac scribantur heredes, »sie sollen nach dem gleichen Recht wie alle leben, gleichermaßen Erben einsetzen und als Erben eingesetzt werden«; CTh. 16.5.40 pr. (407, Manichäer), Huic itaque hominum generi nihil ex moribus, nihil ex legibus sit commune cum ceteris, »Dieser Sorte Mensch sei daher nichts an Sitten, nichts an Gesetzen mit den übrigen gemeinsam«; CTh. 16.5.36 (399, Eunomianer, Bestätigung der Rückgewähr der Testierfähigkeit), Eunomianis poenam adimendae testamenti factionis peregrinorumque mutandae condicionis remittimus, »Den Eunomianern erlassen wir die Strafe des Verlusts der testamenti factio und der Herabstufung im Personenstatus zu Peregrinen«. Bei Manichäern und Donatisten enthalten bereits die ersten Konstitutionen mit Testierverboten ein Schenkungsverbot (CTh. 16.5.7 pr. von 381 bzw. CTh. 16.6.4 von 404/5); bei den Donatisten gemäß der Formulierung im CTh. nur das Verbot, Schenkungen zu erhalten – Augustin als kontemporäre Quelle beschreibt (irrig?) aber auch das Verbot, Schenkungen vorzunehmen (→ S. 597); bei Eunomianern und Apostaten folgen die Schenkungsverbote hingegen mit großem zeitlichen Abstand (Eunomianer: erstes Testierverbot von 389, CTh. 16.5.17; erstes Schenkungsverbot von 410, CTh. 16.5.49 – Apostaten: erstes Testierverbot von 381, CTh. 16.7.1; erstes Schenkungsverbot von 426, CTh. 16.7.7).

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Gut nicht per letztwilliger Verfügung nach eigener Intention transferieren soll, dem möchte man doch auch nicht zugestehen, dies einfach durch Weitergabe unter Lebenden zu umgehen. Pragmatisch ist das also leicht zu erklären, doch es lässt sich kaum mit der Ausgrenzungshypothese vereinbaren: Denn das Recht zu schenken wird (anders als das Testierrecht) nie in einen Zusammenhang mit dem Römersein gebracht. 17 Wenn nun sämtliche vorgeschlagene Theorien bereits auf den ersten Blick nicht unerhebliche Probleme aufzuweisen scheinen, wird nichts anderes übrig bleiben, als sich die Evidenz mit unverstelltem Blick und großer Genauigkeit durchzusehen. Dies wird den Hauptteil dieses Buchs ausmachen und in vier Kapiteln geschehen, die den vier betroffenen Gruppen gewidmet sind. Denn es sei daran erinnert, dass der Gang der Gesetzgebung jeweils ein anderer ist und man daher diese Gruppen am besten einzeln betrachtet (ohne aber dabei allfällige Verbindungen untereinander zu vernachlässigen, versteht sich). Nachdem daraus ein Fazit abgeleitet wurde, soll am Ende noch das »Nachleben« der erbrechtlichen Sanktionen in spätantiker Zeit bis Justinian verfolgt werden. Doch ehe wir uns an die Analyse der einzelnen Konstitutionen machen, sind allerlei einführende Erörterungen notwendig, um bestimmte Themen vor die Klammer zu ziehen, die entweder für die Diskussion intrinsisch wichtig sind oder aber im bisherigen Diskurs um die erbrechtlichen Sanktionen eine zu große Rolle spielten, als dass man sie ignorieren könnte. Zunächst (Abschnitt 1) wird ein Überblick über die besondere Bedeutung der Testamentserrichtung und des Vererbens in der römischen Kultur gegeben, in die eine Skizze des spätantiken Erbrechts verwoben ist (die sich aber auf das beschränkt, was für das weitere Verständnis unentbehrlich scheint, und die zahllose Vereinfachungen enthält). In diesem Abschnitt werden wir uns auch kurz mit dem Bürgerrecht (das in der Spätantike gelegentlich mit

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Über Schenkungen ist in diesem Hinführungskapitel daher auch nicht viel mehr zu sagen; wichtig scheint lediglich der Hinweis, dass Schenkungen seit Konstantin reichsweit insinuiert (d. h. öffentlich registriert) werden mussten (vgl. die Gesetze des Titels CTh. 8.12 sowie Steinwenter 1915, S. 83–92; Konstantin folgt darin seinem Vater, dem Tetrarchen Konstantius Chlorus, vgl. CTh. 3.5.1). Das geschah einerseits um der Beweisbarkeit willen (vgl. die Begründung von CTh. 8.12.5), andererseits wohl auch, um die behördliche Überwachung und die Aktualität der Steuerlisten sicherzustellen (Classen, S. 33). All dies bedeutet für uns, dass sich Schenkungssanktionen problemlos durchsetzen ließen, da es keine gültigen Schenkungen (jedenfalls nicht höheren Werts, vgl. Steinwenter 1915, S. 86) ohne Meldung an den Staat gab.

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dem Testierrecht gleichgesetzt wurde) beschäftigen. Zur Kontextualisierung der erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe ist es auch notwendig, dass wir uns in gebotener Kürze ansehen, wen sonst ähnliche Sanktionen trafen und (umgekehrt) welche Sanktionen sonst gegen Heterodoxe verhängt wurden (Abschnitt 2 und 3). Der Befund – dies sei vorausgeschickt – wird in beiden Fällen ein negativer sein: Die erbrechtlichen Sanktionen passen weder gut zu den üblichen Heterodoxenstrafen noch lässt sich aus den anderen Gruppen, die von erbrechtlichen Sanktionen betroffen waren, eine brauchbare Erklärung ableiten, weswegen man sie gegen Heterodoxe verhängt hat. Wenig überraschend begegnet in den Quellen immer wieder der Versuch oder zumindest Wunsch, die erbrechtlichen Sanktionen durch Gestaltung oder gar Rechtsbruch zu umgehen; es bietet sich an, diese Passagen gesammelt zu besprechen (Abschnitt 4). Die verbreitete Symbolikthese sieht in den erbrechtlichen Sanktionen nur eine weitere Manifestation des Ausschlusses aus der Gemeinschaft; da Formulierungen, die einen »Ausschluss aus der Gemeinschaft« proklamieren, gar nicht so selten in Gesetzen vorkommen (und zwar gelegentlich in solchen mit, vor allem aber in solchen ohne erbrechtliche Sanktionen), müssen wir uns diese Passagen gesammelt ansehen und sie analysieren (Abschnitt 5). Merkwürdigerweise hat eine ganze Reihe von modernen Autoren (möglicherweise sogar unabhängig voneinander) die erbrechtlichen Sanktionen als direkte Auswirkung einer zuvor gegen die Häretiker verhängten Infamie verstanden; diese Theorie hat viele Bruchstellen, scheint aber so oft in der Literatur auf, dass wir sie in extenso besprechen müssen (Abschnitt 6). Was schließlich ebenfalls noch vor die Klammer gehört und in einem eigenen Unterkapitel (Abschnitt 7) gesammelt besprochen werden muss, sind einige Passagen aus Sozomenos: Der Kirchenschriftsteller (und Jurist) ist der einzige erzählende Autor, in dem Motive wie Ausschluss aus der Gemeinschaft, Infamie usw. erscheinen. A priori könnten diese Passagen von großer Relevanz für den Untersuchungsgegenstand sein, was sich allerdings bei näherer Betrachtung als unrichtig herausstellt. Mit anderen Worten: Genau genommen bleibt nach dem Ende dieses Hinführungskapitels wenig übrig, woran man sich halten kann. Doch haben wir erst Tabula rasa gemacht, können wir uns mit unverstelltem Blick den Texten zuwenden.

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der hintergrund

Vererben und Erben in der Spätantike Der spezifisch-römische soziale und rechtliche Rahmen des Erbens und Vererbens unterschied sich in bestimmten Zügen deutlich von dem unserer Zeit. Denn grundsätzlich konnte ein Römer testamentarisch frei über sein Vermögen verfügen; im Regelfall machte er ein solches Testament (Champlin, S. 20 f.); und der gute Ton (zumindest in der Hohen Kaiserzeit innerhalb der höheren Sozialklassen) erforderte es, darin zahlreiche Personen mit Vermächtnissen zu bedenken (Champlin, S. 17). Die Zuwendungen (bzw. ihr Fehlen) wurden mit lobenden (bzw. tadelnden) Worten garniert, was den Inhalt von Testamenten – der noch dazu in einem öffentlichen Akt bekannt gegeben wurde – nicht nur für die direkt Betroffenen zu einer höchst spannenden Angelegenheit machte. Und so kommentierten antike Briefschreiber von Cicero bis in die Hohe Kaiserzeit den Inhalt von Testamenten oft und gern. 18 Die weitgehend freie Verfügbarkeit über das Vermögen sowie die gelegentliche Kinderlosigkeit ließen oft Außenstehende profitieren; so ist Erbschleicherei in den Quellen ein häufiges Thema. 19 Kurzum: Ein Römer hatte ungleich mehr mit Testamenten und Erbschaften zu tun als wir heute. So stellt sich jedenfalls die Situation dar, wie wir sie für die Republik und die Hohe Kaiserzeit aus zahlreichen Quellen kennen. 20 Was die Spätantike 18 19

20

Eine Zusammenstellung von Cicero-, Plinius- und Fronto-Passagen bei Champlin, S. 18 f. mit Anm. 60. Champlin, S. 24 f.; für die Spätantike vgl. Nov. Maior. 6 § 11 von 458, ein Text, der so pittoresk ist, dass ich nicht umhin kann, ihn in gewisser Länge zu zitieren: Inter cetera captatorum etiam aviditas comprimenda est, qui nonnumquam ignotorum paene lectulis adsidentes animos ipsa corporum aegritudine fatigatos et sincera iam iudicia non habentes simulata adfectione depravant, ut plerique consanguinitatis et necessitudinum suarum frequenter obliti extraneos scribere videantur heredes, cum insidiosa munuscula diriguntur, cum subornantur medici, qui prava persuadeant et neglecto medendi studio fiant alienarum cupiditatum ministri, »Ferner ist auch der Geldgier von Erbschleichern Einhalt zu gebieten, die an den Betten von ihnen mitunter praktisch unbekannten Menschen lauern; sie führen deren Verstand, erlahmt von der körperlichen Krankheit und bereits ohne klares Urteilsvermögen, mit vorgeschützter Zuneigung auf Abwege, sodass viele, ohne Gedanken an Blutsverwandtschaft und ihre Angehörigen, oft Fremde im Testament als Erben einsetzen, während kleine Geschenke mit bösen Hintergedanken übermittelt werden, während Ärzte heimlich instruiert werden, die dann Falsches raten und ohne Bemühung um Heilung zu Knechten fremder Geldgier werden«. Das Standardwerk zum Vererben vor der Spätantike ist das hervorragende Buch von Champlin. Vgl. ferner Paulus, S. 40–82. Der Aufsatz von Boyer ignoriert die umfangreiche Evidenz jenseits der Digesten fast ganz.

vererben und erben in der spätantike

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angeht – die uns ja eigentlich interessiert –, so erreicht leider weder Quellennoch Forschungslage ein vergleichbares Niveau. Dies zwingt uns im Weiteren dazu, unverhältnismäßig oft auf hochkaiserzeitliche Quellen und Forschungsergebnisse zurückzugreifen; um nicht den Fehler zu begehen, entscheidende Interpretationen auf anachronistischen Belegen fußen zu lassen, werden wir gegen Ende dieses Abschnitts anhand spätantiker Testamente prüfen, ob sich bestimmte wesentliche Aspekte hochkaiserzeitlicher Testamente (die für eine Interpretation der erbrechtlichen Sanktionen unmittelbar relevant wären) erhalten haben. Was die Darlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen angeht, die sich explizit an den Nichtjuristen wendet, so muss betont werden, dass es sich um eine Skizze handelt, die nur so weit reicht, wie es für ein Verständnis der späteren Diskussion der einzelnen Konstitutionen unbedingt notwendig ist. Deswegen wird etwa der Hintergrund einer fehlenden oder entzogenen Testierfähigkeit ausführlich dargelegt, während beispielsweise Soldatentestamente oder die bonorum possessio vollständig ignoriert werden. Nicht nur aufgrund dieser Auslassungen müsste eigentlich fast jeder Satz im nachfolgenden Abriss mit »grundsätzlich«, »normalerweise« oder »im Regelfall« nuanciert werden. Testamente, Vermächtnisse, andere Zuwendungen von Todes wegen und der Intestaterbgang nehmen in den juristischen Quellen sehr viel Raum ein, mit einem merkwürdigen Schwerpunkt auf den Vermächtnissen (vgl. Kaser I, S. 742). Man hat auf Grundlage der Digesten geschätzt, dass es sich bei mehr als der Hälfte aller römischen Zivilprozesse um Erbschaftsprozesse gehandelt hat. 21 Als Q. Mucius Scaevola um 100 v. Chr. als erster eine systematische Gesamtdarstellung des römischen ius civile verfasste, setzte er das Erbschaftsrecht ganz nach vorn und begann zudem mit dem Testament. 22 21

22

Ob diese Methode – also von Digestenerwähnungen auf tatsächliche Prozesshäufigkeiten zu schließen – ihre Berechtigung hat, kann hier dahingestellt bleiben (wie will man denn ausschließen, dass die Auswahlkriterien der Digestenexzerptoren oder bereits der juristischen Originalautoren die Verhältnisse verschoben?). Gleichwohl sind die Statistiken von Kelly (S. 78–89) eindrucksvoll: Von 1.306 privatrechtlichen Responsa-Erwähnungen in den Digesten betreffen 761 (58 %) erbrechtliche Fragen. Was die in den Digesten erwähnten kaiserlichen Reskripte angeht, so betreffen 257 von 414 Zitaten, also 62 %, das Erbrecht. Bei den Zweifelsfällen (wo es also laut Kelly zwar wahrscheinlich, aber unbeweisbar ist, dass ein tatsächlicher Fall einer juristischen Diskussion zugrunde liegt) sind 52 von 76 erbrechtlicher Natur. So jedenfalls rekonstruiert man das nicht erhaltene Werk in 18 Büchern (Übersicht bei Bremer, S. 62–64, mit der Bemerkung: »Mucium de hereditate primo loco egisse certum est. cuius rei causa erat, quod patrimonium vitae privatae quasi fundamentum habebatur.«).

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der hintergrund

Stark vereinfachend, könnte man die Grundlagen des römischen Erbrechts wie folgt zusammenfassen: Verstarb ein gewaltfreier – und damit vermögensfähiger – römischer Bürger, dann konnte eine von zwei Situationen vorliegen: Entweder gab es ein gültiges Testament oder nicht. Im ersten Fall wurde sein Eigentum grundsätzlich gemäß den darin getroffenen Regelungen verteilt. Dass ein Römer bei seinem Ableben kein Testament hatte, scheint (jedenfalls bei begüterten Personen) die Ausnahme gewesen zu sein. 23 War dies aber doch der Fall (oder war das Testament aus irgendeinem Grund ungültig), trat die Intestaterbfolge (auch »gesetzliche Erbfolge« genannt) ein, d. h., sein Vermögen wurde gemäß Regeln, die vom Rechtssystem vorgegeben waren, verteilt. Unsere Kenntnisse der spätantiken Intestaterbfolge vor Justinian sind im Detail widersprüchlich (Kaser II, S. 497–510). Klar ist jedenfalls, dass – sofern es solche gab – zunächst die sui (auf Deutsch: »Hauserben«) zum Zuge kamen. Die sui sind die Personen, die der patria potestas 24 des Erblassers im 23

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Zahlreiche Literaturstellen (vgl. Champlin, S. 21) von Catos Zeiten (sofern man seine Biografie durch Plutarch als Quelle für diese Zeit nehmen will) bis hin zur Spätantike implizieren die Selbstverständlichkeit der Testamentserrichtung (für die Spätantike sei Ambr. Noe 10.35 zitiert: homines quidem cum moriuntur, patrimonium suum testamento transcribere solent, »Wenn Menschen im Sterben liegen, pflegen [!] sie ihr Vermögen mit einem Testament zu überschreiben«). Fälle, in denen der Erblasser intestat verstorben ist, werden weder in den Digesten (15 Mal) noch in den ägyptischen Papyri (26 Mal in Papyri römischer Zeit) sonderlich oft erwähnt (Champlin, S. 44). Ein Rechtshistoriker diagnostizierte einen »horror of Intestacy«, die griffige Formulierung wurde zum geflügelten Wort (Champlin, S. 20 f.). Die Idee hat man später mehrfach angegriffen, allerdings weniger mit widersprechenden Quellen, sondern vor allem mit dem Argument, dass die allermeisten Römer doch sicher recht arm waren, wenig oder nichts zu vererben hatten und deswegen auch kein Testament errichteten (Champlin, S. 20 f. Anm. 66 für die Bibliografie). Aber tatsächlich wissen wir schlichtweg nicht, ob nicht auch arme Römer aus sozialer Konvention vielleicht doch testierten. Und selbst wenn nicht (dagegen spricht etwa, dass es papyrologisch keine Belege für Testamente recht mittelloser Erblasser gibt, Champlin, S. 55, wobei aber die Zahl der Testamente auf Papyri insgesamt nicht allzu groß ist): Aufgrund unserer Quellensituation sind es ohnehin die begüterten Personen, die notgedrungen Gegenstand unserer Untersuchung sein müssen. Nur eines der Gesetze mit erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe (CTh. 16.5.58 gegen Eunomianer) gibt en passant Beispiele für das, was sich Heterodoxe möglicherweise gegenseitig zukommen lassen würden, nämlich (§ 4) ein Landgut (praedium) oder ein Stadthaus (domus); auch hier hat man die begüterten Schichten im Blick. Die patria potestas ist ein zutiefst römisches Rechtskonzept. Stark vereinfacht: Solange ein Vater (dessen eigene männliche Vorfahren vorverstorben sind) selbst noch lebt, unterstehen seine Söhne seiner potestas; was sie an Eigentum, Besitz oder

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Zeitpunkt seines Ablebens unterworfen waren und die durch seinen Tod gewaltfrei wurden, also typischerweise seine nicht emanzipierten Kinder. Gab es sui, erbten diese unmittelbar und ohne weiteres Zutun durch den Tod des Gewaltinhabers. Andernfalls wurde die Erbschaft der Reihe nach bestimmten Personen angetragen, die mit dem Erblasser im männlichen Stamm verwandt waren (Agnaten), so dem Vater, den vaterblütigen Brüdern und Schwestern (mit ihnen, obwohl keine Agnatin, der Mutter), den Onkeln väterlicherseits usw. Inwieweit vaterblütige Frauen außer Schwestern oder gar nichtagnatische Verwandte berücksichtigt wurden, sind Fragen, deren Beantwortung in spätantiker Zeit im Wandel begriffen war (Kaser II, S. 505 f.) und offensichtlich auch Anlass zu Rechtsstreitigkeiten gab. 25 Anders als die sui erbten solche Personen nicht automatisch: Die Erbschaft wurde einem angetragen, man konnte sie antreten (adire) und dann ins eigene Vermögen überführen (capere) oder gegebenenfalls auch ausschlagen. Doch die übliche Erbfolge war, wie gesagt, die testamentarische. Für uns Heutige – jedenfalls in Deutschland – ist es streng genommen nur erforderlich, ein Blatt Papier zur Hand zu nehmen, darauf eigenhandschriftlich sämtliche gewünschten testamentarischen Verfügungen zu treffen und zu unterschreiben (§ 2247 BGB). Nur wenig zeremonieller ist die Alternative, das

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Forderungsrechten erwerben, erwerben nicht sie, sondern vielmehr ihr Vater als Oberhaupt der Familie. Bei seinem Tod werden sie gewaltfrei (sui iuris) und damit vermögensfähig, sind gesetzliche Erben und haben die eigenen Abkömmlinge nunmehr in ihrer, gerade neu entstandenen patria potestas. Ein vorzeitiges Entlassen aus der patria potestas ist möglich mit der Emanzipation. Dadurch wird der Sohn zwar zu Lebzeiten seines Vaters gewaltfrei (und damit vermögensfähig), freilich erlischt so auch jede verwandtschaftliche Verbindung des Sohns zur väterlichen Familie, d. h., ein solcher Sohn konnte also nicht mehr gesetzlicher Erbe seines Vaters oder Bruders sein. Dass dieses altrömische Rechtsinstitut auch in der Spätantike lebendig blieb, illustriert z. B. ein Kanon des Konzils von Hippo (393), wonach Bischöfe und Priester ihre Söhne nur dann emanzipieren durften, wenn sie von deren moralischer Reife überzeugt waren (Conc. Afr. p. 20.1–15); vgl. ferner Aug. epist. Divj. 24.1. In einem Brief anempfiehlt Sidonius Apollinaris dem Juristen Petronius den Träger des Briefs, den eine Erbschaft (oder, wenn er Pech hat, ein Erbschaftsstreit) nach Arles führt (Sidon. epist. 5.1.3): siquidem hac definitione perrexit, ut aut ineat litem aut adeat hereditatem. nam patrueli paterno caelibi intestatoque defuncto per agnationis praerogativam succedere parat, nisi tamen coeptis factiosa vis obviet, »Denn er machte sich auf den Weg mit dem festen Entschluss, entweder einen Prozess anzustrengen [inire] oder eine Erbschaft anzutreten [adire]. Denn da sein unverheirateter Onkel väterlicherseits ohne Testament verstorben ist, schickt er sich an, ihm gemäß dem Vorrecht der Agnation nachzufolgen, sofern sich nicht intrigante Gewalt diesem Unterfangen in den Weg stellt«.

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der hintergrund

Testament beim Notar zu errichten. Ganz anders bei den Römern. Dort war das Errichten (condere) eines Testaments eine bedeutsame, festliche Angelegenheit, wozu eine Erblasserin aus guter Familie ihre schönsten Gewänder trug (Plin. epist. 2.20.10). Plinius (epist. 1.9.2) nennt seine Mitwirkung an Testamentserrichtungen in einem Atemzug mit der Teilnahme an wichtigen Familienfeiern wie Verleihungen der Männertoga, Verlobungen und Hochzeiten. Seine »Mitwirkung« bestand darin, als Zeuge zu fungieren: Entweder fünf oder sieben Zeugen 26 – testamentum leitet sich von testis ab – mussten bei einer Testamentserrichtung anwesend sein, und diese Zeugen drückten der Schnur, mit der die letztwillige Verfügung verschlossen war, ihr jeweiliges Siegel auf. Diese Siegel garantierten die Unversehrtheit der Urkunde. Den Inhalt kannten die Zeugen nicht unbedingt, 27 sodass der letzte Wille des Testators bis zur Eröffnung regelmäßig geheim blieb. Weil eine Testamentsbeurkundung so aufwändig war, etablierte sich ein weitaus weniger formstrenger Zusatz zum Testament, das sogenannte Kodizill. Mit ihm konnte der Erblasser zwar keinen Erben einsetzen, sehr wohl aber ohne größere Umstände sonstige Ergänzungen aller Art vornehmen. In der Praxis war die Vergabe von Fideikommissen und eventuell Legaten (zu diesen Vermächtnisformen gleich mehr) ein typischer Einsatzfall fürs Kodizill; auf diese Weise konnte man etwa auf dem Sterbebett noch schnell jemandem etwas zukommen lassen (Plin. epist. 2.20.5). Mit der Zeit wurden die Regelungen zur Errichtung eines Kodizills immer strenger, denn die Formlosigkeit erleichterte Betrügereien ungemein – bei Justinian sind dann zur Errichtung eines Kodizills ebenfalls Zeugen notwendig! Als Reaktion darauf begann man, letztwillige Verfügungen wiederum formlos niederzulegen; die juristischen Quellen nennen das »Brief« (epistula) oder »Schriftstück« (scriptura). 28 Auch hier gab es bald Bestrebungen, ähnliche Sicherheitsvorkehrungen wie bei Testamenten und Kodizillen vorzuschreiben. Kodizill und Epistula werden uns im weiteren Verlauf nur insoweit begegnen, als sie in Gesetzen mit erbrechtlichen 26

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Gai. 2.104 f., 2.119; für die spätantike Situation vgl. CTh. 4.4.3 § 1 von 402. Ausführlich zum dokumentarischen Befund und zu möglichen Erklärungen Nowak, S. 46–51, ferner Sánchez-Moreno Ellart. Allerdings scheint es in der Spätantike zunehmend üblich geworden zu sein, dass die Zeugen nicht nur die Unversehrtheit der Urkunde, sondern auch ihren Inhalt garantierten, vgl. Nowak, S. 62. Dies war freilich nicht immer so und auch nicht vorgeschrieben, vgl. CTh. 4.4.3 § 1 a. E., § 2 a. E., von 402?. CI. 6.35.4 (223); CI. 3.36.26 pr. (321); CI. 6.22.7 (371); CI. 6.32.4 (379, ein Kodizill oder eine scriptura muss wie ein Testament eröffnet werden); CTh. 4.4.2 pr. (389); CTh. 16.2.27 pr. (390). Vgl. Kaser II, S. 495 f. Anm. 5.

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Sanktionen gelegentlich als mögliche Umgehungsvarianten ausdrücklich verboten werden, d. h., man darf dem Heterodoxen weder durch Testament noch durch Kodizill noch durch Epistula etwas zukommen lassen (→ S. 342). Ein Erblasser brauchte einen oder mehrere Erben, die er namentlich im Testament einsetzen musste. Zwar galt das Grundprinzip der Testierfreiheit, doch andererseits besaßen die sui im römischen Wertesystem eine enorme Bedeutung. Deswegen hatte sie der Erblasser jeweils als Erben einzusetzen bzw. zu enterben, im Regelfall namentlich und einzeln (wobei es hinsichtlich der weiblichen Hauserben auch ausreichte, sie kollektiv zu enterben); ein bloßes Unerwähntlassen machte (jedenfalls in früherer Zeit) das Testament ungültig. Theoretisch kannte das römische Recht keinen Pflichtteil, in der Praxis über die Konstruktion der querela inofficiosi testamenti dann in gewisser Weise doch (→ S. 754). Der Erblasser konnte seine(n) Erben mit Vermächtnissen beschweren, d. h. beauftragen, anderen etwas aus dem eigenen Anteil zuzuwenden (ein Viertel, die sogenannte falzidische Quart, musste er ihm aber mindestens lassen, → S. 238). Das konnte er einerseits mit dem nach Form und Inhalt streng geregelten Legat tun. Als Alternative entwickelte sich das ganz formlose Fideikommiss, bei dem es der Erblasser lediglich der Treue (fides) des Erben anempfahl (committere), die erbetene Zuwendung dann auch wirklich vorzunehmen. Folgerichtig konnte man mit Fideikommiss auch solchen Personen etwas zuwenden, die rechtlich gar nicht als Erben oder Legatare in Frage gekommen wären (etwa Nichtbürgern). Noch in der Hohen Kaiserzeit wurden Fideikommisse einklagbar, dafür wurde noch später das dem Nichtbürger per Fideikommiss Zugewandte staatlicherseits konfisziert (Gai. 2.285), nur für Latini Juniani (zu diesen gleich mehr) bestand dieses Schlupfloch fort (Gai. 1.24 f.). Eine Sonderform ist das tacitum fideicommissum: Der Erblasser weist seinen Erben heimlich (z. B. mündlich) an, jemandem etwas zuzuwenden, der strafhalber eigentlich gar nichts bekommen dürfte. Wird dies ruchbar, kann der Erbe selbst gar keinen Vorteil mehr aus dem Testament ziehen, sein ganzer Anteil wird strafweise von der Staatskasse eingezogen (Paul. D. 49.14.49). Bis zum Versterben des Erblassers und der Eröffnung des Testaments blieb der Inhalt des letzten Willens (jedenfalls in der Hohen Kaiserzeit) normalerweise geheim (zu anekdotischen Ausnahmen vgl. Champlin, S. 10, S. 24). Das bot breiten Raum für Gerüchte und in manchen Fällen auch für dreistes Lügen des künftigen Erblassers (Champlin, S. 23). Die Eröffnung eines römischen Testaments erfolgte öffentlich (Paul. sent. 4.6.1 f.): 29 29

Die ausführlichste Arbeit zur römischen Testamentseröffnung ist die Dissertation

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der hintergrund Tabulae testamenti aperiuntur hoc modo, ut testes vel maxima pars eorum adhibeatur, qui signaverint testamentum: ita ut agnitis signis rupto lino aperiatur et recitetur … 2. Testamenta in municipio, colonia, … facta in foro vel basilica praesentibus testibus vel honestis viris inter horam secundam et decimam diei aperiri recitarique debebunt … Die Schreibtäfelchen eines Testaments werden auf folgende Weise geöffnet: Es sollen die Zeugen, die das Testament siegelten (oder zumindest möglichst viele von ihnen), hinzugezogen werden. Nachdem sie ihre Siegel bestätigt haben und man die Schnur zerrissen hat, öffnet und verliest man das Testament … 2. Testamente, die in einem Munizipium, einer Kolonie [oder in anderen Siedlungsarten] errichtet wurden, sind auf dem Forum oder in der Basilika unter Anwesenheit der Zeugen oder wenigstens anständiger Männer zwischen der zweiten und der zehnten Stunde des Tages zu öffnen und zu verlesen.

Dass dieses Verfahren auch später beibehalten wurde, zeigt eine bemerkenswerte Passage aus der Collatio von 411. Bei diesem eigenartigen Religionsprozess, in dem nach offizieller Lesart endgültig bestimmt werden sollte, welche der beiden verfeindeten Kirchen in Afrika im Recht war (→ S. 574), galten ganz besondere Vorkehrungen hinsichtlich der textlichen Zuverlässigkeit der Protokolle, deren Wortlaut von Stenografen beider Seiten formuliert und die von je einem Bischof beider Seiten beglaubigt wurden. Dort wird recht ausführlich geschildert, wie ein Protokoll wieder geöffnet wird, was ganz ähnlich wie bei einer Testamentseröffnung geschah (Coll. Carth. 2.53): Marcellinus, vir clarissimus, tribunus et notarius, dixit: »Susceptae tabulae ab ecclesiasticis notariis recitentur.« … Marcellinus, vir clarissimus, tribunus et notarius, dixit: »Custodes edicant, utrum signa cognoverint.« Leo, episcopus ecclesiae catholicae, dixit: »Agnosco sigillum meum.« Marinianus episcopus dixit: »Agnosco sigillum meum.« Marcellinus, vir clarissimus, tribunus et notarius, dixit: »Quoniam ab utraque parte inpressionem signorum agnitam constat, ea, quae praecepi, a notariis relegantur.« Petilianus episcopus dixit: »Sic solent testamenta, non gesta reserari.« Marcellinus v. c., Tribunus et notarius: »Die Täfelchen sollen von den kirchlichen Notaren zur Hand genommen und verlesen werden.« … Marcellinus v. c., Tribunus et notarius: »Die Kontrolleure sollen erklären, ob sie ihre Siegel wiedererkennen.« Leo, katholischer Bischof: »Ich bestätige mein Siegel.« von Nisoli; zum papyrologischen Quellenmaterial vgl. Kreller, S. 395–406; Amelotti 1966, S. 187–190; und v. a. Nowak, S. 73–103.

vererben und erben in der spätantike

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Marinian, [donatistischer] Bischof: »Ich bestätige mein Siegel.« Marcellinus v.c, Tribunus et notarius: »Da von beiden Seiten der Abdruck der Siegel bestätigt wurde, soll das, was ich angeordnet habe, von den Notaren verlesen werden«. Petilian, [donatistischer] Bischof: »So eröffnet man Testamente, nicht Akten!« 30

Eine Passage bei Augustin (in psalm. 21, enarr. 2.30) vermittelt uns einen faszinierenden Eindruck der Atmosphäre, die bei einer solchen Eröffnung herrschte: 31 Tamdiu contenditur de hereditate mortuorum, quamdiu testamentum proferatur in publicum. Et cum testamentum prolatum fuerit in publicum, tacent omnes, ut tabulae aperiantur et recitentur. Iudex intentus audit, advocati silent, praecones silentium faciunt, universus populus suspensus est, ut legantur verba mortui non sentientis in monumento. Ille sine sensu iacet in monumento – et valent verba ipsius. Man streitet so lange um die Erbschaft der Toten, bis das Testament vor die Öffentlichkeit gebracht wird. Und sobald das Testament vor die Öffentlichkeit gebracht wird, schweigen alle, damit die Schreibtäfelchen geöffnet und verlesen werden. Aufmerksam hört der Richter zu, die Rechtsbeistände schweigen, die Amtsdiener gebieten Ruhe, das gesammelte Publikum wartet gespannt darauf, dass die Worte des Toten – der selbst im Grab nichts wahrnehmen kann – verlesen werden. Er mag ohne Bewusstsein im Grab liegen – doch seine Worte besitzen Gültigkeit.

Aus Ravenna besitzen wir sogar einen Papyrus wohl spätjustinianischer Zeit, auf dem die teilweise recht detaillierten Protokolle mehrerer Testamentseröffnungen aus dem späten 5. und frühen 6. Jahrhundert wiedergegeben sind. In ihnen bestätigen die Zeugen ihre Siegel, die Abwesenheit fehlender Zeugen wird z. B. durch deren zwischenzeitliches Versterben erklärt, und selbst das Zerschneiden der Siegelschnur vermerkt man pflichtgemäß (Tjäder, S. 196– 30 31

Im Weiteren verlangt Petilian, die Akten (sonst wie üblich) auszuhängen, anstatt sie einfach nur zu verlesen. Im Kontext geht es darum, dass das testamentum eines Verstorbenen (obwohl er nunmehr tot ist) eingehalten wird, während die Donatisten laut Augustin den Willen Christi missachten (obwohl der im Himmel thront). Champlin (S. 5) hat die bemerkenswerte Passage an den Anfang seines Buchs gestellt. Freilich scheint seine Interpretation übertrieben: Es geht nicht um Neugier hinsichtlich der sozialen Angemessenheit der einzelnen Regelungen, sondern vielmehr darum, dass die angedeuteten Erbstreitigkeiten endgültig entschieden werden, d. h. um Neugier hinsichtlich des Streitausgangs. Ein Beleg für ein spätantikes Interesse an den wertenden Aussagen und der Gestaltung von Testamenten, wie wir das aus Republik und Hoher Kaiserzeit kennen, ist die Augustinstelle gerade nicht.

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der hintergrund

217). Obwohl die öffentliche Testamentseröffnung ursprünglich deswegen vorgeschrieben wurde, um die Erbschaftsteuer eintreiben zu können, blieb sie also auch in der Spätantike – in der diese Steuer gar nicht mehr existierte (→ S. 66496) – weiterhin verpflichtend. Der gewichtigste sachliche Grund war zweifellos, einer möglichen Manipulation des Testamentsinhalts durch diesen öffentlichen Akt vorzubeugen. Doch zumindest in der Hohen Kaiserzeit genauso wichtig (oder womöglich noch wichtiger) war die gesellschaftliche Komponente der mit größtem Interesse verfolgten Testamentseröffnungen. Dieses Interesse erklärte sich einerseits aus einer vagen oder womöglich gar recht konkreten Hoffnung, selbst im verlesenen Testament bedacht zu sein. Aber der finanzielle Aspekt stand bei der Obsession der Römer für Testamente, jedenfalls in der Hohen Kaiserzeit, nicht im Vordergrund: Vielmehr ging es um die letzte Verlautbarung des Toten aus dem Grab. Die einzelnen testamentarischen Verfügungen wurden nämlich, wie oben bereits angedeutet, regelmäßig mit lobenden Worten versehen (bzw. ihr Fehlen mit ausdrücklichem Tadel begründet). Nur ein einziges Mal überhaupt sagen Römer die Wahrheit, nämlich im Testament, spottete der Philosoph Nigrinus laut Lukian (Nigr. 30). Einen ähnlichen Gedanken, allerdings aus positiver Sicht formuliert, finden wir bei Plinius (epist. 8.18.1): Er schreibt, dass das Testament nach allgemeiner Auffassung den Charakter des Erblassers reflektiere. Die öffentliche Verlesung der letztwilligen Bestimmungen war also eine letzte Präsentation des Toten, der darin Lob und Tadel über sein Umfeld verteilte und zahlreiche Personen – Familie, Freigelassene, Freunde – bedachte. Dieses letzte Urteil eines Verstorbenen über seine Mitmenschen, das noch dazu öffentlich verlesen wurde, war also im Lebenslauf eines Römers ein abschließender (wenn auch postumer) Höhepunkt. Viele der bislang zitierten Quellen stammen aus der Hohen Kaiserzeit und sind damit rund drei Jahrhunderte älter als die Epoche, die uns hier interessiert. Unglücklicherweise fehlt für die Spätantike eine Monografie, wie wir sie mit Champlin (der »circa A.D. 250« abbricht, vgl. seine S. 3) für die Hohe Kaiserzeit besitzen. Nowak legte zwar unlängst eine beeindruckende Studie zur spätantiken Testierpraxis vor, die in mustergültiger Sorgfalt das ganze papyrologische Material hinsichtlich des Formulars und der Rechtstechnik aufarbeitet. Doch die Arbeit, systematisch alle Testimonien zur sozialen Bedeutung des Testaments aufzuspüren und auszuwerten, muss für die Spätantike noch geleistet werden. Insofern ist es eine offene Frage, ob es auch in dieser Epoche üblich blieb, Vermächtnisse für zahlreiche Personen (die eigenen Freigelassenen, aber auch nähere und nicht ganz so nahe Freunde?) auszusetzen und das Testament für eine letzte Abrechnung – im Guten wie im

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Schlechten – mit dem Umfeld zu nutzen. Die nachfolgenden Ausführungen können diese Forschungslücke nicht schließen – dafür wäre eine eigene, umfangreiche Monografie notwendig. Ich will hier nur vereinzelte Passagen präsentieren, die andeuten, in welche Richtung sich die sozialen Aspekte des Vererbens und Erbens offenbar entwickelt haben. Dass es hinsichtlich der Vermächtnisse für Freigelassene beim Alten blieb, zeigt folgender Abschnitt eines Gesetzes von Markian aus dem Jahr 455. Nach damals geltender Rechtslage hätte die Witwe Hypatia nicht einen Kleriker als Erbe einsetzen dürfen (→ S. 296), sodass eigentlich ihr gesamtes Testament ungültig sein sollte. Doch Markian nimmt sich des Einzelfalls an; ihm erscheint das Testament an sich gerecht; daher bestätigt er es (und nimmt diesen Einzelfall zum Anlass, die allgemeine rechtliche Situation zu ändern, → S. 121, was er charakteristischerweise als »Bestätigung« kaschiert, → S. 30778). Interessant für unsere Fragestellung sind die Kriterien, die in Markians Augen ein Testament ausmachen, in dessen Zusammenhang er Adjektive wie iustus, prudens, pius benutzen kann (Nov. Marc. 5 § 1): …, universum testamentum iussimus relegi atque replicari; et cum repertum fuisset alias quoque partes eiusdem voluntatis ita iuste ac prudenter institutas, ut nullum bene de se meritum neglexerit, multa sacrosanctis ecclesiis, multa pauperibus, multa monachis religionis intuitu, multa captivorum redemptioni commota miserabili eorum sorte contulerit, multa libertis suis delatorum sibi obsequiorum contemplatione praestiterit, alteram quoque partem institutionis, in qua Anatolium presbyterum reliquit heredem, advertimus ordine fuisse dispositam. Ea enim mobilia, quae plurimis iuste ac pie reliquit, per hunc voluit universa compleri, ut non solum heredis, sed paene etiam dispensatoris fungatur officio. Ideoque huiusmodi praedictae clarissimae memoriae Hypatiae voluntatem etiam in ea parte, qua Anatolium presbyterum instituit heredem, mea auctoritate firmavi. Wir befahlen, dass das ganze Testament noch einmal verlesen und entrollt 32 werde. Man stellte fest, dass die anderen Teile desselben Testaments derart gerecht und weise gestaltet waren, dass sie [die Erblasserin] niemanden, der sich um sie verdient gemacht hatte, übergangen hatte, dass sie viel den hochheiligen Kirchen, viel den Armen, viel den Mönchen aus religiösen Gründen, viel für den Freikauf von Gefangenen aus Mitleid für deren elendes Schicksal zukommen ließ, dass sie viel ihren Freigelassenen um der ihr geleisteten Dienste willen gab.

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Es handelte sich also um eine Schriftrolle, nicht um Täfelchen.

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der hintergrund So erkannten wir, dass auch der Teil der Verfügung, in dem sie den Presbyter Anatol als Erben einsetzte, ordnungsgemäß errichtet worden war. Denn sie bestimmte, dass ihre bewegliche Habe, die sie in gerechter und pflichtgemäßer Weise vielen Menschen hinterlassen hatte, vollständig durch ihn verteilt 33 werde, sodass er nicht nur die Rolle eines Erben, sondern beinahe auch die eines Kassierers 34 einnahm. Deswegen habe ich das Testament der vorgenannten Hypatia hochberühmten 35 Gedenkens auch in dem Teil, in dem sie den Presbyter Anatol als Erben einsetzte, mit meiner Autorität bestätigt.

Markian rekurriert nicht nur auf die Zuwendungen an Kirchen und Hilfsbedürftige, sondern auch – und zwar an erster Stelle – an die bene meriti und ferner an die Freigelassenen. Die soziale Funktion des römischen Testaments als letzte Belohnung des eigenen Umfelds war also auch noch nach der Mitte des 5. Jahrhunderts nach Christus nicht verloren gegangen. Freilich erwähnt Markian weder Lob noch Tadel, und ob die bene meriti so weit gefasst sind wie in der Hohen Kaiserzeit (in der man zahlreiche Vermächtnisse an viele Personen aussetzte) oder ob es sich nur um eine Handvoll von Verwandten handelt, muss offen bleiben. Sidonius Apollinaris (Sidon. epist. 7.2.9) schreibt im fortgeschrittenen 5. Jahrhundert an Bischof Graecus: vos vero Eustachium pontificem tunc ex asse digno herede decessisse monstrabitis, si ut propinquis testamenti, sic clientibus patrocinii legata solvatis, »Ihr aber werdet zeigen, dass Bischof Eustachius bei seinem Tod einen würdigen Alleinerben [in euch] hatte, wenn ihr, wie ihr die Vermächtnisse seines Testaments an die Verwandten ausbezahlt, gleichermaßen die ›Vermächtnisse‹ seines Patronats an seine Klienten ›auszahlt‹«. Im Kontext geht es um jemanden, der bereits unter dem Schutz des Eustachius stand; Sidonius anempfiehlt dem Graecus diese Person. Relevant für unsere Interessen ist, dass Bischof Eustachius als Erben seinen Nachfolger Graecus einsetzte und anscheinend nur für seine Verwandtschaft (nicht für einflussreiche Kollegen, nicht für weitere Freunde) Vermächtnisse aussetzte. 33 34

35

complere in diesem Sinn ist technisch, vgl. Papin. D. 28.6.41.5. Man darf bei dispensator ja nicht an einen Testamentsvollstrecker denken (vgl. Kaser II, S. 485); es handelt sich vielmehr um das Standardwort für den (oft unfreien) Kassenverwalter (vgl. z. B. Heumann/Seckel s. v.). Meine Übersetzung »Kassierer« versucht die Idee wiederzugeben, dass der als Erbe eingesetzte Priester laut Markian mit der ganzen Erbschaftsgeschichte mehr unerquickliche Arbeit als Gewinn hatte. Womöglich nicht »hochberühmt« im eigentlichen Wortsinne, sondern Hinweis auf eine senatorische Abkunft der Hypatia; aber clarissimae memoriae scheint zumindest in der Mitte des 5. Jh.s keine feste (und damit sicher deutbare) Verbindung zu sein.

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Besonders interessant ist das Testament des Gregor von Nazianz aus dem Jahr 381. 36 Gregor begünstigt in erster Linie die Kirche von Nazianz und die örtlichen Armen (Greg. Naz. test. 10–12; 23–25). Als Erben (der freilich seinerseits fast – vgl. test. 36–43 – alles weiterreichen soll, zumal an die Armen und die Kirche) setzt er einen seiner Freigelassenen, den nunmehrigen Diakon Gregor, ein (test. 19–23), und er setzt Vermächtnisse aus, für eine Verwandte sowie für Freigelassene (test. 44–62). Seine Nichte Alypiane bittet er um Nachsicht dafür, dass er ihr (fast) nichts hinterlassen könne, da alles für die Armen bestimmt sei (test. 63–72). Seine beiden anderen Nichten Eugenia und Nonna bekommen ebenfalls nichts aus seinem Vermögen – dafür aber Tadel aus dem Grab! Denn über sie schreibt Gregor, dass ihr Leben zur Beanstandung Anlass gebe und er deswegen gar nicht weiter auf sie eingehen müsse (test. 63 f.). Sein angeheirateter Verwandter Meletios (Ehemann einer der beiden gescholtenen Nichten?) wird im Anschluss besonders scharf kritisiert (test. 73–77). Hier steht Gregors Testament in direkter Nachfolge der hochkaiserzeitlichen postmortalen Verdikte. Ein berühmtes spätantikes Testament ist das des Postumius Iulianus aus dem Jahr 385 (Inscr. ILS 8375). Doch leider handelt es sich nur um einen Auszug: Dieser wurde als Inschrift in Praeneste aufgestellt, und er umfasst nur die Verfügung zugunsten der Bewohner dieser Stadt. Wer sonst bedacht wurde und ob dies mit Kommentar geschah, bleibt uns also verborgen. Mehr als eine Generation später, wohl im Jahr 425, starb ein Presbyter des Augustin namens Januarius, der seine Kirche als Erbin eingesetzt hatte. In seinem Testament musste er daher seine Abkömmlinge enterben (Aug. serm. 355.3): Filia ipsius in monasterio feminarum est; filius ipsius in monasterio virorum est. Ambos exheredavit: illam cum laude, istum cum elogio, id est, cum vituperatione, »Seine Tochter ist in einem Frauenkloster, sein Sohn in einem Männerkloster. Beide hat er enterbt: Jene mit lobenden Worten, diesen mit elogium, 37 d. h. unter Tadel«. Augustin schlug übrigens verärgert die Erbschaft aus (neben anderen Erwägungen deswegen, weil der Presbyter gar kein Vermögen hätte haben dürfen!), aber uns interessiert vor allem, dass selbst kurz 36

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Mustergültige Ausgabe samt Übersetzung und Kommentar von Beaucamp. Die kurz zuvor erschienene Arbeit von Van Dam bietet eine weitere Übersetzung sowie eine hilfreiche, wenn auch knappe Diskussion; der kluge Artikel von Vasileiou bespricht die einzelnen Bestimmungen und bietet wichtiges Vergleichsmaterial aus der Hagiografie (S. 154 f. zu den Enterbungen, die freilich in diesem Genre ohne echte Parallele bleiben). Vgl. Heumann/Seckel s. v., »insbes. wird es von der Angabe eines Enterbungsgrundes gebraucht«, mit Belegen.

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vor der Vandaleninvasion ein (wie anzunehmen ist) sozial nicht allzu hochstehender Presbyter sein Testament noch mit Wertungen garnierte. Es gibt noch einen Beleg für Kritik in einem spätantiken Testament. Allerdings ist diese Quelle von besonders ungewöhnlicher Natur, denn es handelt sich um das klamaukhafte Testament eines Spanferkels vor seiner Schlachtung (das Thesaurus-Kürzel der kurzen Schrift lautet Test. porcelli). Das Schweinchen M. Grunnius Corocotta – so die Tria Nomina unserer literarischen Fiktion – vermacht seine Körperteile an diverse Empfänger (die Zunge etwa an causidici et verbosi, »Anwälte und Schwätzer«), während dem Koch (der während der Niederschrift des Testaments die Schlachtung vorbereitet) nur eine unfreundliche Erwähnung zuteilwird. Man datiert das Testament in die Mitte des 4. Jahrhunderts, zwei Testimonien bei Hieronymus definieren jedenfalls das Ende des 4. Jahrhunderts als Terminus ante quem (vgl. Schmidt). Aus dem Jahr 384 stammt die Relatio 3 des Symmachus, in der er sich unter anderem darüber beschwert (rel. 3.13 f.), dass Vermächtnisse an die vestalischen Jungfrauen staatlicherseits eingezogen werden, während hingegen capiunt legata liberti, servis testamentorum iusta commoda non negantur, »die Freigelassenen ihre Legate erhalten, den Sklaven die berechtigten Vorteile aus Testamenten nicht verweigert werden«. Das ist kein Indiz dafür, dass es keine Vermächtnisse an Freunde gab (denn eine Erwähnung derselben hätte im Kontext der a-fortiori-Argumentation keinen Sinn ergeben), aber freilich ist es bemerkenswert, dass auch hier die Freigelassenen genannt werden, die ja bereits bei Gregor und Hypatia begegneten. Ein anderes Bild zeichnet die Relatio 41 (ebenfalls von 384, vgl. → S. 289), wo es um ein Testament geht, dessen Gültigkeit angegriffen wurde: Man argumentiert, die Siegelzeugen seien ungeeignet gewesen, da sie selbst Vermächtnisse erhalten hatten. 38 Symmachus weist dies zurück (dieser Logik folgend, sollte man nur seine Feinde zum Siegeln einladen, schreibt er) und argumentiert zudem, dass das höchste dieser Legate gerade einmal fünf Solidi betragen habe (rel. 41.4; was übrigens für einen spätantiken Durchschnittsverdiener gar nicht so wenig Geld ist, → S. 501). In diesem Testament wurden also sehr wohl mehrere Freunde mit Vermächtnissen bedacht. Insbesondere weist Symmachus darauf hin, dass es doch absolut selbstverständlich sei, die besten Freunde zum Siegeln einzula38

Erben durften nicht als Testamentszeugen fungieren (vgl. Nowak, S. 63, mit den Quellenbelegen und dem Hinweis, dass dies dem papyrologischen Befund entspricht), Vermächtnisnehmer aber eigentlich schon (Ulp. D. 28.1.20 pr.; ferner CTh. 4.4.3 § 3 von 402? unter Berufung auf eine ansonsten unbekannte Scaevola-Stelle).

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den (vgl. Plinius knapp dreihundert Jahre früher) – was den argumentatorischen Zwischenschritt voraussetzt, dass es genauso üblich ist, die besten Freunde mit Legaten zu bedenken. Im Jahr 388/9 verstirbt ein gewisser Olympius (PLRE I, S. 643 f. s. v. Olympius 3), Senator von Rom und Konstantinopel, ehemaliger Statthalter von Makedonien und Freund des Libanios; und zwar ein so guter Freund, dass er den Redner als Erben einsetzte, was aber Libanios nichts als Scherereien bereitete (das Weitere nach or. 1.275; vgl. ferner or. 1.275–278; or. 63): γράφει μὲν γὰρ κληρονόμον …, δώσειν δὲ φίλοις καὶ οὐ φίλοις εἶπεν ἔνδον οὐκ ὀλίγοις … καὶ χρυσὸς καὶ ἄργυρος ἐν τοῖς γράμμασι διερριπτεῖτο πολύς, »er setzte mich zwar als Erben ein …, aber er sagte darin [im Testament], dass er zahlreichen Freunden und Nichtfreunden etwas geben werde … ; in dem Dokument wurde viel Gold und Silber verteilt«. 39 Tatsächlich gab es noch ganz andere Probleme mit dem Testament (vor allem hinsichtlich der Rechte der Kurie), aber uns geht es darum, dass eine hohe Persönlichkeit in den 380er Jahren in guter alter Manier zahlreiche Vermächtnisse aussetzte. Merkwürdigerweise 40 besitzen wir überhaupt nur vier Testamente aus Ägypten aus dem 4. Jahrhundert (und kein einziges aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts), und selbst diese vier Testamente (die allesamt aus der Zeit 39

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Die Passage wird regelmäßig anders verstanden: ἔνδον geben die Übersetzer als »privately« (Norman), »dans l’intimité« (Petit), »in seinen vier Wänden« (Wolf) wieder – was kaum sein kann, sonst hätte sich Libanios vor keinem Prozess fürchten müssen. Und ἐν τοῖς γράμμασι überträgt man als »in his correspondence«, »dans ses lettres«, »in schriftlichen Verfügungen« – aber angesichts des bestimmten Artikels ist damit fraglos das Testament selbst gemeint (und sollte es sich tatsächlich doch um andere Schriftstücke handeln, könnten das nur Kodizille oder Epistulae, → S. 268, sein). Bagnall, S. 1–3, bietet eine Liste aller Testamente aus der Zeit von 300 bis 700, in Summe 17 (von insgesamt 132 bekannten Testamenten, Stand 1986, aus dem griechisch-römischen Ägypten vom 3. Jh. v. Chr. bis zum Ende der Anwendung des römischen Rechts dort). Doch die meisten seiner 17 Papyri stammen aus dem 6. Jahrhundert. Unsere erbrechtlichen Sanktionen gehören in die Zeit von 381 bis 428; auch wenn wir diese Spanne bei der Suche nach Vergleichsmaterial großzügig erweitern auf die Zeit von Konstantins Tod bis Theodosius’ II. Tod, d. h. auf 337 bis 450, erweist sich gleichwohl kein einziger Eintrag in Bagnalls Liste als einschlägig. Mit anderen Worten: Aus diesen mehr als 100 Jahren hat sich nicht ein Testament aus Ägypten erhalten! (So bleiben uns also nur die vier im Haupttext erwähnten Testamente, die allesamt erheblich früher als das Einsetzen der erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe sind.) Amelotti 1969, S. 212, schlägt mögliche Erklärungen für das Fehlen spätantiker Testamente auf Papyrus vor, die aber nicht unmittelbar einleuchten; plausibler weist Nowak, S. 174, darauf hin, dass wir überhaupt sehr viel weniger spätantike als hochkaiserzeitliche Papyri besitzen.

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vor Konstantins Tod stammen) helfen uns nicht weiter: P. Col. 7.188 von 320 (Nowak, S. 388–391) ist ausgesprochen früh (immerhin können wir hier sagen, dass nur Verwandte begünstigt werden und Lob oder Tadel fehlt); von P. Oxy. 6.990 von 331 (Nowak, S. 391 f.) ist nur der Anfang erhalten; P. Hamb. 4.264 von 331 (Nowak, S. 392) und P. SB 5.8265 von ca. 335 (Nowak, S. 386– 388) sind recht lückenhaft. 41 Besondere Bedeutung könnten deshalb künftig die spätantiken epigrafischen Testamente aus Afrika erlangen, die seit Ende 2016 im Kunsthandel auftauchen. Seriöse Publikationen stehen nach wie vor aus, aber der Inhalt von mehreren Täfelchen kursiert bereits unter der Hand in Fachkreisen. Das Testament des Pomponius Sperantius von 332 (Anfang: Cod. testamenti Pompo. Speranti) enthält sich jeden Tadels (oder Lobs) und begünstigt nur Familienmitglieder. Gleiches gilt für ein weiteres längeres Testament (3. oder 4. Jh., Anfang: Sciunt et possidentur [a]equibus partibus), ebenso wie für das Testament des Pomponius Maximus von 371 (Anfang: Post cons. dd. nn. Valentiniani). Dies deckt sich mit dem Befund, der uns später bei Augustin begegnen wird (der wie selbstverständlich davon ausgeht, dass Erblasser nur ihre Familie bedenken wollen: → S. 592). Das vorläufige Fazit muss also lauten, dass nach dem Wenigen, was wir bislang über spätantike Testamente wissen, sich das gesellschaftliche Ideal zahlreicher kleiner Vermächtnisse nicht mehr in gleicher Weise wie in der Hohen Kaiserzeit belegen lässt. Vermächtnisse begegnen vor allem für Freigelassene und Verwandte, nur selten für Personen aus dem Freundeskreis (bei Hypatia für bene meriti, bei einer Symmachus-Passage für die Freunde, die als Siegelzeugen fungierten, nur der Ex-Statthalter Olympius ist so großzügig, dass er auch zahlreiche Nichtfreunde berücksichtigt und damit seinen Erben in Bedrängnis bringt). Die postume Abrechnung in Form von Lob und Tadel lässt sich gelegentlich literarisch fassen (bei Gregor, Januarius und dem Spanferkel), scheint aber kein fester Bestandteil von Testamenten gewesen zu sein. Außerhalb der High Society (deren Testamente die literarischen Belege betreffen) wissen wir von Afrikanern, die offenbar genug Vermögen hatten, um diverse Kinder zu versorgen, zugleich aber ihre Testamentsgestaltung pro-

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Nicht hierher gehört der berühmte Papyrus P. Cair. Masp. 3.67353: Erstens datiert er ins Jahr 569 und liegt damit weit jenseits unseres Zeithorizonts, zweitens handelt es sich um eine öffentliche Proklamation der Enterbung und Verstoßung von vier Abkömmlingen, nicht um ein Testament. Ganz im Gegenteil hat das Testament selbst (von dem am Ende des Texts gesagt wird, dass es die Enterbung ebenfalls enthalte) seine eigene Öffentlichkeitsfunktion aufgrund dieser separaten Proklamation eingebüßt!

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saisch und funktional angingen und lediglich für die Absicherung ihrer Abkömmlinge Sorge trugen. Im hypothetischen Fall, dass die spätantike Situation hinsichtlich des testamentarischen Vererbens der hochkaiserzeitlichen weitgehend geähnelt hätte, könnte man eine auf den ersten Blick durchaus konsistent wirkende Erklärung für die Testiersanktionen vorschlagen (was aber meines Wissens nie getan wurde). Stellen wir uns also vor, dass die von Champlin für die Hohe Kaiserzeit so eindringlich beschriebenen Konventionen weitergelten: Erblasser fällen mit ihren Testamenten ein Urteil über die Personen ihres Umfelds und bekräftigen mittels zahlreicher Vermächtnisse soziale Verbindungen auch über den Tod hinaus; umgekehrt verfolgen ihre weiterlebenden Peers den Inhalt von Testamenten (und damit auch Testamentseröffnungen) voll Neugier und diskutieren die getroffenen Verfügungen mit großem Interesse. Dann hätten die Kaiser den Heterodoxen (zumindest den sozial hochgestellten) durch das Testierverbot die Möglichkeit genommen, sich an diesem sozialen Spiel zu beteiligen: Die postume Zeremonie der Testamentseröffnung entfällt, man kann sich bei Freunden nicht mit Vermächtnissen bedanken, missliebige Verwandte nicht mit einem öffentlichen Verdikt abstrafen, man lebt nicht in den Bewertungen der Testamentskommentierer fort. Das alles klingt zunächst plausibel, erweist sich aber bei näherer Betrachtung als falsch. Was sich weiterhin belegen lässt (siehe oben), sind positive bzw. negative Kommentare in Testamenten, ferner Vermächtnisse für Freunde; das ist nach Ausweis unserer Quellen keineswegs die Regel, kommt aber in spätantiken Testamenten vor, und möglicherweise zielte man ja nur auf sozial hochgestellte Heterodoxe ab. Was sich hingegen überhaupt nicht mehr nachweisen lässt, ist ein allgemeines Interesse an den Testamenten anderer: In den spätantiken Briefsammlungen (vgl. die angeführten Symmachus- und Augustinstellen) erscheinen durchaus Testamente, aber die Briefschreiber zeigen wenig Interesse daran, die Verfügungen der Erblasser wertend zu kommentieren. (Kaiser Markian würdigt die Gerechtigkeit des Testaments der Hypatia als juristische Instanz, nicht aus persönlicher Neugier – dies ist etwas ganz anderes.) Die wichtigste Passage – nämlich die imaginierte Testamentseröffnung bei Augustin – belegt kein Interesse, das über das Finanzielle der streitenden Erben hinausginge (d. h., hier geht es nicht um Neugier hinsichtlich der Wertungen und auch nicht um kleine Vermächtnisse, sondern um große Erbanteile, um die man kämpft). Vor allem aber weist unsere einzige Quelle zu den realen Auswirkungen eines Testierverbots gegen Heterodoxe in eine ganz andere Richtung: Bei Augustin grämt sich ein (wenn auch imaginierter) Erblasser deswegen, weil er sein Vermögen nicht mehr gemäß seinen eigenen Vorstellungen an die eigenen Kinder verteilen kann – dass seine letzte Botschaft nicht verlesen wird, dass er sich bei alten Freunden nicht mehr mit einem kleinen finanziellen Gruß bedanken kann, dass er des postumen Interesses beraubt wird – all dies kommt in seinen (bzw. Augustins) Erwägungen überhaupt nicht vor (→ S. 592).

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Nachdem wir uns angesehen haben, wie man in der Spätantike Testamente gestaltete, wenden wir uns der Frage zu, wer überhaupt ein Testament errichten durfte. Die wichtigste aller Voraussetzungen war, dass es wirklich ein Römer war, der da testieren wollte. Denn wie generell das ius civile den civis – also den römischen Bürger – betraf, so galt dies im Speziellen natürlich auch für das Erbrecht. Nichtbürger (Peregrine) konnten allenfalls nach dem Recht ihrer eigenen civitas testieren. Aber dies war nicht Gegenstand des Römischen Rechts und wird dementsprechend in unseren Quellen fast vollständig ignoriert. Nur in einer Passage (Ulp. reg. 20.14) wird darauf en passant rekurriert: Latinus Iunianus, item is, qui dediticiorum numero est, testamentum facere non potest: Latinus quidem, quoniam nominatim lege Iunia prohibitus est; is autem, qui dediticiorum numero est, quoniam nec quasi civis Romanus testari potest, cum sit peregrinus, nec quasi peregrinus, quoniam nullius certae civitatis civis est, ut secundum leges civitatis suae testetur. Weder ein Latinus Junianus noch jemand, der zu den Deditiziern zählt, kann ein Testament errichten. Der Latiner nicht, weil es ihm explizit durch die lex Iunia untersagt ist. Derjenige, der zu den Deditiziern zählt, nicht, weil er nicht als römischer Bürger ein Testament errichten kann, da er peregrin ist; aber auch nicht als Peregrine, weil er nicht Bürger irgendeiner bestimmten Stadt ist, sodass er gemäß den Gesetzen dieser seiner Stadt ein Testament errichten könnte.

Zu den Latini Juniani und den Deditiziern kommen wir gleich noch etwas später (→ S. 285). Nichtbürger konnten übrigens nicht nur kein Testament errichten, sondern auch nicht von einem solchen, das ein römischer Bürger errichtet hatte, als Erbe oder Legatar profitieren. Explizit erfahren wir dies z. B. 42 in einer Gaius-Passage (Gai. 2.110), in der er allerdings eine Ausnahme (die in vielerlei Hinsicht privilegierten Soldatentestamente) bespricht: Praeterea permissum est iis et peregrinos et Latinos instituere heredes vel iis legare, cum alioquin peregrini quidem ratione civili prohibeantur capere hereditatem legataque, Latini vero per legem Iuniam. Ferner ist ihnen [den Soldaten] erlaubt, Peregrine und Latiner als Erben einzusetzen beziehungsweise ihnen Legate zukommen zu lassen, während ansonsten Peregrine gemäß ius civile keine Erbschaften und Legate erhalten können, Latiner gemäß der lex Iunia nicht.

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Vgl. ferner Ulp. reg. 22.2; Gai. 1.25; Gai. 2.218.

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Wer seine Freiheit strafweise verlor – das betraf insbesondere Personen, die zum Tode verurteilt wurden –, büßte dadurch das Bürgerrecht und konsequenterweise damit auch das Testierrecht ein. 43 Auch bei der schwersten Form der Verbannung, der Deportation (und ihrer Vorgängerstrafe, der aquae et ignis interdictio), verlor man das Recht, ein Testament zu errichten (→ S. 321), und ein gegebenenfalls bereits vorhandenes Testament wurde ungültig. Allerdings war dies zumindest bei der Deportation keine spezielle Rechtsfolge, sondern ergab sich unmittelbar aus einem damit verbundenen Verlust des Bürgerrechts (bei der aquae et ignis interdictio könnte dies anfänglich anders gewesen sein). 44 Ferner gab es auch römische Bürger, die trotz ihres intakten Status kein gültiges Testament errichten konnten. Das betraf etwa Geisteskranke (außer während luzider Momente), 45 Verschwender und Menschen mit bestimmten körperlichen Behinderungen. 46 Der Entzug der Fähigkeit, ein Testament zu errichten, als eigenständige Sanktion (d. h. unabhängig vom Verlust des Bürgerrechts) kommt vor der Spätantike nur außerordentlich selten vor. Der wichtigste Fall geht auf eine Regelung des Zwölftafelgesetzes zurück. Dort (Lex XII tab. 8.22) findet sich die Bestimmung, dass jemand, der als Zeuge an einem Rechtsakt teilnahm und dies (später vor Gericht) nicht bestätigen will – also seine Zeugenfunktion mit voller Absicht verweigert –, inprobus intestabilisque sei. Dabei dürfte 47 intesta43

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Gai. D. 28.1.8.4, Hi vero, qui ad ferrum aut ad bestias aut in metallum damnantur, libertatem perdunt bonaque eorum publicantur: unde apparet amittere eos testamenti factionem, »Wer zum Tod durch das Schwert, durch die wilden Tiere oder zu Bergwerksarbeit verurteilt wird, verwirkt seine Freiheit, und sein Vermögen wird konfisziert. Daraus ergibt sich, dass er die Testierfähigkeit verliert«. Vgl. z. B. Ulp. D. 38.17.1.8; Ulp. D. 48.19.2.1; Ulp. D. 48.22.6 pr. Zum Testierverbot der aquae et ignis interdictio vgl. → S. 324. Paul. sent. 3.4a.5, Furiosus tempore intermissi furoris testamentum facere potest, »Ein Geisteskranker kann während lichter Zeiten ein Testament errichten«; Epit. Gai 2.2.3, Item et hi, qui furiosi, id est mente insani, fuerint, non possunt facere testamenta. Sed hi, qui insani sunt, per intervalla, quibus sani sunt, possunt facere testamenta, »Auch können diejenigen, die verrückt (d. h. geisteskrank) sind, keine Testamente errichten. Aber diejenigen, die geisteskrank sind, können während der Zeiten, in denen sie gesund sind, [doch] Testamente errichten«. Nämlich Stumme und Taube: Ulp. reg. 20.13, Mutus, surdus, furiosus, itemque prodigus, cui lege bonis interdictum est, testamentum facere non possunt, »Stumme, Taube, Geisteskranke, auch Verschwender, denen nach Gesetz die Vermögensverwaltung untersagt ist, können kein Testament errichten«. Mommsen (S. 990 f. Anm. 9) schreibt ohne weiteren Beleg, inprobus bedeute »unfähig Zeuge zu sein« und intestabilis »unfähig Zeugen zu laden«; dieselbe Erklärung findet sich bei Kaser/Hackl, S. 119, ebenso ohne Erklärung.

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bilis ursprünglich bedeutet haben: »unfähig, Zeuge zu sein« – wer die einem Zeugen obliegende Aufgabe verweigert, kommt logischerweise künftig als solcher nicht in Betracht. 48 Später haben es manche Juristen auch als »unfähig, Zeugen zu laden« und damit als »unfähig, ein Testament zu errichten« interpretiert. 49 Allerdings wird die praktische Relevanz dieser Regelung gegen null tendiert haben: »Von der Handhabung der personalen Disqualification wegen nicht geleisteten Zeugnisses wird nichts gemeldet und dieselbe ist wahrscheinlich früh ausser Gebrauch gekommen« (Mommsen, S. 991). Das andere Fehlverhalten, das einen zum intestabilis macht, ist das Verfassen oder Verbreiten einer Schmähschrift. Auch hier sind die Einzelheiten obskur. Laut Ulpian (D. 47.10.5.9) geschehe dies ex lege – um welche lex es sich dabei handelt, bleibt unklar; am ehesten noch könnte es um die sullanische lex Cornelia de iniuriis gehen. 50 In der angegebenen Ulpianstelle findet sich eine präzise, diverse Fälle abdeckende Definition von »Schmähschrift«. Was sich dort allerdings nicht findet, ist der Ausdruck, der dem heutigen juristisch geschulten Leser wohl als erstes einfallen würde, nämlich carmen famosum. Aber nach Ulpian (D. 47.10.5.10) wurde die Regelung der lex (die sich auf

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Lex XII tab. 2.3 regelt, wie gegen einen solchen unwilligen Zeugen vorgegangen werden kann. Vgl. Gai. D. 28.1.26, Cum lege quis intestabilis iubetur esse, eo pertinet, ne eius testimonium recipiatur et eo amplius, ut quidam putant, neve ipsi dicatur testimonium, »Wenn einer durch ein Gesetz zu intestabilis erklärt wird, dann trifft ihn, dass sein testimonium nicht akzeptiert wird und ferner, wie manche denken, dass ihm kein testimonium geleistet werden kann«. Einer von diesen quidam ist Ulpian (D. 28.1.18.1): … ut intestabilis sit: ergo nec testamentum facere poterit nec ad testamentum adhiberi, »… dass er intestabilis sei. Folglich kann er weder ein Testament errichten noch zu einer Testamentserrichtung hinzugezogen werden«. Sämtliche Fragmente von D. 47.10.5 stammen aus Ulpians 56. Buch zum Edikt; diese betreffen (vgl. D. 47.10.5 pr., 6, 7) die lex Cornelia, d. h., der Kontext spricht sehr für die Identifikation. Zur Vorsicht mahnt aber die offenbar abschließende Aufzählung der Tatbestände der lex Cornelia im Principium – dort findet sich kein Hinweis auf Beleidigungen o. ä.; auch wird in den Fragmenten stets mit ex lege Cornelia oder hac lege o. ä. zurückverwiesen, während in D. 47.10.5.9 ex lege, »aus einem [?] Gesetz«, steht. Insofern scheint mir die Identifikation keineswegs sicher (anders Bauman 1974, S. 37 mit Anm. 71, wo weitere Unterstützer der Gleichsetzung aufgezählt werden). Freilich sind die Alternativvorschläge definitiv schwächer. So schreibt etwa Mommsen (S. 800 Anm. 3): »Ulpian führt an der dritten Stelle [D. 47.10.5.9] die Intestabilität auf eine lex zurück … [diese] wird das Zwölftafelgesetz sein«. Aber der von Ulpian gegebene Text ist in seiner Formulierung typisch für republikanische Leges, hat dagegen nichts mit der archaischen Kürze des Zwölftafelgesetzes zu tun.

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ehrabschneidende libri bezog) durch einen Senatsbeschluss (unter Augustus, vgl. Bauman 1974, S. 27 f.) auf ἐπιγράμματα, also Gedichte, erweitert. Dies bestätigt eine weitere Ulpianstelle (D. 28.1.18.1), wonach jemand, der wegen carmen famosum verurteilt wurde, aufgrund eines Senatsbeschlusses zum intestabilis werde. Dasselbe (aber ohne den Verweis auf einen Senatsbeschluss) ist auch bei Arkadius (D. 22.5.21 pr.) bezeugt. In den Pauli Sententiae (5.4.15) findet sich hingegen, dass die Strafe für ein carmen famosum aufgrund eines Senatsbeschlusses in der Deportation auf eine Insel bestehe – die zwar, wie wir gesehen haben, aufgrund des Bürgerrechtsverlusts auch den Verlust der Testierfähigkeit umfasst (→ S. 281), aber doch etwas anderes (und viel Schlimmeres) als ein Testierverbot darstellt. Offenbar wurde also irgendwann später die Strafe geschärft, wobei der Autor der Sententiae fälschlich glaubte, dies habe schon so im Senatsbeschluss gestanden. Genauso, wie letztlich offen bleiben muss, ab wann eine lex das intestabilis-Sein bei Schmähschriften androhte, lässt sich auch über den Hintergrund der ungewöhnlichen Strafe nur spekulieren. Die Idee dürfte sein, dass jemand, der in krimineller Weise die Reputation eines anderen zu untergraben versuchte, nicht für den Seriosität erfordernden Akt des Zeugnisses in Frage kommen konnte. Freilich wurde auch hier intestabilis zumindest später ebenfalls auf das Laden von Zeugen und damit auf die Errichtung des eigenen Testaments bezogen. 51 Ansonsten scheint es nur zwei strafmäßige Einschränkungen der Testierfreiheit zu geben, die aus vorspätantiker Zeit stammen. Die eine betrifft passive Homosexuelle, die nach einer Konfiskation der Hälfte ihres Vermögens anscheinend nur über die Hälfte des Rests testieren dürfen – wobei sich die entsprechende Passage merkwürdig liest und möglicherweise ein Überlieferungsproblem aufweist. 52 Die andere Regelung erging unter Tiberius, der die 51

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Die mehrfach erwähnte Stelle Ulp. D. 28.1.18.1 lautet vollständig: Si quis ob carmen famosum damnetur, senatus consulto expressum est, ut intestabilis sit: ergo nec testamentum facere poterit nec ad testamentum adhiberi, »In einem Senatsbeschluss ist festgelegt, dass jemand, wenn er wegen Schmähgedicht verurteilt wird, intestabilis sei. Folglich kann er weder ein Testament errichten noch zu einer Testamentserrichtung hinzugezogen werden«. Die Stelle ist ausschließlich in der Mosaicarum et Romanarum legum collatio überliefert, die ihrerseits dafür die Pauli Sententiae in Anspruch nimmt (daher ist die Stelle in den Ausgaben als Paul. sent. 2.26.13 wiederhergestellt). Die Sententiae dürften unter Diokletian entstanden sein, was unser Terminus ante quem für die Regelung ist (Coll. Mos. 5.2.2): Qui voluntate sua stuprum flagitiumque impurum patitur, dimidia parte bonorum suorum multatur nec testamentum ei ex maiore parte facere licet, »Wer freiwillig ein stuprum und eine abscheuliche Schandtat über sich

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aquae et ignis interdictio durch ein Testierverbot schärfte (→ S. 324); da wenig später die aquae et ignis interdictio ohnehin zum Bürgerrechtsverlust führte und zudem in der Deportation aufging, war diese Regelung in spätantiker Zeit nicht mehr relevant. Um jemanden zu bestrafen, ist es näherliegend, ihn vom Erben (nicht vom Vererben) auszuschließen. In den Fällen, in denen eine Strafe den Verlust des Bürgerrechts mit sich bringt (etwa Deportation), ist das Erbverbot bereits enthalten. Allerdings gab es noch zwei weitere rechtliche Konstruktionen, die verhinderten, dass jemand das ihm Zugewandte tatsächlich genießen konnte, nämlich die Indignität und die Inkapazität. Bei der Indignität (Kaser I, S. 725–727) erwirbt der Begünstigte zwar die Erbschaft beziehungsweise das Vermächtnis, doch das Erhaltene wird ihm nachträglich zugunsten der Staatskasse wieder weggenommen. Die Indignität betrifft in erster Linie Fälle, bei denen man sich etwas gegen den Erblasser (insbesondere gegen dessen letzten Willen) hatte zuschulden kommen lassen. Nur selten sind Fälle der Indignität anders gelagert. 53 Wichtiger für unsere Zwecke (weil ein frühes erbrechtliches Gesetz gegen Heterodoxe ähnlich konstruiert ist, → S. 437) ist das andere Konzept, die Inkapazität (Kaser I, S. 723–725). Der von ihr Betroffene ist zwar erbfähig, kann aber nicht eine Erbschaft erwerben (capere). Was nicht erworben werden kann, wird kaduk und fällt entweder an andere Erben oder an die Staatskasse. Bekanntlich erben sui automatisch, ohne Erbschaftserwerb. Auch der von Inkapazität Betroffene erhält also durchaus seinen Anteil aus dem Vermögen seines verstorbenen Gewaltinhabers – aber er kann nicht durch Erbschaften und Vermächtnisse anderer bereichert werden. Was Bürger angeht, so kam die Inkapazität in erster Linie in den augusteischen Ehegesetzen zum Einsatz: Wer im entsprechenden Alter und unverheiratet war, konnte gar

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ergehen lässt, wird um die Hälfte seines Vermögens enteignet, und ihm ist untersagt, über den größeren Teil ein Testament zu machen«. Im Kontext (vgl. Coll. Mos. 5.2.1) geht es um männliche Homosexualität, und nur dies kann daher mit stuprum flagitiumque impurum gemeint sein. Die Formulierung testamentum ex maiore parte facere ist singulär, ebenso die Strafe, sodass mir die ganze Stelle verdächtig scheint. Eine typische Formulierung wäre, Erbe ex maiore parte zu werden. Auch sind Erbeinschränkungen (nicht Testiereinschränkungen!) typisch für die augusteischen Ehegesetze. Möglicherweise ging es also in Wirklichkeit um das Verbot, andere ex maiore parte beerben zu können. Das muss Spekulation bleiben – fest steht aber, dass die vorliegende Regelung entweder absolut singulär oder textlich verderbt ist. Etwa Ausführung eines tacitum fideicommissum zur Umgehung eines Verbots (Paul. D. 49.14.49, allerdings ohne Nennung von Indignität, nur das »Entreißen« weist darauf hin); oder die ungewöhnlichen Fälle von Papin. D. 34.9.13 f.

vererben und erben in der spätantike

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nicht erwerben (allerdings hatte er eine Schonfrist von 100 Tagen, um schnell noch in den Stand der Ehe zu treten und diesen Mangel zu heilen). Der Verheiratete, aber Kinderlose konnte nur die Hälfte erwerben. All diese Fälle von Inkapazität entfielen durch ein konstantinisches Gesetz aus dem Jahr 320 (CTh. 8.16.1). Die andere Gruppe der von Inkapazität Betroffenen sind die bereits kurz erwähnten Latini Juniani: Gelang es ihnen nicht, binnen 100 Tagen Vollbürger zu werden, konnten sie nicht aus Testament erwerben. Wer waren diese Latini Juniani? Seit der sehr frühen Kaiserzeit verhinderte eine lex Iunia, dass freigelassene Sklaven automatisch zu römischen Bürgern wurden. Hielt man bei der Freilassung nicht bestimmte Voraussetzungen und Formalitäten ein, wurden die freigelassenen Sklaven nicht zu Vollbürgern, sondern zu Latini Juniani. Unter bestimmten Voraussetzungen (etwa durch Ehe und Kinder; oder durch spätere Formalisierung der Freilassung, vgl. Plin. epist. 7.16, 7.23, 7.32; 10.104 f.) konnten sie nachträglich das volle Bürgerrecht erwerben, ansonsten bestanden für sie vor allem erbrechtliche Nachteile. So galt für Latini Juniani, wie gesagt, Inkapazität, sie konnten nur über den Umweg eines Fideikommisses 54 etwas erhalten. Selbst als die Benachteiligung der Ehe- und Kinderlosen unter Konstantin entfiel, galten die Inkapazitätsregeln für Latini Juniani weiter. Im Vergleich zu kinder- und ehelosen Bürgern waren Latini Juniani zudem in anderer Hinsicht von Anfang an schlechter gestellt: Sie konnten kein Testament errichten. Der erste Teil eines bekannten und mehrfach überlieferten Spruchs (Steinwenter 1924, Sp. 918), wonach Latini Juniani »leben wie Freie und sterben wie Sklaven«, ist also angesichts ihrer zu Lebzeiten geltenden Inkapazität nicht ganz richtig. Der zweite Teil trifft sehr viel eher zu: Da sie kein Testament errichten konnten und damit intestat starben, fiel ihr Gut automatisch an ihren Freilasser zurück. Die in der Republik und Hohen Kaiserzeit entscheidende Distinktion zwischen römischen Bürgern und Nichtbürgern war zwar in der Spätantike nicht völlig entfallen, hatte aber, angesichts des Mangels an Nichtbürgern, sehr viel an Bedeutung eingebüßt: Bekanntlich hatte Caracalla im Jahr 212 allen Bewohnern des Römischen Reichs mit Ausnahme der Deditizier das römische Bürgerrecht gewährt. Davon profitierten also in jedem Fall die peregrinen Einwohner des Reichs, umgekehrt keinesfalls kriminelle Ex-Sklaven (die Deditizier). Was aber war mit den Latini Juniani? Vielleicht wurden ja die im Jahr 212 lebenden Latini Juniani tatsächlich römische Bürger (was z. B. Steinwenter 1924, Sp. 922, nicht glaubt), aber selbst wenn dem so wäre, gab es jeden54

Gai. 1.23 f., 2.110, 2.275; Ulp. reg. 17.1, 22.3, 25.7; → S. 269.

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falls einen steten Nachschub an Latini Juniani: Wer nach 212 nicht das Glück einer bestmöglichen Freilassung hatte, der wurde in jedem Fall zum Latinus Junianus und damit zum Nichtbürger. Im spätantiken Römischen Reich gab es keine peregrine Bevölkerung mehr wie in der Hohen Kaiserzeit. Nichtbürger waren damit entweder Deditizier oder Latini Juniani oder reichsfremde Barbaren. Die Deditizier dürften allenfalls 55 eine kleine, für uns nicht weiter fassbare Gruppe dargestellt haben. Bei den Barbaren gibt es wenig Anzeichen dafür, dass sie in der Spätantike regelmäßig das Bürgerrecht erstrebt hätten. Sie standen schlichtweg außerhalb des Systems. Damit stellen die Latini Juniani (bis zur Abschaffung dieses Status unter Justinian) 56 die typischen Nichtbürger der Spätantike dar, und da sich ihre Nichtbürgereigenschaft vor allem im fehlenden Testierrecht manifestierte, sollte man meiner Ansicht nach genau darin die Ursache für eine in den spätantiken Kaiserkonstitutionen gelegentlich fassbare Gleichsetzung zwischen »Testierrecht« und »Bürgerrecht« suchen (→ S. 260). In der juristischen Literatur findet sich diese Idee anscheinend ausschließlich in der Epitome Gai (1.1.4), in der nach einer Diskussion der einzelnen Personenstatus das Folgende als Quintessenz (oder, um genau zu sein, als einzige Konsequenz) des römischen Bürgerrechts (wohlgemerkt: im Vergleich zu Latini Juniani und Deditiziern) genannt wird: Sed inter haec tria genera libertatum ideo cives Romani meliorem statum habent, quia et testamenta facere et ex testamento quibuscumque personis succedere possunt: nam Latini et dediticii nec testamenta condere nec sibi ex testamento aliorum aliquid dimissum possunt ullatenus vindicare.

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Im Jahr 533 konnte man schreiben (I. 1.5.3): dediticiorum … condicio iam ex multis temporibus in desuetudinem abiit, »der Personenstatus … der Deditizier ist bereits seit langer Zeit außer Gebrauch geraten«. In der Konstitution, mit der Justinian den Status beseitigte, formulierte er (CI. 7.6.1 § 1a von 531): … quorum plenae quidem fuerant nostrae leges, non autem in rebus fuerat eorum experimentum, »Unsere Gesetze waren voll von ihnen [den Latini Juniani], aber in der Realität traf man sie nicht an«. Allerdings läuft die in der vorhergehenden Fußnote zitierte Institutionenstelle folgendermaßen weiter: Latinorum vero nomen non frequentabatur, »sogar die Gruppe der Latiner begegnete nicht oft«. Demnach waren also Latini Juniani – anders als Deditizier – anscheinend selbst zu Justinians Zeiten noch nicht völlig verschwunden. Zweihundert Jahre zuvor, unter Konstantin, finden sie in mehreren Konstitutionen (CTh. 2.22.1, 4.6.3, 4.12.3, 9.24.1 § 4) so beiläufig Erwähnung, dass der Status jedenfalls damals noch ganz üblich gewesen sein muss. Für die konkrete Situation im Untersuchungszeitrum 381 bis 428 mangelt es an Quellen; aber wenn man annimmt, dass der Rückgang der Latini Juniani graduell erfolgte, wird man eher den Zustand unter Konstantin als den unter Justinian zugrunde legen.

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Doch unter diesen drei Arten von Status [nämlich cives Romani, Latini und dediticii] haben deswegen die römischen Bürger den bevorzugten Status, weil sie Testamente errichten und testamentarisch beliebige Personen beerben können. Dagegen können Latiner und Deditizier weder Testamente errichten noch auf irgendeinem Wege etwas einfordern, was ihnen in einem Testament anderer hinterlassen wurde.

Nun begegnen auch im Rahmen der Heterodoxengesetzgebung mitunter derlei Formulierungen (→ S. 260), insbesondere wird an einer Stelle (und zwar nur an einer) die Aufhebung eines Testierverbots als Erlass der Strafe, zu Peregrinen herabgestuft worden zu sein, bezeichnet (CTh. 16.5.36 von 399, Eunomianis poenam adimendae testamenti factionis peregrinorumque mutandae condicionis remittimus). Diese Stellen könnten den Verdacht aufkommen lassen, es gehe beim Verlust des römischen Rechts und der Degradierung vielleicht doch um mehr als um die angeführten erbrechtlichen Sanktionen. Zum Vergleich: In der spätantiken Epitome Gai (1.6.1) erscheint die peregrina condicio ausschließlich als Beschreibung des Zustands eines Deportierten, der sein Bürgerrecht verloren hat – mit der Folge, dass die patria potestas wegfällt. Doch dies ist bereits auch ein sehr guter Beleg dafür, dass, wenn manche Gesetze mit erbrechtlichen Sanktionen Begriffe wie ius Romanum oder Peregrinität 57 verwenden, es sich dabei nur um dramatisierende Formulierungen handelt und es letztlich um nichts anderes als ums Testierrecht geht. Denn niemals, an keiner Stelle, wird auf die allfälligen Konsequenzen eines echten Bürgerrechtsverlusts (etwa die sofortige Emanzipation aller Personen in der Gewalt des Betroffenen) angespielt. Und das Argument erfolgt nicht nur e silentio: Bei Donatisten, 58 Apostaten 59 und Eunomianern 60 lässt sich jeweils 57

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Tatsächlich erscheint peregrinus mit statusbezogener Bedeutung sonst nur in einer einzigen Codex-Theodosianus-Stelle, nämlich CTh. 4.6.3 (336), ein Gesetz, das wir gleich ausführlicher besprechen werden (→ S. 290). Zu peregrinus-Belegen aus CTh. und späteren Konstitutionen in sonstigen Bedeutungen (etwa »aus einer anderen Provinz stammend« o. ä.) vgl. Baccari 2011, S. 116–128. Keines der Gesetze mit erbrechtlichen Sanktionen gegen Donatisten proklamiert einen Bürgerrechtsverlust. Ferner malt sich Augustin in einer Predigt (→ S. 592) die Frustration eines Donatisten angesichts des Testierverbots aus: Er kann nicht mehr selbst entscheiden, wie er sein Vermögen unter seinen Kindern aufteilt, und leidet darunter, dass es zu einer anderen als der von ihm gewünschten Verteilung kommt. Doch hätte er das Bürgerrecht verloren, wären alle familiären Bindungen zu den Kindern erloschen, die also nicht mehr intestat von ihm hätten erben können. An anderer Stelle zählt Augustin (→ S. 595) die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Donatisten auf. In dieser Liste findet sich das Verbot, iure Romano testamenta condere, »nach römischem Recht Testamente zu errichten«; die anderen Stra-

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nachweisen, dass die Betroffenen trotz aller Bezüge zum römischen Recht in den Konstitutionen ihr Bürgerrecht behalten, denn ihre Verwandtschaft kann intestat erben (was nicht möglich wäre, hätten die Betroffenen ihr Bürgerrecht verloren, vgl. Paul. D. 48.20.7.5). Weniger klar ist die Lage bei den Manichäern. In späteren Konstitutionen (CTh. 16.5.9, 16.5.40) müssen sie ihr Vermögen unmittelbar an (nichtmanichäische) Verwandte weiterreichen, darunter an prominenter Stelle (sofern existent) ihre Abkömmlinge. Diese Abkömmlinge sollten sich im Regelfall in der patria potestas des Manichäers befinden und somit selbst gar nicht vermögensfähig sein, d. h., was sie erwerben, erwerben sie für ihren Gewaltinhaber. Diese Konstruktion funktioniert also nur dann, wenn die Abkömmlinge entweder emanzipiert werden (vgl. Kaser II, S. 212, Fälle zwangsweiser Emanzipation) oder aber trotz ihrer Stellung als Hauskinder vermögensfähig sind (vgl. Kaser II, S. 215, S. 218 f.). Keine der Konstitutionen gibt einen Fingerzeig, an welche Lösung des Dilemmas der kaiserliche Gesetzgeber gedacht hat. Wäre es nicht eine plausible Erklärung, einen Bürgerrechtsentzug im Fall der Manichäer anzunehmen (sodass ihre Hauskinder gewaltfrei werden)? Leider ist die Angelegenheit nicht so einfach. Gerade die Konstitutionen mit der Vermögensweitergabe an die Abkömmlinge (also CTh. 16.5.9, 16.5.40) enthalten keinerlei Hinweis auf einen Bürgerrechtsentzug. Ein solcher findet sich (scheinbar) nur in CTh. 16.5.7 (381), worin Theodosius I. den Manichäern die Möglichkeit »entreißt«, nach römischem Recht zu leben (vivendi iure Romano omnem protinus eripimus facultatem). Aber ausgerechnet in diesem Gesetz machen es die gewählten Formulierungen (capere, adire, → S. 437) klar, dass Manichäer zwar keine Erbschaft als extranei antreten, wohl aber als sui erben dürfen – was zeigt, dass sie grundsätzlich weiter im System des römischen Rechts verbleiben. 61 fen (Schenkverbot, Verlust der Geschäftsfähigkeit, Verbannungen) werden hingegen nicht mit dem römischen Recht in Verbindung gebracht. Diese Stelle zeigt zudem, dass die semantische Verengung von ius Romanum auf die Testierfähigkeit auch außerhalb von juristischen Texten erscheint. 59 CTh. 16.7.7 bestätigt das intestate Vererben der Apostaten (allerdings beschränkt auf christliche Verwandte); nach CTh. 16.7.6 besitzen Apostaten sogar ein eingeschränktes Testierrecht (die ältere Konstitution CTh. 16.7.2 gewährt dieses nur Apostaten, die beim Abfall noch ungetauft waren). 60 Das intestate Vererben der Eunomianer findet explizite Erwähnung in CTh. 16.5.49 und CTh. 16.5.58 § 4. 61 Dass den Häretikern nicht das Bürgerrecht entzogen wird, ist Communis Opinio (vgl. etwa Kaser II, S. 123: »Nicht wirklich einen Verlust oder eine Vorenthaltung des Bürgerrechts bedeuten dagegen trotz gewisser Anklänge die rechtlichen Verkürzun-

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Die Skizze des spätantiken Vererbens und Erbens bliebe unvollständig, würde nicht auch noch eine stets im Hintergrund lauernde Quelle des Ungemachs erwähnt: die sogenannten Delatoren. Gab es weder testamentarische noch gesetzliche Erben, die einen Nachlass erwerben konnten oder wollten, fiel dieser theoretisch als kaduk an die Staatskasse; in der Praxis wurde der Fiskus über derlei Fälle erst durch Privatleute – die Delatoren – informiert, die zur Belohnung einen Teil des Vermögens erhielten. Es lohnte sich also für skrupellose Menschen, die Testamente von Erblassern, bei denen keine potenziellen Intestaterben bereitstanden, auf Schwächen abzuklopfen: Gelang es dem Delator, die Ungültigkeit des Testaments nachzuweisen, hatte dies die Kaduzität des Nachlasses zur Folge, und der Delator erhielt seinen Anteil vom Fiskus. Symmachus schildert ausführlich einen solchen Fall (rel. 41): Mit dem Argument, dass illegalerweise die Siegelzeugen im Testament der Aggarea bedacht worden seien (vgl. → S. 276), wollte der Delator Markian ihren letzten Willen entkräften. Zum Zeitpunkt der Relatio (384) dauerte das juristische Ringen um die Gültigkeit des Testaments bereits sechs Jahre! Das Verhältnis des Staats zur Delation war ambivalent. Die meisten Fragmente im einschlägigen Titel CTh. 10.10 wettern gegen Delatoren, ohne ihnen letztlich das Handwerk zu legen. Typisch etwa Theodosius I. (CTh. 10.10.13 § 2 von 380), Illud etiam ad professionem odii, quo universas delationes exsecramur, adiungimus, ut, si idem delator etiam in bonis causis, tertio tamen fuerit inventus, post victoriam tertiae proditionis capitali supplicio coerceatur, »Um unseren Hassgefühlen Ausdruck zu verleihen, mit denen wir sämtliche Fälle von Delation verabscheuen, fügen wir hinzu, dass jemand, den man erwischt hat, dass er zum dritten Mal als Delator aufgetreten ist – und sei es auch in berechtigten Fällen! –, nach dem Erfolg beim dritten Verrat der Todesstrafe zu unterziehen sei«. Wohlgemerkt: Die ersten beiden Delationen scheinen durchaus willkommen zu sein. Tatsächlich hatte Gratian ungefähr zwei Jahre nach dem eben zitierten Gesetz dem Delator Markian verheißungsvoll geschrieben, dass, sollte er das Testament der Aggarea tatsächlich zu Fall bringen, er abwarten solle, quid ei sacra deferret Humanitas, »was ihm die kaiserliche Humanität zukommen lassen werde« (Symm. rel. 41.1). Man kann sich gut vorstellen, dass für Leute wie diesen Markian die Testierverbote gegen Heterodoxe eine neuartige Business Opportunity darstellten: Hatte ein übertretenes Testierverbot unmittelbar die Kaduzität zur Folge oder gab es andernfalls keine gesetzlichen Erben, würde der Fiskus (und mit ihm regelmäßig der Delator) profitieren. Leider haben wir keine Möglichkeit, die reale Bedeutung der Delation in diesen Fällen abzuschätzen. In den außerjuristischen Texten zu den erbrechtlichen Sanktionen gibt es nicht den leisesten Hinweis in diese Richtung. Andererseits verfügt CTh. 16.5.49 im Jahr 410, dass Testamente von Eunomianern ungültig seien; das Vermögen sei im Intestaterbgang zu vererben, und sollte es keine gen, die mit dem Abfall vom christlichen Glauben oder der Anhängerschaft an verbotene Sekten verbunden wurden«), wobei aber anscheinend bislang niemand die Argumentation dafür geliefert hat.

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gesetzlichen Erben geben, dann falle der Nachlass als kaduk an den Fiskus. Das zugehörige Fragment CTh. 16.5.50 schärft dem Comes rerum privatarum ein, ja nichts aus solchen Vermögen an irgendjemanden sonst herauszugeben – eine Bestimmung, die fraglos Delatoren abschreckte (→ S. 669). CTh. 16.7.7 erlaubt zeitlich unbegrenzte Klagen zur Entkräftung von Apostatentestamenten – doch diese Möglichkeit steht ausdrücklich nur Intestaterben offen, nicht aber, so wird man das Telos verstehen dürfen, familienfremden Delatoren (→ S. 761). In Ermangelung direkter Quellen würde ich vermuten, dass Delatoren nichts mit der Entstehung der Gesetzgebung zu tun hatten; ich halte es jedenfalls für schwer vorstellbar, dass sich ein Delator mit einer Eingabe an den Kaiser wendet, er möge ein Gesetz gegen diese oder jene Gruppe erlassen, damit man deren Testamente leichter entkräften könne. Auf der anderen Seite wäre es verwunderlich, wenn neben vernachlässigten Intestaterben nicht auch Delatoren die Möglichkeit genutzt hätten, Heterodoxentestamente zu entkräften – nachweisen lässt sich dies indes nicht.

Erbrechtliche und verwandte Sanktionen außerhalb der Heterodoxengesetzgebung Eingriffe in die Erbfähigkeit oder Testierfreiheit kamen in der Hohen Kaiserzeit nur selten als Sanktion vor (→ S. 281). In der Spätantike begegnen diese Maßnahmen in erster Linie als Strafe für bestimmte Gruppen von Heterodoxen, aber nicht nur: Eine Handvoll von Konstitutionen verhängt ähnliche Strafen gegen andere Tätergruppen, und wir müssen uns diese Gesetze in der gebotenen Kürze ansehen, um mögliche Verbindungslinien festzustellen. Dies gilt umso mehr, als sich manches, was uns bei den Häretikergesetzen begegnen wird, hier gelegentlich wiederfindet (Infamie, Ausschluss aus der Gemeinschaft …). Aus Platzgründen gebe ich von diesen Konstitutionen nur so viel Text wieder, wie für eine Besprechung der uns interessierenden Fragen unbedingt notwendig ist. 62

CTh. 4.6.3 [21. Juli 336] Senatores seu perfectissimos … placet maculam subire infamiae et peregrinos a Romanis legibus fieri, si ex ancilla vel ancillae filia … susceptos filios in numero legitimorum habere voluerint …, ita ut, quidquid talibus liberis pater donaverit, sive illos legitimos seu naturales dixerit, totum retractum legitimae suboli reddatur aut

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Zu alledem vgl. Kaser II, S. 531 f., sowie S. 467 Anm. 20 f., S. 486 Anm. 9.

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fratri aut sorori aut patri aut matri. Sed et uxori tali quodcumque datum quolibet genere fuerit vel emptione collatum, etiam hoc retractum reddi praecipimus … Senatoren oder perfectissimi [oder führende Stadtratsmitglieder oder Flamines bzw. Provinzpriester] soll – wie wir beschlossen haben – das Schandmal der Infamie treffen und sie sollen fremd [peregrini] von den römischen Gesetzen sein, wenn sie Nachkommen von einer Sklavin oder der Tochter einer Sklavin [oder von einer Freigelassenen oder den weiblichen Angehörigen verschiedener infamierter Gruppen bzw. deren Töchtern] … unter ihre legitimen Abkömmlinge zählen wollen …, wobei alles, was ein Vater solchen Kindern schenkt (ganz gleich, ob er sie nun als »legitime Kinder« oder »biologische Kinder« [naturales] bezeichnet), vollständig zurückgeholt dem legitimen Nachwuchs übergeben werden soll oder einem Bruder oder einer Schwester oder dem Vater oder der Mutter. Ferner soll auch alles, was einer solchen Ehefrau auf beliebige Weise übergeben oder durch einen Kauf abgetreten wurde, – so ordnen wir an – zurückgeholt und übergeben werden.

Diese Konstitution 63 aus dem letzten Lebensjahr Konstantins reiht sich ein in die große Zahl seiner Gesetze, die das Familienrecht oder im weiteren Sinne sexuelle Beziehungen betreffen (Evans Grubbs 2010, S. 120). Meine gekürzte Fassung bietet ungefähr ein Viertel des Codex-Theodosianus-Texts, der sich insgesamt in drei Abschnitte gliedern lässt. Der erste richtet sich gegen die Legitimisierung von Kindern, die ranghohe Männer mit unstandesgemäßen 64 Frauen zeugten. Dem Vater droht dafür Infamie und das peregrinos a Romanis legibus fieri. Der lange zweite Abschnitt (von mir teilweise wiedergegeben) richtet sich gegen Vermögensübertragungen an solche Kinder oder deren Mütter, wobei derartige Zuwendungen immer rückgängig zu machen sind, ganz gleich, ob nun der Vater das Kind zu legitimisieren versuchte oder nicht. Es werden keine Strafen für den schenkenden Vater festgesetzt und auch keine Regelungen gegen testamentarische Zuwendungen getroffen, aber wir können einem Verweis in einem späteren Gesetz entnehmen (CTh. 4.6.4, vgl. auch die Schwierigkeiten von Libanios, → S. 97, → S. 343), dass Konstantin illegitime Kinder von jeder Erbschaft ausschloss. Das geschah entweder in 63 64

Zur umfangreichen Literatur zu CTh. 4.6.3 vgl. die Bibliografie bei McGinn, S. 59 Anm. 12. Mehr als ein Jahrhundert später erließ Markian eine ausführliche Konstitution (Nov. Marc. 4 von 454), die der Auslegung einer Formulierung des vorliegenden Gesetzes gewidmet ist. Es geht um ex … humili vel abiecta, was sich in der Aufzählung der verfemten Frauen findet. Es stellte sich die Frage, ob eine Frau aus anständiger, aber bitterarmer Familie als Ehefrau für eine Standesperson in Frage kam, d. h., ob sie als humilis im Sinne des Konstantingesetzes anzusehen sei oder nicht (Markian entschied, dass an einer solchen Frau nichts auszusetzen sei). Vgl. auch → S. 371.

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der ganz verlorenen Bestimmung von CTh. 4.6.1 oder der halb verlorenen von CTh. 4.6.2, war aber jedenfalls hier nicht erneut zu regeln. Der abrupt und ohne Übergang folgende dritte Teil (von mir ganz weggelassen) bestimmt, dass der wieder eingefangene Sohn des Licinianus (den man mitunter allzu spekulativ mit dem einstigen Rivalen des Konstantin, mit vollem Namen Valerius Licinianus Licinius, gleichgesetzt hat 65) als Sklave in die staatliche Weberei zu Karthago überstellt werden soll. Man muss CTh. 4.6.3 zusammen mit CTh. 4.6.2 (29. April 336) lesen, einem Fragment, das nur Palimpsest T überliefert hat (→ S. 176273), und auch er bot nur den Schluss. Aus CTh. 4.6.2 wissen wir, dass der namenlose Sohn des Licinianus, als Sklave geboren, durch kaiserliches Reskript zu höchsten Ehren gelangt war (vielleicht hatte also Licinius einen Sohn von einer Sklavin legitimiert, und aus irgendeinem Grund zeigt sich Konstantin mehr als zehn Jahre nach Licinius’ Tod rachsüchtig gegenüber diesem Sohn – doch die ganze Identifikation des Licinianus mit Kaiser Licinius ist letztlich wilde Spekulation). CTh. 4.6.2 bot ebenfalls Regelungen, wonach der illegitime Nachwuchs kein Familienvermögen behalten soll, wobei davon aufgrund des Textverlusts nicht mehr viel erhalten ist; immerhin zeigt CTh. 4.6.2 sehr klar, dass die Rückholregelungen vom Fall des Licinianus-Sohns ausgelöst wurden (itaque Liciniani etiam filio … omnis substantia auferatur, »daher soll auch dem Sohn des Licinianus … das ganze Vermögen entzogen werden«). Da CTh. 4.6.3 wiederum den Licinianus-Sohn erwähnt, darf man davon ausgehen, dass auch dieses Gesetz von diesem Einzelfall veranlasst wurde. Der zweite Teil enthält also keinerlei erbrechtliches Verbot und ist zudem im Tatbestand vom ersten Teil unabhängig. Betrachten wir also den ersten Teil für sich. Dass hochgestellte Personen strafweise infamiert werden (sprich: ihren Status verlieren, → S. 364), ist eine massive, wenn auch keineswegs unübliche Strafe gegen Ranginhaber. Doch was ist mit peregrinos a Romanis legibus fieri gemeint? 66 Die Formulierung fanden bereits die justinianischen Redakteure so merkwürdig, dass sie alienos an die Stelle von 65

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Wieling 1990, S. 469, geht noch einen Schritt weiter und identifiziert den Sohn im Gesetz mit dem Caesar Licinius (PLRE I, S. 509 f. s. v. Licinius 4). Doch der junge Caesar Licinius war nach übereinstimmenden Angaben von Hieronymus, Eutrop und Orosius im Jahr 326 hingerichtet worden. Recht sonderbar ist die Interpretation von Pommeray, S. 231 f., der (im 4. Jahrhundert!) auf das ius Latii abstellen will: Die im Gesetz genannten Stadtnotabeln hätten so ihr Bürgerrecht erworben und sollten es nun wieder verlieren. Neben vielen anderen Dingen übersieht er dabei vor allem die rund 100 Jahre zuvor ergangene constitutio Antoniniana.

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peregrinos setzten (CI. 5.27.1 pr.). Eigentlich kann doch der Ausdruck nichts anderes meinen als den Entzug des römischen Bürgerrechts, sodass der Betroffene peregrin wird und außerhalb des Systems der Romanae leges steht. Doch wenn der Schutz des Familienvermögens das Telos der vorliegenden Konstitution darstellt, so ist das Ergebnis dieser Bestimmung bedenklich: Der Verlust des väterlichen Bürgerrechts hätte die Emanzipation der legitimen Abkömmlinge zur Folge. Als Nichtrömer kann der Vater nicht zu ihren Gunsten testieren, zudem hätten die Abkömmlinge auch keinen Anspruch auf die Erbschaft im Intestaterbgang nach römischem Recht, da erstens dessen Regeln für den peregrinen Vater nicht mehr gelten und sie zweitens nunmehr in keiner rechtlichen Verbindung zum Vater stehen. Gäbe es eine Bestimmung, wonach dem Betroffenen zuvor das ganze Vermögen zugunsten seiner legitimen Verwandtschaft entzogen würde – ja, dann ergäbe das Gesetz als Ganzes (inklusive des Bürgerrechtsverlusts) Sinn. So aber bleibt die Frage, wie sich der Gesetzgeber das weitere Schicksal des Familienvermögens vorstellt, ohne Antwort. Auch stört die Verbindung von Infamie und Bürgerrechtsverlust: Infam kann ohnehin nur der römische Bürger sein, und ich wüsste sonst kein Beispiel für eine solche Kombination. Jedenfalls auszuscheiden hat Garnseys Vorstellung, Infamie führe automatisch zum Bürgerrechtsentzug (→ S. 390); ganz im Gegenteil wäre dies die einzige Stelle überhaupt, in die man so etwas hineinlesen könnte. Ferner ist ein »blanker« Bürgerrechtsentzug äußerst ungewöhnlich. Wenn in den juristischen Schriften der Bürgerrechtsentzug erscheint (typischerweise in der Diskussion als capitis deminutio media), wird regelmäßig die Deportation (bzw. aquae et ignis interdictio) als einziges Beispiel für eine solche capitis deminutio genannt (Gai. 1.161; Ulp. D. 38.17.1.8; I. 1.16.2), was natürlich nicht ausschließt, dass es auch andere Möglichkeiten gab. Doch Kaser (II, S. 122 Anm. 25) nennt als einziges Beispiel eines »blanken« Bürgerrechtsentzugs die vorliegende Konstitution. Mommsen (S. 956–959) bespricht sie beim Bürgerrechtsentzug gar nicht, den er bis auf »vereinzelte Ausnahmen« nur als Begleitstrafe von Perduellion, Deportation und Zwangsarbeit auf Lebenszeit kennt. 67 Seine Fußnote (Mommsen, S. 957 Anm. 1) zu den »vereinzelten Aus67

Dass Perduellion (Überlaufen, sei es im tatsächlich-militärischen Sinn oder sei es infolge einer hostis-Erklärung durch den Senat) und Deportation das Bürgerrecht raubten, ist klar (vgl. Paul. D. 4.5.5 pr., § 1, dort statt Deportation aquae et ignis interdictio) – freilich scheint die Perduellion in spätantiker Zeit ganz im Majestätsverbrechen aufgegangen zu sein. Bei der Zwangsarbeit auf Lebenszeit bin ich nicht überzeugt. Mommsen (S. 953 Anm. 2) gibt drei Belege. D. 48.19.28.6, ein Auszug aus

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nahmen«, die sich »in der Spätzeit« finden, bietet nur einen Beleg, nämlich CTh. 3.30.4 (331), wo es um Vormünder geht, die sich pflichtwidrig verhalten. Diese müssen einen bestimmten Betrag bezahlen, quodsi pauperes sint, capitis deminutione plectantur et desinant cives esse Romani, ita ut ius integrum ipsis minoribus reservetur, »wenn sie allerdings arm sind, soll sie eine capitis deminutio treffen und sie sollen nicht länger römische Bürger sein, wobei das ungeschmälerte Recht den Minderjährigen selbst erhalten bleiben soll«. Die Formulierung ist – gerade aufgrund des technischen Begriffs capitis deminutio – klar. 68 Damit belegt CTh. 3.30.4, dass Konstantin in den 330er Jahren sehr wohl den »blanken« Bürgerrechtsentzug in bestimmten Fällen anordnete, 69 was ansonsten in der Spätantike einzigartig scheint. 70 Aber wird in der vorliegenden Konstitution wirklich ein Bürgerrechtsverlust verhängt? Kaser (II, S. 122 Anm. 25) schlug folgende Deutung vor: »Vielleicht ist aber auch hierunter nur der Entzug der Testier- und der Erbfähigkeit zu verstehen«, d. h., das römische Recht sei gleichgesetzt mit der testamenti factio. Das ist zwar nicht auszuschließen (→ S. 260), allerdings stört bei dieser

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einem Reskript des Hadrian, scheint zu besagen, dass es bei der Verurteilung zu lebenslanger Zwangsarbeit um die Freiheit (nicht ums Bürgerrecht) ging; Coll. Mos. 11.7.1 erwähnt zwar die Zwangsarbeit (opus), enthält aber nichts zur Frage eines möglichen Bürgerrechtsverlusts. Marcian. D. 48.19.17.1 sagt in der Tat, dass der lebenslange Zwangsarbeiter wie der Deportierte das Bürgerrecht verliert, widerspricht damit aber Hadrian (laut dem der lebenslange Zwangsarbeiter unfrei wird); und aus Plausibilitätserwägungen dürfte der lebenslange Zwangsarbeiter eher Sklave als peregrin sein (denn »lebenslanger Zwangsarbeiter« ist doch geradezu eine Umschreibung von »Sklave«). Allerdings ist der einzige Textzeuge für dieses Fragment, der Palimpsest T, hier lückenhaft: von cives [esse R]omani ist der Teil in Klammern Ergänzung. Vgl. ferner CTh. 2.22.1 (320), wo es um jemanden geht, der das römische Bürgerrecht verloren hat und zum Latinus Junianus geworden ist. Da dieselbe Konstitution allerdings auch den patronus des Betroffenen erwähnt, muss es um einen Freigelassenen gehen, der vorübergehend zum Vollbürger aufgestiegen war. Man darf also diese Form des Bürgerrechtsverlusts (mit »soft landing« beim Status eines Latinus Junianus) nicht verallgemeinern. Nach aller Wahrscheinlichkeit ist nämlich Nov. Val. 35 § 2 kein einschlägiges Beispiel. Dort geht es um Fragen des Gerichtsstands für Kleriker. In einer Konstellation wird folgende Strafe verhängt: iurisconsultum existimationis et interdictae civitatis damna percellant; dabei ist das damnum existimationis fraglos die Infamie (wie es für die Bestrafung von Advokaten typisch ist) und das damnum interdictae civitatis muss die Interdiktion der betreffenden Stadt (d. h. die Ausweisung aus ihr) sein. Bürgerrechtsentzug wird sonst nie so ausgedrückt, würde er verhängt, wäre die zugleich ausgesprochene Infamie bedeutungslos, und zudem ist interdicere das Mot juste für die Ausweisung aus einer Stadt.

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Erklärung dreierlei. Erstens wird bei späteren Konstitutionen, die die Verbindung Bürgerrecht – Testierfähigkeit herstellen, durchaus im Gesetzestext klar gemacht, dass das Testierrecht entzogen wird, 71 während unser vorliegendes Gesetz in keiner Weise auf Erbschaften oder Testamente auch nur anspielt. Zweitens sind die Belege für eine Gleichsetzung Bürgerrecht – Testierfähigkeit wesentlich jünger als das vorliegende Gesetz (ab 381, sofern man nicht einer Hypothese von Mommsen folgt, → S. 324). Drittens haben wir ja nun CTh. 3.30.4 als Beweis dafür, dass Konstantin den »blanken« Bürgerrechtsentzug als Strafe verhängen kann, und in CTh. 3.30.4 geht es gewiss nicht ums Testierrecht (capitis deminutio!). Es wäre also methodisch hochproblematisch, peregrinos a Romanis legibus fieri anders verstehen zu wollen. Ich würde vermuten, dass Konstantin die genannten Statusinhaber mit allem Nachdruck von der Anerkennung illegitimer Kinder abschrecken will. Körperstrafen scheiden, da es sich wohlgemerkt um Statusinhaber handelt, aus, sodass Infamie und zudem Bürgerrechtsverlust (auch wenn die Kombination rechtstechnisch keinen Sinn ergibt) als massivste Sanktionen übrig bleiben. Die Konstitution gibt keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die Folgen des Bürgerrechtsverlusts (nämlich das abrupte Ende der patria potestas und das Kappen der Familienverbindung zu den legitimen Verwandten) durchdacht hat. Offenbar geht er davon aus, dass das Familienvermögen trotz der Peregrinität des Vaters dennoch irgendwie an die legitimen Verwandten fällt. Fest steht jedenfalls, dass CTh. 4.6.3 nicht zur Klärung der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen taugt, denn die Regelung enthält (abgesehen vom Bürgerrechtsentzug mit seinen unklaren Konsequenzen) keinerlei Beschränkungen des Erb- und Testierrechts (wohl deswegen, weil diese bereits früher durch Konstantin verhängt wurden). Die darin getroffenen Rege71

Hier wiederum die betreffenden Stellen: CTh. 16.5.7 (381), … testandi ac vivendi iure Romano omnem protinus eripimus facultatem neque eos aut relinquendae aut capiendae alicuius hereditatis habere sinimus potestatem, »Denn wir entreißen ihnen … jedes Recht, ein Testament zu errichten und nach römischem Recht zu leben. Wir dulden es nicht, dass sie die Möglichkeit haben, eine Erbschaft letztwillig zu hinterlassen oder zu erwerben«; CTh. 16.7.2 (383), … omnem in quamcumque personam testamenti condendi interdicimus potestatem, ut sint absque iure Romano, »[ihnen] untersagen wir jede Möglichkeit der Testamentserrichtung zugunsten ganz gleich welcher Person, sodass sie ohne römisches Recht dastehen«; CTh. 16.5.23 (394), vivant iure communi, scribant pariter ac scribantur heredes, »sie sollen nach dem gleichen Recht wie alle leben, gleichermaßen Erben einsetzen und als Erben eingesetzt werden«; CTh. 16.5.36 (399), poenam adimendae testamenti factionis peregrinorumque mutandae condicionis remittimus, »[ihnen] erlassen wir die Strafe des Verlusts der testamenti factio und der Herabstufung im Personenstatus zu Peregrinen«.

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lungen gegen Schenkungen sind unabhängig von der Infamie und dem Bürgerrechtsentzug; sie greifen anders als die letztgenannten Sanktionen auch dann, wenn keine Legitimisierung der Abkömmlinge versucht wurde.

CTh. 16.2.20 [30. Juli 370] Ecclesiastici aut ex ecclesiasticis vel qui continentium se volunt nomine nuncupari, viduarum ac pupillarum domos non adeant … Censemus etiam, ut memorati nihil de eius mulieris, cui se privatim sub praetextu religionis adiunxerint, liberalitate quacumque vel extremo iudicio possint adipisci et omne in tantum inefficax sit, quod alicui horum ab his fuerit derelictum, ut nec per subiectam personam valeant aliquid vel donatione vel testamento percipere. Quin etiam, si forte post admonitionem legis Nostrae aliquid isdem eae feminae vel donatione vel extremo iudicio putaverint relinquendum, id fiscus usurpet. Ceterum si earum quid voluntate percipiunt, ad quarum successionem vel bona iure civili vel edicti beneficiis adiuvantur, capiant ut propinqui. Kleriker, ehemalige Kleriker und Leute, die sich den Namen »Enthaltsame« beilegen wollen, dürfen die Häuser von Witwen und unmündigen Mädchen nicht betreten … Wir verfügen ferner, dass die genannten Personen nichts von einer Frau, der sie sich privat unter dem Vorwand der Religion näherten, durch irgendeine Freigebigkeit oder durch letztwillige Verfügung erhalten dürfen. Alles, was einem von ihnen aus diesem Personenkreis hinterlassen wurde, soll ungültig sein, wobei sie nicht einmal durch eine dazwischengeschaltete Person in der Lage sein sollen, etwas schenkweise oder aus Testament zu erhalten. Mehr noch, wenn nach der Mahnung durch dieses Unser Gesetz die genannten Frauen den vorgenannten Leuten etwas durch Schenkung oder letztwillige Verfügung zukommen lassen wollen, dann soll dies der Fiskus einziehen. Wenn sie freilich etwas erhalten durch die letztwillige Verfügung solcher Frauen, zu deren Erbschaft bzw. Vermögen ihnen das ius civile bzw. das Edikt verhilft, dann sollen sie es in ihrer Eigenschaft als Verwandte [sehr wohl] erwerben.

Valentinians Konstitution gegen Erbschleicherei durch Kleriker erging mehr als zehn Jahre vor dem ersten Gesetz mit erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe. Gefährdet sieht der Kaiser vor allem verwitwete und unmündige Frauen, die er offenbar als besonders leicht beeinflussbar ansieht; erwachsene Frauen, solange sie ledig oder verheiratet sind, fallen nicht unter das Gesetz. Nur das Erben durch Kleriker oder Mönche als Personen wird untersagt, d. h., Witwen können das Familienvermögen weiter an z. B. Kirchen oder »die Armen« weggeben.

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Das Gesetz berücksichtigt ausdrücklich Umgehungsversuche durch Strohmänner, die eine Schenkung oder eine testamentarische Zuwendung an die Kleriker weiterreichen könnten. Auch eine Umgehung durch bewusste Aufgabe des klerikalen Status wird verunmöglicht. 72 Umgekehrt enthält die Regelung eine bemerkenswerte Ausnahme: Kämen die betroffenen Kleriker oder Mönche als Erben im Intestaterbgang nach den gesetzlichen Regeln oder gemäß den Regeln der bonorum possessio (hier als edicti beneficia umschrieben) in Frage, dann sollen sie auch testamentarisch erben dürfen – aber eben nur deswegen, weil sie mit der Erblasserin verwandt sind. Besonders überraschend scheint, dass das, was entgegen den Bestimmungen der vorliegenden Konstitution schenkweise oder testamentarisch zugewendet wird, vom Fiskus einzuziehen sei. Uns wird im Verlauf dieser Untersuchung immer wieder begegnen, dass der Schutz des Familienvermögens ein Leitmotiv spätantiker Gesetzgebung ist – selbst bei Verbrechern steht typischerweise der Fiskus zurück, damit nicht die ganze (an sich unschuldige) Familie ihr Vermögen verliert (→ S. 340), und selbst bei den verfemten Manichäern dürfen anfänglich die Hauserben vor dem Fiskus profitieren (→ S. 439). In einer Passage des vorliegenden Gesetzes (hier nicht wiedergegeben) gibt der Kaiser den Verwandten der Frauen die Möglichkeit, übertretende Kleriker vor staatliche [!] Gerichte zu bringen, damit diese sie »exterminieren« (exterminare: verbannen? Oder von den Häusern der Frauen fernhalten?), d. h., der Kaiser hat die Familien der Frauen durchaus nicht aus dem Blick verloren. Wer die völlig ungewöhnliche Konfiskationslösung erklären will, muss in Rechnung stellen, dass sie sich gegen die Angehörigen der Frauen richtet (d. h., nicht zugunsten des Staats getroffen wurde). Vermutlich sollte so die Anzeigebereitschaft der Verwandtschaft gesteigert werden: Die Kleriker dürfen ja nicht einmal die Häuser betreten, sind also nicht nur von Zuwendungen ausgeschlossen. Wer als Verwandter solche illegalen Kontakte toleriert, läuft Gefahr, dass es zu einem gesetzwidrigen Testament und damit zu einer Konfiskation kommt; aus ureigenstem Interesse sollte er also von Anfang an eingreifen. Mit den erbrechtlichen Sanktionen gegen Häretiker hat das vorliegende Gesetz nichts zu tun. Dort geht es in erster Linie um das Vererben, erst in zweiter Linie um das Erben; die Betroffenen sind alle Heterodoxen der sanktionierten Gruppe (also nicht nur Kleriker; das ist im Rahmen der Häretiker-

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Das ist ein mündlich mitgeteilter Vorschlag von Benet Salway, womit sich plausibel erklären lässt, weswegen die ex ecclesiasticis explizit genannt werden.

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gesetzgebung ungewöhnlich, da die allermeisten Häretikergesetze nur Kleriker treffen); Verbindungslinien lassen sich mithin kaum ausmachen. Interessant ist, was die zeitgenössischen Autoren über die Regelung zu sagen haben. Es gibt eine ganze Reihe von Testimonien (Arjava 1996, S. 160 Anm. 6), wovon wir uns zwei kurz ansehen müssen. Da ist einmal Ambrosius, der im Jahr 384 im Rahmen der Affäre um den Victoria-Altar an den Kaiser schreibt und dabei die Situation von christlichen Klerikern und heidnischen Priestern vergleicht (epist. 73.13 f.): At contra nobis etiam privatae successionis emolumenta recentibus legibus denegantur et nemo conqueritur. Non enim putamus iniuriam, quia dispendium non dolemus. … 14. … Scribuntur testamenta templorum ministris, nullus excipitur profanus, nullus ultimae conditionis, nullus prodigus verecundiae – soli ex omnibus clerico commune ius clauditur, a quo solo pro omnibus votum commune suscipitur, officium commune defertur: nulla legata vel gravium viduarum, nulla donatio. Dagegen werden uns durch kürzlich ergangene Gesetze sogar die Vorteile aus privaten Erbschaften verweigert, und niemand beklagt sich darüber. Wir halten dies nämlich nicht für ein Unrecht, da uns finanzielle Nachteile nicht schmerzen. … 14. … Es werden Testamente zugunsten von Tempeldienern verfasst, kein Gottloser ist ausgenommen, keiner von niedrigstem sozialen Stand, kein an Schande Reicher – als einzigem von allen ist dieses gemeinsame Recht [commune ius] dem Kleriker verschlossen, von dem allein zugunsten aller das gemeinsame Gelübde übernommen wird, der gemeinsame Dienst geleistet wird: keine Vermächtnisse – nicht einmal von hochseriösen Witwen! –, keine Schenkung!

Rund zehn Jahre später, in einem Brief von 393 oder 394 (Nautin, S. 251–253, der selbst für 393 plädiert), berichtet Hieronymus, dass Kleriker und Mönche – anders als heidnische Priester und diverse infamierte Gruppen – keine Erbschaft erwerben dürfen (Hier. epist. 52.6): Pudet dicere: Sacerdotes idolorum, mimi et aurigae et scorta hereditates capiunt – solis clericis et monachis hoc lege prohibetur et prohibetur non a persecutoribus, sed a principibus Christianis! Nec de lege conqueror, sed doleo, cur meruerimus hanc legem … Provida severaque legis cautio, et tamen nec sic refrenatur avaritia: Per fideicommissa legibus inludimus … Es ist einfach nur peinlich: Götzenpriester, Schauspieler, Wagenlenker und Huren können Erbschaften erwerben [capere] – nur Klerikern und Mönchen ist dies durch ein Gesetz untersagt – und zwar nicht von den Christenverfolgern, sondern von den christlichen Kaisern! Aber ich beschwere mich gar nicht über das Gesetz, sondern bedauere [lediglich], dass wir so ein Gesetz verdient haben … Die Regelung des Gesetzes ist vorausschauend und streng, aber nicht einmal

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so ist unsere Geldgier in den Griff zu bekommen: Mittels Fideikommissen tricksen wir die Gesetze aus …

Mit den Fideikommissen müssen tacita fideicommissa (→ S. 269) gemeint sein, 73 denn erstens hat Valentinians Gesetz jede testamentarische Zuwendung, damit auch Fideikommisse, verboten; zweitens müssen auch Fideikommisse erworben (capere) werden, d. h., auch textimmanent müsste man ansonsten einen Widerspruch konstatieren. Was für unsere Zwecke besonders interessant ist: Die beiden Passagen beweisen, dass offensichtlich weder 384 noch 393/4 Einschränkungen existierten, die infamierte Personen (ultimae conditionis, prodigus verecundiae, mimi et aurigae et scorta) vom Erben abgehalten hätten. Valentinians Verbot wurde (nach einer sehr kurzlebigen Erweiterung auf Kirchen und »die Armen«, die allerdings anscheinend nur für Diakonissen galt und jedenfalls gerade einmal zwei Monate Bestand hatte, → S. 304) erst im Jahr 455 von Markian abgeschafft. Dieser Kaiser war mit einem konkreten Fall konfrontiert, den er zum Anlass nahm, die gesamte Regelung aufzuheben (Nov. Marc. 5 §§ 2 f., vgl. → S. 273, → S. 30778).

CI. 5.9.1/CI. 6.56.4 [18. Dezember 380] [CI. 5.9.1] Si qua mulier nequaquam luctus religionem priori viro nuptiarum festinatione praestiterit, ex iure quidem notissimo sit infamis. 1. Praeterea secundo viro ultra tertiam partem bonorum in dotem ne det neque ei testamento plus quam tertiam partem relinquat. 2. Omnium praeterea hereditatum legatorum fideicommissorum suprema voluntate relictorum, mortis causa donationum sit expers. haec namque ab heredibus vel coheredibus aut ab intestato succedentibus vindicari iubemus, ne in his, quibus correctionem morum induximus, fisci videamur habere rationem. 3. His etiam amittendis, quae prior maritus ei suprema reliquerit voluntate, quamquam haec, quae mulieri a priore viro relinquuntur et per immaturum matri-

73

So richtig Delmaire I, S. 172 f. Anm. 2; anders Humfress 2007, S. 77, deren Darlegungen ich nicht verstehe: »Jerome’s Letter 52. 6 … states that certain Eastern churches had made use of a fiction of trusteeship … so that monks and clerics could lawfully inherit properties«. Tatsächlich geht es ausschließlich um Kleriker und Mönche als Personen, nicht um Kirchen; auf welche »Fiktion« sich Humfress hier beziehen könnte, ist mir ganz unklar; und das »lawfully inherit« ist falsch, es geht nicht um rechtliche Konstruktionen, sondern um Rechtsbruch.

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der hintergrund monium vacuata esse coeperunt, primo a decem personis edicto praetoris enumeratis, id est adscendentibus et descendentibus et ex latere usque ad secundum gradum, scilicet gradibus servatis, deinde praesumi a fisco iubemus. 4. Eandem quoque mulierem infamem redditam hereditates ab intestato, vel legitimas vel honorarias, non ultra tertium gradum sinimus vindicare. Wenn eine Frau durch eine übereilte [Wieder-]Heirat ihrem vorherigen Mann den Respekt der Trauerzeit gänzlich versagt, sei sie gemäß allseits bekanntem Recht infam. 1. Ferner soll sie ihrem zweiten Mann nicht mehr als ein Drittel ihres Vermögens als Mitgift geben und ihm testamentarisch nicht mehr als ein Drittel hinterlassen. 2. Ferner soll sie von allen Erbschaften, Legaten, Fideikommissen, die durch letztwillige Verfügung hinterlassen wurden, sowie Schenkungen mortis causa ausgeschlossen sein. Wir ordnen allerdings an, dass dies von den Miterben oder den im Intestaterbgang Nachfolgenden eingefordert werden soll, damit wir nicht bei den Regelungen, durch die wir die Besserung der Sitten bewirkten, den Fiskus im Blick zu haben scheinen. 3. Sie soll auch das verlieren, was ihr der vorherige Ehemann testamentarisch hinterlassen hat, wobei wir allerdings anordnen, dass das, was der Frau vom vorherigen Mann hinterlassen wurde und durch die vorzeitige Eheschließung kaduk wird, zunächst von den »zehn Personen«, die das prätorische Edikt aufzählt (d. h. von den Aszendenten, den Deszendenten und den Seitenverwandten bis zum zweiten Grad, freilich unter Beachtung der Gradnähe), erst dann vom Fiskus beansprucht wird. 4. Auch lassen wir nicht zu, dass dieselbe Frau, die infam wurde, Erbschaften im Intestaterbgang (sei es nach ius civile, sei es nach prätorischem Recht) über den dritten Grad hinaus antritt. [CI. 6.56.4] Si qua mulier nequaquam religionem priori viro, ex quo filios seu filias non habet, nuptiarum festinatione praestiterit, ex iure quidem notissimo sit infamis, nisi huiusmodi maculam imperiale beneficium ei remittat. 1. Sin autem ei filii erunt seu filiae et impetraverit indulgentiam, infamiae abolitionem permittimus et ceterarum poenarum antiquationem, si facultatum omnium, quae fuerint tempore nuptiarum, medietatem filio filiaeve, filiis seu filiabus donaverit, quos habebat ex viro priore susceptos, pure scilicet et omni donationis sollemnitate completa nec retento quidem usu fructu. … Wenn eine Frau durch eine übereilte [Wieder-]Heirat ihrem vorherigen Mann, von dem sie keine Söhne oder Töchter hat, den Respekt gänzlich versagt, sei sie gemäß allseits bekanntem Recht infam, sofern nicht ein kaiserliches Privileg ihr ein solches Schandmal erlässt. 1. Wenn sie aber Söhne oder Töchter hat und Nachsicht findet, erlauben wir die Aufhebung der Infamie und die Aufhebung der restlichen Strafen, wenn sie die Hälfte ihres ganzen Vermögens, das sie im Zeitpunkt der Eheschließung

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hatte, an ihren Sohn bzw. ihre Tochter bzw. ihre Söhne bzw. Töchter verschenkt, die sie von ihrem vorherigen Ehemann empfangen hatte (aber wohlgemerkt ohne jeden Vorbehalt, nach Abschluss aller Formalien einer Schenkung und auch nicht unter Vorbehalt eines Nießbrauchs!). …

Diese theodosianische Konstitution aus dem Dezember 380 ist unter allen von mir in diesem Abschnitt zu besprechenden Gesetzen das mit der größten Relevanz für ein Verständnis der erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe – und dies mit Abstand. Umso bedauerlicher ist es, dass uns dieses Gesetz nicht in der Codex-Theodosianus-Fassung erhalten ist (wahrscheinlich fand es sich einst im Titel CTh. 3.8, De secundis nuptiis; bis Buch 5 steht uns der Codex Theodosianus ja nur bruchstückhaft zur Verfügung, → S. 179). Wir müssen also notgedrungen mit den zwei Fragmenten im Codex Iustinianus arbeiten, deren Text im Vergleich zur verlorenen Codex-Theodosianus-Version noch weiter gekürzt und überarbeitet sein dürfte. Das Principium von CI. 5.9.1 ist mit dem von CI. 6.56.4 weitgehend identisch – eine Frau, die das Trauerjahr nicht einhält, wird infam –, wobei allerdings nur die Version im 6. Buch die Einschränkung ex quo filios seu filias non habet bietet. Dieser Halbsatz ist fraglos interpoliert: Das ius notissimum ist das prätorische Edikt, das bei der Infamie nicht unterscheidet, ob es Kinder gibt oder nicht (und sich übrigens auf den Gewaltinhaber der Frau bezieht: → S. 361152). Mehr noch: CI. 6.56.4 § 1 geht davon aus, dass eine Frau mit Kindern ebenfalls infam wird (nur dann kann ja die Infamie aufgehoben werden), was voraussetzt, dass der vorausstehende Satz die Infamie über alle zu schnell wiederverheirateten Frauen (ob nun mit Kindern oder ohne) verhängte. Die Version von CI. 5.9.1 ohne den Halbsatz ist also vorzuziehen. Besonders interessant aus Sicht der erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe (bei denen moderne Gelehrte ja öfters einen Bezug zu einer tatsächlichen oder angeblichen Infamie der Betroffenen herstellen wollten) ist die Bestimmung CI. 5.9.1 § 4, mulierem infamem redditam hereditates ab intestato, vel legitimas vel honorarias, non ultra tertium gradum sinimus vindicare; es bestünde die Versuchung, der Partizipialkonstruktion infamem redditam einen kausalen Nebensinn beizulegen (»weil sie infam wurde, treffen sie erbrechtliche Sanktionen«). Doch dank CI. 6.56.4 § 1 wissen wir, dass die Frau die Infamie vermeiden kann, wenn sie die Hälfte ihres Vermögens an ihre Kinder abtritt; der Nebensinn ist also kondizional (»sofern sie infam wurde [weil sie die Bedingung nicht erfüllte], treffen sie zusätzlich folgende Sanktionen«). Gleichwohl bleibt unerklärlich, dass sich nur in § 4 die Ergänzung infamem redditam findet; denn CI. 6.56.4 § 1 verheißt der Frau, die die Bedingung

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erfüllt, nicht nur ein Wegfallen der Infamie, sondern auch die ceterarum poenarum antiquatio, die Aufhebung aller anderen Strafen. Die Erwähnung der bonorum possessio (hereditates honorariae) passt sehr gut zur Vollständigkeit, die der Autor des Gesetzes auch sonst pflegt. In keinem der zahlreichen Heterodoxengesetze wird das Erben nach bonorum possessio eigens erwähnt; es ist stattdessen im (gegebenenfalls angeordneten) Ausschluss vom Erben im Intestaterbgang impliziert. Trotz aller Parallelen zu den erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe sollte man die hauptsächlichen – und gravierenden – Unterschiede nicht aus dem Blick verlieren: Die zu früh neuverheiratete Witwe unterliegt kaum testamentarischen Sanktionen; die einzige entsprechende Bestimmung ist, dass sie ihrem zweiten Mann nicht mehr als ein Drittel hinterlassen darf. Sogar im Verhältnis zu den Kindern erster Ehe zwingt sie der Kaiser nicht einfach zur Vermögensabtretung (was er ja kurze Zeit später hinsichtlich der Manichäer tatsächlich anordnet, zuerst gegen manichäische Anachoreten, → S. 450), sondern lässt ihr die Wahl (wobei allerdings durch die angedrohten Konsequenzen im Fall der Weigerung – Infamie und Verbot des intestaten Erbens über den dritten Grad hinaus – viel Druck aufgebaut wird). Die Maßregelung der Ehefrau, die das Trauerjahr nicht einhält, findet (abgesehen von der Infamie) vor allem durch Verbote statt, die ihre eigene Erbfähigkeit betreffen: Sie kann künftig nicht mehr aus letztwilliger Verfügung erben und verliert zudem rückwirkend, was ihr der verstorbene Mann testamentarisch zugewandt hat. Die vorliegende Witwenkonstitution ist damit (anders als die erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe) unmittelbar aus ihrem Telos erklärbar: Der Kaiser will die Kinder aus erster Ehe schützen und setzt die zu früh wiederverheiratete Frau unter Zwang, freiwillig die Hälfte des Vermögens an ihre Kinder aus erster Ehe abzutreten. Zwischen der vorliegenden Konstitution und dem Einsetzen der erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe (nämlich gegen Apostaten, → S. 720, und Manichäer, → S. 437) liegt weniger als ein halbes Jahr; dafür, dass die Witwenkonstitution von derselben Person wie das erste Manichäergesetz verfasst wurde, spricht vieles, nämlich neben der zeitlichen Fast-Koinzidenz und demselben Ort – Theodosius’ Hof – auch Stilistisches: 74 Sowohl das erste Mani74

Bemerkenswerterweise ist ausgerechnet Honoré (S. 44 f.) nicht überzeugt. Seine merkwürdige Begründung ist, dass der Autor des Manichäergesetzes »literary ornament (asyndeton and alliteration)« verwende, wie es in den Gesetzen von 381– 382 häufig, dagegen in denen von 380 selten sei. Hier befinden wir uns auf methodisch heftig schwankendem Boden; ist denn impetraverit indulgentiam oder immaturum matrimonium kein literarisches Ornament? Oder wäre es für Honoré »zu sel-

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chäergesetz als auch die vorliegende Regelung setzen konsequent maskuline und feminine Endung im Stile republikanischer leges nebeneinander. Zudem sind gewisse inhaltliche Ähnlichkeiten evident (so das Zusammentreffen von Infamie und erbrechtlichen Beschränkungen). Und doch überwiegen bei Weitem die Unterschiede: Die Manichäer verlieren in erster Linie das Testierrecht; sie können Erbschaften gar nicht mehr antreten; der Schutz der Familie beschränkt sich bei ihnen auf den engsten Kreis, die Abkömmlinge (nicht die decem personae). Ein Beleg für eine rechtliche Mechanik, die Infamie und erbrechtliche Sanktionen in einer bestimmten Weise verknüpfen würde, sind also die beiden Konstitutionen nicht. Interessanterweise werden die decem personae als schützenswerter Kreis später in der Manichäergesetzgebung dann doch noch rezipiert – aber »später« bedeutet hier »fast eine Generation später«, denn erst Honorius im Jahr 407 griff die »zehn Personen« auf (→ S. 474). Übrigens wurden die hier getroffenen Regelungen hinsichtlich wiederverheirateter Witwen in den folgenden Jahren noch von Theodosius I. modifiziert. Vom 30. Mai 381 (also gut drei Wochen nach dem ersten Manichäergesetz) stammt CTh. 3.8.1. Darin wird die Infamie für die allzu schnell Wiederverheiratete bestätigt (und als Rangverlust erklärt: probrosis inusta notis, honestioris nobilisque personae et decore et iure privetur, »gebrandmarkt mit Schandmalen, soll ihr der Schmuck und die Rechtsstellung einer ehrbaren [honestior] und edlen Person geraubt werden«), ebenso der Verlust von allem, was sie durch Verlobung oder letztwillige Verfügung erhalten hat; vor allem aber insistiert Theodosius I. darauf, dass er keinerlei Privatprivileg erteilen wird – was einen massiven Unterschied zur eben besprochenen Konstitution ausmacht und viele Fragen offenlässt (wie ist der Schutz der Kinder aus erster Ehe gewährleistet?). CTh. 3.8.2 stammt aus dem Folgejahr, nämlich 382. Dort wird klargestellt, dass die Frau alles, was sie vom ersten Ehemann erhalten hat, zwar zu Lebzeiten haben kann, aber bei ihrem Tod den Kindern von diesem zu hinterlassen hat; das gilt auch für Vermögen, das sie zwischenzeitlich möglicherweise von einem dieser Kinder geerbt hat. Für unsere Belange ist vieles am vorliegenden Gesetz interessant: Erstens wird die Frau so sanktioniert, wie man dies erwarten würde, nämlich vor allem durch Beschränkungen ihrer Erbfähigkeit. Zweitens wird die Frau infam, kann aber ausdrücklich auch danach noch ein Testament errichten ten« (was angesichts der Bearbeitung für den CTh. und dann noch einmal für den CI. ohnehin kaum sinnvoll zu beurteilen ist)? Mir scheinen die Gemeinsamkeiten zwischen Witwen- und Manichäergesetz augenfällig.

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(wenn auch darin der zweite Mann maximal ein Drittel erhalten kann). Drittens zeigt der chronologische Zusammenhang (und auch die mutmaßliche gemeinsame Autorenschaft), dass es zum Zeitpunkt, als die erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe einsetzten, durchaus ein Vorbild für Erbverbote sowie Einschränkungen, zugunsten bestimmter Personen nicht testieren zu dürfen, gegeben hatte. Umso rätselhafter muss es also a priori scheinen, wenn man bald darauf gegen die Heterodoxen eine andere Lösung fand, anstatt ihnen einfach das Erben und das Begünstigen anderer Heterodoxer im Testament zu untersagen.

CTh. 16.2.27 [21. Juni 390] Nulla nisi emensis sexaginta annis, cui votiva domi proles sit, secundum praeceptum apostoli ad diaconissarum consortium transferatur. Tum filiis suis, curatore, si id aetas poscit, petito, bona sua idoneis sedula religione gerenda committat, ipsa tantum praediorum suorum reditus consequatur, de quibus servandi abalienandi donandi distrahendi relinquendi vel quoad superest vel cum in fata concedit et libera ei voluntas et 75 integra sit potestas. Nihil de monilibus et supellectili, nihil de auro argento ceterisque clarae domus insignibus sub religionis defensione consumat, sed universa integra in liberos proximosve vel in quoscumque alios arbitrii sui existimatione transcribat ac si quando diem obierit, nullam ecclesiam, nullum clericum, nullum pauperem scribat heredes. Careat namque necesse est viribus, si quid contra vetitum circa personas specialiter comprehensas fuerit a moriente confectum. Immo si quid ab his morienti fuerit extortum, nec tacito fideicommisso aliquid clericis in fraudem venerabilis sanctionis callida arte aut probrosa cuiuspiam coniventia deferatur; extorres sint ab omnibus quibus inhiaverant bonis. Et si quid forte per epistulam codicillum donationem testamentum, quolibet denique detegitur genere conscriptum erga eos, quos hac sanctione submovimus, id nec in iudicium devocetur, sed vel ex intestato is, qui sibi competere intellegit, statuti huius definitione succedat, si quis se agnoscit filium, si quis probat propinquum, si quis denique vel casu vel iudicio, pro solido pro portione heres legatarius fideicommissarius apertis deprehenditur codicillis, fruatur fortunae munere, conscientiae suae fructu et submotis his adque deiectis in hereditariis corporibus potestate utatur heredis. Eine Frau, die zu Hause den erwünschten Nachwuchs hat, darf sich erst, wenn sie das Alter von 60 Jahren erreicht hat, gemäß der Vorschrift des Apostels den Diakonissen anschließen. Dann soll sie (sofern dies das Alter ihrer Kinder er75

Überliefert ist est statt et; Mommsens kleine Korrektur (nur im Apparat) löst alle Schwierigkeiten des Satzes.

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fordert: nach Bestellung eines Pflegers für diese) ihr Vermögen kompetenten Leuten zur Verwaltung in emsiger Gewissenhaftigkeit anvertrauen. Nur die Frau selbst soll das Einkommen von ihren Landgütern erhalten. Sie soll unbeschränkte Entscheidungsgewalt und volle Verfügungsmacht haben, diese zu behalten, wegzugeben, zu verschenken, zu veräußern, zu hinterlassen, und zwar sowohl zu Lebzeiten als auch im Zeitpunkt ihres Todes. Nichts vom Schmuck oder vom Hausrat, nichts vom Gold, Silber oder den restlichen Kleinodien eines großen Hauses soll unter dem Vorwand »Religion« weggegeben werden. Vielmehr soll sie alles ungeschmälert an die Kinder, an die Verwandten oder an beliebige andere nach ihrem freien Ermessen überschreiben. Wenn sie verstirbt, soll sie keine Kirche, keinen Kleriker, keinen Armen als Erben einsetzen. Es soll ohne Wenn und Aber ungültig sein, was eine Erblasserin entgegen diesem Verbot den ausdrücklich genannten Personen überträgt. Vielmehr: Wenn einer Erblasserin von diesen Leuten etwas abgepresst wird, soll Klerikern nicht einmal durch ein tacitum fideicommissum etwas in Umgehung dieser kaiserlichen Verordnung durch verschlagene Tricks oder durch die schändliche Kumpanei irgendeiner Person zukommen. Ausgeschlossen seien sie von all den Gütern, nach denen es sie gelüstet. Und wenn entdeckt wird, dass etwas durch eine Epistula, durch ein Kodizill, durch eine Schenkung, durch ein Testament – kurzum: auf beliebige Art! – zugunsten der Leute niedergeschrieben wurde, die wir durch vorliegende Konstitution ausgeschlossen haben, dann soll dies [gar] nicht [erst] vor Gericht gebracht werden. Stattdessen soll als Intestaterbe derjenige, der merkt, dass es ihm zusteht, auf Grundlage der vorliegenden Konstitution nachfolgen. Wenn sich jemand als Sohn zu erkennen gibt, wenn jemand nachweist, Verwandter zu sein, kurzum: wenn jemand durch Zufall oder durch Urteil, für die Gesamterbschaft oder für einen Erbanteil als Erbe, Legatar oder Fideikommissar nach Eröffnung eines Kodizills erkannt wird, soll er profitieren vom Geschenk des Schicksals, von der Frucht seines Gewissens. Nach Ausschluss und Vertreibung der Erbschleicher soll er die Gewalt eines Erben über den Nachlass ausüben.

Theodosius’ Gesetz wider klerikale Erbschleicherei besitzt noch einen pittoresken § 1 (hier nicht wiedergegeben), der sich gegen Kurzhaarfrisuren bei Frauen richtet. Das Telos des Principiums ist offensichtlich: Der Kaiser nimmt frömmelnde Frauen ins Visier, verbietet ihnen, sofern sie Kinder haben, diese im Stich zu lassen (d. h., erst mit 60 Jahren dürfen sie Diakonissen werden) und das Familienvermögen an die Kirche, Kleriker oder »die Armen« wegzugeben. Das Gesetz gilt offenbar nur für Diakonissen: Diese Frauen scheinen in den Augen des Kaisers so sehr unter kirchlichem Einfluss zu stehen, dass ihnen keine seriöse eigene Entscheidung mehr zuzutrauen ist; er muss ihnen also jede Möglichkeit nehmen, in irgendeiner Weise kirchliche oder kirchennahe Erben zu begünstigen.

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Das Gesetz stammt aus dem Jahr 390, d. h. mitten aus der Zeit, in der zahlreiche Gesetze mit erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe ergingen, und doch weist es entscheidende Unterschiede zu diesen Konstitutionen auf. Erstens funktioniert das Testierverbot anders als in allen Heterodoxengesetzen: Die Diakonissen können frei testieren, solange sie nur nicht die ausgeschlossenen Erben (Kirchen, Kleriker, Arme) begünstigen. Ähnliches hätte man doch, zumindest a priori, bei den Heterodoxen erwarten können (also: ihre Testamente sind gültig, solange nicht ihre Glaubensgenossen profitieren). Zweitens existiert kein Heterodoxengesetz, das auch nur annährend so sorgfältig alle möglichen Umgehungen, von den letztwilligen Verfügungen neben dem Testament bis hin zum tacitum fideicommissum, aufzählen würde. 76 Die Erwähnung des tacitum fideicommissum zugunsten von Klerikern erinnert einen doch sehr an die Passage, in der Hieronymus über die Anwendung genau dieses Tricks durch Kleriker klagt (→ S. 298). Im Vergleich zum Gesetz des Valentinian von 370 (CTh. 16.2.20, → S. 296) gibt es zwei wichtige Unterschiede: Valentinian wandte sich nur gegen Kleriker, die zu ihrem persönlichen Vorteil Erbschleicherei betrieben; anders als bei Theodosius gibt es bei ihm keinerlei Einschränkungen für Zuwendungen an Kirchen oder Arme. Der zweite Unterschied ist, dass es bei Valentinian um Witwen und Mündel, bei Theodosius um Diakonissen geht. Dem theodosianischen Gesetz war keine große Zukunft beschieden, denn bereits zwei Monate später hob es Theodosius I. selbst wieder auf (CTh. 16.2.28, 23. August 390): Legem, quae de diaconissis vel viduis nuper est promulgata, ne quis videlicet clericus neve sub ecclesiae nomine mancipia superlectilem praedia 77 velut infirmi sexus dispoliator invaderet et remotis adfinibus ac propinquis ipse sub praetextu catholicae disciplinae se ageret viventis heredem, eatenus animadvertat esse revocatam, ut de omnium chartis, si iam nota est, auferatur neque quisquam aut litigator ea sibi utendum aut iudex noverit exequendum. [Deine Sublimität?] soll beachten: Das Gesetz, das vor kurzem hinsichtlich Diakonissen bzw. Witwen erlassen wurde – nämlich dass sich keiner, sei es als Kleriker, sei es im Namen einer »Kirche«, als Plünderer des schwachen Geschlechts Sklaven, Einrichtungsgegenstände, Landgüter unter den Nagel reiße und sich selbst unter Zurücksetzung der Verwandten und Angehörigen unter dem Vorwand der katholischen Religion als Erbe einer [noch] Lebenden auf76 77

Das in dieser Hinsicht ähnlichste Gesetz ist CTh. 16.5.17 gegen Eunomianer (→ S. 636), das vom 4. Mai 389 stammt und mithin wenig mehr als ein Jahr älter ist. Das ist Mommsens nur im Apparat gebotene Konjektur; überliefert ist praedam, »als Beute«.

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führe –, ist aufgehoben. Es ist aus den Papieren aller – sofern es bereits bekannt ist – zu entfernen. Jeder Prozessteilnehmer bzw. jeder Richter soll wissen, dass man es nicht vorlegen bzw. nicht danach urteilen darf.

Offenbar genügten Ambrosius gerade einmal zwei Monate, um Theodosius – der sich bekanntlich gegenüber der Kirche als wenig durchsetzungsfähig erwies – so weit mürbe zu machen, dass er seine eigene Maßnahme nolens volens wieder zurücknahm. Der Wortlaut, der noch einmal die Sünden der Kleriker detailliert ausbreitet, zeigt jedenfalls, dass der Kaiser sein Gesetz nur zähneknirschend aufhob. CTh. 16.2.27 nennt an keiner Stelle Witwen, wird hier aber als lex … de diaconissis vel viduis charakterisiert – doch da nur Jungfrauen und Witwen als Diakonissen in Frage kamen und CTh. 16.2.27 von Diakonissen mit Kindern spricht, muss es bei diesen um Witwen gehen. CTh. 16.2.28 erwähnt nur das Ausplündern der Damen zu ihren Lebzeiten; das Testierverbot kommt nicht vor (übrigens auch nicht die Untersagung der Kurzhaarfrisuren), doch kann trotzdem kein Zweifel daran bestehen, dass CTh. 16.2.27 als Ganzes außer Kraft gesetzt werden soll (der Einschub ne quis videlicet … viventis heredem dient also nur zur Kenntlichmachung des aufzuhebenden Gesetzes; es werden also nicht nur diese Bestimmungen abrogiert). Die valentinianische Konstitution hinsichtlich der viduae, die nicht an Priester vererben dürfen, gilt übrigens weiter: Das bestätigt nicht nur Hieronymus im Jahr 393 oder 394 (→ S. 298), sondern auch Kaiser Markian im Jahr 455, als er dann dieses Gesetz aufhebt. 78

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In anderem Kontext kamen wir bereits auf diese Konstitution zu sprechen (→ S. 273). Tatsächlich ist Nov. Marc. 5 in vielerlei Hinsicht höchst bemerkenswert. Offenbar (vgl. Nov. Marc. 5 pr.) war von interessierter Seite nicht nur auf CTh. 16.2.20, sondern auch auf CTh. 16.2.27 und 16.2.28 verwiesen worden, obwohl CTh. 16.2.27 und 16.2.28 – da Hypatia zwar Witwe, aber keine Diakonisse war – gar nicht einschlägig waren (vgl. → S. 250). Markian bestätigt letztlich das Testament und hebt CTh. 16.2.20 und 16.2.27 formal auf (§ 2), was er aber als Bestätigung von CTh. 16.2.28 deklariert (pr., § 2): Sein Argument ist, dass in CTh. 16.2.28 viduae erwähnt werden, die aber nicht in CTh. 16.2.27, sehr wohl aber in CTh. 16.2.20 erscheinen – folglich habe bereits CTh. 16.2.28 beide älteren Konstitutionen abrogiert. Diese Beweisführung ist hanebüchen (denn CTh. 16.2.28 hebt ausdrücklich ein Gesetz auf, das unlängst ergangen ist); dahinter steckt der übliche Konservativismus, dass man als Kaiser nichts verändern, sondern nur das gute Alte bestätigen möchte (→ S. 129), mit der Folge, dass hier die eigene Intention mit Gewalt in eine mehr als 60 Jahre zuvor erlassene Konstitution hineingelesen wird.

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CTh. 3.12.3 [8. Dezember 396] … si quis incestis posthac consobrinae suae vel sororis aut fratris filiae uxorisve … sese nuptiis funestarit, designato quidem lege supplicio, hoc est ignium et proscriptionis, careat, proprias etiam, quamdiu vixerit, teneat facultates. Sed neque uxorem neque filios ex ea editos habere credatur, nihil prorsus praedictis ne per interpositam quidem personam vel donet superstes vel mortuus derelinquat. … Testamento suo extraneis nihil derelinquat, sed sive testato sive intestato legibus ei et iure succedant, si qui forte ex iusto et legitimo matrimonio editi fuerint, hoc est de descendentibus filius, filia, nepos, neptis, pronepos, proneptis, de ascendentibus pater, mater, avus, avia, de latere frater, soror, patruus, amita. Testandi sane ita demum habeat facultatem, ut his tantum personis pro iuris ac legum, quod voluerit, arbitrio relinquat, quas succedere imperialis praecepti tenore mandavimus; ita tamen, ut hereditate diem functi penitus arceatur, si quis ex his, quos memoravimus, in contrahendis incestis nuptiis participatum atque consilium inisse monstrabitur, successuro in locum illius, qui post eum gradum proximus invenitur. Id sane, quod de viris cavimus, etiam de feminis, quae praedictorum sese consortiis commacularint, custodiatur. Memoratis vero personis non extantibus, fisco locus pateat. … Wenn sich jemand künftig durch eine inzestuöse Ehe mit einer Cousine, Nichte oder Schwägerin … besudeln sollte, bleibt ihm die durch ein Gesetz vorgesehene Strafe – nämlich des Feuers und der Enteignung – erspart. Er darf auch zu seinen Lebzeiten sein Vermögen behalten. Aber er soll so betrachtet werden, als habe er weder Ehefrau noch von ihr geborene Kinder; auch darf er vorgenannten Personen überhaupt nichts als Lebender schenken oder als Toter hinterlassen – auch nicht durch eine dazwischengeschaltete Person. … Mit seinem Testament soll er Außenerben nichts hinterlassen. Vielmehr sollen ihm durch Testament oder im Intestaterbgang nach Recht und Gesetz diejenigen nachfolgen, die aus einer rechtmäßigen und legitimen Ehe hervorgingen, d. h. – von Abkömmlingen: Sohn, Tochter, Enkel, Enkelin, Urenkel, Urenkelin; – von Aszendenten: Vater, Mutter, Großvater, Großmutter; – aus der Seitenlinie: Bruder, Schwester, Onkel väterlicherseits, Tante väterlicherseits. Er soll nur insoweit Testierrecht besitzen, dass er nach Maßgabe von Recht und Gesetz 79 nur den Personen das, was er will, hinterlässt, die wir durch den Inhalt unserer kaiserlichen Vorschrift nachzufolgen hießen. 79

Der Satzteil pro iuris ac legum, quod voluerit, arbitrio kann nicht richtig überliefert sein. Nach dem Vorbild von CTh. 16.7.2 § 1, testandi arbitratu proprio in quaslibet

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Dabei ist zu beachten, dass jemand von der Erbschaft des Verstorbenen ganz auszuschließen ist, wenn einer von denen, die wir aufgezählt haben, nachweisbar beim Abschluss der inzestuösen Hochzeit Mitwirkender und Mitplaner gewesen ist, wobei derjenige an seine Stelle treten soll, der nach ihm verwandtschaftsmäßig der nächste ist. Was wir in Bezug auf Männer bestimmt haben, soll selbstverständlich auch für Frauen gelten, die sich durch eine Verbindung mit den Vorgenannten besudelt haben. Im Fall, dass die angegebenen Personen nicht existieren, soll der Fiskus an ihre Stelle treten.

Das vorliegende Gesetz 80 des Arkadius gehört in den Rahmen der Inzestgesetzgebung. Keines der früheren Fragmente im Codex Theodosianus enthält ein Verbot der Ehe zwischen Cousin und Cousine (vgl. Puliatti 2001, S. 257– 259), aber wir wissen durch etliche Literaturstellen, dass ein solches unter Theodosius I. ergangen war und dass er diese Form der untersagten Verbindung nicht anders bestrafte als die Ehe zwischen Geschwistern. 81 Auf Inzest stand ehedem die Deportation (Marcian. D. 48.18.5, Paul. sent. 2.26.15), doch Konstantius II. sah für die Ehe mit der Nichte die Todesstrafe vor (CTh. 3.12.1), und mit einem Argumentum a fortiori muss man unweigerlich zu dem Schluss gelangen, dass mindestens die (normale) Todesstrafe für die Geschwister- und damit auch die Cousinenehe galt. Wenn im vorliegenden Gesetz die frühere Strafandrohung sogar als supplicium ignium beschrieben wird, dann muss die Ungewöhnlichkeit der Brutalität genauso überraschen wie die der Formulierung. 82 Übrigens hob Arkadius das Verbot der Cousinenehe bald

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alias personas ius adimatur, wäre gut vorstellbar etwa proprio, quod voluerit, arbitrio. Da der Eingriff umfangreich ist und die Verderbnis alt (textgleich nämlich auch in CI. 5.5.6 § 4 zu finden), führe ich die Veränderung im Haupttext nicht durch und übersetze das fragwürdige Original. Neue Diskussion mit zahlreichen Literaturverweisen bei Puliatti 2001, S. 176–180; vgl. ferner Roda. Ambr. epist. 58.8 (Nam Theodosius imperator etiam patrueles fratres et consobrinos vetuit inter se coniugii convenire nomine et severissimam poenam statuit, »Denn auch Kaiser Theodosius hat verboten, dass Cousins und Cousinen – väterlicher- wie mütterlicherseits – sich unter dem Namen ›Ehe‹ verbinden und legte dafür eine außerordentlich harte Strafe fest«); Ps. Aur. Vict. epit. 48.10 (ut consobrinarum nuptias vetuerit tanquam sororum, »… dass er die Ehe mit der eigenen Cousine untersagte, als wär’s die eigene Schwester«); Liban. or. 50.12, μηδὲ ἔστωσαν ἀνεψιῶν γάμοι γέγραφας, »Du hast verordnet, dass keine Ehen zwischen Cousins sein sollen«; vgl. ferner Aug. civ. dei 15.16 p. 93.4–22. Der Herausgeber Förster datiert die LibaniosRede ins Jahr 385, was dann der Terminus ante quem für Theodosius’ Gesetz wäre. Puliatti 2001, S. 174 Anm. 53, führt alle Deutungen auf, die bislang für diese Stelle im Text der Konstitution gegeben wurden, und entscheidet sich selbst für Deporta-

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wieder explizit auf (CI. 5.4.19 von 405), und wir besitzen ferner einen Symmachus-Brief, wonach derlei Verbindungen häufig durch kaiserliche Privatprivilegien ermöglicht wurden (Symm. epist. 9.133, nicht scharf datierbar). Das bestätigt ein westliches Gesetz von 409 (CTh. 3.10.1): Es erwähnt, dass bereits das ursprüngliche Verbot durch Theodosius I. die Möglichkeit offen gelassen hatte, durch Eingabe beim Kaiser eine Ausnahme zu erwirken. 83 Die wesentliche Neuerung des vorliegenden Gesetzes ist die Abkehr von der Todesstrafe als Ahndung von Verwandtenehen, an deren Stelle erbrechtliche Sanktionen treten. 84 Vordergründig ist das Telos dieser Sanktionen offensichtlich: Da der Gesetzgeber die als inzestuös definierte Verbindung als illegitim betrachtet, ist er bestrebt, die Weitergabe von Familienvermögen an die Ehefrau und den aus der Liaison hervorgegangenen Nachwuchs zu unterbinden. Auch mögliche Umgehungskonstruktionen durch dazwischengeschaltete Personen werden expressis verbis verboten. Dadurch wäre der eigentliche Zweck bereits erreicht. Die weiteren Bestimmungen – dass der Betroffene nur zugunsten bestimmter naher Verwandter testieren bzw. intestat von ihnen beerbt werden kann – sind also vordergründig unnötig. Dieser Regelung kann kaum ein konkreter Anlass (also eine Eingabe von enttäuschten Verwandten, die aufgrund eines vorhandenen Testaments leer ausgehen würden) zugrunde gelegen haben. Denn erstens enthält die Konstitution keine Klausel zur Entkräftung des Testaments eines bereits verstorbenen Erblassers, wie sie in anderen Texten begegnet (vgl. CTh. 16.7.1, CTh. 16.5.7). Dies ist umso auffälliger, da die Rückwirkungsfrage

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tion, wobei supplicium ignium seiner Meinung nach für (aquae et) ignis interdictio stehen soll. Doch im Codex Theodosianus kommt die alte aquae et ignis interdictio niemals vor, und zudem könnte supplicium ignium (»Strafe des Feuers«) nie und nimmer aquae et ignis interdictio (»Untersagung von Wasser und Feuer«) vertreten. Klaffen hier westliche und östliche Gesetzgebung auseinander? 405 hatte ja Arkadius die Cousinenehe generell erlaubt, während Honorius mit dem vorliegenden Gesetz von 409 Cousinenehen anscheinend als justiziabel ansieht. Aber so einfach ist die Sache nicht. In CTh. 3.10.1 geht es darum, dass der Kaiser Petitionen mit dem Zweck, eine eigentlich untersagte Ehe doch schließen zu dürfen, mit Deportation bedroht. Ausgenommen davon sind Petitionen um Cousinenehen, die erlaubt bleiben. CTh. 3.10.1 ist also keine Maßnahme in Reaktion auf das Arkadius-Gesetz, und CTh. 3.10.1 kann auch nicht belegen, dass Cousinenehen unbedingt verboten waren. Denn eigentlich unnötige Petitionen zur Rückversicherung sind gut belegt (→ S. 125187). Vermögensverschiebungen in verbotenen Ehen hatte bereits Theodosius I. mit Konfiskation bedroht (CI. 5.5.4, zwischen 383 und 392, vermutlich eher gegen Ende dieses Zeitraums, vgl. Seeck, S. 127).

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keineswegs generell ignoriert wird (das Gesetz gilt sehr wohl rückwirkend für bereits geschlossene Ehen, vgl. CTh. 3.12.3 a. E.). Zweitens sind die Regelungen so ausführlich und detailgenau (d. h., verschiedene Fälle werden berücksichtigt, nicht nur eine Konstellation, was auf eine ganz spezifische Bitte verweisen würde), dass man eher von einer gestaltenden Rechtssetzung als dem Gewähren und Generalisieren eines Einzelfalls ausgehen wird. Um ein Bestrafen des Inzüchtigen (und das Abschrecken von Nachahmern) geht es offenbar nicht, denn das Erben steht ihm weiter offen. Damit bleibt nur die Erklärung, dass jede Umgehung (also das Vererben an den inzüchtigen Familienteil durch einen dazwischengeschalteten Komplizen) dadurch verunmöglicht werden soll, dass man dem Erblasser kaum mehr Verfügungsgewalt lässt. Aber wenn dies wirklich der intendierte Zweck wäre, scheint die Regelung unausgegoren. 85 CTh. 3.12.3 ist sanktionsmäßig an zwei Gesetze der Heterodoxengesetzgebung angelehnt, nämlich CTh. 16.7.2 und CTh. 16.7.6, jeweils gegen Apostaten. Das spätere Gesetz, CTh. 16.7.6, stammt vom 23. März 396, also aus demselben Jahr wie unser vorliegendes Inzuchtgesetz, und CTh. 16.7.6 beruht seinerseits auf CTh. 16.7.2. Die Formulierungen sind ähnlich (testamento suo extraneis nihil derelinquat; testandi in alienos non habeant facultatem; testandi arbitratu proprio in quaslibet alias personas ius adimatur), CTh. 16.7.6 bietet – ganz wie das Inzuchtgesetz – eine genaue Aufzählung der erbberechtigten Personen (wenn auch mit gewissen Unterschieden). Ganz offensichtlich wurde hier eine Anleihe bei der Apostatengesetzgebung gemacht. Dieser Rückgriff bleibt eine Ausnahme: Keines der weiteren Gesetze gegen Inzest droht mit erbrechtlichen Sanktionen.

CTh. 9.14.3 [4. September 397] Quisquis cum militibus vel privatis, barbaris etiam scelestam inierit factionem …, ipse quidem utpote maiestatis reus gladio feriatur bonis eius omnibus fisco Nostro addictis, filii vero eius, quibus vitam imperatoria specialiter lenitate concedimus, paterno enim deberent perire supplicio, in quibus paterni, hoc est hereditarii criminis exempla metuantur, a materna vel avita, omnium etiam proximorum hereditate 85

Angenommen, A heiratet seine Nichte B. A hat zuvor keine Ehe geführt, es existieren also keine legitimen Nachkommen. Seine Aszendenten sind sämtlich verstorben. Also geht sein Nachlass an seinen Bruder C, den Vater von B, bei dem zumindest eine gewisse Gefahr besteht, dass er seine Tochter B testamentarisch berücksichtigen könnte (erben darf sie ja!).

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der hintergrund ac successione habeantur alieni, testamentis extraneorum nihil capiant, sint perpetuo egentes et pauperes. Infamia eos paterna semper comitetur, ad nullos umquam honores, nulla prorsus sacramenta perveniant, sint postremo tales, ut is perpetua egestate sordentibus sit et mors solacio et vita supplicio. 1. Denique iubemus etiam eos notabiles esse sine venia, qui pro talibus umquam apud Nos intervenire temptaverint. 2. Ad filias sane eorum, quolibet numero fuerint, Falcidiam tantum ex bonis matris, sive testata sive intestata defecerit, volumus pervenire, ut habeant ingratae 86 potius filiae alimoniam quam integrae emolumentum ac nomen heredis. mitior enim circa eas debet esse sententia, quas pro infirmitate sexus minus ausuras esse confidimus. … Jeder, der eine ruchlose Verschwörung eingeht, sei es mit Soldaten, mit Zivilisten oder gar mit Barbaren [weitere Tatbestände folgen] …, soll in jedem Fall selbst als Majestätsverbrecher mit dem Schwert hingerichtet werden. Sein ganzes Vermögen soll an Unseren Fiskus fallen. Seine Söhne, denen wir das Leben aufgrund besonderer kaiserlicher Milde lassen (eigentlich müssten sie nämlich ganz wie ihr Vater hingerichtet werden – muss man doch bei ihnen die Vorbildfunktion väterlicher, d. h. ererbter, Kriminalität fürchten!), sind von der Erbschaft und Nachfolge von der Mutter bzw. den Großeltern, kurz: von allen Verwandten, fernzuhalten. Sie dürfen nichts aus den Testamenten von Fremden erhalten. Sie sollen auf ewig mittellos und arm sein. Die väterliche Infamie soll sie stets begleiten, sie sollen niemals zu Ehrenstellen, sie sollen keinesfalls zum Diensteid gelangen, sie sollen letztlich so sein, dass ihnen, die da in ewiger Armut dahinvegetieren, der Tod tröstlich und das Leben qualvoll sei. 1. Ferner ordnen wir an, dass auch diejenigen die Infamie ohne Begnadigungsmöglichkeit trifft, die je versuchen sollten, sich bei Uns für solche Leute zu verwenden. 2. Wir bestimmen, dass zu ihren Töchtern – ganz gleich, wie viele es sein mögen – nur der falzidische Teil aus den Gütern der Mutter gelangt (unabhängig davon, ob diese mit Testament oder intestat verstirbt), sodass sie den Lebensunterhalt einer undankbaren Tochter anstatt Belohnung und Namen einer echten Erbin erhalten. Denn gegen Frauen muss die Strafe milder sein, die sich ja aufgrund der Schwäche ihres Geschlechts künftig weniger erdreisten werden, wie wir mit Bestimmtheit denken. …

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Mommsens Ausgabe hat ingrate und integre; der einzige Textzeuge, nämlich V, bietet ingratae (aber integre). Die Redakteure des Codex Iustinianus lasen wahrscheinlich ingrate und integre, denn sie ändern zu mediocrem und integrum. Das Unbehagen der Kompilatoren im 6. Jh. wird man nachvollziehen können. Wenn ich als Lesart der Ursprungskonstitution ingratae und integrae vermute, dann deshalb, weil filia und heres an sich keine Gegenbegriffe darstellen. Werden sie einander gegenübergestellt – wie hier im Gesetz –, sollten sie entsprechend qualifiziert sein.

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Das ist ein Auszug aus einem Codex-Theodosianus-Fragment, welches die Vorlage für CI. 9.8.5 bot – was seinerseits die berühmt-berüchtigte 87 Lex Quisquis des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ist. Ihre drakonischen Bestimmungen fanden gleichermaßen Eingang ins Decretum Gratiani 88 (und so ins kanonische Recht) wie in die Goldene Bulle, wurden noch in der Neuzeit angewendet (zu alledem Kübler, Sp. 556) und gaben zu zahlreichen juristischen Diskussionen Anlass. 89 Die frühen Rechtsgelehrten erörterten dabei insbesondere die Sippenhaftung der von persönlicher Schuld freien Abkömmlinge; heutige Beobachter verstört nicht minder der Tatbestand, den der Betroffene allein schon durch seine Gedanken (de nece … cogitare, »einen Mordanschlag erwägen«, oben nicht wiedergegeben) erfüllt. Wer sich für die Spätantike interessiert und an den Text herangeht, 90 den dürfte hingegen ein weiteres Detail (ebenfalls oben nicht wiedergegeben) überraschen, nämlich dass der geschützte Personenkreis die Mitglieder des consistorium, die Senatoren und die militia-Angehörigen sind – während die Person des Kaisers selbst gar nicht genannt wird! 91 Der Kontext, in dem diese Regelung in der zweiten Jahreshälfte 397 entstand, ist unbekannt. 92 Bisoukides, S. 26: »Makel in der Geschichte der Menschheit«; Kübler, Sp. 553: »Höhepunkt der Verbohrtheit und des Fanatismus«; Weitzel, S. 49: »Höhepunkt politischer Willkürjustiz«. 88 Decr. Grat. C. 6, q. 1, c. 22. 89 Das mittelalterliche und moderne Fortleben der Lex Quisquis hätte eine Monografie verdient, die aber bislang nicht existiert. Nützlich sind Maihold (S. 140–142, S. 286–307, sowie die weiteren Stellen, die sich s. v. lex quisquis in seinem Index finden) und Kolmer, S. 10–13. Zu den großen Namen, die sich mit der Lex Quisquis beschäftigt haben, gehören etwa Thomas Hobbes, Hugo Grotius und Anselm von Feuerbach (vgl. Kübler, Sp. 556; Bisoukides, S. 28). 90 Es gibt erstaunlich wenig Literatur zur Regelung von CTh. 9.14.3 (daher ist die ausführliche Diskussion von Gothofredus 1654 auch heute keineswegs obsolet). Kübler, Sp. 554–559, ist der wichtigste moderne Beitrag; Bauman 1967 leidet an merkwürdigen Prämissen (so diskutiert er mögliche Interpolationen im Codex-Theodosianus-Text); Weitzel (S. 49) bietet nur wenige Zeilen, wobei er Schminck (S. 23) mitunter bis zur Formulierung folgt (dabei übernimmt er zudem einen bedenklichen sprachlichen Fehler bei Schminck, der quisquis militat als den »Beginn der Ausführungshandlung« missversteht – tatsächlich befinden sich die beiden Wörter quisquis und militat nicht einmal in demselben Gliedsatz, und militare bedeutet »militia-Mitglied sein« und nicht etwa »militant sein« o. ä.). Keiner dieser Autoren interessiert sich näher für die Fragen, die wir im Weiteren diskutieren werden. 91 Insofern ist Schminck, S. 23, ganz verfehlt: »Mit der lex Quisquis ist eine Fixierung des Maiestas-Rechts auf die Person des Kaisers vollzogen«. 92 Da die Regelung nicht den Kaiser schützt (jedenfalls nicht explizit), sondern überraschenderweise sein Umfeld, und da sie während der Vorherrschaft des Eutrop 87

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der hintergrund

Die hier gegebenen erbrechtlichen Regelungen sind brutal, aber zugleich systemimmanent einsichtig. Das Familienvermögen wird gleichzeitig mit der Hinrichtung des Hochverräters konfisziert. Seine Söhne sollen arm bleiben, damit ihnen die Ressourcen für eigene Verschwörungen fehlen (diese Begründung wird sowohl im Principium als auch indirekt in § 2 a. E. gegeben). Dies wird erreicht, indem sie ihre Erbfähigkeit vollständig verlieren: Sie können weder von Verwandten noch testamentarisch von anderen erben. Das Vererben durch solche Verrätersöhne interessiert den Gesetzgeber wohl 93 nicht: Vermutlich werden sie (außer unter ganz besonderen Umständen) kein nennenswertes Vermögen ansammeln können, und zudem scheint man vor der übernächsten Generation keine Angst mehr zu haben. Da von Töchtern weniger Gefahr ausgeht, lässt es der Gesetzgeber zu, dass aus dem Vermögen der Mutter (alles, was dem Vater gehörte, ist ja bereits eingezogen) maximal ein Viertel an die Töchter fällt, sei es testamentarisch, sei es im Intestaterbgang. Dieses Viertel wird abusiv Falcidia genannt; der Begriff wird hier noch fragwürdiger verwendet als in anderen Fällen (→ S. 238), weil dieses Viertel nicht pro Person kalkuliert ist, sondern auf

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erging (→ S. 658), nimmt man mit gutem Grund an, dass der Eunuch hinter dem Gesetz steckt (so bereits Gothofredus 1654, S. 92–96; für die ältere Literatur vgl. Bisoukides, S. 26 Anm. 2; ferner Seeck 1920a, S. 562 zu 302, 11; Bauman 1967, S. 55 f.). Dafür könnte als weiteres Indiz sprechen, dass Ende Juli 399 das Gesetz CTh. 9.40.18 erlassen wurde, in dem man eine Aufhebung der eutropischen Lex Quisquis gesehen hat (so etwa Seeck, S. 299 zu 25. Juli). Aber die Theorie hat mehrere Haken: Erstens passt die Chronologie nicht. Die Verbannung des (offenbar kurz zuvor gestürzten) Eutrop findet sich erst Mitte August angeordnet (CTh. 9.40.17, → S. 66192). Zweitens spricht CTh. 9.40.18 (als CI. 9.47.22 im Codex Iustinianus, das Mittelalter kennt das Gesetz als Lex Sancimus) nicht von der Aufhebung irgendeines Gesetzes, sondern schließt ganz generell persönlich unschuldige Verwandte und Freunde von der Strafverfolgung aus; da die Lex Quisquis niemals eine Verfolgung von Freunden erwähnt, kann es sich nicht um eine direkte Bezugnahme handeln. Da für Majestätsverletzungen viele Ausnahmen und Verschärfungen galten, scheint mir zweifelhaft, dass man CTh. 9.40.18 (worin eine Gültigkeit für maiestas nicht ausdrücklich genannt wird) ohne Weiteres gegen CTh. 9.14.3 hätte heranziehen können. (Ob man die Härten der Lex Quisquis durch die Lex Sancimus beseitigen könne, war übrigens auch unter vormodernen Rechtswissenschaftlern umstritten, vgl. Maihold, S. 306 f.). Andererseits muss man feststellen, dass CTh. 9.14.3 kein Verbot von Schenkungen an die Verrätersöhne enthält (nur § 4 spricht von Schenkungen, aber dort geht es um die Verräter selbst: Alle Schenkungen ab dem Zeitpunkt, als diese den Plan zur Verschwörung fassten, verlieren nachträglich ihre Gültigkeit und unterliegen damit auch der Konfiskation). Dies widerspricht dem Telos, die Verrätersöhne auf immer mittellos zu lassen, d. h., das Fehlen eines solchen Verbots kann kaum intentional sein.

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das Gesamtvermögen der Mutter (diese könnte beispielsweise testamentarisch ein Viertel an Tochter A weiterreichen, während Töchter B und C leer ausgehen). Dass gegen die Söhne die Infamie verhängt wird, ist konsequent: So werden Personen, die der Gesetzgeber als potenzielle künftige Hochverräter ansieht, von allen Hebeln der Macht ferngehalten; ausdrücklich werden die honores genannt, ferner indirekt der Ausschluss von der militia. Der Text erlaubt uns auch einen ungewöhnlichen Einblick in das, was man unter einer »ewigen Infamie« (→ S. 391) verstehen muss: Es geht sozusagen um einen Appell des Kaisers an sich selbst, auch später keine Begnadigung durchzuführen. Damit ihn nahestehende Berater nicht in Versuchung bringen, wird denen unter Androhung derselben Sanktion verboten, entsprechende Bitten überhaupt nur vorzubringen. Allein schon diese Regelung zeigt im Umkehrschluss, dass der Kaiser eine solche »ewige Infamie« (natürlich!) jederzeit aufheben konnte. Übrigens finden wir im vorliegenden Gesetz Infamie und erbrechtliche Sanktion kombiniert – wobei hier ausschließlich die Erbfähigkeit (nicht das Testierrecht!) betroffen ist. Ein Zusammenhang mit den erbrechtlichen Sanktionen für Heterodoxe ist also nicht erkennbar: Dort geht es vor allem darum, dass sie das Recht verlieren, ein Testament zu errichten; hier besteht die (deutlich leichter nachvollziehbare) Sanktion darin, den Betroffenen die Erbfähigkeit zu nehmen, sodass sie ein Leben in Armut fristen müssen.

CTh. 3.18.2 [zwischen 408 und 437?] Die Novelle 11 von Theodosius II. (10. Juli 439) nimmt Bezug auf ein früheres Gesetz (Nov. Theod. 11 pr.): Cum in omnibus rebus tum vel maxime moderamen desideratur in legibus, per quas delinquentes pro qualitate criminum convenit emendari. Nec enim utile est vel a iudicibus observandum, quod modum emendationis excedit. Sic constitutionem, quae matres pupillis vel minoribus defensionem legitimam non petentes vel relictarum rerum inventarium non facientes mori praecepit intestatas, utpote amaram ac matres immoderata poena plectentem, antiquari decernimus. Zwar ist in allen Dingen Maßhalten wünschenswert, am meisten aber bei den Gesetzen, durch die man Übertreter in Abhängigkeit von der Schwere ihrer Vergehen bessern sollte. Was das Maß der Besserung überschreitet, ist demnach weder sinnvoll noch für Richter beachtlich. So beschließen wir, dass die Konstitution, die Mütter, die für Mündel und Minderjährige keinen gesetzlichen

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der hintergrund Vormund organisierten oder kein Verzeichnis der hinterlassenen Gegenstände anfertigten, intestat sterben hieß, als allzu streng und die Mütter mit zu großer Strafe belegend aufgehoben werde.

Die Interpretatio (→ S. 173) zu dieser Novelle bietet zusätzliche Informationen: Lex ista liberat matres a poena illa, quae fuerat in Theodosiani codicis corpore constituta, ut, si non providissent filiis tutores vel rerum inventarium non fecissent, faciendi de rebus suis testamenta vel donandi cui voluissent non haberent liberam potestatem et insuper notarentur infamia. Dieses Gesetz befreit Mütter von der Strafe, die im Codex Theodosianus festgelegt war, nämlich dass sie, wenn sie ihren Kindern keinen Tutor bestellt oder kein Verzeichnis der Gegenstände angefertigt hatten, nicht die freie Möglichkeit besaßen, ein Testament über ihr Hab und Gut zu errichten oder Schenkungen an jemanden nach ihrer Wahl vorzunehmen und dass sie zudem mit Infamie gebrandmarkt wurden.

Das aufgehobene Gesetz ist nicht erhalten; es wird in Buch 3 des Codex Theodosianus gestanden haben, das nur lückenhaft überliefert ist (→ S. 179). Tatsächlich gibt es eine Breviarhandschrift, nämlich L, die als zweites Gesetz des Titels Qui petant im dritten Buch ein entsprechendes Gesetz aufführt (von Hänel sogar als CTh. 3.18.2 abgedruckt), doch dieser Text ist eine ganz offensichtliche Interpolation, die ausgehend vom Inhalt der Interpretatio zusammengeschludert wurde. 94 Das abrogierte Gesetz dürfte von Theodosius II. selbst stammen, denn man zitiert ein Gesetz eines früheren Herrschers zumeist unter Angabe des Namens des einst erlassenden Kaisers. Auch war Theodosius II. im Jahr 439 bereits mehr als 30 Jahre lang Alleinherrscher, hätte also genug Gelegenheit gehabt, eine unbillig strenge Konstitution eines Vorgängers aufzuheben. Der Sinn der Regelung ist offensichtlich: Wenn die Mutter das Vermögen des Kinds nicht durch Bestellung eines Vormunds schützt und/oder es nicht durch Erstellung eines Inventars von ihrem eigenen separiert, soll sie keine Möglichkeit haben, aus dem (nunmehr vermischten) Vermögen Teile an andere Personen schenkweise oder testamentarisch weiterzugeben. 94

CTh. 3.18.2, Idem A., Si mater defensorem legitimum filiis non poposcit vel tutor pupillis inventarium rerum propria avaritia vel temeritate non conscripserit, ita plectantur infamiae [sic], ut nec testandi nec donandi habeant libertatem, Dat. prid. k. April. Mosto [sic] cons. Das Inventar muss laut Novelle und Interpretatio die Mutter (nicht der Vormund!) erstellen. Die Handschrift L bietet noch mehr derlei fantasievolle Ergänzungen, vgl. Mommsen 1905, S. LXXVIII.

erbrechtliche und verwandte sanktionen

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Die Infamie schließt an klassische Regelungen an: Einen Vormund, der nach einer accusatio suspecti tutoris verurteilt wurde, traf (sofern es keine Entschuldigungsgründe gab) die Infamie (Ulp. D. 3.3.39.7, Ulp. D. 26.10. 3.18), aus der das Postulation folgte (→ S. 354). Zu den Pflichten des Vormunds gehörte unter anderem auch die Erstellung eines Inventars (Ulp. D. 26.7.7 pr.). Eine Mutter war schon früher verpflichtet, einen Vormund für ihr unmündiges Kind zu bestellen; bemerkenswerterweise nahm ihr Septimius Severus für den Fall, dass sie dies unterließ, das Recht, intestat ihre Kinder zu beerben (D. 26.6.2.2) – ein sehr früher Fall eines Eingriffs in die Erbfähigkeit. Kurzum: Die Infamie in der verlorenen Konstitution ist ein Überbleibsel der accusatio suspecti tutoris; sie hat nichts mit dem Testierverbot zu tun, das die Mutter trifft. Übrigens erwähnt die lange Novelle 11 die Infamie der Originalkonstitution nicht einmal; obwohl das ursprüngliche Gesetz komplett aufgehoben wird (und damit auch die Infamie als Sanktion), erschien Theodosius II. dieses Thema nicht wichtig genug, als dass er eigens darauf eingegangen wäre. Fassen wir zusammen. Die seltenen spätantiken Kaisergesetze, die erbrechtliche oder verwandte Sanktionen verhängen und nicht in den Bereich der Heterodoxengesetzgebung gehören, sind zwar untereinander sehr inhomogen (und zwar sowohl in Bezug auf die betroffenen Gruppen als auch auf die Ausgestaltung der Sanktion), lassen sich aber jeweils plausibel deuten. Zumeist geht es darum, die vom Kaiser als legitim angesehene Familie vor einem Abfluss des Vermögens nach außen zu bewahren. Es wird geschützt gegen erbschleichende Kleriker (CTh. 16.2.20 und CTh. 16.2.27) oder gegen Verbindungen, die nicht die Familie weiterführen können, weil die Ehe vom kaiserlichen Standpunkt aus als illegitim gilt, da die Ehepartnerin unstandesgemäß (CTh. 4.6.3) oder allzu nah verwandt ist (CTh. 3.12.3). Hierher gehören auch die Fälle der Verwitwung, bei denen das Risiko besteht, dass die Frau sich (und ihr Vermögen) vorschnell einem neuen Mann an den Hals wirft (CI. 5.9.1/CI. 6.56.4) oder sich nicht um den Schutz des Vermögens der Halbwaisen kümmert (CTh. 3.18.2). Obwohl sich all diese Gesetze funktional ähneln, ist die Ausgestaltung sehr unterschiedlich: Bei den »unstandesgemäßen Ehen« findet sich z. B. explizit keinerlei erbrechtliche Sanktion (vorgeschrieben wird nur das Zurückholen von Schenkungen), bei der »Inzuchtehe« darf überhaupt nur ein bestimmter Personenkreis testamentarisch begünstigt werden, bei der »verfrühten Wiederheirat« darf dem neuen Ehepartner hingegen sogar ein Drittel testamentarisch zugewandt werden usw.

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der hintergrund

Die meisten der genannten Gesetze verhängen Infamie, was allerdings nicht gilt für Frauen, die an Kleriker vererben wollen, und (erstaunlicherweise) auch nicht für die Inzuchtehen. Was Infamie in der Spätantike bedeutet, sehen wir uns später an; einstweilen wollen wir festhalten, dass die zugleich verhängten erbrechtlichen und verwandten Sanktionen stark schwanken (und offensichtlich nicht von der Infamie abhängen, wie oft vorgeschlagen wurde, → S. 386). Ein Testierverbot findet sich unter diesen Gesetzen explizit nur bei »Fehlen von Tutor bzw. Inventar«. Hingegen kann bei »erbschleichenden Klerikern«, »verfrühter Wiederheirat« und »Inzuchtehe« sehr wohl ein Testament errichtet werden, das aber gewissen Einschränkungen unterliegt. CTh. 9.14.3 (»Hochverrat«) stellt im Telos wie in der Ausgestaltung eine Ausnahme dar: Es geht darum, den Söhnen von Hochverrätern alle Mittel zu nehmen, sodass sie später nicht selbst zur Gefahr werden. Möglicherweise soll die Sippenhaftung auch der zusätzlichen Abschreckung dienen, was aber nicht explizit gesagt wird. Sie verlieren ihr Vermögen, können keine Zuwendungen von Todes wegen erhalten und verfallen der Infamie – doch ein Testierverbot wird nicht gegen sie ausgesprochen.

Strafen gegen Heterodoxe (abgesehen von erbrechtlichen Sanktionen) Von den dutzenden von heterodoxen Gruppen, die im Codex Theodosianus Erwähnung finden, werden (grosso modo, → S. 2543) nur vier – nämlich Apostaten, Manichäer, Eunomianer und Donatisten – erbrechtlichen Sanktionen unterworfen. Diese Strafform ist also vergleichsweise selten und ungewöhnlich. Sehen wir uns daher in diesem Abschnitt an, auf welche Weise Heterodoxe typischerweise sanktioniert werden. Von größter Wichtigkeit – doch regelmäßig unbeachtet – ist die Tatsache, dass man von einer »Häretikergesetzgebung« im Codex Theodosianus (weitgehend) nur insoweit sprechen kann, als man damit eine bunte Mischung von Gesetzen meint, die sich jeweils individuell gegen genau definierte Gruppen (also etwa gegen Manichäer; oder gegen Apollinarianer; oder gegen Montanisten usw.) richten, nicht aber global gegen alles, was als häretisch angesehen wird. Es gibt Ausnahmen, doch die sind erstaunlich selten (→ S. 508). Die nun folgenden »üblichen Maßnahmen gegen Heterodoxe« gelten also im Regelfall nicht gegen alle Heterodoxe, sondern werden im Codex Theodosianus gegen einzelne, genau spezifizierte Gruppen verhängt. Es handelt sich also sozusagen um

strafen gegen heterodoxe

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einen Fundus an Maßnahmen, aus dem sich der Gesetzgeber bei Bedarf bedienen kann. 95 Die Gesetzgebung zielt in erster Linie darauf ab, den heterodoxen Kult zu erschweren oder gar zu verunmöglichen. Bei heterodoxen Klerikern ist in vielen Fällen das schiere Sein justiziabel (regelmäßige Strafen sind die Austreibung aus Städten, die Verbannung, die Enteignung), ebenso natürlich das Werden (d. h. Sanktionen, nämlich eine Geldstrafe, im Fall der Konsekration häretischer Kleriker, und zwar für Weihende wie Geweihte). Eine der häufigsten Bestimmungen ist die Konfiskation von Kultstätten zugunsten der als orthodox angesehenen Kirche (einhergehend mit dem Verbot von Neubauten). Verbote und Verbrennungen von heterodoxen Schriften kommen vor, aber seltener, als man vielleicht angesichts der langen Geschichte von staatlicherseits durchgeführten Bücherverbrennungen (vgl. Delmaire I, S. 79 Anm. 1, S. 278 f. Anm. 1 mit Belegen ab Augustus, S. 339 Anm. 3) erwarten würde. 96 Besonders häufig sind Verbote heterodoxer Versammlungen (deren Folge regelmäßig die Konfiskation der nichtkirchlichen improvisierten Versammlungsstätte ist oder – wenn man die Versammlung nicht dem Immobilieneigentümer anlasten konnte – eine schwere Bestrafung des unmittelbar Verantwortlichen). Heterodoxe Laien hingegen bleiben üblicherweise unsanktioniert, außer sie lassen sich bestimmte Taten zuschulden kommen (beispielsweise das Ermöglichen verbotener Versammlungen oder das Bedrängen katholischer Sklaven). Aber es gibt Ausnahmen: Ganz selten treffen auch Laien die Strafen, die sonst Klerikern vorbehalten sind. Insbesondere wird bei Manichäern gar nicht erst unterschieden – auch ihre Laien, die »Hörer«, sind von Verbannung und Konfiskation bedroht. Spezielle Laienstrafen – die also nie eigens über Kleriker verhängt werden und die heterodoxe Laien bereits für die reine Gruppenmitgliedschaft,

95 96

Eine nützliche Tabelle der einzelnen Gesetze mit derartigen Sanktionen findet sich bei Delmaire I, S. 73–79. Vgl. ferner Mommsen, S. 603–605. Nur bis zu einem gewissen Grad nützlich fand ich die einschlägige Monografie von Rohmann, die die Gesetze nicht systematisch angeht und in vielen Details nicht überzeugt (vgl. etwa S. 76, wo aus der Nennung des Kaiserkollegiums in der Inskription mehrfach geschlossen wird, beide Kaiser hätten ein Gesetz tatsächlich gemeinsam erlassen, vgl. → S. 245369; auf derselben Seite stellt es Rohmann als bemerkenswert hin, dass trotz der Verbrennung der Schriften des Areios die »Arianer« weiter großen Erfolg hatten – ohne zu beachten, dass »Arianer« eine abwertende Fremdbezeichnung für die Homöer ist, die sich selbst keinesfalls in einer Tradition zu Areios sahen und objektiv nichts mit ihm zu tun hatten, vgl. → S. 611).

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der hintergrund

d. h. ohne Erfüllung weiterer Tatbestände, treffen – sind ebenfalls nicht die Norm. Zwar hat bereits Theodosius I. Laien aller häretischen Gruppen von der militia als Palatini in seiner unmittelbaren Umgebung ausgeschlossen (→ S. 653); aber ohnehin wäre nur eine kleine Minderheit hochgestellter häretischer Laien für die militia in Frage gekommen. Für Eunomianer und Montanisten galten unter den Theodosius-Söhnen umfassendere militia-Verbote, doch gleichwohl dürfte auch hier der effektiv betroffene Personenkreis beschränkt gewesen sein. Brisanter für die breite Masse waren fraglos die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen (Schenkungsverbote, selten Kontrahierverbote), die man allerdings ausschließlich gegen vier Gruppen verhängte. Einen ganz eigen gelagerten Fall stellen die Donatisten dar, bei denen die Laien – als Honorius nach der Konferenz von 411 diese Abspaltung endgültig mit der katholischen Hauptkirche zusammenzwingen wollte – mit je nach sozialem Rang gestaffelten Geldstrafen zum Übertritt genötigt wurden. Selten erscheint die Infamie gegen heterodoxe Laien (in wenigen Gesetzen gegen die Manichäer bzw. die Donatisten); das Thema ist so wichtig, dass wir es in einem eigenen Abschnitt besprechen müssen, wo wir insbesondere der Frage nachgehen werden, was den Gehalt der spätantiken Infamie ausmacht. Übrigens fällt das fast vollständige Fehlen von Körperstrafen auf. Die Todesstrafe erscheint (abgesehen als Sanktion für Tieropfer) sehr selten; 97 Prügel drohen regelmäßig nur dem (zumeist unfreien) Verwalter, der ohne Wissen oder gegen den Willen des Eigentümers eine häretische Versammlung in dessen Immobilie ermöglicht hat. Es kann sein, dass im Rahmen der cognitio extra ordinem (die dem Richter große Freiheit bei der Strafzumessung ließ) einzelne Richter strenger urteilten, aber wir haben wenig Hinweise in diese Richtung. Im Folgenden wollen wir zwei Strafformen ausführlicher besprechen, da sie uns häufig in den weiteren Texten begegnen werden. Es handelt sich um die Verbannung bzw. Austreibung in all ihren Spielformen einerseits, um die Enteignung andererseits. So viel sei vorweggenommen, dass es sich bei den

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Vgl. CTh. 16.5.9 § 1 (382, gegen als manichäisch betrachtete Sekten, → S. 453); CTh. 16.5.34 (398, eunomianische und montanistische Kleriker, die sich in Städten erwischen lassen; oder: Verwalter von Landgütern, die Versammlungen solcher Häretiker zulassen; oder: wer eunomianische oder montanistische Bücher nicht herausgibt, → S. 659); CTh. 16.5.36 (399, Verwalter, die eunomianische Zusammenkünfte ermöglichen, → S. 660); in der außerjuristischen Literatur einige Male gegen Donatisten angedeutet, wobei es in diesen Fällen wohl um donatistische Gewalttäter geht (→ S. 572116).

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davon Betroffenen (wie bereits oben erwähnt) fast immer um heterodoxe Kleriker (nicht um Laien) handelt, sofern man von den Manichäern absieht. Der römischen Kultur war das dauerhafte Wegschließen fremd, um einen Übeltäter »aus der Welt« zu schaffen. Denselben Effekt erzielten die Römer mit Verbannungen, und wenn in den Quellen diese Strafform so oft begegnet, dann deswegen, weil sie die ökologische Nische unserer Gefängnisstrafe besetzt. In den Digesten wird scharf zwischen zwei Arten der Verbannungsstrafe unterschieden, der harmloseren Relegation und der brutalen Deportation. 98 Wer deportiert wurde, verlor sein Bürgerrecht (damit auch das Testierrecht) und sein Vermögen (Ulp. D. 48.22.14.1, Paul. D. 48.20.7.5). Die Deportation erfolgte stets auf Lebenszeit (Pompon. D. 48.22.17.2) und führte ausnahmslos in maximale Isolation, d. h. auf eine Insel (oder in eine Oase). 99 Die Relegation war sehr viel flexibler: Sie konnte zeitig oder auf Lebenszeit verhängt werden; die Betroffenen schickte man auf eine Insel oder an einen weniger isolierten Verbannungsort, oder man untersagte (interdicere) ihnen einfach nur den Aufenthalt in bestimmten Städten oder Provinzen. 100 Aus der Relegation folgte Einen umfassenden Überblick über die Quellen- und Forschungssituation verschafft Stini, S. 36–49; ausführlich von der Deportation (und ihrer Vorgängerstrafe) handelt Rivière 2008. 99 Es wird nie eine Deportation genannt, die nicht auf eine Insel (bzw. in eine Oase) erfolgt. Aus Marcian. D. 48.19.4 ergibt sich zudem indirekt, dass es nur eine Deportation auf eine Insel geben kann. Dass die Oasis (also die Oase Charga) als Inselersatz in Ägypten eintritt, sagt an einer Stelle Ulpian (wo es allerdings um Relegationen geht: Ulp. D. 48.22.7.5, Est quoddam genus quasi in insulam relegationis in provincia Aegypto in Oasin relegare, »Sozusagen eine Variante der Relegation auf eine Insel ist – in der Provinz Ägypten – die Relegation in die Oase Charga«). Aber nicht nur in Ägypten deportierte man in Oasen: Auch Petra kam anscheinend als Ziel einer Deportation in Frage (CN 425, Petra als angedachter oder kurzfristiger Deportationsort des Nestorios, der später jedenfalls nur im Exil in Ägypten belegt ist; CN 426, dort allerdings unklar, ob eine Deportation oder eine lebenszeitliche Relegation samt Konfiskation verhängt wird). Der berühmteste Betroffene (der auch wirklich in der Oase Charga den Rest seines Lebens zubrachte) ist Nestorios, den Theodosius II. dorthin verbannt hatte (Euagr. 1.7). Weitere Beispiele von Oasenverbannungen, die Glaubensabweichler trafen, hat Schwartz (S. 1484–1486) gesammelt. 100 Bei dieser Interdiktion handelte es sich also um eine Spielart der Relegation (vgl. Ulp. D. 48.22.7 pr.). Das Substantiv interdictio ist nur bei Marcian. D. 48.22.5 belegt; sonst wird das Verb interdicere gebraucht (zu Unrecht erweckt Stini, S. 38, die Vorstellung, interdictio für die Untersagung eines Ortes sei spezifisch markianischer Sprachgebrauch; damit ignoriert er verbale Ausdrucksweisen). Einen besonders schönen Beleg bietet Coll. Mos. 1.11: Der Prokonsul der Baetica richtet an Kaiser Hadrian eine consultatio. Bei einem Trinkgelagespiel war ein junger Mann fahrlässig getötet worden, dem Verantwortlichen urbe Italia provincia Baetica in quinquennium 98

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nicht automatisch eine vollständige oder teilweise Einziehung des Vermögens, die aber zusätzlich verhängt werden konnte (Ulp. D. 48.22.7.4). Der Relegierte behielt allerdings in jedem Fall Bürgerrecht und Testierrecht (Ulp. D. 48.22.7.3, Paul. D. 48.20.7.5). Eine ältere Form der Verbannungsstrafe, die aqua(e) et igni(s) interdictio, 101 »Untersagung von Wasser und Feuer«, also »Ächtung«, war vor Beginn der Spätantike zugunsten der Deportation außer Gebrauch geraten (siehe gleich). Die aquae et ignis interdictio darf man nicht mit der interdictio, »Untersagung«, eines Orts, also der eben erwähnten Relegationsvariante in Form einer Ausweisung aus einer Stadt (oder Provinz), verwechseln. Da in Mommsens Deutung der spätantiken erbrechtlichen Sanktionen eine CassiusDio-Passage, die sich auf die aquae et ignis interdictio bezieht, eine entscheidende Stelle einnimmt, müssen hier noch ein paar Worte zur aquae et ignis interdictio und zu ihrem Verhältnis zur Deportation gesagt werden. Die aquae et ignis interdictio ist eine uralte Strafe, die aus den Zeiten der Republik stammt (vgl. Hartmann sowie Rivière 2008, S. 59 f.); damals gibt es noch keine Deportation. Umgekehrt ist die Deportation die typische Verbannungsstrafe der Spätantike. Im ganzen Codex Theodosianus gibt es keine einzige Erwähnung der aquae et ignis interdictio; im Codex Iustinianus finden sich zwei, und zwar jeweils in Kombination mit der Deportation: CI. 5.17.1 von 229, deportatione vel aqua et igni interdictione, sowie CI. 5.16.24 § 2, aqua et igni ei interdictum erit vel deportatio illata. Aber die ganze zweite Passage ist interpoliert (wir haben mit CTh. 9.42.1 von 321 den Quelltext, der auch den justinianischen Redakteuren vorlag, und dort fehlt sie), was auch den ersten Beleg zumindest verdächtig erscheinen lässt. Justinian selbst schreibt im Jahr 535, dass die aquae et ignis interdictio in die Deportation übergegangen sei (Nov. Iust. 22.13). Ulpian formuliert schon mehr als dreihundert Jahre früher ungefähr dasselbe (D. 48.13.3, D. 48.19.2.1) – muss man daher befürchten, dass bei ihm wie beim Konstantingesetz im CI. interpoliert wurde? Kaum. In den Digesten gibt es fast 100 Belege für die Wortfamilie deportare, die durchaus Spezifika der uns aus der Spätantike vertrauten Deportation erörtern. All dies wird nicht neu geschrieben und den severischen Autoren untergeschoben sein. Irgendwann also zwischen dem Beginn der Kaiserzeit und dem frühen 3. Jahrhundert hat die Deportation die aquae et ignis interdictio

interdixi, »habe ich eine Interdiktion [!] für Rom, Italien und die Provinz Baetica [seine Heimat] auf fünf Jahre erteilt«. Ulpian formuliert selbst in seiner Zusammenfassung so: factum … proconsulis …, quod eum in quinquennium relegasset, »die Entscheidung … des Prokonsuls …, dass er ihn auf fünf Jahre relegierte [!]«. 101 Ablativus separativus wie Genetivus obiectivus sind bei der Nominalkonstruktion breit belegt, mit einem gewissen Überhang für die genetivische Variante (die daher auch ich verwende). Als Ergänzung zu einer verbalen Form von interdicere kann freilich nur Ablativ aqua et igni stehen.

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ersetzt, und dies nicht nur als Vokabel, sondern auch inhaltlich. Damit sind der Verlust des Bürgerrechts, die Verbannung auf eine Insel und die Enteignung gemeint, alles Strafaspekte, die der republikanischen aquae et ignis interdictio fremd waren (vgl. Hartmann). In den Digesten begegnet die aquae et ignis interdictio siebzehn Mal, davon viermal mit der Deportation parallel gesetzt; hingegen wird niemals auf einen Unterschied zwischen Deportation und aquae et ignis interdictio hingewiesen. Die Digestenbelege für die aquae et ignis interdictio betreffen fast ausschließlich den dadurch verursachten Bürgerrechtsverlust. Bedeutet also die Ersetzung der aquae et ignis interdictio, dass ein strafweiser Bürgerrechtsverlust nunmehr stets mit einer »Fortschaffung« (nämlich auf eine Insel) kombiniert wird? Dafür könnte Ulp. D. 48.19.2.1 sprechen, wo Ulpian die Frage erörtert, wann genau bei einer Deportation (die nunmehr die aquae et ignis interdictio ersetzt habe) der Bürgerrechtsverlust eintrete; die Stelle klingt so, als würde sich die Frage bei der aquae et ignis interdictio nicht stellen, müsse aber bei der Deportation gelöst werden. Bei Plinius findet sich zwar einer, den die aquae et ignis interdictio getroffen hat (epist. 4.11, wegen Inzest), aber kein Beleg für die Deportation. Auch bei Gaius in den Institutionen erscheint wiederholt die aquae et ignis interdictio (Gai. 1.90, 1.128, 1.161), aber nie die Deportation. 102 Bei keinem der Belege mit deportare o. ä. bei Tacitus ist ein technisches Verständnis als »Deportation« zwingend, es könnte sich jeweils um ein »Fortschaffen« (d. h. nicht unbedingt auf eine Insel, mit Bürgerrechtsverlust und Konfiskation) handeln (vgl. insb. ann. 14.45.2, wo jemand den Antrag stellt, die Freigelassenen eines Verurteilten »aus Italien fortzuschaffen« – an dieser Stellen kann man das Verb unmöglich als »deportieren« im technischen Sinne auffassen; man deportiert im technischen Sinn »auf eine Insel«, nicht »aus einem Ort«). Also scheint sich die wohldefinierte Deportation zwischen Trajan und den Severern entwickelt zu haben, mutmaßlich unter Antoninus Pius (CI. 6.24.1, CI. 9.47.1; vgl. D. 48.18.9.2, D. 48.22.2), vielleicht sogar schon unter Hadrian (vgl. Call. D. 48.19.28.13, siehe Garnsey 1970, S. 113–115, der weitere Stellen diskutiert, sowie Stini, S. 47–49). 103 Sicher ist, dass Augustus 12 n. Chr. die aquae et ignis interdictio in mehrfacher Hinsicht schärfte, darunter durch Zuweisung eines Verbannungsorts auf eine Insel 102 In den Digesten gibt es einen Beleg, Gai. D. 28.1.8.2, In insulam deportati in eadem

causa sunt, »Für Leute, die auf eine Insel deportiert wurden, gilt das Gleiche«, was sich auf das vorstehende Fragment Gai. D. 28.1.8.1 bezieht, das Fragen hinsichtlich der aquae et ignis interdictio erörtert. Ein gewisser Interpolationsverdacht drängt sich auf. 103 Gar nicht überzeugen kann das Vorgehen von Rivière 2008, S. 74 f., der all diesen Stellen jeden Quellenwert absprechen will, da die severischen Juristen angeblich nach dem Hörensagen zitieren und bei CI. 6.24.1 »Titus Aelius Antoninus«, d. h. Antoninus Pius, eine Verschreibung für »Antoninus«, d. h. Caracalla, sei. Doch letztere Behauptung ist willkürlich, und den zweiten Beleg CI. 9.47.1, den er zur Rettung seiner Theorie (keine Deportation vor den Severern) auch noch wegdiskutieren müsste, hat Rivière anscheinend ganz übersehen.

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sowie den Einzug des Vermögens bis auf einen (recht großzügigen) Rest von 500.000 Sesterzen (Cass. Dio 56.27.2 f., vgl. dazu Stini, S. 189–193). Kommen wir nun zur Cassius-Dio-Stelle, die für Mommsen so wichtig ist. Darin berichtet Cassius Dio, dass Tiberius denjenigen, die die aquae et ignis interdictio getroffen hatte, das Testierrecht entzogen habe, was immer noch, d. h. zu Cassius Dios Zeit im frühen 3. Jh., gelte (Cass. Dio 57.22.5, Ἀπεῖπε δὲ ὁ Τιβέριος τοῖς πυρὸς καὶ ὕδατος εἰρχθεῖσι μὴ διατίθεσθαι· καὶ τοῦτο καὶ νῦν φυλάττεται, »Tiberius untersagte den von der aquae et ignis interdictio Betroffenen, ein Testament zu errichten. Und das wird auch heute noch so beachtet«). Mommsen (S. 801 Anm. 3) sieht darin den Übergang der interdictio zur Deportation inklusive Bürgerrechtsverlust: »die Umwandlung der Verbannung in Deportation bezeichnet Dio 57, 22 als Entziehung des Testirrechts«. An anderer Stelle (Mommsen, S. 957 mit Anm. 2) schreibt er: »Die … Verbannung … hat der Kaiser Tiberius im J. 23 n. Chr. geschärft durch den Verlust des Bürgerrechts« (was übrigens etwas anderes ist als der Übergang zur Deportation, denn zu letzterer gehören ja noch die Elemente »Inselexil« und »Vermögenskonfiskation«). Mit anderen Worten: Für Mommsen ist der von Cassius Dio berichtete Entzug des Testierrechts synonym mit dem Bürgerrechtsentzug, es würde sich demnach um einen extrem frühen Beleg dafür handeln, dass man Bürgerrecht und Testierrecht miteinander identifizierte. Aber findet eine solche Gleichsetzung wirklich statt? Nehmen wir einmal an, Tiberius hätte wirklich nur das Testierrecht entzogen. Zu Cassius Dios Zeiten konnte ein Deportierter in der Tat nicht testieren, es ist also von ihm sachlich richtig zu sagen, dass auch zu seiner Zeit das Testierrecht nicht wiederhergestellt war (dass dem mittlerweile rechtstechnisch ein Bürgerrechtsverlust zugrunde lag, ändert nichts am Ergebnis und muss Cassius Dio nicht unbedingt interessiert haben). Der Wortlaut des Cassius Dio bietet demnach keinen Anhalt für die Identifikationsthese. Was gegen die Gleichsetzung spricht, ist die Tatsache, dass alle weiteren solchen Belege für »Testierrecht gleich Bürgerrecht« ganz erheblich jünger sind (nämlich nach 381, vgl. → S. 260) und dass es mithin zur Zeit von Cassius Dio (oder gar Tiberius) nicht dechiffrierbar gewesen wäre, wenn jemand »Bürgerrechtsverlust« meint und »Testierverbot« schreibt. Die natürliche Interpretation ist, dass Tiberius damals nur das Testierrecht nahm. Und wenn Tiberius den von der aquae et ignis interdictio Betroffenen das Testierrecht expressis verbis entziehen musste, dann zog zu seiner Zeit die aquae et ignis interdictio offenbar nicht automatisch einen Bürgerrechtsverlust nach sich. Dass dieser Zustand unter Trajan erreicht war, ist möglich, aber nicht ganz sicher. Plinius schreibt nämlich über den wegen Inzest Verurteilten (epist. 4.11.3): idem cum Graeco pallio amictus intrasset (carent enim togae iure, quibus aqua et igni interdictum est), »nachdem er mit dem griechischen Pallium bekleidet eingetreten war (denn wer der aquae et ignis interdictio unterliegt, hat kein Recht auf die Toga)«. Bedeutet das nun, dass das Togaverbot aus dem Bürgerrechtsverlust unmittelbar folgt? Oder wurde dies vielmehr ebenfalls separat verfügt (wie der Testierrechtsentzug)? Dies könnte die Formulierung von Plinius nahelegen (er sagt ja weder »er als Nichtbürger hat kein Recht auf die Toga« noch »er ist als interdictioBetroffener ein Nichtbürger«, sondern er sagt: »er hat als interdictio-Betroffener kein

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Recht auf die Toga«), aber womöglich ist dies zu spitzfindig gedacht. Ganz sicher können wir jedenfalls erst bei Gaius sein: In den Institutionen ist die aquae et ignis interdictio ganz klar mit einem Bürgerrechtsverlust assoziiert. Die Konfiskation findet sich bei Gaius leider nur in Gai. D. 28.1.8.1, einer Stelle, die angesichts der Rechtssituation zum Zeitpunkt der justinianischen Kompilation dem Verdacht adaptiver Modernisierung unterliegt. Kurzum: Die republikanische Ächtung wird unter Augustus durch Inselexil und Teilkonfiskation geschärft sowie unter Tiberius mit einem Testierverbot ergänzt (womöglich eine verallgemeinerte Einzelfallentscheidung). Später, wahrscheinlich noch im 1. Jahrhundert, spätestens bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts, geht dieses Testierverbot in einen Bürgerrechtsentzug über. Wann die vollständige Konfiskation als verpflichtendes Element hinzutrat, ist unklar, spätestens jedoch in severischer Zeit (womöglich früher, wenn die eben zitierte Gaius-Stelle nicht interpoliert ist). 104 Irgendwann, spätestens ab Anfang des 3. Jahrhunderts, wird diese nach und nach modifizierte »Ächtung« regelmäßig als »Fortschaffung auf eine Insel« bezeichnet.

Das lateinische Standardwort für »Verbannung« ist exilium. Es stellt – jedenfalls global über die in den Digesten gesammelten Autoren hinweg – keinen technischen Begriff dar. Zwar lassen sich textliche Änderungen (und Vereinheitlichungen) in justinianischer Zeit nicht ausschließen, doch erweist eine Untersuchung des Sprachgebrauchs bei einzelnen Autoren signifikante Unterschiede. So grenzt Paulus (D. 48.1.2) das Wort von der Relegation ab und betrachtet es als Synonym der aquae et ignis interdictio, 105 jedenfalls meistens; 104 In der Hohen Kaiserzeit ließ man Enteigneten eine gewisse Summe für den Lebens-

bedarf (bei Augustus laut Cassius Dio maximal 500.000 Sesterzen; vgl. ferner die hochkaiserzeitlichen Anekdoten bei Stini, S. 45 Anm. 98). In der Spätantike war die Konfiskation hingegen eine vollständige, wie eine Anekdote um den 356 verbannten römischen Bischof Liberius illustriert: Kaiser Konstantius II. wollte ihm 500 Solidi »für seine Ausgaben« überlassen, die Liberius aber mehrfach zurückwies (Theodoret. hist. eccl. 2.16.27–29). Liberius wurde zwar wenig später begnadigt, aber anderen frommen Exilanten musste man, so ein Kirchenschriftsteller (Sulp. Sev. chron. 2.39.9), den Lebensunterhalt durch Spenden finanzieren. 105 Paul. D. 48.1.2, capitalia sunt, ex quibus poena mors aut exilium est, hoc est aquae et ignis interdictio: per has enim poenas eximitur caput de civitate. nam cetera non exilia, sed relegationes proprie dicuntur: tunc enim civitas retinetur, »Kapitale [Verfahren] sind diejenigen, deren Strafe der Tod oder das exilium, d. h. die aquae et ignis interdictio, ist. Denn durch diese Strafen wird ein Kopf [caput] aus der Gesamtheit der Bürger entfernt. Doch die anderen [Verbannungsstrafen] sollte man nicht ›Exil‹, sondern korrekterweise ›Relegation‹ nennen. Da behält man nämlich das Bürgerrecht«; ferner vgl. Paul. D. 48.19.38.3, honestiores in insulam relegantur aut in exilium mittuntur, »honestiores relegiert man auf eine Insel oder schickt sie ins Exil«; Paul. D. 48.19.38.10, aut in exilium mittuntur aut ad tempus relegantur, »sie werden entweder ins Exil geschickt oder auf Zeit relegiert«; Paul. sent. 5.17.2, minimae [poenae]: rele-

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manchmal ist der Unterschied aber ein anderer. 106 Markian nimmt exilium hingegen als Synonym von Relegation, 107 und auch Ulpian scheint eher diesem Sprachgebrauch zu folgen. 108 So weit also das Material bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts. Betrachten wir nun die im Codex Theodosianus gesammelten Texte und die Novellen bis Justinian. In diesen Konstitutionen begegnen uns dieselben drei Begriffe deportatio, relegatio und exilium samt ihrer Ableitungen. Prüfen wir, ob sie noch die angestammten Bedeutungen tragen. Bei einigen der relegatio-Erwähnungen ist klar, dass es sich um Relegationen im alten Sinn handeln muss, weil etwa das Vermögen nur teilweise kongatio exilium opus publicum vincula, »die leichtesten [Strafen] sind Relegation, Exil, Zwangsarbeit, Haft«; eine Unterscheidung zwischen Exil und Relegation finden wir in den Digesten sonst nur bei Gaius: D. 47.10.43, … extra ordinem damnatur: id est exilium aut relegationem aut ordinis amotionem patiatur, »… erhält eine Strafe extra ordinem, d. h. Exil oder [!] Relegation oder Entfernung aus dem Stand«. 106 Paul. D. 23.3.73.1, in exilium vel in insulam relegato (vgl. Paul. sent. 5.15.5, aut in exilium aguntur aut in insulam relegantur), d. h., man kann »ins Exil« relegiert werden, und »Exil« ist der Gegenbegriff zur Insel. 107 Marcian. D. 48.22.5, Exilium triplex est: aut certorum locorum interdictio, aut lata fuga, ut omnium locorum interdicatur praeter certum locum, aut insulae vinculum, id est relegatio in insulam, »Es gibt drei Arten von Exil: Erstens die Untersagung bestimmter Orte; zweitens die lata fuga, sodass einem alle Orte außer einem speziellen untersagt sind; drittens die Fesselung an eine Insel, d. h. die Relegation auf eine Insel«; Marcian. D. 48.19.4, in tempus quidem relegato perpetuum exilium, in perpetuum relegato insulae relegationis, in insulam relegato deportationis, »[falls sich ein Verbannter von seinem Verbannungsort entfernt, trifft:] den zeitig Relegierten das lebenszeitliche Exil; den lebenszeitlich Relegierten die Relegation auf eine Insel; den auf eine Insel Relegierten die Deportation«. Vgl. auch Marcian. D. 48.8.1.5, D. 48.22.4. 108 Bei Ulpian findet sich erstaunlich selten exilium, und nur manchmal kann man mit Sicherheit sagen, was gemeint ist. In D. 37.14.1 handelt es sich fraglos um eine Relegation (exilium temporale), ebenso in D. 48.19.6.2 (denn exilium wird vom Bürgerrechtsverlust abgegrenzt). D. 38.2.14.3 lautet folgendermaßen: Is demum videtur capitis accusasse, qui tali iudicio appetit, cuius poena aut supplicium habuit aut exilium, quod sit vice deportationis, ubi civitas amittitur, »Schließlich scheint derjenige kapital angeklagt zu haben, der ein Verfahren anstrengt, dessen Strafe die Hinrichtung oder das exilium ist, was im Sinne von ›Deportation‹ stehen sollte, wodurch man das Bürgerrecht verliert«. So vorsichtig, wie Ulpian seine Erklärung von exilium formuliert, vermittelt er den Eindruck, »Deportation« sei für ihn nicht die Standardbedeutung von exilium, doch hier müsse exilium ausnahmsweise in diesem Sinne aufgefasst werden; d. h., ich nehme dies als Beleg, dass exilium für Ulpian normalerweise ein Synonym von relegatio sein sollte. Man vergleiche übrigens, wie Paulus (D. 48.1.2) dieselbe Stelle interpretiert: Er erklärt exilium als aquae et ignis interdictio (vgl. → S. 325105).

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fisziert wird oder die Verbannung zeitlich begrenzt ist (CTh. 1.5.3 von 331; CTh. 8.5.35 von 378; Nov. Val. 19 § 3 von 445). Was die Deportationen angeht, so ist manchmal hinzugefügt, dass sie »auf immer« sein sollen (etwa CTh. 4.22.2 von 380? oder Sirm. 11); oder dass gleichzeitig die Konfiskation des Vermögens erfolgt (z. B. wiederum CTh. 4.22.2 von 380? oder CTh. 9.42.18 von 401). Sofern das spätantike Konzept von deportatio mit dem hochkaiserzeitlichen identisch ist, wären diese Angaben also pleonastisch. Umgekehrt findet man keine Erwähnung einer deportatio, die mit dem früheren Konzept inkompatibel wäre; 109 es gibt also keine zeitige Deportation oder eine Deportation, die an einen anderen Ort als auf eine Insel (oder in eine Oase) führen würde. Zwei Texte von 409 bzw. 459 sind besonders signifikant. Ein Gesetz von 409, das das illegale Ableiten von Nilwasser sanktioniert, verhängt den Feuertod gegen den Übeltäter selbst, während Komplizen folgende Strafe erleiden (CTh. 9.32.1 von 409): … consciis et consortibus eius Oasenae deportationi constringendis, ita ut numquam supplicandi eis vel recipiendi civitatem vel dignitatem vel substantiam licentia tribuatur. Ferner sind seine Mitwisser und Mittäter mit der Deportation in die Oase Charga zu bestrafen, wobei man ihnen niemals die Möglichkeit einräumen wird, Gnadengesuche einzureichen oder das Bürgerrecht, ihre Würdenstellung oder ihr Vermögen zurückzuerhalten.

Die wesentlichen Folgen – Lebenszeitlichkeit, Bürgerrechtsverlust, Vermögensverlust, Insel/Oase als Verbannungsort – waren also auch im Jahr 409 noch Teil der deportatio. Der zweite Text regelt im Jahr 459 folgenden Fall: Wer in der Hohen Kaiserzeit seinen Verbannungsort verlassen hatte, wurde durch eine schärfere Form der Exilierung bestraft, bis hin zur Deportation (wer als Deportierter nicht an dem ihm zugewiesenen Ort blieb, erlitt den Tod). 110 Genau so ein Fall wurde Kaiser Majorian vorgelegt (Nov. Maior. 9): Den Ehebrecher Ambrosius hatte man zu einer relegatio temporaria verurteilt, doch Ambrosius hatte den locus exilii verlassen. Majorian behauptet, secundum legem divorum retro principum, »gemäß dem Gesetz der divinisierten früheren Kaiser« zu handeln, 109 Zur einzigen scheinbaren Ausnahme CTh. 5.7.2 (408) vgl. → S. 241. 110 Ein Edikt Hadrians (D. 48.19.28.13) legte eine Sequenz fest: auf zeitige Relegation

folgt (zeitige?) Relegation auf eine Insel; auf Relegation auf eine Insel folgt Deportation; auf Deportation der Tod. Laut Markian (D. 48.19.4, vgl. → S. 326107) folgt auf zeitige Relegation die lebenslange; auf die lebenslange die Relegation auf eine Insel, darauf die Deportation und schließlich die Hinrichtung.

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wenn er die deportatio der relegatio folgen lässt (tatsächlich überspringt er Zwischenstufen). Majorian betont zudem, dass nunmehr alle Habe von Ambrosius zu konfiszieren sei (was bei der Relegation offensichtlich nicht geschehen war). All dies scheint darauf hinzudeuten, dass auch in der Spätantike relegatio und deportatio dasselbe bedeuteten wie in der Hohen Kaiserzeit und ein jeder Verbannter technisch entweder relegiert oder deportiert wurde. 111 Während in den Digesten die Wortfamilien von deportatio und relegatio die Standardbegriffe für die Verbannung sind, dagegen die Wortfamilie von exilium seltener begegnet (das Verhältnis ist ungefähr 4:4:2), ergibt sich beim Codex Theodosianus ein anderes Bild. Die Wortfamilie deportatio ist zwar nach wie vor häufig, sogar sehr häufig; aber die Wortfamilie relegatio recht selten – so selten, dass die Wortfamilie exilium ungefähr doppelt so oft erscheint, die ihrerseits erheblich seltener auftaucht als die Wortfamilie deportatio. Das Verhältnis der Wortfamilien deportatio – relegatio – exilium ist ungefähr 4 : 1 : 2, d. h., es gibt mehr Erwähnungen der Deportation als für Relegation und Exil zusammen. 112 Wir haben gesehen, dass exilium in den Digesten keinen Terminus technicus darstellt und etwa von Paulus anders als von anderen Autoren verwendet wird. Apriorisch wären mehrere Bedeutungen von exilium in den spätantiken Kaiserkonstitutionen denkbar: Es könnte sich theoretisch (wie von Delmaire vorgeschlagen) um eine dritte Kategorie neben Relegation und Deportation handeln, wofür es aber keinerlei Anhaltspunkt gibt. 113 Exilium könnte einen Vgl. auch CTh. 9.38.10 (405), omnes omnium criminum reos vel deportatione depulsos vel relegatione aut metallis deputatos, … liberamus, »alle Täter aller Verbrechen, die entweder durch Deportation oder durch Relegation verbannt oder in Bergwerke gesteckt wurden, … lassen wir frei«. Der einzige scheinbare Gegenbeleg ist CTh. 16.5.58. Dort greift § 3 mit par [!] poena deportationis die zuvor in § 2 genannte poena relegationis auf. Doch der ganze Text weist einen deutlichen Kompositcharakter auf, er wurde aus verschiedenen Einzelstücken zusammengestellt, und auf diese Weise muss dieser Fehler entstanden sein (→ S. 680). 112 Die Tabellen bei Delmaire 2008, S. 125–132, sind unzuverlässig. Ausgehend von seiner Theorie, exilium sei technisch für das Verbot eines Aufenthalts (vgl. meine nächste Fußnote), finden sich bei ihm alle Belege für Ausweisungen (z. B. CTh. 16.5.31, e civitatibus pellantur extorres) unter exilium, auch wenn das entsprechende Wort in der Passage gar nicht auftaucht! Auch ist seine Tabelle unvollständig: So fehlt CTh. 9.40.17 (399), ein Gesetz, das die Verbannung gegen Eutrop verhängt. Sein Eigentum wird konfisziert, er soll unter Bewachung auf die Insel Zypern verbracht werden, wo er als relegatus leben soll. Ob Delmaires Tabelle weitere Lücken aufweist, könnte man nur mit großem Aufwand herausfinden. 113 Delmaire 2008, passim, geht wie selbstverständlich davon aus (ihm folgt Guichard, S. 67 Anm. 3). Delmaire (2008, S. 115) behauptet, dies gehe auf Yann Rivière zurück 111

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unbestimmten Oberbegriff von Relegation und Deportation darstellen; auch könnte exilium als Synonym für Relegation eintreten. Schließlich und letztens wäre es denkbar, dass exilium für Deportation steht. Für alleinstehendes exilium im Sinne von Deportation findet sich der einzig sichere Beleg in CTh. 16.5.53 (398), wonach ein Häresiarch namens Jovinian nach der Züchtigung mit der Bleigeißel samt seinen Anhängern durch Exil gestraft werden soll (exilio coherceri), er selbst sei auf die dalmatinische Insel Boa zu verbringen, die übrigen auf unterschiedliche Inseln auf Lebenszeit zu deportieren (in perpetuum deportari), damit aufgrund der Separation durch das Exil (exilii ipsius discretione) die Verschwörung ein Ende finde. In dieser Passage ist eindeutig, dass exilium inhaltlich dasselbe meint wie deportatio. Freilich ist hier die Verwendung von exilium anstelle von Deportation unproblematisch, da das Gemeinte durch den Kontext keinem Zweifel unterliegt. Mit anderen Worten: Alleinstehendes exilium bedeutet hier zwar Deportation, aber tatsächlich ist es nicht wirklich »alleinstehend«. Ansonsten findet sich kein einziger Beleg, bei dem exilium isoliert steht und der zwangsläufig als Deportation zu deuten wäre. Freilich müsste dafür ein Bürgerrechtsverlust (oder eine davon ableitbare Folge, etwa Emanzipation der Söhne oder Ungültigkeit des Testaments) explizit erwähnt werden; denn Konfiskation, Inselaufenthalt und Lebenszeitlichkeit können ja auch bei einer Relegation vorliegen. Passagen, in denen exilium untechnisch »Verbannung« bedeutet, lassen sich ohne Weiteres finden, so etwa, wenn die Deportation als exilium deportationis bezeichnet wird (CTh. 10.24.2 von 381; CTh. 9.26.1 von 397; Sirm. 11 von 411? – umgekehrt begegnet das exilium perpetuae relegationis in CTh. 7.18.8 pr. von 383). Auch erscheint die Formulierung inexorati exilii deportatio (CN 350 von 418), einmal sollen die Betroffenen sub poena deportationis ad exilium deducantur, »mit der Deportationsstrafe zum Ort ihres Exils verbracht werden« (CTh. 16.5.58 § 6 von 415).

(»dans plusieurs communications récentes, Yann Rivière a montré comment les juristes classiques de l’époque sévérienne distinguent entre l’exil, la relégation et la déportation«), aber ich finde eine solche Dreiteilung weder bei den severischen Juristen noch bei Rivière. Laut Delmaire (2008, S. 116) sei exilium die Untersagung eines Orts (was bei den Juristen interdictio heißt und als Unterart der relegatio aufgefasst wird), die relegatio hingegen die Zuweisung eines Verbannungsorts (S. 120). Als weiteren Unterschied nennt er, dass der Exilierte allein abreise, während den Relegierten eine Eskorte begleite (S. 121). Dafür gibt er kommentarlos zwei Belegstellen, eine davon CTh. 16.5.52 § 5, wo jedoch die Betroffenen in exilium … sub idonea prosecutione mittantur (womit die Behauptung Delmaires also bereits durch den von ihm selbst angeführten Beleg falsifiziert ist).

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Wie aber sollen wir die große Mehrzahl der exilium-Belege in den spätantiken Kaiserkonstitutionen verstehen, bei denen im Kontext weder deportatio noch relegatio auftaucht? Nun gibt es Fragmente, in denen exilium unbedingt eine Relegation bezeichnen muss. Etwa verhängt CTh. 11.7.16 (401) ein temporale exilium, in CTh. 16.5.54 § 1 (414) werden donatistische Kleriker exulandi gratia auf verschiedene Inseln und in unterschiedliche Provinzen gebracht – da es nicht nur um Inseln geht, kann es sich nicht um eine Deportation handeln. Das Gleiche gilt für CTh. 16.5.52 § 5 von 415 (→ S. 574), ein Gesetz, das ein Jahr später die Verbannung gegen donatistische Kleriker bestätigt; dieses Mal sollen die donatistischen Kleriker in exilium viritim ad singulas quasque regiones [!] … mittantur. Wir haben bereits gesehen, dass es keinen Fall gibt, in dem alleinstehendes exilium mit einem Bürgerrechtsverlust in Verbindung gebracht würde (was ja das einzige sichere Kriterium wäre, um zuverlässig eine Deportation diagnostizieren zu können). Darf man daraus schließen, dass (wenn nicht anderweitig die Deportation verfügt wird) ein exilium allein die Relegation meint? Dafür spricht der frühere Sprachgebrauch bei Markian und Ulpian. Auch die zahlenmäßige Verteilung der Begriffe ließe sich als Indiz dafür beanspruchen (selbst zusammengenommen gibt es weniger Belege für exilium und relegatio als für deportatio allein – würden die Exile nicht als Relegationen zählen, gäbe es kaum Relegationen). Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass bei den meisten Verbannungsbestimmungen eine Menge ungeregelt bleibt (eventuelle Dauer, Ort der Verbannung usw.), d. h., vieles blieb jedenfalls dem Ermessen des Richters anheimgestellt. Reichte womöglich die Entscheidungsfreiheit des Richters so weit, ein exilium als Deportationsstrafe auslegen zu dürfen? 114 Letztlich bleibt dies unklar. Sehen wir uns ein besonders markantes Beispiel an, nämlich das Edikt von 397 115 mit dem berühmten Verbot, Hosen innerhalb der Stadt Rom zu tragen (Rummel, S. 156–166). Dasselbe Edikt untersagt noch allerlei andere Verhaltensweisen, und diese Regelungen wurden auf verschiedene Theodosianus-Fragmente verteilt. Die Strafe fürs Hosentragen ist spoliatum eum omnibus facultatibus tradi in perpetuum exilium (CTh. 14.10.2), fürs Betreten von Rom durch Soldaten ohne entsprechende Genehmigung die deportatio (CTh. 14.11.1), fürs illegale Bauen auf dem Mars-

114 Zu Ulpians Zeiten durfte nur der Kaiser (und der Stadtpräfekt) deportieren lassen,

nicht aber ein Statthalter, der nur einen Straftäter zur Deportation vormerken und den Fall dann dem Kaiser vorlegen konnte (Ulp. D. 48.22.6.1, Ulp. D. 49.4.1 pr.). 115 Seeck, S. 77, setzt es ins Jahr 399, aber zu Unrecht (→ S. 68).

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feld spoliatos omnibus facultatibus tradi in perpetuum exilio (CTh. 14.14.1), 116 für den Eintritt in den Dienst bei Senatoren für Ex-Mitglieder von Gladiatorenschulen in extremas solitudines amandari (CTh. 15.12.3). Wird hier jedes Mal dieselbe Strafe beschrieben (nämlich die Deportation) und aus Gründen der Varianz anders ausgedrückt? Oder behalten die Schwarzbauer und die Hosenträger (im Gegensatz zu den rombetretenden Soldaten) ihr Bürgerrecht? Eine sichere Antwort scheint unmöglich. Und doch ist der Unterschied rechtlich erheblich: Werden die Hosenträger tatsächlich deportiert, werden z. B. ihre Söhne dadurch sofort gewaltfrei – sonst nicht. Auch die außerjuristischen Texte helfen nicht weiter. Nehmen wir etwa Augustin. In seinem gewaltigen Gesamtwerk finden sich drei Belege für Deportation 117 und zwei für Relegation; dabei ist eine nichtssagende Passage mitgezählt, die beide Begriffe und noch dazu exilium bietet und am ehesten bedeuten sollte, dass exilium für Augustin ein Oberbegriff für beides ist. 118 Andererseits begegnet dieses dritte Wort, exilium, bei ihm dutzende Male (ohne dass sich ein rechtlicher Inhalt ableiten ließe). Die aussagekräftigste Passage aus der nichtjuristischen Literatur, auf die ich gestoßen bin, findet sich bei Sulpicius Severus. Sie handelt vom Schicksal der Priscillianisten beim Trierer Prozess (→ S. 425) und den Folgeprozessen. 116 Tatsächlich sind die Formulierungen von CTh. 14.10.2 und CTh. 14.14.1 derart ähn-

lich, dass man Folgendes vermuten darf: Ein längerer Satz, der zwei Tatbestände mit einer Rechtsfolge verband, wurde in zwei Fragmente aufgeteilt, wobei jeweils die Rechtsfolge wiederholt wurde (Matthews, S. 240). 117 Aug. epist. 102.26: Wer für einen Mord mit lebenszeitlicher Deportation bestraft wird, ist nach allgemeiner Auffassung glimpflich davongekommen; c. Parm. 1.8.13: Wäre ein jeder, der staatlicherseits bestraft wird, ein Märtyrer, ja dann wären alle Kerker voll von Märtyrern, dann schmachteten in allen Bergwerken Märtyrer, dann würden auf alle Inseln Märtyrer deportiert (so soll das Argument der Donatisten, dass sie, weil von den Kaisern verfolgt, Märtyrer seien, ad absurdum geführt werden); zum dritten Beleg vgl. die nächste Anmerkung. 118 Der eine Relegationsbeleg: c. Faust. 5.8, Manichäer wurden in einem konkreten Fall aus Afrika relegiert (→ S. 334). Die Passage, die Deportation, Relegation und Exil nennt: Dem steinreichen Pinianus war das Versprechen abgenötigt worden, sich in Hippo zum Presbyter ordinieren zu lassen, sodass er fürderhin dort hätte permanent wohnen müssen. Pinianus fühlte sich nicht an die ihm abgepresste Zusage gebunden, Augustin appelliert brieflich an dessen Schwiegermutter (epist. 126.12): Nam quid? Exilii vel deportationis aut relegationis nomine promissa illa praesentia praegravatur? Obsecro te! Puto, quod presbyterium non est exilium, »Na, was meinst du? Lastet auf dem Versprechen seiner Anwesenheit etwa die Bezeichnung ›Exil‹, ›Deportation‹ oder ›Relegation‹? Ich muss schon sehr bitten: Ich denke nicht, dass das Amt eines Presbyters ein ›Exil‹ ist«.

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Priscillian und seine Anhänger trafen folgende Strafen (Sulp. Sev. chron. 2.51.2–4): Priscillianus capitis damnatus est unaque cum eo Felicissimus et Armenius … 3. Latronianus quoque et Euchrotia gladio perempti. Instantius … in Sylinancim insulam, quae ultra Britannias sita est, deportatus. 4. Itum deinde in reliquos sequentibus iudiciis damnatique Asarivus et Aurelius diaconus gladio, Tiberianus ademptis bonis in Sylinancim insulam datus. Tertullus, Potamius et Iohannes, tamquam viliores personae et digni misericordia, quia ante quaestionem se ac socios prodidissent, temporario exilio intra Gallias relegati. Priscillian wurde zum Tode verurteilt, zusammen mit ihm Felicissimus und Armenius … 3. Auch Latronian und Euchrotia wurden mit dem Schwert hingerichtet. Instantius wurde auf die Insel Scilly deportiert, die jenseits von Britannien liegt. 4. Danach ging man in weiteren Verfahren gegen die anderen vor. Asariv und der Diakon Aurelius wurden zur Enthauptung verurteilt, den Tiberian enteignete man und schickte ihn auf die Insel Scilly. Tertull, Potamius und Johannes als rangniedrige Personen und gnadenwürdig (weil sie vor dem Prozess sich und ihre Kumpane verraten hatten) hat man innerhalb Galliens auf Zeit relegiert.

Sulpicius Severus unterscheidet sehr klar zwischen Deportation und Relegation. Beim Schicksal des Tiberian vermeidet er eine Wiederholung des Worts Deportation, weicht aber auch nicht auf das unbestimmte exilium aus, macht freilich durch eine Betonung der Enteignung und des Ziels »Insel« und vor allem durch den Kontrast mit der Relegation der anderen klar, worum es geht. (Verwirrend ist allerdings, warum er bei Tertull, Potamius und Johannes mit geradezu juristischer Klarheit betont, dass es sich um viliores personae handelte: Als solche hätte sie doch eher eine schärfere, nicht eine leichtere Strafe treffen sollen, → S. 364). Vielleicht darf man daher Folgendes vermuten: Die allgemeine Verbannung ohne Verlust des Bürgerrechts, die sich beliebig hinsichtlich Vermögenseinzug, Verbannungsort und -dauer ausgestalten ließ, wurde nunmehr zumeist exilium genannt, während man selten das technische Wort relegatio verwendete (wobei allerdings dieselbe Strafe in den Digesten genau umgekehrt meist relegatio, selten exilium hieß). Ein Bürgerrechtsverlust findet hingegen statt, wenn ausdrücklich von einer deportatio die Rede ist oder wenn der Kontext »hinreichend« klarmacht, dass es sich um eine Deportation handeln muss (so würde ich die diversen Verbote des Hosenträgeredikts verstehen). Von den mehr als fünf dutzend Passagen mit Formen der Wortfamilie deportatio im Codex Theodosianus stammen nur zehn aus den Häretikertiteln CTh. 16.5 und CTh. 16.6. Davon betreffen zwei ungehorsame Verwalter, die gegen den Willen oder ohne das Wissen des Gutsherrn illegale Versammlun-

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gen zuließen; eine bedroht untätige städtische Honoratioren; zwei (CTh. 16.5.34 und CTh. 16.5.36) betreffen Montanisten und Eunomianer und entstanden 398 bzw. 399 im Ostreich; vier finden sich in Gesetzen, die in den Jahren 413 bzw. 415 ebenfalls im Ostreich verfasst wurden und wiederum Montanisten und Eunomianer sowie ferner Sabbatianer bedrohen (CTh. 16.5.57 pr.; CTh. 16.5.58 §§ 3, 6; CTh. 16.6.6 § 1); dazu kommt noch das bereits erwähnte Gesetz gegen Jovinian (→ S. 329). Es gibt also niemals eine ausdrückliche Deportationsverfügung gegen die mehr als alle anderen verhassten Manichäer! Mehr noch: Einer der beiden Belege, in denen Augustin überhaupt ein Wort der Wortfamilie relegatio verwendet, betrifft die Verbannung von Manichäern. Donatisten, die besonders oft in den Gesetzen erscheinen, werden ebenfalls nie deportiert. In ihrem Zusammenhang werden zwar untätige Notabeln sowie donatistische Gewalttäter mit der Deportation bedroht (Sirm. 14; der Teil mit den Notabeln als CTh. 16.5.46 im Codex Theodosianus), aber wenn von der Exilierung der Kleriker die Rede ist – die häufig erfolgt –, begegnet nie das Wort Deportation. Apostaten werden sogar explizit von jeder Form der Verbannungsstrafe verschont (CTh. 16.7.4 pr.). Wenn wir also einerseits sehr oft das Exil gegen häretische Kleriker verhängt sehen (so auch in den nichtjuristischen Quellen), andererseits – abgesehen von zuwiderhandelnden eunomianischen Klerikern – niemals die Deportation gegen die Gruppen verhängt wird, für die erbrechtliche Sanktionen bestehen, ist dies durchaus eine relevante Beobachtung: Eine entscheidende Mehr-Sanktion bei der Deportation im Vergleich zu einer Relegation samt Konfiskation ist ja die Aberkennung des Bürgerrechts und damit der Testierfähigkeit. Müsste man nicht, würde es bei den Testierverboten um eine symbolische Ausbürgerung der Heterodoxen gehen, unbedingt die Deportation für deren Kleriker erwarten? Wir haben gesehen, dass einer der Unterschiede zwischen Deportation und Relegation darin liegt, dass die Relegation lebenszeitlich sein konnte, die Deportation hingegen zwangsläufig auf Lebenszeit erfolgte. Allerdings dürfte die Verbannungsdauer in der spätantiken Praxis in beiden Fällen zumeist gleich lang gewesen sein, nämlich bis zur nächsten der offenbar erstaunlich häufigen Amnestien. Ein ganzer Theodosianus-Titel ist den Amnestien gewidmet (CTh. 9.38, De indulgentiis criminum). Oft handelt es sich um Amnestien anlässlich des Osterfests 119 (aber mit Ausnahmen: der Anlass bei CTh. 9.38.1

119 Dazu vgl. Mitthof 2013, worin auch zahlreiche weitere Belege für Osteramnestien

(darunter ein Papyrus und verschiedene Literaturstellen) gesammelt sind.

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ist die Geburt eines Enkelkinds 120 von Kaiser Konstantin), vergeben wird allen Verurteilten mit Ausnahme der Täter von fünf (schwankenden) besonders schlimmen Verbrechen (darunter Mord, Zauberei, Ehebruch, Hochverrat, Grabschändung, Falschmünzerei, aber nie Häresie, vgl. Delmaire II, S. 498 Anm. 4, sowie v. a. Mitthof 2013, S. 365–369). In CTh. 9.38.10 (405, Honorius) werden explizit alle Deportierten und Relegierten zurückgerufen (omnes omnium criminum reos vel deportatione depulsos vel relegatione, »alle Täter aller Verbrechen, die entweder durch Deportation oder Relegation verbannt wurden …«), ausgenommen nur diejenigen, die ihre Verbannung nie angetreten hatten. Unter den Sirmondschen Konstitutionen finden sich ebenfalls zwei Osteramnestien (Sirm. 7 und 8), eine davon (Sirm. 8, 386, Theodosius I.) zählt auf, dass alle Verurteilten von den Ketten, vom Exil, von den Bergwerken und der Deportation befreit werden sollen (was man übrigens wiederum als Beleg für Exil i. S. v. Relegation nehmen darf). In den anderen Amnestiegesetzen werden die Verbannungen nicht explizit erwähnt, aber es gibt keinen Grund zu zweifeln, dass sich die Indulgenz üblicherweise auch darauf erstreckte. Dass die häufigen Strafnachlässe nicht nur eine theoretische Angelegenheit waren, zeigt die Prosopografie; oft begegnen uns Männer, die etliche Male verbannt und zurückgerufen werden (man denke nur an Eunomios, → S. 6128). Zumeist wissen wir bei derlei literarischen Erwähnungen nicht, ob der Rückruf eines Verbannten ad personam geschah oder Folge einer allgemeinen Amnestie war. Beim Manichäer Faustus sind wir dank Augustin (c. Faust. 5.8, → S. 462) ausnahmsweise genauer informiert: Faustus autem convictus vel confessus, quod Manichaeus esset, cum aliis nonnullis secum ad iudicium proconsulare productis, eis ipsis Christianis, quibus perducti sunt, intercedentibus levissima poena, si tamen illa poena dicenda est, in insulam relegatus est: quod sua sponte cotidie servi dei faciunt se a turbulento strepitu populorum removere cupientes; et unde publica terrenorum principum vota per indulgentiam solent relaxare damnatos. Denique non multo post inde omnes eadem sollemni sorte dimissi sunt. Aber nachdem Faustus überführt oder geständig war, Manichäer zu sein, wurde er samt einigen anderen, die zusammen mit ihm beim Gericht des Prokonsuls 120 Rivière 2004, S. 243: »La plus ancienne [Amnestie] retenue par le Code théodosien

est datée du règne de Constantin qui pour la naissance de son fils Crispus avait ordonné le 22 octobre 322 une indulgentia«; doch allein schon das Jahr 322 hätte Rivière zeigen müssen, dass propter Crispi atque Helenae partum omnibus indulgemus nicht »wegen Crispus’ und Helenas Geburt«, sondern »wegen des Kinds, das Crispus und Helena geboren wurde« bedeuten muss.

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vorgeführt worden waren, aufgrund des Eintretens der Christen, von denen sie vorgeführt worden waren, zu einer ganz leichten Strafe – sofern man das überhaupt Strafe nennen will! – verurteilt: Man relegierte ihn auf eine Insel. Aber das tun doch die Diener Gottes ganz freiwillig Tag für Tag, da sie dem turbulenten Radau der Menschen entgehen wollen; und von dort pflegen die staatlichen vota für die weltlichen Herrscher 121 die Verurteilten mittels einer Amnestie zurückzurufen. Und so wurden sie alle [Faustus und die anderen Manichäer] wenig später auf dieselbe übliche Weise von dort entlassen.

Auch in Augustins (zugegebenermaßen aufgrund eines argumentativen Ziels klar einseitiger) Darstellung sind Amnestien etwas so Regelmäßiges, dass man sich auf ihr jederzeit baldiges Eintreffen verlassen kann. Faktisch kann es aber nicht ganz so einfach gewesen sein: Nicht nur Eunomios, sondern auch viele andere Häresiarchen – man denke nur an Nestorios – starben letztlich in der Verbannung. Als Verbannungsort finden sich in der Praxis oft Inseln (bzw. Oasen), da es sich bei vielen Exilierungen um Deportationen gehandelt haben dürfte und selbst bei einer Relegation maximale Bestrafung oder, bei einer als ansteckend empfundenen Häresie, maximale Isolation gewünscht sein konnte. Doch auch ferne Städte oder Provinzen begegnen nicht selten als zugewiesene Exilierungsorte. Auch die Beschränkung auf eine weniger ferne Stadt kommt vor, ein gutes Beispiel ist der Fall des Kirchenhistorikers Theodoret, der das Territorium der Stadt Kyrrhos (wo er Bischof war) zeitweise nicht verlassen durfte (→ S. 626). Eine Sonderform besteht in der Rücksendung an den Herkunftsort. Dies findet sich in CTh. 16.5.12 (383) gegen Kleriker verschiedener Häretikergruppen: ad proprias, unde oriundi sunt, terras redire iubeantur, ne quis eorum aut commeandi ad quaelibet alia loca aut evagandi ad urbes habeat potestatem, »sie sollen angewiesen werden, in die Länder zurückzukehren, wo sie herstammen, wobei keiner von ihnen die Möglichkeit haben soll, zu jedweden anderen Orten zu gehen oder Städte aufzusuchen«. Dahinter steckt wiederum der Infektionsgedanke. Vielleicht fand im Fall des Eunomios 121 Vgl. Euseb. martyr. Palaest. 2.4, τῆς ἀρχικῆς εἰκοσαετηρίδος ἐπιστάσης κατὰ νομιζομένην δωρεὰν τῶν ἐν τοῖς δεσμοῖς πανταχῇ πάντων ἐλευθερίας ἀνακηρυχθείσης, »als das 20-jährige Herrschaftsjubiläum nahte und man – einem ganz gängigen

Gnadenakt entsprechend – überall eine Amnestie aller Strafgefangener ausrief …«. Das genannte Jubiläum sind Diokletians vicennalia am 20. November 303, und die Geschichte nimmt erwartungsgemäß kein Happy End: Der inhaftierte Diakon, um den es gerade geht, erleidet trotzdem den Märtyrertod. Gleichwohl sieht man, dass Generalamnestien und ihre Verbindung zu den Kaiser-vota chronologisch sehr viel weiter zurückreichen. Vgl. dazu und überhaupt zu den Vorläufern der Osteramnestien Di Berardino, S. 135 f.

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eine solche Verbannung an den Heimatort statt (Philostorg. 10.6; Soz. 7.17.1; zur Diskussion um Eunomios’ Herkunft vgl. Spanneut, Sp. 1399; Destephen, S. 296). In einem Gesetz aus dem Jahr 452, das vollständig überliefert ist, werden klarere Anweisungen gegeben (CN 480): Findet sich ein Eutychianer in der militia, so wird er aus dieser entfernt, nec alibi quam in quo natus est vico vel civitate versetur, »und er darf sich ausschließlich in dem Dorf oder der Stadt aufhalten, in der er geboren wurde«. Sollte er aus Konstantinopel stammen, dann sind ihm stattdessen diese Stadt sowie zusätzlich sämtliche Provinzmetropolen verboten. Dies leitet bereits zu den Ausweisungen über. Die Ausweisung aus der Stadt Rom hatte eine lange Tradition, 122 die Digesten kennen zusätzlich die Ausweisung aus einer oder mehreren Provinzen und aus einzelnen Städten (Ulp. D. 48.22.7.10–19). Was uns regelmäßig in der Heterodoxengesetzgebung begegnet, ist die Ausweisung aus Städten und Siedlungen: Während eine Ausweisung aus Rom oder Konstantinopel älteren Vorbildern folgt und es von dieser Sanktion nur ein kleiner Schritt ist zur Austreibung aus Provinzmetropolen, wirkt die Ausweisung aus allen Städten einschneidender, zwingt sie den Betroffenen doch zu einem Leben auf dem flachen Land. Offensichtlich intendiert man, den Heterodoxen so das Publikum zu nehmen, vor dem sie ihre gefährlichen Ideen verbreiten konnten. 123 Das findet sich z. B. gut begründet in einer Valentinian-Novelle (Nov. Val. 18 § 3), wonach Manichäer (neben erbrechtlichen Sanktionen, militia-Ausschluss usw.) folgende Einschränkung erleiden sollten: urbium habitatione privandos, ne quis innocens talium conversatione aut societate capiatur, »ihnen ist die Möglichkeit des Wohnens in Städ122 Aus Rom wurden zu verschiedenen Zeiten u. a. Astrologen, Philosophen, Isis-Anhän-

ger, Juden, aber auch übel beleumundete Gruppen wie männliche Prostituierte, Schauspieler und Gladiatoren ausgewiesen (Tabelle bei Tacoma, S. 94 f.). Deditizier durften die Stadt Rom gar nicht erst betreten bzw. ihr nicht einmal auf 100 Meilen nahe kommen (Gai. 1.26 f.). 123 Vgl. Sirm. 6 von 425 (der einschlägige Absatz als CTh. 16.5.62 und 16.5.64 teilweise im Codex Theodosianus): Sane quia religiosos populos nullis decet superstitionibus depravari, Manichaeos omnesque haereticos vel schismaticos sive mathematicos omnemque sectam catholicis inimicam ab ipso aspectu urbium diversarum exterminari debere praecipimus, ut nec praesentiae quidem criminosorum contagione foedentur, »Da man fromme Menschen mit keinerlei Form von Aberglauben verderben darf, ordnen wir an, dass die Manichäer und alle Häretiker und Schismatiker und Astrologen und jede Gruppe, die den Katholiken feindlich gesonnen ist, von den verschiedenen Städten auf Sichtweite fernzuhalten sind, damit sie [die Städte] nicht einmal vom Gifthauch der schieren Anwesenheit solcher Verbrecher besudelt werden«. Vgl. ferner CTh. 16.5.34 (→ S. 348).

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ten wegzunehmen, damit nicht Unschuldige durch Umgang und Kontakt mit solchen Leuten verführt werden«. In der schärfsten Form ist dann der Aufenthalt in jeder Ansiedlung verboten. Ein Beispiel ist CTh. 16.5.20 (391), Haereticorum polluta contagia pelli urbibus, vicis proturbari ac nullis penitus iubemus patere conventibus, ne in quoquam loco sacrilega cohors talium hominum colligatur, »Wir ordnen an, den ansteckenden Gifthauch der Häretiker aus den Städten zu vertreiben, aus den Dörfern zu verjagen und ihnen keine Versammlungsmöglichkeit zu lassen, damit sich an überhaupt keinem Ort ein gottloser Haufen solcher Menschen sammeln kann«. 124 Diese Strafform wurde offenbar schon von Maximinus Daia gegen die Christen praktiziert (Euseb. hist. eccl. 9.10.12). Wer sich wundert, wo ein Betroffener dann überhaupt noch leben kann, erhält Auskunft bei Victor von Vita (1.40), der das Schicksal eines katholischen Bischofs bei den Vandalen berichtet: Tunc etiam sanctus Valerianus Abensae civitatis episcopus … foras civitatem singularis iussus est pelli; et ita praeceptum est, ut nullus eum neque in domo, neque in agro dimitteret habitare: qui in strata publica multo tempore nudus iacuit sub aere, »Damals wurde auch der heilige Valerian, Bischof der Stadt Abensa, … ganz allein aus seiner Stadt vertrieben. Auch wurde befohlen, dass ihn niemand im Haus oder auf dem Acker wohnen lassen dürfe. Der lag also lange Zeit nackt unter freiem Himmel auf einer öffentlichen Straße«. Die einzige Steigerung, die dann noch möglich ist, besteht darin, den Aufenthalt im ganzen Römischen Reich zu untersagen. Dies finden wir in erhaltenen Gesetzestexten nur gegen die Manichäer und (unter Bezugnahme auf diese) gegen zum Eutychianismus übergetretene Kleriker und Mönche angeordnet (→ S. 793); 125 laut Sulpicius Severus (chron. 2.47.6) gab es auch noch ein Reskript des Gratian (→ S. 426), wonach universi haeretici excedere non ecclesiis tantum aut urbibus, sed extra omnes terras propelli iubebantur, »sämtliche Häretiker [im Kontext gemeint: alle priscillianistischen Bischöfe] nicht nur aus ihren Kirchen und Städten zu weichen

124 Vieles an diesem Gesetz ist merkwürdig: Es scheint sich unspezifisch gegen alle

Häretiker zu richten, was angesichts der Schärfe der Maßnahme eigentlich nicht sein kann (man vgl. die universi haeretici der Sulpicius-Severus-Stelle, die uns gleich im Haupttext begegnen wird; dort ist aus dem Kontext klar, dass bestimmte Bischöfe gemeint sind; möglicherweise ging bei unserer Konstitution wesentlicher Kontext während der Kompilation verloren). Das Gesetz hat in der überlieferten Inskription keinen Adressaten (sondern nur Exemplum sacrarum litterarum), in der Subskription findet sich dat. und Rom, wo aber Theodosius im fraglichen Jahr 391 gar nicht war. 125 Mommsen, S. 973 (»Landesverweisung kennt das römische Strafrecht nicht«), und Stini, S. 38 f. (»Das Aufenthaltsverbot [erstreckte sich] niemals aber auf das gesamte Reichsgebiet«), übersehen diese Passagen.

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hatten, sondern aus allen Ländern – so wurde angeordnet – zu vertreiben waren«; allerdings dürfte omnes terrae hier im Kontext die Territorien der betroffenen Städte meinen (also: die Bischöfe wurden nicht nur aus ihrer Kirche und der Hauptstadt der civitas vertrieben, sondern sogar aus dem ganzen Territorium ihrer jeweiligen civitas). 126 Gelegentlich hören wir davon, dass die Täter zu ihren Verbannungsorten eskortiert werden sollen (etwa CTh. 16.5.52 § 5 von 415, in exilium … sub idonea prosecutione mittantur, »sie sollen mit geeigneter Eskorte … in die Verbannung geführt werden«). In den anderen Fällen scheint die Abreise durch vollständigen Boykott der Umwelt erzwungen worden zu sein. Augustin schreibt Folgendes, als er sich darüber beschwert, dass einst der donatistische Bischof Faustinus die Bäcker seiner Seite gegen die wenigen Katholiken in Hippo aufgehetzt hatte, sodass diese nirgendwo ihr Brot backen lassen konnten (c. Petil. 2.83.184): Nonne apud Hipponem, ubi ego sum, non desunt, qui meminerint Faustinum vestrum regni sui tempore praecepisse, quoniam catholicorum ibi paucitas erat, ut nullus eis panem coqueret, ita ut cuiusdam diaconi nostri furnarius inquilinus domnaedii sui panem incoctum abiecerit, eique nulla exilii lege damnato, communicationem non solum in civitate Romana, sed etiam in patria sua, nec solum in patria sua, sed etiam in domo sua negaverit? Gibt es denn nicht in Hippo – wo ich bin – jede Menge Menschen, die sich noch gut daran erinnern können, wie euer Faustinus zur Zeit seiner Tyrannei angeordnet hatte, dass niemand den Katholiken – schließlich gab es dort nur eine Handvoll von ihnen – das Brot buk, sodass der Bäcker und zugleich Untermieter eines gewissen katholischen Diakons die ungebackenen Teiglinge seines Vermieters wegwarf und ihm – der nach keinem Exilgesetz verurteilt war! – den Umgang [communicatio] nicht nur in einer römischen Stadt, sondern sogar in seiner Vaterstadt, nicht nur in seiner Vaterstadt, sondern sogar in seinem eigenen Haus verweigerte?

Die Idee ist also, dass dem zum Exil Verurteilten vor Ort jede Form von Umgang (communicatio ist allerdings kein technischer Begriff) zu verweigern sei, sodass ihm nichts anderes als die Abreise bleibt. Wer Relegierte aufnimmt, muss laut Ulpian (D. 48.22.11) entweder eine Geldstrafe entrichten 126 In Sirm. 2 (405, teilweise als CTh. 16.2.35 im Codex Theodosianus) wird auf ein

Gesetz Gratians Bezug genommen, wonach verurteilte Bischöfe in bestimmten Fällen ihre ehemalige Stadt verlassen und mindestens 100 Meilen Abstand halten müssen; auch Avell. 13 zeigt, dass 100 Meilen einem Bannradius entspricht, den Gratian mehrfach vorschrieb. Trotzdem geht Godefroy (Gothofredus, S. 81) wohl zu weit, wenn er extra omnes terras mit »mehr als 100 Meilen Abstand« gleichsetzt.

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oder wird gar selbst relegiert. Den Strafen der lex Iulia de vi privata verfiel auch, wer einen zu aquae et ignis interdictio Verurteilten aufnahm oder verbarg (Paul. sent. 5.26.3). Zu einem klaren Bild setzen sich diese Passagen zugegebenermaßen nicht zusammen, aber jedenfalls ist sicher, dass es neben der eskortierten Abreise auch das durch Boykott erzwungene Exil gab. Es mag angesichts der Wortbedeutung naheliegen, die eskortierte »Fortschaffung« mit der deportatio zu verbinden, die Aufforderung zur selbstorganisierten Abreise dementsprechend mit der Relegation (so etwa Stini, S. 46 f.). Eindeutige Quellenbelege für diese Zuordnung sehe ich allerdings nicht. Das oben gegebene Beispiel CTh. 16.5.52 § 5 von 415, in exilium … sub idonea prosecutione mittantur, lautet vollständig: in exilium viritim ad singulas quasque regiones sub idonea prosecutione mittantur, und angesichts der regiones (nicht: insulas) muss es sich bei diesem eskortierten Exil technisch um eine Relegation handeln. Die Häretikerstrafe, die uns am häufigsten begegnen wird, ist in der Tat das Exil, weswegen wir es hier so ausführlich besprochen haben. Die andere regelmäßige Sanktion gegen Heterodoxe ist die Enteignung, d. h. die vollständige Vermögenskonfiskation. Der Fachausdruck ist proscriptio, der von modernen Autoren gelegentlich als Verbannung fehlverstanden wird. Es lohnt sich, dazu Mommsen (S. 938 Anm. 1) zu zitieren: »Eine technische Bezeichnung der Aechtung findet im ordentlichen Strafrecht der Römer sich nicht. … Die proscriptio hominis …, bei den Historikern regelmässig proscriptio allein, ist durch Sulla zum Schreckenswort geworden, aber nicht zum Rechtswort. In der Rechtssprache bezeichnet proscriptio ohne Beisatz regelmässig die proscriptio bonorum, den Concurs, auch die Vermögensconfiscation, nicht die Aechtung«. Eine Durchsicht der CTh.-Belege für die Wortfamilie proscriptio zeigt, dass die große Masse der Stellen dieses Verständnis (»Enteignung«) voraussetzt; die sehr seltenen Belege, die auf die Bedeutung als »Verbannung« hindeuten könnten, sind problematisch. 127 127 Ich sehe allenfalls zwei Stellen, die einer näheren Prüfung bedürfen. Da ist einerseits

CTh. 9.40.20 von 408: Si quis ex proscriptorum numero comitatum Nostrae Serenitatis sive moenia aeternae urbis intraverit, deportatione plectetur, »Wenn einer aus der Zahl der proscripti den Audienzraum Unserer Serenität oder die Mauern der Ewigen Stadt betreten sollte, wird er mit Deportation bestraft«. Das klingt so, als sei die Deportation die Schärfung einer Verbannungsstrafe, und Proskription stehe i. S. v. Interdiktion eines Orts. Aber man vergleiche CTh. 9.40.19 von 408 (satellites Gildonis custodiis mancipentur et proscriptione damnentur, »Die Komplizen des Gildo sind in Haft zu nehmen und mit proscriptio zu bestrafen«) sowie CTh. 9.42.19 (possessiones, quae ex bonis Gildonis aut satellitum eius in ius Nostrae Serenitatis retentae sunt ab occupa-

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Die spätantike Enteignungsstrafe unterscheidet sich hinsichtlich gewisser Aspekte von den Konfiskationen der früheren Kaiserzeit (Spagnuolo Vigorita 2006b, Sp. 360–362). Davon sind zwei für das Weitere so bedeutsam, dass sie hier herausgestellt werden müssen. Erstens war in der Spätantike die Enteignung in sehr vielen Fällen eine selbstständige Strafe, existierte also nicht nur als Konsequenz einer Deportation oder Todesstrafe. Zweitens legten die spätantiken Kaiser 128 großen Nachdruck darauf, nicht den Anschein zu erwecken, sich durch Konfiskationen bereichern zu wollen: Es ging beim Vermögensentzug darum, den Delinquenten zu bestrafen – nicht darum, dem Staat Geld zu verschaffen. Während in der Frühzeit des Römischen Reichs auf nicht wenige Kaiser der Verdacht fiel, Konfiskationen zum Füllen der eigenen oder der staatlichen Truhen zu nutzen (ein Kronzeuge ist Trajan, vgl. D. 48.22.1), gibt es aus der Spätantike eine ganze Reihe von Gesetzen, 129 dank derer die potenziellen Erben (insbesondere die Abkömmlinge, aber auch andere mögliche Intestaterben) vor der Staatskasse zum Zuge kamen (das Majestätsverbrechen, das auch sonst zu Sippenhaft führt, → S. 314, stellt eine Ausnahme dar, ebenso gelegentlich die Magie: CTh. 9.42.2). Auch scheint es häufig genug vorgekommen zu sein, dass der Kaiser gnadenhalber einem Enteigneten das Vermögen restituierte: CTh. 9.42.17 = 10.10.23 (401) untersagt es, innerhalb toribus, Nostro patrimonio adgregentur, »Güter aus dem Vermögen des Gildo und seiner Komplizen, die gegen das Recht Unserer Serenität von Besetzern zurückgehalten werden, sind Unserem Vermögen zuzuführen«). Es geht also tatsächlich um Enteignete, deren Jammern der Kaiser in Rom nicht hören will. Der andere Beleg ist CTh. 7.8.10 § 1 von 413: … in tempore proscribi debere censemus, »wir beschließen, dass sie in tempore zu proskribieren sind«. Wäre hier die Rede von einer vorübergehenden Strafe, könnte es sich nur um die Verbannung handeln, denn eine bereits vorab befristete Enteignung existiert nicht. Allerdings ist der Gegensatz zu in perpetuum keineswegs in tempore, sondern in tempus, und in tempore bedeutet vielmehr »zum geeigneten Zeitpunkt« (vgl. OLD s. v. tempus 8d; CTh. 4.8.5 § 1, CTh. 9.14.2). 128 Für hochkaiserzeitliche Gnadenerlasse im Einzelfall (und mögliche tatsächliche Vorläufer der allgemeinen spätantiken Regelungen zugunsten der Verwandtschaft) vgl. Fuhrmann, Sp. 2506. 129 Vgl. z. B. CTh. 9.42.2 von 356 (aufgehoben durch CTh. 9.42.4 von 358), 9.42.6 (364), 9.42.8 f. (380; 8: das Vermögen bleibt der Familie im Fall der Deportation teilweise erhalten; 9: bei einer Hinrichtung erben Abkömmlinge u. U. alles, andere Verwandte u. U. teilweise), 12.1.6 (318, Deportationsandrohung für konkreten Tatbestand; Landgüter fallen dann den Verwandten zu); Nov. Maior. 6 § 5 (Drohung gegen Witwen im gebärfähigen Alter, die sich nicht wiederverheiraten wollen: Vermögensverlust zugunsten der Verwandtschaft); Diskussion bei Fuhrmann, Sp. 2506 f.; Brasiello, S. 120–124.

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von zwei Jahren um das Vermögen eines Enteigneten zu bitten, damit dem Kaiser genug Zeit bleibe, ut Nobis ingenitum est, duriores casus et tristiorem fortunam imperatoria humanitate molliamus, »[damit wir] – wie es in Unserer Natur liegt – die besonders schlimmen Schicksale und ein überaus trauriges Los mit kaiserlicher Milde lindern können«. Und sollte man das Vermögen doch nicht an den Enteigneten oder an seine Familie zurückgegeben haben, so scheint es die Regel gewesen zu sein, das Gesamtvermögen en bloc an einen petitor, d. h. üblicherweise einen einflussreichen Günstling, weiterzureichen 130 – ganz als wäre es ehrenrührig, das Konfiskationsgut dem Staatsvermögen zuzuführen. Bei der Besprechung der einzelnen Gesetze mit erbrechtlichen Sanktionen werden wir feststellen, dass die Kaiser auch dort sehr vorsichtig mit Konfiskationen umgehen. Wenn Mitglieder bestimmter Gruppen nicht testieren dürfen, heißt das noch lange nicht, dass ihr Vermögen beim Tod an den Staat fällt (anders ohne Angabe von Evidenz Humfress, → S. 389); vielmehr kommen typischerweise die Intestaterben in den Genuss des Nachlasses. Das ist so bei den Donatisten (bestätigt bei Augustin, → S. 593), bei den Eunomianern (ausdrücklich erwähnt in CTh. 16.5.49 und 16.5.58 § 4) und bei den Apostaten (zeitlich befristete Klagemöglichkeit zur Entkräftung des Testaments in CTh. 16.7.3 § 1, die sich offenbar an Intestaterben wandte; Intestaterbgang begrenzt auf bestimmte nahe Verwandte in CTh. 16.7.6 bzw. christliche Verwandte in CTh. 16.7.7). Manichäern wird bald das Gesamtvermögen entzogen, wobei auch hier regelmäßig nichtmanichäische nahe Verwandte vor dem Fiskus zum Zug kommen (Vererbung: CTh. 16.5.7 § 2; Konfiskation zu Lebzeiten: 16.5.9 pr., 16.5.40 § 2). Anders sieht die Situation aus, wenn die Erbfähigkeit entzogen wird und jemand versucht, gleichwohl die sanktionierten Heterodoxen zu bereichern: Dann konfisziert der Staat regelmäßig (CTh. 16.5.7 pr. gegen Manichäer; CTh. 16.5.17 gegen Eunomianer). Mommsen behauptete einen Zusammenhang zwischen Enteignungen und erbrechtlichen Sanktionen. Er schreibt (Mommsen, S. 604): »Als eigentliche Strafe der Häresie erscheint neben der Infamie die Intestabilität …, häufig verbunden mit Beschränkungen des Erbrechts und überhaupt der vermögensrechtlichen Befugnisse und vielfach geschärft durch Confiscation des Vermögens im Uebertretungsfall«. Mommsen gibt dafür keine Belege, und er könnte dies auch nicht: Bei keiner der zahlreichen angedrohten Enteignungen handelt es sich um eine Strafe für eine Übertretung der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen.

130 Vgl. wiederum das Gesetz, das entsprechende Bitten während der ersten beiden

Jahre nach der Konfiskation verbietet; bezeichnend zudem Amm. 31.14.3.

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Gesetzesumgehung in Theorie und Praxis Was ebenfalls vor die Klammer gezogen werden muss, ist die Frage nach eventuellen Gesetzesumgehungen. Wir haben gesehen, dass spätantike Kaiserkonstitutionen oft ungenau formuliert sind. Bestand also nicht die Gefahr, dass Testierverbote mit relativ simplen Konstruktionen ausgehebelt wurden? Wenn ich kein Testament errichten darf, wäre es dann nicht eine Möglichkeit, meine Absichten mittels Intestatkodizill auf Kosten der gesetzlichen Erben zu verwirklichen? Oder mithilfe der donatio mortis causa (vgl. Rüger, insb. S. 243–249), einem Geschäft unter Lebenden, das auf den Tod des einen bedingt ist? Oder gar mit Scheinverkäufen (d. h., ich verkaufe weit unter Wert an den, dem ich nichts schenken oder vererben darf) oder einem tacitum fideicommissum (d. h., ich weise einen zuverlässigen Strohmann heimlich an, einem Dritten, der aus rechtlichen Gründen von mir nichts bekommen darf, etwas weiterzureichen)? In den Gesetzen mit erbrechtlichen und verwandten Sanktionen spielen die möglichen Umgehungen eine untergeordnete Rolle. Nur gelegentlich begegnen Formulierungen à la CTh. 16.5.17 (389), non habeant possidendi licentiam, non petendi, non etiam relinquendi heredhitatiem nomine principali, non fideicommissario, non legatario, non tacito fideicommisso vel quamcumque in huiuscemodi negotiis nuncupationem iuris ordo constituit, »sie sollen nicht mehr die Möglichkeit haben, eine Erbschaft – weder im strengen Wortsinn noch unter dem Namen Fideikommiss noch unter dem Namen Legat noch durch tacitum fideicommissum oder welche Bezeichnung auch immer das Rechtssystem bei derlei Angelegenheiten festgelegt hat – zu besitzen, einzufordern oder auch nur zu hinterlassen«, oder CTh. 16.2.27 (390), … nec tacito fideicommisso aliquid clericis in fraudem venerabilis sanctionis callida arte aut probrosa cuiuspiam coniventia deferatur; … et si quid forte per epistulam codicillum donationem testamentum, quolibet denique detegitur genere conscriptum erga eos …, »es soll Klerikern nicht einmal durch ein tacitum fideicommissum etwas in Umgehung dieser kaiserlichen Verordnung durch verschlagene Tricks oder durch die schändliche Kumpanei irgendeiner Person zukommen. … Und wenn entdeckt wird, dass etwas durch eine Epistula, durch ein Kodizill, durch eine Schenkung, durch ein Testament – kurzum: auf beliebige Art! – zugunsten der Leute niedergeschrieben wurde, …«, oder auch CTh. 16.5.40 § 5 (407), Ergo et suprema illius scriptura irrita sit, sive testamento sive codicillo sive epistula sive quolibet genere reliquerit voluntatis qui aut Manichaeus … fuisse convincitur, »Folglich sei die letztwillige Verfügung einer [verstorbenen] Person, die Manichäer … gewesen zu sein überführt wurde, un-

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gültig, ganz gleich, ob sie sie in Form eines Testaments, eines Kodizills, einer Epistula oder in welcher Form von Verfügung auch immer hinterlassen hat«. Alle drei Stellen verwenden auffällige Catch-All-Formulierungen, die einerseits die Frustration des Autors vor dem Erfindungsreichtum der Betroffenen, andererseits ein begrenztes Interesse an rechtlichen Gestaltungen illustrieren. Neben diesen expliziten Regelungen ist der beste Hinweis auf Umgehungen der immer weiter ausgreifende Umfang der erbrechtlichen Sanktionen. Dass sich die Testierverbote über Schenkungsverbote bis hin zu Kontrahierverboten (CTh. 16.5.40, 407, gegen Manichäer; CTh. 16.5.54 pr., 414, gegen Donatisten) entwickeln, dürfte sich genau dadurch erklären. Tatsächlich werden sich Richter und Kaiser an eine Maxime gehalten haben, die später (439) als allererster Satz einer Konstitution von Theodosius II. (Nov. Theod. 9 pr.; vgl. § 3) prägnant formuliert wurde: Non dubium est in legem committere eum, qui verba legis amplexus contra legis nititur voluntatem, »Es leidet keinen Zweifel, dass jemand ein Gesetz übertritt, wenn er sich zwar auf die Formulierung des Gesetzes beruft, aber gegen seine Intention verstößt«. Was die Praxis angeht, so stehen uns freilich nur wenig Quellen zur Verfügung. Wir haben bereits oben gesehen, dass laut Hieronymus (in einem Brief von 393/4) Priester das für sie geltende Erbverbot routinemäßig mit Fideikommissen (es kann sich nur um tacita fideicommissa handeln) unterliefen (→ S. 298). Libanios plagte über Jahre die Sorge, wie er an seinen einzigen (aber leider unstandesgemäßen) Sohn postum oder zu Lebzeiten Vermögenswerte verschieben könnte. Wir erinnern uns (→ S. 97), dass ihm seine Tyche geholfen hatte, als ein widriges Gesetz von Konstantin unter Valentinian teilaufgehoben wurde, aber leider konnte sie offenbar nicht verhindern, dass Theodosius I. zur konstantinischen Regelung zurückkehrte (vgl. CTh. 4.6.5). Libanios hatte sich bereits einen Notfallplan zurechtgelegt (or. 1.195): φίλων μὲν οὖν ἦν ἀφθονία μοι δικαίων, οἳ δώσειν ἃ λάβοιεν ἔμελλον, τοὺς δὲ τοῖς ὧδε δρωμένοις ἐπιθησομένους ἦν οὐ ῥᾴδιον διαφυγεῖν γραφομένους τὴν ὁδὸν τῆς κτήσεως, ὡς ἀδικοῖ τὸν νόμον, »Ich besaß zwar eine große Menge zuver-

lässiger Freunde, die alles Erhaltene weitergereicht hätten, aber es wäre nicht einfach gewesen, den Leuten zu entgehen, die solche Gestaltungen attackiert und diese Erwerbsart als fraus legis angezeigt hätten«. (Letztlich griff wieder die Tyche ein, und Libanios erhielt ein Sonderprivileg von Kaiser Theodosius I., das ihm eine Schenkung unter Lebenden 131 an Kimon erlaubte; freilich 131 Libanios formuliert in einer Passage (or. 1.196), dass »das Gesetz die Schenkung ertrug« (ἠνείχετο τῆς δωρεᾶς ὁ νόμος), an anderer Stelle hingegen deutlicher (or.

32.7), dass seinem Sohn nunmehr sein Vermögen gehöre »infolge einer Entschei-

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ließ Libanios die Tyche endgültig im Stich, als Kimon vor ihm verstarb – aber das ist eine andere Geschichte.) Eine dritte Passage betrifft die Donatisten und findet sich in einer Predigt, in der sich Augustin die Frustration eines imaginierten Donatisten ausmalt (für die ausführliche Besprechung → S. 592): Quot iurisperitos consulis, quantas fraudes, ut stet testamentum tuum contra ipsam legem imperatoris inquiris? … Noli fraudes quaerere, noli calumniosas formulas aucupari!, »Wie viele Rechtsexperten konsultierst du, wie viele juristische Winkelzüge suchst du, damit dein Testament gegen das Gesetz des Kaisers gilt? … Suche keine Tricks, jage nicht nach rechtsverdrehenden Formulierungen!« Die Taktik, die sich Augustin vorstellt, besteht also nicht im Transfer via Strohmännern, sondern in juristischen Winkelzügen. Wie solche im Falle der Donatisten überhaupt ausgesehen haben könnten, bleibt unklar. Fassen wir zusammen. In den realistischen erzählenden Quellen erfolgt die Umgehung über tacita fideicommissa, was auch naheliegt: Es wirkt schwer vorstellbar, dass jemand in der Praxis damit durchgekommen wäre, ein Testierverbot mittels Intestatkodizill oder donatio mortis causa zu unterlaufen – die leer ausgegangenen Intestaterben oder spätestens Delatoren, die auf das kaduke Erbe spekulierten, hätten vor dem Richter einen guten Stand gehabt. 132

dung des Kaisers, der anordnete, dass das einschlägige Gesetz weichen solle« (γνώμῃ βασιλέως … κελεύσαντος ὑποχωρῆσαι τὸν περὶ ταῦτα νόμον). Die Schenkung fand zu Lebzeiten des Libanios (und Kimon) statt (epist. 959.4, ἔδωκεν εἰς αὐτὸν διαβῆναι τὰ ὄντα μοι τὰ μικρά, καὶ διέβη, »er [Theodosius] gewährte, dass meine geringe Habe auf ihn übergehen durfte, und sie ist übergegangen«), mit allen erwartbaren Folgen (nämlich der Diskussion, ob Kimon angesichts seines neugewonnenen Reichtums nicht in den lokalen Kurialenstand eintreten müsse). Was Theodosius I. dem Libanios also gewährt hatte, war ein klares rescriptum contra ius, nämlich das Sonderprivileg, rechtswirksam an einen illegitimen Sohn zu schenken. 132 Man vergleiche auch die Juristenmeinungen zu dieser Frage: Marcian. D. 29.7.6.3, Codicillos is demum facere potest, qui et testamentum facere potest, »Ein Kodizill kann nur derjenige machen, der auch ein Testament machen kann«; Ulp. reg. 25.4, Fideicommissum relinquere possunt, qui testamentum facere possunt, »ein Fideikommiss dürfen die aussetzen, die ein Testament machen dürfen«. Bei anderen Umgehungsformen wird man zu analogen Ergebnissen gekommen sein. Vgl. Paul. sent. 2.23.4 zum berühmten Schenkungsverbot zwischen Ehegatten: Inter virum et uxorem contemplatione donationis imaginaria venditio contrahi non potest, »Zwischen Ehemann und Ehefrau kann kein Scheinverkauf mit der Intention einer Schenkung vereinbart werden« – nicht anders werden spätantike Richter den Fall eines Scheinverkaufs zwischen Häretikern, die einem Schenkungsverbot unterlagen, entschieden haben.

formulierungen vom typ »ausschluss aus der gemeinschaft«

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Formulierungen in Gesetzestexten vom Typ »Ausschluss aus der Gemeinschaft« In zahlreichen Konstitutionen – darunter einigen, die auch erbrechtliche Sanktionen enthalten – finden sich Formeln, die einen »Ausschluss aus der Gemeinschaft« proklamieren. Was kann damit gemeint sein? Offensichtliche Möglichkeiten wären Ausweisung aus Städten oder Verbannung; ferner die Infamie (also der Ausschluss aus der Gemeinschaft der »Anständigen«); oder gar der Verlust des Bürgerrechts (d. h. der Ausschluss aus der Gemeinschaft der »Römer«). Betrachten wir die einschlägigen Codex-Theodosianus-Passagen im Einzelnen, denn deren wörtliches Verständnis spielt bei der bisherigen Diskussion der erbrechtlichen Sanktionen eine große Rolle. 133 Erstens finden sich derartige Formulierungen in beliebigen Kontexten gebraucht, um in abstrakter Weise Gruppenzugehörigkeiten anzuzeigen, ähnlich unserem »Zahl« (»zur Zahl der … gehören«). CTh. 6.2.15 (393) gewährt klammen Senatoren eine Steuererleichterung. Falls diese in der Lage sind, wenigstens eine reduzierte Summe zu entrichten, a consortio amplissimi ordinis non recedant, 134 »sollen sie sich nicht aus der Gemeinschaft [consortium] des Senatorenstands zurückziehen«. Ebenso CTh. 6.2.26 (428), quamvis a senatorum consortio segregentur, »obwohl sie aus der Gemeinschaft der Senatoren zu entfernen sind«, nämlich bestimmte Beamte, die eigens um diesen Austritt baten. Dekurionen konnten nach Ausweis von CTh. 12.1.88 (382) ihrem leidigen Status entgehen, wenn sie fünf Jahre lang als Palatini dienten; das wird zwar durch dieses Gesetz bestätigt, doch es bestimmt weiter: in posterum istiusmodi personis a consortio militiae celsioris exclusis, »wobei aber künftig derlei Personen von der Gemeinschaft [consortium] der höheren militia ausgeschlossen sein sollen«, d. h., erst gar nicht mehr Palatini werden kön133 Viele der im Weiteren besprochenen Formulierungen finden sich auch in den ein-

schlägigen Abschnitten bei Baccari 2011, S. 245–281 (vgl. auch Baccari 1991, S. 272–277; De Giovanni, S. 81 f.; Ernesti, S. 33–36). Nicht überzeugend ist die Erörterung von Zuccotti (S. 193–215), der diese Formulierungen unter der Überschrift »L’esorcizzazione del cosmo« behandelt: Die Mission des spätantiken Christentums bestehe in »una guerra totale contro il male cosmico«; die »esclusione sociale e giuridica della devianza religiosa« sei ein einzelner, wenn auch wesentlicher Aspekt dieses Kampfs (S. 199). 134 Zu Mommsens Zeiten fehlte bereits der linke Rand des Texts im Codex unicus R, weswegen er [a consort] in eckige Klammern setzt. Doch Cujas sah diesen Teil noch, a consortio ist also nicht editoriale Ergänzung, sondern durch ihn verbürgt. Was hingegen wirklich Konjektur ist, ist recedant (Cujas); Mommsens Ausgabe bietet das überlieferte, aber sinnlose retendant.

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nen. Auch CTh. 12.1.177 pr. (413) stammt aus dem Dekurionentitel; wer in Illyrien freiwillig eine Verpflichtung übernimmt, die sonst einen Dekurio treffen würde, erhält dadurch Vorrechte wie ein Dekurio, ohne gleich selbst zum Dekurio zu werden. Freilich soll das keiner als Schlupfloch verwenden, um der Kurie zu entgehen, und so ergänzt der Kaiser als Bedingung: sofern die entsprechende Person zuvor a consortio curiae penitus alienus, »gänzlich von der Gemeinschaft [consortium] der Kurie fremd«, war. In CTh. 2.10.4 (326?) geht es um kriminelle advocati, für die der Kaiser anordnet, ab honestorum coetu iudiciorumque conspectu segregari, »sie von der Gemeinschaft der honesti und dem Anblick von Gerichten auszuschließen«. In der Sache geht es um eine Infamieverhängung (vgl. CI. 12.1.2, → S. 370), durch die sie die Zugehörigkeit zu den honesti verlieren. Ganz analog ist der Gebrauch in CTh. 6.24.2 (365?), domesticorum filios … domesticorum coetibus adgregamus, »die Söhne von domestici … nehmen wir unter die domestici auf«; CTh. 6.27.21 (426), … tempore, quo iam honoratorum virorum coetibus inseritur, »… zu dem Zeitpunkt, in dem er nunmehr unter die honorati aufgenommen wird«; CTh. 8.4.11 (365?), non invitos curialibus coetibus adscribendos, »sie dürfen nicht gegen ihren Willen unter die Kurialen aufgenommen werden«; CTh. 12.1.42 § 2 (346?), vestris coetibus adgregentur, »sie sollen eurer Zahl hinzugefügt werden« (in einem Brief an einen Stadtrat). In all diesen Fällen zeigen also Formulierungen mit consortium oder coetus einfach nur die Zugehörigkeit zu einer Gruppe an (tatsächlich ließe sich consortium bei allen oben zitierten Passagen recht idiomatisch als »Zugehörigkeit zu« übersetzen). Zweitens finden sich Formulierungen ähnlichen Typs in Kontexten, in denen es eindeutig um die Ausweisung aus Städten geht; die Bedeutung muss »Menschenansammlung« sein, sodass also ein Kontrast zwischen den volkreichen Städten (wo es infizierbare Ansammlungen gibt) und dem flachen Land (wo die gefährlichen Häretiker angesichts der geringen Zahl potenziell ansteckbarer Opfer weitgehend unschädlich sind) entsteht. 135 CTh. 16.5.12 (383) gegen alle Sekten (namentlich als Beispiele genannt Eunomianer, Arianer, Makedonianer und Apollinarianer) bestimmt hinsichtlich der Kleriker: ita ut … perquisiti ab omnibus urbibus ac locis … expellantur a coetibus et ad proprias, unde oriundi sunt, terras redire iubeantur, ne quis eorum aut commeandi

135 Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist CTh. 16.5.30 (402); mit diesem Gesetz konfis-

ziert der Kaiser häretische Versammlungsstätten, weist häretische Kleriker aus Konstantinopel aus, verbietet häretische Zusammenkünfte und untersagt im Speziellen, Versammlungen ohne religiösen Charakter (profani conventus) für religiöse Zwecke zweckzuentfremden.

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ad quaelibet alia loca aut evagandi ad urbes habeat potestatem, »wobei … sie in allen Städten und Siedlungen aufgespürt …, aus den Ansammlungen [coetus] vertrieben sowie angewiesen werden sollen, in die Länder zurückzukehren, wo sie herstammen, wobei keiner von ihnen die Möglichkeit haben soll, zu jedweden anderen Orten zu gehen oder Städte aufzusuchen«. CTh. 16.5.13 (384) nennt exakt die vier in CTh. 16.5.12 aufgeführten Gruppen und verfügt hinsichtlich ihrer Kleriker: omnibus huius urbis latebris … pellantur; in aliis locis vivant ac penitus a bonorum congressibus separentur, »aus allen Schlupfwinkeln dieser Stadt [Konstantinopel] … sollen sie vertrieben werden; sie sollen in anderen Siedlungen wohnen und gänzlich von den Ansammlungen der Anständigen [bonorum congressus] ferngehalten werden«. Die bonorum congressus kann es offensichtlich nur in größeren Städten geben (denn nur in Siedlungen, loca, dürfen diese häretischen Kleriker wohnen). CTh. 16.5.11 (383) zählt eine ganze Reihe von Sekten auf, verbietet ihnen Kulthandlungen im Öffentlichen wie im Privaten und bedroht den Häretiker im Übertretungsfall folgendermaßen: communi omnium bonorum conspiratione pellatur, »er soll aus der Gemeinschaft aller Anständigen 136 vertrieben werden«. Aufgrund der chronologischen Nähe sowie der ähnlichen Formulierung (bonorum con-) wird es hier gewiss auch um Austreibungen gegangen sein. CTh. 16.5.14 (388) betrifft die Apollinarianer und »die sonstigen Anhänger der verschiedenen Häresien«: ab omnibus locis iubemus inhiberi, a moenibus urbium, a congressu honestorum, a communione sanctorum … Adeant loca, quae eos potissimum quasi vallo quodam ab humana communione secludant, »wir befehlen, sie von allen Siedlungen [loca] fernzuhalten, von den Mauern der Städte, von der Ansammlung der Anständigen [congressus honestorum], von der Gemeinschaft der Heiligen [communio sanctorum] … Sie sollen Siedlungen [loca] aufsuchen, die sie vielmehr ganz wie eine Mauer von der Gemeinschaft mit den Menschen [humana communio] abtrennen«. Die »Anständigen«, die »Heiligen« und die »Menschen« dürften dreimal dasselbe bezeichnen, nämlich die orthodoxe Bevölkerung; auch zwischen congressus und communio erkenne ich keinen Unterschied. CTh. 16.5.32 (396) verfügt über eunomianische Kleriker: clericique eorum maxime … de civitatibus pellantur extorres et humanis coetibus segregentur, »und zumal ihre Kleriker sollen als Heimatlose aus den Städten vertrieben und von Menschenansammlungen [humani coetus] ferngehalten werden«. 136 Das hier verwendete conspiratio zum Ausdruck der Gemeinschaft, aus der vertrieben

wird, ist einzigartig; allerdings ist die Junktur conspiratio bonorum omnium keineswegs eine spätantike ad-hoc-Kreation, sondern gutes ciceronisches Latein (Cic. Catil. 4.22)!

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Dieselbe Originalkonstitution wurde noch ein zweites Mal als lex geminata (→ S. 215) in den Codex Theodosianus exzerpiert, und zwar als CTh. 16.5.31; dort endet der Satz nach extorres, d. h., auch der Redakteur von CTh. 16.5.31 sah in et humanis coetibus segregentur keine zusätzliche Regelung. CTh. 16.5.34, ein Gesetz, das die Vertreibung eunomianischer und montanistischer Kleriker verfügt, ist wie folgt formuliert: consortio vel conversatione civitatum universarum atque urbium expellantur, »sie sollen aus der Gemeinschaft und dem Umgang aller civitates und urbes vertrieben werden«; da sie explizit in rure leben durften, muss civitas i. S. v. »Zentralort« (nicht: »Territorialeinheit«) stehen. Damit stellen die Wörter civitates und urbes einen Fall von Synonymenhäufung dar, und nichts anderes wird man für consortium und conversatio vermuten. Besonders ausführlich finden wir die Regelung erklärt in Sirm. 2 (405, teilweise als CTh. 16.2.35 in den Codex Theodosianus übernommen): Wird ein Bischof von einem Konzil abgesetzt und widersetzt er sich, muss er in mindestens 100 Meilen Entfernung von seiner ehemaligen Bischofsstadt leben: Sit ab eorum coetibus separatus, a quorum est societate discretus; … segregetur a plebe, quam mentitus vitae praeceptor infecit, »Er sei von deren Zusammenkünften [coetus] abgesondert, von deren Gemeinschaft [societas] er ausgeschlossen ist; … er sei getrennt von den Leuten, die er als erlogener Lebensführer infizierte«. Ein ungewöhnlicher Beleg ist Nov. Maior. 9, wonach ein Übeltäter a congressu totius Italiae submovendus, »vom Verkehr ganz Italiens zu entfernen«, d. h., aus Italien zu vertreiben sei. Drittens existieren Belege, bei denen es eindeutig nicht um eine Ausweisung geht, sondern um den Verlust des Testierrechts, das mit dem römischen Bürgerrecht gleichgesetzt wird (→ S. 260), welches wiederum das Recht »aller« ist. Die bezeichnendste Stelle ist CTh. 16.7.4 (teilweise identisch mit der lex geminata CTh. 11.39.11) von 391 gegen Apostaten: a consortio omnium segregati sint: a testimoniis alieni testamenti, ut ante iam sanximus, non habeant factionem, »sie sollen von der Gemeinschaft mit allen [consortium omnium] getrennt sein: ohne Anteil an der Zeugenschaft sollen sie – wie wir bereits früher verordnet haben – nicht die testamenti factio besitzen«. Dass es hier nicht um eine Verbannung oder Ausweisung gehen kann, zeigt die Fortsetzung, wo Theodosius I. erklärt, dass sie deswegen ausdrücklich nicht verbannt werden, damit sie ehrlos »unter den Menschen« dahinvegetieren. In dieselbe Kategorie gehören CTh. 16.5.17 (389, erbrechtliche Sanktionen gegen Eunomianer), nihil ad summum habeant commune cum reliquis, »Kurzum, nichts sollen sie mit den anderen Menschen gemein [commune cum reliquis] haben«, CTh. 16.5.18 (389, erbrechtliche Sanktionen gegen Manichäer), nihil ad summum his sit commune cum mundo, »Kurzum, nichts soll ihnen gemein

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sein mit der Menschheit [commune cum mundo]« sowie CTh. 16.5.23 (394, Aufhebung der erbrechtlichen Sanktionen gegen Eunomianer), vivant iure communi, »Sie sollen nach dem gleichen Recht wie alle [ius commune] leben«. 137 Dass derlei Formulierungen auch unter Zeitgenossen Anlass zu Zweifeln gaben, zeigt der folgende Fall: CTh. 16.5.40 (Honorius, 407, gegen Manichäer und Montanisten, → S. 471) enthält zu Beginn folgende Formulierung: Huic itaque hominum generi nihil ex moribus, nihil ex legibus sit commune cum ceteris, »Dieser Sorte Mensch sei daher nichts an Sitten, nichts an Gesetzen mit den übrigen gemeinsam«. Im Folgenden geht es um erbrechtliche und verwandte Sanktionen (allerdings in geschärfter Form: neben Testierverbot, Erbverbot und Schenkungsverbot auch Vermögenskonfiskation und Entzug der Geschäftsfähigkeit), sodass CTh. 16.5.40 fraglos in dieselbe Kategorie wie CTh. 16.7.4 usw. gehört. CTh. 16.5.48, ein östliches (!) Gesetz von 410, nimmt nun direkt auf CTh. 16.5.40 Bezug: Montanisten können sich finanziell belastenden Gruppenzugehörigkeiten (Dekurionat, cohortalis militia) nicht einfach dadurch entziehen, dass sie auf ihre Religion verweisen: Nec enim placet ex lege, quae in occidentalibus partibus promulgata praedictas caerimonias ita insecuta est, ut ab omni contractu eos et propemodum Romana conversatione submoverit, cohortalis militiae vel curiarum eos necessitatibus liberari, »Denn durch das Gesetz, das im westlichen Reichsteil erlassen wurde und das die vorgenannten Sekten dergestalt sanktioniert, dass es sie von jedem Verkehr und beinahe vom römischem Umgang [ab omni contractu eos et propemodum Romana conversatione] 138 abtrennt, wird nicht bestimmt, dass sie von den Ver137 Zur Formulierung ius commune, »das gemeinsame Recht«, »das Recht aller« i. S. v.

»römisches Recht« vgl. CTh. 2.1.10 von 398, Iudaei Romano et communi iure viventes in his causis, quae non tam ad superstitionem eorum, quam ad forum et leges ac iura pertinent, adeant solemni more iudicia omnesque Romanis legibus inferant et excipiant actiones: postremo sub legibus nostris sint, »Die Juden, die ja nach ›römischem und gemeinsamem‹ Recht leben, sollen sich in den Streitfällen, die nicht so sehr ihren Aberglauben, sondern vielmehr Gericht, Gesetze und Recht betreffen, auf reguläre Weise an die Gerichtshöfe wenden und alle Klagen gemäß den römischen Gesetzen einbringen bzw. sich so dagegen wehren; kurzum, sie sollen unter unseren Gesetzen stehen«. 138 Zur Formulierung vgl. Aug. ord. 2.8.25.24–26, In omni vero contractu atque conversatione cum hominibus satis est servare unum hoc vulgare proverbium: Nemini faciant, quod pati nolunt, »Aber bei jedem Verkehr und Kontakt mit Menschen reicht es, sich an diese eine Faustregel zu halten: Man solle niemandem antun, was man selbst nicht erleiden will«. Es geht hier nicht speziell um ein Kontrahierungsverbot (anders Humfress 2008, S. 135, die offensichtlich von Pharr anhängt, ohne allerdings auf ihn zu verweisen).

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pflichtungen der cohortalis militia oder der Kurien zu befreien seien«. Offensichtlich hatten also findige Montanisten argumentiert, dass, wenn sie schon nihil ex moribus, nihil ex legibus mit dem Rest gemein haben sollen, sie konsequenterweise nicht für die Kurie oder die cohortalis militia in Frage kämen (→ S. 101). Der Umfang der rechtlichen Zurücksetzung, der sich aus solchen Ausdrücken ergibt, war also offensichtlich nicht definiert. Dies bestätigen zwei Passagen mit Formulierungen dieses Typs, wo es nicht um einen Bürgerrechtsverlust, sondern um Infamie geht. Ganz eindeutig ist dies der Fall bei CTh. 16.7.5 (391, → S. 735), einem Fragment, das die Infamie über hochgestellte Apostaten verhängt, ut de loco suo statuque deiecti perpetua urantur infamia ac ne in extrema quidem vulgi ignobilis parte numerentur. Quid enim his cum hominibus potest esse commune, qui infandis et feralibus mentibus gratiam communionis exosi ab hominibus recesserunt?, »… mit der Folge, dass sie, aus ihrer Rangstellung und ihrem Status entfernt, mit ewiger Infamie gebrandmarkt und nicht einmal zur niedrigsten Schicht des einfachen Volkes gezählt werden. Was kann denn diesen mit der Menschheit gemein sein, die in frevelhaftem, verderblichem Sinne die Annehmlichkeit der Gemeinschaft [communio] hassen und sich von der Menschheit entfernt haben?«. Die Formulierung cum hominibus … commune … gratiam communionis exosi ab hominibus recesserunt soll dabei wohl eine Gleichsetzung der Gemeinschaft der Orthodoxen mit der Menschheit an sich bedeuten (→ S. 347). In jedem Fall muss klar sein, dass es hier um nichts anderes geht als um die Infamie, also nicht um ein Testierverbot und auch nicht um eine Ausweisung. Der andere Text ist CTh. 16.5.54 pr. (414, → S. 576) gegen Donatisten, se agnoscant et intestabiles et nullam potestatem alicuius ineundi habere contractus, sed perpetua inustos infamia a coetibus honestis et a conventu publico segregandos, »… sie sollen begreifen, dass sie intestabiles sind und keinerlei Möglichkeit besitzen, irgendeinen Vertrag 139 [contractus] abzuschließen. Vielmehr sind sie, mit ewiger Infamie gebrandmarkt, von den coetus honesti und dem conventus publicus auszuschließen«. Der Ausschluss von den coetus honesti ähnelt sehr einer Formulierung, die wir weiter oben besprochen haben (ab honestorum coetu iudiciorumque conspectu segregari), wo es ja ebenfalls um die Infamie ging; die coetus honesti sollte man also am besten als abstrakte Umschreibung (»aus der Zahl der Ehrbaren«) auffassen. Die Junktur conventus publicus, »öffentliche Versammlung«, erscheint so selten in den Quellen, dass sie kaum ein 139 Wir haben eben gesehen, dass contractus auch Umgang bedeuten kann; doch an der

vorliegenden Stelle, in Kombination mit inire sowie potestas, sollte das Wort seine rechtliche (und regelmäßige) Bedeutung »Vertrag« aufweisen.

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Terminus technicus sein kann. Damit wird z. B. eine Gerichtssitzung in Anwesenheit des Kaisers (Avell. 217) bezeichnet; bei zwei weiteren Belegen ist unklar, worum es genau geht, aber jedenfalls wird dort Ranginhabern besondere Ehre erwiesen (Nov. Val. 2.2 § 2; Cassiod. var. 7.37). Ausgerechnet der Beleg, der kontextuell am besten vergleichbar ist – der nämlich aus einem Gesetz stammt, das Honorius vier Jahre später, also 418, erließ (CN 350) –, steht scheinbar isoliert, denn dort sollte conventus publicus am ehesten abstrakt »Öffentlichkeit« bedeuten (vielleicht aber doch »Gerichtssitzung«, wobei dieses Verständnis zugegebenermaßen nicht naheliegt). 140 Was das Donatistengesetz angeht, dürfte es angesichts aller anderen Belege von conventus publicus und des Kontexts (infamia sowie coetus honesti) bei der nicht weiter bestimmten »öffentlichen Versammlung« um die Versammlungen der Kurie gehen (an denen der nunmehr infame Dekurio nicht mehr teilnehmen darf) oder um Gerichtssitzungen (die dem jetzt infamen Advokaten nicht mehr zugänglich sind). Es ist offensichtlich, dass eine Abgrenzung der verschiedenen Fälle, die bislang vorgestellt wurden, oft schwer (wenn nicht gar willkürlich) ist. Sehen wir uns markante Zweifelsfälle an, zunächst CTh. 16.5.9 (382, → S. 449), ein Gesetz, das sich gegen anachoretische Manichäer bzw. als manichäisch angesehene Sekten richtet: quisquis Manichaeorum … coetum bonorum fugit ac secretas turbas eligit pessimorum, »Ein jeder Manichäer, der … den Verkehr mit den anständigen Menschen meidet und die heimlichen Horden der Verworfenen vorzieht«; dort ist der coetus bonorum der Gegenbegriff zu den turbae 140 Das Gesetz richtet sich gegen Pelagianer: … iubemus corripi deductosque ad audien-

tiam publicam promiscue ab omnibus accusari, ita ut probationem convicti criminis stilus publicus insequatur, ipsis inexorati exilii deportatione damnatis. Decet enim originem vitii a conventu publico sequestrari, nec in communi eos celebritate consistere, qui non solum facto nefario detestandi, verum etiam exemplo venenati spiritus sunt cavendi, »… wir ordnen an, dass … sie ergriffen werden und, vor ein öffentliches Gericht gestellt, beliebig von jedermann angeklagt werden können, wobei ein öffentliches Urteil auf den Nachweis eines bewiesenen Verbrechens folgt. Sie selbst sollen zur Deportation eines unerbittlichen Exils verurteilt werden. Man muss nämlich den Ursprung der Schlechtigkeit aus dem conventus publicus entfernen, und nicht im allgemeinen Verkehr [in communi celebritate] dürfen diejenigen verbleiben, die nicht nur aufgrund ihres kriminellen Tuns zu hassen sind, sondern vor denen man sich auch angesichts der Ansteckungsgefahr ihres Gifthauchs hüten muss«. Es wäre am nächstliegenden, conventus publicus hier als »Öffentlichkeit« aufzufassen; aufgrund der anderen Belege könnte man indes auf die Idee kommen, es gehe weiter um die Gerichtssitzung, von der zuvor die Rede war (audientia publica, stilus publicus, wieder aufgenommen durch conventus publicus).

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pessimorum. Aber liegt der Akzent auf »volkreich« (coetus) versus »heimlich, versteckt« (secretae [!] turbae)? Oder ist coetus bonorum einfach nur »die Gruppe der Guten«, also: »die Guten«? Wie gesagt: Vermutlich ist die Unterscheidung an sich sinnlos und nicht zielführend. In CTh. 14.9.3 geht Theodosius II. gegen selbsternannte Professoren vor: ab ostentatione vulgari praecipimus amoveri, »wir ordnen an, dass sie aus der Öffentlichkeit zu entfernen sind«. Das wird dann durch zwei Maßnahmen, Infamie und Austreibung aus der Stadt, erläutert. Wenn CTh. 16.5.3 hinsichtlich manichäischer Hörer bestimmt: his quoque qui conveniunt ut infamibus atque probrosis a coetu hominum segregatis, »wobei auch diejenigen, die sich versammeln, als infames und probrosi vom Verkehr mit den Menschen zu trennen sind«, so ist es alles andere als evident, ob sich der Ausschluss auf eine Infamie-Erklärung, eine Austreibung oder beides bezieht (→ S. 380). Fassen wir zusammen. Es ist offensichtlich, dass sich die »Ausschluss«Formulierungen nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Bald ist die Trennung konkreter Natur, indem die Betroffenen körperlich weggeschafft werden, bald ist die Trennung figurativ gemeint. Die Trennung im übertragenen Sinn kann abstrakt die Lösung von jeder beliebigen Gruppe betreffen (die dann im Genetiv oder durch ein anderes Attribut angegeben wird); findet die Trennung »von allen« statt, kann sie im Ausschluss vom Testierrecht (gleich Bürgerrecht) bestehen oder in der Infamie. Dies könnte den Verdacht aufkeimen lassen, dass es sich möglicherweise zweimal um das Gleiche handelt (dass also Testierrecht und Infamie nur zwei Seiten derselben Medaille sind); das werden wir uns im nächsten Abschnitt ansehen. Abgesehen von diesem Zwischenergebnis im Rahmen unseres Interesses an den erbrechtlichen Sanktionen müssen wir noch eine viel wichtigere Beobachtung machen, die von ganz genereller Bedeutung ist: Anhand der Formulierungen vom Typ »Ausschluss aus der Gemeinschaft« lässt sich wunderbar demonstrieren, dass sich der sprachliche Bombast, mit dem spätantike Konstitutionen ausstaffiert sind, einer konkreten Deutung entziehen kann. Dieselben Formulierungen werden austauschbar für ganz unterschiedliche Sachverhalte eingesetzt. Methodisch bedeutet dies für den Rechtshistoriker, dass er derlei rhetorische Phrasen in den spätantiken Konstitutionen keinesfalls überinterpretieren darf, denn es kann sich um beliebig einsetzbares Wortgeklingel handeln, dem bei der konkreten Verwendung keine eindeutig zuschreibbare Bedeutung unterliegt.

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Die spätantike Infamie Das römische Recht kannte die Vorstellung einer juristisch relevanten Bescholtenheit. 141 Bis zum Ende der Hohen Kaiserzeit entwickelte sich daraus allerdings kein in sich geschlossenes Konzept, sondern unterschiedliche 141 Die Literatur zur Infamie ist umfangreich, vgl. Atzeri 2016, S. 123 f. Anm. 1. Die

Forschung hat dabei bislang weitgehend die Vorgeschichte und klassische Form der Infamie privilegiert. Für unsere Zwecke, d. h. für die Infamie ab dem 4. Jh. n. Chr., sind unter den vorhandenen Arbeiten insbesondere die folgenden relevant: Atzeri 2016 (sorgfältige, quellennahe Studie); Kaser 1956 (die wichtigste Arbeit zur Infamie; die S. 272–278 sind der spätantiken Situation gewidmet); Pommeray (S. 205– 267 zur Spätantike, leider praktisch wertlos – zur Illustration dieser scharfen Wertung werde ich gelegentlich Pommerays Deutungen zitieren); Taylor (kluge Diskussion; zur Spätantike im uns interessierenden Zeitraum: S. 183–196, S. 296–298; zum Ausschluss von Ehrenstellungen: S. 258–275). Unlängst erschien der ausführliche Artikel von Bond zur spätantiken Infamie. Da er in einer reputablen Zeitschrift publiziert wurde und mittlerweile in der Literatur zitiert wird (vgl. Hillner, S. 89 mit Anm. 1), ist es nötig, ein paar Worte zu dieser Arbeit zu sagen. Bereits die quellenkundlichen Grundlagen geben Anlass zur Sorge: Bond glaubt nämlich (S. 4), der Codex Theodosianus enthalte »predominantly abbreviations of classical law«. Die fachlichen Debatten antiker Rechtsgelehrter und das Zitiergesetz interpretiert sie wie folgt (S. 4): »among the imperial jurists themselves there was frequently much confusion, a fact that some emperors attempted to clarify by ranking which jurists should be adhered to first«. Ihre These ist, dass Konstantin Infame von allen Ehrenstellen ausschloss und so von den damit verbundenen munera befreite (S. 13 f. u. S. 23; tatsächlich gibt es natürlich keinen Anhaltspunkt für eine munera-Befreiung); dass dann im Jahr 380 alle Heterodoxen für infam erklärt wurden (S. 23; vgl. → S. 376; sicher falsch, zumal laut Bond, S. 2, S. 15, sogar Heiden betroffen waren; damit wäre, folgte man Bond, Symmachus als Infamer Stadtpräfekt, Nicomachus Flavianus als Infamer Prätoriumspräfekt usw. geworden …), dass sie dadurch vogelfrei wurden, d. h., dass man ihnen beliebig Gewalt antun durfte (ebenfalls sicher falsch); dass, da nun Heterodoxe infam waren und nicht mehr als Dekurionen in Frage kamen, die Kurien ausbluteten; und dass erst Justinian die Heterodoxen zurück in die Kurien brachte. All dies basiert auf zahlreichen sprachlichen wie sachlichen Missverständnissen; sie finden sich auf jeder Seite des Artikels und können hier nicht aufgezählt werden. Ein Beispiel zur Illustration von Bonds Methode, der Evidenz mit Gewalt ihre Theorie überzustülpen, soll genügen: Theophilos von Alexandreia schlägt einen Mönch und sagt dabei »Du Häretiker!«. Das nimmt Bond (S. 20) als Beleg ihres Modells: Indem Theophilos ihn durch den Ausruf angeblich formal (!) zum Häretiker erklärt, macht er ihn dadurch infam, d. h. vogelfrei, und durfte ihn deswegen schlagen! »In his eyes, he pronounced these men heretics and ergo infames. As such, their rights against torture and corporal punishments towards citizens were not applicable … Although Roman legal process dictated that a trial should have followed an accusation of heresy, Theophilus took it upon himself to act

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rechtliche Regelungen (etwa Passagen im prätorischen Edikt, leges, munizipale Rechtssetzungen) boten unterschiedliche (wenn auch oft im Wesentlichen überlappende) Listen von Personengruppen, die von der jeweiligen Beschränkung betroffen waren. Sehr bekannt ist etwa die Liste des prätorischen Edikts (D. 3.2.1), die (jedenfalls in den Digesten) eingeleitet wird mit Infamia notatur qui, »Mit Infamie gebrandmarkt ist, wer …«. Die darauf folgende Liste umfasst Personen, die aufgrund eines anrüchigen Gewerbes (Theater, Zuhälterei), unehrenhafter Entlassung aus dem Militärdienst, gerichtlicher Verurteilung wegen bestimmter Straftaten (so Diebstahl, Raub, Körperverletzung), infolge bestimmter Vertrauensbrüche im privatrechtlichen Verkehr (d. h. nach verlorenen Prozessen im Zusammenhang mit beispielsweise Auftrag, Verwahrung, Gesellschaft), unmoralischen Handlungen im Zusammenhang mit der Ehe (so bei Nichteinhaltung des Trauerjahrs, Bigamie, Doppelverlobung) sowie angesichts prozessualen Fehlverhaltens (Falschanklage oder Kollusion mit dem Angeklagten) als »infam« galten. All diese Personen waren unfähig, für andere (außer nahe Verwandte) zu »postulieren«, also Anträge an den Prätor zu stellen. Eine andere Aufzählung ebenfalls im Zusammenhang mit der Postulation nennt Personen, die gar nicht für andere (also auch nicht für nahe Verwandte) postulieren konnten. Dort finden wir etwa passive Homosexuelle, zu Kapitalstrafen Verurteilte, Tierkämpfer, aber auch Frauen und Blinde. Die Personen dieser anderen Liste (D. 3.1.1.5 f.) sind rechtlich schlechtergestellt, aber das Schlagwort »Infamie« fiel im prätorischen Edikt bei ihrer Aufzählung offenbar nicht (wohl aber in der Diskussion durch Ulpian). Wenn z. B. Prostituierte in keiner dieser beiden Listen erfasst sind, dann nur deswegen, weil das Verbot, für irgendjemanden außer sich selbst zu postulieren, ohnehin für alle Frauen galt; das soll aber natürlich nicht etwa bedeuten, dass man Prostituierte ansonsten generell als unbescholten ansah. In einer anderen »Infamie«-Liste, nämlich im Rahmen der augusteischen Ehegesetzgebung, erscheinen die Prostituierten (neben Ehebrecherinnen, Schauspielerinnen und Frauen, die in einem iudicium publicum verurteilt wurden) als ungeeignete Ehepartnerinnen für Freigeborene (Ulp. reg. 13.2, 16.2); eine Dame, die aufgrund einer Verwahrungsklage verurteilt worden war, hätte ein ingenuus also durchaus ehelichen können. Will man allgemein über die Folgen der juristisch relevanten Bescholtenheit in der Hohen Kaiserzeit schreiben, müsste man die Konsequenzen der

as a judge«. Der Leser bleibt ratlos zurück und wundert sich, wie diese AlternateHistory-Version der Spätantike das Peer Review überstehen konnte.

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verschiedenen disparaten Kataloge zusammenfassen. Das würde für unsere Zwecke zu weit gehen; doch sei festgestellt, dass – abgesehen von den bereits genannten Einschränkungen – vor allem zwei Bereiche wichtig sind: erstens der Ausschluss von gewissen prozessualen Rollen (neben dem Postulationsverbot im prätorischen Edikt finden sich Verbote, cognitor, procurator, Richter, Prozesszeuge oder Ankläger zu sein), zweitens die Unfähigkeit, gewisse Ämter und Rangstufen einnehmen zu können. In den Tabulae Heracleenses (einem epigrafisch überlieferten Stadtrecht aus republikanischer Zeit) sind genaue Bestimmungen auf städtischer Ebene überliefert (Inscr. ILS 6085, Z. 108–141). Wer eine der Voraussetzungen des beigefügten Infamiekatalogs erfüllte, konnte nicht in den Stadtrat aufgenommen werden, nicht in den Genuss der entsprechenden Privilegien gelangen und erst recht keine Ämter bekleiden. Eine beiläufige Bemerkung Kallistrats bestätigt den Zusammenhang zwischen Infamie (bei Kallistrat nicht näher definiert) und Ausschluss aus dem Stadtrat; 142 ein Papyrus mit einem Edikt Caracallas scheint einen weiteren Beleg zu bieten. 143 Hinsichtlich der Reichsämter haben wir für die Hohe Kaiserzeit leider keine ähnlich ausführliche Quelle (Kaser 1956, S. 255), aber immerhin hinsichtlich der lex Iulia de vi privata steht fest, dass eine Verurteilung nach ihr den Rangverlust mit sich brachte (Marcian. D. 48.7.1 pr.): De vi privata damnati pars tertia bonorum ex lege Iulia publicatur et cautum est, ne senator sit, ne decurio, aut ullum honorem capiat, neve in XIV ordinibus sedeat, 144 neve iudex sit: et videlicet omni honore quasi infamis ex senatus consulto carebit. Gemäß der lex Iulia wird ein Drittel des Vermögens eines Manns, der wegen vis privata verurteilt wurde, eingezogen. Ferner ist festgelegt, dass er weder Senator noch Dekurio sein kann, dass er keinerlei Ehrenamt erhält, er nicht in den

142 Call. D. 50.2.12, denique non sunt prohibiti huiusmodi homines decurionatum vel ali-

quem honorem in sua patria petere: nec enim infames sunt, »Ferner unterliegen derartige Leute keinem Verbot, die Stellung eines Dekurionen oder irgendeine Ehrenstellung in ihrer Heimatgemeinde anzustreben. Schließlich sind sie ja nicht infam.« 143 P. Oxy. 12.1406; es geht im Kontext um Ratsherren, die gegen den Vorsitzenden oder ihre Kollegen handgreiflich bzw. beleidigend wurden: ὁ μὲν βουλ[ε]υτὴς τῆς βουλείας ἀ̣ [παλλά]ξεται καὶ εἰς ἄτιμον χώραν [καταστή]σεται, »der Ratsherr wird aus dem Rat entfernt und in infame Stellung versetzt«. 144 Überliefert ist das nicht übersetzbare neve in †eum ordinem† sedeat. Cujas schlägt XIV ordinibus vor, was – angesichts der Tatsache, dass Senatoren und Dekurionen genannt sind, Ritter mithin fehlen – als Urtext richtig sein muss: Die lex Roscia Othonis und die lex Iulia theatralis reservierten die untersten vierzehn Ränge im Theater für die Ritter, in XIV ordinibus sedere ist also synonym mit »Ritter sein«.

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der hintergrund 14 Rängen sitzen darf und auch nicht Richter sein kann. Durch einen Senatsbeschluss verliert er als 145 Infamer jede Ehrenstellung.

Offensichtlich bestimmte die lex Iulia de vi privata, dass der nach ihr Verurteilte nicht mehr die genannten Ämter und Rangstufen einnehmen konnte; ein Senatsbeschluss stellte die Konsequenzen insofern klar, als dass der Verurteilte »als Infamer jede Ehrenstellung« verlor. Es kann dahingestellt bleiben, ob der letzte Satz wirklich von Markian stammt oder erst spätantik interpoliert wurde, denn uns geht es um die spätantike Situation. 146 Im Widerspruch zu dem bislang für die Hohe Kaiserzeit dargelegten Modell – nämlich, dass kein generalisiertes Infamiekonzept mit Tatbeständen und Konsequenzen existierte, sondern nur diverse unabhängige (wenn auch sich oft in vielem überschneidende) Auflistungen von Betroffenen, für die jeweils bestimmte Einschränkungen bestanden – scheinen vereinzelte Juristenstellen zu stehen. Nehmen wir Ulp. D. 47.12.1, Sepulchri violati actio infamiam irrogat, »Die Klage wegen Grabschändung zieht Infamie nach sich« – aber welcher der unterschiedlichen Infamiekataloge wird dadurch ergänzt? Kann der Grabschänder nicht postulieren oder kein Amt bekleiden oder (als Frau) nicht von einem Freigeborenen geehelicht werden (um bei unseren bisherigen Beispielen zu bleiben)? Oder welche konkreten Nachteile sind an die Bescholtenheit geknüpft, die durch Privatkonkurs und venditio bonorum entsteht (Gai. 2.154)? Sind derlei Stellen individuell zu erklären (so stammt das Ulpianzitat aus Ad edictum praetoris und sollte sich damit auf die Infamiekonsequenzen des Edikts beziehen; und vieles spricht dafür, dass es beim Konkursschuldner ebenfalls ums Postulieren geht 147), oder sind sie bereits erste Hinweise auf 145 Das juristische quasi kann sowohl die tatsächliche als auch die vermeintliche Eigen-

schaft angeben (Heumann/Seckel s. v. 3); die beste Übersetzung wäre »in seiner Eigenschaft als«. Taylor (S. 236) geht zu Unrecht davon aus, dass damit unbedingt »als wäre er« gemeint sein müsse. 146 Für weitere Digestenstellen vgl. Mod. D. 48.7.8 … hac lege tenetur et tertia parte bonorum multatur et infamis fit, »… dann fällt er unter dieses Gesetz [sc. lex Iulia de vi privata], man entzieht ihm ein Drittel seines Vermögens, und er wird infam«, sowie Macer D. 48.1.7 i. V. m. Macer D. 48.1.1. Für die spätere Situation siehe auch CTh. 9.10.4 pr., → S. 361. 147 Vgl. Taylor, S. 245: Die Darlegungen Ulpians zu den Postulationsverboten finden sich in seinem sechsten Buch zum Edikt. Nun sind seine Definition von creditores und eine Anmerkung zum Zahlungsverzug ebenfalls seinem sechsten Buch entnommen (Ulp. D. 50.16.10, 50.16.12). Folglich muss Ulpian die creditores ursprünglich im Kontext der Postulationsverbote diskutiert haben, wozu aber keine der Kategorien der Ausgeschlossenen passt, die sich in den Digesten finden. Daraus kann man mit Lenel (S. 79, nach Alibrandi) schließen, dass der Konkursschuldner einst ebenfalls

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die Verfestigung des Konzepts der Bescholtenheit zu einer generalisierten Infamie? Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass in der Spätantike ein solches festes Infamiekonzept existierte. In den spätantiken Kaiserkonstitutionen finden sich nur noch im Ausnahmefall Kataloge bescholtener Menschen, denen irgendetwas verweigert wird (so etwa bei Markian nach einem früheren Vorbild, → S. 371). Hingegen begegnet dort sehr häufig »die Infamie« als Strafe, der man (zumeist neben anderen Sanktionen) verfällt – was voraussetzt, dass das Infamsein klar festgelegte Konsequenzen hatte. Es wäre gewiss voreilig anzunehmen, alle Folgen sämtlicher Bescholtenheitskataloge von einst (die ja jeweils nur für einen begrenzten Personenkreis galten) wären über denjenigen hereingebrochen, den diese neue, generalisierte Infamie traf. Versuchen wir lieber, aus den spätantiken Texten selbst abzuleiten, welche Folgen die spätantike Infamie nach sich zog. Leider gibt es keine Passage, die darüber systematisch Auskunft gäbe – wir müssen also mit verschiedenen verstreuten Erwähnungen arbeiten. Dies werden wir im Folgenden in einiger Ausführlichkeit tun, wurden doch die erbrechtlichen Sanktionen in der Literatur wiederholt mit Infamie in Zusammenhang gebracht (dazu später mehr, → S. 386). Zunächst müssen wir feststellen, dass das, was ich eben als »die Infamie« bezeichnet habe, in den Kaiserkonstitutionen auf ganz unterschiedliche Weise ausgedrückt wird. Atzeri hat dazu einen längeren Artikel verfasst, der ausführliche Tabellen des umfangreichen und diversen Vokabulars bietet (Atzeri 2016, S. 131–139); es würde den Rahmen sprengen, all die möglichen Begriffe hier zu wiederholen, aber es sei gesagt, dass insbesondere die Wortfamilien infamia, nota und macula oft begegnen. Umgekehrt darf man ja nicht auf die Idee kommen, dass überall, wo entsprechende Wörter auftauchen, es um Infamie im technischen Sinn ginge. So sind etwa CTh. 1.16.7, 6.4.22 § 3 (a. E.) und 16.5.5 eindeutige Fälle, in denen Wörter der Wortfamilien infamis/infamare verwendet werden, dabei aber die (untechnische) Bedeutung »schamlos«/»beschämen« zugrunde liegt. 148 Dasselbe ließe sich für die anderen Wortim Edikt unter denen genannt war, die nicht postulieren durften, was aber dann bei der Digestenkompilation entfernt wurde. 148 CTh. 1.16.7, non sit venale iudicis velum, non ingressus redempti, non infame licitationibus secretarium, »der Vorhang eines Richters sei nicht käuflich, der Zutritt nicht erwerbbar, der Gerichtssaal nicht bescholten [infamis] aufgrund von Geldgeboten«; CTh. 6.4.22 § 3, …, qui … et senatus temptaverint infamare collegium et sub auctione vendiderint ius Romanum, »… diejenigen, die … es wagen sollten, das Senatskollegium zu beschämen [infamare] und römisches Recht meistbietend zu versteigern«;

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familien durchexerzieren, mit denen man das technische Konzept »Infamie« ausdrückt. Die Erkenntnis erscheint banal, und sie ist es letztlich auch. Gleichwohl ist der Hinweis durchaus wichtig, denn uns werden noch einige Fälle unterkommen, in denen Autoren reflexartig eine Infamieverhängung diagnostizieren, sobald ihnen in einem Gesetz irgendein Wort der Wortfamilie infamia ins Auge springt. Sieht man sich die Stellen zur Infamie im Codex Theodosianus und anderen kontemporären Rechtstexten durch, fällt unmittelbar auf, dass die Infamie eine Sanktion speziell für hochgestellte Persönlichkeiten ist: In der überwiegenden Zahl der Erwähnungen der Infamiestrafe kann nämlich der Tatbestand überhaupt nur von Angehörigen der Oberschicht – sehr häufig nur von Amtsträgern – erfüllt werden. 149 Dass dieser Zusammenhang zwischen Infamie und Standespersonen nicht nur scheinbar ist, zeigt ein Gesetz des Honorius von 409 (CTh. 9.36.2). Um die Bedeutung dieses Texts zu verstehen, müssen wir uns zunächst eine andere Konstitution ansehen, die knapp eine Generation zuvor erlassen worden war. Diese ältere Konstitution (CTh. 9.36.1 von 385) bedrohte Akkusatoren, die ihre Anklage binnen Jahresfrist nicht vorantrieben, mit dem Entzug eines Viertels ihres Vermögens, scilicet manente infamia, quam veteres iusserant sanctiones, »wobei es freilich auch bei der Infamie bleibt, die die alten Bestimmungen festgelegt hatten«. Tatsächlich kennen wir (wie bereits erwähnt) Bescholtenheit im Zusammenhang mit Anklagevergehen aus den Digesten: Nicht als Ankläger kann fungieren, wer unter eine der Kategorien des entsprechenden Bescholtenheitskatalogs fällt, der CTh. 16.5.5, omnesque perversae istius superstitionis magistri pariter et ministri, seu illi sacerdotali adsumptione episcoporum nomen infamant, »gleichermaßen alle Oberen und Diener dieses abartigen Unglaubens: ganz gleich, ob sie in episkopaler Anmaßung die Bezeichnung ›Bischof‹ in den Dreck ziehen [infamare] …«. 149 Beispielsweise CTh. 4.6.3 pr. (336): Standespersonen (Senatoren, perfectissimi, Stadtadel); CTh. 9.17.2 § 2 (349): iudices; CTh. 11.30.34 § 1 (364): iudex; CTh. 12.1.76 (371): wer widerspenstigen Dekurionen Unterschlupf gewährt – mithin wohl Personen, die selbst ähnlicher Sozialstellung sind; Avell. 13.10 (378/379): ein Vikar; CTh. 7.18.4 § 4 (380): rector provinciae; CTh. 12.1.85 (381): iudices und rectores; CTh. 8.4.16 § 1 (389): apparitores, die bei iudices dienen; CTh. 9.10.4 § 1 (390): iudices; CTh. 9.40.15 (392): iudices; CTh. 1.34.3 (423): iudices; Nov. Val. 1.3 § 5 (450): ein Steuerprüfer, der nicht kaiserlich bestätigt ist; CN 480 (452) und CN 489 (455): Provinzstatthalter, ihre apparitores und städtische Defensoren. Bei iudex handelt es sich um den Standardausdruck für den spätantiken Statthalter, das Wort kann aber auch andere Richter bezeichnen, vom untergeordneten Richter (DF 12 von 362) bis hin zum Prätoriumspräfekten (→ S. 163242) – um Standespersonen handelt es sich dabei freilich in jedem Fall. Vgl. als konkreten Fall die Affäre um Nikentios, → S. 366.

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neben z. B. Zuhälterei und Tierkampf eben auch Anklagevergehen aufzählt (Ulp. D. 48.2.4, Macer D. 48.2.8). Auch im Infamiekatalog beim Postulationsverbot begegneten uns Anklagevergehen (→ S. 354). Dass also Anklagevergehen aufgrund der dadurch ausgelösten Bescholtenheit des Betroffenen zu prozessualen Einschränkungen führten, war seit langer Zeit Usus; dies wird jetzt zu einer generalisierten Infamie umgedeutet und durch die Teilenteignung geschärft. So weit die ältere Konstitution. Im Jahr 409 bestimmt nun Honorius (CTh. 9.36.2), dass ein Richter berechtigte Bitten um Aufschub nicht abschlagen solle. Gleichwohl habe ein Prozess nach einem Jahr abgeschlossen zu sein, andernfalls erleide der Ankläger die poenam sibi legibus constitutam; et si persona vilior fuerit, cui damnum famae non sit iniuria, poenam patiatur exilii, »die für ihn durch die Gesetze vorgesehene Strafe; und wenn es sich bei ihm um ein rangniedrige Person handeln sollte, für die eine Beschädigung der fama keinen Schaden darstellt, soll er die Strafe des Exils erleiden«. Mit anderen Worten: Es lohnt gar nicht, einen einfachen Menschen (vilior) überhaupt für infam zu erklären, weil ihm dies ohnehin keinen Nachteil bringt! Als Gratian wohl Ende 378 einem Vikar vor Augen führen will, wohin mangelnder Gehorsam führt, schreibt er (Avell. 13.10): praeter aestimationis iniuriam, cuius apud bonos iactura non levis est, piaculum neglectae sanctionis incurres, »dich wird – neben der Beschädigung deines guten Rufs, dessen Verlust bei besseren Leuten keine Nichtigkeit darstellt – die Strafe für das Ignorieren eines Erlasses treffen«. Kurzum: Die Auswirkung der Infamie scheint dergestalt sein, dass sie nur den Hochgestellten schmerzt. Dies sollte im Umkehrschluss bedeuten, dass ranghohe Personen durch die Infamie-Erklärung ihre Standesvorteile einbüßen, was einer der früheren Infamiekonsequenzen entspricht (→ S. 355). Und in der Tat gibt es eine Reihe von Passagen in spätantiken Gesetzen, die genau dies besagen. Am deutlichsten ist dies der Fall bei der einzigen Erwähnung der Infamie im Rahmen der Apostatengesetzgebung (CTh. 16.7.5, 391, → S. 735): Si quis splendor collatus est in eos vel ingenitus dignitatis, … pereat, ut de loco suo statuque deiecti perpetua urantur infamia ac ne in extrema quidem vulgi ignobilis parte numerentur. Sofern der Glanz irgendeiner Ehrenstellung Leuten verliehen wurde oder angeboren ist, … so soll er hinfällig werden, mit der Folge, dass sie, aus ihrer Rangstellung und ihrem Status entfernt, mit ewiger Infamie gebrandmarkt und nicht einmal zur niedrigsten Schicht des einfachen Volkes gezählt werden.

Auch hier ist die Infamie eine Strafe ausschließlich für Standespersonen. Man beachte, dass es sowohl um angeborenen (splendor dignitatis ingenitus) Status

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der hintergrund

als auch um erworbenen Rang (splendor dignitatis collatus) geht und dass die Folge 150 offensichtlich der Verlust beider Arten von Vorzugsstellung ist. Schauen wir uns noch ein Gesetz von Valentinian III. vom 13. März 447 an. Es verschärft die Strafen gegen Grabschänder (in erster Linie scheint es dabei um unerwünschte Reliquienjagd zu gehen). Wir haben bereits gesehen, dass Ulpian in severischer Zeit Grabschändung mit »Infamie« in Verbindung brachte, damals ohne standesmäßige Einschränkung (→ S. 356). In Valentinians Konstitution wird zunächst Sklaven für dieses Verbrechen Folter und Hinrichtung in Aussicht gestellt. Danach folgt die Strafandrohung für Freie (Nov. Val. 23 § 4): Ingenui quoque, quos similis praesumptio reos fecerit, si fortasse plebei et nullarum fuerint facultatum, poenas morte persolvant; splendidiores autem vel dignitatibus noti bonorum suorum medietate multati perpetua notentur infamia. Auch Freie, die eine ähnliche Hybris zu Verbrechern machen sollte, büßen dafür mit dem Tod, sofern sie einfache Leute sind und kein Vermögen 151 besitzen. Hochgestellte Personen oder solche, die durch Würdenstellungen ausgezeichnet sind, werden um die Hälfte ihres Vermögens enteignet und mit ewiger Infamie gebrandmarkt.

Die althergebrachte Infamie wird jetzt auf Standespersonen beschränkt (die zudem eine Teilenteignung trifft), während einfachen Menschen der Tod droht. Erneut lässt sich beobachten, dass die Infamie überhaupt nur gegen Standespersonen verhängt wird. Ein weiteres Beispiel bietet eine Konstitution von Theodosius I. zur Frage, wie mit Statthaltern zu verfahren sei, die sich bei der Rekrutenauswahl Verfehlungen zuschulden kommen lassen (CTh. 7.13.9, 380): In his, si male se gesserint, corrigendis non mediocrem fore denuntiamus severa animadversione sententiam, cum iudices supplicium existimationis extremum et ultio inexpiabilis exceptura videatur. Wir verkünden, dass bei der Bestrafung derjenigen, die sich schändlich verhalten sollten, das Urteil bei strenger Ahndung nicht milde sein wird, insofern Statthalter künftig die äußerste Ehrenstrafe und eine unsühnbare Rache trifft.

150 Man könnte einwenden, dass bei einem wörtlichen Verständnis der Passage die In-

famie Folge des Rangverlusts ist, nicht umgekehrt; aber bei sämtlichen anderen Belegen ist das Verhältnis eindeutig andersherum, und mit unpräzisen Formulierungen ist in Kaiserkonstitutionen stets zu rechnen. 151 Die Erwähnung des Vermögens überrascht; diese Stelle scheint insofern singulär zu sein, als sie offenbar ohne Weiteres Reichtum und hohe Sozialstellung gleichsetzt.

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Trotz des Hinrichtungsvokabulars – animadversio, supplicium extremum, ultio inexpiabilis (vgl. CTh. 16.5.9 § 1) – ist dank existimatio klar, dass es nur um Infamie geht, was, wie wir aus zahlreichen weiteren Gesetzen wissen, eine häufige Ahndung von Statthaltervergehen ist (→ S. 373). Zugrunde liegt abermals die Vorstellung, dass die Infamie für eine Standesperson der Todesstrafe für einen Normalmenschen entspricht. Drei weitere Konstitutionen, die von Theodosius I. bzw. unmittelbar nach seinem Tod von seinen Söhnen erlassen wurden, bestätigen unseren bisherigen Befund. Die erste Stelle handelt von Frauen, die sich vor Ablauf des Trauerjahres wiederverheiraten (CTh. 3.8.1 von 381). Wenn eine Witwe solches tut, probrosis inusta notis honestioris nobilisque personae et decore et iure privetur, atque omnia, quae de prioris mariti bonis vel iure sponsaliorum vel iudicio defuncti coniugis consecuta fuerat, amittat, »gebrandmarkt mit Schandmalen, soll ihr der Schmuck und die Rechtsstellung einer ehrbaren [honestior] und edlen Person geraubt werden, und alles, was sie aus dem Vermögen ihres vorherigen Mannes durch die Verlobung oder durch das Testament ihres verstorbenen Ehemannes erlangt hatte, soll sie verlieren«. Die Wiederverheiratung ohne Einhaltung der Trauerzeit begegnete im Infamiekatalog des Postulationsverbots und war anscheinend auch andernorts Ursache von Bescholtenheit. 152 Die Infamie wird hier allerdings nicht nur mechanisch aus den alten Regelungen wiederholt, sondern zusätzlich mit dem aktuellen Gehalt erklärt – genau wie es bei der Honorius-Konstitution zu Anklagevergehen der Fall war. Die zweite Passage steht in einem Gesetz des Theodosius, das von Sklaven verübte Gewalttaten zum Thema hat. Sollten die Sklaven im Auftrag ihrer Eigentümer gehandelt haben, so ist wie folgt zu verfahren (CTh. 9.10.4 pr. von 390): 153 152 Im prätorischen Edikt (D. 3.2.1, → S. 354) erscheint die verfrühte Wiederheirat im

Kontext der Infamie, doch dort trifft das Postulationsverbot denjenigen, der die Gewalt über die Frau hat (also nicht die Frau selbst, die ja sowieso nicht für andere postulieren darf). Doch bereits in einem Reskript Gordians III. von 239 findet sich die Behauptung, auch die Frau selbst werde durch das prätorische Edikt infam (CI. 2.11.15). Genauso eine Konstitution von 380 (CI. 5.9.1/CI. 6.56.4, → S. 299), nach der eine verfrühte Wiederheirat ebenfalls die Frauen selbst infam machte: Si qua mulier nequaquam luctus religionem priori viro nuptiarum festinatione praestiterit, ex iure quidem notissimo sit infamis, »Wenn eine Frau durch eine übereilte [Wieder-] Heirat ihrem vorherigen Mann den Respekt der Trauerzeit gänzlich versagt, sei sie gemäß allseits bekanntem Recht infam« (das ist die Formulierung von CI. 5.9.1 pr., für den leicht abweichenden Text von CI. 6.56.4 pr. → S. 300). 153 Vgl. dazu auch Pottier, S. 208–210, dessen Schlussfolgerungen allerdings wenig plausibel erscheinen.

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der hintergrund Quod si illi metu atque exhortatione dominorum violentiam admiserint, palam est secundum legem Iuliam dominum infamem pronuntiandum loci aut originis propriae dignitate non uti, servos vero, quos furoribus talium paruisse constiterit, metallis per sententiam dedi. Viles autem infamesque personae et hi, qui bis aut saepius violentiam perpetrasse convincentur, constitutionum divalium poena teneantur. Wenn sie [die Sklaven] aber die Gewalttat aus Furcht vor ihren Herren und auf deren Aufforderung hin verübten, so versteht sich, dass der Herr, der gemäß der lex Iulia für infam zu erklären ist, die Würde seines Rangs beziehungsweise seiner Herkunft nicht besitzen darf, die Sklaven aber, die nachweislich dem Irrsinn solcher Menschen gehorcht haben, infolge des Urteils ins Bergwerk zu stecken sind. Einfache und infame Personen sowie diejenigen, die man überführt, zwei- oder mehrfach eine Gewalttat verübt zu haben, verfallen der Strafe der kaiserlichen Konstitutionen.

Der anstiftende Herr wird also (angeblich) aufgrund einer lex Iulia infam und darf infolgedessen seine angeborenen und erworbenen Würden nicht mehr ausüben beziehungsweise verliert sie (wenn man non uti so verstehen darf). Die genannte lex ist die bereits erwähnte lex Iulia de vi privata (→ S. 355), nach der ein hochgestellter Gewalttäter seinen Rang verlor. 154 Ist der Herr eine einfache Person (vilis) oder infam – etwa ein eigentlich Ranghoher, der dies aber nicht mehr ist – oder wird nachgewiesen, dass nicht nur eine Gewalttat, sondern gleich mehrere auf diese Weise verübt wurden, dann trifft ihn die Todesstrafe. 155 Mit anderen Worten: Für ein eigentlich todeswürdiges Verbrechen wird der hochgestellte Anstifter nur infam (man vergleiche die Konstitution von Valentinian III. gegen Reliquiensammler, → S. 360), was aber bei einer erneuten Verurteilung schwerste Konsequenzen nach sich zöge. Ist er gar für mehrere Gewalttaten verantwortlich, trifft ihn doch sofort der Tod: Er überspringt sozusagen die erste Strafe der Infamie, stattdessen ereilt ihn unmittelbar die Sanktion, die dem bereits Infamierten gedroht hätte – die Hinrichtung. Die dritte Regelung – wenige Monate nach dem Tod von Theodosius I. erlassen – liegt uns in zwei Fassungen vor. Sie handeln vom Umgang mit Personen, die unter dem Usurpator Eugenius Karriere gemacht hatten. Die beiden Texte sind an unterschiedliche Empfänger, Stadtpräfekt und Prätoriumspräfekt, gerichtet und wurden nach den überlieferten Daten am 18. Mai bzw. 154 Das Wort infamia (o. ä.) scheint in dieser lex selbst nicht verwendet worden zu sein,

das »infam erklären gemäß der lex Iulia« ist also wohl Verkürzung für »infam erklären gemäß dem zur lex Iulia ergangenen Senatsbeschluss«. 155 Das ist die constitutionum divalium poena, wie ein Blick in CTh. 9.10.1 f., die ersten beiden Konstitutionen des Titels Ad legem Iuliam de vi publica et privata, zeigt.

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17. Juni abgeschickt. Seeck 156 hält sie für zwei Ausfertigungen desselben Gesetzes und datiert sie – auch aufgrund der im lateinischen Original bis auf einen Buchstaben identischen Datumsangabe – auf denselben Tag um; angesichts der abweichenden sprachlichen Gestalt kann man aber nicht ausschließen, dass die überlieferten Daten richtig sind, dass also eine separate Bestätigung einen Monat später erging. Zunächst CTh. 15.14.11: Fas est sequi Nos paternae dispositionis arbitrium adque ideo universos cuiuslibet ordinis viros, de quibus lex Nostra reticuerat, ad veniam volumus pertinere et beneficia inopinantibus ultro deferimus, sancientes hac lege, ne is, qui tyranni tempore militavit vel etiam qualibet administratione donatus est aut honoraria dignitate perfunctus vel quicumque in aliquo honore diversis locis aut exactionibus praefuerunt, notam infamiae sustineant, aut deformi vocabulo polluantur. Quibus eas tantum dignitates valere decernimus, quas ante tyrannicum tempus habuerunt. Es gehört sich, dass Wir dem Ratschluss der Verfügung unseres Vaters folgen. Deswegen bestimmen wir, dass alle Männer jedweden Rangs, über die Unser Gesetz geschwiegen hatte, Anteil an der Amnestie haben sollen. Darüber hinaus gewähren wir ihnen wider deren Erwarten eine Gunst: Wir bestimmen mit dem vorliegenden Gesetz, dass niemand, der zur Zeit des Tyrannen [Eugenius] im Staatsdienst war oder gar irgendein Amt innehatte, einen Rang ehrenhalber besaß oder in irgendeiner Stellung Orte oder Steuereintreibungen leitete [d. h., eine städtische Ehrenstellung bekleidete], die Schande der Infamie ertragen solle oder mit einem hässlichen Wort 157 besudelt sei. Allerdings verfügen wir, dass bei solchen Leuten nur diejenigen Würdenstellungen gelten sollen, die sie [bereits] vor der Tyrannenzeit hatten.

Und CTh. 15.14.12: His, quos tyrannici temporis labes specie dignitatis infecerat, inustae maculae omnem abolemus infamiam. Cunctis igitur statum priorem sine cuiusquam loci aut ordinis exceptione tribuimus, ut utantur omnes iure communi, teneant statum veteris dignitatis, ita ut nihil sibi ex his quos adepti fuerant honoribus blandiantur. All denjenigen, die die Pest der Tyrannenzeit mit einer Pseudowürdenstellung besudelt hatte, entfernen wir das eingebrannte Schandmal jeder Infamie. 158 Wir 156 Das überlieferte Datum für CTh. 15.14.11 ist XV kal. Iun. Mediolano Olybrio et Pro-

bino conss., für CTh. 15.14.12 dagegen XV kal. Iul. Mediolano Olybrio et Probino conss. Es ist fraglos verführerisch, Iun. in Iul. oder Iul. in Iun. zu ändern (Seeck, S. 100 f., wählt die zweite Alternative). Für vergleichbare Fälle vgl. Seeck, S. 100, Z. 37 f. 157 Die Formulierung ist einzigartig. Es dürfte sich bei diesem »hässlichen Wort« um »Infamie« handeln, vgl. CTh. 9.40.15, wo sowohl deformis als auch deformatus in Zusammenhang mit Infamie erscheinen. Die »Schande der Infamie erleiden« und »mit einem hässlichen Wort besudelt werden« meint demnach das Gleiche. 158 Man beachte die gewagte Enallage im lateinischen Original.

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der hintergrund geben also allen – ohne jedwede Ausnahme von Rang und Stand – ihren früheren Status zurück, sodass sie sämtlich Anteil am gemeinsamen Recht [ius commune] haben und den Rang der früheren Würdenstellung führen, sich aber keiner der Würdenstellungen, die sie [unter Eugenius] erlangt hatten, schmeicheln können.

Personen, die vom Usurpator in eine höhere Rangstellung befördert worden waren, verloren diese also nun wieder und fielen zu ihrer vorherigen Position zurück. Dies ist insofern bemerkenswert, da es ja durchaus auch vorstellbar gewesen wäre, dass derlei Profiteure jegliche Rangstellung verloren hätten. Das schließt der Kaiser explizit aus, indem er formuliert, dass das Schandmal ihrer Infamie (die offensichtlich kurze Zeit für sie galt) entfernt werde. Für den Verfasser der Konstitution sind Infamie und der Verlust aller Ämter und Würden synonym. Halten wir als Zwischenergebnis fest: Die wesentliche Auswirkung der spätantiken Infamie war nach Ausweis aller bisher analysierten Stellen die Degradierung von Standespersonen, die dadurch anscheinend jede sowohl angeborene als auch per Amt erworbene Ehrenstellung verloren. 159 Metaphorisch entspricht dies dem Tod der Standesperson, die durch dieses »Sterben« zum Normalmenschen wird. So kommt es, dass die Infamie für Standesper159 Zwei weitere Belege, die allerdings aus den Germanenrechten stammen und deswe-

gen weniger beweiskräftig sind, möchte ich in dieser Fußnote hinzufügen. Zur Vorbereitung der ersten der beiden Stellen sei Paul. sent. 5.20.6 zitiert: Qui noctu frugiferas arbores manu facta ceciderint, … honestiores damnum sarcire coguntur vel curia submoventur vel relegantur, »Wer nachts Obstbäume mit der Hand fällt, … muss als honestior den Schaden ersetzen und wird aus dem Stadtrat entfernt oder relegiert«. In der Lex Romana Burgundionum (Lex Burg. Rom. 18.5) findet sich nun folgende sehr ähnliche Bestimmung: Quod si fructiferas arbores nocturnis aut diurnis horis quolibet tempore ingenuus abscidisse probatur, infamis effectus damnum aestimatione iudicis sarcire cogatur. Quod si vilior persona fuerit, …, »Wenn aber ein Freier erwiesenermaßen nachts oder tags (ganz gleich, zu welcher Zeit) Obstbäume gefällt hat, so wird er infam und muss den Schaden nach Ermessen des Richters ersetzen. Wenn es sich aber um einen vilior handelt, …«. Die Strafe für Standespersonen, die in den Pauli sententiae noch als curia submovere beschrieben wurde, heißt in der burgundischen Überarbeitung einfach nur infamis effectus. Zweitens formuliert der Vandalenkönig Hunerich in seinem antikatholischen Edikt von 484 (→ S. 797), die katholischen Kaiser hätten sich folgendermaßen gegen häretische Personen verhalten (Vict. Vit. 3.9): ita ut etiam, qui suis palatiis militarent, condemnationi gravissimae pro dignitatis merito facerent subiectos, ut omni honoris privilegio expoliati infamiam incurrerent, »wobei sie auch diejenigen, die für ihre Paläste Dienst taten, dem angesichts ihres Rangs schwersten Urteil unterwarfen, sodass sie – jedem Privileg einer Ehrenstellung entkleidet – die Infamie traf«.

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sonen immer wieder der Todesstrafe für Normalmenschen entspricht; oder dass eine Standesperson, die sozusagen doppelt den Tod verdient hat (wegen zweifacher Gewalttat), dann letztlich doch hingerichtet wird. Die Degradierung der Standesperson wirkt sich also nicht nur verheerend auf das allgemeine soziale Leben des Betroffenen aus, sondern im Speziellen auch auf die Konsequenzen weiterer Verfehlungen. Nun war seit dem 2. Jahrhundert die Unterscheidung zwischen honestiores und humiliores strafrechtlich von größter Bedeutung, 160 eine Distinktion, die auch in der Spätantike ihre Bedeutung nicht verloren hatte, 161 obgleich sich die Begriffe selbst nicht allzu oft belegen lassen und man wohl besser mit honesti/viles operieren sollte. Wer durch Infamie alle honores verliert, kann nicht mehr zur privilegierten Gruppe der honesti gehören; auch zeigen die Passagen, wonach der infamierte Ranginhaber wie ein vilis zu bestrafen sei, dass der Betroffene tatsächlich mit den viles nunmehr auf einer Ebene steht. Genau diese Degradierung halte ich für den wesentlichen Gehalt der spätantiken Infamie. 162 Zu den honesti gehörten neben Reichs- und Stadtadel (also Senatoren und Dekurionen) vor allem die Anwälte und die Angehörigen der militia, ferner anscheinend auch (bestimmte?) Ärzte, Professoren und Kleriker (Jones, S. 519). Ein honestus war vor Körperstrafen geschützt, und dies selbst dann, wenn es sich um einen innerhalb der Gruppe der honesti Niedriggestellten handelte, 160 Die grundlegende Studie ist Cardascia, die Habilitation von Rilinger zu diesem

Thema ist hingegen aufgrund von Schwächen in der Quellen- und Literaturverwertung (vgl. die nächste Fußnote) nur mit gewisser Skepsis heranzuziehen. 161 Eine Studie zur strafrechtlichen Privilegierung von Ranginhabern in der Spätantike fehlt. Wenn Rilinger (S. 22) behauptet: »Seitdem [1955] wird nicht mehr ernsthaft vertreten, daß die humiliores/honestiores-Unterscheidung für das spätantike Strafrecht relevant sei«, dann hat er nicht nur zahlreiche Quellenbelege, sondern auch so grundlegende Handbuchliteratur wie Jones (S. 519, S. 749 f., u. insb. III, S. 240 Anm. 88, mit einer Zusammenstellung einschlägiger Quellen) übersehen. Vgl. auch Demandt (S. 325), dessen Spätantike-Handbuch in der ersten Auflage (von 1989; dort: S. 273) zwar erst kurz nach Rilingers Habilitation veröffentlicht wurde, aber das gleichwohl zeigt, dass die Communis Opinio in den späten 1980ern anders war, als Rilinger behauptet. 162 Anhand der vorhandenen Quellen ist es unentscheidbar, ob die Infamierten technisch zu viles wurden oder man sie – als eigene Kategorie – lediglich »wie solche« behandelte. Für die erste Variante ließe sich z. B. CTh. 16.7.5, splendor …, pereat, ut de loco suo statuque deiecti perpetua urantur infamia, anführen, für die zweite Variante z. B. CTh. 9.10.4 pr., dominum infamem pronuntiandum loci aut originis propriae dignitate non uti. Wahrscheinlich machte man sich in der Spätantike nicht viel Gedanken um derlei technische Details.

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etwa das Mitglied einer Kurie oder der Anwaltschaft. Dass dies auch in den 420er Jahren noch selbstverständlich der Fall war, zeigt ein Brief des Augustin: Ein honestus hatte eine Nonne geraubt und war dafür von Klerikern verprügelt worden, wogegen sich der honestus rechtlich zur Wehr setzte (Aug. epist. Divj. 9.2): Si autem honores movent, quos quisque gerit vel gessit in saeculo, nec ipsos nobis licet in peccatis talibus cuiquam minuere vel auferre, ut per huiusmodi poenam malefaciendi licentia comprimatur in eis, quos vincire seu verberare non possis. Quamquam si, cum honorem vel curiae vel fori habent, quam videtur habere iste de quo agitur, … Wenn aber die säkularen Ehrenstellungen, die einer innehat oder -hatte, in die Quere kommen, haben wir bei derartigen Verfehlungen nicht die Möglichkeit, sie jemandem zu beschneiden oder ganz wegzunehmen, um durch eine derartige Strafe die Lizenz zum kriminellen Handeln bei denen zu bekämpfen, die man weder in Fesseln legen noch verprügeln darf. Andererseits: Wenn Leute, die die Ehre der Kurie oder des Forums innehaben (die offenbar derjenige innehat, um den es hier geht), …

Inhaltlich noch bemerkenswerter ist Brief 21 des Libanios, denn dort handelt es sich um das Beispiel einer tatsächlich drohenden Infamie. Diesen Brief richtet der Rhetor im Jahr 358 an Aristainet, der in just diesem Jahr das Amt eines Vikars angetreten hatte und immer noch im selben Jahr bei einem Erdbeben umkommen sollte. Libanios setzt sich bei ihm für einen gewissen Nikentios ein, einen abberufenen Statthalter Syriens. Da eine Nachschublieferung nicht zu einem Außenposten gelangt war, hatte der zuständige Prätoriumspräfekt dem Nikentios eine Amtsstrafe auferlegt; Libanios erklärt die Situation – nämlich dass den ausgebliebenen Nachschub angeblich gar nicht Nikentios, sondern vielmehr der Statthalter von Euphratensis zu verantworten habe – und bittet den Aristainet darum, sich für einen Erlass der Strafe des Nikentios einzusetzen. Die für uns relevante Passage lautet (Liban. epist. 21.3 f.): 163 Νικέντιον γὰρ … εὐφημίας ἐλπίζοντα περιέστηκε ζημία λυποῦσα μὲν καὶ τῇ βλάβῃ, πένης γὰρ ἡμῖν ἐπὶ τοσαύταις ἀρχαῖς ὁ Νικέντιος, ἔχουσα δέ τι πικρό-

163 Die Stelle wird von Slootjes, S. 96 mit Anm. 64, behandelt, aber missverstanden. Sie

glaubt, das strafwürdige Verbrechen des Statthalters bestehe darin, dass er sich Akklamationen erwartet hätte! Und die Kallinikos-Affäre sei eine separate Angelegenheit, die schließlich zu seiner Entlassung führte. Auch erkennt sie nicht, dass es hier technisch um Infamie geht.

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τερον τῆς βλάβης τὴν ἀδοξίαν. ἡ γὰρ καταδίκη ζημία τίς ἐστι κατεγνωκυῖα κακίαν.

Den Nikentios, der … [angesichts seiner fabelhaften Amtsführung eigentlich] auf Ehrungen hoffte, traf eine Geldstrafe. Diese ist schon angesichts des finanziellen Schadens schmerzhaft – Nikentios ist nämlich trotz seiner zahlreichen Amtsposten ein armer Mann geblieben! –, bringt aber zumal etwas Schlimmeres als den finanziellen Verlust mit sich: die Infamie. Denn dieses Urteil ist eine Strafe, die zu Infamie führt.

Libanios (und damit sein hilfesuchender Freund, der betroffene Nikentios) ist also vor allem angesichts der drohenden Infamie, weniger hinsichtlich der Geldstrafe, 164 alarmiert. 165 Wie die Geschichte genau ausging, wissen wir nicht; doch in einem Brief (epist. 193), den Libanios zwei Jahre nach der Affäre an Nikentios schreibt, setzt der Rhetor voraus, dass der Ex-Statthalter für weitere hohe Ämter in Frage kommt (sodass ihn folglich die Infamie nicht ereilt haben kann). Tatsächlich traf die Infamie hingegen Sabinos, einen angeheirateten Verwandten des Libanios, den dieser als großen Schurken (und verhinderten Erbschleicher) charakterisiert (or. 1.190–194, 1.261). Nach einem Prozess, in dem Sabinos einen aufgenommenen Kredit leugnete und die Rückzahlung verweigerte, entschied Kaiser Theodosius brieflich, dass ἄτιμόν τε αὐτὸν εἶναι 164 Leider nennt Libanios nirgendwo die Höhe der Strafe; ein typischer Wert wären bei-

spielsweise zehn Pfund Gold. Die Strafe kann freilich nicht absurd hoch gewesen sein, weil Libanios sie nur als schmerzhaft und als zweitrangig gegenüber der Infamie ansieht. Auch sagt er später (epist. 21.9), dass der Prätoriumspräfekt das Geld ja immer noch eintreiben kann, aber bitte vom Richtigen, d. h. vom Statthalter der Euphratensis – das setzt voraus, dass der Betrag den Möglichkeiten der Oberschicht entsprechend bemessen war. 165 Vgl. auch CTh. 1.32.3 § 1 von 377: Quod si tantulum aliquid repperietur etiam per eum, qui decedit, fuisse dilatum, specie honoris exactus exauctoratusque omni pristina dignitate verberum supplicia digna et pro moribus tormenta sustineat, eo usque deformia et pudenda passurus, donec omnis integritas largitionum Nostrarum conditis inferatur, »Sollte sich aber erweisen, dass vom scheidenden [kaiserlichen Finanzbeamten] auch nur ein kleines bisschen [Geld] beiseitegeschafft wurde, soll er jeden Anscheins von Ehrenstellung entkleidet und jeder alten Würde beraubt angemessene Prügelstrafen und seinem Gebaren entsprechende Folterungen erleiden. Er soll solange scheußliche und schmachvolle Strafen erdulden, bis die vollständige Summe dem Bestand Unserer Kasse zugeführt ist«. Atzeri (2016, S. 145) verweist zu Recht darauf, dass kaiserliche Finanzbeamte als Würdenträger (vgl. Jones, S. 413 f., S. 519) eigentlich vor Folter sicher waren; die Sanktion drückt sie zu viles herab. Man versteht gut, warum die Infamie Libanios und Nikentios bedrohlicher als die Geldstrafe erschien.

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καὶ ἀποτῖσαι διπλάσιον, »er [d. h. Sabinos] infam sei und das Doppelte zahlen

müsse« (or. 1.193), eine Bestrafung, die Libanios schlimmer als der Tod selbst erschien. 166 Später (or. 1.261) beschreibt Libanios den nunmehr infamen Sabinos folgendermaßen: ἐξεβέβλητο δὲ καὶ Σαβῖνος οὐ πόλεώς τινος, ἀλλ’ αὐτοῦ τοῦ ζῆν, »Sabinos war nicht aus irgendeiner Stadt, sondern aus dem Leben selbst ausgestoßen«. Wenn nun aber meine Vorstellung einer spätantiken generalisierten Infamie zutrifft, die im Wesentlichen der Degradierung vom honestus zum vilis entspricht, so stellen sich unmittelbar eine Reihe von Fragen: Ist jede Degradierung ein Fall von Infamie (mit anderen Worten: ist Infamie eine Variante der Degradierung, oder aber die Degradierung schlechthin)? Ab wann ist mit dieser Situation zu rechnen? Für welche Tatbestände gilt diese generalisierte Infamie? Welche weiteren Folgen (abgesehen vom Rangverlust) gelten für die Infamierten? Versuchen wir, diese Fragen der Reihe nach zu beantworten. Wir haben oben gesehen, dass Wörter der Wortfamilie infamia usw. nicht unbedingt bedeuten müssen, dass es technisch um »Infamie« geht. Umgekehrt finden sich Gesetze, die den vollständigen Rangverlust androhen, dabei aber kein Infamievokabular verwenden. Ein gutes Beispiel ist CTh. 9.27.1 von 380: Iudices, qui se furtis et sceleribus fuerint maculasse convicti, ablatis codicillorum insignibus et honore exuti inter pessimos quosque et plebeios habeantur. Nec sibi posthac de eo honore blandiantur, quo se ipsi indignos iudicaverunt, »Statthalter, die sich nachweislich mit Diebstahl und Verbrechen besudelt haben, sollen nach Wegnahme ihrer durch die Ernennungsurkunde verliehenen Rangabzeichen und Verlust ihrer Stellung als besonders schlechte und niedrige Leute angesehen werden. Sie sollen sich fürderhin nicht der Ehrenstellung rühmen, zu deren Unwürdigkeit sie sich selbst verurteilt haben«. Man vermisst infamia, notare o. ä. (zwar kommt maculare vor, aber nicht als Bestrafung, sondern als Handlung der Täter!). Allerdings findet sich diese Konstitution im Titel zur lex Iulia repetundarum, die – wegen des iudicium publicum – nach spätantiker Auffassung zu Infamie führte (Macer D. 48.1.7 i. V. m. Macer D. 48.1.1). Insofern muss also Infamie im technischen Sinn vorgelegen haben, ohne aber, dass dies expressis verbis so gesagt wird – man drückt dies nur über die Sanktion 166 Liban. or. 1.192, οὐκοῦν οἷς ὀφείλει δίκην μείζω δέδωκε νῦν ἢ εἰ ἐτεθνήκει. δεινότερον γὰρ παρά γε ὀρθῷ κριτῇ ἢ μηκέτ’ εἶναι ζῆν ἐν ὀνείδεσιν, »So verschaffte er

nunmehr seinen Opfern mehr Genugtuung als durch seinen Tod. Denn zumindest für einen vernünftig denkenden Menschen ist ein Leben in Infamie schlimmer als der Tod«. Bei der Textgestaltung folge ich dem sanften Eingriff Festugières (Transposition von ἢ) statt der weiterreichenden Korrektur Försters (ποθεινότερον statt des überlieferten δεινότερον); inhaltlich ergibt sich ohnehin kein Unterschied.

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aus. In diesem Fall haben wir es also doch wieder mit einer durch Infamie ausgelösten Degradierung zu tun. Andererseits gilt: Wenn eine Degradierung verhängt wird und uns ein eindeutiger Beleg fehlt, dass es sich um einen Fall von Infamie handeln muss (vgl. etwa CTh. 9.2.1 oder CTh. 9.9.1 § 2), bleibt die Frage, ob Degradierung und Infamie eins zu eins deckungsgleich sind, unentscheidbar. Da trotz der Vielzahl der Quellen ein umgekehrter Beleg fehlt (also der Fall, dass jemand erwiesenermaßen ohne Infamierung zum vilis degradiert wird), würde ich eher vermuten, dass Infamie und Degradierung zum vilis in der Tat gleichbedeutend sind. Kommen wir zur Datierung. Da die generalisierte Infamie den honestus zum vilis macht, muss sie in den Zeitabschnitt gehören, in der diese Unterscheidung wichtig wird, d. h. in die Zeit nach der constitutio Antoniniana, durch die die zuvor entscheidende Distinktion Bürger/Nichtbürger ihre Bedeutung einbüßte. Dass wir bei den severischen Juristen gelegentlich eine allgemein gebrauchte »Infamie« finden, mag bereits auf diese Entwicklung verweisen. Eine Entscheidung von 260 scheint jedenfalls die generalisierte Infamie (freilich unbekannten Gehalts) vorauszusetzen (CI. 5.42.2 pr.): Ein Vormund, der eine durch taugliche Bürgen gesicherte Kaution (satisdatio) nicht leistet, ist abzuberufen, si inopia hoc faciat, sine infamia, si fraude, etiam cum nota, »wenn er dies [das Nichtleisten der Sicherheit] aus Mittellosigkeit 167 tut, ohne Infamie; wenn in betrügerischer Absicht, mit zusätzlicher Infamie«. Ab dem frühen 4. Jahrhundert ist die Situation eindeutig. Zwei Konstitutionen aus dieser Zeit, von Diokletian beziehungsweise Konstantin, zeigen, dass dann Infamie automatisch Rangverlust bedeutete. Der erste Text stammt von Diokletian und ist das einzige Fragment im Codex-Iustinianus-Titel De infamibus (CI. 10.59): Infames personae, licet nullis honoribus, qui integrae dignitatis hominibus deferri solent, uti possunt, curialium tamen vel civilium munerum vacationem non habent: sed et sollemnibus indictionibus ob tutelam publicam eos satisfacere necesse est. Zwar können infame Personen keine der Ehrenstellungen, die man Menschen unbeschädigter Ehre für gewöhnlich anträgt, innehaben, doch gleichwohl sind sie nicht freigestellt von den Pflichten, die Mitglieder eines Stadtrats oder einer Stadtgemeinde treffen. So müssen sie zum Erhalt der Stadtgemeinde auch die regelmäßigen Steuern bezahlen.

167 Offenbar bedeutet dies, dass der abzuberufende Vormund derart arm ist, dass er

schuldlos keine geeignete Person beibringen kann, die die notwendige Bürgschaftsstipulation für ihn leisten würde.

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Die zweite Konstitution, diese nun von Konstantin (CI. 12.1.2, zwischen 313 und 315), findet sich im Codex-Iustinianus-Titel De dignitatibus, in dem es sonst um clarissimi und höhere senatorische Rangstufen geht. Doch ob mit dignitas in unserem Text wirklich nur der Senatorenstand gemeint ist, ist keineswegs sicher: 168 Neque famosis et notatis et quos scelus aut vitae turpitudo inquinat et quos infamia ab honestorum coetu segregat, dignitatis portae patebunt. Die Tore zu einer dignitas sollen nicht offen stehen für: famosi, notati, solche, die ein Verbrechen oder die Anrüchigkeit ihrer Lebensweise beschmutzt, sowie solche, die die infamia von der Zahl der honesti trennt.

Die Aufzählung der ausgeschlossenen Gruppen scheint nicht getrennte Kategorien aufzulisten, sondern schlichtweg Personen zu meinen, die in irgendeiner Weise anrüchig waren. Man darf vielleicht vermuten, dass eine solche Aufzählung nur zu einem Zeitpunkt geboten war, als es noch kein vollkommen verfestigtes Konzept von Infamie gab (und man daher vorsichtshalber Verbrecher, Menschen zweifelhafter Lebensweise und andere Bescholtene separat aufzuführen hatte). Für welche Tatbestände gilt diese neue, generalisierte Infamie? In den hier diskutierten spätantiken Gesetzen war die Verhängung der Infamie zumeist ein Relikt aus verschiedenen früheren Infamiekatalogen, so im Fall der verfrühten Wiederheirat, der Grabschändung, des Anklagevergehens, der Gewalttat; andererseits ist sie uns auch als eine von den alten Infamielisten losgelöste, unabhängige Strafe begegnet (so bei den ranghohen Apostaten oder den Eugenius-Profiteuren). Ohne abgezählt zu haben, scheinen mir die meisten Codex-Theodosianus-Belege in diese zweite Kategorie zu gehören. Vielleicht darf man sich die Entstehung der generalisierten Infamie so vorstellen, dass man im späteren 3. Jahrhundert auf die Idee verfiel, dass, wer ehrlos ist, nicht honestus sein kann (was ja der Wortsinn unmittelbar nahelegt); »Ehrlosigkeit« ergab sich aus allen vorhandenen Infamiekatalogen (man vergleiche das zitierte Konstantin-Fragment). Dann aber – so scheint es – wurde »Infamie« der technische Begriff für »Rangverlust«. So lag es nahe, die Infamie von allen bisherigen Tatbeständen losgelöst als Sanktion für sämtliche kriminellen

168 Vgl. etwa die Titel CTh. 6.37, De equestri dignitate, und CTh. 6.38, De perfectissimatus

dignitate, wo dignitas zum Zeitpunkt der Kompilation im Zusammenhang mit Rittern gebraucht wird. In CTh. 15.14.11 f. (395, → S. 363) bezeichnet dignitates alle Arten erworbener Ehrenstellungen. Es scheint keine fixe Bedeutung von dignitas zu geben.

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Akte zu verwenden, die so massiv waren, dass ein schuldiger Ranginhaber auf den Status eines einfachen Menschen herabzudrücken war. War der Statusverlust die einzige Folge der spätantiken Infamie? Das nicht – aber als explizit belegt sehe ich nur eine einzige andere Konsequenz, nämlich die Klagemöglichkeit wegen inofficiosum testamentum (wonach sehr enge Verwandte, typischerweise Abkömmlinge, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen klagen konnten, sofern ihnen testamentarisch weniger als ein Viertel des Anteils zugewandt worden war, den sie intestat erhalten hätten, vgl. → S. 754), und dies in einer sehr speziellen Konstellation: Nach einer Konstitution von 319 (CTh. 2.19.1) darf nur ein Bruder bzw. ein Halbbruder, der mit dem Verstorbenen denselben Vater teilt, die Klage wegen inofficiosum testamentum erheben (Halbbrüdern mütterlicherseits steht sie also gar nicht offen); und auch der Bruder bzw. vaterblütige Halbbruder darf sie nur erheben gegen heredes, quibus inustas constiterit esse notas detestabilis turpitudinis, »Erben, denen nachweislich Male abscheulicher Schändlichkeit eingebrannt sind«. Das frühe Datum ist signifikant: 319 war offenbar das Konzept der Infamie noch flexibler im Vergleich zur späteren Entwicklung, als man Infamie (sofern neu verhängt) nur noch mit dem Statusverlust identifizierte. 169 Andere Konsequenzen sind durchaus wahrscheinlich, 170 aber (soweit ich sehe) nicht positiv für die Spätantike belegt. Man hat weitere Auswirkungen für die spätantike Infamie behauptet, aber diese lassen sich bei näherer Betrachtung nicht bestätigen. So nennt etwa Kaser (1956, S. 277) »Eheverbote mit Infamen für Standespersonen« und zitiert dazu Nov. Marc. 4 § 3 von 454. Diese Novelle will nicht neu gestalten, sondern lediglich CTh. 4.6.3 (336, → S. 290) auslegen; in diesem Gesetz wurde die unklare Formulierung humilis vel abiecta gebraucht. Die Markian-Novelle bietet in § 3 eine ausdrücklich abschließende Aufzählung, welche Frau als humilis abiectaque persona anzusehen sei (und deswegen keine mögliche Ehegattin für einen Mann von Stand darstellt). Dabei werden (in Nachfolge Konstantins) Kategorien genannt, die nicht im spätantik-technischen Sinn infam sind – etwa freigelassene Frauen oder 169 Diese Regelung wurde übrigens in Justinians Institutionen (I. 2.18.1) übernommen:

soror autem et frater turpibus personis scriptis heredibus ex sacris constitutionibus praelati sunt, »Gemäß kaiserlichen Konstitutionen werden Schwester und Bruder gegenüber testamentarischen Erben, die infame Personen sind, bevorzugt«. 170 So blieb es fraglos beim Ausschluss von prozessualen Rollen (→ S. 355), wobei sich nunmehr aber manches vom Rangverlust ableitete: Als nicht-honesti konnten Infame weder als Anwälte noch als Richter fungieren. Als Zeugen wurden sie bereits früher in vielen Fällen nicht zugelassen (→ S. 742102). Ferner beachtete man weiterhin die Ausschlussgründe von der Akkusation (vgl. → S. 378), sodass Infame (Mod. D. 48.4.7 pr.; Marcian. D. 48.2.13) im Regelfall nicht in die Akkusatorenrolle schlüpfen durften.

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Töchter einer freigelassenen Frau –, andererseits erscheinen Infame als solche in der Liste gerade nicht! Nur die westgotische Interpretatio spricht von vilibus infamibusque personis, von »niedrigen und infamen Personen« – allerdings nicht ohne dies sofort durch den Relativsatz quas lex ista commemorat, »die dieses Gesetz aufzählt«, einzuschränken. Das Wort infamis wird hier also eindeutig untechnisch verwendet – und noch dazu, wie gesagt, ausschließlich vom Autor der Interpretatio! Weiter schreibt Kaser (1956, S. 277 f.): »außerdem werden Infame, wie schon bisher, strenger bestraft«. 171 Dafür gibt er drei Belege, keiner davon überzeugend. CTh. 12.1.92 ist ein Fehlbeleg. Erstens ist dort das Wort infamis untechnisch gebraucht, und zweitens werden auch keine strengeren Strafen festgelegt: Ille vero, qui immemor libertatis et generis infamissimam suscipiens vilitatem existimationem suam servili obsecundatione damnaverit, deportationis incommodo subiugetur, »Einer [nämlich ein Dekurio], der ohne Rücksicht auf seine Freiheit und Abstammung diesen höchst verrufenen [infamissima] Schimpf auf sich nimmt [nämlich die Tätigkeit eines Verwalters, eines procurator] und so über sein Ansehen durch sklavenhafte Willfährigkeit das Urteil spricht, soll der Deportationsstrafe verfallen«. 172 Kasers zweiter Beleg CTh. 9.36.2 ist ebenfalls nicht einschlägig; dort geht es nicht um eine strengere Bestrafung von Infamen, sondern darum, dass es sich gar nicht lohnt, einfache Menschen überhaupt für infam zu erklären, sodass sie anders bestraft werden (→ S. 359). In der dritten Passage, CTh. 9.10.4 (→ S. 361), wird bei der Sanktionierung differenziert zwischen Standespersonen einerseits (deren Bestrafung darin besteht, dass sie infam werden) und infamen und einfachen Leuten andererseits (die man hinrichtet). Tatsächlich werden hier, das sei Kaser zugestanden, Infame strenger bestraft – aber strenger bestraft im Vergleich zu Standespersonen, nicht im Vergleich zu normalen Menschen.

Worauf sich die Infamie jedenfalls nicht auswirkt, ist die Erbfähigkeit. Das geht klar aus dem oben erwähnten Gesetz CTh. 2.19.1 von Konstantin hervor: Infame konnten testamentarisch erben, sie konnten sogar gegenüber engsten Verwandten bevorzugt werden, sofern man denen das zukommen ließ, was der spätantike Sprachgebrauch abusiv die falzidische Quart nennt (→ S. 238). Die Erbfähigkeit der Infamen ist auch noch mehrere Jahrzehnte später gegeben. Das wissen wir einerseits aus den Klagen von Ambrosius und Hieronymus, wonach Infame (anders als Kleriker) als Erben eingesetzt werden konnten 171 Übrigens gibt es für die strengere Bestrafung von Infamen selbst für frühere Zeiten

nur einen schwachen Beleg, nämlich Call. D. 48.19.28.16, Maiores nostri in omni supplicio severius servos quam liberos, famosos quam integrae famae homines punierunt, »Unsere Vorfahren züchtigten bei jeder Bestrafung Sklaven strenger als Freie, Infame strenger als Menschen mit einwandfreiem Leumund«. Die Passage ist problematisch, weil sie völlig ohne Parallele bleibt. 172 Man vergleiche Aug. epist. Divj. 24.2: Dort geht es um einen Fall, in dem jemand die Kinder eines Freien als Sklaven beanspruchen will; er argumentiert, der Freie habe als actor gewirkt und damit seine Freiheit aufgegeben (→ S. 22).

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(→ S. 298), ferner aus CI. 5.9.1 § 4 von 380: Eandem quoque mulierem infamem redditam hereditates ab intestato, vel legitimas vel honorarias, non ultra tertium gradum sinimus vindicare, »Auch lassen wir nicht zu, dass dieselbe Frau, die infam wurde, Erbschaften im Intestaterbgang (sei es nach ius civile, sei es nach prätorischem Recht) über den dritten Grad hinaus antritt«. Es handelt sich um eines der Gesetze gegen Witwen, die nach dem Tod ihres Mannes die Mindestwartezeit vor einer Wiederheirat nicht eingehalten haben (vgl. → S. 299). Das ausdrückliche Verbot zeigt, dass ansonsten die intestate Erbfähigkeit der Infamen nicht eingeschränkt war und dies eigens verhängt werden musste (und dass gradnähere Erbschaften selbst im Falle der sanktionierten Witwe problemlos angetreten werden konnten). Was die Testierfähigkeit angeht, so zeigt dasselbe Gesetz, dass auch diese im Grundsatz einer infamen Person verblieb (CI. 5.9.1 pr., § 1): … ex iure quidem notissimo sit infamis. 1. Praeterea secundo viro … neque ei testamento plus quam tertiam partem relinquat, »… sei sie gemäß allseits bekanntem Recht infam. 1. Ferner soll sie ihrem zweiten Mann … testamentarisch nicht mehr als ein Drittel hinterlassen«. Die verfrüht Wiederverheiratete wird also infam, kann aber trotzdem sehr wohl ein Testament errichten – sie darf nur nicht darin mehr als ein Drittel ihrem neuen Ehemann zukommen lassen. Wenn die spätantike Infamie mehr oder weniger gleichbedeutend mit Rangverlust ist, sollten mit ihr eigentlich nur Standespersonen bedroht werden – was, wie wir gesehen haben, in der Tat sehr häufig der Fall ist, oftmals in Gestalt von Dekurionen oder Statthaltern (iudices). Wie aber passen dazu diejenigen spätantiken Gesetze, die Infamie im Kontext von Personen beliebigen oder sogar explizit niedrigen Stands – denen also keine Würdenstellung genommen werden konnte – erwähnen? Die allermeisten dieser Gesetze verhängen die Infamie nicht als neue Strafe, sondern es handelt sich um Fälle der Infamie, wie wir sie aus den alten Katalogen kennen: der Sklave, dem als Erben des Bankrotteurs der Schimpf des Nachlasskonkurses anstelle der Nachkommen aufgebürdet wird (CTh. 2.19.3 von 313; vgl. Gai. 2.154); der Akkusator, der falsch beschuldigt oder aber der in geheimer Verabredung mit dem Angeklagten die Anklage hintertreibt (CTh. 9.36.1 und 9.39.2, beide von 385; CTh. 16.2.41 von 411, diese Passage fehlt in der unvollständig überlieferten Vorlage Sirm. 15); die Frau, die die Wartezeit vor der Wiederheirat nicht einhält (vgl. → S. 361152); derjenige, der sich des ambitus 173 oder der vis pri173 CI. 1.16.1 (384) bestimmt, dass, wer sich ein privates Reskript gegen ein Senatus-

consultum verschaffen will, damnatus ambitus crimine maneat infamis, »verurteilt aufgrund des ambitus-Verbrechens infam verbleibe«. Nach Mod. D. 48.14.1.4 fällt

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vata (vgl. → S. 355) schuldig gemacht hat. Dies sind jeweils Relikte »alter« Infamie, die sich in die Epoche generalisierter Infamie hinübergerettet haben. Dort sind die Regelungen oft nicht mehr sinnvoll (einen vilis zu infamieren, bewirkt nichts), und so finden gerade in diesen Fällen Anpassungen statt, nämlich insofern, als einfache Menschen nunmehr gelegentlich anders bestraft werden (vgl. → S. 359). Die spätantike Infamie war eine Strafandrohung, die aktiv nur noch gegen Standespersonen neu verhängt wurde. Umgekehrt hatten die sanktionierten Tatbestände apriorisch zumeist keinerlei Bezug zu Verhaltensweisen, die man zwangsläufig als besonders rufschädigend ansehen würde. Im Gegensatz zu früher war also Infamie keine Folge mehr von Verhalten, das irgendwie moralisch anrüchig war, sondern eine x-beliebige Sanktion, die ein scharfes Schwert zur Maßregelung von Ranginhabern darstellte. Wer aber nach alten Regeln infam geworden wäre, der wurde dies (sozusagen als erstarrtes Relikt) in der Spätantike auch weiterhin, was aber – sofern der Betroffene nicht zufälligerweise honestus war – wohl kaum praktische Auswirkungen hatte. Trifft dieses Modell zu, müssten sich sämtliche Erwähnungen spätantiker Infamie einer von beiden (oder beiden) Kategorien zuordnen lassen: entweder den althergebrachten Tatbeständen oder aber den Standespersonen als Tätergruppe. Tatsächlich funktioniert diese Zuordnung in den allermeisten Fällen – so etwa ausnahmslos für alle bislang in diesem Kapitel zitierten Gesetze. Die wenigen Gesetze, bei denen dies nicht – jedenfalls nicht bereits auf den ersten Blick – der Fall ist, verdienen damit besondere Aufmerksamkeit, zumal es sich dabei – mit zwei Ausnahmen – um Gesetze gegen Heterodoxe handelt. Fangen wir mit den erwähnten Ausnahmen an. Da ist einerseits ein Passus in einer Majorian-Novelle, andererseits die Professorenkonstitution von 425. Sehen wir uns zunächst den mysteriösen § 9 von Nov. Maior. 6 (458) an. unter ambitus, wer als Ankläger oder Angeklagter das Haus des Richters aufsucht (für vergleichbar unangemessen wird Kaiser Theodosius die Bitte um ein Privatreskript angesehen haben), und nach Mod. D. 48.14.1.1 wird aufgrund eines Senatsbeschlusses infam, wer wegen ambitus verurteilt wird. Die Infamiedrohung von CTh. 9.14.3 § 1 (397) gegen jeden, der zugunsten der Söhne hingerichteter Verschwörer beim Kaiser eintritt, und von CTh. 2.9.3 (395) gegen Personen, die eingegangene Verpflichtungen durch Eingaben bei Statthaltern oder beim Kaiser beseitigen wollen, erklärt sich jeweils wohl ebenso. Bemerkenswert ist CI. 1.14.2 (426, → S. 164): Dieses Fragment der Oratio von 426 bedroht denjenigen mit Infamie, der die iura listig interpretieren oder mit einem erschlichenen Reskript untergraben will; die Tathandlung ähnelt also der von CI. 1.16.1, aber die Infamie wird dieses Mal nicht mehr vom ambitus abgeleitet: Obwohl also der alte Infamierungsgrund im Hintergrund weiterwirkt, findet keine ausdrückliche Nennung mehr statt.

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Dieses lange Gesetz bestimmt in § 9 unter anderem, dass es bei jeder Eheschließung eine Mitgift geben müsse: scituris puellis ac parentibus puellarum vel quibuscumque nupturis ambos infamiae maculis inurendos, qui fuerint sine dote coniuncti, ita ut nec matrimonium iudicetur nec legitimi ex his filii procreentur, »… wobei die Mädchen, die Eltern der Mädchen und sämtliche Personen, die an Eheschließungen mitwirken wollen, 174 wissen müssen, dass beide Ehepartner, sofern sie ohne Mitgift vermählt werden, mit Infamiemalen zu brandmarken sind, wobei diese Verbindung nicht als Ehe anzusehen sei und auch keine legitimen Nachkommen aus ihnen hervorgehen können«. Die Infamie-Erklärung ist dank des Vokabulars – macula infamiae, inurere – eindeutig; da dies explizit für jede Ehe gilt, wären also auch Nichtstatusinhaber betroffen. Aber was soll die Legitimität der Ehe – oder die der Kinder – mit einer Infamie der Eltern zu tun haben? Es ist offensichtlich, dass ita ut hier keine konsekutive Bedeutung trägt (»sodass«), sondern eine zusätzliche, unabhängige Weisung gegeben wird (»wobei«) – man vergleiche dafür § 6 derselben Novelle, wo ein solcher nichtkonsekutiver Gebrauch von ita ut ganz eindeutig ist (ferner → S. 237). Unser § 9 muss zusammen mit § 10 gelesen werden, in dem klar wird, dass es Majorian um den Schutz liebestoller junger Männer (incauti iuvenes et futuri coniugii desiderio concitati) vor finanzieller Ausbeutung durch die Familie der Braut geht – was gewisse finanzielle Mittel beim Bräutigam voraussetzt. Die massiven Sanktionen – Illegitimität für die Kinder, Infamie, d. h. Statusverlust für die Braut ebenso wie für den (ohnehin geschädigten) Bräutigam – sollen offensichtlich selbst den naivsten Freier und die skrupelloseste Brautfamilie von einer mitgiftfreien Ehe abschrecken. Die Infamie als Sanktion dürfte sich dadurch erklären, dass im prätorischen Edikt verschiedene ungesetzliche Eheschließungen (zu frühe Wiederheirat, Doppelverlobung, Bigamie) infamiert waren und somit Infamie im Falle einer staatlicherseits unerwünschten Verheiratung assoziativ nahelag. Übrigens wurde diese Regelung bereits viereinhalb Jahre später (samt fast allen anderen Bestimmungen von Nov. Maior. 6) von Kaiser Libius Severus wieder aufgehoben (Nov. Sev. 1). Vgl. zu alledem Wieling 1991, insb. S. 400–407.

Aus dem erwähnten Professorengesetz von 425 sind zwei Fragmente im Codex Theodosianus erhalten, nämlich CTh. 14.9.3 und 15.1.53. Darin organisiert Theodosius II. die staatliche Lehre von Grammatik und Rhetorik (jeweils in lateinischer und griechischer Sprache), Recht und Philosophie. Zugleich untersagt er unorganisierten öffentlichen Unterricht durch selbsternannte Professoren (magistri). Zuwiderhandler bedroht er mit Ausweisung und Infamie. Lehre auf eigene Faust ist kein alter Infamiegrund; allerdings haben wir durchaus Anlass anzunehmen, dass solche selbsternannten Lehrer regelmäßig aus der Oberschicht stammten: »Grammarians and rhetors were naturally drawn mostly from the upper ranks of society, for if an ordinary rhetorical education 174 Vgl. Blaise s. v. a. E.; keine Standardbedeutung von nubere, aber im Kontext die ein-

zige, die Sinn zu ergeben scheint.

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was expensive, the course of training required to make a success as a teacher was very much more costly« (Jones, S. 1001). Was Jones hier für Grammatiker und Rhetoren beschreibt, lässt sich gleichermaßen für die Philosophielehrer des 5. Jahrhunderts nachweisen (Riedlberger 2013, S. 22, S. 47 f.). Mit anderen Worten: Auch hier geht es darum, ranghohe Personen mit einer besonders massiven Sanktion zu bedrohen. Damit bleibt als mögliche Ausnahme nur noch die Infamie gegen Heterodoxe. Zunächst muss betont werden, dass keineswegs alle Häretiker Infamie traf. Diese Behauptung findet sich mitunter bei modernen Autoren, die allerdings ausnahmslos auf eine ausführliche Begründung verzichten und auch die unglaublich massiven Folgen undiskutiert lassen. Als Beispiele genannt seien etwa Hillner (S. 198: »from 380 on, the year in which Theodosius I legally proclaimed adherence to the Nicene creed … as the general benchmark of orthodoxy, a series of laws were [sic] promulgated which ordered exile, alongside infamy, for all [!] non-conforming Christians«) sowie Kaden (S. 59: »Es ist hier zunächst daran zu erinnern, daß Theodosius … alle Christen, die ihm nicht folgten, als ›haeretici‹ für infam erklärte«). 175 Beide verweisen auf dieselben Gesetze, nämlich CTh. 16.1.2, CTh. 16.1.3 und CTh. 16.5.6. In CTh. 16.1.3 findet sich beim besten Willen nichts, was man als InfamieErklärung (miss-)verstehen könnte. CTh. 16.1.2 (27. 2. 380), das berühmte Edikt Cunctos populos, enthält zwar tatsächlich in § 1 das Wort infamia, aber fraglos nicht technisch: Hanc legem sequentes Christianorum catholicorum nomen iubemus amplecti, reliquos vero dementes vesanosque iudicantes haeretici dogmatis infamiam sustinere nec conciliabula eorum ecclesiarum nomen accipere, »Wir bestimmen, dass diejenigen, die diesem Gesetz folgen, den Namen ›katholische Christen‹ führen sollen, dass aber auf den übrigen – die wir als irr und verrückt ansehen! – die Schande [infamia] einer häretischen Anschauung laste und dass ihre Versammlungslokale nicht den Namen ›Kirchen‹ tragen dürfen«. Mit haeretici dogmatis infamiam sustinere ist gemeint: Sie müssen mit der Schande leben, dass ihr Bekenntnis als »Häresie« (nicht »Christentum«) bezeichnet wird, genauso, wie ihre Versammlungsstätten nicht »Kirchen« heißen dürfen. Das Wort infamia ist also nicht juristisch als »Infamie«, sondern untechnisch als »Schande« zu verstehen (Di Mauro Todini, S. 133 f.). In CTh. 16.5.6 (10. 1. 381) könnte allenfalls § 3 einschlägig sein: Qui vero isdem non inserviunt, desinant adfectatis dolis alienum verae religionis nomen adsumere et suis apertis criminibus denotentur. Ab omnium submoti ecclesiarum limine penitus arceantur …, »Diejenigen aber, die diesen [den drei Personen der Trinität] nicht treu ergeben sind, sollen damit aufhören, einen fremden Namen, nämlich den der wahren Religion, mit dem 175 Dieselbe Idee einer allgemeinen Infamie findet sich auch bei Bond (S. 15), bei ihr

sogar für alle Heterodoxen (nicht nur Häretiker); aus bereits dargelegten Gründen (→ S. 353141) sei hier auf eine detaillierte Diskussion verzichtet. Nur auf CTh. 16.1.2 bezieht sich Atzeri (2016, S. 144 mit Anm. 33).

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Versuch einer List zu usurpieren, und sie sollen aufgrund ihrer offensichtlichen Verbrechen bloßgestellt [denotentur] werden. Von der Schwelle aller Kirchen entfernt, sollen sie gänzlich ferngehalten werden …«. Freilich enthält denotare etymologisch nota, was auch »Infamiezeichen« bedeuten kann. Aber denotare ist kein Terminus technicus für eine Infamie-Erklärung (es gibt keinen Beleg); und zwischen dem Verbot, sich »Christen« zu nennen, und dem, Kirchen aufzusuchen, kann nicht eine konsequenzenreiche Infamie-Erklärung versteckt sein. Das »Bloßstellen« bezieht sich wiederum darauf, dass man sie öffentlich als »Häretiker« (nicht: »Christen«) titulieren soll. Letztlich basieren diese Vorstellungen auf einer unreflektierten Interpretation der Catch-Wörter infamia und denotare, wobei weder der Satzzusammenhang noch die auch sonst häufig untechnische Verwendung solcher und ähnlicher Vokabeln berücksichtigt wird (→ S. 358). Dass die modernen Autoren einen Vorgänger in Sozomenos hatten (→ S. 399), zeigt nur, dass bereits in spätantiker Zeit die unklaren Gesetzestexte oft missverstanden wurden (→ S. 228). Die Idee, ab Theodosius I. seien alle Häretiker infam gewesen, ist aus sachlichen Gründen ausgeschlossen. Wir hören nie von irgendeinem Häretiker, der sich über seine Infamie beschweren würde (vgl. dagegen die Sorge um Nikentios: → S. 366). Warum müssen eigens militia-Verbote gegen verschiedene häretische Gruppen erlassen werden, wenn angeblich ohnehin alle Häretiker infam sind (und damit nicht militia-fähig)? Warum wird die Infamie gegen Manichäer und Donatisten verhängt, wenn sie ohnehin für alle gilt? Ferner muss hier auf Mommsens »Strafrecht« eingegangen werden, denn auch dort finden sich pauschalisierende Aussagen zur Infamie der Heterodoxen, die allerdings nicht auf Cunctos populos basieren. Mommsen (S. 604) schreibt in einer Auflistung der Strafen, die Häretiker treffen: »Als eigentliche Strafe der Häresie erscheint neben der Infamie die Intestabilität …«. Eine Anmerkung beim Wort »Infamie« führt zu folgender Fußnote (Mommsen, S. 604 Anm. 2): »Mit der Infamie (ἀτιμία) belegt schon Constantin die Arianer (Sokrates hist. eccl. 1, 9). Dies bleibt auch später. C. Th. 16, 5, 3. 7 pr. 54«. Aber der Verweis auf Sokrates (1.9.30 f., derselbe Text auch noch mehrfach sonst überliefert, bequem zugänglich als Opitz, Urkunde 33, S. 66–68; vgl. CTh. 16.5.66 pr., sed quemadmodum Arriani lege divae memoriae Constantini ob similitudinem impietatis Porfyriani a Porfyrio nuncupantur, »aber gleichermaßen, wie die Arianer aufgrund eines Gesetzes von Konstantin divinisierter Erinnerung aufgrund ähnlicher Gottlosigkeit nach Porphyrios ›Porphyrianer‹ genannt werden, …«) ist ein Fehlbeleg: Es handelt sich um einen Erlass von Konstantin, worin der Kaiser schreibt, dass Areios dieselbe Schande (ἀτιμία) treffen solle wie einen anderen Gottlosen, nämlich Porphyr; dieser schrieb ein antichristliches Werk und wird nunmehr laut Konstantin von jedermann verachtet; daher sollen Areios und die Seinen strafweise »Porphyrianer« heißen. Da Areios dieselbe ἀτιμία treffen soll wie den Porphyr selbst, kann es sich unmöglich um Infamie handeln, da Porphyr nach allem, was wir wissen, nicht infam war. Zudem definiert ja Konstantin im Brief selbst die ἀτιμία des Porphyr ausführlich: Es geht um sein verhasstes Andenken. Und selbst wenn man den Text wie Mommsen verstehen wollte, müsste man feststellen, dass Konstantins Infamie allenfalls den Areios selbst (nicht

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seine Anhänger) ereilen würde. Was alle trifft, ist der Spottname »Porphyrianer«. Während ich glaube, dass ich den Konstantintext halbwegs verstehe, kann ich dies nicht hinsichtlich Mommsens Formulierung »Dies bleibt auch später« behaupten. Meint Mommsen, die Arianer waren auch später infam? Doch die von ihm zitierten Stellen betreffen nur Manichäer und Donatisten (zu den Gesetzen → S. 379). Meint Mommsen also vielleicht »Auch später kam es vor, dass Kaiser bestimmte Gruppen von Heterodoxen mit Infamie belegten«? Aber lässt sich dies wirklich in seine Formulierung hineinlesen? Bei einer Gruppe von Heterodoxen wissen wir übrigens ganz ausdrücklich, dass sie nicht infam waren: bei den Juden. Im Jahr 418 erging eine Konstitution, die ihnen den Dienst in der militia (möglicherweise nur als Palatini) untersagte (CTh. 16.8.24): … absolvi cingulo sine ambiguitate decernimus, nullo veterum meritorum patrocinante suffragio. Sane Iudaeis liberalibus studiis institutis exercendae advocationis non intercludimus libertatem et uti eos curialium munerum honore permittimus, quem praerogativa natalium et splendore familiae sortiuntur. Quibus cum debeant ista sufficere, interdictam militiam pro nota non debent aestimare, »… wir ordnen hiermit klipp und klar an, dass ihnen der militia-Amtsgürtel zu lösen sei, wobei ihnen keine Nachsicht aufgrund früherer Verdienste zuteil werden soll. Freilich nehmen wir Juden, die die freien Studien durchlaufen haben, keineswegs die Möglichkeit, als Advokaten zu wirken, und wir gewähren ihnen, die Ehre der städtischen Posten auszuüben, sofern ihnen diese durch das Vorrecht ihrer Geburt und den Glanz ihrer Familie zuteil wird. Wenngleich sie sich also mit diesen Positionen begnügen müssen, dürfen sie das militia-Verbot nicht als Infamie-Erklärung betrachten«. Die Stelle ist natürlich auch insofern bemerkenswert, als Honorius zur Widerlegung einer möglichen Infamie die Mitgliedschaft im Advokaten- oder Dekurionenstand nennt: Hier wird erneut die Infamie mit dem Innehaben gewisser Würdestellungen kontrastiert. Es gibt eine Passage, die ich bislang nie im Kontext der angeblich allgemeinen Häretikerinfamie zitiert gesehen habe, die man aber vielleicht in diese Richtung deuten könnte: Beim afrikanischen Konzil von 419 wird festgelegt, wer gegen Kleriker nicht als Akkusator auftreten kann: Betroffen von diesem Ausschluss sind Sklaven, eigene Freigelassene sowie Personen, denen staatliche Gesetze die Akkusation bei crimina publica untersagen, ferner (Conc. Afr. p. 231.1602–1604) Omnes etiam infamiae maculis aspersi, idest histriones ac turpitudinibus subiectae personae, haeretici etiam sive pagani seu Iudaei, »Auch alle, die von Schandmalen der Infamie besudelt sind, d. h. Schauspieler und Personen, die Schandhaftigkeiten unterworfen sind, auch Häretiker und Heiden und Juden«. In der Ausgabe von Munier ist dieser Abschnitt eingerückt und wird mit »(b)« als eigener Punkt gezählt. Doch zu Unrecht: Die Worte ab haeretici etiam gehören nicht mehr zu id est. Denn wie mit omnes etiam ein eigener Aufzählungspunkt beginnt, setzt ein weiterer mit haeretici etiam ein; Munier hätte diese beiden Teile also nicht in einem Aufzählungspunkt zusammenfassen dürfen – das steht angesichts der Tatsache, dass zumindest Juden (die ja auch genannt werden) unstreitig nicht infam sind, außer Frage.

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Infamie gegen Heterodoxe ist die Ausnahme, und genauso, wie nur ganz wenige Gruppen erbrechtlichen Sanktionen unterworfen wurden, ist auch die Infamie auf wenige beschränkt. Dabei handelt es sich um eine Teilmenge der Gruppen, für die erbrechtliche Sanktionen galten, und dies erklärt zum Teil, warum wir uns überhaupt so ausführlich mit der spätantiken Infamie beschäftigen. Bekanntlich galten erbrechtliche Sanktionen für vier Gruppen von Heterodoxen (mit Unschärfen, → S. 2543). Unter ihnen werden die Eunomianer niemals irgendwie mit Infamie in Zusammenhang gebracht, obwohl wir besonders viele Fragmente von Gesetzen besitzen, die sich gegen sie richten. Im Falle der Apostaten werden ausschließlich Standespersonen mit Infamie bedroht (CTh. 16.7.5, 391, → S. 359), was sehr gut ins bislang vorgetragene Modell passt. Damit verbleiben nur zwei Gruppen, Manichäer und Donatisten, die wir uns nun im Einzelnen unter dem Gesichtspunkt der Infamie ansehen müssen. Bereits in der ältesten erhaltenen Regelung gegen Manichäer, dem Brief des Diokletian (von ca. 300), werden sie als adhuc inauditam et turpem atque per omnia infamem sectam, als »eine bislang beispiellose, verkommene und in jeder Hinsicht ›infame‹ Sekte« bezeichnet (→ S. 410). Es ist offensichtlich, dass dies keine Infamie-Erklärung ist, sondern dass lediglich ein bereits bestehender Zustand beschrieben wird. In Anbetracht der Reihung adhuc inaudita et turpis atque per omnia infamis muss infamis untechnisch »schandhaft« bedeuten. Man beachte ferner, dass die Sekte (nicht ihre Mitglieder) »infam« ist und diese Formulierung nicht an prägnanter Stelle im Gesetz steht, sondern irgendwo inmitten einer Tirade. Ob diese Beschreibung der Manichäer als »schändlich« bedeutet, dass sie technisch als Infame galten, muss offenbleiben; da dasselbe Gesetz den Tod gegen alle Manichäer verhängte, war die Frage der Infamie unter Diokletian ohnehin ohne größere praktische Relevanz. Das nächste bekannte Gesetz gegen Manichäer (CTh. 16.5.3 von 372, → S. 430) bietet eine unklare Formulierung, die möglicherweise eine InfamieErklärung enthalten könnte: Impp. Valentinianus et Valens AA. ad Ampelium pu. Ubicumque Manichaeorum conventus vel turba huiusmodi repperitur, doctoribus gravi censione multatis his quoque qui conveniunt ut infamibus atque probrosis a coetu hominum segregatis, domus et habitacula, in quibus profana institutio docetur, fisci viribus indubitanter adsciscantur. Die Kaiser Valentinian und Valens an den Stadtpräfekten Ampelius: Wo immer eine Versammlung der Manichäer oder ein solcher Auflauf angetroffen wird, sollen – nachdem die Lehrer mit einer schweren Strafe gezüchtigt und auch diejenigen, die sich versammeln, als infames und probrosi vom Verkehr mit

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der hintergrund den Menschen getrennt wurden – die Stadthäuser und Wohnungen, in denen diese ruchlose Lehre unterrichtet wird, unverzüglich dem Vermögen der kaiserlichen Kasse zugeschlagen werden.

Der hauptsächliche Regelungsgehalt ist die Konfiskationsanordnung für Versammlungsstätten, ferner sind die »Lehrer« (→ S. 430) nach Ermessen des Richters massiv zu bestrafen, die Mitläufer hingegen »vom Verkehr« zu trennen, was mit ihrer Infamie in Zusammenhang gebracht wird. Ob die Infamie Ursache oder Folge der Trennung »vom Verkehr« ist, bleibt angesichts des Ablativus absolutus textimmanent offen. Auch sind Formulierungen à la a coetu segregare notorisch vieldeutig: Es könnte sich entweder um eine Trennung im übertragenen Sinn handeln, d. h., sie werden durch ihre soziale Abwertung abgetrennt (→ S. 350); dann würde es sich beim vorliegenden Gesetz um eine Infamieverhängung handeln. Oder aber man bestimmt die Austreibung der Manichäer aus den Städten (es geht in dieser Konstitution jedenfalls um städtische Manichäer, vgl. domus et habitacula), deren Angemessenheit mit der (bereits vorausgesetzten) Schandhaftigkeit der Manichäer begründet wird. Dann wäre die Trennung konkret aufzufassen (→ S. 346). Zunächst einmal ist festzustellen, dass Austreibungen – abgesehen von Zweifelsfällen 176 – nie in Zusammenhang mit Infamie stehen: Man kann ver176 Diese »Zweifelsfälle« entstehen durch die Mehrdeutigkeit von griechisch ἀτιμία

(»Entehrung«) und seiner Wortfamilie: Derlei Vokabeln bedeuten zwar mitunter technisch »Infamie« usw., können aber auch genauso gut die uralte Bedeutung »Rechtlosigkeit, Ächtung« tragen. So muss man es verstehen, wenn Eunomianer »wie Ehrlose« verjagt werden (→ S. 62531) oder wenn sich in der Hieronymus-Übersetzung einer verlorenen Origenes-Homilie (der dort Ez 16:52, »trage folglich auch du deine Schande«, bespricht) Folgendes findet (Hier. hom. Orig. in Ezech. 10.1, p. 416.26): Inhonoratio civi est de patria sua exulare, »Entehrung für einen Bürger ist es, aus seiner Heimatstadt ausgetrieben zu werden«. Denn etwas später in demselben Text findet sich (Hier. hom. Orig. in Ezech. 10.1, p. 417.2–4): Intellige autem mihi iustum iudicem ei, qui digna infamia fecerit, dicentem: O tu, qui poenae reus es, noli exilium tuum cum maerore suscipere, »Aber verstehe, dass der gerechte Richter mir, der ich digna infamia [d. h. Untaten, die durch Ächtung zu ahnden sind] verübt habe, sagt: ›Ach du, der du doch für die Bestrafung die Verantwortung trägst, nimm deine Verbannung [!] nicht mit Unwillen an‹« (die Passage ganz missverstanden bei Pommeray, S. 223 sowie S. 249 f., der sie zudem um alle Bezugnahmen auf Verbannungen kürzt und anscheinend für einen von Hieronymus verfassten Text hält, den griechischen Ursprung also übersieht). Bei den hochkaiserzeitlichen Ausweisungen aus Rom geht es mitunter auch um bestimmte infamierte Gruppen wie männliche Prostituierte, aber nie um alle Infamierten, und oft auch um Nichtinfame (→ S. 336122); diese Ausweisungen erklären sich also nicht kausal aus einer technischen Infamie der Betroffenen.

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trieben werden, ohne infam zu sein (etwa die Eunomianer), oder infam sein, ohne vertrieben zu werden (etwa Prostituierte). Daher scheidet eine Interpretation von ut infamibus … segregatis im Sinne von »als rechtliche Konsequenz ihrer Infamie … zu trennen« aus. Die Absonderung erfolgt vom coetus hominum (nicht honestus, nicht bonorum o. ä.), was ein Indiz (aber kein Beweis: → S. 350) ist, dass die Sanktion in einer Vertreibung (nicht in der Infamie) besteht. In den außerjuristischen Quellen ab den 380ern findet sich die Verbannung als regelmäßige Strafe für Manichäer (→ S. 485), während dort die Infamie nie aufscheint. Angesichts dieses Befunds halte ich es für die überzeugendste Option, a coetu hominum segregare als Interdiktion von Städten aufzufassen, ausgelöst offenbar durch Vorkommnisse in der Stadt Rom (denn der Empfänger von CTh. 16.5.3 ist der Stadtpräfekt), aber nicht auf diese begrenzt (denn spätere Verweise auf das Versammlungsverbot kennen keine solche Einschränkung, → S. 434). Wenn aber die Infamie der Manichäer als schon vorhanden unterstellt wird, könnte sie sich entweder von den sexuellen Ausschweifungen ableiten, die man den Manichäern regelmäßig zuschrieb (→ S. 416), galten doch auch z. B. passive Homosexuelle oder Prostituierte als infam. Das gewollt provokante Aussehen der manichäischen »Erwählten«, die sich durch Kleidung und Lebensstil von der sonstigen Bevölkerung distanzierten (→ S. 415), mag ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Oder aber die Infamie rührt von der diokletianischen Formulierung her, die vom Autor der valentinianischen Konstitution in dieser Form wieder aufgegriffen wurde. 177 In diesem nächsten Manichäergesetz, der ersten Konstitution mit erbrechtlichen Sanktionen (CTh. 16.5.7 von 381, vgl. → S. 437), findet sich die Formulierung isdem sub perpetua inustae infamiae nota testandi ac vivendi iure Romano omnem protinus eripimus facultatem, »wir entreißen ihnen unter dem ewigen Mal eingebrannter Infamie jedes Recht, ein Testament zu errichten und nach römischem Recht zu leben«. Isoliert gelesen und unreflektiert aufgefasst, sollte die Formulierung eigentlich besagen, dass erstens die Infamie allgemein über Manichäer verhängt wird und dass zweitens der Testierverlust 177 Wunderlich ist jedenfalls Pommerays (S. 232) Behauptung, »en prononçant ici l’in-

famie, l’autorité civile adopte simplement la sanction de la loi canonique qui vient s’élaborer« – welches »kanonische Recht« bestand denn im Jahr 372, sieht man von Konzilskanones ab, die man ex posteriori so interpretieren könnte? Welcher Kanon welches Konzils hat denn die Infamie über Manichäer verhängt? Noch bizarrer ist seine Erklärung des a coetu hominum segregare: »c’est l’excommunication dotée d’effets séculiers« – als hätten die Manichäer je in Abendmahlgemeinschaft mit den Katholiken gestanden.

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(gleich römisches Bürgerrecht) die Konsequenz ebenjener Infamie-Erklärung ist. Doch ein Zusammenhang zwischen Testierrecht und Infamie ist ausgeschlossen: (1) Kein anderes Gesetz stellt einen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, ein Testament zu errichten, und der Infamie her (nicht einmal CTh. 16.5.54 gegen die Donatisten, das wir gleich besprechen werden: → S. 384). Das gilt für die (zahlreichen) weiteren Gesetze, die Heterodoxen das Testierrecht entziehen und die wir im Verlauf des vorliegenden Buchs analysieren werden: Niemals wird dort auf die Infamie rekurriert oder gar die Unmöglichkeit der Testamentserrichtung aus der Infamie abgeleitet. (2) Auch alle sonstigen Gesetze, die aufgrund anderer Tatbestände (also losgelöst von der Heterodoxengesetzgebung) erbrechtliche Sanktionen verhängen, leiten nie ein Testierverbot aus einer Infamie her; so verhängt z. B. Arkadius die Infamie gegen die Söhne von Hochverrätern (→ S. 311), auferlegt ihnen aber kein Testierverbot (wohl aber verwandte Sanktionen, in deren Umfeld es sich angeboten hätte, die Untersagung der Testamentserrichtung – wäre sie als Konsequenz der Infamie eingetreten – zu erwähnen). Aus dem Referat der westgotischen Interpretatio einer Novelle wissen wir, dass allzu schnell wiederverheiratete Witwen in der Tat ein Testierverbot und die Infamie (→ S. 316) traf, Letzteres allerdings »zusätzlich« (et insuper), nicht: »infolgedessen«. (Freilich wird man die Interpretatio als Quelle nicht überstrapazieren wollen.) (3) Umgekehrt begegnet uns die Infamie – wie wir gesehen haben – gar nicht so selten in den spätantiken Gesetzen (und, wenn auch seltener, in der zeitgenössischen Literatur). Doch wiederum findet sich nie irgendeine Andeutung, dass die Infamie automatisch zu erbrechtlichen Beschränkungen oder gar zu einem Testierverbot führen würde. (4) Vor allem – und dies entscheidet die Frage – sei daran erinnert, dass wir positiv wissen, dass (anders als Manichäer nach 381) auch Infame unter Theodosius I. grundsätzlich ein Testament errichten durften (CI. 5.9.1 § 1, → S. 373). Zudem ist die Formulierung isdem sub perpetua inustae infamiae nota testandi ac vivendi iure Romano omnem protinus eripimus facultatem, »wir entreißen ihnen unter dem ewigen Mal eingebrannter Infamie das Recht, ein Testament zu errichten und nach römischem Recht zu leben«, keineswegs so eindeutig, wie sie regelmäßig verstanden wird: sub mit Ablativ gibt einen Begleitumstand

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an, der mit der Hauptaussage nicht unbedingt kausal verbunden sein muss (OLD s. v. 11). Die wahrscheinlichste Erklärung ist also, dass hier möglichst viel Information in einen Satz gepackt werden sollte, ohne dass die einzelnen Teile voneinander abhängig gedacht sind. Theodosius I. bestätigt demnach einerseits die Strafe aus dem valentinianischen Gesetz – nämlich die Infamie – und verhängt andererseits seine neuen erbrechtlichen Sanktionen. Die Manichäer galten fraglos insgesamt als infam, und zwar vielleicht bereits seit Diokletian – wobei zu seinen Zeiten, als man ohnehin mit der Todesstrafe gegen sie vorging, diese Frage nicht allzu vordringlich war. Ein Manichäer wäre wahrscheinlich spätestens ab Valentinian als technisch infam betrachtet worden, nach der Konstitution des Theodosius von 381 leidet dies gar keinen Zweifel mehr. Andererseits wurde bekanntlich der Manichäer Augustin im Jahr 384 staatlicher Rhetoriklehrer in Mailand, eine Position, die kein Infamer hätte einnehmen können (vgl. aus späterer Zeit → S. 375). Ohne es beweisen zu können, würde ich vermuten, dass Augustin in dieser Zeit offiziell als katholischer Katechumene auftrat, was er ja auch (zusätzlich) war (→ S. 696). In den zahlreichen weiteren Manichäergesetzen wird regelmäßig der rechtliche Status quo repetiert, etwa das Versammlungsverbot, die erbrechtlichen Sanktionen, die Ausweisungen usw. Aber niemals erscheint nach 381 die Infamie im Kontext der Manichäer – sehr bedeutsam kann die Regelung also nicht mehr gewesen sein. Die wahrscheinlichste Erklärung dürfte sein, dass es in späterer Zeit keine hochgestellten Personen mehr gab, die offen als Manichäer auftraten (prosopografisch kennen wir dann keine manichäischen Senatoren, Dekurionen, Anwälte oder Professoren), 178 und man deswegen keinen Grund hatte, die (selbstverständliche) Infamie der manichäischen Geheimsektierer zu betonen. 179 Die andere Heterodoxengruppe, die mit Infamie in Verbindung gebracht wird, sind die Donatisten. Im ersten umfangreichen Donatistengesetz CTh.

178 Ich glaube nicht, dass der 378 ums Leben gekommene Heermeister Sebastian wirk-

lich Manichäer war (→ S. 461). 179 Besonders relevant erscheint Nov. Val. 18 (445), eine Konstitution, die zahlreiche

ältere Strafen – Ausschluss vom Staatsdienst, Verbot des Wohnens in Städten, Verbot des Erbens und Vererbens, keine Geschäftsfähigkeit – wiederholt, nicht aber die Infamie. Doch der letzte Satz lautet: Neque enim aliquid nimium in eos videtur posse decerni, quorum incesta perversitas religionis nomine lupanaribus quoque ignota vel pudenda committit, »Man kann ja gar nicht zu strenge Maßnahmen gegen diese Leute erlassen, deren inzestuöse Perversion im Namen der Religion Akte begeht, die Bordellen unbekannt bzw. für sie beschämend wären!«. Wer in einem solchen Ruf steht, der muss offensichtlich nicht mehr eigens für infam erklärt werden.

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16.6.4 (404/5, → S. 548) wird nur eine sehr spezielle Teilgruppe der Donatisten mit Infamie bedroht: Ea praeterea loca seu praedia, quae feralibus sacrilegiis deinceps constiterit praebuisse secretum, fisci viribus adplicentur, si tamen dominus aut domina aut praesens forte fuisse aut consensum praestitisse prodetur: quos quidem iusta etiam per sententiam notabit infamia. Ferner sollen diejenigen Gebäude und Landgüter, von denen sich künftig herausstellen sollte, dass sie einen Rückzugsort für ihre verderblichen Frevel geboten haben, für den Fiskus eingezogen werden, sofern der Eigentümer oder die Eigentümerin erwiesenermaßen dabei anwesend oder damit einverstanden war. Diese trifft durch das Urteil auch die gerechtfertigte Infamie.

Also: Nur – wie man annehmen darf: vermögenden und standesmäßig hochgestellten – Eigentümern von Immobilien wird überhaupt die Infamie in Aussicht gestellt, während dagegen aktive Wiedertäufer (die im Gesetz besonders angegriffen werden) zwar die vollständige Enteignung, nicht aber die Infamie befürchten müssen! Damit reiht sich dieses Gesetz anstandslos in der Gruppe der Regelungen ein, die ausschließlich Standespersonen mit Rangverlust bedrohen. Der folgende Abschnitt stammt aus der zweiten Konstitution, die Donatisten mit Infamie bedroht (CTh. 16.5.54 pr., 414, → S. 576): Donatistas adque haereticos, quos patientia Clementiae Nostrae nunc usque servavit, competenti constituimus auctoritate percelli, quatenus evidenti praeceptione se agnoscant et intestabiles et nullam potestatem alicuius ineundi habere contractus, sed perpetua inustos infamia a coetibus honestis et a conventu publico segregandos. Die donatistischen Häretiker, 180 die die Langmut Unserer Klemenz bis heute erhalten hat, sollen – so bestimmen wir – mit der erforderlichen Härte niedergeworfen werden. Insofern sollen sie durch diese unmissverständliche Verordnung begreifen, dass sie intestabiles sind und keinerlei Möglichkeit besitzen, irgendeinen Vertrag abzuschließen. Vielmehr sind sie, mit ewiger Infamie gebrandmarkt, aus der Zahl der honesti und aus dem conventus publicus auszuschließen.

Einzelne Formulierungen von CTh. 16.5.54 wurden oben bereits ausführlich diskutiert (→ S. 350). Dass Infamie den Ausschluss aus der Zahl der honesti bewirkt, entspricht der hier gegebenen Deutung der Infamie. Die infamia erscheint im Satzgefüge recht bald nach der Intestabilität, aber dies impliziert natürlich keinen kausalen Zusammenhang (denn immerhin steht das Verbot 180 Siehe gleich im Haupttext.

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des Vertragsabschlusses dazwischen, und noch niemand scheint behauptet zu haben, dass Infamie ein Kontrahierungsverbot nach sich ziehe). Anderes lässt sich hingegen nicht so leicht erklären: Dass donatistische Standespersonen durch Infamie ihren Rang verlieren, steht nämlich in diametralem Gegensatz zum Rest des Gesetzes. Denn dort werden Geldstrafen über Donatisten verhängt, die in einem gestuften System je nach Rangstufe bemessen sind, wobei bei wiederholten Verfehlungen der Übeltäter jeweils den vollen Betrag zu zahlen hat. Wenn jemand z. B. (§ 3) proconsulari … honore subcinctus, »in prokonsularem Rang«, mehrfach sündigt, muss er entsprechend oft die volle Strafe zahlen – offensichtlich behält er also seinen Rang! Erst bei der fünften Übertretung droht Schlimmeres (§ 3): si quinquies eundem constiterit nec damnis ab errore revocari, tunc ad Nostram Clementiam referatur, ut de solida eius substantia ac de statu acerbius iudicemus, »Wenn es sich herausstellen sollte, dass derselbe Mann fünfmal [zahlen musste] und nicht durch die Strafen von seinem Verfehlen abgehalten wird, soll er dann an Unsere Klemenz überstellt werden, damit wir über sein Gesamtvermögen und seine Rangstellung in aller Strenge richten können«. Selbst der fünffache Wiederholungstäter verliert also seinen Rang keineswegs automatisch, sondern soll vor das Kaisergericht gestellt werden, wo ihm dann Enteignung und Rangverlust drohen. Wie soll man sich also die Regelung des Principiums erklären? Die Formulierung Donatistae adque haeretici zu Beginn findet später keine Fortsetzung, wo nur noch von Donatisten (vgl. § 4) die Rede ist, und ist damit per se verdächtig. Möglicherweise liegt ein textkritisches Problem vor, vielleicht wurde bei der Kompilation sinnentstellend verkürzt. Die klare Diskrepanz zwischen Principium (Infamie für alle Donatisten) und den Paragrafen mit den wiederholten Geldstrafen für Würdenträger kann man auf zwei Weisen deuten: Entweder war der Widerspruch bereits in der Urfassung vorhanden – dann muss er auf schlampige Redaktion (etwa in Form einer nachlässigen Zusammenstellung früherer Regelungen) zurückgehen. Oder der Widerspruch entstand in der weiteren Geschichte des Texts. Dann müsste sich das Principium auf andere Personen als hochgestellte donatistische Laien beziehen (mögliche Kandidaten wären donatistische Kleriker, denn um die geht es in § 1, oder wegen Donatistas adque haereticos andere Häretiker außer Donatisten, etwa Manichäer, die auch im Einheitsedikt neben den Donatisten begegnen, → S. 545). Doch dies ist Spekulation; letztlich entzieht sich der Widerspruch zwischen der allgemeinen Infamie-Erklärung und den Geldstrafen für wiederholte Verfehlungen von Ranginhabern einer schlagenden Erklärung.

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Damit ließe sich zu CTh. 16.5.54 wie folgt resümieren: Wen auch immer die Infamie-Erklärung im Principium treffen sollte, diese Personen werden expressis verbis aus der Zahl der honesti ausgeschlossen – was dem in diesem Kapitel vorgestellten Modell der Infamie entspricht. Das Testierverbot befindet sich zwar im selben Satz wie die Infamie, ist aber nicht abhängig von ihr. Der weitere Text der Regelung widerspricht klar der Bestimmung des Principiums, dass alle Donatisten als technisch infam anzusehen seien. Eine überzeugende Erklärung, diesen Widerspruch aufzulösen, sehe ich nicht. Wir haben gesehen, dass Infame in spätantiker Zeit grundsätzlich sowohl testamentarisch vererben (→ S. 382) als auch erben (→ S. 372) durften. Die Infamie wurde nicht über alle Häretiker verhängt (→ S. 376), ja noch nicht einmal über alle Gruppen, die von erbrechtlichen Sanktionen betroffen waren (→ S. 379). Tatsächlich finden sich derlei Bestimmungen nur gegen Manichäer und Donatisten, wobei zumindest bei den Donatisten eindeutig ist, dass die für sie geltenden erbrechtlichen Sanktionen in keinerlei Verbindung zur Infamie stehen. 181 Die Idee einer direkten Abhängigkeit der erbrechtlichen Sanktionen von einer Infamierung basiert also tatsächlich ausschließlich auf einer Formulierung des Manichäergesetzes CTh. 16.5.7 (→ S. 382), die sich aber ohne Weiteres anders verstehen lässt. Keines der weiteren Manichäergesetze (oder irgendein anderer Text) gibt einen Anhalt für einen Zusammenhang zwischen Infamie und erbrechtlichen Sanktionen. Überraschenderweise leiten gleichwohl zahlreiche Gelehrte die Testierverbote gegen Heterodoxe von einer (teils nur angeblich) gegen sie verhängten Infamie ab. Da diese Vorstellung so regelmäßig bei ganz unterschiedlichen Autoren aufscheint, wird sie sich nicht aus der Welt schaffen lassen, wenn wir nicht Fall für Fall die vorgebrachten Argumente in Ausführlichkeit prüfen. Im Jahr 1992 schreibt Lieu (S. 200): »The upper classes of the Late Empire were particularly dependent upon their status to protect their wealth by litigation and a penalty like infamia which involved [!] the denial of testamentary rights could involve their heirs in long and costly court cases«. Lieus

181 Dank etlichen außerjuristischen Quellen wissen wir ziemlich genau, wie es zur erb-

rechtlichen Sanktionierung der Donatisten kam; Infamie spielt in dieser gut dokumentierten Diskussion keinerlei Rolle. Das erste Gesetz mit erbrechtlichen Sanktionen gegen Donatisten (CTh. 16.6.4) verhängt derlei Einschränkungen gegen alle Donatisten, Infamie hingegen nur gegen Immobilieneigentümer, die Versammlungen ermöglichen. Selbst für CTh. 16.5.54 lässt sich der Zusammenhang nicht behaupten, denn dort findet sich das Kontrahierungsverbot zwischen Intestabilität und Infamie.

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Fußnote verweist dafür ausschließlich auf einen Aufsatz von Peter Brown (1963, S. 291), 182 wo wir wiederum lesen: »In an age in which the upper classes were especially dependent upon official privileges, titles and their ability to protect their wealth by litigation, a penalty such as infamia, which prejudiced just these advantages, was particularly onerous. The denial of the right to make donations, to receive legacies and even to make a will was aggravated by its repercussions on the family in a society where …«. Brown stellt also gar keinen Zusammenhang zwischen Infamie und erbrechtlichen Sanktionen her, sondern spricht in zwei verschiedenen Sätzen über zwei verschiedene Themen. Lieus Behauptung basiert auf einem Missverständnis. Für Harries (S. 142) ist der Konnex zwischen Infamie und Testierverbot so evident, dass sie das Folgende im Jahr 1999 ohne Quellen- und Literaturverweise behaupten kann: »One form of penalty … was infamia … This deprived the offender of the legal rights of Roman citizenship, which included bequeathing or receiving property in a will«. Delmaire (I, S. 75) nennt im Jahr 2005 unter den Sanktionen, die Häretiker treffen, »infamie entraînant [!] la perte des droits civiques, et plus particulièrement celle de tester, de recevoir des successions, de faire des donations ou d’en recevoir, de conclure des contrats … et aussi l’interdiction de témoigner … Cette mesure d’infamie est mentionnée pour la première fois en 372 pour les manichéens (XVI, 5, 3, 7, 9, 18) puis étendue en 381 aux apostats (XVI, 7, 1) et aux hérétiques (XVI, 5, 6) et elle sera maintes fois réitérée par la suite«. Doch Delmaires Belege sind zum größten Teil unzutreffend. So enthalten CTh. 16.5.9 und CTh. 16.5.18 zwar Testierverbote gegen die Manichäer, aber nichts, was man auch nur als Andeutung von Infamie verstehen könnte. Dasselbe gilt für CTh. 16.7.1 gegen Apostaten. CTh. 16.5.6 ist keine InfamieErklärung (→ S. 376), und selbst wenn es eine wäre, so muss man feststellen, dass dieses Fragment keinerlei erbrechtliche Sanktion enthält. »Indeed, the prohibition of testamentary bequest followed logically [!] from the status of infamy«, stellt Stachura (2006, S. 52) ohne Weiteres fest und entwickelt aus dieser Prämisse ganz erstaunliche Thesen. 183 Seine An182 Um Missverständnissen vorzubeugen: Lieu bezieht sich in seiner Fußnote auf S. 312

des neupaginierten Nachdrucks von 1972, die der von mir angegebenen S. 291 der textlich identischen Originalfassung von 1963 entspricht. 183 Dass die Manichäer laut Stachura bereits 373 für infam erklärt wurden, aber die ersten erbrechtlichen Sanktionen erst von 381 stammen, soll angeblich belegen, dass die spätantiken Kaiser ihre eigenen Gesetze nicht in Kraft setzen konnten (Stachura 2006, S. 61), denn das Testierverbot hätte ja eine »direct consequence of the existing legal status« sein müssen. Stachura widerspricht sich damit selbst: Wenn das

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gabe belegt er lediglich mit Verweis auf Maceratini, S. 94–96. Maceratini (S. 94) behauptet allerdings weniger, er schreibt lediglich, die Infamie »è connessa [!] alla intestabilità dell’eretico … accanto alla stretta connessione tra infamia ed intestabilità, messa in evidenza dal Mommsen, e riaffermata dal Brasiello e dal Kaser …«. Mommsen (S. 604) spricht nun keineswegs von einer »engen Verbindung«, sondern nur davon, dass die Intestabilität als »eigentliche [i. S. v. spezielle] Strafe der Häresie neben [!] der Infamie« erscheint. Brasiello (S. 478) erwähnt lediglich, dass in einem bestimmten Gesetz, nämlich CTh. 16.5.7, die Infamie »con [!] la privazione di far testamento« verhängt wird. Kaser (1956, S. 276 f.) schließlich, den Maceratini auch noch in Anspruch nimmt, schreibt: »Weiterhin verbinden [!] die Kaisergesetze mit der Infamie noch den Verlust gewisser Funktionen und andere Rechtsnachteile, darunter, besonders bei den neuen Glaubensverbrechen der Manichäer und Donatisten, die Kaduzität und die Intestabilität«. Kasers Belege sind ausschließlich die beiden Gesetze CTh. 16.5.7 und CTh. 16.5.54. Im Kontext (S. 275: »Die Infamiestrafe tritt bald allein auf, bald als Nebenstrafe«) bespricht Kaser übrigens Sanktionsarten, die in Gesetzen mit Infamie kombiniert erscheinen (so z. B. Geldstrafen) – Kaser einen kausalen Konnex zu unterstellen, hieße, ihn grob misszuverstehen. Kurzum: Nicht einmal Maceratinis »stretta [!] connessione« zwischen Infamie und Intestabilität lässt sich belegen, und schon gar nicht mit den zitierten Literaturstellen, die allesamt von Infamie neben Intestabilität o. ä. sprechen und letztlich auf gerade einmal zwei Quellenpassagen fußen. Lim (2008, S. 151) schreibt: »In 381 Gratian, Valentinian II and Theodosius [→ S. 245369], in an edict [sic] to Eutropius, praetorian prefect, imposed the penalty of perpetual infamia upon any male or female ›Manichaean‹ by denying him or her the ability to make a binding [?] will …«. Kann man dadurch infam werden, dass einem das Testierrecht genommen wird? Es gibt sonst keinen einzigen Hinweis auf einen solchen Konnex, und selbst das zitierte Gesetz könnte man allenfalls mit umgekehrter Kausalität (Infamie als Ursache, nicht Folge, eines Testierverbots) interpretieren. Kurzum: Lims Darlegungen sind wenig überzeugend.

Testierverbot ohnehin aus der Infamie folgt, muss man es doch gar nicht eigens verhängen! Und selbst wenn wir Stachura so weit folgen: Wenn der Kaiser das Testierverbot anfangs nicht nennt, später aber doch, dann hat das nichts damit zu tun, ob Gesetze »strictly executed« wurden – wir sind ja immer noch auf der Ebene der Gesetzgebung, nicht der praktischen Anwendung.

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Am problematischsten von all diesen Darstellungen ist Humfress (2008, S. 137 f.). Sie schreibt: »The named heretical groups targeted by sentences of infamia included Manichees, Eunomians, Macedonians, Arians, Apollinarians, Phrygians, Priscillianists, Donatists (alongside ›those who profane the holy mysteries by repeating baptism‹) and Eutychians. Adherents of these sects were variously deprived ›under the perpetual brand of just infamy‹ of the right to make a will or to bequeath any gifts … A sentence of infamia could also specify the loss of the right to take an inheritance – the property thus implicated would be appropriated to the resources of the imperial treasury«. Diese Aussagen sind mit einer einzigen Fußnote belegt, die eine unkommentierte Aufzählung von sechs Konstitutionen enthält. Macht man sich nun die Mühe und sieht die dort gelisteten Kaisergesetze durch, so stellt man fest, dass in keinem von ihnen Makedonianer, Arianer, Phryger oder Priscillianisten auch nur erwähnt werden! Eunomianer, Eutychianer oder Apollinarianer begegnen immerhin in verschiedenen der aufgeführten Gesetze, werden aber in keinerlei Zusammenhang mit Infamie gebracht. Damit bleiben von Humfress’ ganzer Liste – die dem arglosen Leser zu Unrecht eine hervorragende Beleglage vorgaukelt – als einschlägig nur die altbekannten Konstitutionen CTh. 16.5.7 gegen die Manichäer und CTh. 16.5.54 gegen die Donatisten. Allerdings bietet keine von beiden Fundstellen die Formulierung »under the perpetual brand of just infamy«; Humfress verwendet (ohne dies anzugeben) die Pharr-Übersetzung von sub perpetua inustae infamiae nota (CTh. 16.5.7), wo inustae (»eingebrannt«) aufgrund eines Flüchtigkeitsfehlers 184 mit »just« ins Englische übertragen wurde, und suggeriert fälschlich, es handele sich dabei um eine technische, häufiger verwendete Formulierung. Auch wird die Erbschaft keineswegs automatisch für die Staatskasse konfisziert, stattdessen kommen oft die Intestaterben zum Zug (→ S. 341). 185 Was juristisch mit der Formulierung 184 Zwar hat bereits Cujas die Banalisierung iustae vorgeschlagen (vgl. → S. 43772), die

aber Mommsen zu Recht nicht in seine Ausgabe gesetzt hat. Da nun Pharr (S. vii) angibt, bis auf explizit genannte Ausnahmen Mommsens Text zu übersetzen (»Variations from their texts are indicated in the notes«), muss es sich bei der Übersetzung von CTh. 16.5.7 – wo eine entsprechende Anmerkung fehlt – um ein Versehen handeln. 185 Wenig vertrauenseinflößend sind auch Humfress’ Ideen zu Ulpian (Humfress 2008, S. 138): »The threat of infamia to an individual with rights and property to lose can be seen in Ulpian’s reassurance that infamia cannot be inflicted through off-the-cuff comments made during a court hearing … It would have been Ulpian’s private clients [!] – the ›haves‹ of Roman society – who had the most to fear«. Humfress stellt sich offensichtlich den Prätoriumspräfekten Ulpian als Rechtsanwalt vor, der begüterte Mandanten vor Gericht vertritt.

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»the right to make a will or to bequeath any gifts« gemeint sein könnte, vermag ich nicht zu sagen; setzt nicht das englische Verb »to bequeath« ohnehin ein Testament voraus, kann also nicht als Alternative zu »a will« stehen? Möglicherweise von Delmaire abhängig ist die Darstellung bei Guichard (S. 71 f.) aus dem Jahr 2014. Auch bei Guichard werden alle Häretiker infam, was eine Reihe von Einschränkungen (Testierrecht, Erbrecht, militia-Verbot …) nach sich zieht. Dabei wird kaum zwischen verschiedenen Gruppen differenziert; Guichards Darstellung erweckt den Eindruck, dass alle Häretiker (nach ihm ja ausnahmslos infam) von sämtlichen derartigen Maßnahmen getroffen worden seien, ohne die naheliegende Frage zu beantworten, weswegen sich die Kaiser dann überhaupt die Mühe hätten machen sollen, in Konstitutionen einzelne Gruppen namentlich aufzuführen. Wie Lim scheint auch Hillner (S. 112) im Jahr 2015 eine umgekehrte Kausalität anzunehmen (ohne dies aber durch die Angabe von Quellen oder Literatur zu begründen): Wer erbrechtlich sanktioniert wird, wird dadurch infam: »The unruly Samaritans, who had staged a rebellion in 530, and had been punished with infamy in the form of prohibition to draw up wills«. Die erbrechtlichen Sanktionen gegen Samaritaner 186 eine »Infamie in Form eines Testierverbots« zu nennen, ist bedenklich weit von der Quellenlage entfernt. Der Diskurs um Testierverbote als Konsequenz von Infamie (oder, wie bei Lim und Hillner, umgekehrt) hinterlässt den Betrachter ratlos. All die genannten Autoren zitieren sich nicht gegenseitig, sondern verweisen – sofern sie ihre Ansicht überhaupt begründen – zu Unrecht auf ältere Literatur oder Quellenstellen, die allesamt (abgesehen von CTh. 16.5.7 und allenfalls mit gutem Willen CTh. 16.5.54) nicht einschlägig sind. Es fällt auf, dass sämtliche genannten Arbeiten mit Ausnahme von Lieu in der letzten Zeit, d. h. ab dem Jahr 1999, entstanden sind. Offensichtlich hat sich – aus unbekanntem Ursprung – in den Köpfen die Vorstellung festgesetzt, dass Intestabilität aus Infamie folgt, und man ist sich dessen so gewiss, dass man Gesetze mit Testierverboten (aber ohne Infamierung!) als einschlägige Belege zitiert, anstatt aufgrund dieser Passagen die eigene Vorstellung zu hinterfragen. Ferner sei noch kurz Garnsey (2004, S. 144) erwähnt, der behauptet, Infamie sei mit Bürgerrechtsverlust gleichbedeutend (woraus unmittelbar

186 Zu den erbrechtlichen Sanktionen gegen Samaritaner vgl. → S. 801, → S. 807. Hill-

ner verweist in ihrer zugehörigen Fußnote auf CI. 1.3.52.11 und Nov. Iust. 129.1. Doch das CI.-Zitat ist ein Fehlbeleg ohne jeden Zusammenhang mit Samaritanern (dort geht es um entsprungene Mönche). Hillner kann nur CI. 1.5.17 § 1 meinen, obwohl die Angabe dieser Fundstelle kaum Ähnlichkeit zu »CI. 1.3.52.11« aufweist.

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der Verlust des Testierrechts folgen würde): »A third group of peregrines consisted … of demotions, individuals deprived of citizenship because they had fallen foul of the law. The mechanism by which this occurred was the imposition of the penalty of infamia«. Garnsey gibt als einzigen Beleg dafür CTh. 4.6.3 (→ S. 290) an, eine ganz und gar singuläre Regelung, die er irrig als »typical text« hinstellt. All die zahlreichen bekannten Regelungen zum Bürgerrechtsentzug (etwa im Fall der Deportation oder der bevorstehenden Hinrichtung) lässt Garnsey unbesprochen, umgekehrt ignoriert er alles, was wir über Infamie wissen (etwa – um nur ein Beispiel zu nennen – dass Infame aus Testament erben dürfen, → S. 372, was dem Nichtbürger unmöglich wäre, → S. 280). Kurzum: Garnseys singuläre Vorstellung der Infamie als Bürgerrechtsentzug ist abwegig. Abschließend muss noch kurz die infamia perpetua besprochen werden, denn in drei von den vier Passagen, in denen Infamie gegen erbrechtlich sanktionierte Gruppen (oder Teile von ihnen) verhängt wird, ist diese Infamie explizit als perpetua qualifiziert: sub perpetua inustae infamiae nota (CTh. 16.5.7 gegen Manichäer), perpetua urantur infamia (CTh. 16.7.5 gegen ranghohe Apostaten), perpetua inustos infamia (CTh. 16.5.54 gegen Donatisten); die Ausnahme ist CTh. 16.6.4 gegen Grundeigentümer, die donatistische Versammlungen auf ihren Immobilien zulassen (quos quidem iusta etiam per sententiam notabit infamia). Offensichtlich von diesem Zahlenverhältnis ausgehend, schreibt Kaser (II, S. 115): »die Infamie [entwickelt sich] … zu einer besonderen ›Ehrenstrafe‹, die in vielen Kaisergesetzen angeordnet wird … ; besonders bei Amtsvergehen, und als infamia perpetua, verbunden mit Zeugnisunfähigkeit und Kaduzität, für die Glaubensverbrechen der Manichäer, Donatisten und Apostaten«. Aber die infamia perpetua ist keineswegs auf Heterodoxe beschränkt. Auch Statthaltern, die Dekurionen mit Bleigeißeln auspeitschen lassen (CTh. 12.1.85, 381), Grabschändern (Nov. Val. 23 § 4, 447) und Vormündern, die kein Inventar erstellen (CI. 5.51.13 § 3, 530), droht die infamia perpetua. Ohne dass die Junktur infamia perpetua erscheint, trifft dieselbe Strafe offenbar auch kriminelle Statthalter (CTh. 7.13.9, von 380, im Zusammenhang mit Rekrutierungsmaßnahmen) und die Söhne von Verschwörern sowie Personen, die für deren Begnadigung eintreten (CTh. 9.14.3 pr., § 1, 397, → S. 311). 187 Bereits diese Aufzählung zeigt, dass die »ewige

187 CTh. 7.13.9, supplicium existimationis extremum et ultio inexpiabilis, »die äußerste

Ehrenstrafe und eine unsühnbare Rache«; CTh. 9.14.3 pr., sint perpetuo egentes et pauperes. Infamia eos paterna semper comitetur, »Sie sollen auf ewig mittellos und arm sein. Die väterliche Infamie soll sie stets begleiten«; § 1, Denique iubemus etiam eos notabiles esse sine venia, qui pro talibus umquam apud Nos intervenire temptaverint, »Ferner ordnen wir an, dass auch diejenigen die Infamie ohne Begnadigungsmöglichkeit trifft, die je versuchen sollten, sich bei Uns für solche Leute zu verwenden«.

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Infamie« keine Spezialinfamie für Glaubensverbrechen ist, sondern überhaupt bei Fällen angeordnet wird, die sich dem Gesetzgeber als besonders schlimm darstellen. Überdies figuriert die infamia perpetua bereits in einem Beleg aus severischer Zeit (Men. D. 49.16.4.4, um 200): Ad tempus relegatus si expleto spatio fugae militem se dedit, causa damnationis quaerenda est, ut, si contineat infamiam perpetuam, idem observetur, si transactum de futuro sit »et in ordinem redire potest et honores petere«, militia 188 non prohibetur. Wenn ein befristet Relegierter nach Ablauf der Verbannung in die Armee eintrat, muss die Ursache der Verurteilung in den Blick genommen werden: Sollte sie infamia perpetua mit sich bringen, muss dasselbe beachtet werden [d. h. lebenszeitliche Verbannung, vgl. Men. D. 49.16.4.3]. Sollte hinsichtlich der Zukunft beschieden worden sein: »er kann sowohl in den Stadtrat zurückkehren als auch Ehrenstellen anstreben«, ist der Militärdienst nicht verboten. Offenbar war infamia perpetua für Menander etwas, was in einem zeitigen Relegationsurteil als Schärfung verhängt werden konnte und Betroffenen auch nach Ablauf der Verbannung vom Stand, von Ehrenstellen und ferner vom Militärdienst fernhielt. Unsere spätantiken Belege verhängen die infamia perpetua unabhängig von einer zeitigen Verbannungs- oder anders gearteten Strafe; anscheinend blieb nur eine unscharfe Vorstellung der infamia perpetua als Strafschärfung bestehen. Zweifach findet sich die Idee, dass eine infamia perpetua selbst durch ein kaiserliches Spezialprivileg nicht aufhebbar sei; 189 möglicherweise wollte sich der Kaiser gegen hinter seinem Rücken erteilte Bescheide absichern, möglicherweise aber auch gegen einen eigenen (!) Sinneswandel präventiv vorgehen (vgl. → S. 39). Für die letztere Interpretation spricht, dass in einem Fall der Kaiser Personen, die sich bei ihm für zu ewiger Infamie Verdammte einsetzen, selbst mit ewiger Infamie bedroht (CTh. 9.14.3). Dieses Szenario setzt voraus, dass ein solches Eintreten von Erfolg gekrönt sein könnte, und tatsächlich finden sich gelegentlich Hinweise, dass der Kaiser eine Infamieverhängung aufhebt. So bestimmt ein Gesetz von 380 (CI. 6.56.4 pr., → S. 300), dass eine Frau, die die Mindesttrauerzeit nicht einhält, infam wird, nisi huiusmodi maculam imperiale beneficium ei remittat, »sofern nicht ein kaiserliches Privileg ihr ein solches Schandmal erlässt«. Der Regelfall für ein solches Spezialprivileg wird in § 1 erklärt: Sie muss die Hälfte ihres Vermögens im Zeitpunkt der Heirat an die mit dem verstorbenen Ehemann gemeinsamen Abkömmlinge ver-

188 Konjektur durch Mommsen; überliefert: militiae. 189 CTh. 12.1.85, perpetua infamia inustus ne speciali quidem rescripto notam eluere me-

reatur, »mit ewiger Infamie gebrandmarkt, sodass sie den Makel nicht einmal mit einem speziellen Reskript abwaschen können«; CI. 5.51.13 § 3, perpetua macula infamiae notabuntur, neque ab imperiali beneficio absolutione huiusmodi notae fruituri, »sie werden mit einem ewigen Schandmal der Infamie gekennzeichnet, sodass sie nicht einmal mit kaiserlichem Privileg eine Befreiung von diesem Makel erlangen werden«. Vgl. auch → 391187.

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schenken, dann (CI. 6.56.4 § 1) infamiae abolitionem permittimus, »erlauben wir die Aufhebung der Infamie«. Ferner sei an die Formulierung inustae maculae omnem abolemus infamiam, »wir entfernen das eingebrannte Schandmal jeder Infamie« von CTh. 15.14.12 (395, Amnestie der Eugenius-Anhänger, → S. 363) erinnert. Wir haben sogar einen konkreten (wenn auch sehr späten) Beleg einer dank monarchischer Gunst aufgehobenen Infamie: König Theoderich verringert die Strafe des (möglicherweise zu Unrecht) als Vergewaltiger festgehaltenen Adeodat auf sechs Monate Verbannung (Cassiod. var. 3.46.4), ita ut nulli post constituta Nostra sub qualibet interpretatione tibi liceat obicere crimen infamiae, quando fas est principi maculosas notas vitiatae opinionis abstergere, »wobei es niemanden nach Unserem Erlass erlaubt sei, dir in irgendeiner Weise die Schande der Infamie vorzuwerfen, denn ein Herrscher hat ja das Recht, die schmachvollen Brandmarkungen eines ruinierten Leumunds abzuwaschen«. All dies scheint mir am ehesten darauf hinzudeuten, dass die infamia perpetua als »nicht aufhebbare Infamie« zu deuten ist; wobei, angesichts der Machtfülle des Kaisers, die Nichtaufhebbarkeit lediglich als finstere Drohung an potenzielle Delinquenten (bzw. als halbherziger Appell an die eigene Standhaftigkeit bzw. an die der Nachfolger) zu betrachten ist.

Möglicherweise relevante Passagen bei Sozomenos Der Kirchenschriftsteller Sozomenos, der sein Werk um 445 verfasste (Van Nuffelen 2004, S. 59–61), bietet mehrere Passagen, die für unser Thema besonders relevant sein könnten. Zwar erwähnt er die erbrechtlichen Sanktionen nicht ausdrücklich, wohl aber Infamie, ferner den Entzug (bzw. eine Beschneidung) des Bürgerrechts sowie den Ausschluss aus der Gemeinschaft – also Motive, die gelegentlich auch in Gesetzen aufscheinen, die erbrechtliche Sanktionen verhängen. Sozomenos war Jurist, 190 die Religionsgesetzgebung interessierte ihn beim Verfassen seines Werks laut eigener Aussage (Soz. 1.8.14) besonders, zudem lag ihm der Codex Theodosianus als Quelle vor (Van Nuffelen 2004, S. 55). A priori sollte man also von seinem Werk besondere Kompetenz in allen rechtlichen Aussagen erwarten dürfen. Doch dem ist nicht so: Wir besitzen glücklicherweise oft die Vorlagen, mit denen Sozomenos arbeitete, und daher lässt sich nachvollziehen, dass er rechtliche Details in Texten tatsächlich missverständlich überarbeitete (bzw. von vornherein selbst nicht richtig begriff). Wir werden uns in diesem Abschnitt alle potenziell relevanten Passagen nacheinander ansehen.

190 Vgl. insb. Soz. 2.3.10, ferner die Bezeichnung σχολαστικός, die er in den Handschrif-

ten trägt; vgl. Van Nuffelen 2004, S. 54 f., für zusätzliche Indizien.

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Die erste Stelle handelt von den Untaten, die der konstantinopolitanische Bischof Makedonios (von dessen Namen sich die Häresie der Makedonianer ableitet) den Unterstützern seines verbannten (und wenig später im Exil ermordeten) orthodoxen Gegenspielers Paulus antat (Soz. 4.2.3 f.): … λέγεται διαφόρως κακῶσαι τοὺς τὰ Παύλου φρονοῦντας, τὰ μὲν πρῶτα τῶν ἐκκλησιῶν αὐτοὺς ἐξελαύνων, 4. μετὰ δὲ ταῦτα καὶ συγκοινωνεῖν αὐτῷ βιαζόμενος, ὡς πολλοὺς ὑπὸ πληγῶν διαφθαρῆναι, τοὺς δὲ οὐσίας, ἄλλους δὲ πολιτείας ἀφαιρεθῆναι, τοὺς δὲ ἐπὶ τοῦ μετώπου στιγματίας γενέσθαι, ἵν’ ἐπίσημοι εἶεν τοιοῦτοι ὄντες βασιλέα δὲ μαθόντα καταγνῶναι καὶ …

… er [Makedonios] soll die Anhänger des Paulus auf verschiedene Weise misshandelt haben. Zunächst soll er sie aus ihren Kirchen vertrieben haben, 4. danach mit Gewalt zur Kirchengemeinschaft gezwungen haben, sodass viele unter den Schlägen zugrunde gingen, die einen ihr Vermögen, die anderen ihr Bürgerrecht verloren, wieder andere auf der Stirn eine Kennzeichnung erhielten, damit klar erkenntlich sei, was für welche sie sind. Als der Kaiser davon erfuhr, soll er dies missbilligt haben und …

Sozomenos formuliert die Gräuel klar in indirekter Rede; tatsächlich ist die zitierte Passage entweder direkt von der Kirchengeschichte des Sokrates (2.27.1–5) abhängig, oder aber Sokrates und Sozomenos verwenden ein und dieselbe verlorene Quelle (es wurde eine Biografie des Paulus vermutet). 191 Man vergleiche nur die Formulierung des Sokrates, τὸ μὲν πρότερον περὶ τὸ ἐξωθεῖν μόνον ἐσχόλαζον, προβαίνοντος δὲ τοῦ κακοῦ ἐπὶ τὸ ἀναγκάζειν συγκοινωνεῖν αὐτοῖς ἐτρέποντο, »zunächst verlegten sie sich nur auf Vertrei-

bungen, doch dann wurde alles immer schlimmer, und sie verfielen darauf, sie zur Kirchengemeinschaft zu zwingen«. Im Weiteren zählt Sokrates die Strafmaßnahmen auf, die Makedonios einsetzte: Folterungen (ohne Details), Enteignungen sowie Verbannungen. Der Bürgerrechtsverlust und die Kennzeichnung (Brandmarkung? Tätowierung?) der Paulus-Anhänger ist Sondergut des Sozomenos, der seinerseits die Verbannungen (bei denen laut Sokrates zahlreiche Menschen das Leben verloren) unerwähnt lässt. Die beiden Darstel191 Wie sehr Sozomenos zu Beginn seines vierten Buchs mit Sokrates zusammenhängt,

zeigt auch der dem vorausgehende Text: Soz. 4.1.1–4.2.2 entspricht Socr. 2.25.7– 2.26.6. Zur hypothetischen Biografie des Paulus vgl. Van Nuffelen 2004, S. 196– 198. Andererseits ereignen sich die Missetaten des Makedonios, nachdem Paulus die Bühne verlassen hat (wären also nicht unbedingt Gegenstand einer Paulus-Biografie). Etwas inkonsequent gibt Van Nuffelen (2004, S. 482) als Quelle der vorliegenden Sozomenos-Passage »Vie de Paul?« sowie Sokrates an, während er (Van Nuffelen 2004, S. 461) als Quelle der parallelen Sokrates-Passage nur »?; Socrate« [d. h. Eigengut] nennt, ohne Verweis auf die mögliche Paulus-Biografie.

möglicherweise relevante passagen bei sozomenos

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lungen unterscheiden sich noch in anderer Hinsicht, und zwar gravierend: Während bei Sozomenos der Kaiser erst nachträglich davon erfährt und die ganze Sache missbilligt, gelingt es bei Sokrates dem Makedonios bereits zu Anfang, den Kaiser zu überzeugen: Er ist es, der Anweisung gibt, die PaulusAnhänger aus den Städten und Kirchen zu vertreiben. Die Darstellungen der beiden Kirchenschriftsteller sind in der Frage des kaiserlichen Eingreifens unvereinbar. Apriorisch wird man wohl eher dem Konstantinopolitaner Sokrates, der zudem eine Generation näher am Geschehen lebte, als dem aus der Ferne stammenden Sozomenos (der, im frühen 5. Jahrhundert geboren, keine Zeitzeugen zu den Verhältnissen um 340 gekannt haben kann) Vertrauen schenken (zur Herkunft der beiden vgl. Van Nuffelen 2004, S. 82 f.). Prüfen wir nun die Inhalte: Da es kaum glaublich ist, dass ein Patriarch selbst Verbannungen, Konfiskationen und Körperstrafen verhängen konnte – wobei ja die ganze Geschichte nicht in einer fernen Region weitab vom Interesse der Kaisergewalt, sondern vielmehr in Konstantinopel selbst spielt! –, wird man aus Plausibilitätsgründen Sokrates’ Darstellung vorziehen. Verbannungen sind die üblichste aller Strafen: Wenn sie bei Sokrates erwähnt werden, bei Sozomenos aber fehlen, so spricht auch dies für Sokrates. Soll man also dem Sozomenos glauben, dass der Patriarch Makedonios orthodoxe Christen auf der Stirn kennzeichnen ließ, während bei dem chronologisch wie geografisch näherstehenden Sokrates eine solche Untat unerwähnt bleibt? Nicht überzeugender scheint, dass Makedonios die völlig ungewöhnliche Strafe eines blanken Bürgerrechtsentzugs (also nicht als Folge einer Deportation o. ä., vgl. → S. 293) verhängt haben soll. Darf man gleichwohl mit der Erklärung, das Sondergut des Sozomenos stamme aus der spekulativ rekonstruierten Paulus-Vita (sei aber von Sokrates bei dessen eigener Benutzung ignoriert worden), die Zusatzinformationen des Sozomenos ernst nehmen? Besser nicht: Der unauflösbare Widerspruch hinsichtlich des Kaisers muss dringend davor warnen, Sokrates’ und Sozomenos’ Darstellungen einfach aufzuaddieren: Sozomenos’ Version enthält zu viele Implausibilitäten, als dass man sie zur Korrektur oder Ergänzung des Sokrates heranziehen dürfte. In einer anderen Sozomenos-Stelle (5.18.1), die von Kaiser Julian handelt, begegnet die Rechtsgleichheit (ἰσοπολιτεία): ὅπου γε καὶ μηδὲν ἐγκαλεῖν ἔχων παραιτουμένοις θύειν ἰσοπολιτείας ἐφθόνει καὶ συλλόγων καὶ ἀγορῶν μετέχειν καὶ τοῦ δικάζειν ἢ ἄρχειν ἢ ἀξιωμάτων κοινωνεῖν οὐ μετεδίδου

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der hintergrund Auch wenn er ihnen nichts vorwerfen konnte, ließ er den Leuten, die Opfer verweigerten, nicht dieselben bürgerlichen Rechte [ἰσοπολιτεία]; er verweigerte ihnen sowohl die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen und Zusammenkünften als auch die Möglichkeit, als Richter, Statthalter oder Würdenträger zu fungieren.

Sozomenos stützt sich in dieser Passage auf eine Rede des Gregor von Nazianz. Der zitierte Satz liest sich bei Gregor im Original wie folgt (or. 4.96): ταῦτα δὲ ἦν πάσης μὲν παρρησίας ἀποστερεῖσθαι Χριστιανοὺς, πάντων δὲ αὐτοὺς εἴργεσθαι συλλόγων, ἀγορῶν, πανηγύρεων, τῶν δικαστηρίων αὐτῶν μὴ γὰρ ἐξεῖναι κεχρῆσθαι τούτοις, ὅστις μὴ κατὰ τῶν βωμῶν θυμιάσειεν ἔμπροσθεν προκειμένων … ὦ νόμοι καὶ νομοθέται … τὴν τῶν νόμων μετουσίαν προθέντες ἅπασιν ἐλευθέροις, ἴσην τε καὶ ὁμότιμον. ἧς ἐκεῖνος ἀποστερήσειν διενοεῖτο Χριστιανούς ὡς μήτε τυραννουμένοις δίκας ἐξεῖναι λαβεῖν …

Dies [was laut Gregor kein Verfolger vor Julian getan hatte] war, den Christen jede Möglichkeit zum Reden zu nehmen: Er schloss sie von allen Versammlungen, Zusammenkünften, Festen, ja sogar Gerichtsverhandlungen aus. Denn wer nicht auf den davor befindlichen Altären ein Weihrauchopfer darbrachte, hatte dazu keinen Zutritt. … O Gesetze und Gesetzgeber! … allen Freien habt ihr identischen und gleichrangigen Anteil an den Gesetzen gegeben! Das wollte jener [Julian] den Christen wegnehmen. So war es weder möglich, dass die Opfer der Tyrannenherrschaft bei Gericht Schutz fanden …

Bei Sozomenos klingt das so, als habe Julian den Nichtopferern den Umfang ihrer Bürgerrechte beschnitten, mit der Folge, dass sie u. a. nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen konnten. Der Gedankengang bei Sozomenos’ Quelle Gregor ist jedoch genau andersherum: Weil für jeden (damit auch Christen) das Opfer Voraussetzung für die Teilnahme an Veranstaltungen offizieller Natur war, bewirkte Julian einen faktischen (nicht einen juristischen) Ausschluss der Christen von Veranstaltungen (mithin auch von Gerichtssitzungen). Christen konnten folglich ihre Rechte nicht mehr vor Gericht geltend machen – deswegen (nicht andersherum) hatten sie nicht mehr »gleichen Anteil an den Gesetzen« (»Gesetze« als Metapher für »Recht«, das ggf. vor Gericht gesprochen wird). Man darf also ja nicht auf die Idee kommen, in Julians Gesetzgebung eventuell ein Vorbild für eine spätere Beschneidung der Bürgerrechte von Häretikern in Form eines Ausschlusses aus der Öffentlichkeit zu suchen, indem man sich auf das Zeugnis des Sozomenos beruft. Die dritte Passage aus Sozomenos, die wir uns ansehen müssen, ist seine Zusammenfassung des berühmten Edikts von Thessaloniki, Cunctos populos (Soz. 7.4.5 f.):

möglicherweise relevante passagen bei sozomenos

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… νόμον ἐκ Θεσσαλονίκης προσεφώνησε τῷ δήμῳ Κωνσταντινουπόλεως συνεῖδε γὰρ ἐνθένδε ὡς ἀπό τινος ἀκροπόλεως τῆς πάσης ὑπηκόου καὶ ταῖς ἄλλαις πόλεσι δήλην ἔσεσθαι ἐν τάχει τὴν γραφήν. 6. ἐδήλου δὲ διὰ ταύτης βούλεσθαι πάντας τοὺς ἀρχομένους θρησκεύειν, ὡς ἐξ ἀρχῆς Ῥωμαίοις παρέδωκε Πέτρος ὁ κορυφαῖος τῶν ἀποστόλων, ἐφύλαττον δὲ τότε Δάμασος ὁ Ῥώμης ἐπίσκοπος καὶ Πέτρος ὁ Ἀλεξανδρείας μόνων δὲ τῶν ἰσότιμον τριάδα θείαν θρησκευόντων καθολικὴν τὴν ἐκκλησίαν ὀνομάζεσθαι, τοὺς δὲ παρὰ ταῦτα δοξάζοντας αἱρετικοὺς προσαγορεύεσθαι καὶ ἀτίμους εἶναι καὶ τιμωρίαν προσδέχεσθαι.

… von Thessaloniki aus verkündete er ein Edikt an die Konstantinopolitaner. Denn ihm war klar, dass von dort wie von einer Akropolis des Gesamtreichs die Regelung auch allen anderen Städten alsbald bekannt würde. 6. Er erklärte darin, dass er wolle, dass alle seine Untertanen so die Religion praktizierten, wie es von Anfang an Petrus, der führende Apostel, den Römern tradiert habe, und wie es damals Damasus, Bischof von Rom, sowie Petrus, Bischof von Alexandreia, bewahrten. Nur die Kirche derjenigen, die die göttliche Dreiheit gleichrangig verehrten, dürfe katholisch genannt werde; diejenigen aber, die etwas glaubten, was dem entgegengesetzt war, seien als Häretiker zu apostrophieren, seien infam und sollten eine Strafe empfangen.

Wie gesagt, gehörte der Codex Theodosianus zu den Quellen des Sozomenos, und als Jurist sollte er doch den Text zuverlässig wiedergeben. Vergleicht man nun Sozomenos’ Text mit dem Codex-Theodosianus-Fragment (CTh. 16.1.2 vom 27. Februar 380), merkt man, wie eng der Kirchenschriftsteller dem Wortlaut des Edikts im Grundsatz folgt: Imppp. Gratianus, Valentinianus et Theodosius AAA. Edictum ad populum urbis Constantinopolitanae: Cunctos populos, quos Clementiae Nostrae regit temperamentum, in tali volumus religione versari, quam divinum Petrum apostolum tradidisse Romanis religio usque ad nunc ab ipso insinuata declarat quamque pontificem Damasum sequi claret et Petrum Alexandriae episcopum virum apostolicae sanctitatis, hoc est, ut secundum apostolicam disciplinam evangelicamque doctrinam patris et filii et spiritus sancti unam deitatem sub parili maiestate et sub pia trinitate credamus. 1. Hanc legem sequentes Christianorum catholicorum nomen iubemus amplecti, reliquos vero dementes vesanosque iudicantes haeretici dogmatis infamiam sustinere nec conciliabula eorum ecclesiarum nomen accipere, divina primum vindicta, post etiam motus Nostri (quem ex caelesti arbitrio sumpserimus) ultione plectendos. Dat. III kal. Mar. Thessalonicae Gratiano A. V et Theodosio A. I conss.

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der hintergrund Die Kaiser Gratian, Valentinian und Theodosius. Edikt an das Volk der Stadt Konstantinopel: Wir ordnen an, dass sich alle Menschen, die die Herrschaft Unserer Klemenz lenkt, in solcher Religion befinden, wie sie der göttliche Apostel Petrus den Römern tradiert hat (ein Faktum, das die von ihm bis heute etablierte Religion offenbart!) und der erwiesenermaßen der Pontifex Damasus folgt sowie der Bischof Alexandreias, Petrus, ein Mann apostolischer Heiligkeit, nämlich: dass wir gemäß der Lehre der Apostel und des Evangeliums an eine Gottheit des Vaters, des Sohns und des Heiligen Geists bei gleicher Majestät und in frommer Dreiheit glauben. 1. Wir bestimmen, dass diejenigen, die diesem Gesetz folgen, den Namen »katholische Christen« führen sollen, dass aber auf den übrigen – die wir als irr und verrückt ansehen! – die Schande [infamia] einer häretischen Anschauung laste und dass ihre Versammlungslokale nicht den Namen »Kirchen« tragen dürfen. Sie sind zunächst durch göttliche Strafe, später auch durch Sanktionierung gemäß Unserer Entscheidung 192 (die wir aus himmlischem Ratschluss treffen werden) zu züchtigen. Abgeschickt am 3. Tag vor den Kalenden des März in Thessaloniki unter dem Konsulat der beiden Kaiser Gratian (zum 5. Mal) und Theodosius (zum 1. Mal). [27. Februar 380]

Es ist klar, dass Sozomenos keine weiteren Informationen zu Gebote standen als uns; alle von ihm gegebenen Details sind im Text von CTh. 16.1.2 erwähnt, und seine Deutung, weswegen ein Edikt an die Konstantinopolitaner (und nicht einfach ad populum) erging, ist offensichtlich improvisiert und jedenfalls nicht in sich konsistent. 193 Van Nuffelen (2004, S. 55 Anm. 309, S. 129 Anm. 204) hat als Unterschied angesehen, dass Sozomenos behaupte, Theodosius bedrohe die Häretiker mit weltlichen Repressalien, während das Gesetz nur von einer göttlichen Bestrafung spreche; aber tatsächlich steht im 192 Ein anderes Verständnis dieser Stelle findet sich bei Errington 1997b, S. 37

Anm. 77: »The future punishments … include motus nostri ultione (line 12), which implies an intended imperial presence«. Mir bleibt unklar, wie genau Errington das Wort motus auffasst; sofern es in der häufigen juristischen Bedeutung »Wille, Entschluss« (vgl. Heumann/Seckel, s. v. 2) steht, so könnte dieser »Wille« theoretisch auch brieflich kundgetan werden und impliziert jedenfalls nicht unbedingt körperliche Anwesenheit. 193 Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder war Cunctos populos tatsächlich nur an die Konstantinopolitaner gerichtet. Dann hat Sozomenos Unrecht, wenn er Theodosius den Wunsch nach einer weiteren Verbreitung unterstellt. Oder das Edikt war in Wirklichkeit für »alle« intendiert. Dann gab es weitere Ausfertigungen, die von Theodosius (nicht »von Konstantinopel«) ausgingen. Für eine andere Deutung, die mir nicht überzeugend scheint, vgl. → S. 401.

möglicherweise relevante passagen bei sozomenos

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Edikt, die Häretiker sollen zunächst eine göttliche Strafe empfangen, später aber auch noch eine weltliche Sanktion (die sich Theodosius erst noch ausdenken muss). Angliviel de la Beaumelle/Sabbah (in Festugière, S. 84 f. Anm. 2) kritisieren daher Van Nuffelen und urteilen selbst: »Sozomène résume de manière exacte, en juriste, le contenu de cet édit«. Doch auch dem wird man nicht zustimmen können. Die Unterscheidung zwischen Rechtgläubigkeit und Häresie ist eminent wichtig, da die speziellen Privilegien einer Bischofskirche (etwa die Vermögensfähigkeit als antike Vorform einer juristischen Person und die Erbfähigkeit) nicht für häretische oder schismatische »Kirchen« (in Anführungszeichen, weil ihnen regelmäßig der Name »Kirche« verweigert wurde) galten (CTh. 16.5.1 sowie vgl. → S. 587). Für einen kompetenten Advokaten müsste es höchst relevant sein, wenn nichtnizänischen »Kirchen« ausdrücklich das Etikett »Kirche« (mit all den damit verbundenen Vorrechten) abgesprochen wird. Aber diesen entscheidenden Punkt übergeht Sozomenos ganz, und die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, dass sich unser Jurist der Tragweite dieser Regelung nicht bewusst war. Schlimmer: Sozomenos behauptet, Theodosius habe alle Nichtnizäner infamiert. Doch dies lässt sich nicht in den lateinischen Originaltext hineinlesen: Theodosius spricht von der »infamia [i. S. v. »Schande«] eines häretischen Dogmas«, nicht von der Infamie der häretischen Personen; systematisch wäre eine solche Regelung zwischen dem Verbot, die eigenen Anhänger als katholische Christen, und dem Verbot, die eigenen Kultstätten als »Kirchen« zu bezeichnen, völlig fehl am Platze; ferner hätte eine solche allgemeine Infamie enorme Konsequenzen, von denen wir nie hören; auch würde sie später nie bestätigt (oder aufgehoben), und zahlreiche jüngere Regelungen (etwa das militia-Verbot gegen bestimmte Häretikergruppen usw.) wären unerklärlich, wären bereits alle Heterodoxen seit Cunctos populos infam (→ S. 376). Letztlich ist diese Sozomenos-Passage das beste Beispiel für die (auch bei modernen Autoren anzutreffende) zweifelhafte Methode, jedes Auftreten eines Worts aus der Wortfamilie infamia o. ä. in einem Gesetz reflexartig als Infamie-Erklärung aufzufassen (→ S. 358). Selbst als Jurist war Sozomenos nicht vor solchen Missverständnissen gefeit, aber das muss nicht wundernehmen: Bekanntlich beklagten sich viele Zeitgenossen über die Missverständlichkeit von Gesetzen (→ S. 228). In einem vielzitierten Aufsatz hat Errington eine ganz andere Deutung von Cunctos populos und der Darstellung bei Sozomenos gegeben (Errington 1997a, S. 411– 416): Nach Errington (S. 413) sei scharf zwischen Principium (er nennt es merkwürdigerweise »paragraph 1«) mit dem »general wish« volumus und § 1 (bei Errington »paragraph 2«) mit der »formal regulation« iubemus zu trennen. Diese semantische

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der hintergrund

Behauptung wird durch nichts begründet und fußt anscheinend nur auf Erringtons Sprachgefühl. Tatsächlich bezeichnet volumus nicht einen frommen Wunsch, sondern bedeutet »wir ordnen an« (→ S. 236). Unter Berufung auf Barceló/Gottlieb übersetzt Errington (S. 412) cunctos populos als »The citizens of all cities«. Tatsächlich ist die lexikalische Diskussion bei Barceló/Gottlieb (S. 413–417), die im vorliegenden Edikt populi i. S. v. »Einwohnerschaften von civitates« verstehen wollen, unbefriedigend. An der Realität ganz vorbei geht ihre Arbeitsprämisse (S. 414): »In allen Fällen handelt es sich um Rechtstexte, die den Normen und Regeln der Rechts- und Kanzleisprache unterlagen. Der Gebrauch von populus (bzw. populi) dürfte aus eben diesen Gründen einheitlich sein«. Die spätantik breit belegte Bedeutung »Menschen« für populi (vgl. Cramer, insb. S. 370–375) wird nie in Erwägung gezogen, doch tatsächlich kann populi an verschiedenen Stellen im Codex Theodosianus keinesfalls »Völker« oder »Einwohnerschaften« bedeuten, vgl. CTh. 16.2.6, nec temere et citra modum populi clericis conectantur, »Leute [populi] sollen nicht ohne Bedacht und Maß unter die Kleriker aufgenommen werden«, oder CTh. 16.8.14, noverint igitur populi Iudaeorum, »die Leute [populi] der Juden sollen also wissen«. Wenn Theodosius I. von allen populi spricht, die er beherrscht, dann muss er damit im Kontext »Menschen«, vielleicht »Völker« meinen – sicher aber nicht Bürgerschaften im administrativen Sinn, außer man möchte glauben, Theodosius I. wolle explizit Sklaven, Deditizier und Latini Juniani von seinem Wunsche, cuncti sollen Christen werden, ausschließen (vgl. auch Baccari 2011, S. 191–193). Aufgrund einer nicht nachvollziehbaren Argumentation kommt Errington zu dem Ergebnis, in § 1 (den er »paragraph 2« nennt) gehe es nur um Kleriker. 194 Da 194 Erringtons Gedankengang (Errington 1997a, S. 413) läuft wie folgt: CTh. 16.2.25

trägt dieselbe Subskription wie Cunctos populos, müsse also zum Originaledikt gehören. Das ist möglich, aber keineswegs sicher, denn tatsächlich ist die Inskription von CTh. 16.2.25 verderbt (sie bricht mit Nennung des Kaiserkollegiums ab), und dass separate Gesetze dieselbe Subskription tragen, kommt durchaus vor (vgl. → S. 547). CTh. 16.2.25 lautet: Qui divinae legis sanctitatem aut nesciendo confundunt aut neglegendo violant et offendunt, sacrilegium committunt, »Diejenigen, die die Heiligkeit des göttlichen Gesetzes entweder durch Unwissenheit durcheinanderbringen oder durch Vernachlässigung verletzen und beleidigen, begehen ein sacrilegium [Majestätsverbrechen: → S. 443].« Diesen Tatbestand, so anscheinend Errington, können nur Kleriker erfüllen; und weiter: »the fragment … shows that those primarily addressed by the edict were the clergy responsible for the organised perpetuation of heresy, not the man on the street«. Aber selbst wenn CTh. 16.2.25 Teil des Originaltexts von Cunctos populos wäre und selbst wenn nur Kleriker den Tatbestand von CTh. 16.2.25 erfüllen könnten (auch Letzteres ist trotz der Einordnung des Fragments nach CTh. 16.2, De episcopis, ecclesiis et clericis, nicht sicher), hätte das keinerlei Bedeutung dafür, wer von Cunctos populos betroffen ist. Es geht in der Passage, die als CTh. 16.1.2 zitiert wird, nun einmal um cuncti populi, nicht um Kleriker; und die Zahl der Konstitutionen, die in verschiedenen Passagen mitunter recht unterschiedliche Dinge regeln, ist Legion (es sei z. B. an den Sohn des Licinianus erinnert,

möglicherweise relevante passagen bei sozomenos

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nun § 1 angeblich Infamie androhe, und zwar, wie er meint, nur gegen Kleriker, gehe es in Cunctos populos darum, häretische Kleriker mit dem Verlust ihrer Privilegien zu bedrohen: »those … were to lose … their rights to be accepted by the emperor as priests and bishops with all associated rights and privileges«. Weil Errington die Rechtslage konsequent ignoriert – wonach eine ecclesia als antike Vorform einer juristischen Person über zahlreiche Vorrechte verfügt, die nichtnizänischen Gemeinschaften aber laut Cunctos populos keine ecclesiae sind –, missversteht er auch das Ende von § 1 und stellt einen Zusammenhang mit der »occupation of all church buildings [!] in Constantinople« her. Erringtons Grundidee ist, Cunctos populos eine Bedeutung über die aktuelle Situation in Konstantinopel im Jahr 380 hinaus abzusprechen. Deswegen erklärt er das Principium zum frommen Wunsch des Kaisers, und deswegen soll es in § 1 um Kirchengebäude in Konstantinopel gehen. Aufgrund seiner Prämisse interpretiert er auch das, was Sozomenos zu sagen hat (Errington 1997a, S. 415): »The law was aimed at Constantinople because, Sozomenos reasonably infers, this was where the most trouble was and where Theodosius was soon to go. For Sozomenos the law explicitly fulfilled the function of preparing the ground for Theodosius’ entry into Constantinople. His comment that Theodosius knew that knowledge of it would spread from there to the whole empire is doubtless based on his own practical experience. For us, however, it is an invaluable indication that Sozomenos the lawyer did not expect that this law addressed to the people of Constantinople would officially be transmitted beyond Constantinople. The way he envisages for the transmission (for which in practice there is no evidence at all) is unofficial«. Erringtons ersten Satz mit Sozomenos’ vernünftiger Schlussfolgerung verstehe ich gar nicht, denn nichts dergleichen finde ich bei Sozomenos. Errington unterlegt seinen nächsten Satz mit einer Fußnote, worin er nur Soz. 7.5.1 zitiert: Ταῦτα νομοθετήσας, οὐ πολλῷ ὕστερον ἧκεν εἰς Κωνσταντινούπολιν, »Nachdem er dies verordnet hatte, kam er nicht viel später [!] nach Konstantinopel« – Errington deutet also willkürlich einen klar temporalen Bezug zu einem angeblich eindeutig (»explicitly«) sachlichen um. Erringtons nächsten Satz verstehe ich auch nicht: Hat Theodosius nun eine Verbreitung gewünscht, wie Sozomenos impliziert? Wenn ja: Warum hat er die Regelung nicht einfach selbst überall proponieren lassen? Wenn nein: Warum wollte er dann, dass sich die Regelung (die laut Errington nur für Konstantinopel bestimmt war) von dort überall hin verbreitete? Besonders überraschend ist, dass Errington zum Schluss Sozomenos aufgrund dessen angeblicher juristischer Kompetenz zum Kronzeugen dafür macht, dass die Anwendung der Regelung auf Konstantinopel beschränkt war – in diesem Fall hätte Sozomenos gerade nicht behaupten dürfen, dass Theodosius das Gesetz deswegen nach Konstantinopel sandte, weil er dies für die effizienteste Verbreitungsmethode hielt! Wir wissen schlichtweg nicht, ob der Text von Cunctos populos ausschließlich in Konstantinopel veröffentlicht wurde oder ob es nicht doch weitere Ausfertigungen in → S. 292, oder an Theodosius’ Abneigung gegen feminine Kurzhaarfrisuren, → S. 305; für die Novellen vgl. → S. 251).

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der hintergrund

Edikt- oder Briefform gab (→ S. 69). Die Formulierungen von Cunctos populos lassen eher an eine globale Maßnahme glauben: Zumindest im erhaltenen Fragment wird nirgendwo auf die Situation in Konstantinopel Bezug genommen; Theodosius spricht ja von cuncti populi quos Clementiae Nostrae regit temperamentum, nicht etwa von (z. B.) qui in hac urbe consistunt. Die Inskription edictum ad populum urbis Constantinopolitanae sollte man nicht überbewerten: Sie erscheint im ganzen Codex Theodosianus nur ein zweites Mal, nämlich bei CTh. 10.18.2, einem Edikt, das den Eigentumserwerb beim Schatzfund abweichend von der Hadrianischen Teilung (Hälfte für Finder und Hälfte für Grundeigentümer, vgl. Hist. Aug. Hadr. 18.6; I. 2.1.39; sowie § 984 BGB) so regelt, dass der Finder drei Viertel, der Grundeigentümer nur ein Viertel erhält. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum diese Regelung ausschließlich für Konstantinopel gegolten haben soll. Mehr noch: Cunctos populos wurde in Thessaloniki abgeschickt (Datum: 27. Februar 380), das Schatzteilungsedikt ebenfalls in Thessaloniki (Datum: 26. Januar 380). Aus dem engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang würde ich schließen, dass irgendjemand (sei es die Person, die für die Veröffentlichung in Konstantinopel zuständig war, oder die Person, die die Abschrift des ausgehenden Briefs machte – je nachdem, welche Kopie die Kompilatoren später verwendeten) in den ersten Wochen des Jahres 380 die Exemplare eines Edikts, die für Konstantinopel ausgefertigt wurden, mit edictum ad populum urbis Constantinopolitanae anstelle von edictum ad populum oder edictum ad populum urbis Constantinopolitanae et ad omnes provinciales überschrieb. Wer weiter behaupten will, Cunctos populos habe nur für Konstantinopel gegolten, müsste zunächst eine plausible Erklärung liefern, warum ausschließlich in Konstantinopel Schatzfunde 75 % : 25 % geteilt werden sollten.

Die vierte Passage, die uns hier interessiert, findet sich unmittelbar nach dem Bericht über das sogenannte »Konzil aller Häresien« von 383 (→ S. 461). Sozomenos schreibt (7.12.11 f.): ὁ δὲ βασιλεὺς νομοθετῶν ἐκέλευσε τοὺς ἑτεροδόξους μήτε ἐκκλησιάζειν μήτε περὶ πίστεως διδάσκειν μήτε ἐπισκόπους ἢ ἄλλους χειροτονεῖν, καὶ τοὺς μὲν πόλεων καὶ ἀγρῶν ἐλαύνεσθαι, τοὺς δὲ ἀτίμους εἶναι καὶ πολιτείας ὁμοίας μὴ μετέχειν τοῖς ἄλλοις. 12. καὶ χαλεπὰς τοῖς νόμοις ἐνέγραφε τιμωρίας, ἀλλ’ οὐκ ἐπεξῄει οὐ γὰρ τιμωρεῖσθαι, ἀλλ’ εἰς δέος καθιστᾶν τοὺς ὑπηκόους ἐσπούδαζεν, ὅπως ὁμόφρονες αὐτῷ γένοιντο περὶ τὸ θεῖον.

Der Kaiser erließ Gesetze, mit denen er den Heterodoxen untersagte, sich zu versammeln, in Glaubensdingen zu lehren und Bischöfe oder andere [Kleriker] zu ernennen. Teils ließ er sie aus den Städten und Territorien verjagen, teils verhängte er die Infamie über sie und ließ sie nicht in gleicher Weise wie die anderen am Bürgerrecht teilhaben. 12. In den Gesetzen legte er empfindliche Strafen fest, aber er wandte sie nicht an, denn es ging ihm nicht darum, seine Untertanen zu bestrafen, sondern darum, ihnen Angst einzujagen, damit sie sich in Religionsfragen seiner Meinung anschlössen.

möglicherweise relevante passagen bei sozomenos

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Tatsächlich finden sich im Codex Theodosianus zwei Gesetze des Theodosius I., die im Jahr 383 nach dem »Konzil aller Häresien« ergingen, nämlich CTh. 16.5.11 und 16.5.12. Beide sind gegen eine Vielzahl von Häresien gerichtet. CTh. 16.5.11 untersagt häretische Versammlungen, die Verwendung von Privathäusern als häretische Geheimtreffs sowie häretischen Kult im Öffentlichen wie im Privaten; Übertreter sind »aus der Gemeinschaft aller Guten zu vertreiben«, also wohl auszuweisen (→ S. 347). CTh. 16.5.12 untersagt Versammlungen, Kirchenbauten, Kultfeiern und Priesterweihen. Immobilien sind zu beschlagnahmen, Kleriker in ihre Heimatorte zurückzuschicken. Die Bestimmungen von CTh. 16.5.11 f. decken sich also nur teilweise mit den von Sozomenos aufgezählten Maßnahmen; 195 Sozomenos scheint demnach allgemein über Theodosius’ Religionspolitik (und nicht nur über die des Jahres 383) zu sprechen. Die Behauptung, Theodosius habe Häretiker nicht behelligt, steht in merkwürdigem Widerspruch zu einer anderen Passage, in der Sozomenos angibt, Theodosius I. habe Häresiarchen (Plural!) in die Verbannung geschickt (Soz. 6.26.11): καὶ ἡ Θεοδοσίου βασιλεία οὐκ εἰς μακρὰν ἐπιγενομένη τὴν ἐπιχείρησιν ἔστησεν καὶ αὐτοὺς τοὺς ἀρχηγοὺς τῶν αἱρέσεων ἐκ τοῦ συχνοτέρου τῆς ἀρχομένης εἰς ἐρημοτέρους τόπους ἐχώρισεν,

»Die nicht viel später beginnende Kaiserherrschaft des Theodosius stoppte den Angriff und verbannte die Anführer der Häresien aus volkreichem Gebiet des Reichs zu eher einsamen Orten«. 196 Auch angesichts der Flut von Gesetzen gegen Heterodoxe unter Theodosius wird man seiner angeblichen Milde a priori mit einer gewissen Skepsis gegenüberstehen, wenn uns auch für die theodosianische Zeit eine Quelle fehlt, die so anschaulich wie Augustin unter Honorius von Exilierungen, Konfiskationen und anderen Maßnahmen gegen Heterodoxe berichten würde (aber vgl. immerhin Philostorg. 9.19). Inwieweit

195 Van Nuffelen 2004, S. 385, schreibt, dass sich Sozomenos, »restituant l’information

exacte«, positiv von Sokrates, »brouillant sa source«, absetze; im Gegensatz zu Sokrates gebe Sozomenos also den Inhalt der Gesetze getreu wieder. In der Tat lässt sich das novatianerfreundliche Gesetz von Sokrates (5.10.28) nicht mit CTh. 16.5.11 f. identifizieren (wobei man nicht ausschließen kann, dass er sich auf eine weitere, nicht überlieferte Regelung bezieht); aber Sozomenos ist seinerseits weit davon entfernt, die Bestimmungen von CTh. 16.5.11 f. (die ihm im CTh. schriftlich vorlagen) exakt zu referieren. 196 Bei dieser Passage geht es im Kontext um die Eunomianer (→ S. 615), und im nächsten Satz wird unmittelbar auf die Aetianer angespielt; zwar wurde Aetios in der Tat verbannt, starb aber bereits in den 360ern, sodass Theodosius nichts mit dessen Exil zu tun hat. Laut Sokrates (5.20.4 f.) bestrafte Theodosius niemand außer Eunomios selbst; insbesondere durften sich alle Häretiker angeblich frei versammeln.

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Theodosius seine Gesetze in Anwendung brachte oder sie hauptsächlich als Drohkulisse aufbaute, lässt sich also nicht mit Bestimmtheit sagen. Die bei Sozomenos erwähnte Infamie wird sich entweder auf das von ihm missverstandene Cunctos populos oder auf eines der Gesetze gegen Manichäer oder Donatisten (die ihm aus dem Codex Theodosianus bekannt sein mussten) beziehen; die nicht vollständige Teilhabe am Bürgerrecht dürfte auf die Testierverbote anspielen, die ja gelegentlich in den Gesetzestexten mit Formulierungen verbunden werden, die auf das Bürgerrecht verweisen (→ S. 260). Für diese im Ungefähren verbleibende Passage, die offensichtlich (abgesehen von der angeblichen Milde des Kaisers) vom Codex Theodosianus abhängt, hat Sozomenos schwerlich irgendeine andere Quelle als dieses Rechtsbuch verwendet. Man muss sich davor hüten, dem Sozomenos weiterreichende Kenntnisse zuzuschreiben: Mit einer Ausnahme finden wir alle bei ihm erwähnten Rechtstexte entweder im Codex Theodosianus selbst oder in früheren Kirchenhistorikern wieder. 197 Ihm stand also offenbar auch nicht mehr Material zu Gebote als uns Modernen. Man müsste schon sehr viel Zutrauen zu Sozomenos haben, wenn man allein aufgrund dieser Passage annähme, Theodosius habe seine Gesetze ohne tatsächlichen Anwendungswillen erlassen. 198 Errington (1997a, S. 422 f.) entdeckt in dieser Passage Kritik des Sozomenos: »this apparently neutral comment on the penalties’ not being imposed in practice, indeed not even been intended to be imposed, coming from a lawyer, could certainly be 197 Van Nuffelen 2004, S. 55; die Liste der Gesetze aus Kirchenhistorikern Van Nuffe-

len 2004, S. 55 Anm. 308. Die Ausnahme ist das in Soz. 1.8.10 und 5.5.3 erwähnte konstantinische Gesetz, wonach Städte Land an die örtlichen Kirchen bzw. Kleriker abtreten mussten; vielleicht stand das entsprechende Exzerpt einst im trümmerhaft überlieferten Buch 5 des Codex Theodosianus (→ S. 179). Anders Harries 1986, S. 48 f., die denkt, Sozomenos habe nicht nur den Codex Theodosianus verwendet, sondern auch »independent research« betrieben und »archival material missed or omitted by the compilers« ausgewertet. Doch ihre Begründung überzeugt nicht: Sozomenos’ Paraphrase von CTh. 1.27.1 enthalte Details, die im überlieferten Fragment fehlen – aber das von Harries Vermisste könnte der Kirchenhistoriker durchaus in den Text hineingelesen haben (zudem ist der Titel CTh. 1.27 bekanntlich unvollständig überliefert, sodass man ohnehin keine Schlussfolgerungen aus darin wahrgenommenen Lücken ableiten sollte). 198 Diese Vorstellung wäre zudem nur in räumlicher Nähe zum Kaiserhof plausibel. Denn eine Konstitution, die in eine ferne Provinz gelangt, entwickelt alsbald ein Eigenleben: Interessierte werden sie bei Gericht vorlegen, und der Statthalter muss ohne Kontakt zur Zentrale Entscheidungen treffen, die sich notgedrungen an den schriftlichen Weisungen des Kaisers orientieren (und nicht an dessen unbekannten Hintergedanken).

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interpreted as a tacit criticism of misuse of legislative processes. … His comment can therefore perhaps cover a hidden criticism, either of Theodosius I for misusing legislation for purely publicistic purposes – or possibly even of a more rigorous practice in his own day. … [S. 423] In modern terms, he characterises the nineteen preserved laws on this subject [d. h. Häresiegesetze unter Theodosius I.] as imperial propaganda«. Tatsächlich findet sich in der Sozomenos-Passage keinerlei Hinweis auf eine Kritik an Theodosius. Es geht dem Kirchenschriftsteller (wie an diversen anderen Stellen auch) vielmehr darum, die Milde des Kaisers herauszustellen. Sozomenos muss sie in der vorliegenden Passage notgedrungen mit der durchaus deftigen Heterodoxengesetzgebung von Theodosius I. in Einklang bringen. Die Auflösung des daraus resultierenden Widerspruchs gelingt dem Kirchenhistoriker, wie mir scheint, mehr schlecht als recht.

Zusammenfassung und Ausblick Sieht man einmal davon ab, dass für vieles, was im weiteren Verlauf dieses Buchs zu besprechen sein wird, hier das Fundament gelegt wurde, so war das vorliegende Kapitel in erster Linie destruktiv: Ehe wir in den weiteren Abschnitten ans Material gehen, war es mein Anliegen, die Unzulänglichkeit der vorhandenen Theorien aufzuzeigen. Viel Energie wurde dabei auf die Symboliktheorie verwendet, für die nach eingehender Analyse des Materials eigentlich gar nichts mehr spricht. 199 Es war mir wichtig, dies nicht als Ballast für die weitere Analyse mitzuschleppen, sodass wir uns den Texten mit unverstelltem Blick nähern können (anstatt viel Platz und Mühe darauf zu verwenden, immer und immer wieder zu zeigen, dass der Inhalt des gerade zu diskutierenden Gesetzes keinesfalls den Vorstellungen der Communis Opinio entspricht). Wenn es aber bei den erbrechtlichen und verwandten Sanktionen nicht darum ging, Heterodoxe symbolisch zu marginalisieren, was steckte dann da199 Die Argumente seien hier noch einmal rekapituliert: Die Ausschlussformulierungen,

die eine solche Interpretation nahelegen mögen, kommen in Wirklichkeit in zahlreichen, auch ganz anderen Kontexten vor; dass Manichäer weiter sui haben, beweist, dass sie ihre patria potestas (und damit das Bürgerrecht) behalten haben; Apostaten können nach einer Konstitution (unter Einschränkungen) testieren – doch wer ein Testament errichtet, kann unmöglich Nichtbürger sein; die Deportation, die nun unzweifelhaft einen Bürgerrechtsverlust zu Folge hat, wird normalerweise gerade nicht gegen Häretiker verhängt (und wenn, dann nicht gegen Manichäer); Sozomenos, den man als zeitgenössischen Kronzeugen in Anspruch nehmen könnte, besitzt nicht mehr Informationen als wir und beweist mehrfach, dass er Quellen und rechtliche Konzepte missversteht.

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der hintergrund

hinter? Den Versuch einer Antwort darauf will ich im Rahmen einer ausführlichen Analyse der einschlägigen Gesetzestexte (und sonstigen Quellen) wagen. Erbrechtliche und verwandte Sanktionen wurden im Untersuchungszeitraum (grosso modo) nur gegen vier Gruppen erlassen, Apostaten, Manichäer, Eunomianer, Donatisten. Man könnte alle Gesetze der chronologischen Folge nach analysieren; doch zeigt sich rasch, dass man in der Tat von einer Manichäergesetzgebung (usw.) sprechen kann, es also unbedingt sinnvoll ist, den Verlauf der Gesetzgebung gegen die verschiedenen betroffenen Heterodoxengruppen jeweils als einzelnen thematischen Block zu besprechen. Beim Lesen wird die Vorzugswürdigkeit dieser Gliederungsweise schnell klar werden. Freilich kommt es gelegentlich zu Bezügen zwischen den einzelnen Gruppen; dem wird, wie auch schon bisher, durch Seitenverweise Rechnung getragen. Eine Erklärung verlangt die Abfolge der Einzelkapitel. Chronologisch das erste Gesetz mit einem Testierverbot gegen Heterodoxe erging gegen Apostaten (381), kurz danach folgten die Manichäer (381), Jahre später die Eunomianer (389), noch viel später die Donatisten (404/5, → S. 548). Die Abfolge meiner Kapitel, Manichäer – Donatisten – Eunomianer – Apostaten, mag also auf den ersten Blick willkürlich erscheinen, aber sie ist es nicht. Ich beginne mit den Manichäern, weil gegen sie zwar nicht das erste Gesetz, aber das erste ausführliche Gesetz erging; weil sich bei ihnen eine plausible (wenn auch spekulative) Erklärung geben lässt, weshalb sie von Kaisern auf so ungewöhnliche Weise sanktioniert wurden; und vor allem, weil man die Manichäergesetzgebung verstanden haben muss, ehe man sich den Donatisten zuwenden kann. Die Donatisten, die an zweiter Stelle folgen, nehmen in meinem Erklärungsmodell eine Schlüsselrolle ein, denn in ihrem Fall gibt es dank ausreichender Sekundärüberlieferung genug Material, um mit Bestimmtheit sagen zu können, wie es zur erbrechtlichen Gesetzgebung gegen sie kam und wie diese motiviert war. An den Eunomianern lässt sich das anhand der Donatistengesetzgebung gewonnene Modell prüfen und verifizieren. In der Gliederung an letzter Stelle stehen die Apostaten (und das, obwohl das chronologisch erste Testierverbot gegen sie verhängt wurde). Dies erklärt sich dadurch, dass die Gesetze gegen Apostaten besonders wenig Anhaltspunkte für eine Deutung aufweisen, man also nicht mit den Apostaten beginnen kann, will man eine Theorie aufstellen; doch das Modell, das sich bei den Donatisten gewinnen und anhand der Eunomianer bestätigen ließ, erlaubt auch in diesem Fall eine plausible Deutung. Das möglicherweise überraschende Endjahr der Studie, nämlich 428, ist das Jahr, in dem CTh. 16.5.65 erging. CTh. 16.5.65 ist ein umfangreiches Häretikergesetz, das als erstes Gesetz erbrechtliche Sanktionen verhängt,

zusammenfassung und ausblick

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ohne sich ausdrücklich auf eine der vier genannten Gruppen zu beziehen. Diese Konstitution markiert damit in der Geschichte der erbrechtlichen Sanktionen gegen Heterodoxe einen Wendepunkt: Danach sind diese Strafen nicht mehr an die vier Gruppen gekoppelt. So können sie beispielsweise nach dem Konzil von Chalkedon den Anhängern des Eutyches neben all den anderen typischen Häretikerstrafen ganz routinemäßig in Aussicht gestellt werden. Unter Justinian werden die erbrechtlichen Sanktionen systematisiert und regularisiert, nachdem sie bereits zuvor die nordafrikanischen Vandalen gegen ihre katholischen Untertanen einsetzten. Sehr viel später, im Hochmittelalter, hat sie dann Innozenz III. als Waffe gegen Katharer und andere Ketzer neu entdeckt. Aber die spätere Geschichte und die Rezeption der erbrechtlichen Sanktionen werden wir erst am Ende dieses Buchs kurz betrachten, denn all dies liegt bereits jenseits des Themas.

III

manichäer Mani, von dessen Namen sich die Fremdbezeichnung (Coyle, S. 3 f.) »Manichäer« 1 für die von ihm begründete Glaubensgemeinschaft ableitet, war 276 oder 277 n. Chr. ums Leben gekommen, 2 und zwar in persischer Haft, in die ihn der Sasanidenkönig hatte nehmen lassen. Auch jenseits der Grenze, im römischen Reich, war seine Religion nicht wohlgelitten. Bereits ungefähr eine Generation nach dem Tod Manis, also um 300, 3 beschied Diokletian auf die Anfrage eines Statthalters, dass folgendermaßen mit Manichäern zu verfahren sei: 4 Die auctores ac principes una cum abominandis scripturis, die »Urheber und Anführer samt ihren verabscheuungswürdigen Schriften«, seien zu verbrennen. 5 Die consentanei, die »Glaubensgenossen«, sollten ebenfalls, wenn 1

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Die Literatur zum Manichäismus ist ausufernd. Besonders nützlich fand ich die Einleitung des (eigentlich einem Spezialthema gewidmeten) Buchs von Kristionat, die keiner Frage aus dem Weg geht und zuverlässig auf die neueste Literatur verweist. Die einschlägige Monografie von Lieu enthält nicht wenige Missverständnisse (dazu gelegentlich mehr im Weiteren). Zum afrikanischen Manichäismus, der uns besonders interessieren wird, vgl. Decret, Wurst, Drecoll/Kudella. »Darüberhinaus [sic] ist die Datierung von Mānīs Lebensdaten eng mit der noch immer kontrovers diskutierten Chronologie der frühen Sāsānidenkönige verbunden. Daher gehört auch das Todesjahr Mānīs zu den umstrittensten Daten der sāsānidischen Geschichte des 3. Jahrhunderts n. Chr.« (Weber, S. 199, mit der gesamten Literatur); auch weitere Daten aus den 270ern wurden vorgeschlagen, vgl. Puech, S. 20. Der Manichäerbrief Diokletians (Coll. Mos. 15.3) enthält in der uns überlieferten Fassung keine Konsulndatierung. Die Prosopografie der Prokonsuln Afrikas (er ist an einen Iulianus proconsul Africae gerichtet), das Itinerar Diokletians (der den Brief in Alexandreia abschickte) sowie historische Erwägungen lassen für das Entstehungsjahr nur zwei plausible Alternativen zu, nämlich 297 oder 302. Mit sehr unterschiedlichen Argumenten hat man sich für das eine oder andere Jahr entschieden (Diskussion der vorgebrachten Argumente bei Mosig-Walburg, S. 169–172); die besseren Argumente sprechen für das spätere Datum (so Sperandio, S. 182; Corcoran, S. 135 mit Anm. 49, dort auch Verweise auf weniger wahrscheinliche Ideen). Der Diokletian-Brief war in der Vergangenheit Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Die Fleißarbeit von Minale (2013) hat die Forschungsliteratur in so umfangreicher Weise gesammelt, dass auf den einschlägigen Seiten (S. 17–128) zumeist mehr als Dreiviertel der Fläche nur von der Auflistung einschlägiger Arbeiten im Fußnotenapparat eingenommen wird. Mehr als ein Jahrhundert später scheint sich der Manichäer Felix auf die alte Drohung mit dem Feuertod zu beziehen: Nach der Konfiskation seiner mitgeführten

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auch offenbar nicht ganz so grausam, unter Einzug ihres Vermögens den Tod finden. Standespersonen unter ihnen erging es nur wenig besser: Sie wurden wie die anderen vollständig enteignet und dann in Steinbrüche gesteckt; sie verfielen damit der – nach den verschiedenen Hinrichtungsformen – schlimmsten römischen Bestrafung. 6 In seiner Begründung 7 charakterisiert Diokletian die Manichäer als nuperrime veluti nova et inopinata prodigia in hunc mundum de Persica adversaria nobis gente progressa, als Leute also, die »erst ganz unlängst als neuartige und gänzlich unerwartete Monstren von unseren Feinden, den Persern, in unsere Welt kamen«, als adhuc inauditam et turpem atque per omnia infamem sectam, als »eine bislang beispiellose, verkommene und in jeder Hinsicht infame Sekte«. Diokletian war zu Ohren gekommen, dass sie multa facinora ibi committere; populos namque quietos perturbare nec non et civitatibus maxima detrimenta inserere, »dass sie hierzulande viele Schandtaten verüben; sie sollen nämlich ruhige Menschen in Unruhe stürzen und zudem den Städten größten Schaden antun«. Diokletian war gut informiert: Dass der Manichäismus aus Persien stammt, ist ebenso richtig wie die Angabe, dass seine Ausbreitung im Römischen Reich erst vor ganz kurzer Zeit eingesetzt hatte. Auch dass der Manichäismus auf heiligen Schriften basierte, war Diokletian bekannt, der ja vorsorglich anordnete, diese gleich mitzuverbrennen. Besonders bemerkenswert ist aber, dass der Kaiser zwischen den auctores ac principes und den consentanei zu unterscheiden weiß. Denn diese beiden Gruppen entsprechen fraglos der im Manichäismus zentralen Distinktion zwischen den Erwählten (electi) und den Hörern (auditores, auch Katechumenen, catechumeni, genannt). 8 Müßig ist die Frage, ob die Manichäer nun Angehörige einer eigenen Religion waren oder aber christliche Häretiker. Gemeinhin wird der Manichäismus in der heutigen Religionsforschung als eigene Religion angesehen; anders der Codex Theodosianus, wo die Manichäergesetze in den Häretikertitel einsortiert sind 9 und die Manichäer regelmäßig als »Häretiker« bezeichnet wer-

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Literatur forderte er seine Verfolger auf, die Bücher samt ihm selbst zu verbrennen, sollte man in diesen etwas Schlechtes finden (Aug. c. Fel. 1.12, → S. 467). Call. D. 48.19.28 pr., deinde proxima morti poena metalli coercitio, »dann die Bergwerksstrafe, die der Todesstrafe am nächsten kommt«; vgl. ferner Paul. sent. 5.17.2. Der Diokletian-Brief ist uns glücklicherweise mehr oder weniger ungekürzt erhalten. Er findet sich in der Mosaicarum et Romanarum legum collatio, die ihrerseits als Quelle den Codex Gregorianus angibt (allerdings handelt es sich dabei mit Sicherheit um einen nachträglich angereicherten Gregorianus, vgl. → S. 135196). Vgl. Minale 2013, S. 82 f. Hingegen sind den Juden (CTh. 16.8 – zusammen mit Samaritanern und Caelicoli)

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den. 10 »Obwohl christlich-gnostische Einflüsse auf die Lehren Manis manifest sind, war der Manichäismus keine christliche Sekte, sondern eine eigenständige Religion, und schon unter diesem Gesichtspunkt ist die Einordnung der gegen die Manichäer gerichteten Gesetze unter den Titel De haereticis mehr als fragwürdig. … Insofern hätten die einschlägigen Kaiserkonstitutionen mit besserem Recht in der Rubrik De paganis, sacrificiis et templis Aufnahme finden müssen«, kritisiert Bringmann (S. 22 f.). Aber diese Apodiktik ist ganz anachronistisch, denn im 4. und 5. Jahrhundert galten die Manichäer allen Gruppen als christlich: Sie selbst traten immerzu mit dem Anspruch auf, die echten Christen zu sein, 11 anderen Christen galten sie zumindest als häretische Christen, 12 und auch aus neutraler dritter Warte (nämlich aus paganer Sicht) erscheinen sie als Christen. 13

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und den Paganen (CTh. 16.10) jeweils eigene Titel gewidmet. Anders im Codex Iustinianus (siehe unten Anmerkung 12). CTh. 16.5.11 (383), Omnes omnino, quoscumque diversarum haeresum error exagitat, id est Eunomiani, Arriani, Macedoniani, Pneumatomachi, Manichaei; CTh. 16.5.41 (407), quicumque igitur haereticorum, sive Donatistae sint sive Manichaei; CTh. 16.5.59 (423), Manichaei et Fryges, …, Arriani … Macedonianique et Eunomiani, Novatiani ac Sabbatiani ceterique haeretici sciant. Belege für Nordafrika bei Wurst, S. 91; orientalische Belege bei Stroumsa/Stroumsa, S. 38; koptische Belege bei Minale 2013, S. 102 Anm. 77. Anders Humfress (2007, S. 222): »every Christian polemicist (with the singular exception [!] of the Manichaean) claimed the title of ›true Christian‹ for himself«, wofür sie freilich keinen Beleg angibt. Dass dies in den Gesetzen regelmäßig der Fall ist, wurde bereits erwähnt; auch sonst wird man dies passim im vorliegenden Kapitel feststellen können. Zusätzlich sei erwähnt, dass die etwas spätere (ca. 450–500?) Abschwörungsformel für manichäische Hörer voraussetzt, dass die Manichäer auch dann noch als häretische Christen angesehen wurden (Klein, S. 16). Und als Basilios (epist. 188.1.20–24) im 4. Jahrhundert Häresie und Schisma voneinander abgrenzt, nennt er Manichäismus (neben Montanismus u. a.) als typisches Beispiel für eine Häresie. Später ändert sich dies. Unter Justinian heißt der entsprechende Titel in seinem Codex De haereticis et Manichaeis et Samaritis, was impliziert, dass für ihn Manichäer nicht unter »Häretiker« zu subsumieren sind (→ S. 806). Bereits im Jahr 445 erließ Valentinian III. ein ausführliches Gesetz gegen den Manichäismus, in dem er diesen an keiner Stelle als Häresie bezeichnet, dafür aber als »Gegner des christlichen [nicht: katholischen] Glaubens« (→ S. 785). Vergleichbare Belege aus früheren Zeiten sind selten, aber vgl. → S. 460, → S. 717. Im späten 3. Jh. sah der heidnische Philosoph Alexander von Lykopolis (Alex. Lycopol. 1 f.) in Mani den Begründer einer christlichen Häresie. Wenn Manichäer in die Nähe des Heidentums gerückt werden, handelt es sich zumeist eindeutig um Polemik, so bei Sokrates (1.22.8), laut dem Manis Bücher den Begrifflichkeiten nach

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Mani bezeichnete sich in allen seinen Schreiben selbst als »Mani, der Apostel Jesu Christi«. 14 Dem manichäischen Mönch Clementianus schien diese Formel sogar so sehr einem Glaubensbekenntnis gleichzukommen, dass er sich Manichaeus discipulus Christi Iesu auf den Oberschenkel hatte tätowieren lassen (Vict. Vit. 2.2). Die Bezugspunkte zum Christentum sind in der Lehre Manis allgegenwärtig (Böhlig 1968); nicht nur Jesus 15 und die Kerngestalten der Evangelien werden verehrt, sondern auch der Apostel Paulus und sogar der Apostel Thomas (Lieu, S. 54 f., S. 75). Die Manichäer (zumindest in christlichen Gebieten) begingen Epiphanie, Ostern und Pfingsten (Tardieu, S. 89). Freilich hatten die Manichäer einen eigenen Propheten und eigene heilige Schriften; doch man vergleiche etwa die heutigen Mormonen, die einen eigenen Propheten, nämlich Joseph Smith Jr. (1805–1844), und eine eigene heilige Schrift, nämlich das Buch Mormon, besitzen und die sich selbst gleichwohl unbedingt als Christen verstehen (und auch in der Außenwahrnehmung weithin so akzeptiert sind). Letztlich ist die Eigenständigkeit der manichäischen Religion eine rein definitorische Frage, und nur wer nach religionswissenschaftlichen Kriterien urteilt, 16 kommt möglicherweise zu anderen Ergebnissen als der Historiker, der sich für die Eigen- und Fremdwahrnehmung der Zeitgenossen interessiert. Diese umfangreichen Vorbemerkungen zum Christentum der Manichäer waren notwendig, denn wer sich mit ihren Vorstellungen befasst, wird zunächst wenig Christliches entdecken. In der manichäischen Lehre steht die Auseinandersetzung zwischen Licht und Finsternis im Zentrum. Licht und Finsternis, so die Vorstellung der Manichäer, waren in einer seligen Vorzeit geschieden, sind nunmehr aber vermischt, was die Existenz des Bösen in unserer Welt erklärt. Um die Lichtelemente auszuläutern und ihnen so die Rückkehr zum Lichtreich zu ermöglichen (und damit das Ziel der manichäischen Heilslehre zu verwirklichen), braucht es Personen, die ihr Leben aus-

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christlich, den Konzepten nach heidnisch seien; oder bei Augustin (c. Faust. 20.5), laut dem Manichäer viel schlimmer als Heiden seien (und das, obwohl – wie Augustin ausdrücklich sagt – Manichäer von Augustins Umfeld nicht als Heiden angesehen werden). Vgl. Lim 2008, S. 147 f., sowie die Diskussion bei Quispel, insb. S. 670 f. Vgl. etwa Ries 1964; Polotsky 1935, Sp. 267–270; und vor allem den Forschungsüberblick bei Franzmann 2003, S. 2–7. Vgl. Böhlig 1988, dessen Fazit ist (S. 44), dass »Mani, ausgehend von einem häretischen Christentum, eine neue eigene Kirche geschaffen [hat], die sich über den Dualismus des Mazdaismus radikal hinausentwickelt und vom Christentum emanzipiert hat«.

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schließlich diesem Zweck widmen. Das sind die sogenannten Erwählten. Sie müssen zeitlebens auf Annehmlichkeiten wie Sex und Alkohol verzichten und sich nicht nur vegetarisch, sondern sogar, wie man heutzutage wohl sagen würde, vegan ernähren; 17 auch dürfen sie keinerlei Arbeit verrichten. Dafür setzen sie – so der erstaunliche Glauben der Manichäer – durch ihre Verdauung die in der Nahrung enthaltenen Lichtelemente frei (namentlich in Gurken und Melonen sollen die Lichtpartikel in besonderer Konzentration enthalten sein: Wurst, S. 89), die dann zum Mond wandern; als zunehmender Mond füllt er sich langsam mit befreiten Lichtelementen, die er später als abnehmender Mond zur Sonne weiterpumpt, ehe er als Neumond wieder bereit ist aufzunehmen, was die Erwählten in fleißiger Verdauung freisetzen (Wurst, S. 88). Nach dem Tod gehen die Seelen der Erwählten, zur Belohnung all ihrer Mühen, direkt ins Lichtreich ein. Die Einschränkungen der Erwählten bringen es mit sich, dass es nicht ohne eine zweite Art von Manichäern, die Hörer, geht, die nicht an die den Erwählten auferlegten Tabus gebunden sind, dafür aber deren materielle Versorgung sicherzustellen haben (Kristionat, S. 99 f.). Sie gelangen nach dem Tod zwar normalerweise nicht unmittelbar ins Lichtreich, haben dafür aber immerhin eine gute Chance, als Erwählte wiedergeboren zu werden. Diese insektenstaatartige Symbiose zwischen Erwählten und Hörern war bereits vom Religionsgründer Mani als verbindlich festgelegt worden (Kristionat, S. 72–77). Die weitaus unproblematischeren für Hörer gültigen Auflagen waren durchaus mit einem erfüllten Alltagsleben vereinbar (Puech, S. 89). Neben dem Einhalten zehn grundlegender Gebote (darunter Verbot von Magie und Geiz), ferner dem Beten, Fasten und Beichten gehörte dazu vor allem das sogenannte »Almosen«. Der Zweck des manichäischen Almosens war keineswegs, beliebige Hungernde zu sättigen, im Gegenteil: Manichäer durften Menschen außerhalb ihrer Religion überhaupt keine milden Gaben zukommen lassen (was regelmäßig auf scharfe Kritik von orthodoxer Seite stieß). 18 Und unter den Sektenmitgliedern ging das Almosen an die Erwählten, die ja selbst nicht arbeiten durften. Das eben erwähnte Verbot des Geizes bezog sich übrigens darauf, dass es der Hörer beim Almosengeben nicht an Großzügigkeit mangeln lassen sollte (Böhlig 1995, S. 41). 17 18

Aug. haer. 46.11: Verbot des Genusses von Milch und Eiern. Puech, S. 187 f. Anm. 378, sowie Franzmann 2013, insb. S. 37 und S. 42. Zweifelsfrei verbürgt ist nur das Verbot, Nahrung und Getränke an Nichtmanichäer zu verschenken. Für andere Arten von Gaben fehlen eindeutige Belege, aber es spricht mehr dafür, dass sich jede Form manichäischer Freigebigkeit auf Glaubensgenossen beschränken sollte (vgl. Franzmann 2013, S. 42)

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In einer idealen manichäischen Welt wäre es bei diesem Almosen wohl (fast) ausschließlich um Nahrung gegangen, die die eben beschriebene zentrale Rolle im Kult einnahm (BeDuhn, S. 126–162). Tatsächlich aber versorgten viele Hörer ihre Erwählten nicht nur mit dem Lebensnotwendigen, sondern übertrugen ihnen auch Geld und Vermögenswerte. Die explizite Angabe des arabischen Autors al-Bīrūnī, Hörer hätten ein Zehntel ihres Hab und Guts als Almosen wegzugeben, 19 scheint zwar in dieser Form nicht von weiteren Quellen bestätigt zu werden. Doch auch in den eigenen Schriften der Manichäer findet sich das dringende Gebot für Hörer, den Erwählten alle Sorgfalt angedeihen zu lassen. 20 Der Lebensstil der Erwählten, der immerwährende Armut forderte, sollte zunächst eigentlich ausschließen, dass Erwählte die »Sorge« ihrer Hörer ausnutzten und in den Transfer bedeutsamer Vermögenswerte ummünzten. Aber wir haben ein konkretes Gegenbeispiel: Nachdem ein gewisser Firmus, ein Händler (negotiator) und damit wohl durchaus betucht, zum katholischen Christentum gefunden hatte, klagte er bitterlich, dass er während seiner Zeit als manichäischer Hörer seinen Glaubensbrüdern, genauer den Erwählten, viel Geld überlassen hatte. 21 Augustin, der bekanntlich selbst neun (oder vielleicht sogar zehn) Jahre lang manichäischer Hörer gewesen war, 22 behauptet, keinen einzigen Erwählten getroffen zu haben, der 19

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Bīrūnī vet. saec. p. 207.22–208.3, … ‫ﺷﺮﻉ ﻧﻮﺍﻣﻴﺲ ﻳﻔﺘﺮﺿﻬﺎ ﺍﻟﺼﺪﻳﻘﻮﻥ … ﻋﻠﻰ ﺃﻧﻔﺴﻬﻢ‬ ‫ﻭﺭﺳﻮﻣﺎ ﺃﺧﺮ ﻳﻔﺮﺿﻮﻧﻬﺎ ﻋﻠﻰ ﺍﻟﺴﻤﺎﻋﻴﻦ … ﻣﻦ ﺍﻟﺘﺼﺪﻕ ﺑﻌﺸﺮ ﺍﻟﻤﻠﻚ‬, »Er [Mani] erließ [einerseits] Gesetze, die die Erwählten … sich selbst auferlegen …, und [andererseits] weitere Regeln, die sie [die Erwählten] den Hörern auferlegen …, nämlich das Almosen mit dem Zehnten ihrer Habe [sowie …]«. Aus den Kephalaia (Cap. Manich. 91, p. 229.6–10; Übersetzung von Polotsky/Böhlig, S. 229, Z. 6–10): »Wer aber dies alles übertrifft, in wem Fürsorge, Besorgnis und Liebe … für die Heiligen [d. h. die Erwählten] ist, er trägt Sorge um die Kirche wie um sein Haus, wahrlich noch mehr als um sein Haus. Er hat seinen gesamten Schatz in die ἐλεκτοί und ἐλεκταί gesetzt«. Oder aus den manichäischen Homilien (Hom. Manich. p. 30.24 f.; Übersetzung von Polotsky 1934, S. 30, Z. 24 f.): »die Electi [widmen sich] ihren Geboten, die Katechumenen ihren Almosen«, was Polotsky (1935, Sp. 263) so kommentiert: »diese Worte aus einer Schilderung des idealen Gemeindelebens kennzeichnen den Sachverhalt mit unübertrefflicher Prägnanz«. Possid. vita Aug. 15.5, … confitens, quod Manichaeorum sectam secutus fuisset et in ea quamplurimis annis vixisset et propterea pecuniam multam ipsis Manichaeis vel eis, quos dicunt ›Electos‹, incassum erogasset, »… er bekannte, dass er Angehöriger der Sekte der Manichäer gewesen sei, in dieser eine ganze Reihe von Jahren verbracht habe und deswegen den Manichäern oder, besser gesagt, denjenigen, die man ›Erwählte‹ nennt, grundlos viel Geld ausbezahlt habe«. Vgl. Kristionat, S. 118 f. In Aug. conf. 4.1.1, 3.11.20 sowie mor. Manich. 19.68 gibt er rund neun Jahre an, nämlich (so 4.1.1) von seinem 19. bis zu seinem 28. Jahr, also von 373 bis 382. Aber

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über jede Verfehlung (oder zumindest über jeden Verdacht) erhaben gewesen wäre (mor. Manich. 19.68). Neben allerlei sexuellen Entgleisungen wirft er ihnen Neid, Geiz und Gier nach exquisiten Leckerbissen vor (mor. Manich. 19.71). Doch selbst der frommste Erwählte war an das Gebot gebunden, keinesfalls selbst zu arbeiten und stattdessen komplett von den Mühen seiner Hörer zu leben. Man muss daher kein dezidierter Feind der manichäischen Erwählten sein, um folgende scharfe Wertung des Kyrill von Jerusalem (catech. 6.32) zumindest nachvollziehen zu können: Ἀργίας ἔκγονοι Μανιχαῖοι, οἱ μὴ ἐργαζόμενοι καὶ τὰ τῶν ἐργαζομένων κατεσθίοντες, »Kinder der Faulheit sind die Manichäer [gemeint: Erwählte], die nicht arbeiten und das Gut der Arbeitenden verzehren!«. Außerdem ging es nicht nur um die Finanzierung einzelner Personen, sondern ganzer Gemeinschaften, sofern man das, was Böhlig (1995, S. 41) auf Grundlage auch orientalischer Quellen zusammenfasst, für die spätantike Situation übernehmen darf: »Dabei kann er [der Hörer], um gute Werke zu tun, über die Versorgung mit Nahrungsmitteln hinaus noch wesentlich umfangreichere Leistungen erbringen. So kann oder soll er sogar manichäische Wohnstätten, d. h. also wohl Klöster, errichten sowie Menschen an die manichäische Kirche schenken, ein Brauch, der später für die christlichen Klöster durch zahlreiche Testamente belegt ist«. Ein moderner Gelehrter, Tardieu (S. 87), bezeichnete den Mittelfluss von den Hörern zu den Erwählten plakativ als den »nerf économique de l’Église«. Der Manichäismus war eine massiv missionierende Religion (Puech, S. 63 f.). Ausschließlich die Erwählten missionierten, und umgekehrt gehörte die Mission zu den zentralen Aufgaben eines Erwählten (Kristionat, S. 110– 119). Viele Erwählte streiften zeitlebens als unstete Wanderlehrer durchs Land. Wie etliche antimanichäische Quellen berichten, erfolgte die manichäische Glaubensverkündung nicht etwa heimlich und behutsam, sondern bewusst aufsehenerregend. Die Erwählten zogen durch ihre absichtlich nachlässige Gewandung und ihre oft beschriebene Blässe – fraglos eine Folge ihres häufigen Fastens und möglicherweise auch ihrer immerzu proteinarmen Ernährungsweise – die Blicke aller auf sich. Gerne lieferten sie sich öffentliche Streitgespräche über religiöse Themen. 23 Die Erwählten mussten also durch

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andererseits erfolgte der endgültige Bruch mit dem Manichäismus erst in der zweiten Jahreshälfte 384. Zu alledem vgl. Drecoll/Kudella, S. 73–75. Vgl. Brown 2000, S. 34; 1964, S. 109 Anm. 13; sowie 1969, S. 100 f.: »the Manichees liked to come with éclat: the public dispute is a distinctive weapon of Manichaean propaganda; and the arrival in the forum, or in front of the Christian church, of a group of pale men and women, clasping mysterious volumes and dressed with ostentatious barbarity, was a sight to be seen«. Selbst ein Hörer wie Augustin betätigte

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ihr Erscheinungsbild, ihr Verhalten, ihr aggressives Missionieren und nicht zuletzt ihr Leben auf Kosten der Missionierten auf die spätrömischen Autoritäten ganz besonders befremdlich, ja genau genommen: bedrohlich gewirkt haben. Zudem kursierten wüste Geschichten über schockierende Kultpraktiken (Kristionat, S. 105–107), denen die Manichäer bei ihren Zusammenkünften nachgingen. Mehrere Autoren erklären, dass sie die manichäischen Zeremonien – weil allzu widerwärtig und abstoßend – nicht berichten können. 24 Andere hingegen genierten sich weniger und kolportieren das unappetitliche Schauermärchen, Manichäer verspeisten im Rahmen ihres Kults Menstruationsblut und vor allem menschliches Sperma. 25 Auch rituelle Vergewaltigun-

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sich regelmäßig als Vorkämpfer des Manichäismus in öffentlichen Disputationen (Wurst, S. 149), genauso wie er es später für die Gegenseite zu tun pflegte (Wurst, S. 170). In der Monografie von Lim gibt es dazu ein ganzes Kapitel (Lim 1995, S. 70– 108), das aber aufgrund zahlreicher Unstimmigkeiten mit Vorsicht zu genießen ist. So diskutiert er breit auf S. 82–87 die Porphyr-Vita als harte Evidenz; tatsächlich wird dieser Text oft (und zu Recht) als fiktiv angesehen (vgl. Lampadaridi, S. 12– 19). Lim erwähnt nicht einmal, dass Zweifel bestehen. Auch wirft er auf S. 100 f. mit Anm. 147 Felix, den Disputationsgegner von Augustin, mit Felix, dem ansonsten unbekannten Denunzianten (→ S. 490), zusammen. Ferner schreibt Lim (1995, S. 101): »After anathematizing Mani, Felix urged Augustine to do the same: ›Ut confirmes me?‹ We may suppose that Felix wanted a public affirmation that his Manichaen past would not mar his future career«. Lim hat den Text missverstanden (c. Fel. 2.22): Die Bitte des Felix an Augustin erfolgt nicht nach, sondern vor seinem eigenen Anathema; es geht nicht um eine »public affirmation«, sondern Felix will ein Musteranathema, an das er sich halten kann (→ S. 491). Leo M. serm. 76.7 (quae propter communem verecundiam non sunt nostro sermone promenda, »was aufgrund allgemeinen Schamgefühls nicht durch unsere Predigt zu offenbaren ist«), ähnlich epist. 15.16.7 f.; ferner Cyrill. Hierosol. catech. 6.33, der zwar ankündigt, dass er die grässlichen Gepflogenheiten der Manichäer eigentlich nicht berichten kann, es aber dann tatsächlich doch tut (wenn auch ein klein wenig verklausuliert). Als modernes Beispiel könnte man den wackeren Pfarrer Philipp Haeuser (denselben, der für seine nationalsozialistischen Verstrickungen unselige Prominenz erlangte) hinzufügen, der eine schlüpfrige Passage (siehe nächste Fußnote) in seiner Kyrillübersetzung sicherheitshalber ganz weglässt. In seinem Haupttext steht noch (Haeuser, S. 117) »Nicht wage ich es zu erzählen, in was sie die Feige tauchen, welche sie den Unseligen darbieten«, dann folgen drei Auslassungspunkte und eine Fußnote. Besagte Fußnote beginnt mit: »Der Text lautet:«, und dann folgt der unappetitliche Originaltext für den interessierten Leser, dem ausreichende Griechischkenntnisse zu Gebote stehen. Sperma: Aug. nat. bon. 47, Manichäer hätten dies vor Gericht gestanden, und zwar unabhängig voneinander in Prozessen in Paphlagonien und in Gallien; Aug. haer. 46.9 f., Sperma als Eucharistiezutat, was Manichäer in einem Prozess in Afrika vor

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gen, zumal von sehr jungen Mädchen, sagte man den Manichäern nach. 26 Der Ex-Hörer Augustin, der später mit Verve all die antimanichäische Polemik weiterverbreitete, muss immerhin eingestehen, dass er derlei Dinge nur vom Hörensagen berichte und nie dergleichen persönlich erlebt habe 27 – dies und die umfangreiche manichäische Literatur (die ja in keiner Weise libertine Züge trägt, sondern im Gegenteil mit Nachdruck sexuelle Enthaltsamkeit fordert) zeigen, dass es sich um Unterstellungen handelt, 28 wie sie in

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Ursus zugegeben hätten; Augustin liefert in haer. 46.10 (sowie in mor. Manich. 18.66) eine theologische Argumentation, warum Spermaverzehr im manichäischen System nur konsequent wäre; Menstruationsblut: P. Ryl. 3.469, Z. 32–35, Manichäer halten weibliche Erwählte deswegen in Ehren, weil sie deren Menstruationsblut für ihre Ekelzeremonien benötigen; Sperma und Menstruationsblut: Cyrill. Hierosol. catech. 6.33, bei der angeblichen Taufzeremonie der Manichäer müssen die Täuflinge eine Feige verspeisen, die zuvor in Sperma und/oder Menstruationsblut getaucht wird. Bei dem Ritual geht es darum, dass ein Paar über Mehl den Geschlechtsverkehr ausübt, um so das Sperma-Mehl-Gemisch für eine Eucharistieparodie zu produzieren: Aug. haer. 46.9: Ein Mädchen namens Margarita habe berichtet, dass sie mit weniger als 12 Jahren rituell geschändet worden sei, eine weitere Beteiligte war eine Frau (Erwählte?) namens Eusebia, die sich sogar freiwillig anbot, ihre Jungfräulichkeit in Augenschein nehmen zu lassen; doch als die mit dieser Prüfung beauftragte Hebamme keineswegs die Unschuld der Eusebia feststellen konnte, habe Eusebia dann schnell ihre sexuellen Exzesse eingeräumt. Vielleicht von dieser Stelle abhängig ist ein anonymer, von Dolbeau (2004, S. 228 f.) edierter Text (der aber u. a. die zusätzliche Information enthält, dass der manichäische Bischof pro Jahr eine Frau zur Unzucht verleitet). Leo M. serm. 16.4: Ein allenfalls zehn Jahre altes Mädchen wurde von zwei Frauen für einen perversen Akt vorbereitet, in dem sie dann – offensichtlich rituell – von einem jungen Mann geschändet wurde. Die Ähnlichkeit der Geständnisse im Augustin- und im Leoprozess gibt zu dem Verdacht Anlass, dass beim Leoprozess ein dem früheren Prozess ähnliches Geständnis unter der Folter erpresst wurde. Analoge Praktiken sind vielfach von den frühneuzeitlichen Hexenprozessen bekannt. Aug. c. Fort. 3, Ego tamen in oratione, qua interfui, nihil turpe fieri vidi, »Ich freilich habe beim Gebet, an dem ich teilnahm, nichts Schändliches passieren sehen«, wobei Augustin ausdrücklich einschränkt, nur Hörer gewesen zu sein, und er deswegen überhaupt nicht wisse, was die Erwählten sonst noch so getrieben haben. Vgl. auch mor. Manich. 18.66 sowie die Diskussion der Belege bei Coyle, insb. S. 254–256. Woher stammen diese Zuschreibungen? Die antiken Heiden brachten die Christen regelmäßig mit Kannibalismus in Zusammenhang, was naheliegt, da die zentrale Kulthandlung der Christen darin besteht, ein – wie sie selbst angeben – zum wahren Leib ihres Erlösers gewandeltes Stück Brot aufzuessen. Da nun die Manichäer glaubten, sie müssten aus Samen die Lichtelemente mittels Verdauung ausläutern, kann man durchaus nachvollziehen, dass externe Kritiker auf eine weitere Sorte Samen hinwiesen. Aus dem umfangreichen manichäischen Schrifttum gibt es keinerlei Hin-

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der Vergangenheit ganz ähnlich hinsichtlich der frühen Christen geäußert worden waren. 29 Der heutige Beobachter muss diese Vorstellungen kennen, um nachvollziehen zu können, weswegen in den spätantiken Gesetzestexten regelmäßig über die beispiellose Verkommenheit der Manichäer gewettert wird. Theodosius II. nennt sie etwa im Jahr 428 qui ad imam usque scelerum nequitiam

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weise in diese Richtung. Dass der Vorwurf regelmäßig auftaucht, hat so wenig zu bedeuten wie der regelmäßige Kannibalismusvorwurf gegen Christen. Dass in verschiedenen Gerichtsprozessen Manichäer ähnliche Orgien gestanden, sollte einen kritischen Beobachter an den »Hexensabbat« erinnern, dessen Besuch in der Frühen Neuzeit vieltausendfach unter Folterqual eingestanden wurde, der aber in Wirklichkeit niemals stattfand (jedenfalls sicherlich nicht unter Teilnahme des Teufels). Eine andere Ansicht hat De Stoop (S. 22) vertreten: »La torture ne suffirait pas cependant à expliquer la multiplicité de ces aveux et sans attribuer ces abominations à la religion manichéenne, nous pouvons croire qu’en certains cas ces reproches ont été fondés«. Sollte irgendwann ein Gelehrter De Stoops Methode auf die Gerichtsakten der frühneuzeitlichen Hexenprozesse anwenden, so wird er zweifellos zu dem Ergebnis gelangen, dass das deutsche 17. Jahrhundert tatsächlich von Magie und Teufelswerk erfüllt war. Auch Oort verweist auf die gleichlautenden Aussagen und die Logik innerhalb des manichäischen Systems, scheint aber das Ritual nur einer Untergruppe zuzuschreiben (S. 211): Bei Augustin (haer. 46.10) erklärt ein Manichäer, nur eine Splittersekte namens Katharisten täten dergleichen. Doch ob ein Katholik das Ekelritual den Manichäern oder ein Manichäer (zumal wohl unter Zwang) den »Katharisten« unterschiebt: Wir haben es stets mit nicht verifizierbaren Fremdzuschreibungen zu tun, die jeweils eine klar vom Sprecher abgelehnte Gruppe betreffen. Übrigens werden im Häresienbuch des Epiphanios (der wohl kurz vor 380 schreibt) solche Ekelrituale den »Gnostikern bzw. Borboriten« zugeschrieben (Panar. 26.4.5–8) – nicht aber den Manichäern. Oort (S. 216) scheint dies gleichwohl als bekräftigende Evidenz für die Existenz solcher Rituale anzusehen; tatsächlich legt dieser Befund eher nahe, dass es sich bei alledem nur um eine polemische Wanderanekdote handelt. Fronto soll von einer veritablen christlichen Dark-Room-Sexorgie berichtet haben (Min. Fel. 9.6 f., vgl. Benko, S. 54–78). Dass man übrigens nicht mit Gerichtsaussagen argumentieren sollte (wie dies Augustin ja wiederholt hinsichtlich der angeblichen sexuellen Exzesse der Manichäer tut), zeigt folgende Anekdote: Aus Angst vor Folterqualen gestanden (angeblich heidnische) Sklaven, ihre christlichen Herren würden Inzest begehen und andere Dinge, die so schockierend seien, dass Euseb sie weder berichten kann noch es überhaupt für angebracht hält sich vorzustellen, irgendwelche Menschen hätten je dergleichen getrieben (Euseb. hist. eccl. 5.1.14). Dass keine noch so heilige Gruppe gegen einzelne schwarze Schafe gewappnet ist, zeigt 1 Kor 5:1–5, wo Paulus über einen Skandal unter Urchristen wettert (offenbar ein Verhältnis mit der Stief- oder Schwiegermutter). Die Schärfe von Paulus’ Tirade scheint anzudeuten, dass die örtlichen Gemeindemitglieder die fragliche Beziehung vielleicht gar nicht so schlimm fanden.

schlimme gerüchte

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pervenerunt: Manichaei, »diejenigen, die den Tiefpunkt an frevelhafter Verworfenheit erreicht haben: die Manichäer« (CTh. 16.5.65 § 2) und gibt ihnen in einem Gesetz, das verschiedene Häretikergruppen unterschiedlich sanktioniert, den allerschlechtesten Status. Valentinian III. (Nov. Val. 18 § 4) formuliert im Jahr 445 noch drastischer: incesta perversitas religionis nomine lupanaribus quoque ignota vel pudenda committit, »[deren] inzestuöse Perversion begeht im Namen der Religion Akte, die Bordellen unbekannt bzw. für sie beschämend wären«. Ob es nun an den nachgesagten sexuellen Verfehlungen oder an anderen Dingen (wie etwa an dem Abgrenzungsbedürfnis eines ExManichäers) lag: Auch für Augustin war der Manichäismus die pestilentissima haeresis (c. Cresc. 4.64.79). Eine Folge der maßlosen Ablehnung dieser Sekte war, dass sich abwertende Manichäismus-Vergleiche bzw. -Unterstellungen allseits großer Beliebtheit erfreuten: Lebensfrohe Damen – so jedenfalls legt es ihnen Hieronymus in den Mund – würden eine seriöse und blasse Frau sofort als »erbärmlich«, als »Eremitin« und als »Manichäerin« beschimpfen. 30 Nicht nur spätantike Zicken, sondern auch Kirchenfürsten diffamierten andere auf diese Weise: So bezichtigten sich Nestorios und Kyrill gegenseitig des Manichäismus (Belege bei Chadwick, S. 146 Anm. 2). Der Terminus »Manichäer« überstand das Ende des Manichäismus als im Mittelmeerraum praktizierter Religion: Er wurde zum Kampfbegriff und zur Beleidigung und bezeichnete im Mittelalter den Ketzer schlechthin. 31 Es gibt neben der finanziellen Ausbeutung und den angeblichen Sexorgien noch einen weiteren Aspekt der spätantiken Fremdwahrnehmung des Manichäismus, der ebenfalls an moderne Sekten erinnert: die konstante Furcht vor dem unerkannten Manichäer, der sich öffentlich nicht zu seiner eigenen Reli30

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Hier. epist. 22.13, Et quam viderint tristem atque pallentem, miseram et monacham et Manichaeam vocant, et consequenter – tali enim proposito ieiunium haeresis est, »Wenn sie eine seriöse und blasse Frau sehen, nennen sie sie ›erbärmlich‹, ›Eremitin‹, ›Manichäerin‹, was nur konsequent ist – denn für eine solche [d. h. die von den Beobachterinnen gepflegte] Lebensweise ist [bereits] Fasten eine Häresie!«. Das Fortleben von »Manichäer« als Schimpfwort (oder gar als Synonym?) für »Häretiker« im Mittelalter ist offensichtlich, aber im Detail unerforscht. Als einzige Darstellung für den lateinischen Westen kann ich nur auf Rottenwöhrer verweisen – aber das sind vierzehneinhalb Zeilen einer Lexikonspalte! Kolmer, S. 9, spekuliert, man habe den Manichäernamen für die Katharer verwendet, um die Manichäergesetzgebung auf sie anwenden zu können, aber dies scheint zu funktional gedacht. Zur Identifikation von Häretikern mit Manichäern im byzantinischen Mittelalter vgl. die kurzen Bemerkungen bei Minale 2010, S. 529–533, sowie die Hinweise bei Rochow, S. 13 mit Anm. 2 und 3; Brandes (insb. S. 109–117) legt dar, wie sich Bilderfreunde und -gegner gegenseitig des Manichäismus bezichtigten.

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gion bekennt und sich möglicherweise sogar unerkannt in herausgehobene Positionen innerhalb anderer religiöser Gemeinschaften einschleicht. 32 Bereits in den 380ern erschienen blasse, schlechtgekleidete Menschen der Häresie verdächtig. 33 Der römische Bischof Anastasius bestimmte um 400, dass angesichts der damals in Rom enttarnten Manichäer überhaupt nur solche zugereisten Afrikaner als Kleriker zu akzeptieren seien, die ihre Unbedenklichkeit durch ein von fünf Bischöfen unterzeichnetes Dokument nachweisen konnten (Lib. pontif. p. 87.6–11). Augustin (epist. 236, nach 411, vielleicht von 418, vgl. PCBE I, S. 1199 s. v. Victorinus 12 sowie Decret 2001a, S. 342 f.) berichtet, dass ein gewisser Victorinus jahrelang als Subdiakon wirkte, insgeheim aber Hörer war und die katholische Gemeinde subversiv indoktrinierte. 34 Möglichkeiten für Manichäer, sich bei der katholischen Kirche einzuschleichen, hätte es jedenfalls reichlich gegeben, denn Konversionen vom Manichäismus zum Katholizismus waren alles andere als selten; manche ExManichäer stiegen später sogar zum Bischofsamt auf, so Alypius von Thagaste (→ S. 600; Aug. conf. 6.7.12) und natürlich Augustin selbst. 35 Als Vandalen32 33

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Bemerkenswerterweise lebt diese Vorstellung auch unter den mittelalterlichen Moslems fort: Stroumsa/Stroumsa, S. 39 mit Anm. 7. Sulp. Sev. dial. 3.11.5, Etenim tum solis oculis iudicabatur, ut quis pallore potius aut veste quam fide haereticus aestimaretur, »Denn damals wurde allein mit den Augen geurteilt, sodass ein jeder mehr aufgrund von Blässe oder Kleidung als nach seinem Glauben als Häretiker eingestuft wurde«. Es geht im Kontext um die Verfolgung der Priscillianisten, gegen die man – angesichts ihrer asketischen Lebensweise – gern den böswilligen Vorwurf des Manichäismus erhob (→ S. 427). Victorinus bittet übrigens nach seinem Geständnis darum, wieder als braver Katholik seinen Aufgaben als Kleriker nachkommen zu dürfen, doch Augustin lässt ihn stäupen und vertreiben (eumque coercitum pellendum de civitate curavi, epist. 236.3). Eine wenig überzeugende Diskussion des Vorfalls findet sich bei Lim (2008, S. 154–156), der willkürlich und gänzlich ohne entsprechende Indizien annimmt, Victorinus sei gar kein Manichäer gewesen, sondern man habe ihm dieses Etikett von außen verpasst. Dafür muss Lim ignorieren, vor wem die Untersuchung stattfand, nämlich ausgerechnet vor dem Ex-Hörer Augustin, der durchaus wusste, was unter einem manichäischen Hörer zu verstehen ist. Vgl. Frend 1953, S. 22 f.; dort behauptet Frend allerdings, auch die Bischöfe Evodius von Uzalis (→ S. 526), Profuturus von Constantina sowie Fortunatus, ebenfalls von Constantina, seien Ex-Manichäer gewesen. Was die beiden Bischöfe von Constantina angeht, so missversteht Frend die von ihm zitierte Passage (Aug. un. bapt. 16.29: Augustin nimmt die beiden Bischöfe vielmehr gegen diese donatistische Unterstellung in Schutz). Und keiner der von Frend angeführten Quellenverweise legt in irgendeiner Weise nahe, Evodius sei Ex-Manichäer gewesen; auch im einschlägigen Artikel der PCBE (I, S. 366–373 s. v. Evodius 1) findet sich nichts, was auf eine manichäische Vergangenheit des Evodius hindeuten könnte.

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könig Hunerich im Jahr 477 die Manichäer grausam verfolgen ließ, musste er angeblich feststellen, dass »fast alle Manichäer seiner eigenen Religion angehörten, und zwar zumal als Presbyter und Diakone der arianischen Häresie«. 36 Im Laufe der Zeit steigerte sich die Mär von den Kryptomanichäern so weit, dass Eutychios von Alexandreia im 10. Jh. ernsthaft behauptete, die meisten ägyptischen Bischöfe zur Zeit des ersten Konzils von Konstantinopel (also 381 n. Chr.) seien insgeheim Manichäer gewesen. 37 Kryptomanichäer, die innerhalb des Klerus enttarnt wurden, lieferten die skandalösesten Beispiele, aber auch ansonsten schienen sich viele Manichäer zu verstecken und waren nur durch Denunziation aufzuspüren. So insistierte Augustin (epist. 236.3), dass dem Ex-Subdiakon Victorinus nur dann die Möglichkeit zur Buße (→ S. 693) zu gewähren sei, wenn er die Namen aller Manichäer in der ganzen Provinz verrate. Ausgepackt hatte jedenfalls ein anderes ehemaliges Sektenmitglied namens Theodosius, per quem Manichaei nonnulli sunt proditi, »von dem etliche Manichäer verraten wurden«. 38 Auch als ein gewisser Felix den Manichäern den Rücken kehrte, musste er in seiner Zeugenaussage sub testificatione dei sämtliche Manichäer aufzählen, die ihm bekannt waren, z. B. in partes Caesarienses Mariam et Lampadiam, uxorem Mercurii argentarii, …, »im Territorium von Caesarea Maria und Lampadia, die Ehefrau des Silberschmieds Mercurius, …«. 39 Im Rahmen seiner Manichäerjagd rief Bischof Leo zur Anzeige und zum Aufstöbern verborgener Manichäer auf; ob es dabei nur um geflüchtete, nunmehr versteckte Mani-Anhänger geht oder aber auch um Kryptomanichäer, wird nicht ganz klar (serm. 9.4, 16.5; epist. 7). Justinian ordnete später die Todesstrafe für Ex-Manichäer und militia-Mitglieder an, die klandestine Manichäer nicht sofort denunzierten (CI. 1.5.16). Damit ergibt sich ein merkwürdiger Widerspruch: Einerseits fürchteten sich die Zeitgenossen vor dem unerkannten Manichäer, der sich gut getarnt in 36

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Vict. Vit. 2.1, Quos paene omnes Manicheos suae religionis invenit et praecipue presbyteros et diaconos Arrianae hereseos. Das muss man nicht unbedingt für bare Münze nehmen – es könnte (und dürfte) sich um eine antiarianische Verunglimpfung aus dem Munde des Katholiken Victor handeln. Doch freilich bleibt für unsere Zwecke relevant, dass auch für Victor von Vita die Idee des Kryptomanichäers eine Selbstverständlichkeit ist. Eutych. ann. p. 83.2, ‫ﻭﻛﺎﻥ ﺍﻛﺜﺮ ﺍﺳﺎﻗﻔﺔ ﻣﺼﺮ ﻣﻨﺎﻧﻴﺔ‬, »Es war die Mehrzahl der Bischöfe Ägyptens Manichäer«, im Kontext des Konzils. Aug. epist. 222.3. Wahrscheinlich auf denselben Fall spielt Augustin auch an anderer Stelle an (Aug. haer. 46.9): recenti tempore nonnulli eorum reperti, »kürzlich wurden etliche von ihnen aufgespürt«. Die Denunziation ist im bemerkenswerten Testimonium de Manichaeis sectatoribus überliefert, einem recht kurzen, undatierten Text, vgl. → S. 488.

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ihrer Mitte verbergen konnte; andererseits werden die Manichäer gerade aufgrund des nach außen auffälligen Aussehens und des extrovertierten Lebensstils ihrer Erwählten abgelehnt. Dieses Paradox verlangt nach einer Klärung: Wie sichtbar waren manichäische Gemeinden denn nun eigentlich? Kristionat (S. 372–374) hat viele der einschlägigen Stellen diskutiert, mit dem Ergebnis, dass »die Manichäer trotz allem eher im Verborgenen gelebt« hätten; ich glaube eher, dass man hier sehr genau nach Zeit, nach Ort, nach Stand (Erwählte/Hörer) und auch nach Individuen differenzieren muss und dass Pauschalisierungen schwierig sind. Zwei weitere Gemeinplätze hinsichtlich der Manichäer sind in den antiken Quellen weitaus weniger prominent als in den Werken mancher moderner Gelehrter: einerseits das (reale oder auch nur vermeintliche) Wirken der Manichäer als die »fünfte Kolonne« der Perser, andererseits die Konnotation von Manichäismus und Magie. Dass der Manichäismus aus Persien stammt, war im römischen Reich allgemein bekannt (vgl. Lof sowie Coyle, S. 4–10), bereits Diokletian erwähnte dies in seinem Gesetz (→ S. 410), und auch Augustin stellt regelmäßig eine Verbindung zwischen Manichäismus und Persien her (Stellen bei Beskow, S. 7). Aber dass die Manichäer im Geheimen für die Perser agierten oder auch nur, dass man ihnen diesen Vorwurf machte – dafür gibt es keine Belege. 40 Was den zweiten Punkt angeht – also dass man den Manichäismus mit Schwarzer Magie assoziierte 41 –, so taucht dieser Zusammenhang nur unregelmäßig in den Quellen auf, und niemals mit größerem Nachdruck. Augustin, der doch seinen Anschuldigungen gegen den Manichäismus in etlichen Schriften breiten Raum gibt, erhebt selbst diesen Vorwurf gar nicht; im Gegenteil, bei der einzigen Anspielung darauf nennt ausgerechnet er – er, der den Manichäern mehrfach Spermaverzehr zuschreibt! – dies eine Übertreibung. 42 Beim Häresiologen Epiphanios erscheinen 40

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Dass die Manichäer als heimliche Agenten der Perser wirkten, ist eine fantasievolle Idee Sestons (S. 151–158). Diese Verschwörungstheorie wird weithin (und zu Recht) abgelehnt (so bereits Brown 1969, insb. S. 96). Selbst die abgeschwächte Version, dass sich die zeitgenössischen Römer dergleichen nur einbildeten (so etwa Lieu, S. 122, ihm folgen Stroumsa/Stroumsa, S. 38), ist unbelegbar, vgl. MosigWalburg, S. 174–176. Unabhängig davon, was ihnen ihre Zeitgenossen nun unterstellten oder auch nicht: Manichäer hätten eigentlich von der Magie die Finger lassen sollen, denn bereits unter ihren grundlegenden zehn Geboten befindet sich das Zauberverbot (→ S. 413). Andererseits kennen wir dann doch ein paar manichäische Magietexte, vgl. Canepa. Es geht im Kontext um Augustins manichäische Vergangenheit: c. Petil. 3.16.19, Manichaeorum immunditias libentissime exaggeret … de vestro corde tam male sentiat, ut amatoria maleficia data mulieri, marito non solum conscio, verum etiam [ergänze

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Amulette und Zaubersprüche nur in einem einzigen Satz: Nachdem er zuvor in einer Aufzählung der Werke Manis ein Buch über Astrologie genannt hat, fährt Epiphanios (Panar. 66.13.7) fort: οὐ γὰρ ἀποδέουσι τῆς τοιαύτης περιεργίας, ἀλλὰ μᾶλλον αὐτοῖς ἐν προχείρῳ καυχήματος πρόκειται ἀστρονομία καὶ φυλακτήρια, φημὶ δὲ τὰ περίαπτα, καὶ ἄλλαι τινὲς ἐπῳδαὶ καὶ μαγγανεῖαι, »Sie leiden keinen Mangel an

solchem Aberglauben: Vielmehr sind für sie Astrologie, Schutztalismane (ich meine damit Amulette) und manche anderen Zauberformeln und -sprüche etwas, mit dem sie sich gern großtun«. Vergessen wir nicht, dass sich Epiphanios’ Invektive gegen die Manichäer in der maßgeblichen Ausgabe über 120 Druckseiten erstreckt – wäre mehr über Magie bei den Manichäern zu sagen gewesen, hätte sich Epiphanios diese Gelegenheit fraglos nicht entgehen lassen. In der überlieferten Abschwörungsformel aus der zweiten Hälfte des 5. Jh.s findet sich zwar: [ich verdamme …] καὶ πᾶσαν εὐχὴν παρ’ αὐτῶν λεγομένην, μᾶλλον δὲ γοητείαν (Ficker 1906, S. 447, Z. 8 f.), aber das bedeutet nicht »and every prayer, and especially an imprecation, uttered by them«, wie Lieu (1994, S. 299) fehlübersetzt, sondern »und alle von ihnen als ›Gebete‹ bezeichneten Formeln, die vielmehr ›Zaubersprüche‹ sind« – im Kontext werden die Schriften von Mani der Reihe nach aufgezählt und jeweils abgewertet (etwa »›Schatz des Lebens‹, der ein ›Schatz des Todes‹ ist«), und am Ende dieser Liste werden pauschal alle weiteren Texte und Gebete geschmäht, und die nächstliegende Verunglimpfung von »Gebet« ist nun einmal »Zauberspruch«. Weit weniger beweiskräftig, als man gemeinhin glaubt (vgl. Decret I, S. 169), ist die Angabe, dass der Diokletian-Brief (Coll. Mos. 15.3) im Codex Gregorianus sub titulo de maleficis et Manichaeis eingereiht war. Erstens beachte man das et Manichaeis: Wären die Manichäer vom Kompilator ohne Weiteres als malefici angesehen worden, hätte es diesen Zusatz nicht gebraucht (Sperandio, S. 180). Zweitens findet sich der Magievorwurf im (anscheinend komplett überlieferten) Diokletian-Brief kaum oder – wie ich meine – gar nicht. Denn so sehr sich Diokletian auch über die Manichäer echauffiert, Hexerei wird bei ihm allenfalls beiläufig in einem einzigen Satz erwähnt: 43 et quia omnia, quae pandit Prudentia Tua in relatione religionis illorum, genera maleficiorum †statutis† evidentissime sunt exquisita et inventa commenta, … »Da all die Dinge, die Deine Prudenz im Bericht über ihre Religion dargelegt hat,

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favente o. ä.], credi sibi posse praesumat, »Soll er doch nach Herzenslust die Schmuddeleien der Manichäer übertreiben … soll er doch euer Urteilsvermögen so gering achten, dass er annimmt, es könne ihm geglaubt werden, dass einer Ehefrau mehrere Liebeszauber gegeben wurden, wobei dies der Ehemann nicht nur wusste, sondern sogar [unterstützte]«. Selbst die vergleichsweise harmlosen Liebeszauber betrachtet Augustin bereits als Übertreibung manichäischer Unsitten. Oft wird in der Literatur behauptet, in diesem Gesetz finde eine pauschale Identifizierung von Manichäismus und Magie statt; typisch etwa Zeddies (S. 57): »Die Religion der Manichäer sei mit Zauberei (maleficium) und Lüge gleichzusetzen«. Tatsächlich lässt sich in dem länglichen Text – sieht man von der von mir zitierten Stelle ab – sonst nichts auf Zauberei beziehen.

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†aufgrund von Gesetzen† ganz eindeutig als Arten von maleficia befunden und als Betrügereien identifiziert wurden …«. 44 Nun ist die klassische juristische Bedeutung von maleficium einfach generisch »Verbrechen«, während es in nichtjuristischen Texten bereits früh »Zauberei« bezeichnet. Bemerkenswerterweise soll ausgerechnet unser Diokletian-Brief der älteste Beleg überhaupt sein, dass maleficium in einem juristischen Zusammenhang als »Zauberei« zu verstehen sei (Taubenschlag 1928, Sp. 870). Doch es gibt gewichtige Gegenargumente: Erstens bedeutet maleficium bei den anderen Belegen aus diokletianischer Zeit eindeutig »Verbrechen«, nicht »Zauberei« (CI. 7.33.7, CI. 9.47.14); zweitens erklärt sich genera [!] maleficiorum einfacher, wenn maleficium hier generisch »Verbrechen« bedeutet; drittens wäre es bizarr, maleficia und commenta auf gleicher Ebene zu nennen, wenn das erste die besonders massiv sanktionierte Schwarze Magie bezeichnete; viertens würde man erwarten, dass im Kontext »Magie« eine Beziehung zur persischen Herkunft der Manichäer konstruiert wird – aber das ist nicht der Fall, obwohl doch Diokletian diese an anderer Stelle seines Briefs ausdrücklich hervorhebt. Dass Diokletian manichäische Hauptakteure verbrennen ließ, hat manchen Forscher an den Feuertod für Zauberer (Paul. sent. 5.23.17) erinnert, aber da man auch in der diokletianischen Christenverfolgung bevorzugt mit dem Scheiterhaufen vorging (Lact. mort. pers. 11.8, 15.3, 21.7–11), gibt es keinen Grund, von dieser Strafform auf einen Zusammenhang mit der Magiegesetzgebung zu schließen. Im Codex Theodosianus stehen die Manichäergesetze im Häretikertitel – nicht im Zauberertitel! –, was die These, Manichäismus sei mit Magie identifiziert worden, zumindest für das 5. Jahrhundert diskreditieren sollte. Wenn wir davon ausgehen, dass Diokletian hier (wie sonst auch) maleficium i. S. v. »Verbrechen« gebraucht, dann könnte derjenige, der den titulus de maleficis et Manichaeis formulierte, den ältesten Beleg dafür bieten, dass ein Wort dieser Familie, maleficus, in der anderen, später üblichen Bedeutung, nämlich »Hexer«, verwendet wurde. Leider wissen wir nicht, wann dies war. Der ursprüngliche Codex Gregorianus sammelte wohl bis 290 oder Anfang 291 (vgl. Corcoran 2013, S. 287), der Diokletian-Brief stammt von frühestens 297, eher 302. Er gehört also zu den Texten, die erst nachträglich hinzugefügt wurden (→ S. 135196). Auch typologisch passt der Diokletian-Brief kaum zum sonstigen Material des Codex Gregorianus: Es handelt sich ja um einen ungekürzten Kaiserbrief, nicht um ein knappes Privatreskript. 45 Wenn der Text aber erst nachträglich hinzugefügt wurde, dann hatte der originale 44 45

Die textkritischen Probleme der Stelle sind übrigens groß (vgl. den Apparat zu Coll. Mos. 15.3), aber im Grundsatz sollte der Sinn klar sein. Vgl. Volterra 1966, S. 31–34. Er referiert zwar ausführlich die ungewöhnliche Tatsache, dass der Manichäer-Brief und eine weitere Konstitution die einzigen uns bekannten Beispiele für ungekürzte Gesetze im Gregorianus darstellen, schließt aber in der Aporie (»un vero e proprio mistero che allo stato delle nostre conoscenze sembra impossibile di squarciare«). Dabei ist die Erklärung (bereits bei Jörs, Sp. 162) offensichtlich: Die nachträglichen Ergänzungen des Codex Gregorianus

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Codex Gregorianus keinen Titel mit der Bezeichnung de maleficis et Manichaeis (Sperandio, S. 183), d. h., erst später wurde der Titel um et Manichaeis ergänzt bzw. überhaupt angelegt. Im zweiten Fall erklärt sich das maleficis im Titel entweder durch die Präsenz des Worts maleficia im Manichäerbrief oder vielleicht durch die Gemeinsamkeiten zwischen Manichäern und Zauberern hinsichtlich Vorwürfen (Geheimzeremonien) und Bestrafung (Feuertod für Hauptakteure). Eine Stelle bei Leo dem Großen könnte man so interpretieren, als würde er den Manichäern magische Praktiken unterstellen; tatsächlich handelt es sich aber um einen Rundumschlag, wonach alles, was irgendwo sonst schlecht ist, bei den Manichäern anzutreffen sei (Leo M. serm. 16.4): Quod enim in paganis profanum, quod in Iudaeis carnalibus caecum, quod in secretis magicae artis illicitum, quod denique in omnibus haeresibus sacrilegum atque blasphemum est, hoc in istos, quasi in sentinam quamdam cum omnium sordium concretione confluxit, »Was bei den Heiden unheilig, was bei den lüsternen Juden verblendet, was bei den heimlichen Zusammenkünften der magischen Kunst illegal, was schließlich bei allen Häresien frevelhaft und gotteslästerlich ist, das fließt bei denen wie in irgendeiner Kloake samt Ablagerung allen Drecks zusammen«. Da der gründliche Bischof Leo wirklich alle heterodoxen Gruppen aufzählt, gibt es überhaupt keinen Grund, die en passant erwähnte Magie ernst zu nehmen (außer man wollte behaupten, er habe in den Manichäern tatsächlich auch Juden und ferner sämtliche Häretiker auf einmal gesehen). Die beste Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Manichäismus und Schwarzer Magie bietet der Priscillianprozess; aber auch hier scheint die Verbindungslinie weitaus schwächer, als sie vielfach in der Forschung beschrieben wird (z. B. Lieu, S. 142; Chadwick, S. 139, S. 143; oder Humfress 2000, S. 138–140). Priscillian, 46 der ein asketisches Christentum predigte, wurde (wohl) 385 unter Maximus in Trier hingerichtet. Dank verschiedenen Quellen, vor allem Sulpicius Severus, sind wir gut über die Vorgeschichte und den Prozess unterrichtet. Es steht außer Frage, dass Priscillian des maleficium und der Unmoralität – allerdings in Form von Nacktbeten und Umgang mit liederlichem Weibsvolk, nicht wegen der üblicherweise den Manichäern unterstellten Ekeleien – überführt und (wie man annehmen darf) wegen maleficium hingerichtet wurde (Sulp. Sev. chron. 2.50.8). Bereits vor dem Prozess wurde Priscillian mit Zauberei in Zusammenhang gebracht: Sulpicius Severus (chron. 2.46.5) berichtet (freilich ex post!), man habe geglaubt, Priscillian habe seit frühester Jugend die magischen Künste betrieben; sein Erzfeind und späterer Akkusator Ithacius bezichtigte ihn explizit der Magie (Priscill. tract. 1.27 f.).

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stammen nicht von Gregorius, sondern von einer oder mehreren später wirkenden Personen, die anderes Material verwendeten und es auf andere Weise redigierten. Hervorragender Überblick über die neuere Forschungsliteratur bei Burrus, S. 18– 24. Die ältere Forschung vom 16. Jahrhundert bis 1964 beschreibt Vollmann, S. 9– 49. Vollmann (S. 52–83) bietet zudem eine Zusammenstellung der Quellen zum Priscillianismus, die beiläufigen Erwähnungen sogar sämtlich im Wortlaut samt bibliografischen Angaben und Erläuterungen. Als Standardwerk würde man gemeinhin wohl Chadwick nennen, doch viele seiner Deutungen scheinen mir problematisch.

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Nun warf man dem Priscillian nicht nur Zauberei vor, sondern auch Manichäismus. Hydatius von Mérida war es gelungen, von Gratian ein Reskript 47 gegen »Pseudobischöfe und Manichäer« (Priscill. tract. 2.50) – gemeint Priscillian und zwei Mitstreiter – zu erlangen, quia nemo non, qui pseudoepiscopos et Manichaeos audiret, odisset, »weil ja nun absolut jeden, der ›Pseudobischöfe und Manichäer‹ hört, der Hass packt«. Dieses Reskript verfügte ihre Vertreibung nicht nur aus den Kirchen und Städten, sondern extra omnes terras, »aus allen Territorien [der Städte]«, 48 es wurde aber 383 dann doch wieder aufgehoben (Sulp. Sev. chron. 2.48.5 f.). In seinem Brief an den römischen Bischof Damasus (tract. 2, von 381?) geht es Priscillian und seinen beiden Bischofskollegen vor allem darum, dem (wie sie darlegen) völlig aus der Luft gegriffenen Vorwurf des Manichäismus entgegenzutreten; sie distanzieren sich dazu auf das Entschiedenste von dieser Glaubensgemeinschaft. Sie gehen dabei so weit, dass sie den Manichäern das Christentum absprechen und sie explizit mit Zauberei in Zusammenhang bringen (Priscill. tract. 2.47): Manichaeos, iam non hereticos, sed idololatras et maleficos servos Solis et Lunae, invictiacos daemones cum omnibus auctoribus sectis moribus institutis libris doctoribus discipulisque damnamus, »wir verdammen die Manichäer – die keine Häretiker mehr sind, sondern götzenverehrende, hexende Knechte der Sonne und des Mondes, sonnenanbetende 49 Dämonen – wir verdammen sie samt all ihrer Gründer, Verhaltensweisen, Gebräuche, Lehren, Bücher, Lehrer und Schüler«. Da sonst kaum ein Zeitgenosse das Christentum der Manichäer bestreitet oder sie gar als pagan hinstellt, sollte man auch malefici servi Solis et Lunae nicht überbewerten – Priscillian wollte einfach ganz deutlich zum Ausdruck bringen, dass er keinerlei Sympathien für Manichäer hegt, und feuert daher eine Breitseite ab. Im Damasus-Brief erfolgt an keiner Stelle eine Distanzierung von Magievorwürfen, mit denen Priscillian zu diesem Zeitpunkt (381?) also anscheinend noch gar nicht ernsthaft konfrontiert war. Viel genutzt hat der Brief ihm und seinen Mitstreitern nicht – beim Versuch, sich in Rom im persönlichen Gespräch beim römischen Bischof zu entlasten, wurden die drei von Damasus nicht einmal vorgelassen (Sulp. Sev. chron. 2.48.4). In der sogenannten Apologie (Priscill. tract. 1, nicht datierbar) distanziert sich Priscillian (sofern der Text von Priscillian ist) 50 zwar von Manichäismus und Magie, erweckt dabei aber keineswegs den Eindruck, einen Zusammenhang zwischen bei47

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Sowohl Priscillian selbst als auch Sulpicius Severus bezeichnen die Gratian-Verlautbarung ausdrücklich als Reskript, während doch ihr Inhalt offenbar atypisch für dieses Genre ist. Aber → S. 38. Sulp. Sev. chron. 2.47.6, quo universi haeretici excedere non ecclesiis tantum aut urbibus, sed extra omnes terras propelli iubebantur. Dem Kontext nach sollte universi haeretici »sämtliche priscillianistischen Bischöfe« bedeuten; zur Bedeutung von extra omnes terras vgl. → S. 337. Das überlieferte invictiacos ist ein Hapax; der ThLL (s. v.) leitet es von sol invictus ab, der Herausgeber Schepss überlegt, ob man nicht invecticios (»importiert«) herstellen sollte. Burrus, S. 56: »the document has been dated to almost every stage of the Priscillia-

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dem zu sehen: So verdammt der Autor (nach dem Tierkult und anderem) erst die Manichäer; dann viele andere Häresien; und erst zum Schluss die Magie (tract. 1.26– 28). 51 Man hat ferner einen Brief des Kaisers Maximus an den römischen Bischof Siricius, in dem er schreibt, er lege dem Brief die Akten mit den Aussagen der »Manichäer« (Plural) bei (Avell. 40.4), was sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Priscillianprozess beziehen sollte. Das ist höchst bemerkenswert: Sulpicius Severus erwähnt nicht, dass der Manichäismusvorwurf im Prozess eine Rolle spielte, und es gibt keinerlei Hinweis, dass Manichäersein (anders als Magie) zwischen Diokletian und dem frühen 6. Jh. (→ S. 805) ein todeswürdiges Verbrechen gewesen wäre. Aber Maximus’ Brief stellt eine Antwort auf eine Anfrage dar, und man kann mit Graf (S. 241) vermuten, dass Manichaei bereits in Siricius’ Ausgangsbrief stand. Nun lag dem römischen Bischof Siricius die Bekämpfung der Manichäer besonders am Herzen (→ S. 465); zudem galt Priscillian ja schon bei Siricius’ Vorgänger Damasus als »Manichäer«, eine Vorstellung, von der Damasus trotz Brief und Besuch Priscillians in Rom nicht abzubringen war; nicht anders wird der Kenntnisstand seines Nachfolgers (Damasus starb im Dezember 384) und vorherigen Diakons Siricius gewesen sein. Als sich Siricius bei Maximus nach dem Ausgang des Verfahrens gegen Priscillian und seine Genossen erkundigte, war es also nur naheliegend, dass er fragte, was genau mit den »Manichäern« passiert sei. Im Prozess gegen Priscillian trat Ithacius (zusammen mit einem weiteren Bischof) anfänglich als Akkusator auf, 52 wofür er später – nach dem Fall von Maximus – seines Bischofsamts enthoben, exkommuniziert und verbannt wurde. Ithacius verfasste ein apologetisches Werk, in quo detestanda Priscilliani dogmata et maleficiorum eius artes libidinumque eius probra demonstrat, ostendens, Marcum quemdam Menpheticum, magiae scientissimum, discipulum fuisse Manis et Priscilliani magistrum, »in dem er die hassenswerten Lehren des Priscillian, seine Schwarzen Zauberkünste und die Ungehörigkeiten seiner Wolllüste darlegt; dabei zeigt er auf, dass ein gewisser Marcus aus Memphis, der umfassende Kenntnisse der Magie besaß, ein Schüler Manis und der Lehrer Priscillians gewesen sei« (Isid. Hisp. vir. ill. 2.2–6). Der erste Teil (Schwarze Magie/Unmoral) ist der, der im Trierer Prozess eine Rolle spielte; die Beschreibung des Marcus aus Memphis ist eine zusätzliche Schmähung, und nur hier werden die beiden Vorwürfe Magie und Manichäismus kombiniert. 53

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nist controversy and its authorship attributed to various members of Priscillian’s circle«. Man vergleiche damit die Darstellung von Chadwick (S. 97): »The Manichees are associated with black magic and moral enormity–›turpitudines‹–for which they deserve to be ›persecuted with the sword‹ and, if it were in Priscillian’s power, ›sent to Hell‹ …, for the scripture says ›you shall not suffer magicians to live‹«. Doch an der zitierten Stelle wird das alttestamentliche Magierzitat ganz eindeutig nur auf die Hexer (und nicht auf die Manichäer, wie Chadwick zu Unrecht insinuiert) bezogen. Sulp. Sev. chron. 2.50.1, 2.51.1; Isid. Hisp. vir. ill. 2.6 f.; Paneg. 2.29.3 u. ö. Unsere Hauptquelle zur Priscillianaffäre, Sulpicius Severus, erwähnt übrigens den Manichäismusvorwurf an keiner einzigen Stelle, bezeichnet aber Priscillian und die

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Fassen wir zusammen: Tatsächlich finden sich im Kontext der Priscillianaffäre mehr Verbindungen zwischen Magie und Manichäismus als irgendwo sonst in unseren Quellen; doch gleichwohl dürfte auch hier letztlich dasselbe Muster wie bei anderen vorgeblichen Belegen zu finden sein: Manichäismus wird als die schlimmste aller Häresien wahrgenommen, Schwarze Magie ist ein außerordentlich schwerer Vorwurf; bei einem Gegner, auf den man mit allen Kanonen schießt, liegt es nahe, ihm einfach beides vorzuwerfen – ohne dass die Einzelvorwürfe jedoch voneinander abhängig wären. Dieser lange Exkurs zur Verbindung zwischen Manichäismus und Magie war notwendig, weil es im wissenschaftlichen Diskurs derzeit üblich ist, die Manichäergesetzgebung von der Magiegesetzgebung abzuleiten. Doch das ist (angesichts der völlig unterschiedlichen Sanktionen) aus rechtshistorischer Sicht abseitig (→ S. 433), und mir lag daran aufzuzeigen, dass es auch aus sachlichen, kontextuellen Gründen alles andere als zwingend erscheint. Doch zurück zur Gesetzgebung.

Nach Diokletian wurde den Manichäern wohl eine Atempause zuteil: Die plausibelste Annahme ist, dass spätestens unter Konstantin – über den wir beiläufig erfahren, dass er den Manichäismus immerhin interessant fand 54 – die

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Seinen mehrfach als »Gnostiker« (chron. 2.46.1, 2.47.6). Burrus, S. 188 f. Anm. 8, erklärt dieses Schweigen dadurch, dass Sulpicius Severus als Asket »himself vulnerable to charges of Manichaeism« war. Vielleicht lässt aber Sulpicius Severus a posteriori diese Unterstellung deswegen weg, weil er sie sachlich absurd fand und sie im entscheidenden Prozess keine Rolle spielte. Anders dagegen viele weitere Autoren, darunter Augustin (z. B. Priscillianistae Manichaeorum simillimi, epist. 36.12.28; vgl. haer. 70), die später auf den Zusammenhang hinweisen (entsprechende Passagen lassen sich leicht der Quellenkunde bei Vollmann, S. 52–69, entnehmen). Amm. 15.13.2, Constantinus enim, cum limatius superstitionum quaereret sectas, Manichaeorum et similium, nec interpres inveniretur idoneus, …, »Denn als Konstantin die Sekten der abergläubischen Religionen – Manichäer und dergleichen – eingehender untersuchen wollte und sich kein geeigneter Übersetzer fand, …«. Der Aufsatz »Konstantin der Große und der Manichäismus« von Dölger enthält – trotz des vielversprechenden Titels – keine weitere einschlägige Evidenz, ebenso wenig wie die hundert Seiten, die Minale (2013, S. 129–228) auf Konstantin und die Manichäer aufwendet (Minale bespricht ganz ausführlich Euseb. vita Const. 3.63–66; dieser Konstantinbrief nennt fünf Häresien namentlich, aber eben nicht die Manichäer). Man hat zahlreiche verschiedene Ideen vorgebracht, wie Konstantins Interesse zu deuten sei, z. B. als Verfolgung (so ohne Begründung und ganz unplausibel Guichard, S. 67 Anm. 2), als Zeichen von Besorgnis (so De Stoop, S. 40) oder als regelrechte Ermittlungen gegen spalterische Sekten (so Minale 2013, S. 153). Doch der Übersetzer, den Konstantin schließlich findet und um den es im Kontext geht, ist Strategius (PLRE I, S. 611 f. s. v. Strategius Musonianus), der nachmalige Prätoriumspräfekt. Ohne es beweisen zu können, scheint es mir unwahrscheinlich, dass – wäre es um eine »ernsthafte« Mission gegangen – man den Leiter nach seinen Sprachfertigkeiten ausgewählt hätte. Deswegen könnte ich mir eher vorstellen, dass der religiös

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Verfolgung der Manichäer vorerst wieder endete. 55 Für die nächsten Jahrzehnte bis Valentinian sind uns weder antimanichäische Gesetze noch Verfolgungen bekannt. 56 Dies ist nach aller Wahrscheinlichkeit kein Überlieferungszufall, denn auch in der späteren Gesetzgebung wird nur auf die antimanichäische Gesetzgebung von Diokletian einerseits 57 und Valentinian anderseits, 58 niemals aber auf Regelungen der Kaiser dazwischen, angespielt. 59 Es wird also

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lang suchende Konstantin auch irgendwann Interesse am Manichäismus »und ähnlichen übertrieben religiösen Gruppen« hatte und für dieses höchstpersönliche Anliegen auf die sprachliche Unterstützung nicht eines beliebigen Übersetzers, sondern einer ihm nahestehenden, hochgestellten Persönlichkeit zurückgriff. Zahlreiche Autoren nehmen ohne weiteres Argument an, Diokletians Konstitution sei weiter gültig geblieben. Aber erstens wäre dann das Valentiniangesetz von 372 eine willkommene Straferleichterung statt einer antimanichäischen Maßnahme (wogegen die Sprache ebenjener Konstitution spricht). Zweitens verleiht Theodosius seinen erbrechtlichen Sanktionen Rückwirkung ab dem Zeitpunkt des Valentiniangesetzes (was impliziert, dass der Manichäismus zuvor nicht untersagt war). Drittens galten die Manichäer als Christen (wenn auch als häretische Christen), womit sie unter die allgemeine Christentoleranz fallen sollten. Viertens (sofern jemanden das Christenargument nicht überzeugt) sei Kaiser Licinius zitiert (Lact. mort. pers. 48.2; vgl. Euseb. hist. eccl. 10.5.4): Cum feliciter tam ego Constantinus Augustus quam etiam ego Licinius Augustus apud Mediolanum convenissemus …, haec … in primis ordinanda esse credidimus …, ut daremus et Christianis et omnibus [!] liberam potestatem sequendi religionem quam quisque voluisset, »Als ich, Kaiser Konstantin, und ich, Kaiser Licinius, zu Mailand glückverheißend zusammenkamen …, waren wir der Ansicht, dass Folgendes … zuvörderst zu regeln sei, … sodass wir sowohl den Christen als auch allen anderen [!] die freie Möglichkeit gewähren, derjenigen Religion zu folgen, die ein jeder will …«. Auch wenn wir keine vergleichbare Konstitution von Konstantin kennen, muss es etwas Derartiges gegeben haben – welchen Grund hätte Licinius gehabt, Konstantin eine allgemeine Toleranz unterzuschieben? Vgl. Corcoran 2015, S. 77, sowie Lieu, S. 125 f., mit demselben Ergebnis, der aber wenig präzis vom »Edict of Milan« spricht. Anders De Stoop (S. 40 f.), der sich unter fragwürdiger Interpretation einzelner Passagen erfolglos müht, eine durchgehende Verfolgung nachzuweisen. Nov. Val. 18 pr.: Superstitio paganis quoque damnata temporibus, »ein Unglaube, der sogar zu heidnischen Zeiten verdammt war«. CTh. 16.7.3 pr. (383), qui Manichaeorum nefanda secreta … sectari maluere …, ea … poena comitetur, quam … divalis arbitrii genitor Valentinianus adscripsit, »Diejenigen …, die … dem Aufsuchen der frevelhaften Geheimtreffs … der Manichäer den Vorzug gegeben haben, möge … diejenige Strafe treffen, die … Valentinian, unser Vater von kaiserlichem Ratschluss, festsetzte«. Das gilt auch für die nichtjuristische Überlieferung. Der Ambrosiaster genannte Autor, der unter dem römischen Bischof Damasus (366–384) schreibt, zitiert hinsichtlich der Manichäer auch nur den uns bekannten Diokletian-Brief (in II Tim. 3.7.2) und nichts Jüngeres, wie es sich für einen christlichen Autor eher geziemt hätte. Darf

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wirklich erst Valentinian gewesen sein, der sich wieder der Manichäer annahm. 60 Valentinians Gesetz zu den Manichäern haben wir bereits im Abschnitt zur Infamie kennengelernt (→ S. 379), aber weil das Fragment so kurz ist, sei es noch einmal ganz wiedergegeben (CTh. 16.5.3 von 372): Impp. Valentinianus et Valens AA. ad Ampelium pu. Ubicumque Manichaeorum conventus vel turba huiusmodi repperitur, doctoribus gravi censione multatis his quoque qui conveniunt ut infamibus atque probrosis a coetu hominum segregatis, domus et habitacula, in quibus profana institutio docetur, fisci viribus indubitanter adsciscantur. Dat. VI non. Mart. Treviris Modesto et Arinthaeo conss. Die Kaiser Valentinian und Valens an den Stadtpräfekten Ampelius: Wo immer eine Versammlung der Manichäer oder ein solcher Auflauf angetroffen wird, sollen – nachdem die Lehrer mit einer schweren Strafe gezüchtigt und auch diejenigen, die sich versammeln, als infames und probrosi vom Verkehr mit den Menschen getrennt wurden – die Stadthäuser und Wohnungen, in denen diese ruchlose Lehre unterrichtet wird, unverzüglich dem Vermögen der kaiserlichen Kasse zugeschlagen werden. Abgeschickt am 6. Tag vor den Nonen des März in Trier unter dem Konsulat von Modestus und Arinthaeus. [2. März 372]

Die Konstitution wendet sich nicht gegen den Manichäismus an sich, sondern gegen städtische (angesichts des Empfängers: wohl ursprünglich spezifisch stadtrömische) Versammlungen von Manichäern. Falls deren Verbot übertreten wird, sollen die Versammlungsorte eingezogen und die Teilnehmer bestraft werden. Der römische Gesetzgeber trennt zwischen zwei Gruppen: den »Lehrern« (doctores), die offenbar aus den Schriften unterrichten, und denen, die für einen solchen Unterricht zusammenkommen (qui conveniunt). Bei den letzteren handelt es sich fraglos um die uns bereits bekannten Hörer; als doctores werden hier sicherlich predigende bzw. unterrichtende Erwählte bezeichnet. 61 Die genaue Bestrafung der Erwählten bleibt dem Ermessen des man das vielleicht sogar als Indiz dafür werten, dass dieser Ambrosiastertext vor der Valentiniankonstitution, d. h. vor März 372, entstand? 60 Mitunter wird der Anschein erweckt, man wüsste positiv, dass die Verfolgung nach Diokletian weitergelaufen sei (so Demandt, S. 143, zur Situation unter Valentinian: »Verboten blieben [!] allein die Manichäer«), aber dafür gibt es keine Belege. 61 Vgl. Drecoll/Kudella, S. 14 Anm. 13, mit einer Sammlung verschiedener Belegstellen. Lieu (S. 196) behauptet ohne Beleg, Felix »styled himself doctor«; ich finde nur

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Richters überlassen, denn gravi censione multare ist jedenfalls keine technische Formulierung, die auf eine klar zuordenbare Strafe verweisen würde. 62 Dass der Kaiser darauf verzichtet, einen klaren Strafrahmen zu setzen, ist nicht weiter auffällig, sondern sogar typisch für ein crimen extraordinarium (Hitzig, Sp. 1716). Wenn man von späteren Manichäerprozessen rückschließen darf, könnte es in der Praxis um die Verbannung gegangen sein (→ S. 485), d. h., die Erwählten durften nicht einmal im Umland einer Stadt wohnen, sondern wurden weit weggeschickt. Die Sanktion für einfache Manichäer ist unklar formuliert, aber a coetu hominum segregare sollte die Vertreibung aus den städtischen Zentren bedeuten (→ S. 380). Dass auch manichäische Laien mit einer Bestrafung rechnen mussten, bestätigt uns übrigens eine beiläufige Bemerkung Augustins: Er verrät uns, dass sich die Manichäer zu der Zeit, in der er selbst Hörer war (also

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eine Stelle, an der Augustin den Felix als solchen bezeichnet: unus enim erat ex doctoribus eorum, »er war nämlich einer ihrer Lehrer« (retract. 2.8.1). Lieu (S. 196) will doctor als »= magister?« erklären. Das entspräche fast der obersten Spitze der Hierarchie: Direkt unter dem Sektenführer und über den Bischöfen stehen die zwölf magistri, die in den griechischen Quellen tatsächlich διδάσκαλοι heißen (Lieu, S. 27). Aber die übliche lateinische Wiedergabe war eben magistri (vgl. Aug. haer. 46.16), nicht doctores. Und Felix, den Augustin doctor nannte, war für Possidius (vita Aug. 16.4) einfach nur ein normaler Erwählter. Der einzige Beleg, den ich sehe, wo doctores i. S. v. διδάσκαλοι stehen könnte, findet sich bei Prosper (chron. p. 479.1350): In einem Prozess gegen Manichäer qui doctores eorum, qui episcopi quive presbyteri … degerent, patefactum est, »wurde offenbar, wer als ihre doctores, wer als ihre Bischöfe oder Presbyter … [in verschiedenen Orten] lebten«. Andererseits spricht Bischof Leo (Leo M. epist. 7.1) – der genau diese Manichäerjagd unternahm – davon, er habe manichäische sequaces et doctores, »Mitläufer und Lehrer«, in Rom ergreifen können, also fraglos: Hörer und Erwählte. Daher wird doctores auch bei Prosper nichts anderes als »Erwählte« bedeuten. Wie dem auch immer sein mag: Der Urheber unseres Gesetzes gegen Versammlungen wollte fraglos den Tatbestand nicht auf manichäische »Kardinäle« beschränken; doctor kann daher in diesem Text keinesfalls den Weihegrad διδάσκαλος bezeichnen. Bekanntlich steht multa üblicherweise für Geldstrafe (vgl. Ulp. D. 50.16.131.1), und so ist die häufigste Bedeutung von multare ebenfalls »jemanden mit einer Geldstrafe belegen«, aber es gibt auch abweichende Verwendungen (Paul. sent. 1.21.12, pro qualitate personae vel opere publico vel exilio multatur; CTh. 9.26.1, 397, deportationis multetur exilio). Das Wort censio ist außerordentlich selten, und unser Valentiniangesetz wird als Beleg im Thesaurus Linguae Latinae zitiert, wo (ThLL 3.796.52–57) man es ganz allgemein »i. q. animadversio« deutet. Brown (1963, S. 285 mit Anm. 18) nimmt das vorliegende Gesetz ohne weiteren Kommentar als Beleg dafür in Anspruch, dass gegen führende Manichäer gelegentlich die Todesstrafe (!) verhängt wurde. Dies wird durch keine andere Quellenpassage plausibilisiert.

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im Wesentlichen in den 370ern), vor Anzeigen in Acht nehmen mussten, die gegen sie wegen verbotener Zusammenkünfte eingingen (… eo tempore quo conventicula eorum lege publica prohiberentur, ne quid laesi proderent, metuebatur, »damals, als [bereits] ihre Zusammenkünfte durch ein staatliches Gesetz untersagt waren, wurde befürchtet, dass sie [bestimmte Manichäer], wenn man sie beleidigen würde, etwas verrieten«, mor. Manich. 19.69). Leider führt Augustin nicht aus, was im Falle eines solchen Verrats mit den Versammlungsteilnehmern geschehen wäre. Die Hintergründe von Valentinians Manichäergesetz sind ungeklärt. Da Valentinian selbst erwähnt, offiziell Religionsfreiheit gewährt zu haben, 63 und zudem der Zeitgenosse Ammian in seinem Nachruf auf ihn (der keineswegs enkomiastisch ist, sondern auch zahlreiche negative Eigenschaften ausbreitet) dessen religiöse Toleranz nachdrücklich betont (Amm. 30.9.5; vgl. Soz. 6.6.10), hat man in der Forschung das vorliegende Gesetz nicht als Maßnahme zur Bekämpfung von religiösen Abweichlern, sondern als Ausfluss von Valentinians Kampf gegen Magie und Wahrsagerei (vgl. CTh. 9.16.7, → S. 103; CTh. 9.16.9 f.) deuten wollen (etwa Lieu, S. 143 f.; Decret I, S. 213; Humfress 2000, S. 136; Delmaire I, S. 231 Anm. 1; vorsichtiger Gothofredus, S. 126: hoc etiam [!] contemplatu). Diese Communis Opinio ist allerdings keineswegs unproblematisch; tatsächlich weist vieles darauf hin, im vorliegenden Manichäergesetz den Angriff auf eine besonders schlecht gelittene Heterodoxengruppe zu sehen. Denn ganz gleich, was Valentinian selbst und Ammian behaupten: Mit CTh. 16.6.1 (373) liegt mindestens ein Valentiniangesetz vor, mit dem er gegen Heterodoxe (hier: Wiedertäufer in Afrika, d. h. Donatisten) vorging. 64 63

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CTh. 9.16.9 (371), Testes sunt leges a me in exordio imperii Mei datae, quibus unicuique, quod animo inbibisset, colendi libera facultas tributa est, »Das bezeugen die Gesetze, die ich zu Anfang Meiner Herrschaft abgeschickt habe, in denen einem jeden die vollständige Freiheit gewährt wurde zu verehren, wonach ihm der Sinn steht«. Die erwähnten Gesetze selbst sind nicht erhalten. In einer Passage, in der Augustin argumentiert, dass (außer Julian) alle Kaiser seit Konstantin Gesetze gegen die Donatisten erlassen haben, kommt auch Valentinian vor: Aug. epist. 105.2.9, Deinde Valentinianus: Legite, quae contra vos iusserit!, »Dann kam Valentinian: Lest doch nach, was er gegen euch verordnet hat!«. Und es gibt eine noch viel bessere Quelle, nämlich den Donatisten Tyconius, den Beda Venerabilis anders als wir im vollständigen Original vorliegen hatte: quam isdem Tychonius et vivaciter intellexit et veridice satisque catholice disseruit, praeter ea dumtaxat loca in quibus suae partis, id est donatistarum, scisma defendere nisus persecutiones quas ipsi a religioso Valentiniano principe videlicet ut heretici pertulerunt, ecclesiis eorum et plebibus domibusque et possessionibus sub catholicorum manu contraditis et sacerdotibus

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Wenn er aber überhaupt Gesetze gegen Häretiker erließ, dann ist es keineswegs abwegig, dass er erst recht gegen die Manichäer aktiv wurde. Was die okkulten Künste angeht, so ist zur Genüge aus Ammian bekannt (28.1.10 f., 19–21, 26, 29), dass unter Valentinian regelmäßig die Todesstrafe gegen Magier und Wahrsager verhängt wurde. Insofern passen die teilweise unbestimmten und jedenfalls harmloseren Sanktionen gegen die Manichäer gar nicht zur Kapitalstrafe für Zauberkunst. Auch kommt eine Beschlagnahme des Versammlungsorts in der Magiegesetzgebung niemals vor, in der Heterodoxengesetzgebung dagegen regelmäßig, und das schon seit Konstantin (Umkehrschluss aus CTh. 16.5.2 von 326; ferner Euseb. vita Const. 3.64 f.). Der Strafrahmen zeigt, dass das Manichäergesetz unmöglich in den Kontext der Magiebekämpfung gehören kann; gleichzeitig macht er wahrscheinlich, dass es ein Gesetz gegen Heterodoxe ist. Außerdem haben wir gesehen, dass die Manichäer von antiken Zeitgenossen weitaus seltener mit magischen Praktiken in Verbindung gebracht wurden, als man heute gern behauptet (→ S. 422). In der Manichäergesetzgebung 65 der 380er unter Theodosius und Gratian wird wiederholt auf ein antimanichäisches Gesetz eines kaiserlichen Vorgängers rekurriert, einmal wird sogar explizit Valentinian genannt. In Theodosius’ erstem Gesetz mit erbrechtlichen Sanktionen (CTh. 16.5.7, 381), das gleich zu besprechen sein wird, wird mehrfach auf ein früheres Gesetz Bezug genommen (pr., ex die latae dudum legis ac primitus a Nostris parentibus; § 1, post legem primitus datam; § 1, non tam ad constituendae, sed ad ulciscendae legis sanximus exemplum). Dass das frühere Gesetz nicht von ihm selbst stammen

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exilio retrusis, deflet et martyria vocans has in eadem gloriatur Apocalypsi fuisse praedictas, »[die Offenbarung des Johannes], die besagter Tyconius geistreich verstand und wahrhaft und recht katholisch besprach, außer freilich an den Stellen, an denen er sich mühte, das Schisma seiner Gruppe (d. h. der Donatisten) zu verteidigen, und die Verfolgungen, die sie als Häretiker vom frommen Kaiser Valentinian konsequenterweise zu ertragen hatten – Übergabe ihrer Kirchen, Hörigen, Häuser und Güter an die Katholiken und Vertreibung ihrer Kleriker ins Exil –, beklagt, sie ›Martyrien‹ nennt und sich rühmt, sie seien in besagter Offenbarung vorhergesagt worden« (Beda expos. apoc. p. 231.115–123). Auch in Rom griff man mit Staatsmacht gegen ein Schisma ein – der Stadtpräfekt hatte angesichts gewalttätiger Unruhen die Gegner von Bischof Damasus aus Rom verbannt –, was Valentinian selbst ausdrücklich bestätigte (Avell. 7.2; allerdings besteht Valentinian darauf, dass den Exilierten nur Rom selbst verboten sei, sie ansonsten ihren Aufenthaltsort frei wählen durften). Der wichtigste Aufsatz zur Manichäergesetzgebung stammt von Kaden (allerdings oft nicht überzeugend); der kurze Beitrag von Beskow bietet weniger, als der Titel verspricht.

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kann, leidet keinen Zweifel – lata lex a Nostris parentibus –, 66 aber da parentes keineswegs die unmittelbaren Vorgänger sein müssen, 67 wäre es theoretisch ohne Weiteres möglich, dass es sich um einen beliebigen anderen Kaiser vor Theodosius handelt. In jedem Fall ist klar, dass die lata dudum lex keine erbrechtlichen Sanktionen enthielt: Bei den Sanktionen wechselt Theodosius ins Präsens und in die erste Person (omnem protinus eripimus facultatem neque eos … habere sinimus potestatem), und zudem begründet er sehr ausführlich, weswegen er – abweichend von den üblichen Regeln – ein rückwirkendes Gesetz schafft (was voraussetzt, dass die dort genannten Sanktionen im ursprünglichen Gesetz nicht enthalten waren). 68 Über die lata dudum lex erfahren wir aber auch noch Folgendes: qui etiam post legem primitus datam nequaquam ab illicitis et profanis coitionibus refrenari divina saltem monitione potuerunt; und die Teilnahme an Versammlungen war genau das, was das Valentiniangesetz 372 verboten hatte (und was Augustin indirekt bestätigt). Demnach scheint es also um den uns vorliegenden Text zu gehen. Dafür spricht auch, dass die Erwähnung der Infamie aufgegriffen wird: ut infamibus atque probrosis a coetu hominum segregatis heißt es bei Valentinian, während Theodosius schreibt: quoniam isdem sub perpetua inustae infamiae nota testandi ac vivendi iure Romano omnem protinus eripimus facultatem. 69 Theodosius I. fügt dem nun seine Sanktionen im Erb- und Schenkungsrecht hinzu. Dazu passt, wenn es im nächsten einschlägigen Gesetz von 382 (→ S. 452) heißt: manente ea condicione de bonis, quam omni huic officinae

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Deswegen kann es sich nicht, wie Godefroy (Gothofredus, S. 134 Anm. †) vorschlägt, um Cunctos populos (CTh. 16.1.2) handeln. Hinzu kommt, dass Cunctos populos keine häretischen Zusammenkünfte verbietet, worauf aber im vorliegenden Gesetz (§ 1) Bezug genommen wird. Vgl. z. B. CTh. 6.4.17, divinum parentem Nostrum Constantinum sanxisse perspeximus (Valentinian und – nominell – Valens über Konstantin); CTh. 10.5.1, quidquid divi parentis Nostri Valentiniani senioris iussio de fundis privatae rei continebat (Honorius und – nominell – Arkadius über Valentinian I.). Ausführlich dazu Lepore 2012, S. 211–235. Das übersieht Noethlichs (S. 134 sowie S. 314 f. Anm. 795), was seinen weiteren Gedankengang sehr angreifbar macht. Errington (1997b, S. 52) lehnt die Identifizierung der lata dudum lex mit dem 372er Gesetz ab, »since the ›old law‹ employed merely a divina monitio … this phrase seems to exclude identity with Valentinian’s law, which explicitly foresaw the confiscation of buildings and the expulsion of Manichaeans from the city«. Aber monitio besitzt nicht die von Errington offensichtlich rein intuitiv zugeschriebene Bedeutung »sanktionsloses Gesetz«: In CTh. 9.3.7 (409) werden präzise Strafen festgelegt, gleichwohl bezeichnet sich die Regelung selbst als monitio.

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imposuimus a latae dudum legis exordio. Wiederum unterscheidet Theodosius zwischen der lata dudum lex, die nur den Anfangspunkt der Rückwirkung vorgibt, und den Sanktionen, die erst er, Theodosius, auferlegt hat. Weniger gut fügt sich hingegen ein drittes Gesetz in die Sequenz, nämlich CTh. 16.7.3 von 383 (→ S. 459). Diese Konstitution stammt nicht von Theodosius, sondern wurde von Gratian, dem dienstälteren Kaiser im westlichen Teil, erlassen. 70 Darin erwähnt Gratian, dass die Testamentserrichtung von Apostaten zum Heidentum hin verboten sei, und weitet dies dann auf Apostaten zum Judentum hin aus. Er fährt fort: Eos vero, qui Manichaeorum nefanda secreta et scelerosos aliquando sectari maluere secessus, ea iugiter atque perpetuo poena comitetur, quam vel divalis arbitrii genitor Valentinianus adscripsit vel Nostra nihilo minus saepius decreta iusserunt, »Diejenigen schließlich, die irgendwann einmal dem Aufsuchen der frevelhaften Geheimtreffs und verruchten Schlupfwinkel der Manichäer den Vorzug gegeben haben, möge auf immer und ewig diejenige Strafe treffen, die Valentinian, unser Vater von kaiserlichem Ratschluss, festsetzte und Unsere Gesetze um nichts seltener bestimmten«. Im Kontext dieses Gesetzes geht es sowohl unmittelbar vor dieser Passage als auch danach ausdrücklich um ein Testierverbot, um das es sich also bei der erwähnten poena handeln muss. Der Ausdruck Nostra decreta bezieht sich auf das Kaiserkollegium – die entsprechenden theodosianischen Gesetze von 381 und 382 wurden ja formell sowohl von Theodosius als auch von Gratian (und Valentinian II.) erlassen. 71 Was aber tun mit der Aussage, die Strafe habe genitor Valentinianus adscripsit? Ist dies nicht ein klarer Widerspruch zur These, die erbrechtlichen Sanktionen gingen erst auf Theodosius zurück? In der Tat. Und er lässt sich auch nicht auflösen, denn die beiden Theodosius-Gesetze sind eindeutig: Er, Theodosius, verordnet darin die erbrechtlichen Sanktionen als Neuerung. Nur eine mögliche Erklärung scheint denk-

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Die Konstitution wurde in Padua erlassen, und zwar sehr wohl von Gratian (Seeck 1912, Sp. 1839, sowie Seeck 1920a, S. 166 f.) und nicht von Valentinian II., wie Graf (S. 238) ohne weitere Diskussion und offenbar vom Ort Padua irregeführt angibt. Lieu (S. 146) wiederum schreibt das Gesetz Theodosius I. zu, was völlig abwegig ist (denn der befand sich in Konstantinopel). Eine ganz andere Deutung des Befunds gibt Decret I, S. 214: Er denkt, »l’édit [sic] promulgué en 381 à Constantinople réflète [sic] bien la législation antimanichéenne déjà en vigueur en Occident«, d. h., Theodosius habe damit lediglich früher von Gratian erlassene Bestimmungen bestätigt; damit würden auch die erbrechtlichen Sanktionen auf Gratian zurückgehen. Aber das kann nicht sein, da in diesem Fall Theodosius hinsichtlich der Rückwirkung nicht so breit hätte argumentieren müssen.

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bar: Wer auch immer das Gratiangesetz formulierte, hatte selbst das Valentiniangesetz von 372 gar nicht vorliegen und hat die in den theodosianischen Regelungen enthaltenen Rückbezüge missverstanden. Insofern ist CTh. 16.7.3 ein herausragendes Beispiel für die Konfusion, mit der in spätantiker Zeit die Gesetzgeber genauso wie die Rechtssubjekte leben mussten. Halten wir die bisherigen Ergebnisse fest: Nach einer kurzen, sehr gewalttätigen Verfolgung unter Diokletian, die nur ein paar Jahre dauerte und deren realer Umfang nicht abschätzbar ist, hatten die Manichäer rund zwei Generationen lang, bis 372 unter Valentinian I., ihren Frieden. Während Valentinian bekanntlich mit großer Härte und Grausamkeit gegen vermeintliche Zauberer vorging, erließ er ein relativ mildes Gesetz gegen städtische manichäische Versammlungen, das als Sanktion die Konfiskation des Versammlungslokals und eine Austreibung der manichäischen Hörer aus den Städten vorsah. Die Bestrafung der leitenden Manichäer überließ er den Richtern, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sie hart zu züchtigen seien. Doch kommen wir nun endlich zur Besprechung von CTh. 16.5.7, einem theodosianischen Gesetz von 381. Dies ist die erste antimanichäische Konstitution (jedenfalls soweit wir wissen) seit 372. Es handelt sich um die ausführlichste Regelung überhaupt, die erbrechtliche Sanktionen gegen Heterodoxe verhängt, und sie ist zudem fast (siehe gleich) die früheste. Da Testierverbote zuvor nicht dem Sanktionsarsenal des römischen Strafrechts angehörten (→ S. 253), kommt daher der Interpretation dieses Texts eine besondere Bedeutung für ein Verständnis des Ursprungs dieser Sanktionsart zu. CTh. 16.5.7 ist im Codex Theodosianus auf den 8. Mai 381 datiert; das erste Gesetz mit erbrechtlichen Sanktionen gegen Apostaten, CTh. 16.7.1, hingegen auf den 2. Mai 381. Im Codex Theodosianus besteht CTh. 16.7.1 (→ S. 720) nur aus einem einzigen Satz: His, qui ex Christianis pagani facti sunt, eripiatur facultas iusque testandi et omne defuncti, si quod est, testamentum submota conditione rescindatur, »Denjenigen, die von Christen zu Heiden wurden, soll Befugnis und Recht zum Testieren entrissen werden. Jedes Testament eines Verstorbenen, sofern es eines gibt, soll unter Annullierung der Errichtung aufgehoben werden.«. Wenn wir annehmen, dass sich die Kompilatoren an ihre Anweisungen gehalten haben und sowohl CTh. 16.5.7 wie CTh. 16.7.1 auf das Wesentliche verkürzt haben (→ S. 186), dass also bei CTh. 16.7.1 keine bedeutsamen Regelungen verloren gegangen sind, so bietet das Apostatenfragment wirklich nur eine einzige Anweisung von den vielen Bestimmungen der Manichäerkonstitution. Es gibt keine überzeugenden Gründe für die Idee, dass es sich um Fragmente aus demselben Gesetz handelt, die man in verschiedene sachlich einschlägige Titel einsortiert hat. Das Verhältnis zwischen CTh. 16.5.7 und CTh. 16.7.1 wird an anderer Stelle diskutiert werden, es muss aber – das sei vorweggenommen – letztlich offenbleiben (→ S. 722).

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Noch im Mai 381 (Socr. 5.8.6) trat ein Konzil in Konstantinopel zusammen, das im Nachgang große Bedeutung gewann und das wir heute als das erste ökumenische von Konstantinopel kennen. Aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Beginn des Konzils und den rechtlichen Sanktionen gegen Manichäer und Apostaten auf einen sachlichen Zusammenhang zu schließen, mag verführerisch sein, allerdings gibt es keinen weiteren Hinweis in diese Richtung. Von Konstantinopel I sind nur Kanones, keine Akten, überliefert, und obwohl etliche häretische Gruppen im ersten Kanon verdammt werden, finden dort weder Manichäer noch Apostaten Erwähnung. Bereits vor dem Mai 381 war Kaiser Theodosius auf dem Feld der Religionsgesetzgebung tätig geworden. So war vor allem Cunctos populos, das berühmte Edikt von Thessaloniki mit der Definition der orthodoxen Religion, Anfang 380 ergangen (CTh. 16.1.2, vom 27. Februar 380, → S. 397). Ein Jahr darauf – jetzt sind wir wenige Monate vor dem Mai 381 mit den erbrechtlichen Sanktionen – wurde Häretikern (unter namentlicher Nennung von Eunomianern, Photinianern und Arianern, aber nicht auf diese beschränkt) untersagt, in den Städten Zusammenkünfte abzuhalten (CTh. 16.5.6, vom 10. Januar 381).

CTh. 16.5.7 [8. Mai 381] Idem AAA. Eutropio ppo. Si quis Manichaeus Manichaeave ex die latae dudum legis ac primitus a Nostris parentibus in quamlibet personam condito testamento vel cuiuslibet titulo liberalitatis atque specie donationis transmisit proprias facultates, vel quisquam ex his aditae per quamlibet successionis formam collatione ditatus est, quoniam isdem sub perpetua inustae 72 infamiae nota testandi ac vivendi iure Romano omnem protinus eripimus facultatem neque eos aut relinquendae aut capiendae alicuius hereditatis habere sinimus potestatem, totum fisci Nostri viribus inminentis indagatione societur. Sive id marito sive propinquo aut cuilibet bene merito sive etiam filiis, quos tamen vitae eiusdem et criminis facinora sociata coniungent, sive etiam per interpositam quamlibet personam profuturum eidem, qui e tali hominum genere et grege repperitur, illicita liberalitate provenerit, caduci titulo vindicetur.

72

So im einzigen Überlieferungsträger E; Cujas’ iustae ist eine unnötige Banalisierung, gegenüber der die Lectio difficilior, die Prolepse inustae, unbedingt vorzugswürdig ist.

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manichäer Dieselben drei Kaiser [Gratian, Valentinian und Theodosius] an den Prätoriumspräfekten Eutrop: Wenn ein Manichäer oder eine Manichäerin nach dem Zeitpunkt, zu dem vor langer Zeit das Gesetz von Unseren Vorgängern ursprünglich erlassen wurde, – eigene Vermögenswerte irgendeiner Person übertragen hat (sei es durch die Errichtung eines Testaments oder sei es unter der Finte irgendeiner Freigebigkeit bzw. unter dem Vorwand einer Schenkung), – oder wenn jemand aus diesem Personenkreis dadurch bereichert wurde, dass er auf irgendeine Art und Weise eine Erbschaft antrat, dann soll das alles nach einer Untersuchung dem Vermögen Unseres insistenten Fiskus zugeschlagen werden. Denn wir entreißen ihnen unter dem ewigen Mal eingebrannter Infamie jedes Recht, ein Testament zu errichten und nach römischem Recht zu leben. Wir dulden es nicht, dass sie die Möglichkeit haben, eine Erbschaft letztwillig 73 zu hinterlassen oder zu erwerben. Ganz gleich, ob etwas dem Ehegatten, einem Verwandten oder einer beliebigen wohlverdienten Person, ja sogar den Kindern zukommen soll (die doch die gemeinschaftlichen Verbrechen desselben Lebens und Frevelns verbinden wird) 74 oder ob durch irgendeine zwischengeschaltete Person etwas demjenigen, der zu dieser Sorte und Sekte von Menschen gehört, durch unerlaubte Freigebigkeit zukommen soll: Es soll als kaduk eingezogen werden.

Wie oben dargelegt, handelt es sich beim »Gesetz der Vorgänger« höchstwahrscheinlich um ein Gesetz Valentinians, und zwar um dasjenige, von dem uns 73 74

Zu hereditatem relinquere i. S. v. »durch letzten Willen hinterlassen« (also: nicht intestat) vgl. Heumann/Seckel s. v. relinquere 1b. Ich verstehe tamen nicht adversativ, sondern im spätantiken kausalen Sinn (vgl. Hofmann/Szantyr, S. 497 γ; dieselbe Doppeldeutigkeit besitzt das deutsche »doch«, mit dem ich es wiedergegeben habe) und das Futur von coniungent als potenziales Futur (Hofmann/Szantyr, S. 311 γ). Die entscheidende Frage ist, ob der Relativsatz einen beschränkenden Sinn haben könnte (Pharr, S. 451: »provided that they are connected by participation in the misdeeds«), d. h., ob hier eine Ausnahme zugunsten des nichtmanichäischen Umfelds des Manichäers gemacht wird. Doch dann müsste man einen Konjunktiv erwarten (vgl. § 2, wo wir einen konzessiven Relativsatz mit dem regelmäßigen Konjunktiv haben), mit Sicherheit aber kein Futur; auch erzeugt man so künstlich einen Widerspruch im Gesetz (in quamlibet [!] personam … cuiuslibet titulo liberalitatis atque specie donationis transmisit proprias facultates ist eindeutig); vor allem aber geht es in dem vorliegenden Satz nicht um Ausnahmen zugunsten der Manichäer, sondern im Gegenteil um Verschärfungen: »Sogar« (sive etiam) im Fall einer dazwischengeschalteten Person erfolgt die Konfiskation, wozu das »sogar« (sive etiam) im Fall einer Schenkung an Kinder parallel ist. Vgl. ferner vitae eiusdem: Manichäer und Nahestehende teilen dasselbe Leben, dann werden sie ja wohl auch dieselben Verbrechen begehen. Kurzum: Es handelt sich nicht um eine Ausnahme von der generellen Regelung, sondern Theodosius begründet seine besondere Strenge.

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im Codex Theodosianus ein Auszug erhalten ist. Man kann sich vorstellen, dass in der von den Kompilatoren entfernten Einleitung des TheodosiusGesetzes ausführlicher auf das Vorgängergesetz Bezug genommen wurde (»obwohl bereits verfügt wurde«); dies würde den abrupten Bezug ex die latae dudum legis zwanglos erklären. Theodosius unterscheidet – anders als Diokletian und Valentinian vor ihm – nicht mehr zwischen verschiedenen Manichäerrängen. Das wird vorbildhaft für alle künftigen Manichäergesetze: Während in der Häretikergesetzgebung sonst fast immer sauber zwischen Klerikern und Laien getrennt wird, kennen die kaiserlichen Gesetzgeber ab Theodosius I. nur noch den Manichäer, und die von ihnen verhängten Sanktionen treffen jeden Angehörigen dieser Gemeinschaft. Neben einem Erbantrittsverbot verfügt Theodosius, dass Manichäer kein Testament errichten und an niemanden – nicht einmal an die eigenen Kinder, wie explizit ausgeführt wird – etwas verschenken dürfen (das ausdrückliche Verbot, über eine zwischengeschaltete Person zu verschenken, ergibt keinen Sinn, da Manichäer ohnehin an gar niemanden schenken dürfen). Die Folge ist also, dass das Vermögen eines Manichäers bei ihm verbleibt, bis er stirbt. Was das Erbverbot angeht, so zeigen die technisch präzisen Formulierungen adita successio und capienda hereditas, dass die Hauserben nicht betroffen sind. Selbst Manichäer konnten offenbar weiterhin als Hauserben erben, denn dazu war ja keine aditio hereditatis, kein capere notwendig, denn der Erwerb fand ipso iure statt (→ S. 267). Allerdings verloren sie die Fähigkeit, als Außenerben aus Testament oder intestat zu erwerben. 75 Wenn also ein Manichäer stirbt, kommt es zur Nachfolge im Intestaterbgang, doch die möglichen Erben können nur dann profitieren, wenn sie ihrerseits entweder sui sind oder aber (sofern Außenerben) keine Manichäer. Diese Regelung garantiert, dass das Familienvermögens eines Manichäers entweder in der engsten Familie verbleibt oder aber an nichtmanichäische Verwandte geht. Manichäer (sofern sie keine sui sind) haben keinen Zugriff. Diese Regelungen sind sachlich unmittelbar einleuchtend: Damit verhindert der Kaiser, dass Hörer Erwählte bereichern oder aber umgekehrt Erwählte von Hörern Erbschaften oder Schenkungen erhalten. Die strenge Bestimmung, dass ein Manichäer an niemanden schenken darf, könnte sich 75

Anders Kaser II, S. 532, der meint, den Manichäern sei durch das vorliegende Gesetz »jede successio … versagt«, und der auch diese Sanktion in seinem Abschnitt I getrennt von der Inkapazität (sein Abschnitt II) behandelt. Dabei ignoriert er aber die genaue Formulierung im Gesetz.

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durch die konstante Furcht vor dem Kryptomanichäer erklären: Auch wenn der, der begünstigt werden soll, scheinbar ein braver Katholik ist, verbirgt sich womöglich hinter dieser frommen Maske ein Manichäer; sicherer ist da allemal, dem erkannten Manichäer jede Weggabe von Vermögenswerten zu untersagen. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, ganz wie es das explizite Verbot von Umgehungsmanövern ist. Manichäer können überhaupt nur im Intestaterbgang als sui profitieren; dass Theodosius ihnen diese Möglichkeit lässt, erinnert an sonstige Konfiskationsregelungen, bei denen ebenfalls die Familie vor dem Fiskus profitiert (→ S. 340). Man beachte die kasuistische Angabe si quis Manichaeus Manichaeave zu Beginn des Gesetzes. Während dergleichen Formulierungen in den alten leges geradezu regelmäßig erscheinen (beispielsweise ut qui servum servamve alienum alienamve … iniuria occiderit in der lex Aquilia, D. 9.2.2 pr.), sind sie in den spätantiken Kaisergesetzen recht rar. Dieses Bemühen um ein Abdecken verschiedener Fälle darf man vielleicht als Indiz für einen planvollen Akt der Rechtssetzung, der über das Bestätigen einer Anfrage hinausreicht, werten. Was einem Manichäer testamentarisch zugewandt wird oder ihm intestat zustünde, er aber nicht erwerben kann, das geht stattdessen an den Fiskus. 76 Dies entspricht früheren Inkapazitätsregelungen, die Fälle betrafen, in denen jemand erbfähig war, aber die Erbschaft nicht erwerben konnte. In der Spätantike unterlagen der Inkapazität nur noch die Latini Juniani (→ S. 285), denen bekanntlich das römische Bürgerrecht abging. Die Sanktion gegen die Manichäer schließt offensichtlich an die für die Latini Juniani geltende Regelung an, denn Theodosius selbst sagt ja: vivendi iure Romano omnem protinus eripimus facultatem. Dass aufgrund des naheliegenden Vergleichs mit der Situation der Latini Juniani die Fähigkeit, ein Testament zu errichten, in der Spätantike praktisch synonym mit dem Bürgerrecht war, haben wir bereits gesehen (→ S. 260). Die Tatsache, dass es bei den Manichäern zusätzlich von Anfang an das Schenkungsverbot gibt – dem die potenziell emotional-symbolische Dimension eines Testierverbots abgeht –, beweist, dass es Theodosius I. um das Unterbrechen manichäischer Geldströme (und nicht etwa um eine symbolische Herabsetzung der Manichäer) ging (vgl. → S. 258).

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Die ursprüngliche Regelung, gemäß der die sonstigen im Testament bedachten Personen profitierten (vgl. Kaser I, S. 724 f.), wurde später zugunsten des Fiskus modifiziert (Ulp. reg. 17.2): Hodie ex constitutione imperatoris Antonini omnia caduca fisco vindicantur: sed servato iure antiquo liberis et parentibus, »Heute werden alle kaduken Vermögen aufgrund einer Konstitution des Kaisers Antoninus für den Fiskus eingezogen, aber unter Bewahrung des alten Rechts für Kinder und Eltern«.

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Man könnte sich das Ganze folgendermaßen vorstellen: Aufgrund einer Reihe von Petitionen, mit denen enttäuschte Verwandte von Manichäern um das Familienvermögen kämpften, wurde der Kaiser auf das Thema aufmerksam (für einen vergleichbaren Fall unter Donatisten vgl. → S. 531). Man erinnere sich daran, dass Hörer hofften, als Erwählte wiedergeboren zu werden; deswegen dürften sie (ganz wie Christen, die um ihr Seelenheil fürchteten) beim nahenden Tod eine besondere Motivation verspürt haben, irdische Güter gegen göttlichen Segen zu tauschen; zudem empfindet man den materiellen Verlust beim Vererben bekanntlich weniger als beim Verschenken. Obwohl es in manchen der Eingaben an den Kaiser gewiss um Schenkungen unter Lebenden gegangen ist (es sei an den Händler Firmus erinnert, den Erwählte ausgenommen hatten: → S. 414), dürften die meisten Fälle Testamente betroffen haben, und das erklärt, warum in Theodosius’ Gesetz das Testierverbot so klar im Vordergrund steht. Aus sachlichen Gründen darf man keinen kausalen Zusammenhang zwischen Verlust der Testierfähigkeit und/oder Bürgerrechtsverlust sub perpetua inustae infamiae nota herstellen (→ S. 381). 1. Nec in posterum tantum huius emissae per Nostram Mansuetudinem legis forma praevaleat, sed in praeteritum etiam, quidquid talium personarum aut proprietas reliquit aut successio habuit, usurpatio fiscalis commodi persequatur. Nam licet ordo caelestium statutorum secuturis post 77 observantiam sacratae constitutionis indicat neque actis obesse consueverit, tamen, quoniam (quid consuetudo obstinationis et pertinax natura mereatur) in hac tantum (quam specialiter vigere volumus) sanctione iustae sensu instigationis agnoscimus et eos, qui etiam post legem primitus datam nequaquam ab illicitis et profanis coitionibus refrenari divina saltem monitione potuerunt, tamquam in ipsius depictae legis iniuriam veluti sacrilegii reos tenemus, severitatem praesentium statutorum non tam ad constituendae, sed ad ulciscendae legis sanximus exemplum, ita ut nec defensio temporis prosit. 2. His tantum filiis paternorum vel maternorum bonorum successio deferatur, qui licet ex Manichaeis orti sensu tamen et affectu propriae salutis admoniti ab eiusdem vitae professionisque collegiis purae 78 semet dediti religioni demoverint, tali inmunes a crimine.

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Mommsen schlägt im Apparat statt des überlieferten Adverbs post das synonyme, aber im Satzgefüge weitaus leichter beziehbare postea vor. Die Emendation mag naheliegend sein, ist aber fraglos banalisierend. Die Version von E (puras … religione; zu E → S. 175269) ist unübersetzbar, Mommsen druckt pura … religione, einen problematischen Eingriff von Cujas (denn eine Konjektur, die einen nicht parallelisierbaren Text erst produziert, ist unmethodisch). Die Lösung purae … religioni stammt von Mommsen, der sie aber nur in den Apparat setzt.

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manichäer 1. Nicht nur für die Zukunft sollen die Regelungen des durch Unsere Mansuetude abgeschickten Gesetzes gelten, sondern auch für die Vergangenheit: Alles, was als Eigentum solcher Personen letztwillig hinterlassen wurde oder sie als Erbschaft erhalten haben, soll zugunsten des Fiskus eingezogen werden. Denn obwohl die gute Ordnung kaiserlicher Erlasse die Einhaltung einer kaiserlichen Konstitution eigentlich nur bei den Dingen, die sich später ereignen, verlangt und sie nicht für bereits vorgefallene Dinge schadet, legen wir im Wissen um unseren gerechten Antrieb dies (was gewohnheitsmäßige Verstocktheit und eine starrsinnige Natur als Reaktion verdienen) dennoch in der vorliegenden Konstitution (deren Geltung wir als Ausnahme anordnen) fest und ziehen diejenigen, die auch nach dem Erlass des ursprünglichen Gesetzes keineswegs von ihren illegalen und ruchlosen Zusammenkünften – also nicht einmal nach kaiserlicher Ermahnung! – ablassen konnten, aufgrund des Bruchs des erwähnten Gesetzes gleichsam wie Täter eines Majestätsverbrechens zur Rechenschaft. Wir haben die Strenge der vorliegenden Bestimmungen weniger zur Begründung eines Gesetzes als vielmehr zur Durchsetzung eines solchen verordnet, sodass es auch nichts nutzt, wenn man sich bei der Verteidigung auf die Chronologie beruft. 2. Nur denjenigen Kindern soll der väterliche oder mütterliche Nachlass angetragen werden, die – obwohl Nachkommen von Manichäern –, gewarnt sowohl von ihrem gesunden Menschverstand als auch der Sorge um ihr eigenes Wohlergehen, von den Zirkeln desselben Lebens und Bekenntnisses Abstand genommen haben, der reinen Religion ergeben, frei von einem solchen Verbrechen.

Ausgerechnet vom selben Kaiser Theodosius stammt die angesichts ihrer grundsätzlichen Bedeutung fast ganz am Anfang des Codex Theodosianus einsortierte Bestimmung, dass kein Gesetz rückwirkende Kraft entfaltet (CTh. 1.1.3, 393): Omnia constituta non praeteritis calumniam faciunt, sed futuris regulam ponunt, »Alle Verordnungen bereiten nicht Nachteile für vergangene Taten, sondern setzen die Regel für künftige Handlungen«. Wenn Theodosius hier seine eigene Fundamentalregel übertritt, so muss man ihm doch zugutehalten, dass dies das einzige von ihm überlieferte Gesetz mit rückwirkender Geltung ist 79 und er sich zudem – wie seine ausführliche Darlegung zeigt – des Problems immerhin bewusst ist. 79

Pharr (S. 11 Anm. 14) zitiert in einer Fußnote eine ganze Reihe von Kaiserkonstitutionen, die dieses fundamentale und evident gerechte Prinzip verletzen, und führt darin auch noch die theodosianische Konstitution CTh. 16.5.17 (→ S. 636) auf – aber dies zu Unrecht, denn darin wird lediglich der Bestandsschutz für vorhandene Testamente abgelehnt, nicht aber in vergangene Erbfälle eingegriffen. Man kann Pharrs Liste hingegen um CTh. 9.17.2 ergänzen: … ut nec ille absit a poena, qui ante commisit. Universi itaque, qui …, ex consulatu scilicet Dalmatii et Zenofili, »… sodass nicht einmal der vor Strafe geschützt sei, der zuvor frevelte. Alle daher, die …, allerdings

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Seine Rechtfertigung für die rückwirkende Geltung stützt sich auf folgenden Gedankengang: Das ursprüngliche Gesetz (nämlich das von Valentinian: → S. 434) untersagte manichäische Versammlungen; das ursprüngliche Gesetz war kaiserlich; wer nach dem Erlass des ursprünglichen Gesetzes an manichäischen Versammlungen teilnahm, hat also den Kaiser missachtet und damit ein sacrilegium (hier in der Bedeutung »Majestätsverbrechen«, 80 nicht: »Sakrileg« 81) begangen. Eigentlich gilt im römischen Strafrecht, dass mit dem Tod des Schuldigen die Strafverfolgung und damit auch die Strafe entfällt (vgl. Mommsen, S. 66–68, auch zu Ausnahmen; Volterra 1949, S. 485 f.). Die Ausnahme stellt der Majestätsprozess dar. Seit Mark Aurel (CI. 9.8.6) war es möglich, postum jemanden der Majestätsverletzung anzuklagen (vgl. Volterra 1949). Denn bei diesem Verbrechen wurde die Verurteilung auf den

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ab dem Konsulat von Dalmatius und Zenophilus«. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 349, alle Grabfrevel (darum geht es nämlich), die seit 333 (das ist das Konsulatsjahr) begangen wurden, können rückwirkend verfolgt werden. Wie im vorliegenden Manichäergesetz liegt zwar eine an sich unfaire Rückwirkung vor, die immerhin dadurch gemildert wird, dass nicht beliebig weit zurückliegende Taten geahndet werden. Zur Rückwirkung im römischen Recht vgl. auch die Literatur bei Kaser II, S. 56 Anm. 37, sowie Bonini, S. 124–133, der mehrere einschlägige Konstitutionen zusammenstellt. Vgl. CTh. 6.5.2 von 384, sitque plane sacrilegii reus, qui divina praecepta neglexerit, »und er sei ohne Wenn und Aber Täter eines sacrilegium, da er ja die kaiserlichen Bestimmungen ignoriert«; CTh. 7.4.30 von 409, adiecta sacrilegii poena, quae divalium scitorum violatores palam insequitur, »wozu die Strafe für sacrilegium tritt, die bekanntlich die Übertreter kaiserlicher Verordnungen trifft«; CTh. 9.38.3 von 367, Adtamen sacrilegus in maiestate[m]… istius muneris separentur, »aber der sacrilegus gegen die Majestät [sowie usw.] … sollen an dieser Amnestie keinen Anteil haben«; CTh. 9.42.6 von 364, excepta sola maiestatis quaestione: quam si quis sacrilego animo assumit, »… mit Majestätsprozessen als einziger Ausnahme; denn wenn sich jemand etwas mit der Gesinnung eines sacrilegus anmaßt, dann …«. Humfress 2000, S. 130, etwa verortet das Wort ohne viel Federlesens in der sakralen Sphäre, freilich ohne seine sonstige Verwendung im Codex Theodosianus zu prüfen. Wer meine Deutung von sacrilegium nicht glaubt, möge CTh. 16.5.40 § 5 (von 407) vergleichen, wo ebenfalls die Anklage gegen Tote geregelt wird und man dies wiederum mit der Nähe zu Majestätsverbrechen, dort aber unmissverständlich als crimina maiestatis bezeichnet, begründet (→ S. 477). Anton (S. 55) denkt, in CTh. 16.2.25 von 380 (→ S. 400194) sei sacrilegium »in seiner neuen Bedeutung für die Verletzung der Glaubensnorm (divinae legis sanctitas) gebraucht«. Doch vergleiche Nov. Theod. 23 § 3, 25 § 8: per hanc divinam legem, »durch das vorliegende kaiserliche [!] Gesetz«. Und selbst wenn sich divina lex in CTh. 16.2.25 auf die göttliche (nicht die kaiserliche) Sphäre beziehen sollte, spricht nichts dagegen, sacrilegium auch dort als Majestätsverbrechen aufzufassen (»wer das tut, hat so gehandelt, als hätte er den Kaiser selbst angegriffen«).

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Tag der Begehung zurückdatiert, was insbesondere vermögensrechtlich drastische Konsequenzen haben konnte: Alle Verfügungen waren ex tunc nichtig, alles Weggegebene mithin Teil des eingezogenen Vermögens. Majestätsprozesse gegen Tote waren folglich von potenziell enormer Konsequenz für die Erben und alle anderweitig Begünstigten, von denen der Staat rückwirkend die übertragenen Werte herausfordern konnte (Mommsen, S. 592, S. 1008). Die Unterschiede zum vorliegenden Gesetz sind gleichwohl evident, denn Manichäer werden im Gegensatz zu Staatsverbrechern nicht vollständig enteignet; und im Gesetz steht ja auch tamquam, »gleichsam«. Keines der anderen Heterodoxengesetze bis dahin sieht eine solche Rückwirkung vor, diese Klausel erfordert also eine gesonderte Erklärung. Man könnte an die stets im Vergleich zur restlichen Heterodoxengesetzgebung besonders strenge Bestrafung der Manichäer denken; auf ihre charakteristische Unbeliebtheit wird ja immerhin mit der Formulierung quid consuetudo obstinationis et pertinax natura mereatur rekurriert. Wahrscheinlicher scheint mir indes, dass der Regelung ein konkreter Anlass zugrundelag: Man darf annehmen, dass dem Kaiser zahlreiche Petitionen frustrierter Nachkommen vorlagen, die sich um das Familienvermögen gebracht sahen, weil der Erblasser es vorgezogen hatte, die bedrohliche Sekte der Manichäer und ihre ebenso unheimlichen wie arbeitsscheuen Erwählten zu bereichern. Mit dem rückwirkenden Gesetz konnte man all diese Petitionen auf einen Schlag positiv bescheiden und zugleich den Manichäern große materielle Schwierigkeiten bereiten. Übrigens bezieht sich die rückwirkende Geltung ausschließlich auf Erbfälle, nicht aber auf Schenkungen. Aus der Nachvollziehbarkeit erklärt sich dieser Unterschied nicht, denn beide Arten von Vermögensflüssen von und an Manichäer waren auch im Nachgang leicht zu überprüfen: Bereits eröffnete Testamente wurden von den städtischen Behörden archiviert (Selb/Kaufhold, S. 187), und (größere) Schenkungen mussten amtlich insinuiert werden (→ S. 26217). Wahrscheinlich spielten in der Praxis Nachlasssachen eine weit größere Rolle als Schenkungen, sodass diese hier ohne sachlichen Grund übersehen wurden. Erst in § 2 (der sich, was die Paragrafeneinteilung verschleiert, unmittelbar auf § 1 bezieht) erfahren wir, dass der Fiskus nicht in jedem Fall profitiert: Abkömmlingen (aber nur Abkömmlingen, keinen anderen Intestaterben!), die katholischen Glaubens (purae … dediti religioni) sind, soll die Erbschaft zum Erwerb angeboten werden. Die Regelung für Altfälle ist also deutlich radikaler, als es die Bestimmungen des Principiums für künftige Intestatvererbungen durch Manichäer sind: Erstens profitieren ausschließlich Abkömmlinge, die zweitens orthodox sein müssen.

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3. Illud etiam huic adicimus sanctioni, ne in conventiculis oppidorum, ne in urbibus claris consueta feralium mysteriorum sepulcra constituant; a conspectu celebris civitatis 82 penitus coerceantur. Nec se sub simulatione fallaci eorum scilicet nominum, quibus plerique, ut cognovimus, probatae fidei et propositi castioris dici ac signari volent, maligna fraude defendant; cum praesertim nonnulli ex his Encratitas, Apotactitas, Hydroparastatas vel Saccoforos nominari se velint et varietate nominum diversorum velut religiosae professionis officia mentiantur. Eos enim omnes convenit non professione defendi nominum, sed notabiles atque execrandos haberi scelere sectarum. Dat. VIII id. Mai. Constantinopoli Eucherio et Syagrio conss. 3. Wir fügen dieser Verordnung ferner hinzu, dass sie die wohlbekannten Grüfte ihrer grässlichen Geheimzeremonien weder in den Treffpunkten der Ansiedlungen noch in den glänzenden Städten errichten dürfen. Sie sind vom Anblick der gerühmten Stadt ganz fernzuhalten. Sie sollen sich auch nicht bösgläubig verteidigen dürfen unter der trügerischen Angabe dieser Namen, mit denen etliche, wie wir erfahren haben, als von »erprobter Loyalität« und »recht anständiger Intention« tituliert und angesprochen werden wollen; insbesondere wollen ja einige von ihnen als Enkratiten, Apotaktiten, Hydroparastaten oder Sakkophoren bezeichnet werden und verstecken hinter diesen vielen verschieden Namen gleichsam die Verhaltensweisen ihrer Sekte. Doch sie alle sollen sich nicht durch die Angabe von Namen schützen können, sondern sie sollen aufgrund ihrer frevelhaften Ansichten als infam und abscheulich angesehen werden. Abgeschickt am 8. Tag vor den Iden des Mai in Konstantinopel unter dem Konsulat von Eucherius und Syagrius. [8. Mai 381]

Möglicherweise bezieht sich die Junktur feralium mysteriorum sepulcra – angesichts sepulcrum und feralis – auf Totenmessen, in denen die Manichäer den Seelen ihrer Verstorbenen beim Aufstieg helfen wollten (charakteristischerweise übrigens dadurch, dass die Hörer die Erwählten durch ein Almosen im Namen des Toten beschenkten). 83 Wesentlich wahrscheinlicher scheint aber, dass es sich um inhaltsleere Polemik handelt; 84 man vergleiche etwa § 2 von 82

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Das überlieferte a conspectu celebri civitate … coerceantur kann so nicht in der Ursprungskonstitution gestanden haben, denn die Konstruktion lautet coercere (i. S. v. arcere) a, was sich hervorragend entweder mit conspectu oder mit celebri civitate, aber natürlich nicht mit beidem gleichzeitig ergänzen lässt. Die Emendation zu a conspectu celebris civitatis ist offensichtlich. Vgl. die verschiedenen Ausfertigungen desselben Gesetzes vom Sommer 425 (→ S. 66): ab ipso aspectu urbium diversarum (Sirm. 6 sowie CTh. 16.5.64); ab ipso aspectu urbis Romae (CTh. 16.5.62). Vgl. Richter 1999 sowie 1997, insb. S. 60–69. Anders Noethlichs (S. 135); doch sein »Verbot ihrer Begräbnismysterien« wird von ihm nicht näher erläutert und ist wohl nur einem wörtlichen und unreflektierten

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CTh. 16.5.57 (415) über die Kirchen der Montanisten: Si qua etiam propria eorum nunc extant aedificia, quae non ecclesiae, sed antra debent feralia nominari, »Sollte es heute sogar noch eigene Gebäude von ihnen geben – die nicht ›Kirchen‹, sondern ›Raubtierhöhlen‹ zu nennen sind –, dann …«, oder CTh. 16.5.19 (389) über häretische Kleriker in Konstantinopel, die ex funestis conciliabulis, »aus ihren unheilvollen Versammlungsstätten«, ausgetrieben werden sollen. All diese Formulierungen gehören in einen weiteren Kontext, nämlich »ein gewisses Widerstreben der Kanzleien …, Kultstätten der Häretiker ›ecclesiae‹ zu nennen« (Spagnuolo Vigorita 2006b, Sp. 379 f. mit weiteren Belegen; vgl. → S. 399). Die conventiculae oppidorum und die urbes clarae sind grammatisch unerklärlicherweise auf einer Ebene, und überhaupt passt das sepulcra constituere eigentlich nur zu in urbibus, kaum aber zu in conventiculis. Die urbes clarae sind die städtischen Zentren der einzelnen civitates, wobei das Adjektiv nur ein bedeutungsloses Epitheton ornans ist. 85 Valentinians Gesetz, das manichäische Versammlungen verboten hat, drohte mit der Beschlagnahme von domus et habitacula, nicht aber von Landgütern; es ging ihm also um städtische Versammlungen (dazu passt, dass die für den Codex Theodosianus exzerpierte Ausfertigung an den römischen

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Verständnis des Texts geschuldet. De Stoop (S. 39) wiederum stellt einen Zusammenhang zu den angeblichen Sexorgien der Manichäer her; doch feralis bedeutet »Toten…« bzw. »schrecklich, grässlich«, aber nicht »verworfen, depraviert«. Vgl. Nov. Val. 24 pr. (447), ne ulterius furtiva negotiatio et claris urbibus rarum faciat mercatorem et obscuris ac reconditis locis in damnum publicae functionis lateat turba mercantum, »damit nicht länger Schwarzhandel den Kaufmann in den ›glanzvollen Städten‹ rar macht und sich die Schar der Kaufleute zum Schaden der staatlichen Steuereinnahmen an heimlichen und versteckten Orten verbirgt«. Für ein ähnliches Epitheton zu Städten ohne inhaltliche Funktion vgl. CTh. 15.1.14 (365), metropoles vel splendidissimas civitates, »Provinzhauptstädte oder höchst glanzvolle Städte«; CTh. 15.1.32 (395), Ne splendidissimae urbes vel oppida vetustate labantur, »Damit nicht die höchst glanzvollen Städte und Siedlungen aufgrund des Alters verfallen, …«. Rougé (S. 638 Anm. 15) hält fälschlicherweise urbes clarae für eine Wiedergabe von λαμπρόταται πόλεις und deutet dies als »métropoles provinciales«. Tatsächlich handelt es sich bei λαμπροτάτη πόλις um einen Ehrentitel, den manche (aber eher wenige) griechische Städte führten, so etwa Smyrna (Heller, S. 328–330) oder Nikaia (Heller, S. 296); mit dem Status einer Provinzhauptstadt hat das nichts zu tun. Damit wäre die übergroße Mehrzahl aller städtischen Zentren gar nicht vom Gesetz erfasst – das kann aber nicht die Intention von Theodosius sein. Willkürlich gibt Graf (S. 238) an, Konstantinopel, Antiocheia, Alexandreia und Rom seien als die urbes clarae anzusehen. Doch erstens scheint kein Hinweis in diese Richtung zu existieren, zweitens greift wiederum der eben gegebene Einwand zum Telos der Regelung.

cth. 16.5.7 [8. mai 381]

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Stadtpräfekten gerichtet war). Ebenso die theodosianische Regelung hier: 86 Untersagt sind Versammlungen in den Hauptorten (urbes) der einzelnen civitates sowie in weiteren Siedlungen (oppida). Von Konstantinopel selbst sind sie sogar »auf Sichtweite« fernzuhalten. Dies ist die erste solche Regelung in der Heterodoxengesetzgebung, der viele weitere folgen sollten; 87 freilich gab es dafür zahlreiche Präzedenzfälle aus alter Zeit (→ S. 336122). Zuletzt verfügt Theodosius, dass auch diejenigen rechtlich wie Manichäer zu behandeln seien, die sich selbst nicht als solche bezeichnen, sondern sich hinter anderen Namen (angeblich) verschanzen. Wir wissen nur wenig über die Sekten mit den in § 3 zitierten Namen. 88 Es handelt sich nach aller Wahrscheinlichkeit nicht um abgrenzbare Gruppen, sondern um Asketen, die nach einzelnen Aspekten ihrer entsagungsvollen Lebensweise angesprochen wurden (vgl. Blond, insb. S. 208 f.): Enkratiten, die »Beherrschten« (was sich vor allem auf Sexualität, ferner auch auf Nahrung bezog); Apotaktiten, die »Entsagenden« (die das biblische Armutsideal zum Lebensprinzip nahmen); Hydroparastaten, die »Wassergottesdienstler« (die so alkoholabstinent lebten, dass sie sogar die Wandlung mit Wasser vollzogen); Sakkophoren, die »in Sack und

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Diese Regelung ergeht zusätzlich (illud etiam huic adicimus sanctioni) zu den privatrechtlichen Bestimmungen des Principiums und der §§ 1–2. Damit ist folgende Ansicht Beskows (S. 3) zum Zweck des Gesetzes ohne Grundlage: »This was the first of series of prescripts against the Manichaeans, who were forbidden to transfer their property to their community [unrichtig, denn jeder Transfer war untersagt]. … This move was made in order to prevent them from forming conventicles and from celebrating their mysteries«. CTh. 16.5.13 (384): Kleriker der Eunomianer, Makedonianer, Arianer und Apollinarianer sind aus Konstantinopel zu vertreiben; CTh. 16.5.18 (389): Vertreibung der Manichäer aus Rom; CTh. 16.5.19 (ebenfalls 389): Vertreibung häretischer Kleriker aus Konstantinopel. Vgl. für die weiteren Gesetze Delmaire I, S. 74 f. Innerhalb der Rechtstexte erscheinen sie außer im vorliegenden Gesetz noch in CTh. 16.5.9 (382), CTh. 16.5.11 (383) und (was die Hydroparastaten angeht) CTh. 16.5.65 § 2 (428). In keinem dieser Gesetze ist die Aufzählung der Asketensekten ganz identisch mit der Liste in irgendeinem der anderen Gesetze. Dasselbe Phänomen lässt sich bei Basilios beobachten: Zweimal erscheinen die Asketensekten in Form von Aufzählungen bei ihm (Basil. epist. 188.1.50, epist. 199.47.1), und wiederum sind die Listen nicht deckungsgleich. Ansonsten sind die Belege rar, es handelt sich im Wesentlichen um Häresiologien (für Details vgl. Lambert, Sp. 2615– 2620). Angesichts dieses Befunds erscheint der Versuch von Barone-Adesi (S. 148), die fehlende Erwähnung der Apotaktiten in CTh. 16.5.9 aus angeblichen »difficoltà … incontrate dall’applicazione di CTh. 16, 5, 7« zu erklären, problematisch: Folgte man Barone-Adesis Methode, müsste man das Schwanken aller anderen Listen ebenso konkret erklären und würde Spekulation an Spekulation reihen.

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Asche gehen« (zu alledem Lambert, Sp. 2621 f.; Blond, S. 187–193). Unübersehbar sind gewisse Übereinstimmungen mit der Lebensweise der manichäischen Erwählten. Berücksichtigt man zudem die beständige Sorge vor Kryptomanichäern (→ S. 419), lässt sich der Argwohn des Gesetzgebers nachvollziehen, hinter den merkwürdigen Asketen steckten Erwählte, die ihr Manichäertum verschleiern wollten. 89 Man hat der Erwähnung der asketischen Sekten im Rahmen der Manichäergesetzgebung auch andere Deutungen gegeben, die allerdings nicht plausibel sind. 90 Knapp ein Jahr später ergeht ein neues Gesetz von Kaiser Theodosius gegen die Manichäer. Wie es scheint, ergänzt es die bisherige Gesetzgebung um Sanktionen gegen Manichäer, die als Anachoreten leben. Sowohl in Valentinians Gesetz als auch in der eben besprochenen Regelung von Theodosius zielte man ja vor allem auf städtische Manichäer ab; jetzt nimmt sich der Kaiser die Manichäer auf dem Land vor. Sie sanktioniert Theodosius noch drastischer: Um ihnen jede Möglichkeit der Bereicherung anderer Manichäer zu nehmen, entzieht er ihnen das gesamte Vermögen.

Die besten Arbeiten zu diesen asketischen Sekten sind Blond und Lambert (insb. Sp. 2615–2626), vgl. ferner Ries 1985 (S. 124 f.; ein Tagungsbericht); mit der Gesetzgebung beschäftigt sich Barone-Adesi (ausführlich, nicht immer überzeugend). 90 Die Grundthese von Barone-Adesi (insb. S. 164) ist, dass Theodosius die Asketen treffen wollte, indem er sie listig mit den Manichäern gleichstellte. Das ist abwegig, denn Theodosius hätte auch einfach so beliebig gegen die Asketen agieren können, wie er es ja auch gegen viele andere Heterodoxe tat. Ficker (1903, S. 67) meinte, die Asketen an sich würden von Theodosius positiv gesehen (vgl. probatae fidei et propositi castioris); »Der Kaiser sagt nicht, daß er diese Sekten bestraft wissen will; … Er will nur die Manichäer, die sich unter solchen Namen verbergen, treffen«. Doch allein schon die Erwähnung der Hydroparastaten (die Wasser statt Wein zur Wandlung benutzen!) in der Liste zeigt, dass es sich eindeutig um Häretiker handelt und dass probatae fidei et propositi castioris von Ficker missverstanden wird: Es handelt sich um eine Selbstcharakterisierung der Sekten, die der Autor des Gesetzes zwar zitiert, die er sich aber nicht zu eigen macht; wen dieses Argument nicht überzeugt, der vergleiche CTh. 16.5.9, quos Encratitas prodigiali appellatione cognominant, wo »Enkratiten« von Theodosius als Name bezeichnet wird, der prodigialis (»unheilvoll«) ist. Decret wiederum (I, S. 216) scheint zu mutmaßen, dass es sich tatsächlich wie im Gesetz dargestellt verhält, dass es also Manichäer gab, die sich zum Schutz vor Verfolgung mit fremden Namen tarnten. 89

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CTh. 16.5.9 [31. März 382] Idem AAA. Floro ppo. Quisquis Manichaeorum vitae solitariae falsitate coetum bonorum fugit ac secretas turbas eligit pessimorum, ita ut profanator atque corruptor catholicae, quam cuncti suspicimus, disciplinae legi subiugetur, ut intestabilis vivat, nihil vivus impendat illicitis, nihil moriens relinquat indignis, omnia suis non moribus, sed natura restituat aut proximis, si deerit legitima successio, melius regenda dimittat, fisci dominio deficiente agnatione sine fraude molitionis intellegat obligata. Haec de solitariis. Dieselben drei Kaiser [Gratian, Valentinian und Theodosius] an den Prätoriumspräfekten Florus: Ein jeder Manichäer, der in der Verfehltheit eines Lebens in der Einsamkeit den Verkehr mit den anständigen Menschen meidet und die heimlichen Horden der Verworfenen vorzieht, soll als Entheiliger und Verderber des katholischen Glaubens, den wir alle verehren, dem Gesetz unterworfen werden: Er lebe als intestabilis; zu Lebzeiten soll er nichts den Kriminellen schenken; bei seinem Ableben soll er nichts den Unwürdigen hinterlassen, sondern er soll alles denjenigen übergeben, die die sui sind nicht nach Lebenswandel, sondern nach Natur. Wenn er keine gesetzlichen Erben hat, soll er sein Vermögen den proximi herausgeben, damit sie es besser verwalten. Gibt es keine Agnaten, dann – das muss ihm klar sein – fällt sein Vermögen ohne Betrug durch Schiebereien an den Fiskus. So weit zu den Solitariern.

Hier ist ganz ausdrücklich die Rede von manichäischen »Solitariern« (vitae solitariae falsitate; haec de solitariis). Solitarius bedeutet »Anachoret« (vgl. Blaise s. v. sowie insb. Hier. epist. 125.16), es geht also um Manichäer, die sich in die Einsamkeit zurückziehen, um dort ihren Glaubensregeln zu folgen. 91 Derlei Eremiten fielen nicht unter das Valentiniangesetz CTh. 16.5.3, das Teilnehmer an städtischen Versammlungen sanktioniert. Auch das eben besprochene erste Theodosiusgesetz CTh. 16.5.7 verhängt erst ganz allgemein Sanktionen gegen Manichäer, bezieht sich dann aber in § 1 doch wieder auf Zusammenkünfte (qui etiam post legem primitus datam nequaquam ab illicitis et profanis coitionibus refrenari divina saltem monitione potuerunt). In-

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Escribano Paño 2006, S. 151 mit Anm. 40, versteht solitarii als »Erwählte«: Diese Bezeichnung sei angesichts deren Lebensweise gerechtfertigt. Aber der Gesetzestext macht klar (coetum bonorum fugit ac secretas turbas eligit), dass es sehr wohl um einen tatsächlichen Rückzug in die Einsamkeit, nicht um eine Metapher geht; wir kennen zahlreiche städtische Erwählte (z. B. → S. 414).

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sofern scheint CTh. 16.5.9 eine Ergänzung oder vielmehr Klarstellung der bisherigen Gesetzgebung zu sein: Nicht nur städtische Zusammenkünfte oder das Manichäersein in der Stadt führen zu Konsequenzen, sondern auch das Manichäersein als Eremit ist justiziabel. Diese Folgen scheinen zunächst einmal den bereits bekannten zu gleichen: Manichäische Anachoreten sollen intestabiles sein, können also kein Testament errichten (→ S. 28351); ferner sollen sie zu Lebzeiten nichts den illiciti, »den Kriminellen«, schenken, 92 und bei ihrem Tod sollen sie nichts den Unwürdigen vererben. Doch all dies wird nicht durch Testier- und Schenkungsverbote verhindert, sondern auf viel radikalere Art und Weise: Nicht erst beim Ableben verliert der betroffene Manichäer die Verfügungsgewalt über sein Vermögen, sondern sofort. Nacheinander werden zwei Gruppen berufen, die das Vermögen erhalten sollen: Zunächst die direkten Abkömmlinge im Mannesstamm, die also durch den Tod des Erblassers seine potestas verlassen würden: die sui heredes (daher die Formulierung omnia suis non moribus, sed natura restituat); danach die Gruppe der gradnächsten Seitenverwandten im Mannesstamm, die proximi agnati (Kaser I, S. 696; II, S. 498 f.). Abusiv wird legitima successio im vorliegenden Gesetz als Synonym für die sui heredes gebraucht. Eigentlich bezeichnet dieser Ausdruck (oder Ähnliches) nämlich sämtliche Intestaterben oder gar die Erbfolge schlechthin, ganz gleich, ob testamentarisch oder intestat (Kaser II, S. 473 Anm. 25 mit Belegen). Zugegebenermaßen kann man im Zweifel sein, ob die gerade gegebene Interpretation stimmt, nämlich, dass der manichäische Anachoret sofort sein Vermögen abtreten muss. Die alternative Interpretation wäre, dass die Weitergabe an die sui bzw. Agnaten erst im Todesfall erfolgt. Was für und gegen beide Ideen spricht, sei kurz skizziert. Der wichtigste Punkt scheint mir, dass die Verben restituere und dimittere sich auf eine Vermögensübertragung unter Lebenden beziehen sollten; eine Vererbung würde doch ganz anders formuliert. 93 Hinzu kommt, dass ab jetzt mehrere Manichäergesetze den Vermögensentzug als spezielle Strafe für

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Das scheint zunächst zu implizieren, dass Anachoreten (im Gegensatz zu städtischen Manichäern) Nichtmanichäern Schenkungen machen dürfen – doch die komplette Konfiskation verhindert natürlich auch solche Schenkungen. Das Verb dimittere begegnet sonst gar nicht im Kontext von Erbschaften; restituere hingegen ist zwar u. a. das Standardverb für die Übergabe eines Nachlasses an einen Universalfideikommissar, aber freilich handelt es sich auch dabei um ein Geschäft unter Lebenden (nämlich zwischen dem Erben und dem Universalfideikommissar).

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Manichäer kennen (CTh. 16.5.18 von 389, leider ebenfalls sprachlich unklar, → S. 464; CTh. 16.5.40 § 2 von 407, → S. 474). 94 Als Argument für eine Vererbung könnte man nihil moriens relinquat indignis sehen, aber zu Unrecht: Er kann den Unwürdigen deswegen im Zeitpunkt des Todes nichts hinterlassen, weil er bereits kein Vermögen mehr hat. Dasselbe Argument greift bei intestabilis vivat: Er kann kein Testament errichten, weil er es nicht darf und sowieso kein Vermögen mehr besitzt. Es mag den Juristen zunächst stutzen lassen, dass der manichäische Anachoret sein Vermögen an die sui weiterreichen soll (deren Vermögenszuwächse ja dem potestas-Inhaber zukommen bzw. wenigstens von ihm verwaltet werden) – aber dieselbe Frage stellt sich ja auch bei dem späteren Gesetz CTh. 16.5.40, in dem sich dieselbe Regel ohne nähere Erläuterungen findet (→ S. 474). Der kaiserliche Gesetzgeber gibt keinen Hinweis, wie dieses Problem rechtstechnisch zu lösen ist. Die Abkömmlinge müssen entweder emanzipiert oder mindestens vermögensfähig sein; dass dieses Ergebnis durch einen Bürgerrechtsverlust des Manichäers erzielt wird, ist möglich, aber unwahrscheinlich (→ S. 288). 95 In CTh. 16.5.7 konnten alle potenziellen Intestaterben (sofern orthodox oder sui) profitieren. Jetzt erscheinen neben den sui ausdrücklich nur die Agnaten, und die Empfänger des Vermögens müssen offenbar in jedem Fall selbst orthodox sein (suis non moribus). Wiederum verzichtet der Kaiser darauf, das Familienvermögen von Manichäern unmittelbar einzuziehen. Es geht bei der Manichäergesetzgebung um das Stoppen von Vermögensflüssen innerhalb der unbeliebten Sekte – nicht um eine Bereicherung der Staatskasse. Dieselbe Erklärung trifft auch für sine fraude molitionis zu: Die Konfiskation zugunsten des kaiserlichen Vermögens soll wirklich nur dann geschehen, wenn es keine geeigneten Empfänger innerhalb der Familie gibt. Übereifrigen Beamten wird klargemacht, dass mögliche Schiebereien unerwünscht sind.

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Anders etwa Delmaire I, S. 244 Anm. 2, oder Spagnuolo Vigorita 2006b, Sp. 395, die aber nicht alle Indizien beachten. Eine analoge Frage stellt sich bei der Konstellation des Dekurionen, der sich durch Priesterweihe listig der Kurie entzieht: Er muss sein Vermögen den Kindern übergeben, auf dass die an seiner Statt den damit verbundenen Pflichten nachkommen (CTh. 12.1.49 § 1, 361). Das Problem der Vermögensfähigkeit dieser Kinder wird auch dort nicht angesprochen. Auf dem Konzil von Hippo 393 wurde beschlossen, dass Kleriker ihre Söhne nur dann ausnahmsweise aus der patria potestas entlassen durften, wenn sie sich über deren Fähigkeit, bereits eigenständig ein einwandfreies Leben zu führen, vergewissert hatten (Conc. Afr. p. 20.1–15), was beweist, dass auch Klerikersöhne grundsätzlich nicht gewaltfrei waren.

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Die noch strengere Bestrafung von einsiedelnden Manichäern im Vergleich zu städtischen Manichäern ist nachvollziehbar: Wer sein Leben so sehr am Manichäismus ausrichtet, dass es nur noch um die Religion kreist, und wer alle Bindungen zu seinem bisherigen Leben gelöst hat, dem ist das Familienvermögen unmittelbar »zur besseren Verwaltung« zu entziehen; man braucht nicht erst zu warten, bis er (vielleicht zu einem kaum in Erfahrung zu bringenden Zeitpunkt) in einer mehr oder weniger weit entfernten Einöde verstirbt. 1. Ceterum quos Encratitas prodigiali appellatione cognominant, cum Saccoforis sive Hydroparastatis, refutatos iudicio, proditos crimine vel in mediocri vestigio 96 facinoris huius inventos summo supplicio et inexpiabili poena iubemus adfligi, manente ea condicione de bonis, quam omni huic officinae 97 imposuimus a latae dudum legis exordio. Sublimitas itaque Tua det inquisitores, aperiat forum, indices denuntiatoresque sine invidia delationis accipiat. Nemo praescriptione communi exordium accusationis huius infringat. Nemo tales occultos cogat latentesque conventus: agris vetitum sit, prohibitum moenibus, sede publica privataque damnatum. 1. Ferner: Diejenigen, die man mit einem unheilvollen Namen als Enkratiten bezeichnet, sollen (zusammen mit den Sakkophoren und den Hydroparastaten), wenn von einem Gericht überführt, durch ihr Verbrechen enttarnt oder auf frischer Tat bei dieser Untat ertappt, – so befehlen wir – mit schlimmster Strafe und unsühnbarer Züchtigung 98 bestraft werden. Weiterhin gilt die Regelung hinsichtlich des Vermögens, die wir dieser ganzen Sekte auferlegt haben, ab dem Inkrafttreten des vor langer Zeit erlassenen Gesetzes. Deine Sublimität soll also Ermittler bereitstellen, das Gerichtsverfahren eröffnen und Anzeigende und Ankläger [denuntiatores] ohne die [potenziellen] negativen Folgen einer Delation anhören. Niemand soll die Einleitung einer solchen Anklage durch eine der üblichen Einwendungen zu Fall bringen.

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Der Ausdruck in mediocri vestigio ist ohne Parallele. Delmaire (I, S. 245) versteht dies als »mit schwachem Beweismaterial« (»et cela même si l’on a trouvé contre eux quelque faible témoignage«); aber dann wäre die Präposition in ganz merkwürdig verwendet. Ich nehme vielmehr an, dass mediocris als Pseudosynonym medius aus rhythmischen Gründen (→ S. 233), d. h. zur Herstellung eines Cursus tardus, vertritt. Zu officina i. S. v. »Sekte« vgl. ThLL 9.2.514.43–52. Zur Formulierung vgl. CTh. 7.13.9 (380), supplicium existimationis extremum et ultio inexpiabilis, wobei es dort – trotz des drastischen Vokabulars! – lediglich um eine Infamie-Erklärung geht, vgl. → S. 360.

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Niemand soll derlei Versammlungen heimlich und versteckt zusammenrufen: Auf dem Land sei dies verboten, innerhalb von Mauern untersagt, an einem öffentlichen oder privaten Ort illegal.

Während das Vorjahresgesetz lediglich bestimmte, dass die beschreibenden Bezeichnungen von Asketen nicht als Deckmäntelchen für Manichäer fungieren dürfen, scheint nunmehr von einer ganz erheblichen Strafschärfung, dem summum supplicium, der Todesstrafe, die Rede zu sein. Die Todesstrafe für Häretiker ist eine Sanktion von ganz und gar ungewöhnlicher Schärfe, die ausgesprochen selten erscheint und niemals in unserer Zeit von den christlichen Kaisern gegen die Manichäer verhängt wird. Warum also nun solch drastische Sanktionen gegen die Enkratiten? Ein gutes Jahr später (CTh. 16.5.11, vom 25. Juli 383) erscheinen die asketischen Sekten erneut in einem Theodosius-Gesetz, und zwar in einer Aufzählung, die auch Eunomianer, Arianer, Makedonianer und Manichäer umfasst; gegen diese Sekten wird das Versammlungsverbot bestätigt und, wie es scheint, jedermann zur Anzeige aufgefordert (→ S. 473129) – von einer besonderen Bestrafung der Asketen oder gar der Todesstrafe ist nicht die Rede. In CTh. 16.5.65 von 428 (→ S. 765) mit der langen Häretikerliste finden sich die Hydroparastaten (nur sie werden dort genannt) in derselben Kategorie wie Eunomianer oder Donatisten, mithin sind sie also besser gestellt als die Manichäer. Wie soll man also diesen doppelten Umschwung erklären, dass 382 die Todesstrafe für die Asketen gelten soll, während davon weder 381 noch 383 die Rede ist? Bei den Asketen (anders als in CTh. 16.5.7 und 16.5.9 pr., wo »Manichäer« ohne Vorliegen einer konkreten Verfehlung sanktioniert werden) wird nunmehr ein crimen, ein facinus erwähnt, das ermittelt und nachgewiesen werden kann – offensichtlich kommt es nur dann überhaupt zu einer Bestrafung. Mit anderen Worten: Das nomen Encrateticum allein (anders als das nomen Manichaeium) zieht keine Strafe nach sich. Das facinus kann im Kontext nichts anderes sein als Kryptomanichäertum, denn dies ist der Vorwurf, den man den Enkratiten bereits im Vorjahr gemacht hat, und auch im vorliegenden Gesetz geht es im Weiteren um Themen, die mit der Bekämpfung von Untergrundmanichäern zu tun haben: die Ermunterung von Denunziationen (§ 1) und eine Entscheidungsregel zur Erkennung von Kryptomanichäern (§ 2). Die strenge Bestrafung (summum supplicium) trifft demzufolge den Enkratiten nicht wegen seines Glaubens, sondern deswegen, weil er sich den für Manichäer geltenden Strafen entziehen will, indem er seine wahre Identität kaschiert.

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Während in CTh. 16.5.7 aus dem Vorjahr klar war, dass Theodosius die Namen der asketischen Sekten als selbstgegebene Tarnnamen (nominari se velint) auffasst, ist CTh. 16.5.9 § 1 so formuliert, als würde der Kaiser diese Bezeichnungen als für von außen beigelegte Exonyme betrachten (quos … cognominant, »die man … nennt«). Aber es ist letztlich irrelevant, ob sich die Asketen selbst so nennen oder ob man sie gemeinhin so bezeichnet: Theodosius traut diesen Sekten nicht, deren Mitglieder wie Erwählte auf ein stetes Leben, auf anständige Kleidung, Sex und Alkohol verzichten. Er lässt sie weiter straffrei, droht aber Drastisches für den Fall an, dass man ihnen nachweisen kann, in Wirklichkeit doch Manichäer zu sein. Erst im Folgejahr (CTh. 16.5.11, 383) werden den Asketen an sich Versammlungen verboten. Der Ablativus absolutus manente ea condicione de bonis usw. bestätigt kurz die Bestimmungen des Vorjahrs; mit a latae dudum legis exordio, »ab dem Inkrafttreten des vor langer Zeit erlassenen Gesetzes«, ist CTh. 16.5.3 von 372 (vgl. → S. 434) gemeint, nicht CTh. 16.5.7 von 381 (pace Spagnuolo Vigorita 2006b, Sp. 395). Gegen Manichäer (insbesondere wohl Kryptomanichäer) soll nun von Amts wegen ermittelt werden. Es sei kurz daran erinnert, dass im für das römische Strafrecht typischen Akkusationsprozess 99 die Anklage nicht von einem Beamten übernommen wird, sondern von einem Privatmann. Typische Gründe, als Ankläger (accusator) aufzutreten, waren in früherer Zeit persönliche Betroffenheit oder der Wunsch, sich einen Namen als Gerichtsredner zu machen, oder aber, sinistrer, die Aussicht auf persönliche Vorteile, etwa Belohnungen vonseiten der Profiteure einer Aburteilung, günstiger Ankauf von konfisziertem Gut, direkte Übertragung des Vermögens des Verurteilten 100 Mommsen, S. 343–346; zur Situation in der Spätantike mit dem Nebeneinander von Akkusations- und Inquisitionsprozess vgl. Mer, insb. S. 38–52, sowie Rivière 2002, S. 355–381. Rivière sieht im spätantiken Akkusationsprozess kaum mehr als eine Fassade und hält den Akkusator für eine unbedeutende Figur, die man statt des Angeklagten demonstrativ bestrafen kann, um einer (scheinbaren) Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit Genüge zu tun (S. 379). Wie würde wohl Rivière einen Akkusator wie Bischof Ithacius (→ S. 427) in sein Modell einbauen? Oder den Agens in rebus Africanus (→ S. 455102), einen hochgestellten Mann als erfolglosen Akkusator, dessen Bestrafung zu verhindern Symmachus sich müht? Oder die Tatsache (Hermog. D. 48.2.10), dass ein Akkusator ein Mindestvermögen von 50 aurei (gleich 60 solidi – genug Geld, um einen Menschen rund 20 Jahre lang zu verköstigen, → S. 501) aufweisen musste? Keine dieser Passagen findet sich im Quellenindex von Rivière 2002. 100 Vgl. Nov. Maior. 6 § 4 (458), der sich gegen Vergewaltiger von geweihten Jungfrauen richtet: cuiuslibet accusationi reddatur obnoxius, ita ut, qui pollutum tanto scelere hominem rebus probatis post haec constituta perculerit, addicti censu facultatibusque potia99

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usw. Für solche Personen, die regelmäßig und aus Gewinnsucht Anklagen übernahmen, hatte sich das eigentlich neutrale Wort delator eingebürgert. In der Kaiserzeit existierte neben dem Akkusationsprozess das Inquisitionsverfahren, das ein Beamter selbst einleitete (freilich oft auf einen Fingerzeig hin, den wir im Weiteren »Denunziation« nennen wollen). Dieses Verfahren, auch Kognition genannt, kam beispielsweise zum Einsatz, wenn die Beschuldigten so uninteressant (Unfreie, Peregrine …) waren, dass sich kein Kläger fand, oder umgekehrt die vorgeworfenen Untaten als so schlimm empfunden wurden, dass man die Anklageerhebung nicht davon abhängig machen wollte, ob sich ein Privatmann als Ankläger zur Verfügung stellte. Dass hier nun bei Manichäern auf die Akkusation verzichtet wird, ist ein durchaus dramatischer Schritt, denn solches war sonst regelmäßig nur bei besonders skandalösen Straftaten wie dem Majestätsverbrechen, Magie, Verwandtenmord, Inzest u. ä. üblich (Mommsen, S. 350 f. sowie S. 346 Anm. 2). 101 In der Spätantike verfiel derjenige, der seine Akkusation nicht beweisen konnte, selbst der Strafe, die dem Angeklagten gedroht hätte; 102 aufgrund des hohen Strafmaßes für die genannten Verbrechen werden sich potenzielle Akkusatoren eher ungern dem Risiko einer erfolglosen Anklage ausgesetzt haben, was begreiflich macht, warum in solchen Fällen von staatlicher Seite vorgegangen wurde. Dass Theodosius auch sonst für die Verfolgung von Heterodoxen nicht nur auf private Akkusatoren setzen wollte, sondern aktiv gegen sie einschreiten ließ, zeigt das Fragment CTh. 16.5.15 (388, gegen unbestimmte Sekten), das gegen Ende folgende Passage enthält: in specula Sublimitas Tua fidissimos quosque constituat, qui et cohibere hos possint et deprehensos offerre iudiciis, »Deine Sublimität soll besonders zuverlässige Männer auf die Lauer legen, tur, »er soll der Anklage jeder beliebigen Person ausgesetzt sein, wobei jemand, der einen von solch gewaltigem Frevel besudelten Mann nach diesem Erlass mit erwiesenen Fakten zu Fall bringt, Vermögen und Habe des Verurteilten erhalten soll«. 101 Die Meinung des Zeitgenossen Ammian (14.1.5) zum Verzicht auf die Akkusation ist aufschlussreich: Nec vox accusatoris ulla (licet subditicii!) in his malorum quaerebatur acervis, ut saltem specie tenus crimina praescriptis legum committerentur, quod aliquotiens fecere principes saevi, »In dieser Anhäufung von Übeln kümmerte man sich in keiner Weise um das Auftreten eines Akkusators (nicht einmal eines orchestrierten!), um so die Vorwürfe wenigstens dem Schein nach den gesetzlichen Regelungen zu unterwerfen – was ja [sogar] tyrannische Kaiser durchaus öfters getan hatten«. 102 Vgl. Mer, S. 364–66, S. 478 f.; CTh. 9.2.3 von 380; für ein reales Beispiel siehe Symm. rel. 49 mit dem glücklosen Akkusator Africanus, ein Agens in rebus, der zwei Senatoren wegen violentia zur Rechenschaft ziehen wollte, indes erfolglos, und dem nun selbst das Strafmaß von violentia drohte. Symmachus als Stadtpräfekt schreibt an den Kaiser, um Gnade für Africanus zu erwirken.

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die dazu in der Lage sind, sowohl solchen Leuten Einhalt zu gebieten als auch, wenn man sie ertappt hat, den Richtern vorzuführen«. Trotz der nachmaligen Wichtigkeit, die das Wort inquisitor im Mittelalter erlangen sollte, ist es im antiken Recht kein technischer Begriff und begegnet in den juristischen Quellen abgesehen von CTh. 13.11.6 § 1 (wo damit ein Steuereintreiber bezeichnet wird) ansonsten überhaupt nicht. 103 Handelt es sich bei den indices denuntiatoresque um Delatoren im klassisch-technischen Sinn, d. h. um gewerbsmäßige Akkusatoren? Oder um »Denunzianten« beliebigen Stands, die mögliche Manichäer den Behörden anzeigen und damit die Kognition in Gang setzen? Als solche kamen auch Sklaven oder andere Personen in Frage, die aus rechtlichen Gründen selbst nicht als Akkusatoren hätten auftreten können (vgl. D. 48.2; Mommsen, S. 368–372); im Inquisitionsprozess war eine formelle Anklage schließlich nicht erforderlich. Die Unterscheidung (vgl. Kleinfeller, Sp. 2427) zwischen delator i. S. v. Akkusator (in der Spätantike nicht neutral gebraucht, sondern nur vom verleumderischen Ankläger gesagt) und delator i. S. v. »Denunziant« (jemand, der nicht formal als Akkusator auftritt, sondern lediglich jemanden beim Beamten anschwärzt) ist oft nicht einfach. 104 So gibt es auch an der vorliegenden Stelle Indizien, die in beide Richtungen weisen. Der Kognitionsprozess (inquisitores!), bei dem es ja keine Ankläger braucht, spricht für »Tippgeber«, die Junktur sine invidia delationis (»ohne Anfeindung, d. h. ohne die negativen Folgen einer Delation«) für eine formelle Akkusatorenrolle: 105 Wer mutmaßliche Ma103 »Inquisitor« ist also erstens kein technischer Begriff, und zweitens sollte man es

tunlichst vermeiden, eine Assoziation zum kirchenrechtlichen Inquisitor des Hochmittelalters und der Folgezeit herzustellen. Insofern sind folgende Formulierungen mindestens fragwürdig: »… und ließ sie durch eigens hierzu bestellte Inquisitoren ermitteln« (Kaden, S. 60); »Gegen sie sollten – ein Novum im römischen Recht – ›inquisitores‹ eingesetzt werden« (Lippold, S. 127). Bereits definitiv die Schwelle des Fragwürdigen überschritten hat Martin (S. 122 Anm. 27): »An analogue of this is, to some extent, the Gestapo, the Cheka (MVD), or the OVRA [Mussolinis Geheimpolizei]«. 104 Das liegt nicht zuletzt daran, dass die meisten Belege für delator eine weitere, dritte Bedeutung haben: den Denunzianten, der den Fiskus über angeblich konfiszierbares Vermögen informiert (→ S. 289; Spagnuolo Vigorita 1984, S. 26–41, insbesondere S. 32). 105 So Spagnuolo Vigorita 1984, S. 32 mit Anm. 14. Vgl. die Parallelen Nov. Val. 23 § 8, … quisquis … voluerit accusator emergere, habeat liberam facultatem. Nec delatoris formidet invidiam, cum praemio magis dignus sit, »wer immer … als Akkusator auftreten möchte, soll dazu freie Möglichkeit besitzen. Er braucht nicht den Vorwurf einer

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nichäer anklagt, war von den sonst Falschanklägern potenziell drohenden Strafen von vornherein entbunden. Wahrscheinlich soll die Junktur beide Varianten abdecken; ob man diese scharf zuordnen kann (indices als Tippgeber, denuntiatores als Akkusatoren), muss angesichts der untechnischen Formulierung offen bleiben. Ein weiteres Beispiel für die unscharfe Rechtsterminologie in den spätantiken Konstitutionen ist praescriptio. Theoretisch bezeichnet das Wort jede Art von Einwendung, die einen Prozess hemmt, tatsächlich (Kaser/Hackl, S. 583) aber fast nur noch entweder die praescriptio longi temporis (Amelotti 1958, S. 160–172; → S. 733), also die Verjährung, oder die praescriptio fori, also die Einrede des Gerichtsstands (Jones, S. 487–494). Da das Verbrechen der Manichäer ein recht neuartiges ist – was eine mögliche Verjährung von vornherein ausschließt –, wird es im Wesentlichen um die praescriptio fori gegangen sein. Trotz der außerordentlichen Mobilität manichäischer Missionare wird man dabei weniger an Beschwerden aufgrund örtlicher Nichtzuständigkeit denken, denn in dieser Zeit richtete sich die Zuständigkeit nicht nur nach dem Wohnort des Angeklagten, sondern auch (oder ausschließlich: Garbarino, S. 10 f.) nach dem Ort des angezeigten Verbrechens. Praktisch wird es vielmehr um privilegierte Personenkreise (Senatoren, Soldaten, zivile militia-Mitglieder) gegangen sein, für die Sondergerichte zuständig waren und die sich daher leicht der Gerichtsbarkeit durch den Statthalter hätten entziehen können. 106 Doch wie dem auch sein mag: Die Formulierung will ohnehin alle Fälle abdecken; keine Form von üblicherweise vorgebrachtem Einwand, »Standardeinwand« (so deute ich die ansonsten unbelegte Junktur praescriptio communis), soll beachtlich sein. In CTh. 16.5.7 vom Vorjahr wurden alle Arten von Siedlungen genannt, in denen keine manichäischen Versammlungen stattfinden durften: oppida, urbes sowie die celebris civitas. Jetzt, in CTh. 16.5.9, gibt man sich genauso viel Delation zu fürchten, da dies ganz im Gegenteil belohnenswert ist«; Sirm. 10, cunctis accusationis huius licentia absque metu delationis indulta, »wobei allen die Möglichkeit einer solchen Akkusation ohne Angst [vor den Folgen] einer Delation gewährt sei«. Unhaltbar sind die Übersetzungen von Delmaire I, S. 245, »sans tenir compte de la malveillance des délateurs«, und Magnou-Nortier, S. 211, »sans discrédit pour la délation«. 106 Garbarino, S. 2; Jones, S. 484–494; in den Worten von Theodosius II. (Nov. Theod. 7.2 pr., von 440): fori praescriptiones noxia quidam interpretatione suis adsertionibus aptare festinant, qui cinguli praerogativa iudiciarias eludere posse cognitiones existimant, »Gewisse Leute, die gerichtliche Untersuchungen durch das Privileg ihres Amts vermeiden zu können glauben, beeilen sich, die praescriptio fori in böswilliger Auslegung ihren Ausführungen hinzuzufügen«.

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Mühe zu betonen, dass auch außerhalb von Siedlungen Manichäertreffen streng verboten sind. Der Text kontrastiert dazu die agri (das flache Land) mit den moenia (ob »Hausmauern« oder »Stadtwälle« gemeint sind, bleibt sich für das Verständnis gleich). 107 Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wird zudem betont, dass Manichäismus keine Privatangelegenheit ist und selbst auf Privatgrund Zusammenkünfte illegal sind – was für städtische Manichäer bereits seit 372 klar war (denn Valentinian ließ ja entsprechende Lokale konfiszieren). 2. Ac summa exploratione rimetur, ut, quicumque in unum paschae die non obsequenti religione convenerint, tales indubitanter, quales hac lege damnavimus, habeantur. Dat. prid. kal. April. Constantinopoli Antonio et Syagrio conss. 2. Höchst penibel soll ermittelt werden, sodass alle, die sich am Ostertag nicht in observanter Frömmigkeit versammeln, ohne Wenn und Aber als solche betrachtet werden, die wir durch das vorliegende Gesetz sanktioniert haben. Abgeschickt am Vortag der Kalenden des April in Konstantinopel unter dem Konsulat von Antonius und Syagrius. [31. März 382]

§ 2 wird von Godefroy (Gothofredus, S. 138 f.), Delmaire (I, S. 247 Anm. 1) und Barone-Adesi (S. 145) als radikale (und extrem knapp formulierte) Ausdehnung der für Manichäer drohenden Strafen auf alle Sekten verstanden, die ein Osterdatum verwenden, das von demjenigen der katholischen Kirche abweicht. Doch tatsächlich scheint nur ein Kriterium gegeben zu werden, an dem man Manichäer erkennt: Wer am Ostertag Ostern nicht in angemessener Form feiert, ist – ohne dass es weiterer Beweise bedarf – Manichäer. Tatsächlich begingen die Manichäer Ostern, aber nur sehr halbherzig (Aug. c. epist. fund. 8). Andererseits teilte sich die Hauptfeier des manichäischen Jahreslaufs – das Bemafest zum Gedenken an Manis Martyrium – das Datum mit Ostern. 108 Manichäer versammelten sich also am Ostertag, aber eben nicht obsequenti religione. Das ist entscheidend, denn das non verneint nicht den ganzen Satz (was es tun müsste, ginge es um Häretiker, die das orthodoxe Osterdatum ignorieren), sondern allein obsequenti religione. Der § 2 passt da107 Vgl. CTh. 16.5.14, 388: Apollinarianos ceterosque diversarum haeresum sectatores ab

omnibus locis iubemus inhiberi, a moenibus urbium …, »Die Apollinarianer und die sonstigen Anhänger der verschiedenen Häresien sollen – so befehlen wir – von allen Siedlungen ferngehalten werden, von den Mauern der Städte …«. 108 Vgl. wiederum Aug. c. epist. fund. 8, dazu Lieu, S. 171 f. mit Anm. 84; Tardieu, S. 90–92. Die vorliegende Deutung des § 2 so auch bei Decret I, S. 217.

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mit direkt in den Kontext von § 1: Es handelt sich um Maßnahmen gegen den unerkannten, getarnten Manichäer. Fassen wir zusammen. CTh. 16.5.9 richtet sich vor allem gegen ländliche Manichäer, die bislang gar nicht erfasst waren, und Kryptomanichäer, die nun massiv verfolgt werden. Anachoreten müssen ihre Habe sofort an ihre Deszendenten bzw. Agnaten abgeben (in Ermangelung derselben zieht der Staat das Vermögen ein). Manichäische Versammlungen sind nunmehr auf dem Land ebenso verboten, wie sie dies bereits zuvor in der Stadt waren. Die Mitglieder der des Kryptomanichäismus verdächtigen asketischen Sekten werden mit dem Tod bedroht, sofern sich ihnen Manichäismus nachweisen lässt. Wer Ostern nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit feiert, gilt automatisch als Kryptomanichäer. Zur Bekämpfung der Manichäer (wohl vor allem Kryptomanichäer) wird nun mit einem eigenen Stab ermittelt; Ankläger sind durch den Ausschluss potenziell drohender Strafen privilegiert; und die üblicherweise vorgebrachten Einreden sind pauschal zu verwerfen. Im Folgejahr 383 erlässt Gratian ein Gesetz, das die Klagemöglichkeit nach dem Tod von Apostaten – für die ja ebenfalls erbrechtliche Sanktionen gelten – auf fünf Jahre beschränkt. Dieses Gesetz, CTh. 16.7.3, sehen wir uns im Kontext der Apostatengesetzgebung in der ganzen erhaltenen Länge an (→ S. 727); jetzt soll es uns insofern beschäftigen, als es für die Manichäer einschlägig ist. Gratians Gesetz ist ungewöhnlich, da alle anderen Fragmente des Apostatentitels ausschließlich Abfall zum Heidentum hin sanktionieren. CTh. 16.7.3 unterscheidet dagegen drei Gruppen, die freilich dieselbe Rechtsfolge trifft: Apostaten zum Heidentum hin, Apostaten zum Judentum hin, Apostaten zum Manichäismus hin. Im Principium findet sich: Christianorum ad aras et templa migrantium negata testandi licentia vindicamus admissum. Eorum quoque flagitia puniantur, qui Christianae religionis et nominis dignitate neglecta, Iudaicis semet polluere contagiis. Eos vero, qui Manichaeorum nefanda secreta et scelerosos aliquando sectari maluere secessus, ea iugiter atque perpetuo poena comitetur, quam vel divalis arbitrii genitor Valentinianus adscripsit vel Nostra nihilo minus saepius decreta iusserunt. Das Verbrechen der Christen, die zu den Altären und Tempeln überlaufen, bestrafen wir [bereits], indem wir ihnen die Möglichkeit verweigern, ein Testament zu errichten. Es sollen auch [nunmehr] die Vergehen derjenigen bestraft werden, die sich unter Missachtung der Würde der christlichen Religion und Gemeinschaft mit der jüdischen Verpestung besudeln. Diejenigen schließlich, die irgendwann einmal dem Aufsuchen der frevelhaften Geheimtreffs und verruchten Schlupfwinkel der Manichäer den Vorzug gegeben haben, möge auf immer und ewig diejenige Strafe treffen, die Valentinian, unser Vater von kaiser-

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manichäer lichem Ratschluss, festsetzte und Unsere Gesetze um nichts seltener bestimmten.

Und § 1 enthält folgende Protasis: si quis defunctum violatae atque desertae Christianae religionis accusat eumque in sacrilegia templorum vel in ritus Iudaicos vel ad Manichaeorum dedecus transisse contendit eaque gratia testari minime potuisse confirmat … Wenn jemand einen Verstorbenen wegen Entehrung der und Abfall von der christlichen Religion anklagt sowie vorträgt, er sei zu den Freveln der Tempel oder zu den jüdischen Riten oder zur Schande der Manichäer übergetreten, und behauptet, dieser hätte infolgedessen gar kein Testament errichten können …

Durch die Gleichstellung mit Heiden und Juden scheint der Autor des Texts zu zeigen, dass er Manichäismus als eigene Religion wie das Judentum und nicht als Häresie versteht; dass für ihn Manichäismus nicht einmal als abseitiges Christentum gilt, wird durch desertae Christianae religionis accusat eumque … ad Manichaeorum dedecus transisse bestätigt. Übrigens schwingt bei den Manichäern wie so häufig die Vorstellung mit, sie lauerten im Verborgenen (nefanda secreta, scelerosi secessus). Apostasie zum Heidentum wird seit 381 mit einem Testierverbot geahndet (→ S. 720). Für Apostaten zum Judentum hin ist die Strafe neu und wird erst durch die vorliegende Konstitution eingerichtet. Was die Manichäer angeht, so belässt es Gratian laut eigener Aussage bei der Strafe, die sein Vater bestimmt und die er selbst öfters bekräftigt hat. Im Kontext kann es dabei nur um Testiersanktionen gegen Manichäer gehen, die allerdings erst von Theodosius im Jahr 381 erlassen wurden (→ S. 434) und die für alle Manichäer (auch für solche, die nicht vom orthodoxen Christentum zum Manichäismus konvertierten) galten. Die Konstitution von 381 gegen Apostaten hatte die Frage der Rückwirkung weitgehend offengelassen, konnte aber womöglich so interpretiert werden, dass sie auch auf beliebig lang zurückliegende Altfälle anwendbar war (→ S. 721). Bei Manichäern war die Angelegenheit hingegen eindeutig, wobei die Rückwirkung bis 372 zurückreichte (→ S. 434). Dort profitiert der Fiskus, sofern keine orthodoxen Abkömmlinge vorhanden sind. Es werden diese Nachkommen (vielleicht auch Delatoren, → S. 289) gewesen sein, die solche postumen Manichäerprozesse üblicherweise einleiteten – und das geschah offenbar in seinem solchen Umfang (vgl. Graf, S. 238), dass es Gratian als geboten ansah, nicht bis 372 zurückforschen zu lassen (oder eine allzu ausufernde Interpretation des ersten Apostatengesetzes zuzulassen), sondern stets nur die letzten fünf Jahre zu berücksichtigen. Wenn Gratian in § 1 nur

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von Apostaten zum Manichäismus spricht (und nicht generell von Manichäern), so wird man dies nicht als bewusste Verkürzung deuten wollen (das Ergebnis wäre absurd: Apostaten zum Manichäertum wären dann aufgrund der verkürzten Frist besser gestellt als Manichäer, die nicht erst vom rechten Glauben abfielen!), sondern als redaktionelle Achtlosigkeit. Im Juli desselben Jahres 383 werden die Manichäer in einem weiteren Gesetz, dieses Mal des Theodosius, erwähnt. Doch diese Konstitution (CTh. 16.5.11) richtet sich gegen eine Vielzahl von Sekten – von denen Eunomianer, Arianer und Makedonianer in der Aufzählung vor den Manichäern genannt werden – und verbietet ihnen generell, sich zu versammeln, und zwar gleichermaßen öffentlich wie privat. Bei diesem Gesetz handelt es sich offenbar um eine Reaktion auf den Ausgang des sogenannten »Konzils aller Häresien« 109 vom Juni 383, einer Veranstaltung, bei der Theodosius anhand schriftlich abgefasster Glaubensbekenntnisse entschied, inwieweit die Überzeugungen bestimmter Gruppen noch annehmbar waren. Diejenigen drei Sekten, die eingeladen waren und von Theodosius als inakzeptabel verworfen wurden, sind genau diejenigen, die uns einen Monat später an der Spitze dieses Gesetzes begegnen. Die Manichäer (und die asketischen Sekten, → S. 453) werden in CTh. 16.5.11 anscheinend nur der Vollständigkeit halber mit aufgeführt. Es ist im Zusammenhang mit den Gesetzen nach dem »Konzil aller Häresien«, dass Sozomenos (7.12.12) berichtet, Theodosius habe seine Gesetze nicht anwenden lassen, sondern lediglich zur Einschüchterung veröffentlicht; aber Sozomenos taugt aufgrund seiner Parteilichkeit und seines klaren Darstellungsziels (»Milde des Theodosius«) schlecht als Kronzeuge (→ S. 402). Freilich sind die tatsächlichen Auswirkungen all dieser Gesetze schwer einzuschätzen, aber wenigstens in den Folgejahren fallen einzelne Schlaglichter ins Dunkel. Wir wissen, dass im Sommer oder eher Herbst 384 der NochManichäer (→ S. 41522) Augustin Rhetorikprofessor in Mailand wurde, und zwar mit Unterstützung seiner manichäischen Freunde und vor allem des Stadtpräfekten von Rom – des Heiden Symmachus (Aug. conf. 5.13.23). Erst in Mailand fand Augustin bekanntlich zur Orthodoxie. Freilich wird er mit seinem Manichäismus eher diskret umgegangen sein (→ S. 383). Der 378 bei Adrianopel gefallene Sebastian (PLRE I, S. 812 f. s. v. Sebastianus 2) stieg trotz seines angeblichen Manichäismus bis zum Heermeisterrang auf – freilich 109 Diese griffige Bezeichnung ist eine allzu wörtliche (und damit verfälschende) Über-

setzung einer Junktur von Sokrates (5.10.2), angemessener wäre wohl »Konferenz aller Überzeugungen«. Für Details zu diesem Treffen vgl. v. a. Graumann, ferner Wallraff 1997a.

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ist sein Manichäertum so schlecht verbürgt, dass man besser gar nichts aus seiner Karriere ableitet. 110 Im Jahr 385 wird der Häretiker Priscillian zum Tode verurteilt und hingerichtet; man hat ihm zwar auch Manichäismus vorgeworfen, aber das scharfe Urteil erfolgte wegen Schwarzer Magie, nicht Manichäismus, sodass sein tragisches Schicksal nichts mit der Manichäergesetzgebung zu tun hat (→ S. 425). Auch wissen wir, dass im Jahr 386 Messianus, der Prokonsul von Afrika, in einem Prozess mehrere Personen als Manichäer überführte und deswegen aus Afrika auf eine Insel relegierte (Aug. c. Petil. 3.25.30; c. Faust. 5.8, → S. 334; vgl. Decret I, S. 215 f.). Die Anzeige erfolgte durch Katholiken, d. h., hier liegt ein realer Beleg für das indices denuntiatoresque sine invidia delationis accipere durch einen römischen Statthalter vor. Dieselben Katholiken sprachen sich erfolgreich für eine besonders milde Strafe aus. Decret (I, S. 217) schließt daraus, dass die eigentlich vorgesehene Strafe die Hinrichtung gewesen sein müsse, wobei er freilich Alternativen wie die Bergwerksstrafe oder, besonders naheliegend, die Deportation zu Unrecht ignoriert. In keinem der bisher zitierten Gesetze kam die Verbannungsstrafe vor, sodass die Exilierungen entweder aufgrund uns unbekannter Gesetze oder, eher, auf Grundlage statthalterlicher coercitio erfolgten (→ S. 204308). Das letzte erhaltene Gesetz des Theodosius gegen die Manichäer stammt von 389 und enthält wiederum erbrechtliche Sanktionen. Das auf uns gekommene Fragment ist recht kurz und scheint im Wesentlichen vorhandene Regelungen zu bestätigten.

110 Soweit ich sehe, hängen alle Bezugnahmen auf Sebastians angeblichen Manichäis-

mus letztlich von einer Randbemerkung des Athanasios ab. Nun unterstützte Sebastian als Dux Aegypti tatkräftig den homöischen Bischof Georg gegen Athanasios. Der Verdacht ist daher nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei dem ganz beiläufigen Einschub (»Sebastian, der Manichäer war«, ohne weitere Details) nur um eine gehässige Unterstellung durch Athanasios handelt. Sebastian, der es unter Valens bis zum Magister peditum bringen sollte, findet als prominenter Militär auch bei Ammian und Zosimos Erwähnung, Libanios korrespondierte mit ihm – aber nirgendwo findet sich auch nur der geringste Hinweis auf Manichäismus.

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CTh. 16.5.18 [17. Juni 389] Idem AAA. Albino pu. Quicumque sub nomine Manichaeorum mundum sollicitant, ex omni quidem orbe terrarum, sed quam maxime de hac urbe pellantur sub interminatione iudicii. 1. Voluntates autem eorundem, quin immo ipsae etiam facultates populo publicandae 111 nec vim testamentorum teneant nec derelinqui quicquam 112 per eos aut isdem fas sit. Nihil ad summum his sit commune cum mundo. Dat. XV kal. Iul. Romae Timasio et Promoto conss. Dieselben drei Kaiser [Valentinian, Theodosius und Arkadius] an den Stadtpräfekten Albinus: Alle Personen, die unter dem Namen »Manichäer« die Welt in Aufruhr versetzen, sollen zwar [ohnehin] aus dem gesamten Erdkreis, ganz besonders aber aus dieser Stadt unter Androhung eines Prozesses vertrieben werden. 1. Ihre letztwilligen Verfügungen (ja vielmehr ihre Habe selbst!) sollen für den Staat eingezogen werden. 113 Diese letztwilligen Verfügungen sollen weder die Gültigkeit von Testamenten besitzen noch sei es erlaubt, dass von diesen Leuten etwas hinterlassen wird oder dass man ihnen etwas hinterlässt. Kurzum, nichts soll ihnen gemein sein mit der Menschheit. Abgeschickt am 15. Tag vor den Kalenden des Juli in Rom unter dem Konsulat von Timasius und Promotus. [17. Juni 389]

Das vorliegende Gesetz ist an den Stadtpräfekten von Rom gerichtet. Im Principium wird eingeschärft, dass sämtliche Manichäer – da ohnehin aus der ganzen Welt – zumal aus Rom auszuweisen seien. Andernfalls drohe ihnen ein iudicium. Dieses a-fortiori-Argument besitzt (für uns und ebenfalls für Ich habe publicandae statt des überlieferten publicatae geschrieben. Die Übersetzungen von Graf (S. 237, »given that the property shall be confiscated«) und Pharr (S. 454, »the property itself shall be confiscated«) des unemendierten Originaltexts sind unmöglich; Delmaire I, S. 259, und Magnou-Nortier, S. 223, bieten zwar eine grammatisch korrekte Übersetzung (»Leurs volontés, bien plus, leurs biens euxmêmes confisqués … ne peuvent donner lieu à testament«), doch vim tenere sollte »Gültigkeit besitzen«, nicht »Anlass geben zu« bedeuten. 112 Die Ergänzung von quicquam ist ein plausibler Vorschlag, den Mommsen im Apparat macht. 113 Noethlichs, S. 152, paraphrasiert diese Passage wie folgt: »Danach sollte keinerlei letztwillige Verfügung wie ein Testament gültig sein, sogar dann nicht, wenn etwa ein Manichäer seinen Besitz dem Volk (zum allgemeinen Nutzen) vermacht hatte«. Diese bereits inhaltlich ganz unplausible Interpretation scheitert sprachlich u. a. an der Bedeutung des Worts publicare. 111

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antike Codex-Theodosianus-Leser) leider zunächst den Mangel, dass wir kein früheres Gesetz haben, wonach Manichäer aus »der ganzen Welt« zu vertreiben seien; CTh. 16.5.7 § 3 (381) hatte lediglich verfügt, dass man sie von der »gerühmten Stadt«, im Kontext gewiss Konstantinopel, auf Sichtweite fernhalten müsse. Allerdings scheint es später tatsächlich irgendwann eine solche Anordnung gegeben zu haben. 114 Auffällig ist ferner sub interminatione iudicii: Wer nicht freiwillig aus Rom verschwindet, wird vor Gericht gestellt. Angesichts der ansonsten üblichen Strafen für Manichäer (→ S. 485) liefe ein solcher Prozess wohl letztlich auch auf eine Verbannung hinaus. Wie im Principium wird anscheinend auch in § 1, der die erbrechtlichen Sanktionen enthält, a fortiori argumentiert: Eigentlich sei ja das ganze Vermögen der Manichäer für den Staat einzuziehen (was wir in dieser Form bislang nur für den Fall des manichäischen Anachoreten ohne orthodoxe Abkömmlinge oder Agnaten kennen), umso mehr also ihr Vermögen im Zeitpunkt der Vererbung. Wörtlich steht das zwar nicht im Text, aber da es im Weiteren nur noch um den Nachlass (nicht um die Habe des lebenden Manichäers) geht, muss man das Ganze wohl so verstehen. Man beachte auch die befremdliche Formulierung, dass die voluntates (und nicht etwa die successiones) einzuziehen seien (bzw., im unemendierten Originaltext, eingezogen wurden). All diese (sowie weitere) Merkwürdigkeiten in dem doch kurzen Fragment weisen auf größere textkritische Probleme hin. Obwohl daher jede Folgerung angreifbar ist, scheint mir dieser Absatz letztlich nichts Neues zu bringen: Wie gehabt, dürfen Manichäer nicht erben und weder testamentarisch noch intestat vererben. Die Ausnahmen für bestimmte gesetzliche Erben, die wir aus vorherigen Konstitutionen kennen und die auch später wieder erscheinen, fehlen hier ebenso wie das nachmals erneut eingeschärfte Schenkungsverbot – was sich jeweils nicht als Modifikation der Rechtslage, sondern

114 In Nov. Val. 18 (445) wird, ähnlich wie hier, erwähnt, dass ja Manichäer eigentlich

aus dem Römischen Reich ganz auszutreiben seien (→ S. 787); doch die umfangreichen Sanktionen, die dieselbe Novelle verhängt, setzen die fortgesetzte Existenz von Manichäern im Römischen Reich voraus. Anders CN 480 (452) und, davon unmittelbar abhängig, CN 489 (455): Diese Konstitutionen (→ S. 793) bestimmen u. a., dass ehemals orthodoxe Kleriker und Mönche, die zum Eutychianismus übergetreten sind, »wie Manichäer« aus dem Reich zu verbannen seien (CN 480: iubemus …, immo extra Romanum expelli solum, sicut praecedentes religiosissimae constitutiones de Manichaeis constituere, »Wir befehlen …, ja dass sie sogar aus dem römischen Gebiet zu vertreiben sind, so wie es die höchst frommen, früheren Konstitutionen hinsichtlich der Manichäer angeordnet haben«). Die Beiläufigkeit der Bemerkung deutet darauf hin, dass diese Strafe mittlerweile tatsächlich in die Realität umgesetzt wurde.

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aus der allgemeinen Knappheit der Regelung (die einfach nur die privatrechtlichen Nachteile gegen die Manichäer bestätigen will) erklärt. Aus der historischen Situation kann man eine plausible Erklärung für die Notwendigkeit (letztlich wird ja nur die Rechtslage bestätigt) und zugleich die Schludrigkeit der vorliegenden Konstitution ableiten: Im Sommer 388 besiegt Theodosius I. den Usurpator Maximus bei Poetovio endgültig, am 28. August 388 lässt er den Unterlegenen in Aquileia hinrichten. Nach einem längeren Aufenthalt in Mailand zieht Theodosius schließlich zusammen mit Valentinian II. am 13. Juni 389 in Rom ein, wo er bis zum 30. August bleibt (Belege bei Seeck, S. 275 f.). In diesen Wochen regelt er etliche lokale Fragen mit Erlassen, die an den Stadtpräfekten Albinus gerichtet sind. Für den Codex Theodosianus hat man davon sieben exzerpiert (vgl. wiederum Seeck, S. 275 f.), möglicherweise gab es noch viel mehr Bestimmungen, die insbesondere die Kirche betrafen. 115 Das erste der erhaltenen Gesetze ist just die vorliegende Regelung gegen die Manichäer vom 17. Juni, die also gerade einmal vier Tage nach dem Einzug der Kaiser in Rom erging. Eine elegante Erklärung hat Graf (S. 241 f.) vorgeschlagen, die hier mit zusätzlichen Argumenten ausgebaut werden soll: Über den damaligen römischen Bischof Siricius (384–399) berichtet der Liber pontificalis recht wenig, aber das Folgende schien dem Autor wichtig (Lib. pontif. p. 86.1–3): Hic invenit Manicheos in urbe, quos etiam exilio deportavit, »Er spürte Manichäer in Rom auf, die er auch mittels Verbannung deportieren ließ«. Datieren lässt sich die Episode nicht, aber es ist in der Tat verführerisch, einen Zusammenhang mit Theodosius’ Einzug herzustellen. Dass der Bischof ansässige Manichäer loswerden wollte, daran kann nicht gezweifelt werden; dass dies bis 389 nicht ganz geklappt hatte, erweist sich durch die Existenz der Konstitution; dass der für sein früheres Vorgehen gegen Manichäer bekannte und zudem persönlich in Rom anwesende Theodosius der richtige Ansprechpartner für Siricius’ Anliegen war, versteht sich. Da es also bei dieser Konstitution eigentlich um die sofortige Austreibung der Manichäer aus Rom ging, bestand kein Anlass, die weiteren Manichäersanktionen sorgfältig auszuformulieren – es reichte, in aller Kürze darauf hinzuweisen, dass diese natürlich weiter gelten sollten. 116 115 Soz. 7.14.7: τοῦ δὲ πολέμου τοῦτον διαλυθέντος τὸν τρόπον, ἐπεὶ … ἧκεν εἰς Ῥώμην, … τὰ περὶ τῆς ἐν Ἰταλίᾳ ἐκκλησίας εὖ διέθηκε, »Nachdem der Krieg auf

diese Weise ein Ende gefunden hatte … und er [Theodosius] nach Rom gekommen war, … regelte er die Angelegenheiten der Kirche in Italien bestens«. 116 Freilich darf man nicht die Möglichkeit ignorieren, dass der römische Bischof ex post eine von Theodosius gegen die Manichäer initiierte Aktion als eigenen Erfolg reklamierte bzw. dies der Autor des Liber pontificalis tat.

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Man kann Grafs Idee weiterspinnen: Wir erinnern uns, dass Gratian 381 ein später wieder aufgehobenes Reskript »gegen Pseudobischöfe und Manichäer« (→ S. 426) erlassen hatte, in dem er ihre Ausweisung non ecclesiis tantum aut urbibus, sed extra omnes terras (Sulp. Sev. chron. 2.47.6) verfügt hatte. Es war dem damaligen römischen Bischof Damasus und damit fraglos auch seinem Diakon Siricius bestens vertraut; wenn Siricius ein knappes Jahrzehnt später, nunmehr selbst römischer Bischof, die Austreibung der Manichäer aus Rom wünschte, lag es nahe, dem Theodosius die alte Regelung im Wortlaut als Exemplum vorzulegen; damit würde sich die Formulierung ex omni quidem orbe terrarum, sed quam maxime de hac urbe pellantur unmittelbar erklären. Freilich richtete sich das Gratian-Reskript gegen priscillianistische Bischöfe (die als Manichäer beleidigt wurden), die Theodosius-Regelung indes tatsächlich gegen Manichäer – aber das hätte Siricius kaum davon abgehalten, sich darauf zu berufen (vgl. → S. 510). Übrigens erschien der letzte Satz, Nihil ad summum his sit commune cum mundo, fast identisch als Nihil ad summum habeant commune cum reliquis sechs Wochen zuvor in einem Gesetz, das zum ersten Mal erbrechtliche Sanktionen gegen Eunomianer verfügte (→ S. 645; zur Bedeutung dieser und ähnlicher Formulierungen im Allgemeinen vgl. → S. 348). Im vorliegenden Fall scheint der geringe zeitliche Abstand die Annahme nahezulegen, dass dieselbe Person formulierte (vgl. Honoré, S. 60 f.). Aus den Folgejahren sind uns keinerlei Gesetze gegen die Manichäer überliefert. Sofern man annimmt, dass nichts Wesentliches verloren ging, war Theodosius also in seinen letzten Jahren offensichtlich genauso wie Arkadius zeitlebens mit dem erreichten Status quo zufrieden. Das nächste überlieferte Gesetz, das die Manichäer erwähnt, erließ Honorius 399 (also zehn Jahre nach dem zuletzt besprochenen). Es handelt sich dabei (ebenso wie bei allen weiteren überlieferten Manichäergesetzen bis 423) um ein westliches Gesetz. Es ist also bis auf Weiteres ausschließlich die Situation der dortigen Manichäer, die uns beschäftigen wird. Diese Konstitution von 399, CTh. 16.5.35, schärft erneut das Verbot ihrer Versammlungen ein; sie sollen aufgespürt, vor Gericht gestellt (quaesiti adducantur in publicum) und mit sehr strenger Strafe gezüchtigt, »zurechtgestutzt«, werden (severissima emendatione resecentur) – wie so oft, bleibt die genaue Sanktion dem Richter überlassen. Neu ist lediglich, dass auch diejenigen, die Manichäer in ihren Häusern schützen, explizit verfolgt werden sollen. 117 117 Folgerichtig wurde dann auch nur dieser Satz in den Codex Iustinianus übernom-

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Anfang Dezember 404 fand vorgeblich ein »öffentliches Religionsgespräch«, faktisch ein Schauprozess, zwischen Augustin und dem Manichäer Felix statt, an dessen Ende die Konversion von Felix zur Orthodoxie stand. 118 Der Ausgang stand von vornherein fest, denn bereits ziemlich früh im Gespräch gibt Felix zu bedenken (c. Fel. 1.12), dass er nicht allzu viel gegen die Macht eines Bischofs und contra leges imperatoris, »gegen die Gesetze des Kaisers«, auszurichten vermöge. Es handelt sich nicht um ein Gespräch zwischen Diskutanten auf Augenhöhe, sondern um das Resultat einer Vorladung – Felix (dem am Vortrag bereits seine Bücher staatlicherseits konfisziert worden waren: c. Fel. 1.12) steht von Anfang an mit dem Rücken zur Wand (Decret I, S. 218 f.; 2001b, S. 57 f.; Volterra 1934, S. 462 f.). Überhaupt war dieses Jahr 404 ein sehr unruhiges in Afrika, was aber vor allem an der zunehmend gewalttätigen Auseinandersetzung mit den Donatisten lag (mehr dazu im Donatistenkapitel, → S. 523). Die Situation eskalierte so weit, dass Kaiser Honorius mit seinem Einheitsedikt von 405 einen Schlussstrich unter alle Religionsstreitigkeiten ziehen wollte. Das Einheitsedikt gehört eigentlich zur Geschichte der Donatisten; doch bemerkenswerterweise werden im Text des Edikts Manichäer und Donatisten gleichermaßen genannt, und die Manichäer sogar noch vor den Donatisten (CTh. 16.5.38, Nemo Manichaeum, nemo Donatistam, qui praecipue, ut comperimus, furere non desistunt, in memoriam revocet, »Niemand soll einen Manichäer, niemand soll einen Donatisten, die hauptsächlich – wie wir erfahren haben – nicht vom Wahnsinn ablassen wollen, ins Gedächtnis zurückrufen!«). Die antimanichäischen Schriften nehmen im gewaltigen Œuvre von Augustin durchaus Raum ein; doch man hat darauf hingewiesen, dass sich seine Beschäftigung mit den Manichäern auf die Zeit vor 405 beschränkt (De Stoop, S. 118; Wurst, S. 170 f.). Möglicherweise erklärt sich dies durch die Biografie Augustins, 119 möglicherweise zeig-

men, wo er mit einem anderen Theodosianus-Text (CTh. 16.5.40) zur lex Manichaeos CI. 1.5.4 vereinigt wurde. 118 Wohlgemerkt: zur Orthodoxie, nicht zum Christentum, wie Humfress (2007, S. 328, »›Manichaeans‹, conversion to Christianity of«) suggeriert. Sie schreibt sogar (S. 251): »By the close of their next session, Felix had abjured Mani and his ›blasphemies‹, and had signed the acts as Felix Christianus«. Weit gefehlt! Nach dem Anathema, d. h. am Ende des zweiten Disputs, zeichnet Felix ganz wortkarg (Aug. c. Fel. 2.22 a. E.): Felix his gestis subscripsi. Dagegen unterschreibt er am ersten Tag, als er noch Manichäer war, mit (Aug. c. Fel. 1.20 a. E.): Felix Christianus, cultor legis Manichaei, his in ecclesia coram populo subscripsi. 119 Wurst (S. 171) argumentiert, dass sich Augustin nach seiner Bischofsweihe zunächst von seiner manichäischen Vergangenheit abgrenzen musste, die man ihm

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ten aber auch das Einheitsedikt und die wohl mit ihm einhergehende Forcierung der gesetzlichen Maßnahmen eine gewisse Wirkung. Was die Donatisten angeht, so ist uns im Codex Theodosianus ein recht ausführliches Gesetz überliefert, das bereits zuvor gültige Sanktionen sammelt und neue ergänzt. Dieses Gesetz trägt im Theodosianus das Datum des Einheitsedikts, es handelt sich aber nach aller Wahrscheinlichkeit um eine Regelung, die im Vorjahr 404 erlassen und anlässlich des Einheitsedikts 405 erneut bestätigt und zitiert wird (→ S. 547). Ein entsprechender Rundumschlag gegen die Manichäer erfolgt erst im Jahr 407. Die betreffende Konstitution CTh. 16.5.40 ist die Vorlage der berühmten Lex Manichaeos, die über den Codex Iustinianus (dort als CI. 1.5.4 mit dem ersten Wort Manichaeos, daher der Name) ins mittelalterliche Recht Eingang fand und eine wichtige Rolle bei der Begründung der Ketzerverfolgung spielte (so bei Hostiensis: vgl. Ragg, S. 95). Der erste Satz in der Theodosianus-Version lautet: Quid de Donatistis sentiremus, nuper ostendimus, »Was wir hinsichtlich der Donatisten im Sinn hatten, dem haben wir unlängst Ausdruck gegeben«, was sich auf das umfangreiche antidonatistische Gesetz von 404/5 beziehen sollte. 120 CTh. 16.5.40 stellt vordergründig eine Zusammenfassung der Sanktionen (einschließlich der erbrechtlichen) gegen die Manichäer dar. Neu ist dabei, dass neben den Manichäern zwei weitere Gruppen genannt werden, die Phryger und die Priscillianisten, deren Mitglieder offensichtlich nunmehr exakt denselben Strafen wie die Manichäer unterliegen sollen. »Phryger« ist ein Alternativname für die besser unter dem Namen »Montanisten« bekannte Sekte, deren Ursprung und Zentrum in der kleinasiatischen Landschaft Phrygien lag. Das Gleiche gilt auch für »Priscillianisten« 121 – jedenfalls in der spä-

von donatistischer wie katholischer Seite zum Vorwurf machte; als diese Kritik abflaute, konnte er sich anderen Themen zuwenden. 120 Ein Abstand von ein, zwei Jahren kann ohne Weiteres durch nuper, »unlängst«, ausgedrückt werden: Mit nuper verweist CTh. 4.6.8 von 428 auf CTh. 4.6.7 von 426 oder 427; sowie CTh. 6.4.33 von 398 oder 399 (vgl. PLRE I, S. 830 f. s. v. Severinus 3) auf CTh. 6.4.32 von 397. 121 CTh. 16.5.59 (423): Fryges, quos Pepyzitas sive Priscillianistas vel alio latentiore vocabulo appellant; CTh. 16.5.65 § 2 (428): Montanistae seu Priscillianistae. Epiphanios von Salamis differenziert – anders als die eben zitierten Gesetze – im Panarion zwischen den Phrygern/Montanisten (Panar. 48) und Quintillianern/Pepuzianern/ Priskillianern (Panar. 49), kann aber selbst keinen klaren Unterschied benennen. Allerdings will Epiphanios unbedingt die Zahl von 80 Häresien (analog zu den 80 Kebsen und der einen wahren Liebe vom Hohelied Salomons, vgl. Hld 6:8 f.) erreichen (Panar. 80.11.5 f.), sodass sich der Häresiologe zumindest dem Anfangs-

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teren Selbstwahrnehmung der Sekte waren nämlich neben dem Gründer Montanus zwei Prophetinnen, eine mit Namen Priscilla, 122 von fundamentaler Bedeutung. »Priscillianisten« ist im vorliegenden Gesetz fraglos von der montanistischen Prophetin und nicht dem fast zeitgenössischen Häretiker Priscillian (→ S. 425) abgeleitet. 123 Historisch wie inhaltlich hatten die Montanisten – abgesehen von einer Betonung der Askese, insbesondere des Fastens – eigentlich gar nichts mit den Manichäern gemeinsam: Der Montanismus war eine uralte Häresie, die bereits um die Mitte des 2. Jh.s in Kleinasien entstanden war, einen nahen Weltuntergang predigte, in dem völlig unbedeutenden phrygischen Ort Pepuza (daher das weitere Exonym »Pepyziten«) das Neue Jerusalem sah und sich durch ekstatische Prophezeiungen auszeichnete. Die Eigenbezeichnung der Montanistengemeinschaft war charakteristischerweise »Neue Prophetie«. 124 Während der Montanismus im Osten des Römischen Reichs, vor allem in Kleinasien und zumal in Phrygien, fraglos bis ins 6. Jahrhundert und womöglich sogar bis ins 8. Jahrhundert überlebte (Trevett, S. 226–231), stammen die letzten westlichen Belege für die phrygische Häresie aus dem frühen

verdacht aussetzt, dass er mitunter Häresien mehrfach zählt, um auf die a priori festgelegte hohe Zahl zu kommen. 122 Dazu Trevett, S. 151–163; die Quellenbelege bei Meinhold. Die Prophetin wird in den Quellen austauschbar als Prisca oder mit dem Deminutiv Priscilla bezeichnet. Bis ins 6. Jahrhundert ruhten die sterblichen Überreste von Montanus, Priscilla und der anderen Prophetin, Maximilla, in einem gemeinsamen Schrein in Pepuza; dann wurden unter Justinian die Gebeine aus dem Grab gezerrt und verbrannt (Michael Syr. chron. p. 323, col. sinist. infr., l. 7 ab imo – p. 324, col. dext., l. 24 a summo; übersetzt und diskutiert bei Gero). 123 Zugegebenermaßen wäre es auf den ersten Blick verführerisch, diese Verbindung herzustellen, denn bekanntlich unterstellte man Priscillian ja eine Nähe zu den Manichäern (→ S. 425). Aber erstens werden hier »Phryger« in einem Atemzug mit »Priscillianisten« genannt; zweitens gibt es überhaupt kein spätantikes Gesetz, das sich auf die Anhänger Priscillians bezieht. Zwar behauptet Delmaire (I, S. 484 = II, S. 514 f. Anm. 3), Sirm. 12 (omnia, quae in Donatistas, qui et Montenses vocantur, Manichaeos sive Priscillianistas) sei eine Ausnahme. Doch Sirm. 12 ist ein westliches Gesetz von 407, genauso wie auch CTh. 16.5.40. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn Delmaire vorschlägt, mit Manichaeos vel Frygas sive Priscillianistas (CTh. 16.5.40) bzw. Manichaeos sive Priscillianistas (Sirm. 12) seien komplett unterschiedliche »Priscillianisten« gemeint. 124 Knapper Überblick mit Verweisen zur Literatur bei Frend 1994; ausführlicher, in Monografielänge und mit einem Gender-Schwerpunkt, bei Trevett; zu den Wurzeln des Montanismus vgl. Hirschmann; zur Eigenbezeichnung vgl. Euseb. hist. eccl. 5.19.2, »die sogenannte Neue Prophetie«, sowie z. B. Tert. adv. Marc. 4.22 p. 492.28.

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5. Jh.; das vorliegende Gesetz gehört zu ihnen. In Afrika (wo einst der bekannteste aller Montanisten, Tertullian, lebte und wirkte) scheint die Gemeinschaft zu Augustins Zeit erloschen (Aland, insb. S. 351 f.; vgl. Optat. 1.9 p. 10.19–11.7), während es für Rom noch einige Belege gibt (Trevett, S. 224–226). Das vorliegende Gesetz ist das einzige, das erbrechtliche Sanktionen gegen Montanisten verhängt und (abgesehen von Sirm. 12) das einzige bekannte westliche Gesetz gegen sie. Zum ersten Mal erscheinen Montanisten in der Religionsgesetzgebung in einem östlichen Gesetz aus dem Jahr 398 (CTh. 16.5.34), und zwar gemeinsam mit den Eunomianern. Die Sanktionen für Kleriker sind durchaus massiv: Vertreibung aus den Städten (Zuwiderhandlungen werden explizit mit der ungewöhnlichen Todesstrafe bedroht) und Versammlungsverbot auf dem Land (bei Übertretung desselben: Deportation des Häretikers). Für Eunomianer gelten bis Ende 395 (und später ab 410 wieder) erbrechtliche Sanktionen, nicht aber zum Zeitpunkt dieses Gesetzes. Das erste 125 bekannte westliche Gesetz gegen die Montanisten ist scheinbar CTh. 16.6.5, das zu den antidonatistischen Fragmenten vom 12. Februar 405 gehört (→ S. 554). Darin wird Wiedertäufern (explizit genannt: Donatisten und »Montanisten«) die komplette Enteignung angedroht. Allerdings figurieren die Montanisten (anders als etwa die Donatisten) sonst nie als Wiedertäufer; daher liegt es nahe, Montensium secta (das sind die stadtrömischen Donatisten) statt Montanistarum secta in CTh. 16.6.5 zu lesen. Sirm. 12 (diese Passage exzerpiert als CTh. 16.5.43), ein Honorius-Gesetz aus dem November desselben Jahres 407, schärft noch einmal ein, dass alle Gesetze gegen Donatisten, »die auch Montenses genannt werden«, Manichäer, »Priscillianisten« und Heiden geflissentlich einzuhalten seien. Das Gesetz enthält keine neuen Sanktionen und erwähnt nur am Rande, dass Kultgebäude der Häretiker für die katholischen Kirchen einzuziehen seien.

125 »As early as 398 CE Honorius the Western emperor was promulgating laws against

Montanists, Manichaeans and Priscillianists (Cod. Theod. xvi.5.4) and ordering books to be burnt« (Trevett, S. 225). Aber CTh. 16.5.4 ist ein Gesetz von Gratian (nicht Honorius) aus dem Jahr 376 oder 378 (jedenfalls nicht 398), in dem es zudem nicht um Montanisten geht. Könnte Trevett vielleicht CTh. 16.5.34 meinen? Dieses Gesetz ist immerhin von 398 und verfügt das Verbrennen von Büchern – doch betroffen sind neben den Montanisten die Eunomianer (und nicht die Manichäer), und dieses Gesetz stammt von Arkadius im Osten (und nicht von Honorius im Westen). Oder liegt eine Verwechslung mit CTh. 16.5.40 vor? Diese Konstitution richtet sich tatsächlich gegen Manichäer, »Phryger« (also Montanisten) sowie Priscillianisten und wurde zudem im Westen von Honorius erlassen – doch das Gesetz gehört ins Jahr 407 (nicht 398) und erwähnt zwar zahlreiche Sanktionen, aber keine Bücherverbrennungen. Kurzum: Die Angabe von Trevett ist derart verkehrt, dass sich das Gemeinte selbst bei gutem Willen nicht rekonstruieren lässt.

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Alle weiteren antimontanistischen Gesetze sind östlich, und keines dieser späteren Gesetze greift die erbrechtlichen Sanktionen auf. 126 CTh. 16.10.24 pr. von 423 nennt immerhin Manichäer und Montanisten in einem Atemzug und bedroht sie mit Vermögensentzug und Verbannung: Manichaeos illosque, quos Pepyzitas vocant, … eadem poena multamus, bonorum proscriptione atque exilio, »Manichäer und diejenigen, die man Pepyziten nennt, … bestrafen wir mit derselben Sanktion [wie opfernde Heiden], nämlich mit Vermögensentzug und Verbannung«. Damit steht CTh. 16.5.40 hinsichtlich der erbrechtlichen Sanktionierung der Montanisten isoliert. 127

CTh. 16.5.40 [22. Februar 407] Idem AAA. Senatori pu. Quid de Donatistis sentiremus, nuper ostendimus. Praecipue tamen Manichaeos vel Frygas sive Priscillianistas meritissima severitate persequimur. Huic itaque hominum generi nihil ex moribus, nihil ex legibus sit commune cum ceteris. 1. Ac primum quidem volumus esse publicum crimen, quia quod in religionem divinam committitur, in omnium fertur iniuriam. Dieselben drei Kaiser [Arkadius, Honorius und Theodosius] an den Stadtpräfekten Senator: Was wir hinsichtlich der Donatisten im Sinn hatten, dem haben wir unlängst Ausdruck verliehen. Vor allem aber verfolgen wir mit wohlverdienter Strenge die Manichäer und die Phryger (auch Priscillianisten genannt). Dieser Sorte Mensch sei daher nichts an Sitten, nichts an Gesetzen mit den übrigen gemeinsam. 1. Zunächst einmal bestimmen wir, dass es sich dabei um ein öffentliches Verbrechen handele, denn was gegen die göttliche Religion verübt wird, das geschieht zum Nachteil aller. 126 CTh. 16.5.48 (410): Ausschluss von der militia, gleichwohl Verpflichtung, gegebe-

nenfalls Mitglied der cohortalis militia sowie der Kurien zu bleiben; CTh. 16.5.57 (415): Verbot von Versammlungen und Klerikerweihen, im Übertretungsfall Deportation und Immobilienbeschlagnahme; CTh. 16.5.59 (423): Einschärfung der Verbote; zu CTh. 16.5.65 vgl. → S. 765. 127 Vielleicht erfolgten im Westen deswegen keine Bestätigungen, weil es dort keine Montanisten mehr gab und deswegen keine Gerichtsverfahren stattfanden, die zu Anfragen beim Kaiser geführt hätten. Im Osten blieb die Konstitution womöglich potenziellen orthodoxen Erben, die gern an das Intestaterbe montanistischer Verwandter gelangt wären, unbekannt, sodass das Gesetz auch dort keine Rückfragen auslöste.

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Obwohl CTh. 16.5.40 auf die Afrika betreffende Donatistengesetzgebung rekurriert, ist die exzerpierte Ausfertigung an den Stadtpräfekten adressiert; man kann sich aber gut vorstellen, dass es zumindest für Afrika eine oder mehrere weitere Ausfertigungen gab. CTh. 16.5.40 wiederholt in erster Linie ältere Maßnahmen und fasst sie zusammen. Auch, dass die Zugehörigkeit zu den Manichäern (und den anderen genannten Sekten) ein crimen publicum sein soll, dürfte kaum eine Neuerung sein: Wenn auch die Unterschiede zwischen den alten crimina publica und den crimina extraordinaria im Lauf der Zeit immer mehr verschwanden, wurde die Unterscheidung bis ins justinianische Recht beibehalten (Hitzig, Sp. 1717 f.). Wir kennen nur wenige Beispiele, dass ein Vergehen überhaupt erst in der Spätantike explizit zum crimen publicum erklärt wurde. Diese Belege erlauben allerdings zu verstehen, was dies impliziert: Es geht in der Spätantike nur noch darum, dass jedermann – nicht nur ein unmittelbar Betroffener – wegen eines solchen Verbrechens Anklage erheben darf. 128 Auch im vorliegenden Text wird dieser Zusammen128 Sirm. 14 (409): Es geht um Übergriffe gegen katholische Kirchen; da den Bischöfen

aus religiösen Gründen das Verzeihen naheliegt, sit cunctis non solum liberum, sed etiam laudabile … iniurias velut publicum crimen persequi, »soll es allen nicht nur freistehen, sondern gar zum Lob gereichen, [derlei] Vergehen wie ein crimen publicum zu verfolgen«; CTh. 9.9.1 pr. (329?): Si qua cum servo occulte rem habere detegitur, capitali sententia subiugetur, tradendo ignibus verberone, sitque omnibus facultas crimen publicum arguendi, »Wird eine Frau ertappt, mit einem Sklaven heimlich eine Beziehung zu führen, soll sie der Todesstrafe unterzogen und der Galgenstrick den Flammen übergeben werden, und jeder soll die Möglichkeit besitzen, wegen dieses crimen publicum Anklage zu erheben«; Nov. Val. 18 § 2 (445) über Manichäer: Sitque publicum crimen et omni volenti sine accusationis periculo tales arguere sit facultas, »Und es sei ein crimen publicum und jeder, der dies möchte, habe die Möglichkeit, derlei Leute vor Gericht zu bringen ohne die Gefahr, die eine Anklage mit sich bringt«. Vgl. ferner Hitzig, Sp. 1718. Ein weiterer Beleg stammt vom afrikanischen Konzil von 419; dort (Conc. Afr. p. 231.1599–1606) wird eine Regelung zur Frage getroffen, wer gegen einen Kleriker (vgl. den Kontext ll. 1590–1592, ll. 1609 f.) als Akkusator auftreten darf (und vor allem, wer nicht): Item placuit ut … vel omnes quos ad accusanda publica crimina leges publicae non admittunt, »Ferner hat man beschlossen, dass [Sklaven/eigene Freigelassene nicht als Akkusatoren zugelassen werden], ebenso wenig all diejenigen, die die staatlichen Gesetze nicht zur Anklage von crimina publica zulassen«. Darauf folgen weitere Personengruppen, die nicht als Ankläger auftreten dürfen: Schauspieler, andere Infamierte, Heterodoxe. Doch am Ende wird klargestellt: sed tamen omnibus, quibus accusatio denegatur, in causis propriis accusandi licentiam non negandam, »Aber all denjenigen, denen die Akkusation [bei einem crimen publicum gegen einen Kleriker] verweigert wird, darf die Möglichkeit nicht vorenthalten werden, [einen Kleriker] in eigenen Fällen [in causis propriis] anzuklagen«.

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hang hergestellt: Wer durch sein Häretikersein die »göttliche Religion« verletzt, schädigt damit jeden einzelnen, und so begründet sich, warum auch jeder das Klagerecht haben soll. Das dürfte aber keine Neuerung bringen gegenüber der Bestimmung, die Theodosius bereits 382 erlassen hatte (→ S. 454), nämlich dass, wer einen Manichäer vor Gericht bringen will, bequem auf dem Wege der Denunziation die Kognition in Gang setzen bzw. risikolos als Akkusator auftreten kann. Denn es war ja keineswegs so, dass alle criminia extraordinaria den Kreis der Ankläger beschränkten; dies war üblicherweise nur bei denjenigen der Fall, die einst Privatdelikte gewesen waren (wie etwa Diebstahl oder Sachbeschädigung, vgl. Hitzig, Sp. 1716, Sp. 1718). Insofern sollte die Erklärung zum crimen publicum nur in dem außerordentlich konstruierten Fall rechtliche Bedeutung entfalten, dass jemand als Akkusator einen Manichäer vor Gericht bringen will, aber der zuständige Richter aus Ermessen zu dem Schluss kommt, dass er als Nichtbetroffener gar nicht klagen kann. 129 In der Praxis dürfte der Zweck dieser ausdrücklichen Regelung darin bestanden haben, als besonderer Ausdruck kaiserlichen Interesses wirklich jeden potenziellen Akkusator nachdrücklich zur Anklage gegen mögliche Manichäer einzuladen. Mit »Majestätsverbrechen« hat crimen publicum nichts zu tun, wird aber öfters in der modernen Literatur so missverstanden. 130 129 Eine weitere Konstitution, in der es um das allgemeine Klagerecht gehen könnte, ist

CTh. 16.5.11 von 383. Sie richtet sich gegen eine Vielzahl von Sekten (darunter Eunomianer, Arianer, Makedonianer, Manichäer und die asketischen Gruppen), gegen die nun vielleicht jeder klagen kann. Die Einschränkung »vielleicht« ist notwendig, weil der einschlägige Satz in CTh. 16.5.11 unvollständig ist: Ac si qui extiterit, qui tam evidenter vetita transcendat, permissa omnibus facultate, quos rectae observantiae cultus et pulchritudo delectat, communi omnium bonorum conspiratione pellatur, »Und wenn es einen geben sollte, der diese so eindeutigen Verbote übertritt, so soll er aus der Gemeinschaft aller Anständigen vertrieben werden, wobei alle [!], die die Pflege und die Schönheit der rechten Observanz erfreut, die Möglichkeit haben sollen …«. Der Ablativus absolutus permissa omnibus facultate ist unvollständig, sei es aufgrund einer gewagten Brachylogie, sei es (eher) aufgrund eines textkritischen Problems. Mommsen schreibt im Apparat der Ausgabe »expectamus facultate accusandi quos«, doch freilich wäre auch deferendi eine Möglichkeit (vgl. CI. 9.11.1 § 1, sit etiam servo licentia deferendi). 130 So etwa bei Ragg (passim, vgl. z. B. S. 29 f., S. 95, und seinen Index, wo der Eintrag crimen publicum auf crimen laesae maiestatis verweist; übrigens scheint keiner der von ihm zitierten mittelalterlichen Juristen diese Fehlidentifikation vorzunehmen) oder bei Kunz, S. 545 Anm. 22. Genauso verkehrt ist es, crimen publicum als »staatliches« Verbrechen im Gegensatz zu einem kirchlichen anzusehen (so Gaudemet 1989, S. 613: »Faute religieuse, mais aussi ‹ crime public › [mit Verweis auf unsere Stelle], l’hérésie relève des tribunaux de l’Église et de ceux de l’État«). Falsch ist

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Der Terminus crimen publicum erscheint ansonsten sehr selten in der Heterodoxengesetzgebung. In Nov. Val. 18 § 2 (445) erfolgt hinsichtlich der Manichäer eine ausdrückliche Bestätigung. Unter Kaiser Leo (CI. 1.11.8 pr., 472?) werden Übertretungen des heidnischen Kultverbots zum crimen publicum erklärt; CTh. 16.10.12 § 1 (392) gewährt aber bereits jedermann das Anklagerecht im Falle von blutigen Opfern. 2. Quos bonorum etiam publicatione persequimur, quae tamen cedere iubemus proximis quibusque personis, ita ut ascendentium vel descendentium vel venientium ex latere cognatorum usque ad secundum gradum velut in successionibus ordo servetur. Quibus ita demum ad capiendas facultates esse ius patimur, si non et ipsi pari conscientia polluuntur. 2. Wir verfolgen diese Leute auch durch Einzug ihres Vermögens. Allerdings sollen sie dieses – so bestimmen wir – ihren nächsten Verwandten übertragen, wobei die Reihenfolge der Aszendenten, Deszendenten und der Kognaten aus der Seitenlinie bis zum zweiten Grad wie bei Nachlässen einzuhalten ist. Wir gewähren diesen nur insoweit das Recht zum Erhalt des Vermögens, als sie sich nicht auch selbst durch eine gleichartige Schuld 131 besudeln.

Sofern uns keine Regelung fehlt (und man die kurze Bemerkung in CTh. 16.5.18 von 389 nicht allzu weit auslegen will, → S. 464), sollte der sofortige Vermögensentzug streng genommen bislang nur für manichäische Anachoreten gelten; spätestens ab jetzt wird er auf sämtliche Manichäer ausgedehnt. Wiederum geht es dem Kaiser nicht um die Bereicherung der Staatskasse, denn das Vermögen kann in der Familie verbleiben, sofern sich rechtgläubige 132 nahe Verwandte finden. Die Vergabe soll velut in successionibus geschehen. Damit ist aber nicht die allgemeine Intestaterbfolge (→ S. 266) gemeint, sondern die sehr spezifische Liste der »zehn Personen«, die das ebenso die Vorstellung, »l’eresia è, per definizione, un crimen publicum« (so De Giovanni, S. 78, mit Verweis nur auf die vorliegende Stelle). 131 Zu conscientia i. S. v. »Schuld« aus Sicht eines anderen (z. B. des Gesetzgebers), d. h. nicht als subjektives Schuldgefühl, vgl. auch CTh. 9.1.19 § 1 (423), cum veteris iuris auctoritas de se confessos ne interrogari quidem de aliorum conscientia sinat; nemo igitur de proprio crimine confitentem super conscientia scrutetur aliena, »[die Aussagen geständiger Verbrecher bezüglich Komplizen darf man nicht beachten], da die alten juristischen Autoritäten nicht einmal ein Verhör von jemandem, der hinsichtlich seiner eigenen Person gestanden hat, über die Schuld [conscientia] anderer zulassen. Es soll also niemand eine Person, die ihr eigenes Verbrechen eingesteht, über fremde Schuld [conscientia] befragen«. 132 Dem Wortlaut nach könnten streng genommen sogar »häretische, aber nichtmanichäische« Verwandte profitieren; aber ob dies in der Praxis gerichtlich durchsetzbar gewesen wäre, scheint sehr fraglich.

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prätorische Edikt gegenüber dem Manumissor eines emanzipierten Haussohns bevorzugte. Das zeigt die unmittelbar vergleichbare Regelung von CI. 5.9.1 (380). Dies ist ein Gesetz gegen vorschnelle Wiederheirat von Witwen (→ S. 299). § 3 legt fest, dass eine solche Witwe verliert, was ihr der verstorbene Ehemann testamentarisch zugewandt hatte. Stattdessen profitieren gewisse nahe Verwandte des Verstorbenen, ersatzweise der Fiskus: primo a decem personis edicto praetoris enumeratis, id est adscendentibus et descendentibus et ex latere usque ad secundum gradum, scilicet gradibus servatis, deinde praesumi a fisco iubemus. Wir ordnen an, dass [ihre letztwillig verfügte Erbschaft vom verstorbenen Mann, die nunmehr kaduk ist] zunächst von den »zehn Personen«, die das prätorische Edikt aufzählt (d. h. von den Aszendenten, den Deszendenten und den Seitenverwandten bis zum zweiten Grad, freilich unter Beachtung der Gradnähe), erst dann vom Fiskus beansprucht wird.

Die genaue Liste der zehn Personen (eher richtig: Personenklassen) finden wir in einer Ulpianstelle (Coll. Mos. 16.9.2 aus den Institutionen Ulpians, vgl. auch I. 3.9.3): Quod si is qui decessit liber fuit nec ex remancipatione manumissus, lex quidem duodecim tabularum manumissori legitimam hereditatem detulit, sed praetor aequitate motus decem personas cognatorum ei praetulit has: patrem matrem, filium filiam, avum aviam, nepotem neptem, fratrem sororem, ne quis occasione iuris sanguinis necessitudinem vinceret. Wenn aber derjenige, der verstorben ist, frei war und ohne Remanzipation [an seinen leiblichen Vater] freigelassen, trug das Zwölftafelgesetz dem Manumissor [d. h. dem hausfremden Manumissor, der an der Emanzipation mitwirkte] die gesetzliche Erbschaft an, 133 doch aus Billigkeitserwägungen zog ihm der Prätor die folgenden zehn Personen von Verwandten vor: Vater – Mutter – Sohn – Tochter – Großvater – Großmutter – Enkel 134 – Enkelin – Bruder – Schwester, damit nicht jemand aufgrund einer durchs Recht bereitgestellten günstigen Gelegenheit über die Blutsverwandtschaft triumphiere.

Diese Ulpianstelle erlaubt eine plausible Vermutung, weswegen Theodosius 380 und Honorius 407 auf genau diese Liste zurückgreifen. Die Idee ist folgende: Eigentlich steht das Vermögen jemand anderem zu (Manumissor/Fiskus); aufgrund von Gerechtigkeitserwägungen macht man aber eine Ausnahme für 133 Für die Konstellation vgl. Kaser I, S. 68 f. 134 Enkel, nicht Neffe, wie stets in juristischen Quellen, vgl. auch I. 3.9.3 zu den decem

personae (nepos neptis tam ex filio quam ex filia); zudem befindet sich ein Neffe natürlich im dritten Verwandtschaftsgrad.

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eine eng begrenzte Gruppe von unmittelbaren Verwandten, die abschließend aufgezählt werden. Gibt es keine solchen engen Verwandten, dann kann das Geld auch an den juristisch eigentlich Berechtigten gehen. Dass der Kontext ein völlig anderer ist (bonorum possessio im Fall des ohne Remanzipation Emanzipierten versus Verbleib des Familienvermögens eines enteigneten Manichäers), spielt für den Gerechtigkeitsgehalt der Liste – die unmittelbaren Verwandten, die zu übergehen Frevel wäre – keine Rolle. Dieser Befund wird bestätigt durch CTh. 9.42.9, ein Fragment aus einem weiteren theodosianischen Gesetz des Jahres 380, in dem es um das Vermögen von Hingerichteten geht: Dieses solle zunächst vollständig (!) Kindern oder Enkeln zufallen (pr.), gegebenenfalls den Urenkeln (pr. a. E., diese bekommen aber nur die Hälfte); sollte es diese allesamt nicht geben, erben die Eltern des Hingerichteten ein Drittel (§ 1); sollten auch diese nicht mehr am Leben sein, erhalten die Großeltern väterlicherseits sowie die Geschwister des Hingerichteten insgesamt ein Viertel (§§ 2, 3); der Rest (bzw. alles, sofern die genannten Gruppen – also die decem personae, sieht man von den Urenkeln ab – nicht existieren) fällt an den Fiskus (§ 3 a. E.). Der Personenkreis innerhalb der Manichäerfamilie, der vor dem Fiskus profitiert, wurde immer weiter verkleinert: zunächst alle Intestaterben (381 – damals ging es um Erbschaften, nicht um das konfiszierte Vermögen; sui mussten nicht einmal selbst orthodox sein), dann – sofern orthodox – die Hauskinder und Agnaten (382), jetzt der reduzierte Kreis der »zehn Personen«, ebenfalls unter der Voraussetzung ihrer Rechtgläubigkeit. 3. Ipsos quoque volumus amoveri ab omni liberalitate et successione quolibet titulo veniente. 4. Praeterea non donandi, non emendi, non vendendi, non postremo contrahendi cuique convicto relinquimus facultatem. 3. Wir verordnen, dass sie auch von jeder Freigebigkeit und jeder Erbschaft fernzuhalten sind, ganz gleich unter welcher Bezeichnung diese erfolgen mag. 4. Des Weiteren lassen wir keinem Überführten die Fähigkeit zu schenken, zu kaufen, zu verkaufen, schlichtweg überhaupt zu kontrahieren.

Der Entzug der Fähigkeit, Schenkungen und Erbschaften zu erhalten, wird erneut bestätigt; diese Bestimmung ist auch nach einem Vermögensentzug sinnvoll, will man künftige Geldflüsse an manichäische Erwählte verhindern. Das Gleiche gilt für den vollständigen Entzug der Geschäftsfähigkeit, der eine mögliche fraus legis durch Umgehungsgeschäfte verhindert. Es mag überraschen, dass diese so einschneidende Regelung nur nebenbei (sozusagen als Steigerung des Schenkungsverbots) gegeben und nicht weiter erläutert wird. Hintergrund ist wiederum, dass man eine Regelung, die zuvor für Donatisten

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erlassen wurde (CTh. 16.6.4 § 3, 404/5), nun in die Manichäergesetzgebung übernimmt. Dass das eben angegebene Telos (Verhinderung von Umgehungsgeschäften) richtig ist, zeigt der Wortlaut der Donatistenbestimmung: adipiscendi aliquid sub specie [!] donationis vel agitandorum contractuum in perpetuum copiam denegatam, »[dass ihnen] die Fähigkeit, etwas unter dem Vorwand einer Schenkung oder eines Vertragsschlusses zu erlangen, auf immer versagt sei« (→ S. 558). Dies ist eines von mehreren Beispielen dafür, wie sich Manichäer- und Donatistengesetzgebung unter Honorius gegenseitig beeinflussen, ohne aber dass man den einfachen Schritt gegangen wäre, gemeinsame Gesetze gegen Manichäer und Donatisten zu erlassen. Wir werden im nächsten Kapitel sehen, wie die erbrechtlichen Sanktionen von der Manichäergesetzgebung zu den Donatisten hindiffundieren, und wir werden im vorliegenden Gesetz noch mehrfach Regelungen finden, die man direkt aus der Donatisten- in die Manichäergesetzgebung übernimmt (§§ 6, 7 und 8). Der Entzug der Geschäftsfähigkeit wird hinsichtlich der Manichäer in Nov. Val. 18 § 3 (445) noch einmal kurz und bündig bestätigt: contractus liberos omnino non habeant, »sie sollen generell nicht die Fähigkeit des freien Kontrahierens haben« – ein weiteres Beispiel neben crimen publicum dafür, wie Nov. Val. 18 die einzelnen Regelungen der vorliegenden Konstitution aufgreift und erneut bestätigt. 5. In mortem quoque inquisitio tendit. Nam si in criminibus maiestatis licet memoriam accusare defuncti, non inmerito et hic debet subire iudicium. Ergo et suprema illius scriptura irrita sit, sive testamento sive codicillo sive epistula sive quolibet genere reliquerit voluntatis qui aut Manichaeus aut Fryga aut Priscillianista fuisse convincitur, hoc quoque casu eadem illa circa gradus superius comprehensos condicione servata: alioquin nec filios heredes existere aut adire permittimus, nisi a paterna pravitate discesserint: delicti enim veniam paenitentibus damus. 5. Die Untersuchung erstreckt sich auch gegen Tote.135 Denn wenn es bei Majestätsverbrechen möglich ist, die Erinnerung an einen Toten anzuklagen, dann muss sie sich auch hier mit gutem Recht einem Urteilsspruch stellen. Folglich sei die letztwillige Verfügung einer [verstorbenen] Person, die Manichäer, Phryger oder Priscillianist gewesen zu sein überführt wurde, ungültig, ganz gleich, ob sie sie in Form eines Testaments, eines Kodizills, einer Epistula oder in welcher Form von Verfügung auch immer hinterlassen hat. Dabei soll auch in diesem Fall dieselbe Bedingung hinsichtlich der oben genannten Verwandtschaftsgrade Berücksichtigung finden. Ausdrücklich erlauben wir nicht einmal Abkömmlingen, als Erben aufzutreten oder die Erbschaft anzutreten, wenn sie 135 Zu Ausdrücken, die in mortem vergleichbar sind, vgl. OLD s. v. mors 3; ThLL

8.1504.41–8.1504.69.

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manichäer sich nicht von der Verworfenheit ihres Vaters distanziert haben. Denn Vergebung für ein Delikt gewähren wir [nur] den Bereuenden.

Ganz wie bei der postumen Anklage beim Majestätsprozess (→ S. 443) profitiert der Staat – nur dass wiederum für einen beschränkten Kreis von Intestaterben, die decem personae, aus Billigkeitsgründen eine Ausnahme gemacht wird. Freilich dürfen diese Intestaterben selbst nicht Manichäer sein – nicht einmal (so ist nec zu verstehen) für die direkten Abkömmlinge wird hier ein Auge zugedrückt (anders noch 381, als sui, selbst als Manichäer, erben konnten, → S. 439). Die Formulierung heredes existere aut adire zeigt rechtliche Präzision: Sie bezieht sich darauf, dass Nachkömmlinge einerseits sui sein können und dann ipso iure erben (heredes existere), andererseits, falls sie emanzipiert sind, die ihnen testamentarisch überlassene Erbschaft erst formal antreten (adire) müssen. Dass dies explizit erwähnt wird, erklärt sich gewiss damit, dass manichäische sui nach der Regelung von 381 noch erben konnten – jetzt haben sie nicht mehr Rechte als Deszendenten, die keine Haussöhne sind. 136 Zur Formulierung suprema illius scriptura irrita sit vgl. Ulp. D. 28.3.6.11, Sed ne eorum quidem testamenta rata sunt, sed irrita fient, quorum memoria post mortem damnata est, ut puta ex causa maiestatis, vel ex alia tali causa, »Aber nicht einmal die Testamente derjenigen sind gültig, sondern werden ungültig, deren Andenken postum verurteilt wird, etwa in einem Majestäts- oder einem anderen derartigen Prozess«. Wiederum fällt die Ausführlichkeit desjenigen auf, der das vorliegende Gesetz formulierte und der explizit nach Testament auch noch Kodizill und Epistula (→ S. 268) aufzählte und sich auch gegen »alle anderen« Formen absicherte. Das Thema paenitentia von Häretikern ist Kaiser Honorius in dieser Zeit sehr wichtig. Wenige Monate nach der vorliegenden Konstitution lässt er ein 136 Hillner, S. 105: »In the same year Honorius also stipulated that heirs of convicted

heretics could not receive their inheritance ›unless they abandon the depravity of their fathers …‹ … Such heirs were clearly not formally accused of heresy, let alone convicted, but could not inherit due to the conviction of a capital crime, and hence infamy, of their fathers«. Das Gesetz nennt ausdrücklich drei (bzw. zwei) Gruppen, nicht generisch »Häretiker«; es geht um ein crimen publicum (nicht um ein crimen capitale); die Verurteilung in einem iudicium [!] publicum führte zu Infamie, es gibt aber wenig Anlass zu glauben, dass die Verurteilung wegen eines neuartigen crimen publicum, über das im Kognitionsverfahren gerichtet wurde, automatisch Infamie zur Folge hatte; freilich waren Manichäer ohnehin infam; und dass die Erben nicht von ihren infamen Aszendenten hätten erben können, bleibt unbelegt und ist falsch (→ S. 382).

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weiteres Gesetz (CTh. 16.5.41 vom 15. November 407) veröffentlichen, in dem er Häretikern (Donatisten und Manichäer werden explizit genannt) auch durch späte Reue die Rückkehr zur Orthodoxie und damit Schutz vor seinen Häretikergesetzen ermöglicht. Dieses Gesetz muss vor allem im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit den Donatisten gesehen werden (die katholischen Bischöfe in Afrika waren hinsichtlich später Reue weniger konziliant, → S. 565). Trotz aller Ausführlichkeit des vorliegenden Gesetzes fehlt eine Regelung der Fristen. Dass die ursprüngliche Rückwirkungsgrenze 372 nicht mehr erscheint, braucht bei einem Gesetz von 407 nicht zu verwundern. Was man aber vermisst, ist eine Stellungnahme zu der durch Gratian verfügten Beschränkung auf fünf Jahre (→ S. 461), d. h. ihre Bestätigung oder Ablehnung. Offensichtlich ist keine solche Ausschlussfrist vorgesehen, denn das Majestätsverbrechen, auf das ja explizit Bezug genommen wird, kennt keine derartige Verjährung. Dass aber eine ausdrückliche Ablehnung fehlt (wie sie etwa in CTh. 16.7.7 hinsichtlich Apostaten vorliegt), könnte darauf hindeuten, dass die Frist aus der Gratian-Konstitution außer Gebrauch geraten war. 6. Servos etiam extra noxam esse volumus, si dominum sacrilegum relinquentes 137 ad ecclesiam catholicam servitio fideliore transierint. 6. Wir bestimmen ferner, dass Sklaven kein Delikt begehen, wenn sie einen frevelhaften Herrn verlassen und in einem treueren Dienst zur katholischen Kirche übergehen.

Beim Thema orthodoxe Sklaven mit heterodoxen Herren interessiert sich der spätantike Gesetzgeber in erster Linie für jüdische Eigentümer, wahrscheinlich aufgrund des empfindlichen Themas der Beschneidung, die einen ebenso unerhörten wie unwiderruflichen Missbrauch des Sklaven darstellte. Der ganze Titel CTh. 16.9 ist nur diesem einen Thema, christlichen Sklaven mit jüdischen Herren, gewidmet. Anders als der Titel Ne Christianum mancipium Iudaeus habeat nahelegt, schwankt die rechtliche Behandlung, und mitunter (z. B. unter Honorius, CTh. 16.9.3 von 415) bleibt Juden das Eigentum an christlichen Sklaven durchaus erhalten, solange sie nicht in deren freie Religionsausübung eingreifen. Während das Thema hinsichtlich jüdischer Herren eine gewichtige Rolle in der Gesetzgebung spielt, scheint es im Rahmen der sonstigen Heterodoxengesetzgebung überraschend selten auf. Wir kennen vor Justinian (Komplettverbot: CI. 1.10.2) überhaupt nur ein einziges Gesetz, das 137 Das überlieferte dominum sacrilegum revertentes stand mit Sicherheit nicht so in der

Originalkonstitution (wohl aber im Archetyp des Codex Theodosianus: → S. 240).

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die Frage christlicher Sklaven in heidnischem Eigentum behandelt, nämlich Sirm. 6 von 425: Quibus Christianae legis nolumus servire personas, ne occasione dominii sectam venerandae religionis inmutent, »wir verbieten, dass ihnen [nämlich Juden und Heiden] Personen christlicher Religion als Sklaven dienen, damit sie nicht aufgrund ihrer Stellung als Herr die Zugehörigkeit zur ehrwürdigen Religion verändern«. Doch ausgerechnet dieser Satz wurde (versehentlich oder absichtlich) weggelassen, als man aus Sirm. 6 für den Codex Theodosianus exzerpierte (→ S. 221). Pagane Sklavenhalter kommen also fast gar nicht in den Gesetzestexten vor, und die Situation ist bei häretischen Herren nur wenig anders. Außer dem vorliegenden scheinen vor Justinian (wieder CI. 1.10.2) nur zwei Gesetze diese Konstellation zu thematisieren, nämlich CTh. 16.6.4 von 404/5 und CTh. 16.5.65 von 428. CTh. 16.6.4, die direkte Vorlage der hier vorliegenden Konstitution, wird im Donatistenkapitel ausführlich besprochen, hier sei nur erwähnt, dass § 2 (→ S. 557) Sklaven, die zur Wiedertaufe gezwungen werden sollen, die Möglichkeit gibt, sich zu Kirchen zu flüchten und die Freiheit zu erlangen. Der Unterschied ist augenfällig: Nicht jeder orthodoxe Sklave eines Donatisten kann seinen Herrn rechtlich abgesichert verlassen, sondern ausschließlich der, der zur (von den Orthodoxen besonders verabscheuten) Wiedertaufe gezwungen werden soll. Bei den wie stets am schlechtesten gestellten Manichäern existiert keine solche Voraussetzung. Der Sklave des Donatisten erlangt die Freiheit, derjenige des Manichäers bleibt hingegen Sklave, mit der Kirche als neuer Eigentümerin. 138 Eine mögliche Erklärung hat Langenfeld (S. 121) gegeben, nämlich dass sämtliche Modifikationen zwischen dem Manichäer- und dem älteren Wiedertäufergesetz – nämlich Herrenwechsel statt Freiheit, häretischer Herr ausreichend statt Erfordernis einer konkret bevorstehenden Tathandlung, nachträglicher Übertritt zum Katholi138 Denn so wird man wohl servitio fideliore auffassen müssen (vgl. Delmaire I, S. 286 f.

Anm. 2); wäre eine Befreiung vorgesehen, würde man doch – wie im Donatistengesetz CTh. 16.6.4 – die libertas explizit genannt erwarten. Dass Sklaven von Heterodoxen zwar ihren Herren weggenommen werden, ohne damit jedoch die Freiheit zu erlangen, kommt im Fall der Juden öfter vor, vgl. CTh. 16.9.2 (339), Si aliquis Iudaeorum mancipium sectae alterius seu nationis crediderit comparandum, mancipium fisco protinus vindicetur, »Wenn ein Jude glaubt, er müsse einen Sklaven einer anderen Religion oder Nation kaufen, dann soll dieser Sklave unverzüglich für den Fiskus beschlagnahmt werden«; CTh. 16.8.22 (415), Mancipia quoque Christianae sanctitatis si qua apud se retinet, secundum Constantinianam legem ecclesiae mancipentur, »Ferner sind Sklaven christlicher Religion, sofern er solche bei sich haben sollte, gemäß einem Gesetz von Konstantin der Kirche zu übereignen« (vgl. Langenfeld, S. 70–72).

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zismus hinreichend statt Notwendigkeit der vorherigen Zugehörigkeit – ausnahmslos im Interesse der Kirche liegen. Das andere genannte Gesetz, CTh. 16.5.65 von 428, verbietet in § 4 (→ S. 778) häretischen Herren, ihre katholischen Sklaven wiederzutaufen oder sie an der Religionsausübung zu hindern. Bei Zuwiderhandlungen wird der Herr bestraft, und zwar unter anderem durch ein Testierverbot. Über den Sklaven wird in CTh. 16.5.65 nichts bestimmt. Als Fazit könnte man festhalten, dass das Eigentum an orthodoxen bzw. christlichen Sklaven zunächst nur im Fall jüdischer Herren als Problem angesehen wurde, und zwar fraglos aufgrund der latent drohenden Gefahr einer Beschneidung. Rechtlicher Regelungsbedarf entstand erst, als bestimmte Donatisten anfingen, in skandalösem Umfang ihre Abhängigen wiederzutaufen; das wissen wir aus externen Quellen (→ S. 512). Damit gab es neben den Juden eine weitere Gruppe, die konkrete Missbrauchshandlungen an den Sklaven vornahm, sodass sich der Kaiser zum Eingreifen verpflichtet sah. Infolgedessen kam es zu einer speziellen Regelung gegen die Donatisten in dem Gesetz von 404/5 (→ S. 557). Als wenige Jahre später die vorliegende Konstitution gegen die Manichäer entstand, baute man nach dem Vorbild des Donatistengesetzes auch hier eine entsprechende Regelung ein. 7. Praedium, quo se huiusmodi hominum coetus, domino, etsi non communione criminis implicato, sciente tamen nec prohibente, contraxit, patrimonio Nostro societur, ac, si dominus ignoravit, actor vel procurator possessionis coercitus plumbo perpetuo 139 metallorum operi deputetur, conductor, si ingenuus 140 est, deportabitur.

139 Beide Handschriften überliefern das unsinnige perpetui. Godefroy schreibt kommen-

tarlos perpetuo (Gothofredus, S. 177; offenbar hält er dies für die Lesung der Handschriften), Mommsen setzt ebenso kommentarlos perpeti in den Text, das paläografisch genauso nah oder weit von perpetui entfernt ist wie perpetuo. Möglicherweise wollte Mommsen die unschöne (und trotz gleicher Endung syntaktisch nicht zusammengehörige) Folge plumbo perpetuo vermeiden. Jedoch erscheinen Formen des gehobenen perpes sonst nur in gleichsam positiven Kontexten innerhalb der Rechtstexte: So wird perpes regelmäßig mit firmitas kombiniert, ferner auch mit auctoritas, z. B. CTh. 14.15.6 (400?), perpeti auctoritate sancimus (in CI. 11.23.3 § 1 zu perpetua modifiziert), sowie mit privilegium und dominium – aber nie, soweit ich sehe, mit Strafen, die doch oft genug »auf ewig« angedroht werden. In diesem Zusammenhang finden sich hingegen regelmäßig Formen des weniger hochtrabenden Worts perpetuus, z. B. CTh. 8.5.17 § 1 von 365?, metalli perpetua supplicia; CTh. 2.14.1 von 400, perpetuis metallorum suppliciis. 140 Überliefert ist si idoneus est, was freilich im Kontext keinerlei Sinn ergibt. Angesichts der Parallelen (CTh. 16.5.21, si ingenuus est; CTh. 16.5.65 § 3, si sit ingenuus; jeweils in gleichartigen Bestimmungen, d. h. als Regelung für den freien Pächter, der Ver-

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manichäer 7. Ein Landgut, auf dem eine Versammlung solcher Menschen zusammentrat und dessen Eigentümer – selbst wenn er nicht am eigentlichen Verbrechen beteiligt war – davon wusste, es aber nicht verhinderte, soll Unserem Vermögen zugeschlagen werden. Wenn der Eigentümer nichts davon gewusst hat, soll ein Geschäftsführer bzw. Verwalter des Guts mit Bleigeißeln ausgepeitscht und zu lebenslanger Bergwerksarbeit verurteilt werden. Ein Pächter wird, sofern er frei ist, deportiert.

Diese Regelung stammt ursprünglich aus dem Zehnpfundgoldgesetz von Theodosius I., CTh. 16.5.21 von 392 (→ S. 500), das vor allem im Kontext der Donatistengesetzgebung größte Wichtigkeit erlangte. Wenn wir die Bestimmung hier auf die Manichäer angewendet finden, handelt es sich – wie bei den Sklaven – um eine Übernahme aus den Regelungen, die für wiedertaufende Donatisten gelten (nämlich aus CTh. 16.6.4 von 404/5, → S. 555). Das Prinzip, das uns aus etlichen Konstitutionen 141 vertraut ist, ist stets dasselbe: Das Landgut wird eingezogen, sofern dem Eigentümer die Abhaltung der häretischen Versammlung vorzuwerfen ist. Falls diese aber ohne sein Wissen geschah, muss die tatsächlich verantwortliche Person büßen, wobei zwischen freiem Pächter (conductor) und unfreiem Verwalter (actor, procurator) unterschieden wird (→ S. 241362). Nach dem Zehnpfundgoldgesetz sammlungen zulässt) kann nicht bezweifelt werden, dass in der Originalkonstitution si ingenuus est stand. Dass diese offensichtliche Emendation in der Mommsen-Ausgabe nicht einmal im Apparat erwähnt wird, illustriert die methodischen Schwierigkeiten, denen ein CTh.-Herausgeber gegenübersteht (→ S. 242). Die Idee selbst ist übrigens uralt: Bereits Godefroy (Gothofredus, S. 179) diskutiert diese augenfällige Verbesserung, die anscheinend zuerst von Petrus Burgius im Jahr 1585 vorgeschlagen wurde. (Godefroy selbst lehnt sie übrigens mit einem recht merkwürdigen Argument ab: idoneus sei plausibel, weil die drohende Strafe die Deportation sei; die Deportation umfasse die Vermögenskonfiskation, wofür der Betroffene erst einmal Vermögen haben – sprich: idoneus sein – müsse.) 141 Zu diesem Thema handelt Kunz, doch ihre Grundthese beruht auf einem Missverständnis (S. 539 f.): »Die Kaiser verfolgten eine zweigleisige Strafstrategie. Während die haeretici aus der Gemeinschaft gänzlich ausgegrenzt werden sollten (siehe insbesondere C.Th. 16.5.58.6), galt ihren Helfern zur Abschreckung eine Art Warnschuss«. Tatsächlich richtet sich CTh. 16.5.58 in der Hauptsache ganz ausdrücklich gegen eunomianische Kleriker. Der Unterschied ist also nicht zwischen haeretici und ihren Helfern (wer immer das sein mag: hilfsbereite Katholiken etwa?), sondern zwischen häretischen Klerikern und (offenbar häretischen) Laien; und im Fall des Ermöglichens von Kultversammlungen werden (ausnahmsweise) auch Laien sanktioniert, und zwar nicht für ihren Glauben an sich, sondern für eine spezielle Tathandlung. Sind die Ermöglicher nicht die Eigentümer der Immobilien, sondern die Verwalter, so sind die Strafen übrigens keineswegs »Warnschüsse«, sondern regelmäßig außerordentlich brutal.

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muss der freie Pächter zehn Pfund Gold Strafe zahlen, der unfreie Verwalter wird gegeißelt und deportiert. In frühen Eunomianergesetzen (→ S. 661) findet sich sogar die Todesstrafe gegen den procurator (der freie Pächter bleibt jeweils unerwähnt). Das Donatistengesetz von 404/5 nennt zwar sowohl den freien conductor wie den unfreien procurator, differenziert aber nicht in der Strafzumessung, sondern legt für beide die Stäupung mit Bleigeißeln und das lebenszeitliche Exil fest. CTh. 16.5.57 von 415 gegen Montanisten ignoriert freie Pächter, bedroht aber den procurator mit Prügel und Exil. CTh. 16.5.65 von 428 scheint sich direkt auf das vorliegende Gesetz zu beziehen: Als Strafe für den Unfreien erscheinen dort Prügel und Bergwerk (was sich sonst nur in CTh. 16.5.40 findet); für den Freien nennt CTh. 16.5.65 zwar auch das exilium (sprich: die Deportation) aus CTh. 16.5.40, zusätzlich aber als alternative Strafe die zehn Pfund Gold aus dem Zehnpfundgoldgesetz. Das erklärt sich daraus, dass CTh. 16.5.65 hier nicht neu regelt, sondern lediglich den vorhandenen Regelungsbestand summarisch bekräftigt; man kann daher zwei verschiedene Strafen aus zwei unterschiedlichen Gesetzen – die also jeweils bestätigt werden – ohne Weiteres nebeneinander nennen. 142 8. Rector provinciae, si haec crimina dissimulatione vel gratia delata distulerit aut convicta neglexerit, sciat se multa viginti librarum auri feriendum. Defensores quoque et principales urbium singularum nec non et officia provincialia decem librarum auri poena constringet, nisi in his, quae a iudicibus super hoc praecepta fuerint, exsequendis et sagacissimam curam et sollertissimam operam commodarint. Dat. VIII kal. Mart. Romae Honorio VII et Theodosio II AA. conss. 8. Provinzstatthalter müssen wissen: Wenn sie diese Verbrechen nach einer Anzeige aufgrund von Konnivenz oder Kumpanei auf die lange Bank schieben oder sie nach ihrem Erweis ignorieren, werden sie mit einer Geldstrafe von 20 Pfund Gold belegt. Die Defensoren und die Prinzipale der einzelnen Städte sowie die Mitglieder der Provinz-Officia werden mit 10 Pfund Gold bestraft, wenn sie nicht bei der Ausführung dessen, was ihnen von den Statthaltern in dieser Angelegenheit aufgetragen wird, umsichtigste Sorge und allergrößte Mühe aufwenden. Abgeschickt am 8. Tag vor den Kalenden des März in Rom unter dem Konsulat der beiden Kaiser Honorius (zum 7. Mal) und Theodosius (zum 2. Mal). [22. Februar 407] 142 Vgl. ferner → S. 241 für Sirm. 16, eine Konstitution zu einem ganz anderen Thema

(Freisetzung von Personen, die von Barbaren verschleppt wurden), die aber ebenfalls getrennte (und den vorliegenden ähnliche) Strafen für den zuwiderhandelnden actor bzw. conductor festsetzt.

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Der Paragraf zu den Amtsstrafen zeigt erneut, dass das Donatistengesetz von 404/5 (→ S. 562) die Blaupause der vorliegenden Manichäerkonstitution war. Es werden in beiden Gesetzen jeweils exakt dieselben vier Kategorien Statthalter, Officium des Statthalters, Defensoren und Prinzipale 143 erwähnt; im Donatistengesetz müssen alle jeweils 20 Pfund Gold bezahlen, hier nur der Statthalter selbst, während die Strafe für die anderen lediglich zehn Pfund Gold beträgt. Man hat hier also ganz ausnahmsweise festzustellen, dass Strafen im Zusammenhang mit Manichäismus niedriger bemessen sind als bei einer anderen Häresie. Dem dürfte kaum ein klarer gesetzgeberischer Willen zugrunde gelegen haben; denn mit Sirm. 12 (November 407) werden 20 Pfund Gold Strafe für Statthalter, Officium und Stadträte bestätigt, und zwar sowohl hinsichtlich der Einhaltung der Donatisten- wie auch der Manichäergesetzgebung. Nach Sirm. 12 folgt eine Lücke von rund 15 Jahren, während der uns nicht einmal Bestätigungen der Manichäergesetze überliefert sind. Dann bestimmt das theodosianische Gesetz CTh. 16.5.59 im April 423, dass Manichäer, ferner diverse andere, namentlich aufgezählte Gruppen sowie »alle anderen Häretiker« nach Maßgabe der Gesetze zu bestrafen seien, sofern sie gegen diese verstoßen (ohne auf den Inhalt dieser Gesetze zu rekurrieren). Diese blutleere Bestimmung erklärt sich dadurch, dass es sich um eine kurze Passage in einer längeren Konstitution (→ S. 681118) handelt, die eigentlich Juden betrifft (CTh. 16.8.26, CTh. 16.9.5) und nur nebenbei erwähnt, dass sich für Heiden (CTh. 16.10.22) und Häretiker (das vorliegende Fragment) nichts ändert. Zwei Monate später ergeht eine weitere Sammelkonstitution von Theodosius II., die Regelungen für Juden (CTh. 16.8.27), Eunomianer, Arianer, Makedonianer und andere Häretiker (CTh. 16.5.60) sowie Heiden (CTh. 16.10.23 f.) trifft. In einem der beiden Heidenfragmente versteckt sich aufgrund eines Aufteilungsfehlers (→ S. 143) eine weitere Häretikerbestimmung (CTh. 16.10.24 pr.). Darin (→ S. 471) werden Manichäer, Montanisten und Abweichler im Osterdatum mit Enteignung und Exil (nicht aber mit erbrechtlichen Nachteilen) bedroht. Im Westen erscheinen Manichäer in dieser Zeit neben »allen Häretikern und Schismatikern« als Personen, die man auf Sichtweite von den Städten fernhalten müsse (Sirm. 6, → S. 65). 143 Die Defensoren wurden in den einzelnen Städten zum Schutz der einfachen Leute

gegen den Lokaladel eingesetzt (und dafür mit gewissen Befugnissen ausgestattet), vgl. Jones, S. 144 f.; Feissel 2017, S. 480–483; Frakes, insb. S. 167–178; Mannino. Prinzipale sind die wichtigsten Männer im lokalen Stadtrat, vgl. Jones, S. 731 (mit III, S. 230 Anm. 41); Delmaire I, S. 250 Anm. 1; Horstkotte 2000; Laniado 2002, S. 201–211; Ausbüttel, S. 17–22.

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Von erbrechtlichen Sanktionen gegen die Manichäer hören wir erst wieder im großen Sammelgesetz von 428 (CTh. 16.5.65, → S. 773), ausdrücklich werden sie später noch einmal durch Valentinian III. im Westen bestätigt (Nov. Val. 18, → S. 788).

Manichäer in der praktischen Rechtsanwendung Was waren die Strafen, zu denen Manichäer in historisch dokumentierten Fällen verurteilt wurden? Zunächst einmal überrascht vielleicht, wie wenig tatsächliche Belege wir für die an Manichäern vollzogene Todesstrafe besitzen. Hinweise auf manichäische Märtyrer in der diokletianischen Verfolgung fehlen (trotz Lim 2008), 144 was aber, angesichts Diokletians Effizienz und Brutalität, nur ein Überlieferungsphänomen sein kann. Es gibt keine Belege, dass unter den christlichen Kaisern des 4. und 5. Jahrhunderts Manichäismus realiter mit dem Tod bestraft wurde (den Priscillianfall wird man nicht so konstruieren können, → S. 425) – erst bei der Manichäerverfolgung des Vandalenkönigs Hunerich (ab 477) loderten wieder die Scheiterhaufen (Vict. Vit. 2.1, ex quibus multos incendit, »viele von ihnen ließ er verbrennen«). Aus zahlreichen übereinstimmenden Quellen ergibt sich eine andere Standardstrafe gegen überführte Manichäer unter den christlichen Kaisern, nämlich die Verbannung in ihren verschiedenen Ausgestaltungen. Wir haben bereits gesehen, dass Prokonsul Messianus im Jahr 386 den Faustus und andere Manichäer auf eine Insel relegierte (→ S. 462; c. Petil. 3.25.30, c. Faust. 5.8), wobei diese Relegation eine Straferleichterung auf Bitten der katholischen Gegner war und bereits wenig später anlässlich eines kaiserlichen Thronjubiläums (vota) die Begnadigung erfolgte. Wir haben auch gesehen, dass der römische Bischof Siricius (384–399) die von ihm in Rom aufgespürten Manichäer deportieren ließ (→ S. 465). Der Kryptomanichäer Victorinus (Aug. epist. 236, nach 411, vielleicht von 418, → S. 420), der in katholischer Tar144 Lim 2008, S. 152 mit Anm. 37: »It would appear that Diocletian’s persecutions

against Manichaeans yielded some ›martyrs‹ in Egypt at any rate«. Dazu die Anmerkung: »See the Coptic hymns lauding these ›Manichaean‹ martyrs«. Aber bei dem von Lim zitierten Hymnus geht es in chronologischer Abfolge um Martyrien aus dem Alten Testament und dem apokryphen Henoch-Buch, um das Leiden Jesu Christi, die Martyrien der christlichen Apostel sowie von christlichen Märtyrerinnen aus apokryphen Apostelgeschichten, bis schließlich hin zu Mani selbst. Manichäische Märtyrer, die man chronologisch wie inhaltlich sehr gut nach dem Leiden Manis hätte erwähnen können, werden ausgerechnet nicht genannt.

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nung seine Gemeinde manichäisch indoktriniert hatte, bat Augustin um Milde, doch die konnte dieser nach dem Vorgefallenen nicht gewähren; gleichwohl besteht seine Strafe hauptsächlich in einer Vertreibung aus der Stadt 145 (Aug. epist. 236.3): sed, fateor, eius fictionem sub clerici specie vehementer exhorrui eumque coercitum pellendum de civitate curavi, »Aber, muss ich zugeben, mich hat seine Heuchelei in der Maskerade eines Klerikers extrem schockiert, und ich ließ ihn nach einer Züchtigung 146 aus der Stadt vertreiben«. Im Fall des Ursusprozesses (frühe 420er Jahre) kennen wir die verhängten Strafen nicht. Aber wir wissen, wie der römische Bischof Leo 443 mit hoffnungslos verstockten Manichäern verfuhr. Wir erinnern uns: In dem spektakulären Prozess hatten Manichäer – man darf annehmen: unter der Folter – gar grässliche Dinge gestanden, unter anderem die rituelle Vergewaltigung eines höchstens zehnjährigen Mädchens. Die meisten Manichäer fand Leo besserungsfähig, sodass sie lediglich ihren Glauben formell verdammen mussten (→ S. 490). Doch bei einigen, so Leo, waren massivere Maßnahmen geboten (Leo M. epist. 7.1): Aliquanti vero, qui ita se demerserant, ut nullum his auxiliantis posset remedium subvenire, subditi legibus secundum Christianorum principum constituta, ne sanc145 Man kann die folgende Regelung vergleichen: Im afrikanischen Konzil von 390 hatte

man bestimmt, dass ein Priester, der von seinem Bischof exkommuniziert wurde und danach trotzdem auf eigene Faust die Messe feiert, dem Anathema verfällt. Zusätzlich trifft ihn folgende Strafe: Nihilominus et de civitate in qua fuerit longius depellatur, ne vel ignorantes vel simpliciter viventes serpentina fraude decipiat, »Zudem soll er auch aus der Stadt, in der er war, auf größere Distanz vertrieben werden, damit er nicht unwissende oder einfach gestrickte Leute mit diabolischer Verschlagenheit täuschen kann« (Conc. Afr. p. 16.125–127). 146 Fraglos wurde er gegeißelt, denn Prügel und Vertreibung (bzw. Verbannung) werden gern kombiniert (vgl. z. B. CTh. 16.6.4 § 1, coercitos plumbo exilium … accipiet); zudem kann coercitio allein die Prügelstrafe bezeichnen (CTh. 16.5.54 § 8, … colonos coercitio [!] ab huiusmodi ausibus severissima vindicabit. Ac si coloni verberibus [!] coacti in proposito perduraverint, …). Auch in Augustins Sprachgebrauch geht es bei der Wortfamilie coercere zumeist um die Prügelstrafe: Aug. epist. Divj. 20.5, plagis coercitus; c. Faust. 22.25, utinam non plane ferulis, sed vel fustibus coercitus emendetur; conf. 9.9.20, verberibus coercuit; epist. 185.6.21, plagis esse coercendum; c. Parm. 3.2.14, divino flagello coercendos; wobei freilich Gegenbeispiele existieren (z. B. epist. 134.2, non tormentis ungularum atque flammarum sed virgarum coerciti; womöglich aber durch das unmittelbar vorhergehende virgarum zu erklären). Was Augustin angeht, so wissen wir, dass er einerseits potenziell lebensgefährliche Körperstrafen (etwa Auspeitschung mit der Bleigeißel, → S. 602) kompromisslos ablehnte, andererseits »Schläge mit der Rute« als Strafe empfahl, die ja (so Bischof Augustin!) auch Bischöfe als Richter verwenden (→ S. 50515).

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tum gregem sua contagione polluerent, per publicos iudices perpetuo sunt exilio relegati. Einige jedoch, die sich in solche Niederungen begeben hatten, dass ihnen keine Hilfe eines [potenziellen] Retters [noch irgendwie] nutzen konnte, wurden gemäß den Bestimmungen der christlichen Kaiser den Gesetzen unterworfen und von den staatlichen Richtern in ein lebenszeitliches Exil relegiert, damit sie nicht die heilige Herde mit ihrer Ansteckung verseuchten.

Man sieht: Selbst diejenigen, bei denen die Teilnahme an einer kultischen Kinderschändung (samt unappetitlicher Eucharistieparodie) gerichtlich festgestellt worden war, mussten anscheinend lediglich die (vergleichsweise harmlose) Relegation fürchten. In der Valentinian-Novelle, die aus dem Prozess resultierte, wird übrigens (neben erbrechtlichen Sanktionen, militia-Ausschluss usw.) explizit festgeschrieben, den Manichäern sei (Nov. Val. 18 § 3) urbium habitatione privandos, ne quis innocens talium conversatione aut societate capiatur, »die Möglichkeit des Wohnens in Städten wegzunehmen, damit nicht Unschuldige durch Umgang und Kontakt mit solchen Leuten verführt werden«. Trotz all ihrer Verkommenheiten, die der Kaiser evoziert (→ S. 419), besteht die maximale Strafe in der Vertreibung oder Verbannung. Wie bereits erwähnt, ging eine Generation später Vandalenkönig Hunerich wesentlich brutaler gegen die Manichäer vor, indem er sie verbrennen oder als Sklaven in die Fremde verkaufen ließ; Verbannungen spielten bei ihm nach Ausweis unserer Quelle (pace Decret und Lieu) keine Rolle mehr. 147 Im 6. und 7. Jahrhundert erleiden dann auch im oströmischen Reich Manichäer die Todesstrafe (→ S. 805; Rochow, S. 15 f.). Aber dies ist jenseits unseres Zeithorizonts. Während wir also eine ganze Reihe von realen Belegen für die Verbannung oder wenigstens Vertreibung von Manichäern haben, gibt es, soweit ich sehe, keinen einzigen bekannten Rechtsfall, in dem die erbrechtlichen oder verwandten Sanktionen eine Rolle gespielt hätten. Anders Lieu/Lieu (S. 174– 176), die den Anfang des sogenannten Testimonium de Manichaeis sectatoribus im Kontext der erbrechtlichen Sanktionen verstehen wollten. Da dies die

147 Die Stelle lautet: Vict. Vit. 2.1, ex quibus multos incendit, plurimos autem distraxit

navibus transmarinis. Decret I, S. 229 f., schreibt dazu: »beaucoup de Manichéens – multi – furent livrés aux flammes, note Victor de Vita ; d’autres, plus nombreux encore, chargés sur des bateaux, étaient expulsés vers l’Europe«. Ebenso Lieu (S. 203), »exiled across the seas«. Doch »ausschaffen« kann distrahere nicht bedeuten; es wird die Standardbedeutung »verkaufen« vorliegen, die auch sonst bei Victor begegnet (vgl. Vict. Vit. 1.25).

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manichäer

Kernfrage des vorliegenden Buchs berührt, sei die Stelle ausführlich kommentiert. Mindestens sieben mittelalterliche Handschriften überliefern ein antihäretisches bzw. antimanichäisches Dossier, zu dem auch das Testimonium de Manichaeis sectatoribus gehört. Es handelt sich dabei um zwei offizielle Erklärungen, die im Zusammenhang mit der Konvertierung zweier verschiedener Manichäer stehen. Der uns hier interessierende Satz ist zugleich der erste überlieferte: Ego Cresconius unus ex Manichaeis scripsi, quia, si discessero, antequam gesta subscribantur, sic sim habendus, ac si Manichaeum non anathemaverim.

Im Artikel von 1981 (in dem Lieu/Lieu für einen erbrechtlichen Bezug argumentieren) wird keine Wiedergabe geboten, doch in seinem späteren Buch von 1992 übersetzt Lieu (S. 200) folgendermaßen: I, Cresconius, one of the Manichaeans, have written [this] because if I should depart before the proceedings have been signed, so I should be considered as if I had anathemised Mani.

Man beachte, dass Lieu das non in der Übersetzung einfach weglässt! Es findet sich auch nicht in seinem lateinischen Text (Lieu, S. 201 Anm. 36), da aber die dort als Quelle angegebene Ausgabe das non sehr wohl enthält, handelt es sich am ehesten um einen Flüchtigkeitsfehler von Lieu. Hingegen bieten Lieu/ Lieu in dem früheren Artikel von 1981 (S. 174) den korrekten lateinischen Text samt non, man verzichtet dort aber, wie gesagt, auf eine Übersetzung. Allerdings entspricht bereits die damalige Inhaltsangabe von 1981 der Version mit fehlendem non: »the opening sentence implies that Cresconius is very anxious to make a statement of some sort which would establish his conversion lest he should ›depart‹ before the official gesta were properly signed« (Lieu/Lieu, S. 175). Ganz anders, wenn auch gleichsam in Lieus Sinn, übersetzt Shaw (S. 341): I, Cresconius, a member of the Manichees, have written this, because if I depart [i. e. die] before the public records are signed, I will still be held to be one, as if I had not abjured my identity as a Manichee.

Doch sim habendus bedeutet keinesfalls »I will still be held to be one«: Zwar kann im Spätlatein das Futur Passiv durch das Gerundiv umschrieben werden (Hofmann/Szantyr, S. 312 f.), aber dann müsste der Indikativ sum, nicht der Konjunktiv sim stehen. Da scribere eine Ergänzung verlangt, im Text aber das direkte Objekt fehlt, dürfte quia (wie regelmäßig in spätantiken Texten) einen Objektsatz einleiten:

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»dass«. Es handelt sich um einen Text in rechtlichem Kontext, und folglich wird scribere nach aller Wahrscheinlichkeit die juristische Bedeutung »erklären« i. S. v. »schriftlich bestätigen« (Heumann/Seckel s. v. d) tragen. Was aber bedeutet discedere? Kaum »versterben«, wie Shaw vorschlägt, denn diese ungewöhnliche und poetische Bedeutung (Blaise s. v. discedo 2) wäre hier sehr überraschend. Möglich ist die Grundbedeutung »weggehen« (so Lieu), doch am wahrscheinlichsten scheint mir wiederum die juristische Spezialbedeutung, nämlich »zurücktreten« (Heumann/Seckel s. v. 2b): Cresconius bestätigt hier ganz ausdrücklich, dass er bis zur Perfizierung des Protokolls Zeit hat, von seinem Anathema zurückzutreten, er also nicht überrumpelt wurde und mithin eine wohlüberlegte Entscheidung trifft (wer Lieus »weggehen« vorzieht, lässt Cresconius die Rücktrittsmöglichkeit per Flucht statt per Willenserklärung – letztlich bleibt sich dies aber gleich, es geht um einen Rücktritt vom Anathema). Damit lautet die korrekte Übersetzung wahrscheinlich: Ich, Cresconius, einer von den Manichäern, habe [hiermit] schriftlich erklärt, dass ich so anzusehen sei, als hätte ich Mani nicht verdammt, wenn ich vor Unterzeichnung des Protokolls [von meiner Verdammung Manis] zurücktrete.

Es wird jedenfalls nicht gelingen, den von Lieu vorgeschlagenen Sinn (»durch das, was ich hier schreibe, soll ich sofort so betrachtet werden, als wäre ich kein Manichäer mehr«) in den lateinischen Text hineinzupressen, und damit ist auch seine Deutung – ein Manichäer will den Bekehrungsprozess irgendwie beschleunigen, um eventuellen rechtlichen Schwierigkeiten bei einem anscheinend gerade virulenten Vererbungsfall zuvorzukommen – hinfällig. Genauso wenig überzeugt eine weitere Idee von Lieu/Lieu zum Testimonium de Manichaeis sectatoribus. Unmittelbar nach dem oben zitierten Stück geht der Text folgendermaßen weiter: Felix conversus ex Manichaeis dixi sub testificatione dei me omnia vera confiteri, de quo scio. Esse Manichaeos vel Manichaeas in partes Caesarienses … Ich, Felix, von den Manichäern wegkonvertiert, habe Folgendes unter Beistand Gottes gesagt: »Ich bekenne alles wahrhaft, was ich weiß. Es gibt im Territorium von Caesarea folgende Manichäer bzw. Manichäerinnen …« 148

Lieu/Lieu denken, es handele sich nicht um zwei Personen, sondern um eine einzige; man müsse »froh von den Manichäern wegkonvertiert« übersetzen, d. h., es gehe weiter um Cresconius, und Felix sei nicht Eigenname, sondern 148 Darauf folgen die Denunziationen des Felix, → S. 421.

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prädikatives Adjektiv. Zu den gewichtigen sprachlichen Gegenargumenten, die bereits Decret (1990, S. 144 Anm. 21) vorbrachte, kann man noch hinzufügen, dass »Felix« ein ganz typischer, allgegenwärtiger afrikanischer Eigenname ist; dass es ein inhaltliches Problem mit den Verben gäbe, wenn man beide dem Cresconius zuschreiben würde (scripsi … dixi); und dass die inhaltliche Deutung von Lieu/Lieu ohnehin nicht verfängt (s. o.; Lieu/Lieu meinen, die Denunziation besiegle die Konvertierung). Lieu (S. 201 Anm. 36) hat zwar die Kritik von Decret zur Kenntnis genommen, bleibt aber auch im Jahr 1992 bei seiner Meinung, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, die Gegenargumente auszuräumen (oder wenigstens anzudiskutieren). Felix hat also mit Cresconius nichts zu tun; und dass das Anathema des Cresconius irgendwie in einer Beziehung zu einem Erbfall stünde, dafür gibt es nicht den geringsten Hinweis. Er ist übrigens auch nicht mit dem Felix identisch, der mit Augustin diskutierte (pace Volterra 1934, S. 467); denn Felix, der Disputant, ist Erwählter (Possid. vita Aug. 16.4), während Felix, der Denunziant, einen gewissen Eucharistus als den Erwählten anschwärzt, bei dem er betete. Damit wären wir eigentlich hier am Ende, doch weil das Testimonium de Manichaeis sectatoribus höchst interessant ist, seien hier noch ein paar weitere Bemerkungen zum Anathema des Cresconius als Exkurs eingeschoben. Am Ende des Manichäerprozesses von 443 unterscheidet der römische Bischof Leo zwischen Manichäern, bei denen jede Hoffnung verloren war (zu diesen vgl. → S. 486), und solchen, bei denen eine Umerziehung machbar schien (epist. 7.1): Quos potuimus emendare, correximus et, ut damnarent Manichaeum cum praedicationibus et discipulis 149 suis, publica in ecclesia professione et manus suae subscriptione compulimus. Diejenigen, die wir bessern konnten, haben wir auf den rechten Weg gebracht, und wir haben sie gezwungen, den Mani samt seinen Schriften und Jüngern 149 Die Ballerini-Ausgabe von 1753 – eine neuere existiert nicht, die Patrologia Latina

bietet einen unveränderten Nachdruck – hat disciplinis im Text, mit folgender Fußnote: »Ita MSS. Vulg. ante Quesn., & discipulis«; die handschriftliche Überlieferung (wenn ich die Fußnote recht verstehe) scheint also für disciplinis zu sprechen (was mir auch Matthew Hoskin, der an einer Neuedition der Leo-Briefe arbeitet, anhand seiner eigenen Kollationen bestätigt hat). Aber der Plural ist ungewöhnlich (nur der Singular disciplina scheint belegt als »Lehre«), und außerdem kennen wir doch eine Abschwörungsformel (Ficker 1906, S. 446–448), in der tatsächlich Mani selbst, seine Schriften (worauf sich praedicationes bezieht) und seine Anhänger (bei Leo eben discipuli) verdammt werden. Aus inhaltlichen wie sprachlichen Gründen übersetze ich daher discipulis.

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durch öffentliches Bekenntnis in der Kirche und durch eigenhändige Subskription zu verdammen.

Wie bei Cresconius sind hier sowohl öffentliches Bekenntnis vor der Kirchengemeinde als auch Subskription notwendig. Im Protokoll des Gesprächs von Augustin und Felix, dem Erwählten, begegnen ähnliche Themen. Nach dem ersten Gespräch bittet Felix um ein paar Tage Bedenkzeit. Die will Augustin zwar gewähren, gibt aber zu bedenken (c. Fel. 1.20): Augustinus dixit: Felix dixit: Augustinus dixit:

Quid, si fugeris? Reus ero civitatis huius, et ubique, et legis meae. Immo hoc dic: Si fugero, sic habear, tamquam si anathemavero Manichaeum.

Augustin: Felix:

Was aber, wenn du Reißaus nimmst? Ich werde schuldig sein: in dieser Stadt, und überall, und nach meinem Recht. Sag doch Folgendes: »Wenn ich Reißaus nehme, soll ich so betrachtet werden, als hätte ich den Mani verdammt.«

Augustin:

Auf diese Formel – die in ihrer Kondizionalität wiederum an Cresconius erinnert – lässt sich Felix zwar nicht festnageln, erscheint aber gleichwohl zur zweiten Disputation, an deren Ende sein Anathema Manis steht. Augustin warnt ihn aber zuerst noch, dass dieses wirklich so gemeint sein muss: Sed si ex animo facis, tunc fac; nemo enim te cogit invitum, »Wenn du’s aber aus freien Stücken machst, dann mach’s jetzt – gegen deinen Willen zwingt dich nämlich keiner«. Die eigentliche Verdammung läuft folgendermaßen ab (c. Fel. 2.22): Felix will, dass zuerst Augustin verdammt, damit er dessen Formel sinngemäß kopieren kann und somit auf der sicheren Seite ist. Augustinus accepta charta scripsit haec verba: Augustinus episcopus ecclesiae catholicae iam anathemavi Manichaeum et doctrinam eius …, »Augustin erhielt ein Stück Papier und schrieb Folgendes: ›Ich, Augustin, Bischof der katholischen Kirche, habe bereits früher den Mani und seine Lehre verdammt …‹«. Daraufhin ist Felix an der Reihe: Et cum eandem chartam Felici dedisset, etiam ille manu sua haec verba scripsit: Ego Felix, qui Manichaeo credideram, nunc anathemo eum …, »Und nachdem er [Augustin] ebenjenes Stück Papier dem Felix überreicht hatte, schrieb auch der eigenhändig Folgendes: ›Ich, Felix, der ich dem Mani Glauben geschenkt hatte, verdamme ihn nun …‹«. Unmittelbar nach dem Anathema durch Felix finden sich zusätzlich die Subskriptionen, die das Ende des Texts darstellen: Augustinus episcopus, his in ecclesia coram populo gestis subscripsi. Felix his gestis subscripsi, »Ich, Bischof Augustin, habe dieses Protokoll

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manichäer

in der Kirche vor der Gemeinde unterschrieben. Ich, Felix, habe dieses Protokoll unterschrieben«. Das Ganze wird man sich folgendermaßen erklären: Unmittelbar nach dem zweiten Tag der Disputation waren die gesta, also das Protokoll, noch nicht unterschreibbar, weil sie erst aus den stenografischen Notizen erstellt werden mussten. Die genannte charta ist also nicht das Protokoll, sondern irgendein Stück Papier. Als Beweis, dass Felix tatsächlich abgeschworen hat, reicht aber die charta mit seinem eigenhändigen Anathema nicht aus; vielmehr wird der Wortlaut der charta nebst einer Darlegung ihrer Entstehungsumstände ins Protokoll aufgenommen, und dieses Protokoll (nicht die charta) wird dann nach der Erstellung subskribiert (zumindest von Augustin wiederum vor versammelter Gemeinde, freilich bei anderer Gelegenheit). Kurzum: Eine gültige Konversion vom Manichäismus zur Orthodoxie setzt eine eigenhändige Unterschrift auf dem Protokoll voraus; das mündliche oder schriftliche Anathema des Cresconius war also nicht ausreichend, es herrschte sozusagen Protokollzwang. Ganz wie Augustin waren auch andere Bischöfe besorgt, dass Konversionen ohne echten Übertrittswillen und lediglich aufgrund äußeren Zwangs erfolgten – daher die ausdrückliche Herausstellung der eingeräumten Bedenkzeit. Wie Felix muss auch Cresconius eigenhändig einen kurzen Text niederschreiben, bevor das eigentliche Protokoll erstellt wird. Dabei handelt es sich bei Felix um das Anathema selbst, bei Cresconius um die Bestätigung der Bedenkzeit. 150

Zusammenfassung Das erste Gesetz mit erbrechtlichen Sanktionen gegen die Manichäer dürfte den Ursprung dieser Bestrafungsform überhaupt markieren. 151 Wenn aber diese Sanktionsweise eigens für die Manichäer neu kreiert wurde, sollte sich 150 Unter den Werken Augustins ist das unechte Quomodo sit agendum cum Manichaeis,

qui confitentur pravitatem huius nefandi erroris enthalten, das eine Abschwörungsformel sowie den Wortlaut eines »Konversionszertifikats« enthält. Ein solches datiertes Schreiben soll der Bischof dem Ex-Manichäer geben (Ps. Aug. comm. praef. p. 979.9–11), ut nullam de superiore tempore molestiam vel de publicis legibus vel de disciplina ecclesiastica patiatur, »damit er ab diesem Datum keinerlei Belästigung, weder durch staatliche Gesetze noch durch die kirchliche Ordnung, erleidet«. In diesem Text gibt es indes keinerlei Hinweis auf verschriftlichte Abschwörungen, das Abzeichnen von Protokollen o. ä. 151 Selbst wenn das erste Apostatengesetz CTh. 16.7.1 (→ S. 720) tatsächlich älter ist,

zusammenfassung

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ihr Ursprung aus Besonderheiten dieser Häretikergruppe erklären lassen. Hier drängt sich der Gedanke an die scharfe Trennung zwischen Erwählten und Hörern auf. Diese Unterscheidung war, wie wir sahen, den römischen Autoritäten durchaus vertraut, und diesen war fraglos auch bekannt, dass die Erwählten – die sich aus religiösen Gründen nicht selbst versorgen durften – ausschließlich vom »Almosen«, also letztlich von der Arbeit und vom Geldfluss der Hörer, lebten. Dabei konnte es, zumal wenn einzelne Erwählte vielleicht nicht ganz so mittellos lebten wie von Mani vorgesehen, durchaus um erhebliche Beträge gegangen sein, die da transferiert wurden. Um die Erwählten und damit diejenigen Manichäer zu stoppen, die – weil für die Missionierung zuständig – hauptsächlich lästig fielen, reichte es, diese »ökonomische Nervenbahn« (→ S. 415) der Gemeinschaft zu durchtrennen. Die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen dürften diesen Zweck auf effiziente Weise erfüllt haben. Vielleicht kam dem römischen Gesetzgeber diese Idee von selbst, aber man muss annehmen, dass in jedem Fall zahlreiche Petitionen beim Kaiser eintrafen, abgeschickt von potenziellen Intestaterben, die unglücklich über die Weggabe von mehr oder weniger großen Teilen des Familienvermögens an eine unheimliche Sekte waren. Es erscheint als plausible Annahme, dass das erste Manichäergesetz zum einen den positiven Bescheid für alle derartigen aufgelaufenen Eingaben darstellte, dass es gleichzeitig aber auch – wie es seine Grundsätzlichkeit zeigt – eine Regelung war, um der ärgerlichen Sekte der Manichäer mit einem ganz anders gearteten Angriff als den üblichen Versammlungsverboten und Lokalkonfiskationen beizukommen. Zwei Bestimmungen im ersten Manichäergesetz von 381 fallen auf: Einerseits die so atypische Rückwirkung – die sich wahrscheinlich analog zu einem Einzelfall unter Donatisten (→ S. 531) durch bereits vorliegende Petitionen erklärt –, andererseits das ebenfalls enthaltene Schenkungsverbot. Es ist gerade das Schenkungsverbot, das die hier gegebene teleologische Deutung der erbrechtlichen Sanktion absichert: Wäre es lediglich um den ideologischen Aspekt gegangen (also: Entzug der Testierfähigkeit gleich Ausschluss aus der Gemeinschaft der Römer), wäre ein solches nicht notwendig gewesen. In der Folgezeit verschärfen die Kaiser in zweierlei Hinsicht die erbrechtlichen Sanktionen. Zum einen muss der Manichäer sofort, also bereits zu Lebzeiten, sein Vermögen an eine gesetzlich definierte Untergruppe seiner Intestaterben weiterreichen. Das ist definitiv im Jahr 407 der Fall (CTh. 16.5.40); handelt es sich dabei offenbar nur um einen (verallgemeinerten) Einzelfall – nicht um eine ausgestaltete Regelung, die verschiedene Konstellationen unterscheiden würde.

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manichäer

doch bereits 382 scheint dies bei Anachoreten (die, in der Einsamkeit lebend, ohnehin wenig Sinnvolles mit dem Familienvermögen anstellen konnten) verfügt worden zu sein (CTh. 16.5.9). Die Maßnahme ist folgerichtig: Wird dem Manichäer sein Vermögen sogleich entzogen, kann er nicht einmal theoretisch Mittel und Wege finden, Schenkungs- und Vererbungsverbot zu umgehen. Gegen derlei Scheingeschäfte wendet sich eine weitere Maßnahme, nämlich der vollständige Verlust der Geschäftsfähigkeit, eine Übernahme aus der Donatistengesetzgebung (CTh. 16.5.40). Über mehrere Konstitutionen hinweg lassen sich Entwicklungslinien nachvollziehen. So wird der Zugriff auf das Manichäervermögen zunehmend rigider, und gleichzeitig reduziert der Kaiser immer weiter den Kreis der Familienangehörigen, die bei gegebener Orthodoxie vor dem Fiskus profitieren können. Ein wichtiges Fazit ist ferner, dass, wenn man seinen Fokus auf einen begrenzten Aspekt verengt – hier: erbrechtliche Sanktionen, und zwar bei Manichäern –, die Gesetzgebung keineswegs chaotisch erscheint, sondern einem erkennbaren Zweck folgt und sich (mehr oder weniger) klare Entwicklungslinien ablesen lassen. Nur eine einzige Konstitution – die Gratians (→ S. 459) – sticht heraus: Weder scheint ihr Autor die aktuelle rechtliche Situation zu kennen, noch wird sie von späteren Manichäergesetzen rezipiert (sehr wohl aber von Apostatengesetzen). Die große Mehrzahl der besprochenen antimanichäischen Konstitutionen sind westliche Gesetze. Es ist nun an der Zeit, dass wir uns die andere Häretikergruppe genauer ansehen, der das hauptsächliche Interesse der westlichen Gesetzgebung galt: die Donatisten. Wir haben gesehen, wie sich Manichäer- und Donatistengesetzgebung unter Honorius gegenseitig inspirieren. 152 Viele der Einzelbestimmungen, dieser Kaiser zuerst gegen die Donatisten erlassen hat, finden in seine spätere Manichäerkonstitution Eingang. Doch die Übernahmen erfolgten auch in umgekehrter Richtung, und erfreulicherweise lässt sich dies im Fall der erbrechtlichen Sanktionen gegen die Donatisten aufgrund externer Quellen besonders detailliert nachvollziehen.

152 Unerklärlich bleibt, warum Honorius stets klar zwischen Donatisten und Manichäern

unterscheidet (anstatt aus ökonomischen Gründen einfach ein für beide Gruppen geltendes Gesetz zu erlassen), dann aber in CTh. 16.5.40 plötzlich die Montanisten (»Phryger und Priscillianisten«) mit den Manichäern gleichstellt.

IV

donatisten Die Kirchengeschichte des spätantiken Nordafrika ist geprägt von der Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Donatisten. 1 Der Konflikt ging ursprünglich auf die Frage zurück, wie viel Nachsicht Kleriker verdienten, die sich in der tetrarchischen Verfolgung nicht standhaft verhalten und insbeson1

Dieses Kapitel enthält zahlreiche Anmerkungen in Auseinandersetzung mit Hermanowicz. Diese detaillierte Kritik ist notwendig, denn es handelt sich dabei immerhin um eine Dissertation, die in Princeton unter einem sehr prominenten Doktorvater entstanden ist, von Oxford University Press veröffentlicht und nach der Publikation von den Rezensenten nicht ungünstig aufgenommen wurde; wenn ich daher in vielen Details skeptisch gegenüber den Ansichten und Methoden der Autorin bleibe, so verlangt dies eine Diskussion im Einzelnen. Mit der Gesetzgebung gegen die Donatisten beschäftigen sich sonst ausdrücklich Martroye 1913 (vor allem eine Wiedergabe der Quellen), Morgenstern (nützlich und sehr methodisch, mit zahlreichen Quellenbelegen), Schindler 1980 (geistreicher, wichtiger Artikel), Marone 2015 (problematisch, da etliche sachliche Fehler; z. B. S. 75: das ursprüngliche Zehnpfundgoldgesetz hat keine gewaltsamen Übergriffe im Tatbestand, vgl. → S. 500; S. 76: CTh. 16.6.4 [Marone schreibt 16.6.5] verbietet Donatisten zwar das Testieren, aber nicht das »collect inheritances«, → S. 558; S. 76: CTh. 16.5.54 enthält keine Regelung zugunsten katholischer Verwandter; S. 79: Optat wurde nicht nach dem Zehnpfundgoldgesetz verurteilt, vgl. → S. 512; usw.) sowie Lenski (Lenski bietet eine nummerierte Liste aller einschlägigen kaiserlichen Verlautbarungen und verwandten Texte, die er typologisch gliedert, und anhand dieser Liste stellt er den Verlauf der Gesetzgebung dar; doch die Zuweisung an die verschiedenen Typen bleibt unerklärt und scheint willkürlich – warum z. B. CTh. 16.2.34 [seine Nr. 73] ein Edikt und CTh. 16.5.39 [seine Nr. 97] ein Reskript sein sollen, ist nicht nachvollziehbar. Zudem finden sich in diesem Beitrag zahlreiche Ungenauigkeiten im Detail, hier nur zwei Beispiele zur Illustration: So behauptet Lenski [S. 183], Honorius »even offered Catholic bishops access to imperial secret service agents … for enforcement«, [S. 215] »bishops may enforce the law using the agentes in rebus«, was sich nicht in der betreffenden Konstitution [Sirm. 12] wiederfindet [in der Honorius drei Agentes in rebus unzweideutig direkt mit der Ausführung beauftragt]; laut Lenski [S. 181] habe Possidius »in one of the public hearings« den Crispin »humiliated« – tatsächlich kam es aber nie zu einem solchen Treffen; usw. Dazu treten diverse Deutungen, die Lenski diskussionslos in den Raum stellt, die aber nicht von den Quellen abgedeckt sind oder gar in klarem Widerspruch zu diesen stehen, vgl. z. B. → S. 51534, → S. 52147, → S. 564). Vgl. ferner Grasmück (insb. S. 195–222), der allerdings wenig mehr als eine Paraphrase der Quellen bietet. Das Standardwerk zum Donatismus dürfte nach wie vor Frend 1952 sein, auch wenn seine modernistische Deutung aus gutem Grund viel Kritik erfahren hat.

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dere heilige Schriften ausgeliefert hatten (tradere, daher der Kampfbegriff traditores für derlei verhinderte Märtyrer). Als kurz nach dem Ende der Verfolgung der Bischof von Karthago verstarb und sein Nachfolger Caecilian unter anderem von dem angeblichen traditor Felix von Abthugni geweiht wurde, kam es zum Schisma: Diejenigen Bischöfe, die die Weihe durch einen (vermeintlichen) traditor für nichtig hielten, wählten kurzerhand ihren eigenen Kandidaten zum Bischof von Karthago (Kriegbaum, S. 44–129). Man würde vielleicht meinen, dass sich – angesichts der rasch abnehmenden Aktualität des ursprünglichen Zwists – die Wogen bald geglättet hätten. Doch weit gefehlt. Der Konflikt setzte sich über die nächsten Generationen unvermindert und mit großer Erbitterung fort, und das, obwohl die christlichen Kaiser von Anfang an die konziliante Seite (»Katholiken«) massiv gegen die intransigenten Bischöfe und ihre Anhänger (die bald von katholischer Seite als »Donatisten« abqualifiziert wurden) unterstützte. 2 Mehr noch: Trotz 2

Mit der hier verwendeten Terminologie »Katholiken« und »Donatisten« macht man sich also die Perspektive der letztlich siegreichen Seite zu eigen. Doch wenn man dies schon aus Bequemlichkeitsgründen tut, so sollte man indes nie vergessen, dass »Donatisten« eine Fremdbezeichnung war (abgeleitet vom Eigennamen eines Bischofs ihrer Seite), die die Mitglieder dieser afrikanischen Gegenkirche selbst strikt ablehnten (vgl. Coll. Carth. 2.8–10, 3.30). Sie nannten ihre Kirche sincera Christianitas et catholica veritas (Coll. Carth. 1.14.3 f.), ecclesia dei (Coll. Carth. 1.148.8), veritas Christi domini (Coll. Carth. 2.10), ecclesia veritatis (Coll. Carth. 2.12.6) oder veritas catholica (Coll. Carth. 3.251.6). Die Eigenbezeichnung der heute als Donatisten bekannten Gruppe war »Katholiken« (Coll. Carth. 3.123; Ps. Aug. c. Fulg. p. 214.15 f., Tu mihi hoc nomen imponis, nam ego catholicus sum!, »Du drückst mir diese Bezeichnung [›Donatist‹] auf – ich bin vielmehr ›Katholik‹!«; serm. 162A.10, Catholicus sum!, »Ich bin Katholik!« [als Zitat aus einem Protokoll, in dem der donatistische Bischof Crispin in direkter Rede vor Gericht spricht]). Der Liber genealogus, ein donatistisch überarbeitetes Werk, führt zu einem alttestamentarischen Konflikt folgenden Vergleich an: proelium erat inter eos omnibus diebus vitae eorum, sicuti et nunc inter veros Christianos et falsos catholicos, »Streit war zwischen ihnen alle Tage ihres Lebens, ganz wie auch heute zwischen den wahren Christen und den falschen Katholiken« (Lib. geneal. p. 192.546). Diejenigen, die heute als Katholiken in den Geschichtswerken erscheinen, heißen bei ihnen routinemäßig traditores, oft ergänzt durch et persecutores nostri (z. B. Coll. Carth. 1.148.8 f., 3.5.5); charakteristisch sind etwa die Aussagen der beiden Bischöfe Cresconius von Pudentiana (Coll. Carth. 1.201.45) und Cresconius von Silemsila (Coll. Carth. 1.201.101), die jeweils angeben, dass sich in ihrem Territorium keine katholischen Kleriker – traditores – befinden. Petilian (Coll. Carth. 3.30) sagt, dass, wenn man seine Seite »Donatisten« nennt, dann könnte er die Gegenpartei als »Mensuristen und Caecilianisten« bezeichnen – allerdings begegnet »Mensuristen« in der Collatio sonst gar nicht mehr, »Caecilianisten« nur an einer Stelle (Coll. Carth. 3.123: Als der Donatist Adeodat will, dass seine eigene

wiedertaufe

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der kaiserlichen Parteinahme waren zu Augustins Zeiten die Donatisten in Afrika in der Mehrheit (vgl. etwa Possid. vita Aug. 7.2). So heftig auch die faktische Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Donatisten war: die doktrinären Unterschiede erscheinen gering. Während man zu den theologischen Gegensätzen zwischen Orthodoxie und (beispielsweise) Eunomianismus dicke Bücher füllen kann – und man dies sowohl in der Antike als auch in der Gegenwart getan hat (→ S. 610) –, lassen sich kaum intellektuelle Differenzen zwischen Katholiken und Donatisten erkennen. 3 Der einzig echte Streitpunkt, der beständig in den Quellen aufscheint, betrifft die Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Taufsakraments und, davon abhängig, die Frage, was eine Wiedertaufe darstellt. Aus Eph 4:5, »ein Herr, ein Glaube, eine Taufe« folgerte man mehrheitlich (oder: zumindest in Rom), dass

3

Gruppe als »Katholiken« im Protokoll erscheint, und der katholische Bischof Fortunatian stattdessen für »Donatisten« plädiert, macht Adeodat genervt den Gegenvorschlag, die Katholiken als »Caecilianisten« in der Mitschrift aufzuführen). Das scheint zu bedeuten, dass »Caecilianisten« kein eingeführter Begriff war, sondern man lediglich demonstrieren wollte, dass auch die Donatisten (»Donatler«) einen parallel gebauten, von einem Personennamen abgeleiteten Begriff (»Caecilianler«) als spöttisch-abwertende Bezeichnung verwenden könnten. Praktisch nennen sie die Katholiken routinemäßig (und noch weniger schmeichelhaft), wie gesagt, traditores. Laut Augustin (epist. 49.3; epist. 87.10; c. Petil. 2.39.94) verwendeten die Donatisten zudem den Schimpfnamen »Macarianer« (o. ä.) für die Katholiken, nach dem gewalttätigen Donatistenverfolger Macarius unter Konstans (→ S. 508). Es mag zunächst überraschen, dass die Donatisten die Bezeichnung »Katholiken« für sich reklamierten, gab es doch für sie (oder zumindest für Parmenian: c. Parm. 1.2.2) außerhalb von Afrika ohnehin nur Pseudo-Christen, die nicht besser als die traditores waren; aber die Donatisten bezogen die im Wort cat-hol-icus implizierte Vollständigkeit nicht auf die geografische Verbreitung, sondern (in etymologisch recht fragwürdiger Weise) auf die Vollendetheit ihrer Religiosität (in den Worten von Gaudentius: cum hoc sit catholicum nomen, quod sacramentis plenum est, quod perfectum, quod inmaculatum, »während [in Wahrheit] der Namen ›katholisch‹ das bezeichnet, was voll von Sakramenten, was perfekt, was unbefleckt ist«, Coll. Carth. 3.102). Zu den Eigen- und Fremdbezeichnungen der sogenannten Donatisten vgl. ferner Tholen, S. 111–119 (insb. S. 111–114), sowie Schindler (1986–1994). Der Beitrag von Marone (2007–2008) ignoriert wichtige Quellen und ist daher von eingeschränktem Nutzen. Das war gewiss ein entscheidender Grund, warum manche Gelehrte vermuteten, die Auseinandersetzung beruhe auf anderen Gegensätzen, die dann (wenig überraschend) mit den großen Konflikten des 20. Jahrhunderts, sprich: Nationalismus (indigene Afrikaner gegen römische Kolonisatoren) und Sozialismus (ländliches Proletariat gegen städtische Eliten), identifiziert wurden. Tatsächlich gelingt dies nur mit einer sehr selektiven Lesung der Quellen, vgl. Lepelley, S. 347 f., und Kriegbaum, S. 16–43.

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man nur einmal getauft werden dürfe. Ein explizites Verbot von Wiedertaufen findet sich allerdings nicht in der Bibel (anderer Ansicht ist Kaiser Gratian, der in CTh. 16.6.2 pr. behauptet, die Evangelien würden Wiedertaufen untersagen – leider ohne Angabe einer Belegstelle). 4 Jedenfalls war schon in der Mitte des 3. Jahrhunderts (zumindest in Rom) die Standardpraxis, Häretiker, die zur Orthodoxie übertraten, nicht erneut zu taufen (Stephan bei Cypr. epist. 74.1.2). Später, zu Beginn des 4. Jahrhunderts und dann bereits in Auseinandersetzung mit den Donatisten, zog man die Trennlinie bei der Taufe auf die Dreifaltigkeit, wie sie am Ende des Matthäus-Evangeliums (Mt 28:19) vorgeschrieben ist: Auch Häretikertaufen besaßen Gültigkeit, vorausgesetzt, sie waren auf den Namen des Vaters, des Sohns und des Heiligen Geists erfolgt (Conc. Arel. a. 314, p. 10 f.26–31). Doch in Afrika hatte sich eine andere Sichtweise entwickelt. Bereits Tertullian hatte die Gültigkeit der Taufe durch Häretiker bestritten (Tert. bapt. 15.2). Nach weiteren Diskussionen im frühen 3. Jahrhundert – die sich nur in Grundzügen aus Cyprians späteren Briefen rekonstruieren lassen (vgl. Kirchner, S. 293 f.) – wurde der Streit ab 256 virulent. Auch Cyprian (epist. 74, insb. 74.21.1) brachte die eine Taufe des Epheserbriefs mit der einen Kirche in Zusammenhang und folgerte, dass nur die eine Kirche gültig taufen könne; wer also von einer Häresie zu Cyprians Orthodoxie übertrete, müsse notgedrungen getauft werden – wohlgemerkt: »getauft«, nicht: »wiedergetauft«, denn aus Cyprians Sichtweise waren diese Ex-Häretiker überhaupt noch nie tatsächlich getauft worden (epist. 71.1.3). Cyprian (epist. 70.1.3) argumentierte ferner, dass ein Kleriker, der in Sünde sei, doch unmöglich die Vergebung aller Sünden des Täuflings bewirken könne. Die dadurch entstandene Kontroverse mit dem römischen Bischof Stephan – die in der deutschsprachigen Literatur »Ketzertaufstreit« 5 heißt – fand ein jähes Ende mit dem Ableben

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Vielmehr bietet das Neue Testament sogar ein Beispiel einer Wiedertaufe (Apg 19:1– 7): In Ephesos tauft Paulus Personen, die zuvor die Taufe des Johannes empfangen hatten, erneut, und zwar diesmal auf den Namen Jesu (freilich ist dies aus katholischer Sicht keine echte Wiedertaufe, vgl. Aug. c. Petil. 2.37.86). Die beste Kurzdarstellung bietet Kirchner, sehr nützlich auch Ferguson, S. 380– 399; wertvoll v. a. dank der vielen Quellenverweise Bareille; die Dissertation von Sebastian enthält recht unglückliche Missverständnisse (vgl. etwa seine S. 157 mit Anm. 44). Burns versucht, die divergierenden theologischen Standpunkte Cyprians und Stephans aus ihrer unterschiedlichen historischen Erfahrung abzuleiten. So interessant die Idee ist, so problematisch erscheint die zugrunde liegende Annahme, man müsse die theologischen Argumente der Beteiligten als historisch determiniert anstatt als tatsächliche intellektuelle Ergebnisse auffassen.

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sowohl Stephans als auch Cyprians, wovon zumindest der letztere zweifellos in der valerianischen Verfolgung umkam. Die Argumente Cyprians griffen nun die Donatisten im 4. Jahrhundert auf. 6 Für sie waren Bischofsweihen, die durch Schriftenauslieferer erfolgt waren, ungültig; ungültig waren damit alle davon abhängigen Sakramente, ungültig waren damit auch die Taufen, die Kleriker vorgenommen hatten, die mit den traditores (oder ihren Nachfolgern) in Kommunion standen und damit im donatistischen Sprachgebrauch selbst traditores waren. Wie Cyprian wehrte sich auch der Donatist Petilian im späten 4. Jahrhundert gegen den Vorwurf der Wiedertaufe mit dem Argument, dass er ja gar nicht erneut taufe, sondern vielmehr zum ersten Mal taufe, da das von Katholiken gespendete Sakrament nichtig sei (Aug. c. Petil. 2.25.58). Als es innerhalb der Donatisten selbst zu einem Schisma kam, musste konsequenterweise, wer von der maximianistischen Abspaltung zur donatistischen Hauptkirche übertrat, nicht getauft werden (Aug. bapt. 1.1.2; c. Petil. 1.11.12) – denn der Betreffende war ja bereits zuvor von einem Nicht-traditor und damit aus donatistischer Sicht gültig initiiert worden. Die katholische Seite – die wir vor allem durch ihren außerordentlich schreib- und redefreudigen Vorkämpfer Augustin kennen – argumentierte, dass die Taufe notwendigerweise heilig sein müsse, ganz unabhängig davon, wie sündhaft auch immer der Spender eventuell gewesen sein mag – ansonsten (wie Augustin überaus pragmatisch anmerkt) könnte man ja als Täufling nie ganz sicher sein, dass die eigene Sündenvergebung nicht durch unbekannte Sünden des Sakramentenspenders durchkreuzt würde (c. Petil. 1.4.5), man müsste also folglich seinen Glauben in den Täufer anstatt in Gott setzen (c. Petil. 2.102.233, 3.28.33). In der Praxis war die Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Donatisten in diesen Jahren allerdings weniger von gelehrten Diskussionen über

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Zur Wiedertaufe bei den Donatisten vgl. insb. Ferguson, S. 795–803. Markus denkt, alle Kleriker in Nordafrika hätten anfänglich wiedergetauft (S. 323): »There is no reason, however, to doubt that rebaptism was generally practised in Africa until the outbreak of the schism«. Doch wie Markus an derselben Stelle feststellt, gibt es praktisch keine einschlägigen Quellen für die Zeit zwischen Cyprian und den Donatisten. Damit besteht seine Quellenbasis lediglich aus Conc. Arel. a. 314, p. 10.26, De Afris, quod [oder: qui?] propria lege sua utuntur ut rebaptizent, »Über Afrikaner, da sie [die?] nach eigener Rechtsvorstellung wiedertaufen«, woraus er schließt, dass – weil da Afri (und nicht »Donatisten« o. ä.) steht – alle Afrikaner wiedertauften. Das ist eine weitreichende Folgerung aus einem kurzen Text, den man auch anders (»Über [solche] Afrikaner, da sie [die?] …«) verstehen kann.

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die Gültigkeit des Taufsakraments als vielmehr von durchaus handfesten Konflikten geprägt. Beispielsweise hatte in Hippo der donatistische Bischof Faustinus dafür gesorgt, dass die Angehörigen der kleinen katholischen Minderheit keinen Bäcker mehr fanden, der ihnen ihre Teiglinge zu Brot buk (c. Petil. 2.83.184, → S. 338). Das Schikanieren der Katholiken war eine Sache; schlimmer waren die gewalttätigen Übergriffe, die um die Jahrhundertwende zunehmend brutaler wurden. Oft steckten Zirkumzellionen dahinter, deren genaue Natur seit langem diskutiert wird (Shaw, S. 828–839; Dossey, S. 3 f. mit S. 210 Anm. 12 f.); jedenfalls handelt es sich um rurale, gewalttätige Banden religiöser Fanatiker aufseiten des Donatismus. Mehrere Gewaltepisoden im Wild-West-Stil werden uns im Verlauf dieses Kapitels begegnen (→ S. 514, → S. 542). Vorausgeschickt sei schon jetzt, dass sich die Katholiken ziemlich schutzlos gegenüber diesen Attacken fühlten, denn obwohl sie eigentlich die Unterstützung der kaiserlichen Zentrale besaßen, gelang es ihnen nicht, vor Ort für Sicherheit sorgen zu lassen. Das lag wohl insbesondere an zwei Faktoren: Erstens waren, wie wir bereits sahen (→ S. 497), die Donatisten in der Mehrheit, sodass insbesondere lokale Instanzen der Städte (aber auch, so jedenfalls meinten die Katholiken, manche Statthalter) dazu neigten, diese Partei zu unterstützen, sei es, weil die Verantwortlichen selbst Donatisten waren, sei es, weil sie Aufruhr vermeiden wollten. Andererseits stellte sich das Problem der Beweisbarkeit: Nach einer Gewalttat gegen einen Katholiken ließ sich diese nicht unbedingt auf den lokalen donatistischen Bischof als Anstifter zurückführen, auch wenn die Katholiken davon überzeugt waren, dass letztlich nur der dahinterstecken konnte. 7 Im Sommer des Jahres 392 hatte Kaiser Theodosius im fernen Konstantinopel ein Gesetz erlassen, das in Afrika große Bedeutung erlangen sollte und das wir uns deswegen näher ansehen müssen (CTh. 16.5.21, 15. Juni 392): Idem AAA. Tatiano ppo. In haereticis erroribus quoscumque constiterit vel ordinasse clericos vel suscepisse officium clericorum, denis libris auri viritim multandos esse censemus, locum sane,

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Aug. c. Parm. 1.11.17, Quorum scelera cum ad eos deferuntur, fingunt se ignorare tale hominum genus vel omnino ad se non pertinere contra quam omnes homines norunt ore impudentissimo affirmant, »Wenn man deren [der Zirkumzellionen] Verbrechen bei ihnen [den donatistischen Bischöfen] anzeigt, dann tun sie so, als würden sie diese Sorte Mensch nicht kennen, oder sie behaupten rotzfrech – wider besseres Wissen aller! –, dass sie überhaupt rein gar nichts mit ihnen zu tun haben«. Für ein konkretes Beispiel → S. 512.

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in quo vetita temptantur, si coniventia domini patuerit, fisci Nostri viribus adgregari. … Dat. XVII kal. Iul. Constantinopoli Arcadio A. II et Rufino conss. Dieselben drei Kaiser [Valentinian, Theodosius und Arkadius] an den Prätoriumspräfekten Tatian: Wir beschließen, dass all diejenigen, die in häretischen Irrtümern befindlich nachweislich Kleriker geweiht bzw. das Amt eines Klerikers angetreten haben, jeweils mit einer Geldbuße von zehn Pfund Gold zu bestrafen sind. Eine Örtlichkeit, in der das Verbotene [oder: Verbotenes] unternommen wird, ist – sollte sich die Konnivenz des Eigentümers herausstellen – dem Vermögen Unseres Fiskus zuzuschlagen. … Abgeschickt am 17. Tag vor den Kalenden des Juli in Konstantinopel unter dem Konsulat von Kaiser Arkadius (zum 2. Mal) und Rufin. [15. Juni 392]

Die Ausfertigung, der der überlieferte Auszug entnommen ist, ist an den Prätoriumspräfekten von Oriens gerichtet; ein schönes Beispiel also, dass man vom überlieferten Adressaten keinesfalls auf rein lokale Wirkung schließen darf (→ S. 89). Der weitere Text des CTh.-Fragments, der hier weggelassen wurde, enthält Regelungen für den Fall, dass der Eigentümer nicht über die Vorkommnisse in seiner Immobilie informiert war und mithin der Verwalter zu bestrafen sei – sie spielen in den Texten, die uns gleich beschäftigen werden, keine Rolle und sind daher für unsere Zwecke entbehrlich. 8 Wer also einen häretischen Kleriker weiht oder zu einem solchen geweiht wird, muss die hohe Strafe von zehn Pfund Gold entrichten. Was bedeutet eine Buße von zehn Pfund Gold? Aus einem Pfund Gold wurden 72 Solidi geschlagen, die Strafe entspricht also einer Summe von 720 Solidi. Zum Vergleich: Um einen Menschen ein Jahr lang mit Lebensmitteln zu verköstigen, brauchte man zwei bis fünf Solidi (Jones, S. 447 f.), wobei sich der niedrige Wert auf Mittellose und Flüchtlinge, der hohe Wert auf wohlversorgte Soldaten be-

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Ebenfalls keine Rolle spielt eine Bestimmung, die als letzter Satz des CTh.-Fragments überliefert ist. Sie erweitert die Strafe auf häretische Kleriker, si quos talibus repertos obsecundare mysteriis ac sibi usurpare nomina clericorum iam nunc proditum fuerit, »bei denen sich als Ermittlungsergebnis herausstellen sollte, dass sie sich [ehedem] einem solchen Ritual hingaben und sich immer noch die Bezeichnung ›Kleriker‹ anmaßen«. Offenbar geht um die Strafbarkeit häretischer Kleriker, die bereits vor Erlass des Gesetzes ordiniert waren – wenn sie fürderhin weiter als »Kleriker« auftreten, trifft sie gleichwohl die Strafe. Doch wie dem auch sein mag: Die Katholiken führten, soweit wir wissen, nie diesen Teil der Konstitution ins Feld.

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zieht. 9 Wir werden im Folgenden sehen, dass Bischof Crispin, der mindestens (!) 80 abhängige Personen (Bauern und deren Familienmitglieder) hat, mit dem Gesetz bedroht wird (→ S. 513). Pachtwerte kennt man nur für Ägypten, aber dort war im Fall von Ernteteilung üblich, dass Herr und Kolone hälftig teilten (Jones, S. 807 f.). Wenn wir jetzt annehmen, dass ein Bauer Lebensmittel im Wert von zwei Solidi pro Person im Jahr zum schieren Überleben produzieren muss, benötigen die 80 Personen fürs eigene Überleben wenigstens 160 Solidi im Jahr; wenn hälftig geteilt wird, zieht der Herr also mindestens 160 Solidi pro Jahr aus ihnen. Das wäre bereits mehr als ein Fünftel der Strafsumme. Die hier gegebene Rechnung ist mit zahlreichen Unsicherheiten belastet, 10 aber es sollte klar sein, dass die Strafsumme zumindest für eine Persönlichkeit wie Bischof Crispin in einer realistischen Größenordnung liegt: Sie ist sehr hoch und durchaus schmerzhaft, aber nicht astronomisch hoch und nicht völlig unrealistisch. 11 Man mag einwenden, dass nicht 9

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Harl, S. 283 f., nennt Werte zwischen 0,75 und 1,6 Solidi, doch diese sind tendenziell zu niedrig, da sie sich – wie er auch selbst feststellt – auf Großmarktpreise beziehen und ausschließlich den Jahresbedarf an Korn abdecken. Die zwei Solidi sind minimal, denn selbst arme Bauern brauchen neben Nahrung auch Kleidung usw. In der Anekdote geht es darum, dass Bischof Crispin 80 hinzugekaufte Abhängige wiedergetauft hat; nichts spricht dagegen, dass er weitere Kolonen hatte, die bereits donatistisch waren bzw. sich der Wiedertaufe standhaft verweigerten, d. h., auch dieser Wert ist minimal. Andererseits handelt es sich um ein kaiserliches Gut, das Crispin seinerseits gepachtet hat, d. h., er kann nicht die gesamte Pacht als Gewinn einstecken, sondern muss seinerseits einen Betrag abführen. Insofern ist keine Gewissheit zu erlangen – mir geht es freilich nur darum zu zeigen, dass die zehn Pfund Gold für jemanden wie Crispin keine abwegige Summe darstellen. »Twenty pounds of gold was a sufficiently heavy penalty to be a substitute for capital punishment«, behauptet hingegen Brown (1963, S. 290 Anm. 62) unter Bezugnahme auf CTh. 9.17.2. Das genannte Gesetz beginnt mit factum solitum sanguine vindicari multae inflictione corrigimus, »eine Tat, die man üblicherweise mit Blut zu rächen pflegt, ahnden wir durch die Verhängung einer Geldstrafe«. Doch Grabschändung (um die es hier geht) wurde nur unter außerordentlichen Umständen mit der Todesstrafe sanktioniert (Belege bei Mommsen, S. 821); es handelt sich also um reinen Bombast. Ferner sagt der Kaiser keineswegs, dass die Geldstrafe einer Hinrichtung gleichkommt – er betont ja im Gegenteil seine geringere Strafe und damit Gnade. Und zu guter Letzt beträgt die Geldstrafe in CTh. 9.17.2 in den meisten Fällen 1 Pfund pro angetastetes Grabmonument, nur im Fall frevelnder Statthalter werden 20 Pfund fällig. Nun steht das wiedergegebene Zitat mit dem »Rächen durch Blut« am Anfang der Konstitution, dann folgen rund zwei Drittel des Texts mit den Fällen, in denen 1 Pfund pro Monument fällig wird, und erst am Ende wird die Sonderstrafe mit den 20 Pfund nachgeschoben. Mit Brown diese 20 Pfund ausgerechnet auf den Einleitungssatz zu beziehen, ist unmöglich.

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jeder häretische Kleriker ein derart großes Vermögen (wie es 80 Personen in Abhängigkeit bedeuten) sein Eigen genannt haben wird; dass das Gesetz also mithin für weniger vermögende Häretiker einer Enteignung gleichkam. Das ist richtig; aber vielleicht darf man annehmen, dass das Gesetz tatsächlich nur gegen bedeutende Persönlichkeiten gerichtet war. Kleine Leute konnten anders gezüchtigt werden; hohe Geldstrafen werden in der weit überwiegenden Zahl der Fälle Hochgestellten angedroht; 12 vor allem aber handelt es sich in den beiden konkreten Anwendungsfällen, in denen eine Verurteilung nach dem Zehnpfundgoldgesetz versucht bzw. erreicht wurde, jeweils um bedeutende Bischöfe (nämlich Optat von Thamugadi und Crispin von Calama). Leider kennen wir den Kontext zur Entstehung des Gesetzes nicht. Im Codex Theodosianus finden sich zwei Fragmente aus älteren Konstitutionen, in denen sich Verbote häretischer Klerikerweihen finden, nämlich CTh. 16.5.12 von 383 und CTh. 16.5.14 von 388. Beide Texte sind nicht unähnlich: Sie wenden sich namentlich gegen bestimmte Häretiker (Eunomianer, Arianer, Makedonianer und Apollinarianer im ersten Fall, nur Apollinarianer im zweiten Fall), ergänzen dies aber durch den Zusatz, dass auch alle anderen Häresien betroffen seien. Im Wesentlichen wird ein Versammlungsverbot verhängt, wobei zusätzlich die häretischen Kleriker ausgetrieben werden sollen. Im Rahmen dieser Bestimmungen erscheint auch en passant jeweils ein Ordinationsverbot: CTh. 16.5.12, neque ullas creandorum sacerdotum usurpet adque habeat ordinationes, »[die Gesamtheit der Häretiker] soll sich keine Ordinationen zur Weihung von Bischöfen anmaßen oder solche abhalten«, bzw. CTh. 16.5.14, instituendorum clericorum non habeant potestatem, »sie sollen nicht die Möglichkeit besitzen, Kleriker einzusetzen«. Eine spezielle Sanktion für einen Verstoß gegen diese Bestimmung nennen die Fragmente nicht (die jeweils genannten negativen Folgen treffen ohnehin alle häretischen Kleriker, ob sie nun andere Kleriker geweiht haben oder nicht). Mit dem Zehnpfundgoldgesetz sind wir im Jahr 392, also in den letzten Lebensjahren des Theodosius, in denen die Tempelzerstörungen massiv zunahmen, seine geharnischten antipaganen Gesetze ergingen und randalierende Mönche wieder ihr Unwesen in den Städten treiben durften (Leppin 12

Die allermeisten Erwähnungen von hohen Geldstrafen im Codex Theodosianus betreffen Statthalter und ihren Stab; ansonsten werden damit andere Amtsträger (die Hochzeiten erzwingen: CTh. 3.11.1) oder reiche Gutsbesitzer (die fremde Kolonen aufnehmen: CTh. 5.17.2 – so wird man das Gesetz verstehen müssen) bedroht. Freilich gibt es Ausnahmen, so CTh. 9.17.2, wo Kalkbrenner mit einer Geldstrafe bedroht werden, sofern sie Grabmonumente zerlegen, um Marmor als Ausgangsmaterial zu gewinnen (vgl. die unmittelbar vorausstehende Fußnote).

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2003, S. 169–181). Eine konsequente Durchsetzung des Gesetzes hätte offensichtlich Häresien vollständig vom klerikalen Nachwuchs abgeschnitten und damit ihr Ende bedeutet. Doch abgesehen von der heftigen Diskussion in Afrika besitzen wir keinerlei (!) Hinweis auf die praktischen Auswirkungen dieser Konstitution. Mancher wäre vielleicht versucht, eine mögliche Nichtanwendung unter Theodosius I. mit dessen angeblicher Politik zu erklären, antihäretische Gesetze nur zur Drohung zu erlassen (→ S. 402); doch lässt sich so nicht erklären, warum es ebenso wenig Belege dafür gibt, dass man später unter Arkadius oder Theodosius II. versucht hätte, häretische Kleriker danach anzuklagen. Ich sehe keine offensichtliche Lösung für diesen Befund, der umso mysteriöser scheint, als ja der afrikanische Diskurs den Bekanntheitsgrad des Gesetzes (zumindest im Westen) nachdrücklich demonstriert. Mehrere Details an diesem Gesetz sind ungewöhnlich. Da ist zunächst einmal die Sanktion, die klar definiert ist – ansonsten bleibt sie ja oft dem Ermessen des Richters überlassen. Auch gehört sie nicht zum üblichen Repertoire (wie etwa Entzug der Kultstätten oder Verbannung), sondern entspricht vielmehr den Strafen für saumselige Beamte oder andere hohe Persönlichkeiten (→ S. 563). Schließlich ist auch die Verwendung des flexiblen Platzhalterbegriffs »Häretiker« ungewöhnlich: Im Gegensatz zu den meisten anderen Maßnahmen gegen Heterodoxe werden keine spezifischen Gruppen namentlich genannt, sondern Theodosius schafft eine allgemein anwendbare Regelung. Obwohl es durchaus mehrere generische Gesetze gegen »Häretiker« gibt (→ S. 508), spielt im Weiteren von diesen ausschließlich das Gesetz gegen häretische Klerikerweihen eine Rolle in den nordafrikanischen Quellen. Zumeist erscheint es unter Verweis auf die Strafhöhe, weswegen ich es, daran angelehnt, das »Zehnpfundgoldgesetz« nenne. Mit diesem Gesetz versuchten die Katholiken in den Folgejahren, sich gegen gewalttätige Übergriffe zu wehren, für die sie die donatistischen Bischöfe verantwortlich machten. Mehrere Fragen drängen sich auf. Die erste und nächstliegende ist, warum die Katholiken nicht einfach auf das römische Äquivalent einer Körperverletzungsklage zurückgriffen. 13 Tatsächlich können wir nicht ausschließen, 13

Die Strafbarkeit von Körperverletzungen und verwandten Handlungen in der Spätantike wäre ein eigenes Buch wert. Justinian kennt die iniuria, die zivilrechtlich oder strafrechtlich verfolgt werden kann. Doch die zivilrechtliche iniuria beschränkt sich in der Spätantike auf leichte Fälle (Kaser II, S. 439), d. h. etwa Beleidigungen, bei der strafrechtlichen iniuria bestimmt die Sanktion der extra ordinem urteilende Richter (I. 4.4.10). Konkurrierend mit der iniuria existieren die festgelegten Sanktionen der lex Iulia de vi publica et privata (I. 4.18.8), nämlich Deportation bei bewaffneten

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dass sie dies auch taten. Denn was mit den eigentlichen Gewalttätern geschah, wissen wir nicht. Der Presbyter Crispin, den zumindest die Katholiken für einen aufsehenerregenden Anschlag verantwortlich machten (→ S. 514), erscheint danach einfach nicht mehr in den Quellen. 14 Auch kann man vermuten, dass die schweren, ermessensunabhängigen Sanktionen einer violentia- oder vis-Verurteilung nicht im Sinne von Kirchenleuten wie Augustin waren, der selbst für seine ärgsten Feinde die Todesstrafe oder lebensgefährliche Körperstrafen aus tiefster Überzeugung ablehnte (→ S. 603; ferner z. B. epist. 100.2, 133, 134, 139.2 sowie Houlou, S. 18–20; Weissenberg, S. 475–477). 15 Mit Sicherheit schreckten zudem die Risiken einer violentia-Anklage (für ein reales Beispiel → S. 455102). Auch werden wir im Weiteren sehen, dass die katholische Seite das Zehnpfundgoldgesetz auf donatistische Bischöfe anwenden will, die gewaltsame Übergriffe auf Katholiken in ihrem Zuständigkeitsbereich nicht abstellen können oder wollen bzw. im Nachgang auf eine Sanktion ihrer eigenen, donatistischen Parteigänger verzichten – eine solche Strafbarkeit ist etwas ganz anderes als eine (schwer nachweisbare) Anstiftung oder Mittäterschaft an einem Gewaltdelikt. 16 Es handelt sich in diesen Fällen vielmehr um

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Übergriffen, teilweise Enteignung bei unbewaffneten. Konstantin verhängte die Todesstrafe im Fall von violentia (CTh. 9.10.1 f.); seine Konstitutionen sind im Titel Ad legem Iuliam de vi publica et privata aufgeführt, aber ob violentia wirklich nur Synonym von vis war (wie die CTh.-Kompilatoren anzunehmen scheinen), ist ungewiss. In der Rekonstruktion von Niedermeyer (1930, S. 412–417; 1936, S. 206–212) waren die Tatbestände der lex Iulia eine Teilmenge derjenigen, die von Konstantins violentia erfasst wurden; die lex Iulia verlor dadurch im 4. und 5. Jahrhundert ihre Bedeutung gegenüber der violentia, und erst unter Justinian gewann die lex Iulia ihre Relevanz zurück. Vgl. ferner Longo, S. 521–532; Pottier, S. 202–211. Das einschlägige Kapitel von Coroï, S. 303–333, ist oberflächlich und weist allerlei Ungereimtheiten auf (so hält er auf S. 325 Theodor Mommsen für den Autor der westgotischen Interpretatio!). Hinsichtlich des Presbyters Crispin wissen wir nur, dass zumindest Augustin eine Kirchenstrafe (c. Cresc. 3.47.51), genauer gesagt eine rangmäßige Degradierung (c. Cresc. 3.48.52), als Bestrafung gereicht hätte. Dass wir gar nichts mehr vom Presbyter Crispin hören, bedeutet entweder, dass er dem Augustin zu unbedeutend für weitere Erwähnungen schien, oder (eher), dass ihn nie eine Strafe ereilte, von der Augustin gehört und die er doch irgendwann erwähnt hätte. Aufschlussreich für die Einstellung Augustins zu körperlicher Gewalt ist insbesondere epist. 133.2, wo er einem staatlichen Würdenträger anrät, zur Marterung weder den eculeus (das antike Pendant zur Streckbank) noch Reißhaken (zum Aufschlitzen der Haut) noch Flammen einzusetzen, sondern »Schläge mit der Rute«, wie sie – so Augustin! – Lehrer, Eltern und richtende Bischöfe (!) verwenden. Der prominenteste Fall ist der Bischof Crispin, dazu später mehr. Hier sei vorausgeschickt, dass ihn weder Possidius noch Augustin beschuldigen, er sei der Hinter-

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eine Art Quasi-Amtsstrafe wegen Konnivenz oder Ineffizienz, analog zu den Strafen, die kriminellen oder unfähigen Statthaltern drohten (→ S. 563) – dazu passt dann auch ganz hervorragend die Sanktion von zehn Pfund Gold, die einer typischen Statthalterbestrafung gleichkommt. Aber – um eine der weiteren sich aufdrängenden Fragen vorwegzunehmen – hätte man nicht auch einfach irgendein anderes allgemeines Häretikergesetz oder gar Donatistengesetz zum Einsatz bringen können? Zunächst muss festgestellt werden, dass es bis 404/5 kein einziges Gesetz gab, das die Bezeichnung »Donatisten« enthielt. »Donatisten« ist ein abwertender Kampfbegriff, genauso wie es (von donatistischer Seite aus für die Leute, die wir Katholiken nennen) »Traditoren« oder »Macarianer« ist (→ S. 4972) – beide Gemeinschaften sahen sich selbst als »Katholiken«. Erst mit dem Einheitsedikt (→ S. 551) macht sich ein Kaiser diese Beschimpfung ausdrücklich zu eigen. Von den Gesetzen gegen Heterodoxe wären (jedenfalls gegen manche 17 Donatisten) die Gesetze gegen Wiedertaufe 18 einschlägig gewesen, nämlich CTh. 16.6.1 von 373, 16.6.2 von 377 und 16.5.5 von 379. Die Gesetze von 373 und 379 enthalten keine Sanktion, CTh. 16.6.2 verfügt immerhin die Übergabe von Wiedertäuferkirchen an die Katholiken und die Konfiskation von Immobilien, die ersatzweise als solche dienen. CTh. 16.6.2 beruft sich dabei auf frühere Gesetze von Konstantin, Konstantius (nach aller Wahr-

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mann des Anschlags auf Possidius gewesen – was sie ihm hingegen vorhalten, ist die Tatsache, dass er den Schuldigen, den Presbyter Crispin, in keiner Weise sanktionieren wollte. Insofern greift die Erklärung von Hermanowicz, S. 143, zu kurz: »prosecution based on the delict itself was not part of the Catholic strategy. They wanted to combat violence with heresy charges as opposed to those of iniuria or vis«, denn der untätige Bischof Crispin war schlichtweg nicht für die Gewalttat verantwortlich – das glaubten oder behaupteten nicht einmal die Katholiken. Man hat keinen Anhaltspunkt, wie viele Donatisten tatsächlich wiedertauften. Die Gesetze bestrafen ja nicht die theologische Billigung einer Wiedertaufe, sondern ganz konkret den vollzogenen Akt einer solchen. Dafür mussten aber notwendigerweise Katholiken auf dem jeweiligen Territorium die Gruppenzugehörigkeit wechseln und zu den Donatisten übertreten. Ob das nur im Ausnahmefall vorkam oder ob es ein (gelegentliches, häufiges oder ständiges) Hin und Her gab, ist ungewiss; nach aller Wahrscheinlichkeit fehlt die Quellenbasis, um darauf eine fundierte Antwort geben zu können. Die Gesetze gegen die Wiedertaufe besitzen einen eigenen Titel, CTh. 16.6, der zwischen dem Häretiker- und dem Apostatentitel eingereiht ist. Vgl. dazu Caron, dessen Deutungen allerdings in vielen Fällen Skepsis hervorrufen müssen (bezeichnend etwa S. 167: »Il sistema di rapporti fra Stato e Chiesa instaurato nell’Impero romano dopo il 380 ben può essere denominato sistema ›cesaropapista‹«).

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scheinlichkeit ein Überlieferungsfehler oder Missverständnis für Konstans, → S. 508) und Valentinian; das Valentiniangesetz könnte die sanktionslose Regelung CTh. 16.6.1 sein. Bemerkenswerterweise spielen die Gesetze gegen Wiedertaufe in der Diskussion, die uns im Weiteren beschäftigen wird, keinerlei Rolle. Die bislang dafür vorgeschlagenen Erklärungen sind unbefriedigend. 19 Die wahrscheinlichste Deutung scheint mir, dass CTh. 16.6.2 von 377 schlichtweg nicht mehr »frisch« genug war. Ein Gesetz, das man fast zwanzig Jahre zuvor erlassen hatte und das anscheinend nie von Theodosius ausdrücklich bestätigt worden war (der wenig Interesse an den nordafrikanischen Grabenkämpfen zeigte), wagte keiner der katholischen Bischöfe anzuführen – sofern sie sich überhaupt daran erinnern konnten. Wenn den Katholiken also keine antidonatistischen Gesetze zur Verfügung standen und sie die Gesetze gegen Wiedertäufer aus irgendwelchen Gründen nicht verwenden wollten oder konnten – warum griffen sie dann nicht auf die allgemeine antihäretische Gesetzgebung zurück? Die kurze Antwort ist, dass es keine umfassende Gesetzgebung gegen Häretiker allgemein gab: Die weit überwiegende Mehrzahl der Regelungen gegen Häretiker enthält exakte Angaben, für welche Gruppen – also z. B. Manichäer und/oder Montanisten und/oder Eunomianer usw. – das jeweilige Gesetz gilt; es reicht, den fünften Titel des 16. Buchs des Codex Theodosianus zu überfliegen, um sich davon zu überzeugen. 20 19

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Hermanowicz, S. 92: »Augustine and his episcopal allies shied away from soliciting laws forbidding repetition of baptism … Augustine himself said that he wanted to rouse laws that would target only Donatist clergy, not the general population. Extant laws against rebaptism affected laypersons, while the legislation against heretics that interested Augustine focused on bishops«. Dass Wiedertaufgesetze Laien treffen, ist eine Behauptung, die bei Hermanowicz unbelegt bleibt und falsch ist (erstens nimmt »the general population« keine Wiedertaufen vor, zweitens bestehen die Sanktionen von CTh. 16.6.2 in der Beschlagnahme von Kirchen und anderen zum Kult dienenden Gebäuden, nicht in generellen Laienstrafen). Verwirrenderweise bietet Hermanowicz an anderer Stelle eine völlig abweichende Erklärung für dieselbe Beobachtung (Hermanowicz, S. 144 Anm. 37): »It is likely that the African Catholics solicited laws against repabtism, but they seem not to have pursued these laws in the time of Augustine, perhaps in part because the Donatists argued that they never performed ›rebaptism‹. Theirs was the first, as the previous had been illegitimate and ineffective«. Dies ist noch abwegiger, würde sich doch damit die katholische Kirche die theologische Position der Donatisten zu eigen machen. Verkehrt ist übrigens die Vorstellung, dass Gesetze, die man ausdrücklich für bestimmte, namentlich genannte Häresien erlassen hatte, irgendwann um 400 auf Donatisten anwendbar wurden, weil man sie angeblich mit den anderen Häretikern »assimilierte«. Denn auch nach 400 (oder 405) gibt es keine generische Häretiker-

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Gesetze gegen Häretiker allgemein kommen zwar vor, sind aber eher selten. Vor 392 wären zu nennen: CTh. 16.5.4 von 378 ordnet den Einzug häretischer Kultstätten an; 21 CTh. 16.5.6 von 381 droht »allen Häretikern«, die Versammlungen in Städten abhalten, die Vertreibung aus diesen Städten an; CTh. 16.5.14 von 388 ist eigentlich eine Maßnahme gegen Apollinarianer, wendet sich aber tatsächlich gegen Apollinarianos ceterosque diversarum haeresum sectatores und verfügt die Vertreibung aus den Städten; CTh. 16.5.19 von 389 hat die Ausweisung häretischer Kleriker aus Konstantinopel zum Inhalt, CTh. 16.5.20 von 391 die von Häretikern aus Städten und Dörfern. Im Wesentlichen handelt es sich also um die Vertreibung aus den Städten, eine zwar an sich mächtige Bestrafungsform, die aber in der afrikanischen Diskussion kaum auftaucht (vgl. aber → S. 513; dort ist eine Stelle zitiert, wo Augustin a fortiori argumentiert: »eigentlich dürftet ihr ja nicht einmal in den Städten sein«). Wenn man die außerjuristischen Quellen betrachtet, so stellt man fest, dass es eine Sanktion gab, die regelmäßig eine große Rolle spielte bei den Auseinandersetzungen der verschiedenen nordafrikanischen, sich selbst als katholisch definierenden Gemeinschaften: der Verlust von Kirchen an die von den Autoritäten als rechtgläubig angesehene Gruppe. Bereits Konstantin zwang die Donatisten dazu, Kirchen den Katholiken zu übergeben. 22 Unter seinem Sohn Konstans (daher liegt es nahe, bei CTh. 16.6.2 statt Konstantius vielmehr Konstans zu verstehen) ereignete sich in den 340ern eine kurzzeitige Donatistenverfolgung, bei der es auch zu Gewaltakten kam (Belege bei PCBE I,

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gesetzgebung, sondern es werden stets einzelne Sektennamen genannt. Insofern ist z. B. folgende Behauptung irrig (Hombert, S. 570): »Sans doute ces lois visaient-elles surtout les ariens, photiniens, eunomiens, apollinaristes, etc. Mais elles pouvaient s’appliquer aux donatistes dès lors qu’ils étaient assimilés aux hérétiques«. Tatsächlich betreffen die von Hombert zitierten Gesetze nicht »sans doute … surtout« die genannten Gruppen, sondern in meisten Fällen (Ausnahme ist z. B. CTh. 16.5.4, das Hombert auch listet) »ausschließlich«. Bei CTh. 16.5.4 bieten Inskription und Subskription einen chronologischen Widerspruch; man kann diesen beseitigen, indem man das Gesetz jeweils mit einem geringen Eingriff entweder auf 376 oder 378 datiert. Seeck (S. 116, Z. 20–22) plädiert für 376, wofür er den Empfänger konjektural zum Prokonsul von Afrika machen muss; sein Argument ist, dass sich CTh. 16.5.4 »auf die afrikanischen Donatisten zu beziehen scheint« – tatsächlich ist diese Idee fraglos verkehrt, denn in CTh. 16.5.4 geht es um einen coetus haereticus, und Donatisten werden erst eine knappe Generation später offiziell als Häretiker bezeichnet (→ S. 551). Daher ändert man besser mit Delmaire (I, S. 230, S. 232) die Iterationsziffern der Kaiserkonsulate; derlei Fehler finden sich gar nicht so selten (→ S. 575). Augustin bietet zahlreiche Belege dafür, z. B. c. Petil. 2.92.205; für weitere Beispiele vgl. Hombert, S. 569 Anm. 46.

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S. 655–658 s. v. Macarius 1); auch damals wurden wieder Kirchen übernommen, denn unter Julian gelang es den Donatisten, ein Schreiben zu erhalten, mit dem sie ihre Kirchen zurückbekamen (Aug. c. Petil. 2.83.184, 2.92.205, 2.97.224; epist. 105.2.9). Es ist möglich, dass CTh. 16.6.2 von 377 (siehe oben) die vorjulianische Rechtslage wiederherstellte. Andererseits muss die Rechtsgrundlage für die Übernahme von Kirchen recht allgemein formuliert gewesen sein, denn wie Augustin nicht müde wird zu betonen, 23 spannten die Mehrheitsdonatisten selbst die weltlichen Gerichte und die kaiserlichen Gesetze ein, um die Basiliken der Maximianisten, ihrer Abspalter, zu übernehmen – und zwar durchaus mit Erfolg. 24 Auch die Katholiken nutzten in den Jahren, in denen die Diskussion ums Zehnpfundgoldgesetz virulent wurde, dieselben Gesetze, um sich donatistische Kirchen anzueignen (z. B. c. Parm. 1.11.18) – und einer der schlimmsten Gewaltausbrüche trug sich just dann zu, als Donatisten auf einen katholischen Bischof in seiner neuen, d. h. unlängst den Donatisten weggenommenen Kirche stießen (→ S. 542). Fassen wir zusammen: Das antihäretische Sanktionsarsenal bestand in der Konfiskation von Kirchen (was in Afrika bereits gang und gäbe war); im Versammlungsverbot und in der Ausweisung aus den Städten, also Maßnahmen, die in der Diskussion keine Rolle spielten (möglicherweise, weil sie gegen eine donatistische Bevölkerungsmehrheit impraktikabel waren); sowie dem Zehnpfundgoldgesetz, das den Charme besaß, dass seine Sanktion ideal (massiv, aber gewaltfrei) und zudem neuartig im Vergleich zu den bisher verfügbaren Zwangsmaßnahmen war. Und noch einen weiteren großen Vorteil bot das Zehnpfundgoldgesetz: Es war ein frisch erlassenes Gesetz. Theoretisch sollten auch ältere Konstitutionen gültig bleiben, und wir haben natürlich zahllose Beispiele dafür. Da es andererseits kein Gesetzesbuch gab, in das ein neuer Erlass einsortiert worden wäre, konnten Zweifel an der Gültigkeit älterer, über längere Zeit nicht mehr angewandter Gesetze entstehen; möglicherweise entsprachen sie nicht den Vorstellungen des mittlerweile amtierenden Kaisers (→ S. 125). Das Zehnpfundgoldgesetz, dessen Veröffentlichung in Afrika frühestens in der 23 24

Hombert, S. 571 Anm. 54, hat knapp zwanzig entsprechende Belege gesammelt (z. B. Aug. c. Cresc. 3.59.65, 4.47.57; c. Parm. 1.13.20). Die Mehrheitsdonatisten werden sich kaum auf CTh. 16.6.2 berufen haben (das sich ja gegen Wiedertäufer wendet), um an die Kirchen der Maximianisten zu kommen (denn deren Taufverständnis entsprach exakt dem der donatistischen Hauptkirche). Auf welches Gesetz man sich stattdessen stützte, muss offenbleiben – unter den erhaltenen Regelungen sehe ich keine offensichtliche Rechtsgrundlage.

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zweiten Jahreshälfte 392 stattgefunden hatte, war hingegen über jeden Zweifel erhaben. So weit zu den Faktoren, die das Zehnpfundgoldgesetz für die Katholiken attraktiv machten. Allerdings war da auch etwas, was nicht ganz den Interessen der Katholiken entsprach, und das war der Tatbestand. Das Zehnpfundgoldgesetz ist eine Regelung gegen Klerikerweihen unter Häretikern, nicht gegen Gewalttaten durch Schismatiker. Doch: »Whatever a legislator’s original purpose and meaning, once issued, any law or similar authoritative legal text is at the mercy of those who seek to use it in any way they can for their own purposes« (Corcoran 2015, S. 85); diese zeitlose Wahrheit lässt sich beim Zehnpfundgoldgesetz ganz vortrefflich für die römische Spätantike illustrieren. Dass nicht einfach jeder Häretiker sanktioniert wurde, sondern nur derjenige, der künftig eine Klerikerweihe vornahm oder empfing, ignoriert Augustin geflissentlich, wann immer er das Zehnpfundgoldgesetz gegenüber Donatisten erwähnt. Vielleicht geht er davon aus, dass den Donatisten der Wortlaut gar nicht vorliegt und er deswegen ohne Weiteres so tun kann, als wäre der Anwendungsbereich größer, als dies wirklich der Fall ist. Anders, wenn sich die katholischen Bischöfe an den Kaiserhof wenden: Sie zeigen sich hervorragend über die genaue Tathandlung informiert und genau deswegen wünschen sie sich auch eine Änderung (dazu später mehr: → S. 529). Praktisch dürfte das Problem hinsichtlich der Tathandlung gering gewesen sein: Donatistische Bischöfe (um die es ja im Diskurs geht, obwohl das Gesetz auch die geweihten Kleriker erfasst) werden schwerlich in Abrede gestellt haben, dass sie Kleriker weihen. Das Hauptproblem ist aber, dass es sich beim Donatismus – jedenfalls anfänglich – unstreitig, trotz der unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich der Wirksamkeit des Taufsakraments im Fall eines unwürdigen Sakramentenspenders, um ein Schisma, nicht um eine Häresie, handelte. Dieser Konsens, der zumindest nach außen von den Katholiken mitgetragen wurde, 25 bedeu25

Optat von Mileve sieht die Donatisten eindeutig als Schismatiker, nicht Häretiker an (passim). Augustins Textcorpus ist so umfassend, dass wir eine Innen- und eine Außenansicht unterscheiden können (Schindler 1980, S. 234). Augustin weiß natürlich, was Schisma und was Häresie ist, und gibt im Jahr 393 eine mustergültige Definition (Aug. fid. et symb. 10.21, haeretici de deo falsa sentiendo ipsam fidem violant; schismatici autem discissionibus iniquis a fraterna caritate dissiliunt, quamvis ea credant quae credimus, »Häretiker tun dem Glauben selbst Gewalt an, indem sie Falsches über Gott denken; Schismatiker hingegen trennen sich von der brüderlichen Liebe durch gehässige Spaltereien, obwohl sie dasselbe glauben wie wir«). Wenn Augustin vor 403 mit Donatisten kommuniziert, ist er so taktvoll, sie stets nur als

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tete aber auch, dass Gesetze, die sich generisch gegen »Häretiker« richteten, für sie nicht einschlägig waren. Bis nach der Herrschaft des Honorius kennen wir überhaupt nur ein einziges Gesetz, das Schismatiker benachteiligt, nämlich CTh. 16.5.1 von 326, wonach weder Häretiker noch Schismatiker über die Privilegien einer Kirche verfügen (→ S. 587). Dies war die juristische Ausgangslage, als die Katholiken zum ersten Mal versuchten, das Zehnpfundgoldgesetz in Anwendung zu bringen. Der Vorstoß galt dem donatistischen Bischof Optat von Thamugadi, wie Augustin etliche Jahre später erwähnt (c. Petil. 2.83.184): Ipsa ecclesia catholica … armatis turbis ab Optato atrociter et hostiliter oppugnata est. Quae res coegit tunc primo adversus vos allegari apud vicarium Seranum legem illam de decem libris auri, quas nullus vestrum adhuc pendit, »Die katholische Kirche selbst … wurde von Optat mittels bewaffneter Banden blutrünstig und feindselig attackiert. Diese Angelegenheit erzwang, dass man sich damals zum allerersten Mal gegen euch vor dem Vikar 26 Seran auf jenes Gesetz mit den zehn Pfund Gold – die keiner von euch bislang gezahlt hat! – berufen musste«. Sehr viel mehr weiß man über die Episode nicht. Die Datierung ist unklar (vgl. PCBE I, S. 797–801

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Schismatiker zu bezeichnen: epist. 33.1 (395), 43.8.24 (396/7), 51.5 (399/400), 53.3.6 (400); das Gleiche gilt im Fall eines veröffentlichten Werks: bapt. 1.1.2 (400/1). (Eine weitere Stelle, die Schindler 1980, S. 234 Anm. 33, anführt, nämlich en. in Ps. 54.19 ff., ist allerdings nicht von »um 395«, sondern von 406/7, Hombert, S. 554, oder, eher, 408, Rondet, S. 199–202.) Anders wenn Augustin privatim mit seinen katholischen Vertrauten korrespondiert: Dann nimmt er es nicht so streng mit der politischen Korrektheit und schimpft die Donatisten schon sehr früh Häretiker, so 394/5 (epist. 29.11 f.) oder 400 (c. Petil. 1.1.1 – das erste Buch war ursprünglich ein Brief an Augustins Kleriker). Zum späteren Umschwung (ab 403 lässt er es auch offiziell offen, ob Donatisten Schismatiker oder Häretiker sind; ab 404 nennt er die Donatisten ganz offen Häretiker) vgl. → S. 523. Für die Predigten bietet Tholen, S. 130 f., eine Übersicht, leider ohne die jeweilige Datierung. In der Zeitspanne, die die vorliegende Arbeit behandelt, zerfiel das römische Afrika administrativ in zwei unterschiedliche Bereiche. Die Provinz Africa Proconsularis hatte eine Sonderstellung außerhalb des Präfekturensystems (→ S. 55), und ihr Statthalter, der Prokonsul, nahm eine außerordentlich hohe Rangstufe ein. Die anderen Provinzen Nordafrikas gehörten zur Präfektur »Italien, Illyrien und Afrika« und bildeten zusammen die Diözese Afrika. In der Diözese gab es einen Vertreter des Prätoriumspräfekten vor Ort: den vicarius Africae. Sowohl Prokonsul als auch Vikar saßen in Karthago, aber ihre Amtssprengel waren streng geschieden (vgl. Morgenstern, S. 110 f.). Thamugadi war Teil der Provinz Numidien, folglich war der Vikar, nicht der Prokonsul zuständig. Die allermeisten Episoden dieses Kapitels (und auch des Manichäerkapitels) tragen sich im prokonsularen Afrika zu, weswegen sonst meist der Prokonsul begegnet.

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s. v. Optatus 2, auf S. 799), doch ungefähr 395 könnte richtig sein. Hinsichtlich eines anderen Vorfalls, bei dem es um die Zerstörung einer Kirche ging, verteidigte man den Optat aus donatistischer Sicht folgendermaßen (c. Cresc. 4.46.55), non Optatus sed populus evertit, »[die Kirche] hat nicht Optat, sondern das Volk zerstört!«. Man darf sich vorstellen, dass Optat in gleicher Weise die Verantwortung für die genannten armatae turbae wird abgestritten haben; dass eine Anklage wegen violentia o. ä. mithin wenig Erfolg versprochen hätte; und man deswegen zum Zehnpfundgoldgesetz Zuflucht suchte. Doch dieser Versuch scheiterte: Wir werden gleich sehen, welche Furore eine tatsächliche (Erst-)Verurteilung nach diesem Gesetz machen sollte; Augustins Schweigen hinsichtlich Optat ist also beredt. 27 Ein paar Jahre später, also wohl im Jahr 400 oder in einem der Folgejahre, 28 konvertierte der donatistische Bischof Crispin von Calama 80 abhängige Bauern, die zu einem kaiserlichen Landgut gehörten, das er kurz zuvor in Emphyteuse (Langzeitpacht) übernommen hatte (vgl. Lepelley, S. 233–242); diese Konvertierung umfasste auch, dass er die Bauern nach seinem Verständnis zum ersten Mal gültig taufte – ein Vorgang, der aus katholischer Sicht den ruchlosen Akt der Wiedertaufe darstellte. In dieser Angelegenheit richtet 27

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Dass bislang noch kein Donatist die zehn Pfund Gold zahlte, wie Augustin schreibt, ist allerdings kein Beweis, dass der Versuch misslang (pace Hermanowicz, S. 105) – denn im Crispin-Fall kam es sehr wohl zu einer Verurteilung, nicht aber zu einer Zahlung. Das echte Argument ist e silentio, denn Augustin würde eine solche Verurteilung – d. h. die offizielle Feststellung der Häretikereigenschaft Optats – ohne jeden Zweifel breittreten. Monceaux VII, S. 280: »400 ou 401«; Divjak 1996–2002, Sp. 960: »knapp nach 400«; PCBE I, S. 252 f. s. v. Crispinus 1: »avant septembre 401«; Willis, S. 56: »at the beginning of 402« (Entstehungszeit des Briefs kurz nach dem Vorfall); Hermanowicz, S. 105: »around 402«. Von all diesen Autoren gibt überhaupt nur Monceaux an, worauf seine Datierung basiert! Er nimmt (natürlich zu Recht) das zweite Buch von c. Petil. als Terminus ante quem, das er ins Jahr 401 setzt, und behauptet, »Augustin raconte le même fait comme tout récent«. Doch die Frühdatierung dieses 2. Buchs ist keineswegs sicher (in meinen Augen: ausgeschlossen, → S. 599; ich gehe von 404 aus), andererseits sehe ich auch nicht, dass Augustin die Begebenheiten als »tout récent« berichtet (wiederum → S. 599), d. h., mein Terminus ante quem ist 404, und das Ereignis kann ohne Weiteres ein paar Jahre früher stattgefunden haben. Was die anderen Datierungen angeht, so darf man vermuten, dass die PCBE dem Gedankengang von Monceaux folgt und so zu ihrem genauen Terminus ante quem gelangt. Die (teilweise erstaunlich präzisen) Datierungen der anderen Autoren bleiben mir völlig unerklärlich. Wer hingegen wie Goldbacher (S. 21) keine Datierung ohne Argument angibt, kann nur resümieren: »rebaptizatio, quae Augustinum, ut epistulam … mitteret, permovit, quando facta sit, accurate definiri non potest«.

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Augustin einen grußlosen, entrüsteten Brief (epist. 66) an den Bischof Crispin (da uns später noch ein »Presbyter Crispin« begegnen wird, spreche ich konsequent vom »Bischof Crispin«) und mahnt ihn, den Zorn Gottes zu fürchten. Zudem deutet Augustin an, dass sehr wohl auch weltliche Gefahren drohen, und fordert Respekt vor dem Kaiser. Er fährt fort: Sed nos te de homine non terremus. Nam possemus agere ut decem libras auri secundum imperatoria iussa persolveres. An forte propterea non habes, unde reddas, quod dare iussi sunt rebaptizatores, dum multum erogas, ut emas, quos rebaptizes? Sed nos te, ut dixi, de homine non terremus, »Aber hinsichtlich eines Menschen jagen wir dir keine Angst ein. Freilich könnten wir Anklage erheben, dass du die zehn Pfund Gold gemäß den kaiserlichen Verordnungen zahlen musst. Oder vielleicht hast du deswegen gar nichts, wovon du das entrichten könntest, was Wiedertäufer zahlen müssen, weil du so viel ausgibst, um die zu kaufen, 29 die du wiedertaufst? Aber, wie gesagt, hinsichtlich eines Menschen jagen wir dir ja keine Angst ein«. Keines der uns bekannten Gesetze gegen Wiedertaufen 30 droht mit einer Geldstrafe. Es steht außer Frage, dass es wieder um das Zehnpfundgoldgesetz geht, das aber, wie wir gesehen haben, häretische Klerikerweihen, nicht Wiedertaufen, unter Strafe stellt. Der Gedankengang wird sein, dass, wer wiedertauft, zweifellos Häretiker ist; wer aber häretischer Bischof ist, fällt schon irgendwie unter das Gesetz. Auf juristische Feinheiten nimmt Augustin jedenfalls keine Rücksicht: Im Gegensatz zu dem, was er proklamiert, will er seinen Gegner sehr wohl de homine terrere, auch wenn die rechtliche Basis für eine solche Einschüchterung alles andere als evident ist. Als Augustin auf diese Episode rekurriert – das gleich folgende Zitat stammt aus derselben Passage wie die eben zitierte Anekdote mit Optat –, schreibt er (wiederum c. Petil. 2.83.184): nonne Crispinus vester Calamensis, cum emisset possessionem et hoc emphyteuticam, non dubitavit in fundo catholicorum imperatorum, quorum legibus nec in civitatibus esse iussi estis, … octoginta ferme animas … rebaptizando submergere?, »Hat denn euer Crispin von Calama etwa gezögert, nach dem Kauf eines Landguts (ausgerechnet eines emphyteutischen!) rund 80 Seelen … durch Wiedertaufe ins Verderben zu stürzen, und das auf einem Landgut der katholischen Kaiser, nach deren Gesetzen ihr nicht einmal in den Städten sein dürftet?«. Man beachte, dass Augustin nunmehr das von ihm so empfundene

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Gemeint: die Kosten für die Emphyteuse des Landguts, zu dem die bodengebundenen Kolonen gehören. Es sei wiederum an CTh. 16.6.1 (373), CTh. 16.6.2 (377) sowie CTh. 16.5.5 (379) erinnert (→ S. 506), wobei die Konstitution von 377 auch noch zusätzliche, uns nicht erhaltene Regelungen erwähnt.

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Verbrechen des Crispin nicht mit dem Zehnpfundgoldgesetz in Zusammenhang bringt, sondern dieses Mal mit der Ausweisung der Häretiker aus den Städten (vgl. CTh. 16.5.20 vom 19. Mai 391, → S. 508), die ansonsten keine große Rolle in seinen Argumentationen spielt. Derselbe Bischof Crispin von Calama wurde übrigens letztlich doch noch nach dem Zehnpfundgoldgesetz verurteilt, allerdings nach einem ganz anders gearteten Vorfall, der sich Anfang 404 zutrug: 31 Possidius, dem katholischen Bischof von Calama und späteren Biografen von Augustin, wurde auf einer Reise aufgelauert. Possidius konnte sich zwar mit Mühe in ein Gehöft flüchten, wurde aber letztlich ausgeräuchert, herausgezogen und brutal zusammengeschlagen; er überlebte angeblich nur deswegen, weil es – dank der Flucht zum Gehöft – zu viele Zeugen gab, als dass man einen Mord hätte riskieren können. Bei dem Gewaltakt anwesend war ein anderer Crispin, Presbyter und gerüchteweise Verwandter von Bischof Crispin; es war der Presbyter Crispin, der letztlich die Schläger davon abhielt, Possidius umzubringen. Gleichwohl war es für die Katholiken eine ausgemachte Sache, dass für den Anschlag der Presbyter Crispin direkt und der Bischof Crispin mittelbar verantwortlich waren. 32 In Calama wartete man nun gespannt darauf, wie Bischof Crispin seinen Presbyter Crispin bestrafen würde; sogar eine offizielle Erklärung, die anscheinend diese Erwartung ausdrückte, wurde in die Verhandlungen des Stadtrats aufgenommen. Doch Bischof Crispin tat … gar nichts. 33 Bemerkens31

32 33

Wir haben einen chronologischen Fixpunkt: Am 25. August 403 beschlossen die katholischen Bischöfe, Anstrengungen zu unternehmen, um mit ihren donatistischen Kollegen ins Gespräch zu kommen (Conc. Afr. p. 208.880 f., p. 210 f.945–996). Am 13. September 403 (man beachte, wie viel Zeit sich die Bischöfe lassen!) schickt man dem Prokonsul von Afrika einen Brief, er möge veranlassen, dass die katholischen Bischöfe mithilfe der lokalen Autoritäten ihre donatistischen Kollegen zu derlei Gesprächen laden können (Coll. Carth. 3.174). Just aus einer solchen Gesprächseinladung von Possidius an Bischof Crispin entspann sich der Streit, den die Anhänger des donatistischen Bischofs hemdsärmelig regeln wollten (Aug. c. Cresc. 3.45.49– 3.46.50). Das Ganze sollte sich Anfang 404 zugetragen haben, denn es dauerte wohl, ehe der Prokonsul antwortete; auch steht bei Augustin, dass vor dem Angriff zwei Einladungen an Bischof Crispin ergingen, zwischen denen »nicht wenig Zeit« (non parvum tempus) verging (vgl. Hermanowicz, S. 114 Anm. 60, die auch weitere, weniger stichhaltige Argumente liefert). Die Quellen zum Angriff sind Aug. c. Cresc. 3.46.50; epist. 105.2.4; sowie Possidius selbst: vita Aug. 12.4, allerdings sehr summarisch. Hermanowicz, S. 114: »Augustine tells us that from feelings of fear or shame (›vel timore vel pudore‹), Bishop Crispinus reported the attack to the municipal council with the understanding that he would handle the discipline through ecclesiastical

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werterweise macht keiner der katholischen Autoren (weder Augustin noch der unmittelbar betroffene Possidius) Bischof Crispin für die Gewalt direkt verantwortlich. 34 Ihre Beschwerde gilt der Tatsache, dass Bischof Crispin seine übereifrigen Untergebenen nicht züchtigen will. Daher konnten die Katholiken auch nicht mit vis- bzw. violentia-Klagen gegen Bischof Crispin vorgehen. Die genaueste Schilderung dessen, was nun passiert, stammt von Possidius selbst, der (wie auch sonst) von sich in der dritten Person und ohne Namensnennung spricht (Possid. vita Aug. 12.5–7): 35 De qua re … defensor ecclesiae inter leges non siluit. Et praeceptus est Crispinus … ad multam teneri aurariam publicis legibus contra haereticos constitutam. 6. Qui resultans legibus praesentatus cum apud proconsulem se negaret haereticum, oborta est necessitas, ut illi recedente ecclesiae defensore a catholico episcopo resisteretur et convinceretur eum esse, quod se fuisse negaverat … 7. … ad controversiam ambo illi Calamenses episcopi venerunt, et de ipsa diversa communione tertio conflictum secum egerunt magna populorum Christianorum multitudine causae exitum et

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channels (›ecclesiasticam vindictam‹)«. Die Paraphrase von Hermanowicz hat nur wenig mit dem zu tun, was Augustin tatsächlich schreibt (c. Cresc. 3.47.51): Haec posteaquam nota facta sunt in oppido Calamensi, expectabatur Crispinus vester episcopus quemadmodum in suum presbyterum vindicaret. Accessit etiam protestatio municipalibus gestis expressa, cuius vel timore vel pudore cogeretur ecclesiasticam exercere vindictam. Quod cum omnino contemneret …, »Nachdem diese Ereignisse in der Stadt Calama bekannt geworden waren, wartete man, auf welche Weise euer Bischof Crispin seinen Presbyter bestrafen würde. Dazu kam sogar noch eine offizielle Erklärung, die man in die städtischen Akten aufnahm; sie sollte Angst oder Scham bei Crispin hervorrufen und ihn zwingen, eine kirchliche Bestrafung zu vollziehen. Doch weil er dies gänzlich ignorierte …«. Insofern überzeugt es nicht, wenn Lenski (S. 181) begründungslos behauptet, Bischof Crispin habe den Anschlag organisiert. Wir kennen die Episode mit dem Anschlag auf Possidius und der nachfolgenden Verurteilung des Bischofs Crispin einerseits aus der Augustin-Vita des Possidius (vita Aug. 12), andererseits kommt Augustin mehrere Male auf die Angelegenheit zurück. Die ausführlichste Darstellung bietet c. Cresc. 3.46.50–3.48.52 (von 405); ferner serm. 162A.8–10 bald nach dem Prozess (die von Verbraken, S. 164, aufgelisteten Datierungen setzen die Predigt vor das Commonitorium, → S. 526; er bezieht sich auf Morin, der seinerseits die Datierung nicht begründet; wahrscheinlich liegt dem die nicht beweisbare Vorstellung zugrunde, der Prozess sei zum Zeitpunkt des Commonitoriums abgeschlossen gewesen). In dieser Predigt gibt Augustin zwei Originalzitate des Crispin aus dem Prozessprotokoll wieder: Audi me, non sum haereticus! und Catholicus sum! Weitere Quellen zum Prozess sind epist. 88.7 und epist. 105.2.4, wo aus der Rückschau (zwischen Einheitsedikt 405 und Collatio 411) das Verfahren gegen Crispin jeweils kurz zusammengefasst wird.

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donatisten apud Carthaginem et per totam Africam exspectante atque ille est Crispinus proconsulari et libellari sententia pronuntiatus haereticus. Angesichts dieses Vorkommnisses [des Überfalls auf Possidius] … konnte ein defensor ecclesiae vor Gericht nicht schweigen. Und Crispin wurde geheißen, gemäß der Goldstrafe, die gesetzlich [→ S. 158] gegen Häretiker bestimmt ist, zu haften. 6. Der aber sträubte sich, wurde dem Gericht vorgeführt und stritt vor dem Prokonsul ab, ein Häretiker zu sein. Da entstand die Notwendigkeit, dass der defensor ecclesiae abtreten musste, dass dem Crispin vonseiten eines katholischen Bischofs entgegenzutreten war und dass man ihn überführen musste zu sein, was zu sein er abgestritten hatte. … 7. … Beide Bischöfe von Calama kamen zur Auseinandersetzung. Sie führten miteinander dreimal 36 ein Streitgespräch über die Frage der getrennten Kirchengemeinschaft, wobei eine große Menge von Christenmenschen nicht nur in Karthago, sondern in ganz Afrika dem Ausgang des Prozesses entgegenfieberte. Crispin wurde mit prokonsularem und libellarischem 37 [schriftlichem] Urteil zum Häretiker erklärt.

Soll man annehmen, dass der defensor ecclesiae eine Verurteilung vor dem munizipalen Gericht in Calama erreichte? Kaum. 38 Noch verkehrter ist die 36

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Vgl. Blaise s. v. tertio; nicht »zum dritten Mal«, da ja Crispin derlei Debatten bislang stets verweigert hatte. Die Diskussion der beiden Bischöfe fand also in drei Sitzungen statt. Vgl. CTh. 4.17.4 (384), Sententia non valeat, quae ex libello data non fuerit, »Ein Urteil, das nicht aus einem libellus gegeben [ex libello data] wurde, soll ungültig sein«, sowie CTh. 11.30.40 (383), Omnem, quae de libello scripta recitatur, dici volumus atque esse sententiam … Praeterea quidquid in cunctis cognitionibus atque conflictibus libelli absque documento et recitatione decernitur, praeiudicii loco iuste ac probabiliter putatur, »Wir ordnen an, dass [nur] ein jedes Urteil, das schriftlich niedergelegt von einem libellus abgelesen wird, ›Urteil‹ heißen und sein soll … Ferner: Alles, was in sämtlichen Untersuchungen und Prozessen ohne Niederschrift und Verlesung des libellus entschieden wird, wird gerechter- und vernünftigerweise [nur] als informeller Zwischenstand [praeiudicium] betrachtet«. Gemeint ist, dass Statthalterurteile unbedingt vorformuliert abgelesen werden müssen (vgl. die Gesetze, die im Titel CTh. 4.17 gesammelt sind). Possidius will also sagen, dass das Urteil gegen Crispin unter Einhaltung der formalen Voraussetzungen, »comme il faut«, ergangen ist. Leider wissen wir nur wenig über die munizipale Gerichtsbarkeit der Spätantike. Aber: »Der Umfang der städtischen G.[erichtsbarkeit] beschränkte sich auf geringfügige Angelegenheiten, mit welchen der Statthalter nicht belästigt werden sollte« (Pieler, Sp. 426). Zumindest für die justinianische Zeit nimmt man eine Wertgrenze von 50 Solidi an (Pieler, Sp. 426) – sehr weit entfernt von den 720 Solidi der zehn Pfund Gold! Zudem ist Crispin als Bischof und Großgrundbesitzer ein hochgestellter Mann, den man kaum vor einem Munizipalgericht aburteilen kann. Überdies benutzt Possidius kein technisches Vokabular, aus dem man folgern müsste, dass Crispin gegen ein lokales Urteil in Berufung geht, als er sich dem Statthaltergericht stellt (und Possidius beherrscht sehr wohl die korrekte Terminologie, was seine Verwen-

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Vorstellung, Possidius, nicht der anonyme defensor ecclesiae, habe den juristischen Vorstoß initiiert. 39 Leider bleibt der defensor ecclesiae, 40 der gegen Crispin aktiv wurde (d. h., die Kognition in Gang setzte), für uns namenlos. Was genau beim Statthalter

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dung derselben beweist, als Crispin später gegen das Statthalterurteil an den Kaiser appelliert). Ferner schreibt Possidius: defensor ecclesiae inter leges non siluit; gleich im nächsten Satz bedeutet legibus praesentatus »dem Statthaltergericht vorgeführt«, sodass das nächstliegende Verständnis von inter leges an unserer Stelle ebenfalls »beim Statthaltergericht« sein muss. Vgl. CTh. 16.11.1, legibus oportet audiri, »… muss man bei Gericht verhandeln«, als Gegensatz zum Bischofsgericht. Das Buch von Hermanowicz ist von einer systematischen Überschätzung bzw. Übertreibung der Rolle des Possidius gekennzeichnet, und so schreibt sie auch hier (Hermanowicz, S. 114 f.): »Possidius soon concluded that nothing more would happen without the involvement of external parties, so he [!] decided to bring charges of heresy against Crispinus. … Possidius tells us … that when challenged by the defensor ecclesiae at the local level, Crispinus denied he was a heretic«. Doch Possidius selbst (vita Aug. 12.5 f.) schreibt unzweideutig, dass zunächst der anonyme defensor ecclesiae einschritt und erst dann, recedente ecclesiae defensore, ein Bischof (nämlich Possidius) die Vertretung der katholischen Seite übernahm. Die Darstellung von Shaw, S. 534, wo der defensor gar nicht mehr auftaucht, ist noch weiter von den Quellen entfernt: »Possidius [!] had filed complaints with the municipal courts … In frustration, Possidius took an alternative route. Going over the heads of the local authorities, he [!] went before the court of the proconsular governor to charge Crispinus«. Die frühe Geschichte der Institution des defensor ecclesiae ist nicht ganz klar und der Forschungsstand unbefriedigend, sodass hier kurz direkt auf die Quellen rekurriert werden muss. Wir finden dort einerseits den lokalen defensor ecclesiae, den der Ortsbischof bestimmt und der (analog zum defensor civitatis, → S. 484143) die kleinen Leute vor den Übergriffen der Mächtigen schützen soll. Die Erlaubnis, solche defensores einzusetzen, erbitten die afrikanischen Bischöfe von den Kaisern im Jahr 401 (Conc. Afr. p. 202.686–690). Ein solcher defensor ecclesiae begegnet uns in Aug. epist. Divj. 20.29 (422/3) als Komplize des kriminellen Bischofs von Fussala. Im Jahr 407 (Conc. Afr. p. 215.1149–1157) ersuchen die afrikanischen Bischöfe, defensores scholastici berufen zu dürfen, die als Rechtsbeistand der Kirchen (qui defensionem ecclesiarum susceperint) analog zu Provinzialpriestern (die ja selbst Anwälte sein mussten: → S. 566) direkten Zugang zu den Amtsstellen der Statthalter haben sollen; auf diese Petition scheint sich Honorius zu beziehen, wenn er (CTh. 16.2.38, → S. 566) im selben Jahr den Bischöfen gewährt, dass deren advocati anstelle der Provinzialpriester hinsichtlich Privilegien mit den Statthaltern kommunizieren sollen (Petition und Gesetz sind also nicht deckungsgleich!). Die kirchlichen Anwälte werden weder in der Petition (dort: defensores scholastici) noch im Gesetz (dort: advocati eorum) als defensores ecclesiae bezeichnet; es scheint vorschnell, aus der zitierten Passage mit der defensio ecclesiarum den Titel defensor ecclesiae abzuleiten – aber genau das tut die ganze Literatur zum defensor ecclesiae (Martroye 1923,

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geschah, kann man nur erahnen. Wahrscheinlich erließ der Statthalter eine Verfügung, die analog zu einer litis denuntiatio wirkte: Crispin wären dann vier Monate verblieben, um sich einem Prozess vor dem Statthalter in Karthago zu stellen, oder er wäre im Kontumazialverfahren zur Strafe von zehn Pfund Gold verurteilt worden. 41 Was diese Rekonstruktion stützt, ist die Tatsache, dass Crispin nicht nach Karthago verbracht wurde, sondern aufgrund letztlich eigener Entscheidung dorthin ging.42

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S. 597 f., Fischer, Sp. 656; Lancel 1996–2002a, Sp. 262 f.; Humfress 2001, S. 568– 572; letztere Darstellung besonders unplausibel und ohne Berücksichtigung des Materials von Augustin und Possidius). Tatsächlich sind diese Juristen etwas ganz anderes: Als Rechtsbeistand vertreten sie die Kirche beim Statthalter, sie beschützen nicht die kleinen Leute vor Ort. Martroye (1923, S. 620 f.; gefolgt von Fischer und Lancel) argumentierte, dass der defensor bei Possidius untechnisch sein müsse, es sich also um irgendeinen Anwalt handele, der die Kirche gerade vertrat, denn der defensor sei erst im Jahr 407 institutionalisiert worden. Aber bei Possidius erscheint zweimal identisch defensor ecclesiae wiederholt, was auf einen etablierten Titel hinweist. Und 407 hat Honorius nicht den defensor ecclesiae institutionalisiert, sondern den advocati der Kirche die Kommunikation mit Statthaltern gewährt. Ich denke (allein schon aus chronologischen Gründen), dass der defensor ecclesiae von Possidius einfach nur ein defensor ecclesiae (welcher Kirche auch immer) im Sinne der Petition von 401 war (d. h. eigentlich Beschützer der kleinen Leute), der sich (warum auch immer) in Karthago befand und den Prozess in Gang setzte. Er muss also keineswegs Jurist gewesen sein! Das passt sehr gut zur Information, dass er beim eigentlichen Prozess keinerlei Rolle mehr spielte. Die litis denuntiatio gehört eigentlich ins spätantike Zivilrecht (Kaser/Hackl, S. 566–570; Haensch 2017, S. 457–464). Aber mit der vollständig überlieferten Konstitution, mit der Honorius die Donatisten zur Collatio von 411 lädt, haben wir ein Beispiel, wie im öffentlichen Recht völlig analog zur litis denuntiatio vorgegangen wird: Honorius lässt den Donatisten vier Monate, um sich der Collatio zu stellen; andernfalls werden ihre Kirchen und ihre Gemeinden durch Kontumazialentscheidung an die Katholiken übergeben (CN 324, Diskussion bei Steinwenter 1914, S. 119–121). Eine ganz analoge Verfügung des afrikanischen Prokonsuls könnte Possidius meinen, wenn er schreibt (vita Aug. 12.5), praeceptus est Crispinus … ad multam teneri aurariam; damit löst sich auch das sprachliche Problem, das sich einem sonst vermeintlich stellt, vgl. Bastiaensen, S. 378: »praeceptus est teneri è costruzione poco elegante … e ridondante (due verbi che esprimono la stessa idea)«. Das legibus praesentatus von Possidius würde man intuitiv anders auffassen, ebenso das exhibitus igitur Crispinus von Augustin (c. Cresc. 3.47.51); aber die Aussage von Augustin in c. Cresc. 3.48.52 ist eindeutig: cum Crispinus maluerit [!] Carthaginem pergere, propria pertinacia superari. Die anderen Formulierungen erklären sich entweder dadurch, dass Crispin ja sehr wohl nach Karthago zitiert wurde, oder aber sind lediglich i. S. v. »wurde vor Gericht gestellt« aufzufassen.

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Crispin zog also nach Karthago, um sich einem ordentlichen Verfahren vor dem Statthalter zu stellen. Auch sein katholischer Amtskollege Possidius reiste dorthin, wobei seine Rolle nicht unmittelbar klar ist. Angesichts der generellen Vorbehalte von Bischöfen, in die Anklägerrolle zu schlüpfen (vgl. Sirm. 14; der skrupellose Ithacius stellt eine skandalöse Ausnahme dar: → S. 427), hat er gewiss nicht den defensor als Akkusator abgelöst. Mehr noch: Die einer litis denuntiatio analoge Statthalterverfügung – die dem Akkusationsverfahren fremd ist – sollte beweisen, dass ein Kognitionsverfahren stattfand. Letztlich ging es darum, dass Possidius besser als der defensor für theologische Debatten mit Crispin gerüstet war, auf die es vor dem Prokonsul ankam – denn die entscheidende Frage war ja die Feststellung der Häretikereigenschaft bei Bischof Crispin. In der aufsehenerregenden Verhandlung wurde Crispin 43 als Häretiker überführt 44 und zur Zahlung der zehn Pfund Gold verurteilt. Obwohl diese Strafe auf Fürbitte des Possidius 45 sogleich erlassen wurde, appellierte Cris43

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Und zwar Crispin allein, nicht Proculian und Crispin! Auch in Aug. epist. 88.7 schildert Augustin den Ablauf: Proculian, der donatistische Bischof von Hippo, habe eine gemeinsame Konferenz von Katholiken und Donatisten abgelehnt; nachdem dann die Gewalttaten von Zirkumzellionen und donatistischen Klerikern nicht enden wollten, dicta causa est, cum Crispino iudicatus haereticus, nec poena decem librarum auri … per mansuetudinem catholicam feriri permissus est et tamen ad imperatores appellandum putavit, »… wurde der Prozess ausgetragen, mit Crispin wurde er als Häretiker verurteilt, aber ihn traf die Strafe von zehn Pfund Gold dank katholischer Nachsicht nicht, er hielt es aber trotzdem für notwendig, bei den Kaisern Berufung einzulegen«. Es ist offensichtlich, dass hier ein textkritisches Problem vorliegt: Wie wir aus diversen anderen Stellen wissen, war es Crispin allein, der als Häretiker verurteilt wurde, dem man die Strafe erließ und der sich trotzdem an die Kaiser wandte – nicht der zuvor in anderem Kontext genannte Proculian zusammen mit Crispin. Es ist nicht nachvollziehbar, weswegen Goldbacher die alte (und offensichtliche) Emendation Crispinus in den Apparat verbannt und lieber einen klar falschen Text abdruckt (vgl. zur Formulierung c. Cresc. 3.59.65). Die Folgen sieht man bei Hermanowicz, S. 115 Anm. 61, die schreibt: »Cf. ep. 88.7 where Augustine says: ›The case was heard and Proculianus was pronounced a heretic along with Crispinus‹«. Trotz ihrer Kursivierung erwähnt sie übrigens diese Doppelverurteilung im Weiteren nicht mehr. Hermanowicz, S. 97, schreibt: »This is the first time a representative from the imperial government declared that the Donatists [!] were subject to heresy laws«. Nein. Ausschließlich der Bischof Crispin wird als Häretiker überführt, nicht »die« Donatisten; und er wird nicht den »heresy laws« unterworfen, sondern er wird ausschließlich nach dem Zehnpfundgoldgesetz verurteilt. Des Possidius, nicht des Augustin, wie sowohl Possidius als auch Augustin in ihren Darstellungen übereinstimmend angeben (pace McLynn, S. 36).

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pin trotzdem gegen dieses Urteil an den Kaiser – denn wie alle Donatisten verstand er sich nicht als Häretiker, sondern als katholisch. Aber die Berufung brachte keineswegs den gewünschten Erfolg, ganz im Gegenteil. Bei Augustin liest sich die Episode so (c. Cresc. 3.47.51): Exhibitus igitur Crispinus et, quod se esse proconsuli quaerenti negaverat, facillime convictus haereticus decem tamen libras auri, quam multam in omnes haereticos imperator maior Theodosius constituerat, intercedente Possidio non est compulsus exsolvere. Qua mitissima sententia non contentus nescio quo consilio, quod displicuisse vestris omnibus dicebatur, ad eiusdem Theodosii filios provocandum putavit. Acceptatum est, rescriptum est, quid aliud, nisi quod pars Donati iam sciret se ad illam poenam aurariam cum ceteris haereticis pertinere? Crispin wurde also vorgeführt. Ohne jede Schwierigkeit wurde er als Häretiker überführt, was zu sein er dem Prokonsul auf dessen Nachfrage hin abgestritten hatte. Gleichwohl musste er die zehn Pfund Gold, die Kaiser Theodosius I. als Geldstrafe gegen alle Häretiker verhängt hatte, nicht zahlen, weil Possidius für ihn eintrat. Aus einem unerfindlichen Ratschluss heraus – der, 46 wie man so hört, euch allen missfallen hat – war Crispin mit diesem außerordentlich langmütigen Urteil nicht zufrieden und meinte, er müsse Berufung bei den Söhnen ebendieses Theodosius einlegen. Sie wurde angenommen – aber welches andere Reskript hätte ergehen sollen, als dass die Donatisten schon wüssten, dass jene Goldstrafe für sie genauso wie für die anderen Häretiker gelte?

In der Tat bestätigte Honorius also, dass Crispin als Häretiker anzusehen sei und die zehn Pfund Gold Strafe zahlen musste; der Kaiser ging aber noch einen Schritt weiter und verhängte dieselbe Geldstrafe auch noch gegen den Statthalter sowie gegen dessen Officium, weil sie die Strafe nicht eingezogen hatten – ein schönes Beispiel aus der Praxis für die häufig im Codex Theodosianus erscheinenden Geldstrafen für untätige Statthalter und ihre Officia (vgl. → S. 562). Aber die katholische Seite setzte sich erneut erfolgreich dafür

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Hermanowicz, S. 116: »The importance of this case is underscored by the fact that the decision to appeal was not made at Crispinus’ basilica at Calama, but was an expression of collective opinion among the Donatist hierarchy«. Die zugehörige Fußnote zitiert dann quod displicuisse vestris omnibus dicebatur. Zu Unrecht, denn das neutrale Pronomen quod bezieht sich auf das Neutrum consilium, nicht auf das Femininum sententia. Augustin sagt also genau das Gegenteil dessen, was Hermanowicz versteht: Auch alle anderen Donatisten (so Augustin) hielten es für eine Schnapsidee, den Kaiser zu involvieren: Der Bischof Crispin, dem ja ohnehin die Strafe erlassen wurde, hätte besser die Sache auf sich beruhen lassen, anstatt schlafende Hunde zu wecken.

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ein, dass niemand – weder Crispin noch der Statthalter noch das Officium – die Strafe tatsächlich zahlen musste (Possid. vita Aug. 12.9). 47 Hermanowicz nimmt eine sorgsam geplante Strategie an, nämlich dass es den Katholiken darum gegangen sei, die Donatisten den Häresiegesetzen zu unterwerfen. So schreibt sie etwa (S. 101): »In the late 390s and early 400s, the Catholics asked many times that their rivals be subject to imperial heresy laws, but their efforts were unsuccessful«. Doch außer Optat und Crispin sind keine Fälle bekannt, 48 und im Falle des Crispin war der Versuch zudem erfolgreich. Folgerichtig innerhalb ihrer Theorie hat Hermanowicz (S. 116) die Berufung beim Kaiser dergestalt interpretiert, dass Crispin einen Präzedenzfall, nach dem das Zehnpfundgoldgesetz künftig generell gegen Donatisten in Anwendung gebracht werden könnte, um jeden Preis habe verhindern wollen. Doch diese Auffassung findet keinen Anhalt in den Quellen. Denn erstens waren die anderen Donatisten gegen diese Berufung, was sie nicht gewesen wären, hätte bereits das prokonsulare Urteil existenzbedrohlichen Charakter besessen. Zweitens hören wir nie wieder vom Einsatz des Zehnpfundgoldgesetzes – der laut Hermanowicz angeblich so gefährliche Präzedenzfall blieb also ohne Auswirkung. Wie von den Donatisten befürchtet, ging das Reskript des Honorius weit über den Einzelfall des Crispin hinaus. Possidius (vita Aug. 12.8) schreibt: praeceptum, nullo prorsus loco haereticos Donatistas esse debere, et eos ad vim legum omnium contra haereticos latarum ubique teneri debere, »es wurde verordnet, dass künftig nirgendwo mehr häretische Donatisten sein dürften und dass sie überall der Strenge sämtlicher Gesetze gegen Häretiker unterliegen 47

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Lenski (S. 182) schreibt zu diesem Ablauf: »This entire exchange shows how Augustine’s careful exploitation of the legal system put him in control of the process at every step as he adroitly modulated the amount of pressure the emperor and his officials applied to Crispinus so as to maximise his own mastery of the situation«. Damit entfernt er sich sehr weit von den Quellen. Dass Proculian (pace Hermanowicz) nicht nach dem Zehnpfundgoldgesetz verurteilt wurde, haben wir bereits gesehen (→ S. 51943). Hermanowicz (S. 136) kennt sogar noch einen weiteren potenziellen Einsatz (übrigens wiederum gegen Proculian): »Restitutus, whose treatment at the hands of the Donatists, we saw, prompted Augustine to try to activate Theodosius’ law of 392, …«. Tatsächlich haben wir keinerlei Evidenz darüber, auf welcher Grundlage Augustin vorgehen wollte; bei ihrer eigentlichen Besprechung der Stelle (worauf ihr »we saw« zurückverweist) schreibt Hermanowicz (S. 108) hingegen: »he [Augustin] was likely [!] planning to use (or try to have implemented) Theodosius’ law against heretics. Augustine was not successful.« Das ist eine reine Spekulation, die dann dreißig Seiten später zur Gewissheit avanciert ist.

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sollen«. Dies bestätigt Augustin an mehreren Stellen, so in der eben zitierten Passage (pars Donati iam sciret se ad illam poenam aurariam cum ceteris haereticis pertinere, c. Cresc. 3.47.51), ferner noch einmal im selben Werk (excitare universae parti Donati, quod solus perpeti nec volebat nec cogebatur, »[er zog es vor, durch seine Berufung] auf die ganze Donatistensekte heraufzubeschwören, was er nicht allein erleiden wollte und auch nicht gemusst hätte«, c. Cresc. 3.48.52) sowie in einem Brief, der ein paar Jahre später verfasst wurde (epist. 105.2.4, um 409): Et tamen cum Crispinus propter hoc factum in proconsulari iudicio convinceretur haereticus, eiusdem episcopi Possidii intercessu decem libras auri non est exactus. Cui benevolentiae et mansuetudini ingratus ad imperatores catholicos ausus est appellare. Unde hanc in vos iram dei, de qua murmuratis, multo importunius et vehementius provocavit. Und gleichwohl: Als Crispin wegen dieser Tat vor dem prokonsularen Gericht als Häretiker verurteilt wurde, wurden ihm dank der Fürsprache desselben Bischofs Possidius die zehn Pfund Gold nicht abverlangt. Voll des Undanks gegenüber dieser Güte und Milde wagte er, bei den katholischen Kaisern Berufung einzulegen. Dadurch forderte er wider euch viel dramatischer und heftiger Gottes Zorn, über den ihr euch [jetzt] beschwert, heraus.

Die Berufung des Crispin hatte also weitreichende Auswirkungen. Wir werden später versuchen, die Episode chronologisch einzuordnen und diese Konsequenzen genauer zu bestimmen (→ S. 567). Obwohl weder Augustin noch Possidius irgendeine Andeutung machen, dass Wiedertaufe im Allgemeinen und die Episode der achtzig Kolonen im Speziellen eine Rolle bei der Verurteilung und der missglückten Berufung des Crispin spielten, liegt diese Vermutung dennoch nahe. Denn wer eine Verurteilung von Crispin als Häretiker erreichen wollte, wird (zumal in Afrika) im Jahr 404 kaum mit dem Argument Erfolg gehabt haben, dass sowieso alle Donatisten Häretiker seien; daher lag es nahe, das Wiedertaufargument zu bemühen. Was Honorius angeht, so werden wir sehen, dass er zumindest noch im Gesetz von 404/5 genau zwischen wiedertaufenden und anderen Donatisten zu unterscheiden wusste (→ S. 550). Dass diese feine Unterscheidung bei Augustin und Possidius für die Situation von 404 keine Rolle spielt, dürfte sich aus der Rückschau erklären bzw. aus der Tatsache, dass Augustin zu Donatisten spricht und deswegen ein argumentatives Interesse daran hat, die Strafbarkeit als möglichst weit darzustellen. Übrigens hatten der Crispin-Prozess und vor allem wohl die Entscheidung des Kaisers ein Umdenken bei Augustin hinsichtlich der Einstufung der Dona-

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tisten zur Folge. In Schriften von Ende 403 und aus dem Jahr 404 lässt es Augustin offen, ob Donatisten als Schismatiker oder als Häretiker anzusehen seien. 49 Später legt er sich die Argumentation zurecht, dass zu langes Verharren im Schisma zu Häresie führt. 50 Offenbar während des Prozesses gegen Crispin (erste Hälfte 404, → S. 599), dessen Ausgang von der fraglichen Häretikereigenschaft des Angeklagten abhing, fängt Augustin an, den Donatismus auch öffentlich nur noch als Häresie zu bezeichnen (vgl. Schindler 1980, S. 234 f.; Morgenstern, S. 107 Anm. 28). Wir betrachten nun eine andere Episode, die sich ungefähr zur Zeit des Crispin-Prozesses zugetragen hat; die relative Chronologie schauen wir uns später an (→ S. 567). Wir sind im Jahr 404; in diesem Jahr oder gegen Ende des Vorjahrs hatten sich mehrere brutale Übergriffe gegen katholische Bischöfe ereignet, nicht nur gegen Possidius, sondern beispielsweise auch gegen Maximian von Bagai (→ S. 542) und Servus von Thubursicu Bure (→ S. 543). Als sich das alljährliche Konzil der katholischen Bischöfe am 16. Juni 404 in Karthago versammelte, war daher die beklemmende Sicherheitslage das beherrschende Thema. Dank Briefen Augustins 51 sind wir in Grundzügen über die dort vertretenen Standpunkte informiert: Die eine Gruppe wünschte von staatlicher Seite ein endgültiges Verbot des Donatismus. Die andere Fraktion – deren wichtigster Repräsentant Augustin war – lehnte dies ab, weil doch an 49

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Von Ende 403 (Goldbacher, S. 23) stammt epist. 76; dort (epist. 76.1) spricht Augustin einerseits vom nefarium schismatis sacrilegium, andererseits von einer haeretica separatio. In Contra epistulam Parmeniani (Anfang 404, → S. 53063) lässt es Augustin ausnahmslos und jedenfalls absichtlich offen, wie die Donatisten zu klassifizieren seien: 1.8.13, 1.8.14, 1.11.18, 3.6.29 (als Beispiel sei 1.8.13 zitiert: Prius enim probent non esse se haereticos vel schismaticos, »Denn sie sollen zunächst einmal nachweisen, dass sie keine Häretiker oder Schismatiker sind«). Anders in Contra litteras Petiliani, wo Augustin die Donatisten sehr wohl Häretiker schimpft, besonders häufig in Buch 2. Dies ist in meinen Augen ein starkes Indiz für die Spätdatierung dieses zweiten Buchs, das damit ins Jahr 404 gehört (→ S. 599). Wer »lange genug« im Schisma verharrt, ist Häretiker: haeresis autem schisma inveteratum (c. Cresc. 2.7.9). Als Augustin versöhnlich auf den donatistischen Bischof Emeritus einwirken will, schreibt er ihm, dass er den Donatisten nichts anderes als das Schisma vorwerfe, aus dem freilich die Donatisten durch ihr langes Verharren bereits eine Häresie gemacht hätten (epist. 87.4; der Brief stammt aus der Zeit, in der Augustin, sofern er nicht gerade einen konzilianten Brief schreibt, Donatismus sonst offen als Häresie bezeichnet). Ganz ausdrücklich findet sich das Argument auch in haer. 69.1, wo Augustin erklärt, warum Donatismus überhaupt eine Häresie ist (nämlich aufgrund des langen Schismas und der Wiedertäuferei). Einerseits epist. 93.5.17 von 410 (zum Kontext dieses Briefs vgl. → S. 593), andererseits epist. 185.7.25, woraus gleich im Haupttext zitiert werden wird.

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der Zuverlässigkeit solcher zwangsweise in den Katholizismus gepressten ExDonatisten zu zweifeln sei. Vielmehr müsse man den Kaiser ersuchen, offiziell die Anwendbarkeit des Zehnpfundgoldgesetzes auf die Donatisten zu bestätigen, wobei es – so die Idee der Augustin-Partei – nur in solchen Fällen, in denen es tatsächlich zu Gewalttaten gekommen war, greifen solle. Mit anderen Worten: Analog zu einer Konnivenz-Amtsstrafe könnte man damit donatistische Bischöfe dazu zwingen, künftig militante Übergriffe ihrer Glaubensgenossen in ihren jeweiligen Stadtterritorien zu verhindern. In einem Brief, den Augustin mehr als ein Jahrzehnt später schreibt, erinnert er sich (epist. 185.7.25): Verumtamen antequam istae leges, quibus ad convivium sanctum coguntur intrare, in Africam mitterentur, nonnullis fratribus videbatur, in quibus et ego eram, quamvis Donatistarum rabies usquequaque saeviret, non esse petendum ab imperatoribus, ut ipsam haeresem iuberent omnino non esse poenam constituendo eis, qui in illa esse voluissent, sed hoc potius constituerent, ut eorum furiosas violentias non paterentur, qui veritatem catholicam vel praedicarent loquendo vel legerent constituendo. Quod eo modo fieri aliquatenus posse arbitrabamur, si legem piissimae memoriae Theodosii, quam generaliter in omnes haereticos promulgavit, ut quisquis eorum episcopus vel clericus ubilibet esset inventus, decem libris auri multaretur, expressius in Donatistas, qui se negabant haereticos, ita confirmarent, ut non omnes ea multa ferirentur, sed in quorum regionibus aliquas violentias a clericis vel a Circumcellionibus vel populis eorum ecclesia catholica pateretur, ut scilicet post protestationem catholicorum, qui fuissent ista perpessi, iam cura ordinum ad persolvendam multam episcopi sive ministri ceteri tenerentur. Bevor man jedoch jene Gesetze nach Afrika schickte, durch die sie gezwungen sind, zum heiligen Mahl einzutreten, 52 waren etliche Brüder (darunter ich) der Ansicht, man dürfe – wie sehr auch die Raserei der Donatisten nach allen Seiten hin tobte – nicht von den Kaisern ersuchen, dass sie die Häresie an sich verbieten sollen, indem sie eine Strafe festlegen für Leute, die ihr angehören wollten; vielmehr sollten sie verordnen, dass deren irrsinnige Gewalttaten nicht diejenigen erdulden müssen, die die katholische Wahrheit durch ihre Worte loben oder durch ihre Entscheidung wählen. 53 Wir meinten, dass dies zu einem 52 53

Dem liegt ein biblisches Bild zugrunde, das als Compelle intrare eine gewaltige Folgewirkung entfalten sollte: → S. 594136. Beim zweiten Glied des Ausdrucks qui veritatem catholicam vel praedicarent loquendo vel legerent constituendo liegt wohl Textverderbnis vor, d. h., »oder durch ihre Entscheidung wählen« ist eine recht unsichere Übersetzung (zum ersten Teil vgl. Possid. vita Aug. 12.4). Sicher falsch ist die Teske-Übersetzung (zitiert bei Hermanowicz, S. 143): »those who preach the Catholic truth by speaking it or who read the scriptures to determine it«. Abgesehen davon, dass der Sinn in der Zielsprache fraglich und die Ergänzung »scriptures« gewagt ist, kann veritatem catholicam angesichts der

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gewissen Grad dadurch möglich würde, wenn sie das Gesetz von Theodosius allerseligsten Andenkens, das er mit generalitas gegen alle Häretiker erlassen hatte – nämlich dass jeder Bischof oder Kleriker von ihnen (egal, wo er angetroffen werde) zehn Pfund Gold als Strafe bezahlen müsse – ganz ausdrücklich gegen die Donatisten (die ja abstritten, Häretiker zu sein) dergestalt bestätigten, dass nicht alle von dieser Geldstrafe getroffen werden, sondern [lediglich] diejenigen, in deren Regionen die katholische Kirche gewaltsame Übergriffe durch Kleriker, Zirkumzellionen oder ihre Leute erleidet; dass also nach einer Anzeige durch Katholiken, die solches erlitten hatten, die Bischöfe oder anderen Kleriker nunmehr unter der Verantwortung der ordines 54 zur Bezahlung der Strafe gezwungen würden.

Die Passage lässt sich gleichsam fortsetzen mit einem Satz aus einem früheren Brief an den donatistischen Bischof Januarius, den zwar »die katholischen Kleriker von Hippo« zeichneten, den aber wohl Augustin verfasste (epist. 88.7, 406–411): Ex concilio 55 autem nostri episcopi legatos ad comitatum miserunt, qui impetrarent, ut non omnes episcopi et clerici partis vestrae ad eandem condemnationem X librarum auri, quae in omnes haereticos constituta est, tenerentur, sed hi soli, in quorum locis aliquas a vestris violentias ecclesia catholica pateretur. Aus der Mitte unseres Konzils schickten unsere Bischöfe Gesandte an den Kaiserhof, die erreichen sollten, dass nicht alle Bischöfe und Kleriker eurer Gruppierung der Strafe von zehn Pfund Gold (die gegen alle Häretiker bestimmt ist) verfallen sollten, sondern bloß diejenigen, in deren Regionen die katholische Kirche Gewaltakte durch die Eurigen erleidet. 56

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völlig parallelen Konstruktion nicht einmal Objekt des flektierten Verbs und einmal Objekt des Gerunds sein. Zudem ist es nicht möglich, die veritatem catholicam zu predigen »by speaking it«; die veritas catholica ist nicht etwa die »katholische Doktrin«, sondern der Gegensatz zum error Donatistarum (vgl. z. B. Aug. epist. 185.7.29). Die Nennung der Stadträte, ordines, bleibt unerklärlich, denn selbst dann, wenn dies auf munizipaler Ebene hätte gelöst werden sollen, wären die Magistrate, nicht der Stadtrat, zuständig gewesen (vgl. Pieler, Sp. 426); auch im Commonitorium ist nicht von einer lokalen Zuständigkeit die Rede. Entweder muss man zu iudicum emendieren (was aber eine klare Lectio facilior darstellt) oder ordines steht i. S. v. magistratus. Vgl. Coll. Carth. 3.174, wo die katholischen Bischöfe den Prokonsul von Afrika bitten, die Donatisten zu Gesprächen zu zwingen, wobei die Exekutive den magistratus überlassen bleiben soll. Überliefert ist consilio, das Goldbacher nicht emendiert; angesichts der bekannten Hintergrundgeschichte mit dem Konzil der afrikanischen Bischöfe scheint diese editorische Entscheidung überzogen konservativ. Man beachte übrigens die herrlich tendenziöse Darstellung: Gegenüber Januarius tut Augustin so, als sei es der Zweck der Gesandtschaft gewesen, das (vorgeblich) ohnehin

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Die Strategie der Augustin-Partei wirkt sonderbar: Anstatt um ein Gesetz gegen Gewalttaten zu ersuchen, will man stattdessen die Anwendbarkeit eines vorhandenen Häretikergesetzes erreichen. Das soll dann aber nur für donatistische Bischöfe gelten, in deren Regionen es zu Gewalttaten gekommen war (und zwar – abgesehen von der Verletzung einer allfälligen Amtspflicht zum Tätigwerden – verschuldensunabhängig); eine mögliche Strafbarkeit häretischer Handlungen wie z. B. Wiedertaufen wird ignoriert. Auch fordert man nicht die generelle Einstufung der Donatisten als Häretiker, sondern lediglich die Anwendbarkeit eines einzigen, ganz bestimmten Häretikergesetzes unter genau definierten Umständen. Angesichts all dieser Merkwürdigkeiten könnte man fast auf die Idee kommen, die spätere Erinnerung bewirkte, dass Augustin die Fakten durcheinanderbrachte. Doch dem ist nicht so. Denn wir besitzen noch eine viel bessere Quelle: Wie eben im Augustinbrief erwähnt, beschloss man im Konzil vom 16. Juni 404, sich mit einer Gesandtschaft an den Kaiser zu wenden. Die Bischöfe Theasius und Evodius, die nach Italien zu Kaiser Honorius gehen sollten, erhielten klare Anweisungen, was sie in Rom 57 vorzutragen hatten. Diese Instruktionen, im Weiteren Commonitorium genannt, 58 sind erhalten. Dort lesen wir einerseits die von Augustin formulierte Bitte um die Anwendbarkeit des Zehnpfundgoldgesetzes gegen Donatisten, die Gewaltausbrüche nicht abstellen wollten oder konnten, andererseits aber – was uns bislang überhaupt nicht begegnet ist (und was endlich erklärt, warum seit mehr als 25 Seiten so detailliert die Geschichte des Zehnpfundgoldgesetzes erörtert wird) – die Bitte um eine erbrechtliche Sanktionierung der Donatisten (Conc. Afr. p. 212 f.1040–1062):

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gegen alle donatistischen Kleriker geltende Zehnpfundgoldgesetz auf Bischöfe zu beschränken, in deren Territorien es zu Gewalt gekommen war. Tatsächlich war Zweck der Gesandtschaft, das Gesetz überhaupt erst auf Donatisten anwendbar zu machen! In c. Cresc. 3.43.47 lässt Augustin die Gesandtschaft ganz unerwähnt und tut so, als gehe die gesetzgeberische Reaktion des Honorius allein auf die Intervention des Maximian und der anderen unmittelbar geschädigten Bischöfe zurück. Aufgrund der Feier seines 6. Konsulats verbrachte Honorius mindestens die erste Hälfte des Jahrs 404 in Rom. In den Gesetzen ist er dort zum ersten Mal am 27. Februar belegt (tatsächlich war er natürlich bereits am 1. Januar 404 dort präsent, vgl. z. B. Claud. 28.640–648), zum letzten Mal am 25. Juli; erst am 4. Februar 405 treffen wir ihn wieder in Ravenna an (Seeck, S. 306, S. 308). Als Commonitorium (»schriftlicher Handlungsauftrag«) bezeichnet sich der Text selbst (Conc. Afr. p. 211.1007). Ich verwende diesen an sich generischen Begriff als bequeme Etikette, um dieses Dokument im Weiteren schnell referenzieren zu können.

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Simul etiam petendum est, ut illam legem, quae a religiosae memoriae Eorum patre Theodosio de auri libris decem in ordinatores vel ordinatos haereticos seu etiam in possessores, ubi eorum congregatio deprehenditur, promulgata est, ita deinceps confirmari praecipiant: ut in eos valeat, contra quos propter eorum insidias catholici provocati contestationem deposuerint, ut hoc saltem terrore a schismatica vel haeretica pravitate desciscant, qui consideratione aeterni supplicii emendari corrigique dissimulant. Petendum etiam, ut lex, quae haereticis vel ex donationibus vel ex testamentis aliquid capiendi aut relinquendi denegat facultatem, ab Eorum quoque Pietate hactenus repetatur: ut eis relinquendi vel sumendi ius adimat, qui pertinaciae furore caecati in Donatistarum errore perseverare voluerint. Ceterum, illis qui consideratione unitatis et pacis se corrigere voluerint, absque interdicto huius legis capiendae hereditatis aditus pateat, etiamsi adhuc in errore haeretico constitutis aliquid ante donationis vel hereditatis obvenit, his sane exceptis, qui lite pulsati putaverint ad catholicam transeundum, quia de talibus credibile est, non metu caelestis iudicii, potius quam terreni commodi aviditate, unitatem catholicam praeoptasse. Ad haec autem omnia praesidio opus est potestatum Suarum quarumque provinciarum. Zugleich muss auch um Folgendes ersucht werden: Jenes Gesetz, das von Theodosius, ihrem 59 Vater seligen Andenkens, über zehn Pfund Gold gegen Häretiker, die Kleriker weihen oder zu Klerikern geweiht werden, beziehungsweise gegen Grundeigentümer, wo deren Versammlung aufgegriffen wird, erlassen wurde, das sollen sie künftig dergestalt bestätigen lassen: dass es auf Leute anwendbar ist, gegen die wegen ihrer Übergriffe geschädigte Katholiken eine Aussage gemacht haben, damit diese Leute – die ja anscheinend nicht durch die Aussicht auf ewigliche Bestrafung gebessert oder geändert werden können – wenigstens angesichts dieser Drohung von ihrer schismatischen oder häretischen Schlechtigkeit lassen. Außerdem muss ersucht werden, dass das Gesetz, das Häretikern die Fähigkeit verweigert, mit Schenkungen oder Testamenten etwas zu erhalten oder zu hinterlassen, auch von Deren Pietät dergestalt erneuert werde: dass Sie [Deren Pietät, d. h. Honorius und seine Mitkaiser als Kollektiv] das Recht des Hinterlassens und Erbens denjenigen abspricht, die durch den Wahnsinn der Verstocktheit verblendet im Irrtum der Donatisten verbleiben wollen. Ferner soll denjenigen, die sich mit Blick auf Einheit und Frieden bessern möchten, die Möglichkeit des Erbschaftserwerbs ohne Untersagung durch dieses Gesetz offenstehen, und zwar selbst dann, wenn ihnen, als sie noch in dem häretischen Fehler verhaftet waren, früher eine Schenkung oder Erbschaft zuteil wurde.

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Das Commonitorium spricht entsprechend der offiziellen Terminologie stets von den Kaisern Honorius, Arkadius und Theodosius II. im Plural als Adressaten (→ S. 112); freilich wandte sich die Gesandtschaft tatsächlich allein an Honorius in Rom.

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donatisten Dabei sind freilich solche Personen auszunehmen, die, von einem Rechtsstreit veranlasst, auf den Gedanken kamen, zur katholischen Kirche überzutreten. Denn bei solchen Menschen muss man annehmen, dass sie nicht aus Furcht vor dem göttlichen Gericht, sondern vielmehr aus Gier nach irdischen Vorteilen der katholischen Einheit den Vorzug gegeben haben. Aber für all dies braucht man den Schutz Ihrer Statthalter der jeweiligen Provinzen.

Im Commonitorium finden zwei Gesetze Erwähnung: erstens das uns mittlerweile bestens vertraute Zehnpfundgoldgesetz, zweitens eine erbrechtliche Regelung. Die Bischöfe verwenden beide Gesetze als zu modifizierende Blaupausen. Dabei geht es ausdrücklich (confirmare, repetere) um Bestätigungen, faktisch (angesichts der zahlreichen Änderungswünsche) wollten die Bischöfe aber sehr wohl Neuerlasse. Angesichts ihres legislatorischen Konservativismus bittet man spätantike Kaiser vorzugsweise um die (harmlose) Wiederholung eines vorhandenen Gesetzes, anstatt sie zu einer (in der Wahrnehmung gravierenderen) Innovation aufzufordern (→ S. 129). Das Zehnpfundgoldgesetz wird mit seiner Gültigkeit für Weihende, Geweihte und Immobilieneigentümer recht klar charakterisiert, auch wenn man – hätte man nur diesen Text – glauben würde, den Eigentümern drohe ebenfalls eine Strafe in Höhe von zehn Pfund Gold (anstatt des Verlusts ihrer Immobilie). Eine weitere (bewusste oder unbewusste) Flüchtigkeit betrifft den Tatbestand, der für die Immobilieneigentümer gilt. Im Zehnpfundgoldgesetz kommt es zur Bestrafung, wenn sie vetita zulassen, was im Kontext, in dem es ja ausschließlich um Klerikerweihen geht, nichts anderes heißen kann als »das [hiermit] Verbotene« (sprich: Klerikerweihen), während die katholischen Bischöfe es auf jede häretische Versammlung, i. S. v. »etwas Verbotenes«, beziehen. Ist dies eine Flüchtigkeit in den kurzgefassten Anweisungen an die Gesandten oder eher ein Irrtum, der auf eine unzureichende Kenntnis des Gesetzeswortlauts zurückgeht, oder eine bewusst überschießende Interpretation des Tatbestands? Da das Zehnpfundgoldgesetz den Bischöfen fraglos im Wortlaut zugänglich war und mitunter, etwa hinsichtlich der Enteignung, von Augustin sorgfältiger zitiert wird, darf man am ehesten Desinteresse an juristischen Details annehmen; es geht darum, das Zehnpfundgoldgesetz – das den katholischen Bischöfen weder einen griffigen Namen noch eine Ordnungsnummer noch irgendeine andere Zitationsmöglichkeit bot – schnell zu charakterisieren. Eine parteiische Interpretation scheint ausgeschlossen, denn immerhin ist der Kaiserhof der Adressat. Bemerkenswerterweise lassen es die katholischen Bischöfe im ersten Absatz offen, ob es sich bei den Donatisten um Schismatiker oder Häretiker

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handelt: 60 In jedem Fall soll das Zehnpfundgoldgesetz (das, wie im Commonitorium korrekt festgestellt wird, nur für Häretiker gilt) anwendbar werden. 61 Es geht also der Gesandtschaft nicht um eine offizielle Brandmarkung der Donatisten als Häretiker, sondern ganz pragmatisch um die Anwendbarkeit des Zehnpfundgoldgesetzes auf donatistische Bischöfe, die antikatholische Exzesse nicht verhinderten. 62 Unter dieses Gesetz fällt man gemäß der Bitte der Gesandtschaft dann, wenn man deswegen von Katholiken angezeigt wird. Kommen wir zur erbrechtlichen Sanktion. Wir hören hier zum ersten Mal von der Existenz einer Konstitution, durch die Häretikern (d. h. nicht einer spezifischen Häretikergruppe) das Recht genommen wird, mittels Testament oder Schenkung etwas zu erhalten oder wegzugeben. Ehe wir sie diskutieren, müssen wir noch einen anderen Text betrachten, der wenige Monate vor dem Konzil entstanden sein muss. 63 Es handelt sich um eine Passage aus Contra 60

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Das entspricht einerseits dem offiziellen Sprachgebrauch Augustins aus dieser Zeit, der ja Anfang 404 in Contra epistulam Parmeniani auch stets offenlässt, ob Donatisten Schismatiker oder Häretiker sind (→ S. 523). Anderseits differenzieren die Kanones der afrikanischen Konzilien ohnehin nicht sehr sorgfältig zwischen Häresie und Schisma, vgl. Geerlings, S. 162–165. Als die katholischen Bischöfe etwa am 13. September 403 an den Prokonsul von Afrika schreiben, beschweren sie sich rundweg über die haeretici de parte Donati (Coll. Carth. 3.174). Allerdings sprechen die Bischöfe dann im zweiten Absatz doch absolut von den in errore haeretico constituti! Hermanowicz, S. 131 Anm. 110, nimmt die Formulierung schismatica vel haeretica zu Recht als Beleg dafür, dass im Juni 404 die Antwort auf Crispins Appellation an den Kaiser noch nicht vorlag, weil die Bischöfe ansonsten doch die Alternative »schismatisch« weggelassen hätten. Eine ganz andere Darstellung findet sich bei Hermanowicz, S. 146 f.: »Augustine also tells us that … Evodius and Theasius carried with them to Rome suggestions … that the Theodosian law only be applicable to clerics and bishops in whose territories there were episodes of violence … there is no such stipulation to be found in the council minutes … there is no indication that the Catholics planned to ask that the [sic] Theodosius’ law be changed in order to specify the targeting of clerics in violent sees«. Sie zitiert in einer Fußnote dann den einschlägigen Absatz im Lateinischen inklusive der relevanten Stelle propter eorum insidias, das freilich in ihrer englischen Übersetzung in derselben Fußnote mit »on account of their treachery« fehlübersetzt ist. Irritierenderweise versteht Hermanowicz an anderer Stelle dieselbe Passage ganz anders, und zwar fast korrekt (S. 131 Anm. 110): »The Catholics requested that Theodosius’ law be confirmed so that they might have protection against Donatists who planned insidias [sic] against the Catholics« (von »planen« steht freilich nichts im Original, es geht fraglos um vorgefallene, nicht um potenzielle Anschläge). Klar ist, dass Contra epistulam Parmeniani vor dem Bekanntwerden der antidonatistischen Gesetze des Honorius (Anfang 405) und dem Crispin-Reskript verfasst wurde. Dolbeau (2009, S. 357) plädiert mit gutem Grund dafür, dass Buch 2 ungefähr

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epistulam Parmeniani, in der Augustin behauptet, unter den Herrschern über das Römische Reich habe überhaupt nur der Apostat Julian ein prodonatistisches Gesetz in Kraft gesetzt, während dagegen sämtliche anderen Kaiser Gesetze gegen die Donatisten erlassen hätten. Für solche Gesetze nennt er dann allerdings gerade einmal zwei Beispiele, 64 nämlich die beiden, die wir bereits aus dem Commonitorium kennen. 65 Zunächst fasst er den Inhalt des Zehnpfundgoldgesetzes zusammen, dann erwähnt auch Augustin das Häretikererbgesetz (Aug. c. Parm. 1.12.19): Aliorum autem imperatorum leges quam vehementes adversus eos latae sint, quis ignorat? In quibus una generalis adversus omnes, qui se Christianos dici volunt et ecclesiae catholicae non communicant, sed suis separatis conventiculis congregantur, id continet, ut vel ordinator clerici vel ipse ordinatus denis libris auri multentur, locus vero ipse, quo impia separatio congregatur, redigatur in fiscum. Sunt et aliae iussiones generales, quibus eis vel faciendi testamenta vel per donationes aliquid conferendi facultas adimitur vel ex donationibus aut testamentis

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gleichzeitig mit einer Predigt entstand, die am 1. Januar 404 gehalten wurde. Dadurch (und aufgrund weiterer Indizien) kommt Hombert (S. 89–91) auf eine Datierung Ende 403/Anfang 404 (vgl. ferner Schindler 1980, S. 231–233, der für 404/405 plädiert, aber nicht alle Hinweise beachtet). Da in diesem Werk das Zehnpfundgoldgesetz als potenzielle Waffe gegen Donatisten erscheint, mutmaße ich eine Verbindung zur Anklage gegen Crispin. Demnach müsste c. Parm. bald nach dem Überfall auf Possidius (Anfang 404) entstanden sein. Wundt (S. 132) hatte früher argumentiert, dass Augustins Rechtfertigung des »zwangweise[n] Vorgehen[s] des Staates« erst nach seinem Sinneswandel und damit nach dem Juni-Konzil geschrieben worden sein könne – doch erstens gab es beim Juni-Konzil keinen Sinneswandel (Augustin setzt sich ja durch, sodass die Bischöfe gerade nicht ersuchen, die Einheit mit Hilfe der Staatsmacht herzustellen!), zweitens ignoriert Wundt, dass man bei Augustin streng trennen muss zwischen dem, was er nach außen bekundet, und dem, was er unter seinen Verbündeten sagt (d. h., es könnte sein, dass Augustin in c. Parm. nach außen hin den Zwang rechtfertigt, während er die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens intern weiterhin in Frage stellt). Spagnuolo Vigorita wiederum (2007, S. 5370; 2009, S. 163 f.) warnt völlig zu Recht, dass sich spätere Retuschen an einem Manuskript in Arbeit nie ausschließen lassen. Gewissheit wird sich also keinesfalls gewinnen lassen. Freilich erwähnt Augustin zuvor ausführlich (c. Parm. 1.11.18) Gesetze, nach denen Kirchen von Häretikern und/oder Schismatikern einzuziehen seien. Auch in serm. 162A.8, d. h. in einer Predigt, die kurz nach der Verurteilung des Bischofs Crispin gehalten wurde, spricht Augustin ganz selbstverständlich von »vielen Gesetzen«: Manifestum est enim et non negatur multas imperatorum leges esse adversus ipsos, »Denn ist es ja ganz klar und wird nicht in Abrede gestellt, dass es viele Gesetze der Kaiser gegen [euch] selbst gibt«, ohne auf mehr als das Zehnpfundgoldgesetz anzuspielen.

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aliquid capiendi. Nam in quadam causa cum homo nobilis imperatoribus supplicasset, quod soror eius, quae de parte Donati fuerit, cum defungeretur, in nescio quos communionis suae et maxime in quendam Augustinum episcopum eorum plurima contulisset, ex illa generali lege praeceptum est, ut omnia fratri restituerentur; ubi etiam Circumcellionum mentio facta est, si more suo violenter obsisterent, quo genere auxiliorum et amminiculis 66 repellerentur. Sic enim noti, sic multis proeliis probati sunt, ut de his et supplex imperatoris et imperator tacere non posset. Wer aber wüsste nicht, wie harsch die Gesetze der anderen Kaiser [d. h. abgesehen von Julian] sind, die gegen sie erlassen wurden? Darunter befindet sich ein Gesetz mit generalitas gegen all diejenigen, die sich »Christen« nennen möchten und dabei nicht Teil der katholischen Kirche sind, sondern sich in ihren eigenen separaten Versammlungen treffen. Es hat zum Inhalt, dass sowohl derjenige, der einen Kleriker weiht, als auch der geweihte Kleriker selbst mit einer Geldstrafe von je zehn Pfund Gold zu belegen sind, während die Lokalität, in der sich die ruchlose Spaltergemeinde versammelt, dem Fiskus zuzuschlagen sei. Es existieren auch noch weitere Bestimmungen mit generalitas, durch die ihnen die Fähigkeit genommen wird, Testamente zu errichten oder etwas schenkweise zu übertragen sowie aus Schenkungen oder Testamenten etwas zu erhalten. Denn in einem konkreten Rechtsstreit hatte sich ein hochgestellter Herr mit einer Bittschrift an die Kaiser gewandt: Seine Schwester, die zur Donatistensekte gehörte, hatte bei ihrem Tod den Großteil ihres Vermögens irgendwelchen Leuten aus ihrer Gemeinschaft, am meisten aber einem ihrer Bischöfe namens Augustin, 67 zugewandt. Daraufhin verordnete man gemäß jenem Gesetz mit generalitas, dass alles dem Bruder herausgegeben werde. Darin werden auch die Zirkumzellionen erwähnt: nämlich mit welcher Sorte von Maßnahmen und Mitteln sie abgewehrt werden sollen, wenn sie nach ihrer Art gewaltsamen Widerstand leisten sollten. Denn dafür sind sie bekannt, so haben sie sich in vielen Zusammenstößen erwiesen, sodass sie weder derjenige, der die Petition an den Kaiser richtete, noch der Kaiser unerwähnt lassen konnte.

Das Referat des Zehnpfundgoldgesetzes ist einerseits insofern gar nicht schlecht, als Augustin angibt, dass bei einer Klerikerweihe sowohl den Weihenden wie den Geweihten die Geldstrafe von zehn Pfund Gold trifft und dass der Versammlungsort enteignet wird (das Commonitorium erweckt ja zu Unrecht den Eindruck, dass auch der Eigentümer die zehn Pfund zu zahlen habe). In anderer Hinsicht hingegen gibt Augustin den Inhalt des Zehnpfundgoldgesetzes recht unzuverlässig (und ich nehme an: bewusst falsch) wieder: Ohne die technischen Bezeichnungen zu verwenden, beschreibt er Schismatiker (qui se Christianos dici volunt et ecclesiae catholicae non communicant, sed suis 66 67

So nach Ausweis aller Handschriften. Dieser donatistische Namensvetter unseres Augustins ist ansonsten völlig unbekannt (vgl. PCBE I, S. 102 f. s. v. Augustinus).

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separatis conventiculis congregantur), nicht Häretiker. Er tut also so, als wäre das Gesetz ohne die Voraussetzung der Häretikereigenschaft auf Donatisten anwendbar. Die Tatsache, dass Augustin dies nicht einfach sagt und hinzufügt, dass die Donatisten angesichts des Crispin-Reskripts als Häretiker anzusehen seien, sollte beweisen, dass die Passage wahrscheinlich vor dem prokonsularen Urteil im Crispin-Prozess, in jedem Fall vor dem kaiserlichen Reskript geschrieben wurde. Dieselbe Unaufrichtigkeit wiederholt sich beim Häretikererbgesetz: Die davon Betroffenen bezeichnet Augustin vage mit einem Pronomen (nämlich eis), das sich auf die zuvor gegebene Beschreibung von Schismatikern zurückbezieht, während das Commonitorium ganz klar von einer lex, quae haereticis vel ex donationibus vel ex testamentis aliquid capiendi aut relinquendi denegat facultatem spricht. Augustins bewusste Manipulation fällt umso mehr auf, als ansonsten der Wortlaut erstaunlich ähnlich ist: eis vel faciendi testamenta vel per donationes aliquid conferendi facultas adimitur vel ex donationibus aut testamentis aliquid capiendi. Wir besitzen, abgesehen von der Commonitorium- und der Augustin-Passage, keinerlei Informationen über dieses Häretikererbgesetz. Zuallererst stellt sich die Frage, mit wie vielen Gesetzen wir es überhaupt zu tun haben. Was Augustin angeht, so verwendet er zwar zunächst die Formulierung iussiones generales, doch das wird von ex illa generali lege wieder aufgegriffen. Augustin spricht also von genau einem erbrechtlichen Sanktionsgesetz, nicht mehreren, und iussiones bedeutet demnach hier »Bestimmungen«, nicht »Gesetze«. Allerdings wäre es verkehrt zu glauben, dass Augustin insgesamt nur ein Gesetz erwähnt, nämlich das Zehnpfundgoldgesetz, das weitere iussiones generales enthalte. 68 Zwar mag diese Lesart bei Augustin theoretisch möglich sein, aber nur bei ihm: So, wie es im Commonitorium formuliert ist, 69 muss es sich unbedingt um eine andere Konstitution handeln – also nicht etwa um einen verlorenen Teil des Zehnpfundgoldgesetzes. Maier (S. 64, S. 132 Anm. 21; ihm folgen Hogrefe, S. 32 f.; Lenski, S. 182 mit Anm. 40) setzt ohne Diskussion das Häretikererbgesetz mit CTh. 16.5.17 (389, → S. 636), der ersten einschlägigen Regelung gegen die Eunomianer, gleich; er nimmt sogar das Eunomianergesetz samt ausführlichen Anmerkungen in seine Dokumentensammlung zum Donatismus auf (S. 62– 68

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So Delmaire I, S. 262 f. Anm. 3: »Augustin, Contra epistulam Parmeniani I, 12, 19, affirme que cette loi [nämlich CTh. 16.5.21, das Zehnpfundgoldgesetz] interdisait aussi testaments et donations«. Petendum etiam, ut lex, quae … leitet die Passage zum Häretikererbgesetz ein. Würde es sich weiter um das Zehnpfundgoldgesetz handeln, müsste die Formulierung anders lauten.

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65)! Hombert (S. 571 Anm. 53) wiederum meint, es handele sich »sans doute« um CTh. 16.5.25 (395); das ist ein späteres Gesetz gegen Eunomianer, das das Testierverbot bestätigt (→ S. 651). Hombert gibt keine Begründung für seine Idee an. Genauso zuversichtlich und ebenfalls ohne Diskussion (nicht einmal der früheren Ideen von Maier und Hombert) identifiziert Hermanowicz (S. 123– 125) das Häretikererbgesetz mit CTh. 16.5.7, der ersten solchen Sanktion gegen die Manichäer. Sie beruft sich dabei einerseits auf die Autorität Muniers, 70 andererseits auf eine angebliche Nähe in den Formulierungen (S. 122 Anm. 84, S. 123 Anm. 85). Sie kursiviert dazu in CTh. 16.5.7 testamento und donationis, was offensichtlich wenig beweiskräftig ist – welche Wörter sollte man sonst in einem solchen Kontext verwenden? –, ferner sowohl facultates i. S. v. »Vermögen« als auch facultatem i. S. v. »Berechtigung« (nur in der letzteren Bedeutung erscheint das Wort im Commonitorium und bei Augustin!) und merkwürdigerweise sogar das Wort potestatem, das weder bei Augustin noch im Commonitorium auftaucht. Das ihr offenbar wichtigste Argument (da zur doppelten Verdeutlichung sowohl kursiviert als auch unterstrichen) ist, dass CTh. 16.5.7 relinquendae aut capiendae alicuius bietet, eine Formulierung, die dem aliquid capiendi aut relinquendi des Commonitoriums ähnelt. Doch ihr Ansatz ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens handelt es sich nicht um sonderlich auffällige Formulierungen, sondern um Standardvokabular, das man benötigt, um die entsprechenden Sanktionen auszudrücken (vgl. CTh. 16.5.23, Eunomianis, ne caperent aliquid vel relinquerent). Zweitens benutzen weder das Commonitorium noch Augustin wörtliche Formulierungen aus dem Zehnpfundgoldgesetz, sondern sie fassen den Inhalt in freien Worten zusammen; folglich sollte man dies aus methodischen Gründen nicht unbedingt für das Häretikererbgesetz erwarten. Drittens widerlegt sich Hermanowicz schließlich selbst: Sie weist darauf hin, dass im Commonitorium und bei Augustin eine fast identische Formulierung auftaucht (vel ex donationibus aut testamentis aliquid capiendi bzw. vel ex donationibus vel ex testamentis aliquid capiendi). Folgt man ihrer Methode, anhand der verbalen Anklänge das Häretikererbgesetz zu bestimmen, muss man feststellen, dass CTh. 16.5.7, das diese Formulierung gerade nicht aufweist, kaum der richtige Kandidat sein kann. 70

Munier (S. 213 Anm. 1) setzt allerdings lediglich in seiner Ausgabe des Commonitoriums zum Wort lex (bei der zweiten Häretikersanktion) eine Anmerkung des Inhalts »Cod. Theod. XVI, 5, 7 (8. 5. 381)«, d. h., er bietet keinerlei Argumentation für seine Identifikation.

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Es gibt also zunächst keinen guten Grund, der dafür spräche, eines der Eunomianergesetze oder das erste Manichäergesetz mit dem Häretikererbgesetz zu identifizieren. Und wenn man sich die Texte ansieht, findet man sogleich starke Argumente wider eine solche Gleichsetzung. Beginnen wir beim Manichäergesetz. Nach CTh. 16.5.7 dürfen Manichäer nicht einmal intestat erben (und intestat nur an sui oder katholische Berechtigte vererben). Deswegen kann das Häretikererbgesetz, in dem es ja laut Commonitorium und Augustin nur um testamentarisches Erben geht, kaum mit der Manichäerregelung identisch sein. Hermanowicz übersieht diesen offensichtlichen Einwand in ihrer mehrseitigen Diskussion ganz. Und weder CTh. 16.5.17 noch CTh. 16.5.25 gegen die Eunomianer enthalten ein Schenkungsverbot, sodass eine Identifizierung mit einem dieser beiden Gesetze noch unplausibler ist. Hinzu kommt, dass es ohnehin methodisch verfehlt ist, Gesetze, die eindeutig gegen bestimmte, namentlich genannte Gruppen gerichtet sind, als generische Häretikergesetze zu präsentieren. Nimmt man die Informationen aus dem Commonitorium ernst, müsste es im Jahr 404 ein generisches Gesetz gegen alle Häretiker gegeben haben, das testamentarisches und schenkweises Weitergeben und Empfangen verboten hat. Ist das möglich? Im Jahr 395 (CTh. 16.5.27) waren die erbrechtlichen Sanktionen gegen Eunomianer aufgehoben worden. Aber wir brauchen nicht anzunehmen, dass ausgerechnet die Eunomianer gegenüber allen anderen Häretikern privilegiert wurden. Wenn also eine derartige Sanktion 395 im Osten hinsichtlich der Eunomianer aufgehoben wurde (was zudem CTh. 16.5.36 im Jahr 399 erneut bestätigt), war zumindest dort keine derartige Einschränkung gegen alle Häretiker bekannt. Dass 410 und 415 erneut erbrechtliche Sanktionen gegen Eunomianer verhängt wurden (→ S. 636), ist wiederum ein starkes Indiz, dass es eben kein generelles Testaments- und Schenkungsverbot für Häretiker gab. Weder in diesen Gesetzen noch in irgendeinem anderen späteren Gesetz mit erbrechtlichen Sanktionen wird jemals auf ein allgemeines Verbot gegen Häretiker angespielt. Es scheint also den späteren Kaisern unbekannt. Mehr noch: Es scheint sogar Honorius selbst unbekannt, denn weder in dem Gesetz, in dem er zum ersten Mal erbrechtliche Sanktionen gegen Donatisten verhängt (CTh. 16.6.4 von 404/5, → S. 548), noch in seinem Gesetz mit erbrechtlichen Sanktionen gegen Manichäer und Montanisten (CTh. 16.5.40 von 407, → S. 471) bezieht er sich in irgendeiner Weise auf eine solche allgemeine Häretikerregelung. Auch die Eliten Nordafrikas kennen dieses Häretikererbgesetz offenbar nicht. Sehen wir uns noch einmal die Augustin-Passage an. Im Kontext argumentiert er, dass »die« Kaiser außer Julian gegen den Donatismus gesetz-

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geberisch tätig wurden. Tatsächlich hat Augustin aber große Probleme, diese weitreichende Behauptung mit Fakten zu untermauern. Er vermag überhaupt nur zwei Beispiele zu nennen. Das erste, das Zehnpfundgoldgesetz, kann er nicht mit einer tatsächlichen Verurteilung belegen, und der Bischof von Hippo muss so tun, als würde es gegen Schismatiker gelten – was indes nicht der Fall ist. Für das zweite Beispiel, das Häretikererbgesetz, steht Augustin hingegen ein konkreter Anwendungsfall zur Verfügung, den er auch ausführt, um seine Argumentation so stark wie möglich zu machen: Der hochgestellte und offensichtlich aus vermögender Familie stammende Bruder machte eine Eingabe beim Kaiser, weil seine donatistische Schwester 71 – zu deren Erbschaft er offensichtlich intestat berufen gewesen wäre – erhebliche testamentarische Zuwendungen an Glaubensgenossen, 72 sogar und vor allem an einen donatistischen Bischof, gemacht hatte. Dem Text von Augustin ist nicht zu entnehmen, dass sich der Petent selbst auf das Häretikererbgesetz berufen hat. Das war auch gar nicht nötig: Im Rahmen einer Petition musste er nicht rechtlich argumentieren, sondern lediglich einen Sachverhalt schildern. Augustin gibt keinerlei Hinweis darauf, dass dem Ganzen bereits ein Prozess vorangegangen war, den der Bruder verloren hatte. 73 Im Gegenteil: Dass sich der Bruder als supplex an die Kaiser 71

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Gemischt katholisch-donatistische Familien waren anscheinend gar nicht so selten. In einem Brief beschwört Augustin (epist. 33.5) ganz allgemein die negativen Folgen des Schismas: Mariti et uxores de suo lecto sibi consentiunt, et de Christi altari dissentiunt. … Filii cum parentibus unam domum habent suam, et domum dei non habent unam. Succedere in eorum hereditatem cupiunt, cum quibus de Christi hereditate rixantur, »Gatten und Gattinnen sind sich einig in Sachen Ehebett, aber streiten in Sachen Altar Christi. … Zusammen mit ihren Eltern haben Kinder das eine gemeinsame Haus, aber nicht das eine Haus Gottes. Sie wollen in die Erbschaft derjenigen nachfolgen, mit denen sie über die Erbschaft Christi streiten«. Im Jahr 393 untersagte ein Konzil Ehen zwischen Kindern katholischer Kleriker einerseits und Heiden, Häretikern bzw. Schismatikern (!) andererseits (Conc. Afr. p. 37.89–91). Wohlgemerkt: an einzelne Personen, aber nicht an »the Donatist Church« (Hermanowicz, S. 120), was ja angesichts der fraglichen Vermögensfähigkeit schismatischer Gemeinschaften (→ S. 587) noch ganz andere rechtliche Probleme mit sich gebracht hätte. Hermanowicz (S. 121) folgert dies aus der Verwendung des Worts supplex: »we may conclude he lost his case at the local level … supplicatio constituted a specific kind of petition based on perceived unfairness of the trial or appeals process«. Für diese überraschende Bedeutung von supplicatio verweist sie lediglich auf Turpin 1991, S. 117, der dies erstens nicht ausdrücklich behauptet und zweitens für supplicatio seinerseits nur Kaser (aber keine Quellen) als Beleg angibt; bei Kaser wiederum finden wir ganz im Gegenteil, dass einem die supplicatio bei einem rechtshängigen

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wenden musste – ohne dass Augustin einen verlorenen Prozess oder eine Appellation erwähnt – legt nahe, dass der Bruder eben keine rechtliche Handhabe hatte und deswegen gar nicht erst klagen konnte. Der Kaiser ergriff Partei für ihn und beschied, dass das Testament ungültig sei; als Rechtsgrundlage verwies er auf ein Gesetz mit generalitas, nach dem Abweichler (gemäß Augustins Formulierung: Schismatiker und Häretiker; laut Commonitorium: Häretiker) kein Testament errichten dürfen. Damit ließe sich der Gedankengang von Augustin wie folgt zusammenfassen: Es gibt außer dem Zehnpfundgoldgesetz noch eine Konstitution, die bei Donatisten greift. Das kann man beweisen! Wie? Es gibt da einen konkreten Fall, bei dem sich jemand in einer Erbangelegenheit an den Kaiser wandte. Als Bescheid vom Kaiser kam ein Reskript, laut dem hier, wo es um Donatisten geht, ein Gesetz mit generalitas anwendbar sei, das Vererben und Erben mittels Testament untersagt. Folglich liegt eine weitere Konstitution gegen Donatisten vor! Augustin muss die Episode erzählen, um die Existenz des Häretikererbgesetzes zu beweisen – er geht also davon aus, dass sein donatistischer Adressat es nicht kennen kann. Hintergrund wird sein, dass dieses Gesetz auch Augustin selbst neu war. In der Tat enthält die ganze Passage keinen Hinweis darauf, dass das Häretikererbgesetz allgemein bekannt war. Es fällt auf, dass weder Augustin noch das Commonitorium einen Urheber des Häretikererbgesetzes benennen, während beim Zehnpfundgoldgesetz regelmäßig (korrekt!) Theodosius angegeben wird (Spagnuolo Vigorita 2007, S. 5362, S. 5366); doch eine solche Angabe hätte das Identifizieren der Regelung deutlich vereinfacht (was Augustins Argument gestärkt hätte; und auch den Bischöfen, die das Gesetz bestätigt sehen wollten, musste sehr daran gelegen sein, dass man es am Kaiserhof auffand). Auch ist bemerkenswert, dass das Commonitorium und Augustin die Bestimmungen des Zehnpfundgoldgesetzes jeweils in freien Worten zusammenfassen – offenbar ist der Inhalt vertraut. Beim Häretikererbgesetz hingegen verwenden Augustin und das Commonitorium ungefähr die gleiche Formulierung, was den Verdacht aufkeimen lässt, sie hängen voneinander bzw. von einer gemeinsamen Quelle (die nur diese kurze Formulierung enthält) ab. Jedenfalls lag das Gesetz wenigstens (!) einer von beiden Quellen nicht vor, vermutlich keiner von beiden. 74

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oder gar abgeschlossenen Verfahren ausdrücklich verboten ist (Kaser/Hackl, S. 540 f., S. 634, mit den Belegen). Im Jahr 393 hatte übrigens ein Konzil zu Hippo bestimmt, dass katholische Bischöfe und Kleriker keine Schenkungen an Heterodoxe – und seien sie auch blutsverwandt

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Ferner gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich der Petent auf das Häretikererbgesetz berufen hätte. So, wie Augustin die Episode schildert, erscheint der Verweis auf diese Regelung erst im kaiserlichen Reskript. Das ist inhaltlich stimmig: Der Petent versucht ja gar nicht zu klagen; und in Augustins Darstellung hat er auch nicht die Anwendung eines eigentlich unpassenden Gesetzes (gegen Häretiker) auf Donatisten erbeten: Er macht einfach eine supplicatio beim Kaiser, und erst an dessen Hof sucht man eine entsprechende Rechtsgrundlage, mit der man ihm helfen kann. Mit anderen Worten: Augustin berichtet so ausführlich vom Reskript, weil dies sein einziger Beleg ist, dass dieses antidonatistische Gesetz überhaupt existiert. Man beachte ferner die Erwähnung der Zirkumzellionen. Bereits der Petent rechnete offenbar mit Übergriffen, wobei nicht klar wird, ob es sich um Widerstand aufgrund der Aufhebung des Testaments oder um eine allgemeine Erwähnung zirkumzellionischer Umtriebe handelt. In jedem Fall reagiert der Kaiser und ordnet entsprechende Gegenmaßnahmen an. 75 Gerade die Erwähnung der Passage zu den Zirkumzellionen – die ja zusammenhanglos im Kontext ist –, zeigt, wie sehr sich Augustin an das ihm anscheinend vorliegende Reskript zur Petition hält. Umgekehrt argumentiert Augustin in keiner Weise damit, dass seinem donatistischen Adressaten dieses Gesetz doch vertraut sein müsse. Kurzum: Alles deutet darauf hin, dass dieses Reskript – und nicht etwa möglicherweise ein allgemein bekanntes Häretikererbgesetz – die Textgrundlage von Augustin war. Damit gewinnt die große wörtliche Nähe zwischen der Augustin-Passage und dem Commonitorium eine besondere Signifikanz: Alles, was Augustin und die Bischöfe über das Häretikererbgesetz wussten, war das, was sie dem Reskript entnehmen konnten. Die darin enthaltene Formulierung wird zur Grundlage nicht nur der Contra-epistulam-Parmeniani-Passage, sondern auch der Eingabe der Bischöfe an den Kaiserhof.

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– machen durften (Conc. Afr. p. 37.96–98, Ut episcopi vel clerici eis qui Christiani catholici non sunt, etiamsi consanguinei fuerint, nec per donationes rerum suarum aliquid conferant). Das impliziert, dass die Bischöfe damals keine staatliche Regelung kannten, die das ohnehin verboten hätte. Hermanowicz, S. 121: »When the petition reached the consistory, Augustine tells us that the emperor was not able to remain silent. That does not tell us much, however, as to the nature or the extent of the victory«. Hermanowicz missversteht den Text: Es geht ganz prosaisch darum, dass der Kaiser die Zirkumzellionen in seinem Antwortschreiben nicht unerwähnt lassen konnte – nicht etwa um einen verbalen Ausbruch des Honorius beim Lesen der Petition.

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Fassen wir zusammen. Es gibt keine anderen Quellen zum vorgeblichen Häretikererbgesetz als die Augustin-Passage und das Commonitorium, die offensichtlich beide von derselben Quelle – einem kaiserlichen Reskript – abhängig sind. Gegen die Existenz eines solchen Gesetzes spricht, dass darauf nie in späteren Konstitutionen Bezug genommen wird, und zwar nicht einmal in solchen des Kaisers Honorius, von dem ja das Reskript stammt. Die einfachste Erklärung dieser widersprüchlichen Sachlage ist, dass der Inhalt des Reskripts tendenziös wiedergegeben wird bzw. es bereits missverständlich abgefasst war. Man könnte sich – spekulativ! – das Argument des Reskripts beispielsweise folgendermaßen vorstellen: In Anbetracht der Tatsache, dass ein Gesetz mit generalitas »Häretikern« verbietet, testamentarisch oder schenkweise zu profitieren oder weiterzugeben, ist es nur gerecht, wenn auch in diesem Fall das Testament der Schwester ungültig sei – wobei haeretici im Original »manche Häretiker« meint, die Bischöfe es aber als »alle Häretiker« verstehen. Gedanklich zugrunde liegt natürlich letztlich doch die antimanichäische Gesetzgebung, denn wir sind im westlichen Teil des Reichs, wo Eunomianer keine Rolle spielen. Außerdem ist das Schenkungsverbot signifikant: Es wird im Reskript erwähnt, obwohl es im konkreten Fall der beiden Geschwister ausschließlich um eine erbrechtliche Auseinandersetzung geht. Während Manichäer bereits seit 381 nicht mehr schenken dürfen – was danach regelmäßig wiederholt wird –, stammt das erste überlieferte Schenkungsverbot für Heidenapostaten von 426, für Eunomianer von 410 (wobei ihnen 399 explizit erlaubt wird zu schenken, ohne dass uns allerdings ein früheres Verbot überliefert ist, → S. 663). Spagnuolo Vigorita (2009, S. 160 f.; 2007, S. 5362–5366) geht ebenfalls davon aus, dass es kein allgemeines Häretikererbgesetz geben kann. Seine Rekonstruktion ist allerdings hochgradig spekulativ: Er behauptet, die Güter der Frau seien vom Fiskus – da angeblich für häretische Versammlungen bestimmt – konfisziert worden, und in der Petition habe der Bruder um Rückgabe gebeten und sie erreicht. Doch dieser Ablauf hat nicht mehr viel mit dem zu tun, was bei Augustin steht. Hermanowicz bietet, sofern ich sie recht verstehe, zwei verschiedene Erklärungen an zwei verschiedenen Stellen, ohne eine Entscheidung zu treffen. Einerseits behauptet sie (Hermanowicz, S. 121), der Bruder hätte das Testament ohnehin zu Fall bringen können, weil Frauen nicht an Kleriker vererben dürfen. Sie scheint zu insinuieren – ihr genaues Argument bleibt unklar –, Augustin könnte einen banalen Fall (ungültiges Testament wegen Vererbung an Kleriker) zum Häretikerfall auf-

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gebauscht haben. Tatsächlich spricht wenig für diese Vorstellung. 76 Auch ihre andere Idee, »the brother could have challenged his sister’s will on the grounds that his sister was, in fact, a Manichaean« (Hermanowicz, S. 123), als hinterlistige Strategie des Bruders oder seiner Anwälte, ist ohne jeden Anhalt in den Quellen und als Vorstellung (eine Manichäerin, die ihr Vermögen an Donatisten vererbt?) abwegig; auch wäre dann das Vermögen nach den Regeln von CTh. 16.5.7 nicht an den Bruder, sondern an den Fiskus gefallen. Vor allem ignoriert Hermanowicz, dass die katholischen Bischöfe das angebliche Häretikererbgesetz vom Kaiser (!) bestätigt haben wollen; die Bischöfe glauben also ernsthaft an dessen Existenz – oder kann die Verschwörung so weit gehen, dass sie ausgerechnet dem Kaiser selbst ein Phantomgesetz weismachen wollen? Spagnuolo Vigorita (2009, S. 157 f.; 2007, S. 5365) argumentiert, dass die Bischöfe absichtlich vage bleiben, weil sie genau wissen, dass es kein Häretikererbgesetz gibt. Aber man vergleiche das Zehnpfundgoldgesetz: Dort ersuchen die Bischöfe, dass alles, was nicht passt, ihren Bedürfnissen entsprechend modifiziert werde; darunter das Detail, dass das für Häretiker gültige Gesetz nun für Donatisten (seien sie nun schismatisch oder häretisch) einschlägig sei. Warum sollten also die Bischöfe nicht einfach darum bitten, die für Manichäer geltende Regelung auf Donatisten auszuweiten (anstatt den Kaiser für dumm zu verkaufen)? Wenn man sich den entsprechenden Abschnitt im Commonitorium ansieht, so stellt man fest, dass es den Bischöfen vor allem darum geht, eine zweifelsfreie Anwendbarkeit des vorgeblichen Häretikererbgesetzes auf Donatisten zu erreichen – das Honorius-Reskript ist ja nur eine Regelung für den Einzelfall, die nicht als Präjudiz dienen kann (→ S. 35). Die Bischöfe bitten übrigens den Kaiser nirgendwo darum, die Donatisten rundweg zu Häretikern zu erklären. Vielmehr soll das für »Häretiker« einschlägige Gesetz auch für

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Dies beginnt damit, dass Hermanowicz das falsche Gesetz zitiert; die von ihr mehrfach angeführte Regelung CTh. 16.2.27 (→ S. 304) wurde gerade einmal zwei Monate später ausdrücklich wieder aufgehoben (CTh. 16.2.28, → S. 306). Wenn schon, könnte es allenfalls um CTh. 16.2.20 gehen, eine Regelung, die verwitweten und unmündigen Frauen Testamente zugunsten von Klerikern untersagt (→ S. 296) und erst unter Markian wieder aufgehoben wird (→ S. 121). Die Klerikereigenschaft des Donatisten Augustin spielt in der Diskussion keine Rolle. Wahrscheinlich war die Erblasserin nicht verwitwet (oder aber der Donatist Augustin war mit der Erblasserin verwandt, denn dafür macht CTh. 16.2.20 eine Ausnahme); jedenfalls wird sich der Bruder gehütet haben, CTh. 16.2.20 zu erwähnen – denn das Gesetz hat als Rechtsfolge nicht die Vererbung an die Intestaterben, sondern die Konfiskation durch den Fiskus (→ S. 297).

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Donatisten gültig sein (wobei aber dann doch der Donatismus, zumindest indirekt, zwei Sätze später als error haereticus bezeichnet wird, → S. 527). Das Konzil hatte aber neben der Bitte um eine generelle Anwendbarkeit auf Donatisten noch einen Klarstellungswunsch. Dieser betraf Donatisten, die zum Katholizismus übertraten. Eine Erbschaft oder Schenkung, die im Zeitpunkt des Todesfalls bzw. der Vornahme eigentlich ungültig gewesen wäre, weil der Begünstigte dann noch Donatist war, sollte nachträglich volle Gültigkeit erlangen, sofern der Begünstigte zum Katholizismus konvertierte. Andererseits sollte das aber nicht gelten für den Fall, dass der Übertritt erst erfolgte, wenn ein Prozess bereits anhängig war. Bei solchen lite pulsati bestand der naheliegende Verdacht, dass sie nur des schnöden Mammons wegen konvertierten, und um dies zu vermeiden, sollte ihnen gar kein finanzieller Anreiz in Aussicht gestellt werden. Die Besorgnis um solche Bekehrten, die nicht aufgrund echten Sinneswandels, sondern auf äußeren Druck hin konvertierten, prägte die Position von Augustins Partei in den Verhandlungen des Konzils. Wie bereits erwähnt (→ S. 523), gab es bei der Versammlung eine andere Partei, die sich ein Ende des Donatismus – gern auch unter beliebig starkem Druck – gewünscht hätte. Es steht zu vermuten, dass die hier vorliegende Formel, wie nach Wunsch des Konzils mit Konvertiten zu verfahren sei, auf einem Kompromiss zwischen diesen beiden Fraktionen beruht. Es fällt auf, dass, wenn Augustin in zwei späteren Briefen das Konzil von 404 und die daraus resultierende Gesandtschaft zum Kaiser erwähnt, das Zehnpfundgoldgesetz beide Male erscheint (epist. 88.7, Brief der »Kleriker von Hippo«, zwischen 406 und 411; epist. 185.7.25 von 417, vgl. Goldbacher, S. 47), nicht aber das Häretikererbgesetz. Die Erklärung ist der Gedankengang beider Briefe: Jeweils argumentiert Augustin, wie langmütig doch die katholische Seite war und ausdrücklich die Anwendbarkeit des Zehnpfundgoldgesetzes ausschließlich auf Bischöfe erbat, in deren Regionen es zu Gewaltakten gekommen war (während eigentlich alle donatistischen Bischöfe betroffen gewesen wären). Da wäre es doch argumentativ störend zu erwähnen, dass man gleichzeitig die Anwendbarkeit einer erbrechtlichen Sanktion auf alle Donatisten, inklusive Laien, erwirken wollte. Alles in allem halte ich folgende Interpretation für plausibel: Als beim Konzil von 404 Gesetze gesucht wurden, um den Donatisten entgegenzutreten, war die offensichtliche Wahl das Zehnpfundgoldgesetz, das die Katholiken bereits seit einer Weile einsetzen wollten und das zudem unlängst in der Possidius-Crispin-Affäre in Karthago erneut eine Rolle gespielt hatte. Hinzu kam die massive Strafandrohung, die selbst den Katholiken so erheblich schien, dass sie die Einschlägigkeit des Gesetzes auf gewalttätige Donatisten

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begrenzt sehen wollten, um Scheinübertritte zu vermeiden. Aber auch ein anderes Gesetz, das Häretikererbgesetz, fand Eingang in die Diskussion des Konzils und in die offiziellen Handlungsanweisungen der Gesandten. Das könnte sich zwanglos dadurch erklären, dass erst kurz zuvor damit das donatistenbegünstigende Testament einer Frau zugunsten ihres katholischen Bruders zu Fall gebracht worden war und man damit einen Präzedenzfall hatte, an den die Bischöfe anknüpfen konnten; insofern stand zu erwarten, dass Honorius die Bitte kaum abschlagen würde. Bekanntlich äußerte im Konzil die Partei von Augustin ihre Sorge um unerwünschte Konvertierungen, d. h. um solche Übertritte, die nur unter äußerem Einfluss und ohne innere Überzeugung zustande kamen. Dass man die Anwendung des Zehnpfundgoldgesetzes auf gewalttätige Donatisten beschränken wollte, geht sicher auf die Augustin-Partei zurück. Die Annahme erscheint plausibel, dass auch die erwünschte Beschränkung des Häretikererbgesetzes – nämlich dass niemand einen Rechtsstreit um eine Erbschaft durch eine plötzliche Konvertierung entscheiden konnte – dank dieser Partei ins Commonitorium geschrieben wurde. Dass man Ex-Donatisten, die zwischenzeitlich ohne unmittelbaren Druck übergetreten waren, eine früher erworbene Schenkung oder Erbschaft ließ, ist da nur konsequent. Als nun die Gesandten Theasius und Evodius samt ihren Instruktionen in Rom ankamen, mussten sie feststellen, dass sie nicht die einzigen afrikanischen Kleriker waren, die beim Kaiser antichambrierten: Mehrere Bischöfe, die persönlich Opfer donatistischer Gewalt geworden waren, waren bereits früher eingetroffen, hatten dort laut Augustin ihre Narben und Wunden zur Schau gestellt und den Kaiser angefleht, endlich hart durchzugreifen. Augustin berichtet die Geschichte zweimal, das erste Mal in dem Brief der »Kleriker von Hippo« (epist. 88.7, aus der Zeit 406–411, vgl. → S. 525): Ex concilio autem nostri episcopi legatos ad comitatum miserunt … Sed cum 77 legati Romam venerunt, iam cicatrices episcopi catholici Bagaitani horrendae ac recentissimae imperatorem commoverant, ut leges tales mitterentur, quales et missae sunt. Aus der Mitte unseres Konzils schickten unsere Bischöfe Gesandte an den Kaiserhof … Aber als die Gesandten in Rom eintrafen, hatten bereits die grauenvollen und ganz frischen Narben des katholischen Bischofs von Bagai den Kaiser bewegt, solche Gesetze zu senden, wie sie schließlich auch gesandt wurden.

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Überliefert sed sic cum, was Goldbacher abdruckt. Weder verstehe ich sed sic cum noch finde ich einen weiteren Beleg für diese Kombination.

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In einem weiteren Brief, der viel später, nämlich im Jahr 417, entstand, schreibt Augustin (epist. 185.7.25 f.): … obtinuimus tamen, ut illud potius, quod dixi, ab imperatoribus peteretur. Decretum est in concilio nostro, legati ad comitatum missi sunt. 26. Sed dei maior misericordia … id egit, ut legati nostri, quod susceperant, obtinere non possent. Iam enim nos praevenerant ex aliis locis quaedam episcoporum querelae gravissimae, qui mala fuerant ab ipsis multa perpessi et a suis sedibus exturbati. Praecipue horrenda et incredibilis caedes Maximiani catholici episcopi ecclesiae Bagaiensis effecit, ut nostra legatio iam, quid ageret, non haberet. Iam enim lex fuerat promulgata, ut tantae immanitatis haeresis Donatistarum, cui crudelius parci videbatur, quam ipsa saeviebat, non tantum violenta esse, sed omnino esse non sineretur impune – non tamen supplicio capitali propter servandam etiam circa indignos mansuetudinem Christianam sed pecuniariis damnis propositis et in episcopos vel ministros eorum exilio constituto. … gleichwohl erreichten wir, dass doch das, was ich beschrieben habe [d. h. Zehnpfundgoldstrafe für Bischöfe, die nicht für Sicherheit sorgen, statt generelle staatliche Bekämpfung des Donatismus], von den Kaisern erbeten wurde. Es wurde in unserem Konzil beschlossen, Gesandte wurden an den Kaiserhof geschickt. 26. Doch Gottes großes Mitleid … bewirkte, dass unsere Gesandten ihren Auftrag nicht erfüllen konnten. Denn uns waren aus anderen Orten mehrere gar schlimme Beschwerden von Bischöfen zuvorgekommen, die von jenen viel Böses erlitten hatten und aus ihren Bischofsitzen vertrieben worden waren. Vor allem der schreckliche, kaum glaubliche Anschlag auf Maximian, den katholischen Bischof der Kirche von Bagai, hatte zur Folge, dass unsere Gesandtschaft gar nichts mehr zu verhandeln hatte. Denn das Gesetz war bereits erlassen worden, dass man bei der derart grässlichen Häresie der Donatisten, die zu schonen grausamer schien, als ihr eigenes Wüten war, nicht nur die Gewalttätigkeit nicht straflos hinnehmen würde, sondern gänzlich die Existenz. Das geschah freilich nicht durch die Todesstrafe – denn auch gegen Leute, die es nicht verdienen, muss man christliche Mäßigung bewahren –, sondern durch die Verhängung von Vermögenssanktionen und, was ihre Bischöfe und niedrigeren Kleriker angeht, von Exil.

Beim erwähnten katholischen Bischof von Bagai, Maximian (PCBE I, S. 723– 725 s. v. Maximianus 6), handelt es sich um ein weiteres Opfer des donatistischen Volkszorns. Maximian, selbst Ex-Donatist, hatte gerichtlich die Übergabe einer donatistischen Kirche erreicht. In ebenjener Kirche wurde er attackiert: Er flüchtete sich unter den Altar, den die Angreifer zerstörten; unter anderem verwendeten sie dann die daraus gewonnenen Latten, um ihm eine ordentliche Tracht Prügel zu verabreichen. Es blieb nicht bei Schlägen: Einer der Angreifer fügte Maximian einen stark blutenden Unterleibsstich zu. Man ließ ihn, wie man dachte, sterbend liegen; seine Anhänger fanden ihn und

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trugen ihn, Psalmen singend, davon, was indes nicht der Aufmerksamkeit der Angreifer entging, die Maximian seinen glücklosen Rettern entrissen. Sie misshandelten ihn erneut und warfen ihn schließlich von einem »Turm« herab. Maximian landete auf einem Misthaufen und hatte das große Glück, dass des Nachts ein Mann mit Stuhldrang just jenen Haufen auswählte und zudem trotz der Dunkelheit genug sah, um seine in respektvoller Distanz wartende Gattin samt Laterne herbeizurufen. 78 Maximian war nicht der einzige Bischof, der sich auf eigene Faust zum Kaiser aufgemacht hatte. Namentlich wissen wir noch von einem gewissen Servus von Thubursicu Bure, der einem donatistischen Mob vix vivus entkommen war (sein Vater, ein katholischer Presbyter, hatte weniger Glück; er war – schwer mitgenommen vom Gewaltexzess – wenige Tage danach verstorben), neben dem aber noch weitere afrikanische Bischöfe beim Kaiser waren. 79 Derlei Privatmissionen zum Kaiserhof kamen anscheinend allzu oft vor, denn im Folgejahr sandte der römische Bischof Innozenz einen Brief nach Afrika des Inhalts, dass Bischöfe nicht so ohne Weiteres nach Italien kommen sollten (ut episcopi ad transmarina pergere facile non debeant, Conc. Afr. p. 214.1107– 1109); zwei weitere Jahre später beschlossen die afrikanischen Bischöfe, dass, wer sich ein Begleitschreiben für eine Reise nach Rom ausstellen ließ, dann aber ohne vorherige Ankündigung den Kaiserhof aufsuchte, zu exkommunizieren sei (Conc. Afr. p. 218 f.1254–1263). 404 hingegen war die Situation noch anders, und Maximian und seine Leidensgenossen waren also vor der offiziellen Gesandtschaft nach Rom gelangt 80 und hatten dort den Kaiser von drastischeren Maßnahmen über78

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Augustin berichtet diese Anekdote zweimal (c. Cresc. 3.43.47, vielleicht ein gutes Jahr nach den Ereignissen; epist. 185.7.27, viele Jahre später). Wenig spricht für Hermanowicz’ (S. 141 f.) reichlich konstruierte Idee, die donatistischen Angreifer hätten darauf geachtet, Maximian ja nicht zu töten. Wer einen Menschen wahllos prügelt, in den Unterleib sticht, von einem Turm herunterstößt und dann hilflos liegen lässt, nimmt fraglos dessen Tod in Kauf. Auch müsste man ja auch noch das rechtzeitige Bedürfnis des rettenden Passanten in die Theorie einbauen, was wohl nur mit großer Mühe zu verargumentieren wäre. In Augustins Worten (c. Cresc. 3.43.47): Hic cum illic invenisset collegam Thubursicensem, quem paulo ante commemoravi, et alios nonnullos similia vel non multo inferiora perpessos, »Nachdem er [Maximian] dort seinen Kollegen aus Thubursicu – den ich eben erwähnt habe – angetroffen hatte sowie einige andere, denen Ähnliches oder kaum weniger Schlimmes widerfahren war …«. Daran scheitert die Idee von Weidmann, es habe sich beim Eingreifen Maximians und der anderen um eine Intrige innerhalb des afrikanischen Episkopats gehandelt. Nach ihm hätten die Hardliner nach ihrer Niederlage beim Konzil (S. 397 f.) Maxi-

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zeugt. 81 Auffälligerweise unterscheidet sich Augustins Chronologie in den beiden zitierten Briefen: Während Augustin im viel späteren Brief behauptet, dass die Gesetze bereits erlassen waren, als die Gesandtschaft überhaupt eintraf, war nach dem fast kontemporären Brief 88 lediglich die Meinungsbildung des Kaisers abgeschlossen. Man wird annehmen, dass sich Augustin kurze Zeit später besser an das Geschehene erinnerte als mit etlichen Jahren Distanz. Die Regelungen, von denen Augustin spricht, haben deutliche Spuren im Codex Theodosianus hinterlassen. Die wichtigste unter ihnen ist das Einheitsedikt, 82 das die Kircheneinheit in Afrika anordnet. CTh. 16.5.38 und CTh.

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mian und die anderen (die nach Weidmann, S. 396, selbst noch im Juni beim Konzil anwesend waren) zu ihrer (vorgetäuschten) Privatmission entsandt. Aber wie konnten sie dann vor den offiziellen Delegierten in Rom ankommen, und zwar so viel früher, dass Honorius’ Entscheidungsfindung bereits abgeschlossen war, bevor die Abgesandten des Konzils überhaupt eingetroffen waren? Alle vorgeblichen Widersprüche, die nach Weidmann (S. 394–396) auf eine Intrige verweisen, lassen sich problemlos anders erklären: dass Maximian nach seiner Misshandlung keine Klage erhob, sondern gleich zum Kaiser ging, muss doch nicht verwundern; dass man im Konzil verschiedene Positionen debattierte (!), im Protokoll dann aber cunctis nobis placuit, »wir haben alle beschlossen (!)«, schrieb, ist kein Widerspruch – insbesondere da ja die gefundene Lösung eindeutigen Kompromisscharakter trägt; usw. Zu Maximian und der Konzilsdelegation bringt Hermanowicz, S. 150, eine weitere Verschwörungstheorie ins Spiel: »›But when the envoys came to Rome, the fresh and shocking scars of the Catholic bishop of Bagai so affected the emperor that such laws were passed which were passed before.‹ … the Latin indicates the arrival of the bishops was coterminous with the bishop of Bagai’s dramatic appearance. Maximianus may have been a part of the episcopal delegation. The bishops … wanted to elicit reactions to the shocking appearance of Maximianus«. Im Gegensatz zu Hermanowicz’ Behauptung setzt der lateinische Text die Ankunft Maximians eindeutig vor die der Bischöfe, denn das auch von Hermanowicz abgedruckte commoverant ist ein Plusquamperfekt, und das Präteritum »affected« ein schlichter Übersetzungsfehler von Parsons (deren Übersetzung mit minimalen Modifikationen sich Hermanowicz ohne Verweis zu eigen macht). Mit anderen Worten: Hermanowicz’ Verständnis der Stelle, auf dem sie ihre Chronologie aufbaut (vgl. z. B. auch ihre S. 139), basiert nicht auf dem Lateinischen, sondern auf einer fehlerhaften Fremdübersetzung ins Englische. Vielleicht von Hermanowicz abhängig ist Lenski (S. 182), der ohne Nachweis behauptet, das Eintreffen beider Gesandtschaften sei orchestriert gewesen, und sich bei seiner Deutung ganz von den Quellen löst: »[Bischof] Aurelius [von Karthago] was thus stage-managing communications with the emperor and his officials, manipulating them like marionettes on a string«. Zum Namen vgl. CTh. 16.11.2 vom 5. März 405: Edictum, quod de unitate per Africanas regiones Clementia Nostra direxit, »Das Edikt, das Unsere Klemenz hinsichtlich der Einheit an die afrikanischen Regionen richtete«. Der Name scheint wirklich tech-

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16.6.3 sind Exzerpte eines edictum des Honorius, das von der Kircheneinheit spricht, Wiedertaufen verdammt und das auf den 12. Februar 405 datiert ist. 83 Explizite Sanktionen enthalten die Fragmente nicht. Wenn ich sie trotzdem hier zitiere, dann nur deswegen, weil manche Gelehrte überraschende Rechtsfolgen aus dem Einheitsedikt ableiten wollten. Zunächst CTh. 16.5.38: Idem AA. et Theodosius A. Edictum: Nemo Manichaeum, nemo Donatistam, qui praecipue, ut comperimus, furere non desistunt, in memoriam revocet. Una sit catholica veneratio, una salus sit, trinitatis par sibique congruens sanctitas expetatur. Quod si quis audeat interdictis sese illicitisque miscere, et praeteritorum innumerabilium constitutorum et legis nuper a Mansuetudine Nostra prolatae laqueos non evadat et si turbae forte convenerint seditionis, concitatos aculeos acrioris conmotionis non dubitet exserendos. Dat. prid. id. Feb. Ravennae Stilichone II et Anthemio conss. Dieselben beiden Kaiser [Arkadius und Honorius] sowie Kaiser Theodosius. Edikt: Niemand soll einen Manichäer, niemand soll einen Donatisten, die hauptsächlich – wie wir erfahren haben – nicht vom Wahnsinn ablassen wollen, ins Gedächtnis zurückrufen! Die katholische Verehrung soll eine sein, das Heil soll eines sein, der Dreifaltigkeit Heiligkeit, die einheitlich und sich selbst gleich ist, soll erstrebt werden. Wenn es aber einer wagen sollte, sich unter die Verbotenen und Illegalen zu mischen, soll er den Schlingen weder der zahllosen früheren Konstitutionen noch des erst unlängst von Unserer Mansuetude vorgelegten Gesetzes entgehen, und wenn sich gar aufrührerische Banden versammeln sollten, darf kein Zweifel daran bestehen, dass die feurigen Sporen einer [noch] heftigeren Erregung zu geben sein werden. Abgeschickt am Vortag der Iden des Februar in Ravenna unter dem Konsulat von Stilicho (zum 2. Mal) und Anthemius. [12. Februar 405]

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nisch zu sein, vgl. Conc. Afr. p. 216.1182 f., ante legem imperatoris de unitate latam, Conc. Afr. p. 216.1184 f., a lege unitatis. In der deutschsprachigen Literatur ist zumeist vom »Unionsedikt« die Rede, aber im lateinischen Original geht es um die Einheit (unitas), nicht um eine Vereinigungshandlung. CTh. 16.11.2 vom 5. März 405 ordnet die Publikation des Einheitsedikts an (per diversa proponi volumus), eine weitere Bestimmung enthält das überlieferte Fragment nicht. Warum der Publikationsbefehl nicht gleichzeitig, sondern erst drei Wochen nach dem Edikt erfolgt, ist schwer erklärbar.

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Inskription und Subskription von CTh. 16.6.3 sind identisch mit denen von CTh. 16.5.38, d. h., es handelt sich fraglos um ein weiteres Fragment desselben Edikts, das aus sachlichen Gründen in einem anderen Titel überliefert ist (es betrifft Wiedertaufen und wurde deswegen in den Wiedertauf-, nicht in den Häretikertitel einsortiert). Bedauerlicherweise ist dieses Fragment CTh. 16.6.3 extrem kurz: Imppp. Arcadius, Honorius et Theodosius AAA. Edictum: Rebaptizantium non patimur devios errores. Et cetera. Dat. prid. id. Feb. Ravennae Stilichone II et Anthemio conss. Die Kaiser Arkadius, Honorius und Theodosius. Edikt: Wir tolerieren die abweichlerischen Fehler von Wiedertaufenden nicht. Und so weiter. Abgeschickt am Vortag der Iden des Februar in Ravenna unter dem Konsulat von Stilicho (zum 2. Mal) und Anthemius. [12. Februar 405]

Bevor wir besprechen, was das Einheitsedikt beinhaltet, wollen wir uns kurz ansehen, was es nicht enthält. Laut Hermanowicz 84 werden die Donatisten durch das Einheitsedikt der scharfen antimanichäischen Gesetzgebung unterworfen. Doch tatsächlich findet sich keinerlei entsprechende Anordnung in CTh. 16.5.38 oder CTh. 16.6.3. Mehr noch: Auch danach trennen die Gesetze immer scharf zwischen Manichäern und Donatisten. Um nur zwei Beispiele zu geben: So ist z. B. CTh. 16.5.40 (407) gegen Manichäer (und Montanisten) gerichtet, dagegen ist CTh. 16.5.54 (414) ein antidonatistisches Gesetz – beide übrigens von Honorius erlassen, der ja nach dieser Theorie gar nicht mehr zwischen Manichäern und Donatisten unterscheiden soll! Auch in der zeitgenössischen Literatur finden wir nie eine rechtliche (oder andere) Gleichsetzung auch nur angedeutet. Kurzum: Der Vorstellung einer juristischen Identifikation von Donatisten und Manichäern fehlt jede quellenmäßige Grundlage; sie ist unhaltbar. Zugegebenermaßen kann es aber Erstaunen hervorrufen, dass die Manichäer im ersten Satz des überlieferten Einheitsedikts genannt werden. Denn

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Hermanowicz, S. 123 Anm. 85: »the Edict of Unity, when Manichaeans and Donatists technically came under the same heresy restrictions«; sowie wiederum auf S. 151: »Donatists were now subject to all antiheretical legislations, including those against the Manichaeans«. Bei ihr erscheint diese außerordentliche Behauptung stets so beiläufig, als handele es sich um ein gesichertes, allseits akzeptiertes Faktum.

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der Auslöser des Edikts war fraglos die Auseinandersetzung mit den Donatisten, 85 und auch die Begleitgesetze beziehen sich nur auf Donatisten und Wiedertäufer. Andererseits darf man die oft grundlegende Natur eines Edikts (→ S. 62) nicht vergessen; wenn schon der Kaiser selbst und direkt seine Stimme in einer Provinz erhebt, hat er eine sehr fundamentale Nachricht zu übermitteln. Und was Honorius will, ist endlich Ruhe vor allen Arten von Kirchenspaltungen und Häresien in Afrika; und die beiden wichtigsten Gruppen von Heterodoxen in Afrika waren nun einmal die Donatisten und die Manichäer. Die früher verhängten Sanktionen sollen den treffen, der es wagt, sich unter Rechtsbrecher zu begeben (oder meint interdictis sese illicitisque miscere vielleicht eher die Teilnahme an illegalen Handlungen?). Für den Fall von turbae seditionis (Mobansammlungen im Stil der Zirkumzellionen; nicht Gottesdienste) werden heftigere Reaktionen angedroht. Das Einheitsedikt verweist auf die »zahllosen früheren Konstitutionen und das Gesetz, das erst unlängst von Unserer Mansuetude vorgelegt wurde« (praeteritorum innumerabilium constitutorum et legis nuper a Mansuetudine Nostra prolatae). Dass ein strafbewehrtes Gesetz gegen die Donatisten kürzlich erlassen wurde, würde hervorragend zur Angabe von Augustin passen, dass die afrikanische Delegation – die nach der Konferenz vom Juni 404 abgesandt wurde – bereits zu spät gekommen war, weil sich der Kaiser mittlerweile auf einen massiveren Kurs als von der Augustin-Partei gewünscht festgelegt hatte. Die lex nuper prolata würde damit in die zweite Jahreshälfte 404 gehören. Im Codex Theodosianus findet sich nun eine Konstitution mit entsprechend strengen Sanktionen gegen wiedertaufende Donatisten. Es handelt sich um CTh. 16.6.4, ein ungewöhnlich ausführliches Fragment, bei dem sogar einige Sätze der Einleitung die Arbeit der Kompilatoren überstanden und Eingang in die Gesetzessammlung fanden. Doch diese Konstitution – ein Brief 86 an den Prätoriumspräfekten Hadrian – trägt exakt dasselbe Datum wie das Edikt, nämlich den 12. Februar 405. Dies passt chronologisch nun überhaupt nicht zu den Angaben von Augustin und – was schwerer wiegt – zur Formulie85 86

Maier, S. 135 Anm. 11: »On ignore pourquoi Honorius nomme ici les manichéens, totalement étrangers aux attentats donatistes contre les catholiques«. Spagnuolo Vigorita 2009, S. 149, gibt ohne weitere Begründung an, dass CTh. 16.6.4 und CTh. 16.6.5 Teile des Einheitsedikts selbst überliefern. Das erscheint unwahrscheinlich: Das Einheitsedikt lag ja den Kompilatoren vor, sie haben es ausgeschlachtet: Warum hätten sie eine textidentische andere Ausfertigung für den Text von CTh. 16.6.4 f. wählen sollen? Auch ist der Inhalt offensichtlich verschieden: Das Edikt ist allgemein gehalten, die Briefe regeln Details.

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rung des Honorius selbst, der ja von einem neulich (nicht: gleichzeitig) ergangenen Gesetz spricht. Bislang ging man diesem Widerspruch kaum 87 nach und akzeptierte ohne Weiteres das überlieferte Datum 12. Februar 405. Dabei ist des Rätsels Lösung relativ einfach: Dem Einheitsedikt wurde eine Konstitution beigefügt, die größtenteils aus einem Zitat einer früheren antidonatistischen Maßnahme besteht und die dadurch am 12. Februar 405 erneut bestätigt wurde. Das ist mehr als eine ungewisse Spekulation, sondern steht so im Principium von CTh. 16.6.4, einer Passage, die bisher missverstanden oder vielmehr nicht weiter beachtet wurde (siehe gleich). Deswegen zitiere ich CTh. 16.6.4 regelmäßig als Gesetz von 404/5: Die darin zitierte Konstitution muss bald nach dem Besuch der Gesandtschaft der afrikanischen Bischöfe ergangen sein (denn, wie wir gleich sehen werden, finden sich ihre Anliegen, wenn zwar nicht verwirklicht, so doch eingearbeitet), ehe sie, als Zitat in ein neues Gesetz eingebettet, am 12. Februar 405 bestätigt wurde. Eine weitere Konstitution, die am 12. Februar 405 erging, ist als kurzes Fragment CTh. 16.6.5 überliefert und legt die komplette Enteignung als Strafe für Wiedertäuferei fest. Dieselbe Bestimmung findet sich auch in CTh. 16.6.4 pr. inklusive wörtlicher Anklänge, sodass es sich anbietet, CTh. 16.6.5 bei der Kommentierung des Principiums zu besprechen.

CTh. 16.6.4 [12. Februar 405] Idem AAA. Hadriano ppo. Adversarios catholicae fidei exstirpare huius decreti auctoritate prospeximus: Ideoque intercidendam specialiter eam sectam nova constitutione censuimus, quae, ne haeresis vocaretur, appellationem schismatis praeferebat. Dieselben drei Kaiser [Arkadius, Honorius und Theodosius] an den Prätoriumspräfekten Hadrian: Wir trafen Vorsorge, die Feinde des katholischen Glaubens durch die Autorität des folgenden Gesetzes auszurotten: Daher haben wir beschlossen, dass mit einer neuen Konstitution speziell diese Sekte zu zerschlagen sei, die – um nicht »Häresie« genannt zu werden – die Bezeichnung »Schisma« vorzieht.

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Martroye erklärt das chronologische Problem mit einem weiteren, uns unbekannten Gesetz (Martroye 1913, S. 104: »Cette loi ne nous est point parvenue … elle ne fut pas jugée suffisante«).

cth. 16.6.4 [12. februar 405]

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Mommsen interpungiert nach prospeximus mit Punkt. Dadurch erklärt ideoque den unmittelbar vorhergehenden Satz, was zu einem merkwürdigen Konstrukt führt, dem keiner der Übersetzer (Pharr, Delmaire, Magnou-Nortier, Maier) einen vernünftigen Sinn abringen kann: Wie soll der Ausdruck »eine neue Konstitution« das zuvor genannte »folgende Gesetz« 88 wieder aufnehmen? Wie löst man den Widerspruch, dass, um scheinbar alle Gegner auszurotten, man speziell eine Sekte attackiert? Diese Probleme und zusätzlich die chronologischen Unstimmigkeiten verschwinden, wenn man annimmt, dass das uns vorliegende Exzerpt der Begleitkonstitution zum Einheitsedikt weitgehend aus dem wörtlichen Zitat eines Gesetzes besteht, das seinerseits ursprünglich in der zweiten Jahreshälfte 404 erlassen worden ist. Der Satz Adversarios … prospeximus leitet das Zitat aus der älteren Konstitution ein, d. h., ich interpungiere mit Doppelpunkt, hinter dem man sich gleichsam Anführungszeichen vorstellen muss. Das bedeutet also, dass ideoque nur im (verlorenen) Kontext der Ursprungskonstitution einen logischen Anknüpfungspunkt besaß und dass man es heute genauso wenig erklären kann wie den Bezug von specialiter. Die Diskussion, ob der Donatismus nun als Häresie oder als Schisma anzusehen ist, war in Afrika seit Jahren virulent. Gleichwohl hatten die Bischöfe im Commonitorium keineswegs eine Brandmarkung der Donatisten als Häretiker erbeten – ihre Anfrage betraf ausschließlich die Möglichkeit der Anwendung zweier einzelner Gesetze auf die Donatisten (wobei diese ausdrücklich gültig sein sollten, ganz gleich, ob die Donatisten nun Schismatiker oder Häretiker seien). Honorius geht also weit über das Ersuchen der katholischen Bischöfe hinaus. In tantum enim sceleris progressi dicuntur hi, quos Donatistas vocant, ut baptisma sacrosanctum mysteriis recalcatis temeritate noxia iterarint et homines semel, ut traditum est, munere divinitatis ablutos contagione profanae repetitionis infecerint. Ita contigit, ut haeresis ex schismate nasceretur. Inde male credulas mentes ad spem secundae indulgentiae blandus error invitat; facile est enim persuadere peccantibus veniam prius praestitam denuo posse praestari, quae, si concedi iterum eodem modo

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Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es sich natürlich nicht um ein decretum im engeren, technischen Sinn, also um die autoritative Entscheidung eines Rechtsstreits durch den Kaiser (→ S. 4139), handeln kann, denn das umfassende Gesetz CTh. 16.6.4 regelt viele Einzelfragen, anstatt einen konkreten Rechtsfall zu entscheiden; decretum i. S. v. »Konstitution«, »Gesetz« ist in der Spätantike häufig (→ S. 49) und kam auch schon früher vor (Hesky, Sp. 2289 f., vgl. etwa Papin. D. 1.1.7 pr.). Dies übersehen Martroye (1913, S. 105 f.) und Maier (S. 136 f.: »le long document … est désigné comme un décret et la chancellerie impériale ne confondait évidemment pas édit et décret«).

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donatisten potest, non intellegimus, cur tertio denegetur. Hi vero et servos vel homines iuri proprio subditos iterati baptismatis polluunt sacrilegio. Diejenigen, die man »Donatisten« nennt, sollen so weit auf der Bahn des Frevels vorangeschritten sein, dass sie, die Mysterien mit Füßen tretend, 89 in schadenbringender Dreistigkeit die hochheilige Taufe zum zweiten Mal durchführen und Menschen, die [bereits] einmal, wie es [uns] überliefert ist, durch das Geschenk Gottes gereinigt wurden, durch die Verpestung einer frevelhaften Wiederholung besudeln. So geschah’s, dass eine Häresie aus einem Schisma entstand. So lädt böswillig ein verführerischer Fehler leichtgläubige Seelen zur Hoffnung einer zweiten Vergebung ein. Denn es ist leicht, Sündern weiszumachen, dass eine früher bereits gewährte Verzeihung von Neuem gewährt werde. Doch wenn sie sich auf dieselbe Weise ein zweites Mal gewähren ließe, verstünden wir nicht, warum sie bei einem dritten Mal verweigert würde. Sie aber beflecken sogar Sklaven und Menschen, die ihrem Recht unterworfen sind, mit dem Sakrileg einer wiederholten Taufe.

Im Commonitorium ging es den katholischen Bischöfen vor allem darum, die grassierende Gewalt abzustellen; theologische Erwägungen, etwa hinsichtlich der Wiedertaufe, spielten dort keine Rolle, obwohl wir doch wissen – siehe etwa Augustins Brief an Crispin –, dass die Katholiken sie als Gräuel ansahen. Kaiser Honorius verfolgt hingegen den theologischen Ansatz (und nicht den von den Bischöfen vorgeschlagenen pragmatischen): 90 Aufgrund der Wiedertäuferei und der dadurch evidenten Häresie sanktioniert er Donatisten, nicht aufgrund einzelner Gewaltverbrechen. Der letzte Satz mit der erzwungenen Taufe von Abhängigen dürfte direkt auf die Crispin-Affäre anspielen (vgl. → S. 512): Wir haben gesehen, dass Augustin von dem Vorgang so entsetzt war, dass er ihn mehrfach erwähnte. Es ist anzunehmen, dass – wäre dergleichen öfter vorgekommen – sich Augustin auch öfter darüber beklagen würde (wie er ja beispielsweise auch zahlreiche Gewaltepisoden berichtet). Doch Hinweise auf ähnliche Vorfälle fehlen, was anzudeuten scheint, dass die Crispin-Affäre eine ganz außergewöhnliche Episode darstellte.

Der Ausdruck mysteria recalcare bedeutet nicht »die Mysterien wiederholen« (in diesem Sinne Heumann/Seckel s. v. recalcare), sondern vielmehr »die Mysterien mit Füßen treten« (so zu Recht ThLL 11.2.261.38–40 mit Verweis auf CTh. 16.6.2 pr., apostolorum praecepta calcantes). Der Autor der Konstitution muss recalcare statt calcare verwenden, um einen Cursus (nämlich den Cursus velox) herzustellen. 90 Insofern ist Hermanowicz, S. 131, nicht nachvollziehbar: »When Honorius wrote in early 405 that the Donatist heresy was born of a schism …, the genesis of that statement was attributable to Catholic efforts to stretch the law«. 89

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Dieses Fragment ist (sofern man meine Frühdatierung der Urversion von CTh. 16.6.4 akzeptiert) der älteste Beleg überhaupt für das abwertende Donatistae in einem amtlichen kaiserlichen Text. Allerdings macht sich Honorius die Beschimpfung hier noch nicht wirklich zu eigen (hi, quos Donatistas vocant); das ist im Einheitsedikt vom 12. Februar 405 anders, in dem er »Donatisten« ohne Umschweife verwendet. Auch in CTh. 16.6.5 (ebenfalls auf den 12. Februar 405 datiert) fehlt eine solche Distanzierung (Donatistarum … secta). Manche Gelehrte (etwa Brown 2000, S. 230) verstehen CTh. 16.6.4 als offizielle Erklärung der Donatisten zu Häretikern. Doch ausdrücklich findet sich eine solche Aussage indes nicht im Text. Was der Kaiser sagt, ist, dass durch den Akt der Wiedertaufe aus einem Schisma eine Häresie wurde – aber bezieht sich das auf alle Donatisten oder nur auf diejenigen, die konkret wiedertauften und damit persönlich zu Häretikern wurden? Für die zweite Auffassung spricht, dass die allermeisten Sanktionen von CTh. 16.6.4 ganz ausdrücklich nur gegen überführte Wiedertäufer verhängt werden, für die erste Variante, d. h. »alle Donatisten«, ließe sich hingegen in tantum … sceleris progressi dicuntur hi, quos Donatistas vocant ins Feld führen. Klar ist nur, dass nach dem Einheitsedikt die Donatisten in den Kaisergesetzen regelmäßig als »Donatisten« abgewertet und als Häretiker bezeichnet werden, eindeutig etwa in CTh. 16.5.41 von 407. Doch wenn Honorius in CTh. 16.5.39 (8. Dezember 404 oder 405) von Donatistae superstitionis haereticos … vel fatentes vel convictos …, »Häretiker des donatistischen Unglaubens …, seien sie geständig oder überführt …«, spricht, könnte das auch eine Teilmenge der Donatisten (nämlich aktive Wiedertäufer) bezeichnen. Sofern sich CTh. 16.5.39 tatsächlich auf die Crispin-Affäre bezieht (→ S. 567), geht es möglicherweise wirklich um Wiedertaufen. Nicht nur in Kaisergesetzen werden die Donatisten nun regelmäßig als Häretiker bezeichnet: Auch Augustin, der früher öffentlich eine scharfe Unterscheidung zwischen Schismatikern und Häretikern pflegte, lässt bereits vor der Veröffentlichung des Einheitsedikts die Grenzen zwischen Schisma und Häresie verschwimmen. Er nimmt nun kein Blatt mehr vor den Mund und bezeichnet die Donatisten ab jetzt nicht nur gegenüber katholischen Vertrauten, sondern auch gegenüber Donatisten selbst als »Häretiker« (→ S. 523). Um zur Frage zurückzukehren, ob es sich bei CTh. 16.6.4 um eine offizielle Erklärung der Donatisten zu Häretikern handelt: Man kann in der Tat feststellen, dass – auch wenn keine ausdrückliche Erklärung vorliegt – CTh. 16.6.4 tatsächlich den Wendepunkt darstellt, ab dem (oder: bald nach dem) die Donatisten regelmäßig als Häretiker in den Rechtsquellen erscheinen. Allerdings ist die Bedeutung dieses Faktums weitaus geringer, als man ge-

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meinhin annimmt: In Ermangelung eines umfangreichen Fundus an generischen Häretikerkonstitutionen besteht das Problem der Donatisten nicht darin, dass sie dieser angeblichen Häretikergesetzgebung unterworfen werden, sondern vielmehr darin, dass ab jetzt mehrfach recht scharfe Gesetze erlassen werden, die speziell auf Donatisten abzielen. Quare hac lege sancimus, ut quisquis post haec fuerit rebaptizasse detectus, iudici qui provinciae praesidet offeratur, ut facultatum omnium publicatione multatus inopiae poenam, qua in perpetuum afficiatur, expendat, ita ut filiis eorum, si a paternae societatis pravitate dissentiunt, ea quae fuerint paterna non pereant, ut, si ipsos forsitan scaevitas paternae depravationis implicuit ac reverti ad catholicam religionem malunt, adipiscendorum his bonorum copia non negetur. Deswegen bestimmen wir mit dem vorliegenden Gesetz, dass jeder, der künftig überführt wird, wiedergetauft zu haben, dem Statthalter der Provinz vorzuführen sei, damit er nach Konfiskation seines gesamten Vermögens die Strafe der Armut, die ihn auf ewig treffen soll, erleide. Allerdings soll ihren Kindern, sofern sie die Verkommenheit der väterlichen Gemeinschaft ablehnen, nicht verloren gehen, was ihrem Vater gehörte. [Sogar] wenn sie selbst in die Verkehrtheit der väterlichen Schlechtigkeit verstrickt waren, nun [aber] lieber zur katholischen Religion zurückkehren möchten, soll ihnen nicht die Möglichkeit verwehrt werden, das väterliche Vermögen zu erlangen.

Honorius sichert sich gegen eine übereifrige Anwendung dieser schärfsten Bestimmung des vorliegenden Gesetzes ab: Er lässt keinen Zweifel daran, dass sie ausschließlich im Falle künftiger Wiedertaufen anzuwenden sei (was nicht selbstverständlich ist, da Wiedertaufen schon seit langer Zeit illegal waren: → S. 506). Auch bestimmt er, dass der Angeklagte dem Provinzstatthalter vorgeführt werden muss, dass also eine derartige Verurteilung weder durch niedere Instanzen noch in absentia erfolgen könne (man erinnere sich daran, dass Crispin zur Zahlung der zehn Pfund Gold aufgefordert wurde, ehe er überhaupt in Karthago war, und er dann aus freien Stücken dorthin zog: → S. 518; künftig sollten derartige Übertreter also stets vorgeführt werden). Die Sanktion selbst ist massiv und geht in ihrem Umfang weit über das von den katholischen Bischöfen Gewünschte hinaus. Selbst für jemanden wie Crispin – der ein Gut mit zahlreichen abhängigen Bauern hinzukaufen konnte – steht nunmehr die materielle Existenz auf dem Spiel. Wie üblich bei Konfiskationsstrafen liegt dem Gesetzgeber daran, den Eindruck zu vermeiden, es gehe nicht um eine Bestrafung, sondern um eine Bereicherung des Staats; daher wird der Familie eine Möglichkeit gegeben, das Vermögen nicht zu verlieren (→ S. 340). Allerdings ist diese Option auf die Nachkommen beschränkt. Wie häufig es praktisch vorkam, dass donatistische Kleriker (vor

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oder nach ihrer Ordination gezeugte) Kinder hatten, ist ungewiss; 91 auffällig ist jedenfalls, dass der Kreis der möglichen Profiteure (anders als in einem wenig später für Manichäer verfügten Enteignungsszenario, → S. 474) sehr eng gefasst ist. Übrigens teilt Kaiser Honorius nicht die Sorgen Augustins vor Konvertiten, die sich nur äußerem Druck beugen: Er bestimmt ganz ausdrücklich, dass Nachkommen, die im Zeitpunkt der Enteignung des Vaters noch donatistisch sind, das Familienvermögen durch nachträgliche Konvertierung zurückerlangen können (späte Reue wird von Honorius auch sonst akzeptiert: → S. 565).

91

Kinder von Klerikern begegnen in dieser Zeit durchaus (es sei etwa an den Vater des katholischen Bischofs Servus erinnert, der selbst Presbyter war: → S. 543; oder an Januarius, einen Presbyter Augustins, der in seinem Testament sowohl seine Tochter als auch seinen Sohn enterbte: Aug. serm. 355.3, serm. 356.11, → S. 275). Die Enthaltsamkeit scheint überhaupt erst im späten 4. Jahrhundert zur erwarteten Lebensform im (katholischen) Nordafrika geworden zu sein. Auslösend war vielleicht ein Brief des römischen Bischofs Siricius aus dem Jahr 386, der uns überhaupt nur im Corpus der afrikanischen Konzilien überliefert ist. Dieser Brief enthält eine längere Passage, in der sich Siricius nachdrücklich für priesterliche Enthaltsamkeit ausspricht (Conc. Afr. p. 61 f.71–90). Fassbar ist dieser Anspruch dann in den Bestimmungen des karthagischen Konzils von 390 (Conc. Afr. p. 13.26–40), die allerdings keine Sanktion verhängen. Das wird 401 nachgeholt (Conc. Afr. p. 356.21–25): placuit episcopos, presbyteros et diaconos secundum priora statuta etiam ab uxoribus continere: quod nisi fecerint ab ecclesiastico removeantur officio, »der Beschluss wurde gefasst, dass sich Bischöfe, Presbyter und Diakone gemäß den älteren Bestimmungen auch ihrer Ehefrauen zu enthalten haben; wenn sie dem nicht Folge leisten, sind sie aus dem Kirchenamt zu entfernen«. Dazwischen, im Jahr 393, wurde den Kindern (!) von katholischen Klerikern die Ehe mit Heterodoxen untersagt (Conc. Afr. p. 37.89– 91, → S. 53571). Wenn man sich die Situation bei der donatistischen Konkurrenz ähnlich vorstellen darf, wird es anno 404 jedenfalls nicht wenige Kirchenmänner mit Nachkommen gegeben haben – zumal man ja auch die sehr häufigen Fälle der Weihe nach erfolgter Familiengründung nicht vergessen darf. Im Jahr 420 verfügt Honorius (Sirm. 10, daraus CTh. 16.2.44 und CTh. 9.25.3), dass Kleriker nicht mit »fremden« Frauen zusammenwohnen dürfen: Doch Mütter, Schwestern, Töchter (!) und bereits vor der Weihe geehelichte Gattinnen sind explizit vom Verbot ausgenommen (Honorius geht noch weiter und mahnt sogar, bereits angetraute Ehefrauen trotz des Klerikeramts nicht zu verstoßen!). Vgl. Hunter, S. 105–118; Gryson, S. 176–180; Heid, S. 185–196 (dass es laut Heid – der sich im ganzen Buch müht, eine möglichst weit zurückreichende Anciennität des Zölibats zu etablieren – eine Enthaltsamkeitspflicht seit Cyprian gegeben habe, S. 187, S. 193, steht in klarem Widerspruch zu den Quellen; auch ergreift er engagiert Partei gegen die Donatisten und spekuliert auf S. 194, ausgerechnet übergetretene Ex-Donatisten hätten den Beschluss von 401 nötig gemacht).

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Nicht nur in der Sanktion, sondern auch im Tatbestand weicht der Kaiser weit von den Wünschen des afrikanischen Konzils ab: Die Bischöfe wollten das Zehnpfundgoldgesetz auf beliebige donatistische Kleriker anwendbar machen, seien sie nun Schismatiker oder Häretiker, sofern gegen sie ein Katholik wegen Gewalt in ihrem Zuständigkeitsbereich Beschwerde führt. Honorius verhängt seine Sanktion stattdessen gegen den rebaptizasse detectus; sein Ansatz ist also nicht pragmatisch wie der der Bischöfe, sondern vielmehr theologisch. Freilich ignoriert er ihre Sorgen angesichts gewalttätiger Übergriffe nicht. Doch anders als von den Katholiken erbeten bestraft er dafür nicht die örtlichen donatistischen Bischöfe, sondern die lokalen Amtsträger (vgl. unten § 4). Oben wurde bereits erwähnt, dass im Codex Theodosianus ein viertes Fragment auf den 12. Februar 405 datiert ist, nämlich CTh. 16.6.5, ein weiterer Text des Wiedertauftitels. Man könnte vielleicht auf die Idee kommen, dass es sich um eine Textpassage handelt, die einst in derselben Konstitution stand, aus der CTh. 16.6.4 zitiert. Das ist aber unmöglich, da CTh. 16.6.5 eine mehr oder weniger identische Regelung (hier unterstrichen) in fast denselben Worten enthält, aber mit anderer Einleitung: Ne divinam gratiam sub repetito baptismate polluta Donatistarum vel Montensium 92 secta violaret, fallendi occasionem severitate huius praeceptionis abolemus statuentes, ut certa huiusmodi homines poena sequatur legisque censuram experian-

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Diese Konstitution überliefern zwei Textzeugen. Der Palimpsest W (→ S. 182284) bietet vel Montanistarum, in E (→ S. 175269) steht gar nichts zwischen Donatistarum und secta. Es kann allerdings kaum Zweifel bestehen, dass allenfalls vel Montensium in der Urkonstitution gestanden haben kann, vgl. Sirm. 12 (diese Passage exzerpiert als CTh. 16.5.43) in Donatistas, qui et Montenses vocantur, »gegen die Donatisten, die man auch Montenser nennt«. Es gibt keine Belege dafür, dass Montanisten wiedertauften bzw. dass man ihnen diesen Vorwurf machte, während umgekehrt die Montenser die stadtrömischen Donatisten sind. Man beachte das vel (nicht: et) und den Singular secta (nicht: sectae), d. h., die Gruppe nach dem vel wird mit den Donatisten identifiziert. Vgl. Maier, S. 141 Anm. 6 (der allerdings nicht den Text ändern würde, sondern lediglich Montanistarum i. S. v. Montensium verstehen möchte). Die zahlreichen Belege für Montenses als Name für die Donatisten, zumal für die stadtrömischen, hat Maier, S. 61 f. Anm. 9, gesammelt. Delmaire (I, S. 350 Anm. 1) glaubt dagegen, dass es hier tatsächlich um die Montanisten gehe: Wir wissen, dass Katholiken montanistische Taufen nicht als gültig betrachteten. Daher, so Delmaire, müssen auch die Montanisten Wiedertäufer gewesen sein. Freilich bleiben dann weiter secta und vel unerklärt, und wäre eine angebliche Wiedertaufe der Montanisten als Problem wahrgenommen worden, so müsste man doch in den zahlreichen weiteren Gesetzen gegen Wiedertaufen und gegen Montanisten entsprechende Verbote finden.

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tur ultricem, qui in catholicam religionem perverso dogmate commisissent. Iubemus igitur, ut, si quis posthac fuerit rebaptizare detectus, iudici qui provinciae praesidet offeratur, ut facultatum omnium publicatione multatus inopiae poenam expendat. Et cetera. Damit nicht die unreine Sekte der Donatisten bzw. Montenser der göttlichen Gnade durch eine wiederholte Taufe Gewalt antut, nehmen wir ihr durch die Strenge des vorliegenden Gesetzes die Gelegenheit zum Betrug. Wir verordnen nämlich, dass eine unausweichliche Strafe derlei Menschen ereile und diejenigen, die sich aufgrund perverser Vorstellungen etwas gegen die katholische Kirche zuschulden kommen lassen, die rächende Bestrafung des Gesetzes erleiden. Wir befehlen also, dass jemand, der künftig überführt wird wiederzutaufen, dem Statthalter der Provinz vorzuführen sei, damit er nach Enteignung seines gesamten Vermögens die Strafe der Armut erleide. Und so weiter.

CTh. 16.6.5 scheint (zumindest, was diesen einen Satz angeht) eine andere Ausfertigung der in CTh. 16.6.4 zitierten, älteren Konstitution zu sein; das Fragment findet sich indes im Codex Theodosianus mit demselben Empfänger und demselben Datum wie CTh. 16.6.4. Die einfachste Erklärung für diesen Befund ist die folgende: CTh. 16.6.5 gehört zum Anfang der Konstitution, die später weiter unten CTh. 16.6.4 enthält (inklusive des langen Zitats der früheren Konstitutionen). CTh. 16.6.5 steht also auf derselben Zeitstufe nicht wie das Originalgesetz von CTh. 16.6.4, sondern wie der Einleitungssatz von CTh. 16.6.4 (Adversarios catholicae fidei exstirpare huius decreti auctoritate prospeximus). Damit ist die Wiedertäuferenteignung sowohl unten im Vorgängergesetz zitiert als auch oben noch einmal separat wiedergegeben – offensichtlich, weil diese Maßnahme dem Kaiser besonders wichtig war. 1. Ea praeterea loca seu praedia, quae feralibus sacrilegiis deinceps constiterit praebuisse secretum, fisci viribus adplicentur, si tamen dominus aut domina aut praesens forte fuisse aut consensum praestitisse prodetur: quos quidem iusta etiam per sententiam notabit infamia. Si vero his nesciis per conductorem procuratoremve eorum in domo agitatum huiusmodi facinus comprobatur, praeiudicio a praediorum publicatione suspenso impliciti sceleris auctores coercitos plumbo exilium, in quo omni vitae suae tempore adficiantur, accipiet. 1. Ferner sollen diejenigen Gebäude und Landgüter, von denen sich künftig herausstellen sollte, dass sie einen Rückzugsort für ihre verderblichen Frevel geboten haben, für den Fiskus eingezogen werden, sofern der Eigentümer oder die Eigentümerin erwiesenermaßen dabei anwesend oder damit einverstanden war. Diese trifft durch das Urteil auch die gerechtfertigte Infamie. Sollte sich hingegen herausstellen, dass ohne deren Wissen in ihrem Haus durch den Pächter oder Verwalter ein derartiger Frevel verübt wurde, soll die Bestrafung durch Enteignung des Grundstücks entfallen. [Stattdessen] sind die Verantwortlichen

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donatisten für den begangenen 93 Frevel mit Bleigeißeln auszupeitschen und in die Verbannung zu schicken, in der sie lebenslang siechen sollen.

Dieser Paragraf greift eine Bestimmung des Zehnpfundgoldgesetzes auf, nämlich die Bestrafung der Personen, die Heterodoxen Immobilien zur Verfügung stellen (→ S. 501). Erneut betont Honorius, dass die Strafe lediglich für künftige Verfehlungen gelten soll (deinceps); im Zehnpfundgoldgesetz fehlt eine solche Präzisierung, d. h., viel spricht für eine bewusste Änderung. In anderer Hinsicht formuliert Honorius aber leider genauso ungenau wie seine Vorlage. Schon im Zehnpfundgoldgesetz war unklar, was genau die vetita sind: beliebige häretische Versammlungen oder konkret häretische Klerikerweihen? Im Kontext des Zehnpfundgoldgesetzes können nur Klerikerweihen gemeint sein, was aber nicht eine sehr viel weitere Interpretation z. B. durch die katholischen Bischöfe im Commonitorium ausschloss (→ S. 528). Hier nun wiederholt sich dies: Die feralia sacrilegia müssen Wiedertaufen bezeichnen, denn sowohl im Principium als auch im folgenden Absatz geht es um Wiedertaufen. Gleichwohl verwendet der Gesetzgeber eine unpräzise Formulierung, deren weite Interpretation interessierten Kreisen offenstand. Wie im Zehnpfundgoldgesetz werden sowohl der freigeborene Pächter als auch der Verwalter (der freigelassen bzw. unfrei war, → S. 372) genannt. Damals war der Pächter noch privilegiert, da er »lediglich« die zehn Pfund Gold zahlen musste. Jetzt erhalten Pächter und Verwalter dieselbe Strafe, die das Zehnpfundgoldgesetz nur für den Unfreien vorgesehen hatte, nämlich Prügel mit nachfolgender Deportation (so wird man das lebenszeitliche exilium hier auffassen). Die Stäupung – im Zehnpfundgoldgesetz mit fustes zu vollziehen – scheint nunmehr geschärft zur Züchtigung mit der Bleigeißel (plumbum); »scheint«, weil fustes und plumbata/plumbum so unterschiedslos in den spätantiken Rechtstexten begegnen, dass sie austauschbar wirken. 94 Der Vollzug der Prügelstrafe mit der Bleigeißel war unmittelbar lebensgefährlich, 95 und 93 94

95

So ThLL 7.1.641.70 f. mit schwachen Parallelen. Mommsen, S. 984 Anm. 1: »die Ausdrücke … wechseln so, dass die Anwendung des einen oder des anderen Zuchtmittels wohl durchaus im Belieben der executirenden Stelle gestanden hat und ein gesetzlich fundirter Gegensatz als Regel nicht angenommen werden kann«. Vgl. Liban. or. 14.15 von 362, λαβεῖν δὲ μικρὸν μὲν ᾐτιάθη χρυσίον, ἔλαβε δὲ οὐδὲ τόδε, πληγὰς μέντοι πολλὰς καὶ χαλεπὰς καὶ πολλαχοῦ τῆς γῆς ταῖς ἐκ μολίβδου σφαίραις, ἃς ἡγήσατο Παῦλος εἰς θάνατον ἀρκέσειν, »Er [Aristophanes, vgl. PLRE

I, S. 106 f. s. v. Aristophanes] wurde beschuldigt, eine geringe Menge Gold bekommen zu haben. Aber die hatte er gar nicht bekommen – was er hingegen bekam, waren viele, brutale Schläge, überall im Land, mit den Kügelchen aus Blei; Paulus

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zwar in einem solchen Grade, dass Augustin in einem anderen Zusammenhang zu erreichen versucht, dass selbst die ihm zutiefst verhassten Menschenhändler keinesfalls so bestraft würden (→ S. 602). 2. Ac ne forsitan sit liberum conscientiam piacularis flagitii perpetrati intra domesticos parietes silentio celare, servis, 96 si qui forsitan ad rebaptizandum cogentur, refugiendi ad ecclesiam catholicam sit facultas, ut eius praesidio adversus huius criminis et societatis auctores †…† 97 adtributae libertatis praesidio defendantur liceatque his sub hac condicione fidem tueri, quam extorquere ab invitis domini temptaverint, nec assertores dogmatis catholici ea, qua ceteros, qui in potestate sunt positi, oportet ad facinus lege constringi, et maxime convenit omnes homines sine ullo discrimine condicionis aut status infusae caelitus sanctitatis esse custodes. 2. Damit es nicht möglich sei, die Mitwisserschaft an einem ruchlosen Verbrechen, das innerhalb der Wände des eigenen Hauses begangen wurde, mit Schweigen zu verbergen, sollen Sklaven – falls sie zur Wiedertaufe gezwungen werden sollten – die Möglichkeit besitzen, sich zu einer katholischen Kirche zu flüchten, damit sie durch ihren Schutz gegen die Urheber dieses Verbrechens und dieser Gemeinschaft … durch den Schutz der erhaltenen Freiheit verteidigt werden. Es stehe ihnen frei, unter dieser Bedingung ihren Glauben zu bewahren, den ihnen ihre Eigentümer gegen ihren Willen entreißen wollten. Es darf nicht sein, dass Menschen, die sich zum katholischen Glauben bekennen, durch das Recht, durch das sonst Leute, die sich in fremder potestas befinden, zu etwas gezwungen werden können, zu einem Frevel genötigt werden. Es ist höchst angebracht, dass alle Menschen – ohne jedes Ansehen der Rechtsstellung oder des Status – Bewahrer der vom Himmel herab vergossenen Heiligkeit seien.

An anderer Stelle wurde bereits ausführlich auf die Gesetzgebung hinsichtlich rechtgläubiger Sklaven im Eigentum heterodoxer Herren eingegangen (→ S. 479). Es scheint naheliegend, dass der vorliegende Absatz ebenfalls vom Crispin-Skandal inspiriert ist: Wenn ein Donatist abhängige Bauern dutzendweise wiedertauft – um wie viel eher ist dann doch zu erwarten, dass er

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[der berühmt-berüchtigte Paulus Catena, vgl. PLRE I, S. 683 f. s. v. Paulus »Catena« 4] ging davon aus, diese Prügel würden ausreichen, um ihn zu töten«. Die Textzeugen WEY überliefern einheitlich das grammatikalisch unproblematische secreto his, das demnach wahrscheinlich so im Archetyp des Codex Theodosianus stand. Mommsens servis ist (es geht ja angesichts libertas und dominus fraglos um Sklaven) näher am Text der Urkonstitution (→ S. 243). Die beiden instrumentalen Ablative praesidio jeweils mit Genetivattribut angeblich im selben Gliedsatz weisen auf ein Überlieferungsproblem hin. Eine einfache Änderung drängt sich nicht auf; die von mir markierte Lücke soll zumindest klar machen, dass hier etwas nicht in Ordnung ist.

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genauso mit den ihm vollständig ausgelieferten Sklaven verfährt! Aufgrund der konkret drohenden Missbrauchshandlung kann der Sklave des Donatisten (anders als der des Manichäers kurze Zeit später) die Freiheit erlangen. Andererseits besitzt der Sklave eines Donatisten – selbst dann, wenn besagter Donatist z. B. Kleriker ist und andere Menschen wiedertauft – keinerlei Möglichkeiten, etwas an seinem Los zu ändern, sofern nicht er, der Sklave selbst, zum Objekt einer Wiedertaufe werden soll. 3. Sciant ii vero, qui ex supra dictis {sectis} iterare baptisma non timuerint aut qui consentiendo hoc facinus propriam huius societatis permixtionem damnaverint, non solum testandi sibi, verum adipiscendi aliquid sub specie donationis vel agitandorum contractuum in perpetuum copiam denegatam, nisi pravae mentis errorem revertendo ad veram fidem consilii emendatione correxerint. 3. Sie sollen aber wissen, dass diejenigen von den oben genannten, die es wagen, die Taufe zu wiederholen, oder die durch ihr Einverständnis zu diesem Frevel das Urteil über ihre eigene Verstrickung in diese Gruppe sprechen, dass ihnen nicht nur die Testierfähigkeit, sondern auch die Fähigkeit, etwas unter dem Vorwand einer Schenkung oder eines Vertragsschlusses zu erlangen, auf immer versagt sei, außer wenn sie in besserem Ratschluss durch eine Rückkehr zum wahren Glauben den Irrtum ihres verkommenen Sinns korrigieren.

Dieser Paragraf, der endlich das Thema der vorliegenden Arbeit direkt betrifft, bietet mehrere textliche Probleme, deren Behebung nicht offensichtlich ist. Beginnen wir mit den supra dictae sectae: Es wurde ja bislang nur eine einzige Sekte erwähnt, nämlich die Donatisten. So übersetzt Rougé (bei Delmaire und Magnou-Nortier) auch ohne viel Federlesens mit dem Singular »la secte susdite«. Aber bei allem Ornat der spätantiken Rechtssprache wird man keinen poetischen Plural annehmen dürfen. Sofern es sich also nicht um ein textkritisches Problem handelt, müssten in einem entfallenen Teil der Konstitution weitere Gruppen neben den Donatisten genannt worden sein. Um welche andere(n) Sekte(n) könnte es sich dabei handeln? Das Einheitsedikt nennt zwar gleichermaßen Donatisten und Manichäer (CTh. 16.5.38), aber hier in § 3, wo erneut die Wiederholung der Taufe angesprochen wird, kann es unmöglich um Manichäer gehen: Bei alledem, was man den Manichäern sonst so nachsagte, ist es geradezu erstaunlich festzustellen, dass man ihnen zumindest den Vorwurf der Wiedertaufe nie machte. Wesentlich bessere Kandidaten sind die Montenser, die römischen Donatisten, die in CTh. 16.6.5 zusammen mit den Donatisten erscheinen: polluta Donatistarum vel Montensium [überliefert: Montanistarum] secta; in CTh. 16.6.5 werden diese beiden Gruppen ja explizit als Wiedertäufer genannt. Das Problem an dieser eigentlich so naheliegenden Lösung ist, dass dort von einer Sekte (secta) mit zwei

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Alternativnamen gesprochen wird, sich also der Plural supra dictae sectae auch damit nicht unmittelbar erklären lässt. Kurzum: Eine brauchbare Lösung ohne Konjektur sehe ich nicht, und die sanfteste Veränderung besteht in einer Athetese von sectis (das findet sich auch so in E, was aber angesichts des Konsenses von WYO sekundär sein muss). Das nächste Problem betrifft die Leute, die von der Sanktion betroffen sind. Anscheinend geht es um zwei Gruppen: einerseits um die Wiedertäufer selbst (qui … iterare baptisma non timuerint), zusätzlich aber auch (aut qui) um einen weiteren Personenkreis. Mommsen bietet für diese zweite Gruppe den folgenden Text: aut qui consentiendo hoc facinus propria huius societatis permixtione damnaverint. Doch so ergibt die Passage keinen Sinn, was sich mit den fantasievollen Wiedergaben der Übersetzer illustrieren lässt. 98 Mommsen schlägt im Apparat proprium (gekennzeichnet mit fortasse scr.) für propria vor, was indes in keiner Weise geeignet ist, die Probleme des Satzes zu verringern. Was Mommsen abdruckt, ist die Version der Handschrift E. Tatsächlich hätte er sich besser (vgl. → S. 175269) an den Konsens der beiden voneinander unabhängigen 99 Überlieferungsträger W und Y gehalten: aut qui consentiendo hoc facinus propriam huius societatis permixtionem damnaverint. Der Unterschied zwischen dieser Version und der von E sind nur die Endungen von propriam und permixtionem; aufgrund leicht zu vergessender Nasalstriche

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Pharr (S. 464) schreibt »or if any persons by consenting and mingling in this association have not condemned the crime«, aber die Verneinung fehlt im Original, und consentiendo und permixtione können kaum auf derselben Stufe stehen. Delmaires (I, S. 349) »ou ceux qui, en consentant à ce crime, ne l’auraient pas condamné, se joignant ainsi à cette communauté« sowie Magnou-Nortiers (S. 307) »ou qui, en se faisant complices, et par leur participation à cette association de malfaiteurs n’ont pas condamné ce crime« enthalten ebenfalls Verneinungen, die der auch von ihnen abgedruckte lateinische Text nicht bietet. Maier (S. 139) übersetzt »ou qui, en consentant à ce crime, se seront condamnés par leur adhésion à cette société« und schmuggelt damit ein Reflexivpronomen ein, das im lateinischen Original fehlt. Bei W handelt es sich um Fragmente eines Palimpsests eines vollständigen CTh.Manuskripts (→ S. 182284); Y ist eine der Handschriften mit Konstitutionen aus dem 16. CTh.-Buch, die über die Breviarauswahl hinausgehen (→ S. 175). Bereits Sirmond erkannte, dass Handschrift Y das Fragment CTh. 16.6.4 korrekter überliefert als E (die Handschrift, auf der der Cujas-Text von CTh. 16.6.4 basiert), und druckte daher CTh. 16.6.4 unter Verwendung der besseren Lesarten von Y als Sirm. 21 ab (→ S. 5058).

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sind derlei Fehler häufig. 100 Der WY-Text ist unproblematisch: »oder diejenigen, die durch ihr Einverständnis zu diesem Frevel das Urteil über ihre eigene Verstrickung in diese Gruppe sprechen«. 101 Bald nach Erlass dieses Gesetzes belegt Augustin, dass tatsächlich alle Donatisten (d. h. auch alle donatistischen Laien) von den erbrechtlichen und verwandten Sanktionen betroffen sind (→ S. 589). Anstelle der geschraubten Formulierung zur Beschreibung der zweiten Gruppe hätte man also auch einfach ceteri Donatistae (bzw. omnes Donatistae für beide Gruppen) verwenden können. Aber Honorius wendet sich in seiner Konstitution bewusst gegen die Wiedertaufe. Um einerseits den afrikanischen Bischöfen entgegenzukommen und die von ihnen gewünschten erbrechtlichen Sanktionen anzuordnen, andererseits das Leitmotiv des Kampfs gegen die Wiedertaufe nicht aus dem Blick zu verlieren (und die atypische Bestrafung heterodoxer Laien zu rechtfertigen), entscheidet sich der Autor der Konstitution zu einem Spagat, der Testierrecht und Wiedertaufe verbindet: Die Strafbarkeit aller Donatisten, also auch der Laien, ergibt sich daraus, dass Donatisten entweder selbst aktiv wiedertaufen oder aber (zumindest stillschweigend) ihr Einverständnis zu dem unsäglichen Frevel der Wiedertaufe bekunden, indem sie Mitglied der Gemeinschaft bleiben. Zwar verwirklicht Honorius den Wunsch der Bischöfe, die Gesamtheit aller Donatisten erbrechtsmäßig zu sanktionieren, doch seine Maßnahme ist in einer Hinsicht weitaus milder als gewünscht: Die Donatisten verlieren nur die Möglichkeit, ein Testament zu errichten (die copia testandi in der Formulierung von CTh. 16.6.4); dem Wortlaut nach bleibt ihnen also die Erbfähigkeit aus Testament erhalten. Der Intestaterbgang wird nicht eingeschränkt, was die außerjuristischen Erwähnungen der Maßnahme bestätigen (→ S. 596). Über Schenkungen bestimmt die Konstitution lediglich, dass Donatisten keine Schenkungen mehr erhalten können. (Anders bei Augustin, dessen Wortlaut impliziert, dass sie keine Schenkungen mehr vornehmen konnten: → S. 596; solange alle Beteiligten Donatisten sind, bleibt sich dies freilich im Ergebnis gleich.) Warum sich Honorius hier von den eindeutigen Wünschen der Bischofsversammlung löst, bleibt unklar (zumal angesichts der 100 Übrigens bietet E auch in § 2 das falsche conscientia gegenüber dem klar richtigen

conscientiam aller anderen Handschriften 101 Nur der Vollständigkeit halber sei die Version von O erwähnt: aut qui consentiendo

propriam conscientiam huius permixtione societatis damnaverint ist eine verwegene Korrektur, wie sie typisch für O ist (Mommsen 1905, S. CXXXII: »Corrupta quae essent vel Guilelmo esse viderentur is non raro aut emendare conatus est temere aut omisit«, mit zahlreichen Beispielen).

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klarer formulierten Regelungen z. B. gegen Manichäer). Fehlende Sorgfalt bei der sprachlichen Gestaltung scheint eine wahrscheinlichere Erklärung zu sein als ein echter gesetzgeberischer Wille. Zugegebenermaßen demonstriert aber die zweite Bestimmung – das Verbot von Umgehungsgeschäften – durchaus Genauigkeit. Dass neben Schenkungen Scheinverkäufe eine weitere naheliegende Möglichkeit darstellten, das Testierverbot zu Lebzeiten zu unterlaufen, ist offensichtlich. Bislang wurden sie dennoch nie explizit untersagt, und zwar wahrscheinlich deswegen, weil dies gar nicht ausdrücklich notwendig gewesen war. 102 Aber künftig finden sich derartige Bestimmungen regelmäßig mit erbrechtlichen Sanktionen kombiniert: 407 gegen Manichäer und Montanisten (CTh. 16.5.40, → S. 476), 415 gegen Eunomianer (CTh. 16.5.58 § 4, → S. 677), 426 gegen Heidenapostaten (CTh. 16.7.7, → S. 756). Der Formulierung nach untersagt die Bestimmung lediglich Umgehungsgeschäfte, d. h., sachlich gebotene Verträge blieben eigentlich weiter möglich. Doch als Augustin später diese Sanktion en passant erwähnt (→ S. 596), klingt es bei ihm so, als hätten die Betroffenen ihre Geschäftsfähigkeit vollständig verloren; dies wird von der eindeutigen Formulierung eines späteren Donatistengesetzes (CTh. 16.5.54, → S. 576) bestätigt. Daher bedeutet es wohl auch wenig, wenn in den Konstitutionen gegen Eunomianer und Heidenapostaten ausdrücklich nur Scheinverkäufe verboten werden. Honorius weicht hinsichtlich reuiger Donatisten besonders deutlich von der Eingabe der katholischen Bischöfe ab. Während die Bischöfe eine filigrane Regelung vorgeschlagen hatten, die unerwünschte Übertritte aus materiellen Gründen möglichst verhindern sollte (→ S. 540), teilt der Kaiser derlei Bedenken gegen Konvertierungen zur Abwehr von Vermögensnachteilen nicht: Die erbrechtlichen Einschränkungen kann jeder durch Übertritt zur katholischen

102 Eine typische Situation, in der für Römer die Versuchung zu Scheingeschäften be-

stand, war der Wunsch eines Ehemanns, seiner Ehefrau etwas zu schenken (was er nach römischem Recht nicht durfte). Konstantin verbot dies zwar explizit (Frg. Vat. 273 von 315): Nec sibi debent mulieres blandiri, si tamquam venditores vel debitores ad eludendas legum sanctiones mariti earum se falso videantur esse professi, »Ehefrauen dürfen nicht damit durchkommen, wenn sie zur Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen wahrheitswidrig ihre Ehemänner als Verkäufer oder Schuldner ausgeben«, aber schon zuvor hatten Juristen diese naheliegende Ansicht entwickelt: Paul. sent. 2.23.4: Inter virum et uxorem contemplatione donationis imaginaria venditio contrahi non potest, »Zwischen Ehemann und Ehefrau kann kein Scheinverkauf mit der Intention einer Schenkung vereinbart werden«. Vgl. Kaser I, S. 243; II, S. 89.

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Seite beseitigen, und zwar anscheinend auch dann, wenn bereits ein Prozess anhängig ist. 4. Illos quoque par nihilo minus poena constringat, si qui memoratorum interdictis coetibus seu ministeriis praebuerint coniventiam, ita ut moderatores provinciarum, si in contemptum sanctionis huiusce consensum putaverint commodandum, sciant se viginti libras auri esse multandos, officia etiam sua simili condemnatione subiuganda. Principales vel defensores civitatum, nisi id quod praecipimus fuerint exsecuti vel his praesentibus ecclesiae catholicae vis fuerit illata, eadem multa se noverint adtinendos. Dat. prid. id. Feb. Ravennae Stilichone II et Anthemio conss. 4. Ferner soll ebenfalls diejenigen eine angemessene Strafe treffen, die hinsichtlich verbotener Zusammenkünfte oder Gottesdienste besagter Leute Konnivenz üben. Es sollen also Provinzstatthalter wissen, die unter Missachtung der vorliegenden Konstitution meinen, sie müssten die Augen verschließen, dass sie eine Strafe von 20 Pfund Gold erwartet und dass auch ihre Officia dieselbe Sanktion trifft. Die Prinzipale und Defensoren der Städte sollen sich klar darüber sein, dass sie mit derselben Strafe belegt werden, wenn unsere Verordnungen nicht ausgeführt werden oder wenn in ihrer Gegenwart der katholischen Kirche Gewalt angetan wird. Abgeschickt am Vortag der Iden des Februar in Ravenna unter dem Konsulat von Stilicho (zum 2. Mal) und Anthemius. [12. Februar 405]

Mit aller gebotenen Zurückhaltung hatten die katholischen Bischöfe am Ende ihrer Vorschläge zur Gesetzgebung nur kurz und schüchtern angemerkt: Ad haec autem omnia praesidio opus est potestatum Suarum quarumque provinciarum, »Aber für all dies braucht man den Schutz Ihrer Statthalter der jeweiligen Provinzen«. Bekanntlich hatten die Katholiken schon seit langer Zeit darüber geklagt, dass die lokalen afrikanischen Autoritäten bei Donatisten regelmäßig beide Augen zudrückten (→ S. 500). Der Kaiser scheint mit diesem Paragrafen auf derlei Beschwerden zu reagieren. Wir erinnern uns daran, dass sich Honorius im Reskript zur Crispin-Affäre nachsichtslos gezeigt und dem Statthalter sowie seinem Officium je zehn Pfund Gold als Buße auferlegt hatte, obwohl diese mit dem Straferlass lediglich den Wünschen der katholischen Bischöfe gefolgt waren (→ S. 520). Die Strafe von zehn Pfund war damals anscheinend improvisiert: Jedenfalls enthält das uns überlieferte Fragment des Zehnpfundgoldgesetzes keine Bestimmungen hinsichtlich Amtsstrafen. Diese Drohung holt Honorius hier nach und legt für Statthalter sowie Officium jeweils 20 Pfund Gold fest. Das ist für eine Amtsstrafe ein hoher,

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aber kein exzeptioneller Wert: Die durchschnittliche Amtsstrafe im Westen beträgt über alle entsprechenden Sanktionen des Codex Theodosianus hinweg 18 Pfund Gold, wobei allerdings der Median bei lediglich 10 Pfund liegt (Honoré, S. 28). Wenn man nur das Vergleichsmaterial aus der Heterodoxengesetzgebung berücksichtigt, so erscheint eine Drohung mit 20 Pfund geradezu als mäßig. Theodosius I. setzt in seinem großen Rundumschlag gegen pagane Riten je 30 Pfund Gold als Strafe fest (CTh. 16.10.12 § 4 von 392), Arkadius bedroht das Officium des Stadtpräfekten von Konstantinopel mit nicht weniger als 100 Pfund Gold Strafe, falls es häretische Zusammenkünfte in der Hauptstadt zulassen sollte (CTh. 16.5.30 von 402)! Unerklärlicherweise sind die Amtsstrafen in Honorius’ antimanichäischem Gesetz vom 22. Februar 407, das in vielerlei Hinsicht von dem vorliegenden antidonatistischen Gesetz abgeleitet ist, niedriger (→ S. 484); doch im November 407 werden die 20 Pfund Gold Strafe für Statthalter, Officium und Stadträte im Zusammenhang der Einhaltung von Donatisten-, Manichäer- (!) und Heidengesetzgebung ausdrücklich bestätigt (Sirm. 12); 409 werden die 20 Pfund für das Officium erneut wiederholt (Statthaltern werden Rangverlust und kaiserlicher Zorn in Aussicht gestellt), den Stadträten droht nunmehr die Enteignung und Deportation (Sirm. 14). Leider fehlt eine Studie, die die juristischen und außerjuristischen Quellen zu Amtsstrafen vollständig erfassen und auswerten würde. 103 Die Amtsstrafe für Statthalter und ihre Officia wird fällig, sofern sie »verbotene« coetus seu ministeria der memorati zulassen. Mit den memorati, »Vorgenannten«, können im Kontext nur überführte Wiedertäufer (nicht Donatisten allgemein) gemeint sein. Man vergleiche zudem CTh. 16.6.2 § 1, wo

103 Die Habilitationsschrift von Noethlichs (1981) leistet dies nicht. Seine Übersichts-

tabelle S. 223–225 bietet »eine Liste der hierzu einschlägigen Erlasse dieser [!] Arbeit«; da seine Arbeit z. B. CTh. 16.5.30 mit der Strafe von 100 Pfund Gold unbesprochen lässt, fehlt dann ausgerechnet dieser Extremwert in seiner langen, kleingedruckten Tabelle, die doch Vollständigkeit suggeriert. In der Auswertung (S. 223) bezeichnet er die Degradierung als »selten«, was daran liegt, dass er nie der Bedeutung der spätantiken Infamie nachgeht, die unzuverlässigen Amtsträgern durchaus öfters angedroht wird und in der Tat eine empfindliche Degradierung mit sich brachte (→ S. 364). Auch die bekannten Fälle, in denen es (beinahe) zu Amtsstrafen kam – also die Affären um Crispin (→ S. 520) bzw. Nikentios (→ S. 366) – werden bei Noethlichs nirgendwo besprochen. Gerade der Nikentios-Fall hätte die Verhältnisse zurechtgerückt, da man dort deutlich sieht, dass Infamie und Rangverlust als viel schmerzhafter als eine Geldstrafe empfunden wurden. Diese beiden realen Fälle fehlen gleichermaßen in dem Überblicksartikel von Rosen, der zudem auch in anderer Hinsicht unzuverlässig ist (vgl. Laniado 1992).

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ebenfalls die heimlichen Versammlungen von Wiedertäufern unterbunden werden sollen. Dass lokale Autoritäten – nämlich Defensoren und Prinzipale (zu beiden → S. 484143) – ebenfalls mit Strafen bedroht werden, kommt auch sonst vor (frühere Beispiele in der Heterodoxengesetzgebung sind CTh. 16.5.12 von 383 gegen häretische Kleriker, CTh. 16.10.12 von 392 gegen Heiden). Neu sind hier aber die klar definierte Strafe – 20 Pfund Gold, wie bei einer Amtsstrafe – und insbesondere der Tatbestand: Gezahlt werden muss nicht nur, wenn die kaiserlichen Anweisungen nicht ausgeführt werden, sondern auch his praesentibus ecclesiae catholicae vis fuerit illata, »wenn in ihrer Gegenwart der katholischen Kirche Gewalt angetan wird«; »in ihrer Gegenwart« soll dabei wohl »auf ihrem Stadtterritorium« bedeuten. Mit anderen Worten: Diese Regelung ist eine kaum mehr erkennbare, mehrfach evolvierte Version des Zehnpfundgoldgesetzes. Vom ursprünglichen Gesetz stammt die Strafform, nämlich eine in Pfund Gold bemessene Geldbuße, hier vom eifrigen Kaiser verdoppelt. Die katholischen Bischöfe hatten sich gewünscht, dass das Gesetz für donatistische Bischöfe einschlägig werde, auf deren Territorien es zu Gewaltakten gegen Katholiken kommt. Das lehnt der Kaiser (wie man meinen kann: völlig zu Recht) ab und droht vielmehr den weltlichen Autoritäten derselben Territorien empfindliche Strafen an, sofern sich Übergriffe ereignen. Damit sollte sich ein durchaus engagierter Schutz der Katholiken gewährleisten lassen. Hermanowicz (S. 152) resümiert zu diesem Gesetz: »what Honorius legislated is essentially what the Catholic bishops had commissioned Evodius and Theasius to obtain. The Edict of Unity constitutes the acceptance of suggestions by the Catholic episcopate«. Lenski (S. 183) formuliert noch drastischer: »The emperor was, in essence, writing into law the petition of the Council of Carthage«. Diesen Bewertungen wird man sich nicht anschließen wollen – Honorius hat sich ganz im Gegenteil sehr weit von den Wünschen des Konzils entfernt (vgl. für einen weiteren solchen Fall → S. 51740). Erstens (was auch Hermanowicz zum Teil 104 erkennt) ist das Strafmaß strenger als im Zehnpfundgoldgesetz: Komplette Enteignung für Wiedertäufer statt nur zehn Pfund Gold; Geißelung auch für freie Pächter; verdoppelte Amtsstrafen. Zweitens gibt es gerade bei der erbrechtlichen Sanktion einen entscheidenden Unterschied, dieses Mal allerdings zugunsten der Donatisten: Das Erben aus einem (natürlich gültigen, d. h. nichtdonatistischen) Testament bleibt auch für sie 104 Hermanowicz, S. 152: »These laws, one may argue, were tougher than the ones en-

visioned by the Catholics at the council of 404, but the degree of difference is slight«.

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erlaubt. Drittens (was Hermanowicz ebenfalls übersieht) handelt es sich allerdings um ein Gesetz gegen donatistische Wiedertäufer und nicht gegen donatistische Gewalttäter. Die Bischöfe wollten erreichen, dass donatistische Kleriker, in deren Gebiet es zu Gewalttaten gegen die Katholiken gekommen war, zehn Pfund Gold zahlen müssen. Honorius aber bestimmt, dass die zuständigen städtischen Autoritäten in diesem Fall zwanzig Pfund Gold zu entrichten haben – nicht aber der örtliche donatistische Bischof. Viertens war den katholischen Bischöfen unter Augustins Einfluss sehr daran gelegen, dass keine Scheinbekehrungen unter äußerem Druck erfolgen. Das Gesetz des Honorius hat – in voller Absicht – keinerlei Schutzmechanismen gegen Donatisten, die nur deswegen zum Katholizismus konvertieren, um an das väterliche Vermögen zu gelangen bzw. um Testier-, Schenk- und Geschäftsfähigkeit zurückzuerhalten. Anscheinend führte dies zumindest anfänglich zu Zweifeln in der afrikanischen Verwaltung. Denn am 15. November 407, also gut zweieinhalb Jahre nach dem Einheitsedikt, erging mit CTh. 16.5.41 ein bemerkenswertes Schreiben des Honorius an den Prokonsul von Afrika. Darin bestätigt der Kaiser, dass »alle Häretiker, seien sie Donatisten, Manichäer oder Teilnehmer ruchloser Riten irgendeiner anderen verkehrten Lehrmeinung oder Sekte« (quicumque … haereticorum, sive Donatistae sint sive Manichaei vel cuiuscumque alterius pravae opinionis ac sectae profanis ritibus adgregati) nach einem Übertritt zur katholischen Kirche – und selbst im Falle später Einsicht (sera confessione) – nicht von den einschlägigen Gesetzen betroffen seien. Man kann also resümieren, dass die kaiserliche Zentrale die Bitten der Bischöfe (Bestrafung lokaler Autoritäten im Fall von Übergriffen, und zwar auch ohne unmittelbare Verantwortung, sowie erbrechtliche Sanktionen) in das Gesetz einfließen lässt, insgesamt aber eine eigenständige Regelung trifft. Vielleicht lässt sich abschätzen, wann die in CTh. 16.6.4 zitierte Konstitution ursprünglich erlassen wurde. Wie im Juni 404, so fand auch im Juni 407, genauer gesagt: am 13. Juni 407, ein Konzil der afrikanischen Bischöfe statt. Auch damals gingen Gesandte zum Hof in Rom, 105 um ein neues Gesetz zu erwirken: Die Bischöfe wollten defensores scholastici ernennen, die sich anstelle der Provinzialpriester um die juristischen Belange der Kirche beim Statthalter kümmern sollten (Conc. Afr. p. 215.1149–1157; → S. 51740). Die Institution der Provinzialpriester, sacerdotes (Jones, S. 763–765), konnte auf eine 105 407 war das Jahr des 7. Konsulats des Honorius, das er wiederum in Rom verbrachte

(das Fragment CTh. 14.1.5, wonach er ausnahmsweise im April ein Gesetz von Ravenna aus abschickte, dürfte einen Fehler in der Subskription aufweisen, so Mommsen im Apparat; Seeck, S. 312, nimmt hingegen an, dass Honorius tatsächlich vorübergehend in Ravenna war).

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große Tradition zurückblicken: Der Hohepriester einer Provinz hatte einst die Abhaltung des provinzialen Kaiserkults sicherzustellen, zugleich war er aber auch (jedenfalls informell) der höchste Vertreter dieser Provinz gegenüber der römischen Administration. Im christlichen Kaiserreich jeder religiösen Funktion entkleidet, existierten die Hohepriester gleichwohl unter ihrem Titel sacerdotes weiter. Mindestens in Afrika waren nur advocati berufbar (CTh. 12.1.46 von 358), und auch die vorliegende Stelle zeigt, dass ein wesentlicher Teil ihrer Funktion juristischer Natur war. Nach Ablauf ihrer Amtszeit kehrten die Hohepriester in ihre Heimatstadt zurück, 106 wo sie auf Lebenszeit den Ehrentitel sacerdotalis führten und sich diverser Privilegien erfreuten (vgl. insb. CTh. 12.1.75 von 371). Wir besitzen nun just das Gesetz des Honorius, das der afrikanischen Kirche die Einrichtung einer Gruppe von advocati erlaubt, die sich um ihre Angelegenheiten (jedoch nur im Zusammenhang mit Privilegien) beim Statthalter sorgen sollen, wobei sonstige Vorrechte der Provinzialpriester allerdings nicht zu beschneiden seien. Das ist CTh. 16.2.38 vom 15. November 407 – auf den Tag genau dasselbe Datum wie CTh. 16.5.41 (siehe oben: »späte Reue hilft«). Man darf davon ausgehen, dass es Fragmente desselben Gesetzes sind (identische Inskription und Subskription, ferner die Schnittmarke post alia, → S. 214, in CTh. 16.2.38). Die Absendung eines kaiserlichen Gesetzes in Reaktion auf eine Gesandtschaft, die zu entsenden ein afrikanisches Konzil Mitte Juni 407 beschlossen hatte, erfolgte also ziemlich genau fünf Monate später, Mitte November 407.

Wenn wir die für 407 ermittelten Werte auf 404 übertragen (auch damals fand das Konzil Mitte Juni statt), so könnte die mit dem Einheitsedikt wiederholte Konstitution, die in CTh. 16.6.4 zitiert wird, ursprünglich ungefähr Mitte November 404 von Rom aus abgeschickt worden sein. Bis zu ihrer Ankunft und Veröffentlichung in Afrika wird es ein Weilchen gedauert haben (vielleicht war sie noch gar nicht proponiert, ehe sie vom Kaiser im fernen Ravenna erneut bestätigt wurde). Zum Effekt der neuen Gesetze schreibt Augustin (c. Cresc. 3.47.51): ut nec post imperiale rescriptum aurum illud fisco Crispinus expenderit, indulgentiam illi catholicis episcopis impetrantibus, et nunc inter ipsas etiam recentissimas leges proscriptionem vestris episcopis comminantes in re propria securus sedeat, »… sodass Crispin nicht einmal nach dem kaiserlichen Reskript jene Goldsumme an den Fiskus gezahlt hat – dank des für ihn von den katholischen Bischöfen erwirkten Nachlasses – und er heute, trotz dieser brandneuen Gesetze, die euren Bischöfen die Enteignung androhen, in aller Sicherheit auf seinem Eigentum sitzt«. Augustin erwähnt in Contra Cresconium das Einheitsedikt überhaupt nicht, d. h., sein Stand muss der sein zwischen der ursprünglichen Veröffentlichung der in CTh. 16.6.4 zitierten Konstitution und 106 Doch nicht alle wollten tatsächlich dorthin. Deswegen drohte man sacerdotes, die

permanent in der Hauptstadt Karthago zu residieren vorzogen, Strafen an (CTh. 12.1.176 von 413).

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dem Bekanntwerden des Einheitsedikts in Afrika. Dass Wiedertäufern die Konfiskation droht, wird bei Augustin zu einer generellen Drohung gegen donatistische Bischöfe. Diese Rekonstruktion erlaubt auch die Aufstellung einer modifizierten relativen Chronologie. Dass die in CTh. 16.6.4 zitierte Konstitution aus dem Antichambrieren der misshandelten Bischöfe in Rom resultiert, schreibt Augustin zweifach. In der früheren der beiden Erwähnungen sagt er, dass lediglich die Meinungsbildung des Kaisers abgeschlossen war; anders hingegen in der späteren Darstellung, nach der Honorius das Gesetz bereits erlassen hatte. Wir haben gesehen, dass er Vorschläge des Commonitoriums (insbesondere hinsichtlich der erbrechtlichen Sanktionen) aufgegriffen hat, seine Konstitution kann also nur nach der Ankunft der offiziellen Gesandten entstanden sein. Laut Augustin war die Appellation des Crispin an den Kaiser gar keine gute Idee und brachte anscheinend das Fass zum Überlaufen. Er sagt nicht, welches schlimme Ergebnis die Appellation zeitigte, aber da die Passage in Contra Cresconium steht (wo das Einheitsedikt nie erwähnt wird), sollte es sich um die Urversion von CTh. 16.6.4 handeln. Das bedeutet nicht, dass die Appellation des Crispin kausal das Gesetz auslöste (das ist nur eine boshafte Polemik des Augustin: »seht, das war also die Quittung für Crispins Unverfrorenheit!«), aber hinsichtlich der zeitlichen Abfolge wird man jedenfalls Augustin trauen können. Dass das Crispin-Reskript erst nach dem Juni-Konzil des Jahres 404 in Afrika bekannt wurde, ergibt sich auch aus dem Commonitorium, in dem ja ganz vorsichtig um die Anwendbarkeit des Zehnpfundgoldgesetzes auf »schismatische oder häretische« Donatisten gebeten wird; nach dem Crispin-Reskript (das die Donatisten pauschal und unzweideutig als Häretiker bezeichnet), hätten die Bischöfe wohl eine andere Wortwahl riskiert. Bekanntlich erreichten die katholischen Bischöfe nach dem Reskript, dass sowohl Crispin als auch dem Statthalter samt Officium die Strafe erlassen wurde (→ S. 521). Vielleicht lässt sich ein genaues Datum dafür angeben. Kaiser Honorius sandte noch ein weiteres antidonatistisches Gesetz nach Afrika: CTh. 16.5.39, datiert auf den 8. Dezember 405: Donatistae superstitionis haereticos quocumque loci vel fatentes vel convictos legis tenore servato poenam debitam absque dilatione persolvere decernimus, »Wir verordnen, dass die Häretiker des donatistischen Unglaubens überall, seien sie geständig oder überführt, unter [genauer] Beachtung des Gesetzes die geschuldete Strafe unverzüglich entrichten«. Es ist verführerisch, CTh. 16.5.39 mit dem aufsehenerregenden Crispin-Prozess und der nachfolgenden Begnadigung in Zusammenhang zu bringen. Denn dass Geldstrafen bezahlt werden müssen, versteht sich ja eigentlich von selbst; wenn dazu eigens eine

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Konstitution nach Afrika geschickt wird, muss etwas Bedeutsames vorgefallen sein. Hinzu kommen Indizien aus der Formulierung des Gesetzes. 107 Man kann spekulieren, dass genau dieser Text die Begnadigung Crispins und des Statthalterstabs zum Inhalt hatte (»ausnahmsweise Gnade vor Recht – aber wir verordnen mit generalitas, dass ansonsten usw.«). Freilich müsste die Konstitution dann vom 8. Dezember 404 (nicht 405) stammen; diese Änderung würde ich in der Tat durchführen. CTh. 16.5.39 ist an den afrikanischen Prokonsul Diotimus gerichtet, der ansonsten am 5. März und am 22. Juli 405 in diesem Amt nachweisbar ist. Für das Jahr 404 ist prosopografisch gar kein Prokonsul belegt, Diotimus könnte also im Dezember 404 bereits amtiert haben. CTh. 16.5.39 wurde in Ravenna abgeschickt: Am 25. Juli 404 ist Honorius zuletzt in Rom belegt, am 4. Februar 405 dann wieder in Ravenna, er könnte ohne Weiteres bereits im Dezember in Ravenna gewesen sein. Die Verderbnis dürfte wie bei Sirm. 12 entstanden sein: Aus der Subskription Dat. VII kal. Decemb. Romae [25. November], proposita Carthagine in foro sub programmate Porphyrii proconsulis nonis Iuniis Basso et Filippo vv. cc. conss. [5. Juni 408] machten die Redakteure in den beiden Exzerpten CTh. 16.5.43 und CTh. 16.10.19 jeweils Dat. XVII kal. Dec. Romae Basso et Philippo conss. [d. h. 15. November 408; die Divergenz zwischen VII kal. in Sirm. 12 und XVII kal. in den CTh.-Fragmenten erklärt sich als Schreiberfehler], sie kombinierten also die (nur beim Propositionsdatum angegebene) Jahreszahl mit dem Monat der Absendung – was unstatthaft ist, wenn sich dazwischen ein Jahreswechsel ereignet! CTh. 16.5.39 wurde – ganz wie Sirm. 12 – in einem Dezember nach Afrika geschickt, hier könnte sich leicht derselbe Fehler beim Exzerpieren eingeschlichen haben. Dass der Text von CTh. 16.5.39 mutmaßlich von einer proponierten Vorlage abhängt, macht zudem die ungewöhnliche Inskription wahrscheinlich (Idem AAA. Diotimo suo salutem statt des erwartbaren Idem AAA. Diotimo proconsuli Africae).

Die oben zitierte Contra-Cresconium-Passage setzt voraus, dass (i) das Honorius-Reskript nach Afrika gelangt war (nicht vor Juni 404), (ii) die Indulgenzpetition nach Italien abgeschickt worden war, (iii) der positive Bescheid Afrika erreicht hatte (wofür man zusammen etliche Monate veranschlagen muss), und (iv) die Regelungen der Urkonstitution von CTh. 16.6.4 immer noch recen107 Das uns erhaltene Fragment des Zehnpfundgoldgesetzes hat keine Formulierung, die

»überall« enthalten würde; aber vgl. Aug. epist. 185.7.25, ut quisquis eorum episcopus vel clericus ubilibet [!] esset inventus, decem libris auri multaretur, und Possid. vita Aug. 12.8, eos ad vim legum omnium contra haereticos latarum ubique [!] teneri debere; möglicherweise enthielt also die in Afrika zirkulierende Fassung des Gesetzes eine entsprechende Angabe. Das vel fatentes vel convictos scheint direkt auf Crispin anzuspielen, der ja entschieden in Abrede stellte, Häretiker zu sein (→ S. 51535). Kann man eine vollständige Enteignung (wie in CTh. 16.6.4 vorgesehen) als poenam debitam persolvere bezeichnen? Bei einer Geldstrafe von zehn Pfund Gold wäre dies indes die treffende Formulierung, d. h., CTh. 16.5.39 scheint also auf eine frühere rechtliche Situation zu rekurrieren.

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tissimae waren. Ich würde das Eintreffen beider Texte, d. h. der Begnadigung durch Honorius und der Ursprungsversion von CTh. 16.6.4, an den Anfang des Jahres 405 setzen. 108 Was das Einheitsedikt angeht, so besitzen wir ein Datum, das (wahrscheinlich) 109 angibt, wann es und sein Begleitgesetz in Afrika proponiert wur108 Matthews (S. 183 f., leider nur selektiv belegt) gibt an, dass wir dank doppelt datier-

ter Konstitutionen in 18 Fällen wissen, wie lange die Reise von einer europäischen Kaiserresidenz nach Afrika dauerte. Sieht man von den Extremfällen ab, handelt es sich um Spannen von 60 bis 200 Tagen, mit den kürzeren Werten tendenziell im Sommer. Im Winter (ca. Mitte November bis Mitte März/Anfang April, die Angaben schwanken, vgl. CTh. 13.9.3 § 3 von 380 an die afrikanischen navicularii sowie Veg. mil. 4.39) war das Meer offiziell geschlossen. Matthews scheint anzunehmen, dass die längeren Laufzeiten im Winter mit dieser Zwangspause in Verbindung stehen – das kann aber nicht sein, da etliche Konstitutionen mitten im Winter in Afrika ankommen (für Kuriere gab es also keine Unterbrechung der Seefahrt). Sofern wir für Gesetze mit Ankunft im Winter die Laufzeiten kennen (d. h., wenn wir nicht nur das acc.-Datum, sondern auch zugleich das dat.-Datum besitzen), sind es typischerweise 3 bis 3,5 Monate, bis das Schreiben in Karthago eintrifft: CTh. 8.10.1, 8. November bis 15. Februar ab Trier; CTh. 9.15.1, 16. November bis 28. Februar ab Sirmium; CTh. 11.1.13, 18. Oktober bis 18. Januar ab Paris. Da sich in all diesen Fällen der Absendeort nicht in Italien befindet, sondern weiter entfernt ist, würde ich 2,5 bis 3 Monate für die Übermittlung einer Konstitution im Winter von Rom oder Ravenna nach Karthago ansetzen. (Die 4,5 Monate zwischen Einheitsedikt und Proposition in Afrika, → S. 570, sind damit nicht unmittelbar vergleichbar: Zwischen Eintreffen und Proposition [!] sind Abschriften zu erstellen, evtl. Vorkehrungen gegen Unruhen zu treffen usw.) Addiert man diese 2,5 bis 3 Monate zum 8. Dezember der Indulgenz, so ist diese wohl ungefähr Anfang März 405 eingetroffen. Sofern es richtig ist, dass die Urversion von CTh. 16.6.4 Mitte November abgeschickt wurde, sollte sie im Februar in Afrika angekommen sein. 109 In der Tat ist die Formulierung venit persecutio Christianis nicht sehr klar; so bezieht Maier, S. 144, dieses Datum, den 26. Juni 405, auf die Herstellung der Einheit in Karthago, während Hermanowicz, S. 119 Anm. 74, diesen Tag als die Ankunft des Edikts versteht. Maiers Deutung kann nicht überzeugen, denn venit persecutio klingt nach dem Einsetzen der Verfolgung, nicht nach ihrem erfolgreichen Abschluss. Nun wissen wir, dass bei der Proposition regelmäßig auch das Datum des Aushangs vermerkt wurde; dieses Datum war also veröffentlicht und könnte leicht den Weg in eine Chronik finden. Nähme man venit wörtlich, ließe sich vielleicht auch an das Datum des Eintreffens (acceptum) denken; aber dieses Datum findet sich – soweit wir dies nachvollziehen können – nur selten auf proponierten Kopien (so bei Nov. Val. 21.2, 23, 31) und dürfte daher im Normalfall außerhalb der Verwaltung unbekannt geblieben sein. Hinzu kommt, dass der Beginn der Umsetzung chronologisch wohl mit der Proposition zusammenfiel und sich die Donatisten wahrscheinlich mehr für das tatsächliche Einsetzen der Verfolgung interessierten als für das abstrakte Datum der

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den. In der donatistischen Ergänzung einer Chronik (Lib. geneal. p. 196.627) findet sich: ipso consulatu venit persecutio Christianis VI k. Iulias data pridie kal. Febr. Ravenna, »In ebendiesem Konsulat [dem zweiten Stilichos, also 405] kam am 6. Tag vor den Kalenden des Juli [26. Juni 405] für die Christen die Verfolgung, die am Vortag der Kalenden [richtig laut CTh.: Iden] des Februar in Ravenna abgesandt worden war«. Damit liegen knapp viereinhalb Monate zwischen Erlass des Edikts und seiner Umsetzung in Afrika, was ein realistischer Wert ist. Obwohl das Einheitsedikt selbst keine konkrete Strafandrohung enthält und CTh. 16.6.4 in erster Linie auf Wiedertäufer abzielt (sieht man von den erbrechtlichen und verwandten Sanktionen ab), begann es schnell zu wirken. Am 23. August 405 votierte das afrikanische Konzil für eine Dankesgesandtschaft an den Kaiserhof; gleichzeitig beschloss man aber auch, brieflich bei den nordafrikanischen Statthaltern nachzubohren, dass die Einheit auch außerhalb von Karthago (wo es zur exclusio Donatistarum gekommen war) verwirklicht werde (Conc. Afr. p. 214.1101–1112). Was genau mit exclusio gemeint ist, bleibt unklar, aber eher »Kirchenwegnahme« als »Verbannung«, denn Primian, der donatistische Bischof von Karthago aus der Zeit vor dem Einheitsedikt, ist auch noch Jahre später gut in diesem Amt belegt (PCBE I, S. 905–913 s. v. Primianus 1; vgl. Monceaux VI, S. 121 f.). Trotzdem war zu einem unbekannten Zeitpunkt in den Jahren nach dem Einheitsedikt die Verbannung als regelmäßige Sanktion gegen donatistische Kleriker, die sich nicht fügen wollten, hinzugekommen. Das muss nach Contra Cresconium (405) geschehen sein, wo noch die Enteignung als einzige Sanktion gegen donatistische Kleriker genannt wird, 110 aber vor Brief 93 und Brief 89, 111 die beide irgendwann vor der Collatio entstanden sind und in deBriefankunft. Vieles spricht also dafür, den 26. Juni 405 auf den öffentlichen Aushang (propositum) zu beziehen. 110 Vgl. c. Cresc. 3.47.51, … et nunc inter ipsas etiam recentissimas leges proscriptionem vestris episcopis comminantes in re propria securus sedeat, »… und er heute, trotz dieser brandneuen Gesetze, die euren Bischöfen die Enteignung androhen, in aller Sicherheit auf seinem Eigentum sitzt«, über Crispin. 111 Aug. epist. 93.3.10, in eis, qui sub nomine Christi errant …, temperata severitas et magis mansuetudo servatur, ut coercitione exiliorum atque damnorum admoneantur considerare, quid et quare patiantur, »bei denen, die im Namen Christi irren …, wird eine gemäßigte Strenge, ja eher eine Nachsicht eingehalten, sodass sie durch Verbannungs- oder Vermögensstrafen dazu gebracht werden nachzudenken, was sie erleiden und weswegen sie das tun« (vgl. ferner die ausführliche Passage zu Verbannungen weiter hinten im selben Brief, → S. 596); Aug. epist. 89.2, quorum tam perniciosa perversitas vel damnorum terrore coercetur vel docetur exilio, quam ubique diffusa sit

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nen die Verbannung bereits ganz beiläufig als die Standardstrafe erscheint. 112 In beiden Schreiben erwähnt Augustin auch damna, Vermögensstrafen, womit er sich wahrscheinlich auf die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen bezieht. 113 In einem späteren Brief von 417 fasst Augustin (epist. 185.7.26) die Sanktionen von CTh. 16.6.4 als pecuniaria damna für alle Donatisten und als Exil für die Kleriker zusammen; allerdings trügt die Erinnerung den Augustin hier nachweislich auch in anderer Hinsicht (→ S. 542). Contra Cresconium zeigt hingegen, dass es tatsächlich einen Zeitpunkt gab, zu dem Augustin zwar die aus CTh. 16.6.4 bekannte Enteignung von Klerikern kennt, aber noch nicht von Exilierungen berichtet. Explizit fassbar in den Rechtstexten ist die Verbannungsstrafe in CTh. 16.5.45 vom 27. November 408, worin die städtischen Instanzen (Defensoren usw.) neben den Statthalterofficia zur Wachsamkeit aufgefordert werden, damit es nicht zu Versammlungen von Nichtkatholiken komme. 114 Der Auftrag an die städtischen Autoritäten soll offensichtlich bewirken, dass sie – sofern sie nicht sämtliche Vorfälle weitermelden – selbst strafbar werden. 115 Zuwiderhandelnden Heterodoxen droht Enteignung und Verbannung (für diese Bestrafung müssen dann die Statthalter zuständig gewesen sein, auch wenn diese Information im Fragment fehlt). Die Verbannungsstrafe wird in CTh. 16.5.45 so beiläufig erwähnt, dass es sich kaum um eine Neuerung handeln kann; irgendwann zwischen 405 und 408

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ecclesia, »… deren [d. h. der Donatisten] so verderbliche Verkehrtheit durch den Schrecken von Vermögensstrafen gezüchtigt oder durch Verbannung belehrt wird, wie sehr die [katholische] Kirche überall verbreitet ist«. Diese beiden Briefe übersieht Spagnuolo Vigorita 2007, S. 5363 Anm. 43, der annimmt, die Verbannungsstrafe habe es überhaupt erst nach der Collatio gegeben. So ungewiss die Datierung der Briefe sein mag – man wird weder epist. 89 noch epist. 93 nach die Collatio setzen können. Denn in Brief 93 werden die verschiedenen Sanktionen im Einzelnen erklärt; dabei erscheinen die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen neben dem Exil (→ S. 596). CTh. 16.5.45 ist ein Brief an den Prätoriumspräfekten von »Italien, Illyrien und Afrika«, in dem keine Häretikergruppe namentlich genannt wird. Es ist also nicht sicher, ob sich diese Konstitution wirklich auf die Situation in Afrika bezieht. Andererseits ist Afrika die Region in Honorius’ Reichsteil, die am meisten von Religionsstreitigkeiten geplagt war, und selbst wenn CTh. 16.5.45 ursprünglich nicht für Afrika entstand, wäre es verwunderlich, wenn dieses Gesetz nicht auch dort publiziert und umgesetzt worden wäre. Vgl. Sirm. 14 von 409, wo den städtischen Autoritäten für ihr Schweigen Strafe angedroht wird.

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wird also die Exilierung von widerspenstigen donatistischen Klerikern verfügt worden sein, und diese Maßnahme hat die gewünschten Effekte gezeitigt. 116 Denn obwohl wir für das Jahr 406 weder Gesetze noch Konzilstexte zur Auseinandersetzung mit dem Donatismus besitzen, muss sich gleichwohl eine Menge getan haben, da sich im Konzil des Folgejahrs (13. Juni 407) eine Regelung zum Umgang mit ehemals donatistischen Gemeinden findet (Conc. Afr. p. 216.1177–1190) – was impliziert, dass es mittlerweile etliche übergetretene Gemeinschaften gab. In epist. 86 (aus der Zeit 405–408) 117 erbittet Augustin die Durchsetzung in der Region von Hippo. In epist. 93 (wohl von 410, aber vgl. → S. 593 zu den Details) erwähnt Augustin bereits beiläufig den Umschwung der Situation (epist. 93.5.16): multas civitates videmus fuisse Donatistas, nunc esse catholicas …, »wir sehen, dass viele Städte donatistisch waren, dass sie nun katholisch sind …«. Freilich verlief die Entwicklung nicht ganz so linear, wie diese Zitate vermuten lassen. Denn der jähe Sturz des Stilicho im August des Jahres 408 leitete nicht nur in Italien, sondern auch in Afrika eine turbulente Zeit ein. Der Tod des starken Mannes, der – wie allgemein von Zeitgenossen angenommen – die Leitlinien der kaiserlichen Politik bestimmte, stellte die Donatistengesetzgebung in Frage. Die Donatisten glaubten (oder gaben zumindest vor), 116 Bald nach dem Fall von Stilicho 408 schreibt Augustin an den Prokonsul Donat und

bittet ihn unter anderem darum, keinesfalls mit der Todesstrafe gegen die Donatisten vorzugehen (Aug. epist. 100.2): Quaesumus igitur, ut, cum ecclesiae causas audis, … potestatem occidendi te habere obliviscaris, »Wir bitten also, dass du – wenn du kirchliche Fälle hörst – … das dir gegebene Recht zu töten vergisst«. Stammt die potestas occidendi konkret aus der Heterodoxengesetzgebung, d. h. aus einem erhaltenen Gesetz (wie CTh. 16.5.44, supplicium iustae animadversionis; vgl. ferner CTh. 16.5.51, poena … sanguinis, ein Text, der aber von 410, d. h. später, ist) oder einem verlorenen Gesetz? Oder geht es eher um die generelle Machtfülle des Statthalters, der im Kognitionsverfahren jede Strafe verhängen und auf beliebige Weise coercitio betreiben kann? Oder, am wahrscheinlichsten, erfolgt die Strafe nicht aufgrund des Donatismus der Betroffenen, sondern aufgrund ihrer schweren Gewalttaten? Tatsächlich gab es wohl keine Hinrichtungen von Donatisten, sonst würden wir gewiss bei Augustin davon hören (der nichts unversucht gelassen hätte, um sie abzustellen). 117 Goldbacher, S. 26, setzt den Brief ins Jahr 405; sein Gedankengang scheint zu sein, dass Augustin doch sofort die Durchsetzung verlangen würde (Goldbacher formuliert sein Argument weniger klar und spricht lediglich von mire quadrat ad illud tempus). In der PCBE (I, S. 177–179 s. v. Caecilianus 6) wird der Brief aufgrund einer fragwürdigen (Divjak 1996–2002, Sp. 962, Sp. 979) Empfängeridentifizierung in die Zeit um 414 datiert. Folgt man der traditionellen Sichtweise, lässt die Prosopografie des Empfängers (PLRE II, S. 244–246 s. v. Caecilianus 1) nur die Spanne 405 bis 408 als möglich zu.

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kaiserliche indulgentiae gewährten ihnen Ruhe (Aug. epist. 105.2.6). Augustin schrieb Ende 408 an Olympius, den neuen Strippenzieher in Rom (vgl. Zos. 5.35.1), man möge doch Sorge tragen, den Heterodoxen in Afrika nahezubringen, die Religionsgesetze habe magis Theodosii filium quam Stilichonem, »eher Theodosius’ Sohn als Stilicho«, absenden lassen (epist. 97.2 f.). Wohl wenig später wandte sich Augustin an den Prokonsul Donat: Dieser solle schleunigst mit Edikten öffentlich bekannt machen, dass die antidonatistischen Gesetze weiterhin gelten (epist. 100.2). 118 Die Hoffnungen der Donatisten (und die Sorgen der Katholiken) waren indes zunächst unbegründet, denn Honorius schrieb Ende November 408 an denselben Donat, er müsse gegen Donatisten hart durchgreifen (CTh. 16.5.44). Und im Januar 409 wettert Honorius, Donatisten, andere Häretiker, Juden und Heiden sollten bloß nicht glauben, die Bestimmungen früherer Gesetze seien nunmehr aufgeweicht (Sirm. 14). Doch Anfang 410 kam es zu einer Kehrtwendung: lex data est, ut libera voluntate quis cultum Christianitatis exciperet, »ein Gesetz wurde abgeschickt, dass ein jeder nach freiem Willen die christliche Verehrung annehme«; das katholische Konzil beschloss am 14. Juni 410 eine Gesandtschaft gegen diesen Toleranzerlass, am 25. August 410 sandte Honorius die Rücknahme ab – also just an einem der drei Tage, an denen Alarichs Westgoten die Stadt Rom ausplünderten. 119 Zwischenzeitlich war der donatistische Bischof Macrob sehr zum Leidwesen von Augustin (epist. 108.5.14) in Hippo eingezogen. 118 In der Interpretation von McLynn (S. 38 f.) will Augustin nur verklausuliert nach-

fragen, ob die antidonatistischen Gesetze überhaupt noch gelten (»Augustine is uncertain whether or not the heresy laws are still to be applied against the Donatists … his purpose in writing to Donatus is … to pump cautiously for information«). Diese Lesart hat wenig mit dem tatsächlichen Inhalt des Briefs zu tun. 119 Conc. Afr. p. 220.1301–1308, dort auch das Zitat, das eingeleitet wird mit eo tempore quo lex data est, d. h., das Gesetz kann nicht sehr viel älter sein als das Konzil selbst (das am 14. Juni 410 stattfand). Die Aufhebung ist als CTh. 16.5.51 (25. August 410) überliefert. Augustin erwähnt das Gesetz zweimal, einmal als gerade gültig (epist. 108.6.18, also von 410), einmal im Rückblick (c. Gaud. 1.24.27). Auch in dem Erlass, durch den Honorius die Einberufung der Collatio anordnet, rekurriert er auf das frühere Gesetz (CN 324). Allerdings wirft Honorius den Donatisten eine scaeva interpretatio seiner Konstitution vor: Er habe sie nur milde zur Besserung ermuntern, keinesfalls aber in ihrem Fehler bestärken wollen. Daher sei eine explizite Aufhebung notwendig geworden. Inkonsequenterweise nennt er aber in demselben Text den Toleranzerlass auch noch eine subreptio, eine »Erschleichung«, d. h. eine ergaunerte Verordnung (→ S. 127189). Vgl. zu alledem Monceaux IV, S. 261; Lancel 1972, S. 22– 24. Brown (1963, S. 296 f.) sieht einen Zusammenhang zwischen dem Toleranzerlass und der Alarich-Invasion. Dies ist möglich, freilich spricht das Faktum, dass der Widerruf ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Alarich-Krise erfolgte, eher dagegen.

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Diese Fluktuationen zeigen, dass das Einheitsedikt keineswegs die entscheidende Zäsur in der Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Donatisten markierte. Doch der echte Wendepunkt stand nun unmittelbar bevor: die Collatio Carthaginensis. Im Jahr 411 zwang Honorius die Donatisten zu einer Art Showdown in Form einer prozessartigen Konferenz mit den Katholiken, in der nach einer Diskussion über alle Streitfragen eine endgültige Lösung gefunden werden sollte (vgl. Lancel 1972, S. 9–106; für einen knappen Überblick Lancel 1986–1994). 120 Faktisch stand das Ergebnis von vornherein fest, und wenig überraschend wurden am Ende die Katholiken zur siegreichen Partei erklärt. Das umfangreiche Wortprotokoll der Collatio ist weitgehend erhalten. Unter all den Beschwerden der Donatisten erscheinen nirgendwo die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen, die also zumindest für die donatistischen Bischöfe offenbar keine vordringliche Sorge darstellten. Anfang 413 (vielleicht auch schon 412) kam es zu einer Usurpation in Nordafrika, die sogar zu einer Invasion Italiens führte. Dort wurde der Usurpator Heraclian in den ersten Wochen des Jahres 413 geschlagen, und er überlebte seine Niederlage nicht lange. Wir besitzen aus dieser unruhigen Zeit eine Fülle dokumentarischer Quellen, so weiterhin Informationen zu den afrikanischen Konzilien und eine Reihe weiterer Donatistengesetze im Codex Theodosianus. Auch die Briefe von Augustin stehen für diese Jahre zur Verfügung. Gleichwohl begegnen erbrechtliche Sanktionen gegen die Donatisten nur noch ein einziges Mal in der dokumentarischen Überlieferung, und zwar im Gesetz CTh. 16.5.54 vom 17. Juni 414. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die erste großformatige Maßnahme gegen Donatisten nach der Collatio von 411 und den Usurpationswirren in Afrika. Tatsächlich ist im Codex Theodosianus ein Donatistengesetz mit dem Datum 30. Januar 412 überliefert (CTh. 16.5.52), das damit fast zweieinhalb Jahre früher ergangen wäre als das hier besprochene Gesetz CTh. 16.5.54. Delmaire (I, S. 488–492, sowie bereits zuvor 1988, S. 428–430) datiert CTh. 16.5.52 (im Weiteren dieses Abschnitts: »52«) auf den 30. Januar 415 um, sodass es sich demnach um eine Folgemaßnahme nach CTh. 16.5.54 (im Weiteren dieses Abschnitts: »54«) – und nicht um ein vorausgehendes Gesetz – handelt. Der Grund für Delmaires Umdatierung ist formaler Natur: 52 ist an einen Prätoriumspräfekten namens Seleucus gerichtet, an den mehrere Gesetze zwischen Anfang 414 und

120 Zur Natur der Collatio vgl. Tholen, S. 258–264, die den glücklichen Übersetzungs-

vorschlag »Religionsprozess« macht (statt der verbreiteten, aber sehr missverständlichen Ausdrücke »Konferenz« oder gar »Religionsgespräch«, die den formalen Rahmen und die Signifikanz der Collatio unter den Tisch kehren).

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Ende 415 adressiert sind und der daher fraglos in dieser Zeit amtierte. Belässt man 52 (und drei weitere Gesetze; zu den Details vgl. Delmaire 1988) im Jahr 412, ergibt sich entweder eine bizarre Abfolge (nämlich Melitius bis Dezember 411, Seleucus Januar 412, Melitius wieder Februar 412, Seleucus erneut im Februar und Anfang März 412, Melitius wiederum Mitte März 412), oder man muss zu unbewiesenen Hilfskonstruktionen Zuflucht nehmen (kollegial besetzte Prätoriumspräfektur oder Trennung in per Italiam und per Africam). Paläografisch ist die Änderung unproblematisch: Wie in zahlreichen anderen Fällen wären nur die Iterationsziffern der Kaiserkonsulate zu korrigieren (die nachweislich oft in Dokumenten fehlen und dann offenbar später spekulativ ergänzt wurden: Seeck, S. 24): richtig Honorio X et Theodosio VI statt überliefert Honorio VIIII et Theodosio V. An Delmaires Argument könnte allerdings zunächst stören, dass dieselbe Änderung bei vier Seleucus-Gesetzen notwendig ist. Aber auch derlei Fälle lassen sich anderweitig im Codex Theodosianus nachweisen (so ist das überlieferte 396, Arcadio IIII et Honorio III, fünf Mal erwiesenermaßen zu ändern, einmal nachweisbar in 402, Arcadio V et Honorio V: Seeck, S. 26 f.). Formal spricht also einiges für Delmaires Idee. Und wenn man inhaltlich argumentiert, so muss man feststellen, dass – hätte man 52 und 54 ganz ohne Datumsangabe überliefert – niemand auf die Idee käme, 52 chronologisch vor 54 zu setzen: (i) Beide Gesetze enthalten umfassende Strafsatzkataloge, die von 54 sind aber deutlich niedriger (teilweise nur ein Fünftel der in 52 verhängten) – aber man würde doch erwarten, dass Strafen steigen und nicht sinken; 121 (ii) 54 spricht von der kaiserlichen Langmut, die die Donatisten bislang nicht angetastet hat, während 52 bereits früher ergangene Regelungen erwähnt. 122 (iii) Die einschneidendste Maßnahme – Enteignung und Verbannung donatistischer Kleriker, Einziehung von Immobilien – wird in 54 ganz am Anfang als offensichtlich neu eingeführt, in 52 lediglich am Ende bestätigt, mit dem Verweis auf eine frühere Regelung (also wohl 54). 123 121 Cracco Ruggini 2009, S. 24 f. Anm. 16, lehnt die Umdatierung Delmaires in einer

langen Fußnote ab. Ihre Gegenargumentation besteht hauptsächlich in einer Aufzählung von Gelehrten, die die traditionelle Datierung verwenden (von denen allerdings viele vor Delmaires Vorschlag schrieben …), und dem berechtigen Hinweis, dass Delmaire insgesamt vier Gesetze umdatieren muss. Doch dass dies keineswegs vorbildlos ist, ignoriert sie ebenso wie alle weiteren Argumente. Zu den fallenden Strafen schreibt sie (S. 26), man könnte dies nur »come un passo relistico [sic] verso l’applicabilità concreta delle sanzioni stabilite contro i trasgressori« interpretieren – als ob die Schwierigkeit, eine saftige Geldstrafe bei einem hohen, mächtigen Würdenträger einzutreiben, in dessen Solvenz bestünde. 122 CTh. 16.5.54 pr., Donatistas adque haereticos, quos patientia Clementiae Nostrae nunc usque servavit, »Die donatistischen Häretiker, die die Langmut Unserer Klemenz bis heute erhalten hat«, dagegen CTh. 16.5.52 pr.: manentibus his, quae iam dudum super hoc definita sunt, »wobei alles gültig bleibe, was in dieser Hinsicht bereits früher erlassen wurde«, was sich im Kontext auf die Geldstrafen zu beziehen scheint. 123 Das erste Argument findet sich bei Delmaire, die Argumente zwei und drei habe ich hinzugefügt. Inkonsequent bezieht Delmaire (I, S. 309 Anm. 5) den Verweis in 52

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Kurzum: Ich folge der Delmaire-Datierung und setze CTh. 16.5.52 ins Jahr 415 und damit nach CTh. 16.5.54. In jedem Fall abzulehnen ist die Idee von Lancel (1986– 1994, Sp. 1209), CTh. 16.5.52 als Antwort auf eine Appellation der Donatisten nach der Collatio hin (vgl. Aug. adv. Don. 12.16) zu deuten – nichts im Text von CTh. 16.5.52 gibt einen Fingerzeig in diese Richtung.

Im Wesentlichen fasst CTh. 16.5.54 ältere Maßnahmen (darunter die erbrechtlichen Sanktionen) zusammen, legt dann aber auch Geldstrafen für donatistische Laien fest, die damit umfassend direkt sanktioniert werden. Diese Strafen sind in ihrer Höhe gestaffelt je nach gesellschaftlichem Rang des Betroffenen, was sie leichter eintreibbar, realistischer und damit womöglich abschreckender macht.

CTh. 16.5.54 [17. Juni 414] Idem AA. Iuliano proc. Africae. Donatistas adque haereticos, quos patientia Clementiae Nostrae nunc usque servavit, competenti constituimus auctoritate percelli, quatenus evidenti praeceptione se agnoscant et intestabiles et nullam potestatem alicuius ineundi habere contractus, sed perpetua inustos infamia a coetibus honestis et a conventu publico segregandos. Dieselben beiden Kaiser [Honorius und Theodosius] an Julian, den Prokonsul von Afrika: Die häretischen Donatisten, die die Langmut Unserer Klemenz bis heute erhalten hat, sollen – so bestimmen wir – mit der erforderlichen Härte niedergeworfen werden. Insofern sollen sie durch diese unmissverständliche Verordnung begreifen, dass sie intestabiles sind und keinerlei Möglichkeit besitzen, irgendeinen Vertrag abzuschließen. Vielmehr sind sie, mit ewiger Infamie gebrandmarkt, aus der Zahl der honesti und aus dem conventus publicus auszuschließen.

Das Principium von CTh. 16.5.54 wurde bereits in anderen Passagen des vorliegenden Buchs andiskutiert. So wurde die genaue Formulierung der Infamierung, also a coetibus honestis et a conventu publico segregandos, im Kontext analysiert (→ S. 350; zur ewigen Infamie vgl. zusätzlich → S. 391), ebenso der behauptete Zusammenhang zwischen Infamie und Intestabilität und der schwer erklärliche Widerspruch zwischen der Infamierung im Principium und nicht auf 54, sondern auf Sirm. 12 von 407. Doch in Sirm. 12 geht es nur um aedificia, in 54 und 52 hingegen um alle Arten von Immobilien.

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den wiederholten (!) Strafen für Würdenträger im Folgenden (→ S. 385). Dort kam ich auch auf die einleitende Formulierung zu sprechen: Ist Donatistae adque haeretici i. S. v. Donatistae adque ceteri haeretici oder i. S. v. Donatistae haeretici zu verstehen? Im Weiteren werden nur die Donatisten explizit genannt (wenn auch zugegebenermaßen nur einmal: § 4), was dafür spricht, dass »die häretischen Donatisten« gemeint sind. Vielleicht stand irgendwann einmal autem statt adque im Text, vielleicht (eher) wurde beim Exzerpieren sinnentstellend gekürzt. 124 Die Junktur evidens praeceptio ist in spätantiken Rechtstexten mehrfach belegt, 125 zumeist gebraucht wie hier, d. h. evidenti praeceptione im Sinne von »durch die vorliegende unmissverständliche Verordnung«. Knapper als hier (se agnoscant intestabiles) lässt sich das Testierverbot kaum ausdrücken. Keines der Details – etwa, ob häretische Intestaterben profitieren können – wird geregelt. Es fehlt ein explizites Verbot von Schenkungen, aber diese Sanktion muss im vollständigen Verlust der Geschäftsfähigkeit enthalten sein: Ein paar Jahre zuvor formulierte ein Gesetz des Honorius gegen Manichäer dies so (CTh. 16.5.40 § 4, von 407, → S. 476): Praeterea non donandi, non emendi, non vendendi, non postremo contrahendi cuique convicto relinquimus facultatem, »Des Weiteren lassen wir keinem Überführten die Fähigkeit zu schenken, zu kaufen, zu verkaufen, schlichtweg überhaupt zu kontrahieren«. Dies entspricht der spätantiken juristischen Situation, in der die Schenkung von der causa zu einem eigenen Geschäft wird (vgl. Kaser II, S. 280). Die knappe Art und Weise, in der die erbrechtliche Sanktion hier genannt wird, und die Tatsache, dass sie in anderen Donatistengesetzen gar nicht mehr erscheint, deuten darauf hin, dass die Regelung realiter (ab dann?) von nicht allzu großer Bedeutung war. Dazu passt auch, dass anscheinend alle beiläufigen Erwähnungen von Augustin in die Zeit vor der Collatio von 411 gehören. Ich denke, dass die Bekräftigung ausschließlich der Tatsache geschuldet ist, dass CTh. 16.5.54 ein umfangreiches Gesetz ist, in dem noch einmal das ganze Arsenal zusammengestellt wird und das deswegen auch eine Maßnahme, die bereits aufgrund mangelnder »Frische« außer Gebrauch fiel, wiederholt.

124 Dazu schreibt Spagnuolo Vigorita 2006a, S. 284 Anm. 15: »la dizione donatistas

adque haereticos probabilmente non intendeva estendere le pene a tutti gli eretici, ma solo riaffermare il carattere ereticale, non solo scismatico, del movimento donatista«; aber hätte man das nicht anders formuliert (z. B. ohne adque)? 125 CTh. 14.1.5; CTh. 14.15.5; CTh. 14.15.6; Nov. Maior. 7 § 17.

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donatisten 1. Ea vero loca, in quibus dira superstitio nunc usque servata est, catholicae venerabili ecclesiae socientur, ita ut episcopi presbyteri omnesque antistites eorum et ministri spoliati omnibus facultatibus ad singulas quasque insulas adque provincias exulandi gratia dirigantur. 2. Quisque autem hos fugientes propositam ultionem occultandi causa susceperit, sciat et patrimonium suum fisci Nostri compendiis adgregandum et se poenam, quae his proposita est, subiturum. 1. Die Orte aber, an denen sich dieser grausige Irrglaube bis heute erhalten hat, sollen der ehrwürdigen katholischen Kirche übergeben werden. Dabei sollen Bischöfe und Presbyter, alle ihre leitenden und niederen Kleriker komplett enteignet und auf jeweils verschiedene Inseln bzw. in jeweils unterschiedliche Provinzen in die Verbannung geschickt werden. 2. Wer aber diese Leute auf der Flucht vor der für sie vorgesehenen Strafe aufnimmt, um sie zu verstecken, soll wissen, dass sein Vermögen zugunsten Unseres Fiskus eingezogen wird und er die Strafe, die für diese Leute vorgesehen ist, [selbst] erleidet.

Die vollständige Enteignung trifft nun nicht mehr nur Kleriker, die des Wiedertaufens überführt wurden, sondern schlichtweg jeden donatistischen Kleriker. Donatistische Kleriker wurden bereits Jahre vor dem Erlass dieses Gesetzes verbannt (→ S. 570), ohne dass wir die einschlägige Rechtsgrundlage kennen würden. Die vorliegende Passage muss also (ganz wie die Konfiskationsregelung) eine Bestätigung sein. Die Drohung gegen Leute, die Donatisten Unterschlupf gewähren, dürfte von der Manichäergesetzgebung inspiriert sein (CTh. 16.5.35 von 399: In eos etiam auctoritatis aculei dirigantur, qui eos domibus suis damnanda provisione defendent, »Auch gegen diejenigen sollen die Stacheln der Autorität gerichtet werden, die diese Leute [die Manichäer] in ihren Häusern in verdammenswerter Fürsorge beschützen«). 3. Damna quoque patrimonii poenasque pecuniarias evidenter imponimus viris mulieribus, personis singulis et dignitatibus pro qualitate sui quae debeant irrogari. Si igitur proconsulari aut vicariano vel comitivae primi ordinis quisque fuerit honore subcinctus, nisi ad observantiam catholicam mentem propositumque converterit, ducentas argenti libras cogetur exsolvere fisci Nostri utilitatibus adgregandas. Ac ne id solum putetur ad resecandam intentionem posse sufficere, quotienscumque ad communionem talem accessisse fuerit confutatus, totiens multam exigatur, et si quinquies eundem constiterit nec damnis ab errore revocari, tunc ad Nostram Clementiam referatur, ut de solida eius substantia ac de statu acerbius iudicemus. 4. Huiusmodi autem condicionibus etiam honoratos reliquos obligamus, scilicet ut senator, qui nullo munitus extrinsecus privilegio dignitatis, inventus in grege Donatistarum centum libras solvat argenti, sacerdotales eandem summam cogantur exsolvere, decem primi curiales quinquaginta libras argenti addicantur, reliqui decuriones X solvant libras argenti, quicumque in haeresi maluerint permanere.

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3. Unmissverständlich auferlegen wir Vermögensnachteile und Geldstrafen, die je nach Rang zu bemessen sind, Männern wie Frauen, Einzelpersonen wie Würdenträgern. Wenn jemand also eine prokonsulare oder eine vikarische Würdenstellung oder eine solche des ersten komitativen Rangs besitzt und sein Sinnen und Streben nicht auf die katholische Observanz ausrichtet, wird er gezwungen, 200 Pfund Silber zu bezahlen, die dem Vermögen Unseres Fiskus zufallen sollen. Und damit man nicht glauben möge, allein dies würde schon ausreichen, um eine Anklage zu erledigen, soll diese Geldstrafe so oft bezahlt werden, wie es sich nachweisen lässt, dass einer diese Gemeinschaft aufgesucht hat. Wenn es sich herausstellen sollte, dass derselbe Mann fünfmal [zahlen musste] und nicht durch die Strafen von seinem Verfehlen abgehalten wird, soll er schließlich an Unsere Klemenz überstellt werden, damit wir über sein Gesamtvermögen und seine Rangstellung mit aller Strenge richten können. 4. Wir unterwerfen auch die übrigen Würdenträger derartigen Bedingungen. Das heißt, dass ein [einfacher] Senator, der über keine zusätzliche [d. h. höhere] Würdenstellung verfügt und der unter den Donatisten angetroffen wird, 100 Pfund Silber zu zahlen hat. Sacerdotales müssen dieselbe Summe entrichten, die zehn wichtigsten Kurialen haben 50 Pfund Silber zu bezahlen, andere Dekurionen 10 Pfund Silber. Das gilt für alle Betroffenen, die es vorziehen, in der Häresie zu verbleiben.

Donatistische Laien, die bislang nicht sanktioniert wurden, unterliegen nun Geldstrafen, die je nach Rang angepasst sind. Die Tathandlung besteht offenbar darin, donatistische Versammlungen aufzusuchen (ad communionem talem accessisse). Die Höhe der Strafen wird in Pfund Silber und nicht in Pfund Gold angegeben, allerdings hat laut der Arkadius-Konstitution CTh. 13.2.1 (397) ein Pfund Silber denselben Wert wie fünf Solidi. Da das Pfund Gold 72 Solidi hat, muss man Silberpfundwerte durch 14,4 teilen, um den Gegenwert in Goldpfund zu erhalten. Damit entsprechen die Strafhöhen knapp 14 Pfund Gold für die spectabiles, knapp 7 Pfund Gold für clarissimi und sacerdotales, knapp 3,5 Pfund Gold für die Prinzipale und knapp 0,7 Pfund für andere Dekurionen. Dass es tatsächlich donatistische Senatoren gab, hat Lepelley (S. 345–356) aufgezeigt. Ehe es zur vollständigen Enteignung und zum Verlust der Rangstellung kommt, kann sich ein Würdenträger erstaunlicherweise fünf (!) Fehltritte leisten. Die sacerdotales sind die ehemaligen Provinzialpriester (→ S. 565), die nach Ablauf ihrer Amtszeit wieder in ihrer Heimatstadt leben und dort den höchsten Rang unter den Stadtratsmitgliedern einnehmen. Sie werden hier wie Senatoren bestraft. Zum Vergleich: Das Album von Thamugadi (spätes 4. Jh.) listet fünf Senatoren unter den Mitgliedern der Kurie auf, aber gerade einmal zwei sacerdotales. 126 126 Genau genommen sind es sogar noch fünf Senatoren mehr, die aber realiter Patrone

der Stadt sind und nur ehrenhalber erwähnt werden, vgl. Jones, S. 730 f.

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donatisten 5. Conductores autem domus Nostrae si haec in praediis venerabilis substantiae uti [fiant] permiserint, tantum pensionis 127 poenae nomine cogantur inferre, quantum in conductione pensitare consuerunt. Eadem quoque emphyteuticarios auctoritas sacrae definitionis adstringet. 5. Pächter Unseres Hauses, die es zulassen sollten, dass dies auf Grundstücken des kaiserlichen Vermögens geschehe, müssen soviel Geld als Strafe bezahlen, wie sie für die Pacht entrichten. Dieselbe Maßnahme kaiserlichen Ratschlusses betrifft auch die Emphyteutikarier.

Das Zehnpfundgoldgesetz bedrohte kaiserliche Pächter, die Versammlungen (dort wohl gemeint: zum Zweck häretischer Klerikerweihen) zulassen, mit einer Strafe von zehn Pfund Gold; hier entspricht die Strafe einer Jahrespacht. Die separate Erwähnung der Pächter in Emphyteuse (die z. B. im Zehnpfundgoldgesetz nicht eigens aufgeführt waren) könnte eine späte Reminiszenz an den wiedertaufenden Emphyteuse-Pächter Crispin darstellen (→ S. 512). Das haec (von haec … permiserint) ist ohne Bezugswort im Vorausgehenden; dort drohten die Geldstrafen ja quicumque in haeresi maluerint permanere. Wahrscheinlich darf man dies als Hinweis auf eine nachlässige Exzerpierung nehmen, mit der sich wohl auch die textlichen Probleme des vorliegenden Paragrafen zumindest teilweise erklären lassen. 6. Conductores vero privatorum si permiserint in isdem praediis conventicula haberi vel eorum patientia sacrum mysterium fuerit inquinatum, referatur per iudices ad scientiam dominorum, quorum intererit, si poenam volunt sacrae iussionis evadere, aut errantes corrigere aut perseverantes commutare ac tales praediis suis praebere rectores, qui divina praecepta custodiant. Quod si procurare neglexerint, hi quoque in pensiones, quas accipere consuerunt, prolatae praeceptionis auctoritate multentur, ut, quod ad compendia eorum pervenire poterat, sacro iungatur aerario. 6. Wenn Pächter von Privatleuten gestatten sollten, dass auf ihren Landgütern Versammlungen abgehalten werden oder dass dem heiligen Mysterium durch ihr Nichteingreifen Unrecht widerfährt, soll durch die Statthalter an die Eigentümer berichtet werden. Sofern sie der kaiserlich verordneten Strafe entgehen wollen, werden sie sich darum kümmern, die Irrenden auf den rechten Weg zu führen bzw. die Unbelehrbaren auszutauschen und solche Pächter auf ihre Güter zu setzen, die die göttlichen Gebote einhalten. Wenn sie sich indes nicht darum kümmern, müssen auch sie den Pachtzins, den sie gewöhnlich einneh127 W bietet pensione (das setzt Mommsen in den Text), E und V pensionem, doch nach

tantum ist ein partitiver Genetiv zu erwarten. Die Ergänzung fiant schlägt Mommsen im Apparat vor, in allen Textzeugen fehlt sie. Auch nach diesen Änderungen bleibt die Merkwürdigkeit tantum pensionis … pensitare, die man kaum als bewusste Figura etymologica wird ansehen wollen.

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men, gemäß der vorliegenden Verordnung als Strafe bezahlen, sodass das, was zu ihrem Vorteil hätte sein können, an die kaiserliche Kasse fließt.

Hier haben wir nun eine explizite Aussage zur Tathandlung, die wohl auch für § 5 gilt: das Erlauben von donatistischen Versammlungen (bzw. ein sträfliches Unterlassen, diese zu unterbinden). Wiederum ist die Strafe ungewöhnlich milde: Die Pächter erhalten die Möglichkeit zur Umkehr und werden andernfalls ausgetauscht (in CTh. 16.6.4 drohte ihnen, ob nun frei oder unfrei geboren, Auspeitschung und lebenszeitliche Verbannung – und zwar ohne Reumöglichkeit!). Und der Eigentümer muss, sobald er von den Umtrieben weiß, lediglich seine Pacht an die Staatskasse abführen – CTh. 16.6.4 drohte noch mit der vollständigen Enteignung. 7. Officiales autem diversorum iudicum si in hoc errore fuerint deprehensi, ad triginta librarum argenti illationem poenae nomine teneantur, ita ut, si quinquies condemnati abstinere noluerint, coerciti verberibus exilio mancipentur. 7. Wenn aber die Stabsmitglieder der verschiedenen Statthalter bei dieser Verfehlung ertappt werden, müssen sie 30 Pfund Silber als Strafe entrichten. Wenn sie bereits fünfmal verurteilt wurden und trotzdem nicht die Finger davon lassen wollen, sind sie zu geißeln und dann in die Verbannung zu schicken.

Die Geldstrafe, die den Stabsmitgliedern droht, scheint mit wenig mehr als zwei Pfund Gold ungewöhnlich niedrig zu sein. Freilich darf man nicht vergessen, dass die sonst üblichen Kollektivstrafen von zehn oder zwanzig Pfund Gold auf diverse Personen insgesamt entfallen. Trotzdem ist die Strafe milde: CTh. 2.1.8 von 395 droht einzelnen Stabsmitgliedern eine Buße von fünf Pfund Gold an, CTh. 6.28.1 von 379 sieht drei Pfund vor. Es ist in der Tat auffällig, dass ausnahmsweise nicht das Officium insgesamt in die Pflicht genommen wird: Kollegen haben also keinen Anreiz, das Fehlverhalten Einzelner zu unterbinden. Freilich besteht die Tathandlung im in hoc errore deprehendi, d. h. in der persönlichen Religiosität, nicht in einer Amtsverfehlung, die man dem Officium als Ganzes anlasten müsste. Auch erscheint es überraschend nachsichtsvoll, einem Officiumsmitglied erst ab der sechsten Übertretung die Verbannung anzudrohen. 8. Servos vero et colonos coercitio ab huiusmodi ausibus severissima vindicabit. Ac si coloni verberibus coacti in proposito perduraverint, tunc tertia peculii sui parte multentur. 8. Brutalste Prügel werden Sklaven und Kolonen von derlei Unterfangen abhalten. Wenn aber Kolonen auch nach einer Geißelung an ihrem Vorhaben festhalten, sollen sie ein Drittel ihres Pekuliums als Geldstrafe abgeben.

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donatisten

Man hat die Situation der spätantiken nordafrikanischen Sklaven und Kolonen mit der modifizierten Variante eines frühneuzeitlichen Schlagworts charakterisiert: cuius fundus, eius religio. Sie konnten kaum von der Präferenz ihres Gutsherren abweichen (Lepelley, S. 234–236). Wir besitzen etliche Hinweise darauf, dass andernfalls der Bekehrung mit körperlicher Gewalt nachgeholfen wurde, wobei aber zumindest Augustin darum bittet, donatistische Kleinbauern »freundlich und gütig« dem Katholizismus zuzuführen. 128 Die vorliegende Stelle ist insofern problematisch, als im Kontext die Gewalt vom Staat ausgeht (im vorhergehenden Paragrafen wurden ja sogar den officiales Prügel angedroht) und anscheinend auch das gegebenenfalls eingezogene Pekuliumsdrittel an den Staat fällt (vgl. § 9). In CTh. 16.5.52 (einem Gesetz, das ich mit Delmaire ins Jahr 415 setze) wird präzisiert (§ 4): Servos etiam dominorum admonitio, vel colonos verberum crebrior ictus a prava religione revocabit, ni malunt ipsi ad praedicta dispendia, etiam si sunt catholici, retineri, »Auch werden Sklaven die Drohungen ihrer Herren (bzw. Kolonen häufige Prügel) von der verkommenen Religion abbringen, sofern nicht die Herren selbst es vorziehen, den vorgenannten Strafen zu verfallen – und zwar selbst dann, wenn sie katholisch sind«. Dort fällt also eindeutig das Prügeln in die Zuständigkeit der Herren, und das wird aus sachlichen Gründen auch hier anzunehmen sein, obwohl die Formulierung zugegebenermaßen eher anderes nahelegt. Über das Pekulium der Kolonen wissen wir wenig. Der Titel CTh. 5.19 heißt Ne colonus inscio domino suum alienet peculium vel litem inferat civilem, »Ein Kolone darf nicht sein Pekulium ohne Wissen seines Herrn veräußern oder zivilrechtlich [gegen ihn] klagen«. Dort muss (vgl. Lex Burg. Rom. 14.6) das Gesetz gestanden haben, das wir nun in bearbeiteter Form als CI. 11.50.2 (396, Arkadius) kennen. Darin findet sich (§ 3): Cum enim saepissime decretum sit, ne quid de peculio suo cuiquam colonorum ignorante domino praedii aut vendere aut alio modo alienare liceret, quemadmodum contra eius personam aequo poterit consistere iure, quem nec propria quidem leges sui iuris habere voluerunt et adquirendi tantum, non etiam transferendi potestate permissa, domino et adquirere et habere voluerunt?

128 In etlichen Briefen schneidet Augustin das Thema an und lobt katholische Groß-

grundbesitzer für ihre Bekehrungen (oder legt ihnen nahe, aktiv zu werden), vgl. epist. 58.1; epist. 89.8; epist. 112.3 (te obsecro, ut rescribas mihi tuosque omnes, quos in Sinitensi vel Hipponiensi habes, ad catholicae ecclesiae communionem comiter et benigne adhorteris, »ich flehe dich an, dass du mir zurückschreibst und alle deine Leute, die du auf den Territorien von Sinitis und Hippo hast, auf freundliche und gütige Weise zur Gemeinschaft mit der katholischen Kirche ermahnst«).

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Angesichts der Tatsache, dass ja nun oft genug beschieden wurde, dass ein Kolone etwas aus seinem Pekulium ohne Wissen seines Grundherrn weder verkaufen noch sonst wie veräußern darf – wie soll er da gegen dessen Person gleichberechtigt auftreten können, er, der nach den Gesetzen nicht einmal Eigentum in eigener Verfügungsgewalt haben kann, sodass ihm nur der Erwerb, nicht aber die Veräußerung erlaubt war, während sein Herr nach den Gesetzen erwerben und haben kann?

Das klingt so, als wäre das Kolonenpekulium zwar im Eigentum des Kolonen, aber er kann damit nicht so einfach machen, was er gern täte. Dazu passt der Inhalt von CTh. 5.19.1 (wonach ein Kolone Grund in seinem Eigentum nicht ohne Wissen seines Grundherrn – inconsultis atque ignorantibus patronis – veräußern darf) und natürlich das vorliegende Gesetz, das das Eigentum des Kolonen am Pekulium voraussetzt. »Pekulium« ist hier also nur eine Metapher, die sich aus der schwachen, an einen Sklaven gemahnenden Rechtsstellung des Kolonen herleitet. Kaser (II, S. 147) erklärt die eingeschränkte Verfügungsgewalt der Kolonen über ihr Sondergut damit, dass die Sicherheit für den Pachtzins nicht einfach weggegeben werden durfte – doch die Texte setzen keine Zustimmung des Herrn voraus; sie erfordern lediglich, ihn ins Benehmen zu setzen. 9. Adque omnia, quae ex huiusmodi generibus hominum locisque colligi poterunt, ad largitiones sacras ilico dirigantur. Dat. XV kal. Iul. Ravennae Constantio et Constante conss. 9. Alles, was von derlei Menschen und Orten eingetrieben werden kann, soll sofort an die kaiserliche Kasse fließen. Abgeschickt am 15. Tag vor den Kalenden des Juli in Ravenna unter dem Konsulat von Konstantius und Konstans. [17. Juni 414]

Bei ex huiusmodi generibus hominum handelt es sich um eine gewagte Enallage. Das eben besprochene Gesetz CTh. 16.5.54 ist der letzte Beleg, den wir für die erbrechtlichen Sanktionen gegen die Donatisten besitzen; das ausführliche Gesetz CTh. 16.5.52, das ich mit Delmaire ins Jahr 415 setze, erwähnt sie nicht. 129 Überhaupt kommt die Gesetzgebung gegen die Donatisten zum Er129 Würde man CTh. 16.5.52 mit der überlieferten Datierung (und der Communis

Opinio) ins Jahr 412 setzen, ändert sich übrigens nichts am Fazit: CTh. 16.5.54 bleibt die letzte Erwähnung, und wenn es bei der Delmaire-Datierung überrascht, dass die

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liegen; vor der vandalischen Eroberung sind sie nur noch in der umfassenden Liste von CTh. 16.5.65 (428, → S. 765) neben zahlreichen anderen Sekten namentlich aufgeführt, aber hauptsächlich (so darf man annehmen) aus Gründen der Vollständigkeit, denn immerhin haben wir es hier mit einer östlichen Konstitution zu tun. Erst nach der justinianischen Reconquista Nordafrikas erscheinen sie wieder in einem neuen Gesetz (Nov. Iust. 37 §§ 5, 8 von 535); zudem ist im kurz zuvor entstandenen Codex Iustinianus das Gesetz CTh. 16.5.40 (das ja gegen Manichäer und Montanisten gerichtet war) so überarbeitet, dass die Regelung nunmehr Manichäer und Donatisten trifft (→ S. 805). Auch (seltene) andere Belege erweisen die Fortexistenz der Donatisten mindestens bis ins 6. Jh. (Lancel 1996–2002b, Sp. 621 f.; Adamiak, S. 217– 232; Conant, S. 346–361), doch Augustin hatte bereits das Interesse an ihnen verloren: Ganz wie Augustins Anschreiben gegen die Manichäer nach 405 zum Erliegen kommt (→ S. 467), figurieren auch die Donatisten nach 411 immer weniger in seinen Schriften, ehe um 420 dieses Kapitel abgeschlossen scheint (Monceaux VII, S. 30–35). Aus dieser Zeit stammten zwar der wichtige, hier mehrfach zitierte Brief an Bonifaz (epist. 185), dem Augustin auf Nachfrage erklärt, worum es bei dieser ganzen Donatistengeschichte überhaupt geht, sowie das Werk Contra Gaudentium, die letzte seiner antidonatistischen Schriften. Doch die Aufmerksamkeit des Bischofs von Hippo richtet sich nun gegen den Pelagianismus, der uns – da seinen Anhängern anscheinend nie erbrechtliche Sanktionen drohten – hier nicht weiter kümmern soll. Doch ehe wir Augustin (und Nordafrika) verlassen, wollen wir uns noch die bemerkenswerten Passagen ansehen, in denen Augustin die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen in einem nichtjuristischen Kontext erwähnt. Diese Texte stellen die beste Evidenz für ein Verständnis der realen Auswirkungen dieser Bestimmungen dar.

erbrechtlichen Sanktionen im Jahr 415 nicht einmal mehr bestätigt werden, steht man bei der traditionellen Datierung vor dem gleichermaßen erstaunlichen Befund, dass der Kaiser diese Sanktionen im Jahr 412 ignoriert, 414 aber dann doch wieder summarisch erwähnt.

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Die erbrechtlichen Sanktionen gegen Donatisten in nichtjuristischen Texten Was die Manichäer angeht, so sind die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen ein Phänomen, das wir ausschließlich aus den Gesetzestexten kennen. In welchem Umfang sie angewendet wurden und wie die Betroffenen darüber dachten – darüber lässt sich allenfalls spekulieren. Anders im Falle der Donatisten: Wir verdanken Augustin nicht nur die Anekdote mit dem klagenden Bruder, dessen erfolgreiche Petition die anschließende Eingabe der Bischöfe und damit letztlich die gesetzliche Regelung veranlasste (→ S. 531), sondern auch mehrere spätere Textstellen, die uns eine Vorstellung von den praktischen Auswirkungen der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen geben. Allerdings berichten diese Passagen keine realen Ereignisse. Es handelt sich vielmehr um Gedanken, die Augustin einem Donatisten in den Mund legt, bzw. um eine mit Bibelbezügen kommentierte Sanktionsliste. Man kann also den Quellenwert dieser Passagen durchaus in Frage stellen. Doch war Augustin Zeitgenosse und in engem Kontakt mit den Donatisten; behauptete er völlig absurde Dinge, entzöge das seiner jeweiligen Argumentation den Boden. Wie dem auch sein mag: Um die praktischen Auswirkungen dieser Regelungen zu verstehen, haben wir keine besseren Quellen als die folgenden Passagen, die also – trotz aller methodischen Schwierigkeiten – eine sehr genaue Betrachtung verdienen. Zunächst jedoch müssen wir uns einen Text ansehen, den die bisherige Forschung zu Unrecht in diesen Kontext stellte.

Aug. in euang. Ioh. 6.25 In mehr als 120 Predigten (den sogenannten Traktaten) nimmt sich Augustin das Johannes-Evangelium vor, das er Passage für Passage erklärt. Freilich besteht seine hermeneutische Methode nicht selten im Assoziieren, und so kommt er im Traktat 6 (Tholen, S. 196–201) bei der Interpretation von Joh 1:32 f. – wo es um die Taufe Jesu geht – über das Stichwort »Wiedertaufe« zum Thema Donatismus. Wie so oft (Tholen, S. 94), legt Augustin einem vorgestellten Kontrahenten Argumente in den Mund, um sie dann zu entkräften. So lässt Augustin den fiktiven Donatisten klagen, dass seine Gemeinschaft verfolgt werde; Augustin belehrt ihn, dass Donatisten für Donat leiden, nicht für Christus; aus Arroganz, nicht aus Liebe; und dass man ohnehin nicht von »Verfolgung« reden könne, da es ja keinen »Verfolger« gebe (der implizierte Gedanke ist, dass es doch keiner wagen würde, die aktuellen Kaiser so zu

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bezeichnen). Folglich fügen sich die Donatisten all den Schaden selbst zu. Nachdem Augustin befriedigt die Stichhaltigkeit seiner eigenen Argumentation festgestellt hat, fährt er fort (in euang. Ioh. 6.25): Modo deficientes ubique, quid nobis proponunt, non invenientes, quid dicant? »Villas nostras tulerunt, fundos nostros tulerunt!« Proferunt testamenta hominum. »Ecce ubi Gaius Seius donavit fundum ecclesiae, cui praeerat Faustinus!« Cuius episcopus erat Faustinus ecclesiae? Quid est ecclesia? »Ecclesiae«, dixit, »cui praeerat Faustinus«. Sed non »ecclesiae« praeerat Faustinus, sed »parti« praeerat! … Quo iure defendis villas? Divino an humano? Respondeant: »Divinum ius in scripturis habemus, humanum ius in legibus regum.« … Vultis legamus leges imperatorum et secundum ipsas agamus de villis? Si iure humano vultis possidere, recitemus leges imperatorum! Videamus si voluerunt aliquid ab haereticis possideri. … Leguntur enim leges manifestae, ubi praeceperunt imperatores, eos qui praeter ecclesiae catholicae communionem usurpant sibi nomen Christianum nec volunt in pace colere pacis auctorem, nihil nomine ecclesiae audeant possidere. Jetzt gehen ihnen in jeder Hinsicht die Argumente aus. Was halten sie uns vor, während sie nichts finden, was sie sagen sollen? »Sie haben unsere Gutshöfe geraubt, sie haben unsere Landgüter geraubt!« Sie legen die Testamente von Personen vor: »Seht mal: Hiermit hat Gaius Seius sein Landgut der Kirche, der Faustinus vorstand, geschenkt!« Der Bischof welcher »Kirche« war denn Faustinus? Was bedeutet »Kirche«? »… der Kirche«, so hat er [der fiktive Donatist] gesagt, »der Faustinus vorstand«. Aber Faustinus leitete nicht eine »Kirche«, sondern eine »Sekte«! … Mit welchem Recht reklamierst du die Gutshöfe für euch? Mit göttlichem Recht oder mit menschlichem Recht? Sie antworten womöglich: »Das göttliche Recht haben wir in der Bibel, das menschliche Recht in den Gesetzen der Herrscher.« … Wollt ihr, dass wir die Gesetze der Kaiser lesen und nach ihrer Maßgabe hinsichtlich der Gutshöfe verfahren? Wenn ihr nach menschlichem Recht besitzen wollt, lasst uns die Gesetze der Kaiser lesen! Sehen wir doch nach, ob sie wollten, dass irgendetwas von Häretikern besessen werde. … Denn man kann die unmissverständlichen Gesetze nachlesen, in denen die Kaiser anordneten, dass sich diejenigen, die sich außerhalb der Gemeinschaft der katholischen Kirche den Namen »Christen« anmaßen und den Stifter des Friedens nicht im Frieden verehren wollen, sich nicht herausnehmen dürfen, irgendetwas in der Eigenschaft einer »Kirche« zu besitzen.

Auch wenn die Gesprächssituation fiktiv ist, scheint es sich um einen realen Streit zu handeln. Zwei Namen fallen in der Passage, Gaius Seius und Faustinus. Gaius Seius ist ein häufiger juristischer Blankettname, mit etlichen dutzend Belegen in den Digesten; selbst der griechische Intellektuelle Plutarch kennt Gaius Seius (neben Lucius Titius) als typischen Platzhalternamen der römischen Juristen. 130 Damit gibt Augustin seiner Predigt einen juristischen Anstrich und zeigt gleichzeitig, dass es eine Reihe vergleichbarer Streitfälle

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gab (der austauschbare C. Seius hat nur einen einzigen fundus vererbt, aber es geht ja um mehrere villae und fundi). Anders Faustinus: Das ist eine historische, uns wohlvertraute Persönlichkeit, nämlich der donatistische Bischof von Hippo im späten 4. Jh. (PCBE I, S. 386 s. v. Faustinus 3; c. Petil. 2.83.184, → S. 338). Das hilft nicht bei der Datierung des Rechtsstreits, denn es geht offensichtlich darum, dass die donatistische Kirche von Hippo ihr Eigentum an gewissen Immobilien durch Vorlage von Testamenten nachweisen will – was beliebig lange nach der Amtszeit von Faustinus der Fall sein kann. Für uns ist entscheidend, dass Augustin die Gültigkeit des Testaments keineswegs in Frage stellt. Nirgendwo impliziert er, dass für einen Donatisten (ein solcher muss »Gaius Seius« gewesen sein) ein gesetzliches Testierverbot bestehe. Dass die Kirche des Faustinus nicht Eigentümerin des Guts sein kann, wird gerade nicht mit der Ungültigkeit des Testaments des offensichtlich donatistischen Erblassers begründet, sondern vielmehr damit, dass Faustinus’ Kirche, weil donatistisch, keine Kirche im Sinne des römischen Rechts ist. Dass einzelne Bischofskirchen als Erben eingesetzt werden konnten, ist – da es sich ja um personae incertae handelt – keineswegs selbstverständlich (Kaser II, S. 487 f.; vgl. CI. 6.24.8 von 290) und wurde deswegen von Konstantin im Jahr 321 eigens verfügt (CTh. 16.2.4). Bereits fünf Jahre später, am 1. September 326, stellte Konstantin klar (CTh. 16.5.1): privilegia, quae contemplatione religionis indulta sunt, catholicae tantum legis observatoribus prodesse oportet; haereticos autem atque schismaticos … ab his privilegiis alienos esse volumus, »die Privilegien, die aus religiösen Erwägungen gewährt wurden, dürfen nur denjenigen zugutekommen, die die katholische Lehre beachten; Häretiker aber und Schismatiker – so ordnen wir an – sollen … von diesen Privilegien ausgeschlossen sein«. Ein weiteres solches Privileg ist die Anerkennung als antike Vorform einer juristischen Person, die katholische Bischofskirchen jeweils einzeln besaßen (Kaser II, S. 156 f.). Die Donatisten waren aber nach Rechtsauffassung der Autoritäten ab einem gewissen Zeitpunkt heterodox und konnten daher auch nicht mehr nomine ecclesiae possidere. Kurzum: Es geht in der vorliegenden Passage und den darin erwähnten Gesetzen keineswegs um erbrechtliche Sanktionen, sondern um Gesetze, die so bereits schon seit zwei Generationen gültig waren. 131 Das Missverständnis, 130 Plut. aet. Rom. 30, ὥσπερ οἱ νομικοὶ Γάιον Σήιον καὶ Λούκιον Τίτιον … παραλαμβάνουσιν, »ganz wie die Juristen ›Gaius Seius‹ und ›Lucius Titius‹ … verwenden«. 131 Die grundlegende, aber auf das klassische römische Recht beschränkte Studie von

Schnorr von Carolsfeld hilft bei der Frage nach der Eigentumsfähigkeit häretischer Kirchen nicht weiter: Obwohl er etliche Augustinstellen bespricht, hat er in euang. Ioh. 6.25 nicht herangezogen, und auch CTh. 16.5.1 fehlt in seinem Stellenindex.

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in der eben besprochenen Passage eine Auswirkung der erbrechtlichen Sanktionen zu sehen, geht bis auf Godefroy (Gothofredus, S. 191) zurück. Diese Idee griff La Bonnardière (S. 22–24) auf und sah folglich in der erbrechtlichen Sanktion von 405 einen Terminus post quem des Traktats 6. 132 Der Gedanke, dass die Sekte der Donatisten nicht nomine ecclesiae possidere kann (vgl. das Ende der zitierten Passage), erscheint auch in anderen Augustintexten, und zwar am deutlichsten in epist. 185.9.36 von 417, als Augustin aus der Rückschau berichtet: Quidquid ergo nomine ecclesiarum partis Donati possidebatur, Christiani imperatores legibus religiosis cum ipsis ecclesiis ad catholicam transire iusserunt, »Alles, was in der Eigenschaft von Kirchen der donatistischen Sekte besessen wurde, ließen die christlichen Kaiser durch ihre frommen Gesetze samt den Kirchen selbst zur katholischen Kirche übergehen«. Der früheste Augustinbeleg ist c. Cresc. 3.50.55 (kurz nach dem in CTh. 16.6.4 zitierten Gesetz, also 405): [es gefällt der katholischen Kirche gar nicht], si … quisque auferat aliena, non illa quae sub nomine ecclesiae non debent ab haereticis possideri, sed quorumque privata, »wenn … jemand fremdes Eigentum gestohlen hat – also nicht das, was von Häretikern nicht in der Eigenschaft einer Kirche besessen werden darf, sondern Privateigentum einzelner Personen«. Nimmt man c. Cresc. als Terminus post quem, ist man wieder bei der La-Bonnardière-Datierung (»frühestens 405«), wenn auch auf anderer sachlicher Grundlage. Wie dem auch sein mag: Die Passage braucht uns hier nicht weiter zu interessieren.

132 Le Landais, S. 63–67, setzt die hier besprochene Stelle sogar in die Zeit ab 414. Er

stellt keinen Zusammenhang zu den erbrechtlichen Sanktionen her, denkt aber, dass Augustin erst nach dem angeblich besonders geharnischten Gesetz CTh. 16.5.54 so vehement formulieren könne – das ist ein ebenso subjektives wie schwaches Argument. Shaw, S. 516, nimmt ebenfalls nicht Bezug auf das Erbrecht, setzt den Text aber trotzdem in die Zeit nach 405: »The long riposte was delivered in the aftermath of the imperial laws of 405 that labeled the dissidents as ›the Donatists‹ and stripped them of their property rights. Faustinus was the dissident bishop of Hippo at the time«. Doch Faustinus war Bischof nur bis längstens 395 (wie Shaw, S. 515 Anm. 62, eine Seite zuvor selbst korrekt angibt). Zudem übersieht Shaw, dass es um die Eigentumsfähigkeit der einzelnen donatistischen Bischofskirchen, nicht »der Donatisten« als Personen, geht.

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Aug. serm. 47.22 Diese Passage stammt aus der Predigt De ovibus (sermo 47, vgl. Tholen, S. 333–337), der Interpretation einer Ezechiel-Passage (Ez 34:17–31). Gehalten wurde diese Predigt nach dem Inkrafttreten der erbrechtlichen Sanktionen (Anfang 405) und vor der Collatio von 411, und zwar am ehesten in der ersten Jahreshälfte 410. 133 An der vorliegenden Stelle kommentiert Augustin den Anfang von Ez 34:25, der in der von ihm verwendeten Bibel auf Latein folgendermaßen lautet: et disponam ad eos testamentum pacis, »Und ich will ihnen ein testamentum pacis reichen«, wobei testamentum im Kontext korrekterweise mit »Bund« wiederzugeben wäre; ich habe es gleichwohl als »Testament« übersetzt, um die zahlreichen Bezugnahmen Augustins auf Testamente verständlich zu machen. Wie wir dies bereits aus der letzten Passage kennen, dient Augustin auch hier die Bibelstelle lediglich als Ausgangspunkt für sein freies Assoziieren, und vom Stichwort »Testament« kommt er schnell zu den Donatisten.

133 Einen Überblick über sämtliche Datierungsversuche bis zu seiner Zeit gibt Verbra-

ken, S. 64. Seine Liste ist vollständig, d. h., auch unsinnige Vorschläge sind erfasst (»nach 400« von van Bavel ignoriert den Terminus post quem der erbrechtlichen Sanktionen; »nach 414« von Lambot übersieht das erste Gesetz mit erbrechtlichen Sanktionen). Der beste klassische Ansatz ist der von Monceaux (VII, S. 289), ausführlicher dargestellt bei Kunzelmann (S. 443), wobei ein inhaltlicher Synchronismus (Gesandtschaft an Donatisten) zwischen sermo 46 und den Briefen 106–108 hergestellt wird, die ihrerseits laut Goldbacher in die Zeit Ende 409 bis August 410 gehören; sermo 47 wiederum sei aufgrund von Bezugnahmen sehr bald nach sermo 46 gehalten. Hombert (S. 553 f.) sieht dagegen in der Nachfolge von La Bonnardière (S. 23 f.) sprachliche und thematische Anklänge an Brief 93 (der uns gleich beschäftigen wird: → S. 593) und setzt daher sermo 47 ins Jahr 407/8, entsprechend der (verengten) Goldbacher-Datierung von Brief 93. Das Problem ist, dass epist. 93 selbst keineswegs scharf datiert ist. Der einzige Grund, epist. 93 vor Ende August 408 zu setzen, ist, dass die Ermordung Stilichos darin nicht erwähnt wird; aber warum hätte Augustin (wenn der Brief wirklich jünger ist) darauf herumreiten sollen, dass Stilicho – der ja offensichtlich das Einheitsedikt voll mitgetragen hatte – kurze Zeit zuvor beseitigt worden war? Ignoriert man dieses schwache e-silentio-Argument, braucht man sich auch nicht zwischen den Anklängen zu Briefen 106–108 einerseits und Brief 93 andererseits zu entscheiden, sondern kann für all diese Texte samt sermo 47 eine ungefähr zeitgleiche Entstehung annehmen, nämlich die erste Hälfte des Jahres 410. (Zuletzt hat Humfress 2001, S. 559, den Text wieder ins Jahr 414 gesetzt, allerdings ganz ohne Begründung und offenbar in Unkenntnis der relevanten Forschungsliteratur.)

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donatisten »Et disponam ad eos testamentum pacis«; per ipsum utique, qui ait: »Pacem meam do vobis, pacem meam relinquo vobis«. Hoc est testamentum patris nostri, testamentum pacis est. Quaelibet hereditas dividatur inter consortes, pacis hereditas dividi non potest. Pax nostra Christus est. Pax facit utraque unum, non duo de uno. »Ipse enim pax nostra«, dixit, »qui fecit utraque unum«. Testamentum dei est: hereditas pax est. A concordibus consortibus possideatur, non a litigantibus dividatur. »Und ich will ihnen ein Friedenstestament reichen« [Ez 34:25]; und zwar jedenfalls durch ihn selbst, der da sagt: »Meinen Frieden gebe ich euch, meinen Frieden hinterlasse ich euch« [nach Joh 14:27]. Das ist das Testament unseres Vaters: Es ist das Friedenstestament. Jede beliebige Erbschaft mag sich unter den Miterben aufteilen lassen, doch die Erbschaft des Friedens kann nicht aufgeteilt werden. Unser Frieden ist Christus. Der Frieden macht aus zwei Teilen Eines, nicht aus Einem zwei Teile. »Denn er ist unser Frieden«, heißt es, »der aus zwei Teilen Eines machte« [Eph 2:14]. Darin besteht das Testament Gottes: Der Frieden ist die Erbschaft. Von einmütigen Miterben soll sie besessen, nicht von prozessierenden aufgeteilt werden. »Et disponam ad eos testamentum pacis«. Vigilate haeretici, audite a pastore testamentum pacis, venite ad pacem. Irascimini Christianis imperatoribus, quia testamenta vestra valere noluerunt in domibus vestris. Videte quam digna sit poena. Et quid est quod testamentum vestrum non valet in domo vestra? Quid est? Quantum est? Dolor iste admonitio est, nondum damnatio. Voluit enim deus compati testamento pacis suae. Condoles testamento tuo, si non stet testamentum tuum in domo tua. Certe moriturus es, et, quid agatur in illa domo postea, nesciturus. »Und ich will ihnen ein Friedenstestament reichen« [Ez 34:25]. Passt nur gut auf, Häretiker! Hört vom Hirten »Friedenstestament«! Kommt zum Frieden! Ihr zürnt den christlichen Kaisern, weil sie untersagten, dass eure Testamente in euren Häusern gültig seien. Seht doch, wie passend diese Strafe ist! Und was ist schon dabei, dass euer Testament nicht gilt in eurem Haus? Was ist dabei? Wie schlimm ist das? Dieser Kummer ist nur eine Warnung, noch nicht die Verurteilung. Denn Gott wollte sich mit dem Testament seines Friedens erbarmen. Es schmerzt dich wegen deines Testaments, wenn dein Testament in deinem Haus nicht gilt. Aber es ist doch sicher, dass du sterben und nicht wissen wirst, was dann später in jenem Haus vor sich geht. »In illa« enim »die perient«, inquit, »omnes cogitationes eius«, »et non cognoscet amplius locum suum«. Non ergo sciturus, quid postea agatur in domo tua, cum mortuus fueris, doles tamen non stare testamentum tuum in domo tua. Christus mortuus resurrexit, de caelo respexit, ut stet testamentum ipsius. Evigila ex dolore tuo, corrigere ex cruciatu tuo! Ligno male curvo nosti calorem solere adhiberi. Corrigat te dolor iste! Nondum est flamma ignis aeterni! Tamquam calor foci est admotus curvo cordi tuo, ut hinc admoneatur et corrigatur.

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»An jenem Tag«, so heißt es nämlich, »werden all seine Gedanken zugrunde gehen« [Ps 146(145):4], »und er wird seinen Ort nicht mehr kennen« [Ps 103 (102):16]. Wenn du erst einmal tot bist, wirst du also nicht wissen, was dann später in deinem Haus vor sich geht, aber du leidest dennoch, weil dein Testament in deinem Haus nicht gilt. Christus, der gestorben ist, ist auferstanden, vom Himmel aus sah er zu, dass sein Testament gelte. Erwache aufgrund deines Kummers, komme aufgrund deiner Qual zur Besinnung! Du weißt doch, dass man üblicherweise an ein übel verzogenes Stück Holz Hitze anlegt. Dich soll dieser Kummer zurechtbiegen! Noch sind’s nicht die Flammen des ewigen Feuers! Man hat deinem verzogenen Herzen gleichsam die Hitze eines Feuers nahegebracht, damit es dadurch gewarnt und zurechtgebogen werde. Dole (prorsus recte doles!) non stare testamentum tuum in domo tua. Domus dei cor tuum est. Si vis valere testamentum tuum in domo tua, quare non vis valere testamentum dei in domo sua? Dimittis filiis tuis parietes, et, si aliter filios tuos divisuros noveris, quam tu disposueris, doles. De una domo vilissima, de tecto ruituro, quantam curam habes, quantam sollicitudinem concipis! Quemadmodum ardentibus febribus, prementi morbo, ipsi morti urgenti resistis, quantum potes, anhelans verba extrema, ut impleas testamentum. Quot iurisperitos consulis, quantas fraudes, ut stet testamentum tuum contra ipsam legem imperatoris inquiris? De proximo tibi respondet deus: »Noli fraudes quaerere, noli calumniosas formulas aucupari! Vis stare testamentum tuum? Stet in te meum! Doles, quia acquisitionem tuam tollit alius, quem nolebas. Quid de hereditate mea tam lata, tam pia? ›In semine tuo benedicentur omnes gentes‹, dixi ego servo meo«, dicit tibi deus, »et credidit cum haec non videret. Tu vides, et negas.« Sei du nur bekümmert (ganz zu Recht bist du bekümmert!), dass dein Testament in deinem Haus nicht gilt. Dein Herz ist das Haus Gottes. Wenn du willst, dass dein Testament in deinem Haus gültig sei, ja warum willst du dann nicht, dass das Testament Gottes in seinem Haus gültig sei? Du hinterlässt deinen Kindern deine vier Wände, und wenn du wüsstest, dass deine Kinder anders aufteilen würden, als du es festgelegt hast, wärest du frustriert. Hinsichtlich eines einzigen, ganz und gar wertlosen Hauses, hinsichtlich eines Gebäudes, das irgendwann ohnehin einstürzen wird, machst du dir so viele Gedanken, empfindest du so viel Sorge! Beispielsweise widersetzt du dich – solange es geht – dem glühenden Fieber, der drängenden Krankheit, ja dem unmittelbar bevorstehenden Tod und keuchst deine letzten Worte heraus, um dein Testament abzuschließen. Wie viele Rechtsexperten konsultierst du, wie viele juristische Winkelzüge suchst du, damit dein Testament gegen das Gesetz des Kaisers gilt? Von ganz nah wird dir Gott folgenden Bescheid geben: »Suche keine Tricks, jage nicht nach rechtsverdrehenden Formulierungen! Du willst, dass dein Testament gilt? Meines soll in dir gelten! Du bist bekümmert, weil ein anderer, von dem du das nicht wolltest, dein Hab und Gut kassiert. Was ist aber mit meiner so umfassenden, so liebevollen Erbschaft? ›In deinem Samen sollen alle Völker gesegnet werden‹

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donatisten [Gen 22:18]: Das hab’ ich meinem Knechte gesagt«, sagt dir Gott, »und er glaubte, obwohl er dies nicht sah. Du aber siehst und leugnest trotzdem.«

Methodisch ist die Interpretation der Stelle nicht ganz unproblematisch, denn immerhin ist unsere Quelle für die donatistische Sichtweise der erbrechtlichen Sanktionen ein imaginierter Donatist, dem ausgerechnet Augustin die Worte in den Mund legt. Nichtsdestoweniger lassen sich allerhand wichtige Beobachtungen machen. Unser fiktiver Donatist beklagt sich keineswegs darüber, dass er sein Vermögen nicht der donatistischen Kirche hinterlassen oder dass er nicht Vermächtnisse für donatistische Bedürftige einrichten kann; seine Klage ist, dass er sein Hab und Gut nicht nach persönlichem Gutdünken unter den eigenen Kindern aufteilen darf. Da es die Argumentation Augustins stärken würde, könnte er die Donatisten so weit als Bundesbrecher hinstellen, dass sie sogar ihre eigenen Kinder enterben, wird seine anders geartete Argumentation ein Zugeständnis an die reale Situation sein und muss deswegen unbedingt ernst genommen werden. Wenn etwa Brown (1963, S. 291) behauptet »This sanction [das Testierverbot] was too drastic to be applied consistently … It was usually applied only to prevent donations to the Donatist church«, würde man sich dafür nicht nur Belege, sondern auch eine Diskussion der vorliegenden Stelle wünschen. 134 Die von Augustin so betonte Qual des Donatisten besteht darin, dass er in diesem Teilbereich seiner Entscheidungsgewalt beschnitten und sozusagen entmündigt wird; obwohl es ihm ja laut Augustin ohnehin gleichgültig sein könnte, was nach seinem Ableben mit dem Vermögen passiert, empfindet er großen Schmerz, wenn seine Vorstellungen nicht beachtet werden. Diese psychologisch nachvollziehbare Aussage ist hochbedeutsam für die Interpretation der erbrechtlichen Sanktionen generell. Offensichtlich geht es bei dieser Strafe in der konkreten Situation nicht darum, eine heterodoxe Gemeinschaft 134 Browns einziger Beleg ist ein Verweis auf die Anekdote mit der donatistischen

Schwester (→ S. 531), was er »one such cause célèbre« (S. 291) nennt. In Anbetracht der Tatsache, dass wir nur diesen Vorfall kennen und diesen ausschließlich aus der Contra-epistulam-Parmeniani-Passage, ist die Bewertung als »cause célèbre« ohne Quellengrundlage. Zudem fand der Prozess chronologisch vor der generellen Einführung erbrechtlicher Sanktionen gegen die Donatisten statt und kann daher wenig oder nichts über die spätere Situation aussagen. Zur vorliegenden Predigtstelle sagt Brown (1963, S. 291) lediglich »We know of attempts to make false wills«, was nicht mit dem Inhalt übereinstimmt: Es geht um juristische Winkelzüge zur Umgehung der gesetzlichen Regelungen (noch dazu in fiktivem Kontext), nicht um gefälschte Testamente. Richtig ist die Stelle hingegen bei Brown 2000, S. 335, aufgefasst: »Donatists had to resort to ingenious legal devices to save the validity of their wills«.

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wie die Donatisten finanziell auszutrocknen: Die Einschränkung, nicht mehr nach Belieben über das eigene Vermögen verfügen zu können, war laut Augustin bereits genug, um einem Donatisten größten Kummer zu verursachen. Interessant sind die Vermögensverhältnisse des gedachten Donatisten: Als Betroffenen der erbrechtlichen Sanktionen stellt sich Augustin keineswegs einen Großgrundbesitzer vor. Das Hab und Gut, um das es geht, besteht aus einem einzigen Haus, das der Bischof zudem als vilissima beschreibt – wobei dieser Superlativ dem Kontext geschuldet sein mag, wo es ja darum geht, die Wertlosigkeit irdischer Habe mit dem unbezifferbaren Wert des Bundes mit Gott zu kontrastieren. Zudem kann sich unser idealtypischer donatistischer Erblasser auch den Rat »vieler« Rechtsexperten leisten – Augustin kann also nicht einen völlig mittellosen Mann im Sinn haben. Nichtsdestoweniger ist es signifikant, dass Augustin als Leidtragenden der erbrechtlichen Sanktionen nicht einen der Prinzipale der lokalen Gemeinschaft präsentiert, sondern den Eigentümer eines einzigen Hauses. Wir haben gesehen, dass Honorius bereits in seinem ersten Gesetz, das Donatisten erbrechtlich sanktionierte, umfangreiche Vorkehrungen gegen Umgehungsgeschäfte vorsah (→ S. 561). Dass er dies mit gutem Grund tat, zeigt wiederum die vorliegende Predigt. Augustin hält es für ganz typisches Verhalten, dass ein im Sterben liegender Donatist mit Hilfe von juristischen Experten frenetisch nach Winkelzügen sucht, um seinem Willen hinsichtlich der Nachfolge Geltung zu verschaffen. Zuletzt ist bemerkenswert, dass Augustin gar nicht die Möglichkeit erwähnt, dass das Familienvermögen an den kaiserlichen Fiskus fallen könnte; vielmehr besteht die unerwünschte Folge darin, dass das Vermögen auf eine vom Vater nicht gewollte Weise – sprich: im Intestaterbgang nach den gesetzlich vorgeschriebenen Quoten – an seine Kinder geht. Das entspricht genau den Bestimmungen des Gesetzes von 404/5, das testamentarische Sanktionen und auch ein Verbot des schenkweisen Erwerbs enthält, aber Donatisten nicht davon abhält, intestat zu vererben oder zu erben.

Aug. epist. 93.5.19 Bei der zweiten Erwähnung der erbrechtlichen Sanktionen in den Schriften Augustins handelt es sich um einen Brief (vgl. Hogrefe, S. 125–129, dort auch weitere Literatur), den Augustin an den rogatistischen Bischof Vincentius richtet. Die traditionelle Datierung ist 407/8, doch sie basiert auf einem wenig belastbaren e-silentio-Argument; die erste Jahreshälfte 410 scheint mir wahr-

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scheinlicher. 135 Augustins Brief ist eine Antwort, das vorausgehende Schreiben des Vincentius (aus der kleinen Gruppe der Rogatisten, die sich von den Donatisten abgespalten hatten) ist nicht erhalten. Augustin legt in seiner Antwort dar, dass er persönlich ursprünglich dagegen war, rechtlichen Druck auf die Donatisten auszuüben, denn so komme es leicht zu Scheinübertritten (→ S. 523). Doch als er sah, wie effektiv die kaiserlichen Maßnahmen wirkten, musste er im Nachhinein erkennen, dass die Position seiner Kollegen, die bereits damals Zwang befürwortet hatten, immer schon richtig gewesen war. Viele Donatisten hätten nur dieses kleinen Anstoßes bedurft, um in den Schoß der katholischen Kirche zurückzufinden, und waren später dankbar dafür. 136 Und überhaupt – hätte er, Augustin, sich seinen Glaubensbrüdern widersetzen sollen? 135 Goldbacher, S. 28 f.: Er argumentiert, dass der Brief den Übergang zahlreicher

Städte zum Katholizismus erwähnt, was frühestens 407 geschrieben sein kann (warum nicht bereits Ende 405?). Der Brief ist ausführlich, trotzdem werden weder die Collatio (411) noch der Sturz Stilichos (August 408) erwähnt; diese Auslassungen verwendet Goldbacher für einen e-silentio-Schluss: Er hält die Spanne 407–410 für sicher, die kürzere Spanne 407/8 für wahrscheinlich (»itaque scriptam esse hanc epistulam intra annos 407 et 410 adfirmare potueris, atque adeo cum dicas intra annos 407 et 408, a vero haud scio an non aberraveris«). Goldbacher betrachtet also das Datum der Collatio (zu Recht) als einen Terminus ante quem, Stilichos Sturz für einen wahrscheinlichen (darin würde ich ihm nicht folgen: Warum sollte Augustin den Fall Stilichos, unter dem stets antidonatistische Politik betrieben wurde, in einem Brief an einen Rogatisten, der unter die Donatistengesetze fiel, breittreten?). In der Literatur wird Goldbachers genaue Argumentation stets ignoriert, und man zitiert ihn mit der engen Spanne 407/8. Hombert hat sermo 47 aufgrund eines möglichen Zusammenhangs mit epist. 93 von 410 auf 407/8 umdatiert (→ S. 589133), doch sofern man sich auf das Argument Homberts einlässt, sollte man besser umgekehrt epist. 93 nach 410 setzen. 136 Das ist Augustins berühmte Lehre des Compelle intrare (oder Cogite intrare; für eine Zusammenstellung weiterer synonymer Ausdrücke bei Augustin vgl. Maisonneuve, S. 60): Ketzer zu ihrem Glück (sprich: zur Orthodoxie) zu zwingen, kann nicht verkehrt sein. Das dahinterstehende Bild stammt aus dem Lukas-Evangelium (Lk 14:15– 24), wo der Veranstalter eines Abendmahls von seinen geladenen Gästen versetzt wird und dann erst Arme und Krüppel von der Straße einladen und schließlich, um den Saal vollzubekommen, alle möglichen Passanten von seinem Gesinde hereintreiben lässt. Die einschlägigen Augustin-Passagen wurden im Mittelalter zusammengestellt und hatten eine erstaunliche Karriere vor sich: »Diese Sätze wurden von Jahrhundert zu Jahrhundert weitergegeben; sie wurden ins Gratianische Dekret [Decr. Grat. C. 23, q. 6, c. 1–3] aufgenommen; sie dienten zur Rechtfertigung der Ketzerbestrafung, der Inquisition und der Unterjochung der Indianer noch im 16. Jahrhundert« (Höffner, S. 45); oder, wie es Brown (2000, S. 236) formuliert: »Augustine may be the first theorist of the Inquisition«. Tatsächlich muss man unter-

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His ego dominicis lucris impediendis ad contradicendum me opponerem collegis meis, ne in montibus et collibus vestris, id est in tumoribus superbiae vestrae, Christi oves errantes in pacis ovile colligerentur, ubi est unus grex et unus pastor? Ita sane huic provisioni contradicere debui: – ne res, quas dicitis vestras, perderetis, et securi Christum proscriberetis; – ut iure Romano testamenta conderetis, et iure divino patribus conditum testamentum, ubi scriptum est »in semine tuo benedicentur omnes gentes«, calumniosis criminationibus rumperetis; – ut in emptionibus et venditionibus liberos contractus haberetis, et vobis dividere, quod Christus emit venditus, auderetis; – ut, quod quisque vestrum cuiquam donasset, valeret, et quod donavit deus deorum, a solis ortu usque ad occasum vocatis filiis, non valeret ; – ut de terra corporis vestri in exilium non mitteremini, et de regno sanguinis sui, a mari usque ad mare et a flumine usque ad terminos orbis terrae Christum exulem facere conaremini? Immo vero serviant reges terrae Christo, etiam leges ferendo pro Christo. Hätte ich mich meinen Kollegen zum Widerspruch in den Weg stellen sollen, um solche Erfolge Gottes zu verhindern? Damit nicht die Lämmer Christi, die auf euren Bergen und Hügeln (das heißt, auf den Schwellungen eurer Arroganz!) herumirren, im Stall des Friedens versammelt werden, wo »es nur eine Herde und einen Hirten gibt« [Joh 10:16]? Ja freilich hätte ich dieser Fürsorge widersprechen müssen: – damit ihr nicht die Dinge, die ihr euer Eigen nennt, verliert und [umgekehrt] sorglos Christus enteignen könnt; – damit ihr nach römischem Recht Testamente errichten und [umgekehrt] das Testament, das nach göttlichem Recht von den Vätern errichtet wurde (wo es heißt: »Mit deinem Samen sollen sich alle Völker segnen« [Gen 26:4]), mit rechtsverdreherischen Anschuldigungen brechen könnt; – damit ihr bei Käufen und Verkäufen freie Verträge schließen und ihr [umgekehrt] euch erdreisten könnt aufzuteilen, was Christus durch seine Hingabe erwarb; – damit das, was jemand von euch irgendeinem schenkt, gültig sei und [umgekehrt] das, was »der Gott der Götter« seinen »vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang« [Ps 50(49):1] berufenen Kindern schenkt, nicht gültig sei;

scheiden zwischen Augustins eigentlicher Position (die zwar staatlichen Zwang in Form von Verbannung, Konfiskation und mäßigen Rutenschlägen guthieß, aber Folter und Hinrichtung kompromisslos ablehnte) und ihrer (unbeabsichtigten) Folgewirkung (als einziger der Kirchenväter hatte Augustin eine theologische Rechtfertigung des Zwangs geliefert, die sich später für weitaus brutalere Maßnahmen in anderen Situationen missbrauchen ließ). Vgl. dazu die ebenso ausführliche wie kluge Diskussion bei Weissenberg, S. 502–509.

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donatisten –

damit ihr nicht von der Erde eures Leibs ins Exil geschickt werdet und ihr [umgekehrt] versuchen könnt, Christus zum Verbannten aus dem Reich seines Blutes zu machen, »von Meer zu Meer und vom Strom bis an die Enden der Erde« [Ps 72(71):8]? Nein, ganz im Gegenteil! Die Könige der Erde sollen Christus dienen, auch indem sie Gesetze für Christus erlassen!

Augustin erwähnt vier (oder fünf) verschiedene rechtliche Maßnahmen gegen die Donatisten: Als erstes spricht er allgemein von Eigentumsverlust, womit er entweder das Folgende zusammenfasst oder aber auf die Klerikern drohenden Konfiskationen anspielt. Dann nennt er die Unmöglichkeit, ein Testament zu errichten – weder ein Verbot des Erwerbs aus Testament und noch ein Verbot des Intestaterbens bzw. Intestatvererbens werden auch nur angedeutet. Dies entspricht dem Befund aus serm. 47. In der Tat hatte das Gesetz von 404/5 keinerlei Regelung hinsichtlich des Intestaterbgangs enthalten; was den testamentarischen Erbgang angeht, so hieß es dort, testandi … copiam denegatam, »die Fähigkeit des Testierens sei verweigert«, d. h., das Erben aus Testament war weiter möglich. Bemerkenswert ist auch, dass Augustin – ganz wie unsere juristischen Quellen – den Bezug zwischen »Testament« und »römischem Recht« herstellt (→ S. 260). Diese Vorstellung war mithin nicht nur unter Juristen verbreitet, sondern zumindest auch zeitgenössischen Intellektuellen präsent. Eine weitere Bestimmung des Gesetzes war adipiscendi aliquid sub specie … agitandorum contractuum … copiam denegatam, hier aufgegriffen als die Klage über den Verlust von in emptionibus et venditionibus liberos contractus. In der Formulierung des Gesetzes von 404/5 kann man zweifeln, ob es um den vollständigen Entzug der Geschäftsfähigkeit geht oder nur um das Unterbinden von Umgehungsgeschäften. Doch Augustins Wortwahl scheint eher auf ein uneingeschränktes Kontrahierungsverbot hinzudeuten, was zudem der Regelung in der späteren Bestätigung in CTh. 16.5.54 pr. entspricht. Zur Junktur liberi contractus findet sich eine Parallele in einer ValentinianNovelle, die im Jahr 445 die vollständige Entziehung der Geschäftsfähigkeit gegen Manichäer wiederholt: Nov. Val. 18 § 3, contractus liberos omnino non habeant. Für das frühe 6. Jahrhundert überliefern Cassiodors Variae das Muster einer Volljährigkeitserklärung (aetatis venia), worin ein geeigneter Antragsteller folgendermaßen charakterisiert wird (var. 7.41.1), …, quisquis habere liberos contractus constanter affectat, »…, wer hartnäckig ›freie Verträge‹ zu haben anstrebt«. Obwohl sich die liberi contractus nicht öfter in den Rechtsquellen finden, handelt es sich also wohl um eine wenn nicht technische, so doch etablierte Formulierung für die Geschäftsfähigkeit. Bei den Donatisten

zusammenfassung

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wird sich das Problem in der Praxis nur im Ausnahmefall gestellt haben: nämlich dann, wenn jemand guten Grund hatte, gegen irgendein Geschäft zu klagen. Beim Schenkungsverbot stehen Augustin und der Gesetzestext im Widerspruch. Nach dem Wortlaut des Gesetzes geht es darum, dass Donatisten keine Schenkungen erhalten dürfen (adipiscendi aliquid sub specie donationis … copiam denegatam); über das Verschenken wird nichts bestimmt, sodass theoretisch an Nichtdonatisten verschenkt werden könnte. In der Version von Augustin hingegen wird nur das Verschenken als verboten genannt (ut, quod quisque vestrum cuiquam donasset, valeret). Sofern es sich realiter bei den strittigen Schenkungen um donationes unter Donatisten gehandelt hat, würden die Darstellung Augustins und die gesetzliche Regelung freilich zum selben Ergebnis führen. Die letzte in den Mund gelegte Beschwerde betrifft Verbannungen. Dazu hatte das Gesetz von 404/5 (abgesehen von § 1, in dem es um Gutsverwalter geht) allerdings nichts bestimmt, während die beiden Konstitutionen, die nach der Collatio ergehen sollten, jeweils die Enteignung und die Verbannung für sämtliche donatistischen Kleriker – Bischöfe, Presbyter und Diakone – festschrieben (CTh. 16.5.52 § 5 von 415, → S. 574; CTh. 16.5.54 § 1 von 414). Gleichwohl scheint es bereits bald nach dem Einheitsedikt und noch vor Ende 408 eine gesetzliche Regelung gegeben zu haben, die widerspenstige donatistische Kleriker mit der Verbannung bedrohte (→ S. 570).

Zusammenfassung Ein Skeptiker mag nach der Lektüre dieses Kapitels vielleicht einwenden, dass dies sehr viele Seiten für sehr wenige erbrechtliche Sanktionen waren. Aber ich denke, diese Ausführlichkeit war geboten und lohnend. Denn Mechanismen, die uns sonst verborgen bleiben, lassen sich hier ausnahmsweise detailliert nachvollziehen: Die erbrechtliche Sanktionierung der Donatisten erfolgte in Reaktion auf eine Eingabe der afrikanischen Bischöfe, die diesen Wunsch nicht äußerten, um ein bestimmtes erbrechtliches Telos zu verwirklichen, sondern deswegen, weil sie neue Möglichkeiten suchten, Donatisten das Leben schwer zu machen, und sie zugleich überzeugt waren, Honorius werde eine solche Regelung ohne weitere Umstände in Kraft setzen, da er sie unlängst in einem Einzelfall angewandt hatte. Dieser klar beobachtbare Ablauf falsifiziert also Vorstellungen moderner Forscher, nach denen die donatistische Kirche finanziell ausgetrocknet werden sollte oder die erbrecht-

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donatisten

lichen Sanktionen einer symbolischen zivilen Zurücksetzung der Donatisten dienten. Wir sehen auch, inwieweit der Gesetzgeber einerseits den Wünschen der Bischöfe folgt und inwieweit er sie anderseits überschreitet (etwa durch den Entzug der Geschäftsfähigkeit) bzw. hinter ihnen zurückbleibt (insbesondere durch die uneingeschränkte Möglichkeit der Rückgewinnung der rechtlichen Befähigungen, sofern nur ein Übertritt zum Katholizismus stattfindet). Der Kaiser und sein Umfeld lassen sich also von der Eingabe inspirieren, aber sie verwirklichen die Wünsche der Bischöfe keineswegs eins zu eins. Diese Episode zeigt nachdrücklich, dass ein eigener gesetzgeberischer Wille auch dann vorliegen kann, wenn – wie hier – auf eine Eingabe reagiert wird. Bei der Donatistengesetzgebung gibt es ausnahmsweise auch Hinweise auf die tatsächlichen Auswirkungen der erbrechtlichen Sanktionen. Wenn man Augustins Klagen des imaginierten Donatisten als realistisch (und damit als verwertbare Evidenz) ansehen darf, dann muss man feststellen, dass die Sanktionierung der Betroffenen eine schmerzhafte Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit zum Ergebnis hatte (und nicht etwa in erster Linie bedeutete, dass der donatistischen Kirche kein Geld mehr zufließen konnte). Wir sehen auch, dass die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen faktisch anscheinend keine allzu große Bedeutung hatten, denn es ist lediglich eine einzige Bestätigung überliefert, und alle Erwähnungen durch Augustin gehören in die Zeit vor der Collatio von 411. Damit ergibt sich ein plausibles Bild für die erbrechtlichen Sanktionen in der westlichen Reichshälfte: Ursprünglich von Theodosius I. eingeführt, um die für Manichäer charakteristischen Vermögensübergaben zu unterbinden, wurde diese Strafart aufgrund eines Einzelfalls, den die afrikanischen Bischöfe aufgriffen, in die Donatistengesetzgebung aufgenommen. Während bei den Manichäern eine zunehmende Verschärfung festzustellen ist, verharrt die Donatistenregelung auf der einmal erreichten Stufe, und zwar anscheinend deswegen, weil sowohl Kaiser als auch Bischöfe das Interesse an einer solchen Sanktionierung der Donatisten verloren und es daher zu keinen weiteren entsprechenden Regelungen (abgesehen von einer knappen Bestätigung) kam. Das nächste Kapitel behandelt eine östliche Häretikergruppe, die Eunomianer, für die uns unglücklicherweise weit weniger einschlägige Quellen zur Verfügung stehen. Daher wird viel Rekonstruktionsarbeit auf Grundlage der bislang kennengelernten Mechanismen und erzielten Ergebnisse zu leisten sein.

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Exkurse Zur Datierung des zweiten Buchs von Contra litteras Petiliani Die Datierung des zweiten Buchs von Contra litteras Petiliani ist umstritten. In seiner grundlegenden Studie zur Chronologie der wichtigsten augustinischen Werke hielt Hombert zwei Varianten für die Abfassung des zweiten Buchs für plausibel: 400/1 oder 403/4 (Hombert, S. 53–55, S. 189), wobei er keine Entscheidung trifft. Für das frühere Datum spricht, dass der römische Bischof Anastasius I. (der 401 verstarb) im Werk als lebend erwähnt wird, was aber möglicherweise nur auf die Zeitstufe des imaginierten Diskurses (nicht der Abfassung) zu beziehen ist. Die spätere Datierung würde hingegen zur Reihenfolge in den Retractationes (dem von Augustin selbst verfassten Werkverzeichnis) passen; zudem wurden inhaltliche Argumente vorgebracht (Hombert, S. 54 Anm. 124). Ich denke, dass man tatsächlich nicht um eine Spätdatierung herumkommt. Zu den vorgebrachten inhaltlichen Indizien möchte ich ergänzen: Augustin nennt die Donatisten im zweiten Buch mehrfach sehr brüsk Häretiker, was nicht seinem früheren Sprachgebrauch entspricht (etwa 2.36.84, nos sumus catholici … vos vero haeretici, »wir sind Katholiken, … ihr hingegen Häretiker!«; 2.66.148, quae utinam vos absorbeat: Haeretici non eritis, »Ach, würde sie [die Einheit Christi] euch doch verschlingen: Dann werdet ihr keine Häretiker mehr sein!«; 2.74.166, Quod ergo ad omnes vos pertinet: O miseri haeretici!, »Was also für euch alle gilt: Oh ihr erbärmlichen Häretiker!«). Wenn es richtig ist, c. Parm. – wo Augustin noch offenlässt, ob Donatisten Schismatiker oder Häretiker sind – an den Anfang des Jahres 404 zu setzen (→ S. 53063), dann kann c. Petil. 2 frühestens 404 entstanden sein. Die Passage 2.83.184 erwähnt die unlängst (nuper) erfolgte Wiedertaufe der achtzig Bauern durch Crispin (um 400) als etwas, was Augustin »immer noch« betrübt (quod ipse adhuc lugeo); trotz des vermeintlichen Widerspruchs zwischen nuper und adhuc (»vermeintlich« deswegen, weil nuper nicht unbedingt auf ganz rezente Ereignisse verweisen muss: → S. 468120) spricht die Formulierung doch eher für eine spätere Abfassung. In derselben Passage erwähnt Augustin auch, dass man sich »zum ersten Mal« gegen Optat auf das Zehnpfundgoldgesetz berufen hatte, was offenbar einen erneuten Einsatz impliziert. Ein solcher wird aber nicht erwähnt; obwohl der Name Crispin fällt, berichtet Augustin weder vom Überfall auf Possidius noch vom Prozess und erst recht nicht von Crispins Verurteilung. Mehr noch, im Zusammenhang mit

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donatisten

Crispin spricht Augustin von einer möglichen Ausweisung (→ S. 514), nicht aber von einer Anklage nach dem Zehnpfundgoldgesetz. Daher muss c. Petil. 2 in der Zeit vor der Verurteilung des Crispin entstanden sein, wobei die erwähnte »erste Anwendung« des Zehnpfundgoldgesetzes anzudeuten scheint, dass eine zweite bereits erfolgte. Da das Ergebnis noch zweifelhaft war, vermeidet es Augustin aber, darauf herumzureiten; freilich nennt er die Donatisten konsequent »Häretiker«, wie es der Tatbestand des Zehnpfundgoldgesetzes verlangt.

Aug. epist. Divj. 10 Zugegeben: Dieser Brief hat nicht einmal entfernt mit erbrechtlichen Sanktionen zu tun. Wenn wir ihn uns hier trotzdem näher ansehen, dann deswegen, weil sich darin viele Phänomene wiederfinden, die wir mit anderweitig gewonnenen Ergebnissen vergleichen können. Zudem musste so oft auf epist. Divj. 10 verwiesen werden, dass es allein schon aus Rücksichtnahme auf den Leser geboten ist, die relevante Passage im Kontext zu bieten. 137 Wir sind im Jahr 428 n. Chr. (Berrouard in Divjak 1987, S. 466–469). Dem römischen Nordafrika verbleibt noch ein Jahr, ehe die Vandalen die Straße von Gibraltar überschreiten werden. Auch die Lebensspanne des hochbetagten Augustin nähert sich nunmehr ihrem Ende, und diese letzten Jahre sind keineswegs sorgenfrei: Augustin grämt ein neues Phänomen, nämlich dass freie Menschen versklavt werden, sei es, dass man z. B. einsame Gutshöfe überfällt, die Männer tötet und die Frauen und Kinder verschleppt, sei es, dass man naive Opfer unter einem Vorwand in eine Falle lockt und dann entführt. Die Kirche von Hippo tut alles Menschenmögliche, um die Entführten zu retten. In diesem Zusammenhang hat Augustin eine Bitte an seinen alten Freund und ausgebildeten Juristen (Aug. conf. 6.8.13, 6.10.16) Alypius, der sich damals in Rom aufhält, wo mittlerweile der acht- oder neunjährige Valentinian III. herrscht: 3. … Mercatores autem si non essent, illa non fierent. Nec sane arbitror hoc Africae malum etiam illic ubi estis famam tacere; quod incomparabiliter longe minus fuit, quando tamen imperator Honorius ad praefectum Hadrianum legem dedit huius137 Der Divjak-Brief 10 gehört zu den neu entdeckten Augustin-Briefen, deren Editio

princeps im Jahr 1981 erfolgte. Dementsprechend schmal ist die Bibliografie, vgl. aber Lepelley, S. 369–374, sowie die Anmerkungen und Exkurse, die der Ausgabe Divjak 1987 beigegeben sind.

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modi cohibens mercaturas talisque impietatis negotiatores plumbo coercendos et proscribendos et in exilium perpetuum censuit esse mittendos; nec de his loquitur in ea lege, qui seductos depraedatosque emunt liberos, quod paene solum isti faciunt, sed generaliter de omnibus qui vendendas familias transferunt in provincias transmarinas; ita ut ea quoque mancipia fisco sociari iusserit, 138 quod utique nullo modo de liberis diceret. 3. … Gäbe es keine Händler, würden sich derlei Dinge nicht ereignen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch dort, wo ihr seid, das Hörensagen von dieser Pest Afrikas kündet. Die Situation war freilich unvergleichlich weniger problematisch, als Kaiser Honorius ein Gesetz an den Präfekten Hadrian schickte und derlei Geschäfte untersagte; er bestimmte, dass derart ruchlose Händler mit der Bleigeißel zu züchtigen, zu enteignen und in ewige Verbannung zu schicken seien. Allerdings spricht er in diesem Gesetz nicht über solche Händler, die übertölpelte bzw. gekidnappte Freie kaufen – was jene Leute ja fast ausschließlich tun –, sondern ganz allgemein über sämtliche Händler, die zum Verkauf stehende Sklaven in überseeische Provinzen überführen. Daher sagt er auch, dass diese Sklaven dem Fiskus zu übereignen seien, was er natürlich keinesfalls mit Bezug auf Freie sagen würde. 4. Hanc legem subiunxi huic commonitorio meo, quamvis et Romae facilius possit forsitan inveniri; utilis est enim et huic pestilentiae posset mederi, sed in tantum ea nos uti coepimus, in quantum sufficit ad homines liberandos, non ad illos mercatores, propter quos tot et tanta scelera perpetrantur, tali poena coercendos. Terremus enim, quos possumus, ista lege nec plectimus, quin etiam metuimus, ne forte alii eos homines licet detestabiles atque damnabiles a nobis deprehensos ad poenam per hanc legem debitam trahant. 4. Ich habe dieses Gesetz meinem Schreiben beigefügt, obwohl es sich vielleicht auch in Rom ohne größere Probleme auffinden lassen sollte. Es ist nützlich und könnte dieser Pest abhelfen, aber wir haben es nur insoweit einzusetzen begonnen, als es bei der Befreiung von Menschen helfen kann, nicht aber, um jene Händler, deretwegen es zu solch monströsen Freveln kommt, mit der vorgeschriebenen Züchtigung zu bestrafen. Denn mit jenem Gesetz jagen wir denjenigen, bei denen es funktioniert, Furcht ein, aber wir bestrafen sie nicht; mehr noch: Wir haben sogar Angst, dass vielleicht Dritte diese zugegebenermaßen abscheulichen und widerwärtigen Menschen, nachdem sie von uns ergriffen wurden, der durch dieses Gesetz vorgeschriebenen Strafe zuführen könnten. Unde ad hoc magis ista scribo Beatitudini Tuae, ut constituatur, si fieri potest, a piissimis Christianisque principibus, ne ad periculum damnationis, quae hac lege definita est, maximeque ad plumbi coercitionem, unde homines facile moriuntur, isti perveniant, quando per ecclesiam ab eis homines liberantur; et necesse est ad eosdem 138 Bei dem nach iusserit überlieferten vindicari handelt es sich wohl um eine Glosse, die

in den Text rutschte.

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donatisten comprimendos hanc legem in publicum fortasse proferri, ne nobis haec metuendo cessantibus transportentur miseri liberi in perpetuam servitutem … Daher schreibe ich diese Zeilen an Deine Beatitude in erster Linie zu folgendem Zweck: Unsere höchst frommen und christlichen Kaiser mögen verordnen (sofern sich das machen lässt), dass jene [Händler], wann immer die Kirche Menschen aus ihren Händen befreit, nicht Gefahr laufen, zu der durch dieses Gesetz festgelegten Strafe verurteilt zu werden, und vor allem nicht zur Züchtigung mit der Bleigeißel, einer Strafe, bei der Menschen leicht ums Leben kommen. Ferner muss man, um ihnen [den Händlern] Einhalt zu gebieten, dieses Gesetz vielleicht öffentlich bekannt machen, damit nicht wir aus Furcht vor dem Geschilderten unser Wirken einstellen und infolgedessen bemitleidenswerte Freie in ewige Knechtschaft verschifft werden …

Augustin will also die Sklavenjagd abstellen, indem er die verantwortlichen Hintermänner, d. h. die Händler, angeht; die Kriminellen, die unmittelbar den Nachschub für den Menschenhandel durch Entführung oder Überlistung beschaffen, erwähnt er zwar ausführlich in seinem Brief, sagt aber kein Wort zu ihrer Strafbarkeit, sei es, weil sie sich von selbst versteht, sei es, weil eine effektive Lösung nur erreicht werden kann, wenn man sich an die Spitze der Verbrecherpyramide hält. Dies erinnert an den Ansatz der Augustin-Partei beim Konzil von Karthago 404, als Augustin eine verschuldensunabhängige Strafbarkeit donatistischer Bischöfe erreichen wollte, sofern es auf deren Territorium zu Gewaltakten gegen Katholiken gekommen war (→ S. 526). Augustin berichtet ausführlich von einem Gesetz, das Honorius an den Prätoriumspräfekten Hadrian richtete. Das Gesetz wurde entweder während der Jahre 401–405 oder 413–414 erlassen, denn in diesen Zeiträumen amtierte Hadrian als Prätoriumspräfekt (PLRE I, S. 406 s. v. Hadrianus 2). Augustin sagt, dass damals die Situation »unvergleichlich« besser war; ein schönes Beispiel dafür, wie Gesetze altern und sich ihre Geltung verflüchtigt (→ S. 128), denn offensichtlich wurde die Konstitution nie aufgehoben. Wir besitzen sonst keinerlei Kenntnis von diesem Gesetz, was ein durchaus bedeutsamer Befund ist. Denn zum Zeitpunkt der Kompilation des Codex Theodosianus war es halbwegs rezent, was die Auffindung durch die Redakteure hätte erleichtern sollen. Augustin hat ein Exemplar und geht davon aus, dass der Text auch in Rom ohne Weiteres beizubringen sein müsste, d. h., die Konstitution ist nicht obskur (gleichwohl ist es bezeichnend, dass Augustin sicherheitshalber – oder aus Gründen der Leserfreundlichkeit – doch eine Abschrift mitschickt). Ein Exzerpt dieses Gesetzes wäre wohl kaum in eines der ersten fünf Bücher des Codex Theodosianus einsortiert worden, d. h., das Fehlen eines entsprechenden Fragments lässt sich auch nicht auf einen späteren Aus-

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fall zurückführen. Man wird die Absenz dieser Regelung je nach eigener Sichtweise der Kompilation erklären: Mancher wird dies womöglich als Indiz für die Ansicht nehmen, wonach die Zusammenstellung erhebliche regelwidrige Lücken aufweist. Andererseits kann es ohne Weiteres sein, dass die Kompilatoren Zweifel an der generalitas des Texts hatten (→ S. 206); ohne den Wortlaut dieser verlorenen Konstitution wird man über Spekulationen nicht hinauskommen. Auch ist interessant zu sehen, wie sorgfältig Augustin ein Gesetz lesen kann, wenn er will; dies kontrastiert auffällig mit der Art und Weise, wie er etwa den Inhalt des Zehnpfundgoldgesetzes tendenziös gegenüber Donatisten darstellt (→ S. 52556). Was hingegen genau seinem Vorgehen beim Zehnpfundgoldgesetz entspricht, ist die kreative Anwendung eines nur teilweise einschlägigen Gesetzes. Honorius’ Gesetz richtet sich gegen den Verkauf tatsächlicher Sklaven in überseeische Provinzen und bedroht Gesetzesbrecher mit schwerster Strafe; Augustin benutzt es, um gekidnappte Freie zu retten. Augustins kategorische Ablehnung der Todesstrafe ist umfassend belegt (→ S. 505). Gleichwohl ist es bemerkenswert, dass er hier sogar die formale Abschaffung einer Strafe wünscht, die eigentlich gar nicht als Hinrichtung intendiert ist. Auch die Tatsache, dass sich jemand vor Ort in Italien persönlich für ein neues Gesetz beim Kaiser einsetzen soll, ist nur eine weitere Illustration eines vertrauten Prinzips, das uns in diesem Kapitel mehrfach begegnete. Wir wissen nicht sicher, was weiter aus der Geschichte wurde. Es könnte aber sein, dass Alypius tatsächlich die von Augustin erwünschte Änderung erlangt hat: 23 Jahre später, am 31. Januar 451, erließ Kaiser Valentinian III. ein Gesetz (Nov. Val. 33) nach einer Hungersnot in Italien, die so dramatisch war, dass viele ihre freigeborenen Kinder als Sklaven verkauft hatten. In dem langen Text regelt er, dass diese Verkäufe rückabgewickelt werden müssen, wobei die Käufer allerdings als Entschädigung einen Bonus von 20 % auf ihren ursprünglichen Kaufpreis erhalten sollen. Am Ende, direkt vor dem Publikationsbefehl, findet sich dann: Si quis sane barbaris venditionem prohibitam fecerit vel emptum ingenuum ad transmarina transtulerit, sciat se sex auri uncias fisci viribus illaturum, »Wenn aber jemand illegalerweise an Barbaren verkauft hat oder einen gekauften Freien nach Übersee verbrachte, so soll er wissen, dass er sechs Unzen Gold an den Fiskus zahlen wird«. Vielleicht hat Valentinian III. hier eine Regelung aus einer älteren, für uns verlorenen Konstitution übernommen: Ein Indiz dafür ist der typisch afrikanische Ausdruck transmarina, »Übersee« (vgl. Blaise s. v. transmarinus), den auch Augustin gebraucht hat. Wäre dem so, dann sähe man hier den Wunsch Augustins nach einer gewaltfreien Strafe verwirklicht (Lepelley, S. 372).

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Die Chronologie der Schriften Augustins Die Chronologie der Schriften Augustins ist weitaus problematischer, als es vielfach den Anschein hat. In der Literatur werden regelmäßig Entstehungszeiten für die einzelnen Werke angegeben, leider aber üblicherweise ohne Argument und ohne Verweis auf den Urheber des Vorschlags. Manchmal ist es sehr schwer (oder gar unmöglich) nachzuvollziehen, wie es zu einer bestimmten Angabe kommt. Und wenn es doch gelingt, den Ursprung einer Datierung (die in vielen Lexikonartikeln oder Beiträgen so selbstverständlich angegeben wird, als sei sie in Erz gegraben) auszumachen, stellt man mitunter fest, dass der vorgeblich so sicheren Zahl eine Assoziation, ein schwacher Bezug oder ein wenig überzeugender e-silentio-Schluss zugrunde liegt. In vielen Fällen basiert die Argumentation auf einem Synchronismus zwischen Schriften, die enge sprachliche und inhaltliche Zusammenhänge aufweisen. Das Verfahren scheint mir methodisch nicht unproblematisch. Wer heute als Wissenschaftler einen Vortrag zu einem bestimmten Thema halten muss, greift doch dabei unter Umständen auf eine Publikation zurück, die er Jahre früher veröffentlicht hat, liest diese noch einmal durch und lässt sich dann auch beim Vortrag von den alten Gedanken und Formulierungen inspirieren – wie sollte man das bei Augustin, wenn er eine Predigt hält, ausschließen können? In sehr vielen Fällen stellen Fixdaten aus dem Codex Theodosianus oder den afrikanischen Konzilien die Termini dar, nach denen dann datiert wird. Aufgrund der notorischen chronologischen Probleme der im Codex Theodosianus überlieferten Fragmente ist die zugrunde liegende Basis damit leider durchaus sandig. Das Hauptproblem freilich besteht im Auffinden der Argumentation, und manchmal endet selbst engagiertes Stöbern irgendwann in der Aporie: Für den Protestbrief des Augustin an Bischof Crispin werden ganz unterschiedliche Datierungen in der Literatur angegeben; für die meisten Vorschläge gelang es mir weder Begründungen noch Quellen aufzuspüren (→ S. 51228). Für sermo 162A hingegen geben alle Autoren dasselbe Datum an; macht man sich die Mühe, den Verweisketten zu folgen, landet man irgendwann stets bei demselben Ursprung, nämlich Morin – der seine Datierung aber nirgends begründet und dessen Beweggründe man also erraten muss (→ S. 51535). Dem Suchenden empfehle ich grundsätzlich folgendes Vorgehen: Für die sermones bietet Kunzelmann mit Argumenten begründete Vorschläge, die vielfach die (nicht angegebene) Quelle späterer Autoren sind. Ebenfalls für die sermones sammelt Verbraken sämtliche Vorschläge, allerdings ohne Seitenangaben. Er listet dabei unkommentiert auch die sicher falschen Ideen

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605

sowie die Angaben ohne weiteres Argument, die sich folglich einer wissenschaftlichen Diskussion entziehen (man kann allenfalls den Versuch unternehmen, Spekulationen über die mutmaßliche Beweisführung anzustellen). Nichtsdestoweniger ist dieses Buch nützlich, um die verschiedenen Vorschläge schnell aufzufinden. Erst unlängst hat Tholen (S. 31–40) die Datierungen der antidonatistischen Predigten übersichtlich zusammengestellt. Für die großen Werke Augustins (jedenfalls für die Periode, die dieses Kapitel behandelt) steht das neue und sorgfältig recherchierte Buch von Hombert zur Verfügung, worin auch alte Forschungsmeinungen zitiert und diskutiert werden. Neben den Werken diskutiert er auch einige Predigten (sowie eine Handvoll Briefe). Für die Psalmen- und Johannespredigten (Enarrationes und Traktate) stellt La Bonnardière eine gleichermaßen gute Studie dar (zur Chronologie der Enarrationes gibt es zudem eine Artikelserie von Rondet, die zwischen 1960 und 1976 im Bulletin de littérature ecclésiastique erschien). Am problematischsten sind die Briefe. Den besten Einstieg erlaubt Goldbacher, S. 12–63, der stets seine Datierungen begründet. Divjak (1996–2002, Sp. 1027–1036) bietet eine Übersichtstabelle zu den Briefen mit ihrer jeweiligen (oft auf neueren Argumenten basierenden) Datierung – leider ohne Referenz, woher diese Angaben stammen. Diese Information wird mitunter in seinem ausführlichen Überblick über die einzelnen Briefe ergänzt, jedoch nicht immer.

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Zeittafel Diese Übersicht fasst meine Rekonstruktion zusammen. Nota bene: Nicht fettgedruckte Monatsangeben sind lediglich indikativ! (1)

Ende 403

Augustin verwendet zum ersten Mal »Häresie« im Zusammenhang mit Donatisten in einem offiziellen Kontext (2) Anfang 404 (Januar?) Überfall auf Possidius (3) Anfang 404 (Februar?) c. Parm.; darin lässt Augustin konsequent offen, ob Donatisten Schismatiker oder Häretiker sind (4) März 404 c. Petil., 2. Buch; ab jetzt nennt Augustin Donatisten nur noch Häretiker (5) April 404 Prokonsulare Verurteilung Crispins; Berufung beim Kaiser (6) Juni 404 Afrikanisches Konzil schickt Gesandte zum Kaiser (7) Juli 404 Crispin-Reskript trifft ein; Bitte der Katholiken um Straferlass an Kaiser (8a) November 404 Honorius schickt Urversion von CTh. 16.6.4 ab (8b) Dezember 404 Honorius erlässt Strafe (relative Chronologie von 8a/b unklar) (9a) Februar 405 Honorius schickt Einheitsedikt ab (9b) Februar 405 Die Urversion von CTh. 16.6.4 trifft in Afrika ein (9c) März 405 Die Crispin-Begnadigung trifft in Afrika ein (relative Chronologie von 9a/b/c unklar) (10) Mai 405 c. Cresc. (11) Juni 405 Einheitsedikt wird in Afrika proponiert Die Ereignisse 6 (→ S. 526), 9a (→ S. 544) und 11 (→ S. 570) sind absolut datiert, ebenso 8b, wenn man meine Korrektur akzeptiert (→ S. 567). Durch den Zusammenhang mit dem Konzil von 403 sind die Ereignisse 1 (bald danach, → S. 52349) und 2 (noch ein paar Monate später, → S. 51431) ungefähr datierbar. Was die Augustinwerke angeht, so gehört 3 (c. Parm., → S. 53063) in die Nähe der Neujahrspredigt von 404; da bereits das Zehnpfundgoldgesetz vorkommt, läuft wohl schon die Klage gegen Crispin bzw. steht unmittelbar bevor; 4 (c. Petil., 2. Buch, → S. 599) gehört nach c. Parm, weiß aber noch nichts von der prokonsularen Verurteilung Crispins; in 10 (c. Cresc., → S. 566) ist die Urversion von CTh. 16.6.4 »brandneu«, das Einheitsedikt hingegen noch unbekannt. Fünf Monate sind eine plausible Spanne für die Zeit von der Absendung einer Petition bis zu ihrem Bescheid (→ S. 566). Zurückgerechnet von 8b kommt man so auf 7 (unter der Annahme, dass die Bitte um Straferlass umgehend nach dem Eintreffen des Kaiserreskripts erfolgte). Noch einmal fünf Monate zurück würde auf den Februar 404 als Abschätzung von 5 führen; ich habe dennoch den April 404 in der Zeittafel angegeben, um die korrekte relative Abfolge beizubehalten. Ein Rundungs-

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fehler von zwei Monaten nach den zahlreichen unvermeidbaren Schätzungen ist jedenfalls akzeptabel (legte man jeweils vier statt fünf Monate zugrunde, wäre 7 im August und 5 im April; immerhin basiert die Schätzung von fünf Monaten lediglich auf einem einzigen konkreten Wert, ist also wirklich nur sehr approximativ). Wiederum unter Annahme von fünf Monaten zwischen Petition und Bescheid ergibt sich aus 6 die Abschätzung von 8a. Freilich ist der Wert von fünf Monaten zu ungenau, um ein relatives Verhältnis zwischen 8a (Mitte November?) und 8b (8. Dezember) angeben zu können. Die Crispin-Begnadigung aus dem Dezember 404 müsste (ausgehend von typischen Laufzeiten im Winter, → S. 569108) im März 405 in Afrika angekommen sein (9c), die Urversion von CTh. 16.6.4 dementsprechend vielleicht etwas früher (9b). Theoretisch könnte das sogar gewesen sein, ehe Honorius im fernen Ravenna das Einheitsedikt abgeschickt hatte; wiederum ist die relative Chronologie nicht bestimmbar. Jedenfalls kann die Urversion von CTh. 16.6.4 nicht sehr viel später eingetroffen sein, weil sonst keine Spanne mit diesem Gesetz, aber ohne Einheitsedikt (wie in c. Cresc. vorausgesetzt, → S. 566) existieren könnte.

V

eunomianer Diejenigen heterodoxen Gruppen, die wir bislang betrachtet haben, sind vor allem aus Nordafrika bekannt. Dort gelang es, zumal mithilfe der zahlreichen Schriften Augustins einen detaillierten Hintergrund zu zeichnen, dank dem sich die erbrechtlichen Sanktionen einordnen und verstehen ließen. Die dritte Gruppe, die wir uns nun ansehen, ist eine rein östliche Gemeinschaft, deren Aktivität zudem auf wenige Jahrzehnte konzentriert ist (was die Armut an direkt einschlägigen Quellen zur rechtlichen Situation erklären mag). Ich will diese Gruppe im Weiteren »Eunomianer« nennen, obgleich es sich dabei um ein abwertendes Exonym handelt, das zudem sachlich ungenau ist, denn vor und etliche Jahre neben Eunomios sah die gleiche Gruppe Eunomios’ Lehrer Aetios als maßgeblich an; die damaligen Angehörigen dieser Gruppe kann man offensichtlich nicht mit gutem Recht als Eunomianer bezeichnen. Die orthodoxen Kirchenschriftsteller sprechen mitunter auch von »Anhomöern«, was seinerseits freilich nicht ganz präzise ist (Albertz, S. 209). Die Forschungsliteratur zieht oft die moderne Bildung »Jung-Arianer« bzw. »Neo-Arians« (Albertz, Kopecek) vor. Doch die in den Quellen weitaus vorherrschende Bezeichnung ist »Eunomianer«, und auch der Codex Theodosianus verwendet diesen Begriff durchgehend. Daher sei an dieser Bezeichnung festgehalten; mit Sozomenos (6.26.14) stelle ich fest, dass die Priorität eigentlich Aetios zukäme; das ändert aber nichts daran, dass »Eunomianer« der eingeführte Name ist. 1 Die Eunomianer vertraten eine Ansicht, die moderne Forscher oft einen »radikalen Arianismus« genannt haben (dazu gleich mehr). Die zentrale Vorstellung ist, dass die Agennesie das Wesen Gottes ausmacht; da Jesus Christus aber fraglos »geworden« ist (so hatte es schließlich auch das Konzil von Nikaia im Glaubensbekenntnis formuliert), muss er ihm notwendigerweise unähnlich sein. 2 Dieses Argument wurde über zahlreiche weitere Syl1

2

Um auch in diesem Kapitel Augustin zu Wort kommen zu lassen: Aug. haer. 54: Aetiani ab Aetio sunt vocati, idemque Eunomiani ab Eunomio Aetii discipulo, in quo nomine magis innotuerunt, »Sie heißen Aetianer nach Aetios und ebenso Eunomianer nach Eunomios (einem Schüler des Aetios); unter letzterem Namen sind sie besser bekannt«. Die orthodoxe Position besteht darin, streng zwischen »Wesen« und »Person« des Vaters zu unterscheiden und das »ungeworden« allein für die Person zuzulassen, während prinzipiell keinerlei Aussagen über das Wesen Gottes möglich sind; das entzieht Eunomios’ Argument das Fundament. Insofern ist die Frage, ob sich Aus-

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eunomianer

logismen zu einem in sich konsistenten System weitergesponnen. Charakteristisch für Eunomios ist der außerordentlich hohe intellektuelle Standard seiner Schlussfolgerungen. 3 Wir sind für diese Beurteilung nicht auf die entsprechende Einschätzung seiner orthodoxen Gegner angewiesen (vgl. z. B. Soz. 6.26.3, 7.6.2, sowie Destephen, S. 304 f.), sondern können auch eine Menge Text von ihm im Original lesen (gesammelt bei Vaggione 1987) und uns somit von seinen Fähigkeiten aus erster Hand überzeugen. Obwohl die Sekte selbst nur ein paar Jahrzehnte existierte, war ihr Nachleben insofern bedeutsam, als die wichtigsten zeitgenössischen Theologen gegen sie anschrieben in Werken, die klassisch werden sollten. 4 Wir müssen hier kurz den nicht unproblematischen Arianerbegriff diskutieren; 5 da uns im Weiteren öfters Eunomianer (»Jungarianer«) in Interaktion mit der als »Arianer« bezeichneten Gruppe begegnen, ist dies unerlässlich. Bekanntlich wurden bereits zu Zeiten Kaiser Konstantins die Ansichten des alexandrinischen Presbyters Areios auf dem großen Konzil von Nikaia verurteilt. Areios galt damit den Folgegenerationen als eine Art Schreckgespenst: Was mit Areios zu tun hatte, war anerkanntermaßen verkehrt. Fremde Ansichten, die man selbst als unorthodox ansah – auch wenn die entsprechende Lehrmeinung womöglich so gut wie gar nichts gemein hatte mit dem, was Areios selbst vertreten hatte –, wertete man als »arianisch« ab. »Arianer« wurde zum polemischen Kampfbegriff nizänischer Theologen gegen alles, was ihnen vom nizänischen Bekenntnis abzuweichen schien. Im späteren 4. Jahrhundert blieb aus unerfindlichen Gründen das Etikett »Arianer« an einer ganz bestimmten Gruppe kleben, die man – um einen neutraleren Be-

3

4

5

sagen über das Wesen Gottes machen lassen, ein weiterer wichtiger Streitpunkt zwischen den Orthodoxen und Eunomios (laut dem sehr wohl eine sichere Gotterkenntnis durch den Menschen möglich ist). Vgl. Vaggione, S. 246–254. Ritter, S. 527: »Kein Zweifel, daß das … Schrifttum des Eunomius die scharfsinnigste Kritik am nizänischen Dogma aus dem Bereich der gesamten alten Kirche enthält«. Albertz, S. 208: »angesichts der Tatsache, daß die Koryphäen der orthodoxen Theologenschulen am Ende des 4. Jahrhunderts ihre Sätze über die eigentliche Theologie im Gegensatze zu Eunomius ausgebildet haben, darf wenigstens der negative Einfluß der Gruppe auf die klassische Trinitätslehre als nicht gering angesehen werden«. Eine Übersicht von Werken gegen die Eunomianer bietet Spanneut, Sp. 1403–1405. Vgl. auch → S. 61715. Dass »Arianer« ein polemisches Exonym für eine bestimmte Gruppe ist, die ihrerseits nichts mit den Ansichten des Areios zu tun hatte, hat Brennecke in zahlreichen Arbeiten betont, vgl. etwa Brennecke 2008, S. 125–134, oder seine Abschiedsvorlesung Brennecke 2014.

arianerbegriff

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griff zu gebrauchen – als Homöer bezeichnen kann. Zur Vermeidung bibelfremder (und damit zu Polemik einladender) Begrifflichkeiten zur Charakterisierung des Vater-Sohn-Verhältnisses zogen sich die Homöer zur Beschreibung des Sohns im Verhältnis zum Vater auf die nichtssagende Formel ὅμοιος κατὰ τὰς γραφάς zurück, also »gleich entsprechend den Schriften«, was bedeuten soll, dass er ihm insofern gleich ist, wie sich dies der Schrift entnehmen lässt. Unter den Kaisern Konstantius II. und Valens gaben homöisch denkende Theologen den Ton bei Hof an. Zu einer außerhalb der Orthodoxie stehenden, dabei zugleich wohldefinierten Gruppe wurden die Homöer erst unter Theodosius I., als der nizänische Kaiser sie als Häretiker (auch unter Zuhilfenahme der Gesetzgebung) ausgrenzte, und sich die Homöer als Reaktion darauf zu einer Kirche mit eigener Organisation formierten. Obwohl diese Homöer in den Quellen zumeist (in den juristischen Quellen: fast ausschließlich) als »Arianer« erscheinen, hatten ihre Ansichten herzlich wenig Überschneidungen mit denen des Areios, der ja den Sohn als vom Vater geschaffen angesehen hatte. Die sogenannten »Arianer« hatten also objektiv nichts mit Areios zu tun und beriefen sich subjektiv in keiner Weise auf ihn – »Arianer« ist nichts anderes als ein polemisches Exonym. Ganz anders – aber nicht weniger verwirrend – ist die Situation bei den Eunomianern. Die Eunomianer sind – mit ihrer Betonung des Gewordenseins des Sohns und der einzigartigen Agennesie des Vaters – gar nicht so weit weg von dem, was Areios einst vertreten hatte. Freilich beriefen sich die Eunomianer nicht auf Areios (und unterschieden sich hinsichtlich der Möglichkeit der Gotterkenntnis massiv von ihm: Philostorg. 2.3). Der Name Jungarianer (o. ä.) für die Eunomianer ist ausschließlich eine interpretative Bezeichnung der modernen Religionsgeschichte, nicht etwa eine Eigenbezeichnung, und auch nicht antike Polemik. Die neutraleren (antiken) Exonyme »Homöer« und »Anhomöer« deuten bereits an, dass sich die sogenannten »Arianer« und die sogenannten »Jungarianer« durchaus konfrontativ gegenüberstanden. Niemals werden Homöer und Anhomöer in den Quellen verwechselt, und auch in der Polemik ihrer Gegner stets auseinandergehalten. Doch dazu später mehr (→ S. 629). Die Anfänge der Anhomöer liegen in den 350er Jahren. 6 Ereignisreich und entscheidend ist das Jahr 360, in dem eine homöisch dominierte Synode in 6

Die beste Geschichte der Eunomianer ist der lange Aufsatz von Albertz, der leider nur begrenzte Rezeption erfährt. Manches, was für neu entdeckte Evidenz gehalten wird (vgl. Van Nuffelen 2011, S. 311 f. mit Anm. 36; Roques in Garzya/Roques II, S. 91), hat Albertz bereits ein Jahrhundert zuvor verwertet und eingearbeitet (vgl.

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eunomianer

Konstantinopel den Aetios exkommunizierte 7 (wohl um sich klar von seinen durchaus radikalen Ansichten abzugrenzen), den zudem der Kaiser exilierte. Im selben Jahr wurde der Homöer Eudoxios Patriarch von Konstantinopel und weihte, immer noch im gleichen Jahr 360, Eunomios zum Bischof von Kyzikos. Zu diesem Zeitpunkt erschien also Eunomios dem Eudoxios als integrierbar (oder die Weihe erfolgte aus persönlichen Motiven: Brennecke 1988, S. 63), Aetios hingegen als zu radikal. Doch Eunomios selbst verortete sich anders: Er sah sich in jeder Hinsicht auf einer Linie mit dem verbannten Aetios (aber vgl. Theodoret. hist. eccl. 2.29.1). Bedeutung erlangte die Gruppe um Aetios und Eunomios unter Kaiser Julian, der den Aetios schon aus früherer Zeit kannte (Philostorg. 3.27), ihn aus der Verbannung zurückrief (Philostorg. 6.7) und sogar mit einem Landgut beschenkte (Philostorg. 9.4). Unter dem Apostaten wurden Aetios und weitere Männer aus seiner Gruppierung zu Bischöfen geweiht (Philostorg. 7.6), damals noch innerhalb der Reichskirche. Erst unter Jovian kam es zu zahlreichen eigenen eunomianischen Bischofsweihen (Philostorg. 8.2); unter den neuen eunomianischen Bischöfen befanden sich sogar zwei Verwandte des Kaisers (Philostorg. 8.6). Man hat die kurze Herrschaft Jovians als den Höhepunkt der kirchlichen Entwicklung der Eunomianer angesehen (Albertz, S. 232). Während es zunächst noch konziliante Stimmen in der Reichskirche gab (Albertz, S. 231, S. 237), kam es bald darauf zum endgültigen Bruch zwischen Homöern und Eunomianern (→ S. 629). Aufgrund der Kontakte zwischen Eunomios und dem Usurpator Prokop (Philostorg. 9.6–8) folgte auf dessen Niederlage (366) die erste von zahlreichen Exilierungen des Eunomios. 8 Aetios verstarb ungefähr um diese Zeit,

7 8

Albertz, S. 259 Anm. 4 sowie 5). Wichtig ist der umfangreiche und durch seine Materialsammlung beeindruckende PCBE-Artikel zu Eunomios von Destephen (der allerdings nicht immer zuverlässig in der Quellenverwertung ist, so z. B. S. 308: die Passage mit Eunuchen in der Basilios-Homilie betrifft die Pneumatomachen, nicht die Eunomianer; S. 309: der Epiphanios-Verweis führt zur unechten Anakephalaiosis, nicht zu authentischem Epiphanios-Text; S. 327: dass Eunomianer explizit Militärdienst leisten mussten, finde ich in keinem der von Destephen zitierten Gesetze, wahrscheinlich handelt es sich um ein Missverständnis im Zusammenhang mit dem primipili munus, → S. 681120). Die zweibändige »History of Neo-Arianism« von Kopecek bricht (trotz des Titels) mit dem Tod von Eunomios ab. Im Buch von Vaggione finden sich zahlreiche eigenwillige Datierungen und Interpretationen, die oft nicht hinreichend begründet werden. Philostorg. 4.12 mit 4.12b; vgl. Theodoret. hist. eccl. 2.28. Philostorg. 9.8, nach Mauretanien (wohin er allerdings nie gelangte, da er bereits in Mursa umkehren durfte, wo ihn die Nachricht des Straferlasses erreichte); Philo-

geschichte

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wobei die Chronologie nicht genauer bestimmbar ist. Für die Folgezeit werden die Nachrichten über die Eunomianer, die unter Valens anscheinend zwar nicht verfolgt (auch nicht nach der Niederlage Prokops), aber auch nicht gefördert wurden, spärlicher. Obwohl wir dem Schicksal der Eunomianer nicht im Einzelnen folgen können, so steht doch fest, dass sich nach Valens’ Tod die Situation unter der Regierung Gratians und vor allem Theodosius’ I. erheblich verschlechterte. 379 oder 380 traten mehrere eunomianische Bischöfe, darunter Eunomios selbst (dem offenbar inzwischen die Verbannung erlassen worden war), in Antiocheia zusammen (Philostorg. 9.18). »Es ist die letzte uns bekannte Synode der Jung-Arianer. … Es ist charakteristisch für die Wucht der folgenden Ereignisse – freilich auch für die Mangelhaftigkeit unserer Überlieferung –, daß für uns all diese Männer außer Eunomius von nun ab aus der Geschichte verschwinden, ohne daß wir von ihrer Ersetzung etwas erfahren« (Albertz, S. 248). 381 werden eunomianische Versammlungen verboten und Übertreter aus den Städten verbannt; in Konstantinopel scheint dies tatsächlich in die Tat umgesetzt worden zu sein (CTh. 16.5.6 vom 10. Januar 381 mit Philostorg. 9.19). Eunomios nimmt 383 am sogenannten »Konzil aller Häresien« (→ S. 461) teil (Socr. 5.10.24; Soz. 7.12.9; nicht in den erhaltenen PhilostorgFragmenten erwähnt). Danach, in der Zeit zwischen Mitte 383 und Ende 387, 9

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storg. 9.11, auf die Insel Naxos; Philostorg. 10.6, eigentlich nach Halmyris, dann stattdessen nach Dakora auf dem Territorium von Caesarea. Die aus Philostorg gewonnenen Termini für Eunomios’ Verbannung (geschildert in Philostorg. 10.6) sind die Erhebung des Arkadius zum Augustus (19. Januar 383, Philostorg. 10.5) und die Heirat Theodosius’ I. mit Galla (spätestens 387, Philostorg. 10.7). Da Eunomios am »Konzil aller Häresien« teilnahm und dieses im Juni 383 stattfand (Socr. 5.10.24, 5.10.5 f.), können wir den Terminus post quem noch ein paar Monate nach vorn schieben. Man setzt die Verbannung des Eunomios oft noch ins Jahr 383 (so Destephen, S. 324; Prieur, S. 180; das zugrunde liegende Argument stammt von Jeep, S. 56 f., der allerdings vorsichtiger Juli 383 bis Anfang 385 angibt), und zwar wegen CTh. 16.5.11 (25. Juli 383), wonach ein Übertreter des Versammlungsverbots (das auch für Eunomianer galt) communi omnium bonorum conspiratione pellatur (→ S. 347), und Socr. 5.20.4 sowie Soz. 7.17.1 (laut Sokrates und Sozomenos wurde Eunomios wegen illegaler Versammlungen verbannt, nicht wegen der Eunuchenaffäre). Aber bekanntlich gibt es genug Fälle, in denen kaiserliche Gesetze nicht sofort zur Anwendung kommen; insofern ist dieses Argument nicht zwingend, und man sollte besser bei der Spanne Mitte 383 bis Ende 387 bleiben. Vaggione (S. 356) setzt die Verbannung des Eunomios erst ins Jahr 389, und zwar anscheinend nur deshalb, weil er die Kämmerer von Philostorg. 10.6 mit den spadones von CTh. 16.5.17 gleichsetzt (→ S. 637). Wenn dem so wäre, hätte man hier das einzige Beispiel dafür, dass die Photios-Exzerpte aus Philostorg nicht streng chronologisch an-

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wird er wiederum verbannt (Socr. 5.20.4; Soz. 7.17.1; Philostorg. 10.6). Als Ziel war eigentlich Halmyris vorgesehen, das aber just damals die Barbaren eingenommen hatten. So schickte man ihn stattdessen nach Caesarea in Kappadokien, wo er in Dakora (vgl. Hild/Restle, S. 192) – einem unselbständigen Dorf auf dem Territorium von Caesarea (Soz. 7.17.1) – lebte. In der Folgezeit hören wir fast nichts mehr über Eunomios; er starb wohl im Jahr 394 (Albertz, S. 265 Anm. 7). 395 oder bald danach wurden seine sterblichen Überreste nach Tyana überführt (Philostorg. 11.5). 10 Informationen zur Ge-

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geordnet sind, was sie allerdings sonst in allen anderweitig nachprüfbaren Fällen sind. Da Vaggione dieses Problem gar nicht anspricht und zudem sein eigentliches Argument recht schwach ist (immerhin geht es in Philostorg. 10.6 um eine Vertreibung, in CTh. 16.5.17 um erbrechtliche Sanktionen; die können andere Eunuchen betreffen oder dieselben Eunuchen mit vielen Jahren Verspätung), überzeugt sein Ansatz nicht. Man hat noch die Angabe von Soz. 7.17.1, dass Eunomios οὐ πολλῷ ὕστερον τῆς φυγῆς, »nicht lange nach seiner Verbannung«, starb (von Vaggione nicht zitiert), was eher auf ein späteres Verbannungsdatum als ein frühes hinzuweisen scheint. Freilich ist die Angabe zu ungenau für eine Auswertung, und selbst beim Extremwert 387 oder der Vaggione-Idee 389 entspräche »nicht viel später« fünf bis sieben Jahren beim Todesjahr 394. (Vaggione käme übrigens bei seinem eigenen, idiosynkratischen Todesjahrvorschlag von 396 wiederum auf sieben Jahre.) Nach Vaggione (S. 359) wurde nicht die Leiche, sondern der noch lebende Eunomios nach Tyana verbracht. Tatsächlich spricht Philostorg. 11.5 davon, dass »Eunomios« transferiert wird, aber bereits der anschließende Satz erklärt, dass dies geschah, weil Eutrop Eunomios’ Leiche kein gemeinsames Grab mit dem Lehrmeister vergönnte. Vaggione kommt zu seinem Ergebnis, weil er CTh. 16.5.31 f. (Verbannung von Eunomianern aus Städten) unmittelbar auf Eunomios bezieht. Aber Eunomios lebte ohnehin nicht im Zentralort, d. h. der Stadt Caesarea, sondern in der Siedlung Dakora; und Tyana war Zentralort einer Polis. Vor allem aber stirbt Eunomios laut Sozomenos (7.17.1) in Dakora, sodass also nur noch eine Leiche ins ferne Tyana überführt werden konnte (Vaggione, S. 359 Anm. 280, will die Stelle mit der Feststellung entkräften, Sozomenos »had only general, not specific knowledge«; aber es gibt keinen Grund, mit Vaggione die weit hergeholte Interpretation eines Philostorg-Fragments dem natürlichen Verständnis derselben Passage, die zudem durch Sozomenos bestätigt wird, vorzuziehen). Worum es wirklich geht, hat Stachura (2004, S. 125 Anm. 66) plausibel erklärt: Wie im Fall des Häresiarchen Sabbatios (vgl. Socr. 7.25.10) sollte durch die Umbettung verhindert werden, dass ein Kult um den Begräbnisort entsteht. Angesichts der offensichtlichen Polemik ist das folgende Hieronymus-Zitat mit Vorsicht zu genießen, es ist aber gleichwohl ein wichtiges Indiz für die fortwährende Hochschätzung der Person des Eunomios durch die Anhänger seiner Lehre, und zwar auch noch mehr als zehn Jahre nach seinem Tod (Hier. c. Vigil. 8, im Jahr 406), omnes enim sectatores eius basilicas apostolorum et martyrum non ingrediuntur, ut scilicet mortuum adorent Eunomium, cuius libros maioris auctoritatis arbitrantur quam evangelia, »denn all seine [des Eunomios] Anhänger betreten nicht

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schichte der Eunomianer werden ab dem Zeitpunkt der endgültigen Verbannung des Eunomios sehr rar (→ S. 620). Die meisten Quellenzeugnisse zu den Eunomianern betreffen Konstantinopel. Doch es gab auch an anderen Orten Gemeinden: Als im Jahr 364 unter Jovian die eunomianischen Bischöfe geweiht werden, gibt uns Philostorg (8.2) eine Liste: Konstantinopel, Lydien, Ionien, Lesbos, Pontus Galaticus und Kappadokien, Kilikien, Antiocheia, Palästina, Ägypten und die beiden Libyen. Niemals werden Eunomianer in Europa (sehen wir einmal von Konstantinopel ab) oder gar im Westreich erwähnt; Augustin sagt explizit, dass die Häresie in Afrika nicht anzutreffen war, und impliziert, dass sie überhaupt nur im Osten existierte. 11 Was Libyen angeht, so waren bereits drei libysche Bischöfe an der Weihe des Aetios beteiligt (Philostorg. 7.6); zumal den Bischof Serras kannte Aetios länger als den Eunomios (Philostorg. 3.19 f.), und Serras hatte sich auch geweigert, der Verurteilung von Aetios zuzustimmen (Theodoret. hist. eccl. 2.28.3). Dass es eunomianische Bischöfe in mehreren verschiedenen Provinzen gab, sagt uns aber noch nichts über die Zahl der Anhänger. Man nimmt meist an, dass die hochintellektuellen Häretiker keine Breitenwirkung entfalten konnten. Doch vor allem bei Sozomenos finden sich Hinweise, dass die Eunomianer mehr als eine ganz kleine Sekte darstellten. So behauptet er (6.26.10 f.), es habe tatsächlich Gefahr bestanden, die Eunomianer hätten die Mehrheit der katholischen Kirche auf ihre Seite ziehen können, wären nicht die Kappadokier Basilios und Gregor eingeschritten – aber dies ist möglicherweise mehr ein Kompliment an die Kirchenlehrer als eine Beschreibung der realen Situation. An anderer Stelle (6.27.9) bemerkt Sozomenos, dass Kleinasien von Konstantinopel bis nach Kilikien Gefahr gelaufen sei, der Lehre des Eunomios anheimzufallen; und als er die finale Verbannung des Eunomios berichtet, schreibt er (7.17.1), zuvor habe Eunomios viele Anhänger gewinnen können, sodass in kurzer Zeit eine »menschenreiche Gemeinde« (offenbar in Konstantinopel) entstanden sei. Auch bei Philostorg gibt es mitunter Bemer-

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die Basiliken der Apostel und Märtyrer, um [stattdessen] – wie könnt’s anders sein? – [lieber] den toten Eunomios zu verehren, dessen Schriften sie mehr Bedeutung zumessen als den Evangelien«. Aug. serm. 46.18, Verbi gratia, est in Africa pars Donati, Eunomiani non sunt in Africa. … Sunt in Oriente Eunomiani, ibi autem non est pars Donati, »Beispielsweise gibt’s in Afrika die Donatistensekte, aber Eunomianer gibt’s in Afrika nicht. … In Oriens gibt’s Eunomianer, dort gibt’s aber die Donatistensekte nicht«. Vgl. ferner Aug. un. eccl. 3.6, wo Augustin »Arianer«, Eunomianer und Makedonianer als die typischen orientalischen Häresien aufzählt.

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kungen, die darauf hinweisen, dass die Eunomianer nicht nur eine Splittergruppe waren. Für die Situation unter Jovian gibt er etwa an (Philostorg. 8.2), dass in Konstantinopel eine »nicht geringe Menge« von Homöern und Mitgliedern anderer Gruppen zu den Eunomianern übergetreten sei. Wenn sich auch diese Angaben einer Quantifizierung entziehen, scheint mir eine so entschiedene Festlegung wie die von Van Nuffelen (2011, S. 308) – »l’eunomianisme n’a jamais suscité un grand attrait populaire« – unbelegbar. Tatsächlich ist unser Wissen zu fragmentarisch, als dass wir eine wirklich begründete Aussage in die eine oder andere Richtung treffen könnten. Dass der Eunomianismus nur wenige Jahrzehnte virulent war, weist natürlich auf eine eher geringe Verhaftung in der Bevölkerung hin; andererseits ist es gerade diese Epoche, in der große Gruppen häufig und schnell ihre religiöse Ausrichtung änderten, sodass ein rasches Verschwinden nicht unbedingt bedeuten muss, dass die Häresie nie weiter verbreitet war. Die Schwierigkeit bei der Analyse der Eunomianergesetzgebung besteht darin, dass das früheste überlieferte Gesetz überhaupt erst von 381 stammt (also aus der Zeit nach der letzten bekannten Synode von 379 oder 380) und dass die erbrechtlichen Sanktionen, die uns hier interessieren, zum ersten Mal 389 verhängt werden – da war Eunomios bereits seit Jahren im Exil. Während die erhaltene Gesetzgebung also recht spät einsetzt, ist sie dafür andererseits schon bald erstaunlich umfangreich und drastisch: Im Codex Theodosianus findet sich keine Häresie (abgesehen von den Manichäern) auch nur annähernd so oft genannt wie die Eunomianer (vgl. die Übersicht bei Delmaire I, S. 70 f.). Sie stehen ab Juli 381 fast ausnahmslos an erster Stelle, wann immer Sekten in CTh.-Fragmenten aufgezählt werden und ihr Name fällt, 12 und auch sonst ist ihre Stellung unter den Häresien herausgehoben: Als etwa Kaiser Gratian im Jahr 378 in einer (lediglich literarisch bezeugten) Konstitution verbannten Klerikern die Rückkehr erlaubte und Anhängern aller Glaubensgemeinschaften gestattete, sich in ihren Gebetsstätten zur freien Kultausübung zu versammeln, nahm er davon nur Manichäer, Eunomianer und Photinianer 13 aus (Socr. 5.2.1; Soz. 7.1.3; Ioh. Antioch. 210). Am Ende 12

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In CTh. 16.5.6 (10. Januar 381) stehen sie noch hinter Photinianern und Arianern, ab dann fast immer (mit einer einzigen Ausnahme: CTh. 16.5.59) an erster Stelle. Zu Recht weist Stachura (2004, S. 124) darauf hin, dass die Reihenfolge der weiteren Sekten keineswegs fest ist; es wird also nicht formelhaft stets dieselbe Liste wiedergegeben. In CTh. 16.5.65 § 2 finden sich die Eunomianer an der Spitze ihrer Kategorie, die die zweitschlimmste ist (die schlimmste Kategorie hat nur einen Eintrag: die Manichäer). Die Photinianer spielen in der Gesetzgebung später kaum eine Rolle: Am 10. Januar

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des Konzils von Konstantinopel 381 (das nachmalige zweite ökumenische) stand nur eine Handvoll Kanones. Der erste von diesen bestimmte, dass alle Häresien dem Anathema verfallen sollten, »besonders aber« ein paar namentlich aufgeführte Gruppen, die offenbar den Bischöfen so bedenklich erschienen, dass sie eine explizite Nennung verdienten. An der Spitze dieser Liste stehen die Eunomianer. Als zwei Generationen später Theodosius II. am 31. Januar 438 aufgrund des erschreckend schlechten Wetters im vorausgehenden Jahr und der daraus resultierenden Missernte zu einem Rundumschlag gegen Heterodoxe aller Art ansetzte und dabei neben Heiden und Juden auch die Häretiker anging (Nov. Theod. 3), nennt er in einer Auflistung zahlreiche Sekten nur summarisch beim Namen. Allein zwei Gruppen werden mit kraftvollen Worten ausführlicher charakterisiert (§ 9): Manichaeos deo semper offensos, … Eunomianos haereticae fatuitatis auctores, »die Manichäer (die Gott stets feindlich gegenüberstehen), … die Eunomianer (diese Urheber einer häretischen Torheit)«. Doch ein Jahrhundert später fehlen sie im Codex Iustinianus fast14 vollständig – so virulent also die Auseinandersetzung mit den Eunomianern an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert anscheinend war, bald danach verloren sie offenbar jede Bedeutung. Ferner muss man einen zeitlichen Versatz zwischen der historischen Akme der Eunomianer und der erhaltenen Gesetzgebung gegen sie feststellen: Während sich die Gesetzgebung auf die Zeit 381–415 konzentriert, stammen die allermeisten historischen Nachrichten aus der Zeit 360–383; in diese Zeit fällt auch die durchaus rege publizistische Tätigkeit diverser Kirchenväter gegen die Eunomianer (nach der Verbannung des Eunomios hat man offenbar seine Schriften und die seiner Anhänger als irrelevant ignoriert). 15 Es gibt

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381 wünscht sich Theodosius I., dass die Photinianer (neben Arianern und Eunomianern) gar nicht mehr erwähnt würden. Danach erscheinen sie nur noch in der umfassenden Aufzählung von CTh. 16.5.65 (428) in § 2 und schließlich in Nov. Theod. 3 (438) in § 9, wobei ihre Nennung jeweils nur dem Streben nach Vollständigkeit geschuldet ist. Die einzige Erwähnung im CI. stellt CI. 1.5.5 dar, die Wiederaufnahme der Häresienliste von CTh. 16.5.65 (→ S. 803). Basilios der Große schrieb ein Werk »Gegen Eunomios« (ca. 363/364) in drei Büchern, das als eines seiner Hauptwerke angesehen wird. Sein jüngerer Bruder Gregor von Nyssa, wie Basilios einer der drei kappadokischen Väter, verfasste ebenfalls ein »Gegen Eunomios« (380–383) in drei Büchern (traditionell als zwölf gezählt) sowie eine »Widerlegung des Glaubensbekenntnisses des Eunomios« (383). Der dritte kappadokische Vater, Gregor von Nazianz, erhielt postum beim Konzil von Ephesos (431) den Ehrentitel »Theologe«, und zwar just für seine theologischen

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zwei mögliche Erklärungen für diese chronologische Differenz, die sich nicht gegenseitig ausschließen: Entweder prügelte der Gesetzgeber auf ein bereits totes Pferd ein, oder aber beim Verschwinden der Eunomianer aus den nichtjuristischen Quellen handelt es sich bis zu einem gewissen Grad um ein Überlieferungsphänomen. Um diese Frage zu klären, müssen wir uns den Quellen zur Geschichte der Eunomianer zuwenden. Unsere Hauptquelle für die Eunomianer ist der Kirchenhistoriker Philostorg, der selbst Mitglied dieser Gemeinschaft war. Doch von Philostorgs Werk, das nach 425 entstand, 16 ist geschätzt gerade einmal ein knappes Fünftel fragmentarisch überliefert (Bleckmann/Stein I, S. 46), und zwar vor allem durch zwei Auszüge, die der Patriarch Photios I. im 9. Jahrhundert anfertigte. Eigentlich sollte der im 5. Jahrhundert lebende Eunomianer und Kirchenschriftsteller Philostorg ein idealer Kronzeuge für die Verhältnisse der eunomianischen Gemeinschaft im 5. Jahrhundert sein. Doch dem ist nicht so, und die Gründe dafür liegen sowohl beim ursprünglichen Werk Philostorgs als auch in den Umständen seiner Erhaltung. Denn von den insgesamt zwölf Büchern behandelten nur die letzten drei die Geschichte unter Theodosius I., Arkadius und Theodosius II., während nicht weniger als sieben Bücher der konstantinischen Dynastie gewidmet waren, 17 d. h., bereits Philostorg wies den rezenten Ereignissen verhältnismäßig wenig Raum zu. Sieht man nun die Fragmente dieser letzten Bücher durch, so findet man nach der finalen Verbannung des Eunomios (Philostorg. 10.6) überhaupt nur noch drei Fragmente mit Bezug auf die Eunomianer: In einem isolierten Fragment kommt Philostorg auf die Fastenpraxis der Eunomianer zu sprechen (Philostorg. 10.12), 395 oder bald danach werden die sterblichen Überreste des Eunomios überführt (Philostorg. 11.5), um 420 kommt es zu einer innereunomianischen Kirchenspaltung (Philostorg. 12.11) – ansonsten umfassen die erhaltenen Stücke nur Kaisergeschichte und geschichtsschreibungstypische Exkurse.

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Reden, in denen er vor allem die Eunomianer angegriffen hatte (zumal in den Reden 27, 29, 30, vgl. Kopecek, S. 495 Anm. 3). Das letzte von Philostorg erwähnte Ereignis gehört ins Jahr 425 (Bleckmann/Stein I, S. 41); wurde Philostorg 368 geboren (Bleckmann/Stein I, S. 38), wird er wohl allenfalls in den beiden Jahrzehnten nach 425 noch gearbeitet haben. Zu den (leider nur schwachen) Indizien für eine Datierung in die zweite Hälfte der 430er Jahre vgl. Bleckmann/Stein I, S. 44. Vgl. die Übersicht bei Bleckmann/Stein I, S. 47, die sich allerdings bei der Zahl der der konstantinischen Dynastie gewidmeten Bücher irren: Julian gehörte zweifelsfrei ebenfalls zu dieser Familie, folglich sind es sieben, nicht sechs Philostorg-Bücher, die sich dieser Dynastie annehmen.

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Lässt sich entscheiden, ob dieses Fehlen von Informationen zur Kirchengeschichte der Eunomianer eher auf die Überlieferung (und damit im Wesentlichen auf die Auswahlkriterien des Exzerptors, des Patriarchen Photios, der sich womöglich mehr für Kaisergeschichte als für späte Eunomianer interessierte) oder vielleicht doch auf den Ursprungstext zurückgeht (weil Philostorg zur weiteren Geschichte der Eunomianer nicht mehr viel sagen konnte oder wollte)? Unlängst hat Van Nuffelen einen Aufsatz auf der These aufgebaut, mit dem Verschwinden der Eunomianer aus seiner Kirchengeschichte reflektiere Philostorg ihr Verschwinden (Van Nuffelen spricht von »isolement«) aus der Mehrheitsgesellschaft. 18 Allerdings stellt sich Van Nuffelen in seinem Beitrag anscheinend an keiner Stelle dem Problem, dass wir mit Fragmenten arbeiten und nicht mit dem vollständigen Philostorg-Text; und dass der Entfall von Passagen nicht irgendwie stochastisch zufällig durch Blattverlust o. ä. erfolgte (vgl. Wallraff 2011, S. 204), sondern (größtenteils) durch die gezielte Auswahl einer einzigen, bestimmten Person, nämlich des Photios. Insofern überzeugt Van Nuffelens Ansatz methodisch nicht (vgl. auch Bleckmann/Stein I, S. 49 Anm. 1). Mehr noch: Unter der Prämisse, dass die Philostorg-Bücher ursprünglich gleich lang waren, lässt sich ohne Weiteres zeigen, dass Photios aus den letzten drei Büchern besonders viel weggelassen hat. Die daraus erhaltenen Fragmente nehmen nämlich insgesamt weniger Raum ein als die Fragmente aus (beispielsweise) Buch 3. 19 Es spricht also viel dafür, dass die Überlieferung unsere Perspektive verzerrt und dass man damit rechnen sollte, dass Philostorgs ursprünglicher Text sehr viel mehr zum Schicksal der Eunomianer zu sagen hatte. Schließlich verfasste Philostorg explizit eine Kirchengeschichte 18

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Van Nuffelen 2011, S. 313: »Au fur et à mesure que les eunomiens s’isolent, le point de vue du récit de Philostorge se réduit«; S. 315: »Dans le récit de Philostorge cet isolement se reflète dans un désintérêt total envers les événements de l’Église, même ceux concernant l’eunomianisme«. Die Voraussetzung, dass die Bücher gleich lang waren, ist natürlich vereinfachend; aber dies soll ja auch nur eine grobe Abschätzung sein. Und wenn ich die Seitenzahlen nach der Sources-Chrétiennes-Edition angebe, muss man zudem berücksichtigen, dass die SC-Seiten ganz unterschiedliche Zeichenzahlen aufweisen (je nach Umfang der Anmerkungen; auch spielt es eine Rolle, ob auf der Seite ein neues Fragment mit Überschrift und Abstand beginnt) und dass manche Passagen, da an verschiedenen Stellen überliefert, mehrfach abgedruckt sind. Gleichwohl: Nach dieser Zählung haben die Bücher 10, 11 und 12 respektive 10, 11 und 13 Seiten; die Fragmente von Buch 7 nehmen indes 30 Seiten ein, die aus Buch 3 sogar 37 Seiten. In geringerem Umfang als die Bücher 10, 11 und 12 sind lediglich die Bücher 5 und 6 erhalten.

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(Bleckmann/Stein I, S. 46 f.), bei der die Kaisergeschichte (wie sie uns für die letzten Bücher praktisch ausschließlich erhalten ist) nur Akzidens sein kann. Auch ist beispielsweise nicht vorstellbar, dass Philostorg die Überführung von Eunomios’ sterblichen Überresten berichtet, nicht aber zuvor sein Ableben; oder dass er den Tod von Eudoxios, des Leiters der eunomianischen Gemeinde zu Konstantinopel, vermerkt, ohne je seinen Amtsantritt zu erwähnen (siehe gleich unten). Wenn also unsere Hauptquelle für die Geschichte der Eunomianer für die Zeit nach Eunomios’ finaler Verbannung weitgehend ausfällt, so bedeutet das nicht, dass die anhomöische Sekte damals schlagartig verschwand. Leider bleiben uns danach nur noch verstreute Zeugnisse zu ihrer weiteren Geschichte, die man freilich sorgsam sammeln muss, will man sich zumindest ansatzweise ein Bild vom Umfang der Glaubensgemeinschaft machen, gegen die sich die erbrechtlichen Sanktionen richteten. Blenden wir also zurück zum Zeitpunkt von Eunomios’ Verbannung in den 380er Jahren. Eunomios brachte den Rest seines Lebens (bis 394) erzwungenermaßen in einem kappadokischen Dorf zu; angeblich vertrieb er sich die Zeit, indem er bis zuletzt häretische Schriften verfasste. 20 Die konstantinopolitanische Gemeinde zerlegte sich inzwischen munter selbst: Ein Eunomianer namens Theophronios (Socr. 5.24.2 f.; Soz. 7.17.2 f.) hatte eine eigene Lehre entwickelt, die den meisten anderen Eunomianern nicht akzeptabel schien; er spaltete sich ab, und so entstanden die Theophronianer (Soz. 7.17.3) bzw. Eunomiotheophronianer (Socr. 5.24.5). Später geriet die (eunomianische) Rechtgläubigkeit eines gewissen Eutychios in Verdacht (Soz. 7.17.4–7). Dass selbst der exilierte Eunomios noch eine Autorität blieb, sieht man daran, dass sowohl Eutychios als auch seine Gegner von Konstantinopel aus ins ländliche Kleinasien zum verbannten Häresiarchen reisten. Freilich stand andererseits die Autorität des Eunomios nicht länger außer Frage: Denn obwohl Eunomios nichts an den Vorstellungen des Eutychios auszusetzen hatte, wurde Eutychios letztlich nicht akzeptiert; er spaltete sich ab und gründete seine eigene Sekte, die laut Sokrates (Socr. 5.24.5) Eunomioeutychianer hieß. Die ganze Geschichte spielt kurz vor dem Tod des Eunomios, also in den frühen 390ern. Definitiv wurden die genannten Abspaltungen womöglich erst nach 395, denn Sozomenos (6.26.4) setzt sie unter Arkadius. Übrigens ist der Abspalter Theophronios der einzige Eunomianer nach Eu-

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Hier. vir. ill. 120, Eunomius … usque hodie vivere dicitur in Cappadocia, et multa contra ecclesiam scribere, »Eunomios … soll immer noch in Kappadokien am Leben sein und viel wider die Kirche schreiben«. Hieronymus’ Werk ist auf 392/393 datiert.

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nomios selbst, von dessen schriftstellerischer Tätigkeit wir wissen – abgesehen natürlich von Philostorg. 21 In seinem chronologisch letzten erhaltenen Fragment kirchengeschichtlichen Inhalts (12.11) berichtet Philostorg, dass zwischen 418 und 421 22 ein gewisser Eudoxios verstarb, der zuvor die Eunomianergemeinde geleitet hatte. Wir haben keinen Hinweis, wer dieser Eudoxios war und seit wann er der Gemeinde vorstand, sofern wir ihn nicht mit einem Eudoxios 23 identifizieren, der in einer anderen Philostorg-Passage erscheint. Diese andere Passage (Philostorg. 10.12) gehört in die Zeit zwischen 390 und 392; 24 in ihr geht es eigentlich um die eunomianische Fastenpraxis, und dabei wird ein Eudoxios erwähnt: λέγει γὰρ περί τινος Εὐδοξίου, συναιρεσιώτου μέν, πρεσβυτέρου δὲ τὴν τάξιν, ἐψιλωμένου δὲ τῶν δι’ ὧν ἡ διαδοχὴ τοῦ γένους, τοιάδε, »Er [Philostorg] sagt über einen gewissen Eudoxios, der seiner Häresie angehörte, den Presbyterrang innehatte und dessen, womit die Fortführung der Familie erfolgt, beraubt war, Folgendes:« Was dann Philostorg über ihn berichtet, ist, dass er besonders intensiv fastete. Dass er »dessen, womit die Fortführung der Familie erfolgt, beraubt war«, ist des frommen Photios Formulierung für das Eunuchentum des Eudoxios. Es wird einen guten Grund haben, weswegen sich Philostorg für die Fastenpraxis eines bestimmten Presbyters interessiert; womöglich den, dass besagter Presbyter später Leiter der Eunomianergemeinde wurde. Auch chronologisch würde es ganz gut passen, dass jemand, der um 390 Presbyter war, rund dreißig Jahre später als Quasibischof verstirbt. Es spricht also vielleicht mehr für als gegen diese Gleichsetzung, die 21

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24

Theophronios schrieb ein Werk »Über das Training des Geists« (Socr. 5.24.2; Soz. 7.17.2); Philostorg verfasste neben seiner Kirchengeschichte auch eine Lobrede auf Eunomios (Philostorg. 3.21) und ein Werk gegen Porphyrios (Philostorg. 10.10). Vgl. Albertz, S. 273. Philostorg. 12.8 (19. Juli 418, totale Sonnenfinsternis) und 12.12 (8. Februar 421, Kaisererhebung von Konstantius III.) geben die mögliche Spanne vor. Eudoxios ist kein seltener Name in dieser Zeit. Bei Philostorg erscheinen neben Eudoxios, dem eunomianischen Gemeindevorsteher, und Eudoxios, dem kastrierten Presbyter, – die identisch sein könnten – noch Eudoxios, der homöische Patriarch von Antiocheia und Konstantinopel, sowie Eudoxios, Schüler von Lukian (Philostorg. 2.14). Bleckmann/Meyer/Prieur, S. 227 Anm. 4, schlagen vor, es könnte sich bei den beiden Letztgenannten wiederum um dieselbe Person handeln. Das ist möglich, doch dafür müsste Eudoxios der Patriarch ein eindrucksvolles Alter erreicht haben: Lukian hatte 312 das Martyrium erlitten, ein Lukian-Schüler sollte also spätestens um 290 geboren sein; doch der Patriarch verstirbt 370. Die Termini sind ein astronomisches Phänomen (Komet?), das Philostorg in 10.9 schildert und das Marcellinus Comes ins Jahr 390 setzt, sowie der Tod von Valentinian II. (Philostorg. 11.1).

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irgendwann nach 392 einen Eunuchen an die Spitze der konstantinopolitanischen Eunomianergemeinde befördern würde. Dass das orthodoxe Interesse an den Eunomianern schwindet, zeigt die Beobachtung, dass die letzten bekannten Predigten, die gegen sie gerichtet sind, in die 390er Jahre, spätestens in die ersten Jahre nach 400 gehören; 25 damit sind wir also wohl in der Zeit ebendieses Eudoxios. Nach dem Tod des Eudoxios zwischen 418 und 421 setzte sich indes das Auseinanderbrechen der hauptstädtischen Gemeinde fort (Philostorg. 12.11): Lukian, ein Neffe des Eunomios, wurde zum Vorsteher der Eunomianergemeinde, spaltete sich dann aber bald von ihr ab; zahlreiche Gemeindemitglieder sollen sich ihm angeschlossen haben. Dies ist zugleich die letzte zuverlässige Angabe, die wir zur Existenz einer eunomianischen Gemeinde in der Hauptstadt haben. 26 25

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Die unter dem modernen Namen Contra Anomoeos zusammengestellten Homilien des Johannes Chrysostomos wurden 386/7 in Antiocheia (1–5, 7–10; Nr. 6 der Handschriften ist die moderne Nr. 11) bzw. 398 in Konstantinopel (11–12) gepredigt; allerdings ist zweifelhaft, ob die Homilien 7 bis 12 überhaupt spezifisch gegen Anhomöer/Eunomianer gerichtet sind (Malingrey, S. 29). Jedenfalls handelt es sich um theologische Erörterungen, die nur sehr selten etwas über die Situation der zeitgenössischen Sektenanhänger aussagen (so etwa in Ioh. Chrys. incompr. 1.334– 340; dort behauptet Chrysostomos, dass sich »viele so Denkende«, d. h. Anhomöer, seine Predigten anhören würden). Asterios von Amaseia predigt (Aster. hom. 10.18.1), man könne »sehen«, wie sich die Eunomianer verhalten, doch diese Homilie gehört noch in die Zeit von Theodosius I. (vor 395: Datema, S. XXIII; nicht »vers 400« wie Van Nuffelen 2011, S. 311, schreibt). Eine spätere Reaktion gegen Eunomianer könnte sich eventuell bei Severian von Gabala finden. Er predigt laut Uthemann (S. 336 f.) ungefähr zwischen 398/9 und 404 in Konstantinopel vor allem gegen die Eunomianer, wobei sie aber an den von Uthemann zitierten Stellen nicht namentlich erscheinen (d. h., es handelt sich um einen rein doktrinären Diskurs). Bei den weniger belastbaren Passagen handelt es sich um Stellen bei Pseudo-Johannes von Beth Aphthonia (→ S. 628) und Sokrates. Sokrates schreibt um 439/40 n. Chr. (Van Nuffelen 2004, S. 10–14); in 5.24 berichtet er über Abspaltungen von den Eunomianern (nämlich über die uns bereits vertrauten Splittergruppen um Theophronios und Eutychios) und von den Makedonianern (5.24.1–7), einer anderen Häresie. Daraufhin stellt er fest, dass es möglicherweise noch weitere Abspaltungen (von Eunomianern und/oder Makedonianern?) in anderen Städten geben könnte (5.24.8), entschuldigt sich dann aber, dass er sich in seiner Darstellung generell auf Konstantinopel konzentriere, weil er manche der dortigen Vorkommnisse mit eigenen Augen verfolgt habe und weil das, was dort passiert, doch ohnehin bedeutsamer sei (5.24.9). Die Interpretation von Van Nuffelen (2011, S. 313 mit Anm. 47), die Autopsie des Sokrates auf die Häretikergrüppchen zu beziehen, scheint mir unmöglich: »Socrate, écrivant vers 439–440, rapporte l’existence de différents groupuscules

späte belege

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Schlaglichtartig erfahren wir durch einen mysteriösen Brief des Synesios von Kyrene, dass die konstantinopolitanischen Eunomianer im frühen 5. Jahrhundert, wenige Jahre vor dem Tod des Eudoxios, angeblich noch über Geld und Einfluss verfügten. Dieser Brief (epist. 4) lässt sich in die Zeit zwischen 406 und 414 datieren. 27 Da er isoliert steht 28 und selbst die Hauptfigur, ein eunomiens tenant des assemblées à Constantinopel. [In der Fußnote:] Socrate se base, selon ses propres dires, sur son ›autopsie‹«. Aber Sokrates führt die »Autopsie« erst in der Begründung an, warum er generell konstantinopolitanische Ereignisse gegenüber provinziellen bevorzugt – er sagt keineswegs, er habe die Häretikerversammlungen mit eigenen Augen gesehen. Und selbst wenn er sie gesehen hätte, könnte die Autopsie jahrzehntelang zurückliegen, d. h., Sokrates wäre dann keine Quelle für die Situation von 440, sondern eine Quelle mit dem Terminus ante quem 440. Möglicherweise bezieht sich Van Nuffelen auf eine andere Bemerkung von Sokrates (Socr. 5.24.4) im selben Kapitel, die nur die Eunomioeutychianer betrifft: Καὶ ἐν τῇ Κωνσταντινουπόλει δὲ Εὐτύχιός τις ἐκ ψυχροῦ ζητήματος ἐχωρίσθη τῶν Εὐνομιανῶν καὶ νῦν τὰς συνάξεις κατ’ ἰδίαν ποιεῖται, »Und in Konstantinopel spal-

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tete sich ein gewisser Eutychios aufgrund einer relativ unbedeutenden Frage von den Eunomianern ab und veranstaltet jetzt [!] eigene Versammlungen«. Das Problem ist die Chronologie, denn der Streit um Eutychios begann bereits vor dem Tod des Eunomios (394). Es ist nicht ausgeschlossen, dass Eutychios – denn er ist das Subjekt des Satzes! – knapp 50 Jahre später noch am Leben war, aber dann müsste er ein Alter von 80 Jahren oder mehr erreicht haben. Kurzum: Sokrates kann allenfalls als Beleg für eunomioeutychianische Aktivitäten um 440 herangezogen werden, und selbst dafür scheint sein Zeugnis – angesichts des chronologischen Problems – zweifelhaft. Der Terminus ante quem ist Synesios’ Tod 414; der Terminus post quem seine Bischofsweihe, da er an seine [!] Presbyter schreibt. Synesios wurde entweder in den zwölf Monaten vor Ostern 407 oder in den zwölf Monaten vor Ostern 412 Bischof. Die Argumente für 411/2 finden sich bei Lacombrade (S. 209–212, S. 250–252; Lacombrade optiert für 411 als Jahr der Weihe), sie sind aber – wie Barnes 1986 darlegt – keineswegs zwingend; Barnes selbst hält 406 für plausibler. Keine von beiden Seiten kann mehr als Indizien beibringen, sodass ich für meine Zwecke hier die längere Spanne ab 406 verwenden muss. Roques (S. 233) glaubt, den Brief sogar präzise in die Zeit April bis Oktober 412 oder März bis Juni 413 setzen zu können, aber die Beweisführung ist von seiner idiosynkratischen Datierung der Bischofsweihe (1. Januar 412, vgl. seine S. 47–64) sowie weiteren fragwürdigen Interpretationen abhängig und verdient damit kein Vertrauen. Roques in Garzya/Roques II, S. 91, scheint auch die Synesios-Briefe 44 und 128 als weitere Quellen zu den Eunomianern in Anspruch nehmen zu wollen (»scheint«, weil Roques Eunomianer und »Arianer« zusammenwirft). Beim extrem kurzen Brief 44 (abgesehen von einem zitierten Sprichwort besteht er samt Anrede aus lediglich neun Wörtern!) kann man dies weder ausschließen noch bestätigen, freilich enthält er jedenfalls nichts, was unser Wissen aus Brief 4 erweitern würde. In Brief 128 geht es nicht um Eunomianer, sondern um Homöer (»Arianer«) in Ägypten. Albertz, S. 260 Anm. 5, gibt als »Beleg für ägyptische eunomianische Gemeinden« eine Stelle

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gewisser Quintian, anderweitig nicht zu identifizieren ist, bleibt nur die Möglichkeit, sorgsam die Informationen aus dem Brief selbst zu ziehen. Dies ist der Anfang des Briefs: ἀλλὰ τοὺς ἐκ τῆς ἀθεωτάτης αἱρέσεως Εὐνομίου πυνθάνομαι Κυντιανὸν ὄνομα καὶ τὴν ἐπὶ στρατοπέδου θρυλλουμένην ὑπ’ αὐτῶν δυναστείαν προστησαμένους μοιχᾶσθαι πάλιν τὴν ἐκκλησίαν καὶ ψευδοδιδασκάλους τινὰς ἐφιστάναι παγίδα ταῖς τῶν ἀκεραιοτέρων ψυχαῖς, οὓς ἔναγχος οἱ παρὰ Κυντιανοῦ σταλέντες ἐπ’ αὐτὸ τοῦτο καταπεπλεύκασιν ἄγοντες. ἡ γὰρ δίκη πρόσχημα τῆς ἀσεβείας ἐστί, μᾶλλον δὲ ἀγὼν ὑπὲρ ἀσεβείας.

Aber mir kommt gerade zu Ohren, dass die Leute aus der gottlosen Häresie des Eunomios mithilfe eines Mannes namens Quintian [Κυντιανός] und ihres sattsam bekannten Einflusses beim Kaiserhof 29 wiederum die Kirche zum Fremdgehen zu verführen versuchen und dass Lügenlehrer den Seelen der Unverdorbenen eine Falle stellen wollen. Diese Lügenlehrer wurden von den Abgesandten des Quintian, die vor kurzem angelandet sind, genau zu diesem Zweck mitgebracht. Der Prozess nämlich ist ein Vorwand ihrer Gottlosigkeit, ja vielmehr ein Kampf zugunsten ihrer Gottlosigkeit.

Synesios behauptet also, dass die Eunomianer »bekanntermaßen« Einfluss beim Kaiserhof besitzen. Abgesandte des Quintian kamen per Schiff in Ptolemais an, und zwar aus Konstantinopel, wie man vermuten darf. Denn ganz gleich, wie viel Einfluss Quintian beim Kaiserhof wirklich hat: Die Zuschreibung dieses Einflusses erklärt sich am leichtesten, wenn Quintian vor Ort bei Hof ist. Synesios unterscheidet zwei Gruppen, die »Abgesandten des Quintian« und die von ihnen mitgebrachten »Lügenlehrer«. Den Lügenlehrern wirft Synesios vor, die eunomianische Lehre verbreiten zu wollen; was der Zweck der Reise der Quintian-Abgesandten ist, wird hingegen nicht ganz klar. Es scheint um einen Prozess 30 zu gehen, und vor allem muss Geld eine Rolle

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aus Isidor von Pelusion an (Isid. Pelus. 3.334); zu Unrecht, wie mir scheint: Der Brief beginnt damit, dass »die Eunomianer« eigentlich gar keine Antwort verdienen würden, aber dann folgt doch eine kurze theologische Widerlegung. Der Einleitungssatz scheint also nur zu begründen, weswegen sich Isidor überhaupt mit dieser in seinen Augen absurden Lehrmeinung auseinandersetzt; ein belastbarer Beleg für die tatsächliche Existenz von Eunomianern in der Umgebung von Isidor ist dies nicht. στρατόπεδον i. S. v. »Kaiserhof« ist breit belegt und findet sich auch so in den Wörterbüchern; zusätzlich hat Roques in Garzya/Roques II, S. 91, zahlreiche Belegstellen gesammelt. Roques in Garzya/Roques II, S. 5, übersetzt: »leur justice ne sert qu’à masquer leur impiété, ou plutôt elle leur permet de combattre pour l’impiété«, doch lässt er damit die Wiederaufnahme von δίκη durch ἀγών unbeachtet; δίκη bedeutet hier also nicht Gerechtigkeit, sondern Prozess. Seine Übersetzung des Briefs 4 gibt alle Bezug-

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spielen, und zwar Geld, von dem irgendwie auch die Presbyter des Synesios profitieren könnten. Deswegen mahnt sie der Bischof in diesem Brief ἡ ὑπὲρ κέρδους ἔρις ἀνῃρήσθω, ἅπαντα διὰ τὸν θεὸν ἐγκεχειρήσθω, »Hinweg mit dem Streit für finanziellen Gewinn! Alles soll für Gott unternommen sein!«, und fügt hinzu: … ὅστις ἂν ἐπεξέλθῃ μὲν ἁρπάσῃ δέ τι τῶν ἀλλοτρίων, μὴ ἀναίτιος γένοιτο τῷ

θεῷ. ἓν τοῦτο μόνον εἰς μέσον ἑλκύσατε, καὶ τοὺς τραπεζίτας τοὺς πονηροὺς τοὺς καθάπερ νόμισμα τὸ δόγμα τὸ θεῖον παραχαράττοντας περιενέγκατε. πᾶσι ποιήσατε καταφανεῖς οἵτινές εἰσι. κᾆθ’ οὕτως ἄτιμοι τῶν Πτολεμαΰδος ὅρων ἀπεληλάσθωσαν, ὅ τι σὺν αὐτοῖς ἥκει χρῆμα πᾶν ἀμειαγώγητον ἀποφέροντες.

… jeder, der auszieht und das Eigentum fremder Leute raubt, soll nicht unschuldig sein vor Gott! Nur dieses Eine zerrt in die Mitte und stellt diese nichtsnutzigen Geldwucherer, die den göttlichen Glauben wie eine Münze verfälschen, öffentlich bloß! Macht allen Leuten klar, was das für Menschen sind! Und dann sollen sie wie Geächtete [ἄτιμοι] 31 aus dem Territorium von Ptolemais vertrieben werden, wobei sie all das Geld, das mit ihnen gekommen ist, ungewogen wegschaffen sollen.

Das zugrunde liegende Vorkommnis bleibt unklar: Bringen die Quintian-Abgesandten nun das Geld mit? Oder soll erst das Eigentum fremder Leute geraubt werden, etwa durch den erwähnten Prozess? Aber warum sollten die Presbyter versucht sein, sich aufseiten der Quintian-Abgesandten einzumischen? Vielleicht weil das mitgebrachte Geld als Bestechungsgeld dienen soll? Doch wieso könnte es sich lohnen, Presbyter zu bestechen? Einerseits behauptet Synesios, der Prozess sei lediglich ein Vorwand, um die Lügenlehrer anzulanden, andererseits spricht er danach nicht mehr von den Lügenlehrern, sondern ausschließlich von den Lockungen des Geldes und den zu verjagenden Quintian-Abgesandten. Mir jedenfalls gelingt es nicht, ohne größere spekulative Ergänzungen eine in sich plausible Geschichte zu formen. Aber das ist auch nicht erforderlich; für unser Thema lassen sich nämlich immerhin die folgenden Informationen ableiten: Um 410 gab es offensichtlich in der Pentapolis keine Eunomianer mehr (sonst würde man doch unbedingt ihre Er-

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nahmen auf Geld usw. metaphorisch wieder, und auch in seinen Anmerkungen diskutiert er nie ein wörtliches Verständnis. Dieses scheint mir aber unausweichlich. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die römischrechtliche Infamie kausal mit Austreibungen in Zusammenhang stand (→ S. 380176). Deswegen sollte man sich hüten, hier ἄτιμοι als »Infame« zu verstehen: Synesios gebraucht das Wort in der klassischgriechischen Bedeutung »geächtet«.

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eunomianer

wähnung in diesem Kontext erwarten). Ferner hält es Synesios in Ptolemais für eine allgemein bekannte (oder: ohne Weiteres behauptbare) Tatsache, dass die Eunomianer am Kaiserhof über großen Einfluss verfügen. Und schließlich scheint es Synesios sicher (oder: behauptbar), dass der ganz offensichtlich vermögende Quintian – wer immer er nun sein mag – um 410 fest im Lager der Eunomianer steht. Dieser Synesios-Brief ist gleichermaßen faszinierend wie verblüffend; mit seinen beiläufig erwähnten reichen, mächtigen Eunomianern um 410 steht er ganz allein, und man fragt sich, ob wir hier ausnahmsweise einen flüchtigen Blick auf eine ansonsten verborgene Realität erhaschen, oder aber, ob ein Bischof im entlegenen Ptolemais einen hauptstädtischen Gegner als »Eunomianer« (eine damals in Ptolemais bereits ferne Häresie) verunglimpft. All das sind Spekulationen, die Frage muss offen bleiben. Der späteste Autor, der konkret und halbwegs glaubwürdig die Existenz von Eunomianern bezeugt, ist Theodoret, und zwar in drei Texten. In epist. Sirm. 113 (September oder Oktober 449) rühmt sich Theodoret, viele »Arianer« und Eunomianer bekehrt zu haben; andererseits spricht er dabei über die letzten 26 Jahre, ohne anzugeben, wann diese Bekehrungen stattfanden; epist. Sirm. 113 kann also die Existenz von Eunomianern nur ungenau für das 2. Viertel des 5. Jahrhunderts belegen. Wohl auf dieselben Ereignisse bezieht sich epist. Sirm. 81, die Theodoret zu Beginn der Zeit schrieb, als er aufgrund kaiserlicher Verfügung das Territorium von Kyrrhos nicht mehr verlassen durfte (also bald nach April 448). In diesem Brief versucht der in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkte Bischof, gegenüber einem hohen Funktionär namens Nomos seine großen Verdienste seit seiner Erhebung zum Bischof (423) herauszustreichen, darunter auch die hinsichtlich der Häretikerbekämpfung: … κώμας ὀκτὼ τῆς Μαρκίωνος καὶ τὰς πέριξ κειμένας ἀσμένως πρὸς τὴν ἀλήθειαν ἐποδήγησα ἄλλην κώμην Εὐνομιανῶν πεπληρωμένην, καὶ ἄλλην Ἀρειανῶν, τῷ φωτὶ τῆς θεογνωσίας προσήγαγον, καὶ διὰ τὴν θείαν χάριν οὐδὲ ἓν παρ’ ἡμῖν αἱρετικῶν ὑπελείφθη ζιζάνιον. Καὶ ταῦτα οὐκ ἀκινδύνως πεποίηκα, ἀλλὰ τὸ αἷμά μου πολλάκις ἐκχύσας, πολλάκις καταλευσθεὶς ὑπ’ αὐτῶν, καὶ εἰς αὐτὰς φθάσας τοῦ ᾅδου τὰς πύλας.

… freudig führte ich acht Dörfer, die der Häresie des Markion anhingen, samt ihrer umliegenden Flecken der Wahrheit zu; ein weiteres Dorf, das voll von Eunomianern war, und noch eines, voll von Arianern, leitete ich zum Licht der Gotteserkenntnis, und durch Gottes Gnade ist bei uns kein häretisches Unkraut mehr übrig. Und das habe ich nicht gefahrlos erreicht, sondern oft habe ich mein Blut vergossen, oft wurde ich von ihnen mit Steinen beworfen, ich stand direkt vor den Toren der Unterwelt.

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Wenn wir dem Bischof diese Geschichte so abnehmen wollen, gab es also zwischen 423 und 448 noch ein 32 Dorf voll von Eunomianern auf dem Territorium von Kyrrhos in Syrien, also einer Region, die nie Kerngebiet des Eunomianismus gewesen war. Besonders bemerkenswert ist, dass es sich um ein Dorf handeln soll: Dies scheint die einzige Stelle zu sein, wo wir von ländlichen Eunomianern hören. Aber kann man sich wirklich auf dem Territorium von Kyrrhos eine Reihe von häretischen Dörfern vorstellen, von denen das eine eunomianisch, das andere »arianisch«, acht weitere markionitisch sind? In demselben Brief epist. Sirm. 81 beschwert sich Theodoret zudem bitter, dass alle möglichen Leute – »Arianer« und Eunomianer, Manichäer und Markioniten, Valentinianer und Montanisten, Heiden und Juden – frei andere Städte aufsuchen dürften, nur er, der wackere Bischof von Kyrrhos, sei auf die eigene Stadt beschränkt; der Umfang der Heterodoxenaufzählung lässt beim Leser den Verdacht aufkeimen, dass Theodoret mehr seine Klage ausbreiten als eine realistische Liste bieten will. Die dritte Theodoret-Stelle, die die weitere Existenz eunomianischer Gemeinden bezeugt, findet sich in seinem Häresienkatalog, dem sogenannten Haereticarum fabularum compendium. Darin ist er regelmäßig bedacht, den aktuellen Verbreitungsgrad der beschriebenen Häresien anzugeben (Scholten 2016, S. 315–317), und so schreibt er über die Eunomianer (haer. 4.3.421B): Καὶ τὸ μὲν πλεῖστον τῆς οἰκουμένης τῆς τούτων λύμης ἀπήλλακται, ὀλίγαι δὲ καὶ ἄγαν εὐαρίθμητοι πόλεις ἔχουσιν ἐκ τούτων τινὰς, καὶ αὐτοὺς πειρωμένους λανθάνειν, »Der größte Teil der Welt ist von ihrer Ver-

derbnis befreit, nur eine geringe, recht überschaubare Zahl von Stadtgemeinden hat solche Leute – und die versuchen, sich versteckt zu halten«. Dieses Werk wurde wohl recht bald nach dem eben zitierten Brief verfasst (nämlich zwischen Mitte 448 und Anfang 452: Scholten 2016, S. 441–445). Man könnte den Befund wie folgt zusammenfassen: Kurz vor 450 war Theodoret davon überzeugt, dass es noch Eunomianer gab, die allerdings selten waren und sich verborgen hielten; irgendwann in den vorangegangenen 25 Jahren, so meint er, sei er selbst auf solche in einem Dorf seiner eigenen Bischofsstadt gestoßen (oder er hält es zumindest für eine gute Idee, dies gegenüber

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Albertz, S. 260, spricht von »Dorfgemeinden« (Plural), doch zu Unrecht: Das gibt weder die zitierte Stelle her noch der zusätzlich von ihm angeführte Brief epist. Sirm. 145 (von 451), der überhaupt nicht konkret wird: Theodoret erwähnt dort nur ganz generell, dass er durch Abfassung zahlreicher Werke die Eunomianer, »Arianer«, Markioniten, Apollinarianer, Juden und Heiden bekämpft habe.

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eunomianer

einem hohen Funktionär zu behaupten, um aus seinem Stadtarrest entlassen zu werden). Spätere Zeugnisse für die Existenz von Eunomianern sind allesamt problematisch. Ein lateinischer Autor (Anon. Vales. 13.78) behauptet, Kaiser Anastasius (491–518) sei gegen Ende seiner Herrschaft versucht gewesen, zum Eunomianismus überzutreten; das ist entweder Verleumdung, oder der Anonymus verwechselt Monophysitismus und Eunomianismus. Laut Prokop (hist. arc. 1.15–17) hätten Belisar und seine Frau Antonina einen Ziehsohn gehabt, einen jungen Mann aus Thrakien namens Theodosios. Der soll nun ursprünglich Eunomianer (wie seine ganze leibliche Familie) gewesen sein; andererseits berichtet Prokop über ihn auch, dass er eine leidenschaftliche Affäre mit seiner Ziehmutter Antonina hatte und dass die beiden ganz schamlos den Geschlechtsverkehr vor den Sklavinnen und Sklaven des Hauses Belisar vollzogen – was den Verdacht erweckt, dass auch der angebliche Eunomianismus Verleumdung ist. Der späteste (mögliche) Beleg für die Existenz von Eunomianern stammt aus der Severus-Vita des Pseudo-Johannes von Beth Aphthonia. Das Werk wurde zwischen 538 und 543 auf Griechisch verfasst und ist nur in einer syrischen Übersetzung erhalten (Brock/Fitzgerald, S. 24 f.). Laut Pseudo-Johannes (Ps. Ioh. Bethaphth. p. 234.8–14; Übersetzung bei Brock/Fitzgerald, S. 120) sollen es die Anführer sämtlicher Häresien – Manichäer, Arianer, Eunomianer, Apollinarianer und Nestorianer – unternommen haben, Severus mit komplizierten Argumenten zu umgarnen, so wie dies einst Pharisäer, Sadduzäer und Herodianer mit Jesus versucht hatten; wenig überraschend behielt wie der Heiland so auch Severus die Oberhand. Die Geschichte spielt während Severus’ Aufenthalt in Konstantinopel (508–511: Brock/Fitzgerald, S. 3 f.; Allen/Hayward, S. 8 f.), und zwar offenbar direkt am Anfang desselben, also 508 oder bald danach. Freilich ist die Authentizität der Anekdote großen Zweifeln unterworfen. Pseudo-Johannes schrieb eine knappe Generation später, und zwar im weit entfernten Beth Aphthonia. Die bessere Quelle ist demnach die andere überlieferte Severus-Vita, verfasst von Zacharias, denn dieser Zacharias war persönlich während der Jahre 508 bis 511 vor Ort in Konstantinopel und stand zudem damals in Kontakt mit Severus. Während nun Zacharias von Severus’ Kampf gegen zahlreiche Häresien berichtet (so etwa gegen die Lehren von Eutyches, Apollinarios und Nestorios, aber auch gegen sehr ephemere Sekten), erscheinen bei ihm weder die Eunomianer als Gemeinde noch überhaupt Eunomios als Häresiarch (Zach. Mytil. p. 103.1–107.1; Übersetzung bei Brock/Fitzgerald, S. 91–94). Offensichtlich gab es für Severus im frühen 6. Jahrhundert keinen Grund mehr, gegen diese Häresie vorzugehen. Zacharias’ Darstellung ist die eines Zeitzeugen vor Ort, zudem wirkt seine Liste gerade aufgrund der recht obskuren Grüppchen authentisch. Dagegen bietet Pseudo-Johannes nur die konventionellen Hauptverdächtigen, die sich in allen Häresielisten (nicht zuletzt in der Gesetzgebung) tummeln. Kurzum: Pseudo-Johannes als Quelle verdient nicht so viel Zutrauen, als dass man ernsthaft die Existenz einer eunomianischen Gemeinde im Konstantinopel des frühen 6. Jahrhunderts annehmen müsste.

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Vollends ungebührlich wäre es, aus synodalen Verurteilungen des Eunomios auf die Fortexistenz der Gruppe zu schließen; bis weit ins 7. Jahrhundert erfolgten diese immer wieder, da man gleichsam translatizisch die Häretikerverdammungen von einem Konzil zum nächsten übernahm (vgl. z. B. im 18. Kanon der Lateransynode von 649, ACO2 1, p. 381.4 f., sowie die Listen bei Albertz, S. 251 Anm. 4, und Destephen, S. 338 Anm. 370). Und wenn spätere Theologen eunomianische Vorstellungen zurückweisen, bedeutet dies natürlich nicht, dass ihnen diese Ideen zu ihrer Zeit noch irgendwo außerhalb von Büchern begegneten. 33

Damit haben wir das Ende unserer Durchsicht von Quellen zu den Eunomianern ab der Zeit der Verbannung des Eunomios erreicht. Inwieweit man die Regelungen des Codex Theodosianus dem hinzufügen möchte, d. h., inwieweit man aus ihnen auf die Realität der Eunomianer rückschließen darf, lässt sich methodisch kaum allgemeingültig entscheiden. Wenn etwa im Jahr 423 ausdrücklich bestimmt wird, dass Eunomianer trotz des für sie geltenden Ausschlusses vom Kaiserdienst sehr wohl in der als Bürde empfundenen cohortalis militia dienen müssen, sollte dem sehr wohl ein konkreter Fall zugrunde liegen (→ S. 681). 34 Aber unser Panoptikum der späten Eunomianer soll dem Zweck dienen, die Gesetzgebung besser verstehen zu können, die wir uns nachher hinsichtlich der erbrechtlichen Sanktionen im Einzelnen ansehen werden; die Spätzeit des Eunomianismus mithilfe ebendieser Gesetze zu zeichnen, würde also für unser Anliegen einen logischen Zirkel bedeuten. Bevor wir uns endgültig den Konstitutionen zuwenden, müssen wir zuvor noch eine wichtige Frage klären, und diese betrifft das Verhältnis der Eunomianer zu den kontemporären Homöern. Denn in Ermangelung anderer Quellen gaben verschiedene Gelehrte (darunter große Namen wie Seeck oder Delmaire) der Versuchung nach, das Schwanken der antieunomianischen Gesetzgebung aus dem jeweiligen Verhältnis der kaiserlichen Zentrale zu »arianischen« (d. h. homöischen) Gruppen zu erklären. Doch nach allem, was wir wissen, war das Verhältnis zwischen diesen und den Eunomianern durchaus angespannt. »Eunomianer« als eigene Sekte entstanden genau dadurch,

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Vgl. etwa Albertz, S. 260 Anm. 4, der spätere nestorianische Autoren aufzählt, deren Auseinandersetzung mit dem Eunomianismus natürlich nicht bedeutet, dass sie ihn in anderer Form kannten denn als schriftliches System. Ein problematischeres Beispiel: CTh. 16.6.7 (413) bedroht eunomianische Kleriker von Bischöfen bis hin zu Diakonen, sofern sie Versammlungen abhalten. Der Plural episcopi könnte als Indiz dafür genommen werden, dass man am Kaiserhof an die Existenz mehrerer eunomianischer Bischöfe glaubte. Aber mir scheint, dass diese Formulierung – die ja nur die allgemeine Geltung des Gesetzes betonen soll – nicht überbewertet werden darf.

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eunomianer

dass sie sich von der damaligen, d. h. homöischen, Reichskirche abspalteten: Die Eunomianer lösten sich also explizit von denen, die als »Arianer« bekannt wurden. Zur Trennung kam es sehr bald nach dem Herrschaftsantritt des Valens (364), als sich die großen homöischen Bischöfe Eudoxios von Konstantinopel und Euzoios von Antiocheia öffentlich von der Gemeinschaft um Aetios und Eunomios zu distanzieren begannen, auch indem sie sie mit recht unfreundlichen Kraftausdrücken à la λοιμοί, »Seuchen«, abqualifizierten (Philostorg. 9.3); daraufhin spalteten sich die Aetios- und Eunomios-Anhänger (»Eunomianer«) offiziell von den Eudoxios- und Euzoios-Anhängern (»Arianern«) ab. 35 Hintergrund der Attacken durch Eudoxios und Euzoios war fraglos, dass die Eunomianer kurz zuvor, noch unter Jovian, einen eigenen Bischof für Konstantinopel eingesetzt hatten und damit eine Integration der AetiosEunomios-Gefolgschaft in die Reichskirche unmöglich wurde (Philostorg. 8.2). Dass die Eunomianer ihren eigenen Bischof ordinierten, sich damit von den Homöern distanzierten und somit die Spaltung unabwendbar machten, erklärt sich aus der Nichtakzeptanz des Aetios durch die Homöer; während Eunomios selbst von den »Arianern« angenommen wurde, sahen sie den seinerzeit exkommunizierten Aetios später nie mehr als rechtgläubig an, was umgekehrt für die Aetios-Eunomios-Gefolgschaft unerträglich war. Letztlich führte also die Frage nach der Beurteilung des Aetios zur Abspaltung der Eunomianer von den damals dominierenden »Arianern«. 36 Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus der Schilderung des Versuchs, die Kircheneinheit zwischen Homöern und Anhomöern wiederherzustellen: Als unter Theodosius I. die Verfolgung massiv wurde und der »arianische« Bischof Dorotheos aus Antiocheia verbannt worden war, versammelten sich die antiochenischen »arianischen« Kleriker samt weiteren »arianischen« Bischöfen aus der Umgebung; sie kontaktierten die Eunomianer und baten um Herstellung der Abendmahlgemeinschaft. 37 Dafür stellten die Eunomianer zwei Bedingun35

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Philostorg. 9.4: Ὅτι κατὰ τὸ καρτερὸν οἱ περὶ Ἀέτιον καὶ Εὐνόμιον τῶν περὶ Εὐδόξιον διαστάντες καὶ Εὐζώϊον …, »Die Anhänger von Aetios und Eunomios trennten sich in aller Entschiedenheit von den Anhängern von Eudoxios und Euzoios …«; bei Bleckmann/Stein I, S. 383, fehlübersetzt als »Aetios und Eunomios trennten sich in aller Entschiedenheit von Eudoxios und Euzoios«, wodurch das Faktum des Schismas untergeht (auch ihr Kommentar schweigt dazu). So Socr. 4.13.1, 5.24.1; Soz. 6.26.6 f. Anders Theodoret. hist. eccl. 2.29.11, bei dem aber bereits die Chronologie offensichtlich falsch ist. Philostorg. 10.1, … πέμπουσι πρὸς τοὺς ἀμφὶ τὸν Εὐνόμιον, τὴν κοινωνίαν αὐτῶν ἐπιζητοῦντες, »… sie sandten zu den Eunomianern und erbaten die Abendmahlgemeinschaft mit ihnen«; bei Bleckmann/Stein I, S. 399, fehlübersetzt: »… schickten zu Eunomios und den Seinen, um den Kontakt zu ihnen zu suchen«. Dass der

verhältnis zu den homöern

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gen: die Aufhebung der Verurteilung des Aetios und seiner Schriften sowie eine Läuterung der angeblich verdorbenen Sitten der »Arianer« (laut Philostorg. 10.3: Simonie und sexuelle Ausschweifungen). Dem kamen die Homöer nicht nach und beschimpften vielmehr die Eunomianer (Philostorg. 10.1). Umgekehrt weiß der Eunomianer Philostorg wenig Freundliches über die »Arianer« zu sagen (Philostorg. 10.2 f.). 38 Dies ist umso bedeutsamer, als Philostorg erst nach 425 schreibt: Philostorgs Beurteilung der Homöer beweist, dass sich das Verhältnis zwischen »Arianern« und Eunomianern auch später nicht mehr entspannte (Albertz, S. 250). Spannungen zwischen »Arianern« und Eunomianern gab es nicht nur auf persönlicher Ebene, sondern auch in theologischer Hinsicht. Dass die VaterSohn-Beziehung sehr unterschiedlich dargestellt wurde, haben wir bereits oben gesehen (→ S. 611). Doch auch andere Fragen spielten eine Rolle, nämlich zumal die rationalistische Theologie der Eunomianer, die in ihrer Überzeugung gipfelte, dass eine sichere Erkenntnis des Wesens Gottes erreichbar sei (Albertz, S. 219 f.; vgl. → S. 6092). Die Eunomianer waren also keineswegs eine Gruppe, die nur aufgrund persönlicher Eitelkeiten im Schisma von den Homöern lebte, sondern sehr wohl eine ganz eigene Gruppe, die von »Arianern« ab einem gewissen Zeitpunkt ganz klar als häretisch (nicht als schismatisch) empfunden wurde. Dieser Zeitpunkt war spätestens dann endgültig erreicht, als sich die Eunomianer nicht mehr nur durch Fragen der Vater-Sohn-Beziehung oder der Gotterkenntnis sowie ihre separate Organisation von den Homöern absetzten, sondern auch durch eine höchst eigenwillige Taufpraxis (vgl. Destephen, S. 320–322) und, damit verbunden, durch Wiedertaufen übertretender »Arianer«. Die Eunomianer tauften »auf den Tod des Herrn«, εἰς τὸν θάνατον τοῦ κυρίου, 39 offensichtlich ausgehend von Röm 6:3, ἢ ἀγνοεῖτε ὅτι, ὅσοι ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν, εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν, »Oder

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exilierte Eunomios persönlich kontaktiert wurde, steht nicht im Original, und κοινωνία ist ein Terminus technicus. Ausnahmen betreffen Ulfilas, den Philostorg sehr positiv zeichnet – aber nicht als »Arianer«, sondern als Vertreter quasi-eunomianischer Anschauungen versteht (Philostorg. 2.5 a. E.) –, sowie Euseb von Nikomedeia (Philostorg. 1.9 und 1.9b), der freilich als historische Figur streng von den zeitgenössischen homöisch-eunomianischen Streitereien zu trennen ist. Philostorg. 10.4; Socr. 5.24.6; Soz. 6.26.4; Theodoret. haer. 4.3.420B. Anders bei Epiphanios und Gregor von Nyssa (zu den Stellen vgl. → S. 63342), doch freilich ist die Aussage des Eunomianers Philostorg hier entscheidend. Für eine theologische Deutung vgl. Spuntarelli.

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eunomianer

wisst ihr nicht, dass wir alle, die wir getauft sind auf Jesus Christus, auf seinen Tod getauft sind?«. Diese Taufe geschah mit nur einer einzigen Untertauchung, was scharf kontrastierte mit den drei Untertauchungen, die zur triadischen Taufformel gehörten; diese war im Westen zum Prüfstein für die Gültigkeit einer Häretikertaufe geworden (→ S. 498) und erschien auch den Homöern verpflichtend. Daher ist es nur konsequent, dass die Eunomianer die vorherige Taufe nizänischer wie homöischer Konvertiten als gleichermaßen unbeachtlich ansahen und sie wie Heiden tauften. Die Chronologie der eunomianischen Taufpraxis ist unklar. Wiedertaufen waren sicher bereits in den 370ern üblich, 40 die Einfachtaufe auf den Tod des Herrn könnte erst später (und möglicherweise durch eunomianische Abspaltungen) entstanden sein; 41 freilich steht man dann vor dem sachlichen Problem, warum die Eunomianer anfangs überhaupt wiedertauften, wenn damals ihr Taufritus mit dem der Orthodoxen und »Arianer« identisch war (und keine anderen Gründe vorlagen, an der Gültigkeit einer fremden Taufe zu zweifeln, wie wir solche etwa von den Donatisten kennen). Unsere Kenntnis der Einzelheiten der Eunomianertaufe wird zudem durch die Fantasie der Häresima40

41

Dass die Praktik der Wiedertaufe früh einsetzte, steht fest: Denn dies berichtet bereits Epiphanios (Panar. 76.54.32), der kurz vor 380 schrieb. Laut ihm wiedertauften Eunomianer sowohl Orthodoxe als auch »Arianer«, die sich ihnen anschließen wollten. Im östlichen Teil des Römischen Reichs wurde die Wiedertaufe offenbar weit weniger als Skandal empfunden als in Afrika, denn das Thema wird wenig diskutiert, und die frühesten bekannten Gesetze gegen eunomianische Wiedertaufen stammen erst von 413 (→ S. 671). Socr. 5.24.6 scheint die Taufe »auf den Tod Christi« nur den Anhängern von Theophronios und Eutychios zuzuschreiben, was aber nicht der Darstellung von Philostorg (10.4) entspricht, wonach die Anhänger des Eunomios (!) einmal und »auf den Tod des Herrn« tauften. Soz. 6.26.2–9 kennt beide Versionen: Die einen erzählen, die ungewöhnliche Taufpraxis gehe auf Eunomios zurück, die anderen, auf Theophronios und Eutychios (Sozomenos selbst hält die letztere Variante für wahrscheinlicher und erwähnt sie in 7.17.8 erneut). Unmöglich erscheint mir die Ansicht von Vaggione, S. 344, Eunomios habe die Einfachtaufe, die beiden Abspalter erst später die neue Formel eingeführt. Das lässt sich nicht in Sozomenos hineinlesen und entspricht auch nicht den Angaben des Eunomianers Philostorg. Die Constitutiones apostolicae, ein von manchem als eunomianisch angesehener Text (vgl. Williams, S. 161– 165), schreiben in Const. apost. 3.17.1 die Taufe auf »den Tod des Sohns« vor, ebenso in 6.15.1 die einmalige Taufe auf »den Tod des Herrn« (vgl. ferner 5.7.30); 7.22.1 und 7.44.1 bieten hingegen die triadische Taufformel, und 8.47.50 verfügt sogar die Absetzung von Klerikern, die einmal auf den Tod des Herrn untertauchen anstatt dreimal entsprechend der triadischen Taufformel. Diese offensichtlichen Widersprüche könnten sich durch spätere Interpolationen oder aber durch einen innereunomianischen Konflikt (so Wiles, S. 344–346) erklären.

verhältnis zu den homöern

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chen getrübt, die allerlei mehr oder weniger erstaunliche Anekdoten zu berichten wissen. 42 Doch ganz gleich, wie sich dies im Einzelnen verhalten mag: Außer Frage steht, dass umgekehrt die Orthodoxen die Taufe der Eunomianer nicht als gültig ansahen, 43 was angesichts des Fehlens der triadischen Taufformel nur konsequent ist (→ S. 498). 44 In der Eigenwahrnehmung waren »Arianer« und Eunomianer jedenfalls nach dem Bruch mit Eudoxios und spätestens nach Einführung der Wiedertaufpraxis streng getrennt. Doch auch bei externen Betrachtern schleichen sich nach Ausweis der Quellen keine Missverständnisse ein. 45 Der kaiserliche Ge42

Laut Gregor von Nyssa (c. Eunom. 3.9.61) habe Eunomios selbst geschrieben, auf den »Demiurg und Schöpfer« sei zu taufen. Epiphanios (Panar. 76.54.34) hatte von Gerüchten gehört, wonach die Eunomianer kopfüber tauften (διεβεβαιώσαντό τινες ὅτι κατὰ κεφαλῆς τοὺς ἀναβαπτιζομένους βαπτίζει, τοὺς πόδας ἄνω καὶ τὴν κεφαλὴν κάτω, »einige haben versichert, dass er [Eunomios] seine Täuflinge kopfstehend

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wiedertaufe, d. h. die Füße nach oben und den Kopf nach unten«). Laut Theodoret (haer. 4.3.420B-421A) durften nur Kopf und Brust benetzt werden, was die Eunomianer mit verschiedenen Methoden bewerkstelligten (Kopf wie beim Haarewaschen eintauchen; Täufling auf Bank legen, wobei der zu benetzende Kopf übersteht; Täufling ab Brust wie Mumie einpacken); zudem hat Theodoret weitere, schlimme Gerüchte über die Eunomianer gehört, die so scheußlich sind, dass er sie nicht wiedergeben will. Hier hilft die Kirchengeschichte des Barh. adbešabba, die aus Theodor von Mopsuestia schöpft, der seinerseits auch dem Theodoret als Quelle diente (Vaggione 1980, S. 403–407, S. 426–428, S. 442–449). Denn auch Barh. adbešabba (hist. p. 281.10–282.5) hat die Geschichte, dass die Eunomianer nur bis zur Brust taufen, und schließt unmittelbar danach das Schauermärchen an, die Eunomianer spenden einmal im Jahr die Kelchkommunion mit dem Blut eines zu diesem Zwecke geschlachteten Lämmchens. Vgl. Soz. 6.26.7 sowie die sogenannte Epistula de eis qui ad ecclesiam accedunt (ca. Mitte 5. Jh.; vgl. Wallraff 1997b, S. 268 f. Anm. 71); sie beschreibt folgendes Verfahren für Eunomianer, die zur Orthodoxie übertreten wollen: Εὐνομιανοὺς μέντοι τοὺς εἰς μίαν κατάδυσιν βαπτιζομένους … πάντας τοὺς ἀπ’ αὐτῶν καὶ θέλοντας προστίθεσθαι τῇ ἀληθείᾳ ὡς Ἕλληνας δεχόμεθα, »Eunomianer aber, die mit einer Eintauchung getauft werden, … [eine Aufzählung weiterer Gruppen folgt] – alle aus diesen Gruppen, die zur Orthodoxie übertreten wollen, die nehmen wir wie Heiden auf« – sprich: wie komplett Ungetaufte. Dieser Text wurde später in den unechten 7. Kanon des ersten Konzils von Konstantinopel übernommen. Weniger konsequent erscheint, dass den Eunomianern Strafen im Fall von Wiedertaufen angedroht werden; denn eigentlich sollte ein nach orthodoxem Verständnis liturgisch irrelevanter Vorgang (nämlich die eunomianische »Taufe« ohne triadische Formel) gar keine Wiedertaufe darstellen. Abwegig Biondi, S. 323, laut dem Ambrosius »insiste sulla sostanziale identità« unter Verweis auf Stellen wie Ambr. fid. 1.6.44, Plura enim nomina, sed una perfidia, »verschiedene Namen, aber ein Unglaube«. Dabei handelt es sich freilich nur um einen

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eunomianer

setzgeber verwechselt niemals die beiden Gruppen. Bereits das erste erhaltene Gesetz, das die Eunomianer nennt – CTh. 16.5.6 vom 10. Januar 381 – spricht von Photinianae labis contaminatio, Arriani sacrilegii venenum, Eunomianae perfidiae crimen, »die Besudelung photinianischen Schmutzes, das Gift arianischen Frevels, das Verbrechen eunomianischer Verlogenheit«, und setzt damit Arianer und Eunomianer nebeneinander: zwar auf gleicher Ebene, aber eben separat. Dies lässt sich auch weiterhin so in der Gesetzgebung beobachten. 46 Niemals werden Eunomianer unter Arianer subsumiert. Dass die erbrechtlichen Sanktionen, die uns bald näher beschäftigen werden, stets Eunomianer, niemals Arianer betreffen, ist eine weitere eindeutige Illustration dieser klaren Distinktion. Nicht nur am Kaiserhof respektierte man diesen Unterschied: Auch der erste Kanon des konstantinopolitanischen Konzils vom Mai 381 trennt klar zwischen Eunomianern und Arianern. 47 Tatsächlich waren es erst moderne Forscher, die begannen, die für Zeitgenossen klar geschiedenen Gruppen zusammenzuwerfen. Es ist daher methodisch höchst bedenklich, den Verlauf der Eunomianergesetzgebung durch eine Rücksichtnahme auf Arianer erklären zu wollen, setzt dies doch voraus, dass entweder der Kaiser Eunomianer mit Arianern verwechselte (wofür es keinen Hinweis gibt) oder dass sich Arianer irgendwie solidarisch mit Eunomianern fühlten (wofür ebenfalls keinerlei Indiz existiert). 48 Kommen wir also zur Gesetzgebung. Das erste Mal, dass Eunomianer für uns nachweisbar in der Gesetzgebung erscheinen, ist Gratians Toleranzerlass,

46

47

polemischen Topos (vgl. z. B. → S. 770), und nichts anderes gilt auch für die anderen von Biondi angeführten Passagen. Die folgenden Gesetze nennen die beiden Gruppen getrennt: CTh. 16.5.6 (381, im Haupttext zitiert); CTh. 16.5.8 (381); CTh. 16.5.11 (383); CTh. 16.5.12 (383); CTh. 16.5.13 (384); CTh. 16.5.59 (423); CTh. 16.5.60 (423); CTh. 16.5.65 (428). Ioh. Schol. synag. p. 116.7–10, ἀναθεματισθῆναι πᾶσαν αἵρεσιν, καὶ ἰδικῶς τὴν

τῶν Εὐνομιανῶν ἤγουν Ἀνομοίων, καὶ τὴν τῶν Ἀρειανῶν εἴτ’ οὖν Εὐδοξιανῶν, καὶ τὴν τῶν Ἡμιαρείων εἴτ’ οὖν Πνευματομάχων, καὶ τὴν Σαβελλιανῶν, καὶ τὴν Μαρκιανῶν, καὶ τὴν Μαρκελλινιανῶν καὶ τὴν Φωτεινιανῶν, καὶ τὴν Ἀπολιναριανῶν,

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»Alle Häresien sollen dem Anathema verfallen, und zwar namentlich die Eunomianer (oder auch Anhomöer), die Arianer (oder auch Eudoxianer), die Halbarianer (oder auch Pneumatomachen), die Sabellianer, die Markianer, die Markellinianer, die Photinianer und die Apollinarianer«. In Philostorg 2.5 geht es um Ulfilas, den Philostorg – wie Photios referiert – geradezu verehrt und zu den Angehörigen seiner Häresie rechnet. Das bedeutet nicht (pace Albertz, S. 258), dass »arianische« Goten irgendwie den Eunomianern nahestanden. Philostorg lobt ja gerade nicht den »arianischen« Ulfilas, sondern deutet ihn zum Eunomianer um! Keine Quelle weist irgendwie auf eine Annäherung zwischen »arianischen« Goten und Eunomianern hin.

gesetzgebung

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von dem sie als nur eine von drei Gruppen ausgenommen sind (→ S. 616); man darf also umgekehrt annehmen, dass die Sanktionen, die Gratian für die anderen außer Kraft setzt – Klerikerverbannungen, Versammlungsverbote –, zu diesem Zeitpunkt die Eunomianer bereits betrafen. Gesetze gegen die Eunomianer sind uns im Codex Theodosianus ab 381 überliefert, wobei sämtliche der Regelungen, die gleich zu nennen sein werden, stets gegen eine Mehroder Vielzahl von Häretikergruppen gerichtet sind, unter denen sich eben auch die Eunomianer finden. CTh. 16.5.6 vom Januar 381 wurde eben bereits erwähnt; das Gesetz wendet sich eigentlich gegen alle Häretiker, führt dabei aber die Eunomianer und zwei weitere Gruppen namentlich auf: Häretiker dürfen sich nicht versammeln; Zuwiderhandelnde sollen aus Städten vertrieben werden. Im Juli 381 (CTh. 16.5.8) wird den Eunomianern (zusammen mit den »Arianern« und Aetios-Anhängern 49) der Neubau von Kirchen untersagt. Im Juli 383, bald nach dem sogenannten »Konzil aller Häresien«, wird den Eunomianern (ebenso wie den Arianern, Makedonianern, Manichäern und weiteren namentlich genannten Gruppen) verboten, sich zu versammeln (CTh. 16.5.11, → S. 347). Ein paar Monate später verschärft ein weiteres Gesetz die Strafregelungen und untersagt Klerikerordinationen, verfügt die Konfiskation von Versammlungsstätten und bestimmt die Rückführung häretischer Kleriker in ihre Heimatregionen (CTh. 16.5.12, Dezember 383), was Eunomianer ebenso betrifft wie Arianer, Makedonianer, Apollinarianer und »die restlichen Sekten«. Noch im selben Winter ergeht eine neue Konstitution, die wiederum die Vertreibung eunomianischer Kleriker (ebenso wie makedonianischer, arianischer und apollinarianischer) aus Konstantinopel anordnet (CTh. 16.5.13, Januar 384). Erst mehr als fünf Jahr später, 389, ist uns wieder ein Gesetz gegen die Eunomianer überliefert. Dieses Gesetz ist nun das erste aus der Serie mit erbrechtlichen Bestimmungen, die uns im Weiteren näher interessieren wird. Der große zeitliche Abstand fällt auf, ebenso die Tatsache, dass dieses Gesetz ausschließlich die Eunomianer (also nicht eine ganze Liste von Häretikergruppen) betrifft. Noch eine dritte Besonderheit gibt es: Wenig später erfolgt eine Aufhebung der Sanktion, mit weiteren Umschwüngen in der Folgezeit. Eine

49

Diese Stelle – nullum Eunomianorum atque Arrianorum vel ex dogmate Aeti – ist die einzige Nennung von Eunomios’ Lehrmeister Aetios im Codex Theodosianus. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es von den Eunomianern unabhängige »Aetianer« gab, und schon gar nicht im Jahr 381, als Aetios längst tot und die Berufung auf Aetios von grundlegender Bedeutung für die Eunomianer war.

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eunomianer

solche Unschlüssigkeit der Eunomianergesetzgebung gibt es nur bei den erbrechtlichen Sanktionen, nicht aber bei irgendeiner anderen Einschränkung. Ob also ein Eunomianer ein Testament errichten darf oder nicht, führt zu Meinungsumschwüngen in der kaiserlichen Zentrale – dass Eunomianer z. B. keine Kirchen haben dürfen, war hingegen völlig unstreitig. Dass die Gesetze, in denen die Testierfähigkeit der Eunomianer wiederhergestellt bzw. bestätigt wurde (also CTh. 16.5.23, 16.5.27, 16.5.36), überhaupt in den Codex Theodosianus aufgenommen wurden, ist nicht weiter verwunderlich, denn dies entspricht dem Auftrag an die Kompilatoren, das Gesetzesmaterial einfach zu sammeln und nichts angesichts späterer Änderungen in der Gesetzeslage auszuscheiden; derlei Aufhebungen finden sich im Codex Theodosianus auch in zahlreichen anderen Kontexten (→ S. 192). 389 kommt es also unter Theodosius I. zum ersten Mal zu erbrechtlichen Sanktionen gegen Eunomianer (CTh. 16.5.17, 4. Mai 389), die aber vom selben Kaiser fünf Jahre später wieder aufgehoben werden (CTh. 16.5.23, 20. Juni 394), und zwar wenige Monate vor seinem Tod (17. Januar 395). Kaum folgt ihm Arkadius im Osten nach, schon kehrt man zu den vorherigen Sanktionen zurück (CTh. 16.5.25, 13. März 395). Aber nach wenig mehr als einem halben Jahr gibt es unter Arkadius ebenfalls eine Kehrtwende, und man lässt Eunomianer doch wieder Testamente errichten und aus Testament erben (CTh. 16.5.27, 25. Dezember 395). Für den 6. Juli 399 (CTh. 16.5.36) ist uns ein weiterer (scheinbarer) Widerruf unter Arkadius überliefert, der mithin bedeuten könnte, dass zwischenzeitlich eine erneute (uns nicht überlieferte) Verhängung der erbrechtlichen Sanktionen erfolgte – tatsächlich handelt es sich nach aller Wahrscheinlichkeit einfach um eine Bestätigung der Rechtslage auf Anfrage. Arkadius verstirbt 408, unter seinem Sohn Theodosius II. (damals noch ein kleines Kind) werden am 1. März 410 erneut erbrechtliche Sanktionen gegen die Eunomianer verhängt (CTh. 16.5.49 f.), die dann fünf Jahre später ausführlicher dargestellt und bestätigt werden (CTh. 16.5.58, 6. November 415). Sehen wir uns all die genannten Gesetze im Einzelnen an.

CTh. 16.5.17 [4. Mai 389] Imppp. Valentinianus, Theodosius et Arcadius AAA. Tatiano ppo. Eunomiani spadones nec faciendi nec adipiscendi habeant licentiam testamenti. Quod circa omnes, quos vivos lex invenerit, volumus custodiri nec quemquam praeteritae cuiuspiam voluntatis privilegio defensari, cum, seu facta prius testamenta seu infecta doceantur, post hanc Nostri oraculi sanctionem non habeant possidendi

cth. 16.5.17 [4. mai 389]

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licentiam, non petendi, non etiam relinquendi heredhitatiem 50 nomine principali, non fideicommissario, non legatario, non tacito fideicommisso vel quamcumque in huiuscemodi negotiis nuncupationem iuris ordo constituit: sed omnia, quae talium esse vel futura esse constiterit, ut caduca fisci Nostri viribus vindicentur. Nihil ad summum habeant commune cum reliquis. Dat. IIII non. Mai. Mediolano Timasio et Promoto Conss. Die Kaiser Valentinian, Theodosius und Arkadius an den Prätoriumspräfekten Tatian: Die eunomianischen Eunuchen sollen weder die Möglichkeit der Testamentserrichtung noch des testamentarischen Erwerbs besitzen. Wir bestimmen, dass dies mit Blick auf alle gelten soll, die das Gesetz zu Lebzeiten antrifft. Niemand soll durch das Privileg irgendeiner früher errichteten letztwilligen Verfügung geschützt werden. Ganz gleich, ob sich Testamente als zuvor bereits errichtet oder nicht errichtet herausstellen sollten: Ab dem Zeitpunkt dieses Unseres Erlasses sollen sie nicht mehr die Möglichkeit haben, eine Erbschaft – weder im strengen Wortsinn noch unter dem Namen Fideikommiss noch unter dem Namen Legat noch durch tacitum fideicommissum oder welche Bezeichnung auch immer das Rechtssystem bei derlei Angelegenheiten festgelegt hat – zu besitzen, einzufordern oder auch nur zu hinterlassen. Vielmehr soll alles, von dem sich herausstellt, dass es solchen Leuten zugedacht ist oder künftig zugedacht 51 sein sollte, als kaduk zugunsten des Vermögens Unseres Fiskus eingezogen werden. Kurzum, nichts sollen sie mit den anderen Menschen gemein haben. Abgeschickt am 4. Tag vor den Nonen des Mai in Mailand unter dem Konsulat von Timasius und Promotus. [4. Mai 389]

Sehr viel wurde über die ersten beiden Wörter dieser Konstitution geschrieben: Wie soll man Eunomiani spadones, »eunomianische Eunuchen«, verstehen? Die in der Literatur vertretenen Meinungen lassen sich in drei Kategorien einteilen: tropische Auffassung, Textverderbnis oder wörtliches Verständnis. 50 51

Überliefert ist heredem (so auch alle Ausgaben), die Emendation ist von mir; ohne Verbesserung kann ich den Text nicht konstruieren. Escribano Paño 2009, S. 56, scheint den Ausdruck so zu verstehen, als würde es um das ganze Vermögen (und nicht nur um letztwillige Zuwendungen) gehen: »They were deprived of the right to own and acquire property …, and their property became caduca fisci«. Aber im ganzen Kontext (und in späteren Aufhebungen und Bestätigungen) geht es immer nur um letztwillige Zuwendungen, nicht um das Vermögensganze. Übrigens gehört der Genetiv fisci (zusammen mit Nostri) zu viribus (nicht zu caduca).

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eunomianer

Die tropische Interpretation – lange Zeit die vorherrschende Meinung – ist bei näherer Betrachtung ziemlich problematisch. »Eunuch« als Beleidigung 52 ist fast gar nicht belegt. 53 Das frühe Christentum pflegt ein ambivalentes Verhältnis zur Kastration: Insbesondere Selbstkastration wird zwar entschieden abgelehnt und bekämpft (Muth, Sp. 323–326), aber das Wort »Eunuch« wird geradezu als Ehrentitel für enthaltsam Lebende verstanden (Muth, Sp. 323; vgl. ferner Stachura 2006, S. 50 f. Anm. 26) und war daher denkbar ungeeignet als Schimpfwort. Dalla (S. 221 f.) erwägt eine andere Möglichkeit des übertragenen Verständnisses: An einer Stelle der Basilios-Grabrede wettert Gregor von Nazianz (or. 43.47) gegen Eunuchen von Kaiser Valens, denen nicht möglich gewesen sei, mit dem Körper Unmoralisches zu tun und die deswegen nur mit der Sprache 54 Unzucht treiben konnten, d. h. allgemein häretische Meinungen verbreiten bzw. (in der konkreten Passage) den orthodoxen Basilios bedrohen, »onde ben può convenire ad eretici l’appellativo di spadones, nel suo significato di impotenti dediti all’oscenità dell’eresia«. Doch aus einer Stelle, in der es explizit um tatsächliche Eunuchen geht, zu schließen, dass man allgemein Häretiker als Eunuchen bezeichnen könne – zumal in Abwesenheit anderer Belege – ist freilich unmöglich. 55 Noethlichs (S. 150) schlug folgende Interpretation vor: »Theodosius wählte m. E. unter dem Einfluß des Ambrosius diesen Begriff für die Eunomianer, weil sie durch die Leugnung der Gottheit Christi (vgl. Ambrosius ep. 21,13) den wahren Glauben und sich selbst verstümmelt hatten«. Noethlichs argumentiert, dass Ambrosius das Wort spado öfters benutzt. Das mag schon sein, aber dies trägt nichts zur Erklärung der Stelle bei, da Ambrosius das Wort an keiner einzigen der von Noethlichs genannten Stellen als Beleidigung einsetzt oder auf die Eunomianer bezieht. 56 Honoré (S. 60) wiederum 52

53

54 55

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Rauschen, S. 306 Anm. 1: »Sie werden im Gesetze zur Schande spadones (Castrirte) genannt«; Albertz, S. 209: »Spottnamen wie spadones«; King, S. 58: »with coarse vituperation«; Delmaire I, S. 257: »les eunomiens, ces eunuques, …«. Opelt bietet lediglich einen Graffito aus Pompeji (S. 122: Inscr. CIL IV 1826, Phileros spado mit Herkuleszeichnung) sowie Beschimpfungen, die sich auf Eutrop – der ja nun tatsächlich Eunuch war – beziehen und deswegen gerade nicht belegen können, dass »Eunuch« tropisch als Schmähung in Gebrauch war (S. 151, S. 153). Wörtlich γλῶσσα – ob der Kirchenvater den möglichen unanständigen Nebensinn intendiert hat? Polemik gegen Kastrierte begegnet auch sonst öfters; die Idee, dass Eunuchen mit der Zunge, also durch böses Reden, sündigen, weil sie anders nicht können, erscheint ebenfalls andernorts (Muth, Sp. 339). Noethlichs, S. 150: »Die Bezeichnung der Eunomianer als ›spadones‹ scheint es aber nahezulegen, daß in diesem Fall Ambrosius die treibende Kraft war. Diese ungebräuchliche Bezeichnung kommt in CT nur an dieser Stelle vor, bei Ambrosius jedoch öfters«. Noethlichs gibt dafür mehrere Belege, keiner davon einschlägig: In epist. 76.28 [in der von Noethlichs benutzten Migne-Zählung: 20.28] geht es um Calligonus (PLRE I, S. 173 s. v. Calligonus), der erstens tatsächlich Eunuch war und zweitens kein Eunomianer (jedenfalls gibt es keinen Hinweis in diese Richtung). Die zweite Stelle, hex. 5.3.9, ist eine allgemeine Erörterung im Rahmen einer Homi-

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schreibt ohne Belege: »The insulting phrase refers to the Eunomian doctrine that the Father, instead of begetting the Son, produced Him in some other way. The sect is therefore the ›eunuch sect‹«. Tatsächlich lehrte Eunomios dies (Kopecek, S. 327 f., S. 389). Allerdings wären die Eunomianer folglich Kastrierende, nicht Kastrierte, und selbst wenn man voraussetzen wollte, dass eine Beleidigung nicht so streng folgerichtig gedacht ist, stört doch erheblich, dass in all der sonstigen Polemik gegen die Eunomianer – an der ja nun wahrlich in unserer Überlieferung kein Mangel herrscht – diese Bezeichnung oder auch nur die dahinterstehende Idee nie aufscheint. 57 Auch Muth (Sp. 340) erklärt die Stelle ähnlich: Er verweist auf eine Passage, wonach gerade Eunuchen die arianische Lehre besonders gefalle, und auf eine andere, die Arianern vorwirft, aus Gott einen spado zu machen; doch wiederum gilt, dass Eunomianer eben keine »Arianer« sind; dass nicht einmal »Arianer« als spadones beleidigt werden; dass, wer einen anderen (angeblich) zum spado macht, ein krimineller Kastrator sein mag, aber eben nicht selbst spado. Angesichts der Tatsache, dass Eunomianer niemals sonst in beleidigender oder ironischer Absicht als Eunuchen bezeichnet werden – und zwar weder in den Gesetzestexten noch in der christlichen Literatur – scheint mir ein tropisches Verständnis von spado ausgeschlossen, besitzen wir doch wahrlich so viel kontemporäre Texte über die Eunomianer – viele davon polemisch –, dass hier ein e-silentio-Argument angemessen scheint. Könnte es sich bei spadones einfach um Textverderbnis handeln? Allerdings bräuchte man eine sehr gute paläografische Erklärung, wie spadones – keineswegs ein banales Wort – entstanden sein könnte. Eine der drei überliefernden Handschriften, nämlich E (vgl. → S. 175269), bietet statt spadones vielmehr hi spadones; Godefroy (Gothofredus, S. 149) schlägt vor, statt hispadones sei histapodes (oder histopodes)

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lie zur Schöpfung: Kreuzungen wie Maulesel (die Ambrosius als widernatürlich ansieht) sind unfruchtbar; dergleichen gibt es beim Menschen nicht, Unfruchtbarkeit entsteht dort nur durch Kastration (die Ambrosius als gleichermaßen pervers ansieht), das Ergebnis ist ein spado. Ich sehe hier beim besten Willen keinen Bezug zu Eunomianern; leider erklärt Noethlichs seinen Gedankengang nicht. Auch sein dritter Beleg epist. 75.13 [in der Migne-Zählung: 21.13] ist nicht geeignet, seine Idee zu stützen: Es geht dort um (imaginierte) Juden und Heiden, die laut Ambrosius der »arianische« Bischof Auxentius als Schiedsrichter für die gemeinsame Diskussion berufen könnte (angesichts dieser theoretischen Möglichkeit weigert sich Ambrosius, an einem solchen Gespräch teilzunehmen). Ambrosius sagt über sie: Quid illos aliud nisi Christi iniuriam audire delectat? Quid illis aliud potest placere nisi, quod absit, ut Christi divinitas denegetur?, »Was andres freut sie, als Unrecht gegen Christus zu hören? Was andres kann ihnen gefallen, als – Gott bewahre! – dass Christi Göttlichkeit in Abrede gestellt werde?«. Auch hier sehe ich nicht, in welchen Zusammenhang die Stelle mit Eunomianern, Eunuchen und/oder Selbstverstümmelung stehen könnte. Vgl. die berechtige Kritik von Stachura 2006, S. 50 Anm. 26, an Noethlichs. Bei Epiphanios von Salamis wird nur den (ansonsten völlig unbekannten) Valesiern (Panar. 58) die Kastration nachgesagt; in seinem langen Kapitel zu den Anhomöern findet sich hingegen nicht einmal der Hauch einer Andeutung in diese Richtung.

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eunomianer

zu schreiben, was laut Godefroy »Kopfübertäufer« bedeuten soll. Paläografisch mag das vielleicht passen, aber das Wort histapodes existiert schlichtweg nicht; ἱστόποδες sind die »Standbeine« eines Webstuhls, die, so Godefroy, nach oben gerichtet sind wie die Beine eines Eunomianers bei der angeblichen Kopfübertaufe. Ein übertragener Gebrauch des Worts ist aber weder auf Latein noch auf Griechisch belegt, eine Bezugnahme auf Eunomianer erst recht nicht. Ferner ist die Vorstellung einer angeblichen eunomianischen Kopfübertaufe völlig ungewöhnlich – sie begegnet ausschließlich bei Epiphanios (→ S. 63342) –, und man würde sie kaum in einem Kaisergesetz erwarten. Kurzum: Das Ganze ist so weit hergeholt, dass zu Recht niemand Godefroys Idee gefolgt ist. Ansonsten scheint keine andere Emendation von spadones vorgeschlagen worden zu sein.

Damit bleibt nur, Eunomiani spadones wörtlich zu nehmen. Bereits Dalla (S. 221) erwog die Möglichkeit, dass es selbstkastrierende Eunomianer gab oder zumindest unter ihren Gegnern ein entsprechendes Gerücht umlief. Doch nichts dergleichen findet sich in der umfangreich überlieferten Polemik gegen die Eunomianer (Muth, Sp. 320). Allerdings wissen wir sehr wohl von eunomianischen Eunuchen – nur, dass diese sich kaum selbst entmannt hatten. Auf diese andere Gruppe hat Stachura (2006, S. 51) ausführlich verwiesen und damit wichtige Argumente für ein wörtliches Verständnis geliefert. 58 Als im Jahr 358 Eudoxios (der spätere Bischof von Konstantinopel, der seinerseits den Eunomios weihte, → S. 612) mit kaiserlicher Unterstützung in recht irregulärer Weise Bischof von Antiocheia wurde, steckten, so munkelte man laut Sozomenos, 59 anhomöische Palasteunuchen dahinter. Nun ist dies von Sozomenos selbst als Hörensagen gekennzeichnet, und gerade den Verschnittenen am Kaiserhof traute man traditionell allerlei finstere Machenschaften zu (vgl. Scholten 1995, S. 54–65). Allerdings gibt es noch eine wesentlich bessere Quelle für anhomöisch gesinnte Kastraten zu Hof, nämlich Philostorg selbst. Laut ihm 60 war der unmittelbare Anlass für die finale Verbannung des 58

59

Bereits vor Stachura nahmen Vaggione (S. 354 f.) und Magnou-Nortier (S. 221 mit Anm. 70) die Eunuchen wörtlich, allerdings offenbar jeweils in Unkenntnis des Forschungsdiskurses. Soz. 4.12.4, λόγος δὲ ταῦτα τὸν αὐτὸν πραγματεύσασθαι κατὰ γνώμην τοῦ κρατοῦντος, τῶν ἐν τοῖς βασιλείοις εὐνούχων συμπραξάντων, οἳ ἅμα Εὐδοξίῳ τὸ Ἀετίου δόγμα ἐπῄνουν καὶ ἀνόμοιον εἶναι τῷ πατρὶ τὸν υἱὸν ἐδόξαζον, »Ein Ge-

rücht besagt, er selbst [Eudoxios] habe dies bewerkstelligt entsprechend dem Wunsch des Kaisers unter Mitwirkung der Palasteunuchen, die zusammen mit Eudoxios der Lehre des Aetios zustimmten und den Sohn für ungleich [ἀνόμοιος] dem Vater hielten«. 60 Philostorg. 10.6: Ὅτι Θεοδόσιος ὁ βασιλεύς, εὑρών τινας τῶν ἐν τῷ κοιτῶνι αὐτοῦ

τὰ Εὐνομίου στέργοντας, τούτους μὲν τοῦ παλατίου ἐλαύνει, τὸν δὲ Εὐνόμιον ἐκ

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Eunomios irgendwann zwischen 383 und 387, dass Theodosius I. Eunomianer unter seinen Kämmerern entdeckte, die er daraufhin vom Hof verjagen ließ. Mit ganz wenigen Ausnahmen (Scholten 1995, S. 28; Jones, S. 567) sind alle bekannten Kammerherren (praepositi sacri cubiculi) und Kämmerer (cubicularii) der Spätantike Eunuchen. Und wir wissen noch von einem weiteren eunomianischen Eunuchen: von dem fromm fastenden Eudoxios, der wohl als Leiter der konstantinopolitanischen Gemeinde starb (→ S. 621). Leider besitzen wir keinerlei Informationen, wie dem Eudoxios die Geschlechtlichkeit abhanden gekommen sein könnte: Ex-Kämmerer, Selbstkastration oder Unfall sind drei mögliche Szenarien, denen man durch Spekulation beliebig viele weitere hinzufügen kann. Jedenfalls beweisen diese verstreuten Notizen, dass die kleine Gruppe der Eunuchen mit der kleinen Gruppe der Eunomianer eine Schnittmenge besaß, und damit spricht viel dafür, die Eunomiani spadones wörtlich zu verstehen. 61 Freilich wird es sich bei diesem Gesetz kaum um eine Maßnahme gehandelt haben, die unverschnittene Eunomianer (die scheinbar nicht sanktioniert werden) gegenüber Kastraten jungarianischen Bekenntnisses privilegieren sollte. Dies erzwingt umgekehrt den Schluss, dass die vorliegende Regelung einen sehr konkreten Anlass hatte. Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber bei möglichen Umgehungen ausschließlich an Verfügungen von Todes wegen denkt: Er verbietet nicht etwa Schenkungen und Scheinverkäufe, sondern andere Gestaltungen letztwilliger Verfügungen, so insbesondere die verschiedenen Arten von Vermächtnissen (→ S. 269). 62 Läge nicht ein konkreter Fall τῆς Καλχηδόνος τὴν ταχίστην τοὺς ἁρπασομένους ἐκπέμπει, καὶ πρὸς τὴν Ἁλμυρίδα φυγάδα ποιεῖν ἐγκελεύεται, »Kaiser Theodosius findet heraus, dass einigen

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seiner Kämmerer die Sache des Eunomios am Herzen liegt. Deswegen verjagt er diese vom Hof und schickt Leute aus, die den Eunomios aus Chalkedon schleunigst fortschaffen sollen; er weist ihn an, nach Halmyris in die Verbannung zu gehen«. Wir besitzen keinerlei Hinweis, warum einzelne Eunuchen dem Eunomianismus zugeneigt waren. Van Nuffelen (2011, S. 309) meinte: »En sachant que la plupart des eunuques impériaux venaient de l’Orient, avec l’Arménie et la Perse comme origines les mieux attestées, il n’est pas tout à fait impossible que la proximité géographique avec la Cappadoce puisse expliquer la popularité relative de l’eunomianisme parmi les eunuques«. Das Argument leuchtet mir nicht ein: Kein einziger kappadokischer Hofeunuch ist (soweit ich sehe) bekannt; Kappadokien war Teil des Römischen Reichs, Armenien nicht; und wenn man feststellt, dass Kappadokien im weiteren Sinne an Armenien grenzt, ist das noch lange kein Grund, weswegen sich (möglicherweise) armenische Eunuchen für die Religion kappadokischer Nichteunuchen (aus Kappadokien stammen etwa Eunomios oder Theophronios) interessieren sollten. Auffällig ist die bemerkenswert unjuristische Formulierung vel quamcumque in huiuscemodi negotiis nuncupationem iuris ordo constituit, die alle weiteren Fälle abdecken

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zugrunde, müsste man doch die offensichtliche Lücke von Umgehungsschenkungen beseitigen, zumal dies in der unmittelbar vergleichbaren Manichäergesetzgebung von Anfang an der Fall war. Liest man CTh. 16.5.17 aufmerksam, so stellt man fest, dass es hier – anders als bei eigentlich allen sonstigen erbrechtlichen Sanktionsgesetzen entsprechender Ausführlichkeit – weitaus weniger um das Vererben als vielmehr um das Erben geht. 63 Auch die Rechtsfolge ist eine andere als z. B. bei Donatisten: Nicht etwa, dass Testamente der Eunomianer bzw. Verfügungen zu ihren Gunsten ungültig sind und somit die jeweiligen Intestaterben profitieren – nein, der Nachlass fällt vielmehr an die Staatskasse. Ferner gilt das Gesetz für bereits vorhandene Testamente. Eine ähnliche Regelung kennen wir hinsichtlich Apostaten: Bei ihnen wird ebenfalls ein bereits errichtetes Testament ungültig (→ S. 720), unter bestimmten Umständen wird bei ihnen jedoch im Intestaterbgang vererbt. Aber hier, wo der Nachlass eingezogen wird, ist die Folge eine ganz andere: Der eunomianische Betroffene bewirkt ausgerechnet durch sein Testament, dass sein Vermögen an den Staat fällt. Kombinieren wir die Hinweise und versuchen wir, den zugrunde liegenden Fall zu rekonstruieren: Ein noch lebender 64 Erblasser hatte ein Testament zugunsten eunomianischer Eunuchen errichtet. Aus irgendeinem Grund war der Inhalt dieses Testaments bekannt, und jemand wollte es zu Fall bringen. Sollten dies die gesetzlichen Erben gewesen sein, ist die Angelegenheit für sie anders ausgegangen als erwünscht, denn das den Eunomianern Zugedachte fällt an die Staatskasse, anstatt intestat vererbt zu werden. Angesichts der typischen staatlichen Zurückhaltung bei der Konfiskation von Familiengut (→ S. 340) wird jedoch der Kaiser kaum auf eine Petition von frustrierten Intestaterben dergestalt reagiert haben, dass er einfach alles selbst einkassiert hat. Ein mögliches (freilich rein spekulatives) Szenario wäre etwa, dass ein eunomianischer Hofeunuch an andere eunomianische Hofeunuchen ver-

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soll (man könnte etwa an die donatio mortis causa denken); zu iuris ordo i. S. v. von »Rechtssystem« vgl. z. B. CTh. 10.10.3 (335); CTh. 11.36.24 (378); CTh. 10.1.16 (399). Der gesamte letzte Satz handelt nur vom Erben durch Eunomianer; die ausführliche (und letztlich überflüssige) Aufzählung der Vermächtnisformen betrifft ebenfalls nur das Erben durch Eunomianer. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das Gesetz untersagt natürlich Vererben wie Erben. Aber der Schwerpunkt der Formulierungen liegt klar auf dem Letzteren, das damit offenbar den Anlass bot. Schließlich betrifft die Regelung ausdrücklich nur Erblasser quos vivos lex invenerit.

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erben wollte. 65 Dann hätte es keine Petition von außen gebraucht, damit der Fall zur Kenntnis des Kaisers gelangt wäre, denn der Hof zu Konstantinopel hätte den Kaiser in Italien (wo sich Theodosius im Jahr 389 befindet, → S. 465) informiert und befragt, wie in dem anscheinend als skandalös empfundenen Fall zu verfahren sei. Aus Mailand (wo das vorliegende Gesetz abgeschickt wurde) hätte Theodosius verfügt, das Testament sei ungültig, und gleichzeitig Regelungen erlassen, die künftig solche Fälle verhindern sollten. Die vollständige Konstitution könnte man sich vorstellen wie Nov. Val. 21.1 oder 21.2 (beide von 446), die ausgehend von den Einzelfällen des Leonius (wechselseitiges Testament unter Ehegatten) bzw. der Pelagia (holografisches Testament: vollständig mit eigener Hand niedergeschrieben, aber ohne Zeugenhinzuziehung errichtet) allgemeine Bestimmungen treffen. Beide Novellen enthalten sehr viel mehr Text zu den konkreten Fällen als zur allgemeinen Regelung. Dass überhaupt eine solche getroffen wird, ist bei Nov. Val. 21.1 kaum mehr als angedeutet; 66 gleichwohl ist die Sache unzweifelhaft, weil das Gesetz überall veröffentlicht werden soll und sich der Kaiser im entsprechenden Absatz auch seiner legislatorischen Innovation rühmt. 67 Es wäre eine große Herausforderung, Nov. Val. 21.1 entsprechend den Kompilatorenanweisungen (→ S. 219) zu verkürzen; scheut man größere Text65 66

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Verschnittene konnten an sich problemlos Testamente errichten (vgl. z. B. Paul. sent. 3.4a.2; CI. 6.22.5 von 352). Nov. Val. 21.1 § 4, Idcirco, quia … solam defunctorum convenit inspici voluntatem … et virum spectabilem Leonium praeter fiduciam precum pridem cum uxore communium voluntas quoque alia … defendit, apud eundem solida successione Iucundae coniugis suae iugiter permanente, quisquis maluerit delata Nobis supplicatione testari habeat liberam facultatem, »Daher, weil … man nur auf den letzten Willen von Verstorbenen schauen darf … und den v.s. Leonius neben der Glaubwürdigkeit seiner einst zusammen mit seiner Frau eingereichten Petition auch ein weiteres Testament … bestätigt, soll der vollständige Nachlass seiner Gattin Jucunda dauerhaft bei ihm verbleiben, und jedermann, der so will, soll die uneingeschränkte Befugnis der Testamentserrichtung besitzen, nachdem er eine Eingabe bei Uns gemacht hat«. Es ist praktisch nicht möglich, den Satz so zu kürzen, dass nur die allgemeine Regelung stehen bleibt; insbesondere sagt der letzte Teilsatz mit quisquis nicht einmal, dass es bei der libera facultas testari um das wechselseitige Testament unter Ehegatten geht. Nov. Val. 21.1 § 7, Idcirco illustris et praecelsa Magnificentia Tua saluberrimam sanctionem mox in omnium pervenire notitiam propositis iubebit edictis, ut possit facile cognosci condendarum servandarumque legum curam Nobis esse praecipuam, »Daher wird Deine illustre und präzelse Magnifizenz diese höchstsegensreiche Regelung alsbald zur Kenntnis aller durch Aushang von Edikten bringen lassen, damit man unschwer erkennen kann, dass Uns das Erlassen und Bewahren von Gesetzen vordringlichste Sorge ist«.

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änderungen, bliebe nichts anderes übrig, als manche Teile, die sich auf den Einzelfall beziehen, im Text zu belassen (vgl. → S. 225). Stellt man sich nun die ungekürzte Version von CTh. 16.5.17 ähnlich vor, dann hätte ein generalitas-Marker (→ S. 211) zur Exzerpierung geführt. Die Gültigkeit über den Einzelfall hinaus wäre im Regelungstext hingegen nur angedeutet worden: Eunomiani spadones [von denen bislang die Rede war] nec faciendi nec adipiscendi habeant licentiam testamenti. Quod circa omnes [jetzt aber: alle Eunomianer], quos vivos lex invenerit, volumus custodiri. Danach haben es die Kompilatoren vermieden, die eigentlich folgerichtige Veränderung (nämlich: spadones zu entfernen) durchzuführen, sodass in der Codex-Theodosianus-Fassung der Eindruck entsteht, das Gesetz gelte überhaupt nur für Kastraten. Dass dies realiter anders war (oder: jedenfalls in der Praxis bald so verstanden wurde), sollte CTh. 16.5.23 beweisen, wo das Gesetz mit Blick auf alle Eunomianer aufgehoben wird. Wenn wir uns nun von der rekonstruierten Entstehungssituation – in der vielleicht ein eunomianischer Eunuch andere eunomianische Eunuchen testamentarisch bedenken wollte – lösen und uns den Regelungsgehalt ansehen, so müssen wir feststellen, dass das Gesetz erstens (wie bereits bemerkt) keinerlei Einschränkungen hinsichtlich Schenkungen unter Lebenden enthält und zweitens das intestate Vererben nicht angetastet wird. Letzteres mag sich daraus erklären, dass ein aus dem Ausland stammender Kastrat, der es bis zum römischen Bürgerrecht gebracht hatte (sonst hätte er ja nicht testieren können), in vielen Fällen 68 keine bekannten Verwandten gehabt hat und sein Vermögen, wenn er testamentlos starb, ohnehin an den Staat fiel (weil es entweder kaduk war oder der Kaiser als Freilasser und Patron erbte). In einem unter Leo (also fast ein Jahrhundert später) erlassenen Gesetz wird genau dieser Fall erwähnt (CI. 12.5.4): Alle Sklaven, die Kämmerer werden, sollen fortan automatisch als freigeboren gelten; sie erhalten damit das Recht, ein Testament zu errichten; sollten sie aber intestat sterben, fällt ihr Vermögen ohne Wenn und Aber an die Staatskasse, ganz als wäre der Eunuch ohne gesetzliche Erben verstorben (d. h., als würde es sich um einen Fall von Kaduzität handeln). Letztere Regelung erweckt nicht den Eindruck, eine Neuerung von Leo zu sein, sondern vielmehr den bisherigen Zustand zu be-

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Eutrop (vgl. PLRE II, S. 440–444 s. v. Eutropius 1) stammte aus dem Osten (Armenien?, Claud. 18.58), wurde als Kind kastriert und mehrfach als Sklave weiterverkauft; trotz dieses turbulenten Lebenslaufs war der Kontakt zur eigenen Schwester nicht verloren gegangen, denn die lebte in Konstantinopel, als der Eunuch zu Macht gelangt war (vgl. Claud. 18.263; 19.41–44; 20.88–93).

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stätigen. Damit ließe sich der Verzicht auf eine Regelung für den Intestaterbgang in CTh. 16.5.17 erklären: Der Nachlass eines Kämmerers gilt als kaduk, sofern es kein Testament gibt; sollte ein eunomianischer Kämmerer ein solches errichtet haben, ändert dies die Situation nicht, sein Vermögen fällt trotzdem als kaduk an den Staat. Damit ist aber die gegebene Regelung ausschließlich im Kontext des konkreten Anlasses (eunomianische Kämmerer als Erblasser) angemessen, nicht als generelle Regelung für andere eunomianische Erbfälle. Dadurch lässt sich das oben beschriebene Paradoxon erklären, nämlich dass gerade die Errichtung eines Testaments den Verlust des Familienguts an den Staat zu bewirken scheint. Lässt sich unser Gesetz noch präziser historisch verorten? Stachura (2006, S. 51) interpretiert CTh. 16.5.17 als »added punishment« für »the already expelled eunuchs«. Stachura weist auf den Empfänger von CTh. 16.5.17 hin, nämlich den Prätoriumspräfekten von Oriens. Sein Gedankengang ist anscheinend, dass, würde es um Eunuchen in Konstantinopel gehen, das Gesetz doch an den Stadtpräfekten adressiert sein müsste. Freilich spricht überhaupt nichts dagegen, dass eine Fassung an den Stadtpräfekten ging, eine weitere hingegen an den Prätoriumspräfekten, damit der für ihre allgemeine Publikation in seinem Amtsbereich sorgte (und diese Ausfertigung wurde dann Grundlage des CTh.-Auszugs). So ist z. B. das eben zitierte Leo-Gesetz CI. 12.5.4 mit seinen Regelungen, die Kämmerer in Konstantinopel betreffen, ebenfalls an einen Prätoriumspräfekten (wahrscheinlich von Oriens) gerichtet. Auch die mehrjährige Lücke zwischen Vertreibung (zwischen 383 und 387) und Gesetz (389) mahnt zur Vorsicht. Ja, es könnte sich um dieselben Leute handeln – aber positive Argumente besitzen wir nicht, und die vertriebenen Eunuchen sind schließlich nicht die einzigen eunomianischen Eunuchen, auf die uns die Quellen Hinweise geben. Der letzte Satz Nihil ad summum habeant commune cum reliquis entspricht fast wörtlich dem Abschluss von CTh. 16.5.18 (Nihil ad summum his sit commune cum mundo) gegen die Manichäer (→ S. 463), eine Konstitution, die nur wenige Wochen nach der vorliegenden erlassen wurde (zu diesen Formulierungen vgl. → S. 348). Doch ein weitergehender Zusammenhang mit dieser Manichäerkonstitution ist unwahrscheinlich: Denn die Manichäerregelung bestätigt die geltende Rechtslage hinsichtlich der manichäischen erbrechtlichen Sanktionen und macht keinerlei inhaltliche Anleihen bei CTh. 16.5.17.

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CTh. 16.5.23 [20. Juni 394] Idem AAA. Rufino ppo. Eunomianis, ne caperent aliquid vel relinquerent testamento, legem dudum credidimus promulgandam, quam quidem nunc consilio pleniore revocamus. Vivant iure communi, scribant pariter ac scribantur heredes. Dat. XII kal. Iul. Hadrianopoli Arcadio III et Honorio II AA. conss. Dieselben drei Kaiser [Theodosius, Arkadius und Honorius] an den Prätoriumspräfekten Rufin: Vor einer Weile hielten wir es für erforderlich, hinsichtlich der Eunomianer ein Gesetz zu erlassen, nämlich dass sie testamentarisch weder erben noch vererben könnten. Dieses Gesetz widerrufen wir nunmehr aufgrund reiflicherer Überlegung. Sie sollen nach dem gleichen Recht wie alle 69 leben, gleichermaßen Erben einsetzen und als Erben eingesetzt werden. Abgeschickt am 12. Tag vor den Kalenden des Juli in Adrianopel unter dem Konsulat von Kaiser Arkadius (zum 3. Mal) und Kaiser Honorius (zum 2. Mal). [20. Juni 394]

Dass ein Gesetz samt Widerruf im Codex Theodosianus erhalten ist, braucht angesichts der Sammelkriterien der Kompilatoren nicht zu verwundern: Sie sollten ja explizit eine Zusammenstellung des Materials – und zwar ohne Beseitigung von Widersprüchen – anlegen (→ S. 192). Warum es zur Aufhebung von Gesetzen kam, können wir nur in seltenen Fällen nachvollziehen: Im Jahr 440 erließ etwa Kaiser Valentinian III. ausgehend von einem Einzelfall – der ehemalige Prätoriumspräfekt Auxiliaris (PLRE II, S. 206 s. v. Auxiliaris 1) hatte sich über einen Kontrahenten namens Apollodor, ebenfalls im Rang eines vir illustris, beschwert – ein Gesetz mit generalitas, 70 wonach jemand, der eine rechtlich umstrittene Immobilie eigenmächtig vor Abschluss des Ver-

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Zum ius commune vgl. → S. 349137. Im Gesetz wird die Ewigkeit proklamiert: Idcirco mansura in aevum lege sancimus, ut …, »Deswegen bestimmen wir [hiermit] durch ein ewig gültiges Gesetz, dass …« (Nov. Val. 8.1 § 2). Der Publikationsbefehl lautet: Ut vero ea, quae pro possessorum omnium quiete sancimus, in omnium possint notitiam pervenire, hanc legem Nostram Amplitudo Tua propositis divulgabit edictis, »Damit das, was wir für die Unbeschwertheit aller Besitzer erlassen haben, zur Kenntnis aller gelangen kann, wird Deine Amplitude dieses Unser Gesetz durch Aushang von Edikten publizieren« (Nov. Val. 8.1 § 6).

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fahrens in Besitz nimmt, den Prozess automatisch verliert und zudem den Schätzwert der Immobilie strafweise zu zahlen hat (Nov. Val. 8.1, vom 9. Juni 440). Allerdings stellte sich dieser konkrete Streit ganz anders dar, nachdem Apollodor reagiert und ebenfalls eine schriftliche Eingabe gemacht hatte; das nahm Valentinian zum Anlass, auch die allgemeine Regelung consilio perpensiore, »aufgrund reiflicherer Überlegung«, wieder zu kassieren (Nov. Val. 8.2, vom 27. Januar 441). Da es sich um eine Novelle handelt und man somit den ungekürzten Gesetzestext besitzt, lässt sich der Sinneswandel detailliert nachvollziehen. Will man nicht ausgesprochen komplizierte Theorien bemühen (etwa, dass ein zwischenzeitliches, verlorenes Gesetz die Bestimmungen von CTh. 16.5.17 von eunomianischen Eunuchen auf alle Eunomianer ausweitete), handelt es sich bei der erwähnten lex um CTh. 16.5.17. Diese Konstitution richtete sich im Wortlaut gegen Eunomiani spadones; wenn nun die Aufhebung hinsichtlich Eunomiani generell erfolgt, ist dies ein starkes Indiz, dass CTh. 16.5.17 für alle Eunomianer unabhängig von ihrer Kastrateneigenschaft galt bzw. später als so geltend verstanden wurde. 71 Warum aber wurde die Bestimmung von CTh. 16.5.17 wieder aufgehoben? Im wissenschaftlichen Diskurs wurden die unterschiedlichsten Ideen vorgebracht, die man in verschiedene Kategorien einteilen kann. Besonders beliebt ist, die Entwicklung der Eunomianergesetzgebung aus bekannten Ereignissen der Zeitgeschichte zu erklären.

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Anders Stachura (2006, S. 51), der vorschlägt, die Aufhebung CTh. 16.5.23 könnte sich nur auf eunomianische Kämmerer bezogen haben und sei erst von den Kompilatoren umgeschrieben worden: »Clearly, the compilers of the Theodosian Code could turn a particular regulation into a generalized principle«. Doch sein Beleg (S. 51 Anm. 30), wonach der antidonatistische Kontext von Sirm. 14 im Exzerpt CTh. 16.2.31 »completely erased« wurde, überzeugt nicht: Der eindeutige Teil iudices Africani armatae apparitionis praesidium, datis ad virum spectabilem comitem Africae litteris findet sich auch in CTh. 16.2.31. Und CTh. 16.2.31 richtet sich gegen Leute, die Kirchen gewaltsam überfallen; Sirm. 14 wird zwar angesichts donatistischer Übergriffe erlassen, aber selbstverständlich macht auch die Originalkonstitution nicht die donatistische Religion des Angreifers zur Voraussetzung der Strafbarkeit. Tatsächlich kommt in dem Abschnitt, der als CTh. 16.2.31 aus Sirm. 14 herausgelöst wurde, nie Donatistae o. ä. vor – insofern wäre es im Gegenteil sehr verwunderlich, wenn man den Begriff nachträglich ohne guten Grund ins Exzerpt hineingeschrieben hätte (zum Umschreiben durch Kompilatoren und zu möglichen Interpolationen im CTh. vgl. → S. 249).

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eunomianer

Godefroy (Gothofredus, S. 155 f.) 72 wollte den Widerruf mit dem Fall des Prätoriumspräfekten Tatian im Herbst 392 und der unmittelbar bevorstehenden Auseinandersetzung mit Eugenius in Zusammenhang bringen. Tatsächlich wurden einige Gesetze explizit mit der Begründung aufgehoben, dass Tatian sie veranlasst hatte (CTh. 12.1.131, 9.42.12 f., 11.1.23), aber dies geschieht in der ersten Jahreshälfte 393 (nicht erst 394), zudem wird unsere Aufhebung mit consilio pleniore begründet (und nicht mit Tatians Urheberschaft). Und was die Idee betrifft, Theodosius habe sich den Rücken freihalten wollen, so gibt es wenig Hinweise, dass die Eunomianer anno 394 noch so bedeutend gewesen wären, als dass man sich ihres Wohlwollens hätte versichern müssen; was zudem allein durch die Aufhebung der erbrechtlichen Sanktionen wohl auch nur sehr begrenzt möglich gewesen wäre. Delmaire (I, S. 76) sieht ebenfalls im Eugenius-Feldzug den Anlass, doch in seiner Version will sich Theodosius I. des Wohlwollens seiner homöischen (»arianischen«) Gotensoldaten versichern. Doch »Arianer« sind keine Eunomianer, und Delmaire bleibt den Beweis schuldig, dass es irgendeine Form von Solidarität zwischen Goten und Eunomianern gab. Eunomianer mögen mit Homöern die Abneigung gegen Nizäner teilen, aber wir haben gesehen, dass die beiden Gruppierungen untereinander ihre Schwierigkeiten hatten (→ S. 629). »Arianische« Goten werden sich für Gesetze interessiert haben, die für »arianische« Goten galten; wohl kaum aber für Erbrechtssanktionen, die eine ganz anders geartete, außerordentlich intellektuelle Glaubensgemeinschaft ohne jedwede bekannte germanische Mitglieder trafen. Auch Noethlichs (S. 159) stellt eine Verbindung zum bevorstehenden Feldzug her: »Es wäre vorstellbar, daß eunomianische Bischöfe den Kaiser durch den Hinweis haben beeinflussen können, die ungerechte Haltung ihnen gegenüber könne sich auf den bevorstehenden Krieg gegen Eugenius als Strafe Gottes ungünstig auswirken [Anakoluth wie im Original]«; doch dies ist gerade nicht vorstellbar, da ja Theodosius I. die Eunomianer für schlimme Häretiker hält: Unter dieser Voraussetzung würde in seinen Augen allenfalls deren Schonung (nicht aber deren Verfolgung) den Ingrimm Gottes provozieren. Seeck (1920a, S. 176) versuchte es mit einer ganz anderen Erklärung, nämlich dem fehlenden Einfluss der verstorbenen (und besonders orthodoxen) Kaisergattin Flaccilla: »Und wirklich hat sich Theodosius nach ihrem Tode bestimmen lassen, die Rechtsnachteile, mit denen er die Eunomianer vorher belegt hatte, wieder zu beseitigen«. Aber 394 wurden keineswegs die Rechtsnachteile der Eunomianer beseitigt, sondern lediglich die erbrechtlichen. Und damals war Flaccilla auch schon seit ungefähr acht Jahren tot (Belege bei PLRE I, S. 341 f. s. v. Aelia Flavia Flaccilla)! Seecks Idee ist ein verzweifelter Versuch, Zeitgeschichte und Gesetzgebung irgendwie – und sei es noch so weit hergeholt – in Beziehung zu setzen.

Die andere verbreitete Erklärung ist die Vorstellung, die schwankende Eunomianergesetzgebung reflektiere hin- und herwogende Machtkämpfe zwischen anonymen, für uns unsichtbar bleibenden Hofgruppierungen. 72

In der Ritter-Ausgabe trägt diese Seite aufgrund eines Satzfehlers die Zahl »551« statt »155«.

cth. 16.5.23 [20. juni 394]

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Dies formuliert Vaggione (S. 355) beleglos als Faktum: »For the next twenty-five years and throughout the reigns of two emperors, this prohibition would be a bone of contention between rival factions at court«. Stachura (2004, S. 125) erwägt diese Option erst für die Wiedereinrichtung bzw. Aufhebung unter Arkadius: »This series of laws may reflect a struggle between pro- and anti-Eunomian tendencies in Arcadius’ court«, kann dafür aber ebenso wenig Belege angeben. Nun gibt es in der Tat verstreute Indizien, die auf gute Kontakte der Eunomianer bei Hof hindeuten könnten, doch diese beziehen sich regelmäßig auf frühere Jahre. 73 Für unsere Zeit relevant ist die Anekdote mit den verjagten Hofeunuchen (Philostorg. 10.6, → S. 640), die, wohlgemerkt, genau deswegen verjagt wurden, weil sie Eunomianer waren, sowie der mysteriöse Synesios-Brief von ca. 410, in dem der libysche Bischof behauptet, dass die Eunomianer über besonderen Einfluss bei Hof verfügten (→ S. 624). Man könnte ferner die militia-Verbote für Eunomianer (→ S. 655) als Evidenz dafür nehmen, dass es Eunomianer mit gewissem Rang und Machtanspruch gab; aber ob sich diese Leute als Eunomianer zu erkennen geben konnten und tatsächlichen Einfluss ausübten, ist eine andere Frage. Man beachte, dass wir uns im Jahr 394 befinden: Eunomios stirbt nach mehrjähriger Verbannung in ebendiesem Jahr, die eunomianische Gemeinde zu Konstantinopel ist mittlerweile in mindestens drei Fraktionen zerfallen, und nach diesem Datum hören wir nur noch bei Synesios von einem angeblichen eunomianischen Einfluss bei Hof. Kann es 394 wirklich eine solche einflussreiche Partei geben? Und warum interessiert sie sich für erbrechtliche Regelungen anstatt für das Versammlungsverbot?

Noch weniger überzeugend als diese Variante ist die Idee, dass es sich bei CTh. 16.5.23 und späteren Aufhebungen lediglich um Privatprivilegierungen handelt, die nur für uns als allgemeine Gesetze erscheinen. Das schlug Biondi (S. 323) vor, gefolgt von De Giovanni (S. 92). Auch Stachura (2006, S. 51) spekuliert, ob nicht die Kompilatoren aus einer »partial rehabilitation« eines oder mehrerer Kämmerer »in a detailed rescript« ein allgemeines Gesetz machten. Aber die vorliegende Konstitution ist klar allgemein formuliert: legem …, quam quidem nunc consilio pleniore revocamus. Wer darin eine Einzelprivilegierung sehen will, muss den Wortlaut vollständig ignorieren. Vor allem aber scheint diesen Autoren der Widerspruch zu entgehen, dass es gar nicht notwendig gewesen wäre, später wieder ein allgemeines Verbot zu erlassen, wenn es zuvor keine allgemeine Abrogation gegeben hätte! 73

Es sei an die guten Beziehungen zu Julian erinnert oder an die Verwandten Jovians, die sich selbst zu eunomianischen Bischöfen weihen ließen (→ S. 612). Noch zu Lebzeiten von Flaccilla hatte sich Kaiser Theodosius mit Eunomios interessehalber treffen wollen, was indes an seiner besseren Hälfte gescheitert war. Sie verhinderte die Begegnung aus Angst, Eunomios könnte ihren Gatten womöglich erfolgreich missionieren (Soz. 7.6.3). 388 schließt Theodosius I. übrigens in einem Gesetz gegen Apollinarianer »und die sonstigen Anhänger der verschiedenen Häresien« die Betroffenen u. a. von der Möglichkeit aus, eine Audienz bei ihm zu erlangen (CTh. 16.5.14).

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eunomianer

Gewissheit werden wir in Ermangelung weiterer Quellen nicht erlangen, aber immerhin dürfte signifikant sein, dass Eunomianern anderweitig keine rechtlichen Erleichterungen zuteilwurden. Darf man daher vermuten, dass dieser Widerruf gar nicht zugunsten von Eunomianern erfolgte? Wäre es ein mögliches Szenario, dass orthodoxe potenzielle Erben den Kaiser ersuchten, ihren allfälligen eunomianischen Erblassern die Möglichkeit zu geben, zu ihren Gunsten zu testieren? Doch lässt sich so weder auf überzeugende Weise erklären, warum den Eunomianern auch die Erbfähigkeit zurückgegeben wird, noch, weswegen der Kaiser dies allgemein regelt (anstelle derlei Anfragen gegebenenfalls durch die Verleihung von Privatprivilegien positiv zu bescheiden). Ich denke, dass ein Vergleich mit dem weitaus besser dokumentierten Diskurs um die Donatistengesetzgebung eine Deutung ermöglicht, die alle Faktoren zu einer konsistenten Theorie vereinigt. Bei den Donatisten waren die erbrechtlichen Sanktionen lange Zeit die einzige Maßnahme, die Laien betraf. Während für Kleriker (insbesondere überführte Wiedertäufer) und Helfershelfer von Kultversammlungen durchaus schwere Strafen galten, blieben donatistische Laien ansonsten unbelästigt. Erst nach der Collatio von 411 ging man auch gegen Laien umfassend vor (→ S. 579). Die Anomalie der donatistischen erbrechtlichen Sanktionen als einziger früherer Laiensanktion erklärt sich durch eine Einzelentscheidung, die unter sehr spezifischen Umständen zur erfolgreichen Bitte um einen Neuerlass führte (→ S. 541). So streng das staatliche Vorgehen gegen »die« Eunomianer auch war: Sieht man von den erbrechtlichen Sanktionen ab, so sind Laien (sofern sie nicht Kultversammlungen ermöglichen) nicht betroffen. Mit Ausnahme des besonderen Falls der Manichäer gilt dasselbe für alle sanktionierten Häretikergruppen im Osten. Auch bei den eunomianischen erbrechtlichen Sanktionen scheint es sich (wie bei den donatistischen) um die Verallgemeinerung eines konkreten Einzelfalls zu handeln, nicht um ein planvolles Vorgehen (wie dies bei den Manichäern wahrscheinlich vorliegt). Wenn Theodosius I. im Jahr 394 die erbrechtlichen Sanktionen entfallen lässt, beseitigt er eine Anomalie in seiner Häretikergesetzgebung, die ansonsten Nichtkleriker verschont. Dabei mag auch mitgespielt haben, dass der konkrete Anlass des Gesetzes von 389 mittlerweile zeitlich doch schon ein paar Jahre zurücklag. Theodosius I. könnte in der Zwischenzeit zahlreiche Petitionen routinemäßig positiv beschieden haben; dafür spricht die Erwähnung solcher Spezialprivilegien in CTh. 16.5.25 § 1, und das passt gut zur grundsätzlichen Zurückhaltung

cth. 16.5.25 [13. märz 395]

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der Kaiser beim Einzug von Familienvermögen (→ S. 340). 74 Irgendwann könnte eine weitere solche Petition den Kaiser veranlasst haben, diese ungewöhnliche Sanktion gegen Laien gleich ganz abzuschaffen.

CTh. 16.5.25 [13. März 395] Impp. Arcadius et Honorius AA. Rufino ppo. Omnes poenas, cuncta supplicia, quae sanctionibus divae recordationis genitoris Nostri adversum haereticorum sunt pertinacem spiritum constituta, Nostro etiam decreto reparantes decernimus, quidquid etiam his est contra meritum delinquentum spe correctionis speciali quadam sanctione concessum, id irritum esse. 1. Eunomianorum vero perfidam mentem et nequissimam sectam speciali commemoratione damnamus statuimusque omnia, quae contra illorum vesaniam decreta sunt, illibata custodiri, illud addentes, ne quis memoratae sectae militandi aut testandi vel ex testamento sumendi habeat facultatem, ut sit omnibus commune damnum, quibus etiam communis est religionis furor, cessante videlicet, si quid a patre Nostro quibusdam fuerat super testandi iure beneficio speciali concessum. Dat. III id. Mart. Constantinopoli Olybrio et Probino conss. Die Kaiser Arkadius und Honorius an den Prätoriumspräfekten Rufinus: Alle Strafen, alle Sanktionen, die durch die Verordnungen Unseres Vaters divinisierten Gedenkens gegen den verstockten Sinn der Häretiker verhängt wurden, erneuern auch wir [hiermit] durch diese Unsere Verordnung. Ferner bestimmen wir, dass alles, was auch solchen Leuten entgegen dem, was sie für ihre Verbrechen verdienen, in der Hoffnung auf ihre Besserung in irgendeinem Sonderprivileg zugestanden wurde, nichtig sei. 1. Ausdrücklich verdammen wir aber die Abtrünnigkeit und Verkommenheit der Sekte der Eunomianer. Wir bestimmen, dass alles, was gegen deren Irrsinn angeordnet wurde, unvermindert zu beachten sei. Dem fügen wir hinzu, dass niemand aus besagter Sekte die Möglichkeit besitzen soll, in der militia zu dienen, ein Testament zu errichten oder aus Testament zu erwerben. Damit allen der gleiche Nachteil entstehe, die auch denselben religiösen Wahn teilen,

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Es besteht die Versuchung, zudem auf die Theodosius I. zugeschriebene Milde bei der Anwendung der Häretikergesetzgebung zu verweisen (Soz. 7.12.12); aber diese Sozomenos-Stelle ist wenig vertrauenswürdig (→ S. 402). Ferner ist Theodosius I. nicht der einzige Kaiser, der erbrechtliche Sanktionen aufhebt; man sollte also mögliche Erklärungen besser nicht an seiner Person festmachen.

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eunomianer entfalle selbstredend, was von Unserem Vater hinsichtlich des Testierrechts womöglich einzelnen Personen in Privatprivilegierungen 75 zugestanden wurde. Abgeschickt am 3. Tag vor den Iden des März in Konstantinopel unter dem Konsulat von Olybrius und Probinus. [13. März 395]

Theodosius der Große war am 17. Januar 395 verstorben; im vorliegenden Gesetz bestätigt sein Nachfolger Arkadius ein paar Wochen später pauschal die weitere Gültigkeit der Häretikergesetzgebung seines Vaters. Wir haben anlässlich von Stilichos Sturz gut zehn Jahre später gesehen, welch große Hoffnungen ein Herrschaftswechsel unter verfolgten Abweichlern auslösen konnte (→ S. 573), sodass es durchaus geboten war, schnell für Klarheit zu sorgen. Arkadius erklärt zudem sämtliche erteilten Spezialprivilegien pauschal für nichtig. Es braucht nicht zu verwundern, dass man nach einem Herrscherwechsel mit dieser Methode Tabula rasa macht, denn bereits Kaiser Theodosius I. selbst hatte bei einer Gelegenheit vorhandene Sonderberechtigungen für Häretiker samt und sonders annulliert (die womöglich teils unter seiner eigenen Regierung ausgestellt worden waren). 76 In dieser sehr allgemeinen Verfügung werden nun die Eunomianer als einzige Sekte eigens herausgegriffen. Sie verlieren wiederum das Recht, ein Testament zu errichten und aus Testament zu erben, wobei allerdings sowohl Schenkungen als auch die Vererbung im Intestaterbgang weiterhin unangetas75

76

Der Ausdruck beneficium speciale, »Privatprivileg«, d. h. begünstigendes Reskript, ist breit belegt (CTh. 1.1.4, 5.12.2, 6.30.7, 6.30.19, 9.42.17 = 10.10.23 usw.). Es besteht also keine Möglichkeit, damit die annullierende Konstitution CTh. 16.5.23 des Theodosius zu identifizieren, wie Noethlichs (S. 160 f.) anzunehmen scheint: »Dabei [in CTh. 16.5.25] wurde eigens erklärt, daß folglich (videlicet) das, was Theodosius als besondere Vergünstigung hinsichtlich des Testierrechts zugestanden hatte (fuerat super testandi iure beneficio speciali concessum), aufgehoben sein sollte. … [Es wäre] unverständlich, warum Arkadius am Ende von XVI,5,25 nur das ›ius testandi‹ als ein ›beneficium‹ nannte und damit auf dessen Widerruf früherer Anordnungen anspielte …«. Aber videlicet bedeutet nicht »folglich«, sondern »selbstverständlich«; Arkadius nennt nicht das ius testandi ein beneficium, sondern erwägt die Möglichkeit, dass etwas super testandi iure beneficio speciali concessum, »hinsichtlich des Testierrechts in Privatprivilegierungen zugestanden«, worden sein könnte. Auch ignoriert Noethlichs den Gegensatz omnes – quidam (es geht also bei diesem eventuell gewährten beneficium gerade nicht um alle Eunomianer). CTh. 16.5.6 pr. (381), Sciant omnes etiam si quid speciali quolibet rescripto per fraudem elicito ab huiusmodi hominum genere impetratum est, non valere, »Auch soll jedermann wissen, dass keine Geltung besitze, was von derlei Menschen [im Kontext: allgemein Häretikern] eventuell durch ein betrügerisch erschlichenes Spezialreskript erlangt wurde«.

cth. 16.5.25 [13. märz 395]

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tet bleiben. Sicherheitshalber wird ausdrücklich betont, dass spezielle Privilegierungen, die einzelnen Eunomianern von Theodosius I. hinsichtlich des Testierrechts zugestanden wurden, hinfällig seien, obwohl dies bereits aus der Regelung am Ende des Principiums folgt. Dieses Insistieren auf der Annullierung darf man möglicherweise als Indiz für die Existenz etlicher solcher Ausnahmebegünstigungen werten. Neu ist, dass Eunomianer die Möglichkeit verlieren, in der militia zu dienen. Die militia umfasste sowohl den militärischen als auch den zivilen Dienst (Jones, S. 566). Innerhalb der zivilen militia gab es enorme Unterschiede: Die Enden der Skala markieren einerseits der sehr begehrte Dienst am Kaiserhof (die militia als palatinus), andererseits die cohortalis militia, der Dienst in den Provinzen, der – ganz wie eine Kurienmitgliedschaft – unattraktiv war, hohe Kosten mit sich brachte und bei dem Söhne ihren Vätern erzwungenermaßen nachfolgen mussten (Jones, S. 594 f.). Zwischen diesen Extremen gab es Zwischenstufen, von denen die militia als praefectianus (d. h. bei einem Prätoriumspräfekten) am besten belegt ist. Wer bei einem Statthalter Dienst tat, wollte lieber praefectianus oder gar palatinus sein (CTh. 8.4.23); und auch für einen praefectianus war die Stellung eines palatinus verlockend (CTh. 8.7.19); jeweils musste der Kaiser massive Drohungen aussprechen, um militia-Mitglieder an ihrer Position zu halten. Angehörige der militia besaßen Privilegien, nicht zuletzt juristischer Natur (→ S. 365, → S. 457); durch Infamie verlor man die Zugehörigkeit zur militia (CTh. 8.4.16 § 1; vgl. ferner CN 489, wo impliziert wird, dass nur honesti in der militia sein können: si qui vero extra cohortalinam vel limitaneam inventi fuerint militare, soluto cingulo honestorum hominum …, »sollten welche [Eutychianer/Apollinarianer] in der militia – abgesehen von der cohortalis militia oder dem Militärdienst bei den Grenztruppen [→ S. 773, → S. 793] – angetroffen werden, so ist ihnen der Dienstgürtel der honesti zu lösen …«). Bei der Diskussion von militia-Verboten gegen Heterodoxe muss man genau beachten, um welche militia es geht. Der Dienst in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers, als palatini, wurde sämtlichen Häretikern bereits unter Theodosius I. verboten, wie sich CTh. 16.5.29 entnehmen lässt. 77 Diese 77

Wir wissen sonst nichts über eine Regelung des Theodosius, mit der er Häretiker aus den Palatini entfernte (dass er solche nicht in seiner Umgebung duldete, zeigt sich natürlich auch in der Verjagung der eunomianischen Palasteunuchen). Noethlichs (S. 160 f.) zweifelte sogar die Existenz (oder Reichweite) des theodosianischen Verbots an: Wenn Arkadius im März 395 den Eunomianern die militia untersagt, kann sie nicht bereits seit Theodosius sämtlichen Häretikern verboten sein. Er übersieht, dass es bei Theodosius I. nur um die Palatini, bei Arkadius (hinsichtlich der Euno-

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eunomianer

Konstitution vom 24. November 395 – also noch in demselben Jahr wie das vorliegende Gesetz – ist an den Magister officiorum gerichtet: Sublimitatem Tuam investigare praecipimus, an aliqui haereticorum vel in scriniis vel inter agentes in rebus vel inter palatinos cum legum Nostrarum iniuria audeant militare, quibus exemplo divi patris Nostri omnis et a Nobis negata est militandi facultas. Quoscumque autem deprehenderis culpae huius adfines, cum ipsis, quibus et in legum Nostrarum et in religionum excidium coniventiam praestiterunt, non solum militia eximi, verum etiam extra moenia urbis huiusce iubebis arceri. Wir befehlen Deiner Sublimität zu untersuchen, ob Häretiker, denen nach Vorbild Unseres divinisierten Vaters auch von uns jede 78 Möglichkeit des Diensts in der militia verwehrt wurde, in den Kanzleien, unter den Agentes in rebus oder unter den Palatini in Verletzung Unserer Gesetze zu dienen [militare] wagen. Diejenigen, die du als Beihilfeleister dieses Verbrechens ertappst, die wirst du – zusammen mit den Leuten, bei denen sie zum Schaden Unserer Gesetze und der Religion die Augen zugedrückt haben – nicht nur aus der militia verstoßen, sondern auch von der Umwallung dieser Stadt [Konstantinopel] fernhalten lassen.

78

mianer) um die militia generell geht. Rauschen (S. 306 mit Anm. 3) brachte den militia-Ausschluss mit CTh. 16.5.17 (4. Mai 389 laut W und E, oder, laut V, 5. Mai 389) in Zusammenhang (d. h. mit dem ersten Gesetz, das erbrechtliche Sanktionen gegen Eunomianer verhängt). Denn bei einem ganz anderen Fragment, CTh. 8.4.16, ist Inskription und Subskription identisch mit CTh. 16.5.17 (mit dem Datum 5. Mai 389), es könnte sich mithin um zwei Auszüge aus derselben Konstitution handeln; und dieses andere Gesetz CTh. 8.4.16 behandelt just unehrenhaft aus dem Staatsdienst entlassene Personen (Rauschen, S. 306 Anm. 3: »Auch ein anderes Gesetz … spricht von solchen, denen das Recht des Kriegsdienstes genommen ist, und bestimmt, dass sie davon keine finanziellen Vortheile haben sollen«). Kombiniert man dies mit der Idee von Vaggione (→ S. 6139) – der freilich von Rauschens Vorschlag nichts weiß! –, dass die spadones von CTh. 16.5.17 die verjagten Kämmerer sind, hätte man eine verführerische, in sich geschlossene Theorie. Aber wir haben gesehen, dass Vaggione die relative Chronologie der Philostorg-Fragmente ignoriert; und das von Rauschen ins Spiel gebrachte Gesetz CTh. 8.4.16 handelt von apparitores, die bei Statthaltern (nicht am Kaiserhof) dienen (d. h. cohortalini), enthält Bestimmungen für den Fall ihres vorzeitigen krankheitsbedingten Ausscheidens und betrachtet als weiteren Fall der Dienstuntauglichkeit ihren Ausschluss pro sceleribus. In jedem Fall müssen sie trotzdem ihren Verpflichtungen hinsichtlich des pastus primipili (→ S. 681120) nachkommen bzw. diese finanziell ablösen. Kurzum: So verführerisch es ist, CTh. 16.5.17 und CTh. 8.4.17 als Teile derselben Konstitution zu nehmen, ich sehe nicht, wie hier inhaltlich der Fall von Eunuchen behandelt werden könnte, die ihr Erbrecht verlieren (so Rauschen) oder die vom Kaiserhof vertrieben werden (wenn man die Vaggione-Theorie weiterspinnen wollte). Trotz omnis [!] … militandi facultas geht es offenbar nur um das militare als Palatini; jedenfalls gehören alle aufgezählten Dienste dem Bereich der Palatini an.

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Auch Honorius adressierte später ein Gesetz (CTh. 16.5.42, 408) an seinen Magister officiorum (und auch an seinen Comes domesticorum) und bekräftigte das Verbot, Häretiker als Palatini zu beschäftigen. Vor Justinian werden selten vollständige militia-Verbote gegen häretische Gruppen verhängt; und wenn dies doch geschieht, wird ausnahmslos (bereits im Gesetz oder nachträglich) klargestellt, dass dieser Ausschluss natürlich nicht für die ungeliebte cohortalis militia gilt. Justinian, der schließlich allen Häretikern die militia untersagt, weist ebenfalls explizit auf diesen Vorbehalt hin (CI. 1.5.12 §§ 4–6). Die zusätzlichen militia-Verbote gegen einzelne Gruppen betreffen effektiv also nur die Zwischenstufen (praefectiani usw.) zwischen cohortalis militia (vor der sich niemand drücken konnte, und ein Häretiker schon gar nicht) und den Palatini (deren Stellung bereits seit Theodosius I. nicht mehr für Häretiker erreichbar war). Explizite Verbote betreffen Eunomianer (das vorliegende Gesetz CTh. 16.5.25; CTh. 16.5.58 § 7 von 415, → S. 679; vgl. CTh. 16.5.61 von 423) und Montanisten (CTh. 16.5.48 von 410), später die Eutychianer/Apollinarianer (CN 480, CN 489, → S. 793). Bis auf die beiden frühesten Eunomianergesetze enthalten all diese Regelungen die cohortalis-militia-Klarstellung. Infame waren ohnehin nicht militia-tauglich, weswegen es zunächst keine entsprechenden Verbote für Manichäer gibt (doch CTh. 16.5.65 § 3 von 428 verfügt, dass sie gleichwohl zur cohortalis militia und zu ähnlich unattraktivem Militärdienst herangezogen werden können, → S. 773). Auch gegen Juden und Heiden existieren militia-Verbote. 79 79

Gegen Juden verhängt CTh. 16.8.24 von 418 ein militia-Verbot, wobei nicht ganz klar wird, ob dieses über den Dienst als Palatini (und als Soldaten) hinausgeht. Der militia-Ausschluss gegen Heiden (CTh. 16.10.21 von 415?) ist ohne Einschränkung. Gegen beide Gruppen scheint Sirm. 6 (425) ein vollständiges militia-Verbot zu bestimmen; doch diese Passage wurde aus unklaren Gründen nicht in den Codex Theodosianus exzerpiert: → S. 221. Zosimos (5.46.3 f.) belegt, dass Heiden bereits 408 (oder davor) aus der militia beim Kaiser entfernt wurden, was Honorius kurze Zeit später angesichts des Protests eines hohen Militärs namens Generidus wieder aufhob. Es überzeugt nicht, das Verbot mit CTh. 16.5.42 zu identifizieren (so PLRE II, S. 500 f. s. v. Generidus, sowie Salzman, S. 368 f.), denn das Fragment dürfte Häretiker meinen (catholicae sectae … inimici, nicht etwa »Feinde der Christen« o. ä.), und v. a. passt die Chronologie nicht: CTh. 16.5.42 (abgeschickt in Ravenna) trägt das Datum 14. November 408. Als der bei Zosimos erwähnte Generidus auf das antipagane Gesetz reagiert, hatte er noch ein Kommando in Rom inne, wo ihn Honorius zu sich lädt. Aber Honorius war zuletzt im Mai 408 in Rom. Paschoud (S. 302 f.) meint daher, angesichts dieser chronologischen Probleme müsse Zosimos irren und die Episode habe sich vielmehr in Ravenna (statt in Rom) zugetragen. Plausibler ist es, die Heiden gar nicht erst in CTh. 16.5.42 hineinzulesen und stattdessen davon

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eunomianer

Warum kam es beim Herrschaftsantritt des Arkadius (als dem Prätoriumspräfekten Rufin die reale Macht zufiel) zur Erneuerung der erbrechtlichen Sanktionen gegen die Eunomianer? Diese Frage gehen wir besser nach Betrachtung des nächsten relevanten Gesetzes an, das ebendiese erbrechtlichen Sanktionen ziemlich bald nach Sturz und Ermordung Rufins wieder aufhebt.

CTh. 16.5.27 [25. Dezember 395] Idem AA. Caesario ppo. Conficiendorum testamentorum dari Eunomianis praecipimus potestatem et concedi id, quod divi genitoris Nostri data nuper praeceptio continebat. Dat. VIII kal. Ian. Constantinopoli Olybrio et Probino conss. Dieselben beiden Kaiser [Arkadius und Honorius] an den Prätoriumspräfekten Caesarius: Wir bestimmen, dass den Eunomianern die Möglichkeit zur Errichtung von Testamenten gegeben und ihnen das zugestanden werde, was die ehedem abgeschickte Verordnung Unseres divinisierten Vaters enthielt. Abgeschickt am 8. Tag vor den Kalenden des Januar in Konstantinopel unter dem Konsulat von Olybrius und Probinus. [25. Dezember 395]

Überliefert ist VIII kal. Iul.; aber dieses Datum ist unmöglich, weil zu diesem Zeitpunkt Caesarius noch gar nicht Prätoriumspräfekt war. Rufin (PLRE I, S. 778–781 s. v. Flavius Rufinus 18) wurde am 27. November 395 ermordet (Socr. 6.1.4 f.), sein Nachfolger Caesarius (PLRE I, S. 171 s. v. Fl. Caesarius 6) ist bereits drei Tage später als neuer Prätoriumspräfekt belegt (CTh. 10.6.1 vom 30. 11. 395). Unser Gesetz, das acht Tage vor den Kalenden irgendeines Monats erlassen wurde, kann also nur in den Dezember 395 gehören. Das entsprechende Datum VIII kal. Ian. (25. Dezember) ist dem überlieferten VIII kal. Iul. zudem paläografisch recht ähnlich. 80 Nun ist der 25. Dezember nicht irgendein Datum, sondern Weihnachten. Man könnte apriorisch auf die Idee kommen, dass die Nachsicht gegenüber den Eunomianern von diesem hohen Fest veranlasst wurde – wofür es aber wenig Anhaltspunkte gibt. Denn am Weihnachtstag senden die Kaiser öfter

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auszugehen, dass Honorius’ aufgehobenes Gesetz (das also vor Juni 408 erlassen und wieder kassiert wurde) keine Spur im Codex Theodosianus hinterlassen hat. So bereits Godefroy (Gothofredus, S. 159 Anm. e); ihm folgt Seeck, S. 101.

cth. 16.5.27 [25. dezember 395]

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Gesetze ab, deren Inhalt völlig unspektakulär ist. 81 Für Weihnachten sind uns keine Maßnahmen überliefert, die mit der Bedeutung dieses Hochfests zusammenhängen könnten, während dagegen Ostern regelmäßig zum Anlass für Amnestien genommen wurde (→ S. 333). Eine Konstitution (CTh. 2.8.19 von 389) des Theodosius I. mit einer Aufzählung der gerichtsfreien Tage nennt als einzigen christlichen Feiertag Ostern und ignoriert damit Weihnachten. Erst die westgotische interpretatio fügt im sehr frühen 6. Jahrhundert Weihnachten (und auch Epiphanie) als weitere gerichtsfreie Tage hinzu (Matthews 2001, S. 29–31). Wenn schon kein Zusammenhang mit Weihnachten vorliegt, so bestünde eine andere Möglichkeit darin, einen Bezug zur kurz vorher erfolgten Ermordung des Rufin herzustellen. Es ist in der Tat auffällig, dass zwei Gesetze, die mit dem Testierrecht der Eunomianer in Zusammenhang stehen, jeweils kurz nach dem Beginn von Rufins faktischer Herrschaft bzw. kurz nach seinem Sturz ergingen: Ab dem Tod von Theodosius I. (17. Januar 395) war es Rufin, der die tatsächliche Herrschaft anstelle des als dröge beschriebenen Teenagers Arkadius ausübte, 82 und man wird nicht umhinkönnen, CTh. 16.5.25 (13. März 395) – die um Testier- und militia-Verbote für Eunomianer verschärfte Bestätigung der theodosianischen Häretikerregelungen – ihm zuzuschreiben. Dies gilt umso mehr, als sich das gut in die ansonsten zu seiner Zeit betriebene Heterodoxengesetzgebung einfügt 83 und er ein frommer Orthodoxer war (Theodoret. hist. eccl. 5.18.6–12 sowie die Belege im drittletzten Absatz von PLRE I, S. 778–781 s. v. Flavius Rufinus 18). 84 Die zwischen81

82 83 84

CTh. 12.1.114 (386): Eine Verbindung zur domus divina [nämlich durch Landbesitz, vgl. Nov. Val. 10 § 1] kann Kurialen nicht vor ihren städtischen Pflichten schützen; CTh. 12.14.1 (409): Abschaffung von Eirenarchen; bei CTh. 15.13.1, einem Gesetz, das nach der Überlieferung ebenfalls am 25. Dezember abgeschickt wurde, kann das Datum nicht richtig sein (Seeck, S. 97 f.). Auch das Senatsprotokoll (→ S. 138) trägt das Datum 25. Dezember, wobei sich dieser Tag offenbar nur auf die editio bezieht (Fl. Laurentius exceptor … edidi sub die VIII kal. Ian.). Vgl. Philostorg. 11.3; Eunap. hist. 62.1; Oros. hist. 7.37.1; Ioh. Antioch. 213, 215.1. Vgl. CTh. 16.5.26 (30. März 395); CTh. 16.5.28 (3. September 395); CTh. 16.10.13 (7. August 395); CTh. 16.5.29 (24. November 395). Seeck (1920a, S. 274) stellt unmittelbare Verbindungen zur Zeitgeschichte her: »Es scheint, dass Rufinus in den Barbareneinfällen die Strafe des Himmels für diese gottlose Milde gegen die Ketzer erblickt hat; denn als die Gothen Constantinopel bedrohten, verfügte er alsbald, dass das ältere strenge Recht wieder in Kraft treten solle«. Aber soll man wirklich glauben, dass Rufin den angeblichen Zorn Gottes ausgerechnet durch erbrechtliche Sanktionen gegen eine von vielen Häretikergruppen besänftigen wollte? Lustigerweise scheint die Erklärung von Delmaire (I, S. 76) genau umgekehrt zu funktionieren: Sein »Après la victoire …, Arcadius restaure l’inter-

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eunomianer

zeitliche Aufhebung am 20. Juni 394 ging ja direkt von Kaiser Theodosius I. aus, der dem Usurpator Eugenius entgegenzog und sich bereits in Adrianopel befand; sie ist also nicht dem bereits amtierenden Rufin zuzuschreiben. Rufin hätte nach dieser Theorie den früher gültigen Zustand wiederhergestellt, sobald er dazu die Macht hatte. Kaum war Rufin ermordet, kehrte man zur vorherigen Gesetzeslage zurück. Freilich erklärt dieser Ablauf nicht die sachlichen Hintergründe. Wenn man sich Rufin als gestrengen Gegner aller Heterodoxen vorstellt, 85 braucht es einen nicht zu wundern, dass er die erbrechtlichen Sanktionen gegen Eunomianer wieder in Kraft setzte. Aber warum wurden diese nach seinem Tod wieder explizit aufgehoben? Seeck (1895, Sp. 1141) schlägt zwei Erklärungen vor: Einerseits mutmaßt er, dass man Rufins »Mörder, dem Arianer Gainas, Rücksichten schuldig war«. Doch warum sollte es einen »Arianer« interessieren, was mit den Eunomianern passiert (→ S. 629)? Genauso wenig kann Seecks zweiter Vorschlag überzeugen, nämlich dass das Gesetz erlassen wurde, »vielleicht auch weil der neue Praefect Caesarius eine gewisse Neigung für diese Lehrmeinung hatte« – aber dies hat aus diversen Gründen 86 wenig für sich, vor allem aber deswegen, weil doch auf Rufin unmittelbar der Chefkämmerer und Eunuch Eutrop als eigentlicher Machthaber folgte, der bereits Rufins Ermordung orchestriert hatte (Zos. 5.8.1); bei Philostorg (11.5) erscheint Eutrop von Anfang an als derjenige, der dem Caesarius Kommandos gibt und der Bestimmungen selbst »erlässt«. Wenn also CTh. 16.5.27 eine bewusste Abkehr von Rufin darstellt (und mehr als ein zufällig kurz nach dessen Tod erlassenes Gelegenheitsgesetz ist), sollte Eutrop (nicht Caesarius) dafür verantwortlich sein.

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diction testamentaire« erweckt den Eindruck, die Wiederherstellung der Sanktionen erfolgte, als die Situation ausreichend ruhig schien (und man das Wohlwollen der angeblich eunomianerfreundlichen Goten nicht länger benötigte). Freilich kann dies aus bereits erörterten Gründen (→ S. 648) nicht überzeugen. Das Bild des Rufin ist in unseren Quellen verzerrt (und zwar nicht nur infolge von Claudians Invektiven, sondern auch aufgrund der vom feindseligen Eunap abhängigen Historiker); zur besonderen Frömmigkeit des Rufin vgl. Fitschen sowie Liebeschuetz, S. 90. Erstens begründet Seeck seine Behauptung hinsichtlich Caesarius’ Neigungen nur mit Verweis auf Synesios’ De providentia – aber die Identifikation der Personen des schlüsselromanartigen Texts bleibt umstritten, und selbst wenn wir annehmen wollten, der böse Typhos stehe für Caesarius, ließe sich damit allenfalls belegen, dass er angeblich »Arianer« (Synes. prov. 2.3.1) war, nicht aber Eunomianer. Zudem ignoriert Seeck die durchaus gestrengen Maßnahmen gegen die Eunomianer (CTh. 16.5.31 f.) während der Amtszeit des Caesarius.

cth. 16.5.27 [25. dezember 395]

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Eutrop stand sicher nicht im Ruf, ein Freund der Eunomianer zu sein. Philostorg (11.5) macht ihn für die Verschleppung von Eunomios’ sterblichen Überresten sowie für ein Gesetz, das die Verbrennung eunomianischer Schriften vorsah, persönlich verantwortlich. In der Tat sind aus der Phase, in der Eutrop Arkadius und das Ostreich kontrollierte (also bis August 399), noch mehrere Gesetze gegen die Eunomianer bekannt, die teilweise recht harsch sind (zu ihnen wird gleich mehr zu sagen sein). Eine diffuse Sympathie für Eunomianer ist daher, so scheint mir, die einzige Motivation, die wir von vornherein mit großer Zuversicht ausschließen dürfen. CTh. 16.5.27 spricht allein von der Fähigkeit, Testamente zu errichten (dass die Eunomianer aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls die Erbfähigkeit zurückerhielten, ist nur im Nachsatz et concedi id, quod divi genitoris Nostri data nuper praeceptio continebat enthalten). Könnte man daraus womöglich eine Theorie ableiten, wonach präsumtive testamentarische Erben von Eunomianern (die selbst keine Eunomianer waren) diese erneute Aufhebung durchsetzten? Freilich hätte sich dergleichen auch mit Privatprivilegien regeln lassen; und wenn man schon für ein generelle Konstitution optierte, dann hätte doch eine Beschränkung der Vererbung auf orthodoxe Erben nahegelegen. Meine Deutung – nämlich dass die erbrechtlichen Sanktionen eine Anomalie in der Heterodoxengesetzgebung darstellten, insofern als sie sich gegen Laien richteten; dass sie Theodosius I. in einer konkreten Situation erlassen hatte und man sie später angesichts ihres Ausnahmecharakters wieder beseitigte – würde freilich auch hier funktionieren: Der übereifrige Rufin wollte eine gestrengere Politik als der verstorbene Kaiser verfolgen, doch kaum war er eliminiert, kehrte man zum alten Zustand – massive Strafen gegen heterodoxe Kleriker, keine Sanktionen für heterodoxe Laien – zurück. Dies ist weit entfernt von einem Beweis, aber ich sehe keine andere Erklärung, die die ansonsten widersprüchlich erscheinenden Fakten zusammenbringen könnte. Das nächste Gesetz erbrechtlichen Inhalts hinsichtlich der Eunomianer ergeht erst dreieinhalb Jahre später, in den letzten Wochen Eutrops (CTh. 16.5.36 vom 6. 7. 399, siehe gleich); aber bereits im April 396 (CTh. 16.5.31 f.) 87 wird angeordnet, alle eunomianischen Kleriker aus sämtlichen Städten zu vertreiben. Zwei Jahre später wird dies durch ein ungewöhnlich blutrünstiges Gesetz ergänzt (CTh. 16.5.34, 4. März 398): Eunomianische und montanistische Kleriker sollen, wie gehabt, aus Städten vertrieben wer87

Bei CTh. 16.5.31 und CTh. 16.5.32 handelt es sich um Dubletten, die denselben Ausgangstext in unterschiedlicher Kürzung bieten. Auch das Datum unterscheidet sich (21. bzw. 22. April 396). Vgl. → S. 216.

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eunomianer

den. Sollten solche Kleriker Versammlungen auf dem flachen Land durchführen, droht ihnen die Deportation. Noch schlimmer ergeht es dem Verwalter eines Landguts, auf dem eine Versammlung stattfindet, denn der soll hingerichtet werden. Wie üblich, wird das Landgut selbst (sofern die Versammlung mit Wissen und ohne Widerstand des Eigentümers geschah) konfisziert. Sollten sich eunomianische (oder montanistische) Kleriker danach noch in Städten oder dort gar bei einer religiösen Versammlung erwischen lassen, werden sie bei gleichzeitigem Vermögenseinzug hingerichtet; die städtische Immobilie wird, sofern der Eigentümer nicht einschritt, konfisziert. Ferner sind die Bücher der Eunomianer zu verbrennen; 88 wer solche Schriften vor der Verbrennung schützen will, indem er sie verbirgt, der soll ebenfalls dem Tod verfallen. Philostorg scheint sich auf dieses Gesetz zu beziehen, wenn er Eutrop folgenden Vorwurf macht (Philostorg. 11.5): καὶ τὰς βίβλους αὐτοῦ δημοσίοις γράμμασιν ἀφανίζεσθαι διετάξατο, »er ordnete mittels einer öffentlichen Verlautbarung an, dass auch 89 seine [des Eunomios] Bücher verschwinden sollten«. Es erstaunt, dass Philostorg aus dieser in der Häretikergesetzgebung ganz exzeptionell brutalen Konstitution ausgerechnet die Bücherverbrennungen als besonders bemerkenswert herausgreift.

CTh. 16.5.36 [6. Juli 399] Idem AA. Eutychiano ppo. Eunomianis poenam adimendae testamenti factionis peregrinorumque mutandae condicionis remittimus. Patimur eos et donandi e suis facultatibus, ut velint, et dono rursus ab aliis accipiendi habere liberam potestatem. 1. Conciliis vero abstineant, coetus illicitos derelinquant et sciant sibi interdictas esse collectiones aut poenas paratas, ita ut fundi procurator vel domus urbanae villicus, in quibus profana mysteria fuerint celebrata, ultimo supplicio feriantur ipsaque possessio et domus fisco vindicetur, si sciente domino et non prohibente Nostrae iussioni fuerit obnisum.

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Bücherverbrennungen sind uns bereits als Maßnahme gegen die Manichäer begegnet (→ S. 409), später wird dasselbe hinsichtlich nestorianischer (CTh. 16.5.66 § 1 von 435), antinizänischer und antiephesinischer (CN 445 von 448) sowie eutychianischer/apollinarianischer (CN 480/CN 489 von 452/455, → S. 793) Schriften verhängt. Freilich kennt schon die frühe Kaiserzeit die Bücherverbrennung, und gerade aus der Spätantike sind uns etliche weitere Einzelfälle überliefert (→ S. 319). »auch«, weil Philostorg zuvor die Überführung der sterblichen Überreste des Eunomios berichtet hatte.

cth. 16.5.36 [6. juli 399]

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2. Praeterea ministri sceleris, quos falso nomine suo antistites vocant, si in collectione aliqua fuerint comprehensi, deportentur omnibus bonis ablatis. Dat. prid. non. Iul. Constantinopoli Theodoro v. c. cons. Dieselben beiden Kaiser [Arkadius und Honorius] an den Prätoriumspräfekten Eutychian: Den Eunomianern erlassen wir die Strafe des Verlusts der testamenti factio 90 und der Herabstufung im Personenstatus zu Peregrinen. Wir dulden es, dass sie freie Handhabe haben, nach Belieben aus ihrem Vermögen zu schenken und umgekehrt von anderen Schenkungen anzunehmen. 1. Von Versammlungen sollen sie aber Abstand nehmen, illegale Zusammenkünfte meiden und wissen, dass ihnen Zusammenrottungen verboten sind und dafür Strafen drohen, nämlich: Der Verwalter eines Landguts oder der Vorsteher eines Stadthauses, wo frevlerische Mysterien gefeiert werden, soll die Todesstrafe erleiden. Das Landgut selbst bzw. das Stadthaus soll zugunsten des Fiskus beschlagnahmt werden, sofern Unsere Anordnung mit Wissen und ohne Widerstand des Eigentümers übertreten wurde. 2. Wenn ferner die Handlanger dieses Frevels – die sie mit ihrer eigenen irrigen Bezeichnung als antistites 91 bezeichnen – bei irgendeiner Versammlung aufgegriffen werden, so sollen sie unter Einziehung ihres gesamten Vermögens deportiert werden. Abgeschickt am Vortag der Nonen des Juli in Konstantinopel unter dem Konsulat von Theodorus v. c. [6. Juli 399]

Dieses Gesetz stammt aus den letzten Wochen, in denen Eutrop das Ostreich kontrollierte. 92 Die §§ 1 und 2 bestätigen mehr oder weniger die bereits geltende Rechtslage: § 1 sanktioniert eunomianische Zusammenkünfte auf dem Land wie in der Stadt; wie üblich in solchen Fällen wird die Immobilie (sofern die Versammlung mit Wissen und ohne Widerstand des Eigentümers geschah) vom Staat eingezogen. Dem unfreien Verwalter droht der Tod, was atypisch 90

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Die testamenti factio umfasst sowohl das Recht, ein Testament zu errichten, als auch das, aus einem solchen zu erben (für Belege vgl. ThLL 6.1.134.34–65, z. B. Pompon. D. 28.1.16 pr.). Die Standardbedeutung von antistes ist »Bischof«; an der vorliegenden Stelle steht das Wort allerdings fraglos i. S. v. »Kleriker« (vgl. Blaise s. v. 2 und 3; ThLL 2.185.38– 44). Jedenfalls geht es nicht um »all Eunomians« (so irrig Stachura 2006, S. 48). Bei CTh. 9.40.17, dem Gesetz, das die Bestrafung Eutrops verkündet, ist leider ein unmögliches Datum überliefert. Seeck (S. 103) rekonstruierte den 17. August 399; viel älter kann CTh. 9.40.17 jedenfalls nicht sein, weil mindestens bis 25. Juli noch Eutychian als Prätoriumspräfekt von Oriens fungierte und das Gesetz bereits an seinen Nachfolger Aurelian (sicher belegt ab 27. August) gerichtet ist.

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eunomianer

ist, 93 aber bereits seit CTh. 16.5.34 (März 398) ausdrücklich so für ländliche Verwalter galt (dass städtische Verwalter dort nicht erwähnt werden, ist mit Sicherheit eher Folge einer sorglosen Formulierung als Ausdruck des Wunsches, sie gegenüber ländlichen Verwaltern zu privilegieren). § 2 verhängt die Enteignung und Verbannung gegen eunomianische Kleriker, sofern sie bei Versammlungen aufgegriffen werden. Das entspricht der Sanktion von CTh. 16.5.34 für eunomianische Kleriker, die bei Versammlungen auf dem flachen Land ertappt wurden; in der Stadt angetroffen, sollten sie damals sogar den Tod erleiden. Da das vorliegende Gesetz die strenge Untersagung der Städte für eunomianische Kleriker nicht wiederholt, scheint die generelle Austreibung der eunomianischen Kleriker aus den Städten nicht mehr verfolgt worden zu sein, und man beschränkt sich nunmehr auf ein weniger brutales Sanktionieren von Versammlungen. Weil nun die Kaiser im Principium davon sprechen, dass sie den Eunomianern eine Strafe »erlassen«, verfiel mancher allzu schnell auf die Schlussfolgerung, dass den Eunomianern zwischenzeitlich Erb- und Testierrecht wiederum abhanden gekommen seien. 94 Aber angesichts der Tatsache, dass in den §§ 1 und 2 (weitgehend) die uns bekannte Rechtslage bekräftigt wird, ist doch nichts verwunderlich daran, dass auch das Principium nur den Stand der Dinge bestätigt. Dagegen spricht das Präsens remittimus – hat der Kaiser die Strafe denn nicht schon vor Jahren erlassen? Aber dies ist unproblematisch, denn der rechtliche Zustand gilt weiter, der Kaiser sieht weiterhin von dieser Strafe ab, er »erlässt« sie also weiterhin.

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Die Substantive procurator und villicus legen nahe, dass es nur um Unfreie geht (nicht »lease holders«, wie Stachura 2006, S. 57 schreibt; das wäre conductor); dafür spricht auch die Massivität der Strafandrohung. Was mit einem freien Pächter geschehen würde, wird (anders als im Zehnpfundgoldgesetz des Theodosius und den Häretikergesetzen unter Honorius) hier nicht geregelt. Die Strafen gegen unfreie Verwalter, die ohne Wissen ihrer Herren häretische Versammlungen zulassen (vgl. → S. 482), sind stets brutal (etwa Prügel und Verbannung im Zehnpfundgoldgesetz, CTh. 16.5.21 von 392, → S. 501, sowie bei donatistischen Versammlungen, CTh. 16.6.4, von 404/5, → S. 555, und montanistischen Versammlungen im Osten, CTh. 16.5.57 von 415; Prügel und Bergwerksstrafe bei manichäischen Versammlungen im Westen, CTh. 16.5.40 § 7 von 407, → S. 482, dieselbe Strafe wieder aufgegriffen in CTh. 16.5.65 von 428, → S. 775). Doch auch wenn die Bergwerksstrafe beinahe der Todesstrafe gleichkommt (→ S. 4106), bleibt die Hinrichtung eine in diesem Kontext ungewöhnliche Sanktion. Vgl. z. B. Delmaire I, S. 76 f., sowie S. 280 Anm. 1: »Les eunomiens avaient retrouvé leurs droits testamentaires le 25 décembre 395 (XVI, 5, 27) ; cette loi [CTh. 16.5.36] prouve qu’il en furent de nouveau privés par la suite«.

cth. 16.5.36 [6. juli 399]

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Einen möglichen Hinweis auf die Situation, in der es zum Erlass der Konstitution kam, liefert die Erwähnung des Schenkungsverbots. Nie zuvor war im Zusammenhang mit den Eunomianern die Rede von einer gesetzlichen Einschränkung schenkweiser Zuwendungen (ganz anders als bei Manichäern, die bereits seit fast 20 Jahren nichts mehr verschenken durften). Man könnte sich gut die Anfrage eines Statthalters vorstellen, der wissen wollte, ob angesichts der besonders strengen Strafen, die seit kurzem gegen eunomianische Kleriker galten, weiterhin die privatrechtlichen Sanktionen außer Kraft bleiben sollten; womöglich ging es in einem konkreten Fall um eine Schenkung unter Beteiligung eines Eunomianers. Der Kaiser antwortet: Die erbrechtlichen Sanktionen sind aufgehoben; Schenkungen sind folglich ebenfalls zulässig (denn das Schenkungsverbot ist ja gleichsam eine Verschärfung des Testierverbots); aber (um jedes mögliche Missverständnis von vornherein auszuschließen) die scharfen Bestimmungen hinsichtlich eunomianischer Kleriker gelten (mehr oder weniger) unvermindert weiter. Die erneute Veröffentlichung des Sachstands lässt sich am ehesten dadurch erklären, dass derjenige, der die Gesetzgebung lenkte (also Eutrop), alle eventuellen Zweifel über seine Linie – keine Strafen für eunomianische Laien, schwere Strafen für eunomianische Kleriker – beseitigen wollte. 95 Zur bemerkenswerten Formulierung poena peregrinorum mutandae condicionis vgl. → S. 287. Stachura (2006, S. 56) meint zum Schenkungsrecht der Eunomianer: »Such a restriction is not found in any of the previous known laws against Eunomians. It is only proper to assume that also prohibitions concerning donations would stem from the conditio peregrinorum«. Angesichts der Tatsache, dass Bürgerrecht und Testierfähigkeit mitunter als eng verbunden angesehen wurden (→ S. 260), man aber andererseits Schenkungen und Bürgerrecht in den Quellen niemals in einen Zusammenhang gerückt hat, scheint diese Idee unbegründet; dies gilt umso mehr, als Schenkungsverbote sonst nie mit einer angeblichen condicio peregrinorum in Verbindung stehen (und die wenigen anderen spätantiken Belege für peregrinus o. ä. nichts mit Schenkungsverboten zu tun haben, vgl. → S. 28757). 95

Eine andere Deutung bietet Stachura (2006, S. 59). Aus der Tatsache, dass unter Eutrop Vorrechte von privilegierten Gruppen wie Großgrundbesitzern und Klerikern beschnitten werden (unter Verweis auf Honoré, S. 83), diagnostiziert Stachura eine generelle Abneigung des Eunuchen gegen rechtliche Sonderstellungen (also nicht nur hinsichtlich bevorzugter Gruppen, sondern auch – unbelegt und nur durch Stachura behauptet – hinsichtlich benachteiligter Gruppen), und aufgrund dieser Aversion gegenüber Ausnahmen werden die erbrechtlichen Sanktionen der Eunomianer abgeschafft. Das Argument scheint weit hergeholt.

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eunomianer

Unplausibel ist die Deutung des vorliegenden Gesetzes durch Honoré (S. 82): Unser Gesetz »of July 399, … restoring to Eunomians the right to make wills, [sowie ein weiteres Gesetz] … could be construed as measures of desperation on Eutropius’ part when disaster impended«. Aber beim besten Willen kann man sich keinen Zusammenhang zwischen den Eunomianern und Eutrops Sturz vorstellen; und da die scharfe Bestrafung für Versammlungen usw. bestehen bleibt, wäre das Gesetz fraglos auch ungeeignet gewesen, sich die Unterstützung der Eunomianer zu sichern. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass man der Versuchung nicht nachgeben sollte, Verbindungen zwischen Gesetzen und historischen Ereignissen nur aufgrund der ungefähren Chronologie und ohne guten sachlichen Grund herbeizukonstruieren. Keineswegs überzeugender ist die Deutung durch Stachura (2004, S. 127): »It seems that here too the reason behind the law was to prevent loss of revenues from inheritances and donations«. Schließlich kannte die Spätantike im Gegensatz zur Hohen Kaiserzeit keine Erbschaftsteuer mehr96 (und eine Schenkungsteuer hat es im Römischen Reich nie gegeben). Delmaire, der sich die bisherigen Schwankungen mit den Bedürfnissen der Eugenius-Kampagne (in der man sich die Gunst angeblich eunomianernaher Goten sichern musste) erklärt hatte, macht nun (spekulative) Allianzen zwischen Prätoriumspräfekten und Goten verantwortlich: Er (Delmaire I, S. 78) spricht von »l’influence de préfets du prétoire liés aux hérétiques«, gemeint: »l’alliance … avec les soldats goths implique une politique favorable aux ariens«. Das Problem bleibt auch hier, dass »Arianer« und Eunomianer streng zu scheidende Gruppen sind.

CTh. 16.5.49 und 50 [1. März 410] Idem AA. Anthemio ppo. [CTh. 16.5.49] Manentibus his, quae in Eunomianos lex divi patris Clementiae Nostrae iam dudum constituit, nihil deinceps invicem sibi vel donare vel ipsos donatione consequi, nihil item relinquere nec capere testamento decernimus. Careant emolumentis, quae ex donationibus vel morientium voluntate alternis solebant illecebris fraude et circumventione percipere, ut in totum utriusque iuris communione priventur tantumque eis ab intestato succedant, quos ad succedendi ius proditus veteribus legibus ordo praescripsit, ita ut, si nullus ex his superstes fuerit, qui iure ab intestato ad hereditatem vocantur, tunc bona in hac superstitione defuncti ad fiscum Nostrum pertineant.

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vicesima hereditatis a nostra recessit re publica, »die 5 %-Steuer auf Erbschaften ist aus unserem Staat verschwunden«, schreibt Justinian (CI. 6.33.3 pr.) im Jahr 531. Die letzten Belege für die Existenz der Erbschaftsteuer stammen aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts (Günther, S. 92–94); sie dürfte bei den Steuerreformen Diokletians (allerspätestens unter Konstantin) abgeschafft worden sein, vgl. Nowak, S. 76.

cth. 16.5.49 und 50 [1. märz 410]

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Donationes etiam praedicto more prohibitae aerarii 97 Nostri incrementis accedant, ita tamen, ut nulli ex his quicquam a Nostra munificentia deposcere liceat neminique percipere, etsi quid forte voluerimus ultro largiri, sed in iure fisci maneant semper, nisi ea publicae utilitatis ratio venditioni subiecerit. Dat. kal. Mart. Varane v. c. cons. Dieselben beiden Kaiser [Honorius und Theodosius] an den Prätoriumspräfekten Anthemius: [CTh. 16.5.49] Alles, was das Gesetz des divinisierten Vaters Unser Klemenz bereits vor langer Zeit gegen die Eunomianer bestimmt hat, bleibt gültig. Wir bestimmen [zusätzlich], dass sie sich ab jetzt gegenseitig nichts mehr schenken oder selbst etwas schenkweise erhalten dürfen, ferner dass sie nichts testamentarisch hinterlassen oder testamentarisch erwerben dürfen. Sie sollen die Vorteile verlieren, die sie aus Schenkungen oder dem letzten Willen Sterbender durch wechselseitige Schmeicheleien, List und Betrug zu erhalten pflegen, sodass sie gänzlich der Teilnahme an diesen beiden Rechten beraubt sind und sie nur von denjenigen intestat beerbt werden können, denen nachzufolgen die durch alte Gesetze benannte Reihenfolge vorschreibt. Wenn keiner von denen, die gesetzlich zum Intestaterbe berufen sind, am Leben ist, fällt das Vermögen von Leuten, die in diesem Irrglauben versterben, an Unseren Fiskus. Auch auf vorgenannte Weise verbotene Schenkungen sollen der Mehrung Unserer Kasse zugutekommen. Niemand soll irgendetwas davon von Unserer Großzügigkeit erbitten oder erhalten können, selbst wenn wir womöglich etwas freiwillig verschenken wollten. Vielmehr sollen diese Güter auf immer im Eigentum des Fiskus verbleiben, außer wenn eine Rücksichtnahme auf den öffentlichen Nutzen ihren Verkauf erzwingt. Abgeschickt an den Kalenden des März unter dem Konsulat von Varanes v. c. [1. März 410] Idem AA. ad Strategium crp. De eadem re addito: [CTh. 16.5.50] Ita ut officium rerum privatarum aperte cognoscat ad proprium periculum redundare, si quid umquam ex praedictis bonis dissimulatione sua cuiquam passum fuerit tradi, cum nullo modo nullaque ratione huius legis auctoritatem circumveniri oporteat. Dat. kal. Mart. Varane v. c. cons. 97

Statt aerarii ist sacrarii überliefert. Wie Delmaire (I, S. 304 Anm. 1) zu Recht bemerkt, ist sacrarium hier sinnlos, denn sacrarium ist der Ort, wo Gesetze diskutiert werden, also das Consistorium oder der Palast (vgl. Delmaire I, S. 256 Anm. 2), nicht die Kasse. Da dieselbe Formulierung (»Bereicherung der Kasse«) oft genug wiederkehrt, ist offensichtlich, was zumindest in der Urkonstitution stand.

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eunomianer Dieselben beiden Kaiser [Honorius und Theodosius] an Strategius, dem Comes rerum privatarum, in gleicher Angelegenheit hinzugefügt: [CTh. 16.5.50] Das Amtspersonal der res privatae soll unmissverständlich wissen, dass es zu seinem eigenen Schaden erfolgt, wenn es jemals aufgrund seiner Konnivenz zulassen sollte, dass eines der vorgenannten Güter irgendjemand übertragen wird. Denn auf keinerlei Weise und aus keinem Grunde dürfen die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes umgangen werden. Abgeschickt an den Kalenden des März unter dem Konsulat von Varanes v. c. [1. März 410]

CTh. 16.5.49 und 50 gehen auf zwei Ausfertigungen desselben Gesetzes zurück, die taggleich an den Prätoriumspräfekten und an den Comes rerum privatarum abgeschickt wurden. Wie De eadem re addito zeigt, ist der als CTh. 16.5.50 überlieferte Absatz eine Ergänzung, die sich nur in der Fassung an den Comes findet. Mit CTh. 16.5.49 f. springen wir im Vergleich zum letzten Gesetz um mehr als zehn Jahre in die Zukunft. Für die Zeit zwischen der eben besprochenen Konstitution CTh. 16.5.36 von 399 und dem Jahr 410 ist nur ein einziges Häresiegesetz aus dem Ostreich überliefert. 98 Arkadius war am 1. Mai 408 verstorben. Bereits 402 war sein im Vorjahr geborener Sohn Theodosius II. zum Mitkaiser ausgerufen worden. Als Theodosius II. nach dem Tod seines Vaters nominell zum Alleinkaiser im Osten wurde, war er gerade einmal sieben Jahre alt. Der starke Mann wahrscheinlich seit Ende 404, 99 mit Sicher98

99

Nämlich CTh. 16.5.30 an den Stadtpräfekten Klearch; das Gesetz wird von der Subskription ins Jahr 396 (Arcadio IIII et Honorio III AA. conss.) datiert, aber Klearch ist erst ab 401 zuverlässig (CTh. 6.26.12) als Stadtpräfekt belegt, während wir zwei andere Männer bis Februar 396 (Claudius, CTh. 6.26.8) bzw. ab April 396 (Africanus, CTh. 11.33.1) als Stadtpräfekten kennen. Daher korrigiert man zu Arcadio V et Honorio V AA. conss. (Seeck, S. 26 f.), d. h. ins Jahr 402. Zu dieser Art von Fehler vgl. → S. 575. Das Gesetz bezieht sich nur auf Konstantinopel und verfügt die Beschlagnahme von häretischen Kirchen sowie von Privatgebäuden, in denen sich Abweichler versammeln, ferner die Verbannung häretischer Kleriker aus der Stadt; zudem werden häretische Versammlungen dort verboten, wobei die hinterlistige Zweckentfremdung vorgeblich nichtreligiöser Treffen eigens genannt wird. Neu ist daran wenig (vgl. CTh. 16.5.13, 16.5.19, 16.5.26) außer der explizit untersagten Umgehungsstrategie mit den vorgeblich profanen Zusammenkünften sowie der monströsen Amtsstrafe von 100 Pfund Gold. CTh. 16.5.30 richtet sich also wohl vor allem gegen die Konnivenz von Beamten in Konstantinopel, ändert aber an der eigentlichen Rechtslage für Häretiker wenig oder nichts. Vgl. Delmaire 1989, S. 162: Im Jahr 405 ist Anthemius zusammen mit Stilicho Konsul, im selben Jahr wird er Prätoriumspräfekt. Dass Anthemius Konsul wurde, ohne zuvor ranghoher Militär oder Prätoriumspräfekt gewesen zu sein, ist fast singulär in

cth. 16.5.49 und 50 [1. märz 410]

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heit ab dem Regierungsantritt von Theodosius II. im Jahr 408 war der Prätoriumspräfekt Anthemius (PLRE II, S. 93–95 s. v. Anthemius 1), 100 und nach allem, was wir wissen, dürften wir ihn auch hinter dieser Maßnahme vom 1. März 410 vermuten; jedenfalls stand der kleine Theodosius II. selbst erst kurz vor seinem neunten Geburtstag. Ob mit der erwähnten lex divi patris nun CTh. 16.5.34 oder 36 oder eine andere, nicht erhaltene Konstitution gemeint ist, bleibt unentscheidbar; inhaltlich geht es dabei fraglos um das Versammlungsverbot. Diese Restriktionen sollen weiter gelten (manere). Was künftig gilt (deinceps) – und damit offensichtlich zusätzlich zu beachten ist –, 101 ist ein Testier- und Schenkungsverbot. Dagegen wird das Intestaterbrecht (anders als dies seit einer Generation bei den Manichäern der Fall war) nicht angetastet. Insbesondere können Eunomianer weiterhin nicht nur intestat vererben, sondern auch erben. 102 Weniger klar ist, ob Eunomianer an Nichteunomianer schenken dürfen. Der Wortlaut nihil … invicem [!] sibi vel donare vel ipsos donatione consequi spricht eigentlich dafür, dass Schenkungen von und an Nichteunomianer möglich blieben, ebenso alternis … illecebris; anders klingt hingegen ut in totum [!] utriusdieser Zeit (das einzige andere Beispiel im Ostreich ist Rufin). Jones, S. 179: »we do not know who held the reins of power during the rest of Arcadius’ reign. But it is probable that from 405, when he became praetorian prefect of the East, Anthemius … controlled affairs. He … was certainly well in the saddle when Arcadius died in 408«. 100 Vgl. Socr. 7.1.1, Τοῦ δὴ βασιλέως Ἀρκαδίου τελευτήσαντος … Ὁνώριος μὲν ὁ αὐτοῦ

ἀδελφὸς τὰ ἑσπέρια διεῖπε μέρη, ὑπὸ δὲ τῷ υἱῷ τῷ νέῳ Θεοδοσίῳ ὀκταετεῖ τυγχάνοντι τὰ τῆς ἑῴας ἐτάττετο, Ἀνθεμίου τοῦ ὑπάρχου τὴν διοίκησιν ποιουμένου τῶν ὅλων, »Nach dem Tod von Kaiser Arkadius … beherrschte sein Bruder Honorius die

westlichen Teile, die östlichen wurden von seinem jungen, achtjährigen Sohn Theodosius regiert, wobei sich der Präfekt Anthemius um die Verwaltung von allem kümmerte«. Außer Sokrates gibt es keinen Kirchenhistoriker (oder Historiker), der Anthemius explizit als Regenten charakterisiert; doch an Anthemius’ Position ist vor allem dank einiger Synesios-Briefe nicht zu zweifeln (Bayless, S. 43 f.). 101 Anders Delmaire I, S. 77: »… suivie d’un nouveau recul le 6 juillet 399 puis d’une nouvelle interdiction non conservée par le code mais citée dans la loi de 410«. Aber Delmaires Rekonstruktion ist nicht vom Wortlaut gedeckt: Das Testier- und Schenkungsverbot ist nicht in der weiter gültigen lex divi patris enthalten (über deren Inhalt uns das Exzerpt gar nichts mitteilt), sondern vielmehr zusätzlich erst ab jetzt (deinceps) zu beachten. 102 Stachura 2006, S. 59 f.: »their inheritances could be received by eligible descendants as long as they were not Eunomian themselves« ist zweifach falsch. Erstens untersagt das Gesetz keineswegs, dass ein Eunomianer den anderen intestat beerbt; zweitens müssen Intestaterben nicht zwangsläufig Deszendenten sein. Dass die reguläre gesetzliche Erbfolge gilt, ist durch die klare Angabe proditus veteribus legibus ordo sichergestellt.

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que iuris communione priventur. Nicht einmal der Vergleich mit dem nächsten Gesetz, das diese Regelung bestätigt (CTh. 16.5.58, siehe gleich), hilft, denn auch dort bleiben die Formulierungen doppeldeutig. Der Gesetzgeber scheint in beiden Konstitutionen davon auszugehen, dass Eunomianer ohnehin nur an Eunomianer schenken (bzw. von diesen Zuwendungen erhalten). Der vorliegende Text ist insofern für uns besonders interessant, als er eine gesetzgeberische Begründung enthält: Man wolle vermeiden, dass sich Eunomianer veranlasst durch alternis illecebris fraude et circumventione, »wechselseitige Schmeicheleien, List und Betrug«, gegenseitig bereichern. Demnach könnte die Regelung – jedenfalls auf den ersten Blick – dem Schutz der Intestaterben gegolten haben. Dieser Deutung widerspricht aber, dass Schenkungen von und an Eunomianer nicht etwa nichtig sind – sodass diese Vermögensteile irgendwann den Intestaterben zugutekämen –, sondern dass vielmehr eine Konfiskation zugunsten des Staats erfolgt. Mehr noch: Der Gesetzgeber legt mit dem letzten Satz von 49 und der Ergänzung an den Comes (also 50) großen Nachdruck darauf, dass die eingezogenen Vermögenswerte an niemanden herausgegeben werden. Dazu muss man wissen, dass kaduke und andere »herrenlose« Vermögen – für die es also z. B. keinen Erben gab oder die aufgrund rechtlicher Hindernisse nicht erworben werden konnten oder die enteigneten oder gar hingerichteten Personen gehört hatten – eigentlich an die Staatskasse fallen sollten. Aber im Codex Theodosianus nehmen die Fragmente zu Petitionen hinsichtlich kaduker Vermögen ungefähr genauso viel Platz wie die gesamte Häretikergesetzgebung ein! Anscheinend war es gang und gäbe, dass Vermögen, die eigentlich dem Fiskus zugutekommen sollten, letztlich bei Privatleuten landeten, deren entsprechende Bittschriften positiv beschieden wurden (Jones, S. 421–424). Zahlreiche Gesetze versuchten, dies zumindest einzuschränken (dank eines dieser Gesetze erfahren wir übrigens, dass es offenbar gar nicht so selten vorkam, dass man konfiszierte Güter an die Enteigneten zurückgab). 103 Die schärfste Maßnahme erging just unter Anthemius (CTh. 10.10.24, 6. November 405): omnesque se ab hac nefaria petitione retine103 CTh. 10.8.4 (unter Konstantius II.): Man soll allenfalls bewegliches Gut weggeben,

aber keine Immobilien; CTh. 10.10.15 (380): Wegen Majestätsverletzung konfiszierte Vermögen sollen gar nicht mehr an Petenten weitergereicht werden (freilich kann sie der Kaiser ohne vorherige Bitte von selbst weiterhin weggeben); CTh. 10.10.21 (396): Man darf sich kein Gold und Silber erbitten (die Restriktion gilt aber ausdrücklich nicht für hohe Beamte); CTh. 9.42.17 = 10.10.23 (401): Bei konfisziertem Gut muss eine Karenzzeit von zwei Jahren eingehalten werden, da der Kaiser Bedenkzeit möchte, um das Vermögen eventuell doch an den Verurteilten zurückzugeben.

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ant scientes nullum ex hoc posse fructum adquiri, sed huius decreti violatores sacrilegii poenam contrahere, »… und jedermann soll von einer solchen kriminellen Eingabe die Finger lassen im Wissen, dass er daraus keinerlei Gewinn ziehen kann und dass vielmehr die Übertreter dieser Verfügung die Strafe für Majestätsverbrechen trifft«. 104 Anthemius scheint also einer derartigen Plünderung der Staatskasse prinzipiell entgegengetreten zu sein (was ihm vielleicht die Mittel verschaffte, um Großprojekte wie die unter ihm entstandene Theodosianische Mauer von Konstantinopel zu realisieren), und so muss es nicht verwundern, dass sein Eunomianergesetz von vornherein anderer Leute Begehrlichkeiten (insbesondere natürlich die von Delatoren: → S. 289) oder die offensichtlich häufigen Fälle von Gnade-vor-Recht ausschließt. 105 Lässt sich eine plausible Vermutung anstellen, wie es zu CTh. 16.5.49 f. kam? Es gibt keinen Anhaltspunkt für eine Gelegenheitsentscheidung. Wenn dem Ganzen eine Eingabe zugrunde liegt, dann kaum von privater Seite, weil ja bei Schenkungen der Fiskus profitiert (und nicht etwa der orthodoxe Intestaterbe). Die genannten Gründe – Schmeicheleien, Betrügereien – sind so diffus, dass man nicht an einen konkreten Fall denken will. Doch handelt es sich wirklich um einen gestaltenden Akt der Rechtssetzung, stellt sich die Frage nach der dahinterstehenden Absicht. Eine Deutung als allgemeine Maßnahme gegen einen sich ausbreitenden eunomianischen Einfluss scheint wenig plausibel. Selbst wenn man angesichts des SynesiosBriefs (→ S. 623) annehmen will, dass es im Jahr 410 noch Eunomianer als aktionsfähige Gruppe gab, müsste man dann doch andere, massivere Maßnahmen erwarten. Möglich, aber ebenfalls unwahrscheinlich ist die Hypothese, Anthemius habe auf diese Weise die Staatskasse füllen wollen. Zwar stellt die Rechtsfolge der Kaduzität tatsächlich ein Indiz für die Richtigkeit dieser Theorie dar (bei den Donatisten, → S. 561, wird beispielsweise einfach bestimmt, dass sie keine Schenkungen erhalten könnten – das heißt noch lange nicht, dass eine ungültige Schenkung sogleich an den Staat fällt). Andererseits darf nicht unbeachtet bleiben, dass die Eunomianer – anders als es nach dem Vorbild der

104 Zu sacrilegium i. S. v. »Majestätsverbrechen« → S. 443. CTh. 10.10.24 bezieht sich

auf ein Gesetz Konstantins; in der Tat sieht Konstantin regelmäßig die Todesstrafe gegen Delatoren vor (CTh. 10.10.1–3). 105 Nach Anthemius setzte sich das alte Spiel bald fort. CTh. 10.10.32 (425) bestimmt, dass Petenten und Fiskus hälftig teilen sollen (CTh. 10.10.34 von 430 ergänzt einen Sonderfall: Sind die Petenten Eunuchenkämmerer, bekommen sie alles und der Fiskus nichts).

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geltenden Manichäergesetzgebung denkbar wäre – weiterhin intestat vererben dürfen und ihr Vermögen nicht unmittelbar abgeben müssen. Wenn es nur um Geldschneiderei gegangen wäre, hätte sich doch ein Gesetzgeber ohne Augenmaß an dieses Modell halten können. Den Anlass zu dem Gesetz könnte die Auseinandersetzung mit einem Heterodoxengesetz des Westreichs geliefert haben: Ungefähr eine Woche vor dem Eunomianergesetz hatte nämlich Anthemius im Namen des Kindkaisers Theodosius II. eine andere Häretikerregelung erlassen (CTh. 16.5.48, vom 21. Februar 410), und zwar gegen »Montanisten, Priscillianisten und andere Formen derart frevelhaften Aberglaubens«. In dieser Konstitution findet sich die Diskussion eines westlichen Gesetzes, nämlich CTh. 16.5.40, das Honorius am 22. Februar 407 gegen »Manichäer, Phryger und Priscillianisten« erlassen hatte (→ S. 471). Es ist anzunehmen, dass CTh. 16.5.48 deswegen entstand, weil ein cleverer Montanist unter Verweis auf CTh. 16.5.40 die Mitgliedschaft in der cohortalis militia verweigerte und sich ein unschlüssiger Richter beim Kaiser rückversichern wollte, wie nun CTh. 16.5.40 auszulegen sei (→ S. 101). Es könnte nun sein, dass ebenjenes Gesetz CTh. 16.5.40 – das ja die Schenkungs- und Testierverbote für Manichäer bestätigte und für Montanisten einführte – die Aufmerksamkeit des oströmischen Gesetzgebers auf diese Sanktionsform lenkte und Anthemius auf die Idee brachte, andere Häretiker – nämlich die Eunomianer, für die zuletzt vor 15 Jahren eine ähnliche Sanktion bestand – erneut gleichermaßen zu beschränken. Sollte Anthemius seine Inspiration wirklich aus dem westlichen Montanistengesetz gezogen haben, so hat sich diese aber nur auf die grundsätzliche Idee beschränkt, denn die Details sind anders geregelt: Den Eunomianern wird beispielsweise nicht die Geschäftsfähigkeit genommen, vor allem müssen sie ihr Vermögen nicht unmittelbar an die Intestaterben weiterreichen. Andererseits lieferte das westliche Gesetz womöglich ein Vorbild dafür, häretische Laien außer den Manichäern zu sanktionieren (wie es bei den im Osten irrelevanten Donatisten schon ein paar Jahre länger der Fall war), und da diese westliche Konstitution nachweislich im Osten bekannt und in Anwendung war, könnte es nahegelegen haben, auch auf eunomianische Laien wie zuletzt vor fünfzehn Jahren einzuwirken. Ein anderer möglicher Zusammenhang besteht vielleicht mit Gesetzen, die Theodosius II. (oder vielmehr sein Prätoriumspräfekt Anthemius) ein halbes Jahr später erlassen hat. Darin werden Beschränkungen der testamentarischen Erwerbsfähigkeit unter Ehegatten, die aufgrund der augusteischen Gesetzgebung galten (Kaser I, S. 724), aufgehoben, zugleich sollte anscheinend auch das obsolet gewordene Dreikinderrecht entfallen oder, genauer gesagt,

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pauschal an alle verliehen werden (CTh. 8.17.2 f. vom 4. September 410). 106 Es ist ein möglicher (wenn auch unbelegbarer) Gedanke, dass Anthemius im Jahr 410 dabei war, das römische Erbrecht neu zu justieren, indem er als ungerecht wahrgenommene Regelungen modifizierte: etwa, dass enthaltsame Orthodoxe Beschränkungen unterlagen, während hingegen die häretischen Eunomianer insoweit privilegiert erschienen, als die einst gültigen Regelungen ohne zwingenden Grund außer Kraft waren. Noch über einen dritten Zusammenhang lässt sich spekulieren: In der Zeit, in der Anthemius den Kindkaiser lenkte, setzt im Osten die Gesetzgebung gegen Wiedertäufer ein. CTh. 16.6.6 (21. März 413) spricht nur allgemein vom rebaptizandi scelus, ohne den Namen einer Sekte zu nennen, und droht mit dem statuti prioris supplicium – doch was die »Strafe der früheren Konstitution« sein könnte, wird nicht ausgeführt. Bei den Wiedertäufern kann es sich aber nur um die Eunomianer handeln: Ihre Wiedertäuferei ist durch die Kirchenhistoriker und Häresimachen verbürgt (→ S. 631), während wir umgekehrt keine andere Gruppe im Osten kennen, die die Wiedertaufe praktizierte. Das wird durch CTh. 16.6.7 (29. März 413, also nur ein paar Tage nach dem vorgenannten Gesetz ergangen) bestätigt, wo es um die Eunomianer geht, denen Zusammenkünfte verboten und deren Kleriker (neben den Eigentümern von Versammlungslokalen) enteignet werden. Darauf folgt: eos vero, qui fide, ut dictum est, inbutos inmani furore rebaptizare deteguntur, cum his qui rebaptizantur si hac sint aetate, cui crimen possit opponi, »diejenigen aber, die man dabei erwischt, wie sie [bereits] mit dem Glauben ›Benetzte‹ (wie es heißt) in gewaltigem Irrsinn wiedertaufen, sollen samt denen, die wiedergetauft werden (sofern sie in einem Alter sind, dem es möglich ist, sich dem Verbrechen zu widersetzen) …«. Hier bricht der Gesetzestext ab, und die Subskription folgt – wiederum erfahren wir nicht, welche Sanktion Anthemius für Wiedertäufer vorsah. 107

106 Tatsächlich ist die Situation komplizierter, denn das Dreikinderrecht wird anschei-

nend erst durch Justinian endgültig beseitigt. Vgl. Kaser II, S. 533 mit Anm. 23, S. 222 f. mit Anm. 8. 107 Stachura 2004, S. 127 schreibt: »A ban on property transfers to fellow believers is restored (CTh XVI.5.49 of 412 [sic]). This move was perhaps in response to the Eunomian practice of a second baptism which was seen as particularly blasphemous and was punished in just such a way«, mit Fußnotenverweis auf CTh. 16.6.7. Doch CTh. 16.6.7 enthält keine erbrechtliche Sanktion oder überhaupt irgendeine Sanktion für Wiedertäufer, denn der Text bricht mitten im Satz ab. Dass die dort fehlende Bestrafung kaum in einer erbrechtlichen Sanktionierung bestand, zeigt der Vergleich mit der späteren Bestätigung CTh. 16.5.58, die Wiedertaufenden und Wiedergetauf-

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Kurzum: Was Anthemius im Jahr 410 veranlasste, die erbrechtlichen Sanktionen wieder in Kraft zu setzen, lässt sich nicht abschließend bestimmen. Da Anthemius ansonsten nicht sehr aktiv in der Heterodoxengesetzgebung war, ist in jedem Fall eine besondere Erklärung notwendig; ob sie einer der skizzierten Möglichkeiten entspricht, muss offen bleiben. Bald nach den Gesetzen gegen die Wiedertaufe endete auch die Zeit des Anthemius. Er ist am 18. April 414 zum letzten Mal als Prätoriumspräfekt belegt, mit diesem Tag verschwindet er aus der Geschichte. Ob er bald danach verstarb oder (wie manch ein Vorgänger) in Ungnade fiel und entmachtet wurde, wissen wir nicht. 108 Am 4. Juli desselben Jahres wird Theodosius’ II. Schwester Pulcheria – selbst noch Teenager – zur Mitkaiserin. Pulcheria, der die Religion in ganz besonderer Weise am Herzen lag, soll in den Folgejahren die Politik ihres kleinen Bruders gelenkt haben (vgl. Soz. 9.1.2–10). Ein Blick in Seecks Regesten zeigt, dass seit ihrem Aufstieg zur Augusta die Zahl der im Codex Theodosianus überlieferten Gesetze sprunghaft zunimmt. Gleichwohl verstreicht mehr als ein Jahr, bis es zu den nächsten Regelungen gegen Heterodoxe kommt: Am 31. Oktober 415 ergeht ein Gesetz gegen die Montanisten (CTh. 16.5.57) mit den üblichen Verboten von Klerikerweihen und Versammlungen. 109 Es verfügt ferner den Einzug von montanistischen Kultgebäuden samt ihrer Sakralausstattung für die orthodoxe Kirche. Diese Bestimmung wird um die bemerkenswerte Schutzklausel ergänzt, dass dabei bitte ja kein Eigentum von Privatleuten beeinträchtigt werden solle. 110 Im Kontext kann es ten die Verbannung androht, während zugleich die erbrechtlichen Sanktionen gegen alle Eunomianer (ganz unabhängig von möglichen Wiedertaufen!) bekräftigt werden. 108 Normalerweise gibt es mehr als genug Quellen, wenn ein mächtiger Mann in Ungnade fällt (nicht zuletzt in Form von CTh.-Fragmenten: → S. 209). Da die Quellen schweigen, scheint mir wahrscheinlicher, dass Anthemius im Jahr 414 verstarb oder zumindest ab dann nicht mehr arbeitsfähig war. Dafür spricht auch, dass sein Gesundheitszustand bereits in den Jahren zuvor nicht gut war: Synes. epist. 79 erwähnt eine offenbar langwierige fiebrige Erkrankung. 109 Kleriker, die Versammlungen durchführen, werden deportiert; dieselbe Strafe trifft weihende und geweihte Kleriker (damit eigentlich sowieso alle Kleriker – außer, es geht nur um künftige Weihen); Versammlungsorte sind einzuziehen, begünstigende Verwalter zu geißeln und zu exilieren; montanistische Kultgebäude fallen an die orthodoxen Kirchen. Damit ist CTh. 16.5.57 tendenziell sogar weniger streng als die vorherige Regelung CTh. 16.5.34 von 398, wonach in der Stadt angetroffene Kleriker auf jeden Fall hingerichtet werden sollen, ebenso wie die Verwalter. 110 CTh. 16.5.57 § 2, Quod quidem ita fieri oportebit, ut abstineatur privatorum rebus, ne sub obtentu rerum ad ecclesias Montanistarum pertinentium adversus privatos spoliatio ac direptio perpetretur, »Das muss freilich in einer solchen Weise geschehen, dass man die Finger lässt vom Eigentum von Privatleuten, damit nicht unter dem Vorwand, es

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sich eigentlich nur um montanistische Privatleute handeln; 111 wir erkennen hier wiederum das übliche Prinzip, Kleriker und Versammlungsbegünstiger anzugreifen, nicht weiter auffällige häretische Laien aber explizit von rechtlichen Nachteilen auszunehmen. Nur eine Woche nach der Montanistenregelung folgt ein sehr umfangreich überliefertes Gesetz gegen die Eunomianer. Fraglos stehen diese beiden Konstitutionen in einem sachlichen Zusammenhang. Ganz wie die Montanistenregelung bringt auch das Eunomianergesetz wenig Neues, sondern wiederholt (jedenfalls im Großen und Ganzen) die bestehende Rechtslage.

CTh. 16.5.58 [6. November 415] Idem AA. Aureliano ppo. II. Domus Eunomianorum propriae clericorum, quae apud inclytam urbem habentur, fisci viribus addicantur, in quibus nefarios conventus habitos vel iteratum baptisma claruerit, quod in modum semel nati hominis semel a deo conceditur. 1. Quod facinus ne etiam a ceteris haereticis perpetretur, commonemus, similem exspectaturis poenam etiam aliis clericis haereticis, si divinum baptisma nefarie crediderint iterandum. Dieselben beiden Kaiser [Honorius und Theodosius] an den Prätoriumspräfekten Aurelian in seiner 2. Amtszeit: Die Häuser, die den eunomianischen Klerikern selbst gehören und die sie in der gerühmten Stadt [Konstantinopel] haben, sollen zugunsten des Fiskus eingezogen werden, sofern sich herausstellen sollte, dass man in ihnen verbrecherische Versammlungen abgehalten oder wiedergetauft hat. Denn die Taufe wird von Gott dem Menschen – der ja auch nur einmal geboren wird – nur einmal gewährt. 1. Damit dieser Frevel nicht auch noch von anderen Häretikern begangen wird, bestimmen wir, dass eine ähnliche Strafe auch andere häretische Kleriker erwarte, wenn sie glauben sollten, sie müssten die heilige Taufe frevelhafterweise wiederholen.

Nach CTh. 16.5.32 (396) sollten eigentlich alle eunomianischen Kleriker (wenn man auctores doctoresque Eunomianorum so verstehen darf) aus den Städten und damit erst recht aus Konstantinopel vertrieben worden sein. würde sich um Eigentum von Montanistenkirchen handeln, Plünderung und Raub an Privatleuten begangen wird«. 111 Wer mir darin nicht folgen will, wird immerhin zugeben müssen, dass jedenfalls nicht explizit nur das Eigentum orthodoxer Privatleute geschützt wird.

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CTh. 16.5.34 (398) drohte sogar noch zusätzlich die Todesstrafe an, wenn man Eunomianae superstitionis clerici nach der Publikation (→ S. 84) dieser neuen Regelung in Städten antreffe. Dass eunomianische Versammlungsstätten eingezogen werden sollen, ist nun wahrlich nichts Neues (vgl. CTh. 16.5.12 von 383, 16.5.34 von 398, 16.5.36 von 399). Wenn das vorliegende Gesetz explizit von den Häusern eunomianischer Kleriker spricht, so ist damit kaum eine Besserstellung anderer Eigentümer intendiert, sondern es muss ein konkreter Sachverhalt zugrunde liegen, der offenbar den Anlass zu diesem Gesetz lieferte. Da ja nun die Wiedertaufe nur ein Spezialfall der unerlaubten Versammlung ist, gleichwohl aber extra erwähnt (und weiter ausgeführt) wird, darf man annehmen, dass es sich bei den auslösenden Vorfällen um Wiedertaufen in Privathäusern eunomianischer Kleriker gehandelt hat. Im Osten sind keine anderen Wiedertäufer außer den Eunomianern bekannt. Die Warnung an sonstige Häretiker ist daher entweder rein prophylaktisch gegen alle möglichen, vielleicht entstehenden Gruppen zu verstehen oder aber richtet sich an eunomianische Splittergruppen, die zwar wiedertauften, aber gegebenenfalls gar nicht unter »Eunomianer« zu subsumieren gewesen wären. 112 2. Ne eo quoque extra poenam relegationis futuro, qui sponte adque ultro passus fuerit ad secundum se baptisma et geminata semel indultae fidei mysteria imbui temere vel perperam devocari. 2. Gleichermaßen 113 soll jedem die Relegationsstrafe drohen, der von selbst und freiwillig zugelassen hat, dass er zu einer zweiten Taufe und einer Wiederholung der Mysterien des einmal gewährten Glaubens unbesonnen gebracht bzw. verkehrterweise verleitet werde.

Die Formulierung dieser Passage setzt voraus, dass zuvor schon den Zelebranten einer solchen Wiedertaufe die Verbannung angedroht wurde; dies findet sich indes nicht im vorliegenden Gesetz. Die hier genannte poena relegationis zusammen mit der par [!] poena deportationis in § 3 stellt einen singulären Beleg für die (falsche) Identifikation von Relegation und Deportation dar (→ S. 328111). Delmaire (2008, S. 116) vermutet, der Autor der vorliegenden Konstitution war kein Jurist; tatsächlich deutet wenig auf eine juristische Vor112 »Eunomianer« ist ohnehin eine Fremdbezeichnung, d. h., die Betroffenen würden

sich selbst nicht so nennen. Die Theophronianer (bzw. Eunomiotheophronianer) sowie die Eunomioeutychianer als anhomöische Abspaltungen sind uns namentlich bekannt (→ S. 620), zudem wissen wir, dass diese Splittergruppen die Wiedertaufe praktizierten (→ S. 63241); es ist gut möglich, dass sich § 1 gegen derlei Sekten richtete, die vielleicht eher als »andere Häretiker« denn als »Eunomianer« zählten. 113 Zu ne … quoque i. S. v. nec vgl. OLD s. v. ne 6b.

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bildung hin. Unabhängig davon bin ich überzeugt, dass man in diesem Gesetz verschiedene Regelungen aus früheren Texten ohne größere Sorgfalt zusammengestöpselt hat, wodurch diese Brüche entstanden sind. Übrigens wird die sachlich angemessene Ausnahme von CTh. 16.6.6 und CTh. 16.6.7 (beide von 413) – dass nämlich nicht bestraft wird, wer so jung ist, dass man ihn nicht verantwortlich machen kann – hier nicht wiederholt. 3. Pari poena deportationis absque alicuius intercessione in Eunomianos clericos processura, si conventus exercere vel in hac inclyta urbe vel in provinciis, civitatibus ac territoriis vel creare ausi fuerint clericos pestiferi dogmatis vel creari. 3. Wobei auch dieselbe Deportationsstrafe ohne Interventionsmöglichkeit für wen auch immer gegen die eunomianischen Kleriker erfolgen soll, wenn sie in dieser gerühmten Stadt [Konstantinopel] oder in den Provinzen, Stadtzentren oder Stadtterritorien Versammlungen abhalten oder wagen sollten, Kleriker ihres verderbenbringenden Glaubens zu weihen oder zu solchen geweiht zu werden.

Bereits CTh. 16.5.36 (399) hatte verfügt, dass eunomianische Kleriker, die Versammlungen (ohne Beschränkung auf innerstädtische) durchführten, enteignet und verbannt würden; neu ist die Verbannung als Strafe für Klerikerweihen. 114 Wenn ohnehin jeder geweihte Kleriker verbannt wird, lohnt es eigentlich gar nicht, die Verbannung für Kleriker, die geweiht oder zelebriert haben, separat festzulegen, denn diese müssen ja offensichtlich selbst geweiht sein. Womöglich geht es also nur um künftige Klerikerweihen. Ähnlich unklar ist das Montanistengesetz CTh. 16.5.57, das eine Woche zuvor ergangen war. Mehr noch: Man sieht deutlich, dass die Texte unmittelbar voneinander abhängen, vergleiche si conventus … vel creare clericos ausi fuerint vel … creari … (57) mit si conventus … vel creare ausi fuerint clericos … vel creari (58). 4. Confirmatis itaque prioribus legibus, quae promulgatae sunt tam circa inhibendos conventus Eunomianorum quam etiam circa interdictas novissimas voluntates aut liberalitates, illud addimus, ut, si qui de Eunomianis speciali beneficio meruerant, ut eis testamenti factio indulgeretur vel donandi vel accipiendi ex largitate licentia tribuatur, priventur hoc beneficio et pares ceteris sint, quibus pares sunt in dogmatis pravitate. 114 Das letzte allgemeine Gesetz gegen Häretikerweihen mit genauer Strafandrohung

sollte das Zehnpfundgoldgesetz von 392 gewesen sein: → S. 500. Explizit gegen Klerikerweihen richteten sich bereits zuvor CTh. 16.5.12 (383) und CTh. 16.5.14 (388), jeweils ohne spezielle Sanktion; ferner wettern CTh. 16.5.22 und CTh. 16.5.24 (beide von 394) gegen häretische Bischofs- bzw. Klerikerweihen, enthalten aber keine Strafandrohung.

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eunomianer 4. Nachdem wir also die früheren Gesetze bestätigt haben, die erlassen wurden, um den Versammlungen der Eunomianer Einhalt zu gebieten und um ihre letztwilligen Verfügungen und Freigebigkeiten zu untersagen, bestimmen wir Folgendes zusätzlich: Wenn einzelne Eunomianer durch Privatprivileg erreicht hatten, dass ihnen die testamenti factio oder die Fähigkeit, schenkweise zu geben oder zu empfangen, zugebilligt wurde, sollen sie dieses Privileg verlieren und den übrigen gleich sein, denen sie ja schließlich auch in der Verworfenheit ihrer Lehre gleich sind.

Vergleichen wir diesen Anfang von § 4 mit CTh. 16.5.25 § 1 (395, die Bestätigung der theodosianischen Häretikergesetzgebung durch Arkadius/Rufin mit Rückkehr der erbrechtlichen Sanktionen für Eunomianer: → S. 651); dieser Vergleich wurde bereits an anderer Stelle durchgeführt (→ S. 217), ist aber im aktuellen Kontext so wichtig, dass er hier kurz wiederholt sei: Eunomianorum vero perfidam mentem et nequissimam sectam speciali commemoratione damnamus statuimusque omnia, quae contra illorum vesaniam decreta sunt, illibata custodiri, illud addentes, ne quis memoratae sectae militandi aut testandi vel ex testamento sumendi habeat facultatem, ut sit omnibus commune damnum, quibus etiam communis est religionis furor, cessante videlicet, si quid a patre Nostro quibusdam fuerat super testandi iure beneficio speciali concessum.

Unterstrichen sind Wörter, die eins zu eins übernommen werden; gefetteter Text markiert Formulierungen, die sich zumindest gedanklich in CTh. 16.5.58 wiederfinden (etwa omnibus commune damnum, quibus … communis … religionis furor, was durch Synonymentausch zu pares ceteris …, quibus pares … in dogmatis pravitate umformuliert wird). Unzweifelhaft hängen die beiden Texte voneinander ab. Dieses Arbeiten mit Versatzstücken erklärt auch den merkwürdigen Anfang, wonach bereits eine Bestätigung von Gesetzen gegen Versammlungen und Testamente/Schenkungen erfolgt sei: In der Tat bestätigt unser § 3 das Versammlungsverbot, aber von Testamenten und/oder Schenkungen war im vorliegenden Gesetz noch nicht die Rede. Dass diese Ungereimtheiten dem originalen Gesetz geschuldet sind (und nicht etwa schlampigen CTh.-Kompilatoren, die entgegen ihren Arbeitsanweisungen die erbrechtlichen Sanktionen entfernten), beweist der weitere Text, in dem die erbrechtlichen Sanktionen dann doch noch kommen, aber eben an der logisch falschen Stelle. Es wird hier also der Spezialfall (Privatprivilegien für Einzelpersonen, die das allgemeine Recht durchbrechen) vor dem allgemeinen Fall verboten! Nulli penitus testari liceat Eunomiano in Eunomianum, nulli eiusdem perversitatis ex testamento quicquam percipere Eunomiani; nemo donet nec Eunomianus ab Eunomiano liberalitatem praedii vel domus accipiat, etiamsi per interpositam alte-

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rius sectae personam vel titulum venditionis imaginariae fraus quaedam legi fuerit excogitata. Tantum hi, qui ab intestato venturi sunt ex legibus, in eorum hereditate succedant atque his locus pateat successionis, ad quos iura sanguinis legitimas intestatorum deferunt hereditates. Keinem einzigen Eunomianer soll es erlaubt sein, einen Eunomianer testamentarisch zu bedenken, keiner Person von derselben Verworfenheit soll es erlaubt sein, irgendetwas aus dem Testament eines Eunomianers zu erhalten. Niemand darf schenken; kein Eunomianer soll von einem Eunomianer ein Landgut oder ein Stadthaus als Freigebigkeit erhalten, auch dann nicht, wenn eine Gesetzesumgehung ersonnen werden sollte, indem man eine Person aus einer anderen Religionsgemeinschaft dazwischenschaltet oder einen Scheinverkauf vorschützt. Ausschließlich diejenigen, die nach den Gesetzen als Intestaterben berufen sind, sollen in deren Erbschaft nachfolgen. Der Erhalt des Nachlasses stehe denen frei, denen das Verwandtschaftsrecht die Erbschaft von Testamentlosen gesetzlich anfallen lässt.

Jetzt folgt doch noch die Bestätigung des Verbots für Eunomianer, per Testament oder Schenkung Vermögen zu übertragen. Einerseits ist der Text sorgfältig, weil er zwei naheliegende Umgehungsmaßnahmen (nämlich Weitergabe über Strohmänner sowie Scheinverkauf) ausdrücklich ausschließt. Andererseits kann Verwirrung entstehen, ob das Verbot der testamentarischen und schenkweisen Weitergabe nur für Eunomianer untereinander gilt oder aber prinzipiell besteht. Der letzte Satz ist eindeutig: Nur die (tantum hi) durch die gesetzliche Erbfolge definierten Intestaterben soll profitieren, folglich können Eunomianer gar keine Testamente mehr errichten bzw. von solchen profitieren. 115 Das bedeutet also, dass der anfänglich geschilderte Fall – Eunomianer bedenkt Eunomianer testamentarisch – nur das Beispiel für ein Szenario ist, das sich der Gesetzgeber als besonders plausibel vorstellt. Gleiches sollte dann auch für Schenkungen gelten, insbesondere da die Erwähnung der liberalitas praedii vel domus fraglos ein solches Szenariobeispiel ist (man will ja gewiss nicht Schenkungen beweglicher Güter gegenüber Schenkungen von

115 Insofern sind die ausführlichen Bemerkungen von Vaggione, S. 355, falsch: »Under

Theodosius II the original prohibitions were … in 415 slightly relaxed: Eunomians could again make wills, but they could only do so in favour of non-Eunomians. Thus Eunomian individuals regained some control of their property, while the government was assured that sooner or later their wealth would leave the Eunomian community«. Auch das Szenario am Ende ist verkehrt, denn Intestaterben können sehr wohl profitieren, sodass das Vermögen im Regelfall sehr wohl in der »community« verbleibt (z. B. wenn der Nachlass eines eunomianischen Erblassers seinen eunomianischen Deszendenten zugutekommt).

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Immobilien privilegieren). Freilich suggeriert der Ausschluss des »Schenkens über Bande« – nämlich das Schenken an einen Nichteunomianer, der dann an den eigentlich gewünschten Empfänger, den Eunomianer, weiterreicht –, dass Eunomianer durchaus weiter an Nichteunomianer schenken durften, ansonsten bräuchte es ja dieses separate Verbot gar nicht. Aber CTh. 16.5.7 (381, → S. 437) bietet dafür eine direkte Parallele: Den Manichäern wird jedes Schenken verboten, dann werden verschiedene verbotene Szenarien beispielhaft erwähnt, darunter Schenken an Verwandte, Kinder oder an Glaubensgenossen per interpositam quamlibet personam. Ob nun Eunomianer an Nichteunomianer schenken (bzw. von diesen Zuwendungen erhalten) dürfen, wird aus diesem § 4 letztlich nicht klar. Aus systematischen Gründen wird man eher davon ausgehen, dass auch hier ein vollständiges Schenkungsverbot intendiert war. 5. Conventicula etiam eorum in domos si qua fuerint vel possessiones, pro norma generalium sanctionum aerario Nostro absque dubio socientur sibi hoc imputante domino, qui interdictos coetus sciens passus est sub tecto proprio vel in praedio rustico exerceri. 5. Wenn ferner Zusammenkünfte von ihnen in Stadthäusern oder auf Landgütern stattfinden, sollen diese [Immobilien] nach Maßgabe der Gesetze mit generalitas ohne Wenn und Aber Unserer Kasse zugeschlagen werden, wenn es sich der Eigentümer selbst vorwerfen muss, dass er wissentlich die Abhaltung illegaler Versammlungen unter seinem eigenen Dach oder auf seinem Landgut zugelassen hat.

Im Principium war festgelegt worden, dass städtische Häuser im Eigentum eunomianischer Kleriker, in denen Versammlungen stattfanden, eingezogen werden sollen – jetzt geht es plötzlich um alle Immobilien, in denen es zu Zusammenkünften kam, sofern ein (nicht weiter bestimmter) Eigentümer diese wissentlich duldete. Dies entspricht den Regelungen von 399 gegen Eunomianer (CTh. 16.5.36) und dem ein paar Tage zuvor erlassenen Gesetz gegen Montanisten (CTh. 16.5.57); sogar gewisse sprachliche Anklänge lassen sich nachweisen. 116 Die Reihenfolge ist unlogisch (dazwischen war ja von den erbrechtlichen Sanktionen die Rede), auch ist merkwürdig, dass die allgemeine Bestimmung lange nach dem (unnötigen) Spezialfall gegeben wird. Überraschenderweise fehlt eine Regelung für die Situation, dass ein Unter-

116 Etwa die Wörter domus und possessio, die alle drei genannten Gesetze gemein haben

(nicht z. B. praedium wie etwa in CTh. 16.5.40 § 7 oder loca wie in CTh. 16.5.45). CTh. 16.5.57 verwendet procul dubio, CTh. 16.5.58 absque dubio.

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gebener (Verwalter oder Pächter) hinter dem Rücken des Eigentümers derlei zuließ; normalerweise tritt ja dessen harte Bestrafung (in CTh. 16.5.57: brutale Prügel und Verbannung) an die Stelle der Konfiskation. 6. Illo incunctanter exsequendo, ut ubiubi repperti fuerint Eunomianorum clerici, qui auctores iterati baptismatis exstiterunt, comprehensi in perpetuum sub poena deportationis ad exilium deducantur. 6. Außerdem ist Folgendes ohne Zögern auszuführen: Kleriker der Eunomianer – völlig unabhängig davon, wo man sie aufgreift –, von denen sich herausstellt, dass sie wiedergetauft haben, sollen lebenszeitlich festgesetzt und mit der Deportationsstrafe zum Ort ihres Exils verbracht werden.

Wiedertaufen wurden bereits im Principium untersagt, wo eunomianischen Klerikern die Konfiskation ihrer Privathäuser angedroht wurde, sofern dort Wiedertaufen stattfanden; § 2 verhieß Wiedergetauften die Verbannung, § 3 richtete sich an eunomianische Kleriker und drohte mit dem Exil – allerdings als Strafe für Versammlungen und Ordinationen, nicht für Wiedertaufen. Dass erst jetzt in § 6 (nach erbrechtlichen Sanktionen und einer Konfiskationsregel für Versammlungsstätten) und damit an völlig unlogischer Stelle die Strafe für aktives Wiedertaufen folgt, zeigt wiederum den merkwürdigen Charakter des Gesetzes, dem keinerlei nachvollziehbare Gliederung zugrunde zu liegen scheint. Das ubiubi, »wo auch immer«, ersetzt die sonst üblichen Formulierungen, wonach bei der Bestrafung von Heterodoxen eventuell danach zu differenzieren ist, ob sie in Städten bzw. auf dem flachen Land angetroffen wurden. 7. Etiam illo addendo, ut nemo Eunomianus vel militet vel provinciam sub administratione cuiuslibet officii suscipiat gubernandam. Et cetera. 7. Wobei auch Folgendes hinzugefügt werden muss: Kein Eunomianer soll in der militia dienen oder eine Provinz unter der Verwaltung irgendeines Officiums zur Lenkung übernehmen. Und so weiter.

Eunomianer sind seit 395 vom Dienst in der militia ausgeschlossen (→ S. 655). Man vermisst in der vorliegenden Bestätigung, dass sich dieser Ausschluss nicht auf die cohortalis militia erstreckt, in der zu dienen nur Last, nicht Privileg war (→ S. 653); eine entsprechende Klarstellung war ja bereits im Fall der Montanisten ergangen (→ S. 100). Die merkwürdige Formulierung am Ende (provinciam sub administratione cuiuslibet officii suscipiat gubernandam) kann kaum bedeuten, dass Eunomianer nicht Provinzstatthalter werden dürfen. Trotz et cetera am Ende gibt es kein weiteres Fragment der Urkonstitution im Codex Theodosianus (→ S. 214).

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eunomianer Dat. VIII id. Nov. Constantinopoli DD. NN. Honorio X et Theodosio VI AA. conss. Abgeschickt am 8. Tag vor den Iden des November in Konstantinopel unter dem Konsulat von Kaiser Honorius (zum 10. Mal) und Kaiser Theodosius (zum 6. Mal). [6. November 415]

Das vorliegende Gesetz ist weitgehend eine Bestätigung der bereits gültigen Rechtslage. Neu scheinen lediglich die Bestimmungen gegen Wiedertaufen, aber das kann allein dem Umstand geschuldet sein, dass wir die Sanktionen der älteren Anthemius-Gesetze von 413 gegen eunomianische Wiedertaufen nicht kennen (→ S. 671). 117 Nicht sein Regelungsgehalt macht CTh. 16.5.58 für uns interessant, sondern vielmehr sein erstaunlich inkongruenter Charakter. Die Gliederung weist einen kaum erkennbaren Plan auf, Spezialfälle werden eigens abgedeckt, ehe man dieselbe Frage allgemein regelt; zudem bleibt vieles unklar. Hinzu kommen die teilweise sehr deutlichen sprachlichen Anklänge an ältere Gesetze, von denen uns Ausschnitte im Codex Theodosianus überliefert sind. Man kann diesen Befund nur durch den Kompositcharakter dieser Konstitution erklären: Offensichtlich sollte der gesamte Bestand der Regelungen gegen die Eunomianer noch einmal zusammengefasst werden. Möglicherweise gaben Wiedertaufen, die in Privathäusern eunomianischer Kleriker erfolgten, dazu den Anlass – denn die Bestimmung im Principium ist so speziell (und zugleich an derart herausgehobene Stelle platziert), dass sie einem konkreten Einzelfall geschuldet sein sollte. Wer auch immer den Text zusammenstellte, nahm sich dazu mehrere ältere Vorlagen zur Hand, stückelte und modifizierte dann freilich in einer ausgesprochen schlampigen Art und Weise. Honoré, dessen Zuschreibung einzelner CTh.-Fragmente an verschiedene Quästoren zu Recht wenig Zuspruch erhalten hat – seine Methodik besteht ja im Wesentlichen darin, einem Bauchgefühl zu folgen – schreibt über den von ihm angenommenen Autor (vgl. Honoré, S. 102 Anm. 64) von CTh. 16.5.58 (Honoré, S. 103): »Eustathius was a lawyer. This group of thirty-nine laws is marked by technically correct legal language … Eustathius displays lawyerly values. … His texts are polished«. Mehr noch: Selbst ein Versatzstück, das aus CTh. 16.5.25 (395) übernommen wird, wird nicht als ein solches erkannt, sondern explizit zur Bestimmung der Charakteristika von »Eustathius« herangezogen (Honore,

117 Sowohl CTh. 16.6.6 wie das vorliegende CTh. 16.5.58 bedrohen nicht nur den Wie-

dertäufer, sondern auch – anders als die ganze Donatistengesetzgebung – den Wiedergetauften; das könnte man als Indiz dafür nehmen, dass CTh. 16.5.58 vielleicht auch in anderer Hinsicht nur bestätigt, anstatt zu neuern.

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S. 103 mit Anm. 88)! Selten lässt sich die Problematik von Honorés Ansatz besser demonstrieren als hier. Die Eunomianer erscheinen unter Theodosius II. noch mehrfach in der Gesetzgebung. Im April des Jahres 423 regelt ein Gesetz einige Fragen im Verhältnis zu den Juden, dabei werden auch die geltenden Sanktionen gegen Heiden und eine Vielzahl von Häretikern (unter denen sich auch die Eunomianer befinden) summarisch bestätigt. 118 Zwei Monate später ergeht ein ähnliches Sammelgesetz: Abgesehen von wenigen Neuerungen, v. a. hinsichtlich Heiden, wird der Status quo hinsichtlich Juden und der meisten Häretiker (darunter namentlich der Eunomianer) bestätigt. 119 In beiden Konstitutionen sind die Eunomianer also nur der Vollständigkeit halber aufgeführt. Interessanter ist hingegen das dritte Gesetz von 423, das die Eunomianer nennt: CTh. 16.5.61 soll alle Missverständnisse beseitigen, zu denen eine frühere lex geführt hatte, die den Eunomianern den Dienst in der militia untersagte. Diese Untersagung gilt selbstverständlich nicht für cohortalini: Diese sind an ihre Stellung gebunden und müssen nach Ablauf ihrer Dienstzeit die primipilaris-Bürde 120 leisten. Bei dem missverständlichen Gesetz könnte es 118 Aus dieser Konstitution finden sich vier Exzerpte im Codex Theodosianus, die man

wohl folgendermaßen anordnen muss: CTh. 16.8.26 (auf eine jüdische Eingabe hin schärft Theodosius ein, Juden nicht zu verfolgen und Synagogen nicht zu konfiszieren oder anzuzünden; hingegen scharfe Strafen gegen Beschneidung von Christen); CTh. 16.9.5 (Juden dürfen keine christlichen Sklaven besitzen); CTh. 16.10.22 (Bestätigung der Heidengesetzgebung, ohne Details); CTh. 16.5.59 (Bestätigung der Häretikergesetzgebung, ohne Details; eine ganze Reihe von Sekten wird aufgezählt, darunter – ungewöhnlicherweise nicht an erster Stelle – die Eunomianer; die Bestätigung gilt aber auch für ceteri haeretici). 119 Wiederum finden sich vier Auszüge im Codex, die man wie folgt anordnen sollte: CTh. 16.8.27 (der Regelungsbestand hinsichtlich der Juden wird pauschal bestätigt); CTh. 16.5.60 (Selbiges hinsichtlich Häretikern – hier werden drei Gruppen genannt, Eunomianer, Arianer, Makedonianer, in dieser Reihenfolge); CTh. 16.10.23 (opfernde Heiden werden hingegen schwer bestraft, aber immerhin nur mit Konfiskation und Exil statt mit dem Tod); CTh. 16.10.24 (Manichäer, Montanisten und Ostertagsabweichler erhalten dieselbe Strafe [d. h. wie opfernde Heiden], nämlich Konfiskation und Exil; friedlich lebende Heiden stehen unter kaiserlichem Schutz). 120 Horstkotte 1988, S. 45–52: In diversen Konstitutionen erscheint für bestimmte Beamte ein Pflichtdienst namens pastus primipili (im zitierten Gesetz CTh. 16.5.61 heißt er primipili munus), den sie nach Ende ihrer Dienstzeit abzuleisten hatten. Mit dem Titel eines primipilaris zeichneten sie für die Versorgung der Truppen mit Naturalien verantwortlich, mussten dafür in Grenzprovinzen reisen und waren mitunter Erpressungen durch Kommandeure ausgesetzt (vgl. CTh. 8.4.6).

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sich durchaus um CTh. 16.5.58 handeln, denn dort werden sie in § 7 in Zusammenhang mit der militia genannt, ohne dass gesonderte Regeln für die cohortalis militia getroffen werden. Bereits CTh. 16.5.48 (410) hatte den Montanisten ein ähnliches Manöver untersagt (→ S. 100); genau genommen richtete sich dieses Gesetz gegen Montanistas et Priscillianistas et alia huiuscemodi genera nefariae superstitionis und hätte damit womöglich auch die Eunomianer erfasst. In jedem Fall zeigt CTh. 16.5.61, dass 423 noch Eunomianer in der cohortalis militia dienten; dies ist damit einer der spätesten Nachweise für die Existenz von Eunomianern und einer der wenigen Belege aus dem 5. Jahrhundert, der sich nicht auf Konstantinopel bezieht (denn cohortalini dienten in den Provinzen). Das umfangreiche Häretikergesetz von 30. Mai 428 (CTh. 16.5.65), das wir uns an anderer Stelle ausführlich ansehen werden (→ S. 765), bestätigt weitgehend die gültigen Regelungen für eine große Zahl summarisch aufgezählter Sekten, darunter auch die Eunomianer. In Nov. Theod. 3 vom 31. Januar 438 hören wir zum letzten Mal von Eunomianern. Auch dort wird lediglich angeordnet, dass die erlassenen Gesetze durchzusetzen seien, wobei hier die Eunomianer zwar in auffällig hervorgehobener Weise genannt werden (→ S. 617), aber letztlich auch nur wieder eine von vielen Häresien sind. Ihre einzige Erwähnung im Codex Iustinianus findet sich im dort aufgenommenen Auszug aus dem Häretikergesetz von 428, wo sie in einer Aufzählung neben vielen anderen Namen stehen. Dies – zusammengenommen mit dem Verschwinden aller belastbaren literarischen Belege nach der Mitte des 5. Jahrhunderts – ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Sekte den Tod ihres Gründers nur um wenig mehr als eine Generation überlebte.

Zusammenfassung Hinsichtlich der erbrechtlichen Sanktionen gegen die Eunomianer lassen sich drei Phasen unterscheiden: 1) Mai 389 bis Juni 394 unter Theodosius I., 2) März bis Dezember 395 unter Arkadius (Rufin), 3) ab März 410 unter Theodosius II. (Anthemius). Während der beiden ersten Phasen verlieren sie lediglich die Fähigkeit, testamentarisch zu vererben und zu erwerben. Intestaterbgang und Schenkungen werden nicht angetastet. Ab Beginn der dritten Phase sind zudem Schenkungen untersagt, während intestates Erben und Vererben weiterhin möglich bleiben. Keines der Gesetze verhängt Rangverlust (infamia) – zwar werden Eunomianer seit 395 von der militia ausgeschlossen, aber sie behalten anscheinend die an ihre Person gebundenen Würdenstellun-

zusammenfassung

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gen. Insofern ergeht es den Eunomianern in mehrfacher Hinsicht besser als den gleichzeitig im Ostreich ähnlich sanktionierten Gruppen der Manichäer und Heidenapostaten: Manichäer konnten bereits seit 381 nicht mehr schenken, beschenkt werden, von Intestaterbfällen profitieren oder intestat an Heterodoxe (mit einer Ausnahme für sui) vererben; zudem waren sie von Infamie betroffen. Für Apostaten galt seit 391 die Infamie (jedenfalls für diejenigen, bei denen dies überhaupt eine Strafe darstellte), doch bei ihnen blieben Schenkungen, jedenfalls bis 426, möglich. Vaggione (S. 355 f.) schreibt hinsichtlich einer angeblichen Politik mit erbrechtlichen Sanktionen (ohne weitere Begründung): »it also tells us the government’s main purpose: to destroy their power-base. There were doubtless many poor Eunomians in both city and country, but those who were the focus of the government’s efforts were those with something to lose, the propertied classes, especially those connected with the court«. Doch wäre es tatsächlich um eine Bestrafung der begüterten Eunomianer am Hof gegangen, würde man Rangverlustandrohungen (Infamie) erwarten, ferner Konfiskation oder Geldstrafen (man vergleiche die nach Rang gestaffelten Geldstrafen im Westen gegen die Donatisten). Aber ein Testierverbot, bei dem nicht einmal das intestate Vererben angetastet wird, eignet sich kaum als Steuerungsinstrument. Ähnlich teleologisch argumentieren Bleckmann/Stein I, S. 40: »Letztlich ist auch ein Teil der antieunomianischen Gesetze sogar ein Beleg für die Zugehörigkeit vieler Eunomianer zur sozialen Elite, weil die (399 auch wieder aufgehobene) Beschränkung der Testierfreiheit letztlich dazu diente, das sozioökonomische Fundament dieser Gruppe zu zerstören«. Wiederum greift derselbe Einwand: Solange das intestate Vererben und die persönliche Würdenstellung nicht angegriffen werden, scheint das »sozioökonomische Fundament« wenig gefährdet. Vielmehr zeigt die zweimalige Rücknahme der erbrechtlichen Sanktionen gegen die Eunomianer, dass man diese Strafform, die anscheinend nur aufgrund eines vorschnell verallgemeinerten Einzelfalls entstanden war, als ungeeignet empfand; so jedenfalls verstehe ich die Aufhebungen unter Theodosius I. und Eutrop. Anders Rufin, der diese Sanktionen gleich zu Beginn seiner Dominanz offenbar ohne besonderen Grund wieder in Kraft gesetzt hatte. Als die erbrechtlichen Zurücksetzungen unter Anthemius im Jahr 410 endgültig zurückkehrten, scheint es (sehen wir von dem Synesios-Brief ab, der sich schwer in einen Kontext einordnen lässt) ohnehin kaum mehr Eunomianer gegeben zu haben. Unter Theodosius I. ist der Anlasscharakter mit den Eunuchen offensichtlich, und Rufin beschränkt sich auf eine Wiederinkraftsetzung der alten Regelung, ohne Verschärfungen vorzunehmen. Die in der Forschung gängigen Er-

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eunomianer

klärungen für die Schwankungen in der erbrechtlichen Sanktionsgesetzgebung gegen Eunomianer sind unhaltbar: Einen Zusammenhang zu den »arianischen« Goten herzustellen, ist – da es keinerlei Hinweise für Sympathie zwischen Goten und Eunomianern gibt und wir im Gegenteil viel über Spannungen zwischen Homöern und Eunomianern wissen – ganz verfehlt. Überhaupt verfängt die Idee einer irgendwie gearteten Begünstigung der Eunomianer nicht, solange diese Erklärungsversuche nicht zugleich plausibel machen können, warum keinerlei andere Sanktionierungen gegen die Eunomianer aufgehoben werden und beispielsweise ein Gesetz wie CTh. 16.5.36 einerseits die Deportation von Klerikern vorsieht und Verwaltern die Todesstrafe androht, gleichzeitig aber die Rechtsgültigkeit von Schenkungen bestätigt. Das Modell einer staatlichen Zurückhaltung bei der Sanktionierung häretischer Laien kann all dies erklären und ist zudem aus dem besser dokumentierten afrikanischen Diskurs vertraut. Die ursprüngliche Untersagung von 389 muss man sich durch einen konkreten Einzelfall erklären, bei dem anscheinend eunomianische Eunuchen testamentarisch bedacht werden sollten. Dies wurde als skandalös empfunden: Man schuf ein Gesetz, um diese Erbschaft als kaduk einzuziehen. Jahre später nahm Theodosius I. diese Regelung selbst zurück, weil sie sich atypischerweise gegen häretische Laien richtete (Petitionen von Betroffenen und die kaiserliche Zurückhaltung bei der Konfiskation von Familienvermögen werden den Ausschlag gegeben haben). Während einiger Monate unter Arkadius – die ziemlich genau der Phase entsprechen, in der Rufin dominierte – lebten die erbrechtlichen Sanktionen erneut auf. Der Prätoriumspräfekt verfolgte eine dezidiert orthodoxe Politik und bestätigte daher alle Maßnahmen des antihäretischen Arsenals bzw. setzte sie wieder in Kraft. Nach seinem Sturz kehrte man zur üblichen Vorgehensweise – nämlich der Sanktionierung von Klerikern bei gleichzeitiger Straffreiheit der Laien – zurück. Warum die erbrechtlichen Sanktionen knapp fünfzehn Jahre später unter dem Prätoriumspräfekten Anthemius ein zweites Mal erneut in Kraft gesetzt wurden, darüber kann man nur spekulieren (→ S. 669). Immerhin lässt sich feststellen, dass sein Gesetz weniger anlassbezogen wirkt als andere und auch Schenkungen untersagt, sich somit dem Sanktionsbestand der vergleichbaren Gesetze gegen Manichäer (und im Westen gegen Donatisten) annähert.

VI

apostaten Wir haben in den vorangehenden Kapiteln drei relativ scharf umrissene Gruppen besprochen, die von erbrechtlichen und verwandten Sanktionen betroffen waren, nämlich die als häretisch angesehenen Gemeinschaften der Manichäer, der Donatisten und der Eunomianer. Es gibt indes noch eine vierte (und letzte) Gruppe, für die im Untersuchungszeitraum derlei Sanktionen galten: die Apostaten. 1 Die Gesetze gegen sie sind im Codex Theodosia1

Der Forschungsstand zu spätantiken Apostaten ist unzureichend. Der kluge Artikel von Gauthier (1997) umfasst nur wenige Seiten und kann so lediglich einen groben Überblick geben. Die dünne Monografie von Wilson ist essayistisch, behandelt auf gut 130 Seiten alle möglichen Arten von Apostaten (Juden, Christen, Heiden), kratzt daher nur an der Oberfläche und spart zudem bewusst (S. 4) die Zeit nach Julian aus. Die Habilitationsschrift von Hornung umfasst drei Großbereiche – Theologie, Disziplin und Pastoral. Das Material, das er im ersten Bereich »Theologie« sammelt, betrifft den Abfall des Teufels, der Engel und der Menschen beim Sündenfall. Im dritten Bereich »Pastoral« werden Predigten in Antiocheia und Arles besprochen; doch ich sehe keine einzige Stelle in diesem Großkapitel, wo es um ein Überlaufen gehen würde, sondern vielmehr handelt es sich um die Abgrenzungsprobleme, die man in religiös diverser Umgebung erwarten kann (Chrysostomos beschwert sich, dass Christen auch die jüdischen Fastentage einhalten – nicht, dass sie zu Juden werden; Caesarius von Arles droht, dass Christus Getaufte, die ad ista … sacrilegia celebranda zurückkehren, im Stich lassen wird – wohlgemerkt: Christus die Getauften, nicht umgekehrt). Auch dem zweiten Bereich »Disziplin« unterliegt keine scharfe Definition des Untersuchungsgegenstands. Hornung bespricht eine Vielzahl kirchlicher Regelungen gegen Fehlverhalten (darunter etwa gemeinsames Essen mit Juden oder aber die Teilnahme an Tänzen), wobei die Bestimmungen selbst (die einfach nur Strafandrohungen enthalten) zumeist keinerlei Hinweis darauf bieten, dass man dies zeitgenössisch als Glaubensabfall gewertet hätte. Das Sammlungskriterium ist also Hornungs eigenes Verständnis von Apostasie, das er aber nie definiert. Insofern handelt es sich im Grunde genommen um eine ausführliche Sammlung von Stellen zu (wie ich sie bezeichnen würde) Lapsi, Halbchristen, Renegaten, Absentisten (vgl. dazu später in meinem Haupttext), ja mitunter sogar Personen, die in keine der Kategorien fallen (oder ist man schon Halbchrist, wenn man Tänze besucht oder zusammen mit Juden speist?). Zur eigentlichen Gesetzgebung gegen die Apostaten (d. h. CTh. 16.7) gibt es eine ganze Reihe von Artikeln, die nicht alle die spezifischen Voraussetzungen des Codex Theodosianus sowie die Entwicklung der gleichzeitigen Heterodoxengesetzgebung berücksichtigen; da sie oft kaum über ein Paraphrasieren des (scheinbaren) Inhalts der Gesetze hinausgehen, ist ihr Beitrag zum Verständnis der Apostatenkonstitutionen begrenzt. In diese Kategorie gehören die Arbeiten von Giandomenici, Cococcia, Impallomeni, Baccari 1981, Vincenti, Gaudemet 1994 so-

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nus mit CTh. 16.7 in einem eigenen Titel gesammelt. 2 Freilich stellt sich bei den Apostaten ein definitorisches Problem: Auch wenn sich Manichäer, Donatisten und Eunomianer selbst nicht als solche bezeichnet hätten, korrespondieren diese Exonyme mit ziemlich klar definierten Gemeinschaften, denen man angehörte oder eben nicht, und dies sowohl aus der Außen- wie aus der Innenperspektive. 3 Dagegen ist die Definition des Apostaten weitaus problematischer. Denn die Festlegung dessen, was »Apostasie« eigentlich ist, erweist sich als schwierig. In der Septuaginta finden sich an mehreren dutzend Stellen Wörter aus der Familie ἀποστασία, doch dort geht es um die Auflehnung gegen Gott (in Form von Ungehorsam der Israeliten) – wohlgemerkt die »Auflehnung«, nicht unbedingt den »Abfall«. 4 Viele christliche Schriftsteller be-

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wie Gaudemet 2000, S. 62–66. Der Abschnitt bei Hornung zu den Apostatengesetzen (S. 262–282) ist rechtshistorisch ziemlich unzuverlässig (vgl. etwa S. 266, wo ein Abschnitt Kasers über die Kognation als Beleg in Zusammenhang mit einem agnatischen Verhältnis genommen wird; oder S. 274 Anm. 674, wo Hornung den privatrechtlichen Gesinnungswandel mit der kirchlichen Pönitenz – beides paenitentia auf Latein – durcheinanderbringt). Da es sich bei Apostaten nicht um Häretiker handelt, konnte man die Regelungen gegen sie nicht unter CTh. 16.5, De haereticis, einsortieren, wo sich die einschlägigen Fragmente gegen Manichäer, Donatisten und Eunomianer finden. Dagegen hätte sich vielleicht CTh. 16.10, De paganis, sacrificiis et templis, angeboten. Doch erstens begegnet es auch sonst, dass geschlossene Themen zu eigenständigen Titeln gemacht werden, obwohl es sich strukturell eigentlich um Unterbereiche handelt (CTh. 16.6, Ne sanctum baptisma iteretur, wäre eigentlich eine Kategorie von CTh. 16.5; das Gleiche gilt für CTh. 16.9, Ne Christianum mancipium Iudaeus habeat, und CTh. 16.8, De Iudaeis, Caelicolis et Samaritanis) – der Codex Theodosianus kennt keine Ordnungskategorie unterhalb der Titel, und so bleibt zur Entlastung langer Titel lediglich die Schaffung weiterer Titel. Zweitens sanktioniert eines der Apostasiegesetze auch den Abfall zu nichtheidnischen Gemeinschaften (nämlich zum Judentum und zum Manichäismus). Drittens unterscheiden sich CTh. 16.7 und CTh. 16.10 auch anderweitig. Die Heidengesetze stellen auf bestimmte Tathandlungen (etwa Opferungen, Tempelbetretungen oder Idololatrie) ab und sanktionieren sie mit drastischen strafrechtlichen Maßnahmen (bis hin zum Tod), während bei den meisten Apostatengesetzen eine klare Definition des Tatbestands fehlt, dafür die Bestrafung mit den erbrechtlichen Sanktionen weitaus weniger brutal ist. Natürlich gibt es gewisse Unterschiede zwischen Außen- und Innenperspektive (Gehörten »Rogatisten« zu den »Donatisten«? Und »Enkratiten« zu den »Manichäern«?), aber die Gruppen sind gleichwohl halbwegs klar definiert – jedenfalls erheblich schärfer als die Personengruppe, um die es im vorliegenden Kapitel geht. Ein Beispiel: Num 14:9, ἀλλὰ ἀπὸ τοῦ κυρίου μὴ ἀποστάται γίνεσθε, »Aber werdet keine apostatai vom Herrn!« – als die Israeliten überlegen, lieber nach Ägypten zurückzugehen, anstatt nach Kanaan zu ziehen (aus Angst vor der dort lebenden Bevöl-

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nutzen eine sehr weite Definition von Apostasie oder – besser gesagt – verwenden Termini aus der Wortfamilie, um metaphorisch alle möglichen Arten unerwünschter Verhaltensweisen – etwa beliebige Übertretungen göttlicher Gebote oder eine Zugehörigkeit zu Gruppen, die sie als häretisch oder sonst wie heterodox ansehen – abzuqualifizieren. 5 Hornung nennt dies Apostasie nach der »weiteren Definition«; 6 sachlich angemessener scheint mir, Apostasie hier als Schimpfwort (und damit als tropisch gebraucht) aufzufassen. Eine Diskussion aller Passagen, in denen Wörter der Wortfamilie »Apostasie« verwendet werden, mag für ein Lexikonprojekt angemessen sein. Eine solche Herangehensweise wäre aber methodisch kein gangbarer Weg, um sich dem Phänomen des Glaubensabfalls anzunähern; zumal würde man dadurch viele offensichtlich einschlägige Quellen nicht nutzen (so etwa CTh. 16.7.1–6, wo kein Wort aus der Wortfamilie apostasia erscheint). Wenn der Zugriff über den antiken Terminus nicht funktioniert, könnte man als nächstes versuchen, eine eigene Definition von Apostasie zu schaffen und diese an die Quellen heranzutragen. Doch dadurch kann man ebenfalls schnell in methodische Untiefen geraten: Allzu leicht stülpt man so ein eige-

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kerung). Der Sinn ist also »Rebelliert nicht gegen den Herrn!«. Die Vokabeln aus der Wortfamilie apostasia geben regelmäßig Formen wieder, die von der hebräischen Wurzel ‫מרד‬, »rebellieren«, gebildet sind. Zur Bedeutung »Rebellion« der Wortfamilie ἀποστασία/ἀπόστασις im hellenistischen Griechisch jenseits der Septuaginta vgl. auch Mélèze Modrzejewski, S. 567–569. Gauthier 2001, S. 137–142, sie spricht zu Recht vom »emploi passe-partout dans la polémique« (S. 142). Drei Stellen zur Illustration: Augustin über Donat (in psalm. 147.16): »ipse dominabitur gentium« – »ipse«: ipse, qui emit: Christus; non, qui apostatavit: Donatus, »›er wird herrschen über die Völker‹ [Ps 22(21):29] – ›er‹: er, der freigekauft hat: Christus; nicht der, der zum Apostaten wurde: Donat«. Gregor von Nyssa über Eunomios (ref. conf. Eunom. 163), οἷα περὶ αὐτοῦ διεξέρχεται ὁ τῆς ἀποστασίας πρόδρομος; τί λέγει; »Was führt dieser Vorbote der Apostasie über ihn [Christus] aus? Was sagt er?«, worauf ein Eunomios-Zitat folgt. Salvian, der Spektakel mit einer seitenlangen Invektive bedenkt, behauptet (Salv. gub. 6.31), in spectaculis enim apostatatio quaedam fidei est, »In Spektakeln steckt nämlich eine gewisse Apostasie vom Glauben«. Derlei Beispiele ließen sich beliebig vermehren, wobei allerdings die Metaphern oft abgemildert werden (hier: »Vorbote der Apostasie«, »gewisse Apostasie«). Hornung (S. 18–20, S. 364) unterscheidet eine »weitere« und eine »engere« Deutung (S. 20: »vor allem in rechtlichen bzw. disziplinären Texten«). Seine »weitere« Deutung scheint sowohl die Ausgangsbedeutung »Rebellion« (wie im Alten Testament oder beim Teufel als Apostaten) als auch den übertragenen Gebrauch von »Apostat« als Schimpfwort zu umfassen. Eine klare Begriffsbestimmung gibt er nirgendwo.

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nes Verständnis vom Glaubensabfall den antiken Texten über, und man subsumiert unter Apostasie Verhaltensweisen, die manchem modernen Betrachter als skandalöser Glaubensabfall erscheinen mögen, obwohl derlei Praktiken in antiker Bewertung einfach als etwas Strafwürdiges (aber nicht als Apostasie) angesehen wurden (→ S. 6851). Glücklicherweise ist das Problem für unsere Zwecke lösbar: Die CTh.-16.7Texte behandelten nach Auffassung der spätantiken Kompilatoren (die ja diese Fragmente in den 430ern unter den Titel De apostatis setzten) das Phänomen der Apostasie. Aus diesem nicht sehr umfangreichen Corpus werden wir Kriterien ziehen, um zu beschreiben, was eine »Apostasie gemäß CTh. 16.7« ausmacht. Und da dies die einzige Form von Apostasie ist, die uns interessiert, werden wir also nur die »Apostasie gemäß CTh. 16.7« als Apostasie ansehen. Halten wir zunächst fest, dass apostata (oder überhaupt irgendein Wort aus der Wortfamilie) außer im Titel selbst (De apostatis) nur in einem einzigen Gesetz (CTh. 16.7.7 von 426) erscheint. Dieses letzte Fragment im Titel ist nicht nur chronologisch deutlich später als die anderen, sondern stellt auch tatbestandlich einen Sonderfall dar, weswegen wir es für unsere allgemeinen Überlegungen vorerst außer Acht lassen wollen. Die Regelungen von CTh. 16.7 sanktionieren also gewisse Tatbestände, doch das Etikett »Apostaten« erscheint in den allermeisten Fällen nicht. Wenn wir (in Nachfolge der theodosianischen Kompilatoren) Personen, die von den in CTh. 16.7 zusammengestellten Fragmenten betroffen sind, als Apostaten bezeichnen, so ist dies nicht nur bequem, sondern auch unproblematisch, sofern wir genau wissen, was wir damit meinen. Aus Gründen der Ökonomie nehme ich meine Definition des (CTh.-16.7-)Apostaten vorweg, danach wollen wir sie an den CTh.-16.7-Texten prüfen: Wenn ich im Weiteren das Wort »Apostat« selbst gebrauche (nicht als direktes oder indirektes Zitat eines modernen oder antiken Autors), meine ich damit jemanden, der (i) staatlicherseits (d. h. im Zweifelsfall vom Richter) zuvor als Christ Betrachteter (ii) die Gemeinschaft der Christen verließ, und zwar (iii) freiwillig, und dann (iv) an verbotenen (im Zweifelsfall nach Ermessen des Richters) heidnischen Kultpraktiken Anteil hatte. Mit dieser Definition sollten sich alle Tatbestände der Fragmente CTh. 16.7.1–6 abdecken lassen, bei denen es um den Abfall zum Heidentum 7 geht. 7

Anders als die anderen Fragmente in CTh. 16.7 (die nur Apostasie zum Heidentum ins Visier nehmen) sanktioniert CTh. 16.7.3 zusätzlich auch den Abfall zum Judentum und den Abfall zum Manichäismus (»Judenapostaten« und »Manichäerapostaten«), → S. 729.

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Sehen wir uns kurz diese Tatbestände in einer Übersicht an, um die Validität der Definition zu prüfen (die Zahlen beziehen sich auf die Nummer des Fragments innerhalb CTh. 16.7, Buchstaben habe ich zugewiesen, sofern mehr als eine Formulierung aus demselben Stück zu zitieren ist; CTh. 16.7.7 bleibt hier unberücksichtigt): (1)

qui ex Christianis pagani facti sunt

(2a) Christianis ac fidelibus, qui ad paganos ritus cultusque migrarunt (2b) qui Christiani et catechumeni tantum venerabili religione neglecta ad aras et templa transierint (3a) Christianorum ad aras et templa migrantium (3b) si quis defunctum violatae atque desertae Christianae religionis accusat eumque in sacrilegia templorum … transisse contendit (4a) ii, qui sanctam fidem prodiderint et sanctum baptisma profanaverint (4b) qui fidem quam deo dicaverant polluerunt et prodentes divinum mysterium in profana migrarunt (4c) sanctum baptisma profanantibus (5)

qui fide devii et mente caecati sacrosanctae religionis cultu et reverentia descivissent ac se sacrificiis mancipassent

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qui, cum essent Christiani, idolorum se superstitione impia maculaverint

Unter die Gesetze fällt, wer Christianus war (bzw., in anderen Worten, die Christiana – bzw. sacrosancta – religio verlassen hat oder getauft war) (1–6). In (2) wird zwischen getauften und ungetauften Christen unterschieden, in (4) mit drei unterschiedlichen, aber eindeutigen Formulierungen klargemacht, dass nur Getaufte betroffen sind. Die genaue Bedeutung des Kriteriums Christianus werden wir später diskutieren (→ S. 692); in jedem Fall sind Heiden, die nie mit dem Christentum in Berührung kamen, nicht von diesen Gesetzen erfasst. Was das zweite Kriterium des »Verlassens« angeht, so ist das bei (1) ex Christianis … facti, (2) ad … migrarunt, ad … transierint, (3) ad … migrantium, in … transisse, (4) in … migrarunt, sowie (5) descivissent, eindeutig. Die Ausnahme ist (6) qui, cum essent Christiani, idolorum se superstitione impia maculaverint, ein Tatbestand, den – dem Wortlaut nach – auch ein sogenannter Halbchrist erfüllen würde (also jemand, der sich selbst als Christ versteht, die christliche Gemeinde nicht verlässt, aber mitunter heidnische Rituale praktiziert, → S. 699). In meinen Augen handelt es sich bei (6) aber eher um

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eine ungenaue Formulierung als eine bewusste Abkehr von den sonstigen Voraussetzungen (→ S. 751). Keine Stelle thematisiert das dritte von mir gegebene Kriterium der Freiwilligkeit, aber in migrare/transire/deviare darf man das ohne Weiteres hineinlesen. Für (1) und (6) könnte man argumentieren (wären diese Texte isoliert überliefert), dass auch erzwungene Konversionen erfasst werden; im Kontext möchte ich dies ausschließen. Die Freiwilligkeit spielt in kirchlichen Verordnungen regelmäßig eine große Rolle: Frühe Synoden und Autoren treffen Regelungen zum Umgang mit Christen, die den Brutalitäten der Verfolgungen nicht standhalten konnten und gegen ihren Willen heidnische Rituale praktizierten bzw. sich lossagten. Das sind die »Gefallenen«, die Lapsi (die bemerkenswerterweise in unseren lateinischen Quellen niemals als »Apostaten« bezeichnet werden, Gauthier 2001, S. 129: Sie im Zusammenhang mit Apostasie aufzuführen, bedeutet also, einen gänzlich unantiken Apostasiebegriff zu verwenden). Unser drittes Kriterium bewirkt, dass Lapsi – die es gelegentlich auch noch im späten 4. Jahrhundert gab (→ S. 698) – nicht unter diese Gesetze fallen. Nun zur eigentlichen Tat. Die unpräzise Formulierung von (1) lässt sich eigentlich nur damit erklären, dass der Kaiser gerade auf einen konkreten Fall antwortete (wo also nichts weiter zu definieren war, → S. 720). Die Ausdrücke ad paganos ritus cultusque migrare (2a) und ad aras et templa transire (2b) sind offensichtlich als Äquivalente zu verstehen und durch Synonymentausch entstanden (»zu X und Y übergehen«). Sie sind so unspezifisch gehalten, dass der Abfall offensichtlich nicht erst beim Tieropfer begann, sondern dass bei jeder Verwicklung in den heidnischen Kult (Tempelbetretung, Rauchopfer usw.) die Gültigkeit des Testaments in Gefahr geriet. (3), ein Gesetz, das fast gleichzeitig mit (2) im Westen (und somit unabhängig) entstand, verwendet zunächst für den Abfall eine wiederum äquivalente Formulierung, die sogar ausschließlich aus Vokabular besteht, das wir bereits aus (2a) bzw. (2b) kennen: ad aras et templa migrare (3a). Vermutlich – aufgrund all der anderen Unterschiede zwischen (2) und (3) und ihrer Gleichzeitigkeit – handelt es sich um einen reinen Zufall, bemerkenswert ist dies trotzdem. Der zweite Ausdruck desselben Gesetzes, in sacrilegia templorum … transire (3b), passt fast ins Schema. Wiederum fehlt ein klarer Hinweis auf Opferungen (wenn solche gemeint wären, würde man dies doch sagen und sich nicht auf sacrilegia templorum beschränken). In (4) findet sich nur (4b) in profana migrare, was allerdings dem Vorherigen strukturell durchaus ähnelt; (5), das aus derselben Originalkonstitution wie (4) stammt, bietet hingegen das abweichende se sacrificiis mancipare. Aber was bedeutet »sich Opferungen hingeben« genau? Ver-

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mutlich ist se sacrificiis mancipare lediglich ein weiterer abwertender Ausdruck, der ganz allgemein heidnische Praktiken bezeichnet. Dafür spricht, dass dieselbe Konstitution an anderer Stelle das nichtexplizite in profana migrare hat; dafür spricht auch, dass das nächste Gesetz, nämlich (6), wiederum nicht von Opfern spricht, sondern mit idolorum se superstitione impia maculare offensichtlich jede Form von Idololatrie meint. Wirklich präzise ist ausschließlich der Sonderfall CTh. 16.7.7. Doch diese Konstitution will erklärtermaßen einen zu weiten Apostatenbegriff verhindern und definiert die Tathandlung als sacrificia vel facere vel facienda mandare, was einerseits klar ist, andererseits den erfassten Tatbestand auf das vollzogene Opfer beschränkt. Damit ist CTh. 16.7.7 keine Klarstellung früherer Regelungen, sondern eine Neugestaltung. Man muss also festhalten, dass trotz aller Formulierungsungenauigkeit die Schranke für verbotene Kulthandlungen recht hoch gesetzt wird: Es geht offensichtlich um organisierte Formen von Götterverehrung (ritus, cultus, arae et templa, sacrilegia templorum), nicht etwa um private, möglicherweise als heidnisch zu betrachtende Praktiken (wie etwa das Tragen von Amuletten, Wahrsagen usw.); dieses Kriterium korrespondiert natürlich eng mit dem von mir als eigenes Kriterium erfassten vorherigen »Verlassen«. Insofern könnte man zweifeln, ob die Unterscheidung zwischen den Kriterien »Verlassen« und »heidnischer Kult« überhaupt sinnvoll ist: Wird nicht das »Verlassen« womöglich auch bei den anderen Gesetzen allein dadurch erfüllt, dass man einen solchen Frevel wie Idololatrie begeht? Durch diese Untat würde man dann also ipso facto zu den »Altären und Tempeln überlaufen«. Insbesondere bei Formulierungen à la a fide deviare (»vom Glauben abbiegen/abkommen«) könnte dieser Verdacht naheliegen. Andererseits muss man beachten, dass derlei Formulierungen (außer, wie gesagt, in CTh. 16.7.6) konsequent erscheinen, d. h., dass sie also nicht optional neben den verbotenen Kulthandlungen stehen, sondern stets zusammen mit ihnen gebraucht werden; dass sie in der Mehrzahl der Fälle mit migrare/transire recht stark sind (theoretisch könnte auch hier der Gebrauch tropisch sein, aber die Wahrscheinlichkeit ist geringer als bei deviare); und dass die Präsenz des Kriteriums »Verlassen« eine enorme realweltliche Bedeutung hat (nämlich, ob nur Ex-Christen, die sich losgesagt haben, erfasst werden oder zusätzlich auch Halbchristen, die sich trotz heidnischer Praktiken als Christen verstehen, → S. 699), sollte vermuten lassen, dass man bewusst formulierte. 8 Kurzum: Da der Unterschied sachlich signifi8

Bietet Rufin. apol. adv. Hier. 2.8 möglicherweise weitere Evidenz für diese Auffassung? Die Passage lautet: sed quoniam qui ad idolatriam devolvitur, non plene nec integre profanus efficitur, nisi prius negaverit Christum, »aber da ja jemand, der sich

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kant ist und sprachlich konsequent erfolgt, gehe ich davon aus, dass diese wiederkehrenden Formulierungen ihren guten Grund hatten. Während mein drittes Kriterium, das »Verlassen«, die Halbchristen von den Sanktionen dieser Gesetze ausschließt (CTh. 16.7.7 stellt wohlgemerkt einen Sonderfall dar), geht es beim vierten Kriterium um den Unterschied zu »Absentisten«: So will ich Christen nennen, die sich zwar nicht offen dem Heidentum zuwenden, aber andererseits ihr theoretisches Christentum und ihre christliche Gemeinde konsequent ignorieren. Derlei Absentisten unterliegen zwar nach dem Wortlaut der CTh.-16.7-Gesetze nicht den Sanktionen, werden aber in Kanones durchaus mit Apostasie in Zusammenhang gebracht (→ S. 701). Zum Abschluss muss auf eine Ausnahme hingewiesen werden: Ein einziges Gesetz des Titels CTh. 16.7, nämlich CTh. 16.7.3, sanktioniert neben dem Abfall zum Heidentum auch Übertritte zum Judentum und zum Manichäismus. Ich nenne die Betroffenen »Judenapostaten« und »Manichäerapostaten«; sie werden in der weiteren Diskussion nur eine geringe Rolle spielen. 9 Spreche ich von »Apostaten«, meine ich »Heidenapostaten«. Um solche CTh.-16.7-Apostaten von anderen Gruppen (die antike oder moderne Autoren in die Nähe der Apostasie gerückt haben, also vor allem Lapsi, Halbchristen und Absentisten) zu differenzieren, will ich sie auch »Renegaten« nennen. Versuchen wir nun, unseren aus den Gesetzen abgeleiteten Apostatenbegriff zu vertiefen, indem wir die herausgearbeiteten Kriterien in die zeitgenössische Kultur einbetten. Zunächst zum ersten Kriterium, Christianus. Bei

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zur Idololatrie erniedrigt hat, nicht ganz und vollständig zum Frevler wird, ehe er nicht Christus geleugnet hat«. So jedenfalls versteht Piepenbrink die Stelle (S. 291): »Er wird dadurch [durch Idololatrie] – so die Überzeugung – nicht sogleich zum paganus, es sei denn, er leugnet zugleich Christus«, mit der zitierten Rufin-Stelle als einzigem Beleg. Aber bei Rufin steht nicht paganus, sondern profanus. Rufin sagt also: »Wer gar keinen Frevel auslassen will (also zum ›totalen Frevler‹ werden will), muss neben Idololatrie auch noch Christus leugnen«. Piepenbrink ignoriert den Kontext: Rufin wirft in dieser Passage dem Hieronymus zwei Dinge vor: Weil er sich beim Übersetzen sprachlich an die klassischen Autoren hält, begeht er Idololatrie. Und um sozusagen »gar keinen Frevel auszulassen«, so Rufin, wurde Hieronymus auch noch zum Leugner Christi (indem er seinen laut Hier. epist. 22.30 geleisteten Eid brach, wonach er zum Christusleugner werde, wenn er weiter heidnische Bücher lese). Die Passage hat nichts mit den Voraussetzungen einer realen Apostasie zu tun. Denn erstens entfällt dort weitgehend das definitorische Problem, das uns sonst plagt (Judentum und Manichäismus besitzen ja, anders als der »Paganismus«, eine klare Eigendefinition); zweitens ist nur dieses eine Gesetz betroffen, sodass alles Relevante bei seiner Besprechung gesagt werden kann (→ S. 727).

taufaufschub und beginn des christseins

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der Definition des Christseins könnte man sich zunächst fragen, inwieweit die Zugehörigkeit zu einer als häretisch angesehenen Gruppe von Relevanz ist. Fällt also z. B. ein »Arianer«, der zum Heidentum übertritt, unter die erbrechtlichen Sanktionen, oder nicht? Nun ist in keinem der Apostatengesetze (→ S. 689) von »katholisch«, »orthodox« oder sonst wie von »rechtgläubig« die Rede, sondern konsequent von Christianus oder äquivalent. Damit dürfte auch ein abgefallener Häretiker nach aller Wahrscheinlichkeit nicht diesen Strafen entkommen sein. 10 Dies ist also kein größeres Problem; die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, ab welchem Zeitpunkt man als Christ zählt. Für uns Moderne wäre dies fraglos der Moment der Taufe, und nicht wenige Autoren projizieren moderne Verhältnisse unreflektiert in die Antike zurück (etwa Baccari 1981, S. 539 f.; vgl. auch Gauthier 2001, S. 138). Doch im späten 4. und frühen 5. Jahrhundert fand die Taufe in vielen Fällen erst spät oder gar sehr spät statt; man nennt dieses Phänomen den Taufaufschub. 11 Die Taufe war eine once-in-a-lifetime-Gelegenheit, um ohne großen Aufwand alle Sünden auf einmal abzuwaschen. Wer nicht gerade in den Klerikerstand eintreten wollte, hatte also hervorragende Gründe, sich diese einmalige Okkasion für das Sterbebett (»klinische Taufe«) aufzusparen. Denn die beliebig oft wiederholbare Beichte (und Sündenvergebung), die bequem und nichtöffentlich beim Beichtvater stattfindet, ist eine mittelalterliche Neuerung: Dem spätantiken Menschen war dagegen allenfalls die paenitentia möglich, die nur einmal im Leben erlaubte Buße, die wenig mit der späteren Beichte zu tun hatte. Die spätantike Pönitenz war öffentlich und brachte schwerste Belastungen mit sich, oft etwa Exkommunikation bis unmittelbar vor dem Tod, Büßerkleidung, dauerhaftes Verbot des Geschlechtsverkehrs, Ausschluss von kirchlichen und öffentlichen Ämtern usw. Damit kam sie weitgehend einem Mönchsleben gleich und wurde

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Dass Häretikern das Christentum abgesprochen wird, geschieht selten und ist dann klar eine polemische Übertreibung. Vgl. etwa CTh. 16.5.5 von 379, wo es um Wiedertäufer geht, die keine Gemeinden versammeln sollen, weder als Bischof noch als Presbyter noch als Diakon; nur die Diakone werden mit dem Halbsatz cum nec Christiani quidem habeantur, »obwohl man sie nicht einmal als Christen ansehen sollte«, abgewertet (Bischöfe und Presbyter erhalten andere unfreundliche Seitenhiebe in ihren jeweiligen Halbsätzen). Ein ausführliches Forschungsreferat findet sich bei Hammerich, S. 3–81. Hammerichs Habilitationsschrift zum Taufaufschub in der Zeit nach Konstantin ist nie im Druck erschienen und wird laut freundlicher Auskunft durch ihn wohl auch nicht mehr veröffentlicht werden. Zum Taufaufschub im 4. Jh. allgemein (und speziell in Afrika) vgl. Nagel, S. 111–118.

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daher ebenfalls (wenn möglich) ans Lebensende verschoben. 12 Für einen Kaiser, der Regierungsgeschäfte zu erledigen und Nachfolger zu zeugen hatte, war die Pönitenz keine Option, und die zu frühe Taufe des Theodosius I. (während einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Jahr 380) dürfte ein wesentlicher Faktor zur Erklärung seiner Religionspolitik sein – ab dem Zeitpunkt seiner Taufe stand er bis zu seinem Lebensende unter enormem Druck, ja keine Fehler mehr zu machen. Dies gilt insbesondere ab dem Jahr 390, als er nach dem Massaker von Thessaloniki einige Monate lang persönlich Erfahrungen mit der altkirchlichen Bußpraxis sammeln durfte (wenn auch in einer vergleichsweise harmlosen Form). All dies bedeutet, dass sehr viele Christen im 4. und frühen 5. Jahrhundert die längste Zeit ihres Lebens ungetauft und damit technisch Taufbewerber, Katechumenen, blieben. Um das Christentum verlassen oder verraten zu können, musste man keineswegs getauft sein: Das beste Beispiel dafür ist der berüchtigtste aller Apostaten, Kaiser Julian, der mit einiger Wahrscheinlichkeit nie die Taufe empfangen hat 13 (sein Cousin Konstantius II. ließ sich dagegen ganz klassisch auf dem Sterbebett taufen, wie schon sein Vater Konstantin). In Ermangelung quantifizierender Studien bleibt allerdings vieles hinsichtlich des Taufaufschubs im Unklaren. So stellt Nagel (S. 114–118) fest, dass in Augustins Afrika der Taufaufschub genauso populär wie überall war, wofür ja Augustins eigene Biografie ein gutes Beispiel darstellt; auch erkennt er »als Folge des allgemein praktizierten Taufaufschubs … eine große Häufig12 13

Eine nützliche Zusammenschau zur altkirchlichen Buße bietet Saint-Roch. Julians ganze Familie praktizierte den Taufaufschub; er selbst spielt nie auf seine Taufe an, genauso wenig tun dies Sokrates oder Theodoret. Die einzige Quelle für eine mögliche Taufe Julians ist sein Zeitgenosse Gregor von Nazianz (or. 4.52), der von Julian-Anhängern gehört haben will, dass Julian αἵματι μὲν οὐχ ὁσίῳ τὸ λουτρὸν ἀπορρύπτεται, τῇ καθ’ ἡμᾶς τελειώσει τὴν τελείωσιν τοῦ μύσους ἀντιτιθείς, »sich mit unheiligem Blut das Bad [die Taufe] abwäscht und so der Weihung nach unserem Verständnis die Weihung durch Besudelung entgegenstellt«. Man beachte, dass Gregor in seiner ganzen langen Rede gegen Julian sonst nie auf die angebliche Taufe Julians anspielt und ausgerechnet hier auf Hörensagen verweist! Andere Autoren, die von Julians Taufe berichten, hängen entweder von Gregor ab (so Kyrill) oder missverstehen Sokrates (so Sozomenos). Gut verbürgt ist hingegen, dass Julian Lektor war (Greg. Naz. or. 4.23; Socr. 3.1.20; Soz. 5.2.10; Theodoret. hist. eccl. 3.2) – aber musste man dafür getauft sein? Laut Sokrates (5.22.49) können in Alexandreia sowohl Katechumenen als auch Getaufte Lektor sein, überall sonst ist die Taufe Voraussetzung – aber lässt sich diese Angabe für Sokrates’ eigene Zeit (also um 440) um 100 Jahre zurückprojizieren (schließlich gab es damals aufgrund des Taufaufschubs erheblich weniger Getaufte, dafür viel mehr Katechumenen)? Zu alledem siehe Wright 2006.

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keit der Nottaufe« (S. 117). Freilich lässt Nagel die ganze Debatte um die donatistische Wiedertaufe unerwähnt, und diese setzt ja voraus, dass Menschen lange vor ihrem befürchteten Ableben die (katholische) Taufe empfangen hatten. Es sei nur an die 80 wiedergetauften Bauern des Crispin erinnert (→ S. 512). Das Phänomen des Taufaufschubs betrifft allerdings nicht die ganze Epoche der Alten Kirche: Bis hin zur konstantinischen Wende erschien Christen das Ungetauftsein problematischer als das Risiko, bei weiteren Sünden der Bußpraxis ausgesetzt zu sein. Sie strebten also danach, möglichst bald das Katechumenat hinter sich zu bringen und die Taufe zu erreichen. Und ein paar Generationen später, ab dem frühen 5. Jahrhundert, setzte sich die Kindertaufe durch. Die hier skizzierte Situation des bewussten Taufaufschubs gilt also nur für eine chronologisch eng begrenzte Periode, die sich freilich mit dem Untersuchungszeitraum des vorliegenden Buchs deckt. Wir haben gesehen, dass in den Fragmenten des Apostatentitels zweimal explizit die Taufe im Tatbestand aufgeführt wird (einmal wird vom abgefallenen Getauften der abgefallene Katechumene unterschieden), sonst ist nur allgemein von Christianus die Rede – was sicher beides abdeckte (vgl. CTh. 16.7.2, mit Christianis ac fidelibus neben Christiani et catechumeni). Wenn man aber nicht erst durch die klar definierte Zeremonie der Taufe zum Christen wurde – ab wann zählte man dann als Christ (vgl. Badewien)? Mit anderen Worten: Wie wurde man zum Katechumenen? Wie stets sind wir hinsichtlich der Situation in Afrika am besten informiert. Einerseits steht uns mit Augustins De catechizandis rudibus ein einschlägiger Text aus der Zeit um 400 zur Verfügung. Augustin berichtet, wie vorab die Belehrung des Anwärters über die Grundlagen des Christentums erfolgte, wonach er zum Katechumenen wurde (catech. rud. 26.50): His dictis interrogandus est, an haec credat, atque observare desideret. Quod cum responderit, sollemniter utique signandus est et ecclesiae more tractandus, »Nachdem dies dargelegt wurde, ist er zu fragen, ob er dies glaube und einzuhalten gedenke. Sobald er dies bestätigt hat, ist er unbedingt feierlich zu bekreuzigen und nach Art der Kirche zu behandeln«. Allerdings verfasste Augustin diese Anleitung auf Nachfrage eines Diakons; es handelt sich also vielleicht nicht um einen allgemein befolgten Ritus, sondern um die Art und Weise, wie Augustin diese Angelegenheit handhabt. Verallgemeinerbar erscheint lediglich die Bekreuzigung, die ja »unbedingt« (utique) zu erfolgen hat, denn noch öfter 14 bringt Augustin die Konsignation mit 14

Weitere Stellen: pecc. mer. 2.26.42, nam et catechumenos secundum quendam modum suum per signum Christi et orationem manus impositionis puto sanctificari, »denn auch

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dem Eintritt ins Katechumenat in Verbindung (serm. 302.3): Hinc ergo intellegitur, fratres, ab isto signo, ab isto charactere quem accipit Christianus etiam cum fit catechumenus, hinc intellegitur quare simus Christiani, »Anhand dessen lässt sich also verstehen, Brüder, anhand dieses Zeichens, anhand dieses Mals, das ein Christ auch dann erhält, wenn er Katechumene wird, anhand dessen lässt sich also verstehen, warum wir Christen sind«. Die Bekreuzigung stellte offensichtlich auch den Akt dar, durch den ein Säugling christlicher Abstammung zum Katechumenen wurde: Audieram enim ego adhuc puer de vita aeterna … et signabar iam signo crucis, »Denn ich hatte bereits als Kind vom ewigen Leben gehört … und war bereits mit dem Zeichen des Kreuzes gekennzeichnet« (conf. 1.11.17), 15 schreibt Augustin in den Bekenntnissen, und später: Statui ergo tamdiu esse catechumenus in catholica ecclesia mihi a parentibus commendata, »Ich beschloss also, vorerst als Katechumene in der mir von den Eltern anempfohlenen katholischen Kirche zu verbleiben« (conf. 5.14.25). Aus den Bekenntnissen stammt auch die vielleicht bemerkenswerteste Anekdote zum Beginn des Christseins (conf. 8.2.3–5). Obwohl ihr Hauptakteur Afrikaner ist, spielt die Geschichte in Rom: Der dort prominent gewordene Rhetor C. Marius Victorinus (PLRE I, S. 964 s. v. C. Marius Victorinus 11), der die längste Zeit seines Lebens Heide geblieben war, fand durch eigene Lektüre zum Christentum und bezeichnete sich gegenüber dem späteren Bischof von Mailand (und Heiligen) Simplician als solcher: Noveris iam me esse Christianum?, »Weißt du eigentlich, dass ich mittlerweile Christ bin?«; Simplician akzeptiert ihn aber nicht als solchen, solange er ihn nicht in der Kirche Christi sieht, nisi in ecclesia Christi videro. Nach einer Weile kann sich Victorinus zu diesem Schritt durchringen (Eamus in ecclesiam – Christianus volo fieri!, »Gehen wir in die Kirche – ich will Christ werden!«). Und das geschieht dann: Ubi autem imbutus est primis instructionis sacramentis, non multo post etiam nomen dedit,

15

Katechumenen werden auf ihre gewisse Weise durch das Zeichen Christi und das Gebet der Handauflegung, wie ich meine, geheiligt«; in euang. Ioh. 11.4, Et quod signum crucis habent in fronte catechumeni, iam de domo magna sunt, »Und weil Katechumenen das Zeichen des Kreuzes auf der Stirn haben, gehören sie bereits ›zum großen Haus‹ [d. h. zur Kirche, vgl. 2 Tim 2:20]«. Für weitere Belege (und Literatur zur Frage, ob das »Zeichen des Kreuzes« auf der Stirn möglicherweise mehr als symbolisch war) vgl. Lamirande, Sp. 791–794. Was in diesem Zitat von mir weggelassen wurde, ist die datio salis, die große Bedeutung in der westlichen Kirche gewinnt (für Verweise vgl. Kinzig, S. 109 Anm. 79). Da dieser Ritus in den anderen hier besprochenen Belegen nicht erscheint, braucht er uns nicht weiter zu interessieren. Es geht mir ja vor allem darum, dass es auch in der Epoche des Taufaufschubs einen Akt gab, durch den man »Christ« wurde und der jedenfalls die Konsignation umfasste.

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ut per baptismum regeneraretur, »Doch sobald er vertraut war mit den ersten Glaubenswahrheiten der Katechese, trug er nicht viel später seinen Namen ein, damit er durch die Taufe wiedergeboren werde«. Ganz gleich, wie man nun die prima instructionis sacramenta auffasst 16 – klar ist, dass man nicht »einfach so« Christ werden konnte oder als solcher akzeptiert wurde, sondern dass dafür der Erwerb des Katechumenenstatus notwendig war, was sich »in der Kirche« (also nicht durch unautorisierte private Handlungen) vollzog und wofür die Bekreuzigung der grundlegende Ritus war. Die bisher angeführten Quellen für die Konsignation als Moment des Eintritts ins Katechumenat stammen aus Afrika, aber wir haben auch vereinzelte Quellenpassagen für den griechischen Osten, wonach Säuglinge christlicher Familien von herbeigerufenen Priestern bekreuzigt werden; es ist naheliegend anzunehmen, dass auch dort dadurch die Aufnahme in den Katechumenenstand erfolgte. 17 Demnach hätte es also keinen Graubereich gegeben: Ob man Katechumene (und damit »Christ«) war, hing an einem konkreten Aufnahmeritual, zu dem regelmäßig als wesentlicher Bestandteil die Bekreuzigung durch einen Kleriker gehörte. Ein selbsternannter Christ wie Victorinus war jedenfalls aus kirchlicher Sicht schlichtweg kein Christ. 18 16

17

18

Lamirande, Sp. 791 mit Anm. 9: »une certaine célébration«, aber sacramenta in der Bedeutung »Feier« passt nicht zu imbuere; da imbuere wie regelmäßig »unterrichten« bedeuten wird (Blaise s. v. 3), sollte sacramenta i. S. v. »enseignement sacré, foi, vérité, doctrine« (Blaise s. v. 9) stehen. Metzger (Sp. 523) gibt (für Antiocheia) an, dass »Christenkinder … gewöhnlich bald nach Geburt Priestern vorgestellt u. durch Bezeichnung mit dem Kreuz zu Katechumenen gemacht« wurden; doch seine Belege bezeugen lediglich das Bekreuzigen der Säuglinge durch Priester (nicht, dass sie genau durch diesen Akt technisch zu Katechumenen wurden). Die beste Abhandlung zur Aufnahme von Säuglingen in den Katechumenenstand ist Wright 1999 (auf den S. 355–362, S. 375 f. bietet er wichtige Quellenpassagen). Das hier gegebene Schema – man wird Christ durch den Eintritt ins Katechumenat – passt zu den CTh.-Gesetzen (vgl. CTh. 16.7.2, wo zwei Arten von Christen unterschieden werden, Katechumenen und Getaufte, keine anderen) und auch zur Victorinus-Anekdote, wo Victorinus eben kein Christ ist, bis er in die Kirche geht, eine Handlung, die offensichtlich zusammenfällt mit seinem Antritt des Katechumenats. Allerdings wird man wie stets nach Ort und Zeit differenzieren müssen. In der sogenannten Epistula de eis qui ad ecclesiam accedunt (ca. Mitte 5. Jh., → S. 63343) findet sich zum Umgang mit Eunomianern und anderen Häretikern: … ὡς Ἕλληνας δεχόμεθα. καὶ τὴν πρώτην ἡμέραν ποιοῦμεν αὐτοὺς χριστιανούς, καὶ τὴν δευτέραν κατηχουμένους, εἶτα …, »… die nehmen wir wie Heiden auf. Am ersten Tag machen

wir sie zu Christen, am zweiten Tag zu Katechumenen, dann …«. Die Heiden sind also einen Tag lang »Christen«, aber noch nicht »Katechumenen«! Worin genau dieser Status bestand, weiß ich nicht.

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Es lässt sich also plausibel bestimmen, wer als »Christ« zählte und damit unter die Gesetze fiel. Versuchen wir nun auf ähnliche Weise, die anderen Kriterien – die »Freiwilligkeit«, das »Verlassen« und den Götterkult – in der zeitgenössisch-spätantiken Kultur wiederzufinden. Was die Freiwilligkeit angeht, so machte es in der antiken Wahrnehmung einen fundamentalen Unterschied, ob jemand pagane Rituale aus eigenem Willen oder gezwungenermaßen durchführte. Die sogenannten Lapsi wurden, wie erwähnt, nie als Apostaten bezeichnet (→ S. 690); ihr Vergehen bestand in ihrer Schwäche, nicht in Verrat. Auch lange nach den tetrarchischen Verfolgungen konnten mitunter Situationen auftreten, in denen eigentlich brave Christen zu Lapsi wurden: Im sogenannten 81. Kanon des Basilios von Caesarea (in einem Brief, der 376 entstanden sein muss) geht es um Menschen, die während eines Barbareneinfalls Glaubensregeln durch heidnische Praktiken brachen. 19 In der Epistula canonica von Gregor von Nyssa (um 390, → S. 71557) wird ebenfalls sehr genau unterschieden zwischen denjenigen, die freiwillig überliefen, und den anderen, die durch Gewalt und Schmerzen zu Übertretungen gezwungen wurden. 20 19

Basil. epist. 217.81.1–4, Ἐπειδὴ δὲ πολλοὶ ἐν τῇ τῶν βαρβάρων καταδρομῇ παρέβησαν τὴν εἰς Θεὸν πίστιν, ὅρκους ἐθνικοὺς τελέσαντες καὶ ἀθεμίτων τινῶν γευσάμενοι τῶν ἐν τοῖς εἰδώλοις τοῖς μαγικοῖς προσενεχθέντων αὐτοῖς, »Da viele

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beim Einfall der Barbaren dem Glauben an Gott zuwiderhandelten, indem sie heidnische Eide leisteten und von verbotenen Dingen kosteten, die ihnen in Hexertempeln dargereicht wurden …«. Hornung, S. 159, übersetzt »Da viele Menschen beim Einfall der Barbaren vom Glauben an Gott abfielen …«, was angesichts der Tatsache, dass das griechische Original klar anders formuliert, allzu interpretativ ist (insbesondere, da Lapsi üblicherweise konsequent nicht mit Apostasie in Zusammenhang gebracht werden). Zur Datierung (August/September 376) vgl. Hauschild, S. 188 Anm. 27 mit S. 21, S. 187 Anm. 21 sowie Anm. 18 (dies ist die Abfolge seiner komplizierten Verweiskette). Zum erwähnten Angriff schreibt Hauschild, S. 189 f. Anm. 55, dass es unklar sei, »welche Barbareneinfälle in Pisidien/Lykaonien hier gemeint sind«; aber Basilios sagt gar nicht, dass sich diese Geschehnisse dort zutrugen. Der Abschnitt zu den »echten« Apostaten wird unten (→ S. 715) ausführlich besprochen. Unmittelbar danach schließt sich an (Greg. Nyss. epist. canon. p. 4.17): Οἱ δὲ βασάνοις καὶ τιμωρίαις χαλεπαῖς αἰκισθέντες …, »Diejenigen aber, die man mit Folterungen und schweren Misshandlungen quälte …«, worauf ihr Strafmaß folgt. Ihr Vergehen nennt Gregor (epist. canon. p. 4.21) ἡ βεβιασμένη τε καὶ ἐπώδυνος παράβασις, »die Übertretung unter Zwang und Schmerzen«. Wohlgemerkt, παράβασις, nicht ἀπόστασις/ἀποστασία: Die Lemmata von Lampe und dem Lexicon Gregorianum zeigen, dass παράβασις generisch »Übertretung« bedeutet und fast nie tropisch für »Apostasie« verwendet wird (anders Hornung, S. 163, der »die mit Gewalt und Schmerz erzwungene Apostasie« übersetzt).

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Durch »Verlassen« und »heidnische Praktiken« erfolgt der Übertritt zum Heidentum. Genauer lässt sich dies nicht sagen: Wir haben gesehen, dass die CTh.-16.7-Texte (abgesehen von CTh. 16.7.7) keine scharfe Definition dessen, was den Religionswechsel bewirkt, bieten. Das Gleiche gilt (dies sei der Diskussion dieser Texte, → S. 713, vorausgeschickt) für die kirchlichen Autoren. Insofern ist der Versuch, entsprechende Kriterien herauszuarbeiten, zum Scheitern verurteilt. 21 Doch wenn sich nur unscharf definieren lässt, wer nach CTh. 16.7 übertritt, so muss umgekehrt klar sein, dass dort eine wichtige Gruppe dank des »Verlassen«-Kriteriums offensichtlich bewusst nicht erfasst wird. Es gab zahlreiche Christen (»Christen« nach eigenem Verständnis und auch aus formaler Sicht angesichts des begonnenen Katechumenats), die es mit dem Monotheismus des Christentums nicht so genau nahmen und eine Doppel- oder Mehrfachobservanz pflegten. Man zitiert gern zur Charakterisierung dieser Haltung eine Augustin-Stelle (in psalm. 88, enarr. 2.14): 22 Ad idola quidem vado, arreptitios et sortilegos consulo, sed tamen dei ecclesiam non relinquo; catholicus sum, »Ich geh’ zwar zu den Götzen, ich konsultier’ Medien und Wahrsager, aber ich verlass’ trotzdem nicht Gottes Kirche: Ich bin ein Katholik!« Solche 21

22

Der Artikel von Dumézil, der genau dies leisten will, kann angesichts methodischer Schwächen und einiger Irrtümer nicht überzeugen. So zitiert er (S. 308) für »ceux qui se convertissent au christianisme« CTh. 16.5.41, wonach eine »einfache Deklaration« ausreiche. Aber dort geht es ausdrücklich um den Übertritt von Häretikern zum Katholizismus, nicht vom Heidentum zum Christentum. Dumézil behauptet, »l’individu qui reconnaît l’Église officielle est considéré comme chrétien« (S. 310); da aber Schismatikern, ja nicht einmal Häretikern (abgesehen von den Manichäern in seltenen Fällen) je das Christentum abgesprochen wurde, kann das Kriterium zur Bestimmung des Christentums nicht die Anerkennung der »offiziellen« Kirche sein. Dass Kanon 7 von Konstantinopel I unecht ist (und sein Inhalt damit keine Quelle für das späte 4., sondern für die Mitte des 5. Jh.s darstellt, → S. 63343), ist Dumézil offenbar unbekannt (S. 311). Dumézils Kriterien zur Feststellung der Christeneigenschaft einer Person (S. 318: »la déclaration officielle de croyance, le geste démonstratif d’adhésion, la réception d’un rituel sacramentel, la reconnaissance communautaire, la pratique cultuelle et le comportement social«) sind schlichtweg nicht von den Quellen abgedeckt. Im Kontext geht es darum, dass Gott und Kirche zusammengehören – das eine ohne das andere geht nicht. Augustin präsentiert zwei Fälle; der zweite ist ein Donatist, der zwar Gottes Gebote hält, aber nicht katholisch ist; dieser Fall wird indikativisch eingeleitet (alius item dicit). Doch die erste, im Haupttext zitierte Haltung wird von Augustin ausdrücklich mithilfe eines Konjunktivs als unwirklich hingestellt (nemo dicat, »Hoffentlich sagt keiner Folgendes«). D. h., Augustins Formulierung bringt in der Tat Halbchristentum auf den Punkt – aber diese Passage ist gerade kein Beleg für die Verbreitung dieser Einstellung in seinem Umfeld.

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Halbchristen 23 trennten sich explizit nicht von ihrer Gemeinde. Vielleicht schloss man sie angesichts ihrer Verfehlungen irgendwann aus (oder zwang sie, alternativ, zu strenger Pönitenz) – sie fielen aber nicht selbst ab. Sie mögen mit Apostaten vom Renegatentyp das ad idola vadere gemein haben, aber das transire fehlt. Passagen, die solche Halbchristen beschreiben, scheiden also für ein Verständnis der CTh.-16.7-Apostaten aus. Halbchristen nicht unter Apostaten zu subsumieren, entspricht auch dem Verständnis des Zeitgenossen Augustin (serm. 9.3): Tu vis, dimisso uno deo tamquam legitimo viro animae, fornicari per multa daemonia, et quod est gravius, non quasi aperte deserens et repudians sicut apostatae faciunt, sed tamquam manens in domo viri tui admittis adulteros. Id est, tamquam Christianus non dimittis ecclesiam, consulis mathematicos aut aruspices aut augures aut maleficos. Du willst – nachdem du den einen Gott, sozusagen den rechtmäßigen Ehegatten deiner Seele, sitzen gelassen hast – mit zahlreichen Dämonen herumhuren, und du – was noch schlimmer ist! – verlässt und verstößt ihn gleichsam nicht offen, wie dies die apostatae tun, sondern du bleibst sozusagen im Haus deines Ehemanns und lässt deine Buhlen herein. Will heißen: Als angeblicher Christ verlässt du die Kirche nicht, ziehst aber Astrologen, Wahrsager, Seher und Hexer zu Rate.

Halten wir also fest: Der Apostatenbegriff (»Renegatentyp«), den wir allein aus den CTh.-16.7-Fragmenten abgeleitet haben und der damit zunächst ein heuristisches Konstrukt war, findet seine direkte Bestätigung bei Augustin. Wer behaupten will, die CTh.-16.7-Regelungen hätten für Halbchristen gegolten, müsste also schon eine sehr schlüssige Argumentation vorlegen. 24 23

24

Meine heuristische Kategorie »Halbchristen« definiert sich also durch Christsein bei gleichzeitigem (gelegentlichen) Vollzug heidnischer Rituale. In der Literatur wird der Begriff ausgreifender gebraucht, nämlich für die ganze Grauzone zwischen Christentum und Heidentum. Der klassische Artikel stammt von Guignebert. Ausführlich und quellennah ist die Diskussion bei Kahlos (2007, S. 30–42), die freilich selbst die (antik unbelegte) Bezeichnung incerti vorzieht (Kahlos 2007, S. 31, sowie Kahlos 2004, S. 10–24; incertus in diesem Sinne ist unantik, trotz Kahlos 2004, S. 11). Vgl. ferner Bonner, S. 348–352, sowie Piepenbrink, S. 47 f., S. 283–339 (wobei sie selbst »Halbchristen« anders gebraucht, S. 138). Daut (S. 173) definiert die von ihm behandelten Halbchristen als »(vorwiegend) Gebildete, die ihre heidnischen und christlichen Anschauungen [!] … unverbunden nebeneinander gestellt haben« (aber deswegen nicht unbedingt heidnische Kulthandlungen praktizieren; so deklariert Daut, S. 181–183, z. B. den Apologeten Arnob angesichts dessen fragwürdiger Theologie zum typischen Halbchristen). Vgl. etwa Cameron in der »Conclusion« seines Summum Opus, der »Last Pagans of

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Kommen wir zum letzten Kriterium, den »heidnischen Praktiken«. Ein Kanon unklarer Datierung, 25 der als 46. unter den Kanones der Synode von Elvira überliefert ist, widmet sich dem Fall, dass ein Christ zwar nicht mehr »zur Kirche gegangen ist«, andererseits aber auch keine Idololatrie betrieben hat, und später die Wiedereingliederung wünscht. Dieses Vergehen wird mit Apostasie in Verbindung gebracht (fidelis apostata), die Sanktion ist freilich eine zeitlich begrenzte Buße (Conc. Ilib. p. 257.360–363), Si quis fidelis apostata per infinita tempora ad ecclesiam non accesserit, si tamen aliquando fuerit reversus nec fuerit idolator, post decem annos placuit communionem accipere, »Wenn ein getaufter Apostat über sehr lange Zeit hin die Kirche nicht aufsucht, dann aber doch irgendwann zurückkommt und kein idolator ist, dann – so wurde beschlossen – darf er nach zehn Jahren die Kommunion empfangen«. Bereits früher, im Jahr 314, formulierte man in Arles einen Kanon, der als Vorlage des Elvira-Kanons diente und wohl 26 schon damals dieselbe Gruppe betraf (Kanon 22: Conc. Arel. a. 314, p. 13.73–77), De his, qui apostatant et nunquam se ad ecclesiam repraesentant, ne quidem paenitentiam agere quaerunt, et postea infirmitate arrepti petunt communionem, placuit eis non dandam communionem, nisi revaluerint et egerint dignos fructus paenitentiae, »Hinsichtlich solcher Leute, die abfallen, nie die Kirche aufsuchen, nicht einmal Pönitenz tun wollen und dann später, von einer Krankheit befallen, die Kommunion erbitten, wurde beschlossen, dass man ihnen die Kommunion nicht geben darf, außer sie werden wieder gesund und ›bringen würdige Früchte der

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Rome« (S. 794): »I suspect that these laws were primarily aimed less at those who formally renounced their faith than at Christians (especially baptized Christians) seen (or suspected of) performing rites the authorities judged, rightly or wrongly, to be pagan or (no less worrying) Jewish«. An keiner Stelle begründet Cameron diese Behauptung – mit der er sich durchaus weit vom Wortlaut der Texte entfernt – näher. Seit dem klassischen Artikel von Meigne (der sowohl inhaltliche wie sprachliche Kriterien heranzog) werden die Kanones des Konzils von Elvira zumeist (für einen Überblick über die Diskussion und abweichende Meinungen vgl. Lázaro Sánchez, S. 528–546) als Sammlung angesehen, wovon die Kanones 1 bis 21 in die Zeit um 300 gehören, Kanones 63 bis 75 in die Zeit nach der Verfolgung, aber vor Nikaia 325; alle weiteren Kanones entziehen sich einer genaueren Datierung, dürften aber ungefähr zwischen 325 und 400 entstanden sein (Meigne, S. 386). Der Zusammenhang zwischen Kanon 46 von Elvira und Kanon 22 von Arles (314) ist evident (so schon Meigne, S. 377). Der Arles-Kanon verwendet ähnliches Vokabular wie der Elvira-Kanon für den Tatbestand (apostata/apostatant, ad ecclesiam non accesserit/nunquam se ad ecclesiam repraesentant), aber in Arles fehlt die explizite Voraussetzung, dass keine Idololatrie stattgefunden hat.

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Buße hervor‹ [Lk 3:8]«. Wenn die Kaisergesetze konsequent Altäre, Tempel und die Teilnahme an Riten erwähnen, muss es darum gehen, solche Absentisten von den erbrechtlichen Sanktionen auszuschließen. Ich hege übrigens nicht die Ambition, eine allgemeingültige Klassifikation für alle Personen im spätantiken heidnisch-christlichen Graubereich aufzustellen. Meine Lapsi, Halbchristen, Absentisten sind nur Hilfskonstrukte, die ich dazu verwende, mein heuristisches Modell – den Apostaten vom Renegatentyp – negativ beschreiben zu können. 27 Freilich kennen wir unseren Renegaten bislang nur als Destillat aus den CTh.-16.7-Fragmenten und der kurzen Augustin-Passage. Es wird Zeit, dass wir uns Apostaten in den erzählenden Quellen ansehen. Leider entzieht sich die Apostasie in dieser Epoche weitgehend dem prosopografischen Zugriff. 28 Für die Zeit zwischen 381 und 428 kennen wir hunderte von Donatisten, dutzende von Manichäern und auch eine stattliche Zahl von Eunomianern. Doch namentlich bekannte Apostaten sind sehr rar. Auch wurde die Geschichte der Apostasie in der Spätantike bislang nicht geschrieben. Grob scheint sich der Ablauf wie folgt darzustellen: In der Zeit der tetrarchischen Christenverfolgungen gab es zahlreiche Fälle von Glaubensübertretungen, die sich aber durch rohe Gewalt (oder zumindest durch Androhung derselben) erklären. Zahlreiche Konzilien beschäftigten sich danach mit der Frage, wie mit den nicht standhaft gebliebenen Rückkehrern, den mehrfach erwähnten Lapsi (→ S. 690), umzugehen sei (wir erinnern uns, dass von Meinungsverschiedenheiten genau zu diesem Thema das donatistische Schisma seinen Anfang nahm: → S. 496). Unter Konstantin und mehr noch unter Konstantius II. war es nützlich fürs eigene Fortkommen, zum Christentum überzuwechseln, sodass man mit einer Reihe von opportunistischen Übertritten rechnen muss. Hier könnte der erste Religionswechsel des Hekebolios stattgefunden haben, der der eifrigste religiöse Wendehals der Spätantike ist, den wir kennen: Geboren wohl als Heide, jedenfalls Christ unter Konstantius II., wieder Heide unter Julian, wollte er nach Julians Tod zum Christentum zurückkehren und nahm dafür die Buße auf sich (Kinzig, S. 92 f., S. 95 f., S. 106–109). Doch wir greifen vor. Mit Julian drehte sich also der Wind, und nicht nur Hekebolios, sondern auch zahlreiche andere folgten ihm bei seiner Apo27 28

Für verschiedene Versuche, diesen Graubereich definitorisch zu erfassen, vgl. Kahlos 2007, S. 26–28. In den Worten von Schöllgen (S. 58): »Apostaten sind in den Texten des christlichen Altertums eine seltene Species«.

erzählende quellen zu renegaten

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stasie, 29 darunter Karrieristen, 30 die hohe Funktionen erhielten (so Julians gleichnamiger Onkel, der Comes Orientis wurde; Felix, Comes sacrarum largitionum; Helpidius, Comes rerum privatarum; kaum hierher gehört jedoch Domitius Modestus, 31 Prätoriumspräfekt von Oriens; und die angebliche 29

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Themistios lobt in seinem Panegyrikus vor Jovian (anlässlich des Konsulatsbeginns 364) dessen tolerante Religionsgesetzgebung und insinuiert (or. 5.67b-68a), dass zuvor (Unter Julian? Oder unter Konstantius II. und Julian?) die Menschen mit Verordnungen und Zwang zum Religionswechsel gedrängt wurden, sodass man ῥᾷον Εὐρίπου μεταβαλλόμενοι τὰς ἁγιστείας, »die Riten schneller wechselte als der Euripos« (der für abrupte Fließrichtungsänderungen bekannt war); so gebe es zahlreiche Wendehälse (κόθορνοι), viele sehe man bei der Ausübung mehrerer Religionen (gemeint: nach plötzlichem Wechsel). Asterios von Amaseia kommt in einer Predigt zum Thema »Habsucht« auf Apostasie zu sprechen (hom. 3.10; nicht genau datierbar, ungefähr jedoch aus der Regierungszeit von Theodosius I. oder Arkadius, denn aus diesen Jahrzehnten stammen alle seine chronologisch bestimmbaren Homilien, vgl. Datema, S. XXIV Anm. 2): Für ein Leben in Amt und Würden oder für Geld gäben die Leute ihr Christentum auf. In Asterios’ Generation, unter Julian, sei just dies geschehen; als Julian Leuten, die dasselbe zu tun bereit waren wie er, Funktionen anbot, πόσοι τὴν ἐκκλησίαν ἀφέντες ἐπὶ τοὺς βωμοὺς ἔδραμον, »wie viele verließen da die Kirche und liefen zu den Altären?«. Viele schluckten mit dem Köder »Ehrenstellen« den Angelhaken »Glaubensabfall« – heute, so Asterios, wandern sie als Ehrlose zwischen den Städten, verhasst, und man zeigt mit dem Finger auf sie, weil sie Christus für wenig Geld verraten haben. Prosopografisch gewonnene Resultate von Haehling (S. 537–547: Julian berief nur Heiden in die höchsten zivilen Ämter) passen hervorragend zu dem, was wir bei Themistios und Asterios lesen. Hingegen finden die ruh- und ehrlosen Apostaten des Asterios sonst keine Parallele. Vgl. insb. Socr. 3.13.1–6 und Theodoret. hist. eccl. 3.12.3. Dagegen Schöllgen, S. 71 f.: »Mit einer solchen Einschätzung [dieser Apostaten als Opportunisten] übernimmt man aber … eine spezifisch christliche Voraussetzung, den Exklusivitätsanspruch … Folgt man der plausiblen Voraussetzung, daß die religiöse Prägung der Apostaten grundlegend pagan war, dann ist auch ein mehrmaliger Wechsel religiöser Präferenzen durchaus nichts Ungewöhnliches«. Einverstanden – doch wenn dieser »mehrmalige Wechsel« gleich getaktet ist mit dem Wandel dessen, was gerade der eigenen Karriere dienlich war, liegt der Verdacht des Opportunismus durchaus auf der Hand. Zu den ersten vgl. die PLRE-I-Einträge Iulianus 12 (S. 470 f.), Felix 3 (S. 332) und Helpidius 6 (S. 415), wo sich die (jeweils zahlreichen) Quellen finden. Was Domitius Modestus (PLRE I, S. 605–608 s. v. Domitius Modestus 2) angeht, der regelmäßig als Parade-Apostat präsentiert wird (Cameron, S. 326, dort weitere entsprechende Literaturverweise; Schöllgen, S. 71), überzeugt mich die Communis Opinio gar nicht. Unstrittig ist, dass seine Karriere unter Konstantius II., Julian und Valens gleichermaßen glänzend verlief. Unstrittig ist auch, dass er unter Julian Heide war (Liban. epist. 804.5): ἀλλά, πρὸς τῶν θεῶν, οὓς πάλαι θαυμάζων νῦν ὡμολόγησας, …, »Aber, bei den Göttern (die du seit langer Zeit ehrst und zu denen du dich nun

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Apostasie des Dulcitius, 32 Prokonsul von Asien, ist wilde Spekulation), aber verstörenderweise auch mehrere Bischöfe, so Pegasios von Ilion (Iulian. epist. 79; Schöllgen, S. 60–70) und Heron aus dem ägyptischen Theben (Philostorg. 7.13). Sofern die Karrieristen keinen grausigen Tod starben 33 und sofern sie wenigstens ihrem Opportunismus die Treue bewahrten, könnten sie (wie Hekebolios) versucht haben, nach Julians Tod in den Schoß der Kirche zurückzukehren. In der Zeit nach Julian war ein Abfall vom Christentum nicht mehr karrierefördernd (es sei denn, während bestimmter Usurpationen; doch dies ist umstritten), sodass wir aus der Folgezeit kaum mehr Apostaten namentlich kennen. Nicht einmal bei Augustin, der uns doch sonst so viele Fälle von Heterodoxie präsentiert, scheint sich eine entsprechende Anekdote zu finden. 34 Wenn bei ihm Apostasie vorkommt (und es sich dabei weder um ein

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bekannt hast), …«. Unstrittig ist ferner, dass er unter Valens, dem er als Prätoriumspräfekt diente, getauft wurde (Greg. Naz. or. 43.48). Doch war Domitius Modestus bereits zuvor unter Konstantius II. Christ gewesen? Das einzige Indiz dafür ist der eben zitierte Relativsatz in dem Libanios-Brief! Aber ist das wirklich ein zwingender Hinweis auf ein vormaliges Christentum des Modestus? Genauso gut könnte dies nur besagen, dass man früher als Heide aus Opportunitätsgründen besser nicht groß über die eigene Religion geredet hat. Noch unter Konstantius II. formuliert Libanios mehrfach gegenüber Modestus in einer Art und Weise, wie man dies nur von Heide zu Heide tun kann (epist. 220.3, 384.1, 617.3; die Anhänger der Communis Opinio nehmen diese Passagen wenig überzeugend als Beleg für das »laue Christentum« des Modestus, anstatt die Ausgangshypothese in Frage zu stellen). Dass die orthodoxen patristischen Autoren – die Domitius Modestus als Mann Julians und später als Nizänerverfolger unter Valens kennen – seine angebliche Apostasie nie auch nur andeuten – trotz aller sonstigen Feindschaft gegen ihn! –, ist ein sehr gewichtiges Argument e silentio. Dulcitius machte Karriere sowohl unter Konstantius II. als auch unter Julian: »Nun standen bekanntlich die Vertrauensmänner des Constantius unter Julian gewöhnlich nicht eben in Gunst. Man kann daher vermuten, dass Dulcitius vom Christentum zum Heidentum übergetreten sei« (Malcus, S. 108). Tatsächlich gibt es keinerlei Indiz, dass Dulcitius je Christ war. Die bei den Kirchenhistorikern erscheinenden Apostaten finden allesamt auf splatterfilmartige Weise den Tod. Es verzerrt unsere Sterbestatistik, dass die meisten uns bekannten Apostaten in genau diesen Quellen begegnen und alsbald aus dem Leben gerissen werden. Die einzige mögliche Ausnahme ist Aug. epist. Divj. 20.20 (422/3): Der kriminelle Bischof von Fussala hatte punischsprachige Kolonen, die sich gegen seine Machenschaften gewehrt hatten, ohne guten Grund exkommuniziert. Manche von ihnen, so wurde Augustin zugetragen, sollen per tristitiam rusticanam, »aus bäurischer Verbitterung«, ganz zur Apostasie geschritten sein. Ob es wirklich so weit kam, bleibt offen,

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Bibelzitat noch um Polemik handelt), bleibt alles im Theoretischen (vgl. bereits oben → S. 700). Etliche Male argumentiert er etwa gegen die donatistische Wiedertaufe (→ S. 498), indem er darauf hinweist, dass doch auch keiner auf die Idee käme, einen reuigen Apostaten, der in seine Gemeinde zurückkehrt, noch einmal zu taufen. 35 Auch entwirft er (wiederum im Kontext von Donatismuskritik) folgendes fiktives Szenario: Heiden könnten Christen zur Apostasie verleiten; es wäre denkbar, dass besagte Heiden später selbst Christen werden; und dass es dann im dritten Schritt ausgerechnet diese frisch getauften Ex-Heiden sind, die diejenigen, die sie zuvor zum Abfall anstifteten, zur Kirche zurückführen (c. Cresc. 2.16.19) – wohlgemerkt, diese ganze Abfolge ist nur ein Gedankenspiel im Rahmen einer Argumentationskette. Die wichtigsten Quellen 36 für die Zeit nach Julian sind zwei rätselhafte Kurzgedichte, die auf hochgestellte Apostaten verweisen. Da ist einmal das sogenannte Carmen ad quendam senatorem (ThLL-Kürzel: Carm. ad senat.). Der anonyme Autor wendet sich in 85 Hexametern an einen ebenso namenlosen Ex-Konsul, der vom christlichen Glauben abfiel und nun Kybele und Isis verehrt; gegen Ende zeigt sich der Autor optimistisch, dass das Alter den Apostaten zum Christentum zurückführen werde, hofft aber, dass der Ex-Konsul nach erfolgter Rückkehr dann nicht noch ein zweites Mal abfallen werde. Der letzte Vers ist ein Appell zur Rückkehr: Non erit in culpa, quem poenitet ante fuisse, »Wer bereut, zuvor in Schuld gewesen zu sein, wird dies künftig nicht sein«. Leider besitzen wir keinen Anhaltspunkt für eine Datierung des Gedichts, die über das Banale (»christliche Spätantike«) hinausgehen würde. 37 Das Gedicht gibt keinen Hinweis darauf, dass der namenlose Senator 38 aus

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und in jedem Fall zielen die Regelungen des Apostatentitels kaum auf Apostaten solch niedriger sozialer Stellung ab. Aug. c. Parm. 2.13.29; bapt. 1.1.2, 5.15.20; c. Petil. 2.7.16, 2.47.110. Ich verzichte auf eine Diskussion der Stellen Ps. Aug. quaest. test. 114.13 (wo es nicht um Christen geht, die Heiden werden, sondern wo vielmehr die Entstehung des Heidentums in grauer Vorzeit thematisiert wird, vgl. Cameron, S. 796) und Ambr. epist. 72.4 (wo es zwar um Christen geht, die aber nicht ihren Glauben verlassen wollen, sondern die versuchen, sich durch den Erhalt von paganen Priesterämtern vor munera zu drücken, vgl. → S. 566; allein aufgrund dieser Amtsübernahme werden sie in Ambrosius’ Augen zu lapsi, vgl. Cameron, S. 795 f.; missverstanden bei Salzman, S. 366 f.). Zu Recht Wischmeyer, S. 342: »[Wir müssen] das ganze 4. Jh., besonders aber seine 2. Hälfte, und die 1. Hälfte des 5. Jh. als religionsgeschichtliche Möglichkeit für diese Situation, mit der wir es hier zu tun haben, offenlassen«. Cameron, S. 325 f., will den Adressaten des Gedichts mit Domitius Modestus identifizieren (und das Gedicht auf kurz nach 372 datieren), aber seine Indizienkette ist

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opportunistischen Gründen konvertierte. »Ganz offensichtlich handelt es sich um einen religiös sensiblen Menschen, der sich im Sinne der traditionellen antiken Religiosität nach einer Phase bevorzugter Verehrung des Christengottes anderen Göttern … zugewandt hatte, eine weitere religiöse Option, die nicht notwendig einen Bruch mit dem Christentum zur Voraussetzung hatte«, schreibt Schöllgen (S. 72). Freilich befinden wir uns im christlichen Imperium, und zwar nicht in einem ländlich-ignoranten Milieu, sondern in der Führungsschicht; ein Senator sollte zu diesem Zeitpunkt den Alleinanspruch des Christengottes verstanden haben (und wenn doch nicht: spätestens nach Belehrung durch andere, wie durch den Autor des Gedichts). Daher würde ich sehr viel eher an eine bewusste Abkehr denn an Halbchristentum glauben wollen. Übrigens lässt sich nicht einmal ausschließen, dass es sich beim Carmen ad quendam senatorem um eine literarische Übung handelt; in diesem Fall wäre offensichtlich jeder Versuch, den Adressaten und seine Religiosität näher einzuordnen, sinnlos. Das zweite für uns relevante Gedicht ist das sogenannte Carmen contra paganos (ThLL-Kürzel: Carm. c. pag.) in 122 Hexametern, dessen christlicher Autor für uns ebenfalls unbekannt bleibt. 39 Er wendet sich zunächst kurz an (namenlose) heidnische proceres (v. 1–24) und zieht dann ausführlich über einen heidnischen, unlängst verstorbenen praefectus (v. 25) her, der es bis

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verwegen. So wirft der Dichter dem Adressaten vor, er könnte »sogar« auch noch Jude werden, was Cameron als Hinweis darauf deutet, dass das Gedicht im Osten geschrieben wurde (tatsächlich ist dies für den Dichter ein bewusst absurdes Szenario; er muss also keineswegs in einem jüdischen Umfeld geschrieben haben). Camerons Identifikation beruht letztlich darauf, dass Domitius Modestus erstens ein berüchtigter Apostat sei und zweitens (wie der anonyme Adressat des Gedichts) ehemaliger Konsul; Camerons implizite Voraussetzung dabei ist, dass wir (!) niemanden kennen, der besser ins Bild passen würde. Auch wenn der Konsulat die Zahl der möglichen Kandidaten stark einschränkt, ist es nicht legitim zu erwarten, dass jeder Apostat dokumentiert wäre – sofern das Gedicht überhaupt eine reale Person beschreibt. Ich glaube nicht, dass Domitius Modestus Apostat war (→ S. 70331). Und wenn er es nun doch gewesen wäre, dann hätte er geradezu idealtypisch den Karrieristen verkörpert, ließe sich also überhaupt nicht mit dem von religiösen Skrupeln geplagten Ex-Konsul des Gedichts zur Deckung bringen. Cameron, S. 307–317, argumentiert ausgehend von einer Zuschreibung in dem Katalogeintrag einer verlorenen Handschrift für den römischen Bischof Damasus; das ist nicht auszuschließen, doch all die von Cameron zusammengetragenen Indizien bleiben jeweils für sich schwach, und auch in Summe wird daraus keine überzeugende Beweisführung. Das sprachliche Argument, das Cameron selbst als besonders überzeugend ansieht (S. 315: »coincidence may safely be excluded«), hat unlängst Green widerlegt.

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zum Konsulat gebracht hatte (v. 112). Die Erwähnung eines heidnischen Symmachus (v. 114) beweist, dass wir uns im späten 4. Jahrhundert, allenfalls im sehr frühen 5., befinden. Der Autor erwähnt zahlreiche weitere Details, die sich nicht unmittelbar z. B. aus einer satirischen Autorenintention erklären lassen (etwa, dass sich nur die eher obskure Göttin Flora über den Konsulat des Präfekten gefreut habe), und macht auch sonst erstaunlich spezifische Angaben. Wir müssen in diesem Fall also davon ausgehen, dass ein realer Adressat zu suchen ist (Cameron, S. 284). Doch trotz aller Hinweise gibt es keinen Konsens, um wen es sich dabei handelt. Der weitaus populärste Kandidat ist Virius Nicomachus Flavianus, der im Jahr 394 als Konsul und Prätoriumspräfekt des heidenfreundlichen Usurpators Eugenius starb; die andere plausible Identifikation ist die mit Vettius Agorius Praetextatus, dem großen heidnischen Senator, dessen Karriere nicht unter dem Fall Julians litt, der 367–368 als Stadtpräfekt fungierte und 384 als designierter Konsul und Prätoriumspräfekt von Kaiser Valentinian II. verstarb. 40 Für unsere Zwecke 41 hier kann dahingestellt bleiben, ob es bei der Zielscheibe um Praetextat (dann würde das Gedicht in die Zeit Dezember 384/Anfang 385 gehören) oder um Flavian (dann wäre die Datierung Ende 394) geht: Wir befinden uns in jedem 40

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Der große Umfang der Literatur zum Carmen contra paganos erschwert den Überblick (hilfreich zur Einarbeitung ist die kommentierte Bibliografie von Boxus/Poucet). Es wäre notwendig, die einzelnen Argumente aus den zahlreichen Arbeiten systematisch zusammenzufassen und nach ihrer Beweiskraft zu sortieren. Offensichtlich bringen subjektive Eindrücke (»das würde aber besser zu Flavian passen«) gar nichts, zumal das Carmen contra paganos vor Polemik und Übertreibung nur so strotzt. Keine Identifikation kommt ohne Härten aus: Der Adressat wird im Gedicht als Konsul angesprochen, Praetextat starb aber, ehe er seinen Konsulat antreten konnte (freilich findet man in der Literatur für eine solche vorgezogene Titulierung seltene Vorbilder); der Adressat stirbt eine tracta mors (einen sich lang dahinziehenden Tod?) – wie soll das zum Selbstmörder Flavian passen (außer der Selbstmord war qualvoller als geplant; oder das Ganze ist nur frommes Wunschdenken des polemischen Autors, der sich das Ableben seines Feinds genüsslich ausmalt)? Man könnte viele Seiten mit solchen Argumenten und Gegenargumenten füllen. Die Identifikation mit Praetextat vertrat Cracco Ruggini 1979 in einem ganzen Buch, und für ihn plädierte ebenfalls in großer Ausführlichkeit Cameron (S. 273– 319); von den zahlreichen Gelehrten, die Flavian vorziehen, seien genannt Coşkun (als jüngste Arbeit) und Musso (weil sie sich ausführlich mit dem Apostaten Markian und seiner möglichen Karriere auseinandersetzt: S. 232–236). Ohne eine Prüfung aller vorgebrachten Argumente – die nur in Monografielänge erfolgen könnte – enthalte ich mich einer Entscheidung; allerdings werden wir weiter unten sehen, dass zumindest die Passage, die ich hier genauer analysieren werde, eher auf Flavian (und damit auf das Jahr 394) hindeutet.

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Fall in theodosianischer Zeit, in der bereits erbrechtliche Sanktionen gegen Apostaten gelten. Der Autor des Gedichts wirft dem Präfekten unter anderem auch vor, mit Hilfe seiner hohen Stellung Karrieristen zur Apostasie verlockt zu haben (v. 78–86): Christicolas multos voluit sic perdere demens: Qui vellent sine lege mori, donaret honores oblitosque sui caperet quos daemonis arte, muneribus cupiens quorundam frangere mentes aut alios facere parva mercede profanos mittereque inferias miseros sub Tartara secum. Solvere qui 42 †…† voluit pia foedera, leges, Leucadium fecit fundos curaret Afrorum, perdere Marcianum †sibi† 43 proconsul ut esset. So wollte er in seinem Wahn viele Christen ins Verderben führen: Wer bereit war, außerhalb des Glaubens zu sterben, den beschenkte er mit Würdenstellungen [honores], und diejenigen, die ihrer selbst vergessen waren, die fing er ein mit teuflischer List, im Bestreben, den Sinn gewisser Leute mit Geschenken 44 [munera] zu brechen oder andere um geringen Lohn zu Frevlern zu machen und diese Unseligen zusammen mit sich selbst als Totengaben in die Unterwelt zu schicken. Er, der … fromme Bünde, Gesetze brechen wollte, machte Leucadius zum Verwalter der Kaiserdomänen in Afrika, er ließ es zu, dass Markian, um Prokonsul zu werden, ins Verderben rannte.

Die Übersetzung der letzten drei Verse ist bestenfalls approximativ. Die Lücke und das sprachlich wie metrisch unhaltbare sibi zeigen, dass hier textkritische Probleme vorliegen; hinzu kommt der merkwürdige Sprachgebrauch des Autors. Selbst wenn man die Bezüge anders zusammensetzt, 45 ändert sich wenig 42 43 44

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Überliefert ist quis; man darf annehmen, dass das s zum ausgefallenen Wort gehört hat (eine von vielen Möglichkeiten wäre Rieses Vorschlag semper). Ich übersetze Timpanaros elegante Korrektur sivit, aber der Sinn ist jedenfalls aus dem Kontext klar. Natürlich könnte munera theoretisch auch »Bürden« bedeuten; aber im Kontext geht es ausschließlich um Verlockung durch Bestechung (capere; donare; merces), nicht um Gefügigmachen durch Einschüchterung; die prospektiven Apostaten werden nicht genötigt, sondern verführt (velle; obliti sui). Cameron, S. 300: »he persuaded Leucadius, in charge of the estates of Africa, to corrupt Marcianus so that he might be his proconsul« – allerdings erscheint mir

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am Befund: Wir haben es hier mit zwei Apostaten zu tun, denen vorgeworfen wird, ihre Stellungen lediglich aufgrund ihres Glaubensabfalls erhalten zu haben. Sie dienen als konkrete Beispiele für den Vorwurf, der namenlose Adressat habe multi christicolae vom rechten Weg abgebracht. 46 Es gibt keinen Leucadius, der sich mit dem hier genannten gleichsetzen ließe. 47 Markian könnte mit einer gleichnamigen Person identisch sein, die am 22. März 384 Vikar war (CTh. 9.38.7). Für diesen oder wieder einen anderen Markian setzte sich später Symmachus bei Ambrosius ein (epist. 3.33, nicht datierbar): Nach einer gescheiterten Usurpation (Eugenius oder Maximus?) sollte der sein Gehalt als iudex (Statthalter oder höher) zurückzahlen, was ihn aber laut Symmachus finanziell überforderte. Schließlich wurde ein Markian unter dem Usurpator Attalus im Jahr 409 Stadtpräfekt (Zos. 6.7.2). Leider ist Markian kein ganz seltener Name, sodass man diese Identifikationen nicht ohne Weiteres als gesichert annehmen kann. 48 Doch in der Abwägung ist es wahrscheinlicher, dass es in den 380/390er Jahren nur eine Person namens Markian gab, die im Westen des Römischen Reichs höchste Ämter wie den Vikariat und den Prokonsulat erreichte. Setzt man nun »Markian den Vikar« und »Markian den abgefallenen Prokonsul« gleich, dürfte der Adressat des Gedichts eher Flavian als Praetextat sein. 49

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dies inhaltlich unwahrscheinlicher. Ganz ausschließen möchte ich die Variante von Barkowski (S. 60): Leucadius erhielt vom ungenannten Präfekten den Auftrag, den Prokonsul Markian aus dem Weg zu räumen, sodass er (Leucadius) Prokonsul sein könne. Cameron, S. 795 f., schlägt vor, die honores von v. 79 auf provinziale Priestertümer zu beziehen; angesichts der beiden konkreten Beispiele »Domänenverwalter« und »Prokonsul« scheint dieses Verständnis nicht naheliegend. Mit dem Statthalter Leucadius (PLRE I, S. 504 s. v. Leucadius 1) wird er – trotz des ungewöhnlichen Namens – kaum etwas zu tun haben. Cameron (S. 300) hat in seiner ebenso ausführlichen wie polemischen Diskussion hierzu nur zu sagen: »It is frustrating that Leucadius and Marcianus are otherwise unknown«, ohne Verweis auf die möglichen Markian-Identifikationen, die sich allerorten (z. B. bei Cracco Ruggini 1979, S. 101–106, oder in der PLRE I, S. 555 f. s. v. Marcianus 14; zuerst im 19. Jh. bei De Rossi und Mommsen) finden. Es ist eine Sache, die Identifikation mit dem Vikar abzulehnen; es ist eine andere, die Evidenz – weil sie dem eigenen Argument widersprechen könnte – ganz unter den Tisch zu kehren. Denn der Vikar amtierte nachweislich im März 384, und Ende 384 war Praetextat bereits tot. Kann man direkt vom Vikarat zum Prokonsulat befördert werden? Cracco Ruggini (1979, S. 103), die die Gleichsetzung der beiden Markian »con certezza« vornimmt, gleichwohl aber für Praetextat plädiert, nimmt dafür (S. 103 Anm. 314) die Karriere des Iulius Festus Hymetius als Vorbild, der 362 Vikar war

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Unabhängig von der Identität von »Markian dem Apostaten« und »Markian dem Vikar« sind jedenfalls Leucadius und Markian in nachjulianische Zeit zu setzen. Denn unter Julian war Praetextat gerade einmal achäischer Prokonsul und Flavian noch unbedeutend; keiner von beiden wäre in der Lage gewesen, einem anderen einen Prokonsulat durch Empfehlung zu verschaffen. 50 Wenn Leucadius und Markian tatsächlich in die Zeit nach 380 oder gar nach 390 gehören, wären sie unmittelbar von der Apostatengesetzgebung bedroht gewesen und würden ein gutes Beispiel dafür darstellen, wie begüterte Apostaten aussahen, deren Testamente man möglicherweise in Frage stellen wollte. Aber man darf nicht vergessen, dass das rätselhafte Carmen große Verständnisprobleme sprachlicher Natur bereitet und dass ein Anschluss an die Geschichte dieser Zeit nur mit viel Mühe und mehr schlecht als recht gelingt. Es lässt sich nicht ausschließen, dass Leucadius und/oder Markian niemals abgefallen sind, es sich also bei der angeblichen Apostasie nur um eine Unterstellung des Carmen-Autors gegen Persönlichkeiten handelt,

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(CTh. 11.30.29) und angeblich das »proconsolato d’Africa nel 363 (cfr. C.Th. IX, 13, 3)« bekleidete. Aber ein Gesetz »CTh. 9.13.3« existiert nicht; sie muss CTh. 9.19.3 meinen, und diese Konstitution ist von 367 (so der einzige Textzeuge V) oder 368 (Seeck). Tatsächlich ist Hymetius zum ersten Mal 366 als Prokonsul von Afrika belegt (CI. 3.16.1). Vollends unerklärlich ist, dass Cracco Ruggini (1979, S. 104 Anm. 315) in der unmittelbar darauffolgenden Fußnote noch einmal Hymetius als Beispiel anführt, jetzt aber mit den richtigen Daten! Tatsächlich haben wir sonst wenig Vergleichsmaterial: Chilo (PLRE I, S. 201 s. v. Chilo 1) war vor 368 Vikar und erst 375 Prokonsul von Afrika, andererseits wurden Thalassius (PLRE I, S. 887 f. s. v. Thalassius 3), Klearch (→ S. 55) und vielleicht Caecilian (PLRE II, S. 244–246 s. v. Caecilianus 1; allerdings unsicher) unmittelbar von einem Vikariat auf einen Prokonsulat berufen (bei Aelius Claudius Dulcitius, Clodius Octavianus und Iulius Festus Hymetius wissen wir nicht, wie viel Zeit zwischen Vikariat und Prokonsulat lag). Angesichts der Karrieren von Thalassius und Klearch ist also nicht auszuschließen, dass der im Jahr 384 belegte Vikar Markian noch im selben Jahr Prokonsul wurde – wahrscheinlicher scheint jedoch die chronologisch weniger gedrängte Variante mit einer Beförderung irgendwann vor 394 (dann wäre Flavian die Zielscheibe des Gedichts). Dass der Symmachus-Markian ein iudex-Gehalt nach einer gescheiterten Usurpation zurückzahlen soll, würde natürlich sehr gut zu einem Prokonsulat unter Eugenius passen (was ein weiteres Indiz für Flavian darstellt). Coşkun, S. 171–173, hat die implizite Voraussetzung, dass der anonyme Adressat die Apostaten selbst in seiner eigenen Personalkompetenz als Prätoriumspräfekt ernannte, aber seine unbelegte Behauptung (S. 171), dass »ein ppo seit dem späteren 4. Jh. der … Vorgesetzte eines proconsul war«, ist falsch (→ S. 56). Es geht vielmehr darum, dass der offensichtlich gut vernetzte Heide des Gedichts seine persönlichen Kontakte in informeller Weise zum suffragium nutzte.

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die er aufgrund ihrer Verbundenheit mit dem namenlosen Adressaten nicht mag und denen er alles Mögliche zutraut bzw. andichtet. Beenden wir damit unseren kurzen Ausflug in die Prosopografie und schließen wir die Parenthese: Es lässt sich mit Beispielen illustrieren, dass es den Typus des Renegaten – der sich bewusst vom Christentum lossagte – definitiv gab, wobei aber die allermeisten dieser Beispiele noch in julianische Zeit (und damit weit vor die Apostatengesetzgebung) gehören. 51 Das sei 51

Piepenbrink bietet einen Abschnitt »Abfall vom Christentum« (S. 55–60) mit zahlreichen Quellenverweisen, die aus patristischen Autoren des späten 4. bzw. frühen 5. Jahrhunderts stammen (v. a. aus Augustin und Hieronymus). Nach einer gründlichen Durchsicht ihrer Belege will ich ausschließen, dass in irgendeiner dieser Passagen die kontemporäre Situation der Autoren beschrieben wird; es handelt sich vielmehr um zeitlose oder rückprojizierte Vorstellungen, die man keinesfalls auf die Zeitgeschichte beziehen darf. Etwa schreibt Piepenbrink (S. 55): »Häufig wird das Problem angesprochen, daß Personen, die der Kirche bereits angehören, wieder abtrünnig werden«; ihr Beleg dafür ist Aug. in euang. Ioh. 22.10. Liest man die Passage, finden sich Ermahnungen à la Sed lux Christus inexstinguibilis et coaeternus patri, semper candens, semper lucens, semper fervens … Tu autem in peccato tuo frigidus eras, converteris, ut fervescas; si recesseris, frigescis. In peccato tuo tenebrosus eras, converteris, ut illumineris; si averteris te, obscuraberis, »Aber Christus ist Licht, unauslöschlich und gleich ewig dem Vater, immer hell, immer leuchtend, immer heiß … Du aber warst kalt in deiner Sünde, du wendest dich zu [converti], um dich aufzuwärmen; wenn du weggehst, wirst du kalt. In deiner Sünde warst du dunkel, du wendest dich zu, um hell zu werden; wenn du dich abwendest, wirst du finster«. Ist das ein Beleg für häufige Apostasie? Tatsächlich geht es Augustin an der Stelle darum, mit dem Christus-gleich-Licht-Vergleich die Stelle Joh 5:26 zu erklären, nach der Christus das Leben »in sich selbst« hat: Wie Kerzenlicht, das von sich aus scheint, hat Christus das Leben »in sich selbst«; Menschen können davon (wie beleuchtete Dinge vom Licht einer Kerze) profitieren, wenn sie ihm nahekommen. Mit Apostasie hat all das nichts zu tun, und mit dem Weggehen/ Abwenden ist nicht »Glaubensabfall«, sondern jede Form der Entfernung von Christus durch beliebiges Sündigen gemeint. Noch ein Beispiel. Hieronymus in seinem Jesajakommentar kommt auch auf Jes 63:17 zu sprechen: »Warum hast du uns abirren lassen, Herr, von deinen Wegen? Warum hast du unser Herz verhärtet, sodass wir dich nicht mehr fürchten?«. Das kommentiert Hieronymus (Hier. in Is. 17.63.17) folgendermaßen: Non quo deus erroris causa sit et duritiae, sed quo illius patientia nostram exspectantis salutem, dum non corripit delinquentes, causa erroris duritiaeque videatur, »Das ist nicht so zu verstehen, dass Gott Ursache des Abirrens und der Verhärtung sei, sondern so, dass die Geduld dessen (der auf unsere Rettung hofft) als Ursache des Abirrens und der Verhärtung erscheint, solange er die Übeltäter nicht zur Rechenschaft zieht«. Piepenbrink (S. 58) kommentiert nun folgendermaßen: »Angesichts dessen empfiehlt etwa Hieronymus Geduld und erinnert daran, daß nicht Gott allein für den Abfall von Gemeindeangehörigen verantwortlich gemacht werden könne und nicht pauschal als ›Ursache

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vorausgeschickt, ehe wir uns die innerkirchlichen Regelungen ansehen. In einem wichtigen Artikel warnt Schöllgen (S. 73): »Bei den in den Synodenkanones und Dekretalen als Apostaten bezeichneten Personen handelt es sich nicht um ehemalige Christen, die sich wie etwa Kaiser Julian bewußt vom Christentum abgewandt, die Kirche verlassen und den alten Göttern wieder zugewandt haben. Solche Apostaten haben alle Brücken zur Kirche abgebrochen, die innerkirchliche Disziplin ist für sie irrelevant, und die kirchenrechtlichen Quellen sehen keinen Anlaß, sich mit ihnen zu beschäftigen. Die Apostaten der Dekretalen und Synodenkanones sind dagegen ihrem Selbstverständnis nach Christen, die in der Kirche bleiben wollen, aber deren religiösen Exklusivitätsanspruch nicht akzeptieren«. Doch für einen Renegaten, der eine weitere Volte durchzuführen wünschte – an den Wendehals Hekebolios sei erinnert –, wären die kirchlichen Regelungen, auf die sich Schöllgen im Weiteren bezieht, unbedingt einschlägig gewesen. Ich möchte sogar weiter gehen und behaupten, dass sich manche der kirchlichen Regelungen ausschließlich auf solche reuigen Renegaten beziehen lassen (also nicht auch auf reuige Renegaten neben Halbchristen, sondern nur auf reuige Renegaten, nicht auf Halbchristen). Freilich muss man bei jedem einzelnen Quellenzeugnis genau achtgeben, wer denn nun betroffen ist, was gar nicht so einfach ist. Schöllgen selbst führt eine Passage an, die wir uns gleich genauer im Kontext ansehen werden (→ S. 714). Dort heißt es quosdam Christianos ad apostasiam … transeuntes et idolorum cultu et sacrificiorum contaminatione profanatos, »… dass bestimmte Christen zur ›Apostasie‹ … übergelaufen seien und sich durch Verehrung von Götzen und Besudelung mit Opfern entweihten«. Ist der zweite Teil Explikation des ersteren, d. h., das »Schreiten zur Apostasie« geschieht durch den Götzendienst? Oder handelt es sich beim zweiten Teil um eine Folge des ersten? Das würde dann also bedeuten, dass die Betroffenen zum Götzenkult überlaufen (man beachte, dass hier transire gebraucht wird, ganz wie in manchen der CTh.-Fragmente) von Irrtum und Beschwerlichkeit‹ (erroris causa et duritiae) begriffen werden solle«. Doch Hieronymus empfiehlt nichts; Gott wird nicht allein, sondern gar nicht verantwortlich gemacht; vor allem geht es nicht um »Gemeindeangehörige«, sondern um die Israeliten zur Zeit Jesajas; und das Zitat stammt nicht originär von Hieronymus, sondern greift die Formulierung des Propheten auf; und die spricht nicht von »Irrtum und Beschwerlichkeit«, sondern von »Abirren [von den Wegen Gottes] und Verhärtung [des Herzens]«. Es fehlt mir der Platz, auf die zahlreichen anderen Belege von Piepenbrink im Abschnitt zur Apostasie einzugehen, aber ich habe sie mir sämtlich im Kontext angesehen und keinen einzigen gefunden, der als Quelle für die kontemporär-spätantike Situation des jeweiligen Autors zu werten gewesen wäre.

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und dann opfern. Das Problem ist uns bereits bei den Gesetzestexten begegnet (→ S. 691). Sprachlich wird sich dies nicht entscheiden lassen, und wir haben auch gesehen, dass viele christliche Autoren »Apostasie« als Schimpfwort für alle möglichen unerwünschten Verhaltensweisen verwenden (→ S. 6875). Andererseits haben wir zahlreiche Verbote heidnischer Praktiken in Kanones, wo nun nicht von Apostasie die Rede ist; 52 der Gebrauch von transire/migrare scheint mir in den Gesetzen zu regelmäßig und zu konsistent zu sein, als dass man ihm jede Bedeutung absprechen darf – daher sollte man auch hier bei transire hellhörig werden; und allein das Beispiel des Hekebolios zeigt ja, dass es in der Tat derlei Renegaten gab, die bei drehendem Wind zur Kirche zurückkehren wollten, und dafür brauchte man doch offensichtlich Regelungen. Sehen wir uns nun die wenigen Belege aus kirchlichen Bestimmungen an, die unsere Kriterien erfüllen: die also den Umgang mit Renegaten (nicht mit Halbchristen, nicht mit Lapsi) regeln und die in unseren Zeitrahmen passen. Arbeitet man mit dem aus CTh. 16.7 gewonnenen Apostatenbegriff, sind die allermeisten der von Hornung in seiner Habilitationsschrift zur Apostasie aus Konzilien und Dekretalen zusammengetragenen Passagen nicht einschlägig. Dies gilt insbesondere für alle Texte, die nicht auf einen Übertritt zu einer anderen Gruppe verweisen, sondern einfach nur Fehlverhalten geißeln; oder aber die Regelungen zur Behandlung von Personen aufstellen, die zu frevelhaften Handlungen (die möglicherweise als Übertritt gewertet werden können) gezwungen wurden. 53 Zudem gibt es für uns keinen Grund, Bestimmungen, die 52

53

Ein Beispiel: Der dritte Kanon der Synode von Valentia (374) bestimmt Folgendes (Conc. Valent. a. 374, p. 39.36–42): Circa eorum vero personas, qui se post unum et sanctum lavacrum, … profanis sacrificiis daemonum … polluerint, eam censurae formam duximus esse servandam, ut his … satisfactionis quidem aditus non negetur … acturi paenitentiam usque in diem mortis, »Hinsichtlich derjenigen Personen, die sich nach der einmaligen und heiligen Taufe … durch ruchlose Opferungen für Dämonen … besudelt haben, muss – so beschlossen wir – folgende Form der Strafe eingehalten werden: dass ihnen … nicht die Möglichkeit zur Wiedergutmachung verweigert werden soll … Sie werden bis zum Tage ihres Todes Pönitenz üben«. Hier ist weder von einem »Abfall« die Rede noch von einem »Überlaufen«, auch nicht von einer »Rückkehr« (die auf ein Überlaufen hinweisen würde). Hier dürfte es also um Halbchristen gehen. Das betrifft etwa den sogenannten 81. Kanon des Basilios (Hornung, S. 159–162; vgl. → S. 69819), in dem Bußregeln für Personen festgelegt werden, die anlässlich eines Barbareneinfalls lieber heidnische Eide leisteten und Opferfleisch aßen, anstatt das Martyrium zu erleiden; oder die Passage in der Epistula canonica (→ S. 716), in der es um ἡ βεβιασμένη τε καὶ ἐπώδυνος παράβασις, »die Übertretung unter Zwang und Schmerzen«, geht.

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deutlich nach dem spätesten CTh.-16.7-Fragment (nämlich CTh. 16.7.7 von 426) entstanden, zu analysieren. Umgekehrt bleiben Texte, die sehr viel älter als 381 (das Jahr von CTh. 16.7.1) sind, ebenso unbeachtet. Legt man dieses Raster an, verbleiben nur vier Passagen, deren Analyse einem Verständnis von CTh. 16.7 zuträglich erscheint. Die erste von ihnen stammt aus einem Brief – der ersten bekannten Dekretale 54 überhaupt –, mit dem der römische Bischof Siricius verschiedene Fragen des spanischen Bischofs Himerius beantwortet. 55 Himerius’ Anfrage ging Ende 384 in Rom ein, Siricius’ Antwort ist auf den 10. Februar 385 datiert. Sie ist damit gleichzeitig mit der theodosianischen Apostatengesetzgebung aus den 380ern (Epist. pontif. 255.51–58): Adiectum est etiam quosdam Christianos ad apostasiam, quod dici nefas est, transeuntes et idolorum cultu et sacrificiorum contaminatione profanatos. Quos a Christi corpore et sanguine, quo dudum redempti fuerant renascendo, iubemus abscidi. Et si resipiscentes forte aliquando fuerint ad lamenta conversi, his, quamdiu vivunt, agenda paenitentia est et in ultimo fine suo reconciliationis gratia tribuenda, quia docente domino nolumus mortem peccatoris, sed ut convertatur et vivat. Auch wurde hinzugefügt, dass bestimmte Christen zur »Apostasie« (was in den Mund zu nehmen bereits Frevel ist!) übergelaufen seien und sich durch Verehrung von Götzen und Besudelung mit Opfern entweihten. Wir ordnen an, sie von Christi Leib und Blut – wozu sie bereits seit langer Zeit durch die Taufe erlöst worden waren – auszuschließen. Sollten sie aber doch irgendwann zur Vernunft kommen und zur Wehklage finden, dann müssen sie für den Rest ihres Lebens Pönitenz praktizieren. Ganz am Ende ihres Lebens ist ihnen die Gnade der Rekonziliation zu gewähren, weil wir (mit dem Herrn als Lehrmeister) nicht den Tod des Sünders wünschen, sondern vielmehr, dass er auf den rechten Weg finde und lebe [nach Ez 18:23].

Der römische Bischof diskutiert den wohl ärgsten Fall: Christen, die nicht nur Götzen verehrt, sondern sich tatsächlich mit Opfern »besudelt« haben, und das, obwohl sie schon die Taufe empfangen hatten! Dafür, dass es sich um Renegaten, nicht um Halbchristen handelt, spricht ad … transire; dagegen spricht die Tatsache, dass Siricius die Exkommunikation anordnet (Renegaten würden ja ohnehin nicht teilnehmen wollen), aber dies könnte eine prinzipielle Angelegenheit bzw. eine Vorsichtsmaßnahme des römischen Bischofs sein (der nicht ausschließen kann, dass die Apostaten nicht irgendwann doch zurückkehren wollen, und daher sicherheitshalber den formellen Ausschluss 54 55

Das ist das kirchliche Äquivalent zum Antwortbrief eines römischen Kaisers auf die Anfrage eines Würdenträgers (→ S. 51), vgl. Jasper/Fuhrmann, S. 12–16. Zu diesem Schreiben liegt der ausführliche Kommentar von Hornung 2011 vor.

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verhängt). Das von Siricius verwendete Wort apostasia allein sollte man nicht überinterpretieren, aber es fällt gleichwohl auf, dass es hier – wo es ausnahmsweise einmal Verwendung findet – gemeinsam mit einem Mitglied aus dem Wortfeld »überlaufen« (transire) steht. 56 Dass Siricius die Exkommunikation vorsieht, überrascht also nicht; aber es könnte erstaunen, dass er den Apostaten die Möglichkeit zur Pönitenz mit schließlicher Rekonziliation einräumt – man vergleiche damit die Haltung von Theodosius I., der wenige Jahre später ausdrücklich bestimmen wird, dass Reue die privatrechtlichen Nachteile der Apostasie nicht beseitigt (CTh. 16.7.4 § 1 von 391, → S. 746) und dass Opferungen dem Majestätsverbrechen gleichzustellen seien (CTh. 16.10.12 § 1 von 392). Übrigens unterscheidet sich die Bestrafung durch Siricius gar nicht von der, die regelmäßig gegen opfernde Halbchristen verhängt wird (vgl. z. B. das Konzil von Valentia von 374, → S. 71352). »Leichtere« Fälle (also abgefallene Katechumenen; oder Apostasie ohne Opferungen) kommen in Siricius’ Antwort nicht vor und fehlten damit sicherlich auch in Himerius’ ursprünglichem Schreiben, das sich also nur auf Getaufte bezog, die an Opferungen teilgenommen hatten. Unser zweiter Text entstand um 390. 57 Bischof Otreios von Melitene war verstorben, sein Nachfolger Letoios hatte sich anscheinend unmittelbar nach seiner Einsetzung brieflich an Gregor von Nyssa gewandt und angefragt, wie die Buße in verschiedenen Situationen zu handhaben sei. Gregors Antwort, die sogenannte Epistula canonica, ist nicht unter seinen Briefen, sondern in kirchenrechtlichen Sammlungen überliefert, wo sie in Kanones gegliedert erscheint. Die Passage, die uns interessiert, findet sich am Anfang des ersten Kanons (Greg. Nyss. epist. canon. p. 4.7–16): 58 56

57

58

Der Kommentar von Hornung 2011 zu dieser Stelle (S. 112–119) leidet wie sein späteres Buch unter der Tatsache, dass er ganz unterschiedliche Abweichler (meine Lapsi, Halbchristen und Renegaten) unter das Schlagwort »Apostaten« subsumiert und infolgedessen zahlreiche Belege bunt gemischt zusammenstellt, die auch nach antiker Auffassung zu unterscheidende Kategorien betreffen. Vgl. Silvas, S. 213, die auf sprachliche Phänomene hinweist, die eine Spätdatierung innerhalb Gregors Werk nahelegen; in Nachfolge Fitschens lehnt sie zu Recht eine Frühdatierung einer gewissen Synode auf das Jahr 383 ab, in deren Kontext Letoios (der Empfänger des Briefs) zum ersten Mal erscheint. Hornung, S. 164, setzt die Epistula ins Jahr 383, kennt aber die Arbeit von Silvas nicht und weiß anscheinend auch nicht, dass Fitschen bereits früher der 383-Datierung die Grundlage entzog. Eine annotierte Übersetzung mit Einleitung bietet Silvas (S. 211–225); Hornung, S. 162–166, bespricht den Text ausführlich, aber seine Übersetzung ist unzuverlässig, und wichtige Arbeiten sind ihm entgangen (siehe die unmittelbar vorausgehende Fußnote). Zum Kontext vgl. ferner Mühlenberg.

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apostaten … εἴ τις ἠρνήσατο τὴν εἰς Χριστὸν πίστιν ἢ πρὸς Ἰουδαϊσμὸν ἢ πρὸς εἰδωλο-

λατρίαν ἢ πρὸς Μανιχαϊσμὸν ἢ πρὸς ἄλλο τι τοιοῦτον ἀθεΰας εἶδος αὐτομολήσας ἐφάνη, ὁ μὲν ἑκουσίως ἐπὶ τὸ τοιοῦτον ὁρμήσας κακόν, εἶτα καταγνοὺς ἑαυτοῦ χρόνον τὸν τῆς μετανοίας ἔχει ὅλον τὸν τῆς ζωῆς αὐτοῦ οὐδέποτε γὰρ μυστικῆς ἐπιτελουμένης εὐχῆς μετὰ τοῦ λαοῦ προσκυνῆσαι τὸν θεὸν καταξιοῦται, ἀλλὰ κατὰ μόνας μὲν εὔξεται, τῆς δὲ κοινωνίας τῶν ἁγιασμάτων καθόλου ἀλλότριος ἔσται ἐν δὲ τῇ ὥρᾳ τῆς ἐξόδου αὐτοῦ τότε τῆς τοῦ ἁγιάσματος μερίδος ἀξιωθήσεται, εἰ δὲ συμβαίη παρ’ ἐλπίδα ζῆσαι αὐτόν, πάλιν ἐν τῷ αὐτῷ κρίματι διαβιώσεται, ἀμέτοχος τῶν μυστικῶν ἁγιασμάτων μέχρι τῆς ἐξόδου γινόμενος.

Wenn jemand den Glauben an Christus geleugnet hat und offen zum Judentum, zur Idololatrie, zum Manichäismus oder zu einer anderen derartigen Form von Gottlosigkeit übergelaufen ist, so muss man differenzieren: Wer sich aus freien Stücken in ein solches Unheil gestürzt hat, dann aber selbst das Urteil über sich gesprochen hat, dem ist als Zeit seiner Buße seine ganze Lebensspanne bestimmt. Zu keinem Zeitpunkt wird man ihm erlauben, zusammen mit der Gemeinde bei der Feier der Kommunion Gott zu verehren; vielmehr wird er ganz allein beten. An der Kommunion darf er unter keinen Umständen teilnehmen. Erst in der Stunde seines Todes wird man ihm die Teilnahme an der Kommunion zugestehen. Sollte er aber wider Erwarten 59 dann doch überleben, wird er erneut mit derselben Strafe leben und bis zu seinem Tod nicht an der Kommunion teilnehmen.

Hier geht es fraglos um Apostaten vom Renegatentyp, denn es findet ein Lossagen und ein Überlaufen statt, das zudem freiwillig erfolgt (denn in der hier nicht zitierten Fortsetzung der Passage behandelt Gregor den davon abzugrenzenden Fall, dass jemand mit Folter und Qual zu »Übertretungen« gezwungen wurde). Die Behandlung des reuigen Apostaten entspricht genau der Regelung von Siricius: Er wird exkommuniziert, muss als Pönitent dahinvegetieren und wird erst auf dem Sterbebett wieder zur Kommunion zugelassen (hier freilich mit der Zusatzklausel, dass dieser Abendmahlempfang im Falle unerwarteten Überlebens kein Präjudiz für eine fortgesetzte Zulassung zur Kommunion darstellen darf). Ungewöhnlicherweise führt Gregor das Überlaufen zum Judentum, zur »Idololatrie«, zum Manichäismus oder »zu einer anderen derartigen Form 59

Wörtlich »über die Erwartung hinaus … leben«; missverstanden bei Hornung, S. 163: »Wenn aber einer außerhalb der Hoffnung lebt, soll er wiederum unter demselben Urteil leben und bis zu seinem Lebensende von den mystischen Sakramenten ausgeschlossen sein«, sowie S. 165: »Lediglich am Lebensende kann der getaufte Gläubige ebenso wie der abgefallene Katechumene (παρ’ ἐλπίδα ζῆσαι) die Eucharistie … empfangen«.

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von Gottlosigkeit« getrennt auf. Die ersten drei Gruppen erscheinen in CTh. 16.7.3 von 383 (→ S. 727); doch dies ist ein westliches Gesetz, das mit Sicherheit den kappadokischen Kirchenvater nicht beeinflusst hat. Eigentlich kann ein Christ nur zum Judentum und zum Heidentum hin abfallen, denn das Heidentum ist ja bereits eine Sammelkategorie für alle Glaubensformen außer Christentum und Judentum. 60 Bei aller Abneigung gegen Manichäer ist es atypisch, sie nicht unter Christen zu subsumieren (→ S. 41112). Dass das Verleugnen von Christus die Vorstufe zum Manichäerwerden sei – wie Gregor hier impliziert –, ist sachlich falsch und reine Polemik (denn Manichäer sahen sich selbst als die einzig rechtgläubigen Christen). Und selbst wenn wir akzeptieren, dass man nach Gregor und CTh. 16.7.3 (weitere einschlägige Quellen kenne ich nicht) Manichäerapostat werden kann, stellt sich immer noch die Frage, was »andere derartige Formen von Gottlosigkeit« sein könnten. Andere Häresien, die Gregor besonders problematisch erscheinen? 61 Oder Gruppen, die man mit Manichäern mitunter identifizierte? 62 Die dritte Passage ist eine sehr knappe Regelung im Breviarium Hipponense, einer Kurzfassung der Beschlüsse einer Synode von 393 in Hippo, die vier Jahre später, also 397, von einer Synode in Karthago bestätigt wurden (Conc. Afr. p. 42.187 f.): Ut scenicis vel apostaticis conversis vel reversis ad dominum gratia vel reconciliatio non negetur. Zum Herrn konvertierten Schauspielern bzw. zum Herrn zurückgekehrten Apostaten soll die Gnade bzw. die Rekonziliation nicht verweigert werden.

Abgesehen von Bestätigungen genau dieser Bestimmung finden sich in der gesamten umfangreichen Sammlung der afrikanischen Konzilien keine weiteren Regelungen zur Apostasie, und selbst diese Vorschrift erstaunt durch ihre Kürze, die den Apostaten nicht einmal einen von den Schauspielern getrennten Kanon vergönnt. Mehr noch: Es wird nichts über die Schwere des Abfalls (Handelt es sich um Getaufte? Worin genau bestand die Apostasie?) gesagt, und es ist auch unklar, ob (und wie viel) Pönitenz vor der Rekonziliation notwendig war. Sehr virulent scheint das Thema für die afrikanischen Bischöfe jedenfalls nicht gewesen zu sein. Immerhin sollte das Wort reversus

60 61 62

Dieses Schema beschreibt die Situation ganz gut, deckt freilich Sonderfälle (etwa Samaritaner, die bald unter Juden subsumiert werden, bald allein stehen) nicht ab. Möglicherweise die Eunomianer (→ S. 6875)? Aber was würde ihn davon abhalten, sie einfach beim Namen zu nennen? Etwa die asketischen Sekten (Enkratiten usw., → S. 447).

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zeigen, dass es in der Tat um Renegaten geht, die sich erst losgesagt haben (bevor sie »zurückkehrten«). Ansonsten sehe ich nur noch ein Zeugnis aus dem Untersuchungszeitraum, das sich auf Apostaten vom Renegatentyp bezieht. Am 13. Dezember 414 beantwortet Innozenz I. die Anfrage mehrerer makedonischer Bischöfe, wie mit Klerikern zu verfahren sei, die vom als Häretiker verurteilten Bischof Bonosos geweiht worden waren (Cowdrey, S. 464–467). Innozenz I. diskutiert diese Frage ausführlich. Zunächst stellt er als Ausgangspunkt die Situation hinsichtlich der Taufe dar: Wurde diese von einem Häretiker gespendet, dann ist sie – sofern mit der triadischen Formel vollzogen – gleichwohl aus katholischer Sicht gültig und darf nicht wiederholt werden (→ S. 498). Innozenz fragt weiter: Lässt sich dieser Gedanke analog auf Priesterweihen übertragen (Epist. pontif. 303 Migne 56.511A)? Si quis vero de catholica ad haeresim transiens aut fidelis ad apostasiam reversus resipiscens redire voluerit, numquid eadem ratione poterit ad clerum permitti, cuius commissum non nisi longa poenitentia poterit aboleri? Nec post poenitentiam clericum fieri ipsi canones sua auctoritate permittunt. Wenn aber jemand von der katholischen Kirche zu einer Häresie übertrat oder ein Getaufter [fidelis] zur Apostasie schritt 63 und sich nun eines Besseren besinnt und zurückkehren will – könnte man etwa so jemanden (dessen Vergehen nur durch lange Pönitenz beseitigt werden kann) derselben Logik folgend zum Klerus zulassen? Nein – es sind die Kanones selbst mit all ihrer Autorität, die nicht zulassen, dass so einer nach erfolgter Pönitenz Kleriker werden kann.

Wohlgemerkt: Hier wird keine Regelung zum Umgang mit Apostaten getroffen, sondern Innozenz I. argumentiert ganz juristisch unter Heranziehung möglicherweise vergleichbarer, rechtlich bereits verbindlich geregelter Fälle, wie mit den vom Häretiker Bonosos ordinierten Klerikern umzugehen sei. Der Übertritt zu einer Häresie und der freiwillige (resipiscens redire, d. h., nicht Gewalt, sondern Verblendung brachte ihn zum Weggang) Abfall eines Getauften (das sollte fidelis hier bedeuten) 64 zum Heidentum hin (anders kann die Apostasie hier nicht aufgefasst werden, denn es handelt sich ja um

63

64

Der Ausdruck ad apostasiam reversus ist problematisch; die handschriftlich belegte Variante ab apostasia revertens löst die Schwierigkeit, steht aber unter dem Verdacht der Banalisierung. Vielleicht liegt die Kontamination zweier Gedanken vor (»zum Heidentum zurückkehren« sowie »zur Apostasie schreiten«). Für den Sprachgebrauch vgl. → S. 72470; zudem sollte im Jahr 414 der Taufaufschub (und damit das Katechumenat) nicht mehr die einstige Bedeutung besessen haben.

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eine Alternative zum Übertritt zu einer Häresie, ist also selbst kein Schimpfwort für Häresie) werden hier bemerkenswerterweise in einem Atemzug genannt. Worin dieser Abfall besteht (Tieropfer? Oder unspezifisch Idololatrie?) wird nicht einmal angedeutet. Dass die durch Apostasie auf sich geladene Schuld per Pönitenz abwaschbar ist, entspricht zwar der Regelung der Siricius-Dekretale – doch bei Siricius findet die Rekonziliation allenfalls auf dem Sterbebett statt, sodass sich die Frage einer möglichen Priesterweihe nicht stellt. Innozenz kann sich dagegen zumindest im Rahmen der Argumentationskette vorstellen, dass »so einer« die Buße erfolgreich abschließt und theoretisch ordinierbar wäre. Allerdings ist das Beispiel bewusst absurd formuliert: Ex-Pönitenten wurden, zumindest in dieser Zeit, gar nicht zum Klerus zugelassen, 65 und zwar unabhängig von dem Vergehen, das sie zur Buße zwang; wenn Innozenz hier einen abtrünnigen Getauften als möglichen Kleriker nennt, dann ist dies eine Reductio ad absurdum. Dies beschließt auch schon unsere Durchsicht der kontemporären Quellen zu Apostaten vom Renegatentyp aus der Zeit der CTh.-Fragmente (381– 428). Es fällt auf, wie spärlich die Quellen sind – wie anders stellt sich die Situation bei den Gruppen der Manichäer, Donatisten und Eunomianer dar, über die wir so viel wissen, und zwar sowohl aus der Sicht ihrer Gegner als auch (bis zu einem gewissen Grade) aus der Innenperspektive! Namentlich kennen wir für die Zeit nach 381 überhaupt nur zwei Apostaten, die freilich enigmatisch bleiben. Man braucht nicht daran zu zweifeln, dass es weitere Fälle gab, die mitunter nichtopportunistischer Natur waren – so hat ja die Anfrage bei Siricius einen realen spanischen Hintergrund. Trotzdem lässt sich das Ungleichgewicht zwischen den wenigen außerjuristischen Belegen einerseits und dem eigenen Titel CTh. 16.7 andererseits nicht wegdiskutieren. Wenn sich die Konstitutionen also kaum in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext verankern lassen, bleibt nichts anderes übrig, als durch sorgfältige Interpretation möglichst viel aus ihnen selbst abzuleiten.

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Saint-Roch, S. 41–43. Der geografisch und chronologisch nächste Beleg findet sich im Siricius-Brief (Epist. pontif. 255.196 f., et post paenitudinem ac reconciliationem nulli umquam laico liceat honorem clericatus adipisci, »selbst nach erfolgter Pönitenz und Rekonziliation soll es keinem Laien je erlaubt sein, die Ehrenstellung des Klerus zu erreichen«), vgl. Hornung 2011, S. 235–243.

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CTh. 16.7.1 [2. Mai 381] Imppp. Gratianus, Valentinianus et Theodosius AAA. ad Eutropium ppo. His, qui ex Christianis pagani facti sunt, eripiatur facultas iusque testandi et omne defuncti, si quod est, testamentum submota conditione rescindatur. Dat. VI non. Mai. Constantinopoli Syagrio et Eucherio conss. Die Kaiser Gratian, Valentinian und Theodosius an den Prätoriumspräfekten Eutrop: Denjenigen, die von Christen zu Heiden wurden, soll Befugnis und Recht 66 zum Testieren entrissen werden. Jedes Testament eines Verstorbenen, sofern es eines gibt, soll unter Annullierung der Errichtung aufgehoben werden. Abgeschickt am 6. Tag vor den Nonen des Mai in Konstantinopel unter dem Konsulat von Syagrius und Eucherius. [2. Mai 381]

Die außerordentliche Kürze des Fragments lässt sich eigentlich nur dadurch plausibel erklären, dass der Entscheidung ein konkreter, an den Kaiser herangetragener Einzelfall zugrunde lag. Eine mögliche Rekonstruktion wäre: Potenzielle Intestaterben (offensichtlich christliche, sonst hätten sie kaum kaiserliche Unterstützung gefunden) beschwerten sich über das Testament eines bereits verstorbenen Verwandten, durch das sie leer ausgingen. Anscheinend war an der Gültigkeit des Testaments an sich nichts auszusetzen, sodass der einzige Hebel, der den Intestaterben noch verblieb, eine Eingabe beim Kaiser war (für einen vergleichbaren dokumentierten Fall vgl. → S. 531); darin argumentierte man mit dem Glaubensverrat des verstorbenen Verwandten. Der Kaiser annullierte das Testament nachträglich und ließ diesen Einzelfall weithin als allgemeines Gesetz publizieren, um so zu demonstrieren, was Apostaten zu erwarten hatten. Das Fragment enthält keinerlei Regelung für den Nachlass: Die Frage, ob das Vermögen des Toten im Intestaterbgang vererbt oder aber als kaduk an die kaiserliche Kasse fallen soll, bleibt offen. Doch 66

Die Junktur facultas iusque ist ansonsten unbelegt. Es handelt sich um Synonymenhäufung, d. h., es liegt kein inhaltlicher Unterschied zwischen facultas (Heumann/ Seckel s. v. 2, vgl. Mod. D. 28.1.19, testamenti faciendi facultatem) und ius (Heumann/Seckel s. v. 2b, vgl. Gai. D. 28.1.6 pr., testamenti faciendi ius) vor. Die Formulierung erklärt sich metrisch: Mit testandi am Ende kann – unter den bevorzugten Klauseln (→ S. 233350) – überhaupt nur Kretikus-Spondeus hergestellt werden. Dafür ist aber eine unmittelbar vorausgehende Brevis notwendig, die sich weder mit facultas noch mit ius schaffen lässt. Sie wird daher mit dem -que erzeugt; zusammen mit ius entsteht so die gewünschte Klausel Kretikus-Spondeus: iusque testandi.

cth. 16.7.1 [2. mai 381]

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ohne Bestimmung muss das Regelmäßige eintreten, nämlich der Intestaterbgang, und damit stützt auch diese Auslassung meine Rekonstruktion: Es muss gar nicht gesagt werden, was mit dem Nachlass geschieht, denn billigt der Kaiser eine Eingabe von Intestaterben, versteht sich, dass es nicht zur Konfiskation kommt. Ob die Abgefallenen getauft sein müssen oder ob das Katechumenat für die Erfüllung des Tatbestands ausreicht, kann offen bleiben (sie werden nur als Christiani charakterisiert), weil es zunächst ja nur um einen konkreten Fall (wie immer der beschaffen war) ging. Auf dieselbe Weise muss man die vielleicht erstaunlichste aller Auslassungen erklären: CTh. 16.7.1 bietet keine Regelung der beabsichtigten Rückwirkung. Während das fast zeitgleiche Manichäergesetz CTh. 16.5.7 die Rückwirkung bis zu einem Stichjahr breit rechtfertigt (→ S. 442) und das spätere Eunomianergesetz CTh. 16.5.17 (das auch von Kaiser Theodosius I. stammt) seine Gültigkeit unzweideutig auf noch nicht verstorbene Erblasser beschränkt (→ S. 636, circa omnes, quos vivos lex invenerit), Altfälle mithin nicht betroffen sind, bleibt bei CTh. 16.7.1 in dieser Hinsicht alles offen. Einerseits wird das Testament eines defunctus erwähnt – es kann also nicht nur um künftige Fälle gehen. Andererseits fehlt jede Rechtfertigung der ungewöhnlichen Rückwirkung (die ja in CTh. 16.5.7 so breiten Raum einnimmt), und es wird auch kein Stichjahr angegeben. Theodosius I. hat also wohl kaum intendiert, ein Gesetz mit retroaktiver Geltung zu schaffen. Im Kontext des Einzelfalls stellte sich diese Frage ohnehin nicht, und als man dessen Regelung in irgendeiner Form als generalis auswies und breit publizierte, übersah man die offensichtliche Reaktion findiger Anwälte, nämlich die Konstitution auch für sehr lange zurückliegende Erbfälle vorzulegen. Dass es tatsächlich so kam, zeigt CTh. 16.7.3 (→ S. 460). Es ist also grundsätzlich auch das Testament eines bereits Verstorbenen von dem neuen Gesetz betroffen, und das, obwohl es zuvor korrekt errichtet worden ist. 67 Dies wiederum weist auf die konkreten Parameter der Entschei67

Der Ausdruck submota conditione wurde sehr unterschiedlich aufgefasst. Die Übersetzungen geben ihm einen untechnischen Sinn (Pharr, S. 465: »by the annulment of its foundation«; Delmaire I, S. 355: »l’acte étant annulé«, Magnou-Nortier, S. 313: »avec annulation des stipulations«). Godefroy (Gothofredus, S. 225) schreibt: »submota conditione, id est, (ut equidem accipio) nulla distinctione facta testantis, nulla eius, in cuius favorem testamentum conditur«, was er im Weiteren so erklärt, dass es irrelevant sei, ob der Apostat getauft oder nur Katechumene sei, ob der testamentarisch Begünstigte nun verwandt sei (oder nicht), selbst Apostat sei (oder nicht); kurz, Godefroy versteht submota conditione i. S. v. »ohne Bedingung hinsichtlich der Person von Erblasser und Erben«. Laut Baccari (1981, S. 555) »non sembra da dubi-

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dung hin und demonstriert die große Bedeutung, die einer Testamentserrichtung zukommt (→ S. 268). Es ist nämlich keineswegs selbstverständlich, dass das Eintreten eines Testierverbots automatisch ein bereits korrekt errichtetes Testament entwertet. 68 Insofern versteht sich gut, dass der Kaiser in seiner Antwort explizit darauf eingeht – nicht, dass der urteilende Richter sonst zu einer anderen Entscheidung gelangt. Ich stelle mir die ursprüngliche Konstitution ähnlich vor wie die Novellen von 446 (→ S. 643): Ein Spezialfall wird lang und breit erörtert, der Kaiser trifft eine Entscheidung, sagt in einem kurzen Satz, dass diese jetzt überhaupt gelten soll, und gibt den Auftrag, das Gesetz überall anzuschlagen (was bewirkt, dass es später, bei der CTh.-Kompilation, exzerpiert wird). Schwer erklärlich beim vorliegenden Fragment ist das Datum, das als 2. Mai 381 überliefert ist und das an sich konsistent zu den weiteren Angaben ist (d. h., Kaiser, Empfänger, Ort passen allesamt zu dieser Angabe). Das Problem besteht im Datum des ausführlichen Manichäergesetzes CTh. 16.5.7, das wir bereits im Einzelnen besprochen haben, denn es ist auf den 8. Mai desselben Jahres, also auf weniger als eine Woche später, datiert (→ S. 437). CTh. 16.7.1 und CTh. 16.5.7 sind die allerersten Gesetze, die erbrechtliche Sanktionen gegen Heterodoxe verhängen; da mag man doch kaum an einen Zufall glauben, wenn diese Gesetze innerhalb von sechs Tagen ergehen. Nun

68

tare«, dass sich conditio auf den Personenstatus des Apostaten beziehe. Auch schlägt sie, wenn auch zögerlicher, vor, es könne dabei um den Verlust des ius Romanum gehen (Baccari 1981, S. 557 Anm. 64). Tatsächlich ist testamentum (und nicht »die Apostaten«) das Subjekt des betreffenden Satzes; und testamentum condere ist eine vielfach belegte Junktur für das Errichten eines Testaments. Nicht ganz verstehe ich Delmaires (I, S. 355 Anm. 4) Bemerkung, Mommsens »Korrektur« von condicione zu conditione sei »inutilement« erfolgt: Erstens sind derlei Orthographica keine Korrekturen; zweitens übersetzt doch Delmaire selbst »l’acte«, damit also conditio von condere, nicht condicio von condicere. Vgl. Gai. D. 28.1.6.1, Surdus mutus testamentum facere non possunt: sed si quis post testamentum factum valetudine aut quolibet alio casu mutus aut surdus esse coeperit, ratum nihilo minus permanet testamentum, »Ein Tauber oder ein Stummer kann kein Testament errichten. Wenn aber jemand nach der Testamentserrichtung aufgrund einer Krankheit oder irgendeines anderen Schicksalsschlags die Stimme oder das Gehör verliert, bleibt sein Testament nichtsdestoweniger gültig«; oder der Fall des entmündigten Verschwenders Ulp. D. 28.1.18 pr., … testamentum facere non potest et, si fecerit, ipso iure non valet: quod tamen interdictione vetustius habuerit testamentum, hoc valebit, »Er … kann kein Testament errichten, und wenn er es doch tut, ist es ipso iure ungültig. Wenn er aber ein Testament hat, das älter als die Entmündigung [interdictio] ist, dann ist dieses gültig«.

cth. 16.7.1 [2. mai 381]

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enthält das umfangreiche Manichäergesetz so detaillierte Regelungen, dass wenig auf ein Gelegenheitsgesetz hinweist. Hier dürfte der Kaiser tatsächlich gestalten, wofür es im Fall dieser Heterodoxengruppe auch einen guten Grund gab (→ S. 492). Aber wie will man dies mit dem dürren Apostatengesetz CTh. 16.7.1 zusammenbringen, das anscheinend nur wenige Tage zuvor entstand und dabei so vieles (etwa Umgehungsversuche, Intestaterbgang, mögliche Erben, Erben durch Apostaten) ungeregelt lässt? Mehrfach wurde vorgeschlagen, in CTh. 16.7.1 und CTh. 16.5.7 Fragmente desselben Gesetzes zu sehen, die aufgrund der verschiedenen sanktionierten Gruppen in unterschiedliche CTh.-Titel eingeordnet wurden. 69 Die divergierende Datierung müsste sich dann durch einen Überlieferungsfehler erklären, wie man ihn angesichts der zahllosen derartigen Versehen im Codex Theodosianus nie ausschließen kann. Aber wenn wir uns vorstellen wollen, dass beide Texte zusammengehören, dann würden Apostaten gegenüber Manichäern absichtlich privilegiert (weil all die anderen Regelungen für sie nicht gelten); auch wäre es doch unökonomisch, in demselben Gesetz im Grundsatz dieselbe Strafe für zwei verschiedene Gruppen zu verhängen, dies aber in unterschiedlichen Absätzen zu tun, anstatt einfach gleich von Anfang an die Regelung für Manichäer und Apostaten geltend zu erklären (vgl. etwa, als ein Beispiel von vielen, CTh. 16.5.40 gegen Manichäer und Montanisten, → S. 471). Diese Variante sollte man also eher ausschließen. Handelt es sich vielleicht nur um einen Zufall, dass fast gleichzeitig erbrechtliche Sanktionen gegen verschiedene Gruppen entstanden, einmal auf eine Anfrage hin, einmal als gestaltende Regelung? Oder brachte die Apostatenanfrage die kaiserliche Zentrale erst auf die Idee, die Manichäer mit erbrechtlichen Sanktionen zu bekämpfen? Ist vielleicht doch das Datum eines der beiden Gesetze falsch überliefert, sodass sie chronologisch weiter auseinander gehören, als uns erscheint? Übrigens spricht wenig dafür, einen Zusammenhang zwischen einerseits den erbrechtlichen Sanktionen gegen Apostaten und Manichäer und andererseits der Bischofsversammlung herzustellen, die just irgendwann im Mai 381 zu Konstantinopel zusammentrat und die wir im Nachgang als das Zweite Ökumenische Konzil kennen. Denn dort wurde zwar eine Reihe von heterodoxen Gruppen verdammt, aber ausgerechnet weder Manichäer noch Apo69

Die Idee, dass CTh. 16.5.7 und CTh. 16.7.1 Teile desselben Texts sind, stammt ursprünglich von Godefroy (Gothofredus, S. 225). Einige folgen ihm darin, allerdings zögerlich: Rauschen (S. 90 mit Anm. 4): »vielleicht«; Baccari (1981, S. 552 mit Anm. 48): »ipotesi da ritenere tutt’altro che infondata«.

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apostaten

staten, die nach allem, was wir wissen, für die versammelten Bischöfe kein wesentliches Thema darstellten (→ S. 437).

CTh. 16.7.2 [20. Mai 383] Idem AAA. Postumiano ppo. Christianis ac fidelibus, qui ad paganos ritus cultusque migrarunt, omnem in quamcumque personam testamenti condendi interdicimus potestatem, ut sint absque iure Romano. 1. His vero, qui Christiani et catechumeni tantum venerabili religione neglecta ad aras et templa transierint, †…† filios vel fratres germanos habebunt, hoc est aut suam aut legitimam successionem, testandi arbitratu proprio in quaslibet alias personas ius adimatur, 2. pari et circa eorum personas in capiendo custodienda forma, ut praeter suas et legitimas, quae isdem ex parentum vel germanorum fratrum bonis pervenire potuerint, successiones, iudicio etiam, si ita res ferent, conditae voluntatis nulla omnino in capiendis hereditatibus testamenti iura sibi vindicent et †…† indubitate ab omni testamentorum debeant non solum condendorum, sed etiam sub adipiscendae pontificio hereditatis usurpandorum potestate excludi. Dat. XIII kal. Iun. Constantinopoli Merobaude II et Saturnino conss. Dieselben drei Kaiser [Gratian, Valentinian und Theodosius] an den Prätoriumspräfekten Postumian: Getauften Christen, 70 die zu paganen Riten und Kulten übergegangen sind, untersagen wir jede Möglichkeit der Testamentserrichtung zugunsten ganz gleich welcher Person, sodass sie ohne römisches Recht dastehen. 1. Denjenigen aber, die lediglich als Christen im Katechumenenstand unter Missachtung der ehrwürdigen Religion zu den Altären und Tempel überlaufen, soll das Recht genommen werden, nach eigenem Gutdünken beliebige andere Personen im Testament zu bedenken, […] sie Abkömmlinge oder vaterblütige Geschwister haben, d. h. Hauserben oder gesetzliche Erben. 2. Dabei ist dieselbe Regel hinsichtlich dieser Personen auch beim Erwerb einzuhalten, sodass sie neben Haus- und gesetzlichen Erbschaften, die ihnen aus dem Vermögen ihrer Aszendenten oder vaterblütigen Geschwister zukommen können, überhaupt keine testamentarischen Rechte beim Erwerb von Erbschaf-

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Zu fidelis i. S. v. »getauft« vgl. ThLL 6.1.657.80–82 (fidelis als Gegenbegriff zu catechumenus) sowie v. a. Yarnold mit einer Diskussion zahlreicher Stellen (einschließlich der griechischen Parallelbegriffe).

cth. 16.7.2 [20. mai 383]

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ten beanspruchen können, also nicht einmal – sollte diese Situation vorliegen – nach Maßgabe eines [bereits früher] errichteten Testaments. […] Damit es keine Zweifel gibt: Sie [die getauften Apostaten] müssen nicht nur von jeder Möglichkeit der Testamentserrichtung ausgeschlossen sein, sondern auch von jeder Möglichkeit, sich missbräuchlich auf Testamente zu berufen hinsichtlich des Rechts des Erwerbs einer Erbschaft. Abgeschickt am 13. Tag vor den Kalenden des Juni in Konstantinopel unter dem Konsulat von Merobaudes (zum 2. Mal) und Saturninus. [20. Mai 383]

CTh. 16.7.2 bereitet größere Verständnisschwierigkeiten als irgendein anderer Text in diesem Buch. Dabei ist der Inhalt im Prinzip klar: Getaufte Apostaten verlieren das Testierrecht ganz. 71 Dagegen dürfen ungetaufte Apostaten zwar ein Testament errichten, darin aber nur bestimmte, sehr nahe Verwandte (sui, vaterblütige Geschwister) bedenken. § 1 weist eine Lücke auf, die man seit Cujas mit si füllt; danach hinge (absurderweise) die Einschränkung der Testierfreiheit des Katechumenen von der Existenz dieser Verwandten ab. Entweder hat man also die Konstitution sehr nachlässig formuliert oder die Ergänzung ist falsch. Freilich drängt sich keine Alternative auf, die zu einem klaren Text führen würde. Noch merkwürdiger ist § 2 in der Version, die sich in allen Ausgaben findet: Für dieselben ungetauften Apostaten (aber anscheinend nur für diese, nicht für die getauften!) gibt es Einschränkungen der Erbfähigkeit aus Testament: Testamentarisch können sie ebenfalls nur aus Testamenten erben, die von sehr nahen Personen (Aszendenten, vaterblütigen Geschwistern) errichtet wurden. So weit, so gut – aber im letzten Satz wird dann »zur Klarstellung« ganz ausdrücklich erklärt, dass sie (also die Katechumenen?) gar kein Testament errichten und gar nicht aus Testament erben dürfen! Der zweite Teil von § 2 kann sich inhaltlich nur auf die im Principium genannten getauften Apostaten beziehen: Sie sind es, die keinesfalls ein Testament errichten können. Wenn bei den Katechumenen das testamentarische Erben und Vererben jeweils auf einen sehr engen Personenkreis beschränkt wird, dann ist es nur folgerichtig, wenn bei den getauften Apostaten (symmetrisch zum Testierverbot) gar kein testamentarisches Erben erlaubt ist. Daher nehme ich eine weitere Lücke in § 2 an. Die Gruppen, die vom abgefallenen Katechumenen testamentarisch erben dürfen, sind die Hauserben (sui) und Consanguinei (hier germani ge-

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Das »römische Recht« meint regelmäßig (nur) das Testierrecht (→ S. 260), der Gliedsatz enthält also keine zusätzliche Information.

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apostaten

nannt); 72 dies sind Begrifflichkeiten des Intestaterbrechts. Auf das Intestaterbrecht verweisen auch die Formulierungen hoc est aut suam aut legitimam successionem sowie sua aut legitima successio. Trotzdem macht der Kontext (sowie die weitere Apostatengesetzgebung, die nie aufs Intestaterbrecht rekurriert) klar, dass es nur um Verbote im Zusammenhang mit dem testamentarischen Erben und Vererben gehen kann. Dem Intestaterbgang gilt im Fall der Apostaten nicht das Interesse des Gesetzgebers: Anders als bei den Manichäern (bei denen es eindeutige Verbote gibt) und den Eunomianern (denen der Intestaterbgang ausdrücklich erlaubt bleibt), ist die Situation bei den Apostaten (jedenfalls vor CTh. 16.7.7) unklar. Offenbar sollen abgefallene Katechumenen bis zu einem gewissen Grad gegenüber Taufverrätern privilegiert werden, 73 weswegen man ihnen ein begrenztes Testieren (vgl. → S. 749) bzw. Erben aus Testament zugesteht. Beides erstreckt sich jeweils nur auf wenige Personen, mit denen typischerweise auch die Vererbung im Intestaterbgang stattfinden würde. Mit anderen Worten: Was dem Katechumenen verbleibt, ist also ein begrenztes Gestaltungsvermögen hinsichtlich der Aufteilung seines Nachlasses (vgl. dagegen den 72

73

Vgl. Paul. sent. 4.8.3, Intestatorum hereditas lege duodecim tabularum primum suis heredibus, deinde agnatis et aliquando quoque gentilibus deferebatur. Sane consanguinei, quos lex non apprehenderat, interpretatione prudentium primum inter agnatos locum acceperunt, »Der Nachlass von Testamentlosen wurde nach dem Zwölftafelgesetz zuerst den Hauserben, dann den Agnaten und schließlich den Gentilen angetragen. Freilich erhielten infolge der Meinung der Rechtsgelehrten die Consanguinei, die das Zwölftafelgesetz nicht [explizit] erwähnt hatte, den ersten Platz unter den Agnaten«, sowie Paul. sent. 4.8.15, Consanguinei sunt eodem patre nati, licet diversis matribus, qui in potestate fuerunt mortis tempore, »Consanguinei sind Kinder vom selben Vater – wenn auch [möglicherweise] von verschiedenen Müttern –, die sich im Zeitpunkt seines Todes in seiner potestas befanden«. Vgl. ferner Paul. sent. 4.8.13 sowie Epit. Gai 2.8.3. Irrig vergleicht De Giovanni (S. 106, gefolgt von Hornung, S. 266 Anm. 645) die Kanones 2 und 4 von Elvira (die nach Meigne zu den ursprünglichen Kanones und damit in die Zeit um 300 gehören) und behauptet, dass auch dort Getauften schärfere Strafen für Apostasie drohen als Ungetauften. Zwar bestimmt Kanon 2 (Conc. Ilib. p. 242.150–154), dass Flamines, die nach der Taufe opfern, nicht einmal mehr auf dem Sterbebett die Kommunion empfangen dürfen. Kanon 4 (Conc. Ilib. p. 243.162– 165) hingegen legt keine Strafe für opfernde Katechumenen fest, sondern definiert, nach wie vielen Jahren die Taufe eines Flamen, der in den Katechumenstand tritt, erfolgen kann (unter der naheliegenden Voraussetzung, dass zwischenzeitlich keine Opferungen stattfinden): Item flamines si fuerint catechumeni et se a sacrificiis abstinuerint, post triennii tempora placuit ad baptismum admitti debere, »Ferner: Flamines, die Katechumenen sind und sich von Opfern fernhalten, muss man nach drei Jahren – so wurde beschlossen – zur Taufe zulassen«.

cth. 16.7.3 [21. mai 383]

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Fall des Donatisten, der sich darüber grämt, dass er seinen Kindern nicht nach Belieben Erbanteile zumessen kann: → S. 592), nicht aber die Möglichkeit, frei sein Vermögen zu vererben oder beliebig von Erbschaften zu profitieren. Das vorliegende Gesetz spielt alle Konstellationen durch, sodass es nicht möglich ist, eine auslösende Anfrage zu rekonstruieren. Sofern eine solche überhaupt zugrunde lag, hatte sie fraglos mit einem abgefallenen Katechumenen zu tun. Es bleibt unklar, wie der besonders sprunghafte und bei wörtlicher Auffassung absurde Wortlaut von CTh. 16.7.2 zu erklären ist. Man hat wohl mit Überlieferungsschäden zu rechnen: Für Kompilatorenversehen sind die textlichen Probleme zu schwerwiegend, und zudem steht für diese Konstitution nur ein einziger Textzeuge (E) zur Verfügung, der bekanntermaßen tückisch ist (→ S. 175269). Der Intestaterbgang bleibt bei Apostaten unreguliert, was sich auch in den folgenden Konstitutionen so fortsetzen wird. Eine massive Verschärfung stellen hingegen die Eingriffe in die Erbfähigkeit aus Testament dar, die manchen Apostaten möglicherweise mehr schmerzten als das Testierverbot.

CTh. 16.7.3 [21. Mai 383] Idem AAA. ad Hypatium ppo. Christianorum ad aras et templa migrantium negata testandi licentia vindicamus admissum. Eorum quoque flagitia puniantur, qui Christianae religionis et nominis dignitate neglecta Iudaicis semet polluere contagiis. Eos vero, qui Manichaeorum nefanda secreta et scelerosos aliquando sectari maluere secessus, ea iugiter atque perpetuo poena comitetur, quam vel divalis arbitrii genitor Valentinianus adscripsit vel Nostra nihilo minus saepius decreta iusserunt. Auctores vero persuasionis huius, qui lubricas mentes in proprium deflexerant consortium, eadem quae 74 reos erroris huiuscemodi poena comitetur, quin etiam graviora plerumque pro motibus iudicum et qualitate commissi extra ordinem promi in nefarios sceleris huius artifices supplicia censemus. 1. Sed ne vel mortuos perpetua vexet criminationis iniuria vel hereditariae quaestiones temporum varietate longorum prorsus emortuae in redivivos semper agitentur conflictus, huiuscemodi quaestionibus metam temporis adscribimus, ut, 74

Mommsen schreibt eademque (eine spätantike Form in der Bedeutung eadem; vgl. Hofmann/Szantyr, S. 188 e β sowie ThLL 7.1.206.62–66), was angesichts des Mangels an Parallelen in den Konstitutionen nicht überzeugt. Tatsächlich ist die Annahme einer Syllepse (insbesondere bei einem Relativsatz nach einer Form von idem) ganz unproblematisch.

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apostaten si quis defunctum violatae atque desertae Christianae religionis accusat eumque in sacrilegia templorum vel in ritus Iudaicos vel ad Manichaeorum dedecus transisse contendit eaque gratia testari minime potuisse confirmat, intra quinquennium iuge, quod inofficiosis actionibus constitutum est, proprias exserat actiones futurique iudicii huiuscemodi sortiatur exordium, ut eodem in luce durante, cuius praevaricatio criminanda est, flagitii huius et sceleris reprehensor 75 fuisse doceatur. Publica sub testificatione testatus probet indicium. Neque enim eam superno numini 76 tacitus praestitisse perfidiam sceleribus adquiescens praevaricationem deinceps tamquam ignarus accuset. Dat. XII kal. iun. Patavi Merobaude II et Saturnino conss. Dieselben drei Kaiser [Gratian, Valentinian und Theodosius] an den Prätoriumspräfekten Hypatius: Das Verbrechen der Christen, die zu den Altären und Tempeln überlaufen, bestrafen wir [bereits], indem wir ihnen die Möglichkeit verweigern, ein Testament zu errichten. Es sollen auch [nunmehr] die Vergehen derjenigen bestraft werden, die sich unter Missachtung der Würde der christlichen Religion und Gemeinschaft mit der jüdischen Verpestung besudeln. Diejenigen schließlich, die irgendwann einmal dem Aufsuchen der frevelhaften Geheimtreffs und verruchten Schlupfwinkel der Manichäer den Vorzug gegeben haben, möge auf immer und ewig diejenige Strafe treffen, die Valentinian, Unser Vater von kaiserlichem Ratschluss, festsetzte und 77 Unsere Gesetze um nichts seltener bestimmten. Die Verantwortlichen für eine solche Konvertierung, die leicht beeinflussbare Naturen zur Gemeinschaft mit sich verführten, soll dieselbe Strafe treffen wie Leute, die sich eines solchen Frevels schuldig gemacht haben. Mehr noch, wir ordnen sogar an, dass regelmäßig schwerere Bestrafungen (nach Ermessen der Richter und Qualität der Schandtat) im außerordentlichen Verfahren gegen die ruchlosen Urheber dieses Gräuels verhängt werden. 1. Aber damit nicht der [potenzielle] Schaden einer Beschuldigung die Toten auf ewig quäle und Erbschaftsstreitigkeiten, die infolge der jeweiligen Verjährungsfristen [bereits] gänzlich zur endgültigen Ruhe gelangt sind, auf immer und ewig zu neuen Konflikten auflodern können, legen wir eine Frist für derartige Prozesse fest: Wenn jemand einen Verstorbenen wegen Entehrung der

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76 77

Nur E (→ S. 175269) überliefert das Ende dieses Fragments; der Text ist verderbt und kann nur durch Änderungen (approximativ) verständlich gemacht werden. reprehensor ist ein zögerlicher Vorschlag Mommsens (»vel tale quid«) für das überlieferte praesens. Überliefert: nomine. Auch dieser Satz ist von Überlieferungsproblemen betroffen, die Übersetzung sollte gleichwohl den ungefähren Inhalt wiedergeben. Das disjunktive Paar vel – vel in kopulativer Bedeutung (»sowohl … als auch«) ist spätantik weithin belegt, vgl. Hofmann/Szantyr, S. 502 d.

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und Abfall von der christlichen Religion anklagt sowie vorträgt, er sei zu den Freveln der Tempel oder zu den jüdischen Riten oder zur Schande der Manichäer übergetreten, und behauptet, dieser hätte infolgedessen gar kein Testament errichten können, soll er während der Frist von fünf zusammenhängenden Jahren, die für Klagen wegen pflichtwidriger Testamente festgelegt ist, seine eigenen Klagen geltend machen und die Einleitung eines derartigen Prozesses für die Zukunft erlangen, vorausgesetzt, es kann nachgewiesen werden, dass er zu Lebzeiten der Person, deren Treulosigkeit Klagegrund ist, Kritiker ihres Lasters und Verbrechens gewesen war. Er muss eine öffentliche Zeugenaussage machen und seinen Vortrag beweisen. Denn niemand darf nachträglich (gleichsam, als hätte er sich in Unkenntnis befunden) diesen Verrat an der höchsten Gottheit als kriminelle Treulosigkeit zur Anklage bringen, wenn er [zuvor] das Freveln durch sein Schweigen billigte. Abgeschickt am 12. Tag vor den Kalenden des Juni in Padua unter dem Konsulat von Merobaudes (zum 2. Mal) und Saturninus. [21. Mai 383]

Das vorliegende Gesetz ist auf den Folgetag von CTh. 16.7.2 datiert; doch wenn die beiden Gesetze chronologisch nur ein Tag trennt, so ist die geografische Distanz immens – während es sich nämlich bei CTh. 16.7.2 um ein östliches Gesetz von Theodosius I. handelt, erging CTh. 16.7.3 durch Kaiser Gratian (nicht Valentinian II., → S. 43570) im Westen des Römischen Reichs. Zwei separate Kaiserhöfe erließen fast gleichzeitig (nach aller Wahrscheinlichkeit: unabhängig voneinander) 78 jeweils Bestimmungen zum selben Thema. Der Regelungsgehalt ist, wenig verwunderlich, ein ganz anderer. Während Theodosius im Osten die rechtlichen Konsequenzen danach variiert, ob der Apostat zum Heidentum hin bereits getauft ist oder nicht, wird im Westen der Apostasiebegriff weiter gefasst und eine Frist für postume Anklagen eingeführt. Gratian setzt die erbrechtlichen Sanktionen gegen Apostaten zum Heidentum als gültig voraus (vindicamus admissum), während die Apostasie zum Judentum erst fürderhin verfolgt werden soll (flagitia puniantur). Dass die Manichäer als dritte Gruppe in diesem Kontext überhaupt genannt werden, überrascht, denn gegen sie gelten erbrechtliche Sanktionen in jedem Fall (d. h. ohne die Voraussetzung einer Apostasie). 79 Die Bezug78

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Denn wie hätten Gratian und Theodosius ihre Maßnahmen koordinieren können (so zu Recht Gaudemet 1994, S. 37)? Anders Enßlin, S. 46 (»wohl im Einverständnis mit Gratian« zu CTh. 16.7.2), aber ohne Begründung. Baccari 1981, S. 562: »XVI,5,7 colpisce ogni seguace del manicheismo, mentre la costituzione ›patavina‹ colpisce i cristiani che passino ad esso, cosicché i manichei si trovano sotto il fuoco incrociato«. Was Baccari mit ihrem »Kreuzfeuer« meint, bleibt unklar. Manichäern (ob nun Ex-Katholiken oder nicht) drohten in jedem Fall erbrechtliche Sanktionen, sodass CTh. 16.7.3 in dieser Hinsicht nichts Neues bringt.

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apostaten

nahme auf Valentinian I. (die hinsichtlich der Behauptung, er habe die erbrechtlichen Sanktionen gegen Manichäer eingeführt, nachweislich falsch ist, → S. 435), leitet sich fraglos von dessen Erwähnung in CTh. 16.5.7 ab. Während die vorliegende Konstitution in sich konsistent ist – denn dieselben drei Gruppen erscheinen in gleicher Reihenfolge wiederum in § 1 – geht es in allen späteren Apostasiegesetzen wiederum nur um Apostaten zum Heidentum. Dass die Manichäer im vorliegenden Gesetz genannt werden, erklärt sich fraglos aus Gratians Willen, die Fünfjahresfrist für postume Prozesse auch im Fall verstorbener (angeblicher) Manichäer einzuführen. Wer das Gesetz formulierte, beachtete aber nicht, dass bei Manichäern kein Abfall vorausgehen musste. Im Ergebnis erscheint der Manichäismus übrigens ungewöhnlicherweise (→ S. 41112) – analog zu Heidentum und Judentum – eher als eigene Religion denn als christliche Häresie (schließlich wird ja ein Gegensatz zur Christiana religio hergestellt). Die Sachlage hinsichtlich Apostaten zum Judentum ist unklar. Es gibt sonst überhaupt kein Gesetz, das erbrechtliche Sanktionen für Judenapostaten vorsieht, 80 was scharf mit den mehrfachen Bestätigungen der entsprechenden Einschränkungen für Heidenapostaten kontrastiert. Überhaupt nur zwei sonstige Fragmente stehen irgendwie im Zusammenhang mit Judentum und Apostasie. Da ist einmal, sehr spät, CTh. 16.8.28 von 426, wonach Konvertiten vom Judentum zum Christentum hin (also umgekehrt!) nicht enterbt werden dürfen; dieselbe Konstitution enthält auch Regelungen für Heidenapostaten, weswegen wir uns die Fragmente nachher im Kontext genauer ansehen werden (→ S. 751). Gerade in CTh. 16.8.28 (wo es schließlich auch um Judentum und Apostasie geht und wo recht deutlich auf das vorliegende Gesetz CTh. 16.7.3 Bezug genommen wird, insofern zwei seiner Regelungen aufgehoben werden, → S. 759) würde man doch unbedingt eine Bestätigung (oder meinetwegen Annullierung) dieser Regelung erwarten. Dort wird eine Definition von Apostasie gegeben, unter die Judenapostaten ganz definitiv nicht fallen können – soll man dies als bewusste Aufhebung werten? Die andere Regelung zu Juden und Apostasie ist sehr früh, von wahrscheinlich 353, 81 und damit ungefähr eine Generation älter als die ersten Gesetze mit erbrecht80

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Daher ist Nemo-Pekelman, S. 131–140 (vgl. S. 140: »… furent ainsi mises en place contre candidats à la conversion au judaïsme des mesures efficaces«), nicht zuzustimmen, wenn sie sämtliche Gesetze von CTh. 16.7 unterschiedslos für Judenapostaten heranzieht, obwohl es in den anderen doch definitiv um ein Überlaufen zum Heidentum geht. So die Korrektur von Seeck (S. 46). Im überlieferten Konsulatsjahr 357 war der Empfänger Thalassius jedenfalls schon tot; während seiner kurzen Amtszeit ist 353

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lichen Sanktionen gegen Heterodoxe: CTh. 16.8.7 im Judentitel sieht die Einziehung des gesamten Eigentums eines Apostaten vom Christentum zum Judentum vor, sodass – wenn man dies regelmäßig in die Tat umgesetzt hätte – solchen Konvertiten ohnehin wenig zu vererben geblieben wäre. Dieses Gesetz wurde in den Codex Iustinianus übernommen, aber anders einsortiert: Es steht dort als erstes Fragment des Apostatentitels (CI. 1.7.1). Zusammen genommen, würden CTh. 16.8.7 und 16.7.3 eine Sanktionierung von Apostaten zum Judentum vorsehen, die nicht hinter der von Manichäern zurückstünde (also Vermögenskonfiskation plus zusätzliche erbrechtliche Sanktionen; bei den Judenapostaten finden wir – anders als bei Manichäern – nicht einmal Regelungen zum Schutz rechtgläubiger Personen, die potenziell als Intestaterben nachfolgen könnten). Es ist jedenfalls nicht statthaft, die fehlenden Bestätigungen der erbrechtlichen Sanktionen für Judenapostaten aus der Gültigkeit der ohnehin strengeren Konfiskationsregelung zu erklären; dass beide Strafen nebeneinander existieren können, zeigt ja der Vergleich mit der Manichäergesetzgebung. CTh. 16.8.7 wurde ins Breviar übernommen, und so ist es nicht verwunderlich, dass ein spanisches Konzil im Jahr 633 einen Kanon zugunsten christlicher Nachkommen von Judenapostaten beschlossen hat, der sich unmittelbar auf diese Regelung zu beziehen scheint. 82 Im zweiten Teil des Principiums verhängt Gratian Maßnahmen gegen die Urheber einer solchen Konversion (die ja selbst möglicherweise nie Christen waren und daher gegebenenfalls bisher straffrei geblieben wären). Erstens sollen sie dieselben Sanktionen (sprich: die erbrechtlichen Einschränkungen) treffen, zweitens sogar »schwerere« Strafen, 83 die der Kaiser aber ganz dem

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– angesichts des Absendeorts Mailand und Konstantius’ II. Itinerar – das einzige plausible Jahr. Conc. Tolet. a. 633, p. 238.983–986 (Kanon 61), Iudaei baptizati si postea praevaricantes in Christum qualibet poena damnati exstiterint, a rebus eorum fideles filios excludi non oportebit quia, ut scriptum est: »Filius non portabit iniquitatem patris« [Ez 18:20], »Wenn getaufte Juden Christus später verraten und zu irgendeiner Strafe verurteilt werden, dann darf man ihre getauften Nachkommen nicht von ihrem Vermögen ausschließen, weil (wie geschrieben steht): ›Der Sohn wird nicht die Schuld des Vaters tragen‹«. Bei diesem Konzil, dem vierten von Toledo, geht es um den Umgang mit unter dem Westgotenkönig Sisebut zwangsgetauften Juden, d. h., es gab sicher zahlreiche getaufte Juden, die nur zu gern das Christentum verlassen wollten. Um Missverständnisse zu vermeiden: In der Spätantike bedeutet supplicium oft schlichtweg »Strafe«, nicht etwa unbedingt »Todesstrafe« (vgl. → S. 227336). Übrigens sind die graviora supplicia kein Terminus technicus. Was beispielsweise eine solche »besonders schwere Strafe« sein kann, illustriert CTh. 9.26.2 von 400: affectus gravissimis suppliciis poenam deportationis excipiat, »er soll mit schwersten Strafen gezüch-

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apostaten

Ermessen des Richters anheimstellt. Darauf bezieht sich auch extra ordinem. Denn bei den alten crimina publica war ehedem die Strafe fix, bei den außerordentlichen Verbrechen hingegen Ermessenssache. Auch wenn die Rigidität der crimina-publica-Strafen später nicht mehr durchgehalten wurde, so blieb doch weiterhin die Freiheit des Richters bei der Strafzumessung charakteristisch für die crimina extraordinaria (Hitzig, Sp. 1716 f.). Der Ausdruck extra ordinem in CTh. 16.7.3 bedeutet also sinngemäß »nach Ermessen« 84 und bringt gegenüber plerumque pro motibus iudicum et qualitate commissi keine neue Information. 85 Übrigens lässt Theodosius II. ein gutes halbes Jahrhundert später dem Richter keinen solchen Ermessensspielraum: Er wird dann die Todesstrafe für Juden und Samaritaner bestimmen, die einen Christen zur Apostasie verleiten. 86 Die wesentliche Neuerung des vorliegenden Fragments ist die fünfjährige Frist, innerhalb der das Testament eines angeblichen Apostaten postum angefochten werden kann, 87 worauf bereits an anderer Stelle eingegangen wurde

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tigt die Deportationsstrafe erhalten« – entweder ist die Deportation mit den »schwersten Strafen« identisch, oder es geht um Prügel vor der Exilierung. De Robertis, S. 138 Anm. 4, hat eine lange (wenn auch keineswegs vollständige!) Liste von Konstitutionen zusammengestellt, in denen sich ähnlich unbestimmte Anweisungen (severa sententia, gravissima severitate, gravi condemnatione usw.) finden. Vgl. auch Ulp. D. 48.19.13, Hodie licet ei, qui extra ordinem de crimine cognoscit, quam vult sententiam ferre, vel graviorem vel leviorem, ita tamen ut in utroque moderationem [oder: modo rationem, inhaltlich kaum unterschiedlich] non excedat, »Heute steht es dem Richter, der extra ordinem über ein Verbrechen urteilt, frei, ein beliebiges Urteil zu verhängen, sei es schärfer oder milder, sofern er nur in keiner von beiden Richtungen das rechte Maß überschreitet«. Vgl. zur Frage der Strafe im römischen Recht in Abhängigkeit vom Vorgefallenen De Robertis, der am Ende (S. 123–153) auch die Spätantike behandelt (leider ohne unser Gesetz zu besprechen). Nov. Theod. 3 § 4 (438), quicumque servum seu ingenuum, invitum vel suasione plectenda, ex cultu Christianae religionis in nefandam sectam ritumve transduxerit, cum dispendio fortunarum capite puniendum, »wer immer einen Sklaven oder einen Freien, unter Zwang oder durch kriminelle Überredung, von der Befolgung der christlichen Religion zu einer ruchlosen Sekte oder einem Kult hinüberführt, ist bei gleichzeitiger Vermögenskonfiskation mit dem Tod zu bestrafen«. Nemo-Pekelman, S. 134, nimmt an, wir hätten es hier mit einem Strafprozess zu tun (»La procédure décrite par la loi de 383 n’est donc pas de nature civile, mais bien criminelle … La justice prononçait l’intestabilité par la voie d’un procès pénal«). Aber tatsächlich ist die Terminologie von CTh. 16.7.3 § 1 hauptsächlich dem Zivilprozess zugehörig (hereditariae quaestiones; proprias exserat actiones), lediglich si quis defunctum … accusat verweist auf den Strafprozess. Aber accusare braucht man nicht als Akkusation im technisch-strafrechtlichen Sinn aufzufassen (untechnisch ge-

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(→ S. 460). Der Ausdruck temporum varietate longorum, »infolge der jeweiligen Verjährungsfristen«, bezieht sich auf die unterschiedlichen Fristen, deren Ablauf als praescriptio longi temporis vom Beklagten geltend gemacht werden konnte und gegebenenfalls ein Prozesshindernis darstellte (Kaser/Hackl, S. 487–489). So hatte Konstantin eine voraussetzungslose Vierzigjahresfrist festgelegt, die in der Folgezeit durch eine Dreißigjahresfrist ersetzt wurde. In einzelnen Erlassen finden sich für besondere Sachverhalte auch kürzere Fristen, etwa von zwanzig oder von zehn Jahren. 88 Alle diese Fristen erscheinen dem Kaiser zu lang, stattdessen erlaubt er dem Kläger nur die fünf Jahre, die für die praescriptio 89 bei einer querela inofficiosi testamenti galten. 90 Die Querel werden wir uns später näher ansehen (→ S. 754); hier sei nur vorausgeschickt, dass durch sie ein potenzieller Intestaterbe, der infolge eines

braucht z. B. bei Mod. D. 28.7.27 pr., laudandus est magis quam accusandus heres, qui …, »ein Erbe ist zu loben, nicht zu kritisieren, wenn er …«). Überhaupt sind die Grenzen zwischen zivil- und strafrechtlicher Gerichtsbarkeit bei der Kognition so unscharf (Kaser/Hackl, S. 444 f.), dass die Unterscheidung ohnehin müßig sein dürfte. Folgendermaßen paraphrasiert Minale 2016, S. 500, den Prozess: »gli veniva chiesto da una parte di dimostrare (probet iudicium [sic, richtig indicium]) che l’avversario contro il quale veniva avanzata l’accusa (eodem … cuius praevaricatio criminanda est), quando era ancora in vita (in luce durante), fosse stato riconosciuto infamis e incapace di testare attraverso una procedura pubblica (flagitii huius et sceleris praesens fuisse doceatur publica sub testificatione testatus)«. Aber es geht in der Konstitution ganz klar um den Fall, dass ein zu Lebzeiten Unbescholtener erst postum der Apostasie bezichtigt wird; auch scheinen Minales Paraphrasen den Inhalt der Konstitution – trotz aller textkritischen Probleme – kaum richtig wiederzugeben. 88 Kaser II, S. 285 f.; Amelotti 1958, S. 197–205; vgl. z. B. CI. 7.39.2 pr. (365) zur Vierzigjahresfrist sowie CTh. 4.14.1 (424) zur Dreißigjahresfrist; zu den kürzeren Fristen siehe Amelotti 1958, S. 224 f. Anm. 32. Beispiele für eine Zwanzigjahresfrist: CTh. 4.8.9, 5.18.1 § 3; für eine Zehnjahresfrist: CTh. 12.1.56, 16.2.19 u. a. 89 Die Frist der querela inofficiosi testamenti ließ sich ganz normal als praescriptio vorbringen: CI. 2.40.2 von 258, Adulescentiae tempus non imputari in id quinquennium liberis, cuius praescriptio seram inofficiosi moventibus quaestionem opponi solet, manifeste ante rescripsimus, »Deutlich genug haben wir bereits früher per Reskript beschieden, dass die Zeit der Minderjährigkeit für Kinder nicht dem Fünfjahreszeitraum zugerechnet werden darf, dessen praescriptio man gegenüber denjenigen einzuwenden pflegt, die ihre Klage wegen inofficiosum testamentum zu spät einreichen«. 90 Zu den Details vgl. Amelotti 1958, S. 130–132; Marrone, S. 106–110; Krüger 1937, S. 108–111.

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apostaten

Testaments leer ausgehen würde, unter bestimmten Voraussetzungen dessen relative Unwirksamkeit erreichen konnte. Eine dieser Voraussetzungen war die Einhaltung der Fünfjahresfrist. Eine weitere bestand darin, dass der Kläger zeigen musste, dass er dem Erblasser keinen triftigen Grund dafür gegeben hatte, ihm wenig oder nichts zu hinterlassen. Bei der Apostasieklage musste der potenzielle Intestaterbe nachweisen, bereits zu Lebzeiten des Erblassers dessen Abfall angeprangert zu haben. 91 Die Gemeinsamkeit ist also, dass sich der potenzielle Intestaterbe durch sein moralisch richtiges Verhalten (gegenüber dem Erblasser bei der Querel, gegenüber der Allgemeinheit bei der Apostatenklage) zu Lebzeiten des Erblassers seinen Anteil »verdienen« musste. Freilich besteht ein Unterschied darin, dass die querela inofficiosi testamenti nur ein eng begrenzter Personenkreis erheben konnte, die Apostasieklage anscheinend jedermann (was nicht nur mögliche Intestaterben, sondern auch Delatoren, → S. 289, einschließt). Auch musste bei der Querel einzeln gegen die testamentarischen Erben geklagt werden, wodurch die juristische Kuriosität entstehen konnte, dass der Erblasser teils mit Testament, teils intestat verstarb (wenn nämlich der übergangene Erbe nicht in allen Prozessen gegen die einzelnen Erben obsiegte, vgl. Papin. D. 5.2.15.2, Ulp. D. 5.2.24). Bei unserer vorliegenden Konstitution richtet sich die Klage hingegen nicht gegen die Erben, sondern gegen den verstorbenen Erblasser; offensichtlich wurde also sein Testament im Erfolgsfall vollkommen entkräftet (nicht nur relativ wie bei der Querel). Möglicherweise findet sich im Codex Theodosianus noch ein weiteres Fragment aus derselben Originalkonstitution, aus der auch CTh. 16.7.3 stammt, nämlich CTh. 2.19.5: Imppp. Gratianus, Valentinianus et Theodosius AAA. Hypatio ppo. Intra quinquennium, quod inofficiosis actionibus constitutum est, liberis quoque parentum iudicia inofficiosa causantibus eadem temporis curricula praestituta sunt. Dat. V kal. Iun. Patavio Merobaude II et Saturnino conss. Die Kaiser Gratian, Valentinian und Theodosius an den Prätoriumspräfekten Hypatius:

91

Übrigens konnte das Testament unabhängig davon, wer davon profitiert hätte, für ungültig erklärt werden. Zu Unrecht scheint Nemo-Pekelman, S. 133, vorauszusetzen, dass die im Apostatentestament bedachten Personen zwangsläufig Heiden, Juden oder Manichäer gewesen sein müssen.

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Innerhalb des Jahrfünfts, das für inofficiosum-Klagen festgelegt ist, sind auch für Kinder, die die pflichtwidrigen Testamente ihrer Eltern angreifen, dieselben Fristen bestimmt. Abgeschickt am 5. Tag vor den Kalenden des Juni in Padua unter dem Konsulat von Merobaudes (zum 2. Mal) und Saturninus. [28. Mai 383]

Der Text ist nicht unproblematisch. Er scheint zu besagen, dass die Fünfjahresfrist der Querel auch für Kinder gilt (so haben, sofern ich nichts übersehen habe, alle Kommentatoren – von der westgotischen Interpretatio bis hin zur modernen Literatur – den Inhalt verstanden). Freilich wäre dies eine erschreckend banale Aussage: An der Fünfjahresfrist ist wahrhaft nichts Neues (vgl. etwa Ulp. D. 5.2.8.17), und Abkömmlinge als Kläger bei der Querel sind schlichtweg der Standardfall (vgl. Kaser I, S. 711). Zu den inhaltlichen Bedenken treten sprachliche, denn die Formulierung ist äußerst ungelenk (intra quinquennium … eadem temporis curricula praestituta sunt). Scheinbar liegen CTh. 2.19.5 und CTh. 16.7.3 zeitlich eine Woche auseinander. Verdächtig ist aber, dass die Formulierung intra quinquennium, quod inofficiosis actionibus constitutum est in beiden Texten identisch wiederkehrt und zumal in CTh. 2.19.5 schlecht passt. Darf man argwöhnen, dass es sich um zwei Fragmente derselben Originalkonstitution handelt? Der einzige Unterschied in den formalen Angaben, nämlich Dat. V kal. Iun. anstelle von Dat. XII kal. Iun., könnte leicht auf eine Verschreibung zurückgehen. Die wahrscheinlichste Erklärung scheint mir, dass liberis quoque parentum iudicia inofficiosa causantibus eadem temporis curricula praestituta sunt irgendwo gegen Ende der Originalkonstitution (also nach dem als CTh. 16.7.3 überlieferten Fragment) stand. Ein übereifriger Kompilator wollte die (banale) Information, dass bei der Querel die Fünfjahresfrist galt, in CTh. 2.19, De inofficioso testamento, einordnen. Da eadem temporis curricula allein nicht selbsterklärend ist (worauf bezieht sich eadem?), musste auch der erste Teil Intra quinquennium, quod inofficiosis actionibus constitutum est nach CTh. 2.19.5 übernommen werden, auch wenn dadurch ein sprachlich fragwürdiger Satz entstand.

CTh. 16.7.4 und 5 [9. Juni 391] Imppp. Valentinianus, Theodosius et Arcadius AAA. Flaviano ppo. [CTh. 16.7.4] Ii, qui sanctam fidem prodiderint et sanctum baptisma profanaverint, a consortio omnium segregati sint: a testimoniis alieni testamenti, ut ante iam sanximus, non habeant factionem: nulli in hereditate succedant, a nemine scribantur

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apostaten heredes. Quos etiam praecepissemus procul abici ac longius amandari, nisi poenae visum fuisset esse maioris versari inter homines et hominum carere suffragiis. 1. Sed nec umquam in statum pristinum revertentur, non flagitium morum oblitterabitur paenitentia neque umbra aliqua exquisitae defensionis aut muniminis obducetur, quoniam quidem eos, qui fidem quam deo dicaverant polluerunt et prodentes divinum mysterium in profana migrarunt, tueri ea quae sunt commenticia et concinnata non possunt. Lapsis etenim et errantibus subvenitur, perditis vero, hoc est sanctum baptisma profanantibus, nullo remedio paenitentiae, quae solet aliis criminibus prodesse, succurritur. [CTh. 16.7.5] Si quis splendor collatus est in eos vel ingenitus dignitatis, qui fide devii et mente caecati sacrosanctae religionis cultu et reverentia descivissent ac se sacrificiis mancipassent, pereat, ut de loco suo statuque deiecti perpetua urantur infamia ac ne in extrema quidem vulgi ignobilis parte numerentur. Quid enim his cum hominibus potest esse commune, qui infandis et feralibus mentibus gratiam communionis exosi ab hominibus recesserunt? Dat. V id. Iun. Concordiae Tatiano et Symmacho conss. Die Kaiser Valentinian, Theodosius und Arkadius an den Prätoriumspräfekten Flavian: [CTh. 16.7.4] Diejenigen, die den heiligen Glauben verraten und die heilige Taufe entweihen, sollen von der Gemeinschaft mit allen getrennt sein: Ohne Anteil an der Zeugenschaft sollen sie – wie wir bereits früher verordnet haben – nicht die testamenti factio besitzen: Sie sollen in keiner Erbschaft nachfolgen, von niemandem als Erbe eingesetzt werden. Ja, wir würden sogar anordnen, sie in die Ferne zu schaffen und weit wegzuschicken, wenn wir nicht zur Erkenntnis gelangt wären, dass es für sie eine größere Strafe ist, sich unter Menschen aufzuhalten und dabei doch kein Ansehen unter den Menschen zu genießen. 1. Sie werden niemals zum früheren Status zurückkehren, die Schande ihres Verhaltens wird nicht durch Reue [paenitentia] in Vergessenheit geraten oder durch irgendeinen Schatten einer scharfsinnigen Verteidigung oder durch Protektion verborgen werden. Schließlich kann Erstunkenes und Erlogenes nicht diejenigen schützen, die ihre Gott versprochene Treue besudelten und als Verräter am göttlichen Geheimnis zum Frevel überliefen. Den Gefallenen und Fehlgehenden wird nämlich geholfen, doch den Verlorenen – also denjenigen, die die heilige Taufe schändeten – erwächst keine Rettung aus Reue [paenitentia], die ja bei anderen Verbrechen üblicherweise hilft. [CTh. 16.7.5] Sofern der Glanz irgendeiner Ehrenstellung Leuten verliehen wurde oder angeboren ist, die, vom Glauben abirrend und im Sinne verblendet, vom Kult und von der Verehrung der hochheiligen Religion abtrünnig wurden und sich den Opferungen auslieferten, so soll er hinfällig werden, mit der Folge, dass sie, aus ihrer Rangstellung und ihrem Status entfernt, mit ewiger Infamie gebrandmarkt und nicht einmal zur niedrigsten Schicht des einfachen Volkes

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gezählt werden. Was kann denn diesen mit der Menschheit gemein sein, die in frevelhaftem, verderblichem Sinne die Annehmlichkeit der Gemeinschaft [communio] hassen und sich von der Menschheit entfernt haben? Abgeschickt am 5. Tag vor den Iden des Juni in Concordia unter dem Konsulat von Tatian und Symmachus. [9. Juni 391]

Inskription und Subskription von CTh. 16.7.4 und 16.7.5 sind nach legitimer und notwendiger Emendation (siehe gleich) identisch, und beide Fragmente widmen sich demselben Thema, Apostasie, sodass beide Texte fraglos aus einer Originalkonstitution stammen, die innerhalb desselben Titels aufgeteilt wurde (→ S. 213). 92 Ein Ausschnitt aus dieser Konstitution findet sich noch an anderer Stelle im Codex Theodosianus; es handelt sich dabei nicht um ein zusätzliches Stück des Urtexts, sondern um eine Passage, die bereits zur Gänze in CTh. 16.7.4 enthalten ist. Als CTh. 11.39.11 lesen wir nämlich: Hi, 92

Anderer Ansicht ist Noethlichs (S. 153–155), der einerseits argumentiert: »Beide Erlasse stehen im CT unmittelbar hintereinander, so daß eine Aufteilung in zwei Gesetze durch die Rezeptoren [sic] nicht recht einsichtig wäre«. Doch anders als Noethlichs impliziert, ist dergleichen keineswegs ungewöhnlich (lange Liste bei Bianchini, S. 244 Anm. 22, ferner → S. 213). Andererseits glaubt er, sogar die Themen seien unterschiedlich: CTh. 16.7.4 sei nur versehentlich unter De apostatis subsumiert worden, »weil dort nur von denen die Rede ist, die den Glauben durch die Entheiligung der Taufe verraten haben, was aber noch nicht besagt, daß sie damit im eigentlichen Sinne vom Glauben abgefallen wären (vgl. die Donatisten) … Die Entheiligung der Taufe begegnet im CT sonst nur unter dem Titel XVI,6 als Wiedertaufe. Es scheint dies auch hier die einzige Erklärung des ›baptisma profanare‹, da in allen übrigen Verordnungen des CT gegen Abgefallene (XVI,7,1–7) die Apostasie nie als Schändung der Taufe bezeichnet wird. Vielleicht ist durch die Anfangsformulierung ›… qui sanctam fidem prodiderint‹ das Gesetz bei der Einordnung unter die Rubrik ›De Apostatis‹ geraten. Für die Gruppen der Wiedertäufer kommen nur die Donatisten in Frage«. Erstens widerspricht sich Noethlichs selbst – es ist eben nicht nur von der »Entheiligung der Taufe«, sondern sehr wohl auch vom »Verrat am Glauben« die Rede. Zweitens wird in CTh. 16.6, wo es um die Wiedertaufe geht, dieser Akt niemals mit profanare, sondern klipp und klar mit geminare, iterare oder repetere bzw. mithilfe von rursus ausgedrückt. Drittens stimmt es zwar, dass im Apostatentitel sonst nie die Formulierung baptisma profanare erscheint – aber aus CTh. 16.7.2 kennen wir bereits die gesetzgeberische Intention, getaufte Apostaten (im Vergleich zu abgefallenen Katechumenen) schärfer zu strafen, und genau um diese getauften Apostaten geht es im vorliegenden Fragment. Viertens wäre dies das einzige Gesetz von Theodosius I. gegen Donatisten. Fünftens fügt sich die vorliegende Konstitution nahtlos in den Zusammenhang ein: ut ante iam sanximus bezieht sich auf CTh. 16.7.2 (Noethlichs, S. 323 Anm. 894, sieht dieses Problem und macht seine eigene Theorie noch komplizierter: »Da hier nicht wie in XVI,7,2 von heidnischen Apostaten die Rede ist …, muß das gemeinte Gesetz verloren sein«).

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qui sanctam fidem prodiderint et sacrum baptisma profanarint, a consortio omnium segregati sint, a testimoniis alieni. Et cetera, »Diejenigen, die den heiligen Glauben verraten und die heilige Taufe entweiht haben, sollen von der Gemeinschaft mit allen getrennt sein, ohne Anteil an der Zeugenschaft. Und so weiter.« Die einzigen Unterschiede betreffen minimale sprachliche Varianten. 93 Der Titel CTh. 11.39 versammelt Fragmente zum Thema De fide testium et instrumentorum, »Beweiskraft von Zeugen und Urkunden«; dort bietet sich in der Tat eine Wiederholung des Ausschlusses der Apostaten von der Zeugenschaft an. Dass Teile von Fragmenten in anderen Titeln wörtlich wiederholt werden, kommt öfter vor (→ S. 215). Der Monat ist bei CTh. 16.7.5 und CTh. 11.39.11 als Mai. überliefert, während CTh. 16.7.4 Mar. bietet. Da nun CTh. 11.39.11 und CTh. 16.7.4 dieselbe Datierung besitzen müssen, ist klar, dass die Ausgangskonstitution in dem Exemplar, das den Kompilatoren vorlag und aus dem CTh. 16.7.4, 16.7.5 sowie 11.39.11 gewonnen wurden, das gemeinsame Datum von CTh. 16.7.5 und CTh. 11.39.11 trug, also V id. Mai. Richtig können aber weder Mar. noch Mai. sein: Im Jahr 391 zog Theodosius in den Osten zurück, am 27. Mai ist er in Vicenza belegt, ab 16. Juni unzweifelhaft in Aquileia, sodass (will man nicht ein chaotisches Itinerar annehmen) V id. Iun. richtig sein muss: Am 9. Juni könnte sich Theodosius gut in Concordia zwischen Vicenza und Aquileia aufgehalten haben (Seeck, S. 104, S. 278). 94 Betroffen von CTh. 16.7.4 sind alle bereits getauften Apostaten (also nicht die Katechumenen). 95 Das Fragment gibt keine Definition, zu wessen Gunsten 93 94

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Nämlich hi statt ii und -arint statt -averint. Noethlichs (S. 323 Anm. 893) stellt Seecks Korrektur in Frage. Er argumentiert einerseits, man dürfe angesichts der »recht eindeutig überlieferten Verfügungen« mit Mai nicht korrigieren. Er übersieht, dass die verschiedenen Theodosianus-Fragmente keinen eigenständigen Quellenwert haben; denn sie gehen auf eine einzige Ursprungskonstitution zurück, und die trug unstreitig in dem Exemplar, das den Kompilatoren vorlag (bzw. das sie interpolierten), die (falsche) Angabe Mai. Zweitens beschwert er sich, dass Seeck »dann ferner gezwungen« sei, »auch das aus Aquileia für Juni überlieferte Gesetz XIV,2,2 in ›Juli‹ zu ändern« [Anakoluth wie im Original]. Tatsächlich ändert Seeck vom überlieferten »Juli« zu »Juni«, nicht andersherum, und diese Modifikation hängt nicht von der Concordia-Umdatierung ab. Es geht vielmehr darum, dass Theodosius ab 18. Juli dank einer Reihe von Gesetzen in Konstantinopel belegt ist und er nicht innerhalb von vier Tagen (14. Juli bis 18. Juli) die rund 1.500 km von Aquileia nach Konstantinopel zurückgelegt haben kann. Baccari 1981, S. 567, behauptet: »Cade la distinzione fra fideles e catechumeni«, ohne dies näher zu erläutern, ebenso Gaudemet 1994, S. 37: »Plus de distinction entre ›fidèles‹ et catéchumènes«. Dabei ist in der vorliegenden Konstitution doch konsistent die Rede vom Verrat an der Taufe.

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der »Verrat an der Taufe« erfolgt: Ist nur von Heidenapostaten die Rede oder auch (wie in CTh. 16.7.3) von Christen, die zu Judentum und/oder Manichäismus abfallen? Aber das zugehörige Fragment CTh. 16.7.5 macht mit dem Bezug auf Opfer klar, dass Heiden gemeint sind, und auch in den späteren Apostatengesetzen CTh. 16.7.6 und CTh. 16.7.7 geht es ausdrücklich nur um Überläufer zum Paganismus. Schauen wir uns zunächst den ersten Teil an, der als CTh. 16.7.4 überliefert ist. Laut Theodosius’ früherer Regelung (CTh. 16.7.2) sollten getaufte Abtrünnige absque iure Romano sein, was hier vielleicht durch die Formulierung a consortio omnium segregati aufgegriffen wird (→ S. 348). Die Folge davon – nämlich die fehlende testamenti factio (»wie bereits früher verfügt«, ut ante iam sanximus, mit Bezug auf omnem in quamcumque personam testamenti condendi interdicimus potestatem, CTh. 16.7.2 pr.) – wird dadurch erläutert, dass der Apostat weder in eine Erbschaft nachfolgen noch testamentarisch eingesetzt werden kann. Weiterhin bleibt der Intestaterbgang beim Vererben fraglos unbeschränkt. Weniger klar ist, ob ein getaufter Apostat gesetzlicher Erbe sein kann. Streng genommen, dürfte das angesichts nulli in hereditate succedant nicht möglich sein. Da dies aber den Ausdruck testamenti … non habeant factionem erklärt, vermute ich, dass der Autor des Texts damit eigentlich nur das Erben aus Testament gemeint hat (umgekehrt versteht sich natürlich, dass dies keinen cleveren Anwalt davon abgehalten hätte, vor Gericht nulli in hereditate succedant sehr wohl auf den Intestaterbgang zu beziehen). Überraschen könnte die erste Bestimmung, a testimoniis alieni, »ohne Anteil an der Zeugenschaft«. Da sich ut ante iam sanximus nur auf die testamenti factio zu beziehen scheint, müsste es sich doch im Umkehrschluss bei a testimoniis alieni zwangsläufig um eine Neuerung handeln. Nun ist a testimoniis alieni eine Partizipialkonstruktion in dem Hauptsatz non habeant factionem; das ut ante iam sanximus könnte gleichermaßen für alle Teile desselben Satzes gelten. Doch handelt es sich nicht bei dem Ausschluss aus der Zeugenschaft um eine bislang nie zuvor verhängte Sanktion? Dazu müssen wir etwas weiter ausholen. Das römische Recht kennt zwei Arten des Zeugnisses, nämlich die Aussage vor Gericht, also das Prozesszeugnis, und die Mitwirkung an einem Rechtsakt (zumal an der Testamentserrichtung), also das Solennitäts- oder Beglaubigungszeugnis. 96 Dass das Wort testimonium sehr häufig die Zeugen-

96

Wobei hier »beglaubigen« natürlich nicht im Sinne des geltenden Rechts zu verstehen ist; der Begriff des »Beglaubigens« für das Tätigwerden der Solennitätszeugen ist aber seit langem in der rechtshistorischen Literatur eingebürgert.

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schaft bei der Errichtung eines Testaments bezeichnet, lässt sich mit zahlreichen Digestenstellen illustrieren. 97 Von dieser Art von testimonium waren nun bestimmte Personen ausgeschlossen (I. 2.10.6): 98 Testes autem adhiberi possunt ii, cum quibus testamenti factio est. sed neque mulier neque impubes neque servus neque mutus neque surdus neque furiosus nec cui bonis interdictum est nec is, quem leges iubent improbum intestabilemque esse, possunt in numero testium adhiberi. Als Zeugen [zur Testamentserrichtung] können aber [nur] diejenigen hinzugezogen werden, die selbst die testamenti factio besitzen. Frauen, Unmündige, Sklaven, Stumme, Taube, Verrückte, entmündigte Verschwender und solche, die nach Gesetz zu improbus und intestabilis erklärt wurden, dürfen nicht zur Zahl der Zeugen hinzugezogen werden.

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Ulp. D. 28.1.20.3, Quae autem in testamento diximus super prohibendis testimoniis eorum qui in potestate sunt, in omnibus testimoniis accipias, ubi aliquid negotii geritur, per quod adquiratur, »Was wir hinsichtlich Testamenten darüber gesagt haben, dass die testimonia von Männern, die nicht gewaltfrei sind, nicht zugelassen werden können, bezieht sich auf jedes Rechtsgeschäft, durch das Erwerb stattfindet«; Ulp. D. 28.1.21.2, In testamentis, in quibus testes rogati adesse debent, ut testamentum fiat, alterius rei causa forte rogatos ad testandum non esse idoneos placet. quod sic accipiendum est, ut, licet ad aliam rem sint rogati vel collecti, si tamen ante testimonium certiorentur ad testamentum se adhibitos, posse eos testimonium suum recte perhibere, »Bei Testamenten, bei denen Zeugen anwesend sein müssen, die [explizit] zur Errichtung eines Testaments geladen wurden, sind anerkanntermaßen Männer nicht zur Zeugnisleistung geeignet, die zum Zwecke einer anderen Angelegenheit geladen wurden. Das muss man aber so verstehen, dass, auch wenn sie für eine andere Angelegenheit geladen oder versammelt wurden, sie doch ihr testimonium ordnungsgemäß leisten können, sofern man sie vor dem testimonium darüber aufklärt, dass sie an einer Testamentserrichtung mitwirken«; Papin. D. 22.5.14, Scio quidem tractatum esse, an ad testamentum faciendum adhiberi possit adulterii damnatus: et sane iuste testimonii officio ei interdicetur. existimo ergo neque iure civili testamentum valere, ad quod huiusmodi testis processit, neque iure praetorio, »Ich weiß, dass man erörtert hat, ob ein wegen Ehebruch Verurteilter zu einer Testamentserrichtung hinzugezogen werden kann. Und es ist nur gerecht, dass so jemandem die Verrichtung des testimonium versagt wird. Folglich komme ich zu dem Ergebnis, dass ein Testament, bei dem ein Zeuge solcher Art mitwirkte, weder nach ius civile noch nach prätorischem Recht gültig ist«. Ich zitiere die Institutionenpassage, weil sie die Regelungen besonders griffig zusammenfasst. Sie enthält keine spätere Neuerung: Dass auch in vorjustinianischer Zeit das Solennitätszeugnis bei der Testamentserrichtung die eigene testamenti factio voraussetzte, zeigt z. B. Ulp. D. 28.1.18 pr.

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Daraus lässt sich unmittelbar ableiten, dass Apostaten nicht als Solennitätszeugen in Frage kamen: Da die eigene testamenti factio Voraussetzung dafür war, an der Testamentserrichtung eines anderen mitzuwirken, Apostaten aber die testamenti factio nicht besaßen, konnten sie nicht als Beurkundungszeugen auftreten. Was das Beglaubigungszeugnis angeht, ist also a testimoniis alieni genauso wenig eine Neuerung wie nulli in hereditate succedant oder a nemine scribantur heredes – dies sind allesamt unmittelbare Konsequenzen von testamenti, ut ante iam sanximus, non habeant factionem. Freilich stellt sich die Frage, ob ein Bezug von a testimoniis alieni auch auf die andere Art von Zeugnis, das Prozesszeugnis, intendiert ist. Die Gruppe der möglichen Solennitätszeugen war nämlich keineswegs mit der der möglichen Prozesszeugen identisch. Beispielsweise konnten Unmündige und Frauen kein Testament beglaubigen, sehr wohl aber vor Gericht aussagen (testimonium dicere). 99 Dasselbe dürfte auch für Peregrine gegolten haben. 100 Von Gerichtsaussagen ausgeschlossen waren manche niedrig stehende Gruppen, etwa bestimmte Kriminelle und bestimmte übel Beleumundete, für die dies jeweils fallweise festgelegt war. 101 So durften Ehebrecher nicht vor GeWas die Frauen angeht, so findet sich dies explizit so bei Ulp. D. 28.1.20.6 und Paul. D. 22.5.18 formuliert (um nur die letztere Stelle zu zitieren: Ex eo, quod prohibet lex Iulia de adulteriis testimonium dicere condemnatam mulierem, colligitur etiam mulieres testimonii in iudicio dicendi ius habere, »Daraus, dass die lex Iulia de adulteriis [nach ihr] verurteilten Frauen die Zeugenaussage verbietet, ergibt sich, dass auch Frauen [eigentlich] das Recht besitzen, bei einem Prozess eine Zeugenaussage zu machen«). Wir besitzen zahlreiche Belege aus nichtjuristischen Quellen, dass sowohl Frauen als auch Unmündige in Prozessen aussagten (Mommsen, S. 401). 100 Weder Mommsen (S. 401–403) noch Kaser (1934, Sp. 1047–1049) gehen auf die Prozesszeugnisfähigkeit der Nichtbürger ein. Meine Annahme, dass sie (wie die von Frauen und Kindern) bestand, stützt sich auf Arcad. D. 22.5.1.1, adhiberi … testes possunt …, ex his quibus non interdicitur testimonium, »es können aus allen Leuten, denen das testimonium nicht [explizit] verboten ist, Zeugen herangezogen werden«, denn ein explizites Zeugnisverbot für Peregrine ist nicht überliefert. 101 Vgl. Mommsen (S. 401–403) und Kaser (1934, Sp. 1047 f.). Der Ausschluss betraf unter den Kriminellen etwa Ehebrecher, wegen Repetunden Verurteilte sowie (wahrscheinlich) alle durch ein iudicium publicum Verurteilte; unter den übel Beleumundeten beispielsweise Prostituierte und Tierkämpfer (vgl. Call. D. 22.5.3.5 aus der lex Iulia de vi; weitere Belege bei Mommsen, S. 403 Anm. 1). Übrigens hatte Theodosius I. selbst Bischöfe von Zeugenaussagen ausgeschlossen: Episcopum ad testimonium dicendum admitti non decet, nam et persona dehonoratur et dignitas sacerdotis excepta confunditur, »Es gehört sich nicht, dass ein Bischof zur Zeugenaussage zugelassen wird, denn [dadurch] wird seine Person entehrt und die besondere Würde eines Bischofs in Frage gestellt« (CTh. 11.39.8 von 381). Auch als Akkusatoren sollten Bischöfe nicht an staatlichen Prozessen teilnehmen (→ S. 519). 99

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richt aussagen, allerdings diskutierten die Juristen, ob sie eventuell als Solennitätszeugen in Frage kamen (was Papinian ablehnt: → S. 74097). Dieselbe Situation – unstreitiger Ausschluss von der Gerichtsaussage, verschiedene Rechtsmeinungen hinsichtlich des Ausschlusses von der Testamentssiegelung – fand sich bei denjenigen, die wegen Repetunden verurteilt worden waren (mit Ulp. D. 28.1.20.5 dafür und Paul. D. 22.5.15 pr. dagegen). Es scheint allerdings keinen pauschalen Ausschluss aller Verbrecher oder aller Bescholtener gegeben zu haben (Kaser 1934, Sp. 1048). Die Ratio hinter derlei Einschränkungem könnte gewesen sein, dass man solchen Leuten keine öffentliche Bühne gewähren wollte (so Mommsen, S. 403). Allerdings wird diese Idee eher für die frühe Zeit einleuchten. In der Kaiserzeit 102 und zumal in der Spätantike (Kaser/Hackl, S. 605 mit Anm. 63) wird der Aussage eines sozial niedrig Stehenden ganz offiziell weniger Beweiskraft eingeräumt. Wenn sich also ein getaufter Apostat in den Augen des christlichen Kaisers aufs Äußerste entehrt hat, so ist es nur folgerichtig, wenn er auf sein Zeugnis vor Gericht gleich ganz verzichtet, denn einem solchen ehrlosen Verräter wäre ohnehin nicht Glauben zu schenken. 103 Dass die Konstitution zumindest später auf Gerichtsaussagen bezogen wurde, beweist die Übernahme des Fragments in CTh. 11.39.11, wo es um Zeugenaussagen vor Gericht geht. Aber war dies von Anfang an so intendiert? Im ganzen Kontext geht es ja nur um das Vererben und Erben – man würde doch bei einer so grundsätzlich anders gearteten Maßnahme wie dem Aus102 Vgl. Mommsen, S. 439 Anm. 4, z. B. prägnant bei Paul. sent. 5.15.1: … testes, et eos vel

maxime, quos … vitae humilitas infamarit, interrogari non placuit: in teste enim et vitae qualitas spectari debet et dignitas, »Zeugen …, zumal solche, die ihr niedriger Stand entehrt, darf man nicht befragen; denn bei einem Zeugen muss man sowohl auf die Art als auch auf die Würde des Lebenswandels achten«. 103 Viel später, im Jahr 633 beim vierten Konzil von Toledo, finden wir genau dieses Argument hinsichtlich zwangsgetaufter Juden, die nach erfolgter Rückkehr zum Judentum doch wieder Christen sein wollen (Conc. Tolet. a. 633, p. 240.2–6, Kanon 64): Non potest erga homines esse fidelis qui deo extiterit infidus. Iudaei ergo, qui dudum Christiani effecti sunt et nunc in Christi fidem praevaricati sunt, ad testimonium dicendum admitti non debent, quamvis esse se Christianos adnuntient, quia sicut in fide Christi suspecti sunt, ita et in testimonio humano dubii habentur, »Nicht kann gegen Menschen treu sein, wer sich Gott untreu erwies: Folglich darf man Juden, die zuvor zu Christen gemacht wurden und nun den Glauben an Christus verraten haben, nicht zur Zeugenaussage heranziehen, so sehr sie auch von sich behaupten mögen, Christen zu sein, da sie ja hinsichtlich des Zeugnisses unter Menschen als gleichermaßen suspekt erscheinen wie hinsichtlich ihres Glaubens an Christus«. Dies ist ein weiteres Beispiel für einen Kanon dieses Konzils, der einen direkten Bezug zur spätantiken Apostasiegesetzgebung zeigt (→ S. 731).

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schluss der Apostaten von gerichtlichen Zeugenaussagen erwarten, dass dies entsprechend hervorgehoben würde. Wer immer dieses Gesetz formulierte, wollte wohl kaum eine neue Regelung schaffen; man dachte fraglos nur an die Zeugnisleistung bei Testamentserrichtungen. Später, angesichts des auf beide Konzepte beziehbaren Worts testimonium und der grundsätzlichen Logik (Apostaten als Verräter sind keine vertrauenswürdigen Zeugen), verstand man die Regelung ausgreifender, wobei »später« hier vermutlich erst den Zeitpunkt der Kompilation des Codex Theodosianus meint; denn keines der weiteren Apostatengesetze wiederholt das testimonium-Verbot, und auch die anderen Heterodoxengesetze kennen eine solche Sanktion nicht. Erst im Jahr 531, unter Justinian (CI. 1.5.21), findet sich eine weitere Regelung hinsichtlich Zeugenaussagen von Heterodoxen: Heiden (also auch Nichtapostaten), Samaritanern, Manichäern, Montanisten und Mitgliedern dreier weiterer Sekten wird jeder legitimus actus verboten. Alle anderen Häretiker hingegen und auch Juden durften untereinander und gegeneinander aussagen, nicht aber gegen Orthodoxe (vgl. dazu auch Nov. Iust. 45.1 von 537); auch konnten sie sine ulla distinctione, »ohne jeden Unterschied«, als Beglaubigungszeugen z. B. bei Testamenten mitwirken, und zwar propter utilitatem necessarii usus, »zur Vereinfachung des unerlässlichen Geschäftsverkehrs«. Ist meine Deutung richtig, d. h., sollte sich CTh. 16.7.4 tatsächlich nur auf das testamentarische Beglaubigungszeugnis bezogen haben und hätte Justinian später die Inspiration für seine viel weiter reichende Regelung eben daraus gezogen, dann hätte er in gewisser Weise 104 die ursprüngliche Intention ins Gegenteil verkehrt! Im letzten Satz des Principiums rechtfertigt sich Theodosius, warum er die getauften Heidenapostaten nicht gleich verbannt. Tatsächlich wäre diese Strafe aus mehreren Gründen naheliegend gewesen. Gegen die Manichäer – eine der beiden Gruppen neben den Eunomianern, für die im Jahr 391 erbrechtliche Sanktionen galten – wurde die Verbannung sehr oft verhängt (→ S. 485). Ansonsten haben wir die Verbannungsstrafe in vielen Kontexten als die Standardbestrafung von häretischen Klerikern angetroffen (→ S. 321). Theodosius tut also gut daran, gegenüber seinen untergebenen Richtern eine von ihm gewünschte Andersbehandlung von Heidenapostaten explizit ins Gesetz zu schreiben. Warum aber zeigt er sich so nachsichtig? Vielleicht erklärt

104 »In gewisser Weise«, weil Apostaten (als Heiden) bei Justinian von jedem Rechtsakt,

mithin auch vom Beglaubigungszeugnis, ausgeschlossen sind. Die Situation der theodosianischen Apostaten ist also nur im Vergleich zu den von Justinian privilegierten Häretikern mit dem Verbot des Gerichtszeugnisses, aber der Zulassung zum Beglaubigungszeugnis ins Gegenteil verkehrt.

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sich dies damit, dass von Apostaten (anders als von häretischen Klerikern) keine Missionsgefahr ausging und dass sie (anders als Manichäer) auch keine diffusen Ängste vor konspirativen Umtrieben auslösten. Man sollte zudem Theodosius’ eigene Begründung ernst nehmen: Entehrt konnte man sie vor Ort belassen, zur eigenen sozialen Bestrafung und womöglich auch zur Abschreckung für andere. Dies erinnert an eine Passage bei Asterios, wonach unter Julian Abgefallene später ein unstetes Leben als Verfemte führen mussten (→ S. 70329). § 1 besagt, dass getauften Apostaten paenitentia nicht hilft und sie keinerlei Möglichkeiten haben, den Sanktionen wieder zu entkommen. Theodosius macht sehr klar, dass die erfolgte Taufe die Scheidelinie markiert; abgefallenen Katechumenen (lapsi et errantes) kann dagegen Gnade gezeigt, »geholfen« (subveniri), werden. 105 Diese Regelung erklärt sich aus der besonderen Bedeutung der damaligen Taufe, der angesichts der höchst aufwändigen altkirchlichen Bußpraxis (→ S. 693) ein ganz anderer Stellenwert als später zukam. Wir können hier einen seltenen Akt kaiserlicher Gnadenverweigerung beobachten; zumeist war den Kaisern so sehr daran gelegen, Heterodoxe zur Rechtgläubigkeit zu bewegen, dass sie nach der Bekehrung bereitwillig beide Augen hinsichtlich früheren Fehlverhaltens zudrückten (vgl. Theodosius’ Sohn Honorius, → S. 565). Aber bei einer Apostasie nach erfolgter Taufe war für Theodosius I. die rote Linie überschritten. Was genau ist mit der paenitentia gemeint, die in § 1 zweimal erscheint? Wichtig ist der (an sich mysteriöse) Hinweis, dass paenitentia bei anderen crimina normalerweise (solet) hilft, denn im römischen Strafrecht ist Reue grundsätzlich unbeachtlich. Zunächst einmal sollte klar sein, worum es nicht geht, nämlich natürlich nicht um paenitentia im privatrechtlichen Sinne, also den Sinneswandel bezüg105 Was mit lapsi et errantes gemeint ist, ist eindeutig, denn sie stellen den Gegensatz zu

den sanctum baptisma profanantes dar (so bereits Gothofredus, S. 231). Rauschen, S. 339 Anm. 2, bezieht den Ausdruck auf Christen, »welche andere Sünden als Apostasie begehen«, wo dann Reue helfe – aber im Kontext geht es um eine staatliche, nicht göttliche Strafe, und »andere Sünden« ziehen üblicherweise keine staatlichen Strafen nach sich. Giandomenici, S. 608 f., dachte, dass mit lapsi et errantes Lapsi im technischen Sinn (also Personen, die zu heidnischen Handlungen gezwungen wurden, → S. 690) gemeint sein könnten; doch dies ergäbe im Kontext wenig Sinn. Baccari 1981, S. 569, behauptet (ohne nähere Begründung), es handele sich um Fälle mit »mildernden Umständen«, für Vincenti, S. 401 Anm. 5, sind die perditi »apostati giudiziariamente accertati come tali«, die lapsi also wohl Apostaten ohne amtliche Anerkennung; Cococcia, S. 464 f., beschränkt sich auf ein Referat der verschiedenen Forschungsmeinungen.

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lich eines bereits vorgenommenen Rechtsgeschäfts (»ich bekam einen Staubsauger an der Haustür aufgeschwatzt und will den Kauf, nachdem ich einmal darüber geschlafen habe, wieder ungeschehen machen«). Die römischen Juristen diskutieren ausführlich, ob in solchen Fällen eine Rückgängigmachung möglich sein kann (dass eine solche Möglichkeit der Rückgängigmachung in bestimmten Situationen des geltenden Rechts gelegentlich in der Literatur »Reurecht« genannt wird, ist tatsächlich ein Überbleibsel dieser antiken paenitentia). Dass ich dies hier überhaupt erwähne, liegt daran, dass mehrere Nichtjuristen bei der Besprechung dieser CTh.-Stelle verwirrenderweise auf paenitentia in der romanistischen Literatur – sprich: Reurechtsdiskussionen – verwiesen haben. 106 Ist mit paenitentia vielleicht die kirchliche Pönitenz gemeint? 107 Das würde bedeuten: Selbst nach paenitentia, also vollzogener Kirchenbuße (→ S. 693), durch die der Büßer die religiöse Rekonziliation erreicht, sollen für ihn weiter die privatrechtlichen Einschränkungen gelten. Man hat sogar vermutet, 108 dass der als CTh. 16.7.4 überlieferte Teil der Originalkonstitution 106 Im Artikel von Uhalde werden verschiedene Konzepte, denen das Wort paenitentia

entspricht (Sinneswandel beim Rechtsgeschäft, Kirchenbuße, strafrechtlich möglicherweise beachtliche Reue) zwar anfänglich besprochen, danach aber merkwürdigerweise nicht mehr streng geschieden, mit entsprechenden Folgen für die Belastbarkeit seines Arguments (eine andere Bedeutung als »penance«, d. h. Kirchenbuße, für das vorliegende Gesetz diskutiert er gar nicht). Hornung, S. 274: »der Terminus paenitentia ist nicht auf das kirchliche Bußverfahren zu beziehen« mit Anm. 674: »Die kirchliche Buße bleibt im Römischen Recht grundsätzlich ohne rechtliche Konsequenzen; vgl. Berger, Dictionary 616 f. [richtig: 616] s. v. paenitentia«. Doch der Artikel paenitentia im »Encyclopedic Dictionary of Roman Law« von Adolf Berger handelt nicht von der kirchlichen Buße, sondern ausschließlich vom Sinneswandel im Privatrecht, und nur über ihn sagt Berger: »Generally paenitentia is without any legal effect«. 107 So Hillner, S. 110: »The law clearly said that apostates were excluded from pardons although they had undergone penance (paenitentia)«, aber so »clearly« sagt es das Gesetz nur dann, wenn man keine andere Bedeutung von paenitentia in Erwägung zieht. In ihren Ausführungen zu CTh. 16.7.4 findet sich noch mehr Fragwürdiges – so die Behauptung, dass Theodosius mit dem vorliegenden Gesetz die Verbannung gegen Apostaten verhängt (was er ja gerade nicht tut). 108 Uhalde, S. 221: »Umberto Vincenti has proposed that the reason the imperial council wrote was because one or more persons, already convicted for apostasy, had actually done penance and submitted a petition for pardon … While Vincenti does not address how and where penance was performed, the easiest solution surely is to image convicted persons repenting in the church, then proceeding to tell the prefect they had done so«. Daraus wird bei Hillner, S. 110: »it has been argued that it [CTh. 16.7.4] was reacting to a particular practice where public convicts … had submitted

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auf eine konkrete Anfrage zurückging: Kann ein getaufter Apostat, der sich der Kirchenbuße unterworfen hat, auf diese Weise die privatrechtlichen Sanktionen abschütteln? Die zugrunde liegende Idee wäre dann: »Normalerweise hilft Pönitenz gegen Strafen [nämlich: Kirchenstrafen] – nicht aber im vorliegenden Fall gegen meine erbrechtlichen Sanktionen«. Aber dieser Gedankengang ist unstimmig, denn gegen weltliche Strafen – um die es hier geht – hilft Kirchenbuße auch ansonsten nicht. Ginge es bei paenitentia um die Kirchenbuße, müsste der logische Gegensatz vielmehr lauten »Buße hilft gegen Kirchenstrafen, nicht aber gegen staatliche Strafen«. Tatsächlich scheint mir im Kontext nur eine Deutung von paenitentia plausibel, nämlich als ausnahmsweise strafrechtlich beachtliche Reue. Wie bereits erwähnt, ist im römischen Strafrecht die Reue grundsätzlich unbeachtlich. 109 Mommsen (S. 1044 mit Anm. 5) sieht die Möglichkeit einer solchen Reue nur bei Gesinnungsverbrechen, und zwar sowohl für Christen in heidnischer Zeit als auch für Heterodoxe in christlicher Zeit; er deutet diese beachtliche Reue zögerlich »als bedingte Begnadigung«. In einigen CTh.-Konstitutionen – die allerdings aus der Zeit nach Theodosius I. stammen – findet sich klar ausgedrückt, dass eine Abkehr vom Fehlglauben – sprich: paenitentia – vor der Strafe schützt. 110 Aber die Idee, dass der geläuterte Heterodoxe nicht für to ecclesiastical penance and used this as grounds for a petition of pardon«, wobei sie für diese Aussage nicht auf Uhalde verweist (dem sie sonst eng folgt), sondern auf Vincenti. Tatsächlich sagt Vincenti (S. 402) nur, das Gesetz sei womöglich nötig geworden »a fronte della paenitentia dell’apostata, magari illustrata attraverso un’ornata apologia«. Von »had actually done [!] penance« (Uhalde) oder gar »submitted to ecclesiastical [!] penance« (Hillner) steht bei Vincenti nichts, und da eine »ornata apologia« nichts mit altkirchlicher Bußpraxis zu tun hat, scheint Vincenti vielmehr eine Reuebezeugung gegenüber dem Kaiser anzunehmen. 109 Für das Argument vgl. Mommsen, S. 1044. Waldstein plädiert für die gegenteilige Ansicht, doch seine Belege sind schwach, und er muss eindeutige Passagen mit großem Aufwand wegdiskutieren. Sein Hauptargument ist ausgerechnet unser CTh. 16.7.4 § 1, für den er überhaupt keine andere Interpretation in Erwägung zieht (Waldstein, S. 1008: »Dieser … Nebensatz … läßt erkennen, daß die genannten Kaiser [→ S. 245369] ganz selbstverständlich von einer Beachtlichkeit der tätigen Reue bei den anderen Verbrechen ausgehen«). Auf S. 1000 zitiert Waldstein die Ausnahme, die Mommsen für Gesinnungsverbrechen macht; dass sein eigener Kronzeuge CTh. 16.7.4 ausgerechnet ein solches Gesinnungsverbrechen behandelt (und man dies bei der Interpretation der darin genannten alia crimina in Rechnung stellen sollte), übersieht Waldstein. 110 So CTh. 16.5.40 § 5 (407, Honorius gegen Manichäer und Montanisten, delicti enim veniam paenitentibus damus, → S. 478); CTh. 16.5.41 (407, Honorius bezüglich sämtlicher Häretiker, namentlich werden Donatisten und Manichäer genannt, → S. 565).

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seine vergangenen Verfehlungen sanktioniert wird, solange er nur jetzt dem rechten Glauben folgt, ist grundlegend für die gesamte Religionsgesetzgebung, die ja die Bekehrung zum Ziel hatte (nicht das Bestrafen aufgegebener Gesinnungen). Doch wer nach der Taufe in den Götzendienst zurückfiel, war für Theodosius I. definitiv zu weit gegangen. Der Gedanke ist also: »Normalerweise hilft eine Gesinnungsänderung gegen Strafen [im Rahmen der Religionsgesetzgebung] – nicht aber im vorliegenden Fall«. Dass diese Idee richtig ist, erweist sich zudem aus dem Kontext. Der ganze Satz lautet ja: non flagitium morum oblitterabitur paenitentia neque umbra aliqua exquisitae defensionis aut muniminis obducetur, sprich: Wer als Getaufter abfällt, hat eine Brücke hinter sich abgerissen, weder paenitentia noch eine gute Verteidigung noch massive Protektion helfen da noch. Da nun defensio und munimen im Satz die gleiche Wertigkeit wie paenitentia besitzen und potenziell gegenüber dem Kaiser ins Spiel gebracht werden, muss es sich auch bei der paenitentia um Reue gegenüber dem Kaiser handeln. Der als CTh. 16.7.5 überlieferte Text behandelt den Fall, dass Apostaten einen erworbenen (splendor dignitatis collatus) oder angeborenen (splendor dignitatis ingenitus) Rang besitzen. Die hier gewählten, sehr allgemeinen Tatbestandsformulierungen (sacrosanctae religionis cultu et reverentia desciscere sowie se sacrificiis mancipare) erfassen alle Heidenapostaten von Rang, ob nun getauft oder ungetauft. Der zweite Ausdruck – se sacrificiis mancipare – ist bemerkenswert: Ist das Teilnehmen an oder Veranstalten von Opferungen tatsächlich tatbestandlich? In einem späteren, sehr viel klarer formulierten Apostatengesetz geht es zweifelsohne um die Durchführung von Opferungen (→ S. 759). Hier scheint mir dies jedoch unwahrscheinlich. In zwei weiteren Gesetzen desselben Jahres 391 untersagt Theodosius heidnische Praktiken, nämlich das Opfern von Tieren, das Betreten und Umkreisen von Tempeln sowie das Verehren von Statuen (CTh. 16.10.10 vom 24. Februar 391 – zu diesem Zeitpunkt ist Theodosius noch in Mailand – sowie CTh. 16.10.11 vom Dort findet sich auch das Stichwort paenitentia: Licet crimina soleat poena purgare, Nos tamen pravas hominum voluntates admonitione paenitentiae volumus emendare, »Obwohl man Verbrechen gewöhnlich durch Bestrafung sühnt, wollen Wir gleichwohl die verdorbenen Gesinnungen der Menschen lieber bessern, indem wir sie zur Reue [paenitentia] mahnen«. Diese Reue wird genau erklärt: Sie besteht nicht in der Buße, sondern in einem einfachen Bekenntnis zur Orthodoxie. Ferner Sirm. 6 (425), Omnes igitur personas erroris infausti iubemus excludi, nisi his emendatio matura subvenerit, »Alle Personen, die einem unheilvollen Aberglauben anhängen, sollen – so befehlen wir – [aus den Städten] vertrieben werden, sofern ihnen nicht ein rechtzeitiges Umdenken zu Hilfe kommt«. Vgl. zu einigen dieser Stellen auch Barnard, insb. S. 137 f.

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16. Juni 391 an ägyptische Funktionäre – nunmehr hat er über Concordia, wo unser Apostatengesetz erging, Aquileia erreicht). Zwar gelten die Verbote eigentlich für jedermann, doch Strafen werden in beiden Konstitutionen nur für Statthalter festgelegt, die Tempel betreten (sowie für ihre Officia, die dies nicht verhindern): Vier bis fünfzehn Pfund Gold (je nach Rang) in der ersten Konstitution, fünfzehn Pfund Gold in der zweiten. Nun gehört unsere vorliegende Apostatenregelung chronologisch zwischen diese beiden; wenn Theodosius im Februar und im Juni bereits Tempelbetretungen für justiziabel hält, wird er im Mai nicht erst bei Opfern angesetzt haben, zumal er für sie in anderen Regelungen eine besonders qualvolle Todesstrafe vorsieht (CTh. 16.10.9, 385: für Opfer zum Zweck der Eingeweideschau) oder sie dem Majestätsverbrechen gleichstellt (CTh. 16.10.12, 392). Ich gehe daher davon aus, dass se sacrificiis mancipare lediglich allgemein den heidnischen Kult meint und die Formulierung pejorativ sein soll (i. S. v. »sich zum Sklaven der sacrificia, d. h. des Heidentums, machen«). Der Vergleich mit CTh. 16.10.10 und CTh. 16.10.11 ist noch in anderer Hinsicht instruktiv. Alle drei Konstitutionen (also diese beiden und CTh. 16.7.4 f.) sind gleich aufgebaut: Erst das allgemeine Verbot (Nemo se hostiis polluat; Nulli sacrificandi tribuatur potestas; Ii, qui sanctam fidem prodiderint), dann ein Absatz in ähnlicher Länge nur zu Standespersonen; CTh. 16.10.11 hat zudem (ganz wie CTh. 16.7.4 f.) zwischen dem allgemeinen Verbot und der speziellen Sanktionierung der Statusinhaber noch die deklaratorische Aussage, dass man keine Gnade zu erwarten habe (nullis exuendum se indulgentiis recognoscat, »möge sich dessen bewusst sein, dass er keinesfalls aufgrund von Gnadenerweisen davonkomme«). Die Strafe, die hochgestellte Apostaten trifft, ist Rangverlust oder, mit anderen Worten, Infamie (→ S. 364), 111 die als dauerhaft, perpetua, charakterisiert wird (dazu → S. 391). Zur Formulierung cum hominibus … commune und dem korrespondierenden Ausdruck gratiam communionis exosi ab hominibus recesserunt vgl. → S. 350. Der Kaiser setzt hier »Christentum« und »Menschheit« gleich, denn der Hass auf die (Glaubens-)Gemeinschaft (communio), 112 Von Pommeray (S. 236 f.) völlig missverstanden, offensichtlich schon auf elementar sprachlicher Ebene: »Une constitution … affirme que l’infamie aurait un effet insuffisant si, entraînant une déchéance sociale, elle permettait aux hérétiques de se perdre dans le commun du peuple« – übrigens geht es gar nicht um Häretiker, sondern um Apostaten. Ebenfalls irrig Impallomeni, S. 70, der de loco suo … deiecti als Verbannungsstrafe auffasst (»verrebbe comminata la deiezione dal luogo di residenza«) und glaubt, die hier angedrohte Infamie sei ein Privileg (!) für Statusinhaber, die ja ansonsten wegen Opferungen hingerichtet würden. 112 Die abweichende Interpretation von Enßlin, S. 77 (»die Gnadengabe der Kom111

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manifestiert in der Apostasie, führt dazu, dass die Betroffenen nichts mehr mit der (ganzen) Menschheit gemein haben. Wie lassen sich die Apostatenregelungen von Concordia kontextualisieren? CTh. 16.7.4 bringt gegenüber CTh. 16.7.2 keinerlei explizite Neuerung, sofern wir den Ausschluss vom testimonium auf das Solennitätszeugnis beziehen. Deklaratorisch wird die Unbedingtheit der Strafe betont, andererseits macht der Kaiser klar, dass die Verbannung als Bestrafung nicht in Betracht kommt. Die Infamie für Ranginhaber von CTh. 16.7.5 ist hingegen eine echte Neuerung. Wir haben gesehen, dass die Heidengesetze von Mailand (CTh. 16.10.10) und Aquileia (CTh. 16.10.11), die auf derselben Rückreise des Theodosius I. nach Konstantinopel ergingen, strukturell ähnlich aufgebaut sind. Freilich darf man die Unterschiede nicht ignorieren: Die Heidengesetze bedrohen Statthalter und ihre Funktionäre, das Apostatengesetz Ranginhaber jeder Art; die Heidengesetze sehen Geldstrafen vor, das Apostatengesetz die schlimmere (→ S. 367) Infamie. Doch gerade diese Schärfung ist naheliegend, ist doch der Verrat am Christentum und die Rückkehr zum Heidentum schändlicher als das Heidentum an sich. Wenn es einen konkreten Anlass für diese Strafandrohungen gegen ranghohe Personen gegeben hat, so ist uns dieser unbekannt. Aufgrund der verschiedenen Konstitutionen an unterschiedliche Adressaten spricht wohl mehr dafür, dass Theodosius gestalten wollte und daher auf seiner Reise durch Norditalien diverse Maßnahmen erließ, um die Führungsschicht in Richtung Christentum zu lenken.

CTh. 16.7.6 [23. März 396] Impp. Arcadius et Honorius AA. Caesario ppo. Eos, qui, cum essent Christiani, idolorum se superstitione impia maculaverint, haec poena persequitur, ut testandi in alienos non habeant facultatem. Sed certa his generis sui propago succedat, id est: pater ac mater, frater ac soror, filius ac filia, nepos ac neptis. Nec ulterius sibi progrediendi quisquam vindicet potestatem. Dat. X kal. April. Constantinopoli Arcadio IIII et Honorio III AA. conss. Die Kaiser Arkadius und Honorius an den Prätoriumspräfekten Caesarius: Diejenigen, die sich, obgleich sie Christen waren, mit dem ruchlosen Irrglauben der Götzen besudelten, trifft als Strafe, dass sie nicht über die Möglichkeit vermunion hassend«) scheint angesichts der sonstigen Belege für communis usw. in diesem Kontext wenig plausibel.

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apostaten fügen, zugunsten Fremder ein Testament zu errichten. Vielmehr sollen ihnen [nur] festgelegte Angehörige der eigenen Familie nachfolgen, nämlich: Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Sohn und Tochter, Enkel und Enkelin. Keiner soll sich das Recht anmaßen, weiter zu gehen. Abgeschickt am 10. Tag vor den Kalenden des April in Konstantinopel unter dem Konsulat der beiden Kaiser Arkadius (zum 4. Mal) und Honorius (zum 3. Mal). [23. März 396]

Dieses Fragment stammt aus der Phase, in der Eutrop das Ostreich kontrollierte. Weder aus der Gesetzgebung seit Eutrops Machtübernahme noch aus der uns bekannten politischen Geschichte lässt sich ein Kontext für die vorliegende Maßnahme ableiten. Angesichts der Tatsache, dass Arkadius’ Herrschaftsantritt zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als ein Jahr zurücklag, wird man nicht an eine anlasslose Bestätigung der Apostatengesetzgebung glauben (Theodosius’ Häretikergesetzgebung wurde hingegen ziemlich bald nach dem Thronwechsel als weiter gültig bekräftigt, → S. 652). Der exzerpierte Regelungsgehalt von Arkadius’ Gesetz ist auffällig knapp. Es wird keine Unterscheidung zwischen getauften und ungetauften Apostaten getroffen, auch findet sich ein Verbot des Erbens durch Apostaten nicht einmal angedeutet. All dies sind Indizien dafür, dass diesem Kaiserbrief eine konkrete Anfrage zugrunde lag, in der es um das Vererben durch einen Apostaten ging (von dem im Kontext klar war, ob er nun getauft oder ungetauft war, weswegen dies in der Antwort keine Rolle spielt) und die man größtenteils unter Rückgriff auf die gültigen Regeln beschied. Eine Abhängigkeit von CTh. 16.7.2 liegt nahe. Aus testandi … in quaslibet alias personas ius adimatur wird testandi in alienos non habeant facultatem. Wie in CTh. 16.7.2 formuliert man, dass Apostaten kein Testament zugunsten »Fremder« errichten dürfen, was zu implizieren scheint, dass sie zugunsten Verwandter sehr wohl testieren können. Unmittelbar danach wird verfügt, dass ihnen nur bestimmte, sehr nahe Angehörige nachfolgen (!) dürfen und sich ja niemand herausnehmen darf, weiter zu gehen. Das »weiter zu gehen« kann sich nur auf den Inhalt des Testaments beziehen, d. h., der abgefallene Erblasser darf nur Personen aus den genannten Gruppen testamentarisch berücksichtigen (der Intestaterbgang bleibt hingegen weiter unreguliert). Dass diese Interpretation richtig ist, beweist CTh. 3.12.3, eine Konstitution, die ein Dreivierteljahr später abgeschickt wurde (8. Dezember 396) und sich gegen Inzuchtehen richtet. Der Zusammenhang zwischen der vorliegenden Konstitution und CTh. 3.12.3 ist nicht nur aufgrund der Chronologie und ähnlichen Mechanik, sondern zudem aufgrund sprachlicher Anleihen evident

cth. 16.8.28 und 16.7.7 [7. april 426]

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(→ S. 311). In CTh. 3.12.3 macht die Formulierung unzweifelhaft klar, dass die betroffenen Personen zwar ein Testament errichten, darin aber nur den vom Gesetzgeber vorgesehenen Personenkreis begünstigen dürfen. Ein solches auf eine bestimmte Gruppe eingeschränktes Testierrecht ist rechtstechnisch ziemlich ungewöhnlich. Auch stellt es einen evidenten Widerspruch zur Vorstellung dar, Heterodoxen sei das Testieren untersagt worden, um sie symbolisch von der Gemeinschaft auszuschließen (→ S. 258). Denn solange der Testierakt stattfindet, unterliegen die Betroffenen klar römischem Recht – so sehr sie auch beschränkt sein mögen, letztlich »gehören sie dazu«. Die Liste der erbfähigen Verwandten von CTh. 16.7.6 ist bemerkenswert. Im Vergleich zu CTh. 16.7.2 wurde die Liste erweitert: die Elterngeneration (in CTh. 16.7.2 ganz fehlend) erscheint; nicht nur vaterblütige Geschwister, sondern Geschwister schlechthin sind erbfähig; statt filii (was generell »Abkömmlinge« bedeutet, vgl. Paul. D. 50.16.84) findet filius ac filia, nepos ac neptis Verwendung, was jede Diskussion ausschließt. Insgesamt erinnert die Aufzählung der certa propago von CTh. 16.7.6 stark an die decem personae (→ S. 474), doch die Großelterngeneration fehlt, und die Geschwister sollten am Ende stehen, nicht vor den Abkömmlingen. Die Formulierung des Tatbestands – qui, cum essent Christiani, idolorum se superstitione impia maculaverint – würde streng genommen private Idololatrie abdecken. Auch fehlt im Gegensatz zu CTh. 16.7.2, CTh. 16.7.3 und CTh. 16.7.4 f. ein Verb vom Typ migrare oder transire. Demnach wären ausnahmsweise auch Halbchristen (und nicht nur Renegaten) von einem CTh.16.7-Gesetz erfasst. Freilich ist nach aller Wahrscheinlichkeit der Tatbestand deswegen so flüchtig umrissen, weil der Kaiserhof hier auf eine Anfrage antwortet und es damit ohnehin nicht fraglich war, um wen und um welche Handlungen es geht. Bei einer echten Neuregelung in Abweichung vom bisherigen Status quo würde man klarere Formulierungen erwarten, wie sich im Vergleich mit dem nun zu besprechenden CTh. 16.7.7 erweist: Dort betont der Gesetzgeber ausdrücklich, dass er jetzt eine restriktive Definition des Tatbestands geben möchte und so die Strafbarkeit auf Leute beschränkt, die Opfer (in eigener Person oder mittelbar) durchführten.

CTh. 16.8.28 und 16.7.7 [7. April 426] Obwohl das Datum in der Überlieferung leicht abweicht (VI id. April. bei CTh. 16.8.28 gegenüber VII id. April. bei CTh. 16.7.7), besteht kein Zweifel daran, dass wir es hier mit zwei Fragmenten derselben Konstitution zu tun haben.

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apostaten

Denn ansonsten sind Inskription und Subskription identisch; inhaltlich wird Nahverwandtes geregelt (nämlich jeweils das Testierrecht von Heterodoxen); und CTh. 16.8.28 endet mit Et cetera, während CTh. 16.7.7 mit Post alia einsetzt, ein Befund, der sich nachweisbar in vielen Fällen bei CTh.-Fragmenten findet, die zum selben Ursprungsgesetz gehören (→ S. 214). Das richtige Datum ist also VI oder VII id. April., Seeck (S. 352) korrigiert bei CTh. 16.8.28 zu VII id. April. Mit der vorliegenden Konstitution befinden wir uns wieder im Westreich, und zwar im Jahr 426. Erst im Vorjahr war der Usurpator Johannes besiegt und der kleine Valentinian III. im zarten Alter von sechs Jahren zum Augustus erhoben worden, während seine Mutter Galla Placidia angeblich die tatsächliche Leitung übernahm. Bald nach Herrschaftsantritt des Kindkaisers begann eine uns unbekannte Person mit juristischen Ambitionen, sich um die Regelung verschiedener Probleme des Erbrechts zu kümmern. Denn aus dem Jahr 426 sind uns nicht weniger als drei Maßnahmen erbrechtlichen Inhalts bekannt: Auf den 30. Januar (da war Valentinian III. gerade einmal ein Vierteljahr Augustus) ist CTh. 5.1.7 datiert, eine ausführliche Konstitution, die Details des Intestaterbrechts von Müttern regelt. Anfang April folgt die hier zu diskutierende Konstitution zum Erbrecht von Juden und Apostaten, Anfang November schließlich die sehr umfangreiche Oratio (→ S. 161) an den Senat, aus der mindestens ein dutzend Fragmente in den Codex Theodosianus Eingang fanden (sofern es sich tatsächlich um eine einzige Oratio handelt). Während dem Rechtshistoriker die Oratio von 426 heute oftmals nur aufgrund grundsätzlicher Bestimmungen zur Rechtsgeltung (Zitiergesetz, generalitasDefinition …) vertraut ist, betreffen die allermeisten erhaltenen Fragmente das Erbrecht, bei dem Details in prinzipieller Weise geklärt oder modifiziert werden. All dies hinterlässt den Eindruck, dass es 426 im Umkreis der Placidia und des Valentinian jemanden gab, dem es ein Anliegen war, in dieser krisenhaften Zeit ganz grundlegende rechtliche Fragen anzugehen, und zwar einerseits bezüglich der Gültigkeit von Regelungen, andererseits mit Bezug auf privatrechtliche Fragen, insbesondere im Hinblick auf das Erbrecht. Leider besitzen wir keinerlei Fingerzeig, wer diese Person gewesen sein könnte. 113 Impp. Theodosius et Valentinianus AA. Basso ppo. [CTh. 16.8.28] Si Iudaei vel Samaritae filius filiave seu nepos, unus aut plures, ad Christianae religionis lucem de tenebris propriae superstitionis consilio meliore mi-

113 Was aber Honoré nicht von einer willkürlichen Identifikation abgehalten hat,

→ S. 161235.

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graverint, non liceat eorum parentibus, id est patri vel matri, avo vel aviae, exheredare vel in testamento silentio praeterire vel minus aliquid eis relinquere, quam poterant, si ab intestato vocarentur, adipisci. Die Kaiser Theodosius und Valentinian an den Prätoriumspräfekten Bassus: Wenn der Sohn oder die Tochter oder das Enkelkind (eine Person oder mehrere) eines Juden oder Samaritaners aus der Finsternis des eigenen Aberglaubens zum Licht der christlichen Religion in besserem Ratschluss übergeht, soll es den Aszendenten (also: Vater, Mutter, Großvater oder Großmutter) solcher Personen nicht erlaubt sein, sie zu enterben oder sie im Testament stillschweigend zu übergehen oder ihnen weniger zu hinterlassen, als sie erhalten würden, wenn sie im Intestaterbgang berufen wären.

Auffällig ist die sprachliche Ausführlichkeit (filius filiave; unus aut plures; id est patri vel matri, avo vel aviae), die sehr viel eher an republikanische leges als an spätantike Konstitutionen gemahnt. Dasselbe Streben nach vollständiger Abdeckung aller denkbaren Fälle schlägt sich auch darin nieder, dass neben den Juden explizit die Samaritaner genannt werden; dies ist einer von überhaupt nur drei Belegen für »Samaritaner« im Codex Theodosianus, ansonsten wurden sie wohl stillschweigend unter »Juden« subsumiert. 114 Zum Verständnis der Regelung seien ein paar erläuternde Worte zum römischen Erbrecht vorausgeschickt: Ein Erblasser mit sui musste diese ausdrücklich in seinem Testament erwähnen, sie also entweder als Erben einsetzen oder aber ihre Enterbung (exheredatio) proklamieren – bei männlichen sui (also normalerweise Söhnen oder Enkeln eines vorverstorbenen Sohns) hatte

114 Die beiden anderen Gesetze sind CTh. 13.5.18 von 390, in dem es um die Verpflich-

tung von Juden und Samaritanern zur navicularia functio geht, und CTh. 16.8.16 von 404 (dies übrigens wie CTh. 16.8.28 ein westliches Gesetz), wonach Juden und Samaritaner, die sich die Stellung eines Agens in rebus anmaßen, ganz aus der militia auszuschließen seien. Interessanterweise heißt der Judentitel des Codex Theodosianus, CTh. 16.8, De Iudaeis, Caelicolis et Samaritanis, sie werden dort also neben den (reichlich obskuren) Caelicoli explizit genannt. Auch Theodosius II. führt sie in Nov. Theod. 3 §§ 1, 2 namentlich auf. All diese Gesetze haben gemeinsam, dass dort jeweils keinerlei sachliche Unterscheidung zwischen Juden und Samaritanern stattfindet, d. h., sie werden zwar neben den Juden genannt, sie sind aber von denselben rechtlichen Folgen betroffen. Anders freilich im Codex Iustinianus: Nach ihren beiden blutigen Aufständen 484 und vor allem 529 ereilen die Samaritaner besonders strenge Sanktionen (→ S. 801). Sie werden nun auch nicht mehr mit den Juden zusammengefasst (CI. 1.9, De Iudaeis et Caelicolis), sondern erscheinen namentlich nach den Manichäern im justinianischen Titel für »Häretiker, Manichäer und Samaritaner« (CI. 1.5, De haereticis et Manichaeis et Samaritis).

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das einzeln und namentlich zu erfolgen, die weiblichen hingegen konnte man anstandslos en bloc enterben. Ein bloßes Unerwähntlassen (die sogenannte Übergehung, praeteritio) war im klassischen Recht nicht statthaft und zeitigte drastische Rechtsfolgen. 115 In der Spätantike wurde die Übergehung hingegen nicht anders behandelt als eine ungebührliche Enterbung (CTh. 5.1.4 § 3 von 389, CTh. 2.19.6 von 413), zu der wir jetzt kommen: Eigentlich war die vollkommene Testierfreiheit ein charakteristisches römisches Rechtsprinzip. Realiter entwickelte sich indes bereits in klassischer Zeit eine Vorstellung, die unserem Pflichtteilsgedanken im Ergebnis durchaus nahekommt. Ließ ein Erblasser bestimmten nahen Verwandten, zumal den Kindern, nicht ein Viertel dessen zukommen, was ihnen gemäß der Intestaterbfolge zustünde, konnten diese mit der querela inofficiosi testamenti gegen den oder die Erben vorgehen. Dann wurde geprüft, ob sich der Erblasser sittlich richtig verhalten hatte, d. h., ob für ihn gute Gründe bestanden, 116 seinen nahen Verwandten so wenig zu geben (oder sie gar zu enterben). Drang die Querel gegen einen testamentarischen Erben durch, wurde das Testament ex nunc relativ entkräftet, denn der Erblasser muss »quasi verrückt« (color insaniae) gewesen sein. In der Folge wurde der Nachlass im Intestaterbgang vererbt, der Kläger erhielt damit seinen vollen Intestaterbteil (also nicht nur das Viertel) vom jeweils unterlegenen testamentarischen Erben. Die Querel musste innerhalb von fünf Jahren erhoben werden (→ S. 733). Im vorliegenden Gesetz werden zwei Dinge geregelt: Erstens ist der Übertritt eines jüdischen Nachkommen zum Christentum kein guter Grund, um ihn beim Nachlass zu benachteiligen (auch wenn es sich dabei in den Augen des jüdischen Vaters um einen klaren Fall von Ungehorsam handeln mag). Zweitens reicht es nicht einmal, dem übergetretenen Nachkommen ein Viertel seines Intestaterbteils testamentarisch zu gewähren (was ja normalerweise einer Querel vorbeugen würde): Ein solcher Apostat vom Judentum zum 115 Die Übergehung eines Sohns machte im klassischen Recht das ganze Testament

ungültig, die Übergehung einer Tochter hatte dagegen lediglich zur Folge, dass sie an der Erbschaft beteiligt wurde. Vgl. Kaser I, S. 705 f., mit den Belegen, ferner Kaser II, S. 513 f. 116 Diese Enterbungsgründe wurden anscheinend nie scharf definiert, aber vgl. CTh. 2.19.2 (321) für eine allgemeine Beschreibung: Ein Sohn, der die Querel erheben will, soll zeigen nullo suo vitio factum, nec offensionem se parentibus praestitisse, sed iugiter obsecutos, ut naturae ipsius religio flagitabat, disciplinam illaesam inoffensamque servasse, »dass dies [die Enterbung] nicht durch seinen Fehler geschehen sei und dass er seinen Eltern keine Kränkung zugefügt habe, sondern ihnen immerzu gefolgt sei (wie es die Beachtung der Natur selbst erforderte), und dass er seinen Gehorsam unvermindert und ohne Grund zum Anstoß bewahrt habe«.

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Christentum muss mindestens seinen ganzen Intestaterbteil erhalten. Die explizite Erwähnung der beiden Fälle »Enterbung« und »Übergehung« demonstriert erneut das Bestreben des Autors, möglichst alle einschlägigen Varianten abzudecken. Quod si ita forsitan evenerit, iubemus eum ab intestato rescissa voluntate succedere, libertatibus, quae in eodem testamento datae fuerint, si intra legitimum numerum sunt, suam obtinentibus firmitatem. Wenn dies aber trotzdem geschehen sollte, dann sollen sie – so ordnen wir an – unter Aufhebung des Testaments im Intestaterbgang nachfolgen, wobei allerdings Freilassungen, die womöglich in demselben Testament vorgenommen werden, Gültigkeit erlangen (sofern sie sich im Rahmen der gesetzlichen Zahl befinden).

Die Rechtsfolge ähnelt derjenigen einer erfolgreichen querela inofficiosi testamenti: Das Testament verliert seine Gültigkeit (allerdings vollständig, nicht nur relativ wie bei der Querel), die Intestaterbfolge tritt ein. Der Gesetzgeber sieht gar nicht erst die Notwendigkeit einer Querel oder einer anderen Klage vor: Offensichtlich erfolgt die Vernichtung des Testaments in dieser Konstellation von Amts wegen. Dass die Freilassungen des ansonsten aufgehobenen Testaments ihre Gültigkeit behalten, entspricht dem klassischen Recht 117 und dem Gedanken des favor libertatis. Der Verfasser der vorliegenden Konstitution zeigt sich erneut erstaunlich penibel, wenn er explizit darauf verweist, dass die rechtlichen Höchstgrenzen für Freilassungen, wie sie in der augusteischen lex Fufia Caninia definiert wurden, selbstverständlich einzuhalten sind. 118 Si quid maximum crimen in matrem patremve, avum vel aviam tales filios vel nepotes commisisse aperte potuerit comprobari, manente in eos ultione legitima, si accusatio interea iure processerit, parentes tamen sub tali elogio, cui subpeditabunt probabilia et manifesta documenta, solam eis Falcidiam debitae successionis relinquant, ut hoc saltem in honorem religionis electae meruisse videantur, 119 manente, ut diximus, criminum, si probata fuerint, ultione. Et cetera. 117 Kaser I, S. 712 mit Anm. 32, mit Verweis auf Papin. D. 31.76 pr., Papin. D. 44.2.29

pr.; CI. 3.28.13 (239); vgl. ferner Kaser II, S. 136. 118 Danach durften von 2–10 Sklaven maximal die Hälfte, von 11–30 maximal ein Drittel,

von 31–100 maximal ein Viertel, von 101–500 maximal ein Fünftel testamentarisch freigelassen werden, mit 100 Freilassungen als absoluter Höchstgrenze (vgl. Kaser I, S. 297). Vgl. Paul. sent. 4.14.4, leicht abweichende Zahlen bei Epit. Gai 1.2 pr. Die Epitome zeigt, dass die Höchstgrenzen im Westen auch im fortgeschrittenen 5. Jahrhundert noch galten; anders Justinian, der diese Beschränkungen eliminiert (CI. 7.3.1 von 528; vgl. I. 1.7). 119 Das Wort videri bleibt in der Übersetzung unberücksichtigt (→ S. 237).

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apostaten Sollte sich aber klar nachweisen lassen, dass derartige Kinder bzw. Enkelkinder ein sehr schweres Verbrechen wider ihre Mutter oder ihren Vater, ihren Großvater oder ihre Großmutter begangen haben, soll gegen sie [zwar] die gesetzliche Ahndung verbleiben; es sollen ihnen aber (sofern zwischenzeitlich eine Anklage zu Recht erfolgt ist) ihre Aszendenten unter einem solchen Vorbehalt, der mit glaubwürdigen und überzeugenden Nachweisen belegt sein muss, lediglich den falzidischen Teil der geschuldeten Erbschaft hinterlassen, sodass sie [die Nachkommen] sich wenigstens dies zu Ehren der erwählten Religion verdient haben (wobei, wie schon gesagt, die Ahndung der Verbrechen – sofern sie nachgewiesen werden – verbleibt). Und so weiter.

Die Konstitution sieht noch einen weiteren Fall vor: Was soll geschehen, wenn ein jüdischer Abkömmling zum Christentum übertrat, aber seine Aszendenten ein anderen sehr guten Grund hatten, ihn zu enterben? Als »sehr guter Grund« wird nur ein maximum crimen zugelassen, ein untechnischer Ausdruck, den man als »(irgendein) sehr schweres Verbrechen«, nicht als »Mord« verstehen sollte (denn nach dem vollzogenen Mord fehlt dem Erblasser offensichtlich die Gelegenheit, infolgedessen sein Testament zu ändern). Das Gesetz insistiert, dass dann in jedem Fall die strafrechtliche Ahndung von staatlicher Seite erfolgen wird (manente in eos ultione legitima; manente, ut diximus, criminum … ultione). Aber die Untat wider den Aszendenten zeitigt auch eine privatrechtliche Folge: Um das Testament abzusichern, braucht ihm der Erblasser nicht den ganzen Intestaterbteil zu hinterlassen, sondern lediglich ein Viertel desselben (hier Falcidia 120 genannt, → S. 238). [ab hier: CTh. 16.7.7] Post alia: apostatarum sacrilegum nomen singulorum vox continuae accusationis incesset et nullis finita temporibus huiuscemodi criminis arceatur indago. 1. Quibus quamvis praeterita interdicta sufficiant, tamen etiam illud iteramus, ne quam, postquam a fide deviaverint, testandi aut donandi quippiam habeant facultatem, sed nec venditionis specie facere legi fraudem sinantur totumque ab intestato Christianitatem sectantibus propinquis potissimum deferatur. 2. In tantum autem contra huiusmodi sacrilegia perpetuari volumus actionem, ut universis ab intestato venientibus etiam post mortem peccantis absolutam vocem insimulationis congruae non negemus. Nec illud patiemur obstare, si nihil in contestatione profano dicatur vivente perductum.

120 Es gibt anscheinend keinen antiken Beleg für die Junktur quarta Falcidia (nicht

einmal Lex Burg. Rom. 10.3 wird sich als solcher ansehen lassen). Wenn in den Rechtstexten öfters Falcidia allein erscheint, dürfte pars (nicht: quarta) zu ergänzen sein.

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3. Sed ne huius interpretatio criminis latius incerto vagetur errore, eos praesentibus insectamur oraculis, qui nomen Christianitatis induti sacrificia vel fecerint vel facienda mandaverint, quorum etiam post mortem comprobata perfidia hac ratione plectenda est, ut donationibus testamentisque rescissis ii, quibus hoc defert legitima successio, huiusmodi personarum hereditate potiantur. Dat. VII id. April. Ravennae Theodosio XII et Valentiniano II AA. conss. (Nach anderem:) Die Möglichkeit 121 einer unbefristeten Anklage verfolge die frevelhafte Bande 122 der Apostaten, jeden einzelnen! 123 Niemals soll die Verfolgung eines derartigen Verbrechens als verfristet abwendbar sein! 1. Obgleich die früheren Sanktionen gegen sie ausreichen, wiederholen wir gleichwohl auch, dass für sie, nachdem sie vom Glauben abgeirrt sind, keinerlei Möglichkeit besteht, ein Testament zu errichten oder eine Schenkung durchzuführen. Man darf es ihnen darüber hinaus nicht durchgehen lassen, dieses Gesetz durch einen Scheinverkauf zu umgehen. Ihr Vermögen soll vielmehr124 vollständig im Intestaterbgang ihren christlichen Verwandten angetragen werden.

121 Das Wort vox muss hier (ebenso in § 2) »droit … d’intenter un procès« (Blaise s. v. 5,

nicht in Heumann/Seckel) bedeuten; vgl. auch die Diskussion bei Honig, S. 61, der zu einem nicht unähnlichen Ergebnis gelangt, dabei aber nur mit Stellen im CTh. selbst argumentiert. 122 Zu nomen i. S. v. »Gruppe« vgl. Sirm. 3 (nomen episcoporum … ne ad iudicia … ordinariorum … iudicum pertrahatur, »die Gruppe der Bischöfe … soll nicht vor die Gerichte … ordentlicher … Richter gestellt werden«); die dahinterstehende Idee ist nomen als Metapher für all diejenigen, denen man diese Bezeichnung gibt. Vgl. Heumann/ Seckel s. v. 3–5. 123 Die continua accusatio und nullis finita temporibus indago beziehen sich inhaltlich auf die durch die vorliegende Konstitution aufgehobene Verjährung. Mélèze Modrzejewski, S. 572, übersetzt ganz anders, nämlich mit: »Les simples particuliers dénoncent par accusation le nom impie des apostats«, was aber ausgeschlossen ist (der Konjunktiv von incesset wird ignoriert; vox hat mit continuae accusationis bereits ein Genetivattribut, singulorum muss also zu apostatarum gehören; singuli kann nicht »simples particuliers« bedeuten). Genauso unmöglich erscheint die Wiedergabe von Blume/Dillon in Frier (S. 225 als CI. 1.7.4), »The voice of every single person, a voice of continuous accusation, shall assail …«, denn wiederum hätten wir damit ein doppeltes Genetivattribut; und das »every« von »every single« gibt singuli nicht her. 124 Ich verstehe potissimum i. S. v. potius; gegen einen Bezug auf Christianitatem sectantibus (»an ihre Verwandten, vorzugsweise an die christlichen«) spricht die Wortstellung, das Telos sowie der sonstige Gebrauch von potissimum in den Kaisergesetzen (→ S. 237).

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apostaten 2. So sehr wollen wir das Klagerecht gegen derartige Sakrilegien verewigen, dass wir auch nach dem Tod des Frevlers allen Intestaterben 125 die unbeschränkte Möglichkeit einer entsprechenden Klage gewähren. Ferner werden wir nicht als Einwand akzeptieren, wenn vorgetragen wird, dass kein Protest zu Lebzeiten des Frevlers erhoben wurde. 3. Aber damit der Tatbestand dieses Verbrechens nicht aufgrund von Unklarheit zu weit ausgelegt wird: Wir verfolgen mit dem vorliegenden Gesetz diejenigen, die, obwohl sie sich den Namen »Christen« beigelegt haben, entweder Opferungen durchführten oder durchführen ließen. Ihre Treulosigkeit (und sei sie auch erst nach ihrem Tod erwiesen) muss dadurch geahndet werden, dass ihre Schenkungen und Testamente für ungültig erklärt werden und diejenigen, denen die gesetzliche Erbfolge dies anträgt, den Nachlass solcher Leute erhalten. Abgeschickt am 7. Tag vor den Iden des April in Ravenna unter dem Konsulat der beiden Kaiser Theodosius (zum 12. Mal) und Valentinian (zum 2. Mal). [7. April 426]

Es bietet sich an, diesen zweiten erhaltenen Teil, der sich auf Apostaten bezieht, am Stück zu besprechen. Wie im Fall des ersten Fragments mit Bezug auf konvertierte Juden sowie der anderen Regelungen von 426 nimmt sich der für uns anonyme Autor einen Bereich des Erbrechts vor und gestaltet ihn in grundlegender Weise um. 126 Einerseits erleichtert er die Verfolgung, indem er zwei prozessuale Voraussetzungen beseitigt. CTh. 16.7.3 (383, → S. 727) hatte die Einhaltung einer Fünfjahresfrist (analog zur querela inofficiosi testamenti) vorgesehen, »damit nicht der [potenzielle] Schaden einer Beschuldigung die Toten auf ewig quäle und Erbschaftsstreitigkeiten, die infolge der jeweiligen Verjährungsfristen [bereits] gänzlich zur endgültigen Ruhe gelangt sind, auf immer und ewig zu neuen Konflikten auflodern können«. Diese Frist entfällt durch das vorliegende Gesetz, wie mehrfach betont wird (vox continuae accusationis; nullis finita temporibus huiuscemodi criminis … indago; perpetuari volumus actionem; post mortem peccantis absolutam vocem insimulationis congruae). Die Formulierungen sind indes so unklar, dass den Kompilatoren des Codex Iustinianus die Fristaufhebung vielleicht entging. 127 Kann es einen guten Grund geben, die 125 Die Junktur ab intestato venire, »im Intestaterbgang erben«, ist gutes Juristenlatein,

vgl. z. B. Ulp. D. 28.3.2, Paulus bei Papin. D. 28.4.4, Ulp. D. 29.4.1.3, Paul. D. 31.81. 126 Gaudemet 1994, S. 38, meint hingegen zu CTh. 16.7.7: »Pas de nouveauté dans ce

texte«. 127 Im CI. (der ja veraltete Regelungen auslassen soll) findet sich die Fünfjahresfrist von

383 als CI. 1.7.2, die nullis finita temporibus huiuscemodi criminis … indago als CI. 1.7.4. Doch ob die Redakteure einen Fehler machten, ist nicht sicher: → S. 808.

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dem Rechtsfrieden durchaus dienliche Verjährungsregel wieder zu beseitigen? Eher nein; doch andererseits besteht auch keine Gefahr, dass »die Toten auf ewig gequält werden«, denn schließlich können nur die universi ab intestato venientes klagen, d. h., nur zu Lebzeiten der Generation der Intestaterben selbst kann es zu Verfahren kommen. Kommen wir zur zweiten Modifikation. Das Ende von CTh. 16.7.7 § 2 nimmt eindeutig Bezug auf die Regelung von 383, wonach der anfechtende Intestaterbe nachweisen musste, dass er bereits zu Lebzeiten des vorgeblichen Apostaten dessen Lebensweise kritisiert hatte. Diese Bedingung wird explizit aufgehoben. Dies begünstigt den opportunistischen Intestaterben, der den Abfall des (noch lebenden) Erblassers mit Stillschweigen überging, anstatt sich als Vorkämpfer des Christentums zu positionieren. Das nimmt der Gesetzgeber in Kauf, um die postmortale Verfolgung von Apostaten zu vereinfachen. CTh. 16.7.7 hebt also zwei Voraussetzungen auf; dafür werden aber andererseits in § 2 Delatoren von der Klage ausgeschlossen (auch dies ein Unterschied zu CTh. 16.7.3: → S. 734, → S. 761), und in § 3 definiert man einen sehr restriktiven Tatbestand: Den Sanktionen unterliegt nur derjenige, der als Christ geopfert hat oder opfern ließ (wiederum sprachlich im Stil alter leges: sacrificia vel fecerint vel facienda mandaverint) – die bloße Teilnahme an Opferungen, die Betretung von Tempeln oder das Verehren von Götterbildern reichen also offenbar nicht aus. Dies ist der einzige präzise Tatbestand in einem CTh.-16.7-Gesetz – man darf aber ja nicht den Fehler begehen, diese Definition aus dem Jahr 426 zurückzuprojizieren. Denn auch wenn keines der älteren Gesetze eine Definition von Apostasie gibt, so erscheint dort lediglich ein einziges Mal das Wort sacrificium, während sonst nur immer ganz allgemein von einem Übertritt zu »paganen Riten«, »Altären und Tempeln«, »Freveln der Tempel« die Rede ist (→ S. 689). Selbst bei der einen Ausnahme CTh. 16.7.5 wird keine klare Handlung bezeichnet: se sacrificiis mancipassent, »sich Opferungen hingeben«, kann alles Mögliche sein. Unser vorliegendes Gesetz hingegen stellt unzweideutig auf das Durchführen (bzw. Veranlassen) von Opfern ab, verlangt also mehr als eine schiere Teilnahme. Nun sind Opferungen zu diesem Zeitpunkt seit langer Zeit verboten, und zwar regelmäßig unter Androhung der Todesstrafe (vgl. etwa CTh. 16.10.12 von 392); ausnahmsweise sieht CTh. 16.10.23, ein Fragment eines umfangreicheren östlichen Heterodoxengesetzes von 423 (→ S. 681119), »nur« Enteignung und Exil für opfernde Heiden vor, »obwohl man sie eigentlich der Todesstrafe unterziehen müsste«, quamvis capitali poena subdi debuerint (anders dagegen wieder CTh. 16.10.25 von 435, wo Theodosius II. zur Todesstrafe

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für Opfernde zurückkehrt, ebenso Nov. Theod. 3 § 8 von 438, dort mit Vermögenskonfiskation). 128 Doch selbst wenn man im Westen des Jahres 426 die gnädige östliche Konstitution von 423 in der Praxis beachtet haben sollte – es kann angesichts der massiven Sanktionsdrohung schwerlich offen Opfernde gegeben haben. Wendet sich unser Gesetz also gegen Pseudochristen, die heimlich opfern, nach außen hin aber ihr Christentum proklamieren (d. h., nicht von ihrer Gemeinde weggebrochen sind)? In der Tat: Den Tatbestand von § 3 erfüllen solche Personen definitiv. Freilich stellt sich die Frage, wie solche Personen zu klassifizieren wären. Handelt es sich möglicherweise um Halbchristen (→ S. 699), die, ohne sich Böses dabei zu denken, heidnische Opferungen und das Christentum in einer echten Doppelobservanz verbinden? Das mag in den Jahrzehnten vor Theodosius I. noch vorstellbar sein (vgl. → S. 71352), aber kaum im Jahr 426. Wer dann noch das Tieropfer – für den Christen die ultimative Abomination – vollzieht, ist nicht Halbchrist, sondern ein Heide, der sich ein christliches Mäntelchen umgehängt hat (nomen Christianitatis induti). CTh. 16.7.7 folgt der bisherigen Apostatengesetzgebung, insofern Halbchristen weiter straffrei bleiben (harmlosere pagane Praktiken sind ja tatbestandlich ausgeschlossen). Freilich entfällt nunmehr das Kriterium des Verlassens der Gemeinschaft, auch wenn CTh. 16.7.7 die Formulierung a fide deviaverint enthält und das Wort apostata (das ausschließlich hier in den CTh.-16.7-Konstitutionen begegnet) zumindest für den Zeitgenossen Augustin impliziert, dass der Glaubensverrat aperte erfolgt ist (→ S. 700). Durch das Entfallen der Voraussetzungen soll offenbar eine möglichst abschreckende Drohkulisse aufgebaut werden (»opfernde Apostaten kommen keinesfalls ungeschoren davon«); allerdings entstehen, wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, schnell absurde Folgen. 129

128 CTh. 9.42.9 (380) regelt detailliert die Erbfolge bei einem Hingerichteten, mit gewis-

sen Privilegien für die Staatskasse. Diese Konstitution zeigt, dass man in der Spätantike (im Gegensatz zur Hohen Kaiserzeit, vgl. Gai. D. 28.1.8.4, → S. 28143) das Vermögen eines Hingerichteten nicht automatisch einzog. Die Bestimmung von Nov. Theod. 3 § 8 stellt also eine tatsächliche Schärfung dar. 129 Ein suus sollte auf gar keinen Fall den Kryptopaganismus seines Vaters anzeigen. Denn das Familienvermögen könnte dann ohne Weiteres eingezogen werden, sofern jemand auf CTh. 16.10.23 (423) verweist, wo die Enteignung und Verbannung für Opferer festgeschrieben ist. Wartet der suus hingegen einfach untätig bis zum Tod des Vaters ab, befindet er sich in einer rechtlich starken Position: Dann wird er in jedem Fall mindestens einen Anteil erhalten, und zwar unabhängig davon, ob sein

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Baccari (1981, S. 579) behauptet mit Verve (»ritengo che non si possa discutere«), accusatio und indago im Principium seien auf den Akkusationsund Inquisitionsprozess zu beziehen: Jedermann kann, und von Amts wegen soll man, den Prozess gegen (verstorbene) opfernde Apostaten einleiten; dies sei ein großer Umbruch im Vergleich zur Regelung von 383, nach der angeblich ausschließlich »eredi nominati nel testamento« dazu befugt waren. Letztere Einschränkung finde ich nicht in CTh. 16.7.3, und übrigens widerspräche sie jeder Logik (testamentarische Erben wollen doch das Testament gerade nicht entkräften!). Aber auch Baccaris wörtliches Verständnis von accusatio überzeugt nicht (indago ist sowieso ein untechnischer Begriff). Die Regelung des Principiums wird in § 2 wieder aufgegriffen, perpetuari volumus actionem, ut universis ab intestato venientibus … absolutam vocem … non negemus; es geht also nur um eine Klagemöglichkeit der potenziellen Intestaterben (universi ab intestato venientes – also wohlgemerkt nicht von Delatoren, → S. 289, auch dies ein Unterschied zum Wortlaut von CTh. 16.7.3, → S. 734), und diese Klage heißt dort actio. 130 Erstaunlich ist § 1, der, wie dort behauptet wird, nur in aller Kürze die geltenden Regelungen zusammenfassen soll. Denn dieser Abschnitt enthält Bestimmungen, die uns aus den erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen andere Gruppen wohlvertraut sind, hier aber neu gegen Apostaten begegnen: 131 Das Schenkungsverbot – gegen Manichäer seit 381 (CTh. 16.5.7, → S. 437), gegen Donatisten seit 404/5, 132 gegen Eunomianer seit 410 (CTh. 16.5.49 f., → S. 664) belegt – erscheint hier zum ersten Mal bezüglich der Vater zu seinen Gunsten testiert hat oder nicht (in letzterem Fall klagt er nach CTh. 16.7.7). 130 Übrigens haben auch Ulpian und Paulus kein Problem damit, in Zusammenhang mit der Klageerhebung im Rahmen der Querel von einer accusatio zu sprechen: Ulp. D. 5.2.6.2, Si quis instituta accusatione inofficiosi decesserit, an ad heredem suum querellam transferat, »Wenn einer nach Erhebung der Klage [accusatio] wegen inofficiosum testamentum verstirbt, reicht er dann die Querel an seinen Erben weiter?«; Paul. D. 5.2.17 pr., Qui repudiantis animo non venit ad accusationem inofficiosi testamenti, …, »Wer in Ausschlageabsicht an der Klage [accusatio] wegen inofficiosum testamentum nicht teilnimmt, …«. 131 Es könnte sein, dass dieser § 1 für uns nicht greifbare, frühere Konstitutionen bestätigt; doch wahrscheinlicher ist die Vermutung, er systematisiere die Detailregelungen für Erbsanktionen mit der Behauptung, das sei schon immer so gewesen (vgl. → S. 129). 132 Nach dem Wortlaut von CTh. 16.6.4 wird Donatisten allerdings nur untersagt, Schenkungen zu erhalten (nicht aber, sie vorzunehmen); anders das Referat durch Augustin: → S. 560.

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Apostaten. 133 Auch die explizite Untersagung von Verkäufen (als potenzielle fraus legis) taucht hier erstmalig bei den Apostaten auf; bei den Manichäern kennen wir dergleichen seit 407 (CTh. 16.5.40, → S. 476), bei den Donatisten seit 404/5 (sub specie … agitandorum contractuum, CTh. 16.6.4, → S. 558), bei den Eunomianern seit 415 (per … titulum venditionis imaginariae fraus quaedam legi fuerit excogitata, CTh. 16.5.58, → S. 677). Selbst die Beschränkung des Kreises der Intestaterben auf christliche Verwandte ist nach unserer Kenntnis neu, was eine bemerkenswerte Regelungslücke darstellt: Gerade die Nachkommen eines als Heide geborenen Apostaten könnten häufig durchgehend heidnisch verblieben sein, während nur der Erblasser selbst erst Christ und dann Apostat wurde. In § 3, in dem der Inhalt des Gesetzes noch einmal knapp zusammengefasst wird, erscheint dann die Beschränkung auf Christen inkonsequenterweise nicht mehr; im Gegenteil, den Nachlass sollen erhalten ii, quibus hoc defert legitima successio, was offenbar impliziert, dass der Autor des Gesetzes Nichtchristen ohnehin gedanklich von der gesetzlichen Erbfolge ausschließt. Während das Schenkungsverbot und die Untersagung von Umgehungsgeschäften hinzukommen, ignoriert der Autor den Erwerb durch Apostaten ganz. Das Verbot, von Testamenten anderer zu profitieren (CTh. 16.7.2, 16.7.4), wird nicht wiederholt, und auch bei den Schenkungen zieht man ausschließlich den Fall des Apostaten als Schenkers in Betracht. Bei der Einordnung von CTh. 16.7.7 helfen die zahlreichen anderen Rechtstexte, die für dasselbe Jahr 426 überliefert sind. Das zugehörige Fragment CTh. 16.8.28, das Konvertiten vom Judentum zum Christentum erbrechtlich schützt, dürfte beweisen, dass die ursprüngliche Konstitution nicht auf einen konkreten Fall antwortete, sondern vielmehr versuchte, Vererbungsfragen in verschiedenen Konstellationen von Konversionen zu regeln. Diese Deutung wird von den anderen Gesetzen des Jahres 426 bestätigt, in denen ebenfalls erbrechtliche Fragen in grundsätzlicher Weise angegangen werden.

133 Hornung, S. 281: »Oftmals scheinen sie, [sic] letztwillige Zuwendungen vorweg-

zunehmen, um Steuervorteile auszunutzen«. Da es in der Spätantike keine Erbschaftsteuer mehr gab (→ S. 66496), ist diese Idee falsch. Hornung verweist für seine Behauptung auf Kaser II, S. 396 f., wo es aber um ein ganz anderes Thema geht (justinianische Veränderungen am Recht der Schenkungen).

zusammenfassung

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Zusammenfassung Aus mehreren Gründen ist der Lauf der Gesetzgebung gegen Apostaten besonders schwer zu verstehen. So bleiben etwa diese Regelungen für uns völlig abstrakt, weil wir aus der Zeit, in der sie entstanden sind, kaum Apostaten kennen. Die einzigen Jahre, in denen man mit zahlreichen Lossagungen rechnen darf, sind die der Herrschaft Julians. Könnten sich die Apostatengesetze möglicherweise auf Renegaten julianischer Zeit bezogen haben? Die theodosianischen Regelungen stammen aus der Zeit 381 bis 391; ein Karrierist, der sich unter Julian mit (sagen wir) 30 bis 40 Jahren zur Apostasie entschloss, wäre dann also 50 bis 70 Jahre alt und damit in einem Alter gewesen, in dem das Thema der Nachlassregelung (bzw. eines postumen Streits um die Erbschaft) chronologisch plausibel wäre. Abgesehen von Klerikern wie Heron oder Pegasios werden unter Julian – angesichts des üblichen Taufaufschubs unter Laien – vor allem Katechumenen abgefallen sein. Und tatsächlich figurieren diese in der ersten ausführlichen Regelung CTh. 16.7.2 wesentlich prominenter als die getauften Apostaten. Andererseits berücksichtigt kein Gesetz außer CTh. 16.7.4 von 391 den Fall von reuigen Apostaten – und eine solche doppelte Kehrtwendung könnte man sich doch gerade bei Opportunisten gut vorstellen. Aber inwieweit stellte eine solche Reue überhaupt eine reale Option dar? Hat man (vorgeblich) reuige Apostaten von kirchlicher Seite regelmäßig akzeptiert? Wären umgekehrt viele solcher Apostaten bereit gewesen, die Beschwernisse der (fraglos notwendigen) Buße auf sich zu nehmen? Zumindest aus Asterios kennen wir Apostaten, die nach einem Abfall unter Julian lebenszeitlich verfemt blieben (→ S. 70329). Ihre jahrzehntelang zurückliegende Verfehlung könnte verhinderten Intestaterben den Hebel geboten haben, um erfolgreich beim Kaiser eine postume Vernichtung des Testaments zu erreichen. Lässt sich ein möglicher Bezug zu Praetextat oder gar zur Usurpation des Eugenius herstellen? Praetextat starb 384, die Usurpation von Eugenius dauerte vom Sommer 392 bis zum Herbst 394. Für die Zeit zwischen 383 und 391 sind uns aber gar keine Apostatengesetze überliefert, und CTh. 16.7.6 (396), das Arkadius erließ, wird sicher nicht von Ereignissen im Westen veranlasst worden sein. CTh. 16.7.7, ein westliches Gesetz aus dem Jahr 426, schafft die Fünfjahresfrist ab, innerhalb der eine Klage einzureichen ist, und proklamiert, dass Apostaten »auf immer« zu verfolgen seien. Könnte sich dies gegen Personen richten, die während der Usurpation des Eugenius abfielen? Doch sind im Jahr 426 seit Eugenius’ Tod bereits mehr als 30 Jahre vergangen (von Praetextats Tod ganz zu schweigen), und CTh. 16.7.7 scheint nicht von einem

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konkreten Anlass ausgelöst zu sein. Vielmehr gehört das Fragment in den größeren Kontext umfangreicher Neuregelungen im Erbrecht (→ S. 752). Die wenigen historischen Ereignisse, die man eventuell mit Apostasie in Zusammenhang bringen könnte, lassen sich also nicht mit der Gesetzgebung gegen Abgefallene synchronisieren. Übrigens werden in der Literatur die CTh.-16.7-Gesetze regelmäßig als Beleg für häufige Apostasie im späten 4. Jahrhundert angeführt (so bereits Gothofredus, S. 227), was, angesichts des Schweigens aller anderen Quellen (einschließlich der kirchlichen) nicht überzeugt. Die erbrechtlichen Beschränkungen stellen in der Gesetzgebung gegen Manichäer, Donatisten und Eunomianer nur einen geringen Teilbereich der Sanktionspalette dar, während bei den Apostaten ausschließlich sie (abgesehen von der Infamie) erscheinen. Zugegebenermaßen betreffen die meisten Häretikersanktionen nur häretische Kleriker (Apostaten wird man eher mit häretischen Laien vergleichen); zudem macht die verhängte Infamie Apostaten untauglich für die militia (die ihnen deswegen auch nicht eigens verboten werden muss). Trotzdem sind Apostaten deutlich besser gestellt als Manichäer. Sogar die »Taufverräter« werden explizit von der Verbannungsstrafe verschont, die man andererseits regelmäßig gegen Manichäer (Erwählte wie Hörer) verhängt hat (→ S. 485). Was die »verwandten Sanktionen« (Schenkungs- und Kontrahierungsverbote) angeht, so werden sie bei Manichäern, Donatisten und Eunomianern früh angeordnet, während erst CTh. 16.7.7 von 426 derlei Einschränkungen für Abgefallene bringt (das Gesetz lässt ihnen implizit zudem die Möglichkeit, Schenkungen zu erhalten). Die Verpflichtung, das Vermögen zu Lebzeiten an die Verwandtschaft weiterzureichen bzw. es dem Fiskus auszuliefern – wie wir sie bei den Manichäern kennen –, bleibt den Apostaten ganz erspart. Noch erstaunlicher ist ein Vergleich zwischen den Sanktionen für Heidenapostaten und den Strafen, die man in derselben Epoche Heiden an sich androhte. Die durchgehend glimpfliche Behandlung der Apostaten ist auffallend und lässt sich am plausibelsten dadurch erklären, dass es in den CTh.-16.7Gesetzen gar nicht vordringlich um die Bestrafung von Apostaten ging – sondern um die Interessen ihrer potenziellen Intestaterben. Dafür spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass das intestate Vererben der Apostaten nie explizit angetastet wird.

VII

erbrechtliche sanktionen nach 428 Mit dem Ende der 420er Jahre änderten sich bis dahin geltende Grundlagen des römischen Rechtswesens. Anfang 429 wurde die erste Kommission zur Vorbereitung einer Gesetzeskompilation eingesetzt (→ S. 138), und bereits zu diesem Zeitpunkt plante man ein widerspruchsfreies, systematisches Gesetzbuch, ein – angesichts des jahrhundertealten legislatorischen Durcheinanders – revolutionäres Konzept. Auch wenn eine solche Kodifikation im 5. Jh. nicht erreicht werden konnte, bot doch der Codex Theodosianus dank der Verkürzung auf den Regelungsgehalt und der Einteilung der Fragmente in systematische Titel einen nie dagewesenen Zugriff auf die bisherige Gesetzgebung. Ehe wir unser Fazit ziehen, wollen wir uns in der gebotenen Kürze die erbrechtlichen Sanktionen von 428 bis Justinian ansehen. Es handelt sich dabei nur um eine Handvoll Gesetze: Den logischen Schlusspunkt unserer näheren Betrachtung der erbrechtlichen Sanktionen markiert CTh. 16.5.65 von 428, ein Gesetz, in dem man diese Strafen implizit als eine typische Häretikersanktion betrachtet und sie folgerichtig zum ersten Mal unabhängig von den vier Gruppen verhängt. Bis Justinian begegnen die erbrechtlichen Sanktionen noch in einer valentinianischen Novelle gegen die Manichäer (Nov. Val. 18 von 445), in zwei Konstitutionen (von 452 und 455) im Nachgang von Chalkedon gegen die Eutychianer sowie in dem in bester spätantiker Tradition stehenden Edikt des Vandalenkönigs Hunerich, das die römische Häretikergesetzgebung systematisch zusammenfasst und gegen die Homousier (d. h. aus Sicht der kontemporären Mehrheitskirche des Römischen Reichs: gegen die Katholiken) zurückspiegelt. Abschließend sehen wir uns ganz kurz an, wie Justinian die erbrechtlichen Sanktionen systematisiert und wie die entsprechenden Regelungen des Codex Iustinianus im Mittelalter weiterwirkten bzw. rezipiert wurden.

CTh. 16.5.65 [30. Mai 428] CTh. 16.5.65 ist das umfangreichste Fragment des Häretikertitels. Kein Gesetz nennt mehr Häretikergruppen, und nur wenige Regelungen erwähnen eine ähnlich große Vielzahl unterschiedlicher Sanktionsarten. Man hat den Hintergrund dieses auffälligen Texts auf zwei ganz unterschiedliche Weisen

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zu erklären versucht. Seit der Frühen Neuzeit 1 bis heute 2 hat wohl eine Mehrheit der Betrachter CTh. 16.5.65 als durch Nestorios veranlasst gesehen: Nestorios wurde am 10. April 428 Bischof von Konstantinopel und soll angeblich gleich bei diesem Anlass dem Kaiser vor versammeltem Volk erklärt haben: Δός μοι …, ὦ βασιλεῦ, καθαρὰν τὴν γῆν τῶν αἱρετικῶν, κἀγώ σοι τὸν οὐρανὸν ἀντιδώσω, »Gib mir, Kaiser, die Erde gesäubert von Häretikern, und ich werde dir im Gegenzug den Himmel geben« (Socr. 7.29.4 f.). Nestorios verlor keine Zeit, eine antihäretische Kampagne ins Werk zu setzen: Bereits in der ersten Woche seines Episkopats ging er gewaltsam gegen die Homöer (»Arianer«) vor, bald auch gegen Novatianer, Quartodezimaner und Makedonianer (Socr. 7.29.8–12, 7.31.4 f.). Dank dieser Sokrates-Passagen steht fest, dass Nestorios von Anfang an gegen Häretiker mobil machte und dabei zudem den Kaiser einzuspannen versuchte. Das wichtigste Indiz für Nestorios’ Mitwirkung an der Entstehung von CTh. 16.5.65 ist aber eine Passage in einem späteren Text des Nestorios. Im Kontext empört er sich über den Vorwurf, er stelle Christus als Nur-Menschen da. Das griechische Original ist verloren, die erhaltene lateinische Version lautet (ACO 1.4, p. 26.2–4): … tamquam ego Christum purum hominem definirem, qui certe legem circa ipsa meae ordinationis initia contra eos, qui Christum purum hominem dicunt, et contra reliquas haereses innovavi. … als ob ich Christus als reinen Menschen ansähe! [Ausgerechnet] ich, der ich doch mehr oder weniger unmittelbar nach meiner Weihe gegen diejenigen, die Christus als reinen Menschen bezeichnen, und gegen die übrigen Häresien ein Gesetz initiiert habe [innovavi]!

Nun ist legem innovare keine feste Verbindung auf Latein, und es gibt auch keine griechische Junktur, die entstehen würde, ersetzte man lex und innovare durch direkte Entsprechungen. Was also im griechischen Original gestanden haben mag, lässt sich nicht bestimmen, ebenso wenig daher mit philologischer Methodik die genaue Rolle des Nestorios bei der Gesetzesentstehung. Flower (S. 192) fasst ältere Forschungsmeinungen wie folgt zusammen: Nestorios habe die Konstitution »heavily influenced, and possibly even drafted« und übersetzt selbst (Flower, S. 192 f.) mit »I devised a law«. Aufgrund der satt1 2

Baronius, S. 514 C (in späteren Ausgaben: zum Jahr 428, Nr. XXV); Gothofredus, S. 210. So etwa Barone-Adesi, S. 159; Luibhéid, S. 13; Holum, S. 150. Delmaire (I, S. 336) widerspricht, kennt aber offensichtlich die entscheidende Nestorios-Stelle nicht (»rien ne prouve cette affirmation qui ne repose que [!] sur l’affirmation assez vague de Socrate, VII, 29, que …«).

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sam bekannten Abläufe bei der Entstehung spätantiker Gesetze (→ S. 119) wird man freilich allenfalls an eine schriftliche Eingabe des Nestorios denken können. Demnach wäre also CTh. 16.5.65 einer der Angriffsvektoren in Nestorios’ Attacke auf die Häretiker; auch das Datum der Konstitution (30. Mai 428) passt sehr gut zu seiner Angabe, er habe das Gesetz mehr oder weniger unmittelbar nach seiner Ordination (circa ipsa meae ordinationis initia) »initiiert«, die, wie gesagt, am 10. April stattgefunden hatte. Einen ganz anderen Vorschlag machte Humfress (2000, S. 140 Anm. 43), und auch bei ihrer Argumentation spielt die Chronologie eine wichtige Rolle: CTh. 1.1.5, die Konstitution, die das Codex-Theodosianus-Projekt einläutete (→ S. 138), erging am 26. März 429, also weniger als ein Jahr nach CTh. 16.5.65. Vielleicht, so darf man Humfress verstehen, war also unser Gesetz ein intellektueller Vorläufer dieses Projekts, und man muss es als den Versuch verstehen, weite Teile der geltenden Häretikergesetzgebung zusammenzufassen und zu systematisieren. Offensichtlich ist die Idee eines von Nestorios angefragten scharfen Gesetzes gegen sämtliche Häretikergruppierungen kaum mit einer Systematisierung der geltenden Häretikergesetzgebung (die von der kaiserlichen Zentrale selbst ausgehen müsste) zu vereinbaren. Um die Plausibilität beider Ideen abwägen zu können, müssen wir uns das CTh.-Fragment im Detail ansehen. Impp. Theodosius et Valentinianus AA. Florentio ppo. Haereticorum ita est reprimenda insania, ut ante omnia quas ab orthodoxis abreptas tenent ubicumque ecclesias statim catholicae ecclesiae tradendas esse non ambigant, quia ferri non potest, ut, qui nec proprias habere debuerant, ab orthodoxis possessas aut conditas suaque temeritate invasas ultra detineant. Die Kaiser Theodosius und Valentinian an den Prätoriumspräfekten Florentius: Dem Irrsinn der Häretiker muss folgendermaßen Einhalt geboten werden: Zunächst einmal sollen sie keinerlei Zweifel daran haben, dass sie überall die Kirchen, die sie den Orthodoxen raubten und nun besetzen, sofort der katholischen Kirche übergeben müssen. Schließlich ist es unerträglich, dass Leute, die nicht einmal eigene Kirchen hätten haben dürfen, solche, die von Orthodoxen besessen oder gebaut wurden und derer sie sich in ihrer Frechheit bemächtigt haben, weiterhin besetzen.

Die Wegnahme häretischer Kirchengebäude zugunsten der gerade geltenden Orthodoxie ist eine der klassischen Maßnahmen der Häretikerbekämpfung (vgl. z. B. → S. 508). Hier überrascht die Insistenz darauf, dass zuvor usurpierte Gebäude zurückzugeben sind. Diese Konstellation dürfte doch im Jahr

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428 – wo der Siegeszug der kaiserlich geförderten Orthodoxie bereits weit fortgeschritten war – dermaßen ungewöhnlich sein, dass dem eigentlich nur eine konkrete Beschwerde zugrunde liegen kann. Würde es sich um ein systematisierendes Gesetz im Sinne von Humfress handeln, bliebe die Behandlung eines solchen Sonderfalls an erster Stelle unerklärlich. 1. Dein ut, si alios sibi adiungant clericos vel, ut ipsi aestimant, sacerdotes, decem librarum auri multa per singulos ab eo, qui fecerit et qui fieri passus sit vel, si paupertatem praetendant, de communi clericorum eiusdem superstitionis corpore vel etiam donariis ipsis extorta Nostro inferatur aerario. 1. Ferner: Wenn sie sich zusätzliche Kleriker oder »Bischöfe« (bzw. was sie dafür halten!) hinzufügen, ist eine Geldstrafe von zehn Pfund Gold pro Person einzuziehen und an Unsere Kasse abzuführen, und zwar von dem, der dies getan hat, und dem, der dies über sich hat ergehen lassen, bzw. – sollten sie Armut vorschützen – von der Gemeinschaft der Kleriker desselben Irrglaubens oder sogar aus der Kultausstattung selbst.

Hier wird das altbekannte Zehnpfundgoldgesetz (→ S. 500) wiederaufgenommen. Das Wort clerici deckt alle Kleriker einschließlich der Bischöfe ab. Letztere werden hier trotzdem explizit als sacerdotes (vgl. CTh. 16.5.5, 16.5.45, 16.5.52 pr., § 5) zusätzlich genannt, denn tatbestandlich soll nicht nur die Klerikerweihe, sondern auch eine (spätere) Erhebung zum Bischof sein. Ebenfalls neu ist die ersatzweise Haftung der bereits vorhandenen Kleriker bzw. aus dem Kirchenschatz. Die vorhandenen Kleriker müssten ihrerseits, sofern es sich nicht um eine neuentstandene Häresie handelt, bereits selbst gegen das Zehnpfundgoldgesetz verstoßen haben (CTh. 16.5.21 stammte ja aus dem Jahr 392 und war zum Zeitpunkt der Entstehung von CTh. 16.5.65 über 35 Jahre alt). Bei den donaria handelt es sich um die Sakralausstattung. 3 Das Eigentum an den donaria kann nicht von der häretischen Kirche gehalten werden (die ja nicht eigentumsfähig ist, → S. 587), sondern sie müssen formal Privatpersonen gehören. 2. Post haec, quoniam non omnes eadem austeritate plectendi sunt, Arrianis quidem, Macedonianis et Apollinarianis, quorum hoc est facinus, quod nocenti meditatione decepti credunt de veritatis fonte mendacia, intra nullam civitatem ecclesiam habere liceat; Novatianis autem et Sabbatianis omnis innovationis adimatur licentia, si quam forte temptaverint; Eunomiani vero, Valentiniani, Montanistae seu 3

Vgl. CI. 1.2.21 pr. (529), … sacratissima atque arcana vasa vel vestem ceteraque donaria, quae ad divinam religionem necessaria sunt …, [niemand darf verkaufen oder verpfänden] »die hochheiligen, geweihten Gefäße, Gewänder und sonstigen donaria, die für die göttliche Religion notwendig sind«, sowie CTh. 16.5.57 § 2 und CTh. 16.8.25 § 1.

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Priscillianistae, Phryges, Marcianistae, Borboriani, Messaliani, Euchitae sive Enthusiastae, Donatistae, Audiani, Hydroparastatae, Tascodrogitae, Photiniani, Pauliani, Marcelliani et qui ad imam usque scelerum nequitiam pervenerunt Manichaei nusquam in Romano solo conveniendi orandique habeant facultatem; Manichaeis etiam de civitatibus expellendis, quoniam nihil his omnibus relinquendum loci est, in quo ipsis etiam elementis fiat iniuria. 3. Nulla his penitus praeter cohortalinam in provinciis et castrensem indulgenda militia; nullo donationis faciendae invicem, nullo testamenti aut voluntatis ultimae penitus iure concesso; 2. Ferner sind nicht alle mit derselben Strenge anzupacken: – Den Arianern, Makedonianern und Apollinarianern, deren Verbrechen darin besteht, dass sie – fehlgeleitet von einer schädlichen Vorstellung – Lügen über den Quell der Wahrheit glauben, sei nicht erlaubt, in irgendeiner Stadt eine Kirche zu haben. – Den Novatianern und Sabbatianern sei jede Möglichkeit zum Neubau genommen, sofern sie überhaupt dergleichen versuchen sollten. – Die Eunomianer, Valentinianer, die Montanisten oder Priscillianisten, Phryger, Marcianisten, Borborianer, Messalianer, Euchiten oder Enthusiasten, Donatisten, Audianer, Hydroparastaten, Taskodrogiten, Photinianer, Paulianer, Marcellianer sowie diejenigen, die den Tiefpunkt an frevelhafter Verworfenheit erreicht haben – nämlich die Manichäer –, sollen keinerlei Möglichkeit haben, sich auf römischem Boden zu versammeln und zu beten. – Zudem sind die Manichäer aus den Städten zu vertreiben: Keinem von ihnen ist irgendwie Platz zu lassen, wo sogar den Elementen selbst Unrecht widerführe. 3. Keinerlei Dienst in der militia ist ihnen zu gestatten, außer in der cohortalis militia in den Provinzen und in der militia in einem Grenzkastell. Sie dürfen sich nicht gegenseitig Schenkungen machen und besitzen keinerlei Rechte in Zusammenhang mit Testamenten oder letztwilligen Verfügungen.

Theodosius II. unterscheidet bei den Häretikern zwischen vier Gruppen. Scheinbar ist die Liste nach zunehmender Strenge geordnet: Die Manichäer auf Platz 4 sind klar am schlechtesten gestellt, die Häresien von Platz 3 ersichtlich schlechter als die von Platz 1 und 2. Demnach würde man erwarten, dass »Arianer« usw. auf Platz 1 besser wegkommen als die Novatianer auf Platz 2. Aber dem ist nicht so, wie wir aus der sonstigen Gesetzgebung und der außerjuristischen Literatur wissen: 4 In der besten Position sind die Novatianer (und ihre Abspaltung, die Sabbatianer): Sie dürfen ihre bereits vorhandenen Kirchen – sogar die innerstädtischen! – behalten, nur eben keine neuen bauen. 4

CTh. 16.5.2 (326): Den Novatianern wird erlaubt, vorhandene Kirchen zu behalten; Socr. 5.10.27 f. (383), 5.20.6 (ca. 390): Anders als die anderen heterodoxen Christen durften die Novatianer innerstädtische Kirchen haben. Zum Hintergrund vgl. Wallraff 1997b, insb. S. 256–258, S. 271 f.

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Daraus folgt, dass den »Arianern«, Makedonianern und Apollinarianern zwar ihre vorhandenen außerstädtischen Kirchen 5 bleiben, sie aber erst recht keine neuen bauen dürfen. All dies lässt sich kaum aus CTh. 16.5.65 § 2 herauslesen, ist aber durch die Parallelüberlieferung abgesichert. Wir werden im weiteren Verlauf sehen, dass der Autor von CTh. 16.5.65 nicht nur an dieser Stelle wenig Mühe auf eine klare Formulierung des Regelungsgehalts verwendet. Die im Vergleich zu anderen Häretikern bevorzugte Stellung ausgerechnet dieser drei Gruppen kann überraschen: Schließlich hat man die Makedonianer – wann immer sie in CTh.-16.5-Fragmenten auftauchten – bislang ausnahmslos gemeinsam mit den Eunomianern genannt (CTh. 16.5.11–13; 16.5.59, 16.5.60). Am bemerkenswertesten unter diesen Texten ist CTh. 16.5.60 (eines von vier zusammengehörigen Fragmenten eines Rundumschlags gegen Heterodoxe: → S. 681119), denn diese Regelung stammt von Theodosius II. selbst und war zum Zeitpunkt, als CTh. 16.5.65 erging, gerade einmal fünf Jahre alt. Damals schrieb Theodosius II. noch Folgendes: De haereticis omnibus, quorum et errorem execramur et nomen, hoc est de Eunomianis Arrianis Macedonianis ceterisque omnibus, quorum sectas piissimae sanctioni taedet inserere, quibus cunctis diversa sunt nomina, sed una perfidia, illa praecipimus debere servari, … Hinsichtlich aller Häretiker, deren Irrungen wir genauso verabscheuen wie ihre Namen, also die Eunomianer, die Arianer, die Makedonianer und alle übrigen, deren Sekten in dieses höchst verantwortungsvolle Gesetz aufzunehmen sich die Feder sträubt – denen zwar allesamt verschiedene Namen, aber dieselbe Ungläubigkeit zu eigen ist –, hinsichtlich dieser Leute ordnen wir an, das einzuhalten, [was früher schon angeordnet wurde]

Hier stehen also »Arianer« und Makedonianer nicht nur unmittelbar hinter Eunomianern im Satz, sondern teilen laut Theodosius II. dieselbe Perfidie, sind also sozusagen gleich schlimm! Auch ist für »Arianer«, Makedonianer und Apollinarianer der Stand (soweit wir ihn mit dem Codex Theodosianus verfolgen können), dass für sie ein Versammlungs- und Kirchenverbot in der Stadt ebenso wie auf dem Land gilt, und zwar in der Öffentlichkeit genauso wie im Privaten (so nämlich CTh. 16.5.12). Insofern stellt diese Bestimmung von CTh. 16.5.65 § 2 weder eine

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Eine solche Kirche kennen wir: Es handelt sich um (Marcell. chron. p. 77.429.1) Macedonianorum ecclesia extra muros urbis posita, »die außerhalb der Mauern [Konstantinopels] befindliche Kirche der Makedonianer«, die nach dem 1. September 428 konfisziert wurde, weil Makedonianer einen orthodoxen Bischof ermordet hatten.

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Bestätigung des Vorhandenen noch eine Verschärfung, sondern vielmehr eine Erleichterung dar. 6 Die dritte Kategorie umfasst zahlreiche Gruppen, die namentlich aufgeführt werden – darunter erwartbare Gemeinschaften wie Eunomianer oder Montanisten, aber auch die sonst nicht in östlichen Konstitutionen erscheinenden Donatisten sowie ferner Gruppen, die nie zuvor in der Gesetzgebung belegt sind (etwa die Audianer oder die Paulianer; zu letzteren weiter unten mehr: → S. 782). 7 All diese Häretiker dürfen sich nirgendwo versammeln, d. h. weder in Städten noch auf dem flachen Land (und natürlich auch nirgendwo Kirchen haben). In dieser Kategorie finden sich auch die Manichäer, für die aber noch zusätzliche Einschränkungen gelten. Flower (S. 187– 189) hat viel Nachdruck darauf gelegt, 8 dass (angeblich) sämtliche Gruppen, die die früheren Gesetze des Titels CTh. 16.5 nennen, im vorliegenden Paragrafen auftauchen, mit Ausnahme der asketischen Sekten (Enkratiten, Apotaktiten, Sakkophoren, → S. 447). 9 Freilich ist die Beobachtung weniger relevant, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint, denn die dahinterstehende Methode ist nicht astrein: Als CTh. 16.5.65 erging, gab es ja noch gar keinen Codex Theodosianus und damit keinen Titel CTh. 16.5. Die Liste der mög6

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In der umfangreichen Konstitution Nov. Theod. 3, die Theodosius II. zehn Jahre später erlässt, nimmt er vor allem Juden/Samaritaner ins Visier, ferner aber auch Heiden, allerdings nur am Rande die Häretiker. In der Aufzählung der Häretiker, gegen die der Prätoriumspräfekt die vorhandenen Gesetze in Stellung bringen soll (§ 9), fehlen wiederum »Arianer«, Makedonianer und Apollinarianer. Allerdings sollte die bevorzugte Stellung der Apollinarianer bereits einige Jahre später enden, als die Eutyches-Anhänger von orthodoxer Seite als »Apollinarianer« verunglimpft werden und eine scharfe antieutychianische Konstitution dann konsequent gegen »Eutychianer und Apollinarianer« gerichtet ist (→ S. 791). Noethlichs, S. 165: »Die 23 Häresien in XVI,5,65 vom Jahre 428 sind ein beredtes Zeugnis dafür, wiesehr [sic] die Zahl [der Häresien] noch wuchs«. Noethlichs übersieht, dass diverse Gruppen synonym sind (so Montanisten gleich Priscillianisten gleich Phryger; Messalianer gleich Euchiten gleich Enthusiasten) und dass sich in der Liste uralte, mittlerweile defunkte Häresien (etwa die Paulianer) finden. Flower, S. 187 f.: »What is particularly notable, however, is that, with the exception of [asketische Sekten, Caelicoli] all [!] the heretical groups named in the first sixtyfour laws in this chapter [gemeint: Titel] of the Code also appear in the sixty-fifth«; S. 189: »CTh 16.5.65 brings together all [!] the heretical groups who had appeared in earlier surviving pronouncements«. Flower, S. 188, vermerkt zudem, dass die Caelicoli (aus CTh. 16.5.43, exzerpiert aus Sirm. 12) nicht in CTh. 16.5.65 erscheinen; aber wie er zu Recht feststellt, handelt es sich bei ihnen nicht um Häretiker, sondern um eine Gruppe aus dem jüdischen Umfeld (vgl. CTh. 16.8, De Iudaeis, Caelicolis et Samaritanis).

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licherweise erwartbaren Häresien darf also nicht aus CTh. 16.5 extrahiert werden, sondern man müsste sie aus allen CTh.-Titeln sowie aus sämtlichen weiteren Konstitutionen, von denen wir anderweitig wissen, zusammenstellen. Auch ist Flowers Liste nicht einmal für CTh. 16.5 ganz vollständig. Tatsächlich bleiben in CTh. 16.5.65 die Jovinianer (CTh. 16.5.53), die Pelagianer (CN 350, CN 368) sowie einige weitere Häretikergemeinschaften unerwähnt. Aber das Fehlen der meisten dieser Gruppen lässt sich plausibel erklären, 10 und die sonstige Abdeckung (einschließlich der im Osten sowieso irrelevanten Donatisten) zeigt, dass man nach einer ansonsten unüblichen Vollständigkeit strebte. Dass die Liste also anscheinend die bisherige Gesetzgebung als Ausgangspunkt nimmt, ist ein Indiz für die Richtigkeit des Vorschlags von Humfress (d. h. Systematisierung des Bestands) und gegen die nestorianische Deutung (warum sollte sich Nestorios für Donatisten interessieren, dabei aber z. B. die von ihm verfolgten Quartodezimaner vergessen?). Erstaunlicherweise fehlt eine Regelung für »alle anderen Häresien«: Bei häretischen Gruppen, die nicht namentlich erfasst sind (z. B. also die Quartodezimaner), bleibt offen, ob und (falls ja) wo sie Kirchen haben dürfen. Den Manichäern ist nicht nur überall das Zusammentreten verboten, sondern sie sind ganz aus den Städten zu verjagen, was dem Stand von Sirm. 6 (425) entspricht – nach dieser Konstitution sind freilich neben den Manichäern auch »alle [!] Häretiker und Schismatiker« auszutreiben! Die Bemerkung zu den Elementen bleibt unklar. Humfress (2000, S. 141) denkt an Schadzauber gegen die Elemente; 11 möglicherweise handelt es sich aber eher um einen Verweis auf die besondere Rolle des Lichts im Manichäismus (→ S. 412; in der Version eines Häresiologen: Filastr. 61.3, daemones colentes, elementa ad10

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Die asketischen Sekten könnten mit der neuen Bezeichnung Messaliani, Euchitae sive Enthusiastae erfasst sein; die Jovinianer (vgl. CTh. 16.5.53, cum ceteris suis participibus et ministris) spielten keine Rolle im Osten und waren anders als die seit Jahrzehnten tief verwurzelte, traditionsreiche Gruppe der Donatisten dort wohl so unbekannt, dass man sie bei der Zusammenstellung dieser Liste ohne Weiteres übersehen konnte; die Auslassung der Pelagianer halte ich für Absicht (→ S. 201); die Aetianer (CTh. 16.5.8) sind unter Eunomianer subsumiert, die Pneumatomachen (CTh. 16.5.11) unter Makedonianer, die Montenser (→ S. 55492) unter Donatisten, die Pepyziten (→ S. 469) unter Montanisten. Allerdings fehlen auch die Protopaschiten (CTh. 16.6.6 § 1). Sie verweist dazu auf ein Fragment im Magietitel, CTh. 9.16.5 von 356?: Multi magicis artibus ausi elementa turbare vitas insontium labefactare non dubitant, »Viele, die sich erdreistet haben, die Elemente mit magischen Künsten aus dem Gleichgewicht zu bringen, besitzen keinerlei Hemmungen, unschuldigen Menschen nach dem Leben zu trachten«.

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orantes, »Dämonen verehren sie, die Elemente beten sie an«). Unabhängig davon, wie man die iniuria gegen die Elemente deuten will – weswegen den Elementen angeblich weniger Unrecht entstehen soll, wenn man die Manichäer aus den Städten aufs flache Land vertreibt, bleibt ganz Geheimnis des Autors dieser Konstitution. Die Paragrafeneinteilung ist unglücklich und verdeckt, dass sich der Anfang von § 3 höchstwahrscheinlich 12 nur auf die Manichäer bezieht. Hier findet sich die erste ausdrückliche Verhängung eines militia-Verbots gegen Manichäer. Keine der zahlreichen älteren Manichäerkonstitutionen untersagt den Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft den Staatsdienst. Das ist aber nur konsequent, da sie als Infame ohnehin nicht in Frage gekommen wären. Wahrscheinlich geht es bei der Regelung nur darum, explizit die Ausnahmen festzuschreiben. Sie betreffen nicht nur die finanziell nachteilige cohortalis (→ S. 653), sondern auch den besonders unattraktiven Militärdienst in den Kastellen der an sich schon wenig angesehenen Grenztruppen. Entsprechende Soldaten erscheinen in den Quellen als castriciani, castellani, castriani und castresiani (Belege bei Grosse, S. 66 f.). Für den Dienst in den städtisch kasernierten Grenztruppen kommen Manichäer – denen die Städte verboten sind – nicht in Frage. Der Dienst in den Grenztruppen ist (anders als die cohortalis militia) nicht finanziell drückend – wenn er also hier zum ersten Mal erlaubt wird und sich diese Ausnahme in späteren Häretikergesetzen wiederfindet (→ S. 793), so mag man das vielleicht als Hinweis auf zunehmende Rekrutierungsprobleme werten dürfen. 13 Die erbrechtlichen und ver-

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Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder bezieht man den Anfang von § 3 nur auf die Manichäer oder aber auf alle zuvor genannten Gruppen. Der Anfang von § 3 enthält das militia-Verbot sowie erbrechtliche Sanktionen (deren Gültigkeit für sämtliche Häretiker revolutionär wäre; also ein starkes Indiz für die erste Alternative). Sprachlich liegt es weitaus näher, dass mit hi nur die Manichäer gemeint sind. Im weiteren Verlauf von § 3 werden alle Gesetze gegen hi ceterique, qui nostrae fidei refragantur bestätigt. Folgt man der zweiten Alternative (d. h., bezieht man hi auf alle vorgenannten Häretikergruppen), würde dies bedeuten, dass für die zuvor nichtgenannten Häretikergemeinschaften absichtlich keine Regelungen hinsichtlich Versammlungen und Kirchengebäuden existieren – was aber absurd wäre. Bezieht man hi hingegen nur auf die Manichäer, wird hier die Parenthese geschlossen: Was nunmehr folgt, soll nicht nur für Manichäer, sondern für alle gelten. Allerdings fehlt in Nov. Theod. 3 von 438 eine solche Ausnahme: In dieser Novelle verwehrt Theodosius II. Juden bzw. Samaritanern den Zugang zur militia (§ 2), stellt dann aber klar (§ 6), dass sie sehr wohl trotzdem die städtischen Kurien bzw. die cohortalis militia nicht verlassen dürfen – Kriegsdienst in den Grenztruppen wird hier, anders als zuvor im Jahr 428 hinsichtlich der Manichäer und später in den

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wandten Sanktionen gegen die Manichäer werden sehr knapp zusammengefasst. Vieles fehlt, so die Komplettkonfiskation, die Untersagung intestaten Erbens und Vererbens sowie das generelle Schenkungsverbot (das also auch Schenkungen an Nichtmanichäer unmöglich macht). Angesichts von § 2 wollte Flower das ganze Gesetz CTh. 16.5.65 in einen Zusammenhang mit der häresiologischen Literatur stellen. 14 Diese Idee, die seinen ganzen Aufsatz mit vielen klugen Einzelbeobachtungen leitmotivisch durchzieht, kann aber gar nicht überzeugen: Flower gibt keine Definition, was er genau unter »Häresiologie« versteht (und wie er dieses Genre z. B. von einem bloßen Verzeichnis abgrenzen würde). CTh. 16.5.65 listet Häresien, es erklärt sie nicht; 15 und die Aufzählung ist alles andere als vollständig. Recht betrachtet, beschränkt sich das magere Tertium comparationis zwischen häresiologischer Literatur und CTh. 16.5.65 auf das Vorkommen zahlreicher Namen von Häresien. cunctisque legibus, quae contra hos ceterosque, qui nostrae fidei refragantur, olim latae sunt diversisque promulgatae temporibus, semper viridi observantia valituris, sive de donationibus in haereticorum factis ecclesias, sive ex ultima voluntate rebus qualitercumque relictis, sive de privatis aedificiis, in quae domino permittente vel conivente convenerint, venerandae nobis catholicae vindicandis ecclesiae, sive de procuratore, qui hoc nesciente domino fecerit, decem librarum auri multam vel exilium, si sit ingenuus, subituro, metallum vero post verbera, si servilis condicionis sit; Alle Gesetze, die gegen sie und die übrigen, die sich gegen unseren Glauben sträuben, früher verordnet und zu verschiedenen Zeiten erlassen wurden, sollen in immerzu frischer Einhaltung gelten: – hinsichtlich der Schenkungen zugunsten der Kirchen von Häretikern; – hinsichtlich der letztwillig wie auch immer hinterlassenen Güter;

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Jahren 452 bzw. 455 hinsichtlich der Eutychianer/Apollinarianer, nicht als weiterer Sonderfall erwähnt. So spricht Flower (S. 191) von einem »recognisably heresiological treatment of its material«, (S. 189) von einer »form of ›legislative heresiology‹«; ja, er meint sogar (S. 175), »in the law of 428, the learning of the well-informed heresiologist was united with the force of imperial pronouncements«. Man könnte widersprechen und verweisen auf quod nocenti meditatione decepti credunt de veritatis fonte mendacia, »dass sie – fehlgeleitet von einer schädlichen Vorstellung – Lügen über den Quell der Wahrheit glauben«, was sich bei der ersten Kategorie (Arianer usw.) findet. Aber die Makedonianer sind nicht einmal eine christologische Häresie – anders als z. B. die Paulianer (in Kategorie 3)! Es handelt sich also nicht um eine inhaltliche Erklärung der drei Häresien in Kategorie 1, ja wohl nicht einmal um einen entsprechenden Versuch, sondern vielmehr nur um einen inhaltlich irrelevanten Nachsatz, der irgendwie begründen soll, weswegen Kategorie 1 besser gestellt ist als Kategorie 3.

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hinsichtlich der Privatgebäude, in denen sie mit Erlaubnis und Einverständnis des Eigentümers zusammentreten und die für die von uns zu ehrende katholische Kirche zu beschlagnahmen sind; hinsichtlich des Verwalters, der dies ohne Wissen des Eigentümers tut und der – sofern freigeboren – mit zehn Pfund Gold Geldstrafe oder Verbannung bzw. – sofern unfreier Herkunft – nach einer Geißelung mit der Bergwerksstrafe zu belegen ist.

Dieser Abschnitt bestätigt pauschal sämtliche Regelungen bestimmten Inhalts, und wiederum bleibt so manche Frage offen. So geht es u. a. um Schenkungen an häretische Kirchen – aber einerseits kennen wir kein älteres Gesetz, das explizit Schenkungen an häretische Kirchen (nicht Personen) untersagt, und andererseits ist eine solche Regelung – da häretische Kirchen nicht eigentumsfähig sind (→ S. 587) – dogmatisch inkonsequent, wobei allerdings ein großer Unterschied zwischen Rechtslage und Wirklichkeit herrschte. 16 Pauschal werden Vererbungsverbote bestätigt; da es im Kontext um häretische Kirchen bzw. Versammlungsstätten geht, spricht alles dafür, dies parallel zu den Schenkungen nur auf testamentarische Zuwendungen zugunsten von Kirchen zu beziehen (auch wenn wir wiederum dafür kein älteres Beispiel kennen). Darauf folgt – immer noch im Zusammenhang mit häretischen Versammlungsstätten – eine Bestätigung der Konfiskationsregelung für Privatimmobilien, die Häretiker für Zusammenkünfte genutzt haben. Schließlich folgt als vierter Punkt die Bestrafung des eigentlich Verantwortlichen für eine heimlich stattfindende Versammlung, die man nicht dem Eigentümer anlasten kann. Die Sanktionierung eines solchen Verwalters oder Pächters schwankt in den älteren Konstitutionen (→ S. 482). Die hier zitierte Strafe für Unfreie (Geißelung und Bergwerk) findet so nur in CTh. 16.5.40 § 7 (gegen Manichäer und Montanisten); dieselbe Konstitution verhängt über freie Verwalter die Verbannung (genau genommen die Deportation). Die zehn Pfund Gold als alternative Bestrafung für den freien Verwalter stammt hingegen aus 16

So schreibt Prokop (hist. arc. 11.16–18): τούτων δὲ τὰ ἱερὰ τῶν αἱρετικῶν καλουμέ-

νων, καὶ διαφερόντως οἷσπερ ἡ τοῦ Ἀρείου ἤσκητο δόξα, πλοῦτόν τινα εἶχεν ἀκοῆς κρείττω. … κειμήλιά τε γὰρ αὐτοῖς χρυσᾶ τε καὶ ἀργυρᾶ καὶ ξυγκείμενα ἐκ λίθων ἐντίμων ἀμύθητά τε καὶ ἀναρίθμητα ἦν, οἰκίαι τε καὶ κῶμαι παμπληθεῖς, καὶ χώρα πολλὴ πανταχόθι τῆς γῆς …, ἅτε οὐδενὸς αὐτὰ τῶν πώποτε βεβασιλευκότων ὀχλήσαντος, »Die Kirchen der sogenannten Häretiker (zumal diejenigen, in denen

man die Lehre des Areios praktizierte) verfügten über unglaublichen Reichtum. … Ihnen gehörten unermesslich viel goldene, silberne und aus Edelsteinen gefertigte Schätze, ferner zahlreiche Häuser und Dörfer sowie viel Grundeigentum im ganzen Land …, da ja kein vorheriger Kaiser [vor Justinian] dieses Vermögen in Frage gestellt hatte«. Vgl. auch → S. 586.

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dem Zehnpfundgoldgesetz CTh. 16.5.21, wo die Geldstrafe wohlgemerkt nicht mit einer Verbannung kombiniert wird. Das vel zwischen multa und exilium ist also wörtlich zu nehmen: Theodosius II. will pauschal alle entsprechenden Konstitutionen als gültig bestätigen (cunctis legibus … semper viridi observantia valituris), nicht neue Regeln festlegen. Mit den kurzen Andeutungen des Tatbestands bzw. der Bestrafung soll lediglich auf diese älteren Konstitutionen verwiesen werden. Mögliche Normenkollisionen ignoriert man dabei. Nota bene: Dem Wortlaut nach werden nur die vorhandenen Gesetze bekräftigt. Es geht also nicht darum, die gelisteten Sanktionen auf alle Häretiker auszuweiten, sondern der Kaiser bestätigt die Gültigkeit des vorhandenen Bestands an Konstitutionen, die ihrerseits typischerweise nur für bestimmte Gruppen von Abweichlern gelten. 17 ita ut nec in publico convenire loco nec aedificare sibi ecclesias nec ad circumscriptionem legum quicquam meditari valeant, omni civili et militari, curiarum etiam et defensorum et iudicum sub viginti librarum auri interminatione prohibendi auxilio. Sie sollen weder an einem öffentlichen Ort zusammentreten noch sich Kirchen bauen noch sich irgendetwas zur Umgehung der Gesetze ausdenken können. Unter Strafandrohung von 20 Pfund Gold ist jede Unterstützung von ziviler oder militärischer Seite verboten, ferner auch durch Kurien, Defensoren oder Statthalter.

Auf die Sanktionen gegen heimliche Versammlungen in Privatgebäuden folgen die Verbote, sich an öffentlichen Orten zu versammeln, Kirchen zu errichten sowie die Rechtslage mittels einer fraus legis zu umgehen. Die Androhung der Amtsstrafe – hier gegen Statthalter, Stadträte und Defensoren, nicht aber gegen die Mitglieder des Officiums – schließt gewöhnlich den Regelungskern einer Konstitution ab. Hier findet sich diese Bestimmung mitten im Text von CTh. 16.5.65, was an sich ungewöhnlich genug wäre; noch erstaunlicher ist, dass wir am Ende eine weitere, abweichende Amtsstrafe finden (s. u.). Diese so atypisch im Text platzierte Amtsstrafe teilt die Konstitution in zwei Teile, die, wie es den Anschein hat, in irgendeiner Weise unabhängig voneinander entstanden sind (nur so lassen sich Dubletten wie die doppelte

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Anders offenbar Stachura 2006, S. 62, »That all heretics were stripped of that right [Testierrecht] was decreed in … C.Th. 16.5.65 (a. 428) by Theodosius II in the east«, sowie Gaudemet 1989, S. 615. Doch keiner von beiden gibt an, auf welche der insgesamt vier Erwähnungen des Testierrechts in CTh. 16.5.65 er sich bezieht, und tatsächlich kann man eine Ausweitung auf alle Häretiker in keine der vier Passagen hineinlesen.

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Amtsstrafe usw. erklären). Trotz mancher Unschärfen 18 lässt sich sagen, dass der erste Teil den häretischen Kult betrifft, nämlich häretische Versammlungen, Kultgebäude, Priesterweihen und Zuwendungen an häretische Kirchen. Im Weiteren richtet sich CTh. 16.5.65 gegen häretische Laien (auch dort mit einer möglichen Unschärfe). 19 Illis etiam in sua omnibus manentibus firmitate, quae de militia et donandi iure ac testamenti factione vel neganda penitus vel in certas vix concessa personas poenisque variis de diversis sunt haereticis promulgatae, ita ut nec speciale quidem beneficium adversus leges valeat impetratum. Auch sollen alle Gesetze gültig bleiben, die erlassen wurden bezüglich ihrer militia, ihres Rechts zu schenken, ihrer testamenti factio (nämlich, dass diese vollständig zu verweigern oder aber bestimmten Personen zögerlich zuzugestehen sei) und hinsichtlich der verschiedenen Strafen für die einzelnen Häretiker, wobei nicht einmal ein Sonderprivileg, das [ohnehin] gesetzwidrig erlangt wurde, gelten soll.

Unsere Konstitution läuft trotz der Amtsstrafe weiter und bestätigt pauschal alle Regelungen mit militia-Verboten und erbrechtlichen Sanktionen sowie die sonstigen Strafandrohungen gegen Häretiker (offenbar gemeint angesichts der gleich genannten – damit also potenziell denkbaren – Privatprivilegien: Laien) aus verschiedenen Gruppen. Wenige Sätze weiter oben (in der nichtantiken Zählung: in demselben § 3) waren bereits die Schenkungen und Erbschaften erschienen, dort aber nur an häretische Kirchen (zumindest im Bezug auf die Schenkungen ist das eindeutig, und das Vererbungsverbot würde ich ebenso verstehen). Jetzt geht es aber um das Recht, ein Testament zu errichten und generell zu schenken. Dass die Regelungen zu Schenkungen bzw. Nachlässen nicht an einer Stelle gesammelt sind, deutet ebenfalls darauf hin, dass CTh. 16.5.65 aus zwei separat formulierten und dann zusammengesetzten Teilen besteht. Im Ergebnis hat man leicht den Eindruck, es handele sich um Dubletten; nur bei aufmerksamer Lektüre merkt man, dass es oben um Versammlungen und damit klerikale Tatbestände, hier um die Laien geht.

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Die möglichen Unschärfen sind die Parenthese mit den Manichäern, die nichtklerikale Sanktionen gegen sie aufzählt (offenbar um zu demonstrieren, dass Manichäer eine Kategorie für sich sind, die man nicht einmal mit Häretikern wie Eunomianern usw. in einem Atemzug nennen kann), sowie eventuell das Vererbungsverbot (das ich allerdings, angesichts des Kontexts, nur auf häretische Kirchen beziehe). Damit meine ich das Wiedertaufverbot. Allerdings richtet sich diese Bestimmung gegen das Zuführen Abhängiger zur Wiedertaufe und beschreibt damit sehr wohl einen Tatbestand, den Laien verwirklichen können.

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Der Autor der Konstitution macht klar, dass geltende militia-, Schenkungs- und Testierverbote bekräftigt, aber keine neuen verhängt werden: Es geht um die Sanktionen de diversis haereticis, »hinsichtlich verschiedener [d. h. bestimmter] Häretiker«, nicht gegen alle Häretiker. Sofern es Ausnahmen zugunsten bestimmter Personen gibt, sollen diese weiter gelten. Dabei geht es nicht (wie der Nachsatz zeigt) um Sonderprivilegien, sondern um in den Gesetzen selbst gemachte Einschränkungen, wofür man freilich kein konkretes Beispiel angeben kann. 20 Die Erwähnung der Sonderprivilegien an dieser Stelle, d. h. im Zusammenhang mit Testierverboten, dürfte ein Reflex der Eunomianergesetzgebung sein (→ S. 651, → S. 675). 4. Nulli haereticorum danda licentia vel ingenuos vel servos proprios, qui orthodoxorum sunt initiati mysteriis, ad suum rursus baptisma deducendi, nec vero illos, quos emerint vel qualitercumque habuerint necdum suae superstitioni coniunctos, prohibendi catholicae sequi religionem ecclesiae. Quod qui fecerit vel, cum sit ingenuus, in se fieri passus sit vel factum non detulerit, exilio ac decem librarum auri multa damnabitur, testamenti et donationis faciendae utrique deneganda licentia. 4. Keinem Häretiker darf die Möglichkeit gewährt werden, Freie oder eigene Sklaven, die in die Mysterien der Orthodoxen initiiert sind, zum zweiten Mal seiner eigenen Taufe zuzuführen. Genauso wenig dürfen sie Leute, die sie kaufen oder sonst wie haben und die noch nicht mit ihrem eigenen Irrglauben verbunden sind, davon abhalten, der Religion der katholischen Kirche zu folgen. Wer dies tut oder (sofern er frei ist) dies mit sich machen lässt oder das Geschehen nicht anzeigt, wird zu Verbannung und einer Geldstrafe von zehn Pfund Gold verurteilt. Ferner ist in beiden Fällen die Fähigkeit, ein Testament oder Schenkungen zu machen, zu entziehen.

In diesem Paragrafen werden zwei zuvor stets getrennt gehaltene Bereiche verquickt, nämlich einerseits das generelle Verbot der Wiedertaufe, wie wir es aus Gesetzen gegen Donatisten und Eunomianer kennen, andererseits der Schutz von katholischen Sklaven im Eigentum von Heterodoxen. Wichtig ist, dass ab jetzt nicht mehr bestätigt, sondern anscheinend für alle Gruppen (nulli [!] haereticorum) neu geregelt wird. Im Westen wurden wiedertaufende donatistische Kleriker zunächst mit der Konfiskation bestraft (→ S. 552), später drohte man allen donatistischen Klerikern Enteignung und Relegation an (ohne überhaupt auf die Wiedertaufe abzustellen, → S. 578), die östliche Strafe für Eunomianer bleibt bei den 20

So können z. B. Apostaten zugunsten bestimmter sehr naher Verwandter zeitweise doch testieren (CTh. 16.7.6, → S. 749). Freilich sind Apostaten keine Häretiker, und nach CTh. 16.7.7 (426, allerdings westlich und damit womöglich 428 im Osten nicht geläufig) ist ihnen das mittlerweile auch nicht mehr erlaubt.

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frühesten Gesetzen unklar (→ S. 671); CTh. 16.5.58 verhängt dann (anscheinend) die Deportation gegen wiedertaufende Kleriker und die Relegation gegen Wiedergetaufte. Bei der Konstellation des orthodoxen Sklaven im Eigentum des häretischen Herrn bestand die Sanktion für den Herrn (manchmal unter gewissen weiteren Voraussetzungen) bislang nur im Verlust des Eigentums am Sklaven (→ S. 479). Der Tatbestand des vorliegenden Paragrafen erfasst zwei Gruppen: einerseits Herren, die Sklaven oder (offenbar abhängige) Freie der Wiedertaufe zuführen bzw. zumindest von der Orthodoxie abbringen; andererseits freie »Opfer« (anders als in früheren Gesetzen ohne die Einschränkung, dass sie alt genug sein müssen, ihr Handeln verantworten zu können), die der Wiedertaufe bzw. der Aufgabe der Orthodoxie entweder aus eigenem Willen zustimmten oder zumindest diese Handlungen nicht post factum behördlich anzeigten. Allen droht dasselbe: eine Geldstrafe in Höhe von zehn Pfund Gold sowie die Relegation (da die genau bemessene Geldstrafe im Widerspruch zu einer Komplettkonfiskation stünde, muss exilium Relegation meinen, nicht Deportation), ferner das Verbot, Testamente zu errichten und Schenkungen zu machen. Die vorliegende Regelung sanktioniert nicht den liturgischen Akt der Wiedertaufe an sich (was ein Tatbestand wäre, den nur ein Kleriker erfüllen könnte), sondern das Ausüben von Druck auf Sklaven und (wie man annehmen muss: abhängige) Freie, sich wiedertaufen zu lassen oder sonst wie der Orthodoxie den Rücken zu kehren. Daher sind die Strafen deutlich harmloser als diejenigen, die wiedertaufenden Klerikern drohen: Statt Verbannung samt vollständiger Enteignung erwartet die Herren »nur« die Relegation nebst einer zusätzlichen Geldstrafe in Höhe von zehn Pfund Gold sowie erb- und schenkungsrechtlichen Sanktionen. Die Strafe (d. h. die Deportation) für den eigentlichen Wiedertäufer findet ebenso wenig Erwähnung wie der Eigentumsverlust am Sklaven. Freilich galten die alten Konstitutionen weiter, und die Auslassung dieser Bestimmungen ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass CTh. 16.5.65 keineswegs systematisiert oder einen Überblick über den Regelungsbestand bieten will. In diesem § 4 erscheinen zum ersten Mal die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen losgelöst von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Häretikergruppe. Sie gelten vielmehr für Handlungen, die theoretisch jeder beliebige Häretiker durchführen könnte. 21 Ein nachvollziehbares Telos für diese Strafandrohung drängt sich nicht auf. Man kann allenfalls über einen Zusam21

Praktisch gilt dies freilich nur für das Abbringen von der Orthodoxie; denn wir wissen nur von wenigen Häretikergruppen, die tatsächlich die Wiedertaufe praktizierten.

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menhang mit der Eunomianer- und Donatistengesetzgebung spekulieren (deren Laien ja unter besonderem Verdacht stehen mussten, Wiedertaufen zu fördern, und die in jedem Fall solchen Sanktionen unterlagen). 22 5. Quae omnia ita custodiri decernimus, ut nulli iudicum liceat delatum ad se crimen minori aut nulli coercitioni mandare, nisi ipse id pati velit, quod aliis dissimulando concesserit. Dat. III kal. Iun. Constantinopoli Felice et Tauro conss. 5. Wir bestimmen, dass dies alles dergestalt einzuhalten ist, dass es keinem Richter erlaubt sei, ein bei ihm angezeigtes Verbrechen einer geringeren oder gar keiner Strafe zuzuführen, es sei denn, er wolle selbst erleiden, was er anderen erlässt, indem er die Augen verschließt. Abgeschickt am 3. Tag vor den Kalenden des Juni in Konstantinopel unter dem Konsulat von Felix und Taurus. [30. Mai 428]

Die Passage mit der Amtsstrafe ist in mancherlei Hinsicht ungewöhnlich: Erstens werden nur iudices bedroht (nicht aber ihre Mitarbeiter oder die städtischen Würdenträger), zweitens geht es im Tatbestand nur um den Umgang mit angezeigten Verbrechen (nicht aber um allgemeine Saumseligkeit), drittens besteht die Sanktion in der Strafe, die dem Täter gedroht hätte (nicht wie sonst üblich in einer bestimmten Menge Gold). Viertens ist dies bereits die zweite Androhung einer Amtsstrafe in demselben Gesetz: Die 20-Pfund-GoldStrafe am Ende von § 3, die Statthaltern, Defensoren und Kurien drohte, die Häretiker begünstigten, entspricht dem sonst Üblichen (sieht man davon ab, dass die Mitglieder des Officiums nicht erwähnt werden). Vielleicht könnte man argumentieren, dass die neuerliche Amtsstrafe ergänzend ist, d. h., § 3 beträfe allgemeine Saumseligkeit, § 5 hingegen die Nichtverfolgung angezeigter Straftaten; weitaus wahrscheinlicher scheint mir aber eine nachlässige Zusammenstellung zweier Teiltexte. Fokussieren wir auf die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen. Sie erscheinen in CTh. 16.5.65 insgesamt nicht weniger als vier Mal! Zu Beginn von § 3 werden die Schenkungs- und Testierverbote gegen Manichäer bestätigt. Im weiteren Verlauf von § 3 werden bestehende erbrechtliche und ver-

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In Nov. Theod. 3 § 4 (438) wird Juden und Samaritanern, die Christen erfolgreich vom Glauben abbringen, sogar die Todesstrafe mit Vermögenseinzug angedroht. (Anders als Gaudemet 1989, S. 622, anzunehmen scheint, betrifft diese Einzelbestimmung ausschließlich Juden und Samaritaner, vgl. §§ 3 und 5 derselben Novelle.)

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wandte Sanktionen in summarischer Form zweimal als weiterhin gültig bekräftigt: Ungefähr in der Mitte des Paragrafen finden Verbote von Schenkungen und letztwilligen Vermögensübertragungen Erwähnung, die sich im Fall der Schenkungen explizit auf Freigebigkeiten zugunsten häretischer Kirchen beziehen (bei den letztwilligen Verfügungen scheint es ebenfalls nur um solche zugunsten häretischer Kirchen zu gehen). Gegen Ende von § 3 folgt eine weitere Bestätigung von Schenkungs- und Testierverboten gegen Häretiker, wobei nun explizit darauf hingewiesen wird, dass etwaige Zugeständnisse (vel neganda penitus vel in certas vix concessa personas) weiter gelten sollen. Am Ende von § 4 begegnet schließlich das Schenkungs- und Testierverbot ein viertes Mal, aber nun nicht als Wiederholung, sondern als Neuregelung. Betroffen sind alle Häretiker, die eine der Varianten des Tatbestands erfüllen (d. h. Herren, die orthodoxe Sklaven oder abhängige Freie bedrängen oder gar der Wiedertaufe zuführen; solche Freie, die dies hinnehmen und nicht anzeigen). Dass erbrechtliche und verwandte Sanktionen in § 4 nunmehr aufgrund eines von allen Häretikern erfüllbaren Tatbestands verhängt werden, also losgelöst von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, ist eine wesentliche Neuerung. Diese und andere Dubletten in CTh. 16.5.65 kann man teils dadurch erklären, dass zwei anscheinend separat aufgesetzte Gesetze oder Gesetzespassagen – die erste gegen den häretischen Kult, die zweite gegen häretische Laien – kombiniert wurden, wobei man keinen ernsthaften Versuch unternahm, die Endfassung in angemessener Weise zu glätten (so hätte man etwa die erbrechtlichen Sanktionen oder die Amtsstrafen an einer Stelle sammeln können). Dass die erbrechtlichen Sanktionen allerdings viermal (und nicht zweimal) begegnen, erklärt sich durch die jeweils unterschiedlichen Tatbestände: gegen Manichäer; gegen häretische Kirchen als Profiteure; gegen Häretiker, für die bereits solche Regelungen galten (echte Dublette hinsichtlich der Manichäer, aber im anderen Teil des Gesetzes); neu verhängt gegen Personen, die die Orthodoxie ihrer Sklaven oder (abhängigen?) Freien bedrohen bzw. sich als Freie nicht wehren. Bei CTh. 16.5.65 handelt es sich zwar um das längste aller Fragmente im Häretikertitel des Codex Theodosianus. Aber die Textmenge allein sagt natürlich nichts über die Qualität des Inhalts aus, und auch andere Gesetze enthalten umfassende Strafkataloge (etwa CTh. 16.6.4 gegen Donatisten, → S. 548, oder CTh. 16.5.58 gegen Eunomianer, → S. 673). Auch bietet CTh. 16.5.65 keineswegs eine Zusammenfassung aller früheren antihäretischen Strafarten – so fehlen Bücherverbrennungen oder Audienzverbote. Man könnte argumentieren, dass § 2 das Bestreben zeigt, sanktionsmäßig zwischen verschiedenen Klassen von heterodoxen Gruppen zu unterscheiden. Und tatsächlich

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schreibt Humfress (2000, S. 140 f.): »In 428 the Emperors Theodosius II and Valentinian [→ S. 245369] attempted to systematise the prosecution of heretics by producing an edict [sic] which laid down a hierarchy of named heretical sects«. Doch dabei blendet sie aus, dass diese Liste lediglich die Legalität von Versammlungen und Versammlungsgebäuden regelt und im weiteren Verlauf der Konstitution keinerlei Rolle mehr spielt. Und wenn Humfress (2000, S. 140 Anm. 43) CTh. 16.5.65 ein »systematising edict [sic], intended to clarify the confusion of existing anti-heretical legislation« nennt, wird man ihr unmöglich zustimmen können: In diesem widersprüchlichen und dublettenreichen Gesetz kann man auch bei gutem Willen nicht viel Systematisierung erkennen (im Gegenteil: fraglos ist CTh. 16.5.65 der konfuseste Text im ganzen Häretikertitel); und es gibt dementsprechend auch wenig Anzeichen dafür, dass der Autor das Ziel hatte, das Durcheinander der bisherigen Gesetzgebung zu klären. Vielmehr werden in pauschaler Weise die vorhandenen gesetzlichen Regelungen zu bestimmten Themen bestätigt, ohne die Sanktionen oder den genauen Tatbestand zu nennen. Allfällige Widersprüche bleiben also nach wie vor bestehen. Und wie steht es mit der anderen Idee, nämlich dass Nestorios hinter dem Gesetz steckt? Nestorios selbst schrieb ja (→ S. 766), legem inter ipsa meae ordinationis initia contra eos, qui Christum purum hominem dicunt, et contra reliquas haereses innovavi, »ich habe doch unmittelbar nach meiner Weihe gegen diejenigen, die Christus als reinen Menschen bezeichnen, und gegen die übrigen Häresien ein Gesetz initiiert [innovavi]!« Das entscheidende Indiz für Nestorios’ Rolle scheint bislang übersehen worden zu sein. Denn in der Häretikerliste von CTh. 16.5.65 finden sich tatsächlich die Photinianer, die Paulianer und die Marcellianer, drei Gruppen, denen man routinemäßig den Vorwurf machte, im Sohn nur einen reinen Menschen zu sehen (Socr. 2.18.7, 2.20.14, 2.29.4). Für die Photinianer ist dies die erste Erwähnung seit 381 (CTh. 16.5.6), die Marcellianer und die Paulianer kamen noch gar nie in den Häretikerkonstitutionen vor. Insbesondere die Erwähnung der Paulianer ist sehr auffällig – immerhin lebte dieser Paulus (nämlich Paulus von Samosata) in der Mitte des 3. Jh.s, seine Häresie war faktisch längst Geschichte und fristete ihre weitere Existenz nur noch als polemisches Etikett zur Abwertung missliebiger theologischer Gegenpositionen. Kombiniert man die in der Häretikergesetzgebung einzigartige Nennung der Photinianer, Paulianer, Marcellianer in CTh. 16.5.65 mit Nestorios’ eigener Aussage, das von ihm in die Wege geleitete Gesetz habe sich u. a. der Häretiker angenommen, qui Christum purum hominem dicunt, muss man unweigerlich die Initiative zur vorliegenden Konstitution tatsächlich dem nachmaligen Häresiarchen zuschreiben.

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Freilich dürfte das Gesetz nicht ganz so ausgefallen sein, wie sich das Nestorios gewünscht hatte: 23 Unmittelbar nach seiner Bischofsweihe war er ja gegen die »Arianer« vorgegangen, bald danach gegen die Novatianer und die Makedonianer. Aber es sind ausgerechnet diese drei Gruppen, denen CTh. 16.5.65 eine privilegierte Stellung einräumt! Es ist ganz unvorstellbar, dass Nestorios dem Kaiser eine Besserstellung der »Arianer« und Makedonianer vorschlug. 24 Man muss annehmen, dass es gerade das ruppige Agieren des neuen Bischofs war, das Theodosius II. dazu veranlasste, bestimmten heterodoxen Gruppen ausdrücklich (begrenzten) Schutz zu gewähren. Bei Nestorios’ handgreiflichem Vorgehen, soweit ersichtlich, ging es vor allem um Kultgebäude: So zerstörte Nestorios in den ersten Tagen seines Episkopats eine Kapelle der Homöer (Socr. 7.29.8 f.) und veranlasste nach dem 1. September 428 (Marcell. chron. p. 77.429.1) die Konfiskation makedonianischer Kirchen (Socr. 7.31.4 f.). Dazu passt ganz gut der Anfang von CTh. 16.5.65: Wahrscheinlich beklagte sich Nestorios darüber, dass Häretiker angeblich orthodoxe Kirchen besetzt halten und keine Strafen für Bischofsordinationen zahlen. Der Kaiser möge sich doch mit Nachdruck gegen eine ganze Reihe von Häresien wenden. Zumindest der ungewöhnliche Teil der Liste mit den Paulianern usw. stammt fraglos von Nestorios, ebenso höchstwahrscheinlich auch die Namen anderer historischer Häresien ohne aktuellen Bezug (etwa die Audianer). 25 23

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Bereits die afrikanischen Bischöfe hatten die Erfahrung gemacht, dass selbst ein Kaiser, der ihnen sehr gewogen war, durchaus seine eigenen Vorstellungen in einem »bestellten« Gesetz verwirklichte (→ S. 564; vgl. ferner → S. 51740). Dass Theodosius II. hier offenbar die Wünsche des Nestorios abmilderte, entspricht dem, was wir sonst über seine Milde (auch und insbesondere gegenüber Häretikern) wissen. Vgl. Socr. 7.42.1 f., dazu Wallraff 1997c, S. 106 f. mit Anm. 376. Wie viel man in die Quellen hineinlesen muss, um zu einem gegenteiligen Ergebnis zu gelangen, demonstriert etwa Holum (S. 150): »Apparently Nestorius himself dictated the terms of a constitution … This was a harsh law, providing stiff penalties … It was also strictly enforced. Socrates lamented the sufferings of the Quartodecimani … because of the unrest Nestorius had caused«. Holum erklärt nicht, wie ein Bischof den Inhalt eines Gesetzes diktieren könnte. Besonders streng ist das Gesetz nicht: Tatsächlich erscheinen nur wenige »penalties« in CTh. 16.5.65, und im Rahmen der sonstigen Häretikergesetzgebung wirken sie keineswegs »stiff«. Nestorios’ Vorgehen gegen die verschiedenen Häretikergruppen ist nicht an CTh. 16.5.65 gebunden (denn es fand teilweise zeitlich früher, teilweise gegen die in CTh. 16.5.65 geschützten außerstädtischen Kirchen von Makedonianern statt), zumal nicht bei den Quartodezimanern, die gar nicht in diesem Gesetz erscheinen! Wer sich die Mühe machte und die Namen kontemporär bzw. vor Ort irrelevanter Häresien aus den älteren Konstitutionen heraussuchte (etwa den der Donatisten),

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Theodosius II. erfüllt zwar den Wunsch des Bischofs nach einem neuen Gesetz, stellt aber fest, dass »nicht alle Häresien mit derselben Strenge anzupacken« sind, und verwendet die neue Konstitution auch dazu, die bevorzugten Opfer des Nestorios bis zu einem bestimmten Grad unter Schutz zu stellen: Die Sicherheit ihrer vorhandenen Kirchengebäude außerhalb von Städten wird nunmehr offiziell kaiserlich garantiert (im Fall der Novatianer: sogar in Städten). Freilich erklärt sich so nicht die angenommene Zweiteilung von CTh. 16.5.65: Natürlich könnte Nestorios sowohl Regelungen gegen den häretischen Kult als auch eine Bestätigung der Gesetze gegen häretische Laien erbeten haben; aber warum wurden diese beiden Teile jeweils separat ausgearbeitet und dann unzureichend überarbeitet zusammengesetzt? Auch muss offenbleiben, ob Nestorios irgendetwas mit dem merkwürdigen Abschnitt zu tun hat, der die Tatbestände der Wiedertaufe und des häretischen Sklavenhalters verquickt und alle Betroffenen mit erbrechtlichen und verwandten Sanktionen bedroht. Für unsere Zwecke ist zweierlei wichtig: Erstens sind die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen nunmehr eine typische Häretikerstrafe; sie werden zwar nicht gegen alle Häretiker verhängt, aber wenn man die wichtigsten Maßnahmen aufzählt, vergisst man sie nicht (anders als Literaturverbote, Kontrahierungsverbote, das Audienzverbot u. a.). Zweitens werden sie zum ersten Mal nicht für eine der vier Gruppen verhängt, sondern für einen Tatbestand, den theoretisch beliebige Häretiker erfüllen könnten. Beide Beobachtungen zeigen, dass sich die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen aus ihrem vorherigen engen Rahmen zu lösen beginnen.

Nov. Val. 18: De Manichaeis [19. Juni 445] Ende 443 (Lauras, S. 203) hatte in Rom ein spektakulärer Manichäerprozess stattgefunden (Drecoll/Kudella, S. 181–188). In Anwesenheit zahlreicher Kleriker, eines Teils des Senats und sogar von Männern illustrer Rangstufe (Leo M. epist. 15.16.9) war es vor Bischof Leo zu dramatischen Aussagen gekommen: Angeblich sei ein kleines Mädchen im Rahmen einer manichäischen Zeremonie rituell vergewaltigt worden (→ S. 41726). Dies lieferte den Ausgangspunkt für eine umfassende Manichäerhatz in Rom und ganz Italien, darüber lässt sich nur spekulieren: Das könnte der Bischof genauso gut wie jemand am Kaiserhof gewesen sein.

nov. val. 18: de manichaeis [19. juni 445]

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die mit der Konvertierung oder Verbannung der Manichäer endete (→ S. 486, → S. 490). Hintergrund war offenbar, dass infolge der Unsicherheit in anderen Regionen (fraglos geht es vor allem um das vandalisch eroberte Afrika) zahlreiche Manichäer nach Rom zugezogen waren (Leo M. serm. 16.5). Wir sind dank eines ganzen Dossiers von Texten Leos (nämlich Predigten und Briefen) ziemlich gut über diese Affäre informiert; 26 diese Schriften werden ergänzt durch ein Gesetz Valentinians III., das wir als seine 18. Novelle, De Manichaeis, kennen. Der Text ist so kurz, dass wir ihn hier vollständig betrachten können. Auffällig ist zunächst das Datum: Abgeschickt wurde der Brief am 19. Juni 445, mithin also ungefähr eineinhalb Jahre nach dem Manichäerprozess, der gleichwohl im Text als der aktuelle Anlass für das neue Gesetz erscheint! Eine offensichtliche Erklärung für die große Verzögerung ist nicht ersichtlich, und fraglos sollte uns dieser wohldokumentierte Fall warnen, unreflektiert von der Datierung gegebener Konstitutionen auf die Datierung des auslösenden Ereignisses rückzuschließen – der dazwischenliegende Zeitraum kann länger sein, als man dies erwarten würde. Man betrachtet Nov. Val. 18 oft als ausgelöst von Leo, 27 wofür es allerdings keinen direkten Hinweis gibt: Die vollständig erhaltene Einleitung der Konstitution nimmt in keiner Weise Bezug auf irgendein externes Gesuch. Und wenn Leo in seinen eigenen Schriften auf die Manichäeraffäre zu sprechen kommt, erwähnt er nie ein Bedürfnis nach neuen Gesetzen oder gar eine Eingabe von seiner Seite. Das gilt auch für die Texte nach dem Jahr 445, wo man – steckte er hinter dem Neuerlass – womöglich erwarten könnte, er würde voll Stolz seine erfolgreiche Intervention beim Kaiser erwähnen. Wahrscheinlicher ist also, dass Valentinian III. von sich aus tätig wurde. Vermutlich ging es darum, angesichts der von Leo in Rom und ganz Italien (Leo M. epist. 7) ins Werk gesetzten Manichäerverfolgung auch den Rest des westlichen Reichsteils daran zu erinnern, dass scharfe Gesetze gegen Manichäer existieren. DDNN. Impp. Theodosius et Valentinianus AA. Albino II ppo. Superstitio paganis quoque damnata temporibus, inimica publicae disciplinae et hostis fidei Christianae, ad excidium sui Clementiam Nostram non immerito pro26

27

All diese Texte sind bequem erschlossen durch die praktische Quellensammlung von Schipper/Oort, die neben den Originaltexten englische Übersetzungen, Anmerkungen und weiteres Material bietet. So z. B. Schipper/Oort, S. 1: »an evident success of papal interference«; Gaudemet 1989, S. 17: »Le pontificat de Léon le Grand … n’en offre pas moins de nombreux exemples de recours du pape à l’empereur. La Novelle 18 …«.

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erbrechtliche sanktionen nach 428 vocavit. Manichaeos loquimur, quos execrabiles et toto orbe pellendos omnium retro principum statuta iudicarunt. Nec dissimulationem crimina nuper detecta patiuntur. Quae enim et quam dictu audituque obscena in iudicio beatissimi papae Leonis coram senatu amplissimo manifestissima ipsorum confessione patefacta sunt! Adeo ut eorum quoque (qui diceretur) episcopus et voce propria proderet et omnia scelerum suorum secreta perscriberet. Quod notitiam Nostram latere non potuit, quibus tutum non est neglegere tam detestandam divinitatis iniuriam et impunitum relinquere scelus, quo non solum corpora deceptorum, sed etiam animae inexpiabiliter polluuntur. Unsere Herren, die Kaiser Theodosius und Valentinian an den Prätoriumspräfekten Albinus in seiner 2. Amtszeit: Ein Unglaube, der sogar zu heidnischen Zeiten verdammt war, der Feind der öffentlichen Ordnung sowie Gegner des christlichen Glaubens ist, hat Unsere Klemenz zu seinem eigenen wohlverdienten Untergang herausgefordert. Von den Manichäern sprechen wir, über die die Verordnungen aller früheren Kaiser urteilten, dass sie abscheulich und aus der ganzen Welt zu vertreiben seien. Vor den unlängst aufgedeckten Verbrechen darf man nicht die Augen verschließen! Um welche Untaten es sich handelt und wie widerwärtig es ist, von ihnen zu berichten oder zu hören, wurde vor dem Gericht des hochehrwürdigen Vaters Leo in Anwesenheit des hohen Senats durch äußerst detaillierte Geständnisse dieser Leute selbst aufgedeckt! Das ging so weit, dass ihr sogenannter »Bischof« sowohl höchstpersönlich mündlich gestand als auch alle Geheimnisse ihrer Frevel schriftlich ausführte. Das konnte Unserer Kenntnis nicht entgehen, da es für Uns keineswegs gefahrlos wäre, dieses so hassenswerte Unrecht gegen die Gottheit zu ignorieren und einen Frevel ungestraft zu lassen, durch den nicht nur die Körper der Getäuschten, sondern auch ihre Seelen irreversibel besudelt werden.

Valentinian III. beruft sich nicht (anders als in der Mehrzahl seiner Novellen: → S. 119) auf eine Eingabe, die sein Handeln veranlasst, sondern stellt heraus, dass er den Zorn Gottes gegen sich heraufbeschwören würde (tutum non est), wenn er die Angelegenheit ignorieren würde. Bereits im ersten Satz bezeichnet der Kaiser den Manichäismus als hostis fidei Christianae – also nicht: catholicae – und spricht der Sekte damit indirekt das Christentum ab (→ S. 41112). Dies scheint absichtlich zu geschehen, denn auch im weiteren Text des Gesetzes findet kein Wort der Wortfamilie haeresis Verwendung. Das Verbot zu heidnischen Zeiten verweist auf Diokletians Konstitution gegen die Manichäer (→ S. 410). Es mag vielleicht erstaunen, dass sie dem Autor des Gesetzes überhaupt ein Begriff ist, aber wir dürfen nicht vergessen, dass der Codex Gregorianus auch nach der Fertigstellung des Codex Theo-

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dosianus weiter seine Gültigkeit behielt (→ S. 136197) und dass dort, als Zusatz, die Diokletian-Konstitution überliefert wurde (→ S. 135196). Die Verbannung der Manichäer aus dem ganzen Römischen Reich (toto orbe pellendi) scheint bereits 389 in einem Gesetz auf (CTh. 16.5.18, → S. 463), wird darin aber genauso wenig wie in der vorliegenden Konstitution weiterverfolgt (vgl. § 3, wonach Manichäer aus Städten, aber offensichtlich nicht vom flachen Land, vertrieben werden sollen). Etwas mehr Details zu den unsagbaren Untaten findet man bei Leo (serm. 16.4), der aber schnell abbricht und für alles Weitere aufs Gerichtsprotokoll verweist. Die Anwesenheit des Senats ist eine Übertreibung, denn laut Leo (epist. 15.16.9) war nur pars quaedam senatus, »ein gewisser Teil des Senats«, zugegen (freilich neigt der Autor unserer Novelle auch sonst zu Übertreibungen, wie man anhand seiner Behauptung sieht, »alle« vorherigen Kaiser hätten Gesetze gegen die Manichäer erlassen). Das Geständnis des Bischofs findet auch bei Leo (serm. 16.4; epist. 7.1) Erwähnung, der aber nicht mehr Details bietet. 1. Unde, Albine, parens karissime atque amantissime, illustris et praecelsa Magnificentia Tua hac Nos in aeternum victura lege statuisse cognoscat, quam in omnium provinciarum faciet notitiam edictis propositis pervenire, ut ubicumque terrarum quisquis Manichaeorum fuerit deprehensus poenas, quas in sacrilegos iura sanxerunt, auctoritate publicae severitatis excipiat. 1. Daher soll Deine illustre und präzelse Magnifizenz, Albinus, allerliebster und allergeschätztester Vater, wissen, dass Wir mit diesem Gesetz – das auf ewig gelten und das sie [d. h. Deine Magnifizenz] durch Aushang von Edikten zur Kenntnis aller Provinzen bringen soll – festgelegt haben, dass ein jeder Manichäer, auf welchem Land auch immer er aufgegriffen wird, durch die Autorität der öffentlichen Strenge die Strafen erhalten soll, die die Gesetze gegen sacrilegi festgelegt haben.

Während der Autor sichtlich bemüht ist, sein sprachliches Können vorzuführen – man beachte das ciceronische ubicumque terrarum und die Enallage auctoritas publicae severitatis (statt severitas publicae auctoritatis) –, liegt ihm die Klarheit der Regelung weit weniger am Herzen. Denn was die poenae in sacrilegos sein sollen, bleibt unklar. Mit sacrilegium ist im Codex Theodosianus regelmäßig das Majestätsverbrechen gemeint (→ S. 443); aber darauf steht der Tod, sodass die im Weiteren genannten Sanktionen gegen Manichäer überflüssig wären. Sollte sacrilegi hier ausnahmsweise »Frevler [im religiösen Sinne]« bezeichnen, so muss offenbleiben, welche Strafen die Gesetze gegen solche festgelegt haben. Oder ist sacrilegi i. S. v. »diese Frevler« gemeint, d. h., es geht um die Strafen gegen Manichäer? Vermutlich steht das Wort einfach

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nur deswegen, weil CTh. 16.5.7 § 1 folgende Formulierung enthält: veluti sacrilegii reos tenemus, »wir ziehen sie gleichsam wie Täter eines Majestätsverbrechens zur Rechenschaft« (freilich unter Missachtung des veluti). Wie es typisch ist für die valentinianischen Novellen (→ S. 251377), findet sich eine eindeutige Markierung der generalitas (in aeternum victura lex, vgl. ferner haec edictalis lex in § 3). Der Publikationsbefehl erstreckt sich auf alle Provinzen (d. h., er geht über den von Leo gesteckten Rahmen, also Rom und Italien, hinaus). 2. Sitque publicum crimen et omni volenti sine accusationis periculo tales arguere sit facultas. 2. Und es sei ein crimen publicum und jeder, der dies möchte, habe die Möglichkeit, derlei Leute vor Gericht zu bringen ohne die Gefahr, die eine Anklage mit sich bringt.

Das Manichäersein als crimen publicum stammt aus CTh. 16.5.40 § 1 (→ S. 472), die Entbindung des Anklägers eines Manichäers von den drohenden Gefahren einer erfolglosen Akkusation begegnete bereits in CTh. 16.5.9 § 1, sine invidia delationis, »ohne die [potenziellen] negativen Folgen einer Delation [i. S. v. Akkusation]« (→ S. 456). 3. Nec cuiquam licitum tutumque sit aut celare tales aut talibus conivere, cum omnia de his a Nobis confirmata sint retro principum constituta, ut noverint universi hac edictali lege proposita Manichaeos dignitate militiae et urbium habitatione privandos, ne quis innocens talium conversatione aut societate capiatur. Successiones nec capiant nec relinquant, sed fisci Nostri viribus adgregentur. Nec his quod palam interdicimus ulla fraude quaeratur. Iniuriarum careant actione, contractus liberos omnino non habeant. 3. Für niemanden sei es erlaubt oder gefahrlos, derlei Leute zu verbergen oder bei ihnen ein Auge zuzudrücken. Denn alle Bestimmungen der früheren Kaiser mit Bezug auf sie wurden von Uns bestätigt. Alle sollen durch den Aushang dieses ediktalen Gesetzes wissen, dass den Manichäern die militia-Würde und die Möglichkeit des Wohnens in Städten wegzunehmen sei, damit nicht Unschuldige durch Umgang und Kontakt mit solchen Leuten verführt werden. Sie sollen Erbschaften weder erwerben noch hinterlassen; vielmehr sollen diese dem Vermögen Unseres Fiskus zufallen. Und was wir diesen Leuten klipp und klar untersagen, soll nicht durch Tricks angestrebt werden. Sie sollen die Injurienklage [actio iniuriarum] nicht erheben können, sie sollen generell nicht das Recht zum freien Kontrahieren besitzen.

Das Verbot, Manichäer bei sich zu verbergen, stammt aus CTh. 16.5.35 (→ S. 466), zum militia-Ausschluss der Manichäer siehe oben (→ S. 773).

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Dass Manichäer nicht in Städten leben dürfen, findet sich z. B. bereits in Sirm. 6 (→ S. 772); die Regel, dass Manichäer nirgendwo mehr im Römischen Reich sein dürfen (auf die ja im Principium angespielt wurde!) ist wieder vergessen. Das kurz referierte Verbot, Erbschaften zu erwerben bzw. zu hinterlassen, ist in seiner Knappheit unzureichend. Weder werden die Ausnahmen für orthodoxe Intestaterben erwähnt noch ist capere richtig gewählt (denn Hauserben, bei denen kein Erwerb notwendig ist, sind so streng genommen gar nicht vom Verbot erfasst). Der Manichäern drohende Eigentumsentzug (zugunsten der orthodoxen Verwandtschaft bzw. der Staatskasse) wird nicht erwähnt, wohl aber eine (überflüssige) pauschale Untersagung von Umgehungsversuchen. Der Verlust der Fähigkeit zum Kontrahieren (was das ansonsten nicht erwähnte Schenkungsverbot einschließen könnte, vgl. Kaser II, S. 394 f., zur spätantiken Schenkung, die kontraktsähnlich wird) findet sich ebenfalls bereits in CTh. 16.5.40 (→ S. 476); man würde erwarten, dass sich diese Sanktion auf das Verbot von Umgehungen bezieht bzw. es erläutert, aber dazwischen findet sich die ganz ungewöhnliche Beschränkung, dass Manichäer nicht gegen Injurien klagen können. Die privatrechtliche actio iniuriarum richtet sich klassisch u. a. gegen Körperverletzungen und Beleidigungen, aber in der Spätantike fand die Verfolgung von Körperverletzungen und anderer nicht geringfügiger Injurien strafrechtlich statt (Kaser II, S. 439). Hier wird also nicht die körperliche Unversehrtheit der Manichäer in Frage gestellt – es geht nur darum, dass sie sich gegen Beleidigungen nicht juristisch wehren können. 28 Dies soll fraglos die vollständige Ehrlosigkeit der Manichäer besiegeln. 4. Primates uniuscuiusque militiae vel officii mox exigenda per apparitionem Vestram X librarum auri multa percellat, si quem hac superstitione pollutum siverint militare. Neque enim aliquid nimium in eos videtur posse decerni, quorum incesta perversitas religionis nomine lupanaribus quoque ignota vel pudenda committit. Dat. XIII kal. Iul. Romae DN. Valentiniano A. VI et Nomo vc. conss.

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Ein paralleler Fall findet sich in CTh. 16.2.41 von 411 (bei der Vorlage Sirm. 15 fehlt der für uns hier relevante Schluss). Dort steht Folgendes über strafrechtlich verurteilte Kleriker: ut contempti post haec et miserae humilitatis inclinati despectu iniuriarum non habeant actionem, »sodass sie danach geringgeschätzt und gedemütigt aufgrund der Verachtung ihrer elenden Schmach die Injurienklage [actio iniuriarum] nicht haben«. Auch hier wird offenbar (angesichts des Kontexts) lediglich festgelegt, dass man künftig die verurteilten Kleriker straffrei beleidigen darf – nicht, dass sie vogelfrei werden.

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erbrechtliche sanktionen nach 428 4. Die Leiter der einzelnen militiae 29 bzw. Amtsstellen soll eine Geldstrafe von zehn Pfund Gold (zeitnah einzuziehen Eurerseits!) treffen, sofern sie jemanden, der von diesem Unglauben beschmutzt ist, in der militia dienen lassen. Man kann ja gar nicht zu strenge Maßnahmen gegen diese Leute erlassen, deren inzestuöse Perversion im Namen der Religion Akte begeht, die Bordellen unbekannt bzw. für sie beschämend wären! Abgeschickt am 13. Tag vor den Kalenden des Juli in Rom unter dem Konsulat von Kaiser Valentinian (zum 6. Mal) und Nomus. [19. Juni 445]

Die Amtsstrafe ist mit zehn Pfund recht maßvoll (→ S. 562) und trifft zudem nur Dienststellenleiter, die wissentlich Manichäer in der militia dienen lassen. Ein allgemeines Konnivenzverbot fand sich zu Anfang von § 3, aber ohne konkrete Strafandrohung (»für niemanden sei es erlaubt oder gefahrlos«). Valentinians Manichäernovelle ist eine typische Bestätigung: Aufgrund eines aktuellen Anlasses wird noch einmal eingeschärft, dass alle Konstitutionen weiterhin gelten. Die Rechtslage wird nur holzschnittartig umrissen, keineswegs aber so ausführlich ausgebreitet, als dass man sich ein Nachschlagen in den bestätigten Regelungen (d. h. mittlerweile im Codex Theodosianus) ersparen könnte. Zahlreiche Anspielungen auf den Wortlaut früherer Konstitutionen – die womöglich teilweise auch nicht ganz verstanden wurden (sacrilegi) – zeigen, dass man die älteren Texte, jetzt bequem im Codex Theodosianus gesammelt, beim Verfassen der Novelle zur Hand genommen hat. Auch bei den erbrechtlichen und verwandten Sanktionen bleiben etliche Details unerwähnt; selbstverständlich darf man dies nicht als Hinweis auf eine Änderung der Rechtslage werten (man will ja z. B. angesichts capere nicht glauben, dass diese Novelle manichäischen Hauserben Erleichterungen verschaffen möchte!). Eine echte Neuerung ist das Verbot der Injurienklage. Erstaunlicherweise fehlt auch in dieser Konstitution die in der Praxis wichtigste Sanktion gegen Manichäer, nämlich die lebenszeitliche Relegation, mit der ja die Haupttäter in Leos Manichäerprozess bestraft wurden (→ S. 486). Vielleicht muss die Interdiktion des städtischen Wohnens – technisch eine Spielart der Relegation (→ S. 321, → S. 336) – so interpretiert werden, aber ganz geht diese Gleichsetzung nicht auf: Die Missetäter des LeoProzesses werden verbannt und anscheinend nicht nur aus der Stadt in die benachbarten Dörfer geschickt.

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Vgl. z. B. CTh. 12.1.22, Cum decuriones decurionumque filii deque his geniti ad diversas militias confugiant, »Angesichts der Tatsache, dass Dekurionen, die Söhne von Dekurionen und deren Abkömmlinge zu den diversen militiae fliehen«.

die antieutychianischen gesetze

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Diese Konstitution Nov. Val. 18 ist der letzte Text, der sich in das bisherige Schema – erbrechtliche Sanktionen nur für die vier verfolgten Gruppen – einordnen ließe. Aus sachlicher Warte hätte man ihn (wäre er chronologisch nicht zu spät) auch ohne Weiteres ins Manichäerkapitel setzen können.

Die antieutychianischen Gesetze CN 480 [18. Juli 452] und CN 489 [1. August 455] Die Frage der Rechtgläubigkeit des Archimandriten Eutyches setzte eine Abfolge von Ereignissen in Gang, die im großen Konzil von Chalkedon (451) kulminierte. Man kann die Vorstellungen des Eutyches als monophysitisch einordnen, wenngleich er kein intellektueller Theologe war 30 und die heutigen orientalischen Gruppen (die nur von Außenstehenden als »monophysitisch« bezeichnet werden) mit Katholiken und Orthodoxen darin übereinstimmen, den Ansichten des Eutyches die Rechtgläubigkeit abzusprechen. Im Nachgang des Konzils von Chalkedon erließ Kaiser Markian eine Reihe bestätigender Gesetze, darunter auch eine lange Konstitution gegen die »Eutychianer« (CN 480 vom 18. Juli 452), wobei es mehr als fraglich ist, ob es eine Anhängerschaft des Eutyches gab, die über gewisse, ihm nahestehende Mönche hinausreichte; ein dauerhafte Gruppe von »Eutychianern« existierte gewiss nicht (vgl. Wickham, S. 564). Zu Beginn des Gesetzes wird Eutyches’ Lehre in die Nachfolge des Apollinarianismus gestellt, eine polemische Zuschreibung (vgl. ACO 2.1.1, p. 92.5–8), die bereits in der theologischen Diskussion zuvor eine Rolle gespielt hatte (ACO 2.1.1, p. 91.25 f.; ACO 2.1.1, p. 145.10–13). Ziemlich genau drei Jahre später folgte eine Bestätigung der Bestimmungen gegen »Eutychianer und Apollinarianer« (CN 489 vom 1. August 455), wobei nunmehr die beiden Gruppen durchgehend nebeneinander genannt erscheinen. Leider sind diese beiden Konstitutionen viel zu lang, als dass man sie hier in Gänze besprechen könnte. Dies ist umso bedauerlicher, als sie zahlreiche bemerkenswerte Eigenheiten aufweisen. 31 30

31

Jülicher, Sp. 1528: »theologische Bildung besaß er nicht, war überhaupt ein beschränkter Mensch«; Sp. 1529: »die theologisch gefährlichste Häresie, von der die Kirchengeschichte weiß, heißt nach einem Mönche, der von der Theologie gar nichts verstanden hat«; Wickham, S. 564: »Nicht nur die Person, sondern auch die Lehre des Eutyches … sind von geringer Bedeutung«. So besitzt CN 480 eine Verteilerliste (→ S. 71); und CN 489 unterscheidet beim Verwalter, der ohne Wissen des Eigentümers häretische Versammlungen zulässt, nicht zwischen ingenui und servi (vgl. → S. 482), sondern zwischen si vilis et abiectae condi-

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erbrechtliche sanktionen nach 428

In CN 480 wird gegen eine neuartige Häretikergruppe ein umfangreicher Katalog von Einzelmaßnahmen angeordnet, der gleichsam die Summe aller Sanktionen darstellt, die man in früheren Gesetzen gegen verschiedene Häretiker festgelegt hat. Zunächst bestimmt CN 480, dass Klerikerweihen verboten sind und dass sowohl Weihender wie Geweihter zu enteignen und auf Lebenszeit zu exilieren sind. Zusammenkünfte sind untersagt; Immobilien, die als Versammlungsorte dienten, sind – sofern das Treffen mit Wissen des Eigentümers geschah – zu konfiszieren, ansonsten ist der Verwalter bzw. Pächter auszupeitschen und zu deportieren (ohne Unterscheidung nach Status). Im Rahmen dieser Bestimmung werden explizit auch das Versammeln von Mönchen und das Einrichten von Klöstern genannt – was angesichts der Tatsache, dass Eutyches selbst Archimandrit war und seine bekannten Anhänger Mönche, eine durchaus naheliegende Vorkehrung darstellt. Danach folgt diese Bestimmung: Ipsos praeterea nihil ex testamento cuiusquam capere, nihil eis, qui eiusdem erroris sunt, relinquere testamento, ad nullam eos patimur aspirare militiam, nisi forte ad cohortalitiam vel limitaneam. Ferner dulden wir nicht, dass sie selbst etwas aus dem Testament irgendeiner Person erwerben, dass sie testamentarisch etwas Personen hinterlassen, die derselben Irrlehre anhängen, oder dass sie irgendeine militia anstreben, außer (sofern sich überhaupt die Frage stellt) die cohortalis oder die limitanea.

Die erbrechtlichen Beschränkungen finden sich hier also in einem Schnelldurchgang durch den ganzen Sanktionskatalog, der sich für Heterodoxe etabliert hat und dessen einzelne Regelungen kaum mehr als angedeutet werden. Offenbar ist kein Eingriff in den Intestaterbgang intendiert, und Eutychianer können sogar Testamente errichten, nur darin eben keine anderen Eutychianer begünstigen (wörtlich genommen könnten nicht nur Orthodoxe profitieren, sondern sogar andere Heterodoxe – was freilich kaum intendiert sein kann).

cionis sunt (Strafe: öffentliche Stäupung) sowie si honestae vero personae sunt (Strafe: zehn Pfund Gold), d. h. entlang der humilior-honestior-Scheidelinie (→ S. 365161). Ein exakter Vergleich von CN 480 und CN 489 wäre auch sehr lehrreich mit Blick auf das Verhältnis zwischen ursprünglicher Konstitution und Bestätigung: CN 489 folgt dem Vorbild von CN 480 thematisch, strukturell und sprachlich, Letzteres sogar oft bis in die Formulierungen. Dass also dem CN-489-Autor CN 480 als Modell vorlag, kann nicht bezweifelt werden. Umso interessanter ist zu untersuchen, in welcher Hinsicht (und, soweit beantwortbar, warum) er sich von dieser Vorlage löste.

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Wie bereits in CTh. 16.5.65 § 3 (→ S. 773) bezüglich der Manichäer ist trotz militia-Verbot neben der cohortalis militia auch der Dienst in den Grenztruppen möglich – hier freilich sind sämtliche Einheiten der limitanei erlaubt, die Kastellbesatzungen gleichermaßen wie die städtisch kasernierten limitanei (denn anders als Manichäer dürfen Eutychianer grundsätzlich in Städten leben). Eutychianer in anderen Bereichen der militia sind aus dieser zu entlassen; zudem werden sie in ihren Geburtsort relegiert (sofern dieser Konstantinopel ist, wird ihnen stattdessen der Aufenthalt dort und in allen Provinzhauptstädten untersagt). Ehemals orthodoxe Kleriker und Mönche, die sich Eutyches angeschlossen haben, sollen allen Strafen verfallen, die die vorliegende Konstitution festlegt sowie die sich in früheren Gesetzen »gegen Häretiker« finden: Also die Konstitutionen, die generisch von haeretici sprechen (→ S. 508)? Oder sämtliche Konstitutionen, die Sanktionen gegen unterschiedliche namentlich genannte Gruppen verhängen? Dies wäre konzeptuell ein Novum, aber wir dürfen nicht vergessen, dass sich CN 480 gerade durch die Zusammenfassung so gut wie aller Häretikerstrafen und ihrer Anwendung auf die Eutychianer auszeichnet – die Idee liegt also durchaus schon in der Luft. Übrigens sollen die ehemals orthodoxen Kleriker und Mönche »wie Manichäer« aus dem Römischen Reich verjagt werden. Das wäre, folgte man der zweiten Alternative, tautologisch (denn würden alle Sanktionen, die gegen beliebige Häretikergruppen erlassen wurden, gegen die Betroffenen gelten, würde dies auch die Manichäersanktionen einschließen), wobei man sich andererseits davor hüten muss, in den spätantiken Kaiserkonstitutionen die Stringenz argumentativ überzustrapazieren. Dass alle Manichäer aus dem Römischen Reich zu vertreiben seien, ist immer wieder einmal als Idee in den Konstitutionen aufgeblitzt (→ S. 463, → S. 787), aber dieselben Gesetze zeigen textimmanent, dass es bei der Idee blieb (denn dort wird weiter bestimmt, dass Manichäer aus Städten zu vertreiben seien, was impliziert, dass sie auf dem flachen Land eben doch bleiben dürfen). Die Beiläufigkeit, in der die Vertreibung aus dem Reich hier erwähnt wird, scheint allerdings zu implizieren, dass man mittlerweile wirklich so gegen die Manichäer vorging. Eutychianische Schriften sind zu verbrennen. Wer solche verfasst oder verbreitet, ist zu deportieren. Wer Eutychianismus lehrt, dem droht sogar die Todesstrafe, den Zuhörern eine Strafe von zehn Pfund Gold. Ebenfalls zehn Pfund beträgt die Amtsstrafe, die Statthalter, deren Officia sowie Defensoren entrichten müssen, sofern sie das Gesetz nicht dienstbeflissen ausführen; zudem verfallen sie der Infamie.

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erbrechtliche sanktionen nach 428

Die zweite Konstitution CN 489 ergeht drei Jahre später. Sie verweist auf die vorherige sacratissima constitutio Mansuetudinis Meae 32 (d. h. CN 480), die nun angesichts von Umtrieben in Alexandreia bestätigt werden müsse. CN 489 weist in Gliederung und Gedankengang große Ähnlichkeit zu CN 480 auf, sodass es lohnenswert wäre, beide Texte exakt zu vergleichen; aber der hier zur Verfügung stehende Platz erlaubt nur, auf einige besonders auffällige Unterschiede hinzuweisen. Während CN 480 nur einmal beiläufig erwähnt, dass Eutychianer nach dem Vorbild der Apollinarianer, denen Eutyches angeblich folge, zu bestrafen seien, wendet sich CN 489 ganz konsequent gegen »Eutychianer und Apollinarianer«, wobei allerdings im Gesetzestext ziemlich klar durchschimmert, 33 dass diese Gleichsetzung polemisch ist und von den Betroffenen selbst nicht geteilt wird. Der erste Komplex an Einschränkungen, der gegen die Eutychianergleich-Apollinarianer verhängt wird, betrifft die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen: … secundum sacratissimas divorum retro principum constitutiones, quae de Apollinaristis promulgatae sunt, non habeant potestatem faciendi testamenti et condendae ultimae voluntatis neque id capiant, quod ipsis ex testamento cuiusquam fuerit derelictum, nihil etiam ex donatione aliqua consequantur, sed si quid in ipsos vel liberalitate viventis vel morientis fuerit voluntate conlatum, id fisco Nostro protinus addicatur, ipsi vero in nullos aliquid ex facultatibus suis donationis titulo et iure transfundant. … gemäß den kaiserlichen Konstitutionen der divinisierten vorherigen Kaiser, die bezüglich der Apollinarianer erlassen wurden, sollen sie nicht die Fähigkeit besitzen, ein Testament zu machen oder einen letzten Willen zu errichten, und sie sollen nicht erwerben können, was ihnen im Testament einer beliebigen Person hinterlassen wurde. Auch sollen sie nichts aus irgendeiner Schenkung erlangen. Vielmehr soll das, was ihnen durch die Großzügigkeit eines Lebenden oder den letzten Willen eines Toten zugewandt wurde, sogleich Unserem Fiskus

32

33

CN 480 war im Namen von Markian und Valentinian III. ergangen; doch als Markian im Sommer 455 die Konstitution CN 489 abschickte, war der Westkaiser bereits seit mehreren Monaten tot. Markian war also nunmehr Alleinkaiser, und so ließe sich das ungewöhnliche (→ S. 112) Meae problemlos erklären. Andererseits findet sich auch Nostrae in einem anderen Überlieferungsstrang. Jede editorische Entscheidung an dieser Stelle bleibt angreifbar. … sciant se esse haereticos Apollinaristas! Apollinaris enim facinorosissimam sectam Eutyches et Dioscorus mente sacrilega sunt secuti, »… die sollen wissen, dass sie apollinarianische Häretiker sind! Denn Eutyches und Dioskoros folgten in frevelhaftem Sinn der schwerkriminellen Lehrmeinung des Apollinaris!«.

die antieutychianischen gesetze

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zufließen. Sie selbst aber dürfen an niemanden etwas aus ihrem Vermögen unter dem Vorwand und in der Form einer Schenkung übertragen.

Tatsächlich sind keine früheren erbrechtlichen Sanktionen gegen Apollinarianer bekannt. Angesichts der zahlreichen Bestätigungen für die entsprechenden Einschränkungen hinsichtlich Manichäern, Donatisten, Eunomianern und Apostaten braucht man nicht zu glauben, sie würden uns nur aufgrund eines Überlieferungszufalls verborgen bleiben. Auch sei daran erinnert, dass noch im Jahr 428 die Apollinarianer zu einer weniger stark eingeschränkten Häretikerkategorie gehörten (→ S. 770). Der faktisch also wohl unrichtige Verweis auf Vorgängerregelungen sollte fraglos der neuartigen Maßnahme scheinbare Anciennität verleihen, im Einklang mit dem Konservativismus der spätantiken Gesetzgebung (→ S. 129). Im Vergleich zu CN 480 ist nun vieles gründlicher geregelt: Nicht nur die testamentarische Vererbung, sondern auch die Schenkung wird ins Visier genommen. Testamentarische und schenkweise Zuwendungen an Eutychianer sind nicht einfach nur verboten, sondern werden vielmehr mit Konfiskation bedroht. Anders als in CN 480 geht es auch um Zuwendungen an Nichteutychianer (d. h. vor allem auch an Orthodoxe). Doch wiederum wird der Intestaterbgang nicht angetastet, sodass es sich kaum um eine Auslassung aus Nachlässigkeit handelt, sondern vielmehr um ein bewusstes Zugeständnis zum Erhalt des schutzwürdigen Familienvermögens (→ S. 340). Danach folgt in CN 489 das Weiheverbot (wie in CN 480 unter Androhung von Enteignung und Exil), woran sich die Strafandrohungen gegen ehemals orthodoxe Kleriker anschließen (eng angelehnt an CN 480, mit den Strafen »gegen Häretiker« und der Vertreibung aus dem Römischen Reich unter Verweis auf die Manichäer). Das Versammlungsverbot ist (ebenfalls wie in CN 480) mit einem Verbot von Klöstern verknüpft. Wie üblich sind Versammlungsstätten zu konfiszieren bzw. – sofern der Eigentümer nicht verantwortlich ist – die eigentlich Schuldigen zu bestrafen: Mit einer Geißelung, sofern sozial niedrigstehend, mit einer Zahlung in Höhe von zehn Pfund Gold, sofern hochstehend (das sind angesichts der Deportation, die CN 480 und andere Gesetze, → S. 482, vorschreiben, erstaunlich milde Sanktionen). Darauf folgt das militia-Verbot, das wie CN 480 nicht nur die cohortalis, sondern auch die limitanea ausnimmt und ebenfalls wie das Vorgängergesetz in der militia ertappte Eutychianer mit Relegation in den Herkunftsort bestraft, wobei ebenfalls die Ausnahme für Konstantinopolitaner gemacht wird. Eutychianer dürfen sich nicht versammeln und keine antichalkedonischen Schriften verfassen, verbreiten oder besitzen. Zuwiderhandlern (nur auf das

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Schriftenverbot bezogen oder zusätzlich auch auf das Versammlungsverbot?) droht die Deportation. Zuhörer müssen zehn Pfund Gold zahlen, und eutychianische Schriften sind zu verbrennen, was den Bestimmungen von CN 480 entspricht. Schließlich wird ebenfalls die Amtsstrafe wiederholt: Statthaltern, ihrem Stab und den Defensoren droht eine Strafe von zehn Pfund Gold sowie die Infamie, sofern sie diese Regelungen ignorieren. Für den Codex Iustinianus wurde nur CN 489 exzerpiert, nicht aber CN 480 (abgesehen von ein paar Worten, siehe gleich), was folgerichtig ist, denn CN 489 ist ein jüngeres Gesetz mit denselben Tatbeständen. Dabei wurden die zahlreichen Einzelbestimmungen mit all ihren Details nach CI. 1.5.8 und CI. 1.7.6 übernommen, ja sogar Teile der Einleitung (mit geringem Regelungsgehalt). Nur zwei Ausnahmen gibt es: Erstens ist die Strafe aus CN 489 für Lehrer des Eutychianismus (zehn Pfund Gold) um die Todesstrafe aus CN 480 ergänzt, und zwar mit einer fast wörtlichen Übernahme aus CN 480. 34 Zweitens ist der ganze Absatz zu den erbrechtlichen und verwandten Sanktionen entfallen, was angesichts der Tatsache, dass Justinian diese Strafen ohnehin ganz anders regelt, nicht zu überraschen braucht (→ S. 802). Im Ergebnis bieten die beiden antieutychianischen Konstitutionen einen viel besseren Überblick über die spätantike Häretikergesetzgebung als das angeblich systematisierende Gesetz CTh. 16.5.65, und auch wenn die hier gemachte Sammlung nicht gegen alle Häretiker, sondern nur gegen Eutychianer (und Apollinarianer) in Kraft gesetzt wird, merkt man doch, dass es einen neuen Trend gibt: von den Einzelkonstitutionen begrenzten Regelungsgehalts hin zu einer allgemeinen Häretikergesetzgebung, die die ganze Palette nutzt. Zu dieser gehören wohlgemerkt auch die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen, wobei der Intestaterbgang nicht angetastet wird.

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CI. 1.5.8 § 11: ultimo etiam supplicio coerceantur, qui illicita docere temptaverint; CN 480: ultimo supplicio coercebitur, qui illicita docere temptaverit. Die minimalen Modifikationen habe ich durch Unterstreichung markiert. Überraschenderweise ist die Übernahme aus CN 480 Krüger entgangen: Seine Editio maior vermerkt im Apparat zur Stelle lediglich, dass die Passage in CN 489 fehlt.

hunerichs antikatholisches edikt [24. februar 484]

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Hunerichs antikatholisches Edikt [24. Februar 484] Victor von Vita überliefert drei Edikte des Vandalenkönigs Hunerich im Wortlaut. Uns interessiert hier das dritte und letzte, nämlich das antikatholische (aus Sicht der Vandalen: antihomousische) Edikt vom 24. Februar 484. 35 Obwohl die Eroberung Afrikas durch die Vandalen zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 50 Jahre zurücklag, handelt es sich bei diesem Text nach Struktur, Vokabular und sogar Prosarhythmus um ein wahrhaft spätantikes Gesetz. Formal ist diese Konstitution ein Edikt, wie die Inskription zeigt: 36 Rex Hunirix Wandalorum et Alanorum universis populis Nostro regno subiectis. Mit knapp sieben Budé-Seiten ist der Text viel zu lang, als dass er hier vollständig besprochen werden könnte. Er gliedert sich wie folgt: Auf eine Einleitung von circa zwei Budé-Seiten Länge folgt eine Übersicht über die römische Gesetzgebung gegen Häretiker im Umfang von rund drei Seiten. Darauf folgen auf ungefähr zwei Seiten Hunerichs eigene Bestimmungen gegen Katholiken. Der Durchgang durch die früheren Maßnahmen, die in kaiserlichen Konstitutionen gegen (verschiedene) Häretiker ergriffen wurden, zeichnet sich nicht nur durch weitgehende Vollständigkeit, sondern auch durch Strukturiertheit aus. So wird scharf und ausdrücklich zwischen Maßnahmen getrennt, die Kleriker bzw. Laien betreffen. Unter den Klerikersanktionen werden aufgezählt: Verbot von Versammlungen; Verbot von Kirchen in Städten wie auf dem Land; Konfiskation von Kirchen samt zugehörigem Vermögen (das es rechtlich nicht geben sollte, faktisch aber schon mitunter existierte: → S. 77516); Relegation von Klerikern aus Städten und anderen Siedlungen; Verbot von Taufen (gemeint: Wiedertaufverbote), von Gesprächen über die Religion, von Klerikerweihen; keine Möglichkeit für Audienzen; pauschale Entkräftung von Privatprivilegien; Verbannung für renitente Kleriker. Der Abschnitt zu den Laien beginnt mit den erbrechtlichen und verwandten Sanktionen (die wir uns gleich näher ansehen werden), worauf das Verbot 35 36

Die wichtigste Literatur zu Hunerichs Edikt ist Overbeck, S. 74–82; Vismara, S. 859–872; Heuberger, S. 93–104; Aiello, S. 263–272. Die Inskription ohne Form von dicere, dafür adressiert an universis populis, entspricht den spätantiken Inskriptionen von Edikten (→ S. 46). Der Vandalenkönig heißt bei Victor von Vita Huniricus; nur wenn Victor aus dessen Dokumenten zitiert, schreibt er Hunirix (vgl. Heuberger, S. 94, S. 98). Dass -ix die offizielle Form ist, erweist sich dadurch, dass Hunerichs Sohn Hilderich auf seinen eigenen Münzen als Hildirix erscheint. Dies stellt ein starkes Indiz für die Zuverlässigkeit des von Victor zitierten Texts dar.

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der militia als Palatini und die spezifische Geldstrafe für häretische Officiumsmitglieder (aus der Donatistengesetzgebung) folgen. Als nächstes erscheint das Verbot häretischer Literatur, dann die rangmäßig abgestuften Geldstrafen (wiederum aus der Donatistengesetzgebung) und die Amtsstrafen für Würdenträger, einschließlich der städtischen. Der Abschnitt zu den erbrechtlichen und verwandten Sanktionen lautet folgendermaßen (Vict. Vit. 3.9): In populos quoque praefati imperatores similiter saevientes, quod eis nec donandi nec testandi aut capiendi vel ab aliis derelictum penitus ius esset, 37 non fideicommissi nomine, non legati, non donationibus aut relictione, quae mortis causa appellatur, vel quolibet codicillo aliisve forsitan scripturis … Auch gegen Laien wüteten die vorgenannten Kaiser in ähnlicher Weise, insofern ihnen ganz und gar verboten war zu schenken, zu testieren oder auch nur zu erwerben, was ihnen von anderen hinterlassen worden war: weder als Fideikommiss noch als Legat noch durch Schenkung (einschließlich der Vererbungsart, die man mortis causa nennt) oder durch irgendein Kodizill oder gegebenenfalls durch andere Schriftstücke …

Bereits die aufgezählten Sanktionen zeigen, wie sorgfältig der Häretikertitel CTh. 16.5 für die Abfassung von Hunerichs Edikt ausgewertet wurde. Insbesondere hat der Autor auch ungewöhnliche Sanktionen aufgespürt und in seine Übersicht aufgenommen, so etwa das Verbot, sich an den Kaiser zu wenden (CTh. 16.5.14, CTh. 16.5.63), die seltenen Bücherverbote (→ S. 319) oder die Laiengeldstrafen aus der Donatistengesetzgebung (→ S. 579). Angesichts dieser intensiven Arbeit an den Ausgangstexten muss es nicht verwundern, wenn das Vandalenedikt strukturelle und lexikalische Anleihen bei CTh.Fragmenten macht. Die oben zitierte Passage wurde von zwei Texten gegen die Eunomianer (CTh. 16.5.17, → S. 636) bzw. gegen die Manichäer (CTh. 16.5.40, → S. 477) abgeleitet: CTh. 16.5.17: non habeant possidendi licentiam, non petendi, non etiam relinquendi heredhitatiem nomine principali, non fideicommissario, non legatario

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Überliefert statt ius esset (eine Konjektur von Reinhard Lorich aus dem Jahr 1537) ist subiaceret. Die modernen Herausgeber seit Petschenig setzen subiaceret in den Text, da die Gerundien im Genetiv durchaus Infinitive vertreten könnten (Pitkäranta, S. 42 f., mit Parallelbeispielen und Literatur). Aber das eigentliche Problem ist die Semantik des Verbs: subiacere bedeutet »[einer negativen Sache] unterliegen, ausgesetzt sein« (und so benutzt Victor das Wort auch sonst: 1.49, 2.73), nicht aber »[als etwas Positives] zu Gebote stehen«.

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CTh. 16.5.40 § 5: suprema illius scriptura irrita sit, sive testamento sive codicillo sive epistula sive quolibet genere reliquerit voluntatis Aber das Hunerich-Edikt ist keineswegs ein geistloses Plagiat, die Ausgangstexte werden vielmehr in intelligenter Weise verarbeitet und ergänzt. So führt beispielsweise das Vandalenedikt (anders als alle Kaisergesetze mit erbrechtlichen Sanktionen gegen Häretiker, aber vgl. → S. 299 gegen zu früh wiederverheiratete Witwen) explizit die donatio mortis causa – eine Schenkung unter Lebenden, die auf den Tod bedingt ist – auf, eine naheliegende Methode zur Umgehung (→ S. 342) von Testierverboten, solange Schenkungen erlaubt sind. Ab Vict. Vit. 3.12 werden die von den Kaisern verhängten Strafen gegen Häretiker vom Vandalenkönig auf die Katholiken zurückgespiegelt. Manche Maßnahmen werden dabei eigens erwähnt, die meisten – wie die erbrechtlichen und verwandten Sanktionen – nicht. Hier gilt (Vict. Vit. 3.13): In privatos etiam vel cuiuscumque gradus et loci personas hoc Nostra promulgatio praecipit observandum, quod circa tales supradictis legibus videbatur 38 expressum, ut poenae congruae subderentur, »Unser Erlass bestimmt [hiermit], dass auch gegen Privatpersonen [zuvor wetterte Hunerich gegen Amtsträger] beliebigen Rangs und beliebiger Position das zu beachten sei, was gegen solche durch die oben genannten Gesetze verordnet wurde, sodass sie einer gleichartigen Strafe unterworfen werden«. Wie CTh. 16.5.65 und die antieutychianischen Konstitutionen scheint auch das Hunerich-Edikt zu zeigen, dass die erbrechtlichen Sanktionen nun fester Bestandteil des Arsenals an typischen Häretikerstrafen sind. Freilich muss man diesen Befund nuancieren: Dieses Edikt ist derart vollständig in der Erfassung antihäretischer Maßnahmen, dass die Präsenz der erbrechtlichen Sanktionen keine Auffälligkeit bedeutet. Auch stellt das Vandalenedikt eine Sackgasse dar: Zwar basiert es ausdrücklich auf früherer kaiserlicher Gesetzgebung, aber man kann ausschließen, dass es auf die weitere Rechtsentwicklung im Römischen Reich eingewirkt hat.

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Zu videri vgl. → S. 237.

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Justinian und der Codex Iustinianus Unter Justinian wird das bis dahin gewachsene Geflecht der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen weitgehend beiseitegewischt und durch ein in sich konsistentes System ersetzt. 39 Genau datieren lässt sich dies nicht, denn bei den justinianischen Konstitutionen griechischer Sprache, die für den Codex Iustinianus exzerpiert wurden, bleibt uns im Regelfall das Datum unbekannt: Sie werden aus späteren byzantinischen Werken in unsere CI.-Ausgabe gesetzt, und in diesen sekundären Quellen stehen sie ohne Inskription und Subskription, ja oft nicht einmal in der sprachlichen Originalgestalt (Corcoran 2009, S. 189–193). Zunächst bestätigt auch Justinian (CI. 1.5.15, 527–529) 40 die Sanktionen gegen Manichäer, die kein Testament errichten, keine Schenkungen machen und auch im Intestaterbgang nichts vererben dürfen; Manichäer als empfangende Seite kommen darin nicht vor, und zwar deshalb, weil es in diesem Gesetz anscheinend darum geht, ausdrücklich orthodoxen Deszendenten 39

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Die erbrechtlichen Sanktionen unter Justinian behandelt auch Alivisatos (S. 35 f., S. 43, S. 46), der aber das Rechtsgriechisch mitunter derart missversteht, dass man sein Buch nur mit großer Vorsicht heranziehen darf. Ein Beispiel von S. 43: »nur eine Art Steuer wurde davon [von samaritanischen Nachlässen] erhoben«, mit der Fußnote »πρεσβεῖα«; aber πρεσβεῖα ist das griechische Äquivalent von legata, und in der Tat geht es an der von Alivisatos angegebenen Stelle um Vermächtnisse, die der Erblasser eventuell ausgesetzt hat (nicht um eine Steuer, die bezahlt werden muss). Vgl. ferner Cront, S. 48 (ebenfalls unzuverlässig: so unterscheidet er kaum zwischen Samaritanern und Juden, z. B. S. 43, »En 529, une révolte des Juifs [sic] éclata en Palastine [sic]«, »une loi promulguée contre les Juifs [die Fußnote verweist auf Nov. Iust. 129 gegen die Samaritaner]«), sowie Bueno Delgado, S. 344 f., S. 358 f., S. 369, ein Buch, dessen Nutzen nicht nur dadurch limitiert ist, dass sein Autor die neuzeitlichen lateinischen Übersetzungen, die Denis Godefroy von den griechischen Konstitutionen für seine Ausgabe anfertigte, anscheinend für justinianische Originale hält und nur sie zitiert. Wissenschaftlich wenig ergiebig ist Balan, der vielmehr ein begeistertes Plädoyer für die justinianische Häretikergesetzgebung liefert; den großen Byzantinisten Charles Diehl, der die justinianischen Verfolgungen hingegen negativ bewertete, charakterisiert der nachmalige Bischof Bălan auf S. 483 als »auctor non catholicus indolemque divinam fidei minime noscens«. (Später hatte übrigens Bischof Bălan selbst schwer unter kommunistischen Katholikenverfolgungen zu leiden, bis hin zum am 19. März 2019 päpstlich offiziell anerkannten Märtyrertod, der seine Seligsprechung am 2. Juni 2019 ermöglichte – aber das ist eine andere Geschichte.) Die Termini sind CI. 1.5.12 von 527 und CI. 1.5.19 von 529. Lounghis/Blysidu/Lampakes, S. 188, setzen das Gesetz ins Jahr 529, allerdings mit Fragezeichen und ohne Erklärung, wie sie zu diesem Vorschlag kommen.

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(aber nur diesen!) den Erhalt des Nachlasses im Intestaterbgang zu erlauben. Auch erlässt Justinian explizit erbrechtliche Sanktionen gegen Samaritaner (CI. 1.5.17 § 1), Montanisten, Taskodroger und Ophiten (CI. 1.5.18 § 3) sowie heterodoxe militia-Angehörige (CI. 1.5.18 § 5), die jeweils nur an Orthodoxe vererben bzw. schenken dürfen. Das Samaritanergesetz (soweit wir es kennen) ordnet neben den erbrechtlichen Sanktionen die Zerstörung der samaritanischen Synagogen an; dieser Kontext scheint zu bedeuten, dass die erbrechtlichen Sanktionen hier besonders verhasste Glaubensfeinde (sozusagen auf Stufe der Manichäer) markieren sollen. Die eben genannten Gesetze lassen sich nicht genauer als auf die Spanne 528–529 chronologisch eingrenzen. 41 In sämtlichen genannten Fällen wird klar formuliert, dass die betroffenen Heterodoxen sehr wohl im Grundsatz testieren dürfen, sofern nur die Begünstigten orthodox sind. Bereits früher (CI. 1.5.13, 527–529, eher 527–528) galt zudem, dass orthodoxe Kinder heterodoxer Erblasser mindestens ihren vollen Intestaterbteil erhalten müssen, sofern sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen (vgl. bereits ein Jahrhundert früher im Fall von Juden CTh. 16.8.28, → S. 754). Dann wird festgelegt (CI. 1.5.18 §§ 8, 9 von 528–529), dass bei Mischehen zwischen Orthodoxen und Heterodoxen nur orthodoxe Nachkommen (ersatzweise andere orthodoxe Verwandte) erben können. Bald darauf (CI. 1.5.19 von 529) wird diese Regelung auch auf rein heterodoxe Ehen ausgedehnt, was bedeutet, dass von sämtlichen Heterodoxen keine heterodoxen, sondern nur 41

Es gelten die Termini, die bereits in der vorausgehenden Fußnote genannt wurden. Im Juni 529 bricht der Samaritaneraufstand aus, der laut Prokop (hist. arc. 11.24) von einem scharfen antisamaritanischen Gesetz (das sollte CI. 1.5.17 sein) veranlasst wurde: Νόμου δὲ τοῦ τοιούτου καὶ ἀμφὶ τοῖς Σαμαρείταις αὐτίκα τεθέντος ταραχὴ ἄκριτος τὴν Παλαιστίνην κατέλαβεν, »Unmittelbar nachdem ein derartiges Gesetz [Prokop erwähnte gerade geharnischte antihäretische Maßnahmen] gegen die Samaritaner erlassen worden war, erfassten chaotische Unruhen Palästina«. CI. 1.5.17 gehört also ins Jahr 528 oder spätestens in die erste Jahreshälfte 529 (je nachdem, wie wörtlich man αὐτίκα versteht), CI. 1.5.18 muss später sein. Leider gibt es aber einen Haken, denn die Darstellung von Malalas (18.35) weicht ab: Im Juni 529 ereigneten sich lokale Unruhen mit samaritanischer Beteiligung, weswegen der Kaiser den Statthalter ablösen und hinrichten ließ. Erst daraufhin (das kann durchaus ein Weilchen später sein!) beginnt der große Aufstand. Von welchem Aufstand spricht nun Prokop? Von dem ersten im Juni oder von der großen Rebellion später? Und im Ablauf nach Malalas spielt das Gesetz keine Rolle – eventuell deswegen, weil Prokop (der im Kontext gerade die negativen Folgen der Heterodoxengesetzgebung Justinians kritisiert) Ursache und Wirkung vertauschte? Wie dem auch sein mag: Keine dieser Erwägungen würde für ein früheres Datum von CI. 1.5.17 sprechen, sodass also in jedem Fall 528–529 ein vernünftiger Ansatz ist.

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orthodoxe Nachkommen erben (das allerdings auch testamentarisch) bzw. Schenkungen erhalten können; in Ermangelung orthodoxer Deszendenten profitiert im Todesfall erst die orthodoxe Verwandtschaft (Agnaten ebenso wie Kognaten), dann der Fiskus. Umgekehrt kann ein Häretiker keinerlei Zuwendungen durch Erbschaft oder Schenkung erhalten (CI. 1.5.18 § 7 von 528– 529; vgl. CI. 1.5.22 von 531). Um jedes Missverständnis zu vermeiden, bestimmt Justinian schließlich am 1. September 531 ganz ausdrücklich, dass Häretiker selbst in den vielfach privilegierten Soldatentestamenten nicht bedacht werden können, weder als Erben noch als Legatare noch als Fideikommissare (CI. 1.5.22). In dieser Ausgestaltung,42 die jedenfalls 531 erreicht war, hat sich der Charakter der erbrechtlichen Sanktionen vollständig gewandelt. Während ihre Veranlassung und ihr Telos in den Konstitutionen vor der Entstehung des Codex Theodosianus keineswegs offensichtlich waren (→ S. 253), sind nunmehr die Zusammenhänge klar: Wer heterodox ist, kann nicht von Erbschaften (oder Schenkungen) profitieren und hat damit einen handfesten Grund, zur orthodoxen Seite überzutreten. Grundsätzlich behalten auch Heterodoxe ihr Testierrecht, freilich sind ihre Verfügungen nur dann gültig, wenn sie zugunsten von orthodoxen Verwandten erfolgen; im Fall der einheitlich häretischen Familie bedeutet das also, dass das Familienvermögen beim Tod des Erblassers an den Staat fällt. Diese Regelungen waren offensichtlich von einiger praktischer Relevanz, denn Prokop (hist. arc. 11.14 f.) nennt sie an erster Stelle, als er die antiheterodoxen Maßnahmen Justinians zu kritisieren beginnt: Χριστιανῶν δόξαι ἀπόβλητοι πολλαί εἰσιν ἐν πάσῃ τῇ Ῥωμαίων ἀρχῇ, ἅσπερ αἱρέσεις καλεῖν νενομίκασι … τούτους ἅπαντας δόξαν τὴν παλαιὰν ἐκέλευε μετατίθεσθαι, ἄλλα τε ἀπειλήσας ἀπειθοῦσι πολλὰ καὶ τὰς οὐσίας ἐς τοὺς παῖδας ἢ ξυγγενεῖς μηκέτι παραπέμπειν οἷόν τε εἶναι.

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Sie wird gelegentlich in späteren Gesetzen bestätigt, so im Jahr 542 in Nov. Iust. 115.3.14, wo zwar die erbrechtlichen Sanktionen ausdrücklich gegen Nestorianer und die Akephalen verhängt werden, man gleichzeitig aber impliziert, dass sie nicht anders als alle anderen Häretiker behandelt werden sollen. Auch ein Jahr später, also 543, bestätigt Justinian in einer Konstitution zum Erbrecht die Rechtslage für Häretiker in unspezifischer Weise (Nov. Iust. 118.6): ἐπὶ γὰρ τοῖς αἱρετικοῖς τοὺς ἤδη

παρ’ ἡμῶν τεθέντας νόμους βεβαίους εἶναι κελεύομεν μηδένα καινισμὸν ἢ ἐλάττωσιν ἐκ τοῦ παρόντος ὑφισταμένους νόμου, »Hinsichtlich der Häretiker ordnen wir

an, dass die bereits von uns erlassenen Gesetze unmodifiziert bleiben und durch die vorliegende Konstitution keinerlei Änderung oder Abschwächung erfahren sollen«.

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Im ganzen Römischen Reich existiert eine Vielzahl zu missbilligender christlicher Lehrmeinungen, die man gemeinhin »Häresien« nennt … Ihnen allen befahl er [Justinian], ihre bisherige Lehrmeinung aufzugeben. Wer sich dem nicht fügte, dem drohte er (nebst vielem anderen!) an, dass er das Recht verlöre, sein Vermögen den eigenen Kindern bzw. Verwandten zu hinterlassen.

Angesichts dieses Systems von erbrechtlichen Sanktionen gegen alle Häretiker, das spätestens ab 531 voll ausgebildet war, könnte man erwarten, dass in der zweiten Version des Codex Iustinianus von 534 (d. h. in derjenigen, die wir heute kennen) sämtliche erbrechtlichen Sanktionen aus Gesetzen gegen einzelne Gruppen verschwunden sind. Doch dem ist nur teilweise so. Etwa wurde CTh. 16.5.65 (→ S. 765) – wenn auch nur zum Teil und modifiziert – als CI. 1.5.5 (dort CTh. 16.5.65 §§ 2, 3) bzw. CI. 1.6.3 (CTh. 16.5.65 §§ 4, 5) in den Codex Iustinianus übernommen. Die Weisungen zu Beginn, okkupierte Kirchen zurückzugeben und Priesterweihen zu unterlassen, wurden als Dubletten entfernt. Die Häretikerliste hat man massiv überarbeitet: So sind im Codex Iustinianus die ersten drei Häretikerkategorien zu einer einzigen zusammengezogen (nur die Manichäer sind nach wie vor schlechter als alle anderen gestellt). Diverse Gruppen wurden zusätzlich aufgenommen, so etwa die ansonsten unbekannten und anscheinend neuartigen Häresien der Batrachiten und die Hermeiekianer, aber auch die zuvor vergessenen Enkratiten, Apotaktiten und Sakkophoren sowie die Eutychianer (aus Euchiten »korrigiert«!). 43 Was die früher sanktionierten Gruppen angeht, erscheinen in der Namensliste neben Manichäern und Eutychianern auch Montanisten, Donatisten und Eunomianer; aber die in CI. 1.5.5 beibehaltene Sanktion hinsichtlich der Bereicherung von häretischen Kirchen durch Nachlässe oder Schenkungen hat freilich nichts speziell mit diesen Gruppen zu tun. Von den vier Erwähnungen der erbrechtlichen Sanktionen in CTh. 16.5.65 (→ S. 780) haben nur zwei die Passage in den Codex Iustinianus über-

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In CTh. 16.5.65 standen die Euchiten nach den Messalianern, wobei es sich exakt um dieselbe Gruppe handelt (»Beter«, einmal auf Griechisch, einmal auf Syrisch). Ob die CI.-Redakteure bewusst die Dublette beseitigten oder aber aus Unwissenheit von »Euchiten« zu »Eutychianer« korrigierten? Für die letztere Deutung spricht, dass es sachlich wirklich keinen Grund gibt, die Eutychianer zwischen Messalianern und Enthusiasten (die ebenfalls mit den Euchiten zu identifizieren sind) zu platzieren. Oder handelt es sich einfach nur um ein textkritisches Problem? »Eutychianer« heißen in CI. 1.5.8 Eutychianistae, doch in CI. 1.5.5 steht Eutychitae – ist also das singuläre Eutychitae vielleicht nur ein Euchitae, das ein Schreiber, dem die Häresie des Eutyches bekannt war, versehentlich kontaminierte?

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standen, nämlich einerseits, wie erwähnt, das Verbot von Schenkung und Vererbung zugunsten häretischer Kirchen – eine Regelung, die nicht ganz deckungsgleich mit den allgemeinen Verboten ist und deren Tatbestand auch, jedenfalls theoretisch, von Orthodoxen erfüllt werden könnte (CI 1.5.5 § 1); andererseits die Sanktionen gegen Häretiker, die auf orthodoxe Abhängige Druck (insbesondere hinsichtlich einer Wiedertaufe) ausüben, bzw. gegen Freie, die sich freiwillig wiedertaufen lassen oder einen solchen Akt (offenbar: sofern gegen ihren Willen erzwungen) nicht nachträglich anzeigen (CI. 1.6.3 § 1). Diese Übernahme muss teilweise als Redaktionsfehler gewertet werden, da ja alle Häretiker (d. h. auch ohne die Erfüllung des speziellen Tatbestands von CI. 1.6.3 § 1) ohnehin denselben Einschränkungen unterliegen; nur die weiteren Sanktionen aus CI. 1.6.3 (Verbannung, zehn Pfund Gold Buße) stellen also eine zusätzliche Strafe für den häretischen Herren und den durch freiwillige Wiedertaufe zum Häretiker gewordenen Abhängigen dar. 44 Die beiden anderen Erwähnungen der erbrechtlichen Sanktionen in CTh. 16.5.65 fehlen im Codex Iustinianus; man hat sie offenbar ganz bewusst als Dubletten entfernt, denn sonst findet sich der Text von CTh. 16.5.65 dort recht vollständig wieder. Gehen wir nun die einzelnen Gruppen durch, für die im Codex Iustinianus erbrechtliche Sanktionen bestanden. Die Eunomianer erscheinen dort überhaupt nur in CI. 1.5.5 pr. – offenbar waren sie zum Zeitpunkt der CI.-Redaktion obsolet. Bei den Eutychianern verfuhren die Redakteure regelgerecht. Nur das jüngere Gesetz CN 489 wurde überhaupt exzerpiert (wenn man von wenigen Worten absieht, die man aus CN 480 entnahm, um die Todesstrafe für Lehrer des Eutychianismus im Codex Iustinianus zu haben). Von CN 489 wurde ausgesprochen viel Text als CI. 1.5.8 und CI. 1.7.6 übernommen, man hat aber mit Absicht die obsolet gewordene Passage mit den erbrechtlichen Sanktionen weggelassen. Was die Donatisten angeht, so hat man keines der beiden einschlägigen Gesetze CTh. 16.6.4 oder CTh. 16.5.54 exzerpiert. Tatsächlich werden die Donatisten überhaupt nur zweimal im Codex Iustinianus genannt: das eine Mal ebenfalls in der Liste von CI. 1.5.5 pr., das andere Mal in CI. 1.5.4. Letzteres ist die überarbeitete Version von CTh. 16.5.40, wo im Original (→ S. 471) erbrechtliche Sanktionen gegen Manichaeos vel Frygas sive Priscil44

Justinian übernimmt auch die ungewöhnliche Amtsstrafe aus dem Original, die nicht in einer Menge Gold bemessen ist, sondern den untätigen Würdenträger mit der eigentlich für den Übertreter geltenden Strafe bedroht (→ S. 780).

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lianistas verhängt wurden. Merkwürdigerweise finden sich in der Codex-Iustinianus-Version an ihrer Stelle Manichaeos seu Manichaeas vel Donatistas, 45 wobei allerdings aus CTh. 16.5.40 § 5, qui aut Manichaeus aut Fryga aut Priscillianista fuisse convincitur, im CI. (1.5.4 § 5) qui Manichaeus fuisse convincitur wird – das Interesse an Donatisten ging also offenbar nicht sehr weit. Ferner werden die Donatisten auch in einer kurz nach der Veröffentlichung des Codex Iustinianus erlassenen Novelle für Afrika genannt (Nov. Iust. 37 §§ 5, 8 von 535). In dieser Konstitution werden ihnen u. a. Versammlungsstätten, Kult, Klerikerweihen und die militia verboten, erbrechtliche Sanktionen erscheinen hingegen nicht. Die erst kurz zuvor erfolgte Rückeroberung Afrikas durch Belisar (533) ist zweifellos der Grund für die neuerliche Aufmerksamkeit vonseiten des Kaisers. Bei den Manichäern ist die Angelegenheit komplizierter. Nach gelegentlichen Andeutungen in früheren Gesetzen, die Manichäer seien ja eigentlich ganz aus dem Römischen Reich zu vertreiben (→ S. 787), scheint dies vor 452 tatsächlich zur Realität geworden zu sein (denn ab dann sind eutychianische Kleriker »wie Manichäer« aus dem Römischen Reich fortzujagen, → S. 793). Ab 510 verfallen Manichäer, die im Römischen Reich angetroffen werden, der Todesstrafe; so jedenfalls eine ab dann regelmäßig bekräftigte Bestimmung. 46 CI. 1.5.16 (527–529) erweitert die Anwendung der Todes45

46

Das ist übrigens ein weiterer bemerkenswerter Beleg, wie massiv die Eingriffe der CI.-Redakteure sein können (→ S. 169). Die separate Erwähnung weiblicher Manichäer ist fraglos von der Formulierung von CTh. 16.5.7 ausgelöst (si quis Manichaeus Manichaeave, → S. 437), eine Konstitution, die ihrerseits wohlgemerkt nicht in den CI. rezipiert wurde! Die Donatisten sind wohl hineingerutscht, weil das CTh.-16.5.40Fragment mit Quid de Donatistis sentiremus, nuper ostendimus, »Was wir hinsichtlich der Donatisten im Sinn hatten, dem haben wir unlängst Ausdruck verliehen«, einsetzt. Offenbar sollten die Montanisten (»Phryger und Priscillianisten«) aus dieser Konstitution verschwinden, und die Manichäerinnen und die Donatisten hatten die beiden entstandenen Leerstellen zu schließen: Die Manichäerinnen bedeuteten ohnehin keine inhaltliche Erweiterung der Regelung, und die Donatisten zum Zeitpunkt der Redaktion wahrscheinlich auch nicht, weil es damals wohl keine Donatisten in Justinians Reich gab (außer, man will annehmen, dass genau diese Passage kurz vor Redaktionsschluss der zweiten Version des CI. – als gerade Belisar Afrika zurückeroberte – bearbeitet wurde). Warum man aber die Montanisten – zu Justinians Zeit immer noch eine umfangreiche Gruppierung – hier herausnahm, ist unklar. Vielleicht wollten die Redakteure den Widerspruch tilgen, dass Justinian selbst (CI. 1.5.18 § 3) erbrechtliche Sanktionen angeblich als Neuerung gegen die Montanisten erlässt. CI. 1.5.11 (zur Datierung vgl. Bagnall/Cameron/Schwartz/Worp, S. 555 Anm. 72); ebenso CI. 1.5.12 § 3 (527); CI. 1.11.10 § 4 (529–531). Die Todesstrafe wurde inter-

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strafe auf rückfällige Manichäer (dies ist freilich keine wirkliche Neuerung), auf den Besitz manichäischer Literatur und sogar auf bestimmte Personenkreise, die ihnen bekannte Manichäer nicht denunzieren. Angesichts der umfassenden Austreibung bzw. Ausrottung der Manichäer sollten sich selten konkrete Fälle der Vererbung oder Schenkung ergeben. Dennoch finden sich – anders als bei den bislang aufgeführten Gruppen – gegen Manichäer im Codex Iustinianus mehrere Gesetze mit erbrechtlichen und verwandten Sanktionen. Neben CI. 1.5.5 (der adaptierten Version von CTh. 16.5.65, wo natürlich auch die Manichäer nicht fehlen) wäre da die bereits erwähnte Lex Manichaeos (CI. 1.5.4, entstand aus CTh. 16.5.40) zu nennen. Freilich enthält diese Konstitution zusätzliche Regelungen im Vergleich zu den erbrechtlichen Sanktionen gegen Häretiker im Allgemeinen: sofortiger Vermögensentzug zugunsten der orthodoxen Verwandtschaft; das allgemeine Kontrahierungsverbot; sowie die Möglichkeit der postumen Anklage und Testamentsentkräftung (ferner, als Kontamination aus CTh. 16.5.35, → S. 466, das Verbot, Manichäer zu beherbergen). Und bereits eingangs (→ S. 800) wurde die justinianische Konstitution CI. 1.5.15 (527–529) erwähnt, die die erbrechtlichen Sanktionen gegen Manichäer zusammenfasst und die Vererbung auf orthodoxe Abkömmlinge als Intestaterben beschränkt. CI. 1.5.4 und CI. 1.5.15 sind – da darin die Vermögensaufgabe zu Lebzeiten angeordnet bzw. die Vererbung an orthodoxe Intestaterben abgesehen von Deszendenten verboten wird – strenger als die allgemeine Häretikerregelung. 47 Trotzdem leuchtet nicht unmittelbar ein, warum CI. 1.5.4 und CI. 1.5.15 in solcher Ausführlichkeit wiedergegeben sind – man hätte deutlich kürzen können, um die echten Unterschiede zur allgemeinen Regelung herauszuarbeiten. Wahrscheinlich geschah dies ganz bewusst nicht, und zwar aufgrund der neuartigen Vorstellung, dass Manichäer gar nicht unter den Begriff des »Häretikers« fallen (→ S. 41112), sondern etwas anderes, Schlimmeres sind: Der CTh.-Titel 16.5 heißt bekanntlich De haereticis, während CI. 1.5 hingegen mit De haereticis et Manichaeis et Samaritis überschrieben ist (vgl. ferner z. B. CI. 1.5.18 § 10, wo Manichäer ebenfalls nicht unter Häretiker subsumiert sind). Allerdings muss man auch in Rechnung stellen, dass die CI.-Kompilatoren allgemein zu-

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poliert in CI. 1.5.5 § 1, Manichaeis etiam de civitatibus expellendis et ultimo supplicio tradendis (der unterstrichene Teil fehlt im Original, d. h. CTh. 16.5.65; freilich hätte zudem de civitatibus konsequenterweise zu de orbe o. ä. geändert werden müssen). Beide Regelungen scheinen in einem gewissen Widerspruch zu stehen: Wenn der Manichäer bereits zu Lebzeiten sein Vermögen zugunsten orthodoxer Intestaterben bis zum zweiten Grad aufgeben muss, was soll er dann noch bei seinem Ableben an orthodoxe Deszendenten vererben?

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rückhaltend bei der Kürzung rezenter justinianischer Konstitutionen vorgingen. So erklärt sich auch, warum CI. 1.5.18 § 3 mit den erbrechtlichen Sanktionen gegen Montanisten, Taskodroger und Ophiten übernommen wurde, obwohl diese Bestimmungen nicht von der allgemeinen Häretikerregelung abweichen. Da erbrechtliche Sanktionen zum Zeitpunkt der Redaktion der zweiten Auflage des CI. (dazu vgl. Corcoran 2008) sowieso gegen alle Häretiker gelten, sind Bestimmungen, die solche (in gleicher Ausgestaltung) gegen Häretiker bei bestimmten Tatbeständen verhängen, offensichtlich überflüssig. Bei der Regelung gegen Häretiker, 48 die sich in die militia eingeschlichen haben (CI. 1.5.18 § 5), könnte die gerade eben gegebene Erklärung – bewusst wenig Eingriffe in Gesetze von Justinian selbst – zutreffen, nicht aber bei der Übernahme von CTh. 16.5.65 § 4 als CI. 1.6.3 § 1, wonach überflüssigerweise eigens erbrechtliche Sanktionen gegen Häretiker, die Abhängige der Wiedertaufe zuführen oder in anderer Weise in ihrem Glauben gefährden, bzw. gegen solche Abhängige, sofern sie frei sind und freiwillig mitmachen bzw. keine Anzeige erstatten, verhängt werden; dies muss man, wie bereits gesagt (→ S. 804), zumindest teilweise als redaktionellen Fehler deuten. Die allgemeinen erbrechtlichen Sanktionen unter Justinian betreffen Häretiker, nicht generell Heterodoxe; das ist die Erklärung, weswegen die speziellen Regelungen gegen Samaritaner und Apostaten nicht unterdrückt wurden. Die Verhängung der erbrechtlichen Sanktionen gegen Samaritaner kurz vor (oder nach?) Beginn des Aufstands von 529 (CI. 1.5.17 § 1; vgl. CI. 1.5.18 § 3) wurde bereits erwähnt (→ S. 801). Die fortgesetzte Relevanz dieser Bestimmungen erweist sich dadurch, dass Justinian selbst sie im Jahr 551 teilweise wieder aufhebt (Nov. Iust. 129): Auf Bitten des Bischofs Sergios von Caesarea und angesichts der Tatsache, dass sich die Samaritaner gebessert, d. h., ihre Übergriffe eingestellt haben, schwächt er die Sanktionen erheblich ab. 49 Doch sein Nachfolger Justin II. kehrt im Jahr 572 zur strengen Regelung zurück (Nov. Iust. 144), um Bekehrungsdruck auf die Samaritaner auszuüben. 48 49

Genau genommen sind nicht nur Häretiker, sondern auch Samaritaner, Manichäer und Heiden betroffen (CI. 1.5.18 § 4); freilich gilt mutatis mutandis das Gesagte. Im Intestaterbgang verdrängen innerhalb der einzelnen Klassen Orthodoxe die Samaritaner (ist also nur eines von fünf Kindern des Erblassers orthodox, erbt allein dieses; sind aber sämtliche Kinder samaritanisch, der Bruder hingegen orthodox, so erben trotzdem die Kinder). Samaritaner dürfen Testamente errichten, müssen dabei aber berücksichtigen, dass – sofern es potenziell sowohl samaritanische als auch orthodoxe Intestaterben geben sollte – die Samaritaner maximal ein Sechstel testamentarisch erhalten dürfen (eine Ausnahme ergibt sich, wenn das Erbe der

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Dieses Hin und Her erinnert an den ähnlichen Fall der Eunomianer (→ S. 635). Da wir dank der vollständig erhaltenen Novellen mehr über die Hintergründe wissen, bleibt uns – anders als bei den Eunomianern – das wilde Spekulieren erspart. Was die Apostaten angeht, so ist ihnen mit CI. 1.7 auch im Codex Iustinianus ein eigener Titel gewidmet. Doch nur drei der dort gesammelten Konstitutionen stammen aus dem gleichnamigen Codex-Theodosianus-Titel und enthalten erbrechtliche Sanktionen. Vor allem aber findet sich die entscheidende justinianische Regelung bezüglich Apostaten im Heidentitel als CI. 1.11.10 pr. (529 oder wenig später): Rückfällige Heiden, sofern getauft (was, angesichts des unpopulär gewordenen Taufaufschubs, der Regelfall war), verfallen der Todesstrafe. Relevant waren damit also nur solche älteren Regelungen, die die postume Testamentsentkräftung des zuvor unerkannten Apostaten betreffen. So bietet CI. 1.7.2 wenig mehr als die Fünfjahresfrist aus CTh. 16.7.3 für postume Apostasieklagen. Im Codex-Theodosianus-Original ging es um Apostasie zum Heidentum, Judentum und Manichäismus (→ S. 727), in der CI.Version sind die Manichäer weggefallen (offenbar, um ihre Testamente unbefristet entkräftbar zu machen). Doch auch CTh. 16.7.7 wurde übernommen, und zwar als CI. 1.7.4: Wie im CTh.-Original wird einerseits die Fünfjahresfrist aufgehoben, andererseits der Apostasietatbestand auf Opferer beschränkt (→ S. 759), beides in krassem Widerspruch zu CI. 1.7.2. Entweder versteht man dies als Redaktionsfehler oder aber als durchdachte Differenzierung zwischen verschiedenartig schlimmen Heidenapostaten: Für verstorbene Judenund Heidenapostaten (die nicht geopfert hatten) gilt die postume Fünfjahresfrist, bei Heidenapostaten, die Opfer dargebracht hatten, kann das Testament ohne zeitliche Begrenzung entkräftet werden (wie anscheinend auch bei Manichäern). Sollte die letztere Interpretation richtig sein, so wurde den CTh.-Fragmenten durch geringe Änderung eine neue Bedeutung gegeben. Das ist nachweisbar der Fall bei CI. 1.7.3, der CI.-Version von CTh. 16.7.4: Dort hat man im Tatbestand »Häresie« interpoliert (Ii, qui sanctam fidem prodiderint et sanctum baptisma haeretica superstitione profanaverint), sodass aus einem Heidenapostatengesetz eine Regelung gegen getaufte orthodoxe Christen wird, die zu einer (beliebigen) Häresie übergetreten sind und auch durch Rückkehr zur Orthodoxie ihre Beschränkungen nicht mehr beseitigen können.

Samaritaner mit Vermächtnissen zugunsten von Orthodoxen belastet ist; das ist die Stelle, die Alivisatos als Steuerzahlung missversteht, → S. 80039).

ausblick

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Zwei weitere Konstitutionen aus präjustinianischer Zeit sind der Vollständigkeit halber zu erwähnen: CI. 1.5.10 (472?) verbietet die Übertragung von Grundstücken, auf denen sich Kirchengebäude befinden, von Orthodoxen an Häretiker, und zwar in jeder Form. Dabei erwähnt CI. 1.5.10 pr. auch Testamente: nullam huiusmodi vel inter vivos habitam vel secreto iudicio compositam valere volumus voluntatem, »wir ordnen an, dass keine derartige Willensäußerung, die unter Lebenden gegeben oder in einem geheimen Testament niedergelegt wurde, gelten soll«; freilich findet sich der Passus in einer Aufzählung auch anderer Formen der Eigentumsübertragung, stellt also keine spezielle erbrechtliche Sanktionierung dar. Ähnliches gilt für CI. 1.11.9 (unter Anastasius), wo in § 1 verboten wird, etwas zugunsten des Heidentums an Personen oder Orte zu verschenken oder zu hinterlassen. Das Augenmerk liegt hier auf der Intention des Schenkenden bzw. Erblassers, nicht auf seiner Person (oder der des Empfängers).

Ausblick Im byzantinischen Mittelalter galt im Großen und Ganzen die Häretikergesetzgebung in der unter Justinian erreichten Ausgestaltung weiter. 50 Was den Westen angeht, ist unklar, inwieweit die im Breviar (→ S. 172) enthaltenen erbrechtlichen Sanktionen größere Wirkung im Frühmittelalter entfalteten; jedenfalls führt von dort keine direkte Verbindung ins Hochmittelalter (Ragg, S. 34). Rechtsgelehrte im 12. Jahrhundert (Ragg, S. 80 f.), beginnend bereits mit Irnerius (Kolmer, S. 8 mit Anm. 63), diskutierten die erbrechtlichen Einschränkungen gegen Heterodoxe, wie sie sie aus dem Codex Iustinianus kannten. Die entscheidende Zäsur setzt Papst Innozenz III. im Jahr 1199 mit der Dekretale Vergentis. 51 Darin verhängt er drastische Sanktionen gegen Häretiker und ihre Helfer, vor allem – ausgehend von einer Assimilation von Häresie und Majestätsverbrechen – im Rückgriff auf die Lex Quisquis (→ S. 311). Doch Vergentis enthält auch erbrechtliche Sanktionen (die ihrerseits, vermittelt von den Glossatoren, auf das Römische Recht zurückgehen). Anders als oft behauptet, 52 werden diese nicht aus der zugleich verhängten Infamie abge50

51 52

Vgl. Zachariä von Lingenthal, S. 339; Minale 2010, S. 539 Anm. 51 (allerdings mit Zahlendreher in den Belegstellen; richtig Eisagoge tou nomou 40.36 = Procheiros nomos 39.34), S. 547 f. Zu Vergentis vgl. Hageneder 1963; ferner Ullmann; Hageneder 1976, S. 88–98; Ragg, S. 138–141. Beispielsweise Hageneder 1963, S. 143: »Sie alle sollten … der Infamie verfallen, also die Fähigkeit verlieren, öffentliche Ämter zu bekleiden, als Stadträte zu fungieren, jemanden in diese Funktion zu wählen, vor Gericht Zeuge zu sein oder Klage zu erheben, ein Testament zu errichten und eine Erbschaft anzutreten …«. Ragg,

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leitet. Die Passage in Vergentis lautet (Decr. Vergentis p. 4.28–31): … ipso iure sit factus infamis nec ad publica officia vel consilia civitatum nec ad eligendos aliquos ad huiusmodi nec ad testimonium admittatur. Sit etiam intestabilis nec ad hereditatis successionem accedat, »… er sei von Rechts wegen infamis, und er soll weder zu öffentlichen Ämtern noch zu städtischen Ratsstellen noch zur Besetzung von solchen noch zu gerichtlichen Aussagen zugelassen werden. Er sei zudem [!] intestabilis, und er soll nicht die Nachfolge einer Erbschaft antreten dürfen«. Dass Häresie ipso iure die kanonische Infamie nach sich zieht, war anscheinend zu Innozenz’ Zeiten eine recht neuartige Ansicht, denn sie findet sich zum ersten Mal bei dem 1187 verstorbenen Johannes Faventinus (Landau, S. 46 f.). Die Unfähigkeit, vor Gericht auszusagen, ist eine wichtige Folge mittelalterlicher Infamie (Landau, S. 104–113; Migliorino, S. 139– 146); aber Intestabilität im Sinne des Ausschlusses von der Testierfähigkeit leitet sich nicht von der Infamie ab, sondern musste gegebenenfalls – wie im vorliegenden Text – separat verhängt werden (die Gegenmeinung erscheint bei manchen Juristen als Ansicht, der sie widersprechen: Migliorino, S. 150 mit Anm. 30). Aus Vergentis wird die zitierte Passage 53 gering modifiziert (vor allem wurde nach intestabilis die Erklärung ut nec testandi liberam habeat facultatem eingeschoben) in den Ketzerkanon des unter Innozenz III. einberufenen Vierten Laterankonzils von 1215 übernommen (Ragg, S. 68–70, insb. Anm. 250). Von dort oder direkt aus Vergentis finden erbrechtliche Sanktionen ihren Weg in zahlreiche Gesetze verschiedener Herrscher des 13. Jahrhunderts. 54

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S. 250: »Die Infamie zog die üblichen Konsequenzen nach sich: Der Infamierte durfte keine öffentlichen Ämter ausüben, keine Testamente abfassen und verlor das Erbrecht« (Ragg bezieht sich dabei auf einen in der Traditionslinie von Vergentis stehenden Text, vgl. Ragg, S. 251 Anm. 889, dort § 2). Um Missverständnisse zu vermeiden: Es gibt sehr wohl wichtige Unterschiede zwischen Vergentis und dem Dritten Kanon des Konzils, aber sie betreffen nicht das kurze, oben gegebene Zitat. Solche Gesetze stammen beispielsweise von Ludwig VIII. von Frankreich (Ragg, S. 218 mit Anm. 773), Raimund VII. von Toulouse (Ragg, S. 230 mit Anm. 816) und Peter II. von Aragón (Ragg, S. 250 f. mit Anm. 889; Peters Gesetz ist von 1210, d. h., es entstand also bereits vor dem Vierten Laterankonzil).

ergebnisse Wir haben verfolgt, wie sich die erbrechtlichen Sanktionen gegen vier mehr oder weniger wohldefinierte Gruppen von Heterodoxen – Manichäer, Donatisten, Eunomianer, Heidenapostaten – entwickelten. Innerhalb dieser Gruppen lässt sich jeweils ein eigener Charakter dieser Sanktionen beobachten. Allen gemeinsam und grundlegend war das Verbot, mittels Testament über den postumen Verbleib des eigenen Vermögens zu bestimmen. Die Einzelheiten variierten: So waren etwa Manichäer ab einem sehr frühen Zeitpunkt von einer Wegnahme ihres Vermögens betroffen (sodass dann ohnehin wenig zu vererben blieb). Anders als die Manichäer und Donatisten trafen die Eunomianer und Heidenapostaten (jedenfalls lange Zeit) keine Verbote im Zusammenhang mit Schenkungen. Das intestate Vererben ist bei Eunomianern und Apostaten explizit, bei Donatisten implizit, 1 uneingeschränkt möglich, bei Manichäern ist es von Anfang an stark beschränkt und bald nur noch an orthodoxe enge Verwandte möglich. Das intestate Erben wird ebenfalls ausdrücklich nur den Manichäern untersagt. Ist eine testamentarische Zuwendung angesichts der Heterodoxie des Erblassers illegal, so variieren die Konsequenzen: Eine testamentarische Zuwendung an einen Manichäer oder Eunomianer hat zur Folge, dass dieser Vermögensteil als kaduk an den Fiskus fällt. Bei Heidenapostaten und Donatisten findet sich keine entsprechende Bestimmung, und zumindest bei Letzteren steht fest, dass diese Rechtsfolge nicht vom Gesetzgeber gewünscht war: Das Vermögen sollte vielmehr im Intestaterbgang weitergegeben werden. Die einzige Konstante ist, dass den verhassten Manichäern stets am meisten verboten wurde. Ansonsten stehen sie – was einzelne Sanktionen angeht – bald auf einer Stufe mit den Donatisten (Schenkungsverbot), bald mit den Eunomianern (Kaduzität von testamentarischen Zuwendungen). Andererseits gibt es innerhalb dieser vier Gruppen (trotz mancher Unschärfen und Widersprüche) durchaus einen konsistenten Regelungsgehalt. 1

Der Donatistensanktionierung lag ja ein spezieller Rechtsfall zugrunde, in der eine verstorbene Erblasserin Donatisten testamentarisch begünstigt hatte, sehr zum Leidwesen ihres katholischen Bruders (→ S. 531). Eine Kaduzität der Zuwendungen an Donatisten würde katholische Intestaterben wie diesen Bruder leer ausgehen lassen, und deswegen findet sich nichts dergleichen in der Petition der katholischen Bischöfe und im daraus resultierenden Gesetz. Dies wird durch Augustins imaginierten Donatisten bestätigt, dessen Abkömmlinge den Nachlass im Intestaterbgang erhalten (→ S. 592).

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Wir haben zu Beginn gesehen (→ S. 253), dass keine der bislang vorgebrachten Erklärungen zum Sinn und Zweck der erbrechtlichen Sanktionen unmittelbar einleuchtet. Bei den Donatisten lässt sich dank außerjuristischer Quellen nachvollziehen, dass diese Sanktionen aufgrund einer Petition der afrikanischen Bischöfe in ein Gesetz einflossen; und dass es zu dieser Bitte kam, weil die Bischöfe wussten, dass der Kaiser bereits zuvor in einem konkreten Fall entsprechend geurteilt hatte, und sie daher zuversichtlich sein konnten, dass man ihnen diese neue Waffe gegen die Donatisten nicht verwehren würde. Bei den anderen drei Gruppen fehlt uns eine derartige Parallelüberlieferung. Gleichwohl gibt es Indizien, dass zumindest bei Eunomianern und Apostaten ebenfalls jeweils konkrete Vorfälle zur erstmaligen Verhängung entsprechender Sanktionen geführt hatten. 2 Anders die Ausgangsregelung bei den Manichäern, deren Vollständigkeit auf einen gestaltenden Akt (nicht ein Gelegenheitsgesetz) verweist. Angesichts der besonderen Eigenart der Manichäer, d. h. ihres Geldflusses von den Hörern zu den Erwählten, kann man sich bei ihnen gut vorstellen, dass es zahlreiche Beschwerden von leer ausgegangenen Intestaterben gab und es damit zu einem gestaltenden Akt der Normsetzung kam, der einerseits diesen Bitten entsprechen, andererseits die Geldflüsse innerhalb der manichäischen Gemeinschaft unterbrechen wollte (→ S. 492). Es wäre verwunderlich, wenn nicht auch die verhinderten Intestaterben von Erblassern aus anderen als häretisch angesehenen Gruppierungen an den Kaiser herangetreten wären. Doch die erbrechtlichen Sanktionen blieben rund 50 Jahre auf die vier Gruppen beschränkt, was auf die große Zurückhaltung hinweist, mit der sie die Kaiser verhängten. Dass mit Manichäern, Eunomianern und Heidenapostaten drei besonders verfemte Gruppen betroffen waren, passt zu dieser Erklärung; und die erbrechtlichen Sanktionen gegen Donatisten entstanden just in dem Moment, als Kaiser Honorius mit seiner Geduld am Ende war und die Entscheidung getroffen hatte, ein für alle Mal massiv gegen die afrikanische Sonderkirche vorzugehen. 2

Das erste entsprechende Gesetz gegen die Eunomianer bezieht sich auf »Eunuchen«, die sich nicht tropisch erklären lassen und die daher auf einen Einzelfall verweisen. Auch ist dort in der Hauptsache vom Erben (nur en passant vom Vererben) die Rede; der zugrunde liegende Fall lässt sich also in Umrissen erahnen (→ S. 642). Bei den Heidenapostaten besteht das erste Fragment aus einem einzigen Satz, was impliziert, dass der Rest der Konstitution keine exzerpierungswürdigen (d. h. allgemein interessanten) Bestimmungen enthielt. Am einfachsten kann man dies dadurch erklären, dass es um einen konkreten Fall ging, bei dem ein Testament postum zu entkräften war (→ S. 720).

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Das sonstige Zögern der Kaiser erklärt sich einerseits aus dem hohen Gut der Testierfreiheit, in das generell ungern eingegriffen wurde, andererseits und mehr noch aus der Tatsache, dass die erbrechtlichen Sanktionen heterodoxe Laien trafen, was ungewöhnlich war: Abgesehen vom Sonderfall der Manichäer (wo jedes Mitglied der Gruppe gleichermaßen sanktioniert wurde) sind nämlich sonst im Grundsatz 3 nur heterodoxe Kleriker von Nachteilen betroffen. Wie bereits zu Beginn festgestellt (→ S. 258), spricht nichts dafür, dass es sich bei den erbrechtlichen Sanktionen um eine symbolische Strafe gegen Heterodoxe handelte: Diese seien angeblich deswegen in ihren bürgerlichen Rechten beschnitten worden, um sie juristisch aus der Gemeinschaft hinauszudrängen, der sie bereits in religiöser Hinsicht den Rücken gekehrt hatten. Im Gegenteil dürfte es ganz banal um das Entwerten vorhandener Testamente gegangen sein, was die Kaiser eben nur im Ausnahmefall – d. h. bei besonders verhassten Heterodoxengruppen – gewährten. War eine solche Regelung einmal gegen eine bestimmte Gruppe erlassen, zog sie sich durch die weitere Gesetzgebung, wann immer Bestätigungen angefragt oder Zusammenfassungen der geltenden Rechtslage notwendig wurden. Allerdings hat man dabei normalerweise nur die grundsätzliche Regelung von einem zum nächsten Gesetz übernommen (etwa: »Schenkungsverbot«); die Ausgestaltung der Details (also z. B.: Werden illegale Schenkungen konfisziert? Sind Schenkungen an Orthodoxe erlaubt?) kann hingegen in einem verblüffenden Ausmaß zwischen einzelnen Konstitutionen variieren. Ab 428 lösten sich die erbrechtlichen Sanktionen von den vier Gruppen, und erst mit Justinian wird eine konsistente Systematisierung dieser Strafform erreicht, die nun unmittelbar nachvollziehbaren Konvertierungsdruck auf alle Häretiker ausübte. Fraglos wichtiger als diese Ergebnisse hinsichtlich der erbrechtlichen Sanktionen sind die Folgerungen, die man mit Blick auf das spätantike Recht allgemein ableiten kann. Erstens zeigt sich, dass das anfangs in der überlangen Einleitung erarbeitete Modell auch dann funktioniert, wenn man eine Reihe von Texten in extenso diskutiert und analysiert. Ganz unabhängig von der Evi3

Es gibt Strafen, die Laien treffen können, bei denen aber nicht das schiere Sein sanktioniert wird (etwa Strafen gegen Leute, die häretische Versammlungen ermöglicht haben). Die militia-Verbote sind die einzige andere regelmäßige Laiensanktion, aber der Fall ist etwas anders gelagert: Während von erbrechtlichen Sanktionen jedermann potenziell betroffen ist, kommt stets nur eine Minderheit überhaupt für die militia in Betracht (das gilt insbesondere intra palatium). Echte Laiensanktionen sind die (in der sonstigen Häretikergesetzgebung beispiellosen) Geldstrafen gegen Donatisten (→ S. 579).

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denz, die im ersten Kapitel zur Herleitung präsentiert wurde, lässt sich auch hier ablesen, dass der Geltungsbereich eines Gesetzes nicht auf den Reichsteil des erlassenden Kaisers oder die regionale Zuständigkeit des Empfängers beschränkt war: etwa wenn sich Theodosius I. im Osten auf ein valentinianisches Gesetz bezieht (→ S. 434) oder Gratian die Gültigkeit eines theodosianischen Gesetzes impliziert (→ S. 435). Es endet oft in der Aporie, einen versteckten Sinn hinter minimalen Modifikationen der Rechtslage zwischen verschiedenen Bestätigungen zu suchen. In jedem Fall muss man von einem großen Durcheinander ausgehen, in dem zwar die Rechtslage zumeist ungefähr klar war, diese aber ad hoc durchaus abweichend zusammengefasst werden konnte. Zweitens zeigt sich, dass man sich der spätantiken Gesetzgebung mit einem stemmatischen Modell nähern kann. Denn nicht immer stellen neue Normen eine freie Rekapitulation der Rechtslage dar, sondern hängen oft nachweislich direkt von älteren Texten ab, die der Gesetzgeber vielleicht herausgesucht, eher aber im Rahmen einer Anfrage vorgelegt bekommen hatte. Gesetze sind zumeist vertikal abhängig, d. h., sie basieren auf älteren Regelungen, die dasselbe Thema betreffen und die jemand bestätigt sehen will; seltener ist eine horizontale Abhängigkeit, d. h., Details neuer Gesetze basieren auf dem Regelungsgehalt von Normen, die für ein anderes Thema erlassen wurden (z. B. zur Sanktionierung einer anderen Häretikergruppe). Ein Beispiel dafür ist der wechselseitige Einfluss von Manichäer- und Donatistengesetzgebung (vgl. → S. 476). Drittens lässt sich die Seltenheit von Bezugnahmen zwischen Gesetzen anstandslos durch das chaotische Modell erklären, wonach der Gesetzgeber nie ganz sicher sein kann, was seiner lokalen Judikative an Informationen vorliegt (weswegen man besser nie auf externe Texte verweist, die dann womöglich nicht greifbar sind). Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn auch nach dem Erscheinen und der Verbreitung des Codex Theodosianus ändert sich daran nichts: So fasst Valentinians Manichäernovelle wiederum die Regelungen in oberflächlicher Weise zusammen, anstatt einfach auf die entsprechenden Texte in CTh. 16.5 zu verweisen. Man darf, wie bereits oft bemerkt, die Macht der Tradition bei der Gestaltung spätantiker Gesetze niemals unterschätzen. Das gilt, viertens, noch verstärkt bei der Formulierung dieser Texte. Während die Erwartungen an spätantike Kunstprosa getreulich erfüllt werden, stören sich die Autoren der Konstitutionen überhaupt nicht daran, unklare und potenziell missverständliche Formulierungen zu schaffen; und selbst dann, als sich anhand des Codex Theodosianus jeder unmittelbar vergewissern konnte, wie viel einfacher mit den Regelungskernen statt mit den voll-

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ständigen, überlangen Originalen zu arbeiten war, verfasste man bruchlos weiter die Gesetze im alten Stil. Fünftens lässt sich aber möglicherweise doch ein Einfluss des Codex Theodosianus auf die spätere Gesetzgebung feststellen: Bei neuartigen Häretikergesetzen (also den Konstitutionen gegen die Eutychianer und dem vandalischen Edikt gegen »Katholiken«) zeigen die Autoren einen viel besseren Überblick über das Sanktionsspektrum gegen Heterodoxe, als man ihn bei den Schöpfern früherer Gesetze dieser Art feststellen kann. Ganz offensichtlich hatten sie die Möglichkeit genutzt, sich anhand des Häretikertitels im Codex Theodosianus über das Arsenal der bislang ersonnenen Strafen zu informieren.

nachschlageteil Bibliografie Autorennamen in Kapitälchen verweisen auf einen Eintrag in dieser Bibliografie. Sofern sich hier mehr als ein Werk desselben (bzw. eines nachnamensgleichen) Autors findet, nenne ich zur Unterscheidung zusätzlich das Jahr der Publikation. Wird eine bestimmte Schrift eines Autors mit mehreren Werken sehr oft zitiert (und signifikant häufiger als seine anderen Arbeiten), wird dieses Werk ohne Jahreszahl im Text angeführt; in dieser Bibliografie sind diese Arbeiten (etwa Seecks Regesten, Mommsens Strafrecht oder Kasers Privatrecht) durch Unterstreichung hervorgehoben. Zeitschriften, Reihen und Standardwerke sind ausgeschrieben mit der Ausnahme der RE (»Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft«). Adamiak, Stanisław: When did Donatist Christianity end? – In: The uniquely African controversy. Studies on Donatist Christianity. Hg. v. Anthony Dupont, Matthew Alan Gaumer u. Mathijs Lamberigts. Leuven 2015. S. 211–236. Aiello, Vincenzo: Vittore di Vita e la legislazione vandala in Africa. – In: Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana 15 (2005) 253–283. Aland, Kurt: Augustin und der Montanismus. – In: Augustinus Magister. Congrès international augustinien. Actes. III. Paris 1954. S. 339–355. Albertz, M.[artin]: Zur Geschichte der jung-arianischen Kirchengemeinschaft. – In: Theologische Studien und Kritiken 82 (1909) 205–278. Alivisatos, Hamilcar S.[pyridonos]: Die kirchliche Gesetzgebung des Kaisers Justinian I. – Berlin 1913. Allen, Pauline und C.[harles] T.[homas] R.[obert] Hayward: Severus of Antioch. – Abingdon 2004. Amelotti, Mario: La prescrizione delle azioni in diritto romano. – Mailand 1958. Amelotti, Mario: Il testamento romano attraverso la prassi documentale. I. Le forme classiche di testamento. – Florenz 1966. Amelotti, Mario: Testamenti ed atti paratestamentari nei papiri bizantini. – In: Revue internationale des droits de l’antiquité 316 (1969) 211–214. Ammirati, Serena: Sul libro latino antico. Ricerche bibliologiche e paleografiche. – Pisa 2015. Andt, Édouard: La procédure par rescrit. – Paris 1920. Anton, Hans Hubert: Kaiserliches Selbstverständnis in der Religionsgesetzgebung der Spätantike und päpstliche Herrschaftsinterpretation im 5. Jahrhundert. – In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 88 (1977) 38–84. Archi, Gian Gualberto: Teodosio II e la sua codificazione. – Neapel 1976. Arjava, Antti: Women and law in Late Antiquity. – Oxford 1996. Arjava, Antti: Ein verschollenes Gesetz des Codex Theodosianus über uneheliche Kinder (CTh. 4, 6, 7a). – In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung 115 (1998) 414–418.

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nachschlageteil

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Abkürzungen Abgesehen von Abkürzungen, die allgemein üblich sind oder im Stellenregister aufgelöst werden (so insbesondere CN und DF), verwende ich im Haupttext nur die folgenden: OLD PCBE PLRE ThLL

Oxford Latin Dictionary Prosopographie chrétienne du Bas-Empire Prosopography of the Later Roman Empire Thesaurus Linguae Latinae

schlagwortregister

849

Schlagwortregister Schlagwörter, die auf eine unübersehbar große (und damit nutzlose) Zahl an Stellen verweisen würden, habe ich ausgelassen. Das betrifft Codex Theodosianus; Testament; Häretiker; Manichäer, Donatisten, Eunomianer, Apostaten; Konstantinopel, Rom; Konstantius II., Valentinian I., Gratian, Theodosius I., Arkadius, Honorius, Theodosius II., Valentinian III.; sowie Augustin. Absentisten 692, 701 f. Abundanz 232 f. accusatio suspecti tutoris 317 Achäa 72100, 90, 96, 103, 710 actio iniuriarum 788 f., 78928 Adeodat, Donatist 4962 Adeodat, Vergewaltiger 393 Adrianopel 461, 658 Advokaten → Anwälte Aetios 403196, 609, 612, 615, 630, 631 f., 63549, 64059

Africanus, Agens in rebus 45499, 455102 Afrika, Diözese 5573, 51126 Agens in rebus 221331, 45499, 455102, 4951, 654, 753114

Aggarea 289 Agnaten 239, 267, 26725, 449–451, 459, 464, 476, 6861, 72672, 802

Agrippinus 35 f., 203306 Ägypten 279, 3424, 35, 4753, 5880, 60 f., 71, 88, 114, 157, 26623, 277, 32199, 421, 502, 615, 62328, 6864, 704, 748 Akephale 80242

Akkusator, Akkusationsverfahren → Anklage Alarich I. 573, 573119 Alarich II. 172–174 Albinus 465 Alexander von Lykopolis 41113 Alexandreia 4753, 166, 210, 397 f., 4093, 44685, 69413, 794

Alkohol 413, 447, 454 Almosen 413 f., 445, 493 Alypiane 275 Alypius 22, 86, 109, 205, 420, 600, 603

ambitus 373, 373173 Ambrosius, Bischof 298, 307, 638, 70536, 709

Ambrosius, Ehebrecher 327 f. Ammian 24 f., 111, 198, 233, 432 f., 455101, 462110

Amnestien 209, 333–335, 363, 393, 44380, 485, 657

Ampelius 98 Amtsstrafe 164, 366 f., 484, 506, 520, 524, 562 f., 563103, 564, 66698, 776 f., 780 f., 790, 793, 796, 798, 80444 Amulette 423, 691 Anachoreten, manichäische 449–451 Anastasius, Bischof 420, 599 Anastasius, Kaiser 3321, 628, 809 Anklage 222, 358, 370, 371170, 373, 378, 454–457, 472128, 519, 761, 788

Anlass und Ursache in der Gesetzgebung 121 f. annotatio 27–33, 37 Anthemius 66699, 667–672, 672108, 682–684 23 f., 87, 166, 44685, 613, 615, 62225, 630, 640, 6851, 69717 Antonina 628 Antoninus Pius 60, 109164, 124185, 323, 323103 Anwälte 24 f., 3120, 34, 111, 125186, 150, 221 f., 250, 276, 29470, 351, 365 f., 371170, 378, 383, 389185, 399, 51740, 566 Apollinarianer 254, 346 f., 389, 44787, 458107, 503, 508, 62732, 628, 63447,

Antiocheia

850

nachschlageteil

635, 64973, 653, 655, 769–771, 77413, 791, 794–796 Apollinaris 79433 Apollodor 646 f. Apostasie, Problem der Definition 685– 692 Apotaktiten 445, 447, 44788, 771, 803 Apparitoren 358149, 65477 Appion 114 Apronios 119 f. aquae et ignis interdictio 281, 284, 293, 31082, 322–325, 339 Aquileia 6592, 6694, 465, 738, 748 Areios 31996, 377, 610 f.

Arianer → Homöer Ariobindus 5364, 71 Aristainet 366 Aristophanes 55695 Arles 202, 221, 26725, 6851 Armenien 64161, 64468 Ärzte 166, 26419, 365 Asia(na), Diözese 5573, 56, 71 Asien, Provinz 55 f., 60, 72, 109164, 132, 704

797 f. 253,

284 f., 354, 670

Augustin, Donatist 531, 53167 Augustus 20, 283, 323, 325 Aurelian 66192 Aurelius, Bischof 54481 Aurelius, Diakon 332 Ausfertigungen 64–77 Ausonius 117175 Ausweisung → Interdiktion Autorenschaft von Kaisergesetzen 112–118

Auxentius 63956 Auxiliaris 121, 123183, 646

104 f., 111 241, 28143, 328111, 331117, 334, 362, 4106, 462, 482 f., 66293, 775 Berufung beim Kaiser oder PPO 3424, 3731, 115171, 120, 225, 520–522 Beschneidung 197, 479, 481, 681118 Bestätigungen 92, 103, 124–132 Beth Aphthonia 628 Bigamie 354, 375

Bergwerksstrafe

Bischöfe als Zeugen oder Ankläger 741101

Asketische Sekten → Enkratiten Aspar 71 Astrologen 336122, 336123, 423, 700 Attalus 709 Audianer 769, 771, 783 Audienzverbot 339127, 64973, 781, 784, augusteische Ehegesetzgebung

Bäcker 338, 500 Baetica 321100 Basilios 41112, 44788, 615, 61715, 638 Bassus 4342, 110 Batrachiten 803 Beichte 413, 693 Bekreuzigung 695–697 Beleidigung 28250, 50413, 789 Belisar 628, 805 Bemafest 458 Bentham 135 Bergbau, Bergleute 71 f., 91, 91136,

Bischofsgericht → episcopalis audientia Bleigeißeln 86, 241362, 329, 391, 482 f., 486146, 556, 55695, 601 f.

Blindheit 354 Boa 329 Bonifaz, Bischofskandidat 68 Bonifaz, Militär 584 bonorum possessio 265, 297, 302, 476 Bonosos 718 Bostra 48 Boykott 338 f. Breviar 172–180, 186 f., 731, 809 Brief als Gesetzestypus 48–61 Bücherverbrennungen 319, 31996, 409 f., 659 f., 66088, 781, 793, 796 228338, 239, 258–262, 281–288, 293–296, 321–327, 329– 333, 345–352, 382, 390 f., 393–396, 402, 404, 405199, 440 f., 451, 663 Buße 421, 6861, 693 f., 700–702, 71352, 715–719, 745 f., 763

Bürgerrecht

schlagwortregister Caecilian, Bischof 496 Caecilian, Vikar 5674, 71049 Caecilianisten 4962 Caelicoli 753114, 7719 Caesarea in Kappadokien 6138, 614, 61410

Caesarea in Mauretanien 421, 489 Caesarius, PPO 216, 656, 658, 65886 Caesarius von Arles 6851 Calama 514, 51533, 516, 52046 Calligonus 63856 Caracalla 285, 323103, 355 carmen famosum 282 f. Cassiodor 232347, 233351, 596 Castus 32 Charga 32199, 327 Chilo 5674, 71049 Christenverfolgungen → tetrarchische Verfolgungen Chronologisches 604–607 Chronopius 225 Chrysogonos 99150 Cicero 233, 264, 26418, 347136, 787 Claudian 65885 Clementianus 412 Clodius Octavianus 5574, 71049 Codex Gregorianus 133–136, 136197, 139, 172, 423–425, 786 134–137, 136197, 139, 171260, 172, 176272 Codex Iustinianus 135, 139203, 168– 172, 4119, 468, 617, 682, 753114, 758, 765, 796, 800–809 coercitio, statthalterliche 204308, 462, 572116 cohortalis militia 100 f., 349 f., 471126, 629, 653–655, 670, 679, 681 f., 769, 773, 792 f., 795 Collatio von 411 31, 38, 127, 127189, 208, 270, 320, 51841, 574, 650 Commodus 124185 Commonitorium 526–541, 549 f., 556, 567 Compelle intrare 52452, 594136 Concordia 738, 748

851

Consanguinei 725 f., 72672 constitutio Antoniniana 4651, 29266, 369 constitutionarii 3629, 138 consultatio 27, 38, 51, 111, 120, 163243, 206312, 321100

Contra litteras Petiliani, Datierung 599 f.

Crepereius Donatianus 4342 Cresconius, Ex-Manichäer 488–492 Cresconius von Pudentiana 4962 Cresconius von Silemsila 4962 crimen extraordinarium 431, 472 f., 732 crimen publicum 378, 472–474, 477, 478136, 732, 788

Crispin, Bischof, Crispin-Prozess 115171, 4951, 4962, 502–506, 512–523, 52961, 52963, 532, 550–552, 557, 562, 563103, 566–568, 580, 599 f., 604, 606 f., 695 Crispin, Presbyter 505, 50514, 50616, 514 Crispus 334120 Cunctos populos 236, 376 f., 396–402, 404, 43466, 437

Cursus → Prosarhythmus Curtius 90 Cynegius 6591 Cyprian 498 f., 55391

Codex Hermogenianus

Dakien 104157, 113 Dakora 6138, 614 Damasus 397 f., 426 f., 43364, 466, 70639

datio salis 69615 decem personae 303, 474–476, 478, 751

Decius 137 decuriones, Bedienstete am Kaiserhof 103

Deditizier 280, 285–287, 336122 defensor (civitatis) 210, 226, 358149, 483 f., 484143, 562, 564, 571, 776, 780, 793, 796 defensor ecclesiae 515–519, 51740 defensor scholasticus 51740, 565

852

nachschlageteil

Dekret 36, 41, 4139, 54988 Dekretale 712, 714, 809 Dekurionen 80, 109, 114169, 131,

Ehebruch 327, 334, 354, 74097, 741,

171259, 226, 345 f., 353141, 355142, 355144, 358149, 365, 373, 378, 383, 391, 45195, 579, 79029 Delatoren, fiskalisch 6288, 73102, 289 f., 344, 456104, 460, 669, 669104, 734, 759, 761 Delatoren, Strafprozess 455 f. Denunzianten 421, 455–457, 489 f. Deportation 241, 281, 283 f., 293, 309, 321–340, 391, 470, 471126, 483, 50413, 556, 563, 660, 674 f., 679, 684, 73283, 775, 779, 795 f. Diakonissen 299, 304–307 Diebstahl 25812, 354, 368, 473 Diokletian 44, 134, 137, 190, 229 f., 258 f., 335121, 379, 409 f., 422–424, 485, 66496 Dioskoros 79433 Diotimus 568 Domitian 20, 44 Domitius Modestus 268, 703, 70331, 70538 donaria 768, 7683 Donat, Schismatiker 585, 6875 Donat, Prokonsul 572116, 573 donatio mortis causa 299 f., 342, 344, 64262, 798 f. Dorotheos 630

62, 76, 467 f., 506, 544– 551, 558, 565–570, 574, 589133, 606 f. Eirenarchen 65781

Dreikinderrecht → ius liberorum Dubletten 215–218 Dulcitius 5574, 704, 70432, 71049 eculeus 50515 Edessa 48 Edictum de accusationibus

73 f., 186, 190, 201, 207, 219 f., 222 f. Edikt, peremptorisches 3731, 157, 157231 Edikt, prätorisches 139203, 300 f., 354 f., 361152, 373, 375, 475 Edikte 43–48, 207, 330 f., 397–402, 544–547, 797–797

741101

Eier 41317 Einheitsedikt

electi → Erwählte Emanzipation 267, 26724, 287 f., 293, 329, 451, 475 f., 478

Emeritus 208, 52350 Emphyteuse 512, 51329, 580 Enallage 363158, 583, 787 Enkratiten, asketische Sekten 2543, 445, 447 f., 44890, 452–454, 459, 461, 473129, 6863, 71762, 771, 77210, 803 Enteignung 323 f., 339–341 Enterbung 239, 269, 275, 27841, 55391, 592, 730, 753–756 Enthaltsamkeit 417, 55391 Enthusiasten 769, 7717, 80343 Entmündigung 72268, 740 Ephesos 74109, 4984 Epiphanie 412, 657 episcopalis audientia 21, 187, 195–198, 208, 221330, 225, 228, 51738 Epistula 268 f., 27739, 304 f., 342 f., 477 f. Erbschaftsteuer 272, 664, 66496, 762133 Erbschleicherei 256, 264, 296–299, 304–307, 367

Eremiten, manichäische → Anachoreten, manichäische Ernteteilung 502 Erwählte 381, 410, 412–417, 422, 430 f., 439, 441, 444 f., 448 f., 454, 476, 490 f., 493, 764, 812 Eskorte 329113, 338 f. Eucherius 248375 Euchiten 7717, 803, 80343 Eudocia 116174 Eudoxios, Eunomianer 620–622, 641 Eudoxios, Homöer 612, 62123, 630, 63035, 633, 640 Eudoxios, Lukian-Schüler 62123 Eugenia 275

schlagwortregister Eugenius 68, 362–364, 370, 393, 648, 658, 664, 707, 709, 71049, 763 Eulalius 68 Eunap 55, 5574, 65885

Eunomioeutychianer → Eutychios, Eunomianer Eunomios 334–336, 403196, 609–633, 639–641, 649, 659 f., 6875

Eunuchen 621, 637–647, 649, 669105 Euphratensis 366, 367164 Euseb 41829, 63138 Eusebia 41726 Eustachius 274 Eustathius 71, 680 f. Eutrop, Eunuch 116, 209, 31392, 328112, 61410, 63853, 64468, 658–664, 683, 750

Eutrop, PPO 245, 246370 Eutyches 254, 407, 628, 7716, 791– 794, 80343

853

Felix, Apostat und Comes 703 Felix, manichäischer Denunziant

41623,

421, 489 f.

Felix, manichäischer Disputationsgegner 4095, 41623, 43061, 467, 490– 492

Felix von Abthugni 496 Fideikommiss 234, 268 f., 285, 299, 300, 305, 342 f., 344132, 637, 798, 802

Firmus 414, 441 Flaccilla 648, 64973 Flamines 72673 Flavianus, Virius Nicomachus

170258,

246372, 353141, 707–711 Flora 707 Florentin 21, 115, 143, 226 Florentius 71 Fortunatian 4972 Fortunatus 42035

Eutychian 66192 Eutychianer 254, 336, 389, 653, 655,

fraus legis → Umgehung von Gesetzen Freigelassene, Freilassungen 193296,

765, 7716, 77413, 791–796, 803 f., 815 620, 62226, 63241, 674112 Eutychios von Alexandreia 421 Euzoios 630 Evodius 42035, 526, 52962, 541, 564 exempla, Präjudiz 20, 27, 3323, 34, 36, 4036, 108, 163, 164244, 166, 539 Exil 321–339 Exkommunikation 427, 486145, 543, 612, 630, 693, 70434, 714–716 extra ordinem 227337, 320, 326105, 50413, 732

222, 272–278, 285 f., 291, 29469, 323, 371 f., 378, 472128, 475, 556, 644, 755, 755118 Fristen 84 f., 237, 479, 728–735, 754, 757 f., 808 Fronto 231–233, 26418 Fussala 51740, 70434

Eutychios, Eunomianer

Falschanklage 222, 242363, 354, 457 Falschmünzerei 334 Fälschungen 23, 26, 2913, 3629, 142, 152 falzidische Quart 238 f., 269, 312, 314 f., 372, 755 f.

famosi libelli 223 Faustinus 338, 500, 586 f. Faustus 334 f., 485 Faventius 21, 115, 213, 226 favor libertatis 755

Gainas 658 Gaius, Jurist 161, 172, 323, 325 Gaius Seius 586 f. Galerius 73, 190, 201304, 220, 222 Galla, Gattin von Theodosius I. 6139 Galla Placidia 116, 752 Gallien 113, 202, 221, 332, 41625 Geisteskrankheit 255 f., 2555, 281, 28145, 28146

Geiz 413, 415 Geldstrafen 225, 320, 367, 385, 43162, 50211, 50312, 520, 567, 575121, 578– 581, 798 Geltung 77–112 generalitas 123183, 153–168, 199–211 Generidus 65579

854

nachschlageteil

Georg, Bischof 462110 Gerichtsbarkeit, munizipale 51638 Geschäftsfähigkeit → Kontrahierungsverbot Gestapo 456103 Gildo 339127 Gladiatoren, Gladiatorenschulen 331, 336122

Gold 104 f., 276 f., 501 f., 55695, 579, 780

Goldene Bulle 313 Goten 63448, 648, 65784, 664, 684 Grabschändung 334, 356, 360, 370, 391, 44379, 50211, 50312

Graecus, Bischof 274 Gregor von Nazianz 275, 396, 61715, 638, 69413

Gregor von Nyssa

61715, 6875, 698,

715–717

Grenztruppen → limitanei Gurken 413 Hadrian, Kaiser 3322, 44, 124185, 134, 136, 29467, 321100, 323, 327110, 402

Hadrian, PPO 22, 49, 110, 114, 128, 205, 547, 601 f.

Hadrianische Teilung 402 Halbchristen 6851, 691 f., 699–702, 706, 712–715, 751, 760

Halmyris 6138, 614, 64160 Handschriften des CTh. 174–179 Handwerker 166 Häretikererbgesetz 529–541 Hauserben → sui Heiden 144212, 198, 221 f., 225, 353141, 378, 41213, 41728, 425, 480, 484, 53571, 617, 627, 62732, 63956, 65579, 681118, 681119, 689, 70329, 705, 759, 764, 808 Hekebolios 702, 704, 712 f. Helena 334120 Helio 71 Helpidius 703 Heraclian 145, 217, 574 Hermeiekianer 803

Heron 704, 763 Hesych 72100 Heuresios 170 Hexensabbat 41828 Hieronymus 90, 298, 380176, 419, 6928, 71151

Hilarian 49, 6591 Hilderich 79736 Himerius 714 f. Hippo 109, 331118, 338, 500, 572 f., 582128, 587, 600

Höchstpreisedikt 4138, 4651, 59, 230 holografisches Testament 4036, 121, 643 23, 198301, 213, 31996, 610– 613, 61511, 616, 62328, 626–634, 639, 648, 658, 65886, 684, 766, 769–770, 783 Homosexuelle 283, 28452, 336122, 354, 380176, 381 Homousier 765, 797 honesti/viles 238, 260, 303, 325125, 332, 361, 364159, 365–370, 371170, 384, 386, 576, 653, 79231

Homöer

honestiores/humiliores → honesti/viles Hörer, manichäische 319, 410–415, 417, 420, 430 f., 439, 445

Hosen 67 f., 166249, 228338, 330 f. Hunerich 364159, 421, 485, 487, 765, 797–799, 79736

Hungersnot 603 Hydatius von Mérida 38, 426 Hydroparastaten 445, 447, 44890, 452 f., 769

Hymetius 5674, 70949 Hypatia 121 f., 273 f., 276, 278 f., 30778 Illyrien 72, 104 f., 104157, 109, 111165, 113, 166, 245 f., 346

Indianer 594136 Indignität 284 infamia perpetua 391–393 Infamie 34, 164, 238, 291, 293, 29470, 295, 301, 315, 317, 320, 350, 353–

schlagwortregister 393, 404, 478136, 563103, 576, 62531, 748, 793, 796, 809 f. Inkapazität 284 f., 440 Innozenz I. 543, 718 f. Innozenz III. 407, 809 f.

Inquisitionsverfahren → Kognition inquisitor 456 Insel 241, 283, 321, 323–332, 335, 462, 485, 578, 6138

Inskription 45–47, 64, 70, 245 Interdiktion 29470, 321100, 322, 328112, 336 f., 346–348, 381, 466, 508, 790 interpretatio, westgotische 136197, 173 f., 193296, 316, 372, 382, 50513, 657, 735 Intestaterbfolge 266 f., 754 f. Intestatkodizill 342, 344 Inventar 315–318, 391 Inzest 186, 230, 308–311, 323 f., 41829, 455, 750 f.

Inzucht → Inzest Ionien 615 Irnerius 809 Isis 336122, 705 Israeliten 686, 6864, 71251 Ithacius 425, 427, 45499, 519 iudicium publicum 354, 368, 741101 ius liberorum 95141, 670 f., 671106 Januarius, Bischof 525 Januarius, Presbyter 275 f., 278, 55391

Johannes Chrysostomos 62225, 6851 Johannes Faventinus 810 Johannes, Usurpator 65, 752 Jovian 612, 615 f., 630, 64973, 70329 Jovinian, Jovinianer 329, 333, 772, 77210

Jucunda 64366 Juden 102, 192295, 197, 210, 221 f., 239, 336122, 349137, 378, 425, 460, 479–481, 480138, 65579, 681118, 681119, 6851, 70638, 716 f., 729–732, 742103, 743, 752–756, 7716, 77313, 78022

855

Julian, Jurist 126188 Julian, Kaiser 246, 3730, 47 f., 137, 198, 395 f., 509, 530 f., 534, 612, 61817, 64973, 694, 69413, 702, 70329, 763 Julian, Onkel von Kaiser Julian 703 Julian, Prokonsul 4093 Justin II. 807 Justinian 36 f., 44 f., 5981, 82119, 115, 117177, 126188, 168–172, 268, 286, 28656, 322, 353141, 421, 469122, 50413, 655, 66496, 671106, 743, 755118, 796, 800–808

Kaduzität 289, 644, 668 f., 811 Kaiserkult 566 Kallistrat 355 Kämmerer 641, 644 f., 669105 Kanaan 6864 Kannibalismus 41728 Kanonisches Recht 313, 381177, 810 Kapitale Verfahren 325105, 326108, 354, 478136

Kappadokien 615, 62020, 64161 Karthago 56, 292, 496, 51126, 516, 518 f., 523, 540, 552, 566106, 569108, 569109, 570, 717 Kasai 5472 Kastelle 769, 773, 793

Kastration → Eunuch Katechumenen, katholische → Taufe Katechumenen, manichäische → Hörer Katharer 407, 41931 Katharisten 41828 Kilikien 120, 615 Kimon 3730, 98 f., 99151, 343 f., 344131 Kinder von Klerikern 55391 Kirche, rechtliche Privilegien 399, 511, 587

Kirchenkonfiskationen 319, 508 f., 542, 570, 767, 783

Klearch, Prokonsul 5574, 56, 71049 Klearch, PVC 66698 Klerikersanktionen 319, 333, 777, 781, 797

Klöster 275, 415, 792, 795

856

nachschlageteil

Kodifikation 268, 135, 765 Kodizill 268 f., 27739, 305, 342–344, 477 f., 798

Konzil, Karthago 410 573 Konzil, Konstantinopel 381 421, 437, 616 f., 63343, 634, 69921, 723 f.

Kognaten 474, 6861, 802 Kognition 230, 45499, 455 f., 473, Kollegium der Kaiser

Konzil, Lateran 649 629 Konzil, Lateran 1215 810, 81054 Konzil, Nikaia 325 609 f. Konzil, Toledo 633 731, 73182,

Kollegium der Prätoriumspräfekten

Konzil, Valentia 374 71352, 715 Körperstrafen 295, 320, 365, 395,

478136, 517, 519, 572116, 73387, 761 43, 93, 105, 107161, 111, 112–115, 245, 248, 52759

742103 57,

113

Kolonen → Pächter Kompilation, Begriff 135 Konfiskation → Enteignung Konkubinenkinder 37, 102, 187, 192 f., ferner → Kimon Konkurs 356, 373 Konservativismus 3323, 129 f., 30778, 528, 795

Konstans 112166, 4972, 508 Konstantin I. 21, 62, 69, 98, 222, 26217, 334, 377, 50513, 587, 610, 66496, 669104, 694, 702 Konstantius I. Chlorus 26217 Konstantius III. 112166 Kontrahierungsverbot 101, 2544, 288, 320, 343, 349, 349138, 383179, 385, 386181, 476 f., 494, 561, 565, 577, 596– 598, 670, 764, 788 f., 806 Kontumazialverfahren 518 Konz 98 Konzil aller Häresien 402 f., 461, 613, 6139, 635 Konzil, Arles 314 4996, 701 Konzil, Chalkedon 451 47 f., 112, 407, 765, 791 Konzil, Elvira 701, 72673 Konzil, Ephesos 431 61715 Konzil, Hippo 393 257, 26724, 45195, 53674, 717 Konzil, Karthago 403 51431 Konzil, Karthago 404 523–526, 540– 544 Konzil, Karthago 405 570 Konzil, Karthago 407 565 f., 572

486146, 505

Körperverletzung 354, 504–506, 50413, 789

Kos 5572 Krüger 181–184, 228 Kryptomanichäismus 419–422, 440, 448, 453 f., 459 23 f., 81, 100 f., 119 f., 209, 277, 346, 350 f., 353141, 366, 45195, 471126, 579, 653, 77313, 776, 780 Kurzhaarfrisuren 305, 307, 401194 Kybele 705 Kyrill von Alexandreia 419, 69413 Kyrill von Jerusalem 415 Kyrrhos 335, 626 f.

Kurie

319 f., 482141, 560, 579, 650 f., 659, 670, 684, 777, 781, 797 f., 813, 8133 Lampadia 421 Lapsi 690, 692, 698, 702, 70536, 713, 71556 Latini Juniani 261, 269, 280, 285–287, 29469, 440 Legat 268 f., 274, 276 f., 280, 298, 300, 304 f., 637, 798, 80039, 80849 Lektor 69413 Leo, Bischof 421, 425, 43161, 486, 490, 784–790 Leo, Kaiser 474, 644 f. Leonius 98147, 126187, 643, 64366 Lesbos 615 Letoios 715 Leucadius 708–710 lex Aquilia 440

Laiensanktionen

schlagwortregister lex Cornelia de iniuriis 282, 28250 lex Fufia Caninia 755 lex Iulia de adulteriis 74199 lex Iulia de vi 339, 355 f., 362, 373 f., 50413, 741101

lex Iulia maiestatis 222 lex Iulia repetundarum 368 lex Iulia theatralis 355144 Lex Manichaeos 467117, 468, 806 Lex Quisquis 311–315, 809 lex Roscia Othonis 355144 Lex Sancimus 31492 Libanios 23 f., 37, 3933, 87, 90, 97–100, 119, 121, 226, 277, 343 f., 366–368, 462110, 70431 libellarisches Urteil 516, 51637 Liberius, Bischof 325104 Libius Severus 375 Libyen 615 Licinianus 221331, 292, 400194 Licinius 137201, 171260, 190, 220, 222, 292, 42955 limitanei 653, 773, 792 f., 795 litis denuntiatio 518 f., 51841 Lucius Titius 586, 587130 Ludwig VIII. 81054 Lukian, Neffe des Eunomios 622 Lukian, Satiriker 272 Lukian von Antiocheia 62123 Lydien 615 Lykien-Pamphylien 190

Macarianer 4972, 506 Macrob, Bischof 573 Magie → Zauberei Magnentius 190 Mailand 224, 190, 383, 42955, 461, 465, 643, 747

Majestätsverbrechen 222, 29367, 311– 315, 340, 400194, 441–444, 455, 473, 477–479, 668103, 669, 715, 748, 787 f., 809 Majorian 327 f., 374 f. Makedonianer 346, 389, 394, 44787, 453, 461, 473129, 484, 503, 61511,

857

62226, 635, 681119, 766, 769–772, 77415, 783 Makedonien 73100, 90, 104157, 105, 113, 277, 718 Makedonios 394 f. mandata 4549, 59, 5981 Mani 409–413, 423, 427, 458, 485144 Manumissor 475 Marcellianer 769, 782 Marcellinus 208, 270 f. Marcus von Memphis 427 Margarita 41726 Maria, Kryptomanichäerin 421 Mark Aurel 3323, 231–233, 443 Markian, Apostat 70740, 708–710 Markian, Delator 289 Markian, Jurist 321100, 326 Markian, Kaiser 32, 121, 229, 273 f., 279, 29164, 299, 307, 371, 791, 79432 Markian, Vikar 5674, 709 f. Marmor 50312 Maternus 4342 Maulesel 63956 Mauretanien 5573, 6128 Maxentius 4038, 137 f. Maximian von Bagai 523, 52656, 542– 544 Maximianisten 499, 509 Maximinus Daia 337 Maximus, Agens in rebus 221331 Maximus, PVR 222 Maximus, Usurpator 97, 107163, 190 f., 425, 427, 465, 709 Meletios 275 Melitius 575 Melonen 413 Menander 392 Menstruationsblut 416, 41725 Mensuristen 4962 Mercurius 421 Messalianer 769, 7717, 80343 Messianus 462, 485 Micce 121 f. Milch 41317

858

nachschlageteil

2810, 86, 99151, 100 f., 221 f., 229, 236, 313, 320, 336, 345, 349 f., 365, 377 f., 390, 392, 421, 457, 471126, 629, 649, 651–655, 657, 670, 679, 681 f., 753114, 764, 769, 773, 777, 788– 790, 792 f., 795, 798, 801, 805, 807, 8133 Mitgift 300, 375 Modestin 161 Mommsen 181–185, 243 f. Mönche 192295, 273, 296–298, 337, 390186, 464114, 503, 791–793 Monophysitismus 628, 791 Montanismus, Montanus 100 f., 143, 240, 2543, 257, 320, 333, 348–350, 41112, 446, 468–471, 483 f., 494152, 534, 546, 55492, 561, 584, 627, 655, 660, 66293, 670–673, 675, 678 f., 681119, 682, 723, 743, 746110, 768 f., 771 f., 775, 801, 803, 80545, 807 Montenser 55492, 555, 558, 72210 Mord 25, 331117, 334, 455, 514, 756, 7705 Morelli’sche Methode 117 f. Mormonen 412 Mursa 6128 Musa 125186 Musonius 5674 Mylasa 32

Oase 241, 321, 327, 335 Obstbäume 364159 Officium 484, 520 f., 562 f., 567, 581,

Naxos 6138 Nestorianer 628, 80242 Nestorios 32199, 335, 419, 628, 766 f.,

paenitentia, privatrechtlich (Sinneswandel) 6861, 744 f., 745106 Palästina 90, 615, 80141 Palatini 100152, 210314, 320, 345, 378,

militia

772, 782–784

Nigrinus, Philosoph 272 Nikaia 47, 44685 Nikentios 366 f., 563103 Nikomedeia 47 Nil 327 Nomos 626 Nonna 275 Nonne 366 Novatianer 403195, 766, 768 f., 783 f.

679

Olympius, Freund des Libanios 277 f. Olympius, Magister officiorum 573 Opferungen 103, 190, 226, 320, 396, 474, 681119, 690 f., 712–715, 72673, 736, 739, 747 f., 751, 757–761, 808 Ophiten 801, 807 Optat von Mileve 25, 51025 Optat von Thamugadi 4951, 503, 511– 513, 521, 599 Oratio von 426 34, 39, 4549, 116, 159– 168, 180281, 207, 211, 374173, 752 Orationes 42, 63 f., 68, 73101, 138, 207, 211 Ordination, rechtliche Fragen 114169, 319, 403, 45195, 471126, 496, 499, 55391, 672, 675, 679, 718 f., 768, 777, 792, 795, 797, 803, 805, ferner

→ Zehnpfundgoldgesetz Ostern, Osteramnestien 68, 143, 165, 209, 333 f., 412, 458 f., 484, 62327, 657, 681119 Otreios 715

Pächter 241, 481140, 482 f., 502, 50312, 51329, 522, 555 f., 564, 580–583, 66293, 679, 70434, 775, 792 Padua 43570

653–655, 798

Palladius 48, 111, 188, 229, 251378 Pannonien 104157, 113 Paphlagonien 41625 Papinian 133193, 161 f., 172, 742 Paris 569108 Parker, Anna 182284 Parmenian 4972 pastus primipili 6126, 65477, 681, 681120

schlagwortregister patria potestas 239, 266, 26624, 287 f., 295, 405199, 45195

Patroclus von Arles 221 Paulianer 769, 771, 77415, 782 f. Paulus, Apostel 412, 41829, 4984 Paulus, Bischof 394 f. Paulus, Jurist 3424, 133193, 161, 172, 283, 325 f., 761130

Paulus Catena 55795 Paulus von Samosata 782 Pegasios 704, 763 Pekulium 581–583 Pelagia 4036, 121, 124, 643 Pelagianismus 127189, 199, 201 f., 221, 351140, 584, 772

Pepuza 469, 469122 Perduellion 293, 29367 Peregrine 260 f., 280, 285–287, 290– 295, 391, 455, 660 f., 663, 741

Peter II. 81054 Petilian 271, 4962, 499 Petitionen 27, 29, 31, 37, 51, 114, 119– 124, 131, 134, 31083, 444, 51740, 531, 535–537, 64366, 668 Petra 32199 Petronius 26725 Pfingsten 412 Philosophen, Philosophie 123, 272, 336122, 375 f., 41113 Philostorg 618–620, 62121 Photinianer 437, 616, 61613, 63447, 769, 782 Photios 6139, 618 f., 621, 63448

Phryger → Montanisten Pinianus 331118 Plinius 20–23, 26 f., 59, 85 f., 89, 126188, 166, 250, 26418, 268, 272, 277, 323 f.

Pluralis maiestatis 107161, 114 Poetovio 465 Pompeji 63853 Pomponius Maximus 278 Pomponius Sperantius 278 Pönitenz → Buße Pontika 71, 120 Pontos-Bithynien 20, 86

859

Pontus Galaticus 615 Porphyrianer 377 f. Porphyrios 377, 62121 Possidius 514–523, 599 Postulation 317, 354–361 Postumian 32 Postumius Iulianus 275 Potitus 93, 93137 praefectiani 653, 655 Praeneste 275 praescriptio fori 457 praescriptio longi temporis 457, 733 praeteritio 754 Praetextat 103, 707, 709 f., 763 Pragmatiken 29–33, 35, 38, 39, 164245, 206 f., 251377

Präjudiz → exempla Preziosität 232 f., 235 Primian 570 primipilaris → pastus primipili Prinzipale 483 f., 484143, 562, 564, 579, 593

Priscilla 469, 469122 Priscillian, Priscillianismus

38, 331 f., 42033, 425–428, 462, 469, 485

Privatprivileg → Sonderprivileg Proconsularis 55, 5573, 109, 51126 Proculian 51943, 52148 Professoren 166, 352, 365, 374 f., 383

Profuturus 42035 Prokop, Usurpator 612 f. Prosarhythmus 233 f., 237, 45296, 55089, 72066, 797

proscriptio → Enteignung Prostituierte 336122, 354, 380176, 381, 741101

Protokolle 35, 4242, 120, 127189, 138, 138202, 210 f., 270–272, 489–492, 4962, 51535, 54480, 574, 65781, 787 Protopaschiten 77210 Provinzialpriester 51740, 565 f., 579 Prozesszeugnis 739, 741–743 Prügelstrafe 68, 241362, 320, 366, 367165, 42034, 483, 486146, 50515, 542,

860

nachschlageteil

556, 55695, 581 f., 66293, 679, 73283, 79231 Ptolemais 624–626 Publikation, Publikationsbefehl 32, 35, 52–60, 63 f., 78 f., 79117, 199, 208, 252, 54583, 569109, 674 Publikationserfordernis 82–89 Pulcheria 116174, 672

Quartodezimaner 766, 772, 78324 Quästor 116–118, 116175, 161235, 680 querela inofficiosi testamenti 269, 371, 733–735, 754 f., 758, 761130 Quintian 624–626

Raimund VII. 81054 Ravenna 271, 52657, 565105, 566, 568, 569108, 65579

relatio 113, 120, 162 f. Relegation 321 f., 325–335, 338 f., 364159, 392, 462, 485–487, 674, 778 f., 790, 793, 795, 797 Reliquien 360, 362 Remanzipation 475 f. Renegaten 692, 700, 702, 711–714, 718 f., 751 rescriptum simplex 2812 Reskripte 27–40 Reue 478 f., 553, 565 f., 581, 715, 736, 744–747, 763 Rhetorik 23, 228, 231345, 375, 383, 461 Rogatisten 593 f., 6863 Rufin, PPO 116, 209, 656–659, 66799 Rufin von Aquileia 6918

Sabbatianer 333, 768 f. Sabbatios 61410 Sabinos 367 f. sacerdotalis 566, 578 f. sacerdotes → Provinzialpriester Sachbeschädigung 473 Sakkophoren 445, 447, 452, 771, 803 Sakralausstattung → donaria Samaritaner 390, 71760, 732, 743, 752 f., 753114, 77313, 78022, 801, 80141, 807 f.

Sapricius 71 Sardinien 91, 104159 Scaevola, Q. Mucius 265 Schatzfund 402 Schauspieler 194298, 298, 336122, 354, 355144, 378, 472128, 717

Scheinverkauf 342, 344132, 561, 561102, 641, 677, 757, 762

Schenkungen 26217, 444, 597 Schenkungsteuer 664 Schisma 66, 69, 336123, 399, 41112, 43364, 496, 499, 510 f., 523, 528–532, 535 f., 548–551, 587, 599, 631, 702 Schnittmarken 143, 193296, 214 f., 566, 679, 752 Sebastian 383178, 461 f. Secundus 103 Seleucus 574 f. Senat 63 f., 73101, 149221, 211, 29367, 784, 786 f. Senatoren 6389, 64, 6591, 73101, 290 f., 313, 331, 345, 355144, 358149, 365, 370, 383, 455102, 457, 579 Senatsprotokoll 120, 138, 65781 Senatusconsultum 20, 4038, 63, 6389, 283, 356, 373173 Seneca 210 Septimius Severus 317 Septuaginta 686, 6874 Seran 511 Sergios 807 Serras 615 Servus von Thubursicu Bure 523, 543, 55391 Severus Alexander 3424 Severus von Antiocheia 628 Sex 413, 415–417, 41829, 419, 44684, 447, 454, 55391, 628, 631, 693 Silber 277, 305, 421, 579, 668103, 77516 silentiarii 103 Simonie 631 Simplician 696 Sinitis 582128 Sippenhaftung 313, 318

schlagwortregister 427, 465 f., 485, 55391, 714– 716, 719 Sirmium 569108 Sirmondsche Konstitutionen 4958, 52, 132, 177276, 185, 188, 195–197, 199 f., 204, 209, 219 f., 334 Sisebut 73182 Sklaven 20, 22, 116174, 221 f., 240, 25913, 276, 285, 292, 319, 360, 361 f., 372 f., 378, 41829, 456, 472128, 479– 482, 487, 550, 557 f., 581–583, 601– 603, 628, 644, 681118, 73286, 740, 755118, 778 f., 781, 784 Smyrna 44685 Sokrates 394 f., 62226, 667100 Soldatentestament 265, 280, 802 Solennitätszeugnis 739–741, 749

Siricius

Solitarier, manichäische → Anachoreten, manichäische Sonderprivilegien 27 f., 3629, 37–39, 99, 120 f., 138, 158, 218, 303, 310, 343, 344131, 373173, 392, 649, 651–653, 659, 676, 777 f., 797 Sozomenos 393–405, 461 Spanien 113, 714, 719, 731 specialis annotatio 2812 Sperma 416, 41625, 41726, 422 Staubsauger 745 Stephan 498 f. Steuern 37, 71 f., 123, 152, 153227, 166, 26217, 272, 345, 358149, 363, 369, 44685, 456, 664, 66496, 762133, 80039, 80849 Stichtag des CTh. 150223 Stilicho 116, 209, 572 f., 589133, 652, 66699 stipulatio Aquiliana 245 Strategius Musonianus 42854 Stummheit 28146, 72268, 740 Subskription 45, 4550, 48, 57 f., 69, 203, 247 f. suggestio 4240, 51, 119 f., 122 f., 127 f., 162 f. sui 266 f., 269, 284, 288, 297, 405199, 439 f., 449–451, 475 f., 478, 534, 683, 724–726, 753 f., 760129, 789 f.

861

Syagrius 248375 Syene 114 Symboliktheorie 258–262, 405 Symmachus, PVR 3932, 111, 113, 113168, 117175, 120, 125186, 176, 233, 276, 278, 289, 310, 45499, 455, 461, 709 Synesios 623–626, 649, 65886, 667100

Synode → Konzil Syrien 366, 627 234, 269, 28453, 299, 304–306, 342–344, 637 Tänze 6851 Taskodroger 801, 807 Tatian 114169, 648 Tätowierung 394, 412 Taubheit 28146, 72268, 740 Taufaufschub 693–696, 69615, 71864, 763, 808 Taufe 497–499, 55492, 631–633, 693– 697, 705, 714, 718, 72673 Tavola di Trinitapoli 202 Tertullian 470, 498 Testamentseröffnung 269–272, 279 Testamentserrichtung 268, 282 f., 382, 722, 739–741, 743 tetrarchische Verfolgungen 25913, 424, 485, 495 f., 698, 702 Textkritik des CTh. 240–244 Thalassius, PPO 73081 Thalassius, Prokonsul 5674, 71049 Thamugadi 51126, 579 Theasius 526, 541

tacitum fideicommissum

Theater → Schauspieler Theoderich 393 Theodoret 335, 626–628, 63342 Theodosianische Mauer 669 Theodosios, Ziehsohn des Belisar 628

Theodosius, Ex-Manichäer 421 Theophilos von Alexandreia 353141 Theophronios, Eunomianer 620, 62121, 62226, 63241, 64161, 674112

Thessaloniki 396–402, 694

862

nachschlageteil

Thomas, Apostel 412 Thrakien 104 f. Tiberius 283, 324 f. Tierkämpfer 354, 359, 741101 Tingitana 113 Titel des CTh. 142–144 Titus 20 Todesstrafe 320, 43162, 433, 453, 470, 476, 485, 487, 50211, 505, 572116, 603, 660–662, 669104, 674, 732, 748, 759 f., 78022, 793, 796, 804–806, 808 Totenmesse 445 traditores 496, 4962, 499 Trajan 20 f., 59, 126188, 323 f., 340 Trauerjahr 299–302, 354, 361, 392 triadische Taufformel 632 f., 63241, 63344, 718 Trier 191, 425, 569108 Tyana 614, 61410 Typhos 65886 Ulfilas 63138, 63448 Ulpian, Jurist 126188, 133193, 161, 282 f., 322 f., 326, 356, 389185 Ulpian, Statthalter 99150

Umgehung von Gesetzen 259 f., 262, 269, 28453, 297, 304–306, 310 f., 342– 344, 476 f., 494, 561, 561102, 592134, 593, 596, 641 f., 66698, 677, 756 f., 762, 776, 789, 799 Universalfideikommissar 45093 Ursus 41725, 486 268, 55 f., 97–100, 103–105, 110 f., 462, 611, 613, 638, 70431 Valentinian II. 3932, 6389, 96, 107163, 113168, 114169, 114170, 120, 190 f., 198301, 465, 707 Valerian, Bischof 337 Valerian, Kaiser 137, 499 Valesier 63957 Vandalen 337, 407, 600, 785, 797–799 Vegez 233 venditio bonorum 356

Valens

Verbannung → Exil

Vergentis 809 f. Vergewaltigung, rituelle 416 f., 486 f., 784 85128, 95141, 122, 237, 457, 479, 728, 733, 757123, 758 f., ferner

Verjährung

→ praescriptio longi temporis Vermächtnisse 238 f., 264 f., 269, 272– 279, 284, 80039, 80849, ferner → Legat, → Fideikommiss Verständnisprobleme 228 f. Verteilerlisten 69–75 Verwahrung 354 Verwalter 241, 320, 332 f., 372, 482 f., 501, 555 f., 597, 660–662, 672109, 679, 684, 775, 79131, 792 Verwandtenmord 455 Vespasian 20 Vestalische Jungfrauen 276 Vicenza 738 Victoria-Altar 298 Victorinus, Kryptomanichäer 420 f., 485 f. Victorinus, Marius, Neuchrist 696 f., 69718 Vincentius, Bischof 593 f. violentia 362, 455102, 505, 50513, 512, 515 Volljährigkeitserklärung 596 Vormund 99150, 125186, 237, 294, 316 f., 369, 391

Weberei 292 Webstuhl 640 Weihe von Priester, rechtliche Fragen → Ordination, rechtliche Fragen Weihnachten 656 f. Weiterleitungsbefehl 52, 132, 199–203, 206, 211

Westgoten 172–174, 573, 73182 Wiederheirat 317 f., 361152, 370, 373, 375, 475, ferner → Trauerjahr Wiedertaufe 497–499, 506 f., 522, 52350, 550–552, 554, 558–560, 563– 565, 585, 599, 631 f., 63240, 671–674, 679 f., 705, 718, 778 f., 797

stellenregister und ausgabenverzeichnis Zacharias 628 Zauberei 334, 340, 413, 41828, 422– 428, 432 f., 436, 455, 462, 772, 77211

Zehn Personen → decem personae Zehnpfundgoldgesetz 90, 482, 500– 523, 675114 , 768, 775, ferner → CTh. 16.5.21 im Stellenregister Zenon 32 f., 39 Zeugen 99147, 268–271, 281–283,

Zirkumzellionen

863

500, 51943, 525, 531,

537, 547 136197, 161 f., 165, 167, 180281, 353141, 752

Zitiergesetz

Zölibat → Enthaltsamkeit Zuhälter 354, 359 Zwangsarbeit 293, 29367, 326105 Zwölftafelgesetz 281, 28250, 475, 72672 Zypern 328112

371170, 421, 643, 728 f., 735–743, 810

Stellenregister und Ausgabenverzeichnis Um die teilweise durchaus obskuren Quellen leichter auffindbar zu machen, gebe ich bei griechischen Werken konsequent die TLG-Nummer 1 an. Bei lateinischen Texten findet sich aus demselben Grund die ThLL-Sigle, 2 die ich zudem normalerweise selbst verwende. Habe ich also kein abweichendes Kürzel zu nennen, steht »ThLL: u. d. S.« (»unter derselben Sigle«), andernfalls ist dieses explizit aufgeführt. Sofern lateinische Werke im ThLL fehlen, findet sich ersatzweise die CPL-Zahl 3 (oder der Hinweis »hochmittelalterlich«). Bei Texten in orientalischen Sprachen gebe ich stattdessen die Sprache an. Die Sortierung folgt ThLL-Prinzipien: Ein Pseudo-Autor steht direkt nach dem authentischen Autor (also »Ps. Aug.« direkt nach »Aug.«), und die Präpositionen ad, adv., in, c. bleiben bei der Abfolge unbeachtet (»c. Fort.« also nach »fid. et symb.«). Bei den verwendeten Ausgaben biete ich nur dann ausführlichere bibliografische Angaben, wenn die Edition weder in meiner Bibliografie aufgeführt ist (dann erfolgt der Verweis, wie auch sonst, durch Autorenname in Kapitälchen) noch in einer der Standardreihen veröffentlicht wurde. Die von mir verwendeten Abkürzungen für diese Standardreihen sind: BA BT CCH 1 2 3

Bibliothèque augustinienne Bibliotheca Teubneriana La colección canónica hispana

Lucille Berkowitz, Thesaurus linguae Graecae, Canon of Greek authors and works, Oxford 31990. Online-Updates finden sich auf der TLG-Website. Thesaurus linguae latinae, Index librorum scriptorum inscriptionum ex quibus exempla afferuntur, Leipzig 21990. Online-Updates finden sich auf der ThLL-Website. Eligius Dekkers/Emil Gaar, Clavis Patrum Latinorum, Steenbrugge 31995.

864

nachschlageteil

CCSL CFHB CSCO CSEL CUF GCS GCS NF GNO IAR

Corpus Christianorum, Series Latina Corpus Fontium Historiae Byzantinae Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Collection des Universités de France [= Budé] Die griechischen christlichen Schriftsteller Die griechischen christlichen Schriftsteller, Neue Folge Gregorii Nysseni Opera Iurisprudentiae anteiustinianae reliquias edd. Huschke/Seckel/Kuebler [Kübler], BT MGH Auct. ant. Monumenta Germaniae Historica, Auctores Antiquissimi MGH Epp. Monumenta Germaniae Historica, Epistulae MGH LL nat. Germ. Monumenta Germaniae Historica, Leges nationum Germanicarum OCT Oxford Classical Texts [= Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis] PG Patrologia Graeca PL Patrologia Latina PO Patrologia Orientalis SC Sources Chrétiennes

ACO Acta Conciliorum Oecumenicorum [ThLL: Conc.S; TLG: 5000] ACO 1, 2: Schwartz; ACO2 1: Riedinger; Acta Conciliorum Oecumenicorum, 1914 ff. [Wenn ACO-Bände doppelt paginiert sind, halte ich mich stets an die kürzere Einzelpaginierung, nicht an die eingeklammerte durchgehende Paginierung. Einige Dokumente aus ACO zitiere ich nach CN-Nr.; siehe dort] ACO 1.4, p. 26.2–4 766 ACO 2.1.1, p. 91.25 f. 791 ACO 2.1.1, p. 92.5–8 791 ACO 2.1.1, p. 145.10–13 791 ACO 2.1.1, p. 153.8–10 2810 ACO 2.1.1, p. 178.6–8 2810 ACO 2.1.3, p. 60.34 47 ACO 2.1.3, p. 61.2 f. 4446 ACO 2.1.3, p. 61.2–17 47 ACO 2.1.3, p. 61.18 f. 47 ACO 2.1.3, p. 61.23–27 47 ACO 2.1.3, p. 120.12–121.10 48 ACO 2.2.2, p. 94.13 48

ACO 2.3.1, p. 13.1–17.6 112 ACO2 1, p. 381.4 f. 629 Alex. Lycopol. Alexander Lycopolitanus [TLG: 2059.001] Brinkmann, BT 1895 1 f. 41113 Ambr. Ambrosius – epist. Epistulae [ThLL: u. d. S.] Faller, CSEL 82:1 (1968); Zelzer, CSEL 82:2 (1990), 82:3 (1982), 82:4 (1996) 58.8 30981 72.4 70536 73.13 f. 298 75.13 63956 76.28 63856 – fid. De fide [ThLL: u. d. S.] Faller, CSEL 78 (1962) 1.6.44 63345

stellenregister und ausgabenverzeichnis – hex. Hexaemeron [ThLL: u. d. S.] Schenkl, CSEL 32:1 (1897), S. 3–261 5.3.9 63856 – Noe De Noe [ThLL: u. d. S.] Schenkl, CSEL 32:1 (1897), S. 413–497 10.35 26623 Ambrosiast. in II Tim. Ambrosiaster, In secundam epistolam ad Timotheum [ThLL: u. d. S.] Vogels, CSEL 81:3 (1969), S. 295–320 3.7.2 42959 Amm. Ammianus Marcellinus [ThLL: u. d. S.] Seyfarth, BT 1978 14.1.5 455101 15.13.2 42854 16.8.13 163242 22.10.7 198, 198302 25.4.20 198 27.9.8 5674 28.1.10 f., 19–21, 26, 29 433 30.4.1 f. 268 30.4.11 f. 24 f. 30.9.5 432 31.6.6 104 31.14.3 341130 Anon. reb. bell. Anonymus de rebus bellicis [ThLL: Anon. de mach. bell.] Ireland, BT 1984 21.1 258 Anon. Vales. Anonymi Valesiani pars posterior [ThLL: u. d. S.] Moreau/Velkov, BT 1968 13.78 628

865

Aster. hom. Asterius Amasenus, Homiliae [TLG: 2060.001] Datema, Asterius of Amasea, Homilies I–XIV, Leiden 1970 3.10 70329 10.18.1 62225 Aug. – bapt. De baptismo [ThLL: u. d. S.] Petschenig, CSEL 51 (1908), S. 145–375 1.1.2 499, 51125, 70535 5.15.20 70535 – catech. rud. De catechizandis rudibus [ThLL: u. d. S.] Bauer, CCSL 46 (1969), S. 121–178 26.50 695 – civ. De civitate dei [ThLL: u. d. S.] Dombart/Kalb, BT 51981 15.16 p. 93.4–22 30981 – coll. c. Don. Breviculus collationis cum Donatistis [ThLL: u. d. S.] Weidmann, CSEL 104 (2018), S. 269–307 3.19.37 94 3.23.41 94 – conf. Confessiones [ThLL: u. d. S.] Verheijen, CCSL 27 (1981) 1.11.17 696 3.11.20 41422 4.1.1 41422 5.13.23 461 5.14.25 696 6.7.12 420 6.8.13 22, 600 6.10.16 22, 600 6.11.19 224 8.2.3–5 696 9.9.20 486146

866

nachschlageteil

– c. Cresc. Contra Cresconium [ThLL: u. d. S.] Petschenig, CSEL 52 (1909), S. 325–582 2.7.9 52350 2.16.19 705 3.43.47 52656, 54378, 54379 3.45.49–3.46.50 51431 3.46.50 51432 3.46.50–3.48.52 51535 3.47.51 115171, 50514, 51533, 51842, 520, 522, 566, 570110 50514, 51842, 522 588 50923, 51943 257 512 50923 419

3.48.52 3.50.55 3.59.65 3.70.81 4.46.55 4.47.57 4.64.79

– adv. Don. Post collationem adversus Donatistas [ThLL: u. d. S.] Weidmann, CSEL 104 (2018), S. 325–374 12.16 579 – epist. Epistulae [ThLL: u. d. S.] Goldbacher, CSEL 34:1 (1895), 34:2 (1898), 44 (1904), 57 (1911), 58 (1923) 29.11 f. 51125 33 51125, 53571 36.12.28 42853 43.8.24 51125 49.3 4972 51.5 51125 53.3.6 51125 58.1 582128 66 513 76 52349 86 572 87 4972, 52350 88 257, 51535, 51943, 525, 540, 541 89 570111, 571112, 582128 93 52351, 570111, 571112, 572, 589133, 593–597 573

97.2 f.

100.2 505, 572116, 573 102.26 331117 105.2.4 115171, 51432, 51535, 522 105.2.6 573 105.2.9 43264, 509 106–108 589133 108.5.14 573 108.6.18 573119 112.3 582128 113–115 213, 115 113–116 213 114 21 126.12 331118 133 505, 50515 134 486146, 505 139.2 505 185 584 185.6.21 486146 185.7.25 159, 52351, 524 f., 540, 568107 185.7.25 f. 542 185.7.26 571 185.7.27 54378 185.7.29 52553 185.9.36 588 222.3 42138 236 420, 42034, 421, 485 f. – epist. Divj. Epistulae collectionis a Divjak repertae [ThLL: u. d. S.] Divjak, BA 46B (1987) 9.2 158, 366 10 22, 49, 86, 109, 228, 600–603 20 486146, 51740, 70434 24 22, 228, 26724, 372172 – c. epist. fund. Contra epistulam fundamenti [ThLL: u. d. S.] Zycha, CSEL 25:1 (1891), S. 193–248 8 458, 458108 – in euang. Ioh. In Iohannis euangelium [ThLL: u. d. S.] Willems, CCSL 36 (1954) 6.25 585–588

stellenregister und ausgabenverzeichnis 11.4 69614 88.4 158 22.10 71151 – c. Faust. Contra Faustum [ThLL: u. d. S.] Zycha, CSEL 25:1 (1891), S. 251–797 5.8 331118, 334 f., 462, 485 20.5 41213 22.25 486146 – c. Fel. Contra Felicem [ThLL: u. d. S.] Zycha, CSEL 25:2 (1892), S. 801–852 1.12 4105, 467 1.20 467118, 491 2.22 41623, 467118, 491 f. – fid. et symb. De fide et symbolo [ThLL: u. d. S.] Zycha, CSEL 41 (1900), S. 3–32 10.21 51025 – c. Fort. Contra Fortunatum [ThLL: u. d. S.] Zycha, CSEL 25:1 (1891), S. 83–112 3 41727 – c. Gaud. Contra Gaudentium [ThLL: u. d. S.] Petschenig, CSEL 53 (1910), S. 201–274 1.24.27 573119 – haer. De haeresibus [ThLL: u. d. S.] Vander Plaetse/Beukers, CCSL 46 (1969), S. 286–345 46.9 41726, 42138 46.9 f. 41625 46.10 41725, 41828 46.11 41317 46.16 43161 54 6091 69.1 52350 70 42853

867

– mor. Manich. De moribus Manichaeorum [ThLL: u. d. S.] Bauer, CSEL 90 (1992), S. 88–156 18.66 41725, 41727 19.68 41422, 415 19.69 432 19.71 415 – nat. bon. De natura boni [ThLL: u. d. S.] Zycha, CSEL 25:2 (1892), S. 855–889 47 41625 – ord. De ordine [ThLL: u. d. S.] Green, CCSL 29 (1970), S. 89–137 2.8.25.24–26 349138 – c. Parm. Contra epistulam Parmeniani [ThLL: u. d. S.] Petschenig, CSEL 51 (1908), S. 19–141 1.2.2 4972 1.8.13 331117, 52349 1.8.14 52349 1.11.17 5007 1.11.18 509, 52349, 53064 1.12.19 159, 530–532 1.13.20 50923 2.13.29 70535 3.2.14 486146 3.6.29 52349 – pecc. mer. De peccatorum meritis [ThLL: u. d. S.] Vrba/Zycha, CSEL 60 (1913), S. 3–151 2.26.42 69514 – c. Petil. Contra litteras Petiliani [ThLL: u. d. S.] Petschenig, CSEL 52 (1909), S. 3–227 1.1.1 51125 1.4.5 499 1.11.12 499 2.7.16 70535 2.25.58 499 2.36.84 599

868 2.37.86 2.39.94 2.47.110 2.66.148 2.74.166 2.83.184

nachschlageteil 4984 4972 70535 599 599 338, 500, 509, 511, 513, 587,

599

2.92.205 50822, 509 2.97.224 509 2.102.233 499 3.16.19 42242 3.25.30 462, 485 3.28.33 499 – in psalm. In psalmos enarrationes [ThLL: u. d. S.] 21: Weidmann, CSEL 93:1B (2011) 88: Dekkers/Fraipont, CCSL 39 (1956) 147: Gori/Spaccia, CSEL 95:5 (2005) 21, enarr. 2.30 271 88, enarr. 2.14 699 147.16 6875 – retract. Retractationes [ThLL: u. d. S.] Mutzenbecher, CCSL 57 (1984) 2.8.1 43161 – serm. Sermones [ThLL: u. d. S.] 9, 47: Lambot, CCSL 41 (1961) 162A: Boodts, CCSL 41Bb (2016) 302, 355, 356: Lambot, Sancti Aurelii Augustini Hipponensis episcopi sermones selecti duodeviginti, Utrecht 1950 9.3 700 46.18 61511 47.22 589–593 162A 4962, 51535, 53065, 604 302.3 696 355.3 275, 55391 356.11 55391 – un. bapt. De unico baptismo [ThLL: u. d. S.] Petschenig, CSEL 53 (1910), S. 3–34 16.29 42035

– un. eccl. De unitate ecclesiae [ThLL: u. d. S.] Petschenig, CSEL 52 (1909), S. 231–322 3.6 61511 Ps. Aug. Pseudo-Augustinus – comm. Commonitorium [ThLL: u. d. S.] Zycha, CSEL 25:2 (1892), S. 979–982 praef. p. 979.9–11 492150 – c. Fulg. Contra Fulgentium [ThLL: u. d. S.] Lambot, Revue Bénédictine 58 (1948), S. 190–222 p. 214.15 f. 4962 – quaest. test. Quaestiones veteris et novi testamenti [ThLL: u. d. S.] Bussières, SC 512 (2007) 114.13 70536 Ps. Aur. Vict. epit. Pseudo-Aurelius Victor, Epitome de Caesaribus [ThLL: u. d. S.] Pichlmayr/Gründel, BT 1966 48.10 30981 Avell. Collectio Avellana [ThLL: u. d. S.] Günther, CSEL 35:1 (1895), 35:2 (1898) 7.2 43364 8 69 9 69 11 69 12 69 13 338126, 358149, 359 17 38 18 38 23 64, 68 24 47, 68 35 112166 38 111

stellenregister und ausgabenverzeichnis 40.4 427 217 351 Barh. adbešabba Barh. adbešabba, Historia [syrisch] Nau, PO 23:2 (1932), S. 177–343; PO 9:5 (1913), S. 489–631 [der zweite Teil erschien vor dem ersten; da sich die Seitenzahlen nicht überschneiden, zitiere ich ohne Bandangabe] hist. p. 281.10–282.5 63342 Basil. epist. Basilius, Epistulae [TLG: 2040.004] Courtonne, CUF 1957, 1961, 1966 188.1.20–24 41112 188.1.50 44788 199.47.1 44788 217.81.1–4 69819 Beda expos. apoc. Beda, Expositio apocalypseos [CPL 1363] Gryson, CCSL 121A (2001) p. 231.115–123 43364 Bīrūnī vet. saec. al-Bīrūnī, Veterum saeculorum monumenta quae supersunt [arabisch] Sachau, Chronologie orientalischer Völker von Albêrûnî, Leipzig 1878 p. 207.22–208.3 41419 Cap. Manich. Capita Manichaea [koptisch] Polotsky/Böhlig 91, p. 229.6–10 41420 Carm. c. pag. Carmen contra paganos [ThLL: u. d. S.] Shackleton Bailey, Anthologia Latina 1.1, BT 1982, S. 17–23 Carm. c. pag. 706–711

869

Carm. ad senat. Carmen ad quendam senatorem [ThLL: u. d. S.] Peiper, CSEL 23 (1891), S. 227–230 Carm. ad senat. 705 f. Cass. Dio Cassius Dio, Historiae Romanae [TLG: 0385.001] Boissevain, Cassii Dionis Cocceiani historiarum Romanarum quae supersunt, Berlin 1895–1901 56.27.2 f. 324 57.22.5 324 Cassiod. var. Cassiodorus, Variae [ThLL: u. d. S.] Mommsen, MGH Auct. ant. XII (1894), S. 3–385 3.46.4 393 7.37 351 7.41.1 596 CI. Codex Iustinianus [ThLL: Cod. Iust.] Krüger, Codex Iustinianus, 1877 [die »Editio maior«] 1.1.4 48 1.2.21 7683 1.4 196 1.4.2 225 1.4.7 196 1.4.8 196 1.5 4119, 753114, 806 1.5.2 170 1.5.4 240, 467117, 468, 804–806 1.5.5 61714, 803 f., 80343, 806, 80646 1.5.8 796, 79634, 80343, 804 1.5.10 809 1.5.11 80545 1.5.12 655, 80040, 80546 1.5.13 801 1.5.15 800, 806 1.5.16 421, 805 1.5.17 390186, 801, 80141, 807

870

nachschlageteil

1.5.18 80141 1.5.18 § 3 801, 80545, 807 1.5.18 § 4 80748 1.5.18 § 5 801, 807 1.5.18 § 7 802 1.5.18 §§ 8, 9 801 1.5.18 § 10 806 1.5.19 80040, 801 1.5.21 743 1.5.22 802 1.6.1 170 1.6.3 803 f., 807 1.7 808 1.7.1 731 1.7.2 758127, 808 1.7.3 808 1.7.4 757123, 758127, 808 1.7.6 796, 804 1.9 753114 1.10.1 170 1.10.2 479, 480 1.11.8 474 1.11.9 809 1.11.10 80546, 808 1.14.1 126188, 169256 1.14.2 80, 161–168, 161237, 374173 1.14.3 161–168 1.14.4 76113 1.14.11 126188 1.14.12 36, 126188 1.16.1 6389, 373173 1.18.2 139203 1.19.1 143210 1.19.7 39, 161237, 161239 1.22.5 161237, 161239 1.22.6 3321 1.23.4 169, 169255 1.23.7 2913, 32, 33, 39 1.50 176272 1.50.2 5981 1.55.8 143211 2.11.15 361152 2.40.2 73389 3.1.8 171260 3.3.2 44

3.11.1 44 3.16.1 71049 3.28.13 755117 3.31.1 6082 3.36.26 26828 4.10.4 143210 4.20.11 169 4.59.2 3321 4.61.12 2915 5.1.3 245 5.4.19 310 5.5.3 171259 5.5.4 31084 5.5.6 30979 5.9.1 299–304, 317, 361152, 373, 382, 475

5.16.24 322 5.17.1 322 5.27.1 293 5.42.2 369 5.51.13 391, 392189 5.74.1 143210 6.1.3 171 6.22.5 64365 6.22.7 26828 6.24.1 323, 323103 6.24.8 587 6.30.18 161236 6.32.4 26828 6.33.3 66496 6.35.4 26828 6.56.4 299–304, 317, 361152, 392 f. 7.2.15 3323 7.3.1 755118 7.6.1 28656 7.13.1 143210 7.16.41 171260 7.22.3 171260 7.32.10 4342 7.33.7 424 7.39.2 35, 73388 7.62.6 44 7.65.4a 225 8.47.5 63241 8.50.20 241

stellenregister und ausgabenverzeichnis 9.1.17 4139 9.8.5 313 9.8.6 443 9.11.1 473129 9.22.3 235 9.28.1 170 9.43.1 6082 9.47.1 323, 323103 9.47.14 424 9.47.22 31492 10.32 171259 10.42.10 75 10.59 369 10.59.1 369 11.23.3 481139 11.48.10 176 11.50.2 582 f. 11.62.8 2914 12.1.2 346, 370 12.5.4 644, 645 12.22.2 169 12.40.10 32 12.59.3 169 Cic. Catil. Cicero, Orationes in Catilinam [ThLL: u. d. S.] Maslowski, XVII, BT 2003 4.22 347136 Claud. Claudianus [ThLL: u. d. S.] Hall, BT 1985 18.58 64468 18.263 64468 19.41–44 64468 20.88–93 64468 28.640–648 52657 CN Coleman-Norton [–] [Es gibt keine brauchbare Edition der vollständigen handschriftlich überlieferten Verlautbarungen der Kaiser und ihrer Würdenträger; das letzte solche (und ganz

871

unzureichende) Unternehmen war Haenel 1857. Um wenigstens griffige Siglen für diese Texte zu haben, benutze ich die Nummern der Übersetzungen von ColemanNorton als Etiketten; die jeweils von mir verwendete Ausgabe gebe ich im vorliegenden Stellenregister an. Nicht alle vollständigen Konstitutionen zitiere ich nach CNNummer: Sofern es ein etabliertes und bequemes System gibt, habe ich darauf zurückgegriffen. Das gilt natürlich für Sirm., aber auch für Avell. oder Epist. Arel. Für die CN-Texte, die von Schwartz (ACO), Weidmann (Collatio) oder Goldbacher (der Kaiserbrief unter den Augustinbriefen) herausgegeben wurden, stehen hervorragende, leicht zugängliche Editionen zur Verfügung. Nur ausnahmsweise ist das bei kanonischen Texten der Fall – um wenigstens anzudeuten, auf welch schmaler Textgrundlage man meist zu arbeiten gezwungen ist, gebe ich hier einen Überblick über den bekannten Bestand und die Editionen der weiteren von mir zitierten Texte: 350 f., 373 f. Maassen, S. 316, Nr. 318.9 f. bzw. S. 320, Nr. 318.37 f. Das erste Briefpaar ist in der Collectio Quesnelliana (Kéry, S. 27–29) und in der Collectio Colbertina (Kéry, S. 31 f.) überliefert, das zweite in diesen beiden Sammlungen sowie zusätzlich in der Collectio Vaticana (Kéry, S. 25 f.). Ediert ist davon nur die Collectio Quesnelliana (= CQ), und zwar im 18. Jahrhundert durch die Ballerini-Brüder, nachgedruckt in PL 56. 375 II/III Maassen, S. 320, Nr. 318.39 f. Findet sich ausschließlich in der Collectio Thessalonicensis (Kéry, S. 40 f.), hg. v. Silva-Tarouca, Epistularum Romanorum pontificum ad vicarios per Illyricum aliosque episcopos collectio Thessalonicensis, Rom 1937. 519 f. Maassen, S. 332 f., Nr. 324.1 f. Diese Texte bieten die Collectio Teatina (Kéry, S. 24) sowie die Collectio Diessensis (Kéry,

872

nachschlageteil

S. 3 f.). Die Ballerini-Brüder gaben (nur) diese beiden Texte nach der Teatina heraus (nachgedruckt in PL 56), die Version der Diessensis hat Amort (Elementa iuris canonici veteris et moderni, II, Augsburg 1757, S. 377–379) ediert, wobei allerdings bei ihm kaum eine Zeile von Fehlern verschont geblieben ist (oft grotesk entstellt, z. B. »Vale, Himmel, conparens Charissimi« statt »Vale, Himelco, parens carissime«).] 324

Coll. Carth. 1.4 = 3.29 32, 38,

5471, 6184, 127, 127189, 201, 208, 219, 219327, 220, 51841, 573119 325 Coll. Carth. 1.5 43, 5471, 5777, 6184 326 Coll. Carth. 1.10 43

328 Coll. Carth. edictum cognitoris (nach 2.73) 43, 44 350 PL 56, col. 490–492 (= CQ 14) 5471, 61, 6184, 80, 88, 201 f., 329, 351, 772 351 PL 56, col. 492 f. (= CQ 15) 44, 5471, 61, 6184 368 Aug. epist. 201 772 373 PL 56, col. 499 f. (= CQ 19) 5471, 6184 374 PL 56, col. 500 (= CQ 20) 43, 5471, 6184

375 II/III Silva-Tarouca, S. 43–45 111165

ACO 1.1.4, p. 61.24–65.32 51, 5160, 197, 200, 219, 219327, 220 422 ACO 1.1.3, p. 68.4–31 5471, 6184, 200, 219, 219327, 220 423 ACO 1.1.3, p. 69.2–70.6 44, 5471, 6184 425 ACO 1.1.3, p. 67.11–28 32, 32199 426 ACO 1.4, p. 203, p. 7–16 32, 32199 445 ACO 1.1.4, p. 66.3–35 32, 5471, 6184, 66088 446 ACO 1.1.4, p. 67.2–17 5471, 6184, 88 476 ACO 2.2.2, p. 21.31–22.27 48, 73 400

477 480

ACO 2.2.2, p. 23.2–24.8 71 ACO 2.3.2, p. 90.32–93.8 71,

132, 254, 336, 358149, 464114, 655, 66088, 791–796, 804 489 ACO 2.2.2, p. 24.20–27.14 59, 132, 254, 358149, 464114, 653, 655, 66088, 791–796, 804 519 PL 56, col. 896–898 5471, 6184 520 PL 56, col. 898 44, 5471, 6184

Coll. Carth. Collatio Carthaginensis anni 411 [ThLL: Conc. Carth. a. 411] Weidmann, CSEL 104 (2018), S. 33–258 [eine dritte Zahl gibt ggf. die Zeile in der Weidmann-Ausgabe an] 1.3.9 f. 32 1.4.52 f. 32 1.14.3 f. 4962 1.148 4962 1.201 4962 2.8–10 4962 2.10 4962 2.12.6 4962 2.53 270 f. 3.5.5 4962 3.20.3 208 3.30 4962 3.37 208 3.38 31, 208 3.39 208 3.49 208 3.65.1 208 3.89 158 3.102 4972 3.123 4962 3.174 51431, 52554, 52960 3.251.6 4962 Coll. Mos. Mosaicarum et Romanarum legum collatio [ThLL: u. d. S.] Mommsen, in: Krüger/Mommsen/Studemund, Collectio librorum iuris anteiustiniani, III, Berlin 1890, S. 136–198

stellenregister und ausgabenverzeichnis 1.11 321100 5.2.1 28452 5.2.2 28352 5.3 201, 219327, 220 6.4 135, 230 11.7.1 29467 15.3 4093, 423, 42444 16.9.2 475 Conc. Afr. Concilia Africae [ThLL: diverse, z. B. Conc. Carth. a. 419 oder Reg. eccl. Carth.] Munier, CCSL 159 (1974) p. 13.26–40 55391 p. 16.125–127 486145 p. 20.1–15 26724, 45195 p. 37.89–91 53571, 55391 p. 37.96–98 257, 53774 p. 42.187 f. 717 p. 61 f.71–90 55391 p. 202.686–690 51740 p. 208.880 f. 51431 p. 210 f.945–996 51431 p. 211.1007 52658 p. 212 f.1040–1062 526–529 p. 214.1101–1112 570 p. 214.1107–1109 543 p. 215.1149–1157 5775, 51740, 565 p. 216.1177–1190 572 p. 216.1182 f. 54582 p. 216.1184 f. 54582 p. 218 f.1254–1263 543 p. 220.1301–1308 573119 p. 231.1599–1606 472128 p. 231.1602–1604 378 p. 356.21–25 55391 Conc. Arel. a. 314 Concilium Arelatense a. 314 habitum [ThLL: u. d. S.] Munier, CCSL 148 (1963), S. 9–25 p. 10.26 4996 p. 10 f.26–31 498 p. 13.73–77 701

873

Conc. Ilib. Concilium Iliberitanum [ThLL: Conc. Ilib. a. 295/314] Rodríguez, CCH 4 (1984), S. 233–268 p. 242.150–154 72673 p. 243.162–165 72673 p. 257.360–363 701 Conc. Tolet. a. 633 Concilium Toletanum a. 633 habitum [ThLL: u. d. S.] Rodríguez, CCH 5 (1992), S. 161–274 p. 238.983–986 73182 p. 240.2–6 742103 Conc. Valent. a. 374 Concilium Valentinum a. 374 habitum [ThLL: u. d. S.] Munier, CCSL 148 (1963), S. 37–45 p. 39.36–42 71352 Const. apost. Constitutiones apostolicae [TLG: 2894.001, Webupdate] Metzger, SC 320 (1985), 329 (1986), 336 (1987) 3.17.1 63241 5.7.30 63241 6.15.1 63241 7.22.1 63241 7.44.1 63241 8.47.50 63241 Const. Tanta Constitutio »Tanta« de confirmatione digestorum [ThLL: Dig. de confirm. dig.] Mommsen/Krüger, Corpus iuris civilis, I, Berlin 141922, Digesta, S. 13–24 18 126188 Consult. Consultatio veteris cuiusdam iurisconsulti [ThLL: u. d. S.] Kübler, IAR II.2 61927, S. 490–514 9.1 3628

874 9.2 9.3 9.5 9.6 9.13

nachschlageteil 36 3628 36 36 219327

CTh. Codex Theodosianus [ThLL: Cod. Theod.] Mommsen, Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis, I.2, Berlin 1905 1.1 4140, 136197 1.1.1 46, 94, 169255, 247, 248374 1.1.2 85 1.1.3 442 1.1.4 158, 65275 1.1.5 58, 94, 105 f., 136197, 138–146, 149221, 155, 156, 160, 161235, 767 94, 138, 146–149, 150223, 155, 176273 1.2 3731, 4140 1.2.1 2913 1.2.2 38, 3932, 157, 157231 1.2.3 3731, 3932, 126188, 157, 157231, 169256 1.2.4 4342 1.2.5 157231 1.2.11 35, 36 1.3.1 5981 1.4.3 161, 161237 1.5.1 4753, 76112 1.5.3 327 1.5.6 177275 1.5.7 177275 1.5.12 177275 1.5.13 177275 1.8.1 71 1.8.2 67 1.8.3 67 1.12.6 7098 1.15.4 248374 1.15.12 70 1.16.6 79 1.16.7 357, 357148 1.16.8 219327

1.1.6

1.21.1 70 1.22.4 4242 1.27 177276, 180281, 187, 195, 196, 200, 208, 404197

1.27.1 195, 198, 404197 1.27.2 195, 196 1.29.2 210 1.32.3 367165 1.34.3 358149 2.1.8 581 2.1.10 349137 2.2.1 159 2.4.4 191 2.6.1 125186 2.8.1 4342 2.8.19 657 2.9.2 245 2.9.3 374173 2.10.4 346 2.10.5 248374 2.14.1 481139 2.19 735 2.19.1 371, 372 2.19.2 754116 2.19.3 373 2.19.5 734 f. 2.19.6 754 2.22.1 28656, 29469 2.26 177276 2.27.1 83121, 85, 85128, 87 2.31.1 76114 2.32.1 241362 3.1 187 3.1.2 219327, 233349 3.1.5 187, 248374 3.1.10 179279 3.5.1 83123, 26217 3.8 301 3.8.1 303, 361 3.8.2 303 3.10.1 37, 310, 31083 3.11.1 50312 3.12 186 3.12.1 186291, 309 3.12.3 83123, 308–311, 317, 750 f.

stellenregister und ausgabenverzeichnis 3.18.2 315–317 3.30.2 219327 3.30.4 237, 294 f. 4.1.1 161236 4.4.2 26828 4.4.3 80, 129, 26826, 26827, 27638 4.4.5 46 4.6 187, 192, 195 4.6.1 192, 292 4.6.2 187, 192, 292 4.6.3 28656, 28757, 290–296, 317, 358149, 371, 391 98, 186 f., 192, 194, 291 187, 192, 194, 343 102, 192, 194 102, 187, 192, 193296, 194, 468120 92, 102, 107162, 193, 193296, 194, 468120 4.8.5 340127 4.8.9 73388 4.9.1 4342 4.10.3 193296 4.11.2 237 4.12.1 190 4.12.3 28656 4.12.5 241362 4.14.1 2913, 83121, 95141, 73388 4.16.2 93137 4.17 51637 4.17.1 159 4.17.4 51637 4.20.3 4242 4.22.2 327 4.22.3 158232 5.1 180281 5.1.1 83121, 111 5.1.2 110, 173 5.1.4 239, 754 5.1.7 173, 752 5.1.8 161236 5.1.9 180281 5.3.1 84124 5.7.2 241, 327109 5.8.1 4342 5.10.1 4652

4.6.4 4.6.5 4.6.6 4.6.7 4.6.8

875

5.11.8 83122 5.12.1 179279 5.12.2 158232, 65275 5.13.1 65781 5.15.17 83121 5.15.19 2812 5.16.32 83123 5.16.35 179279 5.17.2 50312 5.18.1 73388 5.19 582 5.19.1 583 5.19.2 179279 6.2.15 345 6.2.26 345 6.3.2 194 6.3.3 194 6.3.4 194 6.4.7 4753, 49, 6591 6.4.17 43467 6.4.22 357, 357148 6.4.30 114, 209 6.4.32 468120 6.4.33 468120 6.5.1 172 6.5.2 172, 44380 6.8.1 80 6.10.2 5574 6.22.2 216323 6.23.1 70 6.23.3 103 6.23.4 4957, 53, 78, 103, 150223, 224 6.24.2 346 6.26.8 66698 6.26.12 66698 6.27.1 6590 6.27.21 346 6.28.1 581 6.28.4 190 6.28.8 71, 72, 72100 6.29.4 210314 6.30.7 65275 6.30.12 2810 6.30.15 2810 6.30.18 2810

876

nachschlageteil

6.30.19 65275 6.30.21 80 6.35.5 210314 6.37 370168 6.38 175270, 370168 6.38.1 175270 7.1.1 172 7.1.6 46 7.4.14 248374 7.4.18 70 7.4.22 158233 7.4.30 44380 7.7.1 64 7.7.4 235354 7.7.5 70 7.8.8 166 7.8.10 340127 7.9.3 70 7.13.1 6590 7.13.8 6287 7.13.9 227336, 237, 360, 391, 391187, 45298

7.13.16 6287 7.13.17 6287 7.16.1 151225 7.18.4 358149 7.18.8 84125, 329 7.18.9 79, 84125 7.19.1 84 7.20.1 4753 7.20.2 4242 7.20.3 210314 7.20.8 46 7.21.2 6590 7.22.10 236 7.22.12 83120 8.1.12 70 8.1.15 158232 8.2.5 158232 8.4.3 190 8.4.5 6590 8.4.6 5777, 681120 8.4.11 346 8.4.16 358149, 653, 65477 8.4.21 158232

8.4.23 653 8.4.26 4957, 5470 8.4.30 71, 83121 8.5.1 248374 8.5.2 190 8.5.14 2812 8.5.17 481139 8.5.35 327 8.5.55 120180 8.7.4 6590 8.7.5 6590 8.7.6 6590 8.7.11 72 8.7.19 653 8.7.21–23 67 8.8.2 93, 93137 8.8.9 5879 8.11.2 4652 8.12 26217 8.12.1 219327 8.12.5 26217 8.13.6 161236 8.15 188 8.15.1 4242 8.16.1 285 8.17.2 95, 671 8.17.3 95, 95141, 671 8.18.9 161236 8.18.10 161236 8.19.1 161236 9.1.13 64 9.1.19 474131 9.2.1 369 9.2.3 455102 9.2.6 213, 235353 9.3.6 246 9.3.7 43469 9.5.1 73, 75111, 190, 219327, 222 9.6 222 9.7.6 219327 9.9.1 83120, 83121, 25913, 369, 472128 9.10.1 362155, 50513 9.10.2 362155, 50513 9.10.4 356146, 358149, 361, 365162, 372 9.14.2 6287, 340127

stellenregister und ausgabenverzeichnis 83122, 239, 311–315, 318, 374173, 391, 391187, 392 9.16.5 77211 9.16.7 90, 103, 432 9.16.9 432, 43263 9.16.10 432 9.17.2 358149, 44279, 50211, 50312 9.17.5 219327 9.19.3 120180, 71049 9.21.10 2913, 2914 9.24.1 28656 9.25.3 55391 9.26.1 329, 43162 9.26.2 73283 9.27.1 368 9.27.6 46, 6287 9.28.1 170 9.28.2 170 9.31.1 84127 9.32.1 327 9.34 223 9.34.7 46 9.36.1 191, 358, 373 9.36.2 191, 358, 359, 372 9.38 209, 333 9.38.1 333 f. 9.38.3 44380 9.38.7 709 9.38.10 328111, 334 9.39.2 373 9.40.7 2812 9.40.15 358149, 363157 9.40.17 209, 31492, 328112, 66192 9.40.18 31492 9.40.19 339127 9.40.20 339127 9.42.1 322 9.42.2 194, 340, 340129 9.42.4 194, 340129 9.42.6 340129, 44380 9.42.8 340129 9.42.9 340129, 476, 760128 9.42.12 67, 648 9.42.13 67, 648 9.42.14 4957, 209

9.14.3

9.42.17 340, 65275, 668103 9.42.18 327 9.42.19 339127 9.42.21 209 9.45.4 197, 219327 10.1.16 64262 10.5.1 43467 10.6.1 4956, 656 10.7.1 190 10.8.4 668103 10.10 289 10.10.1 137201, 669104 10.10.2 669104 10.10.3 64262, 669104 10.10.12 6288, 73102 10.10.13 6388, 73102, 289 10.10.15 668103 10.10.19 4753, 6591, 210 10.10.20 2913, 2914 10.10.21 668103 10.10.23 340, 65275, 668103 10.10.24 149222, 668 f., 669104 10.10.27 2914, 2915 10.10.30 158233 10.10.31 76114 10.10.32 669105 10.10.34 669105 10.17.1 219327 10.18.2 46, 402 10.19 72 10.19.5 105 10.19.6 91, 104159 10.19.7 94, 94138, 103–105, 114 10.19.9 64, 104159 10.20.1 190 10.20.10 83121 10.20.17 83120, 83123 10.24.2 329 11.1.1 224 11.1.6 114 11.1.9 120180 11.1.18 46 11.1.23 648 11.1.34 84125 11.6.1 70

877

878

nachschlageteil

11.7.16 330 11.7.21 158232 11.12.4 5777 11.13.1 5776 11.28.9 71 f., 73, 166 11.28.14 203 11.29 120180 11.29.4 120180 11.30 3731, 120180 11.30.3 159 11.30.6 3731 11.30.17 3731 11.30.29 71049 11.30.34 358149 11.30.40 51637 11.30.44 120181 11.31.2 125186 11.33.1 66698 11.36.20 159, 225 11.36.24 64262 11.39 143, 216, 738 11.39.5 4242 11.39.8 4242, 741101 11.39.11 348, 737 f., 742 12.1 171259 12.1.5 190 12.1.6 83122, 171259, 340129 12.1.14 6590 12.1.18 6590 12.1.22 79029 12.1.24 216323 12.1.33 2812 12.1.42 346 12.1.46 566 12.1.49 45195 12.1.51 246, 166 12.1.56 73388 12.1.75 566 12.1.76 358149 12.1.85 2812, 358149, 391, 392189 12.1.88 345 12.1.92 241362, 372 12.1.108 227336 12.1.114 65781 12.1.121 114169

12.1.131 648 12.1.137 2914 12.1.143 217324 12.1.144 217324 12.1.157 217324 12.1.158 92, 102, 217324 12.1.160 103156 12.1.176 566106 12.1.177 83122, 109, 166, 346 12.1.181 158232, 176 12.1.187 71, 83121 12.1.188 71, 83121 12.1.189–191 166 12.3.2 83123, 158232 12.13.6 210 12.14.1 65781 13.2.1 579 13.3 166 13.3.4 219327 13.3.13 4240 13.4 166 13.5 166 13.5.18 753114 13.5.27 73101 13.5.38 5879 13.6 166 13.7.2 128 13.9.3 569108 13.10.1 137201 13.10.2 137201, 190 13.11.2 175 f., 177274, 187 13.11.3 176, 177274 13.11.6 456 13.11.10 2913 14.1.4 210314 14.1.5 565105, 577125 14.3.11 76112, 159 14.4.8 2914 14.7.1 172 14.9.3 352, 375 14.10.2 67, 330, 331116 14.10.3 68 14.11.1 330 14.14.1 331, 331116 14.15.3 73101

stellenregister und ausgabenverzeichnis 14.15.5 577125 14.15.6 481139, 577125 14.24.2 176, 177274 15.1.14 83120, 44685 15.1.32 44685 15.1.49 235354 15.1.53 375 15.3.5 2914 15.5.4 120180 15.6.1 194 15.6.2 194 15.12.3 331 15.13.1 65781 15.14.5 46 15.14.11 363, 363156, 370168 15.14.12 363, 363156, 370168, 393 15.14.13 145 16.1 208 16.1.2 46, 2557, 376, 376175, 397–402, 43466, 437

16.1.3 376 16.1.4 198301, 213, 216323 16.2 208, 400194 16.2.3 80 f., 83 16.2.4 198, 587 16.2.6 400 16.2.7 69 16.2.12 197, 198 16.2.19 73388 16.2.20 90, 252378, 296–299, 306, 30778, 317, 53976

16.2.23 187, 197, 197300 16.2.25 400194, 44381 16.2.27 194297, 26828, 304–307, 317, 342, 53976 80, 194297, 306 f., 53976 129 64771 4951 338126, 348 84127 5675, 51740, 566 187, 197, 241363, 373, 78928 55391 6592, 6693

16.2.28 16.2.30 16.2.31 16.2.34 16.2.35 16.2.37 16.2.38 16.2.41 16.2.44 16.2.46

879

16.2.47 6592, 66, 221330 16.3.1 192295 16.3.2 192295 16.4.1 198301, 216323 16.5 221, 332, 6862, 771, 772, 798, 806, 814 399, 511, 587, 587131 433, 7694 352, 379–381, 430–433, 449, 454 16.5.4 470125, 508, 50821 16.5.5 170, 357, 358148, 506, 51330, 69310, 768 16.5.6 3934, 4241, 2557, 376, 387, 437, 508, 613, 61612, 634, 63446, 635, 65276, 782 16.5.7 83, 83122, 92, 244368, 246370, 2543, 256, 26015, 26116, 288, 29571, 310, 341, 381, 386–391, 433–436, 437–448, 449, 451, 453, 454, 457 f., 464, 533, 534, 539, 678, 721–723, 730, 761, 788, 80545 16.5.8 63446, 635, 77210 16.5.9 83, 246370, 2543, 288, 32097, 341, 351, 361, 387, 44788, 44890, 449–462, 494, 788 16.5.11 347, 403, 403195, 41110, 44788, 453, 454, 461, 473129, 6139, 63446, 635, 770, 77210 16.5.12 335, 346, 347, 403, 403195, 503, 564, 63446, 635, 674, 675114, 770 16.5.13 347, 44787, 63446, 635, 66698, 770 16.5.14 347, 458107, 503, 508, 64973, 675114, 798 16.5.15 455 f. 16.5.16 23 16.5.17 49, 234, 26115, 26116, 30676, 341, 342, 348, 44279, 532, 534, 6139, 636–645, 647, 65477, 721, 798 16.5.18 26115, 348 f., 387, 44787, 451, 463–466, 474, 645, 787 16.5.19 446, 44787, 508, 66698 16.5.20 337, 508, 514

16.5.1 16.5.2 16.5.3

880

nachschlageteil

16.5.21 90, 481140, 482, 500 f., 53268, 66293, 768, 776; siehe ferner im Schlagwortregister den Eintrag »Zehnpfundgoldgesetz« 16.5.22 675114 16.5.23 26115, 29571, 349, 533, 636, 644, 646–651, 65275

16.5.24 170, 2557, 675114 16.5.25 3934, 217, 218, 255 f., 533, 534, 636, 650, 651–656, 657, 676, 680 65783, 66698 534, 636, 656–659 170, 65783 653 f., 65783 346135, 563, 563103, 66698 216, 328112, 348, 61410, 65886, 659, 65987 16.5.32 216, 347, 61410, 65886, 659, 65987, 673 16.5.34 84127, 32097, 333, 336123, 348, 470, 470125, 659, 662, 667, 672109, 674 16.5.35 466, 578, 788, 806 16.5.36 26115, 287, 29571, 32097, 333, 534, 636, 659–664, 666, 674, 675, 678, 684 16.5.38 46, 208, 467, 544–547, 558 16.5.39 4951, 551, 567 f. 16.5.40 100, 100152, 236356, 240, 241362, 244367, 2543, 257, 26115, 288, 341, 342 f., 349, 44381, 451, 467117, 468, 469123, 470125, 471–484, 493, 494, 494152, 534, 546, 561, 577, 584, 66293, 670, 678116, 723, 746110, 762, 775, 788, 789, 798 f., 804 f., 80545, 806 16.5.41 5675, 41110, 479, 551, 565, 566, 69921, 746110 16.5.42 100152, 655, 65579 16.5.43 5160, 5675, 470, 55492, 568, 7719 16.5.44 572116, 573 16.5.45 571, 571114, 678116, 768 16.5.46 333 16.5.48 100 f., 100152, 349, 471126, 655, 670, 682 16.5.49 244367, 2569, 26116, 28860, 289, 341, 636, 664–672, 761

16.5.26 16.5.27 16.5.28 16.5.29 16.5.30 16.5.31

16.5.50 290, 636, 664–672, 761 16.5.51 216, 572116, 573119 16.5.52 2812, 2915, 329113, 330, 338, 339, 574–576, 582, 583, 583129, 597, 768 16.5.53 329, 772, 77210 16.5.54 15, 244368, 330, 343, 350, 382, 384–386, 388, 389, 390, 391, 486146, 4951, 546, 561, 574–583, 588132, 596, 597, 804 16.5.56 145, 216 16.5.57 333, 446, 471126, 483, 66293, 672, 672109, 672110, 675, 678, 678116, 679, 7683 16.5.58 81, 158233, 159, 218, 218325, 232347, 26623, 28860, 328111, 329, 333, 341, 482141, 561, 636, 655, 668, 671107, 673–682, 762, 779, 781 16.5.59 158233, 159, 41110, 468121, 471126, 484, 61612, 63446, 681118, 770 16.5.60 144212, 484, 63446, 681119, 770 16.5.61 655, 681, 681120 16.5.62 66, 336123, 44582 16.5.63 6592, 6693, 798 16.5.64 66, 221 f., 336123, 44582 16.5.65 202, 254, 2568, 406, 419, 44788, 453, 468121, 471126, 480, 481, 481140, 483, 485, 584, 61612, 61713, 61714, 63446, 655, 66293, 682, 765–784, 793, 796, 799, 803 f., 806, 80646, 807 16.5.66 219327, 377, 66088 16.6 332, 50618, 6862, 73792 16.6.1 170, 432, 506, 507, 51330 16.6.2 170, 170258, 498, 506 f., 50719, 508, 509, 50924, 51330, 55089, 563 f. 16.6.3 46, 208, 545 f. 16.6.4 3941, 4753, 4957, 5058, 52, 124184, 217, 224, 26116, 384, 386181, 391, 477, 480, 480138, 482, 486146, 4951, 534, 547–571, 581, 588, 606 f., 66293, 761132, 762, 781, 804 16.6.5 217, 470, 495, 54786, 548, 551, 554 f., 558 16.6.6 83122, 333, 671, 675, 680117, 77210

stellenregister und ausgabenverzeichnis 16.6.7 62934, 671, 671107, 675 16.7 143, 214, 216, 6851, 686, 6862, 687–689, 692, 699, 713, 714, 719, 73080 16.7.1 15, 244–248, 26116, 310, 387, 436, 492151, 714, 720–723 16.7.2 26015, 28859, 29571, 30879, 311, 695, 69718, 724–727, 729, 72978, 73792, 739, 749, 750 f., 762, 763 16.7.3 92, 173, 2543, 341, 42958, 435 f., 459 f., 6887, 692, 717, 721, 727–735, 739, 751, 758, 759, 761, 808 16.7.4 214, 246372, 333, 348, 349, 715, 735–749, 751, 762, 763, 808 16.7.5 214, 246372, 26115, 350, 359 f., 365162, 379, 391, 735–749, 751, 759 16.7.6 256, 28859, 311, 341, 691, 739, 749–751, 763, 77820 16.7.7 26116, 28859, 290, 341, 479, 561, 688, 689, 691, 692, 699, 714, 726, 739, 751–762, 763 f., 77820, 808 16.8 143, 4109, 6862, 753114, 7719 16.8.3 159 16.8.5 215320, 224334 16.8.7 731 16.8.13 102 16.8.14 192205, 400 16.8.16 753114 16.8.17 192295 16.8.20 158233, 237 16.8.22 480138 16.8.24 378, 65579 16.8.25 83120, 7683 16.8.26 484, 681118 16.8.27 144212, 484, 681119 16.8.28 237, 239, 730, 751–756, 762, 801 16.9 187, 479, 6862 16.9.1 170, 197, 224334 16.9.2 170, 197, 480138 16.9.3 479 16.9.4 170, 222 16.9.5 222, 484, 681118 16.10 143, 144212, 214, 4119, 6862 16.10.2 2557

881

16.10.4–6 90 16.10.5 190 16.10.6 90132 16.10.8 246371 16.10.9 748 16.10.10 747–749 16.10.11 748–749 16.10.12 474, 563, 564, 715, 748, 759 16.10.13 65783 16.10.17 214, 214316 16.10.18 214, 214316 16.10.19 5160, 5675, 568 16.10.21 65579 16.10.22 484, 681118 16.10.23 144212, 484, 681119, 759, 760129

16.10.24 143, 144212, 471, 484, 681119 16.10.25 759 f. 16.11 208 16.11.1 187, 197, 208, 214315, 51738 16.11.2 4753, 208, 54482, 54583 16.11.3 126, 127, 127189, 130, 132, 150222, 208, 219327

Cypr. epist. Cyprianus, Epistulae [ThLL: u. d. S.] Diercks, CCSL 3C (1996) 70.1.3 498 71.1.3 498 74.1.2 498 74.21.1 498 Cyrill. Hierosol. catech. Cyrillus Hierosolymitanus, Catecheses [TLG: 2110.004] Reischl/Rupp, Cyrilli Hierosolymarum archiepiscopi opera quae supersunt omnia, München, I, 1848, S. 28–320; II, 1860, S. 2–342 6.32 415 6.33 41624, 41725

882

nachschlageteil

D. Digesta [ThLL: Dig. mit vorangesetztem Autorenkürzel; ich verwende die Autorensiglen des ThLL, außer Gai. statt Gaius und Arcad. statt Char.] Mommsen/Krüger, Corpus iuris civilis, I, Berlin 141922 1.1.7 pr. 54988 1.3.10–13 126188 1.3.32 pr. 126188 1.4.1 3323 1.4.1 pr. 36 1.4.1.1 4037 1.4.4 144213 1.12.1 pr. 6082 3.1.1.5 f. 354 3.2.1 354, 361152 3.3.39.7 317 4.5.5 pr., § 1 29367 5.2.2 2556 5.2.6.2 761130 5.2.8.17 735 5.2.15.2 734 5.2.17 pr. 761130 5.2.24 734 9.2.2 pr. 440 11.4.1.2 6082 22.5.1.1 741100 22.5.3.5 741100 22.5.14 74097 22.5.15 pr. 742 22.5.18 74199 22.5.21 pr. 283 23.2.16 pr. 63 23.3.73.1 326106 26.6.2.2 317 26.7.7 pr. 317 26.10.3.18 317 27.1.6.2 109164 27.1.6.8 124185 28.1.6 pr. 72066 28.1.6.1 72268 28.1.8.1 323102, 325 28.1.8.2 323102 28.1.8.4 28143, 760128

28.1.16 pr. 66190 28.1.18 pr. 72268, 74098 28.1.18.1 28249, 283, 28351 28.1.19 72066 28.1.20 pr. 27638 28.1.20.3 74097 28.1.20.5 742 28.1.20.6 74199 28.1.21.2 74097 28.1.26 28249 28.3.2 758125 28.3.6.11 478 28.4.4 758125 28.6.41.5 27433 28.7.27 pr. 73387 29.4.1.3 758125 29.7.6.3 344132 31.76 pr. 755117 31.81 758125 34.9.13 f. 28453 37.14.1 326108 38.2.14.3 326108 38.17.1.8 28144, 293 40.5.2 3323, 4140 44.2.29 pr. 755117 47.10.5 28250 47.10.5 pr. 28250 47.10.5.6 28250 47.10.5.7 28250 47.10.5.9 282, 28250 47.10.5.10 282 47.10.43 326105 47.12.1 356 47.12.3.5 3322 48.1.1 356146, 368 48.1.2 325, 325105, 326108 48.1.7 356146, 368 48.2 456 48.2.4 359 48.2.8 359 48.2.10 45499 48.2.13 371170 48.3.6.1 5879, 60 48.3.11.1 5879 48.4.7 pr. 371170

stellenregister und ausgabenverzeichnis 48.7.1 pr. 355 48.7.8 356146 48.8.1.5 326107 48.10.33 235 48.13.3 322 48.14.1.1 374173 48.14.1.4 373173 48.18.5 309 48.18.9.2 323 48.19.2.1 28144, 322, 323 48.19.4 32199, 326107, 327110 48.19.6.2 326108 48.19.13 73284 48.19.17.1 29467 48.19.28 pr. 4106 48.19.28.6 29367 48.19.28.13 323, 327110 48.19.28.16 372171 48.19.38.3 325105 48.19.38.10 325105 48.20.7.5 288, 321, 322 48.22.1 340 48.22.2 323 48.22.4 326107 48.22.5 321100, 326107 48.22.6 pr. 28144 48.22.6.1 330114 48.22.7 pr. 321100 48.22.7.3 322 48.22.7.4 322 48.22.7.5 32199 48.22.7.10–19 336 48.22.11 338 48.22.14.1 321 48.22.17.2 321 49.1.25 3424 49.4.1 pr. 330114 49.14.49 269, 28453 49.16.3 pr. 5879 49.16.4.3 392 49.16.4.4 392 50.2.12 355142 50.6.6.1 6082 50.16.10 356147 50.16.12 356147

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50.16.84 751 50.16.131.1 43162 Decr. Grat. Decretum Gratiani [hochmittelalterlich] Richter/Friedberg, Corpus Iuris Canonici, Pars prior, Decretum magistri Gratiani, Leipzig 1879 C. 6, q. 1, c. 22 31388 C. 23, q. 6, c. 1–3 594136 Decr. Vergentis Decretalis Vergentis [hochmittelalterlich] Hageneder/Maleczek/Strnad, Die Register Innocenz’ III., 2. Pontifikatsjahr, 1199/ 1200, Texte, Rom 1979 p. 4.28–31 810 DF Denis Feissel [–] [Kaiserliche und andere Verlautbarungen aus der Spätantike, die epigrafisch überliefert sind, zitiere ich nach der Feissel-Nummer, Liste bei Feissel, S. 62–70, wo sich auch jeweils exakte Angaben zu Editionen und Neueditionen finden. Zu Feissels Liste ergänze das zwischenzeitlich aufgefundene »pragmaticum« AE 2014, 149; DF 59bis wurde mittlerweile publiziert: Feissel/ Wörrle, S. 276; von DF 60 ist immerhin eine Passage in einer vorläufigen Version veröffentlicht worden: Feissel, in: Moser, Emperor and senators in the reign of Constantius II, S. 190] 2 43 5 43 12 201, 219, 219327, 220, 220329, 358149 14 5572 18 132 19 132 46 32, 189 49 44 56 2810 59bis 43 60 64, 207

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62 43, 5472 96 64, 207 99 64, 207 104 43 106 202 Edict. de accus. Edictum de accusationibus [–] Vgl. Corcoran 2007, S. 249 f. [allerdings weicht mein Text in den zitierten Passagen deutlich ab] Edictum de accusationibus 73–75, 186, 190, 201, 207, 219, 220, 222 f.

Epiphan. Panar. Epiphanius, Panarion [TLG: 2021–002] Holl, GCS 25 (1915) = GCS NF 10:1 (2013), GCS 2[31] (1980), 2[37] (1985), GCS NF 10:2 (2013), 13 (2006) 26.4.5–8 41828 48 468121 49 468121 58 63957 66.13.7 423 76 63240, 63342 80.11.5 f. 468121 Epist. Arel. Epistulae collectionis Arelatensis [ThLL: u. d. S.] Gundlach, Epistolae Merowingici et Karolini aevi, MGH Epp. 3 (1892), S. 1–83 8 202 Epist. pontif. Epistulae pontificum [ThLL: u. d. S.] 255: Zechiel-Eckes, Die erste Dekretale, Hannover 2013 303: Ballerini, in: PL 56 (1846), col. 505– 513 255.51–58 714 f. 255.196 f. 71965 303 Migne 56.511A 718 f.

Epistula de eis qui ad ecclesiam accedunt Epistula de eis qui ad ecclesiam accedunt [TLG: 2762.014] Pitra, Iuris ecclesiastici Graecorum historia et monumenta, II, Rom 1868, S. 187 f. Epistula de eis qui ad ecclesiam accedunt 63343, 69718 Epit. Gai Epitome Gai [ThLL: u. d. S.] Huschke/Seckel/Kübler, IAR II.2 61927, S. 398–431 1.1.4 286 f. 1.2 pr. 755118 1.6.1 287 2.2.3 28145 2.8.3 72672 Euagr. Euagrios, Historia ecclesiastica [TLG: 2733–001] Bidez/Parmentier, The ecclesiastical history of Evagrius with the scholia, London 1898 1.7 32199 Eunap. Eunapius – hist. Historiae fragmenta [TLG: 2050–002] Blockley, The fragmentary classicising historians of the Later Roman Empire, II, Liverpool 1983, S. 2–127 29.2 5674 62.1 65782 – vit. soph. Vitae sophistarum [TLG: 2050–001] Goulet, CUF 2014 7.65 f. [= 7.5.5 Giangrande] 55 f.

stellenregister und ausgabenverzeichnis Euseb. Eusebius – hist. eccl. Historia ecclesiastica [TLG: 2018.002] Schwartz, GCS 9:1–3 = GCS NF 6:1–3 (1903–1909) 5.1.14 41829 5.19.2 469124 9.10.12 25812, 337 10.5.4 42955 10.5.14 5880 – martyr. Palaest. De martyribus Palaestinae (recensio brevior) [TLG: 2018.003] Schwartz, GCS 9:2 = GCS NF 6:2 (1908), S. 907–950 2.4 335121 – vita Const. Vita Constantini [TLG: 2018.020] Winkelmann, GCS [7] (1989) 3.63–66 42854 3.64 f. 433 Eutych. ann. Eutychius, Annales [arabisch] Breydy, CSCO 471 (1985) p. 83.2 42137 Filastr. Filastrius, Diversarum haereseon liber [ThLL: u. d. S.] Heylen, CCSL 9 (1957), S. 217–324 61.3 772 f. Frg. Vat. Fragmenta Vaticana [ThLL: u. d. S.] Kübler, IAR II.2 61927, S. 207–324 35 201, 219 f., 219327, 233349 37 201, 219 f., 219327 249 5880, 200, 219 f., 219327, 220328 273 561102

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Fronto Fronto [ThLL: u. d. S.] van den Hout, BT 1988 p. 159.1–7 231 f. Gai. Gaius, institutiones [ThLL: Gaius inst.] David, Gai institutiones, Leiden 21964 1.3 4038 1.5 4037 1.23 f. 28554 1.24 f. 269 1.25 28042 1.26 f. 336122 1.90 323 1.128 323 1.161 293, 323 2.104 f. 26826 2.110 280, 28554 2.119 26826 2.154 356, 373 2.218 28042 2.275 28554 2.285 63, 269 Gest. in sen. Gesta in senatu Romano [ThLL: Cod. Theod. gest. in sen.] Mommsen, Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis, I.2, Berlin 1905, S. 1–4 5 235, 120 7 138 Greg. Naz. Gregorius Nazianzenus – or. 4 Oratio 4: Contra Iulianum imperatorem 1 [TLG: 2022.018] Bernardi, SC 309 (1983), S. 86–292 4.23 69413 4.52 69413 4.96 396

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– or. 43 Oratio 43: Funebris oratio in laudem Basilii Magni [TLG: 2022.006] Bernardi, SC 384 (1992), S. 116–306 43.47 638 43.48 70431 – test. Testamentum [TLG: 2022.058] Beaucamp, S. 31–40 10–12 275 19–23 275 23–25 275 36–43 275 44–62 275 63 f. 275 63–72 275 73–77 275 Greg. Nyss. Gregorius Nyssenus – epist. canon. Epistula canonica ad Letoium [TLG: 2017.076] Mühlenberg, GNO 3:5 (2008) p. 4.7–16 715–717 p. 4.17 69820 p. 4.21 69820 – c. Eunom. Contra Eunomium [TLG: 2017.030] Jaeger, GNO 1–2 (1960) 3.9.61 63342 – ref. conf. Eunom. Refutatio confessionis Eunomii [TLG: 2017.031] Jaeger, GNO 2 (1960), S. 312–410 163 6875

Hier. Hieronymus – epist. Epistulae [ThLL: u. d. S.] Hilberg/Kamptner, CSEL 254 (1996), 255 (1996), 256:1 (1996); Kamptner 256:2 (1996) 22.13 41930 22.30 6928 52.6 298 f. 125.16 449 – hom. Orig. in Ezech. Homiliae Origenis in Ezechielem [ThLL: u. d. S.] Baehrens, GCS 33 (1925), S. 318–454 10.1, p. 416.26 380176 10.1, p. 417.2–4 380176 – in Is. In Isaiam commentarii [ThLL: u. d. S.] Adriaen, CCSL 73, 73A (1963), S. 1–799 17.63.17 71151 – c. Vigil. Contra Vigilantium [ThLL: u. d. S.] Feiertag, CCSL 79C (2005) 8 61410 – vir. ill. De viris illustribus [ThLL: u. d. S.] Ceresa-Gastaldo, Gerolamo, Gli uomini illustri, 1988 120 62020 Hist. Aug. Hadr. Historia Augusta, Hadrianus [ThLL: u. d. S.] Hohl, I, BT 1965, S. 3–28 18.6 402 Hom. Manich. Homiliae Manichaeae [koptisch] Pedersen, Manichaean Homilies, Turnhout 2006 p. 30.24 f. 41420

stellenregister und ausgabenverzeichnis I. Institutiones Iustiniani [ThLL: Inst. Iust.] Mommsen/Krüger, Corpus iuris civilis, I, Berlin 141922 1.5.3 28655 1.7 755118 1.16.2 293 2.1.39 402 2.10.6 740 2.18.1 371169 3.9.3 475, 475134 3.11 3323, 4140 4.4.10 50413 4.18.8 50413 Inscr. Inscriptiones – AE Année épigraphique [ThLL: Inscr. Année Épigr.] Année épigraphique, 1888– 1929, 61 79 1994, 1645b 79 2013, 2182 44 2014, 149 32 – CIL Corpus Inscriptionum Latinarum [ThLL: CIL] Corpus Inscriptionum Latinarum, 1863– III 12043 74105 III 13569 74 IV 1826 63853 V 2781 74105 – ILS Inscriptiones Latinae Selectae [ThLL: Inscr. Dessau] Dessau, Inscriptiones Latinae Selectae, Berlin 1892–1916 6085 355 8375 275 9059 44

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Interpr. Interpretatio – CTh. ad Codicem Theodosianum [ThLL: Interpr. Cod. Theod.] Mommsen, Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis, I.2, Berlin 1905 1.4.3 136197, 174 2.8.19 657 4.4.1 174 5.1.7 173 16.7.3 173 – Nov. ad Novellam [ThLL: Interpr. Novell.] Meyer, Leges novellae ad Theodosianum pertinentes, Berlin 1905 Marc. 4 372 Theod. 11 174, 316 Theod. 22.1 193296 Ioh. Antioch. Iohannes Antiochenus [TLG: 4394.001, Webupdate] Mariev, CFHB 47 (2008) 210 616 213 65782 215.1 65782 Ps. Ioh. Bethaphth. Pseudo-Iohannes Bethaphthoniensis [syrisch] Kugener, PO 2:3 (1907), S. 207–264 p. 234.8–14 628 Ioh. Chrys. incompr. Iohannes Chrysostomus, De incomprehensibili dei natura [TLG: 2062.012] Malingrey, SC 28bis (1970) 1.334–340 62225

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Ioh. Schol. synag. Iohannes Scholasticus, Synagoga L titulorum [TLG: 2879.001, Webupdate] Beneševic, Ioannis Scholastici synagoga L titulorum, Tomus I, München 1937 p. 116.7–10 63447 Isid. Hisp. vir. ill. Isidorus Hispalensis, De viris illustribus [ThLL: Isid. vir. ill.] Codoñer Merino, El »De Viris Illustribus« de Isidoro de Sevilla, Salamanca 1964 2.2–6 427 2.6 f. 42752 Isid. Pelus. Isidorus Pelusiota [TLG: 2741.003] Poussines, in: PG 78 (1860) 3.334 62428 Iulian. epist. Iulianus, Epistulae [TLG: 2003.013] Bidez, CUF 1924 75b 219327 79 704 110 f. 48 114 48, 198 115 48 136b 219327 Lact. mort. pers. Lactantius, De mortibus persecutorum [ThLL: u. d. S.] Creed, Lactantius, De mortibus persecutorum, Oxford 1984 11.8 424 13.1 25812 15.3 424 21.7–11 424 48.2 42955 48.12 5880

Leo M. Leo Magnus – epist. Epistulae [ThLL: u. d. S.] 7: Ballerini, in: PL 54 (1846), col. 620–622 15: Vollmann, S. 122–138 7 421, 43161, 486 f., 490 f., 785, 787 15.16 41624, 784, 787 – serm. Sermones [ThLL: u. d. S.] Chavasse, CCSL 138/138A (1973) 9.4 421 16.4 41726, 425, 787 16.5 421, 785 76.7 41624 Lex Burg. Rom. Lex Romana Burgundionum [ThLL: u. d. S.] de Salis, MGH LL nat. Germ. 2.1 (1892), S. 124–163 10.3 756120 14.6 582 18.5 364159 Lex XII tab. Lex XII tabularum [ThLL: u. d. S.] Bruns/Gradenwitz, Fontes iuris Romani antiqui, I, Tübingen 71909, S. 17–39 2.3 28248 8.22 281 Lib. geneal. Liber genealogus [ThLL: u. d. S.] Mommsen, MGH Auct. ant. IX (1892), S. 160–196 p. 192.546 4962 p. 196.627 570

stellenregister und ausgabenverzeichnis Lib. pontif. Liber pontificalis [ThLL: u. d. S.] Mommsen, MGH Gest. pontif. I (1898), S. 1–138 p. 86.1–3 465 p. 87.6–11 420 Liban. Libanius – epist. Epistulae [TLG: 2200.001] Förster, X–XI, BT 1921–1922 21 366 f., 367164 193 367 220.3 70431 384.1 70431 617.3 70431 804.5 70331 959 99151, 344131 1273 99150 – or. Orationes [TLG: 2200.004] Förster, I–IV, BT 1903–1908 1.145 97–99 1.190–194 367 1.192 368166 1.193 368 1.195 343 1.196 343131 1.261 367 1.275 277 1.275–278 277 14.15 55695 14.41 90 17.37 3730 30.7 90 32.7 343131 48 23 f., 119 f. 50.12 30981 63 277

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Lucian. Nigr. Lucianus, Nigrinus [TLG: 0062.007] Macleod, I, OCT 1972, S. 31–45 30 272 Malalas Iohannes Malalas, Chronographia [TLG: 2871.001] Thurn, CFHB 35 (2000) 18.35 80141 Marcell. chron. Marcellinus comes, Chronica [ThLL: u. d. S.] Mommsen, MGH Auct. ant. XI (1894), S. 60–108 p. 77.429.1 7705, 783 Michael Syr. chron. Michael Syrus, Chronica [syrisch] Chabot, Chronique de Michel le Syrien, IV, Paris 1910 p. 323, col. sinist. infr., l. 7 ab imo – p. 324, col. dext., l. 24 a summo 469122

Min. Fel. Minucius Felix, Octavius [ThLL: u. d. S.] Kytzler, BT 1982 9.6 f. 41829 Not. dign. Notitia dignitatum [ThLL: u. d. S.] Seeck, Notitia dignitatum, Berlin 1876 oc. 2 5573 oc. 10.3 f. 116175 oc. 10.6 116175 or. 2 5573 or. 3.8 73100 or. 12.3 f. 116175 or. 12.6 116175 or. 19.6 f. 2810

890

nachschlageteil

Nov. Leges novellae [ThLL: Novell.] Iust.: Schöll/Kroll, Corpus Iuris Civilis, III, Novellae, Berlin 41912 andere Kaiser: Meyer, Leges novellae ad Theodosianum pertinentes, Berlin 1905 [die Kaiserkürzel sind die des ThLL, mit Ausnahme von »Val.« statt des langen »Valent.«] Anth. 1 § 5 87 f. Anth. 2 pr. 114 Anth. 3 § 3 59 Iust. 13 4547 Iust. 14 4547 Iust. 17 5981 Iust. 22.13 322 Iust. 37 §§ 5, 8 584, 805 Iust. 45.1 743 Iust. 66 82119 Iust. 69 4547 Iust. 115.3.14 80242 Iust. 118.6 80242 Iust. 122 4547 Iust. 129 390186, 80039, 807 Iust. 132 4547 Iust. 141 4547 Iust. 144 807 Iust. 167 44, 4548 Maior. 1 64, 111165, 207 Maior. 2 § 6 5470 Maior. 6 26419, 340129, 374 f., 454100 Maior. 7 60, 577125 Maior. 9 81, 327, 348 Marc. 1 47, 207 Marc. 2 32, 5470, 71, 206311 Marc. 3 206310, 206311 Marc. 4 59, 126188, 229, 251378, 29164, 371

Marc. 5 121, 251378, 273 f., 299, 30778 Sev. 1 375 Sev. 2 83122 Theod. 1 94, 115, 138, 149–152 Theod. 1 § 1 258 Theod. 1 § 3 149 f., 150223, 151224 Theod. 1 § 5 106, 115, 152

Theod. 1 § 6 115, 151 f. Theod. 1 § 7 146215 Theod. 2 94, 111, 138 Theod. 2 pr. 106, 111165, 151224, 156 Theod. 2 § 2 84124 Theod. 2 § 3 80, 103155, 156 Theod. 3 122, 150223, 617, 682, 7716, 77313

Theod. 3 § 1 123, 2557 Theod. 3 §§ 1, 2 753114 Theod. 3 §§ 2, 6 77313 Theod. 3 §§ 3, 5 78022 Theod. 3 § 4 73286, 78022 Theod. 3 § 8 123, 760, 760128 Theod. 3 § 9 617, 61713, 7716 Theod. 3 § 10 5468, 58 Theod. 5.1 § 5 5364 Theod. 5.2 § 1 2915 Theod. 5.3 § 2 59 Theod. 6 2915, 3016, 4956 Theod. 7.1 § 3 59 Theod. 7.2 pr. 457106 Theod. 7.4 5364, 71 Theod. 8 pr. 2915, 3016, 127 f. Theod. 9 343 Theod. 11 pr. 5162, 315 f. Theod. 12 § 2 79 Theod. 14 § 9 80 Theod. 15.1 64 Theod. 17.1 § 3 2915 Theod. 17.2 § 5 2915 Theod. 18 § 1 252 Theod. 19 § 2 2915 Theod. 21 § 4 86 Theod. 22.1 80, 119 Theod. 22.2 § 17 59 Theod. 23 § 3 81, 44381 Theod. 24 §§ 2, 3 2915 Theod. 25 § 8 44381 Theod. 26 71, 83 Val. 1.3 6389, 64, 207, 247373, 358149 Val. 2.2 § 2 351 Val. 2.4 5468, 119 Val. 3 § 5 81 Val. 5 47, 207

stellenregister und ausgabenverzeichnis Val. 6.1 Val. 7.1 Val. 7.2 Val. 8.1

87, 128 207 207 121, 123183, 131, 207, 646 f.,

64670

Val. 8.2 76113, 131, 207, 647 Val. 9 4550, 47, 59, 207, 247373 Val. 10 123, 65781 Val. 16 4550, 47, 59, 79, 119, 207, 247373 Val. 17 pr. 120180 Val. 18 52, 119178, 173, 252, 336 f., 383179, 419, 42957, 464114, 472128, 474, 477, 485, 487, 596, 784–791 Val. 19 2710, 2912, 2913, 32, 37, 60, 87129, 327 Val. 21.1 5777, 95141, 98147, 125187, 643 f., 64366, 64367 Val. 21.2 121, 122, 569109, 643 Val. 23 5777, 76113, 88129, 120180, 360, 391, 456105, 569109 Val. 24 pr. 44685 Val. 25 5777, 76113 Val. 26 5367, 108, 119178, 138 Val. 27 95141, 114, 119, 122 Val. 31 5162, 569109 Val. 32 pr. 111, 114, 187 f., 229, 251378 Val. 33 603 Val. 34 § 6 5468, 5880, 76113 Val. 35 119, 29470

Optat. Optatus [ThLL: u. d. S.] Ziwsa, CSEL 26 (1893) 1.9 p. 10.19–11.7 470 app. 3 p. 204–206 257 app. 5–7 p. 208–212 257 app. 9 f. p. 212–216 257 app. 10 p. 213–216 69

4

891

Oros. hist. Orosius, Historiae adversus paganos [ThLL: u. d. S.] Zangemeister, CSEL 5 (1882), S. 1–564 7.37.1 65782 P. Papyrus (vel pergamena charta) [Entgegen den Usancen habe ich auch bei »SB« das »P.« vorangestellt, um stets die Quellengattung unmittelbar anzuzeigen. Abgesehen von P. Vindob. L (Papyrus Vindobonensis Latinus) lassen sich alle Abkürzungen mit der Checklist 4 auflösen. Die dort genannten Editionen sind von mir verwendet worden, außer in den Fällen, in denen ich einen Publikationsort ausdrücklich nenne.] P. Bodl. I 2 [Scappaticcio, S. 172 f.] 178277

P. Cair. Isid. 1 5880, 59 P. Cair. Masp. 3.67353 27841 P. Col. 7.188 278 P. Hamb. 4.264 278 P. Leid. 2 Z [Worp, in: Feissel, S. 342] 114

P. Oxy. 6.990 278 P. Oxy. 8.1101 43 P. Oxy. 9.1186 43 P. Oxy. 12.1406 355143 P. Oxy. 15.1813 177277 P. Oxy. 17.2104 3424 P. Oxy. 31.2558 59 P. Oxy. 43.3106 3424 P. Ryl. 3.469 41725 P. SB 5.8265 278 P. SB 16.12692 35 P. SB 20.14662 84126 P. Vindob. L 81 [Mitthof 2006, S. 416 f.] 178277

Mittlerweile nur noch online aktualisiert; die letzte gedruckte Ausgabe ist: Oates/ Bagnall/Clackson, Checklist of editions of Greek, Latin, Demotic, and Coptic papyri, ostraca, and tablets, Oxford 52001.

892

nachschlageteil

P. Vindob. L 95 [Publikation durch Serena Ammirati bevorstehend] 176, 178277 P. Vindob. L 128 [Publikation durch Serena Ammirati bevorstehend] 178277 Paneg. Panegyrici Latini [ThLL: u. d. S.] Mynors, OCT 1964 2.29.3 42751 Paul. sent. Paulus, sententiae [ThLL: u. d. S.] Huschke/Seckel/Kübler, IAR II.1 61911, S. 14–161 1.21.12 43162 2.23.4 344132, 561102 2.26.13 28352 2.26.15 309 3.4a.2 64365 3.4a.5 28145 3.4a.11 2556 4.6.1 f. 269 f. 4.8.3 72672 4.8.13 72672 4.8.15 72672 4.14.4 755118 5.4.15 283 5.15.1 742102 5.15.5 326106 5.17.2 325105, 4106 5.20.6 364159 5.23.17 424 5.26.3 339 Philostorg. Philostorgius [TLG: 2058.001–003] Bidez/Winkelmann, GCS 3[21] (1981) 1.9 63138 1.9b 63138 2.3 611 2.5 63138, 63448 2.14 62123 3.19 f. 615 3.21 62121 3.27 612

4.12 6127 4.12b 6127 6.7 612 7.6 612, 615 7.13 704 8.2 612, 615, 616, 630 8.6 612 9.3 630 9.4 612, 63035 9.6–8 612 9.8 6128 9.11 6138 9.18 613 9.19 403, 613 10.1 63037, 631 10.2 f. 631 10.3 631 10.4 63139, 63241 10.5 6139 10.6 336, 6138, 6139, 614, 6149, 618, 64060, 649 6139 62124 62121 618, 621 62124 65782 614, 61410, 618, 658, 659, 660 12.8 62122 12.11 618, 621, 622 12.12 62122

10.7 10.9 10.10 10.12 11.1 11.3 11.5

Plin. epist. Plinius, epistulae [ThLL: u. d. S.] Mynors, OCT 1963 1.9.2 268 2.20.5 268 2.20.10 268 4.11 323 4.11.3 324 7.16 285 7.23 285 7.32 285 8.18.1 272

stellenregister und ausgabenverzeichnis 10.65 20 10.66 20 10.72 20 10.73 20 10.96.7 59 10.104 f. 285 10.110 59 Plut. aet. Rom. Plutarchus, Aetia Romana [TLG: 0007– 084] Titchener, II/1, BT 1934, S. 273–336 30 587130 Possid. vita Aug. Possidius, Vita Augustini [ThLL: u. d. S.] Pellegrino, Vita di S. Agostino, [Rom] 1955 7.2 497 12 51535 12.4 51432, 52453 12.5 51841 12.5 f. 51739 12.5–7 515 f. 12.8 521, 568107 12.9 521 15.5 41421 16.4 43161, 490 Priscill. tract. Priscillianus, Tractatus [ThLL: u. d. S.] Schepps, CSEL 18 (1889), S. 3–106 1 426 f. 1.26–28 427 1.27 f. 425 2 426 2.47 426 2.50 426 Procop. hist. arc. Procopius Caesariensis, Historia arcana [TLG: 4029.002] Haury/Wirth, BT (1963) 1.15–17 628 11.14 f. 802 f.

893

11.16–18 77516 11.24 80141 Prosp. chron. Prosper Tiro, Epitoma chronicorum [ThLL: u. d. S.] Mommsen, MGH Auct. ant. IX (1892), S. 385–485 p. 479.1350 43161 Rescr. ad constit. Rescriptum ad constitutionarios [ThLL: Cod. Theod. const. de constit.] Mommsen, Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis, I.2, Berlin 1905, S. 4 Rescr. ad constit. 32, 3629, 138, 211 Rufin. apol. adv. Hier. Rufinus, Apologia adversus Hieronymum [ThLL: u. d. S.] Simonetti, CCSL 20 (1961), S. 37–123 2.8 6918 Salv. gub. Salvianus, De gubernatione dei [ThLL: u. d. S.] Pauly, CSEL 8 (1883), S. 1–200 6.31 6875 Schol. Sinait. Scholia Sinaitica [ThLL: u. d. S.] Huschke/Kübler, IAR II.2 61927, S. 466– 484 2 176272 5 175272 52 175, 175271, 176272 Sidon. epist. Sidonius Apollinaris, Epistulae [ThLL: u. d. S.] Lütjohann, MGH Auct. Ant. 8 (1887), S. 1–172 5.1.3 26725 7.2.9 274

894

nachschlageteil

Siphre Deut. Siphre ad Deuteronomium [hebräisch] Finkelstein, Siphre ad Deuteronomium, Berlin 1939 33, p. 59.9 f. 128 Sirm. Constitutiones Sirmondianae [ThLL: Const. Sirmond.] 1–16: Mommsen, Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis, I.2, Berlin 1905, S. 907–921 17 = CTh. 1.27.1 18 = CTh. 1.27.2 19: Haenel 1857, S. 238 zum Jahr 1170 ab urbe condita 20: Kaiser 2007, S. 288 21 = CTh. 16.6.4 auf Grundlage von Handschrift Y 21, 180281, 196, 198, 200, 200303 5366, 5776, 199, 220, 338126, 348 197, 199, 757122 5776, 170, 197, 199, 215320, 220, 224, 224334 5 189, 199 6 52, 65 f., 199, 220, 221330, 336123, 44582, 480, 484, 65579, 747110, 772, 789 7 199, 209, 334 8 199, 209, 334 9 5469, 199, 220 10 52, 199, 220, 457105, 55391 11 199, 220, 327, 329 12 51, 52, 55, 56, 5675, 90, 199, 220, 221331, 224, 225, 469123, 470, 484, 4951, 55492, 563, 568, 576123, 7719 13 189, 197, 199 14 52, 199, 220, 224, 333, 427128, 519, 563, 571115, 573, 64771 15 197, 199, 219, 220, 241363, 373, 78928 16 52, 5468, 88, 199, 220, 224, 224333, 241, 241362, 483142 17 5058, 177276, 195 f. 18 5058, 177276, 195 f.

1 2 3 4

19 5058, 202 20 5058 21 5058, 5599 Socr. Socrates, Historia ecclesiastica [TLG: 2057.001] Hansen, GCS NF 1 (1995) 1.9.30 f. 377 1.22.8 41113 2.18.7 782 2.20.14 782 2.25.7–2.26.6 394191 2.27.1–5 394 2.29.4 782 3.1.20 69413 3.13.1–6 70330 4.13.1 63036 5.2.1 616 5.8.6 437 5.10.2 461109 5.10.5 f. 6139 5.10.24 613, 6139 5.10.27 f. 7694 5.10.28 403195 5.20.4 6139, 614 5.20.4 f. 403196 5.20.6 7694 5.22.49 69413 5.24 62226 5.24.1 63036 5.24.1–7 62226 5.24.2 62121 5.24.2 f. 620 5.24.4 62326 5.24.5 620 5.24.6 63139, 63241 5.24.8 62226 5.24.9 62226 6.1.4 f. 656 7.1.1 667100 7.25.10 61410 7.29.4 f. 766 7.29.8 f. 783 7.29.8–12 766

stellenregister und ausgabenverzeichnis 7.31.4 f. 7.42.1 f.

766, 783 78323

Soz. Sozomenus, Historia ecclesiastica [TLG: 2048.001] Bidez/Hansen, GCS 50 (1960) 1.8.10 404197 1.8.14 393 2.3.10 393190 4.1.1–4.2.2 394191 4.2.3 f. 394 f. 4.12.4 64059 5.2.10 69413 5.5.3 404197 5.18.1 395 f. 6.6.10 432 6.26.2–9 63241 6.26.3 610 6.26.4 620, 63139 6.26.6 f. 63036 6.26.7 63343 6.26.10 f. 615 6.26.11 403 6.26.14 609 6.27.9 615 7.1.3 616 7.4.5 f. 396–402 7.5.1 401 7.6.2 610 7.6.3 64973 7.12.9 613 7.12.11 f. 402–405 7.12.12 461, 65174 7.14.7 465115 7.17.1 336, 6139, 614, 61410, 615 7.17.2 62121 7.17.2 f. 620 7.17.3 620 7.17.4–7 620 7.17.8 63241 9.1.2–10 672

895

Sulp. Sev. Sulpicius Severus – chron. Chronica [ThLL: u. d. S.] Parroni, CCSL 63 (2017) 2.39.9 325104 2.46.1 42853 2.46.5 425 2.47.6 337, 42648, 42853, 466 2.48.4 426 2.48.5 f. 426 2.50.1 42752 2.50.8 425 2.51.1 42752 2.51.2–4 332 – dial. Dialogi [ThLL: u. d. S.] Halm, CSEL 1 (1886), S. 152–216 3.11.5 42033 Symm. Symmachus – epist. Epistulae [ThLL: u. d. S.] Seeck, MGH Auct. Ant. 51 (1883), S. 1– 278 1.23.3 117175 3.33 709 9.133 310 – rel. Relationes [ThLL: u. d. S.] Seeck, MGH Auct. Ant. 51 (1883), S. 279– 317 1 113168, 120 2 120 3.13 f. 276 5 120 8 6389, 64 13 113168, 120 14 113168, 120 16 120 19 120 21 113168

896

nachschlageteil

28 120 34 113168 39 120, 125186 41 276, 289 42 120 43 113168 44.1 3932 47 120 49 455102 Synes. Synesius – epist. Epistulae [TLG: 2006–001] Garzya, II, III, CUF 2000 4 623–626 44 62328 79 672108 128 62328 – prov. De providentia [TLG: 2006–003] Lamoureux, VI, CUF 2008, S. 92–161 2.3.1 65886 Tac. ann. Tacitus, Annales [ThLL: u. d. S.] Heubner, BT 21994 14.45.2 323 Tert. Tertullianus – bapt. De baptismo [ThLL: u. d. S.] Borleffs, CCSL 1 (1954), S. 277–295 15.2 498 – adv. Marc. Adversus Marcionem [ThLL: u. d. S.] Kroymann, CSEL 47 (1906), S. 290–650 4.22 p. 492.28 469124

Test. porcelli Testamentum porcelli [ThLL: u. d. S.] Bücheler/Heraeus, ed. Petron., BT 61922, S. 268 f. Test. porcelli 276 Testim. Manich. Testimonium de Manichaeis sectatoribus [nicht in ThLL; CPL 727a] [Eine kritische Edition dieses kurzen Stücks werde ich zeitnah an anderem Ort vorlegen; meine Zitate folgen diesem noch unpublizierten Text. Vorhandene Editionen hängen von Baronius (Annales ecclesiastici, X, Rom 1602, S. 952 ad Tom. 5, anno 404), Labbe (Sacrosancta concilia, IV, Paris 1671, Sp. 1661) oder Mai (Novae patrum bibliothecae, I, Rom 1852, S. 382 f.) ab. Keiner der drei hat mehr als eine Handschrift verwendet, und jedem sind Ungenauigkeiten in der Wiedergabe unterlaufen.] Testim. Manich. 42139, 487–490 Themist. or. Themistius, Orationes [TLG: 2001.005] Schenkl/Downey/Norman, BT 1965–1974 5.67b-68a 70329 Theodoret. Theodoretus – epist. Sirm. Epistulae Sirmondianae [TLG: 4089.006/ 007] Azéma, SC 98 (1964); SC 111 (1965) 81 626 f. 113 626 145 62732 – haer. Haereticarum fabularum compendium [TLG: 4089.031] Sirmond/Schulze, in: PG 83 (1864), col. 336–556 haer. 4.3.420B 63139

register der bibelstellen haer. 4.3.420B-421A 63342 haer. 4.3.421B 627 – hist. eccl. Historia ecclesiastica [TLG: 4089.003] Parmentier/Scheidweiler, GCS 44 (1954) 2.16.27–29 325104 2.28 6127 2.28.3 615 2.29.1 612 2.29.11 63036 3.2 69413 3.12.3 70330 5.18.6–12 657 Ulp. reg. Ulpianus, Liber singularis regularum [ThLL: u. d. S.] Huschke/Seckel/Kübler, IAR I 61908, S. 442–490 13.2 354 16.2 354 17.1 28554 17.2 44076 20.13 2556, 28146 20.14 280 22.2 28042 22.3 28554 25.4 344132 25.7 28554

897

Veg. mil. Vegetius, Epitoma rei militaris [ThLL: u. d. S.] Lang, BT 21885 4.39 569108 Vict. Vit. Victor Vitensis [ThLL: u. d. S.] Lancel, CUF 2002 1.25 487147 1.40 337 1.49 79837 2.1 42136, 485, 487147 2.2 412 2.73 79837 3.9 364159, 797–799 3.12 799 3.13 799 Zach. Mytil. Zacharias Mytilensis [syrisch] Kugener, PO 2:1 (1907), S. 7–115 p. 103.1–107.1 628 Zos. Zosimus, Historia nova [TLG: 4084.001] Paschoud, CUF 1979–2000 4.3.2 f. 90, 103 5.8.1 658 5.35.1 573 5.46.3 f. 65579 6.7.2 709

Register der Bibelstellen Griechische Bibelzitate folgen Nestle/Aland 282012 bzw. der Göttinger Septuaginta (tatsächlich betrifft dies lediglich Numeri: Wevers 1982). Deutsche Übersetzungen sind die meinen (sofern es sich bei den Formulierungen nicht ohnehin um Gemeingut handelt). Bei lateinischen Bibelzitaten gebe ich das wieder, was ein Zeitgenosse verstanden haben muss – nicht die Bedeutung, die der Text im hebräischen oder griechischen Original einst hatte. Gen 22:18 591 f. Gen 26:4 595

Num 14:9 6864 Ps 22(21):29 6875

898 Ps 50(49):1 595 Ps 72(71):8 595 f. Ps 103(102):16 590 f. Ps 146(145):4 590 f. Hld 6:8 f. 468121 Jes 63:17 71151 Ez 16:52 380176 Ez 18:20 73182 Ez 18:23 714 Ez 34:17–31 589 Ez 34:25 589 f. Mt 28:19 498

nachschlageteil Lk 3:8 701 f. Lk 14:15–24 594136 Joh 1:32 f. 585 Joh 5:26 71151 Joh 10:16 595 Joh 14:27 590 Apg 19:1–7 4984 Röm 6:3 631 f. 1 Kor 5:1–5 41829 Eph 2:14 590 Eph 4:5 497 2 Tim 2:20 69614

Register der BGB-Paragrafen § 984 402 § 2229 Abs. 4 255

§ 2247 267