Nichthintergehbarkeit und Diskurs: Prolegomena zu einer Diskurstheorie des Transzendentalen [1 ed.] 9783428489992, 9783428089994

Die Untersuchung »Nichthintergehbarkeit und Diskurs« zerfällt in zwei Teile: im ersten Teil - auf der Grundlage einer Kr

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Nichthintergehbarkeit und Diskurs: Prolegomena zu einer Diskurstheorie des Transzendentalen [1 ed.]
 9783428489992, 9783428089994

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MARCEL NIQUET

Nichthintergehbarkeit und Diskurs

Philosophische Schriften Band 35

Nichthintergehbarkeit und Diskurs Prolegomena zu einer Diskurstheorie des Transzendentalen

Von

Marcel Niquet

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Niquet, Marcel: Nichthintergehbarkeit und Diskurs: Prolegomena zu einer Diskurstheorie des Transzendentalen I von Marcel Niquet. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Philosophische Schriften; Bd. 35) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Habil.-Schr., 1995 ISBN 3-428-08999-5

Alle Rechte vorbehalten 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmH, Berlin Printed in Germany

©

ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-08999-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Ich könnte sagen: Wenn der Ort, zu dem ich gelangen will, nur auf einer Leiter zu ersteigen wäre, gäbe ich es auf, dahin zu gelangen. Denn dort. wo ich wirklich hin muß, dort muß ich eigentlich schon sein. Was auf einer Leiter erreichbar ist, interessiert mich nicht. (Ludwig Wittgenstein)

Vorwort Der Versuch einer diskurstheoretischen Grundlegung der Idee des Transzendentalen bringt - könnte man sagen - philosophisch nichts als Ärger. Für die einen gehört so etwas nicht mehr zur Transzendentalphilosophie, für die anderen noch zu sehr. Ich glaube, daß beide recht haben fertigung des folgenden Entwurfs.

und sehe darin eine kritische Recht-

Eine weitere liegt in dem Umstand der Überzeugung, daß die Philosophie noch nicht den Nachweis geführt hat, daß sie tatsächlich berechtigt ist, die Idee eines Transzendentalen nur mehr als Kapitel ihrer Geschichte zu betrachten. Gewiß, die Möglichkeit eines solchen Nachweises ist nicht auszuschließen, aber sofern dieser überhaupt diskursiv geführt werden könnte, würde damit zugleich ein Boden betreten, welcher der des Transzendentalen ist. Der folgende Text stellt die überarbeitete Fassung eines Manuskripts dar, das der Fachbereich Philosophie der 1. W. Goethe-Universität im Wintersemester 1994 /95 als Habilitationsschrift angenommen hat. Dank gebührt K.-O. Apel und 1. Habermas fiir die Bereitschaft, sich auf eine "umwegige" Theorie des Diskurs-Transzendentalen einzulassen. Von W Kuh/mann habe ich nicht nur philosophisch viel gelernt. A. Leist und G. Siegwart möchte ich für ihre kritischen Kommentare und Empfehlungen danken - auch wenn ich nicht alle Einwände und Ratschläge berücksichtigt habe. Die Publikation des Textes hat sich aufgrund verschiedenster Widrigkeiten verzögert - Dank gehört daher auch dem gegenwärtigen Verlag. Dieses Buch ist meiner Familie gewidmet. Ohne ihre Unterstützung und fortdauernde Ermutigung hätte ich das Konzept einer Diskurstheorie des Transzendentalen nicht ausarbeiten können. Frankfurt a.M., im März 1999

Marce/ Niquet

Inhaltsverzeichnis I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik: Strikte Reflexion und interne Selbstkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

2.1 W. Kuhlmann: Strikte Reflexion und apriorische Argumentationstheorie

18

2.2 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

25

2.3 K.-O. Apel: Apriorisches Präsuppositionswissen und interne Selbstkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

2.4 Kritik . . . . .

57

3. Transzendentaler Diskurs und Nichthintergehbarkeit ...

63

3.1 Einführende Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

3.2 Was sind transzendentale Diskurse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

3.3 Rekonstruktiver Naturalismus und ,schwache' Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

127

4. Zur Idee einer Diskurstheorie des Sinn-Transzendentalen: Ein Vorentwurf .

191

4.1 Intersubjekte: Der diskursanthropologische Geltungssinn transzendentaler Intersubjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192

...................

202

4.3 Reziprozitäts-Verantwortung und Befolgungs-Gültigkeit: Zur Architektonik der Diskursethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207

4.4 Ausblick: Revisionär-transzendentalpragmatische Kategorienlehre .

212

4.2 Freiheit -

eine Diskurspräsupposition?

5. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

218

Teil A: Selbstbezüglichkeit und Erkenntnisform . . . . . . . . . . . . . . . . .

218

Teil B: Zurück zu Kant -

234

Erstbegründung statt transzendentaler Diskurs?

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259

Namenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269

1. Einleitung Würde jemand, unter Philosophen, die Behauptung machen, es gebe einen gut ausgearbeiteten und systematisch verbindlichen Begriff des Transzendentalen, I wäre vermutlich eine gewisse allgemeine Heiterkeit die unausweichliche Folge. Wollte jemand, unter Transzendentalphilosophen, die Behauptung aufstellen, es gebe einen, für die gesamte Tradition transzendentalen Denkens vorbildlichen und für alle verbindlichen Begriff des Transzendentalen, dürften sicherlich einige Unfreundlichkeiten zu hören sein. So oder so: derartige Äußerungen sind nicht sehr populär, und es scheint, bezogen auf die jeweilige Hörerschaft, auch gute Gründe für die entsprechende Einschätzung zu geben. Denn Begriffe des Transzendentalen sind nicht nur Gegenstand der üblichen philosophischen Streitigkeiten, ohne daß ihre Existenz-berechtigung im Prinzip in Zweifel gezogen würde. Detranszendentalisierung (R. Rorty) der Philosophie meint nicht weniger als die Überwindung der ,transzendentalen Denkungsart' ohne die Einführung von Nachfolgebegriffen, die, unter veränderten Bedingungen, erneut einer ,transformierten' Transzendentalphilosophie Auftrieb geben könnten. Es ist nicht voreilig zu konstatieren, daß sich Rortys Programm für den Bereich angelsächsischen philosophischen Denkens durchgesetzt hat: Der Hauptvertreter einer sinnkritisch geläuterten Rekonstruktion einer kantisch inspirierten transzendentalen Erfahrungstheorie, P.P. Strawson, hat dieses Projekt selbstkritisch zugunsten einer im Zeichen eines sanften Naturalismus stehenden erneuerten Deskriptiven Metaphysik verlassen, und Versuche der Re- oder Neuformulierung (R. Harrison, L. Stevenson) haben keine Zustimmung gefunden. 2 Die Linie transzendentalen Denkens, vom Wittgenstein des, Tractatus logico philosophicus' herkommend und sich über dessen Spätwerk und neo-wittgensteinsche Wiederaufnahmen im Umkreis der Oxforder ,ordinary language analysis' (St. Hampshire, N. Malcolm, S. Shoemaker1) hinziehend, scheint damit endgültig erloschen zu sein. I Verstanden hinsichtlich dessen, was es für etwas heißen kann, transzendental zu sein, wie auch hinsichtlich dessen, worin Transzendentales substantialiter besteht. 2 Vgl. Niquet (1), Kapitel 4.

J

Vgl. Hampshire; Malcolm; Shoemaker.

12

I. Einleitung

,Transatlantisch' regieren Neo-Pragmatismus, 'harter' Naturalismus und die verschiedensten Programme kritischer, d.h. nicht-transzendentaler Erkenntnis-, Sprach- und Wissenschaftsphilosophie. Zwar gibt es vereinzelt Ansätze zu Analysen, deren explizit sinnkritische Gehalte möglicherweise auf transzendentale Beweispointen hin ausgebaut werden könnten - D. Davidsons Untersuchungen zu Basisstrukturen radikaler Interpretation, H. Putnams Kritiken selbstvergessener Varianten philosophischer Relativismen und Szientismen unter Vorzeichen einer ,Erneuerung der Philosophie'4 -, aber auch diese Überlegungen sind in Traditionen beheimatet, die ihr philosophisches Profil gerade der rigorosen Vermeidung oder Aufgabe transzendentaler Fragestellungen verdanken. Der deutsche Diskussionskontext ist unübersichtlicher. Nicht nur konkurrieren mindestens drei verschiedene ,Paradigmen' von Transzendentalphilosophie miteinander - etwa: Transzendentale Phänomenologie, kantianisch inspirierte Ansätze und die Transzendentalpragmatik5 - , es sind auch verschiedene Begriffe des Transzendentalen selbst rekonstruiert oder entwickelt worden, deren Führungsevidenzen die eigentlichen Grundlagen der jeweiligen Auseinandersetzungen abgeben. Zudem hat insbesondere die Transzendentalpragmatik die ausdrückliche ,Transformation der Transzendentalphilosophie' auf ihre Fahnen geschrieben und ist in der Konsequenz ihrer Entwicklung von kantianisch und phänomenologisch geprägten Begriffen des Transzendentalen immer weiter abgerückt. 6 Verändert sich aber der Grundbegriff des Transzendentalen intern hinreichend stark, bleibt das nicht ohne Auswirkungen auf Detranszendentalisierungsprojekte: Deren Ziel hat gewissermaßen eine andere Gestalt und Position angenommen, und es ist nicht ausgeschlossen, daß Strategien auflösender Kritik, die gegen bestimmte Paradigmen von Transzendentalphilosophie erfolgreich eingesetzt werden können, dann ins Leere laufen, quasi zielunsicher werden. Zieht man die Sinnkritik, welche P.F. Strawson gegen die kantische theoretische Vernunftkritik eingesetzt hat, als Beispiel eines Detranszendentalisierungsprogramms heran sowie diejenige Art von Sinnkritik, die R. Rorty und D. Davidson gegen ,Strawsonsche Deduktionen' eines einzigmöglichen, alternativenlosen Kategorialschemas ,für uns' verständlicher Erfahrung stark gemacht haben, als Beispiel einer anderen/ ließe sich die Frage formulieren, ob die Transzendentalpragmatik derartigen Detranszendentalisierungsstrategien gleichermaßen ausgesetzt sei oder ob der ,Umbau' der begrifflichen Grundlagen des TranVgl. Davidson (1) sowie Putnam (2) und Putnam (3). ; Unnötig zu betonen, daß dies eine vereinfachende Aufzählung darstellt.

4

• Vgl. Apel (3). 7 Vgl. Niquet (1), Kapitel 4.

I. Einleitung

13

szendentalen - etwa: die Ersetzung des Erfahrungs- durch ein Diskursapriori hinreichend ziel-ändernd gewirkt habe. Freilich könnte sogleich der Einwand erhoben werden, die Frage gehe an der Sache vorbei. Selbst wenn sich die Vennutung bestätigen ließe, sei damit wenig gewonnen, denn: Es gebe doch offensichtlich gut ausgearbeitete Strategien radikaler Kritik, die auf das spezifische ,Profil' der Transzendentalpragmatik zugeschnitten sind, Detranszendentalisierungsstrategien also, die dem geänderten Paradigma des Transzendentalen Rechnung tragen. Wie anders denn sind die um Fallibilitätsintuitionen kreisenden Einwände des Kritischen Rationalismus zu verstehen, wenn nicht letztlich als Versuch, die in Anspruch genommene Tiefenstruktur des Transzendentalen als Chimäre zu erweisen;R wie anders auch die Diskussion um die ,Grenzen der Transzendentalpragmatik' und der Versuch, Letzt- durch Erstbegründung zu überspielen,9 oder die radikale These, es handle sich gar nicht um genuine Transzendentalphilosophie?!O Wie anders ist letztlich die von J. Habennas immer deutlicher und insistenter vorgetragene Kritik am transzendentalpragmatischen Begriff der Letztbegründung und dessen ,Anwendung' in der Diskursethik zu verstehen, wenn nicht als Versuch des Nachweises, daß gerade das Festhalten an einem - sei's auch transfonnierten - Begriff des Transzendentalen unweigerlich den gesamten Ansatz in Begründungsmetaphysik und einen dem Paradigma der Bewußtseinsphilosophie verhafteten Dogmatismus des Rekurses auf Letztevidenzen ,strikter Reflexion' verstrickt?!! Nun, es ließe sich antworten, die Zielbeschreibungen seien - grosso modo sicherlich richtig (wenn auch die jeweiligen Konzeptionen einer detranszendentalisierenden Kritik sich stark voneinander unterscheiden), und da es den Kritiken an der notwendigen Ausarbeitung und Spezifizität wahrlich nicht ermangele, könne die Aufgabe nur darin bestehen zu sehen, ob die für die Transzendentalpragmatik grundbegriffiiche Architektonik des Transzendentalen zu verteidigen sei. Es ist nun nicht Absicht und Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung, die Transzendentalpragmatik toto genere gegen derartige Ansinnen - gewissermaßen Angriff für Angriff - in Schutz zu nehmen. Ich möchte vielmehr versu• Vgl. Albert (I) und Albert (2) sowie zuletzt: Keuth. 9 Vgl. Krings (1) und Krings (2) sowie Schönrich (I). 10 Vgl. Röd. 11

Vgl. Habennas (9), Habennas (11) sowie Habennas (13).

14

1. Einleitung

ehen, diese Architektonik des Transzendentalen selbst methodologisch zu klären und neu aufzubauen. Gelingt das Unternehmen, so lassen sich die Auseinandersetzungen aus einer anderen, ,nüchterneren', aber, wie ich hoffe, zugleich analytisch weniger verwundbaren Position heraus aufnehmen - auch und gerade für die Transzendentalpragmatik. Freilich - jetzt unter Bedingungen einiger unumgänglicher Modifikationen und Einschränkungen. Ich möchte dazu zwei miteinander intern verbundene Unterscheidungen einführen: die zwischen Dejiation und Detranszendentalisierung und die zwischen ,klassischer' und revisionärer Transzendentalpragmatik. Als philosophischer Terminus entstammt ,Deflation' oder ,deflationär' dem Umkreis der an A. Tarski anknüpfenden neueren Wahrheitstheorien. 12 Deflationäre Wahrheitstheorien bringen die Überzeugung zum Ausdruck, daß der rational rekonstruierbare Kern eines mit dem natürlichsprachlichen Ausdruck ,ist wahr' verkoppelten Wahrheitsbegriffs in dem Schema ,Es ist wahr, daß p, dann und nur dann, wenn p' erfaßt wird; sie leisten Verzicht auf weitergehende Explikationen, etwa in - metaphysikverdächtigen - Begriffen von Tatsachenübereinstimmung, idealer Kohärenz oder intersubjektiver Übereinstimmung. Ihre Erklärungsstrategie ist minimalistisch, aber nicht eliminativ: das Wahrheitsprädikat erflillt eine unersetzbare Funktion, es wird nicht durch einen Folgebegriff abgelöst oder gar lexikalisch ganz ausgeschlossen. I) ,Letztbegründung durch strikte Reflexion' ist der zentrale Methodenbegriff der Transzendentalpragmatik.

Detranszendentalisierung desselben heißt: Ersetzung dieses Begriffs durch Begriffe der Erstbegründung oder einer klassischen Kantischen Transzendentalen Deduktion, oder seine Eliminierung zugunsten von Methodenbegriffen der uneingeschränkten Kritik, der prinzipiell falliblen Rekonstruktion oder des reflexiven Gleichgewichts. Dejiationierung des methodischen Zentrums der Transzendentalpragmatik dagegen heißt kritische Rekonstruktion desselben in Begriffen eines Modells transzendentaler Diskurse entlang der festzuhaltenden und erneut einzulösenden Intuition, daß das Transzendentale mit dem in rationalen Diskursen erweislich Nichthintergehbaren zusammenfällt.

12

V gl. Horwich (I) und insbes. Horwich (2), S. 6ff.

IJ

Vgl. Davidson (2).

I. Einleitung

15

Dieses Konzept ist minimalistisch '4 insofern, als auf einige wesentliche Explikate des herkömmlichen Letztbegründungsbegriffs verzichtet wird - z.B. die Idee, daß diskurskompetente Sprecher schon ,für sich', weil sie ,wissenwie' man argumentiert, über ,perfektes' und transzendentales Wissen verfügen. Es rechtfertigt insoweit das Projekt einer Revisionären Transzendentalpragmatik, weil der Umbau des Letztbegründungsverfahrens für die Architektonik des Transzendentalen und die Transzendentalpragmatik als ganze Konsequenzen zeitigt - eben die ,klassische' Transzendentalpragmatik, die K.-O. Apel entworfen und entwickelt hat, und deren methodisches Fundament von W. Kuhlmann durch die Einführung des Begriffs der strikten Reflexion erläutert worden ist. Es sind nun drei einfache Fragen, die eine Revisionäre Transzendentalpragmatik beantworten sollte: (I) Was heißt, was bedeutet ,transzendental'?

(2) Wie erkennen wir, stellen wir fest, ob etwas, z.B. eine Erkenntnis oder eine Aussage, transzendental ist bzw. transzendental gilt? (3) Was gilt transzendental, Z.B. weIche Erkenntnisse oder Aussagen? Die ersten beiden Fragen werden in einer Explikation des Konzepts eines transzendentalen Diskurses behandelt; sie bildet den ersten Teil der vorliegenden Untersuchung. Die Beantwortung der dritten Frage erfordert eine Diskurstheorie des Transzendentalen (oder . Sinn '-Transzendentalen); als zweiter Teil der Abhandlunggewissermaßen ihr Anwendungsteil - soll, für einige aussichtsreiche Kandidaten auf transzendentale Geltung, im Wege eines Vorentwurfs, gezeigt werden, wie transzendentale Diskurse eingeleitet und geführt werden können. Diskurs und Transzendentales. Nichthintergehbarkeit und Geltung werden so zusammengebunden. Die übergreifende, methodisch leitende Idee ist dabei, daß durch eine deflationierende Revision der Grundlagen der klassischen Transzendentalpragmatik eliminativen Detranszendentalisierungsstrategien, die sich auf die Architektonik des Transzendentalen selber richten, Paroli geboten werden kann, zugleich aber auch, daß ein rechtverstandener Begriff des Transzendentalen zum unverzichtbaren Instrumentarium philosophischer Theoriebildung gehört - nicht jeder Art von Theoriebildung, natürlich, aber doch in dem Sinn, daß sich der logische Umkreis philosophisch möglicher, systematischer Erkenntnis nicht ausmessen läßt, ohne zumindest an einigen Stellen einen derartigen Begriff zu verwenden. 14

Nicht notwendigeIWeise auch ,schwach'!

16

I. Einleitung

Die Untersuchung verläuft wie folgt: Das zweite Kapitel leitet die - in kritischer Solidarität vorgetragene - Auseinandersetzung mit der klassischen Transzendentalpragmatik ein. In einem ersten Schritt möchte ich die Hauptlinien des von W. Kuhlmann ausgearbeiteten Modells einer Letztbegründung durch strikte Reflexion exponieren und dabei auf Annahmen verweisen, die transzendentale Rechtfertigungen nur unnötig belasten. Dabei geht es insbesondere um die Haltbarkeit der Idee eines ,selbst-transformierten Wissens-wie' sowie um die problematische Konzeption einer apriorischen Argumentationstheorie, die, gekoppelt mit einem Verfahren von der Art eines ,mäeutischen Dialogs', für substantielles transzendentales Wissen um ,Präsuppositionen des argumentativen Diskurses' sorgen soll. Der zweite Schritt führt zu K.-O. Apels Konzept einer ,Selbstkorrektur' transzendentaler Explikationshypothesen durch Rekurs auf für sich immer schon als transzendentalgültig ,Gewußtes' . So wichtig die Idee der Selbstkorrektur auch ist: da Apel Kuhlmanns Modell strikter Reflexion übernimmt und voraussetzt, sind auch hier Unterstellungen im Spiel, die deflationierend abgebaut werden müssen. Das dritte Kapitel entwickelt den Begriff des transzendentalen Diskurses das methodische Kernstück einer revisionären Transzendentalpragmatik. Es enthält weiterhin den Versuch einer Metakritik der 1. Habermasschen Kritik der klassischen Transzendentalpragmatik bzw. der Apelschen Version von Diskursethik. Habermas' Rekonstruktiver Naturalismus und die in neueren Arbeiten entworfene Konzeption einer eigentümlich . schwachen . Transzendentalphilosophie stehen dabei im Zentrum des kritischen Interesses. Das vierte Kapitel - der Vorentwurf zur Idee einer Diskurstheorie des SinnTranszendentalen - zerfällt in vier Abschnitte. Da als nichthintergehbar nachgewiesene Diskurspräsuppositionen die rationale Identität empirischer Diskurssubjekte prägen, ist es notwendig, die Idee einer derartigen Identität näher zu analysieren: solche Subjekte sind Inter-Subjekte und ihre Identität als solche ist intrinsisch intersubjektivistisch - sie konstituieren die Gemeinschaft transzendentaler Intersubjektivität. Zugleich aber sind sie empirische Personen, Eigennamenträger gewissermaßen, an deren kontingenter, endlicher, verletzbarer Identität als Subjekte einer Lebens-Welt die Intersubjekt-Rolle notwendig verankert ist. Die Idee solcher Subjekte ist zugleich Kernbegriff einer transzendentalen Diskursanthropologie.

I. Einleitung

17

Der zweite Abschnitt enthält die Skizze einer Phänomenologie von Diskursfreiheit im Sinne eines ersten, vorbereitenden Schritts der Ermittlung eines aussichtsreichen Präsuppositionskandidaten: der nichthintergehbaren Unterstellung intersubjektivistischer Freiheit diskursiven Deliberierens, Entscheidens und HandeIns. Der dritte Abschnitt entwickelt die ,Intuition', daß eine Diskurs-Präsupposition der Verantwortung oder Mit-Verantwortung, die die rationale Identität von Inter-Subjekten als Subjekten praktischer Diskurse prägt, deswegen zu einer Erweiterung des Begriffs universalisierbarer Gültigkeit von Sollens- oder Moralnormen zwingt, weil Inter-Subjekte als empirische Personen zugleich in historischen Lebens-Welten zu Hause sind, die die Bedingung der Befolgungsuniversalisierbarkeit einer gültigen Norm nicht unweigerlich erfüllen. Handeln, das als moralisch in solchen Welten soll gelten können, muß unter Bedingungen eines Faktizitätsaprioris verantwortet werden können. Damit verändert sich die Architektonik der Diskursethik in ihren geltungstheoretischen Grundlagen. Der vierte Abschnitt erläutert die Idee einer transzendentalpragmatischen Kategorienlehre. Ein in transzendentalen Diskursen freizulegendes Diskurs-Apriori enthält auch, so scheint es, ein Apriori leibvermittelter, personal-interpersonaler Erfahrung und Verständigung Kategorien sind Typen nicht-logischer Begriffe, die in erfolgreichen Präsuppositionsformulierungen selbstsubstitutiv vorkommen: ein transzendentalpragmatisches Erfahrungsapriori kreist daher um Kategorien wie Sinn. Rationalität. Verstehen und Verständigung und weitere Unterbegriffe. Dieser vierte Abschnitt schließt den Hauptteil der vorliegenden Untersuchung ab. Die erste der bei den in den Anhang gestellten Abhandlungen enthält eine Auseinandersetzung mit der von R. Bubner in einer Reihe von Aufsätzen entwickelten Idee eines an kantischen Evidenzen orientierten reflexions-theoretischen Modells des Nachweises transzendentaler Altemativenlosigkeit von ,Erkenntnisformen ' . Die zweite Abhandlung gibt eine Metakritik der von G. Schönrich am klassischen Letztbegründungsmodell in der Perspektive der Forderung nach ,Erstbegründung' geübten Kritik.

2 Niquet

2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik: Strikte Reflexion und interne Selbstkorrektur Klassisch-transzendentalpragmatische Letztbegründungen sind strikt reflexive Letztbegründungen. Was genau ist darunter zu verstehen? Die logische ,Ausdehnung' der klassischen Transzendentalpragmatik auf den Komplex ihrer methodischen Grundlegung zu reduzieren, bewirkt eine Gewichtungsverzerrung, die angesichts detaillierter Ausführungen ihres Programms für weite Sachgebiete kaum zu rechtfertigen ist; trotzdem ist dieser Schritt der Problemkonzentration auf den Komplex reflexiver Letztbegründungsargumentation im Horizont einer deflationierender Kritik verpflichteten Revisionären Transzendentalpragmatik nützlich. 1 Außerdem sollen aus den vorliegenden Untersuchungen zum Letztbegründungsbegriff nur zwei Abhandlungen berücksichtigt werden: W. Kuhlmanns ausführliche Explikation des Verfahrens strikt reflexiver Letztbegründung sowie Überlegungen, die K.-O. Apel im Anschluß an eine Skizze einer transzendentalpragmatischen Wahrheitstheorie zur methodischen Vereinbarkeit von Letztbegründung und einem Postulat der ,idealen' Konsensbildung im prinzipiell unabgeschlossenen argumentativen Diskurs der Philosophie vorgetragen hat. 2

2. t W. Kuhlmann: Strikte Reflexion und apriorische Argumentationstheorie Die Idee transzendentalpragmatischer ,orthodoxer' Letztbegründung findet ihren markantesten Ausdruck in der These der Nichthintergehbarkeit (oder Unhintergehbarkeit) der Argumentationssituation (für denjenigen - beliebigen I Zum Begriff der Transzendentalpragmatik vgl. die Einleitung zu: Apel (3) sowie Apel (4) und Apel (8). Zum Projekt einer ,rekonstruktiven Pragmatik' vgl. Böhler (I) und Böhler (2). Zur Begründung der Diskursethik vgl. Apel (9) und Apel (13) sowie Kuhlmann (5), S. 181 ff. Zur transzendentalpragmatischen Handlungstheorie vgl. Apel (8a) sowie Böhler (I).

2 Zur Formulierung des LetztbeglÜndungsbegriffs in Auseinandersetzung mit dem (oder einem) Kritischen Rationalismus vgl. Apel (6). Zum Problem einer ,Geschichte' reflexiver LetztbeglÜndung vgl. Kuhlmann (5), S. 254 ff. sowie die systematischen Ausführungen in: Kuhlmann (I) und Kuhlmann (3). Die im folgenden herangezogenen Texte sind: Kuhlmann (5), S. 51- 144 und Apel (15), S. 170 ff.

2.1 W. Kuhlmann

19

Sprecher / Argumentierer, der sich ,ernsthaft' auf Argumentation im Rahmen eines öffentlichen Diskurses einläßt).) Dieser , Kerngedanke , und ,erste Grundsatz'4 der Transzendentalpragmatik verdankt sich einer Überlegung, die wie folgt eingeführt werden kann: 5 Behauptungen, sofern sie propositional ausdifferenziert sind, können, was die Wahrheitswertfähigkeit ihres propositionalen Gehalts anbetrifft, - z.B. ,daß Robert Mitchum zweimal verheiratet war' - beliebige nicht-transzendentale Präsuppositionen besitzen; solche Präsuppositionen aber, deren Wahrheit für die Existenz (das Geltenkönnen) einer Äußerung als Äußerung von der Art einer Behauptung konstitutiv sind, haben speziellen Status: ihr (propositional) negierter Gehalt kann nicht wahrheitswertfähig ,behauptet' werden, weil eine solche ,Behauptung' in dem, was durch sie ,behauptet' wird, propositional gegen die perforrnativ als geltend in Anspruch genommenen Präsupposition einer derartigen Äußerung als Behauptung verstößt. Behauptungen (behauptete Aussagen) der ersten Art sind entweder (mit B. RusselI) falsch oder (mit P.F. Strawson) wahrheitswert - ,unbestimmt' _,6 Behauptungen der letzteren Art dagegen notwendig falsch. Überträgt man diese Überlegungen auf den Fall einer (propositional ausdifferenzierten) ernsthaften und vom Zweifler als sinnvoll in Anspruch Zweifelsbehauptung, so scheint klar zu sein: genau diejenigen Präsuppositionen können keinem sinnvollen, d.h. möglicherweise wahrheitswertbelegten, also z.B. wahren Zweifel unterliegen, deren Wahrheitsgeltung für das Geltenkönnen einer Äußerung als (ernsthafter) Zweifels-Behauptung konstitutiv ist; sie sind ,vor jedem möglichen Zweifel sicher'. "Denn wenn der Zweifel sich auf diese Unterstellungen richten würde, zerstörte er sich selbst. .. 7

Zugleich ist aber auch einsichtig: Wenn solche Präsuppositionen nicht sinnvoll bezweifelt werden können, dann können sie auch nicht sinnvoll, d.h. überhaupt gültig, begründet werden. Denn jede Begründung einer solchen Präsupposition P, sofern sie als Äußerung von der Art einer Behauptung einen (propositional ausdifferenzierten) Grund Q 3 Die Einfügung der geklammerten Qualifizierungsklausel erfolgt im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Habermas und Positionen einer These der prinzipiellen Verwerfbarkeit von Diskursen. 4 Vgl. Kuhlmann (5), S. 51.

5 Es geht hier wirklich nur um den systematischen ,Kern' dieses ,obersten' Methodengrundsatzes. Für eine ,situierende' und ,vorbereitende' Darstellung der These in Auseinandersetzung mit Positionen eines universalen Fallibilismus vgl. Kuhlmann (5), S. 51-71. 6

7

2*

Zu verstehen als Kennzeichnung eines dritten, nicht-klassischen Wahrheitswerts! Kuhlmann (5), S. 74.

20

2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

der Wahrheitsgeltung von P zur Sprache bringt, kann nur dann als (ernsthafte und sinnvolle) Begründung (von der Art einer Behauptung von Q) für P gelten, wenn die Präsupposition P schon als wahrheitsgültig unterstellt wird. Sofern solche Begründungen die Geltung von P im Weg einer deduktionistischen Ableitung des propositionalen Gehalts von P aus dem propositionalen Gehalt von Q, sofern dieses Ableitungsverhältnis in einer Schlußregel einer klassischen Logik 1. Ordnung eingefangen werden kann und die propositionalen Gehalte q-. und q-. als behauptete Aussagen in Äußerungen von der Art von Behauptungen situiert (gedacht) werden, nachweisen wollen, verwickeln sie sich notwendig in eine petitio principii: Kuhlmann formuliert diese Einsicht allgemein: "... sowenig wie das, was der sinnvoll Bestreitende unterstellen muß, sinnvoll bestritten werden kann, so wenig kann das, was unterstellt werden muß, sofern argumentativ über Geltungsanspruche oder Gewißheiten entschieden werden soll, seinerseits sinnvoll argumentativ durch Rekurs auf Grunde dafür oder dagegen positiv oder negativ entschieden werden. D.h. Unterstellungen, die man machen muß, sofern man sinnvoll argumentiert, können weder widerspruchsfrei bestritten, noch ohne petitio principii - ohne ihre Gültigkeit schon vorauszusetzen - durch Ableitung begründet werden."s

Behauptungen kommen nun nicht ,einfach so vor'; sie sind normalerweise in Redesequenzen des Informierens oder Versicherns, Bestätigens oder Bekräftigens eingelassen und als solche auf (Sprach}-Handlungen des Beschreibens oder Bezweifelns, Infrage-Stellens oder Kritisierens begründend oder widerstreitend bezogen. Als solche dienen sie der Bekräftigung oder Rechtfertigung von Geltungsansprüchen, die wiederum - in Zweifel gezogen -, der Einlösbarkeitsüberprüfung bedürfen. Kurz: Behauptungen sind von Verwendungskontexten eines in Argumentationen realisierten Diskurses des SicherstelIens oder Bestreitens des ,Rechts' von Geltungsansprüchen nicht ablösbar. 9 Dies bedeutet aber, daß Behauptungen (virtuell) intern diskursbezogene Redeeinheiten repräsentieren; der Überschritt von einer Behauptung zu einer Redeform von der Art eines geltungsprüfenden Diskurses erfolgt quasi ,natürlich'. Die argumentative Kraft von Behauptungen wird so auf die Probe gestellt und diskursiv eingelöst (oder eben auch nicht!). Und genau das bedeutet: Das klassisch-transzendentalpragmatische Konzept einer Letztbegründung kreist um die Frage nach pragmatisch-transzendentalen Präsuppositionen eines behauptungsgestützten argumentativen Diskurses, überhaupt'.

• Kuhlmann (5), S. 74. Vgl. dazu Kuhlmann (5), S. 23 und S. 57 ff. sowie S. 73 ff.

9

2.1 W. Kuhlmann

21

Kuhlmann kann denn auch die These der Unhintergehbarkeit für die ,Situation des sinnvoll Argumentierenden' formulieren; zusammengefaßt in der Letztbegründungs/ormel: "Was man ohne aktuellen Selbstwiderspruch nicht bestreiten, gegen dessen Anerkennung man sich ohne Selbstwiderspruch nicht entscheiden, was man ohne petitio principii nicht durch Ableitung begründen kann, das ist in der Argumentation - und d.h. überhaupt nicht hintergehbar rur uns.,,10

Freilich ist damit die eigentliche Natur reflexiver Letztbegründung noch nicht zureichend erklärt. Selbst wenn die Begriffe ,nicht sinnvoll bezweifelbar ohne performativen Widerspruch', ,nicht-begründbar ohne petitio principii' und ,argumentativer Diskurs' als Kernbegriffe der Explikation klassisch-transzendentalkpragmatischer Letztbegründung fungieren, ist noch ein Konzept hinzuzunehmen: das der strikt-per/ormativen Selbstbezüglichkeit eines transzendentalen DiskUlses. Eine solche Selbstbezüglichkeit erzeugt gewissermaßen den Schattenriß strikter Reflexion. Kuhlmann unterscheidet denn auch strikte von theoretischer Reflexion. 11 Ein Philosoph behandelt ein Problem P in der Einstellung theoretischer Reflexion, wenn diejenigen präsuppositionalen Unterstellungen, die er (oder beliebige andere) als Teilnehmer eines argumentativen Diskurses vornehmen muß, weder als solche (d.h. als Unterstellungen) als Teil der Problemrepräsentation von P und der möglichen Problemlösung fur P fungieren noch von ihm inferentiell (d.h. im logischen Prozeß der Problemlösung) explizit berücksichtigt und zur Geltung gebracht werden. Ein Philosoph behandelt ein Problem Q in der Einstellung strikter Reflexion, wenn derartige Unterstellungen als solche (d.h. als Unterstellungen) sowohl als nicht-eliminierbarer Teil der Problemrepräsentation für Q wie auch der Problemlösung von Q fungieren und / oder von ihm explizit inferentiell (d.h. im logischen Prozeß der Problemlösung, im Prozeß der Transformation der Problemrepräsentation in die Problemlösung) berücksichtigt und zur Geltung gebracht werden. Zur Verdeutlichung: Wird, etwa in der Tradition philosophischer Sprechakttheorie, untersucht, was es heißt, etwas zu behaupten, so kommt es zu Theoriebildungen, die den Umstand, daß der Theoretiker selber als Behaupter, Bestreiter, Begründer etc. in argumentativen Diskursen des Aufbaus der Theorie agiert, systematisch vernachlässigen (und vernachlässigen können). Daß Behauptungen ,felicity conditions' (Austin) oder ,essential conditions' (Searie) erfüllen müssen, um 10 11

Kuhlmann (5), S. 23. Sperrung im Text getilgt. Vgl. Kuhlmann (5), S. 76 ff.

22

2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

sich als regel konstituierte ,soziale Tatsachen' ausbilden zu können, läßt sich in ,Ausblendung' des Umstands etablieren, daß der Theoretiker selber behauptend argumentiert. Weder die Problemrepräsentation - was es heißt, etwas zu behaupten -, noch die Problemlösung - Äußerungen müssen die Bedingungen xyz erftillen, um als geglückte Behauptungen gelten zu können - noch der argumentative Nachweis, daß die Problemlösung akzeptabel ist, rekurrieren darauf. '2 Fließt dagegen der Umstand, daß der Theoretiker, indem er selber Behauptungen aufstellt, die (präsuppositionale) Regelstruktur von Behauptungen untersucht und insofern immer schon Regeln des Geltenkönnens seiner diskursiven Äußerungen als Behaupungen als gültig anerkannt hat, explizit in die Problemformulierung ein, so ,dreht' sich deren Repräsentation: die Frage nach den ,essential conditions' (oder ,Erfüllungsbedingungen') von Behauptungen kann dann als Problemfrage nach denjenigen Regeln (Präsuppositionen) formuliert werden, die ein Behaupter / Argumentierer immer schon als gültig anerkannt haben muß - weder ,sinnvoll' bezweifeln, noch zirkel frei begründen kann -, wenn er zu Recht soll beanspruchen können, daß seine Äußerungen (Theoriebeiträge etc.) als Behauptungen Gültigkeit besitzen. Dies sind nun genau diejenigen Präsuppositionen, deren propositionale Negation nicht behauptet werden kann, ohne eine notwendig falsche Behauptung zu erzeugen (bzw. erzeugen zu müssen); die Transformation der Problemrepräsentalion in die Problemlösung ist nur möglich, wenn der performativ-selbstbezügliche Umstand, daß der Theoretiker selbst als Behaupter / Argumentierer agiert, explizit inferentiell, d.h. als Regel des ,pragmatischen' Verhältnisses von behauptetem propositionalem Gehalt und aktual als gültig unterstellter (oder virtuell als von beliebigen Behauptern / Argumentierem als gültig zu unterstellender) Präsupposition (oder einer Menge derselben) zur Geltung gebra..:ht, d.h. argumentationslogisch ausdrücklich (und nicht-eliminierbar) berücksichtigt wird. Strikt performative Selbstbezüglichkeit ist diejenige Eigenschaft, die in allen Elementen und Abschnitten eines derartigen Problemlösungsprozesses explizit argumentativ in Anspruch genommen wird: nur wenn dies geschieht, ist pragmatisch-transzendentale Argumentation möglich. Kuhlmanns ,Durchftihrung' des Letztbegründungsarguments für die Aussage (A) ,Die Situation des sinnvoll Argumentierenden ist für mich unhintergehbar' weist genau diese Struktur auf. Kuhlmann versteht (A) als sinnäquivalent der Konjunktion 12 Abgesehen davon, daß der Theoretiker, sofern er rekonstruktiv verfährt, sich selbst als kompetenten Behaupter / Argumentierer ,evidentiell' ausbeutet: Dieser .Selbstbezug' fungiert aber tur diese Art der Theoriebildung nur als - wenn auch wichtige. ,konfirmationstheoretische' - Rahmen- oder Randbedingung eines theoretisch relevanten Zugangs zu ,Intuitionen'.

2.1 W. Kuhlmann

23

,Wir können die Regeln und Präsuppositionen sinnvoller Argumentation ohne performativen Widerspruch nicht bestreiten und wir können diese Präsuppositionen ohne petitio principii nicht begründen und wir können uns nicht sinnvoll gegen ihre Anerkennung entscheiden'.

Er beweist das erste Konjunkt, indem er zeigt, daß die Behauptung (P) ,Die Regeln der Argumentation gelten für mich nicht'

notwendig falsch ist. 13 Wird (P) als ernsthafte Behauptung verstanden, so zeigt sich: "Wenn wir aber nun (P) als Argument, d.h. als eine von mir (dem Sprecher von (P)) nach den Regeln der Argumentation gebildete und vorgetragene Äußerung anerkannt haben, ja notwendig anerkannt haben, solange wir untersuchen, ob (P) sich halten läßt, dann haben wir, indem wir uns dies ins Bewußtsein heben, das Problem schon gelöst. Denn es ergibt sich, daß die Geltung der Argumentationsregeln von mir nur dann wirklich bestritten wird (derart, daß es sinnvoll ist, die Wahrheit der bestreitenden Behauptung zu prüfen), wenn ich die Argumentationsregeln zugleich anerkenne ... (P) erweist sich als falsch, ja notwendig falsch. Die Geltung der Argumentationsregeln läßt sich nicht sinnvoll bestreiten."14

Strikte Reflexion scheint also nichts anderes zu sein, als die transzendentalargumentative Berücksichtigung (ein zur-Geltung-Bringen) strikt performativer Selbstbezüglichkeit für alle Elemente eines derartigen Letztbegründungsarguments. Freilich tritt noch ein weiteres Element hinzu: Kuhlmann exemplifiziert die Struktur eines solchen klassischen Letztbegründungsarguments nicht nur durch den Nachweis der Nichthintergehbarkeit der Argumentationssituation, er expliziert dessen Gesamtkonzept auch in Begriffen apriori gewissen Handlungswissens. 15 Zwei Hauptgründe scheinen hier ausschlaggebend zu sein: (1) Kommunikativ kompetente Sprecher verfügen nicht nur über die Fähigkeit, sprachliche Äußerungen verschiedener Typen in Redekontexten ,pragmatisch-wohlgeformt' zu produzieren, entsprechende Äußerungen ihrer Redepartner (illokutiv und propositional) zu verstehen, die performativ-illokutionäre Vgl. Kuhlmann (5), S. 82 ff. 14 Kuhlmann (5), S. 84. Hervorhebung vom Verfasser. 15 Die vorstehende Skizze des Letztbegründungsbegriffs muß zwangsläufig viele der subtilen Pointen der Kuhlmannschen Überlegungen ausblenden. Dies gilt besonders für seine Auseinandersetzung mit ,kritischen' Argumentationen aus dem Umkreis des Kritischen Rationalismus - die Kritik des uneingeschränkten Fallibilismus -, sowie die Metakritik derjenigen Einwände, die von Gethman/Hegselmann vorgebracht worden sind. (V gl. dazu Kuhlmann [5], S. 9Iff.) Einige dieser Pointen werden im folgenden Kapitel in systematischer Ausrichtung an einem ,revisionären' 2-Ebenen-Modell transzendentaler Diskurse aufgenommen und weitergeführt. IJ

24

2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

Kraft ihrer eigenen Äußerungen zu identifizieren und gegenüber den Redepartnern erläutern-erklärend zur Geltung zu bringen: sie haben auch - genau in dem Maß ihrer ,kommunikativen Kompetenz' - ein Wissen davon, ob eine (eigene oder fremde) Äußerung als Redehandlung des Typs XY gelten kann, ob sie Kriterien ,pragmatisch-situativer Wohlgebildetheit' (Akzeptabilität) erflillt, ob sie, obwohl wohlgebildet, trotzdem mißglückt etc. etc. Ausgehend von der strikt-reflexiven Einsicht, daß die Wahrheitsgeltung von Präsuppositionen (Regeln), deren notwendige Anerkenntnis durch einen Sprecher / Behaupter / Argumentierer äußerungskonstitutiv ist, ,vor jedem sinnvollen Zweifel sicher' ist, scheint das gesamte, d.h. generativ-interpretativ wirksame (Sprech)-Handlungswissen eines kompetenten Redepartners einen ähnlichen Stellenwert zu besitzen. (Zumindest) nämlich: daß eine bestimmte (eigene) Äußerung eine Behauptung oder einen Zweifel, also eine Art Argument, darstellt (und nicht nur als solche intendiert war), scheint keinen prinzipiellen Zweifel der Art zuzulassen, daß immer und in jedem Fall eine vorgängige theoriegeleitete (Selbst)-Vergewisserung über deren Sprech-Handlungsstatus gefordert werden kann; aus dem (reflexiv) einfachen Grund, daß eine solche ,theoretische' Sicherstellung - die Auflösung des Zweifels - als Zusammenhang evidenzprüjender Rede auf ein als wahr zu unterstellendes Handlungswissen rekurrieren - sich darauf verlassen - können muß, ein, Wissen', wie das, was dem prinzipiellen Zweifel ausgesetzt werden sollte. (2) Der strikt reflexive Aufweis der Nichthintergehbarkeit der Argumentationssituation scheint merkwürdig inhaltslos zu sein, flihrt das Argument doch nur zu der Einsicht, daß diejenigen Präsuppositionen oder Argumentationsregeln, welche immer das auch sein mögen, die die Letztbegründungsformel erflillen, ,flir uns' unhintergehbar sind. Die klassische Transzendentalpragmatik findet sich aber aufgefordert, ,den realen Gehalt des damit Bezeichneten im Einzelnen hinreichend präzise' anzugeben. 16

Das damit gekennzeichnete Problem ist das einer letztbegründbaren Theorie der Argumentation: woher sonst als aus einer Theorie soll der Transzendentalpragmatik die Konkretion materialer Gehalte (Inhalte) zufließen? Freilich muß eine solche ,Theorie' der Bedingung der Letztbegründbarkeit ihrer Einsichten gehorchen, insofern also, vor jedem sinnvollen Zweifel sicher' sein. Kuhlmanns Lösung dieses Problems besteht in der Zusammenflihrung der Punkte CI) und (2). Die geforderte ,Theorie' ist nichts anderes als eine im apriorischen ,Handlungswissen vom Argumentieren enthaltene Argumentationstheorie' und als solche von jedem sinnvollen Zweifel ausgenommen. 16

Vgl. Kuhlmann (5), S. 107.

2.2 Kritik

25

Sie stellt der Transzendentalpragmatik ,relativ gehaltvolles, geordnetes und universell verwendbares' Wissen von Argumentation zur Verfügung. 17 In Erweiterung des an performativ eingesetzten ,iIIocutionary force indicating devices' (SearIe) festgemachten Bereichs apriori gewissen Handlungswissens nimmt Kuhlmann dessen Status auch für ein ,gehaltvolles' Argumentationswissen - zumindest für dessen ,harten Kern' - in Anspruch. Dieses Wissen umfaßt nicht nur Geltungsregeln einzelner Sprechakttypen, sondern Regeln ,sprechaktübergreifender' Argumentations- und Konversationsstrategien, letztendlich solche von ,Handlungsstrategien' , die Sprechakte und Kommunikation integrieren. '8 Naheliegende Einwände - von A. Berlich formuliert -, sowohl das kompetenten Sprecher I Argumentierern zugeschriebene apriorisch-konkrete Handlungswissen selbst wie auch dessen theoretische Rekonstruktion seien prinzipiell fallibel und daher für Letztbegründungsstrategien nicht geeignet, weist Kuhlmann mit dem Hinweis darauf ab, daß dies zumindest für einen ,harten Kern' nicht gelten könne; strikte Reflexion zeige, daß für einen solchen Bereich kein sinnvoller Zweifel zu formulieren sei. '9 Zudem verdanke sich die im Handlungswissen verankerte und angelegte Argumentationstheorie nicht expliziter theoretischer Rekonstruktion durch einen dieses apriorische Wissen tragenden Sprecher, sondern sei als Resultat einer, die Grenzen der Art eines solchen Wissens nicht überschreitenden, Selbsttransformation von (kapazitativem) knowing-how in ein in Redeerläuterungen oder Erklärungen gegenüber Redepartnern aufscheinendes und wirksames knowing-that zu verstehen. 20

2.2 Kritik Ich werde nun im folgenden die Kuhlmannsche Formulierung des klassischtranszendentalpragmatischen Letztbegründungsbegriffs einer deflationierenden Kritik unterziehen. In Anknüpfung an die obige Skizze müssen dazu einige weitere - von Kuhlmann besonders in Abhandlungen jüngeren Datums eingeführte oder weiter erläuterte21 - Elemente dieses Modells berücksichtigt werden: dies sind die Sehiehtungsthese, die Beseheidenheitsstrategie sowie die Idee eines mäeutisehen Dialogs, der, von Seiten des klassischen Letztbegründers ,geschickt' geführt, überzeugungs-mächtig genug sein soll, den wissensvergessenen Skeptiker entlang den Bahnen anamnestisch angeleiteter, ,strikter Reflexion' zur Ein17

Vgl. Kuhlmann (5), S. 111.

IX

Vgl. Kuhlmann (5), S. 113 und S. 120 f.

19

Vgl. Kuhlmann (5), S. 125 ff.

20

Vgl. Kuhlmann (5), S. 138 ff.

21

Vgl. Kuhlmann (9) sowie Kuhlmann (7), S. 270 ff.

26

2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

sicht in die Bestände seines transzendentalen Wissens vom Argumentieren zu führen. Ich werde zwei Schwerpunkte der Kritik setzen: Zum einen die ,Inhaltlosigkeit' des Generalarguments strikter Reflexion - die Nichthintergehbarkeit der Argumentationssituation für den ,ernsthaft' Argumentierenden -, zum anderen, und wichtiger, die wissenstheoretischen oder besser: wissensexplikativen Ergänzungen und Erläuterungen, die Kuhlmann in Anerkennung der Berechtigung des Inhaltslosigkeitsvorwurfs selber vorgenommen hat. Ich werde die These vertreten, daß weder ,selbsttransformiertes Wissen-daß' vom Argumentieren (in den verschiedenen von Kuhlmann angegebenen Formen) für sich schon als nichthintergehbar gültig gewußtes Präsuppositionswissen darstellt, noch die ,hinzukommenden' Verfahren strikter Reflexion im Sinne des Generalarguments und/ oder eines mäeutischen Dialogs dieses systematische und prinzipielle Defizit des klassisch-transzendentalpragmatischen Letztbegründungsbegriffs beheben oder ausgleichen können.

Zum Inhaltslosigkeitseinwand - in Anknüpfung an die Kritik A. Berlichs: 22 Der Haupteinwand der Kritik Berlichs lautet: die ,entscheidende' Aufgabe, " ... zu zeigen, daß die in Frage stehende [Regel R des argumentativen Diskurses - M.N.] unhintergehbare Präsupposition ... ,,23 sei, oder zu zeigen " ... wie begründet werden könne, daß etwas transzendentale Präsupposition sei"24, bleibe durch ,strikte Reflexion' auf die Unhintergehbarkeit der Argumentationssituation ungelöst. Kuhlmann hat diesem Einwand Rechnung getragen; das Problem einer ,Spezifikation' von Argumentationsregeln und Präsuppositionen im Sinn einer ,philosophischen Theorie der Argumentation' sei " ... offenbar nicht zu umgehen."25 Das Problem ergibt sich als Konsequenz der spezifischen ,Globalität' oder Inhaltlosigkeit der Kuhlmannschen ,Durchführung' des Letztbegründungsarguments: bestreitet jemand in einem ernsthaften und sinnvollen Argument die Geltung der Argumentationsregel R 1 ••• R" - welche auch immer das sein mögen - für ,sich selbst', so verwickelt er sich in die charakteristischen Widersprüche der Letztbegründungsformel, da er, als sinnvoll Argumentierender, Geltung der betreffenden Regeln - welche auch immer das sein mögen - zugleich notwendig und unhintergehbar unterstellen muß. 12 Parallel zu Berlich hat auch H. Albert auf diesen Punkt hingewiesen: Vgl. Albert (2), S. 78. Für Kuhlmann bedeutet dieser Einwand die ,unangenehmste Frage' an die Transzendentalpragmatik " ... nämlich: wie kommt man ... zu hinreichend vielletztbegründetem materialen Gehalt, hinreichend nämlich, um eine ganze philosophische Theorie zu stützen?" Kuhlmann (9), S. 224. 23 Berlich, S. 262. 24

25

Berlich, S. 265. Sperrung vom Verfasser. Kuhlmann (5), S. 108, vgl. ebenfalls S. 105-111.

2.2 Kritik

27

Berlich erhofft sich die ,Lösung' des Problems davon, daß das "eigentliche Begriindungsproblem"26 in eine Theorie der Argumentationsvoraussetzungen übernommen wird, die sich weder auf Sprecherwissen besonderer Art stützt, noch den Anspruch erhebt, infallible Rekonstruktionen zu liefern; eine solche Theorie entledigt sich des Anspruchs auf Letztbegriindung oder schraubt einen derartigen Anspruch auf ein rational verteidigbares Maß zuriick. 27 Kuhlmann postuliert dagegen explizit eine in unserem ,Handlungswissen vom Argumentieren' angelegte, Theorie' der Argumentation, die, auch umfassendere Zusammenhänge kommunikativen Handeins einbegreifend, der Transzendentalpragmatik die benötigte Inhaltlichkeit und Konkretion - den ,realen Gehalt' der Präsuppositionen der Argumentation - zugänglich macht, zugleich aber die epistemischen Grenzen des Letztbegriindungsansatzes nicht überschreitet, da, zumindest für einen Kernbereich eines solchen Wissens, ,strikt reflexiv' eingesehen werden kann, daß es ,wirkliches Wissen' und kein bloßes Meinen oder Glauben repräsentieren muß. 28 Kuhlmann verstärkt diese Infallibilitätszuschreibung im weiteren Verlauf seiner Überlegungen durch den Hinweis darauf, Wissen dieser Art besitze ,Datencharakter' und sei schon deshalb - in Aufnahme der Diskussion um den wissenschaftstheoretischen Status von ,Intui26

Berlich, S. 283, Anm. 51.

27 Vgl. Berlich, S. 269ff. Berlichs Kritik ist, zumindest in diesem Hauptpunkt, in der Tat nicht abweisbar; insofern hat sie erheblich zur Klärung der Problemsituation transzendentalpragmatischer Letztbegründung beigetragen. Die daraus von Berlich gezogenen Schlußfolgerungen aber beruhen auf einer Konfusion, die sich schon unmittelbar im Anschluß an seine Formulierung der ,entscheidenden' Aufgabe der Letztbegründung - nachzuweisen, daß etwas transzendentale Präsupposition ist - zeigt. "Das [Dieser Nachweis - M.N.] kann nicht wieder vermittelst eines Widerlegungsarguments geschehen, da dieses ja von dem hier Aufzuzeigenden Gebrauch macht." Es ist erstaunlich, wie Berlich einfach übersieht, daß dieser Umstand genau die positive Pointe, u.d.h. die Grundlage der Möglichkeit eines Nichthintergehbarkeitsarguments darstellt. - Berlichs Begründung seiner These: "Wer also jemanden des Selbstwiderspruchs überführen will, weil er die Unhintergehbarkeit der fraglichen Sinneinheit [einer Argumentationsregel R - M.N.] bestreitet, muß dazu in Anspruch nehmen, was der andere gerade bestreitet; denn er kann das Argument nur führen, wenn er den transzendentalen Status des Bestrittenen bereits in Anspruch nimmt." (Berlich, S. 262.) Dazu ist zu sagen: J. Der Letztbegründer muß nur dann die spezifische ,Sinneinheit' selber in Anspruch nehmen, wenn auch der Bestreiter deren Geltung notwendig unterstellen muß. Gerade das ist die ,strikt performativ selbstbezügliche' Pointe eines Diskurses transzendentaler Nichthintergehbarkeit. 2. Der Letztbegründer muß in der Tat den ,transzendentalen Status' von R für seinen Diskurs unterstellen - aber nicht in der Weise einer Unterstellung, daß spezifisch-R tatsächlich gilt, sondern in der Weise einer - selbst erst im Verlauf des Diskurses zu überprüfenden - Hypothese, daß R gilt, wenn R eine transzendentale Präsupposition repräsentiert. Damit ist nichts präjudiziert, denn ob R tatsächlich der Menge M transzendentaler Präsuppositionen angehört, zeigt sich ja erst daran, ob die - strikt performative - ,Widerlegung' des ,Skeptikers' gelingt oder nicht. Der transzendentale Diskurs selbst entscheidet darüber; keineswegs eine nicht zu rechtfertigende Voraussetzung, die einen solchen - noch dazu um den Preis logischer Zirkularität - überflüssig macht. 2' Vgl. Kuhlmann (5), S. 130.

28

2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

tionen' in der Tradition der Chomsky-Linguistik bzw. des Habermasschen Begriffs rekonstruktiver Wissenschaft - infallibel; zudem stehe implizites Wissenwie kompetenten Argumentierern als ,selbsttransformiertes' Wissen-daß um Präsuppositionen der Argumentationen zur Verfügung, bzw. müsse ihnen ,strikt reflexiv' zugeschrieben werden; als in die Form propositionalen Wissens-daß , selbsttransformiertes , Wissen sei es ebenfalls - zumindest für einen Kernbereich - von der Art ,theoretischen', d.h. gehaltvollen, aber infalliblen Wissens. 29 Ich möchte die Kritik nun mit den beiden folgenden Punkten einleiten. (1) Der Hinweis darauf, es könne ,strikt reflexiv' eingesehen werden, daß es einen ,harten Kern' infalliblen, substantiellen - nicht nur rein performativen Handlungswissens geben müsse, der immer schon in Anspruch genommen werde, wenn Argumentationen aufgebaut würden, ja, der jedem Argumentationsteilnehmer als Wissen um die Möglichkeit strikter Reflexion zugeschrieben werden müsse, mag wahr sein: entscheidend ist aber, daß dieser Hinweis die Figur der Inhaltlosigkeit der ,Durchführung' des Letztbegründungsarguments nur wiederholt. Berlichs Haupteinwand ist damit in keiner Weise beantwortet. Kuhlmann müßte zeigen, wie für ein beliebiges spez~fisches Element Reines solchen Wissens die Letztbegründung geleistet werden kann. 30 (2) Kuhlmanns ,Theorie' eines apriorischen Handlungswissens vom Argumentieren scheint tatsächlich den Stellenwert einer Theorie zu besitzen: wie anders ist sonst zu erklären, daß das Problem des ,realen Gehalts' letztzubegründender spezifischer Präsuppositionen den ,selbstvergessenen theoretischen' Rekurs auf den - in der wissenschaftstheoretischen Diskussion keineswegs eindeutig geklärten - Datencharakter entsprechender Wissensstrukturen (offenbar zwingend) erfordert, weiterhin auch das - von Kuhlmann nicht weiter explizierte - Konstrukt einer ,Selbsttransformation' des Wissens-wie herangezogenen werden muß, um den Stellenwert eines propositional ausdifferenzierten, aber infalliblen Wissens für das apriorische Handlungswissen sicherzustellen?

Die damit nach Maßstäben ,strikter Reflexion' vorgenommene Verlagerung einer philosophischen Argumentationstheorie in den Bereich apriorischen Sprecher / Argumentierer-Wissens gibt außerdem wiederum keine zureichende Erwiderung auf Berlichs Einwand an die Hand: selbst wenn uns ein KuhlmannVgl. Kuhlmann (5), S. 134 ff. Ähnliches gilt flir den ,strikt reflexiven' Rekurs auf .paradigmatische Evidenzen' eines ,transzendentalen Sprachspiels': daß es solche - unhintergehbaren - nicht-privaten, sprachverwobenen Evidenzen geben muß, da sonst die Begriffe der Kritik, des Bestreitens, der Korrektur, der Falsifikation etc. etc. allen Sinn verlieren, mag wahr sein, beantwortet aber nicht die berechtigte Forderung an die Klassische Transzendentalpragmatik, im Weg eines transzendentalen Diskurses for eine spezifische paradigmatische Evidenz E den Status der Nichthintergehbarkeit ,real' nachzuweisen. Berlich scheint auch in diesem Punkt seiner Kritik Recht zu behalten. Vgl. Berlich, S. 262-265. 29

30

29

2.2 Kritik

sches ,selbsttransfonniertes' Wissen-daß um spezifische Präsuppositionen sinnvoller Argumentation zur Verfügung steht, muß es doch als solches erst in einem Letztbegründungsargument zur Geltung und ,strikt reflexiven' Transparenz gebracht werden. Aber diese Kritik führt noch nicht auf den Kern des Problems, der Sachverhalt ist komplizierter: Reflexive Letztbegründungen sollen Einsicht in (für ,ernsthaft Argumentierende') nichthintergehbares Wissen vom Argumentieren verschaffen. Ihr Tenninus a quo ist dasjenige implizite Wissen-wie, über das Sprecher qua argumentationskompetente Diskurssubekte verfügen, ihr Tenninus ad quem ist propositional ausdifferenziertes, sinnadäquat expliziertes und transzendental wahres Wissen von Präsuppositionen argumentativer Diskurse ,überhaupt'. Wie nun, läßt sich fragen, wird dieser epistemische Übergang methodisch vollzogen, unter Zuhilfenahme welcher Verfahren, Regelschritte oder Erkenntnisse gewinnen wir die Einsicht, daß diskurskompetente Sprecher tatsächlich über derartiges transzendental gültiges Wissen verfügen? Die möglichen Antworten werde ich jetzt systematisch durchgehen: (I) Indem diskurskompetente Subjekte über Wissen-wie vom Argumentieren verfügen, verfügen sie nicht nur über die Fähigkeit, diskursrelevante Äußerungen qua Sprechakte regelgerecht und kommunikativ-metakommunikativ hervorzubringen, in vielfältiger und situationsangemessener Weise zu interpretieren und mit Diskurspartnern zu interagieren; sie haben, allein weil sie das können, schon für sich substantiell gehaltvolles, transzendental gültiges Präsuppositionswissen. Unnötig zu betonen, daß eine derartige Behauptung absurd ist sche Transzendentalpragmatik teilt sie verständlicherweise nicht.

die klassi-

Nicht nur müßte ein solches Wissen-wie apriorisches Wissen-wie sein Apriorizität als epistemisches Prädikat setzt aber Propositionalität voraus;JI es müßte indes auch die Gewißheit, daß solches Wissen-wie das Geltungssinnindizierende Prädikat ,transzendental' erfüllt, diesem ,Können' in derselben Weise eingebaut sein wie die Gewißheit, daß der Diskurspartner eine Frage gestellt hat, dem interpretatorischen Können eingebaut ist, das uns in den Stand setzt, Frageäußerungen aufgrund von phonetischen patterns von Satzäußerungen zu identifizieren oder die pragmatische Angemessenheit einer solchen Frageäußerung zu beurteilen.

31

Von ,Platon bis Gettier' ist dies ,Bestand' der philosophischen Erkenntnistheorie.

30

2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

Mit ,Präsuppositions-Intuitionen' gar kann nicht gerechnet werden - oder wenn doch, dann nur unter der Bedingung eines stark erläuterungs bedürftigen - gewissennaßen devianten - Begriffs von Intuition. (2) Diskurskompetente Subjekte verfügen nicht nur über Wissen-wie vom Argumentieren, sondern auch, deshalb und gleichrangig, über ,selbsttransformiertes Wissen-daß' vom Argumentieren. Derartiges Wissen kommt in zwei paradigmatischen Fonnen: repräsentiert einmal durch (einfache) perfonnative Sätze, zum anderen durch perfonnative Sätze ,im Großen,.32

Sprecher können nicht nur Redehandlungen wie Behauptungen, Fragen, Befehle oder Versprechungen regelrecht hervorbringen, sie wissen auch, um was für Arten von Äußerungen sich dabei (nonnalerweise) handelt: sie sind in der Lage, mit performativ expandierten Sätzen, die äußerungsgenerativ verwendet werden können wie ,Ich behaupte hiennit .. .', ,Ich frage dich .. .', Ich befehle Ihnen jetzt ... ' Redepartnern den Äußerungstyp metakommunikativ zu signalisieren und das entsprechende Sprechaktangebot zu erläutern. Gleichennaßen sind sie gegenüber Hörern in der Lage, eigene Redehandlungen als Behauptungen, Fragen usw. zu identifizieren und so zu situieren. Ähnliches gilt für ihre Fähigkeit, sprechaktübergreifende Redezusammenhänge zu signalisieren oder ,kommentierend' hervorzuheben: sie wissen (nonnalerweise), daß dieser Redeteil als Einleitung fungiert, jener einen anderen argumentativ stützt, dort der Kommentarteil beginnt, und abschließend derjenige Redeteil präsentiert wird, der auf Einwände metakritisch antwortet.

Pelformative Sätze ,im Großen' wie ,Ich komme jetzt zum zweiten Teil meiner Widerlegung' oder ,Die folgenden Bemerkungen leiten den kritischen dritten Teil meiner Ausführungen ein' repräsentieren ein Wissen, das sich in der Perspektive der I. Person des Subjekts der aktualen Rede als eine Fonn propositional differenzierten Wissens zu erkennen gibt oder erschließt; gleiches gilt für einfache perfonnativ expandierte Äußerungssätze. Perfonnativ reflexives Wissen dieser Art scheint nun Sprechern ohne die logische Vennittlung einer expliziten Theorie, etwa einer Sprechakttheorie oder einer empirischen Pragmatik von Redesorten oder Kontexten zur Verfügung zu stehen: perfonnatives Wissen-wie kommt gleichsam auch als eine Art Wissendaß vor. Kuhlmann hat zur Kennzeichnung dieses eigentümlichen Verhältnisses den Tenninus ,Selbsttransfonnation' eingeführt. 33 Zugleich scheint ,janusköpfigem' Wissen dieser Art eine merkwürdige Fonn von Infallibilität zu eignen: Wollte man ,selbsttransfonniertes Wissen-daß' als eine Art impliziter Theorie von Sprechhandlungen, ihrer argumentativen Ver32

33

Vgl. Kuhlmann (5). Vgl. Kuhlmann (5).

2.2 Kritik

31

wendung und entsprechende Redesorten durch Verweis auf empirische oder theoretisch hochstufige Evidenzen widerlegen, so müßte der Widerleger doch, einfach gesagt, selber reden und argumentieren - und dabei nicht nur vor aller Selbstvergewisserung durch Theorie auf sein generativ funktionierendes und ,sich selbst' propositional auslegendes Wissen-wie davon vertrauen, sondern auch seinen Redepartnern gleiches Wissen zuschreiben bzw. solches bei ihnen voraussetzen. Sprechakttheorien können nur an Sprechakten als ,Daten' scheitern; theoretisch-rekonstruktives Wissen von Sprechakten und seine argumentative Verwendung nur, so scheint es, an vor-theoretischem, quasi intuitivem Wissen, in das so etwas wie eine ,Können - performativ-propositionales-Wissen-daß' - Doppelstruktur eingebaut ist. Es liegt nun nahe, die Dimension eines solchen Wissens auch als Dimension genuinen, substantiellen Präsuppositionswissens zu verstehen. ,Selbsttransformiertes Wissen-daß' vom Argumentieren scheint ja infallibles, inhaltlich vielgestaltiges, propositional ausdifferenziertes Wissen zu sein: genau also diejenige Art von ,apriorischer Argumentationstheorie' zu verkörpern, die die klassische Transzendentalpragmatik benötigt, um den Einwand der Inhaltlosigkeit strikter Reflexion zu entkräften. Ist ein derartiges Wissen schon Präsuppositionswissen, dann verfügen diskurs-kompetente Sprecher kraft ihrer performativ-reflexiven Fähigkeit zu argumentieren auch schon über ein Wissen solcher Bedingungen, Regeln oder Umstände, die im Sinne der Apelschen Letztbegründungsformel transzendental nichthintergehbar gelten. Ich möchte nun zeigen, daß dies nicht der Fall ist, werde dabei aber nicht die von A. Berlich (und anderen) angeführten Gründe - theoretische Rekonstruktionen des Wissens-wie vom Argumentieren sowie die Inhalte dieses Wissens seien prinzipiell fallibel - aufgreifen, sondern die Kuhlmannsche Idee der Selbsttransformation ins Zentrum der Betrachtung stellen. Selbsttransformiertes Wissen-daß ist ja gerade darauf angelegt, diesen Einwänden den Boden zu entziehen, da es vortheoretisch und infallibel sein soll. Leider hat Wolfgang Kuhlmann Selbsttransformation nicht wirklich umfassend erläutert, aber eines indes ist klar: wenn dies der logische Motor ist, der kapazitatives Wissen-wie in apriorisches Argumentationswissen überfuhrt - ein Motor, der gewissermaßen ,im Objektbereich des Wissens' selbst arbeitet -, dann lastet viel auf diesem Explikat. Ich glaube -

zu viel.

32

2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

Selbsttransformation und einfache performative Sätze

N.N. äußert gegenüber Redepartnern: ,Ich behaupte hiennit, daß GammaInterferon die Genese von Krebs hinauszögern kann.' N.N. weiß, daß seine Äußerung eine (Diskurs)-Behauptung darstellt; er drückt dies durch die Verwendung des illokutiven Verbs im perfonnativ expandierten Einleitungssatz seiner Äußerung aus. Das ist kein kontingenter Umstand: wäre N.N. dazu nicht in der Lage, d.h. verfügte er nicht über das entsprechende selbsttransfonnierte Wissen-daß, müßte seine Fähigkeit, Behauptungen zu erzeugen, zu erkennen und iIlokutiv zu interpretieren, als beschädigt gelten. Das soll nicht bestritten werden. Was aber weiß N.N. noch deswegen, weil er sprach bzw. behauptungsfähig ist, und weil dieses Wissen ihm auch als selbsttransfonniertes daß-Wissen zur Verfügung steht? Daß er etwas als wahr behauptet hat? Einen Geltungsanspruch erhoben hat? Daß seine Behauptung mißglückt wäre, wenn seine Redepartner schon über die ihnen mitgeteilte Infonnation verfügt hätten, und er, N.N. dies hätte wissen müssen? Daß er seine Behauptung weder über- noch unterinfonnativ ausgestaltet, sich also ,Grice-Maximen'-gerecht verhalten hat? Daß er BegTÜndungsverpflichtungen eingegangen ist? Daß er seine Diskurspartner als ihm und untereinander gleichberechtigte Diskurssubjekte anerkannt hat und von ihnen gleiche und reziproke Anerkennung erwarten darf? Kurz: Wie weit reicht Selbsttransfonnation? Erschöpft Selbsttransfonnation den Wissen-wie-Gehalt der lebenswelt- und diskurssprachlichen Regelinstitution ,Behauptung'? Läßt sich selbsttransfonniertes Wissen-daß vom Behaupten nach apriorischen Kriterien von solchem Wissen vom Behaupten abgrenzen und unterscheiden, das Sprecher aufgrund lokaler Lernprozesse erwerben, die Gegenstand einer empirischen Perfonnanztheorie sind? Der Punkt ist: Der bloße ,reflexive' Verweis auf den Umstand, daß Sprecher, die behaupten können, auch Wissen-daß übers Behaupten haben und haben müssen, ist nicht zureichend; auch dem Wissen-daß vom Behaupten selbst ist nicht anzusehen, ob es ,selbsttransfonniert' ist oder nicht - weder aus der Perspektive der 1. Person des aktual Behauptenden noch aus der des Redepartners oder des distanzierten Theoretikers oder Interpreten. Die These kann auch nicht sein, daß jedes propositionale Wissen vom Behaupten, über das Sprecher verfügen, auf Selbsttransfonnation beruht - das würde die Idee von Selbsttransfonnation trivialisieren und wäre vennutlich empirisch einfach falsch.

2.2 Kritik

33

Es ist daher nützlich zu unterscheiden zwischen (1) dem, was einer, der als Sprecher x, y, z kann, als Sprecher weiß, weil er x, y, z kann; (2) dem, worin dieses Wissen besteht, und (3) dem, worin der Geltungssinn dieses Wissens besteht. Die Idee der Selbsttransformation ist die Idee, daß sprach- und diskursfähige Subjekte eine Antwort auf die Frage, worin das Wissen-wie vom Behaupten, Fragen, Befehlen usw., über das sie deswegen verfugen, weil sie Dinge behaupten oder bestreiten, Fragen stellen und Befehle geben können, quasi ,von Haus aus' mitbringen: nämlich als eine Art Wissen-daß, welches, weil es selbsttransformiert ist, apriori wahr ist und infallibel gilt. Erneut gefragt: Erschöpft der Bereich selbsttransformierten Wissens-daß den gesamten Bereich möglicher wahrer Explikation dessen, worin das kapazitative Wissen-wie vom Behaupten, Befehlen usw. besteht? Offensichtlich nicht: es muß mit ,Schichten' solchen Wissens gerechnet werden, von denen nur die ,obersten' in selbsttransformierter Form vortheoretisch zugänglich sind (eben deswegen, weil Selbsttransformation nur über einigen davon aktiv sein kann - so scheint dieser logische Motor gebaut zu sein.). (Die Schichtungsthese wird später ausführlich zu besprechen sein) Diese ,obersten' Schichten aber muß - im Sinn von: ,strikt reflexiv' muß es geben, sonst wären Sprecher nicht in der Lage, kommunikativ-metakommunikativ Sprechakte performativ hervorzubringen und diese hörergerichtet zu identifizieren und zu kommentieren. Weiter: Wenn nun zumindest einige ,Stränge' oder ,Module', aus denen sich das Wissen-wie vom Behaupten, Fragen und Argumentieren usw. gewissermaßen zusammensetzt, als selbsttransformiertes Wissen-daß zugänglich sein müssen, ist damit auch schon garantiert, daß diese vortheoretischen Repräsentationen diese Fähigkeit bzw. ihre modularen Subfähigkeiten ,richtig' darstellen? ,Richtig' heißt hier: ,sinnadäquat' oder ,klar und deutlich' sowie ,den Wissensgehalt dieser Subfähigkeiten überhaupt treffend'. Ist Selbsttransformation logisch, d.h. mit apriorischer Notwendigkeit, wahrheitsgarantierend? In diesem günstigsten Fall und gleichzeitigem Zugeständnis, daß sich selbsttransformierte Wissens-Repräsentationen semantisch verdeutlichen und klären lassen - etwa durch so etwas wie einen mäeutischen Dialog - liegt trotzdem folgender Einwand nahe (es ist wichtig zu betonen, daß dies nicht die Einführung einer fallibilistischen Intuition bedeutet): Selbsttransformation stellt Sprechern daß-Wissen zur Verfugung, welches es ihnen ermöglicht, Einheiten intersubjektiver Rede korrekt zu identifizieren und 3 Niquet

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

gegenüber Redepartnern zu erläutern. Dazu ist es aber nicht notwendig, daß die selbsttransfonnierten Wissens-Repräsentationen das generativ zugrundeliegende und wirksame Wissen-wie wirklich treffen;34 es reicht aus, daß sie es verschiedenen Sprechern ennöglichen, sich über den illokutiven Sinn ihrer Redehandlungen zu verständigen und zu geteilten und wechselseitig bestätigbaren Interpretationen zu kommen. Gibt es eine apriorische Garantie, daß Selbsttransfonnation wahrheitsgarantierend gebaut ist und nicht nur perfonnanz- bzw. verständigungs garantierend? Der Einwand muß nicht die fallibilistische Pointe zur Geltung bringen, daß selbsttransfonniertes Wissen-daß den kapazitativen Kern des entsprechenden Wissens-wie möglicherweise falsch propositional erhellt; es reicht aus, auf den quasi funktionalen Umstand hinzuweisen, daß intersubjektive Verständigung (und Selbstverständigung) über den illokutiven Sinn von Redehandlungen nicht an die starke Unterstellung einer solchen Wahrheitsgarantie gebunden ist. Selbsttransfonnation könnte primär perfonnanzorientiert und nicht wahrheitsorientiert arbeiten. D. h. aber auch: vortheoretisches, kompetenten Sprechern in ,natürlicher' Einstellung nur als Sprechern zur Verfiigung stehendes Wissen-daß vom Behaupten, Argumentieren usw. könnte sich anderen als Kuhlmannschen Prozessen der Selbsttransfonnation verdanken, ohne daß damit die Fähigkeit von Sprechern zur Kommunikation und Metakommunikation beschädigt würde. Weiterhin und in Anknüpfung an die eingemhrte Unterscheidung von Können / Wissen-wie, propositionaler Repräsentation davon, worin solches Wissen besteht und dem Geltungssinn derartigen Wissens: Erzeugt Selbsttransfonnation zusammen und in eins mit einer propositionalen Repräsentation des Wissenswie vom Behaupten, Argumentieren usw. auch ein Wissen vom Geltungssinn derartigen propositionalen Wissens? Weiß z. B. ein Skeptiker schon deshalb, weil er (im Idealfall) aufgrund von Selbsttransfonnation weiß (oder wissen kann), daß, wer etwas behauptet, damr auch BegTÜndungspflichten gegenüber den Redepartnern übernimmt, auch, daß dies eine notwendige, nichthintergehbare, transzendental wahre Bedingung jeder diskursbezogenen oder -situierten Behauptung darstellt? Offensichtlich nicht, möchte man antworten: Schließlich sind ja dem Entwurf des klassisch-transzendentalpragmatischen LetztbegTÜndungsbegriffs gemäß für eine solche epistemische Zertifizierung die Verfahren der strikten Re)4 Es sollte deutlich sein, daß es schwierig ist, hier konstruktivistische und essentialistische Vorannahmen, die verständnisstützend fungieren, völlig abzuhalten - und zwar sowohl in theoretischer Einstellung wie auch in der Perspektive des seine eigene Sprachfähigkeit verstehen wollenden Subjekts der I. Person Singular von diskursbezogenen Redehandlungen.

2.2 Kritik

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flexion im Sinn des Generalarguments der Nichthintergehbarkeit der Argumentationssituation und des mäeutischen Dialogs (dazu unten mehr) zuständig. Es ist aber wichtig, sich folgendes klarzumachen: von einer Erkenntnis P - selbsttransformiert oder nicht - zu behaupten, sie repräsentiere transzendentales Präsuppositionswissen, läßt sich in zweifacher Hinsicht verstehen: zu einen kann damit behauptet werden, P sei eine Art (nicht-spekulativen) Wissen des Wissens derart, daß man wisse, daß eine propositionale Wissensrepräsentation p transzendental nichthintergehbar gelte; zum anderen - und bescheidener läßt sich damit zum Ausdruck bringen, p selber sei - gewissermaßen objektual - Wissen eines Sachverhalts. einer Bedingung oder eines Umstandes, den man in Anwendung eines hinzutretenden, unabhängigen Verfahrens dann auch als transzendental gültig einsehen könne. Kuhlmannsche Selbsttransformation soll offenbar nur Wissen letzterer Art - Wissen der ersten Stufe - erzeugen können. Es ist nun aber klar: Erstens gibt es dafür keine apriorische Garantie. die Selbsttransformation selber eingebaut ist - zumindest nicht für ,einfache performative Sätze'; Zweitens: auch wenn das so wäre, d.h. selbsttransformierte Wissen-daß-Repräsentationen objektual- ob schon fur sich ,deutlich' oder nicht - präsuppositionale Bedingungen oder Strukturen diskursiver Rede unweigerlich epistemisch ,treffen', wäre damit nur Wissen von Präsuppositionen PI'" Pn' nicht aber für Transzendentalitätszuschreibungen notwendiges Wissen von PI ... Pn als Präsuppositionen - Geltungssinn-Wissen also, eben Wissen des Wissens - erzeugt. Abschließend möchte ich noch einen Einwand behandeln, der gegen die von A. Berlich und anderen vertretene These der durchgängigen Fallibilität von Kuhlmannschem selbsttransformierten Wissen-daß in Form einfacher performativer Sätze ,strikt reflexiv' angeführt werden kann. Ist es nicht so, daß Sprecher, die, ob nun aus der Perspektive des aktual Argumentierenden oder in der Einstellung theoretischer Rekonstruktion, die apriorische und infallible Geltung solchen, Wissens' im Sinn eines auch für solches Wissen statthabenden prinzipiellen epistemischen Fallibilismus bestreiten, zumindest für die Sprechakteinheiten ihrer eigenen argumentativen Rede unterstellen müssen, daß diese Regelkonstrukte korrekt erzeugt wurden und von den an einem solchen Diskurs Beteiligten illokutiv korrekt identifiziert, erläutert und kommentiert werden können, ohne daß dazu empirisch oder sonstwie gut bestätigte Sprechakt-, Argumentations- oder Diskurstheorien herangezogen werden müssen? Auch wenn solche Theorien Wissenformen sein sollten, die dem vortheoretisehen, intuitiven Sprecherwissen an implikativer Reichweite, Klarheit, deduktiver Durcharbeitung usw. überlegen sind, scheint klar, daß sie dieses Wissen operativ nicht ersetzen können - zumindest nicht in dem Sinn, daß man zuerst

3*

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

über eine deskriptiv-explanativ korrekte ,Theorie des argumentativen Redens' verfügen muß, um korrekt reden zu können. Bedeutet das aber nicht, daß sich ,strikt reflexiv' selbsttransformiertes Wissen-daß als eigentliche Dimension inhaltsreichen, apriorisch-infalliblen und operativ wirksamen Wissens vom Argumentieren rehabilitieren läßt? Um an diesem Punkt genau sehen zu können, möchte ich unterscheiden zwischen (1) Wissen vom Argumentieren, (2) Präsuppositionswissen in den beiden oben erläuterten Bedeutungen und (3) Wissenspräsuppositionen. Unter (1) Wissen vom Argumentieren verstehe ich intuitives, vortheoretisches kapazitatives Wissen-wie z.b davon, wie man (diskursbezogen) etwas behauptet, eine Frage stellt, bestreitet usw. Unter (2) objektual korrektem und, iteriertem '(reflexivem) Präsuppositionswissen vom argumentativen Diskurs verstehe ich Z.B. daß einer, der gegenüber Diskurspartnern behauptet daß so-und-so, diese sich und untereinander als gleichberechtigt anerkennt bzw. daß dies eine nichthintergehbare Bedingung jedes argumentativen Diskurses darstellt. Unter (3) Wissenspräsuppositionen vom Behaupten, Argumentieren, allgemein: diskurssituierter Rede, verstehe ich den Umstand, daß Sprecher den illokutiven Sinn ihrer eigenen Sprechakte kennen und die Sprechakte ihrer Redepartner illokutiv korrekt identifizieren und verstehen können müssen. Solches Wissen kommt typischerweise darin zum Ausdruck, daß Sprecher die Sätze ihrer eigenen Äußerungen performativ expandieren (,Gold ist schwer' ~ ,Ich behaupte jetzt: Gold ist schwer') und Fremdredewendungen wie ,N.N. hat ... , daß .. .' ,N.N. hat ... , ob .. .' durch Einfiigung eines illokutiven Verbs oder anderen sprechaktkennzeichnenden Ausdrucks vervollständigen können. Daß Sprecher, gestützt auf ihr intuitives Wissen-wie vom Argumentieren, dies wissen können müssen, hat deshalb den Stellenwert einer Präsupposition, weil einer nur deswegen, weil er schon vortheoretisch reden und Rede verstehen kann, eine empirisch ,starke' ,Theorie des argumentativen Redens', die Z.B. eine axiomatisierte Taxonomie von Sprechakten enthält/ 5 illokutiv als Diskursbeitrag identifizieren, verstehen und abwägen kann. Wer, gestützt auf eine solche empirisch fundierte und selber ,fallible' Taxonomie in jedem Fall des Vorkommens natürlicher Rede die Selbstvergewisserung des Sprechers im Lichte der Theorie darüber, ob sein Sprechakt korrekt vollzogen wurde, fordern wollte, müßte das vortheoretische, intuitiv angeleitete Verstehen und Wissen um den illokutiven Sinn der Theorie als möglichem sprechaktgestützten Rede- und Diskursbeitrag schon in Anspruch nehmen oder aber sich in einen ausweglosen Regreß verwickeln. Insofern sind nicht-empiri3~

V gl. Searle / Vanderveken.

2.2 Kritik

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sehe Wissenspräsuppositionen des Argumentierens / diskurs bezogenen Redens immer schon im Spiel - aber das darf nicht mißverstanden werden: a) Selbstverständlich ist es empirisch immer möglich, daß Sprecher in bestimmten Redesituationen performativ ,bizzare' Sprechakte erzeugen, sich über den iIIokutiven Sinn ihrer eigenen oder fremden Redehandlungen täuschen oder einander ,pragmatisch' mißverstehen. Die präsuppositionale Unterstellung, daß sie diesen Sinn wissen können müssen, heißt nur, daß derjenige Redepartner, der die Wahrheit über diese Täuschung behauptend ans Licht bringt (oder auch nur die Möglichkeit der Täuschung suggerierend in die Debatte wirft), selber solcher Täuschung nicht unterliegen darf, weil sonst auch für ihn die iIIokutive Basis seiner Einsicht entfällt. Natürlich läßt sich für ihn das Gedankenexperiment wiederholen, oder auch für theoretisch immer informiertere Sprecher stetig zunehmender linguistischer Sophistikation - all das ändert nichts daran, daß die Wissenspräsupposition ,Dies ist eine performativ korrekte und illokutionär wohl gebildete Behauptung, daß ... ' in Kraft ist. Freilich - diese Präsupposition ist nur so und in dem Sinn ,notwendig wahr', wie es für den realen oder imaginären Theoretiker notwendig ist, an irgendeinem Punkt seiner Rede zu unterstellen, er wisse, daß er gerade erfolgreich behauptet habe, daß so-und-so. Eine apriorische Garantie, daß in einer bestimmten Redesituation die Äußerung XY des Sprechers Z tatsächlich eine Behauptung/Frage/Befehl usw. sei, ist damit auf keine Weise etabliert. b) Wissenspräsuppositionen des argumentativen Diskurses sind keine Fälle von Argumentations-Präsuppositionen - weder in deren objektualer noch iterativ-reflexiven Lesart. Wissenspräsuppositionen sinnkritisch einzuführen heißt nicht, selbsttransformiertes Wissen-daß als Präsuppositionswissen zu rehabilitieren oder gar als ,notwendig' zu erweisen. Die Notwendigkeit der Einführung von Wissenspräsuppositionen beruht nicht auf der ,wahrheitsgarantierenden' Kraft einer Transformation von Wissen-wie in Wissen-daß, sondern auf einer Frage nach den Sinn-Bedingungen der theoriegeleiteten Korrektur von oder Aufklärung über iIIokutiven Identifikationen von Redehandlungen, die sich Sprecher als Wissen selbst zuschreiben müssen. Selbsttransformation und performative Sätze ,im Großen'

Um dem Inhaltslosigkeitseinwand zu begegnen, hat W. Kuhlmann vorgeschlagen, die benötigte letztbegründbare apriorische Argumentations-'Theorie' nicht nur im Bereich selbsttransformierten Wissens-daß, welches in einfachen

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

performativen Sätzen zum Ausdruck kommt, anzusiedeln, sondern vor allem dasjenige Wissen zu berücksichtigen, das in performativen Sätzen ,im großen' darstellbar ist. Solches Wissen ist ,Genre'-Wissen, Wissen von sprechaktübergreifenden Zusammenhängen oder Abschnitten argumentativer Rede, entsprechende performative Sätze ,im Großen' sind: ,Ich komme jetzt zum Abschluß meiner Ausführungen', ,Einleitend möchte ich sagen ... ' Zum Abschluß meiner kritischen Bemerkungen kann festgehalten werden ... '. Auch dieses Wissen-wie vom Argumentieren soll Diskurssubjekten als apriorisches und infallibles selbsttransformiertes Wissen-daß zur Verfügung stehen; als Wissen von nichthintergehbaren Präsuppositionen des argumentativen Diskurses soll es den Kern einer letztbegründbaren Argumentations-'Theorie' brereitstellen. Hierzu kurz drei kritische Bemerkungen: I. Da Selbsttransformation als gleiches Erzeugungsverfahren für entsprechendes Wissen-daß auch für solche Sätze in Anspruch genommen wird, treffen die oben angeführten Einwände auch diesen weitergehenden Schritt zu einer apriorischen Argumentationstheorie. 2. Prima facie scheint Wissen von Redesorten, das durch Einführung von entsprechenden sortalen, ,großiokutionären' Ausdrücken wie ,Einleitung', ,Kommentar', ,Exkurs' usw. explizit gemacht werden kann, von genuinem reflexivem Präsuppositionswissen weit abzuliegen. Was haben Formulierungen, die von der klassischen Transzendentalpragmatik als paradigmatisch für Präsuppositionswissen angegeben werden - Diskursprinzip, Apriori der idealen Kommunikationsgemeinschaft, Moralnormen diskursiven und lebensweltlichen Handeins - mit solchem ,sortalen' Wissen zu tun? Kuhlmann müßte entweder solche Zusammenhänge detailliert vorführen oder aber - im Sinne der weiter unten zu besprechenden Bescheidenheitsstrategie sich auf weniger spektakuläre Präsuppositionsformulierungen zurückziehen. Freilich könnte es ja so sein, daß die ,apriorische Argumentationstheorie' sehr ,schlicht' angelegt werden muß - oder aber es kommen weitere Wissens sorten hinzu, die eine inhaltlich stärkere Grundlage bereitstellen. Aber welche? 3. Je mehr spezifische propositionale Inhaltlichkeit sich eine apriorische Argumentationstheorie zutraut, desto schwieriger wird es, vortheoretisches selbsttransformiertes Wissen-daß von solchen Wissensbeständen zu unterscheiden, über die kompetente Diskurssubjekte auch verfügen können, aber eben nicht auf der Grundlage eines selbsttrans(ormierten Wissens-wie vom Argumentieren.

2.2 Kritik

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Wie oben schon ausgeführt wurde, hat selbsttransformiertes apriorisches Wissen-daß keinen Selbstindex als Unterscheidungskriterium, und die Überzeugung, es müsse solches Wissen geben, dies sei ,strikt reflexiv' einsehbar, hilft gerade bei zunehmenden Inhaltlichkeitsanforderungen nicht mehr weiter. Möglicherweise läßt Kuhlmann deshalb - oder aus ähnlichen Gründen - eine weitere Art von Wissen zu, Wissen, das sich in ,kommentierten performativen Sätzen' ausdrückt. 36 Als Beispiel: ,Ich behaupte hiermit ernsthaft gegenüber jedermann mit Wahrheitsanspruch und übernehme hierfür Begründungspflicht ... ' ,Kommentiert' deshalb, weil ersichtlich der einfache, performativ explizite Einleitungssatz ,Ich behaupte hiermit ... ' durch die zusätzlichen Einfügungen expandiert ist. Woraus speist sich diese kommentierende Expansion? Aus theoretischem Wissen-daß vom Behaupten / Argumentieren? Oder stützt sich der Kommentar nur auf unabhängiges, möglicherweise durch Selbsttransformation gewonnenes Wissen, Präsuppositionswissen etwa, das ,verdeutlichend' dem einfachen, performativ expliziten Satz hinzugefügt wird? In diesem Fall würde kein letztbegründungs-'externes' Wissen in Anspruch genommen. Andererseits: läßt sich wirklich der ,kommentierende' Rekurs auf Vokabular wie das von Wahrheits-Ansprüchen bzw. Geltungs-Ansprüchen autonomer Selbsttransformation vom implizitem Wissen-wie einfachhin entnehmen? Und selbst wenn das so wäre: wenn derartige ,Kommentare' nichts anderes sind als Expansionen einfacher performativer Sätze durch Präsuppositionsformulierungen: wie kann Selbsttransformation so umgebaut werden, daß genuines, d.h. objektual korrektes und ,iterativ-reflexiv' eingesehenes Präsuppositionswissen garantiert ist? Ein weiteres Beispiel: "Wenn ich etwas behaupte, dann sage ich (der Sprecher) mit etwas (der Proposition) etwas (Prädikat) über etwas (Referenzobjekt), und dies so, daß ich mit etwas (performativer Satz) zu etwas (Proposition) einen Geltungsanspruch (z.B. den der Wahrheit) erhebe, und zwar zunächst gegenüber der realen Kommunikationsgemeinschaft (bzw. deren Vertretern, die die gegenwärtige Gesprächssituation mitkonstituieren), dann aber auch gegenüber der idealen unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft ... , einen Geltungsanspruch, der mit einer bestimmten Art der Einlösung des Anspruchs (mitsamt den dazu gehörigen Regeln, Verfahren, Kriterien) verbunden ist, die gegebenenfalls realisiert werden könnte ... ".37 36 Ich stütze mich hier auf Ausführungen W. Kuhlmann im Zusammenhang eines in Frankfurt gemeinsam abgehaltenen Seminars zu . Transzendentalpragmatik und Argumentationstheorie' . 37 Kuhlmann (7), S. 44.

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

Ein interessanter, aufschlußreicher Kommentar - gewiß: aber gegründet auf apriorisches und infallibles Wissen-daß vom Behaupten / Argumentieren? Sind solche Erläuterungen nicht doch schon durchsetzt von theoretischen Rekonstruktionen der ,Geltungsbasis argumentativer Rede'? Könnte man nicht einwenden: "Was ich als Behaupter direkt-per(ormativ wirklich weiß ist: daß ich, indem ich äußere: ,Linus, deine Katze liegt auf deinem Lieblingshandtuch !', Linus gegenüber behaupte (normalerweise, also z.B. ihn nicht warne, oder zu etwas auffordere, der Sprechakt erkennbar kein indirekter Sprechakt ist) daß es der Fall ist, daß seine Katze auf dem Lieblingshandtuch liegt (und z.B. nicht umgekehrt) UND daß ich alle möglichen Behauptungspräsuppositionen, welche das auch immer sein mögen, als geltend unterstelle und performativ anerkenne?" Aber wie dem auch sei - auch ,kommentierte performative Sätze' scheinen keinen klaren Fall selbsttransformierten reflexiven, apriorischen und infalliblen Präsuppositionswissens abzugeben. Und selbst wenn sie objektual präsuppositionale Bedingungen des argumentativen Diskurses ,treffen' würden, wäre damit - etwa durch Selbsttransformation allein - noch keine Geltungssinn-Einsicht, eben Einsicht in wirklich transzendentale Geltung, erreicht. Zusammenfassend läßt sich festhalten: Die Idee der Selbsttransformation von Wissen-wie vom Argumentieren in Wissen-daß als Präsuppositionswissen wird systematisch überlastet, wenn damit apriorische Garantien verbunden werden dafür, daß: I. solches Wissen in wahres objektuales Präsuppositionswissen transformiert wird; 2. solches Wissen, selbst wenn es unweigerlich in wahres objektuales Präsuppositionswissen überfuhrt werden würde, auch in genuines iterativ-reflexives, zureichendes Präsuppositionswissen, Geltungssinn-Wissen als Wissen um transzendentale N ichthintergehbarkeit, transformiert wird.)R Selbsttransformation scheidet damit als Verfahren der Erzeugung und / oder des Nachweises von transzendental gehaltvollem Präsuppositionswissen, also einer in diesem Sinn letztbegründbaren apriorisch-infalliblen Argumentationstheorie, aus. Bisher hat sich gezeigt, daß weder der bloße Verweis auf Wissen-wie vom Argumentieren noch die Einführung der Idee der Selbsttransformation als Idee JM Es sollte klar sein: Daß dies garantiert ist, kann der Idee der Selbsttransformation nicht quasi ,eingebaut' sein. Das würde nämlich den gesamten klassischen LetztbegTÜndungsansatz trivialisieren, d.h. in eine Art komplizierte Tautologie verwandeln. Außerdem würde es ihn überflüssig machen: Wenn wir all das immer schon wissen, wozu dann noch den Umweg über LetztbegTÜndung gehen?

2.2 Kritik

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eines quasi in der Dimension solchen intuitiven, ,natürlichen' Wissens selbst operierenden Verfahrens der Erzeugung von Wissen-daß hinreichende Bedingungen für genuines, apriorisch-infallibles, inhaltsreiches Wissen um Präsuppositionen argumentativer Diskurse ,überhaupt' kennzeichnen. Selbsttransformation sind keine apriorischen Garantien für objektual zutreffendes, ,iterativ-reflexiv' nichthintergehbares Präsuppositionswissen eingebaut. 39 Man könnte nun einwenden, die bisherige Rekonstruktion und Kritik des klassisch-transzendental pragmatischen Letztbegründungsbegriffs sei unterkomplex: sie berücksichtige nicht die zwei weiteren führenden Elemente der strikten Reflexion im Sinn des Generalarguments der Nichthintergehbarkeit der Argumentationssituation sowie des mäeutischen Dialogs. Das ist richtig. Ich möchte daher nun zeigen, daß auch strikte Reflexion, so verstanden, und mäeutischer Dialog, den bisherigen Ressourcen der Behandlung des Problems des Übergangs vom Wissen-wie vom Argumentieren zu inhaltsreichem iterativem Wissen um transzendentale Präsuppositionen des argumentativen Diskurses ,überhaupt' hinzugefügt, nicht entscheidend weiterhelfen.

39 Zur Verdeutlichung: Der philosophische Lebenszweck von Selbsttransformation darf nicht allein darin bestehen, genau das - im Sinn einer ,Konstruktion' - sicherzustellen. Daß Diskurssubjekte über Wissen-daß vom Argumentieren verfügen, weil sie wissen, wie man (im weitesten Sinne) Diskurse fiihrt, wird nicht bestritten; nur darf dieser Umstand nicht mit einer philosophischen Interpretation unterfüttert werden, die begrifflich dafiir sorgt, daß solches Wissen Zwecken klassischer Letztbegründung Genüge tut - hier droht die Gefahr eines ad hoc eingefiihrten epistemischen Konstrukts. - Man könnte aber versucht sein, folgender, quasi ,Vicoscher Intuition' nachzugeben (vgl. dazu auch: Kuhlmann [9], S. 228): Weil vortheoretische propositionale Darstellungen von Wissen-wie vom Argumentieren unter Selbsttransformation nur explizite Repräsentationen von ,Strängen' oder ,Modulen' dieses kapazitativen Wissen sind (gewissermaßen nur dessen ,andere Seite') UND solches Wissen-wie konstitutiv-generative Funktion fiir Diskurse und deren Sprechakt-Redeeinheiten besitzt, ist apriori garantiert, daß selbsttransformaiertes Wissen-daß zumindest objektual korrektes Präsuppositionswissen vom Argumentieren ist. (Solches Wissen ist deshalb, ,kantisch' geredet, ,objektiv gültig', weil es ,Bedingung der Möglichkeit' der Erkenntnis - selbsttransformiertes Wissen-daß - wie auch der ,Gegenstände der Erkenntnis' - Redeeinheiten des Diskurses und ihre Präsuppositionen - verkörpert). Dagegen spricht: (I) Geltungstheoretische Analogisierungen - dem Kantischen Paradigma entnommem leisten hier keine intrinsische begriffliche Arbeit - es sind bloße Assoziationen. (2) Selbst wenn Selbsttransformation auf objektuales Präsuppositionswissen ,angelegt' ist, ist damit noch nicht die ,Stufe' iterativ-reflexiven Präsuppositionswissens erreicht. (3) Es ist einfach unplausibel, daß alle ,Module' des Wissens-wie vom Argumentieren Präsuppositionswissen enthalten. (4) Das zugrundeliegende Vico-Paradigma der Möglichkeit und Gültigkeit apriorischer sachhaiti ger Erkenntnis ist viel zu allgemein: wir verstehen eben ganz und gar nicht alles, was wir regel-konstitutiv machen oder erzeugen können, nur schon deswegen, weil wir es machen können: Sprechakttheorien und Chomsky-Linguistik haben diese Gewißheit durch hochstufige, theoretisch angeleitete Nachkonstruktion von Regelkompetenzen untergraben.

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

(3) Strikte Reflexion nutzt den performativ-selbstbezüglichen Umstand aus, daß Subjekte, die sich auf den argumentativen Diskurs einlassen, dessen Präsuppositionen als gültig unterstellen und anerkennen müssen -- deren Gültigkeit können sie weder durch ,Ableitung aus etwas anderem' ohne petitio principii begründen, noch ohne performativen Selbstwiderspruch bestreiten, noch können sie sich, wie Wolfgang Kuhlmann der ,ursprünglichen' Apelschen Letztbegründungsformel hinzugefügt hat, flir oder gegen deren Gültigkeit entscheiden. 40

Die ,Situation' des argumentativen Diskurses ist flir den ,ernsthaft' Argumentierenden (und, wie Apel erläuternd hinzufligt, auch flir den mit Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit Denkenden) niethintergehbar. Diskurssubjekte erkennen also die Gültigkeit jedweder präsuppositionalen Bedingung des argumentativen Diskurses an: sie finden sich mit einer quasi system ischen Struktur konfrontiert, der sie argumentierend nicht ausweichen können. Freilich - wie erinnerlich hatte sich genau an diesem rein formalen Ergebnis der fruchtbare Einwand der Inhaltlosigkeit entzündet: was einer weiß, der der klassischen Transzendentalpragmatik bis zu diesem Punkt folgt, ist, daß Diskurssubjekte nicht umhin können, alle realen Präsuppositionen des argumentativen Diskurses, welche auch immer das sein mögen, als gültig zu unterstellen und anzuerkennen - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Mehr war aber gefordert - nämlich zu zeigen, ,daß etwas transzendentale Präsupposition sei' (A. Berlich). Kuhlmann hatte diesem Einwand mit dem Postulat einer inhaltsreichen, substantiell-apriorischen Argumentationstheorie Rechnung getragen, einem Korpus an infalliblem, vortheoretischem Wissen, das sich, zumindest flir einfache performative Sätze und performative Sätze ,im Großen', aus Einheiten selbsttransformierten Wissens-daß vom Argumentieren und seinen basalen Einheiten diskursiver Rede zusammensetzt. Die Idee ist klar: Wenn wir ,strikt reflexiv' wissen, daß flir beliebige Diskurssubjekte jedwede reale Präsupposition des argumentativen Diskurses nichthintergehbar gilt, und wir zugleich aus der Perspektive eines real und ,ernsthaft' Argumentierenden mit kapazitativem Wissen-wie genau davon wissen, daß p (z.B. daß Diskurspartner als normativ gleichberechtigt je schon anerkannt sind) eine solche Präsupposition ist, dann wissen wir ,strikt reflexiv', daß p transzendental nichthintergehbar gilt. Die logische Brücke vom Wissen-wie vom Argumentieren zum substantiellen Präsuppositionswissen scheint damit durch strikte Reflexion geschlagen zu sein. 40

Vgl. Apel (6) und Apel (15) sowie Kuhlmann (5).

2.2 Kritik

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Freilich - nur scheinbar: und hier zeigt sich wiederum die ungeheure ,architektonische' Last, die auf dem Konstrukt der Selbsttransformation ruht. Der BTÜckenschlag gelingt nur dann, wenn damit gerechnet werden kann, daß es apriori garantiert ist, daß selbsttransformiertes Wissen-daß vom Argumentieren objektual zutreffendes Präsuppositionswissen darstellt. 41 Genau das kann aber als vorentschieden nicht unterstellt werden. Die Möglichkeit strikt-reflexiven (nicht-spekulativen) Wissens des Wissens - transzendentales Geltungssinn-Wissen - setzt selbsttransformiertes Präsuppositionswissen zwingend voraus: Präsuppositionen müssen ,als sie selbst' (W. Kuhlmann) ins Spiel kommen. Strikte Reflexion als dritte Ressource des klassisch-transzendentalpragmatisehen Letztbegriindungsbegriffs wird also in zweifacher Hinsicht eingesetzt. Einmal als rein formale Weise der Einsicht in die Nichthintergehbarkeit der Argumentationssituation samt allen realen präsuppositionalen Bedingungen des argumentativen Diskurses, zum anderen - aus der Sicht eines real Argumentierenden - als Weise der Erkenntnis, daß einer bestimmten, proposition al spezifischen, inhaltsgetränkten Einheit selbsttransformierten Wissens-daß transzendentaler Geltungssinn eignet. Erstere Funktion ist nur problemeinleitend - diese strikte Reflexion verschafft nur Einsicht in die Wahrheit des Konditionals ,Wenn ein bestimmtes Stück Wissen-daß, Q, objektual korrektes Präsuppositionswissen ist, dann gilt Q transzendental nichthintergehbar,. Letztere Funktion wendet dieses Konditional auf eine bestimmte Einheit selbsttransformierten Wissens-daß an, indem sie dieses Wissen dem intuitiven Wissen-wie vom Argumentieren selbst entnimmt, nicht einer falliblen Theorie oder Nachkonstruktion, setzt damit aber zwangsläufig voraus, daß Selbsttransformation ,für sich selbst', d.h. wirklich präsuppositionale propositionale Inhalte sorgt. Nur unter dieser Voraussetzung ist sie problerniäsend - diese aber scheitert an den oben angeführten Einwänden. 42 41 Ist diese Garantie nicht durch die intuitionsgestützte Erkenntnis eines perfonnativen Selbstwiderspruchs gegeben? Keineswegs: performative Widersprüche tauchen auch in präsuppositional uninfonnativen Redekontexten auf: ,Ich spreche jetzt nicht Deutsch', oder ,Ich schlafe jetzt' . Darüber hinaus: Performative Widersprüche könnten nur dann derartige Garantiefunktionen übernehmen, wenn sichergestelIt wäre, daß es sich bei dem bestrittenen AussageinhaIt tatsächlich um Präsuppositionswissen handelt - setzen also das ,Funktionieren' von Selbsttransformation schon voraus. Vgl. zum Problem und der Unterscheidung von perfonnativen und strikt perfonnativen Selbstwidersprüchen unten Abschnitt 3.2. Vgl. kritisch auch: Leist (2).

42 Die weitere denkbare Variante, daß nämlich strikte Reflexion der letzteren Art insofern selbst objektuales Präsuppositionswissen - nicht nur Wissen irgendwe\cher, auch ,bloß' empirischer Rege\bedingungen z.B. des Behauptens - erzeugt, als sie als Verfahren der dem Wissen-wie vom Argumentieren intrinsischen Selbsttransformation gewissermaßen ,zielflih-

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

(4) Bleibt also noch das weitere Verfahren, die weitere Resource des ,mäeutischen Dialogs' .43

W. Kuhlmann hat dieses Konzept in rezenten Abhandlungen erneuert und neu dargestellt und dabei auch die oben im Wartestand verlassenen Explikate der Schichtungsthese und der Bescheidenheitsstrategie ins Spiel gebracht. Ich werde mich diesem Vorgehen anschließen und im folgenden zuerst Kuhlmanns Analyse erläutern, sodann diese einer kritischen Durchsicht unterziehen und schließlich die Auseinandersetzung unter Verweis auf einen Vorbegriff des transzendentalen Diskurses zu Ende bringen. Zur Schichtungsthese - Kuhlmann knüpft an den Begriff des Handlungswissens (Wissen-wie) vom Argumentieren an: "Nun reicht dieses Handlungswissen von der Oberfläche des leicht und sicher zu verbalisierenden Wissens, das in performativen Sätzen repräsentiert werden kann, über eine mittlere Schicht von Argumentationsregeln und -präsuppositionen, die mit einer gewissen Anstrengung, aber am Ende doch befriedigend zu artikulieren sind, bis hin zu tiefliegenden semantisch-pragmatischen Regeln, die noch kein Mensch je ausdrücklich machen konnte. Soll dies ganze verschieden tief liegende Handlungswissen zu Letztbegründungszwecken herangezogen werden? Nein, offenbar eignet sich nicht alles daflir. Die tiefliegenden Schichten sind überhaupt nicht in reflexiven Argumenten nutzbar. Sie können nur per fallible theoretische Forschung (rekonstruktive Forschung) ans Licht gezogen werden. - Die oberste Schicht jedoch sowie eine mittlere Schicht von Regeln und Präsuppositionen können in solchen Argumenten verwendet werden. (Das Kriterium ist: Was kann in der Metakommunikation ohne Rekurs auf linguistische oder philosophisch-rekonstruktive Theorie der Sprache bzw. Kommunikation erreicht werden? Genauer: Welche Präsuppositionen machen in normalen - nicht exotischen - Kontexten einen handlungsrelevanten Unterschied fur den auf die Sprechhandlung reagieren sollenden Kommunikationspartner?) Es ist nun wichtig zu sehen, I. daß zur obersten Schicht des Handlungswissens die Fähigkeit, es adäquat auszudrücken, selbst hinzugehört. Auf der Ebene der performativen Sätze gibt es keine mäeutischen Probleme. Hier ist das Wissen sowohl selbstgarantierend wie auch garantiert adäquat artikuliert. Wichtig ist 2., daß es keine feste Grenze gibt zwischen dieser Schicht und der nächst tieferen. Es besteht ein Kontinuum und daher die plausible Hoffnung, daß man auch die mittlere Schicht zu Letztbegründungszwecken verwenden kann, ohne daß die mäeutischen Probleme zu groß werden, daß man es anbinden kann an solches, das ganz unproblematisch in reflexiven Argumenten verwendet werden kann, und daß es sich so stabilisieren läßt."44

Kuhlmann kommt dann zur ,Hauptfrage':

rend' zur Seite tritt oder sonstwie dort ,garantierend hineinregiert', möchte ich nicht diskutieren. Nicht nur finden sich dazu keine Ausfiihrungen bei W. Kuhlmann - es wären wohl auch bloße ,Schattendiskussionen'. 43 Vgl. Kuhlmann (9), S. 227 ff. 44 Kuhlmann (9), S. 228-229. Hervorhebungen vom Verfasser.

2.2 Kritik

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"Wie kann man dieses Handlungswissen oder Teile davon flir das Letztbegründungsargument fruchtbar machen? Wie kann man für spezifizierte Teile daraus zeigen, daß sie unhintergehbar sind ... Ich glaube, folgendennaßen: B muß den skeptischen Opponenten A, der die Geltung der Argumentationspräsupposition r bestreitet, in einen Dialog auf der Ebene der Metakommunikation verwickeln, »meta« zu der Kommunikation über die eigentlich thematische Sache. Der Hauptzug von B in diesem Dialog ist dann der Hinweis darauf, daß der Verdacht bestehe, daß A sich mit seiner These (daß non-r) selbst widerspreche, weil er ja als argumentierend Behauptender r - nach Ansicht von B - voraussetzen müsse. Mit diesem Hinweis versucht B, den A in ein Dilemma zu führen, nämlich daß entweder seine These non-r falsch ist oder daß seine Äußerung nicht als das zählen und eine Rolle spielen kann, als was sie es nach Ansicht von A soll, weil ja eine wesentliche Voraussetzung r flir die Geltung der Äußerung als Behauptung fehlt. - Charakteristisch flir diesen Dialog ist, daß hin und hergegangen wird zwischen zwei Ebenen, die nonnalerweise getrennt werden, die Ebene, auf der über die thematische Sache geredet wird, und die Ebene, auf der über die Kommunikation oder Argumentation selbst geredet wird. Auf dieser zweiten Ebene geht es um das Handlungswissen vom Argumentieren. Themen sind hier Spielregeln, Geschäftsordnung, was zählt als was etc. - Dies wird nun verhandelt, ohne daß die Dialogpartner ihre Position und Stellung als Dialogpartner aufgeben. Das heißt, was sie auf der Ebene der Metakommunikation behandeln, erörtern sie als Spieler, die sich während des Spiels, ohne es zu verlassen, hilfsweise über aktuell geltende Regeln, Spielzüge, Probleme verständigen, ohne darum z. B. schon die Position von distanzierten Kommunikationstheoretikern einzunehmen. Dies ist die Idee von strikter Reflexion. ,,45

Klar, Handlungswissen geeigneter Art muß durch strikte Reflexion letztbegründet werden - durch strikte Reflexion in einem ,mäeutischen Dialog', der (schematisch) etwa so verläuft: "A erklärt: »non-r«. B sagt dazu: »Damit habe ich Schwierigkeiten. Entweder bestreitest du wirklich r, dann verwickelst du dich in einen Selbstwiderspruch, der deine These entwertet, oder du setzt r nicht voraus, wie man deiner Rede entnehmen könnte. Dann jedoch weiß ich nicht, was du meinst.« B gibt also gar nicht erst zu, daß A schon erfolgreich etwas bestritten hat. A: »Ich setze r nicht voraus, bestreite aber trotzdem r. « B: »Das kannst du nicht ganz allein entscheiden, ich jedenfalls sehe mich nicht verpflichtet, auf deine Äußerung als auf eine vollgültige These zu reagieren. Es fehlt etwas Wesentliches an ihr. Sehen wir uns daher die Sache etwas näher an. Wenn du r nicht mitmeinst, dann hat das - vor allem in den und den Situationen (die klug ausgewählt sein müssen) - die und die Konsequenzen flir die Adressaten. Willst du diese Konsequenzen, und beanspruchst du angesichts dieser Konsequenzen immer noch den Status einer Behauptung flir die Äußerung?« Damit geht es um mäeutische Geschicklichkeit des Letztbegründers. Hierbei spielt die Konfrontation zwischen dem, was der Opponent glaubt und thematisch behauptet, und dem, was er mit seinen Sprechakten erreichen will und wie er sie dementsprechend versteht, eine entscheidende Rolle."46

45 Kuhlmann (9), S. 229-230. Sperrung im Text. 46 Kuhlmann (9), S. 231. Sperrung vorn Verfasser.

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

Aus der Schichtungsthese und der Beschreibung der Funktion des mäeutischen Dialogs ergibt sich nun die Bescheidenheitsstrategie. Zu Anfang steht hier das Eingeständnis, " ... daß Letztbegründung nicht mit Bezug auf alle Argumentationspräsuppositionen möglich und sinnvoll ist. Sehr tiefliegende Voraussetzungen, an die man nur mit Hilfe mächtiger Theorien herankommt, sind ungeeignet. - Einige Teile des Handlungswissens jedoch sind schon von sich aus in korrektes know that transformiert. Hier gehört zum know how selbst schon die Fähigkeit, es angemessen zu sagen, was man da weiß und tut. Mit Bezug auf diese Teile sind klarerweise schlagende reflexive Argumente möglich. - Wieder andere Teile des Handlungswissens, die dicht unter der Oberfläche liegen (Standardbeispiel ist das Widerspruchsprinzip), sind offenbar problemlos über ganz geringe mäeutische Bemühungen zur Basis von reflexiven Argumenten zu machen. - Es gibt Beziehungen zwischen den ganz unproblematischen Teilen des Handlungswissens und den tiefer liegenden, die sich zur Stabilisierung der mäeutischen Bemühungen verwenden lassen. Das ist die Idee des Kontinuums zwischen der Ober- und der mittleren Schicht. - Und schließlich gilt: Was bei den Letztbegründungsargumenten ins Spiel gebracht wird, muß nicht notwendig schon in der endgültigen Formulierung ins Spiel gebracht werden, es reicht, wenn die Formulierung nicht eine falsche Richtung präjudiziert. Wir müssen z. B. per Letztbegründungsargument nicht notwendig die Idee von Wahrheit auszeichnen, die sich als Resultat einer unendlichen Bemühung um die endgültige Wahrheitstheorie ergeben würde. Es reicht die Idee von Wahrheit, die wir z. B. jetzt schon in Anspruch nehmen müssen, um die Forschung in Richtung auf die richtige Wahrheitstheorie, die ja schließlich zu wahren Aussagen fUhren soll, überhaupt betreiben zu können."47

Kuhlmann resumiert: "Es kommen ... nur die Präsuppositionen in Frage, deren Vorhandensein fUr den Adressaten eines Arguments in Normalsituationen klare handlungsrelevante Unterschiede machen kann. Diese kann man nur in mäeutisch geschickt gefUhrten Dialogen auf der Ebene der Metakommunikation herausarbeiten, und mäeutische Geschicklichkeit ist dabei dasjenige, was Sokrates dem Protagoras in dem gleichnamigen Dialog von Platon voraushat: die Kompetenz, fruchtbare Fragen zu stellen. Das Verfahren ist dann also ein relativ offenes Dialogschema mit sehr viel Spielraum fUr mäeutische Klugheit."4R

Ich möchte nun die drei Explikate der Reihe nach durchgehen: Zur Bescheidensheitsstrategie: Es muß eigentlich nicht besonders betont werden, daß Vorsicht (ohne strategische Hinterzwecke, z.B. Positionsimmunisierungen, ausgeübt), Augenmaß und Nüchternheit in Auswahl und Verfolgung von Explikations- und Begrün47 Kuhlmann (9), S. 231 - 232. Sperrung im Text. 4R Kuhlmann (9), S. 233. Sperrung im Text.

2.2 Kritik

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dungszielsetzungen oder Gegenstandsbereichen Tugenden sind, die gerade in komplizierten philosophischen Untersuchungen jedem Ehre einlegen. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um Präsuppositionen des argumentativen Diskurses handelt, die durch irgendein Verfahren transzendentaler Analyse identifiziert oder nachgewiesen werden sollen: wenn wir wissen oder mit sehr guten Gründen vermuten könnten, daß dies nur unter Verwendung von empirisch-rekonstruktiven Methoden möglich ist, und es dann aber doch ,transzendental' versuchen, würde man den ,belachenswerten'(Kant) Anblick von Leuten bieten, die ,den Bock melken' und auch noch ,ein Sieb darunter halten'. Andererseits könnte es sich gerade durch das Scheitern des Versuchs einer transzendentalen Analyse herausstellen, daß es sich nicht um Präsuppositionen des argumentativen Diskurses handeln kann - selber ein Ergebnis, das nicht auf prioritäre Gewißheiten, etwa eine Schichtungsthese, rekurriert. Kurz: Bescheidenheit ist gut und ja sowieso eine der, Triebfedern' deflationierender Kritik ,überschwenglichen philosophischen Vernunftgebrauchs' . - Zur Schichtungsthese: Kuhlmann unterscheidet drei Schichten des ,Handlungswissens' vom Argumentieren. Eine ähnliche Differenzierung steckt auch schon in der oben erläuterten Unterscheidung von einfachen performativen Sätzen, performativen Sätzen im Großen und kommentierten performativen Sätzen. Wissen, das in ersteren zum Ausdruck gebracht werden kann, ist selbsttransformiertes Wissendaß vom Argumentieren. Ob kommentierte performative Sätze nur solches Wissen erschließen, das durch theoretische Nachkonstruktion gewonnen werden kann, oder auch auf besonders ,tiefliegendes' selbsttransformiertes Präsuppositionswissen der zweiten ,Schicht' zielen, oder für solche ,Kommentare' beide Wissenssorten eine Rolle spielen, muß hier nicht untersucht werden. Ich möchte auch nicht der kritischen Frage nachgehen, ob Kuhlmann den Teil der These, der das Verhältnis der zweiten zur dritten Schicht und die ,Zusammensetzung' der dritten Schicht betrifft, logisch konsistent ausformuliert hat. 49 49 Kuhlmann erhoft sich die" ... vollständige, systematische Aufdeckung aller transzendentalen Argumentations-Präsuppositionen" von fallibler philosophischer Forschung, dem, was er Philosophie 2 nennt. In Philosophie I ist Letztbegrundung möglich, nicht aber in Philosophie 2. Trotzdem sollen einige Wissens- oder Erkenntniseinheiten in Philosophie 2 aus dem Bereich von Philosophie I stammen, bzw. diese sollen sich mit solchen decken, die dem "holistischen Abschleifungs- und dem fallibilistischen Korrekturprozeß" , also dem Prozeß theoretisch-rekonstruktiver Analyse, entzogen sind. Es gäbe dann fallible transzendentale Präsuppositionen, und infallible Teile von Philosophie 2, die keiner fallibilistisch-melioristischen Korrektur unterliegen. - M.E. läuft hier die Schichtungsthese in logische Inkonsistenz aus. Denkt man sich Philosophie 2 durch syntaktisch-semantische Tiefenstrukturen linguisti-

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

Interessanter sind folgende Punkte: I. Die Schichtungsthese läßt sich nicht - wie es zumeist aussehen könnte als heuristische philosophische Hypothese über die Architektonik der Rekonstruktion von Wissen-wie vom Argumentieren und über die Architektonik dieses Wissens selbst verstehen. Dann könnte nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß letztlich empirische Nachkonstruktionen auch über die elementare Fähigkeit zur illokutiven Identifikation von Sprechakten entscheiden, oder daß pragmatisch kompetente, sprachfähige Subjekte dies nur unter Einsatz auch von kapazitativen ,Wissens-Modulen' einer ,Schicht 3' tatsächlich zustandebringen. Kuhlmann muß die These anders verstehen: so nämlich, daß diese erst in der geltungslogischen Perspektive gelingender Letztbegründung für die Elemente der Schichten 1 und 2 und der vortheoretisch immer schon erfolgten Umwandlung des entsprechenden Wissens-wie in selbsttransformiertes Wissen-daß, das ,für sich' entweder ,selbstgarantierend' oder ,im Prinzip' in Ordnung ist, philosophisch Sinn macht. Das heißt aber, daß in die These eine Art zweifacher apriorischer Garantie eingearbeitet ist: zum einen wird geltungslogisch Schicht 2 erst durch erfolgreiche Letztbegründung aufgebaut und insofern erst kann es sich dann ,im Gegenstandsbereich' um Präsuppositionswissen handeln, zum anderen führt Selbsttransformation, wie oben erläutert, ,im Gegenstandsbereich' des Wissens-wie vom Argumentieren geltungslogisch eine apriorisch-infallible Garantie auf Präsuppositionswissen mit sich: auch so werden die Schichten 1 und 2 dann erst ,erzeugt'. Versteht man nun diese Garantie wiederum als Garantie von Letztbegründbarkeit der Elemente von Schicht 1 und 2 - und das muß man ja -, wird der vitiöse Zirkel klar: Wir wissen, sowohl als ,natürliche' Diskurssubjekte in der Einstellung aktual Argumentierender wie auch als Philosophen, nur durch gelingende Letztbegründungen von Präsuppositionen des argumentativen Diskurses: apriorische ,Garantien', die ,im Wissen selber' liegen, müssen sich dort immer erst nachweisen und einlösen lassen. scher Kompetenz in der Chomsky-Tradition engagiert (Kuhlmanns Beispiel), ist nicht zu sehen, was die Rede von ,transzendental' bedeuten könnte, und ohne weitere eingehende Erläuterungen zum infalliblen Gegenstandsbereich von Philosophie 2 - etwa: apriorische Chomsky-Linguistik? - ist auch diese Art der ,Deckung' nicht nachzuvollziehen. Vgl. Kuhlmann (7), S. 284 ff. - Etwas anderes ist es, aufgrund von diskurstheoretischen Überlegungen zur Unbestimmtheit des Geltungssinns von Erkenntnisansprüchen ohne expliziten Rückbezug auf diese einbettende Diskurse mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Diskurse verschiedener Art zu propositional äquivalenten Einsichten, z.B. in präsuppositionale Bedingungen von Diskursen selbst, kommen können. Dies wird im folgenden bei der Explikation des Modells transzendentaler Diskurse eine Rolle spielen.

2.2 Kritik

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2. Der Schichtungsthese dürfen keine prinzipiell-apriorischen, anti-holistischen Garantien eingezogen werden. Mit lokalem präsuppositionalem Holismus ist sowieso zu rechnen: Kuhlmann postuliert ja ausdrücklich Verknüpfungen der Schichten I und 2 derart, daß z.B. iIIokutive Identifikationen auf ,tiefere' Ressourcen an Wissen-wie zurückgreifen können, möglicherweise auf Ressourcen, die nicht ,dicht unter der Oberfläche' liegen. (Wann z.B. haben wir es mit einer ernsthafien Behauptung im Kontext eines praktischen Diskurses zu tun?). Es gibt aber keine präargumentative, gewissermaßen dem Gegenstandsbereich des Wissens-wie vom Argumentieren selbst zu entnehmende Gewährleistung dafür, daß ,Schichtgrenzen' eingehalten werden. Darüber entscheiden allein erfolgreich durchgeführte Letztbegründungen - oder eben das Scheitern derselben. Nun zur Idee des mäeutischen Dialogs als Verfahren des logischen Brückenschlags zu genuinem, inhaltsreichem, infalliblem, , iterativ '-reflexivem Präsuppositionswissen. Denn genau dies muß ja das Ziel solcher Dialoge sein: Wir haben oben gesehen, daß weder Wissen-wie vom Argumentieren allein, noch selbsttransformiertes Wissen-wie dieser Art schon allein ,für sich', noch derartiges Wissen-daß, eingestellt in die ,strikt-reflexive' Erkenntnis der Nichthintergehbarkeit der Situation der Argumentation, dafür sorgen können. Mäeutisch ,geschickte' Dialoge sollen nun, indem der ,skeptische' Behaupter / Bestreiter (,Es gibt keine Wahrheit'; ,Das Widerspruchsprinzip gilt für mich nicht' - Kuhlmanns Beispiele50) eines performativen Selbstwiderspruchs überfuhrt wird, in einem öffentlichen Sprachspiel durch solche Widersprüche quasi untrüglich indizierte reflexive Präsuppositionen aufdecken und in eins damit den selbst- und wissensvergessenen Skeptiker zu der Einsicht bringen, daß er solche Präsuppositionen nicht nur je schon anerkannt hat, sondern diese auch als Präsuppositionen der Argumentationen weiß. Ich möchte nun in zwei Schritten zeigen, daß mäeutische Dialoge, so aufgefaßt, diese Zielsetzung nicht erreichen können: jedem dieser Schritte ist eine Interpretationsvariante des Kuhlmannschen Konzepts zugeordnet. Die Varianten ergeben sich aus folgender einfachen, ausschließenden Disjunktion: (Entweder setzen mäeutische Dialoge objektual korrekt selbsttransformiertes Wissen-daß von Präsuppositionen des argumentativen Diskurses (auf Seiten des Skeptikers und, natürlich, des Letztbegründers als ,epistemischem Geburtshelfer') voraus oder nicht.>

50

Vgl. Kuhlmann (9), S. 233 ff.

4 Niquet

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

- Zur ersten Variante (Voraussetzungsvariante): Paradigmatischer Gegenstandsbereich eines mäeutischen Dialogs ist Schicht 2-Präsuppositionswissen. 51 Dieses Wissen liegt als selbsttransformiertes, objektual korrektes, wenn auch, möglicherweise, ,undeutliches', aber inhaltsreiches Wissen-daß bei kompetenten Diskurssubjekten, also auch beim ,Skeptiker' des mäeutischen Dialogs, schon vor. Dieses Wissen soll nun durch ,geschickte' Beispielauswahl aufgedeckt werden; dem Skeptiker soll durch Erzeugung von "Wiedererinnerungs- oder Anamnesiseffekten"52 Einsicht darin verschafft werden, daß er immer schon über dieses Wissen verfügt und das Gewußte als ernsthaft Argumentierender immer schon als gültig unterstellt hat. Schließlich und in eins damit soll dieses Wissen als echtes, reflexiv-iteratives Präsuppositionswissen durch den Nachweis der Hauptkonsequenz einer propositionalen Bestreitung dieses Wissens - performativer Widerspruch - als nichthintergehbar ausgewiesen werden. Diese Interpretation scheint mir Kuhlmanns Intention am besten zu treffen: dafür spricht nicht nur die ausdrückliche Anknüpfung an das platonisch-sokratische Vorbild,53 sondern auch die Inanspruchnahme des Dialog-Genres und die Bezugnahme auf intendierte Prozesse der ,Wiedererinnerung' durch strikte Reflexion aus der Position des aktual Argumentierenden. Es ist nun leicht zu sehen, daß die Voraussetzung selbsttransformierten Präsuppositionswissens mit allen Schwierigkeiten behaftet ist, auf die oben schon hingewiesen wurden. Wir haben keine - insbesondere für Schicht-2-Wissen apriorische Garantie dafür, daß Selbsttransformation Wissen-wie vom Argumentieren in objektual korrektes Präsuppositionswissen überftihrt: 54 Selbsttransformation kann fehlgehen insofern, als diese ,Stränge' oder ,Module' des Wissens-wie erfaßt, deren Aktivierung zwar intersubjektiv geteilte illokutive Identifikationen von Sprechakten und größeren Redezusammenhängen des Diskurses ermöglicht, Präsuppositionsstrukturen aber im Dunkel der bloßen Kapazität des Argurnentierens beläßt55 - ,fehlgehen' heißt nicht notwendig: ,irrtumsbehaftet 51 Schicht 3 ist ja nur ,theoretischen Nachkonstruktionen' erreichbar, Schicht I-Wissen mäeutisch unproblematisch. Daß Schicht I-Wissen in das folgende Argument nicht einbezogen wird, bedeutet nicht ein Zugeständnis, daß Selbsttransformation dort ,funktioniert'. Die obige Unterscheidung von Wissen-wie vom Argumentieren, Argumentationspräsuppositionen und Wissenspräsuppositionen und deren Begründung rekurriert nicht auf deren Konzept mitsamt apriorischen Gewährleistungen. 52 Kuhlmann (7), S. 280.

53 Vgl. insbesondere Kuhlmanns letztes, literarisch ,breit' ausgeführtes Beispiel. Kuhlmann (9), S. 236-37.

54 Noch einmal: dies darf nicht als ,eingebaut' vorausgesetzt werden, wenn eine Art unkritische ,Geltungs-Metaphysik des Wissens' vermieden werden soll. 55 Der Einwand, man müsse eben sicherstellen, daß aus der Perspektive des aktual Argu-

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sein', denn solches selbsttransfonnierte Wissen kann ja funktional hinreichend sein. Selbsttransfonnation kann nicht, von sich aus' reflexives Präsuppositionswissen - Wissen des Wissens, Geltungssinn-Wissen -, erzeugen, da es zur Rechtfertigung der Verwendung von modalen Prädikaten wie ,transzendental' oder ,nichthintergehbar im Diskurs' usw. eines zusätzlichen und unabhängigen Verfahrens bedarf. Selbsttransfonnation ist im Verhältnis zum mäeutisch aufdeckenden, verdeutlichenden, wiedererinnernden Dialog das prioritäre ,Verfahren': es erzeugt nicht bloße ,Daten' rur ein unabhängiges Überprüfungsverfahren, sondern propositional ausdifferenzierte Wissensrepräsentationen, deren Grenzen nicht überschritten, deren propositionale Gehalte allenfalls tiefer ausgelotet werden können. Weiterhin ist leicht zu sehen, daß die Bezugnahme auf ,Konsequenzen' im Sinn von perfonnativen Selbstwidersprüchen in der Rede des ,Skeptikers' nicht weiterhilft: Wiederum ist es so, daß perfonnative Widersprüche allein keine apriorische Garantie, keine untrügliche ,Richtschnur' an die Hand geben, um präsuppositionale Strukturen des argumentativen Diskurses zu entdecken. Solche Widersprüche sind nur dann ,sure signs' (Ch. S. Peirce) derartiger Bedingungen, wenn das Wissen, das diese repräsentiert und auf das sie verweisen, schon rur sich objektual korrektes, eben selbsttransfonniertes Präsuppositionswissen ist. Dies muß aber nicht der Fall sein - und perfonnative Selbstwidersprüche als solche lassen sich auch in und durch Redekontexte(n) erzeugen, die offensichtlich nicht präsuppositionsruhrend sind (,Dies ist keine Behauptung'; ,Läßt sich überhaupt etwas in Frage stellen?', ,Ich spreche jetzt keine Sprache' usw.). Das heißt aber: Perfonnative Widersprüche verweisen für sich weder auf objektual korrektes Präsuppositionswissen noch gar auf Geltungswissen von echten Präsuppositionen. Es scheint also, als ob auch die (so interpretierte) letzte Ressource des klassisch-transzendentalpragmatischen Letztbegründungsbegriffs dem ,Grundübel' der logischen Abhängigkeit vom Begriff selbsttransfonnierten Wissens-daß vom Argumentieren nicht abhelfen kann. Aber es gibt noch eine zweite Interpretationsvariante der Kuhlmannschen Idee eines mäeutischen Dialogs:

mentierenden nur ,richtig strikt' reflektiert werde, hilft ersichtlich nicht weiter: gerade das könnte ja auch der Skeptiker fiir sich in Anspruch nehmen. Das Beharren auf der epistemischen Notwendigkeit einer solchen Perspektive, quasi um den strikt-reflexiven, dialogvermittelten ,Blick' in die richtige Richtung zu lenken, gibt keine Gewähr dafiir, Präsuppositionswissen auch ,in den Blick' zu bekommen. 4'

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2. Kritik der Klassischen Transzendentalpragmatik

- Zur zweiten Variante (vom Dialog zum Diskurs) Diese zweite Variante besteht darin, den problematischen Begriff der Selbsttransfonnation im bisher charakterisierten und kritisierten Sinn aufzugeben, die Idee des mäeutischen Dialogs von der logischen Belastung durch diese Voraussetzung zu befreien und daraus die Konsequenz zu ziehen - die Konsequenz nämlich des Übergangs von der Idee des Dialogs zur Idee eines transzendentalen Diskurses als Medium und Verfahren der Identifikation und Rechtfertigung von Präsuppositionen. Kuhlmann bindet die Idee transzendentaler Erkenntnis zu eng an das Konzept der Selbsttransfonnation und die Idee argumentativer Aufdeckung und nicht-begründenden Rechtfertigung zu eng an eine - fast ,klassische' - Konzeption des sokratisch-platonischen Dialogs56 - und seiner methodischen Grenzen. Ich möchte nun in Orientierung an der von Kuhlmann in seinen Beispieldialogen vorgenommen ,Stellung' des skeptischen Opponenten zeigen, um welche ,Grenzen' es sich handelt, und wie der Übergang vom mäeutischen Dialog zum transzendentalen Diskurs sich quasi aus der Perspektive der aktual Argumentierenden vollziehen kann. Es ist nämlich gar nicht einzusehen, weshalb sich der ,Opponent' des Letztbegründers, der ,Skeptiker', auf die in die ,Situation' eines mäeutischen Dialogs einkonstruierte grundlegende (mehrfache) Asymmetrie in der Verteilung der Rederollen (und -rechte) einlassen sollte. 57 Kuhlmann zufolge 58 äußert der Skeptiker ,non-r', was den Letztbegründer nach einigen Erläuterungen - zum Verdacht eines perfonnativen Widerspruchs 56 Zur literarischen Kunstfonn des platonischen Dialogs vgl. Stenzei, S. 123 ff., bes. auch S. 127 -128. Stenzel gibt dort zu bedenken, daß die Anamnesislehre im ,Meno' eine ,weitausholende Erörterung' notwendig mache, um die ,Hauptschwierigkeit' , nämlich die ,Begründung' des Kriteriums des Wissens im Gegensatz zur ,richtigen Meinung' im Sinne des ,Schließens auf den Grund' (AOYlcrj.lO