Grundlinien zu einer Theorie der Schauspielkunst: Nebst der Analyse einer komischen und tragischen Rolle Falstaf und Hamlet von Shakespeare [Reprint 2020 ed.] 9783111603988, 9783111228815

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Grundlinien zu einer Theorie der Schauspielkunst: Nebst der Analyse einer komischen und tragischen Rolle Falstaf und Hamlet von Shakespeare [Reprint 2020 ed.]
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zu E I N E R

DER

SCHAUSPIELKUNST

KEI1SI

EINER

T H E O R I E

KOMISCHEM

FALSTAF

LND

DER

UND

HAMLET

AKALISE

TRAGISCHEN

VON

ROLLE

SHAKESPEARE

L E I P Z I G , i>Er

G e o r g

J o a c h i m

G o s c h e n .

1 7 9 7

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E D

i:.

Ich berühre die E n t s t e h u n g der nachfolgenden Fragmente, über die Schauspielkunst,

weil

sie

meinen

Begriff von derselben, und die Absicht dieser Aufsätze am besten darlegen wird. Es schien mir nöthig, den leichtsinnigen Wahn mancher Schauspieler zu bekämpfen, die aus Bequem-

V O K R 11 D Ei

4

liclikeit

glauben,

dafs

die Schau-

bühne eine Welt im kleinen sey, — und dafs das Kleid den Mann mache: die daher ihrem Beruf keine weitere Sorgfalt schenken, als dafs sie die Worte der Rolle ihrem Gedächtnisse einprägen, und

ihren

Anzug

ge-

schmackvoll und richtig zu kostumiren suchen; im übrigen aber dem magischen Standpunkte, auf welcßem sie stehen,

den

ganzen

Erfolg

ihrer Darstellung überlassen. Diese Art Handwerker

erwägen

nicht, dafs es etwas ganz anders sey, die Stelle

einer

Person

würdig

auszufüllen, als solche auf geradewohl blofs einzunehmen; ja sie ver-

V

O

II

R E D L .

gessen so gar, dafs auch auf der grofsen Schaubühne der W e l t , nur d e r an seinem Platz stehet, dem die Stimme

der Andern diesen Tlatz

zuerkennen würde. Die Empfänglichkeit womit der Zuschauer vor die kleine Marionettenwelt des Theaters tritt, bahnt der von ihr herabkommenden Täuschung allerdings den Weg; allein der Schauspieler mufs seiner Seits die Gewalt dieses Zaubers erst g e l t e n machen, lind den innern und äufsern Sinn der Zuschauer, durch eme kunstvolle Darstellung, zu ergreifen, zu fesseln, und auf eine z w e c k mäs i g e Art zu leiten suchen.

6

V

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d

e

.

Da die Schauspieler, wie gesagt, so geneigt sind, sich ihre Kunst recht leicht

zu machen;

so

bin

ich

darauf ausgegangen, sie ihnen recht schwer darzustellen.

Ich habe

den Schauspieler, zu dem Ende, zu isoliren gesucht, das heifst, ich habe ihn zu einem vom Dichter getrennten Kunstwerke, mithin zu einem dürch sich

selbst

bestehenden Wesen

gemacht, und ihm die Bequemlichkeiten, welche er sich aus der dramatischen Dichtung zur Stütze und zum Rückenhalt zueignen möchte, hinweg genommen. Eine allgemeine Bemerkung über dramatische

Komposizionen,

wird

V

O R

H E

D I .

7

meine erhöhten Ansprüche an die mimische Kunst am deutlichsten bestimmen. Ich möchte dafs die Schauspieler ihr Studium vorzüglicher auf d i e Art Tragödien verwenden möchten, welche bisher mit schönerer Wirkung gelesen

als aufgeführt wurden;

ich meine d i e , worin statt der äussern oder körperlichen Akzion , die innere oder psychologische vorwaltet— ohne welche jene keine ist, — wie in G ö t h e s T a s s o und Ifige* nie.

Dadurch würde sich ihr Spiel

verfeinern, veredeln,und e r h e b e n ; und dann würden sie mit einem glücklicheren

Erfolg,

die andere

(j

V O R R K o r.

Gattung Trauerspiele behandeln lernen , welche durch eine r o h e theatralische Verkörperung nicht minder verlohr: ich verstehe darunter d i e , worin der Zuschauer von dem stürmischen Gang grausvoller blutiger Scenen, betäubt und unwillkührlich fortgerissen w i r d ;

v ie im L e a r ,

M a k b e t h , u. s. w. Die Schauspieler

sind

freylich

geneigt, sich mehr an die l e t z t e r e Form tragischer Komposizionen zu halten, als an jene; weil das Gewaltsame der Dichtung, der Ohnmacht ihrer Kunst einiger Mafsen dabey zu stalten kömmt; allein wie verdienst-

V

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IV R

E

O

E

los ist nicht der zweydeutige Triumf einer solchen W i r k u n g ! Vom w a h r e n Schauspieler, der das

Grofse aller Art

dramatischer

Dichtungen, mit sich zur vollendenden Kunst empor hebt, k a n n hier die Rede nicht seyn; aber zur Bildung manches theatralischen Talentes

möchte ich

alle Behelfe von

der Bühne verbannen, Avelche der Dichter dem Schauspieler zur Vernachlässigung seiner

Kunst unbe-

wufster Weise darbietet. So

w ü r d e n , zum Beyspiel, die

Sterbebetten hinter die Kulissen geschoben , wenn man nicht g a r , auf den Dolch der mimischen Melpomene

10

V O R R E D E .

die Innschrift der S i e n e r Schwerter schreiben •wollte: ne occidas!

Die

Mimik müfste bey einem theatralischen Tode die Passiergriffel weglegen , und dem weicheren Pinsel der Fantasie den letzten tragischen Zug übertragen. — Und eine Todtenglocke wäre dann Zehnmahl mehr auf der Bühne werth, als zehn Katafalke* Wir sollten, diesem Wunsche gemäfs, recht viele Stücke besitzen, wo die meiste Wirkung allein auf dem S p i e l e r beruht; wo die richtigsten Situationen durch

einen Blick,

durch

einen Geist, durch ein Schweigen herausgehoben werden; und wo der mimische Künstler die Worte gleich»

V

O

R

H

F, B

K.

sam entrathen, und mehr auf seinen eigenen Füfsen stehen lernte.

Dann

würde der oft einsylbige Dialog in unsern neuen Schauspielen, der dem Zuschauer so angenehm ist, auch dem Schauspieler zureichend willkommen seyn.

und

Denn ein für

die Darstellung bestimmtes Stück, hat nur so viel Worte nöthig, als die zusammengestellte körperliche Akzion zu Exponenten bedarf — alles übrige sind Anforderungen an die Kunst des Schauspielers. Diese Aufsätze sind blofs S k i z z e n zu dem Plane eines vollständigeren Gebäudes, und ich wünsche, dafs man sie d a f ü r

aufnehmen, und

12

V o r r e d e .

unter dieser Rücksicht beurtheilen möge. — Das Urtheil der Künstverständigen, wird mich belehren ob ich mich an ein solches Gebäude einst wagen dürfe?

G R U N D L I N I E N

ZU E I N E IV THEORIE DER SCHAUSPIELKUNST

I. Ich mufs vor allem die Schwierigkeiten berühren, welche dem Unternehmen eine T h e o r i e der Schauspielkunst zu schreiben im Wege stehen, weil die Entwickelung derselben dem beschränkten Gesichtspunkte dieser theoretischen V e r s u c h e zur Entschuldigung dient. Es ist schwer eine Kunst in ein System zu fassen, auf welche Konvenzion

/tl

des Geschmacks, und individuelle Behandlungsart des Künstlers einen so wesentlichen Einflufs haben; die in ihrer Ausübung z u t r a n s i t o r i s c h ist, um überall so bestimmt zu seyn, dafs keine momentane W i l l k ü h r dabey statt finden sollte; und deren feinste Gesetze oft nur dem leisen Takt' eines i n n e r e n Sinnes offenbar werden können. •Das Genie des Künstlers ist ein mystisches Gewebe von Dämmerung und Ijiclit. Er vereinigt Gefühl, Einbildungskraft, Verstand und Talente, und mit diesen Fähigkeiten ausgerüstet strebt eisernem Ziel entgegen, ohne die einzelnen Schritte die ihn dazu leiten, immer d e u t l i c h vor Augen zu haben. Diese Beschuldigung, wenn ich es so nennen darf, trift mehr oder minder einen jeden Künstler. Der Musiker, auch als Komponist betrachtet, geht in seiner Kunst mit der meisten Dunkelheit zu

W e r k e : weil er durch die unbestimmte Sprache der Töne, auf unser Gehör wirkt, und dem Traume unsrer Gefühle mehr durch A n n ä h e r u n g zu schmeicheln, als diese Gefühle zu determiniren sucht. D i e Malerey

hat den helleren

Sinn

des Auges zum Gegenstande, und bedarf daher

mehr

Klarheit

von

Seiten

des

Künstlers. M i t noch mehr Deutlichkeit, Überlegung und Bewufstscyn übt der Bildhauer seine Kunst aus: weil die Produkte derselben am meisten erreichen, und

die

Natur

selbst

aufser dem Auge, auch

unsern plastischen Sinn befriedigen sollen. W a s den Schauspieler anlangt, so erfordert die Ausübung

seiner

Kunst

die

meiste Beurtheilungskraft, und ich gebe ihm, in dieser Rücksicht, den Rang vor den übrigen Künstlern. E r wirkt wie der Musiker, auch auf das O h r ; allein auf einem bestimmteren

4(5 Wege: weil er durch W o r t e an dasselbe spricht. — Er malt für das Auge; aber seine Gemälde sind belebte, abwechselnde, fortschreitende Handlungen. •— Er ist ein bildender Künstler im eigentlichen Sinne; jedoch bedient er sich keiner fremden a u f s er ihm liegenden M i t t e l zu seinen Darstellungen, sondern er s e l b s t ist zugleich der Künstler und das Produkt der Kunst. W a s den gemeinschaftlichen Zauber aller Künste, nemlich die T ä u s c h u n g anlangt, so schöpft der Schauspieler um solche hervor zu bringen, aus tieferen Quellen als die andern Künstler, weil s e i n e Täuschungen meht auf psychologischen Gesetzen beruhen, als auf fysischen; da die übrigen Künste hingegen, sich mehr der l e t z t e r n bedienen, und durch sinnlichere Mittel jenen Zauber zu erreichen suchen.

17 Zur Berichtigung dieses Satze* mufs ich jedoch hinzufügen, dafs man die M i t w i r k u n g der dramatischen Dichtung hierbey nicht verkennen darf; denn der Schauspieler, als s o l c h e r , hat freylich nur fysische Geräthschaft zur Täuschung, und das p s y c h o l o g i s c h e handhabt der Dichter; der zwar jenem den G e g e n s t a n d aber nicht den mimischen W e r t h der theatralischen Darstellung bestimmt. Meisterhafte B e i s p i e l e und sorgfältige Übungen sind unstreitig lehrreicher und nützlicher für den Schauspieler als Systeme und Normen; und die Anlagen, welche ihn zum Künstler stempeln, kann er nur aus den Händen der N a t u r empfangen. Alle diese Betrachtungen bestimmen mich meine theoretischen Versuche vorzüglich auf d e n Theil seines Studiums zu beschränken, welcher minder die Ausbildung, jener t a l e n t a r t i g e n Eigenechaf2 Iheor. d. ScbauspieJt.

iß ten,

als die Berichtigung

seiner

E i u-

s i c h t e n über den Z w e c k seiner Kunst zum Gegenstande hat. Ich glaube die Definizion der Schauspielkunst liier vorausschicken zu müssen. Die S c h a u s p i e l k u n s t

ist die An-

wendung geistiger und körperlicher Kräfte vermittelst welcher der Schauspieler eine dramatische Dichtung durch seine Person v e r s i n n l i c h t und b e l e b t ; um selbige, durch P a n t o m i m e einer

und S p r a c h e , zu

theatralischen

Darstellung zu

machen. D e r Dichter (worunter ich immer den dramatischen verstehe) l e i t e t den Schauspieler; allein das letzte Ziel, welches die dramatische Dichtung beabsichtiget, wird in so fern durch die K u n s t des S c h a u s p i e l e r s erreicht, als diese jenen Dichtungen ein deutlicheres I n t e r e s s e und zugleich einen sinnlichen Grad der W i r i u a g beyli'gt.

i9 D e r Schauspieler gehört zu der Klasse der b i l d e n d e n

K ü n s t l e r , in

sofern

seine Person, bey der Versinnlichung dramatischer Dichtungen, zu einem K u n s t w e r k e w i r d , und er sich selbst, nach der Anleitung des Dichters, dazu auszubilden sucht. D e r Schauspieler ist bey diesem Bestreben m e h r als ein blofser Nachahmer: weil -er selbst

erst der S c h ö p f e r

des

Vorbildes w i l d , welches seine mimische Darstellung leiten soll. I n w i e fern er diese Schöpfung mit dem

Dichter theilen

könne, setzt

eine

nähere Bestimmung der Verhältnisse zwischen dem Schauspieler

und Schauspiel-

dichter voraus, welche ich hier einschalte. Beyde stehen genau genommen, blof» in einer entfernten Seitenverwandtschaft. Der Dichter vollendet a l l e i n , ohne Beystand des

Spielers, sein

Kunstwerk,

die Fantasie des L e s e r s macht «die Rollen

darin so rein und so vollständig, wie die schwierigem des Heldengedichtes und des längern Romans. Die theatralische Verwandlung der Bilder des Dichters in S t a t u e n , ist dem dramatischen Kunstwerke nicht unentbehrlicher, als die Liedermelodie einem Gedicht, oder der Kupferstich einer Romanszene. Der Schauspieler ist, ein vom Schauspiele des Dichters ganz verschiedenes a b g e s o n d e r t e s Kunstwerk. Seine von der Schönheitslinie, der Tanzkunst und bildenden Kunst umschriebene Mimik, entlehnet ihren W e r t h eben so wenig vom dargestellten Gegenstande rühmlich vom dichterischen Kunstwerk — als die Schilderey eines Historienmalers den ihrigen, von irgend einem Historiker borgt: ihre Darstellung behielte den Glanz, Wenn auch der Gegenstand derselben ein schlechtes Kunstwerk, oder eine prosaische Szene aus dem wirklichen Leben wäre.

Zl

Das mimische Kunstwerk, und das dramatische, formen sich nach ganz verschiedenen Gesetzen; ihre Vereinigung w ü r d e , w e n n sie bestimmt werden sollte, ein eigenes drittes Gesetzbuch erfordern. Bisher

sind

überhaupt nur

für

die

Alleinherrschaft e i n e r Kunst, nicht f ü r die vermischte Regierungsform von

zweyen,

zum Beyspiel von der Ton - und Dichtkunst,

Gränzen

und

Regeln

gegeben

worden. D e r dramatische Dichter, als D i c h t e r , kennt so wenig Schranken der Z e i t , des Raums,

und

überhaupt

der

wirklichen

Welt, als der epische; die B e f e s t i g u n g des Interesse, wozu die Fantasie des Lesers,

so

willig

und

geschäftig m i t -

w i r k t , verleiht dem Interesse selbst eine Einheit,

welche

die mangelnde

des

Ortes und der Zeit bedeckt und vergütet. Die deutlichsten Belege zur Bestätigung

dieses Satzes, lassen sich aus Shakespeare dramatischen Dichtungen htrbeyführen. W a s man indel's der Fantasie des L e s e r s aninuthen kann, stülirt oft die bereitwillige Mitwirkung der Fantasie des Z u s c h a u e r s ; jene vertrugt Ugolinos Hungerthurm, Kents ausgeleerte rotlie Augenhöhle, vollgeblutete Tucher, abgehauene Hände, Schlachtfelder, und manche schaudervolle Szene dieser Art. Aber das A u g e versöhnet sich mit dem grellen Anblick einer solchen Wirklichkeit nicht. — W i e schon Gorgonen und Mifsgestalten nicht aus dem Reiche der Malerey in das Gebiete der Bildhauerkunst auswandern dürfen: so dürfen sich, noch viel weniger gewisse tragische Kolosse, aus der unermefslichen Geisterwelt der epischen Kunst in das enge hölzerne Rund der Bühne drängen; da der Unterschied des Umfangs zwischen dem epischen und mimischen Reiche giöfser ist, als der

23 •¿wischen dem malerischen u n d plastischen. J a , die M a l e r e y k a n n sich erlauben, w a s sich die M i m i k untersagen mufs. lende

körperliche

Auffal-

Verzerrungen,

lange

G e g e n w a r t eines L e i c h n a m s , w e r d e n auf der

Bühne,

entweder

schmerzhaft: vv ird

lächerlich

d e n n entweder

vollendet



und

oder

die Illusion

dann

tritt

die

Wirklichkeit mit ihren Schmerzen ein — oder sie w i r d vertilgt — u n d dann quälet uns der Streit komischer

Anwandlungen

u n d ernsthafter W ü n s c h e .

D i e Verkörpe-

rüng

des Theaters hebt alle Verletzungen

der E i n h e i t des O r t s , u n d der Zeit s t ä r ker

heraus;

die Statuengruppierung hält

alles peinliche dem w i r enteilen möchten, mit fest:

einer sie

Wunden überhaupt

schmerzlichen vergröfsert und

und

Thränen,

Versteinerung verhärtet und

die ätherischen^ Gestalten

Dichters mit

einem

massiveren

sinnlicher WirkliclJteit.

alle

beschwert des

Gehalte

24 Das Resultat dieser Bemerkungen besteht also in folgenden: der Dichter giebt den Umrifä des Gemäldes, und der Schauspieler theilt durch seine Darstellung dem Z u s c h a u e r alles dasjenige mit, was die F a n t a s i e des L e s e r s g i r n und auf eine ihr w o h l g e f ä l l i g e Weise darein g e l e g t haben wurde. — Ich kehre nun zu den Gesichtspunkten unter welchen das Studium einer Rolle anzustellen ist, zuriick. Gewöhnlich hat der Schauspieler bey seinen Darstellungen, Pantomime, und Sprache z u g l e i c h in Anwendung zu bringen, um eine dramatische Dichtung durch seine Person zu versinnlichen und zu beleben. Allein es ereignet sich zuweilen dafs er b l o f s das l e t z t e r e mittelst der S p r a c h e thut: diefs geschieht nehmlich, wenh die dramatische Dichtung mehr r e d n e r i s c h e r als mimischer Art ist. —

25 Ich nnifs hier im Vorübergehen bemerken, dafs die blofs schicklichen und zu keinem m a l e r i s c h e n Zwecke gewählten Geste,

deren

sich

der Schauspieler als

Redner bedient, unter dem W o r t e Pantomime hier nicht verstanden werden müssen. I n dem erwähnten Falle w o die Kunst des Schauspielers schiedener an

vorzüglicher und

das

Ohr

der

ent-

Zuschauer

gerichtet ist, hat er dem Auge derselben kein versinnlichendes Kunstwerk mittelst s e i n e r Person lange auf

darzustellen; er hört so

ein b i l d e n d e r

Künstler

zu

seyn, und nähert sich dem blofsen Redner. Auch hierzu empfängt der Schauspieler die Anleitung des Dichters, und auf

eine

bestimmtere,

zwar

deutlichere, u n d

vollständigere W e i s e , als in dem öfteren und gewöhnlicheren Falle, w o er die P a n t o m i m e zur Sprache gesellt, und auf das

Ohr und A u g e der Zuschauer z u g l e i c h au wirken trachtet. Ich darf dabey nicht unbemerkt lassen, dafs jede theatralische Versinnlichung, auf das feinste zergliedert, sich überall mimisch äufsert; indem es auch eine JVJimik für das O h r giebt, und die Verstärkung oder Verminderung des Tones der Stimme dem Ausdrucke des Begehrens oder Verabscheuens — welches Grundprincipium alles Gesten - und Mienenspiels ich in der Folge u m s t ä n d l i c h e r berühren w e r d e , — auf eine analoge Weise zur Seite tritt. Diese, so eben bemerkte Verschiedenheit der Verhältnisse, unter welchen der Schauspieler von dem Dichter, mehr oder minder, deutlicher oder dunkler, zusammenhängender oder unvollständiger, bey der Versinnlichung und Belebung einer dramatischen Dichtung g e l e i t e t w i r d , führt mich auf einige Begriffe und

Satze» die ich als A n a l o g i e e n aus der b i l d e n d e n K u n s t hier einschalte; um die nähere Entwickelung jener Verhältnisse (welche der w e s e n t l i c h s t e Geg e n s t a n d meiner Bemerkungen seyn w i r d ) desto besser dadurch vorzubereiten. Bey der Betrachtung eines Kunstwerks, bemerkt und unterscheidet man vorzüglich den S t i l und die M a n i e r desselben. Man unterscheidet beyde, nicht um sie zu t r e n n e n , sondern um sie, in ihrer genauesten zweckmäfsigen Vereinigung zu einem Ganzen, als ein G a n z e s zu empfinden und zu bewundern. Das Auge des Fysiognomikers thut — jedoch mit minderer Zuversicht, und nach schwankenderen Anzeigen — ohngefälir dasselbe, wenn es aus dem Äufsern das Tnnere des Menschen ergründen und sich anschaulich machen will. Der S t i l besteht, in Rücksicht auf ein Kunstwerk, in dem Bestreben des

Künstlers, seine geistige Intenzion welche er bey einer bildlichen Schöpfung beabsichtigt, durch das eigentümlichste Gepräge der I n t e n z i o n s e l b s t , und ohne Beyhülfe eines a n a l o g e n Mittels, versinnlicht darzustellen. Unter dem Worte M a n i e r , versteht man die Versinnlichung jener geistigen Intenzion, in so fern dazu entferntere, und b l o f s a n a l o g e Mittel angewendet werden. Ich glaube noch deutlicher zu seyn, wenn ich erlätiterungsweise hinzufüge: dafs wir in der Natur nichts anders gewahr werden, als Stil; und dafs der Bildhauer, unter allen Künstlern, hierin der Natur am n ä c h s t e n tritt. Um einer Mifsdeutune zuvor zu kommen, bemerke ich: dafs dieses Gloichnifs, die Schöpfungen der Natur den Bildungen des Künstlers nicht gleich stellen, und in Ansehung ihrer Zwecke mit

29 einander vermengen soll; denn die Natur hat mit der geistigen Intenzion des Künstlers nichts gemein; ob gleich beyde sich durch eine schaffende bildende Thätigkeit äufsern. Ich möchte die Manier einen blofsen Behelf

der Kunst n e n n e n : Sie verhält

sich zum Stil, wie der

Schein

einer

Sache zur Sache selbst; sie hat als ein blofses

Zeichen

der

eigentümlichen eicht auf

Realität,

keinen,

Karakter in Rück-

das Kunstwerk selbst; sie er-

scheint darin als ein dem geordnetes der Manier

Mittel; einen

Stil

und

Karakter

unter-

wenn

man

zugestehen

w i l l , so ist es blofs d e r , welchen die I n d i v i d u a l i t ä t des Künstlers, auf eine unwillkührliche W e i s e , in die Ausführung eines Kunstwerks überträgt. Wahrheit und Natur werden

einem

Kunstwerke durch den Stil beygelegt, die

Manier verleiht demselben das W a h r « c h e i n l i c h c , das T ä u s c h e n d e . Täuschend ist ein Kunstwerk: wenn die geistige Intenzion welche der Künstler dabey vor Augen hatte, mit der versinnlichenden Ausführung so genau, so lebendig, so übereinstimmend, und so w o h l g e f ä l l i g vereinigt ist; dafs die Verwechselung ven Schein und Wahrheit, von Möglichkeit und Wirklichkeit (so oft solche bey dieser Versinnlichung auch durch M a n i e r zu Wege gebracht werden xnufs) sich in der Ausführung nie als ein b l o f s e s Mittel äufsert, und als ein solches, auf eine g e t r e n n t e Weise, nirgends fühlbar hervortritt. Die Nachahmung der Natur ist blofs ein untergeordneter Zweck der Kunst; der Künstler ergreift und sammlet das ohne Kunstwerk in der Wirklichkeit befindliche, hier und da zerstreute A n a l o g e ; um die geistige Intenzion, die i n

i h m zu einem bildlichen Gedanken geworden ist, darnach zu versinnlichen und als ein

der Natur

überall

ähnliches

G a n z e s d arzustellen. D a in

der Natur

alles Stil ist, so

wird sie auch, als Nachahmung in der Kunst,

am

nächsten

durch

den

Stil

erreicht. D e r Künstler mufs jedoch, stets von einer

geistigen I n t e n z i o n

Bildungen

ausgehen.

bey seilen

Blofse

Nachah-

mung irgend einer Wirklichkeit aus der N a t u r , erzeugt kein K u n s t w e r k . Eben so wenig gebührt dieser Nähme einem solchen Produkt, an dem die ursprüngliche

geistige

Intenzion,

sich

n i r g e n d s als S t i l äufsert, sondern beider Ausführung, in blofse M a n i e r a u f g e l ö f s t , verloliren gegangen ist. Dieser Satz ist s o w a h r ,

dafs ein

Portraitmaler, den sein Beruf an

einen

b e s t i m m t e n Gegenstand aus der Natur

fesselt, nur dann erst ein K ü n s t l e r genennet werden kann: wenn er nicht blofs die Aufsenseite des nachzubildenden Gegenstandes, als Form mit dem A u g e richtig auffafst; sondern wenn er, durch einen i n n e r n Sinn geleitet," auch das karakteristische dieses Gegenstandes ergründet, und das reinste, entscheidendste und w o h l g e f ä l l i g s t e davon, in seiner Schilderung zu einer geistigen Intenzion werden läfst; um dadurch auch die für i h n so sehr beschränkte Nachahmung der Natur zu einem Kunstwerke zu erheben-

33

II. I c h will diese Sätze auf die Kunst des S c h a u s p i e l e r s anzuwenden suchen. Was

bey der

bildenden

Kunst

die

geistige Intenzion des Künstlers w a r , ist in

Bezug

auf

dramatische

das I n t e r e s s e

welches

Dichtungen,

der

Dichter

einer solchen Komposizion als Wirkung beylegt.

Eine jede auf dem Theater dar-

zustellende Person hat einen bestimmten Stil, den. ich den G e i s t r akt er

oder den K a-

einer Rolle nennen

will;

was

als M a n i e r in die Darstellung derselben zuweilen blofs

auf

übergehen das

darf,

Analoge

Individualität

bezieht

sich

welches

die

des Schauspielers, zu

einem dem Stile jederzeit

angemesse-

n e n ob wohl etwas willkührlichen Gebrauche darbietet. T h e o r . d. S c l m ü p i r l k .

3i Die Ursache der Wirkung

liegt

in

ilem Interesse, und der Grad des Interesse bestimmt

den

Grad der W i r k u n Dg ;

7

da

beyde einem d i c h t e r i s c h e n Zweck* entsprechen sollen, so müssen sie auch auf einem dichterischen, das heilst i d e a l i s c h e n W e g ' erlangt werden: Denn das Bestreben der Kunst hat die E r h öl i u n g und V e r v o l l k o m m n e r u n g der Wirklichkeit zum Gegenstande, sie reihet die Analogieen derselben in eine schönere ausgewähltere Harmonie zusammen; und sie ist darum so mächtig in ihren Eindrücken auf unsere Empfindung, weil sie durch jene Vereinigungen, mannigfaltige Eindrücke von verschiedenen IndiviD duen, auf Einen Punkt, und, zu Einem Zwecke herbey zu führen weifs. Der Schauspieler mufs den Geist oder Karakter seiner Rolle (die mit der ganzen dramatischen Komposizion stets in Verbindung steht) richtig auffassen; um den

35 Stil seiner Darstellung darnach zu bilden, und

den

Einflufs

seiner

Individualität

blofs als ein analoges Mittel der Manier, dabey in Anwendung zu bringen, so oft nehmlich der Geist Versinnlichungen

der Rolle

durch

ihm

den Stil

die nicht

u n b e d i n g t auferlegt. E r muís zu dem Ende den Z w e c k des Dichters in Rücksicht des Interesse und der W i r k u n g , nebst dem W e g e auf welchem der D i c h t e r

diesem

Zweck

zu erreichen sucht, nicht allein bey dem Studium einer Rolle deutlich vor Augen haben, sondern .diesen Zweck auch ner

Seits,

bey

sei-

der Yersinnlichung der

Rolle mit einem an Selbsttäuschung g r u n zenden

lebhaften Bestreben ununterbro-

chen verfolgen. D e r Schauspieler bedient sich der dramatischen Dichtung um die Darstellung einer Rolle darnach zu berichtigen; allein er mufs dabey auch die Natur zu Rathe

ziehen; um die Anleitung, welche er in Ansehung des S t i l s am unvollständigsten von dein Dichter

empfängt, daraus

zu

ergänzen. Unvollständig Anleitung,

weil

nenne

ich

diese

die Schilderungen

des

Dichters überhaupt, nur B e s c h r e i b u n gen,

und keine bildlich - anschaulichen

Versinnlicliungen sind; und durch W o r t e , mithin durch ein entferntes, b l o f s a n a loges in

Mittel, als Zeichen der Realität,

Manier

gehüllt

mitgetheilt

und hierin liegt vorzüglich warum

der

Schauspieler

werden:

der Grund, das

welches ihn leiten soll, aus

Vorbild,

zerstreuten

Anlagen erst aufsammlen, und zu einem Ganzen

vereinigt,

sich

erst

geistig-

a n s c h a u l i c h machen muis. I n Ansehung

des Stils, der

einfach

und bestimmter ist, kommt die Individualität des Schauspielers mit der Individualität

des Dichters

in

keine Kollision;

57 allein in Ansehung der M a n i e r , bedarf, es einer grofsen Verleugnung der I n d i v i d u a l i t ä t von Seiten des Schauspielers, wenn er sich

hierin

mit

dem

Dichter

identificiren, und das h y p o t h e t i s c h e r e der M a n i e r , aus dessen Schilderung deutlich ergründen, und in seine Darstellung übertragen will. I n der richtigen Beurtheilung was als S t i l in

einer Rolle

behandelt

werden

müsse, und wie selten nur die M a n i e r zur Versinnliehüng derselben hinzu treten dürfe; liegt das f e i n s t e und s c h w e r ste

des Studiums

der

Schauspielkunst.

Bey der Darstellung der Rolle selbst mufs der Schauspieler, aufser der Anleitung,

die ihm der D i c h t e r

über die

Behandlungsart der Ausführung

ertheilt,

auch die N a t u r vor Augen haben: denn der Dichter, Schauspieler

als D i c h t e r , nichts

Stoff; die F o r m

weiter

giebt als den

dem —

des Kunstwerks überläfst

38 er dem Künstler.

Diefs Studium der Na-

tur , dessen ich vorhin schon beschränkt

erwähnte,

sich bey ihm auf die Natur

des M e n s c h e n

und zwar auf die indi-

viduelle Karakteristik der Person, die in der Rolle, welche er versinnlichen soll, geschildert wird. D i e Natur Individuum

nach

in

einem

einzelnen

einer Rolle

nachahmen,

hiefse eine K o p i e

durch eine

andere

D e r Schauspieler mufs sich

mannig-

Kopie faltige

darstellen. Modelle

und

Normen, aus

der

Beobachtung v i e l e r Individuen a b s t r a hirt

haben,

Model

aus

welchen er

zur N o r m

wählt,

dasjenige

welches

der

Persönlichkeit seiner R o l l e , in Ansehung ihrer Klassificazion, und ihrer Lage nächsten kommt.

am

W e n n er einen Helden,

einen Staatsmann, einen Haufsvater, einen Gecken,

einen Geitzigen,

einen Heuch-

ler, u. s. w. darstellen w i l l , so mufs er

39 aus der Klasse dieser Menschenartpn, eine, deren eigentümlichste Karakteristik umfassende scharf bezeichnende Form iin Sinne haben, welche das Ideal seiner g e i s t i g e n I n t e n z i o n w i r d ; die er als K ü n s t l e r einer jeden Versinnlichung zum Grunde zu legen hat. In Ansehung der Situazionen, unter welchen er auf der Schaubühne h a n d e l t , wird er bestimmter durch den Dichter geleitet, und je mehr die Situazion der Rolle ihn in einen leidenschaftlichen Zustand versetzt; je n ä h e r mufs er sich an die Anleitung des Dichters halten. Denn er würde g a n z p a s s e n d e Modele dazu vergebens in der N a t u r aufsuchen, und was sie als A e h n l i c h k e i t e n ibm vielleicht darbieten könnte, bedarf in der modivicirten theatralischen Äufserung eben so wohl einer artistischen Behandlung, als die Darstellung des Karakters a u f s e r jenen Situazionen. — Die durch Kunst-



sinn a b s t r a h i r t e n , und zu einem abgemessenen Kunstzweck angewendeten a l l g e m e i n e n Formen, legen der Darstellung des Schauspielers dasjenige bey, was man die V e r e d e l u n g der Natur zu nennen pflegt; es findet dieselbe, unter jeder Aufserung eines Karakters, im natürlichen und leidenschaftlichen Zustande Statt; und bedarf im letztern Falle, einer jam so sorgfältigeren Aufmerksamkeit. Da diese Veredelung der Natur als ein B e d i n g n i f s der K u n s t vorausgesetzt und erfordert w i r d , so ergiebt sich daraus von selbst, warum die zufällige Ubereinstimmung des Karakters einer Rolle mit dem Karakter des Schauspielers, nicht hinreichend ist, eine v o l l k o m m e n e Darstellung hervor zu bringen. Damit der Schauspieler dem richtigen Bedingnisse der Kunst — die Natur zu veredeln — eine Gniige leiste, und damit jene abstrahirten allgemeinen Formen das



4*

hohe reine und vollendete Gepräge erlanmügen, welches sie zu I d e a l e n seiner K u n s t macht; ist es nöthig dafs er von den Eigenthümlichkeiten der menschlichen Natur überhaupt, einen deutlichen vollständigen umfassenden Begriff habe. Ich will diesen Begriff die Grundlage der M e n s c h h e i t nennen. Es besteht dieselbe darin: dafs der Mensch den angebohrnen Drang in sich h a t , seine Kräfte mit Bewufstseyn anzuwenden und zu vereinigen. Dieser Drang ist sein Führer und Verführer; er leitet und milsleitet i h n : je nachdem die Vorstellungen der prüfenden Vernunft, der schwankende, schwächere W i l l e , und die Gewalt eines gegenwärtigen sinnlichen Reizes (welche durch Gewohnheit und Magie der Einbildungskraft und des Gefühls verstärkt w i r d ) die Oberhand in ihm iiaben. Daher entsteht das unablässige Bestreben in dem Menschen diese mannig-

faltigen Widersprüche zu ordnen, zu heben, oder auf irgend eine W^ise bey Seite zu schaffen; und man kann sagen dafs er in einem immerwährenden Kampfe mit sich selbst begriffen sey. Der dramatische Dichter stellt diesen Kampf auf die B ü h n e , er belebt dadurch die karakteristischen durch mannigfaltige Situazionen motifierten Schilderungen die den Bau seiner Komposizionen ausmachen, und bildet selbige zu einem K o n t e r f e y von dem grofsen D r a m a der W e l t aus, wo der Mensch, so w i e auf der Bühne, diesen Kampf jeden Augenblick aufnimmt, eben so oft wieder fallen läfst, und noch öfter demselben auszuweichen sucht. Ich will mich, um ein Beyspiel zu geben, auf die dramatisch bearbeiteten Karakter, des M a h o m e t , C ä s a r , A t r e u s , E g i s t u . s . w . beziehen, die durch blendende Scheingründe sofistischer Täuschung diesem Kampfe zu entgehen suchen. W a s

43 die k o m i s c h e n Komposizionen anlangt, so wählt der Dichter den s c h w ä c h Ii* c h e r e n Menschen dazu, der mit einem groben lügenhaften Selbstbetrug bey diesem Kampfe zu Werke geht, und im Taumel sinnlicher Zerstreuungen, jene inneren Widerspruche weder b e m e r k e n , noch h e b e n will; wodurch, wie ich bey der Analyse einer komischen Rolle umständlicher berühren werde, der lächerliche Kontrast dargeboten wird, zwischen dem was der Mensch s c h e i n e n möchte und was er i s t . Der Schauspieler, welcher die Schilderungen des Dichters beleben und versinnlichen soll, mufs von den Eigentümlichkeiten der menschlichen Natur überhaupt, welche ich die Grundlage der Menschheit nannte, einen deutlichen bestimmten Begriff haben; damit er die Veredlung der Natur die ihm, als K ü n s t l e r , unter allerley Rücksichten auf Karak-

44 ter, Stand, Situazionen, u. s. w. übertragen ist, auf dem nächsten w a h r e n Wege suche, und seine Nachbildungen nicht in willkuhrliche Larven ohne Interesse ausarten lasse. Das goldene Gesetz der N o t w e n d i g k e i t kann dem Schauspieler bey seinen Versinnlichungen nicht genug empfohlen werden: er lege in sein Spiel a l l e s was n o t h w e n d i g ist; aber n i e m e h r als nothwendig ist!

45

III. Sprache

und P a n t o m i m e

sind

die

Mittel deren sich der Schauspieler bedient, um eine dramatische Dichtung zu einer theatralischen Darstellung zu machen. Der Gebrauch seines Sprach - Organs äufsert sich dabey

als ArtLkulazion und

als Accentuazion. D i e A r t i k u l a z i o n bezieht sich auf die Aussprache einzelner Silben und Worte, die A c c e n t u a z i o n

auf den Ausdruck

ganzer Fräsen und Reden. — Ich glaube die Declamazion absondern

von der

Accentuazion

zu müssen: die erstere ist

zwar ein erhöhter Grad von Accentuazion; allein die bestimmtere Anwendung Sprachorgans

zum m e t r i s c h e n

des

Wohl-

klange eines versifichten Schauspiels macht



den e i g e n t h ü m l i c h e n Karakter der D e c l a m a z i o n im eigentlichen Sinne aus. — Ich beschränke mich durch gehends auf d i e v o n j e n e r R ü c k s i c h t b efreyte Accentuazion. Es besteht dieselbe in dem, nach einem gewissen K u n s t s i n n e abgemessenen Gebrauch der Stimme, zum A u s d r u c k einer jedesmaligen G e m ü t h s v e r f a s s u n g . Man kann diesem Gebrauche drey Haupteintheilungen beylegen: E r s t e n s , in so fern solcher auf dem L a u t e der Stimme (son de voix) beruht; Z w e y t e n s , in so fern er den Ton der Stimme (Ton de voix) angeht; und d r i t t e n s : in so fern die Z e i t g r ö f s e der Aussprache dabey in Anschlag kommt. Die Nuancen von S t ä r k e imd S c h w äc h e der Stimme, werden durch den Laut derselben, und die M'odulazionen von H ö h e und T i e f e , durch den Ton der Stimme zu Wege gebracht.

47

Richtig allein

artikuliren

heifst,

die einzelnen Worte

rein und

deutlich

nicht

und Silben

aussprechen,

sondern

ihnen auch, in allen den Fällen, w o der Sinn derselben

durch

ein

abgemessenes

Gewicht der Aussprache bestimmt wird, den

diesen Sinn bezeichnenden

Werth

b e j Itegen. So

liegt

Worte

zum

damit,

Beyspiel,

bey

dem

das Gewicht der Aus-

sprache bald auf der ersten, bald auf der letzten Silbe: d a m i t sagt man, w e n n dieses W o r t

als ein

Synonym

von

dem

W o r t e d a d u r c h gebraucht w i r d ; d a m i t spricht man es aus, wenn es so viel als a u f d a f s heifsen soll.

Zum

Beyspiele:

D a m i t ist nichts getban. —

D a m i t es

geschehe u. s. w . Oft entscheidet der Sinn zweyer neben einander gestellter W o r t e deren Artikulazion: M i t m i r sagt m a n , w e n n die ganze lletle auf das W o r t m i r , ein besonderes

48 Vertrauen legt; sollte aber das G e g e n als ein Nachsatz folgen, so fällt

theil

das Gewicht auf das W o r t m i t ; und man spricht, statt mit

mir,

mit

mir, zum

Beyspiele: Kommt mit m i r ! — W e r nicht m i t mir ist der ist wider mich u. s. w. D e r Schauspieler mufs sich einer vorzüglich deutlichen Artikulazion befleifsigen, w o die Vernachlässigung derselben, einen Doppelsinn veranlassen

könnte, als bey

den W o r t e n : s t e l l e n , s t e h l e n , l e n , B e u t e und B e y d e ,

stäh-

l i e g e n und

l ü g e n u. s. w . D i e Artikulazion ist f ü r den Schauspieler was

die Berichtigung

der Scala

f ü r den Musiker ist. — W e i t mehr macht ihm

die

Accentuazion

seiner

Rede

in

allen ihren so mannigfaltigen Nuancen zu schaffen! Die

Nüancen und

Gradazionen

Accentuazion

der R e d e ,

Schauspieler,

was

bey

sind

der

für

den

dem Maler

die

49

H a l t u n g in einem Gemälde ist. Der letztere bedient sich dazu der Local- Färben, in Verbindung mit Schatten und Licht; bey dem Schauspieler ist die Accentuazion einer Rede den Local - Farben des Malers zu vergleichen, und die W i r kung von Schatten und Licht in einem Gemälde wird auf der Schaubühne durch eine zweckmäfsig steigende Gradazion der Accentuazion zu W e g e gebracht. Man kann die Grenzen der verschiedenen Grade von Accentuazion im allgemeio nen nicht bestimmen: weil das m e h r oder m i n d e r , welches diese Grenzen bezeichnet, an sich selbst schon ein r e l a t i v e r Begriff ist, und noch überdiefs durch den Karakter der Rolle, in einem jedem einzelnen Falle, auf eine subjective Weise determinirt wird. Die vermehrte Accentuazion, welche den leidenschaftlichen Zustand eines, seiner Natur nach, rulligen Karakters s a t t s a m Tlieor. d. Scliauspielk,

4

ausdrückt, nimmt in Rücksicht auf einen heftigen

gewaltsamen

Karakter,

manche Nuance von V e r s t ä r k u n g

noch an;

und was bey j e n e m , der äul'serste Grad w a r , würde bey d i e s e m

nur f ü r eine

lebhafte Accentuazion gelten. Um der

die

mannigfaltigen

Accentuazion

nach

Gradazionen

Möglichkeit

in

sich selbst

zu bestimmen, so bemerke

ich folgendes.

D i e blofs lebhafte Accen-

tuazion bezieht sich m e h r auf die Nuancen der S t ä r k e oder S c h w ä c h e , u n d die leidenschaftliche m e h r auf die Grade der H ö h e Stimme. —

oder T i e f e

des Tones

der

Bey beyden kann durch ein

geschwinderes oder langsameres Sprechen, noch eine besondere Gradazion zu wege gebracht werden. Ich bemerke ferner: dafs bey der leidenschaftlichen Accentuazion, stets

eine

verhältnilsmäfsige Verstärkung und Erhölihung des Tones der Stimme

zugleich

st angewendet werden müsse; und dafs bey der blofs lebhaften Accentuazion, die Gradazion der K r a f t der Stimme allein, ohne merkbare Intervalle von Hohe und Tiefe des Tones, zu der dabey intendirten Wirkung hinreichend seyn könne. Der Schauspieler mufs seiner Rede stets einen schicklichen Werth beylegen: sie ist also eine u n u n t e r b r o c h e n e Accentuazion, die sich in mannigfaltigen JNiiancen äufsert; und von dem leisen Grade der Konversazion bis zum höchsten Ausdruck eines leidenschaftlichen Zustandes empor steigt. Der richtige Gebrauch des Sprachorgans vollendet alle diese Nuancen durch eine jeder Rede angemessene Behandlung, welche ich den V o r t r a g des Schauspielers nennen will. Es besteht derselbe in mannigfaltigen Accentuazionen der einzelnen W e r t e , und Fräsen, welche ein? Rede bilden, und bald hervorgehender

5? bald nachlässiger, bald gebundener, bald abgestofsener, bald bedächtiger, bald zufälliger behandelt

werden

müssen;

und

wodurch vorzüglich der Hauptbegriff von den Nebenbegrilien g e t r e n n t , und seinem Werthe nach

herausgehoben

wird.

W e n n ich über den richtigen Gebrauch des Sprachorgans, in Ansehung der Accentuazion

mit

allen

ihren

Gradazionen,

einige a l l g e m e i n e Regeln geben soll; so wären es folgende.

D e r Schauspieler

juufs erwägen, in w i e fern seine Rede auf i h j i s e l b s t , oder auf die P e r s o n an d i e sie gerichtet ist, einen Bezug hat; und in welchem Grad' e r s e l b s t dabey interessirt ist, oder ein A n d e r e r dadurch interessift werden soll. W e n n die Rede des Schauspielers blois ein h i s t o r i s c h e s

Interesse hat; so ist

ein geringer Grad von Accentuazion hinreichend, um eine Erzähl nng dieser Art auf eine schickliche Weise zu beleben.

Würde sich aber zu dem historischen Interesse der Rede, die Absicht gesellen, dafs die Affekte und Leidenschaften eines a n d e r n dadurch erregt werden sollen; so mufs der Schauspieler einen verstärkten Grad von Accentuazion dahey anwenden, und alle einzelne Stellen, auf welche diese Wirkung berechnet ist, noch b e s o n d e r s heraus zu heben suchen. Wenn die Rede des Schauspielers seine eigenen Gefühle und Leidenschaften, jedoch als blofse R e m i n i s c e n z e n schildert, so ist auch dazu eine verstärktere Accentuazion hinreichend, die nach der Wahrscheinlichkeit, in w i e fern diese Reminiscenzen ihm mehr oder minder lebhaft gegenwärtig seyn können, in Gradazion gesetzt werden mufs. Die e;anze Kraft der Accentuazion äufsert sich blofs in d e n Fällen, wo der Schauspieler seinen e i g e n e n Leidenschaftlichen Zustand, in dem Augenblicke

5i

da er von demselben ganz bemeistert wird, ausdrücken soll. Mafs

Und nun auch hier eip

der Gradazion anzugeben, so hat

die höchste Kraft der' Accentuazion n u r dann

Statt: wenn

eigenen

leidenschaftlichen Zustandes

lebendigsten Absicht

dieser Ausdruck

Gefühl vereinigt

desselben ist,

eine

mit

desim der

andere

Person dadurch in ein ähnliches M i t g e f ü h l zu versetzen.

Als eine allgemeine

Bemerkung fuge ich noch folgendes hinzu. So oft eine erhöhte Accentuazion angewendet w i r d , um einen l e i d e n s c h a f t lichen

Zustand zu schildern, oder auf-

zuregen; so oft wird dabey der T o n der Stimme vorzuglich in Anwendung gebracht. So oft es aber mehr auf Mittheilung deuto licher B e g r i f f e ankömmt; so oft beruht das meiste auf dem L a u t e der Stimme. D e r T o n ist also; wenn ich mich so ausdrücken darf, das Organ des G e f ü h l s , und der L a u t das Organ des

Verstandes.

55 Die s e l t e n e Gelegenhext, eine Rede durch die höchsten Grade der Accentuazion zu nuancircn, darf den Schauspieler nicht

besorgt

Monotomie verfehle.

machen,

dafs

er

durch

den Zweck seiner Kunst

E r findet in der Abwechselung

von Stärke und Schwäche der Kraft der Stimme, und in der Gradazion durch ein langsameres oder geschwinderes Sprechen, mannigfaltige

Mittel,

um

den

Dialog

einer Rolle unterhaltend, und dem damit verbundenen

Interesse

angemessen

zu

machen. D i e Sprache

der Schaubuhne

unter-

scheidet sich zwar von der Sprache im gemeinen L e b e n , durch eine b e s t i m m tere

Artikulazion, und durch eine, dea

Sinn der W o r t e s c h ä r f e r bezeichnende Accentuazion; allein sie darf dennoch die Grenzen des natürlichen, anständigen, und wohlgefälligen, und die

Wirkunsr O

nicht überschreiten; welche

durch Höh&

5« und Tiefe des Tones der Stimme in merkbaren Intervallen, bey den kräftigsten Schrtttirungen der l e i d e n s c h a f t l i c h e n Accentuazion hervorgebracht wird, beschränkt sich auf die vorhin berührten wenigen Fälle, w o die Sprache des Schauspielers gewissermafsen dem Vortrage eines Recitativs in Affektvollen Stellen zu vergleichen w ä r e ; den grofse Sänger mit einer gewissen musikalischen F r e y h e i t behandeln, und der theatralischen Declamazion dadurch n ä h e r zu bringen suchen. Der Schauspieler wird in Ansehung seines Sprachorgans, ganz deutlich, bestimmt, und vollständig von dem Dichter geleitet, denn er empfängt die zu einer belebten Rede unizuschaffenden W o r t e , unmittelbar aus der Dichtung desselben. Diese Anleitung des Dichters ist jedoch als eine a l l g e m e i n e und als eine bes t i m m t e r e zu betrachten. Im ersten Falle bezieht sie sich in Rücksicht der

57 Starke und Schwäche, der Zeitgröfse, und der Höhe und Tiefe des Tones, auf d e n Theil der Ausführung einer Rolle, welcher in Ansehung des mehr oder minder zuweilen als M a n i e r behandelt werden darf: weil der Gebrauch des Sprachorgans hierbey in täuschenden Mitteln bestehen kann, und die Wirkung dieser gleichsam m u s i k a l i s c h e n Behandlung des a l l g e m e i n e n Ausdrucks der Hede, durch analoge Modificazionen von Licht und Schatten, zu Wege gebracht wird. So wie man zum Beyspiel den Hauptsinn eines theatralischen Gesprächs aus diesem allgemeinen Ausdrucke abnehmen würde, wenn auch die S p r a c h e der Rede selbst, uns u n b e k a n n t und unverständlich wäre. Die an den w ö r t l i c h e n S i n n des Dialogs geheftete B e h a n d l u n g wodurch der Karakter und die Situazion a u s f ü h r l i c h e r und b e s t i m m t e r von dem Dichter geschildert wird, gehört, in

5ß so fern die Worte vorzüglich einer m i m i s e h e n Versinnlichung fähig sind, zu dem S t i l e der Darstellung, und jene Nüancen von Erhöhung und Verstärkung des Tones, werden mit dem explicirteren Vortrage des w ö r t l i c h e n Sinnes einer Rolle, in der versinnlichenden Ausführung derselben, verbunden; h i e r d u r c h e r s t erlangt eine theatralische Darstellung in Rücksicht des Sprachorgans ihre ganze V o l l e n d u n g . — Ich komme nun auf das aweyte Mittel, welches der Schauspieler anwendet, um eine dramatische Dichtung, durch die wirkliche bildlicha n s c h a u l i c h e Versinnlichung derselben zu einer theatralischen Darstellung zu machen. Diefs Mittel welches an das A u g e der Zuschauer gerichtet ist, nennt man die P a n t o m i m e .

39

IV. Ich bezeichne durch das Wort P a n t o m i m e , die körperliche Beredsamkeit des Schauspielers überhaupt. Sie äufsert sich durch das Spiel der G e s t e und der M i e n e n ; ersteres bezieht sich mehr auf die Stellungen und Bewegungen des g a n z e n K ö r p e r s und lezteres mehr auf den Ausdruck des Gesichts. Das Spiel der Geste und Mienen ist in allen den Fällen auf das genaueste und zweckmäfsigste mit einander verbunden, wo der a l l g e m e i n e pantomimische Ausdruck zu einem ganz entschiedenen m a l e r i s c h e n Zweck angewendet wird. Hieruber entscheidet die dramatische Dichtung: in so fern sie nemlich mim i s c h - bildliche Schilderungen dem

6c, Schauspieler zur Versimilichung darbietet. Blofs p o e t i s c h - bildliche Schilderungen» welche der Dichter zu andern Zwecken in eine Rede einwebt, und welche weder die Individualität noch die Situazion der handelnden Person anschaulich machen sollen; dürfen sich daher zu j e n e m Grade des pantomimischen Ausdruckes nie erheben. M a n könnte zwar von der Komposition einer dramatischen Dichtung erfordern, dafs sie ihrem Hauptinnhalte nach, durch blofse Pantomime dargestellt, ein f a f s l i c h e s vollständiges Gemälde abgeben müsse; da aber die Ausführung durch W o r t e ihr erst den Karakter einer für die S c h a u s p i e l k u n s t bestimmten theatralischen Vorstellung verleiht, so mufs man- dem Dichter einen gewissen Aufwand vou Hülfsmitteln gestatten, welche ihn von der u r s p r ü n g l i c h e n Intenzion blofs mimisch - bildliche Schilderungen

öl dabey anzuwenden, dann und wann entfernen, und

in Vorbereitungen, Gleich-

nissen, Verzierungen u. s. w. umher schweifen machen; ohne dafs er die Individualität

oder

Situazion

einer

handelnden

Person eben dadurch unmittelbar zu bezeichnen gedenkt. W e n n der Schauspieler diese Art Schilderungen durch eine malerische Pantomime unterstützen und in allen Details versinnlichen wolte; so würde er solche ü b e r ihren Z w e c k erheben, und die Kraft der körperlichen Beredsamkeit, welche auf

m i m i s c h - bildliche

blofs

Schilderungen

aufgespart werden mufs, schwächen. I n eben dem Grade w i e der Schauspieler sich, im S p r e c h e n , dem blofsen Redner nähert; vermindert sich der malerische

Ausdruck

seiner

Pantomime,

und oft sind einige nur w e n i g

abge-

wechselte Geste, ohne ein bezeichnendes Mienenspiel, schon hinreichend eine lange

62

Tirade dieser Art, auf eine schickliche wohlgefällige Weise zu beleben. Da ich den Schauspieler als einen b i l d e n d e n Künstler betrachte, so kann von dieser wiilkührlicheren, und zu keinem m a l e r i s c h - mimischen Zweck bestimmten Behandlung der Geste und Mienen, hier nie die Rede seyn. Die P a n t o m i m e im e i g e n t l i c h e n Verstände, ist der äufserliche k ö r p e r l i c h e Ausdruck der inneren g e i s t i g e n Regungen. Der Schauspieler wird dabey von einem fysiognomisclien Kunstsinne zwar geleitet; allein seine pantomimische Darstellung braucht darum nicht f y s i o g 1 1 0 m i s c h wahr zu seyn, obwohl sie p a t h o g n o m i s c h w a h r seyn m u f s . W a s er auf der Schaubühne mimisch schildert, srlivi ebt zu rasch \ oi über, als .dafs eine strenge p y s c h o l o g i s c h e Anal y s e , nach welcher die l' ysiognoinik das

¿3 Aufsere

mit

dem

Innern

vergleichen

w ü r d e , je dabey angestellt werden kann. Wollte man von der Darstellung des Schauspielers eine v o l l k o m m e n e fysiognomisclie Wahrheit fordern, w i e sehr b e s c h r ä n k t würde das Rollen - Fach eines einzelnen Individuums seyn! Ungerechnet dafs es ein Bedingnifs der Kunst ist, die Natur durch Annäherung darzustellen, nie aber die Nachbildung derselben nach dem kunstlosen grellen Kontur der W i r k l i c h k e i t abzuformen. W a s die Malerey an karakteristischen H a u p t z ü g e n auf das Gesicht des Schauspielers übertragen kann, wird für hinreichend angesehen, auffallende Disharmonien zwischen den permanenten Gesichtszügen des Schauspielers, und der Fysiognomie der darzustellenden Person, wo solche der Illusion zu n a c h t h e i l i g seyn würden, vergpssen zu machen,

6. (

M a n hat in Ansehung der Pantomime, in so fern soklie vorzüglich auf dein Spiele der Gesten beruht, ein allgemeines v e r einfachtes

Principium

angennmmen,

nach welchem der ä u f s e r e

körperliche

Ausdruck, als Schilderung einer i n n e r e n geistigen Regung, in letzterer f ü r hinlänglich moti\ irt geachtet wird.

Diefs I'rin-

cipium ist tief und richtig aus der N a t u r abstrahirt, und besteht in folgendem: Alle innere Regungen in ihren mannigfaltigen Nuancen sind als Gradazioneu des B e g e h r e n - s oder V e r a b s c h e u e n ! » in Ansehung zu

betrachten,

des

mimischen

Ausdrucks

und die zur

Schilde-

r u n g derselben anzuwendende körperliche Beredsamkeit, mufs im ersteren Falle etwas entgegen - strebendes, annäherndes; im

letztern

Falle das

und

Gegentheil

davon, durch ein zurückweichendes abgewendetes Spiel bezeichnen. — Umarmung ist der höchste Grad des Ausdrucks vom

65 B e g e h r e n , und Flucht mit Schauder der höchste Ausdruck vom V e r a b s c h e u e n . Die Begierde sich mit einem a n z i e » he » d e n Gegenstande zu vereinigen, oder einem z u r i i c k s t o T s e n d e n gef ü r c h t e t e n Gegenstande zu entweichen, wird sich immer in dem obern Theile des Körpers und dessen Gesten z u e r s t äufsem, ehe die Füfse hinzueilen, oder in dem entgegen gesetzten Falle zurück schreiten. Dai's bey dem mimischen Gemälde des Begehrens oder Yerabscheuens der Grad dieser Regungen, die Situazion, und auch der Karakter der Rolle in Anschlag kommen müsse, bedarf der Bemerkung kaum. Die Arme, welche sich am leichtesten und zu gleicher Zeit m i t e i n a n d e r bewegen lassen, bezeichnen jede Art lebhafter Begierden am deutlichsten und raschesten, und ihr Entgegenstreben oder Zurückwerfen (welches zuweilen auch Thcor. d. Sclia-ii'.pulk»

5

66

eine angezogene Verkürzung derselbe« seyn kann) ladet den Zuschauer zuerst ein, auf das übrige dahin analoge Gestenund Mienenspiel seine Aufmerksamkeit zu richten. Die Füfse, welche sich auf eine schickliche Weise blofs w e c h s e l n d , vorwärts oder rückwärts bewegen können, begleiten das Spiel der Arme, indem sie bald rascher, bald geinafsigter (den obern Korper unterstützend) entweder straffer ausgreifen, oder in einer verkürzenden Stellung zuruck weichen. Alle Regungen der Seele, welche die inneren Kräfte gleichsam nach a u f s e n drängen, malen sich auch in allen Theilen der M u s k e l n ; und s o wird das vorhin aufgestellte Principium: dals das Begehren sich durch Annäherung, und das Verabscheuen durch Zurückweichen, von dem anziehenden oder abstofsenden Gegenstande äufsere, auch als mimischen Ausdruck der innern ReaunD

67 gen auf a l l e n T h e i l e n des G e s i c h t s , sich bestätigt finden. Die feineren Verhältnisse und Modificazionen

vom

Ausdrucke

der Empfin-

dungen, welche auf eine psychologisch« Weise

eine

fysiognomische

Wahrheit

begründen und darstellen w ü r d e n , liegen a u f s er

den G r e n z e n

der

Schauspiel-

kunst. Es

mufs jedoch

der

pantomimische

Ausdruck des Mienen - und Muskelspiels, sich als Z e i c h e n der inneren geistigen R e g u n g , der

fysiognomischen Wahrheit

so viel es immer m ö g l i c h ist n ä h e r n ; und es liegt dein Schauspieler ob, seine Individualität so w e i t zu bemeistern und zu verläugnen, dafs aus derselben durchaus nichts hervorscheine was dieser m i m i schen Bezeichnung,

als Kunstwerk,

widerspräche. I n diesem Sinne sind die vorhandenen theoretischen Belehrungen über die kör-

6« perliche Beredtsamkeit des Schauspielers in Anwendung zu bringen, und ich darf mich hierbey kürzer fassen; da E n g e l s M i m i k — eine an scharfsinnigen Bemerkungen reichhaltiges und mit grofser Belesenheit ausgearbeitetes W e r k — sich in den Händen eines jeden studirenden Künstlers befindet. Das Spiel der G e s t e ist am geschicktesten die Regungen des Begehrens oder Verabscheuens, auf eine ganz deutliche vollständige Weise m i m i s c h auszubilden, und als S t i l zu versinnlichen. Daä Mienenspiel ( b e y welchem die Sprache der Augen s o s e h r in Anschlag kommt) äufsert sich in dem Gemälde jener Regungen , als ein entfernteres aber immer a n a l o g e s Mittel. Die G r a d a z i o n e n des pantomimischen Ausdrucks werden durch die N u a n c e n der A c c e n t u a z i o n der Rede bestimmt. M a n kann indefs den Gebrauoh

69

der Pantomime unter folgende Gesichtspunkte stellen, welche ihre Gradazionen im allgemeinen bezeichnen: die Pantomime dient entweder zur blofsen Ank ü n d i g u n g eines Karakters aufser irgend einem l e i d e n s c h a f t l i c h e n Verhältnisse; oder sie wird zur Begleitung einer mimisch zu versinnlichenden R e d e angewendet; oder sie f o l g t einer solchen Rede n a c h . Im ersten Falle ist sie gemäfsigt, und mit einer gewissen Ruhe verbunden; im zweyten Falle entscheidet der Grad des Affektes, die Situazion, *ind die Intenzion der dramatischen Dichtung die Kraft des pantomimischen Ausdruckes, und im dritten Falle ist sie gleichsam der Nachhall der Rede; sie verfolgt das Gemälde, durch unbestimmte Umrisse in einer w e i t e r e n Entfernung. Ich brauche kaum hinzuzufügen, dafs das Karakteristische der Rolle die erste B a s i s aller dieser Gradazionen seyn müsse. —



Eine hieher gehörende Bemerkung darf ich jedoch nicht ubergehen: die Pantomime ist freyer, bestimmter, und entschiedener, wenn sie die n a t ü r l i c h e n Äusserungen eines Karakters begleitet — und in diesem Falle durchgängig als S t i l zu behandeln. So oft aber die Aufserungen eines Karakters, durch z w a n g v o l l e Situazionen, zu unwillkührlichen Modificazionen einer in dem K a r a k t e r s e l b s t nicht begründeten Aufserung werden; so darf in den pantomimischen Aüsdruck derselben, ein, diesen Situazionen angemessenes, zwangvolles unsicheres Bestreben übergehen; welches bey mimischen Gemälden dieser Art, alsdann mehr als M a n i e r hervortritt, und wobey das Analoge aus der Individualität des Schauspielers, dem Detail der Ausführung hie und da zu statten kommen kann. — Unter den Worten Karrikatur und Grimasse, deren ich mich bey der nach-

7t

folgenden Analyse einer komischen Rolle werde bedienen müssen, versteht man den bis zum Ü b e r t r i e b e n e n erhöhten Werth des pantomimischen Ausdruckes. Die K a r r i k a t u r bezieht sich ipehr auf die Geste, und die Grimasse mehr auf das Mienenspiel. Die Anstrengung welche der Schauspieler anwendet, um den Ausdruck der Pantomime auf eine übertriebene Weise zu erhöhen, hat gewöhnlich die Absicht: das Unwahrscheinliche einer mimisch zu versinnlichenden komischen Dichtung, durch einen ü b e r m ä f s i g e n Aufwand von Ernst, a u f f a l l e n d lächerlich zu machen. W e n n . diefs Ubermaas einer ernsthaften Behandlung in dem Karakter der Rolle begründet ist, so gehört der Ausdruck davon zu dem S t i l derselben; wird aber dieser übertriebene Ernst in der Darstellung des Unwahrscheinlichen und Lacher-

liehen,

durch

zwangvollen

relative

Absichten

in

Situazionen

veranlafst,

so

kann der Schauspieler manches Detail der Ausführung, willkührlicher, und als Manier behandeln. D i e komische Pantomime kettet sich so w i e die ernsthafte an den Sinn der mimisch zu

versinnlichenden

Dichtung;

sie erhöht und vermindert sich, nach den Graden der Accentuazion der Rede.

Ein

richtiger komischer Takt wird den Schauspieler über die W a h l der Nuancen am sichersten

leiten,

und

ein

verfeinerter

Geschmack ihm die Grenzen des W o h l g e f ä l l i g e n und

Schicklichen,

be-

obachten lehren; welche bey k o m i s c h e n Darstellungen

für Gesetze des W a h r e n ,

Natürlichen, und wirklich Empfundenen gelten. Ich

f ü g e noch

einige Bemerkungen

über das Lust - und Trauerspiel, und über die Kenntnisse welche sich der Schauspieler

vorbereitungsweise erwerben mufs, hier bey und gehe dann auf die Analyse einii ger Shakespearischen Rollen über. — Ich werde mich bemühen, die hier vorausgeschickten theoretischen Sätze dabey deutlicher zu entwickeln, und manche vielleicht zu a l l g e m e i n gefafste Behauptung, in der Anwendung auf b e s t i m m t e F ä l l e der Wahrheit näher zu bringen.

74

V. Das Lustspiel hat vorzüglicher das Interesse unserer Fantasie, und das Trauerspiel vorzüglicher das Interesse unserer Gefühle zum Gegenstand. Der Schauspieler darf sich, so wie der Dichter, in dem Verhältnisse zu der k o m i s c h e n Muse, mehr Freyheiten und Bequemlichkeiten erlauben, als bey dem ernsthafteren Berufe der tragischen Muse. Er wandelt mit jener, in der Ausübung seiner Kunst, auf einein breiteren Pfade, wo Laune, Scherz, Humor, Witz, und allerley karakteristische Eigenheiten, ihm, in erweiterten Schranken, ein offeneres Feld darbieten; da er an der Seite der tragischen Muse hingegen, ein bestimmteres Ziel, in a b g e m e s s e n e r e n Schritten zu verfolgen genöthiget wird.

75

Der magische Spiegel, in dessen reinem Abglanze die ernsthafte dramatische Dichtkunst die Gegenstände, welche er versinniichen soll, auffafst, wird in der Hand der verschwisterten Muse, zu einem vielfarbigen täuschenden Prisma, dessen vielseitiger Zauber ihm manche W i l l k u h r l i c h k e i t in der Ausübung seiner Kunst gestattet. Der Unterschied zwischen Lust - und Trauerspiel wird dadurch noch gröfser, dafs jenes g e r i n g e r e Ansprüche auf Täuschung macht als dieses; die Täuschung des H e r z e n s aber schliefst jede Willkuhr aus — und d a h e r ist vorzüglich das Spiel tragischer Rollen s c h w e r e r als das Spiel komischer Rollen. Ungerechnet, dafs bey letzteren die, ihre Wirkung nie verfehlenden, komischen Kontraste der S i t u a z i o n dem Schauspieler gar sehr zu Statten kommen

76

Ich wollte behaupten, dafs alle Künste, ihrem e r s t e n Ursprünge nach, ihr Glück mehr durch s i n n l i c h e Reitze, als durch das Interesse macht

aufgeregter

haben.

G e f ü h l e ge-

D i e Tonkunst

begleitete

gewifs früher den fröhlichen Tanz und schwärmende

Bachanale;

als

sie

bey

Hymnen und Todtenopfern feyerlich ertönte — und die bildende Kunst würde, auch ohne dem Bedürfnisse des Kultus die Hand zu bieten, zu ihren Schöpfungen eher die gefällige Formen der Götter und Helden gewählt haben, als sie einen Laokoon darzustellen unternahm. Eben so

hat

auch

die

dramatische

Kunst u r s p r ü n g l i c h erst dahin gestrebt, durch e r g ö t r z e n d e Szenen den Zuschauer zu belustigen; ehe sie sich seines Herzens durch t r a g i s c h e Darstellungen zu bemeistern suchte.

Es ist diefs um so

wahrscheinlicher, da sogar Trauerspiele

die

ältesten

welche aus der Vorzeit

77

auf uns gekommen sind, ganz unlaugbar blofs den Zweck an den Tag legen, Ers t a u n e n zu erwecken und die F a n t a s i e der Zuschauer zu grofsen Thaten a n z u f e u e r n , ohne ihre Gemüther durch Theilnahme e r w e i c h e n , und ihrem Auge Thränen des M i t l e i d s entlocken zu wollen. Es ist auch nicht unbekannt dafs zuerst die Komödie, und dann auch das Trauerspiel der Griechen, seinen Ursprung den L u s t b a r k e i t e n der Ernte zu verdanken hat. Die Darstellung des Trauerspiels ist, wie ich schon früher erwähnte, schwerer als die Darstellung des Lustspiels: weil ersteres, seinem Karakter nach, sich näher an 'V^ahrheit hält; ein erhabeneres Interesse beabsichtiget; und eine diesem Zwecke angemessene V e r e d e l u n g der Natur voraussetzt. Der Schauspieler mufs daher die Intenzion des Dichters am meisten durch den S t i l seiner Darstellung

7b

zu erreichen, und in selbige uberzutragen suchen. Das Interesse, welches das Lustspiel verschaffen soll, ist auf einen sinnlicheren Reitz gegründet, und der entschiedene H a n g der menschlichen Natur jeder Erg ö z l i c h k e i t eine leicht geregte Fantasie darzubieteu , kommt der dabey intendirten Wirkung schon auf halbem Wege zuvor. Wenn hingegen in dem Trauerspiele, mitleidige, schmerzliche und schauderhaft« Gefühle dem Zuschauer w o h l g e f ä l l i g und e m p f ä n g l i c h werden sollen; so mufs das Bestreben der tragischen Kunst, durch ein h o h e s , bestimmtes, unterhaltendes und ansteigendes I n t e r e s s e den Kontrast mit jenem n a t ü r l i c h &reu Hange zum Vergnügen vollständig aus dem Wege räumen. Der Schauspieler vernichtet diesen K o n t r a s t , wenn er seiner Darstellung so viel Interesse und eine so hohe Kraft der W i r k u n g beylegt,

79 dafs der Zuschauer weder Zeit noch Willkühr hat, sich der Fesseln theilnehmender Empfindungen entledigen zu wollen. Der Schauspieler darf jedoch das Interesse, welches er seiner Darstellung beyzulegen Sucht, nie so v o l l k o m m e n theilen, dafs die Täuschung welche er bewircken soll, auf i h n s e l b s t g a n z überginge : denn in diesem Falle würde seine Darstellung zu einer o h n e Kunstzweck determmirten Aufserung eines w i r k l i c h e n Affektes werden, der das Bedingnifs einer veredelten Natur, und einer v o r z ü g l i c h durch Stil zu einem Kunstwerke ausgebildeten theatralischen Versinnlichung gebrechen könnte. Die individuelle Empfindungskraft des Schauspielers kann jedoch diesen Satz noch mehr erweitern. Es gab grofse Künstler die sich der selbst - verwandelnden Macht ihres Gefühls bey leidenschaftlichen Stellen

ßo

überlieisen. Ich nenne als Beispiele die Dumenil, und unsern E c k Ii o f. — G a r r i c k und S c h r ö d e r hingegen beherrschen sich selbst, um überall und immer Meister ihrer Kunst zu seyn; und suchten dadurch a u c h das i d e a l i s c h e der S i t u a z i o n um so sicherer aufrecht zu erhalten.

{Jl

VI. Ich komme auf die Anlagen welche den Kupstberuf des Schauspielers bestimmen, und auf die Ausbildung derselben. Wem die Natur einen regelmäfsigen Körperbau — ein angenehmes sonores zum Ausdruck des Kräftigen und Innigen gleich fähiges Sprachorgan — und eine bedeutende Gesichtsbildung, die sprechende Züge zu einem freyen leicht beweglichen Mienenspiele darbietet, verliehen hat; wozu sich eine lebhafte Fantasie — eia leises Gefühl — eine treffend^ Urtheilskraft (welche zusammen den sichern Takt des Geschmacks bilden) — und ein glückliches Gedächtnifs. vereinigen; der ist mit allen geistigen und körperlichen. Gaben ausgestattet, um eiA grofser Schauspieler zu werden. 3 licor. d. Schiiii^ielk..

6

0-J Ich bin weit entfernt die seltene Vereinigung aller dieser Anlagen die den Künstlerberuf des Schauspielers so entschieden bezeichnen, durchaus erfordern und voraussetzen zu wollen; ich glaube vielmehr dafs auch ein minder glücklich begabtes Talent, durch eine sorgsame Ausbildung, die Laufbahn des Theaters mit dem rühmlichsten Erfolg betreten könne. Die Ausbildung welche die k ö r p e r l i c h e n Anlagen des Schauspielers zum Gegenstande hat, besteht gröfstentheils in V o r ü b u n göe n die unmittelbar in seine Kunst übergehen. Die Ausbildung seiner g e i s t i g e n Anlagen hingegen, beruht mehr auf vorbereitenden K e n t n i s s e n welche ihm dabey blofs mittelbar zu statten kommen. Zu den erwähnten V o r ü b u n g e n gehört vorzüglich die T a n z k u n s t , weil sie dem Körper Geschmeidigkeit, Gewandt-

heit und Grazie überhaupt verleiht — ferner die P a n t o m i m e , oder die Tanzkunst im h ö h e r e n S i n n , welche die Regungen des Gemiiths durch Bewegungen , Geberden, Stellungen und fysiognomische Formen schildert — und endlich geselle ich zu diesen Vorübungen annoch die dem Studium des Gesanges sich nähernde Kultur des Sprachorgans, welche darin besteht: die Stimme (nach dem ihr angemessenen Umfange und Vermögen,) zu Höhe und Tiefe, zu Starke und Schwäche,, auszubilden, und derselLen den mannigfaltigen Gebrauch jeder Nuance recht geläufig zu machen. Als

vorbereitende K e n t n i s s e ,

zur

Ausbildung der g e i s t i g e n Anlagen des Schauspielers bemerke ich folgende: Ers t e n s eine grammatikalische Einsicht in seine Muttersprache; um solche rein und nach dem besten Dialekt zu sprechen.

84 Ferner, Geschichte

einige Belesenheit

in

der

und Mythologie-, damit ihm

in seiner Rolle nichts dunkel bleibe, und er

sich -mit

dem Dichter

in

entfernte

Zeiten und Sitten versetzen könne. Sehr wichtig ist für den Schauspieler ein psychologisches Studium der Fysiognomilc; damit er dem Ausdruck der Affekte

und Leidenschaften

ein

richtiges

Gepräge und ihrem Ursprung und Gange nach, die gehörige Gradazion zu verleihen wisse. jNiiclit minder wird er die Werke der Jvunst (war es auch nur in irgend einer überlieferten Versinnlichung diivon) mit Nutzen s t u d i r e n w e i l seine der bildenden Kunst,

überhaupt

so nahe

verwandt

i s t , und weil ihm zur schicklichen wohlgefälligen Anordnung theatralischer Gruppen nichts

besser

leiten

kann

als

das

öftere Beschauen aller Art von Kunstbildungen.

Ein Studium

dieser Art steht

ft5 mit seinem Kunstlerbcvuf in einer noch genauem.

Verbindung,

ich

meine dsfs

öftere aufmerksame Betrachten der handenen

Kupferstiche,

welche

vorgrofse

Schauspieler in bedeutenden Szenen und Situazionen

darstellen.

Diese

anschaulichen Belehrungen

sinnlich-

würden

von

einem noch gröfsern Nutzen f ü r den studirenden

Künstler

seyn,

w e n n er bey

Betrachtung dieser Bildnisse durch eben so scharfsinnige Zergliederungen

geleitet

w ü r d e , als der Verfasser der E n t W i c k e lung

des

Ifflandischen

Spiels

mehrere Rollen dieses vortrefflichen Schauspielers mit

einem

ächten

filosofisclien

Kunstgefühl analysirt hat. Ich will es versuchen diefs Studium durch ein B$yspiel zu erläutern, u n d die bekannten Kupferstiche, wo G a r r i c k als König

Richard

der d r i t t e zweymal

abgebildet ist, neben einander halten und zergliedern.

Beyde

stellen einerley Ka»

8< s

raktcr in ähnlichen Situazionen d a r , tieml i c h d a s Z ü r n e n d e s c h a u d e r n d e einer wilden

Gemüthsart;

allein

ganz

ver-

schieden

ist der mimische Ausdruck

in

dem erstem ( w o die Geister der Gemordeten

Richards Fantasie mit

schwarzen

Bildern schrecken, u n d er eben aus dem Traum'

erwacht)

von

dem

Gegenstuck

d a z u , w o dieser fürchterliche Usurpator in dem Getümmel der Schlacht geschildert wird. Wie spieler

nützlich ist es f ü r den aus diesen Nachbildungen

n e h m e n , auf K unstier

Schau-

was

wie

Art

Garrick

behandelte u n d

abzu-

und Weise diesen

nüancirte.

ein

Ausdruck

Man

würde,

auch ohne den I n h a l t beyder Szenen zu w i s s e n , aus dem ersten Kupferstich errat h e n dafs Richard hier blofs ein gehässiges F a n t o m kämpft;

da

seiner E i n b i l d u n g s k r a f t das

Gegenstuck

be-

hingegen

( w e n n auch das gezückte S c h w e r t u n d die

—i

Q7.

explicirenden Figuren im Hintergrunde wegfielen)'Richards bestürmte Seele ganz sichtbar* in einer Szene der Wirklichkeit malt. Die Geisterfurcht äufsert sich bey dem erwachten König durch eine unwillkuhrliche zwecklose Anstrengung aller Theile des Körpers; die aufgeregte Fantasie - welche vor fremdartigen übernatürlichen Wesen erbebte, ruht noch auf der starren Verzerrung seiner Gesichtszüge,, die linke Hand greift blofs mechanisch nach dem Schwert; da die ausgespannte rechte Hand und der angezogene Arm, weit sprechender das blofse Staunen und die u n r e e l l e G e f a h r bezeichnen; so wie durch die auseinander geschobene schräge Stellung der' Füfse auch nur ein dunkeler tranSitcSrischör Vorsatz der Flucht oder Gegenwehr angedeutet wird. Bald-nach dieser Szene1 thürmt sich das Urigewitter auf unter dessen Schlägen Richard erliegt, und atif"diesen Moment

88 hat Garrick die ganze Kraft des erhöhten Ausdrucks aufgespart.

Die Nachbild,ung

seiner Darstellung versetzt uns

auf das

Schlachtfeld, wo die im Traum empfangenen Weisagungen

jener Unglück dro-

henden

Schreckenbilder

ihrer

Erfüllung

nahen.

Der Ausgang' der Schlacht wird

immer

zweifelhafter; Richard

mag

der

empfangenen Warnung dafs er verrathen sey keinen Glauben beymessen; er hofft, w o nicht den Sieg, doch die Sättigung spiner Rache. Ein Bothe bringt die Nachricht dafs das Heer

welches

stillte abtrünnig

ihm

zu Hülfe

geworden sey.

eilen

E r eilt

in das Gemetzel der Schlacht ?umck; sein Pferd wind

unter ihm getodfcet; er flieht

wie ein Rasender

zu Fufs. und

bietet

ganz England für

ein Pferd. —

Diefs

« t die Situazton unter weicher den König Richard

hier

Garrick

darstellt.

Der

—-

r>9

Ausdruck des Zorns ist der Ingrimm eines W ü t h e n d e n ; der Ausdruck des Schauders ist V e r z w e i f l u n g . Alle Muskeln des Körpers sind gewaltsam angespannt, und das fürchterlich rollende Auge sucht das Opfer seiner Rache in jedem seiner Gegner auf —— f ü n f e fielen schon, und doch verfehlte sein Arm den Todfeind R i c l i m o n d den er vernichten will. Der • Ausdruck des Zorns ruht vorzüglich auf den obern Theilen des Gesichts und am sprechendsten ist der gräfsliche Zug der Stirne — der Ausdruck des Schreckens ruht jnehr auf den untern Theilen, und am sichtbarste« beaeichnet ihn die Unterlippe die abwärts fällt und bewegliche bebende Züge bildet. Die Füfse schreiten kräftig, jeder Arm hat eine zweckmäfsige Richtung, und das Ganze dieser mimischen Darstellung malt die nahe Gegenwart einer zu bekämpfenden w i r k l i c h e n Gefahr; da das vorhin untersuchte Bildnifs



hingegen blofs das starre wilde Anstaunen geträumter F a n t o m e n versinnlichte. Ich lasse diese Digression fallen, um mit wenigen noch e i n Studium dem Schauspieler zu empfehlen, das ich für eine sehr w i c h t i g e Vorbereitung zur Ausübung seiner Kunst ansehe — ich meine die Kenntnifs von dem sogenannten T o n der W e l t . Der Ton der Welt ist nichts anders als eine Verfeinerung der menschlichen Natur zum Besten des gesellschaftlichen Lebens. Diese Verfeinerung geschieht nach konvenzionellen Begriffen, die sich alle dahin reduciren: dafs man, mit Aufopferung jeder e g o i s t i s c h e n Anmassung die andern lästig seyn könnte, ein zwangloses Bestreben thätig werden lasse achtungsvolle Begegnungen, als einen wechselseitigen Tribut, mit g l e i c h e r Leichtigkeit zu e r z e i g e n und zu emp f a n g e n . Das Gefühl des eignen Wer-

9i.

thes, vereinigt mit der Anerkennung dis f r e m d e n Werthes, erleichtert und verfeinert die gesellschaftlichen Verhältnisse, und scheucht das steife der Zurückhaltungj die Pedanterey

der

Komplimente,

und

alle egoistische Zudringliclilceiten hinweg. J e mehr diese Verfeinerung auf einer wirklichen Veredelung Natur

der menschlichen

beruht; je leichter

und

sicherer

wird ein i n n e r e r Takt der Wegweiser seyn um diesen guten Ton zu erlangen. Ich

fordere von

diese

lautere

und ihm

dem Schauspieler

dafs

Quelle in ihm wohne

diese gesellschaftliche Tugend

erwerbe: weil die Veredelung der Natur seinem

Künstlerberufe

an

sich

schon

obliegt, und ich ganz der Meynung beystimmen mufs welche I f f l a n d in seinen lehrreichen Aufsätzen über Menschendarstellung äufsert: „dafs nur ein edler M a n n sein Spiel zu einer e d l e n Rolle empor lieben könne."



D e r rohe oder

gar

92

niedrige Mensch vermag dieis nie, und Vrie sollte überhaupt denv sittenlosen Wüstling, Kraft und Geist zu Gebote stehen, um mit einem gelähmten Körper und einen verstimöiten Gemüth den Krana einer so e d l e n und so s c h w e r e n Kunst zu erringen?

93

A n a l y s e n z weyer R o ü e a v o a

Shakespeare.

VII. D a s Studium einer Rolle besteht bey dein Schauspieler in. der psychologischen Analyse eines, nach Anleitung der dichtere sehen Schilderung, darzustellenden theatralischen Karaktevs, und in der Auswahl der

zur Versinnlichung

desselben

anzu-

wendenden Mittel. D a j«der KaraJtter mit dem ganzen Bau' einer dramatischen Komposizion in Verbindung steht, und in seinen Äußerungen durch Verhältnisse determiuut o w i r d , so mufs, w i e ich schon, frühen erwähnt habe, das Studium einer einzelnen Rolle ruch im Verhä-ltnils zu- den

•94

übrigen Rollen, unter jeder dadurch g e g e b e n e n Situazion angestellr werden. Ich w i l l , um mich in der Folge hierüber kürzer auszudrücken, die in der Individualität eines K a r a k t e r s s e l b s t begründeten Aufserungen die u r s p r ü n g l i c h e n , und die durch - g e g e b e n e V e r h ä l t n i s s e veranlafsten Äusserungen die r e l a t i v e n Determinazionen nennen. Ich wähle zum ersten Versuch einer solchen Analyse, eine k o m i s c h e Rolle, und zwar die des J o h n . F a l l s t a f . Shakespeare hat diesen höchst theatralischen Karakter, in den beyden Schauspielen vom Leben und Tode K ö n i g H e i n r i c h s des v i e r t e n , unstreitig mit glücklicherem Humor, und einem früchtbareren Genie bearbeitet, als in den l u s t ig e n W e i b e r n von Windsor wo er diese schon b e k a n n t e Theaterfigur, auf Verlangen wiederhohlt aufstellte; ohne ihr jedoch das Interesse beylegen zu können,

95 welches die mannigfaltigeren hervorstehenden

Situazionen

jener

Schauspiele

ihm

zur Ansbildung des Fallstafischen Karakters in r e i c h e r m Mafse dargeboten hatten.

Ich halte mich bey der gegenwär-

tigen Analyse an» die frühere Schilderung desselben,

in

den

benannten

beyden

Schauspielen. Ich will

von

dem einfachsten

und

leichtesten ausgehen, und zuerst die körperliche F o r m , unter welcher Shakespeare den Fallstaf dargestellt wissen will, untersuchen und bestimmen. Dichtung Die

belehret

Schilderungen

uns

D i e dramatische darüber

seiner Figur,

selbst. Geste

und Attitüden, welche bald i h m s e l b s t , bald

seinen G e f ä h r t e n

in den Mund

gelegt werden, bezeichnen Fallstafs äussere Gestalt in deutlichen Umrissen, und die darauf anspielenden häufigen Spöttereyen führen

zur V o l l e n d u n g

dieses

Gemäldes so viel Data herbey, dafs die

Einbildungskraft das fehlende leicht auffinden kann. Man erblickt in diesem Gemälde einen von Schwelgerey und Unthätigkeit aufgedunsenen, und zu einer dicken weichlichen Fettmasse angeschwollenen Körper; der sich in r u h i g e n Verhältnissen zwar uiit träger Unbehülflick keit bewegt; jedoch nicht so k r a f t l o s ist, um nach s e i ü e r ' A r t nicht auch gelenk und behend- seyn zu können. Zu dieser allgemein gezeichneten Form gesellt sich ein übermäfsiger herabfallender Bauch, der der Stütze eines Leibgurtes bedarf; kleine, von schlaffen Muskeln halb bedeckte Augen, welche eine sinnliche Lüsternheit zu gierigen Blicken belebt, hängende Backen, ein breite» gespaltenes Kinn, eine verlebt» Gesichts Farbe, eine stumpfe fleischichte Nase, ein gi;oisei Mund mit breiten apsgebogenen Lippen, kurze Arme und Fuise, ein heiserer Ton

97 der Stimme, eine schwere Zunge, und ein mühsames Athemhohlen. Fallstafs K a r a k t e r entspricht dieser k ö r p e r l i c h e n Schilderung in jedem Zuge: Ein sanguinisch-flegmatisches Temperament, ist die G r u n d l a g e desselben. Fallstaf wird von den immerwährenden Anregungen einer rohen Sinnlichkeit dergestalt bemeistert, dafs er die Sättigung derselben gleichsam für seinen B e r u f hält. Das Lügen ist bey ihm eine instinktartige F e r t i g k e i t geworden, der er sich bey jedem Anlafs ungescheut überläfst; und die öftere Erfahrung auf den gröbsten Unwahrheiten ertappt, und dielsfalls gemifshandelt zu werden, hat ihm eine so dreiste Unverschämtheit verliehen, dafs t

er bich nicht eimnahl die M u h e giebt, den S c h e i n der Lüge von sich abzuwenden.

Die

Behaglichkeit

seiner

Na tun

welche überall den M e i s t e r spielt, erlaubt ihm nie, seine Prahlereyen durch H u e r , d, Siliau^m-llc.

7



sinnreiche Erfindungen zu unterstützen, oder durch gewandte Ausreden gegen spöttische Zweifel aufrecht erhalten zu wollen. Fallstafs Verteidigungen in dergleichen Fällen, sind daher eben so plump, unüberlegt und unwahrscheinlich, als seine fabelhaften Erzählungen selbst. Der Schauspieler darf keine Rede dieser A r t , wo Fallstaf seinem Hange zu lügen freyen Lauf läfst, durch eine scharfe Accentuazion herausheben. Ein dabey angewendeter e r h ö h t e r Werth des Ausdrucks würde den Fallstaf aus seinem Karakter versetzen, und zu einem a bs i c h t l i c h e n schlauen Lügner machen, der durch Kunst declamatorischer Berecltsamkeit, andere t ä u s c h e n und überreden wolle. Es ist hinreichend, wenn der Schauspieler dergleichen Rodomontaden nur so viel Lebendigkeit durch Pantomime und Sprache ertheilt, als der Zuschauer zu der Überzeugung bedarf, Fallstaf

99 sey über den Innhalt seiner fabelhaften Erzählungen, selbst in einem momentanen Selbstbetruge, befangen. E r kanin sogar die auffallendsten Gvofsw sprechereyen Ton

durch

der Rede

dieser

einen

nachlässigen

nüanciren, und

ruhigeif Zuversicht

iin Sprechen,

denselben den Anstrich ganz gewohnlicher,

und

von

mittelst

bekannter,

Fallstaf

nicht

anders zu erwartender Tliaten beylegen. — Alle diese Aufserungen gehören mit Einsehlufs ihrer ]Nüancen Determinazionen

zu den natürlichen

seines

müssen daher als S t i l

Karakters,

und

der Holle behan-

delt werden. Der Dichter hat in Fallstafs Karakter einen grofsen Grad von Leichtsinn gelegt, welcher sich t h e i l s auf seine ursprüngliche Abneigung zu

reilectiren

gründet,

und ihn aus Flegma unbesonnen handeln macht; t h e i l s durch die gierige Sinnlichkeit seiner iNatur erzeugt wird,

i'allttaf

ioo ist zugleich dreist und feigherzig: der verwegenste Streich dünkt ihm ein willkommenes Abentheuer, und der Entschlufs 4er .Ausführung ist so l a n g e keine Prahlerey, als das Vorgefühl eines sinnlichen Genusses, in ihm auf eine lebhafte Weise die Oberhand hat. Er betrachtet die Aussicht, Geld oder Ruhm zu erlang e n , nur in den R e s u l t a t e n , die er zur Befriedigung seiner Lieblingsneigungen zu verwenden hoft. Diese momentanen Äufserungen einer blofs illusorischen Keckheit, sind in der Darstellung auch nur i l l u s o r i s c h zu behandeln, und da sie sich von der eigenthümlichen karakteristischen Wahrheit entfernen, so gehören sie mehr zu der M a n i e r der Rolle. W i i t tiefer ist hingegen die Z a g h a f t i g k e i t in Fallstafst Natur begründet, und so bald jene grobe Selbstverblendung von Muth, sich nur im mindesten schwächt (welches gewöhnlich bey den Anstalten

10t zur A u s f ü h r u n g einer That zu geschehen pflegt) so erscheint Fallstaf in seinem wahren L i c h t e , nemlich

als eine

faule

unbehülfliclie Fleischmasse, in der kein Funke von Tapferkeit zu spüren ist. — W a s sich daher auf die ihm a n g e m e s s e n e r e Poltronnerie bezieht, nimmt, in der Darstellung als S t i l behandelt, das b e s t i m m t e r e Gepräg einer ursprünglichen karakteristischen Determinazion an. Shakespeare hat seinem Fallstaf eine gewisse körperliche Schwächlichkeit beygelegt; die der Schauspieler unter verschiedenen

Rücksichten

zu

behandeln

hat.

Fallstafs Alter, seine kränklichen Anwandelungen, und die natürliche Unbehülflichkeit seines Körpers, haben in ihm die Gewohnheit ten immer

erzeugt, diese Infirmitä-

im M u n d e

zu

führen;

um

alle lästige Zumuthungen die seine Behaglichkeit Stohren könnten ü b e r h a u p t von sich abzulehnen.

Wenn

diese Art

Klagen durch keine b e s o n d e r e momentane Absicht motivirt werden, so darf der Schauspieler

sie n i e zu dem Ausdruck

einer wirklichen

Empfindung

erheben;

er mufs vielmehr

durch eine

geringe

Accentu-azion

Sprache,

wenige

der

und

durch

Geste, diesen Klagen die Na-

türlichkeit einer b l o f s e n beylegen.

Gewohnheit

So bald aber Fallstaf sein kör-

perliches Unvermögen zurSrhuzwehr gegen eine ihm Gefahr drohende Aufforderung a b s i c h t l i c h anwendet; so ist eine andringendere belebtere

Accentuazion,

Pantomime

in

und eine dergleichen

Fällen gar sehr am Platz: denn Fallstaf will alsdann r ü h r e n , und

durch

der-

gleichen Schilderungen die Gutmiithigkeit seiner Gefärten der Behandlung

aufregen. —

Wenn in

dieser Art Stellen,

in

Fallstafs Rolle, etwas als S t i l hervortreten'soll; so kann es nur unter der erstem

Pvucksicht geschehen; in so fern

— — —

10^

riemlich eine lange Gewohnheit, durch A n n ä h e r u n g an das N a t ü r l i c h e , zu zitier karakteristisclien W a h r h e i t wird. W e n n Fallstaf dann und wann zu einer Art von Selbsterkenntnifs zu gelangen scheint, so ist diefs mehr Heucheley gegen s i c h s e l b s t , als gegen a n d e r e — ohne dafs ein wirkliches G e f ü h l der R e u e je dabey zum Grunde liegt. Der Vorsatz sich bessern zu wollen, ist ein blofser flüchtiger S e l b s t b e t r u g . So bald daher dergleichen unwillkührliche Blicke in die Yerderbnifs seines Wesens bey Fallstaf zu lebhaft werden, und in d e u t l i c h e Reminiscenzen seiner Ruchlosigkeiten übergehen wollen; so bricht er den Gang dieser ihn beunruhigenden Fantasien durch einen Strom roher Reden und Bilder gewaltsam ab, und flüchten sich vor dein e r n s t l i c h e n Gedanken der Besserung in den dickesten Nebel einer ungezähmten Sinnlichkeit. Höchst D

104



widerwärtig und ärgerlich ist es ihm, wenn ein Anderer seinem heuchlerischen Geschwäz einen consequenten Sinn beylegt, und ihm darüber beym Worte nehmen will. Ein Beyspiel dieser Art bietet die dritte Szene des dritten Akts im ersten Theile Heinrichs des Vierten dar, wo Fallstafs Diener B a r d o f sich veranlafst glaubt, eine Strafpredigt an seinen Herrn einleiten zu dürfen. Bey der ersten Ahndung dieser Absicht, wendet sich Fallstafs aufgeregter Unmuth, in einet langen bilderreichen Persifflage, gegen diesen unberufenen Sittenrichter, und läfst ihn seit dem ersten Versuch seiner überlästigen Vennahnung nicht wieder zum Worte kommen. Der Schauspieler darf dergleichen Anwandelungen von Selbsterkenntnifs in Fallstafs Munde, keinen besondern W e r t h der Accentuazion beylegen; denn er würde ihn dadurch zu einein r e u i g e n Sünder



105

wachen, und den Sinn der Rolle verfehlen.

Eine sorglose Gelassenheit im Spre-.

chen, wird am

besten

bezeichnen

dafs

Fallstafs Vorsatz der Besserung ein Aufwand

leerer

Worte

sey;

und

dafs

er

damit nicht einmal ein nachlässiges Bestreben", diesen Vorsatz j e

realisiren

zu wollen, verbinde. Fallstafs Karakter ist von dem Dichter mit

der

genauesten

psychologischen

Wahrheit geschildert, und ob er gleich ein seltsames Gemisch von K o n t r a s t e n in Sich fafst; so hat er doch durchgehends das entschiedendste Gepräg'

einer

zwar

seltenen und bisarren Natur, die jedoch individnel

wahr,

und

denkbar

ist,

und höchst anschaulich dargestellt wird. Das Verhältnifs, worein

Fallstaf, als

Gesellschafter eines jungen Prinzen gesezt ist

(der aus Langeweile und Ubermuth

einer Lebensart nachhängt deren er sich selbst

schämt, und

einen

Trupp

roher

10Ö



Gesellen u m sich versammelt, die er im G r u n d e v e r a c h t e t ) diefs legt i h m , in d e n ursprunglichen

Aufserungen • seines

Karakters m a n c h e zwangvolle Fesseln an, die Kontraste in scheinen,

aber

seiner N a t u r zu blofse

seyn

Kontraste

der

S i t u a z i o n mit seiner N a t u r sind. Diese

relativen

Determinazionen

erzeugen die momentane mürrische U n b e 7 w e l c h e sich i n Fallstafs W e hafrlichkeit, o sen einschleicht, so o f t er an das Mifs-

verhältnifs Zwischen sich u n d dem P r i n zen , in Ansehung der G e b u r t u n d D e n k u n g s a r t , auf eine a u f f a l l e n d e W e i s e erinnert

wird.

Diese

Unbehaglichkeit

w a c h s t , je mehr Fallstafs Alter u n d Unheil ülflichkeit mit des P r i n z e n J u g e n d in Kollision

kommen, und

tisches Behagen

sein

flegma-

durch des jungen H e i n -

richs Petulanz gestöhrt w i r d . A m unleidlichsten

wird

ihm

dieses

JVTifsverhältnifs, w e n n er zur U n z e i t den

107

Freund, den Vertrauten, oder gar den Hofmeister des Prinzen spielen w i l l ; und er sich bey dergleichen Anmassungen zu einem b l o f s e n L u s t i o9

Man ist zwar gewohnt das Wort Veredelung, mehr in Bezug auf e r n s t h a f t e , und an s i c h schon über das Gemeine e r h a b e n e Gegenstände, anzuwenden; allein das Komische welches aus einer niedrigen Natur zur Nachbildung gewählt wii'd, mufs, so wie j e n e zu einem höheren Kunstzwecke bestimmten G e g e n s t ä n d e , ebenfalls in einer g e i s t i g e n Intenzion aufgefafst, und zu einem poet i s c h e n Interesse e r h o b e n werden. Shakespeare hat Fallstafs Karakter nach diesem Gesetze ausgebildet. Er konnte und durfte bey dieser Koinposizion kein Ideal einer e d l e n Natur beabsichtigen; allein die genaue Vereinigung der individuellen Eigenheiten, wo jede die andere motivirt und entschuldigt, macht die bisarresten Aufserungen dieses an sich une d l e n Karakters, nicht allein n i e widerwärtig, sondern sogar einer w o h l g e f ä l l i g e n Einwirkung fähig. Man sieht dafs

Fallstaf gerade so handelt, w i e er seiner Natur gemäJs handeln m u f s .

D e r Dich-

ter hat Fallstafs Individualität so schart" u n d richtig gezeichnet, dafs bey seinen Handlungen durchaus Iceine W i 11 k ü h r Statt

findet.

E r hat ihm mit gutem Vor-

bedacht ein

gewisses Alter, und

verlebtes

etwas

beigelegt; damit die dumpfe

Befangenheit nnd der Taumel sinnlicher Empfänglichkeit in seinem W e s e n , dein Zuschauer als S c h w ä c h e , und als eine unbezwingliche G e w o h n h e i t erscheinen einer

an

ihm

möge, und' die Yermuthung

w i l l Ii ü l i r l i c h e n

vermieden werde;

Schlechtigkeit

D a s Vergnügen, wel-

ches Fallstafs bilderreiche Sprache, seine treffenden Anspielungen, sein leichter und Lecker H u m o r , und der ihm eigene natürliche W i t z , dein Zuschauer verscliaft; lenkt alle Nachforschungen moralische

über

Unvollkomnienheiten

lind das Interesse- seiner

dessen ab,

unterhaltenden

Darstellung, macht uns auf das Mifsverhältnifs in dem wir mit ihm stehen, so wenig aufmerksam, dafs w i r sehr geneigt sind, Fallstafs erniedrigendes Schicksal, welches die Laufbahn dieses komischen Helden endigt, mit B e d a u e r n zu vernehmen. Ich fuge zum Besclilufs dieser Analyse noch einige allgemeine Bemerkungen über die bey Fallstafs Rolle anzuwendende Pantomime bey. Die Grundlage von Flegma und sinnlicher Behaglichkeit, welche Fallstafs ]Natur durchgehends karakterisirt, gehört zu dem a l l g e m e i n e n S t i l der theatralischen Versinnlichung desselben: wenn daher Fallstaf, aus Furcht, Unwillen, oder gieriger Heftigkeit, in seinen körperlichen Bewegungen dann und wann b e h e n d e r w i r d , so inufs der Schauspieler die ursprüngliche Trägheit desselben dabey jederzeit d u r c h s c h e i n e n lassen. Das Spiel

I i i

der Geste ist da/,u f ä h i g e r als das M i e nenspiel ; lezteres schildert jedoch bestimmter und sprechender was zu den r e l a t i v e n Modifikazionen und transitorischeri Illusionen der Aufserungen dieses Karakters gehört. Ein grofser Theil komischer Wirkung, wird nicht selten blofs d a d u r c h erreicht: dafs die Geste gerade das G e g e n t h e i l von dem bezeichnen was durch das Mienenspiel,

in

genauerer Verbindung

mit

dem Sinne der W o r t e , ausgedruckt wird. Bey Fallstafs seltsam verwebten Karakter ( w o W i l l e und Tliat, Vorsatz und Wankelmuth,

Waluheit,

Selbstbetrug,

Affektazion,

und

sich so oft- d u r c h k r e u -

t z e n , und dessen geistige Volizionen mit seiner körperlichen

Unbehulflichkf-it so

oft in Mifsverhältnifs

stehen) darf

die

Pantomime der Geste, dem Ausdrucke des Mienenspiels, und dem Sinn

der Rede

zu einem solchen k o m i s c h e n

Effekt

widersprechen,

ohne

der

Wahrheit

der Darstellung nachtheilig zu seyn. Fallstafs Geste werden in zwangvollen o zu K a r r i k a t u r , und sein

Situazionen

Mienenspiel

zu

Grimassen.

Aufser

solchen relativen Aufserungen aber, ordnet er seine Pantomime mit Ruhe und Zuversicht, und er begleitet seine fabelhaften Erzählungen mit einem sehr malerischen Detail der Geste und Mienen, gleichsam

als

ob

er

die Szenen

abenteuerlichen Begebenheiten

dieser

recht an-

schaulich dabey vor Augen habe. Das Spiel der Hände, in Verbindung mit dem halben Arme, kommt bey Fallstafs Gesten am öftersten vor, weil dasselbe zur komischen Pantomime überhaupt am a n w e n d b a r s t e n ohne

aus

den

ist, und Fallstaf,

Grenzen

seines

Flegmas

herauszuschreiten, diese Tlieile des Körpers

am

leichtesten

in

Bewegung

setzen kann.

Theor. d. Schauspiel}.

8

Ii j. Wenn übrigens ein Schauspieler die Rolle des Fallstafischen Karatters ganz flegmatisch behandeln wollte; so wiirde er den Geist- derselben verfehlen, und seine Darstellung würde durch Vernachlässigung der mannigfaltigen Nuancen, die diese dramatische Koinposizion seiner Kunst darbietet, den Reitz des Interesse verlieren, und durch Monotonie zugleich unwahr und überlästig werden.

VIII. Ich lasse auf Fallstaf die Analyse einer tragischen Rolle folgen und wage mich an den Karakter des H a m l e t . Shakespeare hat sich bey der Komposizion des Trauerspiels dieses Nalimens, in Ansehung der dabey untergelegten Verhältnisse, mehr Freyheiten erlaubt, alg wir in irgend einer seiner dramatischen Dichtungen tragischer Gattung gewahr werden. Die Ursache davon beruht auf dem dazu gewählten K a r a k t e r der H a u p t p e r s o n . Prinz Hamlet ist, vermöge der individuellen Eigenheit, welche ihm der Dichter beylegt, und vermöge der Übermacht eines dunkelen Schicksals, welche» auf seinem Wege liegt, mehr der l e i d e n d e als der h a n d e l n d e Held des

1 LO Stücks. Shakespeare k o n n t e , da er die Begebenheiten seiner Dichtung mittelst eines ü b e r n a t ü r l i c h e n Ereignisses zu motiviren für gut fand, der fremden -Iinpulsionen nicht entrathen, um seinen, durch eben diese übernatürlichen Voraussetzungen , an Kraft gelähmten Helden, in den Gang des Stücks unwillkührlich hinein zu drängen. Hamlets Karakter kündigt sich beym Anfange dieses Trauerspieles auf eine von dem Erfolg sehr verschiedene Weise an. In der ersten Unterredung mit dem König und der Königin äufsert Hamlet ganz dreist, obwohl in der ihm eigenen Sprache, seinen Abscheu gegen die unanständige Eil ihrer Vermählung. In dem darauf folgenden Monolog erschöpft sich der einen geliebten Vater betrauernde Prinz freylich blofs in gehässigen Bildern und Gleichnissea über die Verderbnifs der menschlichen Natur; allein es ist auch noch kein Schat-

fen von Ahndung in seiner Seele, welch ein schweres Verbrechen der leichtsinnigen Hochzeitfeyer seiner gegangen

sey.

Hamlet

Eltern vorhervernimmt

den

Bericht der W a c h e , der die Gestalt des verstorbenen Königs vorgespuckt h a t , mit der Ungeduld eines m u t h i g e n Junglings: er will s e l b s t sehen, alles genau p r ü f e n ; und der Argwohn einer verborgenen Ubelthat,

über welche

er

mit

solcher

Heftigkeit Licht und Aufschlufs begehrt, mufs durchaus in ihm mit dein V o r s a t z , ja, sogar mit dem W u n s c h e verbunden seyn, den R ä c h e r geben.

dieser Ubelthat abzu-

Hamlet kömmt auf den Platz, wo

das Gespenst dem Berichte nach umzugehen pflegt, und bis dahin entdeckt man in

dem

Karakter

Schwäche schlossenheit. die

noch Der

des Prinzen

weder

schwankende

Unent-

Dichter

indefs

grofse V e r ä n d e r u n g ,

hat

welche

in

Hamlets Gemüthsstimmung vorgehen wird,

iiß durch eine Art Apologie, die er ihm kura vor der Erscheinung des Geistes in den Mund legt, anzukündigen gesucht: er ahndet gleichsam, dafs die grauenvolle Szene, die er aufzusuchen den Muth hat, seine Standhaftigkeit überwältigen, und wie er sich ausdrückt: „seine Vernunft aus ihren Grenzen hinaustreiben werde.'1 Die schauderliche empörende Entdeckung, welche Hamlet als eine Offenbarung übernatürlicher Art empfangt, ergreift so gewaltsam seine Fantasie, dafs der männliche Wille, welcher ihn vorher belebte, in ein ohnmächtiges durch Zweifel und Mifstrauen gefesseltes Bestreben a u s a r t e t j die s t e r b l i c h e Natur unterliegt dem grausenden Eindrucke dieser ü b e r i r d i s c h e n Erscheinung, die für Hamlets abergläubischen Wahn noch überdiefs 8u einem zweydeutigen gefahrlichen Schreckenbilde wird. Empfinge Hamlet die Überzeugung von dem an seinem Vater

verübten Meuchelmord auf eine n a t ü r l i c h e r e Weise; so würde seine Rache e n t s c h i e d e n e r und r a s c h e r folgen'. Es liegt also in' dem Wundervollen der Aufforderung, dafs er so säumend dabey zu Werke geht, und den Vorsatz dazu, über allerley trübsinnigen Betrachtungen seines Schicksals, zu vergessen scheint. Shakespeare hat auf eine ähnliche Weise den K ö n i g M a k b e t h , in dem Trauerspiele dieses Nahmens, durch den a b e r g l ä u b i s c h e n Hang sein Schicksal durch Zauberinnen deuten zu lassen, aus seinem « i g e n t l i ü m l i c h e n ICarakter versetzt. Makbeth steht von dem Augenblick an, an Muth, Kraft und Ent.schlufs, s e h r w e i t hinter L a d y M a k b e t h seiner Gemahlin. Um auf die Analyse von Hamlet» Rolle überzugehen; so darf der Schau* Spieler nicht wähnen, dafs dieser Karakter w t l l k ü h r l i c h dargestellt werden könne.

weil der Held des Stücks wenig aus sicli selbst bandelt, sondern durch die Übermacht eines unbekannten Schicksals geleitet, und durch das ganze Stück bis zu der lezten tragischen Katastrofe auf eine fast unwillkuhrliche Weise fortgedrängt wird. Die äufsern Verhältnisse stehen mit den ursprünglichen Äufserungen von Hainiets Karakter in genauer Verbindung, und b e y d e bestimmen die B e h a n d l u n g s a r t dieser Hauptrolle. Der Dichter führt die ersteren herbey, um Hamlets eigenthümlichste Natur desto karakteristischer und interessanter auszuxnahlen; und er giebt dem Helden dieses Trauerspiels gerade diese Bildi^ng, um jene objectiven Determinazionen, zu einer höheren tragischen Wirkung, seinem Plane verweben zu können. Ich möchte daher behaupten, dafs das a l l g e m e i n e Interesse dieses Trauerspieles, m e h r auf Htimlcts K a r a k t e r , und die höchste

Kraft der W i r k u n g desselben, m e h r auf den äufseren V e r h ä l t n i s s e n beruhe, von welchen diese Hauptperson umgeben wird. Die Veranlassungen, welche Hamlets Karakter am wesentlichsten schildern, sind folgende: Die wundervolle Erscheinung, welche als ein Oralelspruch mehr auf das Herz und die Fantasie, als auf den Willen dieses jungen Prinzen wirkt. — Die kindliche Neigung zu einer geliebten Mutter, die er seines Mitleids werth ächtet, weil er sie zu bessern glaubt. — Der tief empfundene Hafs gegen einen verabscheuungswürdigen Stiefvater, gegen den eine ohnmächtige, durch Zweifel gehemmte Rache in seinem Innern brütet. — Die Liebe zu Ophelia; die in der lautern Quelle seines Gefühls ihren ersten Ursprung nahm, bey t r ü b e r e n Verhältnissen eines verworrenen Schicksals aber, ein blofses Spiel seiner F a n t a s i e und der

122

Gegenstand banger Ahndungen wird.. — Die Freundschaft zu Horazio seinem Schulgefahrten, und zu Laertes dem Bruder Opheliens. — Sein Mifsverhältnifs zu deu Hofleuten und Günstlingen des Königs. — Und endlich der humoristische Wahnsinn, den er sich bald zur Betäubung seines i n n e r e n M i f s m u t h e s aufzwingt, bald zur mystischen Hülle seiner wahren Gefühle, gegen die Ausforschungen verlarvter Kundschafter w ä h l t , und den er ( w i e muthlose Menschen bey heftigen Leidenschaften zu thun pflegen) durch Übertreibung des H u m o r s äufsert, und sich dadurch zu h e l f e n glaubt. Alle Szenen, w o sich Hamlet in der schaudervollen Nähe seines aus dem Grabe wiederkehrenden Vaters befindet, gehören zu d e r A r t theatralischer Versinnlichungen, wo die von dem Dichter intendirte Wirkung am allermeisten durch das Spiel der Geste und Mienen erreicht

wird. Der Ausdruck ruht ganz auf der P a n t o m i m e des Schauspielers, und dio unbedeutendere Rede gleitet vor dem staunenden Zuschauer fast u n b e m e r k t vorüber. — Hier ist a l l e s S t i l , und die kleinste körperliche Bewegung mufs den Sinn der ganzen Darstellung bezeichnen und a u s b i l d e n helfen. Die Nuancen der Pantomime werden durch den f r ü h e r e n oder s p ä t e r e n Eindruck, welchen diese übernatürliche Erscheinung auf Hamlet macht, und durch die s i c h t b a r e , oder blofs h ö r b a r e Nähe des Geistes bestimmt. Die Accentuazion der Rede, erhöht sich am meisten, wenn der schauderliche Eindruck dieses Schreckenbildes in voller Kraft der Ü b e r r a s c h u n g auf Hamlets Sinne wirkt. Wenn der Schauspieler die bekannte Apostrofe, womit Hamlet das Herz seiner Mutter bestürmt, richtig behandeln will; so mufs er sich bey den meisten Stellen

12\

dieser bilderreichen Tirade ganz als R e d n e r betrachten. Er darf die Absicht, dafs er dabey auf eine überdachte und berechnete Wirkung, ausgehe, m e r k b a r durchscheinen lassen, und w i l l k ü h r l i c h e r manches declamatorische Mittel in Anwendung bringen. Allein so oft Hamlet, durch die Macht seiner Vermalinungen, s e l b s t in einen a f f e k t v o l l e n Zustand versetzt wird, und die Wirkung, welche er beabsichtiget, i h n s e l b s t ergreift; so jnufs der Schauspieler sich g e n a u e r an die Grenzen s e i n e r Kunst halten> und den Ausdruck eigener Gefühle, mit Aufopferung jener declamatorischen Effekte, so w a h r schildern, als es ihm das Bedingnifs der theatralischen Kunst gestattet — Seine belebende Versinnlichunff o kehrt also in d i e s e m F a l l e zu einem bestimmten Stil zurück. Hamlets Verhältnifs zu dem K ö n i g stellt das Wankelmüthige, Unentschlossene,

das in seinen Karakter ü b e r g e g a n g e n ist, am deutlichsten dar. Sein zur Rache aufgeforderter Arm ist gelähmt, weil er den Argwohn zu bekämpfen hat: ob nicht ein tückischer Dämon ihm, aus verderblichen Absichten, in der Gestalt seines Vaters ein blofses Blendwerk vorgegaukelt habe. Hamlet sucht Aufschub, er sinnt sich den Einfall aus, das Gewissen seines Stiefvaters durch ein Schauspiel, welches die demselben a n g e s c h u l d i g t e T h a t zum Gegenstande hat, auf die Probe zu stellen. Das Schauspiel thut Wirkung, der heuchlerische Mörder seines Vaters steht entlarvt vor Hamlets Augen; allein der Schatten des durch Gift hingerichteten Königs erlangt noch immer die gebotene Rache nickt. Für den Schauspieler ist diefs eingeschaltete Zwischenspiel indefs von W i c h t i g k e i t : denn von dieser Epoche an, wo das Gewissen des Königs so sichtbar an 3er P r o b e s c h e i -

126

t e r t e , und Hamlet aus dem Hinterhalte seiner Bedenklichkeiten herausgedrängt wird, mufs der Schauspieler in die Darstellung dieses Prinzen den Ausdruck a l l e r der E m p f i n d u n g e n legen, zu welchen er durch die lebhafter gewordene Erinnerung seines geleisteten, und mit einem dreyfachen Schwur bekräftigten Versprechens der Rache, nunmehr a u f g e r e g t wird. Die Anstrengung, welche Hamlet von diesem Augenblick an anwendet, um seinen unmännlichen Wankelmuth zu besiegen, und sich zu der ihm übertragenen Rache anzufeuern, erlaubt dem Schauspieler, der theatralischen Vereinnlichung dieses Karakters, durch einen e r h ö h t e n Ausdruck der R e d e und P a n t o m i m e , mehr Kraft und Nachdruck zu geben, und denselben durch einen mehr befestigten" Stil der tragischen Entwickelung entgegen zu fuhren.

Ich glaube der Shakespearischen Dichtung gemäfs

annehmen zu dürfen, dais

Hainiet Ophelien wirklich Hebt, und dafs eine wahre

leidenschaftliche Zuneigung

ihn an dieses sanfte duldende schwärmerische Wesen fesselte, ehe der Zeitpunkt erschien, von welchem diefs Trauerspiel ausgeht, und der seiner Liebe einen so seltsamen

Anstrich

giebt,

und

sie

aus

höchst ungewöhnlichen Aufserungen gleichsam nur hervorblickeil läfst. Erst gegen das E n d e des Stücks, vernimmt man das Gestänflnifs reinen

dieser Leidenschaft, in

ungeschmückten

wahren

Ausdruck

dem eines

Gefühls aus Hamlets M u n d e ;

da e r , in Opheliens Grabe -mit Laertes kämpfend, seiner Mutter und dem beleidigten Bruder

diese

Gefühle

entdeckt:

„Ich liebte Ophelien! sagt er, und vierzig tausend Brüder könnten mit aller ihrer Liebe zusammen das Maas der meinigen nicht a u f w i e g e n " —

Diese Stelle, und

einige an Laertes gerichtete Reden, sind fast die einzigen, wo Hamlets Liebe zu Ophelien sich als Drang des Herzens äufsert, und den Ausdruck eines wirklichen Affektes annimmt. Die übrigen Szenen zwischen dem Prinzen und Ophelien , worunter die erste im dritten Akt die vorzüglichste ist, müssen von dein Schauspieler blofs als Aufserungen einer trüben, Unglück ahndenden Fantasie behandelt, und zu jenem Ausdrucke eines l e i d e n s c h a f t l i c h e n Zustandes nie erhoben werden. Die wiederhohlte Verniahnung an Ophelien. „Geh in ein Nonnen Kloster! " womit Hamlet seine wunderliche, aus Wohlwollen oft bittere Unterhaltung zu Unterbrechen pflegt, leidet durchaus weder Innigkeit noch Wärme; vielmehr mufs der Ton der Stimme eine aus Unmuth kalte Resignation in den Gang der Verhängnisse schildern. Um das einförmige dieser mehrinahls

12p erneuerten Vermahnung zu vermeiden, so kann der Schauspieler selbiger durch mehr oder minder Zuversicht im Ton, und durch ein langsameres oder geschwindere» Sprechen, einige Abwechselung ertheilen. Ich würde dabey, um die beyden letzten Wiederhohlungen der Worte „geh in ein Nonnen - Kloster ! " a u f f a l l e n d e r zu nüanciren, dem Schauspieler anrathen, selbige als den Sarfcasmus eines e r b i t t e r t e n Gemüthes zu behandeln. Gegen Horazio ist Hamlet offen, wahr, w a r m , und natürlich. Sein Betragen gegen Laertes ist edel, und Hamlets Anhänglichkeit an Ophelien äufsert sich, in den feindlichen Verhältnissen mit dem Bruder, durch S c h o n u n g gegen denselben , und durch ein tiefes Gefühl des U n r e c h t s , worein die Verworrenheit seines Schicksals, ihn gegen P o l o n i u s . K i n d e r versetzt hat, — Hier wird die Darstellung des Sehaüspielers . durch Thcor. d. Schauspiel!; 9

130

Wahrheit,

Gefühl,

und

Natürlichkeit

geleitet; denn alle diese Äufserungen sind ursprünglich in Hamlets Karakter begründet. I n einem ganz andern Licht erscheint dieser Prinz hingegen, wenn er mit den zu Kundschaftern gedungenen Hofleuten, Rosenkranz und Güldenstern,

zusammen

gestellt w i r d , oder ihm der weitschweifige inquirirende Minister Polonius unvermuthet in den W e g kommt.

Alle diese

Szenen sind der Tummelplatz seiner Witzspiele, womit er unter dem Schein einer von Wahnsinn zerrütteten Fantasie, dergleichen Gesandtschaften zum Besten hat, indem

er

ihren

Erforschungen

allerley

wunderliche Gleichnisse und Bilder entgegen stellt, und sie unverricliteter Sache damit abzufertigen sucht.

Diese seltsam

eingekleideten Repliken enthalten immer eine

treftende Wahrheil-, die

entweder

IJl auf Hamlets eigne Lage einen Bezug hat, oder als. Spott auf die zudringlichen Kundschafter zurückfällt. — Der Schau« spieler kann diese Art Szenen ganz laicht und frey behandeln. Oft aber kehrt Hamlet, in Selbstgesprächen oder bey andern Veranlassungen, diese spizfindige aberwitzige Bildersprache gegen s i c h s e l b s t ; diefs geschieht, wenn ein innerer Unwiuth liber seine U n e n t s c h l o s s e n h e i t ihn bis zur Selbstverachtung erbittern w i l l , w o Cr alsdenn zu einem humoristische» Spötter wird, der mit Wahrheit und Gefühl ein fantastisches Spiel treibt, um seinem ohnmächtigen Zustande durch willkührliche Sofistereyen das Wort zu reden. D a n n bedarf dieser Anstrich von Wahnsinn eine s o r g f ä l t i g e r e Behandlung, und der Schauspieler muijs denselben, m e h r als vorhin, der Wahrheit einer bestimmten karakteristischen Äufserung zu nahem suchcu.

i32 D e r bekannte Monolog: nicht s e y n "

„Seyn oder

u. s. w. bat zwar auf das

angenommene Verdienst eines darein verborgenen gentlich

metafysischen keinen

Scharfsinns

Anspruch;

allein

eider

Dichter h a t , bey dieser Rede, einen vielleicht minder gen

Zweck

Gang

bemerkten beabsichtigt,

des Stückes

aber

wichti-

der auf

den

genau berechnet ist.

D i e dunkele Verworrenheit von Hamlets Geschick,

das

Wankelmiithige

seines

Karakters, und die Ohnmacht, der Tliat, zu der ein übernatürlicher Beruf ihn antreibt , entgegen zu schreiten, diefs alles zusammen gestellt, hätte dem Zuschauer leicht die V e r m u t h u n g einflöfsen können , dafs Hamlet durch einen

Selbst-

m o r d seinem belasteten Daseyn ein Ende machen werde.

Dieser Vennuthung, wel-

che dem Interesse des Stücks nachtheilig seyn w ü r d e , diesen

kommt der Dichter

Monolog

wohlbedächtig

durch zuvor.

133 Man merkt

es dem Anfang dieses M o -

nologs ab, dafs Hamlet, e h e er auf die Bühne tritt, sich mit dem Gedanken be« schäftigt h a t , seinem Leben ein Ende zu machen; er wird durch die Betrachtungen^ welche wir aus seinem Munde vernehm e n , auf das ganze naturliche Resultat; geführt: dafs das G e w i s s e besser sey als das Ungewisse;

und

indem er sich

selbst zur Ausduldung aller ihm bevorstehenden

Begegnisse

dadurch

auffordert,

so fällt die irrige Vermuthung eines Selbstmordes, welche Hamlet durch einen Monolog beym Anfang des Stücks veranlafst haben könnte, h i n w e g , und der Zuschauer erharret die Entwickelung, ohne darüber etwas v o r a u s s e h e n zu wollen. — E i n feyerlicher Ernst ist die

zweckmäfsigste

Behandlungsart dieses Monologs, und durch ein leises Sprechen der ersten Sätze, wird der Inhalt der ganzen Rede vorbereitet,

am besten

und die Aufmerksamkeit

i54 der Zuhörer daran gefesselt werden. Da dieses Selbstgespräch nichts enthält, was einer mimisch - malerischen Versinnlichung fähig wäre, so sind dabey sehr wenige blofs r e d n e r i s c h e Geste in Anwendung zu bringen.