Probleme gruppengerechter Versorgungsüberleitung: § 7 AAÜG im Lichte des Grundgesetzes [1 ed.] 9783428538430, 9783428138432

Die deutsche Wiedervereinigung ist nach mehr als zwanzig Jahren für viele nur noch ein Datum der Geschichte. Dennoch hat

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Probleme gruppengerechter Versorgungsüberleitung: § 7 AAÜG im Lichte des Grundgesetzes [1 ed.]
 9783428538430, 9783428138432

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 310

Probleme gruppengerechter Versorgungsüberleitung § 7 AAÜG im Lichte des Grundgesetzes

Von

Detlef Merten

Duncker & Humblot · Berlin

DETLEF MERTEN

Probleme gruppengerechter Versorgungsüberleitung

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 310

Probleme gruppengerechter Versorgungsüberleitung § 7 AAÜG im Lichte des Grundgesetzes

Von

Detlef Merten

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-13843-2 (Print) ISBN 978-3-428-53843-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-83843-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die deutsche Wiedervereinigung ist nach mehr als zwanzig Jahren für viele nur noch ein Datum der Geschichte. Dennoch hat die juristische Gestaltung der Staatenzusammenführung durch den Einigungsvertrag Verwerfungen insbesondere bei der Ausführungsgesetzgebung ergeben, die einige Gruppen ehemaliger Versorgungsberechtigter nicht nur wirtschaftlich belasten, sondern auch diskriminieren. Im Schrifttum1 und in den parlamentarischen Beratungen wurde teilweise schon früh auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen einige Regelungen der Rentenüberleitung aufmerksam gemacht, insbesondere weil Pönalisierungserwägungen mit der Wertneutralität des Sozialversicherungsrechts in Widerstreit gerieten. Zutreffend gab die Abgeordnete Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) namens ihrer Fraktion zu Protokoll: „Die Rentenversicherung taugt nicht als Instrument der Vergangenheitsbewältigung“ 2. In ähnlicher Weise hatte Hans Schneider schon 1974 konstatiert: „Der Jurist bewältigt die Vergangenheit, indem er die Gegenwart zu befrieden sucht“ 3. Mehrere verfassungswidrige Auswüchse der Sozialgesetzgebung konnte das Bundesverfassungsgericht – mitunter in mehreren Anläufen – beseitigen. Durch Novellierungen des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes sowie durch neuere Forschungen zur Einkommensstruktur im sogenannten X-Bereich und in der Volkswirtschaft der DDR wurde das Problem verfassungsgemäßer gruppengerechter Versorgungsüberleitung erneut aktuell. Mit diesen Fragen beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung schwerpunktmäßig. Sie ist aus einem Gutachten für die „Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung“ sowie für andere Verbände Betroffener hervorgegangen. Herrn Prof. Dr. h.c. Norbert Simon danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die „Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht“ des Verlags Duncker & Humblot, mit dem ich nun seit mehr als vierzig Jahren verbunden bin. St. Martin, im Juni 2012

Detlef Merten

1 Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 1. Aufl., 1993, S. 148 Nr. 18. 2 BT-Plenarprotokoll 13/108, S. 9587 (D). 3 Hans Schneider, Die juristische Bewältigung der Vergangenheit, in: ders./Volkmar Götz (Hg.), Im Dienst an Recht und Staat, Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag, 1974, S. 15 (S. 30); hierzu auch Paul Kirchhof, Hans Schneider als Wissenschaftler und Homo politicus, in: JöR NF 60 (2012), S. 387 (393).

Inhaltsübersicht Erster Teil Entwicklung 1. Kapitel: Die Alterssicherung in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Die Aufhebung der Versorgungsordnung des MfS/AfNS durch Volkskammer-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitel: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland . . . . . . . . . . .

19 19 23 29 48

Zweiter Teil Verfassungsrechtliche Prüfung

107

1. Kapitel: Konformität mit dem Gleichheitssatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Kapitel: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Kapitel: Zur „Sonderstellung“ des Ministeriums für Staatssicherheit . . . . . . . . . . . 189

Dritter Teil Verfassungsprozessuale Fragen 1. Kapitel: 2. Kapitel: 3. Kapitel: 4. Kapitel: 5. Kapitel:

Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine eigenen Entscheidungen Zulässigkeit erneuter Verfassungsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue und rechtserhebliche Tatsachen zur Beurteilung des § 7 AAÜG . . Annahmevoraussetzungen gemäß § 93 a BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Urteilsverfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221 221 222 224 226 233

Vierter Teil Zusammenfassung

237

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Entwicklung

19

Erstes Kapitel Die Alterssicherung in der DDR

19

A. Pflicht- und Zusatzversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sozialpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Freiwillige Zusatzrentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19 20

B. Zusatz- und Sonderversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusatzversorgungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sonderversorgungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 20 21

Zweites Kapitel Die Aufhebung der Versorgungsordnung des MfS/AfNS durch Volkskammer-Gesetz

23

A. Überführung in die Rentenversicherung und Versorgungskürzungen . . . . . . . . . .

23

B. Zur Sachgerechtigkeit des Aufhebungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rolle der am 18. März 1990 gewählten Volkskammer . . . . . . . . . . . . . . II. Das Aufhebungsgesetz als Symbol-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Widersprüchlichkeit von Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Aufhebungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Widersprüchliche Berufungen auf den DDR-Aufhebungsgesetzgeber . .

23 23 24 28 28 28

Drittes Kapitel Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit A. Der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18.5.1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Relevante Regelungen für die Versorgungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Nachteile der „Systementscheidung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6

Inhaltsverzeichnis

B. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überführung der Versorgungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abschaffung ungerechtfertigter und Abbau überhöhter Leistungen sowie Verbot der Besserstellung im Vergleich zu anderen öffentlichen Versorgungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kürzung oder Aberkennung von Ansprüchen und Anwartschaften bei Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit oder im Falle des Missbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rentenkürzung bzw. -aberkennung als individualbezogene Sanktion . . . a) Der Schuldgrundsatz als Verfassungsvorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldgrundsatz und Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schuldgrundsatz und Menschenwürde-Garantie . . . . . . . . . . . . . . b) Die Geltung des Schuldgrundsatzes auch für strafähnliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Strafähnliche Sanktionen als Berührung der sittlichen Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Maßgeblichkeit von Sinn und Zweck der Sanktion . . . . . . . . . . . cc) Rentenrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Wertneutralität des Sozialversicherungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzzweck des Rentenversicherungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Durchbrechung des Systems der Wertneutralität im „Dritten Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besatzungsrechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Wiederherstellung der rentenversicherungsrechtlichen Wertneutralität in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Der erfolglose Entwurf einer „lex Tiedge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Keine Straf- oder Wiedergutmachungsfunktion des Sozialversicherungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Zur Bedeutung von Systemwidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Systemänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systemdurchbrechungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Viertes Kapitel Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland A. Gesetzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG – vom 25. Juli 1991 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des RentenÜberleitungsgesetzes vom 18. Dezember 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

7

a) Überführung in die Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ersetzung der „Beitragsleistung“ durch das „Arbeitsentgelt“ zur Einführung der Beitragsbemessungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bereichs- und funktionsspezifische Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Staatsnahe“ Versorgungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 6 Abs. 2 AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 6 Abs. 3 AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausnahmen von Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Versorgungsruhensgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Amtliche Begründung und parlamentarische Beratungen des AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Amtliche Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erste Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung . . . . dd) Zweite und dritte Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung der genetischen Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenschau von Entstehungsgeschichte und Wortlaut . . . . . . . . . . . II. Das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz – Rü-ErgG – vom 24. Juni 1993 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 6 AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 7 AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das AAÜG-Änderungsgesetz – AAÜG-ÄndG – vom 11. November 1996 1. Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reformversuche in der Zeit von 1994 bis Frühjahr 1996 . . . . . . . . . . b) Zur Entstehung des AAÜG-ÄndG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1999 . . . . . . . . . . I. Urteil vom 28. April 1999 (1 BvL 22, 34/95) – BVerfGE 100, 59 . . . . . . . . 1. Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 6 Abs. 2 AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verletzung des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 6 Abs. 2 AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis II. Urteil vom 28. April 1999 (1 BvL 11/94, 33/95, 1 BvR 1560/97) – BVerfGE 100, 138 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verletzung des Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG (i.V. m. Anlage 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Urteil vom 28. April 1999 (1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95) – BVerfGE 100, 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Urteil vom 28. April 1999 (1 BvR 1926/96, 485/97) – BVerfGE 100, 104

79 80

C. Die Gesetzesnovellierung durch das 2. AAÜG-Änderungsgesetz vom 27. Juli 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzesinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 1 2. AAÜG-ÄndG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 2 2. AAÜG-ÄndG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82 82 84 84 85

75 75 78 78 78

D. Weitere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Kammer-Entscheidung des BVerfG vom 22. Juni 2004 (1 BvR 1070/ 02) – BVerfGK 3, 270 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Wirkungen des Kammer-Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschluss vom 23. Juni 2004 (1 BvL 3/98, 9/02, 2/03) – BVerfGE 111, 115 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausführungen zu Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Abbau „überhöhter Leistungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Benachteiligung vergleichbarer Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfassungsinkonforme Vergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Täter“- und „Opfer“-Renten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pauschalierung im Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS . . . . . .

90 90 90 91 94 94 94

E. Erstes Gesetz zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 21. Juni 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einzelregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94 94 96 98

86 86 86 88

F. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2010 (1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08) – BVerfGE 126, 233 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Beschluss und Beschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Beschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Beschlussformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Rechtskraft, Bindungswirkung und Gesetzeskraft des Beschlusses . . . . . . . 100

Inhaltsverzeichnis 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grenzen der Rechtskraft und Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entscheidungsformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grenzen aus dem Wesen von Rechtskraft und Bindungswirkung (1) Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tragende und nichttragende Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tragende Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichttragende Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tragende und nichttragende Gründe des Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tragende Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichttragende Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 100 101 101 102 102 102 103 103 104 105 105 106

Zweiter Teil Verfassungsrechtliche Prüfung

107

Erstes Kapitel Konformität mit dem Gleichheitssatz?

107

A. Zur Grundrechtsbindung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 1 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zum Umfang der Bindung an Art. 1 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundrechtsbindung für früheres und fremdes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 107 108 109

B. Konkretisierungsformen zu Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Konkretisierungsbedürftigkeit des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . II. Die Ergänzung personaler um materiale Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Gebot personaler Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Personale Gleichheit und Allgemeinheit des Gesetzes . . . . . . . . . . . . b) Personale Gleichheit als Gleichheitskern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konkretisierung durch spezielle Gleichheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verbindung von personaler und materialer Gleichheit . . . . . . . . . . . . III. Gleichheitssatz als Differenzierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die erforderliche Ungleichbehandlung ungleicher Sachverhalte . . . . . . . 2. Gleichbehandlung als Willkürverbot und Sachgerechtigkeitsgebot . . . . a) Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundrechtsrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eigene Verhaltenssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gleichheitssatz als Gruppengerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

110 110 110 110 111 111 112 112 115 115 116 116 117 119 119 119

10

Inhaltsverzeichnis 1. Die „neue Formel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Inhalt der Gruppen-Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hinsichtlich der Gewichtung der Sachverhaltselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gestaltungsfreiheit in Sondersituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Gebot verhältnismäßiger Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungslegitimität von Ziel und Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eignung und Erforderlichkeit des Mittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angemessenes Verhältnis von Ungleichbehandlung und Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Pauschalierende, typisierende und generalisierende Regelungen . . . . . . a) Pauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Generalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Grenzen pauschalierender, typisierender und generalisierender Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbot der Atypik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbot übermäßiger Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gebot der mildesten Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gebot proportionaler Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleichheitskonformität von Härten und Ungerechtigkeiten infolge Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Kleine Gruppe“ Betroffener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Nicht sehr intensiver Verstoß“ gegen den Gleichheitssatz . . . . cc) Vermeidbarkeit von Härten „nur unter Schwierigkeiten“ . . . . . . d) Nachbesserungspflicht bei anfänglich gröberer Typisierung . . . . . . . 7. Ungleichbehandlung im Interesse der Verwaltungsökonomie? . . . . . . . . a) Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigungsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geringfügige und besonders liegende Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorübergehende und nicht erhebliche Ungleichbehandlung größerer Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Die Vereinbarkeit des § 7 AAÜG mit dem Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gleichheitssatz als Differenzierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das System der DDR als vorgefundene Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geheimdienste und Ministerium für Staatssicherheit . . . . . . . . . . . . . b) Der zivile Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119 120 121 121 122 125 125 126 126 126 127 127 128 128 129 129 130 130 131 131 131 132 133 134 134 135 135 136 136 136 136 136 136 137 138

Inhaltsverzeichnis 2. Zur Problematik eines Vergleichs der Einkommen im zivilen und militärischen Sektor der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gleichheitssatz als Gruppengerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der Gruppengerechtigkeit für das AAÜG . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungswidrige Gruppen-Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ungleichbehandlung von Personengruppen im sogenannten X-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlender „Stasi-Unwert“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesetzliche Ungleichbehandlung trotz Vergleichbarkeit der Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Voraussetzungen einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichbehandlung der von § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG und der von § 7 AAÜG betroffenen Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleichbehandlung der Bezieher durchschnittswahrender mit Beziehern überdurchschnittlicher Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nivellierung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kappungsgrenze als Gleichmacher-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Differenzierungsgebot des Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . dd) Vorgaben des Einigungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abbau „überhöhter Leistungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abschaffung „ungerechtfertigter Leistungen“ . . . . . . . . . . . . (3) Verstöße gegen die Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ee) Verhältnismäßigkeitsgebot bei typisierenden Regelungen . . . . . . III. Gleichheitssatz als personale Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Benachteiligung aus weltanschaulich-politischen Gründen . . . . . . . . . . . 2. Keine Rechtfertigung durch „wehrhafte Demokratie“ . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 139 141 141 142 143 143 143 145 145 148 151 151 152 153 155 155 156 157 160 161 161 166 167

Zweites Kapitel Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie? A. Struktur und Schutzbereich der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Struktur des Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Privatrechtliche Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentlich-rechtliche Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierung innerhalb der Ansprüche und Anwartschaften . . . . .

167 167 167 168 168 169 169 171

12

Inhaltsverzeichnis c) Erfordernis von Leistungen an inländische Rentenversicherungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 d) Die in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG durch den Einigungsvertrag einbezogenen Versorgungsansprüche und -anwartschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

B. Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums durch den Gesetzgeber 175 I. Zur grundsätzlichen Gestaltungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit infolge des Einigungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 C. Die Schrankenschranke der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungslegitimität von Ziel und Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsillegitime Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Leistungsfähigkeit des Sozialversicherungssystems . . . . . . . . . . . . . . b) Versorgungssituation der „Täter“ und Rentensituation der „Opfer“ . . 2. Vorgaben des Einigungsvertrags als legitime Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abbau „überhöhter Leistungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abschaffung „ungerechtfertigter Leistungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ahndung von Verstößen gegen die „Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eignung des Mittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ungeeignete Typisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterscheidung zwischen „überhöhten Leistungen“ und „überhöhten Entgelten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen der „Beitragsbemessungsgrenze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beachtung des Verbots einer „Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff der „öffentlichen Versorgungssysteme“ . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterscheidung zwischen „Versorgungsleistungen“ und „Versicherungsleistungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ungeeignete Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erforderlichkeit des Mittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unangemessenheit des Verhältnisses von Ziel und Mittel . . . . . . . . . . . . . . .

177 177 177 177 178 178 178 179 179 179 180 180 180

181 181 182 183 186 187

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Drittes Kapitel Zur „Sonderstellung“ des Ministeriums für Staatssicherheit

189

A. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Leitentscheidung v. 28. April 1999 – BVerfGE 100, 138 . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Inhaltsverzeichnis

13

II. Weitere Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kammer-Entscheidung v. 22. Juni 2004 – BVerfGK 3, 270 . . . . . . . . . . . 2. Beschluss v. 23. Juni 2004 – BVerfGE 111, 115 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschluss v. 6. Juli 2010 – BVerfGE 126, 233 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gerichtliche Argumentationsstränge zur Begründung einer „Sonderstellung“ des Ministeriums für Staatssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßgeblichkeit der Leitentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Recht des Gesetzgebers, Umfang und Wert der MfS-Arbeitsentgelte „grundsätzlich niedriger einzustufen als bei anderen Versicherten aus dem Beitrittsgebiet“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überdurchschnittliches Verdienstniveau im MfS/AfNS sowie insgesamt im sog. X-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Differenziertes System finanzieller Zusatzleistungen als Indiz für sehr hohe Arbeitsentgelte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schlüssigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Üblichkeit von Zuschlägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Zulagen“ und „Zuschläge“ in den militärischen Diensten der DDR 5. „Privilegierung“ des MfS durch zahlreiche Vergünstigungen selbst noch in der Auflösungsphase („Selbstprivilegierung“) . . . . . . . . . . . . . . . a) Beispiele von Vorzugsbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Waren und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ferienreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wohnraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Deutlich höhere Altersversorgung für MfS-Angehörige? . . . . . . . . . . . . . 7. „Übergangsbeihilfen“ und „gesonderte[n] Übergangsgebührnisse[n]“ in der Auflösungsphase des MfS/AfNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers ohne Auswertung vorhandenen Materials oder langwieriger Ermittlungen zur Einkommenssituation beim MfS/AfNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Differenzierung auf der Grundlage hinreichender Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung der Tatsachen für die Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . c) Relevanz der Tatsachensituation für die Versorgungsüberleitung . . . IV. Anpassungspflicht des Gesetzgebers bei unrichtigen oder geänderten Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ableitung einer Nachbesserungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen einer Anpassungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190 190 191 192

B. Notwendigkeit differierender Beurteilung aufgrund neuen Datenmaterials . . . . I. Keine Selbstprivilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fehlende „fundierte Informationen zum Einkommensgefüge“ . . . . . . . . . . . III. Neue Forschungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192 192

193 196 201 201 202 202 203 204 204 206 206 207 207 209

211 211 212 213 215 216 217 217 217 218 219

14

Inhaltsverzeichnis Dritter Teil Verfassungsprozessuale Fragen

221

Erstes Kapitel Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine eigenen Entscheidungen 221 A. Zur Bindungswirkung und Gesetzeskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 B. Zur Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Zweites Kapitel Zulässigkeit erneuter Verfassungsbeschwerden

222

A. Fehlende gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 B. Vorbringen „neuer rechtserheblicher Tatsachen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Zur Rechtserheblichkeit neuer Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Zum Begriff der Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Drittes Kapitel Neue und rechtserhebliche Tatsachen zur Beurteilung des § 7 AAÜG

224

A. Neue Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 I. Neue Forschungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Wesentliche Änderungen des AAÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 B. Rechtserheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Viertes Kapitel Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a BVerfGG A. Zur „grundsätzliche[n] verfassungsrechtliche[n] Bedeutung“ . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leichte Beantwortbarkeit verfassungsrechtlicher Fragen aus dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ernsthafte verfassungsrechtliche Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an der Klärung . . . . . . . . . . . IV. Klärung der Rechtsfrage durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung

226 226 226 226 227 228

B. Grundrechtsdurchsetzungsbedarf sowie Vermeidung eines besonders schweren Nachteils für den Beschwerdeführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Notwendigkeit der Grundrechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

Inhaltsverzeichnis

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1. Keine Verweisung auf außerdeutschen Gerichtsschutz oder auf Entschädigungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anderweitige Abhilfemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fachgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehung eines „besonders schweren Nachteils“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion und Inhalt des § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die intensive Rentenminderung aufgrund von § 7 AAÜG . . . . . . . . . . . .

228 229 229 230 231 231 231 232

Fünftes Kapitel Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Urteilsverfassungsbeschwerde 233 A. Beschwerdebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 B. Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur „ordnungsgemäßen“ Erschöpfung des Rechtswegs . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefestigte richterliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbständige Entscheidungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts . .

234 234 235 235 235 235

C. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

Vierter Teil

A. B. C. D. E. F.

Zusammenfassung

237

Zu RN 1–245 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu RN 246–423 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu RN 427–497 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu RN 498–595 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu RN 596–642 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu RN 643–654 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237 241 244 246 248 248

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

Abkürzungsverzeichnis AAÜG a. a. O. a. F. AfNS Anl. AufhebG

BA BfA BGBl. BR BT BVerfGE BVerwGE CDU DA DAngVers. DBB DBD DDR ders. Drucks. DRV FAZ FS GBl. GG Hg. i. d. F. ISOR i.V. m. JuS Kap. LDPD lit.

Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz am angegebenen Ort alte Fassung Amt für Nationale Sicherheit Anlage Gesetz über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit Bundesarchiv Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesgesetzblatt Bundesrat Bundestag Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Christlich-Demokratische Union Deutschland Archiv Die Angestelltenversicherung Deutscher Beamtenbund Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Demokratische Republik derselbe Drucksache Deutsche Rentenversicherung Frankfurter Allgemeine Zeitung Festschrift Gesetzblatt Grundgesetz Herausgeber in der Fassung Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung in Verbindung mit Juristische Schulung Kapitel Liberal-demokratische Partei Deutschlands littera

Abkürzungsverzeichnis Ls. MdI MfS m.w. N. NDPD n. F. NVA NVwZ NZS ÖTV PDS RÜG S. s. SED SGb. Sten. Ber. ThürVBl. v. VdR v. H. VSSR WP z. B.

Leitsatz Ministerium des Innern Ministerium für Staatssicherheit mit weiterem Nachweis; mit weiteren Nachweisen National-demokratische Partei Deutschlands neue Fassung Nationale Volksarmee Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Partei des Demokratischen Sozialismus Renten-Überleitungsgesetz Seite siehe Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Die Sozialgerichtsbarkeit Stenografische Berichte Thüringer Verwaltungsblätter vom Verband der Rentenversicherungsträger vom Hundert Vierteljahresschrift für Sozialrecht Wahlperiode zum Beispiel

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Erster Teil

Entwicklung Erstes Kapitel

Die Alterssicherung in der DDR A. Pflicht- und Zusatzversicherung I. Sozialpflichtversicherung 1

Die DDR hatte seinerzeit eine umfassende Sozialpflichtversicherung mit Versicherungsschutz vor den Risiken des Alters, der Invalidität und des Todes eingeführt. Pflichtversichert waren sowohl die „Werktätigen“ in der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten beim FDGB1 als auch Selbständige und Genossenschaftsmitglieder in der Staatlichen Versicherung der DDR.2 Die Beitragsbemessungsgrenze lag bei 600,– M im Monat. Altersrenten aus der Pflichtversicherung wurden nach Erreichen der Altersgrenze und einer mindestens fünfzehnjährigen versicherungspflichtigen Tätigkeit gezahlt. Sie betrugen als Mindestrente je nach Zahl der Arbeitsjahre zuletzt 330,– bis 470,– M und konnten höchstens 510,– M erreichen.3 Wegen der sehr niedrigen Beitragsbemessungsgrenze in der DDR werden seit Januar 1992 in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 256a SGB VI die tatsächlichen Arbeitsentgelte in voller Höhe berücksichtigt, ohne dass die Versicherten dafür Beiträge geleistet haben.4 Insgesamt zählen nach einer Untersuchung Gerhard A. Ritters5 die Rentner in ihrer Mehrheit „zu den klaren Gewinnern der deutschen Einheit“. Die durchschnittlichen Renten stiegen von monatlich 475 Ostmark im Juli 1990 im Zeitraum von vier Jahren um mehr als das Zweieinhalbfache auf 1.214 DM.6 Von dieser deut1 Vgl. Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO) vom 17.11.1977 (GBl. I S. 73). 2 Verordnung über die Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik vom 9.12.1977 (GBl. I 1978 S. 1). 3 Hierzu Judith Kerschbaumer, Das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und die Deutsche Einheit, 2011, S. 41 ff. 4 Gerhard Igl/Felix Welti, Sozialrecht, 8. Aufl., 2007, § 34 RN 121, S. 187. 5 Gerhard A. Ritter, Sozialpolitik in der deutschen Wiedervereinigung, ZSR 55 (2009), S. 57 (64). 6 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.), Sozialbericht 1997, 1998, S. 311; ebenso Ritter a. a. O.

20

1. Teil: Entwicklung

lichen Verbesserung des Lebensstandards nimmt Ritter7 allerdings „einen Teil der Bezieher von Renten in den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen“ aus. II. Freiwillige Zusatzrentenversicherung 2

Die Sozialpflichtversicherung stellte eine Grundsicherung dar und wurde für Bezieher eines Einkommens oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze durch eine Freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR) ergänzt. Von der Möglichkeit einer Zusatzversicherung machten etwa 85 v. H. aller Berechtigten Gebrauch, so dass 1989 mehr als ein Drittel aller Altersrentner sowie die Hälfte aller Invalidenrentner eine Zusatzrente bezogen, die durchschnittlich allerdings nur knapp 100,– M monatlich ausmachte.8

B. Zusatz- und Sonderversorgung I. Zusatzversorgungssysteme 3

Die eines einheitlichen Grundsatzes entbehrenden und zwischen 1950 und 1989 eingeführten Zusatzversorgungssysteme betrafen nicht nur Mitglieder des Staatsapparates sowie gesellschaftlicher Organisationen und des FDGB, sondern auch die sogenannte wissenschaftliche und technische Intelligenz, Ärzte, Künstler und Mitglieder des Schriftstellerverbandes sowie Ballettmitglieder. Das Renten-Überleitungsgesetz9 führt in seinem Art. 3 Anl. 1 siebenundzwanzig unterschiedliche Zusatzversorgungssysteme an.10

4

Die Zusatzversorgungssysteme bezweckten, den Berechtigten einen prozentualen Teil ihres letzten Erwerbseinkommens (in der Regel 90 v. H. des Nettolohns) unter Anrechnung der Rente aus der Sozialpflichtversicherung zu sichern. Die Einbeziehung war für einige Berufsgruppen (z. B. Hochschullehrer, Pädagogen, Mediziner in bestimmten Funktionen) obligatorisch, konnte aber auch im Einzelfall durch Minister-Entscheidung erfolgen. Seit 1971 wurde eine Beitragspflicht für die Zusatzversorgung eingeführt. Diese betraf jedoch nicht Mitglieder in den Zusatzversorgungssystemen der Ge7

A. a. O., S. 64. Vgl. hierzu Gerhard Igl/Felix Welti, Sozialrecht, 8. Aufl., 2007, § 4 RN 1, S. 20; Andreas Polster, Grundzüge des Rentenversicherungssystems der Deutschen Demokratischen Republik, DRV 1990, S. 154 ff.; Hans-Jörg Bonz, Die Sozialversicherung in der DDR und die „Politik der Wende“, Zeitschrift für Sozialreform 1990, S. 11 ff.; Volker Meinhardt/Heinz Vortmann, Vereinheitlichung des Rentenrechts, DA 1991, S. 1254 ff.; Ulrich Lohmann, in: Hans F. Zacher (Hg.), Alterssicherung im Rechtsvergleich, 1991, S. 193 ff. 9 Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz – RÜG) vom 25.7.1991 (BGBl. I S. 1606). 10 Hierzu auch BVerfGE 126, 233 (235). 8

1. Kap.: Die Alterssicherung in der DDR

21

neraldirektoren der zentralgeleiteten Kombinate11, Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen12, Pädagogen in Einrichtungen der Volks- und Berufsbildung13 sowie die obligatorisch in die Zusatzversorgungssysteme der Anl. 1 Nr. 4 und 6 Einbezogenen, nämlich die Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen sowie Ärzte, Zahnärzte u. a. in konfessionellen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens.14 5

Im Falle einer Beitragspflicht waren die Beiträge an die Freiwillige Zusatzrentenversicherung zu entrichten, wobei die Beitragshöhe an Stelle des üblichen Satzes von 10 v. H. oftmals nur 5 oder 3 v. H. des maßgeblichen Verdienstes ausmachte.15

6

Die Zusatzversorgungsrenten bezogen ca. 200.000 bis 225.000 Versorgungsberechtigte, wobei die Zahlenangaben schwanken.16 Demgegenüber sind die von Ammermüller in einem Tagungsbeitrag17 genannten Zahlen zu niedrig. Nach ihnen wäre nur jeder 15. Rentner im Beitrittsgebiet von den Regelungen über die Versorgungssysteme betroffen, während es in Wirklichkeit eher jeder 11. Rentner ist.

7

Die Renten betrugen zum Zeitpunkt der Umstellung in etwa der Hälfte aller Fälle nicht mehr als 200,– M, in etwa 800 Fällen mehr als 2000,– M monatlich.18

8

Im Ganzen ähnelt die Zusatzversorgung der DDR der Zusatzversorgung für Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes in der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder sowie im Ergebnis der betrieblichen Altersversorgung in den alten Bundesländern. II. Sonderversorgungssysteme

9

Die Sonderversorgungssysteme stellten eine eigenständige Sicherung für Staatsbedienstete außerhalb der Sozialpflichtversicherung dar. Insgesamt gab es 11

s. Art. 3 Anl. 1 Nr. 2 RÜG. Art. 3 Anl. 1 Nr. 17 RÜG. 13 Art. 3 Anl. 1 Nr. 18 RÜG. 14 Vgl. Henner Wolter, Zusatzversorgungssysteme der Intelligenz, 1992, S. 186 ff. (187, 190, 192, 193, 195, 207). 15 Vgl. Axel Reimann, Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der ehemaligen DDR in die gesetzliche Rentenversicherung, DAngVers. 1991, S. 281 ff.; auch Meinhardt/Vortmann, DA 1991, S. 1254 ff. 16 Vgl. die Ausführungen des seinerzeitigen Präsidenten der BfA, Dr. Kaltenbach, bei der Anhörung vor dem Bundestagsausschuss Nr. 11 (Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung) in der 15. Sitzung vom 16.5.1991 (Sten. Prot. S. 15/146); Reimann, DAngVers. 1991, S. 282; dens., DAngVers. 1992, S. 283. 17 Vgl. Ruppelt, in: Die Sozialgerichtsbarkeit 1991, S. 502. 18 Die Zahlen beruhen auf den Angaben des Sachverständigen Dr. Kaltenbach, a. a. O., Sten. Prot. S. 15/155. 12

22

1. Teil: Entwicklung

vier Sonderversorgungssysteme.19 Seit dem 1. Januar 1953 entstand eine Sonderversorgung der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei, der Organe der Feuerwehr und des Strafvollzugs sowie eine Sonderversorgung der Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit. Mit Wirkung vom 1. Juli 1957 wurde eine Sonderversorgung der Angehörigen der Nationalen Volksarmee, mit Wirkung vom 1. November 1970 eine Sonderversorgung der Angehörigen der Zollverwaltung der DDR eingeführt. Insgesamt gab es zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung rund 120.000 Empfänger von Sonderversorgungsleistungen.20 10

Sonderversorgungsberechtigte erhielten ihre Altersversorgung ausschließlich aus dem jeweiligen Sonderversorgungssystem. Dafür hatten die Versorgungsberechtigten 10 v. H. ihrer vollen Bezüge ohne Beitragsbemessungsgrenze als Beiträge an den Sonderversorgungsträger zu entrichten.21 Die Rente betrug grundsätzlich bis zu 90 v. H. der jeweiligen Nettobesoldung vor dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis.22

11

Die Sonderversorgungssysteme stellten eine Versorgung eigener Art außerhalb der Sozialversicherung dar. Sie können, was auch das Bundesverfassungsgericht getan hat23, mit dem Institut der Beamtenversorgung in den alten Bundesländern verglichen werden.24 Da auch in den alten Bundesländern die strukturell unterschiedlichen25 Alterssicherungssysteme der gesetzlichen Rentenversicherung einerseits und der Beamtenversorgung andererseits bestanden, handelt es sich trotz der grundlegenden Differenzen in Leitvorstellungen und Ausformungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik26 bei den Sonderversorgungssystemen um eine systemneutrale Einrichtung, ganz abgesehen davon, dass sie selbst als „Ausprägung des sozialistischen Rechtssystems“ der DDR hätte akzeptiert werden müssen, sofern sie nicht „Ausdruck des besonderen Unrechtsgehalts der früheren Ordnung“ gewesen wäre.27

19

Vgl. Art. 3 Anl. 2 RÜG. Diese Angabe machte der seinerzeitige Präsident der BfA, Dr. Kaltenbach, vor dem zuständigen Bundestagsausschuss (s. oben RN 6), S. 15/146. 21 Hierzu Reimann, DAngVers. 1991, S. 281 ff. 22 Vgl. Michael Mutz/Ralf-Peter Stephan, Aktuelle Probleme des AAÜG, DAngVers. 1992, S. 281 ff. 23 Vgl. BVerfGE 100, 1 (5); 100, 59 (62); 100, 138 (140); 104, 126 (129); 112, 368 (370). 24 Vgl. auch Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., 1994, S. 15. 25 Vgl. hierzu unten RN 29, 474 f. 26 Hierzu BVerfGE 95, 267 (307). 27 Vgl. BVerfGE 95, 267 (307). 20

2. Kap.: Aufhebung der Versorgungsordnung durch Volkskammer-Gesetz

23

Zweites Kapitel

Die Aufhebung der Versorgungsordnung des MfS/AfNS durch Volkskammer-Gesetz A. Überführung in die Rentenversicherung und Versorgungskürzungen 12

Durch das „Gesetz über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit“ 28 wurden insbesondere die bestehenden Versorgungen in die Rentenversicherung überführt (§§ 1, 3) sowie die nach der Versorgungsordnung festgesetzten Renten „mit dem Ziel der Anpassung an das Niveau im zivilen Bereich“ „vorläufig“ nur in bestimmter Höhe gezahlt. Dabei wurden die Alters- und Invalidenrenten um 50 v. H. des 495 DM übersteigenden Betrags gekürzt, durften jedoch die Höhe von 990 DM nicht überschreiten (§ 2). Insbesondere bei der Festsetzung des Höchstbetrags sollte offensichtlich vermieden werden, dass Versorgungen für Mitglieder des Versorgungssystems des MfS/AfNS den magischen Betrag von „1000 DM“ überschritten.

B. Zur Sachgerechtigkeit des Aufhebungsgesetzes I. Die Rolle der am 18. März 1990 gewählten Volkskammer 13

Das Bundesverfassungsgericht29 hat später die Volkskammer als einen „mit den Verhältnissen vertrauten Gesetzgeber(s) der Deutschen Demokratischen Republik“ bezeichnet und diese Vertrautheit insbesondere auf die „Selbstprivilegierung“ des MfS einschließlich der „finanziellen Absicherung des Alters“ bezogen.

14

Diese Qualifizierung stößt jedoch aus mehreren Gründen auf Bedenken: Zum einen verweist das Gericht darauf, dass das System der Staatssicherheit darauf angelegt war, „Informationen auch über die Gehälter seiner Angehörigen geheimzuhalten“, weshalb es „dazu entsprechende Vorkehrungen getroffen“ habe.30 Da die Volkskammer sich zum großen Teil aus systemkritischen Bürgern, insbesondere auch Bürgerrechtlern zusammengesetzt hatte, dürften diese kaum Kenntnisse über geheimgehaltene interne Organisations-, Befehls- und Besoldungsstrukturen und deren (nichtveröffentlichte) Grundlagen sowie über die Einkommenssituation der Angehörigen des MfS im Vergleich zur Volkswirtschaft gehabt 28 29 30

Vom 29. Juni 1990 (GBl. I S. 501). BVerfGE 100, 138 (179); BVerfGK 3, 270 (273). BVerfGK 3, 270 (273).

24

1. Teil: Entwicklung

haben. Es bestand auch angesichts der Fülle der von der Volkskammer zu bewältigenden Probleme und der Kürze der Zeit keine Möglichkeit, sich hierüber einen genauen Einblick unter Heranziehung der Akten zu verschaffen. 15

Zwar wurde auf Drängen der Bürgerrechtsbewegung eine (außerparlamentarische) Arbeitsgruppe gebildet, die die Geschichte, Struktur und Arbeitsweise des MfS in den siebziger und achtziger Jahren erfassen sollte, jedoch keinen Zugang zum Archiv hatte und deren Ergebnisse erst später in Veröffentlichungen über das MfS einflossen. Ein am 7. Juni 1990 durch die Volkskammer eingesetzter Sonderausschuss war lediglich „zur Kontrolle der Auflösung des MfS/AfNS“ sowie zur Erarbeitung eines Gesetzes über die Stasi-Unterlagen gegründet worden.31

16

Die Arbeit der ersten frei gewählten Volkskammer wird in professioneller Hinsicht vielfach eher negativ gesehen. Uwe Thaysen32 spricht von „spektakulären, aber leerlaufenden Parlamentsaktivitäten“. Wolfgang Schäuble33 konstatiert gerade im Hinblick auf den Umgang mit den Stasi-Akten diplomatisch, die Volkskammer habe „zurückhaltend formuliert, nicht nur weise Beschlüsse gefasst“. In der Öffentlichkeit war die Volkskammer gar als ein „Laienparlament“ bezeichnet worden.

17

Die Würdigung der Volkskammer muss allerdings „vor dem damaligen Hintergrund des Übergangs von der Diktatur zu dem freiheitlich verfaßten Staat“ 34 gesehen werden, als „Unsicherheit und Unkenntnis über das Fortwirken der alten Strukturen und Denkweisen des SED-Regimes“ bestand und man noch nicht beurteilen konnte, „in welchem Maße sich die Funktionäre der untergegangenen DDR dem Übergang zum freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat widersetzen und insbesondere ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes ihre frühere Tätigkeit in den neuen staatlichen Institutionen fortsetzen würden.“ 35 II. Das Aufhebungsgesetz als Symbol-Gesetz

18

Dass mit dem Aufhebungsgesetz gerade das MfS als Symbol des DDR-Systems getroffen werden sollte, machen die Ausführungen des Staatssekretärs im Ministerium für Innere Angelegenheiten der DDR, Dr. Stief, deutlich, der namens des Ministerrates die Begründung des Aufhebungsgesetzes in der Volkskammer mit den Worten einleitete: „Durch die Tätigkeit des ehemaligen Ministe31 Vgl. Joachim Gauck, Der Sonderausschuss zur Kontrolle des MfS/AfNS. Die Schaffung eines Gesetzes über die Stasi-Unterlagen, in: Hans Misselwitz/Richard Schröder (Hg.), Mandat für Deutsche Einheit – Die 10. Volkskammer zwischen DDRVerfassung und Grundgesetz, 2000, S. 141 ff. 32 Uwe Thaysen, in: Informationen zur politischen Bildung, Heft 295: Der deutsche Bundestag und seine Akteure, hg. von Susanne S. Schüttemeyer. 33 Wolfgang Schäuble, Der Vertrag, 1991, S. 275. 34 BVerfGE 99, 332 (337). 35 BVerfGE a. a. O.

2. Kap.: Aufhebung der Versorgungsordnung durch Volkskammer-Gesetz

25

riums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit sind in der Vergangenheit nicht wenige Bürger der DDR physisch und psychisch gequält, materiell und finanziell geschädigt sowie persönlich und beruflich benachteiligt worden. Die ehemaligen Mitarbeiter dieses Organs sind für das Leid und die Schäden mitverantwortlich, unabhängig davon, ob sie sich strafbarer Handlungen schuldig gemacht haben oder nicht. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, für die ehemaligen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit weiterhin besondere Versorgungen zu zahlen, die sich auf diese Tätigkeit gründen.“ 36 19

Ausweislich dieser Begründung werden alle Angehörigen des MfS unabhängig von persönlicher Schuld und Strafbarkeit als „mitverantwortlich“ für entstandene Leiden und Schäden angesehen, und wird deshalb als Sanktion auf die Versorgungen zurückgegriffen, „die sich auf diese Tätigkeit gründen“. Nur wenn man das Aufhebungsgesetz nicht als Abbau überhöhter Leistungen, sondern als Sanktion für MfS-Zugehörigkeit ansieht, ist erklärlich, weshalb sich das Aufhebungsgesetz auf das Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS beschränkte und weitere Sonderversorgungssysteme nicht einbezog.

20

Die Fokussierung auf die „Stasi“ als Hauptverantwortliche für das DDR-System führt jedoch zu einer MfS-Zentralisierung, die andere Verantwortliche aus dem Blickfeld geraten lässt und insoweit auch eine Entlastungsfunktion hat. Trotz des Titels „Ministerium für Staatssicherheit“ war diese Einrichtung nicht allein für die Sicherheit der DDR zuständig und verantwortlich. Nach Art. 7 Abs. 1 der Verfassung von 1968/1974 gewährleisteten „die Staatsorgane“ „die territoriale Integrität der Deutschen Demokratischen Republik“. Die vielfach isolierte Sicht auf das Ministerium für Staatssicherheit ist allerdings charakteristisch für den Zeitraum des Umbruchs und die Epoche danach. „Stasi“ war einer der Kampfbegriffe der revolutionären Bewegung, der sich in zahlreichen Parolen niederschlug, wie z. B. „Stasi raus!“; „Stasi in die Volkswirtschaft!“; „Stasi in die Volkswirtschaft, bringt dem Lande Arbeitskraft!“; „Stasi-Gelder für saubere Umwelt und gesunde Wälder!“; „Macht dem MfS endlich den Prozess“, „Stasi weg, wir brauchen Arbeiter!“ 37 Darüber hinaus wurden Stasi-Gebäude besetzt und Akten vernichtet, insbesondere bei der Erstürmung der Stasi-Zentrale in Ost-Berlin am 15. Januar 1990.38 Aber auch in den alten Bundesländern bestand gegen den Begriff der „Staatssicherheit“ eine hohe emotionale Empfindlichkeit, so dass die DDR als „Stasi-Staat“ bezeichnet wurde.39 Dem damaligen Bundesinnenminister 36 Volkskammer der DDR, 10. Wahlperiode, 14. Tagung vom 15.6.1990, Protokolle, S. 531. 37 Nachweis bei Wolfgang Schneider, Leipziger Demontagebuch, 1990, S. 42, 50, 74, 90, 104, 105. 38 Hierzu Michael Richter, Die Staatssicherheit im letzten Jahr der DDR, 1996, S. 153 ff. 39 Klaus Kinkel, Wiedervereinigung und Strafrecht, JZ 1992, S. 485.

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1. Teil: Entwicklung

Dr. Schäuble gelang es daher nicht, einen als „Stasi-Amnestie“ bezeichneten Gesetzesentwurf durchzusetzen, der Straffreiheit für Deutsche mit Wohnsitz in der DDR, aber auch für Bundesbürger vorsah, die für das MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland spioniert hatten.40 21

Weder war jedoch historisch noch nach der sozialistischen Ideologie der DDR das MfS Kristallisationspunkt der „politischen, ökonomischen, ideologischen und militärischen Unterdrückung des Widerstandes der Ausbeuterklasse“.41 Auch das Bundesverfassungsgericht hat es – im Zusammenhang mit der DDR-Spionage – abgelehnt, „einen außerhalb nachweisbarer Straftatbestände liegenden zusätzlichen Stasi-Unwert“ anzuerkennen.42 Es wurden vielmehr die Organe des sozialistischen Staates als ein einheitliches System angesehen, das die „gewählten staatlichen Machtorgane“, den „Staatsrat“, den „Nationalen Verteidigungsrat“, den „Ministerrat“, die „Örtlichen Räte und ihre Fachorgane“, die „Gerichte“, die „Staatsanwaltschaft“ sowie die „Schutz- und Sicherheitsorgane“ umfasste, wobei zu letzteren die „Nationale Volksarmee, die Grenztruppen, die Organe der Staatssicherheit, die Organe des Ministerium des Innern . . ., die Zivilverteidigung und die Zollverwaltung“ gehörten.43 So hat auch der seinerzeitige Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, vor der Volkskammer ausgeführt: „Nicht die Staatssicherheit war die eigentliche Krankheit der DDR, sie war nur eines ihrer Auswüchse. Die eigentliche Erbkrankheit der sozialistischen Gesellschaft war der diktatorische Zentralismus, der aus stalinistischer Verblendung an die Stelle der Demokratie, an die Stelle der Selbstbestimmung der Menschen gesetzt worden war. Dieser Zentralismus war es, der eine das gesellschaftliche Leben vergiftende Atmosphäre des Druckes erzeugte“.44 Ähnlich argumentiert Michael Stolleis45, nach dessen Auffassung die „Einheitspartei . . . auf den Primat der 40 Vgl. Wolfgang Schäuble, Der Vertrag, 1991, S. 268 ff.; Klaus Kinkel, Wiedervereinigung und Strafrecht, JZ 1992, S. 485 (486); hierzu auch BVerfGE 92, 277 (285); s. ferner den (nicht Gesetz gewordenen) „Entwurf eines Gesetzes über Straffreiheit bei Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit“ vom 2. und 13.9.1990 (BT-Drucks. 11/7762 [neu] und BT-Drucks. 11/7871); hierzu auch BVerfGE 92, 272 (285 f.); s. auch die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Göhner in der 8. Sitzung des Deutschen Bundestages v. 20.2.1991 (Sten. Ber. S. 336* f., Anl. 17) auf die Frage des Abg. Marschewski (CDU/CSU): „Wann wird die Bundesregierung eine Gesetzgebung zur Amnestie von ehemals hauptamtlichen Mitarbeitern der DDR-Geheimdienste einbringen“, in der es u. a. heißt: „Dies (i. e. die Amnestieregelung) war politisch nicht durchsetzbar. Die Gründe, die für eine solche Amnestieregelung sprechen, haben sich nicht verändert.“ 41 Vgl. Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie, Lehrbuch, (Ost-)Berlin 1975, S. 232. 42 BVerfGE 92, 277 (333). 43 Vgl. Verwaltungsrecht, Lehrbuch, (Ost-)Berlin, 1979, S. 27. 44 Regierungserklärung auf der 3. Tagung der Volkskammer der DDR vom 19.4. 1990, Protokolle S. 41 (43 l. Sp.). 45 Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR, 2009, S. 38.

2. Kap.: Aufhebung der Versorgungsordnung durch Volkskammer-Gesetz

27

Politik vor dem instrumentell verstandenen Recht“ beharrte. Die „Staatsmacht“, in deren Händen das Recht lag, habe „das Recht durchlässig für die Entscheidungen [gehalten], die in der Partei gefällt wurden.“ Das die Standardfälle normativ regelnde Recht habe „den jederzeit möglichen Durchgriff für die politischen Fälle“ zugelassen, da die Partei „den wahre[n], wohlverstandene[n] Volkswille[n]“ zum Ausdruck brachte,46 wobei neben dem Parteitag und dem Zentralkomitee das Politbüro als das „wahre Zentrum der Macht“ anzusehen war.47 Auch auf den staats- und rechtswissenschaftlichen Konferenzen der DDR wurde auf „die führende Rolle der Partei“ und die „ständige Stärkung des sozialistischen Staates als Grundsatz des Parteiprogramms und der Politik der SED“ hingewiesen.48 Die häufige Beschwörung dieser führenden Rolle der Partei war nach Joachim Gauck49 „keineswegs nur eine politische Floskel, sondern spiegelte . . . das grundlegende Selbstverständnis wider, das diesem Staat zugrunde lag“. Der Wille der Partei stand sogar über den geschriebenen Gesetzen, so dass die SED mündliche Instruktionen an Grenztruppen erteilen konnte,50 aber auch die „Kontrolle über das Geschäft mit den Häftlingen“ ausübte.51 22

Die Suprematie der SED bildete den Kern des politischen Systems der DDR.52 Aus diesem Grunde spricht der Einigungsvertrag auch nicht vom Unrecht einzelner Organe der DDR, sondern behandelt in Art. 17 Satz 2 EV die Rehabilitierung der „Opfer des SED-Unrecht-Regimes“, wie auch in seiner Begründung nur vom „SED-Regime“ und dessen rechtsstaatswidriger Verfolgung der Bürger die Rede ist. Daher bezeichnet es den „Scheitelpunkt der Revolution in der DDR“ 53, als der in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 der DDR-Verfassung54 verankerte Führungsan46 Vgl. auch Georg Brunner, Das Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 3. Aufl. 2003, § 11 RN 17 ff.: „Der Kern des politischen Systems: die Suprematie der SED“. 47 Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 6. Aufl., 2009, § 45 VI, 3 S. 388. 48 So der seinerzeitige ZK-Sekretär Egon Krenz, in: Heinz Mohnhaupt (Hg.), Deutsche Demokratische Republik (1958–1989), 2. Halbbd.: Dokumente, hg. von Karl A. Mollnau, 2004, Dokument 76, S. 546 (547 sub I 1). 49 Joachim Gauck, Die Stasi-Akten, 1991, S. 73. 50 Vgl. Wolfgang Schuller, Souveränitätsbeschränkungen neuen Typs, in: H.-Chr. Kraus/H. A. Wolff, Souveränitätsprobleme der Neuzeit, Freundesgabe für Helmut Quaritsch zum 80. Geburtstag, 2010, S. 29 (40 oben). 51 So Jan Philipp Wölbern, Für unsere Republik, FAZ v. 4.8.2011, Nr. 179, S. 7. 52 Christian Hillgruber, Deutsche Revolution – „Legale Revolution“?, in: Der Staat 49 (2010), S. 167 (196); s. auch Andreas Malycha/Peter Jochen Winters, Die SED – Geschichte einer deutschen Partei, 2009, passim insbes. S. 72 ff. 53 Hans Hugo Klein, Verfassungskontinuität im revolutionären Umbruch, in: Peter Badura/Rupert Scholz (Hg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche, 1993, S. 459 (467). 54 DDR-Verfassung vom 9.4.1968 (i. d. F. v. 7.10.1974).

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1. Teil: Entwicklung

spruch der SED („unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“) durch Verfassungsänderung vom 1. Dezember 198955 beseitigt wurde. 23

Nach allem kann daher das MfS nicht als „Staat im Staate“ angesehen werden. „Wer das Gegenteil behauptet, mindert die historische Verantwortung der SED für die Schuld der Staatssicherheit.“ 56 Gerade weil nach der Wiedervereinigung die „Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit“ auf das MfS gerichtet war, konnte die „SED-PDS erfolgreich eine Diskussion über ihr Herrschaftssystem vermeiden.“ 57 III. Widersprüchlichkeit von Regelungen 1. Das Aufhebungsgesetz

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Gegen die Sachgerechtigkeit des DDR-Aufhebungsgesetzes spricht zum einen der Umstand, dass sich dessen Versorgungskürzungen auf das Versorgungssystem des MfS/AfNS beschränkten. Ein überdurchschnittliches Verdienstniveau im Vergleich zum Gesamtverdienstniveau aller Beschäftigten der DDR bestand jedoch nicht nur beim MfS/AfNS, sondern auch bei den Angehörigen der übrigen Sonderversorgungssysteme, worauf auch das Bundesverfassungsgericht hinweist.58 2. Widersprüchliche Berufungen auf den DDR-Aufhebungsgesetzgeber

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Obwohl die These, der DDR-Aufhebungsgesetzgeber sei mit den Verhältnissen (d.h. mit der Vergütungs- und Versorgungsordnung sowie einer „Selbstprivilegierung“ des MfS/AfNS) vertraut gewesen, nicht zuletzt auch wegen der beruflichen Herkunft der Abgeordneten fragwürdig erscheint, wird sie zusätzlich in widersprüchlicher Weise verwendet. Das Bundesverfassungsgericht59 verweist darauf, dass der mit den Verhältnissen vertraute Gesetzgeber der DDR „die überhöhten Versorgungen im Bereich des MfS/AfNS in §§ 2 f. AufhebG ebenfalls pauschal gekürzt hatte“, beruft sich also auf den Umstand der pauschalen Kürzung als solcher. Immerhin beließ diese pauschale Kürzung den Versorgungsberechtigten einen Höchstbetrag, der fast das Doppelte der Höchstrente (510,– M) 55 Gesetz zur Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik v. 1.12.1989 (GBl. S. 265). 56 So Karl Wilhelm Fricke in der 23. Sitzung der Enquête-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ am 15. Januar 1993, in: Materialien, hg. vom Deutschen Bundestag, Bd. VIII, 1995, S. 3 (7). 57 Armin Mitter, Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte, in: Eckhard Jesse/ders., Die Gestaltung der Deutschen Einheit, 1992, S. 365 (376). 58 BVerfGE 100, 138 (178). 59 BVerfGE 100, 138 (179); vgl. auch BVerfGK 3, 270 (273).

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

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aus der DDR-Sozialpflichtversicherung und das Doppelte der Mindestsicherung im Beitrittsgebiet zum Zeitpunkt des 30. Juni 1990 ausmachte. Demgegenüber begrenzte § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG (i.V. m. Anl. 6)60 den rentenwirksamen Verdienst für Angehörige des Sonderversorgungssystems des MfS/ AfNS auf 70 v. H. des jeweiligen Durchschnittsentgelts, was im Vergleich zum DDR-Aufhebungsgesetz auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „eine erhebliche Verschärfung“ darstellte.61 Wenn aber dem DDR-Aufhebungsgesetzgeber bei der Kürzung der Sonderversorgungen als solcher eine Vertrautheit mit den Verhältnissen attestiert wird, erscheint es inkonsequent, ihm diese Vertrautheit hinsichtlich der Höhe der Kürzungen abzusprechen, sodass neue und erheblich verschärfte Höchstbeträge, die der Sozialgesetzgeber nach der Wiedervereinigung eingeführt hatte, unsachgemäß erscheinen. Daher hat auch das Bundesverfassungsgericht62 dem Gesetzgeber des RÜG attestiert, er dürfe sich für diese Verböserung „nicht auf den Gesetzgeber der Deutschen Demokratischen Republik berufen“. Drittes Kapitel

Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit A. Der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion vom 18.5.1990 I. Relevante Regelungen für die Versorgungssysteme 26

Im Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Staatsvertrag)63 waren die Vertragsparteien übereingekommen, dass die DDR alle erforderlichen Maßnahmen einleitet, um ihr Renten- und Unfallversicherungsrecht an das der Bundesrepublik Deutschland anzugleichen. Ferner bestimmte Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Staatsvertrages, dass die bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme grundsätzlich zum 1. Juli 1990 geschlossen werden. Bisher erworbene Ansprüche und Anwartschaften sollten in die Rentenversicherung überführt werden, „wobei Leistungen aufgrund von Sonderrege60

In der Fassung von Art. 3 RÜG vom 25.7.1991 (BGBl. I S. 1606). BVerfGE 100, 138 (180). 62 BVerfGE 100, 138 (180). 63 Vom 18.5.1990 (BGBl. II S. 537), auch abgedruckt in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Staatsvertrag 1990, S. 79 ff. s. auch Gesetz zu dem Vertrag vom 18.5.1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 25.6.1990 (II S. 518) – auch abgedruckt bei Stern/Schmidt-Bleibtreu, Staatsvertrag, S. 239. Der Vertrag trat am 30.6.1990 in Kraft; vgl. die Bekanntmachung vom 17.7.1990 (BGBl. II S. 700). 61

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1. Teil: Entwicklung

lungen mit dem Ziel überprüft werden, ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen“. II. Die Nachteile der „Systementscheidung“ 27

Die vertraglich vereinbarte Schließung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme und die Überführung der daraus erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland wird auch als „Systementscheidung“ 64 bezeichnet. Der Begriff findet sich weder im Staatsvertrag noch im Einigungsvertrag. Seine Verwendung ist deshalb bedenklich, weil aus ihm begriffsimmanente, nämlich aus dem „System“ der westdeutschen gesetzlichen Rentenversicherung folgende Konsequenzen, z. B. hinsichtlich der „Beitragsbemessungsgrenze“, gezogen werden, deren Konformität mit dem Einigungsvertrag nicht mehr überprüft wird.65

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Insbesondere den Angehörigen der Sonderversorgungssysteme brachte allein der „Systemwechsel“ erhebliche Nachteile: Zum einen trat als Berechnungsgrundlage an die Stelle der Nettobesoldung vor dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis das für die Rentenberechnung maßgebliche durchschnittliche Lebens-Einkommen. Zum zweiten wurde die Versorgungsquote in Höhe von 90 v. H. der Nettobesoldung durch das Rentenniveau der gesetzlichen Rentenversicherung ersetzt, das im Falle eines Standardrentners 1990 55 v. H. des durchschnittlichen Jahresarbeitsentgelts (netto vor Steuern) betrug. Zum dritten wurde der Rentenberechnung nicht wie bei der Berechnung der Versorgung das aus dem letzten Amt erzielte Einkommen, sondern wurden Einkünfte nur bis zu einer „Beitragsbemessungsgrenze“ zu Grunde gelegt.

29

Allein der Wechsel von dem System beamtenähnlicher Versorgung zum System der gesetzlichen Rentenversicherung, die sich ihrer Struktur nach voneinander unterscheiden,66 hat bereits als solcher dazu geführt, dass Angehörige der Sonderversorgungssysteme mit höheren, d.h. die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigenden Einkünften erhebliche Einbußen hinnehmen mussten.67 64

Vgl. BSGE 72, 65 (67). Kritisch auch Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., 1994, S. 109. 66 Vgl. BVerfGE 11, 283 (291); 21, 329 (344); 39, 169 (185 sub E I); 43, 13 (22); 44, 249 (264 f.); 54, 11 (26); 85, 176 (186); 105, 73 (122); 114, 258 (294): „strukturelle[n] Unterschiede[n] der Versorgungssysteme“; BVerfG (Kammer) v. 20.2.2008 ZBR 2008, S. 350 (351) sub II 3 a) cc); vgl. auch BVerwGE 59, 176 (183); 117, 305 (309); VGH Baden-Württemberg v. 9.12.2009, ZBR 2010, S. 420 (421 f.); Merten, Die Sonderrolle der Beamtenversorgung bei der Harmonisierung der Alterssicherungssysteme, ZBR 1995, S. 353. 67 Zu verfassungsrechtlichen Bedenken Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl. 1994, S. 108 ff. 65

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

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Auch das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung „neben hohen auch überhöhte Rentenansprüche auf das durch die Beitragsbemessungsgrenze vorgegebene Maß vermindert“ hat.68 Diese von der Öffentlichkeit weithin nicht bemerkte, allein aus der rententechnischen „Systementscheidung“ folgende Versorgungskürzung muss bei der Diskussion über den Abbau „überhöhter Leistungen“ im Auge behalten werden.

B. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 I. Überführung der Versorgungssysteme 31

Im Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag)69 wird die Überführung der Versorgungssysteme fortgeschrieben und präzisiert. Die Vertragsparteien vereinbarten, noch nicht geschlossene Versorgungssysteme bis zum 31. Dezember 1991 zu schließen, Neueinbeziehungen in die auslaufenden Versorgungssysteme nach dem 3. Oktober 1990 zu verbieten sowie erworbene Ansprüche und Anwartschaften bis zum 31. Dezember 1991 in die Rentenversicherung zu überführen. Darüber hinaus wird eine Zahlbetragsgarantie verankert.70

32

Nach Art. 30 Abs. 5 Satz 1 EV sollen die Einzelheiten der Überleitung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Rentenversicherung) und der Vorschriften des Dritten Buches der Reichsversicherungsordnung (Unfallversicherung) in einem Bundesgesetz geregelt werden. Nach Art. 30 Abs. 5 Satz 3 EV soll die Überleitung „von der Zielsetzung bestimmt sein, mit der Angleichung der Löhne und Gehälter in dem in Artikel 3 genannten Gebiet an diejenigen in den übrigen Ländern auch eine Angleichung der Renten zu verwirklichen“. II. Abschaffung ungerechtfertigter und Abbau überhöhter Leistungen sowie Verbot der Besserstellung im Vergleich zu anderen öffentlichen Versorgungssystemen

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Im Einzelnen wird für die Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen bestimmt, dass sie nach Art, Grund und Umfang den Ansprüchen und Anwartschaften „nach den allgemeinen Rege-

68

BVerfGE 100, 59 (93); vgl. auch E 100, 1 (48). Vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889), auch abgedruckt in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Einigungsvertrag und Wahlvertrag, 1990, S. 91 ff. 70 Vgl. Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. a und b EV. 69

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1. Teil: Entwicklung

lungen der Sozialversicherung“ im Beitrittsgebiet unter Berücksichtigung der jeweiligen Beitragszahlungen anzupassen sind, „wobei ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen sind sowie eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen nicht erfolgen darf.“ 71 Diese Regelung sollte „zu einem der dornigsten Probleme der Neuordnung des Rentenwesens im Osten“ werden.72 III. Kürzung oder Aberkennung von Ansprüchen und Anwartschaften bei Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit oder im Falle des Missbrauchs 34

Darüber hinaus ist im Einigungsvertrag festgelegt, dass Ansprüche oder Anwartschaften zu kürzen oder abzuerkennen sind, „wenn der Berechtigte oder die Person, von der sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat.“ 73 1. Rentenkürzung bzw. -aberkennung als individualbezogene Sanktion

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Die Vorschrift stellt eine individual-, keine kollektivbezogene Regelung dar, was schon der Wortlaut deutlich macht („Der Berechtigte oder die Person, von der sich die Berechtigung ableitet“). Nur jeweils einzelnen Angehörigen der Versorgungssysteme, auf die der Tatbestand der Norm zutrifft, können Ansprüche oder Anwartschaften gekürzt oder aberkannt werden. Dagegen dürfen individuell nicht zurechenbare Verstöße innerhalb einer Organisation als solcher gegen die im Vertragstext genannten Grundsätze und Prinzipien nicht zu generellen Sanktionen, d.h. zu Kürzungen oder Aberkennungen von Leistungen des Versorgungssystems führen. Diese Konsequenz folgt schon aus dem Rechtsstaatsprinzip, zu dem sich auch die DDR in Art. 2 Satz 1 des Staatsvertrags zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bekannt hat. Darüber hinaus ankert es im Menschenwürde-Satz (Art. 1 Abs. 1 GG), der als „Grund der Grundrechte“ 74 Teil jener „freiheitlichen . . . Grundordnung“ ist, auf die sich die DDR ebenfalls in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Staatsvertrags verpflichtet hatte.

71

Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Ziff. 1 EV. So Gerhard A. Ritter, Die deutsche Wiedervereinigung, in: Historische Zeitschrift 286 (2008), S. 289 (308). 73 Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Ziff. 2 EV. 74 So Isensee, Der Staat 19 (1980), S. 371. 72

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

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33

Eine Art Vorgängervorschrift der Kürzungs-Ermächtigung hatte sich schon in § 27 des Rentenangleichungsgesetzes der DDR75 gefunden, wonach „Ansprüche und Anwartschaften aus zusätzlichen Versorgungssystemen . . . gekürzt werden“ konnten, „wenn der Berechtigte in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat“. Allerdings durfte die Kürzung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 RAG nicht dazu führen, dass der Berechtigte insgesamt weniger Rente erhielt, als ihm entsprechend seinen gezahlten Beiträgen zugestanden hätte. a) Der Schuldgrundsatz als Verfassungsvorgabe

37

Der Grundsatz, dass jede Strafe (im weiteren Sinne) individuelle Schuld voraussetzt, hat Verfassungsrang.76 Das Bundesverfassungsgericht leitet dieses an der „Idee der Gerechtigkeit“ 77 bzw. der „Forderung nach materieller Gerechtigkeit“ 78 ausgerichtete Prinzip aus dem Rechtsstaatsgrundsatz79 und/oder dem Menschenwürde-Satz (Art. 1 Abs. 1 GG) ab.80 aa) Schuldgrundsatz und Rechtsstaatlichkeit

38

Essentieller Teil der Rechtsstaatlichkeit, wie sie das Grundgesetz als Staatsfundamentalnorm in Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 Satz 1 verankert,81 ist die Garantie der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und damit der Rechtssicherheit.82 75 Gesetz zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen – Rentenangleichungsgesetz – vom 28.6.1990 (GBl. I S. 495). 76 Vgl. BVerfGE 123, 267 (413); 122, 248 (270); 117, 71 (90); 110, 1 (13); 109, 133 (171); 105, 135 (154); 96, 245 (249); 95, 96 (130 f.); 86, 288 (313); 81, 228 (237); 50, 205 (214 f.); 50, 125 (133); 45, 187 (228); 41, 121 (125); 25, 269 (285); 20, 323 (331, 335). 77 BVerfGE 50, 205 (214); 80, 244 (255). 78 BVerfGE 95, 96 (130); vgl. auch E 45, 187 (246). 79 BVerfGE 20, 323 (331); 25, 269 (285); 41, 121 (125); 50, 5 (12); 50, 125 (133); 84, 82 (87); 86, 280 (313); 105, 135 (154); 109, 133 (171); 110, 1 (13). 80 BVerfGE 25, 269 (285); 45, 187 (228); 50, 125 (133); 50, 205 (214); 57, 250 (275); 74, 358 (371); 80, 244 (255); 86, 288 (313); 95, 96 (130 f.); 96, 245 (249); 110, 1 (13); 120, 224 (253); 122, 248 (270); 123, 267 (413). 81 BVerfGE 63, 343 (353); vgl. jedoch auch E 30, 1 (24) sub C I 2 b) und E 2, 380 (403); zur Ableitung des Rechtsstaatsprinzips auch Merten, Zum Rechtsstaat des Grundgesetzes, in: Civitas, Widmungen für Bernhard Vogel zum 60. Geburtstag, 1992, S. 255 ff. 82 Vgl. BVerfGE 2, 380 (403); 3, 225 (237); 7, 89 (92); 7, 194 (196); 13, 261 (271); 14, 288 (297); 15, 313 (319); 22, 322 (329); 25, 269 (290); 27, 167 (173); 35, 41 (47); 35, 323 (326); 45, 142 (167); 49, 148 (164); 51, 356 (362); 59, 128 (164); 60, 253 (267); 63, 343 (357); 65, 196 (218); 67, 1 (14); 69, 272 (309); 72, 200 (242); 78, 249 (283); 86, 288 (327); 92, 277 (344); 107, 395 (411); 119, 381 (383); s. auch E 113, 273 (301 f.).

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Diese Rechtssicherheit bedingt zugleich eine hinreichende Bestimmtheit der Gesetze,83 die für den Bürger berechenbar, vorhersehbar, erkennbar und verstehbar sein müssen,84 damit Betroffene „die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können.“ 85

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Ist das hinreichend bestimmte Gesetz Verhaltensrichtlinie und Verhaltensmaßstab für den Einzelnen, so dürfen Gesetzesverletzungen strafrechtlich oder strafrechtsähnlich nur sanktioniert werden, falls dem Gesetzesübertreter sein abweichendes Verhalten zur Last gelegt werden kann. Nur wenn der Täter für die Rechtswidrigkeit verantwortlich ist, darf ihm sein Verhalten als Schuld vorgeworfen werden.86 Damit folgt der Satz „nulla poena sine culpa“ bereits aus dem (formellen) Prinzip rechtsstaatlicher Berechenbarkeit, so dass es keines Rückgriffs auf das normativ unsichere Prinzip materieller Gerechtigkeit bedarf.87 bb) Schuldgrundsatz und Menschenwürde-Garantie

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Unabhängig vom Rechtsstaatsprinzip ist der Schuldgrundsatz auch in Art. 1 Abs. 1 GG begründet, der allerdings wegen seines emotionalen Pathos der Gefahr der Überstrapazierung und Abnutzung ausgesetzt ist.88 Auch die Standard-Formel, es widerspreche menschlicher Würde, „den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen“ 89, bedarf zusätzlicher Konkretisierung, weil der Mensch vielfach (bloßes) Objekt staatlicher Fürsorge und Regelung ist, ohne dass deswegen schon Art. 1 Abs. 1 GG verletzt wird.90

42

Menschenunwürdig wird eine Objekt-Stellung des Menschen erst dann, wenn sie – insbesondere unter Berücksichtigung der Erfahrungen mit totalitären Syste83

BVerfGE 103, 332 (384); 108, 186 (235); 114, 196 (252); 126, 170 (194 ff.). Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 II RN 179; BVerfGE 75, 329 (341); 126, 170 (194 f.); BVerfG (Kammer) v. 1.9.2008, EuGRZ 2008, S. 627 (629 sub B III 1 a). 85 BVerfGE 103, 111 (135); vgl. ferner E 107, 104 (120); 108, 52 (75); 108, 186 (235); 110, 33 (53); 111, 54 (96); 112, 304 (315); 113, 348 (375 f.); 114, 1 (53); 120, 274 (316); 126, 170 (194 f.); ebenfalls E 17, 306 (316); 21, 73 (79); 25, 269 (285); 31, 255 (264); 37, 132 (142); 45, 400 (420); 47, 109 (120); 48, 48 (56); 52, 1 (41); 57, 250 (262); 64, 389 (393 f.); 71, 108 (115); 75, 329 (341); 78, 205 (212); 81, 298 (309); 83, 130 (145); 84, 133 (149); 87, 234 (263); 87, 287 (317 f.); 90, 145 (224); 94, 372 (394). 86 So BGHSt (GrS) 2, 194 (200). 87 Distanziert auch Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 190, der jedoch das verlässlichere Prinzip formeller Berechenbarkeit nicht heranzieht und deshalb den Schuldgrundsatz nur in Art. 1 Abs. 1 GG verankert (a. a. O., S. 341 f.). 88 Zur Kritik s. statt aller Kunig, in: v. Münch/ders., GG, 6. Aufl., 2012, Art. 1 RN 8; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 11. Aufl., 2011, Art. 1 RN 7. 89 BVerfGE 27, 1 (6); 45, 187 (228); 50, 166 (175); 57, 250 (275); 89, 28 (35); 96, 375 (399); 109, 279 (312); 115, 118 (153). 90 Zu Recht kritisch BVerfGE 30, 1 (25 f.); 109, 279 (312); Quaritsch, in: Isensee/ Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 1992, § 120 RN 134. 84

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

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men – Ausdruck der Diskriminierung, Erniedrigung oder Unmenschlichkeit ist.91 Insbesondere bei Strafen oder strafähnlichen Sanktionen darf der Einzelne „nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs behandelt und dadurch zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung und Strafvollstreckung gemacht werden.“ 92 43

Da die menschliche Würde dem Staat aufgibt, die Selbstbestimmung, Selbstentfaltung, aber auch Selbstverantwortung des Individuums anzuerkennen und zu achten, verstieße es gegen Art. 1 Abs. 1 GG, den Einzelnen ohne Nachweis individueller Schuld mit einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion zu belegen, um der Abschreckung, der Rache oder popularistischen Forderungen zu genügen. Auf diese Weise wandelte sich das Individuum in der Tat zu einem bloßen Instrument der Verbrechensbekämpfung,93 des Rachebedürfnisses oder der Massenbefriedung. Wegen der dem Menschen vorbehaltenen Willensfreiheit94 wäre er zentral in seiner menschlichen Würde getroffen, wenn der Staat gegen ihn ein Unwerturteil wegen eines Verhaltens verhängen dürfte, für dass dem Betroffenen eine fehlerhafte Willensbetätigung nicht nachgewiesen werden kann.95 Aus diesem Grunde verletzt eine „Strafe ohne Schuld“ die Menschenwürde, weshalb es für das moderne Strafrecht „selbstverständlich“ ist, „dass eine Bestrafung Schuld voraussetzt“ 96 und rechtsstaatliches Strafrecht grundsätzlich keine „Schuldvermutung“ duldet.97

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Unrecht darf nur in dem Ausmaß mit Sanktionen geahndet werden, in dem dieses „aus schuldhaftem Verhalten des Täters erwachsen ist“.98 Strafen und strafähnliche Sanktionen berühren die Menschenwürde, weil sie eine „missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten“ darstellen99 und über den Täter ein „sozialethisches Unwerturteil . . . wegen der von ihm schuldhaft begangenen Rechtsverletzung“ fällen.100 Da Schuld als der Vorwurf zu qualifi91

Vgl. hierzu auch Quaritsch, a. a. O. § 120 RN 134. BVerfGE 109, 279 (312) unter Hinweis auf E 45, 187 (228); 72, 105 (116). 93 Vgl. BVerfGE 28, 386 (391); 45, 187 (228); 50, 205 (215); 72, 105 (116); 109, 279 (312). 94 Hierzu Eduard Dreher, Die Willensfreiheit, 1987. 95 Zum Erfordernis des Schuldnachweises vgl. BVerfGE 9, 167 (169); 57, 250 (267); 74, 358 (371); 84, 82 (87 sub B I 1); 113, 273 (324). 96 s. BVerfGE 9, 167 (169); BGHSt 2, 194 (200). 97 s. Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I, 1952, S. 156 ff.; Claus Roxin/Bernd Schünemann, Strafverfahrensrecht, 26. Aufl. 2009, S. 86; zurückhaltender BVerfGE 9, 167 (169). 98 BGH NJW 1987, S. 2685 f. (2686). 99 BVerfGE 26, 186 (204); 42, 261 (262); 105, 135 Ls. 1 (153); 109, 133 Ls. 3 (167 ff.); 109, 190 (212); 117, 71 (110); vgl. auch E 22, 49 (80). 100 So Hans-Heinrich Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., 1996, § 8, I, S. 65 f. m.w. N.; vgl. ferner Peter Noll, Die ethische Begründung der Strafe, 1962, S. 17 ff.; Heinrich Henkel, Die „richtige“ Strafe, 1969, S. 7; Eberhard Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 1984, 1/14. 92

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1. Teil: Entwicklung

zieren ist, sich wider besseres Wissen und Können gegen das Recht zu entscheiden,101 legt die autoritative Feststellung schuldhaften Verhaltens letztlich dem Täter eine „Auflehnung gegen die (staatliche) Rechtsordnung“ 102 als Ausdruck „fehlerhafter Persönlichkeitshaltung“ 103 zur Last. Die pönale Maßnahme als staatliches Übel greift nicht nur in die Rechtssphäre des Betroffenen ein und wirkt sich nicht nur unmittelbar auf dessen Freiheit oder Vermögen aus, sondern beeinträchtigt als öffentliche Missbilligung auch dessen soziales Ansehen.104 Ihm wird letztlich ein „Makel“ angeheftet, womit ihm zugleich die Eigenschaft eines „rechtschaffenen Menschen“ abgesprochen wird.105 Durch ihren Missbilligungscharakter unterscheiden sich Strafen und strafähnliche Sanktionen von allen anderen Zwangsmaßnahmen der Staatsgewalt.106 b) Die Geltung des Schuldgrundsatzes auch für strafähnliche Sanktionen aa) Strafähnliche Sanktionen als Berührung der sittlichen Persönlichkeit 45

Der Verfassungsgrundsatz „nulla poena sine culpa“ beschränkt sich nicht auf Strafen im engeren Sinne, sondern umfasst auch strafähnliche Sanktionen „für sonstiges Unrecht“,107 insbesondere wenn diese den „Bereich der sittlichen Persönlichkeit des Menschen“ berühren.108 Strafähnliche Sanktionen unterscheiden sich von Strafen (im engeren Sinne) dadurch, dass das mit ihnen verbundene sozial-ethische Unwerturteil geringer ist, was äußerlich auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie grundsätzlich nicht in das Bundeszentralregister eingetragen werden.109 bb) Maßgeblichkeit von Sinn und Zweck der Sanktion

46

Für den Charakter einer Sanktion ist nicht deren Bezeichnung, sondern sind Sinn und Zweck entscheidend. So handelt es sich in § 890 Abs. 1 ZPO ungeachtet der Ersetzung der Begriffe „Geldstrafe“ und „Strafe der Haft“ durch „Ord101 Vgl. BGHSt 2, 194 (200 ff.); Walter Odersky, Die Rolle des Strafrechts bei der Bewältigung politischen Unrechts, 1992, S. 26. 102 Vgl. BVerfGE 9, 167 (171); 22, 49 (80); 27, 18 (33); 43, 101 (105). 103 BVerfGE 9, 167 (171). 104 Ähnlich Jescheck, a. a. O.; Henkel, a. a. O. 105 Vgl. §§ 97 Abs. 1, 111 Jugendgerichtsgesetz, i. d. F. v. 11.11.1974 (BGBl. I S. 3427), zuletzt geändert durch Gesetz v. 29.7.2009. 106 So ausdrücklich Peter Noll, a. a. O., S. 18 f. m.w. N. in FN 37. 107 BVerfGE 20, 323 (331); BVerfG (Kammer) NVwZ 2003, S. 1504; ZBR 2008, S. 173 sub III 1 a; vgl. auch E 80, 109 (120); 82, 106 (117); 84, 82 (87); 110, 1 (13). 108 Vgl. BVerfGE 9, 67 (171). 109 Vgl. §§ 3 ff. des Bundeszentralregistergesetzes i. d. F. v. 21.9.1984 (BGBl. I S. 1229).

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

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nungsgeld“ und „Ordnungshaft“ 110 weiterhin um Sanktionen, die wie eine Strafe auf Repression und Vergeltung für gesetzwidriges Verhalten abzielen, weshalb ein Verschulden des Täters erforderlich ist.111 Deshalb muss der Grundsatz „nulla poena sine lege“ auch „für Verwaltungsunrecht und für zivilgerichtliches Deliktsrecht gelten, allgemein für alle belastenden Regelungen, die an ein nachträglich als rechtswidrig deklariertes Verhalten anknüpfen.“ 112 So schützen Prozessgrundrechte den Bürger auch „vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsmäßiges Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorangegangen ist.“ 113 Daher spricht das Bundesverwaltungsgericht114 vom „Bestrafungszweck der Enteignungen“, die die sowjetische Besatzungsmacht gegen bestimmte Personengruppen durchgeführt hatte. 47

Soweit Sanktionen über einen finanziellen oder sonstigen Nachteil hinaus eine öffentliche Missbilligung und die Feststellung einer defizitären Einstellung zur Rechtsordnung im Rahmen eines Unwerturteils umfassen115 und als ersatzweises Übel gegebenenfalls auch Ansehen und Leumund des Betroffenen beeinträchtigen,116 bedürfen sie wegen der rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätze des Schuldprinzips und der Unschuldsvermutung117 des gerichtlichen Nachweises individueller Schuld. Aus diesem Grunde kann beispielsweise der Versicherer eine Leistungsfreiheit bei Unfallflucht des Versicherungsnehmers dann nicht beanspruchen, wenn ungeklärt ist, ob dieser seine Wartepflicht vorsätzlich verletzt hat. Bei bloßem Verdacht geht es nicht an, diesen „durch Entzug des Versicherungsschutzes zu bestrafen.“ 118 cc) Rentenrechtliche Sanktionen

48

Kommen rentenrechtliche Sanktionen in tatsächlicher Hinsicht einer strafrechtlichen oder strafrechtsähnlichen Ahndung gleich, müssen sie wie diese die 110 Geändert durch Art. 98 Nr. 15 lit. a des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch v. 2.3.1974 (BGBl. I S. 469). 111 BVerfGE 84, 82 (87); 58, 159 (162 f.) m.w. N.; OLG Frankfurt NJW 1977, S. 1204 f.; zu § 890 Abs. 1 ZPO a. F.: BVerfGE 20, 323 (332). 112 So BVerfGE 63, 343 (357). 113 BVerfGE 74, 358 (371); BVerfG (Kammer) NJW 1992, S. 2011; Theo Vogler, in: Strafverfahren im Rechtsstaat, Festschrift für Kleinknecht 1985, S. 437. 114 Urt. v. 3.6.1999, in: Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 428, § 1 Abs. 8 VermG Nr. 4, S. 15. 115 Vgl. BVerfGE 109, 133 (168). 116 Vgl. BVerfGE 43, 101 (105); 27, 18 (33). 117 BVerfGE 19, 342 (348); 22, 254 (265); 25, 327 (331); 38, 105 (115); 53, 152 (162); 74, 358 (369 ff.); 82, 106 (114 f.); 86, 288 (347); 110, 1 (22 f.); 113, 273 (323 f.); BVerfG (Kammer) v. 3.9.2009, NJW 2009, S. 3569. 118 BGHZ 52, 86 (91).

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1. Teil: Entwicklung

rechtsstaatlichen Voraussetzungen, insbesondere das Schulderfordernis beachten.119 Gerade für den Bereich des Ministeriums für Staatssicherheit hat das Bundesverfassungsgericht120 darauf hingewiesen, dass „die Bezugnahme auf die – unbestreitbare – Unterdrückung der Bevölkerung durch das MfS . . . nicht den Nachweis individueller Schuld“ ersetzt. 49

Wird eine Sanktion in Gestalt einer Rentenkürzung, die eine Art „Vermögensstrafe“ 121 des kleinen Mannes darstellt, wegen der „Mitverantwortung“ in einer Organisation und als Zeichen der Missbilligung für ein Fehlverhalten verhängt, so bedarf es hierfür von vornherein des Nachweises individuell schuldhaften Handelns aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips und des MenschenwürdeSatzes. 2. Zur Wertneutralität des Sozialversicherungsrechts

50

Ungeachtet dessen stellt sich das Problem der Vereinbarkeit einer individuellen Rentenkürzung oder Rentenaberkennung mit den Grundsätzen des deutschen Sozialversicherungsrechts, insbesondere des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung. a) Schutzzweck des Rentenversicherungsrechts

51

Entsprechend seinem Schutzzweck, der insbesondere abhängige Arbeitnehmer im Falle elementarer Lebensrisiken sichern soll, ist für das Sozialversicherungsrecht das tatsächliche Erbringen von Arbeit, nicht aber ein wirksames Arbeitsverhältnis ausschlaggebend.122 Daher kommt es entscheidend auf die effektive Arbeitsleistung und nicht auf die Gesetzes- oder Sittenkonformität des Arbeitsvertrages an. Hierfür wurde der Begriff des „abhängigen Beschäftigungsverhältnisses“ geprägt,123 der deutlich macht, dass der Versicherungsschutz für die faktische Arbeitstätigkeit des Arbeitnehmers unabhängig von der Wirksamkeit des Arbeitsverhältnisses oder der Fehlerhaftigkeit der arbeitsrechtlichen Beziehungen eintreten soll. Deshalb besteht das sozialrechtliche Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitsvertrag nichtig ist.124

119 BVerfGE 80, 109 (120); BVerfG (Kammer) NJW 1992, S. 1952 f.; vgl. auch E 20, 323 (331); 82, 106 (117); 84, 82 (87); 110, 1 (13); BVerfG (Kammer) NVwZ 2003, S. 1504; ZBR 2008, S. 173 sub III 1 a. 120 E 93, 213 (246 oben). 121 Vgl. hierzu BVerfGE 105, 135; 117, 71; Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., 1994, S. 45 ff. 122 Vgl. statt aller Igl/Welti, Sozialrecht, 8. Aufl., 2007, § 10 RN 1 ff., S. 52 ff. 123 Vgl. hierzu BSGE 53, 242 (244) m.w. N. 124 Igl/Welti, Sozialrecht, a. a. O., § 10 RN 3.

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

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52

So führt abhängige Schwarzarbeit grundsätzlich zu einem sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis wie auch die Sittenwidrigkeit einer Beschäftigung dem Sozialversicherungsschutz grundsätzlich nicht entgegensteht, es sei denn, dass „dem Vertrag so schwere Rechtsmängel anhaften, dass die Anerkennung quasi-vertraglicher Ansprüche der Grundauffassung der geltenden Rechtsordnung widersprechen würde.“ 125 Für die umstrittene Prostitution hat der Gesetzgeber sogar die Rechtswirksamkeit der entsprechenden Forderung statuiert,126 allerdings nicht, um eine diskriminierte Tätigkeit zu legalisieren, sondern um zu vermeiden, dass „etwaige sittenwidrige Beschäftigungsverhältnisse von vornherein vom Schutz der Sozialversicherung“ ausgenommen werden.127

53

Wegen der Wertneutralität des Sozialversicherungsrechts erleiden selbst strafgerichtlich verurteilte Schwerstkriminelle keine rentenrechtlichen Nachteile. Vielmehr müssen sogar die wegen strafgerichtlicher Verurteilung aus dem Beamtenverhältnis ausgeschiedenen Amtsträger trotz Verlusts ihres Anspruchs auf Dienstbezüge und Versorgung für die Dauer ihres Beamtenverhältnisses in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 8 Abs. 2 SGB VI nachversichert werden. Das gilt beispielsweise für einen Soldaten, der seinen Kameraden vorsätzlich erschießt und der deswegen seine Rechtsstellung verliert.128 Auf diese Weise wird die Sozialversicherung wegen ihres Schutzzwecks zum Auffangbecken auch für Personen, die wegen strafbaren oder unehrenhaften Verhaltens für den Beamtenstand nicht mehr tragbar sind. b) Ausnahmeregelungen

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Von dem Grundsatz der Wertneutralität macht das Sozialversicherungsrecht nur in einigen Fällen eine Ausnahme, die letztlich auf dem Verbot des Rechtsmissbrauchs als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben beruht: Wer von einem Recht zu einem anderen Zweck Gebrauch macht, als wozu es ihm verliehen ist, handelt rechtsmissbräuchlich und rechtswidrig129 und wird bei seiner missbräuchlichen Rechtsausübung von der Rechtsordnung nicht geschützt.130 125 BSGE 87, 53 (60); so wird bei vertraglich geschuldeter Vorführung des Geschlechtsverkehrs auf der Bühne ein faktisches Arbeitsverhältnis verneint, BAG MDR 1976, S. 875. 126 Vgl. Art. 1 § 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten v. 20.12.2001 (BGBl. I S. 3983). 127 Vgl. BT-Drucks. 14/5958, S. 5; BSG NJW 2010, S. 2627 (2629 RN 19). 128 Dieses Beispiel führte der seinerzeitige Präsident der BfA, Kaltenbach, bei der Anhörung von Sachverständigen zur Rentenüberleitung an (Sten. Prot. der 15. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT, 12. WP, 15/145 f.). 129 So Karl August Bettermann, Grenzen der Grundrechte, 2. Auflage, 1975, S. 11; Merten, Immanente Grenzen und verfassungsunmittelbare Schranken, in: ders./Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, § 60, RN 47, 50. 130 BVerfGE 24, 119 (147); 61, 149 (205).

40

55

1. Teil: Entwicklung

Die Ausnahmeregelungen sollen nur verhindern, dass jemand durch strafbare Handlungen Rechte zu Lasten der Sozialversicherung erwirbt, die ihm bei gesetzmäßigem Verhalten nicht zugestanden hätten. So versagt § 105 SGB VI im Falle der Tötung eines Angehörigen den Anspruch auf Rente wegen Todes für diejenigen Personen, die den Tod vorsätzlich herbeigeführt haben. § 103 SGB VI schließt den Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsunfähigkeit, auf Altersrente für Schwerbehinderte oder auf große Witwenrente oder große Witwerrente für diejenigen Personen aus, „die die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt haben“.131 Gemäß § 104 Abs. 1 SGB VI ist eine gänzliche oder teilweise Versagung dieser Renten möglich, „wenn die Berechtigten sich die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung bei einer Handlung zugezogen haben, die nach strafgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist“. In ähnlicher Weise sieht das Krankenversicherungsrecht in § 52 SGB V Leistungsbeschränkungen vor, wenn sich Versicherte „eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen“ haben. Insoweit stimmt das Sozialversicherungsrecht auch mit dem Privatversicherungsrecht überein, das den Versicherer von der Leistungspflicht befreit, „wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt.“ 132 c) Durchbrechung des Systems der Wertneutralität im „Dritten Reich“

56

1936 wurde durch eine Ergänzung der Reichsversicherungsordnung133 die Möglichkeit geschaffen, Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung ruhen zu lassen, „wenn der Berechtigte sich nach dem 30. Januar 1933 in staatsfeindlichem Sinne betätigt“ hatte. Über das Vorliegen der Voraussetzungen entschied der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsarbeitsminister, wobei zur Aufklärung des Sachverhalts eidliche Vernehmungen angeordnet werden konnten.

57

Von der Ruhensvorschrift, die rückwirkend zum 1. Januar 1934 in Kraft trat,134 wurde nach Bonz135 Gebrauch gemacht, wenn Rentenberechtigte wegen „staats131

Vgl. BSG v. 30.6.1997 (8 RKn 21/96), in: Kompass H. 2 1998, S. 83 f. § 81 Abs. 1 des Versicherungsvertragsgesetzes v. 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631); vgl. in diesem Zusammenhang auch Sieg, Versicherungsschutz bei Begehung von Straftaten, SGb. 1992, S. 337 ff. 133 §§ 615a, 1116 Abs. 4 und 1280 Abs. 2 RVO i. d. F. des Art. 3 §§ 8–10 des Gesetzes über die Änderung einiger Vorschriften der Reichsversicherung v. 23.12.1936 (RGBl. I S. 1128). 134 Vgl. § 21 Abs. 2 des Änderungsgesetzes v. 23.12.1936. 135 Geplant aber nicht in Kraft gesetzt: Das Sonderrecht für Juden und Zigeuner in der Sozialversicherung des nationalsozialistischen Deutschland in: ZfS 1992, S. 148 132

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

41

abträglicher“ oder „staatsfeindlicher“ Äußerungen, „heimtückischer Angriffe auf Staat und Partei“, politisch motivierten groben Unfugs, Verächtlichmachung führender Persönlichkeiten, wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, Hoch- oder Landesverrats oder wegen Zugehörigkeit zu den Bibelforschern strafrechtlich verurteilt oder in ein Konzentrationslager eingewiesen worden waren. Eine 1942 entworfene „Verordnung über die Behandlung von Juden und Zigeunern in der Reichsversicherung“ wurde nicht erlassen.136 d) Besatzungsrechtliche Maßnahmen 58

Nach dem Ende des „Dritten Reiches“ war auch das Besatzungsrecht vom Prinzip der Wertfreiheit des Sozialversicherungsrechts abgegangen. Im Rahmen der Entnazifizierung der Gruppe der Hauptschuldigen und der Belasteten konnte als Sühnemaßnahme der Verlust von Rechtsansprüchen auf eine aus öffentlichen Mitteln zu zahlende Pension oder Zuwendung einschließlich der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung verhängt werden.137

59

Dieses Entnazifizierungsrecht war jedoch oktroyiertes Recht der Siegermächte, das durchaus nicht immer rechtstaatlichen Grundsätzen entsprach138 und infolgedessen auch kraft ausdrücklicher Ausnahmeregelung in Art. 139 GG nicht an der Verfassung zu messen ist. e) Wiederherstellung der rentenversicherungsrechtlichen Wertneutralität in der Bundesrepublik Deutschland

60

Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus wurden Personen, die beispielsweise wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Menschlichkeit keine Ansprüche auf Unterbringung im öffentlichen Dienst oder Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen hatten,139 in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 72 G 131 nachversichert. Auf diese Weise (149 f.); vgl. auch v. Miquel, Sozialversicherung in Diktatur und Demokratie in den Regionen Rheinland und Westfalen, in: Kompass H. 5/6 2007, S. 12 f. 136 Hierzu Bonz a. a. O., S. 155 ff. 137 Abschn. II Art. VIII Abs. II lit. d sowie Art. IX Nr. 4 der Direktive des Kontrollrats Nr. 38 v. 12.10.1946 (ABl. des Kontrollrats in Deutschland, S. 62 ff.); ferner Art. 15 Nr. 4 und Art. 16 Nr. 5 des Gesetzes der amerikanischen Militärregierung zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus v. 5.3.1946 (BayGVBl. S. 145). 138 Zur teilweisen Unvereinbarkeit mit grundgesetzlichen Grundrechten vgl. Hermann v. Mangoldt, GG, 1953, Art. 139 Anm. 2, S. 658; Hans Peter Ipsen, VVDStRL 10 (1952), S. 81. 139 Vgl. § 3 Satz 1 Nr. 3a des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen v. 11.5.1951 (BGBl. I S. 307) – G 131.

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1. Teil: Entwicklung

erhielten z. B. Gestapo-Angehörige, denen keine beamtenrechtlichen Ansprüche zustanden,140 Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung. 61

Das Bundesverwaltungsgericht141 hat diese Regelung nicht nur für unbedenklich gehalten, sondern auch darauf verwiesen, dass es nach Sinn und Zweck der Sozialversicherung unerheblich sei, „aus welchem Grunde der Betroffene die Anwartschaft auf Versorgung nach Maßgabe seiner Rechtsstellung verloren hat, ob er moralische oder strafrechtliche Schuld auf sich geladen hat oder nicht“. In diesem Zusammenhang hebt das Gericht ausdrücklich das Prinzip der „wertfreien“ Gestaltung des Sozialversicherungsrechts hervor, das „für die Nachversicherung – systemwidrig . . . – lediglich während der Geltung des Deutschen Beamtengesetzes (vgl. § 141 Abs. 2 DBG) durchbrochen worden war“, und betont die Bedeutung „des von strafrechtlicher oder moralischer Schuld unabhängigen Systems der Sozialversicherung.“ 142 f) Der erfolglose Entwurf einer „lex Tiedge“

62

Anlässlich eines spektakulären Falles hat es auch in der Bundesrepublik Deutschland den Versuch gegeben, bei schweren Straftaten gegen die Bundesrepublik Deutschland und in Fällen, in denen Täter ins Ausland flüchteten, gleichsam anstelle und als Ersatz für strafrechtliche Sanktionen auf die Rente zuzugreifen. Anlass für diese Überlegungen war der Übertritt des Gruppenleiters in der für die Spionageabwehr zuständigen Abteilung IV des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Joachim Tiedge,143 in die DDR im August 1985. Ihm wurde außer Landesverrat zur Last gelegt, dass ein von ihm entlarvter Mitarbeiter westdeutscher Geheimdienste in der DDR-Haft zu Tode kam.144

63

Nach der Flucht Tiedges tauchten Überlegungen auf, Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu versagen, wenn der Berechtigte sich einem Strafverfahren wegen Landesverrats oder einer vergleichbaren Straftat durch einen Aufenthalt außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland entzieht. Als Begründung wurde angeführt, der Solidargemeinschaft sei es in diesen Fällen unzumutbar, „eine Rente zu zahlen und dadurch möglicherweise zur Vereitelung der Bestrafung“ beizutragen – ein Argument, das von vornherein nicht ohne weiteres schlüssig war.145 Da dieser Gesetzentwurf bei den Beratungen im zuständi140

Hierzu BVerfGE 6, 132 (221). E 32, 74 (78 ff.). 142 A. a. O. S. 80. 143 Hierzu im Einzelnen Archiv der Gegenwart 1985, S. 29109 ff. 144 Vgl. Wolfgang Schäuble, Der Vertrag, 1991, S. 270. 145 Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung (Achtes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz – 8. RVÄndG) des Abg. Dr. Miltner und Genossen, BT-Drucks. 11/952 v. 14.10.1987. 141

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

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gen Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung auf einhellige und massive Ablehnung aller Sachverständigen stieß,146 wurde weder ein Ausschussbericht erstellt noch der Entwurf in der folgenden Legislaturperiode erneut eingebracht. Diese Ablehnung zeigt, dass der Gesetzgeber an der „Wertneutralität“ des Sozialversicherungsrechts festhalten wollte.147 g) Keine Straf- oder Wiedergutmachungsfunktion des Sozialversicherungsrechts 64

Die vielfach im Rahmen der Rentenüberleitung vertretene These, man könne den „Opfern“ nicht zumuten, dass die „Täter“ eine höhere Rente als sie erhielten,148 verkennt die Funktion des Sozialversicherungsrechts, vergleicht Unvergleichbares und bedient sich einer strafrechtlichen Terminologie, die als solche suggeriert, dass Täter auch mit Rentenkürzungen oder -aberkennungen „bestraft“ werden dürfen.

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Das Strafrecht hat grundsätzlich nicht die Aufgabe, Opfern zum Ersatz oder zum Ausgleich eines durch die Tat erlittenen Schadens zu verhelfen oder zu verhindern, dass der Täter nach seiner Verurteilung finanziell besser gestellt ist als sein Opfer. „Das Strafrecht heilt keine vom Täter geschlagenen Wunden des Opfers.“ 149 Grundlage für die Strafzumessung ist gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB „die Schuld des Täters“. Die „verschuldeten“ (nicht die bloß verursachten) Auswirkungen der Tat „sowie das Bemühen des Täters, den Schaden wieder gutzumachen“ oder „einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen“ sind gemäß § 46 Abs. 2 StGB lediglich für den Täter sprechende Umstände, die bei der Strafzumessung in die Abwägung einzubringen sind. Gegebenenfalls kann ein Täter-Opfer-Ausgleich oder eine Schadenswiedergutmachung gemäß § 46a StGB zu einer Strafmilderung oder bei einer leichteren Strafe zu einem Absehen von der Bestrafung führen. Im Rahmen einer Strafaussetzung zur Bewährung kann das Gericht dem Verurteilten gemäß § 56b Abs. 2 Nr. 1 StGB auferlegen, den durch die Tat verursachten Schaden nach Kräften wieder gutzumachen. Abgesehen von diesen Sonderregelungen ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des Strafrechts, sondern des Zivilrechts, Opfern eine Wiedergutmachung erlittener Schäden zu verschaffen. Diese zivilrechtlichen Ansprüche können gegebe146 Vgl. Sten. Prot. der 28. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 20.4.1988, Prot.-Nr. 28 (752–2450). 147 So auch Kaltenbach, Sten. Prot. der 15. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT, 12. WP, 15/145 f. 148 s. hiergegen ausdrücklich BVerfGE 111, 115 (144 f.), unten RN 198; s. auch RN 95, 97, 417. 149 Günther Jakobs, Vergangenheitsbewältigung durch Strafrecht?, in: Josef Isensee (Hg.), Vergangenheitsbewältigung durch Recht, 1992, S. 37 ff. (38); ähnlich Steinmeyer, VSSR 1990, S. 83 (100).

44

1. Teil: Entwicklung

nenfalls in einem „Adhäsionsverfahren“ zum Strafverfahren gemäß §§ 403 ff. StPO geltend gemacht werden. Sinn des Strafrechts ist allein die Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs, der auf dem Grundsatz sühnender Vergeltung schuldhaften Verhaltens beruht.150 Als einzige Sanktionen sieht das Strafgesetzbuch – von Nebenstrafen (Fahrverbot) abgesehen – die Freiheitsstrafe und die Geldstrafe vor, da die 1992 in das Strafgesetzbuch eingefügte Vermögensstrafe (§ 43a)151 vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wurde.152 66

Sind aber schon dem Strafrecht eine Wiedergutmachung als Primärziel und eine Rentenkürzung oder gar -aberkennung als Sanktionen unbekannt, so widersprechen sie erst recht dem System des Sozialversicherungsrechts. Dieses knüpft „wertfrei“ 153 nur an die Versicherten-Eigenschaft an, ohne zwischen „Tätern“ und „Opfern“ zu differenzieren. Die Altersrente bemisst sich in ihrer Höhe vor allem nach den während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelten,154 nicht aber nach Gesetzestreue oder Gesetzesfeindschaft des Versicherten, da beispielsweise die infolge strafgerichtlicher Verurteilung aus dem Beamtenverhältnis Ausgeschiedenen auf Grund der Nachversicherung gerade in die Versichertengemeinschaft einbezogen werden.155 h) Zur Bedeutung von Systemwidrigkeiten aa) Systemänderungen

67

Innerhalb eines Sachbereichs kann sich die Legislative auf bestimmte Normprogramme und Sachgesetzlichkeiten festlegen. Um Wertungsbrüche innerhalb einer einheitlichen Rechtsordnung zu vermeiden, müssen sich spätere Regelungen dann an dem fortgeltenden früheren Programm orientieren,156 „muss die einmal getroffene [Belastungs]entscheidung folgerichtig . . . umgesetzt werden.“ 157 150

Vgl. Hellmuth Mayer, Strafrechtsreformen für heute und morgen, 1961, Vorwort; Engisch, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl. 1962, Bd. VI, Sp. 398; Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 1961, S. 207; Eberhard Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, 2. Aufl. 1971, S. 19. 151 Durch Art. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität v. 15.7.1992 (BGBl. I S. 1302). 152 BVerfGE 105, 135 (136). 153 s. oben RN 50 ff., 61. 154 Vgl. Igl/Welti, Sozialrecht, § 34 RN 73. 155 s. oben RN 53. 156 Vgl. Paul Kirchhof, Die Vereinheitlichung der Rechtsordnung durch den Gleichheitssatz, in: Reinhard Mußgnug (Hg.), Rechtsentwicklung unter dem Grundgesetz 1990, S. 49; Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 52 ff. 157 BVerfGE 122, 210 (231); 123, 111 (120 f.); 124, 282 (295); 126, 268 (278); ebenso E 117, 1 (31); 116, 164 (180); 107, 27 (47); 105, 73 (126); 101, 151 (155); 101, 132 (138); 99, 280 (290); 99, 88 (95); 93, 121 (136); 84, 239 (271); 23, 242 (256); vgl.

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

45

Der Gesetzgeber ist gehalten, „einen Grundgedanken (Leitidee, Prinzip), der für die rechtliche Normierung eines bestimmten Lebensbereichs leitend ist, folgerichtig und gleichmäßig durchzuführen.“ 158 68

Die Systemgerechtigkeit verbietet willkürliche Inkonsequenz und Prinzipiendurchbrechung. Will der Gesetzgeber die Fortführung eines Systems nicht, muss er es revidieren, was möglich ist, da die Legislative nicht gehalten ist, ein einmal gewähltes System für immer beizubehalten und eine Neubewertung auch unter geänderten Umständen zu unterlassen.159

69

Allerdings muss bei der Systemänderung ein „neues Regelwerk“ geschaffen werden und darf die Legislative nicht „jedwede Ausnahmeregelung als (Anfang einer) Neukonzeption deklarieren.“ 160 Darüber hinaus kann das Rechtsvertrauen der Bevölkerung Schaden nehmen, wenn in einem „Regelungsbereich von . . . existentieller Bedeutung das normative Konzept mehrfach wechselt.“ 161 bb) Systemdurchbrechungen

70

Von einer Systemänderung sind Systemdurchbrechungen zu unterscheiden, die das System als solches unangetastet lassen, ihm aber für einen Fall bzw. für bestimmte Sachverhalte nicht folgen. Systemdurchbrechungen führen zwar nicht ohne Weiteres zur Verfassungswidrigkeit wegen Art. 3 Abs. 1 GG, können jedoch Indiz für eine willkürliche und gleichheitswidrige Regelung sein, wenn in der Abweichung keine vernünftigen Kriterien zum Ausdruck kommen oder sie sachlich nicht gerechtfertigt ist.162 in diesem Zusammenhang auch Anna Leisner, Kontinuität als Rechtsprinzip, 2002, S. 165 ff.; Kyrill-A. Schwarz, Folgerichtigkeit im Steuerrecht. Zugleich eine Analyse der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 1 GG, in: Otto Depenheuer u. a. (Hg.), Staat im Wort, FS für Isensee, 2007, S. 949 ff.; Bumke, Die Pflicht zur konsistenten Gesetzgebung, in: Der Staat 49 (2010), S. 77 ff.; Mehrdad Payandeh, Das Gebot der Folgerichtigkeit: Rationalitätsgewinn oder Irrweg der Grundrechtsdogmatik?, in: AöR 136 (2011), S. 578 ff.; Cornils, Rationalitätsanforderungen an die parlamentarische Rechtsetzung im demokratischen Rechtsstaat, DVBl. 2011, S. 1053 (1054, 1056 ff.). 158 Papier, in: v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, 4. Aufl. 2008, § 3 RN 94. 159 Hierzu BVerfGE 60, 16 (43); vgl. auch E 122, 210 (242); 85, 238 (247); 24, 174 (181); 18, 315 (334). 160 BVerfGE 122, 210 (242). 161 BVerfGE 86, 390 (396 unten). 162 Vgl. BVerfGE 122, 1 (36); 118, 1 (28); 104, 74 (87); 97, 271 (291); 86, 237 (253); 85, 238 (247); 81, 156 (207); 67, 70 (84 f.); 66, 214 (223 f.); 61, 138 (148); 60, 16 (43); 59, 36 (49); 55, 72 (88 sub II 1); 34, 103 (115); 24, 75 (100); 18, 315 (334); 18, 366 (372); 13, 331 (340); 9, 20 (28); s. ferner Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976; Ulrich Battis, Systemgerechtigkeit in: Hamburg–Deutschland–Europa, Festschrift für Hans Peter Ipsen, 1977, S. 11 ff.; Franz-Josef Peine, Systemgerechtigkeit, Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, 1985; Peter Lerche, „Systemverschie-

46

1. Teil: Entwicklung

71

Die Abweichungen vom System ohne grundsätzliche Systemänderung bedürfen „eines besonderen sachlichen Grundes.“ 163 Sie sind mit Art. 3 GG nur dann vereinbar, wenn sie „sachlich hinreichend gerechtfertigt“ sind,164 wenn eine im System „angelegte Sachgesetzlichkeit“ nicht „ohne ausreichenden Grund“ verlassen wird165 bzw. wenn hierfür „plausible Gründe“ sprechen.166 Eine hinreichende sachliche Rechtfertigung für die Abweichung ist insbesondere zu bejahen, „wenn das Gewicht der für die Abweichung sprechenden Gründe der Intensität der getroffenen Ausnahmeregelung entspricht“;167 andernfalls ist eine Systemwidrigkeit als Verletzung des Gleichheitssatzes zu beanstanden.168

72

Für die Zulässigkeit einer Systemdurchbrechung im Falle der Versorgungsüberleitung spricht der Umstand, dass es sich bei Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit um schwerwiegende Straftaten handeln kann, die auch erhebliche Sanktionen, wie z. B. die Rücknahme der Zulassung als Rechtsanwalt, rechtfertigen können.169 Andererseits stellen sich Rentenkürzungen oder gar -aberkennungen, insbesondere wenn sie im höheren Lebensalter ergehen, als schwerwiegende Eingriffe in die Lebensgrundlage des Einzelnen dar, die ihn gegebenenfalls auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe verweisen können. Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG ist in Betracht zu ziehen, dass derartige Sanktionen vom Strafrecht oder vom Sozialversicherungsrecht auch für die Ahndung schwerster Verbrechen, z. B. Massentötungen aufgrund terroristischer Anschläge oder Gefährdungen der äußeren Sicherheit des Staates, nicht vorgesehen sind. Dennoch scheidet ein Gleichheitsverstoß aus, weil die inkriminierten Handlungen nicht von Sozialpflichtversicherten, sondern von Personen schuldhaft begangen wurden, die sich in einem beamtenähnlichen Status befanden.170

bung“ und verwandte verfassungsgerichtliche Argumentationsformeln, in: Festschrift für Wolfgang Zeidler, Bd. I, 1987, S. 557 ff.; Michael Holoubek, Die Sachlichkeitsprüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes, ÖZW 1991, S. 72 ff. (74 r. Sp.); Anna LeisnerEgensperger, Selbstbindung des Gesetzgebers, ThürVBl. 2004, S. 25 (28 sub IV 3 c). 163 BVerfGE 126, 268 (278); 122, 210 (231); 117, 1 (31); 116, 164 (180 f.); 107, 27 (47); 105, 73 (126). 164 BVerfGE 122, 1 (36); 118, 1 (28); 104, 74 (87). 165 BVerwG v. 12.11.2009, ZBR 2010, S. 381 (382 RN 11) unter Hinweis auf BVerfGE 85, 238 (247). 166 Vgl. BVerfGE 81, 156 (207). 167 So BVerfGE 18, 366 (372 f.); ähnlich E 13, 331 (340); 15, 309 (318); 20, 374 (377); 59, 36 (49). 168 BVerfGE 55, 72 (88); 34, 103 (115 m.w. N.). 169 Vgl. § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter v. 24.7.1992 (BGBl. I S. 1386); hierzu BVerfGE 93, 213 (235 ff.). 170 s. hierzu oben RN 11.

3. Kap.: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit

47

73

Bei gleicher Konstellation wären die Betroffenen auch nach dem Beamtenrecht der Bundesrepublik Deutschland ihrer beamtenrechtlichen Versorgung (allerdings mit der Folge einer Nachversicherung) verlustig gegangen. Aus demselben Grunde war in den Einigungsvertrag171 die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung für aus dem öffentlichen Dienst der DDR übernommene Arbeitnehmer aufgenommen worden, wenn diese „gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen“ hatten und ein Festhalten am Arbeitsverhältnis deshalb unzumutbar erschien.172

74

In ähnlicher Weise hatte § 3 Nr. 3a G 131173 vorgesehen, dass Rechte nach Kapitel I dieses Gesetzes denjenigen Personen nicht zukamen, „die durch ihr Verhalten während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben“, wobei allerdings auch in diesem Falle die Betroffenen nachzuversichern waren.174

75

Da die Regelungen des Einigungsvertrages über die Kürzung oder Aberkennung von Renten bei schuldhaften Verstößen gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit letztlich an den beamtenähnlichen Status der Betroffenen anknüpfen und die Überleitung in das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung sich nur als Versorgungsabwicklung darstellt, ist im Ergebnis eine gegen den Gleichheitssatz verstoßende Systemdurchbrechung zu verneinen, weshalb auch das Bundesverfassungsgericht175 die entsprechende Regelung im Einigungsvertrag als „verfassungsrechtlich unbedenkliche[n] Möglichkeit“ bezeichnet hat. Von ihr hat jedoch der Rentengesetzgeber in auffallender Weise keinen Gebrauch gemacht,176 offenbar weil hier im Einzelfall ein Schuldnachweis erforderlich gewesen wäre.177

76

Stattdessen hat er sich pauschal der Vergangenheitsbelastung des MfS bedient, die jedoch nach ausdrücklicher Feststellung des Bundesverfassungsgerichts „nicht den Nachweis individueller Schuld“ ersetzt.178

171

Anlage I Kap. XIX Sachg. A Abschn. III Ziff. 1 Abs. 5 Nr. 1. Vgl. hierzu auch BVerfGE 92, 140 (154). 173 Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen v. 11.5.1951 (BGBl. I S. 307) i. d. F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes v. 11.9.1957 (BGBl. I S. 1275). 174 Vgl. oben RN 60 f. 175 E 104, 126 (148). 176 Vgl. auch BVerfGE 104, 126 (148 sub C I 1 c); 100, 138 (176). 177 Vgl. auch die unzureichende Regelung in Art. 4 RÜG (Versorgungsruhensgesetz), hierzu unten RN 89 ff. 178 BVerfGE 93, 213 (246 oben); vgl. auch oben RN 48. 172

48

1. Teil: Entwicklung

Viertes Kapitel

Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland A. Gesetzliche Regelungen I. Das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG – vom 25. Juli 1991 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 18. Dezember 1991 1. Grundzüge a) Überführung in die Rentenversicherung 77

In Ausführung des Staatsvertrags (Art. 20 Abs. 2) und des Einigungsvertrags (Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H. Abschn. III Nr. 9 lit. b) enthält das Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz – RÜG –)179 in seinem Artikel 3 das „Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG)“. Dieses Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz wurde bereits weniger als fünf Monate später durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des RentenÜberleitungsgesetzes (RÜG-ÄndG) vom 18. Dezember 1991180 geändert. Das AAÜG regelt ausweislich seines § 1 Abs. 1 die „Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet (§ 18 Abs. 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch) erworben worden sind“. Dabei sind die Zusatzversorgungssysteme in Anlage 1 Nr. 1 bis 27, die Sonderversorgungssysteme in Anlage 2 Nr. 1 bis 4 AAÜG aufgeführt (vgl. auch § 1 Abs. 2 und 3 AAÜG). Als einen der „Grundsätze der Überführung“ statuiert § 2 Abs. 2 Satz 1 AAÜG, dass „die in Versorgungssystemen . . . erworbenen Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Alters und Todes . . . zum 31. Dezember 1991 in die Rentenversicherung überführt“ werden. b) Ersetzung der „Beitragsleistung“ durch das „Arbeitsentgelt“ zur Einführung der Beitragsbemessungsgrenze

78

Die Höhe der Rente aus den Versorgungssystemen soll sich nach der Überführung grundsätzlich nach der Dauer der Erwerbstätigkeit und dem tatsächlich 179 180

Vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606). BGBl. I S. 2207.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

49

erzielten Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bestimmen. Damit ist der Gesetzgeber wegen der unterschiedlichen Beitragsbemessungsgrundlagen und Beitragssätze sowie wegen teilweise fehlender Beitragspflicht von den Vorgaben des Einigungsvertrages abgegangen und hat für die Rentenberechnung statt der individuellen Beitragsleistung, wie im Einigungsvertrag vorgesehen,181 das individuelle Arbeitsentgelt zugrunde gelegt. Als Begründung182 wurde angegeben, dass damit der vorrangigen Zielsetzung des Einigungsvertrages, nämlich der Anpassung der Versorgungsleistungen an die allgemeinen Regeln der Sozialversicherung Rechnung getragen werden solle. 79

Die Auswechselung eines der wesentlichen Rentenberechnungsfaktoren hat es allerdings erleichtert, die im westdeutschen Rentenversicherungsrecht maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze nachträglich für die überzuleitenden Versorgungsansprüche und -anwartschaften einzuführen. Hätte man es bei der im Einigungsvertrag vorgesehenen „Berücksichtigung der jeweiligen Beitragszahlungen“ gelassen, wäre deutlich geworden, dass die – im Bereich der Sonderversorgungssysteme – von den Mitgliedern und den Trägern der Versorgungssysteme entrichteten Beiträge nicht in dem effektiv geleisteten Umfang, sondern nur bis zu einem bestimmten Prozentsatz bei der Rentenüberleitung berücksichtigt werden. Das ist für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland konsequent: Da die Beiträge, „die für die staatlich vorgeschriebene Vorsorgeform erbracht werden müssen, nach oben begrenzt [sind], . . . erhält [der Rentenberechtigte] allerdings auch nur eine dem beitragspflichtigen Einkommen entsprechende Gegenleistung aus der Rentenversicherung.“ 183 Durch die Beitragsbemessungsgrenze werden also sowohl Beitragspflicht als auch Leistungspflicht ab einer bestimmten Höhe des Arbeitsentgelts gekappt. Die nachträgliche Einführung der Beitragsbemessungsgrenze auf die überzuleitenden Versorgungsansprüche und -anwartschaften führt jedoch dazu, dass den in der DDR für das Arbeitseinkommen in voller Höhe entrichteten Beiträgen infolge der rückwirkenden Einführung der Beitragsbemessungsgrenze keine äquivalenten Gegenleistungen gegenüberstehen.

80

Die Relevanz der in den alten Bundesländern geltenden Beitragsbemessungsgrenze für Ansprüche und Anwartschaften aus dem Beitrittsgebiet wurde gesetzestechnisch dadurch erreicht, dass der für § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG maßgebliche und in Anl. 3 AAÜG aufgeführte Jahreshöchstverdienst so bemessen wurde, dass sich nach Umrechnung der Höchstbeträge aufgrund der Faktoren der Anl. 10

181

Vgl. Anl. II Sachg. H. Abschn. III Nr. 9 lit. b Satz 3 Nr. 1. Vgl. Amtliche Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drucks. 197/91 v. 11.4.1991, S. 113; s. auch Mutz/Stephan, DAngVers. 1992, S. 281 f. 183 So BVerfGE 29, 221 (236 f.). 182

50

1. Teil: Entwicklung

SGB VI, die durch Art. 1 Nr. 146 RÜG eingeführt wurden, die (westdeutsche) Beitragsbemessungsgrenze ergibt.184 81

Dabei war die rigorose Oktroyierung der Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenüberleitung keineswegs unerlässlich, wie die Amtliche Begründung suggeriert. In dem vergleichbaren Fall der Rückgliederung des Saarlandes in das Bundesgebiet wurde der Sondersituation durch eine Privilegierung „saarländischer Beiträge“ Rechnung getragen. Wurden im Jahre 1956 im Bundesgebiet (ohne das Saarland) in der Angestelltenrentenversicherung mit den Höchstbeiträgen der Beitragsklasse XI nur 170,28 Werteinheiten (jetzt 1,7028 Entgeltpunkte) gutgeschrieben, so waren es im Saarland mit den Höchstbeiträgen der Beitragsklasse M (12) 297,84 Werteinheiten (jetzt 2,9784 Entgeltpunkte).185

82

Im Hinblick auf diese für das Saarland in Kauf genommene bewusste Systemabweichung hätte eine Ausnahmeregelung auch für die DDR nahe gelegen, zumal die Beitragsbemessungsgrenze in ihrer Höhe weder verfassungsrechtlich vorgegeben noch rentenversicherungsrechtlich ein System-Tabu ist.

83

Für die Sonderversorgungssysteme kommt hinzu, dass es sich bei diesen um eine beamtenähnliche Versorgung handelte,186 die nach der Wiedervereinigung über die gesetzliche Rentenversicherung abgewickelt werden sollte. Diese gesetzliche Rentenversicherung wirkt jedoch nur als eine Mindestsicherung oder TeilAltersversorgung,187 da sie in dem Drei-Säulen-Konzept188 nur eine der drei Sicherungssäulen darstellt. Hierbei garantiert die Beitragsbemessungsgrenze, dass von ihr an „der Verdienst von staatlicher Vorsorgeplanung frei“ bleibt189 und damit dem Einzelnen ein selbstverantwortlicher Entfaltungsspielraum garantiert bleibt. Demgegenüber sind Beamtenversorgungen und beamtenähnliche Systeme als Vollversorgung ausgestaltet, wobei der Gesetzgeber die von Verfassungs wegen gewährleistete „Versorgung aus dem letzten Amt“ zu beachten hat.190 2. Bereichs- und funktionsspezifische Ausnahmen

84

Von dem in § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG geregelten Grundsatz der Überführung der Versorgungssysteme in die Rentenversicherung machte das Gesetz zahlreiche Ausnahmen. Diese waren teils bereichsspezifischer Art (z. B. für das Ministerium 184

Hierzu auch Reimann, DAngVers. 1991, S. 288 sub 4.4.2. Vgl. SGB VI Anl. 3 Nr. 2 und Anl. 7 Nr. 2, abgedruckt in: Friedrich Aichberger, Rentenversicherung, Textausgabe, Loseblattwerk – in den jeweiligen Anlagen werden Monatsbeträge ausgewiesen, die auf Jahresbeträge umzurechnen sind. 186 Vgl. oben RN 11. 187 Vgl. Bertram Schulin, Sozialrecht, 5. Aufl., 1993, RN 486, 429; ähnlich Igl/Welti, Sozialrecht, 8. Aufl., 2007, § 29 RN 3 f., § 33 RN 6. 188 Hierzu auch BVerfGE 65, 196 (212 f.); 97, 271 (294). 189 BVerfGE 29, 221 (237). 190 Vgl. BVerfGE 117, 372 (379 ff.); 61, 43 (49 ff.). 185

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

51

für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit), teils funktionsspezifischer Art (z. B. für Betriebsdirektoren, Fachdirektoren). Da zudem Ausnahmen von den Ausnahmevorschriften gemacht wurden (z. B. § 6 Abs. 4 AAÜG i.V. m. Anl. 7) entstand insgesamt ein schwer durchschaubares Normengeflecht von Sonderregelungen. a) „Staatsnahe“ Versorgungssysteme aa) § 6 Abs. 2 AAÜG 85

Eine bereichsspezifische Sonderregelung traf § 6 Abs. 2 AAÜG für sogenannte staatsnahe Versorgungssysteme, die in Anl. 1 Nr. 19 bis 22 und Anl. 2 Nr. 1 bis 3 aufgeführt werden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Zusatzversorgungssysteme für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates (Nr. 19), für hauptamtliche Mitarbeiter der Gesellschaft für Sport und Technik (Nr. 20), für hauptamtliche Mitarbeiter gesellschaftlicher Organisationen, für hauptamtliche Mitarbeiter der Nationalen Front (Nr. 21) sowie für hauptamtliche Mitarbeiter der Gewerkschaft FDGB (Nr. 22) und für die Sonderversorgungssysteme der Angehörigen der Nationalen Volksarmee (Nr. 1), der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei, der Organe der Feuerwehr und des Strafvollzugs (Nr. 2) sowie der Angehörigen der Zollverwaltung der DDR (Nr. 3). Für die Angehörigen dieser Versorgungssysteme wurde den Pflichtbeitragszeiten das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nur dann zugrunde gelegt, so fern und so lange sie während dieser Zeiten keine „leitende Funktion oder eine Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt oder in einer Berufungs- oder Wahlfunktion im Staatsapparat“ ausübten. Dabei galt kraft unwiderlegbarer Vermutung191 des § 6 Abs. 2 Satz 3 AAÜG eine Funktion dann als leitend, „wenn in ihr ein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen über dem jeweiligen Betrag der Anlage 4 bezogen wurde“, d.h. wenn es mehr als das 1,4-fache des Durchschnittsentgelts (Anl. 5 AAÜG) betrug. Für die in § 6 Abs. 2 AAÜG genannten Funktionsträger war gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 AAÜG das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 5, also bis zum Durchschnittsentgelt zugrunde zu legen. bb) § 6 Abs. 3 AAÜG

86

Für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach Anl. 1 Nr. 2 und 3 AAÜG (für Generaldirektoren der zentralgeleiteten Kombinate und ihnen gleichgestellte Leiter zentralgeleiteter Wirtschaftsorganisationen sowie für verdienstvolle Vorsitzende von Produktionsgenossenschaften und Leiter kooperativer Einrichtungen der Landwirtschaft) wurde das erzielte Arbeitsentgelt oder 191

Hierzu Hans Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, RN 366.

52

1. Teil: Entwicklung

Arbeitseinkommen höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 5, also bis zum Durchschnittsentgelt berücksichtigt. Ferner traf § 6 Abs. 3 AAÜG Ausnahmeregelungen für Tätigkeiten, die unabhängig vom Versorgungssystem allein nach funktionsspezifischen Merkmalen abgegrenzt waren, also gleichsam „staatsnahe“ Tätigkeiten betrafen. Diese Funktionen waren im Einzelnen in § 6 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 bis 7 AAÜG umrissen und reichten vom Betriebsdirektor über den hauptamtlichen Parteisekretär bis zum Professor oder Dozenten in einer Bildungseinrichtung einer Partei oder der Gewerkschaft FDGB. Auch für die Pflichtbeitragszeiten dieser Funktionsträger wurde nur das jeweilige Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zum Durchschnittsentgelt (Anl. 5) berücksichtigt. cc) Ausnahmen von Ausnahmen 87

Die Ausnahmeregelungen des § 6 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 und 2 AAÜG wurden für bestimmte Personengruppen, die in Anlage 6 des Gesetzes im Einzelnen aufgeführt waren, nicht angewandt. Demzufolge wurden beispielsweise für Angehörige der Berufsfeuerwehr auch für Zeiten ihrer Zugehörigkeit zu dem Sonderversorgungssystem nach Anlage 2 Nr. 2 (Sonderversorgung der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei, der Organe der Feuerwehr und des Strafvollzugs) den Pflichtbeitragszeiten das jeweils erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen angerechnet. b) Versorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit/ Amtes für Nationale Sicherheit

88

Am stärksten wurde das zu berücksichtigende Entgelt im Falle einer Zugehörigkeit zu dem Versorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit beschränkt. In diesem Fall wurde das maßgebende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 6 zugrunde gelegt, also nur bis zu 70 v. H. des Durchschnittsentgelts berücksichtigt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG). Zudem bestimmte § 7 Abs. 1 Satz 3 AAÜG (in der Fassung des Art. 1 RÜG-ÄndG), dass die rentenversicherungsrechtlichen Vorschriften über Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt nicht anzuwenden waren. Das hatte zur Folge, dass die Betroffenen nicht in den Genuss einer rentenrechtlichen Höherbewertung im Rahmen der Rente nach Mindesteinkommen kamen.192 Ursprünglich war in dem Gesetzentwurf sogar eine Höchstbegrenzung auf 65 v. H. des Durchschnittsverdienstes vorgesehen.193 192 Vgl. auch BVerfGE 100, 138 (151, 175, 181); auch Reimann, DAngVers. 1991, S. 289, r. Sp. 193 Vgl. § 7 i.V. m. Art. 4 des Gesetzentwurfs eines Renten-Überleitungsgesetzes v. 11.4.1991, BR-Drucks. 197/91 v. 11.4.1991, sowie die Amtliche Begründung zu § 7 a. a. O., S. 147.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

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3. Das Versorgungsruhensgesetz 89

Art. 4 des Renten-Überleitungsgesetzes enthält das „Gesetz über das Ruhen von Ansprüchen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen (Versorgungsruhensgesetz)“, das unter bestimmten Voraussetzungen als individuelle Maßnahme das Ruhen von Rentenleistungen vorsieht. Im Gegensatz zur Gesetzesüberschrift beschränken sich die Regelungen jedoch nicht auf Ansprüche aus Versorgungssystemen, da sie gemäß § 1 auch die Ansprüche auf Ehrenpensionen und -renten sowie auf Leistungen nach dem Rentenrecht erfassen und gemäß § 1 Abs. 3 auch ein Anspruch aus der Rentenversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung des Beitrittsgebietes aus Versicherungszeiten zwischen dem 7. Oktober 1949 und dem 30. Juni 1990 zum Ruhen gebracht werden kann. Gemäß § 1 können Leistungen zum Ruhen gebracht werden, wenn gegen den Berechtigten ein Strafverfahren wegen einer als Träger eines Staatsamtes oder Inhaber einer politischen oder gesellschaftlichen Funktion begangenen Straftat gegen das Leben oder einer anderen schwerwiegenden Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit betrieben wird und der Berechtigte sich dem Strafverfahren durch Aufenthalt im Ausland entzieht.

90

Bezieht sich die jetzige Fassung des Art. 4 RÜG nur auf Fälle, in denen sich der Betroffene einem Strafverfahren durch Aufenthalt im Ausland entzieht, so war ursprünglich in dem als „Gesetz zur Kürzung und Aberkennung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen (Versorgungskürzungsgesetz)“ bezeichneten Art. 4 RÜG eine Versorgungskürzung oder -aberkennung vorgesehen, wenn der Berechtigte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hatte.194 Damit hatte sich der Gesetzesentwurf auf eine Vereinbarung im Einigungsvertrag195 bezogen, wonach Renten bei ihrer Anpassung gekürzt oder aberkannt werden sollten, „wenn der Berechtigte oder die Person, von der sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat“. Letzterer Passus hat sich schon in § 27 des Rentenangleichungsgesetzes der DDR gefunden,196 wonach „Ansprüche und Anwartschaften aus zusätzlichen Versorgungssystemen . . . gekürzt werden“ konnten, „wenn der Berechtigte in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat“.

194 Art. 4 Abs. 1 RÜG in der Fassung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BRDrucks. 197/91. 195 Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Satz 3 Nr. 2. 196 s. oben RN 36.

54

91

1. Teil: Entwicklung

Der Entwurf des Art. 4 RÜG war wegen der Unbestimmtheit seiner Begriffe und des offenen Sanktionsrahmens, der zwischen geringfügiger Kürzung und völliger Aberkennung der Versorgung schwankte, rechtsstaatlich in hohem Maße bedenklich. Aufgrund erheblicher Einwände von Sachverständigen, die der zuständige Bundestagsausschuss angehört hatte,197 wurde er eingehend überarbeitet und beruht nunmehr in seiner wesentlich abgeschwächten Fassung im wesentlichen auf einem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP.198 4. Entstehungsgeschichte

92

Wie sehr die jeweilige „Systemnähe“ oder „Systemferne“ der Versorgungsberechtigten für die Frage einer Rentenkürzung entscheidend war, macht die Entstehungsgeschichte deutlich. a) Amtliche Begründung und parlamentarische Beratungen des AAÜG aa) Amtliche Begründung

93

Schon die Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung hält „die Beibehaltung der Besitzschutzregelung des Einigungsvertrags mit der Folge der Weiterzahlung und Neubewilligung von Leistungen bis zum mehrfachen der Höchstrente aus der Rentenversicherung vor allem auch bei Personen, die unter den politischen Rahmenbedingungen der ehemaligen DDR in hohe und höchste Funktionen aufsteigen konnten“, für „völlig unvertretbar“.199 bb) Erste Lesung

94

Bei der Ersten Beratung des Entwurfs eines Renten-Überleitungsgesetzes im Deutschen Bundestag200 begründete der zuständige Bundesminister Dr. Blüm die Notwendigkeit, „Stasi-Renten zu kürzen“, mit dem „Gefühl und dem Bewußtsein der sozialen Gerechtigkeit“, weil andernfalls „die Gequälten möglicherweise niedrigere Renten erhalten [würden] als die Quäler.“ 201 cc) Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung

95

Auch in den Beratungen des zuständigen Ausschusses spielte die These eine Rolle, man könne den „Opfern“ nicht zumuten, dass die „Täter“ eine höhere 197 15. Sitzung vom 16. und 17.5. sowie 17. Sitzung v. 5.6.1991 des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss). 198 Vom 20.6.1991, BT-Drucks. 12/829. 199 BR-Drucks. 197/91 v. 11.4.1991, S. 113. 200 BT, 24. Sitzung v. 26.4.1991, Plenarprotokoll 12/24, S. 1607 ff. 201 Plenarprotokoll 12/24, S. 1629 B.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

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Rente als sie erhielten. So nannte der Abgeordnete Konrad Gilges (SPD) als Gründe für die Kappung oder Einschränkung von Zusatz- und Sonderrenten der DDR das Argument, dass diejenigen, „die die Menschen dort bespitzelt haben, . . . gegenüber ihren Verfolgten besser gestellt“ werden würden.202 Die Abgeordnete Dr. Gisela Babel (FDP) wies darauf hin, Regelungsmotiv sei, „dass das System nach unserem Gerechtigkeitsgefühl zu unangemessen hohen Altersversorgungen geführt hat im Vergleich zu den Opfern, bei denen es zu besonders niedrigen Renten geführt hat bzw. führen wird.“ 203 96

Insgesamt zeigt der Bericht des zuständigen Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, dass das Problem der Wertfreiheit des Sozialversicherungsrechts einerseits und eine Vermischung von Strafrecht und Sozialrecht andererseits in den Gesetzesberatungen eine bedeutsame Rolle gespielt hat, wobei mitunter zwischen den Zeilen zu lesen ist. So heißt es in dem Bericht, dass ein über das Durchschnittsentgelt hinausgehendes Einkommen „dann ganz oder teilweise berücksichtigt werden könne, wenn die betreffende Personengruppe im Vergleich zu anderen Personengruppen durch ihre Beschäftigung oder Tätigkeit keinen erheblichen Beitrag zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR geleistet und auch keine systemfördernde Funktion innegehabt hätte.“ 204 Ferner weist der Bericht darauf hin, dass die Mitglieder der Fraktion der SPD wesentliche Teile des Art. 3 RÜG als „rechtsstaatlich bedenklich“ kritisiert hätten, weil „Pauschaleingriffe, die ohne Berücksichtigung individueller Umstände“ erfolgten, aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht hinnehmbar und auch nicht zu rechtfertigen seien, um „die Folgen des SED-Unrechtsstaates im Versorgungsrecht zu korrigieren“. Vor allem vermerkt der Bericht, dass die Abgeordneten der SPD-Fraktion „vor einer Vermischung von Strafrecht und Sozialrecht“ gewarnt und darauf verwiesen hätten, „dass es in der Geschichte der deutschen Sozialpolitik – von der NS-Zeit abgesehen – noch niemals den Versuch gegeben habe, die Kürzung von Altersversorgungsleistungen zu strafrechtlichen Zwecken zu instrumentalisieren.“ 205 dd) Zweite und dritte Lesung

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Viele dieser Argumente tauchen auch in der zweiten und dritten Beratung des Entwurfs des Renten-Überleitungsgesetzes auf. So räumte der Abgeordnete 202 15. Sitzung des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 17.5.1991, Sten. Prot. 15/192. 203 15. Sitzung des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 17.5.1991, Sten. Prot. 15/220. 204 Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) v. 20.6. 1991, BT-Drucks. 12/826, S. 11 l. Sp. 205 Bericht, a. a. O., S. 11 r. Sp.

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1. Teil: Entwicklung

Kronberg (CDU/CSU) „eine gewisse Verquickung von Straf- und Sozialrecht“ ein.206 Der Abgeordnete Schreiner (SPD) führte aus, man habe sich zwischen zwei Polen bewegt: Der eine Pol lasse sich mit dem Satz umschreiben: „Die Täter dürfen nicht besser dastehen als die Opfer“. Der andere Pol lasse sich mit dem Satz charakterisieren: „Strafende Elemente haben nach bester deutscher Tradition im Sozialrecht nichts zu suchen.“ 207 Der Abgeordnete Hörsken (CDU/CSU) wandte sich gegen „Prämien für Stasi-Leute und SED-Herrscher“; es dürfe nicht sein, „daß Führungskader der ehemaligen DDR überhöhte Renten erhalten. Privilegien für diese Gruppe werden abgelehnt.“ 208 b) Bedeutung der genetischen Interpretation 98

Die Entstehungsgeschichte einer Vorschrift ist als genetische Interpretation anerkannte Methode der Gesetzesauslegung, auch wenn es innerhalb der verschiedenen Methoden der Auslegung keine feste Rangfolge gibt und auch nicht geben kann.209 Die Bedeutung der Gesetzesmaterialien hängt auch von ihrem Zeitpunkt sowie davon ab, ob es sich um eine neuartige Gesetzesmaterie oder eine solche mit längerer Tradition handelt, ob eine gefestigte Rechtsprechung und/oder eine vorherrschende Literaturmeinung vorliegen.

99

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen zur Grundgesetz-Interpretation darauf hingewiesen, dass der Gesetzesgeschichte „ausschlaggebende Bedeutung in der Regel nicht zukommen“ könne.210 Andererseits hat das Gericht bis in die neueste Zeit bei der Norminterpretation auch und mitunter maßgeblich die Entstehungsgeschichte herangezogen.211 Auch wenn die Gesetzesmaterialien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts212 nicht dazu verleiten dürfen, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen und ihrer Mitglieder dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen, so ist die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte nach Rechtsprechung und Rechtslehre „jedenfalls bei neueren Gesetzen“ unbedenklich, für deren Auslegung sich feste Grundsätze noch nicht haben bilden können.213 Zwar kann die Meinung einzelner Mitglieder der Gesetzgebungsorgane als solche für die Aus206

BT 35. Sitzung vom 21.6.1991, Plenarprotokoll 12/35, S. 2960 (A). BT a. a. O., Plenarprotokoll 12/35, S. 2961 (A). 208 BT a. a. O., Plenarprotokoll 12/35, S. 2947 (A). 209 Hierzu Ossenbühl, Grundsätze der Grundrechtsinterpretation, in: Merten/Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. I, 2004, § 15 RN 7 f. 210 E 6, 389 (431); vgl. ferner E 41, 291 (309); 45, 187 (227); 62, 1 (45); 111, 54 (91). 211 Vgl. BVerfGE 1, 117 (127, 134 f.); 8, 274 (307); 9, 89 (103); 23, 62 (73); 55, 207 (226 f.); 56, 110 (124); 79. 1 (21); 80, 1 (20); 82, 286 (300); 103, 332 (389); 109, 190 (212); 111, 191 (223); 123, 39 (78); 123, 148 (181); 123, 267 (393). 212 E 11, 126 (13); 13, 261 (268); 54, 277 (298 f.); 62, 1 (45). 213 Vgl. BVerfGE 1, 117 (127); 62, 1 (45). 207

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

57

legung einer Norm nicht ausschlaggebend sein,214 zumal die „subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt“ nicht gleichgesetzt werden dürfen.215 Allerdings kann der Wille der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten bei der Interpretation berücksichtigt werden, insoweit er auch „im Text Niederschlag gefunden hat.“ 216 5. Zusammenschau von Entstehungsgeschichte und Wortlaut 100

Betrachtet man Entstehungsgeschichte und Gesetzeswortlaut im Zusammenhang, so zeigt sich, dass sich Anhaltspunkte für eine strafähnliche Sanktion des Rentenüberleitungsrechts nicht nur aus den Gesetzesberatungen, sondern auch aus dem Norminhalt ergeben. Ausweislich des Ausschuss-Berichtes hatten die Mitglieder der SPD-Fraktion „Pauschaleingriffe . . . ohne Berücksichtigung individueller Umstände“ beanstandet, die „auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu rechtfertigen [seien], dass die Folgen des SED-Unrechtsstaates im Versorgungsrecht zu korrigieren seien“. Sie warnten vor allem „vor einer Vermischung von Strafrecht und Sozialrecht und verwiesen darauf, dass es in der Geschichte der deutschen Sozialpolitik – von der NS-Zeit abgesehen – noch niemals den Versuch gegeben habe, die Kürzung von Altersversorgungsleistungen zu strafrechtlichen Zwecken zu instrumentalisieren“, weshalb man auch „in der Nachkriegsgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland zur Bewältigung der NS-Vergangenheit (G 131-Gesetz) . . . mit guten Gründen darauf verzichtet [habe], strafrechtliche und politische Aspekte in das Sozialrecht einzuführen“. Außerdem wurde vorgetragen, dass sich in der Anhörung zu dem Gesetzesvorhaben „kein einziger Sachverständiger in der Lage gesehen habe, dem Artikel 3 [des Rentenüberleitungsgesetzes] verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit zu bescheinigen.“ 217

101

Deutlich wird die Diskriminierungsabsicht des Gesetzgebers in § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. Anl. 6 AAÜG. Denn das danach maßgebende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen wird höchstens bis zu 70 v. H. des Durchschnittsentgelts (Anl. 5 AAÜG) berücksichtigt. Darüber hinaus schließt § 7 Abs. 1 Satz 3 AAÜG für die Versorgungsberechtigten eine sogenannte „Rente nach Mindesteinkommen“ 218 ausdrücklich aus,219 weil die Kappungsgrenze für Angehörige des MfS/ 214

Vgl. BVerfGE 6, 55 (75); 1, 299 (312). BVerfGE 62, 1 (45) unter Hinweis auf E 11, 126 (130); 13, 261 (268); 54, 277 (298 f.). 216 BVerfGE 61, 1 (45). 217 Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) vom 20.6.1991, BT-Drucks. 12/826, S. 11 r. Sp. 218 Vgl. Ruland, Rentenversicherung, in: v. Maydell/ders./Becker (Hg.), Sozialrechtshandbuch, 4. Aufl. 2008, Kap. 17 RN 107, 95; BVerfGE 39, 169 (187); 112, 368 (373); aber auch Papier, VSSR 1973/74, S. 56 f. 215

58

1. Teil: Entwicklung

AfNS in jedem Fall niedriger sein sollte als die Rente nach Mindesteinkommen.220 Auf diese Weise konnte die Rente sogar unter das Sozialhilfeniveau absinken, so dass die öffentlichen Kassen im Ergebnis nicht einmal entlastet wurden.221 102

Zwar gab es unter den Angehörigen des Sonderversorgungssystems des MfS/ AfNS auch Beschäftigte, die ein unterdurchschnittliches Einkommen erzielten, was im Übrigen gegen die pauschale These „überhöhter Leistungen“ spricht. So bezog beispielsweise im Jahr 1988 rund ein Fünftel aller Mitarbeiter des MfS ein Einkommen, das unter dem zum gleichen Zeitpunkt in der Volkswirtschaft erreichten Niveau lag, und die Hälfte der hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS hatte in diesem Jahr das Durchschnittseinkommen des Ministeriums nicht erreicht.222

103

Angesichts des Umstands, dass sich unter den Beschäftigten des MfS ein höherer Anteil von Hoch- und Fachhochschulabsolventen im Vergleich zu den Beschäftigten in der Volkswirtschaft fand,223 war jedoch eine Kappungsgrenze von 70 v. H. des Durchschnittsentgelts aller Beschäftigten keinesfalls mit dem im Einigungsvertrag vereinbarten Abbau „überhöhter Leistungen“ unter Vermeidung einer „Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ zu begründen und sachlich auch nicht nachvollziehbar, so dass insbesondere in § 7 AAÜG die pönalisierende Absicht des Gesetzgebers ihren Ausdruck findet. II. Das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz – Rü-ErgG – vom 24. Juni 1993 1. Allgemeines

104

Knapp achtzehn Monate nach Inkrafttreten des Renten-Überleitungsgesetzes, das schon vor diesem Zeitpunkt durch ein Änderungsgesetz novelliert worden war, wurde das Gesetz zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz – Rü-ErgG) vom 24. Juni 1993224 erlassen, dessen Art. 3

219 Vgl. die Amtliche Begründung der Bundesregierung, BR-Drucks. 197/91 v. 11.4. 1991 zu § 7, S. 147; s. auch BVerfGE 100, 138 (151). 220 So Bundesminister Dr. Blüm, BT, 12. WP-Sitzung v. 26.4.1991, Sten. Ber., S. 1629; vgl. auch BVerfGE 100, 148 (152, 175). 221 Vgl. BVerfGE 100, 138 (183). 222 Vgl. Horst Miethe/Hans-Jürgen Weißbach, Einkommensentwicklung und Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Vergleich zu Segmenten des so genannten X-Bereichs (NVA und MdI) und zur Volkswirtschaft, Juli 2009, S. 25. 223 Miethe/Weißbach a. a. O., S. II Nr. 4. 224 BGBl. I S. 1038.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

59

die Überschrift „Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes“ trägt. Die Novellierung enthält – teilweise in einem schwer verständlichen Formulierungsdickicht (§ 6 Abs. 2 Satz 2 AAÜG n. F.) verborgen – eine Fülle von Änderungen und Ergänzungen. Zugleich werden offenbar legistische Unzulänglichkeiten beseitigt, indem beispielsweise funktionsspezifische Ausnahmen, die bisher in § 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 AAÜG a. F. enthalten waren, einheitlich in § 6 Abs. 3 AAÜG n. F. zusammengefasst werden. 105

Die unterschiedliche Behandlung von Angehörigen der Sonderversorgungssysteme der Anl. 2 Nr. 1 bis 3 einerseits und derjenigen der Anl. 2 Nr. 4 AAÜG ist beachtlich. Erzielte ein Versorgungsberechtigter als Angehöriger der Nationalen Volksarmee, der Deutschen Volkspolizei oder der Zollverwaltung der DDR das 1,4fache des Durchschnittsentgelts, so wird dieser Verdienst den Pflichtbeitragszeiten gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 AAÜG in voller Höhe zugrunde gelegt. Gehörte der Versorgungsberechtigte dagegen dem Versorgungssystem des MfS/ AfNS an, so wird nur das 0,7-fache des Durchschnittsverdienstes berücksichtigt. Beträgt das Arbeitseinkommen das 1,6-fache des Durchschnittseinkommens, so wird die erste Gruppe der Versorgungsberechtigten auf das 1,4-fache des Durchschnittsentgelts gekürzt (87,5 v. H.), während Angehörige des Versorgungssystems des MfS/AfNS wiederum auf das 0,7-fache des Durchschnittsentgelts abgesenkt werden, ihnen also im Ergebnis nur 43,75 v. H. ihres Arbeitseinkommens gutgebracht werden. 2. Einzelregelungen a) § 6 AAÜG

106

Zunächst bezieht § 6 Abs. 2 AAÜG n. F. die Zusatzversorgungssysteme nach Anlage 1 Nr. 23 bis 27 in die Ausnahmeregelungen ein. Es handelt sich hierbei um die Freiwillige Zusätzliche Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter der LDPD, der CDU, der DBD, der NDPD und der SED/PDS, für die § 14 AAÜG a. F. Übergangsregelungen getroffen hatte. Die in diesen Zusatzversorgungssystemen erworbenen Ansprüche und Anwartschaften werden nunmehr mit Wirkung vom 30. Juni 1993 in die gesetzliche Rentenversicherung überführt, wobei gemäß § 8 Abs. 4 Nr. 3 AAÜG225 die „Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)“ Versorgungsträger für die Freiwillige zusätzliche Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter der SED/PDS (Anl. 1 Nr. 27 AAÜG) wird.

107

Hinsichtlich der Höhe der Anrechnung der erzielten Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen bei Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen bringt § 6 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes teilweise Fortschritte. 225

In der Fassung des Art. 3 Nr. 5 b) bb).

60

1. Teil: Entwicklung

Wurden bisher Versorgungsberechtigte in „leitender Position“, d.h. mit einem Entgelt über dem 1,4-fachen des Durchschnittsentgelts (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 AAÜG a. F.) oder in bestimmten, im einzelnen in § 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 aufgezählten Funktionen tätig, so wurde ihr Entgelt nur bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 5 AAÜG, d.h. bis zum Durchschnittseinkommen berücksichtigt. Aufgrund der Gesetzesnovellierung ist diesem Personenkreis nunmehr ein Entgelt bis höchstens 140 v. H. des Durchschnittsverdienstes (Anlage 4 AAÜG) anzurechnen, sofern ihr individuelles Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nicht mehr als 160 v. H. des Durchschnittsverdienstes (Anlage 8 AAÜG)226 betrug. 108

Bei Überschreiten der neu eingefügten Grenze des 1,6-fachen des Durchschnittsverdienstes (Anlage 8 AAÜG) setzt eine komplizierte Degression des erzielten Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens ein, das letztlich dazu führen kann, dass das Arbeitseinkommen des Versorgungsberechtigten bis zum Durchschnittsentgelt abgesenkt wird. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 AAÜG n. F. erfolgt eine Degression in der Höhe des doppelten des Mehrverdienstes mit der Folge, dass bei einem Individualentgelt von z. B. 165 v. H. des Durchschnittsentgelts der anzurechnende Betrag um 10 v. H. (2 x 5 v. H.) auf 130 v. H. des Durchschnittsentgelts, bei einem Individualentgelt von 170 v. H. des Durchschnittsentgelts auf 120 v. H. des Durchschnittsentgelts und bei einem Individualentgelt von 180 v. H. und mehr auf 100 v. H. des Durchschnittsentgelts gesenkt wird. b) § 7 AAÜG

109

§ 7 wird ein neuer Absatz angefügt, wonach Zeiten der Tätigkeit im Staatssekretariat für Staatssicherheit des Ministeriums des Innern als Zeiten der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem des MfS/AfNS oder als Zeiten einer Tätigkeit als hauptberuflicher Mitarbeiter des MfS/AfNS gelten. Die differenziertere Berücksichtigung des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens nach § 6 Abs. 2 AAÜG n. F. wird auf die Versorgungsberechtigten des Versorgungssystems nach Anl. 1 Nr. 4 nicht übertragen, so dass es hier bei der pauschalen Absenkung auf 70 v. H. des Durchschnittsverdiensts bleibt. 3. Entstehungsgeschichte

110

Auch bei den Beratungen des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes spielte in vielen Diskussionsbeiträgen der strafähnliche Charakter von Sanktionen der

226 Eingefügt durch Art. 3 Nr. 14 des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes v. 24.6.1993.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

61

Rentenüberleitung eine Rolle. So warnte der Abgeordnete Dreßler (SPD)227 vor einer unzulässigen Vermischung von Sozialrecht und Strafrecht, weil man bei fehlender Strafbarkeit einer Handlung nicht über das Sozialrecht abstrafen dürfe; man habe damit tausende von Menschen automatisch in Systemnähe gebracht, obwohl sie objektiv nicht systemnah waren. Der Abgeordnete Dr. Menzel (FDP)228 wies darauf hin, dass seine Partei beim Renten-Überleitungsgesetz davor gewarnt habe, „strafrechtliche Komponenten in das Rentenrecht zu integrieren“; viele Versorgungsberechtigte hätten sich gegen eine „nicht unbedingt rechtsstaatsimmanente pauschale Typisierung als Helfershelfer des DDRZwangsapparats und der damit einhergehenden Absenkung ihrer Rentenentgeltpunkte“ gewehrt; gerade die Diskriminierung ganzer Berufsgruppen, insbesondere der im Staatsapparat auf mittlerer Ebene Beschäftigten sowie der Techniker, Mediziner, Tierärzte, Architekten sowie die damit verbundene Aberkennung der Leistungen dieser Menschen bedeute eine Demütigung, die dem ansonsten beschworenen inneren Einigungsprozess widerspreche. Das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz stelle zwar keine Ideallösung, jedoch einen deutlichen Fortschritt dar, weil zahlreiche Berufs- und Personengruppen aus dem rentenmindernden Konzept herausgenommen und künftig bessergestellt werden. Der Abgeordnete Bläss (PDS/Linke Liste) beanstandete, dass die Gesetzesvorlage mit ihrer Entschärfung des Missbrauchs von Sozialrecht als Strafrecht nur eine kosmetische Änderung, aber keine tatsächliche Korrektur vornehme; der Strafcharakter und die Beschneidung des Bestandsschutzes blieben bestehen und die globale Kürzung werde, wenn auch auf einem höheren Niveau, fortgesetzt, obwohl nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Einzelfallprüfung erforderlich sei. Betroffen blieben nach wie vor ca. 1.500 Professoren, die in der DDR zu den Spitzenwissenschaftlern gehört hätten.229 Demgegenüber forderte der Abgeordnete Kauder (CDU/CSU), Privilegien der alten DDR nicht in die Rentenversicherung zu übernehmen.230 Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Dr. Blüm (CDU) wandte sich gegen den Begriff „Strafrecht“. Sinn der Rentenvereinheitlichung sei es, Privilegien, die das alte System gewährt habe, nicht in die gemeinsame Rentenversicherung zu übernehmen. In den neuen Bundesländern dürften keine Renten entstehen, die über den Renten lägen, die im Westen gezahlt würden. Mit dem Gesetzesentwurf wolle man Belastungen gerade auch im mittleren Bereich beseitigen; es bleibe aber dabei, „daß den Spitzenfunktionären keine 40 %ige Rentenerhöhung“ zukommen solle.231

227 156. Sitzung des 12. Deutschen Bundestages v. 30.4.1993, Plenarprotokoll 12/ 156, S. 13313 ff. 228 A. a. O. S. 13315 ff. 229 A. a. O. S. 13317 ff. 230 A. a. O. S. 13319 ff. 231 A. a. O. S. 13325 ff.

62

1. Teil: Entwicklung

III. Das AAÜG-Änderungsgesetz – AAÜG-ÄndG – vom 11. November 1996 1. Vorgeschichte a) Reformversuche in der Zeit von 1994 bis Frühjahr 1996 111

Die komplizierten Reformen des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes brachten keine effektive Befriedung, zumal die Entgeltbegrenzungsregelungen nach wie vor einen beträchtlichen Teil der unteren und mittleren Leitungsebene in staatsnahen Bereichen oder Funktionen trafen und „von den Betroffenen nicht zu Unrecht als Diskriminierung und als politisches ,Rentenstrafrecht‘ empfunden“ wurden.232

112

In den Jahren 1994 und 1995 kam es dann zu einer Reihe von Anträgen und Gesetzentwürfen für eine Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes seitens der SPD, der PDS, der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN sowie des Landes Berlin. Die SPD forderte in einem Antrag vom 10. November 1994 zur Novellierung des Renten-Überleitungsgesetzes, bestehende „Diskriminierungen zu beseitigen“ und dabei vor allem die „Entgeltpunktbegrenzung für die sogenannten ,systemnahen‘ Angehörigen der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme der ehemaligen DDR“ sowie die „Benachteiligung der ,systemnahen‘ Angehörigen der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme bei der Obergrenze (derzeit 2700 beziehungsweise 2010 Deutsche Mark) für den bestandsgeschützten Zahlbetrag alten Rechts“ zu beseitigen.233 Am 25. Januar 1995 brachte die Abgeordnete Andrea Fischer zusammen mit der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Bundestag den Antrag ein, die Bundesregierung aufzufordern, „einen Gesetzentwurf zur Beseitigung der Diskriminierungen von Angehörigen der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der ehemaligen DDR durch die Rentenüberleitung vorzulegen“. Als „Mindestanforderungen“ sollten – erstens „die Begrenzungen der zu berücksichtigenden Verdienste wegen Staats- und Systemnähe mit Wirkung für die Zukunft“ aufgehoben werden, wobei von diesem Grundsatz im Fall von Anwartschaften und Ansprüchen abgewichen werden sollte, die auf Beschäftigungszeiten beim MfS/AfNS zurückgehen. In diesen Fällen sollte der Rentenberechnung „das ortsübliche Einkommen bei Vergleichstätigkeiten“ und nur bei fehlender Vergleichsmöglichkeit „das Durchschnittseinkommen aller Versicherten in den neuen Bundesländern“ zugrunde gelegt werden; – zweitens sollte die vorläufige Begrenzung der geschützten Zahlbeträge bei Renten- und Leistungsbezug mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden, 232 So der Antrag der Fraktion der SPD vom 10.11.1994, BT-Drucks. 13/20; vgl. auch Kai Alexander Heine, Die Versorgungsüberleitung, 2003, S. 120. 233 BT-Drucks. 13/20.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

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wobei auch hier bei Anwartschaften und Ansprüchen auf der Grundlage von Beschäftigungszeiten beim MfS/AfNS mit der Folge abgewichen werden sollte, dass der geschützte Zahlbetrag auf 1500 DM (brutto) begrenzt werden sollte.234 113

Am 31. Mai 1995 legte eine Reihe von Abgeordneten der SPD zusammen mit ihrer Fraktion den „Entwurf eines Gesetzes zur Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes“ vor, der sich in der Begründung an den Antrag auf Novellierung des RÜG vom 10. November 1994 anlehnte.235 Der Entwurf sah die Beseitigung der Entgeltpunktbegrenzung für die „systemnahen“ Angehörigen der Sonderund Zusatzversorgungssysteme der DDR und deren Benachteiligung bei der Obergrenze für den bestandsgeschützten Zahlbetrag alten Rechts (2010 statt 2700 DM) vor. Dies sollte im Einzelnen durch Streichung des § 6 Abs. 2 bis Abs. 4 sowie des § 7 AAÜG sowie durch eine Änderung des § 10 AAÜG erreicht werden. Im Ergebnis hätte der Entwurf die Schlechterstellung für „systemnahe“ Angehörige der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme beseitigt, indem er auch für sie als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung das erzielte Arbeitseinkommen oder Arbeitsentgelt höchstens bis zu den jeweiligen Beträgen der Anlage 3 AAÜG, also letztlich bis zur Beitragsbemessungsgrenze,236 berücksichtigt hätte. Als Begründung führte der Entwurf an, dass die Reform „die diskriminierende Entgeltpunktbegrenzung für leitende Angehörige der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme der ehemaligen DDR“ beseitige und damit „dem Grundsatz der Trennung von Straf- und Sozialrecht Geltung“ verschaffe, wobei auch für „Angehörige des Sonderversorgungssystems der Mitarbeiter der Staatssicherheit . . ., dem Prinzip der Trennung von Straf- und Sozialrecht folgend, die Entgeltbegrenzung aufgehoben werden“ solle.237

114

Am 28. September 1995 brachte das Land Berlin beim Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ersten und Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes und der Rentenüberleitung ein. Artikel 5 des Gesetzentwurfs sah eine Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vor, die zum einen den Kreis der von der Entgeltpunktbegrenzung Betroffenen in § 6 Abs. 2 AAÜG auf die Versorgungssysteme nach Anlage 2 Nr. 1 bis 3 AAÜG beschränkte und darüber hinaus die Anrechenbarkeit des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens bis zu 50 v. H. des die Anlage 4 AAÜG übersteigenden Betrags (d.h. das 1,4-fache des Durchschnittsentgelts) vorsah (Art. 5 Nr. 2 lit. a des Entwurfs).238

234 235 236 237 238

BT-Drucks. 13/286 vom 25.1.1995 Vgl. BT-Drucks. 13/1542 vom 31.5.1995, S. 1 sub A. Vgl. oben RN 80. Vgl. BT-Drucks. 13/1542, S. 4 sub B. Besonderer Teil, zu Art. 2. BR-Drucks. 616/95, S. 5.

64

1. Teil: Entwicklung

Zur Begründung des Gesetzentwurfs wurde angeführt, dass „während der Zugehörigkeit zu den Sonderversorgungssystemen der Anlage 2 Nr. 1 bis 3 . . . grundsätzlich höhere Entgelte erzielt [wurden], als dies bei vergleichbaren Berufsgruppen außerhalb dieser Systeme möglich gewesen ist. . . . In Relation zum jeweiligen Durchschnittseinkommen standen die Inhaber vergleichbarer Dienstgrade in der DDR fühlbar besser da als ihre Pendants im Westen. Solche Einkommensprivilegien sollen sich in der Rentenberechnung nicht fortsetzen“. Der Reformvorschlag, so der Entwurf, bewirke, „dass es bei einem relativ moderaten Abbau von Privilegien bleibt.“ 239 115

Geringer fiel die Verbesserung für die Angehörigen des Versorgungssystems des MfS/AfNS aus. Hier sollte nur das das Durchschnittseinkommen (Anlage 5 AAÜG) übersteigende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 4, d.h. dem 1,4-fachen des Durchschnittsentgelts, berücksichtigungsfähig sein (Art. 5 Nr. 3 lit. a des Entwurfs). Als Grund wurde angegeben, dass es sich anbiete, „das Durchschnittsentgelt aller Versicherten als die hier anzuwendende untere Grenze zu definieren, weil darunter liegende Einkommen in der Regel und bei typisierender Betrachtung nicht als Privileg bezeichnet werden können“. Die Begrenzung des berücksichtigungsfähigen Entgelts auf das 1,4-fache des Durchschnittsentgeltes begründet der Entwurf damit, dass die Betroffenen auf diese Weise „bis zum Doppelten der bisher möglichen Rente erhalten“ könnten und eine deutliche Aufbesserung genössen. Eine Kürzung höherer Einkommen unter dieser Grenze wäre „ein Bruch mit der Wertneutralität unseres bewährten Rentenrechts“. Eine Berücksichtigung von Einkommen oberhalb von 140 v. H. des Durchschnittsverdiensts würde das Ziel des Privilegienabbaus verfehlen, so dass der Kompromiss „in einem Rentenrecht noch vertretbaren Umfang“ auch den „Empfindungen der Menschen Rechnung [trage], die als Leidtragende des MfS-Repressionsapparates das Rentenrecht nicht als wertneutral einzuschätzen vermögen.“ 240

116

Am 21. Juni 1995 hörte der Bundestagsausschuss für Arbeit und Sozialordnung Sachverständige und Verbandsvertreter an,241 wobei sich jedoch kein einheitliches Meinungsbild ergab. Prof. Heintzen unterstrich, dass es für Kappungsgrenzen darauf ankomme, „sachliche Gründe für eine Differenzierung bzw. stärkere Begrenzung bestimmter Personenkreise anzuführen“. Prof. Azzola hielt nach Ablauf einer Übergangszeit Regelungen für verfassungswidrig, „die in irgendeiner Weise besondere Beitragsbemessungsgrenzen an besondere Tätigkeitsmerkmale“ knüpften. Darüber hinaus hielt er es für zulässig, solche Einkommen zu kürzen bzw. kalkulatorisch anzuheben, „bei denen die Anwendung des Brutto-

239 240 241

BR-Drucks. 616/95, S. 26. BR-Drucks. 616/95, S. 27 f. s. die Ausführungen in BT-Drucks. 13/4009, S. 7.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

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lohnüberleitungsprinzips erkennbar zu Verwerfungen führen müsse“. Im Übrigen warnte er davor, „den Grundsatz der Proportionalität dadurch zu verletzen, dass innerhalb ein und desselben Versorgungssystems Vorgesetzte weniger Renten erhielten als nachgeordnete Mitarbeiter“. Prof. Merten sprach sich gegen jede Art von Begrenzungen, auch derjenigen in § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG aus, da sie nicht sachgerecht seien. Die starke Absenkung der Entgeltgrenze für Angehörige des Sonderversorgungssystems des MfS auf 70 v. H. des Durchschnittsentgelts müsse nach seiner Ansicht als strafähnliche Sanktion angesehen werden. Dr. Noack machte darauf aufmerksam, dass der Lohn durch die Beitragsbemessungsgrenze abgesenkt worden sei, was dazu führe, „dass beispielsweise für Mitarbeiter im Staatsapparat ein erheblicher Teil ihrer Versorgung angesichts der Begrenzung auf die Beitragsbemessungsgrenze verloren“ gehe.242 Zur Entgeltbegrenzung wegen Systemnähe äußerten sich der Vertreter der ÖTV, der Vertreter des DBB, der Vertreter der Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung der DDR (ISOR), der Vertreter der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde und der Vertreter des VdK kritisch. Die Vertreter der BfA, des VdR sowie die Sachverständigen Dr. Simon, Prof. Papier und Prof. Heintzen hielten das AAÜG im Ganzen für verfassungsgemäß.243 117

Am 7. März 1996 schloss der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung seine Beratungen mit einer Schlussempfehlung und einem Bericht244 ab. Er empfahl dem Bundestag, die bis dahin eingegangenen Gesetzentwürfe und die gestellten Anträge zur Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes abzulehnen und in einer Entschließung die Bundesregierung aufzufordern, unverzüglich den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vorzulegen. Diesem sollten u. a. als Eckpunkte die grundsätzliche Beseitigung der Regelungen zur Begrenzung des für die Rentenberechnung berücksichtigungsfähigen Einkommens zugrunde liegen. Jedoch sollte es für die ehemaligen hauptberuflichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit sowie für Personen, die aufgrund der Wahrnehmung eigener politischer Verantwortung oder Mitverantwortung für das politische System in der DDR ein hohes Einkommen erzielt hatten, bei der bisherigen Begrenzung bleiben. Zu dem genannten Personenkreis sollten auch Personen „ab der Funktion eines Hauptabteilungsleiters im Staatsapparat und Personen in vergleichbaren Gehaltsstufen in anderen Bereichen, z. B. NVA, Volkspolizei, Parteien und gesetzliche Organisationen“ gehören.245

242

BT-Drucks. 13/4009, S. 9 f. Vgl. hierzu auch Kai Alexander Heine, Die Versorgungsüberleitung, S. 122 FN 66. 244 BT-Drucks. 13/4009. 245 BT-Drucks. 13/4009, S. 3. 243

66

1. Teil: Entwicklung

b) Zur Entstehung des AAÜG-ÄndG 118

Am 9. Mai 1996 brachte die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG-Änderungsgesetz – AAÜG-ÄndG) ein. Der Gesetzentwurf sollte die Begrenzungsregelungen des für die Rentenberechnung berücksichtigungsfähigen Einkommens auf Einkommen von ehemaligen hauptberuflichen Mitarbeitern des MfS/AfNS sowie von Personen begrenzen, deren Einkommen „Ausdruck einer politisch, gesellschaftlich oder einkommensmäßig privilegierten Stellung mit besonderer Verantwortung oder Mitverantwortung für die Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR war.“ 246

119

Bei der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Bundestag wies der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Kraus, darauf hin, dass der Entwurf vorsehe, die „Begrenzungsregelungen zur Berechnung der Rente für das aus bestimmten Tätigkeiten in der ehemaligen DDR bezogene Einkommen, z. B. für ehemalige Ingenieure oder Wissenschaftler im Staatsdienst, weitgehendst aufzuheben“. Von Ausnahmen abgesehen solle „das tatsächlich bezogene Einkommen in vollem Umfang berücksichtigt“ werden, so dass – abgesehen von den ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicherheit – Fälle mit Einkommensbegrenzungen von „derzeit etwa 100.000 auf 25.000 reduziert“ werden sollen. Dagegen solle das Einkommen von ehemaligen hauptberuflichen Mitarbeitern der Stasi bei der Rentenberechnung auch künftig nur in Höhe des 0,7-fachen des Durchschnittsentgelts berücksichtigt werden. Weiterhin solle es Begrenzungen für Personen geben, „die aufgrund der Wahrnehmung politischer Verantwortung oder Mitverantwortung in der ehemaligen DDR ein besonders hohes Einkommen erzielt haben“. Es gehe um Personen „ab der Funktion eines Hauptabteilungsleiters der Gehaltsstufe E 3 im Staatsapparat oder in anderen Bereichen, wie z. B. der NVA, der Volkspolizei oder beim Zoll“. Für die Ausübung solcher Tätigkeiten solle das Einkommen weiterhin nur in Höhe des jeweiligen Durchschnittsentgelts berücksichtigt werden. Die Neuordnung solle sicherstellen, „dass überdurchschnittlich hohe Einkommen auch künftig nicht zu überdurchschnittlichen hohen Renten führen“; „eine Besserstellung gegenüber Personen, die in der ehemaligen DDR keine Karriere machen konnten oder auch wollten, soll weiterhin nicht erfolgen.“ 247 Die Abgeordnete Ulrike Mascher (SPD) führte aus, das Renten-Überleitungsgesetz sei von Anfang an mit dem Makel behaftet gewesen, dass „mit Hilfe der Kürzung bzw. Begrenzung der Renten aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen . . . ein politisches Wert- oder Unwerturteil ausgedrückt werden [sollte], weit 246

BT-Drucks. 13/4587 vom 9.5.1996, S. 1 sub B. Lösung. Deutscher Bundestag, 108. Sitzung vom 24.5.1996, Plenarprotokoll 13/108, S. 9584 f. 247

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

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über die Entscheidungen der freigewählten Volkskammer hinaus“. Die Abgeordnete bezweifelte, dass die Aufrechterhaltung von „Rentenkürzungen wegen besonderer Verantwortung oder Mitverantwortung für die Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR“ eine ausreichend trennscharfe Begrenzung darstelle und stellte zusammenfassend fest, dass auch dieses Korrekturgesetz „nicht die grundsätzliche Verletzung der Wertneutralität unseres Rentenrechts“ heile.248 Die Abgeordnete Andrea Fischer (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) gab seitens ihrer Fraktion zu Protokoll: „Die Rentenversicherung taugt nicht als Instrument der Vergangenheitsbewältigung.“ 249 Der Abgeordnete Lühr (FDP) bedauerte, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht „die vollständige Aufhebung des sogenannten Kappungskataloges aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten Gehaltsgruppen und Versorgungssystemen“ enthalte; der Kreis der Betroffenen werde lediglich kleiner.250 120

Nach der ersten Lesung im Bundestag nahm der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung an dem AAÜG-Änderungsgesetz kleinere Korrekturen vor, die jedoch die Begrenzungsregelungen der § 6, 7 AAÜG nicht wesentlich veränderten.251

121

In der zweiten und dritten Beratung des AAÜG-Änderungsgesetzes im Bundestag erklärte der Abgeordnete Grund (CDU/CSU), dass bei einem Einkommen in der Höhe des mehrfachen des Durchschnittsentgelts davon ausgegangen werden könne, „dass Einkommensanteile beinhaltet waren, die Ausdruck einer politisch, gesellschaftlich oder einkommensmäßig privilegierten Stellung mit besonderer Verantwortung für die Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR waren. Überhöhte Einkommen in diesen Zeiten sollten nicht zu überhöhten Renten führen“, was auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber denen sei, „die vom politischen System der DDR benachteiligt und ausgegrenzt worden sind.“ 252 Die Abgeordnete Mascher (SPD) wies darauf hin, dass die Begriffe „Staatsnähe“ und „besondere Verantwortung innerhalb des Systems“ deutlich machen, „wie wenig trennscharf die Begründungen für Rentenkürzungen ausfallen“. Im Sozialversicherungssystem habe bis zur Rentenüberleitung das Prinzip der Wertneutralität des Sozialrechts gegolten und bis zum Renten-Überleitungsgesetz hätten die Politiker der Versuchung widerstanden, „einem allgemeinen und möglicherweise auch verständlichen Strafbedürfnis zu folgen und Rentenansprüche zu kürzen“. Dem populären Begriff des Rentenstraf248

Plenarprotokoll 13/108, S. 9585 f. Plenarprotokoll 13/108, S. 9587 (D). 250 Plenarprotokoll 13/108, S. 9588 (D). 251 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des 11. Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drucksachen 13/4587 und 13/4718) vom 25.9.1996, BT-Drucks. 13/5606. 252 Deutscher Bundestag, 126. Sitzung vom 27.9.1996, Plenarprotokoll 13/126, S. 11328 (C). 249

68

1. Teil: Entwicklung

rechts versuche der Gesetzentwurf der Regierung „den Begriff Privilegienabbau entgegenzusetzen“. Wenn darauf hingewiesen werde, dass Führungspersonen in der DDR zuletzt das 1,6-fache des Durchschnittsverdienstes erhalten hätten, so würden westdeutsche Führungskräfte das 1,6-fache des Durchschnittseinkommens „kaum als privilegiertes Einkommen“ bezeichnen.253 Später appellierte die Abgeordnete Mascher (SPD) an den Bundestag, nicht die „Willkürlichkeiten und solche von den Zufälligkeiten der Organisationen des Staatsapparates der DDR abhängigen Rentenkürzungen nun weiter fortzuführen“; das Rentenrecht tauge wirklich nicht zur Vergangenheitsbewältigung; man könne „im Rentenrecht nicht korrigieren . . ., ob man Zugang zum Intershop hatte oder nicht.“ 254 Die Abgeordnete Fischer (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) bedauerte, dass es „im Zorn der ersten Nachwendejahre . . . zu einem Bruch mit unseren rechtsstaatlichen Prinzipien gekommen“ sei, was „geradezu verheerende Wirkungen gehabt [habe], was die Legitimation und auch die Zustimmung zum demokratischen Rechtsstaat anbelangt.“ 255 Der Abgeordnete Lühr (FDP) wies darauf hin, der Einigungsvertrag habe den Abbau der „infolge der zugrunde gelegten überhöhten Einkommen im staatstragenden Bereich der DDR ungerechtfertigt hohen Leistungen der Rentenversicherung“ zum Ziel gehabt; „von Systemnähe oder Regimeträgerschaft“ stehe im Einigungsvertrag nichts; die FDP-Fraktion habe an dem Prinzip festgehalten, dass das Rentenrecht neutral und „von Sanktionsmechanismen, die dem Rentenrecht fremd sind, frei bleiben sollte“. Da das Rentenrecht „als Berechnungsgrundlage ohnehin eine systemkonforme Bemessungsgrenze“ einhalte, hätte ein Vorwegabzug des überhöhten Betrages ausgereicht, „um nicht Profiteure des SED-Regimes zu ungerecht bevorzugten Nutznießern der Wiedervereinigung werden zu lassen.“ 256 Die Abgeordnete Bläss (PDS) trat für eine völlige „Abschaffung des Strafrechts im Rentenrecht“ ein.257 Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Blüm, stellte fest: „Der gänzliche Verzicht auf eine Entgeltpunktbemessungsgrenze für die Systemträger bedeutet letztlich nichts anderes als demokratie- und menschenrechtsfeindliches Verhalten ehemaliger Begünstigter des SED-Systems nunmehr auch im vereinigten Deutschland rechtstaatlich zu sanktionieren und in Form vergleichsweise hoher Renten im nachhinein zu würdigen.“ 258 Danach wies die Abgeordnete Mascher (SPD) darauf hin, dass „der wirklich große Abbau der Privilegien von Einkommensvorteilen im Rentenrecht . . . durch die Überführung aller Sonder- und Zusatzversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung mit ihrer Beitragsbemes-

253 254 255 256 257 258

Plenarprotokoll 13/126, S. 11329 (A, B). Plenarprotokoll 13/126, S. 11331 (B, C). Plenarprotokoll 13/126, S. 11332 (A). Plenarprotokoll 13/126, S. 11333 (B). Plenarprotokoll 13/126, S. 11334 (C). Plenarprotokoll 13/126, S. 11336 (B).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

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sungsgrenze und damit auch mit einer Deckelung der Renten erfolgt“ sei.259 Der Abgeordnete Heuer (PDS) führte aus, es sei schwer zu erklären und zu begründen, „warum für alle Mitarbeiter des MfS, gänzlich unabhängig von ihrer Tätigkeit, so entschieden“ werde; dasselbe gelte für den Umstand, dass man „ab 2005 Mark Einkommen für bestimmte Tätigkeiten plötzlich als Privilegierter angesehen . . . und man dann auf die Durchschnittsrente heruntergestuft wird.“ 260 Anschließend wurde der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. 122

Das Gesetz wurde vom Bundesrat in der 703. Sitzung vom 18. Oktober 1996 behandelt. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Blüm, erklärte wiederum, „dass diejenigen, die von dem System unterdrückt, schikaniert und drangsaliert wurden, jetzt nicht nachträglich noch die Bevorzugung derjenigen mit bezahlen müssen, die sie drangsaliert, schikaniert und bespitzelt haben, dass ein Stasi-Offizier keine höhere Rente bekommt als derjenige, den er bespitzelt hat“. Es sei eine Frage der Gerechtigkeit, alle Leistungen auch einmal unter der Maxime zu sehen, „was wir für die Opfer des SED-Regimes tun“. Der Bundesminister machte ferner darauf aufmerksam, dass die Grenze für Pauschalierungen „am Hauptabteilungsleiter im Staatsapparat und an den entsprechenden Funktionen bei NVA, Zoll, Volkspolizei und Parteien festgemacht“ werde.261 Der Bundesrat stimmte dem Gesetz zu, das daraufhin verkündet wurde.262 2. Einzelregelungen

123

Von den Änderungen, die das AAÜG-Änderungsgesetz mit sich bringt, ist die Neufassung des § 6 Abs. 2 AAÜG263 wohl die bedeutsamste, obwohl sich das aus dem reinen Gesetzestext nicht auf den ersten Blick ergibt. Unter Aufhebung des komplizierten Berechnungsmodus des bisherigen § 6 Abs. 2 AAÜG erfasst die neue Vorschrift (nur) Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 2, 3 oder 19 bis 27 oder Anlage 2 Nr. 1 bis 3, in denen ein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen mindestens in Höhe des jeweiligen Betrags der Anlage 4 bezogen wurde. Der neu gefassten Anlage 4 AAÜG wird für die einzelnen Kalenderjahre das Gehalt des Hauptabteilungsleiters der Gehaltsstufe E 3, die ab 1985 in Gehaltsstufe 12 umbenannt wurde, zugrunde gelegt.264 Nur wenn das individuelle Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen mindestens die 259

Plenarprotokoll 13/126, S. 11336 f. (D). Plenarprotokoll 13/126, S. 11339 (A). 261 Sten. Ber., S. 505 f. 262 Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 11.11.1996 (BGBl. I S. 1674). 263 Durch Art. 1 Nr. 3a AAÜG-ÄndG. 264 Vgl. hierzu die Amtliche Begründung BT-Drucks. 13/4587, sub A: Allgemeiner Teil I, S. 8 r. Sp. sowie sub B: Besonderer Teil, Zu Nr. 3 (6), zu Buchstabe a, S. 10 l. Sp. 260

70

1. Teil: Entwicklung

in der neuen Anlage 4 genannten Beträge erreicht hatte, ist den Pflichtbeitragszeiten als Verdienst lediglich der jeweilige Betrag der Anlage 5 AAÜG, also der Durchschnittsverdienst, zugrunde zu legen. 124

Die Neufassung des § 6 Abs. 2 AAÜG gilt auch für die in § 6 Abs. 3 AAÜG genannten Funktionsinhaber,265 die das AAÜG-Änderungsgesetz geringfügig um die Inhaber einer „ehrenamtlichen Berufungs- oder Wahlfunktion“ verringert hat.266

125

§ 7 blieb vom AAÜG-Änderungsgesetz unberührt. Das entspricht der Konzeption des Gesetzes, das entsprechend dem Gesetzentwurf zwischen Einkommen „von ehemaligen hauptberuflichen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit“ einerseits und Einkommen „von Personen, das Ausdruck einer politisch, gesellschaftlich oder einkommensmäßig privilegierten Stellung mit besonderer Verantwortung oder Mitverantwortung für die Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen System der ehemaligen DDR war“ unterscheidet267 und damit bei der ersten Gruppe von jeglicher Differenzierung nach der Höhe des Einkommens oder einer „besonderen Verantwortung oder Mitverantwortung für die Stärkung oder Aufrechterhaltung“ des DDR-Systems absieht.

B. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1999 126

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in drei grundlegenden Entscheidungen im Jahre 1999 mit den Entgeltbegrenzungs- und Zahlbetragsbegrenzungsregelungen des AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes vom 24. Juni 1993 beschäftigt und § 6 Abs. 2 (i.V. m. den Anlagen 4, 5 und 8), § 6 Abs. 3 Nr. 7 sowie § 7 Abs. 1 Satz 1 (i.V. m. Anlage 6) AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Änderungsgesetzes vom 18. Dezember 1991 für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG unvereinbar bzw. für nichtig erklärt.268 Darüber hinaus hat es die Zahlbetragsbegrenzung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes von 24. Juni 1993269 sowie diejenige des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AAÜG270 als mit Artikel 14 GG unvereinbar und nichtig erklärt.

265 s. die Amtliche Begründung zu Artikel 1, zu Nr. 3, zu Buchstabe A, BT-Drucks. 13/4587, S. 10 l. Sp.; vgl. auch BVerfGE 100, 59 (75). 266 Art. 1 Nr. 3 lit. b des AAÜG-Änderungsgesetz vom 11.11.1996. 267 s. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum AAÜG-Änderungsgesetz, BT-Drucks. 13/4587 vom 9.5.1996, S. 1. 268 BVerfGE 100, 59 (60); 100, 138 (139). 269 BVerfGE 100, 1 (2). 270 BVerfGE 100, 138 (139).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

71

I. Urteil vom 28. April 1999 (1 BvL 22, 34/95) – BVerfGE 100, 59 127

In dem o. a. Urteil werden § 6 Abs. 2 (i.V. m. den Anlagen 4, 5 und 8) und § 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG (i. d. F. des Rü-ErgG vom 24.6.1993) seit dem 1.7.1993 mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt; ferner wird der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 30.6.2001 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. 1. Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG a) § 6 Abs. 2 AAÜG

128

Gemäß dem Urteil darf der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen „generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen“ – mit den damit notwendigerweise verbundenen Härten – nur verwenden, wenn „diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären“, „lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist.“ 271 Für die durch § 6 Abs. 2 AAÜG im Vergleich zu Rentnern aus dem Beitrittsgebiet, deren tatsächlich erzielte Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen bei der Rentenberechnung nur durch die Beitragsbemessungsgrenze gekappt werden, bewirkte Ungleichbehandlung fehlte es nach Auffassung des Gerichts an einem rechtfertigenden Grund, weil der Gesetzgeber zur Erreichung eines an sich einsichtigen und legitimen Zieles unzulässig typisiert habe.272 Als legitim sieht es das Urteil an, dass der Gesetzgeber Ansprüche und Anwartschaften, die in der DDR „in vielen Fällen nicht allein auf Arbeit und Leistung“ beruht hätten, sondern „auch Prämien für Systemtreue“ waren, „insofern“ als „überhöht“ ansah und sie „auf das durch Arbeit und Leistung gerechtfertigte Maß“ begrenzte.273 Dabei habe der Gesetzgeber aber – so das Bundesverfassungsgericht – „in einer unzulässig typisierenden Weise unterstellt, dass die Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen der von der Regelung erfassten Personen durchweg überhöht waren“, da „nichts dafür ersichtlich“ sei, dass die Regelung des § 6 Abs. 2 AAÜG auf Tatsachen beruhe, „die die Annahme rechtfertigen, dass überhöhte Arbeitsentgelte gerade an die vom Gesetz erfassten Gruppen gezahlt worden sind oder dass Entgelte ab den vom Gesetz festgelegten Grenzen als überhöht angesehen werden müssen.“ 274

129

Zwar räumt das Urteil ein, dass der Gesetzgeber beim Abbau überhöhter Leistungen an der Beitragsbemessungsgrenze „nicht von vornherein“ haltmachen 271 BVerfGE 100, 59 (90 sub C I 1 a m.w. N.); 100, 138 (174); s. auch unten RN 320 ff. 272 BVerfGE 100, 59 (91 f.). 273 BVerfGE 100, 59 (93 oben). 274 BVerfGE 100, 59 (93 f.).

72

1. Teil: Entwicklung

musste, da es in der DDR auch bei Verdiensten unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze „strukturelle oder individuelle Privilegierungen geben“ konnte; jedoch durfte der Gesetzgeber für die Angehörigen der in § 6 Abs. 2 AAÜG genannten Versorgungssysteme „nicht generell annehmen, dass sie in der Deutschen Demokratischen Republik ab einer bestimmten Schwelle überhöhte Arbeitsentgelte bezogen haben.“ 275 130

Ungeachtet des besonders großen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Neuordnung sozialrechtlicher Rechtsverhältnisse im Rahmen der Wiedervereinigung und der ihm nicht „von vornherein“ verwehrten Anknüpfung an bestimmte Versorgungssysteme für Begrenzungsregelungen gibt es – so das Gericht – „keine hinreichenden Erkenntnisse dafür, dass diese Personengruppen insgesamt oder auch nur überwiegend Entgelte erhalten haben, die selbst unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze noch als überhöht angesehen werden können“, zumal der Gesetzgeber „nicht für Arbeitsleistungen, die der Deutschen Demokratischen Republik politisch nützten, den Rentenbezug ausschließen“ wollte, sondern nur „Versorgungszusagen, denen keine Arbeitsleistung entsprach, als allein politisch motivierten die rechtliche Anerkennung versagen“ wollte; keinesfalls folge „aus der ,Staats- und Systemnähe‘ der Berufstätigkeit allein, dass diesen Personengruppen durchgängig Entgelte gezahlt worden“ seien, „die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt und insoweit überhöht waren.“ 276

131

Wenn auch bei der Festlegung von Überhöhungstatbeständen Vereinfachungen unvermeidlich und Härtefälle grundsätzlich hinzunehmen seien, so müssten derartige Regelungen dennoch „am vorgegebenen Sachverhalt orientiert und sachlich vertretbar sein“, was weder bei der Festlegung des Grenzwertes auf 140 v. H. des Durchschnittsentgeltes noch bei den Abstufungsmechanismen bei Verdiensten über 140 v. H. in § 6 Abs. 2 AAÜG sachgerecht sei.277

132

Gerade für diese Abstufungsmechanismen fehlt es nach Auffassung des Gerichts „an dem erforderlichen tatsächlichen Anhalt für eine progressiv ansteigende Verteilung politisch motivierter überhöhter Entgelte“. Hohe in der DDR erzielte Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen seien „nicht notwendig auch ,überhöhte‘ Entgelte, deren rentenrechtliche Anerkennung der Gesetzgeber ohne weitere Nachprüfungen versagen durfte“, so dass bei Versicherten mit Verdiensten in der Nähe oder oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze nicht davon ausgegangen werden dürfe, dass das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen „oberhalb des Durchschnittsentgelts nicht mehr durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt sein soll und deshalb das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen auch insoweit

275 276 277

BVerfGE 100, 59 (94). BVerfGE 100, 59 (95). BVerfGE 100, 59 (96 f.).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

73

bei der Rentenberechnung unberücksichtigt bleiben“ dürfe, als es unterhalb von 140 v. H. bis zum Durchschnittsentgelt liegt.278 b) Art. 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG 133

Auch § 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG (in der Fassung des Rü-ErgG) verletzt nach dem Urteil Art. 3 Abs. 1 GG, weil die dort angeführte Personengruppe ohne hinreichenden sachlichen Grund gegenüber Personen benachteiligt wird, die in der DDR ebenfalls eine herausgehobene Funktion innegehabt haben, deren Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen aber nicht begrenzt werden, weil ihre Funktion in § 6 Abs. 3 AAÜG nicht aufgeführt wird.279 Der Gesetzgeber hat nach Auffassung des Gerichts280 hinter den von § 6 Abs. 3 AAÜG Betroffenen System„Förderer“ vermutet, da er Personen treffen wollte, die „durch ihre Tätigkeit einen erheblichen Beitrag zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR geleistet haben.“ 281 Zwar sei der Rentengesetzgeber – so das Bundesverfassungsgericht – verfassungsrechtlich nicht gehindert gewesen, Leitungsfunktionen in allen relevanten Bereichen daraufhin zu überprüfen, ob deren Inhaber „überhöhte“ Arbeitsverdienste erhalten hätten; er habe dies jedoch nicht ohne tatsächliche Anhaltspunkte „generell für die in § 6 Abs. 3 AAÜG erfaßten Funktionsebenen“ annehmen dürfen, zumal aus den Gesetzesmaterialien nicht deutlich werde, warum nur die in § 6 Abs. 3 AAÜG aufgezählten Leitungsfunktionen im Vergleich zu anderen ebenfalls leitenden Positionen in der DDR mit „überhöhten“ Entgelten verknüpft worden seien, worauf auch im Gesetzgebungsverfahren hingewiesen worden sei.282 2. Verletzung des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 GG) a) § 6 Abs. 2 AAÜG

134

Wie schon in seinem Erkenntnis vom 28. April 1999283 bejaht das Bundesverfassungsgericht auch im vorliegenden Urteil den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG für die in der DDR erworbenen und im Einigungsvertrag nach dessen Maßgaben als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannten Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen.284 278 BVerfGE 100, 59 (97); vgl. auch E 111, 115 (140); Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung 2. Aufl., 1994, S. 126 ff. 279 BVerfGE 100, 59 (98 f.). 280 BVerfGE 100, 59 (100). 281 Vgl. Amtliche Begründung sub A II 1, BT-Drucks. 12/4810, S. 20. 282 BVerfGE 100, 59 (100 f.). 283 (1 BvL 32/95 und 1 BvR 2100/95) – BVerfGE 100, 1 (32 ff.). 284 BVerfGE 100, 59 (97 f.).

74

1. Teil: Entwicklung

Damit überträgt das Gericht den Eigentumsschutz für die im Geltungsbereich des Grundgesetzes erworbenen Rentenansprüche und Rentenanwartschaften als Vermögenswerte und dem Einzelnen ausschließlich zugeordnete und zu seinem persönlichen Nutzen bestimmte Güter285 auf die in der DDR begründeten und im Zeitpunkt deren Beitritts zur Bundesrepublik Deutschlands bestehenden Versorgungsansprüche und -anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, die mit dem Beitritt und der Anerkennung durch den Einigungsvertrag wie andere vermögenswerte Rechtspositionen in den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts gelangt sind.286 135

Ausdrücklich weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass aufgrund des Einigungsvertrages die in den Versorgungssystemen der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften „ohne Rücksicht auf Grund und Art ihrer Entstehung“ in das gesamtdeutsche Rechtssystem zu übernehmen und in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen sind,287 zumal sie in ähnlicher Weise wie entsprechende Rechtspositionen der westdeutschen gesetzlichen Rentenversicherung den Berechtigten privatnützig zugeordnet waren und deren Existenzsicherung dienten.288

136

Daher griff – so das Gericht – § 6 Abs. 2 AAÜG in das Eigentumsgrundrecht insofern ein, als er Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zwischen dem Durchschnittsentgelt und der Beitragsbemessungsgrenze ganz oder teilweise unberücksichtigt ließ, sofern die Arbeitsentgelte 140 v. H. des Durchschnittsentgelts überstiegen.289 Zur Rechtfertigung des Eingriffs konnte sich der Rentengesetzgeber nicht auf Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG berufen, wonach Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt werden, weil § 6 Abs. 2 AAÜG von vornherein eine ungeeignete Regelung insofern darstellte, als der Gesetzgeber an Merkmale anknüpfte, „die allein nicht als Indikatoren für ein überhöhtes Entgelt ausreichen“ konnten. Bei Rentenkürzungen, so das Bundesverfassungsgericht, müsse „hinreichend sichergestellt“ sein, dass die Kürzung nur solche Personen betrifft, denen tatsächlich überhöhte, d.h. nicht auf Arbeit und Leistung beruhende Entgelte bezahlt worden seien.290 b) § 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG

137

Mit derselben Begründung bejaht das Gericht eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts durch § 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG, weil auch dessen Begrenzungsrege285 286 287 288 289 290

Vgl. BVerfGE 53, 257 (289 ff.); 100, 1 (32 f.); st. Rspr. Vgl. BVerfGE 91, 294 (307 f.); 100, 1 (33). BVerfGE 100, 1 (33 unten). BVerfGE 100, 1 (34). BVerfGE 100, 59 (97 f.). BVerfGE 100, 59 (98).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

75

lung ungeeignet war und daher in eigentumsgeschützte Rechtspositionen des betroffenen Personenkreises in verfassungswidriger Weise eingriff.291 II. Urteil vom 28. April 1999 (1 BvL 11/94, 33/95, 1 BvR 1560/97) – BVerfGE 100, 138 138

In dem o. a. Urteil hat das Bundesverfassungsgericht § 7 Abs. 1 Satz 1 (i.V. m. Anlage 6) AAÜG (i. d. F. des RÜG-ÄndG) für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG unvereinbar und nichtig erklärt, soweit für die Rentenberechnung das zugrunde zu legende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen unter das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet abgesenkt wird. Daneben hat das Gericht § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AAÜG mit Art. 14 GG für unvereinbar und nichtig erklärt. 1. Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG

139

Die Verletzung des Gleichheitssatzes sieht das Gericht in der Schlechterstellung der von § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG Betroffenen infolge der Anwendung der Jahreshöchstverdienstgrenzen der Anlage 6 AAÜG gegenüber allen anderen Bestands- und Zugangsrentnern aus dem Beitrittsgebiet, deren tatsächlich erzielte Arbeitsverdienste bei der Rentenberechnung entweder bis zur Beitragsbemessungsgrenze voll oder wenigstens nach den günstigeren Vorgaben des § 6 Abs. 2 und Abs. 3 AAÜG berücksichtigt werden. Diese Benachteiligung führt nach Feststellung des Gerichts dazu, daß sogar in der Sozialpflichtversicherung versicherte Personen mit unterdurchschnittlichen Arbeitsentgelten oder Arbeitseinkommen besser gestellt sind, wobei die ungünstige Wirkung noch dadurch verstärkt werde, dass nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AAÜG die Vorschriften des SGB VI über Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt außer Kraft gesetzt sind, so dass die nachteiligen Folgen nicht durch die übliche rentenrechtliche Höherbewertung im Rahmen der Rente nach Mindesteinkommen abgeschwächt werden kann.292 Mit der Absenkung des in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens unter das Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet hat, so das Urteil, der Gesetzgeber des § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG seine Grenzen überschritten.293

140

Da nach Kenntnis des Gesetzgebers die große Mehrheit der hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit innerhalb der relativ nivellierten Einkommensverteilung in der DDR deutlich oberhalb des Durchschnitts angesiedelt war und dem Gesetzgeber „Anhaltspunkte“ dafür vorlagen, dass Arbeitsentgelte oder Ar291 292 293

BVerfGE 100, 59 (101 sub C II 2). BVerfGE 100, 138 (174 f.). BVerfGE 100, 138 (177 f.).

76

1. Teil: Entwicklung

beitseinkommen beim MfS/AfNS die allgemein in der DDR für eine vergleichbare Tätigkeit oder eine Position mit gleichwertiger Qualifikation erzielbaren Verdienste überstiegen, sei er berechtigt gewesen, für die Personengruppe des § 7 AAÜG eine Sonderregelung zu treffen und Umfang und Wert der zu berücksichtigenden Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen grundsätzlich niedriger einzustufen als bei anderen Versicherten aus dem Beitrittsgebiet. 141

Auch das Verdienstniveau im sogenannten X-Bereich, zu dem das MfS/AfNS später gehörte, habe im Vergleich mit dem Gesamtverdienstniveau aller Beschäftigten in der DDR in den Jahren 1961 bis 1964 um etwa 40 v. H., in den Jahren 1965 bis 1980 um etwa 20 v. H., in den Jahren 1981 bis 1985 um etwa 30 v. H. und in den Jahren 1986 bis 1990 um etwa 50 v. H. höher gelegen.294

142

Das Urteil weist ferner auf ein differenziertes „System finanzieller Leistungen, die als versicherungsrelevante Prämien, Zulagen und Zuschläge zusätzlich zur Besoldung erbracht wurden“, hin, wobei durch die frühzeitige Übernahme in ein militärisches Dienstverhältnis auch untere Gehaltsgruppen (Handwerker, Pförtner, Küchenhilfen, Reinigungskräfte) in den Genuss dieser Vergünstigungen gekommen seien.295

143

Infolge ihres überdurchschnittlichen Gehaltsniveaus hätten – so das Urteil – die Angehörigen der Staatssicherheit aus der eigenen Rentenkasse eine Altersversorgung bezogen, die mit bis zu 75 v. H. der monatlichen beitragspflichtigen Durchschnittsvergütung diejenige anderer Versorgungsberechtigter und vor allem die in der Rentenversicherung erzielbaren Leistungen deutlich überstieg.296

144

Im Hinblick auf die Sonderstellung des betroffenen Personenkreises habe der Gesetzgeber Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen in typisierender Weise begrenzen dürfen, wobei er an die Entscheidung „des mit den Verhältnissen vertrauten Gesetzgebers der Deutschen Demokratischen Republik anknüpfen“ konnte, der die überhöhten Versorgungen in §§ 2 f. AufhebG ebenfalls pauschal gekürzt hatte. Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG habe es zur pauschalierenden Einstufung und Bewertung weder einer Auswertung noch vorhandenen dienstinternen Materials noch sonstiger langwieriger Ermittlungen des Gesetzgebers zur Beschäftigungs- und Qualifikationsstruktur sowie zur Struktur des beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommens bedurft.297

145

Dagegen ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Begrenzungsregelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG (i.V. m. Anlage 6) mit der Folge der Absenkung des rentenwirksamen Verdienstes auf 70 v. H. des jeweiligen Durchschnittsentgelts verfassungswidrig, wobei auch eine Berufung auf das Aufhebungsgesetz 294 295 296 297

BVerfGE 100, 138 (178). BVerfGE 100, 138 (178 f.). BVerfGE 100, 138 (179). BVerfGE 100, 138 (179 f.).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

77

der DDR ausscheide. Denn nach dessen § 3 Abs. 2 sollte bei der Neufestsetzung der Ansprüche und Anwartschaften aus dem Sonderversorgungssystem des MfS/ AfNS ein zuvor an die allgemeinen Einkommensverhältnisse angepasster Verdienst zugrunde gelegt werden, wobei „der Gesamtbetrag maßvoll auf 990 DM (als dem Doppelten der Mindestsicherung im Beitrittsgebiet zum Zeitpunkt des 30. Juni 1990) zu begrenzen und später zu dynamisieren war“. Demgegenüber stelle § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG eine erhebliche Verschärfung infolge einer Kürzung bei der Rentenberechnung des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens dar, wobei eine Orientierung an den allgemeinen Einkommensverhältnissen gerade nicht stattfinde, weshalb die Renten von Angehörigen des MfS/AfNS hinter den im Aufhebungsgesetz vorgesehenen Leistungen zurückblieben und auch die Vorschriften über die Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt nicht anwendbar seien (§ 7 Abs. 1 Satz 3 AAÜG).298 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts wird eine Absenkung des bei der Rentenberechnung zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens auf 70 v. H. des Durchschnittsentgelts vom Regelungszweck nicht getragen, zumal auch im Gesetzgebungsverfahren „sachbezogene Anknüpfungspunkte“ für diese Festlegung im Gesetzgebungsverfahren nicht genannt worden seien und die „zunächst ohne weitere Begründung“ festgelegte Begrenzung auf 65 v. H. des Durchschnittsentgelts erst nach einer Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung um 5 v. H. angehoben worden sei. Nach den Beratungen im Bundestag sollte die Bemessungsgrundlage für die in § 7 AAÜG Betroffenen „jedenfalls unter derjenigen liegen, von der bei der Berechnung der Rente nach Mindesteinkommen auszugehen ist.“ 299 146

Dass Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen bei den von § 7 AAÜG erfassten Personen „wegen politischer Begünstigung schon dann überhöht waren, wenn sie 70 v. H. des Durchschnittsentgelts überstiegen“, ist für das Bundesverfassungsgericht nicht erkennbar. Nach dessen Auffassung ist dieser Wert so niedrig, „daß er nicht mehr mit dem Wert der in den unterschiedlichsten Berufen und Positionen verrichteten Arbeit in Zusammenhang gebracht werden kann“. Die pauschale Absenkung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG trägt nach Ansicht des Gerichts nicht dazu bei, „eine Besserstellung der Angehörigen des Sonderversorgungssystems im Verhältnis zu vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen zu vermeiden“. Soweit eine Begrenzungsregelung das gesetzgeberische Anliegen verwirklichen solle, überhöhte Versorgungsleistungen im Sinne der Regelung des Einigungsvertrages abzubauen, kommt – so das Urteil – „allenfalls eine Absenkung der in der Deutschen Demokratischen Republik erzielten Arbeitsverdienste auf das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet (100 v. H.) in Betracht“, wobei in diesem Zusammenhang auf ei298 299

BVerfGE 100, 138 (180 f.). BVerfGE 100, 138 (181).

78

1. Teil: Entwicklung

nen Aufsatz von Bieback verwiesen wird.300 Bieback hatte in einem Beitrag über „Das Sozialrecht im vereinigten Deutschland – Strukturprobleme, verfassungsrechtliche Fragen und Perspektiven“ 301 es als gerechtfertigt angesehen, zur Vermeidung einer Verweisung auf die Sozialhilfe „,politische‘ Einkommen auf Durchschnittseinkommen zu reduzieren“, sich aber zugleich dagegen gewandt, sie auf 70 v. H. des Durchschnittseinkommens zu mindern, „wie stark man auch die Arbeit der davon betroffenen ehemaligen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit verurteilen mag“. 2. Verletzung des Art. 14 GG a) § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG (i.V. m. Anlage 6) 147

Da die in der DDR erworbenen und im Einigungsvertrag als Rechtspositionen anerkannten Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG genießen, muss auch nach deren Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung, wie das Bundesverfassungsgericht ausführt, „jedenfalls ein Leistungsrest erhalten bleiben . . ., der den Zweck einer bedürftigkeitsunabhängigen Sicherung nach einem vollen Versicherungsleben erfüllt.“ 302 Aus diesem Grunde hält es das Urteil für verfassungsrechtlich geboten, „jedenfalls bei einer Kürzung das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet (100 v. H.) nicht zu unterschreiten“. Ausdrücklich weist das Gericht darauf hin, dass es dem Gesetzgeber unbenommen sei, bei der Berücksichtigung von Arbeitsverdiensten von Angehörigen des MfS/AfNS bei der Rentenberechnung „eine für die Betroffenen günstigere Lösung vorzusehen und bei einer Neuregelung auch über dem Durchschnitt liegende Einkommensanteile als rentenwirksam anzuerkennen“, wozu er aber laut Urteilswortlaut verfassungsrechtlich nicht verpflichtet sei.303 b) § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AAÜG

148

§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AAÜG greift in durch das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG geschützte Rechtspositionen dadurch ein, dass er den im Einigungsvertrag garantierten Zahlbetrag der Leistungen des Sonderversorgungssystems des MfS/AfNS für die Rentenbezugszeiten ab 1. August 1991 auf einen monatlichen Höchstbetrag von 802 DM herabsetzt und auf diese Weise die im Einigungsvertrag zugesagte Altersversorgung so lange vorenthält, bis der sich aus der Überführung ergebende dynamische Rentenanspruch den Betrag von 990 DM 300 301 302 303

BVerfGE 100, 138 (181 f.). NZS 1994, S. 193 (200). BVerfGE 100, 138 (182). BVerfGE 100, 138 (183).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

79

monatlich erreicht. Vielen Versorgungsempfängern wird der Differenzbetrag zwischen dem ursprünglichen Zahlbetrag und dem Höchstbetrag von 802 DM monatlich durch die gesetzliche Regelung endgültig vorenthalten, da eine spätere Nachzahlung des Differenzbetrages gesetzlich nicht vorgesehen ist.304 149

Für berücksichtigungswert hält es das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang, dass den Versorgungsberechtigten des MfS/AfNS Leistungen bereits durch den Gesetzgeber der DDR deutlich begrenzt worden waren, so dass bei hohen Alters- und Invalidenrenten Kürzungen „von mehr als 70 v. H. der ursprünglichen Leistungen“ entstanden.305

150

Zugleich weist das Gericht darauf hin, dass der vom Gesetzgeber der DDR festgesetzte Betrag von 990 DM monatlich im Juli 1990 noch dem Doppelten der in der DDR bestehenden Mindestsicherung entsprochen habe, aber bereits am 1. Januar 1993 schon weniger als die durchschnittlich verfügbare Versichertenrente und gegen Ende des Anpassungsprozesses (im Jahre 1994) etwa 75 v. H. der durchschnittlichen Versichertenrente ausmachte.306

151

Ferner betont das Urteil, die verfassungswidrige Regelung könne nicht mit der Begründung gerechtfertigt werden, sie diene dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland im Interesse aller zu erhalten und den veränderten Regelungen, insbesondere nach der Wiedervereinigung, anzupassen. Denn „die durch die Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus dem Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS entstehenden Mehraufwendungen [müßten] vom Bund getragen werden (vgl. Anlage 2 Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchst. d Satz 2 EV; § 15 Abs. 1 AAÜG).“ 307 III. Urteil vom 28. April 1999 (1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95) – BVerfGE 100, 1

152

In dem o. a. Urteil erklärt das Bundesverfassungsgericht § 10 Abs. 1 Satz 2 AAÜG (i. d. F. des Rü-ErgG) für mit Art. 14 GG unvereinbar und nichtig.

153

Nach Auffassung des Gerichts hat der Gesetzgeber insoweit in durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtspositionen eingegriffen, als er in Art. 10 Abs. 1 Satz 2 AAÜG den Gesamtzahlbetrag aus der Rentenversicherung und Leistungen bestimmter Zusatzversorgungssysteme für Rentenbezugszeiten ab 1. August 1991 auf einen Höchstbetrag von 2.700 DM monatlich begrenzt habe. Dadurch werde den Berechtigten gegebenenfalls ein Teil des ihnen im Einigungs304 305 306 307

BVerfGE 100, 138 (184). BVerfGE 100, 138 (185 f.). BVerfGE 100, 138 (186 oben). BVerfGE 100, 138 (188 f.).

80

1. Teil: Entwicklung

vertrag zugesagten Gesamtzahlbetrags vorenthalten, zumal es sich „in Wahrheit“ um eine endgültige Vorenthaltung handele, da eine spätere Nachzahlung aufgrund der geltenden Rechtslage ausscheide.308 154

Der Gesetzgeber – so das Urteil – könne sich für sein Vorgehen auch nicht auf die Befugnis des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG berufen, Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze zu bestimmen; weder sei ein hinreichendes öffentliches Interesse für den durch § 10 Abs. 1 Satz 2 AAÜG bewirkten Eingriff dargetan, noch seien andere Gemeinwohlgründe zur Rechtfertigung ersichtlich. Die Zahlbetragsgarantie habe im Rahmen der Rentenüberleitung „eine zentrale Schutzfunktion“ inne und gleiche Nachteile aus, die sich aus der Entscheidung für die Überführung der Leistungen aus den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in die gesetzliche Rentenversicherung ergeben; in der Sache diene die Zahlbetragsgarantie in erster Linie dem Schutz von Rentenansprüchen und -anwartschaften oberhalb der Höchstgrenzen der allgemeinen Rentenversicherung. Dass dieser Schutz in Einzelfällen Leistungen bis zum Mehrfachen der Höchstrente erfassen und auch privilegierten Personengruppen und ihren „überhöhten“ Ansprüchen zugute kommen würde, sei vom Gesetzgeber des Einigungsvertrages typisierend in Kauf genommen worden.309

155

Dem Einigungsvertrag lasse sich, wie das Gericht ausführt, keine Einebnungsfunktion entnehmen. Er habe „durch die Anknüpfung an Entgelte oder Beiträge und an die im Juni 1990 gezahlten Renten die Unterschiede im Versorgungsniveau zwischen Berechtigten aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen einerseits und Angehörigen der Sozialpflichtversicherung und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung andererseits aufrecht erhalten“, indem er die Ansprüche und Anwartschaften insgesamt in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland überführt habe. Nur wenn infolge von verfassungskonformer Auslegung die Vorschriften über die Zahlbetragsgarantie als Garantie des Realwertes verstanden werden, bleiben in einer mit dem Gleichheitssatz zu vereinbarenden Weise „die Abstände erhalten, die zwischen dem Versorgungsniveau Zusatz- und Sonderversorgter und demjenigen der übrigen Rentner der Deutschen Demokratischen Republik bestanden.“ 310 IV. Urteil vom 28. April 1999 (1 BvR 1926/96, 485/97) – BVerfGE 100, 104

156

In dem o. a. Urteil wird zum einen § 6 Abs. 1 Satz 1 (i.V. m. Anlage 3) AAÜG nach Maßgabe der Gründe für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Zum anderen wird die Unvereinbarkeit von § 307 b Abs. 1 SGB VI (eingefügt durch 308

BVerfGE 100, 1 (49 f.). BVerfGE 100, 1 (51 f.). 310 BVerfGE 100, 1 (47) unter Hinweis auf Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., 1994, S. 86 ff. 309

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

81

Art. 1 Nr. 133 RÜG) mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit festgestellt, als bei der Neuberechnung von Bestandsrenten aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR die während der gesamten Versicherungszeit bezogenen tatsächlichen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden; zugleich wird der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 30. Juni 2001 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. 157

Soweit das Gericht die Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 1 (i.V. m. Anlage 3) AAÜG nach Maßgabe der Urteilsgründe feststellt, bezieht es sich auf eine Entscheidung vom selben Tage (E 100, 1), in der es die Zahlbetragsgarantie im Einigungsvertrag dahin interpretiert hat, daß der garantierte Zahlbetrag für Rentenbezugszeiten ab 1. Januar 1992 an die Lohn- und Einkommensentwicklung angepasst werden muss.

158

Als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sieht es das Bundesverfassungsgericht an, dass Zusatz- und Sonderversorgte im Vergleich mit anderen Rentnern aus dem Beitrittsgebiet hinsichtlich des Zeitpunkts der endgültigen Rentenfeststellung, der Berücksichtigung der Versicherungsbiographie bei der Ermittlung des monatlichen Rentenbetrags und des Zahlbetragsschutzes benachteiligt werden.311

159

Insbesondere Bezieher von mittleren und höheren Zusatzversorgungen sind nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts länger auf den Zahlbetrag nach § 307b Abs. 3 Satz 2 SGB VI verwiesen und erhalten unter Umständen erst Jahre später eine Nachzahlung der ihnen eigentlich zustehenden Rentenbeträge. Darüber hinaus sind Bestandsrentner mit Zusatz- oder Sonderversorgungen gegenüber solchen aus der Sozialversicherung und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung dadurch schlechter gestellt, dass ersteren bei der Neuberechnung ihrer Renten die während der gesamten Versicherungszeit bezogenen tatsächlichen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen angerechnet werden, während für die andere Gruppe hinsichtlich des individuellen Durchschnittseinkommens nur der Datenbestand aus den letzten zwanzig Jahren des Arbeitslebens des Versicherten berücksichtigt wird, was typischerweise zu einer Besserstellung führe, weil auch in der DDR Versicherte regelmäßig gegen Ende ihres Erwerbslebens die höchsten Einkommen bezogen hätten.312

160

Schließlich sieht das Gericht eine Schlechterstellung der Sonder- und Zusatzversorgten auch beim Zahlbetragsschutz, weil ihnen anders als den Bestandsrentnern mit Ansprüchen aus der Sozialpflichtversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung nicht die Erhöhungsbeträge aus den Anpassungen ihrer umgewerteten Renten bis zum 31. Dezember 1995 in vollem Umfange zugute kamen (dynamische Rentenanpassung).313 311 312 313

BVerfGE 100, 104 (127 f.). BVerfGE 100, 104 (129, 111 f.). BVerfGE 100, 104 (130).

82

1. Teil: Entwicklung

C. Die Gesetzesnovellierung durch das 2. AAÜG-Änderungsgesetz vom 27. Juli 2001 I. Entstehungsgeschichte 161

Aufgrund der vier Urteile des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1999 und der Verpflichtung des Gesetzgebers, bis zum 30. Juni 2001 verfassungsmäßige Neuregelungen zu erlassen, waren die gesetzgebenden Gewalten zu einer Korrektur des AAÜG in wesentlichen Punkten und zu einem zügigen Vorgehen verpflichtet. Daher beschloss die Bundesregierung am 20. Dezember 2000 den Regierungsentwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG), den sie beim Bundesrat einbrachte.314 Auf den aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung resultierenden Korrekturbedarf weist der Gesetzentwurf der Bundesregierung hin.315

162

Gleichzeitig heißt es in dem Entwurf, dass der Gesetzgeber „zur Vermeidung erneuter ideologisch geführter Diskussionen“ „grundsätzlich nicht über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts“ hinausgehe.316 Dieser Hinweis bezieht sich wohl in erster Linie darauf, dass die Entgeltbegrenzung für die Bemessungsgrundlage zur Rentenberechnung für Angehörige des Versorgungssystems MfS/ AfNS von 70 v. H. (nur) auf 100 v. H. des Durchschnittsentgelts angehoben wird, obwohl das Bundesverfassungsgericht317 darauf hingewiesen hatte, dass „allenfalls“ eine Absenkung auf das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet in Betracht komme,318 dass es verfassungsrechtlich geboten sei, „jedenfalls bei einer Kürzung“ diese Grenze nicht zu unterschreiten, und betont hatte, es sei dem Gesetzgeber „unbenommen, im Zusammenhang mit der Frage, in welcher Höhe Arbeitsverdienste von Angehörigen des MfS/AfNS bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden sollen, eine für die Betroffenen günstigere Lösung vorzuziehen und bei einer Neuregelung auch über dem Durchschnitt liegende Einkommensanteile als rentenwirksam anzuerkennen“, wozu er allerdings verfassungsrechtlich nicht verpflichtet sei.319

314 BR-Drucks. 3/01 vom 5.1.2001; zum Gesetzgebungsverfahren s. auch Rombach, Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – 2. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes verabschiedet, in: SGb. 2001, S. 474 ff.; die Darstellung bei Heine, Die Versorgungsüberleitung, 2003, S. 123, ist insoweit lückenhaft. 315 BR-Drucks. 3/01, S. 1 sub A sowie S. 18 sub Begründung, A I. 316 A. a. O. S. 18 f. 317 E 100, 138 (182). 318 E 100, 138 (182). 319 E 100, 138 (183 unten).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

83

163

Dem Bundestag wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung am 21. März 2001 zugeleitet,320 dessen erste Beratung in der 161. Sitzung vom 29. März 2001 erfolgte.321

164

In der Aussprache wies die Abgeordnete Claudia Nolte (CDU/CSU) darauf hin, es sei nicht „akzeptabel, dass wir uns ausschließlich um die Renten von MfS-Mitarbeitern kümmern, ohne etwas für die zu tun, die Opfer dieses Systems gewesen sind.“ 322 Die Abgeordnete Monika Balt (PDS) erklärte, der Gesetzentwurf könne von den Abgeordneten der PDS nicht akzeptiert werden, „weil er wegen unzulässiger pauschaler Rentenkürzung noch immer im Widerspruch zu Art. 3 des Grundgesetzes steht.“ 323 Die Abgeordnete Renate Jäger (SPD) machte darauf aufmerksam, daß die Bundesregierung die Kapitalentschädigung für die Opfer auf 600 DM erhöht habe, „um die Relationen zwischen den Entschädigungen der Opfer und den Renten ihrer Verursacher einigermaßen zu wahren.“ 324 Nach Auffassung der Abgeordneten Göring-Eckardt (Bündnis90/Die Grünen) sei „der richtige Blickwinkel für diese Debatte . . . der Blickwinkel der Opfer“; sie wandte sich gegen eine weitere Anhebung der Entgeltbegrenzung für Angehörige des MfS, weil dies „die Besserstellung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern bedeuten würde.“ 325 In der zweiten und dritten Beratung des Entwurfs, die in der 171. Sitzung des Bundestags am 18.5.2001 erfolgten,326 erklärte die Abgeordnete Claudia Nolte (CDU/CSU), es entspreche nicht ihrer Überzeugung, „Rentensteigerungen für ehemalige Mitarbeiter des MfS durchzusetzen, ohne auf der anderen Seite etwas für Opfer zu tun, die genau unter diesen Leuten gelitten haben.“ 327 Die Abgeordnete Dr. Irmgard Schwaetzer (FDP) merkte an, ihre Partei habe sich immer dagegen ausgesprochen, „das Rentenrecht mit politischen Motiven zu verknüpfen“, weshalb sie akzeptiere, dass „das Bundesverfassungsgericht nun die Versorgung der Bediensteten in staatsnahen Zusatz- oder Sonderversorgungssystemen auf etwa die Höhe angehoben hat, die die Volkskammer 1990 empfohlen hat.“ 328 Die Abgeordnete Monika Balt (PDS) fragte in der Debatte, ob es nicht „zutiefst inhuman“ sei, „dem Einzelnen ohne Nachweis einer individuellen Schuld mit einer Rentenstrafe als Racheakt zu begegnen?“ und schloss die weitere Frage an, weshalb „bei der Rentenberechnung Ost die politische Biografie berücksichtigt

320 321 322 323 324 325 326 327 328

BT-Drucks. 14/5640 vom 23.3.2001, S. 4. Plenarprotokoll 14/161, S. 15782 ff. Plenarprotokoll 14/161, S. 15784 (A). Plenarprotokoll 14/161, S. 15786 (C). Plenarprotokoll 14/161, S. 15788 (A). Plenarprotokoll 14/161, S. 15792 (C), 15793 (A). Plenarprotokoll 14/171, S. 16771 ff. Plenarprotokoll 14/171, S. 16774 (B). Plenarprotokoll 14/171, S. 16776 (D).

84

1. Teil: Entwicklung

[werde], wo doch im anderen Teil der Bundesrepublik jeder ohne Ansehen seiner Person eine Rente entsprechend seinen Beitragsleistungen bekommt?“ 329 165

Nach Zustimmung des Bundestages und Durchführung eines Verfahrens vor dem Vermittlungsausschuss, den der Bundesrat einberufen hatte, sowie nach erneuter Zustimmung von Bundestag und Bundesrat330 wurde das 2. AAÜG-Änderungsgesetz am 27. Juli 2001 ausgefertigt, am 2. August 2001 im Bundesgesetzblatt verkündigt und trat gemäß seinem Artikel 3 am Tage nach der Verkündung in Kraft.331 II. Gesetzesinhalt

166

Durch Artikel 1 bis 8 des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes werden insgesamt 8 Bundesgesetze und Rechtsverordnungen geändert, wobei die Änderungen für sich genommen vielfach nicht verständlich sind. Artikel 1 des Gesetzes enthält die Änderungen des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes, Artikel 2 die Änderungen des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (gesetzliche Rentenversicherung). 1. Art. 1 2. AAÜG-ÄndG

167

Wichtige, durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedingte Änderungen für Zusatz- und Sonderversorgungsberechtigte werden nicht durch gesetzliche Neuformulierungen normiert, sondern verbergen sich hinter der Neufassung einer Anlage (Anlage 6 AAÜG) und hinter einer Vorschrift über das Inkrafttreten (Art. 13 Abs. 7 Satz 1). So wird die Anhebung der Begrenzung des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgeltes für ehemalige Angehörige des MfS/ AfNS von 70 v. H. auf 100 v. H. des Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet dadurch erreicht, dass die neugefasste Anlage 6 AAÜG entsprechende Beiträge ausweist. Für Berechtigte, deren Überführungsbescheide eines Versorgungsträgers noch nicht bindend waren, als das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts erging, treten die Neuregelungen rückwirkend zum 1. Januar 1992 in Kraft (Art. 13 Abs. 8 2. AAÜG-ÄndG). Knapp zwanzig Jahre später wird der Berichterstatter der verfassungsgerichtlichen Leitentscheidung,332 Udo Steiner, im Rahmen einer Würdigung der Rentenüberleitung Ost feststellen, dass der Gesetzgeber „auch für die Überleitung von rentenrechtlichen Positionen von Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit (§ 7 AAÜG)“ „die Vorgabe des Einigungsvertrags, ungerechtfertigte Leistun329 330 331 332

Plenarprotokoll 14/171, S. 16777 (D). Vgl. hierzu Rombach, SGb. 2001, S. 474 (475 f.). BGBl. I S. 1939. s. oben RN 138 ff.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

85

gen abzuschaffen und überhöhte Leistungen . . . nicht anzuerkennen“ „in einer sehr pauschalierenden Weise umgesetzt hat.“ 333 168

Die Aufhebung der Begrenzung des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts für „systemnahe“ Sonder- und Zusatzversorgungssysteme sowie in Fällen der Ausübung „systemnaher“ Funktionen (i. d. F. des Rü-ErgG) wird dadurch erreicht, dass die Inkrafttretens-Vorschrift des Art. 13 in Absatz 7 eine rückwirkende Inkraftsetzung des § 6 Abs. 2 und 3 sowie der Anlage 4 und 5 AAÜG in der Fassung des AAÜG-Änderungsgesetzes vom 11.11.1996 vorsieht – allerdings wiederum nur für Personen, für die zum Zeitpunkt des entsprechenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts ein Überführungsbescheid eines Versorgungsträgers noch nicht bindend war.334

169

Die Aufhebung des bisherigen § 7 Abs. 1 Satz 3 AAÜG durch Art. 1 Nr. 3 lit. b führt dazu, dass nunmehr für den von § 7 AAÜG betroffenen Personenkreis die Grundsätze der Rente nach Mindesteinkommen anzuwenden sind.335

170

Hinter dem für sich genommen kaum verständlichen Artikel 1 Nr. 4 lit. b, der § 8 AAÜG ändert, steht die Übertragung der Versorgungsträgerfunktion des Zusatzversorgungssystems der SED/PDS von der PDS auf die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte.336

171

Artikel 1 Nr. 5 gestaltet die Zahlbetragsgarantie des § 10 AAÜG um. Die für die Leistungen aus den Zusatzversorgungssystemen nach Anlage 1 Nr. 1 oder 4 bis 18 AAÜG vorgenommene vorläufige Zahlbetragsbegrenzung wird aufgehoben. Der vorläufige Zahlbetrag der Leistungen des Sonderversorgungssystems des MfS/AfNS für Versichertenrenten wird auf den bereits vom Gesetzgeber der DDR festgesetzten Betrag angehoben (§ 2 des Gesetzes über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit vom 29.06.1990 [GBl. I Nr. 38, S. 501]).337 2. Art. 2 2. AAÜG-ÄndG

172

Artikel 2 Nr. 5 enthält eine Neufassung für die Berechnung der Bestandsrenten aus überführten Renten des Beitrittsgebiets (§ 307b SGB VI). Die Bestimmung setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts 333 Udo Steiner, Verfassungsrechtliche Fragen der Überleitung des Alterssicherungssystems der Deutschen Demokratischen Republik in die gesamtdeutsche gesetzliche Rentenversicherung, in: Ulrich Becker u. a. (Hg.), Alterssicherung in Deutschland, FS Franz Ruland, 2007, S. 315 (318); ebenso ders., Verfassungsfragen der deutschen Wiedervereinigung im Sozialrecht, NZS 2010, S. 529 (530 sub B I 1). 334 Vgl. hierzu auch BVerfGE 111, 115 (120 f.); vgl. auch Rombach, SGb. 2001, S. 474 (480 f.). 335 Vgl. die Amtliche Begründung, BT-Drucks. 14/5640 v. 23.3.2001, S. 15 l. Sp. 336 Vgl. BT-Drucks. 14/5640, S. 15 l. Sp. 337 BT-Drucks. 14/5640, S. 15; vgl. auch Rombach, SGb. 2001, S. 474 (478 ff.).

86

1. Teil: Entwicklung

hinsichtlich einer Vergleichsberechnung und der Zugrundelegung eines 20-JahreZeitraums vor dem Ende der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit um (§ 307b SGB VI Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 3 SGB VI).338

D. Weitere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts I. Die Kammer-Entscheidung des BVerfG vom 22. Juni 2004 (1 BvR 1070/02) – BVerfGK 3, 270 1. Entscheidungsbegründung 173

Mit dem o. g. Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats eine Verfassungsbeschwerde gegen die Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen von Angehörigen des MfS/AfNS der DDR auf das jeweilige Durchschnittseinkommen im Beitrittsgebiet wegen fehlender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen.

174

Die Kammer bekräftigt die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Gesetzgeber „für den MfS/AfNS davon ausgehen [durfte], dass in diesem Bereich deutlich überhöhte Entgelte gezahlt wurden.“ 339

175

Zugleich weist die Kammer unter Anführung von Rechtsprechungs-Zitaten darauf hin, dass eine erneute verfassungsrechtliche Überprüfung der Vorschrift des § 7 Abs. 1 AAÜG zulässig sei, „sofern neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts vorliegen, die andere Entscheidungen rechtfertigen können“. Demgegenüber seien der Beschwerdevortrag und die in Bezug genommenen Gutachten jedoch nicht geeignet, die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 28.4.1999 in Frage zu stellen, zumal die Gutachter selbst nicht beanspruchen, eine sachlich und zeitlich umfassende, auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse erarbeitete Analyse des Besoldungs- und Versorgungssystems im Bereich des MfS/AfNS vorzulegen.340 Die Kammer beanstandet, dass die Gutachten nur „begrenzte Zeiträume“ erfasst und „ihre Ergebnisse unter zahlreiche Vorbehalte“ gestellt hätten. Sie weist darauf hin, dass die „Beschäftigtenund Qualifikationsstruktur sowie die Struktur der beim MfS/AfNS erzielten ProKopf- und Durchschnittseinkommen“ in der DDR – anders als in anderen Arbeitsbereichen – „statistisch nicht hinreichend erfasst“ worden seien, wie auch aus den vorgelegten Gutachten deutlich werde.341 Im Hinblick auf diese besondere Situation – so die Kammer – habe das Bundesverfassungsgericht „dem Ge338 339 340 341

Vgl. hierzu auch Rombach, SGb. 2001, S. 474 (477 f.). BVerfGK 3, 270 (272 sub III 1). BVerfGK 3, 270 (272 f. sub III 2). BVerfGK 3, 270 (273).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

87

setzgeber bei der Ausgestaltung der Entgeltbegrenzung in § 7 Abs. 1 AAÜG das Recht zur pauschalen Einstufung und Bewertung zugestanden“. Das System der Staatssicherheit sei „darauf angelegt [gewesen], Informationen auch über die Gehälter seiner Angehörigen geheimzuhalten“ und habe dazu entsprechende Vorkehrungen getroffen, wie die Kammer unter Hinweis auf Jens Gieseke342 ausführt.343 Allerdings weist Gieseke344 auch darauf hin, dass „Übergangsbeihilfen“ und „gesonderte Übergangsgebührnisse“ „auf der Basis der gültigen Vergütungsund Versorgungsbestimmungen des MfS sowie der Förderungsbestimmungen wie sie etwa bei der Eingliederung von NVA-Berufssoldaten ins zivile Berufsleben ebenso praktiziert wurden“, entstanden seien und der Ministerrat „diese Regelungen im Kern am 14. Dezember 1989“ bestätigt habe. 176

Im Einzelnen beanstandet die Kammer weiter, dass eines der Gutachten nur einen „Vergleich der Entgeltstrukturen und Entgelthöhe mit dem produzierenden Gewerbe“ der DDR anstelle, dieser Sektor jedoch „durch hohe Arbeitseinkommen gekennzeichnet“ gewesen sei.345 Hinsichtlich des zweiten Gutachtens bemängelt die Kammer, dass dieses sich auf „die für 1985 und 1989 feststellbaren Verhältnisse“ beschränke, es aber bekannt sei, „dass sich in den 90er Jahren der Abstand zwischen den Spitzeneinkommen im Staatsbereich“ der DDR „zu dem Durchschnittseinkommen stark verringert hat.“ 346 Das Ergebnis beider Gutachter, „dass die Mitarbeiter des MfS/AfNS überdurchschnittliche Arbeitsverdienste erzielt“ hätten, entspricht nach Auffassung der Kammer „dem Stand der Forschung“, wobei sie sich wiederum auf Gieseke bezieht. Dieser hat347 für den Zeitraum von 1983 bis 1988 einen „Abstand zum DDR-Durchschnittseinkommen auf 420,00 bzw. 538,00 Mark“ – allerdings nur für die Berufssoldaten im MfS Berlin – berechnet.

177

Unter Berufung auf das frühere Urteil des Bundesverfassungsgerichts348 führt die Kammer des Bundesverfassungsgerichts aus, dass sich „die Vergütungs- und Versorgungsordnung des MfS/AfNS“ „in das Gesamtkonzept der Selbstprivilegierung dieses Staatsbereichs“ einfüge und der Gesetzgeber der DDR „dementsprechend überhöhte Versorgungen im Bereich des MfS/AfNS“ in § 2 f. des Gesetzes über die Aufhebung der Versorgungsordnung vom 29.6.1990 „pauschal gekürzt“ habe, woran nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „der Gesetzgeber . . . anknüpfen“ konnte.349 342

Jens Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit, 2000, S. 367,

525. 343 344 345 346 347 348 349

BVerfGK 3, 270 (273). A. a. O. S. 525. BVerfGK 3, 270 (273). BVerfGK 3, 270 (273) unter Hinweis auf BR-Drucks. 209/96, S. 11. A. a. O. S. 441. BVerfGE 100, 138 (179). BVerfGK 3, 270 (273); vgl. auch unten RN 504, 538, 547, 557.

88

1. Teil: Entwicklung

2. Die Wirkungen des Kammer-Beschlusses 178

Zwar ist die Entscheidungsbefugnis der Kammern geringer als die der Senate, da Kammern einer Verfassungsbeschwerde nur stattgeben dürfen, wenn die maßgebliche verfassungsrechtliche Frage bereits durch das Bundesverfassungsgericht entschieden ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), sie in den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 BVerfGG nicht entscheiden dürfen (§ 93c Abs. 1 Satz 3 BVerfGG), keine einstweiligen Anordnungen erlassen dürfen, mit der die Anwendung eines Gesetz ganz oder teilweise ausgesetzt wird (§ 93d Abs. 2 Satz 2 BVerfGG) und auch in den Fällen des § 32 Abs. 3 BVerfGG nicht entscheiden dürfen (§ 93d Abs. 2 Satz 3 BVerfGG). Im Übrigen sind aber auch die Kammern „das Bundesverfassungsgericht“, so dass z. B. die Ablehnung oder Annahme einer Verfassungsbeschwerde durch eine Kammer vom Senat nicht mehr korrigiert werden darf (arg. § 93b Satz 2 BVerfGG). Ausdrücklich ist die Gleichstellung von Kammern und Senaten für den einer Verfassungsbeschwerde stattgebenden Kammer-Beschluss in § 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG geregelt.350

179

Daher erwachsen stattgebende Kammer-Beschlüsse nicht nur in Rechtskraft, sondern lösen auch die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG aus.351 Diese Bindungswirkung führt dazu, dass die verfassungsrechtlichen Aussagen des Entscheidungsausspruchs und der tragenden Gründe die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden binden.352

180

Da „Entscheidungen“ im Sinne des § 31 Abs. 1 BVerfGG nur Sachentscheidungen, nicht Prozessentscheidungen sind,353 kommt Kammer-Beschlüssen, die die Annahme einer Verfassungsbeschwerde ablehnen, keine Bindungswirkung zu.354

181

Somit beschränkt sich im vorliegenden Fall der Ablehnungsbeschluss auf die Rechtskraft. Diese bedeutet als formelle Rechtskraft, in die auch die Nichtannahmebeschlüsse der Kammern gemäß § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG erwachsen,355 die Unanfechtbarkeit der erlassenen Entscheidung. Als materielle Rechtskraft bindet sie das Gericht und die Beteiligten in der Sache an die Entscheidungsformel des formell rechtskräftigen Erkenntnisses, wobei die Entscheidungsgründe 350

Vgl. auch BVerfGK 7, 229 (236). s. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 93c, RN 5, S. 5, 34. 352 Vgl. BVerfGK 7, 229 (237); Graßhof a. a. O. RN 34; Gaier, in: JuS 2011, S. 961 (963 sub II 3 a). 353 Vgl. BVerfGE 78, 320 (328 sub B I 2); Bethge, in: Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31 RN 83. 354 Ebenso BVerfGE 92, 91 (107); 53, 336 (348); 33, 1 (11); 23, 191 (207); Bethge, in: Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31 RN 84 m.w. N. in FN 337; Gaier, in: JuS 2011, S. 961 (963 sub II 3 a). 355 Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 8. Aufl., 2010 RN 478; Gaier, in: JuS 2011, S. 961 (962 sub II 1). 351

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

89

zur Ermittlung des Sinns der Entscheidungsformel herangezogen werden können.356 Allerdings wirkt die materielle Rechtskraft nur insoweit, wie es sich um denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien (inter partes) handelt.357 182

Darüber hinaus besteht eine innergerichtliche Bindungswirkung analog § 318 ZPO mit der Folge, dass die Entscheidung für alle anderen Spruchkörper des Bundesverfassungsgerichts unwiderruflich ist.358 Diese innergerichtliche Bindung differenziert nicht zwischen Senats- und Kammerentscheidungen, selbst wenn letztere ihre Kompetenzgrenzen überschreiten, z. B. weil eine „maßgebliche verfassungsrechtliche Frage“ (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) in dieser Spezifität noch nicht entschieden ist. Wegen der Vielzahl der Kammer-Entscheidungen ist daher die Gefahr einer „Verkammerung“ 359 der Rechtsprechung nicht von der Hand zu weisen. Bei Widersprüchen zwischen mehreren Entscheidungen ist die letzte Entscheidung maßgebend. Allerdings wird die Wirkung der innergerichtlichen Bindung dadurch abgeschwächt, dass das Bundesverfassungsgericht nicht an seine Entscheidungen gebunden ist, wobei allerdings die Rechtsfolgen eines konkreten Spruchs nicht in Frage gestellt werden dürfen.360

183

Die innergerichtliche Bindung wie die materielle Rechtskraft enden, wenn sich entscheidungserhebliche Sachverhalte gegenüber dem Zeitpunkt der Entscheidung ändern. Denn jede Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung bezieht sich „stets auf den Zeitpunkt, in dem die Entscheidung ergeht. Sie erfasst also nicht solche Veränderungen, die erst später eintreten.“ 361 Somit hindert die Rechtskraft einer Entscheidung nicht die Berufung auf neue Tatsachen, die nach der früheren Entscheidung entstanden sind, da jedes gerichtliche Erkenntnis „von den seinerzeit bestehenden Verhältnissen“ ausgeht.362

356 BVerfGE 4, 31 (38 f.); 5, 34 (37); 20, 56 (86); 78, 320 (328); Bethge, in: Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, RN 42 ff.; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht a. a. O., RN 479; Gaier, in: JuS 2011, S. 961 (963 sub II 2). 357 BVerfGE 4, 31 (38 f.); 78, 320 (328); 104, 151 (196); s. auch Gaier, in: JuS 2011, S. 961 (963 sub II 2). 358 Hierzu Bethge, in: Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31 RN 84: „innerprozessuale Bindungswirkung“. 359 Vgl. Georg Hermes, Senat und Kammern, in: Peter Badura/Horst Dreier (Hg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band I, 2001, S. 725 in und zu FN 2; wie hier auch Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, RN 265, S. 168. 360 Vgl. Bethge, in: Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31 RN 120; Georg Seyfarth, Die Änderung der Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht, 1998, S. 193 ff., insbes. S. 217 f. 361 BVerfGE 33, 191 (203); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, RN 480. 362 BVerfGE 33, 199 (203).

90

1. Teil: Entwicklung

II. Beschluss vom 23. Juni 2004 (1 BvL 3/98, 9/02, 2/03) – BVerfGE 111, 115 184

Mit dem o. a. Beschluss erklärt das Bundesverfassungsgericht § 6 Abs. 2 (i.V. m. den Anlagen 4 und 5) und § 6 Abs. 3 Nr. 8 AAÜG in der Fassung des AAÜG-Änderungsgesetzes vom 11.11.1996 und des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes vom 27.7.2001 mit Artikel 3 Absatz 1 GG für unvereinbar; es verpflichtet den Gesetzgeber, bis zum 30.6.2005 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. 1. Ausführungen zu Art. 3 Abs. 1 GG

185

Das Gericht wiederholt und bekräftigt seine Interpretation des Gleichheitssatzes, der es verbietet, „eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere“ zu behandeln, „obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“. Dabei gesteht es dem Gesetzgeber zu, „bei der Ordnung von Massenerscheinungen . . . generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden“, so dass „bestimmte in wesentlichen Elementen gleichgeartete Lebenssachverhalte normativ“ zusammengefasst werden dürfen und tatsächliche Besonderheiten „generalisierend vernachlässigt“ werden dürfen. Begünstigungen oder Belastungen könnten in einer gewissen Bandbreite zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung nach oben und unten pauschalierend bestimmt werden. Allerdings liege, so der Beschluss, „eine typisierende Gruppenbildung nur vor, wenn die tatsächlichen Anknüpfungspunkte im Normzweck angelegt“ seien. Außerdem sei sie nur zulässig, „wenn die mit ihr verbundenen Härten nicht besonders schwer wiegen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären.“ 363 2. Zum Abbau „überhöhter Leistungen“

186

Das Gericht bekräftigt seinen früheren Hinweis,364 dass schon mit der Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung „neben hohen auch überhöhte Rentenansprüche auf das durch die Beitragsbemessungsgrenze vorgegebene Maß vermindert worden“ seien.365

187

Deshalb müssten einer „darüber hinausgehenden zusätzlichen Bestimmung von Überhöhungstatbeständen“ Kriterien zugrunde gelegt werden, die in den tatsächlichen Verhältnissen eine Entsprechung finden, zumal der Gesetzgeber den Rentenbezug nicht für der DDR politisch nützliche Arbeitsleistungen habe ausschlie363 364 365

BVerfGE 111, 115 (137 sub C I 1 a). BVerfGE 100, 59 (93). BVerfGE 111, 115 (138, 142).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

91

ßen wollen, sondern lediglich politisch motivierten Versorgungszusagen, „denen keine Arbeitsleistung entsprach“, die rentenrechtliche Anerkennung versagen wollte. Aus der bloßen „Staats- und Systemnähe“ einer Berufstätigkeit könne aber nicht auf eine Entgeltzahlung geschlossen werden, „die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt gewesen“ sei.366 188

Zwar seien die Zugehörigkeit zu bestimmten Versorgungssystemen und die Höhe der Arbeitsentgelte nicht von vornherein ungeeignet, den Tatbestand eines „überhöhten Entgelts“ zu erfassen. In Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG müsse eine Regelung aber auf Tatsachen beruhen, die die Annahme rechtfertige, „dass überhöhte Arbeitsentgelte gerade an die vom Gesetz erfassten Gruppen gezahlt worden sind oder dass Entgelte ab den vom Gesetz festgelegten Grenzen als überhöht angesehen werden müssen.“ 367

189

Das Bundesverfassungsgericht hält an seiner früheren Beanstandung368 fest, dass „Zahlen über Lohn- und Gehaltsstrukturen in der Deutschen Demokratischen Republik, über das Einkommensgefüge in den einschlägigen Beschäftigungsbereichen und über das Verhältnis der dort erzielten Verdienste zum volkswirtschaftlichen Mittelwert“ fehlten, so dass der Gesetzgeber für die Angehörigen der in § 6 Abs. 2 AAÜG genannten Versorgungssysteme nicht generell annehmen könne, sie hätten in der DDR „ab einer bestimmten Schwelle überhöhte Arbeitsentgelte bezogen.“ 369

190

Das Gericht wiederholt seine frühere Forderung,370 dass für die Entgeltbegrenzung „ein sachgerechter Kürzungsmechanismus gewählt“ werden müsse, der sich „auf Erkenntnisse zur wirklichen Verteilung überhöhter Arbeitsverdienste im Bereich zwischen dem Durchschnittsentgelt und Entgelten an der Beitragsbemessungsgrenze stützen“ könne, denn in der DDR erzielte „hohe Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen seien nicht notwendig auch ,überhöhte‘ Entgelte, deren rentenrechtliche Anerkennung der Gesetzgeber ohne weitere Nachprüfung versagen“ dürfe.371 3. Benachteiligung vergleichbarer Personengruppen

191

Das Bundesverfassungsgericht vergleicht die in § 6 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 8 AAÜG geregelte Gruppe der Versorgungsberechtigten sowohl mit der Gruppe der Zusatzversorgten, deren Versorgungssystem nicht von § 6 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 8 AAÜG erfasst wird als auch mit der Gruppe derjenigen Versicherten, deren 366 367 368 369 370 371

BVerfGE 111, 115 (138) unter Hinweis auf E 100, 59 (95). BVerfGE 111, 115 (137 f.). Vgl. BVerfGE 100, 59 (95). BVerfGE 111, 115 (138). BVerfGE 100, 59 (97). BVerfGE 111, 115 (138 f.).

92

1. Teil: Entwicklung

Versorgungssystem zwar erfasst wird, deren Entgelte die Begrenzungsregelung (sog. E 3-Grenze) nicht erreichen. Während bei den beiden Vergleichsgruppen „ein höheres Arbeitseinkommen . . . auch zu einer höheren Altersrente“ führt und die Arbeitsentgelte nur durch die Beitragsbemessungsgrenze gekappt werden, erfolgt bei den von § 6 Abs. 2 und 3 Nr. 8 AAÜG Betroffenen „immer eine Absenkung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsverdienste auf ein Durchschnittseinkommen.“ 372 Damit – so das Urteil – verfehle der Gesetzgeber mit seinen Regelungen das einsichtige, legitime und im Einigungsvertrag vereinbarte Ziel, politisch motivierten Versorgungszusagen, denen keine entsprechende Leistung zugrunde lag, die Anerkennung zu versagen, weil er unzulässig typisiere und nicht erkennbar sei, dass die „unterschiedliche Behandlung der Angehörigen von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen auf Tatsachen beruht, welche die Annahme rechtfertigen, dass überhöhte Arbeitsentgelte gerade an die von § 6 Abs. 2 AAÜG erfassten Personengruppen gezahlt wurden“, was auch für die in § 6 Abs. 3 Nr. 8 AAÜG vorgenommene Anknüpfung gelte.373 192

Insbesondere fehle es, so das Gericht, an konkreten Erkenntnissen darüber, „ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen“ in der DDR überhöhte Entgelte gezahlt wurden; Erkenntnisse ließen sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien entnehmen. Den verfassungsrechtlichen, aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Anforderungen an eine verfassungsmäßige Regelung der Entgeltbegrenzung genüge es nicht, wenn der Gesetzgeber die in § 6 Abs. 2 AAÜG genannte Personengruppe unverändert lasse und lediglich dadurch einenge, dass er eine höhere Einkommensgrenze wähle und damit die Anzahl der Betroffenen verringere.374 Auf diese Weise sei bei gleichbleibendem Mechanismus ohne weitere tatsächliche Erkenntnisse lediglich die benachteiligte Gruppe verkleinert, der Kürzungsmechanismus aber vergröbert worden.375

193

Das Bundesverfassungsgericht beanstandet, dass auch die neue Begrenzungsregelung in § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG der Wirklichkeit nicht näher komme, weil sie „nicht von Erkenntnissen über eine strukturelle Erhöhung von Gehältern getragen“ werde und ihr konzeptionell eine unzulässige Gleichstellung von „hohem Einkommen“ und „überhöhtem Einkommen“ zugrunde liege; es fehle an Erkenntnissen darüber, „dass gerade in den betroffenen Versorgungssystemen ab Überschreiten der Gehaltsstufe E 3 überhöhte, weil nicht mehr leistungsorientierte Entgelte erzielt wurden“, was die Bundesregierung auch mit der Formulierung eingeräumt habe, dass die auf politische Begünstigung entfallenden Einkommensanteile „nicht bestimmbar“ seien und deswegen „ein solches Einkom-

372 373 374 375

BVerfGE 111, 115 (139 sub C I 2). BVerfGE 111, 115 (139 f. sub C I 3). BVerfGE 111, 115 (140 sub C I 3 a). BVerfGE 111, 115 (139 sub C I 3).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

93

men als Berechnungsgrundlage für die neu zu schaffenden Rentenansprüche insgesamt ungeeignet“ sei.376 194

Die unzulässige gesetzliche Typisierung folgt ausweislich der Urteilsgründe nicht nur aus der Auswahl der von der Rentenkürzung betroffenen Berufsgruppen und der maßgeblichen Entgelthöhe, sondern umgekehrt auch daraus, dass das Versorgungssystem anderer Berufsgruppen, z. B. der Angehörigen der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 AAÜG) nicht einbezogen worden sei, obwohl auch hier „politisch privilegierte Einkommen“ nicht auszuschließen seien.377

195

Verfassungsbedenken äußert das Gericht ferner hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von „Veränderungen im Einkommensgefüge“ der DDR, denen der Gesetzgeber, der durchgängig auf eine einheitliche, feste Gehaltsstufe abstelle, nicht Rechnung getragen habe; so machte die Gehaltsstufe E 3 1950 das 9-fache des Durchschnitts, 1989 aber teilweise nur das 1,6-fache des Durchschnittsverdienstes aus, weshalb die unveränderte Anknüpfung an die Gehaltsstufe E 3 „nicht sachlich nachvollziehbar“ sei.378

196

Darüber hinaus beanstandet das Gericht die mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbare rentenrechtliche Berücksichtigung altersabhängiger Einkommenselemente mit negativer Auswirkung für den Betroffenen: Es sei nicht erkennbar, weshalb altersbedingte Steigerungen des Arbeitsentgelts auf politischer Begünstigung beruhen sollten. Ein junger und früh beförderter Berufsinhaber dürfte dem „System“ näher gestanden haben als ein älterer, der aufgrund seines Lebens- und Dienstalters befördert wurde.379

197

Schließlich verfehlt nach Auffassung des Gerichts der vom Gesetzgeber gewählte Kürzungsmechanismus „schon im Ansatz die Merkmale einer Typisierung oder Pauschalierung“, da er zwar erst bei einem in den fünfziger und sechziger Jahren vergleichsweise sehr hohen und später relativ hohen Einkommen greife, dann aber „fallbeilartig“ alle erfassten Arbeitsentgelte auf das Durchschnittseinkommen kürze und daher die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten gleichheitskonformen Grundsätze nicht beachte.380 Auf diese Weise – so der Beschluss – fällt ein Betroffener, dessen Einkommen eine gewisse Grenze überschreite, „weit hinter den Rentenbetrag zurück, der ihm zuvor für seine niedrigeren Entgelte zugeordnet war“, und das auch dann, wenn mit der Einkommenserhöhung keine Funktionsänderung eingetreten sei. Damit habe der Gesetzgeber einen Weg gewählt, der „auch unter Berücksichtigung seiner besonderen Gestaltungsfreiheit bei der Neuordnung der sozialrechtlichen Verhältnisse in der Folge der Wiedervereinigung nicht mehr vertretbar“ sei; im Vergleich mit der verfas376 377 378 379 380

BVerfGE 111, 115 (141) unter Hinweis auf BT-Drucks. 13/4587, S. 8 r. Sp. BVerfGE 111, 115 (141 f. sub C I 3 b). BVerfGE 111, 115 (142 f.) unter Hinweis auf BR-Drucks. 209/96, S. 11. BVerfGE 111, 115 (143 sub C I 3 d). BVerfGE 111, 115 (143 sub C I 3 e) unter Hinweis auf BVerfGE 100, 59 (97).

94

1. Teil: Entwicklung

sungsrechtlich beanstandeten Vorgängerregelung habe er „den Typisierungsfehler noch verstärkt“. Schließlich handele der Gesetzgeber widersprüchlich: Wenn in den von § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG nicht erfassten Versorgungssystemen – jedenfalls bis zum Erreichen der Beitragsbemessungsgrenze – keine Entgeltbegrenzung veranlasst ist und somit „der Einkommensanteil zwischen dem Durchschnittseinkommen und der Beitragsbemessungsgrenze nicht als überhöht gilt, ist schwer einzusehen, weshalb dies in den ausgewählten Versorgungssystemen der Fall sein soll.“ 381 4. Verfassungsinkonforme Vergleiche a) „Täter“- und „Opfer“-Renten 198

Ausdrücklich weist es das Bundesverfassungsgericht zurück, die gesetzgeberische Lösung verfassungsrechtlich mit dem Argument zu rechtfertigen, „die Opfer des SED-Regimes erhielten auf der Grundlage des Gesetzes über die berufliche Rehabilitierung oft nur eine sehr geringe Altersversorgung, deswegen seien die Kürzungen in § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG ein Gebot der Gerechtigkeit und lägen im Interesse der politischen Akzeptanz“. Der Gesetzgeber könne Änderungen in der Altersversorgung der Opfer des SED-Regimes herbeiführen; eine „Unausgewogenheit in der Altersversorgung kann [jedoch] nicht dazu gereichen, die Beibehaltung einer gleichheitswidrigen Rentenkürzung zu legitimieren.“ 382 b) Pauschalierung im Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS

199

Abschließend verneint das Bundesverfassungsgericht eine Vergleichbarkeit der Pauschalierung in § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG einerseits und in § 7 AAÜG andererseits, weil die dem Gesetzgeber eröffnete Pauschalierungsmöglichkeit bei der Ausgestaltung der Kürzungsregelung in § 7 AAÜG „in den ganz spezifischen Verhältnissen des von dieser Vorschrift erfassten Bereichs begründet sei.“ 383

E. Erstes Gesetz zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 21. Juni 2005 I. Allgemeines 200

Da das Bundesverfassungsgericht384 den Gesetzgeber verpflichtet hatte, eine verfassungsmäßige Regelung in § 6 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 8 AAÜG bis zum 381 382 383 384

BVerfGE 111, 115 (144). BVerfGE 111, 115 (144 f.). BVerfGE 111, 115 (145) unter Hinweis auf E 100, 138 (178 bis 180). E 111, 115 (116).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

95

30.6.2005 zu treffen, legten die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 19.4.2005 den „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes“ 385 vor, der einige legislatorische Kuriositäten aufweist. 201

Zunächst wird die vom Bundesverfassungsgericht auferlegte Verpflichtung als „Möglichkeit“, eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen, bezeichnet.386

202

Des weiteren wird die Vorlage als Entwurf eines „Ersten Gesetzes“ zur Änderung des AAÜG überschrieben, was verwundert, weil der Gesetzgeber 1996 ein „Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes“ mit dem Kurztitel „AAÜG-Änderungsgesetz“ 387 und im Jahre 2001 ein „Zweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes“ mit dem Kurztitel „Zweites AAÜG-Änderungsgesetz“ 388 erlassen hatte, wobei hinzukommt, dass das AAÜG als Art. 3 des Renten-Überleitungsgesetzes schon vor seinem Inkrafttreten durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG-ÄndG)389 und knapp achtzehn Monate nach seinem Inkrafttreten durch Art. 3 des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes (Rü-ErgG)390 geändert worden war.

203

Da nach allem die Geschichte des AAÜG in erster Linie eine Geschichte seiner Änderungen ist, erstaunt die Gesetzesüberschrift, die zu suggerieren scheint, dass das AAÜG erst vierzehn Jahre nach seinem Erlass zum ersten Male gesetzlich geändert wird. Bezeichnenderweise fehlt dem Gesetzentwurf die Angabe von Kurztitel und Abkürzung,391 was sich wohl daraus erklärt, dass man vier Jahre nach Inkrafttreten eines „Zweiten AAÜG-Änderungsgesetzes – 2. AAÜG-ÄndG“ nicht den Kurztitel „1. AAÜG-ÄndG“ verwenden konnte.

204

Verwunderlich ist weiterhin, dass unter dem Gliederungspunkt „D. Finanzielle Auswirkungen“ 392 „Minderausgaben“ „im Vergleich zu der Rechtslage, die sich aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts bei Verzicht auf eine gesetzliche Neuregelung ergeben würde“, angeführt werden.393

385

BT-Drucks. 15/5314. BT-Drucks. 15/5314 S. 1 sub A. 387 BGBl. I S. 1674; vgl. oben RN 122. 388 BGBl. I S. 1881, s. oben RN 161. 389 Vom 18. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2207), s. oben RN 77. 390 Vom 18. Juli 1993 (BGBl. I S. 1038), s. oben RN 104. 391 Hierzu Hans Schneider, Gesetzgebung, 3. Auflage, 2002, RN 318. 392 BT-Drucks. 15/5314, S. 2. 393 Kritisch auch Staatsminister Erwin Huber (Bayern) in der 611. Sitzung des Bundesrates vom 27.5.2005 (BR-Plenarprotokoll 811, S. 223* Anlage 4 [D]), der die Darstellung als „irreführend und verfälschend“ bezeichnet. 386

96

1. Teil: Entwicklung

II. Entstehungsgeschichte 205

Der Gesetzentwurf wurde in erster Beratung vom Bundestag an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.394

206

Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss) legte am 11.5.2005 eine Beschlussempfehlung und einen Bericht vor.395 In dem Bericht heißt es, dass dem Gesetzgeber für die Regelung einer Begrenzung des rentenrelevanten Einkommens im Einklang mit der Verfassung „nur ein sehr enger Gestaltungsspielraum zur Verfügung“ stehe; es werde im wesentlichen darauf abgestellt, dass es „rechtlich und sozialpolitisch widersprüchlich wäre, Personen, die in herausgehobenen Funktionen im Partei- und Staatsapparat dem MfS und AfNS gegenüber rechtlich oder faktisch weisungsbefugt waren, erheblich höhere Renten zuzubilligen als jenen, deren für die Rentenberechnung relevante Entgelte wegen der Mitarbeit im MfS beziehungsweise AfNS begrenzt würden.“ Ergänzend werde an das „in bestimmten Staatsbereichen der DDR herrschende ,Gesamtkonzept der Selbstprivilegierung‘“ angeknüpft; es habe „jedenfalls in den höchsten Ebenen des sogenannten Kadernomenklatursystems der DDR bei der Besetzung von Schlüsselpositionen eine systemimmanente Selbstbegünstigung gegeben, die generell politischer Zuverlässigkeit den Vorrang vor fachlicher Eignung eingeräumt habe.“ 396

207

Die Typisierung des Gesetzentwurfs – so der Bericht – orientiere sich an der Vorschrift des § 6 Abs. 5 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR,397 die eine entsprechende Anwendung des Stasi-UnterlagenGesetzes für Personen, die gegenüber Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes rechtlich oder faktisch weisungsbefugt waren, anordne.398

208

Weiter führt der Bericht aus, alle Fraktionen im Deutschen Bundestag billigten den Ansatz im Gesetzentwurf, „die Entgeltbegrenzung auf diejenigen Personen zu erstrecken, die insbesondere solche Funktionen im Parteiapparat der SED, in der Regierung oder im Staatsapparat ausgeübt haben, die auch eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sowie dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umfasste.“ 399

209

Der Bericht vermerkt auch, dass Vertreter aller Fraktionen betont hätten, „dass aus Sicht der SED-Opfer sicherlich schwer nachvollziehbar sei, daß trotz der Neuregelung viele Funktionäre erhebliche Rentenverbesserungen erhielten.“ 400 394 172. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 21.4.2005, Plenarprotokoll 15/172, S. 16090 (B). 395 BT-Drucks. 15/5488. 396 BT-Drucks. 15/5488, S. 4 sub IV A. 397 Vom 20.12.1991 (BGBl. I S. 2272). 398 BT-Drucks. 15/5488, S. 4 sub II. 399 BT-Drucks. 15/5488, S. 5 sub B. 400 BT-Drucks. 15/5488, S. 5 sub IV A.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

210

97

Der Bundestag beriet den Gesetzentwurf in seiner 175. Sitzung vom 12.5.2005 in zweiter und dritter Lesung. In der Aussprache vertrat die Abgeordnete Petra Pau (fraktionslos) die Auffassung, das neue Gesetz breche nicht „mit dem eingeführten Rentenstrafrecht“, das es sogar verschärfe; wegen des Stichtages würden auch Mitglieder der Modrow-Regierung wie auch ein DDR-Bürgerrechtler oder der Kollege Eppelmann „mit Rentenentzug bestraft werden.“ 401 Die Abgeordnete Erika Lotz (SPD) bezeichnete den Gesetzentwurf als „ein lehrreiches Beispiel dafür, wie politisch Gewolltes durch die Mühlen der Gerichte immer weiter verunstaltet wird, um letztlich auf ein Minimum reduziert zu werden.“ 402 Die Abgeordnete fuhr fort, dass eine „individuelle Prüfung, welche Einkommensbestandteile politisch motiviert waren, . . . aus tatsächlichen und praktischen Gründen leider nicht möglich“ sei; der Gesetzentwurf beschränke die Entgeltbegrenzung auf Funktionen im Parteiapparat der SED, in der Regierung oder im Staatsapparat, die „auch eine faktische oder rechtliche Weisungsbefugnis gegenüber dem MfS beziehungsweise dem AfNS“ umfassten; im Rahmen der Gesetzesberatungen habe es sich herausgestellt, dass es weitere Funktionsträger im Partei- und Staatsapparat gab, die auf Entscheidungen des MfS beziehungsweise AfNS Einfluss nehmen konnten, z. B. leitende Funktionäre der SED-Bezirks- oder Kreisleitungen, Mitglieder von Staats- und Ministerrat einschließlich der jeweiligen Stellvertreter, Staatsanwälte und Richter der sogenannten I-A-Senate, leitende Mitarbeiter der Abteilung „Sicherheit“ des Zentralkomitees der SED sowie Mitglieder der Bezirks- oder Kreis-Einsatzleitungen.403 Die Abgeordnete Maria Michalk (CDU/CSU) wies in ihrem Beitrag u. a. darauf hin, dass „fraktionsübergreifend die Gerechtigkeitslücke zwischen Systemprivilegierten und Systemopfern Schritt für Schritt“ geschlossen werden solle, wobei der Gesetzentwurf den „systemnahen Entscheidungsträgern keinen nachträglichen Triumph“ ermöglichen solle.404 Die Abgeordnete Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen) wies auf die Entscheidung des Gesetzentwurfs hin, „für diejenigen, die gegenüber Mitarbeitern des MfS faktisch oder rechtlich weisungsberechtigt waren, . . . die Entgelte weiter“ zu begrenzen, wobei dieser Gesetzentwurf im Übrigen „von den Opfern des SEDRegimes als Zumutung empfunden“ werde.405 In einer nachträglich zu Protokoll gegebenen Rede warf der Abgeordnete Klaus Haupt (FDP) der Bundesregierung vor, nicht, wie vom Verfassungsgericht gefordert, geprüft zu haben, „in welchen Bereichen des Staatsdienstes der ehemaligen DDR solche politisch überhöhten Gehälter gezahlt wurden. Nur auf einer solchen Grundlage hätten wirklich angemessene Kürzungsmechanismen erstellt werden können“. Er forderte namens seiner Fraktion von der Bundesregierung „wie vom Bundesverfassungsgericht be401 402 403 404 405

BT-Plenarprotokoll 15/175, S. 16494 (B). BT-Plenarprotokoll 15/175, S. 16549, Anlage 13 (C). BT-Plenarprotokoll 15/175, S. 16550 (B, C). BT-Plenarprotokoll 15/175, S. 16552 (B). BT-Plenarprotokoll 15/175, S. 16552 (C, D).

98

1. Teil: Entwicklung

schlossen, eine Aufstellung der Gehaltsstrukturen im öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR, die Grundlage für eine faire Auswahl der Personen sein kann, bei denen Einschnitte bei der Rente verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sind.“ 406 211

Im Bundesrat407 missbilligte Staatsminister Erwin Huber (Bayern) die Vorgehensweise der Bundesregierung, mit der verspäteten Gesetzesvorlage Bundestag und Bundesrat letztlich vor vollendete Tatsachen zu stellen. Er kritisierte, dass die Bundesregierung die Begrenzung politisch überhöhter DDR-Renten auf Mitarbeiter des MfS und des AfNS sowie auf die politische Spitze, die diese Institutionen steuerten, beschränke und damit sonstigen Personenkreisen, die aufgrund ihrer Systemnähe überhöhte Entgelte bezogen haben, „Rentenerhöhungen auf fast das Doppelte der bisher gezahlten Beträge“ verschaffe. Die Bundesregierung, so die Argumentation, „hätte im Laufe der Jahre unter dem Eindruck der Rechtsprechung, die sich gegen pauschalierende Kürzungen wandte, auch unter dem Aspekt der Verhinderung überhöhter Renten“ nach dem AAÜG „eine gründliche Aufklärung der DDR-Machtstrukturen vornehmen können und müssen, was nicht geschehen sei“.

212

Da der Bundesrat von einer Anrufung des Vermittlungsausschusses absah, wurde das „Erste Gesetz zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes“ am 21.6.2005 ausgefertigt und sodann verkündet.408 III. Einzelregelungen

213

Durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes wird § 6 Abs. 2 AAÜG neu gefasst und § 6 Abs. 3 AAÜG aufgehoben. Aufgrund der Neufassung des § 6 Abs. 2 werden für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach Anlage 1 oder Anlage 2 Nr. 1 bis 3 AAÜG bis zum 17. März 1990 den Pflichtbeitragszeiten als Verdienst höchstens der jeweilige Betrag der Anlage 5, also der Durchschnittsverdienst, lediglich dann zugrunde gelegt, wenn eine in Nr. 1 bis Nr. 9 aufgeführte Beschäftigung oder Tätigkeit (z. B. als Mitglied, Kandidat oder Staatssekretär im Politbüro der SED usw.) ausgeübt wurde.

214

Das Inkrafttreten des Gesetzes regelt dessen Artikel 2. Nach dessen Absatz 1 tritt es grundsätzlich mit Wirkung vom 1. Juli 2004 in Kraft. Abweichend davon regeln die Absätze 2 und 3 eine rückwirkende Inkraftsetzung zum 1. Januar 1997 beziehungsweise zum 1. Juli 1993. Dies gilt jedoch nur für Personen, deren Bescheide am 23.6.2004 noch nicht bindend waren, sofern diese auf § 6 Abs. 2, 3 AAÜG in der Fassung des Gesetzes vom 27.7.2001 oder vom 11.11.1996 beruhten (Art. 2 Abs. 1) oder sofern diese Bestimmungen „angewandt wurden“ (Abs. 3). 406 407 408

BT-Plenarprotokoll 15/176, S. 16663 (16664 [A, B]). 811. Sitzung vom 27.5.2005, Plenarprotokoll 811, S. 323*. BGBl. I S. 1672.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

215

99

Daher ist die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts,409 „durch Art. 2 Abs. 3 des 1. AAÜG-ÄndG“ sei § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des Gesetzes vom 21.6.2005 „rückwirkend zum 1. Juni 1993 in Kraft gesetzt“, in dieser Pauschalität unzutreffend und überdies hinsichtlich des angegebenen Datums unkorrekt.

F. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2010 (1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08) – BVerfGE 126, 233 I. Beschluss und Beschlussgründe 1. Beschluss 216

Aufgrund von Klagen von Ministern und stellvertretenden Ministern der DDR und dementsprechenden Aussetzungs- und Vorlagebeschlüssen des Landgerichts Berlin und des Thüringer Landessozialgerichts hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 6. Juli 2010 zur gesetzlichen Begrenzung des bei der Rentenberechnung berücksichtigungsfähigen Entgelts solcher Personen Stellung genommen, die in der Deutschen Demokratischen Republik eine Funktion als Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes Mitglied von Staatsoder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter im Falle einer Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach Anlage 1 oder Anlage 2 Nr. 1 bis 3 bis zum 17. März 1990 hatten, wobei das Gericht nur den entscheidungserheblichen § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG überprüfte.410 2. Beschlussgründe

217

Einleitend stellt das Gericht fest, dass „der Gesetzgeber im Bestreben, überhöhte Anwartschaften abzubauen, wegen der Sonderstellung des MfS die Mitarbeiter der Staatssicherheit mit der Begrenzungsregelung des § 7 AAÜG unterschiedslos ohne Differenzierung nach der ausgeübten Tätigkeit erfassen konnte“, eine entsprechende Regelung „für alle Mitarbeiter des Partei- und Staatsapparates indessen zu weit gehen“ würde.411

218

In Bezug auf den eng gefassten Personenkreis in § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG sei jedoch der Beschluss des Gesetzgebers gerechtfertigt, dass „diese Personengruppen bei generalisierender Betrachtungsweise leistungsfremde, politisch begründete und damit überhöhte Arbeitsverdienste bezogen haben.“ 412 409 410 411 412

E 126, 233 (242). BVerfGE 126, 233 (255). BVerfGE 126, 233 (259). BVerfGE 126, 233 (260) unter Zitierung von E 100, 59 (96).

100

1. Teil: Entwicklung

219

In den Gründen führt das Gericht weiter aus: Beschränke sich der Gesetzgeber darauf, „die Rentenhöhe nur solcher Personengruppen zu begrenzen, die unzweifelhaft von ungerechtfertigten Vorteilen profitiert haben, so ist sein Gestaltungsspielraum weiter als im umgekehrten Fall der Regelungserstreckung auf einen großen Personenkreis, bei der die Gefahr besteht, auch Personen zu erfassen, deren höhere Leistungen gerechtfertigt sind“.

220

Ob die Beschlussgründe zu § 7 AAÜG an der Rechtskraft, Bindungswirkung und Gesetzeskraft des Beschlusses teilhaben oder ob es sich nur um unverbindliche „obiter dicta“ handelt, ist zunächst anhand der Beschlussformel zu ermitteln.

221

Das Komitee des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat im Übrigen zum fünften Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland, der am 6. und 9. Mai 2011 erörtert wurde, am 20. Mai 2011 „Concluding Observations“ angenommen.413 So äußert das Komitee in Punkt 22 seine Besorgnis „über die Diskriminierung hinsichtlich der Rechte über soziale Sicherheit zwischen den östlichen und den westlichen (Bundes-)Ländern, wie sie in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2010 über die Renten der Minister und stellvertretenden Minister zum Ausdruck kommen. Das Komitee fordert den Vertragsstaat auf, unverzügliche effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die weitere Diskriminierung hinsichtlich der sozialen Sicherheit zwischen Ost und West zu beseitigen und bestehende Fälle einer solchen Diskriminierung zu beseitigen“. II. Beschlussformel

222

In dem o. a. Beschluss stellt das Bundesverfassungsgericht (nur) fest, dass § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG in der Fassung des ersten Gesetzes zur Änderung des AAÜG vom 21.6.2005 (BGBl. I S. 1672) „mit dem Grundgesetz vereinbar“ ist. III. Rechtskraft, Bindungswirkung und Gesetzeskraft des Beschlusses 1. Grundsätzliches

223

Dem o. a. Beschluss kommt zum einen Rechtskraft und – da es sich um eine Sachentscheidung handelt – auch Bindungswirkung zu.414

224

Zum anderen hat die o. a. Entscheidung gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG auch Gesetzeskraft, da das Bundesverfassungsgericht über die Vereinbarkeit ei413 Vgl. hierzu grundsätzlich Eckart Klein, „Allgemeine Bemerkungen“ der UNMenschenrechtsausschüsse, in: Merten/Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. VI/2, 2009, § 177, S. 355 ff. 414 § 31 Abs. 1 BVerfGG; vgl. oben RN 178 ff.

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

101

nes Bundesgesetzes mit dem Grundgesetz auf Antrag von Gerichten (Art. 100 Abs. 1 GG) entschieden hat (§ 13 Nr. 11 BVerfGG), weshalb in diesem Falle die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen ist (§ 31 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG).415 225

Durch die Gesetzeskraft wird die Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über § 31 Abs. 1 BVerfGG hinaus in personaler Hinsicht auf alle Bürger erstreckt (erga omnes-Wirkung). Angesichts dieser ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ist es unerheblich, ob die generelle Wirkung bereits aus der Entscheidung selbst folgen würde, „weil über die Gültigkeit von Normen, d.h. über generell-abstrakte Regelungen, und über ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht prinzipaliter nur mit genereller Wirkung entschieden werden kann.“ 416 a) Grenzen der Rechtskraft und Bindungswirkung

226

Grenzen der Rechtskraft und der Bindungswirkung (einschließlich der Gesetzeskraft) ergeben sich zum einen aus der Entscheidungsformel selbst und folgen zum anderen aus dem Wesen der Institute. aa) Entscheidungsformel

227

Nur im Umfang des Wortlauts der Entscheidungsformel kann diese auch in Rechtskraft und Gesetzeskraft erwachsen und Bindungswirkung erzeugen. Da das Gericht die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz ausdrücklich auf § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG beschränkt hat, erstreckt sich die festgestellte Grundgesetzkonformität auf das AAÜG nur, soweit „eine Beschäftigung oder Tätigkeit“ als „Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes Mitglied von Staatsoder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter“ „ausgeübt wurde“. Die übrigen in § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und Nr. 5 bis 9 aufgeführten Beschäftigungen oder Tätigkeiten sind von der Feststellung der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz nicht betroffen und werden von ihr nicht erfasst.

228

Das ergibt sich im vorliegenden Falle auch aus der einschränkenden Auslegung der gerichtlichen Vorlagebeschlüsse durch das Bundesverfassungsgericht selbst. Hatten die vorlegenden Gerichte die Vorschrift des § 6 Abs. 2 AAÜG insgesamt zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung gestellt, war für das Bundesverfas-

415

Vgl. für den o. a. Beschluss BGBl. I 2010, Nr. 42 v. 13.8.2010, S. 1157. So Karl August Bettermann, Die konkrete Normenkontrolle und sonstige Gerichtsvorlagen, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Band I, 1976, S. 323 (366); vgl. auch Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 8. Auflage, 2010, RN 496 mit FN 151. 416

102

1. Teil: Entwicklung

sungsgericht in beiden Verfahren ausdrücklich nur § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG entscheidungserheblich, und auch nur hierüber hat es entschieden.417 bb) Grenzen aus dem Wesen von Rechtskraft und Bindungswirkung (1) Rechtskraft 229

Aus dem Wesen der Rechtskraft als eines allgemeinen Prozessinstituts folgt, dass sich die materielle Rechtskraft „auf die Entscheidungsformel, den Entscheidungstenor, beschränkt.“ 418 Dabei ist anerkannt, dass die die Entscheidung tragenden Gründe zur Ermittlung des Sinnes der Urteilsformel herangezogen werden können.419 (2) Bindungswirkung

230

Anders als bei der Rechtskraft (und Gesetzeskraft) ist die Funktion der tragenden Entscheidungsgründe bei der Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG umstritten. Zwar scheint das Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit die Bindungswirkung auf die Entscheidungsformel beschränken zu wollen, wenn es darauf hinweist, dass diese „zunächst die Entscheidungsformel“ umfasse und Gegenstand der Bindungswirkung „die konkrete Entscheidung“ sei.420 Diese Auffassung wird auch von einem beachtlichen Teil des Schrifttums vertreten, das andernfalls eine „Kanonisierung“ von Sätzen des Gerichts fürchtet.421

231

Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht – jedenfalls in seiner früheren Rechtsprechung422 – die Bindungswirkung dadurch charakterisiert, dass „die sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden

417

BVerfGE 126, 233 (234, 255). Bethge, in: Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31 RN 94; ebenso Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 8. Auflage, 2010, RN 479; BVerfGE 4, 31 (38 f.): „Diese (i. e. materielle Rechtskraft) bezieht sich nur auf die Entscheidungsformel, nicht auf die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Urteilselemente.“ 419 Vgl. BVerfGE 4, 31 (38 f.); 20, 56 (86); 78, 320 (328); Schlaich/Korioth a. a. O., RN 479; Bethge a. a. O., RN 95; Gaier, in: JuS 2011, S. 961 (963 sub II 2). 420 BVerfGE 104, 151 (197); vgl. hierzu auch E 115, 97 (109). 421 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, RN 487 m.w. N. in FN 132 u. a. auf Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, § 44 V 3 g b, S. 1038; Karl August Bettermann, Richterliche Normenkontrolle als negative Gesetzgebung?, DVBl. 1982, S. 91 (95 sub V 2 [„Rückfall in über hundert Jahre überwundene Vorstellungen“]); Hoffmann-Riem, Beharrung oder Innovation – zur Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, in: Der Staat 13 (1974), S. 335 (356). 422 Vgl. BVerfGE 40, 88 (93) unter Hinweis auf E 19, 377 (391 f.; 20, 56 (87); 24, 289 (297). 418

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

103

Grundsätze für die Auslegung der Verfassung von den Gerichten in allen künftigen Fällen beachtet werden müssen.“ 423 232

Die weitgehende Interpretation des § 31 Abs. 1 BVerfGG birgt nicht nur eine Versteinerungsgefahr, sondern ist auch widersprüchlich, weil bei gleichbleibenden Verhältnissen zwar alle anderen Bindungsadressaten, aber nicht das Bundesverfassungsgericht von der Bindungswirkung erfasst werden sollen. Auf diese Weise fehlt es an Änderungsanstößen von Verwaltung und Rechtsprechung und entsteht ein Grundgesetz aus Richterhand. b) Tragende und nichttragende Entscheidungsgründe

233

Bedeutsamer als der Umfang der Bindungskraft ist jedoch die Unterscheidung von tragenden und nichttragenden Entscheidungsgründen, da erstere gegebenenfalls für die Auslegung des Entscheidungstenors herangezogen werden müssen, letztere aber auf jeden Fall nicht in Rechtskraft, Gesetzeskraft erwachsen und auch keine Bindungswirkung entfalten können. aa) Tragende Entscheidungsgründe

234

Tragende Entscheidungsgründe machen die ratio decidendi aus.424 Sie sind derjenige Teil der Entscheidungsbegründung, mit dem der Tenor aus dem Recht abgeleitet wird; sie „tragen“ den Tenor, weshalb ohne sie die Entscheidung anders ausfallen müsste.425 Als „tragend“ sind jene Entscheidungsgründe anzusehen, „die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfällt.“ 426

235

Keinesfalls können die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Leitsätze, die der Entscheidung vorangestellt werden, als tragende Entscheidungsgründe mit der Begründung angesehen werden, dass das Gericht sie „als Kern seiner Entscheidung ansieht und mit bindender Wirkung ausstatten will“, wie das Bundesverwaltungsgericht meint.427 Dieser Auffassung ist schon deshalb nicht zu folgen, weil Leitsätze aus einer Entscheidung das herausgreifen, was allgemein relevant und für die Öffentlichkeit von Interesse ist, als tragende Gründe aber nur 423 BVerfGE 40, 88 (93); ebenso Bethge, in: Maunz, Bundesverfassungsgerichtsgesetz § 31 RN 96. 424 Bethge, in: Maunz, Bundesverfassungsgerichtsgesetz § 31 RN 96 a. E. 425 Christian Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Auflage, 1991, § 20 II 3 b, S. 289. 426 BVerfGE 115, 97 (110); 96, 375 (404); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 8. Aufl., 2010, RN 488; Helge Sodan/Olaf Gast, Umverteilung durch „Risikostrukturausgleich“, 2002, S. 20. 427 BVerwGE 73, 263 (268); 77, 258 Leitsatz 1.

104

1. Teil: Entwicklung

diejenigen anerkannt werden können, die die konkrete Entscheidung tragen und für diese unerlässlich sind.428 Da es keine Regelung über die Aufstellung von Leitsätzen gibt, schwankt deren Zahl erheblich. So nehmen in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975429 die Leitsätze mehr als zwei Druckseiten ein. Das „Südweststaats“-Urteil430 enthält Leitsätze im Umfang von mehr als fünf Druckseiten.431 Dagegen fehlt beispielsweise in dem Beschluss vom 1. Juli 2009432 jeglicher Leitsatz. Mitunter beschränkt sich ein Leitsatz auf die Feststellung der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit einer Maßnahme in einem Satz, so dass daraus keine tragenden Entscheidungsgründe entnommen werden können.433 236

Vielfach sind Leitsätze wesentlich offener und plakativer gefasst als der entsprechende Teil der Entscheidungsbegründung, so dass sie scheinbar mehr „tragen“ als die „tragenden Gründe“ hergeben, insbesondere weil auch für die Entscheidung bedeutungslose Erwägungen aufgenommen werden.

237

Zu Recht lehnt das Schrifttum weitaus überwiegend die Gleichsetzung von Leitsätzen und tragenden Entscheidungsgründen ab.434 Die tragenden Gründe gleichen nach allem einem Gerüst, das in sich zusammenfiele, wenn man für die Statik erforderliche Teile entfernte. bb) Nichttragende Entscheidungsgründe

238

Nichttragende Entscheidungsgründe sind diejenigen Teile eines Erkenntnisses, die hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis, wie es aus dem Entscheidungszusammenhang folgt, entfiele. Als nichttragend hat das Bundesverfassungsgericht435 die „bei Gelegenheit einer Entscheidung gemachten Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs zwischen genereller Rechtsregel und konkreter Entscheidung stehen“, bezeichnet. Auch wenn „Richtern bestimmte Rechtsauffassungen wichtig erscheinen“, sind die hierzu gemachten Ausführungen nicht bereits tragende Gründe. Das ist vielmehr nur dann der Fall, wenn sie „erkennbar im Begrün428 So auch Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, RN 489; ähnlich Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl., 2012, RN 365, 1452. 429 BVerfGE 39, 334. 430 BVerfGE 1, 14. 431 A. a. O., S. 14 bis 19. 432 BVerfGE 124, 161. 433 Vgl. BVerfGE 124, 235. 434 Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, RN 489; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 RN 37 mit FN 84; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 3. Auflage, 2012, RN 1452; Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band III, 6. Auflage, 2010, Art. 94 Abs. 2 RN 32. 435 BVerfGE 96, 375 (404).

4. Kap.: Die Renten-Überleitung im wiedervereinigten Deutschland

105

dungszusammenhang für die Entscheidung des Falles erheblich geworden sind.“ 436 239

Nicht entscheidungserhebliche Gründe werden als „obiter dicta“ bezeichnet.437 Die Gründe für die Aufnahme von obiter dicta in die Entscheidungsbegründung sind vielfältig. Sie können sich auch aus der Beratung im Spruchkörper ergeben und die Meinung einer Minderheit widerspiegeln – möglicherweise sogar, um die Veröffentlichung einer abweichenden Meinung zu verhindern; sie können auch im Interesse der Akzeptanz des Erkenntnisses formuliert werden, um neben der Sache liegenden Rechtsausführungen insbesondere der unterlegenen Prozesspartei Rechnung zu tragen. Daher wird ein Gericht, „das nicht nur Recht haben, sondern auch überzeugen will, . . . wohl eher mehr als weniger Gründe für seine Entscheidung formulieren.“ 438

240

Nichttragende Entscheidungsgründe, die dem prozessualen Puristen ohnehin ein Greuel sind, können weder für die Auslegung des Entscheidungstenors herangezogen werden noch – falls man eine weite Interpretation des § 31 Abs. 1 BVerfGG vertritt – an der Bindungswirkung teilnehmen. 2. Tragende und nichttragende Gründe des Beschlusses a) Tragende Gründe

241

Für den o. a. Beschluss gehört es beispielsweise zu den tragenden Entscheidungsgründen, dass das Gericht den Gesetzgeber im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG für berechtigt hält, „generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen einschließlich der damit verbundenen Härten“ zu erlassen, was allerdings voraussetze, „dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären . . ., lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist . . .“ 439

242

Auch die konkretisierende Erwägung, es sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber „eine besondere Systemnähe und damit verbundene ungerechtfertigte Entgeltvorteile nur bei Trägern höchster Funktionen im unmittelbaren Bereich der Exekutive angenommen und auf diese [die] Rentenbegrenzung beschränkt“ habe,440 ist für die Begründung der Gleichheitskonformität des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG essentiell und damit tragender Entscheidungsgrund, wobei

436

BVerfGE 96, 375 (404). Vgl. Wilfried Schlüter, Das obiter dictum, 1973; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Auflage, 1991, § 20 II 3, RN 31 ff. –, der diese „Nebengründe“ systematisiert. 438 Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 II 3, RN 35. 439 BVerfGE 126, 233 (263 f. unter Hinweis auf die frühere Judikatur). 440 BVerfGE 126, 233 (267). 437

106

1. Teil: Entwicklung

das Gericht noch zuvor angeführt hatte, dass diese Bestimmung lediglich „eine kleine Personengruppe aus zwei der höchsten Staatsorgane der DDR“ erfasse.441 b) Nichttragende Gründe 243

In dem o. a. Beschluss handelt es sich bei der Erörterung von § 7 AAÜG durch das Gericht ausnahmslos um nicht entscheidungserhebliche Gründe, so dass diese weder zur Auslegung der Entscheidungsformel herangezogen werden können noch Bindungswirkung entfalten. Das gilt zunächst für diejenigen Gründe,442 die – teilweise sogar in indirekter Rede – eine frühere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wiedergeben.

244

Auch die Ausführungen des Gerichts443 zu § 7 AAÜG sind für den o. a. Beschluss nicht entscheidungserheblich. Denn das Gericht zieht § 7 AAÜG mit dessen unterschiedsloser und undifferenzierter Begrenzungsregelung nur heran, um darzulegen, dass „eine entsprechende Regelung für alle Mitarbeiter des Parteiund Staatsapparates . . . zu weit gehen“ würde. Entscheidungserheblich ist daher nur der Satzteil, dass eine § 7 „entsprechende Regelung für alle Mitarbeiter des Partei- und Staatsapparats“ zu weitgehend wäre, weswegen „§ 6 Abs. 2 AAÜG durchweg eine sehr enge Begrenzung auf Personen“ vorsehe, „die im Partei- und Staatsapparat der DDR an wichtigen Schaltstellen tätig waren“. Auf die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit des § 7 kommt es daher für die Begründung der Entscheidungsformel nicht an, da nach Auffassung des Gerichts nur die „entsprechende Regelung“ in § 6 Abs. 2 AAÜG verfassungsrechtlich bedenklich wäre. Im Übrigen nimmt der Beschluss nicht erneut zur Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit des § 7 AAÜG Stellung, sondern führt nur aus, dass „der Gesetzgeber“ (seinerzeit) die Mitarbeiter der Staatssicherheit in der näher umschriebenen Weise „erfassen konnte“ und verweist dabei auf die im Jahre 1999 getroffene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.444

245

Bei der Anführung des § 7 AAÜG handelt es sich also um ein beispielhaftes obiter dictum, dessen Wegfall das Argumentationsgerüst der Entscheidung in keinem Falle beeinträchtigen könnte. Denn die Entscheidungsbegründung wird von der These getragen, dass § 6 Abs. 2 AAÜG keine unterschiedslose und undifferenzierte Begrenzungsregelung, sondern ein Regelungskonzept mit einer sehr engen Begrenzung auf – insbesondere in § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG – „eine kleine Gruppe von Personen in höchsten staatlichen Leitungsfunktionen“ enthalte.

441 442 443 444

BVerfGE 126, 233 (242). BVerfGE 126, 233 (239 f.) unter Anführung von E 100, 138 (178 f., 182 f.). BVerfGE 126, 233 (259). E 100, 138 (179).

Zweiter Teil

Verfassungsrechtliche Prüfung Erstes Kapitel

Konformität mit dem Gleichheitssatz? A. Zur Grundrechtsbindung des Gesetzgebers I. Art. 1 Abs. 3 GG 246

Die „Schlüsselnorm“ des Art. 1 Abs. 3 GG1 bindet Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die „nachfolgenden Grundrechte“ „als unmittelbar geltendes Recht“. Infolgedessen sind Grundrechtsbestimmungen keine bloßen Verfassungsproklamationen mehr und stehen auch nicht zur „Disposition“ der Legislative,2 so dass nicht länger der Gesetzgeber „frei den Inhalt des Grundrechts“ bestimmt, sondern umgekehrt „sich aus dem Gehalt des Grundrechts eine inhaltliche Begrenzung seines Gesetzgebungsermessens ergeben“ kann.3

247

Durch diesen Vorrang der Verfassung4 und einen daraus resultierenden Nachrang des Gesetzes sind die Grundrechtsbestimmungen unbeschadet ihrer Gesetzesvorbehalte parlamentsfest geworden. Die Grundrechte entfalten als solche regelmäßig unmittelbare Rechtswirkung und begründen subjektive Rechte, so dass sie nicht erst der „Aktualisierung durch den Gesetzgeber“ bedürfen.5

248

Deshalb gehört die Normativität zum Begriffsmerkmal der Grundrechte.6 1 So Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, § 72 I 1, S. 1178; s. auch Merten, Art. 1 Abs. 3 GG als Schlüsselnorm des grundrechtsgeprägten Verfassungsstaates, in: Sachs/Siekmann u. a. (Hg.), Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat, FS für Klaus Stern zum 80. Geburtstag, 2012, S. 483 (484 ff.). 2 So noch Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Auflage, 1933, Art. 76 Anm. 1 S. 401, für die Grundrechte der Weimarer Verfassung. 3 BVerfGE 7, 377 (404). 4 Vgl. im einzelnen Wahl, Der Vorrang der Verfassung, in: Der Staat 20 (1981), S. 485 ff.; ders., Der Vorrang der Verfassung und die Selbständigkeit des Gesetzesrechts, NVwZ 1984, S. 401 ff.; Christian Starck, Verfassung und Gesetz, in: ders., Rangordnung der Gesetze, 1995, S. 29 ff. 5 BVerfGE 12, 45 (53). 6 Merten, Begriff und Abgrenzung der Grundrechte, in: Merten/Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 35 RN 129, 81 ff.;

108

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

II. Zum Umfang der Bindung an Art. 1 Abs. 3 GG 249

Art. 1 Abs. 3 GG besagt unmittelbar nur, dass die Legislative, nicht aber wie, d.h. in welchem Ausmaß sie gebunden ist. Hierfür ist der Schutzbereich der einzelnen Grundrechte maßgebend. Dieser ist im Rahmen des Art. 1 Abs. 3 zunächst eine Unbekannte, die sich nicht dadurch verändert, dass der Gesetzgeber an sie gebunden ist. Der Schutzbereich ist durch Interpretation der einzelnen Grundrechtsbestimmung zu ermitteln. Was Schutzbereiche nicht umschließen, entbehrt verfassungsrechtlichen Schutzes. Daher ergibt erst die Schutzbereichsinterpretation, woran die drei Staatsgewalten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG gebunden sind.7

250

Art. 3 Abs. 1 GG statuiert in einer überkommenen Formel: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ und entspricht damit wörtlich – abgesehen von der Ausgestaltung als Jedermann-Recht – Art. 109 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung („Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich“), § 137 Abs. 3 der Frankfurter Reichsverfassung von 1849 („Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich“) und Art. 4 der preußischen Verfassung von 1850 („Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich“).

251

Die Gleichheit „vor“ dem Gesetz wurde noch unter der Weimarer Reichsverfassung als „Richtschnur nicht für den, der das Gesetz gibt, sondern für den, der es handhabt“ – also als Rechtsanwendungsgleichheit, nicht als Rechtsetzungsgleichheit – verstanden.8 Erschöpfte sich der Gleichheitssatz des Grundgesetzes ebenfalls in bloßer Gesetzesanwendungsgleichheit, so wäre der Gesetzgeber durch Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG nur gehindert, die Anwendungsgleichheit zu durchbrechen und damit die Allgemeinheit des Gesetzes in Frage zu stellen.

252

Da aber schon unter der Weimarer Reichsverfassung die unmittelbare (inhaltliche) Geltung des Gleichheitssatzes durch den Gesetzgeber gefordert9 und im Parlamentarischen Rat ebenfalls Gleichheit auch als Gleichheit durch das Gesetz begriffen wurde,10 ist bei teleologischer und historischer Interpretation Art. 3 Abs. 1 GG über eine formale Anwendungsgleichheit hinaus im Sinne einer maMurswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 1992, § 112 RN 53. 7 Vgl. Merten, Grundrechtlicher Schutzbereich, in: ders./Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 56 RN 5, 1. 8 Vgl. statt aller Anschütz a. a. O., Art. 109, Anm. 1, S. 523. 9 Vgl. Heinrich Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, 1924, S. 26 ff.; Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1925, 2. Auflage, 1959, insb. S. 87; Heinrich Aldag, Die Gleichheit vor dem Gesetz in der Reichsverfassung, 1925, insb. S. 4 ff.; Erich Kaufmann, Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der Reichsverfassung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 3 (1927), S. 2 ff. (5 f.). 10 Der Parlamentarische Rat hatte in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 ursprünglich die Formulierung vorgesehen: „Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln“. Der Satz wurde später ohne nähere Begründung gestrichen; vgl. Matz, JöR NF Bd. 1 (1951), S. 67 ff. (72).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

109

terialen Regelungsgleichheit zu verstehen. Deshalb begrenzt der Gleichheitssatz unter dem Grundgesetz die legislatorische Gestaltungsfreiheit auch sachlich und inhaltlich, enthält also außer der Personen-Gleichheit auch eine Fallgleichheit. 11 Das Recht gilt nicht nur allen gegenüber gleich, sondern es muss auch gleiches Recht für alle gelten.12 III. Grundrechtsbindung für früheres und fremdes Recht 253

Wegen der Bedeutung der Grundrechtsbestimmungen für die deutsche Verfassungsstaatlichkeit, wie sie auch in der Formel der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ 13 zum Ausdruck kommt, besteht eine Grundrechtsbindung aller Staatsgewalten auch bei der Anwendung früheren und fremden Rechts.

254

Gemäß Art. 123 Abs. 1 GG gilt Recht aus der Zeit vor dem (ersten) Zusammentritt des Bundestages nur fort, soweit es dem Grundgesetz und damit auch den Grundrechtsbestimmungen nicht widerspricht. Ebenso ist nach Art. 6 Satz 2 EGBGB die Rechtsnorm eines anderen Staates – unbeschadet anderer Gründe – „insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist“.

255

Wegen dieser Grundsätze kann sich der Gesetzgeber des AAÜG, der ohnehin für alle von ihm erlassenen Normen der Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG unterliegt, nicht auf Begrenzungsregelungen des Gesetzgebers der DDR berufen, wie er das zur Begründung des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes getan hat.14

256

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit15 attributiv vom letzten „demokratisch gewählten Gesetzgeber der DDR“ gesprochen. Jedoch kann ein demokratischer ebenso wie ein nichtdemokratischer Gesetzgeber dem Bürger Unerträgliches zufügen, solange er nicht rechtsstaatlich gezähmt und freiheitlich eingebunden ist. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht16 dem Gesetzgeber des AAÜG attestiert, dass er sich für seine rigorose Begrenzungsregelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG von 70 v. H. des Durchschnittsentgelts „nicht auf den Gesetzgeber der Deutschen Demokratischen Republik berufen“ konnte. 11

Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 51. Vgl. Theodor Maunz/Reinhold Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Auflage, 1998, 25 II 1, S. 215; vgl. auch BVerfGE 35, 348 (355); 67, 245 (248). 13 Vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 18 Satz 1, Art. 21 Abs. 2 Satz 1, Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b, Art. 87a Abs. 4 Satz 1, Art. 91 Abs. 1 GG; s. auch BVerfGE 6, 84 (91); 7, 198 (208); 11, 351 (360); 12, 113 (125); 20, 162 (186, 212); 27, 88 (98); 35, 202 (221); 41, 399 (413); 51, 222 (234); 59, 231 (266); 69, 92 (106); 69, 315 (344); 74, 297 (338); 75, 40 (62); 77, 65 (74); 93, 373 (377); 97, 298 (299); 102, 370 (389); 107, 299 (329); 117, 244 (258); 121, 266 (295); 123, 267 (373); 124, 1 (18); 124, 300 (342). 14 BT-Drucks. 14/5640, S. 15; s. oben RN 164, 171. 15 BVerfGE 126, 233 (257); vgl. auch E 94, 12 (36); 92, 277 (341); 87, 68 (91). 16 BVerfGE 100, 138 (180). 12

110

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

B. Konkretisierungsformen zu Art. 3 Abs. 1 GG I. Die Konkretisierungsbedürftigkeit des allgemeinen Gleichheitssatzes 257

Der Verfassungssatz des Art. 3 Abs. 1: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ ist ebenso pathetisch wie abstrakt. Er allein vermag nicht zu erklären, weshalb Geringverdiener wie Höherverdienende denselben Mehrwertsteuersatz entrichten, aber einem progressiven Einkommensteuersatz unterliegen,17 weshalb beide Gruppen ceteris paribus Prämien in derselben Höhe für eine private Krankenversicherung, jedoch unterschiedlich hohe Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung zahlen müssen.18

258

Verharrte man dabei, die Gleichheit „seit den Anfängen unseres Rechtsdenkens“ als „Seele der Gerechtigkeit“ 19, als dauernden „Grundwert der staatlichen Einheit“,20 als „Element des objektiven Gerechtigkeitsprinzips“ 21 oder als „Grundforderung des Rechtsstaats“ 22 zu sehen, so käme man der Lösung praktischer Probleme nicht näher. Man muss daher den allgemeinen Gleichheitssatz auf eine geringere Abstraktionsebene transponieren und ihn zugleich unter Berücksichtigung seiner geschichtlichen Entwicklung, seiner systematischen Stellung und seines Sinns und Zwecks konkretisieren – auch um dem Vorwurf zu begegnen, dass „nicht exegetische oder logische Erwägungen, sondern allein die Präjudizien des Bundesverfassungsgerichts“ darüber belehren, „was Gleichheit und Willkür im konkreten Falle bedeuten.“ 23 II. Die Ergänzung personaler um materiale Gleichheit 1. Das Gebot personaler Gleichheit

259

Art. 3 Abs. 1 GG enthält aufgrund seines Wortlauts und seiner geschichtlichen Entwicklung zunächst das Gebot personaler Gleichheit: „Jeder wird in gleicher Weise durch die Normierungen des Rechts berechtigt und verpflichtet.“ 24

17

Vgl. BVerfGE 120, 1 (44). Vgl. BVerfGE 113, 167 (229). 19 BVerfGE 54, 277 (296). 20 BVerfGE 2, 1 (12). 21 So BVerfGE 23, 353 (373); 26, 228 (244). 22 So BVerfG (Kammer) NVwZ 2005, S. 81 (82). 23 So Ernst Forsthoff, Zur heutigen Situation einer Verfassungslehre, in: Hans Barion u. a. (Hg.), Epirrhosis, Festgabe für Carl Schmitt, 1968, S. 185 (189); vgl. in diesem Zusammenhang auch die abweichende Meinung des Richters Hirsch zum Urteil v. 13.4. 1978, abgedr. in: BVerfGE 48, 186 (199). 24 BVerfGE 71, 354 (362); 66, 331 (336); BVerfG (Kammer) NVwZ 2005, S. 81 (82). 18

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

111

a) Personale Gleichheit und Allgemeinheit des Gesetzes 260

Personale Gleichheit ist schon in der Allgemeinheit des Gesetzes angelegt, in der Forderung, Gesetze „nicht für einzelne Personen, sondern allgemein für alle“ zu schaffen (Ulpian), wie sie schon in der Antike erhoben wurde.25 In der Neuzeit bekennt sich die Aufklärung zu dem allgemeinen, für alle geltenden Gesetz, an das auch der Souverän gebunden ist, weshalb er von Einzelfallregelungen, insbesondere durch Rechts- und Machtsprüche absehen soll. Es sind diese Ideen, die Friedrich den Großen zu der Proklamation veranlassen, dass „Jedermann er sey vornehm oder geringe, reich oder arm, eine prompte Justitz administrirt, und einem jeglichen Dero unterthanen, ohne Ansehen der Person und des Standes, durchgehend ein unpartheyisches Recht wiederfahren soll.“ 26 In ähnlichem Sinne statuiert das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 in § 22 seiner Einleitung: „Die Gesetze des Staats verbinden alle Mitglieder desselben, ohne Unterschied des Standes, Ranges und Geschlechts“. Hierin kommt das für den Rechtsstaat bezeichnende Prinzip personaler oder formaler Gleichheit zum Ausdruck, das die Anwendung von Gesetz und Recht „ohne Ansehen der Person“ heischt,27 ein Grundsatz, der sich nicht nur in den Eidesformeln der Richter findet,28 sondern allegorisch seit altersher durch die Augenbinde der Göttin Justitia symbolisiert wird.29 b) Personale Gleichheit als Gleichheitskern

261

„Die personale Allgemeinheit ist eine Kernforderung der ,Gleichheit vor dem Gesetz‘“,30 sie bildet den Kern des Art. 3 Abs. 1 GG, so dass dieser „um so strikter“ wirkt, „je mehr er den Einzelnen als Person betrifft.“ 31 Denn der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, soll „in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern“,32 woraus auch 25

Hierzu Gregor Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 165 m.w. N. Protokoll v. 11.12.1779, in: Berlinsche Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen vom 14.12.1779, Nr. 149, zitiert bei Merten, Rechtsstaatliche Anfänge im preußischen Absolutismus, DVBl. 1981, S. 701 (706 in und zu FN 77). 27 BVerfGE 108, 282 (322); 71, 354 (362); 66, 335 (336); s. ferner E 84, 133 (259); 73, 330 (339); 54, 277 (296); 48, 300 (321); 1, 332 Ls. 4 (345); 1, 97 (107); BVerfG (Kammer) NVwZ 2005, S. 81 (82 sub II 1 a aa)). 28 Vgl. §§ 38, Abs. 1, 45 Abs. 3 des Deutschen Richtergesetzes i. d. F. v. 19.4.1972 (BGBl. I S. 713). 29 Hierzu Otto Rudolf Kissel, Die Justitia. Reflexionen über ein Symbol und seine Darstellung in der bildenden Kunst, 1984. 30 Gregor Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 166. 31 BVerfGE 99, 88 (94); 101, 132 (138); 101, 151 (155); ähnlich E 96, 1 (6); 101, 297 (309); Gregor Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 365 unten. 32 BVerfGE 88, 87 (96); 89, 15 (22); 89, 365 (375); 90, 46 (56); 91, 389 (401); 92, 53 (68); 95, 39 (45); 95, 267 (316); 97, 271 (290); 99, 367 (388); 102, 68 (87); 121, 317 (369). 26

112

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

das Verbot „einer ungerechtfertigten Verschiedenbehandlung mehrerer Personengruppen“ folgt.33 c) Konkretisierung durch spezielle Gleichheitsrechte 262

Die personale Gleichheit wird systematisch durch die speziellen Gleichheitsgrundrechte34 als „den Konkretisierungen des Gleichheitssatzes durch die Verfassung selbst“ 35 für besondere Bereiche verdeutlicht. Insbesondere durch Art. 3 Abs. 2 und 3 GG wird dem Gesetzgeber untersagt, „bestimmte Verschiedenheiten der Menschen durch Verschiedenheit der rechtlichen Ordnung zu berücksichtigen, weil der Verfassungsgeber diese Verschiedenheiten, gemessen an der weitgehenden Gleichheit aller Menschen, als unerheblich für die künftige, von ihm gewollte Rechtsordnung“ ansah.36

263

Dem Gesetzgeber wird nicht nur eine Anknüpfung an die Merkmale des Art. 3 Abs. 3 GG, sondern auch an Persönlichkeitsmerkmale verboten, „die mit denen des Art. 3 Abs. 3 GG vergleichbar sind“ 37 oder sich ihnen annähern.38

264

Dieses Verfassungsverbot besteht auch dann, wenn die gesetzliche Regelung in erster Linie andere Ziele verfolgt und nicht auf eine verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist.39 Eine Ungleichbehandlung lässt sich allenfalls im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren.40 Auf jeden Fall ist der Gesetzgeber bei einer Differenzierung, die an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, einer strengeren Bindung unterworfen.41 2. Die Verbindung von personaler und materialer Gleichheit

265

Wenn das allgemein geltende Gesetz jeden „in gleicher Weise durch die Normierungen des Rechts“ berechtigen und verpflichten soll,42 dann tritt zu der per33 Vgl. BVerfGE 81, 186 (206); 88, 5 (9); 89, 15 (22); 89, 365 (375); 90, 46 (56); 91, 389 (401); 92, 53 (68 f.); 95, 39 (45); 95, 267 (316); 97, 271 (290); 99, 367 (388); 102, 68 (87); 110, 277 (291); 121, 317 (369); s. auch unten RN 285 ff. 34 Vgl. statt aller Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 11. Auflage, 2011, Art. 3 RN 2a. 35 BVerfGE 3, 225 (240). 36 BVerfGE 10, 59 (73); s. ferner E 85, 191 (206); 97, 35 (43); 97, 186 (197); 114, 357 (364); 121, 241 (254); vgl. auch E 75, 40 (75). 37 BVerfGE 124, 199 (220); 97, 169 (181); 88, 87 (96). 38 BVerfGE 88, 87 (96); 92, 26 (51); 99, 367 (388); 101, 275 (291); 103, 310 (319); 105, 313 (363); 129, 49 (69 sub C I); BVerfG (Kammer) NJW 2012, S. 214 (215 RN 10). 39 BVerfGE 85, 191 (206). 40 Vgl. BVerfGE 85, 191 (207 ff.), 92, 91 (109); 121, 241 (257); BVerfGK 2, 36 (39). 41 BVerfGE 127, 263 (280 sub B I 3 a); BVerfG (Kammer) NJW 2012, S. 214 (215 RN 10). 42 Vgl. BVerfGE 71, 354 (362); 66, 331 (336).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

113

sonalen Gleichheit die materiale Gleichheit hinzu. Regelungen „gelten für alle Bürger in gleicher Weise; es gilt gleiches Recht.“ 43 Der Gesetzgeber muss „im wesentlichen gleiche Tatbestände ohne Ansehen der Person gleich“ regeln,44 was einer „willkürlich ungleiche[n] Behandlung im wesentlichen gleicher Sachverhalte“ entgegensteht.45 266

Damit verbietet Art. 3 Abs. 1 GG, „wesentlich Gleiches ungleich“ zu behandeln, wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung feststellt.46 Der Gesetzgeber darf es daher nicht versäumen, „tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen.“ 47

267

Der Gleichheitssatz ist insbesondere verletzt, wenn „die tatsächlichen Ungleichheiten in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam sind“, dass sie zu beachten sind.48

268

Der Gesetzgeber hat zwar eine weitgehende Gestaltungsfreiheit bei der Auswahl derjenigen Sachverhalte, die er im Rechtssinne als gleich ansehen und an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfen will.49 Er muss diese Auswahl jedoch sach43

BVerfGE 67, 245 (248). BVerfGE 1, 97 (107). 45 BVerfGE 11, 283 (287); 17, 319 (330). 46 BVerfGE 1, 14 (52); 2, 336 (340); 9, 237 (244); 18, 38 (46); 18, 121 (124); 21, 6 (9); 21, 227 (234); 22, 254 (263); 45, 376 (386 f.); 49, 148 (165); 49, 192 (207); 50, 177 (186); 51, 1 (23); 57, 250 (271); 71, 39 (50); 78, 249 (287); 81, 208 (223); vgl. jüngst E 127, 263 (280). 47 BVerfGE 9, 201 (206); 14, 221 (238); 15, 167 (201); 17, 319 (330); 19, 354 (367); 23, 12 (25); 32, 173 (190); 45, 376 (387); 48, 281 (288); 54, 11 (25 f.); 55, 114 (128); 58, 68 (79); 58, 81 (126); 110, 141 (167); s. auch E 1, 264 (276); 2, 118 (119); 4, 219 (244); 9, 124 (130); 9, 137 (146); 9, 334 (337); 12, 341 (348); 12, 354 (367); 13, 248 (259); 18, 38 (46); 19, 119 (125); 21, 6 (9); 21, 12 (27); 22, 83 (87 f.); 23, 229 (240); 25, 269 (292 f.); 26, 302 (310); 29, 327 (335); 31, 8 (25); 31, 119 (130); 31, 212 (218); 32, 157 (167); 33, 171 (189); 36, 73 (80); 36, 102 (117); 36, 174 (190); 37, 38 (46); 38, 154 (166); 38, 187 (197 f.); 38, 241 (257); 39, 148 (153); 39, 316 (326); 45, 187 (268); 46, 224 (233); 47, 168 (178); 48, 64 (100); 48, 227 (235); 48, 346 (357); 49, 192 (208); 49, 343 (360); 50, 177 (186); 50, 386 (392); 51, 257 (267); 52, 256 (263); 52, 264 (273); 53, 164 (178 f.); 53, 313 (329); 55, 72 (90); 55, 261 (269 f.); 57, 107 (115); 60, 113 (119); 60, 123 (134); 60, 329 (347); 65, 325 (354); 67, 70 (85 f.); 71, 39 (58); 71, 255 (271); 74, 182 (200); 75, 108 (157); 76, 256 (329); 79, 106 (123); 81, 156 (206 f.); 83, 89 (107 f.); 86, 81 (87); 93, 386 (397); 98, 365 (385); 102, 254 (299); 103, 242 (258); 103, 310 (318); 106, 225 (240); 107, 218 (244); 107, 257 (270); 115, 381 (389); 118, 1 (27); 120, 1 (31); 123, 1 (20). 48 BVerfGE 1, 264 Ls. 3 (276); vgl. auch E 48, 346 (357); 67, 70 (85 f.); 71, 255 (271); 98, 365 (385); 103, 242 (259); 103, 310 (319); 106, 225 (240); 107, 218 (244); 107, 257 (270); 110, 141 (167); 115, 381 (389); 118, 1 (27); 120, 1 (31); 123, 1 (20); BVerfG (Kammer) DVBl. 2010, S. 1502 RN 10. 49 BVerfGE 9, 334 (337); 12, 326 (337 f.); 26, 1 (8); 36, 321 (341); 38, 154 (166); 45, 187 (268); 47, 109 (124); 47, 187 (268); 48, 227 (234); 49, 192 (207); 51, 295 44

114

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

gerecht treffen und keine Differenzierungen vornehmen, „für die sachlich einleuchtende Gründe nicht auffindbar sind.“ 50 269

So ist beispielsweise der Sachbereich der gesetzlichen Rentenversicherung durch „die Entgelt- bzw. Beitragsbezogenheit der Rente“ als Fundamentalprinzip geprägt,51 wobei die rentenversicherungsrechtliche Äquivalenz von Beitrag und Leistung („Teilhabeäquivalenz“)52 in einer Kurzformel bedeutet: „hohe Beiträge bringen hohe Rentenleistungen, geringe Beiträge geringe Rentenleistungen“,53 was auch als Beitragsadäquanz bezeichnet wird.54

270

Davon kann die Legislative nicht ohne weiteres abgehen. Widerspricht der Gesetzgeber mit seinen Regelungen einem von ihm selbst aufgestellten System, so führen diese Systemdurchbrechungen zwar nicht ohne weiteres zur Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG, können jedoch Indiz für eine willkürliche und gleichheitswidrige Normsetzung sein, wenn in der Abweichung keine vernünftigen Kriterien zum Ausdruck kommen oder sie sachlich nicht gerechtfertigt sind.55

271

Zwar kann der Einigungsvertrag bei der Eingliederung der DDR-Versorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung grundsätzlich ein hinreichender Grund für eine Systemdurchbrechung sein, sieht er doch die Abschaffung „ungerechtfertigte[r] Leistungen“ und den Abbau „überhöhte[r] Leistungen“ und die Vermeidung einer „Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ vor.56 Aber auch hierbei ist die – oft in diesem Zusammenhang nicht zitierte – Vorgabe des Einigungsvertrages zu beachten, dass die Ansprüche und Anwartschaften aus den Versorgungssystemen „nach Art, Grund und Umfang den Ansprüchen und Anwartschaften nach den allgemeinen Regelungen der Sozialversicherung in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet [Beitrittsgebiet] unter Berücksichtigung der jeweiligen Beitragszahlungen anzupassen“ sind. Auch bei dem Abbau überhöhter Leistungen müssen daher die „allgemeinen Regelungen“ der gesetzlichen

(300); 53, 313 (329); 78, 249 (287); 83, 395 (401); 90, 145 (196); 90, 226 (239); 93, 319 (348); 103, 310 (318); 107, 27 (46); 107, 218 (244); 107, 257 (270); 108, 186 (233); 110, 370 (389); 110, 412 (433); 115, 381 (389); 118, 1 (27); 126, 268 (277 f.). 50 BVerfGE 11, 245 (253); vgl. auch E 93, 319 (349); 90, 226 (239); 78, 319 (330); 75, 108 (157); 71, 255 (271); 69, 150 (160); 50, 142 (162); 46, 55 (62); 39, 316 (327 oben); 38, 1 (17). 51 Vgl. Igl/Welti, Sozialrecht, 8. Auflage, 2007, § 29 RN 11. 52 Vgl. BVerfGE 122, 151 (181); 128, 138 (147); vgl. ferner E 90, 226 (240); Astrid Wallrabenstein, Versicherung im Sozialstaat, 2009, S. 178 ff.; s. auch oben RN 66. 53 Igl/Welti a. a. O., § 34 RN 73. 54 Degenhart, in: Sachs, GG (LitVerz.), Art. 74 RN 57; Kunig, in: v. Münch/ders. (Hg.), GG (LitVerz.), Bd. II, Art. 74 RN 55. 55 Hierzu oben RN 70. 56 Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Nr. 1 EV.

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

115

Rentenversicherung und damit der Grundsatz der Entgelt- beziehungsweise Beitragsbezogenheit der Rente sowie das rentenversicherungsrechtliche Äquivalenzprinzip beachtet werden. III. Gleichheitssatz als Differenzierungsgebot 1. Die erforderliche Ungleichbehandlung ungleicher Sachverhalte 272

In seiner frühen Rechtsprechung hatte das Bundesverfassungsgericht aus Art. 3 Abs. 1 GG nur das Verbot entnommen, „dass wesentlich Gleiches ungleich“ behandelt wird, nicht dagegen ein Gebot, dass „wesentlich Ungleiches entsprechend der bestehenden Ungleichheit ungleich“ zu regeln ist.57 Wenn aber (nur) Gleiches gleich zu behandeln ist, darf Ungleiches nicht (auch) gleich, sondern muss unterschiedlich geregelt werden. Auch der Parlamentarische Rat hatte ursprünglich im Rahmen des Gleichheitssatzes die Formulierung vorgesehen: „das Gesetz muss Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln“. Dieser Satz entfiel bei den späteren Beratungen ohne nähere Begründung.58

273

Das Verbot der Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte ist die notwendige Konsequenz des allgemeinen Gleichheitssatzes und ergänzt diesen. Daher hat auch das Bundesverfassungsgericht rasch seine frühe Rechtsprechung korrigiert und für den Gesetzgeber die Weisung aufgestellt: „Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden“ bei „steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken“ zu behandeln.59 Kurz gefasst ist „wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.“ 60 Eine Regelung darf keine „ohne sachlich zureichenden Grund getroffene[n] Differenzierung von im wesentlichen gleich liegenden Sachverhalten oder Nichtdifferenzierung von im wesentlichen verschiedenen Sachverhalten“ vorsehen.61 57

BVerfGE 1, 14 Ls. 18 (52); 9, 237 (244). Vgl. Matz, JöR NF Bd. 1 (1951), S. 67 ff. (72). 59 BVerfGE 3, 58 (135); s. ferner E 4, 144 (155); 9, 124 (129 f.); 23, 98 (107); 38, 1 (17); 42, 64 (72); 46, 55 (62); 47, 109 (124); 49, 148 (165); 49, 260 (271); 49, 280 (283); 50, 142 (161 f.); 55, 114 (128); 55, 261 (269); 61, 138 (147); 64, 158 (168); 71, 255 (271); 73, 1 (38); 76, 256 (329); 78, 104 (121); 90, 145 (196); 93, 318 (348); 93, 386 (396); 97, 89 (101); 103, 242 (258); 103, 310 (318); 108, 52 (67 f.); 108, 186 (233); 110, 141 (167); 110, 370 (398 f.). 60 BVerfGE 51, 60 (76); 61, 138 (147); 64, 158 (168); 69, 150 (159 f.); 71, 255 (271); 73, 1 (38); 78, 104 (121); 90, 145 (195 f.); 93, 319 (348); 93, 386 (396 f.); 97, 89 (101); 97, 332 (344); 98, 365 (385); 101, 275 (290); 103, 242 (258); 103, 310 (318); 108, 52 (67); 108, 186 (223); 110, 141 (167); 110, 370 (398 f.); 110, 412 (431); 112, 164 (174); 112, 268 (279); 113, 167 (214); 114, 258 (297); 115, 51 (61); 115, 381 (389); 116, 164 (180); 117, 1 (30); 118, 1 (27): 120, 1 (29); 121, 108 (119); 121, 317 (369); 122, 210 (230); 123, 1 (19); 123, 111 (119); 124, 251 (265); 125, 1 (17); 126, 268 (277); 126, 400 (416); 127, 263 (280 sub B I 3 a); 129, 49 (68). 61 BVerfGE 25, 198 (205). 58

116

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Diese Rechtsprechung schließt es auf jeden Fall aus, „wesentlich Ungleiches . . . sachwidrig gleich zu behandeln.“ 62 Daher kann es zur „Herstellung von Gleichheit“ geboten sein, „auf das Mittel der gesetzlichen Ungleichbehandlung“ zurückzugreifen.63 Zu einer „Differenzierung bei ungleichen Sachverhalten“ ist der Gesetzgeber verpflichtet, „wenn die tatsächliche Ungleichheit so groß ist, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben darf.“ 64 2. Gleichbehandlung als Willkürverbot und Sachgerechtigkeitsgebot a) Willkürverbot 274

Der Gleichheitssatz als Gleichbehandlungsgebot und Differenzierungsgebot soll vor allem willkürliche Rechtssetzung und Rechtsanwendung hindern.65

275

Willkürlich ist eine Regelung insbesondere, „wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt.“ 66 62 BVerfGE 60 16 (42); s. auch E 4, 144 (155); 23, 153 (168); 35, 79 (127); 55, 261 (269); 87, 1 (36); 103, 242 (258); 108 52 (68). 63 BVerfGE 113, 167 (229). 64 BVerfGE 98, 365 (385); vgl. auch E 1, 264 (276); 67, 70 (85 f.). 65 Vgl. BVerfGE 1, 14 Ls. 18 (52); 1, 208 (247); 1, 332 (345 f.); 2, 336 (340); 3, 58 (147); 4, 7 Ls. 2 (18 f.); 4, 144 (155); 9, 3 (10); 14, 221 (238); 17, 199 (203); 18, 38 (46); 18, 172 (184); 18, 288 (298); 20, 31 (33); 21, 6 (9); 21, 227 (234); 22, 254 (263); 23, 98 (107); 23, 153 (168); 26, 79 (91); 29, 245 (258); 31, 212 (218); 32, 346 (360); 35, 79 (157); 36, 73 (79); 38, 1 (17); 39, 169 (186); 42, 64 (72); 44, 70 (90); 46, 55 (62); 47, 109 (124); 49, 148 (165); 49, 192 (207); 49, 260 (271); 50, 142 (162); 50, 177 (186); 51, 1 (23); 51, 60 (76); 51, 295 (300); 52, 277 (280); 55, 114 (128); 55, 261 (269 f.); 57, 250 (271 f.); 61, 138 (147); 64, 158 (168 f.); 65, 141 (148); 69, 1 (40); 71, 39 (50); 72, 200 (254); 76, 256 (329); 78, 104 (121); 78, 249 (282); 102, 254 (299); 103, 310 (318); 114, 258 (297 f.); 117, 1 (30, 32); 118, 79 (101); 120, 1 (29 ff.); 121, 317 (369); 123, 1 (19); 123, 111 (119 f.). 66 Vgl. BVerfGE 1, 14 (52); s. auch E 1, 208 (247); 4, 352 (355 f.); 9, 334 (337); 12, 341 (348); 14, 221 (238); 17, 319 (330); 18, 38 (46); 18, 121 (124); 20, 31 (33); 21, 6 (9); 23, 12 (28); 23, 50 (60); 23, 135 (143); 23, 258 (263); 24, 203 (215); 24, 220 (228); 24, 300 (357); 25, 101 (105); 25, 269 (292 f.); 26, 302 (310); 27, 1 (10); 27, 142 (149); 27, 375 (386); 28, 104 (114); 29, 283 (298); 29, 283 (297 f.); 29, 413 (429); 30, 409 (413); 31, 8 (25); 31, 119 (130); 31, 314 (353); 32, 346 (360); 33, 171 (189); 33, 367 (384); 36, 102 (117); 36, 174 (187); 37, 154 (165); 37, 167 (181); 38, 1 (17); 38, 128 (134); 38, 241 (257); 39, 148 (153); 39, 156 (162 f.); 40, 1 (4); 40, 106 (108); 40, 109 (115 f.); 44, 70 (90); 44, 290 (294); 45, 104 (140 f.); 45, 187 (268); 45, 376 (388); 46, 55 (62); 46, 246 (260); 47, 85 (99); 47, 109 (124); 48, 127 (197); 48, 227 (235); 49, 192 (209); 49, 260 (271); 49, 280 (283); 49, 343 (360); 50, 57 (77); 50, 142 (162); 51, 1 (23); 51, 60 (76); 51, 295 (300); 52, 256 (262); 55, 72 (90); 55, 114 (128); 55, 261 (269 f.); 59, 52 (60); 60, 101 (108 f.); 60, 329 (346 f.); 61, 138 (147); 64, 158 (168 f.); 65, 141 (148); 65, 325 (354); 67, 329 (345 f.); 68, 237 (250); 69, 150 (159 f.); 71, 39 (58); 71, 206 (221 f.); 71, 255 (271); 76, 256 (329); 78, 249 (278); 78, 104 (121); 83,

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

117

Daneben wird Willkür auch in der „tatsächliche[n] und eindeutige[n] Unangemessenheit der Regelung in bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand“, insbesondere im Fehlen eines sachgerechten Grundes gesehen,67 so dass das Willkürverbot zu einem Verbot der Unsachlichkeit und damit zu einem Gebot der Sachlichkeit oder Sachgerechtigkeit wird.68 276

Allerdings hält die Verbannung lediglich unbegründbarer, unsachgerechter, unvernünftiger oder unverständlicher Regelungen69 nur Elementarunrecht fern,70 weil sich irgendein nicht offensichtlich uneinsichtiger Grund für Gleichbehandlung oder Differenzierung (nachträglich) fast immer finden lässt. b) Sachlichkeitsgebot

277

Da sich der allgemeine Gleichheitssatz als Sachlichkeitsgebot und Willkürverbot in generell-abstrakter Weise nicht näher umschreiben lässt, muss man eine Präzisierung und Differenzierung durch den jeweils betroffenen Sach- oder Lebensbereich und das vom Gesetzgeber ins Auge gefasste Regelungsziel suchen. So weist auch das Bundesverfassungsgericht seit Anfang 1993 in einer konstanten Formulierung darauf hin, dass sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz „je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber [ergeben], die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.“ 71

89 (108); 89, 132 (141 f.); 90, 226 (239); 91, 118 (123); 93, 319 (348 f.); 94, 315 (326); 102, 254 (299); 103, 310 (318); 105, 73 (110); 106, 201 (206); 107, 27 (46); 107, 218 (244); 107, 257 (270); 108, 52 (68); 109, 96 (123); 110, 412 (431 f.); 113, 167 (214); 114, 258 (297 f.); 115, 381 (389); 116, 135 (161); 117, 302 (311); 118, 79 (109); 123, 1 (19); 125, 1 (18). 67 BVerfGE 55, 72 (90). 68 Vgl. BVerfGE 118, 79 (101); s. auch E 26, 1 (8); 53, 313 (329); 75, 108 (157); 78, 249 (287); 93, 319 (348); 99, 367 (389); 103, 310 (318); 105, 73 (126 f.); 107, 133 (145); 108, 186 (233); 110, 370 (398 f.). 69 Vgl. BVerfGE 4, 1 (7); 110, 353 (365). 70 Vgl. Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 1992, § 124 RN 91; vgl. dens., Allgemeiner Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl., 2010, § 181 RN 234. 71 BVerfGE 88, 87 (96); 89, 15 (22); 89, 365 (375); 91, 346 (362); 91, 389 (401); 92, 26 (51); 92, 53 (68); 92, 365 (407); 93, 99 (111); 95, 267 (316); 97, 169 (180); 97, 271 (290); 99, 341 (355); 99, 367 (388); 101, 54 (101); 103, 172 (193); 103, 310 (318); 105, 73 (110); 107, 27 (45); 107, 218 (244); 107, 257 (270); 110, 274 (291); 110, 412 (431); 112, 164 (174); 112, 268 (279); 113, 167 (214); 116, 135 (160); 116, 164 (180); 117, 1 (30); 118, 1 (26); 118, 79 (100); 120, 1 (29); 120, 125 (144); 121, 108 (119); 121, 317 (369); 122, 1 (23); 122, 39 (52); 122, 210 (230); 123, 1 (19); 123, 111 (120); 124, 199 (219); 124, 235 (249); 124, 251 (265); 125, 1 (17); 126, 233 (263); 126, 268 (277); 126, 400 (416); 127, 263 (280 sub B I 3 a); 129, 49 (68).

118

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

278

Bei der Regelungserstreckung „auf einen großen Personenkreis“, bei der die Gefahr einer ungerechtfertigten Erfassung von Personen besteht, ist sein Gestaltungsspielraum enger.72

279

Dass die „Natur des jeweils in Frage stehenden Sachbereichs“ dafür entscheidend ist, „ob und in welchem Ausmaß der Gleichheitssatz bei der Ordnung bestimmter Materien dem Gesetzgeber Differenzierungen erlaubt“, hat das Bundesverfassungsgericht schon früh in seiner Judikatur betont,73 wobei der normative Gehalt des Art. 3 Abs. 1 GG „seine Präzisierung jeweils im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs“ erfährt.74 Die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung durch den Gesetzgeber darf also nicht „sachwidrig“,75 sondern muss „sachbereichsbezogen“ 76 oder „bereichsspezifisch“ 77 sachgerecht sein. Dabei kommt es auch darauf an, ob der Gesetzgeber sich innerhalb eines Sach- oder Lebensbereichs bewegt oder Regelungen eines einzelnen Lebensbereichs aufgrund des Gleichheitssatzes in einen anderen übernimmt.78 Bei der Überleitung von Renten aus „einem System der Rentenversicherung in ein anderes System“ muss der Überleitung „ein sachgerechtes Konzept“ zu Grunde liegen und muss sich die verfassungsrechtlich zu überprüfende Regelung „in dieses Konzept“ einfügen.79 Nimmt der Gesetzgeber bei der Rentenüberleitung Kürzungen vor, so muss „ein sachgerechter Kürzungsmechanismus gewählt werden“. Dabei müssen sich die festgesetzten Werte „auf Erkenntnisse zur wirklichen Verteilung überhöhter Arbeitsverdienste im Bereich zwischen dem Durchschnittsentgelt und Entgelten an der Beitragsbemessungsgrenze stützen können, weil in der DDR erzielte hohe Arbeitseinkommen nicht notwendig auch ,überhöhte‘ Entgelte“ gewesen sind.80

72

BVerfGE 126, 233 (266 f.). BVerfGE 6, 84 (91); 11, 266 (272); 17, 122 (130); 24, 220 (228); 25, 269 (292); 29, 402 (411); 32, 157 (167); 35, 348 (357); 40, 296 (317); 45, 376 (387); 51, 222 (234); 62, 256 (274); 66, 84 (94); 75, 108 (157); 76, 256 (329); 78, 249 (287); 84, 239 (268); 89, 365 (375 f.); 90, 145 (196); 90, 226 (239); 93, 319 (348 f.); 93, 386 (397); 96, 1 (5 f.); 101, 132 (138); 101, 151 (155); 101, 275 (291 f.); 103, 310 (318); 105, 73 (111); 107, 27 (46); 107, 218 (244); 107, 257 (270); 109, 96 (123); 110, 141 (157); 112, 286 (279); 113, 167 (215); 115, 381 (389); 120, 82 (107); 121, 108 (119); 121, 266 (298); 122, 210 (230); 123, 1 (19); 126, 268 (277). 74 BVerfGE 75, 108 (157); 90, 226 (239); 103, 310 (318). 75 Vgl. BVerfGE 112, 164 (175); 110, 412 (436); 108, 52 (68); 103, 310 (320); 103, 242 (258); 87, 1 (36); 65, 141 (149); 60, 16 (42); 37, 38 (51); 35, 79 (157); 23, 153 (191). 76 BVerfGE 75, 108 (157); 78, 249 (287); 85, 176 (187); 93, 319 (349); 93, 386 (397); 101, 275 (291); 103, 310 (318); 107, 218 (244); 107, 257 (270); 108, 52 (68); 115, 51 (61). 77 BVerfGE 84, 239 (268). 78 Vgl. BVerfGE 9, 338 (349); s. auch E 40, 121 (139). 79 BVerfGE 112, 368 (401). 80 BVerfGE 111, 115 (138). 73

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

119

c) Grundrechtsrelevanz 280

Weiterhin ist bedeutsam, ob der jeweilige Sach- oder Lebensbereich von grundrechtlichen Freiheiten geschützt wird, die zuwiderlaufenden Wertungen des Gesetzgebers entgegenstehen,81 oder ob sich die Ungleichbehandlung „auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann.“ 82 d) Eigene Verhaltenssteuerung

281

Darüber hinaus stellt das Bundesverfassungsgericht strengere Anforderungen an den Gesetzgeber, wenn der Einzelne das Vorliegen eines Differenzierungsmerkmals „nicht durch eigenes Verhalten beeinflussen kann“ oder wenn er nicht „nachteilige Folgen durch eigenes Verhalten vermeiden kann.“ 83 IV. Gleichheitssatz als Gruppengerechtigkeit 1. Die „neue Formel“

282

Ungeachtet der Maxime, gleiche Sachverhalte gleich und ungleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln, nimmt das Bundesverfassungsgericht in seiner späteren Rechtsprechung eine besonders strenge Prüfung dann vor, wenn vergleichbare Personengruppen ungleich behandelt werden.84 Die seit Oktober 1980 vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Formulierungen zur Gruppen-Gleichheit werden auch als „neue Formel“ bezeichnet.85 Dem Postulat der Gruppen-Gleichheit und Gruppengerechtigkeit liegt letztlich das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot personaler Gleichheit zugrunde.86 81 Vgl. BVerfGE 17, 210 (217); 35, 79 (114); 36, 321 (330 f.); 37, 342 (353 f.); 60, 123 (134); 81, 108 (118); 82, 126 (146); 87, 1 (37 oben); 88, 87 (96); 90, 46 (56); 121, 317 (370). 82 BVerfGE 88, 5 (12); 88, 87 (96); 89, 69 (89); 90, 46 (56); 91, 346 (363); 92, 53 (69); 95, 267 (316 f.); 97, 271 (291); 98, 365 (389); 99, 367 (388); 103, 172 (193); 105, 73 (110 f.); 105, 313 (363); 106, 166 (176); 107, 27 (46); 107, 133 (141); 110, 141 (167); 110, 412 (432); 111, 160 (169); 111, 176 (184); 112, 74 (86); 112, 164 (174); 115, 51 (62); 116, 135 (161); 116, 243 (260); 118, 1 (26); 118, 79 (100); 121, 317 (370); 122, 39 (52); 122, 210 (230); 123, 111 (120); 126, 29 (48); 126, 268 (277); 126, 400 (417 f.); 129, 49 (69 sub C I); s. auch E 60, 123 (34); 62, 256 (274); 82, 126 (146); BVerfG (Kammer) NJW 2012, S. 214 (215 RN 10). 83 Vgl. BVerfGE 127, 263 (280 sub B I 3 a); 126, 400 (418); 122, 39 (52); 111, 160 (169); 95, 267 (316); 92, 26 (52); 90, 22 (26); 88, 87 (96); 88, 5 (12); 81, 156 (206); 68, 237 (250); 60, 329 (346); 55, 72 (89); s. auch BVerfGE 129, 49 (69 sub C I); BVerfG (Kammer) NJW 2012, S. 214 (215 RN 10). 84 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 3 RN 19. 85 Vgl. Michael Sachs, Die Maßstäbe des allgemeinen Gleichheitssatzes – Willkürverbot und sogenannte neue Formel, in: JuS 1997, S. 124 ff.; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Aufl., 2008, § 23 RN 19 ff. 86 Vgl. oben RN 261 m.w. N.

120

283

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Die „neue Formel“ bringt eine stärkere Nuancierung,87 Konkretisierung und Präzisierung des Gleichheitssatzes mit sich und führt infolge der Prüfung nach Kriterien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes88 zu einem hohen Maße an rationaler Argumentation „im Rahmen der verhältnismäßigen Gleichheit“.89 2. Der Inhalt der Gruppen-Gleichheit

284

Die Gleichheitskonformität für tatbestandliche Gruppierungen lässt sich bei feststehendem Gesetzesziel anhand der Ähnlichkeit oder Unterschiedlichkeit der Adressatengruppen leichter beurteilen.90 Personen oder Gruppen dürfen durch Gesetzesvorschriften nicht ohne sachlich vertretbaren, d.h. ohne rechtlich zureichenden Grund schlechter gestellt werden als andere, die man ihnen vergleichbar gegenüberstellt.91

285

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist Art. 3 Abs. 1 GG vor allem dann verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können“.92

286

Eine unterschiedliche Behandlung von Personengruppen muss sich – sachbereichsbezogen – „auf einen vernünftigen oder sonstwie einleuchtenden Grund von hinreichendem Gewicht zurückführen“ lassen.93 87 So Dietrich Katzenstein, Aktuelle verfassungsrechtliche Fragen des Sozialrechts und der Sozialpolitik, DRV 1983, S. 337 ff. (344). 88 Sachs a. a. O., S. 129; Zippelius/Würtenberger a. a. O. 89 So Zippelius/Würtenberger a. a. O., RN 20. 90 Vgl. auch P. Kirchhof, Die Vereinheitlichung der Rechtsordnung durch den Gleichheitssatz, in: Reinhard Mußgnug (Hg.), Rechtsentwicklung unter dem Bonner Grundgesetz, 1990, S. 33 ff. (45 ff.). 91 BVerfGE 22, 415; ebenso E 52, 277 (280 sub II 1); vgl. auch E 17, 354. 92 BVerfGE 55, 72 (88 sub II 1); 58, 369 (373 f.); 60, 123 (133 f.); 60, 329 (346 sub II 1); 62, 256 (274); 64, 229 (239); 65, 104 (112 f.); 67, 231 (236); 70, 230 (239 f.); 71, 146 (154 f.); 72, 141 (150); 74, 9 (24); 79, 87 (98); 79, 106 (122); 82, 126 (146); 84, 133 (157 sub C V); 85, 360 (383); 87, 1 (36); 87, 234 (255); 88, 5 (12 sub B I 1); 88, 87 (97); 93, 386 (397); 94, 241 (260); 95, 143 (154 f. sub C I 1); 95, 267 (317); 96, 315 (325 sub C I 1); 98, 1 (12 sub B I 1); 99, 129 (139 sub C I 1); 99, 165 (177 sub C I 1); 99, 367 (389); 100, 1 (38); 100, 59 (90 sub C I 1); 100, 104 (127); 100, 138 (174 sub C II 1 a); 100, 195 (205 sub B I 1); 101, 239 (269); 102, 41 (54 sub B II 1); 103, 225 (235 sub B I 1); 103, 271 (289); 103, 392 (397 sub B I 1); 104, 126 (144 f. sub C I 1); 105, 73 (110 sub C I); 105, 313 (352); 107, 27 (46 sub C I 1 a); 107, 133 (141); 108, 52 (77 f.); 110, 141 (167); 110, 412 (431 f.); 111, 115 (137 sub C I 1 a); 112, 50 (67); 112, 74 (86); 112, 368 (401); 113, 167 (214 f.); 116, 164 (181); 117, 272 (300 f.); 117, 302 (311 sub C I); 117, 316 (325 sub C I 1); 120, 125 (144); 121, 317 (369); 122, 39 (52 f.); 122, 151 (174); 123, 111 (116); 124, 199 (119 f.); 124, 251 (265); 126, 233 (263); 126, 369 (397); 126, 400 (418); 129, 49 (69); BVerfG v. 12.10.2011, NJW 2012, S. 833 (842 RN 253); BVerfG (Kammer), NJW 1991, S. 3269 f.; s. auch schon E 3, 58 (135 f.); 17, 354 und E 22, 415.

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

121

Der Gesetzgeber unterliegt daher bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen „regelmäßig einer strengen Bindung“.94 287

Daher ist es ihm auch verboten, einem Personenkreis eine Begünstigung zu gewähren, einem anderen Personenkreis aber vorzuenthalten (gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss).95 Umgekehrt können Gruppen auch durch „übereinstimmende Eigenschaften oder Merkmale geprägt und gekennzeichnet“ sein, die eine unterschiedliche Behandlung ausschließen.96 3. Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hinsichtlich der Gewichtung der Sachverhaltselemente a) Grundsätzliches

288

Obwohl das Gebot der Gruppen-Gleichheit die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einschränken soll, räumt das Bundesverfassungsgericht der Legislative einen „Gestaltungsraum“ (bzw. eine „Gestaltungsfreiheit“ oder einen „Spielraum“) hinsichtlich der Beurteilung der Frage ein, welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, „daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung“ der Gruppen rechtfertigt.97 Auch im Rahmen dieser Gestaltungsfreiheit ist dem Gesetzgeber jedoch sachwidriges oder sachfremdes Handeln untersagt.98

289

Dabei wird sein Gestaltungsraum für „die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise“ für den „Bereich der gewährenden Staatstätigkeit“ besonders betont.99 Um derartige Sozialleistungen handelt es sich jedoch im vorliegenden Falle nicht, weil den Versorgungsberechtigten verfassungsrechtlich geschützte und durch die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes gesicherte Ansprüche und Anwartschaften zustehen.100 93

BVerfGE 107, 257 (270) unter Hinweis auf E 42, 374 (388); 75, 108 (157); 78, 232 (247); 100, 138 (174); 101, 54 (101); s. ferner E 85, 176 (187); 93, 319 (349); 93, 386 (397); 97, 332 (344); 101, 275 (291); 103, 310 (318); 107, 218 (244); 108, 52 (68); 126, 369 (397 f.). 94 BVerfGE 88, 87 (96); 90, 46 (56); 95, 39 (45); 95, 143 (155); 95, 267 (316); 98, 365 (389); 102, 68 (87); 105, 313 (363); 121, 317 (369). 95 BVerfGE 110, 412 (431); 112, 164 (174); 116, 164 (180); 121, 108 (119); 124, 199 (218); 124, 251 (265); 126, 29 (43); 126, 400 (416); 127, 263 (280 sub B I 3 a); 129, 49 (68); s. auch E 93, 386 (396); 105, 73 (110 ff., 133); 122, 151 (179). 96 BVerfG (Kammer) v. 13.12.1990, NJW 1991, S. 326 f. 97 BVerfGE 57, 107 (115); 60, 123 (134 oben); 87, 1 (36 f.); 94, 241 (260); 95, 143 (155 oben); 99, 165 (177 f.); 107, 133 (141); 110, 141 (167 f.); vgl. auch E 102, 68 (87). 98 BVerfGE 94, 241 (260); 99, 165 (178). 99 Vgl. BVerfGE 99, 165 (178); 100, 195 (205): für die Gewährung von Sozialleistungen bei Bedürftigkeit des Empfängers. 100 Hierzu unten RN 434 ff.

122

290

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Gerade bei nachteiligen Auswirkungen auf die „Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten“ sind der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers enge Grenzen gezogen.101 b) Gestaltungsfreiheit in Sondersituationen

291

Für staatliche Sondersituationen räumt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG eine besonders weite Gestaltungsfreiheit ein. Nachweise hierfür finden sich für die Bewältigung der Folgen des Zweiten Weltkriegs, des Zusammenbruchs des Deutschen Reichs sowie der Beseitigung von Kriegsfolgelasten.102

292

In ähnlicher Weise hat das Bundesverfassungsgericht auf die „Ausnahmesituation“ („Sondersituation“) der Wiedervereinigung hingewiesen,103 sie als „singuläre staats- und strafrechtliche Situation“ „ohne Vorbild“ charakterisiert,104 bei der „zwei völlig unterschiedliche Rechtssysteme einander anzupassen“ waren.105 Infolge der Einzigartigkeit des vom Gericht immer wieder hervorgehobenen „politischen Umbruchs“ im Zuge der Wiedervereinigung106 stand der Gesetzgeber insbesondere bei der „Herbeiführung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung durch Zusammenführung unterschiedlicher Rentenversicherungssysteme“ „vor einer umfassenden und schwierigen Aufgabe“,107 ja sogar vor einer „einzigartige[n] Aufgabe der juristischen Bewältigung der Wiederherstellung der Deutschen Einheit.“ 108

293

Deshalb wurde ihm „bei der Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Überführung der im Beitrittsgebiet erworbenen Ansprüche und Anwartschaften“ ein (besonders) „weit[er] Gestaltungsraum“ eingeräumt,109 der allerdings zeitlich nicht als „unbefristeter Zeitraum“ zur Verfügung stand.110

101 BVerfGE 105, 73 (110 f.); 107, 133 (141); 110, 141 (167); 126, 29 (48); 126, 268 (277); 126, 400 (417 f.); 129, 49 (69); vgl. auch E 62, 256 (274); 65, 104 (117); 74, 9 (24); 82, 126 (146); 87, 1 (36 f.); vgl. ferner oben RN 280, unten RN 349. 102 BVerfGE 23, 153 (168); 27, 253 (286); 29, 413 (430); 53, 164 (178); vgl. auch E 15, 167 (201). 103 BVerfGE 95, 267 (313); 104, 126 (149); 107, 218 (243). 104 BVerfGE 92, 277 (327); s. auch E 99, 332 (337): „besondere Situation des politischen Umbruchs“. 105 BVerfGE 92, 262 (275); s. auch E 103, 310 (324). 106 BVerfGE 99, 332 (337); s. auch E 101, 275 (288). 107 BVerfGE 95, 143 (157). 108 BVerfGE 112, 368 (401 f.). 109 BVerfGE 100, 1 (38); 100, 59 (95); 100, 104 (131); 104, 126 (147); 111, 115 (144); 117, 302 (311). 110 BVerfGE 95, 143 (158).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

123

294

Geht man dieser Rechtsprechung jedoch genauer nach, so ist in ihr keine Blankettermächtigung für die Legislative im Umgang mit Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen. So betraf das Urteil vom 28. April 1999 (E 100, 104), bei der der Gesetzgeber „einen weiten Gestaltungsraum“ hatte, „lediglich eine Übergangsregelung“ in Gestalt der Rentenzahlung an Zusatzversorgte auf der Grundlage vorläufig festgelegter Entgeltpunkte.111 Auch der Beschluss vom 12. November 1996 (E 95, 143), den das Gericht stets im Zusammenhang mit seinem Hinweis auf den weiten Gestaltungsraum des Gesetzgebers für die Herstellung der Rechtseinheit im Bereich der Sozialversicherung zitiert,112 betraf nur eine Übergangsvorschrift (§ 1317 RVO), die mit Wirkung zum 1. Januar 1992 außer Kraft gesetzt worden war.113 Letztlich liegt auch dem Urteil vom 28. April 1999 (E 100, 1), soweit es die Zahlbetragsgarantie betrifft, eine „bis zum 31. Dezember 1991 dauernde Übergangsphase“ zugrunde. Nur insoweit konnte sich der Gesetzgeber „auf die weite Gestaltungsfreiheit berufen, die ihm bei Übergangsregelungen zukommt“.114 In dem Beschluss vom 27. Februar 2007 (E 117, 302) ging es eigentlich nicht um die Herstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Sozialversicherung für die Zukunft, sondern um das Sonderproblem der Aufhebung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts der DDR, der nicht gegen fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen hatte. In diesem Zusammenhang weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der „Wiedergutmachung früheren, von einer anderen Staatsgewalt zu verantwortenden Unrechts“ nur an Art. 3 Abs. 1 GG „in seiner Bedeutung als bloßes Willkürverbot gebunden“ sei.

295

Damit reduziert das Gericht den „besonders weit[en]“ Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers „bei der Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Überführung der im Beitrittsgebiet erworbenen Ansprüche und Anwartschaften“ 115 im Ergebnis auf den Erlass von „Übergangsregelungen“,116 für die aber die legislatorische Gestaltungsfreiheit ohnehin desto größer ist, „je geringfügiger die Ungleichheit nach Dauer oder Höhe ist“.117

296

Bei kritischer Betrachtung der verfassungsgerichtlichen Formel vom weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Herstellung von Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung anhand der zugrunde liegenden Einzelfälle zeigt sich, dass dieser legislatorische Spielraum auf keinen Fall für eine auf Dauer berechnete Gesetzesbestimmung im Zuge der Herstellung der Rechtsein111

E 100, 104 (131). Vgl. BVerfGE 100, 1 (38); 100, 104 (131); 104, 126 (147); 117, 302 (311). 113 Vgl. BVerfGE 95, 143 (157 f.). 114 BVerfGE 100, 1 (43). 115 BVerfGE a. a. O., S. 38. 116 BVerfGE a. a. O., S. 43. 117 BVerfGE 44, 283 (287); 107, 218 (246); Kloepfer, Übergangsgerechtigkeit bei Gesetzesänderungen und Stichtagsregelungen, DÖV 1978, S. 225 (230 f.). 112

124

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

heit und der Überführung der in der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften zugebilligt wurde. Vielmehr betrafen die entschiedenen Fälle Übergangsphasen und Übergangsregelungen, die bis zum Ende des Jahres 1991118 beziehungsweise bis zum Ende des Jahres 1993119 in Kraft blieben. 297

In der Reihe der angeführten Judikate betraf nur der Beschluss vom 21. November 2001 (E 104, 126) eine auf Dauer berechnete gesetzliche Regelung, nämlich die Überführung der DDR-Unfallrenten in die gesamtdeutsche gesetzliche Unfallversicherung unter gleichzeitiger Nichtberücksichtigung der Dienstunfallentschädigungen der Sonderversorgungsberechtigten. In diesem Fall hat jedoch das Bundesverfassungsgericht ungeachtet des auch hier betonten „weiten Gestaltungsspielraum[s]“ des Gesetzgebers „bei der Harmonisierung der Rentensysteme im wiedervereinigten Deutschland“ an dem Grundsatz der Gruppen-Gleichheit festgehalten und eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt.120

298

Auch in seiner sonstigen Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht pauschale Hinweise auf die „Ausnahmesituation der Wiedervereinigung“ nicht zugelassen. So vermochten beispielsweise die „finanziellen Nachwirkungen der Wiedervereinigung“ „eine Einschränkung des Grundsatzes amtsgemäßer Versorgung“ aufgrund des Art. 33 Abs. 5 GG nicht zu rechtfertigen.121 Die „Ausnahmesituation“ vermag Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 GG mit der Begründung, der Gesetzgeber benötige „eine ausreichende Übergangszeit zur Bereinigung der verschiedenen in das Recht der Bundesrepublik Deutschland überführten Systeme der sozialen Sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik“ zu rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber von vornherein eine umfassende Regelung vornimmt.122 Da selbst Sondervorschriften für die neuen Bundesländer nur bis längstens zum 31. Dezember 1992 von Grundrechtsbestimmungen abweichen durften (Art. 143 Abs. 1 und 2 GG),123 stand dem Gesetzgeber für mit „Art. 3 Abs. 1 GG im Einklang stehende Neuregelung[en]“ ohnehin „kein unbefristeter Zeitraum zur Verfügung“.124 Eine unterschiedliche Opferentschädigung hat das Bundesverfassungsgericht125 „für eine Übergangszeit“ mit dem „außerordentlichen staatlichen Finanzierungsbedarf“ anlässlich der deutschen Wiedervereinigung begründet. Da aber das gesetzgeberische Ziel eine Angleichung des Entschädigungsniveaus „in absehbarer und für die Leistungsberechtigten erlebbarer Zeit nicht erreichbar“ und dies Ende 1998 erkennbar war, musste die Grundrente für 118 119 120 121 122 123 124 125

Vgl. BVerfGE 95, 143 (158); 100, 1 (43). Vgl. BVerfGE 100, 104 (131). BVerfGE 104, 126 (147 f.). BVerfGE 117, 372 (388). BVerfGE 104, 126 (149). Vgl. hierzu auch BVerfGE 100, 1 (53). BVerfGE 95, 143 (158 oben). E 102, 41 (61).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

125

Kriegsbeschädigte für alle Berechtigten ab 1. Januar 1999 gleich bemessen werden.126 299

Schließlich hat es das Verfassungsgericht auch unter Berücksichtigung der „besonderen Gestaltungsfreiheit“ des Gesetzgebers „bei der Neuordnung der sozialrechtlichen Verhältnisse in der Folge der Wiedervereinigung“ als mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr vereinbar angesehen, dass die Legislative bei der Überführung der Versorgungssysteme „alle erfassten Arbeitsentgelte ,fallbeilartig‘ auf das Durchschnittseinkommen kürzt“.127 Zwar hat das Gericht unter Hinweis auf E 100, 138 (178 bis 180) von dieser Feststellung die Kürzungsregelung des § 7 AAÜG aus Gründen ausgenommen, „die in den ganz spezifischen Verhältnissen des von dieser Vorschrift erfassten Bereichs begründet sind“. Weil aber die Grundannahmen für die Beurteilung dieser Verhältnisse aufgrund neuerer Forschungsergebnisse inzwischen weggefallen oder erheblich verändert sind, müssen die zitierten Ausführungen des Gerichts nun auch auf § 7 AAÜG angewendet werden.128 4. Das Gebot verhältnismäßiger Differenzierung

300

Zwar gestattet der Gleichheitssatz bei gewichtigen Unterschieden zwischen Personengruppen eine Differenzierung. Hierfür müssen jedoch beachtliche und gewichtige Gründe vorliegen, die die Differenzierung rechtfertigen. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unterliegt einer „strengen Bindung an die Verhältnismäßigkeitserfordernisse“.129 Zu diesen rechnen die Verfassungslegitimität von Eingriffsziel und Eingriffsmittel, die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Eingriffsmittels sowie die Proportionalität von Eingriffsziel und Eingriffsmittel,130 d.h. ein angemessenes Verhältnis von Ungleichbehandlung und Rechtfertigungsgrund bei der Differenzierung. a) Verfassungslegitimität von Ziel und Mittel

301

Verfassungslegitime Ziele und Mittel können sich entweder ausdrücklich oder stillschweigend aus der Verfassung ergeben oder sich als sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls darstellen, die „der Wertordnung des Grundgesetzes nicht widersprechen“.131 Im Falle einer Ungleichbehandlung von 126

BVerfGE a. a. O. BVerfGE 111, 115 (143 f.); vgl. hierzu auch oben RN 197. 128 Hierzu unten RN 498 ff. 129 BVerfGE 95, 143 (155); vgl. auch E 113, 167 (215). 130 Vgl. statt aller Merten, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, in: ders./Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 68 RN 51 f. m.w. N. 131 Vgl. BVerfGE 39, 210 (225 sub C I 1). 127

126

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Gruppen müssen sich die Differenzierung und ihre Durchführung als verfassungslegitim erweisen. So sieht es das Bundesverfassungsgericht als einen verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigten Grund an, dass die Träger Bremer Ersatzschulen, die nur Landeskinder aufnehmen, im Vergleich zu Trägern, die auch Schülern mit Wohnsitz in einem anderen Bundesland offenstehen, finanziell besser gefördert werden.132 Das Gesetzesziel, Erziehungsgeld nur denjenigen Ausländern zukommen zu lassen, von denen ein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland zu erwarten war, hat das Bundesverfassungsgericht zwar als „legitim“, das gewählte Differenzierungskriterium aber als „nicht geeignet“ angesehen, „diesen Personenkreis adäquat zu erfassen“.133 Für den Bereich der Überleitung von Versorgungsansprüchen und -anwartschaften hat es das Gericht als legitim bezeichnet, Versorgungszusagen, denen keine entsprechende Leistung zugrunde lag und die politisch motiviert waren, die Anerkennung zu versagen, hat jedoch bestimmte Regelungen als ungeeignet zur Erreichung des angestrebten Ziels mit der Begründung qualifiziert, dass sie unzulässig typisieren.134

b) Eignung und Erforderlichkeit des Mittels aa) Eignung 302

Außer dem Erfordernis der Legitimität muss die Ungleichbehandlung geeignet sein, das mit ihr erstrebte Ziel zu erreichen,135 weshalb mitunter auch vom Erfordernis der Zwecktauglichkeit gesprochen wird.136

303

Im Bereich des AAÜG hat das Bundesverfassungsgericht mehrmals gesetzliche Regelungen als ungeeignet wegen unzulässiger Typisierung angesehen.137 bb) Erforderlichkeit

304

Das geeignete Mittel muss weiterhin erforderlich sein, um den erstrebten legitimen Zweck zu erreichen. Erforderlich ist eine Maßnahme nur dann, wenn sie zum einen überhaupt und zum anderen in der gewählten Intensität oder zu dem bestimmten Zeitpunkt notwendig ist. Insbesondere dürfen keine anderen Maßnahmen zur Verfügung stehen, die den Normzweck in gleicher Weise erfüllen

132 133 134 135

BVerfGE 112, 74 (87). BVerfGE 111, 176 (185). BVerfGE 111, 115 (139 f.); ähnlich E 100, 59 (91 f.). Vgl. BVerfGE 17, 306 (314 sub C II 2); 33, 171 (187); 109, 279 (336); 113, 167

(234). 136 137

Vgl. BVerfGE 16, 147 (181); 30, 250 (263); 100, 313 (373); 119, 59 (85). BVerfGE 100, 59 (92); 111, 115 (139).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

127

können, aber die Ungleichbehandlung vermeiden oder verringern (Prinzip des mildesten Mittels).138 c) Angemessenes Verhältnis von Ungleichbehandlung und Rechtfertigungsgrund 305

Überdies müssen bei einer Differenzierung zwischen ungleichen Gruppen von Normadressaten Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund „in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen“,139 so dass „auch für das Maß der Differenzierung ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung bestehen [muss], der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht anführen lässt“.140 Differenzierungen müssen stets durch Sachgründe gerechtfertigt sein, „die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind“.141 Lassen sich die einzelnen Ungleichbehandlungen nur durch unterschiedliche Gründe rechtfertigen, dürfen diese nicht zueinander im Widerspruch stehen, sondern müssen innerhalb eines vertretbaren gesetzgeberischen Konzepts aufeinander abgestimmt sein.142

306

Auf jeden Fall endet die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dort, „wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist“ 143 oder „gewisse[r] äußerste[r] Grenzen der Gerechtigkeit“ überschreitet.144 5. Pauschalierende, typisierende und generalisierende Regelungen

307

Art. 3 Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber grundsätzlich nicht, zur Regelung von Massenerscheinungen oder Massenvorgängen (insbesondere im Steuerrecht

138 BVerfGE 55, 72 (88); 85, 238 (245 oben); 87, 1 (36); 88, 5 (12); 88, 87 (97); 89, 15 (23); 95, 267 (317); 95, 408 (418); 99, 367 (389); 100, 195 (205); 101, 54 (101); 106, 166 (176); 108, 52 (68); 109, 96 (124); 110, 274 (291); 117, 272 (300 f.); 118, 1 (26); 118, 79 (100); 121, 317 (371); 126, 331 (361 f.); Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Aufl., 2008, § 23 RN 22; zum Prinzip des mildesten Mittels Merten, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, in: ders./Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band III, 2009, § 68 RN 66 ff. 139 BVerfGE 82, 126 (146); 85, 238 (246); 99, 165 (178); 102, 68 (87); 106, 166 (177); 110, 274 (292); 111, 160 (171). 140 BVerfGE 124, 199 (220); 93, 386 (401); vgl. auch E 129, 49 (68 f.). 141 BVerfG (Kammer) NJW 2012, S. 214 (215 RN 10). 142 BVerfGE 116, 164 (181). 143 BVerfGE 9, 334 (337); 25, 269 (292); 31, 314 (353); 38, 187 (197 f.); 39, 316 (326 f.); 44, 283 (287); 57, 107 (115); 60, 123 (134); 60, 329 (346); 123, 1 (20); vgl. auch E 10, 340 (354); 13, 356 (362); 17, 1 (24); 31, 314 (353). 144 BVerfGE 10, 59 (73); 23, 12 (25).

128

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

oder Sozial[versicherungs]recht), aber auch bei der Ordnung Jahrzehnte zurückliegender Verhältnisse145 pauschalierende, typisierende und generalisierende Normen zu erlassen.146 308

Diese Befugnis hat das Bundesverfassungsgericht für das Rentenüberleitungsrecht147 und auch für § 7 AAÜG hervorgehoben.148 a) Pauschalierung

309

Bei der Pauschalierung sieht der Gesetzgeber insbesondere bei massenhaftem Vollzug eines Gesetzes im Interesse der Verwaltungspraktikabilität von der Berücksichtigung individueller Verhältnisse im Einzelfall ab, so dass z. B. die Höhe von Leistungen oder die Geltendmachung von Kosten auf bestimmte Beträge begrenzt wird, die sich allerdings an den (durchschnittlichen) tatsächlichen Verhältnissen orientieren149 und einer Änderung der Verhältnisse, z. B. bei statistisch ermittelten Daten, Rechnung tragen müssen.150 b) Typisierung

310

Typisierung bedeutet, „bestimmte in wesentlichen Elementen gleichgeartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen“, wobei Besonderheiten vernachlässigt werden.151 Der Gesetzgeber muss dabei „die Vielzahl der Einzelfälle“ in einem Gesamtbild erfassen, „das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt“,152 aber auch „der Verwaltung die Möglichkeit zu einer in gewissen Grenzen vereinfachten Bearbeitung“ gibt und ihr „durch leicht zu handhabende Vorschriften“ umfangreiche und zeitraubende Prüfungen von Einzelfällen erspart.153 „Besonderheiten, die im 145

Vgl. BVerfGE 102, 254 (344). BVerfGE 17, 1 (23); 21, 12 (27); 27, 375 (387); 31, 119 (131); 43, 13 (26); 44, 290 (295); 45, 376 (390); 48, 227 (239); 48, 346 (361); 63, 119 (128); 69, 119 (128); 70, 1 (34); 76, 256 (331); 78, 214 (226 f.); 82, 60 (95, 97); 82, 126 (151 f.); 87, 234 (255); 96, 1 (6); 98, 365 (385); 100, 138 (174); 100, 195 (205); 101, 54 (81); 101, 297 (309); 103, 310 (319); 105, 73 (127); 110, 274 (292); 111, 115 (137); 111, 176 (188); 112, 268 (280); 113, 167 (236); 116, 164 (182); 117, 1 (31); 120, 1 (30); 122, 39 (59); 122, 210 (232); 123, 1 (19); 126, 331 (362); 129, 300 (321 f.); BVerfG v. 14.6.2011, NZS 2011, S. 936 (937 RN 19). 147 BVerfGE 100, 59 (90); 100, 104 (132); 111, 115 (137). 148 BVerfGE 100, 138 (174). 149 Vgl. BVerfGE 49, 1 (2); 68, 155 (172); 113, 167 (236); vgl. auch E 9, 3 (13); 14, 76 (101 f.). 150 Vgl. BVerfGE 97, 271 (292 f.). 151 BVerfGE 111, 115 (137); 126, 268 (279). 152 BVerfGE 122, 210 (232); vgl. auch E 11, 245 (254); 84, 348 (359 sub C I 2). 153 BVerfGE 9, 20 (31 f.); 87, 234 (266). 146

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

129

Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden“.154 311

Bei typisierenden Regelungen hat der Gesetzgeber ebenso wie bei rückwirkenden Ordnungen einen größeren Spielraum, wenn sie begünstigender Natur sind.155 Dagegen ist seine Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG eingeschränkt, wenn sich Typisierungen belastend auswirken.156 c) Generalisierung

312

Die Befugnis des Gesetzgebers zur Generalisierung betont eigentlich nur die jedem Gesetz eigentümliche Wirkung generell-abstrakter Regelung. Denn „jede gesetzliche Regelung muss generalisieren“.157 Zu diesem Zweck darf der Gesetzgeber von Differenzierungen und Besonderheiten im Interesse der Verständlichkeit und Praktikabilität der Normen, insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen absehen und die damit verbundenen Randunschärfen zugunsten der Sachgesetzlichkeit in Kauf nehmen.158 An die Stelle der „individuellen Gleichmäßigkeit“ tritt eine „generelle Gleichmäßigkeit“.159

313

Nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung müssen „sich daraus ergebende[n] Unebenheiten, Friktionen und Mängel sowie gewisse Benachteiligungen in besonders gelagerten Einzelfällen . . . hingenommen werden, sofern sich für die Gesamtregelung ein vernünftiger Grund anführen lässt“.160 6. Grenzen pauschalierender, typisierender und generalisierender Regelungen

314

Um die Einzelfallgerechtigkeit nicht allzu sehr hinter einer Typusgerechtigkeit zurücktreten zu lassen und das Interesse der Verwaltung „an möglichst praxisnaher Gestaltung und Umsetzbarkeit der Regelungen“ nicht überzubetonen,161 hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung eine Reihe von Gren154

BVerfGE 126, 268 (279). Vgl. BVerfGE 34, 62 (69); auch E 44, 290 (295). 156 Vgl. BVerfGE 17, 1 (23 f.); 19, 101 (116); 44, 290 (295 unten); 48, 227 (239); 65, 325 (356); 103, 310 (319). 157 BVerfGE 11, 245 (254); 97, 169 (182); 97, 186 (194); vgl. auch E 76, 256 (295); 110, 353 (365); 117, 372 (398). 158 Vgl. BVerfGE 97, 185 (194 f.). 159 Vgl. BVerfGE 9, 3 (13). 160 BVerfGE 110, 353 (365); 117, 372 (398); s. auch E 26, 141 (159); 49, 260 (273); 56, 87 (97); 56, 353 (359): „während einer Übergangszeit“; 64, 367 (387 f.): „nur kurzfristig und übergangsweise“; 65, 141 (148 f.); 76, 256 (295); 103, 310 (320). 161 Zum Spannungsverhältnis gerade in der Rentenversicherung BVerfGE 100, 104 (134). 155

130

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

zen entwickelt, die unzumutbare und mit dem Gleichheitssatz nicht mehr zu vereinbarende Härten pauschalierender, typisierender und generalisierender Regelungen vermeiden sollen. a) Verbot der Atypik 315

Ungeachtet der gesetzgeberischen Befugnis, zu typisieren und bei einer „notwendig schematisierende[n] Regelung die atypischen Fälle nicht zu berücksichtigen“,162 darf der Gesetzgeber aber nicht umgekehrt „einen atypischen Fall als Leitbild wählen“.163 Der Gesetzgeber muss vielmehr eine „realitätsgerechte Typisierung“ anstreben und sich am „typischen Fall“ bzw. am „Lebenssachverhalt“ oder am „Regelfall“ orientieren.164

316

Er muss „die Vielzahl der Einzelfälle“ in einem „Gesamtbild“ erfassen und „realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen“.165 Eine unzulässige Typisierung liegt in der Unterstellung, dass die Arbeitsentgelte der von einer Regelung erfassten Personen „durchweg überhöht“ waren166 oder dass eine „unterschiedliche Behandlung der Angehörigen von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen“ nicht erkennbar auf Tatsachen beruht, welche die Annahme rechtfertigen, dass überhöhte Arbeitsentgelte gerade an die vom Gesetzgeber ausgewählten Personengruppen gezahlt wurden.167 Die Legislative hat eine „begründete Typisierungsentscheidung“ zu treffen,168 wobei „gesetzliche Verallgemeinerungen . . . auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen“ müssen.169 b) Verbot übermäßiger Typisierung

317

Steht schon die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Personengruppen unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit,170 so muss dies erst recht bei pauscha162

BVerfGE 23, 153 (188). BVerfGE 27, 142 (150); 39, 316 (329); 103, 172 (194); 112, 268 (280 f.); 116, 164 (183 oben); 117, 1 (31, 44); 120, 1 (30); 122, 39 (59); 122, 210 (233 oben); 123, 1 (19); 125, 1 (37); 126, 268 (270); 127, 224 (246); s. auch die abweichende Meinung des Richters Dr. Katzenstein, abgedr. in: E 66, 79 (82 unten). 164 BVerfGE 127, 224 (246); 125, 1 (37); 120, 1 (30); 117, 1 (31); 112, 164 (180); 99, 246 (264); 37, 167 (190). 165 BVerfGE 112, 164 (180 f.); 112, 268 (280 f.); 116, 164 (182 f.); 117, 1 (31); 122, 210 (233); 123, 1 (19); 126, 268 (278 f.); vgl. auch E 120, 1 (30); 127, 224 (246). 166 BVerfGE 100, 59 (93). 167 BVerfGE 111, 115 (140 oben). 168 BVerfGE 120, 125 (166). 169 BVerfGE 122, 210 (233); s. auch E 84, 348 (359); 87, 234 (255); 96, 1 (6); 101, 297 (309). 170 s. oben RN 300 ff. 163

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

131

lierenden, typisierenden und generalisierenden Regelungen gelten, da in diesen Fällen schon von der Natur der Sache her gleichheitswidrige Härten im Einzelfall unvermeidbar sind und nur wegen der Vorteile einer vom Einzelfall absehenden generalisierenden und typisierenden Normierungstechnik in Kauf genommen werden. aa) Gebot der mildesten Typisierung 318

Das aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgende Prinzip der Erforderlichkeit besagt, dass der Einzelne nicht unnötig durch Eingriffe belastet werden und seine Freiheit dann nicht beschränkt werden darf, wenn derselbe Erfolg mit einer weniger schweren Maßnahme zu erzielen wäre.171 So nimmt das Bundesverfassungsgericht gerade bei der Typisierung eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG insbesondere dann an, „wenn eine andere, der Verfassung besser entsprechende Typisierung genauso möglich ist“, und verweist in dem entschiedenen Fall auf die Möglichkeit einer Bemessung der Umlage nicht nach fiktiven, sondern nach tatsächlich gezahlten Entgelten.172 bb) Gebot proportionaler Typisierung

319

Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oder Proportionalität heißt vor allem, dass sich die Vorteile der Typisierung in einem angemessenen oder „rechten“ Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteilen, Härten oder Ungleichheiten befinden müssen.173 Stehen die Folgen einer Typisierung infolge ihrer ungleichen Auswirkung „in einem Missverhältnis zu den mit der Typisierung verbundenen Vorteilen“, kann Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein.174 c) Gleichheitskonformität von Härten und Ungerechtigkeiten infolge Typisierung

320

In Weiterentwicklung des Grundsatzes einer angemessenen Verhältnismäßigkeit zwischen den Vorteilen und den Nachteilen der Typisierung hat das Bundesverfassungsgericht nach Ansätzen in der früheren Rechtsprechung seit Anfang 1983 genauere Voraussetzungen entwickelt, bei deren Vorliegen die mit einer Ty171 Vgl. statt aller Merten, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, in: ders./Papier, Handbuch der Grundrechte, Band III, 2009, § 68 RN 66 mit Nachweisen der Rechtsprechung in FN 365. 172 BVerfGE 48, 227 (239). 173 BVerfGE 21, 12 (27); 31, 119 (131); 65, 325 (354 f.); 110, 274 (292); 117, 1 (31); 120, 1 (30); 123, 1 (19); 125, 1 (37); 127, 224 (246). 174 BVerfGE 21, 12 (27 f.); vgl. auch E 26, 172 (186); 31, 119 (131); 48, 227 (239); 98, 365 (385).

132

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

pisierung unvermeidlich verbundenen Härten als gleichheitskonform anzusehen sind. Zunächst darf durch die eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten „nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen“ betroffen sein und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz darf „nicht sehr intensiv“ sein. Wesentlich ist ferner, dass die „Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären“.175 aa) „Kleine Gruppe“ Betroffener 321

Der zahlenmäßige Umfang einer „verhältnismäßig kleine[n] Zahl von Personen“ 176 wird vom Bundesverfassungsgericht nicht näher angegeben, da er sich auch nicht abstrakt ermitteln lässt, sondern von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Von einer kleinen Zahl kann jedoch nicht mehr geredet werden, wenn es sich „nicht um einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern um eine, wenn auch zahlenmäßig begrenzte Gruppe typischer Fälle“ handelt.177 Wenn in den einzelnen Rechtsgebieten eine „ganze Gruppe“ oder gar „ganze Gruppen“ von Betroffenen benachteiligt oder stärker belastet werden, kommt eine zulässige Typisierung nicht mehr in Betracht.178 Dasselbe gilt, wenn durch die Typisierung „eine große Zahl der Fälle“ unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz „ungerecht betroffen werden“.179

322

Bei einer typisierenden Regelung begünstigender Art ist es nach Auffassung des Verfassungsgerichts „für das Gerechtigkeitsgefühl leichter erträglich“, wenn eine „Regelung infolge der Typisierung auch einer kleinen Gruppe von Personen zugute kommt, für die sie nicht bestimmt war, als wenn Personen ausgeschlossen werden, denen die Begünstigung nach dem Zwecke des Gesetzes zukommen sollte“.180

323

Essentiell für die Verfassungsmäßigkeit einer Typisierung ist der Umstand, dass es sich nur um „in Einzelfällen auftretende Härten“,181 um „seltene Fälle“ 182 oder sogar „um ausgesprochene Ausnahmefälle“ handelt.183 Dasselbe gilt, wenn „die Zahl der infolge der Typisierung bevorzugten“ Betroffenen einen 175 BVerfGE 63, 119 (128); 84, 348 (360); 87, 234 (255); 100, 59 (90); 100, 138 (174); 103, 310 (319); 126, 233 (263 f.); vgl. auch E 45, 376 (390); 82, 60 (95, 97); 82, 126 (152); 91, 93 (115); 98, 365 (385). 176 BVerfGE 26, 265 (276); 63, 119 (128); 84, 348 (360); 87, 234 (255); 100, 59 (90); 100, 138 (174); 103, 310 (319); 126, 233 (263 f.); BVerfG (Kammer) DVBl. 2010, S. 1502 (1503 RN 10); vgl. auch E 82, 60 (97); 82, 126 (152); 84, 348 (360). 177 BVerfGE 26, 265 (276). 178 Vgl. BVerfGE 13, 331 (355); 21, 12 (27); 41, 126 (188); 71, 39 (50). 179 BVerfGE 42, 176 (185). 180 BVerfGE 17, 210 (221); vgl. auch E 17, 38 (57 f.). 181 BVerfGE 41, 126 (188). 182 Vgl. BVerfGE 39, 316 (331). 183 BVerfGE 28, 324 (356).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

133

„mäßigen Prozentsatz“ nicht übersteigt184 oder nur „eine unbedeutende Anzahl von Einzelfällen“ erfasst wird,185 nicht dagegen, wenn der Gesetzgeber „eine – wenn auch zahlenmäßig begrenzte – Gruppe typischer Fälle“ gleichheitswidrig (belastend) behandelt.186 Dagegen kann bei einer bevorzugenden Typisierung eine „möglicherweise nicht ganz unbeträchtlich[e]“ Zahl Betroffener wegen der „bei ,Bevorzugungen‘ weit gespannten Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hingenommen werden“.187 bb) „Nicht sehr intensiver Verstoß“ gegen den Gleichheitssatz 324

Eine verfassungsgemäße Typisierung setzt weiterhin voraus, dass der in ihrem Wesen liegende Verstoß gegen den Gleichheitssatz „nicht sehr intensiv ist“.188 So dürfen beispielsweise bei der Berechnung von Wegebauleistungen Frontmeter nicht auf runde Beträge (100, 200 und 300 DM) festgesetzt werden.189 Dagegen ist es zulässig, dass bei Steuerpflichtigen, die einem höheren EinkommensteuerSpitzensteuersatz als 45 v. H. unterliegen, die Entlastungswirkung eines fiktiven Steuerfreibetrags in Höhe des vollen Existenzminimums der Kinder sich in ihrem Falle geringer auswirkt.190

325

Die Frage der Intensität eines Verstoßes ist nach den Gegebenheiten und Prinzipien des jeweiligen Rechtsgebietes zu beantworten. Für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung ist zum einen zu beachten, dass schon eine Kürzung der monatlich zu zahlenden Altersrente in geringem Umfang beträchtliche Auswirkungen auf den Gesamtbetrag der Rente bis zum Tode des Versicherten und gegebenenfalls darüber hinaus haben kann. Zum anderen wird gerade die gesetzliche Rentenversicherung maßgeblich vom Versicherungsprinzip beherrscht,191 weshalb sich der Umfang einer Rente gemäß § 63 Abs. 1 SGB VI vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen bestimmt („Teilhabeäquivalenz“).192 184

BVerfGE 37, 169 (184). BVerfGE 96, 315 (329). 186 BVerfGE 26, 265 (276); 96, 315 (329). 187 BVerfGE 17, 1 (25). 188 BVerfGE 26, 265 (276); 45, 376 (390); 63, 119 (128); 79, 87 (100); 82, 60 (97); 82, 126 (152); 84, 348 (360); 87, 234 (255); 91, 93 (115); 98, 365 (385); 100, 59 (90); 100, 138 (174); 103, 310 (319); 126, 233 (263 f.); BVerfG (Kammer) DVBl. 2010, S. 1502 (1503 RN 10). 189 BVerfGE 33, 265 (303). 190 BVerfGE 91, 93 (115 f.). 191 BVerfGE 128, 138 (147); 126, 369 (389); 122, 151 (181); 116, 96 (125); 90, 226 (240); 87, 1 (39); 80, 297 (310); 79, 87 (101); 67, 231 (237); 63, 119 (127 f.); 59, 36 (49 f.); 48, 346 (358); 39, 316 (330); 39, 169 (186); 21, 362 (378). 192 BVerfGE 122, 151 (181); 128, 138 (147); s. auch E 116, 96 (126); 90, 226 (240); 87, 1 (39); 79, 87 (101); 67, 231 (237); 63, 119 (127 f.); 48, 346 (358); s. auch oben RN 269. 185

134

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

cc) Vermeidbarkeit von Härten „nur unter Schwierigkeiten“ 326

Schließlich verlangt das Bundesverfassungsgericht für generalisierende und typisierende Regelungen, dass die damit verbundenen und den Gleichheitssatz verletzenden Härten „nur unter Schwierigkeiten vermeidbar“ gewesen wären.193 Dabei sind entstehende Ungerechtigkeiten insbesondere dann vermeidbar, wenn die Ungleichbehandlung „durch einfachere, die Betroffenen weniger belastende Regelungen behoben werden“ könnte.194

327

Bei der Abwägung stellt das Verfassungsgericht keinesfalls die Verwaltungspraktikabilität über den Gleichheitssatz. Vielmehr hält es Ungerechtigkeiten auch dann für vermeidbar, wenn ihre Beseitigung „einen nicht unbedeutenden Verwaltungsaufwand“ erfordert. Als Grenze sieht es z. B. im Rentenversicherungsrecht „unverhältnismäßige Anforderungen an die Möglichkeit der Rentenberechnung“ an.195 d) Nachbesserungspflicht bei anfänglich gröberer Typisierung

328

Gerade bei komplexen Sachverhalten mag sich der Gesetzgeber zunächst eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen nehmen und sich deshalb im Anfangsstadium mit „gröberen Typisierungen und Generalisierungen“ im Interesse der Praktikabilität begnügen. In diesen Fällen geben die damit verbundenen Unzuträglichkeiten nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „erst dann Anlass zu verfassungsrechtlicher Beanstandung, wenn der Gesetzgeber eine spätere Überprüfung und fortschreitende Differenzierung trotz ausreichenden Erfahrungsmaterials für eine sachgerechtere Lösung unterlässt“.196

329

Im Rahmen des Rentenversicherungsrechts hat das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen für eine gröbere Typisierung und Generalisierung bei der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Versorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung mit der Begründung bejaht, dass die „Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Arbeitsentgelten oder Arbeitseinkommen“ im Rahmen der Versorgungssysteme Probleme bereitete, weil „hinreichende Erkenntnisse und Erfahrungen“ fehlten und „auf aussagefähige Daten zunächst nicht zurückgegriffen“ werden konnte. Aus diesem Grunde seien § 6 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 7 i. d. F. des RüErgG zwar für den Zeitraum bis zum 193 BVerfGE 45, 376 (390); 63, 119 (128); 84, 348 (360); 87, 234 (255); 93, 386 (402); 100, 59 (90); 100, 138 (174); 103, 310 (313); 111, 115 (137); 111, 176 (188); 126, 233 (263 f.); BVerfG (Kammer) DVBl. 2010, S. 1502 (1503 RN 10). 194 BVerfGE 103, 225 (235 unten); 100, 195 (205); 84, 348 (364). 195 BVerfGE 63, 119 (129). 196 BVerfGE 33, 171 (189 f.); 37, 38 (56 f.); 37, 104 (118); 70, 1 (34); 71, 364 (393); 75, 108 (162); 100, 59 (101 f.); 103, 242 (267); vgl. auch E 50, 290 (335); 57, 139 (163); 84, 348 (358); 85, 80 (92); 97, 271 (292 f.); 107, 150 (179 f.).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

135

30. Juni 1993, nicht jedoch darüber hinaus verfassungsrechtlich hinzunehmen gewesen.197 330

In ständiger Rechtsprechung weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass der Gesetzgeber bei gröberen Typisierungen und Generalisierungen seine Regelungen „anhand inzwischen möglicher Erkenntnisse und Erfahrungen“ überprüfen198 und beobachten muss, ob die der Norm zugrunde liegenden Annahmen noch zutreffen.199 Gegebenenfalls ist er zur Nachbesserung verpflichtet und muss seine bisherige Lösung durch eine sachgerechtere ersetzen.200 In einer späteren Würdigung der Rentenüberleitung Ost hat jedenfalls der Berichterstatter der verfassungsgerichtlichen Leitentscheidung201, Udo Steiner, festgestellt, der Gesetzgeber habe „auch für die Überleitung von rentenrechtlichen Positionen von Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit (§ 7 AAÜG)“ „die Vorgabe des Einigungsvertrages, ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen . . . nicht anzuerkennen“ „in einer sehr pauschalierenden Weise umgesetzt“.202 7. Ungleichbehandlung im Interesse der Verwaltungsökonomie? a) Rechtfertigungsgrund

331

Das Bundesverfassungsgericht hat im Interesse der Erfordernisse der Verwaltung und der Praktikabilität von Regelungen – insbesondere bei Massenerscheinungen – Normen für verfassungsgemäß gehalten, deren Anwendung im Einzelfall ausnahmsweise zu einer Benachteiligung von Betroffenen führt, solange diese generell gleichbehandelt werden.203 Allerdings hat das Gericht für diese Ungleichbehandlung aus Gründen der Verwaltungsökonomie strenge Grenzen gezogen.

197

BVerfGE 100, 59 (102 f.). BVerfGE 100, 59 (101 f.); 103, 242 (267); vgl. auch E 33, 171 (189 f.); 37, 104 (118); 71, 364 (393). 199 BVerfGE 110, 141 (158); vgl. auch E 123, 186 Ls. 4 (266); 110, 177 (194); 95, 267 (314); 49, 89 (130); 25, 1 (12 f.). 200 Vgl. BVerfGE 25, 1 (12 f.); 33, 171 (189 f.); 37, 104 (118); 43, 291 (321); 45, 187 (252); 49, 89 (130); 56, 54 (78 ff.); 71, 364 (393); 88, 203 (269); 95, 267 (314 f.); 100, 59 (101 f.); 103, 242 (267); 110, 141 (158); 110, 177 (194); 111, 333 (360); BVerfG (Kammer) NJW 2002, 1638 (1639); NVwZ 2007, S. 805. 201 s. oben RN 138 ff. 202 Udo Steiner, Verfassungsrechtliche Fragen der Überleitung des Alterssicherungssystems der Deutschen Demokratischen Republik in die gesamtdeutsche gesetzliche Rentenversicherung, in: Ulrich Becker u. a. (Hg.), Alterssicherung in Deutschland, FS Ruland, 2007, S. 315 (318); ebenso ders., Verfassungsfragen der deutschen Wiedervereinigung im Sozialrecht, NZS 2010, S. 529 (530 sub B I 1); s. auch oben RN 167. 203 BVerfGE 27, 220 (230); 44, 283 (288); 82, 60 (101 f.); vgl. auch E 17, 337 (354). 198

136

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

b) Rechtfertigungsgrenzen aa) Geringfügige und besonders liegende Fälle 332

Regelungen, die gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, dürfen „nur in geringfügigen und besonders gelagerten Fällen zu Ungleichheiten führen“, so dass eine stärkere Belastung ganzer Gruppen das Maß des verfassungsrechtlich Zulässigen überschreitet.204 Damit soll die „Intensität und Schroffheit von Kontinuitätsbrüchen“ limitiert bzw. abgemildert werden.205 bb) Vorübergehende und nicht erhebliche Ungleichbehandlung größerer Gruppen

333

Werden größere Gruppen benachteiligt, so darf die Ungleichbehandlung „weder dauerhaft noch sehr erheblich“ sein.206

C. Die Vereinbarkeit des § 7 AAÜG mit dem Gleichheitssatz I. Gleichheitssatz als Differenzierungsgebot 1. Das System der DDR als vorgefundene Struktur 334

Die Rentenüberleitung darf nicht negieren, „daß sich die Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen Republik von derjenigen der Bundesrepublik in Leitvorstellungen und Ausformungen grundlegend unterschied“.207 Hinzu kommt, dass nach Art. 6 des Grundlagenvertrages208 beide Vertragsparteien von dem Grundsatz ausgingen, „daß die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränkt“ und die Parteien weiterhin „die Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten“ respektierten, was das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich für verfassungsgemäß erklärte.209 Das Bundesverfassungsgericht fügte hinzu, die Bundesrepublik Deutschland fühle sich zwar „verantwortlich für das ganze

204 BVerfGE 27, 220 (230); 44, 283 (288); 82, 60 (101 f.); vgl. auch E 13, 331 (341); 21, 12 (27); hierzu ferner Kloepfer, Übergangsgerechtigkeit bei Gesetzesänderungen und Stichtagsregelungen, DÖV 1978, S. 225 (231 sub V 1). 205 So Kloepfer a. a. O. 206 BVerfGE 44, 283 (288); s. auch E 82, 60 (101 f.). 207 BVerfGE 95, 267 (307). 208 Gesetz vom 6. Juni 1973 zu dem Vertrag vom 21. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BGBl. II S. 421). 209 BVerfGE 36, 1 (26 f.); vgl. auch E 77, 137 (155); 92, 277 (331).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

137

Deutschland“, beschränke aber „staatsrechtlich ihre Hoheitsgewalt“ „auf den ,Geltungsbereich des Grundgesetzes‘“.210 335

Zwar wurde mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland deren Hoheitsgewalt auf das Beitrittsgebiet erstreckt.211 Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht wegen der unterschiedlichen Struktur der Bundesrepublik Deutschland einerseits und der Deutschen Demokratischen Republik andererseits „Rechtsbeziehungen, die zwar in derjenigen Form, die sie als Ausprägung des sozialistischen Rechtssystems in der Deutschen Demokratischen Republik gefunden hatten, in der Bundesrepublik nicht hätten entstehen können“, anerkannt, sofern sie nicht „Ausdruck des besonderen Unrechtsgehalts der früheren Ordnung“ waren.212 a) Geheimdienste und Ministerium für Staatssicherheit

336

Geheimdienste und Ministerien für staatliche Sicherheit sind nicht als solche Ausdruck eines besonderen Unrechtsgehalts nicht-rechtsstaatlicher Ordnungen. So weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass „in nahezu allen Staaten der Welt – so auch in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR – . . . Spionage nur insoweit als strafbares Unrecht geahndet [wird], als sie sich gegen den eigenen oder auch gegen einen verbündeten Staat richtet.“ 213 Spionagehandlungen – so das Gericht – seien „rechtlich ambivalent“, „dem aufklärenden Staat nützen sie; für ihn stellen sie eine erlaubte Tätigkeit dar, ohne daß er an dieser Bewertung durch allgemeine, international anerkannte Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschenrechte gehindert wird.“ 214 Spionage stellt sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts für den Staat, in dessen Interesse sie betrieben wird, „als eine rechtmäßige, nützliche und zu schützende Tätigkeit dar, weshalb diese Eigentümlichkeit im Prozess der Wiedervereinigung nicht übergangen werden“ dürfe.215 „Mitarbeiter der gegen die Bundesrepublik und ihre Verbündeten tätigen Geheimdienste der DDR, deren Tätigkeitsbereich ausschließlich in deren Hoheitsgebiet lag“, konnten nach Auffassung des Gerichts davon ausgehen, „daß ihr Staat ihre Tätigkeit – in Übereinstimmung mit der Völkerrechtsordnung – rechtfertigte, sie förderte und belohnte und alles daransetzen würde, sie vor einer Bestrafung durch den ausspionierten Staat zu schützen.“ 216 Abschließend verneint das Bundesverfassungsgericht auch einen „zusätzlichen ,Stasi-Unwert‘ der DDR-Spionage“, zumal „der Gesichtspunkt der Verstrickung 210 211 212 213 214 215 216

BVerfGE 36, 1 (16). BVerfGE 94, 297 (310). BVerfGE 95, 267 (307). BVerfGE 92, 277 (328). BVerfGE 92, 277 (329). BVerfGE 92, 227 (330). BVerfGE 92, 227 (331).

138

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

anderer in Schuld . . . staatlich organisierter geheimdienstlicher Tätigkeit immanent“ sei und deshalb die rechtliche Ambivalenz der Spionagestraftatbestände selbst teile.217 337

Das Bundesverfassungsgericht leitet unmittelbar aus der Verfassung ein Verfolgungshindernis für diejenigen Personen ab, „die als Staatsbürger der DDR Spionagestraftaten gegen die Bundesrepublik Deutschland oder deren Verbündete allein vom Boden der DDR aus begangen haben“ und im Zeitpunkt der Wiedervereinigung dort ihren Lebensmittelpunkt hatten.218 Sind Geheimdienste und Ministerien für Staatssicherheit als solche nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts219 weder rechtsstaats- noch menschenrechtswidrig, so bleibt es dem einzelnen Staat überlassen, welches politische oder wirtschaftliche Schwergewicht er auf diesen Aspekt legen will, wobei sich Akzentverschiebungen auch durch internationale Krisen oder terroristische Anschläge im Inland ergeben können. „Spionage für eine Macht, die letztlich andere unterdrücken will, [wird] völkerrechtlich nicht anders bewertet, als Spionage für eine Macht, deren Zwecke in der Wahrung freiheitlicher Rechtsstaatlichkeit zu sehen sind“.220

338

In der Deutschen Demokratischen Republik hatten „die territoriale Integrität“ und der „Schutz der sozialistischen Ordnung“ sowie der „sozialistischen Errungenschaften des Volkes gegen alle Angriffe von außen“ einen hohen Stellenwert.221 Zu den „Schutz- und Sicherheitsorganen“ des sozialistischen Staates gehörten die „Nationale Volksarmee, die Grenztruppen, die Organe der Staatssicherheit, die Organe des Ministeriums des Innern . . ., die Zivilverteidigung und die Zollverwaltung“.222 b) Der zivile Sektor

339

Wegen unterschiedlicher staatlicher Systeme hatten daher auch ziviler und – in einem weiten Sinne – militärischer Sektor in der Deutschen Demokratischen Republik einerseits und in der Bundesrepublik Deutschland andererseits eine unterschiedliche Bedeutung. Dass in der Marktwirtschaft Deutschlands die Vergütung eines Vorstandsmitglieds Deutschlands größter Bank mit 11,9 Millionen Euro223 217

BVerfGE 92, 277 (333). BVerfGE 92, 277 (335). 219 E 92, 277 (329). 220 BVerfGE 92, 277 (328) unter Hinweis auf Karl Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 307 (311). 221 Vgl. Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 der DDR-Verfassung vom 9.4.1968 (i. d. F. v. 7.10. 1974). 222 Vgl. Verwaltungsrecht, Lehrbuch, (Ost-)Berlin, 1979, S. 27; s. hierzu auch oben RN 21. 223 Vgl. FAZ vom 16. März 2011. 218

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

139

die Bezüge des Bundesministers der Verteidigung mit ca. 200.328 Euro um das knapp 60-fache (59,4-fache) übersteigt, wäre in der DDR-Planwirtschaft nicht vorstellbar gewesen. 340

Hier übertraf das Einkommen im sogenannten X-Bereich (Armee, Polizei, Staatssicherheit, Parteien und Organisationen, SDAG Wismut und ZENTRAG), der mit dem Bereich der „Schutz- und Sicherheitsorgane“ nicht völlig identisch ist, das Durchschnittseinkommen in der Volkswirtschaft um bis zu neunundfünfzig Prozent, wobei im einzelnen unterschiedliche Abstufungen im militärischen Sektor insgesamt festzustellen sind.224 Ungeachtet der Problematik von Pauschalvergleichen sind die Ergebnisse differenzierend zu werten, weil sich beispielsweise unter den Beschäftigten des MfS ein höherer Anteil an Hoch- und Fachhochschulabsolventen als in der Volkswirtschaft fand,225 ein valider Vergleich zwischen den militärischen Diensten nur auf der Basis der Einkommen von Personen mit einer Dienstzeit von über drei Jahren durchgeführt werden kann226 oder die Durchschnittseinkommen in den einzelnen volkswirtschaftlichen Zweigen und Bereichen stark differieren.227 2. Zur Problematik eines Vergleichs der Einkommen im zivilen und militärischen Sektor der DDR

341

Bedenklich ist, wenn das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Versorgungsüberleitung auf das Verhältnis „zum volkswirtschaftlichen Mittelwert“ 228 abstellt, wobei das Gericht an anderer Stelle selbst darauf verweist, dass beispielsweise der Sektor des produzierenden Gewerbes der Deutschen Demokratischen Republik „durch hohe Arbeitseinkommen gekennzeichnet“ war.229

342

Der wesentliche Einwand gegen einen Vergleich des Durchschnittseinkommens im zivilen Sektor (Volkswirtschaft insgesamt) der DDR mit dem Durchschnittseinkommen im Bereich des MfS liegt in der Unvergleichbarkeit beider Einkommensmodalitäten aufgrund des staatlichen Systems. Für die Bundesrepublik Deutschland weist das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung auf die gewichtigen strukturellen Unterschiede zwischen den Alterssiche224 Vgl. Horst Miethe/Hans-Jürgen Weißbach, Einkommensentwicklung und Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Vergleich zu Segmenten des sogenannten X-Bereichs (NVA und MdI) und zur Volkswirtschaft, Juli 2009, S. 20 ff., 33 ff. 225 Vgl. Miethe/Weißbach, Nr. 4. 226 Miethe/Weißbach, S. 42. 227 Miethe/Weißbach, S. 21. 228 E 100, 59 (95); 111, 115 (138). 229 BVerfGK 3, 270 (273).

140

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

rungssystemen „gesetzliche Rentenversicherung“, in denen die Arbeiter und Angestellten der Volkswirtschaft versichert sind, und der „Beamtenversorgung“ und auf die Unvergleichbarkeit der Versorgungssysteme hin.230 Dabei nimmt jedoch die Beamtenbesoldung und -versorgung keine Vorreiter-Rolle ein, sondern heischt nur eine „Angleichung“ der Beamtenbesoldung u. a. an die Entwicklung der „Einkommen in der Privatwirtschaft“.231 343

In umgekehrter Weise bestanden in der Deutschen Demokratischen Republik strukturelle Unterschiede zwischen dem System von „Pflicht- und Zusatzversicherung“ einerseits sowie „Zusatz- und Sonderversorgungssystemen“ andererseits. Die Unvergleichbarkeit besteht in besonderer Weise im Hinblick auf die Angehörigen des militärischen Beschäftigungssektors der DDR, insbesondere das MfS. Denn diese unterschieden sich hinsichtlich ihrer Tätigkeitsbereitschaft, ihres Tätigkeitseinsatzes und auch der damit verbundenen Risiken von einem durchschnittlichen Arbeitnehmer in der Volkswirtschaft. Die Mitarbeiter der Geheimdienste der DDR konnten in den Worten des Bundesverfassungsgerichts ihr Verhalten „entscheidend daran ausrichten, daß ihr Staat ihre Tätigkeit – in Übereinstimmung mit der Völkerrechtsordnung – rechtfertigte, sie förderte und belohnte und alles daransetzen würde, sie vor einer Bestrafung durch den ausspionierten Staat zu schützen“.232

344

Die vom Bundesverfassungsgericht angesprochene „Förderung“ und „Belohnung“ unterschied sich dann auch in finanzieller Hinsicht von der üblichen Entlohnung eines in der Volkswirtschaft Tätigen. Die Unterschiedlichkeit der beiden Sicherungssysteme wird letztlich auch durch das Volkskammer-Gesetz über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit233 bestätigt, das die Alters- und Invalidenrenten zwar um 50 v. H. des 495 DM übersteigenden Betrags kürzte und einen Höchstbetrag von 990 DM festsetzte.234 Dieser Höchstbetrag betrug jedoch fast das Doppelte der Höchstrente (510,– M) der DDR-Sozialpflichtversicherung und das Doppelte der Mindestsicherung im Beitrittsgebiet zum Zeitpunkt des 30. Juni 1990,235 so dass letztlich die Sonderrolle der Sonderversorgung bestätigt wird.

345

Bestehen aber zwischen zwei Systemen gewichtige strukturelle Unterschiede, so darf der Gesetzgeber nur bei sachlich zureichenden Gründen eine Differenzierung unterlassen.236 Eine Regelung wird willkürlich, „wenn sich ein vernünftiger, 230 231 232 233 234 235 236

BVerfGE 39, 169 (185 sub E I); 97, 271 (295); 114, 258 Ls. 3 (295). BVerwGE 117, 305 (309). BVerfGE 92, 277 (331 unten). Vom 29. Juni 1990 (GBl. I S. 501). Vgl. oben RN 12. Vgl. oben RN 25. BVerfGE 25, 198 (205); s. auch oben RN 279.

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

141

sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstiger sachlich einleuchtender Grund für die . . . Gleichbehandlung nicht finden lässt“.237 Gleichbehandlungen oder Ungleichbehandlungen durch den Gesetzgeber dürfen nicht „sachwidrig“, sondern müssen „sachbereichsbezogen“ oder „bereichsspezifisch“ sachgerecht sein.238 346

Für die Prüfung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG fällt schließlich ins Gewicht, dass der Gesetzgeber hier strengeren Anforderungen unterliegt, weil sich die Regelung des § 7 AAÜG auf zurückliegende Sachverhalte bezieht, die die Betroffenen nicht mehr „durch eigenes Verhalten beeinflussen“ können, so dass sie auch die „nachteilige[n] Folgen“ des Gesetzes nicht mehr durch eigenes Tun beeinflussen können.239 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass durch den Einigungsvertrag Unterschiede „im Versorgungsniveau zwischen Berechtigten aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen einerseits und Angehörigen der Sozialpflichtversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung andererseits aufrechterhalten“ und nicht „eingeebnet werden sollten“240 sowie letztlich die Erhaltung der „Abstände“ zwischen beiden Gruppen gewahrt bleiben müsse.

347

Im Übrigen hatte die Bundesrepublik Deutschland in Art. 6 des Grundlagenvertrags241 mit der DDR eine Beschränkung der Vertragspartner auf das jeweilige Staatsgebiet vereinbart. Hierzu steht es im Gegensatz, wenn nun rückwirkend das Verhältnis von Staat und Wirtschaft, wie es für das System der DDR charakteristisch war, umgekehrt wird und die Löhne in der DDR-Volkswirtschaft zur Richtschnur werden sollen. II. Gleichheitssatz als Gruppengerechtigkeit 1. Die Bedeutung der Gruppengerechtigkeit für das AAÜG

348

Da das AAÜG die Ansprüche und Anwartschaften unterschiedlicher Personengruppen in jeweils eigenen Versorgungssystemen in seinen unterschiedlichen Fassungen geregelt hat und immer noch regelt, kommt im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG dem Gebot der Gruppengerechtigkeit besondere Bedeutung zu. Denn der Gleichheitssatz wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen 237

Vgl. die Nachweise oben RN 275. Vgl. oben RN 279. 239 s. oben RN 281. 240 BVerfGE 100, 1 (47); ebenso E 112, 368 (400): „Eine solche Nivellierung hat aber der Einigungsvertrag nicht gewollt“; s. auch oben RN 155. 241 s. oben RN 334. 238

142

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können“.242 349

Gerade bei nachteiligen Auswirkungen auf die „Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten“ – hier: die Eigentumsgarantie – sind der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers enge Grenzen gezogen.243

350

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Herstellung von Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der Wiedervereinigung zugestanden. Die entschiedenen Fälle betrafen jedoch nur Übergangsregelungen, die bis zum Ende des Jahres 1991 beziehungsweise 1993 in Kraft blieben.244

351

Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht die auf Dauer angelegte Nichtberücksichtigung der Dienstunfallentschädigungen der Sonderversorgungsberechtigten im Rahmen der Überführung der DDR-Unfallrenten in die gesamtdeutsche gesetzliche Unfallversicherung ungeachtet des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers „bei der Harmonisierung der Rentensysteme im wiedervereinigten Deutschland“ als Verletzung der Gruppen-Gleichheit und des Art. 3 Abs. 1 GG angesehen.245 2. Verfassungswidrige Gruppen-Ungleichbehandlung

352

Im Hinblick auf eine dem Gleichheitssatz entsprechende Gruppengerechtigkeit ist zum einen die unterschiedliche Behandlung von Personengruppen, die den Sonderversorgungssystemen nach Anlage 2 Nr. 1 und Nr. 2 AAÜG (Sonderversorgung der Angehörigen der Nationalen Volksarmee sowie Sonderversorgung der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei, der Organe der Feuerwehr und des Strafvollzugs) im Vergleich zu der Personengruppe, die der Sonderversorgung der Angehörigen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit (Anl. 2 Nr. 4 AAÜG) unterfallen, bedenklich. Weiterhin ist die Gleichbehandlung der von § 6 Abs. 2 Nr. 1–9 AAÜG Betroffenen mit den Versorgungsberechtigten gemäß § 7 AAÜG verfassungsrechtlich überaus zweifelhaft. Schließlich ist im Rahmen der von § 7 AAÜG Betroffenen die strikte Gleichsetzung der Personengruppe, deren Einkommen die in Anlage 6 AAÜG festgesetzten Beträge nicht überstieg, mit der Gruppe, deren Einkommen über den Grenzen der Anlage 6 AAÜG lag, fragwürdig.

242 243 244 245

Nachweise oben RN 285. s. oben RN 280, 290. s. oben RN 292. BVerfGE 104, 126 (147 f.); s. auch oben RN 297.

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

143

a) Ungleichbehandlung von Personengruppen im sogenannten X-Bereich aa) Fehlender „Stasi-Unwert“ 353

Wie bereits ausgeführt, kann das sozialistische System der DDR nicht vereinfachend auf das Ministerium für Staatssicherheit reduziert werden.246 Es war vielmehr der „diktatorische Zentralismus“, insbesondere die Vorherrschaft der SED, die die „eigentliche Erbkrankheit der sozialistischen Gesellschaft“ ausmachte.247 Der Aufrechterhaltung des Staatssystems dienten die „staatlichen Machtorgane“, insbesondere die „Schutz- und Sicherheitsorgane“, zu denen nicht nur die Organe der Staatssicherheit, sondern auch die „Nationale Volksarmee, die Grenztruppen, . . . die Organe des Ministeriums des Innern . . ., die Zivilverteidigung und die Zollverwaltung“ gehörten.248 Straftaten wurden nicht nur den Mitgliedern des Politbüros des Zentralkomitees der SED,249 sondern auch Angehörigen der Grenztruppen zur Last gelegt.250 Deren Funktion wird von obersten Bundesgerichten darin gesehen, „Repression gegen die Bevölkerung auch unter Begehung schwerster Menschenrechtsverletzungen zu verüben.“ 251 Zu Recht hat es daher das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, einen außerhalb nachweisbarer Straftatbestände liegenden zusätzlichen Stasi-Unwert anzuerkennen.252

bb) Gesetzliche Ungleichbehandlung trotz Vergleichbarkeit der Einkommen 354

Vergleicht man das Durchschnittseinkommen der Angehörigen des MfS mit dem Einkommen der Mitarbeiter der anderen Bereiche des militärischen Beschäftigungssektors der DDR und beschränkt man sich hierbei auf die über drei Jahre Dienenden, so zeigt sich „eine überraschend weitgehende Übereinstimmung zwischen den im jeweiligen Dienst erzielten Durchschnittseinkommen innerhalb geringer Toleranzen“. Es ist eine „Tendenz zur Übereinstimmung in der

246

s. oben RN 20 ff. So auch der seinerzeitige Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, Regierungserklärung auf der 3. Tagung der Volkskammer der DDR v. 19.4.1990, Protokolle S. 41 (43 r. Sp.); Christian Hillgruber, Deutsche Revolutionen – „Legale Revolutionen“?, in: Der Staat 49 (2010), S. 167 (196); s. auch oben RN 21. 248 Vgl. Verwaltungsrecht, Lehrbuch, (Ost-)Berlin, 1979, S. 27; s. auch oben RN 21. 249 Vgl. BGHSt 45, 271. 250 Vgl. BGHSt 39, 1 (15 ff.); 40, 241 (243 ff.); vgl. auch BVerfGE 95, 96 (100 ff.); Knut Amelung, Strafbarkeit von „Mauerschützen“ – BGH, NJW 1993, 141, in: JuS 1993, S. 637 ff.; Christoph Degenhart, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 27. Aufl., 2011, RN 372. 251 BVerwG DÖV 2004, S. 887 (888); vgl. auch BAGE 89, 57 (62); s. unten RN 412. 252 BVerfGE 92, 277 (333); s. hierzu auch oben RN 21, 336. 247

144

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Höhe des Durchschnittseinkommens in den Diensten“ festzustellen, „was gegen eine positive Diskriminierung des MfS unter den Diensten spricht.“ 253 355

Selbst die Unterschiede in der Binnendifferenzierung der Durchschnittseinkommen sprechen nicht für eine Privilegierung des MfS. So verfügten beispielsweise über das Doppelte des durchschnittlichen Einkommens im MfS 0,4 v. H. der Mitarbeiter, in der NVA 0,5 v. H. und im MdI 1,5 v. H.254 Miethe/Weißbach weisen darauf hin, dass die Entstehungsgeschichte der Besoldungsregelungen der Angehörigen der Armee, des Geheimdienstes und der Polizei der DDR „gegen eine Sonderrolle des MfS innerhalb dieser Dienste“ spricht.255

356

Im Rahmen der Versorgungsüberleitung bestehen jedoch insbesondere infolge der durch Art. 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes256 bewirkten Änderungen eklatante Unterschiede zwischen den Angehörigen des Versorgungssystems des MfS/AfNS und den Mitarbeitern anderer Bereiche des militärischen Beschäftigungssektors der DDR, die den Sonderversorgungssystemen nach Anlage 2 Nr. 1 bis 3 AAÜG angehörten. Soweit letztere nicht eine in § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 aufgeführte Beschäftigung oder Tätigkeit (z. B. als Mitglied, Kandidat oder Staatssekretär im Politbüro der SED, als Vorsitzender des nationalen Verteidigungsrates usw.) ausgeübt haben und für sie daher als Verdienst höchstens der jeweilige Betrag der Anlage 5 AAÜG zugrunde gelegt wird, wird bei ihren Pflichtbeitragszeiten der tatsächlich erzielte Verdienst bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (Anl. 3 AAÜG) berücksichtigt. Demgegenüber wird das Einkommen der Angehörigen des MfS nur bis zum Durchschnittsverdienst nach Anlage 6 AAÜG angerechnet. Der Durchschnittsverdienst machte im Jahre 1950 43,9 v. H., im Jahre 1989 53 v. H. und im Durchschnitt der Jahre 1950 bis 1989 55,9 v. H. der Beträge der Beitragsbemessungsgrenze aus.

357

Da aber die Versorgungsberechtigten im sogenannten X-Bereich in vergleichbarer Weise durch „Staats- und Systemnähe“ 257 gekennzeichnet waren und die Durchschnittseinkommen der betroffenen Personengruppen nicht in erheblicher Weise auseinanderklafften, verstößt die erhebliche Ungleichbehandlung beider Gruppen gegen das Gebot verhältnismäßiger Differenzierung.258

253 So Horst Miethe/Hans-Jürgen Weißbach, Einkommensentwicklung und Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Vergleich zu Segmenten des so genannten X-Bereichs (NVA und MdI) und zur Volkswirtschaft, Juli 2009, S. 43. 254 Miethe/Weißbach a. a. O. S. 44. 255 Miethe/Weißbach a. a. O. S. 46. 256 v. 21.6.2005 (BGBl. I S. 1672); s. hierzu oben RN 200 ff. 257 Vgl. hierzu BVerfGE 100, 59 (92, 95); 111, 115 (143). 258 Hierzu oben RN 300 ff.

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

145

cc) Voraussetzungen einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Gruppen 358

Der Gleichheitssatz gestattet eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Personengruppen nur bei Unterschieden „von solcher Art und solchem Gewicht“, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen, wobei die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers „einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse“ unterliegt.259

359

An derartigen beachtlichen und gewichtigen Differenzierungsgründen fehlt es jedoch beim Vergleich der genannten Gruppen. Zunächst waren die Einkommen der Angehörigen des sogenannten X-Bereichs, wie dargelegt, nicht so unterschiedlich, dass sie die eklatant divergierenden Anrechnungsgrenzen der Anlage 3 AAÜG einerseits und der Anlage 6 AAÜG andererseits rechtfertigen können. Weiterhin weisen Tätigkeiten oder Positionen mit gleichwertiger Qualifikation im Bereich der Nationalen Volksarmee sowie der Deutschen Volkspolizei – Bereich des Ministeriums des Innern –, die in den Sonderversorgungssystemen Anlage 2 Nr. 1 und Nr. 2 AAÜG zusammengefasst sind, hinsichtlich der Aufgaben sowie der Organisations- und Befehlsstruktur Ähnlichkeiten mit dem MfS/AfNS auf, weshalb alle diese Personengruppen dem sogenannte X-Bereich angehörten. So unterschied sich beispielsweise das Offizierskorps des Wachregiments „Felix Dzierzynski“ in Aufgaben und Funktion nicht von denjenigen der Nationalen Volksarmee, was erst recht das Musikkorps betrifft. Vergleichbares gilt für organisatorisch-technische Amtswalter, Sicherstellungsaufgaben oder den medizinischen Bereich. Selbst Spionage, die nach der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts „eine rechtmäßige, nützliche und zu schützende Tätigkeit“ für den sie betreibenden Staat darstellt260 und als solche vom Völkerrecht nicht verboten ist,261 wurde nicht nur vom MfS (Hauptverwaltung A), sondern als militärische Aufklärung auch von der Nationalen Volksarmee betrieben. dd) Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung

360

(1) Zunächst müssen Ziel und Mittel einer Ungleichbehandlung, insbesondere die Differenzierung und ihre Durchführung verfassungslegitim sein und dürfen „der Wertordnung des Grundgesetzes nicht widersprechen“.262 Für den Bereich der Versorgungsüberleitung hat es das Bundesverfassungsgericht als legitim angesehen, „Versorgungszusagen, denen keine Arbeitsleistung entsprach, als allein politisch motivierten, die rentenrechtliche Anerkennung zu versagen“, hat aber 259 260 261 262

BVerfGE 95, 143 (155) m.w. N.; vgl. auch E 113, 167 (215). BVerfGE 92, 227 (330). BVerfGE a. a. O. 328. Vgl. BVerfGE 39, 210 (225 sub C I 1); s. auch oben RN 301.

146

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

gleichzeitig darauf hingewiesen, aus der bloßen „Staats- und Systemnähe“ der Berufstätigkeit folge nicht, dass die Entgeltzahlungen „nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt gewesen seien.“ 263 In gleicher Weise ist die Vorgabe des Einigungsvertrags,264 bei der Versorgungsüberführung „ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen . . . sowie eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ zu vermeiden, mit dem Grundgesetz zu vereinbaren.265 361

(2) Verfassungslegitime Ziele müssen vom Gesetzgeber auch mit geeigneten (zwecktauglichen) und erforderlichen (d.h. den mildesten) Mitteln verwirklicht werden.266

362

So kann beispielsweise die Kürzung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Sonderversorgungssystemen nicht mit der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung begründet werden, da die Mehraufwendungen insoweit vom Bund getragen werden.267

363

Ungeeignet können gesetzliche Maßnahmen auch infolge einer unzulässigen Typisierung sein. Gerade im Bereich des AAÜG hat das Bundesverfassungsgericht mehrmals aus diesem Grunde Gesetzesregelungen beanstandet.268 Eine Typisierung liegt bei den von § 7 AAÜG Betroffenen darin, dass ihr individuelles Arbeitsentgelt höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 6 AAÜG, d.h. nur bis zur Höhe des Durchschnittseinkommens berücksichtigt wird, während das Einkommen der Angehörigen anderer Bereiche des militärischen Beschäftigungssektors der DDR, die den Versorgungssystemen der Anlage 2 Nr. 1 bis 3 AAÜG angehörten, gemäß § 6 Abs. 1 AAÜG wie das Entgelt eines jeden anderen Rentenversicherten bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (Anl. 3 AAÜG) berücksichtigt wird.

364

Bei einer Kappung des individuellen Arbeitsentgelts bis zur Höhe des Durchschnittseinkommens ist ohnehin zu berücksichtigen, dass durch die „Systementscheidung“ in Gestalt der nachträglichen Einführung einer Beitragsbemessungsgrenze höhere und höchste Einkommen von Angehörigen des MfS bei der Versorgungsberechnung erheblich gekürzt werden, worauf auch das Bundesverfassungsgericht verweist.269 263

BVerfGE 111, 115 (138) unter Hinweis auf E 100, 59 (95). Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Ziff. 1 EV. 265 Vgl. BVerfGE 100, 1 (37 f., 48); 100, 59 (92 f.); 100, 138 (176 f.). 266 s. oben RN 304. 267 s. § 15 AAÜG sowie BVerfGE 100, 1 (52); s. ferner die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Vogt auf die Frage des Abgeordneten Kolb (CDU/CSU) v. 25.6. 1990, BT-Drucks. 11/7526, S. 11 f. 268 BVerfGE 100, 59 (92); 111, 115 (139); s. oben RN 304. 269 BVerfGE 100, 1 (48). 264

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

147

365

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass die Entgelte gerade ab der in § 7 AAÜG festgelegten Grenze des Durchschnittsverdiensts als überhöht anzusehen sind. So hat das Bundesverfassungsgericht für § 6 Abs. 2 AAÜG a. F. festgestellt, der Gesetzgeber habe nicht „generell annehmen“ dürfen, dass diese Personen „ab einer bestimmten Schwelle überhöhte Arbeitsentgelte bezogen haben.“ 270

366

Keinesfalls folgt aus einer „Staats- und Systemnähe“ einer Berufstätigkeit allein, dass die an die betroffenen Personengruppen gezahlten Entgelte „nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt und insoweit überhöht waren.“ 271

367

Für Verdienste oberhalb des Durchschnittsentgelts hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass nicht ohne weiteres und ohne tatsächlichen Anhalt davon ausgegangen werden dürfe, dass derartige Verdienste „nicht mehr durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt“ waren und „deshalb das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen auch insoweit bei der Rentenberechnung unberücksichtigt bleiben“ dürfe. Denn „hohe Arbeitsverdienste“ seien „nicht notwendig überhöhte Arbeitsverdienste.“ 272

368

(3) Unbeschadet mangelnder Geeignetheit der gesetzlichen Lösung infolge unzulässiger Typisierung hat der Gesetzgeber bei der Regelung des § 7 AAÜG nicht berücksichtigt, dass andere Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten, die den Normzweck in gleicher Weise hätten erfüllen, aber die Ungleichbehandlung hätten vermeiden oder verringern können.273 Als mildere Mittel hätten der Legislative mehrere Möglichkeiten zur Verfügung gestanden:

369

(a) Statt die starre Kappungsgrenze des Durchschnittsverdienstes (Anlage 6 AAÜG) zu wählen, hätte der Gesetzgeber die tatsächlich erzielten Einkünfte der Angehörigen des Versorgungssystems nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG um einen Prozentsatz absenken können, der im Ergebnis die Gleichheit der Einkommen im militärischen Beschäftigungssektor hergestellt hätte. So lag im Gegensatz zum Durchschnittseinkommen in der Volkswirtschaft274 beispielsweise bei den „Top 50-Einkommen“ im MfS das Jahresdurchschnittseinkommen bis zu fünf v. H. über dem der Nationalen Volksarmee und im Vergleich zum Durchschnittseinkommen im Ministerium des Innern als Dienststelle um bis zu sechzehn v. H., wobei wiederum das Durchschnittseinkommen bei der Nationalen Volksarmee um bis zu dreizehn v. H. über dem des Ministeriums des Innern als Dienststelle lag.275 Insoweit hätte sich ein prozentualer Abschlag bei den tatsächlichen Ein270

BVerfGE 100, 59 (94); s. auch oben RN 129. BVerfGE 100, 59 (95); s. auch oben RN 130. 272 BVerfGE 111, 115 (140); 100, 59 (97); s. auch oben RN 132. 273 Vgl. die Nachweise oben RN 104. 274 Vgl. oben RN 340. 275 Quelle: Miethe/Weißbach, Einkommensentwicklung und Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Ver271

148

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

kommen im Bereich des MfS als das mildere Mittel gegenüber der jetzigen Regelung nach § 7 AAÜG i.V. m. Anlage 6 erwiesen. 370

(b) Als milderes Mittel im Vergleich zur jetzigen Rechtslage wäre auch eine berufsgruppenspezifische Zuordnung von Durchschnittsentgelten im militärischen Beschäftigungssektor je nach Ausbildung, Funktion, Aufgabenbereich und Verantwortung nach dem Vorbild des Fremdrentengesetzes276 in Betracht gekommen. Ein derartiges fiktives Entgelt hätte zwar auch zu finanziellen Einbußen geführt, die jedoch insbesondere bei Beziehern höherer Einkommen geringer gewesen wären als der Verweis auf den Durchschnittsverdienst.

371

(4) Vor allem fehlt es jedoch an einem angemessenen Verhältnis von Ungleichbehandlung der einzelnen Gruppen im sogenannten X-Bereich, da auch für das „Maß der Differenzierung ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung“ bestehen muss, der einen sachlich vertretbaren Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht darstellt.277 Die vorgefundenen Unterschiede zwischen den einzelnen Personengruppen waren nicht so beträchtlich, dass sie die Anrechnung des effektiven Einkommens (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) auf der einen Seite und dessen Kappung bis zur Höhe des Durchschnittsverdienstes auf der anderen Seite rechtfertigen. b) Gleichbehandlung der von § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG und der von § 7 AAÜG betroffenen Personengruppen

372

Bei den von § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG278 Betroffenen handelt es sich nach Angaben des zuständigen Rentenversicherungsträgers um eine Gruppe von ca. 1000 bis 1200 Personen,279 die ausweislich der Gesetzesbegründung Funktionen im Staatsapparat oder auf den höchsten Ebenen des sogenannten Kadernomenklatursystems der DDR ausgeübt haben.280 Für diese Personengruppe wird für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach Anlage 1 oder Anlage 2 Nr. 1 bis 3 AAÜG den Pflichtbeitragszeiten als Verdienst höchstens der jeweilige Betrag der Anlage 5 AAÜG zugrunde gelegt.

gleich zu Segmenten des so genannten X-Bereichs (NVA und MdI) und zur Volkswirtschaft, 2009, Anhang 16, S. 36 f. 276 v. 25. Februar 1960 (BGBl. I S. 93); vgl. auch das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz v. 7. August 1953 (BGBl. I S. 848). 277 BVerfGE 124, 199 (220); 93, 386 (401); s. oben RN 305. 278 In der Fassung des Art. 1 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchsund Anwartschaftsüberführungsgesetzes v. 21.6.2005 (BGBl. I S. 1672). 279 Vgl. BVerfGE 126, 233 (242). 280 Vgl. BT-Drucks. 15/5314, S. 1; 15/5488, S. 1; s. auch oben RN 206.

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

149

373

Demgegenüber umfasst § 7 AAÜG nicht nur die aktiven Mitarbeiter des MfS, deren Zahl zum 31. Oktober 1989 91.015 Mitarbeiter ausmachte,281 sondern auch die ausgeschiedenen Angehörigen, so dass die Gesamtzahl der von § 7 AAÜG erfassten Personen auf 125.000 geschätzt werden kann. Das Verhältnis der beiden Personengruppen verhält sich somit wie etwa 1:100.

374

Die Gleichbehandlung der beiden Personengruppen ist auf den ersten Blick nicht ohne weiteres erkennbar, da § 6 Abs. 2 AAÜG auf die Beträge nach Anlage 5 AAÜG, § 7 Abs. 1 auf die Beträge nach Anlage 6 AAÜG verweist. Bei näherem Zusehen zeigt sich jedoch die Identität der beiden Anlagen, die vom Gesetzgeber – gewollt oder ungewollt – durch die gesetzgebungstechnisch ungewöhnliche Wiederholung gleichlautender Regelungen kaschiert wird.

375

Für die von § 6 Abs. 2 AAÜG erfasste Personengruppe sieht das gesetzliche Regelungskonzept nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts282 „durchweg eine sehr enge Begrenzung auf Personen vor, die im Partei- und Staatsapparat der DDR an wichtigen Schaltstellen tätig waren“. „In Bezug auf diesen eng gefassten Personenkreis“ ist nach Auffassung des Gerichts283 auch der Schluss des Gesetzgebers gerechtfertigt, dass „diese Personengruppen bei generalisierender Betrachtungsweise leistungsfremde, politisch begründete und damit überhöhte Arbeitsverdienste bezogen haben.“ 284 Dass der Gesetzgeber „gegenüber spezifisch eingegrenzten Gruppen im Blick auf deren allgemein privilegierte Sonderstellung in der DDR ohne langwierige Ermittlungen . . . zu deren Beschäftigungs- und Qualifikationsstruktur sowie zur Struktur des von dieser Gruppe erzielten Pro-Kopf-Einkommens zu solchen Rentenkürzungen befugt“ gewesen sei, widerspricht nach den Entscheidungsgründen nicht den Anforderungen des Gerichts „an eine auf hinreichende Tatsachen gegründete Differenzierung.“ 285 Die von § 6 Abs. 2 AAÜG n. F. Betroffenen sind nach Auffassung des Gerichts286 „im politischen System der DDR in ihrer herausgehobenen Position leicht und zweifelsfrei als besondere Nutznießer dieses Systems zu identifizieren“ gewesen, weshalb es auch nicht zu beanstanden sei, dass der Gesetzgeber „eine besondere Systemnähe und damit verbundene ungerechtfertigte Entgeltvorteile nur bei Trägern höchster Funktionen im unmittelbaren Bereich der Exekutive angenommen und auf diese [die] Rentenbegrenzung beschränkt hat.“ 287 Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung bekräftigt das Gericht seine frü281 Vgl. Jens Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit, 2000, S. 552–557; s. ferner Beate Ihme-Tuchel, Die DDR, 3. Aufl., 2010, S. 68. 282 E 126, 233 (259). 283 BVerfGE 126, 233 (259). 284 BVerfGE 126, 233 (260) unter Hinweis auf E 100, 59 (96). 285 BVerfGE 126, 233 (260) unter Hinweis auf E 100, 138 (179 f.). 286 BVerfGE 126, 233 (266). 287 BVerfGE 126, 233 (267).

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

here Rechtsprechung, wonach deren Zulässigkeit voraussetzt, dass vorgenommene Härten „nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären“, „lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist.“ 288 376

Legt man diese gerichtlichen Maßstäbe an die durch § 7 AAÜG benachteiligte Personengruppe an, so fehlt es für eine Inkaufnahme von Härten infolge einer Typisierung schon an der Voraussetzung einer „verhältnismäßig kleine[n] Zahl von Personen“. Zwar werden von den Versorgungsberechtigten im Sonderversorgungssystem nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG nur diejenigen in ihren Rechten geschmälert, deren Entgelte die Durchschnittsverdienstgrenze nach Anlage 6 AAÜG überschritten haben. Unbeschadet der genauen Zahl der Benachteiligten handelt es sich jedoch unbestreitbar nicht um eine „verhältnismäßig kleine“ Personengruppe.

377

Ferner liegt dem Konzept des § 7 AAÜG im Unterschied zu demjenigen des § 6 Abs. 2 AAÜG n. F. auch nicht eine Begrenzung auf Personen zugrunde, die „im Partei- und Staatsapparat der DDR an wichtigen Schaltstellen tätig waren“. Der Stellenwert des MfS im staatlichen System der DDR wird nicht durch die Feststellung gemindert, dass im Gegensatz zu der Personengruppe nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG nicht alle Bezieher von überdurchschnittlichen Einkommen, wie z. B. Mediziner, Skriptoanalytiker oder Fachleute der Datenverarbeitung zugleich „im Partei- und Staatsapparat der DDR an wichtigen Schaltstellen tätig waren“, was schon angesichts der zahlenmäßigen Differenz der Personengruppen nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG einerseits und § 7 AAÜG andererseits unwahrscheinlich ist. Weiterhin ist zu bedenken, dass der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso geringer wird, je stärker sich seine Regelung „auf einen großen Personenkreis“ erstreckt, „bei der die Gefahr besteht, auch Personen zu erfassen, deren höhere Leistungen gerechtfertigt sind.“ 289

378

Da nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts der Gesetzgeber nur gegenüber einem „eng gefassten Personenkreis“, nur „gegenüber spezifisch eingegrenzten Gruppen . . . ohne langwierige Ermittlungen . . . zu deren Beschäftigungs- und Qualifikationsstruktur“ zu Rentenkürzungen nach § 6 Abs. 2 AAÜG befugt war,290 kann dies nicht in gleicher Weise für die beträchtlich große Gruppe der von § 7 AAÜG Betroffenen gelten. Hinzu kommt, dass die entstandenen Härten nicht „nur unter Schwierigkeiten vermeidbar [gewesen] wären“,291 288

BVerfGE 126, 233 (263 f.). So BVerfGE 126, 233 (266 f.). 290 BVerfGE 126, 233 (260); s. auch oben RN 375. 291 Zu dieser Typisierungsvoraussetzung: BVerfGE 126, 233 (263 f.); 111, 176 (188); 111, 115 (137); 103, 310 (313); 100, 138 (174); 100, 59 (90); 93, 386 (402); 87, 234 (255); 84, 348 (360); 63, 119 (128); 45, 376 (390); BVerfG (Kammer) DVBl. 2010, S. 1502 (1503 RN 10); s. ferner oben RN 326. 289

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

151

wie das Beispiel des § 6 Abs. 2 Nr. 1–9 AAÜG zeigt, der eine sehr enge Begrenzung auf Personen vorgenommen hat, die nach Auffassung des Gesetzgebers leistungsfremde und damit überhöhte Arbeitsverdienste bezogen haben. Um zu verhindern, dass der Gleichheitssatz durch Gründe der Verwaltungspraktikabiliät ausgehöhlt wird, verlangt das Bundesverfassungsgericht gegebenenfalls „einen nicht unbedeutenden Verwaltungsaufwand“, um Ungerechtigkeiten zu verhindern.292 379

Schließlich ist eine Typisierung nur dann verfassungsgemäß, wenn der mit ihr verbundene Verstoß gegen den Gleichheitssatz „nicht sehr intensiv ist“.293 Gerade diese Voraussetzung ist bei § 7 AAÜG nicht gegeben, da die Bezieher überdurchschnittlicher und hoher Arbeitseinkommen bei der Berechnung ihrer Versorgungsleistungen auf das Durchschnittsentgelt gesenkt werden, was zu teilweise erheblichen Einbußen führt. c) Gleichbehandlung der Bezieher durchschnittswahrender mit Beziehern überdurchschnittlicher Einkommen aa) Nivellierung des Gesetzgebers

380

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG wird während der Zugehörigkeit zu dem Versorgungssystem des MfS/AfNS das bis zum 17. März 1990 maßgebende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 6 AAÜG zugrunde gelegt. Diese Regelung hat für den Kreis der Betroffenen auf den ersten Blick nicht ohne Weiteres erkennbare unterschiedliche Auswirkungen. Bei der Gruppe, die unterdurchschnittliche bis durchschnittliche Einkommen erzielte, werden diese bei der Rentenberechnung in voller Höhe berücksichtigt. Bei Versorgungsberechtigten mit überdurchschnittlichem Einkommen werden jedoch alle die Grenze des Durchschnittseinkommens übersteigenden Einkommensbestandteile (und die hierfür entrichteten Beiträge) in die Rentenberechnung nicht einbezogen, was sich um so stärker auswirkt, je höher das Individualeinkommen den Durchschnittsverdienst überstieg. Dabei wurde letztere Gruppe bei der Rentenüberleitung ohnehin durch die als „Systementscheidung“ bezeichnete Einführung der „Beitragsbemessungsgrenze“ besonders belastet, da im Zuge der Versorgungsüberleitung alle die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigenden Einkünfte für die Rentenberechnung irrelevant sind,294 so dass in den Worten des Bundesverfassungsgerichts für alle Versorgungsberechtigten „neben hohen auch überhöhte

292 293 294

BVerfGE 63, 119 (129); s. auch oben RN 327. s. oben RN 324 f. mit Nachweisen. Vgl. oben RN 27 ff.

152

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Rentenansprüche auf das durch die Beitragsbemessungsgrenze vorgegebene Maß vermindert“ wurden.295 bb) Kappungsgrenze als Gleichmacher-Effekt 381

Für die Angehörigen des Versorgungssystems der Anlage 2 Nr. 4 AAÜG hat die Begrenzung des berücksichtigungsfähigen Einkommens auf das Durchschnittseinkommen nicht nur eine Kappungs-Wirkung, sondern auch einen Gleichmacher-Effekt. Denn § 7 AAÜG bewirkt im Ergebnis, dass trotz unterschiedlichen Arbeitsentgelts infolge unterschiedlicher Funktion und/oder unterschiedlicher Ausbildung die Versorgung der Beschäftigten gleich ausfällt, sofern sie ein individuelles Einkommen mindestens in Höhe des Durchschnittsentgelts bezogen. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund einer differenzierten Aufgaben- und Ausbildungsstruktur der Beschäftigten des MfS/AfNS zu sehen, zu denen 12.300 Hochschulabsolventen, 30.000 Fachhochschulabsolventen und 42.700 Meister bzw. Facharbeiter gehörten.296

382

§ 7 Abs. 1 AAÜG beseitigt jenseits der Grenze des Durchschnittseinkommens jeglichen Spannungsabstand zwischen den Gehaltsgruppen bei der Versorgung und führt zu einer völligen Vernachlässigung des Gebots „vertikaler Gleichheit im Verhältnis geringerer zu höheren Einkommen.“ 297 Dass selbst für höher qualifizierte und letztlich systemneutrale Tätigkeiten (z. B. im Medizinischen Dienst des MfS) lediglich das Durchschnittsentgelt eine angemessene Vergütung darstellen soll, entbehrt von vornherein der Schlüssigkeit.

383

Für das Berufsbeamtentum der Bundesrepublik Deutschland gehört es „zu den überkommenen Grundlagen“, „dass mit einem höheren Amt in aller Regel auch höhere Dienstbezüge verbunden sind, weil sich die dem Beamten zustehende amtsangemessene Alimentation – und mit ihr auch die Versorgung – nach dem Inhalt des ihm übertragenen statusrechtlichen Amtes und der damit verbundenen Verantwortung richtet.“ 298

384

Da die Sonderversorgungssysteme eine Versorgung eigener Art außerhalb der Sozialversicherung der DDR darstellten und „der Beamtenversorgung in den alten Bundesländern“ glichen,299 ist die „amtsangemessene Alimentation“ des 295 BVerfGE 100, 59 (93); vgl. auch E 100, 1 (48); oben RN 30; zu verfassungsrechtlichen Bedenken Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl. 1994, S. 108 ff.; s. auch oben RN 79 ff. 296 Angaben nach David Gill/Ulrich Schröter, Das Ministerium für Staatssicherheit, 1991, S. 35. 297 Hierzu BVerfGE 87, 153 (170); vgl. auch E 116, 164 (194). 298 BVerfGE 117, 372 (382); vgl. ferner E 114, 258 (288); 71, 39 (62 f.); 44, 249 (265); s. auch E 61, 43 (57); 56, 146 (163 f.); 11, 203 (215). 299 So BVerfGE 112, 368 (370); vgl. auch E 100, 1 (5); 100, 59 (62); 100, 138 (140); 104, 126 (129); ferner Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., 1994, S. 15.

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

153

grundgesetzlichen Beamtenverfassungsrechts zwar nicht unmittelbar, aber doch in ihren elementaren Grundzügen übertragbar, so dass bei der nach dem Einigungsvertrag vorgesehenen Rentenüberleitung das auch in der DDR durchgeführte Strukturprinzip beibehalten werden muss, dass mit einem höheren Amt grundsätzlich eine höhere Versorgung einhergehen muss. cc) Das Differenzierungsgebot des Gleichheitssatzes 385

Die undifferenzierte Versorgungsnivellierung jenseits des Durchschnittseinkommens verstößt gegen das im Gleichheitssatz enthaltene Differenzierungsgebot, wonach „Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden“ zu behandeln ist.300 Vor allem darf eine Regelung keine „ohne sachlich zureichenden Grund getroffene[n] Differenzierung von im wesentlichen gleich liegenden Sachverhalten“ vorsehen.301

386

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bei der Ausformung der GruppenGleichheit den Akzent vor allem auf das Verbot der unterschiedlichen Behandlung gesetzt, wenn zwischen den Gruppen „keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.“ 302 Dem von Artikel 3 Abs. 1 GG vorgegebenen Gebot der Ungleichbehandlung von wesentlich ungleichen Sachverhalten303 hat das Gericht im Rahmen der Gruppengerechtigkeit durch die Figur des „gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses“ Rechnung getragen.304 Danach ist es verfassungswidrig, einem Personenkreis eine Begünstigung zu gewähren, diese einem anderen Personenkreis aber vorzuenthalten, ohne dass sich ausreichende Gründe für die gesetzliche Differenzierung finden lassen.305

387

Da der Gesetzgeber im Rahmen des § 7 Abs. 1 AAÜG Versorgungsberechtigte mit unterdurchschnittlichem und durchschnittlichem Einkommen durch uneingeschränkte Berücksichtigung bei der Rentenberechnung der Gruppe gegenüber bevorzugt hat, deren überdurchschnittliche Einkommen bis zur Höhe des Durchschnittsentgelts bei der Rentenberechnung unberücksichtigt bleiben, muss diese gleichheitswidrige Begünstigung durch ausreichende sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Diese aufzuspüren fällt in dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung schwer, da dieser durch das Fundamentalprinzip der „Entgelt- bzw. Beitragsbezogenheit der Rente“ geprägt ist, wonach „hohe Beiträge . . . hohe Ren-

300 301 302 303 304 305

s. oben RN 273 mit Nachweisen. BVerfGE 25, 198 (205); s. oben RN 273. s. oben RN 285 mit Nachweisen. s. oben RN 273 mit Nachweisen. s. oben RN 287 m.w. N. BVerfGE 124, 251 (265); 127, 263 (280); weitere Nachweise oben RN 287.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

tenleistungen, geringe Beiträge geringe Rentenleistungen“ bringen.306 Auch das Bundesverfassungsgericht betont dieses Prinzip einer „Äquivalenz von Beitrag und Leistung“,307 das dann als „Teilhabeäquivalenz“ dazu führt, dass sich die Rentenansprüche eines Versicherten „nach dem Verhältnis des beitragspflichtigen Einkommens im Vergleich zum Durchschnittslohn bemessen.“ 308 Dementsprechend hat es das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung zur Verfassungswidrigerklärung des § 6 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 8 AAÜG a. F.309 zu Recht als mit Artikel 3 Absatz 1 GG nicht vereinbar angesehen, bei der Neuordnung der sozialrechtlichen Verhältnisse in der Folge der Wiedervereinigung im Rahmen der Überführung der Versorgungssysteme „alle erfassten Arbeitsentgelte ,fallbeilartig‘ auf das Durchschnittseinkommen“ zu kürzen.310 Die ungeschmälerte Berücksichtigung der Individualeinkommen bis zur Höhe des Durchschnittsentgelts ist um so auffälliger, als das Bundesverfassungsgericht darauf verwiesen hat, dass im Bereich des MfS/AfNS „auch untere Gehaltsgruppen (Handwerker, Pförtner, Küchenhilfen, Reinigungskräfte) in den Genuß“ von „Vergünstigungen“ kamen.311 388

Die für alle Angehörigen des Versorgungssystems der Anlage 2 Nr. 4 AAÜG einheitlich festgelegte Obergrenze des Durchschnittseinkommens ist so starr und undifferenziert, dass sie sich nicht auf erforderliche sachliche Gründe zu ihrer Rechtfertigung stützen kann.312 Durfte der Gesetzgeber für das MfS/AfNS davon ausgehen, „daß in diesem Bereich deutlich überhöhte Entgelte gezahlt wurden“,313 dann musste er – mangels anderer Anhaltspunkte – eine für alle Beschäftigten anteilsmäßig gleiche Überhöhung unterstellen. Von diesem Ausgangspunkt aus ist es nicht sachgerecht, die Angehörigen des Sonderversorgungssystems mit unterdurchschnittlichem bis durchschnittlichem Entgelt von einer Kürzung auszunehmen und eine Entgeltbegrenzung nur für diejenigen Versorgungsberechtigten vorzusehen, die ein überdurchschnittliches Einkommen bezogen. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass Beschäftigte mit überdurchschnittlichem Entgelt in ihren Ansprüchen und Anwartschaften bereits durch die nachträgliche Einführung der (westdeutschen) Beitragsbemessungsgrenze getroffen wurden.314 Es fehlt an jeden Anhaltspunkten dafür, dass überhöhte Leistungen erst von einem Durchschnittsentgelt an aufwärts gewährt wurden. Wurden 306 Gerhard Igl/FelixWelti, Sozialrecht, 8. Aufl., 2007, § 29 RN 11; § 34 RN 73; s. auch oben RN 269. 307 BVerfGE 128, 138 (147); 122, 151 (181); 90, 226 (240). 308 BVerfGE 122, 151 (181); s. auch E 128, 138 (147). 309 Hierzu oben RN 184 ff. 310 BVerfGE 111, 115 (143 f.); hierzu auch oben RN 197, 299. 311 BVerfGE 100, 138 (178 f.); s. auch oben RN 142. 312 Vgl. oben RN 277 ff. 313 BVerfGK 3, 270 (272 sub III 1); s. auch oben RN 174. 314 Vgl. BVerfGE 100, 59 (93); s. auch oben RN 28 ff.

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

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die überdurchschnittlichen Einkünfte beispielsweise durch altersabhängige Einkommenselemente erreicht, so ist die Annahme einer politischen Begünstigung ohnehin fernliegend.315 Nach allem hat der Gesetzgeber des § 7 AAÜG gleiche Sachverhalte, nämlich eine von ihm im Bereich des MfS/AfNS insgesamt konstatierte überhöhte Besoldung ungleich behandelt, indem er die unterdurchschnittlichen und durchschnittlichen Einkünfte keiner Begrenzung unterworfen, die darüber liegenden Einkünfte aber zusätzlich zur Verminderung durch die Beitragsbemessungsgrenze rigoros auf das Durchschnittsentgelt gekappt hat, wobei für diese ungleiche Behandlung gleicher Sachverhalte keine sachgerechten und einleuchtenden Gründe vorliegen. dd) Vorgaben des Einigungsvertrags 389

Allerdings hat der Einigungsvertrag bei der Eingliederung der DDR-Versorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland die Abschaffung „ungerechtfertigte[r] Leistungen“, den Abbau „überhöhte[r] Leistungen“ und die Vermeidung einer „Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ vorgesehen.316 (1) Abbau „überhöhter Leistungen“

390

Das Bundesverfassungsgericht hat es auch als legitim angesehen, Ansprüche und Anwartschaften aus den Versorgungssystemen, die „Prämien für Systemtreue“ waren und vielfach „nicht allein auf Arbeit und Leistung“ beruhten, als „überhöht“ anzusehen und sie „auf das durch Arbeit und Leistung gerechtfertigte Maß“ zu begrenzen.317

391

Aber das Gericht hat in derselben Entscheidung darauf hingewiesen, dass in der DDR erzielte hohe Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen „nicht notwendig auch ,überhöhte‘ Entgelte“ gewesen seien und der Gesetzgeber nicht ohne Weiteres habe davon ausgehen dürfen, dass Einkommen „oberhalb des Durchschnittsentgelts nicht mehr durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt“ waren.318

392

Selbst wenn der Gesetzgeber im Rahmen früherer Gegebenheiten nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts davon ausgehen durfte, dass in dem Bereich von MfS/AfNS „deutlich überhöhte Entgelte gezahlt wurden“,319 fehlt es an An315 316 317 318 319

s. hierzu BVerfGE 111, 115 (143 sub C I 3 d); vgl. auch oben RN 196. Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Satz 3 Nr. 1 EV. BVerfGE 100, 59 (93 oben); s. auch oben RN 128. BVerfGE 100, 59 (97); s. auch oben RN 132. BVerfGK 3, 270 (272 sub III 1); s. auch oben RN 173 ff.

156

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

haltspunkten für die Sachgerechtigkeit der gesetzlichen Regelung in § 7 AAÜG. Durch diese werden Angehörige des Sonderversorgungssystems nach Anl. 2 Nr. 4 AAÜG mit unterdurchschnittlichem bis durchschnittlichem Entgelt von einer Kürzung vollständig ausgenommen, und wird eine Entgeltbegrenzung nur für diejenigen Versorgungsberechtigten vorgenommen, die ein überdurchschnittliches Einkommen bezogen. Auf diese Weise erhalten Durchschnittsverdiener letztlich dieselbe Rente wie das Führungspersonal. Es fehlt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich von MfS/AfNS auch an Anhaltspunkten dafür, dass überhöhte Leistungen erst von einem Durchschnittsentgelt an gewährt wurden, wobei zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass Ansprüche und Anwartschaften aus hohen und höchsten Bezügen bereits durch die nachträgliche Einführung der (westdeutschen) Beitragsbemessungsgrenze erheblich reduziert wurden.320 (2) Abschaffung „ungerechtfertigter Leistungen“ 393

Neben dem Abbau „überhöhter Leistungen“ hat der Einigungsvertrag321 vorgegeben, „ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen“, was das Bundesverfassungsgericht als verfassungslegitim und grundgesetzkonform angesehen hat.322 Ziel dieser Regelung war es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, „Versorgungszusagen, denen keine Arbeitsleistungen entsprach, als allein politisch motivierten die rentenrechtliche Anerkennung zu versagen.“ 323

394

Das Gericht hat aber sogleich hinzugefügt, dass aus bloßer „Staats- und Systemnähe“ der Berufstätigkeit nicht folge, dass „man diesen Personengruppen durchgängig Entgelte gezahlt habe, die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt gewesen seien.“ 324 Auf der Linie dieser Rechtssprechung liegt ein jüngerer Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der eine Gesetzgebung nicht beanstandet, die „eine besondere Systemnähe und damit verbundene ungerechtfertigte Entgeltvorteile nur bei Trägern höchster Funktionen im unmittelbaren Bereich der Exekutive angenommen und auf diese [die] Rentenbegrenzung beschränkt“ habe.325

395

Während die überprüfte Bestimmung (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG) nur „eine kleine Personengruppe aus zwei der höchsten Staatsorgane der DDR“ erfasst,326 werden von der Kürzungsregelung des § 7 AAÜG Zehntausende von Versor320 321 322 323 324 325 326

Vgl. BVerfGE 100, 59 (93). Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Satz 3 Ziff. 1 EV. Vgl. BVerfGE 100, 1 (37 f., 48); 100, 59 (92 f.); 100, 138 (176 f.). BVerfGE 111, 115 (138). BVerfGE a. a. O. unter Hinweis E 100, 59 (95); s. auch oben RN 130, 187. BVerfGE 126, 233 (267); s. auch oben RN 242. BVerfGE 126, 233 (242).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

157

gungsberechtigten betroffen. Unabhängig davon ist nicht erklärlich, weshalb im Versorgungssystem nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG lediglich überdurchschnittliche Einkommen „nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt gewesen“ sein sollen, während die Gruppe mit grenzwahrendem Entgelt die Bezüge aufgrund ihrer Arbeitsleistung erhalten haben soll. (3) Verstöße gegen die Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit 396

Die Ungleichbehandlung von Gruppen innerhalb des Versorgungssystems nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass man die Grenze des Durchschnittseinkommens als „Unrechtsbegehungsgrenze“ und damit pauschal als Sanktion für rechtsstaats- oder menschenrechtswidriges Handeln rechtfertigt. Dies liefe auf die These hinaus, dass die Bezieher unterdurchschnittlicher und durchschnittlicher Einkünfte Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte beachtet hätten, so dass sich eine Kürzung erübrigt, während Versorgungsberechtigte mit überdurchschnittlichen Einkünften Menschenrechte und Rechtsstaatsprinzipien verletzt haben, so dass eine Absenkung des anrechenbaren Einkommens auf den Durchschnittsverdienst erforderlich ist. Eine derartige These liefe auf eine Theorie einkommensabhängiger Inhumanität hinaus327 und widerstreitet der Erfahrung, dass es auch eine „Banalität des Bösen“ gibt.328

397

Menschenrechtsverletzungen sind nicht auf Schreibtischtäter der höheren Führungsebene beschränkt, sondern finden sich auch bei Organwaltern vor Ort, wie die „Mauerschützen“-Fälle zeigen.329 So hat auch das Bundesverfassungsgericht dem Einwand, „wonach gerade die Gruppe der für die Organisation der Geheimdienste der DDR verantwortlichen Täter besondere Schuld auf sich geladen habe“, kein erhebliches Gewicht beigemessen und einen „außerhalb nachweisbarer Straftatbestände liegenden zusätzlichen ,Stasi-Unwert‘ der DDR-Spionage“ abgelehnt.330

398

Sanktionen, die eine öffentliche Missbilligung und die Feststellung einer defizitären Einstellung zur Rechtsordnung im Rahmen eines Unwerturteils umfassen, bedürfen wegen der rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätze des Schuldprinzips und der Unschuldsvermutung ohnehin des gerichtlichen Nachweises individueller Schuld.331

327 Vgl. hierzu auch Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., 1994, S. 132 f. 328 Vgl. in diesem Zusammenhang Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 7. Aufl., 1997. 329 Vgl. BGHSt 39, 1; 40; 241; s. auch BVerfGE 95, 96 (100 ff.); hierzu auch oben RN 353. 330 BVerfGE 92, 277 (333); s. auch oben RN 21. 331 s. oben RN 47 m.w. N.

158

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

399

Selbst eine strafgerichtliche Verurteilung könnte jedoch grundsätzlich eine Rentenkürzung nicht legitimieren, da für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung das Prinzip der Wertneutralität oder Wertfreiheit gilt, das „ein Teilstück des von strafrechtlicher oder moralischer Schuld unabhängigen Systems der Sozialversicherung“ ist.332 Eine grundsätzliche Aufgabe dieses Prinzips bedürfte als Systemänderung einer grundsätzlichen Neukonzeption des Sozialversicherungsrechts,333 denn bloße Systemdurchbrechungen des Gesetzgebers könnten als Systemwidrigkeiten Indiz für eine willkürliche und gleichheitswidrige Regelung sein, falls sie nicht sachlich hinreichend gerechtfertigt wären.334

400

Eine derartige Rechtfertigung ist, wie bereits ausgeführt,335 allerdings für die Vorgabe des Einigungsvertrags gegeben, wonach Ansprüche und Anwartschaften zu kürzen oder abzuerkennen sind, „wenn der Berechtigte oder die Person, von der sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat“.336 Hierbei handelt es sich um eine Maßnahme der Versorgungsabwicklung, für die es eine ähnliche Regelung im Versorgungsrecht der Bundesrepublik Deutschland gibt und die auch vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich unbedenklich anerkannt worden ist.337

401

Dieser Vorgabe ist jedoch der Rentengesetzgeber grundsätzlich nicht nachgekommen,338 sondern hat sich mit einer unzureichenden Regelung in Art. 4 RÜG (Versorgungsruhensgesetz) begnügt, wonach das Ruhen der Versorgung voraussetzt, dass sich der Berechtigte dem Strafverfahren durch Aufenthalt im Ausland entzieht.339 Gerade weil die zitierte Vorgabe des Einigungsvertrags nicht nur „die Überprüfung der individuellen Beschäftigung in der Deutschen Demokratischen Republik und des hierfür bezogenen Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens“,340 sondern auch den Nachweis individueller Schuld vorausgesetzt hätte, wäre es verfassungswidrig, eine Rentenkürzung unter dem allgemeinen Hinweis auf ein Unrecht der Organisation ohne „den Nachweis individueller Schuld“ zu legitimieren.341

332 333 334 335 336 337 338 339 340 341

BVerwGE 32, 74 (80); s. auch oben RN 50 ff., insbes. RN 61, 66. s. oben RN 68. s. oben RN 70 ff. s. oben RN 75. Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Satz 3 Nr. 2 EV. Vgl. BVerfGE 104, 126 (148); s. auch oben RN 75. Vgl. auch BVerfGE 104, 126 (148); 100, 138 (176). s. oben RN 89. BVerfGE 100, 138 (176). Vgl. BVerfGE 93, 213 (246).

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

402

159

Eine individuelle gerichtliche Schuldfeststellung mit einer schuldadäquaten Rentensanktion, die wegen der erforderlichen Beweise und des rechtsstaatlichen Grundsatzes „in dubio pro reo“ nur eine überschaubare Zahl von Versorgungsberechtigten getroffen hätte, kann deshalb nicht in einen pauschalen, individuell nicht zurechenbaren Vorwurf mit einer generellen Rentenkürzung umgemünzt werden. Zwar macht, wie das Bundesverfassungsgericht hervorhebt,342 die geltende Regelung des § 7 Abs. 1 AAÜG „die Begrenzung der Arbeitsverdienste nicht von einer persönlichen Überprüfung abhängig“. Dafür werden jedoch zugunsten einer kleinen Gruppe der bei Nachweis individueller Schuld gemäß Anl. II Kap. VIII Sachg. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Nr. 2 EV die Rente wegen Verstoßes gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit hätte gekürzt oder aberkannt werden können, alle nach Anl. 2 Nr. 4 AAÜG Sonderversorgungsberechtigten gleichsam rentenversicherungsrechtlich „in Haft genommen“ und wird ihnen eine „Kollektivschuld“ unterstellt, was nicht nur aus rechtsstaatlichen Gründen, sondern auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum AAÜG unzulässig ist. Ungeachtet dessen könnte selbst diese Schuld- und Sanktionspauschalierung nicht erklären, weshalb sie nur Versorgungsberechtigte mit überdurchschnittlichem Einkommen, nicht aber die Gruppen betrifft, die unterdurchschnittliches oder durchschnittliches Einkommen bezogen. Da die Gründe, die das Bundesverfassungsgericht für eine Sonderbehandlung des Versorgungssystems nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG angeführt hat, inzwischen weggefallen sind,343 verstößt auch die Gruppen-Ungleichbehandlung innerhalb der von § 7 AAÜG betroffenen Versorgungsberechtigten gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

403

Die uneingeschränkte Berücksichtigung des Einkommens der Durchschnittsverdiener (oder geringer Verdienenden) einerseits und die teilweise erhebliche Kappung des Arbeitsentgelts der Höherverdienenden in Folge der Absenkung auf das Durchschnittsentgelt verletzt Art. 3 Abs. 1 GG, weil innerhalb der Angehörigen des Sonderversorgungssystems des MfS/AfNS eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.344 In gleicher Weise kann umgekehrt formuliert werden, dass beide Gruppen durch „übereinstimmende Eigenschaften oder Merkmale“ – nämlich die Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS – geprägt und gekennzeichnet sind, die eine unterschiedliche Behandlung – nämlich uneingeschränkte Entgeltberücksichtigung einerseits und rigorose Entgeltkappung auf das Durchschnitts-

342 343 344

E 100, 138 (176). Hierzu unten 7. Kapitel RN 498 ff. BVerfGE 55, 72 (88); weitere Nachweise oben RN 285.

160

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

entgelt andererseits – ausschließen.345 Die günstige Regelung uneingeschränkter Entgeltberücksichtigung für unterdurchschnittliche und durchschnittswahrende Einkommen kann der Gesetzgeber den Beziehern überdurchschnittlicher Entgelte wegen des Verbots eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses346 nicht versagen. ee) Verhältnismäßigkeitsgebot bei typisierenden Regelungen 404

Zwar ist dem Gesetzgeber bei der Versorgungsüberleitung das Recht zu pauschalierenden, typisierenden und generalisierenden Regelungen einzuräumen.347 Diese Ermächtigung steht jedoch unter dem Gebot der mildesten Typisierung, die eine Freiheitsbeschränkung verbietet, wenn derselbe Erfolg mit weniger schweren Maßnahmen zu erreichen ist, so dass Artikel 3 Abs. 1 GG insbesondere dann verletzt wird „wenn eine andere, der Verfassung besser entsprechende Typisierung genauso möglich ist.“ 348

405

Da der Einigungsvertrag keine Einebnungsfunktion entfalten soll,349 hätte sich als milderes Mittel für den Abbau „überhöhter“ Einkommen eine prozentuale Kürzung angeboten.350

406

Als milderes Mittel hätte der Gesetzgeber auch eine berufsgruppenspezifische Zuordnung von Durchschnittsentgelten im militärischen Beschäftigungssektor je nach Ausbildung, Funktion, Aufgabenbereich und Verantwortung nach dem Vorbild des Fremdrentengesetzes wählen können.351

407

Jedenfalls sind die mit der Typisierung des § 7 AAÜG verbundenen Härten nicht mehr gleichheitskonform, weil sie weder nur „eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen“ betreffen noch der Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 GG „nicht sehr intensiv“ ist.352 So werden durch § 7 AAÜG sowohl „ganze Gruppen“ von Versorgungsberechtigten sowie „eine große Zahl der Fälle“ unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz ungerecht behandelt.353 Darüber hinaus ist der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auch intensiv, weil von dem die Rentenversicherung beherrschenden Prinzip der „Teilhabeäquivalenz“ 354 erheblich abgewichen wird. Die 345

BVerfG (Kammer) v.13.12.1990, NJW 1991, S. 3269 f.; s. auch oben RN 287. s. oben RN 287. 347 BVerfGE 100, 59 (90); 100, 104 (132); 111, 115 (137); für § 7 AAÜG: E 100, 138 (174); s. auch oben RN 307 ff. 348 BVerfGE 48, 227 (239); s. oben RN 318. 349 Vgl. BVerfGE 100, 1 (47); hierzu auch oben RN 155. 350 s. hierzu oben RN 369. 351 s. oben RN 370. 352 BVerfGE 63, 119 (128); s. ferner oben RN 320 ff. m.w. N. 353 Vgl. BVerfGE 13, 331 (355); 21, 12 (27); 41, 126 (188); 71, 39 (50); sowie E 42, 176 (185); s. auch oben RN 321. 354 s. oben RN 269, 325, 387. 346

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

161

durch Beitragsleistungen „erreichte relative Position innerhalb der jeweiligen Rentnergeneration“ 355 wird drastisch gemindert. Die Reduzierung des tatsächlichen Arbeitseinkommens auf das Durchschnittsentgelt durch § 7 AAÜG hat für alle Versorgungsberechtigten mit einem diese Grenze wesentlich übersteigenden Einkommen ganz beträchtliche finanzielle Auswirkungen, die nicht mit dem Institut der Typisierung gerechtfertigt werden können. Auch der Berichterstatter der verfassungsgerichtlichen Leitentscheidung356, Udo Steiner, hat im Rückblick gerügt, dass auch bei der Überleitung von rentenrechtlichen Positionen der Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit (§ 7 AAÜG) der Gesetzgeber „die Vorgabe des Einigungsvertrages, ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen . . . nicht anzuerkennen . . . in einer sehr pauschalierenden Weise umgesetzt hat.“ 357 Ferner entstehen keine „unverhältnismäßigen“ Anforderungen an die Bewältigung der Rentenberechnung.358 Denn da für die individuelle Rentenberechnung ohnehin die durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Versicherten erfasst werden und diese Daten auch bei den Versorgungsberechtigten vorliegen, ergeben sich beim Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung in keinem Fall verwaltungstechnische Probleme oder unvermeidbare Schwierigkeiten, der Rentenberechnung individuelle Arbeitsentgelte statt der in § 7 AAÜG vorgesehenen Grenze des Durchschnittsentgelts zugrunde zu legen, zumal im Einzelfall ohnehin geprüft werden muss, ob diese Grenze unterschritten wurde und damit unanwendbar bleibt. III. Gleichheitssatz als personale Gleichheit 1. Benachteiligung aus weltanschaulich-politischen Gründen 408

Die personale Gleichheit als Kern des Art. 3 Abs. 1 GG359 wird von Verfassungs wegen durch die speziellen Gleichheitssätze konkretisiert, weshalb der Gesetzgeber auch nicht an Merkmale anknüpfen darf, die denen des Art. 3 Abs. 3 GG vergleichbar sind oder sich ihnen annähern, selbst wenn das Gesetz andere Ziele verfolgt und keine verbotene Ungleichbehandlung bezweckt.360 355

BVerfGE 100, 1 (42). Vgl. oben RN 138 ff. 357 Udo Steiner, Verfassungsrechtliche Fragen der Überleitung des Alterssicherungssystems der Deutschen Demokratischen Republik in die gesamtdeutsche gesetzliche Rentenversicherung, in: Ulrich Becker u. a. (Hg.), Alterssicherung in Deutschland, FS für Ruland, 2007, S. 315 (318); ders., Verfassungsfragen der deutschen Wiedervereinigung im Sozialrecht, NZS 2010, S. 529 (530 sub B I 1 p); s. auch oben RN 167, 330. 358 Vgl. BVerfGE 63, 119 (129); s. auch oben RN 327. 359 s. oben RN 261. 360 s. oben RN 282 ff. mit Nachweisen. 356

162

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

409

Es sprechen nun viele Umstände dafür, dass § 7 AAÜG und seine DDR-Vorgängervorschriften eine Reaktion auf die weltanschaulich-politischen Anschauungen der betroffenen Versorgungsberechtigten darstellt. Waren doch in den alten wie in den neuen Ländern und davor in der DDR „Stasi“ und „MfS“ Symbole für das DDR-System und die SED-Herrschaft,361 so dass der Versuch des damaligen Bundesinnenministers Dr. Schäuble, Bürger, die für das MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland spioniert hatten, zu amnestieren, in dem Augenblick scheiterte, als das Gesetzesvorhaben in der Öffentlichkeit als „Stasi-Amnestie“ bezeichnet wurde.362

410

Allgemein wurde entgegen der Wertung des seinerzeitigen Ministerpräsidenten der DDR, de Maizière, die „Staatssicherheit“ doch als „die eigentliche Krankheit der DDR“ angesehen.363 Dabei wird in der öffentlichen Diskussion vielfach übersehen, dass die hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS nur einen Teil des Problems darstellen. Das System der Staatssicherheit hätte nicht so effektiv arbeiten können, wenn es nicht eine Vielzahl von Zuarbeitern gegeben hätte. Die Furcht und Bedrückung im Alltag wurde vielfach gerade durch die inoffiziellen Mitarbeiter (IM) hervorgerufen, die in nicht erkennbarer Weise engste Freunde und sogar Familienangehörige ausspähten und die Arglosigkeit und Offenheit der Betroffenen in einer diese besonders schmerzenden und verletzenden Weise ausnutzten. Diese waren in besonderer Weise gefährdet, „je intimer der angesprochene Sachverhalt“ und „je weniger überprüfbar er“ war, so dass die Informationen auch „herabwürdigen und den Kern der Persönlichkeit, also die Würde des Menschen, zutiefst treffen“ konnten, „selbst wenn weiterer Schaden durch gesellschaftliche oder staatliche Reaktionen“ ausblieb.364

411

Selbst in diesen Fällen ist jedoch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein individueller Schuldvorwurf nur gerechtfertigt, „wenn die Handlungen als Ausgangspunkt systembezogener Verfolgungshandlungen gewollt oder hierzu ersichtlich geeignet waren“, wobei zu berücksichtigen sei, „ob die Handlung innerhalb des Systems geboten, zur eigenen Sicherheit erforderlich oder der Loyalität gegenüber der sozialistischen Gesetzlichkeit geschuldet war“.365 Burkhard Hirsch366 konstatiert, „Wichtigtuer, Denunzianten, Opportunisten und Überzeugungstäter“ hätten „mit spießbürgerlicher Emsigkeit ihre Mitarbeiter, ihre Vorgesetzten und Untergebenen, ihre Freunde und Bekannten, ihre Verwandten und Lebenspartner beschnüffelt, angezeigt und betrogen“. 361

Vgl. oben RN 18 ff. s. oben RN 20. 363 Vgl. oben RN 21. 364 BVerfGE 93, 213 (244). 365 BVerfGE a. a. O. 366 Burkhard Hirsch, Das Stasigesetz – ein Beitrag zur Bewältigung der Vergangenheit?, in: Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag, 1992, S. 517 ff. (520). 362

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

412

163

Im Übrigen war das MfS auch nach Auffassung oberster Bundesgerichte nicht das einzige „Hauptrepressionsorgan[e] der ehemaligen DDR“,367 da es beispielsweise auch Funktion der Grenztruppen war, „Repression gegen die Bevölkerung auch unter Begehung schwerster Menschenrechtsverletzungen zu verüben“,368 wie die „Mauerschützen“-Fälle zeigen.369 Klaus Kinkel 370 hat die Todesfälle an der innerdeutschen Grenze als „den schlimmsten Teil des SED-Unrechts“ bezeichnet. Deshalb werden unter anderem auch „Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen“ wegen „einer besonderen persönlichen Nähe zum System der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ gemäß § 30 Abs. 1 Satz 3 des Bundesbesoldungsgesetzes von einer besoldungssteigernden Anrechnung auf das Besoldungsdienstalter ausgeschlossen.371

413

Ungeachtet dessen nahm sich nach den Wahlen vom März 1990 der Gesetzgeber der DDR der Versorgung der Angehörigen des MfS/AfNS in einem besonderen Gesetz, dem Aufhebungsgesetz an, das als „Symbolgesetz“ wirkt.372 Zur Begründung führte Staatssekretär Dr. Stief in der Volkskammer an, dass durch die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit „nicht wenige Bürger der DDR physisch und psychisch gequält, materiell und finanziell geschädigt sowie persönlich und beruflich benachteiligt worden“ seien und die „ehemaligen Mitarbeiter dieses Organs“ „für das Leid und die Schäden mitverantwortlich“ seien – „unabhängig davon, ob sie sich strafbarer Handlungen schuldig gemacht haben oder nicht“.373

414

Bereits an dieser Stelle tauchen die Begriffe der „gequälten Bürger und einer (pauschalen) Mitverantwortlichkeit“ aller „ehemaligen Mitarbeiter dieses Organs“ auf, die dann auch spätere Debatten prägen. So begründete der zuständige Bundesminister Dr. Blüm in der ersten Beratung eines Entwurfs eines RentenÜberleitungsgesetzes im Deutschen Bundestag die Notwendigkeit, „Stasi-Renten“ zu kürzen, damit, dass andernfalls „die Gequälten möglicherweise niedrigere Renten erhalten [würden] als die Quäler.“ 374

415

Damit wird für die weitere Debatte über die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der pejorative Begriff der „Stasi“ durch Kennzeichnungen wie „Prämien 367

BVerwG v. 19.2.2004, DÖV 2004, S. 887 (888); BAGE 89, 57 (62). BVerwG a. a. O. 369 Vgl. BGHSt 39, 1; 40, 241; s. auch BVerfGE 95, 96 (100 ff.); oben RN 353. 370 Klaus Kinkel, Wiedervereinigung und Strafrecht, JZ 1992, S. 485 (489). 371 Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 103, 310 (324); auch BAGE 89, 57 (62); 89, 70 (74 f.). 372 Vgl. oben RN 18 f. 373 s. oben RN 18. 374 BT, 24. Sitzung v. 26.4.1991, Plenarprotokoll 12/24, S. 1629 (B); vgl. auch BVerfGE 100, 138 (151); s. ferner oben RN 94 ff. 368

164

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

für Stasi-Leute und SED-Herrscher“,375 der höheren Rente für einen „Stasi-Offizier“,376 der „Besserstellung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern“ 377 oder der „Politrenten“ 378 geprägt, wobei deren Versorgungssituation fast regelmäßig mit der Rentensituation der „Opfer“ 379 der „Verfolgten“ 380 oder der „Gequälten“ 381 verglichen wird. 416

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht von Verfassungs wegen das Argument zurückgewiesen, Versorgungskürzungen seien durch eine oft nur sehr geringe Altersversorgung der Opfer des SED-Regimes gerechtfertigt, da eine „Unausgewogenheit in der Altersversorgung“ für diese Gruppe „die Beibehaltung einer gleichheitswidrigen Rentenkürzung“ der Sonderversorgten nicht legitimieren könne.382

417

Dennoch legt das in den parlamentarischen Beratungen deutlich gewordene Denken des Gesetzgebers in den Kategorien von „Tätern“ und „Opfern“ mehrere verfassungsrechtlich bedeutsame Schlüsse nahe: (1) Zunächst missachtet die „Täter“-Terminologie den Verfassungsgrundsatz „nulla poena sine culpa“, da „Täter“ nur ist, wem individuell zurechenbar ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann.383 Nur unter diesen Voraussetzungen dürfen Strafen oder strafähnliche Sanktionen, die den sittlichen Bereich der menschlichen Persönlichkeit berühren, verhängt werden.384 (2) Weiterhin ist die Qualifizierung als „Täter“ für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung untauglich, da wegen dessen Wertneutralität selbst verurteilte Schwerstkriminelle keine rentenrechtlichen Nachteile erleiden.385 (3) Unbeschadet dessen hätte der Sozialgesetzgeber in Ausführung des Einigungsvertrags (Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Ziff. 2) eine Kürzung oder Aberkennung von Rentenansprüchen und -anwartschaften für diejenigen vorsehen können, die „gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht“ hat375

So der Abgeordnete Hörsken (CDU/CSU), s. oben RN 97. So Bundesminister Dr. Blüm, s. oben RN 122. 377 So die Abgeordnete Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), s. oben RN 163. 378 So der Abgeordnete Kolb (CDU/CSU), BT-Drucks. 11/7526, S. 11. 379 Vgl. die Nachweise oben RN 94 ff., 121, 164. 380 s. den Nachweis oben RN 95, vgl. auch oben RN 109. 381 s. oben RN 94. 382 BVerfGE 111, 115 (144 f.); s. oben RN 198. 383 Vgl. oben RN 43 f.; BVerfGE 57, 250 (275); 128, 326 (376); BVerfG NJW 2012, S. 1784 RN 51. 384 s. oben RN 45. 385 Vgl. oben RN 45 ff. 376

1. Kap.: Konformität mit dem Gleichheitssatz?

165

ten, was jedoch individueller Feststellung bedurft hätte.386 Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber jedoch in sehr ungenügender Weise durch das Versorgungsruhensgesetz (Art. 4 RÜG) nachgekommen.387 (4) Durch die „Quäler“- und „Täter“-Terminologie wird allen Angehörigen des MfS-Sonderversorgungssystems ohne Rücksicht auf individuelle Verantwortlichkeit gleichsam ein Unrechts-Makel angeheftet, und sie werden entgegen Art. 3 Abs. 3 Var. 8 und 9 GG wegen ihrer weltanschaulich-politischen Anschauungen, nämlich wegen ihrer „Systemnähe“ oder gar System-Inkarnation benachteiligt. 418

Wie klischeehaft und realitätsfern der Gesetzgeber des AAÜG den MfS-Komplex behandelte, zeigt sich beispielsweise bei der Novellierung des AAÜG durch das erste Gesetz zur Änderung des AAÜG vom 21.6.2005,388 durch das eine Entgeltbegrenzung auf Personengruppen mit Funktionen im Parteiapparat der SED, in der Regierung oder im Staatsapparat erstreckt wurde, denen eine Weisungsbefugnis gegenüber dem MfS beziehungsweise dem AfNS zustand.389

419

Demgegenüber qualifiziert das Bundesverfassungsgericht390 das Kriterium der Weisungsbefugnis als „ungeeignet“, weil „aus den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des Sozialgerichts Berlin . . . [selbst] die Mitglieder des Ministerrats der DDR – abgesehen von dem Minister für Staatssicherheit – keine Weisungsbefugnis gegenüber der Staatssicherheit hatten“.

420

Dass es dem Gesetzgeber des § 7 AAÜG um eine Benachteiligung aus weltanschaulich-politischen Gründen und nicht – wie im Einigungsvertrag vorgesehen – um den Abbau „überhöhte[r] Leistungen“ ging, zeigt sich an der Begrenzungsregelung für das maßgebende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen gemäß § 7 in Verbindung mit Anl. 6 AAÜG auf 70 v. H. des Durchschnittsentgelts einschließlich des Ausschlusses einer sogenannten Rente nach Mindesteinkommen (§ 7 Abs. 1 Satz 3 AAÜG),391 so dass die Rente der Versorgungsberechtigten sogar unter das Sozialhilfeniveau absinken konnte392 und damit für die Betroffenen nicht einmal ein Leistungsrest verblieb, „der den Zweck einer bedürftigkeitsunabhängigen Sicherung nach einem vollen Versicherungsleben erfüllte.“ 393

421

Begrifflich schließt der Abbau „überhöhter Leistungen“ die Kürzung hoher Leistungen aus, solange diese nicht „zu hoch“ waren. Wenn sich jedoch § 7 386 387 388 389 390 391 392 393

s. oben RN 34 ff. Vgl. oben RN 89 ff. BGBl. I S. 1672. s. oben RN 207 f. E 126, 233 (258 f.). I. d. F. von Art. 3 RÜG v. 25.7.1991 (BGBl. I S. 1606). Vgl. oben RN 88. BVerfGE 100, 138 (182); s. auch oben RN 145.

166

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

AAÜG gerade nicht „an den allgemeinen Einkommensverhältnissen“ orientierte und auch nicht mehr mit dem „Wert der in unterschiedlichsten Berufen und Positionen verrichteten Arbeit in Zusammenhang gebracht werden kann“,394 so liegt ein unumstößliches Indiz für eine Benachteiligung der Betroffenen wegen deren Zugehörigkeit gerade zum „MfS“-Versorgungssystem vor. Dass Versorgungskürzungen aus politischer Motivation vorgenommen wurden, zeigt sich im Übrigen auch daran, dass in den parlamentarischen Beratungen wiederholt gefordert wurde, überdurchschnittliche Leistungen dann nicht zu berücksichtigen, wenn die betreffende Personengruppe einen „erheblichen Beitrag zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR geleistet“ und auch eine systemfördernde Funktion innegehabt hätte.395 Gerade diese Hinweise begründen aber – auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – nicht den Schluss, dass die Betroffenen damit zugleich „politisch begründete und damit erhöhte Arbeitsverdienste bezogen haben.“ 396 2. Keine Rechtfertigung durch „wehrhafte Demokratie“ 422

Die Benachteiligung lässt sich auch nicht aus einem dem Grundgesetz zugeschriebenen Prinzip „streitbarer“ 397 oder „wehrhafter Demokratie“ 398 herleiten. Denn dieses Prinzip stellt nur die Summe verfassungsgesetzlicher Einzelaussagen dar, kann aber als solches nicht mehr hergeben als diese.399 Sieht man die grundgesetzlichen Einzelaussagen, z. B. Parteienverbot (Art. 21 Abs. 2 GG), Vereinsverbot (Art. 9 Abs. 2 GG) oder Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG), so wirken diese zwar in den jeweils geregelten Fällen als „Grundrechtsbegrenzungsnorm“,400 vermögen aber eine Benachteiligung aus weltanschaulich-politischen Gründen nicht zu legitimieren, zumal Art. 3 GG von vornherein nicht in den Katalog verwirkbarer Grundrechte aufgenommen wurde.

394

Vgl. BVerfGE 100, 138 (180 ff.). Vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) v. 20.6.1991, BT-Drucks. 12/826, S. 11 l. Sp.; s. auch oben RN 96; Gesetzentwurf BTDrucks. 13/4587 v. 9.5.1996, S. 1 sub B; s. oben RN 118; Abg. Grund (CDU/CSU), Deutscher Bundestag, 126. Sitzung v. 27.9.1996, Plenarprotokoll 13/126, S. 11 328 (C); s. oben RN 121. 396 BVerfGE 100, 59 (96); vgl. auch E 111, 138 (143). 397 Hierzu Papier/Durner, Streitbare Demokratie, in: AöR 128 (2003), S. 340 ff. 398 Vgl. BVerfGE 30, 1 (19 f.); 39, 334 (369); 111, 147 (158); J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, 1992, § 167, S. 309 ff. 399 s. Papier/Durner a. a. O., S. 365. 400 Vgl. Merten, Immanente Grenzen und verfassungsunmittelbare Schranken, in: ders./Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 60 RN 92. 395

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

167

IV. Ergebnis 423

Zunächst verletzt § 7 AAÜG in seiner jetzigen Fassung das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Prinzip der Gruppengerechtigkeit in mehrfacher Hinsicht: Er behandelt vergleichbare Personengruppen im sogenannten X-Bereich trotz Fehlens eines hinreichenden Differenzierungsgrundes ungleich, indem er bei anderen Versorgungssystemen überdurchschnittliche Einkommen (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. Anl. 3 AAÜG in voller Höhe berücksichtigt, während er es bei dem Versorgungssystem nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG auf die Höhe des Durchschnittsverdienstes kappt. Des weiteren behandelt der Gesetzgeber bei der Rentenberechnung die von § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG und die von § 7 des Gesetzes betroffenen Personengruppen durch Senkung des Individualeinkommens auf das Durchschnittseinkommen gleich, obwohl die Gruppen nach Zahl und Funktion erheblich differieren und es sich nur im Falle des § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG um eine „kleine Personengruppe“ und um „Träger höchster Funktionen im unmittelbaren Bereich der Exekutive“ handelt. Schließlich differenziert § 7 AAÜG gleichheitswidrig innerhalb der Berechtigten des Versorgungssystems nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG sachwidrig zwischen den unterdurchschnittlichen und durchschnittlichen Verdienern, deren Individualeinkommen in voller Höhe bei der Rentenberechnung berücksichtigt wird, einerseits und den Beziehern überdurchschnittlicher Einkommen andererseits, deren Verdienst auf das Durchschnittsentgelt gesenkt wird. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht in anderem Zusammenhang selbst festgestellt, dass sich derartige Grenzwerte „auf Erkenntnisse zur wirklichen Verteilung überhöhter Arbeitsverdienste im Bereich zwischen dem Durchschnittsentgelt und Entgelten an der Beitragsbemessungsgrenze stützen können“ müssen.401 Weiterhin verletzt § 7 AAÜG die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Kernforderung personaler Gleichheit, die durch die speziellen Gleichheitssätze von Verfassungs wegen konkretisiert wird, indem er insbesondere ausweislich der Äußerungen des seinerzeit zuständigen Fachministers sowie der Gesetzesbegründungen die Berechtigten des Versorgungssystems nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG aus weltanschaulich-politischen Gründen schlechter stellt. Zweites Kapitel

Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie? A. Struktur und Schutzbereich der Eigentumsgarantie I. Struktur des Art. 14 GG 424

Das Eigentum wird durch Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG gesichert, ohne dass es die Verfassung zugleich definiert. Vielmehr überlässt sie es 401

E 111, 115 (138).

168

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

dem Gesetzgeber, Inhalt und Schranken zu bestimmen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Jedoch kann dieser nicht beliebig mit der Eigentumsqualität verfahren, weil ihm von Art. 14 Abs. 2 GG materielle Direktiven vorgegeben sind.402 II. Schutzbereich 425

Wenn die Verfassung bestimmt, dass die Eigentumsnutzung auch dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll, setzt sie primär Privateigentum und eine privatnützige Eigentumsfunktion voraus.403 Eigentum ist ursprünglich das Sacheigentum,404 das sich wegen seiner Gegenständlichkeit ohnehin einer Neudefinition entzieht.405

426

Später ist der Verfassungsschutz auch auf solche vermögenswerten Rechte erstreckt worden, die dem Berechtigten ebenso ausschließlich wie das Eigentum an einer Sache zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung zugeordnet sind.406 1. Privatrechtliche Forderungen

427

Dabei ist der Schutz nicht auf dingliche oder sonstige absolute, gegen jedermann wirkende Rechtspositionen beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf Forderungen.407 Im Bereich des Privatrechts fallen letztlich unter den Schutz der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie alle vermögenswerten Rechte, „die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf“,408 wobei eine uneingeschränkte Verfügungsbefugnis und eine beliebige Übertragbarkeit nicht gefordert werden.409 402 Vgl. BVerfGE 20, 351 (355 f.); 21, 73 (83); 25, 112 (117); 31, 229 (244 f.); 37, 132 (140); 38, 348 (370); 42, 263 (294); 50, 290 (339 f.); 52, 1 (29 f., 32); 56, 249 (260, 275); 58, 137 (148 ff.); 58, 300 (338); 68, 361 (367 f.); 70, 191 (200); 71, 230 (246); 79, 29 (40 ff.); 81, 12 (17 f.); 81, 29 (32 f.); 89, 1 (5); 89, 237 (241); 91, 294 (310); 95, 64 (84); 100, 1 (40); 100, 226 (241); 101, 54 (75); 104, 1 (9, 12); 110, 1 (28); 115, 97 (113 f.). 403 Vgl. BVerfGE 20, 351 (355); 24, 367 (389); 26, 215 (222); 31, 229 (240); 37, 132 (140); 38, 348 (370); 45, 142 (183); 61, 82 (108 f.); 68, 361 (367 f.); 70, 191 (201); 71, 230 (246); Kimminich, Bonner Kommentar, Art. 14 RN 30, 117, 132 (Stand: 1992); Merten/Frey, Umverteilung ohne Wirtschaftswachstum?, 1982, S. 59. 404 Vgl. Ernst Forsthoff, Zur Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, in: Festgabe für Theodor Maunz, 1971, S. 89 f. 405 Vgl. Carl Schmitt, Die Auflösung des Enteignungsbegriffs, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, 2. Aufl., 1973, S. 122. 406 BVerfGE 78, 58 (71 m.w. N.); 83, 201 (208); s. ferner E 1, 278; 2, 462; 11, 70; 14, 278; 58, 300 (336); BVerfG (Kammer) v. 17.10.2007, DVBl. 2007, S. 1555 (1557); Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 RN 55 (Stand: Juli 2010). 407 BVerfGE 45, 142 (179); 70, 278 (285); 83, 201 (208). 408 BVerfGE 83, 201 (208 f.); 89, 1 (6); 112, 93 (107); 115, 97 (111); 126, 331 (358).

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

169

428

Nach allem schützt Art. 14 Abs. 1 GG als vermögenswerte Rechte Forderungsrechte, Erbbaurechte, Vorkaufsrechte, Urheberrechte,410 Nutzungsrechte an einer Internet-Domain411 und vor allem das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum.412

429

In einem ähnlich weiten Sinne interpretiert auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Begriff des „Eigentums“ im Sinne von Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK.413 2. Öffentlich-rechtliche Forderungen a) Geschichtliche Entwicklung

430

Hatte sich unter der Weimarer Reichsverfassung die Gewährleistung des „Eigentums“ im Sinne von Art. 153 Abs. 1 WRV nicht auf subjektive öffentliche Rechte bezogen,414 so änderte sich diese Einstellung unter dem Grundgesetz – nicht zuletzt im Hinblick auf beträchtliche Vermögensverluste durch Krieg und Vertreibung sowie eine Währungsreform nach dem Zusammenbruch. Bereits 1952 vertrat der Große Zivilsenat des Bundesgerichtshofs415 die Auffassung, Eigentumsgarantie und Enteignungsschutz müssten „das ganze Vermögen der Bürger decken“ und folgerichtig „auf jedes vermögenswerte Recht bezogen werden, gleichgültig, ob es dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Recht angehört“. Wenige Wochen vorher hatte das Bundesverfassungsgericht416 es abgelehnt, den Eigentumsschutz „auf eine vorwiegend durch das öffentliche Recht gewährte Rechtsposition . . ., der alle den Eigentumsbegriff konstituierenden Merkmale“ fehlen, zu erstrecken. Auch danach hat es Art. 14 GG „jedenfalls grundsätzlich nicht (auf) vermögenswerte Rechte des öffentlichen Rechts“ bezogen.417 409

BVerfGE 83, 201 (209). BVerfGE 31, 229 (238); 79, 29 (40); 79, 174 (191); 83, 201 (208 f.); 101, 239 (258 sub B II 1 a); 112, 93 (107). 411 BVerfG (Kammer) NJW 2005, S. 589 f. 412 Vgl. BVerfGE 25, 371 (407); 50, 290 (339); 100, 289 (301); 102, 197 (211); BVerfG (Kammer) NJW 2007, S. 3265, S. 3268 (3269); Wieland, in: Horst Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2. Aufl., 2004, Art. 14 RN 49. 413 EGMR (Große Kammer) Entsch. v. 2.3.2005, NJW 2005, S. 2530 (2531); EGMR (IV. Sektion) Entsch. v. 27.9.2001, NJW 2003, S. 2441 f.; Entsch. v. 19.12.2006, NJW 2007, S. 3409 (3410); s. auch Dolzer, Der Schutz des Eigentums, in: Merten/Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. VI/1, 2010, § 140 RN 8. 414 Vgl. statt aller Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., 1933, Art. 153 Anm. 2, S. 705 oben; s. auch BVerfGE 2, 380 (399 ff.); BSGE 26, 141 (144). 415 BGHZ GS 6, 270 (278). 416 E 1, 264 (278 f.). 417 BVerfGE 2, 380 (399). 410

170

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

431

Allerdings ließ das Gericht die Frage des Eigentumsschutzes für solche subjektiven öffentlichen Rechte offen, deren „Zusicherung ihrem Inhaber eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen des Eigentümers so nahe kommt, dass Art. 14 GG Anwendung finden muss.“ 418 Unterstützt durch das Schrifttum419 hat es dann in seiner späteren Rechtsprechung öffentlich-rechtliche Rechtspositionen dem Grundrechtsschutz unterstellt,420 wenn sie „so stark“ waren, dass ihre „ersatzlose Entziehung dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundgesetzes widersprechen würde.“ 421

432

Dabei ist es für das Gericht entscheidend, ob das Recht „sich als Äquivalent eigener Leistung erweist oder auf staatlicher Gewährung beruht“ 422 und ob im letzteren Fall „keine den Eigentumsschutz rechtfertigende Leistung des Einzelnen hinzutritt“.423

433

Auch das Bundessozialgericht war nicht dem Bundesgerichtshof gefolgt, sondern orientierte seine Rechtsprechung stärker an der des Bundesverfassungsgerichts.424 Hatte das Bundessozialgericht zunächst offengelassen, ob öffentlichrechtliche Rechtspositionen überhaupt,425 insbesondere Ansprüche aus der Sozialversicherung426 und Anwartschaften auf später entstehende Ansprüche427 von 418 BVerfGE 4, 219 (241); s. auch E 2, 380 (402); 24, 220 (225 f.); 40, 65 (83); 53, 257 (289 f.). 419 Vgl. Dürig, Der Staat und die vermögenswerten öffentlich-rechtlichen Berechtigungen seiner Bürger, in: Festschrift für Apelt, 1958, S. 13 (41 ff.); Nicolaysen, Eigentumsgarantie und vermögenswerte subjektive öffentliche Rechte, in: Festschrift für Schack, 1966, S. 107 ff.; Werner Weber, Öffentlich-rechtliche Rechtsstellungen als Gegenstand der Eigentumsgarantie in der Rechtsprechung, in: AöR 91 (1966), S. 282 ff.; Starck, „Freie Berufe“ und der Schutz des Artikel 14 GG, in: Festschrift Laufke, 1971, S. 285 ff.; Papier, Verfassungsschutz sozialrechtlicher Rentenansprüche, -anwartschaften und -erwerbsberechtigungen, VSSR 1 (1973/1974), S. 33 ff. 420 Vgl. BVerfGE 53, 257 (289 f.); 55, 114 (131); 58, 81 (106, 109); 64, 87 (97); 69, 272 (298 ff.); 70, 101 (110); 71, 1 (12); 72, 9 (18 f.); 72, 141 (153); 75, 78 (96 f.); 83, 182 (195); 87, 348 (355 f.); 92, 365 (405); 95, 143 (160 f.); 97, 271 (283 f.); 100, 1 (32); 112, 368 (396); 116, 96 (121); 117, 272 (292); vgl. auch schon E 24, 220 (225 f.); 29, 283 (302). 421 BVerfGE 18, 392 (397); s. auch E 16, 94 (112); 24, 220 (225 f.); 48, 403 (412 f.). 422 BVerfGE 18, 392 (397); ferner E 14, 288 (294); 22, 241 (253); 48, 403 (412 f.); 53, 257 (291 f.); 100, 1 (33); 116, 96 (121 f.); 117, 272 (294); 128, 90 (101); vgl. auch Papier, Grundrechte und Sozialordnung, in: Merten/ders., Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 30 RN 24 ff.; Jörg Adam, Eigentumsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung, 2009, S. 64 ff. 423 BVerfGE 18, 392 (397); ferner E 16, 94 (112); 45, 142 (170); 48, 403 (412 f.); 53, 257 (292); 72, 175 (193). 424 Hierzu mit umfangreichen Nachweisen Dieter Wilke/Jens Schachel, Die Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, in: VSSR 6 (1978), S. 313 (339 ff.). 425 Vgl. BSGE 2, 201 (220); 7, 42 (44 f.); s. aber auch E 6, 19 (22). 426 Vgl. BSGE 3, 77 (82); 13, 247 (250); 15, 271 (277); 22, 54 (58). 427 BSGE 13, 251 (254); 15, 71 (74 f.); 15, 271 (277); 23, 59 (62); 28, 9 (13).

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

171

Art. 14 Abs. 1 GG geschützt werden, so hat es später auch subjektive öffentliche Rechte, insbesondere Renten der gesetzlichen Sozialversicherung, als „Eigentum“ im Sinne des Art. 14 GG qualifiziert, „sofern sie . . . auf der eigenen Leistung des Berechtigten beruhen“.428 b) Differenzierung innerhalb der Ansprüche und Anwartschaften 434

Die Ansicht, dass Ansprüche auf Versicherungsleistungen und „die als Anwartschaft zu bezeichnende Position“ bis zum Eintritt des Versicherungsfalles Eigentumsschutz genießen,429 „wenn sie Äquivalent und Ausdruck eigener Leistung sind“, ist herrschend geworden.430

435

Dagegen werden Ansprüche, die der Staat selbst erst geschaffen hat, und Leistungen, die er „in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht gewährt“,431 nicht als eigentumsähnlich angesehen. Ob der Eigentumsschutz auch die im Sozialversicherungsrecht (§ 63 Abs. 7 SGB VI) vorgesehene jährliche Rentenanpassung umfasst, hat das Bundesverfassungsgericht432 ausdrücklich offengelassen.

436

Insgesamt machen Rechtsprechung, insbesondere die des Bundesverfassungsgerichts, und Schrifttum den Eigentumsschutz für sozialversicherungsrechtliche Positionen davon abhängig, dass eine vermögenswerte Rechtsposition „nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet“ wird, zusätzlich „auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient“.433

437

Ansprüche und Anwartschaften werden allerdings nicht aufgeteilt. Vielmehr erfasst Art. 14 GG den Anspruch und die Anwartschaft als Ganzes und nur die Intensität des Eigentumsschutzes hängt vom Ausmaß der eigenen Leistung ab.434 Allerdings unterliegt der Gesetzgeber bei Eingriffen „in die Summe der beitragsfinanzierten Entgeltpunkte“ als Ergebnis der Beitragsleistung einem wesentlichen

428

BSGE 9, 127 (128) unter Hinweis auf E 5, 40 (42 ff.). BSGE 20, 28 (34); s. auch E 33, 177 (178); 37, 206 (210); 38, 98 (103); 41, 177 (185); 43, 128 (130). 430 Vgl. BSGE 25, 170 (173); s. auch E 26, 255 (257); s. ferner die Nachweise RN 432. 431 BSGE 37, 206 (210). 432 BVerfGE 64, 87 (97 f.); 100, 1 (44); 112, 368 (396); BVerfG (Kammer) v. 26.7. 2007, DÖV 2007, S. 1013; vgl. auch BSGE 90, 11 (19). 433 BVerfGE 53, 257 (291 f.); 55, 114 (131); 58, 81 (112); 69, 272 (301); 70, 101 (110); 72, 9 (18 f.); 74, 9 (25); 74, 203 (213); 76, 220 (235); 92, 365 (405); 97, 271 (284); 100, 1 (33); 112, 368 (396); 116, 96 (122); 117, 272 (292); 126, 369 (390); 128, 90 (101). Papier, in: Maunz/Dürig, GG (LitVerz.), Art. 14 RN 129 ff. m.w. N. 434 Vgl. BVerfGE 53, 257 (292); 58, 81 (109); 100, 1 (32 f.); 117, 272 (293); 122, 151 (181); 128, 138 (147). 429

172

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

engeren Gestaltungsraum als bei der Bestimmung des für die Rentenhöhe maßgeblichen aktuellen Rentenwertes.435 438

Dabei darf die Voraussetzung der „nicht unerheblichen Eigenleistungen“ nicht mißverstanden werden. Eigenleistung ist nicht identisch mit „Beitragsleistung“ und schon gar nicht mit „eigener Beitragsleistung“. Das Bundesverfassungsgericht436 stellt auf die „persönliche Arbeitsleistung des Versicherten“ ab, weshalb es auch die Arbeitgeberanteile in der gesetzlichen Sozialversicherung zu den „eigentumsrelevanten Eigenleistungen des Arbeitnehmers“ rechnet.

439

Bedenklich erscheint es, dass das Bundesverfassungsgericht437 die Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG zurechnet, weil nach seiner Auffassung die Hinterbliebenenrenten nicht auf einer dem Versicherten zurechenbaren Eigenleistung beruhen und der personale Bezug zwischen der Beitragsleistung des Versicherten und der später an seine Hinterbliebenen geleisteten Rente entfällt. Hierbei hat das Gericht nicht hinreichend gewürdigt, dass der Sozialversicherte (ähnlich wie der Beamte) die Leistungen zugleich im Interesse seiner Familie erbringt, so dass deren spätere Versorgung auf seine Eigenleistung zurückgeht. Dass Ledige Beiträge in derselben Höhe zahlen wie Verheiratete, ist ein Element des sozialen Ausgleichs innerhalb der Sozialversicherung, die eben nicht ausschließlich vom Versicherungsprinzip geprägt ist, sondern wesentlich auf dem Gedanken des sozialen Ausgleichs beruht.438

440

Die Entscheidung zeigt zugleich, wie schwierig die Abgrenzung zwischen eigentumsgeschützten und von Art. 14 GG nicht erfassten sozialversicherungsrechtlichen Positionen ist. Einleuchtend ist es dagegen, dass der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterfällt, weil die „nicht unerheblichen Eigenleistungen“ fehlen439 und „Rechtsstellungen und gesetzliche Ansprüche, soweit sie vorwiegend auf staatlicher Gewährung beruhen“, nicht von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind.440

435 Franz Ruland, Die „Einschnitte bei den Renten“ als (verfassungs-)rechtliches Problem, Mitteilungen der Bayerischen Landesversicherungsanstalten, 2005, S. 218 (226). 436 E 69, 272 (301 f.). 437 E 97, 271 (284 f.); s. auch E 55, 114 (131 f.); 58, 81 (110); 113, 167 (197); BVerfG (Kammer) NVwZ-RR 2010, S. 505 (507); ferner Butzer, Im Widerstreit: Der Eigentumsschutz von Hinterbliebenenrenten, in: Depenheuer/Heintzen/Jestaedt/Axer (Hg.), Staat und Wort, Festschrift für Josef Isensee, 2007, S. 667 ff.; Manuel Mielke, Verfassungsfragen des Rechts der Witwen- und Witwerrenten, 2011. 438 Vgl. BVerfGE 70, 101 (111); 76, 256 (300 f.); 97, 271 (285); 116, 96 (125); 117, 272 (294); 122, 151 (175). 439 BVerfGE 128, 90 (101). 440 BVerfGE 128, 90 (101).

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

173

c) Erfordernis von Leistungen an inländische Rentenversicherungsträger 441

Die den sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen und Anwartschaften zugrunde liegenden Eigenleistungen der Versicherungspflichtigen werden in der Regel an den zuständigen deutschen Rentenversicherungsträger erbracht. Dies gilt jedoch nicht für eingegliederte Deutsche, die vor (und teilweise noch nach) 1945 außerhalb der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt und dort rentenversichert waren; die von diesem Personenkreis erbrachten Eigenleistungen sind jedenfalls nicht der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland zugute gekommen.

442

Hatte das Bundesverfassungsgericht441 diese Frage anfangs nicht für entscheidungserheblich gehalten, so hat es später die durch das Fremdrentengesetz begründeten Rentenanwartschaften nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unterstellt, wenn ihnen ausschließlich Beitrags- und Beschäftigungszeiten zugrunde lagen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt wurden.442 d) Die in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG durch den Einigungsvertrag einbezogenen Versorgungsansprüche und -anwartschaften

443

Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Fremdrentengesetz hat auch Hans-Jürgen Papier443 eine Bindung des grundrechtsverpflichteten Gesetzgebers an Art. 14 GG dann verneint, wenn dieser „Fragen der Beendigung, der Überleitung oder Anpassung von Rechtspositionen regelt, die von der nicht durch das Grundgesetz legitimierten Staatsgewalt der DDR, also von ,früheren Rechtsträgern der deutschen Staatsgewalt‘ (BVerfGE 41, S. 151) konstituiert worden sind“.

444

Demgegenüber war im Schrifttum auch die Auffassung vertreten worden, dass durch Art. 20 Abs. 3 des Staatsvertrages (Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik444 und die dort vorgesehene Über441

BVerfGE 29, 22 (34). BVerfGE 116, 96 (121, 123); 126, 369 (391); BVerfGK 8, 338 (340); BVerfG (Kammer) NJW 1998, S. 2963 (2964); Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 RN 134 (Stand: Juli 2010). 443 Hans-Jürgen Papier, Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Versorgungsüberleitung, München 1994, S. 26 f.; ders., Die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes, DRV 1994, S. 840 (844 ff.); ebenso Heintzen, Vergangenheitsbewältigung durch Rentenversicherungsrecht – dargestellt am Beispiel der hauptberuflichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, VSSR 1995, S. 1 (19 f.). 444 v. 18.5.1990 (BGB II S. 537). 442

174

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

führung der erworbenen Ansprüche und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen in die Rentenversicherung eine Bestandsgarantie abgegeben worden war, die der Einigungsvertrag445 bekräftigt hat. Damit sei gleichsam ein „Ergebnisschutz“ garantiert worden, der die in den Versorgungssystemen „erworbenen Ansprüche und Anwartschaften“ wie ein „Sozialversicherungssaldo“ – lediglich unter dem Vorbehalt des Abbaus ungerechtfertigter und überhöhter Leistungen – in ein neues System überführen wollte, so dass diese vom Einigungsvertrag neu begründeten Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland Gegenstand der Eigentumsgarantie geworden sind.446 445

Seit seinen Leitentscheidungen im Jahre 1999 ist es ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die „in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen und im Einigungsvertrag nach dessen Maßgaben als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannten Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen . . . den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG“ genießen.447

446

Wesentliches Argument für das Gericht ist, dass die Bundesrepublik Deutschland durch den Einigungsvertrag „in die nach den Versorgungsordnungen der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme begründeten leistungsrechtlichen Beziehungen grundsätzlich“ eintrete.448

447

Mit ihrer Anerkennung durch den Einigungsvertrag haben die in den Versorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG erlangt.449

445

Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Satz 1 EV. Vgl. Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung (Rechtsgutachten), 2. Aufl., 1994, insb. S. 77 ff. 447 BVerfGE 100, 1 (32 f., 37, 49); 100, 59 (97 f.); 100, 138 (182); 116, 96 (123); 126, 233 (256); vgl. auch schon E 91, 294 (308); ferner BSG SGb. 1995, S. 37 (39 f.); Udo Steiner, Verfassungsrechtliche Fragen der Überleitung des Alterssicherungssystems der Deutschen Demokratischen Republik in die gesamtdeutsche gesetzliche Rentenversicherung, in: Ulrich Becker u. a. (Hg.), Alterssicherung in Deutschland, FS Ruland, 2007, S. 315 (321 ff.); ders., Verfassungsfragen der deutschen Wiedervereinigung im Sozialrecht, NZS 2010, S. 529 (531 ff.); s. auch oben RN 147 f., 153 f. 448 BVerfGE 100, 1 (34). 449 BVerfGE 100, 1 (33); s. ferner die Nachweise oben RN 445; vgl. auch Heine, Die Bedeutung der Eigentumsgarantie bei der Überleitung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung, VSSR 2003, S. 317 ff. 446

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

175

B. Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums durch den Gesetzgeber I. Zur grundsätzlichen Gestaltungsbefugnis 448

Die angeborene Achillesferse der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie stellt die mangelnde Konsistenz des Schutzbereichs dar. Denn gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG werden nicht nur Schranken, sondern auch Inhalt des Eigentums (und Erbrechts) „durch die Gesetze bestimmt“. Die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers erstreckt sich auch auf eigentumsähnliche Rechte, also auch auf sozialversicherungsrechtliche Renten und Rentenanwartschaften, wobei der Gesetzgeber allerdings dort an Grenzen stößt, wo Ansprüche und Anwartschaften durch eigene Leistungen des Versicherten geprägt sind.450 II. Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit infolge des Einigungsvertrags

449

Die Überführung der Rechtspositionen aus den Versorgungssystemen durch den Einigungsvertrag und die dadurch vermittelte Schutzposition zieht einer späteren Abänderbarkeit durch den deutschen Gesetzgeber Grenzen. Zwar hat der Einigungsvertrag im ganzen keinen Verfassungsrang, da das Grundgesetz gemäß Art. 79 Abs. 1 Satz 1 nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Diesem Gebot der Verfassungstextänderung genügt der Einigungsvertrag lediglich in seinem Art. 4 in Verbindung mit Art. 1 Satz 1 des Einigungsvertrags-Gesetzes. Folgerichtig heißt es daher auch in der Begründung zum Einigungsvertragsgesetz,451 dass die Zustimmung zum Einigungsvertrag mit qualifizierter Mehrheit erforderlich sei, weil der Vertrag in Art. 4 Änderungen des Grundgesetzes enthalte.452

450

Durch das Einigungsvertragsgesetz ist der (quasi-)völkerrechtliche Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik transformiert und dem Vertragsinhalt die Geltung als innerstaatliches deutsches Recht verliehen worden. Damit hat dieser Vertrag mit Ausnahme seines Art. 4 den Rang eines einfachen (förmlichen) Bundesgesetzes, wie auch sein Art. 45 Abs. 2 ausweist. Er unterliegt wie anderes Bundesrecht der lex posterior-Regel und kann durch spätere Bundesgesetze modifiziert werden.453 450

Vgl. BVerfGE 100, 1 (38); 117, 272 (294); Jarass, NZS 1997, S. 547 f. v. 23.9.1990 (BGBl. II S. 885); auch abgedr. bei Stern/Schmidt-Bleibtreu, Einigungsvertrag, 1990, S. 185 ff. 452 BT-Drucks. 11/7760, S. V ff.; hierzu auch Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., 1994, S. 89 ff.; ders., Grundfragen des Einigungsvertrags unter Berücksichtigung beamtenrechtlicher Probleme, 1991, S. 60 ff. 453 Vgl. Merten, Verfassungsprobleme a. a. O., S. 90 f. 451

176

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

451

Andererseits sind die Wirkungen des (quasi-)völkerrechtlichen Vertrages mit dem Untergang der DDR als Staat nicht entfallen. Das Völkerrecht macht ohnehin von dem Grundsatz, dass mit dem vollständigen Untergang eines Staates die von ihm abgeschlossenen Verträge erlöschen, dann eine Ausnahme, wenn dieser Staat (z. B. im Falle eines Staatenzusammenschlusses) nicht vollständig seine Existenz verliert, sondern partielle Völkerrechtssubjekte (z. B. in Gestalt von Ländern) hinterlässt.454

452

Ungeachtet dessen gestattet der Einigungsvertrag in seinem Art. 44 den neuen Ländern die Geltendmachung von Rechten, die im Einigungsvertrag der DDR eingeräumt wurden. Diese sind damit aus (quasi-)völkerrechtlichen Gründen dem Zugriff des Bundesgesetzgebers entzogen.455 Hinzu kommt, dass die durch den Einigungsvertrag den Bewohnern der DDR verliehenen Rechte nicht mit der DDR untergehen, sondern diese überleben sollten.

453

Nicht ohne Grund betont das Bundesverfassungsgericht in einer ständigen Formulierung, dass sich der Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auf die „in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen und im Einigungsvertrag nach dessen Maßgaben als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannten Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen“ erstrecke.456 Daher hat es das Gericht auch als einen Eingriff „in eine durch das Eigentumsrecht des Art. 14 GG geschützte Rechtsposition“ angesehen, dass der Bundesgesetzgeber den „im Einigungsvertrag garantierte[n] Zahlbetrag der Leistungen des Sonderversorgungssystems des MfS/AfNS“ gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AAÜG herabgesetzt hatte.457

454

Daraus folgt, dass der Bundesgesetzgeber die „Maßgaben“ des Einigungsvertrages hinsichtlich der anerkannten Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatzund Sonderversorgungssystemen als eigentumsrechtliche Rechtspositionen nicht im Rahmen seiner Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) umgestalten darf, sondern diese zu respektieren hat. Der Gesetzgeber darf die Vorgaben des Einigungsvertrags (Abbau überhöhter Leistungen etc.) zwar ausführen und ausgestalten, diese aber nicht verbösern. Auch bei der Ausgestaltung ist er allerdings an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden, so dass unverhältnismäßige Eingriffe in die Eigentumsposition,

454 Vgl. BVerfGE 3, 267 (279 f.); 4, 250 (267 f.); 22, 221 (231); 34, 216 (226 f.); 38, 231 (237); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, § 985, S. 615 f.; Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., S. 78. 455 Vgl. auch Eckart Klein, Der Einigungsvertrag, in: Alexander Fischer u. a. (Hg.), Auf dem Weg zur Realisierung der Einheit Deutschlands, 1992, S. 39 ff. (44). 456 BVerfGE 100, 1 (32); 100, 59 (97 f.); 100, 138 (182); vgl. auch E 112, 368 (396); 116, 96 (123); 126, 233 (261). 457 BVerfGE 100, 138 (184); s. auch oben RN 148.

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

177

die beispielsweise „den Zweck einer bedürftigkeitsunabhängigen Sicherung nach einem vollen Versicherungsleben“ nicht mehr erfüllt, verfassungswidrig sind.458 455

Nur wenn es sich nicht um belastendes Sonderrecht für Versorgungsberechtigte handelt, das im Einigungsvertrag keine Grundlage findet, kann der Gesetzgeber im Rahmen seines Rechts zur Inhalts- und Schrankenbestimmung das Rentenversicherungsrecht umgestalten, weil es dann alle Sozialversicherten (und in diesem Rahmen auch die Versorgungsberechtigten) belastet.459 So kann der Gesetzgeber beispielsweise die Altersgrenzen erhöhen, wobei er allerdings bei allen benachteiligenden sozialversicherungsrechtlichen Maßnahmen an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden ist.460

C. Die Schrankenschranke der Verhältnismäßigkeit I. Verfassungslegitimität von Ziel und Mittel 456

Die Verhältnismäßigkeit einer gesetzlichen Eigentumsbeschränkung setzt zunächst voraus, dass Ziel und Mittel des Eingriffs verfassungslegitim sind. Die Verfassungslegitimität kann sich entweder aus der Verfassung ergeben oder eine sachgerechte und vernünftige Erwägung des Gemeinwohls darstellen, die der Wertordnung des Grundgesetzes nicht widerspricht.461 1. Verfassungsillegitime Ziele a) Leistungsfähigkeit des Sozialversicherungssystems

457

Das Bundesverfassungsgericht bejaht in ständiger Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung sozialversicherungsrechtlicher Positionen, wenn sie dazu dienen, „die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen.“ 462

458

Da jedoch die durch die Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus dem Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS entstehenden Mehraufwendungen 458

BVerfGE 100, 138 (182). Vgl. BVerfGE 53, 257 (293); 58, 81 (110); 75, 78 (97 f.); 116, 96 (114); 117, 272 (297); 122, 151 (187). 460 BVerfGE 36, 281 (293 f.); 58, 81 (121); 75, 78 (97); 76, 220 (238); 90, 145 (173); 92, 262 (273); 110, 1 (28); 122, 151 (185); Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz, 11. Aufl., 2011, Art. 14 RN 38 ff. 461 Vgl. BVerfGE 39, 210 (225 sub C I 1); 58, 81 (110); 31, 275 (290); s. auch oben RN 301. 462 BVerfGE 117, 272 (297); 116, 96 (126); 103, 392 (404); 97, 271 (286); 58, 81 (110); 53, 257 (293). 459

178

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

vom Bund getragen und nicht von den Sozialversicherungsträgern erbracht werden,463 kommen Leistungskürzungen nicht der Sozialversicherung zugute, so dass es von vornherein für entsprechende Regelungen an der Legitimität von Ziel und Mittel fehlt und der Eingriff im Übrigen auch im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht geeignet wäre, da von ihm kein positiver Effekt auf das Sozialversicherungssystem ausginge.464 b) Versorgungssituation der „Täter“ und Rentensituation der „Opfer“ 459

Auch der im politischen und parlamentarischen Raum häufig gezogene Vergleich der Rentensituation der „Opfer“ mit der (besseren) Versorgungssituation der „Täter“ 465 vermag eine eigentumsrelevante Beschränkungsregelung nicht zu legitimieren. Die „Täter“-Terminologie missachtet nicht nur den verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz und die Unschuldsvermutung, verkennt nicht nur die Wertfreiheit des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung,466 sondern vermengt auch Unvergleichbares. Denn die Altersversorgung der Benachteiligten und Opfer der SED-Herrschaft hängt in keiner Weise – auch nicht finanziell – mit der Versorgungsüberleitung zusammen. Daher kann eine Unausgewogenheit des Rentenrechts in dieser Beziehung nicht einen Eingriff in Versorgungsansprüche und -anwartschaften legitimieren, worauf auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hinweist.467 Im Übrigen haben sich durch rentenversicherungsrechtliche Maßnahmen des Gesetzgebers die durchschnittlichen Renten aus der Sozialpflichtversicherung der DDR durchschnittlich auf das Zweieinhalbfache des Westmark-Betrags erhöht, so dass Gerhard A. Ritter die Masse der Rentner der DDR „zu den klaren Gewinnern der deutschen Einheit“ zählt.468 2. Vorgaben des Einigungsvertrags als legitime Ziele a) Abbau „überhöhter Leistungen“

460

Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht die Umsetzung der Vorgaben des Einigungsvertrags im Rahmen der Versorgungsüberleitung als legitime gesetzgeberische Ziele anerkannt. Das gilt zum einen für den Abbau „überhöhter Leistun-

463

Vgl. Anl. II Kap. VIII Sachg. H Abschn. III Nr. 9 lit. d Satz 2 EV; § 15 AAÜG. In diesem Sinne auch BVerfGE 100, 138 (188 f.); 100, 1 (52); s. auch oben RN 151. 465 s. die Nachweise oben RN 95, 97, 121, 164. 466 s. oben RN 417 ff. 467 BVerfGE 111, 115 (144 f.); s. auch oben RN 198. 468 Gerhard A. Ritter, Sozialpolitik in der deutschen Wiedervereinigung, ZSR 55 (2009), S. 57 (64); s. weiterhin oben RN 1. 464

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

179

gen“, wenn sie „auf das durch Arbeit und Leistung gerechtfertigte Maß“ zurückgeführt werden.469 b) Abschaffung „ungerechtfertigter Leistungen“ 461

Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht die Abschaffung „ungerechtfertigter Leistungen“, also von „Versorgungszusagen, denen keine Arbeitsleistung entsprach, sondern die „allein politisch motiviert[en]“ waren, als legitim angesehen,470 was allerdings nicht gestatte, aus der „Staats- und Systemnähe“ der Berufstätigkeit zu folgern, dass Entgeltbezieher „nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt[e]“ Einkommen erhalten haben,471 weshalb der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG n. F. in vom Gericht nicht beanstandeter Weise „eine besondere Systemnähe und damit verbundene ungerechtfertigte Entgeltvorteile nur bei Trägern höchster Funktionen im unmittelbaren Bereich der Exekutive angenommen“ und auf diese die Rentenbegrenzung beschränkt hat.472 c) Ahndung von Verstößen gegen die „Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit“

462

Schließlich wäre die im Einigungsvertrag vorgesehene Kürzung oder Aberkennung von Ansprüchen und Anwartschaften bei Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit sowie im Falle des Missbrauchs legitim und verfassungsrechtlich unbedenklich gewesen.473

463

Verfassungswidrig und daher illegitim wäre es jedoch, unter Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Schuldprinzip ohne den Nachweis individueller Schuld allein mit dem Hinweis auf eine Vergangenheitsbelastung des MfS eine Eigentumsbeschränkung pauschal für bestimmte Gruppen der Versorgungsberechtigten vorzunehmen.474 II. Eignung des Mittels

464

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt weiterhin ein geeignetes oder zwecktaugliches Mittel. Eine Eigentumsbeschränkung ist daher nur dann verfassungsgemäß, wenn sie imstande ist, ein verfassungslegitimes Ziel, z. B. den Abbau überhöhter oder die Abschaffung ungerechtfertigter Leistungen zu erreichen. 469

BVerfGE 100, 59 (93 oben); s. auch oben RN 128. BVerfGE 100, 59 (95); 111, 115 (139 f. sub C I 3); 126, 233 (267); s. auch oben RN 130, 191, 242. 471 BVerfGE 100, 59 (95). 472 BVerfGE 126, 233 (267); s. oben RN 242. 473 Vgl. BVerfGE 104, 126 (148); s. hierzu oben RN 75. 474 Vgl. BVerfGE 93, 213 (246); s. ferner oben RN 75, 89 ff., RN 417. 470

180

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Dabei darf der Gesetzgeber zur Regelung von Massenerscheinungen oder Massenvorgängen, wie bereits erwähnt,475 pauschalierende, typisierende und generalisierende Normen erlassen, wobei ihm insbesondere bei der Neuordnung sozialrechtlicher Verhältnisse in der Folge der Wiedervereinigung eine besondere Gestaltungsfreiheit zur Verfügung stand.476 1. Ungeeignete Typisierungen 465

Allerdings kann auch in diesem Rahmen eine Typisierung unzulässig sein, insbesondere wenn der Gesetzgeber die einschlägigen „Merkmale einer Typisierung oder Pauschalierung“ verfehlt477 oder die Grenzen gesetzgeberischer Typisierungsbefugnis nicht einhält.478

466

Nicht geeignet ist eine Typisierung insbesondere dann, wenn „der Gesetzgeber an Merkmale anknüpft, die allein nicht als Indikatoren für ein überhöhtes Entgelt ausreichen“.479 Bei Rentenkürzungen im Rahmen der Rentenüberleitung wegen Zahlung überhöhter Entgelte muss „hinreichend sichergestellt“ sein, dass die Kürzung nur solche Personen betrifft, „denen tatsächlich überhöhte Entgelte bezahlt worden waren“.480 a) Unterscheidung zwischen „überhöhten Leistungen“ und „überhöhten Entgelten“

467

Dabei ist ohnehin zu berücksichtigen, dass sich das – auch durch den Einigungsvertrag vorgegebene – legitime Ziel einer gesetzgeberischen Kürzung darauf richten muss, „ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen“, nicht aber ungerechtfertigte oder überhöhte Entgelte, die in der DDR gezahlt wurden, zu ahnden oder an den Pranger zu stellen. Die „Beseitigung ungerechtfertigter und überhöhter Leistungen soll nach den Kriterien der Sozialversicherung“ erfolgen, wie es in den Erläuterungen zu den Anlagen des Einigungsvertrags ausdrücklich heißt.481 b) Auswirkungen der „Beitragsbemessungsgrenze“

468

Die saubere Trennung von ungerechtfertigten bzw. überhöhten Einkommen und ungerechtfertigten bzw. überhöhten Leistungen ist deshalb so wichtig, weil 475 476 477 478 479 480 481

s. oben RN 307 ff. Vgl. oben RN 292 f. m.w. N., s. auch RN 130, 197. BVerfGE 111, 115 (143 sub C I 3 e); s. auch oben RN 197. Zu diesen oben RN 314. BVerfGE 100, 59 (98). BVerfGE 100, 59 (98); s. auch oben RN 136. BT-Drucks. 11/7817 v. 10.9.1990, zu Sachgeb. H, Abschn. III Nr. 9, S. 157 r. Sp.

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

181

ohnehin ungerechtfertigte bzw. überhöhte Einkommen infolge des Mechanismus der Versorgungsüberleitung insofern nicht berücksichtigt werden, als sie die (westdeutsche) Beitragsbemessungsgrenze überstiegen, obwohl von den Versorgungsberechtigten auch für diesen Teil ihres Einkommens Beiträge bezahlt wurden. Für die die Beitragsbemessungsgrenze übersteigenden Einkommen kann es also von vornherein nicht zu „ungerechtfertigten“ oder „überhöhten Leistungen“ der Sozialversicherung kommen. Ob diese Folge der Versorgungsüberleitung durch die gesetzliche Rentenversicherung bei Abschluss des Einigungsvertrages insbesondere der DDR als Vertragspartner bewusst war, erscheint nicht zweifelsfrei.482 469

Darüber hinaus ist sie entgegen der herrschenden Meinung auch nicht zwingende Folge einer „Systementscheidung“ für die gesetzliche Rentenversicherung,483 da im Falle der Rückgliederung des Saarlandes in das Bundesgebiet der Sondersituation durch eine Privilegierung „saarländischer Beiträge“ Rechnung getragen wurde.484

470

Jedenfalls hat die „Systementscheidung“ 485 und die daraus resultierende nachträgliche Einführung der (westdeutschen) Beitragsbemessungsgrenze, die für Versorgungsberechtigte mit höherem Einkommen als Kappungsgrenze wirkte, eine Reihe von Nachteilen gebracht,486 worauf auch das Bundesverfassungsgericht hinweist.487 c) Beachtung des Verbots einer „Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ aa) Begriff der „öffentlichen Versorgungssysteme“

471

Werden durch die Beitragsbemessungsgrenze ohnehin „neben hohen auch überhöhte Rentenansprüche“ vermindert,488 so ist für eine weitere Senkung rentenversicherungsrechtlicher Leistungen die in der allgemeinen Diskussion vielfach nicht beachtete Vorgabe des Einigungsvertrages zu berücksichtigen, dass bei der Abschaffung ungerechtfertigter und dem Abbau überhöhter Leistungen (nur) „eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen nicht erfolgen darf“.489 482 Hierzu auch Detlef Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., 1994, S. 108 ff. 483 Vgl. BSGE 72, 65 (67). 484 Vgl. hierzu oben RN 27 ff., 81 ff. 485 s. oben RN 27 ff. 486 s. oben RN 28. 487 BVerfGE 100, 59 (93); vgl. auch E 100, 1 (48); s. ferner oben RN 30. 488 BVerfGE 100, 59 (93); s. oben RN 30. 489 Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Satz 3 Nr. 1 letzter Satzteil EV.

182

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

472

Dass mit „öffentlichen Versorgungssystemen“ in einer juristisch nicht präzisen Terminologie öffentlich-rechtliche Versorgungssysteme gemeint sind, folgt schon aus der wörtlichen Interpretation. Denn „öffentlich“ ist Ausdruck einer Beziehung zum Staat und anderen öffentlichen Rechtssubjekten, wie die Begriffe „öffentliche Gewalt“ und „öffentliches Amt“ verdeutlichen.490 Dieses Ergebnis wird durch den systematischen Zusammenhang bestätigt, da die einschlägige Textstelle des Einigungsvertrages zwischen „Versorgungssystemen“ einerseits und der „Sozialversicherung“ sowie der „Rentenversicherung“ andererseits differenziert, wie auch die begriffliche Trennung zwischen „Sozialversicherung“, „Fürsorge“ und „Versorgung“ zum elementaren und überkommenen Gerüst des Sozialrechts gehört.491 Auch an anderer Stelle verweist der Einigungsvertrag hinsichtlich der angemessenen Bezüge „für Angehörige der Nationalen Volksarmee“ auf die „Angemessenheit im Verhältnis zu den Regelungen in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes“.492

473

Nach allem sind daher unter „öffentlichen Versorgungssystemen“ im Sinne des Einigungsvertrages öffentlich-rechtliche Versorgungssysteme, d.h. die Beamtenversorgung und die nach deren Vorbild errichteten Versorgungssysteme zu verstehen, während die gesetzliche Rentenversicherung aus begrifflichen, systematischen und teleologischen Gründen als Vergleichsmaßstab auszuscheiden hat. bb) Unterscheidung zwischen „Versorgungsleistungen“ und „Versicherungsleistungen“

474

Sind die „vergleichbaren Ansprüche[n] und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ Richtgröße, so sind deren Versorgungsleistungen auf der einen Seite mit den von den Versorgungsberechtigten nach der Versorgungsüberleitung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erzielten Ansprüchen und Anwartschaften auf der anderen Seite, nicht aber die jeweils erzielten individuellen Einkommen miteinander zu vergleichen. Denn selbst bei Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung sind die Leistungen aus „öffentlichen Versorgungssystemen“, insbesondere aus der Beamtenversorgung günstiger, weil eine „Versorgung aus dem letzten Amt“ stattfindet.493

490 Vgl. hierzu Wolfgang Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, passim, insb. S. 81 ff. 491 Vgl. statt aller Georg Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, 1965, S. 31 ff. 492 Anl. II Kap. IX Sachgeb. B Abschn. III Nr. 2 lit. a EV. 493 Vgl. § 5 Abs. 1 Beamtenversorgungsgesetz i. d. F. v. 25.2.1010 (BGBl. I S. 150), auch BVerfGE 117, 372; 61, 43 (49 ff.); s. auch oben RN 83.

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

183

475

Demgegenüber handelt es sich bei der Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung um einen Durchschnittswert, der das Lebenseinkommen des Versicherten (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) widerspiegelt, weil sich die Rentenhöhe „vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen“ richtet (§ 63 Abs. 1 SGB VI). Das bedeutet, dass z. B. ein Beamter, der zum Zeitpunkt seiner Versetzung in den Ruhestand unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze niedrigere Bezüge erhält als ein vergleichbarer Sozialversicherter, dennoch höhere Versorgungsleistungen erzielen kann, weil für ihn – vereinfachend formuliert – die Höhe der letzten Bezüge maßgebend ist, während bei dem Sozialversicherten das in der Regel höhere Arbeitseinkommen am Ende des Versicherungslebens durch niedrigere Einkommen am Anfang des Berufslebens abgesenkt wird und am Ende ein Durchschnittswert ausschlaggebend ist.

476

Damit ergibt sich für die infolge der Versorgungsüberleitung in die gesetzliche Rentenversicherung eingegliederten Versorgungsberechtigten neben der Anspruchsverringerung infolge nachträglicher Einführung der (westdeutschen) Beitragsbemessungsgrenze als zusätzlicher Nachteil eine Minderung infolge des mit dem Rentenberechnungsmodus regelmäßig verbundenen niedrigeren Lebens-Durchschnittswerts im Vergleich mit dem für die Versorgungssysteme ausschlaggebenden Letztzeit-Wertes.494

477

Auch dieser Systemnachteil macht deutlich, dass für die Beurteilung des Vorliegens „überhöhter Leistungen“ nicht die erzielten Arbeitsentgelte herangezogen werden können, sondern die Ansprüche und Anwartschaften der Versorgungsberechtigten als Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung mit den Leistungen vergleichbarer Berechtigter aus öffentlich-rechtlichen Versorgungssystemen verglichen werden müssen. 2. Ungeeignete Anknüpfungspunkte

478

An der Geeignetheit einer eigentumsbeschränkenden Maßnahme fehlt es insbesondere, wenn der Gesetzgeber an Merkmale anknüpft, „die allein nicht als Indikatoren für ein überhöhtes Entgelt ausreichen“ können und bei denen nicht „hinreichend sichergestellt“ ist, dass die Kürzung nur solche Personen trifft, denen tatsächlich überhöhte, d.h. nicht auf Arbeit und Leistung beruhende Entgelte bezahlt worden sind,495 wobei es letztlich, wie soeben dargestellt, nicht auf das „überhöhte[s] Entgelt“, sondern entsprechend den Vorgaben des Einigungsvertrags auf „überhöhte Leistungen“ der Sozialversicherung ankommt. Kürzt der Gesetzgeber wie im Falle des § 7 AAÜG die tatsächlich erzielten Einkommen oberhalb des Durchschnittsentgelts, so muss diese Regelung auf Tatsachen beru494 495

Vgl. hierzu näher BVerfGE 100, 138 (141). BVerfGE 100, 59 (98); s. auch oben RN 136.

184

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

hen, „die die Annahme rechtfertigen, . . . dass Entgelte ab den vom Gesetzgeber festgelegten Grenzen als überhöht angesehen werden müssen.496 479

Dabei hat das Gericht für § 6 Abs. 2 AAÜG a. F. darauf hingewiesen, der Gesetzgeber habe nicht „generell“ annehmen dürfen, dass „in der Deutschen Demokratischen Republik ab einer bestimmten Schwelle überhöhte Arbeitsentgelte“ gezahlt wurden.497

480

Das Gericht hält eine Gleichstellung von „hohem Einkommen“ und „überhöhtem Einkommen“ für unzulässig498 und erachtet die Annahme als fehlerhaft, dass Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen „oberhalb des Durchschnittsentgelts nicht mehr durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt sein soll“ und deshalb bei der „Rentenberechnung unberücksichtigt bleiben“ dürfe.499

481

Selbst Leitungsfunktionen dürften nicht ohne tatsächliche Anhaltspunkte und ohne „Vergleich zu anderen ebenfalls leitenden Positionen in der Deutschen Demokratischen Republik“ als mit „überhöhten“ Entgelten verknüpft angesehen werden.500

482

Auch „aus der ,Staats- und Systemnähe‘ der Berufstätigkeit“ folgt nach Auffassung des Gerichts nicht, dass die entsprechenden Personengruppen Entgelte erhalten haben, „die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt und insoweit überhöht waren.501

483

Da die Sondersituation, die das Bundesverfassungsgericht bisher für das Versorgungssystem des MfS/AfNS angenommen hat, inzwischen entfallen ist,502 sind die vorstehenden vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze auch auf § 7 AAÜG anwendbar.

484

Zu Recht fordert das Bundesverfassungsgericht, dass für die Entgeltbegrenzung „ein sachgerechter Kürzungsmechanismus gewählt“ werden müsse, der sich „auf Erkenntnisse zur wirklichen Verteilung überhöhter Arbeitsverdienste im Bereich zwischen dem Durchschnittsentgelt und Entgelten einer Beitragsbemessungsgrenze stützen“ könne.503 Dieser kann keinesfalls daran gesehen werden, dass der Gesetzgeber wie im Falle des § 7 AAÜG alle das Durchschnittsentgelt übersteigenden individuellen Arbeitsentgelte „fallbeilartig“ auf das Durchschnittseinkommen kürzt.504 Damit führt § 7 AAÜG zu keiner Reduzierung über496

BVerfGE 100, 59 (93 f.); s. auch oben RN 128. BVerfGE a. a. O., S. 94; ebenso E 111, 115 (138); s. auch oben RN 129, 189. 498 BVerfGE 111, 115 (141); ebenso E 100, 59 (97); s. auch oben RN 132, 193. 499 BVerfGE 100, 59 (97); s. auch oben RN 132. 500 BVerfGE 100, 59 (100); s. auch oben RN 133. 501 BVerfGE 100, 59 (95); s. auch oben RN 130. 502 Hierzu unten 7. Kapitel RN 498 ff. 503 BVerfGE 111, 115 (138 f.); s. auch E 100, 59 (97); vgl. ferner oben RN 190. 504 Vgl. BVerfGE 111, 115 (143 sub C I 3 e) unter Hinweis auf E 100, 59 (97); vgl. auch oben RN 197. 497

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

185

höhter Leistungen der Sozialversicherung, wie sie im Einigungsvertrag vorgesehen ist, sondern schafft eine allgemeine Nivellierung der Leistungen, wobei sich Versorgungsberechtigte nach § 7 AAÜG nur noch durch unterdurchschnittliche oder durchschnittliche Leistungen unterscheiden. Eine derartige „Einebnungsfunktion“ hatte der Einigungsvertrag aber gerade nicht angestrebt.505 485

Dass eine Mammutbehörde mit über 90.000 Mitarbeitern,506 insbesondere im Hinblick auf ihre Bedeutung für das System der DDR und angesichts der erforderlichen hochmodernen Technik nur Angehörige benötigen sollte, bei denen lediglich ein Durchschnittseinkommen für „das durch Arbeit und Leistung gerechtfertigte Maß“ der Vergütung507 angemessen war, entbehrt von vornherein jeder Schlüssigkeit, zumal nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts eine bloße „Staats- und Systemnähe“ kein Indiz für eine nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigte Entgeltzahlung ist.508

486

Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht509 einen Verstoß gegen Art. 14 GG verneint, wenn „politisch motivierte[n] Einkommensteile“ bei der Versorgungsüberleitung unberücksichtigt bleiben, wobei es „hinreichende Anknüpfungspunkte für die typisierende Rentenbegrenzung“ in der durch die „Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Mitarbeiter des Staatsapparates nachgewiesene Systemnähe und darüber hinaus noch die im Staatsapparat erreichte Höhe im System“ gesehen hat. Die Entscheidung bezog sich jedoch nur auf den von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG n. F. betroffenen Kreis von Versorgungsberechtigten, der nach Feststellungen des Gerichts nur eine „kleine Personengruppe aus zwei der höchsten Staatsorgane der DDR“ erfasste.510

487

Die von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG betroffene „kleine Personengruppe“ kann jedoch weder hinsichtlich der Zahl noch einer gesteigerten „Systemnähe“ noch hinsichtlich der „im Staatsapparat erreichte[n] Höhe im System“ mit den von § 7 AAÜG erfassten Versorgungsberechtigten verglichen werden. Die unterschiedslose Gleichbehandlung aller überdurchschnittlichen Einkommensbezieher ungeachtet differierender Ausbildung und Funktion, differierender Abteilungszugehörigkeit und ungeachtet einer Tätigkeit im operativen oder im technisch-organisatorischen oder gar medizinischen Bereich ist daher kein im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geeignetes Mittel für den im Einigungsvertrag vorgesehenen Abbau „überhöhter Leistungen“, zumal das Bundesverfassungsge505

Vgl. BVerfGE 100, 1 (47); vgl. ferner E 112, 368 (400); s. auch oben RN 155. s. oben RN 373. 507 Hierzu BVerfGE 100, 59 (93, 95, 97, 98); 111, 115 (138); 126, 233 (265); s. auch oben RN 128, 130, 132, 136, 187, S. 119, 120. 508 BVerfGE 111, 115 (138) unter Hinweis auf E 100, 59 (95); s. auch oben RN 130, 187, 366 f. 509 E 126, 233 (163). 510 BVerfGE 126, 233 (242); s. auch oben RN 242. 506

186

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

richt ausdrücklich einen spezifischen Stasi-Unwert für MfS-Mitarbeiter abgelehnt hat.511 488

Der jüngste Hinweis des Bundesverfassungsgerichts,512 „der Gesetzgeber habe die Mitarbeiter der Staatssicherheit mit der Begrenzungsregelung des § 7 AAÜG unterschiedslos ohne Differenzierung nach der ausgeübten Tätigkeit erfassen“ dürfen, wird ausdrücklich mit der „Sonderstellung des MfS“ begründet, die jedoch aufgrund neuerer Forschungsergebnisse entfallen ist;513 im Übrigen gehört diese Erwägung nicht zu den tragenden Gründen des gerichtlichen Beschlusses, so dass sie weder zur Auslegung der Entscheidungsformel herangezogen noch Bindungswirkung entfalten kann.514 III. Erforderlichkeit des Mittels

489

Ungeachtet der fehlenden Geeignetheit der pauschalierenden und typisierenden Regelung des § 7 AAÜG bestehen schwerwiegende Bedenken gegen die Erforderlichkeit der gesetzlichen Maßnahme, die nur dann mit der Eigentumsgarantie vereinbar wäre, wenn keine anderen Maßnahmen den Normzweck in gleicher Weise erfüllen könnten (Prinzip des mildesten Mittels).515 Als mildere Mittel, die das legitime Ziel eines Abbaus „überhöhter Leistungen“ der Rentenversicherung in gleicher Weise erfüllen können, aber erworbene Versorgungsansprüche und -anwartschaften weniger intensiv beschränken, bietet sich eine prozentuale Absenkung der Rentenversicherungsleistungen im Ausmaß der „Überhöhung“ 516 oder eine dem Eingliederungsprinzip des Fremdrentengesetzes517 entsprechende fiktive Zuordnung von Entgeltpunkten für die Rentenberechnung entsprechend der Ausbildung, Verantwortung und Funktion des jeweiligen Organwalters an.

490

Beide milderen Mittel entsprächen auch eher der Vorgabe des Einigungsvertrags, „eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ zu vermeiden. Denn wenn der Einigungsvertrag ausdrücklich nur eine „Besserstellung“ ausschließen wollte, bezweckte er nach seinem ausdrücklichen Wortlaut keine „Schlechterstellung“.

511 512 513 514 515 516 517

Vgl. BVerfGE 92, 277 (333); s. auch oben RN 21, 336, 353, 397. BVerfGE 126, 233 (259). Hierzu unten 7. Kapitel RN 498 ff. Hierzu oben RN 243. Hierzu oben RN 304. Vgl. hierzu oben RN 369, 405. Vgl. BVerfGE 116, 96 (97 f.).

2. Kap.: Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie?

187

IV. Unangemessenheit des Verhältnisses von Ziel und Mittel 491

Für die verfassungsmäßig erforderliche Verhältnismäßigkeit der Eigentumsbeschränkung des § 7 AAÜG wäre es schließlich erforderlich, dass das vom Gesetzgeber gewählte Mittel einer Kappung des für die Rentenberechnung maßgebenden Einkommens auf das Durchschnittsentgelt zum legitimen Zweck des Abbaus überhöhter Leistungen in einer vernünftigen Relation steht, das Verhältnis von Eingriffsziel und Eingriffsmittel also nicht unangemessen ist518 und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.519 Keinesfalls dürfen die Betroffenen übermäßig belastet werden520 und sie dürfen den Eigentümer im vermögensrechtlichen Bereich auch nicht unzumutbar treffen.521 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte522 hat die im Einigungsvertrag vorgesehene Kürzung der Vorruhestandsgelder in der DDR um 5 v. H. gegenüber dem ursprünglichen Betrag als mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention für vereinbar erklärt.

492

Nimmt man den Kürzungsmechanismus des § 7 AAÜG in den Blick, so beträgt für Versorgungsberechtigte das Verhältnis von Beitragsbemessungsgrenze (Jahreshöchstverdienstgrenze) nach Anlage 3 AAÜG zu dem berücksichtigungsfähigen Durchschnittsentgelt nach § 7 AAÜG (Anlage 6 AAÜG) für das Jahr 1989 182,7 : 100, für den Zeitraum von 1953 bis 1989 170,46 : 100. Das bedeutet, dass Versorgungsberechtigte des MfS/AfNS, deren Einkommen knapp unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze lag, durch den Kürzungsmechanismus des § 7 AAÜG für das Jahr 1989 knapp 46,9 v. H. ihrer für die Rentenversicherung berücksichtigungsfähigen Beiträge (bzw. des berücksichtigungsfähigen Einkommens) einbüßten. Für das Jahr 1953 beträgt dieser Wert 54,9 v. H., für 1960 518

Vgl. BVerfGE 81, 156 (194); BVerfG (Kammer) NJW 2007, S. 2318 ff. BVerfGE 126, 112 (152 f.); 125, 260 (368); 124, 348 (382); 121, 317 (346); 120, 378 (428); 120, 274 (322); 120, 224 (241); 115, 320 (347); 115, 118 (163 f.); 113, 348 (382); 113, 167 (260); 113, 29 (54); 112, 255 (263); 110, 141 (165); 109, 279 (349 ff.); 106, 216 (220); 106, 181 (192); 104, 337 (349); 103, 1 (10); 102, 197 (220); 101, 331 (350); 100, 313 (391); 92, 277 (327); 90, 145 (173); 83, 1 (19); 76, 196 (207); 74, 203 (214 f.); 67, 157 (173, 178); s. auch E 61, 291 (312); 71, 162 (173); 72, 9 (23); 75, 78 (98); BVerfG (Kammer) NZS 2009, S. 621. 520 BVerfGE 126, 112 (153); 122, 374 (392); 122, 151 (182); 121, 317 (346); 120, 224 (241); 115, 166 (192); 113, 167 (260); 106, 186 (233); 96, 10 (21); 95, 267 (300); 93, 165 (172); 93, 121 (137); 90, 145 (173); 83, 1 (19); 82, 159 (190); 78, 232 (243); 78, 214 (230); 77, 308 (334); 76, 220 (238); 76, 130 (141); 75, 78 (98 oben); 74, 203 (214 f.); 74, 9 (29); 72, 9 (23); 68, 287 (310); 67, 157 (178); 63, 343 (368); 63, 131 (144); 61, 126 (134); 55, 159 (165); 49, 24 (58); 43, 79 (92); 37, 271 (289); 30, 250 (272); 29, 402 (413); 27, 111 (131); 23, 288 (315); 21, 150 (155); 19, 253 (268); 19, 119 (129); 17, 306 (314); 15, 226 (234); 14, 221 (241). 521 BVerfGE 128, 138 (149); 122, 374 (392); 122, 151 (182); 110, 1 (28); 76, 220 (238); 72, 9 (23); 58, 137 (148); 21, 150 (155). 522 Entsch. v. 27.9.2001 (Lenz ./. Deutschland), NJW 2003, S. 2441 f. 519

188

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

40,2 v. H., für 1970 38,2 v. H., für 1980 41,5 v. H., für den Zeitraum der Jahre 1953 bis 1989 durchschnittlich 42,8 v. H. Für Versorgungsberechtigte des MfS/ AfNS mit Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze ist die Einbuße noch gravierender, da die hierfür entrichteten Beiträge (bzw. das erzielte Einkommen) für die Rentenberechnung vollständig entfallen. 493

Für alle Versorgungsberechtigten nach § 7 AAÜG kommt hinzu, dass die Leistungen der Sozialversicherung sich nicht nach dem Einkommen aus dem letzten Amt, sondern nach dem durchschnittlichen Einkommen während des Versicherungslebens richten.523

494

Andererseits ist bei der Beurteilung des § 7 AAÜG zu berücksichtigen, dass selbst bei den „Top 50-Einkommen“ das Jahresdurchschnittseinkommen im MfS nur bis zu fünf v. H. über dem der Nationalen Volksarmee und im Vergleich zum Durchschnittseinkommen im Ministerium des Innern als Dienststelle nur um bis zu sechzehn v. H. lag. Für Angehörige der entsprechenden Versorgungssysteme werden jedoch die geleisteten Beiträge (bzw. das erzielte Einkommen) – jedenfalls bis zur Beitragsbemessungsgrenze – in voller Höhe berücksichtigt (vgl. § 6 Abs. 1 i.V. m. Anlage 3 AAÜG), während sie für Angehörige des Versorgungssystems nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG für die einzelnen Kalenderjahre unterschiedlich, aber durchschnittlich um 42,8 v. H. abgesenkt werden.

495

Insgesamt ist einsichtig, dass bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs, d.h. einer Kürzung der anrechenbaren Beiträge (bzw. des anrechenbaren Einkommens) um durchschnittlich bis zu 42,8 v. H. (bei Einkommen knapp unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze) und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe, d.h. des Abbaus „überhöhter Leistungen“ der Rentenversicherung, die je nach der gewählten Bezugsgruppe im sogenannten X-Bereich auch bei obersten Einkommen nur bei 5 bis 16 v. H. liegen, die Proportionalität nicht mehr gewahrt ist, die Zumutbarkeit für den einzelnen Versorgungsberechtigen überschritten und insgesamt das Übermaßverbot verletzt wird.

496

Dabei handelt es sich bei Einkommen knapp unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze keinesfalls um ein Entgelt, das die Bezieher in eine gesteigerte Systemnähe oder eine „im Staatsapparat erreichte Höhe im System“ 524 bringt, so dass ein Vergleich mit den kleinen von § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG n. F. betroffenen Personenkreisen von vornherein ausscheiden muss.

D. Ergebnis 497

§ 7 AAÜG beschränkt die infolge des Einigungsvertrags vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG erfassten Versorgungsansprüche und -anwartschaften in 523 524

s. oben RN 28, 474 f. BVerfGE 126, 233 (263).

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

189

verfassungswidriger Weise, weil er die verfassungslegitimen Vorgaben des Einigungsvertrags mit einer nicht geeigneten, in diesem Maße nicht erforderlichen, unangemessenen und für die Betroffenen unzumutbaren Pauschalregelung zu erreichen versucht. Drittes Kapitel

Zur „Sonderstellung“ des Ministeriums für Staatssicherheit A. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 498

Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 7 AAÜG hat das Bundesverfassungsgericht bis in die jüngste Zeit hinein auf die „Sonderstellung“ des MfS,525 auf dessen „besondere[n] Situation“ 526 oder auf die „ganz spezifischen Verhältnisse[n]“ des von § 7 AAÜG „erfassten Bereichs“ 527 hingewiesen. I. Leitentscheidung v. 28. April 1999 – BVerfGE 100, 138

499

In seiner Leitentscheidung zu § 7 AAÜG hat das Bundesverfassungsgericht die Befugnis des Gesetzgebers bejaht, „für Angehörige des MfS/AfNS eine Sonderregelung zu treffen“ und den Wert der zu berücksichtigenden Arbeitsentgelte „grundsätzlich niedriger einzustufen als bei anderen Versicherten aus dem Beitrittsgebiet“, weil im sogenannten X-Bereich das Verdienstniveau im Vergleich mit dem Gesamtverdienstniveau aller Beschäftigten in der DDR von 1961 bis 1990 – in den einzelnen Zeitperioden variierend – um etwa 20 v. H. bis 50 v. H. höher gelegen habe.528 Infolgedessen hätten, so das Gericht, die Angehörigen des Versorgungssystems der Staatssicherheit aus der eigenen Rentenkasse eine Altersrente in Höhe von 75 v. H. der monatlichen beitragspflichtigen Durchschnittsvergütung erhalten, die diejenige anderer Versorgungsberechtigter und vor allem die in der Rentenversicherung erzielbaren Leistungen deutlich überstieg.529

500

Hinweise auf sehr hohe Arbeitsentgelte ergaben sich nach Auffassung des Gerichts auch aus einem differenzierten System finanzieller Leistungen (versicherungsrelevante Prämien, Zulagen und Zuschläge), die zusätzlich zur Besoldung erbracht wurden; darüber hinaus habe das MfS „im Laufe der Zeit ein System von Einrichtungen aufgebaut [. . .], das zwar der Form nach den Einrichtungen in den Betrieben und sonstigen Institutionen der Deutschen Demokratischen Repu525 526 527 528 529

BVerfGE 100, 138 (179); 126, 233 (259). BVerfGK 3, 270 (273). BVerfGE 111, 115 (145). BVerfGE 100, 138 (178); s. auch oben RN 140 f. BVerfGE 100, 138 (179, 141); s. oben RN 143.

190

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

blik entsprach, tatsächlich aber die Mitarbeiter des MfS in vielerlei Hinsicht privilegierte“.530 501

Im Hinblick auf „diese Sonderstellung“ der Angehörigen des MfS/AfNS habe der Gesetzgeber die Arbeitsentgelte in typisierender Weise begrenzen und dabei an die Entscheidung des mit den Verhältnissen vertrauten Gesetzgebers der Deutschen Demokratischen Republik anknüpfen dürfen. Das Gericht wies ausdrücklich darauf hin, dass es zur pauschalierenden Einstufung von Tätigkeiten „weder einer Auswertung noch vorhandenen dienstinternen Materials des MfS/AfNS noch sonstiger langwieriger Ermittlungen des Gesetzgebers zur Beschäftigtenund Qualifikationsstruktur“ bedürfe.531

502

An der (aufgehobenen) Fassung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG beanstandet das Gericht, dass bei der Kürzung des für die Rentenberechnung zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts eine „Orientierung an den allgemeinen Einkommensverhältnissen“ nicht stattgefunden habe, von einer unterdurchschnittlichen Qualifizierung der Angehörigen des MfS/AfNS nicht auszugehen sei und ein Vergleich mit „Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ tatsächlich nicht stattfinde.532

503

Für das Gericht „erscheint es verfassungsrechtlich geboten, jedenfalls bei einer Kürzung das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet (100 vom Hundert) nicht zu unterschreiten“, was die Betroffenen „von sonstigen Sozialleistungen unabhängig“ mache. Dabei fügt das Gericht hinzu, es sei „dem Gesetzgeber allerdings unbenommen“, „eine für die Betroffenen günstigere Lösung vorzusehen und bei einer Neuregelung auch über dem Durchschnitt liegende Einkommensanteile als rentenwirksam anzuerkennen“, wozu er allerdings verfassungsrechtlich nicht verpflichtet sei.533 II. Weitere Entscheidungen 1. Kammer-Entscheidung v. 22. Juni 2004 – BVerfGK 3, 270

504

Diese Entscheidung weist erneut darauf hin, dass die „Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur sowie die Struktur der beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopfund Durchschnittseinkommen“ in der DDR – anders als in anderen Arbeitsbereichen – statistisch nicht hinreichend erfasst gewesen seien. „Wegen dieser besonderen Situation“ – so die ausdrückliche Formulierung des Gerichts – habe das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Entgeltbe530 531 532 533

BVerfGE 100, 138 (178 f.); s. oben RN 142. BVerfGE 100, 138 (179 f.); s. oben RN 144. BVerfGE 100, 138 (180, 181, 182). BVerfGE 100, 138 (183).

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

191

grenzung in § 7 Abs. 1 AAÜG das Recht zur pauschalen Einstufung und Bewertung zugestanden. Das System der Staatssicherheit, so die Kammer, unter Hinweis auf Gieseke, sei darauf angelegt gewesen, Informationen auch über die Gehälter seiner Angehörigen geheimzuhalten, und es habe dazu entsprechende Vorkehrungen getroffen; die Vergütungs- und Versorgungsordnung des MfS/AfNS füge sich in das „Gesamtkonzept der Selbstprivilegierung dieses Staatsbereichs“ ein.534 505

Hinsichtlich des Tatsachenvortrags in der Verfassungsbeschwerde beanstandet die Kammer, dass die vorgelegten Gutachten selbst nicht beanspruchen, „eine sachliche und zeitlich umfassende, auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse erarbeitete Analyse des Besoldungs- und Versorgungssystems im Bereich des MfS/ AfNS“ vorzulegen; beide Gutachten erfassten nur begrenzte Zeiträume und stellten ihre Ergebnisse unter zahlreiche Vorbehalte. In einem Gutachten, so die Kammer, werde zudem nur ein Vergleich der Entgeltstrukturen und Entgelthöhe mit dem produzierenden Gewerbe angestellt, das gerade durch hohe Arbeitseinkommen gekennzeichnet sei; ein anderes Gutachten beschränke sich auf die für 1985 und 1989 feststellbaren Verhältnisse, wobei bekannt sei, „dass sich in den 90er [?] Jahren der Abstand zwischen den Spitzeneinkommen im Staatsbereich“ zu den Durchschnittseinkommen stark verringert habe.535 2. Beschluss v. 23. Juni 2004 – BVerfGE 111, 115

506

In dem Beschluss wiederholt das Gericht seine früheren Beanstandungen, dass „Zahlen über Lohn- und Gehaltsstrukturen in der Deutschen Demokratischen Republik, über das Einkommensgefüge in den einschlägigen Beschäftigungsbereichen und über das Verhältnis der dort erzielten Verdienste zum volkswirtschaftlichen Mittelwert“ fehlten.536 Insbesondere mangele es, so die Entscheidungsgründe, an konkreten Erkenntnissen darüber, „ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen“ überhöhte Entgelte gezahlt wurden.537

507

Schließlich rügt das Gericht, dass der Gesetzgeber, der durchgängig auf eine einheitliche, feste Gehaltsstufe abstelle, „Veränderungen im Einkommensgefüge“ der DDR nicht Rechnung getragen habe; die Gehaltsstufe E 3 habe 1950 das 9fache des Durchschnitts, 1989 aber teilweise nur das 1,6-fache des Durchschnittsverdienstes ausgemacht, weshalb die unveränderte Anknüpfung an diese Gehaltsstufe nicht sachlich nachvollziehbar“ sei.538 534

BVerfGK 3, 270 (273); s. auch oben RN 177, unten RN 538, 547, 557, 568. BVerfGK 3, 270 (272 f.); s. auch oben RN 176. 536 BVerfGE 111, 115 (138); s. auch oben RN 189. 537 BVerfGE a. a. O., S. 140 sub C I 3 a; s. auch oben RN 192. 538 BVerfGE a. a. O., S. 142 f. unter Hinweis auf BR-Drucks. 209/96, S. 11; s. auch oben RN 195. 535

192

508

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Auf die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungsmäßig erklärte Pauschalierung in § 7 AAÜG, so der Beschluss, könne sich der Gesetzgeber nicht berufen, da das Gericht diese Pauschalierungsmöglichkeiten aus Gründen eingeräumt habe, „die in den ganz spezifischen Verhältnissen des von dieser Vorschrift erfassten Bereichs begründet“ seien.539 3. Beschluss v. 6. Juli 2010 – BVerfGE 126, 233

509

In diesem Beschluss nimmt das Gericht auf § 7 AAÜG nur bestätigend und unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung mit den Worten Bezug: „Während der Gesetzgeber im Bestreben, überhöhte Anwartschaften abzubauen, wegen der Sonderstellung des MfS die Mitarbeiter der Staatssicherheit mit der Begrenzungsregelung des § 7 AAÜG unterschiedslos ohne Differenzierung nach der ausgeübten Tätigkeit erfassen konnte (vgl. BVerfGE 100, 138 [179]), würde eine entsprechende Regelung für alle Mitarbeiter des Partei- und Staatsapparats indessen zu weit gehen“.540

510

Diese, die frühere Rechtsprechung nur wiederholende und bestätigende Formulierung nimmt allerdings nicht an der Rechtskraft und Bindungskraft des Beschlusses teil, weil es sich nur um ein beispielhaftes obiter dictum handelt, dessen Wegfall das Argumentationsgerüst der Entscheidung in keinem Falle beeinträchtigen würde.541 III. Gerichtliche Argumentationsstränge zur Begründung einer „Sonderstellung“ des Ministeriums für Staatssicherheit 1. Maßgeblichkeit der Leitentscheidung

511

Überblickt man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, so wird in den jüngeren Entscheidungen die „Sonderstellung“ des Ministeriums für Staatssicherheit nicht begründet oder erläutert, sondern es werden – jeweils unter Hinweis auf die Leitentscheidung (E 100, 138 [178 ff.]) – die „Sonderstellung“ des MfS bzw. dessen „besondere[n] Situation“ oder dessen „ganz spezifische[n] Verhältnisse[n]“ bestätigend zitiert.542

512

Lediglich die Kammer-Entscheidung543 stellt eine kausale Verknüpfung („wegen dieser besonderen Situation“) zwischen der statistisch nicht hinreichend er539 BVerfGE 111, 115 (145) unter Hinweis auf E 100, 138 (187–180); s. oben RN 199. 540 BVerfGE 126, 233 (259); s. auch oben RN 217. 541 Vgl. oben RN 245. 542 Vgl. BVerfGE 126, 233 (259); 111, 115 (145); BVerfGK 3, 270 (273). 543 BVerfGK 3, 270 (273).

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

193

fassten Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur sowie der Struktur der beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommen und dem vom Bundesverfassungsgericht „dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Entgeltbegrenzung in § 7 Abs. 1 AAÜG“ eingeräumten „Recht zur pauschalen Einstufung und Bewertung“ her. 2. Recht des Gesetzgebers, Umfang und Wert der MfS-Arbeitsentgelte „grundsätzlich niedriger einzustufen als bei anderen Versicherten aus dem Beitrittsgebiet“ 513

An den Anfang seiner Begründung zur „Sonderstellung“ des MfS stellt das Bundesverfassungsgericht die These, der Gesetzgeber sei berechtigt, „für Angehörige des MfS/AfNS eine Sonderregelung zu treffen und Umfang und Wert der zu berücksichtigenden Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen grundsätzlich niedriger einzustufen als bei anderen Versicherten aus dem Beitrittsgebiet“.544

514

Diese Formulierung könnte vom Gesetzgeber wegen ihrer Allgemeinheit missverstanden werden, so dass sie zunächst um den Hinweis auf die legislatorische Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 GG), aber auch um die Verpflichtung auf die Vorgaben des Einigungsvertrages zu ergänzen ist. Insbesondere ist der Hinweis, die Legislative dürfe MfS-Arbeitsentgelte „grundsätzlich niedriger“ einstufen „als bei anderen Versicherten aus dem Beitrittsgebiet“ nur bei strikter Beachtung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) als verfassungskonform einzustufen. Andernfalls liefe sie auf eine wegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verfassungswidrige Diskriminierungsermächtigung im Hinblick auf die „politischen Anschauungen“ der Betroffenen hinaus,545 wofür die parlamentarischen Debatten über die Sonderversorgungssysteme zahlreiche Anhaltspunkte bieten.546 Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch die Anerkennung eines „außerhalb nachweisbarer Straftatbestände liegenden zusätzlichen Stasi-Unwert[s]“ ausdrücklich abgelehnt.547

515

Im Hinblick auf den Gleichheitssatz548 hat der Gesetzgeber weiterhin zu beachten, dass es sich bei dem Versorgungssystem nach Anl. 2 Nr. 4 AAÜG wie bei den anderen Sonderversorgungssystemen um eine Versorgung eigener Art außerhalb der Sozialversicherung der DDR gehandelt hat, die eine eigenständige Sicherung ihrer Mitglieder „in einer der Beamtenversorgung der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Weise“ gewährleisten sollte.549 Ebenso wie sich das 544

BVerfGE 100, 138 (178 sub C II 1 c cc (1). Vgl. hierzu oben RN 408 ff. 546 Vgl. oben RN 415. 547 BVerfGE 92, 277 (333); s. auch oben RN 21. 548 s. oben RN 265 ff. 549 BVerfGE 100, 1 (5); vgl. auch E 100, 59 (62); 100, 138 (140); 104, 126 (129); 112, 368 (370); vgl. ferner Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 2. Aufl., 1994, S. 15; s. auch oben RN 11. 545

194

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

System der Beamtenversorgung vom System der gesetzlichen Rentenversicherung schon in seiner Struktur unterscheidet,550 bestand eine grundsätzliche Differenz zwischen den Sonderversorgungssystemen einerseits und der Pflicht- und Zusatzversicherung der Deutschen Demokratischen Republik andererseits. Diese Unterschiede zu beseitigen, lag nicht in der Absicht des Einigungsvertrags, dem auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keine Einebnungs- oder Nivellierungsfunktion zukommen soll.551 516

Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht auch darauf verwiesen, dass bei einer „Unausgewogenheit in der Altersversorgung“ der Gesetzgeber Änderungen zugunsten der Opfer des SED-Regimes herbeiführen könne, die Unausgewogenheit aber nicht die Beibehaltung einer gleichheitswidrigen Rentenkürzung legitimieren könne.552

517

An Vorgaben des Einigungsvertrages ist der Gesetzgeber bei der Regelung der Versorgungsüberleitung und der gesetzlichen Rentenversicherung gebunden.553

518

Eine „grundsätzlich“ niedrigere Einstufung von MfS-Arbeitsentgelten ist mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nur dann und nur insoweit vereinbar, wie diese Entgelte im Verhältnis zu den Einkommen vergleichbarer Personengruppen als überhöht anzusehen sind und eine Besserstellung im Verhältnis zu „vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ bewirken, wie der Einigungsvertrag formuliert. Denn „Personen oder Gruppen dürfen durch Gesetzesvorschriften nicht ohne sachlich vertretbaren, d.h. ohne rechtlich zureichenden Grund schlechter gestellt werden als andere, die man ihnen vergleichbar gegenüberstellt“.554

519

Insofern erlaubt auch die Befugnis, pauschalierende, typisierende und generalisierende Normen zu erlassen, die das Bundesverfassungsgericht für das Rentenüberleitungsrecht555 und auch für § 7 AAÜG556 hervorgehoben hat, keine grundsätzliche Herabstufung von Entgelten, sofern nicht nur „eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen“ betroffen ist, der Verstoß gegen den Gleichheitssatz „nicht sehr intensiv“ ist und „Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären“.557

550

s. die Nachweise oben RN 29. Vgl. BVerfGE 100, 1 (47); 112, 368 (400); s. auch oben RN 155. 552 BVerfGE 111, 115 (144 f.); s. auch oben RN 198, 416. 553 Hierzu oben RN 449 ff. 554 BVerfGE 22, 415; ebenso E 52, 277 (280 sub II 1); vgl. auch E 17, 354; s. im Übrigen oben RN 284 ff. 555 BVerfGE 100, 59 (90); 100, 104 (132); 111, 115 (137). 556 BVerfGE 100, 138 (174). 557 s. oben RN 320 ff. mit Nachweisen. 551

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

195

520

Die These des Bundesverfassungsgerichts, der Gesetzgeber dürfe MfS-Arbeitsentgelte „grundsätzlich niedriger“ einstufen als bei anderen Versicherten aus dem Beitrittsgebiet, kann sich daher im Hinblick auf das Verfassungsgebot der Gruppengleichbehandlung nur auf Nominaleinkommen beziehen, falls diese nachweisbar höher waren als in anderen Versorgungssystemen.

521

Aus der Formulierung des Gerichts lässt sich jedoch nicht ableiten, dass damit alle Arbeitsentgelte für das Versorgungssystem nach Anlage 2 Nr. 4 AAÜG „gleich niedrig“ festgesetzt werden sollten. So ist jedoch der Gesetzgeber in § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG verfahren, da er das bis zum 17. März 1990 maßgebende Arbeitsentgelt höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 6 AAÜG, also bis zum Durchschnittseinkommen, zugrundelegt. Auf diese Weise wird das Einkommen der Gruppe der unterdurchschnittlich bis durchschnittlich Verdienenden in voller Höhe berücksichtigt, während bei Versorgungsberechtigten mit überdurchschnittlichem Einkommen alle die Grenze des Durchschnittseinkommens übersteigenden Einkommensbestandteile bei der Rentenberechnung entfallen.558

522

Damit verstößt der Gesetzgeber gegen das Gebot „vertikaler Gleichheit im Verhältnis geringerer zu höheren Einkommen“.559 Für die Rentenüberleitung bedeutet diese Ausprägung des Gleichheitssatzes im Hinblick auf das fundamentale rentenversicherungsrechtliche Prinzip der „Teilhabeäquivalenz“, dass „hohe Beiträge . . . hohe Rentenleistungen, geringe Beiträge geringe Rentenleistungen“ erbringen müssen.560

523

Angesichts der Größe des Ministeriums für Staatssicherheit, der Aufgabenund Ausbildungsstruktur seiner Angehörigen sowie der Bedeutung, die seiner Tätigkeit im System der DDR beigemessen wurde, kann man die Angehörigen des MfS/AfNS weder „durchweg für deutlich unterdurchschnittlich qualifiziert“ 561 noch in ihrer Gesamtheit nur für durchschnittlich qualifiziert mit der Folge erachten, dass Arbeitseinkommen aus Gründen politischer Begünstigung schon überhöht waren, wenn sie das Durchschnittsentgelt überstiegen. Da es das Bundesverfassungsgericht der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen hat, bei einer Neuregelung auch über dem Durchschnitt liegende Einkommensanteile als rentenwirksam anzuerkennen,562 hätte einer gleichheitskonformen, mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz übereinstimmenden Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG nichts entgegengestanden.

558

s. hierzu oben RN 380 ff. s. BVerfGE 87, 153 (170); vgl. auch E 116, 164 (194); s. ferner oben RN 382. 560 Vgl. Gerhard Igl/Felix Welti, Sozialrecht, 8. Aufl., 2007, § 29 RN 11; § 34 RN 73; s. auch BVerfGE 128, 138 (147); 122, 151 (181); 90, 226 (240); ferner oben RN 269, 387. 561 So ausdrücklich BVerfGE 100, 138 (181 unten). 562 BVerfGE 100, 138 (183 unten). 559

196

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

3. Überdurchschnittliches Verdienstniveau im MfS/AfNS sowie insgesamt im sog. X-Bereich 524

In seiner Leitentscheidung begründet das Bundesverfassungsgericht das Recht des Gesetzgebers, MfS-Arbeitsentgelte grundsätzlich niedriger einzustufen, mit dem Hinweis, dass die große Mehrheit der hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit innerhalb der relativ nivellierten Einkommensverteilung der DDR deutlich oberhalb des Durchschnitts angesiedelt gewesen seien und die MfS-Entgelte die allgemein in der DDR für vergleichbare Tätigkeiten oder Qualifikationen erzielbaren Verdienste überstiegen. Ein überdurchschnittliches Einkommensniveau, so das Gericht, ergebe sich auch aus dem Verdienstniveau im gesamten sog. X-Bereich, das in den Jahren 1961 bis 1964 um etwa 40 v. H., in den Jahren 1965 bis 1980 um etwa 20 v. H., in den Jahren 1981 bis 1985 um etwa 30 v. H., in den Jahren 1986 bis 1990 um etwa 50 v. H. höher gelegen habe als das gesamte Verdienstniveau aller Beschäftigten in der DDR.563

525

Ob die vom Bundesverfassungsgericht angeführte Einkommensstatistik im sog. X-Bereich noch mit neueren Forschungen übereinstimmt,564 ist an dieser Stelle für die Würdigung der verfassungsgerichtlichen Argumentation nicht relevant. Denn grundsätzliche Kritik rufen schon die Einkommensvergleiche an sich hervor. Hohe und höchste Einkommen im MfS/AfNS sind zwar für politologische und soziologische Aussagen über die Stellung der Staatssicherheit innerhalb des Systems der DDR interessant und auch für die Erweckung (selbst nachträglicher) Neidgefühle geeignet. Für rentenversicherungsrechtliche Fragen und Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung sind jedoch grundsätzlich nur die für die gesetzliche Rentenversicherung bzw. die Versorgungssysteme der DDR geleisteten Beiträge ausschlaggebend, weshalb das rentenversicherungsrechtliche Fundamentalprinzip der „Teilhabeäquivalenz“ die Äquivalenz von Beitrag und Leistung, nicht von Einkommen und Leistung meint.565

526

Auch die Regelungen des Einigungsvertrages knüpfen nicht an „überhöhte“ Verdienste an, sondern geben vor, dass die Ansprüche und Anwartschaften aus den Versorgungssystemen den Ansprüchen und Anwartschaften nach den allgemeinen Regelungen der Sozialversicherung „unter Berücksichtigung der jeweiligen Beitragszahlungen“ anzupassen sind, wobei ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen sowie Besserstellungen gegen-

563

BVerfGE 100, 138 (178); s. auch oben RN 140 f. Vgl. in diesem Zusammenhang Horst Miethe/Hans-Jürgen Weißbach, Einkommensentwicklung und Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Verbleich zu Segmenten des sog. X-Bereichs (NVA und MdI) und zur Volkswirtschaft, Juli 2009. 565 Vgl. BVerfGE 128, 138 (147); 122, 151 (181); 90, 226 (240); s. auch oben RN 269, 325, 387, 522. 564

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

197

über vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen zu vermeiden sind.566 527

Da sich die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung nur als eine „dem beitragspflichtigen Einkommen entsprechende Gegenleistung“ 567 darstellen, kann für den Abbau „überhöhte[r] Leistungen“ im Sinne des Einigungsvertrags auch nur das rentenversicherungsrechtlich relevante Einkommen berücksichtigt werden, das insbesondere bei hohen und höchsten Einkommen wesentlich niedriger liegt. Denn durch die (problematische) Einführung der westdeutschen Beitragsbemessungsgrenze für die Ansprüche und Anwartschaften aus den Versorgungssystemen anlässlich der Versorgungsüberleitung568 wurden die tatsächlich erzielten Einkommen für die Rentenberechnung erheblich gekappt, so dass nunmehr die in Anlage 3 AAÜG aufgeführten Jahreshöchstverdienste letztlich der westdeutschen Beitragsbemessungsgrenze entsprechen.569 Da aber nur diese Höchstbeträge für die Berechnung der übergeleiteten Ansprüche und Anwartschaften aus den Versorgungssystemen maßgeblich sind, können die vom Bundesverfassungsgericht angegebenen Verdienstvergleiche ein verzerrtes Bild ergeben. Hat beispielsweise ein im produzierenden Gewerbe der DDR Tätiger im Jahre 1981 ein Einkommen von 16 690,90 DM (nach rentenversicherungsrechtlicher Umrechnung)570 erzielt und unterstellt man, dass ein Angehöriger des Ministeriums für Staatssicherheit mit gleichwertiger Qualifikation im selben Kalenderjahr ein um 50 % höheres Einkommen erhielt, dann wäre diese deutliche Einkommensdifferenz für die Versorgungsproblematik irrelevant. Denn – ungeachtet der Sonderregelung in § 7 AAÜG – ist für die Berechnung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Versorgungssystemen Einkommen nur bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähig (§ 6 Abs. 1 i.V. m. Anl. 3 AAÜG), so dass alle diese Höchstgrenze übersteigenden Einkommensbestandteile für Vergleiche im Rahmen der Versorgungsüberleitung unbeachtlich sind. Aus diesem Grunde hat auch das Bundesverfassungsgericht eingeräumt, dass die Überführung der Versorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung „neben hohen auch überhöhte Rentenansprüche auf das durch die Beitragsbemessungsgrenze vorgegebene Maß vermindert“ hat.571

528

Da kraft Weisung des Einigungsvertrags vom Gesetzgeber ohnehin nur „überhöhte Leistungen“ der gesetzlichen Rentenversicherung im Zuge der Versorgungsüberleitung abzubauen waren, kann es, wie bereits dargelegt, nicht auf ei-

566 Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Ziff. 1 EV; s. auch oben RN 33. 567 BVerfGE 29, 221 (236 f.); s. auch oben RN 79. 568 s. oben RN 78 ff. 569 s. oben RN 80. 570 s. hierzu oben RN 80. 571 E 100, 59 (93); vgl. auch E 100, 1 (48); dazu auch oben RN 30.

198

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

nen Vergleich der Einkommen zwischen Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit und den „allgemein in der Deutschen Demokratischen Republik für eine vergleichbare Tätigkeit oder eine Position mit gleichwertiger Qualifikation erzielbaren Verdienste[n]“,572 sondern nur auf einen Vergleich der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (nach der Versorgungsüberleitung) ankommen. 529

Hierfür scheidet allerdings eine Gegenüberstellung der in der Sozialpflichtversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung versicherten Tätigen im zivilen Sektor der DDR und der Angehörigen der Sonderversorgungssysteme wegen Unvergleichbarkeit der Systeme aus, wie auch in der Bundesrepublik Deutschland das System der „gesetzlichen Rentenversicherung“ und das der „Beamtenversorgung“ nicht vergleichbar sind.573 Ein derartiger Systemvergleich ist auch vom Einigungsvertrag nicht vorgesehen, der bei der Anpassung von Ansprüchen und Anwartschaften aus den Versorgungssystemen an Ansprüche und Anwartschaften nach den allgemeinen Regelungen der Sozialversicherung unter der Berücksichtigung der jeweiligen Beitragszahlungen nur fordert, einerseits „ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen“ und andererseits „überhöhte Leistungen abzubauen“ und dabei „eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ zu vermeiden.574

530

Dabei sind, wie bereits dargelegt,575 unter „öffentlichen Versorgungssystemen“, mit denen zu vergleichen ist, nicht Sozialversicherungssysteme, sondern öffentlich-rechtliche Versorgungssysteme zu verstehen. Da der Rentengesetzgeber an die Vorgaben des Einigungsvertrages gebunden ist,576 kann er übergeleitete Ansprüche und Anwartschaften aus den Versorgungssystemen nicht mit der Begründung mindern, dass diese Leistungen im Vergleich zu den Renten, die die ehemaligen Sozialpflichtversicherten aus dem Beitrittsgebiet erhalten, zu hoch seien.

531

Aus diesem Grunde ist auch der vom Bundesverfassungsgericht gezogene Vergleich zwischen dem „Verdienstniveau im gesamten sogenannten X-Bereich“ und dem „Gesamtverdienstniveau aller Beschäftigten in der Deutschen Demokratischen Republik“ 577 unschlüssig, nicht aussagekräftig und im Übrigen durch die Novellierungen des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes überholt. 572

BVerfGE 100, 138 (178). BVerfGE 39, 169 (185 sub E I); 97, 271 (295); 114, 258 Ls. 3 (295); s. auch oben RN 342. 574 Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Satz 3 Nr. 1 letzter Satzteil EV. 575 s. oben RN 471 ff. 576 s. oben RN 449 ff. 577 BVerfGE 100, 138 (178). 573

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

199

532

Der Vergleich der Gesamtverdienstniveaus ist unschlüssig, weil der Einigungsvertrag nicht nachträglich überhöhte Einkommen aufspüren und mit Sanktionen versehen, sondern wie der Wortlaut deutlich macht, „überhöhte Leistungen“ der gesetzlichen Rentenversicherung infolge der Versorgungsüberleitung abbauen will. Da für diese Leistungen ohnehin nur frühere Einkommen bis zu jeweiligen Höchstgrenzen berücksichtigt werden, ist – wie bereits dargelegt – ein Gesamtverdienstvergleich, in dem für die Versorgungsüberleitung irrelevante Beträge enthalten sind, von vornherein nicht geeignet, überhöhte Leistungen zu belegen.

533

Darüber hinaus ist ein solcher Vergleich auch nicht aussagekräftig. In das „Gesamtverdienstniveau aller Beschäftigten“ in der DDR fließen notwendigerweise auch die Entgelte für minderbezahlte Tätigkeiten (z. B. Hilfsarbeiter, ungelernte Arbeiter, Reinigungstätigkeiten) ein, die sich grundsätzlich nicht im entsprechenden Umfang im Verdienstniveau des sogenannten X-Bereichs finden. Das Bundesverfassungsgericht selbst macht darauf aufmerksam, dass im MfS/ AfNS Zivilbeschäftigte in ein militärisches Dienstverhältnis übernommen worden seien, wovon auch „untere Gehaltsgruppen (Handwerker, Pförtner, Küchenhilfen, Reinigungskräfte)“ betroffen gewesen seien.578

534

Des weiteren ist zu berücksichtigen, dass sich unter den Beschäftigten des MfS – und wohl auch im übrigen X-Bereich – ein höherer Anteil von Hochund Fachhochschulabsolventen als in der Volkswirtschaft der DDR fand.579 Auch in der Bundesrepublik Deutschland liegt das Gesamtverdienstniveau der Beamten und damit auch deren Versorgung über dem Gesamtverdienstniveau aller Beschäftigten. In gleicher Weise waren hier die Leistungen in der Angestellten-Rentenversicherung aufgrund der höheren beitragspflichtigen Einkommen höher als in der Arbeiter-Rentenversicherung. So betrug die durchschnittliche monatliche Versichertenrente in der Rentenversicherung der Arbeiter zwischen 1957 und 1987 zwischen 90 DM und 870 DM, während sie in der Rentenversicherung der Angestellten für denselben Zeitraum zwischen 138 und 1.257 DM ausmachte.580 Im Übrigen ist ein Vergleich mit dem Gesamtverdienstniveau deshalb nicht mehr aussagekräftig, weil nach der Wiedervereinigung durch Maßnahmen des (westdeutschen) Rentenversicherungsgesetzgebers die durchschnittlichen Ost-Renten von monatlich 475 Ostmark im Juni 1990 im Zeitraum von vier Jahren um mehr als das Zweieinhalbfache auf 1.214 DM an578

BVerfGE 100, 138 (178 f.). Vgl. Horst Miethe/Hans-Jürgen Weißbach, Einkommensentwicklung und Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Vergleich zu Segmenten des so genannten X-Bereichs (NVA und MdI) und zur Volkswirtschaft, Juli 2009, S. II Nr. 4; s. auch oben RN 103. 580 Vgl. Bertram Schulin/Raimund Kegel, Systeme und Zahlen sozialer Sicherung, 1990, S. 90. 579

200

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

stiegen.581 Auf diese Weise wirkt sich das frühere geringere Gesamtverdienstniveau in der DDR weit weniger dramatisch aus, als es der Zahlenvergleich des Bundesverfassungsgerichts582 vermuten lässt, weshalb auch Ritter583 die „Masse der Rentner zu den klaren Gewinnern der Deutschen Einheit“ zählt. Da die Kürzungsermächtigung des Einigungsvertrags584 sich nur auf „überhöhte Leistungen“ der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, wäre ohnehin nur ein Vergleich eines nach § 7 AAÜG Anspruchsberechtigten, dessen Leistungen durch die Einführung der (westdeutschen) Beitragsbemessungsgrenze abgebaut wurden, mit einem Rentner der DDR-Sozialpflichtversicherung, dessen Leistungen durch den Rentenversicherungsgesetzgeber erheblich aufgebessert wurden, aufschlussreich. Aber einem solchen Vergleich steht der Einigungsvertrag entgegen, der für die Sonderversorgten nur eine „Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ verbietet (Nr. 9 lit. b Nr. 1 a. E.). 535

Nach allem zeigt sich, dass Vergleiche von Gesamtverdienstniveaus aufgrund ihrer Struktur nicht geeignet sind, verlässliche Belege dafür zu erbringen, ob übergeleitete Versorgungsansprüche oder -anwartschaften im Einzelfall „überhöht“ sind.

536

Im Übrigen haben die in der Leitentscheidung angeführten Zahlen, die ein überdurchschnittliches Verdienstniveau im gesamten sogenannten X-Bereich belegen sollen, den Rentengesetzgeber nicht gehindert, mit Hilfe mehrerer Novellierungen des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes – mit Ausnahme eines kleinen Personenkreises nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG und der Angehörigen des MfS/AfNS – alle Versorgungsberechtigten des X-Bereichs trotz des „überdurchschnittliche[n] Verdienstniveau[s]“ ohne Abschläge wie andere Versorgungsberechtigte zu behandeln.

537

Aufgrund der zum Zeitpunkt der Leitentscheidung noch nicht absehbaren Novellierung des AAÜG ist nunmehr die überaus ungleiche Behandlung der einzelnen Versorgungssysteme, die den sogenannten X-Bereich betreffen, mit dem Verfassungsgebot der Gruppengleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr zu vereinbaren. Denn trotz weitgehender Übereinstimmung der Einkommen der Angehörigen des MfS mit den Einkommen der Mitarbeiter der anderen Bereiche des militärischen Beschäftigungssektors der DDR bestehen eklatante Unterschiede in der Versorgung. Während für die Angehörigen des MfS das erzielte Entgelt nur bis zum Durchschnittsverdienst nach Anl. 6 AAÜG angerechnet wird, wird den 581 So Gerhard A. Ritter, Sozialpolitik in der deutschen Wiedervereinigung, ZSR 55 (2009), S. 57 (64) unter Hinweis auf den Sozialbericht 1997 des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, 1998, S. 311. 582 BVerfGE 100, 138 (178); s. auch oben RN 141. 583 Ritter, a. a. O. S. 64. 584 Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Nr. 1 EV.

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

201

Angehörigen der Sonderversorgungssysteme nach Anl. 2 Nr. 1 bis 3, soweit sie nicht eine in § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 aufgeführte Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt haben, der erzielte Verdienst bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (Anl. 3 AAÜG) zugrunde gelegt, wobei das Verhältnis des Durchschnittsverdienstes (Anl. 6 AAÜG) zur Jahreshöchstverdienstgrenze (Anl. 3 AAÜG) in den Jahren von 1950 bis 1989 durchschnittlich 55,9 : 100 beträgt.585 Diese Ungleichbehandlung ist, wie im einzelnen dargelegt, gleichheitswidrig, unverhältnismäßig und unzumutbar.586 4. Differenziertes System finanzieller Zusatzleistungen als Indiz für sehr hohe Arbeitsentgelte a) Schlüssigkeit 538

Hinweise auf „sehr hohe Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen im Bereich des MfS/AfNS“ ergeben sich ausweislich der Leitentscheidung aus einem „differenzierten System finanzieller Leistungen, die als versicherungsrelevante Prämien, Zulagen und Zuschläge zusätzlich zur Besoldung erbracht wurden“.587 Diese gerichtliche Ableitung ist indessen nicht zwingend, wenn man im MfS/ AfNS ein „Gesamtkonzept der Selbstprivilegierung dieses Staatsbereichs“ sieht, bei dem die Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur sowie die Struktur der Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommen – anders als in anderen Arbeitsbereichen – „statistisch nicht hinreichend erfasst wurde und darauf angelegt war, Informationen auch über die Gehälter seiner Angehörigen geheimzuhalten“.588 Im Falle der Richtigkeit dieser Prämissen, von denen die „Selbstprivilegierung“ bei richtiger Übersetzung auch die Befugnis umschlossen hätte, für sich selbst Sonderrecht zu setzen, ist es nicht ohne weiteres einsichtig, weshalb man zur Erzielung hoher Arbeitsentgelte auf ein differenziertes System von Prämien, Zulagen und Zuschlägen auswich, wenn man in einfacherer und direkterer Weise hohe Arbeitsentgelte – zumal bei statistischer Nichterfassung und angesichts von Vorkehrungen zur Geheimhaltung – selbst hätte festsetzen können.

539

Des Weiteren wären diese „versicherungsrelevanten Prämien, Zulagen und Zuschläge zusätzlich zur Besoldung“ für die Versorgungsüberleitung nur dann relevant, wenn die Summe aller Einkommensbestandteile die Jahreshöchstverdienstgrenze nach Anl. 3 AAÜG nicht überstiege. Denn andernfalls blieben sie wegen der Kappungswirkung der Beitragsbemessungsgrenze589 für die Berechnung der

585 586 587 588 589

Vgl. oben RN 356. s. oben RN 358 ff. BVerfGE 100, 138 (178 unten). So BVerfGK 3, 270 (273). s. oben RN 29 f., 186, 364, 380.

202

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

in die Rentenversicherung überzuleitenden Versorgungsansprüche und -anwartschaften ohne Belang. b) Üblichkeit von Zuschlägen 540

Grundsätzlich finden sich Systeme finanzieller Zusatzleistungen aus unterschiedlichen Gründen sowohl in der Privatwirtschaft als auch im Öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland. So sieht das Bundesbesoldungsgesetz (BBesG),590 insbesondere in seinen §§ 39 ff. Familienzuschläge, Amtszulagen und Stellenzulagen, Leistungsprämien und Leistungszulagen, Prämien für Angehörige der Spezialkräfte der Bundeswehr, Funktionszulagen, Erschwerniszulagen, Mehrarbeitsvergütungen, Vergütungen für Soldaten mit besonderer zeitlicher Belastung, Auslandszuschläge vor.

541

Unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Versorgungsüberleitung kann daher auch an finanziellen Zusatzleistungen im Bereich des MfS/AfNS Anstoß nur genommen werden, wenn sie nach ihrer Art oder im Einzelfall Ausdruck „politischer Begünstigung“ waren, nicht aber, wenn sie sich nach Art, Höhe und Gewährung im Einzelfall als übliche und anerkannte Besoldungsbestandteile darstellen. So hat es das Bundesverfassungsgericht591 als verfassungswidrig angesehen, wenn die „rentenrechtliche Berücksichtigung altersabhängiger Einkommenselemente“ zu negativen Auswirkungen bei den Betroffenen führen, weil nicht erkennbar sei, „weshalb altersbedingte Steigerungen des Arbeitsentgelts auf politischer Begünstigung beruhen sollten“. c) „Zulagen“ und „Zuschläge“ in den militärischen Diensten der DDR

542

Nimmt man die spezifischen Zulagen und Zuschläge in den militärischen Diensten von Nationaler Volksarmee, Ministerium für Staatssicherheit und Ministerium des Innern in den Blick, so ist vorab zwischen „Zulagen“ einerseits und „Zuschlägen“ andererseits terminologisch zu differenzieren. Nur Zulagen, nicht aber Zuschläge unterlagen der Beitragspflicht zum Versorgungssystem und rechneten zum Bruttoeinkommen.592

543

Daher können Zuschläge, die in den militärischen Diensten z. B. für Fallschirmsprünge oder Gefährdung durch Sprengmittel etc. gewährt wurden,593 für die Versorgungsüberleitung von vornherein außer Betracht bleiben. 590

I. d. F. v. 19.6.2009 (BGBl. I S. 1434). BVerfGE 111, 115 (143 sub C I 3 d); s. auch oben RN 196. 592 Hierzu Horst Miethe/Hans-Jürgen Weißbach, Einkommensentwicklung und Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Vergleich zu Segmenten des sogenannten X-Bereichs (NVA und MdI) und zur Volkswirtschaft, Juli 2009, S. 62 mit Nachweisen. 593 Vgl. Miethe/Weißbach a. a. O., Anhang 18. 591

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

203

Zulagen wurden beispielsweise für Berufskraftfahrer, das Flugpersonal, das Gesundheitspersonal, aber auch für „IM führende Mitarbeiter“ gezahlt.594 544

Wegen der unterschiedlichen Berücksichtigung von Zuschlägen durch die Wehrbereichsverwaltung Ost einerseits und das Bundesversorgungsamt andererseits sind im Übrigen bei der Berechnung von Bruttoeinkommen durch die Bundesbehörden diejenigen für die Nationale Volksarmee zu niedrig ausgefallen, da nur die Wehrbereichsverwaltung Ost infolge der Nichteinbeziehung der Zuschläge richtig verfahren ist.595

545

Miethe und Weißbach596 haben im Übrigen dargetan, dass bei der Gewährung von Zulagen und Zuschlägen innerhalb des militärischen Sektors keine Begünstigung der Angehörigen des MfS nach Anzahl und nach Höhe der gewährten Zahlbeträge erweisbar ist.

546

Der Hinweis der Leitentscheidung, dass durch die frühzeitige Übernahme selbst unterer Gehaltsgruppen (Handwerker, Pförtner, Küchenhilfen, Reinigungskräfte) in ein militärisches Dienstverhältnis auch diese in den Genuss zusätzlicher finanzieller Leistungen kamen,597 lässt die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, die Individualeinkommen bis zur Höhe des Durchschnittsentgelts uneingeschränkt zu berücksichtigen, unter dem Gesichtspunkt der Gruppengleichbehandlung fragwürdig erscheinen. Denn wenn der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, dass im Bereich des MfS/ AfNS „deutlich überhöhte Entgelte gezahlt wurden“,598 dann muss er eine für alle Beschäftigten anteilsmäßig gleiche Überhöhung unterstellen, weshalb es von diesem Ausgangspunkt nicht sachgerecht ist, Angehörige des Sonderversorgungssystems mit unterdurchschnittlichem bis durchschnittlichem Entgelt von einer Kürzung auszunehmen.599 5. „Privilegierung“ des MfS durch zahlreiche Vergünstigungen selbst noch in der Auflösungsphase („Selbstprivilegierung“)

547

Nach der Leitentscheidung durfte der Gesetzgeber die „Annahme deutlich überhöhter Entgelte“ zusätzlich darauf stützen, dass das MfS „ein System von Einrichtungen aufgebaut hatte“, wie es sich in der Form auch in Betrieben und sonstigen Institutionen der DDR fand, „tatsächlich aber die Mitarbeiter des MfS in vielerlei Hinsicht privilegierte“; diese Vergünstigungen hätten sich dann bei 594 595 596 597 598 599

Miethe/Weißbach a. a. O., S. 62 ff. (66). Vgl. Miethe/Weißbach a. a. O., S. 4. Miethe/Weißbach a. a. O., S. 67 sowie Anl. 17 und 18. BVerfGE 100, 138 (178 f.); s. auch oben RN 142. BVerfGK 3, 270 (272 sub III 1). Hierzu oben RN 385 ff.

204

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

der Alterssicherung fortgesetzt, die den Angehörigen des MfS/AfNS eine Altersversorgung in Höhe von 75 v. H. der monatlichen beitragspflichtigen Durchschnittsvergütung sicherte, welche diejenige anderer Versorgungsberechtigter und vor allem die in der Rentenversicherung erzielbaren Leistungen „deutlich überstieg“; noch in der Auflösungsphase sei die Versorgung durch „Übergangsbeihilfen“ und „gesonderte Übergangsgebührnisse“ aufgestockt worden.600 In einer späteren Kammerentscheidung wurde dieses System als „Gesamtkonzept der Selbstprivilegierung dieses Staatsbereichs“ bezeichnet.601 a) Beispiele von Vorzugsbehandlung aa) Waren und Dienstleistungen 548

Die Ausgangsthese der Leitentscheidung, der Gesetzgeber dürfe von einer Privilegierung beim Zugang zu sonst schwer erhältlichen „Waren oder Dienstleistungen“ 602 auf die Zahlung „deutlich überhöhter Entgelte“ schließen, ist logisch nicht zwingend. Da bekanntlich die Kaufkraft der Währung in der DDR beschränkt war, was auch an den hohen Spareinlagen der Bürger zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung deutlich wird, stellte die Möglichkeit des Zugangs zu benötigten Waren und Dienstleistungen einen erheblichen geldwerten Vorteil dar, der möglicherweise größere Anreizwirkung ausübte als die Zahlung von Geldbeträgen. Es ist daher logisch nicht zwingend, in einer Mangelwirtschaft von einer Zugangsmöglichkeit zu knappen Waren auf überhöhte Entgelte zu schließen, da dieser Vorzug auch an die Stelle von Gehaltserhöhungen hätte treten können.

549

Im Übrigen lässt die von der Leitentscheidung geschilderte Vorzugsbehandlung der Angehörigen des MfS keine einseitigen Schlüsse auf das Ministerium für Staatssicherheit zu. Denn die vom Bundesverfassungsgericht zitierte Quelle, eine Veröffentlichung von Gieseke, bezieht sich schon ausweislich ihres Titels nur auf „die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit“, so dass der Eindruck eines auf das MfS beschränkten Vorteils entstehen kann. In Wirklichkeit profitierten jedoch viele Bürger der DDR in allen gesellschaftlichen Bereichen von der Vorzugsbehandlung. Der Schlussbericht der Enquête-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ 603 stellt hierzu fest:

600

BVerfGE 100, 138 (179). BVerfGK 3, 270 (273). 602 Jens Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, in: Anatomie der Staatssicherheit, MfS-Handbuch, hg. vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, 1995, S. 78 sub 7. 603 BT-Drucks. 13/1100, S. 197 f. 601

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

205

„Waren, die die Bevölkerung oder bestimmte Bereiche der Wirtschaft dringend benötigten, [wurden] bedenkenlos abgezogen [. . .], sobald die NVA, das MfS, die SED oder Massenorganisationen sie benötigten [. . .]. Viele Mangelwaren [wurden] über besondere Verteilungsmechanismen gezielt an Personengruppen vergeben, die aus politischen Gründen privilegiert werden sollten [. . .]. Auch die bevorzugte Versorgung von bestimmten Betrieben und ihren Beschäftigten sowie von herausgehobenen „Einzelpersönlichkeiten“ (Wissenschaftler, Künstler, hohe staatliche Leiter u. a.) gehörte in diese Kategorie. Durch die engen Kontakte der Kirchen in der Bundesrepublik waren zudem sogar kirchliche Mitarbeiter in gewisser Weise – wenngleich nicht aus systemimmanenten Gründen, aber mit stillschweigender Duldung der SED-Führung – privilegiert.“

550

Gerade für den militärischen Bereich war in der DDR „ein reichhaltiges Angebot an Waren in allen Preisstufen sowie ein hohes Verkaufs- und Ausstattungsniveau in den Handelseinrichtungen durch die zuständigen Handelsorgane zu gewährleisten“.604 Das „Versorgungsniveau in den Standorten der NVA“ . . . sollte „durch eine bedarfsgerechte und niveauvolle Warenbereitstellung“ spürbar verbessert werden.605 Aus diesem Grunde wurde im Jahre 1973 sogar eine eigene Versorgungseinrichtung – die Volkseigene Militärhandelsorganisation – für die Armeeangehörigen und die Zivilbeschäftigten der Nationalen Volksarmee eingeführt.606

551

Hinsichtlich der „Kinderbetreuung“ 607 ist festzustellen, dass diese Vergünstigung keineswegs eine Sonderrolle der Angehörigen des MfS zu begründen vermag. Vielmehr handelt es sich um eine soziale Maßnahme, die in der Deutschen Demokratischen Republik grundsätzlich den Betrieben zukam. So hat der Schlussbericht der Enquête-Kommission608 festgestellt, dass Betriebe grundsätzlich „eine Vielzahl von sozialen Aufgaben“ wahrnahmen, die von der „Gesundheitsvorsorge durch Betriebspolikliniken oder Betriebsärzte über die Bereitstellung und den Unterhalt von Kinderkrippen und Kindergartenplätzen, die Wohnungsvergabe in größeren Betrieben bis zu kulturellen Angeboten oder preiswertem Essen in der Werksküche reichten“. Was allgemein gewährt wurde, kann nicht als „Sonder“-Vorteil qualifiziert werden. Hinzu kommt, dass diese soziale Maßnahme für die Sonderversorgung von vornherein irrelevant war und in keiner Weise zu „überhöhten Leistungen“ der gesetzlichen Rentenversicherung nach der Versorgungsüberleitung führen kann. 604 Beschluss des Ministerrates „über Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Berufssoldaten“ v. 5.7.1972, Nr. 9 Abs. 2 und 3, Bundesarchiv S. 78, Nr. 10 und Nr. 11, sowie S. 79 f. 605 Beschluss des Ministerrates a. a. O. 606 Befehl 72/73 des Ministeriums für nationale Verteidigung. 607 Vgl. Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter, a. a. O. S. 58. 608 Schlussbericht der Enquête-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der Deutschen Einheit“, BT-Drucks. 13/11000, S. 101 sub 3.1.3.

206

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

bb) Ferienreisen 552

Auch die von Gieseke609 angesprochene Versorgung mit „Ferienreise[n]“ stellte keine spezifische Vorzugsbehandlung für MfS-Angehörige dar. Denn in der DDR bestanden grundsätzlich nur zwei Säulen des Erholungswesens: Zum einen war der FDGB Träger des Feriendienstes und zum anderen verfügten viele Betriebe über eigene Ferienheime.610 Da nun für Angehörige der bewaffneten Organe (NVA, MfS, MdI) während ihrer Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem die Mitgliedschaft im FDGB ruhte, mussten diese Institutionen eigene Ferienheime unterhalten, um Urlaubsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise verfügte das MfS 1985 über 19 Ferienheime, wohingegen die Nationale Volksarmee 1988 (mit rd. 50 v. H. mehr Mitarbeitern) einen Bestand von 43 Kur- und Erholungsheimen sowie 6 Kinderferienlagern verzeichnete. cc) Wohnraum

553

Soweit Gieseke ausführt, dass „das MfS zu den Nutznießern der Wohnungsbauprogramme“ gehörte,611 ist diese Aussage ebenso richtig wie unvollständig. Es fehlte an einer speziellen Wohnraumversorgung für das MfS, und deren Angehörige wurden auch nicht als einzige mit Wohnraum versorgt. Vielmehr war die Wohnraumversorgung der Angehörigen und Zivilbeschäftigten der bewaffneten Organe eine gemeinsame Aufgabe der zuständigen Dienststellen der bewaffneten Organe und der örtlichen Räte.

554

§ 1 der „Ordnung über die Wohnraumversorgung der Angehörigen und Zivilbeschäftigten der bewaffneten Organe“ 612 erfasste die „Wohnraumversorgung der Angehörigen und Zivilbeschäftigten des Ministeriums für Nationale Verteidigung, des Ministeriums des Innern (Deutsche Volkspolizei, Organe der Feuerwehr, Strafvollzug und Luftschutz) und des Ministeriums für Staatssicherheit“. Die Ordnung sollte sicherstellen, dass zur ständigen Erhöhung der Gefechts- und Einsatzbereitschaft ein Teil der Angehörigen und Zivilbeschäftigten in Wohnobjekten untergebracht werden sollte, die besonders verkehrsgünstig zu den jeweiligen Dienststellen lagen.

555

Im einzelnen handelte es sich entweder um dienststellengebundene Wohnungen, für die den bewaffneten Organen das ständige Belegrecht durch die örtlichen Räte eingeräumt wurde und deren Verteilung durch die Dienststellen der

609

Gieseke a. a. O., S. 58 sub 7. Handbuch Deutsche Demokratische Republik, hg. vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 2. Aufl., 1984, S. 472; vgl. auch Thomas Schaufuß, Die politische Rolle des FDGB-Feriendienstes in der DDR. Sozialtourismus im SED-Staat, 2011. 611 Gieseke a. a. O., S. 63. 612 v. 18.5.1966, BA B, DC 20/4/1345. 610

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

207

bewaffneten Organe erfolgte, oder um Dienstwohnungen in Rechtsträgerschaft oder Verwaltung der bewaffneten Organe.613 556

Auch Angehörige des zivilen Sektors, die für das System von besonderem Interesse waren, wurden bevorzugt mit Wohnraum versorgt. So erhielten z. B. Arbeiter in Munitionsfabriken „binnen drei Monaten eine Neubauwohnung“.614 b) Ergebnis

557

Nach allem lässt sich die These einer „Selbstprivilegierung“ oder gar eines „Staates im Staate“ 615 nicht verifizieren. Die Vorzugsbehandlung beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen, Wohnraum und Ferienleistungen war nicht MfSspezifisch, sondern diente der Stärkung des politischen Systems der DDR insgesamt.

558

Verfassungsrechtlich kommt dieser Vorzugsbehandlung, die man politisch oder moralisch verwerfen mag, ohnehin keine Bedeutung zu, da sie sich nicht in Beiträgen zum Sonderversorgungssystem niederschlug und deshalb auch bei der Versorgungsüberleitung von vornherein außer Betracht bleibt. Da der militärische Sektor im Übrigen insgesamt dieselbe bevorzugte Behandlung genoss, rechtfertigt sie es unter dem Gesichtspunkt der Gruppengleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht, die Arbeitsentgelte der Angehörigen der Sonderversorgungssysteme nach Anl. 2 Nr. 1 bis 3 AAÜG bei der Versorgungsüberleitung bis zur Beitragsbemessungsgrenze (Jahreshöchstverdienst Anl. 3 AAÜG) in voller Höhe, für Angehörige des Sonderversorgungssystems nach Anl. 2 Nr. 4 AAÜG jedoch nur bis zur Höhe des Durchschnittsverdienstes (§ 7 i.V. m. Anl. 6 AAÜG) zu berücksichtigen. 6. Deutlich höhere Altersversorgung für MfS-Angehörige?

559

Derselbe Einwand richtet sich gegen den weiteren Hinweis der Leitentscheidung, Angehörige der Staatssicherheit hätten eine Altersversorgung in Höhe von „75 vom Hundert der monatlichen beitragspflichtigen Durchschnittsvergütung“ bezogen, „die diejenige anderer Versorgungsberechtigter und vor allem die in der Rentenversicherung erzielbaren Leistungen deutlich überstieg.“ 616 Der Hinweis ist in dieser Form nicht richtig, da nicht nur die Angehörigen der Staatssicherheit, sondern alle Angehörigen der Sicherheitsorgane der DDR, d.h. auch die Angehörigen des Ministeriums für Nationale Verteidigung und die Angehörigen 613

§ 3 der Ordnung über die Wohnraumversorgung. Uwe Markus, Waffenschmiede DDR, 2010, S. 106. 615 Ablehnend auch Karl Wilhelm Fricke in der 23. Sitzung der Enquête-Kommission, Nachweis oben RN 23. 616 BVerfGE 100, 138 (179). 614

208

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

des Ministeriums des Innern sowie der Deutschen Volkspolizei eine Altersversorgung in Höhe von 75 v. H. der monatlichen beitragspflichtigen Durchschnittsvergütung erhielten.617 560

Im Übrigen kommt es für die Verfassungsmäßigkeit des § 7 AAÜG nicht in erster Linie auf die Höhe der in der DDR gezahlten Altersversorgung, sondern darauf an, ob die Angehörigen der Sonderversorgungssysteme nach der Versorgungsüberleitung „überhöhte Leistungen“ aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten. Deren Leistungen sind jedoch, wie bereits mehrfach erwähnt wurde, durch die Einführung der westdeutschen Beitragsbemessungsgrenze und die dadurch erzielte Kappung der anrechenbaren Arbeitsentgelte der Versorgungsberechtigten erheblich vermindert worden.618

561

Nach der durch die Beitragsbemessungsgrenze bewirkten Minderung der Versorgungsansprüche und -anwartschaften übersteigt die Altersversorgung der MfSAngehörigen diejenige anderer Versorgungssysteme im sogenannten X-Bereich keinesfalls „deutlich“. Sie rechtfertigt es jedenfalls vor Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG nicht, dass das Arbeitseinkommen der Angehörigen anderer Sonderversorgungssysteme in voller Höhe (bis zur Beitragsbemessungsgrenze), dasjenige der Angehörigen des Sonderversorgungssystems nach Anl. 2 Nr. 4 AAÜG jedoch nur bis zur Höhe des Durchschnittsentgelts berücksichtigt wird, wobei die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG n. F. in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben kann. Während in den Bereichen des militärischen Beschäftigungssektors der DDR eine „Tendenz zur Übereinstimmung in der Höhe des Durchschnittseinkommens in den Diensten“ festzustellen ist619 und selbst bei den „Top 50-Einkommen“ im MfS das Jahresdurchschnittseinkommen nur bis zu 5 v. H. über dem der Nationalen Volksarmee, im Vergleich zum Durchschnittseinkommen im Ministerium des Innern als Dienststelle allerdings um bis zu 16 v. H. höher lag,620 wird durch den Kürzungsmechanismus des § 7 i.V. m. Anl. 6 AAÜG für Versorgungsberechtigte des MfS/AfNS, deren Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze lag, das anrechenbare individuelle Arbeitsentgelt um 42,8 v. H. (im Durchschnitt der Jahre 1953 bis 1989) im Vergleich zu den Angehörigen der anderen Sonderversorgungssysteme vermindert. Diese in keinem proportionalen, zumutbaren Verhältnis stehende Versorgungsminderung im Vergleich zum höheren Arbeitseinkommen verletzt daher den Verhältnismä617 Ordnung Nr. 005/9/003 des Ministers für Nationale Verteidigung über die soziale Versorgung der Angehörigen der NVA-Versorgungsordnung – v. 1.9.1982, Teil IV (Eichberger II, Nr. 230) sowie Ordnung Nr. 11/72 des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei über soziale Leistungsgewährung – Versorgungsordnung – v. 1.7.1954 i. d. F. v. 1.12.1985, Teil C (Bundesarchiv Berlin D01/60788). 618 BVerfGE 100, 59 (93); vgl. auch E 100, 1 (48); s. dazu oben RN 29 f., 80 ff., 186, 364, 380, 388, 392, 470 f. 619 s. oben RN 354 ff. 620 s. oben RN 369.

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

209

ßigkeitsgrundsatz, zumal dem Gesetzgeber mildere Eingriffsmittel zur Verfügung gestanden hätten.621 562

Dass die Sonderversorgten, deren Status „demjenigen eines Ruhestandsbeamten in den alten Bundesländern“ entsprach,622 mit ihren Leistungen „die in der Rentenversicherung erzielbaren Leistungen deutlich“ übertreffen,623 war systembedingt und beruhte nicht zuletzt auf der geringen Beitragsbemessungsgrenze der Sozialpflichtversicherung der DDR von 600,– M im Monat. Ähnliche Systemunterschiede bestehen zwischen der Beamtenversorgung und der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland,624 ohne dass aus den höheren Leistungen der Beamtenversorgung im Vergleich zu denen der gesetzlichen Rentenversicherung auf eine überhöhte Beamtenbesoldung geschlossen werden kann.

563

Auch der Einigungsvertrag wollte keine Einebnungs- oder Nivellierungsfunktion entfalten,625 weshalb eine „Unausgewogenheit in der Altersversorgung“ nicht „die Beibehaltung einer gleichheitswidrigen Rentenkürzung zu legitimieren“ vermag.626 7. „Übergangsbeihilfen“ und „gesonderte[n] Übergangsgebührnisse[n]“ in der Auflösungsphase des MfS/AfNS

564

Im Zusammenhang mit der dem Gesetzgeber konzidierten „Annahme deutlich überhöhter Entgelte“ weist die Leitentscheidung darauf hin, dass „sogar noch in der Phase der Auflösung des MfS/AfNS“ [. . .] die Versorgung vieler Mitarbeiter der Staatssicherheit durch Ausgleichszahlungen in der Gestalt von ,Übergangsbeihilfen‘ und ,gesonderten Übergangsgebührnissen‘ aufgestockt“ wurde.627

565

Ob aus einer Sondersituation der Auflösung Rückschlüsse auf die Normalsituation möglich sind, erscheint fraglich. Unbeschadet dessen hat jedoch die Periode dieser „Ausgleichszahlungen“ nur wenige Wochen gedauert. Der Beschluss des Ministerrats über „Festlegungen zur sozialen Sicherstellung von Angehörigen des Amtes für Nationale Sicherheit, die im Zusammenhang mit der Auflösung desselben aus dem Dienst ausscheiden“, datiert vom 14. Dezember 1989.628 621

Vgl. im Einzelnen oben RN 358 ff. BVerfGE 100, 59 (62); 100, 138 (140); vgl. auch E 100, 1 (5); 104, 126 (129); 112, 368 (370); s. ferner oben RN 11. 623 BVerfGE 100, 138 (179). 624 Hierzu oben RN 29. 625 Vgl. BVerfGE 100, 1 (47); 112, 368 (400); s. auch oben RN 155. 626 BVerfGE 111, 115 (144 f.); s. auch oben RN 198. 627 BVerfGE 100, 138 (179). 628 Jens Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, in: Anatomie der Staatssicherheit, hg. vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen 622

210

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Nach Angaben von Gieseke629 begrenzte die Regierung am 10. Januar 1990 nach Bürgerprotesten die Übergangszahlungen auf 12 Monate; Ende Februar 1990 seien die Sonderregelungen aufgehoben worden. Nach anderen Angaben630 haben anhaltende Proteste, „Anfang des Jahres 1990 zu der Entscheidung [geführt], die Ausgleichszahlungen ganz zu beenden“. Mit den „Übergangsbeihilfen“ sollte auf die Dauer von bis zu 36 Monaten das Entgelt für Mitarbeiter (zusammen mit ihrem sonstigen Einkommen) auf 80 v. H. der bisherigen Nettodienstbezüge aufgestockt werden; „gesonderte Übergangsgebührnisse“ sollen zwischen 600 und 10.500 M – nach Dienstalter und Dienstverhältnis gestaffelt – betragen haben.631 566

Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Versorgungsüberleitung haben diese periodischen „Übergangsbeihilfen“ und die einmaligen „gesonderten Übergangsgebührnisse“, selbst wenn sie in der Zeit von Mitte Dezember 1989 bis Ende Februar 1990 gewährt wurden, nur geringe Bedeutung. Bei Außerachtlassung der Sonderregelung des § 7 AAÜG würden hohe „gesonderte Übergangsgebührnisse“, die naturgemäß auch ein höheres Arbeitseinkommen voraussetzen, wegen des infolge der Beitragsbemessungsgrenze nur reduziert anrechenbaren Arbeitseinkommens, das für 1990 monatlich 2051,64 DM (nach rentenrechtlicher Umrechnung) betrug, von vornherein außer Betracht bleiben. Die „Ausgleichszahlungen“ könnten daher in erster Linie für die Bezieher unterdurchschnittlicher und durchschnittlicher Einkommen – und dann entsprechend in geringerer Höhe – relevant werden, ohne dass sie jedoch bei einer Gesamtbetrachtung zu „überhöhten Leistungen“ aus der gesetzlichen Rentenversicherung führen würden.

567

Im Übrigen vermögen diese Sonderzahlungen keine „Sonderstellung“ des MfS/AfNS zu begründen, da sie auch in anderen Bereichen des militärischen Sektors der DDR gewährt wurden. Nach einem Rechtsgutachten von Michas und Udke632 haben die Festlegungen des Ministerratsbeschlusses vom 14.12.1989 „im Prinzip vergleichbaren Festlegungen zur sozialen Sicherstellung für andere Gruppen von Werktätigen und dabei insbesondere für Angehörige der NVA und des MfIA“ entsprochen.633 Auch weisen die Gutachter darauf hin, dass Punkt 2 Ziff. 6 des Ministerratsbeschlusses über die „einmalige Zahlung von Übergangsdes Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, 1995, S. 92 in und zu FN 301. 629 Gieseke a. a. O., S. 93. 630 David Gill/Ulrich Schröter, Das Ministerium für Staatssicherheit, 1991, S. 270. 631 Gieseke a. a. O., S. 92. 632 Joachim Michas/Erwin Udke, Rechtsgutachten zum Beschluss des Ministerrates der DDR vom 14. Dezember 1989 „über Festlegungen zur sozialen Sicherstellung von Angehörigen des Amtes für Nationale Sicherheit, die im Zusammenhang mit der Auflösung derselben aus dem Dienst ausscheiden“, 1990. 633 Rechtsgutachten a. a. O., sub III 1, S. 6.

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

211

gebührnissen“ und Punkt 2 Ziff. 7 des Ministerratsbeschlusses über die Regelung „zur Zahlung von Übergangsbeihilfen“ auf der Grundlage der Besoldungsordnung vom 22.5.1987634 erfolgt seien.635 Auf jeden Fall wird dadurch jedoch die vom Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zugebilligte Annahme widerlegt, das MfS selber habe „im Laufe der Zeit ein System von Einrichtungen aufgebaut, das . . . die Mitarbeiter des MfS in vielerlei Hinsicht privilegierte“,636 was letztlich auf die These einer „Selbstprivilegierung“ des MfS hinausläuft.637 Um eine „Selbstprivilegierung“ kann es sich jedoch nicht handeln, wenn die Zahlung von „Übergangsbeihilfen“ und „gesonderten Übergangsgebührnissen“ auf einen Beschluss des Ministerrates und damit nach Art. 76 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung von 1968/1974 auf die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zurückgeht. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Verfassung der DDR keine für die politische Machtverteilung verbindliche rechtliche Festlegung bot. Es ist von einem „weichen“ sozialistischen Normbegriff auszugehen, der sich auch in einer begrifflichen Vielzahl von Rechtsakten unterschiedlicher gesetzlicher Qualität widerspiegelte, so dass auch Verordnungen, Dekrete, Instruktionen und politische Beschlussfassungen normative Kraft besaßen.638 8. Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers ohne Auswertung vorhandenen Materials oder langwieriger Ermittlungen zur Einkommenssituation beim MfS/AfNS a) Gesetzliche Differenzierung auf der Grundlage hinreichender Tatsachen 568

Unter Hinweis auf die „Sonderstellung der Angehörigen des MfS/AfNS“ räumt die Leitentscheidung dem Gesetzgeber die Befugnis zur typisierenden Begrenzung der Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen ein, wobei dieser an die Entscheidung des Gesetzgebers der DDR anknüpfen durfte, der die „überhöhten Versorgungen im Bereich des MfS/AfNS“ ebenfalls pauschal gekürzt habe. Zur pauschalierenden Einstufung und Bewertung dieser Tätigkeiten, so das Bundesverfassungsgericht, habe es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG „weder einer Auswertung noch vorhandenen dienstinternen Materials des MfS/AfNS noch sonstiger langwieriger Ermittlungen des Gesetzgebers zur Beschäftigten- und Qualifi634 Ordnung Nr. 3/87 über die Besoldung der Berufsoffiziere, Fähnriche, Berufsunteroffiziere und Unteroffiziere auf Zeit des MfS – Besoldungsordnung v. 22.5.1987. 635 Rechtsgutachten a. a. O., S. 4 und 5. 636 BVerfGE 100, 138 (179). 637 Vgl. auch BVerfGK 3, 270 (273); hierzu oben RN 13, 25. 638 Hierzu ausführlich Heinz Mohnhaupt, Vorwort, in: ders., Deutsche Demokratische Republik (1958–1989), Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 167, 2. Halbbd.: Karl H. Mollnau, Dokumente, 2004, S. XX, f.

212

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

kationsstruktur sowie zur Struktur der beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommen“ bedurft, die im Übrigen in der DDR – anders als in anderen Arbeitsbereichen – statistisch zu keiner Zeit erfasst worden seien.639 569

Unter Zitierung der Leitentscheidung betont das Bundesverfassungsgericht in einem späteren Beschluss,640 es widerspreche seinen Anforderungen „an eine auf hinreichende Tatsachen gegründete Differenzierung“ nicht, wenn der Gesetzgeber „gegenüber spezifisch eingegrenzten Gruppen im Blick auf deren allgemein privilegierte Sonderstellung in der DDR ohne langwierige Ermittlungen [. . .] zu deren Beschäftigungs- und Qualifikationsstruktur sowie zur Struktur des von dieser Gruppe erzielten Pro-Kopf-Einkommens zu solchen Rentenkürzungen befugt“ sei. Dieser Beschluss zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 AAÜG n. F. betrifft allerdings nur eine kleinere Gruppe von ca. 1.000 bis 1.200 Personen, was das Gericht durch den Hinweis auf „spezifisch eingegrenzte[n] Gruppen“ deutlich macht, während die Gesamtzahl der von § 7 AAÜG erfassten Personen auf ca. 125.000 geschätzt werden kann.641 b) Bedeutung der Tatsachen für die Rechtsanwendung

570

Von entscheidender Bedeutung ist die gerichtliche Hervorhebung einer „auf hinreichende Tatsachen gegründete[n] Differenzierung“. Kann doch schon die Art und Weise der Feststellung von für die Gesetzesanwendung relevanten Tatsachen eine Grundrechtsverletzung darstellen.642 Auch hat es das Gericht für bedenklich erachtet, wenn bei in Betracht kommenden schweren Grundrechtseingriffen „Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen zu Lasten des Grundrechtsträgers gehen sollen.“ 643 In gleicher Weise müssen die vom Gesetzgeber zur Rechtfertigung einer schweren Grundrechtsbeschränkung ins Feld geführten Gefahren „belegt“ oder zumindest „so wahrscheinlich gemacht werden“, dass darauf eine beträchtliche Grundrechtseinschränkung gestützt werden kann.644 Wegen der Bedeutung zutreffender Tatsachen für die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung dient auch der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde dazu, dass das Bundesverfassungsgericht „nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen trifft.“ 645 Im Interesse der Nachvollziehbarkeit müssen gesetzliche Festsetzungen „auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen

639 640 641 642 643 644 645

BVerfGE 100, 138 (179 f.); s. auch oben RN 144. BVerfGE 126, 233 (260). s. hierzu oben RN 372 ff. Vgl. BVerfGE 101, 275 (295). BVerfGE 45, 187 (238). BVerfGE 7, 377 (431). BVerfGE 79, 1 (20); s. auch E 72, 39 (45).

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

213

sein.“ 646 Allerdings muss das Bundesverfassungsgericht am Ende selbst prüfen, ob der Gesetzgeber „die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt“ hat647 oder ob er „von unzutreffenden oder unvollständigen Tatsachen ausgegangen“ ist,648 wobei das Bundesverfassungsgericht im letzteren Falle seine Tatsachensicht an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen kann.649 c) Relevanz der Tatsachensituation für die Versorgungsüberleitung 571

Insbesondere im Bereich der Versorgungsüberleitung hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber mehrmals vorgehalten, es sei „nichts dafür ersichtlich“, dass eine gesetzliche Regelung auf Tatsachen beruhe, „die die Annahme rechtfertigen, dass überhöhte Arbeitsentgelte gerade an die vom Gesetz erfassten Gruppen gezahlt worden sind oder dass Entgelte ab den vom Gesetz festgelegten Grenzen als überhöht angesehen werden müssen.“ 650

572

Allgemein hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet, dass die „Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Arbeitsentgelten oder Arbeitseinkommen“ im Rahmen der Versorgungssysteme Probleme bereitet, weil „hinreichende Erkenntnisse und Erfahrungen“ fehlten und „auf aussagefähige Daten zunächst nicht zurückgegriffen“ werden könne, weshalb § 6 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 7 i. d. F. des RüErgG nur bis zum 30. Juni 1993, nicht jedoch darüber hinaus verfassungsrechtlich hinzunehmen gewesen sei.651 Lediglich „gegenüber spezifisch eingegrenzten Gruppen“, wie sie von § 6 Abs. 2 AAÜG n. F. erfasst sind, geht das Bundesverfassungsgericht von seinen Anforderungen „an eine auf hinreichende Tatsachen gegründete Differenzierung“ 652 ab, und lässt wegen deren „allgemein privilegierte[r] Sonderstellung in der DDR“ Rentenkürzungen des Gesetzgebers „ohne langwierige Ermittlungen . . . zu deren Beschäftigungs- und Qualifikationsstruktur“ zu.653

573

Auch in seiner Entscheidung vom 23. Juni 2004654 bemerkt es, dass „Zahlen über Lohn- und Gehaltsstrukturen in der Deutschen Demokratischen Republik, 646 BVerfGE 125, 175 (226); s. auch Kyrill-A. Schwarz und Christoph Bravidor, Kunst der Gesetzgebung und Begründungspflichten des Gesetzgebers, JZ 2011, S. 653 (656 sub III 2). 647 BVerfGE 125, 175 (226). 648 Vgl. BVerfGE 122, 1 (31). 649 Vgl. BVerfGE 99, 341 (354). 650 BVerfGE 100, 59 (93 f.); s. auch E 111, 115 (137 f., 139 f.); s. ferner oben RN 128, 188, 191, 478. 651 BVerfGE 100, 59 (102 f.); s. auch oben RN 329. 652 Vgl. BVerfGE 100, 138 (179 f.). 653 BVerfGE 126, 233 (260). 654 E 111, 115 (138); s. auch oben RN 189.

214

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

über das Einkommensgefüge in den einschlägigen Beschäftigungsbereichen und über das Verhältnis der dort erzielten Verdienste zum volkswirtschaftlichen Mittelwert“ fehlten, weshalb der Gesetzgeber auch nicht generell habe annehmen dürfen, dass die Angehörigen der in § 6 Abs. 2 AAÜG a. F. genannten Versorgungssysteme in der DDR „ab einer bestimmten Schwelle überhöhte Arbeitsentgelte bezogen“ hätten. 574

Insbesondere, so das Gericht, fehle es an konkreten Erkenntnissen darüber, „ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen“ in der DDR überhöhte Arbeitsentgelte bezahlt wurden, und Erkenntnisse ließen sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien entnehmen.655

575

Der Beschluss rügt, dass auch die damalige Begrenzungsregelung in § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG der Wirklichkeit nicht näherkomme, weil sie „nicht von Erkenntnissen über eine strukturelle Erhöhung von Gehältern getragen“ werde und ihr konzeptionell eine unzulässige Gleichstellung von „hohem Einkommen“ und „überhöhtem Einkommen“ zugrunde liege; es fehle an Erkenntnissen, „dass gerade in den betroffenen Versorgungssystemen ab Überschreiten der Gehaltsstufe E 3 überhöhte, weil nicht mehr leistungsorientierte Entgelte erzielt wurden“; das habe die Bundesregierung auch mit der Formulierung eingeräumt, dass die auf politische Begünstigungen entfallenen Einkommensanteile „nicht bestimmbar“ seien.656

576

Verfassungsbedenken äußerte das Gericht ferner hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von „Veränderungen im Einkommensgefüge“ der DDR, denen der Gesetzgeber nicht Rechnung getragen habe; die durchgängig und unveränderte Anknüpfung an eine einheitliche, feste Gehaltsstufe (E 3) sei „nicht sachlich nachvollziehbar“.657

577

Insgesamt hält das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber das Fehlen „von fundierten Informationen zum Einkommensgefüge“ vor,658 wie das Gericht auch fordert, dass eine über die durch die Verminderung infolge der Beitragsbemessungsgrenze „hinausgehende[n] zusätzliche[n] Bestimmung von Überhöhungstatbeständen [. . .] Kriterien zugrunde gelegt werden [müssen], die in den tatsächlichen Verhältnissen eine Entsprechung finden.“ 659

578

Im parlamentarischen Bereich hatte insbesondere Staatsminister Erwin Huber (Bayern) im Bundesrat der Bundesregierung vorgeworfen, sie hätte „eine gründ-

655

BVerfGE 111, 115 (140 sub C I 3 a); s. ferner oben RN 92. BVerfGE 111, 115 (141) unter Hinweis auf BT-Drucks. 13/4587, S. 8 r. Sp.; s. auch oben RN 193. 657 BVerfGE 111, 115 (142 f.) unter Hinweis auf BR-Drucks. 209/96, S. 11; s. ferner oben RN 195. 658 BVerfGE 111, 115 (143 oben). 659 E 111, 115 (138). 656

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

215

liche Aufklärung der DDR-Machtstrukturen vornehmen können und müssen, was nicht geschehen sei“.660 579

Wie wenig viele der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligte mit dem Recht der Sonderversorgungssysteme und dem Regierungssystem der DDR vertraut waren, zeigen auch die Beratungen zum Ersten Gesetz zur Änderung des Anspruchsund Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 21. Juni 2005.661 Im Bericht des zuständigen Ausschusses wird auf die Billigung aller Fraktionen im Deutschen Bundestag hingewiesen, im Gesetzesentwurf „die Entgeltbegrenzung auf diejenigen Personen zu erstrecken, die insbesondere solche Funktionen im Parteiapparat der SED, in der Regierung oder im Staatsapparat ausgeübt haben, die auch eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sowie dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umfasste.“ 662 Später stellte dann das Sozialgericht Berlin unbeanstandet fest, dass selbst die Mitglieder des Ministerrats der DDR – abgesehen von dem Minister für Staatssicherheit – keine Weisungsbefugnis gegenüber der Staatssicherheit hatten.663 IV. Anpassungspflicht des Gesetzgebers bei unrichtigen oder geänderten Tatsachen

580

Ändern sich die vom Gesetzgeber vorausgesetzten tatsächlichen oder normativen Grundlagen in erheblicher Weise oder erweisen sich früher zugrunde gelegte Tatsachen oder Einschätzungen (z. B. aufgrund von Prognosen) im Nachhinein als unrichtig,664 so dass insbesondere beträchtliche Grundrechtseinschränkungen nicht mehr auf sie gestützt werden könnten,665 so muss der Gesetzgeber von Verfassungs wegen auf die geänderte Sachlage reagieren. Besteht ein Gesetz, das den derzeitigen Anforderungen nicht mehr genügt, weil sich die bei seinem Erlass zugrunde gelegten Tatsachen geändert oder als unrichtig erwiesen haben, so ist der Gesetzgeber zur Nachbesserung innerhalb einer angemessenen Frist verpflichtet.666 660 811. Sitzung v. 27.5.2005, Plenarprotokoll 811, S. 323* Anlage 4 (D); s. auch oben RN 211. 661 s. oben RN 200 ff. 662 BT-Drucks. 15/5488, S. 5 sub B; s. oben RN 208. 663 Vgl. BVerfGE 126, 233 (258 f.); s. ferner oben RN 419. 664 Vgl. BVerfGE 49, 89 (130); 56, 54 (79); 57, 139 (162 f.); 73, 40 (94); 107, 286 (294 f.); 120, 82 (108); BVerfG v. 9.11.2011 DVBl. 2011, S. 1540 (1541 RN 90). 665 Vgl. BVerfGE 7, 377 (431); hierzu oben RN 570. 666 Vgl. BVerfGE 25, 1 (13 sub D I), 50, 291 (335); 53, 30 (58); 57, 139 (162); 67, 299 (328 sub C II 2 b bb); 75, 382 (389); 113, 167 (234); Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 1316; Badura, Die verfassungsrechtliche Pflicht des gesetzgebenden Parlaments zur „Nachbesserung“ von Gesetzen, in: Georg Müller u. a. (Hg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, Festschrift Eichenberger, 1982, S. 481 (484 ff.); Christian Mayer, Die Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers, 1996, S. 34; Rudolf Steinberg, Verfassungsgerichtliche Kon-

216

581

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

Da das Bundesverfassungsgericht einen Verfassungsverstoß wegen unterlassener Nachbesserung bereits dann feststellt, „wenn evident ist, dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung wegen zwischenzeitlicher Änderung der Verhältnisse verfassungsrechtlich untragbar geworden ist, und wenn der Gesetzgeber gleichwohl weiterhin untätig geblieben ist oder offensichtlich fehlsame Nachbesserungsmaßnahmen getroffen hat“,667 muss dies erst recht gelten, wenn sich die ursprünglich zugrunde gelegten Tatsachen nachträglich als unrichtig herausstellen. 1. Ableitung einer Nachbesserungspflicht

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Eine Pflicht zur „Nachbesserung“ durch den Gesetzgeber668 wird teilweise aus den Grundrechten,669 teilweise aus den grundrechtlichen Handlungs- und Schutzpflichten abgeleitet.670

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Klaus Stern671 vertritt zu Recht die Auffassung, dass grundsätzlich jede Verfassungsnorm Rechtsgrundlage für eine Anpassungspflicht sein könne. Dem ist unter Hinweis auf Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG zuzustimmen, weil von Grundgesetzes wegen die Legislative an die verfassungsmäßige Ordnung (einschließlich der Grundrechte) gebunden ist.

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In dieselbe Richtung geht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die im Falle eines beanstandeten gesetzgeberischen Unterlassens das Vorliegen einer Verfassungsnorm verlangt, „aus der sich eine Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers und damit korrespondierend ein . . . Recht ergeben kann.“ 672

585

Dabei erwächst insbesondere aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, den das Bundesverfassungsgericht als „Seele der Gerechtigkeit“ qualifiziert, als trolle der „Nachbesserungspflicht“ des Gesetzgebers, in: Der Staat 26 (1987), S. 161 (165). 667 So BVerfGE 56, 54 (81). 668 Zum Begriff BVerfGE 56, 54 (72, 78 f., 81 ff., 86); 59, 119 (127); 65, 1 (56); 73, 118 (169); 80, 1 (33); 82, 60 (84, 98); 83, 238 (330); 84, 239 (284 f.); 87, 114 (136, 151); 88, 203 (327, 335); 90, 145 (219); 91, 93 (108); 95, 189 (192); 95, 267 (314); 102, 127 (140 f.); 107, 286 (293); 108, 186 (227, 237); 110, 94 (137); 112, 268 (284); 116, 69 (91); 126, 400 (431 f.). 669 So Stettner, Die Verpflichtung des Gesetzgebers zu erneutem Tätigwerden bei fehlerhafter Prognose, DVBl. 1982, S. 1123 (1126). 670 So Dietrich Murswiek, Die Staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 187; Badura, Die verfassungsrechtliche Pflicht des gesetzgebenden Parlaments zur „Nachbesserung“ von Gesetzen, in: Georg Müller u. a. (Hg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, Festschrift Eichenberger, 1982, S. 481 (482 f.); ähnlich Roßnagel, Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers im Atomrecht, JZ 1985, S. 714 (715), der allerdings zusätzlich auf das Demokratieprinzip verweist. 671 Klaus Stern, Staatsrecht III/1, 1988, S. 1315 f.; ebenso Rudolf Steinberg, Verfassungsrechtliche Kontrolle der „Nachbesserungspflicht“ des Gesetzgebers, in: Der Staat 26 (1987), S. 161 ff. 672 BVerfGE 107, 286 (294).

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

217

dauernden „Grundwert der staatlichen Einheit“ und als „Element des objektiven Gerechtigkeitsprinzips“ bezeichnet hat,673 eine besondere Pflicht und ein damit korrespondierendes Recht der Betroffenen zur Beseitigung gleichheitswidriger Gesetzesregelungen im Wege der „Nachbesserung“, was das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Chancengleichheit der Parteien ausdrücklich festgestellt hat.674 2. Voraussetzungen einer Anpassungspflicht 586

Eine Anpassungspflicht für den Gesetzgeber besteht, worauf bereits hingewiesen wurde, allerdings nur dann, wenn sich die ursprüngliche Grundlage bei Gesetzeserlass so entscheidend geändert hat, dass sie nicht mehr herangezogen werden kann, oder wenn früher zugrunde gelegte Tatsachen sich als nicht mehr haltbar erweisen. Hierbei kann es sich auch um „neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen“ auf wissenschaftlich-technischem Gebiet handeln,675 es können aber auch „veränderte Umstände“ 676 oder wesentliche Änderungen der Verhältnisse vorliegen.677 Eine Anpassungs- oder Nachbesserungspflicht wird akut, wenn die Verfassungswidrigkeit einer Regelung deutlich erkennbar oder „offenkundig“ wird.678

587

Insbesondere muss der Gesetzgeber bei einem „hohe[n] Gewicht der grundrechtlichen Belange“ – gegebenenfalls mit der Pflicht zur Nachbesserung – „vorhandene Erkenntnisquellen“ ausschöpfen und sich am (jeweiligen) Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse orientieren“.679 Er muss seinen Regelungen Kriterien zugrunde legen, „die in den tatsächlichen Verhältnissen eine Entsprechung finden.“ 680

B. Notwendigkeit differierender Beurteilung aufgrund neuen Datenmaterials I. Keine Selbstprivilegierung 588

Hinsichtlich der Stellung des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR haben sich wesentliche Ausgangsthesen des Gesetzgebers als unrichtig erwiesen. 673 BVerfGE 54, 277 (296); 2, 1 (12); 23, 353 (373); 26, 228 (244); s. auch oben RN 258. 674 E 107, 286 (294). 675 Vgl. BVerfGE 49, 89 (90 Ls. 3, 130); 56, 54 (78 f.). 676 Vgl. BVerfGE 90, 145 (219). 677 BVerfGE 129, 300 (322). 678 BVerfGE 88, 203 (210); 16, 130 (142); vgl. auch Windoffer, Entscheidungsmonitoring in Gesetzgebung und Verwaltung, in: VerwArch. 102 (2011), S. 343 (348). 679 BVerfGE 116, 69 (90 f.). 680 BVerfGE 111, 115 (138).

218

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

So lässt sich zunächst die Annahme einer „Selbstprivilegierung“ des MfS einschließlich der „finanziellen Absicherung des Alters“ 681 nicht halten. Besoldung und Versorgung beruhten auf normativen Regelungen,682 und selbst die vom Bundesverfassungsgericht683 erwähnten „Übergangsbeihilfen“ und „gesonderten Übergangsgebührnisse“, die in der Auflösungsphase gezahlt wurden, lassen sich auf einen Beschluss des Ministerrates der DDR zurückführen, der sich seinerseits auf die entsprechende Besoldungsordnung von 1987 stützt.684 589

Auch die Vorzugsbehandlung beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen, Wohnraum und Ferienleistungen stellte kein Monopol der Staatssicherheit dar, sondern war teilweise (z. B. bei den Ferienleistungen) durch das planwirtschaftliche System bedingt und kam auch anderen Gruppen (z. B. den Angehörigen der bewaffneten Organe) zugute, wobei im Übrigen Privilegien dieser Art für die Verfassungsmäßigkeit der Versorgungsüberleitung irrelevant sind.685 II. Fehlende „fundierte Informationen zum Einkommensgefüge“

590

Das Bundesverfassungsgericht hatte wiederholt beanstandet, dass „Zahlen über Lohn- und Gehaltsstrukturen in der Deutschen Demokratischen Republik, über das Einkommensgefüge in den hier einschlägigen Beschäftigungsbereichen und über das Verhältnis der dort erzielten Verdienste zum volkswirtschaftlichen Mittelwert“ nicht vorliegen.686 Dabei hatte es insbesondere gerügt, dass der Gesetzgeber „Veränderungen im Einkommensgefüge“ der DDR nicht Rechnung getragen habe,687 dass konkrete Erkenntnisse darüber fehlten, „ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen“ überhöhte Entgelte gezahlt wurden,688 dass es „keine tatsächlichen Anhaltspunkte“ für Folgerungen des Gesetzgebers gab,689 dass „auf aussagefähige Daten“ nicht zurückgegriffen werden konnte690 und dass es schlechthin an „fundierten Informationen zum Einkommensgefüge“ mangele.691 Das ist im Hinblick auf den Grundrechtsschutz der Betroffenen deshalb bedenklich, weil wegen der verfassungsgerichtlichen Ergebniskontrolle derartige „Festsetzungen der Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger 681 BVerfGE 100, 138 (179); BVerfGK 3, 270 (273); vgl. auch oben RN 13, 25, 177, 504, 547, 557. 682 Vgl. auch BVerfGE 100, 138 (140 f.). 683 BVerfGE 100, 138 (179); s. auch oben RN 175. 684 Vgl. oben RN 175, 547, 564 ff. 685 Hierzu auch oben RN 548 ff. 686 BVerfGE 100, 59 (95); 111, 115 (138); s. auch oben RN 189, 506, 573. 687 BVerfGE 111, 115 (142 f.); s. auch oben RN 195, 507, 576. 688 BVerfGE 111, 115 (140 sub C I 3 a); s. auch oben RN 192, 506. 689 BVerfGE 100, 59 (100); vgl. auch E 111, 115 (138); s. ferner oben RN 133. 690 BVerfGE 100, 59 (102 f.); s. auch oben RN 329. 691 BVerfGE 111, 115 (143 oben); s. auch oben RN 577.

3. Kap.: Zur „Sonderstellung‘‘ des Ministeriums für Staatssicherheit

219

Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen sein“ müssen.692 Das Bundesverfassungsgericht prüft daher in derartigen Fällen der Leistungsfestsetzung nach, ob der Gesetzgeber ein „im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt hat, ob er die erforderlichen Tatsachen im wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und schließlich, ob er sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt hat693 oder ob der Gesetzgeber „von unzutreffenden oder unvollständigen Tatsachen ausgegangen“ ist.694 591

Hinsichtlich der von § 7 AAÜG betroffenen Personengruppe weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass die „Struktur der beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommen . . . in der Deutschen Demokratischen Republik – anders als in anderen Arbeitsbereichen – statistisch“ nicht hinreichend erfasst war.695 III. Neue Forschungsergebnisse

592

Die vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Tatsachen-Situation hat sich nunmehr jedoch durch eine Untersuchung von Miethe und Weißbach696 geändert.

593

In diesem Gutachten werden erstmalig zum Bruttoeinkommen der militärischen Bereiche der DDR vorliegende Basisdaten in Bundesbehörden statistisch ausgewertet. Die ermittelten monatlichen Durchschnittseinkommen werden untereinander sowie mit dem in der (zivilen) Volkswirtschaft erzielten Einkommen verglichen. Dabei wurden ca. 6 Millionen Datensätze des Bundesverwaltungsamtes und der Wehrbereichsverwaltung Ost zum rentenrelevanten Bruttoeinkommen der dem jeweiligen Sonderversorgungssystem angehörenden hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS, der NVA und des MdI als Dienststelle, Dokumente aus Bundesarchiven, insbesondere der Stasi-Unterlagen-Behörde zu Qualifikations-, Geschlechts- und Organisationsstrukturen der Beschäftigten in den militärischen Bereichen sowie den Rechtsgrundlagen ihrer Entlohnung und Angaben der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik in der DDR ausgewertet.

594

Durch die detaillierte Untersuchung werden pauschale Thesen einer Privilegierung der Angehörigen des MfS im Einkommensgefüge der DDR widerlegt. So 692

BVerfGE 125, 175 (226). BVerfGE a. a. O. 694 Vgl. BVerfGE 122, 1 (31). 695 BVerfGE 100, 138 (180 oben); BVerfGK 3, 270 (272 oben); s. ferner RN 504, 538, 568. 696 Horst Miethe/Hans-Jürgen Weißbach, Einkommensentwicklung und Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Vergleich zu Segmenten des so genannten X-Bereichs (NVA und MdI) und zur Volkswirtschaft, Juli 2009. 693

220

2. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung

liegen beispielsweise die Ursachen von Unterschieden im Einkommensniveau der Kernbeschäftigten von NVA und MfS neben unterschiedlich starker Besetzung verschiedener Dienstgrade vor allem im höheren Lebens- und Dienstalter der Mitarbeiter des MfS in Verbindung mit einem für sie geltenden 5 v. H. höheren Altersbonus. Ferner erklärt beispielsweise der unterschiedliche Anteil von Frauen sowie von Höherqualifizierten an den Beschäftigten über die Hälfte des für 1988 statistisch ermittelten Unterschiedes im Durchschnittseinkommen der Volkswirtschaft und des MfS von 59 v. H., wobei es im Übrigen für die Verfassungsmäßigkeit des § 7 AAÜG wegen der Unterschiedlichkeit der Alterssicherungssysteme auf diesen Einkommensunterschied nicht ankommen kann. 595

War der Gesetzgeber nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch nicht gehalten, „langwierige[r] Ermittlungen . . . zur Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur sowie zur Struktur der beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommen“ anzustellen,697 so kann er doch an den durch neuere Forschungsergebnisse belegten Zahlen nicht vorübergehen, die die Verfassungswidrigkeit des auf frühere Annahmen gestützten § 7 AAÜG698 belegen. Er muss vielmehr § 7 im Lichte neuerer Tatsachen, jüngerer Gesetzesnovellierungen und neuerer Rechtsprechung überprüfen.

697 698

BVerfGE 100, 138 (179 f.); s. auch oben RN 144, 568. Vgl. BVerfGE 16, 130 (142); 88, 203 (309 f.).

Dritter Teil

Verfassungsprozessuale Fragen Erstes Kapitel

Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine eigenen Entscheidungen 596

Da sich das Bundesverfassungsgericht mehrfach zur Verfassungsmäßigkeit des § 7 AAÜG geäußert hat, stellt sich die Frage, ob das Gericht von seinen eigenen Erkenntnissen abweichen darf, wobei zwischen den unterschiedlichen prozessualen Folgen (Rechtskraft, Bindungswirkung und Gesetzeskraft) zu unterscheiden ist.1

A. Zur Bindungswirkung und Gesetzeskraft 597

Gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Sie haben darüber hinaus nach § 31 Abs. 2 des Gesetzes in bestimmten Fällen, speziell als Normenkontrollentscheidungen, Gesetzeskraft, so dass eine Bindungswirkung inter omnes eintritt. Die Regelungen des § 31 BVerfGG binden jedoch nicht das Bundesverfassungsgericht.2

B. Zur Rechtskraft 598

Die materielle Rechtskraft einer Entscheidung beschränkt sich von vornherein „auf die Entscheidungsformel, den Entscheidungstenor“.3

1

s. hierzu auch oben RN 223 ff. Vgl. BVerfGE 4, 31 (38); 20, 56 (87); 77, 84 (104); 82, 198 (205); 104, 151 (197); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 8. Aufl., 2010, RN 482; Bethge, in: Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31 RN 120. 3 Vgl. BVerfGE 4, 31 (38 f.); 20, 56 (86); 33, 199 (203); 70, 242 (249 f.); 82, 198 (205); Schlaich/Korioth a. a. O., RN 479; Bethge, in: Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 91 RN 94; s. hierzu auch oben RN 183, 229. 2

222

3. Teil: Verfassungsprozessuale Fragen

599

Darüber hinaus bezieht sich die Rechtskraft jeder gerichtlichen Entscheidung auf den Zeitpunkt, in dem diese ergeht, beruht also auf den zu dieser Zeit „bestehenden Verhältnissen“.4

600

Die Rechtskraft einer Entscheidung steht also nicht der Berufung auf neue Tatsachen, die nach dem Zeitpunkt der Entscheidung entstanden sind, entgegen.5 Generell entfällt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Prozesshindernis entgegenstehender Rechtskraft dann, wenn „später rechtserhebliche Änderungen der Sach- und Rechtslage eintreten“,6 wobei allerdings unter Zugrundelegung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darzulegen ist, „inwiefern sich die für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgebliche Lage verändert“ hat.7 Zweites Kapitel

Zulässigkeit erneuter Verfassungsbeschwerden A. Fehlende gesetzliche Regelung 601

Bei der Interpretation des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ist zu berücksichtigen, dass dieses, worauf das Bundesverfassungsgericht hinweist,8 „keine umfassende Verfahrensregelung enthält, so dass für die Ausgestaltung des Verfahrensrechts sowohl das Verwaltungs- als auch das Zivilprozessrecht herangezogen werden können“. Für diese Prozessordnungen ist anerkannt, dass die Rechtskraft einer früheren Entscheidung nicht die Berufung auf eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse hindert.9

602

Aus diesem Grunde hält das Bundesverfassungsgericht eine erneute gerichtliche Vorlage an sich dann für zulässig, wenn sie von der Begründung der früheren Entscheidung ausgeht und neue Tatsachen dartut, die geeignet sind, ein von der früheren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abweichendes Erkenntnis zu ermöglichen.10

603

Obwohl die Ausführung des Bundesverfassungsgerichts gerichtliche Vorlagen (Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG) betreffen, können sie entsprechend für die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden herangezogen werden, auch 4

BVerfGE 33, 199 (203 f.); 70, 242 (249 f.); 82, 198 (205); s. auch oben RN 183. BVerfGE a. a. O. 6 BVerfGE 128, 326 (364); 109, 64 (84); 87, 341 (346); 82, 198 (205 (208); 33, 199 (203 f.); vgl. auch E 36, 41 (46). 7 BVerfGE 87, 341 (346); 78, 38 (48); 39, 169 (181 f.); 33, 199 (203 f.). 8 BVerfGE 33, 199 (204). 9 BVerfGE a. a. O., S. 204. 10 BVerfGE 33, 199 (204); 65, 179 (181); 70, 242 (250). 5

2. Kap.: Zulässigkeit erneuter Verfassungsbeschwerden

223

wenn das Bundesverfassungsgericht zu der entscheidungserheblichen Frage bereits Stellung genommen hat.11 Dies folgt auch aus den Entscheidungsgründen eines Kammerbeschlusses,12 wonach eine erneute verfassungsgerichtliche Überprüfung des § 7 Abs. 1 AAÜG zulässig ist, „sofern neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen können.“ 13

B. Vorbringen „neuer rechtserheblicher Tatsachen“ 604

Bei „neuen Tatsachen“, die z. B. gemäß § 359 Nr. 5 StPO die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zulassen, handelt es sich um „alle dem erkennenden Gericht unbekannt gebliebenen Umstände“,14 z. B. um eine Tatsache, „die dem seinerzeit erkennenden Gericht nicht bekannt war und von ihm daher bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden konnte“,15 wobei es nicht entscheidend ist, ob dem Gericht seinerzeit die Umstände hätten bekannt sein können. I. Zur Rechtserheblichkeit neuer Tatsachen

605

Rechtserheblich sind neue Tatsachen nicht bereits dann, wenn sie rechtlich relevant sein können. Vielmehr müssen sie nicht nur einen Bezug „zu der maßgeblichen Frage“ des Rechtsstreits haben,16 sondern sich auf die tragenden Feststellungen der bereits vorliegenden Entscheidung beziehen und eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung rechtfertigen bzw. zu ihr Anlass geben können.17 „Tragende“ Feststellungen oder Entscheidungsgründe eines Erkenntnisses sind solche, die den Tenor tragen und die „nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfällt.“ 18 Sie sind nicht mit den Leitsätzen einer Entscheidung gleichzusetzen19 und grenzen sich von den nicht tragenden Gründen der Entscheidung ab, „die außerhalb des Begründungszusammen11

Vgl. für § 7 AAÜG BVerfGE 100, 138 (182 f.). BVerfGK 3, 270 (272 sub III 2). 13 Vgl. auch BVerfG (Kammer) NZS 2006, S. 201 sub II 1. 14 OLG Frankfurt, NJW 1978, S. 841. 15 OLG Düsseldorf, NJW 1987, S. 2030. 16 BVerfGE 80, 269 (285 oben). 17 BVerfGK 3, 270 (272 sub III 2); BVerfGE 33, 199 (204); 36, 41 (46 oben); 70, 242 (250 oben). 18 BVerfGE 115, 97 (110); 96, 375 (404); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, RN 488; vgl. auch Christian Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, S. 289; hierzu auch oben RN 234. 19 Hierzu oben RN 235 ff. 12

224

3. Teil: Verfassungsprozessuale Fragen

hangs“ stehen und „bei Gelegenheit einer Entscheidung“ gemacht werden.20 Insbesondere wenn sich aufgrund „neuer und erheblicher tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte“ die verfassungsrechtliche Beurteilung hinsichtlich der „verfassungsrechtlichen Grenzen gesetzgeberischer Typisierung und Pauschalierung geändert haben können“, ist eine erneute Vorlage zulässig.21 Bei der Rentenüberleitung müssen sich gesetzgeberische Regelungen gerade im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG auf Tatsachen zurückführen lassen, die die Annahme gestatten, „dass überhöhte Arbeitsentgelte gerade an die vom Gesetz erfassten Gruppen gezahlt worden sind oder dass Entgelte ab den vom Gesetz festgelegten Grenzen als überhöht angesehen werden müssen.“ 22 Bei Fragen der Vereinbarkeit gesetzlicher Regelungen mit dem Gleichheitssatz hängt die „Beantwortung nicht unerheblich von sich wandelnden tatsächlichen Verhältnissen oder einfachrechtlichen Rahmenbedingungen“ ab.23 II. Zum Begriff der Tatsache 606

Tatsachen sind Lebenssachverhalte oder einzelne Elemente derselben. Sie können sich im Innern des Menschen abspielen oder äußerlich wahrnehmbar sein (innere und äußere Tatsachen). Es kann sich aber auch um tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte handeln.24 Rechtlich relevante Gesichtspunkte sind vor allem Gesetzgebungsakte (Gesetzesaufhebung, Gesetzesänderung),25 aber auch Änderungen höchstrichterlicher Rechtsprechung u. ä.26

Drittes Kapitel

Neue und rechtserhebliche Tatsachen zur Beurteilung des § 7 AAÜG A. Neue Tatsachen I. Neue Forschungsergebnisse 607

Als neue Tatsachen sind die Forschungsergebnisse des Gutachtens von Miethe und Weißbach27 zu den Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter 20 21 22 23 24 25 26 27

BVerfGE 96, 375 (404); s. oben RN 238 ff. BVerfGE 84, 348 (358). BVerfGE 111, 115 (137 f.); s. auch oben RN 188. Vgl. BVerfGE 120, 1 (28). So ausdrücklich BVerfGE 84, 348 (358). Vgl. hierzu BVerfGE 82, 198 (205); auch E 84, 348 (358). Vgl. hierzu BVerfGE 128, 326 (365). Miethe/Weißbach a. a. O. (RN 592).

3. Kap.: Neue und rechtserhebliche Tatsachen

225

des MfS im Vergleich zur NVA und zum MdI sowie zur Volkswirtschaft anzusehen, da ähnliche Untersuchungen hinsichtlich der Breite des Datenmaterials sowie der Ursachen von Einkommensdifferenzen bisher nicht vorliegen. Das jetzige Gutachten wird auch den Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichts28 gerecht, das die Untersuchung für „nur begrenzte Zeiträume“ und einen Vergleich nur mit den „Entgeltstrukturen und [der] Entgelthöhe mit dem produzierenden Gewerbe der Deutschen Demokratischen Republik“ gerügt hatte. 608

Gerade für das Versorgungsüberleitungsrecht hatte das Bundesverfassungsgericht wiederholt das Fehlen „fundierter Informationen zum Einkommensgefüge“ bemängelt.29 Insofern werden mit dem Gutachten von Miethe/Weißbach aufschlussreiche, teilweise auch überraschende Erkenntnisse auf fundiertem Tatsachenmaterial vorgelegt.30 II. Wesentliche Änderungen des AAÜG

609

Neue rechtliche Gesichtspunkte werfen die zahlreichen Änderungen des AAÜG auf, die die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts,31 aber auch die Kammer-Entscheidung aus dem Jahre 200432 noch nicht berücksichtigen konnten.

B. Rechtserheblichkeit 610

Sowohl die neuen Forschungsergebnisse als auch die Änderungen des AAÜG, die dem Bundesverfassungsgericht bei seinen Entscheidungen zu § 7 AAÜG noch nicht vorlagen, sind rechtserhebliche Tatsachen. Denn sie beziehen sich auf die tragenden Feststellungen der zu § 7 AAÜG ergangenen verfassungsgerichtlichen Erkenntnisse und könnten hinsichtlich des nunmehr vorliegenden Datenmaterials, aber auch der Gesetzesänderungen Anlass zu einer anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung geben. Das gilt insbesondere für die erhebliche Ungleichbehandlung der Angehörigen des MfS einerseits und der vergleichbaren Angehörigen der NVA und des MdI im militärischen Sektor andererseits.

28 29 30 31 32

BVerfGK 3, 270 (273). Vgl. oben RN 590 ff. Vgl. im Einzelnen die Ausführungen zu RN 102, 340, 354, 369, 534, 542. BVerfGE 100, 138; s. oben RN 499 ff. BVerfGK 3, 270; s. oben RN 173 ff.

226

3. Teil: Verfassungsprozessuale Fragen

Viertes Kapitel

Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a BVerfGG A. Zur „grundsätzliche[n] verfassungsrechtliche[n] Bedeutung“ I. Leichte Beantwortbarkeit verfassungsrechtlicher Fragen aus dem Grundgesetz 611

Das Bundesverfassungsgericht verneint die grundsätzliche Bedeutung einer Verfassungsbeschwerde, wenn diese lediglich Fragen aufwirft, die sich „ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lassen“ oder die durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind.33

612

Wie wenig sich die Verfassungsmäßigkeit des § 7 AAÜG „ohne weiteres aus dem Grundgesetz“ beantworten lässt, macht das Schicksal dieser Gesetzesbestimmung deutlich. Denn die an die Verfassung gebundene Legislative hatte mit § 7 AAÜG a. F. eine Bestimmung in Kraft gesetzt, die das Bundesverfassungsgericht in einer Leitentscheidung für nichtig erklärt hat.34

613

Die für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Nachfolgevorschrift relevanten Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG bedürfen wegen ihres lapidaren Wortlauts einer eingehenden Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts35 insbesondere zur Gruppengerechtigkeit und zur legislatorischen Pauschalierungsbefugnis sowie zum Verfassungsschutz der in der DDR begründeten Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften, so dass für die Beantwortung der verfassungsrechtlichen Probleme der bloße Grundgesetz-Text nicht ausreicht. II. Ernsthafte verfassungsrechtliche Zweifel

614

Weiterhin verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass an der Beantwortung der verfassungsrechtlichen Frage „ernsthafte Zweifel bestehen“ müssen, wofür es als Anhaltspunkte eine kontroverse Diskussion in der Fachliteratur oder unterschiedliche Auffassungen in der Rechtsprechung der Fachgerichte ansieht.36

615

In der nicht sehr umfangreichen Literatur zur Verfassungsmäßigkeit der Versorgungsüberleitung bezeichnete Merten37 schon 1993 § 7 AAÜG als mit Art. 3

33 34 35 36 37

BVerfGE 119, 292 (301); 90, 22 (24 sub III 1). s. oben RN 138 ff. s. oben RN 257 ff., 430 ff. BVerfGE 90, 22 (24 f.). Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, 1993, S. 148 Nr. 18.

4. Kap.: Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a BVerfGG

227

Abs. 1 GG für unvereinbar. Kai Alexander Heine38 hält ebenfalls die Entgelt- und Zahlbetragsbegrenzungen des AAÜG, darunter § 7 Abs. 1 Satz 1, für verfassungswidrig. Der Berichterstatter der „Leitentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts zu § 7 AAÜG,39 Udo Steiner, kritisiert vorsichtig, dass der Gesetzgeber die Vorgaben des Einigungsvertrags „in einer sehr pauschalierenden Weise“ umgesetzt habe, was auch „für die Überleitung von rentenrechtlichen Positionen von Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit (§ 7 AAÜG)“ gelte, wobei er darauf hinweist, dass der Gesetzgeber von der Ermächtigung des Einigungsvertrags, aufgrund einer Einzelfallprüfung Renten zu kürzen oder abzuerkennen, keinen Gebrauch gemacht habe.40 616

Für die Zweifel in der Sozialgerichtsbarkeit spricht der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts vom 14.6.1995.41 III. Über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an der Klärung

617

Schließlich verlangt das Bundesverfassungsgericht für die grundsätzliche Bedeutung einer Verfassungsbeschwerde „ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse“ an der Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen, was der Fall sei, wenn sie „für eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten bedeutsam ist oder ein Problem von einigem Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann.“ 42

618

Schätzt man angesichts der aktiven Mitarbeiter des MfS von 91.015 zum 31. Oktober 198943 sowie der ausgeschiedenen Angehörigen die Zahl der MfSVersorgungsberechtigten auf ca. 125.000, so muss die Kürzung des § 7 AAÜG auch in Zukunft für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung sein. Nach einer Auskunft des Rechtsanwaltsbüros Bleiberg (Berlin, Knesebeckstraße 32) werden von ihm mehr als 4.500 anhängige Klagen wegen Verfassungswidrigkeit des § 7 AAÜG betreut.

38

Kai Alexander Heine, Die Versorgungsüberleitung, 2003, S. 368. E 100, 138. 40 Udo Steiner, Verfassungsrechtliche Fragen der Überleitung des Alterssicherungssystems der Deutschen Demokratischen Republik in die gesamtdeutsche gesetzliche Rentenversicherung, in: Ulrich Becker u. a. (Hg.), Alterssicherung in Deutschland, FS Ruland, 2007, S. 315 (318); ders., Verfassungsfragen der deutschen Wiedervereinigung im Sozialrecht, NZS 2010, S. 529 (530 sub B I 1 b). 41 4 RA 54/94; hierzu BVerfGE 100, 138 (158). 42 BVerfGE 90, 22 (25). 43 s. oben RN 373. 39

228

3. Teil: Verfassungsprozessuale Fragen

IV. Klärung der Rechtsfrage durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung 619

Die grundsätzliche Bedeutung einer Verfassungsbeschwerde verneint das Bundesverfassungsgericht regelmäßig, wenn Rechtsfragen „durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind.“ 44

620

Führte man diesen Grundsatz uneingeschränkt durch, so käme es allerdings zu einer Versteinerung des Verfassungsrechts. Denn Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wie Wandlungen in der Auffassung des Schrifttums könnten nicht berücksichtigt werden, wenn zu der jeweiligen Verfassungsfrage eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorläge. Aus diesem Grunde macht das Bundesverfassungsgericht von dem Prinzip fehlender grundsätzlicher Bedeutung einer Verfassungsbeschwerde bei Klärung durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung für die Fälle eine Ausnahme, in denen Probleme „durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden“ sind.45

621

Diese Voraussetzungen sind, wie bereits dargelegt,46 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 7 AAÜG n. F. gegeben, so dass einer erneuten Verfassungsbeschwerde nicht wegen einer Vorentscheidung des Bundesverfassungsgerichts die grundsätzliche Bedeutung fehlt.

B. Grundrechtsdurchsetzungsbedarf sowie Vermeidung eines besonders schweren Nachteils für den Beschwerdeführer 622

Für die Annahme einer Verfassungsbeschwerde bedarf es gemäß § 93a Abs. 2 lit. b Halbs. 1 BVerfGG, dass dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 des Gesetzes genannten Grundrechte angezeigt ist. Dies kann gemäß § 93a Abs. 2 lit. b Halbs. 2 auch der Fall sein, „wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht“. I. Notwendigkeit der Grundrechtsdurchsetzung 1. Keine Verweisung auf außerdeutschen Gerichtsschutz oder auf Entschädigungsansprüche

623

Die Verfassungsbeschwerde ist gemäß eindeutigem Gesetzeswortlaut ein Mittel zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG aufgeführten Grundrechte des 44 BVerfGE 119, 292 (301); 108, 129 (136); 96, 245 (248); 90, 22 (24); 71, 64 (65); 66, 191 (195); 63, 340 (341); 63, 251 (252); 63, 177 (179); st. Rspr. seit E 19, 148 (149). 45 BVerfGE 95, 245 (248); 90, 22 (24). 46 s. oben RN 607 ff.

4. Kap.: Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a BVerfGG

229

Grundgesetzes. Damit kommt diesem Rechtsbehelf auch die Funktion zu, „das objektive Verfassungsrecht zu wahren sowie seiner Auslegung und Fortbildung zu dienen.“ 47 624

Da es um die Durchsetzung grundgesetzlicher Grundrechte geht, kann der Beschwerdeführer nicht darauf verwiesen werden, seiner Beschwer durch Inanspruchnahme außerdeutschen Gerichtsschutzes (z. B. durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder den Gerichtshof der Europäischen Union) abzuhelfen. Denn die Individualbeschwerden an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schützen gemäß Art. 34 EMRK nur davor, „in einem der in dieser Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Rechte verletzt zu sein“. In gleicher Weise sichert der Europäische Gerichtshof gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV nur die „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“, so dass Auslegungsfragen des innerstaatlichen Rechts nicht erfasst werden.48

625

Auch der Hinweis auf mögliche spätere Entschädigungen würde dem Sinn verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes und dem Wortlaut des § 93a BVerfGG nicht gerecht werden. Denn der Charakter der Grundrechte als „unmittelbar geltendes Recht“ (Art. 1 Abs. 3 GG) und der Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde räumen der Grundrechtsdurchsetzung und damit der Effektivität der Grundrechte Vorrang vor etwaigem Schadensersatz wegen Grundrechtsverletzung ein und erteilen dem früheren Satz „Dulde und liquidiere“ (vgl. §§ 74, 75 Einl. ALR) eine eindeutige Absage. 2. Anderweitige Abhilfemöglichkeiten

626

Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde könnte auch dann nicht angezeigt sein, wenn dem Beschwerdeführer andere, ihm zumutbare Möglichkeiten der Abhilfe zur Verfügung stünden. a) Fachgerichtsbarkeit

627

Die Fachgerichtsbarkeit, die der Beschwerdeführer wegen des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ohnehin anrufen muss, kann zwar das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen, wenn sie ein für die Entscheidung relevantes Gesetz für verfassungswidrig hält. Hierfür reichen jedoch Zweifel oder Bedenken des Gerichts nicht aus,49 so

47

BVerfGE 98, 218 (243); 85, 109 (113); 79, 365 (367). Vgl. statt aller Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd. I: EUV/AEUV, 2011, Art. 19 RN 48. 49 BVerfGE 1, 184 (188 f.); st. Rspr. 48

230

3. Teil: Verfassungsprozessuale Fragen

dass das Gericht von der Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes überzeugt sein und diese Überzeugung „nachvollziehbar darlegen“ muss.50 628

Der Beschwerdeführer kann als Kläger auf diese Überzeugungsbildung zwar durch seinen Vortrag einwirken, hat aber keine prozessualen Möglichkeiten, einen Vorlagebeschluss der Fachgerichte zu beantragen. Zwar haben die Fachgerichte wegen ihrer rechtsstaatlichen Bindung an die Verfassung vorgetragenen Zweifeln an der Verfassungskonformität einer Regelung nachzugehen, ohne dass sie jedoch die Verfassungsfragen letztverbindlich entscheiden können. Soweit ein Fachgericht „Grundrechtsbestimmungen unmittelbar selbst ausgelegt und angewandt hat, obliegt es dem Bundesverfassungsgericht, Reichweite und Grenzen der Grundrechte zu bestimmen und festzustellen, ob Grundrechte nach ihrem Umfang und Gewicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise berücksichtigt worden sind.“ 51

629

Deshalb ermöglicht das Verfassungsprozessrecht die Erhebung einer Urteilsverfassungsbeschwerde, die infolgedessen einem Beschwerdeführer nicht mit der Begründung versagt werden kann, die Fachgerichtsbarkeit gewähre ausreichenden Grundrechtsschutz. b) Exekutive

630

Eine Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde unter Hinweis auf eine Verwerfungskompetenz der Exekutive stieße insbesondere im Falle des § 7 AAÜG auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Zwar muss der Exekutive wegen ihrer Bindung an die Verfassung auch bei nachkonstitutionellen formellen Gesetzen eine Prüfung der Verfassungskonformität zustehen. Davon geht auch Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG aus, der der Bundesregierung oder einer Landesregierung ein Antragsrecht im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle zuspricht. Ob mit dieser Prüfungskompetenz auch eine Verwerfungskompetenz einhergeht, ist umstritten.52

631

Die einfachgesetzliche Vorschrift des § 76 Nr. 2 BVerfGG, wonach ein Antrag auf abstrakte Normenkontrolle u. a. dann gestellt werden kann, wenn eine Verwaltungsbehörde „Bundes- oder Landesrecht als unvereinbar mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht nicht angewendet hat“, sagt über den Umfang der Prüfungs- und Verwerfungskompetenz (insb. hinsichtlich nachkonstitutioneller formeller Gesetze) nichts aus. Ob eine Verwerfungspflicht die Exekutive auch 50

BVerfGE 86, 71 (76 f.). BVerfGE 108, 282 (294). 52 Ablehnend Hall, DÖV 1965, S. 253; Menger, VerwArch. 52, S. 307; Götz, NJW 1960, S. 1177; Hoffmann, JZ 1961, S. 193. Bejahend dagegen Bachof, AöR 87 (1962), S. 1 (40 ff.); Forsthoff, DÖV 1959, S. 42; Scheuner, BB 1960, S. 1253; Abelein, BayVBl. 1967, S. 145; Arndt, DÖV 1959, S. 81 ff. 51

4. Kap.: Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a BVerfGG

231

bei nachkonstitutionellen formellen Gesetzen besteht, ist umstritten. Sie wird mitunter nur für Fälle einer eindeutigen Verfassungswidrigkeit bejaht.53 632

Da § 7 AAÜG insbesondere im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als „eindeutig“ verfassungswidrig qualifiziert werden kann, ist eine Verwerfungspflicht der rechtsanwendenden Behörden zu verneinen. c) Gesetzgebung

633

Schließlich kann der Beschwerdeführer nicht auf ein Tätigwerden der Legislative verwiesen werden. Zwar kann sich die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit aufgrund verfassungsrechtlicher Gebote zu einer Gesetzgebungspflicht verdichten. Diese kann auch aus grundrechtlichen Schutzpflichten folgen, die aus dem jeweiligen Grundrecht abgeleitet werden.54

634

Bei erheblicher Gefahr für existentielle Rechtsgüter reduziert sich das Ermessen der Legislative „auf Null“.55 Bleibt der Staat hinter dem gebotenen Schutzumfang zurück, so verletzt er das aus den grundrechtlichen Schutzpflichten folgende Untermaßverbot.56

635

Kommt die Gesetzgebung grundrechtlichen Schutzpflichten nicht nach, so liegt darin eine Verletzung des Grundrechts, gegen die sich der Betroffene mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen kann.57

636

Wegen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit58 und der daraus resultierenden beschränkten verfassungsgerichtlichen Nachprüfung ist eine Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten für den Beschwerdeführer ungünstiger als die Erhebung einer Urteilsverfassungsbeschwerde. II. Entstehung eines „besonders schweren Nachteils“ 1. Funktion und Inhalt des § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG

637

In vielen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zur Sache versagt, weil dem Beschwerdeführer kein „besonders schwerer Nachteil“ 53 So Bachof a. a. O.; weitergehend Forsthoff a. a. O.; vgl. auch Merten, Normenkontrolle der Verwaltung, in: Juristische Arbeitsblätter 1970, ÖR S. 99 ff. 54 Vgl. BVerfGE 39, 1 (42); 45, 187 (254 f.); 46, 160 (164); 49, 24 (53); 53, 30 (57); 56, 54 (73); 77, 381 (403); 88, 203 (251); s. auch H.H. Klein, DVBl. 1994, S. 492 sub III. 55 Vgl. BVerfGE 39 (46 f.), 46, 160 (164 f.); 77, 170 (215); BVerfG (Kammer) NJW 1998, S. 3264 (3265). 56 BVerfGE 88, 203 Ls. 6. 57 BVerfGE 77, 170 (214). 58 Vgl. BVerfGE 88, 203 (262 f.).

232

3. Teil: Verfassungsprozessuale Fragen

(§ 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG) oder kein „schwerer und unabwendbarer Nachteil“ entsteht.59 638

Nach Auffassung des Gerichts dient § 93a BVerfGG auch seiner Entlastung, weshalb in einem vereinfachten Verfahren „Verfassungsbeschwerden von geringem sachlichen Gehalt ausgeschieden und die Arbeit des Gerichts auf die einer Entscheidung durch das Verfassungsgericht bedürftigen Fälle konzentriert werden“. Anderes gelte, wenn besondere Umstände des Einzelfalls entgegenstehen; in welchen Fällen ein schwerer Nachteil für einen Beschwerdeführer verneint werden kann, lasse sich jedoch nicht allgemein, sondern nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden.60

639

Kein „besonders schwerer Nachteil“ entsteht, wenn ein Beschwerdeführer durch die Versagung der Sachentscheidung „im Ergebnis nur unbedeutend betroffen wird“,61 wobei das Gericht grundsätzlich zwischen vermögensrechtlichen und sonstigen Ansprüchen unterscheidet.62

640

Bei wirtschaftlichen Nachteilen des Beschwerdeführers lehnt das Bundesverfassungsgericht die Annahme von Verfassungsbeschwerden in Bagatellfällen ab, in denen die finanzielle Beschwer gering ist, z. B. knapp 62 DM jährlich,63 „Geldstrafen von 150 und 120 DM . . . angesichts der erheblichen Umsätze, die die Beschwerdeführer mit . . . Nachprägungen erzielt haben“,64 „Kosten von 27,04 DM“ für „einen Schlachtermeister“ 65 oder wenn die Urteilsverfassungsbeschwerde „lediglich wegen ihrer Auswirkung auf die Kostenentscheidung“ erhoben wurde.66 2. Die intensive Rentenminderung aufgrund von § 7 AAÜG

641

Bei den Rentenkürzungen aufgrund von § 7 AAÜG handelt es sich in der übergroßen Zahl der Fälle nicht um eine finanzielle Bagatelle. Zunächst wirken sich bei den Altersrenten in der Regel wegen der unter Umständen langen Zeitdauer der Zahlungen (gegebenenfalls auch in der Form von Hinterbliebenenrenten) selbst kleinere monatliche Rentenminderungen in ihrer Summe beträchtlich aus. 59 Vgl. BVerfGE 91, 186 (200); 68, 334 (336), 66, 211 (213); 53, 362 (364); 47, 102 (103); 46, 313 (314 f.); 43, 53 (56 ff.); 42, 261 (263); 40, 233 (235 ff.); 38, 206 (209, 211 f.); 37, 305 (309, 312 f.); 36, 89 (91 f.); 33, 236 (238, 240); 33, 247 (256 ff., 260); 20, 276 (279); 19, 148 (149). 60 BVerfGE 47, 102 (104). 61 BVerfGE 46, 313 (315). 62 BVerfGE 47, 102 (105). 63 BVerfGE 91, 186 (200 sub B I). 64 BVerfGE 38, 206 (211). 65 BVerfGE 19, 148 (149); vgl. ferner E 20, 276 (279); 40, 233 (237); 42, 261 (263); 43, 53 (58 oben). 66 BVerfGE 33, 247 (261).

5. Kap.: Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen

233

Darüber hinaus macht sich bei allen Versorgungsberechtigten mit überdurchschnittlichem Einkommen die Absenkung auf den Durchschnittsverdienst nach Anlage 6 AAÜG je nach Höhe der Bezüge beträchtlich oder sehr bemerkbar, da der Durchschnittsverdienst im Mittel der Jahre 1950 bis 1989 nur 55,9 v. H. der Beträge der Beitragsbemessungsgrenze ausmachte.67 Das bedeutet, dass Versorgungsberechtigte des MfS/AfNS mit einem Einkommen knapp unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze durch den Kürzungsmechanismus des § 7 AAÜG für das Jahr 1989 knapp 46,9 v. H. ihrer rentenversicherungsrechtlich berücksichtigungsfähigen Beiträge einbüßten. Für den Zeitraum der Jahre 1953 bis 1989 macht diese Kürzung durchschnittlich 42,8 v. H. aus.68 642

Diese Werte sinken allerdings umso stärker, je mehr sich das Einkommen dem Durchschnittsentgelt nähert. Dennoch handelt es sich in fast allen Fällen nicht um eine geringe, sondern um eine besonders schwere finanzielle Beschwer der Betroffenen, die sich für sie auch als unabwendbarer Nachteil darstellt.

Fünftes Kapitel

Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Urteilsverfassungsbeschwerde 643

Von den vielen Zulässigkeitsvoraussetzungen der (Urteils-)Verfassungsbeschwerde69 bedürfen nur die Beschwerdebefugnis, die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde und das Rechtsschutzbedürfnis einer Behandlung.

A. Beschwerdebefugnis 644

Gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG muss der Beschwerdeführer (substantiiert) behaupten, in einem der Grundrechte des Grundgesetzes durch die öffentliche Gewalt verletzt zu sein, wobei aufgrund des Tatsachenvortrags mit der erforderlichen Deutlichkeit die Verletzung eines (im einzelnen zu bezeichnenden) Grundrechts zumindest möglich erscheinen muss.70

67

s. oben RN 356. s. oben RN 492. 69 s. die Übersicht bei Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 8. Aufl., 2010, RN 205, S. 133. 70 Vgl. BVerfGE 127, 87 (111); 126, 112 (132); 125, 39 (73); 115, 166 (180); 112, 185 (204); 99, 84 (87); 94, 49 (84); 89, 155 (171); 81, 347 (355); 78, 320 (329); 65, 227 (233); 64, 367 (375); 47, 253 (270); 38, 139 (146); Christian Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl., 1991, § 12 RN 27; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 8. Aufl., RN 216. 68

234

3. Teil: Verfassungsprozessuale Fragen

645

Der Beschwerdeführer muss den die Verletzung enthaltenen Sachverhalt schlüssig vortragen, so dass eine verfassungsgerichtliche Beurteilung ohne Beiziehung der Akten möglich ist. Die angegriffene Entscheidung muss daher in der Beschwerdebegründung so wiedergegeben werden, dass ihre Grundrechtskonformität geprüft werden kann.71 Bei der Urteilsverfassungsbeschwerde ist es wichtig, dass der Beschwerdeführer substantiiert dartut, das angegriffene Gerichtsurteil habe bei der Anwendung einfachen Rechts den Einfluss der Grundrechte gänzlich oder doch grundsätzlich verkannt.72

646

Darüber hinaus setzt die Zulässigkeit einer Urteilsverfassungsbeschwerde voraus, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet sein muss, „den Beschwerdeführer selbst, unmittelbar und gegenwärtig in seiner grundrechtlich geschützten Rechtsposition zu beeinträchtigen“. 73

647

Eine Selbstbetroffenheit ist zu bejahen, wenn sich der angegriffene Gerichtsentscheid gegen den Beschwerdeführer selbst richtet. Als „gegenwärtig“ ist die Betroffenheit anzusehen, wenn der hoheitliche Akt „auf die Rechtsstellung des Beschwerdeführers aktuell und nicht nur virtuell einwirkt“, d.h., wenn das Urteil den Beschwerdeführer aktuell betrifft.74 Die Unmittelbarkeit der Betroffenheit ist deshalb gegeben, weil das angegriffene Urteil unmittelbare Folgen für den Beschwerdeführer hat und es nicht eines anderen Aktes bedarf, der das angegriffene Urteil noch konkretisieren oder präzisieren muss.75

B. Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde I. Grundsatz 648

Gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG kann eine Verfassungsbeschwerde grundsätzlich erst nach Erschöpfung des für eine Grundrechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt eröffneten Rechtsweges erhoben werden. Deshalb muss der Beschwerdeführer alle prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der Verfassungsverletzung auch ohne das Bundesverfassungsgericht zu erwirken.76 71

Schlaich/Korioth a. a. O., RN 216. Schlaich/Korioth a. a. O., RN 222, S. 142. 73 BVerfGE 53, 30 (48 sub B I); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht a. a. O., RN 231; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 12 RN 35. 74 BVerfGE 102, 197 (207); 121, 69 (88); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, RN 234. 75 Vgl. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 12 RN 35. 76 BVerfGE 115, 81 (91 f.); 114, 258 (279); 114, 1 (32); 104, 65 (70 f.); 95, 163 (171 ff.); 96, 15 (22); 84, 203 (208); 81, 22 (27); 80, 40 (45); 79, 275 (278 f.); 78, 290 (301 f.); 78, 58 (68 f.); 77, 381 (401); 74, 102 (113 f.); 73, 322 (325); 68, 384 (389); 63, 77 (78); 22, 287 (290 f.); s. auch E 10, 264 (281); 8, 222 (225 f.); 5, 9 (10 f.). 72

5. Kap.: Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen

649

235

Damit soll nicht nur die Aufgabe der Fachgerichtsbarkeit, „die Grundrechte zu wahren und durchzusetzen“,77 erhalten, sondern auch dem Bundesverfassungsgericht ermöglicht werden, „die Fallanschauung und die Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere des jeweiligen oberen Bundesgerichts“ 78 kennenzulernen und damit zu vermeiden, „auf ungesicherten tatsächlichen Grundlagen weitreichende Entscheidungen treffen zu müssen.“ 79 II. Ausnahmen 1. Zur „ordnungsgemäßen“ Erschöpfung des Rechtswegs

650

Der gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG vorgeschriebene Rechtsweg muss „ordnungsgemäß“ erschöpft sein, d.h. dass eingelegte Rechtsmittel nicht verworfen oder als unzulässig zurückgewiesen worden sein dürfen.80 Unbeschadet dessen kann jedoch eine Verfassungsbeschwerde zulässig sein, wenn der eingelegte Rechtsbehelf „nicht offensichtlich unzulässig“ war.81

651

Offensichtlich unzulässig ist ein Rechtsbehelf vor den Fachgerichten aber nur, wenn der Beschwerdeführer nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre zum Zeitpunkt der Einlegung seines Rechtsbehelfs über dessen Unzulässigkeit und mangelnde Erfolgsaussichten nicht im Ungewissen sein konnte.82 2. Gefestigte richterliche Rechtsprechung

652

Des weiteren ist die Erschöpfung des Rechtswegs wegen Unzumutbarkeit dann nicht erforderlich, wenn ein Rechtsmittel im Hinblick auf eine gefestigte richterliche Rechtsprechung völlig aussichtslos ist.83 3. Selbständige Entscheidungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts

653

Ohne Rücksicht auf die Erschöpfung des Rechtswegs kann das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 über eine vor Erschöpfung des Rechts77

BVerfGE 49, 252 (258); vgl. auch E 47, 144 (145). BVerfGE 9, 3 (7); vgl. auch E 8, 222 (227); 65, 1 (38); 68, 376 (380); 69, 122 (125); 72, 39 (43); 74, 102 (113); 77, 381 (401); 78, 155 (160); 79, 29 (37 f.); 86, 15 (27); 86, 382 (387); 114, 258 (279); 123, 148 (173). 79 BVerfGE 53, 30 (53); 56, 54 (69); 77, 381 (401); 86, 15 (27). 80 Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, RN 246, S. 155. 81 BVerfGE 91, 93 (105 f.); 103, 172 (182). 82 Hömig, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Art. 93 RN 34, S. 28 m. Nachw. der Rechtsprechung des BVerfG in FN 1. 83 Vgl. BVerfGE 102, 197 (208); 79, 1 (20); 64, 256 (259 f.); 64, 208 (213); 61, 319 (241 sub B 2); 55, 154 (157 sub B); 16, 1 (2 sub II 2). 78

236

3. Teil: Verfassungsprozessuale Fragen

wegs eingelegte Verfassungsbeschwerde entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unanwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.84

C. Rechtsschutzbedürfnis 654

Das Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde ist zu bejahen, da der mit dem angegriffenen Urteil mittelbar angegriffene § 7 AAÜG weiterhin in Kraft ist. Es wäre dann zu verneinen, wenn der Beschwerdeführer es bewusst unterlassen hätte, vor den Fachgerichten die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift zu rügen.85

84 85

Vgl. BVerfGE 10, 302 (308 f.). Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, RN 257.

Vierter Teil

Zusammenfassung A. Zu RN 1–245

RN

655

1. In der DDR bestand eine umfassende Sozialpflichtversicherung mit einer 1–8 Beitragsbemessungsgrenze von 600 M monatlich. Die geringen Renten wurden nach der Wiedervereinigung um mehr als das Zweieinhalbfache aufgebessert. Für Bezieher von Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze bestand zusätzlich eine Freiwillige Zusatzrentenversicherung. Eine Reihe von Zusatzversorgungssystemen bezweckten, den Berechtigten in der Regel 90 v. H. des Nettolohns als Rente zu sichern.

656

2. Sonderversorgungssysteme stellten eine eigenständige Sicherung für Staats- 9–11 bedienstete außerhalb der Sozialversicherung dar. Der Beitragssatz betrug 10 v. H. der Bezüge (ohne Beitragsbemessungsgrenze). Die Rente machte grundsätzlich bis zu 90 v. H. der jeweiligen Nettobesoldung vor dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis aus. Die Sonderversorgungssysteme stellten eine Versorgung eigener Art dar und können mit der Beamtenversorgung in den alten Bundesländern verglichen werden.

657

3. Durch ein Aufhebungsgesetz der Volkskammer vom Juni 1990 wurden die 12–25 bestehenden Versorgungen „mit dem Ziel der Anpassung an das Niveau im zivilen Bereich“ in die Rentenversicherung überführt und „vorläufig“ nur in gekürzter Höhe gezahlt. Zur Begründung wurde seitens der Regierung ausgeführt, die ehemaligen Mitarbeiter des MfS seien „für das Leid und die Schäden mitverantwortlich, unabhängig davon, ob sie sich strafbarer Handlungen schuldig gemacht haben oder nicht“. „Stasi“ war zwar einer der Kampfbegriffe der revolutionären Umbruchbewegung geworden, die eigentliche Erbkrankheit der sozialistischen Gesellschaft war jedoch der diktatorische Zentralismus (de Maizière); die Suprematie der SED bildete den Kern des politischen Systems der DDR. Das BVerfG hat es abgelehnt, einen außerhalb nachweisbarer Straftatbestände liegenden „zusätzlichen Stasi-Unwert“ anzuerkennen.

658

4. Sowohl im Staatsvertrag als auch im Einigungsvertrag war man übereinge- 26–49 kommen, die Versorgungssysteme zu schließen und erworbene Ansprüche und Anwartschaften in die Rentenversicherung zu überführen, „wobei ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen sind sowie eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen Versorgungssystemen nicht erfolgen darf“. Darüber hinaus war im

238

4. Teil: Zusammenfassung

Einigungsvertrag festgelegt, Ansprüche und Anwartschaften zu kürzen oder abzuerkennen, „wenn der Berechtigte . . . gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat“. Letztere Vorschrift stellt eine individual-, keine kollektiv-bezogene Sanktion dar. Dies folgt auch aus dem im Rechtsstaatsprinzip und in der Menschenwürde-Garantie verankerten Schuldgrundsatz, der auch für strafähnliche Sanktionen gilt. Gerade für den Bereich des MfS hat das BVerfG darauf hingewiesen, dass „die – unbestreitbare – Unterdrückung der Bevölkerung durch das MfS . . . nicht den Nachweis individueller Schuld“ ersetzt. 659

5. Rentenkürzungen oder -aberkennungen widersprechen dem Grundsatz der 50–71 Wertneutralität des deutschen Sozialversicherungsrechts, so dass selbst strafgerichtlich verurteilte Schwerstkriminelle keine rentenrechtlichen Nachteile erleiden. Dieser Grundsatz wurde nur im „Dritten Reich“ und während der Besatzungsherrschaft nach dem Zusammenbruch durchbrochen. Die im Rahmen der Rentenüberleitung vertretene These, man könne den „Opfern“ nicht zumuten, dass die „Täter“ eine höhere Rente als sie erhielten, verkennt die Funktion des Sozialversicherungsrechts. Durchbrechungen des Sozialversicherungssystems können den Gleichheitssatz verletzen, wenn die Intensität der Ausnahmeregelung nicht durch das Gewicht der die Abweichung rechtfertigenden Gründe entspricht.

660

6. Da die Regelung im Einigungsvertrag über die Kürzung und Aberkennung 72–76 von Renten bei schuldhaften Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit letztlich an die beamtenähnliche Funktion der Betroffenen anknüpft und die Überleitung der Versorgungsansprüche in das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung sich als Versorgungsabwicklung darstellt, ist hinsichtlich dieser Regelung eine gegen den Gleichheitssatz verstoßende Systemdurchbrechung zu verneinen, zumal auch das Ausführungsgesetz zu Art. 131 GG eine ähnliche Bestimmung enthalten hatte.

661

7. In Ausführung des Einigungsvertrags enthält das Renten-Überleitungsgesetz 77–83 (RÜG) vom Juli 1991 in seinem Artikel 3 das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG). Die Höhe der Rente aus den Versorgungssystemen soll sich nach der Überführung grundsätzlich nach der Dauer der Erwerbstätigkeit und dem tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt bestimmen. Dabei legt der Gesetzgeber in Abweichung vom Einigungsvertrag statt der individuellen Beitragsleistung das jeweilige Arbeitsentgelt zugrunde. In nicht zwingend erforderlicher Weise wird die im westdeutschen Rentenversicherungsrecht maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze nachträglich auf die überzuleitenden Versorgungsansprüche und -anwartschaften als „Systementscheidung“ übertragen. Dadurch stehen den in der DDR für das Arbeitseinkommen in voller Höhe entrichteten Beiträge keine äquivalenten Gegenleistungen gegenüber. Die Beitragsbemessungsgrenze, die das westdeutsche Rentenversicherungssystem als Teil-Altersversorgung in einem „Drei-Säulen-Konzept“ ausweist und die sie übersteigenden Einkünfte

4. Teil: Zusammenfassung

239

„von staatlicher Vorsorgeplanung“ freihält, passt jedoch nicht zu einem beamtenähnlichen Versorgungssystem, das wie die westdeutsche Beamtenversorgung als Vollversorgung ausgestaltet ist. 27–30, 186, 364, 380, 392, 468

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8. Insgesamt hat die „Systementscheidung“ dazu geführt, dass Angehörige der Sonderversorgungssysteme mit höheren, d.h. die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigenden Einkünften erhebliche Einbußen hinnehmen mussten. Diese resultieren ferner daraus, dass als Berechnungsgrundlage an die Stelle der Nettobesoldung vor dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis das für die Rentenberechnung maßgebliche durchschnittliche Lebens-Einkommen tritt und die Versorgungshöhe von 90 v. H. der Nettobesoldung durch das Rentenniveau der gesetzlichen Rentenversicherung ersetzt wird, das im Falle eines Standardrentners 1990 55 v. H. des durchschnittlichen Jahresarbeitsentgelts betrug.

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9. Neben Regelungen für „staatsnahe“ Versorgungssysteme und „staatsnahe“ 84–88, Tätigkeiten enthielt das AAÜG in seinem § 7 Abs. 1 Satz 1 eine Sonderregelung 101 für das Versorgungssystem des MfS/AfNS. Für diese Versorgungsberechtigten wurde das maßgebende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 6 zugrunde gelegt, also nur bis zu 70 v. H. des Durchschnittsentgelts berücksichtigt. Ferner bestimmte § 7 Abs. 1 Satz 3 AAÜG (i. d. F. des Art. 1 RÜG-ÄndG), dass die rentenversicherungsrechtlichen Vorschriften über Mindestentgelte bei geringem Arbeitsentgelt nicht anzuwenden waren. Das hatte zur Folge, dass die Betroffenen nicht in den Genuss einer rentenrechtlichen Höherbewertung im Rahmen der Rente nach Mindesteinkommen kamen. Auf diese Weise konnte die Rente sogar unter das Sozialhilfeniveau absinken.

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10. Damit hat der Diskriminierungswille vieler am Gesetzgebungsverfahren 98–99 Beteiligter im Text einen Niederschlag gefunden und kann deshalb bei der Interpretation berücksichtigt werden (BVerfGE 61, 1 [45]). Charakteristisch hierfür ist 93–97 die in den Gesetzesberatungen geäußerte Befürchtung des damaligen Bundessozialministers Dr. Blüm, dass „die Gequälten möglicherweise niedrigere Renten erhalten [würden] als die Quäler“. Auch der Bericht des zuständigen Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zeigt, dass bei den Gesetzesberatungen die Wertfreiheit des Sozialversicherungsrechts einerseits und eine Vermischung von Strafrecht und Sozialrecht andererseits eine bedeutsame Rolle gespielt haben.

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11. Das BVerfG hatte in drei grundlegenden Entscheidungen im Jahre 1999 126 ff. Entgeltbegrenzungs- und Zahlbetragsbegrenzungsregelungen des AAÜG für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG unvereinbar bzw. für nichtig erklärt. Im Einzelnen 138 ff. hat es in E 100, 138 § 7 Abs. 1 Satz 1 (i.V. m. Anl. 6) AAÜG insoweit für nichtig erklärt, als das für die Rentenberechnung zugrunde zu legende Arbeitsentgelt unter das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet abgesenkt wird. Zwar habe der Gesetzgeber für die Personengruppe des § 7 AAÜG die Arbeitsentgelte in typisierender Weise begrenzen dürfen; die Bejahung eines überhöhten Entgelts

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4. Teil: Zusammenfassung

wegen politischer Begünstigung bei Überschreiten der Grenze von 70 v. H. des Durchschnittsentgelts werde jedoch „dem Wert der in den unterschiedlichsten Berufen und Positionen verrichteten Arbeit“ nicht gerecht. Die Eigentumsgarantie gebiete eine Rentenzahlung, die „den Zweck einer bedürftigkeitsunabhängigen Sicherung nach einem vollen Versicherungsleben erfüllt“, was Leistungskürzungen ausschließe, die das jeweilige Durchschnittsentgelt unterschreiten. 666

12. Nachdem der Gesetzgeber durch das 2. AAÜG-ÄndG den Vorgaben des 161–172 Bundesverfassungsgerichts insbesondere durch die Neufassung der Anl. 6 AAÜG Rechnung getragen hatte, nahm das BVerfG im Jahre 2004 in einer Kammer-Ent- 173–183 scheidung (K 3, 270) eine Verfassungsbeschwerde gegen § 7 AAÜG nicht zur Entscheidung an, insbesondere weil die vorgelegten Gutachten nicht beanspruchten, eine umfassende, auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse erarbeitete Analyse des Besoldungs- und Versorgungssystems im Bereich des MfS/AfNS zu enthalten. Die Kammer wies allerdings darauf hin, dass eine erneute verfassungsrechtliche Überprüfung der angegriffenen Vorschrift zulässig sei, „sofern neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden Feststellungen des Verfassungsgerichts vorliegen, die andere Entscheidungen rechtfertigen können“. Eine Bindungswirkung im Sinne des § 31 Abs. 1 BVerfGG kommt ablehnenden KammerEntscheidungen nicht zu.

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13. Nach einem Beschluss des BVerfG (E 111, 115), der § 6 Abs. 2 und 184–199 Abs. 3 Nr. 8 AAÜG für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt und den Gesetzgeber zum Erlass einer verfassungsgemäßen Regelung verpflichtet hatte, 200–215 wurde ein 1. Gesetz zur Änderung des AAÜG vom 21.6.2005 erlassen. Es lokkert die bisherigen Kürzungsregelungen insbesondere für Angehörige der Versorgungssysteme nach Anl. 2 Nr. 1 bis 3 AAÜG dadurch, dass infolge einer Neufassung des § 6 Abs. 2 Entgelte nur dann auf den Durchschnittsverdienst begrenzt werden, wenn eine in Nr. 1 bis Nr. 9 aufgeführte Beschäftigung oder Tätigkeit (z. B. als Mitglied, Kandidat oder Staatssekretär im Politbüro der SED usw.) ausgeübt wurde.

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14. Durch einen Beschluss aus dem Jahre 2010 hat das BVerfG (E 126, 233) 216–245 § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG n. F. als verfassungskonform angesehen, weil der Gesetzgeber hinsichtlich dieses eng gefassten Personenkreises bei generalisierender Betrachtungsweise von leistungsfremden, politisch begründeten und damit überhöhten Arbeitsverdiensten ausgehen durfte, während bei einer Regelungserstreckung auf einen großen Personenkreis die Gefahr bestehe, „auch Personen zu erfassen, deren höhere Leistungen gerechtfertigt sind“ (a. a. O. S. 266 f.). Da die vom Gericht festgestellte Grundgesetzkonformität sich ausdrücklich nur auf § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG n. F. bezieht, können die vom Gericht bei Gelegenheit dieser Entscheidung gemachten Ausführungen zu § 7 AAÜG als nicht tragende Entscheidungsgründe weder für die Auslegung des Entscheidungstenors noch für eine Bindungswirkung herangezogen werden.

4. Teil: Zusammenfassung

241

B. Zu RN 246–423 669

15. Art. 1 Abs. 3 GG bindet den Gesetzgeber an die Grundrechtsbestimmun- 246–281 gen „als unmittelbar geltendes Recht“, wobei sich allerdings das Ausmaß der Bindung erst aus der Ermittlung des Schutzbereichs der Einzelgrundrechte ergibt. Dies gilt in besonderem Maße für den abstrakt gefassten allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der nicht nur personale, sondern auch materiale Gleichheit verbürgt, weshalb das Gesetz sich nicht nur an alle wendet, sondern auch für alle gleiches Recht gilt. Daraus folgt ein Differenzierungsgebot, so dass „wesentlich Gleiches gleich“, aber auch „Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden“ zu behandeln ist. Der Gleichheitssatz als Willkürverbot und Sachgerechtigkeitsgebot soll vor allem unsachgerechte, unvernünftige oder unverständliche Regelungen bannen.

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16. Hinsichtlich der Gruppengleichheit und Gruppengerechtigkeit konkretisiert 282–290 das BVerfG Art. 3 Abs. 1 GG in ständiger Rechtsprechung und einer „neuen Formel“ dahin, dass eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können“. Daher unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichheit von Personengruppen „regelmäßig einer strengen Bindung“ und darf weder einem Personenkreis eine Begünstigung gewähren, die er einem anderen Personenkreis vorenthält, noch Gruppen, die durch „übereinstimmende Eigenschaften oder Merkmale geprägt und gekennzeichnet“ sind, unterschiedlich behandeln.

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17. In Sondersituationen wie z. B. der Herstellung der Rechtseinheit in der ge- 288–299 setzlichen Rentenversicherung und der Überführung der im Beitrittsgebiet erworbenen Ansprüche und Anwartschaften anlässlich der Wiedervereinigung hat das BVerfG dem Gesetzgeber zwar einen weiten Gestaltungsraum eingeräumt, diesen jedoch ausweislich seiner Rechtsprechung auf Übergangsregelungen beschränkt, so dass für auf Dauer berechnete Gesetzesbestimmungen kein Hinweis auf die Ausnahmesituation zugelassen wurde.

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18. Bei gewichtigen Unterschieden zwischen Personengruppen darf der Ge- 300–306 setzgeber zwar differenzieren, wobei er jedoch einer „strengen Bindung an die Verhältnismäßigkeitserfordernisse“ unterliegt, so dass Eingriffsziel und Eingriffsmittel verfassungslegitim sein müssen, das Eingriffsmittel den Geboten der Geeignetheit und Erforderlichkeit unterliegt und ein angemessenes Verhältnis von Ungleichbehandlung und Rechtfertigungsgrund bestehen muss.

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19. Bei der Regelung von Massenvorgängen (insb. im Steuer- oder Sozialrecht) 307–333 darf der Gesetzgeber pauschalierende, typisierende und generalisierende Normen erlassen, wobei er jedoch weder „einen atypischen Fall als Leitbild wählen“ noch

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4. Teil: Zusammenfassung

übermäßig typisieren darf, so dass er den Geboten der mildesten und einer proportionalen Typisierung unterliegt. Die mit einer Typisierung unvermeidlich verbundenen Härten sind nur dann als gleichheitskonform anzusehen, wenn lediglich „eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen“ betroffen ist, der Verstoß gegen den Gleichheitssatz „nicht sehr intensiv“ ist und die „Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären“. Im Anfangsstadium darf sich der Gesetzgeber mit gröberen Typisierungen und Generalisierungen im Interesse der Praktikabilität begnügen, jedoch eine spätere Überprüfung und fortschreitende Differenzierung bei Vorliegen ausreichenden Erfahrungsmaterials für eine sachgerechtere Lösung nicht unterlassen. 674

20. Bei der Versorgungsüberleitung hatte der Gesetzgeber zu berücksichtigen, 334–338 dass sich die Rechtsordnung der DDR von derjenigen der Bundesrepublik in Leitvorstellungen und Ausformungen grundlegend unterschied (BVerfGE 95, 267 [307]). Wenn sich auch aufgrund der Wiedervereinigung die Hoheitsgewalt der Bundesrepublik auf das Beitrittsgebiet erstreckte, so waren doch Ausprägungen des sozialistischen Rechtssystems der DDR anzuerkennen, sofern sie nicht Ausdruck des besonderen Unrechtsgehalts der früheren Ordnung waren. Geheimdienste und Ministerien für staatliche Sicherheit sind nicht als solche mit einem besonderen Unrechtsgehalt versehen. Das Bundesverfassungsgericht verneint ausdrücklich einen „zusätzlichen ,Stasi-Unwert‘ der DDR-Spionage“.

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21. Wegen unterschiedlicher staatlicher Systeme hatten daher auch ziviler und 339–351 militärischer Sektor in der DDR einerseits und in der Bundesrepublik andererseits eine unterschiedliche Bedeutung. So überstieg das Einkommen im sogenannten X-Bereich (Armee, Polizei, Staatssicherheit, Parteien und Organisationen etc.) das Durchschnittseinkommen in der Volkswirtschaft der DDR um knapp 60 v. H., wobei ungeachtet der Problematik von Pauschalvergleichen zu berücksichtigen ist, dass sich unter den Beschäftigten des MfS ein höherer Anteil an Hoch- und Fachhochschulabsolventen befand. Darüber hinaus ist das Durchschnittseinkommen im zivilen Sektor der DDR mit dem Durchschnittseinkommen im X-Bereich (oder im Bereich des MfS) deshalb nicht vergleichbar, weil zwischen den beiden Sachbereichen gewichtige strukturelle Unterschiede bestanden, wie sie auch in der Bundesrepublik zwischen der Beamtenversorgung einerseits und der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits gegeben sind. Unterschiede „im Versorgungsniveau zwischen Berechtigten aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen einerseits und Angehörigen der Sozialpflichtversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung andererseits“ sollten jedoch durch den Einigungsvertrag „aufrechterhalten“ und nicht „eingeebnet werden“ (BVerfGE 100, 1 [47]), wie auch der Vertrag ausdrücklich nur eine Besserstellung der Versorgungsberechtigten „gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ verhindern will (Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 9 lit. b Ziff. 1 EV).

4. Teil: Zusammenfassung

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22. Im Hinblick auf die vom Gleichheitssatz geforderte Gruppengerechtigkeit 353–371 ist die unterschiedliche Behandlung von Personengruppen, die den Sonderversorgungssystemen nach Anl. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AAÜG (Angehörige der Nationalen Volksarmee und der Deutschen Volkspolizei etc.) im Vergleich zu der Personengruppe, die Anl. 2 Nr. 4 AAÜG (Angehörige des MfS) unterfallen, verfassungswidrig. Vergleicht man die erzielten Durchschnittseinkommen der Angehörigen des MfS mit dem Einkommen der Mitarbeiter in anderen Bereichen des militärischen Beschäftigungssektors der DDR, so zeigt sich (hinsichtlich der über drei Jahre Dienenden) eine überraschend weitgehende Übereinstimmung zwischen den im jeweiligen Dienst erzielten Durchschnittseinkommen innerhalb geringer Toleranz. Dennoch bestehen eklatante Unterschiede bei der Versorgungsüberleitung der betroffenen Gruppen. Während für Angehörige der Sonderversorgungssysteme nach Anl. 2 Nr. 1–3 AAÜG, soweit sie nicht eine in § 6 Abs. 2 Nr. 1–9 AAÜG aufgeführte Beschäftigung ausgeübt haben, der tatsächlich erzielte Verdienst bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (Anl. 3 AAÜG) berücksichtigt wird, wird das Einkommen der Angehörigen des MfS nur bis zum Durchschnittsverdienst nach Anl. 6 AAÜG angerechnet. Der Durchschnittsverdienst macht im Mittel der Jahre 1950–1989 nur 55,9 v. H. der Beträge der Beitragsbemessungsgrenze aus.

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23. Darüber hinaus ist die Gleichbehandlung der von § 6 Abs. 2 Nr. 1–9 372–379 AAÜG einerseits und der von § 7 AAÜG andererseits betroffenen Personengruppen verfassungswidrig, weil entgegen Art. 3 Abs. 1 GG Ungleiches gleich behandelt wird. Bei den von § 6 Abs. 2 Nr. 1–9 AAÜG Betroffenen handelt es sich um eine Gruppe von ca. 1.000 bis 1.200 Personen, „die im Partei- und Staatsapparat der DDR an wichtigen Schaltstellen tätig waren“. Deshalb ist nach Auffassung des BVerfG für diesen engen Personenkreis die Annahme des Gesetzgebers gerechtfertigt, dass „diese Personengruppen bei generalisierender Betrachtungsweise leistungsfremde, politisch begründete und damit überhöhte Arbeitsverdienste bezogen haben“. Demgegenüber werden von § 7 AAÜG etwa 125.000 Personen erfasst, für die in ihrer Gesamtheit nicht angenommen werden kann, dass sie im „Partei- und Staatsapparat der DDR an wichtigen Schaltstellen tätig waren“. Da der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso geringer wird, je stärker sich seine Regelung „auf einen großen Personenkreis“ erstreckt, bei dem die Gefahr besteht, auch Personen zu erfassen, deren höhere Leistungen gerechtfertigt sind, kann er nicht in gleicher Weise typisieren, zumal es sich bei den von § 7 AAÜG Betroffenen weder um eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen handelt, Härten auch nicht nur unter Schwierigkeiten vermeidbar gewesen wären und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz intensiv ist.

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24. Schließlich ist die Gleichbehandlung der Bezieher durchschnittswahrender 380–407 mit den Beziehern überdurchschnittlicher Einkommen verfassungswidrig, weil Ungleiches gleich behandelt wird. Während bei der Gruppe mit unterdurchschnittlichem bis durchschnittlichem Einkommen dieses bei der Rentenberech-

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4. Teil: Zusammenfassung

nung in voller Höhe berücksichtigt wird, werden bei Versorgungsberechtigten mit überdurchschnittlichen Einkommen alle die Grenze des Durchschnittseinkommens übersteigenden Einkommensbestandteile (und die hierfür entrichteten Beiträge) nicht in die Rentenberechnung einbezogen, so dass diese Kappungs-Wirkung im Ergebnis einen Gleichmacher-Effekt hervorruft. § 7 AAÜG bewirkt, dass trotz unterschiedlichen Arbeitsentgelts infolge unterschiedlicher Funktionen die Versorgung der Beschäftigten gleich ausfällt, sofern sie ein individuelles Einkommen mindestens in Höhe des Durchschnittsentgelts bezogen haben. Dies widerspricht der differenzierten Aufgaben- und Ausbildungsstruktur der Beschäftigten des MfS/AfNS, zu denen 12.300 Hochschulabsolventen, 30.000 Fachhochschulabsolventen und 42.700 Meister bzw. Vorarbeiter gehörten. § 7 AAÜG führt zur Beseitigung jeglichen Spannungsabstands zwischen den Gehaltsgruppen und zu einer Vernachlässigung des Gebots vertikaler Gleichheit im Verhältnis geringerer zu höheren Einkommen. Da es sich bei den Sonderversorgungssystemen um eine „der Beamtenversorgung in den alten Bundesländern“ vergleichbaren Einrichtung handelte, muss auch eine der amtsangemessenen Alimentation vergleichbare Struktur erhalten bleiben, die für ein höheres Amt grundsätzlich auch eine höhere Versorgung fordert. Die undifferenzierte Versorgungsnivellierung jenseits des Durchschnittseinkommens verstößt gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltene Differenzierungsgebot, wonach „Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden“ zu behandeln ist. Da gerade für die gesetzliche Rentenversicherung das Prinzip einer „Äquivalenz von Beitrag und Leistung“ gilt, hätte der Gesetzgeber, wenn er von überhöhten Entgelten im Bereich des MfS/AfNS ausging, mangels anderer Anhaltspunkte eine für alle Beschäftigten anteilsmäßig gleiche Überhöhung unterstellen müssen. Im Übrigen folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG aus „Staats- und Systemnähe“ der Berufstätigkeit noch nicht, dass Entgelte gezahlt wurden, die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt waren. „Nur bei Trägern höchster Funktionen im unmittelbaren Bereich der Exekutive“ hat das Gericht ungerechtfertigte Entgeltvorteile bejaht (E 126, 233 [267]). 679

25. Weiterhin fehlt in § 7 AAÜG die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Kernfor- 408–422 derung personaler Gleichheit, die durch die speziellen Gleichheitssätze konkretisiert wird, indem die Bestimmung insbesondere ausweislich der Äußerungen des seinerzeit zuständigen Fachministers sowie der Gesetzesbegründungen die Berechtigten des Versorgungssystems nach Anl. 2 Nr. 4 AAÜG aus weltanschaulich-politischen Gründen schlechter stellt.

C. Zu RN 427–497 680

26. Ungeachtet unterschiedlicher Auffassungen im Schrifttum sieht das 427–455 BVerfG in ständiger Rechtsprechung die „in der deutschen Demokratischen Republik erworbenen und im Einigungsvertrag nach dessen Maßgaben als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannten Ansprüche und An-

4. Teil: Zusammenfassung

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wartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen“ als vom Schutz der Eigentumsgarantie umfasst an. Damit werden zugleich einer späteren Eigentumsbestimmung und Eigentumsbeschränkung durch den Gesetzgeber Grenzen gezogen, da die Wirkungen des Einigungsvertrags als eines (quasi-)völkerrechtlichen Vertrags mit dem Untergang der DDR als Staat nicht entfallen sind. Der Gesetzgeber darf die Vorgaben des Einigungsvertrags zwar ausführen und ausgestalten, diese aber nicht verbösern, wobei er ohnehin an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist. 681

27. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt zunächst, dass Ziele und Mittel 456–463 eines Eingriffs in Art. 14 GG verfassungslegitim sind. Eingriffe können daher weder mit der Leistungsfähigkeit des Sozialversicherungssystems, das die für § 7 AAÜG anfallenden Mittel nicht aufbringt, noch mit einem Vergleich der Situation der „Täter“ und „Opfer“ begründet werden. Dagegen ist es verfassungslegitim, „überhöhte Leistungen“ „auf das durch Arbeit und Leistung gerechtfertigte Maß“ zurückzuführen und „ungerechtfertigte Leistungen“ abzuschaffen, wobei allerdings eine „Staats- und Systemnähe“ nicht den Schluss gestattet, dass die Entgeltbezieher ein „nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigtes“ Einkommen bezogen haben (BVerfGE 100, 59 [95]). Schließlich wäre die im Einigungsvertrag vorgesehene Kürzung oder Aberkennung von Ansprüchen bei Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit sowie im Falle des Missbrauchs verfassungslegitim gewesen; verfassungsillegitim ist es jedoch, unter Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Schuldprinzip allein mit dem Hinweis auf eine Vergangenheitsbelastung des MfS eine Eigentumsbeschränkung pauschal für bestimmte Gruppen der Versorgungsberechtigten vorzunehmen.

682

28. Zwar sind zur Regelung von Massenerscheinungen pauschalierende und 465–484 typisierende Normen zulässig, solange die Grenzen gesetzgeberischer Typisierungsbefugnisse eingehalten werden. Diese werden jedoch überschritten, wenn der Gesetzgeber an Merkmale anknüpft, die nicht als Indikatoren für ein überhöhtes Entgelt ausreichen und deshalb nicht sicherstellen, dass den betroffenen Personen tatsächlich überhöhte Entgelte bezahlt wurden. Sind durch die Einführung der (westdeutschen) Beitragsbemessungsgrenze ohnehin neben hohen auch überhöhte Ansprüche vermindert worden, so dürfen weitere Kürzungen nach den zwingenden Vorgaben des Einigungsvertrags nur erfolgen, um „eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen“ zu vermeiden. Auch in diesem Rahmen muss für die Entgeltbegrenzung „ein sachgerechter Kürzungsmechanismus gewählt“ werden, der sich „auf Erkenntnisse zur wirklichen Verteilung überhöhter Arbeitsverdienste im Bereich zwischen dem Durchschnittsentgelt und Entgelten an der Beitragsbemessungsgrenze stützen“ kann (BVerfGE 111, 115 [138 f.]).

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29. Dass eine Mammutbehörde mit über 90.000 Mitarbeitern im Hinblick auf 485–490 ihre Bedeutung für das System der DDR und angesichts der Verwendung hochmoderner Technik nur Angehörige benötigt hat, bei denen lediglich ein Durch-

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4. Teil: Zusammenfassung

schnittseinkommen angemessen war, entbehrt von vornherein der Schlüssigkeit. Die unterschiedslose Gleichbehandlung aller überdurchschnittlichen Einkommensbezieher ungeachtet differierender Ausbildung, Funktion und Abteilungszugehörigkeit und ungeachtet einer Tätigkeit im operativen oder im technischorganisatorischen oder gar medizinischen Bereich ist daher kein im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips geeignetes Mittel für den im Einigungsvertrag vorgesehenen Abbau überhöhter Leistungen, zumal ein spezifischer „Stasi-Unwert“ für MfS-Mitarbeiter abzulehnen ist. Die jetzige Regelung des § 7 AAÜG stellt auch keineswegs das mildeste Mittel dar, da bei einer „Überhöhung“ der Entgelte eine prozentuale Absenkung der Rentenversicherungsleistungen oder eine dem Eingliederungsprinzip des Fremdrentengesetzes entsprechende fiktive Zuordnung von Entgeltpunkten für die Rentenberechnung entsprechend von Ausbildung, Verantwortung und Funktion der jeweiligen Organwalter weniger schwere Maßnahmen gewesen wären. 684

30. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schließt eine Disproportionalität von 491–497 Eingriffsziel und Eingriffsmittel aus, so dass bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben muss und Betroffene nicht übermäßig belastet werden dürfen. Der Kürzungsmechanismus des § 7 AAÜG bewirkt, dass Versorgungsberechtigte mit Bezügen in Höhe der Jahreshöchstverdienstgrenze (Beitragsbemessungsgrenze) im Mittel der Jahre 1953 bis 1989 42,8 v. H. der für die Rentenversicherung berücksichtigungsfähigen Beiträge einbüßen. Hierin liegt für die Betroffenen eine unangemessene und unzumutbare Pauschalregelung.

D. Zu RN 498–595 685

31. Die These des Bundesverfassungsgerichts, dem MfS/AfNS liege ein „Ge- 504, samtkonzept der Selbstprivilegierung dieses Staatsbereichs“ zugrunde (BVerfGK 538–558 3, 270 [273]), lässt sich bei detaillierter Betrachtung und Berücksichtigung neuerer Forschungsergebnisse nicht verifizieren. Eine Vorzugsbehandlung beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen, Wohnraum und Ferienleistungen war nicht MfS-spezifisch, sondern diente der Stärkung des politischen Systems der DDR insgesamt. Für die Verfassungsmäßigkeit des § 7 AAÜG haben diese Vorzugsbehandlungen ohnehin keine Bedeutung, da sie sich nicht in Beiträgen zum Sonderversorgungssystem niederschlugen und deshalb auch bei der Versorgungsüberleitung von vornherein außer Betracht bleiben. Die in der Auflösungsphase des 564–567 MfS/AfNS geleisteten Ausgleichszahlungen begründen keine „Sonderstellung“ der Staatssicherheit, da sie auch für andere Bereiche des militärischen Sektors der DDR gewährt wurden und auf einem Beschluss des Ministerrats auf der Grundlage der Besoldungsordnung von 1987 beruhen und somit nach Art. 76 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung auf die Regierung der Deutschen Demokratischen

4. Teil: Zusammenfassung

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Republik zurückgehen. Der These des Bundesverfassungsgerichts, Angehörige der Staatssicherheit hätten eine Altersversorgung in Höhe von 75 v. H. der monatlichen Durchschnittsvergütung bezogen, „die diejenige anderer Versorgungsberechtigter und vor allem die in der Rentenversicherung erzielbaren Leistungen deutlich überstieg“ (BVerfGE 100, 138 [179]), ist in dieser Form nicht richtig, weil alle Angehörigen der Sicherheitsorgane der DDR eine Altersversorgung in Höhe von 75 v. H. der monatlichen beitragspflichtigen Durchschnittsvergütung erhielten. Nach Einführung der Beitragsbemessungsgrenze im Rahmen der Versorgungsüberleitung liegt jedenfalls keine „deutliche“ Übersteigung mehr vor, die eine Verminderung des rentenrechtlich anrechenbaren Arbeitsentgelts um bis zu 42,8 v. H. im Vergleich zu den Angehörigen der anderen Sonderversorgungssysteme rechtfertigen würde. Der Unterschied zu den in der Rentenversicherung erzielbaren Leistungen ist – in gleicher Weise wie in den alten Bundesländern – systembedingt. Da der Einigungsvertrag keine Nivellierungsfunktion entfalten 559–563 wollte, vermag eine Unausgewogenheit in der Altersversorgung nicht „die Beibehaltung einer gleichheitswidrigen Rentenkürzung zu legitimieren“ (BVerfGE 111, 115 [144 f.]). 686

32. Dass die „Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur“ sowie die „Struktur 501–512 der beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommen“ „statistisch zu keiner Zeit erfasst worden waren“, ist ein ständiger Hinweis in der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG (E 100, 138 [179 f.]; 126, 233 [260]; BVerfGK 3, 270 [273]), wobei die Kammer-Entscheidung auch eine kausale Ver- 592–595 knüpfung zwischen den statistisch nicht hinreichend erfassten Strukturen und dem der Legislative bei der Ausgestaltung der Entgeltbegrenzung in § 7 Abs. 1 AAÜG eingeräumten „Recht zur pauschalen Einstufung und Bewertung“ herstellt. Diese „Sonderstellung“ des MfS hat sich jedoch durch neuere Forschungsergebnisse, insbesondere das Gutachten von Miethe/Weißbach (s. oben RN 102) geändert, weil hier erstmalig die zum Bruttoeinkommen der militärischen Bereiche der DDR vorliegenden Basisdaten der Bundesbehörden statistisch ausgewertet, die ermittelten monatlichen Durchschnittseinkommen untereinander sowie mit den in der Volkswirtschaft erzielten Einkommen verglichen und ca. 6 Millionen Datensätze des Bundesverwaltungsamts und der Wehrbereichsverwaltung Ost zum rentenrelevanten Bruttoeinkommen der dem jeweiligen Sonderversorgungssystem angehörenden hauptamtlichen Mitarbeiter auch hinsichtlich der Qualifikation-, Geschlechts- und Organisationsstruktur untersucht werden. Liegen nun- 571–591 mehr fehlende fundierte Informationen zum Einkommensgefüge vor und erweisen sich damit früher zugrunde gelegte Einschätzungen als unrichtig, so muss der Gesetzgeber auf die veränderte Sachlage reagieren. Bleibt er untätig, so liegt ein Verfassungsverstoß vor, wenn evident ist, „dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung wegen zwischenzeitlicher Änderung der Verhältnisse verfassungsmäßig untragbar geworden ist“ (BVerfGE 56, 54 [81]).

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4. Teil: Zusammenfassung

E. Zu RN 596–642 687

33. Da sich die Rechtskraft verfassungsgerichtlicher Entscheidungen auf die 596–603 zu diesem Zeitpunkt bestehenden Verhältnisse beschränkt, entfällt das Prozesshindernis entgegenstehender Rechtskraft, wenn später rechtserhebliche Änderungen der Sach- und Rechtslage eintreten. Daher ist eine erneute verfassungsgerichtliche Überprüfung des § 7 Abs. 1 AAÜG zulässig, da neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden Feststellungen der früheren Rechtsprechung vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen können.

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34. Neue Tatsachen sind Umstände, die dem seinerzeit erkennenden Gericht 604–610 nicht bekannt waren und deshalb bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden konnten. Sie sind dann rechtserheblich, wenn sie einen Bezug zu der maßgeblichen Frage des Rechtsstreits haben, sich auf die tragenden Feststellungen der bereits ergangenen Entscheidung beziehen und eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung rechtfertigen können. Bei Tatsachen kann es sich um tatsächliche, aber auch um rechtliche Gesichtspunkte, insbesondere eine Gesetzesaufhebung oder eine Gesetzesänderung handeln. Für die Beurteilung des § 7 AAÜG sind zum einen neuere Forschungsergebnisse zu den Einkommensstrukturen der hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS von Bedeutung. Zum anderen sind aber auch Änderungen des AAÜG beachtlich, die dem Bundesverfassungsgericht bei seinen Entscheidungen zu § 7 AAÜG nicht vorlagen und zu einer erheblichen rechtlichen Ungleichbehandlung der Angehörigen des MfS einerseits und der Versorgungsberechtigten im militärischen Sektor andererseits führen.

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35. Das BVerfG verlangt für eine Annahme von Verfassungsbeschwerden ge- 611–642 mäß § 93a BVerfGG, dass an der Beantwortung der mit ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Frage „ernsthafte Zweifel bestehen müssen“ und dass ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an der Klärung der verfassungsrechtlichen Zweifel besteht, was zu bejahen ist, wenn diese für eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten bedeutsam ist. Ferner muss die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Grundrechtsdurchsetzung angezeigt sein, was der Fall ist, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht. Während das Gericht hierfür wirtschaftliche Nachteile in Bagatellfällen nicht ausreichen lässt, ist ein besonders schwerer Nachteil bei den intensiven Rentenminderungen aufgrund von § 7 AAÜG zu bejahen.

F. Zu RN 643–654 690

36. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Urteilsverfassungsbeschwerde 643 gehört die substantiierte Behauptung, durch das angegriffene Gerichtsurteil in einem der Grundrechte des Grundgesetzes verletzt zu sein, was die Darlegung einschließt, die angegriffene Entscheidung habe bei der Anwendung einfachen

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Rechts den Grundrechtseinfluss gänzlich oder doch grundsätzlich verkannt. Darüber hinaus muss der Beschwerdeführer selbst, unmittelbar und gegenwärtig in seiner Grundrechtsposition beeinträchtigt worden sein. Von dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde werden dann Ausnahmen gemacht, wenn das eingelegte Rechtsmittel nicht offensichtlich unzulässig war oder die Erschöpfung des Rechtswegs wegen Unzumutbarkeit nicht verlangt werden kann, da sie im Hinblick auf eine gefestigte richterliche Rechtsprechung völlig aussichtslos ist.

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Personen- und Sachwortverzeichnis Die Zahlen im Personen- und Sachwortverzeichnis beziehen sich auf die Randnummern dieser Arbeit. Abstandsgebot 155 Abstufungsmechanismus 131 ff. Alimentation, amtsangemessene, siehe auch Beamtenversorgung 383 f., 678 Allgemeinheit des Gesetzes 251, 260 f. Angleichung der Renten 32, 36, 90 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) 77 ff., 109 – AAÜG-Änderungsgesetz 111 ff., 123 ff. – 1. AAÜG-Änderungsgesetz 200 ff., 216 ff. – 2. AAÜG-Änderungsgesetz 161 ff. – Gruppengerechtigkeit 348 ff. – Novellierungen 104 ff., 110 ff., 118 ff., 123 ff., 161 ff., 200 ff., 536 f. Arbeitseinkommen 78 f., 85 ff., 101, 105, 107 ff., 113 ff., 123, 128, 132 f., 136, 138 ff., 144 ff., 156, 159, 173, 176, 190 f., 279, 325, 329, 341, 367, 379 f., 391, 401, 407, 420, 475, 480, 505, 513, 523, 538, 561, 566, 568, 572, 661, 663 Arbeitsentgelt 1, 28, 66, 78 f., 85 ff., 101, 107 ff., 114 f., 123, 128, 132 f., 136, 138 ff., 140, 144 ff., 156, 159, 167 f., 173, 188, 190 f., 196 f., 299, 316, 325, 329, 363 f., 367, 380 f., 387, 391, 401, 403, 407, 420, 475, 477, 480, 484, 499 ff., 512 ff., 518, 520 ff., 537 ff., 558, 560 f., 568, 571 ff., 661 ff., 678, 685 – überhöhtes ~ 129, 132 f., 136, 146, 186 ff., 188 ff., 192, 218, 316, 365, 388, 391, 467, 479, 571, 606

Aufhebungsgesetz siehe Gesetz zur Aufhebung . . . Azzola, Axel 116 Babel, Gisela (FDP), MdB 95 Balt, Monika (PDS), MdB 164 „Banalität des Bösen“ 396 beamtenähnliche Versorgung 11, 29, 83, 384, 515, 562, 660 Beamtenversorgung 11, 83, 342, 384, 473 f., 515, 529, 562, 656 Beitragsadäquanz 269 Beitragsäquivalenz 271, 387 Beitragsbemessungsgrenze 28 ff., 79, 80 f., 128 ff., 132, 380, 388, 468 ff., 476, 492, 527, 534, 537, 539, 561 – ~ in der DDR 1 Beitragsbezogenheit der Sozialversicherungsrente 269, 271, 387 Beitragsleistung 78 ff., 164, 407, 437 ff., 661 Bender, Birgitt (Bündnis 90/Die Grünen), MdB 210 Besatzungsrecht 58 ff. Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur (DDR) 175, 501, 504, 512, 538, 568, 595, 686 Beschäftigungsverhältnis, abhängiges 51 f. Bestandsrenten 36, 156, 172 Bestimmtheit des Gesetzes 39 Bindungskraft 233, 510 Bindungswirkung 226 ff. – innergerichtliche ~ 182

Personen- und Sachwortverzeichnis – ~ gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG 179 f., 220, 223, 225 ff., 230 ff., 240, 243, 488, 596 f., 666, 668 Bläss, Petra (PDS), MdB 121 Blüm, Norbert, Bundesminister 94, 121, 122, 415 Bundesrat 114, 122, 161, 165, 211 f., 578 Bundestag – Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung 95 ff., 116 f., 421 – Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung 206 ff. Bundesverfassungsgericht – Entscheidungsformel 227 f. – Gesetzeskraft der Entscheidungen 224 f. – Kammer-Beschlüsse 179 – Kammer-Entscheidung von 2004 173 ff., 504 ff. – Leitsätze 235 ff. – obiter dicta 238 ff. – Rechtsprechung des ~s 126 ff., 156 ff., 173 ff., 184 ff., 216 ff., 498 ff. – „tragende“ Entscheidungsgründe 229 ff., 234 ff., 241 ff. Degression 108 Demokratie, wehrhafte 422 ff. Deutsche Demokratische Republik (DDR) – Einkommen 279, 391, 661 – Einkommensgefüge 189, 195, 506 f., 590 ff., 608 – Einkommensverhältnisse 176, 190, 339 ff., 421, 502 – Einkommensverteilung 140, 176, 369, 524 – freiwillige Zusatzrentenversicherung 529 – Geheimdienste 336 ff. – Gesamtverdienstniveau aller Beschäftigten 531, 534, 535 – grundlegende Unterscheidung der Rechtsordnung der ~ 334 ff. – Kadernomenklatursystem 206

261

– Lohn- und Gehaltsstruktur 176, 189, 590 – Normbegriff 567 – sozialistische Errungenschaften 338 – Sozialpflichtversicherung 529 – Sozialversicherung 1 f. – Verfassung von 1968/1974 20, 22 – Vergleich von Durchschnittseinkommen 342 ff. – volkswirtschaftlicher Mittelwert 341, 506, 590 Drei-Säulen-Konzept 83 Dreßler, Rudolf (SPD), MdB 110 „Drittes Reich“ 56 ff. Durchschnittseinkommen 102, 107, 112, 114 f., 121, 144, 146, 159, 173, 175 f., 191, 197, 299, 340, 342, 354 f., 357, 363 f., 369, 380 ff., 385, 387 f., 396, 423, 484 f., 494, 504 f., 512, 521, 538, 561, 568, 591, 593 ff., 675 f., 678, 683 – keine „Unrechtsbegehungsgrenze“ 396 Durchschnittsentgelt 25, 85 f., 88, 96, 101, 103, 105, 107 f., 114 ff., 119, 121, 131 ff., 136, 139, 145 ff., 162, 167, 190, 256, 279, 367, 370, 379, 381 f., 387 f., 391 f., 403, 406 f., 420, 423, 478, 480, 484, 491 f., 503, 523, 542, 546, 561, 642, 663, 665, 678, 682 Durchschnittsverdienst 88, 105, 107 ff., 115, 121, 123, 195, 213, 356, 365, 369 ff., 376, 380, 396, 423, 507, 537, 558, 641, 667, 676 Ehrenpensionen 89 Eigentumsgarantie 424 ff. – legislative Bestimmung von Inhalt und Schranken 448 ff. – Schrankenschranke der Verhältnismäßigkeit 456 ff. – Schutzbereich 425 ff. Eigentumsschutz 134, 424 ff., 439 – Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen 134

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Personen- und Sachwortverzeichnis

– ~ bei Leistungen an inländische Rentenversicherungsträger 441 ff. – ~ für Hinterbliebenenversorgung 439 – ~ für öffentlich-rechtliche Forderungen 430 ff. – ~ für Rechte aus Versorgungssystemen 444 ff. – ~ für Sozialversicherungsrenten 433 ff. – ~ für Versorgungssysteme 147 – ~ privatrechtlicher Forderungen 427 ff. Einebnungsfunktion – keine ~ des Einigungsvertrags 155, 405, 484 Einigungsvertrag 22, 31 ff., 34 ff., 73, 78, 90, 389, 526, 532, 534 – Abbau überhöhter Leistungen 389 ff. – Abschaffung ungerechtfertigter Leistungen 389, 393 – keine Einebnungsfunktion durch ~ 155, 405, 563 – öffentliche Versorgungssysteme 471 ff., 502, 530 – Verbindlichkeit der Maßgaben des ~s 449 ff. – Vorgaben des ~s 517 Entgeltpunktbegrenzung 112, 114, 126 Entnazifizierung 58 f. Entstehungsgeschichte 98 ff. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 491 Fischer, Andrea (Bündnis 90/Die Grünen), MdB 119, 121 Fremdrentengesetz 442, 489 Gauck, Joachim 21 Gehaltsstufe E 3 (DDR) 119, 123, 191, 193, 195, 507 Generalisierung 128, 185, 307, 312 ff., 519 „Gequälte“ 94, 414 Gesamtverdienstniveau (DDR) 141, 499 Gesamtzahlbetrag 153

Gesetz über die Aufhebung der Versorgungsordnung des MfS 12, 18, 24 f., 145, 149 f. – ~ als Symbolgesetz 413 Gesetz zu Art. 131 GG 74 Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG) 220, 224 ff., 227, 230, 233, 596 f. Gesetzesmaterialien 98 f. Gesetzgeber – Anpassungspflicht des ~s 580 f. – Nachbesserungspflicht des ~s 582 ff. Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers 197, 252, 268, 288 ff., 296, 306, 311, 323, 349, 358, 449, 464, 523, 633, 636 Gilges, Konrad (SPD), MdB 95 Gleichheitssatz 185, 249 ff., 515 – Begünstigungsausschluss, gleichheitswidriger 287 – Differenzierung bei Gruppen-Ungleichheit 300 ff. – Differenzierungsgebot 272 ff., 385 ff. – formale Gleichheit 252, 260 – Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers 288 ff. – Gleichbehandlungsgebot 252, 274 f., 279, 345, 352, 372 ff., 380 ff., 487, 677 f., 683 – Gleichbehandlungsverbot ungleicher Sachverhalte 273 – Grundrechtsrelevanz 280 ff. – Gruppengerechtigkeit 282 ff., 348 ff. – Gruppengleichbehandlung 520, 537, 546, 558, 688 – Kappungsgrenze als Gleichmachereffekt 381 ff. – Konkretisierungsformen 257 ff. – materiale Gleichheit 265 ff. – „neue Formel“ 282 f. – personale Gleichheit 259 ff., 408 ff. – Rechtsanwendungsgleichheit 251 – Rechtsetzungsgleichheit 251 ff. – Sachgerechtigkeitsgebot 275 ff. – Sondersituationen 291 ff. – spezielle Gleichheitsrechte 262 ff.

Personen- und Sachwortverzeichnis – Ungleichbehandlung ungleicher Sachverhalte 272 ff. – Ungleichbehandlung von Gruppen 285 ff., 358 ff. – Verhältnismäßigkeit bei Gruppen-Differenzierung 300 ff. – vertikale Gleichheit 382, 522 – Willkürverbot 274 ff. Göring-Eckard, Katrin (Bündnis 90/Die Grünen), MdB 164, 415 Grenztruppen 21, 338, 412 Grund, Manfred (CDU/CSU), MdB 21, 338, 353, 412, 527 Grundrechte – Durchsetzung 622 ff., 649 – Normativität der ~ 248, 625 – ordre public 254 – Schutzbereich 249 – Verletzung 644 f. – Verwirkung 422 Grundrechtsbindung 246 ff., 583 – früheres Recht 253 ff. Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit 34 ff., 60 ff., 462 Gruppengerechtigkeit siehe unter Gleichheitssatz Gutachten 505, 592 ff. Heintzen, Markus 116 Heuer, Uwe-Jens (PDS), MdB 121 Hirsch, Burkhard (FDP) 411 Hörsken, Heinz-Adolf (CDU/CSU), MdB 97, 415 Huber, Erwin, Staatsminister 204, 211, 578 Interpretation, genetische 98 ff. Jäger, Renate (SPD), MdB 164 Jahresarbeitsentgelt, durchschnittliches 28 Jahreshöchstverdienst(grenzen) 80, 139, 492, 537, 539, 558, 684

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Kappungsgrenze 101, 103, 403 Kauder, Volker (CDU/CSU), MdB 110 Kinkel, Klaus (FDP) 20, 412 Kolb, Elmar (CDU/CSU), MdB 362, 415 Komitee des Wirtschafts- und Sozialrats der UN 221 Kraus, Rudolf, Staatssekretär 119 Kronberg, Heinz-Jürgen (CDU/CSU), MdB 97 Kürzungsmechanismus (§ 7 AAÜG) 190, 192, 197, 210, 279, 484, 492, 561, 641, 682, 684 Leitungsfunktionen 133, 481 lex Tiedge 62 ff. Lotz, Erika (SPD), MdB 210 Lühr, Uwe (FDP) 119, 121 de Maizière, Lothar, Ministerpräsident (DDR) 21, 353, 410 Mascher, Ulrike (SPD), MdB 119, 121 Mauerschützen-Fälle 353, 397, 412 Menschenrechtsverletzungen 396 ff., 412 Menschenwürdegarantie 41 Menschenwürde-Satz 37, 49 Menzel, Bruno (FDP), MdB 110 Merten, Detlef 116 Michalk, Maria (CDU/CSU) 210 Mindestrente (DDR) siehe auch Rente nach Mindesteinkommen 1 Ministerium des Innern (DDR) 21, 369, 494, 542, 561 – Durchschnittseinkommen 561 Ministerium für Staatssicherheit (MfS/ AfNS) 18 ff., 336 ff., 342 ff. – Aufhebung der Versorgungsordnung des ~ 12 – Auflösung 565 – Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur 144, 375, 378, 504, 569, 572 – Besoldungs- und Versorgungssystem im Bereich des ~ 175, 505 – Einkommen 28, 79, 101 f., 112, 115 ff., 125, 138 ff., 144 ff., 162, 173,

264

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Personen- und Sachwortverzeichnis

342, 352, 354 ff., 363 f., 369 f., 375, 377, 379 ff., 387 ff., 468, 478, 492 ff., 502 ff., 513, 521 ff., 538 ff., 561 ff., 592 ff., 662 ff., 686 ff. Einkommenssituation 14 Ferienleistungen 552, 589 „ganz spezifische Verhältnisse“ 199 Jahresdurchschnittseinkommen 494 keine unterdurchschnittliche Qualifizierung der Angehörigen 502 Kinderbetreuung 551 Mitarbeiter, ehemalige 17, 20, 119, 146, 164, 413 f., 415 Mitarbeiter, hauptamtliche, hauptberufliche 102, 117 ff., 125, 140, 524, 549, 593, 607 Mitarbeiter, inoffizielle (IM) 410 Privilegierung 500 Pro-Kopf-Einkommen 144, 175, 375, 504, 538, 568 f., 591 „Selbstprivilegierung“ des ~ 13, 25, 177, 538, 547 ff., 557 f., 567, 588 f. Sondersituation 483 Sonderstellung 488, 498, 508 f., 511 ff., 567, 568 „Staat im Staate“ 23 „Stasi“ 20 Stasi-Amnestie 20 „Stasi-Staat“ 20 „Stasi-Unwert“ 21, 353 ff., 397, 487, 514 Übergangsbeihilfen 564 ff., 588 Übergangsgebührnisse 564 ff., 588 überhöhte Einkommen 121, 146, 193, 279, 405, 423, 466 ff., 478, 480 ff., 484, 532 überhöhte Entgelte 128 ff., 132 f., 136, 174, 188 ff., 197, 211, 218, 279, 316, 365 f., 367, 375, 378, 388, 391 ff., 478 f., 506, 518, 523, 526, 546 ff., 564, 571, 573 ff., 590, 605, 665, 668, 677 f., 682 überhöhte Leistungen 19, 26, 30, 33, 102 f., 129, 167, 271, 330, 360, 389 f., 393, 407, 420 f., 444, 454, 460, 464, 467 f., 477, 484, 487, 489, 491, 495,

526 ff., 529, 532, 534, 551, 560, 566, 658, 681, 683 – überhöhte Rentenansprüche 30, 97, 121, 154, 186, 211, 380, 471, 527 – überhöhte Versorgungen 25, 144, 146, 177, 568 – Verdienstniveau 24 f. – Vorzugsbehandlung 548 ff. – Weisungsbefugnis gegenüber dem ~ 208, 419, 579 – Wohnraum 553 ff., 589 – Zahl der Mitarbeiter 373 – Zulagen, Zuschläge 500, 538, 540 ff. Missbrauch 34 ff., 54, 462 Mitarbeiter des Staatsapparates 85, 116 Nationale Volksarmee 21, 338, 353, 359, 472, 542, 544, 550 – Jahresdurchschnittseinkommen 369, 494, 561 – Versorgungssystem 9, 85, 352, 359 – Warenangebot 550 – Zulagen, Zuschläge 542, 544 Nolte, Claudia (CDU/CSU) 164 Normprogramm 67 nulla poena sine culpa 40, 45 nulla poena sine lege 46, 417 obiter dictum 220, 239, 245, 510 Ost-Renten 534 Papier, Hans-Jürgen 116 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 106 Pau, Petra (fraktionslos) 210 Pauschalierung 128, 144, 175, 185, 197, 199, 307 ff., 519 Privilegierungen 129 Prostitution 52 Prozessgrundrechte 46 Rechtskraft 226 ff., 510, 598 ff. – formelle ~ 181

Personen- und Sachwortverzeichnis – Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Entscheidung 183 – materielle ~ 181 – von Kammer-Beschlüssen 179 – Vorbringung neuer Tatsachen 183 Rechtssicherheit 39 Rechtsstaat 17, 22, 43, 46, 48, 91, 96, 121, 256, 258, 260, 294, 336, 402, 431, 628 Rechtsstaatsgrundsatz 33 ff., 37 ff., 47, 49, 60, 72 ff., 90, 121, 336 f., 396 ff., 402, 417, 462, 658, 660, 681 Rente nach Mindesteinkommen 88, 101, 139, 169 Rentenansprüche 134 Rentenkürzung 35 f., 49 f., 64, 66, 72, 75, 92, 96, 100, 110, 119, 121, 136, 145, 149, 164, 194, 198 f., 211, 279, 299, 325, 375, 378, 395 f., 399, 401 f., 405, 416 f., 421, 458, 462, 466 f., 478, 516, 563, 569, 572, 618, 641, 659 f., 685 – gleichheitswidrige Rentenkürzung 198 – sachgerechter Kürzungsmechanismus 190, 484 rentenrechtliche Sanktionen 48 ff. „Rentenstrafrecht“ 111, 121, 210 Renten-Überleitungsgesetz 3, 77 ff., 89, 94 ff. Rentenüberleitungs-Änderungsgesetz 77 Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz 104, 107, 110 Rentenversicherung, gesetzliche 1, 11 f., 26 ff., 50 ff., 63, 75, 84, 93, 106, 110, 113, 119, 121, 135, 139, 143, 147, 151, 153 f., 166, 186, 269, 271, 292 f., 296, 325, 327, 329, 342, 350, 362, 380, 387, 389, 399, 407, 417, 439, 441, 444, 455, 457, 459, 468 f., 471 ff., 474 ff., 489, 492, 495, 499, 515, 517, 522, 525, 527 ff., 532, 534, 539, 547, 551, 559 f., 562, 566, 641 – Altersrente 475 – Beitragspflicht 79

265

– Einkommen 78, 325, 475, 491, 527, 534, 662 – Einkommen, beitragspflichtiges 79, 387, 527, 534 – Schutzzweck der ~ 51 – Überführung in die ~ 26 f., 75, 77, 84, 106, 135, 147, 154, 186, 271, 293, 295, 329, 389, 444, 458, 468 f., 474 – Versicherungsprinzip 325 Richter (DDR) 85 Sachgerechtigkeitsgebot 275 ff. Saarland, Rückgliederung 81 f. Schäuble, Wolfgang, Bundesminister 16, 20 Schreiner, Ottmar (SPD), MdB 97 Schuld 18 f., 23, 37, 40, 43 f., 46 ff., 61, 65, 75 f., 164, 336, 397 ff., 401 f., 411, 413, 417, 463, 657 f., 660 Schuldgrundsatz 37 ff., 459, 658 – Ableitung 37 Schuldnachweis 75, 401 f. Schuldprinzip 47, 463, 681 Schuldvermutung 43 Schwaetzer, Irmgard (FDP) 164 Schwarzarbeit 52 „Selbstprivilegierung“ 206 Simon, Helmut 116 Sonderversorgungssysteme 9 ff., 101 ff., 529 – beamtenähnliche Versorgung in den ~n 11, 29, 384 – Beitragspflicht in den ~n 10, 78, 143, 499, 542, 547, 559, 685 – Berufsfeuerwehr 87 – Deutsche Volkspolizei 85, 105 – Einkommen 85 ff., 96, 105, 107 ff., 113 f., 119, 121 ff., 128, 132 f., 136, 156, 159, 191 ff., 196 f., 206, 210, 329, 340, 354 f., 359, 363, 367, 369, 395 f., 401 ff., 407, 420, 423, 461, 474, 480, 487, 676 ff., 686 ff. – Kürzung von Ansprüchen und Anwartschaften aus ~n 34 ff.

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Personen- und Sachwortverzeichnis

Ministerium des Innern 369 Nationale Volksarmee 85, 105, 369 Schließung der ~ 26 „staatsnahe“ ~ 85 Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus ~n 12, 27, 30 ff., 33, 77 ff., 84, 117 f., 121 ff., 147 f., 151, 154, 161, 186, 293, 295 f., 299, 329, 360, 387, 444, 458, 517, 527 – X-Bereich 423 – Zollverwaltung 105 Sonderversorgungssystem des MfS/ AfNS 88, 105, 115 – Aufhebungsgesetz 12 ff., 24 ff. – „überhöhte Versorgungen“ siehe auch überhöhte Einkommen usw. 25 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 17, 21 ff., 96 f., 100, 106, 114, 121 f., 198, 208 ff., 213, 353, 356, 409, 412, 415, 418, 549, 579 – Führungsanspruch 22 – Opfer der SED-Herrschaft 459, 516 – „Opfer des SED-Unrecht-Regimes“ 22, 122, 198, 209 f., 416 – Suprematie 21 f., 353 Sozialpflichtversicherung (DDR) 1, 25 Sozialversicherungssystem – Erhaltung der Leistungsfähigkeit 457 f. Staatsanwalt (DDR) 85 Staatsfundamentalnorm 38 „Staatsnähe“ 121, 130, 187, 357, 394, 461, 482, 485 „staatsnahe“ Tätigkeiten 86 Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion 26 Standardrentner 28 Steiner, Udo 167, 330, 407, 615 Stief, Eberhard, Staatssekretär (DDR) 18, 413 strafähnliche Sanktionen 40, 45 ff., 62, 100, 110 Strafe 40, 44 ff., 46, 57, 65 Strafrecht 43, 65 f., 72, 96, 100, 110, 292

Systemänderung 67 ff. Systemdurchbrechung 70 ff., 270 f., 399 „Systemnähe“ 113, 130, 187, 357, 394, 461, 482, 485 ff. „Systementscheidung“ 27 ff., 380, 469 f. „Systemtreue“ 128, 390 Systemwidrigkeit 67 ff., 71 Täter-Opfer-Vergleich 198, 417, 459 Tatsachen 128, 175, 183, 188, 316, 375, 478, 569, 586, 590, 592, 595, 600, 602 ff., 606 ff. – Anpassungspflicht bei geänderten ~ 580 f. – Bedeutung für die Rechtsanwendung 188, 316, 375, 478, 569 ff. – Begriff 606 ff. – neue ~ 175, 183, 600, 602 ff. – Rechtsprechung 128, 175 – Relevanz für die Versorgungsüberleitung 571 ff. – ~vortrag 505, 644 Teilhabeäquivalenz 269, 271, 325, 387, 407, 522, 525, 387, 522, 525 Tiedge, Hans-Joachim siehe auch lex Tiedge 62 f. „Top 50-Einkommen“ 369, 494, 561 Typisierung 128, 144, 185, 197, 307, 310 ff., 519, 568 – Grenzen der ~ 314 ff. – Härten und Ungerechtigkeiten infolge ~ 320 ff. – Nachbesserungspflicht 328 ff. – typisierende Rentenbegrenzung 486 – Typisierungsfehler 197 – Ungeeignetheit einer ~ 363 ff., 465 ff. – unzulässige Typisierung 191, 194 – Verbot der Atypik 315 ff. – Verbot übermäßiger ~ 317 ff. – Verhältnismäßigkeitsgebot 404 ff. „überhöhte Einkommen“ 480 ff. „überhöhte Entgelte“ 478

Personen- und Sachwortverzeichnis

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„überhöhte Leistungen“ 460, 467, 477 f., 487, 528, 529, 532, 534, 560 „ungerechtfertigte Leistungen“ 26, 33, 167, 271, 330, 360, 389, 343 ff., 407, 444, 465 ff., 467 f., 471, 526, 529 Unrechtsstaat 100 Unschuldsvermutung 47, 398, 459

Versorgungsruhensgesetz 39, 401 Versorgungssysteme siehe Sonder~, Zusatzversorgungssysteme 77 Versorgungsträger 106, 170 Verwaltungspraktikabilität 378 Volkskammer (DDR) 12 ff., 21, 164, 344 Vorrang der Verfassung 247

Verfassungsbeschwerde 173, 178, 180, 505, 570, 601 ff., 643 ff. – Annahmevoraussetzungen (§ 93 a BVerfGG) 611 ff. – erneute ~ in derselben Sache 175, 601 ff. – neue rechtserhebliche Tatsachen 604 ff. – Subsidiarität der ~ 648 ff. – Urteilsverfassungsbeschwerde 643 ff. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 277, 283, 300, 317 ff., 358, 360, 404, 454 ff., 487, 491, 523, 561 – Eignung des Mittels 464 ff. – Erforderlichkeit des Mittels 489 ff. – Legitimität von Eingriffsziel und Eingriffsmittel 300 ff. – Prinzip des mildesten Mittels 304, 489 – Proportionalität 300, 491 ff., 495 – übermäßige Belastung 491 – Zumutbarkeit 491 Vermögensstrafe 49 Versicherungsleistungen 474 ff. Versicherungsprinzip 325 Versorgung, amtsgemäße 298 Versorgung aus dem letzten Amt 474, 493 Versorgungsansprüche 535, 568 Versorgungskürzung 24, 30, 90, 416, 421 Versorgungskürzungsgesetz 90 Versorgungsleistungen 474 ff. Versorgungsnivellierung 385

Wertfreiheit des Sozialversicherungsrechts 61, 96, 399, 459 Wertneutralität des Sozialversicherungsrechts 50 ff., 60 ff., 63, 121, 399, 417 – Ausnahmeregelungen 54 ff. Wiedervereinigung 130, 197, 292 ff., 387 Willensfreiheit 43 Willkürverbot 274 ff. Wirtschafts- und Sozialrat der UN (Komitee) 221 X-Bereich (DDR) 141, 340, 357, 495, 499, 524 ff., 531, 533 f., 536 f., 561 – Ungleichbehandlung im ~ 359 ff. Zahlbetragsbegrenzung 126 Zahlbetragsgarantie 152 ff., 157, 171 Zusatzleistungen, finanzielle 538 ff. Zusatzrentenversicherung, freiwillige 2 Zusatzversorgungssysteme 3 ff., 77, 106, 170 – Aberkennung von Ansprüchen und Anwartschaften aus ~n 34 ff. – Beitragspflicht in der ~ 4 – Einkommen 2, 4, 194 – Kürzung von Ansprüchen und Anwartschaften aus ~n 34 ff. – Schließung der ~ 26 – Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus ~n 27, 30, 33, 77 ff., 121, 154, 186, 293, 295 f., 444