Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission: Motive einer Verfassungsänderung [1 ed.] 9783428485666, 9783428085668

Ein für das Grundgesetz entscheidendes Datum ist der 7. Februar 1992, als die Vertreter der damals zwölf Mitgliedstaaten

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Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission: Motive einer Verfassungsänderung [1 ed.]
 9783428485666, 9783428085668

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KIRSTEN SCHMALENBACH Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten Band 29

Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission

Motive einer Verfassungsänderung

Von Kirsten Schmalenbach

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmalenbach, Kirsten: Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission : Motive einer Verfassungsänderung / von Kirsten Schmalenbach. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 29) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-428-08566-3 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-08566-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat im Wintersemester 1994/95 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand vom 31.12.1994. Zu danken habe ich an erster Stelle meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hartmut Schiedermair, der die Arbeit mit wertvollem Rat gefordert hat. Daneben bin ich Herrn Prof. Dr. Joachim Burmeister für die Erstellung des Zweitgutachtens sehr verbunden. Mein Dank gilt auch dem Landtag Nordrhein-Westfalen, insbesondere dem Direktor des Landtages, Herrn Prof. Heinrich Große-Sender, in dessen Auftrag ich eine Dokumentation über die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission verfaßte. Diese Dokumentation bildet die Grundlage für die vorliegende Arbeit. In diesem Zusammenhang möchte ich Prof. Dr. Dres. h.c. Klaus Stern danken, der den Kontakt zu dem Landtag Nordrhein-Westfalen herstellte und der mir mit wertvollen Hinweisen zu der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission zur Seite stand. Zu Dank verpflichtet bin ich auch dem Bundesrat, der die Veröffentlichung der Arbeit mit einem großzügigen Druckkostenzuschuß ermöglichte, und meinem Bruder Holger Schmalenbach, der alle technischen Hindernisse auf dem Weg zur Veröffentlichung überwand. Köln, Januar 1996 Kirsten Schmalenbach

Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung

17

Β. Die Gemeinsame Verfassungskommission

22

I.

Die Arbeitsweise der Gemeinsamen Verfassungskommision

23

1. Zusammensetzung

23

2. Verfahren der Beschlußfassung

24

3. Berichterstattergespräche

24

4. Öffentlichkeit der Beratungen

25

5. Beiträge der Kommission Verfassungsreform

25

6. Anhörungen

26

Π. Die Beratungen zum Thema „Grundgesetz und Europa" C. Die Entwicklung der europäischen Integration I.

Die Europäischen Gemeinschaften und das Grundgesetz

Π. Die Europäische Union D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes I.

26 28 28 30 32

Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung

32

1. Verfassungsrechtliche Hintergründe

32

a) Zwischenstaatliche Einrichtung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG

33

b) Übertragung von Hoheitsrechten und deren Grenzen

34

c) Die „begrenzte" Verfassungsänderung

37

2. RechtsaufTassung der Bundesregierung

38

3. Standpunkt der Bundesländer

39

4. Stellungnahme der Sachverständigen

41

5. Ergebnis der Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung

46

Π. Reformvorschläge zur Änderung der Integrationsnorm außerhalb der Gemeinsamen Verfassungskommission

47

8

nsverzeichnis 1. Änderungsvorschlag des Bundesrates zur Integrationsnorm Art. 24 GG ...

48

2. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landtage...

49

3. Empfehlung der Kommission Verfassungsreform

50

ΙΠ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

52

1. Notwendigkeit eines neuen Europaartikels

52

2. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F. - Integrationsöffnung und Struktursicherung

56

a) Integrationsöffnungsklausel

56

b) Struktursicherungsklausel

58

aa) Das Rechtsstaatsprinzip

62

bb) Das Sozialstaatsprinzip

63

cc) Das Demokratieprinzip

65

dd) Föderalismus

68

ee) Die Grundrechte

73

ff) Das Subsidiaritätsprinzip

75

3. Hoheitsrechtsübertragung gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F

78

a) Bisherige Praxis: Übertragung nach Art. 24 Abs. 1 GG

79

b) Zustimmungsbedürftigkeit des Übertragungsgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F

81

aa) Vorschläge der Bundesländer

82

bb) Auffassung der Vertreter des Bundes

83

cc) Stellungnahme der Sachverständigen

85

dd) Ergebnis der Diskussion um ein generelles Zustimmungsrecht des Bundesrates

86

4. Das Mehrheitserfordernis im innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahren: Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG

87

a) Erste Vorschläge zur Regelung der Mehrheitsverhältnisse bei Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union

87

b) Stellungnahme der Sachverständigen zu dem Begriff „wesentliche Strukturen" im ersten Entwurf des Art. 23 Abs. 1 Satz 3

88

c) Entscheidungsfindung in der Gemeinsamen Verfassungskommission.

90

d) Rechtsauffassung der Bundesregierung

93

nsverzeichnis e) Stellungnahme des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)"

94

f) Ergebnis der Debatte um den Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i. V.m. Art. 79 Abs. 2 GG

96

5. Art. 79 Abs. 1 GG: Das Textänderungsgebot

97

6. Grenze der Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union nach Art. 79 Abs. 3 GG: der Europäische Bundesstaat ? 100 7. Mitwirkungsrechte des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union 104 a) Art. 23 Abs. 2 und 4 GG n.F.: Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Bundesrates 105 aa) Bisherige Mitwirkungsrechte der Bundesländer

106

bb) Streit um die verfassungsrechtliche Absicherung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates 108 cc) Kritik an dem Vorschlag der Kommission Verfassungsreform

111

dd) Bundesrat als „Sprachrohr" der Länder

112

ee) Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

117

b) Art. 23 Abs. 5 GG n.F.: Mittelbare Einflußnahme des Bundesrates auf die Politik der Europäischen Union 119 aa) „Berücksichtigung" der Stellungnahme des Bundesrates

119

bb) „Maßgebliche Berücksichtigung" der Stellungnahme des Bundesrates 120 ( 1 ) Ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder (2) Exekutivische Zuständigkeiten der Bundesländer

120 121

cc) Streitpunkt: Mitwirkungsbefugnisse in den Bereichen der konkurrierenden und Rahmengesetzgebung 123 (1) Konträre Positionen in der Gemeinsamen Verfassungskommission 123 (2) Entscheidung der Gemeinsamen Verfassungskommission

125

dd) Einschränkung des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates

131

( 1 ) Schwerpunktmäßige Betroffenheit (2) Gesamtstaatliche Verantwortung

131 132

( 3 ) Ausgabenerhöhung bzw. Einnahmeminderung fur den Bund.. 134 c) Art. 23 Abs. 6 GG n.F.: Unmittelbare Mitwirkung des Bundesrates an der Politik der Europäischen Union 134

nsverzeichnis

10

aa) Stellungnahme der Sachverständigen

135

bb) Position des Bundes

136

cc) Position des Bundesrates

137

dd) Entscheidungsfindung in der Gemeinsamen Verfassungskommission 138 d) Weitere Verfassungsänderungen im Zusammenhang mit der Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bundesländer 140 8. Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 und 3 GG n.F

141

a) Rechtsauffassung der Sachverständigen in der Gemeinsamen Verfassungskommission 141 b) Diskussion und Entscheidung in der Gemeinsamen Verfassungskommission 142 aa) Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Bundestag

143

bb) Mitwirkungsrechte des Bundestages

147

c) Verhältnis der Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat

154

d) Der Unionsausschuß

155

E. Weitere Änderungsvorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission I.

158

Unionsbürgerschaft und Art. 28 GG

158

1. Bisherige Verfassungslage

159

2. Änderungsvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

160

a) Antrag der SPD: Ausdehnung des Kommunalwahlrechts auch auf Nicht-EG-Bürger 161 b) Bremer Sonderregelung für das Kommunalwahlrecht

163

c) Vorbehalte Bayerns

165

Π. Die Europäische Zentralbank und Art. 88 GG

165

ΙΠ. Übertragung von Hoheitsrechten durch die Länder: Art. 24 Abs. 1 a (neu)

169

F. Gescheiterte Reformvorschläge I.

172

Art. 32: Normierung des Lindauer Abkommens

172

1. Das Lindauer Abkommen

172

2. Vorschlag der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates

174

3. Position der Bundesregierung

176

4. Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen

177

nsverzeichnis Π. Ländervertretungen in Brüssel

178

1. Verfassungsmäßigkeit der Länderbüros

179

2. Vorschlag der Kommission Verfassungsreform

180

. 3. Rechtsauffassung der Sachverständigen

180

4. Entscheidung in der Gemeinsamen Verfassungskommission

181

G. Perspektiven der künftigen europäischen Integration über Art. 23 Abs. 1 GG - die Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 183 I.

Gewährleistung des Grundrechtsschutzes

Π. Das Demokratiegebot

184 187

1. Anforderungen des Demokratieprinzips an die Strukturen der Europäischen Union 188 a) Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen auf europäischer Ebene... 188 b) Demokratische Legitimation europäischer Hoheitsgewalt

191

2. Stellung des Bundestages im Lichte des Demokratieprinzips

193

a) Bestimmbarkeit der im Maastrichter Vertrag angelegten Integrationsschritte: Kompetenz-Kompetenz der Europäischen Union 194 b) Begrenzung europäischer Normsetzung: Das Subsidiaritätsprinzip

198

c) Einflußnahme auf Entstehung und Entwicklung der Währungsunion.. 200 H. Zusammenfassung und Ausblick

202

Anhang

211

I.

Chronik: Daten zur Vorgeschichte des Europaartikels 23 GG

211

Π. Gemeinsame Verfassungskommission - Einsetzungsbeschluß

214

ΙΠ. Mitglieder und stellvertretende Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission 216 IV. Sachverständige

219

V. Berichterstatter der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa" 220 Literaturverzeichnis

221

Dokumente der Gemeinsamen Verfassungskommission

230

I.

Stenographische Berichte und Stellungnahmen

230

Π. Arbeitsunterlagen der Gemeinsamen Verfassungskommission

233

ΙΠ. Kommissionsdrucksachen

234

Abkürzungsverzeichnis a.A. abgedr. Abs. a.F. AK-GG allg. Anm. AöR Art. BayVBl. Bd. BGBl. BK BMI BMWi BRat BR-Dr. BReg BTag BT-Dr. BVerfG BVerfGE bzw. CDU DDR d.E. Dez. d.h. Diss. DÖV DP Dr. DVB1. E EAG EAGV EEA EG EGKS

andere Ansicht abgedruckt Absatz alte Fassung Alternativkommentar zum Grundgesetz allgemein Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Bayerische Verwaltungsblätter Band Bundesgesetzblatt Bonner Kommentar Bundesministerium des Innern Bundesministerium für Wirtschaft Bundesrat Bundesratsdrucksache Bundesregierung Bundestag Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidung beziehungsweise Christlich Demokratische Union Deutsche Demokratische Republik des Entwurfes Dezember das heißt Dissertation Die öffentliche Verwaltung Deutsche Partei Doktor Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidung Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Einheitliche Europäische Akte Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

14 EGKSV EGV ehem. EinigungsV ESZB et al. etc. EuGH EuGRZ EuR EUV EVG EWG EWGV EZB f./ff. FAZ FDP FG Fn. FS gem. GG GO-BT GVK Hrsg. Hs. i.S.d. i.V.m. JA JöR n.F. JuS JZ LL Mio. m.w.N. NATO n.F. NJW Nr. NRW Pari.Rat PDS Prof. Rn. Rs.

Abküraingsverzeichnis Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ehemalig Einigungsvertrag Europäisches System der Zentralbanken et altera et cetera Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechtszeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Verteidigungsgemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Zentralbank folgende/fortfolgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Festgabe Fußnote Festschrift gemäß Grundgesetz Geschäftsordnung des Bundestages Gemeinsame Verfassungskommission Herausgeber Halbsatz im Sinne des in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch des öffentlichen Rechts, neue Folge Juristische Schulung Juristenzeitung Linke Liste Millionen mit weiteren Nachweisen Nordatlantisches Verteidigungsbündnis neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nordrhein-Westfalen Parlamentarischer Rat Partei des Demokratischen Sozialismus Professor Randnummer Rechtssache

Abkürngsverzeichnis Rspr. S. Slg. sog. SPD StenBer. Tbd. u.a. v. VArch Verf. vgl. Vorb. VR WDStRL WEU ZaöRV z.B. ZfA ZfRV zit. ZParl ZRP

Rechtsprechung Seite Sammlung sogenannt/e Sozialdemokratische Partei Deutschlands Stenographischer Bericht Teilband unter anderem von Verwaltungsarchiv Verfasser/in vergleiche Vorbemerkung Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer Westeuropäische Union Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift fur Rechtsvergleichung/ Internationales Privatrecht und Europarecht zitiert Zeitschrift fiir Parlamentsfragen Zeitschrift fur Rechtspolitik

Α. Einleitung Thema und Ziel der Arbeit Am 25. Dezember 1992 ist die 38. Änderung des Grundgesetzes in Kraft getreten. Die eingefügten bzw. modifizierten Art. 23, 24 Abs. la, 28 Abs. 1 Satz 3, 45, 50, 52 Abs. 3a, 88 Satz 2 und 115e Abs. 2 Satz 2 GG sind im wesentlichen das Ergebnis der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission. Hier fand die politische Diskussion und die Erörterung rechtlicher Hintergründe statt, hier wurde der Grundstein für das spätere Stimmverhalten in den gesetzgebenden Körperschaften gelegt. Eingebettet in den Auftrag des Einigungsvertrages, sich nach der deutschen Wiedervereinigung mit der Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, war der in Maastricht geschlossene europäische Unionsvertrag unmittelbarer Anlaß für die Anpassung des Grundgesetzes an den nunmehr erreichten Integrationsstand. Diese Herausforderung nahmen die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission an und erzielten eine Einigung, die im Vergleich zu den übrigen seit 1949 erfolgten Grundgesetzänderungen als einmalig bezeichnet werden kann. Die Kommission entschloß sich dazu, die staatlichen Grundlagen in bezug auf die europäische Integration neu zu bestimmen. Die Einmaligkeit, die sich primär in der neuen Integrationsnorm Art. 23 GG widerspiegelt, ist nicht unumstritten - ein Umstand, der angesichts von Novität und Tragweite der beschlossenen Änderungen nicht verwundert. Kritisiert wird die Neuordnung des Kräfteverhältnisses zwischen Bund und Ländern in europäischen Angelegenheiten, die damit verbundene Gefahr des Verlustes grundgesetzlicher Integrationsoffenheit, aber auch die von der Gemeinsamen Verfassungskommission erarbeitete Terminologie. Dabei wird im Rahmen der Auseinandersetzung um Sinn und Unsinn der neuen Europanorm immer wieder auf die Debatte in der Gemeinsamen Verfassungskommission zurückgegriffen, um Rückhalt für die jeweilig vertretene Sicht der Dinge zu finden. An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an. Ihr Anliegen ist es, die in die Entscheidungsfindung eingeflossenen politischen und rechtlichen Argumente zusammenzufassen, sie den verschiedenen Interessengruppen zuzuordnen und sie in den Kontext der bisher geltenden Rechts- und Verfassungslage zu setzen. Die Erforschung der Motive beschränkt sich dabei nicht auf die Analyse der in der Gemeinsamen Verfassungskommission geführten Diskussion: Bei der Sichtung der Materialien fiel immer wieder auf, daß in kleineren - zum Teil inoffiziellen - Kreisen 2 Schmalenbach

18

Α. Einleitung

entscheidende Vorarbeit bzw. Nachbesserung geleistet wurde. Soweit diese Gespräche dokumentiert sind, fließen die dort erarbeiteten Standpunkte in die Darstellung ein, um die Diskussion in ihrer gesamten Breite aufzuzeigen. Die Beziehung des Grundgesetzes zur europäischen Integration ist dabei kein Thema, das zum ersten Mal einen breiten Dialog erfahrt. Die seit der Gründung der Gemeinschaften intensive Erörterung rechtlicher Fragen hat durch den Maastrichter Vertrag erneut einen Höhepunkt erreicht. Gleichwohl ist es nicht Anliegen dieser Arbeit, die außerhalb der Kommission in der Verfassungslehre geführte Diskussion - wie z.B. der Streit um Bedeutung und Nutzen des Subsidiaritätsprinzips - detailliert darzustellen. Dies würde das Augenmerk von den maßgeblichen Motiven der Kommissionsmitglieder lenken, insbesondere dort, wo die verfolgten politischen Absichten die rechtlichen Bedenken der Verfassungslehre in den Hintergrund gedrängt haben. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Beitrag zur historischen und genetischen Interpretation der Verfassung zu leisten. Auch wenn der „Wille des Gesetzgebers", der in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission und des begleitenden Sonderausschusses „Europäische Union" zutage tritt, kein letztes Ziel der Auslegung und keine bindende Richtschnur sein kann, so darf sich dennoch nicht über dessen bewußt getroffene Werteentscheidung hinweggesetzt werden. 1 Mögen die Kommissionsmitglieder den fortschreitenden Wandel der Lebensverhältnisse auch nicht übersehen können, so bleiben dennoch ihre Motive von erheblichem Wert für die Auslegung, „... weil angenommen werden kann, daß sie sich bei der Wahl der Ausdrücke über deren Tragweite Gedanken gemacht haben ...". 2 Da der historische Wille für die Auslegung einer Verfassungsnorm nicht maßgeblich, sondern lediglich mitbestimmend ist, beschränkt sich diese Arbeit nicht nur auf die Darlegung verfolgter Grundabsichten. Insbesondere die Verfassungsgerichtsbarkeit ist aufgerufen, die neuen Grundgesetzartikel im Kontext der Verfassung auszulegen und richtungsweisende Ansätze für ihre Handhabung zu entwickeln. Diesem Aspekt trägt die vorliegende Arbeit Rechnung, indem sie die wesentlichen Aussagen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Maastrichter Vertrag darstellt und kritisch auf ihren Gehalt für die Anwendung des Art. 23 GG und der damit zusammenhängenden künftigen europäischen Integration untersucht.

1 2

Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 318. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 329.

Α. Einleitung

19

Herkunft des benutzten Materials Die Quellen für die Untersuchungen bilden primär die Stenographischen Protokolle, die von jeder Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission angefertigt worden sind. Zusammen mit den Arbeitsunterlagen und Kommissionsdrucksachen dokumentieren sie den Verlauf der Beratungen, die vielfaltigen Änderungsvorschläge und die Überlegungen von Sachverständigen, anderen Gremien und Interessengruppen zu speziellen Themenbereichen. Daneben treten eine Vielzahl von Bundestags- und Bundesratsdrucksachen, in denen die offiziellen Stellungnahmen von Bundesregierung oder Bundesrat zu den Entwürfen niedergelegt sind. Die insoweit umfangreichen Materialien beantworten gleichwohl nicht alle Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Grundgesetzreform stellen. Oftmals bleiben die Gründe, die zu einem Formulierungsvorschlag geführt haben, trotz der Protokolle im Dunkeln. In der Öffentlichkeit wurde dann auch „die NichtOffenlegung der maßgeblichen Motive für die beschlossenen Änderungen" in der Gemeinsamen Verfassungskommission bemängelt3 - nicht ganz zu Unrecht, da selbst Kommissionsmitglieder beklagten, daß die Auseinandersetzung zum Teil in kleineren inoffiziellen Gesprächskreisen stattfinden würde, deren Entscheidungsfindung schwerlich nachzuvollziehen sei. Darüber hinaus wurden in den Sitzungen der Gemeinsamen Verfassungskommission oftmals nur die Ergebnisse der Berichterstattergespräche dargelegt, «phne daß in dem eigentlichen Diskussionsforum eine eingehende Erörterung der Vorschläge stattgefunden hätte. Diese Verfahrensweise erschwert die Motivsuche erheblich, da die Berichterstattergespräche nur durch inoffizielle Ergebnisprotokolle festgehalten worden sind. Auch die Bundesregierung, die nicht in der Gemeinsamen Verfassungskommission vertreten war, nahm mit Hilfe von nichtöffentlichen Stellungnahmen Einfluß auf die Handlungsmotive der Kommissionsmitglieder. Eine andere wichtige Informationsquelle sind die Erörterungen des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", der sich abschließend noch einmal eingehend mit den Vorschlägen der Gemeinsamen Verfassungskommission befaßt hat. Auch hier gab der offizielle Abschlußbericht nur spärlich Aufschluß über die kontrovers geführte Debatte. Als wesentlich ergiebiger erwiesen sich die unveröffentlichten Sitzungsprotokolle, die die einzelnen Stellungnahmen der Ausschußmitglieder, der geladenen Regierungsvertreter und anderer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens referieren.

3

W. Hennis, Auf dem Weg in eine ganz andere Republik, in: FAZ vom 26. Februar 1993, S. 35 rechte Spalte.

2*

20

Α. Einleitung

Alle genannten Erkenntnisquellen haben letztlich dazu beigetragen, daß die Entscheidungsfindung in der Gemeinsamen Verfassungskommission und im Sonderausschuß in der vorliegenden Arbeit aufgearbeitet werden konnte.

Gang der Darstellung Die Ausführungen beginnen mit der Darstellung des institutionellen Rahmens der Grundgesetzreform (Kapitel B). Ohne das Verständnis der Arbeitsweise der Gemeinsamen Verfassungskommission und anderer begleitender Gremien läßt sich der Prozeß der Entscheidungsfindung nicht im notwendigen Umfang nachvollziehen. Im Anschluß daran wird das Thema der Gemeinsamen Verfassungskommission „Grundgesetz und Europa" in die historischen und zukünftigen Zusammenhänge gesetzt. Die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften hin zur Europäischen Union und die damit verbundenen Änderungen der Gründungsverträge werden dargestellt (Kapitel C). Aufbauend auf diesen Vorinformationen, schließt sich die Schilderung der Diskussion um Reform bzw. Neuschaffung des Integrationsartikels an (Kapitel D). Nachdem sich die Kommissionsmitglieder mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob auf Basis des bewährten Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union erfolgen können (Kapitel D.I), werden Reformvorschläge der Länder zu Art. 24 GG vorgestellt (Kapitel D.II). Die dort zum Teil deutlich werdende Sichtweise der Bundesratsvertreter war Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern in der Gemeinsamen Verfassungskommission. Die Entwicklung von den Forderungen der Bundesratsvertreter bis hin zum Endprodukt der Diskussion, dem Art. 23 GG n.F., ist Gegenstand des anschließenden Kapitels (D.III). Die hier gewählte Reihenfolge der Diskussionspunkte wird durch die Absätze der neuen Integrationsnorm vorgegeben, da insofern die Debatte in der Gemeinsamen Verfassungskommission unstrukturiert verlief. Mit den Erörterungen um die Mitwirkungsrechte des Bundestages, die von den Mitgliedern nachträglich dem Art. 23 GG hinzugefügt worden sind, schließen die Ausführungen zur neuen Intergrationsnorm. Zu erörtern bleiben die im Zuge des Maastrichter Vertrages notwendigen Änderungen des Art. 28 GG (Kapitel E.I) und Art. 88 (Kapitel E.II). Im übrigen konnten die Bundesländer mit der Ergänzung des Art. 24 Abs. la GG eine alte Forderung nach eigenständiger Übertragung von Hoheitsrechten durchsetzen (Kapitel E.III). Zur Abrundung werden schließlich auch diejenigen Initiativen dargestellt, die keinen Niederschlag in den Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission gefunden haben (Kapitel F). Da die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission ihre politischen und rechtlichen Erwägungen in Unkenntnis des später ergangenen Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Maastrichter Vertrag getroffen haben,

Α. Einleitung schließt die Würdigung des Urteils an die Darstellung der Reformdiskussion an. Den Abschluß bilden die Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Verfassungsdiskussion und der Ausblick auf die künftige Handhabung des Art. 23 GG, den insbesondere das Bundesverfassungsgerichtsurteil gewährt.

Β. Die Gemeinsame Verfassungskommission Am 3. Oktober 1990 vollzog sich eines der erklärten Ziele des Grundgesetzes: Die staatliche Einheit Deutschlands durch Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 Satz 2 GG a.F. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde das Grundgesetz einer Revision unterzogen, deren Notwendigkeit sich aus den sachlichen Zwängen der Einheit ergab (Art. 4 EinigungsV). Neben diesen beitrittsbezogenen Änderungen des Grundgesetzes soll nach dem erklärten Willen der Regierungen der beiden deutschen Staaten die Wiedervereinigung auch dazu genutzt werden, das Grundgesetz unter verfassungspolitischen Gesichtspunkten der veränderten gesamtdeutschen Rechtslage anzupassen. In Art. 5 des Einigungsvertrages 4 empfehlen sie deshalb den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zu befassen. Diese globale Auftragserteilung hatte im Deutschen Bundestag eine intensive Debatte über das „Ob" und „Wie" einer Grundgesetzrevision zur Folge, die durch eine Beschlußempfehlung des Ältestenrates vom 14. November 1991 (BT-Dr 12/1590) ihr vorläufiges Ende fand: Ein paritätisch von Bundestag und Bundesrat besetztes Gremium sollte über die Änderung des Grundgesetzes beraten und die erarbeiteten Ergebnisse den gesetzgebenden Körperschaften zur Annahme empfehlen. Der Vorschlag, eine Gemeinsame Verfassungskom4

Art. 5 Einigungsvertrag: „Die Regierungen der beiden Vertragsparteien empfehlen den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, insbesondere - in bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern entsprechend dem Gemeinsamen Beschluß der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990, - in bezug auf die Möglichkeit einer Neugliederung für den Raum Berlin/Brandenburg abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 des Grundgesetzes durch Vereinbarung der beteiligten Länder, - mit den Überlegungen zur Aufnahme von Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz sowie - in der Frage der Anwendung des Artikels 146 des Grundgesetzes und in deren Rahmen einer Volksabstimmung."

I. Die Arbeitsweise der Gemeinsamen Verfassungskommission

23

mission einzurichten, wurde mit Beschluß des Bundestages und des Bundesrates vom 28. bzw. 29. November 1991 umgesetzt.5 Die Verfassungskommission nahm sodann - am 16. Januar 1992 - ihre Arbeit auf. Bald stellte sich jedoch heraus, daß das anfanglich anvisierte Ende der Tätigkeit am 31. März 1993 angesichts der umfangreichen Beratungsgegenstände nicht eingehalten werden konnte: Neben den in Art. 5 EinigungsV erwähnten Themengebieten und den notwendigen Änderungen im Zusammenhang mit der Verwirklichung der Europäischen Union, nahmen die Kommissionsmitglieder auch ein Selbstbefassungsrecht bezüglich aller aktueller Verfassungsfragen für sich in Anspruch. Die Gefahr, daß das bewährte Grundgesetz einer ebenso unnötigen wie unerwünschten Totalrevision unterzogen wird, 6 realisierte sich jedoch trotz des weitgesteckten Aufgabenfeldes nicht. Im Rahmen von insgesamt 95 Änderungsanträgen überprüfte die Gemeinsame Verfassungskommission etwa die Hälfte aller Grundgesetzartikel auf ihre Reformbedürftigkeit; auf die Empfehlung von insgesamt 23 neuen bzw. modifizierten Grundgesetzartikeln konnten sich die Kommissionsmitglieder in ihrem Anschlußbericht am 28. Oktober 1993 verständigen. 7

I. Die Arbeitsweise der Gemeinsamen Verfassungskommission 1. Zusammensetzung Die Gemeinsame Verfassungskommission bestand aus insgesamt 64 Mitgliedern und 64 Stellvertretern, paritätisch von Bundestag und Bundesrat bestellt. Die Vertreter des Bundestages8 wurden dabei vom Parlament gewählt, während jede Landesregierung - ungeachtet der Einwohnerzahl des jeweiligen Bundeslandes - aus ihren Bundesratsmitgliedern zwei Kommissionsmitglieder und 2 Stellvertreter bestimmen konnte. Als Ausdruck der Gleichgewichtigkeit der beiden gesetzgebenden Körperschaften saßen der Gemeinsamen Verfas-

5

Vgl. Einsetzungsbeschluß; Anhang Π. Schiedermair, Die politische Meinung 1992, 17 f. 7 Die Gemeinsame Verfassungskommission empfahl den gesetzgebenden Körperschaften folgende Grundgesetzänderungen: Art. 3 Abs. 2 Satz 2; Art. 20 a, Art. 20 b; Art. 23; Art. 24 Abs. la; Art. 28 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 3; Art. 29 Abs. 1 und 8; Art. 45; Art. 50; Art. 52 Abs. 3a; Art. 72; Art. 74; Art. 75; Art. 76 Abs. 2 und 3; Art. 77 Abs. 2a; Art. 80 Abs. 3 und 4; Art. 87 Abs. 2; Art. 87 d Abs. 1; Art. 88 Satz 2; Art. 93 Abs. 2a; Art. 115 e Abs. 2; Art. 118 a; Art. 125 a GG (BT-Dr 12/6000 bzw. BR-Dr 800/93). 8 15 Fraktionsmitglieder der CDU/CSU; 11 Fraktionsmitglieder der SPD, 4 Fraktionsmitglieder der FDP, je ein Mitglied der Gruppe PDS/LL und Bündnis 90/Die Grünen. 6

. Die Gemeinsame Verfassungskommission

24

sungskommission der Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Scholz und der Erste Bürgermeister Hamburgs Dr. Voscherau vor.

2. Verfahren der Beschlußfassung Entsprechend der Einsetzungsbeschlüsse war für ein positives Votum der Gemeinsamen Verfassungskommission eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Damit mußten mindestens 43 Mitglieder den Änderungsvorschlag befürworten, damit dieser als Empfehlung in den Abschlußbericht der Kommission aufgenommen wurde. Das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit hat den Vorteil, daß bereits in der Kommission die spätere verfassungsrechtliche Kompromiß- und Konsensmöglichkeit im Bundestag und Bundesrat ausgelotet werden konnte. Im Gegenzug birgt es jedoch die Gefahr einer starken politischen Bindung der Gesetzgebungsorgane an die unverbindlichen Beschlüsse der Kommission. Kein Stimmrecht, wohl aber ein Anwesenheits- und Rederecht hatten die Mitglieder der Bundesregierung.

3. Berichterstattergespräche Von entscheidender Bedeutung für die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission waren die sog. Berichterstatterrunden. An den nichtöffentlichen Gesprächen nahmen Kommissionsmitglieder von Bundestag und Bundesrat teil, die zu jedem Beratungsgegenstand von den Parteien neu benannt wurden. 9 In diesem kleinen Kreis von ca. 10 Personen wurden die einzelnen Themengebiete inhaltlich erörtert, verschiedene Formulierungen erwogen und auf ihre Konsensfahigkeit untersucht. Zugleich waren die Berichterstattergespräche Forum für Stellungnahmen und Interventionen der Bundesregierung. Da in den mühsamen Verhandlungen der Berichterstatter oftmals der Grundstein für das spätere Abstimmungsverhalten in der Kommission gelegt wurde, konnte die Bundesregierung auf diesem Wege indirekt und ohne Öffentlichkeit Einfluß auf die Entscheidung in der Gemeinsamen Verfassungskommission nehmen. Die Abstimmung in den Berichterstatterrunden erfolgte regelmäßig einstimmig. Nur wenn sich kein Konsens abzeichnete, wurde von diesem Prinzip abgewichen, um in der Gemeinsamen Verfassungskommission Lösungsvorschläge zur Auswahl stellen zu können. Die Ergebnisse der Berichterstatterge9

Berichterstatter zum Thema „Grundgesetz und Europa" vgl. Anhang V.

I. Die Arbeitsweise der Gemeinsamen Verfassungskommission

25

spräche wurden dann auch meistens von den Kommissionsmitgliedern - im Vertrauen auf den dort ausgehandelten Kompromiß - ohne größere Auseinandersetzung übernommen.

4. Öffentlichkeit der Beratungen Die Tätigkeit der 64 ordentlichen Mitglieder der Kommission vollzog sich überwiegend im Schatten des politischen Tagesgeschehens - ein Umstand, der angesichts der Brisanz einer umfassenden Grundgesetzreform verwundert. Allerdings muß sich die Kommission den Vorwurf gefallen lassen, daß sie anfänglich hinter verschlossenen Türen beratschlagt hat. 1 0 Diese Verfahrensweise führte dann auch zu entsprechender Kritik in der Öffentlichkeit („... die GVK berät unter einem Schleier der Geheimhaltung, der ihrer Aufgabe hohnspricht ... " n ) . Dies und der wachsende Widerstand innerhalb der Gemeinsamen Verfassungskommission führte in der 4. Sitzung zu dem Beschluß, probeweise bis zur Sommerpause die Öffentlichkeit zu allen Ausschußsitzungen zuzulassen. Da die „Öffentlichkeit auf Bewährung" 12 nicht zu den befürchteten Störungen der Beratungen führte, wurde sie bis zum Ende der Kommissionstätigkeit beibehalten.

5. Beiträge der Kommission Verfassungsreform Die Gemeinsame Verfassungskommission befaßte sich im Rahmen ihrer Tätigkeit mit 95 Änderungsanträgen. Bürgereingaben (insgesamt ca. 800.000), Vorschläge von Verbänden und Gruppierungen aus allen gesellschaftspolitischen Bereichen begleiteten die Arbeit der Kommissionsmitglieder und wurden - soweit möglich - in den Dialog miteinbezogen. Den nachhaltigsten Einfluß auf die in der Kommission erzielten Ergebnisse hatten freilich die im Bundestag vertretenen Parteien und die Landesregierungen. Insbesondere die Bundesratsmitglieder konnten bei nahezu allen Themenbereichen auf Vorschläge der „Kommission Verfassungsreform" zurückgreifen. Die vom Bundesrat am 1. März 1992 eingesetze Kommission bestand aus 32 Mitgliedern, und zwar jeweils aus dem Ministerpräsidenten eines Landes und einem Stellvertreter. Der Schwerpunkt der Arbeit dieser Kommission bestand in der Ausarbeitung von Reformvorschlägen zur Stärkung des Föde10

Vgl. § 69 Abs. 1 GO-BT i.V.m. Ziff. 10 des Einsetzungsbeschlusses (abgedr. Anhang Π.). 11 Grewe, Eine Kommission zur Deformierung des Grundgesetzes, in: FAZ vom 6. März 1993, S. 8 linke Spalte. 12 Penner, StenBer. 4. Sitzung, S. 2.

. Die Gemeinsame Verfassungskommission

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ralismus in Deutschland und Europa. Den zahlreichen Änderungsvorschlägen fehlte jedoch oftmals jeglicher Kompromißcharakter, so daß etliche von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Gleichwohl gaben die Initiativen wichtige Impulse für die Tätigkeit der Gemeinsamen Verfassungskommission und fanden dementsprechend Niederschlag in deren Empfehlungen.

6. Anhörungen Nicht nur durch Eingaben von Interessengruppen wurde die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission inhaltlich beeinflußt. Insbesondere bei politisch bedeutsamen Beratungsgegenständen fand eine Anhörung von Sachverständigen statt, zumeist Professoren der Rechtswissenschaft. Hier wurden die verfassungsrechtlichen Hintergründe erörtert und Änderungsvorschläge auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft. Benannt wurden die Sachverständigen durch die Fraktionen. 13 Aufgrund politischer Erwägungen wurden zudem in der 5. Kommissionssitzung die Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage angehört. Da die Gemeinsame Verfassungskommission sich aus Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes zusammensetzte, hatten die Parlamente der Länder keine Möglichkeit, an der Grundgesetzreform direkt mitzuwirken. Ihrer starken Betroffenheit durch die europäische Integration und durch den fortschreitenden innerstaatlichen Zentralismus konnte dann auch nur im Rahmen einer Anhörung zu länderspezifischen Fragen Rechnung getragen werden - ein Umstand, der von den Landesparlamenten als unbefriedigend empfunden wurde.

II. Die Beratungen zum Thema „Grundgesetz und Europa" Der Komplex „Grundgesetz und Europa" war eines der ersten Reformthemen, mit dem sich die Gemeinsame Verfassungskommission auseinandersetzen mußte. Die Mitglieder befaßten sich mit nahezu allen verfassungsrechtlichen und -politischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der europäischen Integration stellen. Unmittelbarer Anlaß für die Beschäftigung mit dem Thema „Grundgesetz und Europa" war die Gründung einer Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht - dem bisher ehrgeizigsten Reformprojekt der Europäischen Gemeinschaften. Der Zeitplan der Gemeinsamen Verfassungskommission sah eine zügige Beratung der Thematik in sechs Sitzungen vor. Die vorzeitige Abstimmung in der 8. und 11. Sitzung der Kom13

Sachverständige zum Thema „Grundgesetz und Europa" vgl. Anhang IV.

Π. Die Beratungen zum Thema „Grundgesetz und Europa"

27

mission am 26. Juni und 15. Oktober 1992 - ca. ein Jahr vor dem endgültigen Abschlußbericht der Kommission - war notwendig, um den Termin einhalten zu können, den die vorgesehene Ratifizierung des Maastrichter Vertrages am 1. Januar 1993 vorgab. Nachdem die Gemeinsame Verfassungskommission in der 8. Sitzung ihre ersten Empfehlungen zu dem Thema „Grundgesetz und Europa" mehrheitlich beschlossen hatte, brachte die Bundesregierung die Vorschläge als Gesetzesentwurf in den Bundestag ein. Dieser verwies den Entwurf in seiner 110. Sitzung am 8. Oktober 1992 an den Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)". Der unter dem Vorsitz des SPD-Abgeordneten Verheugen arbeitende Bundestagsausschuß beratschlagte noch einmal eingehend über die Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission. Dabei ging er auf Konflikte ein, die sich zwischen Bundesrat und Bundesregierung anbahnten. Auch wurde von den Abgeordneten noch einmal die Möglichkeit wahrgenommen, die Stellung des Bundestages gegenüber der des Bundesrates in europäischen Angelegenheiten abzugrenzen. Die Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission zur Änderung der Verfassung wurden schließlich - inhaltlich durch den Sonderausschuß ergänzt - dem Gesetzgebungsverfahren zugeleitet und durch Bundestag und Bundesrat mit großer Mehrheit am 2./18. Dezember 1992 gebilligt.

C. Die Entwicklung der europäischen Integration I. Die Europäischen Gemeinschaften und das Grundgesetz Das Grundgesetz öffnet sich dem europäischen Integrationsprozeß in seiner Präambel, in der das Ziel einer gleichberechtigten Mitgliedschaft in einem vereinten Europa konstituiert wird. Sie ist Ausdruck der politischen, aber auch rechtlichen Entscheidung des Verfassungsgebers für eine fortschreitende europäische Integration. 14 Gleichwohl sind - trotz des klaren Bekenntnisses - die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zur Erreichung dieses Zieles von den Verfassungsschöpfern 1949 nicht näher präzisiert worden. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1952 15 , der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 16 und der Europäischen Atomgemeinschaft 17 durch die Römischen Verträge von 1957 vollzog sich für die Bundesrepublik Deutschland statt über eine europaspezifische Integrationsnorm über die allgemeine Ermächtigung des Art. 24 Abs. 1 GG, die zugunsten einer „offenen Staatlichkeit" die Rücknahme der deutschen Rechtsordnung für bestimmte Kompetenzbereiche erlaubt. 18 Alleinige Voraussetzung der Hoheitsrechtsübertragung nach Art. 24 Abs. 1 GG ist die Qualifizierung der betreffenden Organisation als zwischenstaatliche - d.h. auf einem völkerrechtlichen Vertrag beruhende, die nationale Staatlichkeit seiner Mitglieder nicht berührende Einrichtung. 19 Als „wirtschaftspolitischer Zweckverband" 20 mehrerer Staaten fielen die drei Europäischen Gemeinschaften nicht nur ohne weiteres unter den so definierten Begriff, sie verkörperten sogar den „Idealtypus" einer zwi-

14 BVerfGE 36, 1, 17; Carlo Schmid, JöR n.F. Bd. 1 (1951), S. 41; Stern, Staatsrecht Bd. I, S. 509. 15 Gesetz vom 29. April 1952, BGBl. Π, S. 445. 16 Gesetz vom 27. April 1957, BGBl. Π, S. 1156. 17 Gesetz vom 27. April 1957, BGBl. Π, S. 753. 18 Kewenig, JZ 1990, 458; K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit, S. 42. 19 Friauf, in: Friauf-Scholz, S. 24; Frowein, in: Festgabe BVerfG Bd. Π, S. 187, 202; Rojahn, in: v. Münch, Art. 24 Rn. 30; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 53. 20 H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 8/27 S. 197.

I. Die Europäischen Gemeinschaften und das Grundgesetz

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schenstaatlichen Einrichtung im Sinne der Ermächtigungsnorm. 21 So wurden weder bei der Ratifizierung der Römischen Verträge noch bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte 2 2 nachhaltige Zweifel laut, daß die geplanten Schritte nicht mehr über Art. 24 Abs. 1 GG zu vollziehen seien. Daß die europäische Integration von 1952 bis heute eine erhebliche Dynamik entwickeln konnte, ist letztlich auch auf die besondere Struktur des Art. 24 Abs. 1 GG zurückzuführen, die ein unkompliziertes Verfahren bei der innerstaatlichen Zustimmung zu den europäischen Verträgen gewährleistete. So genügt den Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 GG ein im gewöhnlichen Gesetzgebungsverfahren entstandenes Bundesgesetz,23 obwohl nach überwiegender Ansicht dieses Übertragungsgesetz wegen der Veränderung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung materiell immer eine Verfassungsänderung darstellt. 24 Der Dispens von Art. 79 Abs. 2 GG ermöglichte dem Deutschen Bundestag, den Gründungsverträgen EGKS, EWG, EAG und der Einheitlichen Europäischen Akte mit einfacher Mehrheit zuzustimmen. Darüber hinaus war der bundesdeutsche Integrationsgesetzgeber auf Basis des Art. 24 Abs. 1 GG in der Lage, ohne Rücksicht auf die innerstaatliche Kompetenzaufteilung Hoheitsrechte auf die Europäischen Gemeinschaften zu übertragen. So konnte bei der Ratifizierung der Verträge nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Länderkompetenzen Zugriff genommen werden, ohne daß diese zuvor durch Verfassungsänderung dem Bund zugesprochen werden mußten. 25 Bis zur Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht am 7.2.1992 26 diente Art. 24 Abs. 1 GG unstrittig als sog. „Integrationshebel". 27 Einer erneuten

21

BVerfGE 22, 293, 296; 73, 339, 375; Badura, VVDStRL 23 (1964), S. 34, 55; Friauf, DVB1. 1964, 781, 787; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Erstbearbeitung (1989) des Art. 24 Rn. 21; Stern, Staatsrecht Bd. I, S. 524. 22 BGBl. 1986 Π, S. 1102. 23 BVerfGE 58, 1, 36; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 33; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 1 Rn. 18; a.A. Badura, VVDStRL 23 (1964), S. 34, 67 f.; der Antrag des Abgeordneten Seeböhm (DP), für das Übertragungsgesetz eine qualifizierte Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften zu verlangen, fand im Parlamentarischen Rat keine Billigung: Seeböhm, Pari. Rat JöR n.F. Bd.l (1951), S. 228. 24 BVerfGE 37, 271, 280; 58, 1, 28; Forsthoff, in: Kampf um den Wehrbeitrag Bd. 2, 2.Hb., S. 312, 320; Rojahn, in: v. Münch, Art. 24 Rn. 20. 25 Vgl. Birke, Die deutschen Bundesländer in den Europäischen Gemeinschaften, S. 94 f.; H.-P. Ipsen, in: FS für Hallstein, S. 248, 254 und 264; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 25 m.w.N.; a.A.: Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Erstbearbeitung (1989) des Art. 24 Rn. 18 m.w.N. 26 Bulletin der BReg. vom 12.2.1992 Nr. 16, S. 113.

30

C. Die Entwicklung der europäischen Integration

Beurteilung der Rechtslage bedurfte es jedoch im Hinblick auf die neue Qualität europäischer Integration mit Gründung der Europäischen Union.

IL Die Europäische Union Am 7.2.1992 unterzeichneten die Vertreter der zwölf EG-Mitgliedstaaten den „Vertrag über die Europäische Union" im niederländischen Maastricht. Auf Grundlage der drei fortbestehenden Gemeinschaften EGKS, EAG und EWG ist die Europäische Union gegründet worden, die in dem Vertragswerk als eine „neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas"(Art. A EUV) bezeichnet wird. 2 8 Diese neue Qualität manifestiert sich zum einen in der Erweiterung des Aktionsfeldes der EWG (jetzt E G ) 2 9 . So sieht der Maastrichter Vertrag die Einführung einer gemeinsamen Unionsbürgerschaft mit einem kommunalen Unionsbürgerwahlrecht (Art. 8 ff. EGV) sowie eine Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 3, 4a EGV) vor, die in der letzten Stufe ihrer Entwicklung in eine europäische Währung gipfeln soll. Der Unionsvertrag begründet zudem Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften in der Bildungs- und Berufspolitik (Art. 126, 127 EGV), in der Kultur- und Gesundheitspolitik (Art. 128, 129 EGV) sowie für den Verbraucherschutz (Art. 129 a EGV) und das transeuropäische Netz (Art. 129 b ff. EGV). Darüber hinaus wird in Art. J und Κ EUV die intergouvernementale Zusammenarbeit auf den Gebieten der Außen- und Sicherheitspolitik sowie im Bereich des Inneren und der Justiz statuiert. Die Europäische Union beruht damit auf einem „Dreisäulenkonzept" 30 . Als erste Säule dienen die durch den Maastrichter Vertrag geänderten Gründungsverträge EGKSV, EWGV und EAGV. Zweite Säule ist die neu konzipierte Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik, während der Bereich der Justiz und des Inneren die dritte Säule konstituiert. Über diese Konstruktion, bei der die beiden letzten Säulen eine weitaus schwächere Integrationsdichte aufweisen als die erste, wölbt sich das Dach der „Europäischen Union". Diese auf den ersten Blick beachtliche Kompetenzerweiterung der Europäischen Gemeinschaften warf in der Gemeinsamen Verfassungskommission die 27

H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2/20 S. 42; zur Rechtslage in den anderen europäischen Mitgliedstaaten vgl. Heinrichs, DÖV 1994, 368, 370 ff. 28 Die zwölf Mitgliedstaaten einigten sich auf diese Kompromißformel, um dem Wunsch Großbritanniens entsprechend das Wort „Föderalismus" als Integrationsziel zu vermeiden. Vgl. Renzsch, ZParl 1993, S. 104. 29 Umbenennung der EWG in EG: Art. G EUV. 30 BVerfGE 89, 155, 159 (sog. Maastricht-Entscheidung); Blanke, DÖV 1993, 412,415.

Π. Die Europäische Union

31

Frage auf, ob und in welchem Umfang die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages Grundgesetzänderungen erfordert. Aber auch unter dem Aspekt der immer weiter fortschreitenden Entwicklung der Europäischen Union ist über die Notwendigkeit einer Verfassungsreform debattiert worden.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes I. Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung In der Gemeinsamen Verfassungskommission setzten die Beratungen über notwendige Grundgesetzänderungen im Zuge der Ratifizierung des Unionsvertrages an der einzigen Ermächtigungsgrundlage an, die das Grundgesetz dem Bundesgesetzgeber zur Verwirklichung der europäischen Integration zur Verfügung stellt: Art. 24 Abs. 1 GG. Den Vertretern von Bund und Ländern stellte sich zuvörderst die Frage, ob die Hoheitsrechtsübertragung, die das Vertragswerk erfordert, noch auf Grundlage der seit 1949 unverändert bestehenden Norm erfolgen sollte. In diesem Zusammenhang wurde in der 3. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission das Anliegen der Bundesregierung vorgetragen, nur Änderungen an den Grundgesetzartikeln vorzunehmen, die mit dem Unionsvertrag materiell nicht in Einklang stehen. Nach einer solchen Anpassung sei es verfassungsrechtlich unproblematisch, wie gehabt über Art. 24 Abs. 1 GG der Europäischen Union die Möglichkeit einzuräumen, entsprechend den Regelungen des Maastrichter Vertrages rechtsetzend tätig zu werden. M i t dieser Stellungnahme löste die Bundesregierung in der Verfassungskommission eine Diskussion um die rechtlichen und politischen Möglichkeiten einer „begrenzten" Verfassungsänderung unter Beibehaltung der unveränderten Integrationsermächtigung Art. 24 Abs. 1 GG aus.

1. Verfassungsrechtliche Hintergründe Ausgangspunkt der Überlegungen sowohl der Bundesregierung als auch der Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission und der angehörten Sachverständigen war die Frage, inwieweit Art. 24 Abs. 1 GG es rechtlich zu leisten vermag, dem Maastrichter Vertrag eine unanfechtbare Verfassungsgrundlage zu bieten. Für das Verständnis der Debatte ist es deshalb notwendig, den durch Literatur und Rechtsprechung konkretisierten Inhalt des Art. 24 Abs. 1 GG - insbesondere seine verfassungsrechtlichen Grenzen - aufzuzeigen. Wie bereits dargelegt, eröffnet das Vertragswerk von Maastricht der Europäischen Union eine Fülle neuer Tätigkeitsfelder, die nach dem Willen der vertragsschließenden Mitglieder einer europäischen Zuständigkeit unterliegen

I. Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung

33

sollen, soweit eine Regelung auf nationaler Ebene nicht wirksam erfolgen kann (Art. 3 b EGV). Notwendige Voraussetzung für einen derartigen Kompetenzzuwachs ist, daß die entsprechenden nationalen Hoheitsrechte auf die Europäische Union „übertragen" werden, wozu das Gesetzgebungsorgan des Bundes auch grundsätzlich gem. Art. 24 Abs. 1 GG ermächtigt ist. Allerdings muß es sich zum einen bei der durch den Maastrichter Vertrag geschaffenen Europäischen Union um eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne der Ermächtigungsnorm handeln, zum anderen dürfen durch den geplanten Übertragungsakt nicht Verfassungsprinzipien berührt werden, die insoweit nicht zur Disposition des Integrationsgesetzgebers stehen.

a) Zwischenstaatliche Einrichtung i.S.d. Art 24 Abs. 1 GG M i t dem Begriff „zwischenstaatliche Einrichtung" wird die Vereinigung von Staaten umschrieben, die aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten in den Stand versetzt wird, entsprechend ihrer Satzung Rechtsakte mit unmittelbarer Wirkung auf staatlichem Territorium zu setzen. 31 Darunter können grundsätzlich alle durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffenen internationalen Organisationen fallen. 32 Negativ abgegrenzt gehören dazu jedoch nicht die Körperschaften, die einem fremden Staat eingegliedert sind. 3 3 Auch die Gründung eines europäischen Bundesstaates im Wege von Hoheitsrechtsübertragungen wird nicht von der Ermächtigung des Art. 24 Abs. 1 GG gedeckt. 34 Wie bereits aus dem Terminus zwischenstaatliche Einrichtung ersichtlich, kann Art. 24 GG nicht Basis für die Aufgabe der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland sein. Zudem läge der in Frage stehenden Organisation nicht der nach Art. 24 Abs. 1 GG notwendige völkerrechtliche, sondern ein staatsrechtlicher Vertrag zugrunde.

31 Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 229; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 42. 32 BVerfGE 2, 347, 377; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 24 Rn. 43. 33 BVerfGE 2, 347, 378. 34 Doehring, Staatsrecht, S. 83; Randelzhofer, Stellungnahme, S. 1; Stern, Stellungnahme, S. 4; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 46; ders. Stellungnahme, S. 8; Zuleeg, AöR 102 (1977), S. 298, 300 f.; a.A. Schwarze, DVB1. 1985, 309, 316, mit Verweis auf Stern, Staatsrecht Bd. I, S. 521.

3 Schmalenbach

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

34

b) Übertragung von Hoheitsrechten und deren Grenzen Der Terminus „Hoheitsrechte" umschreibt die Befugnis, Rechtsverhältnisse, die der staatlichen Rechtsordnung unterliegen, einseitig zu gestalten. 35 Auf die Ausübung dieser Rechte „verzichtet" die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Art. 24 Abs. 1 GG, indem sie gleichzeitig der unmittelbaren Geltung und Anwendung eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb ihres staatlichen Herrschaftsbereichs Raum läßt. 3 6 Das nach Art. 24 Abs. 1 GG notwendige einfache Bundesgesetz verhilft diesem partiellen Souveränitätsverzicht innerstaatlich zur Geltung. 37 Wie bereits angesprochen, 38 stellt rechtlich gesehen die „Übertragung" von Hoheitsrechten im materiellen Sinne eine Verfassungsänderung dar, da das Grundgesetz - wie jede nationale Verfassung - von der stillschweigenden Prämisse ausgeht, daß deutsche Staatsgewalt von deutschen Organen wahrgenommen wird. 3 9 Daß trotzdem innerstaatlich die Übertragung durch einfaches, im gewöhnlichen Gesetzgebungsverfahren entstandenes Bundesgesetz erfolgt, ist auf die Entscheidung des Parlamentarischen Rates zurückzuführen, der als Zeichen bundesdeutscher Integrationsbereitschaft eine verfassungsändernde Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften gemäß Art. 79 Abs. 2 GG im Fall des Art. 24 Abs. 1 GG ablehnte. 40 Der Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG sind jedoch ungeachtet des weit gefaßten Wortlauts der Vorschrift Grenzen gesetzt. Anderslautende Auffassungen, die in Art. 24 GG eine schrankenlose Norm im Verfassungsgefüge erblicken, 41 dürften mit dem Interpretationsprinzip „Einheit der Verfassung" kaum vereinbar sein. Auch Art. 24 GG muß - trotz der grundsätzlichen Befreiung vom Verfassungsänderungsgebot - wie jede Grundgesetzbestimmung im Kontext der Gesamtverfassung verstanden und ausgelegt werden. 42 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eröffnet die Integrationsermächtigung nicht den Weg, die Grundstruktur der 35

Rojahn, in: v. Münch, Art. 24 Rn. 9. BVerfGE 37, 271, 280. 37 Zum innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahren vgl. Ausführungen unter D Π 3 a. 38 Vgl. Ausführungen unter C I. 39 Friauf, in: Friauf-Scholz, S. 24; Lerche, Stellungnahme, S. 2; Rojahn, in: v. Münch, Art. 24 Rn. 17; Tomuschat, Stellungnahme, S. 3 f. 40 Pari.Rat JöR n.F. Bd. 1 (1951), S. 222, 228; Allgemeine Auffassung: H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2/4 S. 50; Rojahn, in: v. Münch, Art. 24 Rn. 20. 41 H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2/37 S. 65; Kaiser, VVDStRL 23 (1966), S. 1, 18; Menzel, VVDStRL 18 (1960), S. 97, 98 f. 42 BVerfGE 58, 1, 40; Friauf, in: Friauf-Scholz, S. 25; Stern, Staatsrecht Bd. I, S. 535. 36

I. Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung

35

Verfassung, auf der ihre Identität beruht, ohne Verfassungsänderung durch die Gesetzgebung zwischenstaatlicher Einrichtungen zu ändern. 43 Art. 24 Abs. 1 GG verwehrt folglich dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, den Gemeinschaftsorganen Rechtsetzungsbefugnisse einzuräumen, wenn dadurch die Identität der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen, aufgegeben w i r d . 4 4 Welche Grenze das Bundesverfassungsgericht der Integration damit konkret setzt, gehört zu den umstrittenen Fragen in der juristischen Literatur. 45 Daß die Eingliederung in eine zwischenstaatliche Einrichtung zwangsläufig Abweichungen von dem Verfahrensablauf und den Gewährleistungen des Grundgesetzes mit sich bringt, ergibt sich bereits aus Existenz und Tätigkeit des supranationalen Rechtsregimes. 46 Gleichwohl besteht in der Verfassungslehre weitgehend Einigkeit, daß die sog. Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG als die äußerste verfassungsrechtliche Schranke jeder Verfassungsänderung auch bei Akten der Integration gewahrt bleiben muß. 4 7 Die Eingliederung Deutschlands in eine Staatenverbindung findet folglich dann ihre Grenzen, wenn dieser Organisation über Art. 24 Abs. 1 GG der Weg eröffnet werden soll, durch gemeinschaftliches Primär- und Sekundärrecht in die unabdingbaren Prinzipien des Grundgesetzes einzugreifen. Unstrittig ist auch, daß Art. 24 Abs. 1 GG nur erlaubt, limitierte Hoheitsrechte zu übertragen, nicht aber die gesamte Staatsgewalt, da dies das völlige Aufgehen der Bundes-

43

BVerfGE 37, 271, 279. BVerfGE 37, 271, 279; 73, 339, 375 f. 45 Überblick über den Streitstand: Randelzhofer, in: Maunz/Dtirig/Herzog/Scholz, Art. 24 Rn. 68 ff. 46 Tomuschat, Gutachten für die SPD-Fraktion, S. 27 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 47 Maidowski, JuS 1988, 114, 118; Maunz, BayVBl. 1976, 360; Ress, EuGRZ 1986, 549, 554 f.; Siebelt, DÖV 1990, 362, 371; Stern, Staatsrecht Bd I, S. 53. Einschränkend jedoch Herdegen, EuGRZ 1992, 589, 593: Einbrüche in die Verfassungsprinzipien des Art. 79 Abs. 3 GG seien insoweit zulässig, als auf supranationaler Ebene gleichzeitig eine „Kompensation" erfolge. Zur Begründung führt Herdegen den Solange-E-Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes an, nach dem im Bereich der Grundrechte der nationale Rechtsschutz vor Eingriffen in deren Wesensgehalt dann durch Hoheitsrechtsübertragungen eingeschränkt werden kann, wenn auf europäischer Ebene die Grundrechte materiell und verfahrensmäßig im wesentlichen gewährleistet werden (E 73, 339, 376; vgl. Ausführungen unter D I 1 b). Dieser Kompensationsgedanke sei über den Grundrechtsbereich hinaus auf das gesamte Staatsorganisationsrecht zu erstrecken; vgl. dazu auch Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 24 I, Rn. 77, 79 und 103. Zu den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zum Kompensationsgedanken in seiner Maastricht-Entscheidung (BVerfGE 89, 155 ff.) vgl. Ausführung unter G Π 2. 44

3*

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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republik Deutschland in der zwischenstaatlichen Einrichtung bedeuten würde. 48 Art. 79 Abs. 3 GG kann jedoch nicht die einzige Grenze bei Hoheitsrechtsübertragungen nach Art. 24 Abs. 1 GG sein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sog. Solange-I-Beschluß in bezug auf die Grundrechtsbindung des Integrationsgesetzgebers den Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 1 GG dergestalt begrenzt, daß die Grundstrukturen der Verfassung nicht ohne Verfassungsänderung im Wege der Hoheitsrechtsübertragung angetastet werden dürfen. 49 Der Übertragungsakt nach Art. 24 Abs. 1 GG muß folglich nicht nur dann als verfassungswidrig scheitern, wenn die Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG tangiert werden. Art. 79 Abs. 3 GG stellt nämlich eine absolute Schranke dar, die ohnehin der Verfassungsänderung entzogen ist. Vielmehr erlaubt Art. 24 Abs. 1 GG ebenfalls keine Eingriffe in Grundstrukturen des Grundgesetzes durch Rechtsetzungsakte zwischenstaatlicher Einrichtungen, wenn diese Strukturen zwar grundsätzlich einer Verfassungsänderung zugänglich sind, der verfassungsändernde bundesdeutsche Gesetzgeber jedoch vorher nicht tätig geworden ist. 5 0 Die durch die Solange-I-Entscheidung erfolgte Einschränkung des Art. 24 Abs. 1 GG wird - trotz sprachlicher Abweichungen im Detail - durch den nachfolgenden Solange-II-Beschluß bestätigt. Die Bestimmung der zu schützenden „wesentlichen Strukturen des Grundgesetzes" 51 als „Wesensgehalt der (...) Grundrechte" 52 verdeutlicht erneut, daß die Grundentscheidungen der Verfassung - zu denen zweifelsohne der Kernbereich des Grundrechtssystems gehört - grundsätzlich vor dem Zugriff durch den einfachen Gesetzgeber über Art. 24 Abs. 1 GG geschützt sind. Auch wenn das Gericht diese Schranke in bezug auf den Grundrechtsschutz später dahingehend relativiert, daß der kompensatorische Effekt einer vergleichbaren Grundrechtsgewährleistung auf zwischenstaatlicher Ebene die aufgezeigte Einschränkung des bundesdeutschen Integrationsgesetzgebers hinsichtlich des Wesensgehalts entfallen lassen kann, so bleibt es doch bei der Grundaussage,

48

Köck, Der Gesamtakt in der deutschen Integrationslehre, S. 62; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 20. 49 BVerfGE 37, 271, 279 (Solange-I-Beschluß) [Hervorhebung durch Verf.]. 50 So auch ein Teil der Sachverständigen in der Gemeinsamen Verfassungskommission: Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 9; Lerche, Stellungnahme, S. 2 und 5; Randelzhofer, Stellungnahme, S. 2.; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 15; noch weitergehend Huber, AöR 11 (1991), S. 210, 227: Art. 24 hilft nur über eine Verfassungsänderung (Art. 79 Abs. 2 GG) hinweg, soweit formell zwischenstaatlichen Einrichtungen die Ausübung von Hoheitsrechten in der Bundesrepublik Deutschland gewährt wird: Art. 24 Abs. 1 GG trägt aber weder Eingriffe in Grundstrukturen der Verfassung, noch erlaubt er generell eine inhaltliche Abänderung des Grundgesetzes. 51 BVerfGE 73, 339, 376 (Solange-II-Beschluß). 52 BVerfGE 73, 339, 376 (Solange-II-Beschluß).

I. Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung

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daß Art. 24 Abs. 1 GG nicht vorbehaltlos gestattet, die wesentlichen Strukturen des Grundgesetzes zu relativieren. Daß das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang den Passus „ohne Verfassungsänderung" nicht aus der Solange-I-Entscheidung übernommen hat, steht dabei der Annahme, daß erneut eine Art. 79 Abs. 3 GG vorgelagerte Grenze aufgezeigt wird, nicht entgegen. 53 Grundrechte können durchaus einen über Art. 19 Abs. 2 GG geschützten Wesensgehalt aufweisen, ohne daß dieser in jedem Fall identisch wäre mit der über Art. 1 i. V.m. 79 Abs. 3 GG geschützten Menschenwürde. 54 Obschon das Bundesverfassungsgericht die dargelegten Schranken des Art. 24 Abs. 1 GG im Bereich der Grundrechte aufgezeigt hat, müssen konsequenterweise auch andere elementare und identitätsbestimmende Verfassungsprinzipien aufgrund ihrer wesentlichen Bedeutung einen vergleichbaren Schutz vor Eingriffen erhalten. 55 Im Ergebnis ist damit festzustellen, daß zwischen drei Ebenen von Verfassungsstrukturen zu unterscheiden ist: Über Art. 24 Abs. 1 GG kann der einfache Gesetzgeber im Wege von Hoheitsrechtsübertragungen alle „einfachen Verfassungsprinzipien" modifizieren, es sei denn, „wesentliche Grundstrukturen" des Grundgesetzes sind von diesem Akt berührt. Hier greift der verfassungsrechtliche Dispens von der Beachtung des Art. 79 Abs. 1 und 2 GG nicht mehr. Diese Art. 79 Abs. 3 GG vorgelagerte Grenze der Ermächtigung des Art. 24 Abs. 1 GG kann folglich nur mit verfassungsändernder Mehrheit (Art. 79 Abs. 2 GG) überwunden werden, wenn nicht die Beeinträchtigung wesentlicher Strukturen - jedenfalls im Grundrechtsbereich - durch vergleichbare Strukturen auf zwischenstaatlicher Ebene kompensiert werden kann. Die „unaufgebbaren Prinzipien" des Grundgesetzes bleiben darüber hinaus auch vor dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers über Art. 79 Abs. 3 GG geschützt.

c) Die „ begrenzte " Verfassungsänderung Die Kontroverse um die Möglichkeit einer „begrenzten" Verfassungsänderung dreht sich nach dem oben dargestellten Verständnis des Art. 24 Abs. 1 GG um die Frage, ob nur die Grundgesetzartikel einer Änderung unterzogen werden müssen, die ein wesentliches Element der Verfassung gewährleisten und deren Kerngehalt im Rahmen der Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union beseitigt werden würde. Es herrschte in der Gemeinsamen

53

So aber Klein, VVDStRL 50 (1991), S. 56, 71; Ress, ZfRV 1992, 434, 435; wie hier Dörr, NWVB1. 1988, 289, 292. 54 Bryde, in: v. Münch, Art. 79 Rn. 36; Stern, JuS 1985, 329, 337; a.A. Dürig, in: FG fur Maunz, S. 40,49. 55 Vgl. Herdegen, EuGRZ 1992, 589, 592.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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Verfassungskommission Konsens, daß zumindest in einem Fall - namentlich Art. 88 G G 5 6 - die Grundstruktur der Verfassung unzweifelhaft als betroffen gelten mußte, so daß eine mit qualifizierter Mehrheit beschlossene Änderung des konkreten Grundgesetzartikels nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unumgänglich war. Notwendige Voraussetzung für eine auf diesen Aspekt begrenzte Verfassungsreform wäre jedoch gewesen, daß Rechtsgrundlage der Hoheitsrechtsübertragungen noch die unveränderte Integrationsnorm sein kann, also die durch den Kompetenzzuwachs begünstigte Organisation noch eine zwischenstaatliche Einrichtung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG darstellt. Ist dies nämlich nicht der Fall, so ist dem Bundesgesetzgeber aufgrund der nicht mehr geltenden Sonderermächtigung des Art. 24 Abs. 1 GG verwehrt, das Übertragungsgesetz mit einfacher Mehrheit zu verabschieden. Hingegen kann der verfassungsändernde Gesetzgeber nach der allgemeinen Bestimmung des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG die Ermächtigung zur Hoheitsrechtsübertragung erweitern, soweit dabei die Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG beachtet werden. 57

2. Rechtsauffassung der Bundesregierung Im Forum der 3. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission erfolgte eine Stellungnahme der Bundesregierung, vorgetragen von Staatssekretär Neusei als Vertreter des Bundesinnenministeriums. 58 Darin wurde die Rechtsauffassung der Bundesregierung dargelegt, daß sich die durch Maastricht ausgelöste Diskussion über Grundgesetzänderungen auf die Artikel beschränken sollte, die mit dem Inhalt des Unionsvertrages unmittelbar kollidieren. Begründet wurde dieses Anliegen mit der eiligst gebotenen Umsetzung der Maastrichter Beschlüsse. Zum Zeitpunkt der 3. Sitzung der Kommission, am 12. März 1992, war das Ratifikationsverfahren noch nicht abgeschlossen, obwohl das Inkrafttreten des Vertrages zur Europäischen Union bereits für den 1. Januar 1993 59 vorgesehen war. Nach Rechtsauf fassung der Bundesregierung bedarf es im Hinblick auf die Bestimmungen des Unionsvertrages allein einer Novellierung des Art. 28 GG und des Art. 88 GG, um die vollständige Umsetzung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger und die Errichtung eines europäischen Zentralban-

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Vgl. Ausführungen zu Art. 88 unter Ε Π. Schilling, AöR 116(1991), S. 32, 53. 58 Neusei, StenBer. 3. Sitzung, S. 3 f. 59 Art. R Abs.2 EUV; der Termin mußte jedoch wegen Verzögerungen im Ratifikationsverfahren einiger Mitgliedstaaten, insbesondere Großbritanniens, Dänemarks und der Bundesrepublik Deutschland, verschoben werden. 57

I. Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung

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kensystems im innerstaatlichen Recht nach Art. 24 Abs. 1 i. V.m. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zu ermöglichen. Darüber hinausgehende Änderungen, wie z.B. des Art. 109 GG im Hinblick auf die Bestimmungen über die Kreditaufnahme in Art. 104 c EGV, wurden dagegen als nicht zwingend erforderlich und deshalb in Anbetracht des engen zeitlichen Rahmens als nicht geboten bezeichnet. 6 0 Besonders die von den Bundesländern favorisierte Änderung der Integrationsnorm Art. 24 GG, die auf die Stärkung föderativer Elemente bei Hoheitsrechtsübertragungen abzielen soll, stieß bei der Bundesregierung trotz generellen Verständnisses fiir die Position der Länder auf Widerstand: „Eine Verbindung der zur Ratifizierung 'Maastricht' erforderlichen Verfassungsänderungen mit Änderungsvorschlägen, die im Zusammenhang mit Art. 5 des Einigungsvertrages 61 zu erörtern sind, würde angesichts dieses engen Fristrahmens kaum machbar sein, jedenfalls insoweit ein vorgezogenes Votum der Verfassungskommission nötig machen." 62 Das primär politisch motivierte Anliegen der Bundesregierung, Art. 24 GG als ebenso bundes- wie exekutivfreundliche Integrationsnorm in seiner ursprünglichen Form zu belassen, gründet auf der rechtlichen Annahme, daß der unveränderte Art. 24 GG im Hinblick auf die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages noch unbedenklich als Rechtsgrundlage dienen kann, da es sich bei der Europäischen Union noch um eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne der Norm handelt. 63

3. Standpunkt der Bundesländer Die Interessenvertreter der Bundesländer werteten die Vorstellung der Bundesregierung von einer auf Art. 88 und Art. 28 GG begrenzten Verfassungsänderung als einen von ihrer Seite aus nicht akzeptablen Vorschlag. Zielscheibe der Kritik war jedoch nicht die Auffassung der Bundesregierung, die Maastrichter Verträge könnten rechtlich auch ohne Änderung des Art. 24 Abs. 1 GG ratifiziert werden. Im Vordergrund der Debatte stand vielmehr die politische Notwendigkeit, Art. 24 GG in die laufende Verfassungsdiskussion mit einzubeziehen.

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Neusei, StenBer. 3. Sitzung, S. 4. Text siehe Fn. 4. 62 Stellungnahme der Bundesregierung, Arbeitsunterlage Nr. 1, S. 2. 63 Vgl. Voscherau (Vorsitzender), StenBer. 3. Sitzung, S. 5; Hilf, Stellungnahme der BReg vom 15. Januar 1993 zu den Verfassungsbeschwerden 2 BvR 2134/92 (Brunner) und 2 BvR 2159/92 (Europafraktion Die Grünen), abgedr. in: Winkelmann, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, 165, 192 f. 61

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

Staatsminister Stoiber (Bayern) zeigte den für die Bundesländer politisch nicht haltbaren Zustand der Kompetenzverschiebung auf. Jedesmal wenn der Bund über Art. 24 Abs. 1 GG Kompetenzen auf die Europäischen Gemeinschaften übertrage, seien die Bundesländer in entscheidendem Maße in ihrer Vollzugskompetenz betroffen, da sie schließlich die Bundesgesetze - und somit auch die europäischen Verordnungen - vollzögen. 64 Dies allein rechtfertige schon die politische Notwendigkeit eines Mitbestimmungsrechts des Bundesrates. Erschwerend kommt nach Auffassung Stoibers hinzu, daß der Unionsvertrag weitgehende Eingriffe in die Kulturhoheit der Länder vorsehe. Diese Entwicklung sei auch nicht mit dem Maastrichter Vertrag abgeschlossen, da im Wege des Vertragslückenschließungsverfahrens gemäß Art. 235 EGV den Ländern auch künftig fundamentale Eingriffe in Landeskompetenzen wie Kulturhoheit, Landesentwicklung, Fremdenverkehr, Umweltschutz etc. drohen könnten. 65 Dieser zunehmende Substanzverlust der Länder kann nach übereinstimmender Ansicht aller Vertreter des Bundesrates in der Gemeinsamen Verfassungskommission nur durch entsprechende Mitwirkungsrechte des Bundesrates an innerstaatlichen Entscheidungen, die dann zu europäischen Entscheidungen werden, kompensiert werden. 66 Diese Forderung unterstrich Staatsminister Stoiber mit einer grundsätzlichen Feststellung: „... Maastricht hat für Länder und für die Struktur der Bundesrepublik Deutschland mit Sicherheit die gleiche Bedeutung wie die Schaffung des Grundgesetzes 1949. Deswegen muß man sich auch voll darüber klarwerden, was das für die Regierungs- und Staatsstruktur unseres Landes bedeuten kann, wenn wir hier nicht die entsprechenden Änderungen vornehmen." 67 Es sei, so Stoiber, für die Länder politisch nicht möglich, Art. 24 GG so zu belassen und gleichzeitig Maastricht zu ratifizieren, weil sie sich damit ganz elementarer Regeln, die an die Staatlichkeit ihrer Länder gehen, entledigen würden. 68 Staatsminister Fischer (Hessen) untermauerte die politische Forderung nach verfassungsrechtlich abgesicherten Mitwirkungsbefügnissen des Bundesrates bei Übertragungsakten nach Art. 24 Abs. 1 GG mit der grundsätzlichen Bedeutung des Föderalismus für die Akzeptanz „Europas" in der Bevölkerung. 69 64

Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 8. Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 8. 66 Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 8; Kaesler (Sachsen-Anhalt), StenBer. 2. Sitzung, S. 34. 67 Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 27. 68 Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 8. 69 Fischer (Hessen), StenBer. 3. Sitzung, S. 11; vgl. auch Kaesler (Sachsen-Anhalt), StenBer. 2. Sitzung, S. 34; Berghofer-Weichner (Bayern), StenBer. 2. Sitzung, S. 36; ebenso Lepsius, Stellungnahme, S. 6. 65

I. Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung

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„... es wird vermutlich eine gewaltige Opposition in allen europäischen Ländern gegen den Brüsseler Zentralismus geben. Wenn gleichzeitig dabei das entscheidende Korrektiv, nämlich die Länder, materiell wie auch von der Verfassungsseite her faktisch außer Kraft gesetzt werden, dann, glaube ich, wird diese Opposition nicht mehr in einem konstruktiven Sinne verlaufen ..., weil ein entscheidender Regelungsmechanismus unseres Grundgesetzes, nämlich das föderale Prinzip, außer Kraft gesetzt w i r d . " 7 0 Die Vertreter der Bundesländer verliehen ihrer Forderung nach einer umfassenden - Art. 24 GG inbegriffenen - Verfassungsänderung mit dem wirkungsvollsten der ihnen zur Verfugung stehenden Mitteln Nachdruck: Sie stellten die qualifizierte Mehrheit im Bundesrat für die Ratifizierung der Verträge als andernfalls nicht erreichbar in Frage. 71

4. Stellungnahme der Sachverständigen Sowohl die Anhörung der Sachverständigen am 22. Mai 1992 in Berlin, Rathaus Schöneberg, als auch deren schriftliche Stellungnahmen zu dem Thema „Grundgesetz und Europa" ergaben, daß die rechtliche Frage, inwieweit Art. 24 Abs. 1 GG die neue Qualität der Europäischen Union abdeckt, in der Wissenschaft kontrovers beantwortet wird. Die Sachverständigen machten übereinstimmend die allgemein vertretene Definition der zwischenstaatlichen Einrichtung 7 2 zum Ausgangspunkt ihrer Erwägungen. Die Erörterungen drehten sich dabei um die Frage, ob die Europäische Union bereits dann nicht mehr als zwischenstaatliche Einrichtung gelten kann, wenn sie eine gewisse Integrationsdichte aufweist, oder ob die Grenzen des Art. 24 Abs. 1 GG erst bei Entstehung eines europäischen Staates erreicht sind. Die Sachverständigen Bieber, Hölzer, Lerche und Randelzhofer vertraten in ihren schriftlichen Stellungnahmen die Auffassung, daß die Europäischen Gemeinschaften in der Gestalt, die sie durch den Maastrichter Vertrag angenommen haben, unter den Terminus „zwischenstaatliche Einrichtung" fallen. 7 3 Sie maßen dabei die Europäische Union an den Attributen, die ge-

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Fischer (Hessen), StenBer. 3. Sitzung, S. 10 f. Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 9 und S. 26; Wedemeier (Bremen) StenBer. 3. Sitzung, S. 29. 72 Vgl. Ausführungen unter D I 1 a. 73 Bieber, Stellungnahme, S. 4; Hölzer, Stellungnahme, S. 1; Lerche, Stellungnahme, S. 1; Randelzhofer, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 14; vgl. auch Oppermann/Claasen, NJW 1993, 5 ,11; Simon/Schwarz, Die europäische Integration und das Grundgesetz, S. 58. 71

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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meinhin die Staatlichkeit im Sinne der 3-Elemente-Lehre 74 ausmachen. Allein wenn die Gemeinschaften durch den Maastrichter Vertrag in das Stadium der Staatswerdung eingetreten sind, sollte der Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 1 GG überschritten sein. Bieber stellte die historische Analyse des Art. 24 GG an den Ausgangspunkt seiner Überlegungen: „Der Verfassungsgeber des Grundgesetzes hatte den Begriff der 'zwischenstaatlichen Einrichtung' keineswegs nur als Gebilde mit sachlich eng umfaßtem Rahmen konzipiert." 75 So hätte Carlo Schmidt 1948 zum Ausdruck gebracht: „... das deutsche Volk ...[ist] entschlossen, aus der nationalstaatlichen Phase seiner Geschichte in die übernationalstaatliche Phase einzutreten: ... die Tore in eine neu gegliederte überstaatliche Welt (...) [sollen] weit geöffnet [werden]." 76 Unter Zugrundelegung der mit Art. 24 GG verfolgten Intention und des damit zusammenhängenden sehr weiten Begriffsverständnisses läßt sich nach Ansicht des Sachverständigen das Maastrichter Vertragswerk noch in den Art. 24 Abs. 1 GG einfügen: Die Europäische Union habe den qualitativen Sprung in die Dimension eigener Staatlichkeit noch nicht vollzogen. 77 Sie gehe vielmehr aus dem Zusammenwirken der Staaten hervor, die durch den Vertrag von Maastricht eben nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil als Voraussetzung der Union anerkannt würden (vgl. Art. F E U V ) . 7 8 So verfügt die Europäische Union nach Auffassung von Lerche 79 weder über Kompetenz-Kompetenz 80 (vgl. Art. 3 b EGV) noch über eine umfassende Personal- und Gebietshoheit, womit ihr wesentliche Elemente der Eigenstaatlichkeit fehlten. Randelzhofer pflichtete dem mit dem Hinweis bei, daß auch nach Maastricht die Mitgliedstaaten noch „Herren der Verträge" seien. 81 So lasse sich die Europäische Union durch einen „actus 74

Ein Staat im Sinne der 3-Elementen-Lehre liegt vor, wenn sich ein auf einem bestimmten Gebiet seßhaftes Volk unter einer selbstgesetzten, von keinem anderen Staat abgeleiteten, effektiv wirksamen und dauerhaften Ordnung organisiert hat. Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatsrechtslehre 1914, S. 394 ff ; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 379. 75 Bieber, Stellungnahme, S. 2. 76 Carlo Schmidt, Parlamentarischer Rat, StenBer. 2. Plenarsitzung vom 8. September 1948, S. 15. 77 Bieber, Stellungnahme, S. 4; vgl. auch Lerche, Stellungnahme, S. 1. 78 Bieber, Stellungnahme, S. 4; ebenso Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 1 mit Hinweis auf die hervorgehobenen intergouvernementalen Elemente des Maastrichter Vertrages, z.B. in Art. 1 Abs. 1 und 2, D Abs. 2 und F Abs. 1 EUV. 79 Lerche, Stellungnahme, S. 1. 80 Kompetenz-Kompetenz ist die Befugnis eines staatlichen Organs, im Zweifel über seine Zuständigkeit verbindlich zu entscheiden. A.A. in bezug auf die Kompetenz-Kompetenz der EG: Steindorff, AöR 116 (1991), S. 460, 461. Vgl. auch Ausführungen zum Bundesverfassungsgerichtsurteil (BVerfGE 89, 155 ff, sog. MaastrichtEntscheidung) unter G Π 2 a. 81 Randelzhofer, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 14; einschränkend dagegen Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 4, jedoch ohne in bezug auf die Qualität

I. Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung

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contrarius" beseitigen. Selbst der Rücktritt eines Einzelstaates sei, wenn auch unter den engen Voraussetzungen der „clausula rebus", sowohl aus den Europäischen Gemeinschaften als auch aus der Europäischen Union möglich. 8 2 Die Souveränität im Sinne einer freien Entscheidungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten sah Randelzhofer bereits deshalb als nicht gefährdet an. Die Kompetenzerweiterungen, die durch die Ausdehnung der Rechtsetzungsbefugnis der Europäischen Union auf Bereiche wie z.B. Außen- und Sicherheitspolitik eintreten werden -, so bedeutend sie in ihrer Summe auch sein mögen bewirken nach Ansicht Biebers im Vergleich zu den Rechten der bisher bestehenden Europäischen Gemeinschaften keinen dermaßen neuartigen Sprung, daß die Europäische Union damit den Rahmen des Art. 24 Abs. 1 GG verlassen würde. 83 Die Veränderungen bedeuten seines Erachtens „... vielmehr die Fortführung eines in seinen Strukturen längst bestehenden und in seinen Wirkungsweisen längst anerkannten europäischen Verfassungsverbundes," 84 Trotz dieser Wertung urteilten die genannten Sachverständigen übereinstimmend, daß Art. 24 Abs. 1 GG für die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages zwar eine Regelung von hinreichender Offenheit darstelle, die Norm aber dennoch aus integrations- und verfassungspolitischen Gründen deutlicher gefaßt werden müsse. 85 Die „Strapazierfahigkeit" des Terminus „zwischenstaatliche Einrichtung" könne das Besondere der Europäischen Union und ihres Entwicklungspotentials nicht adäquat bezeichnen. Die Besonderheit, die die Europäische Union ausmache, sah Lerche dabei in den bereits in den Europäischen Gemeinschaften angelegten und durch Maastricht erheblich verstärkten parastaatlichen Zügen der Union. 8 6 Bieber beschrieb den Sonderstatus, den es verfassungsrechtlich zu erfassen gelte, als Entzug der Union aus der traditionellen Begriffswelt. Die Union umschließe, so Bieber 87, gleichermaßen Befugnisse zur unmittelbar wirksamen Normsetzung durch eigene Organe und Mechanismen zur Koordinierung des Handelns staatlicher Organe. Auf der anderen Seite habe die Union, im Gegensatz zu den Europäischen Gemeinschaften, keine eigene Rechtspersönlichkeit, da z.B. nach dem Protokoll über die Sozialpolitik Teile des Unionsrechts derzeit nur für elf Mitgliedstaaten gelten würden: „Der Begriff 'Europäische Union' umschreibt also der Europäischen Union zu einem anderen Ergebnis zu kommen: Die Staaten als Einzelne könnten über die Gemeinschaft nicht verfügen, und selbst im Verbund seien sie nicht „ H e r r der Verträge", da sie z.B. keine Legitimation besäßen, das direkt gewählte Europäische Parlament abzuschaffen. 82 Randelzhofer. StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 14. 83 Bieber, Stellungnahme, S. 4; ebenso Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 1. 84 Bieber, Stellungnahme, S. 4. 85 Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 4 f.; Hölzer, Stellungnahme, S. 1; Lerche, Stellungnahme, S. 1; Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 1. 86 Lerche, Stellungnahme, S. 1. 87 Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 3.

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

ein Gebilde von geographisch und sektioneil unterschiedlicher Integrationsdichte, in dem sich integrierende und koordinierende Kompetenzen miteinander verzahnen. Überdies bildet die Union den Rahmen für eine weder territorial noch qualitativ abgeschlossene Verfassungsentwicklung. Ich erinnere nur an die Bestimmungen des Vertrages von Maastricht, in denen weitere Verfassungsänderungen bereits konzipiert sind, beispielsweise Art. 8 e [EGV], Art. Ν Abs. 1 und 2 [EUV] (...) Das erschwert ihre Faßbarkeit, erhöht aber ganz wesentlich die Leistungsfähigkeit." 88 In Anbetracht des Entwicklungspotentials der Europäischen Union sollte daher nach Auffassung der Sachverständigen die blasse Formulierung des Art. 24 GG speziell für die Europäische Einigung durch eine solche ersetzt werden, die diesen Besonderheiten Rechnung zu tragen vermag. 89 Angesichts des weit über das Konzept des Verfassungsgebers von 1949 hinausgehende Ziel der Europäischen Union (vgl. Art. B) sei eine Regelung in Betracht zu ziehen, durch die auch die innerstaatlichen Konsequenzen der Integration eine Regelung erführen. 90 Bieber sah darüber hinaus ein verfassungspolitisches Bedürfnis zu einer Revision des Grundgesetzes unter dem Aspekt der Rechtssicherheit. „Die Gelegenheit einer Änderung des Grundgesetzes könnte genutzt werden, um das Verhältnis zwischen deutschem Recht und dem Recht der künftigen Union zu verdeutlichen. Das sollte auch mit dem Ziel geschehen, dem Prozeß der europäischen Einigung in angemessener Form verfassungsrechtliche Anerkennung zu verleihen." 91 Isensee, Lepsius, Stern und Tomuschat erachteten im Gegensatz dazu bereits die Integrationsermächtigung des Art. 24 Abs. 1 GG als nicht mehr ausreichend für eine Ratifizierung des Maastrichter Vertrages. Die Europäische Union gehe qualitativ und quantitativ zu weit über die bisherigen Gemeinschaftsstrukturen hinaus. 92 In Übereinstimmung mit allen geladenen Sachverständigen wurde auch hier die These vertreten, daß die Union nach Maastricht über keine eigene Staatlichkeit verfüge, da sie die dafür notwendigen Merkmale noch nicht aufweisen könne: „Die Europäische Gemeinschaft bleibt auch in der Form der Europäischen Union wohl weiterhin eine Staatengemeinschaft, die die Bürger ihrer Mitgliedstaaten nicht zu einem Staatsvolk von EGBürgern zusammenfaßt, insbesondere kein umfassendes Schutz- und Gehorsamsverhältnis begründet." 93 Für Stern befindet sich die Union noch immer in einem „... Zwischenstand zwischen Staat und klassischer zwischenstaatlicher

88

Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 3. Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 4; Lerche, Stellungnahme, S. 1. 90 Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 1. 91 Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 6. 92 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 9; Stern, Stellungnahme, S. 2; Tomuschat, Stellungnahme, S. 1 und 5. 93 Stern, Stellungnahme, S. 9. 89

I. Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung

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Einrichtung, die sich aber schon relativ stark einer bundesstaatlichen Struktur annähert." 94 Dennoch ist nach Auffassung des Sachverständigen die Kompetenzübertragung, wie sie der Maastrichter Vertrag vorsehe, als Aufgabe von Kernbestandteilen nationaler Souveränität zu werten. Dieses Ergebnis ergebe sich aus der Analyse der zu übertragenden Kompetenzen in bezug auf „... die Breite und Tiefe der Intensivierung der Zusammenarbeit, die über eine sektorale Kompetenzübertragung hinausgeht." 95 Die mit Art. J EUV angestrebte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik erreicht nach Auffassung des Sachverständigen in ihrer Rechtsbindung nicht die Intensität, die zu einer Überschreitung der Ermächtigung des Art. 24 Abs. 1 GG führen könne. 96 Zu einem anderen Ergebnis kommt Stern jedoch bei näherer Betrachtung der neu konzipierten Währungspolitik, die in der Endstufe den Verzicht auf die deutsche Währungshoheit bedeutet und der so bei der Beurteilung der Tiefe der Kompetenzübertragung eine Schlüsselrolle zukommt. Auch wenn die Revision des Art. 88 GG durch Art. 4 a EGV nach Auffassung von Stern unausweichlich ist, so werde die deutsche Politik mit der Schaffung der Währungsunion dennoch in all ihren Betätigungsfeldern determiniert. Diese Einbuße staatlicher Souveränität führe über den sachlichen Geltungsbereich des Art. 24 Abs. 1 GG hinaus und lasse daher ein Einbeziehen der Integrationsnorm in die Verfassungsdiskussion als geboten erscheinen. 97 Tomuschat pflichtete diesem Ergebnis mit der Überlegung bei, daß sich der über Art. 24 Abs. 1 GG hinausgehende Souveränitätsverlust der Bundesrepublik Deutschland aus der Würdigung des Europäischen Unionsvertrages in seiner Gesamtheit ergebe. 98 „... die Bundesrepublik Deutschland begibt sich mit der Zustimmung zu dem Vertragswerk in eine umfassende rechtliche Bindung über die gesamte Breite ihrer Außenpolitik hinweg, wobei die Intensität dieser Bindung in der bisher schon bestehenden Gemeinschaft kulminiert. (...) Insgesamt wird der Bundesrepublik die rechtliche wie faktische Möglichkeit genommen, existentielle Entscheidungen mit wirtschaftlicher Komponente noch in eigenständiger Verantwortung zu treffen. Berücksichtigt man überdies die vielfachen weiteren Verpflichtungen, die der Vertragsentwurf statuiert, so darf man die Europäische Union bereits jetzt als ein föderales Gebilde bezeich-

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Stern, Stellungnahme, S. 9; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 19. Stern, Stellungnahme, S. 11. 96 Stern, Stellungnahme, S. 11. 97 Stern, Stellungnahme, S. 11 f.; daß es sich bei der durch Maastricht gegebenen Sachlage um einen Grenzfall handelt, machte Stern in der 1. Öffentlichen Anhörung deutlich (S. 19): „Ich sehe ein Zwischenstadium zwischen zwischenstaatlicher Einrichtung und neuer Staatlichkeit, meine aber, daß der Maastrichter Vertrag - vom Wahlrecht abgesehen - noch mit Art. 24 als Form der Übertragung gelöst werden kann. Insgesamt entstehen aber doch gewisse präföderale Züge, die die Union annimmt." 98 Tomuschat, Gutachten für die SPD-Fraktion, S. 31. 95

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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nen " " Die Urheber des Art. 24 Abs. 1 GG haben nach Auffassung von Tomuschat jedoch niemals daran gedacht, daß die Vorschrift Rechtsgrundlage für die Schaffung eines Gemeinwesens mit Zuständigkeiten auf allen Gebieten traditioneller staatlicher Kompetenz sein könnte. 1 0 0 Lepsius begründete seinen Standpunkt mit den besonderen Kriterien, denen die „Einrichtungen" i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG seines Erachtens unterliegen. 101 Diese könnten keine anderen sein als die, denen sich die Bundesrepublik Deutschland kraft ihrer Verfassung selbst unterwirft, nämlich u.a. dem Demokratie-, Rechtsstaats- und dem Sozialstaatspostulat. Wenn die betreffende Einrichtung diesen Grundsätzen aber nicht genügt, dann kann nach Ansicht von Lepsius die Bundesrepublik nur insoweit Hoheitsrechte über Art. 24 GG übertragen, als dadurch ihre eigene verfassungsrechtliche Bindung nicht erheblich beeinträchtigt wird. Eben dies würde jedoch angesichts der Übertragung wesentlicher Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland geschehen, da die Europäische Union zumindest das schon in den Europäischen Gemeinschaften vorhandene Demokratiedefizit 102 nicht beseitige. Lepsius folgert daraus, daß die Europäische Union für eine derartige Hoheitsrechtsübertragung im Wege des Art. 24 Abs. 1 GG nicht ausreichend qualifiziert sei und sie somit nicht mehr als „Einrichtung" i.S.d. Art. 24 GG gelten könne. 1 0 3 Bei einer entsprechenden Änderung des Art. 24 GG sei u.a. an eine Bestimmung zu denken,"... derzufolge die Übertragung von Hoheitsrechten an die verfassungsmäßige Entwicklung der Europäischen Union, insbesondere die Verringerung des Demokratiedefizits, gebunden w i r d . " 1 0 4

5. Ergebnis der Diskussion um eine „begrenzte" Verfassungsänderung Sämtliche geladenen Sachverständigen sprachen sich im Ergebnis gegen eine begrenzte Verfassungsänderung und für eine Reform des Integrationsartikels aus, je nach vertretener Rechtsauffassung aus verfassungspolitischen oder verfassungsrechtlichen Gründen. Die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission wurden damit in ihrer Auffassung, die sich bereits in den ersten Sitzungen herausgebildet hatte, bestärkt, daß der bisherige Art. 24 Abs. 1 GG von vornherein nicht mehr als Rechtsgrundlage für die europäische Ei-

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Tomuschat, Gutachten für die SPD-Fraktion, S. 31. Tomuschat, Gutachten für die SPD-Fraktion, S. 31. 101 Lepsius, Stellungnahme, S. 4. 102 Ausführlich zum Demokratiedefizit der EG unter D ΠΙ 2 b/cc. 103 Lepsius, Stellungnahme, S. 5. 104 Lepsius, Stellungnahme, S. 5. 100

Π. Reformvorschläge zur Integrationsnorm außerhalb der GVK

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nigung gelten soll. 1 0 5 So zeigte Verheugen (SPD) in der 5. Sitzung einen diesbezüglichen Konsens der Berichterstatter von Bundestag und Bundesrat auf: „Übereinstimmung besteht darin, sich darauf zu verständigen, daß die Europäische Union keine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ist. Sie hat teilweise bereits staatliche Qualität, ist ein Aliud und muß entsprechend auch im Grundgesetz in einem eigenen Artikel besonders behandelt werden." 1 0 6 Insofern setzte sich die Forderung der Bundesländer nach einer Änderung der Integrationsnorm im Zuge der Ratifizierung der Maastrichter Verträge gegenüber dem Anliegen der Bundesregierung durch. Im weiteren Verlauf der Beratungen war dann auch die Ausgestaltung der Ermächtigung für die Gründung bzw. Weiterentwicklung der Europäischen Union zentrales Thema.

II. Reformvorschläge zur Änderung der Integrationsnorm außerhalb der Gemeinsamen Verfassungskommission Die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission konnten bei all ihren Diskussionspunkten im Rahmen der Grundgesetzreform - und damit auch bei der Frage der inhaltlichen Ausgestaltung einer europaspezifischen Integrationsnorm - auf eine Fülle von Anregungen verschiedenster Interessengruppen zurückgreifen. Insbesondere die Vertreter der Bundesländer kamen den Empfehlungen in Art. 5 des Einigungsvertrages 107 , sich mit Verfassungsfragen in bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern zu befassen, zügig nach und unterbreiteten dem Bund bereits vor Konstituierung der Gemeinsamen Verfassungskommission zahlreiche Vorschläge, die primär auf die Stärkung des Föderalismus in Deutschland und in Europa abzielten. Angesichts der wachsenden Dominanz europäischer Rechtsetzung in vielen Lebensbereichen und dem bundesfreundlichen Verfahren, das Art. 24 Abs. 1 GG zur verfassungsrechtlichen Absicherung dieses Prozesses bereithält, war eine der Kernforderungen der Länder, ihre direkte und indirekte Partizipation an europäischen Entscheidungsprozessen verfassungsrechtlich festzuschreiben und auszubauen. Hervorzuheben ist hier insbesonders die Initiative des Bundesrates zur Änderung des Art. 24 GG, die wiederum als Grundlage für den Änderungsvorschlag der vom Bundesrat eingesetzten „Kommission Verfassungsreform" 108 diente. Als Repräsentanten der Legislative verfolgten darüber 105

Möller (CDU/CSU), StenBer. 7. Sitzung, S. 2; Scholz (Vorsitzender), StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 2; ders., NJW 1992, 2593, 2594. 106 Verheugen (SPD), StenBer. 5. Sitzung, S. 16. 107 Text siehe Fn. 4. 108 Zur Zusammensetzung und Arbeitsweise der Kommission Verfassungsreform vgl. Ausführungen unter Β I 5.

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

hinaus die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landtage eigene, von den Interessen der Landesregierungen teilweise abweichende Ziele. Sie formulierten deshalb ebenfalls Änderungsvorschläge zu Art. 24 GG, die den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission als Anregung vorgelegt wurden. Den wohl nachhaltigsten Einfluß auf die Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission nahmen trotz zahlreicher anderer Initiativen die Empfehlungen der Kommission Verfassungsreform. Bestehend aus den Ministerpräsidenten der Bundesländer und jeweils einem weiteren Regierungsmitglied, war es den Landesregierungen möglich, die Ergebnisse ihrer Bemühungen als stimmberechtigte Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission in die dortige Diskussion einzubringen - eine Möglichkeit, die die Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage und andere Interessengruppen nicht hatten.

1. Änderungsvorschlag des Bundesrates zur Integrationsnorm Art. 24 GG Bereits am 13.6.1990 109 brachte der Bundesrat einen Änderungsantrag zu Art. 24 Abs. 1 GG in den Deutschen Bundestag ein: Art. 24 (1) Der Bund kann durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. In Angelegenheiten dieser Einrichtungen wirken die Länder bei der Willensbildung des Bundes mit. Das Nähere regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf; soweit die im Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten der Länder oder ihre wesentlichen Interessen berührt werden, ist die Möglichkeit einer wesentlichen Einflußnahme der Länder vorzusehen. Der Bundesrat verfolgte mit dem Entwurf das Ziel, die Rechte der Länder in dem Prozeß der europäischen Integration im Grundgesetz abzusichern. M i t der Ausgestaltung des innerstaatlichen Willensbildungsprozesses durch Zustimmungs- und Mitwirkungsrechte des Bundesrates bzw. der Bundesländer sollte dieser Forderung verfassungsrechtlich Geltung verschafft werden. So wird die Zustimmungsbedürftigkeit des Übertragungsgesetzes gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 GG d.E. unabhängig davon, ob Länder- oder Bundeskompetenzen übertragen werden, festgeschrieben. Diese Regelung forderte der Bundes109 BT-Dr 11/7391; nachdem der Bundestag sich über einen längeren Zeitraum nicht mit der Vorlage des Bundesrates beschäftigt hatte, brachte der Bundesrat die Initiative ohne Änderungen erneut am 16.5.1991 (BT-Dr 12/549) ein. Zu einer Abstimmung hierüber kam es im Bundestag dennoch nicht, da alle Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes gebündelt in der Gemeinsamen Verfassungskommission erörtert werden sollten, um dann den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet zu werden.

Π. Reformvorschläge zur Integrationsnorm außerhalb der GVK

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rat als Kompensation für den Verlust von Mitwirkungsmöglichkeiten in Bundesangelegenheiten, die auf die europäische Ebene übertragen werden. 1 1 0 Die indirekte, über die Bundesregierung erfolgende Mitwirkung an Entscheidungen der zwischenstaatlichen Einrichtungen, wie sie Art. 24 Abs. 1 Satz 2 GG d.E. vorsieht, soll die Länder in die europäische Integration einbinden und ihnen ermöglichen, ihre Erfahrungen mit dem Vollzug von Gesetzen fordernd einzubringen. 111 Darüber hinaus soll den Ländern, im Falle der Berührung ihrer Zuständigkeiten bzw. Interessen durch Akte der zwischenstaatlichen Einrichtungen, die Möglichkeit der wesentlichen Einflußnahme - eventuell über den Bundesrat - auf die Willensbildung des Bundes eingeräumt werden (Art. 24 Abs. 1 Satz 3 GG d.E.). Wann die Einflußnahme wesentlich ausfallen muß, sollte nach Vorstellung des Bundesrates davon abhängen, inwieweit die Hoheitsrechtsübertragungen Zuständigkeiten der Länder betreffen oder sie auf andere Weise wesentliche Belange berühren. Der Bundesrat erachtete eine derartige Änderung des Art. 24 Abs. 1 GG für notwendig, um der Bedeutung des fortschreitenden Prozesses der europäischen Integration für die föderative Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gerecht zu werden. 1 1 2

2. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landtage Die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landtage hatten in ihrem Beschluß zur Stärkung der Länder in Europa vom 24. September 1991 einen in einzelnen Punkten von dem Entwurf des Bundesrates abweichenden Vorschlag unterbreitet: 113 Art. 24 (1) Der Bund kann durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Die Frist zur Stellungnahme des Bundesrates gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 2 beträgt drei Monate. (2) Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen darf nicht dazu führen, daß die in Art. 79 Abs. 3 enthaltenen Grundsätze berührt werden. (3) In Angelegenheiten zwischenstaatlicher Einrichtungen wirken die Länder bei der Willensbildung des Bundes mit. Das Nähere regelt ein Gesetz, das der Zustim110

BRat, in: BT-Dr 12/549, S. 4. BRat, in: BT-Dr 12/549, S. 5. 112 BRat, in: BT-Dr 12/549 A. Zielsetzung. 113 Beschluß der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landtage vom 24. September 1991 „Stärkung der Länder in Europa", Arbeitsunterlage Nr. 3, S. 1 f. zu Art. 24. 111

4 Schmalenbach

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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mung des Bundesrates bedarf; soweit die im Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten der Länder oder ihre wesentlichen Interessen berührt werden, ist die Möglichkeit einer wesentlichen Einflußnahme der Länder vorzusehen. Einen Schwerpunkt legte die Konferenz auf die Klärung der Rolle des Art. 79 Abs. 3 GG bei Hoheitsrechtsübertragungen. Da über die verfassungsrechtlichen Grenzen der Hoheitsrechtsübertragung in der Rechtslehre weitestgehend Uneinigkeit herrscht, 114 sahen die Präsidentinnen und die Präsidenten der deutschen Landtage ein Bedürfnis, im Interesse der Eigenstaatlichkeit der Länder - der Art. 79 Abs. 3 GG über das Bundesstaatsprinzip Schutz angedeihen läßt - zu einer ausdrücklichen Klärung der Streitfrage in Art. 24 Abs. 2 GG d.E. beizutragen. Die Bindung der Hoheitsrechtsübertragung an Art. 79 Abs. 3 GG soll zum Ausdruck bringen, daß sowohl das Primärrecht 115 als auch das Sekundärrecht 116 der Europäischen Gemeinschaften die Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG, insbesondere die Eigenstaatlichkeit der Länder und damit die Rechtsetzungsbefügnisse der Länderparlamente, nicht berühren dürfen. 1 1 7 Darüber hinaus orientiert sich der Vorschlag in Art. 24 Abs. 3 GG d.E. an dem wortgleichen Gesetzentwurf des Bundesrates über die Mitwirkungsrechte des Bundesrates an der innerstaatlichen Willensbildung.

3. Empfehlung der Kommission Verfassungsreform Die Kommission Verfassungsreform, die mit Beschluß des Bundesrates vom 1. März 1991 1 1 8 eingesetzt wurde, schlug am Ende ihrer Beratungen (17. Oktober 1991) u.a. eine Neufassung des Art. 24 GG v o r . 1 1 9 Der darin gefündenen Lösung Schloß sich die Ministerpräsidentenkonferenz der Länder in ihrem vorläufigen Ergebnisprotokoll vom 12. März 1992 a n : 1 2 0

114

Vgl. Ausführungen unter D11 b. Die Gründungsverträge der EGKS, EWG und EAG sind das primäre Gemeinschaftsrecht. Die Bezeichnung als Primärrecht ergibt sich aus dem Umstand, daß es an der Spitze der Normenhierarchie der Europäischen Gemeinschaften steht. Die Gründungsverträge ermächtigen die Gemeinschaftsorgane, sog. sekundäres Recht zu setzen. 116 Sekundärrecht ist organgeschaffenes Recht, das sich aus dem Primärrecht ableitet und dementsprechend diesem untergeordnet ist. 117 Beschluß der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landtage vom 24. September 1991 „Stärkung der Länder in Europa", Arbeitsunterlage Nr. 3, S. 1 zu Art. 24. 118 BR-Dr 103/91. 119 BR-Dr 360/92, S. 2 f. 120 Ministerpräsidentenkonferenz vom 12. März 1992 - Vorläufiges Ergebnisprotokoll - Arbeitsunterlage Nr. 2, S. 4 f. 115

Π. Reformvorschläge zur Integrationsnorm außerhalb der GVK

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Art. 24 (1) Der Bund kann durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. (2) In Angelegenheiten dieser Einrichtungen wirken die Länder bei der Willensbildung des Bundes und bei der Wahrnehmung der Rechte mit, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat zustehen. Soweit ihre wesentlichen Interessen berührt werden, erhalten sie die Möglichkeit, einer wesentlichen Einflußnahme auf die Willensbildung. Die Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat zustehen, können die Länder wahrnehmen, wenn im Schwerpunkt ihre in diesem Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten berührt werden. Das Nähere regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. (3) Die Länder können zu zwischenstaatlichen Einrichtungen Beziehungen unterhalten und bei ihnen eigene Vertretungen errichten. (4) Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können auch sie mit Zustimmung der Bundesregierung durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche oder interregionale Einrichtungen übertragen. Die Kommission Verfassungsreform ging mit diesem Vorschlag in wesentlichen Punkten über den Änderungsantrag des Bundesrates vom 16.5.1991 hinaus. In den Fragen der Zustimmungs- und Mitwirkungsrechte des Bundesrates griff die Kommission Verfassungsreform in ihrem neu konzipierten Art. 24 Abs. 1 und 2 GG d.E. die von dem Bundesrat vorgeschlagenen Regelungen auf. Dagegen enthalten die Absätze 3 und 4 neue Aspekte, mit denen den Ländern eine aktive Rolle bei der Gestaltung des europäischen Integrationsprozesses zugeteilt werden soll. Art. 24 Abs. 3 GG d.E. enthält die verfassungsrechtliche Absicherung der besonderen Beziehungen der Bundesländer zu den Europäischen Gemeinschaften und ihres Rechts, dort eigene Vertretungen einzurichten. 121 Die grundgesetzliche Festschreibung der Länderbüros in Brüssel ist nach Auffassung der Kommission wegen der umstrittenen Legitimität dieser faktisch seit längerem existierenden Einrichtungen notwendig. 122 Die Kommission Verfassungsreform wies dabei in ihrer Begründung ausdrücklich daraufhin, daß diesen Beziehungen der Länder zu den Europäischen Gemeinschaften nicht der Charakter auswärtiger Beziehungen i.S.d. Art. 32 GG zukommen soll - diese stünden weiterhin und unbestritten dem Bund zu. Vielmehr sei die Regelung Ausdruck der Tatsache, daß die Angelegenheiten der Europäischen Gemein-

121

BRat, in: BR-Dr 360/92, S. 4 Rn. 12. 122 Ygj Ausführungen unter F Π.

4*

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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Schäften inzwischen Gegenstand einer „europäischen Innenpolitik" geworden seien. 1 2 3 Art. 24 Abs. 4 GG d.E. wurde von der Kommission Verfassungsreform als Grundlage für die Errichtung zwischenstaatlicher Regionaleinrichtungen konzipiert, um so eine Klärung der bisher unsicheren Rechtslage des Art. 24 Abs. 1 GG herbeizuführen. 124 Die Kommission begründete diesen Vorstoß mit dem praktischen Bedürfnis nach Klarstellung der Rechtslage im Hinblick auf die gegenwärtige Praxis grenzüberschreitender Kooperation. 125 Das Abkommen der Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande vom 23. Mai 1991 über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen sei beispielsweise Indiz dafür, daß eine Tendenz zur Schaffung dauerhafter und fachübergreifender Verwaltungsstrukturen über die Grenzen hinweg bestehe. Der Mangel rechtlich wirksamer Formen für eine bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit solle nun mit dieser Regelung behoben werden. Die Kommission Verfassungsreform hob jedoch hervor, daß es sich dabei ausschließlich um gemeinsame regionale Einrichtungen handeln solle. Keineswegs solle mit Art. 24 Abs. 4 GG d.E. die Grundlage zur Übertragung von Landeskompetenzen auf die Europäische Union geschaffen werden.126 Besondere Bedeutung erlangte der Beschluß der Kommission Verfassungsreform über die Neugestaltung des Art. 24 GG a.F. durch die Erörterung der einzelnen Aspekte in der Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat. Die Vertreter der Bundesländer brachten den Entwurf als Diskussionsgrundlage in die Beratungen, wo er durch die Vertreter des Bundestages einer kritischen Würdigung unterzogen wurde und - je nach politischer Durchsetzbarkeit - Niederschlag in den Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission gefand.

III. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission 1. Notwendigkeit eines neuen Europaartikels Die Bundesländer konzentrierten sich bei ihren Vorschlägen zur Reform des Integrationsartikels, dessen Realisierung sie untrennbar mit der Ratifizie123 124 125 126

BRat, in: BR-Dr 360/92, S. 4 Rn. 12. Vgl. Ausführungen unter Ε ΠΙ. BRat, in: BR-Dr 360/92, S. 4 Rn. 14. BRat, in: BR-Dr 360/92, S. 5 Rn. 16.

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der Gemeinsamen Verfassungskommission

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rung des Maastrichter Vertrages verknüpft hatten, 1 2 7 auf den bisherigen Art. 24 GG. In der Gemeinsamen Verfassungkommission zeichnete sich jedoch im Laufe der Beratungen die Tendenz zu einer gesonderten Ermächtigungsgrundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaften ab. So erwähnte der Vorsitzende Scholz bereits in der 3. Sitzung den mit der deutschen Wiedervereinigung freigewordenen Art. 23 GG: „Das würde einen gewissen Charme haben, wenn Art. 23 sozusagen die Europanorm würde." 1 2 8 Diese Grundtendenz wurde durch Erwägungen über die Rolle des Art. 24 Abs. 1 GG in den vielfaltigen internationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland bestärkt. Stern wies darauf hin, daß Art. 24 Abs. 1 GG in der Form, wie er seit 43 Jahren besteht, auch künftig gebraucht würde. Die zwischenstaatlichen Einrichtungen wie NATO, Eurocontrol und Westeuropäische Union etc. müßten weiterhin für Änderungen offen sein, und zwar über Art. 24 Abs. 1 GG . 1 2 9 In der Außen- und Sicherheitspolitik - die nach Art. 32, 59, 73 Nr. 1, 87a GG zu den ausschließlichen Zuständigkeiten des Bundes zählt - kann es auch nach Auffassung von Scholz z.B. im Rahmen des NATO-Vertrages zu Hoheitsrechtsübertragungen kommen. Bei denen müsse der Bund in der Lage sein, auch ohne Zustimmung des Bundesrates zu disponieren - so wie es Art. 24 Abs. 1 GG vorsehe. 130 In Anbetracht der vielfaltigen zwischenstaatlichen Einrichtungen erschien es Isensee als ein Gebot der Rechtsklarheit, den Tatbestand spezieller Mitwirkungs- und Zustimmungsrechte nur unter eindeutiger Anknüpfung an die betreffende Institution - die Europäischen Gemeinschaften und demnächst die Europäische Union - zu nennen, damit diese Änderung nicht zu Auslegungsproblemen führt. 1 3 1 Mehr ein redaktionelles Problem war hingegen die Frage, ob die neue Integrationsnorm für Europa den Platz des aufgehobenen Art. 23 GG einnehmen soll, oder ob die Schaffung eines Artikels 24 a GG geboten sei. Stern wies in dem Zusammenhang darauf hin, daß Art. 23 GG a.F. im Prozeß der Wiederherstellung der deutschen Einheit einen hohen - nunmehr historischen - Stellenwert einnehme und deshalb seines Erachtens von einer dortigen Plazierung der Europanorm Abstand genommen werden solle. 1 3 2 Trotz dieser Bedenken einigten sich die Berichterstatter der Gemeinsamen Verfassungskommission in 127

Ministerpräsidentenkonferenz vom 12. März 1992 - Vorläufiges Ergebnisprotokoll - Arbeitsunterlage Nr. 2, S. 3. 128 Scholz (Vorsitzender), StenBer 3. Sitzung, S. 21. 129 Stern, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 20. 130 Scholz, NJW 1992, 2593, 2595. 131 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 9. 132 Stern, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 53.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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ihren Gesprächen einstimmig auf Art. 23 GG als neuen Europaartikel. Auch hier wurde die Symbolträchtigkeit dieser Stelle im Grundgesetz hervorgehoben, die nach Auffassung der Berichterstatter jedoch nunmehr zum Ausdruck bringt, daß das Grundgesetz in Ausfüllung und Ergänzung seiner Präambel die Verankerung des wiedervereinigten Deutschland in einem vereinten Eurpa anstrebe. 133 Mit Einführung einer speziellen Europa-Klausel konnte dann letztlich auch die Frage, ob auf Grundlage des Art. 24 Abs. 1 GG noch die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages erfolgen kann, unbeantwortet bleiben, zumal die Anhörung der Sachverständigen gezeigt hatte, daß in rechtlicher Hinsicht hierzu durchaus unterschiedliche Auffassungen vertreten werden können - mit der entsprechenden Gefahr künftiger verfassungsrechtlicher Streitigkeiten. 134 Auch die Bedenken, daß die Länder gegebenenfalls über Art. 24 Abs. 1 GG Einfluß auf die gesamte Sicherheits- und Bündnispolitik des Bundes nehmen könnten, wurden mit dieser Lösung ausgeräumt. Dies gilt allerdings mit der Einschränkung, daß das Kompetenzproblem durch die angestrebte gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union (Art. J 4 EUV) erneut an Aktualität gewinnen wird und deshalb im Rahmen des Art. 23 GG n.F. einer Lösung zugeführt werden muß. 1 3 5 In der 8. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission am 26. Juni 1992 wurde mit einer Gegenstimme beschlossen, mit Art. 23 GG n.F. als spezielle Norm den Prozeß der europäischen Integration verfassungsrechtlich abzusichern. Die in dieser Sitzung ebenfalls mehrheitlich befürwortete inhaltliche Ausgestaltung der neuen Europanorm wurde am 15. Oktober 1992 um Mitwirkungsrechte des Bundestages in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG n.F. nach Erreichung der erforderlichen Mehrheit in der 11. Sitzung ergänzt. Nachdem die Bundesregierung bereits am 2. Oktober 1992 den ersten Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 26. Juni 1992 unverändert als Gesetzentwurf 136 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht hatte, überwies der Bundestag am 8. Oktober 1992 die Vorlage federführend an den Sonderausschuß des Bundestages „Europäische Union" mit dem Auftrag, diese zu beratschlagen und gegebenenfalls zu modifizieren. Ergänzt um den Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992 und den inhaltlichen Änderungen des Sonderausschusses wurde der neue Art. 23 GG in seiner endgültigen Fassung am 2. Dezember 1992 vom Bundestag be-

133 134 135 136

Möller (CDU/CSU), StenBer. 8. Sitzung, S. 4. Vgl. Ausführungen unter D 14. Vgl. Ausführungen unter D I 7 b/cc (gesamtstaatliche Verantwortung). BT-Dr 12/3338.

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der Gemeinsamen Verfassungskommission

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schlossen. Die Zustimmung des Bundesrates erfolgte am 18. Dezember 1992: 1 3 7 Artikel 23 (1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie fur Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Art. 79 Abs. 2 und 3. (2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. (3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahme des Bundestages bei den Verhandlungen. Näheres regelt ein Gesetz. (4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären. (5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeit des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihr Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund fuhren können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich. (6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, soll die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf

137

BGBl. 1992 I, S. 2089; parallel zu der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 23 GG n.F. etc.) stimmten die gesetzgebenden Körperschaften mit großer Mehrheit dem Maastrichter Vertrag zu: 543 Ja-Stimmen, 16 NeinStimmen bei 8 Enthaltungen.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen werden. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. (7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

2. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F. Integrationsöffnung und Struktursicherung a) Integrationsöfftiungsklausel Der neue Europaartikel beginnt mit der Wendung: „Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, ...". Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F. soll verdeutlichen, daß eines der Staatsziele der Bundesrepublik Deutschland die fortschreitende europäische Integration auf Basis der durch den Maastrichter Vertrag geschaffenen Europäischen Union ist. Damit konkretisiert der neue Grundgesetzartikel den Mitwirkungsauftrag, der bereits in allgemeiner Form in der Präambel enthalten ist. Diese Integrationsklausel war einer der wenigen Punkte, über die in der Gemeinsamen Verfassungskommission - abseits von jedem Disput zwischen Bundesrat und Bundestag - Einigkeit herrschte. Die Staatszielbestimmung soll nach übereinstimmendem Willen der Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission Ausdruck der Integrationsoffenheit des Gesamtstaates und seiner Glieder sein. 1 3 8 Die Bundesregierung legt in ihrer amtlichen Stellungnahme zu Art. 23 GG n.F. das anvisierte Ziel des „vereinten Europas" gleichwohl restriktiv aus und verdeutlicht damit zugleich ihre Auffassung von dem möglichen Endpunkt der europäischen Integration, den zu setzen das Grundgesetz ihres Erachtens auch nach Schaffung des Art. 23 Abs. 1 GG noch erlaubt. So weist sie darauf hin, daß der mit der Integrationsöffnungsklausel verbundene Mitwirkungsauftrag nicht zwangsläufig auf die Schaffung eines europäischen Bundesstaates gerichtet sei bzw. diesen verbindlich vorschreibe. 139 Eine solche Entwicklung sei 138

Schnoor (NRW), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992, Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 3. 139 BReg, in: BT-Dr 12/3338 S. 7 (amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs zu Art. 23 GG n.F.); vgl. auch Hilf, Stellungnahme der BReg vom 15. Januar 1993 zu den Verfassungsbeschwerden 2 BvR 2134/92 (Brunner) und 2 BvR 2159/92 (Europafraktion Die Grünen), abgedr. in: Winkelmann, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, S. 165, 205 f.; Murswiek, Der Staat 1993, 163, 167; Magiera, JURA 1994, 1, 8.

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der Gemeinsamen Verfassungskommission

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zwar nicht ausgeschlossen, auf absehbare Zeit jedoch keine konsensfahige Zielvorstellung. 140 In jedem Fall soll nach Ansicht der Bundesregierung mit Art. 23 GG n.F. keine Norm geschaffen werden, die eine Ablösung des Grundgesetzes durch einen Akt der europäischen verfassungsgebenden Gewalt nach dem Vorbild des aufgehobenen Art. 146 GG a.F. 1 4 1 erlaubt, indem sie das Grundgesetz für die Übergangszeit auf dem Wege zu einem europäischen Verfassungsstaat zu einem „Provisorium" erklärt. Auch nach Schaffung des Art. 23 Abs. 1 GG soll es eines gesonderten Aktes der deutschen Verfassungsrechtsetzung bedürfen, durch den die Verfassungsautonomie auf die Europäische Union übertragen wird. Die Integrationsklausel selbst bietet folglich auf Grundlage dieser Interpretation nicht die Möglichkeit, das Grundgesetz im Wege von Hoheitsrechtsübertragungen nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F. zugunsten einer gesamteuropäischen Verfassung preiszugeben. 142 Die Bundesregierung sieht diese Auslegung des Art. 23 Abs. 1 GG n.F. losgelöst von der verfassungsrechtlichen Streitfrage, ob die Übertragung der Verfassungsautonomie auf die Europäische Union auf Basis des geltenden Grundgesetzes durch den verfassungsändernden Gesetzgeber gem. Art. 79 Abs. 2 GG vollzogen werden könnte, oder ob Art. 23 Abs. 1 i. V.m. Art. 79 Abs. 3 GG zu einem Akt der verfassungsgebenden Gewalt - des deutschen Volkes als „pouvoir constituant" - zwingt. Der hier in der Verfassungslehre bestehende Dissens, der auch bei der Anhörung der Sachverständigen in der Gemeinsamen Verfassungskommission zutage trat, 1 4 3 bedarf bei dem von der Bundesregierung favorisierten Auslegung jedenfalls im Rahmen der Integrationsklausel keiner Klärung, da in jedem Fall der Beitritt zu einem europäischen Verfassungsstaat auf Basis des Art. 23 Abs. 1 GG n.F. nicht möglich wäre. Geht man also davon aus, daß Art. 23 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG nicht die souveräne Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland vor Verfassungsänderungen schützt, so muß nach Ansicht der Bundesregierung gleichwohl der verfassungsändernde Gesetzgeber gem. Art. 79 Abs. 2 GG tätig werden, um im Grundgesetz die rechtlichen Voraussetzungen für die Ablösung des Grundgesetzes und die Einordnung in einen europäischen Bundesstaat zu schaffen. Folgt man hingegen der Auffassung, die Souveränität Deutschlands sei durch

140

Hilf, Stellungnahme der BReg vom 15. Januar 1993 zu den Verfassungsbeschwerden 2 BvR 2134/92 (Brunner) und 2 BvR 2159/92 (Europafraktion Die Grünen), abgedr. in: Winkelmann, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, S. 165, 186. 141 Art. 146 GG i.d.F von 1949: „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tag, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist." 142 Ygj a u c h i s e n s e e 9 in; Handbuch des Staatsrechts Bd. Vn, § 66 Rn. 68; a.A. wohl Kirchner/Haas, JZ 1993, 760, 762. 143 Vgl. Diskussion der Sachverständigen in der Gemeinsamen Verfassungskommission, Ausführungen unter D ΠΙ6.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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Art. 79 Abs. 3 GG vor Grundgesetzänderungen geschützt, so hat das deutsche Volk eine neue Verfassung zu beschließen, und sei es, daß in dieser Verfassung lediglich das Gebot zur Wahrung der Souveränität in Art. 79 Abs. 3 GG aufgehoben wird, damit der verfassungsändernde Gesetzgeber im oben dargestellten Sinne tätig werden k a n n . 1 4 4 Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nach Auffassung der Bundesregierung der Weg für eine europäische Verfassungsgebung frei, die nicht an dem Maßstab des Grundgesetzes, sondern allein nach den von der allgemeinen Verfassungslehre entwickelten Kriterien beurteilt werden müßte. 1 4 5

b) Struktursicherungsklausel Neben der Integrationsöffnung enthält Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zugleich eine Struktursicherungsklausel, nach der die Europäische Union demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleisten muß. M i t diesem verfassungsrechtlichen Anliegen wird ein Gedanke aufgegriffen, den das Schrifttum bereits im Rahmen des Art. 24 Abs. 1 GG erwogen h a t . 1 4 6 Die Verpflichtung zwischenstaatlicher Einrichtungen auf einen Kernbestand an Verfassungsprinzipien i.S.d. Art. 79 Abs. 3 GG wird insbesondere unter dem Gesichtspunkt gefordert, daß der Bürger nicht der Hoheitsgewalt eines supranationalen Rechtsregimes ausgeliefert sein soll, dessen Zielvorstellungen erheblich von der auf Rechtsstaatlichkeit, Freiheitlichkeit und Demokratie ausgerichteten Verfassung der Bundesrepublik abweichen. 147 Nicht durchsetzen konnte sich allerdings die Forderung nach „struktureller Kongruenz" der Verfassungen 148 . Um dem Vorwurf grundgesetzintrovertierten Denkens zu entgehen, verlangt die Verfassungslehre deshalb allenfalls ein gewis144

Daß der Verfassungsgeber nicht an Art. 79 Abs. 3 GG gebunden ist und die dort gezogenen Grenzen außer Kraft setzen kann, ist wohl die überwiegende Meinung in der Verfassungslehre; vgl. Evers, in: BK, Art. 79 Abs. 3 Rn. 116; v. Mangoldt/Klein, Bd. m, Art. 79 Anm. VI 2 b) cc); Maunz/Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 79 Rn. 26; Stern, Staatsrecht Bd. 1, S. 148 f. und 176; a.A. wohl Kirchhof, in: Handbuch des Staatsrechts Bd. I, S. 793. 145 Hilf, Stellungnahme der BReg vom 15. Januar 1993 zu den Verfassungsbeschwerden 2 BvR 2134/92 (Brunner) und 2 BvR 2159/92 (Europafraktion Die Grünen), abgedr. in: Winkelmann, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, S. 165, 205. 146 Vgl. Schiedermair, in: FS für Ziedler, S. 1031, 1055. 147 Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 57. 148 Kraus, in: Der Kampf um den Wehrbeitrag Bd. Π, S. 545, 550 ff.; Kruse, in: FS für H. Kraus, S. 112, 122 f.; Mangold/Klein, Bd. I, Art. 24 GG Anm. m 5 d).

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der Gemeinsamen Verfassungskommission

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ses Maß an „Homogenität der Wertevorstellung", wobei die Anforderungen je nach zwischenstaatlicher Einrichtung variieren können. 1 4 9 Die Frage nach den strukturellen Anforderungen an ein supranationales Rechtsregime wird nämlich um so dringender, je tatbestandlich weitreichender die betreffende Einrichtung Hoheitsrechte auf nationaler Ebene ausüben kann. Je höher der Grad der Betroffenheit der Bürger ist, desto wichtiger erscheint ein rechtsstaatlicher und demokratischer Unterbau der zwischenstaatlichen Einrichtung. Da die Europäischen Gemeinschaften seit Anbeginn in bisher einmaliger Weise mit einem ganzen Komplex von Hoheitsrechten ausgestattet sind, wird in der Verfassungslehre vorrangig die Homogenität der europäischen Gemeinschaftsverfassungen mit den Wertevorstellungen des Grundgesetzes geprüft. 1 5 0 Angesichts der nunmehr angestrebten beachtlichen Kompetenzerweiterungen durch den Maastrichter Vertrag stellte sich für die Gemeinsame Verfassungskommission die Frage, ob das Grundgesetz erstmalig ausdrücklich Anforderungen an die Strukturen der im Entstehen begriffenen Europäischen Union stellen sollte. Die Mehrheit der Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission und der geladenen Sachverständigen äußerten sich auch grundsätzlich positiv gegenüber einer Einbindung einer derartigen Staatszielund Struktursicherungsklausel in die neue Europanorm. 151 Der Vorsitzende Scholz erwog aufgrund der unsicheren Zukunft der Europäischen Union, deren endgültige Gestalt keiner vorhersagen könne, die Konkretisierung der deutschen Verfassung in zweierlei Hinsicht: Auf der einen Seite müsse die innerstaatlich-föderative Ordnung abgesichert werden; zum anderen sei auch eine Bestimmung notwendig, die die inhaltlich-strukturellen Erfordernisse an den europäischen Integrationprozeß aus deutscher Sicht bzw. aus Sicht des Verfassungsrechts aufzeige. 152 Die sich entwickelnde „Verfassungsstaatlichkeit" der Europäischen Union muß nach Auffassung von Scholz die Homogenität mit der nationalen Verfassungsstaatlichkeit des Grundgesetzes wahren, selbst wenn keine volle oder gar staatsorganisatorische Identität

149

Badura, VVDStRL 23 (1966), S. 34, 38; Erler, in: WDStRL 18 (1960), S. 7, 41 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 I, Rn. 34; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 57; a.A. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 24 Abs. 1, Rn. 106. 150 H.-P. Ipsen, in: FS Dürig, S. 159, 160 ff; Ress, in: GS für Geck, S. 625, 671; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 57; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 I Rn. 39. 151 Bieber, Stellungnahme, S. 6; Lepsius, Stellungnahme, S. 5; Lerche, Stellungnahme, S. 6; Randelzhofer, Stellungnahme, S. 4; ders., Fragenkatalog, S. 3; a.A. Stern, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 21, mit der Begründung, daß hinsichtlich der geforderten Strukturen in dem Unionsvertrag genügend enthalten sei, um eine derartige Klausel im Grundgesetz überflüssig erscheinen zu lassen. 152 Scholz (Vorsitzender), StenBer. 3. Sitzung, S. 21.

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gefordert werden könne. 1 5 3 Jedenfalls müsse das Grundgesetz die wesentlichen Elemente festhalten, die in Zukunft aus Sicht der deutschen Verfassungsordnung inhaltlich für das europäische Gebilde gelten sollen - gleichgültig, wohin der europäische Integrationsprozeß führt. 1 5 4 Die Abgeordnete Däubler-Gmelin (SPD) Schloß sich diesem Ansinnen mit der Bemerkung an, daß die Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG nicht nur für das deutsche Gemeinwesen gelten, sondern deren Bewahrung bei richtiger Auslegung auch von dem Gemeinwesen, dessen Teil die Bundesrepublik Deutschland ist, verlangt werden müsse. 155 Im Gegensatz zu der in der Gemeinsamen Verfassungskommission anklingenden politischen Forderung nach künftiger struktureller Kongruenz der Gemeinschaftsverfassungen, wiesen die Sachverständigen mit Nachdruck darauf hin, daß das richtige Verständnis der Klausel unerläßlich sei, um deren Rolle bei der Entwicklung der Europäischen Union gerecht zu werden. Isensee hob in der öffentlichen Anhörung am 22. Mai 1992 hervor, daß bei der Einführung einer Struktursicherungsklausel deutlich gemacht werden müsse, daß Europa nicht am deutschen Verfassungsstaat genesen soll und die Bundesrepublik Deutschland ihre Verfassungsmaßstäbe nicht der Europäischen Union aufoktroyieren w i l l . 1 5 6 „Die Bundesrepublik kann Europa und kann den übrigen Staaten nicht die Verfassungsstrukturen vorschreiben. Sie kann nur sich selbst binden und sagen, in welchen Homogenitätsvoraussetzungen sie sich weiter integriert." 1 5 7 Auch Randelzhofer vertrat die Ansicht, daß die Norm nicht von vornherein darauf abzielen könne, das vereinte Europa exakt auf die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Strukturen des Grundgesetzes festzulegen. „Das wäre auch ein ganz verfehlter 'Grundgesetzimperialismus'." 158 Im übrigen hat eine solche Struktursicherungsklausel nach Ansicht des Sachverständigen lediglich klarstellenden Charakter. 159 Der Integrationsgesetzgeber sei bereits jetzt aufgrund seiner Verfassungsbindung über Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, Hoheitsrechte nur dann zu übertragen, 153

Vgl. auch Scholz, NJW 1992, 2593, 2598. Scholz (Vorsitzender), StenBer. 3. Sitzung, S. 22. 155 Däubler-Gmelin (SPD), StenBer. 3. Sitzung, S. 23. 156 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 10 und S. 49. 157 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 49. 158 Randelzhofer, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 15 und 36. 159 Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 3; ebenso Tomuschat, Stellungnahme, S. 6; a.A. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 24 Abs. 1 Rn. 112 ff: Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F. sei konstitutiv, da Art. 24 GG keine Homogenität der Wertevorstellung auf Ebene der zwischenstaatlichen Einrichtung verlange. Die Behauptung, die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission seien ebenfalls davon ausgegangen, daß die Struktursicherungsklausel ein Novum gegenüber Art. 24 Abs. 1 GG darstellt, läßt sich jedoch nicht in dieser Absolutheit aus den Protokollen entnehmen. 154

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der Gemeinsamen Verfassungskommission

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wenn ein Mindestmaß an Homogenität auf der Ebene der zwischenstaatlichen Einrichtung gesichert ist. Dieses Verständnis der derzeitigen Verfassungslage ergebe sich aus dem von dem Bundesverfassungsgericht in dem Solange II-Beschluß für den Bereich der Grundrechte entwickelten Grundsatz, daß die Sicherung der Verfassungslage nur dann entfallen dürfe, wenn auf Ebene der zwischenstaatlichen Einrichtung eine nach Inhalt und Wirksamkeit im wesentlichen gleiche Grundrechtslage gewährleistet i s t . 1 6 0 Nach Auffassung von Randelzhofer dürfte sich dieser Grundsatz in bezug auf die anderen Verfassungsprinzipien verallgemeinern lassen, was jedoch der Einführung einer Struktursicherungsklausel, die bereits aus Gründen der Verfassungsklarheit begrüßenswert sei, nicht entgegen stehe. Trotz der grundsätzlich positiven Resonanz gegenüber der Einführung einer Struktursicherungsklausel warnten die Sachverständigen einhellig vor überhöhten Erwartungen hinsichtlich des Nutzens einer solchen Bestimmung. Der Sachverständige Randelzhofer wies darauf hin, daß die Klausel keinesfalls die Organe der Europäischen Union binden könne: „Eine Schranke kann diese Norm nur gegenüber der deutschen Regierung und dem deutschen Parlament in der Weise sein, daß sie von diesen zum Zeitpunkt der Übertragung der Hoheitsrechte zu beachten ist, und von einer Übertragung abzusehen ist, wenn die Europäische Union nicht diesen Grundsätzen entspricht. Sehen dies die anderen Mitgliedstaaten anders, dann wird durch diese Struktursicherungsklausel nicht verhindert, daß Deutschland unter erheblichen politischen Druck kommt, ja darüber hinaus sich evtl. durch die Kommission einem Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt sieht." 1 6 1 Zur Veranschaulichung des begrenzten Schutzes, den die Struktursicherungsklausel bieten kann, zeigte Scharpf die verschiedenen Deutungen der Verpflichtung deutscher Staatsgewalt durch die Staatsziel- und Struktursicherungsklausel a u f : 1 6 2 Sie kann nach Auffassung des Sachverständigen im Sinne einer bloßen Bemühungspflicht der deutschen Staatsgewalt zu verstehen sein, im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die künftige Entwicklung der europäischen Verfassungsordnung bzw. die Ausübung der bereits auf europäische Ebene übertragenen Kompetenzen einzuwirken, damit diese den Kriterien des Art. 79 Abs. 3 GG weitgehend entsprechen. Eine derartige Interpretation sei, so Scharpf unproblematisch, ja fast selbstverständlich. Dementsprechend wäre dann aber auch die Klausel in ihrer Wirkung beschränkt. Die Struktursicherungsklausel könne jedoch auch im Sinne einer Unterlassungspflicht dahingehend interpretiert werden, daß

160

Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 3. Randelzhofer, Stellungnahme, S. 4 unter Bezugnahme auf BVerfGE 73, 339, 376; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 15; ebenso Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 49. 162 Scharpf, Stellungnahme, S. 2. 161

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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künftige Kompetenzübertragungen und Vertragsergänzungen zu verweigern sind, solange die europäische Verfassungsordnung nicht den deutschen Grundsätzen entspricht. 163 In diesem Fall wäre die Klausel darauf gerichtet, die Anwendung der hier geltenden Maximen auch auf europäischer Ebene zu sichern. Schließlich könne sie, so Scharpf als Verhinderungspflicht die Ausübung europäischer Kompetenzen und die Anwendung europäischen Rechts auf deutschem Boden verhindern, wenn die deutschen Verfassungsgrundsätze nicht gewahrt werden. Dies würde in erster Linie die Abwehr europäischer Interventionen und die Sicherung des deutschen Status quo bedeuten. 164 In der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde die Funktion der Struktursicherungsklausel primär in der Begrenzung der Zustimmungsfahigkeit zu neuen Hoheitsrechtsübertragungen gesehen. 165 Alle Verfassungsorgane - namentlich Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung - sollen verpflichtet werden, sich für die Verwirklichung der Strukturmerkmale einzusetzen und weitere Integrationsschritte von ihrer Realisierung abhängig machen. 1 6 6 Der verfassungsrechtliche Auftrag der europäischen Integration in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. GG n.F. wird nach dem Willen der Kommissionsmitglieder damit ausdrücklich einer relativen Schranke unterworfen, die je nach Entwicklung der Europäischen Union mehr oder minder greifen kann. In diesem Sinne verstanden kann die Struktursicherungsklausel - angesichts der gegenwärtigen Strukturen der Europäischen Union - durchaus zu einer Verlangsamung des künftigen Integrationsprozesses führen.

aa) Das Rechtsstaatsprinzip Aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergibt sich das Bekenntnis des Grundgesetzes zum Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Der Grundsatz besagt, daß die deutsche 163

Vgl. Berichterstatter Möller (CDU/CSU), Arbeitsunterlage Nr. 64 S. 3; ders., StenBer. 3. Sitzung, S. 7; Randelzhofer, Stellungsnahme S. 4; Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 10 und 49; ebenso W. Fischer, ZParl 1993, 32, 38, der in der Verbindung der Hoheitsrechtsübertragung mit der Struktursicherungsklausel durch das Wort „hierzu" (Art. 23 I 2 GG n.F.) eine entsprechende Schranke für die Hoheitsrechtsübertragung erblickt; Ossenbühl, DVB1. 1993, 629, 633. 164 Vgl. Isensee, 1. Öffentliche Anhörung, S. 49; Berichterstatter Möller (CDU/ CSU), Arbeitsunterlage Nr. 64, S. 3. 165 Schnoor (NRW), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992 „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 3 f.; ders., StenBer. 7. Sitzung, S. 5; amtliche Begründung der BReg zum Gesetzesentwurf zu Art. 23 GG n.F., in: BT-Dr 12/3338, S. 6; vgl. auch Merten, Die Subsidiarität Europas S. 75, 86 f. 166 Schnoor (NRW), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992 „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 4.

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der Gemeinsamen Verfassungskommission

Staatsgewalt durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird und diese an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden sind. Die Gesetzesbindung muß von den Bürgern im Wege eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) durchgesetzt werden können. Auch wenn bei einer Organisation mehrerer Staaten nicht die Perfektion eines mitgliedstaatlichen Rechtsschutzsystems verlangt werden kann, so sind doch auf dem Gebiet der Gewährleistung einer unabhängigen richterlichen Gewalt - dem EuGH - die Europäischen Gemeinschaften ihren Mitgliedstaaten fast ebenbürtig. 167 Der Europäische Gerichtshof hat zudem im Lauf seiner Rechtsprechung rechtsstaatliche Grundsätze wie die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, den Vertrauensschutz und die Verhältnismäßigkeit eingeführt 1 6 8 und damit die bereits in den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaften angelegten rechtsstaatlichen Elemente, wie z.B. das System begrenzter Handlungsermächtigung und die Kompetenzverteilung auf verschiedene Organe, ergänzt. Die Einflußnahme der Bundesrepublik Deutschland auf eine mit dem innerstaatlichen Rechtsstaatsprinzip harmonisierende Entwicklung der europäischen Hoheitsgewalt sowie die Abwehr der Verletzung dieses Prinzips durch europäische Rechtsetzung erscheint nach alledem aus Sicht des Sachverständigen Scharpf unproblematisch. 169 Die Geltung des Rechtsstaatsprinzips für die nationale und die europäische öffentliche Gewalt würde gleichermaßen von allen Mitgliedstaaten akzeptiert und dessen Einhaltung könne nach den Solange-Urteilen des Bundesverfassungsgerichts im Grundsatz noch von den nationalen Gerichten überprüft werden. 1 7 0 Auch Tomuschat sah in der Rechtsstaatlichkeit einen Wert, zu dem sich sämtliche Länder der Europäischen Gemeinschaften in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in anderen internationalen Akten, wie die KSZE-Dokumente, bekennen. Insofern sei ein Hinweis auf dieses Prinzip in der Struktursicherungsklausel begrüßenswert. 171

bb) Das Sozialstaatsprinzip Das Sozialstaatsprinzip, d.h. das Postulat der sozialen Gerechtigkeit in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, dem der Staat nach Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet ist, erscheint dagegen - nach Einschätzung des Sachverständigen Scharpf - auf europäischer Ebene in absehbarer Zeit nicht zu ver167

Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 59. Vgl. Pernice, in: Grabitz, EWG-Vertrag, Art 164 Rn. 88 f. 169 Scharpf, Stellungnahme, S. 2. 170 BVerfGE 37, 271 ff. (Solange-I-Beschluß); 73, 339 ff. (Solange-H-Beschluß); vgl. in diesem Zusammenhang Ausführungen unter G Π. 171 Tomuschat, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 22. 168

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes wirklichen zu sein. 1 7 2 Zwar haben die Mitgliedstaaten dem Maastrichter Vertrag ein Protokoll über die Sozialpolitik beigefügt, in dem sie sich der Erreichung eines angemessenen sozialen Schutzes, der Verbesserungen von Lebens· und Arbeitsbedingungen und dem sozialen Dialog verschrieben haben. Beigetreten sind diesem Abkommen, das zu einer wesentlichen Erweiterung der gemeinschaftlichen Rechtsetzungsbefugnis im Bereich der Sozialpolitik führt, jedoch nur elf Mitgliedstaaten - Großbritannien Schloß sich der Übereinkunft nicht an. Scharpf sah aufgrund der Unterschiede in den sozialen Sicherungssystemen, in den Arbeitsbedingungen und in der wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Mitgliedstaaten keine Möglichkeit, einen Sozialstaat nach deutschem Muster auf europäischer Ebene zu errichten. 173 Dementsprechend sei die einzige Möglichkeit eines Nutzens in der Abwehrverpflichtung der Bundesrepublik zu sehen, die Verletzung wesentlicher Errungenschaften des deutschen Sozialstaates - z.B. durch Harmonisierung des Systems auf dem kleinsten europäischen Nenner - zu verhindern. 174 Die Bundesregierung interpretierte in ihrer amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs zu Art. 23 GG die Struktursicherungsklausel ebenfalls dahingehend, daß keine Verpflichtung bestehe, die Europäische Union auf das weitgehend durch den einfachen Gesetzgeber gestaltete Niveau der deutschen Sozialstaatlichkeit zu lenken. 1 7 5 M i t einem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtshofes 176, wonach das Sozialstaatsprinzip lediglich einen zwingenden Auftrag für den Gesetzgeber enthält, Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein der Bürger zu schaffen, machte die Bundesregierung gleichzeitig ihre Position deutlich: Die sozialen Errungenschaften, wie sie derzeit in der Bundesrepublik Deutschland bestünden, könnten mangels Verfassungsrang sehr wohl eine Modifizierung durch das europäische Recht erfahren. Eine Verhinderung von Eingriffen in das deutsche System wäre dann nur im Kernbereich geboten.

172 173 174 175 176

Scharpf, Stellungnahme, S. 2; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 16. Scharpf, Stellungnahme, S. 2. Scharpf, Stellungnahme, S. 3. BReg, in: BT-Dr 12/3338, S.7. BVerfGE 82, 60, 80.

Ι . Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission cc) Das Demokratieprinzip 177 Besondere Bedeutung erhält die verfassungsrechtliche Struktursicherung bei dem Demokratieprinzip. Der Satz „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) bezeichnet den Grundsatz der Volkssouveränität. Jedes Organ staatlicher Gewalt und jede Ausübung der Staatsgewalt muß ihre Grundlage in der Entscheidung des Volkes durch periodische Wahlen der Volksvertretung finden. Diese Wahlen vermitteln die demokratische Legitimation der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. 1 7 8 Dieses auf den Nationalstaat zugeschnittene Verständnis von Demokratie läßt sich derzeit nur schwerlich auf die Europäischen Gemeinschaften übertragen. Die Gründungsverträge haben das Recht zum Erlaß von Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen bei dem Ministerrat konzentriert. 179 Dementsprechend ist es nicht möglich, eine umfassende Gesetzgebungsbefügnis des direkt gewählten Europäischen Parlamentes aus den Gründungsverträgen abzuleiten. Der Ministerrat ist jedoch lediglich indirekt durch die im Ministerrat vertretenen nationalen Regierungen demokratisch legitimiert. 1 8 0 Da die Fähigkeit einer Organisation, mit unmittelbarer Wirkung Normen zu setzen, als Korrelat verlangt, daß der davon betroffene Bürger formell auf die Normsetzung Einfluß nehmen kann, gehören unmittelbare Wahlen des Gesetzgebungsorgans zum Kern des Demokratieprinzips. 181 Dieses Verständnis ergibt sich auch aus internationalen Akten wie Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention. In diesem Sinne wiesen die Europäischen Gemeinschaften mit dem Ministerrat als lediglich indirekt demokratisch legitimiertes Gesetzgebungsorgan schon vor der Europäischen Union ein erhebliches Demokratiedefizit auf, das jedoch - gemessen an dem damaligen Integrationsstand - überwiegend als vorläufig hinnehmbar akzeptiert w u r de.182 Angesichts der nunmehr erreichten Integrationsdichte wurde in der Gemeinsamen Verfassungskommission dann auch bemängelt, daß das in den Gründungsverträgen angelegte Demokratiedefizit der Europäischen Gemein177

Vgl. hierzu auch BVerfGE 89, 155 ff. (Maastricht-Entscheidung); siehe Ausführungen unter G E I . 178 Badura, Staatsrecht D 6. 179 Ausnahme ist der EGKSV, der die meisten Entscheidungsbefugnisse der Kommission überträgt. 180 Scharpf, Stellungnahme, S. 7. 181 Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 4. 182 Badura, VVDStRL 23 (1966) S. 34, 72 ff.; Fuß, DÖV 1964, 577, 583; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 VI Rn. 92; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 60. 5 Schmalenbach

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes Schäften mit dem Verhandlungsergebnis von Maastricht nicht in zufriedenstellendem Maße behoben werden konnte. 1 8 3 Daß diese Einschätzung durchaus berechtigt ist, zeigt sich bei näherer Betrachtung der vorgenommenen institutionellen Reformen. In demokratischer Hinsicht positiv zu vermerken ist insbesondere die Einführung eines neuen Verfahrens der Mitentscheidung nach § 189 b EGV, das in seiner Konzeption an das Verfahren bei Zustimmungsgesetzen im Grundgesetz erinnert. Dem Parlament wird hier ein echtes Mitentscheidungsrecht neben dem Rat eingeräumt, indem Rechtsakte nur noch zustande kommen, wenn ihnen das Parlament nicht mit Mehrheit widerspricht. Ein Vermittlungsausschuß soll für Annäherung konträrer Positionen von Rat und Parlament sorgen, jedoch gilt der Rechtsakt als gescheitert, wenn kein Konsens erzielt werden kann. Diese entscheidende Einflußnahme des Europäischen Parlaments auf die Rechtsetzung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Anwendungsbereich des Mitentscheidungsverfahrens eingegrenzt ist und wesentliche Bereiche wie die Landwirtschaft, die den weitaus größten Teil der gemeinschaftlichen Rechtsetzung beansprucht, ausspart. Ist damit auch die frühere Beschränkung der Befugnisse des Europäischen Parlaments auf Beratungs- und Kontrollbefugnisse (Art. 137 EWGV) aufgegeben worden, so besteht dennoch weiterhin keine parlamentarische Allzuständigkeit im Gesetzgebungsverfahren. Begründet worden sind nur Initiativ-, Gesetzgebungs- und Kontrollrechte im Rahmen enumerativer Befugniszuweisung (Art. 138 b Satz 1 EGV). Das neu eingeführte mittelbare Initiativrecht gem. Art. 138 b Satz 2 EGV gibt dabei dem Parlament ausschließlich die Möglichkeit, die Kommission zur Unterbreitung von Vorschlägen zu Gemeinschaftsregelungen aufzufordern, ohne ihm zugleich ein inhaltliches Weisungsrecht gegenüber der Kommission und damit Einfluß auf die Ausgestaltung des gemeinschaftlichen Sekundärrechts einzuräumen. Nach alledem stellt sich angesichts der erreichten Qualität und Quantität gemeinschaftlicher Rechtsetzung durch den Ministerrat die Frage, welche Anforderungen das Gebot der strukturellen Homogenität an die demokratische Legitimation gemeinschaftlicher Gesetzgebung stellt. In der Verfassungsdiskussion herrschte insoweit großes Einvernehmen darüber, daß die Verwirklichung des Demokratieprinzips in den europäischen Gemeinschaften die möglichst rasche Erweiterung der gesetzgeberischen Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments verlangt. 1 8 4 „[Um] die Demokratie als Anforderung der Eu183

Pechel-Gutzeit (Hamburg), StenBer. 3. Sitzung, S. 19; Geißler (CDU/CSU), StenBer. 3. Sitzung, S. 18. 184 Bieber, Stellungnahme, S. 10; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 5 und 44; Fuchs (SPD), StenBer. 3. Sitzung, S. 11; Peschel-Gutzeit (Hamburg), StenBer. 3. Sitzung, S. 19; Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 4; Stern, Stellungnahme, S. 12; Tomuschat, Gutachten für die SPD-Fraktion, S. 33 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor); Verheugen (SPD), StenBer. 2. Sitzung, S. 30.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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ropäischen Union zu formulieren und entsprechend auf konsequente Korrekturen des Mangels in den Verträgen zu drängen" 1 8 5 , befürwortete der Sachverständige Bieber eine Struktursicherung in der vorgeschlagenen Art. Er sah dabei die Beseitigung des derzeitigen Defizits nicht notwendigerweise in der Einführung einer alleinigen Entscheidungskompetenz des Parlaments. Das Demokratieprinzip gebiete vielmehr als Mindeststandard ein grundlegendes Mitentscheidungsrecht des europäischen Parlaments über die Gesetzgeb u n g . 1 8 6 Scharpf sah dementgegen die Lösung nicht in erster Linie in der Erweiterung der legislativen Kompetenz des Europäischen Parlaments. 187 Dies brächte zunächst einmal nur eine weitere Hemmung in den europäischen Entscheidungsprozeß. Da aber ein Bedürfnis nach Handlungsfähigkeit in der europäischen Politik bestünde, sei Europa noch für lange Zeit darauf angewiesen, daß demokratisch legitimierte nationale Regierungen die Verantwortung für das übernehmen, was in Europa geschieht. Statt dessen kann nach Auffassung des Sachverständigen der Kommissionspräsident unmittelbar durch Wahlen im Europäischen Parlament legitimiert werden. 1 8 8 Dies würde sowohl die Position des Parlaments, als auch die Autorität der Kommission aufwerten. Im übrigen warnte Scharpf davor, die Aufgabe der Sicherung des Demokratieprinzips auf europäischer Ebene allein in der Stärkung des Europäischen Parlaments zu sehen. Demokratische Legitimation erfordert seines Erachtens mehr als die Anwendung parlamentarischer Mehrheitsregeln. 189 Sie verlange darüber hinaus, daß der jeweils unterlegenen Minderheit zugemutet werden kann, die Entscheidung der Mehrheit zu akzeptieren. Dies setze jedoch ein gewisses Maß an politischer Identität, an Solidarität und Identifikation mit dem Gemeinwesen voraus, was die Europäische Union bei dem gegenwärtigen Stand der Integration jedoch noch nicht auf sich vereinen könne. 1 9 0 Allerdings räumte Scharpf ein, daß eine derartige demokratische Legitimation auf europäischer Ebene ein wünschenswerter Endzustand sei, der einen bereits erfolgreich abgeschlossenen Prozeß der politischen Integration voraussetze. 191 Daher ist seiner Ansicht nach das vordringliche Problem, wie ein dahingehen-

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Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 45. Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 44. 187 Scharpf, Stellungnahme, S. 10; zustimmend Ossenbühl, DVB1. 1993, 629, 633. 188 Der Maastrichter Vertrag regelt die Ernennung der Kommissionsmitglieder und des Präsidenten in Art. 158 Abs. 2 EGV. Danach benennen die Regierungen der Mitgliedstaaten einen Präsidenten nach Anhörung des Parlaments. Die Ernennung des Präsidenten und der übrigen Kommissionsmitglieder bedarf der Zustimmung durch das Parlament. Damit können die Mitgliedstaaten die Kommission nicht gegen den Willen des Europaparlaments einsetzen. 189 Scharpf, Stellungnahme, S. 5. 190 Scharpf, Stellungnahme, S. 5; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 17. 191 Scharpf, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 34. 186

5*

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes der Prozeß in Gang gebracht werden k a n n . 1 9 2 Auch der Sachverständige Isensee warnte davor, das Demokratiedefizit schematisch zu beklagen: Das Europäische Parlament sei keine europäische Volksvertretung, sondern eine Vertretung der europäischen Völker. Bereits der Umstand, daß keine Gleichheit der Wahlen gegeben sei, zeige die noch fehlende politische Einheit, die ein unitarisches europäisches Volk ausmache. 193 Die Bundesregierung zeigte sich der Forderung der Gemeinsamen Verfassungskommission, das Demokratiedefizit der Gemeinschaften abzubauen, im Grundsatz nicht verschlossen. 194 Sie verwies allerdings in ihrer Begründung des Gesetzentwurfs zur Einführung des Art. 23 GG n.F. darauf hin, daß der derzeitige Stand der Integration die bemängelte Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zugunsten des Ministerrates erlaube. Mangels Staatsqualität der Europäischen Union könnten die Anforderungen an den Umfang der parlamentarischen Rechtssetzungsgewalt nicht identisch sein mit denen der mitgliedstaatlichen Parlamente. Sollte die Ausstattung des Europäischen Parlaments mit Kompetenzen eines staatlichen Parlaments erfolgen, hätte dies zugleich die Veränderung des Rechtsstatus der Europäischen Union hin zu einem europäischen Bundesstaat zur Folge. 1 9 5 Gleichwohl räumte die Bundesregierung ein, daß trotz allem ein Anpassungsbedarf bestünde: „Weitergehende Integrationsschritte könnten freilich entsprechende Änderungen der institutionellen Rahmenbedingungen in der Europäischen Union verlangen: Fortschreitende Integration erfordert entsprechende Fortschritte bei der Umsetzung der in der Strukturklausel enthaltenen Prinzipien." 1 9 6

dd) Föderalismus Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind überwiegend zentralistisch organisiert. Dennoch sind in einigen Staaten Tendenzen auszumachen, die erhebliche Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Föderalismusprinzip aufweisen. So hat 1978 Spanien siebzehn Gebiete mit garantierten Rechten auf Autonomie, eigene Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen eingeführt. Italien stattet in seiner Verfassung fünf Regionen mit erheblich mehr Kompe192

Scharpf, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 34; ders., Stellungnahme, S. 9 f. Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 43. 194 BReg, in: BT-Dr 12/3338, S 6. 195 So auch ein Großteil der Literatur: Di Fabio, Der Staat 1993, 191, 202 f.; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 24 I Rn. 106; Streinz, DVB1. 1990, 949, 959; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 55 f.; Kokott, AöR 119 (1994), S. 207, 217; Magiera, in: FS für U. Everling, S. 789, 798 f.; a.A. Classen, AöR 119 (1994), S. 239, 255. 196 BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 6. 193

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission tenzen aus, als den übrigen fünfzehn Regionen mit ihrem Normalstatut zukommen (Art. 114 - 133 C I ) . 1 9 7 Eine Sonderstellung nimmt hier Belgien ein. Nachdem auf die drei Regionen Flandern, Wallonien und Brüssel Kompetenzen übertragen wurden, die ursprünglich der Zentralstaat wahrgenommen hatte, hat am 23. April 1993 das belgische Parlament nach insgesamt 34 Verfassungsänderungen den Übergang vom Einheits- zum Bundesstaat gewagt. Das bundesdeutsche System zeichnet sich - wie seit jüngster Zeit auch das belgische - gegenüber den anderen genannten Staaten durch eine Besonderheit aus: die Regionen bilden keine Staaten mit eigener verfassungsgebender Gewalt. Im Gegensatz dazu besitzen in der Bundesrepublik Deutschland sowohl der Bund als auch die Länder eigene Staatlichkeit. 198 Auch sind die Bundesrepublik Deutschland und Belgien - seit dem 1. Januar 1995 auch Österreich die einzigen Staaten in der Gemeinschaft, die sich in ihrer Verfassung als Bundesstaat bezeichnen und dies auch als verfassungsrechtliches Strukturund Organisationsprinzip garantieren. Da in Europa - trotz der vereinzelt vorhandenen Dezentralisierungsbestrebungen - die Zentralstaatlichkeit dominiert, wies die Bundesregierung in ihrer amtlichen Stellungnahme zu Art. 23 darauf hin, daß die Sicherung föderaler Strukturen in der Europäischen Union in keinem Fall als Verpflichtung der Mitgliedstaaten verstanden werden kann, den Grundsatz bei ihrem eigenen innerstaatlichen Aufbau zu beachten. 199 Weit weniger ablehnend äußerte sich hingegen Minister Schnoor (NRW) gegenüber einer derartigen Interpretation der Klausel: „Ein Europa der Regionen wird es nur geben, wenn wir dabei auch unsere Erfahrungen, die wir in Deutschland mit dem Föderalismus haben, auf Europa übertragen können. (...) Ich glaube, das föderative Prinzip wäre so eine Erfahrung, die man durchaus anderen nahebringen könnte, deren Bewußtsein und deren Realitäten mehr auf zentralistische Tendenzen gerichtet s i n d . " 2 0 0 Der Sachverständige Scharpf bezeichnete indes die Hoffnung der Länder auf die interne Föderalisierung der europäischen Zentralstaaten im Wege der Einrichtung des Regionalausschusses (Art. 198 a-c EGV) angesichts der Heterogenität binnenstaatlicher Strukturen innerhalb der Gemeinschaften als wenig realistisch: „Großbritannien und Frankreich werden sich von der

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263 ff.

Umfassende Darstellung in Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt S.

198 Die Staatsqualität der dt. Bundesländer ergibt sich u.a. aus Art. 30 GG und Art. 74 Nr. 8 GG (Staatsangehörigkeit in den Ländern) vgl. BVerfGE 1, 14, 34; 36, 342, 360; 60, 175, 207. 199 BReg, in: BT-Dr 12/ 3338, S. 6; ebenso Scharpf, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 16. 200 Schnoor (NRW), StenBer. 2.Sitzung, S. 38.

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

Union so wenig föderalisieren lassen wie die Bundesrepublik (oder jedenfalls die deutschen Länder) sich zentralisieren lassen wollen." 2 0 1 Das Föderalismusprinzip in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F. erlangt auf verfassungsrechtlicher Ebene seine wesentliche Bedeutung in zweierlei Hinsicht: zum einen kann es sich hierbei um die Verpflichtung handeln, die derzeitigen föderativen Strukturen der Europäischen Gemeinschaften zu bewahren; zum anderen kann die Struktursicherung die Funktion erfüllen, europäischen Einwirkungen auf den binnenstaatlichen Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland abzuwehren. Scharpf sah in der Sicherung föderativer Strukturen auf Gemeinschaftsebene jedenfalls dann das geringere Problem, wenn man die Mitwirkung der zwölf Regierungen an den Entscheidungen auf zentraler europäischer Ebene als föderalistisch i.S.d. Grundgesetzes bezeichnet. 202 Eine föderale Ordnung bedeutet die Existenz „doppelter Entscheidungszentren" oder - im staatsrechtlichen Sinne - Teilhabe von Bund und Länder an staatlichen Funktionen und Finanzen. 2 0 3 Insofern ist in den Europäischen Gemeinschaften eine föderale Grundstruktur angelegt: Die Gemeinschaftsorgane sind mit unmittelbaren, auf Bürger und Mitgliedstaaten durchgreifenden Kompetenzen ausgerüstet bei gleichzeitigem Fortbestand der Mitgliedstaaten mit ebenfalls eigenen Zuständigkeiten. 204 Neben dieser Funktionsteilung ist zudem die Partizipation eines föderativen, von den Gliederstaaten beschickten Organs an der Willensbildung des Gesamtstaates Ausdruck föderativer Ordnung. 2 0 5 Scharpf sah diesbezüglich das föderale Prinzip im Verhältnis der Union zu ihren Mitgliedstaaten als völlig ungefährdet an. Gerade die unangefochtene Mitwirkung der Regierungen der Mitgliedstaaten an den Entscheidungen der zentralen Ebene, also die föderalen Elemente, schaffe ja das Verfassungsproblem des Demokratiedefizits. 206 In diesem Sinne verstanden, erscheint die vom Grundgesetz angestrebte Verpflichtung der Europäischen Union auf föderative Strukturen nicht besonders problematisch. Fragen warf allein die zu wählende Terminologie auf. Entsprechend der von den Sachverständigen in der Gemeinsamen Verfassungskommission betonten Maxime, daß die mit der Struktursicherungsklausel verbundene Einflußnahme der Bundesrepublik Deutschland auf 201

Scharpf, Stellungnahme, S. 4. Scharpf, Stellungnahme, S. 3. 203 Stern, Staatsrecht Bd. I, S. 657. 204 Stern, Staatsrecht Bd. I, S. 650; ders., Stellungnahme, S. 9: die Europäische Union weist „präföderale" Züge auf. 205 BVerfGE 8, 104, 120; Ermacora, Allg. Staatsrechtslehre 2. Tbd. 1970, S. 656; Strauß, in: GS für Jellinek S. 113, 116, bezeichnet den Bundesrat als „Schlüsselpunkt des föderalistischen Prinzips". 206 Vgl. Ausführungen unter D m 2 b/dd. 202

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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den europäischen Integrationsprozeß nicht im Sinne einer Aufoktroyierung der grundgesetzlichen Prinzipien verstanden werden dürfe, sollte keinesfalls der Eindruck erweckt werden, daß das grundgesetzliche Bundesstaatsprinzip den Anspruch eines staatsorganisatorischen Maßstabes für die künftige Entwicklung der Europäischen Union erheben wolle. Um dies zu verdeutlichen, kam die Gemeinsame Verfassungskommission zu dem Ergebnis, anstelle des Wortes „Bundesstaatlichkeit" den Begriff „föderativ" als das zugrundeliegende politische Prinzip für die Struktursicherungsklausel zu wählen. 2 0 7 Ein weiterer Schwerpunkt der Sicherung föderaler Strukturen im Sinne der Struktursicherungsklausel liegt im Schutz des binnenstaatlichen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Die Europäischen Gemeinschaften nehmen in ihren Gründungsverträgen auf die territoriale Untergliederung ihrer Mitgliedstaaten keinen Bezug. 2 0 8 Diese „Landes-Blindheit", wie H.P. Ipsen 209 die Rechtslage bezeichnet, wird auch durch den Maastrichter Vertrag nicht völlig beseitigt. Der Vertrag enthält das grundsätzliche Gebot, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten (Art. F EUV). Oppermann/Classen 210 sehen dieses Postulat im Hinblick auf die föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland an zwei Stellen des Unionsvertrages konkretisiert, in denen die Gemeinschaften erstmalig vertikale Gliederungen im Staatsaufbau ihrer Mitglieder zur Kenntnis nehmen: Art. 146 EGV läßt künftig auch Minister zu, die nicht der Zentralregierung angehören, und eröffnet somit die Möglichkeit, Landesminister nach Brüssel zu schicken. Mit dem neu eingerichteten Regionalausschuß (Art. 198 a-c EGV) ist nunmehr auch für Vertreter der deutschen Landtage eine Möglichkeit geschaffen worden, an dem europäischen Integrationsprozeß - wenn auch nur in einer beratenden Funktion - teilzunehmen. Diese Ansätze von Kenntnisnahme auch deutscher Verfassungsstrukturen im Gemeinschaftsrecht können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch nach Maastricht an einer ausdrücklichen Berücksichtigung der föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland fehlt. Welches Verständnis die Gemeinsame Verfassungskommission der Verpflichtung der Europäischen Union auf föderative Strukturen hier beimißt, läßt sich nicht eindeutig ersehen. Daß sich die Bundesrepublik Deutschland mit Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F. ausdrücklich zu einem dreistufigen Aufbau der Europäischen Union - d.h. die Gliederung in eine europäische Zentralebene, eine Ebene der Mitgliedstaaten und eine der Gliederstaaten - bekennt, dürfte außer Frage ste-

207 208

Scholz, NJW 1992, 2593, 2599. Nur Art. 68 Abs. 3 EWGV erwähnt die „Gebietskörperschaften" der Mitglied-

staaten. 209

H.-P. Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, in: FS für Hallstein, S. 248,

256.

210

Oppermann/Classen, NJW 1993, 5, 8 f.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes h e n . 2 1 1 Täte sie dies nicht, würde sie auf längere Sicht unweigerlich mit ihrer eigenen Verpflichtung auf föderative Strukturen in Konflikt geraten. Welche Anforderungen diese bundesdeutsche Sichtweise allerdings konkret an den europäischen Integrationsprozeß - insbesondere die künftige europäische Verfassung - stellen soll, bleibt ungewiß. Vom Standpunkt der Länder aus erfolgt die Deutung Minister Schnoors (NRW), daß die Verpflichtung der Europäischen Union auf föderative Strukturen der Tatsache Rechnung trägt, daß auch ein „Europa der Regionen" angestrebt w i r d . 2 1 2 Unter diesem Schlagwort verbergen sich die bereits seit längerem bestehenden Bestrebungen der Länder, Regionen und autonomen Gemeinschaften Europas, die Verfassung der Europäischen Union dreistufig zu gestalten. Ziel ist es, in der künftigen europäischen Verfassung neben einer durch Subsidiarität bestimmten Aufgabenverteilung gleichzeitig die Teilnahme der Länder, Regionen und Nationalstaaten an der politischen Willensbildung der gesamteuropäischen Zentralebene sicherzustellen. 213 Der Bundesrat hat der Forderung nach klarer Unterscheidung der drei Ebenen in der künftigen europäischen Verfassung bereits im Vorfeld der Verhandlungen in Maastricht Ausdhick verliehen. 214 Die Vertreter des Bundes in der Gemeinsamen Verfassungskommission vertraten dementgegen eine abgeschwächtere und politisch flexiblere Position hinsichtlich der zu verlangenden Strukturen der Europäischen Union. In dem Vorschlag der SPD zur Ausgestaltung des Art. 23 Abs. 1 GG sollte es lediglich heißen: „Die Bundesrepublik Deutschland wirkt (...) an der Schaffung der Europäischen Union mit, deren Ordnung (...) die bundesstaatlichen Ordnungen ihrer Mitgliedstaaten achtet." 2 1 5 Auch die Bundesregierung sah in der Klausel weniger die Verpflichtung der Europäischen Union, sich einen dreistufigen Aufbau zu geben, als vielmehr die Bedingung, „... föderative Strukturen ihrer Mitgliedstaaten angemessen zu berücksichtigen , . . " 2 1 6

211

Vgl. Scholz, NJW 1992, 2593, 2599; Fischer, ZParl 1993, 32, 38 f. Schnoor (NRW), StenBer. 8. Sitzung, S. 6. 213 Vgl. Abschlußerklärung der Konferenz „Europa der Regionen" vom 19. Okt. 1989 in München (abgedr. in: Bauer, Europa der Regionen 1991, S. 13 ff.), zu der Vertreter von Ländern, Regionen und autonomen Gemeinschaften aus den Mitgliedstaaten geladen wurden; vgl. auch Entschließung des Europäischen Parlaments zur Europäischen Regionalpolitik der Gemeinschaften und der Rolle der Regionen, ABl. der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Dez. 1988 Nr. C, 326, 289 ff ; zur Entwicklung der Länderbeteiligung in EG-Angelegenheiten seit 1957 vgl. Neßler, EuR 1994, 216, 218 ff. 214 Entschließung des Bundesrates zum föderativen Aufbau Europas im Rahmen der Politischen Union, in: BR-Dr 780/90 (Beschluß). 215 Verheugen (SPD), StenBer. 7. Sitzung, S. 7; vollständiger Abdruck des SPDVorschlages unter D ΠΙ 4 c. 216 BReg, in: BT-Dr 12/3338. 212

Ι . Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission Der Sachverständige Scharpf teilte diese Zurückhaltung angesichts der politischen Realitäten. Er bezweifelte, daß es gelingen könne, auf die Entwicklung der Europäischen Union dahingehend einzuwirken, daß diese ausdrücklich die föderativen Strukturen der Bundesrepublik anerkennt. Der Klausel könne in Anbetracht der Heterogenität binnenstaatlicher Strukturen in der Zwölfergemeinschaft lediglich eine Abwehrfunktion gegen eine Verletzung des föderativen Prinzips durch europäische Kompetenzausübung zukommen, indem die Union verpflichtet wird, die föderative Struktur der Bundesrepublik Deutschland zu respektieren. 217 Bezogen auf die künftige Entwicklung der Europäischen Union gab Scharpf deshalb zu bedenken, daß angesichts der dominierenden Einheitsstaatlichkeit ihrer Mitglieder die Entwicklung eines drei- oder vierstufig konzipierten europäischen Bundesstaates, wie es die Bundesrepublik Deutschland anstrebe, wohl kaum zu erreichen sei. 2 1 8 Ob es folglich in der zukünftigen Verfassungsordnung der Europäischen Union - als Äquivalent zu Art. 28 GG - eine institutionelle Garantie der Bundesländer als Gliederstaaten des Mitgliedstaates Bundesrepublik Deutschland geben wird, erscheint dem Sachverständigen daher eher zweifelhaft. Es könne aufgrund der unterschiedlichen innerstaatlichen Strukturen in den einzelnen Mitgliedstaaten allein darauf ankommen, daß die Europäische Union - gegliedert in eine zentrale europäische und eine mitgliedstaatliche Ebene - die Autonomie ihrer Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer innerstaatlichen Organisation und Verfahrensweise in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen respektiere. Dies sei das Maximum dessen, was die Länder von der Union im Wege der föderalen Struktursicherung fordern könnten. Alles weitere müsse innerstaatlich gesichert werden.

ee) Die Grundrechte 219 M i t der Verpflichtung der Europäischen Union auf Gewährung eines ausreichenden Grundrechtsschutzes wird besonders deutlich, daß der Struktursicherungsklausel im wesentlichen eine Klarstellungsfunktion zukommt.

217

Scharpf, Stellungnahme, S. 4; ebenso Tomuschat, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 27: „Es geht doch nur um die Respektierung der Bundesstaatlichkeit durch die supranationale Organisation und nicht darum, die Europäische Union auf ein föderales Prinzip zu verpflichten.". In der Literatur wird z.T. die Auffassung vertreten, daß der Grundsatz der „Gemeinschaftstreue" gebiete, die nationalen Verfassungsprinzipien und somit auch den Föderalismus zu respektieren. Vgl. Wohlfarth, Europäische und deutsche Rechtsordnung S. 173 f.; Epiney, EuR 1994, 301, 309 ff. 218 Scharpf, Stellungnahme, S. 4; ebenso Tomuschat, Stellungsnahme S. 7. 219 Vgl. hierzu auch BVerfGE 89, 155 ff. (Maastricht-Entscheidung); siehe Ausführungen unter GI.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes Der Grundrechtsschutz in den Europäischen Gemeinschaften hat im Laufe ihres Bestehens eine Entwicklung erfahren, die in seinem jetzigen Zustand dem Grundrechtsschutz in den nationalen Verfassungen gleichkommt. Die Gründungsverträge selbst können keinen Grundrechtskatalog aufweisen. Lediglich Einzelbestimmungen, wie das Diskriminierungsverbot in Art. 4 EGKSV etc., garantieren grundrechtsgleiche Rechte, deren Adressat vor allem die Mitgliedstaaten sind. 2 2 0 Der Europäische Gerichtshof hat jedoch in seiner Rechtsprechung 221 die Geltung der Grundrechte auf europäischer Ebene stufenweise entwickelt: die Grundrechte gelten als allgemeine Rechtsgrundsätze, abgeleitet aus gemeinsamen Verfassungsbestimmungen der Mitgliedstaaten, sowie aus völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen, denen alle Mitgliedstaaten beigetreten sind (insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention). Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend in seinem Solange-II-Beschluß - abweichend von der früheren Rechtsprechung 222 - eingeräumt, daß ein Mindeststandard an inhaltlichem Grundrechtsschutz generell gewährleistet ist, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes prinzipiell genügt. 2 2 3 Das Gericht verlangt dabei nicht, daß jede spezielle Ausprägung der Grundrechte auf europäischer Ebene ihr Äquivalent findet. „Ein unverzichtbares, zum Grundgefüge der geltenden Verfassung gehörendes Essential sind jedenfalls die Rechtsprinzipien, die dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes zugrunde liegen." 2 2 4 An diese Rechtsprechung knüpft Art. 23 Abs. 1 GG n.F. mit seinem Verweis auf einen vergleichbaren Grundrechtsschutz ausdrücklich a n . 2 2 5 Allerdings wird es wohl auch künftig kaum Probleme hinsichtlich der europäischen Grundrechtsgewährleistung geben, auch wenn der Unionsvertrag keinen kodifizierten Grundrechtskatalog enthält. Der bereits vor Maastricht vorhandene europäische Grundrechtsstandard hat mit dem Unionsvertrag erneut eine Aufwertung erfahren. Die von dem Europäischen Gerichtshof im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung betonte Bindung der Gemeinschaftsgewalt an die Grundrechte ist nunmehr mit dem Unionsvertrag auch vertraglich verankert. Art. F Abs. 2 EUV legt ausdrücklich fest, daß die Union die Grundrechte achtet, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsa-

220

Schweitzer/Hummer, Europarecht S. 197; zur Entwicklung vgl. auch Zuleeg DÖV 1992, 937, 940 f. 221 Rs. 29/69 (Staude/Stadt Ulm) Rspr. 1969, S. 419 ff.; Rs. 4/73 (Nolde/Kommission), Rspr. 1974, S. 491 ff. ; Rs. 36/75 (Rutili/Minister des Inneren) Rspr. 1975, S. 1219 ff. 222 Sog. Solange-I-Beschluß, BVerfGE 37, 271 ff. 223 BVerfGE 73, 339, 386. 224 BVerfGE 73, 339, 376. 225 Schnoor, Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992, Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 4.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission men Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Entsprechend dieser europäischen Rechtslage hält der Sachverständige Randelzhofer die Schaffung eines für die Europäischen Gemeinschaften verbindlichen kodifizierten Grundrechtskatalogs nicht für zwingend erforderlich, wohl aber aus Gründen der Rechtssicherheit für wünschenswert. 226

ff) Das Subsidiaritätsprinzip 227 M i t dem Subsidiaritätsprinzip hat die Staatsziel- und Strukturklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F. die Verpflichtung der Europäischen Union nicht nur auf Prinzipien beschränkt, die sich bereits aus Art. 79 Abs. 3 GG ergeben. Der Maastrichter Vertrag hat den Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft um Art. 3 b Abs. 2 EGV ergänzt, der besagt, daß im Bereich der konkurrierenden europäischen Gesetzgebung ein Tätigwerden der Gemeinschaften nur erfolgen soll, wenn die Ziele der europäischen Verträge nicht ausreichend auf der Ebene der Mitgliedstaaten erreicht werden können und sie zugleich wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf europäischer Ebene zu verwirklichen sind. Damit präzisiert Art. 3 b Abs. 2 EGV die Verpflichtung der Gemeinschaft, im Bereich der ihr bereits übertragenen Zuständigkeiten nach dem Grundsatz der Subsidiarität zu verfahren, also nur dann tätig zu werden, wenn festgestellt werden kann, daß die Voraussetzungen des Art. 3 b Abs. 2 EGV - nicht ausreichend und besser - vorliegen. Daß das Subsidiaritätsprinzip nunmehr in dem neuen Europaartikel des Grundgesetzes aufgegriffen wird und von dem deutschen Verfassungsgesetzgeber zum nationalen Maßstab für die künftige europäische Integration erhoben wird, ist Ausdruck des Stellenwertes, den der Subsidiaritätsgedanke in der europarechtlichen Diskussion erlangt hat. Die Problematik dieser Struktursicherung in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG liegt dabei weniger in der zugrundeliegenden politischen Vorstellung von einem „bürgernahen Europa" als vielmehr in der Bestimmbarkeit der Voraussetzungen, die auf europäischer Ebene zur Beachtung des Prinzips als Rechtssatz zwingen s o l l . 2 2 8 Da angesichts der unterschiedlichen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Strukturen der Mitgliedstaaten die Konfliktsituation bei der Kompetenzzuweisung nach Art. 3 b Abs. 2 EGV

226

Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 4; vgl. auch Scholz, NJW 1992, 2593, 2598; ders., in: Friauf/Scholz, S. 76. 227 Ygj h i e r z u a u c h BVerfGE 89, 155 ff. (Maastricht-Entscheidung); siehe Ausführungen unter G Π 2 b. 228 Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 59.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes vorgegeben ist, wird die Frage, ob das Subsidiaritätsprinzip eine klare und justitiable Zuordnung von Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten bewirken kann, in der juristischen Literatur ausgiebig und kontrovers diskutiert. Dementsprechend äußerten sich einige Sachverständige in der Gemeinsamen Verfassungskommission kritisch zur Zweckmäßigkeit einer Bindung der europäischen Integration an ein Prinzip, dessen juristische Greifbarkeit umstritten ist. So bezweifelte der Sachverständige Bieber, daß Art. 3 b Abs. 2 EGV geeignet sein könnte, den europäischen Gesetzgeber ernsthaft zu kontrollieren. Wenn eine Mehrheit der Regierungen im EG-Ministerrat die Meinung vertritt, eine Regelung sei im Rahmen der EG-Zuständigkeit erforderlich, dann sei es schwer vorstellbar, wer dann diese Bewertung anhand rechtlicher Maßstäbe in Frage stellen soll. „Der Begriff besser' im Maastrichter Vertrag ist nicht justitiabel. Es kann bestenfalls eine politische Orientierung zu der Frage sein, ob man tätig werden s o l l . " 2 2 9 Auch Lepsius bewertete das Subsidiaritätsprinzip als eine fließende, normativ unbestimmte und daher nicht einklagbare Kompetenzzuweisung. 230 Die Frage der Bestimmbarkeit der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 3 b Abs. 2 EGV wurde - trotz der im juristischen Schrifttum intensiv geführten Diskussion - in der Gemeinsamen Verfassungskommission nicht vertieft und soll deshalb hier nicht näher ausgeführt werden. 2 3 1 Im Vordergrund der Debatte standen vielmehr die von rechtlichen Erwägungen losgelösten politischen Erwartungen, die die Kommissionsmitglieder an den Verweis des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F. auf den Subsidiaritätsgrundsatz knüpfen. Diese sind insoweit deckungsgleich mit der politischen Intention, die zuvor zur ausdrücklichen Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips im Maastricher Vertrag geführt hat. Der europäische Integrationsprozeß hat bislang eine Bündelung vormals nationalstaatlicher Aufgaben auf der europäischen Entscheidungsebene bewirkt und stellt somit offenkundig einen Zentralisationsprozeß d a r . 2 3 2 Insofern mußte in Maastricht ein Kompromiß gefünden werden, der föderale Bedenken einiger Mitgliedstaaten - insbesondere Deutschlands - abwiegeln konnte. Spätestens mit dem negativen Referendum in Dänemark von 1992 und der nur knappen Zustimmung in Frankreich wurde deutlich, daß die 229

Bieber, StenBer 1. Öffentliche Anhörung, S. 44. Lepsius, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 11; kritisch auch Scharpf, 1. Öffentliche Anhörung, S. 18. 231 Aus dem umfangreichen Schrifttum zum Subsidiaritätsprinzip ist beispielsweise zu nennen: Blanke, ZG 1991, 133 ff; Heintzen, JZ 1991, 320 ff Hochbaum, DÖV 1992, 285, 289; Hummer, ZfRV 1992, S. 81 ff; Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 59 ff; Renzsch, ZParl 1993, 104, 116; Ress, JuS 1992, 985, 990; Wilhelm, BayVBl. 1992, 705, 707; v. Borries, EuR 1994, 263 ff ; weitere Fundstellen in Fn. 673/674. 232 Renzsch, ZParl 1993, 104, 109. 230

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission Bewahrung kultureller Identität, aber auch die Notwendigkeit effizienter Problembewältigung regionale und bürgernahe Regelungen erfordern kann. Das Subsidiaritätsprinzip soll die politisch notwendige Akzeptanz des Integrationsprozesses in der europäischen Bevölkerung sichern und Ängste vor anonymen Beschlüssen in Brüssel abbauen. Dementsprechend bekräftigten die EG-Regierungschefs in Edinburgh am 16. Oktober 1992, das Ziel des Subsidiaritätsprinzips sei, die anstehenden Aufgaben möglichst bürgernah, auf der niedrigsten Ebene des staatlichen Aufbaus zu regeln, solange hinreichende Wirksamkeit gegeben i s t . 2 3 3 Die Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips in den Art. 23 GG n.F. soll nach Vorstellung der Gemeinsamen Verfassungskommission verdeutlichen, daß eine Verpflichtung des Bundes dahingehend besteht, die Dezentralisierungsbestrebungen auf europäischer Ebene im Sinne dieses Prinzips zu unterstützen und gegebenenfalls durch entsprechendes Verhalten bei der Hoheitsrechtsübertragung zu sichern. 2 3 4 Für die Bundesrepublik Deutschland hat die Subsidiarität europäischer Regelungszuständigkeit darüber hinaus noch eine spezifisch deutsche Bedeutung. Die Wahrung der deutschen kommunalen Selbstverwaltung bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union ist ein Anliegen, das insbesondere die Städte und Gemeinden grundgesetzlich abgesichert sehen wollten. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 GG ist in zunehmendem Maße von Regelungen des Gemeinschaftsrechts betroffen, die unmittelbar in die Aufgabenbereiche der Kommunen einwirken ( z.B. beim Kommunalwahlrecht, im Vergabewesen, bei der Liberalisierung öffentlicher kommunaler Dienstleistungen etc.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 235 verdrängt das europäische Sekundärrecht nationales Recht in jeder Form, also auch nationales Verfassungsrecht, so daß das Gemeinschaftsrecht die verfassungsrechtliche Garantie des Selbstverwaltungsrechts in Art. 28 Abs. 2 GG überlagern k a n n . 2 3 6 Aufgrund dessen sollte mit der Struktursicherungsklausel auch der Zweck verfolgt werden, die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gegenüber der Europäischen Union zu sichern. Der Deutsche Städtetag hatte einen dementsprechenden Vorschlag in die Verfassungskommission eingebracht: 237

233

Bulletin Nr. 115 vom 23. Oktober 1992, S. 1058. Elmer (SPD), StenBer. 3. Sitzung, S. 28; Scholz, NJW 1992, 2593, 2599. 235 Vgl. EuGH, Flaminio/E.N.E.L. Slg. 1964, 1251-1278. 236 Zuleeg, Ursprung und Grundlage der Selbstverwaltung, in: FG von Unruh, S. 91,93. 237 Deutscher Städtetag, Forderung des Deutschen Städtetages zur Änderung des Grundgesetzes Nr. 3 S. 4 (nicht veröffentlicht, Text liegt Verf. vor). 234

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes Art. 23 Abs. 1 Satz 2 (neu) Das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaften ist dabei zu wahren. Ihre Belange sind zu schützen. Die Berichterstatter der Gemeinsamen Verfassungskommission konnten sich jedoch nicht darauf einigen, die kommunale Selbstverwaltung eigens als Strukturprinzip aufzuführen. Statt dessen einigten sie sich auf den Kompromiß, den Grundsatz des Subsidiaritätsprinzips so zu interpretieren, daß dieser das kommunale Selbstverwaltungsrecht mit umfaßt. 2 3 8 Eine ausdrückliche Formulierung, die den Schutz der kommunalen Selbstverwaltung vor Akten der Europäischen Union zum Inhalt hat, ist statt dessen in das Ausführungsgesetz zu Art. 23 GG n.F. aufgenommen worden. Entsprechend der Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission heißt es in § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen U n i o n : 2 3 9 §10 Nach dem Subsidiaritätsprinzip ist bei Vorhaben der Europäischen Union das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu wahren und ihre Belange zu schützen. Der Weg, lediglich einfachgesetzlich den Schutz der kommunalen Selbstverwaltung explizit als Staatsziel aufzuführen, wurde vor allem eingeschlagen, um den anderen Mitgliedstaaten mit abweichenden Verfassungslagen die deutschen Strukturen nicht aufzudrängen. 240 Der Auftrag des Art. 23 Abs. 1 GG n.F., das Subsidiaritätsprinzip auf europäischer Ebene zu sichern, umfaßt somit inzident auch die Verpflichtung zur Abwehr von Eingriffen in die grundgesetzlich gewährleistete Selbstverwaltung der Kommunen.

3. Hoheitsrechtsübertragung gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F. Der in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F. beschriebene Staatsauftrag, bei der Verwirklichimg eines vereinten Europas durch die Entwicklung der Europäischen Union mitzuwirken, wird in Satz 2 dahingehend konkretisiert, daß zur 238 Möller (CDU/CSU), StenBer. 8. Sitzung, S. 4; Protokollnotiz der Berichterstatter, Arbeitsunterlage Nr. 63, Nr. 2. 239 BGBl. 1993 I, S. 313-315. 240 Schnoor (NRW), StenBer. 8. Sitzung, S. 6; ders., Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992, Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 4.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission Erreichung dieses Zieles Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen werden können. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F. normiert somit die Ermächtigung zu Hoheitsrechtsübertragungen speziell für die Europäische Union, so daß der vormals einschlägige Art. 24 Abs. 1 GG in diesem Geltungsbereich verdrängt wird. Darüber hinaus konkretisiert die neue Europanorm auch das zur Übertragung notwendige innerstaatliche Gesetzgebungsverfahren, in dem von nun an das Bundesgesetz, das die Öffnungswirkung für Akte europäischer Hoheitsgewalt innerstaatlich herbeiführt, an die Zustimmung des Bundesrates gebunden wird. Art. 23 GG n.F. regelt folglich ausdrücklich - im Gegensatz zu Art. 24 Abs. 1 GG - die Frage der Mitwirkung des Bundesrates an dem innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahren bei Übertragungsakten. Der von der Gemeinsamen Verfassungskommission eingeschlagene Weg war schon vor der Debatte um die Ratifzierung des Maastrichter Vertrages von verschiedenen Seiten erwogen worden. Insbesondere die unklare Rechtslage des Art. 24 Abs. 1 GG hatte dazu geführt, daß in Rechtslehre und Politik die Forderung nach einer ausdrücklichen Normierung der Zustimmungsbedürftigkeit von Hoheitsrechtsübertragungen erhoben wurde.

a) Bisherige Praxis: Übertragung nach Art 24 Abs. 1 GG Art. 24 Abs. 1 GG sieht für die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen - und somit vor Einführung des Art. 23 GG n.F. auch auf die Europäischen Gemeinschaften - ein Übertragungsgesetz vor, das nach dem Wortlaut der Norm ein einfaches zustimmungsfreies Bundesgesetz darstellt. Besonderheiten bei dem Gesetzgebungsverfahren ergeben sich jedoch, wenn die Übertragung der Hoheitsrechte nicht durch einseitigen staatlichen Verzicht, sondern im Wege eines völkerrechtlichen Vertrages erfolgt. Völkerrechtliche Abkommen i.S.d. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bedürfen vor der Ratifizierung durch den Bundespräsidenten eines parlamentarischen Mitwirkungsverfahrens, indem die bundesdeutschen Gesetzgebungsorgane den Vertragsschluß durch ein sog. Vertragsgesetz billigen. Das Gesetzgebungsverfahren bestimmt sich hier nach den Vorschriften über die Bundesgesetzgebung (Art. 74 - 78 GG), so daß das Vertragsgesetz i.S.d. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG immer dann der Zustimmung durch den Bundesrat bedarf, wenn nach dem Inhalt Materien betroffen sind, deren Regelung nach dem Grundgesetz nur mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen kann. Darüber hinaus wird überwiegend die Zustimmungsbedürftigkeit auch dann bejaht, wenn das Grundgesetz dies zwar ausdrücklich nicht vorsieht, aber aufgrund der inhaltlichen Nähe des Vertragswerkes zur ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder z.B. bei internationalen Kulturabkommen - deren Interessen in erhöhtem

0

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

Maße betroffen sind. 2 4 1 Werden Hoheitsrechte durch einen völkerrechtlichen Vertrag übertragen, so wird mit dem nach Art. 24 Abs. 1 GG notwendigen Übertragungsgesetz auf die Ausschließlichkeit deutscher Staatsgewalt verzichtet, während in dem Vertragsgesetz i.S.d. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG die Ermächtigung liegt, durch die Ratifizierung des Vertrages die völkerrechtliche Verbindlichkeit herbeizuführen. Bei der Frage der Mitwirkungsbefügnisse des Bundesrates kommt es folglich entscheidend auf das Verhältnis der beiden Normen zueinander an. Zum Teil wird ein lex-specialis Charakter des Art. 24 Abs. 1 GG zu Art. 59 Abs. 2 GG angenommen mit der Konsequenz, daß dem Bundesrat entsprechend dem Wortlaut des Art. 24 GG grundsätzlich nur ein vom Bundestag überstimmbares Einspruchsrecht bei der Hoheitsrechtsübertragung z u s t e h t 2 4 2 Nach überwiegender Ansicht ist jedoch das Verhältnis der beiden Grundgesetznormen dahingehend zu deuten, daß Art. 24 Abs. 1 GG lediglich die Ausstattung eines nicht-staatlichen Trägers mit unmittelbar wirksamen Durchgriffsrechten gestattet. Das Billigungsverfahren durch die gesetzgebenden Körperschaften verläuft wie bei sonstigen Gesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen: Je nachdem, ob der Vertrag Punkte berührt, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, handelt es sich um ein Einspruchs- oder ein Zustimmungsgesetz. 243 In Übereinstimmung mit dieser Rechtsaufifassung wurden bei Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäischen Gemeinschaften die Mitwirkungsbefügnisse des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren gehandhabt. Nach der Einheitlichen Europäischen Akte sollte nun auch bei dem Maastrichter Vertrag - nach Vorstellung der Bundesregierung - das Ratifications- bzw. Übertragungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 i. V.m. Art. 24 Abs. 1 GG) mit Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden. Besondere Brisanz erlangt die Frage der Mitwirkungsbefügnisse des Bundesrates aufgrund des Wortlautes des Art. 24 Abs. 1 GG, der entgegen der allgemeinen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern die Übertragung nicht eindeutig auf Bundeshoheitsrechte beschränkt. Dementsprechend wurde in Praxis und Lehre die unscharfe Formulierung des Art. 24 Abs. 1 GG

241

Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 59 Rn. 19; Friehe, JA 1983, 117,

122.

242

Stern, Staatsrecht Bd. I, S. 534, begründet diese Auffassung u.a. mit der Ablehnung des Antrages auf Zustimmungsbedürftigkeit des Übertragungsgesetzes im Parlamentarischen Rat vgl. JöR Bd. 1 n.F. (1951), S. 228. 243 Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 31; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 24 Abs. 1 Rn. 63.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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dahingehend verstanden, daß der Bund berechtigt ist, sowohl Bundes- als auch Landeskompetenzen auf die Europäischen Gemeinschaften zu übertragen. 244 Aufgrund dieser - aus Sicht der Länder - unbefriedigenden Rechtslage, wurde bereits in dem Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsref o r m 2 4 5 1976 die Forderung erhoben, die Hoheitsrechtsübertragung nach Art. 24 Abs. 1 GG nunmehr ausdrücklich an die Zustimmung des Bundesrates zu knüpfen - jedenfalls dann, wenn Hoheitsrechte der Bundesländer Gegenstand der Übertragung sein sollen. Diese Korrektur sei systemgerecht und im Interesse der Erhaltung eines gesunden Föderalismus sachlich geboten. Nicht durchsetzen konnte sich die Auffassung des damaligen Sachverständigen Kewenig, der in seinem Sondervotum darauf aufmerksam machte, daß durch die vorgeschlagene Änderung des Art. 24 Abs. 1 GG ein Stück der Großzügigkeit und Offenheit verloren gehe und die eigentliche Aussagekraft des Artikels, nämlich die Integrationsbereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, entscheidend geschmälert würde. 2 4 6 Ungeachtet dieser Einwände schlossen sich den Empfehlungen der Enquete-Kommission auch die Martin-Kommission 1984 2 4 7 und der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte 1986 2 4 8 an.

b) Zustimmungsbedürftigkeit des Übertragungsgesetzes nach Art 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F. In der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde ausführlich über die Stärkung des innerstaatlichen Föderalismus gesprochen. Dabei gab es nie244

Birke, Die deutschen Bundesländer in den Europäischen Gemeinschaften S. 86 ff.; Rojahn, in: v. Münch, Art. 24 Rn. 39, begründet die mit der Entscheidung des Grundgesetzes für die europäische Integration. Der Aufbau eines „gemeinsamen Marktes" berühre geradezu notwendig den Gesetzgebungs- und Verwaltungsbereich der Länder in vielerlei Hinsicht. A.A. Lepsius, Stellungnahme, S. 2; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 24 Abs. 1 Rn. 18 (Erstbearbeitung): Der Bund hat nur Rechtsmacht zur Verfügung über eigene Hoheitsrechte, so daß eine Zugriffsmöglichkeit auf die Länderkompetenzen einer besonderen Hervorhebung bedurft hätte. 245 Enquete-Kommission Verfassungsreform, in: BT-Dr 7/5924, S. 230. 246 Enquete-Kommission Verfassungsreform, Sondervotum zu Abschnitt 2 ,Artikel 24 GG" von Kewenig, in: BT-Dr 7/5924, S. 237. 247 Die sog. „Martin-Kommission" war eine, von den Fraktionsvorsitzenden-Konferenzen von CDU/CSU, SPD und FDP eingesetzte, interfraktionelle Arbeitsgruppe zum Thema „Kompetenzen der Landtage" vom November 1984 (Sonderdruck 10/4 des Bayerischen Landtages, Ziffer IV 1 ). 248 BR-Dr 150/86 - Beschluß - Ziffer 3. 6 Schmalenbach

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes manden, der sich gegen das föderative Prinzip der Bundesrepublik Deutschland aussprach. Weit weniger Einigkeit herrschte jedoch bei der Frage, ob und in welchem Umfang die Stärkung der Bundesländer durch eine Verfassungsänderung herbeigeführt werden sollte.

aa) Vorschläge der Bundesländer Bereits in den vielfältigen Änderungsvorschlägen zu Art. 24 Abs. 1 GG, die seitens des Bundesrates 249 , der von ihm eingesetzten Kommission Verfassungsreform 250 und von den Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage 2 5 1 in die Verfassungsdiskussion eingebracht wurden, zeigte sich die übereinstimmende Position der Bundesländer im Punkt der Zustimmungsbedürftigkeit bei Hoheitsrechtsübertragungen: M i t der Neufassung der Integrationsnorm soll die Übertragung von Hoheitsrechten - des Bundes wie der Länder - auf zwischenstaatliche Einrichtungen uneingeschränkt nur noch mit Zustimmung des Bundesrates möglich sein. In der Gemeinsamen Verfassungskommission befürworteten die Vertreter des Bundesrates deshalb nachdrücklich den Vorschlag eines generellen Zustimmungsvorbehalts. 252 Senatorin Peschel-Gutzeit (Hamburg) begründete die Forderung der Länder mit der Betroffenheit des Bundesrates bei jeder Hoheitsrechtsübertragung. Auch wenn nur Bundeskompetenzen legislatorischer Art übertragen würden, so nehme dies dem Bundesrat für die Zukunft die Möglichkeit, nach Maßgabe der Art. 70 ff. GG durch sein Zustimmungs- oder Einspruchsrecht am Gesetzgebungsverfahren mitzuwirken. Deswegen müsse - gewissermaßen als Ausgleich 2 5 3 - jede Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen künftig von der Zustimmung der Länder abhängig gemacht werden. 2 5 4 Minister Schnoor (NRW) hob zur Bekräftigung dieser Position hervor, daß es bei der Bewahrung der Einfüßmöglichkeit der Länder auch um die Frage des föderativen Prinzips in der Bundesrepublik Deutschland gehe. Dieses Prinzip ist ihm zufolge noch nicht im Ausmaß einer Verletzung des Art. 79 Abs. 3 GG tangiert. Jedoch sei in Anbetracht des Umstandes, daß entgegen der Art. 30 und 70 GG im Zweifel der Bund für die 249 BRat, in: BT-Dr 11/7391 vom 13.6.1990 und BT-Dr 12/549 vom 16.5.1991; Abdruck unter D E I . 250 Bericht der Kommission Verfassungsreform BR-Dr 360/92 vom 14.5.1992; Abdruck unter D Π 3. 251 Beschluß der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landtage, „Stärkung der Länder in Europa" vom 24.9.1991, Arbeitsunterlage Nr. 3; Abdruck unter D Π 2. 252 Kaesler (Sachsen-Anhalt), StenBer. 2. Sitzung, S. 34; Berghofer-Weichner (Bayern), StenBer. 2. Sitzung, S. 35; Schnoor (NRW), StenBer. 2. Sitzung, S. 37. 253 Vgl. BRat, in: BT-Dr 11/7391 S. 4. 254 Peschel-Gutzeit (Hamburg) StenBer. 3. Sitzung, S. 20.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission Gesetzgebung und Verwaltung zuständig sei, der Grundsatz bereits sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Sollen nun die Länder nur dann beteiligt werden, wenn ihre Gesetzgebungszuständigkeit betroffen ist, so kann nach Ansicht Schnoors damit das föderative Prinzip nicht gewahrt werden. Von der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder sei nämlich nicht viel geblieben und eine Ausweitung dieser Kompetenzen würde im Ergebnis auch nicht mehr Substanz bringen. 2 5 5 Worum es vielmehr nach Auffassung des nordrhein-westfalischen Ministers geht, ist die stärkere Beachtung der Kompetenzen des Bundesrates, über den letztendlich das föderale Prinzip und die Eigenstaatlichkeit der Länder gewahrt werden könne. Im übrigen, so Schnoor, sei der generelle Zustimmungsvorbehalt allein schon aus praktischen Erwägungen angebracht. Die Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäischen Gemeinschaften gestalte sich nicht durch ein gezieltes Antasten von ausschließlich Länder- bzw. Bundeskompetenzen. Vielmehr handele es sich um Bündel sowohl originärer Bundes- wie Landeskompetenzen, deren Differenzierung in der Praxis kaum sinnvoll sei. 2 5 6

bb) Auffassung der Vertreter des Bundes Die Bundesregierung reagierte bereits auf den 1991 vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zu Art. 24 Abs. 1 GG mit scharfer Kritik. In ihrer Stellungnahme verwies sie auf die Änderungsvorschläge der 1973 vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission Verfassungsreform hin, die schon damals die Gefahr einer Untergrabung der Integrationsoflfenheit bei einer derartigen Änderung des Art. 24 Abs. 1 GG sah und deshalb lediglich die Zu255

Schnoor (NRW), StenBer. 3. Sitzung, S. 14: Parallel zu den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Komplex „Grundgesetz und Europa" debattierten die Mitglieder über Änderungen der Art. 70 ff. GG. Im Mittelpunkt stand hier das Interesse der Bundesländer, ihre Gesetzgebungskompetenzen auszuweiten. Gleichwohl wurden letztlich keine grundlegenden Änderungen an den Kompetenzkatalogen Art. 74, 75 GG in der 11. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission beschlossen. In die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder sollen nach Empfehlung der Kommission lediglich die Bereiche „Staatsangehörigkeit der Länder" (Art. 74 Abs. 1 Nr. 8 GG), „Recht der Entschließungsbeiträge" (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) und „Hochschulwesen" - und zwar in den Bereichen Struktur, Aufgaben, Organisation und Verwaltung der Hochschulen sowie Forschung, Mitgliedschaft und Mitwirkung in der Hochschulselbstverwaltung, staatliche Anerkennung von Hochschuleinrichtungen (Art. 75 Nr. la GG n.F: die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens, soweit sie die Zulassung zum Studium, die Studiengänge, die Prüfungen, die Hochschulgrade, das wissenschaftliche und künstlerische Personal betreffen) - überfuhrt werden. 256 Schnoor (NRW), StenBer. 3. Sitzung, S. 14; ebenso Peschel-Gutzeit (Hamburg), StenBer. 3. Sitzung, S. 20.

6*

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes Stimmung des Bundesrates bei der Übertragung von Länderkompetenzen befürworteten. Es sei - so die Bundesregierung - auch unbegründbar, warum der Bund in bezug auf die Übertragung von Bundeskompetenzen gegenüber den Ländern „zu einem gewissen Ausgleich" 2 5 7 für den Verlust von Bundesratsaufgaben verpflichtet sein soll. Schließlich würden bei der Übertragung von Bundeskompetenzen auf die Europäischen Gemeinschaften die Länder lediglich ihre Mitwirkungsrechte, der Bund aber seine Hoheitsrechte selbst verlieren. Staatssekretär Neusei ( B M I ) 2 5 8 machte in der Gemeinsamen Verfassungskommission deutlich, daß sich an der Position der Bundesregierung seit dem Änderungsvorschlag des Bundesrates zu Art. 24 Abs. 1 GG bezüglich des geforderten Zustimmungsrechts nichts geändert hatte. Er betonte, daß der Föderalismus nur gewahrt und als Modell für Europa attraktiv bleiben könne, wenn er sich auch in der Sache als praktikabel und im Ergebnis als bereichernd und weiterführend erweist. „Deshalb sollte bei allem Einsatz für Föderalismus für jede einzelne Änderungsforderung auch sorgfältig geprüft werden, welche Signale etwaige Veränderungen interner Entscheidungsabläufe nach außen bewirken und wie diese Signale dort verstanden werden können." 2 5 9 Um die Integrationsoffenheit des Grundgesetzes zu wahren - die ja gerade im Hinblick auf den weiter fortschreitenden europäischen Einigungsprozeß wichtig sei -, sollten alle Schritte unterlassen werden, die den Bund, also die Bundesregierung, in ihrer internationalen Aktionsfähigkeit beschränken könnten. Gleichwohl räumte Staatsminister Neusei ein, daß die fortschreitende Integration Auswirkung auf die Länder haben werde: „Dieser Entwicklung könnte z.B. dadurch Rechnung getragen werden, daß den Ländern über den Bundesrat bei der weiteren Ausgestaltung der europäischen Integration weitergehende Mitwirkungsbefügnisse, nämlich Zustimmungsvorbehalte eingeräumt werden, wenn etwa ausschließliche Hoheitsrechte der Länder auf die Europäischen Gemeinschaften übertragen werden sollen." 2 6 0 Die Vertreter des Bundestages in der Gemeinsamen Verfassungsdiskussion äußerten sich grundsätzlich solidarisch gegenüber den Forderungen der Bundesländer nach einer Stärkung des Föderalismus. Der Abgeordnete Möller, Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion, sah dies als ausschlaggebend für die weitere Entwicklung eines stark gegliederten Europas a n . 2 6 1 257

BReg, in: BT-Dr 11/7391, S. 6 unter Bezugnahme auf die Argumentation des BRates, in: BT-Dr 11/7391, S. 4. 258 Neusei (BMI), StenBer 3. Sitzung, S. 4 f. 259 Neusei (BMI), StenBer 3. Sitzung, S. 4. 260 Neusei (BMI), StenBer 3. Sitzung, S. 5. 261 Möller (CDU/CSU), StenBer. 2. Sitzung, S. 29.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission Trotz dieser Bekenntnisse zeigten sich die Vertreter des Bundestages in der Frage des Umfangs der Stärkung von Mitwirkungsbefugnissen einvernehmlich mit der Position der Bundesregierung. Der Abgeordnete Möller (CDU/CSU) betonte, daß seine Fraktion verhindern wolle, „... daß trotz der von deutscher Seite immer wieder unterstrichenen Bereitschaft zur weitergehenden europäischen Integration durch verstärkte Zustimmungs- und Mitwirkungsrechte der Länder unüberwindbare Hürden aufgebaut werden, die die integrationspolitische Handlungsfähigkeit des Bundes schwächen und weitere Integrationsschritte erschweren würden " 2 6 2

cc) Stellungnahme der Sachverständigen Der Sachverständige Stern hielt - ebenso wie die Bundesregierung - die Zustimmungsbedürftigkeit jeglicher Übertragungsakte für verfassungsrechtlich bedenklich. Das Grundgesetz würde in einem Maße angereichert, das geeignet sei, innere und äußere Konflikte zu schaffen. 263 Stern sah in der Forderung der Bundesländer vor allem die Gefahr, daß die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in wichtigen Bereichen der Verteidigungspolitik (z.B. NATO, etc.) durch eine generelle bundesrätliche Mitwirkung gehemmt würde. 2 6 4 Diesem Kritikpunkt, der auf die Debatte um die Änderung des für alle zwischenstaatlichen Einrichtungen geltenden Art. 24 Abs. 1 GG zurückzuführen ist, wurde mit der Entscheidung für eine spezielle Europanorm Rechnung getragen. Darüber hinaus gab der Sachverständige aus grundsätzlichen Erwägungen heraus zu bedenken, daß die Zustimmungsbedürftigkeit aller Übertragungsakte die Grundkonzeption der Zuständigkeitsverteilung im Bund/Länder-Verhältnis insgesamt berühre. Die Mitwirkung des Bundesrates sei deshalb - wie in seinem eigenen Entwurf dargestellt - auf ausschließliche Kompetenzen der Länder zu begrenzen: 265 Art. 24 (1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Handelt es sich um eine Übertragung an das Vereinte Europa, so bedarf das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates, sofern den Ländern ausschließlich zustehende Hoheitsrechte übertragen werden. Scharpf hielt im Gegensatz dazu die Normierung eines Zustimmungsvorbehaltes jedenfalls dann für unbedenklich, wenn die übertragenen Hoheitsrechte irgendeine Länderzuständigkeit legislativer oder administrativer Art 262 263 264 265

Möller (CDU/CSU), StenBer. 2. Sitzung, S. 29. Stern, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 33. Stern, Stellungnahme, S. 16. Stern, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 20.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes also nicht nur die ausschließliche Kompetenz der Länder - berühren. Dies sei ohnehin lediglich die Festschreibung des bisher praktizierten Gesetzgebungsverfahrens. Jedoch wäre diese Forderung gleichzeitig auch wenig effektiv, da bereits der bisherige Kompetenzbestand der Europäischen Union nach Ansicht von Scharpf ausreicht, um auf sämtliche Länderzuständigkeiten einzuwirken.266 Randelzhofer stand der Einführung eines allgemeinen Zustimmungserfordernisses hingegen positiv gegenüber. 267 Insbesondere verfassungspolitische Gründe würden angesichts der erheblichen Kompetenzeinbußen der Bundesländer durch Art. 24 Abs. 1 GG und den bisweilen exzessiv genützten Art. 235 E W G V 2 6 8 für eine derartige Regelung sprechen. Dieser Auffassung Schloß sich Tomuschat mit dem Argument an, daß jede weitere Integration politisch ohnehin die Billigung durch das Gesamtsystem der Bundesrepublik Deutschland voraussetze. 269 Insofern erscheine es ihm undenkbar, daß eine Übertragung von Hoheitsrechten gegen den Widerstand der Ländermehrheit vom Bund durchgesetzt werden kann.

dd) Ergebnis der Diskussion um ein generelles Zustimmungsrecht des Bundesrates Die Gemeinsame Verfassungskommission einigte sich am 26. Juni 1992 in ihrer 8. Sitzung auf den Grundsatz, daß die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union künftig nur mit Zustimmung des Bundesrates möglich sein wird. Der Vorsitzende Scholz sah in dieser Regelung die Erkenntnisse aller Beteiligten verkörpert, daß der europäische Integrationsprozeß substantielle Auswirkungen auf den Gesamtstaat habe. 2 7 0 Den Vertretern von Bundestag und Bundesregierung wurde die Aufgabe ihrer bisherigen Position dadurch erleichtert, daß Art. 24 Abs. 1 GG mit seinem grundsätzlich einfachen und zustimmungsfreien Übertragungsgesetz weiterhin für alle 266

Scharpf, Stellungnahme, S. 11; ebenso Hölzer, Stellungnahme, S. 2. Randelzhofer, Stellungnahme, S. 5; ders., Fragenkatalog, S. 5; ebenso Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 10; Lerche, Stellungnahme, S. 8, der sogar bei Übertragungen auf alle zwischenstaatlichen Einrichtungen ein Zustimmungserfordernis für gerechtfertigt hält; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 13. 268 Art. 235 EWGV enthält ein Vertragslückenschließungsverfahren, das den Rat ermächtigt, in den Fällen, in denen ein Tätigwerden der Gemeinschaften erforderlich erscheint, zur Erreichung ihrer vertraglich bestimmten Ziele die dafür notwendigen Kompetenzen der Mitgliedstaaten durch einstimmigen Beschüß an sich zu ziehen. 269 Tomuschat, Stellungnahme, S. 11. 270 Scholz, NJW 1992, 2593, 2597; ebenso Schnoor (NJW), StenBer. 8. Sitzung, S. 6 f. 267

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission übrigen zwischenstaatlichen Einrichtungen, insbesondere für die Verteidigungsbündnisse, erhalten bleibt. Die Bundesregierung räumte in ihrer amtlichen Begründung des Gesetzentwurfes zu Art. 23 GG n.F. dementsprechend ein, daß die generelle Zustimmungsbedürfltigkeit des einfachen Übertragungsgesetzes nach Art. 23 Absatz 1 Satz 2 GG n.F. die starke Betroffenheit der Länder von der Hoheitsrechtsübertragung zur europäischen Integration reflektiere, die angesichts des erreichten Integrationsstandes regelmäßig zu verzeichnen sei. „Die Zustimmungsbedürftigkeit erscheint daher aus föderativer Sicht auch unter Berücksichtigung der Mitwirkung der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union angemessen." 271

4. Das Mehrheitserfordernis im innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahren: Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG Jede Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union zieht - wie bereits dargelegt 272 - aufgrund der Durchbrechung des Grundsatzes der Ausschließlichkeit deutscher Staatsgewalt eine materielle Verfassungsänderung nach sich. Insofern liegt es nahe, den Übertragungsakt an die Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 2 GG zu binden. Auf der anderen Seite hat das Grundgesetz an vielen Stellen (Präambel, Art. 24 Abs. 1 GG) deutlich gemacht, daß sich die Bundesrepublik Deutschland zu einer „offenen Staatlichkeit" bekennt und folglich der Integrationsprozeß nicht an hohen verfassungsrechtlichen Hürden scheitern soll. Dieser Zwiespalt führte in der Gemeinsamen Verfassungskommission zu der Frage, ob und gegebenfalls wann eine einfache Mehrheit in Bundestag und Bundesrat ausreicht, um Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu übertragen, und wann zum Schutze des Grundgesetzes eine qualifizierte Mehrheit gem. Art. 79 Abs. 2 GG notwendig ist.

a) Erste Vorschläge zur Regelung der Mehrheitsverhältnisse Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union

bei

Der Bundesrat und die von ihm eingesetzte Kommission Verfassungsreform orientierten sich in dem Wortlaut ihrer Vorschläge eng an der Fassung des Art. 24 Abs. 1 GG, wie er 1949 eingeführt wurde. 2 7 3 Der Bundestag soll auch

271 BReg, in: BT-Br 12/3338 S. 7; vgl. Gemeinsame Verfassungskommission, in: Bericht der GVK, Zur Sache 5/93, S. 41.

272 Ygj Ausführungen unter D 1 1 b. 273

Text der Vorschläge siehe unterD Π 1 und 3.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes weiterhin die Befugnis haben, mit einfacher Mehrheit Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen - nunmehr allerdings mit Zustimmung des Bundesrates. Auch nach der Entscheidung der Gemeinsamen Verfassungskommission für einen neuen Europaartikel richteten sich die ersten Vorschläge in der Frage des Mehrheitserfordernisses bei Hoheitsrechtsübertragungen im wesentlichen nach dem Vorbild Art. 24 Abs. 1 GG. Allerdings sollte der Verfassungstext auch die Grenzen der Hoheitsrechtsübertragung durch den einfachen Gesetzgeber verdeutlichen, so wie sie das Bundesverfassungsgericht in seiner Solange-Rechtsprechung vorgegeben h a t . 2 7 4 Seitens der CDU/CSU wurde der Kommission folgende Fassung unterbreitet, die in nahezu wortgleicher Form auch von den Bundesländern unterstützt wurde: 2 7 5 Art. 23 (1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, (...). Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Sind damit Eingriffe in die wesentlichen Strukturen*dieses Grundgesetzes verbunden, bedarf es der Zustimmung von zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages und zwei Drittel der Stimmen des Bundesrates; Art. 79 bleibt unberührt. Ziel des Entwurfes war es, das von dem Bundesverfassungsgericht für die Grundrechte dargelegte Rechtsverständnis - die begrenzte Zulässigkeit materiellrechtlicher Verfassungsänderungen ohne Tätigwerden des verfassungsändernden Gesetzgebers (Art. 24 Abs. 1 GG) - für Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union nach Art. 23 Abs. 1 GG n.F. verfassungsrechtlich festzuschreiben. Dabei sollte - in Weiterentwicklung der Solange-Rechtsprechung - eine qualifizierte Mehrheit auch dann erforderlich sein, wenn nicht nur wesentliche Verfassungsstrukturen im Grundrechtsbereich, sondern auch solche im Bereich der Staatsorganisation durch die Hoheitsrechtsübertragung als betroffen gelten müssen. Nur wenn dies nicht der Fall ist, bedarf es als Ausdruck der Integrationsofifenheit des Grundgesetzes allein eines Tätigwerdens des einfachen Gesetzgebers.

b) Stellungnahme der Sachverständigen zu dem Begriff „wesentliche Strukturen " im ersten Entwurf des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Der Vorschlag von Bund und Ländern sah sich insbesondere wegen seiner wenig präzisen Terminologie „wesentliche Strukturen dieses Grundgesetzes" 274 y g | hierzu Ausführungen unter D 1 1 b. 275

Verf.).

Zitiert nach Scholz, NJW 1992, 2593, 2597 (Hervorhebungen im Text durch

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission der Kritik einiger Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission ausgesetzt. Kann die Erwähnung der „wesentlichen Strukturen" im Solange-IIBeschluß des Bundesverfassungsgerichtes im Bereich der Grundrechte als Schutz von deren Wesensgehalt i.S.d. Art. 19 Abs. 2 GG verstanden werd e n , 2 7 6 so fehlt es in bezug auf andere wesentliche Bereiche des Grundgesetzes an einer entsprechenden Bestimmbarkeit. Der Abgeordnete HJ. Vogel (SPD) erbat deshalb von den Sachverständigen in dem Anhörungstermin am 22. Mai 1992 die Klärung der Frage, ob die in dem Vorschlag vorgesehene Unterscheidung zwischen unveränderlichen (Art. 79 Abs. 3), wesentlichen und unwesentlichen Strukturen des Grundgesetzes verfassungsrechtlich unproblematisch sei. 2 7 7 Seines Erachtens sei nämlich die Aufteilung des Grundgesetzes in die Schicht der wesentlichen und der unwesentlichen Verfassungsnormen in der Verfassungslehre nicht üblich. Der Sachverständige Tomuschat sah dagegen die Differenzierung zwischen den Strukturen, die des besonderen Schutzes durch den verfassungsändernden Gesetzgeber bedürfen, und den übrigen Vorschriften des Grundgesetzes als nicht besonders problematisch an: „Denn bei diesen wesentlichen Verfassungsstrukturen handelt es sich um einen ganz engen Kern von Angelegenheiten, Regeln, Prinzipien und Verfahren des Grundgesetzes." 278 Auch Randelzhofer sah einen Sinn hinter der Unterteilung des Grundgesetzes in der angesprochenen Form. Zwar existieren seines Erachtens keine „unwesentlichen" Verfassungsstrukturen, jedoch gebe es sehr wohl Verfassungsrecht, über dessen Schranke Art. 24 Abs. 1 GG als Integrationshebel gerade mit einfachem Gesetz hinweghelfe. Deshalb sei das Verfassungsrecht zwar nicht unwesentlich, aber es sei auch nicht mit einer Zweidrittelmehrheit gesichert. Die Bindung jeglicher inhaltlicher Abänderung der Verfassung durch Hoheitsrechtsübertragung an das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit sei zwar logisch begründbar, würde aber gleichzeitig den Integrationshebel in seinem Nutzen nahezu auf Null reduzieren. 279 Der Sachverständige Bieber bezweifelte hingegen die Greifbarkeit des Begriffes „wesentliche Strukturen". 280 Er stellte sich auf den Standpunkt, daß keine „wesentlichen" von anderen Strukturen im Grundgesetz unterschieden werden könnten. Das Hauptproblem der Übertragung von Zuständigkeiten auf die Europäischen Gemeinschaften resultiere letztendlich aus dem allmählichen Entzug von Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundestages wegen der Nut276 277 278 279 280

BVerfGE 73, 339, 376; vgl. Ausführungen unter D11 b. H.J. Vogel (SPD), StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 29. Tomuschat, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 31. Randelzhofer, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 36. Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 45.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

0

zung der konkurrierenden Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaften: „Die Befugnisse des Bundestages sind ohne Zweifel 'wesentliche' Strukturen. (...) Das Problem besteht vielmehr darin, wie (...) das Ausmaß der Verminderung der Befugnisse des Bundestages (...) zu definieren ist, ob (...) der Eingriff so wesentlich ist, daß man hier eine Schranke überschritten sieht." 2 8 1 Bieber plädierte deshalb dafür, die Grenzen der Übertragung von Hoheitsrechten über die Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG hinaus durch eine andere Formulierung als „wesentliche Strukturen dieses Grundgesetzes" festzulegen, nämlich durch eine, die auf die Art der Verminderung der Zuständigkeit abstellt.

c) Entscheidungsfindung

in der Gemeinsamen Verfassungskommission

In den ersten Sitzungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa" wurden von allen vertretenen Interessengruppen Bedenken geäußert, ob die generelle Bindung der Hoheitsrechtsübertragung an den verfassungsändernden Gesetzgeber im Sinne des Grundgesetzes sei. Der Abgeordnete Möller (CDU/CSU) wies auf den historischen Hintergrund der Einführung des Art. 24 Abs. 1 GG 1949 hin, dessen Entscheidung für die Integrationsoffenheit der Bundesrepublik Deutschland seines Erachtens nach wie vor aktuell sei. 2 8 2 Obwohl die Mitglieder des Parlamentarischen Rates sich sehr wohl bewußt gewesen seien, daß die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen in vielen Fällen eine materielle Verfassungsänderung bedeute, hätten sie sich als Ausdruck des integrationspolitischen Anliegens der Bundesrepublik Deutschland dennoch für ein einfaches Bundesgesetz entschieden und auf die übliche Absicherung materieller Verfassungsänderungen verzichtet. Auch der Abgeordnete Verheugen von der SPD-Fraktion erachtete anfanglich die Einführung eines Zustimmungserfordernisses - wenn dies sogar eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat voraussetzt - als Umkehrung der Intention des Grundgesetzes, einen leichten, schnellen und relativ unkomplizierten Weg zur europäischen Integration zu bieten. 2 8 3 Diese Integrationsfreudigkeit sei, so Verheugen, mehr als eine technische Formalie, sondern ein ganz wesentlicher programmatischer Inhalt des Grundgesetzes, der das Bestreben zu einem europäischen Bundesstaat ausdrücke. Die zur Diskussion stehenden Veränderungen könnten hingegen Erschwernisse einführen, die den Charakter des Grundgesetzes in diesem Punkt ganz erheblich verän-

281 282 283

Bieber, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 45. Möller (CDU/CSU), StenBer. 3. Sitzung, S. 6. Verheugen (SPD), StenBer. 3. Sitzung, S. 13.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

1

dem würden. 2 8 4 Selbst die Länderseite sah, wenn auch nicht so vehement, eine diesbezügliche Änderung des Grundgesetzes als möglicherweise integrationshindernd und deshalb politisch bedenklich a n . 2 8 5 Nach der Anhörung der Sachverständigen stellte der Berichterstatter Möller (CDU/CSU) dementsprechend in der 7. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission fest, daß zwischen den Mitgliedern der Kommission Konsens dahingehend besteht, daß entsprechend des von Bund und Ländern unterbreiteten Vorschlages die Solange-Rechtsprechung in den neuen Art. 23 Abs. 1 GG aufgenommen werden s o l l . 2 8 6 Gleichwohl gab Minister Schnoor (NRW) zu Bedenken, daß der Begriff der „wesentlichen Strukturen", auf den sich die Berichterstatter geeinigt hatten, mangels näherer Konkretisierung wenig glücklich sei. Auch die Anhörung der Sachverständigen habe in dieser Richtung keine Klärung gebracht, so daß nach Ansicht Schnoors zu erwägen sei, ob auf diesen Begriff nicht überhaupt ganz verzichtet werden könne. 2 8 7 Diesen Bedenken Schloß sich auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Verheugen an. Im Namen der SPD unterbreitete er deshalb folgenden Vorschlag: 2 8 8 Art. 23 (1) Die Bundesrepublik Deutschland wirkt als gleichberechtigter Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft an der Schaffung einer Europäischen Union mit, deren Ordnung die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Rechts- und der Sozialstaatlichkeit gewährleistet, das Subsidiaritätsprinzip und bundesstaatliche Ordnungen ihrer Gliederstaaten achtet und die auf den allgemeinen Menschenrechten beruhenden Grundrechte bewahrt.

(2) Der Bund kann zu diesem Zweck unter den Voraussetzungen des Abs. 1 durch Gesetz Hoheitsrecht übertragen. Für die Begründung einer Europäischen Union und Veränderungen ihrer vertraglichen Grundlagen, durch die dieses Grundgeset seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Art. 79. Die sonstige Übertragung von Hoheitsrechten bedarf der Zustimmung des Bundesrates. M i t den im zweiten Absatz geregelten formellen Voraussetzungen der Hoheitsrechtsübertragung weicht der SPD-Vorschlag in der Frage der Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat von dem Vorschlag des Bundes und

284

Verheugen (SPD), StenBer. 3. Sitzung, S. 13. Schnoor (NRW), StenBer. 3. Sitzung, S. 14. 286 Möller (CDU/CSU), StenBer. 7. Sitzung, S. 2. 287 Schnoor (NRW), StenBer. 7. Sitzung, S. 5. 288 Verheugen (SPD), StenBer. 7. Sitzung, S. 7 (Hervorhebungen im Text durch Verf.). 285

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes der Länder ab. Die gewählte Formulierung soll klarstellen, daß bei Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union von nun an „Verfassungsdurchbrechungen", wie Art. 24 Abs. 1 GG sie zuläßt, nicht mehr statthaft sind. Vielmehr sollen die allgemeinen Verfassungsänderungsvoraussetzungen des Art. 79 GG gelten, nämlich die wörtliche Änderung des Verfassungstextes durch ein verfassungsänderndes Gesetz, das mit qualifizierter Mehrheit in Bundestag und Bundesrat beschlossen wird. In der 8. Sitzung konnte sich die Gemeinsame Verfassungskommission schließlich trotz der anfänglich geäußerten Bedenken auf den Anwendungsbereich des Art. 79 Abs. 2 GG bei Hoheitsrechtsübertragungen einigen: Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Für Begründung der Europäischen Union und fur Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Art. 79 Absätze 2 und 3. Der Berichterstatter für die CDU/CSU Fraktion, Möller, stellte ausdrücklich fest, daß diese Klausel insbesondere auf Wunsch der SPD-Abgeordneten und nach reiflicher Prüfung aufgenommen wurde. 2 8 9 Von der Formulierung „wesentliche Strukturen" rückten die Berichterstatter ab, weil Zweifel an der Praktikabiliät des Begriffes als Abgrenzungskriterium für die jeweiligen Mehrheitserfordernisse in den Beratungen nicht beseitigt werden konnten. Der Kompromiß fuhrt nach Auffassung der Gemeinsamen Verfassungskommission dazu, daß - entgegen der vormals geplanten Kodifizierung der Solange-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - die Übertragung von Hoheitsrechten in europäischen Angelegenheiten immer an eine Zweidrittelmehrheit gebunden sei. 2 9 0 Grenze der Hoheitsrechtsübertragung, die auch nicht mit einer verfassungsändernden Mehrheit überwunden werden kann, bleibe weiterhin Art. 79 Abs. 3 GG. Obwohl die Gemeinsame Verfassungskommission mit diesem Vorschlag höhere Anforderungen an das Übertragungsgesetz stellt, als es die Vorgabe der Solange-Rechtsprechung verlangt, sei dies nach Einschätzung Möllers auch im Hinblick auf den Grundsatz der integrationsoffenen Staatlichkeit hinnehmbar. Die Europäische Union habe nach Maastricht bereits eine solche Integrationsqualität erreicht, daß weitere Hoheitsrechtsübertragungen in einem größeren Umfange wohl nicht mehr erforderlich seien und

289

Möller (CDU/CSU), StenBer. 8. Sitzung, S. 4. Möller (CDU/CSU), StenBer. 8. Sitzung, S. 4; Schnoor (NRW), StenBer. 8. Sitzung, S. 6 f.; Verheugen, StenBer. 8. Sitzung, S. 9 f.; diese Interpretation der Berichterstatter blieb in der Gemeinsamen Verfassungskommission unwiderspochen. 290

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission darüber hinaus auch zwangsläufig auf der Ebene der wesentlichen Strukturen erfolgen würden. 2 9 1

d) Rechtsauffassung der Bundesregierung Trotz der eindeutigen Darlegung der Bedeutung des Art. 79 Abs. 2 GG für die künftige Hoheitsrechtsübertragung nach Art. 23 GG n.F., konnte sich die Bundesregierung dieser Beurteilung der neuen Verfassungslage nicht anschließen. Da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes 292 letztlich jede Hoheitsrechtsübertragung aufgrund des Eingriffs in die grundgesetzliche Zuständigkeitsordnung zu einer materiellen Verfassungsänderung führe, stellt sich nach Ansicht der Bundesregierung die Frage, welchen Raum Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n.F. („... für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert (...) wird (...), gilt Art. 79 Absätze 2 und 3.") dem einfachen Gesetzgeber für Übertragungen nach Satz 2 beläßt. In ihrer amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf vom 2.10.1992, der den Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission wortgleich wiedergibt, legte die Bundesregierung ihre Auffassung von dem Verständnis des Satzes 3 dar: „Anwendungsfalle für die Hoheitsrechtsübertragung nach Satz 2 könnten sich dann ergeben, wenn Änderungen des Unions-Vertrages zu ratifizieren sind, die von ihrem Gewicht her der Gründung der Europäischen Union nicht vergleichbar sind und insoweit nicht die Geschäftsgrundlage' dieses Vertrages betreffen." 293 Die Bundesregierung begründete die Deutung des Passus „Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen" (Art. 23 Abs. 1 Satz 3) als Änderung „qualifizierter" Vertragsklauseln mit der sonst kaum vorhandenen Zuständigkeit des einfachen Gesetzgebers nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F.. Würde Satz 3 in der Art und Weise ausgelegt, daß jede förmliche Veränderung des Unionsvertrages einschließlich der dazugehörigen Dokumente eine qualifizierte Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften voraussetzt, so wäre die Integrationsbereitschaft der Bundesrepublik Deutschland in erheblichem Maße gemindert. Der einfache Gesetzgeber könnte dann nur in den Fällen tätig werden, in denen Hoheitsrechtsübertragungen aufgrund von bereits im Vertrag angelegten Integrationsschritten erfolgen, wie es z.B. bei der Evolutionsklausel Art. K.9 EUV, Art. 138 Abs. 3 bzw. 201 EGV der Fall wäre. 2 9 4

291 Vgl. auch Schnoor (NRW), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992, Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 6 f. 292 BVerfGE 58, 1, 36. 293 BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 7. 294 BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 14.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes Dieser Rechtsauffassung widersprach der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu den Ausführungen der Bundesregierung. 295 Gerade weil das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe, daß Übertragungen von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen stets eine materielle Verfassungsänderung bewirken, kann nach Auffassung des Bundesrates der neue Art. 23 Abs. 1 GG n.F. nur wie folgt verstanden werden: Die in Satz 3 vorgesehene verfassungsändernde Mehrheit ist für sämtliche weiteren Übertragungen von Hoheitsrechten auf die Europäische Union im Rahmen von Änderungen der vertraglichen Grundlage erforderlich. Die Gemeinsame Verfassungskommission nahm in ihrer 9. Sitzung den Konflikt zwischen Bundesregierung und Bundesrat zur Kenntnis, verzichtete jedoch ihrerseits auf eine Klärung der Rechtslage. 296 Statt dessen sollte sich der Sonderausschuß für die Europäische Union, dem auch viele Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission angehörten, dieser Problematik annehmen.

e) Stellungnahme des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht) " Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 2.10.1992, basierend auf den Vorschlägen der Gemeinsamen Verfassungskommission zu Art. 23 GG, wurde in der 110. Sitzung des Deutschen Bundestages am 8.10.1992 u.a. zur Klärung des Konflikts zwischen Bundesregierung und Bundesrat an den Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" federführend überwiesen. Der Sonderausschuß stellte fest, daß nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n.F. eine Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union dann von einer Zweidrittelmehrheit abhängig sei, wenn die vertragsschließenden Parteien über die im Unionsvertrag vorhandene Ermächtigung hinausgehen. 297 Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n.F. legt damit nach Auffassung der Ausschußmitglieder fest, daß - abweichend von dem bisher maßgeblichen Art. 24 GG - der Bundesgesetzgeber für jede Änderung des Grundgesetzes eine verfassungsändernde Mehrheit braucht, soweit die Hoheitsrechtsübertragung auf einer Änderung des Europäischen Unionsvertrages basiert. Insofern stimmte der Ausschuß der Rechtsauffassung von Bundesrat und Gemeinsamer Verfas295

BRat, in: BT-Dr 12/3338, S. 12. Möller (CDU/CSU), StenBer. 11. Sitzung, S. 2. 297 Beschlußempfehlung und Bericht des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", BT-Dr 12/3896, S. 18. 296

Ι . Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission sungskommission zu. Besonderer Klärungsbedarf wurde allerdings hinsichtlich der Frage gesehen, welche Mehrheiten in den gesetzgebenden Körperschaften notwendig sind, wenn die vorzunehmende Hoheitsrechtsübertragung bereits im Unionsvertrag angelegt ist - dessen Änderung mithin nicht zu erfolgen braucht. Diese Problematik betrifft insbesondere die Einordnung der sog. Evolutionsklauseln, z.B. Art. K.9 EUV, Art. 138 Abs. 3 und 201 EGV. Hier können weitere Kompetenzbegründungen zugunsten der Europäischen Union durch Beschluß eines Gemeinschaftsorgans begründet werden, wenn die Mitgliedstaaten diesen Beschluß gemäß ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften annehmen. Die Evolutionsklauseln des Europäischen Unionsvertrages stellen eine Stufe zwischen Primär- und Sekundärrecht der Gemeinschaften dar, da sie geeignet sind, bestimmte im Vertrag von Maastricht selbst angelegte Hoheitsrechtsübertragungen zu „verlängern". Die Bundesregierung hat in ihrer amtlichen Stellungnahme Kompetenzerweiterungen aufgrund dieser Klauseln mangels Vertragsänderung auch dann im Anwendungsbereich des Satzes 2 gesehen, wenn das Tätigwerden des einfachen Gesetzgebers restriktiv, d.h. entsprechend der Vorstellung von Bundesrat und Gemeinsamer Verfassungskommission, ausgelegt wird. Im Sonderausschuß „Europäische Union" wurden jedoch zur globalen Einordnung der Evolutionsklauseln Bedenken geäußert. Der Vorsitzende der Gemeinsamen Verfassungskommission Scholz legte deshalb den Ausschußmitgliedern die Intention der Kommissionsmitglieder bei der Wortwahl des Art. 23 Abs. 1 d a r . 2 9 8 Sie seien aufbauend auf dem bisherigen Art. 24 GG davon ausgegangen, daß zwar jede Hoheitsrechtsübertragung ein Stück Staatlichkeit und damit auch die Verfassung berühre, aber nicht jede Hoheitsrechtsübertragung den Inhalt des Grundgesetzes ändere. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F. sei sonst überflüssig. Es gäbe allerdings verfassungsrechtliche Inhalte, deren Qualität keine Verfassungsdurchbrechung durch den einfachen Gesetzgeber zulasse. In bezug auf die Evolutionsklauseln gelte es also zu unterscheiden, welche Qualität die zu übertragenden Kompetenzen aufwiesen - ob sie über das hinausgingen, was ohnehin mit der allgemeinen vertragsrechtlichen „Absegnung" von Maastricht verbunden sei. Zur Veranschaulichung dieser Interpretation führte Scholz exemplarisch das Verhältnis des Art. K.9 EUV zu dem Grundrecht auf Asyl nach Art. 16 GG an: Indem die Evolutionsklausel die Möglichkeit einräumt, Visumszwang auch im Rahmen der europäischen Asylpolitik einzuführen (Art. K.1 Nr. 1 EUV i.V.m. Art. 100 c EGV), könne auf diesem Wege Art. 16 GG unterlaufen werden, ohne daß der Maastrichter Vertrag dies derzeit vorsehe. Dies sei daher ein Fall des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n.F.. Anders müsse die Rechtslage z.B. im Bereich der Erweiterung der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz beurteilt werden. Hier sei die Staatlichkeit der

298

Protokoll der 6. Sitzung des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" S. 11 f., (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor).

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes Bundesrepublik Deutschland berührt, ohne daß deshalb die Verfassungsänderung substantielles Gewicht aufweisen würde. Sowohl die Vertreter des Bundestages als auch des Bundesrates im Ausschuß konnten sich dieser Auslegung des Art. 23 Abs. 1 GG n.F. anschließen. Bemängelt wurde jedoch, daß dieses Verständnis in der Verfassungsvorschrift keinen ausreichenden Niederschlag gefunden habe. Zur Präzisierung des Art. 23 Abs. 1 GG n.F. stellte die Bundesregierung die Herstellung eines eindeutigen Bezuges des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n.F. zu den Grundrechten zur Disposition. 2 9 9 Die Vertreter der SPD erachteten diese Ergänzung allerdings für nicht ausreichend, da Art. K . l EUV auch Punkte enthält, die keine Grundrechte tangieren; auch Hoheitsrechtsübertragungen im Bereich von Innen- und Justizpolitik können nach Ansicht der SPD substantielle Hoheitsrechte berühren. 300 Der Vorschlag, auf die „wesentlichen Strukturen" zurückzugreifen, wurde wegen der bereits in der Gemeinsamen Verfassungskommission kritisierten Abgrenzungsschwierigkeiten abgelehnt. Letztendlich maßen die Mitglieder des Ausschusses der Ergänzung des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n.F. um den Passus „Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird ..." die notwendige Präzision bei, um das oben dargestellte Verständnis widerzuspiegeln.

f) Ergebnis der Debatte um den Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG Der Sonderausschuß einigte sich einstimmig auf die Fassung des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG, die letztendlich auch von den gesetzgebenden Körperschaften am 21. Dezember 1992 beschlossen wurde: 3 0 1 Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbarer Regelungen, durch die dieses Grundgesetz

299 Protokoll der 6. Sitzung des Sonderausschusses „ E u r o p ä i s c h e Union (Vertrag von Maastricht)" S. 10, (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 3 0 0 Protokoll der 6. Sitzung des Sonderausschusses „ E u r o p ä i s c h e Union (Vertrag von Maastricht)" S. 14, (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 301 Beschlußempfehlung und Bericht des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", BT-Dr 12/3896, S. 19, (Hervorhebungen im Text durch Verf.).

Ι . Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Art. 79 Abs. 2 und 3. M i t der Einführung der „vergleichbaren Regelungen" in den Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG soll deutlich werden, daß eine Zweidrittelmehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften nicht bereits deswegen entfallt, weil eine förmliche Änderung der vertraglichen Grundlage nicht erforderlich ist. Hinsichtlich des verbleibenden Anwendungsbereiches des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F. ist je nach Einzelfall zu prüfen, ob die Hoheitsrechtsübertragung auf Basis einer Evolutionsklausel aufgrund ihrer Bedeutung einer Vertragsänderung gleichkommt. Ob diese Interpretation des Sonderausschusses sich in der Staatspraxis durchzusetzen vermag, bleibt abzuwarten. Der auch weiterhin unklare Wortlaut der Vorschrift dürfe jedenfalls auch künftig Spielraum für Verfassungsstreitigkeiten bieten. 3 0 2

5. Art. 79 Abs. 1 GG: Das Textänderungsgebot Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG schreibt bei Gesetzesbeschlüssen mit verfassungsändernder Wirkung die ausdrückliche Änderung oder Ergänzung des Grundgesetztextes vor und verbietet somit „stillschweigende" Verfassungsänderungen. Die Vorschrift dient sowohl der Reflexion des Gesetzgebers über seine Haltung zum geltenden Verfassungsrecht 303 als auch der Rechtssicher-

302 V g l Gemeinsame Verfassungskommission, in: Bericht der GVK, Zur Sache 5/93, S. 42, in dem auf die besondere Problematik der Evolutionsklauseln nicht eingegangen wird:„Im Ergebnis bewirkt der Regelungsvorschlag zu Satz 2 und 3 damit, daß die mit der Ratifizierung des Unions-Vertrages verbundenen und alle weiteren „europäischen" Hoheitsrechtsübertragungen der verfassungsändernden Mehrheit des Artikels 79 Abs. 2 GG bedürfen (...)"; der Bericht geht allerdings von den Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission aus - also von den Beratungsergebnissen der Kommission (vgl. StenBer. 8. Sitzung, S. 4 und 6 f.) - bevor sich der Sonderausschuß „ E u r o p ä i s c h e Union" erstmals mit der Frage der Evolutionsklauseln befaßt hat. Im Ergebnis ebenso Wilhelm, BayVBl. 1992, 705, 707, der die Formulierung des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG n.F. „durch Gesetz" abweichend von der gleichlautenden Wendung in Art. 24 Abs. 1 GG Satz 2 liest: „nur durch Gesetz mit verfassungsändernder Mehrheit". Diese Auslegung verkennt, daß Art. 23 Abs. 1 zwischen Satz 2 und 3 unterscheidet. Allein Art. 23 Abs. 1 Satz 3 regelt die Hoheitsrechtsübertragung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG ist hingegen wie Art. 24 Abs. 1 GG zu lesen: Hoheitsrechte können unter bestimmten Voraussetzungen (s.o.) - auch wenn diese nicht häufig gegeben sein werden - auch durch den einfachen Gesetzgeber übertragen werden. 303 Bryde, in: v. Münch, Art. 79 Rn. 6.

7 Schmalenbach

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes heit, die verlangt, den Ist-Bestand an positivem Verfassungsrecht ohne weiteres anhand des Grundgesetzes erkennen zu können. 3 0 4 Der Abgeordnete Verheugen (SPD) sprach in der Gemeinsamen Verfassungskommission die rechtliche Problematik des Art. 24 Abs. 1 GG für die Verfassungsklarheit an. Die verfassungsändernde Wirkung der Hoheitsrechtsübertragung würde sich aufgrund der Sonderermächtigung des Art. 24 GG nicht in einer dementsprechenden Textänderung des Grundgesetzes widerspiegeln. 305 Dies wirft nach Ansicht des SPD-Abgeordneten die Frage auf, inwieweit das Grundgesetz überhaupt noch alle Bestimmungen enthält, die in Wahrheit Verfassungsrang haben, und inwieweit Grundgesetzbestimmungen durch Überlagerung europäischen Rechts obsolet geworden sind. 3 0 6 Gleichzeitig räumte Verheugen jedoch ein, daß das Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG schwerlich durchgehalten werden könne, wenn in dem Umfang, wie es der Maastrichter Vertrag vorsieht, Souveränitätsrechte auf die Europäischen Gemeinschaften übertragen würden. 3 0 7 Diese Bedenken wurden von den Sachverständigen Stern und Tomuschat geteilt. 3 0 8 Deshalb schlug Stern der Verfassungskommission vor, als Ausweg aus dem Zwiespalt zwischen erstrebenswerter Verfassungsklarheit und praktikablem Verfahren, den bereits vorgegebenen Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG zu nutz e n . 3 0 9 1954 hatte der verfassungsändernde Gesetzgeber mit Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG eine Freizeichnung von dem Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG eingeführt, um bei bestimmten völkerrechtlichen Verträgen inhaltliche Abweichungen vom Grundgesetz auch ohne dessen ausdrückliche Änderung zu ermöglichen. Politischer Hintergrund für diese Ausnahmeregelung war die Verabschiedung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, der im Endeffekt jedoch niemals wirksam wurde. 3 1 0 Stern sah in dieser Freizeichnungsklausel die Möglichkeit, die vielfaltigen verfassungsrechtlichen Probleme auch im Hinblick auf die künftige Dynamik der eu304

Ridder, in: AK-GG, Art. 79 Rn. 16. Verheugen (SPD), StenBer 2. Sitzung, S. 30. 306 Verheugen (SPD), StenBer 2. Sitzung, S. 30. 307 Verheugen (SPD), StenBer 2. Sitzung, S. 31. 308 Stern, Stellungnahme, S. 14 f.; Tomuschat, Gutachten für die SPD-Fraktion S. 42 f., (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 309 Stern, Stellungnahme, S. 14 f. 310 Der EVG-Vertrag vom 27. 5. 1952, der die Einrichtung gemeinsamer europäischer Streitkräfte zum Inhalt hatte, widersprach Regelungen des GG. Anstelle der notwendigen Verfassungsänderung erfolgte mit der Einführung des Art. 79 I 1 i.V.m. Art. 142 a GG eine „Klarstellung", die den Vertrag mit dem Grundgesetz in Einklang brachte. Die EVG-Verträge scheiterten letztendlich an dem Widerstand Frankreichs. Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 79 Rn. 7. 305

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission ropäischen Integration zu lösen - allerdings unter der Voraussetzung einer Ergänzung des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG um den Aspekt „Vereintes Europa". 3 1 1 Die einzige, darüber hinaus notwendige Verfassungsänderung wäre die Einführung der gemäß Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG notwendigen Klarstellungsklausel, die generell feststellt, daß das Grundgesetz dem Vertrag der Europäischen Union und weiteren Integrationsschritten nicht entgegensteht. 312 Dieser Vorschlag stieß jedoch im Hinblick auf die ohnehin verfassungsrechtlich problematische Rolle des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG, als Ermächtigung zur Verfassungsdurchbrechung 313 und wegen der von allen Beteiligten angestrebten Verfassungsklarheit, in der Gemeinsamen Verfassungskommission auf Widerstand. 314 Die Anregung, die europäische Integration im Wege des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. einer Klarstellungsklausel zu ermöglichen, wurde aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Bedenken in der vorgeschlagenen Form nicht weiter verfolgt. Ebenfalls nicht durchsetzen konnte sich ein SPD-Vorschlag 315 zu Art. 23 GG, der zur Vermeidung des gefährlichen Instrumentariums der Verfassungsdurchbrechung 316 die Bindung der Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union an Art. 79 in allen drei Absätzen vorsah. Der SPD-Abgeordnete Verheugen führte dazu in der 7. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission aus: „... es soll damit verhindert werden, daß der Zustand noch einmal einreißt, daß irgendwo in Europa Regelungen mit verfassungsändernder Wirkung getroffen werden, die in diesem Grundgesetz dann überhaupt nicht mehr wiederzufinden s i n d . " 3 1 7 In Anbetracht der fortschreitenden europäischen Integration und der damit verbundenen Schwierigkeit, deren Auswirkung auf die deutsche Verfassungsordnung detailliert durch entsprechende Änderungen nachzuvollziehen, sah die Gemeinsame Verfassungskommission statt dessen davon ab, Hoheitsrechtsübertragungen, die zu materiell verfassungsändernden Regelungen auf europäischer Ebene führen können, an eine Änderung des Grundgesetztextes zu binden. Die Mitglieder einigten sich darauf, daß bei der Begründung und 311

Stern, Stellungnahme, S. 14 f; ebenso Tomuschat, Gutachten für die SPDFraktion, S. 42. 312 Stern, Stellungnahme, S. 14 f. 313 Ehmke, AöR 79 (1953/54) S. 385 ff.; Loewenstein, DÖV 1954, 385, 386; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 79 Rn. 6. 314 Verheugen, StenBer. 2. Sitzung, S. 31; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 23. 315 Abdruck unter D ΠΙ4 c. 316 Verheugen (SPD), StenBer. 2. Sitzung, S. 31. 317 Verheugen (SPD), StenBer. 7. Sitzung, S. 7.

7*

100

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

Weiterentwicklung der Europäischen Union nur Art. 79 Abs. 2 und 3 GG gilt. Art. 23 Abs. 1 GG n.F. bringt damit zum Ausdruck, daß Hoheitsrechtsübertragungen auf dem Grundkonsens der gesetzgebenden Körperschaften beruhen müssen, gesichert durch das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Das formelle Verfahren wird jedoch durch Ausklammerung des Textänderungsgebotes in Art. 79 Abs. 1 GG erleichtert. 318 Nach Vorstellung des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" soll von dieser Freistellung allerdings nur restriktiv Gebrauch gemacht werden. 3 1 9

6. Grenze der Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union nach Art. 79 Abs. 3 GG: der Europäische Bundesstaat ? Art. 23 Abs. 1 GG n.F. bestimmt die Grenze der Hoheitsrechtsübertragung, die auch nicht mit einer verfassungsändernden Mehrheit überwunden werden kann. Durch die ausdrückliche Anordnung der Wahrung des Art. 79 Abs. 3 GG wird in Art. 23 Abs. 1 GG n.F. die herrschende Rechtsauffassung, die sich bereits zu Art. 24 Abs. 1 GG herausgebildet hat, kodifiziert. 3 2 0 M i t dieser absoluten Grenze der Hoheitsrechtsübertragungen wird folglich keine Schranke für den Integrationsprozeß aufgebaut, die das deutsche Verfassungsrecht nicht schon vorher gekannt hat. Auch wenn der Maastrichter Vertrag inhaltlich den Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG letztlich standgehalten h a t , 3 2 1 so kann doch jede künftige Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union an der Klippe der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes scheitern. 322 Damit erhält der Verweis des Art. 23 Abs. 1 n.F. auf Art. 79 Abs. 3 GG, gerade in bezug auf die immer weiter fortschreitende europäische Integration zur Erreichung des angestrebten Ziels eines „vereinten Europas" (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG n.F.), eine besondere Bedeutung. Angesichts der mit Maastricht bereits er318 Der Berichterstatter Verheugen (SPD) wies trotz des erzielten Konsenses in der Frage des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG darauf hin, daß die Forderung, das Verfassungsrecht auch für die Bürger erkennbar zu machen, auch weiterhin gelte. Dies könnte z.B. durch eine besondere Form der VeröfTentlichungspflicht geschehen, wenn Hoheitsrechtsübertragungen oder Vertragsänderungen erfolgen, die das Grundgesetz beeinträchtigen könnten (StenBer. 8. Sitzung, S. 10.). 319 Beschlußempfehlung und Bericht des Sonderausschusses Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", BT-Dr 12/3896, S. 18. 320 Vgl. Ausführungen unter D11 b. 321 BVerfGE 89, 155 ff. (sog. Maastricht-Entscheidung); ausführlich zur Bundesverfassungsgerichtsentscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Maastrichter Vertrages, vgl. Ausführungen unter G. 322 Zur Frage der Zulässigkeit von Einbrüchen in die Garantien des Art. 79 Abs. 3 GG, wenn auf europäischer Ebene die Verletzung durch wesentlich gleiche Strukturen kompensiert wird, vgl. Ausführungen unter G Π 1 b.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

101

reichten Integrationsdichte stellte sich für die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission die Frage, ob der möglicherweise nächste Schritt hin zu den „Vereinigten Staaten von Europa" noch über Art. 23 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG erfolgen kann. Die Aufgabe der Staatlichkeit durch Eingliederung in einen europäischen Einheitsstaat wird in der Staatsrechtslehre einmütig als nicht vom Grundgesetz gedeckt angesehen. 323 Bereits die Formulierung der Präambel („gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa") lasse rechtlich nicht die Gründung eines europäischen Einheitsstaates z u . 3 2 4 Der Sachverständige Randelzhofer argumentierte in der Gemeinsamen Verfassungskommission, daß bei teleologischer Betrachtung der „Ewigkeitsgarantie" des Art. 79 Abs. 3 GG der verfassungsändernde Gesetzgeber, wenn er schon die Kernstrukturen der Verfassung nicht ändern dürfe, erst recht nicht befugt sei, die deutsche Staatlichkeit überhaupt zu beseitigen. 325 Dies würde aber bei einer Verschmelzung mit einem Zentralstaat, dessen Untergliederungen keine Staatsqualität besitzen, geschehen. Angesichts des mit Maastricht erreichten Integrationsstandes stellte sich in der Gemeinsamen Verfassungskommission jedoch dringender die Frage, ob Art. 79 Abs. 3 GG die Einordnung der Bundesrepublik Deutschland als Gliederstaat in einen europäischen Bundesstaat erlaube. Die Gemeinsame Verfassungskommission erbat zu diesem Thema Stellungnahmen von den geladenen Sachverständigen und berührte damit einen in der Verfassungslehre weitestgehend umstrittenen Punkt, dem auch weiterhin Aktualität zukommt, zumal auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung die Frage ausdrücklich offen gelassen h a t . 3 2 6 Der überwiegende Teil der Sachverständigen lehnte die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in einen europäischen Bundesstaat auf Grundlage des geltenden Grundgesetzes wegen der Sperre des Art. 79 Abs. 3 GG a b . 3 2 7 Er folgte damit im Ergebnis der in der juristischen Literatur oft vertre323

Stern, Staatsrecht Bd I, S. 521; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 48; Schilling, AöR 116 (1991), 32, 65; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Rn. 43. 324 Stern, Staatsrecht Bd I, S. 521. 325 Randelzhofer, Stellungnahme, S. 3; ders. StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 15; ebenso Stern, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 48. 326 BVerfGE 89, 155, 188 f. 327 Lerche, Stellungnahme, S. 7; Randelzhofer, Stellungnahme, S. 3; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 51; offenlassend Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 10. Woraus sich der Grundsatz der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland konkret ergibt, wird unterschiedlich beantwortet: Rojahn, in: v. Münch, Art. 24 Rn. 16, geht von einem im GG nicht näher lokalisierten Grundsatz der Souve-

10

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

tenen Auffassung, daß das Gebot der Wahrung der Souveränität nach Art. 79 Abs. 3 GG dem Beitritt zu einem Bundesstaat entgegenstehe, da Souveränität den Gliederstaaten fehle. 3 2 8 Die innere und äußere Souveränität der Bundesrepublik Deutschland würde bei der Schaffung eines europäischen Bundesstaates von der neu geschaffenen europäischen Souveränität überlagert und verdrängt. In der Verfassungslehre wird das grundgesetzliche Verbot einer Eingliederung in einen europäischen Bundesstaat auch aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitet, wonach die Staatsgewalt vom Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland 329 ausgehen muß. Bei einer Eingliederung in einen europäischen Bundesstaat, so wird argumentiert, gehe die „Volkssouveränität" jedoch von dem europäischen Staatsvolk aus und liege damit im Widerspruch zu Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 G G . 3 3 0 Der Sachverständige Lerche 331 stimmte dem Verständnis einer durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten deutschen Souveränität im Grundsatz zu. Wenn zu der Grundatmosphäre des Grundgesetzes jenes Maß an Eigenbestimmungsmacht Deutschlands gehöre, das im Falle einer Eingliederung in einen Bundesstaat verloren gehen würde, so wäre eine sprunghafte Entwicklung dorthin auf dem Boden des Grundgesetzes nicht zu vollziehen. Die so verstandene Souveränität müsse wohl zur unaufgebbaren „Identität und Kontinuität der Verfassung als Ganzes" i.S. Carl Schmitts 3 3 2 gerechnet werden. Die Schranke, die Art. 79 Abs. 3 GG damit der deutschen Mitgliedschaft in einem europäischen Bundesstaat entgegenhält, kann - so Randelzhofer - nie der Verfassungsgesetzgeber, sondern nur der Verfassungsgeber, sei es in Gestalt einer Volksabstimmung oder in Gestalt einer verfassungsgebenden Versammlung, beseitigen. Dabei könne sich die Funktion des Verfassungsgebers darauf beschränken, nur die Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG niederzulegen. Als Mitglied in einem europäischen Bundesstaat ändere sich die Rolle des Grundgesetzes ohnehin wesentlich. Als „Landesverfassung" wäre sie den prägenden Einflüssen der zu schaffenden europäischen Gesamtverfassung ausgesetzt. 333

ränität aus. Schilling, in: AöR 116 (1991), 32, 55, zählt zu den in Art. 79 m i.V.m. Art. 20 GG aufgeführten Grundsätzen die implizite Aussage, daß die Bundesrepublik Deutschland ein souveräner Staat ist. 328 Schilling, AöR 116 (1991), S. 32, 65; Randelzhofer, in: Handbuch des Staatsrechts Bd. 1,§ 15 Rn. 25. 329 Vgl. BVerfGE 83, 60,71 ff. 330 Schilling, AöR 116 (1991), S. 32, 65; so auch Brunner, Begründung der Verfassungsbeschwerde vom 18.12. 1992, S. 37, (unveröffentlicht, Text liegt Verf. vor). 331 Lerche, Stellungnahme, S. 7; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 51. 332 Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), S. 103. 333 Randelzhofer, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 51.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Zu einer anderen Beurteilung kam hingegen der Sachverständige Tomuschat 334, der in der Gemeinsamen Verfassungskommission die Auffassung vertrat, daß die Verfassungskerngarantie in Art. 79 Abs. 3 GG nicht das Fortbestehen des Staates Bundesrepublik Deutschland als souveräne Völkerrechtsperson verlange. Die Präambel weise eindeutig auf ein vereintes Europa hingewiesen, das in seiner letzten Ausformung schließlich auf einen europäischen Bundesstaat hinauslaufen werde. 3 3 5 Damit enthalte das Grundgesetz nach Ansicht Tomuschats eine ausdrückliche Mediatisierungsvorschrift, die die Unterwerfung unter einen europäischen Verfassungsstaat zulasse. Aufgrund dessen, folgerte Tomuschats weiter, liege die Zustimmung zu der Eingliederung in einen europäischen Bundesstaat allein in den Händen des verfassungsändernden Gesetzgebers. Die Figur des „pouvoir constituant", des Verfassungsgebers, der zwar nicht an die Grenzen der Art. 79 Abs. 3 GG gebunden ist, aber auch nur schwer in das Institutionsgefüge des Grundgesetzes einbezogen werden kann, müsse daher nicht bemüht werden. 3 3 6 Der Streit um den Schutz, den das Grundgesetz der deutschen Souveränität angedeihen läßt, hat nach Ansicht aller Sachverständigen derzeit jedoch noch keine Auswirkungen auf die Verfassungsmäßigkeit der bundesdeutschen Einbindung in die mit Maastricht geschaffene Europäische Union. Diese würde derzeit weder die Kernbereiche staatlicher Souveränität berühren, noch könne sie im jetzigen Stadium die Attribute eigener Staatsqualität auf sich vereinig e n . 3 3 7 Ein Bundesstaat mit eigener Staatsqualität könne die Europäische Union bereits deswegen noch nicht sein, weil eine europäische Allzuständigkeit, d.h. die Möglichkeit, die Zuständigkeitsverteilung gegenüber den Mitgliedstaaten eigenständig zu ändern und damit den Umfang europäischer Hoheitsrechte selbst zu bestimmen (Kompetenz-Kompetenz), auch nach Maastricht nicht gegeben sei. 3 3 8 Darüber hinaus besitze die Europäische Union nach Auffassung der Sachverständigen auch kein eigenes Staatsvolk. 339 Zwar würde mit Art. 8 ff. EGV die Einführung der Unionsbürgerschaft vollzogen, dennoch sei diese nicht mit der klassischen Staatsangehörigkeit vergleichbar, 334

Tomuschat, Stellungnahme, S. 8; ders., StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 52; (a.A. ders., in: BK, Art. 24 Rn. 46); ebenso Bieber, Stellungnahme, S. 14 f. 335 Tomuschat, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 52; a.A. Brunner, Begründung der Verfassungsbeschwerde vom 18. 12. 1992, S. 36, (unveröffentlicht Text liegt Verf. vor). 336 Tomuschat, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 52; ebenso Bieber, Stellungnahme, S. 14 f. 337 Hölzer, Stellungnahme, S. 8; Stern, Stellungnahme, S. 9; so auch BVerfGE 89, 155, 188 f. 338 Lerche, Stellungnahme, S. 1; zur Frage der Kompetenz-Kompetenz der Europäischen Union vgl. S. 163 ff. 339 Lerche, Stellungnahme, S. 1; Stern, Stellungnahme, S. 9.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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da insbesondere ein umfassendes Schutz- und Treueverhältnis zwischen der Union und ihren Bürgern fehle. 3 4 0 Aufgrund der noch nicht erreichten Eigenstaatlichkeit der Europäischen Union stellt sich nach Meinung der Sachverständigen die Frage nach der Vereinbarkeit des Maastrichter Vertrages mit Art. 79 Abs. 3 GG im Hinblick auf die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig nicht. Der Sachverständige Lerche sah darüber hinaus auch im Falle einer künftigen Entwicklung zu einem europäischen Gesamtstaat - soweit sie sich nur schrittweise vollzieht - die Möglichkeit, in dieser „Schwebezone" auf Grundlage des geltenden Grundgesetzes, die europäische Integration zu betreiben. In diesem Fall bedürfe es zunächst zur Überwindung des Art. 79 Abs. 3 GG keiner neuen Verfassung bedarf. 341 Die prinzipielle Souveränität der Bundesrepublik Deutschland dürfe nicht als „statischer Sperrblock" aufgefaßt werden, der keine schrittweise Ausformung eines europäischen Bundesstaates erlaube. 342 Nach Auffassung von Isensee kann sich gleichwohl ein tiefgreifender Souveränititätsverlust der Bundesrepublik Deutschland einstellen, wenn die Europäische Union die Endphase des Vollzugs der Währungsunion erreicht h a t . 3 4 3 Dann nämlich würde ein Kernbereich der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland auf die Union übergehen. Über die Frage, ob das Grundgesetz in Art. 79 Abs. 3 auch die souveräne Staatlichkeit der Bundesrepublik schütze, müsse nach Ansicht des Sachverständigen daher erst in der Endphase des Vollzugs der Währungsunion neu verhandelt werden. 3 4 4

7. Mitwirkungsrechte des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union Die Mitwirkungsbefügnisse der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union werden in Art. 23 Abs. 2 , 4 bis 7 GG n.F. einer detaillierten Regelung unterzogen. Sie sind der Erfolg einer mühsamen Kompromißsuche in den Sitzungen der Gemeinsamen Verfassungskommission und in den Gesprächskreisen der Berichterstatter von Bundestag und Bundesrat. Das Ergebnis ist ein in seiner Intensität gestufter Befügniskatalog, der von der bloßen 340

Stern, Stellungnahme, S. 9. Lerche, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 37. 342 Lerche, Stellungnahme, S. 7. 343 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 10. 344 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 9 f.; a.A. BVerfGE 89, 155, 200 f.; siehe auch Ausführung unter G Π 2 c. In der Endphase der Währungsunion werden die nationalen Währungen durch eine europäische Währung ersetzt (Art. 109 1 EUV). Mit der Annahme des Maastrichter Vertrages verzichtet die Bundesrepublik Deutschland in dieser dritten und letzten Stufe der Währungsunion auf ihre Währungshoheit. 341

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Verpflichtung der Bundesregierung, den Standpunkt des Bundesrates zu berücksichtigen, bis hin zum Letztentscheidungsrecht des Bundesrates und der eigenständigen Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte in der Europäischen Union reicht. Das in Art. 23 GG n.F. verfassungsrechtlich abgesicherte Verfahren wurde nur durch beiderseitiges Nachgeben - sowohl auf Länder- wie auch auf Bundesseite - erreicht. Ob das gefundene Ergebnis, das Ausdruck der prinzipiellen Gleichstellung von Bund und Ländern in dem bundesstaatlichen System der Bundesrepublik Deutschland sein soll, 3 4 5 allerdings geeignet ist, die Kooperation konfliktfrei zu gestalten, wird sich erst mit der Praktikabilität des Verfahrens in der künftigen Europapolitik erweisen. In der wissenschaftlichen Literatur werden bereits Zweifel laut, ob nicht die Kompliziertheit der abgestuften Mitwirkungsformen zu einer gegenseitigen Blockierung von Bund und Ländern führen wird. So bemerken Oppermann/Claasen, daß die Gefahr nicht ausgeschlossen sei, daß die Bundesrepublik Deutschland anstelle des bewährten Integrationshebels Art. 24 Abs. 1 GG einen „Europabehinderungsartikel 23 GG" erhalte, der die Handlungsfähigkeit der deutschen Vertreter innerhalb der Europäischen Gemeinschaften beeinträchtige. 346

a) Art. 23 Abs. 2 und 4 GG n.F.: UnterrichtungsMitwirkungsrechte des Bundesrates

und

Art. 23 Abs. 2 GG n.F. stellt in allgemeiner Form fest, daß der Bundesrat neben dem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirkt und dazu von der Bundesregierung umfassend und frühestmöglich über die Vorhaben der Gemeinschaft unterrichtet w i r d . 3 4 7 Bereits vor Maastricht ergab sich eine Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften im Hinblick auf die Tätigkeiten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Europäischen Atomgemeinschaft einfachgesetzlich aus Art. 2 des Gesetzes zu den Gründungsverträgen der EWG und EAG vom 25. März 1957. 3 4 8 Dieses sog. „Zuleitungsverfahren" verpflichtete die Bundesregierung bereits im Anfangsstadium europäischer Gemeinschaftspolitik dazu, Bundestag und Bundesrat 345

Scholz, NJW 1992, 2593, 2600. Oppermann/Claasen, NJW 1993, 5, 12. 347 Die Gemeinsame Verfassungskommission fügte erst nachträglich die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ein und empfahl sie zusammen mit der Mitwirkungsrechten des Bundestages in Art. 23 Abs. 3 in ihrer 11. Sitzung am 15. Oktober 1992 den gesetzgebenden Körperschaften zur Annahme. 348 BGBl. 1957 Π, S. 753. 346

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

gleichermaßen über die Entwicklungen im europäischen Rat zu unterrichten, und zwar vor der Beschlußfassung im Rat, wenn die angestrebten europäischen Richtlinien innerdeutsche Gesetze verlangen oder Verordnungen unmittelbar geltendes Recht schaffen würden. Die nun auch verfassungsrechtlich abgesicherte Unterrichtungspflicht in Art. 23 Abs. 2 GG n.F. umfaßt alle Vorhaben der Europäischen Union, soweit diese für die Bundesländer von Interesse sein könnten; 3 4 9 ihre Beachtung ist Grundvoraussetzung für eine effektive und konfliktfreie Kooperation des Bundesrates mit der Bundesregierung in europäischen Fragen. So wie die frühzeitige Unterrichtung der Länder als geradezu selbstverständliche Verfassungspflicht von allen Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission diskussionslos akzeptiert wurde, so zeigten sich die Vertreter von Bund und Ländern hinsichtlich der Verbindlichkeit der auf Basis der zugeleiteten Informationen abgegebenen Stellungnahmen des Bundesrates wenig einvernehmlich. Umfang und Intensität der Mitwirkungsrechte der Bundesländer waren seit Gründung der Europäischen Gemeinschaften Gegenstand eines Streits, dessen endgültige Beilegung im Sinne der Länderinteressen ein unumstößliches Anliegen ihrer Vertreter in der Gemeinsamen Verfassungkommission war.

aa) Bisherige Mitwirkungsrechte der Bundesländer Das Problem der fehlenden Mitwirkung der Bundesländer an den politischen Entscheidungen auf europäischer Ebene existiert bereits seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaften. Die Gründungsverträge der EGKS, EAG und EWG in ihrer ursprünglichen Fassung sahen eine Länderbeteiligung in den Gemeinschaftsorganen Parlament, Rat und Kommission nicht vor. Insofern fehlte es von vornherein an der Möglichkeit einer unmittelbaren Einflußnahme der Bundesländer auf die Willensbildung der Organe der Europäischen Gemeinschaften. Als Zugeständnis an die Interessen der Regionen und Länder in den Mitgliedstaaten wurde 1988 zwar der „Beirat der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften" geschaffen, jedoch eröffnet diese Institution den Bundesländern keinen befriedigenden Weg, unmittelbar auf die Handlungen der Gemeinschaften Einfluß zu nehmen, da der Beirat der Kommission lediglich beratend in Fragen der Regionalpolitik zur Seite steht. Auf bundesdeutscher Ebene versuchten Bund und Länder, im Wege von unverbindlichen und förmlichen Absprachen, ihre Zusammenarbeit im Bereich der internationalen Beziehungen - insbesondere der Europäischen Ge349 Ygi § 3 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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meinschaften - einvernehmlich zu gestalten. So war die „Kramer-HeublKommission" ein Gesprächskreis, der sich von 1963 bis 1968 mit den konträren Positionen von Bund und Ländern in Fragen der Außenvertretungskompetenz befaßte. Die Bundesländer beanspruchten aufgrund der Übertragung von Länderkompetenzen auf die Europäischen Gemeinschaften ein Recht auf unmittelbare Mitwirkung in deren Organe, während die Bundesregierung diese Forderung mit dem Hinweis auf Art. 32 GG ablehnte: Art. 32 Abs. 1 GG spreche das Außenvertretungsmonopol dem Bund zu, während die Länderbefugnisse auf diesem Gebiet durch Art. 32 Abs. 2 GG eine abschließende Regelung erfahren würden. 3 5 0 Unbeschadet dieser abweichenden Rechtsstandpunkte erarbeitete die Kommission einen Kompromiß, der darauf zielte, die Sachkunde der Länderbeamten auf den Gebieten der Länderkompetenzen für Verhandlungen im auswärtigen Bereich nutzbar zu machen. Die Teilnahme von Persönlichkeiten aus dem Länderbereich an deutschen Delegationen, z.B. in EG-Ausschüssen, soll dann möglich sein, wenn der Bund mangels eigener innerstaatlicher Zuständigkeit über keine geeigneten Fachkräfte verfügt, die deutsche Verhandlungsposition durch die Teilnahme verbessert werden kann oder wesentliche Belange der Länder von dem EG-Vorhaben betroffen sind. 3 5 1 Die eigentliche Mitwirkung der Länder in europäischen Angelegenheiten liegt dabei im Vorfeld der Verhandlungen bei der Vorbereitung der Verhandlungslinie, während nach außen die deutsche Delegation geschlossen als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland auftritt. 3 5 2 Diese Absprache wurde 1968 sowohl von den Ministerpräsidenten der Länder als auch von der Bundesregierung als rechtlich nicht verbindliche Vereinbarung gebilligt. Beide Seiten waren sich darüber einig, daß das Verfahren erst in der Praxis auf seine Praktikabilität geprüft werden sollte, um nicht voreilig eine evtl. unvollkommene Regelung mit bindendem Charakter auszustatten. 353 Das Problem mangelnder Partizipation an der europäischen Entscheidungsfindung wurde, trotz der vielfaltigen Bund-Länder-Abkommen, 1986 zu einem offenen politischen Konflikt zwischen Bundesrat und Bundesregierung. Als der Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die Einheitliche Europäische Akte einer Reform unterzogen wurde, kritisierten 350 S. 62.

V g l

Birke, Die deutschen Bundesländer in den Europäischen Gemeinschaften,

351 Abdruck des Kramer-Heubl-Abkommens in: Morawitz, Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Vorhaben der Europäischen Gemeinschaften, Anhang Π. 352 Birke, Die deutschen Bundesländer in den Europäischen Gemeinschaften, S. 64. 353 Morawitz, Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Vorhaben der Europäischen Gemeinschaften, S. 40.

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

die Bundesländer, daß sie bei dem Zustandekommen des völkerrechtlichen Vertrages aus ihrer Sicht von der Bundesregierung nicht ausreichend konsultiert worden seien. Der Bundesrat machte daraufhin seine Zustimmung zu dem Ratifizierungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 GG) davon abhängig, daß seine Interessen wenigstens im Wege der mittelbaren, über die Bundesregierung erfolgende Einflußnahme auf die Organe der Europäischen Gemeinschaften gesichert werden. 3 5 4 Diesem Druck mußte der Bund im Interesse der europäischen Integration letztlich nachgeben. Art. 2 des Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen A k t e 3 5 5 verpflichtete - bis zu seiner Aufhebung 1993 - die Bundesregierung einfachgesetzlich, den Bundesrat über alle Vorhaben, die für die Länder von Interesse sein könnten, umfassend und frühestmöglich zu unterrichten. Zudem mußte sie vor ihrer Zustimmung zu Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften die Stellungnahme des Bundesrates einholen, zumindest soweit diese Beschlüsse sich auf Materien bezogen, die in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder fielen oder deren wesentliche Interessen berührten. Diese Stellungnahmen hatte die Bundesregierung bei den Verhandlungen zu berücksichtigen, und zwar bei Vorhaben im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung als maßgeblich, soweit nicht zwingende Gründe außen- und integrationspolitischer Art keine andere Entscheidung fordern. Sollte dies einmal der Fall sein, so waren dem Bundesrat die dafür ausschlaggebenden Gründe mitzuteilen. Darüber hinaus eröffnete das Gesetz in Art. 2 Abs. 5 den Ländervertretern im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung die Möglichkeit der Teilnahme in der deutschen Delegation an Arbeitsausschüssen und Arbeitsgruppen bei Kommission und Rat. Der Bundesrat wies bereits in seiner Stellungnahme zu dem Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte darauf hin, daß diese Regelungen später in der Verfassung festgelegt werden müßten. 3 5 6

bb) Streit um die verfassungsrechtliche Absicherung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates Der Forderung nach verfassungsrechtlicher Normierung der Regelungen des Art. 2 des Gesetzes über die Einheitliche Europäische Akte wollte der Bundesrat am 16.5.1991 in seinem Gesetzentwurf zur Änderung des Art. 24

354

BRat, in BR-Dr 150/ 86 (Beschluß), S. 4. BGBl. 1986 Π, S. 1102; Art. 2 des Gesetzes ist nunmehr aufgehoben durch § 15 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (BGBl. 1993 I, S. 313, 315). 356 BRat, in BR-Dr 150/86 (Beschluß), S.4. 355

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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GG umsetzen 3 5 7 Der Bundesrat begründete diesen Vorstoß mit der Gefahrdung der bundesstaatlichen Ordnung nicht nur durch die Übertragung der Hoheitsrechte, sondern auch durch die Ausübung des übertragenen Rechts seitens der Gemeinschaften. Da die Mitwirkung an Entscheidungen auf europäischer Ebene als auswärtige Angelegenheit gem. Art. 32 Abs. 1 GG nur dem Bund genauer der Bundesregierung - zustände, hätte dies eine innerstaatliche Kompetenzverschiebung von den Ländern zum Bund zur Folge, zu dessen Ausgleich die Einflußnahme auf die Willensbildung des Bundes in Angelegenheiten der zwischenstaatlichen Einrichtung wirksam verstärkt werden müßte. Die Bedeutung des bundesstaatlichen Prinzips verlange nach Ansicht des Bundesrates auch, daß die Mitwirkungsrechte des Bundesrates nunmehr verfassungsrechtlich zur Pflicht gemacht würden. 3 5 8 Die Bundesregierung sah hingegen keinen Regelungsbedarf auf Verfassungsebene, da den Interessen der Länder bereits durch einfaches Recht (Art. 2 Gesetz zur EEA) und durch ergänzende Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder ausreichend Rechnung getragen worden sei. 3 5 9 Diese Position behielt die Bundesregierung anfänglich auch in der Gemeinsamen Verfassungskommission bei. Das bisherige Verfahren zur Ausgestaltung der Länderbeteiligung in EG-Angelegenheiten habe sich, so die Bundesregierung, in der Staatspraxis bewährt: „Der Bund ist bereit, diese Verfahren fortzuentwickeln und fortzuschreiben und bei sich neu ergebenden Interessenlagen weitere Beteiligungswünsche der Länder im Rahmen bestehender Möglichkeiten aufzunehmen." 360 Staatssekretär Neusei (BMI) wies im Namen der Bundesregierung auch auf den durch die Maastrichter Beschlüsse neuerrichteten EG-Regionalausschuß hin, der die weitere Berücksichtigung der Länderinteressen sicherstelle und dessen Bewährung zunächst abzuwarten sei: „Es ist selbstverständlich, daß für die Benennung der Mitglieder dieses Ausschusses die Vorschläge der Länder maßgebliche Bedeutung haben." 3 6 1

357

BT-Dr 12/549 bzw. BT-Dr 11/7391; vollständiger Abdruck unter D Π 1. BRat, in BT-Dr 11/7391, S. 5; so auch die Forderung in der Gemeinsamen Verfassungskommission: Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 9; Teufel (BadenWürttemberg), StenBer. 3. Sitzung, S. 7; Ministerpräsidentenkonferenz vom 12. März 1992, Arbeitsunterlage Nr. 2, S. 3 f. Diese Forderung findet auch im wissenschaftlichen Schrifttum Zustimmung: vgl. Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt, S. 263 ff. 359 BReg, in BT-Dr 11/7391, S. 6. 360 Neusei (BMI), StenBer. 3. Sitzung, S. 5. 361 Neusei (BMI), StenBer. 3. Sitzung, S. 5. 358

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

Wie zu erwarten, konnten die Vertreter des Bundesrates diese Auffassung nicht teilen. Im Forum der Gemeinsamen Verfassungskommission bezeichnete Staatsminister Stoiber (Bayern) die Unterrichtung und Mitwirkung der Länder durch das Ausführungsgesetz der Einheitlichen Europäischen Akte als eine lediglich auf dem Papier stehende Farce. 3 6 2 Zur Stärkung des Föderalismus müßten die Mitwirkungsrechte der Landesregierungen durch eine entsprechende Verfassungsänderung festgeschrieben werden, ohne die die Länder nicht bereit seien, die Stärkung der Zentralgewalt in Brüssel politisch zu akzeptieren. 363 Diesem Druckmittel, aber auch den verfassungsrechtlichen Argumenten der Bundesländer konnten sich die Vertreter von Bundestag und Bundesregierung auf Dauer nicht verschließen. In der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde seitens der Vertreter des Bundesrates vielfach darauf hingewiesen, daß die europäische Integration zu einer Aushöhlung der Länderkompetenzen geführt habe und auch weiter führen würde. Sie bezogen sich dabei auf Regelungen des Maastrichter Vertrages, die z.B. Eingriffe in die Kulturhoheit der Länder vorsehen (Art. 128 EGV). Weitere Veränderungen der Länderkompetenzen würden auch über Art. 235 EWGV ermöglicht, der in einem Vertragslückenschließungsverfahren den Rat ermächtigt, zur Erreichung der Ziele der Gemeinschaften bisher nicht übertragene Kompetenzen im Rahmen der vorgegebenen Zielbestimmungen durch einstimmigen Beschluß an sich zu ziehen. 3 6 4 Diese Ermächtigung eröffne damit den Weg, in originäre Länderkompetenzen wie Kulturhoheit, Landesentwicklung, Umweltschutz etc. einzugreifen. 365 Der zwangsläufige Substanzverlust der Länder sei - so der nachdrückliche Appell Stoibers - nur durch entsprechende Mitwirkungsrechte der Länder an europäischen bzw. innerstaatlichen Entscheidungen, die dann zu europäischen werden, auszugleichen. „Es kann gar nicht anders sein, weil sich sonst die Länder in immer höherem Maße von ihrer eigenen Staatlichkeit verabschieden würden." 3 6 6 Der Vorsitzende der Gemeinsamen Verfassungskommission und CDU/CSU-Abgeordnete Scholz, der angesichts der unter föderativen Gesichtspunkten problematischen Entwicklung Verständnis für dieses Anliegen zeigte, beschrieb die Situation der Bundesländer anschaulich als eine „Schere", zwischen die die Länder geraten seien: „(der) zentralistische Zug der Bundesgesetzgebung innerstaatlich und das Gleiche auf supranationaler Ebene." 3 6 7 362 363 364 365 366 367

Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 26. Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 26. Im EWG-Bereich sind auf diese Weise bis 1987 435 Beschlüsse gefaßt worden. Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 8. Stoiber (Bayern), StenBer. 3. Sitzung, S. 8. Scholz (Vorsitzender), StenBer. 3. Sitzung, S. 21.

Ι . Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Als Kompensation für die eingetretenen und drohenden Kompetenzeinbußen der Bundesländer und als Konsequenz aus dem Bundesstaatsprinzip, das auch die Eigenstaatlichkeit der Länder schützt, wurde der Forderung der Bundesländer nach verfassungsrechtlich gesicherter Beteiligung an dem Willensbildungsprozeß der Bundesrepublik Deutschland in europäischen Angelegenheiten nachgegeben. M i t dieser Einigung war jedoch noch nicht die Frage geklärt, in welchem Umfang und mit welcher Intensität die Mitwirkungsrechte verfassungsrechtlich zugesprochen werden sollen.

cc) Kritik an dem Vorschlag der Kommission Verfassungsreform Als Vorlage für eine mögliche verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte der Bundesländer diente der Gemeinsamen Verfassungskommission der Formulierungsvorschlag der 1991 vom Bundesrat eingesetzten Kommission Verfassungsreform zur Änderung des Art. 24 G G , 3 6 8 der insbesondere von den Vertretern des Bundesrates als Diskussionsgrundlage in die Gemeinsame Verfassungskommission eingebracht worden w a r : 3 6 9 Art. 24 (2) In den Angelegenheiten dieser Einrichtungen wirken die Länder bei der Willensbildung des Bundes und bei der Wahrnehmung der Rechte mit, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat zustehen. Soweit ihre in diesem Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen berührt werden, erhalten sie die Möglichkeit einer wesentlichen Einflußnahme auf die Willensbildung. Die Rechte, die der Bundesrepublik als Mitgliedstaat zustehen, können die Länder wahrnehmen, wenn im Schwerpunkt ihre in diesem Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten berührt werden. Das Nähere regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Neben der mittelbaren Einflußnahme des Bundesrates auf die Politik der Gemeinschaften (Satz 2 des Vorschlages) soll nach Vorstellung der Bundesratskommission durch Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte seitens der Bundesländer erstmalig die Möglichkeit einer direkten Teilnahme an Entscheidungen auf europäischer Ebene eröffnet werden (Satz 3 des Vorschlages). Abgesehen von den völlig gegensätzlichen Auffassungen des Bundes und der Länder in Fragen der inhaltlichen Ausgestaltung dieser Mitwirkungsbe-

368

Bundesrat Kommission Verfassungsreform vom 7.10.1991, Arbeitsunterlage Nr. 26 bzw. BR-Dr 360/92. 369 Vollständiger Abdruck unter D Π 3.

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

fügnisse, sah sich der Entwurf insbesondere wegen seiner Terminologie erheblicher Kritik ausgesetzt. Die Sachverständigen waren einhellig der Auffassung, daß die gewählten Formulierungen für einen Verfassungstext zu unscharf seien. Bieber kritisierte, daß die Wendung „Angelegenheiten der Einrichtungen" (Satz 1 des Vorschlages) nicht erkennen lasse, ob alle oder nur einige der gemeinschaftlichen Aufgaben gemeint seien. Offen bliebe die Frage, ob der Bundesrat bei der Ernennung der Mitglieder der Kommission und des EuGH oder auch bei dem Wahlgesetz der Mitglieder des Parlamentes mitwirken solle. 3 7 0 Besonders die Begriffe „wesentliche Interessen" und „wesentliche Einflußnahme" stießen weitestgehend auf Ablehnung. Die Termini hätten keinen feststehenden Inhalt und seien daher ohne Konkretisierung kaum justitiabel. 3 7 1 Die Kriterien würden, so Tomuschat, zu einer permanenten Streitfront führen. So bliebe offen, wie eine Lösung gefünden werden soll, wenn sich Bund und Länder nicht einigen können, ob z.B. aufgrund des Begriffes „wesentlich" die Meinung der Länder in jedem Fall als ausschlaggebend sein soll. Wegen dieser textlichen Ungenauigkeit sei der Vorschlag keine geeignete Grundlage für die verfassungsrechtliche Absicherung der Mitwirkungsrechte der Bundeslän' d e r . 3 7 2 Der Sachverständige Tomuschat sah auch keine Lösung in einer einfachgesetzlichen Konkretisierung der umstrittenen Begrifflichkeiten. „Verfahren und verfassungsrechtliche Willensbildung müssen vom Verfassungsgeber festgelegt werden und dürfen nicht dem einfachen Gesetzgeber überlassen werden. Die Aussage, das Nähere regele ein Bundesgesetz, ist trügerisch und irreführend, weil eben nicht nur 'das Nähere' zu regeln ist, sondern völlig neue Verfahrensmechanismen gefünden werden müssen, zu deren Inhalt der Text schlechthin keine Aussage macht." 3 7 3

dd) Bundesrat als „Sprachrohr" der Länder Neben sprachlichen Aspekten wurde in der Gemeinsamen Verfassungskommission am Rande auch die Frage aufgeworfen, wie die Länderinteressen am sinnvollsten gebündelt werden können, um ein praktikables Mitwirkungsverfahren zu gewährleisten. Die Empfehlung der Kommission Verfassungsref o r m 3 7 4 billigt den „Bundesländern" die Mitwirkungsrechte zu, wobei aller370

Bieber, Stellungnahme, S. 18. Randelzhofer, Stellungnahme, S. 5; a.A. Vogel (SPD), StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 29. 372 Ebenso Stern, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 48. 373 Tomuschat, Stellungnahme, S. 13. 374 Abdruck unter D Π 3. 371

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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dings primär die Möglichkeit der Wahrnehmung dieser Rechte durch den Bundesrat in Erwägung gezogen wurde. Die Konsultation des Bundesrates durch die Bundesregierung bei der Behandlung von europäischen Sachfragen, die ausschließliche Gesetzgebungsmaterien der Länder betreffen, ist seit Gründung der Europäischen Gemeinschaften gängige - wenn auch nicht unumstrittene - Praxis. Bezog sich seit 1957 die Unterrichtungspflicht der Bundesregierung auf den Bundesrat, so führte mit dem Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte allein dessen Stellungnahme zur Berücksichtigung der Länderinteressen bei der Entscheidungsfindung in den Gemeinschaften. Damit haben zwar nicht die Länder per se, wohl aber die Landesparlamente im politischen Machtgefüge der Bundesrepublik Deutschland an Einfluß verloren ein Umstand, der zweifelsohne das Demokratieprinzip berührt, zumal dem Zusammenspiel der Regierungen auf nationaler Ebene eine Gesetzgebung durch ein exekutiv besetztes Gemeinschaftsorgan auf europäischer Ebene gegenübersteht. 3 7 5 Verfassungsrechtliche Bedenken wurden dem einfachgesetzlich abgesicherten Verfahren auch unter dem Gesichtspunkt entgegengebracht, daß der Bundesrat nach Art. 50, 51 GG als ein an der Bundesgesetzgebung und Verwaltung mitwirkendes Bundesorgan, nicht jedoch als Hüter der Landesgesetzgebungskompetenzen füngiere. 376 Aber gerade in dieser Funktion traten die Vertreter des Bundesrates in der Gemeinsamen Verfassungskommission auf. Die Kompetenzverluste der Länderparlamente durch die Hoheitsrechtsübertragungen waren das zentrale Argument der Vertreter der Landesregierungen, um wesentliche Mitwirkungsrechte des Bundesrates bei der Willensbildung der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten zu fordern. Einige Sachverständige in der Gemeinsamen Verfassungskommission problematisierten dann auch die Frage, ob Mitwirkungsrechte der sechzehn Bundesländer im Hinblick auf die Handlungsfähigkeit des Bundes sinnvoll seien oder ob die Kompetenzverluste der Länder durch Stärkung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates ausgeglichen werden könnten. Isensee gab hier grundsätzlich zu bedenken, daß die Stärkung der Rechte des Bundesrates im Prinzip keinen angemessenen Ausgleich für die Kompetenzverluste der Länder bewirken würde. 3 7 7 Der Bundesrat sei ein Bundesorgan, die Verluste würden jedoch die Länder als Gliedstaaten treffen. „Was die Länder im Bundesrat in den letzten Jahrzehnten an Zugewinn bekommen haben, kann ja nur den Landesregierungen bzw. den von den Landesregierungen 375

Zur Frage, ob die Landesparlamente ihre Regierungen im Bundesrat durch verbindliche Beschlüsse festlegen kann, vgl. Fn. 384. 376 Ress, EuGRZ 1986, 549, 550; Müller, DÖV 1993, 103, 105. 377 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 40 f.

8 Schmalenbach

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

benannten Bundesratsmitgliedern zukommen, nicht aber etwa dem Landtag als Organ." 3 7 8 Isensee bezieht sich mit diesen Erwägungen auf ein grundsätzliches, nicht nur die europäische Integration betreffendes Problem, das in Politik und Wissenschaft zwar erkannt, bisher jedoch noch keiner für die Landesparlamente befriedigenden Lösung zugeführt wurde. Der föderative Aufbau der Bundesrepublik Deutschland, wie er vom Parlamentarischen Rat 1949 konzipiert wurde, hat im Laufe des Bestehens des Grundgesetzes einen Wandel erfahren, der mit dem Schlagwort „Unitarisierung" charakterisiert w i r d . 3 7 9 Wesentliche Kompetenzverschiebungen zugunsten des Bundes haben dazu geführt, daß der Bundesrat im Gegensatz zu den Landesparlamenten stetig an Einfluß auf die Bundesgesetzgebung gewinnt, er also als intakte Gewalt erhalten bleibt. Dies führt dazu, daß schon im Bereich der nationalen Gesetzgebung die Verdrängung des „Kompetenzföderalismus" durch „Mitwirkungsföderalismus" auf Kosten der Landesparlamente geht, denen die Möglichkeit politischer Gestaltung durch die Landesgesetzgebung endgültig entzogen wird, ohne gleichzeitig ein Wirkungsfeld auf Bundesebene zu erhalten. 380 Eine Stärkung des exekutiv besetzen Bundesrates nun auch in europäischen Angelegenheiten - insbesondere soweit es um ausschließliche Gesetzgebungsbefügnisse der Länder geht - erscheint in diesem Kontext für die Länderparlamente ein schier untragbarer Zustand. Gleichwohl wurde in der Gemeinsamen Verfassungskommission von den Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage, die in der 5. Sitzung zu dem Themenkomplex „Gesetzgebungsbefügnisse und -kompetenzen im Bundesstaat" als deren Repräsentanten gehört wurden, kein Anspruch auf Mitwirkung an der Willensbildung der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten erhoben. 381 Im Zentrum ihrer Interessen stand vielmehr die verfassungsrechtliche Absicherung der Einflußnahme der Landtage auf weitere Kompetenzverschiebungen - sei es auf den Bund, sei es auf die Europäische Union -, die durch eine Ergänzung des Art. 51 GG herbeigeführt werden sollte: 3 8 2

378 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 41; ebenso Lerche, Stellungnahme, S. 11. 379 Diesen Begriff hat insbesondere Konrad Hesse geprägt, der bereits 1962 die unter föderativen Gesichtspunkten bedenklichen Kompetenzverschiebungen zugunsten des Bundes aufzeigte; in: Der unitarische Bundesstaat, S. 14 ff. 380 Frowein, VVDStRL 31 (1973), 13, 24 f.; Kisker, DÖV 1977, 689, 694 f.; H. Schneider, Länderparlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 125 ff. und 139 f. 381 Vgl. StenBer. 5. Sitzung, S. 2 ff. 382 Beschluß der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 24. September 1991 zum Thema „Struktur und Zusammensetzung des Bundesrates", Arbeitsunterlage Nr. 3; Vgl. auch Friebe (Präsidentin des Landtages von NRW), StenBer. 5. Sitzung, S. 5.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Art. 51 (4) Soweit dem Bund durch Änderung des Grundgesetzes Gegenstände zur Gesetzgebung übertragen werden, sind die Mitglieder des Bundesrates bei der Stimmabgabe an hierzu gefaßte Beschlüsse der Landesparlamente gebunden. Dasselbe gilt, wenn nach Art. 24 Abs. 1 Hoheitsrechte der Länder auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden. In der Gemeinsamen Verfassungskommission stieß dieser Vorschlag auf wenig positive Resonanz und konnte sich deshalb nicht durchsetzen. 383 Das Interesse der Bundesratsvertreter an einer solchen verfassungsrechtlich festgeschriebenen Bindung - sei es auch nur in dem kleinen Bereich der Kompetenzverschiebungen durch Verfassungsänderungen - war von vornherein nicht groß. Die Bundestagesabgeordneten in der Gemeinsamen Verfassungskommission sahen wiederum keinen Regelungsbedaif auf Ebene des Grundgesetzes. Das Verhältnis der Landesparlamente zu den jeweiligen Landesregierungen sei in den Landesverfassungen zu regeln. 3 8 4 383

Die Berichterstatter konnten sich nicht auf den Vorschlag der Landtage einigen. Auch ein entsprechender Antrag des Bündnis 90/Die Grünen war nicht mehrheitsfähig: „Art 24 (1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf supranationale Einrichtungen übertragen. Soweit Hoheitsrechte der Länder berührt werden, bedarf das Gesetz der Zustimmung einer Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl von zwei Dritteln der Parlamente der Länder." [Ullmann (Bündnis90/Die Grünen), Kommissionsdrucksache Nr. 1, S.2]. Die Berichterstatter favorisierten statt dessen anfanglich ein Modell, daß die sog. Martin-Kommission 1984 vorgeschlagen hatte (abgedr. in Thaysen, ZParl 1985, 179, 184). Art. 79 GG sollte dabei um einen Abs 2a ergänzt werden: „Soweit das Gesetz Zuständigkeiten der Länder zur Gesetzgebung dem Bund überträgt, bedarf es auch der Zustimmung der Volksvertretungen der Mehrheit der Länder, die Volksvertretungen beschließen mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht die Volksvertretungen in mindestens der Hälfte der Länder einen nach Art. 78 zustande gekommenen Gesetzesbeschluß innerhalb von 3 Monaten ablehnen." [Vgl. Hohmann-Dennhardt (Hessen), Gemeinsame Kompromißvorschläge der Berichterstatterinnen und Berichterstatter der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 22. Juni 1992, Arbeitsunterlage Nr. 60]. Letztlich überwogen jedoch Bedenken, daß es sich bei der vorgeschlagenen Änderung um eine Systemwidrigkeit handeln würde, da eine unerwünschte Annäherung an das vom Parlamentarischen Rat abgelehnte Senatsmodell erreicht würde. Aus diesem Grunde kam es letztlich zu keiner Beschlußempfehlung seitens der Berichterstatter [vgl. PeschelGutzeit (Hamburg), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstatterinnen und Berichterstatter, Arbeitsunterlage Nr. 110, S. 11]. Hessen und die SPD-Abgeordneten brachten dennoch den Antrag auf Änderung des Art. 79 GG in die Gemeinsame Verfassungskommission ein, der jedoch mit 34 Befürwortern und 19 Gegnern die notwendige Zweidrittelmehrheit verfehlte. 384 Jahn (CDU/CSU), StenBer. 5. Sitzung, S. 11; Fuchs (SPD), StenBer. 5. Sitzung, S. 19; a.A. Verheugen (SPD), StenBer. 5. Sitzung, S. 17; in der Verfassungslehre wird die Frage, ob die Mitglieder des Bundesrates kraft Landesverfassung an Weisungen der Landesparlamente gebunden werden können, nicht einheitlich beantwortet.

8*

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

Der Gedanke, den Landesparlamenten nach Übertragung ihrer Kompetenzen wenigstens Mitwirkungsrechte in den nunmehr europäischen Angelegenheiten zuzubilligen, wurde in dem Gremium von Bundestag und Bundesrat ebenfalls nicht weiter verfolgt. Auch die Sachverständigen waren sich letztlich darüber einig, daß nur dem Bundesrat derartige Kompetenzen zugebilligt werden könne. 3 8 5 Das Grundgesetz habe zwangsläufig an vielen Stellen auf den Bundesrat zurückgegriffen, wo es in der Sache nur um einzelne Landeskompetenzen gehe (vgl. Art. 84 Abs. 1 G G ) . 3 8 6 Die Bündelung der Länderinteressen muß nach Ansicht der Sachverständigen auch nicht durch Einstimmigkeit der Länderregierungen im Bundesrat erfolgen, wie es das BVerfGE 1, 299, 315 verlange, zumal das Bundesverfassungsgericht ohnehin Ausnahmen bei anderslautenden positiven verfassungsrechtlichen Bestimmungen zulasse. 387 Das Einstimmigkeitsprinzip sei ungeeignet und würde der Grundkonzeption des Grundgesetzes, den Bundesstaat beweglich zu gestalten, widersprechen. 388 Wenn selbst die Verfassung mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundesrat geändert werden kann, dann ist es nach Auffassung Tomuschats widersinnig, eine einfachgesetzliche Entscheidung durch die Europäische Union von der Zustimmung jedes einzelnen Bundeslandes abhängig zu machen. 389 Etwaige besondere Interessen der einzelnen Länder, so Lerche, habe der Bundesrat im Sinne der Bundestreue Rechnung zu tragen. 3 9 0 Daß in der Gemeinsamen Verfassungskommission der Gedanke möglicher Mitwirkungsrechte der Landesparlamente in europäischen Angelegenheiten nicht vertieft wurde, ist nicht nur auf die eindeutige Interessenlage seiner MitNach herrschender Auffassung ist den Ländern bereits grundgesetzlich verwehrt, landesgesetzlich Regelungen zu schaffen, die eine Weisungsabhängigkeit der Bundesratsmitglieder an Landtagsbeschlüsse beinhalten. Vgl. BVerfGE 8, 104, 120 f.; Linck, DVB1. 1974, 861, 863; Ravens, ZParl 1979, 539, 541; Reuter, in: Praxishandbuch des Bundesrates, Art. 51 Rn. 73; so auch Starzacher (Präsident des hessischen Landtages), StenBer. 5. Sitzung, S. 14. Begründet wird dies mit Art. 51, dessen Inhalt ganz auf die Landesregierungen als Instruktionsorgane zugeschnitten sei und daher Weisungsrechte ausschließen würde. A.A. W. Schneider, Einflußmöglichkeiten der Landesparlamente auf die Vertretung des Landes im Bundesrat, Diss. 1986, S. 153 ff. (nicht veröffentlicht, Text lieg Verf. vor). 385 Bieber, Stellungnahme, S. 19; Lerche, Stellungnahme, S. 11. 386 Lerche, Stellungnahme, S. 11. 387 BVerfGE, 1, 299, 315: „Als Glieder des Bundes besitzen die Länder, soweit positive verfassungsrechtliche Bestimmungen nicht entgegenstehen, den gleichen Status; sie stehen einzeln und gleichberechtigt nebeneinander; unter ihnen gilt nicht die im Geltungsbereich des demokratischen Prinzips beheimatete Regel, daß die Mehrheit entscheidet, sondern der Grundsatz der Einstimmigkeit, d.h. daß kein Land durch die übrigen Länder überstimmt werden kann." 388 Tomuschat, Stellungnahme, S. 15. 389 Tomuschat, Stellungnahme, S. 15. 390 Lerche, Stellungnahme, S. 11.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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glieder zurückzuführen. Auch Erwägungen der Praktikabilität führten zur Befürwortung des Bundesratsverfahren, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der oftmaligen Eilbedürftigkeit von EG-Vorlagen. Der Bundesrat hat sich seit 1988 durch die Einrichtung einer schnell handlungsfähigen und zur verbindlichen Beschlußfassung befugten EG-Kammer auf diese Situation einstellen können und sichert damit die Handlungsfähigkeit des Bundes in europäischen Angelegenheiten. Entscheidend für die künftige Rolle der Landtage bei der Gestaltung der Europapolitik des Bundes wird letztlich sein, ob sie den Landesregierungen eine effektive parlamentarische Kontrolle und Einflußnahme durch zeitige - wenn auch unverbindliche - Stellungnahmen angedeihen las-

ee) Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission Die Gemeinsame Verfassungskommission einigte sich mit folgender Formulierung auf die Festschreibung des Bundesratsverfahrens als gangbaren Weg, die Mitwirkung der Länder in Europaangelegenheiten sicherzustellen:392 Art. 23 Abs. 2 Satz 1 In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Bundesländer mit. Damit wird ausdrücklich festgelegt, daß Mitwirkungsberechtigte in europäischen Angelegenheiten die Bundesländer sind. Sie treten dem Bund als

391 Die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente haben in ihrer 62. Konferenz am 15. September 1988 vorgeschlagen, die Landesregierungen zu verpflichten: 1. das Landesparlament über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, die für das Land von herausragender landespolitischer Bedeutung sind und wesentliche Interessen des Landes unmittelbar berühren, zu unterrichten, 2. dem Landesparlament vor ihrer Stellungnahme im Bundesrat zu EG-Vorhaben, die ganz oder in einzelnen Bestimmungen in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Landes fallen, rechtzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, 3. falls die Landesregierung von einer Stellungnahme des Landesparlamentes wesentlich abweicht, dem Landesparlament die dafür maßgeblichen Gründe mitzuteilen. Eine Umsetzung dieser Empfehlungen auf Landesebene ist bisher noch nicht erfolgt. In den meisten Bundesländern beschränkt sich die Verpflichtung der Landesregierungen gegenüber den Landtagen in Bundes- und Europaangelegenheiten auf eine reine - zeitlich nicht gebundene - Unterrichtungspflicht (vgl. Eicher, Der Machtverlust der Landesparlamente, S. 117 f.). 392 Hervorhebungen im Text durch Verf.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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„Anspruchsberechtigte" gegenüber, können sich jedoch zur schnellen Bündelung ihrer Interessen lediglich über den Bundesrat artikulieren. 393 In § 5 des Ausführungsgesetzes zu Art. 23 GG n.F. wird darüber hinaus im Interesse der Entscheidungsfähigkeit der bundesdeutschen Verfassungsorgane in europäischen Angelegenheiten auf Einstimmigkeit im Bundesrat bei der Beschlußfassung verzichtet. 3 9 4 Nach dieser allgemeinen Feststellung wird für den Bundesrat in Art. 23 Abs. 4 GG noch einmal die Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte näher spezifiziert: Art. 23 (4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären. Dieser Absatz soll gleich einer „Einleitung" die Parallelität zwischen Beteiligung des Bundesrates an innerstaatlichen Maßnahmen und europabezogener Willensbildung allgemeingültig aufzeigen. Für Minister Schnoor (NRW) ist diese Regelung Ausdruck der Erkenntnis, daß die Europapolitik keine Außenpolitik im klassischen Sinne mehr ist, sondern ein Aliud, ein Zwischending zwischen Außen- und Innenpolitik, darstellt. Da die Gemeinschaften auf dem Weg zu einer europäischen Innenpolitik seien, müßte die in der Innenpolitik geltende Kompetenzverteilung auch Maßstab für die Zuständigkeit im Rahmen der Europapolitik sein. 3 9 5 Das Postulat der grundsätzlichen Mitwirkung des Bundesrates ist von dem Gedanken getragen, daß die bisherige Verfassungslage die Zustimmung der Bundesregierung zu Rechtshandlungen auf europäischer Ebene auch dann erlaubt hat, wenn der Bundesrat - entgegen einfachgesetzlicher Regelungen - nicht in den Willensbildungsprozeß der Bundesregierung eingebunden wurde. Mit Art. 23 Abs. 4 GG n.F. erhalten die Mitwirkungsrechte des Bundesrates erstmalig Anerkennung im geschriebenen Verfassungsrecht, was eine erhebliche Aufwertung seiner bisherigen innerstaatlichen Befügnisse darstellt.

393

Vgl. Fischer, ZParl 1993, 32,41. § 5 Satz 5 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union: „Kommt ein Einvernehmen nicht zustande und bestätigt der Bundesrat daraufhin seine Auffassung mit einem mit zwei Dritteln seiner Stimmen gefaßten Beschluß, so ist die Auffassung des Bundesrates maßgebend." 395 Schnoor (NRW), StenBer. 7. Sitzung, S. 5. 394

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Die zuerst von den Vertretern des Bundes in Erwägung gezogene Beschränkung auf diese Generalklausel stieß gleichwohl bei den Vertretern der Länder auf Ablehnung, da sie die nähere Regelung der Einzelheiten in einem Ausführungsgesetz als nicht ausreichend erachteten. Das Grundgesetz sollte explizit die Frage regeln, ob und wann die Bundesregierung der europäischen Normsetzung zustimmen darf, wenn sie weiß, daß diese Normen in der eigenen Körperschaft keine Zustimmung finden. Zudem gingen die Vertreter der Bundesländer mit der Forderung in die Verhandlungen, daß die Beteiligungsund Mitwirkungsrechte über das hinausgehen müßten, was in Art. 2 des Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte geregelt sei. 3 9 6

b) Art. 23 Abs. 5 GG n.F. : Mittelbare Einflußnahme des Bundesrates auf die Politik der Europäischen Union In der Gemeinsamen Verfassungskommission einigten sich die Mitglieder nach langer und kontrovers geführter Diskussion auf folgende Ausgestaltung der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates bei der Willensbildung der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten: Art. 23 (5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtungen ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeverminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

aa) „Berücksichtigung" der Stellungnahme des Bundesrates Art. 23 Abs. 5 Satz 1 1. Hs. GG n.F. regelt die Mitwirkungsrechte des Bundesrates im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes. Hier beschränkt sich die Rolle des Bundesorgans auf die Abgabe von Stellungnahmen in den Fällen, in denen seine Interessen berührt sind. Diesen Standpunkt hat die Bundesregierung zu „berücksichtigen", d.h. zur Kenntnis zu nehmen und

396 V g l Ergebnisprotokoll der Berichterstattergespräche zu Art. 23/24a GG am 10. Juni 1992, S. 1 f. (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor).

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

in ihre Entscheidungsfindung mit einzubeziehen, wobei sie jedoch nicht an die Stellungnahme gebunden ist; das Letztentscheidungsrecht steht der Bundesregierung z u . 3 9 7 Diese relativ schwache Form der Einflußnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung wurde trotz ihres beschränkten Nutzens von den Vertretern der Bundesländer akzeptiert. 398 Der SPD-Abgeordnete Verheugen signalisierte ebenfalls die Bereitschaft auf Seiten des Bundestages, diese Bestimmung mitzutragen, 399 obwohl nach seiner Auffassung eine Regelung, die lediglich auf eine „Berücksichtigung" der Stellungnahme des Bundesrates hinauslaufe, überhaupt nicht in das Grundgesetz mit aufgenommen werden solle. Es ist nach Einschätzung Verheugens bedenklich, die Verfassung mit einer Bestimmung zu belasten, die voraussichtlich in der Praxis keine besondere Auswirkung haben werde. Ein Ausführungsgesetz wäre eine geeignetere Stelle für eine derartige Verfahrensvorschrift. 400 Trotz dieser Einwände wurde die Bestimmung als Bestandteil eines geordneten Verfahrens im System des kooperativen Föderalismus in Art. 23 GG n.F. verfassungsrechtlich abgesichert.

bb) „Maßgebliche Berücksichtigung" der Stellungnahme des Bundesrates (1) Ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder Die Intensität der Mitwirkungsrechte im Bereich der ausschließlichen Ländergesetzgebung war ebenfalls nicht Zentrum der Auseinandersetzung in der Gemeinsamen Verfassungskommission. Die von den Bundesländern erhobene Forderung, die inhaltliche Willensbildung des Mitgliedstaates Bundesrepublik Deutschland in den Feldern ihrer Zuständigkeit maßgeblich zu bestimmen, stieß auf wenig Widerstand von Seiten des Bundes. Die Bundesregierung merkte anfanglich an, daß bei der Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte von Bundesrat und Ländern die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in auswärtigen Angelegenheiten - d.h. auch in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaften - , die nach Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in ihrem 397

BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 8 (amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs zu Art. 23 GG); BReg, in: BT-Dr 12/3540, S. 5 (amtliche Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union), ebenso Fischer, ZParl 1993, 32, 43; Wilhelm, BayVBl. 1992, 705, 708. 398 Schnoor (NRW), StenBer. 7. Sitzung, S. 6. 399 Verheugen (SPD), StenBer. 7. Sitzung, S. 8. 400 Verheugen (SPD), StenBer. 7. Sitzung, S. 8.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Verantwortungsbereich liege, nicht beeinträchtigt werden dürfe. 4 0 1 M i t der Erkenntnis, daß die europäischen Aktivitäten aus dem Bereich der Außenpolitik immer mehr in Richtung europäische Innenpolitik tendieren, 402 mußte jedoch gemäß dem Grundsatz, die innerstaatliche Kompetenzverteilung auf Mitwirkungsrechte des Bundesrates zu übertragen (vgl. Art. 23 Abs. 4 GG n.F.), das Letztentscheidungsrecht auf dem Gebiet der ausschließlichen Gesetzgebung den Länder zuerkannt werden. 4 0 3

(2) Exekutivische

Zuständigkeiten der Bundesländer

Da die Länder in allen Feldern ihrer Zuständigkeiten die interne Willensbildung der Bundesregierung maßgeblich bestimmen wollten, gaben sie sich von vornherein nicht damit zufrieden, im Bereich der Europapolitik auf das enge Gebiet der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder beschränkt zu werden. Gerade der Verwaltungsbereich sei zunehmend dem Zugriff der Gemeinschaften ausgesetzt, und eben hier fühlten sich die Länder in besonderem Maße sachverständig und nach dem Grundgesetz auch zustän" d i g . 4 0 4 Nach dem Maastrichter Vertrag sollen, so Staatsminister Stoiber (CDU/CSU), eine Reihe von Zuständigkeiten wie z.B. Katastrophenschutz, Bauordnungspolitik und Kulturpolitik, die gegenwärtig noch den Ländern obliegen, auf Europa übertragen werden. Damit gehe einher, daß die Europäischen Gemeinschaften in zunehmenden Maße auch Organisationsentscheidungen zu treffen hätten. So sei jüngst im Bauordnungsrecht - einem klassischen Zuständigkeitsbereich der Länder - die Richtlinie erlassen worden, daß künftig bei Bauvorhaben ab 2 Mio. D M ein eigener Sicherheitsbeauftragter bestellt werden muß. Es sei nach Auffassung der Bundesländer absolut notwendig, daß bei solchen Organisationsentscheidungen auf Europaebene die Länder vorher innerstaatlich das Letztentscheidungsrecht haben, zumal gegenwärtig den Ländern auf diesem Gebiet die alleinige Zuständigkeit zukomme. 4 0 5 Dem Bund ging diese Forderung angesichts der sehr allgemeinen und damit weitreichenden Zuständigkeit der Länder für Verwaltungsangelegenheiten zu w e i t . 4 0 6 Auf der Suche nach einem für beide Seiten gangbaren Mittelweg un-

401

Neusei (BMI), StenBer. 3. Sitzung, S. 4. Vogel (SPD), StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 29. 403 Möller (CDU/CSU), StenBer. 2. Sitzung, S. 29; Vogel (SPD), StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 29.; a.A. Jahn (CDU/CSU), StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 28. 404 Schnoor (NRW), StenBer. 7. Sitzung, S. 6. 405 Stoiber (Bayern) StenBer. 7. Sitzung, S. 10. 406 Verheugen (SPD), StenBer. 7. Sitzung, S. 8. 402

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

terbreitete die Bundesregierung den Berichterstattern von Bundestag und Bundesrat folgenden Formulierungsvorschlag: 407 „Soweit durch Vorhaben der Europäischen Union Einrichtungen von Behörden der Länder, deren Verwaltungsverfahren oder Einnahmen von Ländern und Gemeinden geregelt werden, ist die Auffassung des Bundesrates zu beachten Damit sollte die Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes insgesamt dreistufig gestaltet werden: „Berücksichtigung", „Beachtung" und „maßgebliche Berücksichtigimg". In den Berichterstattergesprächen, in denen diese Lösung - ohne nähere Präzisierung des Sinngehaltes von „Beachtung" - erwogen wurde, 4 0 8 forderte Minister Schnoor, in die zweite Stufe („Beachtung") alle Fälle einzubeziehen, in denen nach dem Grundgesetz die Zustimmung des Bundesrates erforderlich sei. Dies wurde erwartungsgemäß von den Vertretern des Bundestages mit dem Argument abgelehnt, daß dann über die Hälfte der EG-Vorhaben hiervon erfaßt würden. Letztlich beharrten die Vertreter der Bundesländer auf einem Letztentscheidungsrecht („maßgeblich zu berücksichtigen") in europäischen Angelegenheiten, wenn diese die Organisation der Länderbehörden oder deren Verwaltungsverfahren betreffen, 409 und konnten sich mit dieser Forderung auch durchsetzen. Die in dem Regierungsentwurf angesprochene gesteigerte interne Mitwirkung des Bundesrates bei europäischen Rechtsetzungsprojekten, die Auswirkungen auf die Einnahmen oder die Hauswirtschaft der Länder und Kommunen haben würden, wurde hingegen nicht mehr aufgegriffen. Die Berichterstatter von Bundestag und Bundesrat empfahlen jedoch einvernehmlich, diesen Punkt im Zusammenhang mit der Neuregelung der Finanzverfassung zu behandeln. 410 Dazu kam es allerdings nicht mehr, weil sich die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission in ihrer 23. Sitzung darauf einigten, den Punkt „Fragen der Finanzverfassung" zu streichen, nachdem Bundesregierung und Bundesländer darauf hingewiesen hatten, daß diesbezüglich noch keine hinlängliche Entscheidungsreife bestünde. 411 Der Einbezug der Sachgebiete Verwaltungsverfahren und -organisation in die weitreichenste Mitwirkungsform des Art. 23 Abs. 5 GG n.F. ergibt sich 407

Hervorhebung durch Verf. 408 Ygi Ergebnisprotokoll der Berichterstatterberatungen vom 17. Juni 1992, S. 3, (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 409 Stoiber (Bayern), StenBer. 8. Sitzung, S. 13. 410 Protokollnotiz der Berichterstatter zum Komplex Gundgesetz und Europa, Arbeitsunterlage Nr. 63, Nr. 6. 411 Voscherau (Vorsitzender), StenBer. 23. Sitzung, S. 3.

Ι . Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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folgerichtig aus dem Umstand, daß innerhalb der bundesstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland die Bundesländer im Regelfall gem. Art. 83 ff. GG zur exekutivischen Ausführung der Bundesgesetze berufen sind und dementsprechend auch der Vollzug europäischer Rechtsnormen vorrangig bei den Ländern, ihren Behörden und ihren Verwaltungsverfahren liegt. 4 1 2 Ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates ist damit auch in Gebieten der Bundesgesetzgebung nach Art. 73, 74, 74 a und 75 GG gegeben, wenn der Regelungsgegenstand der europäischen Norm die Exekutivbefugnisse der Länder nach Art. 84 Abs. 1 und 85 Abs. 1 GG betreffen wird.

cc) Streitpunkt: Mitwirkungsbefügnisse in den Bereichen der konkurrierenden und Rahmengesetzgebung Gegenstand der politischen Auseinandersetzung zwischen den Vertretern von Bund und Ländern war insbesondere die Frage, ob das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates sich - neben dem Bereich der Exekutivbefugnisse - auf den engen Komplex der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder beschränken soll oder auch Gesetzgebungsgebiete nach Art. 74 und 75 GG mit einbezogen werden müsse.

(1) Konträre Positionen in der Gemeinsamen Verfassungskommission Die Vertreter des Bundes verlangten vor allem unter dem Gesichtspunkt der Integrationsoffenheit des Grundgesetzes ein uneingeschränktes Letztentscheidungsrecht der Bundesregierung auf den Gebieten der ausschließlichen Bundesgesetzgebung und den gesamten, in Art. 74 und 75 GG aufgezählten Gebieten der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung. Es wurde die Befürchtung geäußert, daß unter der Überschrift „Föderalismus" seitens des Bundesrates Hindernisse aufgebaut würden, um die europäische Integration auf den derzeitigen Status quo fest zu zementieren. 413 Dies wäre nach Auffassung des Abgeordneten Geißler (CDU/CSU) der Fall, wenn Mitwirkungsrechte der Länder auch für solche Bereiche gelten würden, die mit den föderalen Kompetenzen der Länder nichts zu tun haben. 4 1 4 Mit den Forderungen der Bundesländer nach maßgeblicher Einflußnahme auch in den Materien der Bundesgesetzgebung würden nach Auffassung Geißlers für die europäische Integration Hürden eingebaut, die dazu führen könnten, daß Maastricht nicht verabschiedet wird. Der Abgeordnete Möller (CDU/CSU) nahm in seiner Funk412 413 414

Vgl. Scholz, NJW 1992, 2593, 2600. Geißler (CDU/CSU), StenBer. 3. Sitzung, S. 18. Geißler (CDU/CSU), StenBer. 3. Sitzung, S. 18.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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tion als Berichterstatter seiner Fraktion im Grundsatz dieselbe Position ein. Er befürwortete ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates bei der internen Willensbildung der Bundesrepublik Deutschland in Bereichen der originären Länderzuständigkeit, d.h. in Bereichen der ausschließlichen Ländergesetzgebungsbefügnis wie Kommunales, Polizei, Schule, Bildung etc. Dagegen sollten seines Erachtens alle in dem Gesetzgebungskatalog der Art. 73 bis 75 GG aufgeführten Materien möglicher Bundesregelungen der weniger intensiven Ländermitwirkung zugeordnet werden. 415 Entsprechend dieser Einstellung schlug das Bundesministerium des Innern eine Formulierung für Art. 23 Abs. 5 Satz 1 2. Hs. GG n.F. vor, die dieses Anliegen des Bundes zum Ausdruck bringen s o l l : 4 1 6 Art. 23 Abs. 5 Satz 1 Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen Gegenstände der Bundesgesetzgebung betroffen sind, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. M i t dieser Regelung hätte der Bund immer dann das letztlich maßgebliche Entscheidungsrecht zugebilligt, wenn eine Materie in den Katalogen der Art. 74 ff. GG betroffen ist - und zwar unabhängig davon, ob Art. 72 Abs. 2 GG dem Bund im fraglichen Bereich erlaubt, gesetzgebend tätig zu werden. Die Vertreter des Bundesrates sahen dagegen die Beschränkung des Letztentscheidungsrechts lediglich auf den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder als zu eng und damit als nicht konsensfahig an. Minister Schnoor (NRW) bündelte als Berichterstatter des Bundesrates die wesentlichen Argumente der Länder, die einen Kompromiß auf dieser Ebene aus Ländersicht unmöglich machen: Gesetzgebungsbefügnisse bestünden auch im Bereich der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung (insbesondere Art. 74 und 75 GG) - jedenfalls dann, wenn kein Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung bestünde (Art. 72 Abs. 2 GG). Die Vorstellung des Bundes, auch in diesen Gebieten die Rechte der Länder auf die schwächste Form der Mitwirkung an der innerstaatlichen Willensbildung zu reduzieren, bedeute für die Bundesländer, daß der Bund das Letztentscheidungsrecht für Bereiche wie Hochschulrecht, Presserecht, Raumordnung, Polizeirecht 417 usw. beanspru415

Möller (CDU/CSU), StenBer 7. Sitzung, S. 3. Vgl. Schnoor (NRW), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992 „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 8 (Hervorhebungen im Text durch Verf.). 417 Der Bund besitzt nach dem Grundgesetz keine allgemeine Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Polizeirechts. Die Kompetenz liegt daher gem. Art. 70 GG 416

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission chen könnte, obwohl hier ein Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung weder bestehe, noch begründbar sei. 4 1 8

(2) Entscheidung der Gemeinsamen Verfassungskommission Trotz der unterschiedlichen Positionen in der Frage der Reichweite des Letztentscheidungsrechts bei der internen Willensbildung des Bundes konnten sich die Mitglieder der Kommission in der 8. Sitzung auf eine Formulierung einigen, die von beiden Seiten, Bund wie Ländern, getragen werden konnte. Die schwächere Beteiligungsform - die bloße Berücksichtigung der Stellungnahme der Bundesländer seitens der Bundesregierung - soll auch für die Bereiche der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung (Art. 74 und 75 GG) in den Fällen gelten, in denen sich aus Art. 72 Abs. 2 GG ergibt, daß ein Bedürfnis zur bundeseinheitlichen Regelung besteht. In den übrigen Fällen wird dem Bundesrat, mit Ausnahme des Bereiches der ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis des Bundes (Art. 71 und 73 GG), maßgeblicher Einfluß d.h. ein Letztentscheidungsrecht - zugebilligt. Die zuerst von den Berichterstattern vorgesehene Formulierung „... wenn im Schwerpunkt die gesetzlichen Regelungen der Länder (...) betroffen sind ..." wurde aus Gründen der Klarheit des Verfassungstextes wieder verworfen. Mit dem statt dessen gewählten Wort „Gesetzgebungsbefügnis" soll der Eindruck vermieden werden, daß den Ländern nur dann maßgebliche Mitwirkungsbefugnisse zustehen, wenn sie die ihrer Kompetenz obliegenden Materien auch tatsächlich gesetzlich geregelt haben, ihnen dieses Recht jedoch nicht zusteht, wenn sie ihr Gesetzgebungsrecht nicht ausgeschöpft haben. 4 1 9 Verheugen (SPD) wies darauf hin, daß eine derartige Auslegung nicht im Sinne des von den Berichterstattern ausgearbeiteten Kompromisses sei. Angesichts des nachhaltigen Widerstandes in den Reihen des Bundes gegen die gefundene Regelung sahen sich die Berichterstatter genötigt, nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß der Kompromiß weit weniger spektakulär ausgefallen sei als vielfach behauptet, und deshalb der gern benutzte Vergleich mit einem Staatenbund der Sache nach unangebracht sei. So rechtfertigte der Berichterstatter des Bundesrates, Staatsminister Stoiber (Bayern), das Ergebbei den Ländern. Etwas anderes gilt jedoch bezüglich fachspezifischer Aufgaben der Polizei z.B. auf den Gebieten des Vereins- und Versammlungsrechts, der Gewerbepolizei, der Versicherungsauffsicht etc. Hier besitzt der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Nr. 3, 11 GG und kann als Annex dazu Polizeirecht regeln. Vgl. Wacke, Polizeirecht als Bundesrecht, in: Staatsbürger und Staatsgewalt Π, 1963, S. 161, 196. 418 Schnoor (NRW), StenBer. 8. Sitzung, S. 7. 419 Verheugen (SPD), StenBer. 8. Sitzung, S. 10.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes nis mit dem Hinweis, daß die Länder mit dieser Regelung keine neuen Rechte bekämen, sondern lediglich einen Teil ihrer Rechte behielten, wenn im Schwerpunkt ihre Gesetzgebungsbefugnisse, Einrichtungen und Verwaltungsverfahren betroffen sind. 4 2 0 Um etwaigen Mutmaßungen über den Gang der Konsensfindung vorzubeugen, erklärte der Abgeordnete Verheugen (SPD) vor der Abstimmung über den Komplex der Mitwirkungsrechte des Bundesrates, daß der gefundene Kompromiß nicht durch politischen Druck seitens der Vertreter des Bundesrates im Hinblick auf die Ratifizierung der Maastrichter Verträge zustande gekommen sei. Vielmehr stünde hinter dem Ergebnis die Überzeugung, daß der föderative Charakter der Bundesrepublik Deutschland, der über Art. 79 Abs. 3 unantastbar sei, diese Bestimmungen geradezu verlange. 4 2 1 Der Wortlaut des Art. 23 Abs. 5 Satz 1 und 2 GG n.F., auf den sich die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission letztlich einigen konnten, darf gleichwohl als mißglückt gelten, da er weiterhin Raum für unterschiedliche Deutungen des konkreten Umfangs des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates läßt. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob der Bund bei Vorliegen des Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung (Art. 72 Abs. 2 GG) von seiner Befugnis zur Gesetzgebung in den Bereichen des Art. 74 und 75 GG Gebrauch machen muß, um die Mitwirkungsbefügnisse des Bundesrates in europäischen Angelegenheiten auf eine unverbindliche Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 5 Satz 1 GG n.F. zu reduzieren. Minister Schnoor (NRW) wies als Berichterstatter des Bundesrates darauf hin, daß die Gemeinsame Verfassungskommission sich darauf geeinigt habe, dem Bundesrat nach Art. 23 Abs. 5 Satz 1 GG n.F. dann die schwächste Form der Mitwirkung zuzuteilen, wenn im Bereich der konkurrierenden und Rahmengesetzgebung der Bund gem. Art. 72 Abs. 2 GG von seinem Recht zur Gesetzgebung Gebrauch macht oder machen könnte* 22 Die Bundesregierung führte dementsprechend in ihrer amtlichen Stellungnahme aus, daß allein Art. 72 Abs. 2 GG - d.h. das Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung - dafür entscheidend sei, ob die Stellungnahme des Bundesrates lediglich unverbindlich berücksichtigt werde. Es komme dabei nicht darauf an, ob der Bund von der damit eröffneten Gesetzgebungsbefugnis auch tatsächlich Gebrauch mache: „... eine weitreichende maßgebliche Be-

420

Stoiber (Bayern), StenBer. 7. Sitzung, S. 10. Verheugen (SPD), StenBer. 8. Sitzung, S. 10. 422 Schnoor (NRW), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe von 26. Juni 1992 „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage 104, S. 9 unter Berufung auf Schnoor, StenBer. 8. Sitzung, S. 7. 421

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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rücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates [würde] nicht der föderativen Beteiligungslage des Art. 23 (Abs. 4) GG entsprechen, zumal die Art der Ländermitwirkung sonst von der Zufälligkeit abhinge, ob der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht tatsächlich Gebrauch gemacht hat bzw. er - in Erwartung einer EG-Maßnahme - davon noch Gebrauch macht." 4 2 3 Im übrigen seien die unterschiedlichen Mitwirkungsintensitäten des Satzes 1 und 2 in der Staatspraxis nur durchfuhrbar, wenn die Mitwirkungstatbestände des Satzes 1 und 2 nahtlos aneinander anschließen und zu keinen Überschneidungen führen. Das wäre aber dann der Fall, wenn Satz 1 als maßgebliches Abgrenzungskriterium das Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung (Art. 72 Abs. 2 GG) voraussetzt, Satz 2 hingegen an die grundsätzliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder anknüpft, die ja nach Art. 72 Abs. 1 besteht, wenn der Bund nach Art. 72 Abs. 2 i.V.m. Art. 74, 75 GG trotz „Bedürfnis" von seinen Rechten keinen Gebrauch macht. Die beiderseitige Befugnis zur Gesetzgebung ist nach Ansicht der Bundesregierung zwar für den Bereich der Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 Abs. 1 und 2 GG praktikabel, jedoch für die Abgrenzung von Beteiligungsmodalitäten i.S.d. Art. 23 Abs. 5 GG n.F. unbrauchbar. Deshalb müßten die beiden Beteiligungsmodalitäten im dargelegten Sinne nahtlos aneinanderschließen. 424 Der Bundesrat widersprach dieser Auslegung des Art. 23 Abs. 5 Satz 1 und 2 GG n.F. Die Stellungnahmen des Bundesrates seien auch dann als maßgeblich zu berücksichtigen, wenn der Bund von der ihm prinzipiell nach Art. 72 Abs. 2 GG zustehenden Gesetzgebungsbefügnis keinen Gebrauch macht. Dies ergebe sich aus dem in der Bestimmung verwendeten Begriff „Gesetzgebungsbefügnis der Länder" und ferner aus der in Art. 70 und 72 Abs. 1 GG vorgenommenen grundsätzlichen Abgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten von Bund und Ländern. 4 2 5 Im wissenschaftlichen Schrifttum, das sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt hat, zeichnet sich ebenfalls ab, daß die Frage des Letztentscheidungsrechts im Bereich der konkurrierenden und Rahmengesetzgebung auf Basis des Verfassungstextes durchaus unterschiedlicher Beurteilung unterzogen werden kann. Scholz hat sich in seinem, die Arbeit der Verfassungskommission begleitenden Aufsatz, der Rechtsauffassung des Bundesrates angeschlossen. Er begründet diese Auffassung mit der Formel „ i m Schwerpunkt betroffen", die seines Erachtens verdeutliche, daß in den Fällen des Art. 72 Abs. 2 i.V.m. Art. 74 und 75 GG, in denen der Bund gesetzgeberisch nicht tätig geworden ist und die Regelungshoheit der Länder somit fortbesteht, eine 423 424 425

BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 8. BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 14. BRat, in: BT-Dr 12/3338, S. 12.

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

„schwerpunktmäßige" Betroffenheit der Länder anzunehmen sei - jedenfalls dann, wenn die Länder von dieser Befugnis Gebrauch gemacht hätten. 4 2 6 Auch wenn der Bund seine Gesetzgebungszuständigkeit bewußt nicht in Anspruch genommen habe - sein Interesse also der Nicht-Regelung gelte - könne er eine nicht im seinem Sinne ergehende Regelung der Länder nicht verhindern, da diese ohne weiteres in der Lage seien, von ihrer Regelungsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint ts Scholz gerechtfertigt, den Ländern auch in dem Fall, in dem der Bundesgesetzgeber bewußt nicht tätig wird, ein stärkeres Beteiligungsrecht innerhalb der europarechtlichen Willensbildung einzuräumen. 427 Fischer 428 vertritt hingegen die Auffassung, daß eine derartige Auslegung des Wortlautes Auswirkungen habe, die von den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission kaum gewollt seien. Der Bund könne nämlich bei einem Sachverhalt, dessen Regelung auf europäischer Ebene er für sinnvoll hält, von dessen innerstaatlicher Reglementierung er trotz Befügnis gemäß Art. 72 Abs. 2, 74, 75 GG jedoch aus politischen Gründen absieht, von seiner Berechtigung dennoch Gebrauch machen, nur um einen von den Ländern kritisch gesehenen Regelungsvorschlag der Europäischen Union zu retten. Solche Motive für das Tätigwerden des Bundesgesetzgebers seien auch für die Länder wenig wünschenswert, könnten nach Auffassung Fischers jedoch vermieden werden, wenn nicht das tatsächliche Gebrauchmachen, sondern das theoretische Recht zur Gesetzgebung als maßgebliches Abgrenzungskriterium anerkannt wird. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union nahm sich in § 5 Abs. 2 Satz 1 des Entwurfes der Streitfrage erneut an. Die Formulierung des Vorschlages zum Ausführungsgesetz nach Art. 23 Abs. 7 GG n.F. ist zwischen Bundesregierung und Ländern nach anfanglichem Dissens über die Formulierung des § 5 des Ausführungsgesetzes zu Art. 23 GG n.F. abgestimmt worden, so daß die Kontroverse zwischen Bundesrat und Bundesregierung als bereinigt angesehen werden k a n n : 4 2 9 § 5 Abs. 2 Wenn bei einem Vorhaben im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefügnisse der Länder betroffen sind und der Bund kein Recht zur Gesetzgebung hat, (...) ist insoweit bei 426 427 428 429

Verf.).

Scholz, NJW 1992, 2593, 2600. Scholz, NJW 1992, 2593, 2600. Fischer, ZParl 1993, 32, 43. BT-Dr 12/3540; BGBl. 1993 I, S. 313 - 315 (Hervorhebungen im Text durch

. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Festlegung der Verhandlungsposition durch die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; (...). M i t dieser einfachgesetzliche Konkretisierung des Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG n.F. ist nun klargestellt, daß das schwächste Mitwirkungsrechte des Art. 23 Abs. 5 Satz 1 GG n.F. auch dann gilt, wenn dem Bund - bezogen auf das konkrete EG-Vorhaben - das Recht zur konkurrierenden bzw. Rahmengesetzgebung zwar zusteht (Art. 72 Abs. 2 GG), er davon aber keinen Gebrauch gemacht h a t . 4 3 0 Die Bundesregierung trifft dann jedoch die Pflicht zur Darlegung ihrer Gründe, warum trotz ihrer Untätigkeit im nationalen Bereich ein Bedürfnis zur bundeseinheitlichen Regelung besteht. 431 Der von Bund und Ländern ausgearbeitete Kompromiß knüpft unmittelbar an Art. 72 Abs. 2 GG an. Er ist also in seinem Ergebnis davon abhängig, an welche qualitativen Maßstäbe Art. 72 Abs. 2 GG die konkurrierende und rahmenmäßige Gesetzgebung bindet, da deren Vorliegen unabdingbare Voraussetzung für die Befugnis des Bundes zur Gesetzgebung in den Sachgebieten ist. In den Beratungen zu Art. 23 Abs. 5 GG n.F. gingen die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission noch von der geltenden Verfassungslage 4 3 2 aus, welche die Gesetzgebungsbefügnis des Bundes an ein entsprechendes „Bedürfnis" bindet. Da sich aber dieses Kriterium als wenig taugliches Instrumentarium gegen eine übermäßige Inanspruchnahme der Gesetzgebungsgebiete in Art. 74 und 75 durch den Bund erwiesen hat und zudem nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Klausel nicht justitiabel und nur in bezug auf einen evidenten Ermessensmißbrauch nachprüfbar i s t , 4 3 3 wurde in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Gesetzgebungskompetenzen und -verfahren im Bundesstaat" auch über eine Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG beratschlagt. Nach

430 Ygj Gemeinsame Verfassungskommission, Bericht der GVK, Zur Sache 5/93, S. 44. 431 Vgl. Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", in: BT-Dr 12/3896, S. 25. 432 Art. 72 Abs. 2 in der Fassung von 1949: Der Bund hat in diesem Bereiche das Gesetzgebungsrecht, soweit ein Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung besteht, weil 1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann oder 2. die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder 3. die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert. 433 BVerfGE 2, 213, 224 f; 4, 115, 127 f.

9 Schmalenbach

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

langen Kontroversen beschlossen die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission mit zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen in der 11. Sitzung - zusammen mit Art. 23 GG n.F. - folgende Änderung: 4 3 4 Art. 72 (2) Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. 435 Ob das nunmehr notwendige „Erfordernis" nach bundeseinheitlicher Regelung zu einem präziseren und besser eingrenzbaren Kriterium wird, muß die Praxis erweisen. Die angestrebte Justitiabilität im Falle eines Konfliktes - dessen Wahrscheinlichkeit angesichts der mit Art. 72 Abs. 2 GG verbundenen Mitwirkungsrechte in europäischen Angelegenheiten nach Art. 23 Abs. 5 GG n.F. wächst - bleibt jedoch in den Händen des Bundesverfassungsgerichts. 436 Das Risiko, daß hier das zu Art. 72 Abs. 2 GG erzielte Ergebnis zur Makulatur w i r d , 4 3 7 erstreckt sich damit unmittelbar auf die in Art. 23 Abs. 5 GG n.F. gefunden Regelung. Bleibt es nämlich bei einem nicht justitiablen Ermessensspielraum des Bundes bezüglich des Erfordernisses seines Tätigwerdens nach Art. 72 Abs. 2 GG n.F., so geht der in Art. 23 Abs. 5 GG n.F. i.V.m. dem

434 Das Ergebnis der Beratungen war bis zuletzt umstritten. Insbesondere die Vertreter der neuen Bundesländer gaben zu bedenken, daß angesichts der ungleichen wirtschaftlichen Leitungsfahigkeit der Länder in Ost und West auf die Zielvorgabe Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" nicht zu verzichten sei - zumindest so lange, bis es auch den ostdeutschen Bundesländern auf der Basis einer ausreichenden finanziellen Ausstattung möglich ist, ihre Eigenstaatlichkeit zu entfalten [Heitmann (Sachsen), StenBer. 11. Sitzung, S. 16]. Der Abgeordnete Klein (CDU/CSU) sah in der Streichung der Zielvorgabe „Wirtschaftseinheit" die Gefahr, daß der Bund in seiner Steuerhoheit eingeschränkt werden könne und dadurch Steueroasen in den Ländern entstünden [Klein, (CDU/CSU), StenBer. 11. Sitzung, S. 16 und 27]. 435 Mit der Wendung „wenn und soweit" soll zum Ausdruck gebracht werden, daß der Bund nicht nur bei der Inanspruchnahme eines bestimmten Regelungsbereiches sondern auch hinsichtlich jeder konkreten Einzelregelung auf das Erfordernis im Sinne der beiden Alternativen „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" und „Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse" beschränkt ist [Hohmann-Dennhardt (Hessen), StenBer. 4. Sitzung, S. 6]. 436 Mit der verfassungsrechtlichen Verankerung einer neuen Verfahrensart durch Ergänzung des Zuständigkeitskatalogs des Bundesverfassungsgerichts (Art. 93 Nr. 2a GG n.F.) soll das Bundesverfassungsgericht symbolisch darauf hingewiesen werden, nunmehr seine Wächterrolle über die Einhaltung der Schranke des Art. 72 Abs. 2 GG (neu) wahrzunehmen. 437 Diese Bedenken äußerten z.B. Kleinert (FDP), StenBer. 11. Sitzung, S. 13; ebenso Stoiber (Bayern), StenBer. 11. Sitzung, S. 14.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Ausfïihrungsgesetz niedergelegte Kompromiß - daß der Bundesrat ein Letztentscheidungsrecht in europäischen Angelegenheiten hat, wenn der Bund kein Recht zur Gesetzgebung hat - für die Länder unweigerlich ins Leere.

dd) Einschränkung des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates (1) Schwerpunktmäßige Betroffenheit Der Wortlaut des Art. 23 Abs. 5 GG n.F. beschränkt das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates in zweierlei Hinsicht. Zum einen muß der „Schwerpunkt" der Länderkompetenzen durch das Vorhaben der Europäischen Union betroffen sein, zum anderen ist die Stellungnahme nur „insofern" maßgeblich, als sie sich auf die betreffende Regelung bezieht, die in die Länderkompetenzen eingreift. Satz 2 zieht folglich aus der Einschränkung „insofern" die Konsequenz, daß sich der maßgebliche Einfluß der Länder nicht auf das gesamte EG-Vorhaben erstreckt, sondern nur auf die Teile, in denen die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Struktur ihrer Behörden und deren Verfahrensregelung betroffen sind. 4 3 8 Mit der Formel „ i m Schwerpunkt" wird ein neues Kriterium in das Grundgesetz eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Festlegung von Kompetenzen nicht auf die inhaltliche Betroffenheit der jeweiligen Gesetzgebungsbefügnis abgestellt, sondern allein den unmittelbaren Regelungsgegenstand als ausschlaggebend für eine Zuordnung erachtet. 439 Die nun vorgesehene Schwerpunktbildung verlangt, daß bei einer Gesamtschau die betroffenen Kompetenzen der Länder im Mittelpunkt des europäischen Vorhabens stehen oder ganz überwiegend den Regelungsgegenstand bilden. 4 4 0 Die Bundesregierung hob angesichts des auslegungsfahigen Wortlauts des Absatzes 5 in ihrer amtlichen Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf zur Einführung des Europaartikels 23 GG n.F. hervor, daß auch die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren „im Schwerpunkt betroffen" sein müsse, um ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates zu begründen. Dies sei wichtig, weil gerade Rechtsakte der Europäischen Union in der Regel durch Länderbehörden ausgeführt würden. Der Wortlaut kann nach Rechtsauffassung der Bundesregierung folglich nur dahingehend verstanden werden, daß die Behörden und das Verwaltungsverfahren „betroffen" und nicht bloß „berührt" sein müssen, um ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates herbeizuführen. Mit anderen Worten muß die Maßnahme der europäischen Union ins Gewicht

438 Schnoor (NRW), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992 „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 10. 439 BVerfGE 8, 104, 118 f.; 36, 193, 205; Pestalozzi DÖV 1972, 181, 182 f. 440 BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 9.

*

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

fallende Auswirkung auf die bestehenden Strukturen der Behörden oder das Verwaltungsverfahren haben. 4 4 1 Soweit dies nicht der Fall ist, sind die Stellungnahmen des Bundesrates lediglich nach Art. 23 Abs. 5 Satz 1 GG n.F. zu berücksichtigen. Die Schwerpunktsuche, die im Mittelpunkt des Systems gestaffelter Mitwirkungsrechte des Bundesrates in Art. 23 steht, rechtfertigt sich aus der Erkenntnis, daß sich europäische Gesetze als Bestandteil einer anderen Rechtsordnung zwangsläufig nicht an die in der Bundesrepublik Deutschland praktizierte Aufgabenteilung zwischen konkurrierender, Rahmengesetzgebung und ausschließlicher Gesetzgebung von Bund und Ländern hält. Insoweit stellt die gefündene Regelung die einzige Möglichkeit dar, um überhaupt Mitwirkungsrechte nach Maßgabe innerstaatlicher Kompetenzverteilung auf europäische Normsetzung zu projizieren. Nicht zu verkennen ist allerdings die Konfliktträchtigkeit dieser Lösung: Angesichts der vorgegebenen gegenläufigen Interessen von Bundesregierung und Bundesrat hinsichtlich der jeweiligen Bewegungsfreiheit in europäischen Angelegenheiten sind Zweifel angebracht, ob die Organe bei der Beurteilung, wann die Materien Gesetzgebungsgebiete und Organisationsbefügnisse der Länder „nur am Rande" berühren, konsensfahig sind. Insofern birgt der Wortlaut des Art. 23 Abs. 5 GG n.F. genug Raum für kompetenzrechtliche Streitigkeiten, deren Lösung letztlich beim Bundesverfassungsgericht liegen wird.

(2) Gesamtstaatliche Verantwortung Das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates bei der internen Willensbildung der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten gilt auch dann nicht unbeschränkt, wenn die Länder schwerpunktmäßig betroffen sind. Art. 23 Abs. 5 Satz 2 2. Hs. GG n.F. begrenzt die Rechte des Bundesrates insbesondere im Hinblick auf die „gesamtstaatliche Verantwortung" des Bundes im Verkehr mit dem Ausland. Die Gemeinsame Verfassungskommission sah mit dieser Wendung vor allem die Verantwortungsbereiche der Außen-, Sicherheits· und Integrationspolitik zusammengefaßt. 442 Mit dieser Regelung wurde den Bedenken sowohl der Bundesregierung als auch Politikern aller Bundestagsfraktionen Rechnung getragen, die die Bundesregierung in ihrer außenpolitischen Handlungsfähigkeit durch verstärkte Mitwirkungsrechte des Bundesrates gefährdet sahen.

441 442

BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 9. Protokollnotiz der Berichterstatter, Arbeitsunterlage Nr. 63, S. 2.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Die Bundesregierung hatte bereits am Anfang der Debatte um die Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates in der Gemeinsamen Verfassungskommission unterstrichen, daß ihr wesentliches Interesse der Wahrung ihrer außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit g i l t . 4 4 3 Die Vertreter des Bundestages befürchteten ebenfalls, daß mit der Verstärkung der Mitwirkungsrechte eine „Nebenaußenpolitik" des Bundesrates möglich wird, obwohl dieses Gebiet nach dem Grundgesetz ein Vorrecht der Bundesregierung i s t . 4 4 4 Die Länder respektierten das Letztverantwortungsrecht des Bundes in dem ihm nach Art. 32 Abs. 1, 73 Nr. 1, 84 a GG zugewiesenen Zuständigkeitsbereich. 4 4 5 Die Mitglieder der Kommission konnten sich deshalb darauf einigen, daß das Letztentscheidungsrecht des Bundesrates von der Bundesregierung aus gesamteuropäischen oder sicherheitspolitischen etc. Gründen aufgelöst werden kann, um der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes gerecht zu werden. Damit betont die neue Europanorm das Prinzip der Bundestreue, das Bund und Länder zum Zwecke der Erhaltung der bundesstaatlichen Ordnung zur Kooperation verpflichtet und mißbräuchliche Kompetenzausübung verbietet. Entsprechend der Vorstellung der Berichterstatter der gemeinsamen Verfassungskommission wird in Art. 23 Abs. 7 GG n.F. i.V.m. § 5 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes das Verfahren festgelegt, mit dem den Interessen der Bundesländer an ihrer maßgeblichen Einflußnahme und dem Bedürfnis der Bundesregierung nach gesamtstaatlicher Verantwortung einfachgesetzlich Rechnung getragen wird. Das Ausführungsgesetz selbst war nicht Beratungsgegenstand der Gemeinsamen Verfassungskommission, jedoch einigten sich die Berichterstatter von Bundestag und Bundesrat auf die wesentlichen Elemente, die das Gesetz enthalten soll: Im Falle eines Konflikts zwischen Bundesregierung und Bundesrat bei der Bewertung einer Materie, die der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes unterliegt, ist ein Einvernehmen zwischen Bundesregierung und Bundesrat anzustreben und ein Verfahren dafür vorzusehen. Gelingt es hingegen nicht, sich auf einen Standpunkt zu einigen, so ist die Auffassung des Bundesrates maßgebend, wenn die vom Bundesrat vertretene Position auf einem mit zwei Drittel der Stimmen gefaßten Beschluß beruht. 4 4 6

443 444 445 446

Neusei (BMI), StenBer. 3. Sitzung, S. 4 f. Möller (CDU/CSU), StenBer. 3. Sitzung, S. 7. Schnoor (NRW), StenBer. 7. Sitzung, S. 5 f. Protokollnotiz der Berichterstatter, Arbeitsunterlage Nr. 63, S. 2.

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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(3) Ausgabenerhöhung bzw. Einnahmeminderung für den Bund Als weitere Einschränkung des Letztentscheidungsrechts sieht Art. 23 Abs. 5 Satz 3 bei europäischen Maßnahmen, die ausgabenerhöhende oder einnahmenmindernde Auswirkungen auf den Bund haben können, einen Zustimmungsvorbehalt der Bundesregierung vor, der auch nicht durch Zweidrittelmehrheit im Bundesrat aufgelöst werden kann und der sich auf alle Formen der Ländermitwirkung erstreckt. 447 Diese Regelung ergibt sich bereits aus dem Rechtsgedanken des Art. 113 GG, nach dem der Bundesregierung als Verfassungsorgan im Bereich des Haushalts eine besondere Verantwortung zukommt. Die Einschränkung des Letztentscheidungsrechts wurde daher von allen Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission ohne vorherige Auseinandersetzung akzeptiert. 448 Die Ländervertreter legten jedoch Wert darauf, daß die von den Ländern eingeräumte Schmälerung ihrer Position von dem Bund nicht dazu mißbraucht werden darf, auf diesem Wege in Bereichen der Ländergesetzgebung ein Letztentscheidungsrecht der Bundesregierung zu installieren. 449

c) Art. 23 Abs. 6 GG n.F'.: Unmittelbare Mitwirkung des Bundesrates an der Politik der Europäischen Union Um die Fassung des Art. 23 Abs. 6 GG n.F. wurde in der Gemeinsamen Verfassungskommission lange gestritten. Die Länder sahen mit der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht eine Gelegenheit gekommen, der alten Forderung nach unmittelbarer Einflußnahme der Bundesländer auf die Europäischen Gemeinschaften 450 nunmehr verfassungsrechtlich Anerkennung zu verleihen. Dabei war das entscheidende Kriterium für die Durchsetzbarkeit ihrer Forderungen, daß mit dem Maastrichter Vertrag durch Art. 146 EGV die Möglichkeit eröffnet wird, Ländervertreter mit Ministerrang an Ratssitzungen der Europäischen Union teilnehmen zu lassen, obwohl diese nicht der Zentralregierung angehören. Die Kommission Verfassungsreform hatte zu diesem Thema bereits einen Vorschlag formuliert, den die Bundesratsmitglieder als Diskussionsgrundlage in die Gemeinsame Verfassungskommission eingebracht hatten: 4 5 1 447 Schnoor (NRW), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992 „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 11. 448 Schnoor (NRW), StenBer. 8. Sitzung, S. 8. 449 Schnoor (NRW), StenBer. 7. Sitzung, S. 6. 450 Ygj Ausführungen unter D ΠΙ 7 a/aa. 451

Vollständiger Abdruck unter D Π 3.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Art. 24 Abs. 2 Satz 3 Die Rechte, die der Bundesrepublik als Mitgliedstaat zustehen, können die Länder wahrnehmen, wenn im Schwerpunkt ihre in diesem Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten berührt werden. Die Vertreter des Bundes sahen in dieser Forderung einen nicht zu billigenden Eingriff in die Außenvertretungskompetenz des Bundes (Art. 32 Abs. 1 GG). Zur Klärung dieses Streitpunktes wurden die Sachverständigen um eine Stellungnahme über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Durchbrechung des Außenvertretungsmonopols des Bundes gebeten.

aa) Stellungnahme der Sachverständigen Für die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bestimmt das Grundgesetz in Art. 32 Abs. 1 GG, daß die auswärtige Gewalt Sache des Bundes ist. Damit obliegt nach der Verfassung allein dem Bund die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland nach außen, d.h. auch gegenüber der Europäischen Union. Nach einhelliger Auffassung der Sachverständigen bestehen dennoch aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken gegen die Forderung der Länder nach Selbstwahrnehmung von bundesdeutschen Mitgliedschaftsrechten in der Europäischen Union. Auch wenn nach dem gegenwärtigen Rechtszustand gem. Art. 32 Abs. 1 GG die Wahrung von Befugnissen im Außenverhältnis beim Bund liegt, würde eine verfassungsrechtliche Modifizierung dieses Grundsatzes nicht an der Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG scheitern. 452 Das Außenvertretungsmonopol des Bundes gehöre nicht zum unantastbaren, durch Art. 79 Abs. 3 geschützten, Kern des Bundesstaatsprinzips, da bereits Art. 32 Abs. 3 GG Durchbrechungen vorsehe. 453 Der Sachverständige Tomuschat sah den Kernbereich des Bundesstaatsprinzips nur dann als gefährdet an, wenn der Bund unter eine umfassende Kontrolle der Länder gestellt würde. 4 5 4 Solche Bedenken bestünden jedoch nicht, wenn die Mitwirkungsrechte der Länder sich strikt auf die Materien bezögen, die nach der geltenden innerstaatlichen Kompetenzverteilung in ihre Zuständigkeit fallen. 4 5 5 Eine solche Re-

452 453 454 455

Lerche, Stellungnahme, S. 11. Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 7. Tomuschat, Stellungnahme, S. 17 f. Ebenso Lerche, Stellungnahme, S. 10.

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

gelung würde als Spezialnorm vor den Art. 32 Abs. 1 GG treten und in diesem Bereich das alleinige Außenvertretungsrecht des Bundes überlagern. 456 Weniger positiv beurteilte ein Teil der Sachverständigen jedoch das rechtspolitische Bedürfnis nach einer Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland durch Vertreter der Länder. So sah Randelzhofer keinen hinreichenden Grund für eine generell stärkere Beteiligung der Länder an der Außenpolitik. Die auftretenden Koordinierungsprobleme würden der Außenpolitik die notwendige Flexibilität und Fähigkeit zum raschen Handeln neh" m e n . 4 5 7 Isensee stimmte diesen grundsätzlichen Bedenken zu und ergänzte, daß auch im Interesse der Mitgliedstaaten Klarheit dahingehend notwendig sei, wer verantwortlich handeln und wer binden k a n n . 4 5 8 Dieses Kriterium sei nur dann erfüllt, wenn ein Landesminister für den Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland spräche und so als Sachwalter für den Staat, aus dem er seine Legitimation ableitet und mit dem er sich entsprechend rückkoppeln muß, aufträte. In jedem Fall dürfe er nicht als Vertreter seines Landes handeln, sondern nur als Vertreter der Bundesrepublik. Bei diesem Verständnis ist es jedoch nach Auffassung Isensees kaum möglich, Kompetenzverluste der Bundesländer durch Selbstwahmehmung der Mitgliedschaftsrechte auszugleichen; 16 Bundesländer mit 16 verschieden geregelten originären Länderkompetenzen könnte der Landesminister auf europäischer Ebene eben nicht alle vertreten. Im übrigen sei es bereits vom Grundsatz her problematisch, den Bundesländern im Grundgesetz die Möglichkeit einzuräumen, direkt gegenüber der Europäischen Gemeinschaft zu handeln. Nach Auffassung Isensees droht sich dann die Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland - und damit deren Entscheidungs- und Handlungseinheit - in eine staatenbündische Struktur aufzulösen. 459

bb) Position des Bundes Auch die Vertreter des Bundestages widersprachen der Forderung der Bundesländer nach unmittelbarer Einflußnahme auf die Politik der Europäischen Union: das Außenvertretungsmonopol läge derzeit allein beim Bund und dies solle ihrer Ansicht nach auch in Zukunft so bleiben. 4 6 0 Die Bundesrepublik Deutschland sei ein Bundesstaat, in dem die auswärtige Gewalt grundsätzlich 456

Randelzhofer, Stellungnahme, S. 7. Randelzhofer, Stellungnahme, S. 5. 458 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 42. 459 Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 10; a.A. Lerche, Stellungnahme, S. 10; Bieber, Stellungnahme, S. 24. 460 Möller (CDU/CSU), StenBer. 3. Sitzung, S. 6. 457

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vom Bund wahrgenommen wird. Dem Bundesrat käme dabei die Aufgabe zu, die Länderinteressen zu bündeln und gegenüber dem Gesamtstaat zu vertreten. Würde nun auch der Bundesrat nach außen in Angelegenheiten der Europäischen Union auftreten, so bestünde die Gefahr eines Umschlags von einem deutschen Bundesstaat zu einem Staatenbund. Von der Bundesseite wurde entsprechend dieser Einstellung allenfalls dann eine Außenvertretung durch die Bundesländer als tragbar erachtet, wenn der Bund ihnen dieses Recht übertragen „kann", d.h. wenn es in seinem politischen Ermessen liegt, ob er im Einzelfall der Forderung der Länder nachgibt.

cc) Position des Bundesrates Die Vertreter des Bundesrates bestanden auf der verfassungsrechtlichen Ausfüllung der mit Art. 146 EGV eröffneten Möglichkeit, unmittelbar auf die Politik der Europäischen Gemeinschaften Einfluß nehmen zu können. Dies sei ein angemessener Ausgleich für bisherige und kommende Kompetenzverluste und entspräche darüber hinaus der Bedeutung des bundesstaatlichen Prinzips und der Rolle der Länder in einem zusammenwachsenden Europa. 4 6 1 Staatssekretär Wilhelm (Bayern) widersprach der Auffassung des Bundes, daß sich mit der Forderung der Länder die Bundesrepublik in die Richtung eines Staatenbundes bewegen würde. Nach interner Abstimmung könnte der deutsche Standpunkt ohne weiteres „mit einer Stimme" vorgetragen werden. Auch könnten die Länder in Angelegenheiten, in denen sie den größeren Sachverstand haben, diesen durchaus sachgerecht nach außen vertreten, ohne dabei die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchti-

Um die Forderung kompromißfähig zu gestalten, wichen die Vertreter des Bundesrates von der noch in der Kommission Verfassungsreform vertretenen Auffassung ab, die Länder sollten immer dann die Bundesrepublik nach außen vertreten können, wenn ihre grundgesetzlich festgelegten Zuständigkeiten im Schwerpunkt berührt seien. Statt dessen sollte sich nun die unmittelbare Einflußnahme nur auf die Fälle beschränken, in denen den Ländern das ausschließliche Gesetzgebungsrecht zusteht. 463 Dabei wurde jedoch darauf bestanden, daß der Bund die Mitgliedschaftsrechte in jedem Fall übertragen muß, wenn die auf europäischer Ebene verhandelte Materie im Schwerpunkt die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder betrifft.

461 462 463

Berghofer-Weicher (Bayern), StenBer. 2. Sitzung, S. 36. Wilhelm (Bayern), StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 25 f. Schnoor (NRW), StenBer. 7. Sitzung, S. 6.

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dd) Entscheidungsfindung in der Gemeinsamen Verfassungskommission Die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission einigten sich nach einer langen Kompromißsuche auf eine „Soir-Regelung: 4 6 4 Art. 23 (6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, soll die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen werden. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. Dieser Kompromiß wurde von den Ländern nur unter der Bedingung getragen, daß das Wort „soll" - wie bei öffentlich-rechtlichen Adressaten üblich wie ein „muß" gelesen wird. Auf dieses Verständnis hatten sich die Berichterstatter bei ihrer Kompromißsuche geeinigt, und so hatten es die Mitglieder der Verfassungskommission auch mehrheitlich akzeptiert. 465 Da die gefündene Formulierung die Einschränkung des Absatzes 5 „insoweit" nicht wieder aufgegriffen hat, sind die Ländervertreter befügt, Mitgliedschaftsrechte der Bundesrepublik Deutschland umfassend wahrzunehmen. Eine Begrenzung der Außenvertretung auf den Sachbereich der ausschließlichen Ländergesetzgebungskompetenz erfolgt demnach n i c h t . 4 6 6 Im übrigen soll die Außenvertretung durch einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder erfolgen. Art. 146 EGV, der diese Möglichkeit eröffnet, verlangt dabei einen Vertreter mit Ministerrang. Minister Schnoor wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es sich nach dem Wortlaut des Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG n.F. bei dem Landesminister nicht zwingend um ein Mitglied des Bundesrates handeln m u ß . 4 6 7 Die Bundesregierung führte in ihrer amtlichen Stellungnahme zu der „Soll"-Regelung in Art. 23 Abs. 6 GG aus, daß mit dieser Formulierung eine „Übertragungsautomatik" vermieden würde: „Die Wahrnehmung der deutschen Mitgliedschaftsrechte wird nicht pauschal, sondern einzelfallbezogen übertragen; das 'Soll' bedeutet - wie auch sonst im staatlichen Bereich - ein 464

Hervorhebungen im Text durch Verf. Schnoor (NRW), StenBer. 8. Sitzung, S. 8. 466 Ygj Gemeinsame Verfassungskommission, Bericht der GVK, Zur Sache 5/93, S. 46. 467 Schnoor (NRW), Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992 „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 104, S. 12. 465

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'Muß', das Ausnahmen zuläßt." 4 6 8 Nach Auffassung der Bundesregierung kann sich folglich der Verbleib der Außenvertretung bei der Bundesregierung ergeben, wenn eine Verpflichtung der Bundesregierung zu gemeinschaftskonformen Verhalten dies verlangt. So könnte z.B. ein Landesminister nicht die Verhandlungsführung im Europäischen Rat verlangen, auch wenn dort über ausschließliche Landeskompetenz verhandelt wird, da dies gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen würde. Darüber hinaus hält die Bundesregierung auch dann einen Ausnahmefall für gegeben, wenn aus Gründen der administrativen oder politischen Opportunität in einem an sich zu bejahenden Wahrnehmungsfall von diesem Recht abgesehen werden m u ß . 4 6 9 Der grundsätzlichen Außenvertretungskompetenz der Bundesregierung verschafft Art. 23 Abs. 6 Satz 2 GG n.F. trotz der nunmehr möglichen Länderaktivitäten auf europäischer Ebene auch weiterhin Anerkennung: Art. 23 Abs. 6 Satz 2 Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; (...). Unter „Beteiligung" ist nach Auffassung der Gemeinsamen Verfassungskommission die Teilnahme von Vertretern der Bundesregierung und der ständigen Vertretung an allen Sitzungen und förmlichen Außenkontakten zu verstehen. 470 Der Terminus „Abstimmung" bezieht sich unter anderem auch auf das Vorgehen in den Verhandlungen: „[Abstimmung] bedeutet weniger als Einvernehmen und mehr als Benehmen" 4 7 1 zwischen dem Vertreter der Länder und der Bundesregierung. Im übrigen erfolgt die laufende Meinungsbildung der Vertreter von Bundesländern und Bundesregierung bei den Verhandlungen in dem Rat der Gemeinschaften nach den für die interne Willensbildung geltenden Regeln (Art. 23 Abs. 5 GG n.F. i.V.m. dem Ausführungsgesetz).

468

BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 9. BReg, in: BT-Dr 12/3338, S. 10; a.A. BRat, in: BT-Dr 12/3338, S. 12: Allein administrativ-faktische Gründe, die z.B. in der Person des Landesvertreters selbst liegen, könnten einen Ausschluß eines Landesministers rechtfertigen. 470 Protokollnotiz der Berichterstatter, Arbeitsunterlage Nr. 63, S. 2. 471 Protokollnotiz der Berichterstatter, Arbeitsunterlage Nr. 63, S. 2. 469

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

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d) Weitere Verfassungsänderungen im Zusammenhang mit der Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bundesländer Durch die grundsätzliche Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bundesländer in Art. 23 GG n.F. ergab sich für die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission die Notwendigkeit, über einige Folgeänderungen im Grundgesetz zu befinden. Die Kommission beschloß für Art. 50 GG folgende neue Fassung: 472 Art. 50 (neu) Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. Darüber hinaus erkannte die Gemeinsame Verfassungskommission, daß der Bundesrat zur effektiven Wahrnehmung seiner neuen Rechte auch die dementsprechenden institutionellen Voraussetzungen besitzen muß. Daher soll verfassungsrechtlich die organisatorische Möglichkeit der Einrichtung einer Europakammer durch den Bundesrat abgesichert werden: Art. 52 Abs. 3a (neu) Für Angelegenheiten der Europäischen Union kann der Bundesrat eine Europakammer bilden, deren Beschlüsse als Beschlüsse des Bundesrates gelten; Artikel 51 Abs. 2 und 3 Satz 2 gelten entsprechend. Der Bundesrat hatte bereits vor der nunmehr erfolgten grundgesetzlichen Festschreibung der Errichtungsmöglichkeit einer Europakammer kraft seiner Organisationsgewalt ein solches Institut eingesetzt, um in EG-Angelegenheiten tätig zu werden. M i t der Ergänzung des Art. 52 GG wird ihm die verfassungsrechtlich abgesicherte Möglichkeit eröffnet, seine Befugnisse aus Art. 23 GG n.F., insbesondere die Stellungnahmen gegenüber der Regierung, seiner Europakammer zu übertragen. Deren Beschlüsse erfahren in dem Willensbildungsprozeß des Bundes in europäischen Angelegenheiten dieselbe Gewichtung, wie es Art. 23 Abs. 5 GG für den Bundesrat regelt.

472

Hervorhebungen im Text durch Verf.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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8. Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 und 3 GG n.F. In der 8. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde mit großer Mehrheit der neue Art. 23 Abs. 1 bis 6 GG in der von den Berichterstattern am 26. Juni 1992 vorgeschlagenen Fassung 473 angenommen und damit den Mitwirkungsrechten des Bundesrates verfassungsrechtlich Anerkennung verliehen. Bereits während der Beratungen zu diesem Komplex erhoben die Bundestagsabgeordneten wiederholt die Forderung, die Rechte des Bundestages ebenfalls verfassungsrechtlich zu stärken, da sonst die Symmetrie zwischen den beiden Verfassungsorganen empfindlich verschoben würde. 4 7 4 Aber nicht nur die Wahrung einer ausgewogenen vertikalen Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern war Anlaß, auf die Regelung der Mitwirkungsbefügnisse des Bundestages zu drängen. Auch die horizontale Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive verlangt nach Auffassung Möllers, Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion in der Gemeinsamen Verfassungskommission, ein solches Vorgehen: „Die Bundesregierung wirkt an der europäischen Rechtsetzung mit. Ihr fallen die gesetzgeberischen Aufgaben zu, die bisher im nationalen Rahmen dem Bundestag oblagen. Nicht zuletzt wegen des Demokratiedefizits in der EG wäre es bedenklich, die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland bei der europäischen Rechtsetzung allein der Bundesregierung und dem Bundesrat, d.h. den Landesregierungen, zu überantworten und den Bundestag als Repräsentanten des Souveräns außen vor zu lassen." 475 Die bestehenden Informations- und Kontrollrechte des Bundestages reichen nach Ansicht des Bundestagsabgeordneten jedenfalls nicht aus, um die gravierenden Kompetenzverluste des Bundestages adäquat zu kompensieren.

a) Rechtsauffassung der Sachverständigen in der Gemeinsamen Verfassungskommission Die Sachverständigen befaßten sich in ihren schriftlichen Stellungnahmen zu den rechtlichen Fragen der Gemeinsamen Verfassungskommission mit dem Problem, ob es verfassungsrechtlich angebracht sei, zwischen Bundestag und Bundesrat ein Gleichgewicht an Mitwirkungsrechten in europäischen Angelegenheiten herzustellen.

473

Empfehlungen der Berichterstatter zum Thema „Grundgesetz und Europa", Kommissionsdrucksache Nr. 7 (neu), S. 1 f. 474 Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 2 der 7. Sitzung der Verfassungskommission am 7. Juni 1992 „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 41, S. 5. 475 Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 2 der 7. Sitzung der Verfassungskommission am 7. Juni 1992 „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 41, S. 5.

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

Der Sachverständige Lerche hielt diese Idee für problematisch. Die Gewaltenbalance zwischen Parlament und Exekutive sollte zur Erhaltung des Bewegungsspielraums der Bundesregierung nicht grundsätzlich verschoben werden. Allerdings wäre eine Verfassungsänderung nur an den Maßstäben des Art. 79 Abs. 3 GG (Schutz des Kernbereichs des Gewaltenteilungsprinzips 476 ) zu messen, der auch hier die einzige unabänderliche Schranke bilde. 4 7 7 Dieses Prinzip sah Lerche jedoch nicht durch die Festschreibung von Bundestagsrechten in europäischen Angelegenheiten gefährdet. Ähnlich bewertete Tomuschat die Rechtslage. Es erschien ihm wenig sinnvoll, in einem parlamentarischen System wie dem der Bundesrepublik Deutschland, in dem die Regierung vom Vertrauen des Bundestages abhängig ist, diese darüber hinaus auch bei jedem Einzelakt an die Zustimmung des Bundestages zu binden. 4 7 8 Aufgrund der bestehenden Kontrollmöglichkeiten des Bundestages gegenüber der Bundesregierung - auch in dessen Funktion als EG-Mitglied - vermochte der Sachverständige Bieber zudem keine Parallele mit der Lage des Bundesrates zu erkennen. 479 Der seines Erachtens konzeptionell richtige Weg eines Ausgleichs verlorener Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundestages führe nur über die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments. In diesem Punkt widersprach der Sachverständige Randelzhofer: „... die Mitwirkungsrechte des Bundestages [sollten] zur Wahrung des Demokratieprinzips jedenfalls solange erweitert werden, wie echte Gesetzgebungsbefugnisse des Europäischen Parlaments noch nicht bestehen." 480

b) Diskussion und Entscheidung in der Gemeinsamen Verfassungskommission Weniger verfassungsrechtliche bzw. -politische Bedenken als vielmehr die strittige Form der konkreten Normierung waren der Grund dafür, daß Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte des Bundestages in europäischen Angelegenheiten anfanglich nicht von den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission im Rahmen des Art. 23 GG n.F. erörtert wurden. Zum Teil wurde eine Regelung mit Verfassungsrang gefordert, während andere ein Ausführungsgesetz oder aber die Geschäftsordnung des Bundestages für den geeigneten Platz einer solchen Bestimmung erachteten. 481 Die Mitglieder der Ge476

Vgl. Bryde, in: v. Münch, Art. 79 Rn. 43. Lerche, Stellungnahme, S. 12. 478 Tomuschat, Stellungnahme, S. 16. 479 Bieber, Stellungnahme, S. 21. 480 Randelzhofer, Fragenkatalog, S. 6. 481 Möller (CDU/CSU), StenBer. 8. Sitzung, S. 5; Neusei (BMI), StenBer. 7. Sitzung, S. 12. 477

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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meinsamen Verfassungskommission kamen deshalb überein, daß der Bundestag sich dieser Problematik - eventuell unter Zuhilfenahme eines von ihm eingesetzten Unionsausschusses - in den Beratungen zu Gesetzen zur Änderung des Grundgesetzes annehmen sollte. 4 8 2 In der 1. Lesung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 23 GG n.F. etc.) im Bundestag wurde dann jedoch schnell deutlich, daß sich die Kommission entgegen ihrer Pläne doch noch mit den parlamentarischen Rechten in bezug auf die Europäische Union auseinandersetzen mußte. Alle Fraktionen forderten übereinstimmend die Verankerung von Mitwirkungsrechten des Parlaments in der Verfassung. Es sei - so die Parlamentarier - notwendig, auf nationaler Ebene bereits im Vorfeld der Entscheidungen über europäische Rechtssetzungsakte mitzuwirken, solange auf europäischer Ebene noch ein Demokratiedefizit durch fehlende Parlamentsbeteiligung festzustellen i s t . 4 8 3 In der 11. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission, am 15. Oktober 1992, befaßten sich die Mitglieder der Kommission erneut mit dem Europaartikel, diesmal unter dem Gesichtspunkt der Ergänzung des bereits im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Entwurfs zu Art. 23 GG n.F. um Mitwirkungsrechte des Bundestages in europäischen Angelegenheiten.

aa) Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Bundestag Es ist allgemein anerkannt, daß dem Parlament und seinen Mitgliedern gegenüber der Bundesregierung ein verfassungsrechtlich gewährleisteter Informationsanspruch zukommt. Neben den speziell geregelten parlamentarischen Informationskompetenzen, wie z.B. Anfragen, Zitierbeschlüsse und Untersuchungsrecht, steht dem Bundestag noch ein allgemeines - wenn auch nicht explizit aufgeführtes - verfassungsrechtlich gewährleistetes Unterrichtungsrecht zu, das den Abgeordneten ermöglicht, die ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Aufgaben sachgerecht zu erfüllen. 4 8 4 Die faktische Notwendigkeit eines solchen Rechts liegt dabei in dem Informationsvorsprung der Bundesregierung, welcher im wesentlichen durch die organadäquate Kompetenzordnung des Grundgesetzes bedingt i s t . 4 8 5 Im Gegensatz zu den Parlamentariern kann die Bundesregierung zur Bewältigung der Staatsaufgaben bei der Informationsbeschaffüng auf einen ihr unterstellten, weitverzweigten Verwal482 Protokollnotiz der Berichterstatter zum Komplex „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 63, S. 1. 483 V g l Verheugen (SPD), StenBer. 11. Sitzung, S. 3. 484

BVerfGE 70, 324, 355; Linck, DÖV 1983, 957, 958; Magiera, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 52 Rn. 53. 485 Herzog, in: Mauz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 V, Rn. 57 und 84; Magiera, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 52 Rn. 55.

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

tungsunterbau zurückgreifen. Die Abhängigkeit der Parlamentarier von zeitige und umfassende Informationen durch die Bundesregierung zeigt sich besonders deutlich in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft, da hier allein die Bundesregierung als Inhaber des Außenvertretungsmonopols und Mitglied des Europäischen Rates weitreichenden Einblick in Planung und Projekte der Gemeinschaften hat. Diesem Umstand ist bereits 1957 einfachgesetzlich durch Art. 2 des Gesetzes zu EWGV und EAGV Rechnung getragen worden, der eine Unterrichtungspflicht der Regierung über Entwicklungen im europäischen Rat statuiert. Trotz dieser einfachgesetzlichen Regelung sahen die Bundestagsabgeordneten in der Gemeinsamen Verfassungskommission die Notwendigkeit, den Informationsfluß zwischen Bundesregierung und Deutschem Bundestag über EG-Vorgänge zu verbessern. So wurde kritisiert, daß in der Vergangenheit häufig dem Bundestag die Informationen später als dem Bundesrat und dem Europäischen Parlament zugeleitet wurden. Damit sei eine Einflußnahme auf die Beschlüsse der Europäischen Gemeinschaften letztlich nicht mehr möglich gewesen. 486 Wie allerdings der Forderung nach frühzeitiger Unterrichtung als unabdingbare Voraussetzung für eine fundierte Willensbildung in geeigneter Weise durch den Grundgesetzwortlaut Ausdruck verliehen werden sollte, war unter den Berichterstattern der Gemeinsamen Verfassungskommission bis zuletzt umstritten. Erwogen wurde, die Informationsverpflichtung der Bundesregierung mit folgender Formulierung festzuschreiben: 487 Art. 23 Abs. 3 Satz 1 Die Bundesregierung hat den Bundestag in den Angelegenheiten der Europäischen Union rechtzeitig zu unterrichten. Berichterstatter Möller (CDU/CSU) erläuterte dazu, daß die Formulierung „rechtzeitig" eine umfassende Unterrichtung des Bundestages verlange, wozu auch die Vorlage entsprechender Unterlagen und die Mitteilung über das beabsichtigte Abstimmungsverhalten der Bundesregierung gehöre. 488 Der Abgeordnete Ullmann (Bündnis 90/Die Grünen) erachtete angesichts dieses gewollten Inhalts den Begriff der „Rechtzeitigkeit" für zu unbestimmt, da die Erfahrung gelehrt habe, daß dessen Sinngehalt einer sehr weiten Interpretation

486

Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 1 der 11. Sitzung der Verfassungskommission am 15. Oktober 1992, Arbeitsunterlage Nr. 84, S. 2 f. 487 Ygi Vorschläge der Berichterstatter zum Themenkomplex „Grundgesetz und Europa" vom 6. Oktober 1992, Arbeitsunterlage Nr. 80, S.l. 488 y g i Protokoll des Berichterstattergesprächs zum Thema „Grundgesetz und Europa" vom 24. September 1992, S. 2 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor).

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission145 zugänglich sei. 4 8 9 Da die Vagheit des Begriffs die Gefahr in sich birgt, daß es zur Ermessensentscheidung der Bundesregierung wird, wann sie den Zeitpunkt der Unterrichtung des Bundestages für angezeigt h ä l t , 4 9 0 nahmen die Berichterstatter letztlich von ihren ersten Überlegungen Abstand und empfahlen den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission folgende Formulierung: 4 9 1 Art. 23 Abs. 3 Satz 1 Die Bundesregierung hat den Bundestag in den Angelegenheiten der Europäischen Union umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. In der Gemeinsamen Verfassungskommission machten die SPD-Mitglieder darauf aufmerksam, daß die Einführung dieser umfassenden Informationsrechte das Problem der Balance zwischen Bundestag und Bundesrat mit sich bringen würde. 4 9 2 Sie schlugen zur Herstellung des Gleichgewichts die Ergänzung des Art. 23 Abs. 2 um einen Satz 2 v o r : 4 9 3 Art. 23 Abs. 2 Satz 2 Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission nahmen diesen Vorschlag in ihrer 11. Sitzung einstimmig a n . 4 9 4 Da die präzisierte Formulierung, auf die sich die Gemeinsame Verfassungskommission letztlich verständigen konnte, immer noch genügend Spielraum für Interpretationen bietet, lag der Schwerpunkt des von den Berichterstattern ausgearbeiteten Kompromisses auf den Eckwerten, die den Rahmen für die einfachgesetzliche Konkretisierung der Verfassungsnorm vorgeben und quasi als „Geschäftsgrundlage" des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 Bestandteil der Ab-

489 Ygi Protokoll des Berichterstattergesprächs zum Thema „Grundgesetz und Europa" vom 24. September 1992, S. 2 (unveröffentlicht -Text liegt Verf. vor); vgl. auch Verheugen (SPD), StenBer. 11. Sitzung, S. 3. 490 Vgl. Möller/Limpert, ZParl 1993, 21, 26. 491 Ergebnisvermerk über das Berichterstatter-Gespräch zu „Europa" am 9. Oktober 1992 (unveröffentlicht -Text liegt Verf. vor). 492 Verheugen (SPD), StenBer. 11. Sitzung, S. 4. 493 H.-J. Vogel, Antrag zur Ergänzung des Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 Grundgesetz „Grundgesetz und Europa", Kommissionsdrucksache 18 (Hervorhebungen durch Verf.). 494 Voscherau (Vorsitzender), StenBer. 11. Sitzung, S. 7.

10 Schmalenbach

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

Stimmung in der Gemeinsamen Verfassungskommission werden sollten. 4 9 5 Der Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", der sich mit der inhaltlichen Ausgestaltung des Ausführungsgesetzes für die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union befaßte, entschied sich letztlich für die wortgleiche Übernahme der von den Berichterstattern erarbeiteten Eckwerte: § 3 des Ausführungsgesetzes verpflichtet die Bundesregierung zur Informationsweiterleitung an den Bundestag bezüglich aller Vorhaben - also nicht nur bezüglich etwaiger geplanter Rechtsetzungsakte496 - der Europäischen Union, die für die Bundesrepublik Deutschland von Interesse sein können. Damit erhält der Bundestag weitreichendere Informationen als der Bundesrat, bei dem der föderale Bezug des jeweiligen Vorhabens der Europäischen Union die Unterrichtungspflicht der Bundesregierung auslöst. § 4 konkretisiert die Verpflichtung der Bundesregierung dahingehend, daß „insbesondere die Entwürfe von Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union" dem Bundestag übersendet werden müssen. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Formulierung „Zur Unterrichtung ... übersendet die Bundesregierung dem Bundestag die Vorschläge der Kommission an den Rat für Richtlinien und Verordnung e n " 4 9 7 konnte sich im Sonderausschuß „Europäische Union" nicht durchsetzen. Der Begriff „Vorschlag", der insoweit der Terminologie der EG-Verträge entspricht, umschließt nach Ansicht der Mitglieder nur fertige Gesetzesentwürfe, nicht aber vorbereitende Dokumente der Kommission und ergänzende Dokumente von Rat und Kommission zu einzelnen Kommissionsvorschlägen, die jedoch auch unter die umfassende Informationspflicht der Bundesregierung fallen sollen. 4 9 8 Der Einbezug von vorbereitenden Dokumenten der Kommission in die Unterrichtungspflicht der Bundesregierung rechtfertigt sich insbesondere durch den zeitlichen Vorsprung, der dem Bundestag und seiner Ausschüsse bei Beratungen zu EG-Vorlagen mit diesen Informationen eingeräumt wird. Die Dokumente, die zur Vorbereitung der Konimissionsentscheidung zwischen den Generaldirektionen der EG-Kommission ausgetauscht werden, enthalten bereits Festlegungen für die spätere Kommissionsentscheidungen und damit auch für die endgültige Ratsentscheidung, von denen in der Praxis nicht ohne

495

Verheugen (SPD), StenBer. 11. Sitzung, S. 4. Verheugen (SPD), StenBer. 11. Sitzung, S. 4. 497 Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, Vorschlag des BMI und BMWI vom 29. Oktober 1992, Anlage I (unveröffentlicht - Hervorhebungen durch Verf.). 498 Protokoll des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" 7. Sitzung, S. 44 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 496

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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weiteres abgewichen werden kann, da sie bereits einen Kompromiß der Mitgliedstaaten enthalten. 499 Auf den Zusatz „der Kommission" verzichtete der Sonderausschuß, da das Vorschlagsrecht für Rechtsetzungsakte derzeit ohnehin allein bei der EGKommission liegt. 5 0 0 Der offene Wortlaut des § 4 läßt damit zugleich Raum für die Pflicht der Bundesregierung zur Informationsweiterleitung bei künftigen Initiativrechten des Europäischen Parlaments.

bb) Mitwirkungsrechte des Bundestages Die Mitwirkung des Bundestages an der Willensbildung der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten war - im Gegensatz zu den Rechten des Bundesrates - bereits vor Schaffung des Art. 23 grundgesetzlich gesichert. Zwar befand sich in der Verfassung keine zentrale Stelle, die diese Befugnis des Bundestages ausführte, jedoch ergab sich dieses Recht aus dem allgemeinen Prinzip des parlamentarischen Regierungssystems, das die Bundesregierung in ihrer gesamten Amtsführung - also auch in europäischen Angelegenheiten - der Kontrolle des Bundestages unterstellt. 501 Zu diesem Zweck konnte der Bundestag seit Schaffung der Europäischen Gemeinschaften über europäische Themen zur eigenen Willensbildung debattieren und seine Auffassung dazu durch schlichten Beschluß festlegen. Diesem Akt kam jedoch lediglich politische Bedeutung zu, was die Bundesregierung in ihrer Handlungsweise nicht rechtlich zu binden vermochte. 502 Gleichwohl darf der Einfluß, den das Parlament durch politische Erklärungen auf die Entscheidung der Regierung nehmen kann, nicht unterschätzt werden, da deren Bildung und Amtsdauer letztlich von der Parlamentsmehrheit abhängig ist. Damit können auch rechtlich unverbindliche Stellungnahmen des Bundestages für die Bundesregierung durch deren parlamentarische Verantwortung eine politische Bindewirkung entfalten, der sie sich nicht ohne weiteres entziehen kann. Nicht zu verkennen ist allerdings auch, daß noch keiner Regierung das Vertrauen des Bundestages entzogen worden ist, weil sie sich in Fragen europäischer Rechtsetzung in Einzelfällen gegen den erklärten Willen der eigenen gesetzgebenden Körperschaft gestellt hat. 499

Vgl. BReg: Vermerk zum Vorschlag des BMI und BMWi vom 22. Oktober 1992 (Entwurf eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union), S. 2. (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor); ebenfalls Möller/Limpert, ZParl 1993, 21, 26. 500 Ygj Protokoll des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" 7. Sitzung, S. 44 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 501 Vgl. Stern, Staatsrecht Bd. I, S. 973 f. 502 Versteyl, in: v. Münch, Art. 42 Rn. 16.

10*

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

In den Berichterstattergesprächen zeigten sich insbesondere die Vertreter der Regierungsfraktionen als konsequente Verfechter der verfassungsrechtlichen Aufwertung parlamentarischer Mitwirkungsrechte in europäischen Angelegenheiten. Berichterstatter Möller (CDU/CSU) begründete diese Forderung mit dem Verlust von legislativen Aufgaben, den der Bundestag im Zuge des „Vergemeinschaftlichungsprozesses" erfahren würde. 5 0 3 Um die Gewaltenteilung und -balancierung zwischen Parlament und Regierung in europäischen Angelegenheiten nicht zuungunsten des Bundestages zu verschieben, bedürfe es zur Kompensation der Festschreibung parlamentarischer Mitwirkungsrechte. 504 Der damit verbundene Eingriff in Bestandteile der Regierungsgewalt, zu denen insbesondere die Gestaltung auswärtiger Angelegenheiten zählt, 5 0 5 verstoße nicht gegen das Gewaltenteilungsprinzip, sondern sei vielmehr zwingende Konsequenz, „weil Europapolitik nicht mehr so sehr Außenpolitik ist, sondern gerade in legislativer Hinsicht zunehmend die Qualität europäischer Innenpolitik gewinnt." 5 0 6 Auch das Gebot des Demokratieprinzips rechtfertigt nach Ansicht Möllers die verstärkte Beteiligung des Bundestages, da dieser angesichts des Demokratiedefizits der Europäischen Gemeinschaften die parlamentarische Rückbindung des deutschen Beitrags zur Entwicklung der Europäischen Union gewährleisten könne. 5 0 7 Als Diskussionsgrundlage unterbreitete der CDU/CSU-Abgeordnete folgenden Formulierungsvorschlag: 508 Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsakten der Europäischen Union sowie vor ihrer Zustimmung zu deren Haushalt. Der Bundestag kann den gem. Art. 45 bestellten Ausschuß ermächtigen, für ihn Stellungnahmen abzugeben. Die Bundesregierung berücksichtigt diese Stellungnahme bei den Verhandlungen.

503 Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 1 der 11. Sitzung des Verfassungskommission am 15. Oktober 1992, Arbeitsunterlage Nr. 84, S. 2. 504 Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 1 der 11. Sitzung des Verfassungskommission am 15. Oktober 1992, Arbeitsunterlage Nr. 84, S. 2. 505 BVerfGE 68, 1,83 ff. 506 Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 1 der 11. Sitzung der Verfassungskommission am 15. Oktober 1992, Arbeitsunterlage 84, S. 5. 507 Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 1 der 11. Sitzung der Verfassungskommission am 15. Oktober 1992, Arbeitsunterlage 84, S. 5; in diesem Sinne auch BVerfGE 89, 155, 190 f. (Maastricht-Entscheidung); a.A. Schachtschneider (et al.), JZ 1993,751,755.

508 Ygj Protokoll des Berichterstattergesprächs zum Thema „Grundgesetz und Europa" am 24. September 1992, S. 2 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor).

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Der Vorschlag stieß bei dem SPD-Abgeordneten Verheugen auf Kritik. So gab er zu bedenken, daß bereits ein parlamentarische Kontrolle des europäischen Haushalts durch das Europäische Parlament ausgeübt würde, neben die nach Satz 1 des Vorschlages die mittelbare Einflußnahme des nationalen Parlaments auf den europäischen Haushalt treten würde. Diese doppelte parlamentarische Kontrolle würde dazu führen, daß die Parlamentsrechte von der Europäischen Gemeinschaft zurück auf die nationale Ebene geleitet würden ein Umstand, der dem Gedanken der europäischen Integration nicht förderlich sei. 5 0 9 Die von Scholz (CDU/CSU) alternativ vorgeschlagene Formulie" rung,510 Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsakten der Europäischen Union sowie vor ihrer Zustimmung zu deren Haushalt, sofern dieser zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungfür den Bund führen kann. konnte sich letztlich wegen der von Verheugen geäußerten Bedenken ebenfalls nicht durchsetzen. Auch über den Begriff der „Rechtsakte" wurde kontrovers verhandelt. Die Berichterstatter entschieden sich letztlich für den engeren Begriff „Rechtsetzungsakte", da sich der Bundestag als Legislativorgan nur in Rechtsetzungsakte der Europäischen Gemeinschaften - also Richtlinien und Verordnungen - einschalten könne. Hier würde seine Stellungnahme an die Bundesregierung als Teil des Gesetzgebungsorgans der Europäischen Union gehen. Über Einzelfallentscheidungen - die ja auch Rechtsakte im Sinne des Formulierungsvorschlages darstellen - könne sich der Bundestag zwar informieren (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG n.F ), nicht jedoch die Bundesregierung zur Berücksichtigung seiner Stellungnahme i.S.d. Art. 23 Abs. 3 GG n.F. verpflichten.511

509 Ygi Protokoll des Berichterstattergesprächs zum Thema „Grundgesetz und Europa" am 24. September 1992, S. 3 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 510 ygi Protokoll des Berichterstattergesprächs zum Thema „Grundgesetz und Europa" am 24. September 1992, S. 4 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor); vgl. auch Empfehlungen der Berichterstatter zum Thema „Grundgesetz und Europa" vom 6. Oktober 1992, Arbeitsunterlage 80, S. 1. (Hervorhebung durch Verf.). 511 Vgl. Protokoll der 7. Sitzung des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", S. 45; so auch Verheugen, StenBer. 11. Sitzung, S. 3. Im Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" wurde darüber verhandelt, was konkret unter „Rechtsetzungsakte" zu verstehen ist. Die SPD-Fraktion drang dabei auf die Klärung der Frage, ob unter diesen Begriff auch rechtsetzungsähnliche Beschlüsse des Rates nach Art. 100c, 138, 201 EGV, sowie K.3 und K.9 EUV fallen würden. Abgesehen von Art. K.3 wurde dies von Vertretern der Bundesregierung be-

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D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

In der 11. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission schlugen die Berichterstatter das Ergebnis ihrer Beratungen den Mitgliedern zur Annahme

Art. 23 (3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahme des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz. Ein zentraler Punkt der Diskussion in der Gemeinsamen Verfassungsdiskussion war Satz 2 des Vorschlages: „Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahme des Bundestages bei den Verhandlungen". Der Berichterstatter Möller führte hierzu aus, daß mit dieser Formulierung der Bundesregierung die Verpflichtung auferlegt werden soll, in der Verhandlungsphase dem Votum des Bundestages nach Möglichkeit zu folgen. Diese Pflicht wird durch die von den Berichterstattern vorgeschlagenen Eckwerte zum Ausführungsgesetz konkretisiert: „Die Bundesregierung legt diese Stellungnahme ihren Verhandlungen zugrunde," 513 Gleichwohl könne die Bundesregierung jedoch von den Empfehlungen des Bundestages abweichen, wenn unabweisliche Gründe dies gebieten, wobei jedoch diese Gründe dem Bundestag mitzuteilen seien. 5 1 4 Nach Auffassung Möllers liegt in dieser Regelung eine partielle Abkehr von dem Institut des schlichten Parlamentsbeschlusses, an den die Bundesregierung rechtlich nicht gebunden sei. 5 1 5

jaht. Hinsichtlich dieser Norm wurde eingewandt, daß es sich um den Bereich intergouvernementaler Zusammenarbeit handeln würde, die nicht die Qualität von Rechtsetzungsakten habe. Der Vorschlag der SPD, zur Klarstellung den Begriff „Rechtsetzungsakte" einfachgesetzlich in „Richtlinien, Verordnungen sowie von Beschlüssen gem. Art. 100c, 139, 201 EGV etc." aufzuschlüsseln, wurde mit dem Argument abgelehnt, daß dies die Gefahr einer unvollständigen enumerativen Aufzählung in sich berge [vgl. Beschluß und Bericht des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", BT-Dr 12/3896, S. 24]. 512 Vgl. Ergebnisvermerk über das Berichterstatter-Gespräch zu „Europa" am 9. Oktober 1992 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 513 Eckwerte für ein Ausführungsgesetz zu Art. 23 Abs. 3 GG vom 12. Oktober 1992, Arbeitsunterlage Nr. 86 (Hervorhebung durch Verf.). 514 Möller (CDU/CSU), StenBer. 11. Sitzung, S. 2. 515 Möller (CDU/CSU), Arbeitsunterlage Nr. 84, S. 4; vgl. auch ders., StenBer. 11. Sitzung, - Anhang - S. 29 f.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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Die SPD-Abgeordneten zeigten sich mit dieser Lösung nicht einverstanden. Sie schlugen der Gemeinsamen Verfassungskommission statt dessen zur Abstimmung folgende Formulierung v o r : 5 1 6 Art. 23 Abs. 3 Satz 2 (neu) Die Bundesregierung legt diese Stellungnahme ihren Verhandlungen zugrunde. Der Berichterstatter Verheugen (SPD) führte dazu aus, daß es nicht einsehbar sei, warum die Berücksichtigung der Stellungnahme lediglich in einem einfachen Gesetz näher konkretisiert werden soll, wenn dieses Gesetz unter Umständen dann nicht von der Verfassung gedeckt i s t . 5 1 7 Deshalb sollte nach Ansicht der SPD-Fraktion bereits in der Verfassung das Wesentliche gesagt werden. Dieser Beurteilung konnten sich weder die Vertreter der Länder noch die der Bundesregierung anschließen. In der Gemeinsamen Verfassungskommission kritisierte Staatsminister Stoiber (Bayern), daß der Begriff „zugrunde legen", wie die SPD ihn vorgeschlagen habe, in die Verfassung eine Konfliktsituation hineinbrächte. Es würde nicht klar werden, wie in der Praxis das „zugrunde legen" zum „berücksichtigen" der Stellungnahmen des Bundesrates stehen soll. Stoiber sah eine Möglichkeit zur Klarstellung in dem Passus: „Die Beteiligungsrechte der Länder über den Bundesrat bleiben unberührt." 5 1 8 Der Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt (BMI) zeigte die Bedenken der Bundesregierung gegen den Vorschlag der SPD auf. 5 1 9 M i t der Beschlußempfehlung der SPD würde dem Bundestag das Recht zuerkannt, verbindliche Stellungnahmen für die Verhandlungen der Bundesregierung abgeben zu dürfen. Dies verstoße jedoch gegen das rechtsstaatliche Gebot der Gewaltenteilung, das der gesetzgebenden Körperschaft im Bereich der auswärtigen Gewalt lediglich die Befugnis einräumt, in Gesetzesform (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) die Exekutive zu einem Vertragsabschluß zu ermächtigen. Die Bundesregierung unterstrich ihren Hinweis auf das Gewaltenteilungsprinzip mit einem Verweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum NATO-Doppelbeschluß 520 , in dem hervorgehoben würde, daß die Hand-

516

Antrag der SPD zu Art. 23 Abs. 3 GG (neu), Kommissionsdrucksache Nr. 17. Verheugen (SPD), StenBer. 11. Sitzung, S. 4. 518 Stoiber (Bayern), StenBer. 11. Sitzung, S. 6 f. 519 Waffenschmidt (BMI), StenBer. 11. Sitzung - Anhang - S. 31. 520 BVerfGE 68, 1, 86: „Die Konzentration politischer Macht, die darin läge, den Bundestag in auswärtigen Angelegenheiten - über die ihm im Grundgesetz zugeordneten Befugnisse hinaus - zentrale Entscheidungsbefugnisse exekutivischer Natur zuzu517

152

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

lungsfahigkeit des Gesamtstaates im supranationalen, d.h. auch europäischen Kontext zu wahren sei. 5 2 1 „Die Bindewirkung, die letztlich 'nur' eine politische sein kann, bedarf keiner ausdrücklichen Erwähnung im Grundgesetz. (...) Deshalb ist der Terminus 'berücksichtigen' in dem Berichterstattervorschlag für die Grundgesetz-Änderung angemessen, während die am Ende der Eckwerte für das Ausführungsgesetz gebrauchte Formulierung 'zugrunde zu legen' mit ihrer rechtlichen Bindung zu weit ginge " 5 2 2 In der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde der Änderungsvorschlag der SPD abgelehnt. 523 Die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission folgten statt dessen dem Vorschlag der Berichterstatter, was im wesentlichen auf die Intervention der Bundesregierung zurückzuführen ist. Sah diese den Kernbericht ihrer Exekutivgewalt durch die Formulierung „zugrunde legen" in der Verfassung gefährdet, so billigte sie im Gegenzug den Bundestagsabgeordneten im Rahmen des Ausführungsgesetzes mehr Bewegungsfreiheit z u . 5 2 4 Daher legen die Empfehlungen der Berichterstatter - und ihnen folgend die Entwürfe der Bundestagsfraktionen zum Ausführungsgesetz des Art. 23 Abs. 3 GG n.F. - eine Konkretisierung des Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG n.F. dahingehend fest, daß die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundestages ihren Verhandlungen zugrunde legen soll. Der Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" befaßte sich in seinen Beratungen zu dem Ausfuhrungsgesetz aufgrund der von der Gemeinsamen Verfassungskommission vorgegebenen unterschiedlichen Terminologie eingehend mit der Problematik, wie sich rechtlich das Wort „berücksichtigen" im Verfassungstext zu einem einfachgesetzlichen „zugrunde legen" verhält. Schwierigkeiten bereitete dabei bereits die Festlegung der inhaltlichen Aussagekraft der Formulierung „zugrunde legen". Die Vertreter der Bundesregierung legten den Begriff vor dem Hintergrund der Verfassung aus. Der Ausdruck „berücksichtigen" sei dort gewählt worden, weil der Bundestag - im Gegensatz zum Bundesrat - allzuständig sei, was eine rechtliche Bindung der Bundesregierung in ihren parlamentarischen Zuständigkeiten von vornherein unmöglich mache. Im Rahmen der Gewaltenteilung beanspruche die

ordnen, liefe dem derzeit vom Grundgesetz normierten Gefuge der Verteilung von Macht, Verantwortung und Kontrolle zuwider." 521 Waffenschmidt (BMI), StenBer. 11. Sitzung - Anhang - S. 32. 522 Waffenschmidt (BMI), StenBer. 11. Sitzung - Anhang - S. 32. 523 Voscherau (Vorsitzender), StenBer. 11. Sitzung - Abstimmung - S. 8. 524 ygi Protokoll der 6. Sitzung des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", S. 24 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor).

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

153

Bundesregierung hier einen Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung 5 2 5 Einige Vertreter des Bundestages sahen hingegen in dem Terminus „zugrunde legen" eine gegenüber dem Grundgesetz in ihrer Wirkung weitergehende Fassung. Sie sei in den Fällen einschlägig, in denen die Bundesregierung im Europäischen Rat legislative Funktionen ausübe. Dann nämlich müßte nicht der Kernbereich der Exekutivgewalt, sondern - bedingt durch das europäische Demokratiedefizit - der klassische Zuständigkeitsbereich des Parlamentes als berührt gelten. 5 2 6 Angesichts dieser Interpretation warnten die Vertreter der Länder und der Bundesregierung vor dem verfassungsrechtlich bedenklichen Widerspruch, wenn das „Zugrundelegen" einer Stellungnahme in seiner Bindewirkung über ein bloßes „Berücksichtigen" hinausgehe. Dies würde zum einen gegen die Normenhierarchie verstoßen, zum anderen wäre darin eine Verletzung des Art. 23 GG n.F. zu erblicken, der die Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat in Absatz 3 und 5 Satz 1 als gleichwertig ansieht. Insofern sahen die Vertreter der Bundesländer bei einer derartigen Auslegung des Terminus „zugrunde legen" den gesamten, in der Gemeinsamen Verfassungskommission ausgearbeiteten Kompromiß zu Art. 23 GG in Gefahr. Trotz des Argumentes, die fragliche Terminologie hätte die Verfassungswidrigkeit des Ausführungsgesetzes zur Folge, einigten sich die Mitglieder des Sonderausschusses auf folgenden Gesetzeswortlaut: 527 §5 Die Bundesregierung gibt vor ihrer Zustimmung zu Rechtsakten der Europäischen Union dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Frist zur Stellungnahme muß so bemessen sein, daß der Bundestag ausreichend Gelegenheit

hat, sich mit der Vorlage zu befassen. Die Bundesregierung nahme ihren Verhandlungen zugrunde.

legt die Stellung-

Die Übernahme der in seiner Bedeutung umstrittenen Formulierung basiert auf der Einigung, die umstrittenen Begriffe wie folgt auszulegen: Der Terminus „berücksichtigen" in Art. 23 Abs. 3 GG n.F. impliziert den gesamten Willensbildungsprozeß auf europäischer Ebene - von der Festlegung der Verhandlungsposition der Bundesregierung bis zur Beschlußfassung in den Gemeinschaften -, während sich das „Zugrundelegen" in dem Ausführungsgesetz lediglich auf den Anfang dieses Prozesses bezieht. 5 2 8 Der allgemeinere Begriff 525 Yg] Protokoll der 6. Sitzung des Sonderausschusses „ E u r o p ä i s c h e Union (Vertrag von Maastricht)", S. 21 f. (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 526 V g l Protokoll der 6. Sitzung des Sonderausschusses „ E u r o p ä i s c h e Union (Vertrag von Maastricht)", S. 22 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 5 2 7 BGBl. 1993 I, S. 312. (Hervorhebungen im Text durch Verf.). 528 y g ! Protokoll der 7. Sitzung des Sonderausschusses „ E u r o p ä i s c h e Union (Vertrag von Maastricht)", S. 41 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor); Sonderaus-

154

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

„berücksichtigen" umfallt bei dieser Interpretation das „Zugrundelegen" der Stellungnahme nach dem Ausführungsgesetz und verhindert damit eine durch die Normenhierarchie bedingte Kollision. Die Bundesregierung ist gesetzlich verpflichtet, bei der ersten Festlegung ihres Standpunktes die Stellungnahme des Bundestages zugrunde zu legen, d.h. als Orientierung zu nutzen. Dies hat für die Bundesregierung jedoch keine nachfolgende rechtliche Festlegung auf die Position des Bundestages zur Konsequenz. Da der im Grundgesetz verwendete Oberbegriff „berücksichtigen" den Rahmen für die Interpretation des Ausführungsgesetzes vorgibt, bleibt es bei den Überlegungen, die die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission ihrer Wortwahl zugrunde gelegt haben: Die Möglichkeit einer Berücksichtigung der Stellungnahme in den laufenden Verhandlungen kann von der gänzlichen Übernahme bis hin zur Verwerfung mit einer entsprechenden Begründung reichen. Art. 23 Abs. 3 i.V.m. § 5 Satz 3 des Ausführungsgesetzes hat also nur eine rechtliche Befassungs-, Begründungs- und Sorgfaltspflicht der Bundesregierung zum Inhalt, deren Verletzung - im Gegensatz zu den schlichten Parlamentsbeschlüssen aufgrund der nunmehr bestehenden Verfassungslage mit Sanktionen bewehrt i s t . 5 2 9 Inhaltliche Abweichungen der Bundesregierung von der Stellungnahme des Bundestages aufgrund unabweichlicher Gründe sind indes auch weiterhin möglich. Insofern bleibt es bei den lediglich politisch verbindlichen Beschlüssen des Bundestages.

c) Verhältnis der Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat Als problematisch erwies sich im Sonderausschuß „Europäische Union" zudem die Frage, wie die Stellungnahme des Bundesrates in Art. 23 Abs. 5 Satz 1 GG n.F. zu der Stellungnahme des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 GG n.F. steht, wie also ein Konflikt zwischen den Verfassungsorganen in den Fällen, in denen die Bundesregierung die Stellungnahmen von Bundesrat und Bundestag im Bereich der Bundesgesetzgebung nach dem Verfassungstext gleichermaßen zu „berücksichtigen" hat, zu lösen ist. Auf Antrag von Abgeordneten, denen die Mitwirkungsrechte des Bundesrates zu weit gingen, wurde vom Sonderausschuß die Einführung einer einfachgesetzlichen Vorschrift beschlossen, die eine Vorrangregelung für den Fall sich widersprechender Stellungnahmen von Bundesrat und Bundestag enthält. M i t § 6 des Ausführungsgesetzes sollte klargestellt werden, daß die Stellungnahmen der Bundesorgane in europäischen Angelegenheiten nicht

schuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", in: BT-Dr 12/3896, S. 24; vgl. auch Möller/Lippert, ZParl 1993, 21, 28. 529 Vgl. Fischer, ZParl 1993, 32, 41; Möller/Lippert, ZParl 1993, 21, 28 f.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

155

gleichwertig nebeneinanderstehen, auch wenn Art. 23 Abs. 3 und 5 Satz 1 GG n.F. diesen Eindruck aufgrund seines Wortlautes vermittelt: 5 3 0

§6 Im Falle sich widersprechender Stellungnahmen des Bundestages und des Bundesrates berücksichtigt die Bundesregierung vorrangig die Stellungnahme des Bundestages oder des Bundesrates, je nachdem, ob im Falle innerstaatlicher Gesetzgebung die Materie schwerpunktmäßig in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fiele. Artikel 23 Abs. 5 Satz 2 GG bleibt unberührt. Die Vorschrift, die mit der CDU/CSU- und FDP-Mehrheit im Ausschuß verabschiedet wurde, sollte klarstellen, daß im Rahmen der Bundeskompetenzen gem. Art. 71 ff. GG, soweit es sich um ausschließliche, konkurrierende und Rahmengesetzgebung des Bundes handelt, der Stellungnahme des Bundestages bei der Willensbildung der Bundesregierung dann Vorrang gebührt, wenn der Bundesrat eine davon abweichende Position vertritt. Gleichzeitig verdeutlicht § 6 in seinem 2. Satz, daß in Fällen der maßgeblichen Berücksichtigung der Auffassung des Bundesrates durch die Bundesregierung (Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG) das Letztentscheidungsrecht der Länder durch das Gesetz nicht berührt w i r d . 5 3 1 Der Bundesrat erklärte diese Regelung des Zusammenarbeitsgesetzes für nicht akzeptabel und rief den Vermittlungsausschuß an. Bundestag und Bundesrat einigten sich im Endeffekt darauf, im Zusammenarbeitsgesetz auf eine derartige Vorrangsklausel zu verzichten. 532 Sich widersprechende Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat muß die Bundesregierung gleichermaßen berücksichtigen, ohne daß einer von beiden Vorrang gebührt. Rechtlich ist die Bundesregierung jedenfalls in den Bereichen der Bundesgesetzgebung an keine Stellungnahme gebunden.

d) Der Unionsausschuß Zur institutionellen Absicherung des Informations- und Mitwirkungsrechts des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union soll künftig ein 530

Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", in: BT-Dr 12/3896, S. 8. 531 Sonderausschuß „ E u r o p ä i s c h e Union (Vertrag von Maastricht)", in: BT-Dr 12/3896, S. 24. Der gleichlautende Änderungsantrag zu Art. 23 Abs. 3 GG von dem Abgeordneten Hellwig fand hingegen im Sonderausschuß keine Mehrheit; BT-Dr. 12/3896, S. 19. 532 BGBl. 1993 I, S. 313 f.

156

D. Der Integrationsartikel des Grundgesetzes

neues Gremium zur parlamentarischen Kontrolle der Bundesregierung auf diesem Gebiet tätig werden. 5 3 3 In der Gemeinsamen Verfassungskommission herrschte Konsens darüber, zu diesem Zweck die verfassungsrechtlichen Voraussetzung für die Einrichtung eines Unionsausschusses - ähnlich dem Auswärtigen-, Verteidigungs- und dem Petitionsausschuß - zu schaffen. Die Verfassungskommission einigte sich daher mit der überwiegenden Mehrheit ihrer Stimmen auf die Nutzung des freigewordenen Art. 45 GG, um den Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union verfassungsrechtlich zu verankern: Art. 45 (neu) Der Bundestag bestellt einen Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Er kann ihn ermächtigen, die Rechte des Bundestages gemäß Art. 23 gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Die Berichterstatter, die diesen Formulierungsvorschlag ausgearbeitet hatten, wiesen darauf hin, daß die Ermächtigung des Unionsausschusses, die Rechte des Bundestages gem. Art. 23 GG n.F. gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen, nicht als Pauschal- bzw. Generalermächtigung verstanden werden dürfe, sondern diese von Fall zu Fall erteilt werden müsse. 534 Das Delegationsrecht des Bundestages umfaßt nach Auffassung der Berichterstatter gleichzeitig auch ein „Rückholrecht": Der Bundestag könne die Materie wieder an sich ziehen, wenn er dies für sinnvoll halte. Das Plenum des Bundestages bleibe also „Herr des Verfahrens". 535 Die Bundesregierung begrüßte die Einführung eines Europaausschusses als eine angemessene verfassungsrechtliche Antwort auf die wachsende Bedeutung der Europapolitik in einer verdichteten europäischen Integration. Sie erhob jedoch - wie schon im Zusammenhang mit der Gewichtung der Stellungnahme des Bundestages - Bedenken gegen die Absicht, die Verhandlungslinie der Bundesregierung an Voten dieses Ausschusses zu binden. Dieses widerspräche dem grundsätzlichen Verständnis des parlamentarischen Regierungssystems. 536 Die Berichterstatter der Verfassungskommission kamen überein, daß die nähere Ausgestaltung der Rechte und Pflichten des Unionsausschusses der Ge533

Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 1 der 9. Sitzung der Verfassungskommission am 9. Juli 1992, Arbeitsunterlage Nr. 67, S. 2. 534 Verheugen (SPD), StenBer. 11. Sitzung, S. 4. 535 Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 1 der 11. Sitzung der Verfassungskommission am 15. Oktober, Arbeitsunterlage Nr. 84, S. 4. 536 Waffenschmidt (BMI), StenBer. - Anhang -11. Sitzung, S. 32.

ΠΙ. Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission

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schäftsautonomie des Bundestages überlassen werden s o l l . 5 3 7 In der Geschäftsordnung des Bundestages wäre dann die Zusammensetzung des Unionsausschusses sowie seine Rechte im Verhältnis zum Bundestag einerseits und zu den Fachausschüssen andererseits festzulegen. 538

537 Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 1 der 11. Sitzung der Verfassungskommission am 15. Oktober, Arbeitsunterlage Nr. 84, S. 4. 538 Möller (CDU/CSU), Bericht zu Top 1 der 11. Sitzung der Verfassungskommission am 15. Oktober, Arbeitsunterlage Nr. 84, S. 4.

£. Weitere Änderungsvorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission I. Unionsbürgerschaft und Art. 28 GG Eines der Ziele der neu geschaffenen Europäischen Union ist die Einführung einer europäischen Unionsbürgerschaft (Art. Β dritter Spiegelstrich EUV). Unionsbürger ist nach Art. 8 Abs. 1 EGV, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften besitzt. Mangels Staatsqualität der Europäischen U n i o n 5 3 9 begründet die Unionsbürgerschaft jedoch keine europäische Staatsangehörigkeit, auch wenn sie einen Teil der mit der Staatsangehörigkeit üblicherweise verbundenen Rechte vermittelt. Im Gegensatz zu der klassischen Staatsangehörigkeit, die eine auf Gegenseitigkeitserwartungen beruhende umfassende Rechte- und Pflichtenbeziehung zwischen den Bürgern und ihrem Staat begründet, 540 ähnelt das personelle Band zwischen Unionsbürger und Europäische Union in seiner Qualität mehr dem „British Subject" im Commonwealth of Nations. 5 4 1 In Art. 8 flf. EGV werden die Rechte und Pflichten der Unionsbürger näher ausgestaltet. So wird z.B. ein allgemeines Aufenthaltsrecht für alle Unionsbürger im gesamten Gebiet der zwölf Mitgliedstaaten geschaffen, das entgegen der vormaligen Regelung im EWGV nicht an eine ökonomische Zielsetzung des Aufenthalts gebunden i s t . 5 4 2 Art. 8 c EGV sieht zudem für Unionsbürger einen erweiterten diplomatischen Schutz vor. Dieser Schutz, der üblicherweise Staatsangehörigen in Drittländern zukommt, soll dann eingreifen, wenn der Heimatstaat des EG-Bürgers in dem Drittland weder diplomatisch noch konsularisch vertreten ist. In diesem Fall hat jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit, die Rechte des Betroffenen geltend zu machen. Besondere Beachtung in Hinblick auf das Grundgesetz verlangt aber die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts jedes Unionsbürgers bei 539 ygi Ausführungen unter D14 und D Ι Π 7 a/cc. 540 K. Ipsen, Völkerrecht, § 24 Rn. 3. 541 Ress, JuS 1992,985,987. 542 Wölker, in: v.d. Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EWGVertrag Bd. 1, Vorb. zu Art. 48 bis 50, Rn. 32.

I. Unionsbürgerschaft und Art. 28 GG

159

Kommunalwahlen in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat (Art. 8 b EGV). M i t dieser Regelung wird nicht nur eine neue europäische Integrationsstufe erreicht, sondern gleichzeitig auch in die Verfassungshoheit der Mitgliedstaaten eingegriffen. 543 Sowohl die Bundesregierung als auch die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission und die geladenen Sachverständigen stimmten darin überein, daß die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages eine Änderung des für das Kommunalwahlrecht einschlägigen Art. 28 GG erfordert. 544

1. Bisherige Verfassungslage Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG wird die Staatsgewalt vom „Volk" ausgeübt. Da z.B. in der Präambel und Art. 146 GG ausschließlich vom deutschen Volk die Rede ist, wird nach fast einhelliger Auffassung in der juristischen Literatur unter den Volksbegifif des Grundgesetzes lediglich das deutsche Volk subsumiert. 545 Verlangt das Grundgesetz entsprechend dieser Auslegung in Art. 20 Abs. 2 GG, daß die Staatsgewalt vom deutschen Volk ausgeht, dann kann auch nur das „Staatsvolk" i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG wahlberechtigt sein. Die Beteiligung von Ausländern an Bundestagswahlen und Landtagswahlen wird folglich überwiegend als nach der geltenden Verfassung nicht zulässig erachtet. 546 Wesentlich umstrittener ist in der Verfassungslehre die Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer. M i t dem Argument, Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG lasse ein von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG abweichendes Verständnis des Volksbegrififes zu, da Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG lediglich ein Mindestmaß an Homogenität mit dem Grundgesetz verlange, wird z.T. die Auffassung vertreten, das Wahlvolk auf Kommunalebene könne sich 543

Stern, Stellungnahme, S. 6. Die Sachverständigen Isensee, Stern und Randelzhofer wiesen darauf hin, daß es sich bei der Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger nicht um eine Hoheitsrechtsübertragung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 (und folglich auch nicht um eine nach Art. 23 Abs. 1 GG n.F.) handele. Die Rechtslage wird nach Auffassung der Sachverständigen im wesentlichen durch den völkerrechtlichen Vertrag (Primärrecht) selbst gestaltet. Den Gemeinschaftsorganen, die übertragene Hoheitsrechte gewöhnlich ausüben, würde hingegen nur die technische Ausführung überlassen. Deshalb bedürfe es, jenseits von Art. 24 oder 23 GG, bereits einer förmlichen Verfassungsänderung, um das Wahlrecht für EG-Bürger mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen (vgl. Tomuschat, Gutachten für die SPD-Fraktion S. 25 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor); Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 9; Stern, Stellungnahme, S. 10; Randelzhofer, Stellungnahme, S. 1 ). 545 Karpen, NJW 1989, 1012, 1013 f.; Quaritsch, DÖV 1983, 1, 3 ff; Schink, DVB1 1988,417,420. 546 BVerfGE, DVB1 1990, 1397, 1999; a.A. Zuleeg, JZ 1980, 425,430. 544

160

E. Weitere Änderungsvorschläge der GVK

nach dem Willen des Landesgesetzgebers auch auf die in der Gemeinde lebenden Ausländer erstrecken. 547 Die Kommunen würden im Gegensatz zu dem Bund und den Ländern als selbstverwaltende Körperschaft ihre Legitimation aus dem - nicht mit dem Staatsvolk identischen - Gemeindevolk ableiten, da die Kommunalwahlen neben der demokratischen Legitimation der Gemeindevertretung auch den Auftrag zur gemeindlichen Selbstverwaltung begründen (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG), von der nicht nur die deutschen Staatsbürger existentiell betroffen sind. Dieser Streit wurde durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Oktober 1990 zum schleswig-holsteinischen Kommunalwahlgesetz zugunsten der erstgenannten Auffassung höchstrichterlich entschieden. Die Verfassungsrichter stellten fest, daß auch die Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer wegen der Identität des Volksbegriffes in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 20 Abs. 2 GG nicht ohne Verfassungsänderung möglich sei. Die Ausübung der Staatsgewalt sei nach dem Grundgesetz dem deutschen Volk vorbehalten, sowohl auf Bundes- und Landesebene als auch auf kommunaler Ebene. 5 4 8 Aufgrund dieses Urteils war es in der Gemeinsamen Verfassungskommission unstreitig, daß für die Einführung eines Kommunalwahlrechts für EGBürger die Verfassung geändert werden mußte. Auch die Frage, ob der Maastrichter Vertrag in diesem Punkt gegen das durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Prinzip der „deutschen" Volkssouveränität verstoße, bedurfte keiner Debatte mehr. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem nicht näher begründeten obiter dictum angedeutet, daß aus dem Urteil nicht gefolgert werden könne, „daß die derzeit im Bereich der Europäischen Gemeinschaften erörterte Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer nicht Gegenstand einer nach Art. 79 Abs. 3 GG zulässigen Verfassungsänderung sein k a n n . " 5 4 9

2. Änderungsvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission Bei den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission herrschte über alle Parteigrenzen hinweg dahingehend Einigkeit, daß durch eine Änderung des Art. 28 Abs. 1 GG die innerstaatliche Verfassungslage an den Unionsvertrag angepaßt werden muß, um eine Verfassungswidrigkeit des Ver-

547 548 549

Bryde, JZ 1989,257, 260; Schmidt-Jorzig, Kommunalrecht, Rn. 66. BVerfGE 83, 37, 53. BVerfGE 83, 37, 59.

I. Unionsbürgerschaft und Art. 28 GG

161

tragsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, das den innerstaatlichen Anwendungsbefehl für den Maastrichter Vertrag enthält, zu verhindern. 550 Zur Debatte standen mehrere Formulierungsvorschläge, mit denen sich die Berichterstatter im Vorfeld der Entscheidung in der Gemeinsamen Verfassungskommission auseinandersetzen mußten. Sie einigten sich am Ende ihrer Beratungen auf eine Formulierung des Art. 28 Abs. 1 Satz 3, die in der Gemeinsamen Verfassungskommission von der Mehrheit der Mitglieder getragen werden konnte: Art. 28 Abs. 1 Satz 3 (neu) Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. Dieser Vorschlag stellt den kleinsten gemeinsamen Nenner der Kommissionsmitglieder dar, der nur wegen der baldigen Ratifizierung des Maastrichter Vertrages durch die Bundesrepublik Deutschland von den Interessengruppen in dieser Form akzeptiert wurde. Die von unterschiedlichen Seiten erhobenen verfassungspolitischen Bedenken gegen die Ergänzung des Art. 28 Abs. 1 GG um das aktive und passive Wahlrecht von EG-Bürgern spiegeln sich zwar nicht in dem neuen Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG wider, werden aber dennoch die künftige politische Diskussion zu diesem Thema beherrschen.

a) Antrag der SPD: Ausdehnung des Kommunalwahlrechts auch auf Nicht-EG-Bürger Die sozialdemokratischen Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission befaßten sich eingehend mit der Frage, ob die Beschränkung des kommunalen Wahlrechts auf Unionsbürger zu einer Diskriminierung der übrigen, zum Teil schon sehr lange in Deutschland befindlichen Ausländer führen würde. Senatorin Peschel-Gutzeit (Hamburg) sah in der beschränkten Öffnung des Wahlrechts für Ausländer eine drohende verfassungsrechtliche Schieflage, die ihres Erachtens mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 1990 nicht übereinstimme. 551 Das Bundesverfassungsgericht habe hervorgehoben, daß es der demokratischen Idee entspräche, beim Wahlrecht eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratisch politischer Rechte und den Menschen herzustellen, die einer bestimmten staatlichen Herrschaft

550 551

Vgl. BVerfGE 36, 1, 14. Peschel-Gutzeit (Hamburg), StenBer. 3. Sitzung, S. 19.

11 Schmalenbach

E. Weitere Änderungsvorschläge der GVK

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dauerhaft unterworfen sind. 5 5 2 Die Justizsenatorin erkannte darin die Aussage, daß der Mensch dort, wo er dauerhaft integriert und von gemeindlichen Entscheidungen betroffen ist, auch wählen soll. Bei EG-Bürgern gehe es jedoch gerade nicht darum, ob sie an dem Ort, an dem sie sich befinden, dauerhaft staatlicher Herrschaft unterworfen sind oder ob sie gar einen Integrationswillen besitzen. Um so mehr sei eine Differenzierung zwischen EG-Bürgern und anderen Ausländern, die zum Teil schon sehr lange von der deutschen Kommunalpolitik betroffen sind und sich dementsprechend integriert haben, nach Auffassung Peschel-Gutzeits sach- und demokratiewidrig. 553 Gemäß dieser Bedenken unterbreitete die SPD der Gemeinsamen Verfassungskommission folgenden Antrag: 5 5 4 Art. 28 Abs. 1 Satz 3 (neu) Bei Wahlen in den Kreisen und Gemeinden sind Ausländer, die die dafür im Recht der Europäischen Gemeinschaft genannten Voraussetzungen erfüllen oder ihren ständigen Wohnsitz im Bundesgebiet haben, wie Deutsche wahlberechtigt und wählbar. Für Abstimmungen in den Kreisen und Gemeinden gilt Satz 4 entsprechend. Angesichts des Zeitdrucks, den die geplante Ratifizierung des Maastrichter Vertrages (1.1.1993) auf die Beratungen in der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa" ausübte, nahm die SPD jedoch vorläufig den Antrag zurück und erklärte sich bereit, das zur Ratifizierung des Unionsvertrages notwendige „Minimum" mitzutragen. 555

552

Vgl. BVerfG, DVB1 1990, 1397, 1999. Peschel-Gutzeit (Hamburg) StenBer. 3. Sitzung, S. 20. 554 Empfehlungen der Berichterstatter zum Thema „Grundgesetz und Europa", Kommissionsdrucksache Nr. 7 (neu), S.3. 555 Verheugen (SPD), StenBer. 8. Sitzung, S. 11. Die SPD-Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission stellten in der 24. Sitzung folgenden Antrag zur Abstimmung: Art 28 Abs. 1 Satz 3 „Bei Wahlen in Gemeinden und Gemeindeverbänden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Gemeinschaft, andere Ausländer mit ständigem Wohnsitz nach Maßgabe des Landesrechts wahlberechtigt und wählbar" (Kommissionsdrucksache Nr. 65). Der Antrag der SPD verfehlte mit 27 Ja-Stimmen, 19 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen die notwendige Zweidrittelmehrheit. 553

I. Unionsbürgerschaft und Art. 28 GG

163

b) Bremer Sonderregelung für das Kommunalwahlrecht Das Land Bremen kritisierte, daß mit dem Vorschlag zur Änderung des Kommunalwahlrechts (Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG neu) seiner besonderen Lage als Stadtstaat nicht ausreichend Rechnung getragen würde. 5 5 6 Die Parlamente der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen seien entweder sowohl Landesais auch Kommunalparlamente wie in Bremen oder nehmen sowohl Landesais auch Gemeindeaufgaben wahr. So bestehe die Gemeindevertretung i.S.d. Art. 28 Abs. 1 GG der Stadtgemeinde Bremen aus 80 Abgeordneten, die von den Wählern in den Landtag des Landes Freie Hansestadt Bremen gewählt würden. Damit stünde Bremen vor dem Problem, daß es die Vorgaben des Maastrichter Vertrages nur erfüllen könne, wenn mit einer dementsprechenden Änderung der Landesverfassung die kommunale Ebene von der Landesebene getrennt wird. Die Stadtstaaten wären dann gezwungen, den Doppelcharakter ihrer Parlamente als Landes- und Kommunalparlamente aufzugeben, was nicht nur mit dem Verlust stadtstaatlicher Eigenheiten Bremens verbunden wäre, sondern sich auch durch erhebliche Kosten negativ auswirken würde. Um dies zu vermeiden, schlug Bremen die Erweiterung des neuen Art. 28 Abs. 1 Satz 3 um einen Satz 4 v o r : 5 5 7 Art. 28 Abs. 1 Satz 4 (neu) In den Ländern Berlin, Bremen und Hamburg können die Landesverfassungen vorsehen, daß dies auch bei Wahlen zu den Landtagen gilt, wenn staatliche und gemeindliche Tätigkeiten nicht getrennt sind oder eine Gemeindevertretung aus einem Teil des Landtages besteht. Die Justizsenatorin der Hansestadt Hamburg, Frau Peschel-Gutzeit, stellte in bezug auf den Bremer Vorschlag klärend für ihr Land fest, daß die besondere Problematik Bremens nicht auf den Fall Hamburg zutreffe. Die Hamburger Gemeindevertretung bestehe nicht aus einem Teil des Landtages. „Unter 'Wahlen in Kreisen und Gemeinden' verstehen wir Stadtstaatler aus Hamburg (...) die Beteiligung an unseren stadtstaatlichen Mitwirkungsgremien der unteren Ebene. Im Fall Hamburgs geht es um die Bezirksversammlung." 558 Zur Vermeidung späterer Auslegungsschwierigkeiten des Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG (neu) wies die Senatorin ausdrücklich darauf hin, daß diese Gemeindeversammlungen kommunale Gremien i.S.d. Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG (neu) seien und kein Mitwirkungsforum auf Landesebene darstellten. 556 557 558

11*

Scherf (Bremen) Kommissionsdrucksache Nr. 5. Scherf (Bremen) Kommissionsdrucksache Nr. 5, S. 2. Peschel-Gutzeit (Hamburg), StenBer. 11. Sitzung - Anhang - S. 31.

E. Weitere Änderungsvorschläge der GVK

164

Von der Erkenntnis ausgehend, daß es sich bei der Problematik der fehlenden Trennung zwischen Gemeinde- und Landesebene allein um ein spezifisches Problem Bremens handelt, zogen die Vertreter des Stadtstaates ihren Antrag zur Ergänzung des Art. 28 Abs. 1 GG zurück und schlugen der Gemeinsamen Verfassungkommission eine Erweiterung der bereits bestehenden Bremer Klausel in Art. 141 GG v o r : 5 5 9 Art. 141 Abs. 2 (neu) Artikel 28 Abs. 1 Satz 3 findet auch in einem Lande Anwendung, in dem am 7. Februar 1992 eine landesverfassungsrechtliche Regelung galt, nach der eine Gemeindevertretung aus einem Teil des Landtages besteht. Die Bundesregierung äußerte sich in der Gemeinsamen Verfassungskommission zurückhaltend gegenüber einer derartigen Ergänzung des Art. 141 GG. Trotz generellen Verständnisses für die Lage Bremens sei dieser Vorschlag mit erheblichen verfassungsrechtlichen Problemen behaftet. 560 Die grundgesetzliche Zulässigkeit der Einführung eines Kommunalwahlrechts für EG-Bürger durch europäisches Primärrecht sei eine Ausnahme von dem Prinzip, daß die demokratische Repräsentation des deutschen Volkes nur durch Deutsche im Sinne des Grundgesetzes erfolgt. Bremer Besonderheiten können nach Auffassung der Bundesregierung keine Ausnahme von dem verfassungsrechtlichen Prinzip der demokratischen Repräsentation des deutschen Volkes in Bund und Ländern rechtfertigen. Der Bremer Antrag zur Einräumung eines Sonderstatus in Angelegenheiten des Unionsbürgerwahlrechts [Art. 141 Abs. 2 (neu)] konnte in der Gemeinsamen Verfassungskommission keine Zweidrittelmehrheit auf sich vereinen und wurde daher abgelehnt. Damit stellt sich für das Land Bremen die Rechtslage geteilt dar: Während die Stadt Bremerhaven die erforderliche Trennung zwischen Gemeindevertretung und Bremer Landtag aufweist, ist in der Stadtgemeinde Bremen die Landesvertretung traditionell personenidentisch mit der Kommunalvertretung. Damit ist die Wahl in der Stadt Bremen eine Landtagswahl und fallt nicht unter die Voraussetzungen des Art. 8 b Abs. 1 EGV. Die Unionsbürger, die in der Stadt Bremen ansässig sind, können folglich bei dem derzeit geltenden Landesrecht nicht an der Wahl zur Kommunalvertretung teilnehmen.

559 560

Scherf (Bremen), Kommissionsdrucksache Nr. 14, S. 1. Waffenschmidt (BMI), StenBer. 11. Sitzung - Anhang - S. 33.

Π. Die Europäische Zentralbank und Art. 88 GG

165

c) Vorbehalte Bayerns Der Freistaat Bayern teilte in einer Protokollnotiz 561 den Mitgliedern der Verfassungskommission seine Auffassung zu der Erweiterung des Art. 28 Abs. 1 GG um das Unionsbürgerwahlrecht mit. Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG (neu) begründe nach Ansicht Bayerns von sich heraus noch kein Kommunalwahlrecht für Angehörige von EG-Mitgliedstaaten, insbesondere träfe er keine Entscheidung über den Umfang des passiven Wahlrechts. „Die Vorschrift stellt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur eine angesichts Art. 20 Abs. 2, 28 Abs. 1 GG (Ausübung der Staatsgewalt in Wahlen nur durch das deutsche Staatsvolk) notwendige Öffhungsklausel dar. Wahlberechtigung und Wählbarkeit werden Angehörige von EG-Mitgliedstaaten nur erhalten, soweit auf europäischer Ebene eine Einigung zustande k o m m t . " 5 6 2 Nach Vorstellung Bayerns sollen in den Verhandlungen auf europäischer Ebene folgende Punkte berücksichtigt werden: zum einen muß sichergestellt werden, daß Ausländer von der Wahl zum Bürgermeister und vergleichbaren Ämtern mit Exekutivbefügnis ausgeschlossen werden können; zum anderen ist eine ausreichende Wartezeit zur Ausübung des aktiven Wahlrechts und eine längere Wartezeit zur Ausübung des passiven Wahlrechts nach Auffassung des Landes Bayern unabdingbar. Staatsminister Stoiber (Bayern) merkte zu dieser Protokollnotiz an, daß sie letztendlich nur das enthalte, was die Französische Nationalversammlung und der Französische Senat zu diesem Thema beschlossen hätten. 5 6 3

II. Die Europäische Zentralbank und Art. 88 GG Ein weiterer zentraler Regelungskomplex im Maastrichter Vertrag ist die durch Art. G Nr. 7 und Nr. 25 EUV in den Europäischen Gemeinschaftsver-

561

Protokollnotiz, Arbeitsunterlage Nr. 62. Protokollnotiz, Arbeitsunterlage Nr. 62. 563 Stoiber (Bayern), StenBer. 8. Sitzung, S. 14 f. Art. 88-3 (neu) der französischen Verfassung besagt:"Unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit und unter Wahrung des im Unionsvertrag vom 7. Februar 1992 vorgesehenen Verfahrens kann nur den in Frankreich ansässigen Bürgern der Europäischen Union das aktive und passive Kommunalwahlrecht verliehen werden. Diese Bürger können weder das Amt des Bürgermeisters noch das eines Beigeordneten ausüben, noch an der Auswahl der Wahlmänner für den Senat oder an den Senats wählen teilnehmen. Das Nähere bestimmt ein von beiden Kammern zu verabschiedendes Organgesetz." (Quelle: EuGRZ 1993, 187, 194.) 562

166

E. Weitere Änderungsvorschläge der GVK

trag eingeführten Teile „Die Wirtschafts- und Währungspolitik" (Art. 4a EGV, Art. 102a bis 109 EGV). Bisher sah der EWGV (jetzt umbenannt in EGV, vgl. Art. G EUV) in seinem Art. 102a bis 109 EWGV im wesentlichen ein Verfahren zur Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik vor, das insbesondere die Währungspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten der alleinigen nationalen Zuständigkeit beließ und lediglich eine Verpflichtung zur Kooperation festschrieb. In diesem Punkt ist durch die Schaffung der Europäischen Union eine wesentliche Veränderung eingetreten: Gemäß Art. 106 EGV wird ein System der Europäischen Zentralbanken (ESZB) errichtet, bestehend aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken. Das Gemeinschaftsorgan ESZB wird in der Endstufe der Wirtschafts- und Währungsunion die Geldpolitik der Gemeinschaften festlegen und ausschließlich für die Vergabe von Geldzeichen zuständig sein. Dies bedeutet, daß die Deutsche Mark wie die übrigen nationalen Währungen - nach Erreichung der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion in einer europäischen Währung aufgehen (Art. 109 1 Abs. 4 EGV) und im gleichen Zuge die Bundesrepublik Deutschland ihre Währungshoheit verlieren wird. Diese dritte Stufe beginnt nach dem Wortlaut des Art. 190 j Abs. 4 Satz 1 EGV - falls der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit keinen früheren Zeitpunkt beschließt - spätestens am 1. Januar 1999, ohne daß es eines weiteren Rechtsaktes seitens der Mitgliedstaaten bedarf. 5 6 4 Der Rat bestätigt lediglich, welche Mitgliedstaaten die Voraussetzungen zur Einführung einer europäischen Währung - insbesondere die Konvergenzkriterien nach Art. 109 j Abs. 1 Satz 3 EGV - erfüllen. Ist dies bei mindestens zwei Mitgliedstaaten der Fall, beginnt für sie die 3. Stufe der Währungsunion. M i t diesen Bestimmungen wird die Stellung der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten erheblich verändert. Nicht mehr diese Institutionen betreiben die Geldpolitik, sondern das System der Europäischen Zentralbanken, bestehend aus der Europäischen Zentralbank und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (Art. 106 Abs. 1 EGV). Der nationalen deutschen Behördenebene - die nach Art. 88 als Währungs- und Notenbank errichtete Bundesbank - wird nach dem Maastrichter Vertrag nur noch das Recht verbleiben, die technische Durchführung der auf europäischer Ebene durch das Gemeinschaftsorgan EZB getroffenen Beschlüsse zu gewährleisten. Mit Beginn der 3. Stufe der Währungsunion wird sie Bestandteil des Europäischen Zentralbanksystems und ist

564

Zur Auslegung des Art. 109 j Abs. 4 EGV durch das Bundesverfassungericht vgl. Ausführungen unter G Π 2 c. Dänemark und Großbritannien haben sich in Protokollen vorbehalten, sich nicht ohne vorherige Notifizierung der 3. Stufe der Währungsunion zu unterwerfen.

Π. Die Europäische Zentralbank und Art. 88 GG

167

nach Art. 14.3 ESZB-Satzung gegenüber der Europäischen Zentralbank weisungsgebunden. Die institutionelle Garantie des Grundgesetzes für den Bestand der Bundesbank (Art. 88 GG) kann nach dem Inhalt des Maastrichter Vertrages folglich in der bisherigen Form nicht mehr aufrechterhalten werden. 5 6 5 Die Notwendigkeit einer Änderung des Art. 88 GG war in der Gemeinsamen Verfassungskommission außer Frage, und auch über den Inhalt des neuen Satzes 2 in Art. 88 herrschte Einvernehmen: Art. 88 Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können einer europäischen Zentralbank übertragen werden. Bedenken herrschten in der Kommission weniger über den konkreten Inhalt des neuen Art. 88 GG, sondern vielmehr über die Tatsache, daß bereits mit Verabschiedung des innerstaatlichen Vertragsgesetzes zum Unionsvertrag der entscheidende Schritt in Richtung europäische Währungsunion mit einer gemeinsamen europäischen Währung getätigt wird. Die sozialdemokratischen Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission sahen sich aufgrund dieses drohenden Automatismus veranlaßt, einen förmlichen politischen Vorbehalt folgenden Inhalts abzugeben: „Der Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion kann nicht automatisch erfolgen, sondern erfordert eine erneute politische Bewertung und Entscheidung durch Bundestag und Bundesrat. Dabei muß sorgfältig geprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine stabile europäische Währung gegeben sind. Dieses Entscheidungsrecht von Bundestag und Bundesrat muß von der Bundesregierung respektiert werden." 5 6 6 565

Vor Einführung der neuen Integrationsnorm Art. 23 GG waren sich Sachverständige und Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission einig darüber, daß Art. 88 - trotz der grundsätzlichen Ermächtigung des einfachen Gesetzgebers zur Hoheitsrechtsübertragung über Art. 24 I GG - geändert werden muß. Die Errichtung der Europäischen Zentralbank würde in die wesentlichen Strukturen des Grundgesetzes eingreifen, die nach den Solange-Entscheidungen des BVerfG zu Art. 24 I GG nur durch eine Grundgesetzänderung vorgenommen werden dürften (vgl. Ausführungen unter D I b). Nach Einführung des Art. 23 GG n.F. stellt die BReg (BT-Dr 12/3338) nunmehr fest, daß die Textänderung des Art. 88 GG allein aus verfassungspolitischen Gründen erfolgt, da gem. Art. 23 I 3 GG n.F. der verfassungsändernde Gesetzgeber tätig wird, aber eine Textänderung des Grundgesetzes (Art. 79 I GG) nach der neuen Regelung in Satz 3 nicht mehr erforderlich sei. Es dürfte daher aus der Textänderung des Art. 88 - die lediglich aus Gründen der Verfassungsklarheit erfolgt - keine Rückschlüsse auf die zukünftige Rechtspraxis gezogen werden. 566 Verheugen (SPD), StenBer. 8. Sitzung, S. 11; vgl. auch Verheugen, StenBer 3. Sitzung, S. 13; vgl. Beschluß des Bundestages vom 2. Dezember 1992, BT-Dr 12/3906; StenBer. 12/126 S. 10879 ff.; Beschluß des Bundesrates vom 18. Dezember 1992, BRDr 810/92, S. 6 f.

168

E. Weitere Änderungsvorschläge der GVK

Staatsminister Stoiber (Bayern) Schloß sich diesem politischen Vorbehalt der Sozialdemokraten im Namen des Freistaates Bayern a n . 5 6 7 Der Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission zu Art. 88 Satz 2 GG (neu) wurde vor der Bundesregierung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht und vom Deutschen Bundestag an den Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" federführend überwiesen. Die Mitglieder des Ausschusses erachteten angesichts der Unklarheiten im Hinblick auf das Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages eine Ergänzung des von der Gemeinsamen Verfassungskommission vorgeschlagenen Art. 88 Satz 2 für notwend i g . 5 6 8 Sie folgten dabei im wesentlichen der vom Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank favorisierten Fassung: 569 Art. 88 (neu) Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet. Der Sonderausschuß sah mit dieser Ergänzung dem Umstand Rechnung getragen, daß eine Übertragung von Befugnissen der Deutschen Bundesbank auf die Europäische Zentralbank nur dann in Betracht kommen kann, wenn diese den strengen Maßstäben des Maastrichter Vertrages, der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zentralbank und der Priorität der Geldwertstabilität entspricht. Die ausdrückliche Bindung der Europäischen Zentralbank an die beiden Ziele soll zudem dazu beitragen, die Vorbehalte und Ängste in der Öffentlichkeit gegenüber der Währungsunion abzubauen. 570 Der Änderungsvorschlag des Sonderausschusses wurde von Bundestag und Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren mit der notwendigen qualifizierten Mehrheit angenommen.

567

Stoiber (Bayern), StenBer. 8. Sitzung, S. 14. Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)", in: BT-Dr 12/3896, S. 21 f. 569 Hervorhebung durch Verf. 570 Vgl. Protokoll der 7. Sitzung des Sonderausschusses „ E u r o p ä i s c h e Union (Vertrag von Maastricht)", S. 25 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 568

ΠΙ. Übertragung von Hoheitsrechten durch die Länder

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III. Übertragung von Hoheitsrechten durch die Länder: Art. 24 Abs. 1 a (neu) Mehr am Rande des Interesses der Gemeinsamen Verfassungskommission stand die Frage, ob die Länder in Zukunft befugt sein sollen, ihre Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Eine Ergänzung des Art. 24 GG zur Eröffnung dieser Möglichkeit sah schon die Empfehlung der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates v o r : 5 7 1 Art. 24 Abs. 4 Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können auch sie mit Zustimmung der Bundesregierung durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche oder interregionale Einrichtungen übertragen. Nach dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 1 GG in seiner seit 1949 unveränderten Fassung ist nur der Bund zu Hoheitsrechtsübertragungen auf zwischenstaatliche Einrichtungen befugt. Nach fast einhelliger Auffassung in der Verfassungslehre ergibt sich daraus eindeutig, daß - in Abweichung von Art. 32 Abs. 3 GG - die Länder auch auf dem Gebiet ihrer Gesetzgebungszuständigkeiten nicht befugt sind, Hoheitsrechte an außerstaatliche Träger abzugeb e n . 5 7 2 Angesichts der in der Praxis vielfältigen informellen und formellen Kooperation über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinweg 5 7 3 stellte sich der Bundesratskommission die Frage, ob die Bundesländer durch Übertragung ihrer Hoheitsrechte zwischenstaatliche regionale Einrichtungen schaffen können, die in der Lage wären, Regelungen mit unmittelbarer Bindewirkung gegenüber den Bürgern zu treffen. Im Interesse der Eigenstaatlichkeit der Länder wurde die Forderung erhoben, verfassungsrechtlich nunmehr klarzustellen, daß die Möglichkeit für derartige grenzüberschreitende Kontakte besteht. Nach Auffassung der Kommission Verfassungsreform haben die bisherigen Erfahrungen mit grenzüberschreitender Kooperation gezeigt, daß - neben einzelfallbezogenen Projekten auf lokaler oder regionaler Ebene - eine Tendenz zur Schaffung dauerhafter und fachübergreifender Verwaltungsstrukturen über die Grenzen hinweg bestehe. 574 Die zwischenstaatlichen Organisationen, die sich um grenzüberschreitende Tätigkeiten bemühen, müßten in die Lage versetzt werden, unmittelbar Recht zu setzen. Dadurch könnte z.B. die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Schul- und 571

Kommission Verfassungsreform, in: BR-Dr 360/92, S. 2 Rn. 3; vollständiger Abdruck unter D Π 3. 572 Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 14; a.A. Beck, DÖV 1966, 20, 22. 573 Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 153; Beyerlin, ZaöRV 54 (1994), S. 587, 590. 574 Kommission Verfassungsreform, in: BR-Dr 360/92, S. 4 Rn. 14.

170

E. Weitere Änderungsvorschläge der GVK

Hochschulwesens oder im Bereich des Polizeirechts verbessert werden. Zu denken sei auch an die Gründung grenzüberschreitender Regionaleinrichtungen zur Abfall- oder Abwasserbeseitigung mit dem Recht, Benutzerordnungen zu erlassen und Gebühren zu erheben. 575 Um Bedenken der Bundesregierung zuvorzukommen, hob die Kommission des Bundesrates hervor, daß es sich bei den in Frage stehenden Einrichtungen lediglich um regionale Organisationen handeln solle und die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaften mit der Erweiterung des Art. 24 GG nicht bezweckt werden würde. 5 7 6 Die Sachverständigen, die in der Gemeinsamen Verfassungskommission zu den Vorschlägen der Bundesratskommission angehört wurden, sahen im Grundsatz die Forderungen der Bundesländer nach Ermöglichung eigener Hoheitsrechtsübertragungen als verfassungsrechtlich unproblematisch an. Der Sachverständige Tomuschat erachtete allein Art. 79 Abs. 3 GG als mögliches Hindernis für die Einführung einer solchen Regelung, wenn damit eine Gefahrdung der bundesstaatlichen Strukturen durch eine Vormundschaft der Länder über den Bund einhergehe 577 . Da jedoch auch nach Vorstellung der Kommission Verfassungsreform der Bundesregierung eine „Wächterrolle" zukommen soll („mit Zustimmung der Bundesregierung"), sei institutionell gewährleistet, daß die Initiativen der Länder mit der Bundesstaatlichkeit kompatibel sind. Auch der Sachverständige Lerche erhob gegen die Vorschläge der Kommission Verfassungsreform keine verfassungsrechtlichen Bedenken, bemängelte allerdings, daß die in der Begründung der Kommission dargelegte Rechtsauflfassung - eine Übertragungsmöglichkeit auf die Europäischen Gemeinschaften sei nicht beabsichtigt - nicht ausreichend durch den Wortlaut der vorgeschlagenen Ergänzung des Art. 24 GG deutlich werde. 5 7 8 In der Gemeinsamen Verfassungkommission wurde dem Wunsch der Bundesländer, durch die Möglichkeit der Übertragung ihrer Hoheitsrechte ihre eigenstaatliche Gestaltungskraft auch in Zukunft zu erhalten, Verständnis entgegengebracht. Verheugen (SPD) befürwortete die Normierung in Art. 24 GG als geeigneten Ort einer solchen Ergänzung, um den Eindruck vermeiden, die Länder seien nur ermächtigt, Hoheitsrechte auf die einzelnen Mitgliedsländer der Europäischen Union zu übertragen. Dies würde, angesichts der Zusam575 576 577 578

Kommission Verfassungsreform, in: BR-Dr 360/92, S. 5 Rn. 15. Kommission Verfassungsreform, in: BR-Dr 360/92, S. 5 Rn. 16. Tomuschat, Stellungnahme, S. 19; vgl. ebenso Bieber, Stellungnahme, S. 25. Lerche, Stellungnahme, S. 13.

ΠΙ. Übertragung von Hoheitsrechten durch die Länder

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menarbeit mit östlichen Nachbarstaaten (z.B. Polen und der ehem. Tschechoslowakei) den politischen Gegebenheiten nicht gerecht. 579 Die Mitglieder einigten sich auf folgende Ergänzung des Art. 2 4 : 5 8 0 Art. 24 Abs. la (neu) Soweit die Länder für die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen übertragen. M i t dieser Formulierung wird dem praktischen Bedürfnis nach einer grenzüberschreitenden Sachgesetzlichkeit zur Erleichterung der Aufgabenerfüllung durch die Länder Rechnung getragen. Die nunmehr mögliche Übertragung von Länderhoheitsrechten ist jedoch - entgegen dem Formulierungsvorschlag der Kommission Verfassungsreform - ausdrücklich auf den grenznachbarschafllichen Raum beschränkt, so daß eine davon abweichende Interpretation z.B. in bezug auf die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union durch die Bundesländer - bereits durch den Wortlaut der Norm ausgeschlossen i s t . 5 8 1

579

Verheugen (SPD), StenBer. 7. Sitzung, S. 8 f. 580 Vorschläge der Berichterstatter zum Themenkomplex „Grundgesetz und Europa", Arbeitsunterlage Nr. 80, S. 3. 581 Schnoor wies daraufhin, daß die Instrumente der grenznachbarschaftlichen Zusammenarbeit nach Ansicht der Bundesländer über die nationalen Grenzen hinaus verstanden werden müßte und folglich nicht zu eng ausgelegt werden dürfte. Vgl Schnoor (NRW), StenBer. 7. Sitzung, S. 5.

F. Gescheiterte Reformvorschläge Die Gemeinsame Verfassungskommission war Forum für einen vielfaltigen Gedankenaustausch zwischen den einzelnen Interessengruppen - sei es zur Klärung parteipolitischer Gegensätze, sei es zur Konsensfindung zwischen den Verfassungsorganen Bundesrat und Bundestag. Viele Anregungen, die von den Beteiligten in die Diskussion eingebracht worden waren, konnten jedoch bei der abschließenden Beschlußfassung nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Kommissionsmitglieder erreichen und wurden daher nicht den gesetzgebenden Körperschaften zur Beschlußfassung unterbreitet.

I. Art. 32: Normierung des Lindauer Abkommens Die Bundesländer sahen in der Debatte um die Grundgesetzänderung zur Ratifizierung des Maastrichter Vertrages einen geeigneten Anlaß, um weitere Reformthemen - auch wenn sie nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Regelungen des Unionsvertrages stehen - wieder in den Blickpunkt der politischen Diskussion zu rücken. Dabei ging es in erster Linie um die verfassungsrechtliche Festschreibung der bisherigen Staatspraxis bei der Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der internationalen Beziehungen. Insbesondere das Lindauer Abkommen von 1957, das einen Kompromiß in der Streitfrage der Abschlußkompetenz bei völkerrechtlichen Verträgen gem. Art. 32 GG enthält, sollte nach den Vorstellungen der Länder zur Stärkung ihrer Position nunmehr eine verfassungsrechtliche Anerkennung erhalten.

1. Das Lindauer Abkommen Art. 32 GG enthält die grundlegende Regelung darüber, wie die auswärtige Gewalt zwischen Bund und Ländern verteilt ist. Die Abschlußkompetenz des Bundes für völkerrechtliche Verträge ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 GG, der als Umkehrung der Zuständigkeitsvermutung in Art. 30, 70, 83 GG zugunsten der Bundesländer - die auswärtige Gewalt grundsätzlich dem Bund zuordnet. Art. 32 Abs. 2 GG trägt dem Prinzip der Bundestreue, d.h. der Pflicht zu länderfreundlichem Verhalten, dahingehend Rechnung, daß das Bundesland, das

I. Art. 32: Normierung des Lindauer Abkommens

173

von dem völkerrechtlichen Vertrag in besonderer Weise betroffen ist, rechtzeitig vor der Entscheidung über den Vertragsabschluß anzuhören ist. Gegenstand kontroverser Standpunkte in Politik und Wissenschaft ist jedoch Art. 32 Abs. 3 GG, der gewährleistet, daß auch die Länder im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten völkerrechtliche Verträge abschließen können, soweit sie für die Gesetzgebung zuständig sind. Die insoweit klare Grundgesetzregelung läßt dort Spielraum für konträre Auslegungen, wo der Bund völkerrechtliche Verträge in Gebieten abschließen will, die die ausschließliche Gesetzgebung der Bundesländer berühren. Dann stellt sich nämlich die Frage, wie weit die Befugnis des Bundes zum Abschluß und zur Ratifikation von völkerrechtlichen Verträgen reicht, oder anders gesagt, in welchem Verhältnis Art. 32 Abs. 3 zu Abs. 1 GG steht. Die Länder stellen sich auf den Standpunkt, daß auf den Gebieten der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer (z.B. im Bereich der Kulturangelegenheiten) die Vertragsabschlußkompetenz des Bundes nach Art. 32 Abs. 1 GG ganz verdrängt w i r d 5 8 2 bzw. der Bund zwar Verträge mit anderen Staaten abschließen kann, jedoch nicht in der Lage ist, diese Verträge in innerstaatliches Recht zu transformieren 583 , d.h. auf dem Gebiet der Landesgesetzgebung zur Vollziehung des völkerrechtlichen Vertrages tätig zu werden. Der Bund beansprucht hingegen sowohl Abschluß- als auch Transformationskompetenz mit dem Argument, Art. 32 Abs. 1 GG weise dem Bund umfassend die auswärtige Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland zu und stelle die Abschlußkompetenz der Länder lediglich neben die des Bundes. 5 8 4 Zur einvernehmlichen Regelung dieser Streitfrage für die Staatspraxis haben Bund und Länder am 14.11.1957 das sog. Lindauer Abkommen geschlossen, das einen praktikablen Ausgleich zwischen der grundsätzlichen Kompetenz des Bundes im Bereich der auswärtigen Gewalt und der davon betroffenen Länderhoheit darstellt: beim Abschluß von Staatsverträgen, die in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen, ist der Bund verpflichtet, Einvernehmen mit den Ländern herzustellen. Grundsätzlich liegt jedoch die Abschlußkompetenz für völkerrechtliche Verträge auf dem Gebiet der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder beim

582

Sog. süddeutsche Auffassung; in der Verfassungslehre erhielt diese Auffassung Zustimmung insb. durch Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz Art. 32 Rn. 29 (sog. föderalistische Theorie). 583 Sog. norddeutsche Auffassung; ausführliche Darstellung: Maunz, in: Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz, Art. 32 Rn. 34 ff. 584 Sog. zentralistische Theorie; BReg in Schreiben des Auswärtigen Amts vom 28.9.1955 an den Rechtsausschuß des BRates, R 1011/59 Π 2/c - Nr. R 122/55; vgl. auch Klein in Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 32 Rn. 17 m.w.N.

174

F. Gescheiterte Reformvorschläge

B u n d . 5 8 5 Im übrigen sind die Länder in den Fällen, in denen die völkerrechtlichen Verträge ihre wesentlichen Interessen - unabhängig von der jeweiligen Gesetzgebungskompetenz - berühren, frühzeitig über die Pläne des Bundes zu unterrichten, um ihre Position fristgerecht darlegen zu können. 5 8 6 Entsprechend dem Lindauer Abkommen ist bei mehreren Europäischen Kulturabkommen verfahren worden.

2. Vorschlag der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates Angesichts der unklaren Fassung des Art. 32 GG sahen die Länder die Notwendigkeit, die Befügnisse von Bund und Ländern im Bereich der auswärtigen Beziehungen in der Verfassung abzugrenzen. Sie orientierten sich dabei im wesentlichen am Lindauer Abkommen, um den darin bereits enthaltenen Kompromiß zwischen Bund und Ländern nicht mehr durch weitergehende Forderungen in Frage zu stellen. Die Position der Bundesländer wurde durch den Formulierungsvorschlag der Kommission Verfassungsreform verdeutlicht, die folgende Grundgesetzänderung empfahl: 5 8 7 Art. 32 (1) Die Pflege der auswärtigen Beziehungen ist Sache des Bundes. Im Rahmen ihrer Zuständigkeiten sind die Länder zur Zusammenarbeit mit auswärtigen Staaten, Regionen und sonstigen Einrichtungen befügt. (2) Vor dem Abschluß eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören. Entsprechendes gilt, wenn wesentliche Interessen der Länder berührt werden.

585 Nach der zentralistischen Theorie kommt dem Abkommen rein deklaratorische Bedeutung zu, da sich nach dieser Auffassung der Inhalt bereits aus Art. 32 Abs. 1 und 3 ergibt. Für die Vertreter derföderalistischen Theorie erlangt das Lindauer Abkommen hingegen konstitutive Bedeutung, da die alleinige Vertragsabschlußkompetenz der Länder in Art. 32 Abs. 3 GG durch die Bund-Länder-Vereinbarung aufgegeben wird. Einige Stimmen in der Literatur, die dem Lindauer Abkommen konstitutive Wirkung im Bereich des Art. 32 Abs. 3 GG zuschreiben, halten das Abkommen daher wegen der unzulässigen Durchbrechung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung für verfassungswidrig. Vgl. Erichsen, JURA 1986, 337, 342; a.A.; Stern, Staatsrecht Bd. I,

Vollständiger Abdruck des Lindauer Abkommens in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 32 Rn. 45. 587 Kommission Verfassungsreform, in: BR-Dr 360/92, S. 5 Rn. 18 (Hervorhebungen durch Verf.).

I. Art. 32: Normierung des Lindauer Abkommens

175

(3) Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung völkerrechtliche Verträge abschließen. Mit vorheriger Zustimmung der Länder kann auch der Bund Verträge abschließen, die ganz oder teilweise in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fallen. Die Länder sind rechtzeitig über die Aufnahme von Vertragsverhandlungen und deren Fortgang zu unterrichten sowie auf Verlangen daran zu beteiligen. Sie treffen die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Maßnahmen. Die Kommission des Bundesrates sah in der vorgeschlagenen Neufassung des Absatzes 1 Satz 1 lediglich eine verfassungsrechtliche Absicherung der bestehenden Staatspraxis. Es sei unstrittig, daß schon heute die Pflege der Beziehungen zu „auswärtigen Staaten" (Art. 32 Abs. 1 Satz 1 in der Fassung von 1949) auch die zu Völkerrechtssubjekten wie internationalen Organisationen umfaßt. 5 8 8 Mit der Ersetzung der „auswärtige Staaten" durch „auswärtige Beziehungen" sei folglich keine Änderung der Rechtslage verbunden. Der neu vorgeschlagene Satz 2 des ersten Absatzes soll hingegen die Befugnisse der Länder zur internationalen Zusammenarbeit einführen, da bisher eine Kooperation lediglich mit auswärtigen Gebietskörperschaften, Verwaltungseinheiten und Einrichtungen unterhalb der Völkerrechtsebene (z.B. Regionen und Provinzen) möglich sei. Mit dieser Änderung will die Kommission Verfassungsreform der zunehmenden Auslandsberührung der Bundesländer Rechnung tragen, wobei sich das Recht auf Zusammenarbeit allerdings auf die Bereiche beschränken soll, für die die Länder innerstaatlich zuständig sind. Das außenpolitische Prärogativ des Bundes soll durch diese Änderung nicht in Frage gestellt werden. 5 8 9 M i t der vorgeschlagenen Fassung des Art. 32 Abs. 2 Satz 2 d.E. erfolgt die verfassungsrechtliche Normierung des im Lindauer Abkommen vorgesehenen Anhörungsrechts der Gesamtheit der Bundesländer, wenn ihre wesentlichen Interessen von dem völkerrechtlichen Vertrag berührt werden (Ziff. 4 des Lindauer Abkommens). Auch der neu gestaltete Absatz 3 orientiert sich in seinem Regelungsgehalt im wesentlichen an der Bund-Länder-Vereinbarung von 1957. Geändert werden soll nach Vorstellung der Länder allerdings die Zustimmungsbedürftigkeit des völkerrechtlichen Vertragsabschlusses durch den Bund seitens der Bundesländer. Das Lindauer Abkommen sieht hier eine „Soll"-Vorschrift vor, die Ausnahmen zuläßt. Der von der Kommission Verfassungsreform vorgeschlagene Art. 32 GG sieht im Gegensatz dazu eine „Muß"-Vorschrift ohne Aus588 589

BVerfGE 2, 347 f. Kommission Verfassungsreform, in: BR-Dr 360/92, S. 5 Rn. 20.

V g l

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F. Gescheiterte Reformvorschläge

nahmefalle vor, d.h. die generelle Zustimmungsbedürftigkeit des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge auf dem Gebiet der ausschließlichen Gesetzgebungsbefügnisse der Bundesländer durch den Bund. Satz 4 des Vorschlages zu Art. 32 Abs. 3 GG soll darüber hinaus die verfassungsrechtlich ebenfalls umstrittene Frage der Transformationskompetenz der Länder klären. Die Bundesländer sahen sich dazu veranlaßt, da es aus ihrer Sicht nicht zulässig erschien, dem Bund neben der aus außenpolitischen Gründen zugestandenen umfassenden Abschlußkompetenz auch die Möglichkeit zu eröffnen, die Verträge, die Hoheitsrechte der Länder betreffen, innerstaatlich durch Bundesrecht zu regeln. Dies würde die innerstaatliche Kompetenzordnung nachhaltig verschieben. Art. 32 Abs. 3 Satz 4 GG (neu) soll nunmehr die Verpflichtung zur innerstaatlichen Transformation durch Landesgesetz den Bundesländern zuordnen, die dem internationalen Abkommen zugestimmt haben.

3. Position der Bundesregierung Waffenschmidt; Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Inneren 5 9 0 , widersprach namens der Bundesregierung der Auffassung, die unklare Rechtslage bei der Vertragsabschlußkompetenz im Bereich der ausschließlichen Ländergesetzgebung verlange eine Reform des Art. 32 GG. Die Bundesregierung stellte sich statt dessen auf den Standpunkt, das Lindauer Abkommen habe zu einem bewährten Verfahren in der Kooperation zwischen Bund und Ländern in auswärtigen Angelegenheiten geführt, so daß es keiner verfassungsrechtlichen Festschreibung bedürfe. In ihrer Stellungnahme zum Vorschlag der Kommission Verfassungsreform legte die Bundesregierung den Berichterstattern der Gemeinsamen Verfassungskommission ihre Gründe für diese Haltung dar: da in der Praxis das Lindauer Abkommen zu sachgerechten Ergebnissen geführt habe, wäre die Forderung der Länder von der Sache her bereits unbegründbar. Denn anders als im Bereich der Europäischen Union, der über Art. 23 GG n.F. abgedeckt werden soll, könnten sich die Länder im Fall des Art. 32 GG nicht darauf berufen, daß ein Mehr an verfassungsrechtlich verankerter Mitwirkung als Kompensation für Kompetenzverluste der Länder notwendig sei. Auch widerspräche der Wunsch der Länder der Aufgabe der Verfassung, klare und knappe Grundregeln der Staatsorganisation wiederzugeben. Die Änderungsvorschläge der Bundesratskommission stießen bei der Bundesregierung aber auch auf spezifische Bedenken. „ M i t der 'Befügnis zur Zu590

Waffenschmidt (BMI), StenBer. 11. Sitzung, S. 8.

I. Art. 32: Normierung des Lindauer Abkommens

177

sammenarbeit' (Art. 32 Abs. 1 des Vorschlages) wird ohne Notwendigkeit ein neuer verfassungsrechtlicher Begriff im Bereich der auswärtigen Beziehungen eingeführt. Indem auch ausländische Staaten genannt werden, wird eine zweite Zuständigkeitsebene für auswärtige Beziehungen geschaffen, die Auswirkungen auch nach außen haben muß und die Einheitlichkeit des Auftretens der Bundesrepublik Deutschland und ihre Rolle als verläßlicher Partner im internationalen Verkehr gefährdet." 591 Für die Bundesregierung war insbesondere der Vorstoß der Bundesratskommission in Absatz 3 Satz 2 ihres Vorschlages nicht akzeptabel. M i t dem Zustimmungsvorbehalt der Länder zu völkerrechtlichen Verträgen des Bundes, auch wenn diese nur teilweise in die Ländergesetzgebungskompetenz fallen, würde das Lindauer Abkommen erheblich zu Lasten des Bundes verschärft, indem de facto ein großer Teil der Vertragsbeziehungen des Bundes unter einen Ländervorbehalt gestellt würde. Diese aus dem Ländervorschlag resultierende Konsequenz würde nach Auffassung der Bundesregierung zu einer sachlich nicht vertretbaren Einschränkung des in Art. 32 Abs. 1 GG niedergelegten Grundsatzes des Außenvertretungsmonopols des Bundes führen. 5 9 2 Die Bedenken auf Seiten des Bundes führten dazu, daß sich die Berichterstatter nicht auf einen von beiden Seiten getragenen gemeinsamen Vorschlag zu Art. 32 GG einigen konnten. Da die Verhandlungen in diesem Punkt nicht unter dem Druck eines baldigen Kompromisses vor Ratifizierung des Maastrichter Vertrages standen, waren die Grenzen beiderseitigen Nachgebens im wesentlichen durch Verhandlungen über den neuen Art. 23 GG erschöpft.

4. Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen Das Land Nordrhein-Westfalen sah sich aufgrund der Tatsache, daß sich die Berichterstatter von Bundestag und Bundesrat auf keinen gemeinsamen Formulierungsvorschlag zur Änderung des Art. 32 GG einigen konnten, veranlaßt, einen eigenen Vorschlag zur Abstimmung vorzulegen. Damit sollte die als dringend notwendig erachtete Änderung des Art. 32 GG, trotz der Unstimmigkeiten in der Gemeinsamen Verfassungskommission, durchgesetzt werden. Der Antrag orientierte sich dabei an den Empfehlungen der Bundes-

591

Neusei (BMI), Stellungnahme der Bundesregierung zum Vorschlag zur Änderung des Art. 32 GG in dem von der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates am 14. Mai 1992 beschlossenen Bericht „Stärkung des Föderalismus in Deutschland und Europa sowie weitere Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes", S.3 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor). 592 Neusei (BMI), Stellungnahme der Bundesregierung, ebenda, S. 4 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor).

12 Schmalenbach

F. Gescheiterte Reformvorschläge

178

ratskommission und änderte allein Art. 32 Abs. 3 des Vorschlages ab, um ihn auch für den Bund konsensfähig zu gestalten: 593 Art. 32 Abs. 3 (neu) Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung völkerrechtliche Verträge abschließen. Mit vorheriger Zustimmung der Länder kann auch der Bund Verträge abschließen, die im Schwerpunkt in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fallen. Die Länder sind rechtzeitig über die Aufnahme von Vertragsverhandlungen und deren Fortgang zu unterrichten sowie auf Verlangen daran zu beteiligen. Sie treffen die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Maßnahmen. Minister Krumsiek (NRW) erläuterte, daß die Formulierung „ i m Schwerpunkt" in Anlehnung an den neuen Art. 23 GG gewählt worden sei, um damit den Bedenken der Bundesregierung gegenüber einem generellen Zustimmungsvorbehalt Rechnung zu tragen. Die Sozialdemokraten verzichteten damit auf die Zustimmung der Länder zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge durch den Bund, wenn diese nur teilweise deren Gesetzgebungszuständigkeit berühren. 594 Trotz dieses Entgegenkommens erhielt der neu gestaltete Art. 32 GG bei der Abstimmung in der Gemeinsamen Verfassungskommission keine Mehrh e i t . 5 9 5 Dieses Ergebnis konnte auch die Bitte Krumsieks, über Absatz 3 des Vorschlages getrennt abzustimmen, um wenigstens die Möglichkeit zu eröffnen, eine seit Jahren umstrittene Rechtsfrage eindeutig zu klären, nicht verhindern. Art. 32 GG bleibt folglich in der seit 1949 geltenden Fassung bestehen und wird - je nach Rechtsauflfassung deklaratorisch oder konstitutiv 5 9 6 durch das Lindauer Abkommen von 1957 konkretisiert.

IL Ländervertretungen in Brüssel Die Gemeinsame Verfassungskommission beschäftigte sich auch mit der Forderung der Bundesländer, ihre Länderbüros in Brüssel verfassungsrechtlich

593

Ministerium für Bundesangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommissionsdrucksache Nr. 15 (Hervorhebungen in Text durch Verf.). 594 Krumsiek (NRW), StenBer. 11. Sitzung - Anhang - S. 27 f. 595 Lediglich 19 bei notwendigen 43 (Zweidrittel der Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission) Ja-Stimmen für den 1. und 2. Absatz des SPD-Vorschlages. Z.B. keine Zustimmung von den Vertretern des Freistaates Bayern. 596 Vgl. Ausführungen in Fn. 585.

Π. Ländervertretungen in Brüssel

179

abzusichern, um das Grundgesetz den faktisch bereits vorgegeben Tatsachen anzupassen. Bereits seit Gründung der EWG und E AG im Jahr 1957 entsenden die Bundesländer einen Beobachter nach Brüssel, um Informationen über die Aktivitäten der Europäischen Gemeinschaften „aus erster Hand" zu erhalten. M i t Ausdehnung der Tätigkeit der Gemeinschaften auf Bereiche ausschließlicher Länderkompetenzen wuchs jedoch das Bedürfnis nach einer weitergehenden Präsenz auf europäischer Ebene, die die Länderbeobachter nicht zu leisten vermochten. Im Jahr 1985 begannen die Bundesländer in Brüssel Büros zu eröffnen, deren Aufgaben von reinen Lobbytätigkeiten, wie Werbung für das betreffende Bundesland als Industriestandort, über Informationsbeschaffung für die Landesregierungen bis hin zu Einflußnahme auf Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane 597 reichen. 5 9 8 Mittlerweile sind nahezu alle Bundesländer mit Büros in Brüssel vertreten.

1. Verfassungsmäßigkeit der Länderbüros Der Bund hatte anfänglich erhebliche Bedenken gegen die Errichtung der Länderbüros und versuchte der Entwicklung mit dem Hinweis auf ihre außenpolitische Kompetenz entgegenzuwirken. 599 Daß dies nicht gelang, zeigt die immer noch vorhandene Präsenz der Länderbüros in Brüssel. Allerdings werden auch seitens der Verfassungslehre Einwände gegen diese Form von Außenkontakten der Bundesländer erhoben. So weist Maunz darauf hin, daß die auswärtige Gewalt nach Art. 32, 59, 73 Nr. 1 und 87 Abs. 1 GG grundsätzlich dem Bund zusteht und folglich den Ländern die Befugnis, auswärtig tätig zu werden, durch das Grundgesetz ausdrücklich verliehen werden m u ß . 6 0 0 Auch Rojahn 601 und Klein 602 sehen aufgrund des Wortlauts des Art. 32 Abs. 1 GG die Länder von jeder nichtvertraglichen Auslandsbeziehung verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Diese Einschränkung des auswärtigen Handlungsspielraums der Länder wird in der Literatur jedoch nicht unwidersprochen hingenommen. Beck 603

597 598 599 600 601 602 603

12*

Vgl. Hamburg Senats-Dr Nr. 1407 vom 20.11.1984. Strohmeier, DÖV 1988, 633, 635 f. Fastenrath, DÖV 1990, 125, 128. Maunz, in: Maunz/Dürig/Heizog/Scholz, Art. 32 Rn. 16. Rojahn, in: v. Münch, Art. 32 Rn. 19. Mangoldt/Klein Bd. Π, Art. 32 Anm. ΙΠ.2, S. 777. Beck, DÖV 1966, 20, 23.

F. Gescheiterte Reformvorschläge

180

folgert aus Art. 32 Abs. 3 GG, daß das Grundgesetz, wenn es auswärtige Beziehungen der Bundesländer in Form von offiziellen Verhandlungen und Vertragsabschlüssen gestattet, erst recht die Pflege freundschaftlich-nachbarlicher Beziehungen oder auswärtiger Kontakte zur Information decke, solange sie nicht diplomatischen oder konsularischen Charakter annehmen. Dieser Einschätzung folgt auch Fastenrath 604 der zwischen formellen und informellen Kontakten der Bundesländer zu den Europäischen Gemeinschaften trennt. Die Auslegung des Art. 32 Abs. 1 GG ließe seines Erachtens eine Begrenzung des Normbereichs - d.h. des Außenvertretungsmonopols des Bundes - auf völkerrechtliche Akte zu. Nur bei solchen formellen Akten sei es notwendig, daß die Bundesrepublik Deutschland, aufgrund der Bindewirkung gegenüber dem gesamten Staat, mit „einer Stimme spricht". Da die Länderbüros in Brüssel in ihrer Organisationsform keinen völkerrechtsformlichen Akt darstellen - es werden weder Mitgliedschaftsrechte ausgeübt, noch sonst formelle Rechtsakte gesetzt - sind die Länder nach Auffassung Fastenraths nicht durch Art. 32 Abs. 1 GG gehindert, diese Aktivitäten zu entfalten.

2. Vorschlag der Kommission Verfassungsreform Die Kommission Verfassungsreform des Bundesrates erachtete angesichts der umstrittenen Rechtslage die verfassungsrechtliche Absicherung der Länderbüros in Brüssel für notwendig und erarbeitete folgenden Vorschlag: 605 Art. 24 Abs. 3 (neu) Die Länder können zu zwischenstaatlichen Einrichtungen Beziehungen unterhalten und bei ihnen eigene Vertretungen einrichten.

3. Rechtsauffassung der Sachverständigen Die Sachverständigen, die seitens der Gemeinsamen Verfassungskommission zur Klärung rechtlicher Fragen bestellt worden waren, erhoben in der öffentlichen Anhörung keine Bedenken gegen eine verfassungsrechtliche Festschreibung der Länderbüros in Brüssel. Isensee erläuterte, daß das Außenvertretungsmonopol des Bundes nach Art. 32 Abs. 1 derzeit ohnehin von der Staatspraxis ignoriert würde. Die Nebenaußenpolitik der Länder, die vorhandenen Büros in Brüssel, die vielfaltigen europäischen wie sonstige internationalen Aktivitäten der Länder würden einer Monopolstellung des Bundes in auswärtigen Angelegenheiten widersprechen. Isensee Schloß sich der seines 604 605

Fastenrath, DÖV 1990, 125, 133; ebenso Borchmann, VR 1987, 1, 4 f. Kommission Verfassungsreform, in: BR-Dr 360/92, S. 3 Rn. 3.

Π. Ländervertretungen in Brüssel

181

Erachtens praxisnahen Mindermeinung in der Staatsrechtslehre 606 an, die das Außenvertretungsmonopol nur auf formelle Akte, wie z.B. formelle diplomatische Kontakte, bezieht. M i t dem Vorschlag der Kommission Verfassungsreform würden den Ländern im Grunde auch keine formell diplomatischen Vertretungen zuerkannt, sondern nur Kontaktstellen geschaffen, die für Informationsaustausch und Interessenwahrnehmung sorgen, aber nicht die formelle Vertretung der Bundesrepublik Deutschland inne haben. Die verfassungsrechtliche Absicherung der Länderbüros sei folglich eine Klarstellung einer bis jetzt umstrittenen Rechtslage, die aber keine substantielle Änderung - insbesondere keinen Eingriff in durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte bundesstaatliche Strukturen - des Grundgesetzes bewirke. 6 0 7 Der Sachverständige Bieber erachtete es gerade im Rahmen der europäischen Union als sinnvoll, zur optimalen Wahrnehmung der Interessen des Bundes und seiner Gliederstaaten auf möglichst vielen Ebenen die Verflechtungen zuzulassen. 608

4. Entscheidung in der Gemeinsamen Verfassungskommission In der Gemeinsamen Verfassungskommission vertraten die Mitglieder des Bundesrates nachdrücklich die Forderung der Bundesländer, die Länderbüros verfassungsrechtlich zu legitimieren. Staatsminister Gerster (Rheinland-Pfalz) verdeutlichte die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Regelung für Verbindungsbüros in der Verfassung: In der Öffentlichkeit seien wiederholt die Vertretungen der Länder in Brüssel kritisiert und z.B. als „kleinstaatstragende Selbstdarstellung" bezeichnet worden, die den eigentlichen Bürgerinteressen gar nicht zugute kämen. Dies würde der Aufgabe der Büros in Brüssel nicht gerecht, da sie die Information und den Einfluß der Bundesländer, trotz des Verlustes der politischen Gestaltungsmöglichkeiten durch den Aufgabenzuwachs der Gemeinschaften, zu sichern vermögen. Die Vertretungen sollten deshalb als Zeichen der Eigenstaatlichkeit der Länder verfassungsrechtlich auch abgesichert werden. 6 0 9 Da die verfassungsrechtliche Anerkennung der Länderbüros für die Vertreter des Bundesrates von offensichtlicher Bedeutung w a r 6 1 0 , herrschte auch bei den Vertretern des Bundestages die Bereitschaft, den Forderungen der Länder unter der Prämisse nachzugeben, daß es sich bei den Büros um keine diplo606

Fastenrath, DÖV 1990, 125 ff. (Ausführungen unter F Π). Isensee, StenBer. 1. Öffentliche Anhörung, S. 40; ebenso Lerche, Stellungnahme, S. 13; Tomuschat, Stellungnahme, S. 18. 608 Bieber, Stellungnahme, S. 26. 609 Gerster (Rheinland-Pfalz), StenBer. 7. Sitzung, S. 13. 610 Vgl. auch Wedemeier (Bremen), StenBer. 3. Sitzung, S. 29. 607

V g l

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F. Gescheiterte Reformvorschläge

matischen Vertretungen handelt. Dieses Erfordernis müßte jedoch gewährleistet sein, um sicherzustellen, daß dem Verhältnis der Länder zur Europäischen Union kein völkerrechtlicher Charakter zukommt. 6 1 1 Trotz dieses Konsens zwischen Bundestag und Bundesrat bezüglich der verfassungsrechtlichen Festschreibung der Länderverbindungsbüros in Brüssel wurde die neue Europanorm nicht um diesen Aspekt ergänzt. Die Vertreter des Bundesrates räumten der Durchsetzung der Selbstwahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten durch einen Ländervertreter in der Europäischen Union (Art. 146 EGV i.V.m. Art. 23 Abs. 6 GG n.F.) Vorrang ein. Um nicht den Bedenken der Bundesregierung und den Vertretern des Bundestages Vorschub zu leisten, es entstehe eine eigenständige Außenpolitik der Länder auf europäischer Ebene, verzichteten die Vertreter den Bundesrates auf verfassungsrechtlich abgesicherte Verbindungsbüros, die ohnehin durch die Praxis fest in Brüssel eingerichtet sind. Statt dessen einigten sich die Berichterstatter auf Empfehlungen für eine einfachgesetzliche Legitimierung der Länderbüros. In einer Protokollnotiz legten sie die Eckpunkte für diese Regelung fest, die bestimmen soll, „daß die Länder unmittelbar zu Einrichtungen der Europäischen Union ständige Verbindungen unterhalten können, soweit dies zur Erfüllung ihrer staatlichen Befügnisse und Aufgaben nach dem Grundgesetz dient. Die Länderbüros erhalten keinen diplomatischen Status." 612

611

Möller, StenBer. 7. Sitzung, S. 2; Verheugen, StenBer. 7. Sitzung, S. 8. Protokollnotiz der Berichterstatter, Arbeitsunterlage Nr. 63, S. 2. Der Vorschlag der Berichterstatter wurde in § 8 des Gesetzes zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union nahezu wortgleich übernommen, so daß nun die Länderbüros einfachgesetzlich legitimiert sind. 612

G. Perspektiven der künftigen europäischen Integration über Art. 23 Abs. 1 GG - die Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 Die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission waren sich spätestens nach der Anhörung der Sachverständigen darüber im klaren, daß der Maastrichter Vertrag in verfassungsrechtlicher Hinsicht angreifbar sein würde. Da die von ihnen vorgeschlagenen und von den gesetzgebenden Körperschaften am 2./18. Dezember 1992 beschlossenen Grundgesetzänderungen zum größten Teil auf die künftige Europäische Union maßgeschneidert worden waren, lag der Bestand des mühsam erzielten Konsenses von Bundestag und Bundesrat letztlich in den Händen des Bundesverfassungsgerichtes. Nach zahlreichen Verfassungsbeschwerden 613 gegen das Zustimmungsgesetz zum Unionsvertrag mußte das höchste Gericht über dessen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz befinden. Am 12. Oktober 1993 konnte schließlich die „Lähmung" der europäischen Integration allgemeiner Erleichterung weichen: die Verfassungsbeschwerden wurden teils als unzulässig, teils als unbegründet abgelehnt. Daß Art. 23 GG als spezielle verfassungsrechtliche Übertragungsermächtigung eine entscheidende Rolle bei der Frage der Vereinbarkeit des Zustimmungsgesetzes zum Maastrichter Vertrag mit dem Grundgesetz zukommt, ergibt sich nicht mit der zu erwartenden Deutlichkeit aus dem Urteil. Der Umfang der Prüfüng wurde insoweit von den (zulässigen) Rügen der Beschwerdeführer bestimmt, so daß die mit Art. 23 GG neu eingeführten Mitwirkungsrechte von Bundesrat und Bundestag in europäischen Angelegenheiten - die im Hinblick auf die Verfassungsprinzipien des Art. 79 Abs. 3 GG als Kompensation für den Verlust an Gestaltungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene konzipiert sind - nicht im Zentrum der Erörterungen standen. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil enthält aber zahlreiche prinzipielle Aussagen, die für das künftige Verhältnis der Europäischen Union zur Bundesrepublik Deutsch-

613

Von den mehr als 20 Verfassungsbeschwerden gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Union wurden nur die zwei aussichtsreichsten - die Verfassungsbeschwerden von Brunner (2 BvR 2134/92) und Breyer, Roth und Telkämper, Abgeordnete der Europafraktion Die Grünen, (2 BvR 2159/92) - öffentlich verhandelt.

184

G. Die Masstricht-Endscheidung des Bundesverfassungsgerichts

land - und damit auch für die Handhabung des neuen Art. 23 GG - von entscheidender Bedeutung sein dürften.

I. Gewährleistung des Grundrechtsschutzes Der Beschwerdeführer Brunner legte dem Gericht u.a. die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG durch das Zustimmungsgesetz zum Maastrichter Vertrag d a r . 6 1 4 Im Kern rügte er, daß die Grundrechte nach erfolgter Hoheitsrechtsübertragung nicht mehr durch deutsche Organe gewährleistet werden könnten und dadurch in ihrem Gehalt substantiell geändert würden. Die Grundrechte, die in ihrem Inhalt und ihrem Geltungsgrund auf den nach dem Grundgesetz verfaßten Staat angewiesen seien, verlören durch den Anwendungsbefehl des Unionsvertrages ihren bisherigen Adressaten und Garanten. Die Argumentation stellt damit im wesentlichen auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte ab, nämlich auf den in Literatur und Rechtsprechung gefestigten Schutzpflichtgedanken: Dem Staat obliegt als potentieller Grundrechtsbeeinträchtiger auch die Pflicht, Gefährdungen der Grundrechtsgüter zu verhindern. 615 Daß aus diesem objektivrechtlichen Grundrechtsgehalt indes nicht abgeleitet werden kann, daß nur der deutsche Staat vollwertiger Garant der Grundrechte sein kann, ergibt sich zwingend aus Art. 23 und 24 GG: Entgegen der erklärten Ausrichtung des Grundgesetzes auf die europäische Integration würde diese zum Erliegen kommen, hätte das Bundesverfassungsgericht die dahingehende Argumentation des Beschwerdeführers akzeptiert. Die Integrationsoffenheit des Grundgesetzes - so die Begründung des Gerichts - habe notwendigerweise zur Konsequenz, daß grundrechtserhebliche Eingriffe auch von europäischen Organen ausgehen können. 6 1 6 Das Bundesverfassungsgericht folgert daraus, daß mit der räumlichen Ausdehnung grundrechtserheblicher Eingriffe auf alle Mitgliedstaaten in gleichem Maße der Gedanke der grundrechtlichen Schutzpflichten ausgedehnt werden müsse, der deutsche Staat zwangsläufig nicht mehr alleiniger Garant sein könne. Ob nunmehr die Gemeinschaftsgewalt in ihrer Rolle als potentieller Verletzer auch dazu berufen ist, entsprechende

614

Gerügt wurde darüber hinaus die Verletzung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 5 Abs. 1; Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Satz 2, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 sowie aus Art. 20 Abs. 4 i.V.m. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. Sämtliche Rügen wurden - mit Ausnahme der Verletzung des Wahlrechts (Art. 38 GG) - als unzulässig abgewiesen; vgl. BVerfGE 89, 155, 171 ff. 615 Stern, Staastrecht Bd. m/1, S. 946. 616 BVerfGE 89, 155, 174 f.

I. Gewährleistung des Grundrechtsschutzes

185

Schutzpflichten zu übernehmen, bleibt allerdings offen. 6 1 7 Statt dessen hebt das Gericht auf die seit langem anerkannte Garantenstellung des Europäischen Gerichtshofes „ i n jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften" a b . 6 1 8 Diese Feststellung wird allerdings eher beiläufig getroffen. Dafür beleuchtet das Bundesverfassungsgericht seine Garantenstellung hinsichtlich des Grundrechtsschutzes auf dem Bundesgebiet - und damit seine Prüfüngsbefügnis gegenüber gemeinschaftlichem Sekundärrecht - um so eingehender: „Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet durch seine Zuständigkeit, daß ein wirksamer Schutz der Grundrechte für die Einwohner Deutschlands auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell sichergestellt ... ist (...)." 6 1 9 Die richtungsweisenden Aspekte dieser Rechtsprechung liegen in zwei Bereichen: Das Bundesverfassungsgericht legt Grund und Ausmaß seiner Prüfüngsbefügnis bezüglich der Akte der Europäischen Union erneut fest. In ausdrücklicher Abkehr von der Eurocontrol-I-Entscheidung 620 bejaht das Bundesverfassungsgericht nunmehr seine Kontrollbefügnis bezüglich der von den Gemeinschaften ausgeübten Hoheitsgewalt. Akte der „öffentlichen Gewalt" i.S.d. Art. 19 Abs. 4, 93 Abs. 1 Nr. 4a GG sind - so die Begründung des Gerichts - nicht nur solche deutscher Staatsgewalt, sondern auch Akte supranationaler öffentlicher Hoheitsgewalt, weil auch diese den grundrechtsberechtigten Bürger betreffen und so die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich des Grundrechtsschutzes in Deutschland berühren können. 6 2 1 Damit lebt die zuvor aufgegebene innerstaatliche Rechtsschutzgarantie gegenüber unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltendem sekundären Gemeinschaftsrecht wieder auf. Weitere nennenswerte Abweichungen der Maastricht-Entscheidung von früheren Urteilen zur Grundrechtsschutzproblematik sind indes nicht auszumachen. Das Bundesverfassungsgericht begrenzt den Umfang seiner auf die Kontrolle von Gemeinschaftsakten erweiterte Jurisdiktionskompetenz auf die generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards und steht damit in Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung. Auch wenn auf den ersten Blick der Eindruck erweckt wird, daß das Bundesverfassungsgericht mit der mehrfachen Betonung seiner generellen Prüfüngsbefügnis zur Sicherung des Wesensgehaltes der Grundrechte den vormals ausgesprochenen Vertrauens-

617 Tomuschat (EuGRZ 1993, 489, 490) folgert daraus, das BVerfG wolle nicht zur Kenntnis nehmen, daß nicht allein die Gerichtsinstanz der Gemeinschaften für einen angemessenen Grundrechtsschutz Sorge trage. 618 BVerfGE 89, 155, 175. 619 BVerfGE 89, 155, 174 f. 620 BVerfGE 58, 1, 27. 621 BVerfGE 89, 155, 175.

186

G. Die Masstricht-Endscheidung des Bundesverfassungsgerichts

vorschuß gegenüber der Garantenstellung des Europäischen Gerichtshofs aufkündigt, 6 2 2 so zeigt sich im Detail kein Widerspruch zur Solange-II-Entscheidung. 623 Bereits hier hat sich das Bundesverfassungsgericht trotz der Feststellung, daß auf der Gemeinschaftsebene der unabdingbare Wesensgehalt der Grundrechte mittlerweile ausreichend gewährleistet wird, seine Prüfungsbefugnis grundsätzlich vorbehalten. Die Überprüfung von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht durch das Bundesverfassungsgericht soll nach der SolangeII-Entscheidung dann in Betracht kommen, wenn sich aus dem Vortrag des Klägers ergibt, „... daß der (Europäische) Gerichtshof bei seiner Auslegung die (...) geltend gemachten Grundrechte schlechthin und generell nicht anzuerkennen oder zu schützen bereit und in der Lage ist und daß damit das vom Grundgesetz geforderte Ausmaß an Grundrechtsschutz auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts generell und offenkundig unterschritten sei." 6 2 4 Der damit ausgesprochene Vorbehalt eigener Jurisdiktionskompetenz für den Fall, daß der Europäische Gerichtshof die an ihn gestellte Anforderung einer generellen Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsschutzes nicht erfüllt, findet sich in der Maastricht-Entscheidung - wenn auch mit deutlicheren Worten wieder. 6 2 5 Das Bundesverfassungsgericht will sich dem Wesensgehalt der Grundrechte gegenüber der Gemeinschaftsgewalt „generell" verbürgen, d.h. seine Wächterrolle auch weiterhin nur ausüben, wenn ein Absinken des unabdingbaren Grundrechtsstandards über den Einzelfall hinaus droht. Da die Aktivierung dieser Prüfungsbefugnis dennoch in jedem Einzelfall erfolgen kann und keine „Generalität" von Verstößen verlangt wird, steht der Wortwahl des Bundesverfassungsgerichtes nicht entgegen. Angesichts des Umstandes, daß der Grundrechtsschutz ein Individualrecht ist (Art. 19 Abs. 4 GG), kann prozessualer Anlaß für die Überprüfung immer auch eine individuelle Grundrechtsverletzung sein. Zulässig sind solche Klagen aber nur dann, wenn gerügt wird, daß der Wesensgehalt eines Grundrechts durch Akte supranationaler Hoheitsgewalt verletzt ist und sich darin - über den Einzelfall hinaus - eine prinzipielle Abkehr von vorhandenen Grundrechtsschutzsystem widerspieg e l t . 6 2 6 Darüber hinaus kann die nationale Prüfungskompetenz eingreifen, 622

So Tomuschat, EuGRZ 1993,489,490; König, ZaöRV 54 (1994), S. 17, 22. So auch Götz, JZ 1993, 1081, 1083„Schröder, DVB1. 1994, 316, 322. 624 BVerfGE 73, 339, 387. 625 Das Bundesverfassungsgericht verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Solange-II-Entscheidung. A.A. Tomuschat, EuGRZ 1993, 489, 490." ...wobei eben besonders hervorsticht, daß das Bundesverfassungsgericht eine Primärverantwortung des EuGH für die Einhaltung eines angemessenen Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaft in ihrer Ausstrahlung auf die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr anerkennt, sondern meint, selbst in erster Linie aufgerufen zu sein, die gebotene Gewährleistungsfunktion zu übernehmen." 626 Vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 9.7.1992, DÖV 1992, 1010; BVerfG, Beschluß vom 12.5.1989, EuGRZ 1989, 339 f.; zur Auslegung des Begriffes „generell" in 623

Π. Das Demokratiegebot

187

wenn aus verfahrensrechtlichen Gründen der EuGH gehindert ist, Grundrechtsschutz zu gewährleisten. 627 Es wäre zu weitgehend, aus der Betonung des Prüfüngsvorbehaltes in der Maastricht-Entscheidung abzuleiten, daß das Bundesverfassungsgericht die Primärverantwortung des Europäischen Gerichtshof für die Einhaltung eines angemessenen Grundrechtsschutzes in Frage stellt. 6 2 8 Die Rechtfertigung der Aufirechterhaltung letztinstanzlicher Kontrolle ergibt sich vielmehr aus der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten fehlenden Staatsqualität der Europäischen Union. Der EuGH als dessen Organ kann folgerichtig kein höchstes staatliches Gericht sein, dem unbedingter Rechtsgehorsam zu zollen ist. Insofern obliegt dem Bundesverfassungsgericht trotz funktionellem Vorrang des EuGH auch weiterhin der Schutz unabdingbarer Verfassungsprinzipien gegenüber der Integrationsgew a l t . 6 2 9 Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang von einem „Kooperationsverhältnis" zum Europäischen Gerichtshof 630 und betont damit, wozu es ohnehin nach Art. 177 Abs. 3 EGV verpflichtet ist: Nur wenn im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens der unabdingbare Grundrechtsstandard auf europäischer Ebene nicht gesichert wird, kann und will sich das Gericht eine Entscheidung vorbehalten.

II. Das Demokratiegebot Als einzig zulässige Verfassungsrüge wird ein etwaiger Verstoß gegen das Demokratieprinzip, soweit es über Art. 38 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 geschützt ist, einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Dabei geht das Bundesverfassungsgericht von der These aus, das Wahlrecht des Bürgers würde auf verfassungswidrige Weise entleert, wenn der Bundestag durch den Maastrichter Vertrag in einem solchen Umfang von Kompetenzverlusten betroffen ist, daß keine Aufgaben und Befügnisse von substantiellem Gewicht mehr verbleiben. Art. 38 GG verlange deshalb die Bestimmbarkeit der im Vertrag angelegten Integrationsschritte und die parlamentarische Einflußnahme auf den Vollzugsverlauf. Im Wege dieser bis dahin nicht gekannten Ausdehnung des Schutzbereiches von Art. 38 GG und damit der Rügefahigkeit des Demokratieprinzips konnte das Bundesverfassungsgericht die entscheidenden und rechtlich umstrittensten Aspekte des Vertrages - insbesondere die Währungsunion - auf ihre Verfassungsmäßigkeit untersuchen.

der Solange-n-Entscheidung vgl. Hilf, EuGRZ 1987, 1, 6; Klein/Beckmann, DÖV 1990, 179, 180; Scholz, NJW 1990, 941, 945. 627 Kirchhof, ZfA 1992,459. 628 So aber Tomuschat, EuGRZ 1993,489,490. 629 Vgl. Di Fabio, Der Staat 1993, 191, 214. 630 BVerfGE 89, 155, 175.

188

G. Die Mastricht-Endscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Ausgangspunkt der Analyse ist die Feststellung, daß es sich bei der Europäischen Union auch weiterhin um einen Staatenverbund handelt, der die Souveränität der Mitgliedstaaten nicht beseitigt. 631 Die Qualifizierung der Europäischen Union als Wirtschaftsgemeinschaft, die Begrenzung der europäischen Normsetzungsbefugnis durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und den Subsidiaritätsgrundsatz, sowie die Möglichkeit, sich faktisch wieder aus der Gemeinschaft zu lösen, rechtfertigt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Schlußfolgerung, daß auch bei Ratifizierung des Maastrichter Vertrages Deutschland die Qualität eines souveränen Staates beibehält. Auf dieser Basis zeigt das Bundesverfassungsgericht die Grenzen auf, die das Demokratieprinzip der europäischen Integration im Stadium des Staatenverbundes setzt.

1. Anforderungen des Demokratieprinzips an die Strukturen der Europäischen Union a) Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen

auf europäischer Ebene

In Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG wird das Demokratieprinzip mit den Worten „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" beschrieben. Das Postulat der Volkssouveränität verlangt, daß in einem demokratischen Gemeinwesen die Staatsgewalt so organisiert ist, daß sie stets vom Willen des Volkes hergeleitet oder auf ihn zurückgeführt werden k a n n . 6 3 2 Da auf europäischer Ebene seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften (einfache und qualifizierte) Mehrheitsentscheidungen bei Beschlüssen des rechtssetzenden Ministerrates vorgesehen sind (Art. 148 EGV) und seit der Einheitlichen Europäischen Akte auch zunehmend praktiziert werden, 6 3 3 stellt sich die Frage, ob darin ein nicht hinnehmbarer Eingriff in das Prinzip der Volkssouveränität zu sehen ist. Werden nämlich auf europäischer Ebene die Vertreter der Bundesrepublik überstimmt, so kann ein Rechtssatz des sekundären Gemeinschaftsrechts zustande kommen und auf nationaler Ebene gegenüber den Bürgern Geltung erlangen, ohne daß die diesbezügliche Entscheidung auf das deutsche Volk rückführbar ist. Obwohl die Verfassungslehre seit jeher in dieser integrationsbedingten Einschränkung der Volkssouveränität keine Verletzung des Demokratieprinzips gesehen h a t , 6 3 4 unterstreicht das Bundesverfassungsgericht in der Maastricht-Entscheidung noch einmal die verfassungsrechtliche Unbedenk-

631

BVerfGE 89, 155, 188. Katz, Staatsrecht Rn. 139. 633 Huber, Maastricht - ein Staatsstreich, S. 23, Fn. 65. 634 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 Π, Rn. 111; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 71. 632

Π. Das Demokratiegebot

189

lichkeit von Mehrheitsentscheidungen auf europäischer Ebene. 6 3 5 Die demokratische Legitimation der Staatengemeinschaft und ihrer Befugnis, durch Mehrheitsentscheidungen Mitgliedstaaten auch gegen ihren Willen zu binden, ruhe in dem Zustimmungsgesetz zum Betritt zur Staatengemeinschaft. Gleichwohl hält das Gericht die Zulässigkeit der Unterordnung nationaler Interessen unter den Willen der Gemeinschaft in dieser Absolutheit nicht aufrecht; so soll „ ... das Mehrheitsprinzip gemäß dem aus der Gemeinschaftstreue folgenden Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme eine Grenze in den Verfassungsprinzipien und den elementaren Interessen der Mitgliedstaat e n " 6 3 6 finden. Daß das Bundesverfassungsgericht die nationalen Verfassungsprinzipien über evtl. gegenläufige Interessen der Gemeinschaft stellt, ist logische Konsequenz seiner ständigen Rechtsprechung. Angesichts des wiederholten höchstrichterlichen Hinweises, daß die Übertragungsermächtigung (Art. 24 und jetzt auch Art. 23 GG) nicht den Weg eröffnet, das Grundgefüge des Grundgesetzes anzutasten, 637 bleibt es der Bundesregierung ohnehin verwehrt, sich im Rat Mehrheitsentscheidungen zu unterwerfen, die geeignet sind, die unabdingbaren Verfassungsprinzipien zu relativieren. In diesen Fällen wäre die Ausübung der Gemeinschaftsgewalt nicht mehr von dem Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes (Art. 23 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 59 Abs. Abs. 2 Satz 1 GG) - das seine Grenzen in Art. 79 Abs. 3 GG findet gedeckt. Folgerichtig ist die über Art. 20 Abs. 2, 1 Abs. 3 GG an das Grundgesetz gebundene deutsche Staatsgewalt aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert, an der Entstehung solcher gemeinschaftlichen Rechtsakte mitzuwirken, indem sie zu erkennen gibt, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren.638 Darüber hinaus sieht das Bundesverfassungsgericht die „elementaren Interessen" der Bundesrepublik vor Majorisierung geschützt und greift damit den Gedanken des Luxemburger Kompromisses 639 wieder auf. Besondere Beach635

BVerfGE 89, 155, 183 f.. BVerfGE 89, 155, 184. 637 BVerfGE 73, 339, 375 f. (Solange-II-Beschluß); BVerfGE 58, 1, 40 (Eurocontrol-I-Beschluß); BVerfGE 37, 271, 279 (Solange-I-Beschluß). 638 Vgl. Huber, AöR 116 (1991), S. 210, 232; Schmidt-Assmann, AöR 116 (1991), S. 329, 339; Streinz, Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle über die Mitwirkung am Entscheidungsprozeß im Rat der Europäischen Gemeinschaften, S. 24. 639 Luxemburger Vereinbarung vom 19. 1. 1966, Abgedr. in Bull-EWG 1966, Nr. 3, S. 9 f.: J . Stehen bei Beschlüssen, die mit Mehrheit auf Vorschlag der Kommission gefaßt werden können, sehr wichtige Interessen eines oder mehrerer Partner auf dem Spiel, so werden sich die Mitglieder des Rats innerhalb eines angemessenen Zeitraums bemühen, zu einer Lösung zu gelangen, die von allen Mitgliedern des Rats unter Wahrung 636

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G. Die Masstricht-Endscheidung des Bundesverfassungsgerichts

tung verlangt dieser Vorbehalt, weil seine Herleitung das „gentlemen's agreem e n t " 6 4 0 der Mitgliedstaaten von 1966 auf eine rechtliche Ebene hebt. Wurde bisher mehrheitlich - auch seitens der Bundesrepublik Deutschland 641 - in dem Luxemburger Kompromiß eine Vereinbarung gesehen, die die Staaten nicht rechtlich sondern allenfalls politisch bindet, 6 4 2 so legitimiert das Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung die Verteidigung nationaler Interessen mit einem Rückgriff auf das allgemeine Prinzip der Gemeinschaftstreue, das den Gemeinschaftsverträgen immanent ist (vgl. Art. 5 E G V ) . 6 4 3 Entsprechend dem rechtlichen Gehalt dieses gemeinschaftlichen Verfassungsprinzips trifft auf diese Weise die Mitgliedstaaten als Ausdruck gegenseitiger Rücksichtnahme und loyaler Zusammenarbeit 644 die Pflicht, elementaren Interessen der Partner durch Einstimmigkeit Rechnung zu tragen. Man wird dem Bundesverfassungsgerichtsurteil hier allerdings weitreichende Wirkung absprechen müssen, da es insoweit keine Garantie dafür bieten kann, daß die Mitgliedstaaten oder der EuGH diese Sichtweise teilen. Was dabei konkret unter „elementaren Interessen" zu verstehen ist, wird angesichts der politischen Dimension dieser Frage vom Bundesverfassungsgericht nicht näher konkretisiert. Die eingehende Erörterung zur Währungsunion läßt indes die Vermutung zu, daß das Gericht insbesondere den Schritt ihrer gegenseitigen Interessen und der Interessen der Gemeinschaft gemäß Artikel 2 des Vertrages angenommen werden können. Π. Hinsichtlich des vorstehenden Absatzes ist die französische Delegation der Auffassung, daß bei sehr wichtigen Interessen die Erörterung fortgesetzt werden muß, bis ein einstimmiges Einvernehmen erzielt worden ist. ΙΠ. Die sechs Delegationen stellen fest, daß in der Frage, was geschehen sollte, falls keine vollständige Einigung zustande kommt, weiterhin unterschiedliche Meinungen bestehen. IV. Die sechs Delegationen sind jedoch der Auffassung, daß diese Meinungsverschiedenheiten nicht verhindern, daß die Arbeit der Gemeinschaft nach dem normalen Verfahren wiederaufgenommen wird." 640 Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung, S. 42 f. 641 Vgl. Rede Genschers vor dem Europäischen Parlament am 14. Oktober 1982, Verhandlungen des Europäischen Parlamentes Nr. 1-647/82, S. 260-265: Die Bundesrepublik Deutschland vertritt die Auffassung, daß die Berufung auf die „sehr wichtigen Interessen" die Mehrheitsentscheidung zur Findung eines Kompromisses lediglich verschieben, nicht jedoch suspendieren kann. A.A. Großbritannien, Dänemark und Griechenland: Die Luxemburger Vereinbarung sei rechtlich verbindlich, da verfassungsmäßige Grundlage ihres Beitritts. Vgl. Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung, S. 90 f. 642 Schweitzer, in: Grabitz, EWG-Vertrag Art. 148 Rn. 13; Schweitzer, in: FS für Armbruster, S. 90 f. 643 Vgl. EuGH Rs. 230/81 (Luxemburg/Parlament) Slg. 1983 S. 255, 287; EuGH Rs. 44/84 (Hurd/Jones) Slg. 1986, S. 47, 81. 644 Bleckmann, DVB1. 1976, 483, 486; Garbitz, in: Garbitz, EWG-Vertrag, Art. 5 Rn. 17.

Π. Das Demokratiegebot

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zur gemeinsamen europäischen Währung vor Augen hatte, als es die Bindung an Mehrheitsentscheidungen relativierte. 645 Sollte sich die bundesdeutsche Regierung bei der Entscheidung des Rates, ob die Mitgliedstaaten die zur 3. Stufe der Währungsunion notwendigen Konvergenzkriterien erfüllen, in die Minderheit gesetzt sehen, so bleibt zur Wahrung des nationalen Interesses an einer stabilen Währung (vgl. auch Art. 88 Satz 2 GG) als letzte Option die Weigerung, sich einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung nach Art. 199 j Abs. 3 und 4 EGV zu unterwerfen.

b) Demokratische Legitimation europäischer Hoheitsgewalt Einer der am häufigsten in Politik und Wissenschaft vorgetragenen Kritikpunkte an der Konzeption der Europäischen Gemeinschaften ist der Vorwurf der unzureichenden Verwirklichung des demokratischen Prinzips auf EG-Entscheidungsebene.646 Wurde die nahezu ungebrochene Dominanz des exekutiv besetzten gemeinschaftlichen Gesetzgebungsorgans für eine Übergangszeit als hinnehmbar akzeptiert, 647 so häufen sich insbesondere nach Maastricht die Stimmen, die angesichts des erreichten Integrationsstandes eine adäquate Form der Willensbildung und Rechtsetzung verlangen. Im Mittelpunkt steht dabei oft die Forderung nach Aufwertung des Europäischen Parlamentes durch echte Legislativbefügnisse, 648 die auch nach dem Unionsvertrag der Versammlung nicht zugebilligt worden sind. 6 4 9 Mitbestimmend für dieses Anliegen ist dabei der Kompensationsgedanke. Als einziges direkt von den europäischen Völkern legitimiertes Gemeinschaftsorgan soll dem Europäischen Parlament das zuwachsen, was den nationalen Parlamenten an Rechten und Einflußmöglichkeit durch die Übertragung wesentlicher Politiken auf die Gemeinschaftsebene verlorengeht. Die mit den Kompetenzübertragungen einhergehende Stärkung der im Rat vereinigten Exekutiven bedeutet nämlich mangels Weisungsgebundenheit die Entparlamentisierung europäischer Politik. In dem Maße, in dem die nationalen Parlamente nicht mehr in der Lage sind, die Rückführung hoheitlicher Entscheidungsmacht auf das Volk zu vermitteln, sollte nach Meinung vieler vom Europäischen Parlament ein ebenbürtiger Legitimationsstrom ausgehen. Mag dieser Kompensationsgedanke un645 646

Vgl. BVerfGE 89, 155,200 f. Hänsch, in: Europa-Archiv 7 (1986), S. 191, 198; Steffani, ZParl 1978, 233,

247.

647

Fuss, Die Europäischen Gemeinschaften und der Rechtsstaatsgedanke, S. 22 f. Algieri/Schmuck, Die Landtage im Europäischen Integrationsprozeß nach Maastricht, S. 38 (unveröffentlicht - Text liegt Verf. vor); Ress, in: GS für W. K. Geck, S. 625, 656; Stauffenberg/Langenfeld, ZRP 1990, 252, 258; vgl. auch Diskussion in der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 46 ff. 649 Ygj z u institutionellen Reformen des Maastrichter Vertrages S. 44 ff. 648

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G. Die Masstricht-Endscheidung des Bundesverfassungsgerichts

ter Demokratiegesichtspunkten seine Berechtigung finden, so wird doch in der Verfassungslehre nicht selten davor gewarnt, allein in der Ausweitung der Legislativbefugnisse des Europäischen Parlamentes nach mitgliedstaatlichem Vorbild einen Ausweg aus dem Demokratiedefizit der Gemeinschaften zu seh e n . 6 5 0 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Hineinwachsen des Europaparlamentes in die Rolle der nationalen Parlamente werden insbesondere an dem Fehlen notwendiger Funktionsbedingungen einer parlamentarischen Demokratie auf europäischer Ebene - wie z.B. dem Willen der europäischen Bürger, als ein Volk zu handeln - festgemacht. 651 Diese Position wird nun vom Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung bestätigt. Demokratie - so das Bundesverfassungsgericht - sei von dem Vorhandensein vorrechtlicher Voraussetzungen abhängig, namentlich der ständigen freien Auseinandersetzung zwischen den sozialen Kräften, der allgemeinen Sichtbarkeit und dem Verstehen der von den Hoheitsträgern verfolgten politischen Zielsetzungen und der Möglichkeit des wahlberechtigten Bürgers, mit der Hoheitsgewalt, der er unterworfen ist, in seiner Sprache zu kommunizieren. 652 Diese tatsächlichen Bedingungen würden derzeit auf europäischer Ebene noch nicht erfüllt, könnten aber im institutionellen Rahmen der Europäischen Union entwickelt werden. Trotz dieses Ausblicks betont das Bundesverfassungsgericht mehrfach, daß dem notwendigen schrittweisen Ausbau der Befugnisse des Europäischen Parlaments keine kompensatorische Wirkung dergestalt zukommt, daß die nationalen Parlamente ihrer früheren Funktion völlig entledigt werden dürfen. Das Europäische Parlament trete lediglich hinzu und ergänze die demokratische Abstützung der Politik der Europäischen Union; in einem Staatenverbund bleibe es aber zuvörderst Aufgabe der Staatsvölker, die gemeinschaftlichen Hoheitsbefugnisse über ihre nationalen Parlamente zu legitimieren. Mit dieser Feststellung weist das Bundesverfassungsgericht den in der Literatur zum Teil sehr extensiv gehandhabten, über die Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG für zulässig erachteten Kompensationsgedanken in seine Schranken. 653 Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes läßt es nach Meinung des Gerichts nicht zu, daß das Europäische Parlament an die Stelle des 650

Classen, ZRP 1993, 57, 59; Di Fabio, Der Staat 1993, 191, 202 f.; Huber, Maastricht - ein Staatsstreich, S. 42; Ossenbühl, DVB1. 1993, 629, 634; Streinz, DVB1. 1990, 949. 958; vgl. auch in der Gemeinsamen Verfassungskommission Scharpf, Stellungnahme, S. 5. 651 Di Fabrio, Der Staat 1993, 191, 202 f.; Scharpf, Stellungnahme, S. 5; Bleckmann, JZ 1990, 301. 652 BVerfGE 89, 155, 185; vgl. auch Kirchner/Haas, JZ 1993, 760, 766 f. 653 Abgeleitet wird die Zulässigkeit des Kompensationsgedankens aus der Solange-11-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (E 73, 339 ff.); vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 24 Abs. 1 Rn. 77 und 103. Einbrüche in alle durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Prinzipien hält Herdegen (EuGRZ 1993, 589, 593) im Rahmen der Kompensation auf europäischer Ebene für zulässig; ebenso Tomuschat, EuGRZ 1993,489,494; Meessen, NJW 1994, 549, 552.

Π. Das Demokratiegebot

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Bundestages tritt, auch wenn ihm als Spiegelbild gesellschaftlichen Zusammenwachsens Kompetenzen nach bundesdeutschem Vorbild eingeräumt werden. Art. 79 Abs. 3 GG sichert dem nationalen Parlament also Befugnisse von substantiellem Gewicht, damit „... auch im Fortgang der Integration in den Mitgliedstaaten eine lebendige Demokratie erhalten bleibt." 6 5 4 Das Bundesverfassungsgericht bezieht mit seinen Ausführungen zu den Anforderungen des Demokratieprinzips eindeutig Stellung zugunsten der nationalen Parlamente. Das europäische Demokratiedefizit, das lediglich in allgemeiner Form zur Kenntnis genommen w i r d , 6 5 5 erfährt unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine besondere Beachtung. Die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG n.F. kann damit - gemessen an der Gewichtung, die sie indirekt durch das Bundesverfassungsgericht erfährt - nicht Schlüsselpunkt der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Integrationsprozeß sein. Entscheidend bleibt vielmehr, ob beim Ausbau europäischer Kompetenzen der unabdingbare Kern des Demokratieprinzips auf bundesdeutscher Ebene gewahrt wird. Diese Begrenzung des Kompensationsgedankens bei der Wahrung ausreichender demokratischer Legitimation läßt - trotz aller K r i t i k 6 5 6 - keinen Widerspruch zur Integrationsoffenheit des Grundgesetzes erkennen. Solange die Europäische Union kein Staat mit einem unitaren Staatsvolk ist, wäre ein Europäisches Parlament mit umfassenden Entscheidungsbefugnissen systemw i d r i g . 6 5 7 Muß sich die Begrenzung der Verbandskompetenz daher notwendigerweise in der Begrenzung der Organkompetenz niederschlagen, bedarf es auch weiterhin der Legitimation der Gemeinschaftsgewalt durch den Bundestag. Nicht zu verkennen ist allerdings, daß das Bundesverfassungsgericht zukunftsweisend weitere Integrationsschritte nicht bedingungslos gutheißt. Die Betonung des Fehlens notwendiger Homogenitätsbedingungen für ein europäisches Staatsvolk zeigt, daß im Wege von Kompetenzübertragungen keine Schritte in Richtung Staatswerdung unternommen werden dürfen, wenn die gesellschaftliche Entwicklung dies nicht mittragen kann. Angesichts des mit Maastricht erreichten Integrationsstandes verlangt dies eine erhebliche Verlangsamung des Integrationsprozesses.

2. Stellung des Bundestages im Lichte des Demokratieprinzips Trotz des wiederholten Hinweises auf die Notwendigkeit hinreichender parlamentarischer Aufgaben von substantiellem Gewicht, bilanziert das Bun654

BVerfGE 89, 155, 186. BVerfGE 89, 155,213. 656 Vgl. Tomuschat, EuGRZ 1993,489,494; Meessen, NJW 1994, 549, 552. 657 Vgl. Tomuschat, Gutachten für die SPD-Fraktion, S. 33 (unveröffentlicht Text liegt Verf. vor). 655

13 Schmalenbach

1 9 4 G . Die Mastricht-Endscheidung des Bundesverfassungsgerichts desVerfassungsgericht in seinen weiteren Ausführungen nicht die nach Maastricht verbleibenden Rechtsetzungsbefügnisse des Bundestages im Verhältnis zu den übertragenen Kompetenzen. Eingehend wird statt dessen die Bestimmbarkeit der in der Europäischen Union angelegten Integrationsschritte beleuchtet. Auch die verbleibende Einflußmöglichkeit des Bundestages auf übertragene Kompetenzen ist Gegenstand näherer Erörterungen. Das Bundesverfassungsgericht befindet damit konkludent die mit dem Unionsvertrag erreichte Qualität und Quantität europäischer Rechtssetzungsbefügnis für nicht geeignet, die Gesetzgebungsfunktion des Bundestages über Gebühr zu entleeren. Die sich aufdrängende Frage, welche „Aufgaben und Befugnisse von substantiellem politischen Gewicht" das Bundesverfassungsgericht konkret für notwendig erachtet, damit das Demokratieprinzip in Art. 79 Abs. 3 GG nicht verletzt wird, wird auf diese Weise allerdings nur in bezug auf den mit Maastricht erreichten status quo beantwortet. Dies erscheint angesichts der schon vor Maastricht vorhandenen und nunmehr ausbaufähigen Dominanz europäischer Rechtssetzung 658 in vielen Lebensbereichen wenig präzise. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht insoweit der künftigen Integration den notwendigen Raum läßt, so wird doch unweigerlich jede weitere Kompetenzübertragung in bezug auf die Frage, ob die im Maastricht-Urteil unter Demokratiegesichtspunkten angedeuteten Grenzen Europäischer Rechtssetzungsbefügnis nunmehr überschritten sind, Gegenstand richterlicher Überprüfung sein.

a) Bestimmbarkeit der im Maastrichter Vertrag angelegten Integrationsschritte: Kompetenz-Kompetenz der Europäischen Union Einer eingehenden Analyse unterzieht das Bundesverfassungsgericht die im Maastrichter Vertrag angelegten Integrationsschritte. Ausgehend von der Prämisse, das Demokratieprinzip des Art. 38 GG verlange ein Zustimmungsgesetz, das die zur Wahrnehmung übertragenen Rechte und das beabsichtigte

658 Nach Kommissionspräsident Delors waren bereits vor dem Unionsvertrag im Wirtschaftsbereich 80% aller Regelungen durch das Gemeinschaftsrecht festgelegt [Mitt. KOM (92) 2000, S. 20]. Die gemeinschaftlichen Rechtssetzungskompetenzen erstrecken sich nach Maastricht nunmehr auch auf die Bildungs-, Berufsbildungs- und Kulturpolitik (Art. 126 ff. EGV), auf den Gesundheits- und Verbraucherschutz (Art. 129 f. EGV), die Währungs- (Art. 105 ff.EGV), Industrie- und Entwicklungspolitik (Art. 130, 130v . EGV). Die Zuständigkeiten der EG sind zudem im Bereich der Sozial-, Infrastruktur- (Art. 130a ff.EGV), Forschungs- und Umweltpolitik (Art. 130f, 130s EGV) erweitert worden; insofern liegt der Gedanke europäischer Allzuständigkeit nahe.

Π. Das Demokratiegebot

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Integrationsprogramm hinreichend bestimmbar festlegt, 659 überprüft das Gericht den Unionsvertrag primär auf Normen, die der Gemeinschaft die unbegrenzte Ausdehnung gemeinschaftlicher Kompetenzen ohne vorausgegangene mitgliedstaatliche Ratifizierung erlauben könnten (sog. Kompetenz-Kompetenz). Derartige Ermächtigungsnormen, die unweigerlich die unter Demokratiegesichtspunkten notwendige Vorhersehbarkeit gemeinschaftlicher Rechtssetzung beeinträchtigen würde, hätten zur Folge, daß die Aufgaben und Befugnisse des Bundestages im Rahmen des Unionsvertrages in verfassungswidriger Weise entleert werden könnten. Das Bundesverfassungsgericht befand gleichwohl den Unionsvertrag auf Basis ihrer Auslegung für bestimmt genug, um den Anforderungen des Demokratieprinzips in Art. 38 GG gerecht zu werden. Bedenken, daß die 3. Stufe der Währungsunion einen Sachzwang auf die Ausübung weiterer wirtschaftspolitischer Zuständigkeiten ausübe, tritt das Gericht mit dem Argument entgegen, daß entsprechende Zuständigkeitserweiterungen insoweit einer förmlichen Vertragsänderung und damit der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten bedürften (Art. Ν E U V ) . 6 6 0 Das Vorhaben der Europäischen Union, sich gem. Art. F Abs. 3 EUV mit den zur Erreichung ihrer Ziele erforderlichen Mitteln auszustatten, wird unter Berufung auf den geäußerten Willen der Vertragsparteien als bloßer Programmsatz gewertet. Nach Auslegung des Bundesverfassungsgerichtes ermächtigt Art. F Abs. 3 EUV die Europäische Union damit nicht, sich aus eigener Macht die Finanz- und sonstige Handlungsmittel zu verschaffen, sondern bekundet lediglich die politisch-programmatische Absicht der Mitgliedstaaten, die Union im Rahmen der dazu erforderlichen Verfahren mit Mitteln auszustatten. 661 Nicht umhin kam das Gericht in diesem Zusammenhang, zu dem in seiner Auslegung umstrittenen und in der Praxis extensiv gehandhabten Art. 235 EGV als Kompetenzerweiterungsnorm Stellung zu beziehen. Eine dynamische Erweiterung des Gemeinschaftsvertrages durch die Einräumung einer „Vertragsabrundungskompetenz" im Wege des Art. 235 EGV verbiete sich, da „...der Unionsvertrag grundsätzlich zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und der Vertragsänderung unterscheidet, seine Auslegung deshalb in ihrem Ergebnis nicht einer Vertragserweiterung gleichkommen darf; , . " 6 6 2

659 BVerfGE 75, 223,240. 660 BVerfGE 661 BVerfGE 662 BVerfGE

13*

89, 155, 187; in diesem Sinne bereits BVerfGE 58, 1, 37; 68, 1, 98; 89, 155,206. 89, 155, 194 f.; a.A. Schachtschneider (et al.), JZ 1993, 751, 753. 89, 155,210.

1 9 6 G . Die Masstricht-Endscheidung des Bundesverfassungsgerichts In dem Bewußtsein, daß die in der Maastricht-Entscheidung zugrunde gelegte Auslegung des einschlägigen Primärrechts durchaus anders gesehen werden kann, sichert das Bundesverfassungsgericht seine Position mit dem Hinweis ab, daß eine andersgeartete Deutung der Befugnisnormen Art. F EUV und Art. 235 EGV durch europäische Einrichtungen oder Organe den Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen verlassen würde. In diesem Fall wären nämlich die darauf beruhenden gemeinschaftlichen Rechtsakte nicht mehr durch das deutsche Zustimmungsgesetz gedeckt und damit auf deutschem Hoheitsgebiet nicht mehr verbindlich: „Die deutschen Staatsorgane wären aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert, diese Rechtsakte in Deutschland anzuwenden." 663 Das Aufzeigen der Begrenzungsfunktion der Übertragungsermächtigung (Art. 24 GG bzw. Art. 23 GG) hinsichtlich der Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrechtsakten erfolgt im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. 664 Da die deutschen Organe über Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 GG in dem Umfang an die Verfassung gebunden bleiben, in dem nicht Art. 23 Abs. 1 GG den Anwendungsbefehl für gemeinschaftliches Recht mit dem entsprechenden Vorrang vor dem Verfassungsrecht erteilt, endet folgerichtig ihre Pflicht, dieses Recht anzuwenden, dort, wo der durch Art. 23 GG eingeräumten Kompetenzrahmen verlassen w i r d . 6 6 5 Unterwirft sich die Bundesrepublik Deutschland nach gemeinschaftlichem Primärrecht allerdings der Gerichtsbarkeit des Staatenverbundes, so ist auf dieser Ebene in dem dazu vorgesehenen Verfahren die Frage der Einhaltung vertraglicher Grundlagen mit entsprechender Verbindlichkeit für deutsche Staatsorgane zu klären. Besondere Bedeutung ist deshalb dem Umstand beizumessen, daß das Bundesverfassungsgericht in der Maastricht-Entscheidung die Rolle des EuGH als primär zuständiges Streitentscheidungsorgan in Fällen der Vertragsauslegung (Art. 164 ff.; 177 EGV) außer acht läßt. Sanktioniert der EuGH Überschreitungen des festgelegten Kompetenzrahmens, so führt dies nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu der Verbindlichkeit des (Fehl-)Urteils und damit auch nicht zur Verbindlichkeit des streitigen sekundären Gemeinschaftsrechts für deutsche Staatsorgane. 666 Vielmehr erhebt das Bundesverfassungsgericht - wie bereits im bezug auf den Grundrechtsschutz - Anspruch

663

BVerfGE 89, 155, 188, 195, 205 und 210. Vgl. BVerfGE 37, 271, 279 f. (Solange-I-Beschluß); 58, 1, 30 f. (Eurocontrol-IBeschluß); 73, 339, 375 (Solange-II-Beschluß); 75,233,242. 665 A.A. H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 10/58 S. 289; ebenso Zuleeg, Bitburger Gespräche 1990, S. 13 ff. 666 So auch Schilling, Der Staat 29 (1990), S. 161, 167; a.A. Klein, VVDStRL 50 (1991), S. 56, 66 f; Huber, AöR 116 (1991), S. 210, 219. 664

Π. Das Demokratiegebot

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letztinstanzlicher Kontrolle. 6 6 7 Beachtlich ist dabei die Diskrepanz zu der im Rahmen des Grundrechtsschutzes beanspruchten Rolle. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt seinen Prüfungsvorbehalt nicht auf die generelle Kontrolle gemeinschaftlichen Sekundärrechts, sondern erachtet sich vielmehr in jedem Einzelfall für zuständig, dieses auf Kompetenzüberschreitungen zu überprüfen. Hat also das Bundesverfassungsgericht mit der Maastricht-Entscheidung das Vertrauen in einen ausreichenden Grundrechtsschutz durch den EuGH grundsätzlich bekräftigt, 668 so kündigt es gleichzeitig das Vertrauen in eine ausreichende gerichtliche Kontrolle des Prinzips begrenzter Einzelermächtigung bzw. der dazu subsidiären Generalermächtigung (Art. 235 EGV) auf. Die Zielsetzung, hier das grundgesetzlich vorgeschriebene Rechtsschutzniveau im Wege der letztinstanzlichen Kontrolle durch deutsche Gerichte zu wahren, stellt zugleich die Wirksamkeit des Rechtsschutzsystems der Europäischen Gemeinschaften in erheblichem Maße in Frage. Denn nur wenn der Rechtsschutz auf Gemeinschaftsebene - sei es im Bereich der Grundrechte oder im Bereich der Vertragsauslegung - den Erfordernissen des Grundgesetzes nicht annähernd entspricht, verlangt Art. 79 Abs. 3 GG die Begrenzung des Kompensationsgedankens durch Beibehaltung innerstaatlichen Rechtsschutzes. In diesem Sinne deutet das Bundesverfassungsgericht an, daß es in der Vergangenheit bei der Vertragsauslegung durch Einrichtungen und Organe der Gemeinschaften zu Kompetenzüberschreitungen gekommen ist, die insoweit hätten beanstandet werden müssen. 669 Angesichts der Vielzahl entsprechender Kontrollverfahren durch den E u G H 6 7 0 und der damit kontrastierenden Reichweite der vom Bundesverfassungsgericht beanspruchten Prüfungsbefugnis, wäre allerdings eine tiefergehende Begründung des Zuständigkeitsvorbehaltes zu erwarten gewesen. Statt dessen beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht auf die Darlegung der Anforderungen an die Auslegung der Gemeinschaftsverträge, die es durch die Gemeinschaftsorgane nicht verwirklicht sieht: die Rechtssetzungsbefugnis der Europäischen Union darf nicht auf Basis der „implied powers-Lehre" oder dem „effet utile-Prinzip" die Grundlage der Gemeinschaftsverträge verlassen. 671 Unzulässig sei jede Auslegung, die einer Vertragserweiterung gleichkommt, wobei das Bundesverfassungsgericht zugleich unter Berufung auf ältere Rechtsprechung die Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung innerhalb der Verträge anerkennt. 672 Wie 667

BVerfGE 89, 155, 188; zu der Gefahr der Kontroll- und Verwerfungsbefugnis eines jeden deutschen Staatsorganes vgl. Zuleeg, JZ 1994, 1, 3; Ispen EuR 1994, 1,11. 668 ygi Ausführungen unter GI. 669 BVerfGE 89, 155, 210 „...so wird in Zukunft bei der Auslegung von Befugnisnormen durch Einrichtungen und Organisationen der Gemeinschaften zu beachten sein ....". 670 Vgl. Lenz, NJW 1993, 3038. 671 BVerfGE 89, 155,210. 672 BVerfGE 89, 155, 209 unter Berufung auf BVerfGE 75,223, 242 f.

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G. Die Masstricht-Endscheidung des Bundesverfassungsgerichts

das Bundesverfassungsgericht hier eine praktikable „Trennlinie" zwischen zulässiger und unzulässiger Vertragsauslegung ziehen will, bleibt abzuwarten.

b) Begrenzung europäischer Normsetzung: Das Subsidiaritätsprinzip Ganz im Sinne der Intention des Bundesverfassungsgerichts, einer drohenden europäischen Allzuständigkeit durch restriktive Vertragsauslegung entgegenzuwirken, wird das Subsidiaritätsprinzips im Maastrichter Vertrag (Art. 3 b Abs. 2 EGV) ausdrücklich als taugliches Mittel zur Begrenzung europäischer Normsetzung hervorgehoben. Gleichwohl gibt das Urteil - und vermag es wohl auch nicht - keine richtungsweisenden Interpretationshilfen für die äußerst umstrittene Frage, wie die Rechtsbegriffe des Subsidiaritätsprinzip in Art. 3 b Abs. 2 EGV („... soweit die Ziele [...] auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden können.") zu deuten sind, damit es nicht zu einer politischen Leerformel herabsinkt. 6 7 3 Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich statt dessen weitgehend darauf, die Justitiabilität der Klausel durch den Europäischen Gerichtshof anzumahnen. Damit stellt es sich zum einen gegen die bislang in der Literatur dominierende Auffassung, das Prinzip sei aufgrund unvermeidbarer Wertungsfreiräume der rechtlichen Überprüfung nicht zugänglich. 6 7 4 Zudem kontrastiert das Urteil zur höchstrichterlichen Auslegung der früheren grundgesetzlichen Kompetenzverteilungsnorm Art. 72 Abs. 2 GG a.F. 6 7 5 , die in ihrer Funktion mit der Subsidiaritätsklausel des Maastrichter Vertrages durchaus vergleichbar ist. Hier konnte das Bundesverfassungsgericht noch feststellen, daß die Entscheidung des Bundes über die Wahrnehmung seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefügnis „von Natur aus nicht justitiabel und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzo673 Aus der umfangreichen Literatur ist z.B. zu nennen: Blanke, ZG 1991, 133 ff., Konow, DÖV 1993, 405 ff.; Schmidhuber/Hitzler, NVwZ 1992, 720 ff.; Stewing, DVB1. 1992, 1516 ff; weitere Fundstellen Fn. 231. 674 Vgl. Heintzen, JZ 1991, 317, 320; Möschel, NJW 1993, 3025; 3027 f.; Renzsch, ZParl 1993, 104, 111; Tomuschat, EuGRZ 1993, 489, 495; a.A. Häberle, AöR 119 (1994), S. 169, 204 f.; Lambers, EuR 1993, 229, 239 f.; Pipkorn, EuZW 1992, 697, 700. 675 Art 72 (2) Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil 1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann oder 2. die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder 3. die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus erfordert.

Π. Das Demokratiegebot

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g e n " 6 7 6 sei und daß es „höchstens prüfen könne, ob der Gesetzgeber sein Ermessen mißbraucht habe". 6 7 7 So wie die Gemeinsame Verfassungskommission mit der Neugestaltung des Art. 72 Abs. 2 GG und der Ergänzung des Art. 93 Abs. 1 um Nr. 2a GG symbolisch darauf hinweisen wollte, daß das Bundesverfassungsgericht seine Wächterfunktion über die Einhaltung der Schranke des Art. 72 Abs. 2 GG n.F. nunmehr wahrnehmen sollte, 6 7 8 so mahnt das Bundesverfassungsgericht in der Maastricht-Entscheidung die Kontrollfunktion des Europäischen Gerichtshofes in bezug auf das Subsidiaritätsprinzip a n . 6 7 9 Eine Garantie dafür, daß das Gemeinschaftsorgan das Subsidiaritätsprinzip ebenfalls für umfassend justitiabel erachtet bzw. seine Durchsetzung in der Absolutheit verwirklicht, wie es das Bundesverfassungsgericht anscheinend erwartet, gibt es gleichwohl nicht. Angesichts der gemeinschaftsfreundlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind Zweifel an einer entsprechenden Umsetzung in der künftigen Rechtspraxis durchaus berech" t i g t , 6 8 0 zumal das Bundesverfassungsgericht sich hier keine eigene „generelle" Kontrollfunktion vorbehalten kann. Die Grundlagen der Gemeinschaftsverträge sind keineswegs überschritten, wenn der Europäische Gerichtshof den Gemeinschaftsorganen einen weitreichenden Ermessensspielraum zubilligt und dieser nicht im Sinne der „kleineren Einheit" ausgeübt wird. Es handelt sich bei dem Subsidiaritätsprinzip um die Beschränkung von bestehenden formellen Kompetenzen, die die Mitgliedstaaten nach ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft grundsätzlich zur Ausübung übertragen haben. Damit können die Mitgliedstaaten auch nur im Rahmen der ihnen durch Gemeinschaftsrecht zugebilligten Möglichkeiten politisch und rechtlich gegen die gemeinschaftliche Ausfüllung konkurrierender Gesetzgebungsgegenstände vorgehen. Anknüpfungspunkt für die effektive Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips ist damit in erster Linie die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union. Mit Recht verweist das Bundesverfassungsgericht daher auf die durch Art. 23 GG neu eröffnete Möglichkeit der Einflußnahme von Bundestag und Bundesrat auf die Europapolitik der Bundesregierung. Daß sich diese der Forderung nach einem auf Subsidiarität bedachten Stimmverhalten im Europäischen Rat nicht ohne weiteres verschließen kann, gewährleistet die Struktursicherungsklausel in Art. 23 Abs. 1 GG. Als Akteur in den Organen der Gemeinschaften trifft gerade die Bundesregierung die Verfassungspflicht, darauf hinzuwirken, daß die

676

BVerfGE 2,213,224 f. BVerfGE 4, 115, 127. 678 Vgl. Kleinert (FDP), StenBer. 11. Sitzung, S. 13; Stoiber (Bayern). StenBer. 11. Sitzung, S. 14. 679 BVerfGE 89, 155, 210 f.. 680 ygi stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 110. 677

2 0 0 G . Die Masstricht-Endscheidung des Bundesverfassungsgerichts Entwicklung der Europäischen Union nicht durch Außerachtlassen des Subsidiaritätsprinzips zu einer Entleerung der Aufgaben und Befugnisse des Bundestages führt.

c) Einflußnahme auf Entstehung und Entwicklung der Währungsunion Ein weiterer Schwerpunkt des Urteils liegt - neben der Absicherung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung im Maastrichter Vertrag (s.o.) auf der Begründung der Vereinbarkeit der Währungsunion mit dem Grundgesetz. Das offenkundige Bestreben des Bundesverfassungsgerichts, die Bestimmungen des Vertrages so auszulegen, daß sich der Eintritt in die Währungsunion für die Bundesrepublik Deutschland kalkulierbar und steuerbar gestaltet, ist insbesondere unter dem Aspekt der um den Verlust der deutschen Währung kreisenden Ängste in der Bevölkerung zu verstehen. Die unter Demokratiegesichtspunkten geforderte parlamentarische Vorhersehbarkeit des schrittweisen Eintritts in eine gemeinsame europäische Währung konnte das Bundesverfassungsgericht dann auch nur im Rahmen einer restriktiven Auslegung der einschlägigen Vorschriften bejahen. Art. 119 j Abs. 4 EGV, der nach seinem Wortlaut bei Erfüllung der Konvergenzkriterien den 1. Januar 1999 als ultimativen Zeitpunkt für den Eintritt der Mitgliedstaaten in die 3. Stufe der Währungsunion vorsieht, wird von dem Bundesverfassungsgericht „nach gefestigter Gemeinschaftstradition" als Zielvorgabe zur Beschleunigung des Integrationsprozesses und weniger als rechtlich durchsetzbares Datum verstanden. 681 Die für die Verwirklichung der gemeinsamen Währung entscheidenden Konvergenzkriterien sieht das Bundesverfassungsgericht dabei im Rahmen des Vertrages als genügend abgesichert an: Sollten die vertraglich festgelegten Vorgaben in Art. 119 j Abs. 1 durch den Rat im Wege der als maßgeblich befündenen Definitionen modifiziert werden, so verlangt dies nach Art. 6 des Protokolls über die Konvergenzkriterien einen einstimmigen Ratsbeschluß. Damit ist die Mitwirkung der Bundesregierung - und im Wege der parlamentarischen Kontrolle auch des Bundestages - an der Festlegung rechtlich verbindlicher Maßstäbe sichergestellt. Die Mehrheitsentscheidungen in Art. 119 j Abs. 2, 3 und 4 EGV seien - so das Bundesverfassungsgericht - lediglich für verbleibende Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognosespielräume relevant, wobei die Bundesregierung bei ihrem Abstimmungsverhalten gemäß Art. 23 Abs. 3 GG und dem Grundsatz der Organtreue dem Votum des Bundestages Rechnung tragen muß. Die Zulässigkeit eigener parlamentarischer Bewertung

681

BVerfGE 89, 155, 210. In der Literatur wird das Datum hingegen überwiegend als „Automatismus" verstanden, der für einen politischen Beurteilungsspielraum außerhalb der rechtlich verbindlichen Konvergenzkriterien keinen Raum mehr läßt; vgl. Herdegen, EuGRZ 1992, 589, 594; Klein/Haratsch, DÖV 1993, 785, 792.

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der Vorgaben des Art. 119 j EGV im Rahmen des Zustimmungsvorbehalts des Bundestages wird in diesem Zusammenhang vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt und auf eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage (Art. 6 des Protokolls über die Konvergenzkriterien i.V.m. dem Protokoll über den Übergang zur 3. Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion „vorbereitende Arbeiten") gesetzt. Sollte sich die Bundesregierung im Rahmen ihres parlamentarisch beeinflußten politischen Beurteilungsspielraums gegenüber den anderen Mitgliedstaaten in die Minderheit gesetzt sehen, so bleibt die Berufung auf elementare Interessen, um eine Majorisierung im Rahmen des Art. 119 Abs. 3 und 4 EGV abzuwenden. 682 Im Sinne dieser höchstrichterlichen Vertragsauslegung ist es gerechtfertigt, den Schritt zu einer gemeinsamen europäischen Währung als hinreichend steuerbare Entwicklung und nicht als „Automatismus" einzustufen. Auch die Ausführungen zur Bestimmbarkeit der weiteren Entwicklung nach Einführung des gemeinsamen europäischen Zahlungsmittels (ECU) erfolgt ganz im Zeichen des vorrangigen Interesses an einer stabilen Währung. Auch hier eröffnet das Bundesverfassungsgericht einen Ausweg, sollte sich die Gemeinschaft trotz der dauerhaften Verpflichtung auf Gewährleistung der Stabilität, nicht in dem vom Vertrag vorgezeichneten Sinne entwickeln: Es bleibt „ - als ultima ratio - beim Scheitern der Stabilitätsgemeinschaft auch (eine) Lösung aus der Gemeinschaft . . . " . 6 8 3 Daß damit nicht der Austritt aus der Gemeinschaft als Ganzes sondern nur aus der Währungsunion in den Bereich des Möglichen gezogen wird, ergibt sich unmißverständlich aus dem Sachzusammenhang der Äußerung. Ohne Zweifel würde ein solcher Schritt allerdings das gesamte Konzept der Gemeinschaft in Frage stellen und insoweit die deutsche Mitgliedschaft in dem Staatenverbund nachhaltig berühren.

682 683

Vgl. Ausführungen G Π 2 c. BVerfGE, 89, 155, 204.

H. Zusammenfassung und Ausblick An kritischen Worten zu den Änderungsvorschlägen der Gemeinsamen Verfassungskommission fehlt es seit Anbeginn ihrer Tätigkeit nicht; insbesondere Art. 23 GG n.F., das Kernstück der Grundgesetzreform im Zuge der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages, ist nicht nur auf Zustimmung gestoßen. So wird dessen Einführung zum Teil als gänzlich überflüssig erachtet oder das künftige System der Mitwirkungsrechte des Bundesrates in europäischen Angelegenheiten als integrationshemmend abgelehnt. Darüber hinaus deutet sich an, daß der Wortlaut des Art. 23 GG n.F. kaum Anhaltspunkte für die Interpretation des Verfassungstextes im Sinne seiner Schöpfer bietet. So läßt sich beispielsweise die Antwort auf die Frage, wann für Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union eine einfache und wann eine qualifizierte Mehrheit notwendig ist, nicht eindeutig aus Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG n.F. entnehmen und wird bereits jetzt in der Literatur unterschiedlich interpretiert. Die Suche nach dem Hintergrund, vor dem der verfassungsändernde Gesetzgeber tätig geworden ist, bereitet aus vielerlei Gründen Schwierigkeiten; so wurden z.B. entscheidende Beratungen in den Berichterstattergesprächen der Gemeinsamen Verfassungskommission unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt und nicht in dem Maße dokumentiert, wie es wünschenswert gewesen wäre. Zudem fanden intensive Erörterungen der Materie nicht nur in der Gemeinsamen Verfassungskommission, sondern auch im Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" statt. Nachträglich durch den Bundestagsausschuß vorgenommene Änderungen an den Vorschlägen der Gemeinsamen Verfassungskommission haben zu neuen Interpretationsansätzen geführt, welche die Überlegungen der Kommissionsmitglieder zum Teil überlagert haben. Angesichts der Undurchsichtigkeit der Entscheidungsfindung im Kontext von Sachzwängen, politischen Forderungen und rechtlichen Notwendigkeiten war Ziel der vorliegenden Arbeit, die Motive der Urheber der neuen Artikel 23, 24 Abs. la, 28 und 88 GG etc. umfassend darzulegen und den Konsens zwischen den Lagern von Bundestag und Bundesrat transparent aufzuzeigen. Sie sollte damit einen Beitrag zur künftigen historischen und genetischen Interpretation des Verfassungstextes leisten.

H. Zusammenfassung und Ausblick

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Die wichtigsten Motive der Grundgesetzänderungen im Zusammenhang mit der Gründung der Europäischen Union lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen:

Art. 23 GG Die Einführung einer speziellen Ermächtigungsgrundlage für Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union war das Ergebnis sowohl politischer als auch rechtlicher Überlegungen. Die Zweifel der Kommissionsmitglieder an der Tragfähigkeit des Art. 24 Abs. 1 GG („zwischenstaatliche Einrichtung") konnten angesichts der mit Maastricht erreichten Integrationsdichte und des damit verbundenen qualitätsverändernden Entwicklungssprungs nicht aus dem Weg geräumt werden. Die Entscheidung, eine europaspezifische Ermächtigungsgrundlage für Hoheitsrechtsübertragungen zu schaffen, wurde zudem durch politische Erwägungen unterstützt. Der Bund mußte der nachhaltigen Forderung der Bundesländer nach verstärkter Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten nachgeben, um die Billigung des Zustimmungsgesetzes zum Maastrichter Vertrag durch den Bundesrat nicht zu gefährden. Die Einführung des Art. 23 GG ermöglichte dabei die konsensfahige Lösung, die Beteiligung der Länder auf das Feld der Europäischen Gemeinschaften zu beschränken und zwischenstaatliche Einrichtungen, wie z.B. Verteidigungsbündnisse, im Rahmen des Art. 24 Abs. 1 GG weiterhin in der alleinigen Verantwortung der Bundesregierung zu belassen.

Art. 23 Abs. 1 Satz 11. Hs. GG Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, (...). Als Ausdruck der Integrationsoffenheit beginnt Art. 23 GG mit dem Verfassungsauftrag zur Mitwirkung an einem „vereinten Europa", ohne dabei zugleich die Schaffung eines europäischen Bundesstaates verbindlich vorschreiben zu wollen.

Art. 23 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. GG (...) die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission entschieden sich darüber hinaus für die Aufnahme einer Struktursicherungsklausel in den Verfassungstext, um die vom Grundgesetz an die europäische Integration gestellten Anforderungen sichtbar werden zu lassen: die Weiterentwicklung demo-

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H. Zusammenfassung und Ausblick

kratischer, rechtsstaatlicher und sozialer Strukturen; die Beibehaltung des bereits bestehenden vergleichbaren Grundrechtsschutzes; die Bewahrung eigener und die Respektierung föderaler Strukturen von Mitgliedstaaten; die Förderung einer dezentralen Aufgabenverteilung im Sinne des Subsidiaritätsprinzips. Die Funktion der Klausel wurde dabei in der Gemeinsamen Verfassungskommission insbesondere in der Begrenzung der Zustimmungsfähigkeit des Integrationsgesetzgebers zu Hoheitsrechtsübertragungen gesehen. Die Schranke soll dann greifen, wenn sich die Europäische Union nicht im Sinne der genannten Prinzipien weiterentwickelt, wobei jedoch - entsprechend dem nachdrücklichen Hinweis der Sachverständigen - allenfalls ein Mindestmaß an Homogenität verlangt werden kann.

Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Der Bundesrat konnte sich mit der Forderung durchsetzen, daß künftig jede Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union unter den Vorbehalt seiner Zustimmung gestellt wird. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG trägt der starken Betroffenheit der Länder Rechnung, die bei jeder Hoheitsrechtsübertragung entweder ihre Gesetzgebungskompetenz oder ihre Mitwirkungsmöglichkeit durch den Bundesrat verlieren.

Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Art. 79 Abs. 2 und 3. Besondere Probleme bereitete die Frage des Mehrheitserfordernisses bei Hoheitsrechtsübertragungen. Der anfanglich in der Gemeinsamen Verfassungskommission erörterter Vorschlag, Eingriffe in „wesentliche Strukturen des Grundgesetzes" im Sinne des Bundesverfassungsgerichtes (Solange-I und II-Beschluß) an eine qualifizierte Mehrheit in Bundestag und Bundesrat zu binden, wurde wegen terminologischer Unbestimmtheit verworfen. Statt dessen konnte sich die Alternative, nicht nur für die Begründung der Europäischen Union, sondern auch für jede Änderung ihrer vertraglichen Grundlagen eine Zweidrittelmehrheit zu verlangen, in der Gemeinsamen Verfassungskommission durchsetzen. Getragen von der Erkenntnis, daß aufgrund des erreichten Integrationsstandes jede weitere Hoheitsrechtsübertragung zwangsläufig wesentliche Strukturen des Grundgesetzes berühren wird, gingen die

H. Zusammenfassung und Ausblick

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Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission davon aus, daß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG für alle künftigen Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union einschlägig sein würde. Erst im Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" stellte sich die Frage nach der Behandlung von Evolutionsklauseln, bei denen ohne förmliche Änderung des Unionsvertrages neue Hoheitsrechtsübertragungen erforderlich werden können. Hier ohne weiteres einen Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG zu sehen, stieß aufgrund der möglichen Eingriffe in wesentlichen Strukturen des Grundgesetzes auf Ablehnung. Mit der Ergänzung des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG um den Passus „vergleichbare Regelungen" soll nunmehr im Rahmen von Einzelfallprüfüngen geklärt werden, ob die Hoheitsrechtsübertragung auf Basis von Evolutionsklauseln einer Vertragsänderung gleichkommt. Nur wenn dies nicht der Fall ist, reicht eine einfache Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften i.S.d. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG aus.

Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Art. 79 Abs. 2 und 3. Während Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG zum Ausdruck bringen soll, daß Hoheitsrechtsübertragungen künftig auf dem Grundkonsens der gesetzgebenden Körperschaften ruhen müssen, wird im Gegenzug das formelle Verfahren der Hoheitsrechtsübertragung durch Ausklammerung des Textänderungsgebotes nach Art. 79 Abs. 1 GG erleichtert. Die absolute Schranke des bundesdeutschen Integrationsgesetzgebers, die Art. 23 Abs. 1 GG erstmals ausdrücklich aufzeigt, bilden auch weiterhin die unabänderlichen Prinzipien des Grundgesetzes gem. Art. 79 Abs. 3 GG, die nicht im Wege von Hoheitsrechtsübertragungen angetastet werden dürfen.

Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Mit der Aufnahme von Unterrichtungspflichten der Bundesregierung gegenüber Bundesrat und Bundestag in europäischen Angelegenheiten wurde eine bisher einfachgesetzliche Regelung verfassungsrechtlich normiert. Dies war in der Gemeinsamen Verfassungskommission unumstritten, da die künftigen Stellungnahmen der Bundesorgane ohne notwendige Informationsgrundlage ansonsten schnell zur Farce würden. Das Recht des Bundestages auf Informationen erstreckt sich dabei auf alle europäischen Vorhaben, die für die

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H. Zusammenfassung und Ausblick

Bundesrepublik Deutschland von Interesse sein können, während der Bundesrat nur in den Angelegenheiten unterrichtet werden muß, die für die Bundesländer von Bedeutung sind.

Art· 23 Abs. 3 GG Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahme des Bundestages bei den Verhandlungen. Näheres regelt ein Gesetz. Um den integrationsbedingten Verlust legislativer Kompetenzen abzugleichen und um das Demokratiedefizit auf europäischer Ebene zu kompensieren, wurde auf Drängen der Bundestagsvertreter das Recht des Bundestages auf Stellungnahme zu europäischen Angelegenheiten deklaratorisch festgeschrieben. Der Bundesregierung obliegt nunmehr eine rechtliche Befassungs-, Begründungs- und Sorgfaltspflicht, allerdings keine Übernahmepflicht. Im Bereich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes bleibt damit die Bundesregierung in ihrer Entscheidungsfreiheit unbeeinträchtigt, da sowohl Bundestag als auch Bundesrat lediglich Stellungnahmen abgeben können, denen keine rechtliche Bindungswirkung zukommen.

Art 23 Abs. 4 und 5 GG (4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären. (5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeit des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihr Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmenminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich. Bei der Diskussion um die Mitwirkungsrechte des Bundesrates in europäischen Angelegenheiten stand das Argument der Ländervertreter im Vordergrund, daß Europapolitik keine Außenpolitik im klassischen Sinne mehr sei, sondern ein Zwischending zwischen Außen- und Innenpolitik darstelle. Der Bundesrat konnte schließlich seine Forderung durchsetzten, die für die Innenpolitik geltende Kompetenzverteilung auch zum Maßstab für die Zuständigkeit

H. Zusammenfassung und Ausblick

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im Rahmen der Europapolitik zu machen. M i t Art. 23 Abs. 5 GG entschieden sich die Kommissionsmitglieder für ein System differenzierter Beteiligungsformen: In den Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebungsbefügnis der Länder und ihrer exekutivischen Zuständigkeiten soll der Bundesrat gegenüber der Bundesregierung Stellungnahmen zu europäischen Fragen mit verbindlicher Wirkung abgeben können („maßgeblich zu berücksichtigen"). Da eine bruchlose Projektion der innerstaatlichen Kompetenzordnung auf die Regelungsbereiche der Europäischen Gemeinschaften nicht möglich ist, führte die Gemeinsame Verfassungskommission ein Novum in das Grundgesetz ein, nämlich das Kriterium der schwerpunktmäßigen Betroffenheit der Länderkompetenzen durch das europäische Vorhaben. Nur in diesen Fällen und nur in bezug auf den dort tangierten Bereich steht dem Bundesrat ein Letztentscheidungsrecht zu. Um dem Vorwurf einer eigenen „Nebenaußenpolitik" zu entgehen, respektierten die Länder im Gegenzug die Letztverantwortung des Bundes in den Bereichen der Außen-, Sicherheits- und Integrationspolitik („gesamtstaatliche Verantwortung") und - entsprechend des Rechtsgedankens in Art. 113 GG - auch im Bereich des Haushaltes („Ausgabenerhöhung oder Einnahmeverminderung für den Bund"). In den Gesetzgebungsgebieten des Bundes bleibt die Stellungnahme des Bundesrates immer unverbindlich. Das bloße „Berücksichtigen" erstreckt sich dabei ebenfalls auf die Materien der konkurrierenden und Rahmengesetzgebung, auch wenn der Bund hier nicht gesetzgeberisch tätig geworden ist, er die Gesetzgebungsbefügnis der Länder jedoch aufgrund eines entsprechenden Bedürfnisses - oder Erfordernisses i.S.d. Art. 72 Abs. 2 GG (neu) ohne weiteres durch eigene Regelungen beenden könnte.

Art. 23 Abs. 6 GG Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, soll die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen werden. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. Das Recht auf Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten in der Europäischen Union durch Vertreter des Bundesrates konnten die Ländervertreter nur im Rahmen ihrer - schwerpunktmäßig betroffenen - ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit durchsetzen. Im Gegensatz zu ihrem Stellungnahmerecht besteht bei der Außenvertretung allerdings die Möglichkeit, für das gesamte europäische Vorhaben in Abstimmung mit der Bundesregierung tätig zu werden. Um diesen Einschnitt in die Außenvertretungskompetenz der Bundesregierung kompromißfahig zu gestalten, entschieden sich die Mitglieder der

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H. Zusammenfassung und Ausblick

Gemeinsamen Verfassungskommission für eine „Soll"-Regelung, d.h. für eine einzelfallbezogene Übertragung der Außenvertretung, die Ausnahmen zuläßt.

Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. Aufgrund der Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger durch den Maastrichter Vertrag erfolgte die verfassungsrechtlich notwendige Änderung des Art. 28 Abs. 1 GG. Damit verständigten sich die Kommissionsmitglieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Nicht durchsetzen konnte sich die Forderung der SPD nach Einführung eines Kommunalwahlrechts für alle in Deutschland lebenden Ausländer. Ebenfalls unberücksichtigt blieb die Sonderrolle der Stadt Bremen, wo die kommunale Vertretungskörperschaft zugleich das Landesparlament bildet. Da es auch weiterhin Unionsbürgern grundgesetzlich verwehrt bleibt, an Landtagswahlen teilzunehmen, werden diese nicht an den Kommunalwahlen in der Stadt Bremen teilnehmen können.

Art. 88 GG „Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet." Als Eingriff in eine wesentliche staatsorganisatorische Struktur des Grundgesetzes mußte die Einführung des Systems der Europäischen Zentralbanken durch die Änderung des Art. 88 GG abgesichert werden. Um Ängste der Bevölkerung vor der europäischen Währungsunion abzubauen, wurde die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Zentralbank an das Kriterium ihrer Unabhängigkeit und ihrer Bindung an das Ziel der Preisstabilität gekoppelt.

Art. 24 Abs. 1 a GG „Soweit die Länder für die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung Hoheitsrechte auf grenznachbarliche Einrichtungen übertragen." Dem praktischen Bedürfnis nach grenzüberschreitender Sachgesetzlichkeit Rechnung tragend, erhoben die Vertreter des Bundes keine Bedenken gegen

H. Zusammenfassung und Ausblick

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die Forderung des Bundesrates, durch die Einfügung des Art. 24 Abs. 1 a GG den Ländern Hoheitsrechtsübertragungen zu ermöglichen, soweit dadurch lediglich grenznachbarliche und keine zwischenstaatlichen Einrichtungen begünstigt werden. Ob die von der Gemeinsamen Verfassungskommission vorgeschlagenen und von den gesetzgebenden Körperschaften am 2./18. Dezember 1992 beschlossenen Verfassungsänderungen - insbesondere Art. 23 GG - geeignet sind, die weitere europäische Integration zu steuern, ohne sie zu behindern, wird die Praxis zeigen. Der Gedanke der Verfassungskommission, Hoheitsrechtsübertragungen nunmehr von einem Grundkonsens in den gesetzgebenden Körperschaften abhängig zu machen und deren Ausübung ihrem Einfluß zu unterwerfen, ist trotz der damit zwangsläufig verbundenen Erschwernisse der verfassungsrechtlich gebotene Weg. Dies macht auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Maastricher Vertrag deutlich, wenn es darauf verweist, daß künftig Bundestag und Bundesrat durch Art. 23 GG auf die weitere Entwicklung der Europäischen Union - z.B. im Sinne des Subsidiaritätsprinzips - Einfluß nehmen können und sollen. Zukunftsweisend für die Handhabung des Art. 23 GG sind auch die Äußerungen des Gerichts zum Demokratieprinzip in den Gemeinschaften und der Bundesrepublik Deutschland. M i t der Begründung, es fehle noch an vorrechtlichen Funktionsbedingungen einer parlamentarischen Demokratie in der Union, wendet sich das Bundesverfassungsgericht gegen ein schnelles Hineinwachsen des Europaparlamentes in die Rolle der nationalen Parlamente. Zugleich verwirft das Gericht Überlegungen, ein Plus an europäischer Demokratie könne Einbrüche in die durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Aufgaben und Befugnisse des Bundestages kompensieren. Damit setzt es sowohl den künftigen Hoheitsrechtsübertragungen (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG) als auch dem Hinwirken auf demokratische Strukturen in der Gemeinschaft (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) Grenzen. Übertragen auf die neuen Mitwirkungsrechte des Bundesrates in europäischen Angelegenheiten bedeutet dies, daß im Rahmen der fortschreitenden europäischen Integration Art. 23 Abs. 5 GG in verfassungsrechtlich gebotener Weise Einbrüche in das Bundesstaatsprinzip verhindert. Lediglich in bezug auf die Eigenstaatlichkeit der Bundesländer verlangt Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG, daß ein Mindestmaß an originärer Ländergesetzgebungsbefügnis erhalten bleiben muß. Deren Verlust kann letztlich nicht durch Mitwirkungsrechte des Bundesrates kompensiert werden. Überwacht werden die durch Art. 23 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen des Integrationsgesetzgebers und der Gemeinschaftsgewalt in erhöhtem Maße auch dies unterstreicht das Maastricht-Urteil - durch das Bundesverfassungsgericht. So bekräftigt es, daß ihm auch weiterhin die letztinstanzliche Kontrolle in bezug auf die Gewährleistung eines generellen Grundrechtsschutzes

14 Schmalenbach

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H. Zusammenfassung und Ausblick

und der Einhaltung des übertragenen Kompetenzrahmens durch die Gemeinschaften obliegt. Bereits deswegen werden sich die bundesdeutschen Verfassungsorgane nicht nur bei jeder weiteren Hoheitsrechtsübertragung, sondern auch bei ihrer Mitwirkung an der Ausübung europäischer Kompetenzen verstärkt die Frage stellen müssen, ob die durch Art. 23 Abs. 1 GG gezogenen vielfaltigen Integrationsschranken (Struktursicherung, Ewigkeitsprinzipien, Kompetenzrahmen) verletzt sind. Wird darüber hinaus das Staatsziel „vereintes Europa" durch Art. 23 GG der verstärkten Einflußnahme der gesetzgebenden Körperschaften unterworfen, so läßt sich feststellen, daß das Grundgesetz ohne Zweifel einen „Integrationshebel" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG verloren hat. Angesichts der bereits erreichten Quantität und Qualität der europäischen Integration ist dies jedoch nicht nur hinnehmbar, sondern muß vielmehr - ganz im Sinne der Gemeinsamen Verfassungskommission - als verfassungsrechtliche Notwendigkeit angesehen werden.

Anhang I. Chronik: Daten zur Vorgeschichte des Europaartikels 23 GG 18. April 1951

Gründung der Europäischen Gemeinschaft fur Kohle und Stahl

25. März 1957

Unterzeichnung der Verträge zur Gründimg der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft in Rom

14. November 1957

Lindauer Abkommen: Bund-Länder-Abkommen über die Abschlußkompetenz bei völkerrechtlichen Verträgen

10./12. Juni 1963 bis 1968

Kramer-Heubl-Kommission: Bund-Länder-Absprache über die Teilnahme von Persönlichkeiten aus dem Länderbereich in den Gremien der EG

22. Februar 1973

Einsetzung der Enquete-Kommission Verfassungsreform durch den Deutschen Bundestag mit dem Auftrag, das Erfordernis einer Grundgesetzreform zu prüfen

9. Dezember 1976

Schlußbericht der Enquete-Kommission

30. November 1984

Empfehlungen der sog. Martin-Kommission, einer interfraktionellen Arbeitsgruppe mit dem Thema:"Kompetenzen der Landtage"

17./28. Februar 1986

Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte durch die zwölf Mitgliedstaaten der EG

13. Juni 1990 (bzw. 16. Mai 1991)

Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 24 GG)

14*

212

Anhang

3. Juli 1990

Beschluß der Regierung der DDR, zur Vorbereitung einer Beitrittserklärung nach Art. 23 Satz 2 GG a.F. mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland in Verhandlungen zu treten (Einigungsvertrag)

5. Juli 1990

Eckpunkte der Bundesländer fur den Föderalismus im vereinten Deutschland (Beschluß)

29. September 1990

Inkrafttreten des Einigungsvertrages; Empfehlungen an die gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich mit der Änderung des GG zu befassen (Art. 5 EinigungsV)

3. Oktober 1990

Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 Satz 2 GG a.F.

29. April 1991

Einsetzung der Kommission Verfassungsreform durch den Bundesrat mit dem Auftrag über die Themen „Stärkung des Föderalismus in Europa" und weitere Grundgesetzänderungen zu beratschlagen

24. September 1991

Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landtage u.a. mit dem Thema: „Stärkung der Länder in Europa"

28./29. November 1991

Einsetzungsbeschluß der Gemeinsamen Verfassungskommission durch BTag und BRat

7. Februar 1992

Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Union (sog. Maastrichter Vertrag) durch die zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften

12. März 1992

Ministerpräsidentenkonferenz in Bonn: Ergebnisse der Regierungskonferenzen zur Politischen Union und zur Wirtschafts- und Währungsunion

16. Januar 1992

Beginn der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, eingesetzt durch Beschluß des Deutschen Bundestages und des Deutschen Bundesrates vom 28729.11.1991

13. Februar 1992

2. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa"

I. Chronik: Daten zur Vorgeschichte des Europaartikels 23 GG

213

12. März 1992

3. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa"

14. März 1992

Schlußbericht der Kommission Verfassungsreform

7. Mai 1992

5. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission; Anhörung der Präsidentinnen und Präsidenten der Deutschen Länderparlamente

22. Mai 1992

I. Öffentliche Anhörung in der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa"

4. Juni 1992

7. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa"

26. Juni 1992

8. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa" und erste Beschlußfassung

10. Oktober 1992

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 23 GG n.F. etc.)

15. Oktober 1992

I I . Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa" und zweite Beschlußfassung

29. Oktober 1992

Überweisung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 23 GG n.F. etc.) an den Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)" durch den Bundestag

1. Dezember 1992

Schlußbericht des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)"

2. Dezember 1992

Der Deutsche Bundestag beschließt in dritter Lesung über 1.) das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Union und 2.) über das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 23 GGn.F etc.)

18. Dezember 1992

Der Bundesrat stimmt 1.) dem Gesetz zum Vertrag über die Europäische Union und 2.) dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 23 GGn.F etc.)zu

214

Anhang

21. Dezember 1992

Verkündung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 23 GG n.F. etc.)

12. März 1993

Verkündung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesrat und des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in europäischen Angelegenheiten

12. Oktober 1993

Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des bundesdeutschen Zustimmungsgesetzes zum Maastrichter Vertrag

28. Oktober 1993

26. Sitzung Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission: Billigung des Abschlußberichtes

1. November 1993

Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages

II. Gemeinsame Verfassungskommission - Einsetzungsbeschluß Die Gemeinsame Verfassungskommission ist durch übereinstimmende Beschlüsse des Bundestages vom 28. November 1991 und des Bundesrates vom 29. November 1991 eingesetzt worden:

1. Einsetzung der Gemeinsamen Verfassungskommission Deutscher Bundestag und Bundesrat setzen eine Gemeinsame Verfassungskommission ein, in die sie je 32 ihrer Mitglieder sowie 32 Stellvertreter entsenden.

2. Bestimmung der Mitglieder

des Bundestages

Die der Gemeinsamen Verfassungskommission angehörenden Abgeordneten und ihre Stellvertreter werden vom Deutschen Bundestag durch Beschluß bestimmt. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt 15, die Fraktion der SPD 11, die Fraktion der FDP 4 Mitglieder und Stellvertreter, die Gruppe der PDS/Linke Liste und die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen je ein Mitglied und eine Stellvertreter vor.

3. Bestimmung der Mitglieder

des Bundesrates

Jede Landesregierung bestimmt aus ihren Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Bundesrates zwei zu Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission. Sie bestimmt darüber hinaus zwei Mitglieder oder stellvertretende Mitglieder des

Π. Gemeinsame Verfassungskommission - Einsetzungsbeschluß

215

Bundesrates oder die Bevollmächtigte bzw. den Bevollmächtigten beim Bund zum Stellvertreter.

4. Stellvertretung

in den Sitzungen

Die Stellvertreter dürfen an den Sitzungen nur teilnehmen, soweit eine Vertretung notwendig ist.

5. Aufgaben der Gemeinsamen Verfassungskommission Die Kommission berät über die Verfassungsänderungen und -ergänzungen, die den gesetzgebenden Körperschaften vorgeschlagen werden sollen. Sie soll sich insbesondere mit den in Artikel 5 des Einigungsvertrages genannten Grundgesetzänderungen befassen sowie mit Änderungen, die mit der Verwirklichung der Europäischen Union erforderlich werden.

6. Vorsitz Die Kommission wählt je ein Mitglied des Bundestages und des Bundesrates, die den Vorsitz gemeinsam ausüben. Das Nähere regelt die Kommission.

7. Wechsel der Mitglieder

und Stellvertreter

Die Mitglieder und ihre Stellvertreter können abberufen werden.

8. Bundesregierung Die Mitglieder der Bundesregierung haben das Recht und auf Beschluß der Kommission die Pflicht, an den Sitzungen teilzunehmen.

9. Teilnahme anderer Personen Anderen Personen kann die Teilnahme an den Sitzungen nur durch Beschluß der Kommission gestattet werden.

216

Anhang 10. Verfahren

Für das Verfahren gilt die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Die Kommission entscheidet mit Zweidrittelmehrheit.

77. Bericht Der Bericht der Kommission soll bis zum 31. März 1993 vorgelegt werden. Der Bericht ist Grundlage für Initiativen zur Änderung des Grundgesetzes aus der Mitte des Deutschen Bundestages, durch die Bundesregierung oder durch den Bundesrat.

III. Mitglieder und stellvertretende Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission Stand: 4. März 1993 Gleichberechtigte Vorsitzende: Abg. Prof. Dr. Rupert Scholz Präsident des Senats, Erster Bürgermeister Dr. Henning Voscherau A. Deutscher Bundestag Fraktion/ Mitglieder Gruppe Abgeordnete CDU/CSU (15) Eylmann, Horst Dr. Friedrich, Gerhard Geis, Norbert Dr. Geißler, Heiner Dr. Jahn (Münster), FriedrichAdolf Klein (Bremen), Günter Dr. Meseke, Hedda Dr. Möller, Franz Rahardt-Vahldieck, Susanne Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Dr. Scholz, Rupert Spilker, Karl-Heinz Steinbach-Hermann, Erika Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang

Stellvertreter Abgeordnete Baumeister, Brigitte Belle, Meinrad Dr. Blank, Joseph-Theodor Dr. Blens, Heribert Dr. Hellwig, Renate Hörster, Joachim Lamers, Karl Marschewski, Erwin Dr. Olderog, Rolf Dr. Paziorek, Peter Dr. Pfennig, Gero Pofalla, Ronald Scheu, Gerhard Graf v. Schönburg-Glauchau, Joachim Dr. Wittmann, Fritz

ΠΙ. Mitglieder und stellvertretende Mitglieder der GVK Fraktion/ Gruppe SPD (11)

Mitglieder Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin, Herta Dr. Eimer, Konrad Fuchs (Köln), Anke Mascher, Ulrike Dr. Penner, Willfried Rappe (Hildesheim), Hermann Dr. Schmude, Jürgen Thierse, Wolfgang Verheugen, Günter Dr. Vogel, Hans-Jochen Dr. Wegner, Konstanze

Stellvertreter Abgeordnete Bachmaier Hermann Barbe, Angelika Hanewinckel, Christel Marx, Dorle Meckel, Markus Dr. Niehuis, Edith Odendahl, Doris Schily, Otto Dr. Soell, Hartmut Dr. Struck, Peter Dr. de With, Hans

FDP (4)

Dr. Hirsch, Burkhard Irmer, Ulrich Kleinert (Hannover), Detlef Otto (Frankfurt), Hans Joachim

Baum, Gerhart Rudolf Gattermann, Hans H. Dr. Menzel, Bruno Dr. Solms, Hermann Otto

PDS/LL

Dr. Heuer, Uwe-Jens

BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

Dr. Ulimann, Wolfgang

217

-

Poppe, Gerd

B. Bundes rat Land BadenWürttemberg

Mitglieder Ministerpräsident Teufel, Erwin, CDU Minister Dr. Spöri, Dieter, SPD

Stellvertreter Minister Dr. Schäuble, Thomas, CDU Minister Birzele, Frieder, SPD

Bayern

Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner, M., CSU Staatsminister Dr. Stoiber, Edmund, CSU

Staatsminister Dr. Goppel, T., CSU

Reg. Bürgermeister Diepgen, Eberhard, CDU Senatorin Prof. Dr. Limbach, Jutta, SPD

Senator Prof. Dr. Heckelmann, Dieter parteilos Bürgermeisterin und Senatorin Dr. Bergmann, Chr., SPD

Mini sterpräsident Dr. Stolpe, Manfred SPD

Minister Dr. Bräutigam, H., parteilos

Berlin

Brandenburg

Staatssekretär Dr. Wilhelm, P, CSU

218

Anhang

Land Brandenburg

Mitglieder Minister Resch, Roland, BÜNDNIS 90

Stellvertreter Minister Hirche, Walter, FDP

Bremen

Präsident des Senats Bürgermeister Wedemeier, Klaus, SPD

Senatorin Uhi, Sabine, SPD

Bremen

Senator Dr. Scherf, Henning, SPD

Senator

Hamburg

Präsident des Senats Erster Bürgermeister Dr. Voscherau, Henning, SPD Senatorin Dr. Peschel-Gutzeit, Lore Maria, SPD

Hessen

Staatsministerin Dr. Hohmann-Dennhardt, Christine, SPD Staatsminister Fischer, Joseph, DIE GRÜNEN

Mecklenburg-

Fücks, Ralf, Die GRÜNEN Senator Curilla, Wolfgang, SPD Zweiter Bürgermeister Senator Prof. Dr. Krupp, HansJürgen, SPD Staatsminister Dr. Günther, Herbert, SPD Staatssekretärin Riedel, Ulrike, DIE GRÜNEN

Ministerpräsident Seite, Berndt, CDU Justizminister Helmrich, Herbert, CDU

Minister Dr. Gollert, Klaus, FDP NN

Niedersachsen

Ministerpräsident Schröder, Gerhard, SPD Ministerin Alm-Merk, Heidrun, SPD

Minister Trittin, J., DIE GRÜNEN Ministerin Schoppe, Waltraud, DIE GRÜNEN

NordrheinWestfalen

Ministerpräsident Dr. h.c. Rau, Johannes, SPD Minister Dr. Schnoor, Herbert, SPD

RheinlandPfalz

Mini sterpräsident Scharping, Rudolf, SPD Staatsminister Caesar, Peter, FDP

Minister Dr. Krumsiek, Rolf, SPD Staatssekretärin Dörrhöfer-Tucholski, Heide, SPD Staatsminister Brüderle, R., FDP Staatsminister Gerster, F., SPD

Saarland

Ministerpräsident Lafontaine, Oskar, SPD

Staatssekretär Weber, Hanspeter, SPD

Vorpommern

IV. Sachverständige Land Saarland

Mitglieder Minister Dr. Walter, Arno, SPD

Stellvertreter Minister Kopp, Reinhold, SPD

Sachsen

Ministerpräsident Staatsminister Prof. Dr. Biedenkopf, Kurt CDU Vaatz, Arnold, CDU Staatssekretär Staatsminister Dr. Ermisch, G., CDU Heitmann, Steffen, CDU

Sachsen-Anhalt Minister Remmers, Walter, CDU Minister Kaesler, Hans-Jürgen, FDP

Minister Perschau, Hartmut, CDU Minister Schreiber, Werner, CDU

SchleswigHolstein

Ministerpräsident Engholm, Björn, SPD Minister Prof. Dr. Bull, Hans-Peter SPD

Ministerin Böhrk, Gisela, SPD Minister Dr. Klingner, Klaus, SPD

Thüringen

Ministerpräsident Dr. Vogel, Bernhard, CDU Minister Dr. Jentsch, Hans-Joachim, CDU

Minister Sieckmann, Hartmut, FDP Minister Schuster, Franz, CDU

IV. Sachverständige für die Anhörung zum Thema Grundgesetz und Europa am 22. Mai 1992 in Berlin für die CDU/CSU Prof. Dr. Peter Lerche (Universität München) Prof. Dr. Albrecht Randelzhofer (FU Berlin) Prof. Dr. Josef Isensee (Universität Bonn)

für die SPD Prof. Dr. Roland Bieber Prof. Dr. Fritz W. Scharpf (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung) Prof. Dr. Christian Tomuschat (Universität Bonn)

für die FDP Prof. Dr. Klaus Stern (Universität Köln)

219

Anhang

220 für Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Prof. Dr. Rainer Lepsius (Universität Heidelberg)

für die PDS/LINKE LISTE Prof. Dr. Bernd Hölzer

V. Berichterstatter der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Grundgesetz und Europa" für den Bundestag Dr. Franz Möller; Mitglied des Bundestages (CDU/CSU) Günter Verheugen; Mitglied des Bundestages (SPD) Detlef Kleinert; Mitglied des Bundestages (FDP) Prof. Dr. Ullmann, Wolfgang; Mitglied des Bundestages (Bündnis 90/Die Grünen) Dr. Uwe-Jens Heuser; Mitglied des Bundestages (PDS)

für den Bundesrat Dr. Edmund Stoiber, Staatsminister des Landes Bayern (CSU) Dr. Paul Wilhelm, Staatssekretär des Landes Baysern (CSU) Dr. Herbert Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen (SPD) Kaeslern , Hans-Jürgen, Minister des Landes Sachsen-Anhalt (FDP)

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Dokumente der Gemeinsamen Verfassungskommission I. Stenographische Berichte und Stellungnahmen Berghof er- Weichner, M.: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 2. Sitzung vom 13. Februar 1992, S. 5 f. Berichterstatter der GVK: Berichterstattergespräch zu Art. 23/24a GG am 10. Juni 1992, - Ergebnisprotokoll - (unveröffentlicht). - Einführung eines „ E u r o p a - A r t i k e l s " i m Grundgesetz; Besprechung der Berichterstatter der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat am 17. Juni 1992, (unveröffentlicht). - Protokoll des Berichterstattergesprächs zum Thema „Grundgesetz und Europa" am 24. Sept. 1992 in der Bayerischen Landesvertretung, (unveröffentlicht). - Ergebnisvermerk über das Berichterstatter-Gespräch zu 1992, (unveröffentlicht).

„Europa"

V om

9. Oktober

Bieber, Roland: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 3 ff., 44 f. Bundesregierung: Vermerk zum Vorschlag des BMI und BMWi von 22. Oktober 1992, Entwurf eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, (unveröffentlicht). Däubler-Gmelin, Herta: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 23. Deutscher Städtetag: Forderung des Deutschen Städtetages zur Änderung des Grundgesetzes vom 13. Juli 1992, (unveröffentlicht). Elmer, Konrad: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 28. Fischer, Joseph: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 11. Friebe, Ingeborg: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 5. Sitzung vom 7. Mai 1992, S. 5. Fuchs, Anke: Gemeinsamen Verfassungskommission, StenBer., 3.Sitzung vom 12. März 1992, S.ll. - StenBer., 5. Sitzung vom 7. Mai 1992, S. 19. Geißler, Heiner: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 18.

I. Stenographische Berichte und Stellungnahmen

231

Gerster, F.: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 7. Sitzung vom 4. Juni 1992, S. 13 f. Heitmann, Steffen: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 16. Hohmann-Dennhardt, Christine: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 4. Sitzung vom 2. April 1992, S. 6. Isensee, Josef: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 9 f., 40 ff, 49. Jahn, Friedrich-Adolf: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 28. - Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 5. Sitzung vom 7. Mai 1992, S. 11. Kaesler, Hans-Jürgen: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 2. Sitzung vom 13. Februar 1992, S. 34. Klein, Günter: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 16,27. Kleinert, Detlef: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 13. Krumsiek, Rolf: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 27 f. Lepsius, Rainer: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 11. Lerche, Peter: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 12, 37. Möller, Franz: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 2. Sitzung vom 13. Februar 1992, S. 29. - StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 6 f. - StenBer., 7. Sitzung vom 4. Juni 1992, S. 2 f. - StenBer., 8. Sitzung vom 26. Juni 1992, S. 4 f. - StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 2,29 f. Neusei, Hans: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 3 ff. - StenBer., 7. Sitzung vom 4. Juni 1992, S. 12. - Stellungnahme der Bundesregierung zum Vorschlag zur Änderung des Art. 32 GG in dem von der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates am 14. Mai 1992 beschlossenen Bericht (BR-Dr 360/92), (unveröffentlicht). Penner, Willfried: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 4. Sitzung vom 2. April 1992, S. 2. Peschel-Gutzeit, Lore Maria: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 19 f. - StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 31.

o m

der Gemeinsamen Verfassungskommission

Randelzhofer, Albrecht: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 14 f., 36, 51. Scharpf Fritz W.: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 16 f., 34. Schnoor, Herbert: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 2. Sitzung vom 13. Februar 1992, S. 37 f. - StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 14. - StenBer., 7. Sitzung vom 4. Juni 1992, S. 5 f. - StenBer., 8. Sitzung vom 26. Juni 1992, S. 6 ff. Scholz, Rupert: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 2. - Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 21. Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)": Protokoll der 6. Sitzung des Sonderausschusses „europäische Union (Vertrag von Maastricht)" vom 11. November 1992, (unveröffentlicht). - Protokoll der 7. Sitzung des Sonderausschusses „ E u r o p ä i s c h e Union (Vertrag von Maastricht)" vom 12. November 1992, (unveröffentlicht). Starzacher, Karl: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 5. Sitzung vom 7. Mai 1992, S. 14. Stern, Klaus: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 19 ff., 33, 53. Stoiber, Edmund: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 8 f., 26 f. - StenBer., 7. Sitzung vom 7. Juni 1992, S. 10. - StenBer., 8. Sitzung vom 26. Juni 1992, S. 13 ff. - StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 6 f., 14. Teufel, Erwin: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 4. Juni 1992, S.7. Tomuschat, Christian: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 22, 31, 52. Verheugen, Günter: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 2. Sitzung vom 13. Februar 1992, S. 30 f. - StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 13. - StenBer., 5. Sitzung vom 7. Mai 1992, S. 16 f. - StenBer., 7. Sitzung vom 4. Juni 1992, S. 7 ff. - StenBer., 8. Sitzung vom 26. Juni 1992, S. 9 ff. - StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 3 f. - StenBer., 23. Sitzung vom 27. Mai 1993, S. 3.

Π. Arbeitsunterlagen der Gemeinsamen Verfassungskommission

233

- Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 23. Vogel, Hans-Jochen: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa", S. 29. - Antrag zur Ergänzung des Art. 23 Abs. 2 und Absatz 3 GG „Grundgesetz und Europa". Voscherau, Henning: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 5. - StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 8. Waffenschmidt, Horst: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 11. Sitzung vom 15. Oktober 1992, S. 8, 31 ff. Wedemeier, Klaus: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 3. Sitzung vom 12. März 1992, S. 29. Wilhelm, Paul: Gemeinsame Verfassungskommission, StenBer., 1. Öffentliche Anhörung am 22. Mai 1992, „Europa und das Grundgesetz", S. 25 f.

II. Arbeitsunterlagen der Gemeinsamen Verfassungskommission684 Arbeitsunterlage Nr. 1 : Standpunkt der Bundesregierung gegenüber der Gemeinsamen Verfassungskommission am 12. März 1992 zur Änderungsthematik „Europa" (Art. 24, 32 GG). Arbeitsunterlage Nr. 2: Ministerpräsidentenkonferenz am 12. März 1992 in Bonn, Vorläufiges Ergebnisprotokoll. Arbeitsunterlage Nr. 3: Beschluß der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 24. September 1991, „Stärkung der Länder in Europa" und „Struktur und Zusammensetzung des Bundesrates". Arbeitsunterlage Nr. 24: Lerche, Peter; Stellungnahme für die Gemeinsame Verfassungskommission zu der Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa". Arbeitsunterlage Nr. 25: Hölzer, Bernd; Stellungnahme fur die Gemeinsame Verfassungskommission zu der Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa". Arbeitsunterlage Nr. 26: Bundesrat Kommission Verfassungsreform Bericht und Beschlußempfehlung des Arbeitsausschusses 1 zu Internationalen Beziehungen. Arbeitsunterlage Nr. 28: Stern, Klaus; Stellungnahme fur die Gemeinsame Verfassungskommission zu der Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa". Arbeitsunterlage Nr. 29: Tomuschat, Christian; Stellungnahme für die Gemeinsame Verfassungskommission zu der Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa". Arbeitsunterlage Nr. 31: Scharpf, Fritz W.; Stellungnahme fur die Gemeinsame Verfassungskommission zu der Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa". 684

Fundstelle: Sekretariat der Gemeinsamen Verfassungskommission, Bonn.

u n t e der Gemeinsamen Verfassungskommission Arbeitsunterlage Nr. 33: Randelzhofer, Albrecht; Allgemeine Stellungnahme fur die Gemeinsame Verfassungskommission zu der Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa". Arbeitsunterlage Nr. 34: Randelzhofer, Albrecht; Fragenkatalog (zu der Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa". Arbeitsunterlage Nr. 35 (neu): Lepsius, Rainer; Stellungnahme für die Gemeinsame Verfassungskommission zu der Anhörung am 22. Mai 1992, „Grundgesetz und Europa". Arbeitsunterlage Nr. 41: Möller, Franz; Berichterstatter der CDU/CSU, Bericht zu Top 2 der 7. Sitzung der Verfassungskommission am 4. Juni 1992. Arbeitsunterlage Nr. 60: Hohmann-Dennhardt, Christine; Gemeinsame Kompromißvorschläge der Berichterstatterinnen und Berichterstatter der Gemeinsamen Verfassungskommission zu dem Bereich „Gesetzgebungskompetenzen". Arbeitsunterlage Nr. 62: Protokollnotiz Bayern zu Art. 28 Absatz 1 Satz 4 GG (neu). Arbeitsunterlage Nr. 63: Protokollnotiz der Berichterstatter zum Komplex Grundgesetz und Europa. Arbeitsunterlage Nr. 64: Möller, Franz; Berichterstatter der CDU/CSU, Bericht zu Top 1 der 8. Sitzung der Verfassungskommission am 26. Juni 1992. Arbeitsunterlage Nr. 67: Möller, Franz; Berichterstatter der CDU/CSU Bericht zu Top 1 der 9. Sitzung der Verfassungskommission am 9. Juli 1992, „Parlamentsrecht (Europa)- Unionsausschuß des Deutschen Bundestages" Arbeitsunterlage Nr. 80: Vorschläge der Berichterstatter zum Themenkomplex „Grundgesetz und Europa" vom 6. Oktober 1992. Arbeitsunterlage Nr. 84: Möller, Franz; Berichterstatter der CDU/CSU Bericht zu Top 1 der 11. Sitzung der Verfassungskommission am 15. Oktober 1992. Arbeitsunterlage Nr. 86: Eckwerte der Berichterstaater für ein Ausführungsgesetz zu Art. 23 Abs. 3 GG vom 12. Oktober 1992. Arbeitsunterlage Nr. 104: Schnoor, Herbert; Berichterstatter des Bundesrates Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstattergruppe vom 26. Juni 1992, „Grundgesetz und Europa". Arbeitsunterlage Nr. 110: Peschel-Gutzeit, Lore Maria; Bericht zu den Empfehlungen der Berichterstatterinnen und Berichterstatter zum Thema „Gesetzgebungskompetenzen und -verfahren im Bundesstaat" vom 22. Februar 1993.

III. Kommissionsdrucksachen685 Kommissionsdrucksache Nr. 1 : Ullmann, Wolfgang (Bündnis 90/Die Grünen), Anträge für die Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission am 12. März 1992 (Betr.: Änderung des Art. 24 und 32 GG). Korfimissionsdrucksache Nr. 5: Der Senator für Justiz und Verfassung der Freie Hansestadt Bremen, Änderungsantrag zu Art. 28 Abs. 1 (neu). 68

Fundstelle: Sekretariat der Gemeinsamen Verfassungskommission, Bonn.

ΠΙ. Kommissionsdrucksachen

235

Kommissionsdrucksache Nr. 7 (neu): Empfehlungen der Berichterstatter zum Thema „Grundgesetz und Europa" vom 26 Juni 1992. Kommissionsdrucksache Nr. 14: Der Senator für Justiz und Verfassung der Freie Hansestadt Bremen, Bremer Klausel im Hinblick auf das Kommunalwahlrecht für Bürger der Europäischen Union. Kommissionsdrucksache Nr. 15: Ministerium für Bundesangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen Antrag zur Änderung des Artikel 32 GG zur Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission am 15. Okt. 1992. Komissionsdrucksache Nr. 17: Verheugen, Günter; Berichterstatter der SPD, Antrag zur Änderung des Art. 23 Absatz 3 GG (neu), „Grundgesetz und Europa". Kommissionsdrucksache Nr. 18: Vogel, Hans-Jochen; Sprecher der SPD der Gemeinsamen Verfassungskommission, Antrag zur Ergänzung des Art. 23 Absatz 2 und Absatz 3 GG (neu), „Grundgesetz und Europa". Kommissionsdrucksache Nr. 65: Vogel, Hans-Jochen; Sprecher der SPD der Gemeinsamen Verfassungskommission, Antrag zur Ergänzung des Art. 28 Absatz 1 „Kommunales Ausländerwahlrecht"