Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB: Ihre Legitimation im Lichte eines zeitgemäßen Jugendschutzes 9783110303483, 9783110303490

This work examines whether the elements of offence relating to child protection as defined in Section 13 of the German C

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Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB: Ihre Legitimation im Lichte eines zeitgemäßen Jugendschutzes
 9783110303483, 9783110303490

Table of contents :
Vorwort1
Abkürzungsverzeichnis
1. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung
A) Inhaltlicher Zugang
I. Problemstellung
II. Jugendschutzdelikte im Sinne dieser Untersuchung
III. Begriffsbestimmungen
1. Kinder und Jugendliche
a) Biologische und sozialwissenschaftliche Definitionen
b) Definitionen nach nationalem Recht
c) Definitionen nach internationalem Recht
2. Sexualität und Kriminalität
3. Oberbegriff des sexuellen Missbrauchs
4. Pornographie
B) Methodik der Untersuchung
I. Zeitgeschichtliche Betrachtung
II. Rechtsgutstheoretischer Ansatz
1. Primat der Straflosigkeit als Normalfall
2. Die historischen Wurzeln des Rechtsgüterschutzkonzepts
3. Die Rechtsgüterschutzkonzepte der Gegenwart
a) Rechtsgüterschutz nach Jäger
b) Rechtsgüterschutz nach Roxin
c) Rechtsgüterschutz nach Hassemer
4. Kritik am Rechtsgüterschutzkonzept
a) Inzestbeschluss des BVerfG
b) Alternative Legitimationskonzepte
aa) Sozialschädlichkeitstheorie
bb) Theorie vom Normgeltungsschaden
cc) Fortentwicklung der Rechtsverletzungslehre
5. Die Inklusion des Rechtsgüterschutzkonzepts in den verfassungsrechtlichen Prüfungsrahmen
6. Maßstäbe zur Rechtsgüterabgrenzung
a) Normalfallprinzip
b) Subsidiarität des Strafrechts
c) Symbolisches Strafrecht
7. Prämissen bei der Untersuchung von Strafvorschriften
a) Orientierung an subjektiven Rechten und festen Zuständen im gesellschaftlichen Kontext
b) Orientierung an der Triasschranke: „Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit“
2. Kapitel: Strafgesetzgebung zum Schutze der Jugend
A) Die Entwicklung der Jugendschutzdelikte
I. Das 4. StrRG vom 23. November 1973
1. Gegenstand der Reform
2. Von der Moral zum Rechtsgüterschutz
3. Sexuelle Handlung
4. Reform der Jugendschutztatbestände
a) Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen
b) Die Einschränkung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen
c) Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger
d) Pornographische Schriften
aa) Kündigung der Genfer Konvention
bb) Freigabe der einfachen Pornographie im Rahmen des Jugendschutzes
II. Das 27. StÄG vom 23. Juli 1993
1. Gegenstand der Änderung
2. Verbreitung pornographischer Schriften
a) Verbreitung von Kinderpornographie
b) Gewerbs- und bandenmäßiges Handeln
c) Besitz und Besitzverschaffung
d) Schutzalter
III. Das 29. StÄG vom 21. Mai 1994
1. Gegenstand der Änderung
2. Abschaffung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen mit Minderjährigen
3. §§ 149, 151 StGB-DDR
4. Einheitliche Jugendschutzvorschrift § 182 StGB
a) Bestimmung des Rechtsguts
b) Kriminalisierung
c) Gleichsetzung der Schutzaltersgrenzen
d) Eingrenzung der „sexuellen Handlung“
e) Absehensklausel
IV. Das 6. StrRG vom 26. Januar 1998
1. Gegenstand der Änderung
2. Anhebung der Strafandrohung für Gewalt- und Sodomiepornographie
V. Das SexDelÄndG vom 27. Dezember 2003
1. Gegenstand der Änderung
2. Ausdehnung der Strafbarkeit auf Vorbereitungshandlungen
3. Änderung von § 184 StGB
a) Keine Novellierung des § 184 Abs. 1 StGB
b) Erzieherprivileg § 184 Abs. 2 StGB
c) Verbot von Live-Darbietungen § 184c StGB
VI. Rahmenbeschlussgesetz vom 5. November 2008
1. Europa- und völkerrechtliche Vorgaben
a) Rahmenbeschluss der Europäischen Union
aa) Umsetzungspflicht
bb) Materiell-strafrechtliche Mindeststandards
b) Fakultativprotokoll
2. Gegenstand der Änderung
3. Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
a) Veränderung der Altersgrenzen für Opfer und Täter
b) Entgeltbegriff
c) Strafbarkeit des Versuchs
4. Jugendpornographie
a) Regierungsentwurf
b) § 184c StGB
aa) Scheinerwachsene und Scheinjugendliche
bb) Fiktive Darstellungen
cc) Besitz von Jugendpornographie
dd) Strafbarkeit des Versuchs
B) Entwicklungstendenzen und Ausblick
3. Kapitel: Ansätze zur Rechtfertigung von Strafnormen zum Schutze der Jugend
A) Die inhaltliche Bestimmung des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung
B) Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht Jugendlicher
C) Schutz der ungestörten Entwicklung
D) Das Verhältnis zwischen der „sexuellen Selbstbestimmung“ und der „ungestörten Entwicklung“ Jugendlicher
E) Empirische Erkenntnisse zur sexuellen Entwicklung Jugendlicher
F) Die Differenzierung nach Schutzaltersgrenzen
I. Grundkriterien nach Jäger
II. Die Ausprägung der Selbstbestimmungsfähigkeit in den Schutzaltersklassen
4. Kapitel: Analyse der einzelnen Tatbestände - Jugendschutzdelikte (§§ 174, 180, 182 StGB)
A) § 174 StGB: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen
I. Systematik des Tatbestandes
II. Die Problemstellungen im Überblick
III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse
1. Schutz von Jugendlichen unter 16 Jahren vor sexuellen Handlungen im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB)
a) Die Grenzen der Selbstbestimmungsfreiheit
b) Annahme von sexuellen Entwicklungsstörungen
c) Folgen des gestörten Rollenverhältnisses zwischen dem Obhutsträger und dem Jugendlichen
d) Staatlicher Schutz elterlicher Erziehungsvorstellungen
e) Der Kreis der Obhutsträger und die Einflussmöglichkeiten auf den Minderjährigen
f) Das Absehen von der Strafe nach § 174 Abs. 4 StGB
g) Deliktscharakter
2. Schutz von Jugendlichen unter 18 Jahren vor sexuellen Handlungen unter Missbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB)
3. Schutz von Jugendlichen unter 18 Jahren vor sexuellen Handlungen im Rahmen besonders enger Abhängigkeitsverhältnisse (§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB)
4. Sexuelle Kontakte ohne körperliche Berührung (§ 174 Abs. 2 StGB)
IV. Zusammenfassung
B) § 180 StGB: Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger
I. Systematik des Tatbestandes
II. Die Problemstellungen im Überblick
III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse
1. Förderung sexueller Kontakte von Personen unter 16 Jahren (§ 180 Abs. 1 StGB)
a) Die Beeinträchtigung der Selbstbestimmungsfähigkeit der minderjährigen Person im Rahmen des Vermittelns
b) Die Beeinflussbarkeit der minderjährigen Person durch das Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten
c) Beeinträchtigung der ungestörten Entwicklung
d) Verselbständigte Teilnahme im Widerspruch zur straflosen Haupthandlung
e) Restriktive Auslegung des Vorschubleistens
f) Erzieherprivileg
2. Bestimmen zu entgeltlichen sexuellen Handlungen (§ 180 Abs. 2 StGB)
3. Bestimmen von Minderjährigen unter 18 Jahren zur Vornahme von sexuellen Handlungen an / vor Dritten unter Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses (§ 180 Abs. 3 StGB)
4. Unstimmige Strafrahmen bei Handlungen ohne Körperkontakt (§ 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB vs. § 180 Abs. 3 StGB)
IV. Zusammenfassung
C) § 182 StGB: Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
I. Systematik des Tatbestandes
II. Die Problemstellungen im Überblick
III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse
1. Ausnutzen von Zwangslagen (§ 182 Abs. 1 StGB)
a) Veränderte Prämissen im Hinblick auf den Jugendschutz
b) Die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung in undifferenzierten Zwangslagen
c) Erheblichkeit der sexuellen Handlung
2. Sexuelle Handlungen gegen Entgelt (§ 182 Abs. 2 StGB)
a) Inkongruenz zwischen Schutzbedarf und Entgeltbegriff
b) Täteraltersgrenze
c) Privilegierung des Freiers bei Handlungen ohne Körperkontakt (§ 182 Abs. 2 StGB vs. § 180 Abs. 2 StGB)
3. Sexuelle Handlungen unter Ausnutzung fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit (§ 182 Abs. 3 StGB)
a) Normativer Begriff der „Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“
b) Altersdifferenz zwischen Täter und Opfer
c) Die Ausgestaltung als Antragsdelikt
4. Das Absehen von der Strafe nach § 182 Abs. 6 StGB
IV. Zusammenfassung
5. Kapitel: Analyse der einzelnen Tatbestände - Jugendschutzdelikte i.e.S. (§§ 184, 184c, 184f StGB)
A) § 184 StGB: Verbreitung pornographischer Schriften
I. Systematik des Tatbestandes
II. Die Problemstellungen im Überblick
III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse
1. Rechtsgut der ungestörten sexuellen Entwicklung
2. Die Verbote in § 184 Abs. 1 StGB aus paternalistischer Perspektive
3. Altersunabhängiger Schutz vor ungewollter Konfrontation
4. Antiquierte Vorschriften
5. Die Systematik des nebenstrafrechtlichen Jugendschutzes und das Verhältnis zu § 184 StGB
a) Regelungskonzeption
b) Parallelität strafrechtlicher Bestimmungen
6. Konsequenzen für § 184 Abs. 1 StGB
B) § 184c StGB: Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften
I. Systematik des Tatbestandes
II. Die Problemstellungen im Überblick
III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse
1. Der Einwirkungsschutz von Jugendlichen im Hinblick auf jugendpornographische Darstellungen
2. Darstellerschutz
3. Der Kernbereich einer legitimen Strafbarkeit
C) § 184f StGB: Jugendgefährdende Prostitution
6. Kapitel: Ergebnisse und Schlussbetrachtung
Anhang
Literaturverzeichnis

Citation preview

Ralf Gnüchtel Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB

Juristische Zeitgeschichte Abteilung 5, Band 21

Juristische Zeitgeschichte Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum

Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen – Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum in Zusammenarbeit mit Gisela Friedrichsen (Der Spiegel) RA Prof. Dr. Franz Salditt

Band 21 Redaktion: Anne Gipperich, Katharina Kühne

De Gruyter

Ralf Gnüchtel

Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB Ihre Legitimation im Lichte eines zeitgemäßen Jugendschutzes

De Gruyter

ISBN 978-3-11-030348-3 e-ISBN 978-3-11-030349-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ' Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum. Ohne seine vorbildliche Betreuung, seine vielen Anregungen und sein Engagement hätte ich die Idee zu dieser Arbeit nicht umsetzen können. Für die Übernahme des Zweitgutachtens danke ich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Günter Bemmann. Herzlich danken möchte ich meiner Familie, insbesondere meiner Frau Monika. Ohne deren Rückhalt hätte ich diese Arbeit nicht vollenden können.

Trier, im Juli 2012

Ralf Gnüchtel

Inhaltsverzeichnis Vorwort .............................................................................................................V Abkürzungsverzeichnis...................................................................................XV 1. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung ....................................................... 1 A) Inhaltlicher Zugang................................................................................ 1 I.

Problemstellung ............................................................................. 1

II. Jugendschutzdelikte im Sinne dieser Untersuchung ...................... 2 III. Begriffsbestimmungen ................................................................... 5 1. Kinder und Jugendliche ............................................................ 5 a) Biologische und sozialwissenschaftliche Definitionen ...... 5 b) Definitionen nach nationalem Recht .................................. 5 c) Definitionen nach internationalem Recht........................... 6 2. Sexualität und Kriminalität....................................................... 6 3. Oberbegriff des sexuellen Missbrauchs .................................... 9 4. Pornographie........................................................................... 11 B) Methodik der Untersuchung ................................................................ 14 I.

Zeitgeschichtliche Betrachtung .................................................... 14

II. Rechtsgutstheoretischer Ansatz.................................................... 15 1. Primat der Straflosigkeit als Normalfall ................................. 15 2. Die historischen Wurzeln des Rechtsgüterschutzkonzepts ..... 17 3. Die Rechtsgüterschutzkonzepte der Gegenwart ..................... 20 a) Rechtsgüterschutz nach Jäger .......................................... 23 b) Rechtsgüterschutz nach Roxin ......................................... 24 c) Rechtsgüterschutz nach Hassemer ................................... 26 4. Kritik am Rechtsgüterschutzkonzept ...................................... 27 a) Inzestbeschluss des BVerfG............................................. 27

VIII

Inhaltsverzeichnis b) Alternative Legitimationskonzepte .................................. 31 aa) Sozialschädlichkeitstheorie...................................... 31 bb) Theorie vom Normgeltungsschaden ........................ 32 cc) Fortentwicklung der Rechtsverletzungslehre........... 33 5. Die Inklusion des Rechtsgüterschutzkonzepts in den verfassungsrechtlichen Prüfungsrahmen ................................ 35 6. Maßstäbe zur Rechtsgüterabgrenzung .................................... 39 a) Normalfallprinzip............................................................. 39 b) Subsidiarität des Strafrechts............................................. 40 c) Symbolisches Strafrecht................................................... 42 7. Prämissen bei der Untersuchung von Strafvorschriften.......... 43 a) Orientierung an subjektiven Rechten und festen Zuständen im gesellschaftlichen Kontext......................... 44 b) Orientierung an der Triasschranke: „Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit“........................... 46

2. Kapitel: Strafgesetzgebung zum Schutze der Jugend .................................. 51 A) Die Entwicklung der Jugendschutzdelikte........................................... 51 I.

Das 4. StrRG vom 23. November 1973........................................ 51 1. Gegenstand der Reform .......................................................... 52 2. Von der Moral zum Rechtsgüterschutz .................................. 52 3. Sexuelle Handlung.................................................................. 54 4. Reform der Jugendschutztatbestände...................................... 54 a) Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen................... 54 b) Die Einschränkung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen.............................................. 56 c) Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger ............ 58 d) Pornographische Schriften ............................................... 60 aa) Kündigung der Genfer Konvention ......................... 61 bb) Freigabe der einfachen Pornographie im Rahmen des Jugendschutzes............................... 62

Inhaltsverzeichnis

IX

II. Das 27. StÄG vom 23. Juli 1993.................................................. 64 1. Gegenstand der Änderung ...................................................... 65 2. Verbreitung pornographischer Schriften ................................ 65 a) Verbreitung von Kinderpornographie .............................. 65 b) Gewerbs- und bandenmäßiges Handeln ........................... 66 c) Besitz und Besitzverschaffung ......................................... 66 d) Schutzaltersgrenze ........................................................... 67 III. Das 29. StÄG vom 21. Mai 1994 ................................................. 68 1. Gegenstand der Änderung ...................................................... 69 2. Abschaffung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen mit Minderjährigen............................................. 69 3. §§ 149, 151 StGB-DDR.......................................................... 70 4. Einheitliche Jugendschutzvorschrift § 182 StGB ................... 71 a) Bestimmung des Rechtsguts ............................................ 71 b) Kriminalisierung .............................................................. 72 c) Gleichsetzung der Schutzaltersgrenzen............................ 72 d) Eingrenzung der „sexuellen Handlung“ ........................... 72 e) Absehensklausel............................................................... 73 IV. Das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 .............................................. 74 1. Gegenstand der Änderung ...................................................... 74 2. Anhebung der Strafandrohung für Gewalt- und Sodomiepornographie ........................................ 75 V. Das SexDelÄndG vom 27. Dezember 2003................................. 76 1. Gegenstand der Änderung ...................................................... 76 2. Ausdehnung der Strafbarkeit auf Vorbereitungshandlungen .... 78 3. Änderung von § 184 StGB ..................................................... 78 a) Keine Novellierung des § 184 Abs. 1 StGB..................... 78 b) Erzieherprivileg § 184 Abs. 2 StGB................................. 79 c) Verbot von Live-Darbietungen § 184c StGB................... 80

X

Inhaltsverzeichnis VI. Rahmenbeschlussgesetz vom 5. November 2008 ........................ 81 1. Europa- und völkerrechtliche Vorgaben................................. 82 a) Rahmenbeschluss der Europäischen Union ..................... 82 aa) Umsetzungspflicht ................................................... 82 bb) Materiell-strafrechtliche Mindeststandards ............. 84 b) Fakultativprotokoll........................................................... 85 2. Gegenstand der Änderung ...................................................... 86 3. Sexueller Missbrauch von Jugendlichen................................. 87 a) Veränderung der Altersgrenzen für Opfer und Täter ....... 87 b) Entgeltbegriff ................................................................... 91 c) Strafbarkeit des Versuchs................................................. 92 4. Jugendpornographie................................................................ 93 a) Regierungsentwurf ........................................................... 93 b) § 184c StGB..................................................................... 94 aa) Scheinerwachsene und Scheinjugendliche .............. 96 bb) Fiktive Darstellungen .............................................. 97 cc) Besitz von Jugendpornographie............................... 99 dd) Strafbarkeit des Versuchs ...................................... 101 B) Entwicklungstendenzen und Ausblick ............................................... 102

3. Kapitel: Ansätze zur Rechtfertigung von Strafnormen zum Schutze der Jugend ................................................................................ 107 A) Die inhaltliche Bestimmung des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung.............................................................................. 107 B) Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht Jugendlicher.......................... 112 C) Schutz der ungestörten Entwicklung ................................................. 115 D) Das Verhältnis zwischen der „sexuellen Selbstbestimmung“ und der „ungestörten Entwicklung“ Jugendlicher .................................... 116 E) Empirische Erkenntnisse zur sexuellen Entwicklung Jugendlicher ... 121 F) Die Differenzierung nach Schutzaltersgrenzen.................................. 125

Inhaltsverzeichnis I.

XI

Grundkriterien nach Jäger .......................................................... 125

II. Die Ausprägung der Selbstbestimmungsfähigkeit in den Schutzaltersklassen.......................................................... 126 4. Kapitel: Analyse der einzelnen Tatbestände – Jugendschutzdelikte (§§ 174, 180, 182 StGB) ........................................... 131 A) § 174 StGB: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen ............... 131 I.

Systematik des Tatbestandes...................................................... 131

II. Die Problemstellungen im Überblick ......................................... 132 III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse......... 133 1. Schutz von Jugendlichen unter 16 Jahren vor sexuellen Handlungen im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) .................................................... 133 a) Die Grenzen der Selbstbestimmungsfreiheit.................. 133 b) Annahme von sexuellen Entwicklungsstörungen........... 134 c) Folgen des gestörten Rollenverhältnisses zwischen dem Obhutsträger und dem Jugendlichen ...................... 136 d) Staatlicher Schutz elterlicher Erziehungsvorstellungen ... 139 e) Der Kreis der Obhutsträger und die Einflussmöglichkeiten auf den Minderjährigen ............. 140 f) Das Absehen von der Strafe nach § 174 Abs. 4 StGB ... 144 g) Deliktscharakter ............................................................. 146 2. Schutz von Jugendlichen unter 18 Jahren vor sexuellen Handlungen unter Missbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB) ....... 148 3. Schutz von Jugendlichen unter 18 Jahren vor sexuellen Handlungen im Rahmen besonders enger Abhängigkeitsverhältnisse (§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ......... 151 4. Sexuelle Kontakte ohne körperliche Berührung (§ 174 Abs. 2 StGB) ............................................................. 153 IV. Zusammenfassung...................................................................... 154 B) § 180 StGB: Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger ......... 157 I.

Systematik des Tatbestandes...................................................... 157

XII

Inhaltsverzeichnis II. Die Problemstellungen im Überblick ......................................... 158 III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse......... 159 1. Förderung sexueller Kontakte von Personen unter 16 Jahren (§ 180 Abs. 1 StGB) ............................................. 160 a) Die Beeinträchtigung der Selbstbestimmungsfähigkeit der minderjährigen Person im Rahmen des Vermittelns ... 161 b) Die Beeinflussbarkeit der minderjährigen Person durch das Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten ....... 162 c) Beeinträchtigung der ungestörten Entwicklung ............. 163 d) Verselbständigte Teilnahme im Widerspruch zur straflosen Haupthandlung............................................... 164 e) Restriktive Auslegung des Vorschubleistens ................. 164 f) Erzieherprivileg.............................................................. 165 2. Bestimmen zu entgeltlichen sexuellen Handlungen (§ 180 Abs. 2 StGB) ............................................................. 168 3. Bestimmen von Minderjährigen unter 18 Jahren zur Vornahme von sexuellen Handlungen an / vor Dritten unter Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses (§ 180 Abs. 3 StGB) .............................................................. 170 4. Unstimmige Strafrahmen bei Handlungen ohne Körperkontakt (§ 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB vs. § 180 Abs. 3 StGB)... 171 IV. Zusammenfassung...................................................................... 172

C) § 182 StGB: Sexueller Missbrauch von Jugendlichen ....................... 173 I.

Systematik des Tatbestandes...................................................... 173

II. Die Problemstellungen im Überblick ......................................... 174 III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse......... 175 1. Ausnutzen von Zwangslagen (§ 182 Abs. 1 StGB) .............. 176 a) Veränderte Prämissen im Hinblick auf den Jugendschutz ..................................................... 176 b) Die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung in undifferenzierten Zwangslagen ...................................... 177 c) Erheblichkeit der sexuellen Handlung ........................... 178

Inhaltsverzeichnis

XIII

2. Sexuelle Handlungen gegen Entgelt (§ 182 Abs. 2 StGB) ... 180 a) Inkongruenz zwischen Schutzbedarf und Entgeltbegriff... 180 b) Täteraltersgrenze............................................................ 184 c) Privilegierung des Freiers bei Handlungen ohne Körperkontakt (§ 182 Abs. 2 StGB vs. § 180 Abs. 2 StGB) .................. 186 3. Sexuelle Handlungen unter Ausnutzung fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit (§ 182 Abs. 3 StGB) ............... 189 a) Normativer Begriff der „Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“ ........................................ 189 b) Altersdifferenz zwischen Täter und Opfer ..................... 194 c) Die Ausgestaltung als Antragsdelikt .............................. 195 4. Das Absehen von der Strafe nach § 182 Abs. 6 StGB.......... 198 IV. Zusammenfassung...................................................................... 200 5. Kapitel: Analyse der einzelnen Tatbestände – Jugendschutzdelikte i.e.S. (§§ 184, 184c, 184f StGB) ................................... 205 A) § 184 StGB: Verbreitung pornographischer Schriften....................... 205 I.

Systematik des Tatbestandes...................................................... 205

II. Die Problemstellungen im Überblick ......................................... 206 III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse......... 206 1. Rechtsgut der ungestörten sexuellen Entwicklung ............... 208 2. Die Verbote in § 184 Abs. 1 StGB aus paternalistischer Perspektive .......................................... 211 3. Altersunabhängiger Schutz vor ungewollter Konfrontation.................................................... 214 4. Antiquierte Vorschriften....................................................... 217 5. Die Systematik des nebenstrafrechtlichen Jugendschutzes und das Verhältnis zu § 184 StGB........................................ 219 a) Regelungskonzeption ..................................................... 219 b) Parallelität strafrechtlicher Bestimmungen .................... 221 6. Konsequenzen für § 184 Abs. 1 StGB.................................. 223

XIV

Inhaltsverzeichnis

B) § 184c StGB: Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften ..................................................... 225 I.

Systematik des Tatbestandes...................................................... 225

II. Die Problemstellungen im Überblick ......................................... 226 III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse......... 226 1. Der Einwirkungsschutz von Jugendlichen im Hinblick auf jugendpornographische Darstellungen ........................... 227 2. Darstellerschutz .................................................................... 228 3. Der Kernbereich einer legitimen Strafbarkeit....................... 230 C) § 184f StGB: Jugendgefährdende Prostitution................................... 232 6. Kapitel: Ergebnisse und Schlussbetrachtung............................................ 237 ANHANG Literaturverzeichnis ...................................................................................... 253

Abkürzungsverzeichnis ABl.EU

Amtsblatt der Europäischen Union

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AufenthG

Aufenthaltsgesetz

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

Begr.

Begriff

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BKA

Bundeskriminalamt (s. Lit. Verz.)

BMFSFJ

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (s. Lit. Verz.)

BZgA

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (s. Lit. Verz.)

Ders.

Derselbe

Drs.

Drucksache

Einf.

Einführung

Erbs / Kohlh.

Erbs / Kohlhaas (s. Lit. Verz.)

EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EU-K

Kommentar zum Recht der Europäischen Union (s. Lit. Verz.)

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)

FPR

Familie Partnerschaft Recht (Zeitschrift)

FS

Festschrift

GA

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift)

GjS

Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte

JArbSchG

Jugendarbeitsschutzgesetz

JCrim

The Journal of Criminal Law and Criminology (Zeitschrift USA)

JGG

Jugendgerichtsgesetz

JMStV

Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag)

JÖSchG

Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit

JR

Juristische Rundschau

XVI

Abkürzungsverzeichnis

JuSchG

Jugendschutzgesetz

JZ

Juristenzeitung

KK-OWiG

Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (s. Lit. Verz.)

LexStraf

Lexikon des Strafrechts

LK

Leipziger Kommentar (s. Lit. Verz.)

MK

Münchener Kommentar (s. Lit. Verz.)

MMR

Multimedia und Recht (Zeitschrift)

NJOZ

Neue Juristische Online-Zeitschrift

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NK

Nomos Kommentar (s. Lit. Verz.)

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OK-GG

Beck’scher Online-Kommentar – Grundgesetz (s. Lit. Verz.)

OK-StGB

Beck’scher Online-Kommentar – Strafgesetzbuch (s. Lit. Verz.)

RGBl.

Reichsgesetzblatt

Sch / Schr

Schönke Schröder (s. Lit. Verz.)

Spind. / Sch.

Spindler Schuster (s. Lit. Verz.)

StÄG

Strafrechtsänderungsgesetz

StGB

Strafgesetzbuch

StrRG

Strafrechtsreformgesetz

StV

Strafverteidiger (Zeitschrift)

Vgl.

Vergleiche

ZIS

Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

1. Kapitel: Grundlagen der Untersuchung A) Inhaltlicher Zugang I. Problemstellung Das Wort Jugendschutz umschreibt in Anlehnung an Jäger einen bestimmten Komplex von gesetzgeberischen Absichten.1 Aus praktischer Perspektive genügt eine derartige Umschreibung, um zunächst die Tür zu einer diskussionswürdigen Schutzkategorie zu öffnen. Bei weitergehender Betrachtung ist jedoch eine differenziertere Auseinandersetzung erforderlich, um staatliche Interventionen rechtfertigen zu können. Insbesondere bedarf es einer möglichst deutlichen Abgrenzung des strafwürdigen Bereichs, um in eventuellen Härtefällen Jugendliche ausnahmsweise mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen. Die Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB sollen einen solchen partiellen Jugendschutz gewährleisten. Von grundlegender Bedeutung für die Frage, ob die kodifizierten Jugendschutzdelikte überhaupt oder unter Berücksichtigung zeitgemäßer Prämissen noch strafrechtlich legitim sind, ist, welche Rechtsgüter des Einzelnen oder der Allgemeinheit angegriffen oder gefährdet werden und warum diese ohne eine Strafandrohung nicht hinreichend geschützt werden können.2 Die Bindung an rechtsgutsorientierte Maßstäbe sind Kennzeichen einer Liberalisierung des Sexualstrafrechts, die sich deutlich in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts abzeichnete und einer „unreflektiert-emotionalen Betrachtung des Sexualstrafrechts“3 entgegenstand.4 Ob die Liberalisierung des Sexualstrafrechts einen nachhaltig durchschlagenden Erfolg hatte, kann indes bezweifelt werden. Es ist anzunehmen, dass gerade die Sexualdelikte und damit einhergehend die Jugendschutzdelikte weltanschaulichen und moralischen Vorstellungen der Menschen unterworfen 1 2

3 4

Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 50. Bereits im Gesetzentwurf zum 4. StrRG sollte diese Maxime bei der Abgrenzung strafbaren und straffreien Verhaltens richtungsweisend sein, vgl. dazu BT-Drs. VI/1552, S. 9. Hanack, Gutachten, S. A 7. Vgl. dazu Hanack, Gutachten, A 28 ff.; Hörnle, LK, Vor §§ 174 ff., Rn. 5; Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 29 ff.

2

1. Kapitel

sind. Kriminalpolitische Diskussionen, die sich an Einzelfällen orientieren, veränderte weltanschauliche, politische und soziale Verhältnisse und die daraus abgeleiteten Steuerungsansprüche an das materielle Strafrecht sind gewichtige Einflussfaktoren, die die Entwicklung des Strafrechts mitbestimmen.5 Insbesondere das Internet, eine nahezu uferlose Informationsquelle, deren globales Angebot kaum durch den nationalen Gesetzgeber eingeschränkt werden kann, ist aus der Perspektive eines ganzheitlichen Jugendschutzkonzepts nicht wegzudenken. Hinzu kommt die Annahme, dass sich die sexuelle Entwicklung Jugendlicher in den letzten Jahrzehnten verändert hat.6 Erleben Jugendliche in immer früherem Alter ihre ersten sexuellen Kontakte, stellt sich die Frage, ob die durch den Gesetzgeber vorgegebenen Schutzaltersgrenzen und die dadurch bedingten Grenzziehungen strafbaren Verhaltens nach wie vor zu rechtfertigen sind. Die kritische „Gesamtwürdigung“ im Lichte eines zeitgemäßen Jugendschutzes soll daher in Kapitel 2 die Darstellung der Entwicklungslinie der Jugendschutztatbestände ab dem 4. StrRG umfassen. Ferner soll in Kapitel 3 eine Diskussion um die inhaltliche Bestimmung der sich hinter dem Begriff des Jugendschutzes verbergenden Rechtsgüter geführt werden. In den Kapiteln 4 und 5 werden die Jugendschutzdelikte im Rahmen einer Tatbestandsanalyse untersucht. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf etwaigen Legitimationsdefiziten, die anhand rechtsgüterschutzkonzeptioneller Ansätze lokalisiert werden. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse der Untersuchung bei ganzheitlicher Betrachtung zusammengeführt und in Konsequenz dessen Handlungsappelle formuliert.

II. Jugendschutzdelikte im Sinne dieser Untersuchung Die über den 13. Abschnitt verteilten Jugendschutztatbestände lassen sich nicht anhand einer Ordnungssystematik identifizieren. Insofern ist fraglich, welche Tatbestände den Vorschriften des Jugendschutzes zugeordnet werden können. In der Literatur werden der Gruppe der Jugendschutzdelikte etwa die §§ 174, 176, 180, 182 sowie 184, 184b, 184c und 184e StGB zugeordnet.7 Als Kriterium kann der geschützte Personenkreis herangezogen werden, der bei der genannten Eingrenzung Minderjährige umfasst, nach allgemeinem Sprachgebrauch insofern Kinder und Jugendliche.

5 6 7

Vgl. dazu Albrecht, Kriminologie, S. 65; Vormbaum, Strafrechtspolitik, S. 32. Vgl. dazu Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 27. Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 21.

Grundlagen der Untersuchung

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Der Gesetzgeber legt in unterschiedlichen Strafnormen durch Altersstufen fest, welche Minderjährigen unter Umständen in sexuelle Handlungen einwilligen können.8 Minderjährige unter 14 Jahren sind gem. § 176 Abs. 1 StGB ausnahmslos einwilligungsunfähig. Bei 14- und 15-jährigen Jugendlichen kann eine zumindest eingeschränkte Einwilligungsfähigkeit angenommen werden, obgleich sich diese Fähigkeit nicht ohne weiteres aus den Strafnormen ableiten lässt. So wird etwa durch § 180 Abs. 1 StGB die Kuppelei an noch nicht 16Jährigen durch das in bestimmte Formen erfolgende Vorschubleisten von sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt. Dies spricht gegen eine zugestandene Einwilligungsfähigkeit. Betrachtet man jedoch die Situationen, in denen der fragmentarische Schutz des Strafrechts nicht greift, wird die Abgrenzung deutlich: Sexualpartner von 14- und 15-jährigen Jugendlichen machen sich unabhängig vom Alter grundsätzlich nicht strafbar. Nur wenn speziell umgrenzte Begleitumstände hinzukommen greifen strafrechtliche Verbote ein.9 Die zusätzlichen Begleitumstände lassen sich allerdings weder im Hinblick auf den Intensitätsgrad noch unter dem Aspekt der beabsichtigten Zweckrichtung zusammenfassen. In § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird ein absolutes Abstinenzverbot im Rahmen eines definierten Obhutsverhältnisses normiert. Stellt man sich etwa eine sexuelle Interaktion zwischen einem Lehrer und seiner Schülerin vor, wird neben dem Machtverhältnis der (für Jugendliche nicht entwicklungsübliche) Altersunterschied evident. Hingegen geht es bei § 180 Abs. 1 Nr. 2 StGB darum, auch sexuelle Handlungen unter Gleichaltrigen durch das Verschaffen von Gelegenheiten zu unterbinden. Eine bestimmte Altersdifferenz (Opfer unter 16 Jahre, Täter über 21 Jahre) in Kombination mit einer fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung10, stellt wiederum einen Strafgrund i.S.d. § 182 Abs. 3 StGB dar. Neben dieser Gruppe werden 16- und 17-jährige Jugendliche vor sexuellen Interaktionen in bestimmten Extremsituationen geschützt. Darunter fallen Abhängigkeitsverhältnisse im Zusammenhang mit weiteren Einflussvarianten (Missbrauch der Abhängigkeit oder familiäres Vertrauensverhältnis gem. § 174 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB). Ebenso wird der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung im Hinblick auf Zwangslagen oder Prostitutionshandlungen durch §§ 180 Abs. 2, 182 Abs. 1 und 2 StGB geschützt. Wesentliches Element der Jugendschutzdelikte sind insofern starre Altersgruppen. 8 9 10

Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 56. Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 57. Auch aus diesem Wortlaut ergibt sich der Rückschluss, dass es grundsätzlich Jugendliche in der Altersklasse gibt, die über eine sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit verfügen, vgl. dazu Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 13.

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1. Kapitel

Die Kombinationen aus Altersgruppen und bedingter bzw. ausgeprägter Einwilligungsfähigkeit ergeben sich ausschließlich bei Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren. Bei Kindern ist das Ausmaß der schädlichen Folgen des sexuellen Missbrauchs evident.11 Es fällt allerdings schwer, das Schadenspotenzial von sexuellen Handlungen mit Jugendlichen zu beurteilen. Erkenntnisse über die Folgen des sexuellen Missbrauchs im Kindesalter können nicht zwangsläufig auf die Situation Jugendlicher übertragen werden.12 Aufgrund dieser besonderen Differenzierungsmerkmale wird § 176 StGB nicht im Rahmen dieser Untersuchung den Jugendschutzdelikten zugerechnet. Die Pornographiedelikte gem. §§ 184 bis 184d StGB können nur zum Teil dem Jugendschutz zugerechnet werden. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist der Gesichtspunkt, dass Minderjährigen noch kein eigenverantwortlicher Umgang mit pornographischen Inhalten zugetraut wird.13 Dies bezieht sich insbesondere auf Normen, die sich gegen die Verbreitung sog. einfacher Pornographie14 richten. Tatbestände zum Schutze Jugendlicher sind daher zunächst § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3a und 5 StGB.15 Zudem ist in Abgrenzung zu kinderpornographischen Schriften gem. § 184b StGB die Produktion von jugendpornographischen Schriften nicht zwangsläufig mit der Begehung einer Straftat verbunden. Diesbezüglich kann § 184c StGB auch nicht allein mit dem Schutz jugendlicher Darsteller begründet werden.16 Eine deutlich zu erkennende (wenn auch wenig beachtete) Norm zum Schutz der Jugend ist § 184f StGB, da durch das Verbot der Prostitution an bestimmten Orten Jugendliche vor sittlicher Gefährdung geschützt werden sollen.17 Strafnormen wie §§ 184, 184c und 184f StGB weisen allerdings die Besonderheit auf, dass Handlungen unabhängig von einer konkreten sexuellen Interaktion zwischen Täter und Opfer pönalisiert werden. Es geht vielmehr darum, selbstschädigendes Verhalten des Minderjährigen zu unterbinden. Sollen 11

12 13 14 15 16 17

Die Folgen von Kindesmisshandlung sind vielfältig. Ihr Schweregrad hängt u.a. von der Widerstandsfähigkeit des Kindes und vom Vorhandensein protektiver Faktoren ab (z.B. Vertrauensperson im Umfeld). Die Folgen können sich insbesondere in organischen, psychosomatischen, intellektuell-kognitiven und psychischen Störungen manifestieren, vgl. dazu Maywald, FPR 2003, 304; Pfeiffer / Lehmkuhl / Frank, FPR 2001, 283. Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 37. Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 45. Im Gegensatz dazu ist mit qualifizierter oder harter Pornographie Kinderpornographie, Gewaltpornographie und Sodomie gemeint, vgl. dazu u.a. Erdemir, MMR 2003, 630. Gössel, Sexualstraftaten, S. 221. Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 83. Gössel, Sexualstraftaten, S. 240.

Grundlagen der Untersuchung

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insofern Jugendliche in ihrem eigenen Interesse vor negativen Einflüssen geschützt werden18, drängt sich die Frage auf, warum speziell diese Ausprägung des Jugendschutzes mit strafrechtlichen Mitteln verfolgt werden soll.19 Jugendschutzdelikte im Sinne dieser Untersuchung sind daher die §§ 174, 180, 182, 184 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3a, 5, 184c und 184f StGB. Der besonderen Schutzkonzeption der §§ 184, 184c und 184f StGB Rechnung tragend, sollen diese Strafnormen, sofern erforderlich, als zusammengefasste Kategorie der Jugendschutzdelikte i.e.S.20 bezeichnet werden.

III. Begriffsbestimmungen 1. Kinder und Jugendliche a) Biologische und sozialwissenschaftliche Definitionen Sofern für die Definition des Kindes biologische Kriterien herangezogen werden, wird an einen Lebensabschnitt angeknüpft, welcher mit der Geburt beginnt und mit dem Einsetzen der Pubertät endet. Das dann folgende Jugendalter findet seinen Anfang zu Beginn der Pubertät und gelangt mit dem Eintritt der Geschlechtsreife zum Abschluss. Nach sozialwissenschaftlichen Definitionsansätzen sind Kinder als Personen einzustufen, die sich vom Altersabschnitt her vorwiegend im Lebenskreis der Familie bzw. des Kindergartens bewegen. Als Jugendlicher kann bezeichnet werden, wer sich nicht mehr allein im Lebenskreis der Familie bewegt, aber auch noch nicht die Rolle eines volljährigen Bürgers eingenommen hat. In diesem Sinne orientiert sich die Bestimmung der Begriffe Kinder und Jugendliche nach deren Position und Status in der Gesellschaft.21

b) Definitionen nach nationalem Recht Im Rahmen des nationalen Rechts werden die Begriffe Kinder und Jugendliche höchst unterschiedlich definiert. Zumeist beschränken sich Legaldefinitionen auf ein bestimmtes Alter bzw. auf einen festgelegten Altersrahmen. Im Strafrecht wird gemäß § 176 Abs. 1 StGB das Kind als Person unter 14 Jahren definiert. Diese Höchstaltersgrenze ist auch in § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII zu finden. Im Zusammenhang mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 32 18 19 20 21

Vgl. dazu Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 696. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S, 195. Vergleichbare Angrenzung bei Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 194 u. LK, Vor § 174 ff., Rn. 74; Renzikowski, MK, Vor § 174 ff., Rn. 22. Jost, Opfer sexuellen Missbrauchs, S. 9 f.

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1. Kapitel

AufenthG gelten solche Personen als minderjährige Kinder, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Nach § 2 JArbSchG wird die Höchstaltersgrenze für Kinder auf 14 Jahre definiert, während Kinder nach § 1 JuSchG Personen sind, die noch nicht 14 Jahre alt sind. Der Begriff des Jugendlichen wird beispielsweise in § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII, § 182 Abs. 1 und 2 StGB oder § 1 Abs. 2 JGG definiert. Demnach ist eine Person jugendlich, die 14 aber noch nicht 18 Jahre alt ist.

c) Definitionen nach internationalem Recht Im Rahmen des internationalen Rechts wird auf völkerrechtlicher Ebene nach der UN-Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. November 198922, die sich auch mit dem Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch befasst, der Begriff des Kindes nach Art. 1 wesentlich weiter gesteckt. Kinder bis zum Alter von 18 Jahren sollen gemäß Art. 34 vor allen Formen der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs geschützt werden.23 Der sehr weitgehende Begriff des Kindes wird auf der Ebene der EU durch den Rahmenbeschluss bestätigt. Nach Art. 1a sind Kinder Personen unter 18 Jahren.24 Gleichwohl wird auch nach internationalem Recht dem „Kind“ in der Definition von der Geburt bis zum Alter von 18 Jahren eine gewisse sexuelle Mündigkeit zuerkannt. Die Altersgrenze der sexuellen Mündigkeit wird in den Mitgliedstaaten der EU unterschiedlich geregelt und reicht beispielsweise von 13 Jahren in Spanien bis zu 17 Jahren in Irland.25

2. Sexualität und Kriminalität Das menschliche Verhalten wird erst dann kriminell, wenn ein Bezug zu einer Strafrechtsnorm hergestellt werden kann – oder zumindest zu einem festen Wertungsmaßstab. Was wiederum eine Straftat bildet, lässt sich nur innerhalb einer bestimmten Kultur und Sozialsituation feststellen. Dort trifft jeweils der Gesetzgeber eine normative Wertentscheidung. Der Gesetzgeber als Inhaber 22 23 24 25

BGBl. 1992 II. S. 121. Renzikowski, MK, § 176, Rn. 19. BT-Drs. 16/3439, S. 8. Weitere Altersgrenzen der sexuellen Mündigkeit nach nationalem Recht: Österreich 14 J., Belgien 16 J., Tschechische Republik 15 J., Dänemark 15 J., Estland 14 J., Finnland 16 J., Frankreich 15 J., Ungarn 14 J., Italien 14 J., Lettland 16 J., Litauen 14 J., Luxemburg 16 J., Niederlande 16 J., Polen 15 J., Slowakei 15 J., Slowenien 15 J., Schweden 15 J., Vereinigtes Königreich 16 J., vgl. dazu Bericht der Kommission auf der Grundlage von Art. 12 des Rahmenbeschlusses v. 22.12.2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern KOM/2007/0716 endg., S. 5.

Grundlagen der Untersuchung

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des Definitionsmonopols für strafwürdiges Unrecht nimmt die Wertung für die Rechtsgemeinschaft in allgemein verbindlicher Weise vor.26 Die Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen mit Sexualbezug ist genauso offensichtlich wie die Erkenntnis, dass die strafrechtliche Ächtung von Sexualität nicht nur durch die Fortpflanzungsfunktion, sondern auch durch die im Sexuellen liegende lust- und hingebungsvollen Begegnungsmöglichkeiten ausgeschlossen ist. Es existiert eine wandelbare Grenze zwischen Legalität und Illegalität, die unterschiedlichsten Einflussfaktoren ausgesetzt ist. Moralische Vorstellungen über Sexualität beschreiben eine „wandelbare Konstante“. Denn dass moralische Werte in einer aufgeklärten Gesellschaft sich unveränderbar verfestigen, ist sehr unwahrscheinlich. Hingegen sind Verhaltensweisen wie etwa die Vergewaltigung „natürliche Verbrechen“, die wohl über viele Kulturen und Zeiten hinweg grundsätzlich als verwerflich eingestuft wurden. Allerdings ist davon auszugehen, dass nur die Minderzahl der heutigen Sexualdelikte zu allen Zeiten und überall strafbar gewesen ist.27 Auch in der Gegenwart sind die Vorstellungen über Sexualität und über die Frage von Legalität und Illegalität sexuellen Verhaltens besonderen Einflüssen ausgesetzt. So führt Sigusch in seinem Werk über die Geschichte der Sexualwissenschaft aus, dass die Massenmedien derzeit die frühere Aufgabe der Sexologie übernehmen und diese effektiver (und wohl auch affektiver) praktizieren. Das Aufklären und Brechen der Tabus, das Vorstellen der sexuellen Sonderbarkeiten, das Lüften letzter Geheimnisse und die Preisgabe und Selbstpreisgabe der Individuen beschreibe das gegenwärtige Bild. Kritisch beschreibt Sigusch Einflüsse auf die Sexualwissenschaft, die gleichermaßen auch auf die Strafrechtsetzung anzuwenden sind. Demnach kann die Sexualwissenschaft im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Funktion nicht den Interessensgegensätzen und Widersprüchen entkommen: „Sind die Zeichen wie in den sechziger Jahren offen auf Entsublimierung gestellt, sollen alle Sexualwissenschaften für alle Sexualitäten eine Lanze brechen. Stehen die Zeichen auf Restauration und Entsexualisierung, wird kritische Sexualwis28 senschft abgestellt […].“

26 27 28

Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 4. Göppinger, Kriminologie, S. 505 f. Zur Funktion der Sexualwissenschaft führt Sigusch weiter aus: „Also nicht als Advokat von Monogamie, Promiskuität, Partnertausch, E-Sex, Objektophilie oder sonstwas bewährtem, sondern indem versucht wird zu verstehen, warum sich Menschen so und nicht anders verhalten, indem der humane Impuls gesucht und verteidigt wird, der in der Aufklärung und in Emanzipation steckt, indem versucht wird zu begreifen, dass ein Verstand, der sich auf die Leiblichkeit des Sexualdrangs besinnt, versucht, ins un-

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1. Kapitel

Die Liberalisierung im Hinblick auf die Entkoppelung von moralischen Anschauungen und Bewertungen rechtlicher Regelungen, die sich in der Strafrechtswissenschaft in den 60er und 70er Jahren durchgesetzt hat, kann als Paradigmenwechsel bezeichnet werden.29 Gerade die gesellschaftlichen Einflüsse können bei verantwortungsvoller Bewahrung und praktischer Umsetzung dieser Erkenntnis einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Im 13. Abschnitt des StGB definieren Normen die Sexualkriminalität. Unabhängig von der materiell strafrechtlichen Perspektive, die im Hinblick auf die rechtsgutsorientierte Diskussion insbesondere den Fokus auf den Begriff der sexuellen Selbstbestimmung richtet, lassen die kodifizierten Normen zudem andere Differenzierungsmerkmale erkennen: So können Taten dahingehend unterschieden werden, ob sie mit und ohne körperlichen Kontakt verwirklicht werden, sog. Hands-off- und Hands-on-Delikte.30 Allerdings findet sich im 13. Abschnitt auch diesbezüglich keine durchgehende und logische Systematik. Bestimmte Handlungen sind teils im selben Tatbestand enthalten, wie etwa in den §§ 176 Abs. 2, 182 Abs. 1 Nr. 2, oder aber in unsystematischer Weise an anderer Stelle erfasst. So steht § 180 Abs. 3 StGB in sachlichem Zusammenhang mit § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 180 Abs. 2 StGB mit § 182 Abs. 2 StGB.31 Weitere eher kriminologische Abgrenzungen beziehen sich auf die Triebanomalie oder die gewalttätige Durchsetzung der Wünsche des Täters. So gehören die sexuell motivierten Tötungen, die Vergewaltigung, der sexuelle Missbrauch, die sexuelle Nötigung und der Exhibitionismus zu den klassischen Sexualdelikten bzw. den Sexualstraftaten im engeren Sinne. Demgegenüber enthält der Bereich des kommerzialisierten Sexualverhaltens die Sexualstraftaten im weiteren Sinne, die insoweit der Sexualität einen Warencharakter verleihen; d.h. Sexualität ist Mittel zum Zweck des mittelbaren oder unmittelbaren Gelderwerbes. Es geht konkret um die Möglichkeiten des Gelderwerbs durch die Befriedigung sexueller Bedürfnisse anderer. Dazu gehören Delikte wie Prostitution, Zuhälterei oder Menschenhandel.32

29 30 31 32

scheinbare vorzudringen, im leibhaftigen Leben einen Ort des geringsten Scheins zu finden, einen Ort, der zu sein die kritische Bestimmung der Vernunft selber ist“, Sigusch, Geschichte der Sexualwissenschaft, S. 538. Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 5. Göppinger, Kriminologie, S. 508. Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 49. Göppinger, Kriminologie, S. 508.

Grundlagen der Untersuchung

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Die Verknüpfung von Moral und Sexualität ist im Rahmen der Strafrechtsetzung ein schwer zu lösendes Problem, selbst wenn nach außen die Absicht einer Entmoralisierung verkündet wird. Es stellt sich die Frage, wie die Sphären des Sexuellen und der Sexualität und – im besonderen Kontext dieser Arbeit stehend – die Sexualentwicklung bestimmt werden kann. Eine Bestimmung ist notwendige Voraussetzung für die Erkenntnis des sozial unerträglichen, was eine Intensität erreicht, dass es (ausnahmsweise) mit Strafe und insbesondere einem sozialethischen Tadel belegt werden muss. Sigusch beschreibt in einem Essay zu Ehren von Jäger (dabei geht es insbesondere um das hervorzuhebende Verdienst Jägers – nämlich das unbeirrbare Bestreben, das Sexualstrafrecht zu entmoralisieren): „Zwischen dem sexuellen Wunsch und seiner Befriedigung gähnt in unserer Gesellschaft ein Abgrund, der nur überbrückt werden kann durch allgemein bestimmte Formen, also durch Sexualität, also durch Diszipliniertes und Erstarrtes, um das wir um so uneinsichtiger und unbelehrbarer unseren Zirkus veranstalten, Gott sei Dank. Alle Sphären des Sexuellen und der Sexualität, von der großen Liebe bis zum perversen Triebdurchbruch, bilden eine Einheit: die des ungelösten Widerspruchs. Weil der Widerspruch aus allgemeinem Grund ungelöst ist, ist keine in sich harmonische Möglichkeit des Sexuellen zu erkennen.“33

Der unlösbare Widerspruch des Sexuellen lässt es als vergebliche Mühe erscheinen, Sexualität inhaltlich zu definieren und werten zu wollen. Für den Aufbau und die Anwendung eines Schutzkonzeptes und die Begründung und Rechtfertigung von strafrechtlichen Verbotsnormen, muss der Blickwinkel vielmehr auf wesentliche, fundamentale Elemente gerichtet werden. Phänomenologische oder viktimologische Erkenntnisse, etwaige Trieb- und Tätertypologien entfalten ihren Mehrwert im Rahmen der General- und Spezialprävention, der behördlichen Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung. Wenig differenziert, kann derartiges Wissen neben oder zusammen mit moralistischen Aspekten den Blick auf diese fundamentalen Elemente trüben. Das Rechtsgüterschutzkonzept hat eben auch aus dieser Perspektive einen wahrlich schweren Stand.

3. Oberbegriff des sexuellen Missbrauchs Neben der gebräuchlichen Verwendung des Begriffs des sexuellen Missbrauchs gibt es noch eine Vielzahl weiterer Termini, die als Bezeichnung dieses Problembereichs Anwendung finden, etwa sexuelle Gewalt, sexuelle Kindesmisshandlung, Gewalt gegen Minderjährige / Jugendliche / Kinder oder auch sexuelle Ausbeutung. Der Begriff der sexuellen Ausbeutung wird häufig 33

Sigusch, Jäger Essays, S. 140.

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1. Kapitel

mit dem Begriff des sexuellen Missbrauchs gleichgesetzt oder als besondere Ausdrucksform für die Komponenten Macht und Unterdrückung verwendet. Auch findet sich eine Nähe zum Begriff der Kinderpornographie.34 Zum besseren Verständnis kann außerhalb bestehender Legaldefinitionen der Begriff des sexuellen Missbrauchs auch nach den Kriterien Mitteleinsatz und Einwilligungsfähigkeit differenziert werden. Wird unterstellt, dass es zwischen Erwachsenen und Jugendlichen, wohl aber nicht zwischen Erwachsenen und Kindern, ohne Zwangsausübung im weitesten Sinne auch positiv erfahrene Sexualkontakte geben kann, bedarf es eines zusätzlichen Mittels, um den Missbrauch zu begründen. Besondere Mittel sind etwa Drohung, Zwang oder körperliche Gewalt. Stellt man hingegen darauf ab, dass eine Einwilligungsfähigkeit ausschlaggebendes Kriterium sei, spielt der Mitteleinsatz keine Rolle, da jede sexuelle Interaktion zwischen Erwachsenen und Minderjährigen bzw. sexuell Unmündigen missbräuchlich ist.35 Aus der Sicht des materiellen Strafrechts stellt sich der Begriff des sexuellen Missbrauchs als Synthese dieser beiden Elemente dar. Während beim sexuellen Missbrauch von Kindern unter 14 Jahren allein die sexuelle Handlung an einer solchen Person den Missbrauchstatbestand erfüllt, muss beim sexuellen Missbrauch von Jugendlichen neben der sexuellen Handlung ein zusätzliches Kriterium wie eine Zwangslage, Entgeltleistung oder fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung erfüllt sein. Der Gesetzgeber unterscheidet insofern im Rahmen der juristischen Begriffsbestimmung zwischen dem Missbrauch von einwilligungsunfähigen Kindern und dem mittel- oder wenigstens situationsabhängigen Missbrauch von bedingt einwilligungsfähigen Jugendlichen. Im Bereich der Jugendschutzdelikte kommt allerdings dem in der jeweiligen Strafnorm genannten Begriff des sexuellen Missbrauchs keine nennenswerte Bedeutung zu. In § 174 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB verkörpern sich die Tathandlungen durch die Vornahme sexueller Handlungen in bestimmten Abhängigkeitsverhältnissen, die dadurch generell missbräuchlich sind.36 Der Missbrauch der Abhängigkeit i.S.d. § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB steht hingegen in einem speziellen Kontext, so dass sich die Bezeichnung des sexuellen Missbrauchs lediglich in der Überschrift findet. Keine Erwähnung findet der Begriff in § 180 StGB, obgleich die Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger neben der Kuppelei auch die Prostitutionsförderung erfasst und 34 35 36

Amann / Wipplinger, Sexueller Missbrauch, S. 14 f. Jost, Opfer sexuellen Missbrauchs, S. 13 f. Lackner / Kühl, StGB, § 174, Rn. 2a.

Grundlagen der Untersuchung

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die in § 180 Abs. 3 StGB kodifizierte Förderung von sexuellen Handlungen im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses dem Charakter des mit dem Begriff sexueller Missbrauch titulierten § 174 StGB entspricht. Auch § 182 StGB vermag dem Begriff des Missbrauchs keine eigenständige oder zumindest dominante Bedeutung zu verleihen, da etwa in § 182 Abs. 1 StGB die Ausnutzung einer Zwangslage tatbestandsbegründendes Merkmal ist.37

4. Pornographie Der Begriff der Pornographie gehört zu den unbestimmten Rechtsbegriffen. Der Gesetzgeber hat die Ausfüllung des Begriffs der Rechtsprechung überlassen.38 Durch § 184 StGB, der im Hinblick auf die pornographischen Schriften auf § 11 Abs. 3 StGB verweist, werden lediglich die von der Norm betroffenen Darstellungsarten näher definiert. Unbestritten muss die pornographische Darstellung einen Bezug zum Bereich des Sexuellen aufweisen. Daneben ist das präsentierte sexuelle Geschehen im Kontext der Gesamtdarstellung von Bedeutung.39 Der Begriff der Pornographie lässt sich näher anhand entwickelter Konzeptionen bzw. Hauptkriterien differenzieren: Der BGH hat ursprünglich zum Begriff der „unzüchtigen Schriften“ i.S.d. § 184 StGB (a.F.) auf die Irrealismus- und Isolierungskriterien abgestellt. Anhaltspunkte für sexuelle Vorgänge in übersteigerter, anreißerischer Weise ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen könnten sich etwa ergeben aus einer aufdringlichen, verzerrenden, unrealistischen Darstellung geschlechtlicher Vorgänge, aus der Verherrlichung von Ausschweifungen oder Perversitäten und aus der obszönen Ausdrucksweise.40 Im Vordergrund standen insofern die Isolierung der Sexualität von anderen Lebensäußerungen, das Unrealistische der Darstellung41 und auch die Tendenz zur Aufdringlichkeit. Im Rahmen der Neugestaltung des § 184 StGB durch das 4. StrRG (Gegenstand waren nicht mehr unzüchtige, sondern pornographische Schriften), wurden die Merkmale der Stimulierungstendenz und der Anstandsverletzung hervorgehoben. Demnach werden unter Pornographie solche Darstellungen 37

38 39 40 41

Die eigenständige Bedeutung des Merkmals Missbrauch in § 182 StGB ist allerdings umstritten, vgl. dazu u.a. Ziegler, OK-StGB, § 182, Rn. 4; Frommel, NK, § 182, Rn. 7; Lackner / Kühl, StGB, 182, Rn. 2. Fischer, StGB, § 184, Rn. 5; Erdemir, Spind. / Sch., JMStV, § 4, Rn. 45. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 713. BGH, NJW 1969, 1819. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 716.

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1. Kapitel

verstanden, die zum Ausdruck bringen, dass sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei dem Betrachter abzielen und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreiten.42 In der weiteren langjährigen Rechtsprechung des BGH festigte sich die Bestimmung des Pornographiebegriffs durch die Kriterien Stimulierungstendenz, isolierte Darstellung der Sexualität, Aufdringlichkeitstendenz und Anstandsverletzungstendenz bzw. werteverletzende Tendenz.43 Zusammenfassend kann eine Darstellung dann als pornographisch bezeichnet werden, wenn sie unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt und die in ihrer Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt ist sowie dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertevorstellungen gezogenen Grenzen eindeutig überschreitet.44 Das Kriterium der gesellschaftlichen Wertvorstellungen ist dabei nicht als fester, unveränderbarer moralischer Standard zu verstehen. Gerade im Zeitalter der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz von inszenierten sexuellen Handlungen, die im Bereich der Mainstream-Unterhaltungstechnologie wie Kino, TV und Internet verbreitet werden, wandeln sich die gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Was künftig unter Pornographie zu fassen ist, muss den erheblich veränderten Wertvorstellungen im Hinblick auf Nacktheit und Sexualität (diese veränderte Sichtweise kann zurecht als Paradigmenwechsel bezeichnet werden45) hinreichend Rechnung tragen. Wird durch die genannten Abgrenzungskriterien versucht, dem Begriff der Pornographie eine gewisse Kernbestimmung zu verleihen, wird der Begriff zuweilen auch unter Bezugnahme der strafrechtlich relevanten Schutzzwecke ausgelegt. Der Wertmaßstab für das Verbot sog. harter Pornographie (GewaltKinder- und Tierpornographie) lässt sich aufgrund der nahezu konstanten gesellschaftlichen Auffassung über Verbotserfordernisse konturiert bestimmen. Dagegen erscheint es weitaus schwieriger, wie in § 184 Abs. 1 StGB beabsichtigt, einem Kompromiss zwischen den (legalen) Konsuminteressen Erwachsener und dem durch die Verbotsnormen praktizierten Jugendschutz

42 43 44 45

BT-Drs. VI/3521, S. 60. Vgl. dazu BGH, Beschluss vom 07.04.1981, Az.: 1 StR 137/81; BGH, NJW 1990, 3027; BVerwG, NJW 2002, 2966; so auch Erdemir, Spind. / Sch., JMStV, § 4, Rn. 46. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 4. So Erdemir, Spind. / Sch., JMStV, § 4, Rn. 48.

Grundlagen der Untersuchung

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gerecht zu werden.46 Wird der Pornographiebegriff etwa im Kontext des Konfrontationsschutzes ausgelegt, besteht die Gefahr einer zweckbezogenen differenzierten Bewertung. Sollen Erwachsene gem. § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB vor ungewollter Konfrontation mit pornographischen Schriften geschützt werden, wird hier das Kriterium der gesellschaftlichen Wertvorstellung ggf. anders ausgelegt, als wenn Jugendliche gem. § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3a, 5 StGB vor solchen pornographischen Inhalten bewahrt werden sollen, die verstörend wirken können.47 Sofern es bei der Darstellung nicht nur um Pornographie, sondern zugleich auch um Kunst geht, bedarf es einer einzelfallbezogenen tatrichterlichen Abwägung zwischen der Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG einerseits und dem Jugendschutz andererseits.48 Der durch die Rechtsprechung49 entwikkelte offene, formale Kunstbegriff50 bezieht sich auf die Formgestaltung eines bestimmten Werktyps. Es wird hingegen nicht auf etwaige materielle Inhalte oder auf das Gestaltungsniveau abgestellt.51 Ein pornographischer Roman kann daher zugleich auch Kunst sein.52 Da sich der formale Kunstbegriff nur auf die Gestaltungsanforderungen bezieht, genügen auch pornographische Produkte regelmäßig diesen formalen Anforderungen. Denn Fotomagazine und Filme sind genauso anerkannte Werktypen wie Romane, Gedichte oder Gemälde. Im Falle einer erforderlichen Abwägung zwischen der Freiheit der Kunst und den entgegenstehenden Schutzzielen ist zu beachten, dass die Kunstfreiheit obgleich keiner ausdrücklichen Schrankenregelung gem. Art 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht schrankenlos gewährt wird. Sofern Grundrechte anderer sowie mit Verfassungsrang ausgestaltete Rechtsgüter verletzt werden, findet auch die 46 47 48 49 50

51 52

Vgl. dazu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 417. Ähnlich Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 723 f. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 725. BVerfGE 67, 213; 75, 369; 81, 278; BGH 37, 55 (Opus Pistorum-Entscheidung). Im Gegensatz zum offenen, formalen Kunstbegriff ging früher die h.M. von einem materiellen Kunstbegriff aus. Demnach konnte Kunst zwar obszön sein, aber nicht pornographisch. Grund dafür war die der Pornographie innwohnende Überbetonung (also die Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge). So wurde einem „echten Kunstwerk“ die geistige und überhöhte künstlerische Gestaltung als dienender Bestandteil zugesprochen, die eben nicht ausgeklammert werden kann, vgl. dazu Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 5a. Fischer, StGB, § 184, Rn. 8. BVerfGGE 83 (130): Das BVerfG hatte in seinem Beschluss die Aufnahme des pornographischen Romans „Josefine Mutzenbacher – Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt“ in die Liste jugendgefährdender Schriften für verfassungswidrig erklärt. Dem Staat ist demnach ein Recht zur Stil-, Niveau- oder Inhaltskontrolle versagt.

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Kunstfreiheit ihre (verfassungsimmanenten) Schranken.53 Ausdrücklich wird der Jugendschutz durch das BVerfG als hochrangiges Gut eingeordnet. Demnach genießt der Jugendschutz aufgrund des in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verbrieften elterlichen Erziehungsrechts und der Gewährleistungen von Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG Verfassungsrang.54

B) Methodik der Untersuchung I. Zeitgeschichtliche Betrachtung Die Geschichte des Strafrechts ist eine Geschichte nie endender Reformen. Dabei unterliegen die Reformbemühungen keiner einheitlichen Systematik, sondern werden durch vielfältige geistige Strömungen im Rahmen kriminalpolitischer Zielformulierungen beeinflusst und sind eingebettet in die jeweilige politische Landschaft, die wiederum einer ständigen Ambivalenz unterworfen ist.55 Diesem Gedanken folgend verläuft eine Reformentwicklung kaum vorhersehbar und entspricht nicht etwa der Logik von naturwissenschaftlichen Entwicklungsstufen. Wenn im Rahmen der Reform des Sexualstrafrechts Mitte des 20. Jahrhunderts eine Abkehr vom Schutz von Schamgefühlen, Sittlichkeit, Moralität und rein ethischen Verhaltensansprüchen bezweckt wurde und sich die Pönalisierung auf gravierende sozialschädliche Verhaltensweisen ausrichten sollte56, so mag im Rahmen einer Zwischenbilanz das vorläufige Resultat Ende des 20. Jahrhunderts verblüffen. Von den ursprünglichen Grundgedanken der Reformer, die mitunter die ultima ratio Funktion des Strafrechts deutlich herausstellten, blieb im Verlauf der strafrechtlichen Folgeänderungen wenig übrig. Es ist insofern kein Geheimnis, dass die Sexualdelinquenz in den Bereichen des materiellen Strafrechts und der strafprozessualen Eingriffsbefugnisse zum Motor der Kriminalpolitik geworden sind.57 Dieses Beispiel veranschaulicht die Bedeutung der Einbeziehung strafrechtshistorischer Aspekte in die Gesamtbetrachtung. Soll die Hinzuziehung strafrechtshistorischer Elemente im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Betrachtung eine normative Erweiterung darstellen, so ist eine zeitliche Eingrenzung erforderlich. Diese darf nicht beliebig definiert werden, da es sich um einen Zeitabschnitt handeln muss, der durch die Gemeinsamkeit wesentlicher Merkmale charakterisiert ist und so 53 54 55 56 57

Hörnle, MK, § 184, Rn. 24. BVerfG, NVwZ 2009, 907. Eser / Hecker, Sch / Schr., Einf., Rn. 17. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 12. Duttge / Hörnle / Renzikowski, NJW 2004, 1072.

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gewisse geltende Rechtsgrundsätze in Anspruch nehmen kann. Es bietet sich an, diesen zeitlichen Abschnitt als juristische Zeitgeschichte zu betrachten. Zeitgeschichte ist demnach die Geschichte der gegenwärtigen Epoche.58 Die zeitgeschichtliche Betrachtung in Gänze – und nicht nur der fragmentarische Rückgriff auf historische Dokumente bei Bedarf – lässt spezifische Entwicklungslinien und Kurven einer Epoche sichtbar machen. Gemessen an den Ansprüchen des Rechts können Bewertungen und Entwicklungen als positiv oder als verhängnisvoll erkannt werden. So lassen sich unter Umständen Handlungsanleitungen für die Gegenwart ableiten.59

II. Rechtsgutstheoretischer Ansatz 1. Primat der Straflosigkeit als Normalfall Der Verfassungsgesetzgeber sieht gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung ein staatliches Bestrafungsrecht vor. Was jedoch der Staat mit Strafe bedrohen und ggf. bestrafen darf, kann der verfassungsrechtlichen Herleitung des ius puniendi allerdings nicht entnommen werden.60 Es stellt sich insofern die Frage nach dem legitimen Umfang des Strafrechts. Der materielle Verbrechensbegriff61 beschreibt in diesem Zusammenhang, was durch den Gesetzgeber im Rahmen einer inhaltlichen Betrachtung bestraft werden kann. Er ist somit vorpositiver Natur, d.h. er bildet einen verbindlichen kriminalpolitischen Maßstab für den Gesetzgeber, bevor dieser mit der konkreten Rechtsetzung beginnt. Ein so verstandener Verbrechensbegriff verhindert, dass der Gesetzgeber nach Belieben ggf. nicht erforderliche Strafnormen erlässt. Jeder Überschuss an Strafrechtsetzung über den Bereich des materiellen Verbrechensbegriffs hinaus ist ein illegitimer Übergriff des Gesetzgebers.62 So plausibel diese Grundidee auch klingen mag, ihre konzeptionelle Manifestation ist mit einer Vielzahl von Problemen behaftet, die im Folgenden näher erläutert werden. Die Aufgabe des Strafrechts ist der Schutz von Rechtsgütern. Im Gefüge der Rechtsordnung und im Gesamtsystem sozialer Kontrolle kommt dem straf58 59 60 61

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Zum Begriff der Zeitgeschichte und den alternativen Ansätzen siehe Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 6 ff. Dazu ausführlich Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 15. Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 1. Im Gegensatz dazu beschreibt ein formeller Verbrechensbegriff das, was der positive Gesetzgeber als Straftat tatsächlich kodifiziert hat, vgl. dazu Lackner / Kühl, StGB, Vorbem., Rn. 2. Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 53.

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rechtlichen Rechtsgüterschutz eine besondere Bedeutung zu. Strafrecht muss verstanden werden als letztes Mittel, um dem gesellschaftlichen Interessenkonflikt gerecht zu werden.63 Strafrecht ist daher die ultima ratio der Sozialpolitik64, also das letzte verfügbare Mittel, um einen „Belang der Allgemeinheit“ zu schützen.65 Die Aufgabe des Strafrechts ist daher nicht der allgemeine und umfassende Schutz von Rechtsgütern, sondern präzisiert der „subsidiäre Rechtsgüterschutz“. Vor materiell-strafrechtlicher Kodifizierung bedarf es einer umfassenden Prüfung, ob der Rechtsgüterschutz nicht ausreichend durch außerstrafrechtliche Normen gewährleistet werden kann. Dazu gehört das Zivilrecht ebenso wie das Verwaltungsrecht. Das Subsidiaritätsprinzip ist ein Element des Verhältnismäßigkeitsprinzips, welches sich aus dem Rechtsstaatsgrundsatz ableitet. Das sich so abzeichnende Strafrecht ist absichtlich lückenhaft, insofern wird zutreffend von einer „fragmentarischen Natur des Strafrechts“66 gesprochen.67 Betrachtet man das materielle Strafrecht als Flickenteppich, so gilt es nicht – wie allerdings häufig formuliert – die Strafbarkeitslücken zu schließen, sondern diese Lücken möglichst zu bewahren und ggf. zu vergrößern.68 Die Hervorhebung eines subsidiären Rechtsgüterschutzes und mithin die gesellschaftliche Errungenschaft eines fragmentarischen Strafrechts ist nicht als Abkehr von einem konsequenten Strafen und auch nicht als Verweichlichung des materiellen Strafrechts zu verstehen. Mit den Worten von Jellinek ist das Recht ein „ethisches Minimum“.69 Strafnormen sollten ausschließlich den Bereich erfassen, der von jedermanns Gewissen akzeptiert wird. Zu einem solchen Kernstrafrecht70 gehören insbesondere Tötungsdelikte, Diebstahl, Raub, Körperverletzung, Betrug etc. Je mehr sich die Moralvorstellungen einzelner Personen oder Institutionen durch konkrete Normen widerspiegeln und je weniger die Normen von jedermanns Gewissen akzeptiert werden, desto mehr entfernt sich das Recht von seiner fragmentarischen oder subsidiären Natur.71 Eine durchaus beispielhafte Besinnung auf den fragmentarischen Charakter des Strafrechts erfolgte im Rahmen der Neugestaltung der Sexualdelikte im 13. Abschnitt des StGB durch das 4. StrRG vom 23. Novem63 64 65 66 67 68 69 70 71

Stree / Kinzig, Sch / Schr., Vorbem. §§ 38 ff., Rn. 1. Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 97. BVerfG, NJW 2008, 1138 u. 1142. Zum Begriff ausführlich Maiwald, Maurach FS, S. 9 f. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 225. Kempf, NJW 1997, 1731; Kühl, Maiwald FS, S. 448; Vormbaum, JZ 1999, 613. Jellinek, Recht, Unrecht und Strafe, S. 45. Zum Begriff vgl. Meyer, ZStW 2011, 6. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 206 f.

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ber 1973.72 Die Reform führte insgesamt zu einer weitgehenden Einschränkung der Strafbarkeit.73 In einem für das spätere Gesetzgebungsverfahren maßgeblichen Gutachten setzte sich Hanack für eine Entmoralisierung des Sexualstrafrechts intensiv ein und formulierte, auch vor dem Hintergrund der starken Kritik am Gesetzgebungsvorhaben, eine entscheidende Aussage zum Wesen des Strafrechts: „Die geschilderte notwendige Beschränkung des Strafrechts mag manchen als ethische Entleerung des Rechts erscheinen. In Wahrheit macht sie gerade seine Würde aus: Sie verhindert, dass sich das Recht zum Machtmittel einer herrschenden Klasse oder Gruppe erniedrigt, lässt der Freiheit des Bürgers den größtmöglichen Spielraum und beugt der geistigen Verarmung vor, die es mit sich bringen müsste, wenn das Volk im Strafrecht seinen Sittenkodex sähe und im Strafrichter seine moralische Instanz. Denn für eine solche Funktion ist jedes Gesetz zu grobschlächtig und der Richter nicht zuständig.“74

Für denjenigen, der Rechtsgüter gefährdet oder verletzt, stellt die kriminalstrafrechtliche Sanktion in Form der Hauptstrafe (d.h. Freiheits- oder Geldstrafe) regelmäßig die gravierendste Folge dar. Selbst wenn dies bei Betrachtung der rein materiellen Folgen nicht sofort einleuchtet, etwa beim Vergleich angedrohter Geldbußen bei Ordnungswidrigkeiten mit dem Tagessatzsystem nach § 40 StGB, ist die kriminalstrafrechtliche Sanktion mit einem „sozialethischen Tadel“ verbunden.75 Diese besondere Form des Tadels hebt sich von anderen rechtlichen Sanktionen deutlich ab, weil sie mit Bezug auf die Sozialethik76 verhängt wird. Insofern ist die in der Strafe liegende Missbilligung ein „Unwerturteil von höherer Dignität“, welches nur für Verhaltensweisen ausgesprochen werden sollte, die sich als evident gravierende Rechtsbrüche darstellen.77

2. Die historischen Wurzeln des Rechtsgüterschutzkonzepts Um ein wirkliches Verständnis für die Rechtsgutslehre zu entwickeln, bedarf es der zumindest ansatzweisen Darlegung des historischen Ursprungs. Die historische Entwicklung umfasst jedoch ein rechtshistorisches Untersuchungsfeld, welches für sich ein weites Ausmaß in Anspruch nimmt und insofern diese Arbeit inhaltlich überfordern und das eigentliche Thema abstrahieren 72 73 74 75 76 77

BGBl. 1973 I. S. 1725. Perron / Eisele, Sch / Schr., Vorbem. §§ 174 ff., Rn. 1. Hanack, Gutachten, S. A 30. Radtke, MK, Vorbem. §§ 38 ff., Rn. 2. Vgl. dazu Kühl, Maiwald FS, S. 444. Ausführlich zum Begriff des sozialethischen Tadels Kühl, ZStW 2004, 882; zur hervorgehobenen Bedeutung der Strafe siehe Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 102.

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würde. Umfangreich wird das Rechtsgüterschutzkonzept in dem Werk von Amelung dargestellt, auf welches im Hinblick auf die historische Darstellung verwiesen wird.78 Nur soviel sei einleitend gesagt: Der Begriff des Rechtsguts wird in der Strafrechtsliteratur auf einen Aufsatz79 des Strafrechtslehrers Johann Michael Franz Birnbaum zurückgeführt. Birnbaum erwähnt in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1834 den Begriff des „Guts“, aus dem sich später der Rechtsgutsbegriff entwickelte. Eine präzise Definition des Guts ist Birnbaums Ausführungen jedoch nicht zu entnehmen.80 Er versteht jedoch seine Gutsverletzungslehre als eine vorpositive Verbrechenslehre. Das Verbrechen sei „nach der Natur der Sache“ oder „vernunftgemäß“ die Verletzung eines allen zu garantierenden Guts.81 Die Abhandlung stellte, obwohl sie anfänglich kaum beachtet wurde, eine wichtige Zäsur dar, da sie den Gedanken des Rechtsguts in das wissenschaftliche Bewusstsein ihrer Zeit gehoben hat. Die Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs unter gegenwärtigen rechtswissenschaftlichen Bedingungen wird allerdings vielfach relativiert. Die begriffliche Erfassung eines materiellen Wesenskerns aller Verbrechen im Sinne Birnbaums musste sukzessive den abstrakt-generellen Rechtsgutsdefinitionen weichen. Das Rechtsgut wurde überwiegend zum Synonym für die ratio legis.82 Während das Rechtsgüterschutzkonzept im Allgemeinen als ein methodisches Mittel zur Begrenzung bzw. zumindest zur einschränkenden Auslegung des Strafrechts aufgefasst wird, stand erstaunlicherweise am Anfang der Entwicklung des Rechtsgüterschutzgedankens der Wunsch nach Expansion des Strafrechts im Vordergrund. Birnbaum kritisierte mitunter, dass man keine Rechte verletzen könne, sondern lediglich Güter, die Gegenstand von Rechten seien. Obgleich dies begrifflich zutreffend ist, wurden durch den Abschied vom Rechtsverletzungsparadigma83 Strafandrohungen gegen Handlungen legiti78 79 80 81 82 83

Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 15 ff. Vgl. Aufsatz v. Birnbaum mit dem Originaltitel „Ueber das Erforderniß einer Rechtsverletzung zum Begriffe des Verbrechens“ in Vormbaum, Strafrechtsdenker, S. 395 ff. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 45. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 46. Dubber, ZStW 2005, 505; Swoboda, ZStW 2010, 28. Nach Kant ist Recht „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür jedes anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“, vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, zitiert nach Vormbaum, Strafrechtsdenker, S. 232 ff. Kant, Feuerbach und andere Strafrechtstheoretiker des ausgehenden 18. Jahrhunderts nahmen auf Grundlage des Rechtsbegriffs an, dass der Kanon dessen, was der Staat legitimerweise mit Strafe belegen darf, auf Rechtsverletzungen begrenzt ist. Die Gesinnung des Täters geht den Staat nichts an, ebenso sind Moral und Strafrecht strikt getrennt, vgl. dazu Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 48.

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miert, die keine natürliche oder juristische Person in ihren Rechten verletzten. Nach der Rechtsverletzungslehre können keine Handlungen bestraft werden, die gegen Grundsätze der Sittlichkeit und des Anstandes verstoßen, nach der Rechtsgutslehre ist dies – je nach Interpretation des Rechtsgüterschutzkonzepts – durchaus möglich. Die Aufgabe der Rechtsverletzungslehre kann daher als „strafrechtstheoretischer Niederschlag allgemeiner Entwicklungen“ angesehen werden.84 Dennoch kann das Rechtgüterschutzkonzept als bedeutende Errungenschaft der kriminalpolitischen Reformbewegung der Aufklärung85 angesehen werden. Allein das der Rechtsverletzungslehre und auch der Rechtsgutslehre grundlegende Postulat, dass eine Handlung nur dann mit krimineller Strafe bedroht werden dürfe, wenn sie Belange anderer verletzt, ist auf die große kriminalpolitische Reformbewegung zurückzuführen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ganz Europa erfasste.86 Die Strafrechtstheoretiker im Zeitalter der Aufklärung waren bemüht, säkulare Begründungen für das Strafrecht zu finden. Begründungen dahingehend, dass jedes Verbrechen als Verstoß gegen göttliche Gebote betrachtet werde, die Strafe als Entsühnung des Verbrechers und Ablösung einer auf dem Volk liegenden Blutschuld diene, wurden zunehmend abgelehnt.87 Als Grundlage für ein vernunftrechtliches System wurde die Lehre vom Sozial- oder Gesellschaftsvertrag88 entwickelt, die ebenfalls untrennbar mit dem Rechtsgutsverständnis verknüpft ist. Der Gesellschaftsvertrag war gerade im Hinblick auf das Strafrecht von Bedeutung, da durch ihn der legitime Umfang des staatlichen Strafens ermittelt und begrenzt werden 84 85

86 87 88

Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 56. Zum Begriff der Aufklärung im Kontext der strafrechtlichen Entwicklung siehe Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 6: „Die Aufklärung bildete den Kulminationspunkt eines groß angelegten Säkularisierungsprozesses, der das mittelalterliche Weltbild langsam zersetzte und der dem Strafrecht, neben einer auf schreckliche und sinnlose Exzesse der Grausamkeit folgenden Ernüchterung, eine Neuorientierung der Begriffswelt brachte: eine Verlagerung vom Metaphysischen ins Soziale, eine Emanzipation von teleologischen Bindungen […].“ Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 16. Vormbaum, Strafrechtsdenker, S. 53. Dem Gesellschaftsvertrag liegt folgende theoretische Überlegung zugrunde: Die ursprünglich einzeln lebenden Individuen sind angreifbar und verletzlich und im Rahmen des Naturzustandes den Angriffen der Mächtigen unter ihnen ausgesetzt. Es gilt das Recht des stärkeren Individuums. Um diesen Status der Unsicherheit zu beenden bilden sie eine bürgerliche Gesellschaft und geloben, untereinander Frieden zu halten. Dies funktioniert nur dann, wenn jeder seine natürlichen Rechte ungestört genießen kann. Während diese Vereinbarung als erster Vertrag angesehen werden kann, wird in einem zweiten Vertrag der Staat errichtet, der als Garant der neu geschaffenen Ordnung die Einhaltung der Verträge überwacht, vgl. dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 19 f.

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sollte. Durch derartige kontraktualistische Theorien soll nach dem Übertritt vom Naturzustand in den Gesellschaftszustand das friedliche Zusammenleben durch Sicherung der Rechte jedes Einzelnen erreicht werden. Somit deckt der Gesellschaftsvertrag nur die Kodifizierung staatlicher Verbote, die den vertraglichen Bedingungen zuwiderlaufen, insofern Normen, die menschliches Zusammenleben ermöglichen. Daraus ergibt sich auch die Pflicht zur Achtung der Rechte anderer und zur Anerkennung und Achtung des Staates.

3. Die Rechtsgüterschutzkonzepte der Gegenwart Verbote oder Gebote werden erst durch den Rechtsgüterschutzgedanken legitimiert. Eine Verhaltensnorm darf jedoch nicht uferlos oder gar willkürlich bestimmte Rechtsgüter schützen, da neben dem Aspekt des Schutzes die andere Seite der Medaille regelmäßig einen Eingriff in Grundrechtspositionen verkörpert. Vereinfacht gesagt ist ein wichtiges Legitimationskriterium der spezifische Nutzen, der hinter der Einhaltung einer Verhaltensnorm steht.89 Eine Bestimmung des Nutzens reicht jedoch bei weitem nicht aus, wenn man sich die Konsequenzen der Kriminalstrafe verdeutlicht. Um die Voraussetzungen für die Gewährleistung der Grundlagen eines gedeihlichen Neben- und Miteinanderlebens der Rechtsunterworfenen zu schaffen, umfasst der staatliche Rechtsgüterschutz notfalls auch die Mittel des Strafrechts.90 Der Rechtsgüterschutzgedanke soll insofern als Maßstab für legitimes Strafrecht Anwendung finden. Die Frage, was der Staat mit Strafe bedrohen und auch bestrafen darf, ist die Frage nach dem materiellen Verbrechensbegriff und soll durch den Rechtsgüterschutzgedanken methodisch dargelegt werden.91 Es ist jedoch kein leichtes Unterfangen, den Rechtsgüterschutzgedanken als allgemein verbindliche Methode anzuwenden. Zum einen ist unklar und heftig umstritten, was unter einem Rechtsgut zu verstehen ist.92 Während sich Individualgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Eigentum93 relativ unproblematisch inhaltlich bestimmen lassen, hat der Begriff des Rechtsguts im Hinblick auf die Rechtsgüter der Allgemeinheit (Universalrechtsgüter) einen Abstraktionsgrad erreicht, der das Fundament des Rechts89 90 91 92 93

Freund, MK, Vor §§ 13 ff. Rn. 135. Berz, Rechtsgüterschutz, S. 32. Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 53. Zur Begriffsbestimmung des Rechtsguts vgl. die umfangreiche Untersuchung von Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 15 ff. Rechtsgüterschutz ist vorrangig Individualgüterschutz, wie man es an zahlreichen Vorschriften des materiellen Strafrechts erkennen kann, vgl. dazu u.a. Herzog, NK, § 315, Rn. 3; Perron, Sch / Schr., § 32, Rn 5.

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güterschutzkonzepts doch erheblich erschüttern lässt.94 Zum anderen ist es strittig, welchen Anwendungsbereich die Rechtsgutslehre umfasst.95 Der rein methodische Rechtsgutsbegriff, der im Allgemeinen anerkannt ist, bezieht sich lediglich auf den Sinn und Zweck der bereits bestehenden Strafnormen. Seine Funktion beschränkt sich auf die teleologische Auslegung.96 Ein solches Rechtsgutskonzept bestimmt den Begriff des Rechtsguts als die schlichte Summe der im StGB formulierten, insofern positiven, Schutzobjekte.97 Somit ist das Rechtsgut nicht mehr als eine zusammenfassende Denkform für den Sinn und Zweck der einzelnen Strafrechtssätze oder – wie häufig formuliert wird – das Rechtsgut ist eine „Abbreviatur des Zweckgedankens“.98 Hassemer hat in diesem Zusammenhang für das rein methodische Rechtsgutsverständnis den Begriff des „systemimmanenten“99 Rechtsgutskonzepts entwickelt. Weitergehend ist jedoch der Gedanke des Rechtsguts dann, wenn er unmittelbare kriminalpolitische Auswirkungen hat und dem Gesetzgeber klare Grenzen aufzeigen kann.100 Das Problem liegt auf der Hand: Hinter dem positiven Rechtssatz steht zumindest im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens keine den Gesetzgeber überragende Legitimationsinstanz. Ferner stellt sich die Frage, nach welchem Wertungsmaßstab sich ein vorpositiver Rechtsgutsbegriff aus verfassungsrechtlicher Perspektive definieren darf.101 Hassemer hat für dieses Konzeptverständnis den Begriff „systemtranszendentes“102 bzw. „systemkritisches“ Rechtsgutskonzept formuliert. Im Gegensatz zum systemimmanenten Verständnis bedeutet beim systemkritischen Erkenntnisinteresse eine mangelnde Konkordanz zwischen Rechtsgutslehre und Gesetzessystem eine „Falsifizierung des Gesetzessystems an der Rechtsgutslehre“ (und nicht eine Falsifizierung der Rechtsgutslehre am Gesetzessystem).103 Auf den 94 95 96 97 98

99 100 101 102 103

Joecks, MK, Einl., Rn. 36. Dem Rechtsgüterschutzkonzept stehen u.a. ablehnend gegenüber Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 330 sowie Jakobs, Strafrecht AT, 2/13. Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 4. Hassemer, Theorie u. Soziologie des Verbrechens, S. 19. Die Bezeichnung geht auf Grünhut zurück, der das Rechtsgut unter diesem Aspekt eine „Substantivierung“ nannte, vgl. dazu Grünhut, Frank FS, S. 8; zudem u.a. erwähnt in Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 13; Lenckner / Eisele, Sch / Schr., Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 9a; Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 4. Hassemer, Theorie u. Soziologie des Verbrechens, S. 19 f. Vgl. zum Streit um den Rechtsgutsbegriff Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 1 bis 5. Zur neueren Kritik am Rechtsgüterschutzkonzept im Rahmen des Inzestbeschlusses siehe BVerfG, NJW 2008, 1138. Hassemer, Theorie u. Soziologie des Verbrechens, S. 19 f. Hassemer, Theorie u. Soziologie des Verbrechens, S. 22.

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Punkt gebracht bedeutet dies: Die systemkritische Rechtsgutslehre stellt den kritischen Maßstab dar, beurteilt wird das Gesetz. Die Anhänger einer ausschließlich systemimmanenten Rechtsgutslehre nutzen die konzeptionelle Vorgehensweise als methodisches Mittel, was nicht gleichzusetzen ist mit einer gänzlichen Ablehnung des Rechtsgüterschutzkonzepts. Sie gehen jedoch nicht so weit, dass über den Erkenntnisgewinn des Zweckgedankens hinaus eine legitimierende Funktion bzw. Grenzziehung beigemessen wird. Die Strafvorschrift bezweckt den Schutz eines bestimmten Rechtsguts. Damit einhergehend ist das Erkennen der ratio legis, also die Feststellung des Schutzzweckes der Norm, unerlässliche Voraussetzung für die funktionsgerechte Auslegung und Anwendung der materiellen Strafnorm.104 Jedenfalls hat sich das Rechtsgut aus dem systemimmanenten Verständnis heraus als Inbegriff von Sinn und Zweck der Norm und als Angelpunkt der teleologischen Auslegung zweifelsohne durchgesetzt.105 Somit ist aus der Perspektive der Strafrechtswissenschaft die systemimmanente Auslegung ebenso bedeutungsvoll wie die Frage nach strafrechtlicher Legitimation. Der Rechtsgutsbegriff hat insofern eine doppelfunktionale Bedeutung, jede dieser Funktionen hat eine eigenständige Existenzberechtigung. Die heutigen Rechtsgutskonzepte bieten eine Vielfalt an Definitionen, Wertungsmaßstäben und messen dem Rechtsgüterschutzkonzept eine unterschiedliche Tragweite bei. Die zahlreichen Erörterungsversuche des Rechtsgutsbegriffs sollen nicht Gegenstand dieser Arbeit sein.106 Allerdings ist es erforderlich, dass die Grenzen der Rechtsgutsdefinitionen zumindest im Hinblick auf die zu untersuchenden Delikte aufgezeigt werden. Die rechtsgutstheoretische Methode muss gewissen Gültigkeitskriterien entsprechen. Um dem Rechtsgutsbegriff in der vielschichtigen Diskussion Form und Struktur zu verleihen, werden die Ansätze von Jäger, Roxin und Hassemer dargelegt. Ihr besonderes Verdienst ist, dass sie neben einer inhaltlichen Ausgestaltung des Rechtsgutsbegriffs den Wert der Anwendung der rechtsgutstheoretischen Untersuchung anhand von praktischen Beispielen hervorheben.

104 Eser / Hecker, Sch / Schr., § 1, Rn. 48. 105 Swoboda, ZStW 2010, 31. 106 Vgl. aufgezählte Theorien bei Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 3; hinsichtlich einer intensiven inhaltlichen und kritischen Auseinandersetzung siehe Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 258 ff.

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a) Rechtsgüterschutz nach Jäger Jäger untersuchte in einer ausführlichen Studie die sozialen Folgen strafbarer Sittenwidrigkeiten und stellte dabei heraus, dass viele der im 13. Abschnitt des StGB von 1871 pönalisierten Taten sozial unschädlich und daher nicht strafwürdig seien.107 Um seine Untersuchung theoretisch zu fundieren, ging Jäger zunächst auf den Begriff des Rechtsguts ein und bestimmte ihn dahingehend, dass Rechtsgüter nicht lediglich eine Schöpfung des Gesetzgebers darstellen, sondern ihm vorgegeben sind.108 Jäger beschreibt Rechtsgüter als verletzbare, schützbare Zustände, die er zusammengefasst als „werthafte Zustände“ bezeichnet. Da diese werthaften Zustände durch menschliches Handeln verändert werden können, darf es seiner Meinung nach strafrechtliche Regelungen geben, die vor solchen Veränderungen bewahren.109 Jäger grenzt dabei die Schutzobjekte von den Handlungsobjekten ab. Das Handlungsobjekt ist für ihn der einzelne Gegenstand des Verbrechens, also das konkrete Objekt der Tat, wie die missbrauchte Person. Demnach ist das Handlungsobjekt für den Gesetzgeber unbekannt und im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung uninteressant. Vielmehr hat es für den Richter eine vorrangige Bedeutung, da er im Hinblick auf das Handlungsobjekt, insofern dem konkreten Tatgegenstand, Klarheit gewinnen muss. Dagegen stellt das Rechtsgut eine Wertgattung dar (z.B. das Eigentum, das menschliche Leben). Das Rechtsgut ist insofern „Kern des gesetzlichen Tatbestandes“, es wird primär der Tätigkeit des Gesetzgebers zugeordnet, während der Richter allenfalls nach dem Rechtsgut fragt, sofern das zur Verdeutlichung der Norm etwas beitragen kann.110 Jäger ist bestrebt, den vorpositiven Charakter der Rechtsgüter herauszustellen. Für ihn sind Güter Realitäten, die durch die Rechtsordnung nicht geschaffen worden sind, sondern die aufgrund ihrer eigenständigen Sozial- und Lebenswerte von objektiver Gestalt sind. Somit sind sie auch unabhängig vom Gesetz erkennbar.111 Unabhängig von der insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht problematischen Annahme des vorpositiven Regelungscharakters hat Jäger eine für die Prüfung der Sexualdelikte anerkennenswerte Formel aufgestellt: „Etwas, das in Fluß ist, das Umformungen ausgesetzt und nicht allgemeinverbindlich zu bestimmen ist, kann nicht Rechtsgut sein.“

107 108 109 110 111

Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 116 ff. Dazu kritisch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 300. Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 13. Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 15. Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 22.

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Vielmehr dürfe nur zum Gegenstand staatlicher Regelungen gemacht werden, was generellen Wertungen zugänglich sei. Die nur unsittliche, nicht auch schädliche Handlung solle insofern außerhalb der Reichweite des Strafrechts liegen.112 Amelung wirft Jäger vor, dass seine rechtsgutstheoretischen Folgerungen nicht tragfähig seien, da es an der theoretischen Überlegung zum Inhalt der gütererzeugenden Werte einerseits und zur Frage der wertsetzenden Instanz anderseits fehle. Er räumt jedoch ein, dass die Inhaltsleere des Rechtsgüterschutzes gerade das Hauptproblem des Rechtsgüterschutzkonzepts sei, welches quasi als „Geburtsfehler“ bei Birnbaum seinen Anfang genommen habe.113 Zu Recht betont Amelung an anderer Stelle auch die Errungenschaften Jägers. Im Rahmen der jahrzehntelangen Bemühungen, das Sexualstrafrecht zu legitimieren, sei Jäger möglicherweise der entscheidende Auftrieb gelungen.114

b) Rechtsgüterschutz nach Roxin Roxin beschreibt einen liberalen Rechtsgutsbegriff115, der seine geistesgeschichtlichen Wurzeln in der Epoche der Aufklärung hat. Dabei bedient er sich der aufklärerischen Konzeption, dass dem Staat das Denkmodell eines Gesellschaftsvertrages zugrunde zu legen ist. Wie bereits dargelegt, hat der so geschaffene Staat das Recht, den Schutz der Bürger durch den Erlass von Strafgesetzen zu gewährleisten, sofern dies zur Erreichung friedlicher und freiheitlicher Koexistenz erforderlich ist. Insofern sind strafrechtliche Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen, die nicht diesem Zweck dienen, vom Gesellschaftsvertrag nicht gedeckt. Vor diesem Hintergrund erscheint Roxins Definition einleuchtend: „Unter Rechtsgütern sind alle Gegebenheiten oder Zwecksetzungen zu verstehen, die für die freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung seiner Grundrechte und das Funktionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind.“116

Die Begriffe „Gegebenheiten“ und „Zwecksetzungen“ beziehen sich auf bereits vorgefundene Zustände und auf Normbefolgungspflichten. Insofern geht Roxin von einem vorgesetzlichen Rechtsgutsbegriff aus. Der Rechtsgutsbegriff soll demnach systemkritisch sein und dem Gesetzgeber bei der Aus112 113 114 115 116

Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 39. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 304. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 305. Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 8. Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 7.

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übung seines Bestrafungsrechts Grenzen setzen. Rechtsgüter sind daher nicht nur im Rahmen einer systemimmanenten Auslegung ein methodisches Mittel, um bestehende Tatbestände anhand des jeweiligen Rechtsguts auszulegen.117 Problematisch erscheint wiederum, woher die gütererzeugenden Werte zu nehmen sind, die vorpositiven Charakter entfalten sollen. Ferner kann der Vorwurf geäußert werden, dass es Roxin nicht gelungen sei, seinen Rechtsgutsbegriff konkret aus der Verfassung abzuleiten.118 Im Hinblick auf seine Definition und die sich daraus ergebenden Maßstäbe verweist Roxin allerdings auf elementare Tatbestände, die überwiegend kritiklos in allen Ländern in gleicher oder ähnlicher Form gelten. Exemplarisch benennt er Tötung, Körperverletzung, Diebstahl und Betrug. Diese Handlungsformen seien allesamt unter Strafandrohung verboten, da ansonsten ein friedliches menschliches Zusammenleben unmöglich wäre. Neben diesen Individualgütern, denen als Schutzgüter relativ leicht eine vorpositive Wirkung beigemessen werden kann, geht Roxin auch auf Rechtsgüter der Allgemeinheit ein. Die Rechtspflege, die Währung oder das staatliche Besteuerungswesen sind seiner Auffassung nach ebenfalls taugliche Rechtsgüter, die die Kodifizierung von Strafnormen wie gerichtliche Falschaussage, Münzfälschung und Steuerhinterziehung rechtfertigten.119 Diese zumindest im Bereich der Universalrechtsgüter weite Auslegung bestärkt nicht gerade die Versuche, den Rechtsgutsbegriff als Prüfungsmaßstab zu konkretisieren. Allerdings ist sich Roxin über die problembehaftete Anwendung des Rechtsgüterschutzkonzepts im Klaren. Zutreffend weist er darauf hin, dass der Rechtsgüterschutz möglicherweise den Anforderungen an ein modernes Strafrecht nicht mehr uneingeschränkt gerecht werde und beschreibt exemplarisch die Diskussion um den materiellen Verbrechensbegriff im Hinblick auf den Embryonenschutz oder den Schutz von Tieren und Pflanzen.120 Auch geht sein Rechtsgutsbegriff im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wandel sehr weit, was an dieser Stelle eine Abgrenzung von Jägers Ansichten bedeutet. Er verleiht dem Rechtsgutsbegriff eine gewisse Dynamik und sieht ihn im Rahmen der verfassungsmäßigen Zwecksetzungen als anpassungsfähig an, sofern eine Veränderung durch den geschichtlichen Wandel und den Fortschritten der empirischen Erkenntnis bedingt ist.121 In dem erforderlichen Umfang setzt sich Roxin kritisch mit dem Begriff des 117 Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 12. 118 Kritisch gegenüber Roxins Rechtsgutsauffassung: Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 310; Dubber, ZStW 2005, 507; Swoboda, ZStW 2010, 33. 119 Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 9. 120 Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 52 u. 55. 121 Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 63.

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Rechtsguts auseinander und schafft Argumentationsrichtlinien, die eine rationale Diskussion über staatliche Bestrafungsbefugnisse ermöglichen.

c) Rechtsgüterschutz nach Hassemer Ebenso wie Jäger und Roxin hat Hassemer das gesetzgebungskritische Rechtsgutsdenken geprägt. Seine personale Rechtsgutslehre basiert auf der Annahme, dass ein Rechtsgut nur ein strafrechtlich schutzbedürftiges und menschliches Interesse sein kann. Allerdings verschließt sich diese Theorie auch nicht der strafrechtlichen Legitimation im Hinblick auf den Schutz von Universalrechtsgütern. Demnach müssen Universalrechtsgüter eine konkrete Funktion für einzelmenschliche Interessen aufweisen. „Allgemeinheit und Staatsinteresse müssen von der Einzelperson (bzw. einer Menge von Einzelpersonen) her funktionalisiert werden, nicht umgekehrt“.122 Hassemer zeigt zudem sehr plastisch die Bedingungen einer rationalen systemkritischen Rechtsgutslehre auf. Die mangelnde Wirkung der Rechtsgutslehre auf die Rechtsgutspraxis führt er auf ein falsches Theorieverständnis zurück. Er sieht in der Konstruktion idealer Konzepte von Rechtsgüterkatalogen lediglich einen Vergleichsmaßstab, der wenig praxisbegleitende oder praxisentwerfende Wirkung entfaltet. Die Rationalität einer Rechtsgutslehre entscheidet sich seiner Meinung nach nicht nur an der inneren Schlüssigkeit ihrer Forderung, sondern an der Formulierung und Begründung von Handlungsalternativen. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Handlungsalternativen sieht Hassemer die Erforderlichkeit der Einbeziehung aktueller gesellschaftlicher Werterfahrungen.123 Dieser herzustellende Kontext ist für ihn eine wandelbare Komponente – wie er anhand des Beispiels § 175 StGB zutreffend verdeutlicht: Zunächst ist zu erwähnen, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeit der einfachen mannmännlichen Unzucht als illegitime Schutzbereiche im Rahmen des 4. StrRG aufdeckte und im Jahre 1973 aus dem StGB entfernte, allerdings die Verleitung Minderjähriger zu homosexuellen Handlungen noch etwa „20(!) weitere Jahre“ bis zum 29. StÄG strafbar blieb. Diese zeitlich stark verzögerte Entpönalisierung war nach Hassemer unter Bezugnahme des Rechtsgüterschutzkonzepts nur deshalb möglich, weil sich die Begründung des Minderjährigenschutzes auf die prognostizierbaren und irrationalen Reaktionen der Gesellschaft bezogen, die sich in einer überwiegend ablehnenden Haltung gegenüber homosexuellen Handlungen konkretisierte. Seiner Theorie folgend verlor das Rechtsgut des Minderjährigenschutzes seine inhaltliche Qualität, als die 122 Hassemer, Theorie u. Soziologie des Verbrechens, S. 233. 123 Hassemer, Theorie u. Soziologie des Verbrechens, S. 242.

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Bedingungen dieser gesellschaftlichen Reaktionen entfallen waren. Demnach muss im Rahmen der praxisorientierten Rechtsgutslehre erkannt werden, wo erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse lediglich fingiert worden sind. Der einseitige Minderjährigenschutz im Bereich homosexueller Handlungen nach erfolgter Entkriminalisierung von homosexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen hätte rechtsgutstheoretisch nur dann gerechtfertigt werden können, wenn die behaupteten Schäden auch tatsächlich eingetreten wären. Eine derartige Prognose hätte darlegen müssen, dass die Verleitung eines Minderjährigen zu homosexuellen Handlungen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit Homosexualität manifestieren wird, eine tatsächliche gesellschaftliche Repression gegenüber Homosexuellen besteht und diese gesellschaftliche Ächtung auch zu wirklichen Beeinträchtigungen bei Minderjährigen führen wird.124 Das einfache Abstellen auf den Jugendschutz (oder präzisiert auf die ungestörte sexuelle Entwicklung) konnte insofern nicht ausreichen, da heterosexuelle Handlungen nicht nur zwischen Jugendlichen, sondern auch zwischen Erwachsenen und Jugendlichen, ohne weitere Zwangsoder Abhängigkeitshandlungen, keinem Verbot unterlagen. Anhand des Beispiels konkretisiert sich der systemkritische Rechtsgüterschutz auf eine konstruktive und praxisnahe Weise. Selbst wenn man kein Anhänger der personalen Rechtsgutslehre Hassemers ist, so wird doch der systemkritische Mehrwert der rechtsgutstheoretischen Untersuchung deutlich.

4. Kritik am Rechtsgüterschutzkonzept a) Inzestbeschluss des BVerfG Der 2. Senat des BVerfG bestätigte am 13. März 2008 in dem Mehrheitsvotum von sieben zu eins Stimmen die Verfassungskonformität der Strafbarkeit des Geschwisterinzests bei über 18-Jährigen gem. § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB.125 Ausgelöst wurde das Verfahren durch ein Geschwisterehepaar, das vier gemeinsame Kinder hat.126 Das BVerfG lehnte das Rechtsgüterschutzkonzept als Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit von Strafgesetzen ab und zweifelte 124 Hassemer, Theorie u. Soziologie des Verbrechens, S. 244 f. 125 BVerfGE 120, 224–273 (der Beschluss vom 26.02.2008 wurde am 13.03.2008 veröffentlicht). 126 Der Beschwerdeführer verbüßte bereits aufgrund einer Verurteilung wegen inzestuösen Handlungen eine Freiheitsstrafe und sollte wegen der Geburt der jüngsten Tochter eine weitere zweieinhalbjährige Haftstrafe antreten. Die Geschwister stammten aus einem problematischen Elternhaus, wuchsen nicht zusammen auf und wussten auch nichts voneinander. Erst im Jahr 2000 lernte der Beschwerdeführer seine Schwester kennen, vgl. dazu Tischer, Geschwisterinzest, S. 1.

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darüber hinaus die grundsätzliche Eignung des Rechtsgüterschutzkonzeptes im Hinblick auf den rechtspolitischen und strafrechtsdogmatischen Erkenntnisgewinn an. Dabei differenziert der Senat zwischen dem normativen Rechtsgutsbegriff und der naturalistischen Rechtsgutstheorie. Dem normativen Rechtsgutsbegriff wird konsequent die Fähigkeit einer Leitfunktion abgesprochen, die dem Gesetzgeber bei der Kodifizierung von Strafnormen den Rahmen aufzeigt. Im Sinne eines normativen Rechtsgutsbegriffs sei lediglich das zu verstehen, was der Gesetzgeber ausweislich des geltenden Rechts als rechtlich schützenswert betrachte. Demnach beschränkt sich der Rechtsgutsbegriff lediglich darauf, die ratio legis der jeweiligen Strafnorm auszudrücken. Im Hinblick auf die naturalistische Rechtsgutstheorie (die von einem überpositiven Rechtsgutsbegriff ausgeht) besteht nach Auffassung des Senats sehr wohl die hinreichende Möglichkeit der Vorgabe eines Maßstabes. Allerdings wird betont, dass dieser in Widerspruch dazu geraten würde, dass es nach der grundgesetzlichen Ordnung Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers sei, ebenso wie die Strafzwecke auch die mit den Mitteln des Strafrechts zu schützenden Güter festzulegen und die Strafnormen gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Eine Einengung der gesetzgeberischen Befugnis unter Berufung auf angeblich vorfindliche oder durch Instanzen jenseits des Gesetzgebers anerkannte Rechtsgüter lehnt der Senat strikt ab und betont, dass ausschließlich das Verfassungsrecht dem Gesetzgeber äußere Grenzen seiner Regelungsgewalt zu setzen habe.127 Gegen die Mehrheitsmeinung stimmte der Vizepräsident des Gerichts, Vorsitzender des zweiten Senats und Berichterstatter des Verfahrens Winfried Hassemer: „Die Norm steht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der gerade dem Strafgesetzgeber Grenzen zieht, nicht in Einklang; eine so verunglückte Strafnorm passieren zu lassen, segnet schwere Fehler und Versäumnisse des Gesetzgebers verfassungsrechtlich ab und überdehnt den legislativen Spielraum im Strafrecht auf Kosten der Kontrollkompetenz des Verfassungsgerichts.“128

Das von der Senatsmehrheit angeführte Rechtsgut, welchem unter anderem eugenische Betrachtungen zugrunde gelegt wurden (d.h. es sollen Erbschäden verhindert werden), wurde von Hassemer mit der Begründung abgelehnt, dass – mangels der Rechtsgutsbestimmung – kein ausreichender verfassungsrechtlicher „Zweck“ vorhanden sei.129 Hassemer verbindet hier bereits das Rechtsgut als Zweck des Strafens bzw. der Strafrechtsetzung mit den verfassungsrechtli127 BVerfG, NJW 2008, 1138. 128 BVerfG, NJW 2008, 1142. 129 BVerfG, NJW 2008, 1143; vgl. Zusammenfassung bei Tischer, Geschwisterinzest, S. 12.

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chen Prüfungsmaßstäben, die sich überwiegend aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben. Diese Betrachtung ist ein Fortschritt gegenüber der strikten Trennung zwischen verfassungsrechtlicher Prüfung (wobei die Zweckbestimmung „irgendeine“ sein kann) und dem systemkritischen oder wie durch das BVerG bezeichnet „naturalistischen“ Rechtsgüterschutzkonzept. Betrachtet man die verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstäbe losgelöst von den Grundsätzen des Rechtsgüterschutzkonzepts fällt die Weite des Legitimationskonzeptes auf. Regelmäßig prüft das BVerfG anhand der Maßstäbe Gleichheitsgebot gem. Art. 3 GG, Bestimmtheitskriterien gem. Art. 103 Abs. 2 GG und Verhältnismäßigkeit.130 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung (d.h. Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i.e.S. bzw. Angemessenheit131) erfolgt dabei auf drei Ebenen:132 (1) Allein die in der Verbotsnorm liegende Verhaltensanweisung tangiert mindestens das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art 2 Abs. 1 GG. (2) Losgelöst davon erfolgt eine Prüfung auf der Ebene der Strafbewehrung. Dadurch wird dem Strafrecht als „schärfstes Schwert des Staates“, verbunden mit der Signifikanz des sozialethischen Unwerturteils, Rechnung getragen. Die Strafbewehrung, insofern die Qualifizierung als Kriminalstrafe, greift zudem immer in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. (3) Schließlich geht es um die Strafandrohung, also um die Höhe und die Art der in Aussicht gestellten Sanktion und somit um Freiheitsrechte gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Allerdings gewährt das BVerfG dem Gesetzgeber im Rahmen der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative einen weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum.133 Der Gesetzgeber kann weitestgehend selbständig festlegen und inhaltlich definieren, ob die Verbotsnorm zum Erreichen der vom Gesetzgeber verfolgten Schutzziele geeignet und erforderlich ist. Eine Prüfung des Zwecks der konkreten Strafrechtsetzung erfolgt daher nicht bzw.

130 Vgl. dazu BVerfG, NJW 2008, 1138; BVerfG, NJW 1994, 1578 (sog. Cannabisentscheidung). 131 Zur inhaltlichen Bedeutung der Begriffe vgl. Albrecht, Kriminologie, S. 126. 132 Vgl. die Ausführungen „zur Herangehensweise bei Prüfungen von Strafnormen durch das BVerfG“ bei Hörnle, NJW 2008, 2085; Swoboda, NStW 2010, 44 f. 133 Allerdings ist der Strafgesetzgeber in der Auswahl seiner Anlässe und Ziele nicht vollkommen frei. Aus älterer Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich, dass der Gesetzgeber bei der Strafrechtsetzung auf den Schutz der elementaren Werte, des Gemeinschaftslebens, auf die Sicherung der Grundlagen einer geordneten Gesellschaft und die Bewahrung wichtiger Gemeinschaftsbelange beschränkt ist, vgl. dazu BVerfGE 27, 18 (29); 39, 1 (46); 45, 187 (253); 88, 203 (257).

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1. Kapitel

wird nur dann in den Mittelpunkt der Prüfung gestellt, wenn es sich um schlechthin ungeeignete oder untragbare Normen handelt.134 Es mag sein, dass der vielfach kritisierte Rechtsgutsbegriff insbesondere aufgrund seiner Unbestimmtheit und seiner ihm häufig abgesprochenen vorpositiven Wirkung nicht den praktischen und methodischen Wert aufweist wie ein verfassungsmäßiger Prüfungsansatz.135 Allerdings kann in dieser Unbestimmtheit auch eine Stärke vermutet werden, die es zu nutzen gilt. Möglicherweise kann die Rechtsgutslehre eben aufgrund ihrer Unschärfe und Vielschichtigkeit relativ flexibel auf gesellschaftliche Wertveränderungen reagieren. Und zum anderen stellt die verfassungsrechtliche Prüfung kein adäquates Mittel zur Legitimation des Strafrechts dar.136 Die Überprüfungspraxis des Bundesverfassungsgerichts belegt, dass lediglich verfassungsrechtlich völlig untragbare oder zur Zielerreichung ungeeignete Strafgesetze beanstandet werden. Es ist zudem fraglich, wie die vom Bundesverfassungsgericht vertretene These vom Strafrecht als ultima ratio überhaupt praktische Relevanz erfahren kann. Die verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe bei Ausklammerung des rechtsgutstheoretischen Ansatzes bieten zumindest keine ausreichenden Instrumentarien für eine diesbezügliche Prüfung.137 Ferner entwickelt sich das Strafrecht dergestalt weiter, dass eine Ausdehnung von supranationalen, völkerrechtlichen oder sonstigen internationalen Bedingungen abhängig gemacht wird. Das Bestreben der gegenseitigen Anerkennung der einzelstaatlichen Strafrechtspflege und die Schaffung von strafrechtlichen Mindeststandards, etwa im Rahmen der Europäisierung des Strafrechts, bedeutet zugleich eine erhebliche Relativierung der Bedeutung nationaler Strafbegrenzungsprämissen. Der rechtsstaatliche und liberale Charakter des Strafrechts verliert an Kontur und wird zu einem Oppressionsmechanismus umfunktioniert.138 Die Rechtsgutslehre sichert insofern die aufklärerisch-liberalen Gedanken des Strafrechts und manifestiert, dass es Beschränkungen gibt, innerhalb derer das Strafrecht operieren muss und die wesentlich enger zu beschreiben sind, als die durch das Verfassungsrecht aufgestellten Hürden. Der 134 Swoboda, NStZ 2010, 45. 135 Völlige Ablehnung des Rechtsgüterschutzkonzeptes und ausschließliche Anerkennung der Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Legitimität eines Strafgesetzes u.a. bei Androulakis, Hassemer FS, S. 273. 136 Maier, Hassemer FS, S. 493. 137 Swoboda, ZStW 2010, 25 und 49. 138 Ausführlich zu den einzelnen Spannungsverhältnissen im Rahmen der Internationalisierung des Strafrechts Mylonopoulos, ZStW 2009, 85; zu weiteren Veränderungen des materiellen Strafrechts im Rahmen einer negativ verstandenen Modernisierung vgl. Hassemer, Roxin FS, S. 1005.

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Rechtsgutsbegriff ist ein wesentliches Instrument der kritischen Analyse des deutschen Strafrechts und fungiert als nicht bindende, aber überwiegend anerkannte Richtlinie für den Gesetzgeber und die Gerichte.139

b) Alternative Legitimationskonzepte aa) Sozialschädlichkeitstheorie Es ist bemerkenswert, dass Amelung in seinem Werk „Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft“ aus dem Jahr 1972 das Rechtsgüterschutzkonzept intensiv und vielperspektivisch untersucht und am Ende zu dem Schluss gelangt, dass das systemkritische Rechtsgüterschutzkonzept nicht in dem genügenden Maße soziale Wirkungen einer strafbaren Tat, d.h. die Wirkungen in einem System zusammenlebender Menschen, berücksichtige.140 Bei Amelung soll der materielle Verbrechensbegriff durch die Theorie des Sozialschadens begründet werden. Konkret soll durch Strafandrohung der Sozialschaden verhindert werden. Somit wird das Individuum nur um der Gesellschaft willen geschützt. Im Vordergrund steht das soziale Gesamtsystem, das Individuum kann – im Extremfall – im Sinne des Gesamtsystems aufgeopfert werden.141 Gerade diese Schwachstelle, denn nicht jedes soziale System verinnerlicht menschenrechtsschützende Maximen bzw. baut auf der aufklärerischen Tradition auf, wird durch fundamentale Wertentscheidungen der Verfassung korrigiert. Art. 1 und 2 GG sollen demnach den Kreis möglicher Problemhandlungen einengen. Denn das System soll seine Probleme nicht unter Missachtung des Eigenwerts der Person bewältigen.142 Kritisch ist dabei anzumerken, dass der Staat allerdings von seiner Grundausrichtung her dem Individuum zur Verfügung steht. Das Grundgesetz schafft durch seine Grundrechte nicht nur eine objektive Wertordnung. Vorrangig sind Grundrechte Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Nicht zuletzt befinden sich die Grundrechte systematisch (im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung) an erster Stelle. Wird das System hervorgehoben, indem das Individuum untergeordnet wird und werden die Grundrechte lediglich als Korrektiv mit einbezogen, steht eine solche Konstruktion im Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Grundverständnis.143

139 140 141 142 143

Dubber, ZStW 2005, 516. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 350. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 389. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 390. Vgl. die Kritik bei Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 116; Swoboda, ZStW 2010, 42.

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1. Kapitel bb) Theorie vom Normgeltungsschaden

Die Aufgabe des Strafrechts besteht nach dem Normgeltungsprinzip in der Verhinderung eines Normgeltungsschadens. Die aufgeklärt-liberal konzipierten Rechtsgutstheorien spielen dabei keine Rolle. Einzig und allein der Normbruch begründet die Sozialschädlichkeit des Verbrechens. Es geht um die Negation der in der Gesellschaft praktizierten normativen Ordnung.144 Sofern ein Normbruch vorliegt, ist der Schaden in zweierlei Hinsicht auszugleichen: Durch das vergeltende Element soll ein rückwärtsgerichteter Ausgleich des Schadens erfolgen. Durch ein präventives Element soll zudem die auf die Norm vertrauende Gesellschaft erkennen, dass sich der Normbruch nicht lohnt. Somit werden die normkonformen Individuen in ihrer Verhaltensweise bestärkt.145 Die systemtheoretisch fundierte Lehre vom Normgeltungsschaden geht auf Jakobs146 zurück. Die Hinwendung zum Prinzip des Normgeltungsschadens erwächst aus der Kritik am Gutsbegriff147 (Jakobs bezeichnet das Gut als Strafrechtsgut148). Demnach müsse sich der Begriff des Guts insoweit abgrenzen lassen, dass die Besonderheit des Strafrechts zur Geltung kommen könne. Dieser Gedanke ist nachvollziehbar, da strafrechtlich geschützte Güter wie Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum nicht nur im Zuge einer strafbaren Handlung, sondern auch durch natürliche Abläufe beeinträchtigt werden können. Dazu gehört etwa der Tod durch Krankheit oder der Sachbzw. Eigentumsschaden durch Materialermüdung. Das Strafrecht hat jedoch nicht die Aufgabe, den Bestand der durch die Strafnormen geschützten Güter in Gänze zu schützen. Daher muss nach Jakobs neben der Gutsbeschreibung auch eine spezielle Angriffsform erfasst werden. Aber auch ein so verstandener Strafrechtsgutsbegriff vermag nach Jakobs nicht den besonderen Anforderungen des Strafrechts ausreichend Geltung zu verleihen, da nicht vermeidbares Verhalten von Menschen genauso als Angriff verstanden werde wie das für das Strafrecht allein interessante zurechenbare Verhalten.149 Jakobs hält als Kon144 Insofern ist eine gewisse Nähe zu Hegel erkennbar, der Strafe als Negation der durch das Verbrechen dargestellten Negation erkennt, vgl. dazu Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 66. 145 Kindhäuser in: Vormbaum, Kritik d. Feindstrafrechts, S. 67. 146 Mitunter wird die Theorie vom Normgeltungsschaden ausführlich behandelt in Jakobs, Strafrecht AT, 2/1 ff. 147 Nach Jakobs ist ein Gut ein positiv bewerteter Sachverhalt. Demnach werden nicht nur körperliche und anderen Gegenstände erfasst, sondern auch Zustände und Entwicklungen. Ein Gut wird schließlich durch den rechtlichen Schutz zum Rechtsgut, vgl. dazu Jakobs, Strafrecht AT, 2/12. 148 Jakobs, Strafrecht AT, 2/2. 149 Jakobs, Strafrecht AT, 2/4.

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sequenz aus dieser Erkenntnis nicht jede nachteilige Veränderung eines Guts im Rahmen eines positiv bewerteten Sachverhalts für strafrechtlich interessant, sondern nur solche Veränderungen, die sich gegen die positive Bewertung selbst richten.150 Rückt die Verletzung der Normgeltung in den Vordergrund, geht es ausschließlich um die Negation des positiven Rechts. Aus der Perspektive systemkritischer Legitimationsüberlegungen hat die Theorie vom Normgeltungsschaden keinen bedeutenden Mehrwert. Gegenteilig birgt sie sogar die Gefahr in sich, auch in totalitären politischen System zur Anwendung zu kommen. Auch die kriminalpolitischen Absichten im Rahmen der Strafrechtsetzung bleiben unbeachtet, zumal sich Jakobs jeder Aussage darüber enthält, welche Inhalte durch Strafnormen positiv zu bewerten sind.151 cc) Fortentwicklung der Rechtsverletzungslehre Wie bereits im historischen Abriss dargestellt, begann mit der durch Kant entwickelten152 und durch andere Strafrechtslehrer wie Feuerbach unter anderen Aspekten153 fortgeführten Rechtsverletzungslehre die Epoche des liberalen Strafrechts.154 Staatliches Strafen darf nur gegenüber Freiheitsverletzungen eingesetzt werden. Freiheit konkretisiert sich demnach aber nur in subjektiven Rechten. Die legitime staatliche Strafgewalt beschränkt sich somit auf die Bestrafung von Rechtsverletzungen. Die strafrechtliche Bezugnahme 150 Jakobs, Strafrecht AT, 2/5: „Nicht die Verursachung eines Todes ist Strafrechtsgutsverletzung (sie ist schlicht Gutsverletzung), sondern der in der vermeidbaren Tötung liegende Normwiderspruch. Die vermeidbare Tötung hat den Sinn eines Widerspruchs gegen die Norm, die den Tötungsdelikten zugrunde liegt, weil der Täter wegen der Kenntnis (Vorsatz) oder Erkennbarkeit (Fahrlässigkeit) für zuständig gehalten wird, das folgenreiche Verhalten und nicht eine schadlose Alternative gewählt zu haben.“ 151 Kritisch zur Theorie des Normgeltungsschadens auch Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 111 f.; Swoboda, ZStW 2010, 43. 152 Genau genommen kann als Grundlage für die Rechtsverletzungslehre die von Kant scharf konturierte Staatszwecklehre herangezogen werden, vgl. dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 30 u. 33. 153 Feuerbach gelangt zur Theorie der Generalprävention. Er stellt auf die Strafdrohung ab, die sich nicht an eine bestimmte Person richtet, sondern an eine Vielzahl von in ihrer Individualität noch nicht bekannten Personen. Der Zweck der Strafverhängung hat keine primäre Bedeutung, sondern soll lediglich die Ernsthaftigkeit der Strafandrohung unter Beweis stellen. Nach Kant – und darin liegt der wesentliche Unterschied – muss Strafe zweckunabhängig sein, Strafe ist demnach Widervergeltungsrecht, vgl. dazu Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 45 f.; vgl. Problembereiche der Generalprävention aus heutiger Perspektive in Albrecht, Kriminologie, S. 46 und Paternoster, JCrim 2010, 765 ff. 154 Vgl. dazu Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 54, 61 u. 120.

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auf solche „Güter“, die nicht Gegenstand von Rechten sind, ist nach der Rechtsverletzungslehre im Rahmen der Strafrechtsetzung nicht möglich. So waren insbesondere moralbehaftete Delikte wie Sodomie oder Prostitution oder den Staat schützende Universalrechtsgüter nach der Rechtsverletzungslehre kaum zu begründen. Wichtig für das Grundverständnis ist aber, dass bereits Feuerbach eine Pönalisierung jenseits der Verletzung rein subjektiver Rechte für erforderlich hielt. Sein Kompromiss an die staatliche Kriminalpolitik, die sich mit einer reinen Rechtsverletzungslehre wohl schwertat, war die Fortentwicklung des Polizeistrafrechts, welches Tatbestände, die nicht den materiellen Kriterien des Kriminalstrafrechts standhielten, erfasste.155 Den rechtshistorischen Untersuchungen zu diesem Thema nicht ganz Rechnung tragend, kann das Polizeistrafrecht wohl als Vorläufer des Ordnungswidrigkeitenrechts bezeichnet werden.156 Eine gänzliche Rückkehr zur Rechtsverletzungslehre ist nicht zu erwarten, dennoch besinnen sich einige Autoren auf die Grundsätze dieser Lehre. So begründet etwa Hörnle ein Legitimationskonzept, welches die Konstruktion von Strafrecht als Verletzung subjektiver Rechte zum Inhalt hat. Demnach werden aus der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG insbesondere die „Rechte anderer“ als materielle Vorgabe für den Strafgesetzgeber herangezogen. Grundsätzlich bietet dieser Ansatz gegenüber dem Rechtsgüterschutzkonzept gewisse Vorteile: Während sich hinter dem Begriff des Rechtsguts unterschiedlichste Definitions- und Wertungsversuche verbergen, kann mit dem Begriff der „Rechte anderer“ der Grenzbereich besser abgesteckt werden. Strafnormen sind konkret nur dann zu rechtfertigen, wenn das umschriebene Verhalten die Rechte anderer Menschen verletzt oder gefährdet.157 Es ist jedoch fraglich, ob mit dem Konzept alle strafwürdigen Verletzungsrisiken erfasst werden können.158 Hörnle selbst geht davon aus, dass eine Eliminierung sämtlicher Strafrechtsnormen zum Schutze kollektiver Güter inakzeptabel sei.159 Dem ist beizupflichten, da ein Strafrecht, dass die Grenzen der Strafbar155 Zur Kategorie der Polizeivergehen gehörten mitunter Schwören, Fluchen, Betteln und Vergehen wider die Sittlichkeit, vgl. dazu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 70. 156 Das Polizeistrafrecht, welches später auch Verwaltungsstrafrecht genannt wurde, sollte der unmittelbaren Sicherung des friedlichen Zustandes dienen. Während dem Strafgesetz der Begriff des Verbrechens ausschließlich zugeteilt wurde, wurden nach dem Polizeistrafrecht verbotene Handlungen als Vergehen oder Polizei-Übertretungen bezeichnet, vgl. Feuerbach, Lehrbuch, § 22, Textauszug bei Vormbaum, Strafrechtsdenker, S. 108. 157 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 70. 158 Kritisch Swoboda, ZStW 2010, 40. 159 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 85.

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keit dort festlegt, wo Menschen verletzt oder wenigstens gefährdet werden, im Sinne eines systemkritischen Ansatzes überzogen und nicht zeitgemäß ist. Hörnle bietet insofern eine Aufweichung der „Rechte anderer“ an, etwa dass neben den Rechten i.e.S. unmittelbare persönliche Sphären vorhanden sind, die sog. Teilhabe- oder Gewährleistungsinteressen begründen.160 Insgesamt ist das hier nur ansatzweise vorgestellte Konzept in Anlehnung an die Rechtsverletzungslehre insoweit beachtenswert, als dass ein leicht verständlicher Wertungsmaßstab Anwendung finden kann. Allerdings bedarf es auch hier einer Relativierung, da die „Rechte anderer“ als Eingriffsschranke im Hinblick auf die Gesamtheit subjektiver Rechte im Verhältnis zur besonderen Stellung des materiellen Strafrechts zu weitläufig ist, andererseits die Kategorie der kollektiven Rechtsgüter nicht erfasst.

5. Die Inklusion des Rechtsgüterschutzkonzepts in den verfassungsrechtlichen Prüfungsrahmen Sowohl das Verfassungsrecht wie auch das materielle Strafrecht begründen jeweils ihre eigene Tradition und Herkunft. Verbindungen sind überwiegend nur im Rahmen der systematisch und normenhierarchisch aufgebauten Struktur vorhanden. Die Verfassung behandelt etwa strafrechtliche Fragestellungen durch die sog. Justizgrundrechte in Art. 101 bis 104 GG. Dort geht es primär um Beschränkungen, denen der Staat im Interesse der Menschen unterworfen ist. Somit formuliert die Verfassung Eingriffsschranken für den strafenden Staat. Diese Funktion übt aber auch das Strafrecht an sich aus. Strafrecht ist ebenfalls Verbrechensbekämpfungsbegrenzungsrecht, was sich nicht zuletzt aus seiner fragmentarischen Natur ergibt. Somit kann zunächst festgestellt werden, dass Verfassung und materielles Strafrecht neben ihren differenzierten theoretischen Behandlungen und ihren individuellen Traditionen eins gemeinsam haben: Sie stehen für eine menschenrechtsorientierte Strafrechts- und Strafbegründung, die ihren Ursprung in der politischen Philosophie der Aufklärung hat und noch heute durch sie geleitet wird.161 Das Strafrecht hebt sich historisch – und somit ist auch die eigenständige Behandlung des Strafrechts in seiner eigenen Tradition nachvollziehbar – deutlich von der Verfassung ab. Das Strafrecht ist im Vergleich zum Verfassungsrecht die ältere als auch reichere Quelle. Das, was heute das Leitbild eines rechtsstaatlichen Strafrechts ausmacht, wie das Prinzip der Gerechtigkeit, der Schuldgrundsatz oder die Existenz des Rechtsguts als Voraussetzung einer 160 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 86. 161 Hassemer, Strafrecht, S. 85.

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Kriminalisierung und Bestrafung, war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sogar noch deutlicher konturiert als – unter den vielen Einflüssen leidend – heutzutage. Unabhängig von dieser historischen Betrachtung besteht eine Normenhierarchie, in der das Strafrecht aus nachvollziehbaren Gründen als parlamentarisches Gesetz dem Grundgesetz untergeordnet ist. In dieser Hierarchie sind die einen modernen Rechtsstaat prägenden Elemente verankert. So kann etwa im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde die Verletzung eines Grundrechts durch eine Strafnorm durch das BVerfG geprüft werden. Was nun für eine konzeptionelle Zusammenarbeit zwischen strafrechtstheoretischen und verfassungsrechtlichen Legitimationskonzepten spricht, ist die Gleichschaltung beider Prinzipien. Verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte sind vorrangig Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Sie bilden den sog. status negativus, die Freiheit vom Staat. Auch das Rechtsgüterschutzkonzept verfolgt ein strafrechtseinschränkendes Prinzip. Dies wird deutlich, wenn die bereits erläuterten Begriffe des subsidiären Rechtsgüterschutzes und des insgesamt systemkritischen Rechtsgüterschutzkonzepts vergegenwärtigt werden. Das Rechtsgüterschutzkonzept und das Verfassungsrecht verfolgen somit gemeinsame Ziele, nur auf unterschiedlicher institutioneller und methodischer Basis. Es fragt sich mithin, wie das Rechtsgüterschutzkonzept in methodischer Hinsicht in den verfassungsrechtlichen Prüfungsrahmen implementiert werden kann. Umfassende Überlegungen im Hinblick auf eine Optimierung der Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat haben u.a. Stächelin162 und Hassemer163 angestellt. Hassemer integriert in seinem sehr aufschlussreichen Werk das in der Mitte des Strafrechts stehende Konzept des Rechtsgüterschutzes zwischen die beiden Pole Übermaßverbot und Untermaßverbot, welche das Recht staatlicher Eingriffe nach der Verfassung regeln. (1) Anhand des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots lässt sich die vorhandene und wichtige Verknüpfung von verfassungsrechtlichen und rechtsgüterbezogenen Legitimationskonzepten erkennen. Der Maxime folgend, dass Grundrechte Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, handelt es sich bei strafrechtlichen Gebots- oder Verbotsnormen um Eingriffe in die Grundrechte des Individuums, die verfassungsrechtlich einer Rechtfertigung bedürfen. Eingegriffen wird in die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG. Nun könnte man die Auffassung vertreten, dass eben der Schutzbereich des Grundrechts als Wertungsmaßstab für den materiellen Verbrechensbegriff 162 Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 317 ff. 163 Hassemer, Strafrecht, S. 86 ff.

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ausreichend ist. Allerdings kann ein strafrechtliches Handlungsverbot, welches sich durch eine Strafandrohung gegenüber einem bestimmten Verhalten konkretisiert, nur dann gerechtfertigt werden, wenn es auch einen bestimmten und anerkannten Zweck verfolgt. Der Zweck dieses Handlungsverbotes ist der Schutz eines „Rechtsguts“ vor Verletzung oder Gefährdung.164 Damit ist wohlgemerkt nicht der Zweck der im konkreten Fall zu verhängenden Strafe gemeint, sondern vorgelagert der Zweck der Strafnorm165, da bereits durch die Existenz der Verbotsnorm wenigstens die allgemeine Handlungsfreiheit berührt wird. Setzt man nun noch die in der historischen Entwicklung zu findenden Besonderheiten des Strafrechts in den strafgesetzgeberischen Kontext, so bleibt nur ein rechtsgutstheoretisches Konzept oder zumindest, bei Ablehnung des Rechtsgüterschutzkonzepts, ein vergleichbar hervorgehobener Maßstab. Denn diese prägenden Besonderheiten, wie der sozialethische Tadel und die durch das BVerfG anerkannte und geprägte ultima-ratio-Funktion verlangen eine schutzzweckabhängige intensive Verhältnismäßigkeitsprüfung, die sich von der Beurteilung nicht strafrechtlicher Eingriffsnormen deutlich unterscheidet. Rechtsgutslehre und verfassungsrechtliche Anforderungen greifen insofern ineinander. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung setzt als zu schützendes Gut einen Bezugspunkt voraus, den die Rechtsgutslehre liefern kann. Daneben kann die Verfassung der Rechtsgutslehre wichtige Anhaltspunkte für die Bestimmung der Wertigkeit eines Rechtsguts liefern.166 (2) Der begriffliche Gegenpol ist das Untermaßverbot, welches jedoch im strafrechtlichen Kontext keinen konzeptionellen Charakter hat. Das Untermaßverbot weicht von der traditionellen Abwehrfunktion der Grundrechte ab und verpflichtet unter bestimmten Umständen den Gesetzgeber von Verfassungswegen, bestimmte Interessen mit gesetzgeberischen Mitteln zu schützen. Diese „Schutzpflicht“ engt den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ebenfalls ein, allerdings im Hinblick auf die Mindestanforderungen des Schutzes. Auch das Untermaßverbot kann sich des Rechtsgüterschutzes bedienen, jedoch nicht im Hinblick auf die systemkritische und strafbegrenzende Bedeutung.167 Das Untermaßverbot lässt sich in Anlehnung an Hassemer nicht ohne eine konkrete Vorstellung über das Rechtsgut konstruieren. Im Vordergrund steht das Interesse am Erhalt wichtiger Güter. Das Strafrecht lässt sich daher im Rahmen des Untermaßverbots in Anspruch nehmen, indem konkrete Pönalisierungsgebote 164 Hassemer, Strafrecht, S. 87. 165 Zur Differenzierung Normzweck und Zweck der verhängten Strafe im konkreten Fall siehe Roxin, Strafrecht AT, § 3, Rn. 1; Swoboda, ZStW 2010, 46. 166 Lenckner / Eisele, Sch / Schr., Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 10a. 167 Di Fabio, Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Rn. 41.

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gefordert werden. Sofern das Untermaßverbot den Gesetzgeber zum Handeln zwingen will, ist die Annahme eines schützenswerten Rechtsguts die Grundlage, aus der die Schutzpflicht erwächst. Der formulierte Schutzbedarf muss inhaltlich begründet werden, was nicht ohne eine fundamentale Auseinandersetzung mit den zu schützenden Interessen möglich ist. Mag man diese Interessen auch anders bezeichnen, stehen sie dennoch für individuelle Freiheiten, Zustände oder Substanzen, die eingebettet in ein gesellschaftliches System in der Tradition eines aufklärerisch-liberalen Strafrechts nichts anderes als Rechtsgüter sind.168 Das Verhalten zwischen Strafrecht, Rechtsgutskonzept und Verfassungsrecht formuliert Hassemer mit Bezug auf Roxin drastisch, aber auf den Punkt gebracht: „Das Verbot eines Verhaltens unter Strafandrohung, das sich auf ein Rechtsgut nicht berufen kann, wäre Staatsterror.“169

Mag der Begriff Staatsterror überzogen klingen, er bezieht sich wohl auf die besondere Hervorhebung des Strafrechts als schärfste Waffe des Staates. Sofern der Eingriff in die Handlungsfreiheit durch die Strafrechtsetzung nicht legitimiert werden kann, entsteht eine willkürliche, nicht den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Freiheitseinschränkung, die in ihrer unkontrollierten Fortentwicklung gerichtliche Kontrollinstrumente überfordern könnte. In diesem Sinne ist die Mahnung auch durch eine drastische Formulierung gerechtfertigt. Allerdings sollte hinzugefügt werden, dass bei gegenwärtiger Unklarheit der Begriff Staatsterror nur bei vorsätzlicher Außerachtlassung des Rechtsgüterschutzes gelten kann, nicht jedoch bei unzureichender Rechtsgutsbegründung im Rahmen der Gesetzgebung. Die so begründete Harmonie zwischen strafrechtlicher Tradition und Verfassungsrecht löst nicht alle Probleme, so bleibt etwa die Frage nach dem Maßstab für einen Rechtsgutsbegriff unbeantwortet. Jedoch unterstreicht sie ganz wesentlich den Charakter eines systemkritischen Rechtsgutskonzepts. Die untrennbare Verzahnung mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen ist – wie von Hassemer zutreffend bezeichnet170 – wohl tatsächlich für die meisten Kenner der Materie eine Betrachtung in einem neuen Licht.

168 Hassemer, Strafrecht, S. 91. 169 Hassemer, Strafrecht, S. 91. 170 Hassemer, Strafrecht, S. 84.

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6. Maßstäbe zur Rechtsgüterabgrenzung Möchte man dem Rechtsgüterschutzkonzept als unverzichtbares Instrument der strafrechtlichen Legitimationskritik Ausdruck verleihen, sind bestimmte Kriterien einzuhalten. Es bringt wenig, den Rechtsgutsbegriff auf ein theoretisches Abstraktionsniveau zu heben, welches für die Praxis verständlicherweise als ungeeignet erscheint und eher die demokratische Kontrolle des Strafgesetzgebers noch erschwert. Der Begriff des Rechtsguts muss daher allgemein verständlich sein und eine inhaltliche Realitätsnähe aufweisen. Dieses erfordert auch eine Berücksichtigung von universellen Interessen, d.h. von sozial wichtigen Lebensbedingungen. Ferner muss der Begriff des Rechtsguts dahingehend geeignet sein, dass fremde Elemente erkannt und ausgeschlossen werden können. Er muss also Abgrenzungsschärfe aufweisen und darf sich nicht in einem zu großen Graubereich verlieren.171

a) Normalfallprinzip Dem Sexualstrafrecht liegt im Hinblick auf die rechtsgutstheoretische Bestimmung das Problem zugrunde, dass manchen Tatbeständen mehrere Rechtsgüter zugeschrieben werden.172 Insbesondere den Jugendschutzdelikten wird ein umfassender Rechtsgüterschutz bescheinigt, der weit über die sexuelle Selbstbestimmung bzw. über die ungestörte sexuelle Entwicklung Jugendlicher hinausgeht.173 Es besteht insofern die Gefahr, dass bei der Untersuchung der Jugendschutzdelikte aus der Perspektive des Rechtsgüterschutzes die Unschärfe und Vielschichtigkeit des Rechtsgutsbegriffs einerseits und die Komplexität der Strafnormen andererseits zu einem schier undurchdringlichen Geflecht verwachsen. Als Hilfsinstrument zum Zwecke der Trennung von Rechtsgut und symbolischen strafbegründenden Elementen bietet sich zuweilen eine Betrachtung aus der Perspektive des „Normalfalles“ an. Gemeint ist nicht der Normalfall im Sinne einer einfachen strafrechtlichen Fallsubsumtion, sondern das außerstrafrechtliche gesellschaftlich gewünschte Verhalten. Jäger greift diesen Gedanken im Rahmen seiner umfassenden Untersuchung zur Strafgesetzgebung und zum Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten auf und differenziert in (1) Normalität als reale Erscheinung, (2) Normalität als statistischer Durchschnitt, (3) Normalität als das Allgemeine und (4) Normalität als 171 Hassemer, Strafrecht, S. 92. 172 Schroeder, NJW 1993, 2582. 173 Zur ungeordneten Systematik des Jugendschutzes vgl. Schroeder, NJW 1994, 1504; zur Vielschichtigkeit des Rechtsguts bei § 174 StGB vgl. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 1.

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Normidee.174 Während Jäger sich vor dem 4. StrRG, insofern seiner Zeit weit voraus, auf den Normalmenschen im Hinblick auf ein „Normalmaß des allgemeinen Scham- und Sittlichkeitsgefühls“ bezog und diesem im Übrigen kritisch gegenüberstand, kann gegenwärtig die „Normalität“ als reale Erscheinung bei jugendlichem Verhalten in der Pubertät bzw. in der anschließenden Entwicklungsphase Aufschluss über einen überspannten strafrechtlichen Rechtsgüterschutz vermitteln. Der Begriff „Normalität“ im Hinblick auf eine durchschnittliche sozial adäquate Handlungsweise ist nicht nur im Zivilrecht, sondern auch im Strafrecht ein zuweilen verwendetes Abgrenzungskriterium.175

b) Subsidiarität des Strafrechts Das Subsidiaritätsprinzip im Allgemeinen ist als Zuständigkeitsregel der gesellschaftlichen Ordnung zu verstehen. Es bedeutet Aufbau der Gesellschaft von unten nach oben – insofern Handeln des Staates nach dem Prinzip: Dem einzelnen Gesellschaftsmitglied soviel Freiheit wie möglich und soviel Staat wie (unbedingt) nötig.176 Das Subsidiaritätsprinzip wird häufig im Staats- und Verfassungsrecht diskutiert, spielt aber auch im Strafrecht eine wichtige Rolle. So ist die bereits oben erläuterte „fragmentarische Natur“ des Strafrechts ein Aspekt des Subsidiaritätsprinzips.177 Es muss diesbezüglich deutlich hervorgehoben werden, dass dem Strafrecht seit jeher und auch unter den heutigen Gegebenheiten die Aufgabe zukommt, die Grundlagen eines geordneten Gemeinschaftslebens zu schützen. Allerdings ist das Strafrecht dabei nicht das primäre Mittel rechtlichen Schutzes. Demnach darf das Strafrecht nur dort eingesetzt werden, wo es zum Schutze der Gesellschaft unbedingt notwendig ist. Das BVerfG bezeichnet den Einsatz von Strafrecht dann als legitim, wenn die Verhinderung der Vornahme eines bestimmten Verhaltens besonders dringlich ist, weil es in besonderer Weise sozialschädlich und für das Zusammenleben der Menschen unerträglich ist.178 Kaufmann umschreibt die Subsidiarität des Rechtsgüterschutzes wie folgt:

174 175 176 177

Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 102. BGH, NStZ 1996, 402; BGH, NJW 1997, 2691; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 1998, 59. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 224. Zur Subsidiarität im Verhältnis zur Fragmentarietät Prittwitz, Das deutsche Strafrecht, S. 387 ff.; Vormbaum, ZStW 2011, 660 ff. 178 BVerfG, NJW 1993, 1754.

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„Rechtsgüter, die für das Leben der Menschen im Mitsein mit den anderen unentbehrlich sind und die auf andere Weise als durch das Strafrecht nicht wirksam geschützt werden können.“179

Weniger intensive Mittel des Rechtsgüterschutzes können etwa zivilrechtlicher oder verwaltungsrechtlicher Natur sein. Die Gewährleistung von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung von Rechtsgütern im Zivilrecht oder die Normierung von Verboten mit Erlaubnisvorbehalten zur Eindämmung rechtsgutsgefährdender Verhaltensweisen im Verwaltungsrecht beschreiben primäre Mittel des Rechtsgüterschutzes. Insbesondere bei dem kriminalpolitischen Problem der Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten wird die Subsidiarität des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes deutlich. Rechtsgüter sollen durch Ordnungswidrigkeiten immer dann geschützt werden, wenn die nicht strafrechtliche Sanktion zur Sicherung des von dem Gesetzgeber verfolgten Zwecks ausreicht. Roxin folgend ist das vorwiegend bei Delikten der Fall, die nur eine geringe Rechtsgüterbeeinträchtigung darstellen und die bei etwa fahrlässiger Begehungsweise, obgleich ihres erheblichen Rechtsgüterschadens, einen geringen sozialethischen Unwertgehalt aufweisen.180 Im Hinblick auf den Zweck des Rechtsgüterschutzes unterliegt das Strafrecht zudem einer Effizienzkontrolle. Dieses setzt mitunter den Einsatz des Strafrechts als Instrument der Verhaltenssteuerung zum Zwecke des Schutzes von Rechtsgütern in eine Relation zu weniger eingriffsintensiven Steuerungsmodellen.181 Insofern wird nicht nur die Intensität des Mittels beurteilt, sondern auch seine Effizienz im Hinblick auf die beabsichtigte Verhaltenssteuerung. Obwohl das Subsidiaritätsprinzip ein Element des verfassungsrechtlich verbindlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips darstellt, erscheint es problematisch, dass dem Staat bei der Beantwortung der Frage, ob der Einsatz von Strafrecht zum Rechtsgüterschutz erforderlich ist oder ob mit weniger eingriffsintensiven Mitteln der Schutz ausreichend realisiert werden kann, ein weiter Beurteilungsspielraum zugestanden wird.182 Insbesondere in Zweifelsfällen, wenn Ungewissheit besteht, ob mildere Mittel außerhalb des Strafrechts ausreichenden Erfolg versprechen, steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu. Inwieweit der Staat eine Entkriminalisierung oder eine Umwandlung von Straftaten in Ordnungswidrigkeiten für zweckmäßig hält, ist daher aus der Perspektive des Gesetzgebers eine vorrangig sozialpolitische Entscheidung. 179 180 181 182

Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 225. Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 99. Radtke, MK, Vor §§ 38 ff., Rn. 3. Dazu vgl. u.a. BVerfG, NJW 2008, 1142; Lenckner / Eisele, Sch / Schr., § 185, Rn. 1a; Hanack, Gutachten, S. A 34.

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Das Aufzeigen von milderen Mitteln und die damit einhergehende Berufung auf den strafrechtlich subsidiären Rechtsgüterschutz ist eine fundierte Gesetzgebungskritik, die für den Fortschritt des Strafrechts unentbehrlich ist.183

c) Symbolisches Strafrecht Das symbolische Strafrecht verkörpert ein modernes und überdehntes Strafrecht einer Risiko- bzw. Sicherheitsgesellschaft, welches durch aktuelle kriminalpolitisch hochstilisierte Probleme bestimmt wird. In einer modernen Gesellschaft treten häufig an die Stelle von Individualrechtsgütern und deren Gefährdung durch konkrete Täter kollektive Schutzbedürfnisse wie Umwelt-, Wirtschafts- und Drogenkriminalität. Ferner sieht sich das traditionell nationale Rechtsgüterschutzsystem international produzierten Gefährdungslagen wie Völkermord, Terrorismus und Umweltzerstörung gegenüber. Im Rahmen des symbolischen Strafrechts werden die durch das Strafrecht erreichbaren verhaltenssteuernden Wirkungen überbewertet. Es findet keine stringente Prüfung statt, ob etwa die Notwendigkeit besteht, eine Verhaltensnorm zu schaffen, um den Schutz von Rechtsgütern zu gewährleisten, d.h. um die Nutzung eines Rechtsguts durch seine Inhaber sicherzustellen. Ferner erfolgt keine ausreichende Prüfung, ob andere Reaktionsmöglichkeiten auf Verstöße gegen die Verhaltensnormen (statt strafrechtlicher Sanktion) in Betracht kommen und ob im Rahmen der rechtstatsächlichen Aufklärung die Wirkungsweise der angedrohten und verhängten Sanktion eine qualitative Verhaltenssteuerung in sich trägt, die geeignet ist, den Rechtsgüterschutz zu bewirken.184 In Anlehnung an Hassemer ist eine Strafrechtsnorm in dem Maße symbolisch, in dem die latenten Funktionen der Norm die manifesten Funktionen überwiegen. Von diesem Zustand kann dann ausgegangen werden, wenn durch die Norm und ihre Anwendung eher andere als die von der Norm selber bezeichneten Zustände realisiert würden. Unter manifesten Funktionen sind die objektiven Normverwirklichungen gemeint, insofern der Schutz des der Norm jeweils zugehörigen Rechtsguts. Die latenten Funktionen sind die symbolischen Elemente, die vielfältiger Natur sein können und beispielsweise aus der Befriedigung des aktuellen Handlungsbedarfs, der Befriedigung der Bevölkerung oder dem Bestreben, einen starken Staat zu demonstrieren, resultieren. Nach Hassemer ist die überwiegend latente Funktion nichts anderes als Täuschung und Vorspiegelung, insofern „darf man der Norm, so wie sie öffentlich auftritt, nicht trauen“.185 Die Ausweitung symbolischer Elemente in Straf183 Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 101. 184 Radtke, MK, Vorbem. §§ 38 ff., Rn. 6. 185 Hassemer, NStZ 1989, 556.

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rechtsnormen verfehlt die Aufgabe rechtsstaatlicher Kriminalpolitik186 und untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in die Strafrechtspflege.187 Ferner fehlt es dem symbolischen Strafrecht an krimineller Realität – somit fehlt der Anlass des Strafens.188 Aus innenpolitischer Perspektive ist zu bedenken, dass der Gesetzgeber seine Fähigkeit unter Beweis stellen kann, den drängenden gesellschaftlichen Problemen ggf. mit den schärfsten Instrumenten zu begegnen, die er zur Verfügung hat. Und eine derartige Problembewältigung ist – verglichen mit anderen Problemlösungsstrategien – kostengünstig.189 Das Erkennen von latenten Funktionen in Strafrechtsnormen soll darlegen, was als Fremdsubjekt kodifiziert wurde und was bei Betrachtung der Kehrseite rechtsgutstheoretischer – oder jedenfalls nicht symbolischer – Natur ist. Wird das Strafrecht als Mittel symbolischer Politik funktionalisiert, zeichnet sich eine solche Gesetzgebung durch folgende Merkmale aus: Das materielle Strafrecht wird als geeignetes Mittel angesehen, um sämtliche gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Dies führt zu einer umfassenden Kriminalisierung. Es werden neue Universalrechtsgüter inhaltsschwach definiert. Die Vorfeldkriminalisierung nimmt insbesondere durch abstrakte Gefährdungsdelikte flächendeckend zu. Hinzu kommt eine ungenaue Gesetzessprache. Entscheidende dogmatische Institute wie Kausalität, Täterschaft und Teilnahme, Versuch und Vollendung sowie Vorsatz und Fahrlässigkeit verlieren an Schärfe und werden flexibilisiert. Insgesamt wird das opfer- und rechtsgutsorientierte Kernstrafrecht durch die zunehmende Pönalisierung im Rahmen der Absicherung der Gesundheits-, Wirtschafts- und Umweltpolitik relativiert.190

7. Prämissen bei der Untersuchung von Strafvorschriften Dem Rechtsgüterschutzkonzept soll im Rahmen der Prüfung der Jugendschutzdelikte eine strafrechtsbegrenzende Funktion beigemessen werden. Bei der vielfältigen und auch teilweise berechtigten Kritik am Rechtsgüterschutzkonzept bedarf es daher einer inhaltlichen Eingrenzung des Konzeptes. Während die oben dargestellten Konzepte von Jäger, Roxin und Hassemer den systemkritischen Wert des Rechtsgüterschutzkonzeptes verdeutlichen sollen 186 Etwas anderes dürfte gelten, wenn das symbolische Strafrecht aus der Funktion des Rechtsgüterschutzes heraus begründet werden kann, vgl. dazu Renzikowski, ZRP 2005, 214. 187 Hassemer, NStZ 1989, 559. 188 Zur weiteren Differenzierung zwischen „symbolischem Strafrecht“ und „symbolischen Straftaten“ siehe Schroeder, Hassemer FS, S. 618. 189 Hassemer, Roxin FS, S. 1009. 190 Hilgendorf, NStZ 1993, 14.

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und die Ausführungen zur „Inklusion des Rechtsgüterschutzkonzepts in den verfassungsrechtlichen Prüfungsrahmen“ gewissermaßen einen Burgfrieden zwischen den häufig als konträr dargelegten strafrechtlichen und verfassungsrechtlichen Auffassungen begründen soll, geht es im Folgenden um die inhaltliche Richtungsbestimmung des Rechtsgüterschutzgedankens einerseits und um die Einbettung des Konzepts in ein handhabbares Untersuchungsinstrumentarium andererseits. Insbesondere ermöglicht ein instrumentelles Verständnis um die Anwendung des Rechtsgüterschutzkonzeptes neben der rechtsgutsorientierten Untersuchung auch die Implementierung weiterer standardisierter Prämissen, um die Legitimität der Strafnorm auch in einem weiteren Sinne zu untersuchen.

a) Orientierung an subjektiven Rechten und festen Zuständen im gesellschaftlichen Kontext Sind dem Rechtsgüterschutzkonzept unreflektiert Individualrechtsgüter und Kollektivrechtsgüter gleichermaßen zugänglich, ist dies zugleich die Kapitulation eines strafrechtsbegrenzenden Konzepts. Das Rechtsgüterschutzkonzept hat keinen Halt, keine unmittelbare Anknüpfung an die aufklärungsphilosophischen Postulate eines säkularisierten, rationalen und humanen Strafrechts, die der Ausweitung des Rechtsgüterschutzgedankens Einhalt gewähren könnten. Anders verhält es sich mit den „subjektiven Rechten“. Dieses Rechte-Modell ist mit dem Retributionskonzept der Philosophie des Idealismus verknüpft. Nach Kant und Feuerbach ist die Aufgabe des Rechts in der Abgrenzung individueller Freiheitssphären zu sehen – dies gilt auch und insbesondere für das Strafrecht, da Schuldausgleich insofern Ausgleich der Verletzung eines „subjektiven Rechtes“ ist.191 Insofern bietet sich ein konzeptioneller Rückbau an. Der kurze Abriss über die historischen Wurzeln des Rechtsgüterschutzkonzepts hat gezeigt, dass der Rechtsgüterschutzgedanke, auch wenn er heute als (alternativloses) strafrechtsbegrenzendes Konzept bezeichnet werden kann, ursprünglich eine Lockerung der strengeren Rechtsschutzkonzeption vorsah.192 Eine über den Rückbau hinausgehende konsequente Rückkehr zur Rechtsverletzungslehre ist allerdings illusorisch. Auch erfasst der Normbestand des Strafrechts in vielen Bereichen Kollektivrechtsgüter, die aus guten Gründen einer rechtsgutsorientierten Diskussion zugänglich sein müssen. Würde beispielsweise im Rahmen der sog. Terrorismusbekämpfung die Zweckbestim191 Vormbaum, Strafrechtspolitik, S. 46. 192 Siehe oben Kap. 1 B) II. 2.

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mung ohne jedwede Rechtsgutsdiskussion unter Einbeziehung möglicher Kollektivrechtsgüter193 geführt, würde den Legitimationskonzepten außerhalb eines rechtsstaatlichen Verständnisses Auftrieb verliehen. Wenn man beispielsweise dem vieldiskutierten „Feindstrafrecht“194 nicht nur eine situationsbeschreibende Wirkung beimisst, sondern einen präskriptiven, konzeptionellen Charakter, so dass aus diesem Konzept in bestimmten Situationen sogar eine Rechtfertigung für staatliches Handeln195 abgeleitet werden kann, ist ein nur auf ausschließlich subjektiven Rechten basierendes strafrechtsbegrenzendes Rechte-Konzept den totalitären Elementen des Feindstrafrechts eher hilflos ausgeliefert – es würde als Gegenposition nicht ernst genommen werden. Eine enge Anknüpfung an die Rechtsverletzungslehre ist jedoch zu begrüßen.196 Es kann insofern angenommen werden, dass die Verletzung und unmittelbare Gefährdung der klassischen Rechte wie Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum auf dem weiten Feld der Rechtsgüter das Zentrum bilden. Je 193 In der Literatur werden beispielsweise den Strafnormen §§ 89a, 89b StGB unterschiedliche Rechtsgüter zugeschrieben. Schutzgüter sollen die Individualrechtsgüter Leben und persönliche Freiheit sein. Ferner werden die Kollektivrechtsgüter „Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation“ und „Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland“ als geschützte Rechtsgüter bezeichnet, vgl. dazu Heintschel-Heinegg, OK-StGB, § 89a, Rn. 3; Lackner / Kühl, StGB, § 89a, Rn. 2; Paeffgen, NK, § 89a, Rn. 7; Sternberg-Lieben, Sch/Schr., § 89a, Rn. 1; die Individualinteressen als Schutzgüter nur mittelbar anerkennend Fischer, StGB, § 89a, Rn. 5; im Hinblick auf die Kombination der Individualgüter mit dem Rechtsgut Bestand u. Sicherheit des Staates kritisch Rackow, Maiwald FS, S. 619. 194 Protagonist der Position des sog. Feindstrafrechts ist Günter Jakobs. Sofern Strafe als Bestätigung der Identität der Gesellschaft verstanden werde, sei sie nur rechtlich gesonnenen Bürgern vorbehalten. Jakobs in: Eser / Hassemer / Burkhardt, Strafrechtswissenschaft, S. 51: „Wer als Person behandelt werden will, muss seinerseits eine gewisse kognitive Garantie dafür gegeben, dass er sich als Person verhalten wird. Bleibt diese Garantie aus oder wird sie sogar ausdrücklich verweigert, wandelt sich das Strafrecht von einer Reaktion der Gesellschaft auf die Tat eines ihrer Mitglieder zu einer Reaktion gegen einen Feind. […] Der Feind ist ein Individuum, dass sich […] vermutlich dauerhaft vom Recht abgewandt hat und insofern die kognitive Mindestsicherheit personellen Verhaltens nicht garantiert und dieses Defizit durch sein Verhalten demonstriert.“ Jakobs fordert die Strafrechtswissenschaft auf, neben dem Strafrecht ein Feindbekämpfungsrecht zu diskutieren und auch vom Kernstrafrecht getrennt zu kodifizieren, damit die Trennung von Rechtsstrafe und Machtstrafe, letztere muss seiner Meinung nach nicht unbedingt illegitim sein, deutlich wird; vgl. dazu Vormbaum, Kritik des Feindstrafrechts, S. XIII. 195 Das Feindstrafrecht, seine Auswirkungen und die an ihm geübte Kritik kann an dieser Stelle nur oberflächlich behandelt werden, vgl. dazu u.a. Di Fabio, NJW 2008, 421 ff.; Lenckner / Eisele, Sch/Schr., § 13 ff., Rn. 5a; Paeffgen, NK, § 32 ff., Rn. 223; Radtke, MK, § 43a, Rn. 18; Vormbaum (Hrsg.), Kritik d. Feindstrafrechts. 196 Ebenso Hörnle, siehe oben Kap. 1 B) II. 4. b) cc); Vormbaum, Strafrechtspolitik, S. 46 u. 64.

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mehr sich Rechtsgüter außerhalb dieses Zentrums befinden, desto größer ist das Begründungspotenzial eines primär außerstrafrechtlichen Rechtsgüterschutzes. Letzteres gilt insbesondere für Kollektivrechtsgüter, aber auch für weitere Individualrechtsgüter. So betrachtet berücksichtigt dieses RechteKonzept auch den fragmentarischen Charakter des Strafrechts. Sind auch subjektive Rechte leicht zu identifizieren, ist nicht zwangsläufig das subjektive Recht gleichzusetzen mit einem Grundrecht bzw. mit einem diesbezüglichen Grundrechtsverständnis. Wenn freiheitssichernde Grundrechte als Ausdrucksform einer objektiven Wertordnung dergestalt verstanden werden, dass sich aus dieser Wertordnung Strafpflichten ableiten lassen, besteht die Gefahr einer uferlosen Rechtfertigung freiheitsbeschränkender Reglementierungen.197 Neben den klassischen subjektiven Rechten kommen weitere Individualrechtsgüter und Kollektivrechtgüter nur unter kumulativer Erfüllung weiterer Kriterien als eigenständige Rechtsgüter in Betracht. Zum einen müssen sie in Anlehnung an Jäger198 einen gewissen unveränderbaren und konstanten Zustand aufweisen, der den klassischen Rechten ohnehin zugeschrieben werden kann, der jedoch gerade solche Rechtsgüter konkretisiert, die eben jenseits subjektiver Rechte angesiedelt sind. Zum anderen müssen in Anlehnung an Roxin199 die erlassenen Strafgesetze dem Zweck dienen, den Schutz der Bürger zu gewährleisten, sofern dies zur Erreichung friedlicher und freiheitlicher Koexistenz erforderlich ist. Im Ergebnis können so Scheinrechtsgüter entlarvt werden – gemeint sind abstrakt zweckorientierte und politisch motivierte Rechtfertigungen ohne Einhalt, die im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen lediglich aus kriminalpolitischer Perspektive als erforderlich angesehen werden. Scheinrechtsgüter weisen nicht die inhaltliche Qualität und die Konstanz eines Rechtsguts auf, mit anderen Worten: derartige Begründungen sind jenseits des Feldes der Rechtsgüter angesiedelt und legitimieren keinesfalls neue Strafvorschriften.

b) Orientierung an der Triasschranke: „Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit“ Weiterhin stellt sich die Frage, mit welchem konkreten instrumentellen Ansatz die komplexen Jugendschutzdelikte im 13. Abschnitt des StGB untersucht werden können. Die Frage nach dem zu schützenden Rechtsgut und damit 197 Vormbaum, Strafrechtspolitik, S. 65. 198 Siehe oben Kap. 1 B) II. 3. a). 199 Siehe oben Kap. 1 B) II. 3. b).

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verbundenen Ableitungen stehen im Zentrum der Untersuchung. Aber auch die Gesetzesauslegung, das Bestimmtheitsgebot, das Analogieverbot sowie letztlich die Frage nach den Möglichkeiten eines außerstrafrechtlichen Rechtsgüterschutzes sind prüfungswürdige Elemente, die es in der vorliegenden Arbeit zu berücksichtigen gilt. Explizit ergeben sich diese Prüfungselemente jedoch nicht aus dem isoliert betrachteten systemkritischen Rechtsgutsverständnis heraus. In Anlehnung an Vormbaum200 bietet sich daher eine ganzheitliche Betrachtung durch die Triasschranke Gerechtigkeit – Rechtssicherheit – Zweckmäßigkeit an. Die Triasschranke als kumulativ angewendeter Maßstab ermöglicht primär eine standardisierte Vorprüfung im Rahmen von Gesetzesvorhaben, bietet sich aber auch für die Prüfung vorhandener Strafvorschriften an – obgleich in dem letzteren Fall der Begriff „Schranke“ aus gesetzestechnischer Sicht nicht ganz zutreffend ist. (1) Mit Gerechtigkeit ist genaugenommen die Strafgerechtigkeit gemeint. Strafgerechtigkeit und Rechtsgüterschutz werden durch folgenden Pfad untrennbar miteinander verbunden: Die Strafgerechtigkeit führt über die Schuldausgleichs- und Vergeltungstheorie zur Strafrechtsphilosophie des deutschen Idealismus. Was im Rahmen des Schuldausgleichsgedankens ausgeglichen werden soll, ist – wie oben bereits erörtert – die Verletzung eines subjektiven Rechts.201 Da hier aber der beschriebene Rechtsgutsgedanke im Vordergrund steht, der eng an das Rechte-Modell angelehnt ist, soll angenommen werden, dass die Verletzung eines Rechtsguts ausgeglichen werden soll. Fordert die Strafgerechtigkeit nun die Strafwürdigkeit eines zu kriminalisierenden Verhaltens, so ist nur solches Verhalten als strafwürdig anzusehen, was ein konkret umrissenes Rechtsgut verletzt oder gefährdet. Sofern sich hinter der Strafvorschrift ein zu schützendes Rechtsgut befindet, ist die Strafgerechtigkeit in ihrer Substanz gesichert.202 Mag die Herleitung der Strafgerechtigkeit über den Schuldausgleichsgedanken kompliziert erscheinen, kann jedoch eine Begründung unter ausschließlicher Bezugnahme generalpräventiver oder spezialpräventiver Aspekte nicht überzeugen. Soll die Strafandrohung präventive Einwirkungen auf den Täter oder auf die Gesellschaft bedingen, um so die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts zu verhindern, würde aus dem Strafrecht ein Präventionsrecht.203 200 Diese Positionen werden näher dargelegt in Vormbaum, ZStW 1995, 734–760 und Vormbaum, Tsatsos FS, S. 703–721 – im Folgenden nach den Zweitpublikationen in Vormbaum, Strafrechtspolitik, Nr. 2 (S. 29–55) und Nr. 3 (S. 57–77) zitiert. 201 Kühl, Maiwald FS, S. 437 f.; Vormbaum, Strafrechtspolitik, S. 45 f. 202 Vormbaum, Strafrechtspolitik, S. 65. 203 Kühl, Maiwald FS, S. 438.

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Strafgerechtigkeit kann daher nur über den Schuldausgleichgedanken generiert werden. Der Schuldausgleichsgedanke gehört daher zum unverzichtbaren Kern eines legitimen Strafrechts. Der Strafgerechtigkeitsgedanke ist allerdings der Gefahr ausgesetzt, dass beliebig neue Rechtsgüter geschaffen werden und somit das Feld des strafwürdigen Verhaltens nach kriminalpolitischen Bedürfnissen angepasst werden kann. Dieser Tendenz gilt es entgegenzuwirken, indem neben den klassischen subjektiven Rechten nur unter den oben genannten Voraussetzungen (unveränderbarer, konstanter Rechtsgutskern und Erforderlichkeit zur Erreichung friedlicher und freiheitlicher Koexistenz) weitere Rechtsgüter anerkannt werden. (2) Was den Aspekt der Rechtssicherheit anbelangt, kann auf den Grundsatz nullum crimen sine lege204 verwiesen werden. Diesem Grundsatz entstammen die beiden Regeln „Bestimmtheitsgebot“ und „Analogieverbot“.205 Das Bestimmtheitsgebot verpflichtet den Gesetzgeber, seinen Willen im Hinblick auf den Tatbestand und die Strafandrohung so genau wie möglich zum Ausdruck zu bringen. Die wohl eher dürftige Beachtung des Bestimmtheitsgebotes durch den Gesetzgeber206 wird der tatsächlichen Tragweite dieses Grundsatzes nicht gerecht. Das Bestimmtheitsgebot richtet sich an vier Nutznießer: Hinreichend bestimmte Strafnormen gewährleisten für die von der Strafandrohung Betroffenen ein hohes Maß an Erwartungssicherheit und die Möglichkeit der Kontrolle der Normanwendung. Die Öffentlichkeit kann sich über die Orientierung, den Inhalt und die Grenzen des Strafrechts informieren. Rechtsanwender können Handlungsanweisungen klar erkennen. Schließlich ist der Gesetzgeber selbst auch Nutznießer, da er seinen Normierungswillen nur durch präzise Formulierungen in die Wirklichkeit umsetzen kann.207 Ebenso bedeutungsvoll ist das Analogieverbot, also das Verbot der Übertragung einer gesetzlichen Regel auf einen gesetzlich nicht geregelten Einzelfall. Während der Analogieschluss in anderen Rechtsgebieten ein gängiges Mittel ist, besteht im Strafrecht zum Schutze des Bürgers das Verbot strafbegründender bzw. strafschärfender 204 Der Grundsatz „Kein Verbrechen ohne Gesetz“ (nullum crimen sine lege) hat in Art. 103 Abs. 2 GG, wörtlich gleichlautend in § 1 StGB und in anderer Formulierung in Art. 7 Abs. 1 EMRK Eingang gefunden. Der Grundsatz wird ergänzt durch die Formel „Keine Strafe ohne Gesetz“ (nulla poena sine lege) und verdeutlicht, dass nicht nur das Verbot, sondern auch Art und mögliche Höhe der Strafe vor der Tat festgelegt sein müssen. Vgl. dazu Roxin, Strafrecht AT, § 5, Rn. 2 u. 4. 205 Vormbaum, Strafrechtspolitik, S. 50 u. 65. 206 Vormbaum, Strafrechtspolitik, S. 50. 207 Hassemer / Kargl, NK, § 1, Rn. 14.

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Analogie.208 Sowohl das Bestimmtheitsgebot wie auch das Analogieverbot als Elemente des Grundsatzes nullum crimen sine lege beinhalten Korrekturpotenzial, um ausgeuferte Strafgerechtigkeitsgedanken zu begrenzen und überwiegend praktisch orientiertem Zweckmäßigkeitsdenken Einhalt zu gewähren.209 (3) Die Zweckmäßigkeit beinhaltet in diesem Kontext zwei Prämissen: Selbst wenn die Maßstäbe von Strafgerechtigkeit und Rechtssicherheit erfüllt sind, muss die Strafnorm auch vollziehbar sein. Ferner bedarf es der Prüfung, ob außerstrafrechtliche Alternativen in Betracht kommen. Die zweite Prämisse entspricht dem häufig verwendeten Begriff der Strafbedürftigkeit. Strafbedürftig sind Verhaltensweisen nur dann, wenn sie nach dem Subsidiaritätsprinzip210 nicht mit milderen Sanktionen als der Strafe ebenso wirksam bekämpft werden können.211

208 209 210 211

Vgl. dazu Eser / Hecker, Sch / Schr., § 1, Rn. 25. Vormbaum, Strafrechtspolitik, S. 65. Siehe oben Kap. 1 B) II. 6. b). Vgl. dazu Kühl, Maiwald FS, S. 447 f.

2. Kapitel: Strafgesetzgebung zum Schutze der Jugend A) Die Entwicklung der Jugendschutzdelikte I. Das 4. StrRG vom 23. November 1973 Die Sexualdelikte im 13. Abschnitt des StGB wurden durch das 4. StrRG vom 23. November 19731 vollständig neugestaltet. Die Reform verlieh dem 13. Abschnitt seine bis heute noch im Wesentlichen vorhandene Charakteristik.2 Die Reform führte insgesamt zu einer weitgehenden Einschränkung der Strafbarkeit und zugleich zu einer erheblichen Komplizierung der Rechtsanwendung.3 Im Entwurf der Bundesregierung heißt es dazu: „In der heutigen Gesellschaft sind die Wertvorstellungen über Ehe, Familie und Sexualität sehr vielfältig. Auch sind Beweggründe und Erscheinungsformen menschlichen Verhaltens auf diesem Gebiet so individuell geartet, dass sie sich oft gerechter Beurteilung entziehen. Dem Strafgesetzgeber ist deshalb Zurückhaltung geboten.“4

Bereits vom 23. bis zum 25. November 1970 wurde durch den Sonderausschuss des Bundestages für die Strafrechtsreform eine Expertenanhörung durchgeführt, an der über 30 Experten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen teilnahmen. Dazu gehörten Soziologen, Sexualwissenschaftler, Psychiater, Psychologen, Pädagogen, Gerichtsmediziner, Kriminologen, Kriminalpolizeibeamte, Theologen, Philosophen und Juristen, die höchst heterogene Meinungen über den Reformbedarf des Sexualstrafrechts vertraten.5 Es brauchte weitere 42 Sitzungen des Sonderausschusses, bis die Vorlage abschließend beraten war.6 Wegen der vorzeitigen Auflösung des Bundestages im Herbst 1972 und der Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat am 6. Juli 1973 trat das Gesetz mit erheblicher Verzögerung in Kraft.7 1 2 3 4 5 6 7

BGBl. 1973 I. S. 1725. Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 4. Lenckner / Perron / Eisele, Sch / Schr., Vorbem. §§ 174 ff., Rn. 1. BT-Drs. VI/1552, S. 9. BT-Drs. VI/3521; Dreher, JR 1974, 45. BT-Drs. 7/514. Dreher, JR 1974, 45.

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2. Kapitel

1. Gegenstand der Reform An der Reihenfolge der Sexualstraftaten wurde im Vergleich zur vorherigen Systematik allerdings wenig geändert. Den Vorschriften gegen den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174), von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken in Anstalten (§ 174a) sowie denen über den sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung (§174b) folgte die reduzierte Strafbarkeit bei homosexuellen Handlungen (§ 175). Dem Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176) schlossen sich die Tatbestände der Vergewaltigung (§ 177), der sexuellen Nötigung (§ 178) und des sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger (§ 179) an. Als gänzlich neue Tatbestände wurden die Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180), die Förderung der Prostitution (§ 180a), der Menschenhandel (§ 181) und die Zuhälterei (§ 181a) kodifiziert. Es folgten die Tatbestände der Verführung (§ 182), der exhibitionistischen Handlungen (§ 183) und der Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a). Am Abschnittsende wurden die Tatbestände Verbreitung pornographischer Schriften (§ 184), Ausübung der verbotenen Prostitution (§ 184a) und jugendgefährdende Prostitution (§ 184b) erfasst. Die den 13. Abschnitt schließende Vorschrift (§ 184c) enthielt Begriffsbestimmungen.8

2. Von der Moral zum Rechtsgüterschutz Der Grundgedanke der Reform des Sexualstrafrechts war, dass ein Verhalten nicht schon um seiner Unmoral willen Strafe verdient, sondern erst dann, wenn dadurch elementare Interessen anderer oder der Gemeinschaft verletzt werden. Die antiquierte ursprüngliche Überschrift des 13. Abschnittes „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ sollte zunächst in „Sexualstraftaten“ umbenannt werden. Auch Formulierungsalternativen wie „Straftaten gegen die sexuelle Freiheit“ und „Straftaten gegen Minderjährige“ konnten sich nicht durchsetzten, so dass sich schließlich im Sinne des engeren Schutzbereiches die Formulierung „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ manifestierte.9 Nach Gössel hat der Gesetzgeber mit der neuen Überschrift folgendes zum Ausdruck gebracht: „Ob sexuelle Handlungen als normal oder anormal, als unzüchtig oder widernatürlich zu beurteilen sind oder auch nur beurteilt werden können, ist nunmehr bedeutungslos. Entscheidend ist allein, ob sexuelle Handlungen ein spezielles Freiheits-

8 9

Sturm, JZ 1974, 4. Schroeder, ZRP 1971, 14.

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recht einer anderen Person beeinträchtigen: das der sexuellen Selbstbestim10 mung.“

Das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung beinhaltet die Freiheit der Person über Ort, Zeit, Form und Partner sexueller Betätigung frei zu entscheiden. Notwendig enthalten ist insofern auch die Freiheit, sich gegen konkrete sexuelle Betätigungen zu richten.11 In einem weiteren Sinne gilt das sexuelle Selbstbestimmungsrecht auch für Personen, die zu einer rechtlich relevanten Willensbildung nicht in der Lage sind. Ausgehend von dem Grundgedanken, dass jede sexuelle Handlung mit Körperkontakt die Rechtssphäre des anderen tangiert und seine körperliche Integrität berührt, bedarf es im Vorfeld der Zustimmung des Sexualpartners. Fehlt diese Zustimmung, wird der andere zum Objekt fremdbestimmter sexueller Begierde herabgewürdigt. Gleiches gilt, wenn jemand ohne seine Zustimmung veranlasst wird, sexuelle Handlungen vor einem anderen vorzunehmen oder ohne seine Zustimmung in ein sexuelles Geschehen miteinbezogen wird oder wenn er mit sexuellen Vorgängen anderweitig konfrontiert wird.12 Die Abschnittsüberschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ aus der Perspektive des Rechtsgüterschutzes lieferte jedoch keine ausreichende Rechtsgutsbezeichnung, sofern es um die durch das 4. StrRG massiv geänderten Jugendschutztatbestände ging.13 Bei Jugendlichen müssen auch Aspekte im Hinblick auf eine mögliche Entwicklungsstörung und eine damit verbundene oder auch isoliert betrachtete soziale Desorientierung berücksichtigt werden. Dieses wurde bei der Einbringung des Entwurfs erkannt – eine diesbezügliche tiefergehende Analyse des Rechtsguts erfolgte jedoch nicht. Immerhin wurde im Entwurf der Bundesregierung zu den Gesichtspunkten der Abgrenzung strafbaren und straffreien Verhaltens formuliert: „Eine Strafandrohung ist nur dort vorzusehen, wo Rechtsgüter des einzelnen oder der Allgemeinheit angegriffen oder gefährdet werden und ohne eine Strafandrohung nicht hinreichend geschützt werden können. […] Im Bereich des Jugendschutzes greifen die Rechtsgüter des einzelnen und der Allgemeinheit ineinander: Taten, die sich gegen Menschenwürde, Toleranz, und andere grundlegende Regeln und Einrichtungen des menschlichen Zusammenlebens richten, können zugleich die soziale Orientierung des einzelnen jungen Menschen beeinträchtigen.“14

10 11 12 13 14

Gössel, Sexualstrafrecht S. 5. Fischer, StGB, Vor § 174, Rn. 5. Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 9. Dreher, JR 1974, 47. BT-Drs. VI/1552, S. 9.

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Obgleich sich der 13. Abschnitt seit dem 4. StrRG zumindest äußerlich vom überwiegend moralisierten Strafrecht lösen wollte, erfolgte keine gänzliche Abkehr von der Nutzung moralischer Elemente in der Strafrechtsetzung. Viele Tatbestände im Strafgesetzbuch beschreiben mitunter auch unmoralische Handlungen wie Betrug, Erpressung und Nötigung. Auch die neben den Jugendschutztatbeständen im 13. Abschnitt verankerten Strafnormen wie die Prostitutionsdelikte sind erheblich durch moralistische Vorstellungen geprägt. Gössel beschreibt diesen Zustand wie folgt: „Der Wandel der Auffassungen über den Strafwürdigkeitsmaßstab im Bereich der Sexualdelikte besteht deshalb nicht in einer Abkehr von der Moral, ihm liegt statt dessen ein Wandel der gesellschaftlichen Auffassungen über die Sexualmoral zu15 grunde.“

3. Sexuelle Handlung Der bis vor der Reform verwendete Begriff der „unzüchtigen Handlung“ wurde aufgegeben, da zu seiner Auslegung auf das allgemeine Scham- und Sittlichkeitsgefühl verwiesen wurde. An seine Stelle trat der neue Begriff der „sexuellen Handlung“, der kodifiziert in § 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einer Objektivierung führt, allerdings auch zu einer Ausdehnung führen konnte. Begrifflich sollten nur solche Handlungen erfasst werden, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind.16 Letztere Einschränkung wurde als erforderlich angesehen, da dem Begriff der sexuellen Handlung keine einschränkende Variable beigemessen wurde, wie das etwa beim Begriff der unzüchtigen Handlung durch die notwendige Verletzung des allgemeinen Scham- und Sittlichkeitsgefühls der Fall war.17

4. Reform der Jugendschutztatbestände a) Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen Im Bereich der Jugendschutzdelikte wurde durch Änderung der Strafnorm § 174 StGB beim Missbrauch minderjähriger Schutzbefohlener das Schutzalter herabgesetzt. Der Schutz vor Erziehern, Ausbildern und Betreuern, der bis 1973 Personen bis zum Alter von 23 Jahren umfasste, wurde in Abs. 1 Nr. 1 auf Personen unter 16 Jahre begrenzt. Der Sonderausschuss war der Auffassung, dass sich 14- und 15-Jährige, anders als ältere Jugendliche, gegenüber einem etwaigen sexuellen Ansinnen ihrer Erzieher, Ausbilder oder Betreuer 15 16 17

Gössel, Sexualstrafrecht S. 4. Hanack, NJW 1974, 8. Schroeder, ZRP 1971, 15.

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nicht innerlich frei behaupten können. Demnach sind sexuelle Kontakte zu Jugendlichen dieser Altersgruppe eher geeignet, die notwendige pädagogische Einflussnahme zu erschweren und die Entwicklung des Jugendlichen zu stören. Der Sonderausschuss definierte insofern: „Unter diesen Voraussetzungen (gemeint sind Jugendliche in dieser Altersklasse, die sich in einem ausbildungsbedingten Abhängigkeitsverhältnis befinden) stellt nahezu jede sexuelle Handlung von vornherein einen Missbrauch der Abhängigkeit dar. Dabei liegt in der Festlegung der Altersgrenze eine im Einzelfall möglicherweise unzutreffende Generalisierung, die aus Gründen der Rechtssicherheit jedoch hingenommen werden muss.“18

Ein möglicher Ausgleich für Fälle, in denen sich eine echte Liebesbeziehung entwickelt hat, beispielsweise zwischen dem 25-jährigen Referendar und der 15-jährigen Schülerin, sollte durch einen neuen Abs. 4 geschaffen werden, wonach das Gericht von der Strafe absehen kann, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen der Unrechtsgehalt der Tat gering ist.19 Eine grundsätzliche Pönalisierung sexueller Kontakte bei Schutzbefohlenen in dem Alterssegment unter 18 Jahren ohne zusätzliche Pressionen seitens des Täters wurde insofern abgelehnt. Der Rechtsausschuss vertrat die Auffassung, dass sexuelle Kontakte im Erziehungs- und Ausbildungsverhältnis grundsätzlich eine störende Wirkung entfalten, also auch bei Beziehungen von Ausbildern zu 16- und 17-jährigen Jugendlichen. Diese Gesichtspunkte allein wurden jedoch für eine Pönalisierung als nicht ausreichend angesehen.20 Somit wurde kodifiziert, dass gemäß Abs. 1 Nr. 2 die sexuelle Handlung an einer Person unter 18 Jahren unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs- oder Betreuungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit begangen werden muss. Vor dem Hintergrund schwerwiegender Rechts- und Beweisprobleme wurde dieses sog. Erzieherprivileg kritisch beurteilt.21 Durch die differenzierten Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnisse und die möglichen Tathandlungen entstand eine komplexe, aber hinreichend präzisierte Strafnorm. Geleitet von dem Gedanken, dass § 174 StGB nicht oder nicht in erster Linie die frei von sexuellen Kontakten bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse, sondern dem Schutz Jugendlicher gegen den sexuellen Missbrauch ihrer Abhängigkeit dient, sollte zudem die Möglichkeit der

18 19 20 21

BT-Drs. VI/3521, S. 21. BT-Drs. VI/3521, S. 21. BT-Drs. VI/3521, S. 22. Dreher, JR 1974, 49; Hanack, NJW 1974, 1 u. 4; Sturm, JZ 1974, 1.

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Strafabsehung gemäß § 174 Abs. 4 StGB solche Fälle erfassen, in denen der Täter als der Verführte erscheint.22

b) Die Einschränkung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen Die Strafbarkeit der Homosexualität, verstanden als anormales Sexualverhalten, wurde durch das 1. StrRG aufgegeben. Dabei ist ein über die Verhältnisse im heterosexuellen Bereich hinausgehender Schutz beibehalten worden23, der durch das 4. StrRG weiter reduziert wurde. Konkret wurde der Schutz vor homosexuellen Handlungen in § 175 StGB auf Jugendliche unter 18 Jahren begrenzt. Bereits im Reformentwurf der Bundesregierung wurde von einer gänzlichen Abschaffung des Tatbestandes nur deshalb Abstand genommen, weil die Vorschrift in der vorangegangenen Legislaturperiode grundsätzlich geändert wurde und eine erneute Diskussion aus rechtspolitischer Erwägung vermieden werden sollte.24 Gleichwohl deutete die Bundesregierung an, dass sie einer Erörterung der Sachproblematik aufgeschlossen gegenüber stehen werde.25 Hinsichtlich des Verbotes homosexueller Handlungen sah der Regierungsentwurf folgende Fassung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 StGB vor, die lediglich unwesentliche sprachliche oder klarstellende Änderungen enthielt: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft […] ein Mann über 18 Jahre, der sexuelle Handlungen an einem anderen Mann unter 21 Jahren vornimmt oder an sich von dem anderen Mann vornehmen lässt […].“26

Demnach sind homosexuelle Beziehungen zweier gleichaltriger Partner erlaubt, solange diese das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Für die folgenden drei Jahre sind derartige Beziehungen allerdings verboten, während vom 21. Lebensjahr an homosexuelle Handlungen wieder erlaubt sind. Die vom Bundesrat bezüglich dieser Formulierung aufgeworfene Kritik27 wurde vom Sonderausschuss weiter ausgeführt. Nach dem damaligen psychiatrischen, pädagogischen und sexualwissenschaftlichen Kenntnisstand ging man davon aus, dass die Triebrichtung bei Männern von 18 Jahren unveränderlich feststeht und eine Umprägung grundsätzlich nicht mehr möglich ist. Auch bestand 22 23 24 25 26 27

Hanack, NJW 1974, 4. Schroeder, ZRP 1971, 19. BT-Drs. VI/1552, S. 17. BT-Drs. VI/3521, S. 29. BT-Drs. VI/1552, S. 3. BT-Drs. VI/1552, S. 42.

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weitgehend Einigkeit darüber, dass im Allgemeinen homosexuelle Einflüsse bei Männern über 18 Jahren keine sonstigen negativen Auswirkungen haben. Insofern hielt man es nicht für wahrscheinlich, dass eine Pönalisierung homosexueller Handlungen mit Heranwachsenden mehr Nutzen als Schaden bringen würde.28 Im Rahmen der Expertenanhörung wurde inhaltlich weitergehend darüber diskutiert, die Schutzaltersgrenze gemäß dem Vorschlag der niederländischen Kommission weiter zu senken. Die niederländische Kommission kam zu dem Ergebnis, dass homosexuelle Einflüsse auf nicht homosexuell fixierte Männer der Altersgruppe ab 16 Jahren grundsätzlich keine negativen Auswirkungen auf die Ausbildung der heterosexuellen Anlage haben. Diese Annahme wurde in der öffentlichen Anhörung vom 23. bis 25. November 1970 von allen Sachverständigen aus den Fachbereichen der Psychiatrie, der Sexualwissenschaften und der Pädagogik mit Hinweis auf die Vorverlagerung der sexuellen und psychischen Reife bekräftigt. Es wurde ausgeführt, dass sich die psychische Reife in den vergangenen Jahren vorverlagert habe und dass diese Entwicklung auch für die Zukunft gelte. Heterosexuelle Erfahrungen, die die meisten Jugendlichen bereits im Alter von 16 bis 18 Jahren sammeln, wirken demnach immunisierend gegenüber homosexuellen Einflüssen.29 Der Sonderausschuss folgte dieser Annahme nicht, da seiner Auffassung nach bei der Gruppe der 16- und 17-Jährigen es sich nicht im selben Maße wie der Gruppe der über 18-Jährigen ausschließen lässt, dass psychische Störungen auftreten.30 Ferner wurde ergänzt, dass ein Absehen von der Strafe nicht nur bei Tätern unter 21 Jahren erfolgen kann, sondern grundsätzlich altersunabhängig in Betracht kommt, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens desjenigen, gegen den sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist. Auch wurde die Strafbarkeit des sog. Strichjungen sowie die Homosexualität unter Ausnutzung eines Dienst- und Abhängigkeitsverhältnisses beseitigt. Der Schutz von Jugendlichen gegen sexuellen Missbrauch im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses wurde unabhängig davon durch § 174 StGB gewährleistet. Insgesamt betrachtet haben die Änderungen den § 175 StGB ausschließlich in den Bereich der Jugendschutzdelikte transferiert.31 Selbst gegen den im Lichte der Sexualaufklärung reichlich verspäteten Abbau der Strafnorm § 175 StGB erhoben sich noch kritische Stimmen. So formu28 29 30 31

Sturm, JZ 1974, 6; BT-Drs. VI/3521, S. 31. BT-Drs. VI/3521, S. 30. BT-Drs. VI/3521, S. 31. Hanack, NJW 1974, 4.

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lierte Dreher hinsichtlich der Abschaffung der Strafbarkeit unter Ausnutzung eines Dienst- und Abhängigkeitsverhältnisses: „Homosexuelle Herrschaft und homosexuelle Cliquen in Betrieben und Ämtern, die nicht in das Reich der Phantasie gehören und im heterosexuellen Bereich kaum 32 Parallelen haben, sind sozialschädlich.“

Diskutiert wurde auch die Verschmelzung des § 175 StGB mit dem Tatbestand der Verführung nach § 182 StGB. Demnach hätte für den Fall der Verführung eines 14- oder 15-jährigen Jungen durch eine ältere Frau Strafe angedroht werden müssen. Die Ausschussmehrheit verneinte diesen Vorschlag mit der Begründung, dass beim Tatbestand der Verführung der entscheidende Gesichtspunkt, junge Mädchen vor einer ungewollten Schwangerschaft zu schützen, bei der Verführung eines männlichen Jugendlichen durch eine Frau fehle. Auch wollte man nicht in einem Atemzug die gleichgeschlechtliche Beziehung zwischen Frauen unter Strafe stellen. Während bei der Homosexualität davon ausgegangen wurde, dass der junge Mann bei den herrschenden gesellschaftlichen Moralvorstellungen in eine Außenseiterrolle gedrängt wird und er dadurch dauernd psychisch schwer belastet wird, sah man sich außerstande, diese Entwicklungsaussage mangels wissenschaftlicher Erkenntnisse auch für Beziehungen zwischen Frauen zu treffen.33

c) Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger Die früheren Tatbestände der Kuppelei34 gemäß §§ 180, 181 StGB wurden aufgelöst und zu einer Schutzbestimmung für Minderjährige umgestaltet.35 Durch die Neugestaltung des bis heute unveränderten § 180 StGB wurde ein differenzierteres Verbot der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger geschaffen. Ein noch verbleibendes Kuppeleiverbot wurde durch § 180 Abs. 1 StGB geregelt, sofern es sich um Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren handelt. Die Tat ist mit der Förderungshandlung erfüllt, es kommt insofern nicht auf die Verwirklichung der sexuellen Handlung an. Da der Tatbestand weder eigennütziges noch gewohnheitsmäßiges Handeln verlangt, erfolgte sogar im Ver-

32 33 34

35

Dreher, JR 1974, 49. BT-Drs. 7/514, S. 6. Als Kuppelei wurden alle Handlungen verstanden, mit denen der Täter durch Vermittlung oder durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten der Unzucht zwischen Dritten Vorschub leistet, s. BT-Drs. VI/1552, S. 18. Lenckner / Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 1; Schroeder, ZRP 1971, 19.

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gleich zum früheren Verbotsstatus eine Erweiterung.36 Gegen diese, den eigentlichen Absichten der Reformbemühung diametral verlaufenden Tendenz, äußerte Schroeder kritisch, dass diese generelle Beschränkung, ohne zusätzliche Tatbestandsmerkmale, nicht den sonst schutzwürdigen Bereich der Kinder unter 14 Jahren betreffe, sondern Jugendliche unter 16 Jahren.37 Auch wurde das Erzieherprivileg (§ 180 Abs. 1 Satz 2) kritisiert, da das Rechtsgut vom Schutze des Jugendlichen auf das elterliche Sexualerziehungsrecht verlagert wurde, zudem durch die Formulierung des Privilegs „grobe Verletzung der Erziehungspflichten“ ein zu großer, nicht handhabbarer Wertungsspielraum eingeräumt wurde und der Personensorgeberechtigte das ihm eingeräumte Erzieherprivileg auch auf einen anderen übertragen darf.38 Dem Erzieherprivileg liegt einmal der sog. pädagogische Notstand zugrunde, wenn es etwa den Eltern eines noch nicht 16-jährigen Jugendlichen nicht zugemutet werden kann, den Jugendlichen von sexuellen Handlungen gänzlich abzuhalten. Auch sollte den Eltern darüber hinaus ein gewisser Spielraum bei der Sexualerziehung zugebilligt werden. Etwa dann, wenn die Eltern der sexuellen Betätigung ihres 15-jährigen Kindes zwar ablehnend gegenüberstehen, jedoch ein striktes Verbot, obgleich sie es durchsetzen könnten, aus erzieherischer Sicht nicht für die sinnvollste Maßnahme halten. So sollen Situationen, in denen Eltern ihrer 15-jährigen Tochter und deren 17-jährigem festen Freund durch aktives Verhalten Gelegenheit geben, die sexuellen Handlungen, die jene sonst an gefährlichen Orten ausüben würden, in der elterlichen Wohnung vorzunehmen, von dem Privileg erfasst werden. Die ablehnende Minderheit des Sonderausschusses verwies auf fehlende vergleichbare Regelungen in anderen Staaten, räumte aber ein, dass den Erziehungsberechtigen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt werden müsse. Die Schwierigkeit sah man darin, die nicht strafbedürftigen Fälle von den strafbedürftigen ausreichend exakt und zuverlässig abzugrenzen. Andererseits wollte man es auch nicht einer ungewissen und uneinheitlichen Rechtsprechung überlassen. Hinsichtlich der durch den Erziehungsberechtigten erteilten Ermächtigung an einen Dritten, dem Schutzbefohlenen Gelegenheit zu sexuellen Handlungen zu gewähren oder zu verschaffen wurde übereinstimmend anerkannt, dass nur eine solche Einwilligung relevant sein kann, mit der der Erziehungsberechtigte das vom ihm gebilligte Verhalten des Jugendlichen konkret bezeichnet. Unzureichend

36 37 38

Dreher, JR 1974, 51. Schroeder, ZRP 1971, 19. Hanack, NJW 1974, 8; BT-Drs. 7/514, S. 8; BT-Drs. VI/1552, S. 43.

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wäre etwa die bloße Einwilligung zur Teilnahme an einem Ferienlager mit Jugendlichen beiderlei Geschlechts.39 Ferner sollten durch den komplexeren § 180 Abs. 2 StGB Jugendliche bis 18 Jahren vor einem Abgleiten in das Prostitutionsmilieu geschützt werden. Dabei wurde erläutert, dass ein beträchtlicher Teil der Prostituierten bereits im Alter von weniger als 18 Jahren erstmals die Erfahrung einer bezahlten Hingabe gemacht haben. Die Bestimmung zu sexuellen Handlungen gegen Entgelt wurde daher als Weg in die Prostitution gesehen. Geschenke, die den Minderjährigen in eine geeignete Stimmung versetzen sollten, wurden nicht dem Entgeltbegriff zugeschrieben. Im Regierungsentwurf wurde als Mindestvoraussetzung eine ausdrückliche oder wenigstens stillschweigende Einigung darüber, dass die sexuelle Handlung im Austausch gegen die geleistete oder zugesagte Zuwendung erfolgen soll, verlangt.40 Nach § 180 Abs. 3 StGB wurde wie in § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf das Abhängigkeitsverhältnis abgestellt. Insofern wurde unter Strafe gestellt, wenn unter Missbrauch dieses Abhängigkeitsverhältnisses eine Person unter 18 Jahren bestimmt wird, entsprechende Handlungen an, vor oder mit Dritten vorzunehmen.41 In systematischer Hinsicht wurde durch Dreher Kritik geübt, dass beim Vergleich der Tatbestände § 180 Abs. 3 StGB und § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB der einzige Unterschied in der mit oder ohne körperliche Berührung erfolgten sexuellen Handlung liege, was für ein Zusammenlegen der Vorschrift spreche.42

d) Pornographische Schriften Die Neugestaltung des § 184 StGB zu einer höchst komplizierte Regelung mit vier Absätzen, von denen der erste (bis heute) allein neun Nummern umfasste, sollte insbesondere zum Schutze der Jugend umfänglich die Verbreitung pornographischer Schriften unter Strafe stellen.43 Der Begriff pornographische Schriften wurde anstelle des Begriffs unzüchtiger Schriften kodifiziert. Der neue Begriff sollte zum einen zum Ausdruck bringen, dass derartige Darstellungen ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei dem Betrachter abzielen und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen An39 40 41 42 43

BT-Drs. VI/3521, S. 45–46. BT-Drs. VI/1552, S. 24. Hanack, NJW 1974, 5; Schroeder, ZRP 1992, 295. Dreher, JR 1974, 50. Hörnle, MK, § 184, Rn. 2.

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standes eindeutig überschreiten.44 Dabei wurde zwischen sog. harter Pornographie und sog. einfacher Pornographie unterschieden. Unter harter Pornographie wurden pornographische Erzeugnisse erfasst, die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Missbrauch von Kindern oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Inhalt haben.45 Diesbezüglich wurde durch § 184 Abs. 3 StGB ein umfängliches Umgangsverbot kodifiziert, da die harte Pornographie für die soziale Entwicklung junger Menschen als besonders gefährlich angesehen wurde. Im Hinblick auf die einfache Pornographie, die unterhalb der verbotenen harten Pornographie Material für die Zielgruppe der Erwachsenen erfasste, sollte besonders mit den Verboten in § 184 Abs. 1 Nr. 2–3a, 5 und 7 StGB verhindert werden, dass Jugendliche in bestimmten Situationen von pornographischen Schriften Kenntnis nehmen. aa) Kündigung der Genfer Konvention Die Einschränkung der bis zum 4. StrRG geltenden umfassenden Strafandrohung gegen das Verbreiten unzüchtiger Schriften mahm den aus den Vorstellungen des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts gewachsenen Gedanken auf, dass pornographische Erzeugnisse schlechthin gemeinschaftsschädlich und daher mit strafrechtlichen Sanktionen zu unterdrücken seien.46 Die Ächtung jedweder pornographischer Schrift wurde durch die Genfer Konvention mit der Bezeichnung „Internationale Übereinkunft vom 12. September 1923 zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebes unzüchtiger Veröffentlichungen“ kodifiziert.47 Demnach verpflichtete sich jeder Mitgliedsstaat, das Handeln mit Pornographie, die Verbreitung pornographischer Darstellungen und die öffentliche Ausstellung von Pornographie unter Strafe zu stellen. Die große Mehrheit der ausländischen Staaten respektierte diese Konvention. Dänemark und Schweden gehörten dem Kreis der Vertragsstaaten nicht oder aufgrund eines späteren Austritts nicht mehr an. In beiden Ländern wurden Verbote gegen die Verbreitung von Pornographie weit über den Regierungsentwurf hinausgehend gelockert.48 Die geplante Neufassung des § 184 StGB war mit den Vorgaben der Konvention nicht vereinbar. Folgerichtig kündigte die Bundesregierung die Konvention. Da die Kündigungsfrist ein Jahr betrug, konnte die Neufassung des § 184 44 45 46 47 48

BT-Drs. VI/1552, S. 33; BT-Drs. VI/3521, S. 60. Hanack, NJW 1974, 7. BT-Drs. VI/1552, S. 33. RGBl. II 1925, S. 287. BT-Drs. VI/3521, S. 58.

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StGB gemäß Art. 12 Abs. 2 des 4. StrRG erst 14 Monate nach der Verkündung des Reformgesetzes in Kraft treten. Nach Art. 12 Abs. 3 des 4. StrRG galt bis dahin die in Anlehnung an den Vorschlag des Bundesrates49 formulierte Übergangsregelung, die bis auf die Ersetzung des Begriffs unzüchtig durch pornographisch im Wesentlichen der alten Fassung entsprach.50 Kritisiert wurde die Übergangsregelung insbesondere wegen des in Art. 8 des 4. StrRG normierten Opportunitätsprinzips. Demnach konnte die Staatsanwaltschaft von einer Strafverfolgung absehen bzw. das Gericht bei bereits erhobener Klage das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten vorläufig einstellen, sofern die Tat nach der Neufassung nicht mehr unter Strafe gestellt war. Hanack sah in dieser Regelung eine in noch krasserem Maße als bisher divergierende Strafverfolgung.51 bb) Freigabe der einfachen Pornographie im Rahmen des Jugendschutzes Eingeengt durch die Vorschriften zum Schutze der Jugend im Hinblick auf die Verbreitungsmodalitäten, wurde die Herstellung und Inlandsverbreitung der einfachen Pornographie für die Zielgruppe der Erwachsenen freigegeben. Im Regierungsentwurf wurde angeführt, dass die Auffassung von der schlechthin gegebenen Gemeinschädlichkeit pornographischer Erzeugnisse keine genügende Grundlage eines Verbotes sei. Als weiterer Grund für die Freigabe der einfachen Pornographie wurde die mangelnde Geeignetheit der Strafbestimmungen gegen die zunehmende Verbreitung und die Überlastung der Strafverfolgungsbehörden angeführt.52 Aufgrund der fehlenden wissenschaftlich gesicherten Erkenntnis über die mittel- und langfristigen Folgen des Pornographiekonsums wurde insofern eine Abwägung vorgenommen, die auf der einen Seite die nicht verifizierte schädliche Wirkung pornographischer Erzeugnisse und auf der anderen Seite sonstige schutzwürdige Interessen gewichtete. In den Fällen des Jugendschutzes und in den Fällen, in denen sich jemand ungewollt pornographischem Material gegenüber sieht, sah man eine deutlich überwiegende Gefahr der Beeinträchtigung von erheblichen Rechtsgütern. Einen lückenlosen Jugendschutz durch ein uneingeschränktes strafrechtliches Verbot sah man nach den geschilderten Abwägungsmaßstäben als nicht zu rechtfertigen an, da der Strafschutz zu weit 49 50 51 52

BT-Drs. VI/1552, S. 43. Dreher, JR 1974, 56. Hanack, NJW 1994, 6. Dreher, JR 19974, 54; BT-Drs. VI/1552, S. 33.

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in das Vorfeld des geschützten Rechtsguts transferiert werden würde.53 Auch der Sonderausschuss fasste zusammen, dass die bisherige strenge gesetzliche Regelung sich in der Praxis nicht bewährt habe. Zudem wurde auf Beispiele der skandinavischen Länder Dänemark und Schweden verwiesen, die, noch weitergehend als im Regierungsentwurf vorgesehen, die strafrechtlichen Verbote gegen die Verbreitung von Pornographie gelockert hatten, ohne dass es zu einer Eskalation führte.54 Dagegen äußerte Dreher kritisch, dass selbst bei nichtbewiesener Sozialschädlichkeit von Pornographie, ebengleich wie vor der Freigabe eines unbekannten Medikaments, ein gefährliches Massenexperiment nicht erfolgen dürfe.55 Ähnliche kritische Stimmen erhoben sich als Minderheit im Sonderausschuss. Demnach wurde mitunter angeführt, dass folgende Faktoren einer Straffreiheit der Verbreitung einfacher Pornographie entgegenstünden: Die sexuelle Kontrolle, die Beeinflussung der sexuellen Triebrichtung, die Ursache für kriminelle Handlungen im Bereich der Sexualkriminalität, gravierende Persönlichkeitsstörungen, Nachteile für die Entwicklung junger Menschen sowie die negative Beeinflussung der Einstellung zum Sexualleben und zu sexualethischen Normen.56 Der für Jugendliche und gegen die ungewollte Kenntnisnahme aufgestellte Schutzrahmen, in dem die einfache Pornographie vertrieben werden kann, wurde im Regierungsentwurf noch mit einer übersichtlichen Tatbestandsstruktur vorgeschlagen.57 Im Rahmen der weiteren Beratungen ist dieser Katalog erheblich erweitert worden, so dass schließlich ein differenzierter Katalog von 39 verschiedenen Verbreitungshandlungen zum Schutz der Jugend entstand, der detailliert formuliert war und beispielsweise folgende Tatbestandsvarianten erfasste: Anbieten oder Überlassen „im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen“, „in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt“, „im Versandhandel“, „in gewerblichen 53 54 55 56 57

BT-Drs. VI/1552, S. 33. BT-Drs. VI/3521, S. 58–59. Dreher, JR 1974, 55. BT-Drs. VI/3521, S. 58. Abs. 1: Wer pornographische Schriften, Tonträger, Abbildungen und Darstellungen (Nr. 1) einem Kind oder einem Jugendlichen anbietet, überlässt oder sonst zugänglich macht, (Nr. 2) an einen anderen gelangen lässt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein, oder (Nr. 3) herstellt, vorrätig hält […] einführt oder ausführt; Abs. 2: […] wer an einem Ort, der für Kinder oder für Jugendliche zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, (Nr. 1) einen pornographischen Text oder eine pornographische Abbildung oder Darstellung ausstellt, anschlägt oder vorführt oder (Nr. 2) einen pornographischen Tonträger abspielt, s. BT-Drs. VI/1552, S. 5.

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Leihbüchereien“ oder „Lesezirkeln“ oder das Zeigen „in einer öffentlichen Filmvorführung gegen ein Entgelt, das ganz überwiegend für diese Vorführung verlangt wird“.58 Eine Überschneidung mit den Vorschriften des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften wurde bewusst in Kauf genommen, da die beabsichtigte Reform dieses Gesetzes gegenüber der Reform des StGB als nachrangig bezeichnet wurde.59

II. Das 27. StÄG vom 23. Juli 1993 Durch die medienwirksame Darstellung von Missbrauchsfällen und die zunehmende Verbreitung von kinderpornographischen Schriften Anfang der 90er Jahre wurde eine völlig anderer Perspektive der Kinderpornographie kriminalpolitisch manifestiert. Während es im Bereich der Pornographie gemäß § 184 StGB immer nur um die Wirkung auf den Betrachter, insbesondere Jugendliche und pädophile Täter, gegangen war, richtete sich der Fokus nunmehr auf die Würde und insbesondere die körperliche Unversehrtheit der bei den Darstellungen abgebildeten Personen.60 So wurden durch einen überfraktionellen Gruppenantrag am 11. Juni 1991 konkrete Maßnahmen gegen Kinderpornographie gefordert: „Der Gesetzgeber muss die Anpassung der Strafvorschriften prüfen […] dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kinderpornographiemarkt ohne den Konsumenten nicht bestehen würde und der Erwerber und Besitzer von Kinderpornographie – ähnlich wie der Hehler – einen Anreiz für das Begehen einer Straftat schafft.“61

Am 3. Juli 1992 legte die Bundesregierung den Entwurf eines entsprechenden Strafrechtsänderungsgesetzes vor.62 Im Gesetzentwurf der Bundesregierung stellte man zumindest als Randbegründung auch auf den Jugendschutz ab, da sich verbreitete kinderpornographische Schriften im Falle der Kenntnisnahme durch Jugendliche auf deren seelische Entwicklung und soziale Orientierung auswirken könnten.63 Konkret wurden die Strafschärfungen beim Verbreiten von kinderpornographischen Schriften sowie die Pönalisierung des Besitzes vor dem Hintergrund des expandierenden Videomarktes für Kinderpornographie als notwendig erachtet. Es wurde angeführt, dass der Markt zu einem großen Teil aus Amateurfilmen bestehe, die häufig von Vätern und anderen 58 59 60 61 62 63

Hanack, NJW 1974, 7; BT-Drs. VI/3521, S. 59. BT-Drs. VI/1552, S. 34. Schroeder, NJW 1993, 2581. BT-Drs. 12/709, S. 3. BT-Drs. 12/3001. BT-Drs. 12/3001, S. 4.

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Verwandten, mit Kindern aus der eigenen Familie aufgenommen und privat ausgetauscht oder geschäftsmäßig verwertet würden.64 Durch den Rechtsausschuss wurde unter Berücksichtigung von Empfehlungen des Bundesrates und anderer Ausschüsse der Entwurf leicht abgeändert65, so dass am 23. Juni 2007 das 27. StÄG66 verkündet wurde.

1. Gegenstand der Änderung Im Hinblick auf das Verbreiten von kinderpornographischen Schriften wurde der Strafrahmen in § 184 Abs. 3 StGB von vormals Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu 5 Jahren erhöht, wenn die Schrift den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand hat. Neu eigeführt wurde in Abs. 4 die Gewerbsmäßigkeit oder das Handeln als Mitglied einer Bande, sofern pornographische Schriften, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, verbreitet werden. Im Vergleich zum geänderten Strafrahmen des Abs. 3 wurde in Abs. 4 lediglich das untere Strafmaß abweichend (sechs Monate Freiheitsstrafe) geregelt. Ebenfalls neu kodifiziert wurden die Besitzverschaffung und der Besitz von kinderpornographischen Schriften. Der neue Abs. 5 wurde mit dem Strafrahmen „Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe“ versehen.67

2. Verbreitung pornographischer Schriften a) Verbreitung von Kinderpornographie Der bis dahin geltende Strafrahmen des § 184 Abs. 3 StGB von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe wurde angesichts des mit dem Verkauf und Verleih von Kinderpornographie möglichen Verdienstes als wenig abschrekkend erachtet. Die Anhebung des Strafrahmens sollte den Unrechtsgehalt des Deliktes stärker betonen und als Nebeneffekt ein Signal für eine nachdrückliche Strafverfolgung durch die Justizbehörden der Länder bewirken. Dadurch sollte insgesamt die generalpräventive Wirkung gegenüber potenziellen Tätern verstärkt werden.68 Während der Regierungsentwurf eine Anhebung des Strafrahmens auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe als ausrei64 65 66 67 68

BT-Drs. 12/3001, S. 4. BT-Drs. 12/4883. BGBl. 1993 I. S. 1346. Lackner / Kühl, StGB, Vor § 174, Rn. 7; BT-Drs. 12/4884, S. 4–5. BT-Drs. 12/3001, S. 5; BT-Drs. 12/4883, S. 6 u. 8.

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chend ansah, folgte der Rechtsausschuss dem Vorschlag des Bundesrates, was dem Absatz 3 ein Höchststrafmaß von fünf Jahren Freiheitsstrafe bescherte.69

b) Gewerbs- und bandenmäßiges Handeln Durch den Qualifikationstatbestand § 184 Abs. 4 sollte mit erhöhtem Strafrahmen der besonderen Verwerflichkeit Rechnung getragen werden, die sich durch die wiederholte Begehung von Straftaten zur Schaffung einer Einnahmequelle von gewisser Dauer und Erheblichkeit widerspiegelt (gewerbsmäßig). Ferner sollte die besondere Gefährlichkeit der bandenmäßig begangenen Verbreitung von Kinderpornographie erfasst werden, weil ihr eine konspirative und organisierte Begehungsweise innewohnt. Auf die Formulierung „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“ wurde verzichtet, da auf die Existenz der Bande als solche und nicht auf die Tatausführung durch mehrere Personen abgestellt wurde.70

c) Besitz und Besitzverschaffung Auch der Besitzer pornographischer Produkte, der nicht im Rahmen der Täterschaft oder Teilnahme zum sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176) zur Verantwortung gezogen werden kann, wurde durch seine potenzielle Nachfrage nach kinderpornographischen Produkten und der damit verbundenen Marktbelebung als mittelbarer Verursacher des Missbrauchs bezeichnet. Nicht nur „der Besitz“, zu verstehen als Aufrechterhalten eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses, sondern auch „das Besitz verschaffen“, insofern das vorgelagerte Herbeiführen eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses, wurde pönalisiert.71 Der Bundesrat wollte in seiner Stellungnahme zudem die Streichung der Formulierung in Absatz 5: „[…] wenn die Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) den tatsächlichen sexuellen Missbrauch zum Gegenstand haben.“

Der Bundesrat sah in der einschränkenden Formulierung Schwierigkeiten in der Beweisführung dahingehend, ob ein Kind für die Herstellung des Materials tatsächlich sexuell missbraucht worden ist. Ferner wurde auf die zusätzliche Belastung des Kindes im Rahmen der für die Beweiserbringung erforderlichen Ermittlungen hingewiesen. Um ein gesteigertes Unrechtsbewusstsein gegen69 70 71

BT-Drs. 12/4883, S. 8. BT-Drs. 12/3001, S. 5. BT-Drs. 12/3001, S. 6.

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über dem sexuellen Missbrauch von Kindern zu schaffen, sollte nach Meinung des Bundesrates auch der Besitz und die Besitzverschaffung von Texten oder Zeichnungen mit Strafe bedroht werden.72 In der Gegenäußerung der Bundesregierung wurde die Streichung der obigen Formulierung abgelehnt. Es wurde dargelegt, dass der Besitzer von kinderpornographischen Romanen, Zeichnungen und Zeichentrickfilmen, die kein tatsächliches Geschehen zum Gegenstand haben, nicht dazu beiträgt, dass Kinder als Darsteller missbraucht werden. Ebenso wurden die Bedenken bezüglich der Schwierigkeiten bei der Beweisführung nicht geteilt, da das benutzte Medium Videofilm, Film oder Foto das tatsächliche Geschehen bereits zur Beurteilung des Missbrauchs ausreichend wiedergebe.73 Auch der Rechtsausschuss folgte nicht der Intervention der mitberatenden Ausschüsse, den Strafrahmen in Absatz 5 auf Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren anzuheben. Zwar bejahte er die mittelbare Verantwortlichkeit des Verbrauchers für die Existenz des Videomarktes für Kinderpornographie und den damit verbundenen Kindesmissbrauch. Diese mittelbare Verantwortlichkeit war nach seiner Auffassung jedoch geringer einzuschätzen als die des Vertreibers. Im Sinne einer grundsätzlichen Einschränkung des staatlichen Strafens fügte der Rechtsausschuss an: „Angesichts der oben aufgeführten erforderlichen Abstufungen […] und im Hinblick auf das Gebot sinn- und maßvollen staatlichen Strafens erschien die vorgeschlagene Anhebung des Strafrahmens bedenklich […].“74

d) Schutzaltersgrenze Der Bundesrat sah sich in seiner Stellungnahme auch veranlasst, eine Erweiterung der Schutzaltersgrenzen in § 184 StGB vorzuschlagen. So sollte in den Absätzen 3 bis 5 jeweils das Schutzalter von Jugendlichen bis zu einem Alter von 16 Jahren heraufgesetzt werden. Als Begründung wurde angeführt, dass sich der Videomarkt nicht nur auf Filme mit Personen unter 14 Jahren (Kindern) beziehe und auch Jugendliche zunehmend gegen Entgelt für Produktionen derartiger Filme ausgenutzt würden. In diesem Kontext wurde betont, dass in Ermangelung einer entsprechenden Strafnorm die Herstellung pornographischer Aufnahmen von Jugendlichen über 14 Jahren nicht strafbar sei und es somit gelte, die vorhandene Strafbarkeitslücke zu schließen.75 In einer Gegen72 73 74 75

BT-Drs. 12/3001, S. 8. BT-Drs. 12/3001, S. 10. BT-Drs. 12/4883, S. 8. BT-Drs. 12/3001, S. 7.

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äußerung lehnte die Bundesregierung den Einwand des Bundesrates ab und verwies ferner auf das System der abgestuften Strafrahmen, mit dem der Vorschlag des Bundesrates nicht zu vereinbaren sei. Der Wertungswiderspruch wurde darin gesehen, dass im Falle der Erweiterung des Schutzes auf 16Jährige die sexuelle Handlung mit Jugendlichen unter 16 Jahren selbst nicht strafbar sei, wohl aber der Besitz von Abbildungen einer solchen Handlung.76

III. Das 29. StÄG vom 21. Mai 1994 Das 29. StÄG77 wurde vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Regelungen des strafrechtlichen Schutzes Jugendlicher vor sexuellem Missbrauch in der Bundesrepublik Deutschland vorangetrieben. In den neuen Bundesländern galt § 149 StGB-DDR und in den alten Bundesländern die §§ 175 und 182 StGB. Absicht der Bundesregierung war es, die mit ihrem vom 18. März 1993 eingereichten Gesetzentwurf durch das 1. und das 4. StrRG umgestellte Strafbarkeit homosexueller Handlungen auf homosexuelle Handlungen mit Minderjährigen nebst der in den neuen Bundesländern weitergeltenden Jugendschutzvorschrift aufzuheben und § 182 StGB zu einer einheitlichen Schutzvorschrift für Jugendliche unter 16 Jahre umzugestalten.78 Bereits im Juni 1991 forderte die Gruppe der PDS/Linke Liste in einem Gesetzentwurf die ersatzlose Streichung der Vorschriften §§ 175, 182 StGB sowie § 149 StGB-DDR und verwies einerseits auf die Notwendigkeit der Rechtsangleichung und andererseits auf den ausreichend bestehenden strafrechtlichen Schutz für Jugendliche.79 Im Dezember 1991 legte die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf vor, der ebenfalls die ersatzlose Streichung der genannten Vorschriften vorsah, jedoch die Bundesregierung aufforderte, den 13. Abschnitt hinsichtlich dem Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung insgesamt neu zu fassen.80 Der Bundesrat schlug im Januar 1993 in seinem Gesetzentwurf vor, die §§ 175 und 182 StGB ersatzlos zu streichen und den erforderlichen Jugendschutz einheitlich in § 176a StGB zu kodifizieren.81 Der Rechtsausschuss empfahl schließlich unter Berücksichtigung von Änderungen die Annahme des Gesetzentwurfs der Bundesregierung.82 76 77 78 79 80 81 82

BT-Drs. 12/3001, S. 9. BGBl. 1994 I. S. 1168. BT-Drs. 12/4584, S. 1 u. 3. BT-Drs. 12/850, S. 1. BT-Drs. 12/1899, S. 2. BT-Drs. 12/4232, S. 1. BT-Drs. 12/7035, S. 2.

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1. Gegenstand der Änderung Durch das 29. StÄG wurde zunächst die alte Fassung des § 182 StGB „Verführung zum Beischlaf“ aufgehoben und in einem neu gefassten § 182 StGB eine für Opfer bis zum 16. Lebensjahr geltende Jugendschutzvorschrift geschaffen, die in Absatz 1 in der Nr. 1 die Tatbestandsalternativen des sexuellen Missbrauchs unter „Ausnutzung einer Zwangslage“ oder „gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt“ enthält. Die Nr. 2 wurde darauf abgestellt, dass das Opfer unter Ausnutzung einer Zwangslage dazu bestimmt wird, sexuelle Handlungen an einem Dritten bzw. von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen. In den Kreis möglicher Täter wurden nicht die Jugendlichen selbst, jedoch die Heranwachsenden einbezogen. In Absatz 2 wurde als Fallgruppe die Ausnutzung der Unreife des noch nicht 16-jährigen Opfers erfasst. Der Täterkreis wurde auf Personen über 21 Jahre beschränkt. Die Variante des Absatz 2 wurde in Absatz 3 zu einem Antragsdelikt, sofern nicht ein Einschreiten von Amts wegen „des besonderen öffentlichen Interesses“ geboten erscheint. In Absatz 4 wurde für die Varianten der Absätze 1 und 2 dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, von der Strafe abzusehen, wenn „das Unrecht der Tat gering ist“.83

2. Abschaffung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen mit Minderjährigen Im Rahmen der Debatte um das 4. StrRG war von einer gänzlichen Abschaffung des § 175 StGB abgesehen worden, da man davon ausging, dass Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren noch homosexuell geprägt werden können. Ferner sah man bei dieser Altersgruppe eine erhöhte Gefahr von mit der Homosexualität einhergehenden psychischen Entwicklungsstörungen.84 Im Zuge der Diskussion um das 29. StÄG wurde die aus der Sexualwissenschaft weit überwiegende Meinung berücksichtigt, dass die Disposition weit vor dem 14. Lebensjahr festliege. Demnach erfolge die hetero- oder homosexuelle Orientierung bereits in der frühkindlichen Phase. Diese Phase sei bereits mit dem 5. Lebensjahr abgeschlossen.85 Zudem war die Bundesregierung bemüht, im Rahmen von verschiedenen Maßnahmen die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung Homosexueller zu fördern und einem diskriminierenden

83 84 85

BT-Drs. 12/7035, S. 4–6. BT-Drs. VI/3521, S. 31; dazu kritisch vgl. Tröndle, ZRP 1992, 298. BT-Drs. 12/4232, S. 4; kritisch zur längst überfälligen Abschaffung vgl. Steinmeister, ZRP 1992, 88.

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Klima gegenüber diesem Personenkreis entgegenzuwirken.86 So forderte auch im Juni 1988 die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages im Rahmen des Zwischenberichtes „Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung“, den § 175 StGB zu streichen und eine einheitliche Jugendschutzvorschrift zu formulieren.87

3. §§ 149, 151 StGB-DDR In der DDR gab es den zur Jugendschutzvorschrift ausgestalteten Straftatbestand § 151 StGB-DDR, der sexuelle Handlungen eines Erwachsenen mit einem Jugendlichen gleichen Geschlechts unter Strafe stellte. Durch das 5. Strafrechtsänderungsgesetz vom 14. Dezember 1988 wurde mit Wirkung vom 1. Juli 1989 der Straftatbestand aufgehoben. Grund war die Entscheidung des Obersten Gerichtes der DDR vom 11. August 1987. Das Gericht stellte fest, dass homosexuelle Handlungen Erwachsener mit normal entwickelten Jugendlichen, spätestens mit Jugendlichen im Alter zwischen dem 16. und dem 18. Lebensjahr, im Allgemeinen nicht zu Fehlentwicklungen führen müssten. Durch das 5. Strafrechtsänderungsgesetz erhielt zudem § 149 Abs. 1 StGBDDR unter der Überschrift „Sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ folgende Fassung: „Ein Erwachsener, der einen Jugendlichen zwischen vierzehn und sechszehn Jahren unter Ausnutzung der moralischen Unreife durch Geschenke, Versprechen von Vorteilen oder in ähnlicher Weise dazu missbraucht, mit ihm Geschlechtsverkehr auszuüben oder geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.“

Aufgrund des Einigungsvertrages88 galt diese Jugendschutzvorschrift nach der Herstellung der Einheit ausschließlich im Gebiet der ehemaligen DDR fort, während in den alten Bundesländern die Jugendschutzvorschriften des StGB Anwendung fanden. Das 29. Strafrechtsänderungsgesetz sollte diesen rechtspolitisch unbefriedigenden Zustand ändern.89 Im Regierungsentwurf wurde diesbezüglich die Absicht formuliert, dass die angestrebte einheitliche Regelung unter Berücksichtigung der bestehenden Strafnormen der gesellschaftli-

86 87 88 89

BT-Drs. 12/4584, S. 5. BT-Drs. 11/2495, S. 99. BGBl. 1990 II. S. 889, 892, 1168. BT-Drs. 12/7035, S. 8; zur formalen Rechtsvereinheitlichung vgl. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 1.

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chen und rechtspolitischen Entwicklung seit dem 4. StrRG hinreichend Rechnung tragen müsse.90

4. Einheitliche Jugendschutzvorschrift § 182 StGB a) Bestimmung des Rechtsguts Durch § 182 sollte dem aus Art. 1 Abs. 1 und Art 2 Abs. 2 abgeleiteten Jugendschutz Rechnung getragen werden, indem Jugendliche vor sexuellen Gefahren bewahrt werden und eine das Persönlichkeitsrecht achtende Sexualerziehung ermöglicht wird. Bei Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren kann ein sexueller Missbrauch durch Erwachsene zu nachteiligen Folgen für die sexuelle Entwicklung führen, weil bei ihnen der sexuelle Reifeprozess noch nicht abgeschlossen ist.91 Im Regierungsentwurf heißt es dazu: „Schon die ernsthafte Möglichkeit schädlicher Einwirkungen rechtfertigt ein Tätigwerden des Gesetzgebers durch Pönalisierung sexueller Handlungen gegenüber und mit Jugendlichen.“92

Obgleich der Schutzzweck des § 182 in den Gesetzesmaterialien nicht explizit herausgestellt wird, sollte als Rechtsgut die sexuelle Selbstbestimmung und insbesondere die ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen unter 16 Jahren geschützt werden.93 Bei Jugendlichen kann noch nicht von einer vollständigen Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung ausgegangen werden. Somit kann auch nicht etwas geschützt werden, was noch nicht in Gänze existiert. Als problematisch wurde in der Altersgruppe der 14- und 15jährigen Jugendlichen die Trennung zwischen sexuellen Erlebnissen mit nachteiligen Entwicklungsfolgen und solchen, die im Rahmen der Sexualentwicklung normal und grundsätzlich förderlich sind, angesehen. Insbesondere durch den tatbestandlich geforderten Altersunterschied zwischen Täter und Opfer sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass ein Schutz vor seelischen und körperlichen Verletzungen für Jugendliche in dieser Altersgruppe besonders ausgeprägt sein muss, wenn der Täter seine entwicklungsbedingte Überlegenheit, sein Wissen und seine Erfahrung dadurch ausspielt, dass das Opfer mit ihm gleichziehen will. Dieses kann zu einem traumatisierenden Sexualerlebnis führen, welches bei Gleichaltrigen eher nicht die Folge sein wird. Nach Kusch / Mössle schützt daher § 182:

90 91 92 93

BT-Drs. 12/4584, S. 6. Fischer, StGB, § 182, Rn. 3. BT-Drs. 12/4584, S. 6. Lackner / Kühl, StGB, § 182, Rn. 1.

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2. Kapitel „die ungestörte sexuelle Entwicklung der 14- und 15jährigen Jugendlichen vor 94 traumatisierenden Sexualkontakten mit älteren Partnern.“

b) Kriminalisierung Verglichen mit dem bisherigen Rechtszustand in Westdeutschland führte § 182 n.F. zu einer reduzierten Strafbarkeit bei homosexuellen Handlungen. Eine Verschärfung erfolgte jedoch bei heterosexuellen Handlungen und bei lesbischen Kontakten.95 Der Anwendungsbereich des § 182 n.F. erstreckt sich insofern unter bestimmten Voraussetzungen auf den Fall der sexuellen Handlung eines volljährigen männlichen Täters mit einem männlichen Jugendlichen unter 16 Jahren und, was das Verhältnis eines männlichen Täters über 21 Jahren mit einem männlichen Jugendlichen unter 16 Jahren angeht, auf sexuelle Handlungen bei Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung. Hinzu kommen aufgrund der geschlechtlichen Gleichstellung von Opfern und Tätern die den bisherigen § 182 a.F. überlagernden Fälle heterosexueller Handlungen. Ausgehend von dem § 182 a.F., der den nur auf heterosexuelle Beziehungen aufbauenden „Beischlaf“ mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr vorsah, hat sich durch die Formulierung „sexuelle Handlung“ die Strafbarkeit ausgeweitet und im Übrigen die Höchststrafe verfünffacht. Die Alternative, in der eine lesbische Täterin an einer Jugendlichen im geforderten Altersverhältnis sexuelle Handlungen vornimmt und schließlich die Alternative, in der eine Frau an einem männlichen Jugendlichen derartige sexuelle Handlungen begeht, sind gänzlich neu.96

c) Gleichsetzung der Schutzaltersgrenzen Die Vereinheitlichung des Schutzes durch eine Schutzaltersgrenze für Mädchen und Jungen wurde unter anderem durch Schroeder97 kritisiert, da die psychische Reifung bei Mädchen deutlich früher einsetze als bei Jungen und insofern bei einem 16-Jährigen die noch fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung ausgenutzt werden könne.

d) Eingrenzung der „sexuellen Handlung“ Im Zuge der Diskussion um die Schaffung einer einheitlichen Jugendschutzvorschrift wurde die Tragweite des Begriffs der „sexuellen Handlung“ dahin94 95 96 97

Kusch / Mössle, NJW 1994, 1506. Kusch / Mössle, NJW 1994, 1504. Dazu kritisch Tröndle, ZRP 1992, 301 und Steinmeister, ZRP 1992, 88. Schroeder, NJW 1994, 1502; Lackner / Kühl, StGB, § 182, Rn. 1.

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gehend kritisiert, dass allein ein inniger Kuss oder etwa Berührungen des Intimbereiches als sexuelle Handlungen tatbestandlich sein könnten und somit die Strafnorm zu einer Verbotsnorm avanciere, welche ein entwicklungstypisches Probierverhalten pönalisiere.98 Im Regierungsentwurf wird diesbezüglich darauf hingewiesen, dass die sexuellen Handlungen im Sinne des § 183c Nr. 1 im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sein müsse. Eine Übernahme der Formulierung aus § 149 StGB-DDR „Geschlechtsverkehr“ und „geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen“ wurde im Hinblick auf das zu schützende Rechtsgut als zu willkürlich abgelehnt.99 Kusch / Mössle schränkten den Begriff der „sexuellen Handlung“ im Hinblick auf § 182 weit ein. So gehöre zur Reifung des Jugendlichen das „Spiel mit dem Feuer“. Insofern bestehe nur dort die Gefahr einer rechtsgutsverletzenden Traumatisierung, wo es zum Äußersten gekommen ist. Die sexuelle Handlung beziehe sich somit auf den Geschlechtsverkehr und die in der Intensität gleichstehenden Akte des Oral- und Analverkehrs.100

e) Absehensklausel In Anlehnung an den entfallenen § 175 Abs. 2 Nr. 2 schlug der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung die Absehensklausel des Absatz 4 vor. Diese sollte es dem Gericht ermöglichen, bei geringem Tatunrecht von der Strafe abzusehen.101 Die Klausel sollte ein Ausgleich gegen das Unbehagen gegenüber § 182 Abs. 2 sein. Insofern sollte Staatsanwälten und Richtern größerer Entscheidungsspielraum eingeräumt werden. Dies vor allem dann, wenn in einzelnen Fällen der Eindruck gewonnen wird, dass das jugendliche Opfer, welches zugleich als Zeuge in Erscheinung treten muss, bei Fortführung des Strafverfahrens erheblichen Belastungen ausgesetzt wäre und die Schuld des Täter nicht so groß ist, dass sie die Belastung des Zeugen rechtfertigen könnte.102 Dabei ist insbesondere bei § 182 Abs. 2 an die ggf. erforderliche Feststellung zu denken, ob der Jugendliche tatsächlich sexuell unreif ist oder ob sexuelle Erfahrungen vorhanden sind. Jugendliche müssten möglicherwiese intimste Fragen beantworten und Zeugenaussagen über ihre sexuellen Beziehungen über sich ergehen lassen.103 98 99 100 101 102 103

Steinmeister, ZRP 1992, 87. BT-Drs. 12/4584, S. 9. Kusch / Mössle, NJW 1994, 1506. BT-Drs. 12/7035, S. 10. Kusch / Mössle, NJW 1994, 1507. Steinmeister, ZRP 1992, 89.

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IV. Das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 Das sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998104 knüpfte an die fünf Strafrechtsreformgesetze aus den Jahren 1969 bis 1975 an und brachte die erste umfassende Reform des Besonderen Teils des StGB seit dessen Inkrafttreten im Jahre 1871. Durch die Harmonisierung der Strafrahmen sollte in erster Linie den höchstpersönlichen Rechtsgütern wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung gegenüber den materiellen Rechtsgütern wie Eigentum, Vermögen und Sicherung des Rechtsverkehrs ein größeres Gewicht eingeräumt werden. Dazu sollten insbesondere Wertungswidersprüche und Ungleichgewichte zwischen Strafnormen für Körperverletzungs-, Tötungs- und Sexualdelikte einerseits sowie für Eigentums-, Vermögens- und Urkundendelikte andererseits beseitigt und innerhalb der jeweiligen Deliktsgruppen ein aufeinander abgestimmtes Strafrahmensystem eingeführt werden. Durch die Neufassung zahlreicher bestehender Strafvorschriften sollten nach der verwendeten Terminologie im Regierungsentwurf „Strafbarkeitslücken“ geschlossen und Auslegungsschwierigkeiten beseitigt werden. Ferner sollten die Strafnormen in ihrer Systematik und ihrem Sprachgebrach vereinheitlicht und vereinfacht werden.105 Ob die Reformziele erreicht wurden ist umstritten. Renzikowski, der sehr ausführlich das Sexualstrafrecht nach dem 6. StrRG untersucht hat, äußerte im Rahmen seines Fazits kritisch: „Von einer Erleichterung der Rechtsanwendung kann keine Rede sein. Zu kritisieren ist insbesondere die zunehmende Verwendung von generalklauselartigen Begriffen […]. Auf Schritt und Tritt merkt man dem Gesetz den großen zeitlichen und politischen Druck an, unter dem es zustande gekommen ist. Viel Stückwerk beruht auf der Notwendigkeit des politischen Kompromisses zwischen unterschiedlichen Positionen, bei denen der eigene Standpunkt nicht in ein systematisches Gesamtkonzept eingepasst worden ist. Die Rechtspraxis wird mit dem Gesetz umzugehen lernen – aber auf Dauer kann eine Gesetzgebung nach dem Motto ‘Der Richter wird’s schon richten‘ nicht wünschenswert sein.“106

1. Gegenstand der Änderung Im Bereich der Sexualdelikte wurden die Strafnorm Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung (§ 177) redaktionell geändert und inhaltlich modifiziert. Neben einer erheblichen Strafandrohung für gravierende Fälle nahm der 104 BGBl. 1998 I. S. 164. 105 BT-Drs. 13/7164, S. 18; vgl. zum Gesetzgebungsverfahren Kreß, NJW 1998, 633 ff. 106 Renzikowski, NStZ 1999, 442.

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Gesetzgeber bei der Tatgestaltung eine Angleichung an die Neuregelungen des schweren Raubes gem. § 250 StGB vor.107 Während § 177 Abs. 4 StGB in der Fassung des 33. StÄG vom 1. Juli 1997108 noch für die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung mit Todesfolge eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren vorsah, lag die Strafrahmenuntergrenze des Raubes mit Todesfolge gem. § 251 StGB bei zehn Jahren Freiheitsstrafe. Die neu kodifizierte Strafnorm Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178) enthielt insofern bei wenigstens leichtfertiger Herbeiführung des Todes ebenfalls eine Strafrahmenuntergrenze von zehn Jahren Freiheitsstrafe.109 Im Hinblick auf den Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen wurde durch die drei Tatbestände §§ 176, 176a und 176b, die nach Tatschwere gesteigert den sexuellen Missbrauch von Kindern umfassen, eine differenzierte Strafschärfung normiert. Bei der Verbreitung von kinderpornographischen Schriften (§ 184 Abs. 3) wurde die Strafobergrenze für die Variante der pornographischen Schrift, die keinen sexuellen Kindesmissbrauch darstellt, sondern sich auf Gewalt- und Sodomiepornographie bezieht, von bis zu einem Jahr auf drei Jahre Freiheitsstrafe angehoben. Die Strafobergrenze für das gewerbs- und bandenmäßige Verbreiten von pornographischen Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch (§ 184 Abs. 4) wurde von fünf auf zehn Jahre erhöht.

2. Anhebung der Strafandrohung für Gewalt- und Sodomiepornographie Der Bundesrat hatte bereits in seinem Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes der Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern die Heraufsetzung der Strafobergrenze für die Verbreitung von Gewalt- und Sodomiepornographie (§ 184 Abs. 3) von einem Jahr auf drei Jahre Freiheitsstrafe gefordert.110 Die Forderung begründete der Bundesrat damit, dass Fallkonstellationen auftreten könnten, in denen Gegenstand der pornographischen Schriften der tatsächliche Missbrauch von 14- oder 15-Jährigen oder der Missbrauch solcher Opfer zu sexuellen Handlungen mit Tieren sein könnten. Demnach werde die Höchststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe dem Unrechtsgehalt und dem Gebot schuldangemessenem Strafens in keiner Weise gerecht. Zudem führte der Bundesrat an, dass sich in einer Vielzahl von Fällen nicht hinreichend feststellen lassen werde, dass es sich bei den auf pornographischen Schriften 107 108 109 110

Dazu ausführlich Renzikowski, NStZ 1999, 378 ff. BGBl. 1997 I S. 1607. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 38–39. BT-Drs. 13/7559, S. 6.

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2. Kapitel

abgebildeten Opfern um Kindern handelt, was im Hinblick auf den anzuwendenden Strafrahmen innerhalb des § 184 Abs. 3 (da bei kinderpornographischen Schriften der Strafrahmen höher angesetzt war) zu Gunsten des Täters ausgehen würde.111 Während die Bundesregierung lediglich feststellte, dass es aus ihrer Sicht dagegen keine durchgreifenden Bedenken gebe112, äußerte sich der Rechtsausschuss dahingehend, dass die Anhebung der Strafobergrenze zu einer Verbesserung des Strafrechtsschutzes und zu einer systemgerechten Abstufung, insbesondere im Hinblick auf § 184 Abs. 1, führen werde.113

V. Das SexDelÄndG vom 27. Dezember 2003 Das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften (SexDel ÄndG) vom 27. Dezember 2003114 sollte die durch das 6. StrRG angefangene, jedoch nicht zum Abschluss gebrachte Reform der Sexualdelikte fortführen. Die weitere Überarbeitung sollte insbesondere darauf abzielen, die Strafvorschriften gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und widerstandsunfähigen Personen sowie gegen die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornographie fortzuentwickeln. Den eingebrachten Entwürfen der Koalitionsfraktionen und der Oppositionsfraktionen war die übereinstimmende Meinung zu entnehmen, dass es eines verbesserten Schutzes vor Sexualstraftätern bedürfe.115 Insofern stand das SexDelÄndG unter dem Stern der Strafschärfung und Tatbestandserweiterung – vor dem Hintergrund der in Rede stehenden Delikte ein publikumswirksames Thema.116

1. Gegenstand der Änderung Das SexDelÄndG wird geprägt durch zahlreiche Strafrahmenerhöhungen. So wurde beim sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176 Abs. 1) der minder schwere Fall gestrichen, so dass der Strafrahmen nun sechs Monate bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe umfasst. Für besonders schwere Fälle wurde eine Mindeststrafe von einem Jahr vorgesehen (§ 176 Abs. 3). Der frühere Absatz 3 (Missbrauchsvarianten ohne unmittelbare körperliche Berührung) wurde zu 111 112 113 114 115

BR-Drs. 876/96 (Beschluss), S. 19. BT-Drs. 13/7559, S. 19. BT-Drs. 13/9064, S. 12. BGBl. 2003 I. S. 3007. Vgl. dazu Koalitionsentwurf BT-Drs. 15/350, S. 1 ff.; Oppositionsentwurf BT-Drs. 15/29, S. 1 ff. 116 Duttge / Hörnle / Renzikowski, NJW 2004, 1065.

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Absatz 4 und die Strafe wurde dort auf drei Monate bis zu fünf Jahre erhöht. Ferner wurde dem neuen Abs. 4 eine Nr. 3 eingefügt, die das Einwirken auf Kinder durch Schriften betrifft. Zusätzlich wurde in einem neuen Absatz 5 das Anbieten von Kindern für sexuelle Missbrauchshandlungen unter Strafe gestellt. In § 176a StGB wurde die Mindeststrafe des Absatzes 2 von einem auf zwei Jahre erhöht. In §§ 174, 174a, 174b und 174c StGB wurde gleichfalls die Mindeststrafe erhöht. Auf diese Weise wurde erreicht, dass solche Fälle seitens der Staatsanwaltschaft nicht mehr ohne gerichtliche Zustimmung eingestellt werden können (§ 153 Abs. 1 Satz 2 StPO), was vorher der Fall war. In § 179 StGB wurde ein besonders schwerer Fall neu eingefügt und die Strafandrohung angehoben.117 Im Bereich des Jugendschutzes wurde die vorher in § 184 Abs. 6 enthaltene Ausnahmevorschrift zu § 184 Abs.1 (Gewährleistung eines erzieherischen Freiraums, wenn Personensorgeberechtigte dem Minderjährigen pornographische Inhalte zugänglich machen) in Absatz 2 kodifiziert. Gänzlich neu strukturiert wurden die Strafnormen, die gewalt-, tier- und kinderpornographische Schriften, insofern harte Pornographie, betreffen. Die zuvor in § 184 Abs. 3 bis 4 enthaltenen Regelungen wurden auf die §§ 184a bis c aufgeteilt. Keine inhaltlichen Abweichungen gab es bei der Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Schriften, welche neu in § 184a StGB geregelt wurde. In § 184c StGB wurde das Verbot von LiveDarbietungen im Fernsehen durch ein entsprechendes Verbot solcher Inhalte in Medien- oder Telediensten ergänzt, das allerdings insoweit nicht gilt, wenn durch technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt ist, dass die Darbietung Minderjährigen nicht zugänglich ist. Neu eingefügt wurden auch Strafverschärfungen auf dem Feld der Kinderpornographie (§ 184b). Die wichtigste betrifft Fälle, in denen der Täter es unternimmt, einem anderen den Besitz von kinderpornographischen Schriften zu verschaffen. Vor der Änderung war dies nur mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bedroht, genauso wie das Unternehmen, sich selbst den Besitz zu verschaffen. Die Tathandlung „einem anderen verschaffen“ wurde in § 184b Abs. 2 neu gefasst und dem Verbreiten von Kinderpornographie gemäß § 184b Abs. 1 StGB gleichgestellt. Der damit erheblich angehobene Strafrahmen reicht von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Das Höchststrafmaß für den Empfänger, der es unternimmt, sich den Besitz von kinderpornographischen Schriften zu verschaffen, wurde nach dem neuen § 184b Abs. 4 Satz 1 mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren (bisher bis zu einem Jahr) oder mit Geldstrafe sanktioniert.

117 Lenckner / Perron / Eisele, Sch / Schr., Vorbem. §§ 174 ff., Rn. 9.

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2. Kapitel

Die erhöhte Strafobergrenze wurde auch für die nur Besitzenden eingeführt (§ 184b Abs. 4 Satz 2).118

2. Ausdehnung der Strafbarkeit auf Vorbereitungshandlungen Die Strafbarkeit des sexuellen Missbrauchs von Kindern wurde durch neu geschaffene Bestimmungen auf Vorbereitungshandlungen ausgedehnt (§ 176 Abs. 4 Nr. 3). Unter Strafe gestellt wurde das Einwirken auf ein Kind durch Schriften i.S.d. § 11 StGB, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen. Begründet wurde diese Strafbarkeitserweiterung auf Vorbereitungshandlungen dadurch, dass Pädophile sich im Schutze der Anonymität des Internets in Foren als Kinder ausgeben und so Kontakte zu potenziellen Opfern suchen. Insofern sollten Kinder vor Tricks oder Verführungskünsten geschützt werden, die Täter im Rahmen der Internetkommunikation anwenden, um Treffen zu arrangieren.119 Obgleich diese Änderung nicht explizit den Jugendschutz tangiert, zeigt sie einen bedenklichen Trend auf. Nach den Prinzipien des deutschen Strafrechts bleiben Vorbereitungshandlungen regelmäßig straflos. Eine konkrete Begründung für eine Ausnahme von diesem Grundsatz findet sich im Entwurf nicht. Duttge / Hörnle / Renzikowski weisen zurecht darauf hin, dass es nicht nachvollziehbar sei, warum etwa für den sexuellen Missbrauch von Kindern, nicht aber zum Beispiel für Mordpläne eines Einzeltäters eine Ausnahme von der Straflosigkeit bloßer Tatvorbereitung gemacht werden soll.120

3. Änderung von § 184 StGB a) Keine Novellierung des § 184 Abs. 1 StGB Trotz der sehr umfassenden Umgestaltung des § 184 StGB blieb der novellierungsbedürftige Absatz 1 unverändert. Der maßgeblich durch das 4. StrRG eingeführte Absatz 1 enthält als Jugendschutznorm insbesondere in Nr. 2–3a, 5 und 7 Tatbestände, die Situationen verhindern sollen, in denen die Möglichkeit besteht, dass Jugendliche von pornographischen Schriften Kenntnis nehmen. Im Zuge der technischen Entwicklung erscheint es jedoch zweifelhaft, ob die Regelungen des Umgangs mit einfacher Pornographie so beibehalten werden sollten. Vor dem Hintergrund der nahezu grenzenlosen Möglichkeit der Informationsbeschaffung über das Internet erscheinen Pönali118 BT-Drs. 15/1311, S. 11–13. 119 BT-Drs. 15/350, S. 17. 120 Duttge / Hörnle / Renzikowski, NJW 2004, 1067.

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sierungen veralteter Vertriebswege als anachronistisch. Über das Internet kann insbesondere wegen der durch nationales Recht nicht regulierbaren Angebote ausländischer Provider pornographisches Material einfach, anonym und teilweise auch umsonst beschafft werden.121 Ferner sind im Verlauf der letzten 30 Jahre technische Möglichkeiten der Altersverifikation geschaffen worden, die durch die Rechtsprechung berücksichtigt wurden. So sieht der BGH den Jugendschutz ausreichend gewährleistet, wenn etwa in Automatenvideotheken technische Sicherungseinrichtungen wie PIN-Code und die Möglichkeit eines Fingerabdruckvergleichs vorhanden sind, was insofern die Strafnorm § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB einschränkt.122 Im Hinblick auf verschlüsselte TV-Programme mit pornographischem Inhalt liegt ferner der Straftatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht vor, wenn neben der Verschlüsselungstechnik weitere Barrieren gegen den Zugriff durch Jugendliche geschaffen werden.123 Vor diesem Hintergrund ist es wenig einleuchtend, warum durch das SexDelÄndG die veralteten Vorschriften des Absatz 1 weder abgeschafft noch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens kritisch hinterfragt wurden.

b) Erzieherprivileg § 184 Abs. 2 StGB Das in § 182 Abs. 2 kodifizierte Erzieherprivileg, welches bisher in § 184 Abs. 6 geregelt war, wurde entsprechend der Formulierung in § 180 Abs. 1 Satz 2 weiter eingeschränkt. Insofern kommt das Erzieherprivileg den Sorgeberechtigten nicht zugute, wenn sie durch das Zugänglichmachen einer gewaltdarstellenden oder pornographischen Schrift ihre Erziehungspflicht gröblich verletzen. Obwohl der Bundesrat sich bereits zum 4. StrRG dazu kritisch geäußert hatte, da ein solches Verhalten stets die Erziehungspflicht gröblich verletzen würde, sah der Rechtsausschuss die Notwendigkeit eines gewissen erzieherischen Freiraums gegeben. Dem Sorgeberechtigten müsse ein Spielraum eingeräumt werden, um die nach seiner Auffassung bestehenden Erziehungsnotwendigkeiten zu verwirklichen.124 Bezieht man den beschriebenen Freiraum auf Schriften, die zur Aufklärung von Minderjährigen bestimmt und geeignet sind, unterfallen diese, auch wenn sie explizite Darstellungen sexueller Vorgänge enthalten, von vornherein nicht dem Pornographiebegriff.125

121 122 123 124 125

Hörnle, MK, § 184, Rn. 4. BGH, NJW 2003, 2838. BVerwG, NJW 2002, 2966. BT-Drs. 15/1311, S. 22. Dazu kritisch Duttge / Hörnle / Renzikowski, NJW 2004, 1069.

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c) Verbot von Live-Darbietungen § 184c StGB Das vorher in § 184 Abs. 2 geregelte Verbot von Live-Darbietungen im Fernsehen wurde in § 184c erfasst und durch ein entsprechendes Verbot solcher Inhalte in Medien- oder Telediensten ergänzt. Während durch die §§ 184 bis 184b Schriften i.S.d. § 11 Abs. 3 als Verkörperungen von Gedankeninhalten erfasst wurden, die zumindest vorübergehend auf einem körperlichen Medium fixiert oder gespeichert sind126, sollten Live-Darbietungen ebenso umfassend pönalisiert werden. Die Gefahr der Echtzeitübertragung von pornographischen Darbietungen sah man insbesondere in der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie, etwa dann, wenn Personen in ihren Wohnungen Kameras installiert haben, mit denen rund um die Uhr das vollständige Leben in allen Räumen per Internet übertragen wird.127 Im Regierungsentwurf wurde die Auffassung vertreten, dass ein absolutes Verbot jeglicher pornographischer Live-Darstellung in den Fällen der Verbreitung der weichen Pornographie über den Zweck des Jugendschutzes hinausgehe.128 Insofern wurde für harte Pornographie (gewalt-, tier- oder kinderpornographische Schriften) ein absolutes Verbreitungsverbot kodifiziert und durch § 184c Abs. 1 Satz 2 ein Ausschluss bei der Verbreitung weicher Pornographie geregelt, wenn durch technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt ist, dass die Darbietung Minderjährigen nicht zugänglich ist. Der Empfehlung des Rechtsausschusses folgend wurde jedoch diese Ausnahmeregelung nur auf Medien- und Teledienste bezogen.129 Insofern ist auch die Verbreitung der weichen Pornographie durch Rundfunk (dazu gehören Hörfunk und Fernsehen) verboten. Die vorgenommene Unterscheidung zwischen Rundfunk einerseits und Medien- und Teledienste andererseits ist nicht schlüssig, da bereits durch § 184 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 der Rundfunk erfasst wird (als „materielle“ Aufzeichnung, die übertragen wird) und auch hier eine Einschränkung bei gegebenen Sicherungseinrichtungen zugestanden wird. Im Hinblick auf den Rechtsgüterschutz macht es allerdings keinen Unterschied, ob im Rundfunk eine Live-Darbietung oder eine Aufzeichnung übertragen wird.130

126 127 128 129 130

Fischer, StGB, § 184c, Rn. 2. BT-Drs. 15/350, S. 21. BT-Drs. 15/350, S. 22. BT-Drs. 15/1311, S. 24. Lenckner / Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184c, Rn. 6.

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VI. Rahmenbeschlussgesetz vom 5. November 2008 Der Rat der Europäischen Union verabschiedete am 22. Dezember 2003 einen Rahmenabschluss, der die Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie zum Gegenstand hat.131 Ferner wurde am 25. Mai 2000 das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes bezüglich des Verkaufs von Kindern, der Kinderprostitution und der Kinderpornographie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York angenommen. Dem Fakultativprotokoll wurde am 31. Oktober 2008 auf nationaler Ebene durch Gesetz zugestimmt.132 Auch stand noch eine nicht erfüllte Verpflichtung aus Art. 70 Abs. 4a i.V.m. Abs. 1a des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs im Raume, wonach Falschaussagen vor internationalen Gerichten unter Strafe zu stellen sind.133 Diese außerhalb des nationalen Bewertungsmaßstabes formulierten Verpflichtungen bezogen sich insbesondere auf strafrechtliche Mindeststandards. Dazu formulierte Renzikowski: „Die Globalisierung macht auch vor dem Sexualstrafrecht nicht halt. Konnte man das Sexualstrafrecht bislang als eine Regelungsmaterie ansehen, die typischerweise dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten war, so lässt sich dieser Befund nicht weiter aufrecht erhalten. Das Europa- und Völkerrecht haben sich bereits dieses Stoffes bemächtigt.“134

Der erste Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Fakultativprotokolls und des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie wurde durch die Bundesregierung am 11. November 2006 eingebracht.135 Der Gesetzentwurf enthält in der Anlage 2 eine Stellungnahme des Bundesrates vom 13. Oktober 2006, die wiederum die Bundesregierung zu einer aus der Anlage 3 zu entnehmenden Gegenäußerung veranlasste. Am 18. Juni 2007 fand vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages eine Expertenanhörung zum Gesetzentwurf statt.136 Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum Gesetzentwurf wurde dann am 18. Juni 2008 vorgelegt137. Das Gesetz wurde

131 132 133 134 135 136 137

ABl.EU Nr. L 13 v. 20. Jan. 2004, S. 44. BGBl. 2008 II. S. 1222. BGBl. 2008 II. S. 1393. Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 82. BT-Drs. 16/3439. BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007. BT-Drs. 16/9646.

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2. Kapitel

schließlich am 4. November 2008138 verkündet und trat einen Tag später in Kraft.

1. Europa- und völkerrechtliche Vorgaben a) Rahmenbeschluss der Europäischen Union Der Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie soll die existierenden, bereits vom Rat verabschiedeten Instrumente zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie ergänzen.139 Zudem sollen mit dem Rahmenbeschluss die einzelstaatlichen Vorschriften im Bereich der Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie angeglichen werden. Damit wird auf europäischer Ebene ein gemeinsamer Rahmen an Vorschriften aufgestellt, der ein Vorgehen in bestimmten Einzelfragen, wie Kriminalisierung, Strafen und andere Sanktionen, erschwerende Umstände, gerichtliche Zuständigkeit, Strafverfolgung sowie Schutz und Unterstützung der Opfer ermöglichen soll. Mitunter unterschieden sich die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten stark voneinander, so dass Rechtsbegriffe nicht ohne weiteres vergleichbar waren.140 aa) Umsetzungspflicht Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen erfolgte in der Europäischen Union im Rahmen des Säulenmodells auf der sog. dritten Säule. Der Vertrag von Amsterdam sah als Handlungsform für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit den Rahmenbeschluss als sekundärrechtlichen Akt der Europäischen Union vor, während seit dem Vertrag von Lissabon Angelegenheiten der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zugewiesen sind.141 Der Rahmenbeschluss beruhte 138 BGBl. 2008 I. S. 2149. 139 Vgl. dazu die Rahmenbeschlüsse ABl.EU Nr. L 322 v. 12. Dez. 1996, S. 7; ABl.EU Nr. L 342 v. 31. Dez. 1996, S. 4; ABl.EU Nr. L 191 v. 7. Juli 1998, S. 4; ABl.EU Nr. L 105 v. 27. April 1996, S. 1; ABl.EU Nr. L 191 v. 7. Juli 1998, S. 1; ABl.EU Nr. L 33 v. 6. Feb. 1999, S. 1; ABl.EU Nr. L 34 v. 9. Feb. 2000, S. 1. 140 EG-Kommissionsbericht COM (2007) 716/F, S. 4. 141 Allerdings wird das ordentliche Gesetzgebungsverfahren mit einer qualifizierten Mehrheit im Rat durch Souveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten abgeschwächt. Sieht ein Staat grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung gefährdet, ist der Gesetzgebungsprozess beendet, sofern keine Einigung durch den Europäischen Rat herbeigeführt werden kann, Art. 82 Abs. 3 und Art. 83 Abs. 3 AEUV. Hierzu ausführlich Schwarze, EU-K, Einführung Reformvertrag Lissabon, Rn. 47.

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auf Art. 29, Art. 31 Abs. 1e und Art. 34 Abs. 2b des Vertrages über die Europäische Union. In Anlehnung an das Instrument der Richtlinie waren Rahmenbeschlüsse für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überließen ihnen jedoch die Wahl und Form der Mittel. Somit konnten Rahmenbeschlüsse keine unmittelbare Wirksamkeit entfalten.142 Die Bedeutung des Handlungsspielraums des nationalen Gesetzgebers bei der Ausgestaltung von Umsetzungsgesetzen betonte das BVerfG in seinem Urteil zum Europäischen Haftbefehlsgesetz. Demnach ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Umsetzungsspielräume, die der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten belässt, in einer grundrechtsschonenden Weise auszufüllen. Ob das Umsetzungsgesetz dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, sei dann nicht Sache des Rahmenbeschlusses, sondern am Maßstab des Grundgesetzes zu prüfen. Ferner stünden Rahmenbeschlüsse außerhalb der supranationalen Entscheidungsstruktur des Gemeinschaftsrechts. Insofern sei das Unionsrecht weiterhin eine Teilrechtsordnung, die bewusst dem Völkerrecht zuzuordnen sei. Explizit führte das BVerfG aus, dass die politische Gestaltungsmacht im Rahmen der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen bei den nationalen Parlamenten liege, die notfalls die Umsetzung auch verweigern könnten143. Nach der Entscheidung Pupino des EuGH aus dem Jahr 2005 bedeutet der Ausschluss der unmittelbaren Wirkung von Rahmenbeschlüssen jedoch nicht eine Entbindung von der Umsetzungspflicht. Der Rahmenbeschluss müsse im Zuge einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung in nationales Recht umgesetzt werden. Dabei darf das Gebot der gemeinschaftskonformen Auslegung nicht als Basis für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen.144 Während die Umsetzungspflicht im Gesetzentwurf nicht angezweifelt wurde145, wurde im Rahmen der Expertenanhörung diesbezüglich Kritik geübt. So äußerte Graupner, dass der EU-Gesetzgeber mit dem Rahmenbeschluss seine Kompetenzen überschritten habe, da es an einer Kompetenzgrundlage auf europäischer Ebene mangele.146 Er bezog dies auf Art. 29 und 31 Abs. 1e des Vertrages über die Europäische Union. Demnach war eine Rechtsangleichung materieller Sexualstraftatbestände nur im Falle der Organisierten Kriminalität147, des Terrorismus und des Drogenhandels möglich. Straftaten im Hinblick auf die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie sind jedoch 142 143 144 145 146 147

EG-Kommissionsbericht COM (2007) 716/F, S. 3. BVerfGE 113, 273 (300 ff.). EuGH, EWS 2005, 405 (409); vgl. hierzu im einzelnen Roth, EWS 2005, 385 ff. BT-Drs. 16/3439, S. 1. BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007, S.7. Definition Organisierte Kriminalität siehe Schwind, Kriminologie § 29, Rn. 3–5.

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nicht zwangsläufig Begehungsformen innerhalb der Organisierten Kriminalität. Diese von der Opposition teilweise gestützte Kritik148 wurde jedoch nicht weiter aufgegriffen. Festzuhalten bleibt, dass in Art. 31 Abs. 1e des Vertrages der Europäischen Union die Festlegung des materiell-strafrechtlichen „Mindeststandards“ für bestimmte Delikte konkretisiert wurde. Allerdings war die Aufzählung nicht abschließend. Auch andere Deliktsbereiche konnten Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen sein.149 Die Angleichung des materiellen Strafrechts wurde bei einer Vielzahl deliktspezifischer Rechtsakte praktiziert, außerhalb der Gesetzesformulierung in Art. 31 Abs. 1e des Vertrages der Europäischen Union.150 bb) Materiell-strafrechtliche Mindeststandards Der Rahmenbeschluss enthält in Artikel 1 eine dem nationalen Recht unbekannte Definition des Mindestalters von Kindern. Demnach bezeichnet der Ausdruck „Kind“ jede Person unter 18 Jahren. Kinderpornographie wird sehr weitfassend als pornographisches Material mit bildlichen Darstellungen echter Kinder, die an einer eindeutig sexuellen Handlung beteiligt sind, oder von echten Personen mit kindlichem Erscheinungsbild oder von realistisch dargestellten, nicht echten Kindern definiert.151 Der Begriff „bildliche Darstellung“ ist so zu verstehen, dass er auch nicht entwickelte Filme und Videobänder umfasst sowie auf einer Computerfestplatte bzw. auf elektronischem Wege gespeicherte Daten, die in eine bildliche Darstellung umgewandelt werden können. Neben starren Altersgrenzen enthält der Rahmenbeschluss den Begriff der sexuellen Mündigkeit, ohne diesen jedoch weitergehend zu definieren. Die sexuelle Mündigkeit ist relevant im Hinblick auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Kinderpornographie wie in Art. 1b definiert unter Strafe zu stellen. Die Abbildung von Kindern, die an einer eindeutig sexuellen Handlung beteiligt sind, ist in der Regel nicht erlaubt, wenn das „Kind“ unter 18 Jahren ist. Wenn die beteiligten Kinder das Alter der sexuellen Mündigkeit erreicht haben, können die Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2b in bestimmten spezifischen Fällen von einer Pönalisierung absehen. Sie müssen ihre Zustimmung zur Herstellung und dem Besitz der Bilder erteilt haben. Die Bilder müssen ausschließlich zur persönlichen Verwendung bestimmt sein. Die 148 149 150 151

Vgl. Stellungnahme der Fraktion Die Linke in BT-Drs. 16/9646, S. 11. Böse, EU-K, Art. 31 EUV, Rn. 1 und 3. Vgl. Übersicht Rahmenbeschlüsse Böse, EU-K, Art. 31 EUV, Rn. 10. EU-Rat Dok. 10748/03, S. 6.

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Zustimmung wird jedoch nicht als gültig betrachtet, wenn beispielsweise höheres Alter, Reife, Stellung, Status, Erfahrung des Täters oder Abhängigkeit des Opfers vom Täter zur Einholung der Zustimmung missbraucht worden sind. Weitere Pönalisierungsausnahmen nach Art. 3 Abs. 2 beziehen sich auf Fallkonstellationen, wenn eine Person mit kindlichem Erscheinungsbild in Wirklichkeit bereits 18 Jahre alt ist oder wenn die Kinderpornographie aus realistischen Bildern eines nicht existierenden Kindes besteht und vom Hersteller ausschließlich zu seiner persönlichen Verwendung hergestellt worden ist und sich nur zu diesem Zweck in seinem Besitz befindet. Der Verzicht auf Strafverfolgung wird in diesen Fällen damit begründet, dass an der Herstellung des pornographischen Materials kein Kind beteiligt war. Art. 3 Abs. 1 sorgt für eine Angleichung der mit Kinderpornographie zusammenhängenden Tathandlungen wie Herstellung, Vertrieb, Verbreitung und Weitergabe, Erwerb oder Besitz, Anbieten oder sonstiges Zugänglichmachen von Kinderpornographie. Umfangreich werden die Mitgliedstaaten auch verpflichtet, die Strafbarkeit auf Versuchs- und Teilnahmehandlungen zu erweitern sowie vorgegebene Strafrahmen einzuhalten. Ferner sollen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 6 und 7 sicherstellen, dass juristische Personen für eine Straftat verantwortlich gemacht werden können.152 Eine derartige Verantwortlichkeit muss nicht ausschließlich strafrechtlicher Art sein. Die Sanktionen gegen juristische Personen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein. Die Verantwortlichkeit juristischer Personen wird ausreichend von § 30 OWiG erfasst. Nach dieser Vorschrift kann eine Geldbuße nach dem OWiG gegen eine juristische Person oder eine Personenvereinigung festgesetzt werden, wenn eine für die Leitung des Betriebs oder Unternehmens verantwortlich handelnde Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, die die juristische Person oder Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte.153

b) Fakultativprotokoll Das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes bezüglich des Verkaufs von Kindern, der Kinderprostitution und der Kinderpornographie wurde nach langjährigen und komplizierten Verhandlungen am 25. Mai 2000 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York angenommen. Es ergänzt das Übereinkommen vom 20. November 1989 152 EU-Rat Dok. 10748/03, S. 4 und 6. 153 BT-Drs. 16/3440, S. 22.

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über die Rechte des Kindes154, welches für die Bundesrepublik Deutschland am 5. April 1992155 in Kraft getreten ist, um weitere Maßnahmen zum Schutze vor Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie. Im Rahmen des Ratifizierungsverfahrens gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG stimmte der Deutsche Bundestag mit Gesetz vom 31. Oktober 2008156 dem am 6. September 2000 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Fakultativprotokoll zu.157 Obgleich den Begriffsbestimmungen des Artikels 1 nicht eine ausdrückliche Altersdefinition des Kindes zu entnehmen ist, verweist der Gesetzentwurf auf das ratifizierte Übereinkommen vom 20. November 1989. Demnach ist ein Kind jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.158 Das Protokoll trifft Aussagen zur Verantwortlichkeit juristischer Personen, zur Verfolgung von Auslandstaten, zur strafrechtlichen Zusammenarbeit, zur Beschlagnahme und Einziehung, zum Opferschutz im Strafverfahren, zu Maßnahmen der Vorbeugung, Unterstützung und Entschädigung sowie zur internationalen Kooperation und Koordinierung. Es verpflichtet die Vertragsstaaten insbesondere zu strafrechtlichen Maßnahmen. So wird etwa nach Art. 3 Abs. 1 jeder Vertragsstaat verpflichtet, umfassende Umgangs- und Verbreitungsformen von Kinderpornographie sowie das Anbieten, Beschaffen, Vermitteln oder Bereitstellen eines Kindes zur Kinderprostitution unter Strafe zu stellen.159

2. Gegenstand der Änderung Das Umsetzungsgesetz mit dem Namen „Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses der EU zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie“ lässt nicht exakt auf den Inhalt des Gesetzes schließen, da einige Änderungen jenseits des Sexualstrafrechts miterledigt wurden.160 Nicht durch europarechtliche Vorgaben veranlasst wurde ferner 154 155 156 157 158 159 160

BGBl. 1992 II. S. 121. BGBl. 1992 II S. 990. BGBl. 2008 II. S. 1222. BT-Drs. 16/3440, S. 1 und 17. BT-Drs. 16/3440, S. 18. BT-Drs. 16/3440, S. 10 und 19. Vgl. zum Änderungsumfang BT-Drs. 16/9646, S. 2: Neben den Umsetzungen des Rahmenbeschlusses und des Fakultativprotokolls wurden Verpflichtungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes erfüllt. Diese betreffen die Strafnormen Falschaussage und Meineid. So wurde durch § 162 Abs. 1 StGB bestimmt, dass die §§ 153 bis 161 StGB auch auf falsche Aussagen vor einem internationalen Ge-

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§ 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB geändert, um den sexuellen Missbrauch von Kindern auch ohne Körperkontakt unter Strafe zu stellen.161 Insbesondere bezogen sich die Änderungen auf den umfassenden Schutz für Jugendliche, die im Sinne des Rahmenbeschlusses als „Kinder“ definiert wurden. Insofern entsprach das Schutzniveau des StGB im 13. Abschnitt nicht in allen Punkten den Vorgaben des Rahmenbeschlusses. Das Umsetzungsgesetz belässt es allerdings nach teilweise streitigem Gesetzgebungsverfahren bei der Differenzierung zwischen Kindern und Jugendlichen.162 Der Anwendungsbereich der Vorschrift gegen den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 StGB) wurde durch die Anhebung der Schutzaltersgrenze von 16 auf 18 Jahre erweitert. Ferner wurde bei sexuellen Handlungen unter Ausnutzung einer Zwangslage nach § 182 Abs. 1 StGB die Tätermindestaltersgrenze von 18 Jahren abgeschafft, während bei sexuellen Handlungen gegen Entgelt nach § 182 Abs. 2 StGB der Täter nach wie vor über 18 Jahre alt sein muss. Neu eingefügt wurde das Verbot der Verbreitung, des Erwerbes und Besitzes von jugendpornographischen Schriften (§ 184c StGB).

3. Sexueller Missbrauch von Jugendlichen a) Veränderung der Altersgrenzen für Opfer und Täter Der Regierungsentwurf sah für die Tathandlungen „unter Ausnutzung einer Zwangslage“ und „gegen Entgelt“ eine generelle Anhebung der Schutzaltersgrenze auf 18 Jahre vor. Insofern sollte die durch das 29. StrÄG auf 16 Jahre festgelegte Schutzaltersgrenze bei sexuellem Missbrauch von Jugendlichen aufgehoben werden. Dabei wurde auf die Umsetzungspflicht des Rahmenbeschlusses verwiesen, insbesondere auf Art. 2c(ii) i.V.m. Art. Art 1a, wonach richt anzuwenden sind, welches durch einen für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Rechtsakt errichtet worden ist. Auch wurde im Zuge der Umsetzung des Fakultativprotokolls das Verbot des Kinderhandels nach § 236 Abs. 2 StGB dahingehend erweitert, dass bestraft wird, „wer als Vermittler der Adoption einer Person unter 18 Jahren einer Person für die Erteilung der erforderlichen Zustimmung zur Adoption ein Entgelt gewährt.“ 161 Vgl. dazu BT-Drs. 16/3439, S. 11 und 13: Diese durch den Bundesrat eingebrachte Forderung bezog sich auf eine Entscheidung des BGH (BGHSt 50, 370–372), in der dargelegt wurde, dass der Tatbestand i.d.F. des 6. StrRG nicht erfüllt sei, wenn der Täter das Kind lediglich dazu bestimme, vor ihm in sexuell aufreizender Weise zu posieren. Der Tatbestand setzte voraus, dass der Täter das Kind dazu bestimmt, an seinem eigenen Körper sexuelle Handlungen vorzunehmen. Die neue Formulierung „wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt“ soll diesem Umstand Rechnung tragen. 162 Hörnle, NJW 2008, 3521.

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die Vornahme sexueller Handlungen mit einem Kind unter Strafe gestellt werden sollen, soweit dafür Geld, sonstige Vergütungen oder Gegenleistungen geboten werden. Auch wurde das Erfordernis eines Mindestalters von 18 Jahren auf Täterseite als verzichtbar angesehen. Der Regierungsentwurf verwies diesbezüglich auf die Umsetzung des Rahmenbeschlusses und den Umstand, dass bei einer Heraufsetzung der Schutzaltersgrenze von 16 Jahren auf 18 Jahre die bisherige Täteraltersgrenze von 18 Jahren ihren Sinn verliere, da sich diese auf das unterschiedliche Alter und das damit verbundene Erfahrungs- und Machtgefälle beziehe.163 Der Regierungsentwurf sah insofern folgende Gesetzesformulierung vor: „Wer eine Person unter 18 Jahren dadurch missbraucht, dass er (1.) unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich vor ihr vornehmen lässt oder (2.) diese unter Ausnutzung einer Zwangslage dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen […].“164

Die Formulierung stieß auf teilweise heftige Kritik der Oppositionsfraktionen. So forderte die Fraktion „Die Linke“, den Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen so zu fassen, dass er möglichst schonend in das gewachsene System der Schutzaltersgrenzen eingreife. Im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm, der einen Altersunterschied zwischen Täter und Opfer verlange, müsse demnach das Mindestalter von 18 Jahren auf Täterseite beibehalten werden.165 Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kritisierte insbesondere die Verschiebung der Altersgrenzen und die damit verbundene systematische Veränderung eines ausgewogenen Konzeptes im Strafgesetzbuch. Dabei verwies die Fraktion darauf, dass der gegenwärtige wissenschaftliche Erkenntnisstand keinen Grund für eine Neubewertung der Schutzaltersgrenzen biete und formulierte in ihrer Begründung: „Internationale Abkommen, die Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr unterschiedslos als Kinder behandeln und auch das strafrechtliche Schutzinstrumentarium insoweit unterschiedslos anzuwenden fordern, sollten nicht als alleinige Begründung dafür ausreichen, das bewährte abgestufte Schutzsystem des deutschen Sexualstrafrechts zu nivellieren. Vielmehr gilt es, sich auf internationaler Ebene für eine nach dem Alter der betroffenen Kinder und Jugendlichen differenzierende Schutzkonzeption im Sexualstrafrecht einzusetzen.“166 163 164 165 166

BT-Drs. 16/3439, S. 8. BT-Drs. 16/3439, S. 5. BT-Drs. 16/9646, S. 10. BT-Drs. 16/9646, S. 13.

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Die Fraktion der FDP sah eine Änderung der Strafnormen über den Regelungsgehalt des Rahmenbeschlusses hinaus als nicht erforderlich an. Insofern setzte sich die Fraktion für eine Änderung der Sexualstraftatbestände ausschließlich im Rahmen der Vorgaben des Rahmenbeschlusses ein. Zurecht wurde Kritik geübt, dass durch Art. 2c des Rahmenbeschluss beim sexuellen Missbrauch nur bei der Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt eine Erhöhung der Schutzaltersgrenze von 16 Jahren auf 18 Jahre vorsieht, jedoch nicht für die Fälle, in denen es unter Ausnutzung einer Zwangslage zur Duldung oder Vornahme von sexuellen Handlungen kommt. Auch die durch den Rahmenbeschluss nicht geforderte Absenkung des Täteralters auf 14 Jahre wurde gänzlich als entbehrlich erachtet.167 Von den Koalitionsfraktionen wurde die über die erforderliche Umsetzung des Rahmenbeschlusses hinausgehenden Änderungen dahingehend verteidigt, dass das möglicherweise ältere Opfer gegenüber dem jüngeren Täter aufgrund der Zwangslage keine altersbedingten Vorteile habe. Ferner wurde argumentiert, dass § 182 StGB im Regierungsentwurf bewusst über den Rahmenbeschluss hinausgehe, da nicht nur der Rahmenbeschluss unreflektiert nachvollzogen werde, sondern an den erforderlichen Stellen das bestehende Recht geändert werden müsse.168 Da im Hinblick auf die über den Rahmenbeschluss hinausgehenden Änderungen keine konkreten Begründungen angeführt wurden, äußerte der Sachverständige Kühl169: „Jede Lückenschließung ist in einem fragmentarischen Strafrecht begründungsbedürftig, auch wenn sie noch so klein ist. Und jede Erweiterung des Strafrechts auch durch Heraufsetzen von Altersstufen verschiebt die Grenzen der Freiheit […].“

Zur Strafbedürftigkeit und zum Subsidiaritätsprinzip äußerte er ferner: „Es würde verfassungsrechtliche Bedenken hervorrufen, ein Strafgesetz dort zu erlassen und ein Opfer dort zu schützen, wo es in der Lage wäre, sich aufgrund seiner sexuellen Entwicklung selbst zu schützen.“

Ferner wies Graupner170 darauf hin, dass bei einer generellen Anhebung der Schutzaltersgrenzen das Recht auf Freiheit von sexuellen Handlungen zu Lasten des Rechts auf Freiheit zu sexuellen Handlungen bei Jugendlichen falsch gewichtet werde. Dabei führte er die auch in anderen Bereichen rechtliche Verantwortung von 16- und 17-jährigen Jugendlichen an, die unter bestimmten 167 BT-Drs. 16/9646, S. 15; dazu ausführlich der Sachverständige Jeßberger, BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007, S. 13. 168 BT-Drs. 16/9646, S. 16. 169 BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007, S. 15. 170 BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007, S. 6.

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Voraussetzungen heiraten können oder zum Teil schon wahlberechtigt sind. Ferner kritisiert Graupner die Diskussion ohne Einbindung wissenschaftlicher Experten aus nicht juristischen Fachbereichen. Der Rechtsausschuss votierte schließlich dafür, dass die Altersgrenze auf Täterseite nicht für alle Tatbestandsvarianten aufgehoben werden sollte, sondern nur für die Fälle der Vornahme sexueller Handlungen unter Ausnutzung einer Zwangslage. Bei der Ausnutzung einer Zwangslage wurde nicht das Erfordernis eines Alters- und Erfahrungsvorsprunges gesehen. Bei der Entgeltvariante sollte es bei der Täteraltersgrenze von 18 Jahren bleiben. Es sollte vermieden werden, dass Jugendliche für entgeltliche sexuelle Handlungen mit anderen Jugendlichen bestraft werden, da die Strafnorm den Jugendlichen als Schutzobjekt erfasste und nicht als Täter.171 Diese Argumentation erscheint jedoch wenig schlüssig, da die Gefahr des Abgleitens in die dauerhafte Prostitution wohl kaum davon abhängt, ob der Täter das 18. Lebensjahr vollendet hat oder als Jugendlicher in Erscheinung tritt. Ferner ist auch nicht nachvollziehbar, warum das Schutzobjekt eine Bestrafung von Tätern unter 18 Jahren ausschließen soll, zumal beim Ausnutzen einer Zwangslage diese Verknüpfung auch nicht hergestellt wurde.172 Der Rechtsausschuss empfahl insofern anders als im Regierungsentwurf eine Trennung des Entgelttatbestandes von der Tatvariante des Ausnutzens einer Zwangslage und formulierte folgende heute gültige Fassung des § 182 StGB: „Absatz 1: Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage (1.) sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder (2.) diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Absatz 2: Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Hand173 lungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt […].“

Im Hinblick auf die Systematik der Jugendschutzdelikte und die differenzierten Altersbestimmungen wurden durch das Rahmenbeschlussgesetz allerdings auch Wertungswidersprüche beseitigt. So galt bei entgeltlichen Sexualkontakten mit dem Täter selbst nach § 182 Abs. 1 StGB (a.F.) eine Schutzaltersgrenze von 16 Jahren, während § 180 Abs. 2 StGB das Bestimmen einer Person 171 BT-Drs. 16/9646, S. 17. 172 Ebenfalls kritisch Hörnle, NJW 2008, 3523. 173 BT-Drs. 16/9646, S. 5.

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unter 18 Jahren zu entgeltlichen Sexualkontakten mit einem Dritten unter Strafe stellt. Warum nun entgeltliche Sexualkontakte mit Dritten die Gefahr des Abgleitens in die Prostitution bei Personen unter 18 Jahren begründen soll, während in § 182 Abs. 1 StGB (a.F.) die Schutzaltersgrenze auf 16 Jahre festgesetzt war, erschien wenig einleuchtend. Zumal kaum angenommen werden konnte, dass die Gefährdung des Opfers durch entgeltliche Sexualkontakte mit dem Täter selbst geringer sei.174 Die Schutzaltersgrenze von 16 Jahren gemäß § 182 Abs. 1 StGB (a.F.) kollidierte zudem mit § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Nach dieser Norm ist das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen von pornographischen Schriften einer Person unter 18 Jahren unter Strafe gestellt. Der entgeltliche Sexualkontakt einer 17-Jährigen mit dem Täter war insofern nicht strafbar, wohl aber, wenn der Täter diesem Opfer im Rahmen des entgeltlichen Sexualkontaktes einen pornographischen Film vorführt. Insofern war es kaum hinnehmbar, dass die Entscheidung des Gesetzgebers in § 182 Abs. 1 StGB (a.F.) über die Strafzumessung des § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB umgangen wurde.175 Zu Widersprüchen führt ebenfalls, dass § 180 Abs. 2 StGB auch sexuelle Handlungen „vor einem Dritten“ umfasst, während § 182 Abs. 1 StGB sowohl in der alten wie auch in der neuen Fassung diese Formulierung nicht enthält. Das Bestimmen eines Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren zur Vornahme von sexuellen Handlungen vor einem Dritten ist insofern strafbar, wenn sie gegen Entgelt erfolgt, jedoch nicht, wenn das Opfer dazu unter Ausnutzung einer Zwangslage bestimmt wurde.176

b) Entgeltbegriff Das Tatbestandsmerkmal „gegen Entgelt“ sollte nach Auffassung des Bundesrates sowohl bei der Förderung sexueller Handlungen (§ 180 Abs. 2) wie auch bei der sexuellen Nötigung (§ 182 Abs. 1) um das Tatbestandsmerkmal „sonstigen Vorteil“ i.S.d. §§ 331 StGB ergänzt werden. Der Bundesrat führte dazu aus, dass auch immaterielle Anreize Jugendliche zur Durchführung oder Duldung sexueller Handlungen motivieren könnten, da altersbedingt häufig die ideellen Werte prioritäre Bedeutung hätten. So könne etwa die keinen materiellen Vorteil darstellende Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder die Teilnahme an Aktivitäten einem Jugendlichen erstrebenswert erscheinen. Die durch den sonstigen Vorteil eintretende Zwangslage könne demnach eine Drucksituation erzeugen, die zwar nicht Nötigungsqualität besitze, jedoch 174 Renzikowski, MK, § 182, Rn. 12; Ders. BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007, S. 18. 175 BGH, NJW 1998, 1162; dazu auch Fischer, StGB, § 184, Rn. 10. 176 Lenckner / Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 8.

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Jugendliche durch nicht gewollte Handlungen in ihrer ungestörten sexuellen Entwicklung beeinträchtige. Argumentativ untermauerte der Bundesrat seine Auffassung mit der Zielrichtung des Rahmenbeschlusses, der in Art. 2c(ii) die Formulierung „Geld und sonstige Vergütungen“ erfasst und in Abs. 7 der Präambel ein umfassendes Konzept gegen die Kinderprostitution fordert.177 Die Bundesregierung lehnte den Vorschlag mit der Begründung ab, dass der Vorschlag unvertretbar weit gehe und der Grundentscheidung des Sexualstrafrechts hinsichtlich des abgestuften Schutzes nach zunehmender Reife widerspreche.178 Der Sachverständige Finke betonte, dass in der Praxis häufig Täter mit nicht materiellen Versprechungen Kinder und Jugendliche dazu verleiteten, sexuelle Handlungen vorzunehmen. Als Abgrenzung nannte er etwa das Beispiel einer Inaussichtstellung einer „Modelkarriere“ und unterstütze somit den Vorschlag des Bundesrates.179 Kritisch äußerte sich der Sachverständige Jeßberger, der keinen Umsetzungsbedarf sah und die Erweiterung des Entgeltbegriffes alleine der Verantwortung des deutschen Gesetzgebers zuschrieb.180 Richtigerweise wurde an dem Entgeltbegriff gem. § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB festgehalten. Insofern ist wesentlich, dass das Entgelt in einer Gegenleistung besteht, d.h. es muss für eine sexuelle Handlung gegeben worden sein. Ferner muss die Gegenleistung in einem konkreten Vermögensvorteil bestehen.181 Da bereits neben den finanziellen Zuwendungen auch Wohnungsgewährung, Naturalleistungen, Erhöhung eines Arbeitsentgelts, Süßigkeiten oder Freizeiteinladungen182 gehören, hätte eine darüber hinausgehende Formulierung eine Ausuferung des Prostitutionstatbestandes zum Schutze Jugendlicher zur Folge gehabt.

c) Strafbarkeit des Versuchs Nach Vorgabe des Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Art. 2c(ii) des Rahmenbeschlusses wurde die Strafbarkeit des Versuchs in § 182 Abs. 4 StGB für alle Handlungen der Absätze 1 bis 3 kodifiziert.

177 178 179 180 181 182

BT-Drs. 16/3439, S. 12. BT-Drs. 16/3439, S. 13. BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007, S. 4. BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007, S. 13. Eser, Sch / Schr., § 11, Rn. 69–71. Fischer, StGB, § 182, Rn. 10.

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4. Jugendpornographie a) Regierungsentwurf Aufgrund der Verpflichtung aus Art. 3 des Rahmenbeschlusses sah der Regierungsentwurf eine Erweiterung des Kinderpornographietatbestandes gem. § 184b StGB vor. Der Verpflichtung des Rahmenbeschlusses entsprach der bisherige Tatbestand der Kinderpornographie gem. § 184b StGB nur, soweit Kinder nach der Definition des deutschen Strafrechts betroffen sind. Kinderpornographischen Schriften unterlagen nach § 184b Abs. 1 bis 3 StGB einem absoluten Herstellungs- und Verbreitungsverbot. Der Besitz war ferner nach Absatz 4 strafbar, sofern die pornographische Schrift ein wirkliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt. Hingegen war die Herstellung, die Verbreitung und der Besitz von jugendpornographischen Schriften nicht strafbar, sofern sie nicht unter das Verbot der Verbreitung gewalt- und tierpornographischer Schriften gem. § 184a StGB fielen. Somit sah der Regierungsentwurf folgende Erweiterung des Strafnorm § 184b StGB unter der Überschrift „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften“ vor: „Absatz 1: Wer pornographische Schriften (§ 11 Abs. 3), die sexuelle Handlungen von, vor oder an Personen unter achtzehn Jahren zum Gegenstand haben (kinderund jugendpornographische Schriften), 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 3. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nr. 1 oder Nr. 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Absatz 2: Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, einem anderen in den Besitz von kinder- und jugendpornographischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben. Absatz 3: In den Fällen des Abs. 1 oder des Abs. 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und die kinder- und jugendpornographischen Schriften ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben. Absatz 4: Wer es unternimmt, sich den Besitz von kinder- und jugendpornographischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer die in Satz 1 bezeichneten Schriften besitzt. […].“183 183 BT-Drs. 16/3439, S. 5.

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Die unterschiedslose Gleichsetzung von Kinder- und Jugendpornographie wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erheblich kritisiert. Die Kritik war insofern nachvollziehbar, als die Gefährlichkeit des illegalen Marktes bei Kinderpornographie anders zu bewerten ist als die bei Jugendpornographie. Während bei der Kinderpornographie der sexuelle Missbrauch oder die Vergewaltigung eines Kleinkindes im Vordergrund steht, geht es bei 16- und 17Jährigen typischerweise nicht um Aufnahmen, die gegen den Willen der Betroffenen hergestellt werden und bei denen den Darstellern schwere körperliche oder seelische Verletzungen zugefügt werden.184 Ausgehend davon, dass die Vorschrift die Eindämmung der Minderjährigenpornographie im Allgemeinen bezwecken sollte, ist auch mangels Dispositivität eine Einwilligung des Betroffenen nicht möglich.185 Der § 184b StGB des Regierungsentwurfes sah auch nicht die Kodifizierung der in Art. 3 Abs. 2b des Rahmenbeschlusses enthaltenen Öffnungsklausel vor. Demnach kann die Abbildung Minderjähriger von der Strafbarkeit ausgenommen werden, wenn die Darsteller ihre sexuelle Mündigkeit erreicht und ihre Zustimmung zur Anfertigung der Bilder erteilt habe und die Abbildungen nur zur privaten Verwendung dienen sollen. Somit hätte sich auch der 17-Jährige strafbar gemacht, der von seiner gleichaltrigen Freundin mit deren Einwilligung oder auf deren Vorschlag eine pornographische Aufnahme gefertigt hätte, selbst wenn sie nur für ihn bestimmt gewesen wäre. Ferner sahen mitunter die Sachverständigen Hörnle und Kühl eine dem Unrechtsgehalt angepasste Strafrahmenstaffelung als erforderlich an.186 Durch Art. 5 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses wäre ein niedrigerer Strafrahmen bei jugendpornographischen Schriften als bei kinderpornographischen Schriften möglich gewesen. Zum Entwurf der Bundesregierung äußerte Hörnle: „In der Gleichsetzung von kinder- und jugendpornographischen Schriften liegt die größte Schwachstelle des Gesetzgebungsvorhabens. Notwendig wäre es, um den erheblichen Differenzen beim verwirklichten Unrecht gerecht zu werden, bei jugendpornographischen Schriften jedenfalls deutlich niedrigere Strafrahmen vorzusehen.“187

b) § 184c StGB Der Kritik zur Gleichsetzung von Kinder- und Jugendpornographie in § 184b StGB folgend, wurde durch den Rechtsausschuss § 184c StGB neu eingefügt, 184 185 186 187

Hörnle, NJW 2008, 3523. Reinbacher / Wincierz, ZRP 2007, 197. BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007, S. 9 und 17. Hörnle, Stellungnahme für den Rechtsausschuss, S. 10.

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der den Besitz jugendpornographischer Schriften weniger umfassend bestrafen sollte als den Besitz kinderpornographischer Schriften. Ferner sollte von den Ausnahmetatbeständen des Rahmenbeschlusses Gebrauch gemacht werden.188 In Anlehnung an den Regierungsentwurf wurde schließlich dem § 184c StGB folgende Formulierung unter der Überschrift „Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften“ gegeben: „Absatz 1: Wer pornographische Schriften (§ 11 Abs. 3), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Personen von vierzehn bis achtzehn Jahren zum Gegenstand haben (jugendpornographische Schriften), 1.verbreitet, 2.öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 3.herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder Nummer 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Absatz 2: Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, einem anderen den Besitz von jugendpornographischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben. Absatz 3: In den Fällen des Absatzes 1 oder des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und die jugendpornographischen Schriften ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben. Absatz 4: Wer es unternimmt, sich den Besitz von jugendpornographischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, oder wer solche Schriften besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Handlungen von Personen in Bezug auf solche jugendpornographischen Schriften, die sie im Alter von unter achtzehn Jahren mit Einwilligung der dargestellten Personen hergestellt haben. 189

Absatz 5: § 184b Abs. 5 und 6 gilt entsprechend.“

Der Rechtsausschuss lehnte die in § 184c Abs. 1 und 2 StGB vorgesehenen Strafrahmen nicht mehr an denen des § 184b Abs. 1 und 2 StGB an, sondern orientierte sich an den geringeren Strafrahmen des § 184a StGB. Auch bei § 184c Abs. 3 und 4 StGB wurden gegenüber den Strafandrohungen bei den spiegelbildlichen Tathandlungen in der Kinderpornographiestrafnorm die Strafandrohungen entsprechend herabgesetzt. Damit sollte dem geringeren 188 BT-Drs. 16/9646, S. 17. 189 BT-Drs. 16/9646, S. 6.

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Unrechtsgehalt von Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften im Verhältnis zu Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften Rechnung getragen werden. Auch sollte durch die neue Strafnorm außerhalb des § 184b StGB klargestellt werden, dass es sich um Schriften handeln muss, die ausschließlich pornographische Inhalte wiedergeben. Die „vergröberte Darstellung des Sexuellen unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge“ sollte den erforderlichen Inhalt der Jugendpornographie beschreiben. Dieser Maßstab sollte identisch auf die §§ 184 und 184a StGB anzuwenden sein. Ein anderer Maßstab sollte für den neu verfassten § 184b StGB gelten. Der Tatbestand der Kinderpornographie verweist nun nicht mehr auf den sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176 und 176b StGB), sondern definiert kinderpornographische Schriften als pornographische Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Nach der Empfehlung des Rechtsausschusses reichte für § 184b StGB aus, dass die Schrift den sexuellen Missbrauch zum Gegenstand hat, ohne dass es auf den pornographischen Charakter der Darstellung ankomme, da jegliche sexuelle Handlung mit Kindern verboten sei.190 Der Gesetzestext gibt eine derartige Auslegung allerdings nicht her, da die Schrift gemäß § 11 Abs. 3 StGB explizit als „pornographische Schrift“ qualifiziert191 wird. Das nachvollziehbare Anliegen der Oppositionsfraktionen, die sich für eine Streichung des Tatbestandsmerkmals „pornographisch“ in § 184b StGB einsetzten, um so das gesetzgeberische Anliegen in klarstellende Worte zu fassen, wurde nicht weiter beachtet.192 aa) Scheinerwachsene und Scheinjugendliche Die Formulierungsempfehlung des Rechtsausschusses wurde insbesondere im Hinblick auf die Strafbarkeit bei sog. Scheinerwachsenen und Scheinjugendlichen diskutiert. Für die Grenzen und die Bestimmtheit der Strafnorm ist von entscheidender Bedeutung, ob auf das tatsächliche Alter des Darstellers abzustellen ist, oder ob es auf den Eindruck des Betrachters ankommt. Der Rechtsausschuss empfahl die vorgenannte Formulierung des § 184c Abs. 4 StGB mit der Begründung, dass die Strafbarkeit wegen der Besitzverschaffung und des Besitzes jugendpornographischer Schriften auf solche Schriften beschränkt werden müsse, die ausschließlich „tatsächliche“ sexuelle Handlungen von, an 190 BT-Drs. 16/9646, S. 18. 191 Hörnle, NJW 2008, 3525. 192 BT-Drs. 16/9646: Fraktion Die Linke, S. 11; Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, S. 12.

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oder vor Personen wiedergeben. Der Begriff des „wirklichkeitsnahen Geschehens“ wurde bei der Verschaffung des Eigenbesitzes und beim Eigenbesitz insofern nicht verwendet, allerdings bei der in § 184c Abs. 2 StGB geregelten Verschaffung zum Fremdbesitz. Dadurch sollte der Besitz von pornographischen Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Erwachsenen mit jugendlichem Erscheinungsbild wiedergeben, gemäß Art. 3 Abs. 2a rahmenbeschlusskonform ausgeschlossen werden.193 Die Oppositionsfraktionen forderten eine deutlichere Formulierung der Straflosstellung von Scheinjugendlichen.194 Ferner forderten Teile der Experten im Rahmen der öffentlichen Anhörung einen umfassenden Ausschluss der Strafbarkeit bei Scheinjugendlichen.195 Der deutliche Ausschluss der Strafbarkeit nur für die Varianten des § 184c Abs. 4 StGB lässt die Annahme zu, dass § 184c Abs. 1 bis 3 StGB Scheinjugendliche erfassen soll. Von der im Rahmenbeschluss vorgesehenen Öffnungsklausel wurde insofern nur zurückhaltend Gebrauch gemacht.196 Obgleich bei Scheinkindern, wenn also ein kindliches Erscheinungsbild einer im Regelfall jugendlichen Person gegeben ist, die Strafbarkeit wegen § 184b StGB angenommen und auf die Sicht des objektiven Betrachters abgestellt wird197, ist zurecht kritisch anzumerken, ob bei Scheinjugendlichen gleiches gelten sollte. Zwar kann im Hinblick auf die Altersgrenze von 14 Jahren bei der Strafnorm § 184b StGB noch argumentiert werden, dass eine objektive Abgrenzung zwischen einem Kind und einem Jugendlichen anhand körperlicher Merkmale in den meisten Fällen ohne weiteres möglich ist. Wie jedoch etwa eine 17-jährige Darstellerin von einer 19-jährigen unterschieden werden soll, bleibt völlig ungelöst. Körperliche Merkmale können jedenfalls nicht mehr entscheidend sein. Ausgehend von dem zu schützenden Rechtsgut der Verhinderung von pornographischen Aktivitäten Jugendlicher, ist hingegen bei Scheinerwachsenen unabhängig von der Alterseinschätzung des Betrachters die Strafbarkeit gegeben. bb) Fiktive Darstellungen In Anlehnung an den Problemkreis der tatsächlich existierenden Scheinerwachsenen und Scheinjugendlichen wurde auch hinsichtlich fiktiver Darstellungen in Form von Zeichnungen oder Computeranimationen die Unbestimmt193 BT-Drs. 16/9646, S. 18. 194 BT-Drs. 16/9646: Fraktion Die Linke, S. 11; Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, S. 12 und 14; Fraktion der FDP, S. 14. 195 BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007: Hörnle, S. 10; Thiee, S. 20; Wehowsky, S. 23. 196 Kritisch dazu Hörnle, NJW 2008, 3525 sowie Reinbacher / Wincierz, ZRP 2007, 197. 197 BGH, NJW 2001, 3558.

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heit der Strafnorm §§ 184b und 184c StGB sowie die unzureichende Umsetzung der Öffnungsklausel durch die Oppositionsfraktionen kritisiert.198 Die Sachverständige Hörnle gab zu bedenken, dass es bei fiktionaler Jugendpornographie keine tatsächlichen Darsteller gebe und somit der Grund der Pönalisierung nicht gegeben sei.199 Fiktive Darstellungen können zumindest kein „tatsächliches Geschehen“ wiedergeben, wohl aber unter Umständen i.S.d. Tatbestände §§ 184b Abs. 2 bis Abs. 4, 184c Abs. 2 und Abs. 3 StGB ein wirklichkeitsnahes Geschehen. Grundsätzlich sollen künstliche Produkte wie Zeichnungen, Zeichentrickfilme und Comics und allein wörtliche Darstellungen gerade durch diese Zusatzvoraussetzungen ausgeschlossen werden. Es sind allerdings auch fiktive, aber wirklichkeitsnahe Darstellungen erfasst. Etwa wenn eine „Scheinwirklichkeit“ dargestellt wird, die nach dem Willen des Herstellers als solche gerade nicht erkennbar sein soll. Die Grenze wirklichkeitsnaher Darstellung liegt in der für den durchschnittlichen Betrachter erkennbaren Künstlichkeit jedenfalls eines Teils des Geschehens. Etwa dann, wenn Film- und Zeichentrickelemente miteinander vermischt werden.200 Auch nicht unter die Tatbestände des wirklichkeitsnahen Geschehens fallen Darstellungen, die zwar fotorealistisch präsentiert werden, aber offen legen, dass mit Computeranimation gearbeitet wurde.201 Auch was fiktive Darstellungen anbelangt, wurde in Art. 3 Abs. 2c des Rahmenbeschlusses den Mitgliedstaaten eine Strafbarkeitsausschlussklausel bei realistisch dargestellten „nicht echten Kindern“ zugebilligt. Der Gesetzgeber hat es jedoch bei der bereits im Tatbestand des § 184b StGB bekannten, jedoch auslegungsbedürftigen Formulierung des wirklichkeitsnahen Geschehens belassen. Noch schwieriger ist die Abgrenzung fiktiver Darstellungen von authentischen Geschehnissen, wenn es um die §§ 184b Abs. 1 und 184c Abs. 1 StGB geht. Das Erfordernis eines tatsächlichen oder wirklichkeitsnahen Geschehens enthalten diese Tatbestände nicht. Aufgrund des weiten Schriftenbegriffs sind insofern fiktionale Darstellungen grundsätzlich mit einbezogen. Der in der Norm formulierte Verweis auf § 11 Abs. 3 StGB dient gerade dem Zweck, den Begriff der Schrift auf andere Darstellungen auszudehnen, die wie die Schriften geeignet sind, die Vorstellung von Sinnzusammenhängen zu vermitteln.202 Schriften sind demnach solche stofflichen Zeichen, in denen Gedankenäußerungen durch Buchstaben, Bilder oder Zeichen verkörpert sind und die damit 198 199 200 201 202

BT-Drs. 16/9646: Fraktion Die Linke, S. 11; Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, S. 12. BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007, S. 9. Fischer, StGB, §184b, Rn. 13. Hörnle, MK, § 184b, Rn. 19. Lackner / Kühl, StGB, § 11, Rn. 26; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 707.

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vor allem durch Geruchssinn und Tastsinn wahrgenommen werden können. Für Abbildungen ist die optische Wiedergabe körperlicher Gegenstände oder Vorgänge der Außenwelt in Fläche und Raum kennzeichnend, wie beispielsweise bei Gemälden, Fotos, Dias und Filmen.203 Allerdings ist nicht jede fiktive Darstellung, die sich als Schrift i.S.d. § 11 Abs. 3 StGB definiert, eine solche mit pornographischem Inhalt. Das wesentliche inhaltliche Charakteristikum von Pornographie liegt darin, dass die Gesamttendenz des Werkes ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes abzielt. Dabei werden die menschlichen, interpersonalen Bezüge von Sexualität vernachlässigt. Der Mensch wird als bloßes Objekt sexueller Begierde porträtiert. Maßgeblich ist dabei die objektiv bestehende Tendenz des Werkes, nicht die subjektiven Motive des Herstellers.204 Eine Schrift wird insofern erst dann als pornographisch anzusehen sein, wenn ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf das lüsterne Interesse an sexuellen Dingen abzielt. Enthält ein Roman mit jugendlichen Figuren vereinzelte, wenn auch detailliert geschilderte Szenen sexuellen Inhalts, handelt es sich nicht schon deshalb um eine pornographische Schrift. Am pornographischen Inhalt fehlt es ferner, wenn nackte Jugendliche ohne sexuelle Aktivität gezeigt werden. Dies dürfte bei Darstellungen in Jugendzeitschriften oder anderen Medien, die ihre Nutzer über Sexualität aufklären oder sexuelle Erfahrungen in ihren menschlichen Bezügen schildern, insbesondere der Fall sein.205 cc) Besitz von Jugendpornographie Bereits die Besitzstrafbarkeit im Hinblick auf kinderpornographische Schriften gemäß § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB wird überwiegend kritisch betrachtet. Mit dem Strafgrund der „Unterstützung des Marktes für Kinderpornographie“ besteht zumindest kein unmittelbarer Zusammenhang, da dafür Aktivitäten am Markt in Form von Beschaffungshandlungen erforderlich sind.206 Dass der Konsument von kinderpornographischen Schriften, vergleichbar mit dem Hehler, eine Nachfrage insbesondere für amateurhaft hergestellte Privatvideos schaffe, daher mittelbar mit den mit der Herstellung des pornographischen Materials einhergehenden Beeinträchtigungen des Kindes verantwortlich sei, überzeugt nicht wirklich. Bedenken erweckt auch der Umstand, dass von dem Besitzer, der nicht vorsätzlich in den Besitz kinderpornographischer Darstel203 204 205 206

Eser, Sch / Schr., § 11, Rn. 78; vgl. auch Fischer, StGB, § 11, Rn. 34 u. 37. Hörnle, MK, § 184, Rn. 15. Hörnle, NJW 2008, 3524. Hörnle, MK, § 184b, Rn. 29.

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lungen gelangt ist, zur Vermeidung der Strafbarkeit verlangt wird, sich durch Vernichtung oder Ablieferung bei einer Behörde von ihnen zu trennen.207 Für die Besitzstrafbarkeit von jugendpornographischen Schriften gemäß § 184c Abs. 4 Satz 1 StGB findet sich letztlich nur das Argument der Umsetzungspflicht des Art. 3 Abs. 1d des Rahmenbeschlusses. Die Sachverständigen Graupner und Hörnle wiesen darauf hin, dass die Besitzstrafbarkeit ansonsten rechtspolitisch nicht begründbar sei und zu einer Kriminalisierung zahlreicher Bürger führe.208 Es darf unterstellt werden, dass auf den Festplatten sehr vieler Rechner pornographische Fotos und Filme zu finden sind. Selbst wenn die Darsteller meist volljährig waren, dürfte die Zahl der Datenträger, auf denen unter legalen Bildern auch die pornographische Abbildung einer oder eines Jugendlichen zu finden ist, beträchtlich sein. Jeder, der Besitz an diesem Material hat, macht sich nunmehr nach § 184c Abs. 4 Satz 1 StGB strafbar.209 Zudem wurde die durch Art. 3 Abs. 2b des Rahmenbeschlusses ermöglichte Ausnahmeklausel unklar formuliert, da sie sich nicht auf die Weitergabe des Gegenstandes bezieht. Dem Wortlaut nach sind nach § 184c Abs. 4 Satz 2 StGB nur die Schriften ausgenommen, die mit Einwilligung der dargestellten Jugendlichen durch einen Jugendlichen hergestellt worden sind und sich ausschließlich im Besitz des Herstellers befinden. Die Weitergabe eines pornographischen Bildes an einen Dritten, welches ein 17-Jähriger hergestellt hat, führt unabhängig vom Einverständnis der abgebildeten Person somit zur Strafbarkeit. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Darstellerin selbst einen Film oder ein Lichtbild für sich verwahrt, es also lediglich um ein ZweiPersonen-Verhältnis geht. Bereits im Regierungsentwurf heißt es, dass pornographische Schriften, die Jugendliche innerhalb einer sexuellen Beziehung in gegenseitigem Einverständnis von sich herstellen und austauschen, nicht strafwürdig erscheinen. Ferner wurde im Regierungsentwurf darauf hingewiesen, dass der jeweils Abgebildete sich als Schutzobjekt der Vorschrift nicht strafbar machen könne. Auch sei es mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar, wenn die geschützte Person sich strafbar mache, wenn sie pornographische Schriften, die den jeweils Anderen darstellen, in ihrem Besitz habe.210 Diese Begründung ist allerdings wenig überzeugend. Es verschließen sich zwar nicht die Möglichkeiten einer restriktiven Auslegung, dennoch bleibt 207 Lackner / Kühl, StGB, § 184b, Rn. 8; Lenckner / Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184b, Rn. 15. 208 BT-Protokoll Nr. 68 v. 18. Juni 2007: Graupner, S 6.; Hörnle, S. 10. 209 Hörnle, NJW 2008, 3524. 210 BT-Drs. 16/3439, S. 9.

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anzumerken, dass die Schaffung eines Höchstmaßes an Bestimmtheit Aufgabe des Gesetzgebers gewesen wäre. dd) Strafbarkeit des Versuchs Im Hinblick auf den ersten Entwurf der Bundesregierung forderte der Bundesrat den Versuch der Herstellung, des Vertriebs, der Verbreitung und der Weitergabe von Kinderpornographie unter Strafe zu stellen. Begründet wurde diese Forderung mit der Umsetzungspflicht aus Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Art. 3a und b des Rahmenbeschlusses. Obgleich der durch § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB kodifizierten Vorstufen dieser Tathandlungen wie „bezieht“, „liefert“ oder „vorrätig hält“, sah der Bundesrat zumindest bezüglich des Versuchs der Herstellung expliziten Umsetzungsbedarf.211 Die Bundesregierung folgte dieser Forderung nicht. Sie begründete, dass der Versuch des Vertriebes, der Verbreitung und der Weitergabe von kinderpornographischen Schriften bereits durch die Strafbarkeit des Unternehmens zur Besitzverschaffung gemäß § 184b Abs. 2 StGB sowie durch die strafbaren Vorbereitungshandlungen zur Verbreitung oder zum Zugänglichmachen gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB abgedeckt sei. Im Bereich des Versuchs der Herstellung kinderpornographischer Schriften verwies die Bundesregierung auf die sonstigen Tatbestände des Sexualstrafrechts sowie auf den Straftatbestand des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Insbesondere durch die Formulierung in § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB (Bringen einer Person unter 21 Jahren zu sexuellen Handlungen) würde die Versuchsstrafbarkeit ausreichend abgedeckt werden.212 Durch §§ 184b Abs. 2 und 184c Abs. 2 StGB wird bestraft, wer es unternimmt, einem anderen den Besitz von kinder- oder jugendpornographischen Schriften zu verschaffen. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB werden bei sog. echten Unternehmenstatbeständen deren Versuch und deren Vollendung gleichgestellt. Die kriminalpolitische Funktion besteht darin, durch die Gleichsetzung die Strafmilderung des § 49 Abs. 1 StGB in bestimmten Fällen auszuschließen. Das Unternehmen erfasst jedoch nicht die Vorbereitung zur Tat. Ein strafbarer Versuch des Unternehmens wird insofern schon begrifflich ausgeschlossen.213 Erfasst sind auf der Geberseite bereits im Versuchsstadium alle mit der Übertragung des unmittelbaren oder mittelbaren Besitzes im zivilrechtlichen Sinne verbundenen Erwerbs- und Gebrauchsüberlassungsgeschäfte, wobei diese zugleich ein Verbreiten, Liefern, Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen gemäß 211 BT-Drs. 16/3439, S. 12. 212 BT-Drs. 16/3439, S. 13. 213 Lackner / Kühl, StGB, § 11, Rn. 19.

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§§ 184b Abs. 1 Nr. 1 und 3 sowie 184c Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB sein können.214 Es ist insofern zutreffend, dass die gemäß Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1b des Rahmenbeschlusses geforderte Versuchsstrafbarkeit des Vertriebes, der Verbreitung und der Weitergabe bereits durch das Unternehmen zur Besitzverschaffung abgedeckt sind. Anders verhält es sich beim Versuch des Herstellens von Kinder- und Jugendpornographie. Das Versuchsstadium wird dabei nicht von dem Unternehmen der Besitzverschaffung erfasst und bewegt sich im Hinblick auf diesen Tatbestand allenfalls im Bereich der straflosen Vorbereitungshandlung. Ob, wie begründet, der Versuch der Herstellung generell durch die Tatbestände des Sexualstrafrechts abgedeckt ist, kann angezweifelt werden.215 Zumindest dürfte der Versuch der Herstellung bei Personen unter 14 Jahren insbesondere durch die Strafnormen §§ 176 Abs. 4 Nr. 2, 180 Abs. 2 StGB hinreichend abgedeckt sein. Bei Jugendlichen ist hingegen das Bestimmen zu sexuellen Handlungen „an sich selbst“ zum Zwecke der Herstellung von jugendpornographischen Schriften weder von § 182 StGB noch von § 180 Abs. 2 StGB erfasst. Im Hinblick auf die ohnehin schon schwierige Einführung des Jugendpornographietatbestandes ist diese Regelungslücke vor dem Hintergrund des fragmentarischen Charakters des Strafrechts unproblematisch. Es bleibt jedoch stehen, dass in diesem Fall ausnahmsweise die sonst so akribisch verfolgte Umsetzungspflicht internationaler Vorgaben vernachlässigt wurde.

B) Entwicklungstendenzen und Ausblick Das 4. StrRG kann als Meilenstein in der Entwicklung des Sexualstrafrechts bezeichnet werden. Es wurde geprägt durch Entkriminalisierung und beschränkte sich auf die Strafbarkeit sozialschädlicher Verhaltensweisen, die zumindest nach damaliger Sicht als solche anerkannt wurden. Im Vordergrund stand die Freiheit des Einzelnen vor Beeinträchtigung seiner sexuellen Selbstbestimmung. Allerdings wurde der Strafrechtsschutz im Bereich des Jugendschutzes auch teilweise ausgedehnt oder erheblich verkompliziert. Diesbezüglich muss bedacht werden, dass mit den änderungsrelevanten Themen eine Vielzahl von Sachverständigen unterschiedlicher Fachrichtungen befasst waren und unter der Zielsetzung des Rechtsgüterschutzes ein dennoch ausdifferenziertes Regelwerk entstand, welches trotz seiner Schwächen eine deutliche Richtungsänderung erkennen lässt. Der Abschied von der strafrechtlichen 214 Lenckner / Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184b, Rn. 10. 215 Reinbacher / Wincierz, ZRP 2007, 198.

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Verfolgung unmoralischen Verhaltens als unerschütterliche Zielsetzung kann insofern als Paradigmenwechsel bezeichnet werden. Das Rechtsgutskonzept der Sozialschädlichkeit wies zwar Schwächen auf, verlieh aber dem Gesetzgeber die Möglichkeit, instrumentell an den Regelungsgegenstand heranzutreten, kurzum, das Rechtsgüterschutzkonzept wurde nicht nur auf rechtsdogmatischer Ebene diskutiert, es hatte auch praktische Relevanz. Obwohl die praktische Umsetzung der Ziele durch das 4. StrRG eben nur teilweise gelang, wäre es die Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, anknüpfend an die prinzipiellen Errungenschaften des 4. StrRG das Sexualstrafrecht im Sinne eines subsidiären Rechtsgüterschutzes weiter zu entwickeln. Während in den folgenden fast 20 Jahren der 13. Abschnitt unangetastet blieb, wurde das Sexualstrafrecht beginnend mit den 1990er Jahren mehrfach geändert. Die Umgestaltungen von 1992 bis 2003 wurden durch Strafschärfungen, Ausweitung der Strafbarkeit216, Opferschutz und einen unter dem Druck des öffentlichen Aufsehens schwerer Sexualdelikte stehenden Bedürfnis, kriminalpolitische Neuerungen zu forcieren217, geprägt. Zwar lassen sich diese Reformbemühungen nicht auf einen gemeinsamen logischen Nenner bringen218, dennoch haben sie eine Gemeinsamkeit: Die Liberalisierung des Sexualstrafrechts durch das 4. StrRG ist durchschlagend nicht fortgeführt worden, vielmehr ist eine Gegenbewegung erkennbar.219 Selbst wenn durch das SexDelÄndG im Jahr 2003 versucht wurde, ein in den Jahren davor teilweise initiiertes Gesamtkonzept zu vervollständigen, welches Freiheitsrechte und Freiwilligkeit hervorhebt, wurden neben dem Ausbau von Freiheitsspielräumen aber auch die angedrohten Strafen für Verletzungen erheblich verschärft.220 Deutlich stand somit auch das SexDelÄndG unter dem Stern von Strafschärfungen und Tatbestandserweiterungen. Das Rahmenbeschlussgesetz aus 2008 reiht sich jedoch nicht nahtlos in die charakterisierte Entwicklung des Sexualstrafrechts ein. Das hauptsächlich der Umsetzung von europäischen und internationalen Vorgaben dienende Gesetz bringt einmal mehr zum Ausdruck, dass eine staatenübergreifende Vereinheitlichung des Strafrechts voranschreitet. Die damit einhergehenden Problematiken sind im Vergleich zu den Problemkreisen bisheriger national geprägter Reformen anderer Natur. Unausweichliche Umsetzungspflichten und gewährter Ermessensspielraum werden dabei nicht immer deutlich voneinan-

216 217 218 219 220

Renzikowski, MK, Vorbem. §§ 174 ff., Rn. 61. Dazu ausführlich Dessecker, NStZ 1998, 6. Dessecker, NStZ 1998, 1. Vgl. dazu Schroeder, JZ 1999, 833. Frommel, NK, § 177, Rn. 1.

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der getrennt. Auch erscheint es schwierig, international andersartige Schutzkonzepte an die bisherige nationale Rechtsordnung anzuknüpfen. Hinterfragt werden muss auch, ob die aufgezeigten Entwicklungstendenzen in den letzten fast 40 Jahren mit der denen des sonstigen materiellen Strafrechts einhergehen. Gemeinsame Merkmale einer kritisch zu betrachtenden Entwicklung des Strafrechts sind nach Vormbaum „Flexibilisierung“, „Moralisierung“, „Materialisierung“ und „Subjektivierung“.221 Eine Flexibilisierung materieller Strafnormen ist dadurch gekennzeichnet, dass anstelle der Rechtsidee die Zweckidee dominiert und somit jeder halbwegs plausible Zweck als strafrechtliche Legitimationsbegründung angeführt wird. Eine Moralisierung wird dadurch erkennbar, dass beispielsweise die Trennung von Legalität einerseits und Moralität andererseits oder von sittlicher Verurteilung einerseits und Verurteilung wegen Störung des menschlichen Zusammenlebens andererseits argumentativ zurückgedrängt wird. Sofern schützende rechtsstaatliche Formen abgebaut werden und beispielsweise der fragmentarische Charakter des Strafrechts unterlaufen wird222, ist damit eine Materialisierung des Strafrechts verbunden. Wird zunehmend nach Maßstäben beurteilt, die im Inneren des Täters gefunden werden (Zunahme gesinnungsstrafrechtlicher Elemente223), ist eine Tendenz zur Subjektivierung erkennbar. Im Vordergrund steht dann nicht mehr die konkrete Tathandlung, begangen durch einen einzelnen Täter, sondern die Verurteilung des „Pädophilen“, des „Sextouristen“, des „Mafiosi“ oder des „Dealers“. Im Gesetzgebungsverfahren zum 4. StrRG wurde der Regierungsentwurf mit dem schlichten Titel „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts“224 versehen. Zweck der Reform war die Entkriminalisierung vor dem Hintergrund, dass eine Strafandrohung nur dort vorzusehen ist, wo Rechtsgüter angegriffen oder gefährdet werden.225 Aber bereits die Drucksachen zum 27. und 29. StÄG sowie zum 6. StrRG lassen deutlich erkennen, dass bestimmte emotional aufgerüstete Zweckideen wie „wirksamere Bekämpfung der Kin-

221 Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 273. 222 Etwa wenn die Änderung des materiellen Strafrechts damit begründet wird, „Strafbarkeitslücken“ zu schließen – obwohl es ja gerade ein wesentliches Charakteristikum des Strafrechts ist, nur in bestimmten Ausnahmefällen Strafen vorzusehen, vgl. dazu Vormbaum, JZ 1999, 613; siehe auch oben Kap. 1 B) 1. 223 Zur Gefahr der Wiederbelebung eines „normativen Tätertypus“ vgl. Kempf, NJW 1997, 1732. 224 BT-Drs. VI/1552. 225 BT-Drs. VI/1552, S. 9.

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derpornographie durch Verschärfung des Strafrechts“226 oder „Schließung vorhandener Strafbarkeitslücken bei der Bekämpfung des Sextourismus“227 im Vordergrund stehen. Auch die begründeten Ausführungen228 von Duttge / Hörnle / Renzikowski, im Rahmen der Diskussionen um das SexDelÄndG, die kritisch die Sexualdelinquenz als „Motor der Kriminalpolitik“ und das Sexualstrafrecht als „polizeiliches Interventionsrecht“ bezeichnen229, verdeutlichen den Trend zu einem kriminalpolitisch zweckdominierten Strafrecht. Die Entwicklung des Sexualstrafrechts entspricht dem allgemein zu kritisierenden Entwicklungstrend des materiellen Strafrechts. Besonders hervorzuheben ist die Abkehr von den konzeptionell durchdachten Reformbemühungen im Rahmen des 4. StrRG und die zunehmende Intervention durch den Trend zur internationalen Harmonisierung des Strafrechts. Als Ergebnis der Untersuchung des Kapitels 2 kann die Entwicklung des Sexualstrafrechts und damit einhergehend auch die Entwicklung der Jugendschutzdelikte in drei Reformphasen230 unterteilt werden: Während die erste Phase ausschließlich durch die Reformbemühungen des 4. StrRG geprägt wird und insofern der Grundstein für ein auf Rechtsgüterschutz basierendes, legitimes Strafrecht gelegt wurde, erfolgte in der zweiten Phase eine entgegenstehende, durch andere Elemente geprägte Entwicklung. Die dritte Phase betrifft zwar nicht in voller Breite das Sexualstrafrecht, beschreibt aber eine andere Dimension der Beeinflussung und wird ein wesentlicher Bestandteil künftiger Diskussionen sein. Die Bedeutung der dritten Phase wird hervorgehoben, wenn allein die in der Europäischen Union verankerten Einzelermächtigungen zum Erlass von Rechtsakten231 im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen betrachtet werden.232 Nach der strategischen Ausrichtung (das sog. 226 227 228 229 230 231

BT-Drs. 12/4883, S. 1. BT-Drs. 12/ 4584, S. 1; 12/4883, S. 1; 13/7164, S. 18. Siehe oben Kap. 2 A) V. Duttge / Hörnle / Renzikowski, NJW 2004, 1072. Andere Phasendifferenzierung bei Frommel, NK, § 177, Rn. 1. Als klassisches Instrument für die Harmonisierung der innerstaatlichen Vorschriften kommt die Richtlinie in Betracht. Insofern liegt ein zweistufiges Rechtssetzungsverfahren zugrunde. Die Richtlinie (erste Stufe) wird dann durch die Mitgliedstaaten durch innerstaatliche Rechtsakte in nationales Recht umgesetzt. Die vor In-Kraft-Treten des Lissabonner Vertrages gängigen, aber unverbindlichen Rahmenbeschlüsse (kein Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH möglich) gelten bis 2014 fort und werden dann ebenfalls zu verbindlichen Rechtsakten. Vgl. dazu Herdegen, Europarecht, § 8, Rn. 36 ff. 232 Art. 83 Abs. 1 AEUV: Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Fest-

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Stockholmer Programm233) des Europäischen Rates im Bereich des Strafrechts wird die Europäische Kommission prüfen, ob der Grad der materiell-strafrechtlichen Angleichung ausreicht. Er wird neue Legislativvorschläge erwägen, wenn aus Sicht der Kommission eine weitere Angleichung erforderlich ist.234 Ausreichend problematisiert wurde die zunehmende Angleichung strafrechtlicher Normen in der Entscheidung des BVerfG zum Lissabonner Vertrag.235 Das offensichtliche Spannungsfeld zwischen europaweit geteilten Werten und unterschiedlichen sittlichen Prämissen und dem legislativen Willen, materielle Strafnormen auf europäischer Ebene zu harmonisieren, stellt eine enorme Herausforderung dar. Sollen im Zuge dieser Entwicklung positive Elemente der deutschen Strafrechtswissenschaft mit Synergiepotenzial auf internationaler Ebene implementiert werden, bedarf es einer Rückbesinnung auf die rechtsgutsbasierte Diskussion im Rahmen der ersten Entwicklungsphase des Strafrechts, natürlich unter dem Blickwinkel eines zeitgemäßen Schutzkonzepts.

legung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festlegen, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Derartige Kriminalitätsbereiche sind: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Je nach Entwicklung der Kriminalität kann der Rat einen Beschluss erlassen, in dem andere Kriminalitätsbereiche bestimmt werden, die die Kriterien dieses Absatzes erfüllen. Er beschließt einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. 233 ABl.EU Nr. C 115 v. 4. Mai 2010. 234 ABl.EU Nr. C 115 v. 4. Mai 2010, S. 15. 235 BVerfG, NJW 2009, 2267; dazu ausführlich Ambos / Rackow, ZIS 2009, 397 ff.

3. Kapitel: Ansätze zur Rechtfertigung von Strafnormen zum Schutze der Jugend A) Die inhaltliche Bestimmung des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung Der grundlegende Wandel in der Einstellung der Öffentlichkeit zur Sexualität in den sechziger Jahren war geprägt durch die Veränderung gesellschaftlicher Toleranzspielräume, Pluralität von Lebensformen und Erlebnismöglichkeiten sowie divergierende Moralvorstellungen.1 Bei der Bestimmung des Rechtsguts ist der historische Aspekt insofern nicht wegzudenken. Das an der Sexualmoral und dem Rechtsgutscharakter der Sittlichkeit orientierte Sexualstrafrecht vor dem 4. StrRG2 war durchaus ein an den geltenden sozialen Verhältnissen angelehnter und strafrechtskonstituierender Schutzgedanke, der jedoch nach heutiger Auffassung keine rechtsgutstheoretische Qualität besaß.3 Die Definitionen für Rechtsgüter sind durchaus den dynamischen, lebendigen Strukturen der Gesellschaft anzupassen, sofern ein Wesenskern als konstantes erkennbares und prüfbares Element erhalten bleibt. Damit einhergehend stellt sich die Frage, ob überhaupt der rechtsgutstheoretische Ansatz kritische Maßstäbe gegenüber der sozialen Wertordnung und den Entscheidungen des Strafgesetzgebers entwickeln kann.4 Im Bereich des Sexualstrafrechts erscheint es möglich, die Prüfungsmaßstäbe mit einer ausreichenden Festigkeit zur Anwendung zu bringen. Herrschende Gesellschaftmodelle haben eine bestimmte Halbwertzeit. Ein möglicher gesellschaftlicher Wandel vollzieht sich mit spürbarer Vorankündigung nicht binnen kürzester Zeit. Im Bereich der Sexualstraftaten wurde der Gesetzgeber auch nicht von dem kulturrevolutionären Wandel überrascht. Im Bereich der Rechtsprechung war eine Trennung von Immoralität und Sozialschädlichkeit lange nicht erkennbar. So ging der Große Senat des BGH noch davon aus, dass die Verbindlichkeit der Normen des für den Men1 2 3

4

Dazu Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 11. Vgl. oben, Kap. 2 A) I. Obgleich damals in der „Sittlichkeit“ durchaus ein Rechtsgut gesehen wurde. Die Sittlichkeit war u.a. sogar der Grund, warum im 19. Jahrhundert die Rechtsgutstheorie entwickelt wurde, denn die vorher herrschende Rechtsverletzungstheorie konnte diese Tatbestände als solche nicht erklären, vgl. dazu oben Kap. 1 B) II.2. und 4. b) cc). Swoboda, ZStW 2010, 35.

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3. Kapitel

schen erkennbaren Sittengesetzes auf der vorgegebenen und hinzunehmenden Ordnung der Werte und der das menschliche Zusammenleben regierenden Sollenssätze beruhe. „Ihr Inhalt kann sich nicht deswegen ändern, weil die Anschauungen über das, was gilt, wechseln.“5 Im sog. Fanny-Hill-Urteil, welches sich mit der Frage der „Unzüchtigkeit“ des Buches „Die Memoiren der Fanny Hill“ befasst, wendete sich der BGH jedoch im Jahre 1969 von seiner bisherigen Haltung ab und führt aus: „Die Anschauungen darüber, was in diesem Sinne gemeinschaftsschädlich wirkt und wo demnach die Toleranzgrenze gegenüber geschlechtsbezogenen Darstellungen zu ziehen ist, sind zeitbedingt und damit dem Wandel unterworfen. […] Einen solchen Wandel hat aber die allgemeine Auffassung in der jüngsten Vergangenheit offensichtlich durchgemacht […] die Rechtsprechung kann nicht an einer tiefgreifenden und nachhaltigen Änderung der allgemeinen Anschauung über die Toleranzgrenze gegenüber geschlechtsbezogenen Äußerungen vorbeigehen.“6

Während der BGH sich erst spät von seiner Diffamierung der Sexualität abkehrte7, wies Jäger bereits Ende der fünfziger Jahre kritisch auf das damalige Sexualstrafrecht hin und betonte, dass es nicht um Auflösungserscheinungen von Werteempfindungen gehe, sondern um einen ständigen Umwertungsund Umbildungsprozess: „Will man sich also nicht der Intoleranz und des Dogmatismus schuldig machen, nur eine einzige Möglichkeit der sittlichen Beurteilung anzuerkennen, was dann zur Folge hätte, dass alle Völker, Kulturen und historischen Epochen, die anders fühlen und dachten und heute noch fühlen und denken, moralische Irrwege gegangen wären, dann muss man schon von der Beweglichkeit des Sittlichen, von einer ständigen Umformung ausgehen, und es ist in der Tat nicht einzusehen, warum die Ethik, die Tabus und gerade die Normen des Sexualverhaltens von der allgemeinen und ständigen Veränderung der Dinge und der Metamorphose alles Lebenden eine Ausnahme machen soll.“8

Nach Jäger gibt es kein einheitliches Sittengesetz für alle Zeiten, alle Kulturen und alle Völker. Innerhalb der einzelnen Epochen und Zonen sind seiner Auffassung nach unverkennbare Unterschiede vorhanden. Jäger ist jedoch nicht der Meinung, dass aufgrund des Wandels die Rechtsgüterschutztheorie dem Sexualstrafrecht unzugänglich sei. Ein Rechtsgut müsse allerdings objektiv zu umreißen sein. Es müsse in jedem Teil des Gültigkeitsgebietes des Gesetzes gleich fassbar und deutlich sein.9 5 6 7 8 9

BGHSt. 6, 46. BGH, NJW 1969, 1819. Dazu ausführlich Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 8. Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 35. Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 39.

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Jedoch ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, nur die Verletzung und Gefährdung von „handfesten“ Rechtsgütern zu pönalisieren. Hanack betont diesbezüglich in seinem Gutachten zur Reform des Sexualstrafrechts, dass der Gesetzgeber auf einen vorfixierten Rechtsgutsbegriff, der für die Fragen der Strafrechtsreform wenig leiste, nicht angewiesen sei. Es müsse jedoch vom Gesetzgeber verlangt werden, dass die ratio legis jeder seiner Bestimmungen intensiv unter dem Aspekt geprüft werde, ob das unter Strafe gestellte Verhalten wirklich ein derartiges Maß an Sozialschädlichkeit aufweise und insofern die Pönalisierung als unabweisbar erscheinen lasse. Die Schwierigkeit sieht Hanack nicht bei den Delikten mit handfestem Rechtsgut wie Leben, Freiheit oder Eigentum, sondern wo es um die Gefährdung allgemeiner Zustände oder Handlungsunwerte von sozialethischer Unerträglichkeit geht. Die allgemeinen Zustände wie Menschenwürde, Volksempfinden, Sittlichkeit oder Allgemeinwohl bedürfen seiner Meinung nach des strafrechtlichen Schutzes nur ausnahmsweise und nur in speziellen Ausprägungen. Diese Voraussetzungen können als erfüllt angesehen werden, wenn sich die Verletzung unmittelbar als unzumutbarer Angriff auf den Gemeinschaftsfrieden darstellt und dadurch Sozialschädlichkeit besitzt. Bei der Pönalisierung von Handlungsunwerten muss hingegen die Unerträglichkeit eine gemeinschaftsschädliche Qualität besitzen. Insofern erfolgt der Schutz allgemeiner Zustände oder ethischer Werte nicht um ihrer selbst willen, sondern nur, wenn ihre Verletzung in eine sozialschädliche Störung umschlägt. Hanack weist zurecht darauf hin, dass dies höchst selten bejaht werden könne, da die ideelle Schädigung oder Gefährdung der Gemeinschaft kaum je eine gravierende Sozialschädlichkeit enthalte, die den unabweisbaren Schutz des Strafrechts verlange und dass dieses Problem gerade im Bereich der Sexualdelikte zu diskutieren sei.10 Es bleibt insofern festzuhalten, dass die Pönalisierung jenseits der „handfesten“ Rechtsgüter ebenfalls durch einen begründeten Rechtsgüterschutz „nicht handfester“ Rechtsgüter zu legitimieren ist. Eine Bestrafung von gravierenden sozialschädlichen Verhaltensweisen, so auch der Leitgedanke der Reformbemühungen im Rahmen des 4. StrRG, ist nur dann legitim, wenn sie ein definierbares Rechtsgut verletzt.11 Es gilt diese Maxime aufrechtzuerhalten – auch und insbesondere im Sexualstrafrecht. Die den 13. Abschnitt titulierende Überschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ beschreibt ein Rechtsgut, welches die klare Abgrenzung zur „überwiegend“ moralisch begründeten Strafgesetzgebung vor dem 4. StrRG 10 11

Hanack, Gutachten, S. A 32. Dazu Laubenthal, Sexualstrafrecht, Rn. 13.

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3. Kapitel

zu unterstreichen vermag. Die konventionelle, rollenbezogen-restriktive Sexualmoral wurde zumindest überwiegend aufgegeben. Am Grad der gesellschaftlichen Entwicklung gemessene moderne Vorstellungen standen im Vordergrund, die für die Ausgestaltung von Sexualität größere Wahlfreiheit lassen, allerdings auch strengere Anforderungen an die Art und Weise des Übereinkommens der Sexualpartner stellen.12 Die Strafnormen in §§ 174 ff. StGB enthalten nach einer ersten Gesamtbetrachtung der Straftatbestände nur noch Bestimmungen, die dem Schutz der „sexuellen Selbstbestimmung“ dienen. Sofern unter „sexueller Selbstbestimmung“ das Abwehrrecht des Einzelnen zu verstehen ist, nicht gegen seinen Willen zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht zu werden, so ist das Schutzobjekt dort zutreffend gekennzeichnet, wo mit der Tat die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung verletzt wird.13 Als Rechtsgut ist die sexuelle Selbstbestimmung jedoch sehr weit auszulegen und im Hinblick auf die Gesamtheit der Normen im 13. Abschnitt nicht abschließend. Das Selbstbestimmungsrecht schützt vorrangig die „freie“ Entscheidung über das „Ob“, das „Wann“ und das „Wie“ einer sexuellen Begegnung. Sofern ein erzwungener Sexualkontakt erfolgt, ist die Verletzung des Rechtsguts evident. Verkörpert wird dies insbesondere durch die Vorschriften §§ 177 bis 179, 174a Abs. 2, 174c StGB.14 Sofern Personen zu einer rechtlich relevanten Willensbildung nicht in der Lage sind, soll das sexuelle Selbstbestimmungsrecht ebenso gelten, da jede sexuelle Handlung mit Körperkontakt in die Rechtssphäre des anderen eingreift und seine körperliche Integrität berührt. Vom Rechtsgut erfasst werden daher auch die Fälle, in denen jemand ohne seine Zustimmung veranlasst wird, sexuelle Handlungen vor anderen vorzunehmen oder wenn jemand ohne seine Zustimmung in ein sexuelles Geschehen miteinbezogen wird oder wenn er mit sexuellen Vorgängen konfrontiert wird, die er nicht ohne Weiteres verarbeiten kann.15 Der hohe Abstraktionsgrad der Titelumschreibung des 13. Abschnittes wird insofern offen hingenommen und durch § 184g Nr. 1 StGB aufgegriffen. Demnach sind sexuelle Handlungen nur solche, die „im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut“ von einiger Erheblichkeit sind. Die Tatbestände des 13. Abschnittes können insofern mehrere Rechtsgüter schützen. Aufgrund der Erheblichkeitsklausel kann dieser Umstand zudem dazu führen, dass ein 12 13 14 15

Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 27. Perron / Eisele, Sch / Schr., Vorbem. §§ 174 ff., Rn. 1. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 16. Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 9.

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und dieselbe Handlung je nach der Schutzrichtung des betreffenden Tatbestandes verschieden zu bewerten ist.16 Das Bekenntnis zum Rechtsgut der „freien sexuellen Selbstbestimmung“, verstanden als Abwehrrecht, ist vorrangig ein Bekenntnis zur Abkehr des moralischen Sexualstrafrechts. Es ist ferner als erste Rechtsgüterstufe zu verstehen und bildet im Rahmen der „nicht handfesten Rechtsgüter“ des Sexualstrafrechts einen wichtigen Ausgangspunkt. Der wesentlich handfeste Kern des Rechtsguts ist das Recht auf Achtung der Intimsphäre.17 Die Intimsphäre gehört zu dem unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung.18 Auch wenn sich eine moderne Gesellschaft gegenüber Sexualverhalten aufgeschlossen und „enttabuisiert“ zeigt, gibt es Bereiche privater Lebensgestaltung, die der Allgemeinheit verschlossen bleiben sollen. Das Recht auf Achtung der Intimsphäre ist qualitativ auch umfassender als der bloße Schutz vor körperlichen Folgen. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte kann die Privatsphäre des Individuums gegen Eingriffe in den Sexualbereich nur durch das Vorhandensein von Strafvorschriften wirksam (durch Abschreckung) geschützt werden.19 Das Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung beinhaltet auch eine flexible Komponente und muss bei gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungsprozessen nicht unentwegt in Gänze neu überarbeitet werden. Im Bereich der Jugendschutzdelikte reicht das allgemeine Verständnis vom Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung in methodischer Hinsicht jedoch nicht aus, um dem rechtsgutstheoretischen Ansatz gerecht zu werden. Es muss vielmehr spezifiziert werden und darf den Blick auf weitere und von der sexuellen Selbstbestimmung unabhängige Rechtsgüter nicht verbauen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam bereits Jäger im Jahre 1957, als er den 13. Abschnitt des StGB vor dem Hintergrund „Rechtsgut und Sittlichkeit“ untersuchte. Jäger resümierte, dass die „geschlechtliche Sittlichkeit“ nicht das einheitliche Rechtsgut aller Tatbestände des 13. Abschnittes darstelle. Er argumentiert, dass die Gesetzesüberschrift „Verbrechen und Vergehen wider der Sittlichkeit“ keine ausreichende Begründung für eine solche Annahme zulasse, jedoch das Gesetz selbst aufgrund seiner ganzen Struktur nach auf sehr viel konkretere Schutzobjekte, wie z.B. den Jugendschutz, bezogen sei. 16 17 18 19

Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184g, Rn. 16. Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 29. Mitunter umfangreich in dem Urteil zur akustischen Wohnraumüberwachung dargelegt, BVerGE 109, 279 u.319 sowie u.a. BVerfG, NJW 2009, 3357; NJW 2010, 1440. EGMR, NJW 1985, 2075.

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Daher verlange die Spezialisierung der Tatbestände eine entsprechende Spezialisierung der zu schützenden Güter.20 Obgleich dieses Resümee im Hinblick auf das Spezialisierungserfordernis auch auf den gegenwärtigen Rechtszustand übernommen werden kann, ist der Fortschritt von der Moralorientierung zum festen Rechtsgüterschutz zu betonen. Erst diese Entwicklung im Sexualstrafrecht macht es möglich, eine auf rechtsgutstheoretischen Füßen stehende Prüfung weiterer Rechtsgüter vorzunehmen und rechtsgüterfremde Elemente zu erkennen – um es mit den Worten von Lautmann zu sagen: „[…] sexualpolitisch geboten scheint eher, im Namen der Freiheit die reinen Moraldelikte zu attackieren“.21

B) Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht Jugendlicher Soll die sexuelle Selbstbestimmung der Minderjährigen als Rechtsgut durch Strafverbote geschützt werden, entsteht bei der Auslegung des normativen Rechtsguts ein Widerspruch. Denn die „positive Selbstbestimmungsfreiheit“ setzt eine Einwilligungsfähigkeit voraus. Ist die sexuelle Selbstbestimmung zu verstehen als Recht auf freie Entfaltung der eigenen Sexualität, nicht gegen den Willen zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht zu werden, so betrifft das vorrangig Strafnormen, wo mit der Tat die Freiheit dieser sexuellen Selbstbestimmung unmittelbar verletzt wird.22 Das Rechtsgut erfasst im Rahmen einer solchen engen Sichtweise jedoch nicht solche Personen, die zu einer rechtlich relevanten Willensbildung nicht in der Lage sind. Dies wird beim Schutz von Kindern besonders deutlich. Kinder können nicht wirksam einwilligen, um ihr Sexualleben nach eigenen Wünschen zu gestalten.23 Sie besitzen in diesem Bereich mangels physischer und psychischer Entwicklung keine positive Dispositionsfreiheit. Zudem haben Erwachsene keinen Anspruch auf Sexualkontakt mit bestimmten Personen (Kinder, Widerstandsunfähige usw.). Somit würde bei Annahme einer ausschließlich positiven Selbstbestimmungsfreiheit das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung auf Fälle reduziert werden, in denen jeweils rechtswirksame Einwilligungen

20 21 22

23

Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 38. Lautmann, ZRP 1980, 44. Etwa bei § 177 StGB: Das Rechtsgut ist die freie sexuelle Selbstbestimmung einer Person, d.h. die Freiheit des einzelnen, nicht gegen den eigenen Willen sexuelle Körperkontakte mit anderen dulden oder sexuelle Handlungen vornehmen zu müssen. Siehe dazu Hörnle, LK, § 177, Rn. 1. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 342.

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(theoretisch) erteilt werden könnten bzw. im Falle einer Rechtsgutsverletzung die sexuelle Interaktion von einem Teil faktisch nicht gewollt war. Versteht man das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nicht ausschließlich in einem positiven Sinn als Recht auf freie Entfaltung der eigenen Sexualität, sondern als Abwehrrecht, erschließt sich ein Schutzbereich, der Kinder und Jugendliche gleichermaßen erfasst. Die sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht ist zu verstehen als Freiheit davor, zum Objekt fremdbestimmter sexueller Übergriffe herabgewürdigt zu werden.24 Das Abwehrrecht gegen Zugriffe anderer ist quasi als Kehrseite der positiven Selbstbestimmungsfreiheit zu verstehen. Während die positive Selbstbestimmung auch im Sinne der Erkenntnisse aus der Reform des Sexualstrafrechts25 grundsätzlich die Entscheidungsfreiheit und Entscheidungsfähigkeit voraussetzt (freie Entscheidung über das „Ob“, das „Wann“ und das „Wie“ einer sexuellen Beziehung), beschreibt die sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht insbesondere Situationen, in denen auch unter „normalen Umständen“ es einer Einwilligungsfähigkeit nicht bedarf, d.h. das Opfer ist unfähig, in rechtserheblicher Weise über sein Sexualleben zu disponieren. Wenn Minderjährigen insofern ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zugesprochen wird, haben sie ein Abwehrrecht gegen Dritte vor sexueller Fremdbestimmung. Dieses konkretisiert sich in der Form, dass einwilligungsunfähige Minderjährige nicht in sexuelle Handlungen involviert werden dürfen. Es ist insofern nachvollziehbar, das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung dahingehend auszulegen, dass die als Abwehrrecht gegen Zugriffe anderer verstandene Selbstbestimmungsfreiheit wesentliches Element des Schutzkonzeptes ist.26 Inhaltlich bestimmt wird das Rechtsgut zunächst durch die gem. Art. 2 Abs. 1 GG garantierte persönliche Freiheit.27 Dies erscheint jedoch im Hinblick auf das zu verdeutlichende Tatunrecht als nicht ausreichend, was im Vergleich mit anderen Strafnormen deutlich wird. So schützt etwa § 240 StGB die Willens24 25

26 27

Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 49; Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 7. Als Individualrechtsgüter werden im Gesetzentwurf neben der Freiheit zu geschlechtlicher Selbstbestimmung, die ungestörte sexuelle Entwicklung des jungen Menschen, der Schutz vor schwerwiegenden Belästigungen in sexueller Hinsicht aufgeführt, als Rechtsgüter der Allgemeinheit insbesondere die unter dem staatlichen Schutz stehende Ehe und Familie und im Hinblick auf den Jugendschutz „gemischte“ Rechtsgüter, die sich gegen grundlegende Regeln und Einrichtungen des menschlichen Zusammenlebens richten und zugleich die „soziale Orientierung“ des einzelnen jungen Menschen beeinträchtigen, BT-Drs. VI/1552, S. 9 f. Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 28 und 38; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 1; Frommel, NK, § 174, Rn. 8. Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 7.

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bildungs- und Willensbetätigungsfreiheit, die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet wird.28 Vergleicht man jedoch den Strafrahmen des § 240 StGB mit denen der meisten Sexualdelikte29, so wird das Rechtsgut durch § 240 StGB mit einem wesentlich niedrigeren Strafrahmen geschützt.30 Das besondere Merkmal bei sexuellen Handlungen im Vergleich zu sonstigen Eingriffen in die selbstbestimmte Lebensführung wird nach Rechtsprechung des BVerfG als „unantastbarer Bereich der privaten Lebensführung bezeichnet“.31 Somit wird dem Recht auf Achtung der Intimsphäre als wichtige Basis der sexuellen Selbstbestimmung Geltung verliehen. Denn jede sexuelle Handlung greift in die Rechtssphäre des anderen ein und berührt seine körperliche Integrität. Wenn Personen zu einer rechtlich relevanten Willensbildung nicht in der Lage sind, fehlt die erforderliche Zustimmung und der andere wird zum Objekt fremdbestimmter sexueller Begierde herabgewürdigt.32 Somit wird das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung als Abwehrrecht auch durch Art. 1 Abs. 1 GG inhaltlich bestimmt. Sofern es um den Schutz von Kindern geht, ist die dargelegte sexuelle Selbstbestimmungsfreiheit als Abwehrrecht ein schlüssiges Konzept. Die Auslegung des normativen Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung in diesem Sinne ist jedoch vorrangig eine systemimmanente Rechtsgutsbestimmung. Bei Jugendlichen besteht die Schwierigkeit gerade darin, dass weder eine generell fehlende Einwilligungsfähigkeit noch ein autonomes Handeln gänzlich angenommen werden kann. Wenn die Jugendschutzdelikte §§ 174, 180 und 182 StGB im Rahmen des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung als Abwehrrecht legitimiert werden, bleibt das kritische Kriterium des sexuellen Entwicklungsstandes und der damit verbundenen Einwilligungsfähigkeit unberücksichtigt. Erwachsene haben Eingriffe in die Intimsphäre der Jugendlichen (nur) unter bestimmten Bedingungen zu unterlassen. Diese Bedingungen sind der jeweiligen Strafnorm zu entnehmen. Stellt sich hingegen die Frage nach etwaigen schädlichen Entwicklungen nach sexuellen Interaktionen mit Erwachsenen, bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung, die mitunter den 28 29

30 31 32

BGH, NStZ 2004, 385; Eser / Eisele, Sch / Schr., § 240, Rn. 1. Vgl. § 240 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) mit § 174 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren), §§ 180 Abs. 2 u. 3, 182 Abs. 1 u. 2 StGB (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe), außerhalb der Jugendschutzdelikte § 177 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr = Verbrechen). Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 29. BVerfGE 6, 32 (41); 38, 316 (320); 80, 367 (374); 89, 69 (84); 96, 10 (21); 109, 279 (319). Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 29; Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 7.

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rein systemtheoretisch-teleologischen Bereich verlässt und den tatsächlichen Pönalisierungsbedarf anhand der aktuellen Erkenntnisse aus interdisziplinärer Forschung erfasst.

C) Schutz der ungestörten Entwicklung Der Rechtsgüterschutz im Hinblick auf Jugendliche erfasst nach allgemeinem Verständnis auch oder ausschließlich den Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung von Jugendlichen.33 Für Kinder gilt ein unbeschränkter Schutz, da sexuelle Kontakte jeglicher Art als schädlich angesehen werden. Kindern sollen insbesondere durch die Straftatbestände §§ 176, 176a, 176b StGB in ihrer Entwicklung von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen freigehalten werden.34 Bei sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern besteht ein Machtgefälle, welches sich durch die Begriffe Autorität, Abhängigkeit, Überordnung und Willensbeeinflussung beschreiben lässt. Es geht dabei vorrangig um die Missachtung und Ausnutzung der Unerfahrenheit und der geringen Widerstandskraft. Bei Kindern ist es noch nicht zu einer echten Willensbildung mit den dazugehörigen Erkenntnisfähigkeiten gekommen.35 Hingegen wird die ausgeprägte Fähigkeit der sexuellen Selbstbestimmung unter normalen Entwicklungsbedingungen Personen über 18 Jahren zugesprochen. In Abgrenzung zu dem absoluten Verbot der sexuellen Handlungen Erwachsener mit Kindern einerseits und dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht von Erwachsenen andererseits, bereitet es jedoch Schwierigkeiten zu bestimmen, nach welchem Maßstab eine sexuelle Entwicklung von Jugendlichen verlaufen sollte und wann von einer Fehlentwicklung gesprochen werden kann. Ferner ist unklar, welche Auswirkungen sexuelle Handlungen auf Jugendliche haben und ob diese eine langfristige Fehlentwicklung bewirken können.36 Dass sexuelle Kontakte in einer dem durchschnittlichen Entwicklungsstand unüblichen Art und Weise zu einer späteren sexuellen Fehlentwicklung führen können, ist eine theoretische Unterstellung, die sich nur bedingt empirisch nachweisen lässt. Der wesentlich zu schützende Zustand in diesem Sinne ist vielmehr die grundsätzliche Entwicklung in einem gesellschaftlichen Kontext. Die ungestörte sozialkonforme Entwicklung ist demnach der Maßstab. Eine 33 34 35 36

Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 26; Perron / Eisele, Sch / Schr., Vorbem. §§ 174 ff., Rn. 1; Schroeder, NJW 1994, 1502; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 55. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 54. Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 49–50. Zur kritischen Fragestellung Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 26.

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bloße Reduzierung auf eine mögliche sexuelle Fehlentwicklung erscheint zu kurz gegriffen. Die Frage, ob der Jugendliche durch bestimmte Sexualkontakte vom rechten Weg abgebracht werden kann, entkoppelt sich nur dann von Unmoral und ethischer Verwerflichkeit, wenn die Gefahr einer Desorientierung im gesellschaftlichen Gefüge besteht. Nur wenn die Freiheit und Sicherheit als Grundvoraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben beeinträchtigt werden, kann eine Strafandrohung in diesem Zusammenhang gerechtfertigt werden.37 Eine solche Sichtweise konturiert gerade in den Fällen nicht handfester Rechtsgüter den Schutzbedarf. Setzt man zudem die dem Jugendschutz durch das BVerfG zugesprochenen Rechtsgüter mit Verfassungsrang ins Verhältnis, wird deutlich, dass auch eine verfassungsrechtliche Legitimation diesem Ansatz zugrunde liegt.38 Das in Art. 6 Abs. 2 GG verbriefte elterliche Erziehungsrecht ist demnach genauso ein Element des Jugendschutzes wie die Gewährleistungen von Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG.39 Im Sinne dieser Grundrechtsnorm haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Sie bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln.40 Das gilt nicht ausschließlich, aber insbesondere für ihre Bewahrung vor sexuellen Gefahren und die Ermöglichung einer das Persönlichkeitsrecht achtenden Sexualerziehung.41 Der Staat wird insofern berechtigt, von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, die sich auf ihre Einstellung zum Geschlechtsleben und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können.42

D) Das Verhältnis zwischen der „sexuellen Selbstbestimmung“ und der „ungestörten Entwicklung“ Jugendlicher Wird angenommen, dass zum Zeitpunkt der Tathandlung die sexuelle Selbstbestimmung von Jugendlichen verletzt wird und zudem die ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen als Schutzgut zumindest abstrakt gefährdet ist, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Positionen zueinander stehen. Dabei erscheinen drei mögliche Konstellationen diskussionswürdig: Zum einen können beide Begriffe als gleichrangige Schutzgüter angesehen 37 38 39 40 41 42

Vgl. dazu Roxin, Strafrecht AT, § 2, Rn. 17. Vgl. dazu Langenfeld, MMR 2003, 305. BVerfG, NVwZ 2009, 907. BVerfGE 79, 51 (63). BVerfGE 47, 46 (72). BVerfGE 83, 130 (140).

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werden, die jeweils für sich einen Schutzzweck in Anspruch nehmen. Die Schutzbereiche könnten in Teilen übereinstimmen, sie müssten jedoch nicht zwangsläufig deckungsgleich sein. Ferner kann angenommen werden, dass die beiden Begriffe sich gegenseitig bedingen, insofern ein „Zwischenrechtsgut“ existent ist, welches dann durch die zweite Position konkretisiert wird. Schließlich ist denkbar, dass bei Annahme autonomer Rechtsgutspositionen eine gewisse Rangfolge in Betracht kommt, die dann ein Rechtsgut in den Vordergrund stellt bzw. das andere in eine subsidiäre Position verdrängt. (1) Werden im Rahmen der Beschreibung der zu schützenden Rechtsgüter den jeweiligen Jugendschutzdelikten sowohl die sexuelle Selbstbestimmung als auch die ungestörte geschlechtliche oder sexuelle Entwicklung gleichermaßen oder in einem nicht näher beschriebenen Verhältnis angeführt43, ergeben sich unterschiedliche Perspektiven, die insbesondere dem jeweiligen Legitimationsrahmen individuelle Grenzen verleihen. Aus der Perspektive des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung Jugendlicher steht die Frage im Vordergrund, ab wann die eingeschränkt zugebilligte Dispositionsfreiheit der 14- bis 17Jährigen durch im Regelfall äußere Einwirkungen derart beeinträchtigt wird, dass von einer Einwilligungsunfähigkeit ausgegangen werden kann. Zu denken ist an die (beeinträchtigte) sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit von Jugendlichen in bestimmten Abhängigkeitsverhältnissen (§ 174 StGB), in Zwangslagen (§ 182 Abs. 2 StGB) oder im Rahmen von willensbeeinflussenden Zuwendungen (§§ 180 Abs. 2, 182 Abs. 2 StGB). Die jeweilige Verletzungshandlung konkretisiert sich in der durch den Täter mit bestimmten Mitteln erwirkten oder vermittelten sexuellen Handlung. Wesentliche Bewertungselemente im Rahmen einer auf die sexuelle Selbstbestimmung abstellenden rechtsgutstheoretischen Diskussion sind somit Grad der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen (i.d.R. festgelegt durch die Schutzaltersklasse), äußere Einwirkung des Täters (Tathandlungsqualität) und weitere ggf. nicht durch die Tathandlung selbst sich konkretisierende Faktoren (z. B. familiäre, sonstige erzieherische oder gruppenbedingte Abhängigkeit des Opfers). Ändert sich insofern eins dieser Merkmale, gerät das Schutzkonzept ins Wanken bzw. bedarf einer neuen Überprüfung. Eine diesbezüglich berechtigte Kritik am Schutzkonzept könnte dann formuliert werden, wenn etwa im Rahmen der gesellschaftlichen Veränderungen dem Jugendlichen „mehr Widerstand“ gegen das Ansinnen des Täters zugetraut werden kann. Ist der Jugendliche „aufgeklärter als früher“ und wird er früher in gesellschaftliche 43

So etwa BGH, NJW 1995, 2235; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 1, § 180, Rn. 1, § 182, Rn. 2; Ziegler, OK-StGB, § 174, Rn. 2.

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Verantwortungsbereiche integriert, erscheint ein auf sexueller Selbstbestimmung basierendes Konzept, welches im Rahmen seiner Entstehung von „veralteten“ Prämissen ausging, überholungsbedürftig. Sofern die ungestörte Entwicklung des Jugendlichen neben der sexuellen Selbstbestimmung als eigenständiges Rechtsgut betrachtet wird, steht die Problematik im Vordergrund, dass es eben nicht möglich ist, für jeden Einzelfall die schädlichen Folgen nachzuweisen. Der Schutz vor Gefahren von Spätfolgen ist jedoch dann ausnahmsweise möglich, wenn durch die Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt es eines Schadens nicht bedarf. Folgt man dieser ersten aufgeworfenen These, dass zwei Positionen mit Rechtsgutsqualität den Schutzbereich bestimmen, stünden der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, mit der Konsequenz der Einordnung als Verletzungsdelikt, und der Schutz der ungestörten Entwicklung Jugendlicher, mit der Konsequenz der Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt, nebeneinander. In der Begründung würde stets die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit im Vordergrund stehen, da sie den Charakter des Unrechts vollständig verdeutlicht.44 Die Pönalisierung von abstrakten Gefährdungen stellt die Ausnahme dar und kommt gerade nur dann in Betracht, wenn das zu pönalisierende Unrecht sich nicht in einer Verletzungshandlung widerspiegelt. Die doppelte Schutzrichtung wäre auch vor dem Hintergrund des bestehenden individuellen Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung problematisch. Warum einem überindividuellen Interesse neben dem Schutz des individuellen Rechtsguts eine eigenständige Bedeutung für die Norm zukommen soll, erschließt sich nicht.45 Auch bestünde die Gefahr, dass bei veränderten Prämissen die am Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung zu übende Kritik durch eine Überlagerung des Schutzguts der ungestörten Entwicklung Jugendlicher relativiert werden könnte. Insofern bleibt für die Annahme der gleichberechtigten Geltung beider Rechtsgüter kein Raum. (2) Sieht man von einer grundsätzlich doppelten und gleichberechtigten Schutzrichtung ab46, wäre denkbar, dass die ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen gleichsam eine Konkretisierung der sexuellen Selbstbestim44 45 46

Vgl. dazu Hörnle, LK, § 174, Rn. 1. Renzikowski, MK § 182, Rn. 1. Ausschließlich das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung anerkennend Frommel, NK, § 174, Rn. 8; Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 28, § 174, Rn. 1, § 180, Rn. 3 u. 5, § 182, Rn. 1; Renzikowski, MK, Vor § 174, Rn. 9, § 174, Rn. 1, § 180, Rn. 2, § 182, Rn. 2; vornehmlich oder ausschließlich das Rechtsgut der ungestörten Entwicklung anerkennend Lackner / Kühl, § 174, Rn. 1, § 180, Rn. 1a, § 182, Rn. 1; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 402; Ziegler, OK-StGB, § 174, Rn. 2.

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mung ist, ohne dass ihr ein eigenständiger Rechtsgutscharakter zukommt. Als gemeinsamer Bezugspunkt beider Schutzrichtungen kommt demnach der konkrete Schutz des durch die Tat betroffenen Jugendlichen in Betracht.47 Sofern der Jugendliche im Hinblick auf das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung noch nicht die gereifte und gefestigte Persönlichkeit besitzt, um sich gegen die sexuellen Übergriffe des Täters zu wehren, ist nicht nur die Einwilligungsfähigkeit im Hinblick auf eine konkrete Tatsituation zu berücksichtigen. Dem Jugendlichen fehlt ggf. nicht nur die Fähigkeit in konkreten Einzelsituationen über die sexuelle Interaktion zu entscheiden, sondern er vermag auch nicht seine weitere Entwicklung und soziale Integration, die bedingt durch die konkrete sexuelle Interaktion beeinflusst werden kann, zu überblicken. Soll nun bestimmt werden, unter welchen Bedingungen der Jugendliche die „Tragweite“ seiner Handlung nicht einschätzen kann, bedarf es auch einer Thematisierung dieser bezeichneten „Tragweite“. Besonders deutlich wird das Erfordernis der Einbeziehung des Merkmals der Entwicklungsstörung, wenn die Tatbestände der sexuellen Handlungen gegen Entgelt gem. §§ 180 Abs. 2, 182 Abs. 2 StGB betrachtet werden. Geht es nur darum, dass der Täter das Opfer durch materielle Anreize zu sexuellen Handlungen im Einzelfall überredet, wird die Diskussion um das Erfordernis der Pönalisierung und die Gestaltung der Strafnorm sicherlich unter anderen Aspekten geführt, als wenn die „Gefahr des Abgleitens in die Prostitution“ besteht. In beiden Fällen wird das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung Jugendlicher geschützt. Werden in der rechtsgutstheoretischen Diskussion mögliche Folgeschäden nicht mit berücksichtigt, beschränkt sich der Unrechtscharakter auf das zwischen Täter und Opfer im Einzelfall vereinbarte do-utdes-Verhältnis. Warum dann eine geringe Entgeltleistung von beispielsweise fünf Euro oder ein als Gegenleistung für die sexuelle Handlung spendierter Kinobesuch die eingeschränkte Einwilligungsfähigkeit des Jugendlichen, der vielleicht 80 Euro Taschengeld im Monat zur Verfügung hat, derart beeinflussen können soll, dass dieser nicht mehr rechtswirksam in die sexuelle Interaktion einwilligen kann, erschließt sich nicht.48 Erst wenn hinter der Entgeltlichkeit (und seien es nur fünf Euro) die Gefahr der Rechtfertigung der Kommerzialisierung eigener Sexualität begründet wird, erscheint die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit der entgeltlichen sexuellen Handlungen mit Jugendlichen in einem anderen Licht.49 Für die eigenverantwortliche Aufnah47 48 49

Ähnlich Renzikowski, MK, § 182, Rn. 1. Vgl. dazu Vormbaum, JZ 2008, 245. Zur Analyse des § 182 Abs. 2 StGB und zur Problematisierung der Pönalisierung entgeltlicher sexueller Handlungen, siehe unten Kap. 4 A) III. 3. b) aa).

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3. Kapitel

me der Prostitution fehlt dem Minderjährigen die erforderliche Fähigkeit, die Tragweite und die Bedeutung der Entscheidung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Somit kann das Element der sexuellen Fehlentwicklung auch mit dem Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung erklärt werden.50 Der BGH, der auch auf das Rechtsgut der sexuellen Freiheit und sexuellen Selbstbestimmung verweist, argumentiert, dass insbesondere der Verlauf der sexuellen Entwicklung der Tatopfer vor Beginn der Tat und die Folgen des Verhaltens des Täters für die weitere Entwicklung zu berücksichtigen seien.51 Ein gänzlicher Verzicht auf die Argumente der Entwicklung Jugendlicher ist daher nicht dienlich, auch wenn das Individualrechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung dann alleinige Rechtsgutsqualität besitzt. (3) Dem Schutz der ungestörten Entwicklung von Jugendlichen kommt nur dann eigenständige Rechtsgutsqualität zu, wenn das sexuelle Selbstbestimmungsrecht nicht tangiert ist. Dies betrifft im Regelfall Strafnormen, die keine konkrete Interaktion des Jugendlichen voraussetzen, wie §§ 184 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3a, 5 StGB, 184c, 184f StGB. Die eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen wird insofern nicht beansprucht. Umrissen wird somit ein engerer Bereich von Einflüssen, vor denen Jugendliche ferngehalten werden sollen. Bei diesen für Jugendliche ausgewiesenen Tabubereichen wird angenommen, dass sie sich auf ihre Einstellung zum Geschlechtsleben und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können.52 Nach Hörnle betrifft dies die „Jugendschutztatbestände i.e.S.“, die primär selbstschädigendes Verhalten des Minderjährigen unterbinden sollen. Demnach umfasse der geschützte Bereich vor allem langfristige Eigeninteressen der betroffenen Personen und nicht etwa öffentliche Interessen. Es handele sich bei den „Jugendschutztatbeständen i.e.S.“ somit um „paternalistische Verbote“.53 Das Merkmal des selbstschädigenden Verhaltens bedarf jedoch der weiteren Konkretisierung, da sich die Selbstschädigung gerade nicht als erfassbare Verletzung konkretisiert, sondern sich in einer Fehlentwicklung niederschlägt. Der Bezugspunkt für die Annahme einer solchen Fehlentwicklung ist der gesellschaftliche Kontext, d.h. als Maßstab kommt die ungestörte „sozialkonforme“ Entwicklung in Betracht.54

50 51 52 53 54

Vgl. dazu Renzikowski, MK, § 180, Rn. 4. BGH, NStZ 1993, 553 und BGH, NJW 1995, 2235. Siehe oben Kap. 3 C). Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 74. Siehe oben Kap. 3 C).

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Dass einem so definierten Begriff Rechtsgutsqualität zukommt, hat das BVerfG in mehreren Entscheidungen verdeutlicht. So wird der Jugendschutz in diesem Sinne als Ziel von bedeutendem Rang und wichtiges Gemeinschaftsanliegen angesehen.55 Insofern kann der Jugendschutz selbst Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt wie die Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG einschränken.56 Die Legitimation von Strafnormen zum Schutze der ungestörten Entwicklung Jugendlicher wird somit überwiegend anerkannt57 – allerdings selten hinterfragt.58 Die Problemstellungen im Hinblick auf den Schutz der ungestörten Entwicklung Jugendlicher sind jedoch vielschichtig. Neben einer inhaltlichen Bestimmung des Rechtsguts stellt sich insbesondere die Frage nach dem Erfordernis eines strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes unter Beachtung außerstrafrechtlicher Schutzkonzepte. Da diese Fragen im Rahmen der Analyse der einzelnen Tatbestände thematisiert werden, bleibt im Hinblick auf das zu diskutierende Rechtsgut festzuhalten, dass der Jugendschutz i.e.S – konkretisiert als der Schutz vor ungestörter Entwicklung – immer dann als Rechtsgut heranzuziehen ist, wenn die sexuelle Selbstbestimmung mangels einer willensbeeinflussenden Tathandlung nicht in Betracht kommt.

E) Empirische Erkenntnisse zur sexuellen Entwicklung Jugendlicher Die Rechtswissenschaft kann nicht beantworten, wann eine sexuelle Entwicklung von Jugendlichen tatsächlich (und nicht positivistisch) fehlerhaft verläuft. Insofern soll im Folgenden knapp der gegenwärtige Forschungsstand anhand einer repräsentativen Wiederholungsbefragung von 14- bis 17-Jährigen dargelegt werden.59 Über den längeren Zeitraum von 25 Jahren betrachtet, erfolgt der Einstieg ins Geschlechtsleben von Mädchen wie Jungen heute früher als Anfang der 55 56 57

58 59

BVerfGE 30, 336 (347); 77, 346 (356); 83, 130 (139); auch BGH, NJW 1995, 2235. BVerfGE 83, 130 (139). Vgl. dazu BT-Drs. VI/1552, S. 33; VI/3521, S. 59; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 194; Hörnle, MK, § 184, Rn. 2; Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 56; Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184, Rn. 1. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 195. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung führt zum Thema Jugendsexualität eine repräsentative Wiederholungsbefragung von 14- bis 17-Jährigen und ihren Eltern durch. Bei der hier verwendeten Studie aus dem Jahre 2006 (große Stichprobe von 2.497 Jugendlichen) handelt es sich um eine Replikationsstudie zu fünf vorhergehenden Untersuchungen in den Jahren 1980, 1994, 1996, 1998 und 2001, siehe BZgA, Studie, S. 3.

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Achtzigerjahre. Heute haben sowohl mehr Mädchen als auch mehr Jungen im Alter von 14 bis 17 Jahren schon einmal Intimverkehr gehabt. Dabei liegen die Jungen stets etwas zurück, allerdings haben sie im Verhältnis zu den Mädchen seit 1980 aufgeholt. Der Anteil der Jungen mit Geschlechtsverkehr-Erfahrung hat sich von 1980 (15%) bis 2006 (33%) mehr als verdoppelt. 39% der Mädchen und 33% der Jungen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren haben Geschlechtsverkehr gehabt. Anteile in den einzelnen Altersgruppen (Mädchen / Jungen): 12/10% der 14-Jährigen, 23/20% der 15-Jährigen, 47/35% der 16Jährigen und 73/66% der 17-Jährigen.60 Eltern stellen zudem eine wichtige Vermittlungsinstanz dar. Sowohl im Bereich der sexuellen Aufklärung wie auch als Vertrauensperson in sexuellen Fragen sind die Eltern in den vergangenen 25 Jahren zunehmend wichtiger geworden.61 Im Hinblick auf sexuelle Gewalt gaben 37% aller Mädchen, die mit ihrem ersten Sexualpartner kaum oder nicht bekannt waren, an, schon einmal Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein. Dies bezieht sich insbesondere auf neue Bekanntschaften oder unbekannte Männer. Der Auswertung der Studie folgend erhöht ein unsicheres Umfeld die Wahrscheinlichkeit, sexueller Gewalt zum Opfer zu fallen. In 62% der Fälle gelingt es den Mädchen, die Situation unbeschadet zu überstehen, d.h. es kommt nicht zu sexuellen Handlungen.62 Die Medienpräferenzen sind zudem je nach Geschlecht unterschiedlich. So haben Mädchen und Jungen unterschiedliche Vorstellungen, aus welchen Medien sie ihren Informationsbedarf gern decken würden. Mädchen favorisieren dabei eher Printmedien. Dabei werden Jugendzeitschriften und Bücher von etwa 40% der befragten Mädchen genannt, Aufklärungsbroschüren und Illustrierte / Zeitungen von jeweils knapp über 30%. Jungen beziehen stärker visuelle und technische Medien mit ein. Internet (26%) und Fernsehfilme (25%) werden etwa genauso oft genannt wie Bücher, Aufklärungsbroschüren und Illustrierte. Zudem sind Videos und Computerspiele für Jungen deutlich attraktivere Medien als für Mädchen. Das Medium Internet spielt eine herausragende Bedeutung. 92% der Jungen und 90% der Mädchen nutzen regelmäßig das Internet. Die Nutzung des Internets durch Mädchen hat sich dabei verän-

60 61 62

BZgA, Studie, S. 7 und 81. BZgA, Studie, S. 6. BZgA, Studie, S. 120.

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dert. Im Jahr 2001 nutzten erst 75% der Mädchen (Jungen 2001: 81%) das Internet.63 Im Bereich der schulischen Sexualerziehung ist seit 2005 endgültig eine Parität zwischen West- und Ostdeutschland hinsichtlich der Sexualerziehung an Schulen festzustellen. Während noch 1996 nur etwa die Hälfte der ostdeutschen Jugendlichen über die Schulen mit Sexualerziehungsthemen in Berührung kamen, waren es 2006 in beiden Landesteilen gleichermaßen neun von zehn der Mädchen und Jungen im Alter zwischen 14 und 17. Der Schulunterricht ist insofern für Jungen die meistgenannte und für Mädchen die zweithäufigste angeführte Quelle für Kenntnisse über Sexualität. Interessant dabei ist, dass Lehrer vor allem von den jüngeren Schülerinnen und Schülern als gewünschte Personen für die Wissensvermittlung – insbesondere in Bereichen, in denen sie sich noch nicht ausreichend informiert fühlen – genannt werden. Die wichtige Rolle des Schulunterrichts bei der Sexualaufklärung – und somit auch bei der späteren Sexualentwicklung – wird auch durch die Funktion von Lehrern als Ansprechpartner zu sexuellen Themen unterstrichen. Nach der Mutter oder der besten Freundin oder dem besten Freund sind Lehrer für Mädchen die dritthäufigst genannten Personen bei der Aufklärung über sexuelle Dinge. Ein knappes Drittel der Mädchen (31 %) nennt Lehrer als eine der wichtigsten Quellen der Sexualaufklärung. Bei Jungen rangieren Lehrer mit 38% sogar auf dem zweiten Platz hinter der Mutter (42%). Eine überdurchschnittlich wichtige Funktion nehmen Lehrer zudem dann ein, wenn Eltern als primäre Ansprechpartner nur begrenzt oder gar nicht zur Verfügung stehen. Auffällig war auch, dass bei der kleinen Gruppe von Schülern, die keine schulische Sexualerziehung erhielten, auch die elterliche Beratung nicht gegeben war.64 Was die Themenbereiche im Rahmen der schulischen Sexualerziehung anbelangt, so sehen sowohl Mädchen als auch Jungen in den Bereichen sexuelle Praktiken und Reaktionen und Geschlechtskrankheiten ihre größten Wissenslücken. Für Mädchen folgen in der Rangliste geschlechtsspezifische Themenbereiche wie Schwangerschaftsabbruch, Entwicklung des Ungeborenen, Schwangerschaft, Geburt und sexuelle Gewalt. Jungen fühlen sich neben den Themenbereichen sexuelle Praktiken und Geschlechtskrankheiten im Hinblick auf die Themen Zärtlichkeit, Liebe und Empfängnisverhütung nicht ausreichend informiert. Über von der Gesellschaft tabuisierte Themen wie Pornogra-

63 64

BZgA, Studie, S. 7 und 42 ff. BZgA, Studie, S. 7 und 30 f.

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3. Kapitel

phie und Prostitution möchte nur eine Minderheit der Jungen und Mädchen weitere Informationen erhalten.65 In Bezug auf die subjektive Einschätzung der Jugendlichen fühlen sich 77% der Mädchen und 72% der Jungen im Alter von 14 bis 17 Jahren als ausreichend aufgeklärt. Das sind weniger als in den vorangegangenen Studien. Dabei werden in der untersuchten Altersspanne die sexuellen Kontakte zunehmend erworben. Mit 14 Jahren definiert sich noch eine große Zahl als nicht oder möglicherweise nicht ausreichend aufgeklärt. So schätzen sich in diesem Alterssegment 10% der Mädchen und 12% der Jungen als nicht aufgeklärt ein, weitere 30% der Mädchen und 33% der Jungen sind sich nicht ganz sicher. Bei den 17-Jährigen halten sich dagegen 88% der Mädchen und 82% der Jungen für ausreichend aufgeklärt. Zumindest mit den ersten sexuellen Erfahrungen halten sich die meisten Jugendlichen auf jeden Fall für aufgeklärter (89% der Mädchen mit Geschlechtsverkehr und 86% der sexuell erfahrenen Jungen bezeichnen sich selbst als aufgeklärt).66 Fasst man nun die Erkenntnisse aus dieser Langzeitstudie zusammen und stellt einen Kontext zu den Schutzbereichen der Jugendschutzdelikte im 13. Abschnitt des StGB her, so schälen sich folgende „Gefahrenschwerpunkte“ heraus: Die sexuelle Reife der Jugendlichen nimmt insofern zu, als dass in einem immer früher werdenden Alter erste sexuelle Erfahrungen gesammelt werden. Als wichtige Bezugs- und Vertrauenspersonen stehen die Eltern, aber auch die Lehrer im Mittelpunkt. Dabei nimmt die schulische Sexualaufklärung eine bedeutende Rolle ein. Jugendliche erwarten regelrecht eine angemessene schulische Sexualaufklärung. Ferner kommt im Rahmen weiterer Informationsquellen dem Internet eine zunehmende qualitative und quantitative Bedeutung zu. Dabei darf nicht übersehen werden, dass das Medium Internet eine nahezu uferlose Informationsquelle darstellt, die einerseits aufgrund ihres seriösen und auch pädagogisch wertvollen Inhaltes einen wichtigen Aufklärungsbeitrag leisten kann, andererseits aufgrund ihrer nahezu ungefilterten Zugriffsmöglichkeit eine Gefahr für die Persönlichkeitsentwicklung jugendlicher Nutzer darstellt.

65 66

BZgA, Studie, S. 52 f. BZgA, Studie, S. 51.

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F) Die Differenzierung nach Schutzaltersgrenzen Als Bezeichnung für das zu schützende Rechtsgut ist wiederum die ungestörte sexuelle Entwicklung und die unter bestimmten Voraussetzungen bedingte Einwilligungsfähigkeit kein konstantes Element. Der Jugendliche durchläuft einen Reifeprozess, der sich individuell und insbesondere geschlechtsspezifisch different verhält. Das im 13. Abschnitt des StGB kodifizierte Modell der Schutzaltersgrenzen trägt dem Entwicklungsprozess Jugendlicher zumindest ansatzweise Rechnung.

I. Grundkriterien nach Jäger Diesbezüglich formuliert Jäger im Rahmen der Rechtsgüteranalyse zu Gewaltund Missbrauchsdelikten, dass der Schutz grundsätzlich der Entwicklung und der Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen gelte, jedoch aufgrund dieser unbestimmten Rechtsgüterposition eine weitere Unterteilung erforderlich sei. Daher gliederte Jäger in drei Stufen: 1) Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, in erster Linie bezogen auf die geschlechtliche Unerfahrenheit und die geringere Widerstandskraft, 2) der Schutz vor psychischen und physischen Schäden, der sich auf die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit bezieht, und 3) der Schutz von Erziehungs- und sonstigen Schutzrechten.67 Durch diese Dreiteilung soll die Schutzaltersfrage einer sachgerechten Überprüfung unterzogen werden. Dabei ist Jägers Methodik nachvollziehbar. Im Hinblick auf sexuelle Handlungen hört demnach irgendwann die Berechtigung auf, von gesundheitlichen Schädigungen zu sprechen. Denn was bei einem Kind ein schwerwiegender und gefährlicher Eingriff ist, bedeutet für den Jugendlichen nach dem Eintritt der Pubertät ein biologisch natürliches Geschehen, selbst wenn man aus anderen Gründen den Zeitpunkt für sexuelle Erlebnisse für noch nicht gekommen hält. Bei Jugendlichen kann auch nur bis zu einer gewissen Altersgrenze bzw. Reife von Unerfahrenheit und geringer Widerstandskraft gesprochen werden. Bei Jugendlichen, die bereits die Jahre der Pubertät hinter sich haben, kommt nahezu eine Gleichstellung mit Erwachsenen in Betracht. Automatisch bis zur Volljährigkeitsgrenze sieht Jäger die Erziehungs- und (sonstigen) Schutzrechte betroffen.68 Für Jäger ist allerdings die Rechtsgüterfrage bei Strafbestimmungen, die das Überlassen unzüchtiger und schamverletzender Schriften an Jugendlichen zum Inhalt haben (§ 184 StGB) unklar. Daher sieht Jäger in den Erziehungs- und Schutzrechten ein 67 68

Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 53. Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 54.

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3. Kapitel

berechtigtes Interesse der Eltern, dass Jugendliche keine Pornographie in die Hände bekommen. Zurecht weist Jäger darauf hin, dass seelische Schäden selbst bei regelmäßigem Konsum nur vermutet werden können. Für diese Fälle bejaht Jäger die Strafbarkeit mit folgender Argumentation: „Wenn also die Eltern einen Schutzwall um das Leben ihrer Kinder gerichtet wissen wollen, der auch leichte und ungewisse Gefährdungen abhält, dann liegt darin ein berechtigter Wunsch.“69

Obgleich diese Würdigung aus Sicht der Erziehungsberechtigten nachvollziehbar erscheint, ist sie im Hinblick auf eine rechtsgutstheoretische Eingrenzung zum Zwecke einer strafrechtlichen Legitimationsprüfung zu weitläufig. Vor dem Hintergrund des Rechtsguts „Schutz der Entwicklung und der Unversehrtheit von Jugendlichen“ bleibt aus heutiger Sicht als nachvollziehbare Einschränkung und Bestimmung der von Jäger formulierte Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, der sich entgegen dem Wortlaut (Selbstbestimmung setzt Selbstbestimmungsfähigkeit voraus) auf die geschlechtliche Unerfahrenheit und die geringe Widerstandskraft bezieht sowie Schutz vor psychischen und physischen Schäden.

II. Die Ausprägung der Selbstbestimmungsfähigkeit in den Schutzaltersklassen Speziell der Schutz von 14- und 15-Jährigen in den Strafnomen §§ 174, 180 und 182 StGB basiert auf der Grundannahme, dass diese Jugendlichen Schwierigkeiten haben, gegenüber anderen Personen selbstbestimmt zu agieren.70 In § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB bezieht sich dieses Konfliktverhältnis auf Autoritätsund Vertrauenspersonen. Der strafrechtliche Schutz umfasst jedoch nicht eine Liebesbeziehung außerhalb dieses Autoritäts- und Vertrauensverhältnisses. Auch bedarf es gegenüber dem Jugendlichen keines Missbrauchs der besonderen Stellung im Rahmen des Abhängigkeitsverhältnisses. In § 180 Abs. 1 StGB steht lediglich das Vorschub leisten zu sexuellen Handlungen durch Vermittlung oder Gewähren bzw. Verschaffen von Gelegenheiten im Vordergrund. Der Täter kann somit sexuellen Handlungen Vorschub leisten und sich dadurch strafbar machen, selbst wenn zwei Jugendliche einvernehmlich sexuelle Handlungen vornehmen. In § 182 Abs. 3 StGB werden Jugendliche in dieser Altersklasse geschützt, wenn die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausgenutzt wird. Die jeweiligen Problemschwerpunkte werden im Folgenden noch eingehend untersucht werden. Ungeachtet dessen 69 70

Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 56. Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 64.

Rechtfertigung von Strafnormen zum Schutze der Jugend

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zeichnet sich die Altersgruppe der 14- und 15-Jährigen dadurch aus, dass eine tatsächliche Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung entweder nicht oder nur gering ausgeprägt ist. Der Mangel der Einwilligungsfähigkeit, der bei Kindern unbestritten vorliegt, bei Jugendlichen allerdings nicht generell angenommen werden kann, ist somit ein wesentliches Element für die Begründung der jeweiligen Strafnorm. Entsprechend sind die weiteren Tatbestandselemente, etwa bei § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB lediglich das Abhängigkeitsverhältnis oder bei § 182 Abs. 1 StGB das Vorschub leisten, geringwertigerer Natur. Die Intimsphäre des Jugendlichen wird insofern durch sexuelle Handlungen ohne wirksame Einwilligung verletzt (Selbstbestimmungsfreiheit als Abwehrrecht). Jugendliche bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres (z.B. § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) sollen diese Einwilligung überhaupt nicht abgeben können.71 Die Intimsphäre eines Jugendlichen (der wohlgemerkt mitunter eine Einwilligung zu sexuellen Handlungen nur in der im Tatbestand beschriebenen Drucksituation nicht erteilen kann72), ist insofern auch dann verletzt, wenn er faktisch eingewilligt hat. Dabei können zwei Fallgruppen unterschieden werden73: Zum einen, wenn eine sexuelle Interaktion faktisch nicht gewollt wurde, zum anderen, wenn eine faktische Einwilligung vorliegt, diese aber nicht rechtswirksam ist. Die letztgenannte faktische Einwilligung ist wohl dann anzunehmen, wenn beispielsweise eine 15-jährige Schülerin ihrem Lehrer gegenüber zu sexuellen Kontakten einwilligt. Es handelt sich zwar um ein notwendiges Einverständnis, dieses ist jedoch im Hinblick auf eine rechtswirksame Einwilligung unzureichend. Die hinreichend rechtlich wirksame Einwilligung weist neben der faktischen Einwilligung eine kognitive und physische Beurteilungsfähigkeit auf. Im Übrigen dürfen keine Zwangslagen oder Irrtümer diese Beurteilungsfähigkeit beeinflussen. Anders verhält es sich im Hinblick auf die Schutzaltersklasse der 16- und 17Jährigen. Betrachtet man die §§ 174 Abs. 1 Nr. 2, 3, 180 Abs. 2, 3 und 182 Abs. 1, 2 StGB, so nehmen die strafbegründenden Elemente neben der eigentlichen sexuellen Handlung an Qualität deutlich zu. Es geht um den konkreten Missbrauch einer mit dem Obhutsverhältnis verbundenen Abhängigkeit (§§ 174 Abs. 1 Nr. 2 und 180 Abs. 3 StGB), um Prostitution (§§ 180 Abs. 2, 182 Abs. 2 StGB) oder um Zwangslagen (§ 182 Abs. 1 StGB). 71 72

73

Hörnle, LK, § 174, Rn. 2 f. Dazu BT-Drs. VI/3521, S. 20: „Vierzehn und Fünfzehnjährige stehen, verglichen mit älteren Jugendlichen, in der Regel in einem intensiven Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Erzieher, Ausbilder oder Betreuer, so dass sie sich gegenüber einem etwaigen sexuellen Ansinnen in der Regel nicht innerlich frei behaupten können.“ Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 31.

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3. Kapitel

Die Fähigkeit der Einwilligung zu sexuellen Handlungen nimmt mit steigendem Alter zu, während der strafrechtliche Schutz entsprechend abnimmt bzw. nur durch weitere strafbegründende Elemente aufrecht erhalten werden kann. Da jedoch die altersbedingte Sexualentwicklung grundsätzlich einer einzelfallbezogenen Betrachtung des Opfers unterworfen werden müsste, entspricht die Lösung der Schutzaltersklassen nicht dem theoretischen Ideal. Allein vor dem Hintergrund des praktischen Opferschutzes und des Bestimmtheitsgrundsatzes gem. Art. 103 Abs. 2 GG bleibt jedoch kaum eine andere Möglichkeit, um den strafrechtlichen Schutzgedanken in Normen zu fassen.74 Da Jugendliche sich insofern einer kontinuierlichen und nur schwer einschätzbaren Sexualentwicklung unterworfen sehen, soll im Folgenden der Fokus auf die Dispositionsfreiheit gerichtet werden. Dabei stellt sich die Frage, was unter Dispositionsfreiheit in der jeweiligen Schutzaltersklasse verstanden werden kann. Die Dispositionsfreiheit ist auf den autonomen Umgang mit einem speziellen Gut bezogen, was bis zu seiner Aufopferung reichen kann.75 Grundsätzlich stellt sich das Problem, dass Verbote, die von einer beschränkten Dispositionsfreiheit ausgehen, die Freiheit des Opfers einschränken. Dem Opfer wird die Chance genommen, sich mit eigenen Mitteln aus der Zwangslage zu befreien. Es muss grundsätzlich gewichtige Gründe geben, um diese Freiheitseinschränkung hinnehmen zu können. Während in der Altersklasse der 16- und 17-Jährigen Zwangs- und Missbrauchsverhältnisse (wie auch im übrigen Sexualstrafrecht des 13. Abschnittes) die Dispositionsfreiheit ohne erhebliche Begründungsschwierigkeiten in Frage stellt, nimmt das Maß an Unfreiwilligkeit ab, je weniger gewichtig die Werte sind, deren Bedrohung die Zwangssituation begründet. Hier darf man jedoch nicht dem Trugschluss unterliegen, dass diese Werte im Alterssegment der geschützten 14- und 15Jährigen aufgrund der geringeren Tatbestandsvoraussetzungen (im Vergleich zu den 16- und 17-Jährigen) weniger gewichtig sind. Wenn man davon ausgeht, dass die geistige und seelische Reife von Jugendlichen ab dem 16. Lebensjahr so weit entwickelt ist, dass sie im sexuellen Bereich eigenverantwortlich zu handeln in der Lange sind76, leitet sich daraus zwangsläufig die Forderung nach zusätzlichen Einflussgrößen zur Begründung der Strafbarkeit ab. Dabei zeigt das Erzeugen von Unfreiheit i.S. der Schaffung einer konkreten Zwangslage deutlichere Konturen auf, als das Ausnutzen einer (bestehenden) Unfreiheit, letztere etwa im Rahmen eines bestehenden Obhutsverhältnisses 74 75 76

Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 27. Amelung, GA 1999, 186; Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 60. BT-Drs. 12/4584, S. 7.

Rechtfertigung von Strafnormen zum Schutze der Jugend

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gem. § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Stellt man wie Amelung77 in diesem Zusammenhang auf einen objektiven Wertebegriff ab, so ist im Hinblick auf eine schützenswerte Zwangssituation die absolute Untergrenze dann anzunehmen, wenn rechtlich garantierte Güter bedroht werden. Zurecht kritisiert Amelung, dass der Gesetzgeber die Güter nicht ausdrücklich aufzähle, deren Bedrohung eine Zwangslage begründen. Die Schutzaltersklassen für jugendliche Opfer grenzen sich einerseits von der (wie bei Kindern) generell fehlenden Einwilligungsfähigkeit und andererseits von der (wie bei Erwachsenen) autonomen Handlungsfähigkeit ab. Dabei nimmt das Schutzbedürfnis bei Jugendlichen mit zunehmendem Alter ab, gleichzeitig steigen jedoch die qualitativen Anforderungen im Rahmen der strafrechtlichen Legitimation. Konkret beschreiben die Strafnormen §§ 174, 180 und 182 StGB Rahmenbedingungen, von denen zu vermuten ist, dass sie die fragilen Urteils- und Durchsetzungsfähigkeiten Jugendlicher überfordern.78

77 78

Amelung, GA 1999, 202. Hörnle, LK, Vor § 174, Rn. 40.

4. Kapitel: Analyse der einzelnen Tatbestände – Jugendschutzdelikte (§§ 174, 180, 182 StGB) A) § 174 StGB: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen I. Systematik des Tatbestandes § 174 StGB differenziert zunächst zwischen drei Gruppen von Schutzbefohlenen. Nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB werden weibliche oder männliche Personen unter 16 Jahren geschützt, die dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Lebensführung anvertraut sind. Das somit bestehende absolute Abstinenzverbot wird jedoch dadurch relativiert, dass die Rechtsfolgen gemäß § 174 Abs. 4 StGB abgemildert werden können. Ob ein den Tatbestand tangierendes Obhutsverhältnis vorliegt, bestimmt sich durch die Verbindung der drei Tatbestandselemente (1) Erziehungs-, Ausbildungs- oder Betreuungszweck, (2) Alter und (3) Anvertrautsein.1 Alleine eine häusliche Gemeinschaft begründet jedoch noch kein Obhutsverhältnis. Voraussetzung ist vielmehr, dass ein Verhältnis besteht, kraft dessen einer Person das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistige und sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten.2 Die nächste Gruppe sind die in § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB geschützten Personen unter 18 Jahren. Über das in § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB beschriebene Obhutsverhältnis hinaus werden auch Personen einbezogen, die dem Täter im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind. Beschränkt wird allerdings der Umfang der Sexualkontakte, der sich auf den Missbrauch der Abhängigkeit beziehen muss. § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB geht § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB zudem vor, wenn die Tat an einem dem geschützten Personenkreis der nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB angehörenden Jugendlichen zugleich unter Missbrauch einer mit dem Erziehungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit begangen wird.3 Nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB werden schließlich die noch

1 2 3

Eine ausführliche Übersicht bietet an: Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 407. BGH, NStZ 1989, 21. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 5.

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4. Kapitel

nicht volljährigen leiblichen oder adoptierten Kinder gegenüber ihren Eltern umfassend geschützt.4 Daneben besteht der Unterschied, dass in § 174 Abs. 1 StGB nur sexuelle Kontakte zwischen dem Täter und dem Schutzbefohlenen erfasst werden, die durch eine körperliche Berührung realisiert werden. Hingegen bezieht sich § 174 Abs. 2 StGB auf solche sexuellen Kontakte, die nicht mit einer körperlichen Berührung verbunden sind. Aufgrund der geringeren Beeinträchtigung des Schutzbefohlenen durch Handlungen nach § 174 Abs. 2 StGB ist die Strafandrohung geringer.

II. Die Problemstellungen im Überblick Dass sexuelle Handlungen an Jugendlichen unter Missbrauch eines Obhutsverhältnisses i.S.d. § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbedürftig sind, mag auf den ersten Blick nachvollziehbar sein. Es besteht ein besonderes Nähe- und Verantwortungsverhältnis. Der Täter nutzt die auf seiner Macht gegenüber dem Schutzbefohlenen beruhende innere Abhängigkeit des Jugendlichen für seine Zwecke aus.5 Es erscheint jedoch diskussionswürdig, warum einerseits sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen generell straflos sind und andererseits die offensichtlich einvernehmlichen sexuellen Kontakte lediglich aufgrund des bestehenden Obhutsverhältnisses strafbedürftig i.S.d. § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein sollen. Erfasst werden jedoch nicht nur die auf Verführung beruhenden sexuellen Handlungen, denen eine gewisse Spontanität oder Kurzschlusshandlung zu Grunde liegt und die sich überwiegend auf die rein sexuelle Ebene beziehen, sondern auch auf gegenseitiger Zuneigung beruhende Liebensbeziehungen, die üblicherweise sexuelle Handlungen beinhalten.6 Und dabei sind Konstellationen denkbar, die etwa Liebesbeziehungen zwischen 14- und 15-jährigen Jugendlichen mit „jungerwachsenen“ Obhutsträgern, etwa der an einer Schule unterrichtende Referendar, beinhalten. Im Kontext dazu scheint § 174 Abs. 4 StGB dieses Missverhältnis zunächst auszugleichen. Das Absehen von der Strafe ist dem Richter dann erlaubt, wenn bei Berücksichtigung des Opferverhaltens das Unrecht der Tat gering ist. Obgleich die Reichweite und die Relevanz dieser Vorschrift umstritten sind, begründet allein die Existenz einer solchen Relativierungsnorm den Verdacht eines Legitimationsdefizites.7 4 5 6 7

Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 403; Renzikowski, MK, § 174, Rn. 6. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 14. Fromm, NJOZ 2010, 276. Jung / Kunz, NStZ 1982, 409.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse In der Literatur und Rechtsprechung werden dem § 174 StGB verschiedene Schutzgüter und Zweckbestimmungen zugeschrieben: (1) Schutzgut soll einerseits die sexuelle Selbstbestimmung von Jugendlichen in bestimmten Abhängigkeitsverhältnissen sein.8 (2) Als weiteres Schutzgut wird die ungestörte sexuelle / geschlechtliche Entwicklung von Jugendlichen anerkannt.9 (3) Ferner wird als Zweckbestimmung noch auf bestimmte Überordnungs- und Betreuungsverhältnisse, die um ihrer sozialen Funktion willen von sexuellen Kontakten freigehalten werden sollen, verwiesen.10 (4) Schließlich soll auch das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Erziehungsrecht der Eltern durch sexuelle Handlungen von Erziehern und Ausbildern mit anvertrauten Jugendlichen konterkariert werden.11

1. Schutz von Jugendlichen unter 16 Jahren vor sexuellen Handlungen im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) a) Die Grenzen der Selbstbestimmungsfreiheit Das individuelle sexuelle Selbstbestimmungsrecht kann durch Zwang beeinträchtigt werden, allerdings auch durch Angriffe im Rahmen des Unterordnungs- und Abhängigkeitsverhältnisses, die ansonsten frei von sonstigen Druckmitteln sind. Sofern es dem Jugendlichen schwer fällt, der Autoritätsperson entgegenzutreten, ist das sexuelle Selbstbestimmungsrecht in spezifischen Abhängigkeitsverhältnissen tangiert. Die sexuelle Selbstbestimmung verstanden als positive Selbstbestimmungsfreiheit steht dabei nicht im Vordergrund, da das Opfer nicht seinen entgegengesetzten Willen, eben aufgrund des bestehenden Macht- und Autoritätsverhältnisses, deutlich machen kann. Aufgrund 8

9

10

11

BGH, NJW 1995, 2235; BGH, NStZ 1983, 553; Renzikowski, MK, § 174, Rn. 1 u. 2; Hörnle, LK, § 174, Rn. 1; Ziegler, OK-StGB, § 174, Rn. 2; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 1; Fischer, StGB, § 174, Rn. 2; Frommel, NK, § 174, Rn. 8; Gössel, Sexualstrafrecht, S. 77. Die „ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen“ erkennen als prioritäres Rechtsgut des § 174 StGB an: BT-Drs. VI/3521, S. 20; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 402; als Rechtsgut speziell für § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB Lackner / Kühl, StGB, § 174, Rn. 1; sowohl die „Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung“ wie auch die „ungestörte Entwicklung“ als gleichwertig geschützte Rechtsgüter erkennen an: BGH, NJW 1995, 2235; BGH, NStZ 1983, 553; Ziegler, OK-StGB, § 174, Rn. 2; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 1; Fischer, StGB, § 174, Rn. 2. BT-Drs. VI/3521, S. 20 f.; Jung / Kunz, NStZ 1982, 413; Lackner / Kühl, StGB, § 174, Rn. 1; Renzikowski, MK, § 174, Rn. 3; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 402; Gössel, Sexualstrafrecht, S. 77. BT-Drs. VI / 3521, S. 20.

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4. Kapitel

des absoluten Abstinenzgebots ist das Einverständnis des Jugendlichen (wenn man die Möglichkeit und Fähigkeit des Jugendlichen, der sexuellen Handlung zuzustimmen, in Betracht zieht) rechtlich irrelevant. Es liegt vielmehr im Rahmen einer Selbstbestimmungsfreiheit als Abwehrrecht ein Angriff auf die Intimsphäre vor. Der Jugendliche hat ein Abwehrrecht gegen Zugriffe anderer.12 Sofern Macht- und Autoritätsverhältnisse im Spiel sind, ist die freie Selbstbestimmung nur ein Teilaspekt neben anderen Schutzobjekten.13 Bei den Jugendschutzvorschriften stehen jedoch Aspekte wie Einsichts- und Steuerungsfähigkeit sowie Autonomie des Opfers nicht im Vordergrund. Stellt man darauf ab, dass der Jugendliche nicht zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht werden soll, wenn bestimmte Unter- und Überordnungsverhältnisse die Situation prägen und einen auf den Jugendlichen latenten Druck erzeugen, schützt § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB vor sexueller Fremdbestimmung. Die besondere durch dieses Rechtsgut bedingte Konstellation von Alter, Erziehungs-, Ausbildungs- oder Betreuungszweck und Anvertrautsein erfährt ihre Grenzen jedoch durch die jeweilige Relativierung der einzelnen Elemente. Unabhängig von der positiven Grenzziehung stellt sich daher die Frage, ab welchem Alter die Einwilligungsfähigkeit ganz oder überwiegend angenommen werden kann und bei welchen Obhutsverhältnissen ein unbedenkliches und somit nicht strafwürdiges Näheverhältnis besteht.

b) Annahme von sexuellen Entwicklungsstörungen Die in § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB kodifizierte Schutzaltersgruppierung der 14und 15-Jährigen sowie das absolute Verbot von sexuellen Kontakten im Rahmen des Obhutsverhältnisses rücken zudem den Schutz der ungestörten geschlechtlichen Entwicklung von Jugendlichen in den Vordergrund. Bei Jugendlichen in dieser Altersklasse ist der Reifeprozess noch nicht abgeschlossen und es fehlt insofern an sexueller Autonomie.14 Diesem Schutzgedanken 12

13 14

So ist für Frommel, NK, § 174, Rn. 8 das Rechtsgut des § 174 StGB das sexuelle Selbstbestimmungsrecht junger Menschen in spezifischen Abhängigkeitsverhältnissen, insofern im Wesentlichen die „Freiheit vor sexueller Fremdbestimmung“; beim Missbrauch widerstandsunfähiger Personen gemäß § 179 StGB wird ebenfalls die sexuelle Selbstbestimmung von dem Schutz der „Freiheit vor Fremdbestimmung“ dahingehend abgegrenzt, dass das Selbstbestimmungsrecht dann tangiert ist, wenn das Opfer seinen entgegengesetzten Willen artikuliert, vgl. dazu Renzikowski, MK, § 179, Rn. 2; Frommel, NK, § 179, Rn. 12; anders Lackner / Kühl, StGB, § 179, Rn. 1; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 179, Rn. 1 und Ziegler, OK-StGB, § 179, Rn. 5, die die freie geschlechtliche Selbstbestimmung in den Vordergrund rücken. Perron / Eisele, Sch / Schr., Vorbem. §§ 174 ff., Rn. 1. BGH, NJW 1995, 2235; NJW 2000, 3726; Lackner / Kühl, StGB, § 174, Rn. 1; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 1.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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liegt folgende Annahme zugrunde: Vorrangig soll es um den durch das Abhängigkeitsverhältnis entstehenden Druck auf den Jugendlichen gehen. Der Jugendliche kann sich aufgrund seines Entwicklungsstadiums der sexuellen Wünsche der Erzieher, Ausbilder oder Betreuer nicht erwehren. Die Persönlichkeit ist insofern noch zu ungenügend geformt, als dass eine auf Erfahrung, Selbstbewusstsein und Sicherheit basierende Ablehnung erfolgen kann. Die dann erfolgte Ausnutzung des Abhängigkeitsverhältnisses zu sexuellen Handlungen soll unter Umständen zu psychischen Konfliktsituationen führen, die eine Störung der sexuellen Entwicklung des Jugendlichen bedeuten könnte. Aus rein praktischer Sicht ist es allerdings ungleich schwieriger, mit einem derartigen Begriffsverständnis eine Legitimationsbegründung aufzubauen. Sofern als geschütztes Rechtsgut die sexuelle Selbstbestimmung herangezogen wird, handelt es sich regelmäßig um ein Verletzungsdelikt.15 Wenn allerdings die ungestörte sexuelle bzw. geschlechtliche Entwicklung als alleiniges Rechtsgut bestimmt wird, geht es um eine Verletzungsprognose, insofern handelt es sich dann um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Ferner stellt sich die Frage, ab welcher Intensität von einer sexuellen Fehlentwicklung des Jugendlichen ausgegangen werden kann. Die schwierige Prognose einer Fehlentwicklung ist zudem mit der Frage verbunden, wann i.S.d. § 184f Nr. 1 StGB von einer erheblichen bzw. unerheblichen sexuellen Handlung ausgegangen werden kann. Um die geschilderten Probleme im Rahmen der Rechtsgutsbestimmung zu umgehen, äußert Renzikowski: „Um den Eindruck eines Legitimationsdefizits überhaupt nicht erst entstehen zu lassen, erscheint es deshalb vorzugswürdig, nicht auf zukünftige, eher postulierte als prognostizierte, vage Folgen abzustellen, sondern auf den aktuellen Eingriff in die Rechtsphäre des Schutzbefohlenen.“16

Tatsächlich bedarf es im Rahmen der Legitimation des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB keiner eigenständigen Anerkennung des Rechtsguts „Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung“. Da als geschütztes Rechtsgut bereits die sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht in Betracht kommt und insofern konkrete Verletzungshandlungen den Unrechtsgehalt der Strafnorm prägen, bleibt für die Annahme von abstrakten Gefährdungen von Entwicklungsstörungen als Strafbegründung kein Raum. Ungeachtet dessen wird der Umstand, dass die sexuelle Beziehung zu dem Obhutsträger eine psychische Konfliktsituation mangels Reife herbeiführen kann, anderweitig berücksichtigt. Sie ist der Tragweite der Entscheidungsfähigkeit des Jugendlichen zuzurechnen. 15 16

So auch Hörnle, LK, § 174, Rn. 1. Renzikowski, MK, § 174, Rn. 2.

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4. Kapitel

Somit bezieht sich die aufgrund des besonderen Abhängigkeitsverhältnisses anzunehmende Einwilligungsunfähigkeit auch auf den Umstand, dass der Jugendliche die für ihn eventuell eintretende negative Persönlichkeitsentwicklung bei seiner Entscheidung nicht mit berücksichtigen kann.

c) Folgen des gestörten Rollenverhältnisses zwischen dem Obhutsträger und dem Jugendlichen Der Schutz der Beziehung zwischen dem Jugendlichen und dem Obhutsträger soll zudem um ihrer sozialen Funktion willen von geschlechtlichen Einflüssen freigehalten werden. Diesem Schutzgut liegt der Gedanke zugrunde, dass durch die sexuelle Interaktion ein gestörtes Rollenverhältnis herbeigeführt wird. Der Erzieher kann demnach nicht mehr seine neutrale Funktion wahrnehmen, somit kommt er seinem Erziehungsauftrag nicht mehr nach.17 Wie auch im Hinblick auf die Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der ungestörten geschlechtlichen Entwicklung soll es dabei völlig unerheblich sein, ob der Jugendliche aus freiem Entschluss die Beziehung zu dem Täter einging oder sie selbst anbahnte.18 Sexuelle Kontakte aufgrund der sozialen Funktion der Obhutsverhältnisse sind demnach generell missbräuchlich. Gerade bei § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB kommt es nicht darauf an, dass der Jugendliche im Rahmen seiner alterstypischen Entwicklung generell von sexuellen Kontakten freigehalten wird. Es geht insofern auch darum, dass eine erzieherische Einflussnahme durch die Aufnahme sexueller Kontakte erschwert wird.19 Wenn der erzieherische Auftrag nicht mehr wahrgenommen werden kann, wird die durch Erziehung leitende Funktion erschwert oder verhindert. Der Erzieher oder Ausbilder beraubt sich seiner pädagogischen Handlungsfreiheit, wenn er mit dem Jugendlichen sexuelle Beziehungen eingeht. Und dieses gilt nicht nur im Verhältnis mit dem jugendlichen Partner, der sich den notwendigen pädagogischen Einflüssen und Forderungen mit dem ausgesprochenen oder unausgesprochenen Hinweis auf die sexuellen Kontakte entziehen kann, sondern auch im Verhältnis zu anderen Jugendlichen. Sofern diese in derselben Gruppe ausgebildet, erzogen oder betreut werden, tritt eine Störung ein. Neben den pädagogischen Maßnahmen, die nicht mehr neutral angewendet werden können, ist die Chancengleichheit gefährdet.20 17 18 19 20

Dazu ausführlich BT-Drs. VI/3521, S. 20. BGH, NStZ 2001, 194; Jung / Kunz, NStZ 1982, 413; Lackner / Kühl, StGB, § 174, Rn. 1; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 402. BT-Drs. VI/1552, S. 15. So der Sonderausschuss im Rahmen des 4. StrRG mit Verweis auf die angehörten Pädagogen und den Psychologen Metzger, BT-Drs. VI/3521, S. 20.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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Aus diesem Grund sieht der Gesetzgeber ein Strafbedürfnis „ausnahmsweise“ gegeben. Das Verhalten des Schutzbefohlenen muss insofern auch nicht maßgeblich durch seine Abhängigkeit bestimmt werden. Führt man diesen Gedanken weiter aus, kann der Jugendliche aufgrund einer angenommenen sexuellen Beziehung mit seinem Erzieher nicht angemessen im Sinne der pädagogischen Erkenntnislehre erzogen werden, was insofern auch Sexualerziehung beinhaltet. Sofern der Jugendliche in einer nicht unproblematischen Entwicklungsphase sich mit Rat an den Erzieher wenden würde, bleibt ihm diese Möglichkeit verschlossen, wenn er selbst sexuelle Handlungen mit dem Erzieher vollzieht. Der Erzieher wird insofern zu dem Partner, der allgemeinläufig im Rahmen der sexuellen Entwicklung des Jugendlichen durchaus toleriert wird. Es geht insofern nicht um die sexuellen Handlungen an sich, sondern um den nicht gewünschten Rollentausch. Der Erzieher nimmt die Rolle des im Idealfall anderen Jugendlichen ein, der als Intimpartner im Allgemeinen akzeptiert (gemeint ist elterliche bzw. gesellschaftliche Akzeptanz) werden würde. Diesem Gedanken folgend kann eine erzieherische Störung auch nur dann erfolgen, wenn der Erzieher durch die Sexualbeziehung zu dem Jugendlichen seinen Auftrag tatsächlich nicht mehr wahrnehmen kann. Dieser aufgeführte Schutzzweck hat mit der sexuellen Selbstbestimmung des Jugendlichen auf den ersten Blick wenig zu tun. Auch wird demnach eine ungestörte sexuelle Entwicklung nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Jugendliche aufgrund traumatischer sexueller Erlebnisse mit dem Erzieher eine zu prognostizierende Störung erleiden wird. Die Störung liegt nach diesem Ansatz vielmehr in der sexuellen Nichterziehung bzw. in der nicht üblichen neutralen Erziehung. Dadurch kann natürlich die sexuelle Entwicklung gestört werden. Sie muss es aber nicht. Und die Begründung dieser Störung ist noch schwieriger als bei der Annahme, dass eine sexuelle Entwicklungsstörung direkt durch den sexuellen Kontakt entsteht. Bleibt man bei dieser aus dem Gesetzgebungsverfahren stammenden Begründung, stellt sich natürlich die Frage, welche Autoritätspersonen aufgrund ihrer Funktion einen derart intensiven Einfluss haben. Hanack folgend kann jedoch der Schutz junger Menschen nach dem 14. Lebensjahr gegenüber sexuellen Angriffen durch Autoritätspersonen nicht allein darauf begründet werden, dass ein Autoritätsverhalten „an sich“ vom Sexuellen freizuhalten ist. Gerade bei nicht-verwandtschaftlichen Verhältnissen mit zwischenmenschlichen Bindungen, die nur eine geringe sexuelle Komponente aufweisen, stellt sich somit die Frage, ob diese überhaupt schon strafbedürftig sein müssen.21 Hörnle interpretiert den Verweis auf die soziale Funktion bei 21

Hanack, Gutachten, S. A 118.

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Verneinung eines eigenständigen Strafzweckes dergestalt, dass entweder der betroffene Minderjährige selbst beeinträchtigt ist, da der Erzieher nicht mehr seine erzieherische, betreuende oder ausbildende Rolle wahrnehmen kann, oder ein negativer Einfluss der Minderjährigen in der Umgebung (etwa durch Ungleichbehandlung anderer Jugendlicher gegenüber dem bevorzugten jugendlichen Partner) zu befürchten ist.22 Ebenso lehnt Renzikowski das Freihalten bestimmter Überordnungs- und Betreuungsverhältnisse von sexuellen Kontakten um ihrer sozialen Funktion willen als primären strafbegründenden Zweck ab und bezeichnet diese Funktion als „erwünschte Nebenwirkung“.23 Will man im Rahmen des Obhutsverhältnisses Beziehungen um ihrer sozialen Funktion willen von geschlechtlichen Einflüssen gänzlich freihalten, so kann es nur auf die sozialkonforme Persönlichkeitsbildung, die üblicherweise in derartigen Obhutsverhältnissen erfolgt, ankommen. Die Persönlichkeitsbildung stellt dabei qualitativ lediglich eine notwendige Vorbedingung da. Aufgrund dieses Bildungselementes soll der Jugendliche in einem späteren Entwicklungsstadium seine sexuellen und sozialen Beziehungen angemessen wahrnehmen können. In Anlehnung an Jung und Kunz erscheint es daher plausibel, dass nicht die Sexualverfassung um ihrer selbst willen geschützt wird, sondern um der Entscheidungsfreiheit des gereiften Menschen willen.24 Mit diesem Verständnis muss sich jedoch nicht zwangsläufig der Weg zum Rechtsgut der ungestörten sozialkonformen Entwicklung jugendlicher Personen eröffnen. Die Begründungsvariante, dass die durch sexuelle Kontakte zwischen dem Obhutsträger und dem Jugendlichen wahrzunehmende Erziehungsaufgabe zum Nachteil des Jugendlichen oder zum Nachteil von dritten Jugendlichen nicht wahrgenommen werden kann und dadurch eine Entwicklungsstörung verursacht wird, beschreibt lediglich eine Gefahrenprognose. Da aber bereits die sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht geschützt wird, bedarf es keiner weiteren rechtsgutsqualitativen Gefahrenprognose. Die Folgen des gestörten Rollenverhältnisses zwischen Obhutsträger und Jugendlichem umschreiben jedoch beachtenswerte Prämissen, die mit dem Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung verknüpft werden können. Der Jugendliche, der unter anderen Umständen in die sexuelle Interaktion einwilligen kann, erfasst nicht in dem erforderlichen Maße die Tragweite seiner 22 23 24

Hörnle, LK, § 174, Rn. 5. Renzikowski, MK, § 174, Rn. 3. Siehe kritische Anmerkung zu Hanack in Fußn. 38 bei: Jung / Kunz, NStZ 1982, 413; nach Renzikowski, MK, § 174 ff., Rn. 1 wird eine bestimmte Sexualverfassung nicht um ihrer selbst willen geschützt, sondern bedarf ihrerseits der Legitimation durch den Rechtsgutsgedanken.

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Entscheidung. Neben der Beeinflussung im Rahmen des Abhängigkeitsverhältnisses kann ihm nicht zugemutet werden, auch die für ihn negativen Folgen im Hinblick auf das gestörte Rollenverhältnis zu überblicken.

d) Staatlicher Schutz elterlicher Erziehungsvorstellungen Ein weiterer Schutzzweck wird mitunter aus dem Erziehungsrecht der Eltern gem. Art. 6 Abs. 2 GG abgeleitet. Eltern sollen einen Anspruch darauf haben, dass ihre Erziehungsvorstellungen nicht durch pädagogische unqualifizierte Handlungen der Erzieher in Schulen und anderen Ausbildungsstätten durchkreuzt werden.25 Grundsätzlich ist der Staat berechtigt und verpflichtet, die Lebensbedingungen zum Wohle des Minderjährigen zu sichern. Dabei steht im Vordergrund, dass das Heranwachsen des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit innerhalb der Gesellschaft gewährleistet werden soll. Der Staat hat dabei nach dem Prinzip der Subsidiarität nur die Aufgabe, den Eltern zum Schutz des Kindes bestimmte Grenzen aufzuerlegen und die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen zu überwachen. Die Bestimmung des Kinderwohls ist somit grundsätzlich Sache der Eltern. Die staatliche Aufgabe wird insofern auch umschrieben als „Wächteramt“.26 Dabei beruht das „Wächteramt“ vorrangig auf dem Schutzbedürfnis des Kindes. Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs orientieren sich zudem an der Intensität der elterlichen Vernachlässigung.27 Der Gesetzgeber hat zudem bei Regelungen, die dem Schutz und der Förderung der Elternverantwortung dienen, einen größeren Abwägungs- und Gestaltungsspielraum, als bei Eingriffsermächtigungen zu Lasten der Eltern.28 Eine darüber hinausgehende Funktion des Staates in der Konkretisierung, dass die Vorstellungen der Eltern über die Erziehung ihrer Kinder eine staatliche Handlungspflicht im Hinblick auf Institutionen außerhalb der elterlichen Einwirkungsmöglichkeit impliziert, wäre wohl zu weit gegriffen. Gleichwohl kann speziell im Hinblick auf den staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag gem. Art. 7 Abs. 1 GG eine Schutzpflicht abgeleitet werden. So muss beispielsweise die schulische Sexualerziehung für die verschiedenen Wertvorstellungen auf diesem Gebiet offen sein und das natürliche Erziehungsrecht der Eltern im Hinblick auf deren religiöse oder weltanschauliche Überzeugung berücksichtigen.29 Da die erzieherische Vermittlung der Sexualkunde eben 25 26 27 28 29

BT-Drs. VI/3521, S. 20 f. Badura, Maunz / Dürig, Art. 6 Abs. 2, Rn. 96. BVerfGE, 24, 119 (144). Badura, Maunz / Dürig, Art. 6 Abs. 2, Rn. 68. BVerfG, NJW 1979, 1616; BVerwG, NVwZ 2009, 56.

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auch primär die erzieherische Aufgabe der Eltern ist und zwischen elterlicher und schulischer Erziehung eine gewisse Harmonie herzustellen ist, wäre eine sexuelle Interaktion mit dem unterrichtenden Lehrer nicht vereinbar. Allerdings setzt sich eine derartige Begründung nicht schlüssig durch, da sich der Schutz lediglich auf Jugendliche unter 16. Jahren i.S.d. § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB bezieht und ältere Jugendliche nicht bzw. nur bei zusätzlichem Vorliegen des Merkmals Missbrauch der Abhängigkeit erfasst werden. Vor dem Hintergrund des geschützten Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung als Abwehrrecht ergeben sich Grenzmarkierungen, die im Rahmen eines systemkritischen Rechtsgutsverständnisses anhand der folgenden Elemente weiter verdeutlicht werden sollen.

e) Der Kreis der Obhutsträger und die Einflussmöglichkeiten auf den Minderjährigen Der objektive Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB verlangt neben der sexuellen Handlung mit Körperkontakt das Anvertrautsein zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung. Ausgehend von dem Rechtsgüterschutzgedanken, dass eine sexuelle Entwicklung durch das Überund Unterordnungsverhältnis zu einer psychischen Konfliktsituation führen kann oder der Erziehungsauftrag durch die sexuelle Beziehung Gefahr läuft fehlzulaufen, stellt sich die Frage, bei welchem Näheverhältnis dieses anzunehmen ist. Je größer sich die Einflussmöglichkeiten des Obhutsträgers darstellen und je weniger Orientierungsalternativen der Jugendliche hat, desto stärker ist das Schutzbedürfnis. Wenn der Verantwortliche verpflichtet ist, über einen längeren Zeitraum hinweg die Lebensführung des Jugendlichen zu leiten und zu überwachen, dient das Obhutsverhältnis der Erziehung des Schutzbefohlenen. Zu den Adressaten zählen insbesondere Personensorgeberechtigte wie die Eltern, Pfleger oder ein Vormund.30 Ein Obhutsverhältnis begründet sich jedoch nicht allein durch eine häusliche Gemeinschaft.31 Es muss vielmehr eine Beziehung vorliegen, die dazu berechtigt und verpflichtet, für die Lebensführung des Jugendlichen, insbesondere für seine psychische und physische Entwicklung,

30

31

Beide Eltern i.S.d. §§ 1626 Abs. 1, 1687, 1626a Abs. 1 Nr. 1 und 2, 1672 Abs. 2, 1754 Abs. 1 und 3 BGB; ein Elternteil i.S.d. §§ 1680, 1671, 1672 Abs. 1, 1626a Abs. 2, 1678, 1754 Abs. 2 und 3 BGB; Pfleger i.S.d. §§ 1630, 1688, 1915, 1791b BGB; Vormund i.S.d. §§ 1793, 1791b, c BGB: vgl. auch Gesamtübersicht Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 409. BGH, NStZ-RR 1999, 321.

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zu sorgen.32 Derartige Erziehungsaufgaben obliegen auch den Lehrern gegenüber ihren Schülern. Dieses gilt auch für den Umgang außerhalb des Unterrichts. Die Erzieherrolle endet jedoch, wenn der Schüler die Schule wechselt oder sie beendet.33 Allerdings sind dem Schulleiter alle Schüler seiner Schule zur Erziehung und Aufsicht anvertraut.34 Lehrleistungen eines Nachhilfelehrers begründen hingegen keine Verantwortung für die Lebensführung des Minderjährigen bzw. für ein Über- und Unterordnungsverhältnis.35 Auch bei dem Ausbildungsverhältnis muss eine gewisse Erziehungskomponente vorliegen. Dem Minderjährigen müssen in einem bestimmten Wissens- und Lebensbereich im Hinblick auf ein konkretes Ausbildungsziel Kenntnisse vermittelt werden. Bloßes Anleiten zu Verrichtungen, Einweisungen oder einfachen mechanischen Tätigkeiten scheiden daher aus. Ausschlaggebend ist, ob der Ausbilder lediglich eine Unterweisungsaufgabe inne hat oder ob er eine Pflicht zu einer gewissen dauerhaften und nicht nur oberflächlichen Aufsicht des Minderjährigen hat. Nicht entscheidend ist hingegen, wie das Ausbildungsverhältnis begründet wurde und welchen Zeitansatz es umfasste. Eine Betreuung in der Lebensführung ist schließlich dann anzunehmen, wenn für eine gewisse Dauer auch die Verantwortung für das körperliche und psychische Wohl der Person unter 16 Jahren dem Täter übertragen wird. Die Tätigkeit des sog. Jugendherbergsvaters36 ist aufgrund des Zeitansatzes „von gewisser Dauer“ ebenso ausgeschlossen wie die eines Babysitters oder eines Arztes gegenüber seinen Patienten. Insofern muss ein den persönlichen, allgemeinen menschlichen Bereich erfassendes Abhängigkeitsverhältnis im Sinne eines Unter- und Überordnungsverhältnisses des Minderjährigen zu dem Erwachsenen vorliegen. Das Opfer kann jedoch einem Fußballtrainer und Mannschaftsbegleiter als Ausbilder und Betreuer anvertraut sein. Hierbei ist regelmäßig von einer Mitverantwortung für die geistige und sittliche Entwicklung der anvertrauten Person auszugehen.37 Das „Anvertrautsein“ setzt voraus, dass die Schutzbefohlenen dem Täter durch einen Vertrauensbeweis überantwortet wurden und daher gewissermaßen „in die Hand und in die Hut“38 gegeben sind. Insofern wird ein ganz bestimmtes Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen Täter und Opfer vorausge32 33 34 35 36 37 38

BGH, NStZ-RR 2000, 353. BGH, NStZ 2003, 661. BGHSt 19, 163. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 8; Hörnle, LK, § 174, Rn. 15. BGH, NJW 1957, 1201. BGHSt 17, 191. BGHSt 21, 200.

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setzt. Der Umstand, dass ein Pfarrer Einfluss auf seine Gemeindemitglieder nimmt, rechtfertigt nicht ohne weiteres die Annahme eines Anvertrautseins.39 Verlangt wird, dass der übergeordnete Täter auch auf die sittliche Haltung seines Schützlings bildenden oder zumindest behütenden Einfluss nehmen muss. Neben der oben erläuterten sachlichen Abhängigkeit, verlangt dieses Merkmal zusätzlich eine persönlich-menschliche Abhängigkeit.40 Diese Tatbestandskomponenten bilden in Verbindung mit dem geschützten Personenkreis das Obhutsverhältnis. Die nur ansatzweise dargestellte Rechtslage im Hinblick auf das Obhutsverhältnis und die jeweiligen durch Rechtsprechung und Kommentarliteratur vorgenommenen Abgrenzungen werfen im Rahmen einer systemkritischen Auslegung des Rechtsguts die Frage auf, welche „Aufgabe“ der Strafnorm § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Verhältnis etwa zu § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB zukommt. Im Rahmen der Auslegung der Grenzen des Anvertrautsein-Begriffs wird dieses anhand der „Lehrerfälle“ deutlich. Nach der „Schulleiterentscheidung“ des BGH41 ist ein Anvertrautsein ausnahmsweise auch für den Lehrer gegeben, der nicht selbst die betroffene Person unterrichtet, jedoch kraft seiner besonderen Aufgabe und Autorität jedem Schüler der Schule anvertraut ist. Grundsätzlich sei es jedoch so, dass es vornehmlich auf die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls ankomme. Zudem könne allein daraus, dass gesetzliche Bestimmungen, Dienstanweisungen oder andere Verwaltungsanordnungen, die Pflichten der Lehrer formell umschrieben, nicht ein solches Obhutsverhältnis hergeleitet werden. Dabei stellte der BGH fest, dass es aufgrund der einzelnen Schularten häufig schwierig sei, die tatsächlichen Verhältnisse zu bestimmen. So würden sich in kleineren Schulen alle Lehrer und Schüler eher kennen. In großstädtischen Schulen sei die Zahl der Schüler nicht selten so hoch, der Schulbezirk, aus dem sie kommen, so ausgedehnt, auch ein Schülerwechsel so häufig und das Lehrerkollegium so groß, dass sich Lehrer und Schüler völlig fremd blieben, soweit sie sich nicht in den Unterrichtsstunden kennenlernten. Insofern könne unter solchen Bedingungen ein Obhutsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern durch die Tatsache ihrer bloßen Zugehörigkeit zur selben Schule nicht begründet werden. Grundsätzlich entstehe eine solche Beziehung erst mit der Zuweisung des Schülers an einen bestimmten Lehrer, der entsprechende Pflichten übernehme. Die Abgrenzung

39 40 41

BGH, NJW 1986, 1053. Gössel, Sexualstrafrecht, S. 82. BGHSt 19, 163.

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hilft jedoch wenig weiter, da schwerlich festzustellen sein wird, wann von einer großen bzw. einer kleinen Schule ausgegangen werden soll.42 Geht man jedoch von einer engen Auslegung des Anvertrautseins-Begriffs aus, wird eine Abgrenzung im Hinblick auf § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB immer undeutlicher. Sofern die sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht aufgrund der Unterordnungs- und Abhängigkeitsverhältnisse, die eine erhöhte Anfälligkeit des Opfers gegen sexuelle Übergriffe der Autoritätsperson implizieren, geschützt werden soll, vermag die im Einzelfall zu beurteilende Nähe des Lehrers bzw. einer anderen Autoritätsperson keinen sinnvollen Maßstab darzustellen. Aus dem Blickwinkel der Eltern wird die Beziehung ihrer 15jährigen Tochter mit irgendeinem Lehrer der Schule genauso unangenehm sein wie eine solche mit dem Klassenlehrer. Der entscheidende Unterschied ist jedoch die Einflussnahme des Lehrers aufgrund seines Machtverhältnisses. Unterstellt, dass diese Einflussnahme tatsächlich nicht missbräuchlich erfolgt, sondern der Lehrer sich seiner Verantwortung bewusst ist und – bestenfalls – erst gar keine Beziehung mit seiner Schülerin eingeht bzw. die Konsequenzen zieht und sich versetzen lässt oder aber außerstrafrechtliche Interventionen und Sanktionen (etwa durch ein Disziplinarverfahren oder eine tarifrechtlich begründete Abmahnung oder Kündigung) greifen, wäre das Gleichgewicht wieder hergestellt. Anders verhält es sich, wenn tatsächlich die sexuellen Handlungen wie in § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB unter Missbrauch der mit dem Erziehungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit einhergehen würde. Dieses würde tatsächlich nach einem sozialethischen Tadel in Form einer Kriminalstrafe verlangen. Dabei muss der Täter lediglich die auf seiner Macht gegenüber dem Schutzbefohlenen beruhende innere Abhängigkeit des Jugendlichen für seine Zwecke ausnutzen. Obgleich beiden Teilen der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses bewusst sein muss, wird nicht vorausgesetzt, dass der Täter den Jugendlichen unter Druck setzt, indem er die Befürchtung ernster Nachteile (z.B. schlechte Noten) oder das Ausbleiben von Vorteilen verdeutlicht. Ausreichend ist, dass der Täter seine Macht und Überlegenheit in einer für den Jugendlichen erkennbar werdenden Weise als Mittel einsetzt.43 Bei § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB fehlt es gänzlich an einem solchen strafbedürftigen Missbrauchsfaktum. Geht man davon aus, dass die Handlung des Täters im Rahmen des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses die eingeschränkt vorhandene Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen derart beeinträchtigt, 42 43

Ausführlich zur Auslegung des Anvertrautsein-Begriffs: Fromm, NJOZ 2010, 276. Zum Begriff der sexuellen Handlung unter Missbrauch der mit dem Erziehungsauftrag verbundenen Abhängigkeit vgl. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 14; Hörnle, LK, § 174, Rn. 33.

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dass er nicht mehr rechtlich wirksam in die sexuelle Interaktion einwilligen kann, bleibt anzumerken, dass zumindest der Lehrer bei der Eingehung eines Verhältnisses mit einer Schülerin disziplinarrechtlich mit der Entfernung aus dem Schuldienst zu rechnen hat, wenn er dadurch seine dienstlichen Pflichten entsprechend verletzt hat.44 Insofern wäre seine berufliche Existenz zerstört. Diese aufgezeigten Folgen beschreiben angewandten, außerstrafrechtlichen Rechtsgüterschutz.

f) Das Absehen von der Strafe nach § 174 Abs. 4 StGB Die Regelung erlaubt dem Richter in den Fällen des § 174 Abs. 1 Nr. 1 oder des Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 von der Strafe abzusehen, wenn bei Berücksichtigung des Opferverhaltens das Unrecht der Tat gering ist. Bereits die Staatsanwaltschaft kann gem. § 153b StPO ggf. mit Zustimmung des Gerichtes von einer Klageerhebung absehen.45 Die Vorschrift soll dem Umstand Rechnung tragen, dass jeder sexuelle Kontakt zwischen dem Täter und dem Schutzbefohlenen genügt, unabhängig davon, ob der Täter seine Stellung in irgendeiner Weise ausgenutzt hat.46 Somit sollen gerade auf Partnerschaft ausgerichtete Liebesbeziehungen47 erfasst werden, ferner Beziehungen, bei denen zwischen dem Täter und dem Schutzbefohlenen nur ein geringer Altersunterschied besteht. Das Verständnis des § 174 Abs. 4 StGB als negativ formulierte Strafbedürftigkeitsvoraussetzung erlaubt zudem eine gewisse inhaltliche Präzisierung des Anwendungsbereiches des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Während es bei der Feststellung der Rechtsgutsverletzung im Hinblick auf die sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht bei § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB lediglich um das bestehende Obhutsverhältnis geht und die Art und Weise der Einwirkung durch den Täter nicht genau umschrieben wird, erscheint es gerade bei § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB leichter, durch das zusätzliche Missbrauchsmerkmal die durch die Abhängigkeitsbeziehung typischerweise beeinträchtigte Fähigkeit, sich dem sexuellen Ansinnen des Täters zu verweigern, als schützenswertes Rechtsgut anzuerkennen. Durch die explizite Verweisung des § 174 Abs. 4 StGB auf § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird deutlich, dass der Unrechtsgehalt in bestimmten Konstellationen eben als gering angesehen wird. Somit kann es Ausnahmen geben, in denen ggf. von einer – auch unter den besonderen Bedingungen des Täter-Opfer-Verhältnisses – ausreichenden sexuellen Selbst44 45 46 47

So auch Fromm, NJOZ 2010, 278. Hörnle, LK, § 174, Rn. 70. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 21; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 441 f. Fischer, StGB, § 174, Rn. 20; Jung / Kunz, NStZ 1982, 410; BT-Drs. VI/3521, S. 21.

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bestimmungsfreiheit des Jugendlichen ausgegangen werden kann und insofern die gesetzliche Fiktion der Einwilligungsunfähigkeit unzutreffend sein kann.48 Dazu führen Jung und Kunz kritisch aus, dass im Falle der Annahme des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung der Unrechtstatbestand in den Fällen des § 174 Abs. 4 StGB vor vornherein entfiele, da der sexuell erfahrene Jugendliche, der den Täter verführe oder der eine auf Gegenseitigkeit beruhende Liebesbeziehung eingehe, in aller Regel die Fähigkeit besitze, sich sexuellen Ansinnen des Täters zu widersetzen. Demnach bleibe für das Absehen von der Strafe nur dann ein eigenständiger, auf das spezifische Opferverhalten zugeschnittener Anwendungsbereich, wenn die Strafvorschrift bezogen auf die sozialkonforme Persönlichkeitsbildung in Obhutsverhältnissen ausgelegt werden würde.49 Auch der BGH geht davon aus, dass Personen ab 14 Jahren unter bestimmten Umständen die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung besitzen können. Dabei sollen Vorerfahrungen, die nicht auf frühere sexuell missbräuchliche Handlungen beruhen, Anzeichen dafür sein, dass die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung bereits vorhanden war.50 In Anlehnung an Hörnle51 ist dieser Argumentationslinie jedoch entgegenzuhalten, dass die Voraussetzungen der wirksamen Einwilligung verkannt werden. Es kommt bei der Einwilligung nicht auf das faktische Wollen an, sondern darauf, ob dieses Wollen auf eine selbstbestimmte Entscheidung zurückgeht. Der Jugendliche muss insofern in der Lage sein, bestimmte Impulse reflexiv zu bewerten und die eigenen Interessen zu erkennen. Allein das Verführen oder Erleichtern von sexuellen Kontakten bringen noch nicht zum Ausdruck, dass der Jugendliche über eine für selbstbestimmtes Handeln in derartigen Situationen ausreichende psychische Reife verfügt. Betrachtet man § 174 Abs. 4 StGB als Korrektiv für den weiten Anwendungsbereich des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB ergeben sich zwei Fallvarianten für die praktische Anwendung der Absehensklausel: In den sog. tragischen Konfliktsituationen52 (echte Liebesbeziehungen, auf Partnerschaft ausgerichtete Beziehungen oder Beziehungen, die bereits vor dem Obhutsverhältnis bestanden) muss der Tatrichter zu der Überzeugung gelangen, dass ausnahmsweise der Jugendliche in die sexuelle Interaktion wirksam eingewilligt hat. In diesem Fall müsste sogar entgegen dem Wortlaut des Gesetzes obligatorisch von der Strafe abgesehen werden.53 Die zweite Fallva48 49 50 51 52 53

Hörnle, LK, § 174, Rn. 70. Jung / Kunz, NStZ 1982, 412 f. BGH, NStZ-RR 1997, 98. Hörnle, LK, § 174, Rn. 4. BT-Drs. VI/3521, S. 21. So auch Hörnle, LK, § 174, Rn. 70.

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riante kommt in Betracht, wenn tatsächlich der betroffene Jugendliche konkrete Initiativen ergreift. Die Initiative des Jugendlichen verringert das Unrecht jedoch nur dann, wenn bedingt durch das Handeln des Täters das geschützte Rechtsgut nur in geringem Maße berührt wird.54 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Jugendliche den Täter verführt, die Tat bewusst erleichtert hat oder eine echte Liebesbeziehung besteht, die aber nicht auf der Annahme vollständiger Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen beruht oder der Jugendliche bei entsprechender Reife altersbedingt den oberen Bereich der Schutzaltersklasse erreicht hat. So gesehen spricht die Absehensklausel grundsätzlich nicht gegen den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung als Rechtsgut, wenn dieses Gut als Respektierung der Intimsphäre und der Freiheit von einwilligungsunfähigen Jugendlichen im Alter von 14 und 15 Jahren verstanden wird.

g) Deliktscharakter Zumindest bei § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch nicht ausschließlich durch die sexuelle Handlung (wie etwa bei § 176 StGB) verwirklicht, sondern durch die besondere Konstellation verschiedener Elemente wie Opferalter, Anvertrautsein, Erziehungsauftrag und sexuelle Handlung. Die Gefährdung der (normalen) Sexualentwicklung soll nur dann gegeben sein, wenn diese besondere Situation eintritt. Schon aus der Überlegung resultierend, dass etwa im Falle des Wegfalls des Merkmals „Erziehungsauftrag“ die sexuelle Beziehung des Erwachsenen mit dem Jugendlichen offensichtlich kein Rechtsgut tangiert (weder ist das sexuelle Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt, noch ist von einer gestörten Sexualentwicklung auszugehen), beschreibt die durch den Tatbestand geschützte Sphäre eine nur unter bestimmten Umständen vorliegende Gefährlichkeit. Zutreffend scheint daher die Charakterisierung des § 174 StGB als Sonderdelikt.55 Das Verbot richtet sich an einen bestimmten Personenkreis. Täter können nur die im Gesetz genannten Obhutsträger sein. Verlangt wird daher eine Täterqualifikation.56 Nach Laubenthal sind die Jugendschutznormen des 13. Abschnittes in Gänze als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestaltet worden. Demnach gebe das Gesetz als maßgebliches Kriterium das Alter im Rahmen von Jugendschutzzo-

54 55 56

Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 21. So auch Ziegler, OK-StGB, § 174, Rn. 3; Renzikowski, MK, § 174, Rn. 4; Fromm, NJOZ 2010, 276. Vgl. dazu Roxin, Strafrecht AT, § 10, Rn. 129.

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nen vor.57 Ob nun alle Jugendschutzdelikte im 13. Abschnitt des StGB als Gefährdungsdelikte erfasst wurden, kann – im Vorgriff auf die noch folgenden Untersuchungen – allerdings bezweifelt werden.58 Zumindest bei den Strafnormen, bei denen sich der sexuelle Missbrauch durch unmittelbare oder mittelbare sexuelle Handlungen konkretisiert (§§ 174, 180, 182 StGB), steht der Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung (als Abwehrrecht) im Vordergrund. Wird somit der Jugendliche durch i.d.R. äußere Einflüsse (Autorität, Zwangslagen, entgeltliche Leistungen) in seiner bedingt vorhandenen Selbstbestimmungsfähigkeit beeinflusst, wird seine Freiheitsrecht und seine Intimsphäre bereits zum Zeitpunkt der Tathandlung beeinträchtigt. Verletzt wird demnach das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Schutzbefohlenen durch fremdbestimmte bzw. aufgedrängte sexuelle Handlungen.59 Daraus folgt, dass derartige Strafnormen als Verletzungsdelikte erfasst werden. Werden beide Rechtsgüter angeführt, zum einen das der sexuellen Selbstbestimmung als Abwehrrecht und zum anderen das des Schutzes vor sexueller Fehlentwicklung, entsteht im Hinblick auf den Deliktscharakter ein Paradoxon. Der Strafnorm wird der Charakter eines Verletzungs- und Gefährdungsdelikts verliehen. Da dies eine wenig tragfähige Konstruktion ist, erscheint es sinnvoller, dass ausgehend vom dem Individualrechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung und der Annahme keiner weiteren Schutzausrichtungen mit Rechtsgutsqualität von einem Verletzungsdelikt auszugehen ist. Bestimmt man den Schutzbereich des § 174 StGB nicht allein durch den Rechtsgüterschutzgedanken, sondern gleichermaßen auch durch spezifische Handlungsvoraussetzungen60, spielt allerdings aufgrund der besonderen Täterqualifikation und der Nachrangigkeit der sexuellen Handlung der Gefährdungscharakter eine nicht nur untergeordnete Rolle. Diesem Umstand wird jedoch dadurch Rechnung getragen, dass die Argumente im Hinblick auf die möglichen entwicklungsbedingten Folgeschäden der eingeschränkten Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen zugerechnet werden, d.h. der Jugendliche muss die Tragweite seiner Handlungen einschätzen können. Zu dieser Ein-

57 58

59 60

Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 327. Jedoch in der Literatur teils inkonsequent, wenn etwa das Rechtsgut auf sexuelle Selbstbestimmung bei § 174 StGB angenommen wird, andererseits die Jugendschutzdelikte (somit auch § 174 StGB) generell als abstrakte Gefährdungsdelikte bezeichnet werden, vgl. Hörnle, LK, § 174, Rn. 2 und Vor § 174, Rn. 48. Renzikowski, MK, § 174, Rn. 4; Hörnle, LK, § 174, Rn. 1. Zur systematischen Vorgehensweise in diesem Zusammenhang vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 10, Rn. 56.

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schätzung gehört auch eine realistische Prognose über eventuelle Folgeschäden.61

2. Schutz von Jugendlichen unter 18 Jahren vor sexuellen Handlungen unter Missbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB) Der Missbrauch der Abhängigkeit in § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB beinhaltet im Vergleich zu § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB neben dem Schutzaltersbereich der 16und 17-Jährigen drei zusätzliche Elemente, die der Strafnorm vor dem Hintergrund der Legitimationsfrage einen anderen Charakter verleihen. Zunächst muss der Täter zusätzlich unter Missbrauch einer mit dem Schutzverhältnis verbundenen Abhängigkeit des Schutzbefohlenen handeln. Ferner wird das Obhutsverhältnis um eine Unterordnung im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses ergänzt. Schließlich ist ein Absehen von der Strafe i.S.d. § 174 Abs. 4 StGB nicht für diese Tatbestandsvariante vorgesehen. Im Hinblick auf den Missbrauch der Abhängigkeit müssen Täter und Opfer sich darüber im Klaren sein, dass eine sachliche oder psychische Abhängigkeit zur Tatzeit konkret gegeben ist.62 Der Täter muss dann die bestehende Abhängigkeit bewusst als Mittel einsetzen, so dass – zumindest nach der h.M.63 – dolus directus zu verlangen ist.64 Der Täter kann demnach im Rahmen einer für das Opfer bestehenden Drucksituation offen oder verdeckt seine Macht und Überlegenheit einsetzen, um sich den Jugendlichen gefügig zu machen. Gleichsam kann der Täter aber auch außerhalb einer Drucksituation die Abhängigkeit als Mittel zur Ausführung der Tathandlung einsetzen.65 Ein Missbrauch der Abhängigkeit liegt auch dann vor, wenn der Täter dem Schutzbefohlenen zunächst einen Nachteil zufügt und dann sexuelle Handlungen erwirkt, die auf der für den Täter erkennbaren Motivation beruhen, dass der Nachteil durch die Hingabe wieder rückgängig gemacht wird. Schließlich sind auch Fälle denkbar, in denen der Täter für den Fall der Hingabe künftige Vorteile verspricht.66 Ein bloßer Missbrauch der Stellung des Täters genügt für 61 62 63 64 65 66

Siehe oben Kap. 3 D). BGH, NStZ 1982, 329; BGH, NStZ 1991, 81; Fischer, StGB, § 174, Rn. 15. BGHSt 13, 352; Gössel, Sexualstrafrecht S. 89; Hörnle, LK, § 174, Rn. 47; Renzikowski, MK, § 174, Rn. 35. Anders insoweit Fischer, StGB, § 174, Rn. 16; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 18. BGHSt 28, 365; Gössel, Sexualstrafrecht S. 88. BT-Drs. VI / 3521, S. 22.

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sich allerdings nicht, da es auf den Missbrauch der Abhängigkeit ankommt. Sofern die Tathandlungen durch die Initiative des Jugendlichen angeregt wurden oder der Jugendliche eine spontane Bereitwilligkeit zu sexuellen Handlungen erklärt, schließt das den Missbrauch nicht notwendig aus, kann jedoch indiziell gegen einen Missbrauch sprechen.67 Die Einbeziehung von Arbeits- und Dienstverhältnissen in den Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB gründet sich darauf, dass auch außerhalb eines Ausbildungsverhältnisses Hilfskräfte, denen einfache technische Kenntnisse oder praktische Fertigkeiten beigebracht werden, vom Schutzumfang erfasst werden.68 Dabei stellt sich die Frage, ob die Abhängigkeit des Jugendlichen im Arbeits- und Dienstverhältnis ebenso schutzwürdig erscheint, wie Abhängigkeiten im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses. Das Ausbildungsverhältnis wird dadurch geprägt, dass es mitunter den psychologischen Zwang beinhaltet, eine Ausbildung als fundamentale Ausgangsposition einer beruflichen Entwicklung abschließend zu absolvieren. Die umgangssprachlich landläufige Formulierung „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ lässt inhaltlich die für das Ausbildungsverhältnis charakteristische Abhängigkeit und Unselbständigkeit deutlicher hervorheben. Das Arbeits- und Dienstverhältnis, dem ein Jugendlicher unterworfen ist, erscheint dabei weniger bindend. Es bezieht sich auf privat- und öffentlichrechtliche Dienst- und Arbeitsverhältnisse, unabhängig von ihrem Entstehungsgrund, der Art der zu leistenden Dienste und auch ohne Rücksicht auf die Rechtswirksamkeit des Verhältnisses.69 Der Jugendliche kann bei sich anbahnenden Belästigungen ohne einen gravierenden beruflichen Entwicklungseinschnitt eine andere Arbeitsstelle suchen. Zudem ist fraglich, ob die im Rahmen des 4. StrRG in den 70er Jahren angeführte Begründung, dass eine derartige Abhängigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses „in Zeiten einer starken Arbeitslosigkeit“ besonders deutlich werde, heute noch Gültigkeit besitzt.70 Dies mag gerade unter Berücksichtigung des zunehmenden Bildungsgefälles zwischen „sozialen Gewinnern und Verlierern“ erneut an Aktualität gewinnen. Zumal es jeweils von den näheren Umständen abhängen wird, ob tatsächlich eine Abhängigkeit besteht und ob diese missbraucht wird.71 Im Hinblick auf die Strafbarkeit ergibt sich zwischen den Varianten 67 68 69 70 71

Lackner / Kühl, StGB, § 174, Rn. 9; drastischer formuliert insofern, dass in derartigen Fällen regelmäßig ein Missbrauch zu verneinen sei, Gössel, Sexualstrafrecht S. 88. BT-Drs. VI / 3521, S. 23. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 10. BT-Drs. VI / 3521, S. 23. Indizien für den Missbrauch einer Abhängigkeit sind in diesem Zusammenhang etwa die Stellung des Täters, das Alter und der Arbeits- bzw. Ausbildungsstand des Opfers,

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Ausbildungsverhältnis und Arbeits- bzw. Dienstverhältnisse allerdings eher wenig Diskussionsraum. Die entscheidenden Merkmale sind vielmehr das Alterssegment und der Missbrauch der Abhängigkeit. Durch § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird die sexuelle Selbstbestimmung des bald volljährigen Jugendlichen geschützt.72 Die sexuelle Entwicklung des Jugendlichen spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Die Vornahme von sexuellen Handlungen bei 16- und 17-Jährigen begründet allein noch nicht die Strafbarkeit. Obgleich sexuelle Kontakte im Erziehungs- und Ausbildungsverhältnis zu Irritationen führen können und insofern auch das pädagogische Verhältnis zu der Gesamtheit der Schutzbefohlenen dadurch gestört werden kann73, liegt der Betrachtungsschwerpunkt der strafwürdigen Verhaltensweise auf dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Das Abgrenzungsmerkmal, welches 16- und 17-Jährige gegen sexuelle Pressionen unterhalb der Schwelle der Nötigung als besonders schützenswert erscheinen lässt (Personen die das 18. Lebensjahr vollendet haben, genießen diesen Schutz nicht), ist wiederum das besondere Obhutsverhältnis, welches der Täter für seine Zwecke missbraucht. In dieser Konstellation erscheint der Schutzumfang vertretbar. Wie etwa bei § 182 Abs. 1 StGB die Zwangslage als wesentliches Unrechtselement beschrieben wird, ist bei § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Kombination von Abhängigkeit (in Abgrenzung zu einer ungebundenen sozialen Existenz) und Missbrauch dieser Abhängigkeit durch den Täter einschlägig. Das echte Abhängigkeitsverhältnis endet mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Aufgrund der körperlichen, geistigen und sexuellen Entwicklung sind 18-Jährige vollständig in der Lage, sich gegenüber Autoritätspersonen zu behaupten, selbst wenn etwaige Ausbildungsverhältnisse noch nicht abgeschlossen sind. Im Rahmen einer systemkritischen Rechtsgutsbestimmung ergeben sich aus diesen Überlegungen Konsequenzen. Während durch § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB der Schutz vor sexueller Fremdbestimmung als Abwehrrecht im Vordergrund steht und die mögliche sexuelle Fehlentwicklung als ein für den Jugendlichen entscheidungsrelevantes Kriterium in das geschützte Rechtsgut integriert wird, geht es bei § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB um die Annahme eines genügend ausgeprägten Selbstbestimmungsrechts, welches aufgrund seiner noch altersbedingten Empfindlichkeit eines besonders (eben unterhalb der Nötigung) verankerten Schutzes bedarf.

72 73

die Intensität der Beziehung zwischen Täter und Opfer, vgl. dazu BT-Drs. VI / 3521, S. 22; Sturm, JZ 1974, 5. Jung / Kunz, NStZ 1982, 412. Hörnle, LK, § 174, Rn. 5.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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3. Schutz von Jugendlichen unter 18 Jahren vor sexuellen Handlungen im Rahmen besonders enger Abhängigkeitsverhältnisse (§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB) Durch § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB wird das noch nicht 18 Jahre alte leibliche oder das vom Täter adoptierte Kind74 geschützt. Grundgedanke dieser Strafnorm ist, dass zwischen Eltern und Kindern regelmäßig eine besonders intensive Beziehung besteht und diese in jedem Fall von sexuellen Kontakten freigehalten werden soll. Es ist davon auszugehen, dass sexuelle Kontakte zu den Eltern für die Kinder eine ernste Störung ihrer Entwicklung zur Folge haben.75 Derartige sexuelle Kontakte stehen im deutlichen Widerspruch zu dem in Art. 6 GG geschützten Erziehungsverhältnis und dem damit verbundenen Erziehungsziel.76 Ferner bewirken derartige Verstöße zwangsläufig einen Vertrauensverlust bei dem geschädigten Kind und eine schwere Beeinträchtigung des Familienverbandes.77 Das besonders schützenswerte Element ist dabei die zwischen Kindern und Eltern bestehende Abhängigkeit, die im Vergleich zu den anderen in § 174 Abs. 1 StGB erfassten Verhältnissen die intensivste ist. Insofern bedarf es auch keiner Erörterung des Missbrauchs von Abhängigkeit. Aufgrund eines generellen Verbotes von sexuellen Kontakten besteht insofern eher eine Nähe zu § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Allerdings spielt es keine Rolle, ob das Opfer etwa im Alter von 16 oder 17 Jahren über eine gewisse sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit verfügt. Aufgrund der intensiven Abhängigkeit zu ihren Eltern sind auch ältere Jugendliche nicht in der Lage, in sexuelle Kontakte mit ihren Eltern wirksam einzuwilligen.78 Sofern es zur Begründung des Abhängigkeitsverhältnisses um die tatbestandsmäßige Voraussetzung des leiblichen Kindes geht, so fehlt es an einem tatsächlichen Näheverhältnis, wenn die Kinder nicht im Kontakt mit dem biologischen Elternteil aufgewachsen sind. Der biologische Elternteil nimmt in dieser Konstellation keine soziale Rolle gegenüber dem Opfer wahr. Dies betrifft jedoch nur Fälle, in denen absolut kein Kontakt stattgefunden hat. Schon bei einem sporadischen Umgang, unabhängig von dem tatsächlich bestehenden Umgangsrecht, kann eine mehr oder minder stark ausgeprägte 74

75 76 77 78

Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss es sich um das leibliche oder „angenommene“ Kind handeln. Angenommene Kinder sind adoptierte Kinder, die gem. § 1741 ff. BGB den leiblichen Kindern gleichstehen. Sturm, JZ 1974, 5; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 11. BT-Drs. VI / 3521, S. 24. Miebach, NStZ 1994, 223. Hörnle, LK, § 174, Rn. 36.

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4. Kapitel

Rollenfunktion des Elternteils nicht abgesprochen werden.79 In den Fällen, in denen der betreffende Elternteil als völlig fremde Person in das Leben des Jugendlichen tritt und es zu sexuellen Kontakten kommt, ist der auf persönliche Abhängigkeit abzielende Schutzbereich des § 174 StGB verfehlt. Einschränkend kann jedoch konstatiert werden, dass zumindest Täter und Opfer sich über das bestehende Abstammungsverhältnis im Klaren sein müssen.80 Zudem kann die Intensität des Abhängigkeitsverhältnisses bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.81 Dem Gedanken des besonderen Schutzes vor sexuellen Kontakten im Rahmen einer familiären Abhängigkeit läuft allerdings zuwider, dass sog. Scheineltern (i.d.R. nur im Hinblick auf die sozial etablierte, nicht aber biologische Vaterschaft) nicht erfasst werden. Eine „Scheinvaterschaft“ kann dadurch entstehen, dass zum Zeitpunkt der Geburt ein Eheverhältnis vorlag, die Vaterschaft nach der Geburt anerkannt wurde oder diese gerichtlich festgestellt wurde, obgleich das Kind nicht von dem „Scheinvater“ gezeugt wurde.82 I.S.d. Tatbestandes ist ein solcher „Scheinvater“ weder leiblicher Vater noch Elternteil eines „angenommenen Kindes“. Somit kann er lediglich unter den Voraussetzungen des § 174 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, was im Falle des 16- oder 17-jährigen Opfers gem. § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur beim konkreten Missbrauch der Abhängigkeit möglich ist. Auch fallen Stief- und Pflegeeltern sowie Großeltern nicht unter die Vorschrift § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB.83 Im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut dominiert bei § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB der Schutzgedanke, dass junge Menschen in bestimmten Abhängigkeitsverhältnissen vor sexueller Fremdbestimmung bewahrt werden sollen.84 Die noch in der Entwicklung befindlichen Jugendlichen sollen vor sexuellen Übergriffen geschützt werden, die sich im Rahmen eines engen familiären

79

80 81

82 83 84

Ohne Bedeutung ist auch, wenn das Personensorgerecht entzogen wurde, sofern die Erziehung tatsächlich weiterhin ausgeführt wird, vgl. dazu Frommel, NK, § 174, Rn. 13. Renzikowski, MK, § 174, Rn. 34. BGH, NStZ 1994, 183: „[…] ohne Frage kann die Strafwürdigkeit eines Vaters, der die wirtschaftliche oder sonstige Abhängigkeit seiner noch nicht 18 Jahre alten, im selben Haushalt lebenden Tochter mehr oder weniger rigoros ausnutzt, sich anders darstellen als die des Vaters, dessen Tochter, wirtschaftlich selbständig und für sich lebend, ohne jede Abhängigkeit sexuelle Beziehungen zum Vater unterhält.“ Hörnle, LK, § 174, Rn. 39. Ziegler, OK-StGB, § 174, Rn. 9; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 11. Frommel, NK, § 174, Rn. 8.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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Verhältnisses vollziehen.85 Geschützt wird somit das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Jugendlichen.

4. Sexuelle Kontakte ohne körperliche Berührung (§ 174 Abs. 2 StGB) Der Tatbestand des § 174 Abs. 2 StGB unterscheidet sich von dem des § 174 Abs. 1 StGB lediglich durch die Tathandlung. Demnach wird in zwei Alternativen differenziert. Die Tathandlungsalternativen müssen in der Absicht vorgenommen werden, sich selbst oder den Schutzbefohlenen sexuell zu erregen.86 Der wesentliche Unterschied ist, dass es nicht zu einer körperlichen Berührung zwischen dem Täter und dem Schutzbefohlenen kommt. Dementsprechend sind die Tatbestände mit einer geringeren Strafandrohung versehen.87 Die sexuellen Handlungen vor dem Schutzbefohlenen gem. § 174 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzen voraus, dass der Täter die Handlungen vor dem Schutzbefohlenen dergestalt vornimmt, dass dieser diese Handlungen auch wahrnimmt. Die Wahrnehmung durch das Opfer ist erforderliches Merkmal, da der Täter in Erregungsabsicht im Hinblick auf das Opfer handeln muss.88 Im Falle des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB ohne körperliche Berührung muss die Tathandlung auch unter Missbrauch von Abhängigkeit erfolgen. Notwendiges Abgrenzungskriterium im Hinblick auf exhibitionistische Handlungen gem. § 183 StGB ist, dass die sexuelle Handlung nicht zu einer allgemeines Belästigung oder zu einem Ärgernis führt, sondern im Rahmen eines speziellen Obhutsverhältnisses erfolgt. Sofern der Schutzbefohlene gem. § 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor dem Täter sexuelle Handlungen vornimmt, muss eine vorherige Bestimmung zu solchen Handlungen durch den Täter erfolgen. Ausgeschlossen ist insofern ein Unterlassen. Strafbarkeit ist nicht gegeben, wenn der Obhutspflichtige den Jugendlichen bei seiner Entschlussfassung, sexuelle Handlungen sichtbar an sich vorzunehmen, nicht hindert.89 Stellt man auf den Schutz der Rechtsgüter ab, so bleibt die sexuelle Selbstbestimmung als Gut auch unabhängig von der qualitativen Intensität des Ein85 86 87 88 89

BGH, NStZ 1983, 553. Gössel, Sexualstrafrecht, S. 91. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 15. Renzikowski, MK, § 174, Rn. 41; Gössel, Sexualstrafrecht, S. 93. So etwa Perron / Eisele, Sch / Schr., § 174, Rn. 17; Renzikowski, MK, § 174, Rn. 40; anders Gössel, Sexualstrafrecht, S. 92.

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4. Kapitel

griffs bestehen, was § 174 Abs. 2 StGB somit den Charakter eines Verletzungsdeliktes verleiht. Das wesentliche Element ist der Schritt zur Eingehung sexueller Handlungen, die unter bestimmten Bedingungen und äußeren Einflussnahmen der Jugendliche noch nicht eigenständig zu entscheiden und zu bestimmen vermag. Ob diese mit oder ohne Berührung erfolgen, ist indes unerheblich. Sofern es um das Rechtsgut auf sexuelle Selbstbestimmung in Form des Schutzes vor sexueller Fremdbestimmung geht, ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Handlungen ohne Körperkontakt ebenfalls einen Eingriff in die Rechtssphäre des Schutzbefohlenen darstellen.90 Der in der konkreten Situation einwilligungsunfähige Jugendliche wird mangels seiner rechtswirksamen Zustimmung zum Objekt fremdbestimmter sexueller Begierde herabgewürdigt. Allerdings wird ein deutlich geringeres Erfolgsunrecht verwirklicht91, was sich richtigerweise in dem geringeren Strafrahmen niederschlägt.

IV. Zusammenfassung Im Rahmen der systemkritischen rechtsgutsorientierten Betrachtung des § 174 StGB ist zu konstatieren, dass durch § 174 StGB ausschließlich das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung geschützt wird. Unter den in der Strafnorm beschriebenen Umständen und Verhältnissen ist ein eigenverantwortlicher Umgang mit der Sexualität des Jugendlichen insbesondere wegen des psychosozialen Machtgefälles gegenüber dem Täter nicht möglich. Der Täter missbraucht demnach seine Überlegenheit zur Verfolgung sexueller Ziele. Das Rechtsgut kann als Kehrseite der positiven sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit verstanden werden. Es kommt nicht auf das wirksame Einverständnis des „Ob“, „Wann“ oder „Wie“ an. Es bedarf vielmehr keiner Einwilligungsmöglichkeit, da das Opfer in der jeweiligen Situation unfähig ist, in rechtserheblicher Weise über sein Sexualleben zu disponieren. Auch wenn der Jugendliche zu einer rechtlich relevanten Willensbildung in der konkreten Situation nicht in der Lage ist, widerspricht das nicht dem Schutzbereich der sexuellen Selbstbestimmung. Denn ohne die rechtswirksame Zustimmung wird der Jugendliche zum Objekt fremdbestimmter sexueller Begierde herabgewürdigt. Im Kern geht es insofern um die Verletzung der Rechtssphäre des Jugendlichen.92 Die ungestörte geschlechtliche und allgemeine Entwicklung Jugendlicher hat bei § 174 StGB hingegen keinen eigenständigen Rechtsgutscharakter. Aller90 91 92

Renzikowski, MK, § 174, Rn. 2. Frommel, NK, § 174, Rn. 67. Siehe auch oben Kap. 3 B).

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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dings ist die Gefahr der Fehlentwicklung mit zu berücksichtigen. Klassisch wird dabei nur die Gefahr der sexuellen Fehlentwicklung von Jugendlichen in den Vordergrund gerückt. Sexuelle Kontakte in einer dem durchschnittlichen Entwicklungsstand unüblichen Art und Weise können mitunter zu einer sexuellen Fehlentwicklung führen. Diese spezielle Prognose ist aber empirisch kaum zu belegen, noch muss sie sich zwangsläufig in einer sexuellen Fehlentwicklung konkretisieren. Das mögliche Abweichen vom normalen Weg kann vielschichtig sein und bedarf einer Betrachtung im gesellschaftlichen Kontext. Es geht um die Varianten der Fehlentwicklungen aufgrund sexueller Kontakte, vertauschter Rollenverhältnisse, Nichtwahrnehmung des Erziehungsauftrages, Ausnutzen von Machtverhältnissen etc. Durch das jeweilige Strafgesetz zum Schutze der Jugend darf jedoch nicht mehr verboten werden, als zur Erreichung friedlicher und freiheitlicher Koexistenz erforderlich ist. Inhaltlich kann somit auf die im Rahmen des Jugendschutzes angeführten Grundrechte Art. 7, Art. 6, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zurückgegriffen werden. Art. 6 Abs. 2 GG ist in diesem Zusammenhang als Wertungsmaßstab für erforderliche Rahmenbedingungen zu verstehen, insofern werden Mindeststandards für einen sozialadäquaten Bildungsweg gesetzt. Die Gefahr einer möglichen Fehlentwicklung wird weder als eigenständiges Rechtsgut noch als Nebenschutzzweck erfasst, sondern als ein Aspekt im Rahmen der eingeschränkten Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen. Insofern ist nicht nur die Einwilligungsfähigkeit im Hinblick auf die konkrete Tatsituation zu berücksichtigen, sondern auch die Fähigkeit des Jugendlichen, reflexiv die Folgen seiner Handlung im Hinblick auf seine weitere Entwicklung und soziale Integration zu berücksichtigen.93 Hingegen kann der staatliche Schutz elterlicher Erziehungsvorstellungen gem. Art. 6 Abs. 2 GG als eigenständiger strafbegründender Schutzzweck nicht angeführt werden, da der Staat nach dem Prinzip der Subsidiarität nur die Aufgabe hat, den Eltern bestimmte Grenzen aufzuerlegen und die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen zu überwachen. Der Staat kann jedoch nicht dafür Sorge tragen, dass die jeweiligen elterlichen Vorstellungen über Erziehung auch außerhalb der familiären Einwirkungsmöglichkeiten konkret vermittelt werden. Im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 GG ergeben sich aufgrund des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags gewisse Schutzpflichten. So muss etwa zwischen elterlicher und schulischer Erziehung eine gewisse Harmonie hergestellt werden, so dass demnach eine sexuelle Interaktion mit dem unterrichtenden Lehrer wohl nicht vereinbar wäre. Da sich das absolute Abstinenzverbot 93

Siehe oben Kap. 3 D).

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4. Kapitel

gem. § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur auf sexuelle Handlungen mit Jugendlichen unter 16 Jahren bezieht, kann dieser Ansatz allerdings vernachlässigt werden. Sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen sind generell straflos, während auch offensichtlich einvernehmliche sexuelle Kontakte zwischen Jugendlichen und Obhutsträgern gem. § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit Strafe bedroht werden. Dieser Widerspruch ist nur dann zu erklären, wenn das Obhutsverhältnis in seiner Intensität zu einer deutlichen Verhaltensbeeinflussung beim Opfer führt, die entweder die bedingt vorhandene Einwilligungsfähigkeit auf Null reduziert oder zu einer nachhaltigen Entwicklungsstörung führen kann. Neben der Einflussmöglichkeit der Autoritätsperson, der besonderen äußeren oder inneren Abhängigkeit der Schutzbefohlenen sowie der damit verbundenen geringeren Orientierungsalternativen ergeben sich altersspezifische Abgrenzungsmerkmale. Ferner ist die Qualität der sexuellen Handlung von Bedeutung. Die Pönalisierung sexueller Angriffe in Abhängigkeitsverhältnissen zum Schutze Jugendlicher wurde bereits vor fast 40 Jahren im Rahmen des 4. StrRG kritisch betrachtet. Empirische Studien haben gezeigt, dass in den letzten Jahrzehnten der Einstieg ins Geschlechtsleben von Mädchen und Jungen früher erfolgt.94 Daraus lässt sich ableiten, dass die Entscheidungsfähigkeit von Jugendlichen eine andere Qualität erhalten hat. Die Schwierigkeit der Jugendlichen, gegenüber anderen Personen selbstbestimmt zu agieren, nimmt somit ab. Ihnen kann ggf. mehr Widerstand zugemutet werden. Konsequenterweise muss dann für die Rechtfertigung einer Strafandrohung eine verschärfte Einwirkung seitens des Täters verlangt werden. Ob im Hinblick auf § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Annahme aufrechterhalten werden kann, dass etwa die durch eine 15-jährige Schülerin ihrem Lehrer gegenüber erteilte faktische Einwilligung keine Rechtswirksamkeit entfaltet, da es an kognitiven und physischen Beurteilungsfähigkeiten grundsätzlich mangelt, muss neu hinterfragt werden. Anpassungsbedürftig ist auch der Kreis der Autoritätspersonen. Während bei § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB nachvollziehbar die nicht volljährigen leiblichen oder adoptierten Kinder gegenüber ihren Eltern umfassend geschützt werden, ist der Kreis der Autoritätspersonen in den Tatbeständen § 174 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB wesentlich weiter gefasst. Dabei bedarf es auch einer fachübergreifenden wissenschaftliche Diskussion, ob das in den Tatbeständen unterstellte Abhängigkeitsverhältnis tatsächlich einen psychischen Druck erzeugt. Ob Lehrer, Trainer, Mannschaftsbetreuer oder Ausbilder in der jeweiligen Sozialisati-

94

Siehe oben Kap. 3 A) IV.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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onsphase des Jugendlichen realistisch dessen unterstellte Unfreiheit ausnutzen können, vermag die Rechtswissenschaft nicht zu beantworten. Diskussionswürdig ist zudem, ob nicht das bestehende Strafverbot § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB gänzlich aus dem Kernstrafrecht entfernt werden sollte. Für eine Entpönalisierung spricht insbesondere, dass neben der sexuellen Handlung keine weiteren strafbegründenden Handlungen vorausgesetzt werden. Es fehlt gänzlich an einem strafbedürftigen Missbrauchsfaktum. Allerdings kann eine Entpönalisierung nicht darauf gegründet werden, dass es an strafrechtlicher Legitimität mangels eines zu schützenden Rechtsguts fehle. Der Schutz des Minderjährigen im Rahmen bestimmter Abhängigkeitsverhältnisse, ohne dass es zu Zwangsausübung oder Missbrauch der Abhängigkeit kommt, kann auch durch außerstrafrechtlichen Rechtsgüterschutz gewährleistet werden, etwa im Rahmen disziplinarischer oder arbeitsrechtlicher Verfahren. Ob die in § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB pönalisierte Handlung tatsächlich einen besonders gravierenden Rechtsbruch darstellt, die als strafrechtliche Missbilligung ein Unwerturteil von höherer Dignität fordert, kann in Zweifel gezogen werden. Zudem ist der auf persönliche Abhängigkeit abzielende Schutzbereich des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB dann verfehlt, wenn der betreffende Elternteil als völlig fremde Person in das Leben des Jugendlichen tritt und es zu sexuellen Handlungen kommt. Andererseits sind sog. Scheineltern nicht erfasst. Eine sozial etablierte, aber nicht biologische Vaterschaft wird lediglich unter den Voraussetzungen des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst. Es bedarf auch in dieser Hinsicht einer Korrektur.

B) § 180 StGB: Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger I. Systematik des Tatbestandes Durch § 180 StGB werden bestimmte Formen der Förderung sexueller Handlungen pönalisiert. Im Vordergrund stehen Verhaltensweisen auf der Täterseite, welche sexualbezogenen Betätigungen zwischen Minderjährigen und Dritten Vorschub leisten. Es geht insofern nicht um die Kriminalisierung der eigentlichen sexuellen Kontakte zwischen Minderjährigen und anderen Personen.95 § 180 StGB ist in Gänze der Kategorie der sog. Hands-off-Delikte zuzuordnen.96

95 96

Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 443. Göppinger, Kriminologie, S. 508.

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4. Kapitel

Die Förderung einschließlich des Bestimmens zu sexuellen Handlungen wird in § 180 StGB in drei selbständigen Tatbeständen unter Strafe gestellt. Dabei geht es jeweils um sexuelle Handlungen eines Dritten am jugendlichen Tatopfer oder um sexuelle Handlungen des Tatopfers an oder vor einem Dritten.97 Differenziert wird dabei in den einzelnen Absätzen der Vorschrift nach den Kriterien Alter des Tatopfers, Abhängigkeit zum Täter sowie der Entgeltlichkeit.98 In § 180 Abs. 1 StGB geht es konkret darum, dass der Täter sexuellen Betätigungen einer Person unter 16 Jahren durch seine Vermittlung oder durch Gewähren bzw. Verschaffen von Gelegenheiten Vorschub leistet. Das Motiv des Täters ist unerheblich.99 In § 180 Abs. 2 StGB bestimmt der Täter eine noch nicht 18 Jahre alte Person zur Vornahme oder Duldung bestimmter sexueller Handlungen (bezogen auf eine Drittperson) gegen Entgelt bzw. er leistet durch seine Vermittlung entsprechend Vorschub. In § 180 Abs. 3 StGB wird schließlich in Anlehnung an § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB – nur dort eben als Hands-on-Delikt kodifiziert – das durch den Täter erfolgte Bestimmen einer Person unter 18 Jahren, die ihm zur Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, zur Vornahme (an oder vor einem Dritten) oder Duldung (von einem Dritten an sich) sexueller Handlungen unter Strafe gestellt. Erforderlich ist dabei, dass der Täter die Abhängigkeit missbraucht.100

II. Die Problemstellungen im Überblick Bei Betrachtung der Jugendschutztatbestände fällt § 180 Abs. 1 StGB aus dem Rahmen. Diesbezügliche Tathandlungen entstammen dem alten Kuppeleiverbot. Die Pönalisierung der Tathandlung „Vorschub leisten“ als fördernde Handlung macht nur dann Sinn, wenn auch die sexuellen Handlungen unterbunden werden sollen. Grundsätzlich sollen sexuelle Handlungen unter Einbeziehung von Kindern unterbunden werden – in logischer Konsequenz somit auch jegliche vorverlagerte Förderungshandlung. Dies gilt jedoch nicht in dem gleichen Maße für Jugendliche. Auch im Alter von 14 und 15 Jahren werden sexuelle Kontakte (insbesondere zwischen Jugendlichen) einem entwicklungstypischen Prozess zugeordnet. So können auch 14- und 15-Jährige in entwicklungsgerechte Sexualkontakte wirksam einwilligen.101 97 98 99 100 101

Gössel, Sexualstrafrecht, S. 179. Lackner / Kühl, StGB, § 180, Rn. 3. Horstkotte, JZ 1974, 86. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 445. Hörnle, LK, § 180, Rn. 1.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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Gleichwohl mag es auch Situationen geben, die eine Strafbarkeit der Kuppelei aus der Perspektive des Jugendschutzes rechtfertigen, auch wenn es um Kuppeleihandlungen außerhalb der Prostitution geht. Denkbar sind Förderhandlungen, die in der Absicht vorgenommen werden, zu einem späteren Zeitpunkt selbst in sexuelle Kontakte zu dem Opfer treten zu können. Da die Motive des den Sexualkontakt fördernden Täters für § 180 StGB gleichgültig sind, kommt es eben auch nicht darauf an, ob der Täter ein konkretes auf die Vornahme sexueller Handlungen gerichtetes Motiv hat.102 Der Tatbestand des § 180 Abs. 1 StGB ist auch dann erfüllt, wenn der Täter nicht nur fremden sexuellen Handlungen Vorschub leistet, sondern zugleich auch eigene sexuelle Handlungen an der minderjährigen Person vornehmen will.103 Zudem kann § 180 Abs. 1 StGB nicht durch eine schlüssige Systemeingliederung in das Schutzkonzept des 13. Abschnittes des StGB überzeugen. Während die Förderung umfänglich pönalisiert wurde, ist der Sexualkontakt davon losgelöst keinem generellen Verbot zuzuordnen. Verbote ergeben sich eingeschränkt aus § 182 StGB und verlangen zudem weitere Tathandlungen zur Beeinflussung der Willens- und Entscheidungsfreiheit wie das Ausnutzen einer Zwangslage, eine Entgeltleistung oder ein im Einzelfall bestehender entwicklungsbedingter Willensmangel.104 Bei Betrachtung des § 182 Abs. 3 StGB sind beispielsweise konkrete Abgrenzungskriterien vorhanden, wann etwa bei fehlender Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung und unter Berücksichtigung einer bestimmten Altersdifferenz zwischen Täter und Opfer ein Schutzbedürfnis auch bei grundsätzlich Einwilligungsfähigen angenommen werden kann. Warum die Pönalisierung von Förderungshandlungen wesentlich weiter umfasst werden soll als die eigentlich verwerflichere Handlung des unmittelbaren Kontaktes, wirft Fragen auf.105

III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse In Literatur und Rechtsprechung werden der Strafnorm § 180 StGB unterschiedliche Rechtsgüter zugeschrieben: (1) Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als Abwehrrecht wird insbesondere im Hinblick auf die Tatbestandsal-

102 Zu einem ausführlichen Beispiel einer solchen Fallkonstellation vgl. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 449. 103 BGH, NJW 2005, 2933. 104 Renzikowski, MK, § 180, Rn. 7. 105 Hörnle, LK, § 180, Rn. 4.

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ternativen § 180 Abs. 2 und 3 StGB als schutzwürdiges Gut angesehen.106 (2) Ferner wird die ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen als alleiniges107 oder als weiteres108, neben der sexuellen Selbstbestimmung bestehendes Rechtsgut anerkannt. (3) Schließlich wird mit Blick auf § 180 Abs. 3 StGB eine Strafbegründung um der sozialen Funktion Willen angeführt.109

1. Förderung sexueller Kontakte von Personen unter 16 Jahren (§ 180 Abs. 1 StGB) Die Strafnorm § 180 StGB beinhaltet Restbestände der Kuppelei (§§ 180, 181 a.F.), die im Rahmen des 4. StrRG grundsätzlich als nicht mehr strafwürdig erkannt wurde. Die Kuppelei basierte nach früherem Recht auf der moralistisch orientierten Idee, dass als Unzucht bezeichnete außereheliche sexuelle Handlungen sowie andere sexuelle Handlungen, die das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl auf geschlechtlichem Gebiet gröblich verletzen, in weitem Umfang unter Strafe gestellt werden müssten. Individuelle Rechtsgüter spielten insofern keine herausragende Rolle, ging es doch um die Reinhaltung mitmenschlicher Beziehungen vor unzüchtigen Handlungen.110 Gerade in § 180 Abs. 1 StGB ist die Lossagung von strafrechtsprägenden Moralvorstellungen offensichtlich nicht ganz geglückt. Hauptproblem ist zunächst das in § 180 Abs. 1 StGB kodifizierte generelle Verbot von Sexualkontakten. Unter dem Aspekt der sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit, verstanden als Abwehrrecht, stellt sich die Frage nach der Ausprägung der Selbstbestimmungsfähigkeit. 14- und 15-Jährige verfügen im Kontext der 106 Ohne Differenzierung nach Absätzen erkennen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgut an: Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 1; Fischer, StGB, § 180, Rn. 2; mit Bedenken im Hinblick auf § 180 Abs. 1 Nr. 2 StGB Hörnle, LK, § 180, Rn. 2 u. 3; auf die Sexualmoral im Hinblick auf § 180 Abs. 1 StGB abstellend und bezüglich § 180 Abs. 1 u. 2 StGB auf die sexuelle Selbstbestimmung Renzikowski, MK, § 180, Rn. 3 bis 5; nur bei § 180 Abs. 3 StGB eindeutig auf das sexuelle Selbstbestimmungsrecht minderjähriger Personen „zur Gewinnung ihrer Sexualität im Jugendalter“ abstellend Frommel, NK, § 180, Rn. 12. 107 So BGH, NJW 2005, 2933; BT-Drs. VI / 1552, S. 22; Lackner / Kühl, StGB, § 180, Rn. 1a; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 443; Gössel, Sexualstrafrecht, S. 179; nur für § 180 Abs. 1 StGB als alleiniges Rechtsgut anerkennend Frommel, NK, § 180, Rn. 12. 108 So etwa Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 1. 109 Demnach komme im Hinblick auf den systematisch zu § 174 StGB gehörenden § 180 Abs. 3 StGB der Schutz der dort genannten Verhältnisse um ihrer sozialen Funktion Willen als zusätzlicher Aspekt noch hinzu, Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 1. 110 Renzikowski, MK, § 180, Rn. 13.

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bestehenden Schutzaltersklassen wohl über eine Persönlichkeit, die sich insbesondere durch Jugendfreundschaften permanent entwickelt. Dabei spielen sexuelle Interaktionen eine bedeutende Rolle. Ernstlich kann im Rahmen der gegenwärtigen sexualwissenschaftlichen Diskussion wohl nicht mehr abgestritten werden, dass 14- und 15-Jährige in entwicklungsgerechte Sexualkontakte wirksam einwilligen können.111 Daher sind Überlegungen anzustellen, welche zusätzlichen Elemente dazu führen könnten, dass Jugendliche sich außerhalb eines entwicklungsgerechten Rahmens bewegen und insofern die Einwilligungsfähigkeit – ausnahmsweise – beeinträchtigt ist. Unzweifelhaft kann durch Gewalt oder Zwang unterhalb der Nötigung nach § 240 StGB Willen beeinflusst werden. Aber auch bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse oder Täuschungen verleiten den Jugendlichen zu Handlungen oder Duldungen, von denen er unter normalen Umständen Abstand genommen hätte. Derartige nur exemplarisch aufgezählte zusätzliche Faktoren rechtfertigen die Annahme, dass die Einwilligung rechtlich nicht mehr wirksam erteilt werden kann. Seziert man den Tatbestand des § 180 Abs. 1 StGB, fallen zwei Tatbestandsalternativen mit unterschiedlicher Qualität auf.

a) Die Beeinträchtigung der Selbstbestimmungsfähigkeit der minderjährigen Person im Rahmen des Vermittelns § 180 Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt das Vorschub leisten durch „Vermittlung“ unter Strafe. Vermitteln als Tathandlung beinhaltet die „Partnervermittlung“112, so dass der Täter einen persönlichen Kontakt zwischen dem Minderjährigen und einem Dritten herstellt. Dabei darf zwischen dem 16-jährigen Minderjährigen und dem Dritten bislang keine persönliche Beziehung bestanden haben. Der Minderjährige muss noch nicht den Entschluss gefasst haben, sexuelle Handlungen einzugehen. Im Rahmen dieser Partnervermittlung müssen allerdings beide potenzielle Partner von den sexuellen Absichten erfahren.113 Jedoch ist auf der Seite des Täters eine intensive Vermittlungstätigkeit nicht gefordert. Abgegrenzt wird dahingehend, dass bloßes Hinwirken auf eine Partnersuche nicht ausreicht.114 Ebenso unzureichend sind bloßes Werben durch Zeitungsanzeigen, Internet oder das Nennen einer Adresse im Rahmen der Vermittlung.115 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Jugendliche in einer entwicklungsangemessenen Art und Weise frei von äußeren Einflüssen erste 111 112 113 114 115

Hörnle, LK, § 180, Rn. 1. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 457. Gössel, Sexualstrafrecht, S. 183. Fischer, StGB, § 180, Rn. 4; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 459. KG, NJW 1977, 2225; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 8.

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Partnerschaften eingeht. Dies entspricht dem Grundgedanken, dass zu den ersten sexuellen Erfahrungen auch die freie Partnerwahl gehört.116 Kristallisiert man nun aus der beschriebenen Tathandlung Elemente heraus, die die Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen beeinflussen, so ist beispielsweise an die Vermittlung eines Jugendlichen an eine Prostituierte zu denken. In einem solchen Fall wird der Partner nicht mehr frei gewählt, sondern in gewisser Weise durch Fremdbestimmung positioniert. Zudem bestünde die Gefahr, dass die sexuellen Kontakte eben nicht altersgerecht dosiert erfolgen, sondern sich nach der Höhe der Bezahlung richten. Obgleich man eine derartige Vermittlung als entwicklungsbeeinträchtigend bezeichnen kann, vermag es nicht zu überzeugen, dass auch – im Hinblick auf das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung – die Einwilligungsfähigkeit durch eine so gestaltete Vermittlung grundsätzlich in einem quantitativen Maße beeinflusst wird, dass der Jugendliche nicht mehr frei entscheiden kann. Der wohl einzig plausible Grund für eine Beeinträchtigung der Selbstbestimmungsfähigkeit ist die eventuell gegebene psychische Abhängigkeit oder Überlegenheit, insofern die Machtstellung des Vermittlers. Dieses lässt sich aber nur in den Tatbestand hineininterpretieren. Es fehlt an einer Entsprechung im Tatbestand, auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG.

b) Die Beeinflussbarkeit der minderjährigen Person durch das Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten Das Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit gem. § 180 Abs. 1 Nr. 2 StGB verlangt, dass der Täter äußere Umstände herbeiführt, durch die sexuelle Handlungen wesentlich ermöglicht oder erleichtert werden, z.B. durch das Zurverfügungstellen von Räumen auf Initiative eines der Partner (Gewähren) oder das Besorgen eines geeigneten Raumes (Verschaffen). Dabei muss der Partner der minderjährigen Person unabhängig von der Handlung des Täters bereits vorhanden sein. Die minderjährige Person muss zudem zu sexuellen Handlungen bereit sein.117 Eine bloße psychische Einwirkung des Täters auf das Opfer reicht nicht aus.118 Noch weniger als beim Vorschubleiten durch Vermittlung kann hier die Einwilligungsunfähigkeit des Minderjährigen angenommen werden. Das Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten kann die Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen nicht derart beeinflussen, dass sie ihm gänzlich abgesprochen wird. § 180 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt 116 Hörnle, LK, § 180, Rn. 3. 117 Fischer, StGB, § 180, Rn. 5; 118 Lackner / Kühl, StGB, § 180, Rn. 6.

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demnach deutlich unterhalb solchen Einflussfaktoren, die das durchaus noch in der Entwicklung befindliche Urteilsvermögen der 14- und 15-Jährigen gravierend beeinträchtigen können.

c) Beeinträchtigung der ungestörten Entwicklung Wie oben dargelegt weisen weder das „Vermitteln“ noch das „Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten“ die Qualität auf, um außerhalb eines entwicklungsgerechten Rahmens eine Beeinträchtigung der Einwilligungsfähigkeit annehmen zu können. Auch ist fraglich, ob durch die genannten Tathandlungen überhaupt in die Rechtssphäre der geschützten Personen eingegriffen wird. Es ist zumindest nicht erkennbar, dass der Jugendliche zum Objekt fremdbestimmter sexueller Begierde herabgewürdigt wird oder etwa gegen seinen Willen in sexuelle Geschehen einbezogen wird bzw. mit derartigen Vorgängen gegen seinen ausdrücklichen Willen konfrontiert wird.119 Somit kann als geschütztes Rechtsgut nicht auf die sexuelle Selbstbestimmung abgestellt werden. Es bleibt die Frage, ob die Legitimität des § 180 Abs. 1 StGB mit dem Schutz der sexuellen Entwicklung Jugendlicher begründet werden kann. Eigenständige Rechtsgutsqualität kann diesem Schutzgedanken nur dann zugesprochen werden, wenn das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung nicht greift.120 Wird als Rechtsgut die ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen angesehen, stellt sich wiederum die Frage nach den konkreten Merkmalen einer Fehlentwicklung. Eine Fehlentwicklung kann dann angenommen werden, wenn zu sexualbezogenen Betätigungen Vorschub geleistet wird, die geeignet sind, die Reifung junger Menschen zu stören oder schon in Gang befindliche Fehlentwicklungen zu verstärken.121 Dabei ist unklar, welche Betätigungen in diesem Sinne geeignet sind, um eine spätere Fehlentwicklung zu bewirken. Ob man überhaupt von einer drohenden oder bereits im Gang befindlichen sexuellen Fehlentwicklung sprechen kann, wenn dem Jugendlichen die Selbstbestimmungsfähigkeit eingeräumt wird, kann allerdings bezweifelt werden.122 Etwaige Fehlentwicklungen sind nur dann vorstellbar, wenn die Tatumstände geradezu „dramatisiert“ würden. Es besteht aber kein Anlass, dem nicht erkennbaren Unrechtsgehalt des § 180 Abs. 1 StGB durch Auslegung Konturen zu verleihen. Sowohl das Rechtsgut der

119 120 121 122

Vgl. dazu Renzikowski, MK, Vor § 174, Rn. 9. Siehe oben Kap. 3 D). Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 443; Gössel, Sexualstrafrecht, S. 179. So auch Renzikowski, MK, § 180, Rn. 1.

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sexuellen Selbstbestimmung wie auch das Rechtsgut der ungestörten sexuellen Entwicklung können den Tatbestand nicht legitimieren.

d) Verselbständigte Teilnahme im Widerspruch zur straflosen Haupthandlung Auch scheint überhaupt ein krasser Wertungswiderspruch dahingehend vorzuliegen, dass der Gesetzgeber durch § 180 Abs. 1 StGB die Beihilfe zu fremden Sexualkontakten mit Jugendlichen zu einem selbständigen Tatbestand erhoben hat, ohne dass eine systemlogische Verknüpfung mit der strafrechtlichen Beurteilung des geförderten sexuellen Geschehens vorgenommen wird. Nach Auffassung des BGH (der die ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen als Schutzgut anerkennt) kommt es nicht darauf an, dass die Zwangslage des jugendlichen Opfers (§ 182 Abs. 1 StGB) oder die altersbedingte Unreife von einem älteren Sexualpartner (§ 182 Abs. 3 StGB) ausgenutzt wird. Durch den Tatbestand des § 180 Abs. 1 StGB solle bereits verhindert werden, dass Jugendliche von Dritten missbräuchlich in sexuelle Handlungen hineingezogen und dadurch der Gefahr einer sexuellen Fehlentwicklung ausgesetzt werden.123 Der BGH geht insofern davon aus, dass es auch einvernehmliche Sexualkontakte zwischen dem Jugendlichen und einem Dritten im Rahmen der Tathandlung des § 180 Abs. 1 StGB geben kann. Dies setzt insofern voraus, dass der Jugendliche wirksam in die sexuelle Interaktion eingewilligt hat. Die Gefahr einer Fehlentwicklung müsste demnach auch dann zu begründen sein, wenn der Jugendliche wirksam in den Sexualkontakt eingewilligt hat. Dies vermag nicht zu überzeugen. Zurecht konstatiert Hörnle, dass es widersprüchlich sei, Jugendlichen einerseits die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung zuzusprechen und andererseits Förderungshandlungen zu bestrafen. Vor dem Hintergrund einer eingeschränkten Selbstbestimmungsfähigkeit von Jugendlichen sei daher eine Überarbeitung der §§ 180 Abs. 1, 182 Abs. 3 StGB erforderlich.124

e) Restriktive Auslegung des Vorschubleistens Als mögliches Korrektiv für die weit gefassten Tathandlungen „Vermittlung, Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten“ kommt die grundsätzlich restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Vorschubleisten“ in Betracht. Grundsätzlich ist ein Vorschubleisten tatbestandlich bei Bereitstellen äußerer Bedingungen, die unmittelbar zur Förderung, d.h. Ermöglichung oder Erleichterung, der sexuellen Handlungen geeignet sind, gegeben (die Förderhandlung 123 BGH, NJW 2005, 2934. 124 Hörnle, LK, § 180, Rn. 25.

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deckt sich mit erfolgreicher und erfolgloser Beihilfe). Das Vorschubleisten setzt jedoch voraus, dass die geförderten sexuellen Handlungen nicht nur nach Ort, sondern auch nach Zeit und hinsichtlich des Opfers hinreichend konkretisiert sind. Es reicht hingegen nicht die Vorstellung des Täters aus, dass es zwischen dem Jugendlichen und dem Dritten irgendwann einmal zu sexuellen Kontakten kommen könnte.125 Auf der Opferseite wird eine zureichende Konkretisierung angenommen, wenn das Opfer einer individuellen abgrenzbaren Gruppe von unter 16-Jährigen angehört und dem Dritten eine Auswahl des Sexualpartners aus der Gruppe durch Schaffung günstiger Umstände ermöglicht wird. Auch der Dritte muss aus der Sicht des Täters bestimmbar sein.126 Aber auch diese relativ hohen Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal grenzen lediglich die Tathandlung auf ein bestimmbares Niveau ein, ohne die Grundsystematik der Strafnorm auch nur ansatzweise in Frage zu stellen.

f) Erzieherprivileg Im Hinblick auf das Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten gem. § 180 Abs. 1 Nr. 2 StGB kann aufgrund des Erzieherprivilegs, welches in § 180 Abs. 1 Satz 2 StGB geregelt ist, trotz der Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale der Tatbestand ausnahmsweise mangels der Beeinträchtigung eines geschützten Rechtsguts entfallen.127 Straffrei bleibt allerdings nur der Personensorgeberechtigte, soweit dieser durch das Vorschubleisten nicht gröblich gegen seine Erziehungspflichten verstößt. Der Personensorgeberechtigte128 soll grundsätzlich Gestaltungsfreiheit für die Behandlung komplexer pädagogischer Probleme haben. Durch ein konsequentes Verbot der Vornahme sexueller Handlungen können sich Konfliktsituationen ergeben, so dass sich der Jugendliche abwendet und das Vertrauensverhältnis zu den Eltern erschüttert wird. In den sog. Fällen des „pädagogischen Notstandes“129 soll dem Erziehungsberechtigten eine straflose Alternative angeboten werden. Auch kann eine altersgerechte sexuelle Beziehung aus der Sicht der Eltern unter den 125 126 127 128

BGH, NStZ 1998, 572; Frommel, NK, § 180a, Rn. 13. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 454. Gössel, Sexualstrafrecht, S. 184. Das Erzieherprivileg kann jeder in Anspruch nehmen, der zur Sorge für die Person berechtigt ist, insofern leibliche Eltern (§§ 1626, 1626a Abs. 1 BGB); die Mutter in Fällen der §§ 1626a Abs. 2, 1671 Abs. 1 BGB; der Vater in den Fällen der §§ 1671 Abs. 1, 1672 Abs. 1 BGB; sowie Adoptiveltern (§ 1754 BGB), Vormünder (§§ 1793, 1791a, bis 1791c BGB) und Pfleger soweit ihnen ein Erziehungsrecht zusteht (§ 1630 BGB), vgl. dazu Aufzählungen in Hörnle, LK, § 180, Rn. 35 und Gössel, Sexualstrafrecht, S. 185. 129 Renzikowski, MK, § 180, Rn. 40; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 12.

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gegebenen Verhältnissen ein stabilisierender Faktor sein, so dass eventuell ungünstigen Entwicklungen (z.B. häufig wechselnde Geschlechtspartner) entgegengewirkt wird. Auch mag es Eltern geben, die sexuelle Beziehungen ihrer im jugendlichen Alter befindlichen Kinder nicht behindern möchten, da diese Erfahrungen als notwendiger Beitrag im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung angesehen werden.130 Der erzieherische Gestaltungsspielraum der Eltern soll somit auch berücksichtigt werden.131 Das Erzieherprivileg bezieht sich auch auf weitere eingebundene Personen, wenn eine einzelfallbezogene Weisung des Erziehungsberechtigten an die weitere Person übertragen wurde bzw. dieser aufgrund einer einzelfallbezogenen Einwilligung handelt. Ausgeschlossen ist aber eine temporäre, jedoch umfassende Übertragung von Ermessen auf andere, z.B. auf den Internatsleiter oder auf Pflegeeltern im Rahmen eines Schüleraustausches. Dieses wird dem entwicklungstypischen Verlauf nicht gerecht. Gerade 14- und 15-jährige Jugendliche sozialisieren sich in diesem Alter überwiegend außerhalb des Elternhauses und stehen häufig unter dem Einfluss von Aufsichtspersonen. Der Sorgeberechtigte macht sich allerdings strafbar, wenn er im Rahmen des § 180 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch sein Verhalten nachhaltig die ihm obliegenden Pflichten verletzt. Das Erzieherprivileg verändert die Betrachtungsweise des § 180 Abs. 1 StGB und verschleiert die rechtsgutsorientierte Bedeutung. Der Schutzgedanke der sexuellen Selbstbestimmung und der Schutz der ungestörten geschlechtlichen Entwicklung werden zugunsten einer elterlichen Sichtweise von der sexuellen Entwicklung des Jugendlichen verdrängt. Eltern können diesen Strafunrechtsausschlussgrund grundsätzlich für sich in Anspruch nehmen. Sie bestimmen insofern den Schutzumfang, ausgehend von ihrer eigenen Einstellung. Elterliche Fürsorge und Erziehung kann jedoch völlig unterschiedlich ausgelegt werden. Lassen Eltern ihre 15-jährige Tochter mit dem Freund in der Wohnung übernachten, dürfte zwar ohne weiteres kein pädagogischer Notstand anzunehmen sein, dennoch fällt dieser Sachverhalt in den erzieherischen Gestaltungsspielraum. Vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 2 GG ist das Erzieherprivileg auch grundsätzlich zu rechtfertigen. Der Staat hat sich aus der Erziehung durch die Sorgeberechtigten herauszuhalten und übernimmt lediglich eine Wächterfunktion132, wenn bestimmte Grenzen überschritten werden. Diese Grenzen aus der Sichtweise des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG werden jedoch nicht durch die gröbliche Verletzung der Erziehungspflichten gezogen. Denn durch den unbestimmten Rechtsbegriff kann der Staat seine Wächterfunktion 130 Horstkotte, JZ 1974, 86. 131 Vgl. dazu Hörnle, LK, § 180, Rn. 36. 132 Badura, Maunz / Dürig, Art. 6, Rn. 139.

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nicht hinreichend bestimmt wahrnehmen. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass moralische Wertvorstellungen und Vorurteile zur Auslegung der groben Pflichtverletzung herangezogen werden.133 Bei den unterschiedlichen sozialethischen Wertvorstellungen in der Gesellschaft fehlt es an hinreichend eindeutigen Kriterien, insbesondere bis zu welcher Grenze ideologisch bestimmte Tendenzen zur Auflösung der Sexualmoral hinzunehmen sind.134 Zudem bedarf es auch keiner Abgrenzung, da – im Hinblick auf den nicht überzeugend unterstellten Rechtsgüterschutz – die Grenzen durch die auf festem rechtsgutskonzeptionellen Fundament stehenden Strafnormen gezogen werden. Wann eine gröbliche Verletzung der Erziehungspflicht anzunehmen ist, muss daher restriktiv ausgelegt werden. Eine durch bestehendes Recht manifestierte Grenze ist dann gegeben, wenn Handlungen gefördert werden, die als solche strafbar sind (§§ 174, 176, 182 StGB).135 Andere Verbotsnormen stellen allerdings grundsätzlich eine Grenze dar, die keiner ausdrücklichen Erwähnung im Gesetz bedarf. Ferner wird als grobe Pflichtverletzung angesehen, wenn sexuelle Handlungen mit einer vom Jugendlichen abgelehnten Person gefördert werden, der Sorgeberechtigte selbst an den sexuellen Handlungen teilnimmt oder dabei zusieht. Ferner, wenn die Gefahr des Abgleitens in die Prostitution begründet werden kann, wenn die sexuellen Handlungen der Produktion von Pornographie dienen oder der Sorgeberechtigte Gewinn aus seiner Förderungshandlung zieht. Die Entwicklung des Jugendlichen kann auch dadurch gefährdet werden, wenn er regelmäßig als Kunde von Prostituierten auftritt.136 Schwieriger erscheint die Abgrenzung bei der Förderung promiskuitiven Verhaltens.137 Die Häufigkeit des Partnerwechsels in der Entwicklungsphase ist grundsätzlich kein bzw. nur ein schwaches Indiz für eine Entwicklungsgefährdung. Zudem ist die Qualität der sexuellen Handlungen zu berücksichtigen.138

133 134 135 136 137 138

Renzikowski, MK, § 180, Rn. 41. Lackner / Kühl, StGB, § 180, Rn. 9. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 469. Hörnle, LK, § 180, Rn. 33. Horstkotte, JZ 1974, 86. Anzunehmen ist, dass die Schwelle zu einer gröblichen Verletzung der Erziehungspflicht dann überschritten wurde, wenn Jugendliche in halt- und wahlloser Weise agieren, vgl. dazu Hörnle, LK, § 180, Rn. 34.

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2. Bestimmen zu entgeltlichen sexuellen Handlungen (§ 180 Abs. 2 StGB) Durch § 180 Abs. 2 StGB soll verhindert werden, dass Jugendliche in ihrer vorhandenen, aber anfälligen Selbstbestimmungsfähigkeit durch materielle Anreize beeinflusst werden. Davon ausgehend steht zunächst das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung als Abwehrrecht im Vordergrund. Der Jugendliche handelt dabei im Regelfall nicht gegen seinen Willen, sondern begehrt den entgeltlichen Vorteil und nimmt dafür die sexuelle Interaktion in Kauf. Seine tatsächliche Einwilligung müsste daher unwirksam sein. Im Kontext dazu bedarf es der Berücksichtigung, dass die Schutzaltersgrenze auch „ältere“ Jugendliche erfasst, insofern 16- und 17-Jährige. Aber auch bei dieser Schutzaltersklasse kann angenommen werden, dass den Minderjährigen grundsätzlich die zu einer eigenverantwortlichen Aufnahme der Prostitution erforderliche Fähigkeit fehlt, die Tragweite und Bedeutung der Entscheidung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.139 Andererseits wird den Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren eine ausgeprägte sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit zugeschrieben. Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen der Einwilligungsfähigkeit von Erwachsenen und älteren Jugendlichen. Die Anforderungen an eine wirksame Einwilligung sind höher als bei Volljährigen. Die Durchsetzungsfähigkeit eines Jugendlichen wird überfordert, gerade wenn die Entscheidung zu sexuellen Handlungen nicht von freier Partnerwahl, Gefühlen und Liebesbeziehungen geprägt sind, sondern von außerhalb bedingten Faktoren, die für das intime Zweipersonenverhältnis unerheblich sind. Gerade die Gefahr des Abgleitens in die Prostitution lässt eine gewisse Nähe zum Schutzgut der ungestörten sexuellen Entwicklung erkennen. Da als Rechtsgut aber bereits die sexuelle Selbstbestimmung angeführt werden kann, bleibt für die Annahme eines weiteren Schutzgutes, welches allenfalls ein abstraktes Gefährdungsdelikt zu legitimieren vermag, kein Raum. Das individuelle Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung verdrängt das überindividuelle Interesse des Schutzes der ungestörten sexuellen Entwicklung in eine subsidiäre Position. Gleichwohl bedarf es der Berücksichtigung von Elementen aus dem Bereich des subsidiären Rechtsguts. Tatsächlich kann die Tathandlung geeignet sein, die Reifung junger Menschen zu stören oder bereits in Gang befindliche Fehlentwicklung zu verstärken.140 Zurecht weist Renzikowski darauf hin, dass das Abstellen auf das Abgleiten in die Prostitution auch mit 139 Vgl. dazu Renzikowski, MK, § 180, Rn. 4. 140 Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 443.

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dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht begründet werden könne, da es dem Minderjährigen grundsätzlich an einer diesbezüglichen Selbstbestimmungsfähigkeit fehle.141 Allerdings wurde der Schutz des Jugendlichen vor Prostitutionsförderung lediglich als Grund zur Rechtfertigung der Strafgesetzgebung angeführt142, die spezielle Förderung von Prostitutionshandlungen ist jedoch nicht vom Tatbestand explizit erfasst. Bei Annahme des sexuellen Selbstbestimmungsrechts als Rechtsgut muss sich die Selbstbestimmungsfähigkeit nicht ausschließlich auf die gegenwärtige sexuelle Interaktion beziehen. Die Tragweite der von dem Jugendlichen abverlangten Entscheidungsfähigkeit erfasst auch die Vorstellung über die Möglichkeit sexueller Fehlentwicklungen und insbesondere – im Hinblick auf die Prostitution – die Gefahr der gesellschaftlichen Benachteiligung oder im schlimmsten Fall der Isolierung. Mit dieser Begründung ist zunächst nur die Pönalisierung des tatsächlichen Sexualkontaktes unter den im Tatbestand genannten Bedingungen legitimiert. § 180 Abs. 2 StGB stellt jedoch lediglich auf die Kuppelei ab, die entweder durch Bestimmen oder Vermitteln erfolgt. Ob es dabei dem Kuppler selbst auf ein Entgelt ankommt, ist nach § 180 Abs. 2 StGB unerheblich.143 Bestraft wird insofern die Förderung fremder Sexualität. Die durch den Tatbestand verselbständigte Teilnahme ist dann nachvollziehbar, wenn Förderhandlungen nicht nur als mögliches „Nebenprodukt“ der Haupttat in Betracht kommen, sondern einen eigenen Unrechtsgehalt erfassen, der eine Strafbarkeit, unabhängig von §§ 26 f. StGB rechtfertigt. Die Kuppelei an noch nicht 18-Jährigen zu entgeltlichen sexuellen Handlungen kann im Extremfall ein Abgleiten in die Prostitution bewirken.144 Aber auch im Einzelfall kann die Förderhandlung bewirken, dass der Jugendliche die sexuelle Interaktion von materiellen Erwägungen abhängig macht, sich insofern von persönlichen Bezügen distanziert.145 Gerade im Hinblick auf diese Umstände fehlt es dem Jugendlichen an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit. Die verselbständigte Teilnahme bringt jedoch Probleme mit sich. In § 180 Abs. 2 StGB wird zwischen den Tathandlungen des Bestimmens und des Vermittelns differenziert. An das Tatbestandsmerkmal des Bestimmens sind Mindestanforderungen zu stellen. Nicht jede Form der Verursachung ist daher tatbestands-

141 142 143 144 145

Renzikowski, § 180, Rn. 4. BT-Drs. VI / 1552, S. 24. Horstkotte, JZ 1974, 87. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 19. Fischer, StGB, § 180, Rn. 2.

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mäßig.146 So muss sich das Bestimmen auch auf die Entgeltlichkeit beziehen, obgleich das Entgelt auch einem Unbeteiligten zufließen kann.147 Zudem ist eine unmittelbare Bestimmung des Jugendlichen erforderlich. Sofern der Täter lediglich einen Dritten bestimmt, sexuelle Kontakte zu einem Jugendlichen aufzunehmen und diesen dafür zu bezahlen, ist der Tatbestand nicht erfüllt.148

3. Bestimmen von Minderjährigen unter 18 Jahren zur Vornahme von sexuellen Handlungen an / vor Dritten unter Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses (§ 180 Abs. 3 StGB) Durch § 180 Abs. 3 StGB sollen Jugendliche vor Kuppeleihandlungen geschützt werden, die durch ein Bestimmen zu sexuellen Betätigungen mit oder vor einem Dritten149 im Rahmen und unter Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses begangen werden. Somit wird der Schutz des § 174 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB dahingehend ergänzt, dass nicht wie bei § 174 StGB das sexuelle Ansinnen beim Täter im Vordergrund steht, sondern die Förderhandlungen. Somit stellt § 180 Abs. 3 StGB ein Sonderdelikt dar. Täter kann nur der Inhaber einer Obhutspflicht sein.150 Wie auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB kann sich der Jugendliche der Förderhandlung des Täters aufgrund des besonderen Abhängigkeitsverhältnisses nicht erwehren. Eine durch das Opfer erteilte tatsächliche Zustimmung ist unter Berücksichtigung der noch nicht wie bei Erwachsenen ausgeprägten Selbstbestimmungsfähigkeit unwirksam. Zudem kommt der Missbrauch der Abhängigkeit als erschwerendes Element hinzu. Der Jugendliche kann sich diesen Einflüssen nicht entziehen und wird somit zum Instrument des Täter degradiert. Geschützt wird insofern das sexuelle Selbstbestimmungsrecht. Nicht überzeugend ist der Schutz der in § 180 Abs. 3 StGB genannten Verhältnisse um ihrer sozialen Funktion willen.151 Wird die soziale Funktion 146 Renzikowski, MK, § 180, Rn. 68. 147 Fischer, StGB, § 180, Rn. 15. 148 Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 21; and. Hörnle, LK, § 180, Rn. 51, nach deren Ansicht ist eine täterschaftliche „Kettenbestimmung“ nicht nur in mittelbarer Täterschaft, sondern auch bei Einschalten eines voll deliktisch handelnden Kommunikationsmittlers möglich. 149 Aber auch der Dritte kann Obhutspflichtiger sein. Seine Strafbarkeit richtet sich aber dann ggf. nach § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB, vgl. dazu Hörnle, LK, § 180, Rn. 62. 150 Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 481. 151 Obgleich konsequenterweise aufgrund des systematischen Zusammenhanges mit § 174 StGB davon ausgegangen werden kann, vgl. dazu Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 1.

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interpretiert152 als (neben der sexuellen Fehlentwicklung) zusätzliche Beeinträchtigung des Minderjährigen, weil der Täter seine erzieherische oder betreuende Funktion nicht mehr wahrnehmen kann, geht die Idee von der sozialen Funktion fehl. Der Förderer aus § 180 Abs. 3 StGB steht nicht in einer ggf. von echter Zuneigung geprägten intimen Interaktion mit dem Minderjährigen. Er bestimmt vielmehr den Jugendlichen zu sexuellen Kontakten mit Dritten. Auch besteht nicht die Gefahr, dass andere, sich ebenfalls in einem Abhängigkeitsverhältnis befindliche Jugendliche, von dem Täter „benachteiligt“ werden, da dieser eventuell dazu neigt, das Opfer entsprechend zu bevorzugen. Das Prinzip der „sozialen Funktion“, welches im Hinblick auf § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB noch als diskutabel erscheint, passt somit nicht zu § 180 Abs. 3 StGB. Interessanterweise stellt sich aber gerade dadurch heraus, dass erhebliche Unterschiede zwischen § 174 StGB und § 180 Abs. 3 StGB bestehen und dass als systemfremder Körper (wie oben eingehend behandelt) § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB aus dem Jugendschutzkonzept fällt.

4. Unstimmige Strafrahmen bei Handlungen ohne Körperkontakt (§ 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB vs. § 180 Abs. 3 StGB) Sowohl in § 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB wie auch in § 180 Abs. 3 StGB werden Tathandlungen ohne Körperkontakt pönalisiert. Allerdings sind die Strafrahmen different: Im erstgenannten Tatbestand sieht die Höchststrafe fünf Jahre Freiheitsstrafe vor, im zweitgenannten Tatbestand lediglich drei Jahre. Dies wird in der Literatur teilweise als unausgewogenes Verhältnis betrachtet.153 Die Strafrahmen in § 174 StGB unterscheiden zwischen sexuellen Handlungen mit und ohne Körperkontakt. Dabei sieht § 174 Abs. 1 StGB für sexuelle Handlungen mit Körperkontakt eine Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe vor, während § 174 Abs. 2 StGB für Handlungen ohne Körperkontakt eine Höchststrafe von drei Jahren vorsieht. Diese Differenzierung ist insofern nachvollziehbar. §180 Abs. 3 StGB wird jedoch nicht in diese Systematik integriert, da sexuelle Handlungen sowohl mit als auch ohne Körperkontakt erfasst werden. Somit müsste der obere Bereich des Strafrahmens § 180 Abs. 3 StGB im Rahmen der Strafzumessung eher für die Tathandlungen mit Körperkontakt vorbehalten sein.154 Allerdings lässt sich nur so der unterschiedliche Strafrahmen rechtfertigen, die zurecht erhobene Kritik konturiert sich weiter fort, denn die Systematik bleibt unschlüssig. Gerade weil § 180 Abs. 3 StGB in 152 Zur Auslegung der sozialen Funktion vgl. Hörnle, LK, § 174, Rn. 5. 153 So etwa Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 26; Renzikowski, MK, § 180, Rn. 82. 154 So auch Hörnle, LK, § 180, Rn. 67.

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systematischer Hinsicht dem § 174 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB zugeordnet wird155, führt die differenzierte Strafrahmenbildung (wenn auch der Widerspruch gerechtfertigt werden kann) gerade zu einem Systembruch. Zudem entsteht bei den differenzierten Strafrahmen der Eindruck, dass im Rahmen der gesetzgeberischen Wertung Förderhandlungen härter bestraft werden als die Vornahme sexueller Handlungen an dem Jugendlichen. Ob eine solche Wertung eventuell mit der Tradition der Kuppeleidelikte zu erklären ist156, mag dahinstehen. Es unterstreicht aber zusätzlich den gesetzgeberischen Handlungsbedarf.

IV. Zusammenfassung Die in § 180 Abs. 1 StGB geregelten Tathandlungen weisen nicht die Qualität auf, um Willensmängel im Rahmen eines faktischen Einverständnisses annehmen zu können. Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als Abwehrrecht gegen einen Eingriff in die Rechtssphäre des Jugendlichen wird durch eine derartige Strafvorschrift zumindest nicht geschützt. Das Vorschubleisten ist weder durch Vermittlung noch durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit geeignet, die Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen zu beeinträchtigen. § 180 Abs. 1 StGB ist vielmehr als Relikt einer mit Mitteln des Strafrechts beabsichtigten Durchsetzung einer bestimmten Sexualmoral übrig geblieben.157 Welchen Inhalt diese Sexualmoral begründet, ist dabei nicht von wesentlicher Bedeutung. Es muss an dieser Stelle im Rahmen einer systemkritischen Betrachtung deutlich hervorgehoben werden, dass es keinen logisch vollkommenen Schutzgrund gibt und dass die allgemeinen (aber häufig inhaltsleeren) Verweise auf Rechtsgutsbezeichnungen eine wenig tragfähige Basis darstellen. Bei uneingeschränkter Achtung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative bedarf es, wenn eine rechtsgüterschutzbasierte Begründung fehlschlägt, eines deutlichen Appells, nicht zuletzt, um die Leistungsfähigkeit des Strafrechts zu erhalten. Im Hinblick auf die Einführung des § 180 Abs. 1 StGB äußerte Horstkotte zutreffend:

155 Dazu Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 481; Gössel, Sexualstrafrecht, S. 190; Fischer, StGB, § 180, Rn. 17. 156 Was nur noch mehr die anachronistische Bedeutung hervorhebt, vgl. dazu Frommel, NK, § 180a, Rn. 15. 157 Renzikowski, MK, § 180, Rn. 3.

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„Die Leistungsfähigkeit des Strafrechts ist in der Regel um so geringer, je weniger die Tat in die Öffentlichkeit dringt und je weniger sich jemand als Opfer einer solchen Tat versteht.“158

Der Ausuferung des offensichtlich überholten „Resttatbestands“ der Kuppelei etwa durch eine restriktive Auslegung oder durch das kodifizierte Erzieherprivileg zumindest einschränkend entgegenzuwirken, ist notwendige Schadensbegrenzung und signalisiert die Erforderlichkeit einer Entpönalisierung. Die auch überwiegend im Rahmen einer systemimmanenten Auslegung aufgezeigten Grenzen sind von Bedeutung, damit etwa die Rechtsprechung sich auf gewisse Hilfskriterien stützen kann und nicht ganz der moralistischen Bewertung verfallen muss. Gleichwohl verdeutlichen die in der Literatur aufgeführten Abgrenzungsbeispiele, dass unter bestimmten Umständen die Förderungshandlungen der Erziehungsberechtigten eben doch in schützenswerte Güter eingreifen. Eine Rückführung in den strafwürdigen Bereich darf jedoch nicht auf diesem Weg erfolgen und muss unabhängig von der Auslegung etwaiger Korrekturelemente beurteilt werden. Die durchaus in der Literatur sehr durchdrungene Problematisierung darf sich nicht in einer systemimmanenten Erforschung erschöpfen, sondern ist es wert, im Rahmen einer systemkritischen Normenbestandsanalyse diskutiert zu werden.

C) § 182 StGB: Sexueller Missbrauch von Jugendlichen I. Systematik des Tatbestandes Die unterschiedlichen Straftatbestände in § 182 Abs. 1, 2 und 3 StGB unterscheiden nach dem Alter des Täters und den tatbestandlich näher beschriebenen Umständen des Missbrauchs der geschützten Personen.159 Opfer sind männliche oder weibliche Personen unter 18 Jahren, bei § 182 Abs. 3 StGB unter 16 Jahren. Dem Merkmal des Missbrauchs kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Wenn die Handlung des Täters den in § 182 StGB aufgestellten Tatbestandsmerkmalen entspricht, ist ein Missbrauch des Jugendlichen ausnahmslos gegeben.160 Durch § 182 StGB werden jedoch nicht nur Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren erfasst, sondern entgegen der Strafnormüberschrift „Sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ sämtliche Personen unter 18 Jahren. Dies ergibt sich aus der Formulierung des § 182 Abs. 1 StGB

158 Horstkotte, JZ 1974, 85. 159 Lackner / Kühl, StGB, § 182, Rn. 4. 160 So etwa Kusch / Mössle, NJW 1994, 1507; Stephan, Sexueller Missbrauch, S. 82 f.; anders Schroeder, NJW 1994, 1504.

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„Wer eine Person unter 18 Jahren […]“.161 Für das Verhältnis von § 182 StGB zu § 176 StGB ist grundsätzlich Spezialität des § 176 StGB anzunehmen.162 Bedeutung könnte das offen formulierte Opferalter dann erlangen, wenn beispielsweise der Täter das Opfer unter 14 Jahren für einen Jugendlichen unter 18 bzw. unter 16 Jahren hält. Wegen fehlenden Vorsatzes wäre eine Bestrafung nach § 176 StGB ggf. nicht möglich, wohl aber unter den Voraussetzungen des § 182 Abs. 1 bis 3 StGB nach dieser Vorschrift.163 Für den Täter gelten im Fall des § 182 Abs. 1 StGB keine Altersmindestvoraussetzungen (Strafmündigkeit reicht aus). Im Falle des § 182 Abs. 2 StGB muss der Täter volljährig und im Falle des § 182 Abs. 3 StGB mindestens 21 Jahre alt sein. Durch § 182 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Personen unter 18 Jahren unter Ausnutzung einer Zwangslage unter Strafe gestellt. Der sexuelle Missbrauch kann sich entweder durch unmittelbaren körperlichen Kontakt des Täters mit dem Opfer oder durch das Bestimmen zu körperlichen Sexualkontakten mit einem Dritten konkretisieren. § 182 Abs. 2 StGB erfasst die Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt. Somit wird § 180 Abs. 2 StGB (entgeltliche Sexualkontakte mit Dritten) ergänzt. Durch § 182 Abs. 3 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Personen unter 16 Jahren durch eine Person über 21 Jahre unter Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung unter Strafe gestellt.

II. Die Problemstellungen im Überblick Während die Strafnormen §§ 174 und 180 StGB im Hinblick auf ihre strafrechtliche Legitimation teilweise bedenklich sind, liegen die Problemfelder des § 182 StGB eher in den Bereichen einer nicht stimmigen Binnenteleologie164 sowie in der Existenz von Wertungswidersprüchen in Relation zu anderen Deliktstatbeständen des Sexualstrafrechts. Durch das Rahmenbeschlussgesetz wurden bereits im Jahr 2008 bestimmte von § 182 StGB (a.F.) ausgehende Wertungswidersprüche beseitigt.165 Darüber hinaus erscheint es nicht plausibel, warum beispielsweise im Verhältnis zwischen § 182 Abs. 1 und Abs. 2 StGB unterschiedliche Täteraltersgrenzen kodifiziert sind oder der Freier in § 182 Abs. 2 StGB gegenüber dem Täter in § 180 Abs. 2 StGB privilegiert ist, sofern es um sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt geht. Ferner stellt sich 161 162 163 164 165

Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 3. BGH, NJW 1996, 1763; Fischer, StGB, § 182, Rn. 26. Ziegler, OK-StGB, § 182, Rn. 3. Vgl. dazu Renzikowski, MK, § 182, Rn. 9. Siehe oben Kap. 2 A) VI. 3. a).

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die Frage, in welcher Form entgeltliche Leistungen definitionsgemäß tatsächlich geeignet sind, die eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen zu beeinträchtigen und inwiefern dabei die Gefahr des „Abgleitens“ in die Prostitution zu begründen ist. Schließlich bedarf es der kritischen Analyse, warum gem. § 182 Abs. 3 StGB das „Ausnutzen“ der „fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung“ als strafwürdig angesehen wird, obwohl grundsätzlich von einer eingeschränkt vorhandenen Selbstbestimmungsfähigkeit ausgegangen werden kann und es offensichtlich an einem zusätzlichen Unrechtsmerkmal fehlt.

III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse Die Rechtsgutsbestimmung im Hinblick auf § 182 StGB ist umstritten. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde das Rechtsgut nur unzureichend umschrieben. Im Bericht des BT-Rechtsausschusses wurde mit Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG166 der Jugendschutz hervorgehoben. Demnach gelte es, von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, die sich auf ihre Einstellung zum Geschlechtlichen und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken könnten.167 In Literatur und Rechtsprechung wird zum einen die sexuelle Selbstbestimmung als Schutzgut angeführt.168 Ferner wird außerdem169 oder ausschließlich170 auf den Schutzzweck der „ungestörten sexuellen Entwicklung“ verwiesen. Schließlich findet sich noch die konkretisierte Bezeichnung des „Schutzes vor bestimmten traumatisierenden Sexualkontakten mit älteren Partnern“.171

166 BVerfGE 47, 46 (72f.); 79, 51 (63); 83, 130. 167 BT-Drs. 12/4584, S. 6. 168 BGHSt 42, 51 (53); Hörnle, LK, § 182, Rn. 2; Fischer, StGB, § 182, Rn. 2; Ziegler, OK-StGB, § 182, Rn. 2; Lackner / Kühl, StGB, § 182, Rn. 1; Renzikowski, MK, § 182, Rn. 2; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 2; Differenzierung der geschützten Rechtsgüter in Abs. 1 sexuelles Selbstbestimmungsrecht von Jugendlichen unter 18 Jahren vor missbräuchlichen Handlungen in einer Zwangslage und Abs. 3 Freiheit vor Fremdbestimmung und sexuelles Selbstbestimmungsrecht bei Frommel, NK, § 182, Rn. 4 u. 5a. 169 Lackner / Kühl, StGB, § 182, Rn. 1. 170 BGH, NJW 2000, 3726. 171 Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 488; Kusch / Mössle, NJW 1994, 1506.

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1. Ausnutzen von Zwangslagen (§ 182 Abs. 1 StGB) a) Veränderte Prämissen im Hinblick auf den Jugendschutz Seit dem Rahmenbeschlussgesetz werden alle Personen bis zum Alter von 18 Jahren geschützt. Die ursprüngliche Schutzaltersgrenze von 16 Jahren wurde aufgegeben. Die Schutzaltersgrenzen, wie sie etwa in den Straftatbeständen § 174 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB differenziert erfasst wurden, haben für § 182 Abs. 1 StGB keine überragende Bedeutung. Früher stand hinter der bewusst stark eingeschränkten Strafbarkeit des sexuellen Missbrauchs Jugendlicher die Annahme, dass in der Altersspanne der 14- und 15-Jährigen der sexuelle Reifeprozess gegeben ist. Sexuelle Beziehungen mit älteren Partnern waren nur unter zusätzlichen Bedingungen strafbar. Was die Bedingungen anbelangt, wurde auf das soziale Machtgefälle abgestellt.172 Insbesondere im überlegenen Alter des Täters wurde ein Erfahrungs- und Machtgefälle zu Gunsten des Täters und zulasten des Opfers erkannt, das den Unrechtsgehalt der Norm entscheidend geprägt hat.173 Durch das Rahmenbeschlussgesetz wurde neben der Hochsetzung des Opferalters auch das Täteralter von 18 Jahren auf die Strafmündigkeitsgrenze herabgesetzt. Die besondere Ausgewogenheit zwischen entwicklungsabhäng definierten Schutzaltersklassen und den in Relation dazu stehenden äußeren Einwirkungen besteht daher nicht mehr. Der Schutz der Strafnorm umfasst generell jeden Jugendlichen unter 18 Jahren, der aufgrund einer Zwangslage in sexuelle Handlungen eingewilligt hat. Somit gliedert sich § 180 Abs. 1 StGB eher in das Schutzkonzept der §§ 177 Abs. 1 Nr. 3 und 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB ein. Spätestens seit der Abwendung von den Prinzipien des Jugendschutzes schützt § 182 Abs. 1 StGB nicht mehr die ungestörte Entwicklung Jugendlicher als Rechtsgut. Das Recht der Jugendlichen auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG steht nicht im Vordergrund. Im Rahmen einer das Persönlichkeitsrecht achtenden Sexualerziehung sollen Jugendliche nicht primär vor sexuellen Gefahren bewahrt werden. Ihnen wird nicht mehr ein nach Altersgrenzen gestaffelter Schutz gewährt, damit sie sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln können. Somit lassen sich auch Eingriffe des Staates nicht damit legitimieren, dass solche Einflüsse von Jugendlichen fernzuhalten sind, die sich auf ihre Einstellung zum Geschlechtlichen und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können.

172 Frommel, NK, § 182, Rn. 4. 173 BT-Drs. 16/9646, S. 13.

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b) Die Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung in undifferenzierten Zwangslagen § 182 Abs. 1 StGB berücksichtigt den Umstand, dass Jugendliche generell in sexuelle Kontakte einwilligen können. Nur bei Vorliegen einer Zwangslage wird die Freiheit von Jugendlichen beeinträchtigt, selbstbestimmend über die Aufnahme sexueller Beziehungen zu entscheiden. Dahinter verbirgt sich das Schutzkonzept der sexuellen Selbstbestimmung als Abwehrrecht. Die für die Selbstbestimmung erforderliche Fähigkeit ist bei dem Jugendlichen noch nicht vollständig ausgereift. Erteilt der Jugendliche gegenüber dem unter Ausnutzung einer Zwangslage handelnden Täter sein faktisches Einverständnis, ist dieses rechtlich unbeachtlich.174 Weiterhin ist zu klären, wie der Begriff der Zwangslage – qualitativ ist die Zwangslage unterhalb der Nötigungslage gem. § 240 StGB angesiedelt – ausgelegt wird. Der Begriff der Zwangslage wird mit Verweis auf § 232 StGB ausgelegt.175 Erforderlich sind bedrängende Umstände, so dass sich der Jugendliche aufgrund seines Alters nicht den sexuellen Übergriffen entziehen kann. Drogenabhängigkeit, Obdachlosigkeit176 oder Angst vor Gewalt des Täters beschreiben diesbezügliche Beispielsituationen. Auch jugendspezifische Zwangslagen wie die Notsituationen von Zuhause fortgelaufener oder aus dem Heim entwichener Jugendlicher werden von § 182 Abs. 1 StGB erfasst.177 Erforderlich ist aber nicht eine konkrete Notlage.178 Auch kommt es nicht darauf an, ob die qualitativ unterhalb der Notlage entstandene bedrängende Situation zum Tatzeitpunkt bereits vorhanden war. Ferner ist unerheblich, ob sie für den Minderjährigen vermeidbar war oder erst vom Täter geschaffen wurde.179 Eine Situation des Jugendlichen, die sexuell motivierte Einflussnahmen nur allgemein ermöglicht oder erleichtert, ist hingegen nicht ausreichend. Dazu gehören unter anderem bloße Überraschungs-, Überredungssituationen oder die Neugier auf sexuelle Erfahrungen während der Pubertätsphase.180 Auch psychische Beeinträchtigungen können eine Zwangslage begründen, 174 Hörnle, LK, § 182, Rn. 3. 175 Mit der Tendenz zur weiteren Auslegung, da sich § 182 Abs. 1 StGB auf den geschützten Personenkreis der Minderjährigen bezieht. 176 Sofern sich wohnungslose oder drogenabhängige Jugendliche gegen sexuelle Dienste aushalten lassen, ist hierin ein wirtschaftlicher Vorteil zu sehen, so dass § 180 Abs. 2 StGB in Betracht kommt, vgl. dazu Frommel, NK, § 182, Rn. 8. 177 BGH, NJW 1997, 1590; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 4. 178 BGHSt 11, 182 (185f.). 179 Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 504. 180 BGH, NJW 1997, 1590.

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allerdings nur dann, wenn infolge einer geistigen Erkrankung eine Notlage für den Minderjährigen entstanden ist. Diffuse psychische Verwundbarkeit (der Jugendliche fühlt sich einsam oder traurig) reicht nicht aus.181 Die Gesetzesauslegung im Hinblick auf den Begriff der Zwangslage soll an dieser Stelle nicht weiter kritisiert werden. Der so ausgelegte Begriff ist im Folgenden als Konstante zu verstehen, die nun in Relation zur Schutzaltersgruppe gesetzt werden kann. Ausgehend vom Schutz der sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit Jugendlicher wird bei 14-Jährigen gleichermaßen wie bei 17-Jährigen angenommen, dass den genannten Zwangslagen die spezifische Gefahr anhaftet, den Widerstand des Opfers gegen sexuelle Übergriffe herabzusetzen. Von dem Minderjährigen sind in dieser Situation keine rationalen Beurteilungen und Entscheidungen mehr zu erwarten.182 Der Jugendliche kann unter diesen Umständen nicht mehr rechtswirksam in die sexuelle Interaktion einwilligen. Fraglich ist dabei, ob die auch im Rahmen des Bestimmtheitsgebots auszulegende Zwangslage den entwicklungsspezifischen Differenzen des unterschiedlichen Alters Jugendlicher genügend Rechnung trägt. Bei Kindern ist neben der sexuellen Handlung keine zusätzliche Einwirkung erforderlich. Kinder sind allerdings auch ausnahmslos unfähig, wirksam in sexuelle Beziehungen einzuwilligen. Bei Volljährigen wird im Rahmen einer positiven Selbstbestimmungsfreiheit von einer ausgeprägten Einwilligungsfähigkeit ausgegangen. Sowohl bei geschützten Kindern wie auch bei Volljährigen bieten sich im Rahmen der zu beurteilenden Selbstbestimmungsfähigkeit konstante Wertungspunkte an. Bei Jugendlichen handelt es sich um einen proportional verlaufenden Wertungsbereich, bezugnehmend auf die Parameter Alter und sexuelle Erfahrung. Diesem Wertungsbereich wird als Tatbestandsmerkmal eine hinreichend bestimmte Zwangslage gegenübergestellt. Die Entwicklung des § 182 Abs. 1 StGB zu einem Delikt, welches nach Abwendung vom Jugendschutzprinzip ausschließlich die sexuelle Selbstbestimmung schützt, ist vor dem Hintergrund des dadurch entstandenen simplifizierten Schutzkonzepts nicht unproblematisch.

c) Erheblichkeit der sexuellen Handlung Vor dem Hintergrund des geschützten Rechtsguts stellt sich zudem die Frage, welche Anforderungen an die Erheblichkeit der sexuellen Handlung zu stellen sind. Gem. § 184g Nr. 1 StGB ist die Erheblichkeit der sexuellen Handlung grundsätzlich an den üblichen Maßstäben für den sexuellen Missbrauch von 181 Hörnle, LK, § 182, Rn. 19. 182 Hörnle, LK, § 182, Rn. 16.

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Minderjährigen zu bestimmen. Es kommt insofern auf das jeweils geschützte Rechtsgut an. Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, dass lediglich sexuelle Handlungen mit einer gewissen Intensität wie Geschlechtsverkehr, Anal- oder Oralverkehr sexuelle Handlungen i.S.d. § 182 StGB sind. Kusch / Mössle begründen diese Annahme damit, dass zum einen zur Reifung des Jugendlichen das „Spiel mit dem Feuer“ gehöre. Die generelle Gefahr einer rechtsgutsverletzenden Traumatisierung bestehe nur dort, wo der letzte Schritt durch den Jugendlichen getan werde und keine Steigerung des Sexuellen mehr möglich sei. Zum anderen sei die einengende Auslegung unumgänglich, damit der jugendliche Partner nicht zu schnell in die Rolle des Belastungszeugen gerate. Demnach könnten polizeiliche, staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Vernehmungen für die sexuelle Enzwicklung des Jugendlichen nachteiliger sein als die vorangegangene sexuelle Handlung.183 Der Gesetzgeber hat jedoch im Rahmen des 29. StÄG absichtlich nicht die einschränkende Formulierung aus § 149 StGB-DDR „Geschlechtsverkehr“ und „geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen“ übernommen.184 Eine im Rahmen der teleologischen Auslegung vorgenommene Einschränkung in diesem Sinne würde dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers widersprechen.185 Dadurch entstehen jedoch Auslegungsproblematiken im Hinblick auf das oder die zu schützenden Rechtsgüter. Schützt eine Strafnorm mehrere, in ihrer inhaltlichen Bestimmung unterschiedliche Rechtsgüter, wie etwa den Jugendschutz und die sexuelle Selbstbestimmung, kann nicht gem. § 184g Nr. 1 StGB auf das alleinige „jeweils geschützte Rechtsgut“ abgestellt werden. Auch die Kriterien, nach denen die Erheblichkeit für das jeweils geschützte Rechtsgut gemessen werden soll, sind unklar. So könnte etwa nach dem Grad der Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut186 oder dem konkreten Grad der Beeinträchtigung differenziert werden. Dies würde jedoch gerade im Hinblick auf den Schutz der ungestörten Entwicklung Jugendlicher auf Schwierigkeiten stoßen. Ob und wieweit eine sexuelle Handlung die Entwicklung eines Jugendlichen beeinträchtigt, ist von vielen Faktoren abhängig.187 Beim Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung kommt es darauf an, ob die Handlung gegen den Willen des Betroffenen erfolgte. Bei dem hier in 183 Kusch / Mössle, NJW 1994, 1506. 184 Siehe oben Kap. 2 A) III. 4. d). 185 So auch Lackner / Kühl, StGB, § 182, Rn. 3; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 501; Hörnle, LK, § 182, Rn. 12; Renzikowski, MK, § 182, Rn. 47; Stephan, Sexueller Missbrauch, S. 92. 186 BGH, NStZ 1992, 432. 187 Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184g, Rn. 12.

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Rede stehenden Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung ist wiederum die Erheblichkeitsschwelle gegenüber Personen geringer, die nur über eine eingeschränkte Abwehrfähigkeit verfügen.188 Konkret bedeutet dies, dass die Erheblichkeitsschwelle im Hinblick auf sexuelle Handlungen bei § 182 Abs. 1 StGB niedriger liegt als bei § 177 StGB, jedoch höher als bei § 176 StGB.

2. Sexuelle Handlungen gegen Entgelt (§ 182 Abs. 2 StGB) a) Inkongruenz zwischen Schutzbedarf und Entgeltbegriff Obwohl die Schutzaltersgrenze bedingt durch die Vorgaben des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union und des UN-Fakultativprotokolls im Jahr 2008 von vormals 16 Jahren auf 18 Jahre angehoben wurde189, distanzierte sich der Straftatbestand nicht von dem Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung. Vordergründig wurde durch die Heraufsetzung der Schutzaltersgrenze das besonders charakterisierende Merkmal des sozialen Machtgefälles zwischen Täter und Opfer aufgegeben. Gegen Entgelt lassen sich demnach in der Theorie des Tatbestandes Jugendliche in der Altersgruppe der 14- und 15Jährigen gleichermaßen beeinflussen wie geistig reifere Jugendliche in der Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen. Aber auch hier besteht im Hinblick auf die entwicklungsbedingte Anfälligkeit des Jugendlichen ein proportional verlaufender Wertungsbereich. Mit zunehmendem Alter steigt insofern die sexuelle Reife. Ungeachtet des besonderen Entwicklungsverlaufs wird dem Jugendlichen jedoch grundsätzlich das willensbeeinflussende und entwicklungsschädigende Element des für die sexuelle Handlung entrichteten oder zumindest versprochenen Entgelts gegenübergestellt. Der wesentliche Unterschied zu § 182 Abs. 1 StGB, der aufgrund der Anhebung der Schutzaltersgrenze und Herabsetzung der Täteraltersgrenze bezüglich des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung problematisch erscheint, ist die Qualität der Intervention des Täters. Während Tathandlungen unterhalb der Gewaltausübung – insofern die Ausnutzung von Zwangslagen i.S.d. § 182 Abs. 1 StGB – Jugendliche je nach Entwicklungsstand mit unterschiedlicher Nachhaltigkeit beeinflussen können, ist die materielle Zuwendung eine Beeinflussungsform ganz eigener Art. Die Besonderheit des Entgeltbegriffs hängt nicht ausschließlich mit dem in diesem Zusammenhang häufig formulierten Schutzzweck der Verhinderung des „Abgleitens in die Prostitution“190 zusammen, sondern eher mit der nor188 BGH, NStZ 2007, 700. 189 Siehe oben Kap. 2 A) VI. 3. a). 190 BT-Drs. 16/3439, S. 8 u. 11.

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mativen Bedeutung des Begriffs und insbesondere mit den inhaltlichen Steigerungsformen. Stellt man die These auf, dass das Ausnutzen einer Zwangslage zu sexuellen Handlungen nur bei Jugendlichen in der Altersgruppe der 14- und 15-Jährigen strafbedürftig ist und ältere Jugendliche eben nur durch eine gesteigerte Form der Zwangslage geschützt werden sollen, ist diese Tathandlungsqualifikation gemessen am Entwicklungsstand des Jugendlichen (d.h. je älter der Jugendliche ist, desto mehr Widerstand kann er der Täterintervention entgegenbringen) bei entgeltlichen Leistungen in der Form nicht möglich. Reduziert man zur Verdeutlichung die entgeltlichen Leistungen auf Barmittel, würde das bedeuten, dass eine 14-Jährige ggf. für 20 Euro in sexuelle Handlungen einwilligt, eine 17-Jährige vielleicht erst ab 100 Euro. Selbstredend sind daher inhaltlich präzisere Bestimmungen des Entgeltbegriffs – gemessen an der Entwicklung des Jugendlichen – kaum vorstellbar. Vor dem Hintergrund der Gefahr des „Abgleitens in die Prostitution“ rückt ein weiterer Kritikpunkt in den Fokus. Prostitution, verstanden als die auf gewisse Dauer angelegte entgeltliche Vornahme sexueller Handlungen mit wechselnden Partnern191, ist grundsätzlich nicht strafwürdig und auch nicht (mehr) sittenwidrig.192 Gerade in der diesbezüglich geführten Diskussion trennt sich die Moral vom Rechtsgüterschutz. Im Übrigen wurde durch das ProstG vom 20.12.2001193 die Entgeltforderung der Prostituierten als rechtswirksam anerkannt. Allein schon die Formulierung „Abgleiten“ lässt jedoch erkennen, dass in der Ausübung der Prostitution nach wie vor etwas Negatives gesehen wird.194 Diese aus gesellschaftlicher Sicht negative Einstellung zur Prostitution ist in Teilen noch nachvollziehbar. Sie findet aber ihre Grenzen in dem Bereich der moralischen Diskussion und Meinungsbildung und darf nicht in die Strafrechtsetzung transferiert werden.195 Eine im Rahmen der Gesetzesbegründung aufgegriffene Negation der Prostitution verläuft demnach konträr zur Lossagung von ihrer Sittenwidrigkeit. Obgleich die Ausübung der Prostitution 191 Ziegler, OK-StGB, LexStraf, Begr. Prostitution, Rn. 1. 192 Vgl. dazu BGH, NJW 2006, 3491; Armbrüster, MK-BGB, Anhang zu § 138, § 1 ProstG, Rn. 19; Ders. JZ 2007, 479; Mäurer, ZRP 2010, 253; Renzikowski, ZRP 2005, 214. 193 BGBl. 2001 I. S. 3983. 194 Aus moralistischer Perspektive wird trotz gesellschaftlicher Liberalisierung der Prostitution nach wie vor ein Sonderstatus eingeräumt. Dabei wird die gesellschaftliche Bedrohung durch die Prostitutionstätigkeit anhand der Phänomene Krankheit, Geschlechtstrieb und Migrantinnen konstruiert, denen eine die Gesellschaft zersetzende Wirkung zugeschrieben wird; dazu ausführlich im Rahmen einer empirischen Studie Bastian / Billerbeck, Prostitution, S. 300. 195 Vgl. dazu Lautmann, Jäger FS, S. 153 u. 160.

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grundsätzlich straflos ist, wird sie dennoch stark reglementiert. Die Ausübung wird auf bestimmte Orte beschränkt, milieutypische Belästigungen und Gefahren sollen verhindert werden (§§ 184e, 184f StGB).196 Solche Beschränkungen bedürfen daher präziser Begründungen. Generelle Werturteile sind eindeutig unzureichend. Damit einhergehend bedarf es der Konkretisierung, warum Jugendliche nicht in die Prostitution abgleiten sollen und – wenn dies zu begründen ist – welche Gefahren konkret dazu führen. Demnach müsste sich durch entgeltliche sexuelle Handlungen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit Prostitution manifestieren. Gegenüber Prostituierten müsste ferner eine gesellschaftlich überwiegende Ablehnung gegeben sein. Die gesellschaftliche Ächtung der Prostitution müsste schließlich zu einer Beeinträchtigung des Schutzbedürftigen in seiner späteren Lebensführung und Lebensgestaltung führen. Und tatsächlich ist die Prostitution unter dem Druck der gesellschaftlichen moralischen Beurteilung nicht mit anderen Berufsgruppen vergleichbar. Prostitution ist nach wie vor ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema. Jugendliche zeigen auch vor dem Hintergrund der Tabuisierung eher wenig Interesse an einer diesbezüglichen umfassenden Thematisierung197, was darauf schließen lässt, dass in gefährlichen Konfrontationssituationen Abwehrmechanismen nicht ausreichend vorhanden sind. Hinzu kommen objektive Abgrenzungsfaktoren, wie etwa die milieubedingten Einflüsse und auch die Gefahr physischer Beeinträchtigungen.198 Allein aufgrund der vielen Kontakte zwischen Prostituierten und Freiern besteht ein höheres Risiko sexueller Übergriffe. Das Ausüben der Prostitution in einem häufig kriminogenen Umfeld sowie die Verdrängung in städtische Randgebiete mit geringer sozialer Kontrolle macht sie anfällig für Eigentums-, Vermögens- und Gewaltdelikte.199 Jugendliche können insbesondere dann Gefahr laufen, der Prostitution nachzugehen, wenn sie in ein Beziehungsgeflecht von zumeist erwachsenen Personen integriert werden, die der Prostitution nachgehen bzw. wenn die Ausübung der Prostitution dem Jugendlichen als übliche Umgangsformen der Geschlechter sugge-

196 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 463 f.; Renzikowski, MK, Vorbem. §§ 174 ff., Rn. 35. 197 BZgA, Studie, S. 52 f. 198 Vgl. dazu die Studie des BKA „Determinanten der Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung“. In der auf Opferbefragung basierenden Studie werden auch unabhängig von dem Phänomen „Menschenhandel“ Korrelationen zwischen Gewalt und Prostitutionsausübung (S. 52 ff.) dargelegt sowie im Rahmen eines Exkurses die bindende Kraft von Beziehungsgewalt im Kontext der Prostitution (S. 54 ff.) thematisiert. 199 BMFSFJ, Regulierung von Prostitution, S. 20.

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riert wird.200 Mag bei entgeltlichen sexuellen Handlungen, die einmal oder wiederholt erfolgen, der Weg in die Prostitution nicht zwangsläufig geebnet sein, steht doch hinter der Entgeltlichkeit die Gefahr der aus Opfersicht zunehmenden Rechtfertigung der Kommerzialisierung eigener Sexualität.201 So gesehen ist es ein nachvollziehbares Anliegen, dass der Jugendliche in seiner Entwicklungsphase von solchen Einflüssen ferngehalten wird. Da aber bereits die sexuelle Selbstbestimmung geschützt wird, bleibt für die Annahme eines zweiten Rechtsguts (Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung) kein Raum. Allerdings sind die vorherigen Aspekte im Hinblick auf die Gefahr des Abgleitens in die Prostitution im Rahmen des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung zu berücksichtigen. Dem Jugendlichen fehlt nicht nur die Fähigkeit, in diesbezüglichen Einzelsituationen über die sexuelle Interaktion zu entscheiden, sondern er kann auch nicht die Folgen eines solchen möglichen Abgleitens überblicken. Bei seiner Entscheidung ist dem Jugendlichen insofern die Tragweite seiner Handlung nicht bewusst. Allerdings bleibt festzuhalten, dass ein mögliches Abgleiten in die Prostitution nur die Spitze des Eisbergs darstellt, da entgeltliche Leistungen nicht zwangsläufig in die Prostitution führen und im Übrigen die Negativprognose auch nicht in den Tatbestand – was durchaus möglich gewesen wäre – aufgenommen wurde. Die Besonderheit des durch den Täter gewährten Vorteils bedarf aufgrund ihrer in Relation zu den Schutzaltersklassen kaum zu differenzierenden Größe einer grundsätzlich restriktiven Kodifizierung. Strafwürdig sind demnach nur materielle Vorteile. Aber auch nicht alle materiellen Vorteile erreichen die Qualität, die tatsächlich der Annahme einer Beeinträchtigung der bedingten Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen gerecht werden. Positiv ist zu werten, dass sich im Gesetzentwurf die um die immateriellen Vorteile erweiterte Formulierung nicht durchsetzen konnte.202 Wird jedoch Entgelt gem. § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB als „jede in seinem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung“ definiert, so werden neben finanziellen Zuwendungen auch Wohnungsgewährungen, Naturalleistungen, Arbeitsentgelt und Einladungen zu Freizeitaktivitäten erfasst.203 Der sehr weitläufige Entgeltbegriff204 wird durch die erforderlichen Absprachemodalitäten allerdings zumindest teilweise 200 Ritscher, MK, § 171, Rn. 19. 201 Vgl. dazu die Darstellung der Entwicklung von jugendlichen Prostituierten und insbesondere die neben der unmittelbaren Prostitutionsausübung weiteren Einflussfaktoren in O`Connell Davidson, Prostitution, Power and Freedom, S. 67 ff. 202 BT-Drs. 16/3439, S. 11 u.13. 203 Fischer, StGB, § 182, Rn. 10b. 204 Vgl. dazu Vormbaum, JZ 2008, 244 f.

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eingefangen. Ein Vermögensvorteil ist nur dann als Entgelt anzusehen, wenn er in einem zwischen Täter und Opfer vereinbarten do-ut-des-Verhältnis steht. Die Vereinbarung zwischen Täter und Opfer muss ein bestimmtes Entgelt für eine bestimmte sexuelle Gegenleistung zum Inhalt haben.205 Obgleich die Leistung des Täters für die Vornahme der sexuellen Handlung kausal sein muss, reicht es aus, wenn der Jugendliche durch die Entgeltleistung des Täters zumindest neben anderen Einflüssen mitmotiviert wurde.206 Optimal triff der Entgeltbegriff gem. § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB jedoch nicht den Schutzbedarf, der mit § 182 Abs. 2 StGB realisiert werden sollte. Im Hinblick auf den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung müsste die Vereinbarung zwischen Täter und Opfer und die anschließende Realisierung der sexuellen Handlung Konturen aufweisen, die deutlich machen, dass die eingeschränkt zugebilligte Dispositionsfreiheit aufgrund der entgeltlichen Leistung auf Null reduziert wird. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn Barmittel oder sonstige Wertgegenstände für sexuelle Handlungen vereinbart werden. Sofern der Jugendliche vor dem Hintergrund seiner eingeschränkten Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung vor sexueller Fremdbestimmung geschützt werden soll, genügen nur solche entgeltlichen Leistungen, die in qualitativer Hinsicht geeignet sind, die Willensbildung zu beeinflussen. Demnach müsste sich der Jugendliche unabhängig von einem etwaigen späteren Gewissenkonflikt bzw. einer sich manifestierenden Fehlentwicklung aufgrund der materiellen oder immateriellen Vorteile überzeugen lassen und danach seine Handlungen als Gegenleistung für das Erlangte ausrichten.

b) Täteraltersgrenze Die Altersgrenze für Täter wurde durch das Rahmenbeschlussgesetz nicht von 18 Jahren auf die Strafmündigkeitsgrenze herabgesetzt. Im Hinblick auf die ratio legis der Norm sollte verhindert werden, dass durch eine Herabsetzung des Täteralters Jugendliche für entgeltliche sexuelle Handlungen mit anderen Jugendlichen bestraft werden. Die Strafnorm sollte den Jugendlichen als Schutzobjekt erfassen und nicht als Täter.207 Das Für und Wider des Belassens der Täteraltersgrenze kann auf zweierlei Arten diskutiert werden: Zum einen kann gemessen an der Bestimmung des zu schützenden Rechtsguts die Privilegierung des Täters beleuchtet werden, zum anderen können die in der Binnen205 Hörnle, LK, § 182, Rn. 32; Kusch / Mössle, NJW 1994, 1506. 206 BGH, NStZ 2004, 683; Fischer, StGB, § 182, Rn. 10b; Perron / Eisele, Sch Schr., § 182, Rn. 9. 207 BT-Drs. 16/9646, S. 17; siehe auch oben Kap. 2 A) VI. 3. a).

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teleologie des Tatbestandes bzw. im Verhältnis zu anderen Tatbeständen bestehenden Wertungswidersprüche argumentativ herangezogen werden. Da das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung geschützt wird, steht die Fremdbestimmung durch bestimmte Formen der Beeinflussung im Vordergrund. Der Täter kann demnach die bedingte Einwilligungsfähigkeit des Opfers durch Vermögensvorteile dergestalt beeinflussen, dass eine faktische Einwilligung rechtlich unwirksam ist. Hier geht es weniger um das Alter als vielmehr um das Mittel, mit dem die Willensbeeinflussung erfolgt. Jugendtypisches sozialadäquates Verhalten reicht demnach nicht aus. Zahlt der jugendliche Täter beispielsweise einen gewissen Geldbetrag für sexuelle Leistungen, ist die Willensbeeinflussung unabhängig vom Täteralter gegeben. Liegt das willensbeeinflussende Element insbesondere in den Einflussmöglichkeiten erwachsener Täter gegenüber jugendlichen Opfern, ist eine von der Strafmündigkeit abzugrenzende Bestimmung des Täteralters nachvollziehbar. Sind hingegen der materielle Reiz und der Gewissensabbau im Hinblick auf die Begleichung der vertraglichen (nicht rechtsverbindlichen) Schuld durch sexuelle Handlungen wesentliche Anknüpfungspunkte, so spielt das Täteralter nur eine untergeordnete Rolle. Durch die oben aufgezeigten Besonderheiten des Entgeltbegriffs wird das ansonsten für die Begründung des Jugendschutzes herangezogene Erfahrungs- und Machtgefälle, welches sich insbesondere durch eine Altersdifferenz zwischen Täter und Opfer konturiert, relativiert. Der Grundstein für die wiederholte Gewährung von sexuellen Handlungen gegen Entgelt kann auch dann gelegt werden, wenn der 17-jährige Täter an dem 14jährigen Opfer sexuelle Handlungen gegen Entgelt vornimmt. Aus der Perspektive eines strafrechtsbegrenzenden Rechtsgüterschutzkonzepts ist das gesetzgeberische Ergebnis des eingeschränkten Täterkreises grundsätzlich nicht zu beanstanden. Sollen jedoch jugendliche Täter nicht mit einbezogen werden, weil sonst sozialtypische Verhaltensweisen – wie etwa die Einladung einer gleichaltrigen Jugendlichen ins Kino in der Absicht dort bzw. dafür sexuelle Handlungen an ihr vornehmen zu können – pönalisiert würden208, so liegt das begrenzende Faktum nicht im Alter des Täters, sondern in der Handlung. Denn Jugendliche können eben auch neben sozialtypischen Verhaltensweisen das Opfer schädigende Tathandlungen begehen. Neben der rechtsgutstheoretischen Perspektive führt die Sonderstellung des Täters als ausschließlich erwachsene Person zu Konflikten und Wertungswidersprüchen im Rahmen der Systematik der Jugendschutzdelikte. Es erscheint 208 Vgl. dazu Hörnle, LK, § 182, Rn. 27; Vormbaum, JZ 2008, 245.

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nicht plausibel, warum beispielsweise § 182 Abs. 2 StGB die Strafbarkeit auf volljährige Täter begrenzt, während § 182 Abs. 1 StGB keine besonderen Anforderungen an das Täteralter vorsieht.209 Auch § 180 Abs. 2 StGB (Bestimmen und Vorschubleisten bei sexuellen Handlungen gegen Entgelt) enthält keine Altersbeschränkung für Täter. Wird argumentiert, Jugendliche nicht gewollt zu kriminalisieren, indem in bestimmten Fällen auch sozialadäquate Handlungen vom Tatbestand erfasst werden, ist insbesondere die Differenzierung der Entgelttatbestände nicht nachvollziehbar. So wird der Freier gegenüber dem Täter, der gegen Entgelt das Opfer zu sexuellen Handlungen bestimmt, im Hinblick auf das Alter privilegiert. Ausgehend von einem die Weite des Entgeltbegriffs zumindest teilweise einschränkenden do-ut-desVerhältnis (d.h. konkretisierte Vereinbarung zwischen den Beteiligten) liegen keine sonstigen die tatbestandliche Differenz rechtfertigenden Gegebenheiten oder Zustände vor. Dass im Übrigen die Intensität des Unrechtsgehalts beider Tatbestände identisch gesehen wird, hat der Gesetzgeber durch die in beiden Fällen geltende Strafandrohung (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) deutlich gemacht. Wird die Autonomie des Opfers durch äußere Einwirkungen – wie das bei den hier ins Verhältnis gesetzten Tatbeständen ausnahmslos der Fall ist210 – beeinträchtigt, bemisst sich deren Qualität nach der im Tatbestand beschriebenen vorwerfbaren Tathandlung. Eine Einschränkung über das Täteralter, entgegen der grundsätzlichen Strafmündigkeitsgrenze gem. § 19 StGB, ist nicht zu begrüßen, da sie die Prinzipien des Strafrechts wiederum tangieren werden und neue Wertungswidersprüche erzeugen.211 So sind etwa auch sozial adäquate Handlungen des jugendlichen Täters im Rahmen des § 176 StGB vorstellbar, wenn etwa der 14-Jährige sexuelle Handlungen an seiner 13-jährigen Freundin vornimmt. Dennoch ist eine Privilegierung des Täters über das Alter nicht möglich, da tatsächlich auch solche Fälle zu verzeichnen sind, in denen der 14-jährige Täter das Kind sexuell missbraucht.

c) Privilegierung des Freiers bei Handlungen ohne Körperkontakt (§ 182 Abs. 2 StGB vs. § 180 Abs. 2 StGB) Der durch § 182 Abs. 2 StGB umrissene Schutz des Minderjährigen lässt zudem im Vergleich zu § 180 Abs. 2 StGB einen deutlichen Wertungswiderspruch erkennen. Während § 180 Abs. 2 StGB auch das Bestimmen von sexuellen Handlungen gegen Entgelt „vor“ einem Dritten (insofern ohne 209 Hörnle, NJW 2008, 3523; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 8. 210 Renzikowski, MK, § 182, Rn. 15. 211 Vgl. dazu BGH, NStZ 2005, 152.

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Körperkontakt) erfasst, stellt § 182 Abs. 2 StGB ausschließlich auf entgeltliche sexuelle Handlungen ab, die der Täter an dem Opfer selbst vornimmt oder an sich von dem Opfer vornehmen lässt (in beiden Fällen des § 182 Abs. 2 StGB ausschließlich mit Körperkontakt).212 Die Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts des Jugendlichen wird daher nicht pönalisiert, wenn der Kunde für sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt (unabhängig von ihrer Intensität) zahlt. Dies führt zu einer Privilegierung des Kunden gegenüber dem in den sexuellen Kontakt regelmäßig nicht involvierten Täter aus § 180 Abs. 2 StGB. Für das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung ist die Differenzierung der Missbrauchshandlung in sexuelle Handlungen mit oder ohne Körperkontakt nur von untergeordneter Bedeutung. In diesem Kontext ist zwischen den drei Begriffen Entgelt, Art und Intensität der sexuellen Handlung sowie Autonomie des Jugendlichen zu unterscheiden. Das wesentliche Kriterium, welches die bedingt vorhandene Entscheidungsfähigkeit des Jugendlichen außer Kraft setzt, ist die Entgeltleistung. Sie durchbricht die autonome Entscheidungsfähigkeit des Minderjährigen. Ihr muss aber die Intensität der sexuellen Handlung entgegengesetzt werden. Der bezahlte Kuss ist gemessen an der bedingt vorhandenen Entscheidungsfähigkeit des Jugendlichen nicht von „einiger Erheblichkeit“ gem. § 184g Nr. 1 StGB. Gleiches würde im Falle einer Pönalisierung auch für die sexuelle Handlung ohne Körperkontakt gelten. Zudem wäre aufgrund der do-ut-des-Vereinbarung auch deutlich herausgestellt, dass der Jugendliche den Vorgang auch wahrnehmen müsste. Auch unter Einbeziehung des Elements der ungestörten Entwicklung Jugendlicher (der Jugendliche kann im Rahmen seiner Entscheidungsfindung nicht die Tragweite möglicher Fehlentwicklungen berücksichtigen), liegt die Gefahr der Fehlentwicklung in dem Abbau von Hemmnissen, die entgeltlichen sexuellen Handlungen entgegengebracht werden. Allerdings nimmt dabei die Intensität der sexuellen Handlung einen anderen Stellenwert ein, als wenn es bei der Entscheidung des Jugendlichen nur um die situative Momentaufnahme geht. Der Jugendliche kann nicht überschauen, ob er sich der Gefahr einer sich in Gänze manifestierenden Fehlentwicklung aussetzt. Eine solche Fehlentwicklung enthält psychische, psychosomatische und physische Elemente. Ist der erste Schritt in Richtung einer Fehlentwicklung in dem Abbau von Hemmnissen zu sehen, ist die Hemmschwelle bei der Eingehung von sexuellen Handlungen ohne Körperkontakt sicherlich eine andere als bei solchen mit 212 Renzikowski, MK, § 180, Rn. 8; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 180, Rn. 1; Hörnle, LK, § 180, Rn. 6.

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Körperkontakt. Vor dem Hintergrund wäre es angemessen, zumindest im Strafrahmen zwischen sexuellen Handlungen mit und ohne Körperkontakt zu differenzieren. Eine solche Differenzierung wird beispielsweise in § 174 Abs. 2 StGB vorgenommen. Insofern wird der unterschiedlichen Beeinträchtigung durch einen in Relation dazu abgestuften Strafrahmen Rechnung getragen. § 182 Abs. 2 StGB enthält jedoch keine solche Differenzierung bzw. privilegiert den Freier bzw. Kunden, sofern er entgeltliche sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt vornimmt, während § 180 Abs. 2 StGB gleichermaßen sexuelle Handlungen mit und ohne Körperkontakt erfasst. Der Wertungswiderspruch wird umso deutlicher, wenn die weiteren Gefahren skizziert werden, die insbesondere mit entgeltlichen sexuellen Handlungen ohne Körperkontakt einhergehen. Wenn Minderjährige gefilmt werden, wie sie in sexuell aufreizender Weise posieren, sexuelle Handlungen an sich selbst vornehmen oder im Rahmen von Stripteasedarbietungen, Tabledance, Sex-Live-Shows oder Peepshows agieren, macht sich nur derjenige strafbar, der nach § 180 Abs. 2 StGB den Minderjährigen dazu motiviert hat. Der Kunde oder selbst derjenige, der die Filmaufnahmen fertigt, macht sich hingegen nach § 182 Abs. 2 StGB nicht strafbar.213 In diesem Zusammenhang ist auch nicht schlüssig, dass gem. § 184c StGB Abs. 1 Nr. 3 StGB das Herstellen von jugendpornographischen Schriften strafbar ist, jedoch nicht die Bezahlung zur Vornahme von solchen sexuellen Posen und Handlungen ohne Körperkontakt. Unterliegt die Herstellung von pornographischen Schriften grundsätzlich keinem Verbot, kann die umfassende Pönalisierung der Jugendpornographie nur vor dem Hintergrund des Darstellerschutzes gerechtfertigt werden.214 Bei diesem geht es nicht wie beim Kinderpornographieverbot gem. § 184b StGB um die Bestrafung einer mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs215, sondern um die kommerzielle Beteiligung am Pornographiegewerbe.216 Selbst wenn Jugendliche im Pornogewerbe aufgrund der Verdienstmöglichkeiten mitwirken wollen, ist ihre Entscheidung nicht als frei verantwortliche Einwilligung anzusehen.217 Ebenso begründet sich die Einwilligungsunfähigkeit bei entgeltlichen sexuellen Handlungen ohne Körperkontakt. 213 Hörnle, LK, § 180, Rn. 48 u. § 182, Rn. 29. 214 Zu den umsetzungspflichtigen Vorgaben des Rahmenbeschlusses der EU siehe oben Kap. 2 A) VI. 1. a). 215 BT-Drs. 12/3001, S. 5; Fischer, StGB, § 184b, Rn. 2; Reinbacher / Wincierz, ZRP 2007, 197. 216 Eisele, Sch / Schr., § 184c, Rn. 2. 217 Hörnle, NJW 2008, 3523.

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3. Sexuelle Handlungen unter Ausnutzung fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit (§ 182 Abs. 3 StGB) a) Normativer Begriff der „Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“ Durch § 182 Abs. 3 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Personen unter 16 Jahren unter Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung bestraft. Dabei muss der Täter entweder selbst sexuelle Handlungen an dem Opfer vornehmen oder an sich von ihm vornehmen lassen (Nr. 1) oder es zu sexuellen Handlungen mit Dritten bestimmen (Nr. 2). Eine Besonderheit stellt ferner das Täteralter dar. Im Gegensatz zu § 182 Abs. 1 StGB muss der Täter über 21 Jahre alt sein. Die Formulierung „fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung“ verweist zunächst auf das zu schützende Rechtsgut. Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als Abwehrrecht steht demnach im Vordergrund. Dennoch ist die Gesetzesformulierung missverständlich. Es stellt sich die Frage, wann von einer diesbezüglichen fehlenden Fähigkeit ausgegangen werden kann.218 Widersprüchlich im Vergleich zu den Strafnormen §§ 174, 180 Abs. 2 u. 3, 182 Abs. 1 u. 2 StGB ist das Infragestellen dieser Fähigkeit. Auch der Gesetzgeber ging davon aus, dass bei Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren der Prozess der Entwicklung sexueller Reife noch nicht abgeschlossen sei.219 Nicht abgeschlossen bedeutet aber, dass die Fähigkeit grundsätzlich – wenn auch in schwach ausgeprägter Form – vorhanden ist. Der Normalzustand der sexuellen Entwicklung in der Altersklasse der 14- und 15-Jährigen ist somit nicht die gänzlich fehlende sexuelle Selbstbestimmung, wie sie bei Kindern anzunehmen ist.220 Vor diesem Hintergrund ist die „Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“ ein normativer Begriff, der vom Gericht zu konkretisieren ist.221 Die Bestimmung des Begriffs kann zum einen ohne Bezugnahme auf das Täterverhalten erfolgen oder im Rahmen einer kontextabhängigen Analyse.222 Wird die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung dadurch begründet, dass das Opfer aufgrund seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch nicht in der Lage ist, die Bedeutung sexueller Erlebnisse zu erfassen und sein Handeln danach einzurichten, wird auf eine intellektuelle und eine voluntative

218 219 220 221

Ähnlich Frommel, NK, § 182, Rn. 11. BT-Drs. 12/4594, S. 8. Vgl. dazu Fischer, StGB, § 182, Rn. 13a. Fischer, StGB, § 182, Rn. 13; Hörnle, LK, § 182, Rn. 63; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 13; Renzikowski, MK, § 182, Rn. 50. 222 Hörnle, LK, § 182, Rn. 63.

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Komponente abgestellt.223 Auf der intellektuellen Ebene fehlt es dem Betroffenen an einer zureichenden Erkenntnisfähigkeit. Die hier gemeinten Erkenntnisse beziehen sich beispielsweise auf die sexuelle Veranlagung, die Tragweite und die Bedeutung von Sexualkontakten oder die Gefahren im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Spätfolgen. Auf der voluntativen Ebene fehlt es an der sexuellen Selbstbestimmung, wenn der Minderjährige zwar die zureichende Erkenntnisfähigkeit besitzt, jedoch noch nicht in der Lage ist, eine Verhaltensentscheidung zu treffen. Er ist insofern nicht in der Lage, seiner Einsicht gemäß zu handeln.224 Unabhängig von der Einwirkung des Täters ist wiederum fraglich, unter welchen Voraussetzungen ein mangelndes Urteilsvermögen bzw. eine derartige Willensschwäche kontextunabhängig angenommen werden kann. Zunächst kann auf die altersbedingte Unreife aller Minderjährigen abgestellt werden. Eine generell fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung stünde jedoch in einem deutlichen Widerspruch zu den anderen Jugendschutznormen, die von einer eingeschränkt vorhandenen sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit ausgehen. Somit muss ein konkreter Bezugspunkt definiert werden, an dem die „Ausnahme von der Regel“ bestimmt werden kann. Der Tatbestand enthält jedoch keine Unrechtselemente wie Zwang oder materielle Verlockungen, die die Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen beeinträchtigen. Somit kann der erforderliche Bezugspunkt nur im Innenverhältnis liegen, also in der konkreten Opferpersönlichkeit. Da aber Minderjährige in der Altersklasse der 14- und 15-Jährigen einen durchaus unterschiedlichen Entwicklungsstand im Rahmen einer „normalen“ Entwicklung aufweisen, muss die „fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“ auf einem bedeutenden Mangel an Urteilsvermögen oder einer erhebliche Willensschwäche basieren. Als Vergleichsmaßstab kann daher nur der durchschnittliche Entwicklungsstand der Altersgruppe des Opfers herangezogen werden.225 Der BGH hat diesbezüglich ausgeführt, dass sexuelle Vorerfahrungen einer Jugendlichen dafür sprechen könnten, dass sie bereits zur sexuellen Selbstbestimmung in der Lage sei.226 Eine solche Annahme darf jedoch nicht überbewertet werden.227 Etwa 20% der Mädchen und Jungen im Alter von 14 und 15 Jahren haben bereits Geschlechtsverkehr gehabt. Allerdings fühlen sich über 70% der Mädchen und Jungen im Alter von 14 bis 17 223 224 225 226 227

Renzikowski, MK, § 182, Rn. 51. Laubentahl, Sexualstraftaten, Rn. 514. Renzikowski, MK, § 182, Rn. 52. BGH, NStZ-RR 1997, 98; ähnlich BGH, NStZ 1997, 387. Lediglich als Indiz anerkennend Hörnle, LK, § 182, Rn. 64; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 13; gänzlich ablehnend Renzikowski, MK, § 182, Rn. 52.

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Jahren ausreichend aufgeklärt.228 Der Grad der sexuellen Erfahrung ist daher kaum ein geeigneter Indikator, um den Entwicklungsstand des Jugendlichen im Hinblick auf bedeutende Erkenntnismängel oder erhebliche Willensschwäche zu analysieren. Somit rückt § 182 Abs. 3 StGB deutlich in die Nähe des § 179 StGB. Liegt das zu beurteilende Merkmal in der Opferpersönlichkeit, die sich deutlich von Gleichaltrigen abhebt, geht es um das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Personen, die aus psychischen Gründen nicht in der Lage sind, wie gleichaltrige Minderjährige in die sexuelle Interaktion einzuwilligen. Frommel sieht in § 182 Abs. 3 StGB einen Auffangtatbestand, der etwa dann greifen soll, wenn viele Faktoren zusammentreffen, welche für sich genommen die Schwelle des § 179 StGB nicht erreichen.229 § 179 StGB wird im Allgemeinen sehr restriktiv ausgelegt, da das Erfordernis einer geistigen oder seelischen Krankheit, Behinderung, Suchtkrankheit oder einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung zur Widerstandsunfähigkeit gegenüber dem konkreten sexuellen Ansinnen des Täters geführt haben muss.230 Vergleicht man nun den Strafrahmen bei den Strafnormen, so scheint eine restriktivere Auslegung des § 179 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) gegenüber § 182 Abs. 3 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe – zusätzlich ausgestaltet als Antragsdelikt gem. § 182 Abs. 5 StGB) zunächst gerechtfertigt. Die Ratio des § 182 Abs. 3 StGB im Kontext der Jugendschutzdelikte ist allerdings nicht ohne weiteres mit § 179 StGB vergleichbar. Während nach § 179 StGB jede Person unabhängig von ihrem Alter widerstandsunfähig sein kann, etwa auch durch Geisteskrankheit oder Trunkenheit, setzt § 182 Abs. 3 StGB den Bezugspunkt gerade bei Minderjährigen unter 16 Jahren. In diesem Zusammenhang ist ihre Widerstandsunfähigkeit zwar auch im Sinne des § 179 Abs. 1 StGB möglich, bezüglich des § 182 Abs. 3 StGB steht jedoch das Alter im Vordergrund. Insofern hindert die altersbedingte Unreife231 den Minderjährigen daran, den Sexualkontakt richtig einzuordnen. Die notwenige Einschränkung erfährt die Strafnorm dadurch, dass mit altersbedingter Unreife nicht „jeder Jugendliche“ in der Altersklasse gemeint ist, sondern nur solche, die gegenüber dem Stand ihrer Altersgruppe einen bedeutenden Mangel an Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwäche aufweisen. Allerdings ist eine solche Betrachtungsweise vollkommen kontextunabhängig. Die Beeinflussung 228 229 230 231

Siehe oben Kap. 3 D). Frommel, NK, § 182, Rn. 11. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 179, Rn. 5 u. 6. Fischer, StGB, § 182, Rn. 12; Lackner / Kühl, StGB, § 182, Rn. 6; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 514; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 13; Renzikowski, MK, § 182, Rn. 51.

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des Täters spielt dabei zunächst keine Rolle. So gesehen muss das in der Opferpersönlichkeit liegende Kriterium durch das Gericht entsprechend festgestellt werden. Die in der Literatur teilweise vertretende Meinung, dass der Richter die Feststellung der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung nicht auf den Gutachter delegieren dürfe, sondern der normative Begriff allein durch ihn zu entscheiden sei232, kann nur dann greifen, wenn das Merkmal auch unter Berücksichtigung der Beeinflussung des Opfers durch den Täter ausgelegt wird. Gelangt man im Rahmen der Auslegung zu einem (absolut) kontextunabhängigen Begriff, muss im Zuge dieser Feststellung klar umrissen werden, warum die Opferpersönlichkeit im Vergleich zu gleichaltrigen Minderjährigen gerade solche schutzwürdigen Nachteile aufweist. Eine solche Feststellung vermag die Judikative bzw. die Jurisprudenz nicht zu treffen. Eine gutachterliche Befragung des Opfers scheint in diesem Falle unausweichlich.233 Bestimmt man jedoch die „fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung“ im Rahmen einer kontextspezifischen Analyse, liegt der Schwerpunkt in der Bewertung der Beziehungen zwischen dem Opfer und dem Verhalten des Täters.234 Die mangelnde Fähigkeit des noch nicht 16 Jahre alten Opfers, aufgrund seiner sittlichen und geistigen Entwicklung Bedeutung und Tragweite der sexuellen Handlungen in Gänze zu erfassen, wird entsprechend durch das Verhalten des Täters ausgenutzt. Im Gesetz nicht näher beschriebene Mittel der Willensbeeinflussung sind demnach insbesondere Beziehungen, die auf sexuelle Beherrschung des Opfers angelegt sind bzw. dass der Täter sich unlauterer Mittel der Willensbeeinflussung bedient.235 Zu denken ist etwa an einen im sozialen Umfeld des Opfers übergeordneten Täter (Verwandter, Lebensgefährte der Mutter), dem gegenüber 14- und 15-Jährige nicht selbstbe232 Das Fehlen der Selbstbestimmungsfähigkeit sei demnach kein „Zustand“, der durch einen Gutachter festgestellt werden könne, sondern eine Eigenschaft, die ohne die Täterpersönlichkeit und des Verhältnisses zwischen Opfer und Täter gar nicht erforscht werden könne, Fischer, StGB, § 182, Rn. 13; Ablehnung einer gutachterlichen Feststellung obgleich der Annahme einer erforderlichen kontextunabhängigen Feststellung, Renzikowski, MK, § 182, Rn. 50. 233 Bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum 29. StÄG wandte sich die Fraktion der SPD erfolglos gegen die Strafbestimmung und kritisierte die Unbestimmtheit und mangelnde Handhabbarkeit. Insbesondere wurde die Gefahr hervorgehoben, dass die tatsächliche Feststellung der fehlenden Selbstbestimmung zu zahlreichen Gutachterprozessen führen würden, die auch für das Opfer nur schwer erträglich seien, vgl. dazu BT-Drs. 12/7035, S. 9; Kusch / Mössle, NJW 1994, 1507; siehe auch oben Kap. 2 A) III. 234 Hörnle, LK, § 182, Rn. 63. 235 BT-Drs. 12/4584, S. 8.

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stimmt agieren können.236 Weitere kontextabhängige Beispiele sind vorstellbar, wenn auch ohne ein dauerhaftes Näheverhältnis Druck unterhalb der Schwelle des § 240 StGB ausgeübt wird oder etwa bedingt durch mehrere Täter gruppendynamische Prozesse die Selbstbestimmungsfähigkeit beeinflussen. Schließlich kann auch die Vertrauensseligkeit und Leichtgläubigkeit des Opfers ausgenutzt werden, insbesondere wenn der Täter manipulativ vorgeht.237 Bei einer solchen kontextabhängigen Auslegung fällt jedoch auf, dass das beschriebene Täterverhalten eigentlich eine Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „Ausnutzen“ darstellt. Da aber an das „Ausnutzen“ keine weiteren Anforderungen gestellt werden, erfolgt eine einengende Auslegung des Begriffs der „fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“. Kusch / Mössle haben die Schwierigkeiten, die mit einer solchen Begründung verbunden sind, erkannt. Ihrer Ansicht nach ist die „fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung“ kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal, sondern nur sprachlicher Bezugspunkt des Merkmals des „Ausnutzens“.238 Wenn allerdings nicht explizit tatbestandlich erfasstes Täterverhalten in den opferbezogenen Handlungsbeitrag zur Tat transferiert wird, ist keine Abgrenzung mehr zu generell nicht pönalisierten sexuellen Handlungen zwischen Jugendlichen und älteren Erwachsenen möglich. Der Wortlaut des Gesetzes lässt keinen Zweifel, da durch die Formulierung „dabei die fehlende Fähigkeit […] ausnutzt“ nicht einmal ansatzweise die Verursachung dieser fehlenden Fähigkeit durch den Täter angenommen werden kann. Der Täter muss lediglich – im Rahmen des subjektiven Tatbestandes – um die fehlende Fähigkeit wissen bzw. diese zumindest billigend in Kauf nehmen. Die Berücksichtigung aller inneren und äußeren Umstände, insbesondere die altersbedingte Unreife und die Beeinflussung des Opfers durch den Täter, führt zu dem Ergebnis, dass es eben nicht zu einem Gutachterprozess kommen muss, da vor allem die Beziehung zwischen den Beteiligen bewertet wird und diese Bewertung nicht an Sachverständige delegiert werden kann.239 Da es in der hiesigen Untersuchung jedoch nicht vorrangig um das Ziel einer rechtsanwendungsorientierten Auslegung geht, kann auch eine kontextabhängige Analyse nicht überzeugen, zumal diese einer restriktiven Auslegung eher entgegensteht.

236 237 238 239

Hörnle, LK, § 182, Rn. 65. Hörnle, LK, § 182, Rn. 66. Kusch / Mössle, NJW 1994, 1507. Hörnle, LK, § 182, Rn. 63.

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b) Altersdifferenz zwischen Täter und Opfer Einzigartiges Element des Tatbestandes im Kontext der sonstigen Jugendschutzdelikte und im Übrigen auch zu allen anderen Strafnormen ist das Täteralter von über 21 Jahren. Dieses ist im Verhältnis zu der oberen Schutzaltersgrenze auf Opferseite von unter 16 Jahren zu sehen. Der in dieser Konstellation entstehende Mindestaltersunterschied beträgt wenigstens fünf Jahre. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde argumentiert, dass ein erheblicher Altersunterschied zwischen Täter und Opfer ein erstes Indiz für das Bestehen eines Machtgefälles zwischen den Partnern sei. Gleichzeitig werde sichergestellt, dass jugendtypische Beziehungen mit etwas älteren Partnern (wie sie vor allem bei Mädchen oft vorkämen) bedingt durch diese Altersbeschränkung nicht erfasst würden.240 Der Altersunterschied verdeutlicht, dass keine Gleichrangigkeit zwischen den Beteiligten besteht. Allerdings ist fraglich, in welchem Kontext die starre Altersgrenze für Täter zu betrachten ist. Der Tatbestand umfasst den Sachverhalt, dass die sexuelle Handlung oder deren Duldung aufgrund der altersbedingten Unreife des Opfers zustande kommt, der Täter von dieser mangelnden Fähigkeit des Opfers Kenntnis hat und er die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung sich zunutze macht. Die durch den Tatbestand ausgeschlossene Gleichrangigkeit ist ein weiteres Element, welches zwar kumulativ vorliegen muss, aber dennoch in keinem zwingenden Zusammenhang mit den anderen Merkmalen stehen muss.241 Wird ganz im Gegenteil die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit unabhängig von einer unlauteren Begehungsweise gesehen (also kontextunabhängig), spielt das Täteralter nur eine untergeordnete Rolle. Demnach können auch volljährige Personen oder Jugendliche Täter sein, sofern sie die im Vergleich zu anderen Jugendlichen gegebene fehlende Selbstbestimmungsfähigkeit ausnutzen. Wird hingegen auf die Beziehung zwischen Opfer und Täter abgestellt, ist der Altersunterschied zumindest ein Indiz für ein bestehendes Machtgefälle, welches die Selbstbestimmungsfreiheit des Jugendlichen beeinträchtigen kann. Kommt diesem Merkmal insofern maximal indizielle Bedeutung zu, stellt sich die Frage, warum es tatbestandlich kodifiziert werden muss. Nach Kusch / Mössle rührt aus dem größeren Altersunterschied eine zusätzliche „Überrumpelungsgefahr“ her. Die „Verführungskünste“ seien bei einem 25-Jährigen üblicherweise weiter entwickelt als bei einem 20-Jährigen. Demnach sei etwa an Sachverhalte zu denken, in denen das sexuell unerfahrene 15jährige Mädchen im Rahmen eines Diskotheken-Besuchs den 25-jährigen Playboy kennenlerne, der sie am selben Abend noch verführe. Allerdings seien 240 BT-Drs. 12/4584, S. 8. 241 Vgl. dazu Laubenthal, Sexualstraftaten, S. Rn. 516.

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nur an den ersten beiden Abenden dieses besondere durch den Altersunterschied gekennzeichnete Machtgefälle ausschlaggebend, am dritten Abend seien die sexuellen Handlungen der Jugendlichen mit dem besagten Täter nicht rechtsgutsverletzender als dieselbe Handlung mit einer Person unter 21 Jahren.242 Diese „Überrumpelungsgefahr“ wird in den Tatbestand bzw. in die bestehende Altersdifferenz hineininterpretiert, wodurch keine zusätzliche Bestimmtheit erreicht wird. Dieser Effekt kann der kodifizieren Altersdifferenz nicht beigemessen werden.243 Verdeutlich wird aber der Verdacht eines jenseits des strafwürdigen befindlichen Ansinnens. Sollen die sexuellen Interaktionen zwischen „älteren Erwachsenen“ und „jüngeren Jugendlichen“ einer besonderen Kontrolle unterliegen, ist eine moralistisch geprägte Motivation identifiziert. Für den Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit spielt es keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle, welches Alter der Täter hat. Geht es allerdings um den Schutz der ungestörten Entwicklung Jugendlicher244, der bei § 182 Abs. 3 StGB jedoch nicht im Vordergrund steht, wird die entwicklungsstörende Einflussnahme durch besondere äußere Einflüsse geprägt, die ebenfalls nicht allein in der Altersdifferenz zwischen Täter und Opfer liegen und schon gar nicht in einer Differenz, die oberhalb der Volljährigkeit scheinbar willkürlich gesetzt ist.

c) Die Ausgestaltung als Antragsdelikt Nach der Begründung im Gesetzentwurf soll die Ausgestaltung des § 182 Abs. 3 StGB als Antragsdelikt dem Umstand Rechnung tragen, dass der Jugendliche in der zumeist öffentlichen Hauptverhandlung erheblichen Belastungen ausgesetzt ist, wenn er als Zeuge zum Tatgeschehen Angaben machen soll. Die Abhängigkeit der Strafverfolgung von einem Antrag soll demnach den Eltern oder Personenberechtigten die Möglichkeit einräumen, durch Absehen von einem Strafantrag das jugendliche Opfer vor möglichen Schäden zu bewahren. Die Verfolgung von Amts wegen wurde für die Fälle vorgesehen, in denen ein besonderes öffentliches Interesse ein Einschreiten für geboten erscheinen lässt. Nach der Entwurfsbegründung sind solche Fälle dann anzunehmen, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, besonders rücksichtslos oder verwerflich gehandelt hat oder durch die Tat nachteilige Wirkungen von einigem Ausmaß bei dem Opfer verursacht hat.245 Die Ausgestaltung des § 182 Abs. 3 StGB als 242 243 244 245

Kusch / Mössle, NJW 1994, 1507. Ähnlich Fischer, StGB, § 182, Rn. 15. So Kusch / Mössle, NJW 1994, 1507. BT-Drs. 12/4584, S. 9.

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Antragsdelikt wurde teilweise kritisiert. Hauptkritikpunkt ist dabei das den Eltern oder sonstigen Personenberechtigten zustehende Strafantragsrecht. Eltern können so das Instrumentarium des Strafantrags als letztes erzieherisches Mittel verwenden, um unerwünschte Sexualkontakte zu unterbinden.246 Zunächst ist festzuhalten, dass tatsächlich jugendliche Opfer im Rahmen von Zeugenanhörungen durch die nochmalige Konfrontation mit dem Geschehen nachteilig beeinflusst werden können. In einer Studie der Freien Universität Berlin aus den Jahren 1995/1996 wurde das Belastungserleben von kind- und jugendlichen Zeuginnen in Hauptverhandlungen untersucht.247 Das Belastungserleben beginnt demnach bereits wenige Tage vor der Hauptverhandlung, welches sich insbesondere durch Ängste und Sorgen konkretisiert und teilweise auch mit körperlichen Symptomen (Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Durchfall, Fieber oder ähnliche Erscheinungen) einhergeht. Während der Hauptverhandlung zeigt sich bei minderjährigen Zeugen insbesondere eine hohe emotionale Belastung. Durch Angst, Aufgeregtheit, Bedrücktheit und Sprachstörungen drückt sich demnach die innere Anspannung aus. Die Belastungserlebnisse wirken auch nach der Hauptverhandlung nach.248 Allerdings fühlt sich auch 14 Tage nach der Hauptverhandlung etwa die Hälfte der befragen Kinder und Jugendlichen erleichtert, was insofern auch auf eine positive Abarbeitung der Geschehnisse schließen lässt. Dabei ist zu bedenken, dass im Falle der Nichtanzeige Opferschäden unbehandelt im Verborgenen bleiben.249 Auch unter Bezugnahme weiterer Studien aus den USA250 kann insgesamt zusammengefasst werden, dass Kinder und Jugendliche von den Strafverfolgungsbehörden erwarten, dass zeugenschützende Maßnahmen angewendet werden, ihnen mit Respekt und Einfühlungsvermögen begegnet wird und sie in gewissem Umfang Einfluss auf die Prozessgestaltung ausüben können. Unter

246 Kusch / Mössle, NJW 1994, 1507; Renzikowski, MK, § 182, Rn. 76. 247 Die Studie wurde im Auftrag der Bundesregierung durch das forensische Institut für Psychiatrie der Freien Universität Berlin durchgeführt. Insgesamt wurde 86 minderjährige Zeuginnen im Alter zwischen vier und 15 Jahren in die Untersuchung einbezogen. Hiervon waren 73 Opfer einer Straftat wegen sexuellen Missbrauchs. Vgl. dazu Jost, Opfer sexuellen Missbrauchs, S. 50. 248 Jost, Opfer sexuellen Missbrauchs, S. 51 ff. 249 Jost, Opfer sexuellen Missbrauchs, S. 54 u. 71. 250 In den Jahren 1991 und 1992 wurde im Gerichtsbezirk Denver verfahrensindizierte Effekte an 218 kind- und jugendlichen Opfern sexuellen Missbrauchs im Alter zwischen vier und 17 Jahren durchgeführt. Eine weitere Studie wurde Ende der achtziger Jahre in North Carolina durchgeführt. In die Untersuchung einbezogen waren insgesamt 100 Opfer innerfamiliären sexuellen Missbrauchs im Alter zwischen sechs und 17 Jahren. Vgl. dazu Jost, Opfer sexuellen Missbrauchs, S. 56 u. 59.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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diesen Umständen sind minderjährige Opfer trotz der sekundären Belastung im Nachhinein mit ihrer Teilnahme am Strafverfahren zufrieden.251 Dass die Eltern den jeweiligen geistigen und seelischen Entwicklungsstand des Jugendlichen am besten beurteilen können252, steht außer Frage, dennoch können die nachteiligen Folgen eines Strafverfahrens durch andere Maßnahmen abgefedert werden. Frommel führt aus, dass vor dem Hintergrund des Opferschutzes und der durch das Verfahren auf das Opfer wirkenden negativen Einflüsse der Stil der generellen Vermeidung von Strafverfahren überholt und bei gravierenden Fällen verfehlt sei, da es andere opferorientierte Verfahrensgestaltungen gebe.253 Die Strafprozessordnung bietet unterschiedlichste Instrumentarien an, um vor dem Hintergrund des gegenwärtigen viktimologischen Forschungsstandes minderjährige Opfer sexuellen Missbrauchs vor Belastungssituationen im Strafverfahren zu bewahren. Dazu gehören Vorschriften wie § 52 StPO (Zeugnisverweigerungsrecht); § 168e StPO (getrennte Zeugenvernehmung); § 241a StPO (Vernehmung von Zeugen unter 18 Jahren in der Hauptverhandlung allein durch den Vorsitzenden); § 247 Satz 2 StPO (Entfernung des Angeklagten); § 247a StPO (Vernehmung des Zeugen an einem anderen Ort); § 251 Abs. 1 u. 2 StPO (Verzicht auf eine Vernehmung in der Hauptverhandlung); § 273 Abs. 2 Satz 2 bis 4 StPO (Tonbandaufzeichnungen einzelner Vernehmungen); §§ 24 Abs. 1 Nr. 3, 74 Abs. 1 Satz 2 GVG (Anklage beim Landgericht bei besonderer Schutzbedürftigkeit des Zeugen); § 172 Nr. 4 GVG (Ausschluss der Öffentlichkeit). Auch das Argument, dass der durch das Gericht festzustellende Mangel an Selbstbestimmung – eben aufgrund des „Versagens“ – für das Selbstbild des Betroffenen schmerzlich sein könne und insofern die Abhängigkeit des Strafverfahren von dem Wunsch des Geschädigten sinnvoll sei254, überzeugt nicht. Zum einen kann angenommen werden, dass gerade im Falle der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung, die unter anderem durch eine altersbedingte Unreife im Verhältnis zu Gleichaltrigen zu begründen ist, auch die Entscheidung über einen Strafantrag nicht auf den Schultern des Opfers ruhen sollte. Zum anderen ist ohnehin gem. § 77 Abs. 3 StGB bei Geschäftsunfähigen bzw. beschränkt Geschäftsfähigen (also Minderjährigen) der gesetzliche Vertreter oder Sorgeberechtigte antragsberechtigt. Auch die Formulierung gem. § 77 Abs. 3 StGB „Ist der Antragberechtigte geschäftsunfähig […], so 251 252 253 254

Jost, Opfer sexuellen Missbrauchs, S. 71. So BT-Drs. 12/4584, S. 9. Frommel, NK, § 182, Rn. 14. Hörnle, LK, § 182, Rn. 75.

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können der gesetzliche Vertreter […]“ bezieht sich nicht auf eine fakultative Antragsvertretung, sondern auf die grundsätzliche Dispositionsfreiheit, einen Strafantrag zu stellen oder eben davon abzusehen, die gleichermaßen für den geschäftsfähigen Geschädigten wie auch für den Vertreter eines Geschäftsunfähigen gilt.255 Zum Schutze des Minderjährigen ist das Strafantragserfordernis somit nicht schlüssig zu begründen. Dem besonderen Schutz minderjähriger Opfer vor sekundärer Viktimisierung wird durch die entsprechenden Schutzvorschriften Rechnung getragen. Ob es dabei einer Optimierung bedarf, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Sofern die gesetzgeberische Entscheidung im Hinblick auf die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit eines bestimmten Verhaltens gefallen ist, kommt der Kriminalstrafe die Besonderheit des „sozialethischen Tadels“ zu. Vor dem Hintergrund der mit der Strafe verhängten Zweckrichtung der Generalprävention, der Spezialprävention bzw. der Vergeltung256 ist ein eingebautes Korrektiv, welches die Verantwortung für den Beginn bzw. die Durchführung des Strafverfahrens auf regelmäßig nicht einmal den Geschädigten selbst verlagert, kaum nachvollziehbar. Das Strafverfahren hat neben den negativen psychischen Belastungen für das minderjährige Opfer auch eine reinigende, abschließende und schließlich auch die Ernsthaftigkeit des Falls unterstreichende Wirkung. Es ist sogar anzunehmen, dass etwa der Verzicht auf einen Strafantrag seitens der Eltern zu einer dauerhaften psychischen Belastung im familiären Umfeld führen kann, wenn die Beweggründe, die aus Sicht der Eltern den Strafantragsverzicht rechtfertigen, zum Zeitpunkt der möglichen Strafantragstellung oder auch zu einem späteren Zeitpunkt (ggf. nach Jahren) für das Opfer nicht nachvollziehbar sind.

4. Das Absehen von der Strafe nach § 182 Abs. 6 StGB Durch § 182 Abs. 6 StGB soll insbesondere die Möglichkeit einräumt werden, das Verhalten des Opfers zu berücksichtigen.257 Dafür muss insgesamt das Unrecht der Tat gering sein. Das Erfordernis einer Absehensklausel i.S.d. § 182 Abs. 6 StGB, die alle Tatbestandsvarianten des § 182 StGB erfasst, kann jedoch nicht in Anlehnung an die Absehensklausel § 174 Abs. 4 StGB begründet werden. Während die Weite des Tatbestandes § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB 255 BGH, NStZ 1981, 479; NJW 1994, 1165; Fischer, StGB, § 182, Rn. 24; Lackner / Kühl, StGB, § 182, Rn. 9; Mitsch, MK, § 77, Rn. 30; Renzikowski, MK, § 182, Rn. 77; Sternberg-Lieben / Bosch, Sch / Schr., § 77, Rn. 15; anders Hörnle, LK, § 182, Rn. 76; Schwarz / Sengbusch, NStZ 2006, 673. 256 Ähnlich Frommel, NK, § 182, Rn. 14. 257 BT-Drs. 12/7035, S. 10.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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durch eine solche Klausel ggf. noch eingeschränkt werden kann, da es tatsächlich zu „echten“ Liebesbeziehungen zwischen Opfer und Täter kommen kann, liegen die Grundsachverhalte in den Tatbeständen des § 182 StGB gänzlich anders. Wenn eine fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung gem. § 182 Abs. 3 StGB festgestellt wird, ergibt sich kein Raum, der das Tatunrecht des tatbestandlich festgestellten Missbrauchs bis zur angenommenen Bagatellgrenze mindern kann.258 Auch bei Annahme einer echten Liebesbeziehung kommt § 182 Abs. 6 StGB nicht in Betracht, da darauf begründende Sexualkontakte die jeweilige Missbrauchsalternative entfallen lassen.259 Allenfalls ist an ein geringes Tatunrecht zu denken, wenn die fehlende Selbstbestimmungsfähigkeit kontextabhängig betrachtet wird und nicht nur die kontextunabhängige Unreife, die durch den Vergleich mit Gleichaltrigen konkretisiert werden kann, im Vordergrund steht. Aber auch dann spielt die altersbedingte Unreife im Einzelfall neben weiteren durch die Interaktion mit dem Täter bedingten Einflüssen eine mehr oder minder wichtige Rolle. Sofern das Absehen von der Strafe vorrangig auf das Verhalten des Opfers abgestellt wird, besteht die Gefahr, dass belastende Verteidigungsstrategien zur Anwendung kommen.260 Im Übrigen sind auch bezogen auf die Tatbestände § 182 Abs. 1 und 2 StGB mögliche Initiativen des Minderjährigen keine ausreichende Begründung für die Annahme eines geringen Tatunrechts261, da ja gerade die fehlende Fähigkeit mit Zwangslagen fertig zu werden oder der Aussicht auf Entgelt zu widerstehen, Anhaltspunkte für eine entwicklungsbedingte Unreife sind.262 Die praktische Anwendbarkeit des § 182 Abs. 6 StGB wird jedoch teilweise dann angenommen, wenn sich das Opfer in unmittelbarer Nähe der Schutzaltersgrenze befindet.263 Bei der Schutzaltersklasse gem. § 182 Abs. 3 StGB scheint bei Betrachtung der Minderjährigen mit eingeschränkter Selbstbestimmungsfähigkeit (also die 14- und 15-Jährigen264) aufgrund des geringen Altersspiel258 Fischer, StGB, § 182, Rn. 25; Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 520; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 21. 259 Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 520; Renzikowski, MK, § 182, Rn. 73. 260 Renzikowski, MK, § 182, Rn. 72. 261 Anders Ziegler, OK-StGB, § 182, Rn. 18. 262 Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 21. 263 Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 520. 264 Zwar gilt § 182 Abs. 3 StGB auch für Minderjährige unter 14 Jahren (Kinder), allerdings haben Kinder keine diesbezügliche positive Selbstbestimmungsfähigkeit. Der Anwendungsbereich des Tatbestandes für Kinder hat wegen den umfangreichen Verbotsnormen (§ 176 ff. StGB) nur untergeordnete Bedeutung. Anwendungsfälle sind denkbar, wenn der Täter über das Alter des kindlichen Tatopfers irrt, vgl. dazu BGH, NStZ 2007, 329.

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4. Kapitel

raums eine Differenzierung nach konkreten Alterspositionen in der Schutzklasse kaum möglich. Andererseits ist die Annahme eines solchen Anwendungsbereichs etwa bei § 182 Abs. 1 und 2 StGB inkonsequent, da durch das Rahmenbeschlussgesetz im Jahr 2008 gerade erst die Schutzaltersgrenze von 16 auf 18 Jahre angehoben wurde. Bleibt schließlich noch der Fall, in dem die sexuellen Handlungen nur knapp die Erheblichkeitsschwelle des § 184g Nr. 1 StGB überschreitet.265 Aber auch dies ändert nichts an dem Tatunrecht, da das Unrecht als höhere Einheit von Tatbestand und Rechtswidrigkeit der Verantwortlichkeit gegenüberzustellen ist, insofern nicht nur für die Summe der für die strafrechtliche Haftbarmachung des Täters relevanten Merkmale steht, sondern als Inbegriff der für die strafrechtliche Verbotseinheit maßgebenden Umstände in Erscheinung tritt.266 Somit ist auch eine knapp die Erheblichkeitsschwelle des § 184g Nr. 1 StGB überschreitende sexuelle Handlung wesentliches Element der Verbotseinheit. Eine Berücksichtigung könnte allenfalls im Rahmen einer geringen Schuld erfolgen, die aber für § 182 Abs. 6 StGB gerade nicht ausreichend ist.

IV. Zusammenfassung § 182 StGB zielt nicht darauf ab, sexuelle Kontakte zwischen Minderjährigen generell zu verbieten. Kontakte zwischen 14- und 15-Jährigen mit gleichaltrigen Personen oder geringfügig älteren Partnern werden nicht generell unter Strafe gestellt. Auch Handlungen mit deutlich älteren Personen bleiben straffrei, sofern der Minderjährige sich selbstbestimmt dafür entschieden hat. Somit schützt die Norm die sexuelle Selbstbestimmung. Der Minderjährige wird geschützt gegen Zugriffe anderer Personen. Ausschlaggebendes Kriterium ist die noch nicht voll entwickelte Urteilsfähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit des Minderjährigen.267 Dabei muss angenommen werden, dass der geistige und sittliche Entwicklungsstand des Opfers als Voraussetzung der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher sexueller Selbstbestimmung der Bedeutung und Tragweite der konkreten Handlung nicht ausreichend Rechnung tragen kann.268 Die bedingte sexuelle Selbstbestimmungsfreiheit ist allerdings den Zugriffen des Täters, dessen Handlungsformen in den einzelnen Tatbeständen beschrieben werden, nicht gewachsen.

265 266 267 268

Ablehnend Perron / Eisele, Sch / Schr., § 182, Rn. 21. Roxin, Strafrecht AT, § 10, Rn. 23. Hörnle, LK, § 182, Rn. 1. BayObLG, NStZ 1995, 501.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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Durch das Rahmenbeschlussgesetz 2008 wurde die ursprüngliche Schutzaltersgrenze von 16 Jahren gem. § 182 Abs. 1 StGB auf 18 Jahre angehoben. Somit wird nicht mehr zwischen den Schutzaltersklassen der 14- und 15Jährigen einerseits und den in der sexuellen Entwicklung reiferen 16- und 17Jährigen andererseits unterschieden. Die besondere Ausgewogenheit zwischen entwicklungsabhängig definierten Schutzaltersklassen und den in Relation dazu stehenden äußeren Einwirkungen ist nicht mehr gegeben, da die äußere Einwirkung (Ausnutzung einer Zwangslage) für alle erfassten schutzwürdigen Personen unabhängig von ihrem Alter konstant ist. Durch § 182 StGB wird ausschließlich die sexuelle Selbstbestimmung geschützt, die ungestörte Entwicklung Jugendlicher ist lediglich ein Aspekt der eingeschränkten Selbstbestimmungsfähigkeit. Dem Jugendlichen fehlt unter dem Einfluss der Tathandlung nicht nur die Fähigkeit, in konkreten Einzelsituationen über die sexuelle Interaktion zu entscheiden, sondern er vermag auch nicht seine weitere Entwicklung und soziale Integration zu überblicken. Problematisch erscheint jedoch der Umstand, dass im Hinblick auf die zu beurteilende Selbstbestimmungsfähigkeit von Jugendlichen nicht von konstanten Wertungspunkten wie bei Kindern (völlig einwilligungsunfähig) oder Volljährigen (uneingeschränkt einwilligungsfähig) ausgegangen werden kann, sondern ein proportional verlaufender Wertungsbereich ausschlaggebend ist. Diesem Bereich, der durch die Parameter Alter und sexuelle Erfahrung altersspezifisch definiert werden müsste (zumindest im Rahmen der praktischen Handhabbarkeit durch die Bildung von Schutzaltersklassen), wird eine in ihrer Qualität konstante Zwangslage gegenübergestellt. Vor dem Hintergrund des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung ergibt sich auch für die Qualität der erforderlichen sexuellen Handlungen gem. § 184g Nr. 1 StGB ein weiter Erfassungsbereich (niedriger als bei § 177 StGB, jedoch höher als bei § 176 StGB), da die sexuellen Handlungen sowohl für 14-Jährige wie auch für 17-Jährige im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sein müssen. Rechtsgut des § 182 Abs. 2 StGB ist ebenfalls die sexuelle Selbstbestimmung. Entgeltliche Sexualkontakte lassen auch das Erfordernis einer nach Jugendalter gestaffelten Differenzierung entfallen. Das Grundprinzip „je älter der Jugendliche, desto mehr Widerstand kann er der Täterintervention entgegenbringen“ greift nicht für den Entgelttatbestand. Der Entgeltbegriff lässt sich in Relation zu der Entwicklung des Jugendlichen nicht differenzieren. Die materielle Zuwendung ist eine Beeinflussungsform ganz eigener Art. Daraus erwächst aber auch die Kritik am kodifizierten Entgeltbegriff. Gem. § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB ist der Entgeltbegriff zu weit gefasst, da nicht alle materiellen Vorteile die Qualität erreichen, um die eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen derart zu beeinflussen, dass selbst sein faktisches Einverständnis

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rechtlich unwirksam ist. Andererseits können auch in eingeschränktem Maße immaterielle Vorteile derartige den Jugendlichen beeinflussende Wirkungen erzielen. Dass ein Vermögensvorteil nur dann als Entgelt i.S.d. Tatbestandes anzusehen ist, wenn es zu einer konkreten Vereinbarung (do-ut-des-Verhältnis: Entgelt gegen sexuelle Handlungen) zwischen Täter und Opfer gekommen ist, schränkt die Weite des Entgeltbegriffs nur bedingt ein, da neben anderen Einflüssen ein durch die Entgeltleistung erfolgtes „Mitmotivieren“ ausreicht. Die Pönalisierung entgeltlicher Sexualkontakte mit Jugendlichen darf zudem nicht auf moralistischen Begründungen beruhen. Die hinter der Strafnorm stehende Gefahr des „Abgleitens in die Prostitution“ darf nicht durch die gesellschaftliche Ächtung der Prostitution inhaltlich bestimmt werden. Es ist konkret zu belegen, warum ein derartiges „Abgleiten“ Gefahrenpotenzial beinhaltet. Eine über moralische Werte negierte Prostitutionsausübung verläuft ansonsten konträr zur Lossagung von deren Sittenwidrigkeit. Wie oben dargelegt, ist es bei hinreichender Begründung tatsächlicher Gefahren (mangelnde Abwehrmechanismen in Konfrontationssituationen, milieubedingte Einflüsse, Gefahr physischer Beeinträchtigungen, Ausübung an Orten mit geringer sozialer Kontrolle, tatsächlich erhöhte Fallzahlen an Eigentums- und Gewaltdelikten im Umfeld) eine nachvollziehbare Annahme, dass der Jugendliche im Rahmen seiner eingeschränkten sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit derartige seine Entwicklung ggf. nachhaltig negativ beeinflussende Umstände nicht bewerten und kalkulieren kann. Bezüglich der Täteraltersgrenze von 18 Jahren ist zusammenzufassen, dass die wiederholte Gewährleistung von sexuellen Handlungen gegen Entgelt auch dann gefördert werden kann, wenn der Täter nicht volljährig ist. Gerade die Besonderheit der materiellen Einflussnahme auf die eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen erfolgt unabhängig vom Täteralter, allenfalls anhängig von der Qualität der Entgeltleistung bzw. Höhe des konkreten Wertgegenstandes. Soll die Pönalisierung sozialtypischer Verhaltensweisen zwischen Jugendlichen durch das von der allgemeinen Strafmündigkeit gesondert bestimmte Täteralter vermieden werden (Spendieren eines Kinobesuchs gegen sexuelle Handlungen) wird das Problem des weiten Entgeltbegriffs lediglich auf eine Sonderbehandlung des Täters verlagert. Im Übrigen werden so Wertungswidersprüche erzeugt. Denn ebenso denkbar ist, dass der 14-Jährige sexuelle Handlungen an seiner 13-jährigen Freundin vornimmt, die ebenfalls als sozialtypisch bezeichnet werden können, die aber nach § 176 StGB ohne Ausnahme pönalisiert werden. Bei § 183 Abs. 3 StGB ist die normative Bestimmung des Begriffs der „fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung“ problematisch.

Analyse der §§ 174, 180, 182 StGB

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Grundsätzlich kann der Begriff in zweierlei Richtungen ausgelegt werden. Kontextunabhängig kann zum einen auf die altersbedingte Unreife abgestellt werden. Da grundsätzlich im Rahmen der Systematik der Jugendschutzdelikte von einer eingeschränkt vorhandenen Selbstbestimmungsfähigkeit ausgegangen wird, kann die „fehlende Fähigkeit“ demnach nur in Relation zu anderen Jugendlichen begründet werden. Die dann im Einzelfall festzustellende „fehlende Fähigkeit“ ist anzunehmen, wenn ein bedeutender Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche gegeben ist. Eine absolut kontextunabhängige Beurteilung verlangt dann aber nach einer gutachterlichen Feststellung, die jedoch gerade im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Opfers vermieden werden soll. Zudem wird der Tatbestand so aus der Systematik der Jugendschutzdelikte herausgelöst und eher § 179 StGB zugeordnet. Denn es werden so gesehen nicht alle Personen in der tatbestandlich erfassten Altersklasse geschützt, sondern nur solche, die bestimmte schutzbedürftige Entwicklungsrückstände aufweisen. Zum anderen können im Rahmen einer kontextabhängigen Analyse sämtliche Umstände, insofern auch die konkrete Beziehung zum Täter und die ggf. vorhandene Machtausübung, berücksichtigt werden. Zur Feststellung der konkreten Situation bedarf es dabei keiner gutachterlichen Befragung des Jugendlichen. Allerdings ist dann der Unrechtsgehalt der Norm in Frage zu stellen, da das Täterverhalten sich lediglich in einem „Ausnutzen“ der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung erstreckt und insofern diese fehlende Fähigkeit dann nur als sprachlicher Bezugspunkt des Tatbestandsmerkmals des „Ausnutzens“ zu sehen ist. Diese Auslegung erscheint jedoch zu weit gegriffen, da sie nicht im Einklang mit dem Wortlaut des Gesetzes steht. Mit Blick auf das besondere Täteralter von 21 Jahren ist die Frage aufzuwerfen, ob hier nicht eventuell die sexuelle Interaktion zwischen „älteren Erwachsenen“ und „jüngeren Jugendlichen“ einer mehr moralistisch geprägten Kontrolle unterworfen werden soll, da zum Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung eines in der Entwicklung zurückgebliebenen Jugendlichen das Täteralter keine bedeutende Rolle spielt. Dieser Gedanke erhält weitere Konturen, wenn die Ausgestaltung als Antragsdelikt gem. § 182 Abs. 3 StGB berücksichtigt wird. Antragsberechtigt ist jedoch in diesen Fällen regelmäßig nicht das Opfer selbst, sondern gem. § 77 Abs. 3 StGB der gesetzliche Vertreter.

5. Kapitel: Analyse der einzelnen Tatbestände – Jugendschutzdelikte i.e.S. (§§ 184, 184c, 184f StGB) A) § 184 StGB: Verbreitung pornographischer Schriften I. Systematik des Tatbestandes § 184 StGB pönalisiert ausschließlich die Verbreitung von pornographischen Schriften, die inhaltlich der sog. weichen Pornographie zugeordnet werden können. Das Verbot richtet sich insofern an potenzielle Anbieter. Die Legalisierung der weichen Pornographie durch das 4. StrRG erfolgte nicht umfassend, sondern nur partiell. Die in Absatz 1 erfassten neun Nummern sollten im Rahmen des 4. StrRG nach dem Gedanken des Gesetzgebers zum Schutze der Jugend umfänglich die Verbreitung pornographischer Schriften unter Strafe stellen.1 Anstelle des Begriffs der unzüchtigen Schriften wurde der Begriff der pornographischen Schriften als Tatgegenstand aufgenommen. Während nach dem 4. StrRG sowohl die einfache Pornographie als auch die sog. harte Pornographie (Kinderpornographie) durch § 184 Abs. 3 StGB (a.F.) erfasst wurde, erfolgte eine Entkoppelung der harten Pornographiedelikte durch das SexDel ÄndG.2 Die in § 184 Abs. 1 StGB geregelten Vorschriften existieren unverändert seit fast 40 Jahren und erfassen in Relation zu den Strafvorschriften § 184a StGB (Verbreitung gewalt- und tierpornographischer Schriften), § 184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften) und § 184c StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften) den geringsten Unrechtsgehalt. Dies wird insbesondere an der angedrohten Strafe gem. § 184 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) deutlich. Sowohl § 184 StGB als auch die anderen Pornographiedelikte verweisen im Hinblick auf den Tatgegenstand auf pornographische Schriften, wobei sich der Schriftenbegriff aus § 11 Abs. 3 StGB erschließt, der Pornographiebegriff hingegen teleologisch ausgelegt werden muss.3

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Vgl. dazu BT-Drs. VI/1552, S. 33; BT-Drs. VI/3521, S. 58; siehe auch oben Kap. 2 A) I. 4. d). Siehe oben Kap. 2 A) V. 3. Zum Pornographiebegriff siehe oben Kap. 1 A) III. 4.

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Aus Gründen des Jugendschutzes regulieren weitere Strafnormen den Umgang mit bestimmten Schriften i.S.d. § 11 Abs. 3 StGB. Dazu gehören § 130 Abs. 2 StGB (Volksverhetzung mittels Schriften), § 131 StGB (Gewaltdarstellung) und § 27 JuSchG (Strafvorschriften, insbesondere im Hinblick auf die Verbreitung jugendgefährdender Trägermedien). Das sich an potenzielle Anbieter richtende Verbot hat insofern unterschiedliche Dimensionen. Entweder dürfen derartige Produkte nicht einzelnen Minderjährigen angeboten oder überlassen werden (§§ 130 Abs. 2 Nr. 1c, 131 Abs. 1 Nr. 3, 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB, §§ 27 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 15 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG) oder derartige Produkte dürfen gar nicht verbreitet oder öffentlich zugänglich gemacht bzw. hergestellt werden (§§ 130 Abs. 2 Satz 1a, b, d. 131 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 184a, 184b, 184c StGB) oder derartige Produkte dürfen nur unter eingeschränkten Bedingungen vertrieben werden (§ 184 Abs. 1 Nr. 2 bis 9 StGB, §§ 27 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 JuSchG).4

II. Die Problemstellungen im Überblick Der Gesetzgeber geht im Hinblick auf § 184 StGB von der wissenschaftlich nicht zweifelsfreien Hypothese aus, dass Jugendliche durch die gewollte oder ungewollte Konfrontation mit pornographischem Material in ihrer sexuellen Entwicklung gestört werden können.5 Der durch § 184 StGB erfasste Strafbarkeitsbereich erscheint aufgrund der Annahme abstrakter Gefährdungen unklarer Rechtsgüter überzogen.6 Insbesondere die Pönalisierung von Verhaltensweisen, die durch technische Informations- und Kommunikationsmittel längst überholt wurden, stellt den Bedarf strafrechtlicher Reglementierung in Frage. Hinzu kommt, dass diesbezüglicher Jugendschutz sowohl durch § 184 StGB wie auch teils überschneidend durch nebenstrafrechtliche Jugendschutznormen kodifiziert wurde.

III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse Den zum Teil sich überschneidenden Tatbeständen über die Verbreitung pornographischer Schriften gem. § 184 StGB werden in Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche Schutzzwecke zugewiesen. Dabei wird der Ju-

4 5 6

Vgl. dazu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 193. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 696. Fischer, StGB, § 184, Rn. 3a.

Analyse der §§ 184, 184c, 184f StGB

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gendschutz häufig als wenig abgrenzbares Kriterium angeführt.7 Dem Jugendschutz i.e.S., insofern der Schutz jugendlicher Personen vor Beeinträchtigung ihrer psychischen Entwicklung intendiert ist, sollen bei weitergehender Differenzierung die Vorschriften in Absatz 1 Nr. 1, 2, 3a und 5 dienen.8 In diesen Vorschriften wird der geschützte Personenkreis (Personen unter 18 Jahren) ausdrücklich erwähnt. Teilweise werden auch die Vorschriften in Absatz 1 Nr. 3 (Überlassen oder Anbieten im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen oder in gewerblichen Leihbüchereien), Nr. 49 (Einführen pornographischer Schriften im Wege des Versandhandels), Nr. 7 (öffentliche Filmvorführung) und Nr. 8 (Herstellung usw. zum Zwecke der Verwendung i.S.d. Nr. 1 bis 7) dem Jugendschutz zugeordnet.10 Die letztgenannten Vorschriften enthalten jedoch keine Angaben zum konkret geschützten Personenkreis und sind daher eher dem Bereich des altersunabhängigen Konfrontationsschutzes zuzuordnen. Der Konfrontationsschutz wird beschrieben als ein Recht, das jedermann geltend machen kann, um von Pornographie verschont zu werden. Dies erfolgt zu Lasten der erwachsenen Personen, die ein Interesse an leicht zugänglicher Pornographie haben.11 Schließlich wird die Vorschrift Abs. 1 Nr. 9 StGB als Fremdkörper angesehen, da Verhaltensweisen nur deshalb unter Strafe gestellt werden, weil sie im Ausland strafbar sind (z.B. Ausfuhr zum Zwecke der nur im Ausland strafbaren Verbreitung an Erwachsene – die Verbreitung an Erwachsene ist im Inland straflos). Somit werden lediglich die Beziehungen zu den betreffenden Ländern geschützt, ohne dass der Gedanke des Jugendschutzes oder des Konfrontationsschutzes eine Rolle spielt.12 Der Jugendschutz i.e.S. und auch der Konfrontationsschutz beschreiben Schutzbereiche, die nicht durch eine konkrete Rechtsgutsverletzung betroffen werden. Die Strafbarkeitsbereiche erfassen vielmehr abstrakte Gefährdungen 7

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Erdemir, MMR 2003, 630: „Ausgehend von der Annahme, dass Kinder und Jugendliche durch pornografische Darstellungen in ihrer sexuellen Entwicklung gestört werden können, dient das Pornografieverbot zunächst einmal unstreitig dem Jugendschutz.“ Fischer, StGB, § 184, Rn. 2; Renzikowski, MK, Vor §§ 174 ff., Rn. 21, Ziegler, OKStGB, § 184, Rn. 2. § 184 Abs. 1 Nr. 1–5 StGB ordnen ohne weitere Differenzierung zwischen Vorschriften mit (Nr. 1, 2, 3a u. 5) und ohne (Nr. 3 u. 4) Schutzalterseingrenzung dem Jugendschutz zu: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, NK, § 184d StGB, Rn. 7; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 3. Kühl, StGB, § 184, Rn. 1; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 3. Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, NK, § 184d StGB, Rn. 7, Ziegler, OK-StGB, § 184, Rn. 2. Vgl. dazu Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184, Rn. 1; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 3; Ziegler, OK-STGB, § 184, Rn. 2.

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(insofern handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt13), die sich auf unklare Rechtsgüter beziehen.

1. Rechtsgut der ungestörten sexuellen Entwicklung Soll die Strafnorm § 184 StGB vorrangig aus Gründen des Jugendschutzes gerechtfertigt werden, muss zunächst geklärt werden, was unter Jugendschutz in diesem Sinne zu verstehen ist. Zunächst ist der Begriff einzugrenzen, da Jugendschutz als übergeordnete Bezeichnung auch das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung erfasst, das auch Jugendliche für sich in Anspruch nehmen können, da sie über eine, wenn auch leicht zu beeinträchtigende, Selbstbestimmungsfreiheit verfügen. Wie in Kapitel 4 untersucht, reichen bereits äußere Einwirkungen unterhalb der Nötigung aus, um das sexuelle Selbstbestimmungsrecht Jugendlicher zu verletzen – unabhängig davon, ob eine faktische Einwilligung (die dann rechtsunwirksam wäre) in die sexuelle Interaktion erfolgte. Der Begriff des Jugendschutzes ist daher nochmals einzugrenzen und kann daher in Anlehnung an Hörnle als Jugendschutz i.e.S. bezeichnet werden.14 Abzugrenzen ist der Jugendschutz i.e.S. auch von dem Begriff des Konfrontationsschutzes. Die ungewollte, zufällige Konfrontation mit pornographischem Material kann sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene unangenehm sein und wird eher zur Rechtfertigung der schutzaltersunabhängigen Strafnormen (§ 184 Abs. 1 Nr. 3, 4, 6 u. 7 StGB) herangezogen.15 Jugendschutz i.e.S. stellt vielmehr auf den Schutz der ungestörten Entwicklung Jugendlicher ab, dabei kommt es nicht unbedingt auf eine sexuelle Fehlentwicklung an.16 Das BVerfG spricht dem Jugendschutz Rechtsgüter mit Verfassungsrang zu. Zum einen wird auf das verbriefte elterliche Erziehungsrecht gem. Art. 6 Abs. 2 GG abgestellt. Ferner wird den Jugendlichen ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit gem. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 2 Abs. 1 GG garantiert: „Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Sinne dieser Grundrechtsnormen. Sie bedürfen des Schutzes, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. 13 14 15

16

So auch Fischer, StGB, § 184, Rn. 3; Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184, Rn. 3; Ziegler, OK-StGB, § 184, Rn. 2. Hörnle, LK, Vor §§ 174 ff., Rn. 74, siehe oben Kap. 1 A) II. BGH, NStZ-RR 2005, 309; BT-Drs. VI/3521, S. 58: „[…] § 184 soll entsprechend der Grundkonzeption des Regierungsentwurfs nur noch dem Jugendschutz und dem Schutz vor unverlangter Konfrontation […] dienen.“ Fischer, StGB, § 184, Rn. 2; Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184, Rn. 1. Zum Begriff „Schutz der ungestörten Entwicklung“ siehe oben Kap. 3 C).

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Der Staat ist daher berechtigt, von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, welche sich […] auf ihre Einstellung zur Sexualität und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachhaltig auswirken können.“17

Das sich hinter dem Begriff des Jugendschutzes i.e.S. verbergende Rechtsgut der „ungestörten Entwicklung Jugendlicher“ nimmt somit Konturen an. Da zugleich das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgut nicht tangiert wird (es mangelt an einer konkreten sexuellen Interaktion zwischen dem Jugendlichen und dem Täter bzw. dem Vermittler), wird dem so formulierten Schutzgedanken eigenständige Rechtsgutsqualität verliehen.18 Allerdings ergeben sich gerade vor dem Hintergrund des durch das Rechtsgut legitimierten § 184 StGB offene Fragen. Das elterliche Erziehungsrecht gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist zunächst einmal ein Abwehrrecht des Bürgers bzw. der Erziehungsberechtigten gegen den Staat. Der Staat hat damit lediglich das Recht, den Eltern zum Schutze des Kindes bestimmte Grenzen aufzuerlegen und die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen zu überwachen. Die staatliche Aufgabe wird dementsprechend als „Wächteramt“ gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG („Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“) bezeichnet, Art und Intensität des staatlichen Eingriffs orientieren sich insbesondere an der Intensität der elterlichen Vernachlässigung.19 Einer derartigen Betrachtung unterzogen, passt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in das Konzept des Jugendschutzes, da es gerade im Hinblick auf § 184 StGB nicht um den Schutz des Jugendlichen vor Erziehungsberechtigten geht. Aus anderer Perspektive kann allerdings ein Recht der Eltern abgeleitet werden. Zur Abwehr unerwünschter Beeinflussungen Dritter könnte den Eltern ein Recht auf flankierende staatliche Maßnahmen zustehen.20 Grundsätzlich ist es die Aufgabe der Eltern, ihre Kinder vor bestimmten nicht altersgerechten Produkten zu schützen. Gestattet man den Minderjährigen eine sozialkonforme Entwicklung, ist es selbst verantwortungsbewussten Eltern kaum möglich, alle ggf. entwicklungsschädlichen Einflüsse von ihnen fernzuhalten. Besteht also die Gefahr einer Desorientierung im gesellschaftlichen Gefüge, weil die unter normalen Umständen zu erwartenden elterlichen Erziehungspflichten aufgrund der äußeren Umstände zu kurz greifen, kann den Eltern ein eigenes Recht auf staatliche Unterstützung

17 18 19 20

BVerfG, NVwZ 2009, 907. Zum Verhältnis zwischen der „sexuellen Selbstbestimmung“ und der „ungestörten Entwicklung Jugendlicher“ siehe oben Kap. 3 D). Vgl. dazu Badura, Maunz / Dürig, Art. 6, Rn. 96; Uhle, OK-GG, Art. 6, Rn. 1. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 196.

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5. Kapitel

zugestanden werden.21 Beruht das „Wächteramt“ des Staates in erster Linie auf dem Schutzbedürfnis des Kindes, dem als Grundrechtsträger eigene Menschenwürde und ein eigenes Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit zukommt22, kann selbst aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG ein staatlicher Schutzauftrag abgeleitet werden, der ein eigenes Recht der Minderjährigen – und nicht nur ein als flankierender Schutz konkretisierendes Recht der Eltern – begründet. Eltern können zudem im Rahmen der ihnen obliegenden grundsätzlichen autonomen Pflege und Erziehung des Kindes das Wohl des Kindes auch dadurch verfehlen, dass sie auch ohne Schuld, bedingt durch nicht mehr kontrollierbare äußere Einwirkungen, ihre Erziehungsvorstellungen nicht mehr umsetzen können. Auch müssen sich staatliche Maßnahmen gegenüber Dritten nicht zwangsläufig aus Art. 6 Abs. 1 GG ergeben. Die dort enthaltenen verschiedenen Gewährleistungsdimensionen begründen für den Staat die Pflicht, Ehe und Familie als einen geschlossenen abgeschirmten Autonomie- und Lebensbereich zu schützen und zu fördern.23 Art. 6 Abs. 1 GG ist Grundrecht, Institutsgarantie und wertentscheidende Grundsatznorm, die Pflege und Erziehung der Kinder als Recht der Eltern wird jedoch in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geregelt. Ist die Einwirkung Dritter so intensiv, dass die Kinder nicht mehr im Rahmen des elterlichen Erziehungskonzepts von diesem Einwirkungen abgeschirmt werden können, bedarf es einer staatlichen Unterstützung des speziellen Erziehungsrechts und nicht der grundsätzlichen familiären Institution.24 Als weiterer Aspekt des Jugendschutzes i.e.S. führt das BVerfG, wie oben aufgeführt, das „Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit“ gem. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG an. Die unkontrollierte Konfrontation mit pornographischem Material kann sich bei Minderjährigen im Hinblick auf die Einstellung zum Geschlechtlichen und die Persönlichkeitsentwicklung nachteilig auswirken. Allerdings fehlt es bis heute an einem eindeutigen empirischen Nachweis, dass die Konfrontation mit Pornographie zu derartigen Nachteilen führt. Bereits im Rahmen der Vorbereitung des 4. StrRG hat eine wissenschaftlich-empirische Bestandsaufnahme gezeigt, dass eine Jugendgefährdung zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Aber auch umfangreiche Anhörungen von Sachverständigen aus den Gebieten der Soziologie, Sexualwissen21 22 23 24

Hörnle, Groß anstößiges Verhalten, S. 196; Liesching, Erbs / Kohlh., JuSchG, Vorbem., Rn. 2. Badura, Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 139. BVerwG, NVwZ 1993, 697. Ähnlich Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 196.

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schaften, Psychiatrie, Psychologie, Pädagogik, Gerichtsmedizin, Kriminologie, Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaften sowie von verschiedenen beruflichen Praktikern konnte dem Sonderausschuss für die Strafrechtsreform im Jahre 1973 die Frage nach der konkreten Gefährdung von Jugendlichen nicht eindeutig beantworten.25 Ob eine derart umfangreiche Anhörung von Sachverständigen gegenwärtig Klarheit darüber bringen würde, ob pornographische Schriften jugendgefährdende Wirkung haben oder nicht, kann bezweifelt werden. Jedenfalls ist der Gesetzgeber in einer solchen Zweifelssituation befugt, die Gefahrenlagen und Risiken abzuschätzen und zu entscheiden, ob er Maßnahmen ergreifen will oder nicht.26 In einer quasi mit Ungewissheit belasteten Situation liegt es zuvörderst in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers, die für zweckmäßig erachteten Entscheidungen zu treffen. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass der Gesetzgeber, wenn er eine Entscheidung getroffen hat, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen in Frage gestellt wird, gehalten sein kann zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung aufrechtzuerhalten ist.27 Anhaltspunkte für eine veränderte Sachlage bietet insbesondere die Kommunikationselektronik und allen voran das Internet, welches die Verbreitung von pornographischem Material globalisiert ermöglicht. Im Hinblick auf das zu schützende Rechtsgut bleibt zunächst festzuhalten, dass der Jugendschutz i.e.S. als „Schutz der ungestörten Entwicklung Jugendlicher“ Rechtsgutsqualität besitzt. Die inhaltliche Ausgestaltung des Rechtsguts erfolgt durch Art. 6 Abs. 2 GG und durch das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG. Ob das Rechtsgut durch das Verbreiten von Pornographie tatsächlich gefährdet wird, ist mangels eines empirisch eindeutigen Beweises mit den zur Verfügung stehenden objektivierbaren Erkenntnissen und moralfreien prognostischen Elementen zu begründen. Dazu gehört zunächst das Sondieren von Begründungen, die einer sachlichen Diskussion um die Strafbarkeit abträglich sind.

2. Die Verbote in § 184 Abs. 1 StGB aus paternalistischer Perspektive Die Verbote in § 184 Abs. 1 StGB beziehen sich nicht nur auf den Zweck, die zufällige, ungewollte Konfrontation von Jugendlichen und teilweise auch Erwachsenen mit pornographischen Schriften zu verhindern. Auch wenn 25 26 27

BVerfG, NJW 1991, 1472; siehe auch oben Kap. 2 A) I. BVerfG, NJW 1991, 1472. BVerfG, NJW 1979, 359.

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5. Kapitel

Jugendliche ein eigenes Interesse haben, sich pornographisches Material zu beschaffen oder sich an bestimmten Orten derartiges Material anzusehen, sollen diese selbstgewählten Aktivitäten durch die Strafnorm blockiert werden. Der Staat handelt in diesem Falle paternalistisch, er begrenzt die Freiheitsrechte des Jugendlichen. Dabei handelt er im individuellen Interesse des Jugendlichen und geht davon aus, dass er vernünftiger und damit besser als der Jugendliche in der konkreten Situation urteilen kann.28 Es ist umstritten, ob der Staat überhaupt in fürsorgerischer Absicht das wohlverstandene Interesse von Personen gegen deren individuellen Präferenzen durchsetzen darf.29 Relativ unproblematisch ist die „staatliche Bevormundung“ dann, wenn es an einer frei verantwortlichen Entscheidung fehlt. Ein solcher sog. gemäßigter30 oder weicher31 Paternalismus ist vorstellbar, wenn, wie in Kap. 4 dargelegt, Jugendliche mit einer bedingt vorhandenen sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit durch zumeist äußere Einwirkungen derart beeinträchtigt werden, dass selbst faktisch abgegebene Willenserklärungen unwirksam und somit unerheblich sind. Gleiches gilt aber beispielsweise auch für faktische Einwilligungen im Rahmen von erpresserischen oder betrügerischen Tathandlungen. Fehlt es an einer frei verantwortlichen Entscheidung, begründet sich eine staatliche Schutzpflicht, ohne dass eine Bevormundung stattfindet, so dass es sich im begrifflichen Sinne überhaupt nicht um Paternalismus handelt. Im Hinblick auf den Jugendschutz i.e.S. und insofern auf den Schutz der ungestörten Entwicklung Jugendlicher steht jedoch gerade nicht die Einwilligungsfähigkeit des geschützten Minderjährigen im Fokus, sondern die Gefahr der langfristig negativen Veränderung der Persönlichkeit bzw. des Verhaltens. Diese Annahme unterscheidet sich jedoch grundlegend von konkreten Gefahren für Leib und Leben oder anderer individueller Rechtsgüter. Ferner wird das Verbot nicht demjenigen entgegengesetzt, der sich in die Gefahr bringt, sondern i.S.d. § 184 Abs. 1 StGB den potenziellen Anbietern pornographischer Schriften. Die Zuordnung des § 184 StGB zu dem unproblematischen gemäßigten Paternalismus ist somit nicht ohne weiteres möglich. Der wesentlich zu schützende Zustand im Rahmen des Schutzes der Entwicklung Jugendlicher ist die grundsätzliche Entwicklung in einem gesellschaftlichen Kontext. Die ungestörte sozialkonforme Entwicklung entkoppelt sich nur dann von der Unmoral und der lediglich ethischen Verwerflichkeit, wenn die Gefahr einer 28 29 30 31

Vgl. dazu Hardtung, MK, § 228, Rn. 22; Jakobs, Strafrecht AT, 14/12. Vgl. dazu BVerfG, NJW 1982, 2061; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 198. Hardtung, MK, § 228, Rn. 22. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 197.

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Desorientierung im gesellschaftlichen Gefüge besteht.32 Benötigen Jugendliche Schutz und Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu entwickeln, so ist es in erster Linie die Hilfestellung und der Schutzschirm der Eltern.33 Sofern es darum geht, mit staatlichen Mitteln Einflüsse von Minderjährigen fernzuhalten, die sich auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können, kommt der flankierende Schutz des Staates in Betracht, um Eltern außerhalb ihrer objektiven erzieherischen Möglichkeiten zu unterstützen. Die Rechtfertigung der Strafbarkeit der in § 184 Abs. 1 StGB enthaltenen Verhaltensweisen kommt vor dem Hintergrund der als Strafgrund nicht anzuerkennenden staatlichen Bevormundung nur dann in Betracht, wenn der Staat das Aufrechterhalten des elterlichen Erziehungskonzepts in bestimmten Ausnahmesituationen gewährleisten muss, auch wenn dadurch Rechte Dritter, insofern Vertreiber weicher und somit grundsätzlich „legaler“ Pornographie, beeinträchtigt werden. Diesem Konstrukt folgend, treten insbesondere Erziehungs- und Schutzrechte in den Vordergrund. Wenn in Anlehnung an Jägers Ausführungen34 Eltern tatsächlich ein berechtigtes Interesse haben, auch bei leichten oder ungewissen Gefährdungen einen Schutzwall um das Leben ihrer Kinder zu errichten, so kann die Strafbarkeit nur in den Grenzen dieser Zwecksetzung bejaht werden. Flankierender staatlicher Schutz greift aber nur dann, wenn den Eltern das Heft für eine sozialkonforme Erziehung aus der Hand genommen ist und ohne ein Einschreiten des Staates die ungestörte Entwicklung des Minderjährigen gefährdet ist. Individuelle erzieherische Vorstellungen dürfen dabei jedoch kein Maßstab sein. Werden allerdings die nach den gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen eindeutig überschritten, so kann den Eltern in diesen Fällen staatliche Unterstützung gewährleistet werden. Pornographische Schriften bringen zum Ausdruck, dass sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei dem Betrachter abzielen und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes überschreiten.35 Selbst wenn man diese Definition als „angestaubt“ betrachtet, so wird doch im Rahmen empirischer Untersuchungen deutlich, dass die zu schützenden Minderjährigen selbst den Umgang mit tabuisierten Themen wie Pornographie als keine hervorzuhebende Angelegenheit erfassen und das Interesse an einer diese Thematik

32 33 34 35

Siehe oben Kap. 3 C). Siehe oben Kap. 5 A) III. 1. Jäger, Sittlichkeitsdelikte, S. 56. BT-Drs. VI/3521, S. 60; Lackner / Kühl, StGB, § 184, Rn. 2.

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5. Kapitel

umfassenden Sexualerziehung gering ist.36 Auch darf im Hinblick auf die gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten nicht verkannt werden, dass das durch elektronische Medien publizierte Aufklären und Brechen von Tabus, das Vorstellen etwaiger sexueller Sonderbarkeiten, das Lüften letzter sexueller Geheimnisse und die damit verbundene Preisgabe oder Selbstpreisgabe der Individuen vielfach einen kommerziellen Hintergrund hat. Paradoxerweise werden häufig sogar Individuen in diffamierender und in nahezu menschenunwürdiger Weise in den Fokus des Betrachters gerückt, um letztlich konservative Wertvorstellungen künstlich hervorzuheben. All diese Entwicklungstendenzen scheinen die gesellschaftlichen Wertvorstellungen im Hinblick auf die Grenzziehung bei pornographischen Schriften nicht nachhaltig zu verändern37, so dass nach wie vor diese Wertvorstellungen Gültigkeit besitzen und unter den genannten Bedingungen – ausnahmsweise – und in einem sehr engen Rahmen eine auch aus dem Paternalismus heraus begründete Strafbarkeit rechtfertigen.38

3. Altersunabhängiger Schutz vor ungewollter Konfrontation Einige Vorschriften des § 184 Abs. 1 StGB enthalten Verbote, die unabhängig vom Alter vor ungewollter Konfrontation mit pornographischem Material schützen sollen. Derartige Verbote werden teilweise damit begründet, dass Erwachsene und Minderjährige das Recht hätten, intime Vorgänge nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen.39 Insofern stehe das Recht auf Privatsphäre40 oder die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG als korrespondierende Schutzpflicht des Staates, das Individuum vor grober Belästigung durch Dritte zu bewahren41, im Vordergrund. Das Bewahren des Einzelnen vor ungewollter Konfrontation wird auch im Rahmen der Strafbarkeit exhibitioni36 37

38

39 40 41

BZgA, Studie, S. 52 f.; siehe auch oben Kap. 3 E). Eine nachhaltige Veränderung gesellschaftlicher Wertvorstellungen müsste aus sexualwissenschaftlicher Perspektive im Rahmen einer kritischen Subjektwissenschaft anhand der Elemente Subjekt, Individuum, Wunsch und Befriedigung untersucht werden. Es reicht nicht aus, wenn eine „affirmative Sexologie“ alles das, was oberflächlich zu sehen ist, als Wertewandel erfasst. Vgl. dazu Sigusch, Jäger Essays, S. 141. Die hier dargelegten Ansätze gelten im Prinzip auch für andere Verbotsnormen, die darauf aufbauen, den Umgang mit bestimmten Schriften i.S.d. von § 11 Abs. 3 StGB zu regulieren. Dazu gehören beispielsweise volksverhetzende Schriften gem. § 130 Abs. 2 Nr. 1c StGB oder bestimmte Gewaltdarstellungen gem. § 131 Abs. 1 Nr. 3 StGB, die Personen unter 18 Jahren angeboten, überlassen oder zugänglich gemacht werden. BGH, NStZ-RR 2005, 309. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 437. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 697.

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stischer Handlungen gem. § 183 StGB herangezogen.42 Obwohl das BVerfG die Vorschrift im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3, Abs. 2 u. 3 GG, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gem. Art. 20 Abs. 3 GG und das Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 Abs. 2 GG für verfassungsgemäß erkannt hat43, bleibt die an dieser Norm geübte Kritik bestehen.44 In Relation zu § 184 StGB kommt dem Kriterium der Entziehungsmöglichkeit bei unerwünschter Konfrontation besondere Bedeutung zu. Bei § 183 StGB beinhaltet der Begriff der exhibitionistischen Handlung die gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Täters, ihm muss es gerade um das Herstellen einer optischen Beziehung zum Opfer gehen.45 Aus der Perspektive des Konfrontationsschutzes bleiben dem Opfer nur eingeschränkte Möglichkeiten, sich der unerwünschten Konfrontation zu entziehen. Im Rahmen des Vertriebes pornographischer Schriften ist die Konfrontationsvermeidung wesentlich leichter möglich. So kann derjenige, der gem. § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB pornographische Schriften ohne Anforderung bzw. Bestellung erhält, diese entsorgen. Warum die unerwünschte Zustellung pornographische Schriften gegenüber anderen, unerwünschten Werbesendungen durch strafrechtliche Sanktionierung hervorgehoben werden soll, erschließt sich nicht. Das damalige Anliegen des Gesetzgebers unterstreicht den antiquierten Regelungsgegenstand dieser Vorschrift: „Die Bestimmung wendet sich insbesondere gegen bestimmte Werbemethoden für derartige Erzeugnisse, bei denen Musterexemplare oder Prospekte, die Auszüge aus pornographischen Texten oder einzelnen pornographischen Abbildungen enthalten, anhand von Adressenlisten mit der Post versandt werden. Der Empfänger einer solchen Sendung kann sich der Gegenüberstellung mit diesen Texten oder Abbildungen nicht entziehen, weil er Nachteile befürchten muss, wenn er nicht alle an ihn gerichteten Sendungen öffnet und zur Kenntnis nimmt.“46

Das Zustellen von pornographischem Werbematerial über den konventionellen Postversand wurde – wenn es ihn überhaupt in dieser Form gegeben hat – durch elektronische Werbesendungen, die per E-Mail versandt werden, abgelöst. Tatsächlich werden auch im Rahmen aggressiver Werbekampagnen Adressenlisten verwendet. Der Zustellung solcher Werbesendungen kann durch entsprechende Filtereinstellungen begegnet werden. Zahlreiche Programme zum Schutz vor unerwünschter Werbezustellung (Spammails) werden angeboten. Die Kenntnisnahme derartiger Werbesendungen, etwa um Nach42 43 44 45 46

Perron / Eisele, Sch / Schr., § 183, Rn. 1. BVerfG, Beschluss v. 22.03.1999 – 2 BvR 398/99. Vgl. dazu Sander, ZRP 1997, 447 ff. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 183, Rn. 3. BT-Drs. VI/1552, S. 34.

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5. Kapitel

teile im Rechtsverkehr abzuwenden, entspricht nicht der geläufigen Vorstellung über einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem Medium Internet.47 Allenfalls könnte der Jugendschutz i.e.S. als zu schützendes Rechtsgut angeführt werden. Allerdings würden solche Fälle bereits durch § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst werden. Schließlich werden grob anstößige und belästigende Handlungen im Hinblick auf Inhalte mit sexuellem Bezug als Ordnungswidrigkeit gem. § 119 Abs. 1 OWiG erfasst. Durch die Norm sollen einzelne oder Teile der Bevölkerung vor Verletzung „tiefverwurzelter Empfindungen“48 durch ungewollte Konfrontation mit sexuellen Handlungen geschützt werden.49 Die Einschränkung auf bestimmte hervorgehobene Belästigungssituationen, „öffentlich in einer Weise, die geeignet ist, andere zu belästigen“ oder „in grober anstößiger Weise durch Verbreiten […]“, verdeutlicht, dass selbst im Ordnungswidrigkeitenrecht eine entsprechende Einschränkung auf bestimmte nicht hinnehmbare Härtefälle erfolgt.50 Treffen § 119 OWiG und § 184 StGB zusammen, tritt die Ordnungswidrigkeit gem. § 21 OWiG zurück.51 Dies erscheint paradox, da nicht die „Spitze der Unrechtshandlung“ strafrechtlich sanktioniert wird, sondern die viel allgemeinere Handlung. Die Pönalisierung von Verhaltensweisen i.S.d. § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB lässt sich insgesamt nicht rechtfertigen. Die Vorschrift sollte aus dem StGB entfernt werden. Dem Jugendschutz52 sowie dem grundsätzlich altersunabhängigen Schutz vor Konfrontation53 soll auch § 184 Abs. 1 Nr. 7 StGB (Zeigen von pornographischen Darstellungen in einer öffentlichen Filmvorführung gegen Entgelt) dienen. Da es jedoch nicht um die Regulierung von Nutzungsinteressen an bestimmten Orten geht, sondern um die konkrete Vorführung nach Abschluss eines Vertrages zwischen dem Nutzer und dem Vorführer54, wird zumindest 47

48 49 50 51 52 53 54

Die Vorschrift würde nicht mal den veränderten Gegebenheiten Rechnung tragen, da bei E-Mails, die dem Empfänger die Zugangsmöglichkeit zu Seiten mit pornographischem Material bieten, im Falle der Kenntnisnahme seitens des Empfängers dieser jedoch nur durch einen aktiven Zugriff auf eine Internetseite über einen Link an das pornographische Material gelangen kann, der Tatbestand wohl nicht erfüllt wäre. Vgl. dazu Fischer, StGB, § 184, Rn. 17; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 36. BT-Drs. VI/1552, S. 36. Kurz, KK-OWiG, § 119, Rn. 2. Ähnlich Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 438. Bohnert, OWiG, § 119, Rn. 1. Hörnle, MK, § 184, Rn. 85. Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, NK, § 184, Rn. 7; Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184, Rn. 1. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 440.

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dem Jugendschutz dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass eine altersbedingte Kontrolle (Überprüfung des Ausweises) erfolgt. Strafrechtlich geschützt werden Jugendliche in dieser Konstellation ausreichend durch §§ 27 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 15 Abs. 2 Nr. 1 JuSchG. Daneben kann der altersunabhängige Konfrontationsschutz kaum die Strafbarkeit rechtfertigen, da sich etwaige Nutzer aufgrund bestimmter Altersbeschränkungen (die ihren Grund haben werden) und Werbemaßnahmen im Vorfeld ausreichend informieren können und ein „Verirren“ in den falschen Film lediglich ein persönliches Missgeschick darstellt.

4. Antiquierte Vorschriften Einige Vorschriften in § 184 StGB lassen deutlich erkennen, von welchen Mediennutzungsgewohnheiten der Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Reformplanungen in den sechziger Jahren ausging. So dient § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB zwar eindeutig dem Jugendschutz i.e.S., allerdings besteht die Tathandlung darin, dass der Täter die pornographische Schrift an einem beliebigen Ort ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht. Dieser Ort muss den Jugendlichen tatsächlich zugänglich sein, ohne dass bei der Ortserreichung irgendwelche rechtlichen Verbotsnormen verletzt werden.55 Der Gesetzgeber wollte durch das Verbot die Kenntnisnahme von Filmplakaten oder sonstigen pornographischen Darstellungen auf Papierformaten durch Jugendliche Rechnung tragen.56 Das BVerwG hat dazu entschieden, dass ein Zugänglichmachen nicht vorliege, wenn bestimmte Vorkehrungen getroffen werden, die den visuellen Zugang Minderjähriger regelmäßig verhindern.57 Die Problemstellungen sind jedoch durch das Verbreiten von Pornographie durch Teledienste und Medien ganz anderer Natur. Im übertragenen Sinne ist der Ort gem. § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht das Datennetz, sondern es sind beispielsweise Schulen, Jugendclubs oder Internet-Cafés.58 Sofern Jugendliche an diesen Orten auf Bildschirmen und Displays pornographisches Material in Augenschein nehmen, stellt sich die Frage nach ausreichenden Vorkehrungen des Anbieters, um der Strafbarkeit zu entgehen. Während dies früher „hölzerne Sichtschutzbarrieren“ waren, stehen gegenwärtig elektronische Altersverifikationssysteme59

55 56 57 58 59

Fischer, StGB, § 184, Rn. 11. BT-Drs. VI/3521, S. 60. BVerwG, NJW 2002, 2966. Fischer, StGB, § 184, Rn. 11a; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 15a. KG, NStZ-RR 2004, 249: „Als ‘effektive Barriere‘ reicht nicht aus, dass der Nutzer die Identitätsnummer seines deutschen Personalausweises eingeben muss […]“.

218

5. Kapitel

oder sonstige Benutzererkennungssysteme60 auf dem Prüfstand.61 Mag man auch die Radbruchsche These anführen, „das Gesetz ist klüger als der Gesetzgeber“, so dass im Rahmen der teleologischen Auslegung und Rechtsprechung den veränderten Prämissen ausreichend begegnet werden kann, bleibt es doch Aufgabe des Gesetzgebers, derart weit ausholende abstrakte Gefährdungstatbestände an die heutigen Mediennutzungsmöglichkeiten anzupassen. Die klaffende Lücke zwischen dem Wortlaut des Gesetzes und der Realität kann nicht durch eine teleologische Auslegung geschlossen werden.62 Entwickeln sich in der Realität „Orte“ zu technischen Endgeräten und „baulicher Sichtschutz“ zu komplexen biometrischen Kontrollverfahren, bedarf es auch vor dem Hintergrund der flankierenden Rechtsfortentwicklung in anderen Bereichen einer Anpassung. Durch § 184 Abs. 1 Nr. 5 StGB soll verhindert werden, dass bestimmte Werbungsformen wegen ihrer Breitenwirkung und ihres nicht überschaubaren Wirkungsbereichs auf Jugendliche Einfluss nehmen und auf Bezugsquellen für pornographisches Material aufmerksam machen.63 Da die Vorschrift bereits das Werben verbietet, ist die Gefahr noch wesentlich abstrakter als bei § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Auch hier kann angeführt werden, dass vor dem Hintergrund des umfassenden Internetangebotes an pornographischem Material Hinweise auf Bezugsquellen kaum geeignet sein können, Jugendliche in ihrer Entwicklung nachhaltig zu beeinflussen. Die Werbung für pornographische Darstellungen auf allgemein zugänglichen Internetseiten wird selbst dann erfasst, wenn sich sog. Pop-up-Fenster mit entsprechenden Werbeangeboten öffnen, die vom Internetbenützer nicht bewusst aufgerufen wurden. Aber auch wenn der Nutzer bewusst die Konfrontation sucht und einschlägige Internetportale anwählt, ist der Tatbestand erfüllt.64 Die ursprüngliche Einschränkung des Werbemarktes hat den multimedialen Bereich zumindest in diesen Ausmaßen nicht vorhersehen können, umso mehr bedarf es einer gesetzgeberischen Korrektur. Dabei steht nicht der Rückzug oder die Aufgabe des Staates – Kraft instrumenteller Ungeeignetheit strafrechtlicher Sanktionen – im Vordergrund, sondern ein veränderter oder gänzlich neuer konzeptioneller Ansatz. 60

61 62 63 64

BVerwG, NJW 2002, 2966: „Die Annahme eines Verstoßes gegen § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch die Ausstrahlung eines pornographischen Fernsehfilms scheidet nicht schon dann aus, wenn der Film (lediglich) in verschlüsselter Form gesendet wird […]“. Vgl. im Zusammenhang mit dem Zugangserschwerungsgesetz die Ausführungen von Schmitz, Hoeren / Sieber, Multimedia-Recht, 16.2, Rn. 250 ff. Vgl. dazu Anm. Hörnle, BGH, NStZ 2004, 148. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 29. Hörnle, MK, § 184, Rn. 74.

Analyse der §§ 184, 184c, 184f StGB

219

Durch § 184 Abs. 1 Nr. 3 u. 3a StGB soll die gewerbliche Verbreitung von pornographischen Schriften auf bestimmte kontrollierbare Ladengeschäfte beschränkt werden. Unabhängig von etwaigen Zugangskontrollen, die die Strafbarkeit des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB ausschließt, sollen pornographische Schriften beispielsweise nicht im Rahmen von Haustürgeschäften, an Kiosken oder offenen Ständen veräußert werden. Die Verdrängung bzw. Eingrenzung des gewerblichen Vertriebs, außerhalb des Internetverkehrs, ist aus gegenwärtiger Perspektive allerdings nicht erforderlich. Zum einen wird die Verbreitung an Minderjährige generell durch § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst und die unerwünschte Konfrontation mit pornographischem Material durch § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Zum anderen geht der jugendgefährdende Aspekt, insofern die abstrakte Gefahr einer Fehlentwicklung, nicht ortsbezogen von Kiosken, Haustürgeschäften oder gar gewerblichen Leihbüchereien aus. Der Kioskbesitzer, der pornographische Schriften unter dem Ladentisch verwahrt und diese nach Kontrolle des Personalausweises an Erwachsene veräußert, gefährdet nicht im entferntesten Jugendliche.65 Nach der Begründung des Gesetzgebers haben Jugendliche zu den in § 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB aufgeführten Vertriebsformen leichten Zugang, eine staatliche Überwachung zuverlässiger Alterskontrollen sei nicht zu realisieren.66 Auf das multimediale Überangebot jugendgefährdender Schriften übertragen, erscheint diese Begründung nach gegenwärtigen Maßstäben fast grotesk. Insofern bedarf es auch hier einer dringenden Überarbeitung. Der konzeptionelle Ansatz sollte dahingehend fortentwickelt werden, dass nicht massive Einschränkungen der Vertriebsvarianten vorgenommen werden, sondern effektive Alterskontrollen Minderjährigen den Zugang zu pornographischem Material verwehren.

5. Die Systematik des nebenstrafrechtlichen Jugendschutzes und das Verhältnis zu § 184 StGB a) Regelungskonzeption Nebenstrafrechtlicher Jugendschutz wird insbesondere durch das Jugendschutzgesetz (JuSchG) realisiert. Das Jugendschutzrecht wurde durch das JuSchG vom 23. Juli 200267 neu gestaltet. Die früheren Bestimmungen68 des 65 66 67 68

Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 17. BT-Drs. VI/3521, S. 60. BGBl. 2002 I. S. 2730, zuletzt geändert durch das Rahmenbeschlussgesetz, BGBl. 2008 I. S. 2149, siehe dazu oben Kap. 2 A) VI. Vgl. die Übersichten über das Verhältnis zwischen den nebenstrafrechtlichen Vorschriften nach früherer Rechtslage (JÖSchG und GjS) und § 184 StGB bei Laubenthal, Sexualstrafrecht, Rn. 732 ff.

220

5. Kapitel

Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) sowie des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjS) wurde somit in einem einheitlichen Regelwerk zusammengefasst. Das JuSchG regelt den Jugendschutz in der Öffentlichkeit im Bereich der Medien. Dabei bezieht sich das JuSchG ausschließlich auf den Bereich der sog. Trägermedien.69 Der vormals im GjS gebräuchliche Begriff der „Schriften“, der nach wie vor den Tatgegenstand des § 184 StGB i.S.d. § 11 Abs. 3 StGB definiert, wurde insofern abgelöst.70 Als Begründung führte der Gesetzgeber an, dass Schriften nicht mehr typisch für die Medienwelt seien. Zu den entwicklungsbeeinträchtigenden oder jugendgefährdenden Medien zählten insbesondere Filme, Videokassetten und Speichermedien und nicht vorrangig Printmedien – also Schriften im klassischen Sinne.71 Vom JuSchG nicht erfasst werden die sog. Telemedien, die gem. der Definition in § 1 Abs. 3 JuSchG die durch elektronische Informations- und Kommunikationsdienste übermittelten oder zugänglich gemachten Medien umfassen, sowie die Handlungen mittels Rundfunk gem. § 1 Abs. 3 Satz 3 JuSchG. Zuständig für den Jugendschutz im Hinblick auf Telemedien und Rundfunk sind gem. dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) vom 1. April 2003 die Länder72, entsprechend für alle Offline-Medien und den Jugendschutz außerhalb des Medienrechts der Bund.73 Durch den JMStV hat der Jugendschutz in Rundfunk und Medien eine spezialgesetzliche Regelung erfahren. Ausnahmen werden gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV für Telemedien (jedoch nicht für den Rundfunkbereich) zugelassen, wenn sichergestellt ist, dass nur Erwachsene Zugang zu dem jeweiligen pornographischen Angebot haben.74 Die Gewährleistung des Jugendschutzes mit den Mitteln des Strafrechts erfolgt, unabhängig von den strafrechtlich verbotenen Angeboten gem. §§ 130, 131 und 184 StGB, nach dem Prinzip, dass jugendgefährdende Trägermedien (§§ 15 i.V.m. 18 JuSchG) bzw. unzulässige Telemedien (§ 4 f. JMStV) im 69

70 71 72 73 74

§ 1 Abs. 2 JuSchG: „Trägermedien im Sinne dieses Gesetzes sind Medien mit Texten, Bildern oder Tönen auf gegenständlichen Trägern, die zur Weitergabe geeignet, zur unmittelbaren Wahrnehmung bestimmt oder in einem Vorführ- oder Spielgerät eingebaut sind. Dem gegenständlichen Verbreiten, Überlassen, Anbieten oder Zugänglichmachen von Trägermedien steht das elektronische Verbreiten, Überlassen, Anbieten oder Zugänglichmachen gleich, soweit es sich nicht um Rundfunk im Sinne des § 2 des Rundfunkstaatsvertrages handelt.“ Holznagel / Nolden, Hoeren / Sieber, Multimedia-Recht, Teil 5, Rn. 135. BT-Drs. 14/9013, S. 17. Vgl. dazu etwa LT-Drs. Baden-Württemberg 13/1320. Vgl. dazu Bornemann, NJW 2003, 787 ff. Erdemir, MMR 2003, 630.

Analyse der §§ 184, 184c, 184f StGB

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Rahmen umfassender Verbotsnormen Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden dürfen. Dabei sind „schwer jugendgefährdende Trägermedien“ solche i.S.d. § 184 StGB, die unabhängig von einer Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Trägermedien (§ 15 Abs. 2 JuSchG) den weitreichenden Beschränkungen unterliegen. Sofern der Gesetzgeber insbesondere aufgrund der neuen Medientechnologien und der dominanten Fortentwicklung der Datenkommunikation eine Neuordnung des Jugendschutzrechts auf Bundes- und Länderebene anstrebte75, ist fraglich, warum gerade der offensichtlich antiquierte § 184 StGB nicht Gegenstand der Novellierungsdiskussion war. Aus dem formulierten Gesetzesziel, dass die Unüberschaubarkeit des geltenden materiellen Jugendschutzrechts und die Zersplitterung der Aufsichtsstrukturen überwunden werden müssten76, ist zwar eine grundsätzlich lobenswerte Dynamik zu entnehmen, allerdings bleibt der ganzheitliche Ansatz bei der Entzerrung des gesetzlichen Jugendschutzes auf der Strecke. Im Vordergrund der Neu- und Zusammenfassung der Jugendschutzgesetze standen wohl nicht die am Maßstab eines zeitgemäßen, erforderlichen Jugendschutzes orientierten Überlegungen, sondern Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern. Hinzu kamen prägende sicherheitspolitische Themen auf, etwa anlässlich der tragischen Ereignisse an dem Erfurter Gutenberg-Gymnasium im April 200277, die dann im Rahmen der gesetzgeberischen Diskussion – wie so häufig – einer möglicherweise rationalen Auseinandersetzung entgegenstand.

b) Parallelität strafrechtlicher Bestimmungen Die Strafvorschriften § 27 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 JuSchG entsprechen weitgehend denen in § 184 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB. Die Strafbarkeit der Vorbereitung der Verwendung in § 27 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 7 JuSchG ist vergleichbar mit § 184 Abs. 1 Nr. 8 StGB. Für Handlungen der Personenberechtigten sieht sowohl § 27 Abs. 4 Satz 1 JuSchG wie auch § 184 Abs. 2 Satz 1 StGB Straffreiheit vor, sofern nicht der Sorgeberechtigte seine Erziehungspflichten gröblich verletzt. Auch wenn im Rahmen des Jugendschutzes das JuSchG die Bedürfnisse an einem durch technischen Fortschritt gekennzeichneten Markt teilweise Rechnung trägt, bleibt festzustellen, dass aufgrund der Übernahme der meisten in § 184 Abs. 1 StGB enthaltenen Ver75 76 77

BT-Drs. 14/9013, S. 1; Liesching, NJW 2002, 3282. BT-Drs. 14/9013, S. 13. Vgl. in Hinblick auf diesen Zusammenhang Liesching, Erbs / Kohlh., JuSchG, Vorbem., Rn. 3; Liesching, NJW 2002, 3281.

222

5. Kapitel

bote in das JuSchG (vgl. §§ 27 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1–6 JuSchG) die Neuorientierung sich stark in Grenzen hält und sich die im Hinblick auf § 184 Abs. 1 StGB anzuführende Kritik gleichermaßen auch für Verbote in § 27 JuSchG anführen lassen.78 Angebote in Telemedien mit pornographischen Inhalten werden gem. § 4 Abs. 2 Nr. 1 JMStV als unzulässig eingestuft, es sei denn, dass seitens des Anbieters sichergestellt ist, dass sie nur Erwachsenen, im Rahmen geschlossener Benutzergruppen, zugänglich gemacht werden (§ 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV). Dies erfolgt in der Praxis regelmäßig durch ein sog. Altersverifikationssystem.79 Die in § 23 JMStV enthaltene Strafnorm stellt jedoch nicht generell auf die Verbreitung oder das Zugänglichmachen pornographischer Inhalte in Telemedien ab. Nur solche Inhalte die „offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit unter Berücksichtigung der besonderen Wirkungsform des Verbreitungsmediums schwer zu gefährden“, werden strafrechtlich erfasst. Derart hohe Anforderungen, die an das Verbreitungsmedium gestellt werden, werden bei einfacher Pornographie regelmäßig nicht zu begründen sein.80 In diesem Zusammenhang erfolgte sogar eine Entpönalisierung bei Verbreitung einfacher Pornographie. Während nach dem alten § 21 GjS derartige Handlungen noch mit Strafe bedroht waren, wurden durch die Reform die vormals im Hinblick auf weiche Pornographie kodifizierten Verbote als Ordnungswidrigkeiten („in sonstiger Weise pornographisch“, §§ 4 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 24 Abs. 1 Nr. 2 JMStV – allerdings auch einschlägig bei fahrlässiger Begehung) ausgestaltet.81 Das Verhältnis der Strafvorschriften in § 184 Abs. 1 StGB zu den in §§ 27 i.V.m. 15 JuSchG und den in § 23 JMStV enthaltenen Verboten ist insgesamt problematisch, da die inhaltlich übereinstimmenden Tatbestände aus dem speziell geregelten Jugendschutzrecht bei vorsätzlicher Begehung im Rahmen der Gesetzeskonkurrenz zurücktreten.82 Ihre selbständige Bedeutung erhalten die Strafvorschriften nach dem JuSchG und dem JMStV allerdings dann, wenn sie über den Regelungsgehalt des § 184 StGB hinausgehen, was beispielsweise

78 79 80 81 82

Vgl. dazu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 446 (Anm. in Fn. 253); kritisch ebenso Schumann, ZUM 2004, 697. Döring / Günter, MMR 2004, 231. Hörnle, MK, § 184, Rn. 116. KG, NStZ-RR 2004, 252. Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 62.

Analyse der §§ 184, 184c, 184f StGB

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bei fahrlässigem Verhalten (§ 27 Abs. 2, 3 JuSchG und § 23 Satz 2 JMStV) der Fall ist.83 Werden also unter Berücksichtigung der Einwirkungsmöglichkeiten auf Minderjährige, der inhaltlichen Verantwortlichkeit und der gegebenen Überwachungszuständigkeit in unterschiedliche Gesetze (JuSchG, JMStV), Verbreitungsvarianten (mittels Trägermedien oder Telemedien) differenziert und ein darauf basierendes abgestuftes Schutzkonzept entwickelt, welches als entscheidende Weichenstellung für die Auslegung jugendgefährdender Aspekte und darauf folgende Rechtsfolgen angesehen werden kann84, stellt sich die Frage nach dem Bedarf einer davon losgelösten und in der Entwicklung stehengebliebenen Strafnorm. Insofern sind Doppelnormen mit identischem Strafrahmen entstanden. Sinnvoll wäre eine Trennung zwischen absoluten Verboten (Gewalt- und Kinderpornographie), welche im Kernstrafrecht ihren Niederschlag finden, und jugendschützenden Normen, die ausschließlich in einem den jeweiligen Anforderungen speziell konzipierten Jugendschutzrecht geregelt werden.85

6. Konsequenzen für § 184 Abs. 1 StGB Die vorangegangene Untersuchung zu § 184 StGB hat gezeigt, dass die unterschiedlichen Verbotsvarianten der Verbreitung einfacher Pornographie entweder rückgestuft oder ersatzlos aus dem 13. Abschnitt des StGB gestrichen werden sollten. Im Rahmen einer Rückstufung kommt als ausbaufähige Vorschrift § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht. Das Verbot bezieht sich auf die unmittelbare Übergabe pornographischer Schriften an Minderjährige mit drei Tathandlungsvarianten („anbietet“, „überlässt“ und „zugänglich macht“). In Abgrenzung zu § 184 Abs. 1 Nr. 2, 3a und 5 StGB muss der Jugendliche allerdings zum Zeitpunkt der Tat individualisierbar sein, da sonst eine kaum nachvollziehbare Überschneidung aufträte.86 § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB greift auch nur dann, wenn ein Minderjähriger an einem entsprechenden Ort die Möglichkeit der Kenntnisnahme erhält, wobei das Zur-Verfügung-Stellen eines Internetzugangs aufgrund der sozialadäquaten Handlung ausscheiden dürfte.87 Selbst bei Annahme einer Verbreitung durch unmittelbare Übergabe 83 84 85 86 87

Lackner / Kühl, StGB, § 184, Rn. 13. Liesching, NJW 2002, 3286. Diesbezüglich Vorschläge konnten sich bisher nicht durchsetzen, vgl. dazu BT-Drs. 7/514, S. 11 u.27. Fischer, StGB, § 184, Rn. 10. Liesching / Günter, MMR 2000, 262; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184, Rn. 9.

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an den Jugendlichen, dürfte von der Strafandrohung kaum Abschreckungswirkung ausgehen, da der Täter regelmäßig darauf vertrauen könnte, dass der interessierte Jugendliche keine Strafanzeige erstatten wird.88 Insofern kann auch § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB als Kernvorschrift im Hinblick auf das Verbreitungsverbot den realen Bedingungen, insbesondere dem technischen Fortschritt nicht standhalten. Zwar würden durch eine Rückstufung die redundanten Überschneidungen und daneben die völlig antiquierten Bereiche aus dem Gesetz entfernt – was bereits ein zu begrüßender Fortschritt wäre –, doch bliebe eine rückständige Norm, die trotz etwaiger Anpassung auf einem nicht mehr haltbaren Konzept basieren würde. Insbesondere die durch den Jugendlichen gewollte Konfrontation mit pornographischen Schriften kann kaum mit strafrechtlichen Mitteln unterbunden werden. Allein aufgrund der Vielfalt ausländischer Internetanbieter ist es ausgeschlossen, die Verbreitung pornographischer Schriften lückenlos zu kontrollieren. Es genügt eine gängige Internetverbindung, um binnen Sekunden einschlägige Seiten ausländischer Anbieter mit pornographischem Material aufrufen zu können. Da sich etwaige Restriktionen nur auf deutsche Anbieter beziehen89, der durch das Internetangebot dominierte Markt jedoch globaler Natur ist, erscheint eine die spezifischen Merkmale nicht erfassende Strafnorm als ein längst überranntes, marodes Bollwerk. Konsequent bleibt zu sagen, dass § 184 StGB in Gänze und ersatzlos aus dem 13. Abschnitt entfernt werden sollte. Ist die Zielsetzung des Jugendschutzes in diesem Zusammenhang wie oben dargelegt nur Flankenschutz für Erziehungsund Sozialisationsprozesse, da die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in elterlicher Verantwortung liegt, kann ein staatlicher Ansatz auch nur in Bereichen greifen, in denen den Eltern keine Interventionsmöglichkeiten zugemutet werden können. Auch darf das Strafrecht hinsichtlich der für Jugendliche drohenden Gefahren nicht das „Mittel des ersten Zugriffs“90 sein. Neben Maßnahmen im Rahmen internationaler Kooperationen, die über den Sektor der harten Pornographie hinausgehen91, liegt im Rahmen des Vertriebes von pornographischem Material daher der Handlungsschwerpunkt in dem Ausbau von zuverlässigen Alterskontrollen, gerade im Hinblick auf das multimediale Angebot. Vom Versandhandelsverbot sollten insbesondere nur solche Geschäfte ausgenommen werden, die aufgrund feh88 89 90 91

Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 446. Zur Diskussion um die Sperrung von Internetseiten vgl. Gercke, ZUM 2009, 529. Heinrich, NStZ 2005, 366. Vgl. dazu Hörnle, NJW 2002, 1013.

Analyse der §§ 184, 184c, 184f StGB

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lender geeigneter technischer Sicherungen keine Alterskontrollen durchführen können.92 Derartige Regelungen und Rechtsfolgen gehören jedoch nicht in das Kernstrafrecht, sondern in spezielle Jugendschutzgesetze, wie dem JuSchG und dem JMStV, die unter Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit und nach Maßgabe eines subsidiären Rechtsgüterschutzes Strafen vorsehen können. Dass sich schlechterdings in diesen Jugendschutznormen die hier kritisierten Vorschriften des § 184 Abs. 1 StGB wiederfinden, gibt wiederum Anlass zur Kritik, die jedoch nicht Schwerpunkt dieser Arbeit sein soll.

B) § 184c StGB: Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften I. Systematik des Tatbestandes Der im Jahr 2008 eingeführte § 184c StGB geht auf das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie zurück.93 Da der Rahmenbeschluss in Einklang mit internationalen Vorgaben unter einem Kind Personen unter 18 Jahren versteht, war der Gesetzgeber gehalten, im Sexualstrafrecht hinsichtlich der Altersgrenzen Änderungen vorzunehmen. Da § 184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften) nur Personen bis zu 14 Jahren schützt, wurde abweichend von einem Gesetzentwurf der Bundesregierung94, der eine Erweiterung des § 184b StGB um den zu schützenden Personenkreis der Jugendlichen vorsah, eine eigene Vorschrift kodifiziert. Dennoch entspricht die Strafnorm im Aufbau und in der Systematik weitgehend § 184b StGB. Um dem geringeren Unrechtsgehalt Rechnung zu tragen, wurden Strafandrohungen gegenüber denen in § 184b StGB herabgesetzt und die Strafbarkeit des Besitzes jugendpornographischer Schriften im Vergleich zu kinderpornographischen Schriften eingeschränkt.95 Ferner enthält § 184c Abs. 4 Satz 2 StGB eine „rückwirkende“96 Privilegierung von bestimmten Handlungen zwischen jugendlichen Personen. 92

93 94 95 96

Obgleich dies so in § 1 Abs. 4 JuSchG vorgesehen ist, konnte sich diese Neuorientierung nicht durchsetzen, da in den Strafvorschriften § 184 Abs. 1 StGB und §§ 27 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 15 Abs. 1 Nr. 1–6 JuSchG der Verkauf im Rahmen von unterschiedlichen Vertriebsformen (z.B. Kiosk, gewerbliche Leihbüchereien), unabhängig von möglichen Alterskontrollverfahren, nach wie vor verboten ist. Ausführlich zum Rahmenbeschlussgesetz siehe oben Kap. 2 A) VI. BT-Drs. 16/9646, S. 38. Laufhütte/ Roggenbuck, LK, § 184c, vor Rn. 1. Fischer, StGB, § 184c, Rn. 3, 4.

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5. Kapitel

II. Die Problemstellungen im Überblick Der Markt für kinderpornographische Schriften ist unter anderen Gefährdungsaspekten zu betrachten als der Markt für jugendpornographische Schriften. Insofern erscheint die Gleichsetzung von Kindern und Jugendlichen im EU-Rahmenbeschluss wenig durchdacht.97 Ein eher umfassender Schutz jugendlicher Darsteller entspricht auch nicht dem Jugendschutzkonzept des 13. Abschnitts des StGB, da die Strafbarkeit in Bezug auf sexuelle Handlungen von Personen zwischen 14 und 18 Jahren nur auf wenige Fälle beschränkt ist.98 In diesem Zusammenhang kann dem Gesetzgeber der Vorwurf nicht erspart werden, dass er die im Rahmenbeschluss vorgesehenen Ausnahmeklauseln nicht hinreichend geprüft und ausgeschöpft hat und vor dem Hintergrund des problematischen Spannungsfeldes des strafrechtlichen Jugendschutzes sogar über die Umsetzungsanforderungen – ohne nachvollziehbaren Grund – hinaus gegangen ist.99

III. Aspekte im Rahmen einer rechtsgutsorientierten Analyse Der Schutzzweck des § 184c StGB soll wie bei § 184 StGB zunächst dem Jugendschutz i.e.S. dienen. Ferner soll die Vorschrift dem sog. Darstellerschutz dienen. Demnach sollen jugendliche Darsteller vor sexueller Ausbeutung geschützt werden.100 Auch soll durch die Pönalisierung Anreiz- und Nachahmungswirkungen entgegengetreten101 und in Gänze der Markt für diesbezügliche pornographische Produkte eingedämmt werden.102

97 98 99

Hörnle, NJW 2008, 3525. Vgl. dazu Reinbacher / Wincierz, ZRP 2007, 196. Von der durch den Rahmenbeschluss ausdrücklich ermöglichten Ausnahme Scheinjugendlicher und fiktiver Darstellungen als Tatobjekte wurde kein Gebrauch gemacht, obgleich dies den komplizierten Auslegungserfordernissen ein Ende bereitet hätte. Ebenso wurde in anderen Bereichen mehr als nötig getan: Die Schutzaltersgrenze bei § 182 StGB wurde umfassend auf 18 Jahre angehoben, obwohl dies nach den internationalen Vorgaben nur für die Variante „gegen Entgelt“ gefordert war, vgl. dazu Kap. 2, A), VI, 3, a) und 4, b). 100 BT-Drs. 16/3439, S. 9; 16/9646, S. 18; Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184c, Rn. 1; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184c, Rn. 2. 101 Lackner / Kühl, StGB, § 184c, Rn. 1. 102 Reinbacher / Wincierz, ZRP 2007, 195.

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1. Der Einwirkungsschutz von Jugendlichen im Hinblick auf jugendpornographische Darstellungen Aus der Perspektive des Jugendschutzes i.e.S. (insofern Schutz der ungestörten Entwicklung Jugendlicher) ist zu hinterfragen, ob es entweder zur Gewährleistung des Erziehungsrechts gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ausnahmsweise eines flankierenden, unbedingt erforderlichen staatlichen Schutzes bedarf oder durch die Einwirkung im Rahmen der Herstellung oder der Verbreitung das „Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit“ gem. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gefährdet wird. Dann müssten jugendliche Betrachter Gefahr laufen, dass sich ihre Einstellung zum Geschlechtlichen und ihre Persönlichkeitsentwicklung durch die Einwirkung jugendpornographischer Darstellungen nachteilig entwickeln. Die Pornographiedelikte §§ 184 bis 184d StGB sind im Hinblick auf die Normzwecke heterogener Natur.103 Der Vergleich mit § 184 StGB ist dabei nur punktuell möglich. Während insbesondere Kinder und Jugendliche durch § 184 StGB vor Einwirkungen durch eine Konfrontation mit pornographischem Material geschützt werden, bedarf es allein aus dieser Schutzperspektive keines weiteren Straftatbestandes. Vor dem Hintergrund des Konfrontationsschutzes ist insofern irrelevant, ob die minderjährigen Betrachter pornographisches Material mit erwachsenen oder jugendlichen Darstellern zur Kenntnis nehmen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Problematiken möglicher scheinjugendlicher oder scheinerwachsener Darsteller, macht es für den minderjährigen Betrachter kaum einen Unterschied, welcher Alterskategorie die Darsteller angehören. Anders verhält es sich bei kinderpornographischem Material, da kindliche Darsteller einen umfassenden Schutz genießen und die Kenntnisnahme von Kinderpornographie durch Jugendliche einen vergleichbaren Effekt erzielen dürfte, wie bei der Betrachtung von Gewaltpornographie.104 Zudem soll durch § 184b StGB, ergänzend zu § 176 StGB, auch der grundsätzliche Missbrauch kindlicher Opfer verhindert werden.105 Grundlegend anders verhält es sich bei § 184c StGB, da die Herstellung nicht zwangsläufig mit einer sexuellen Missbrauchshandlung gem. § 182 StGB einhergeht.106 Die im Hinblick auf das zu schützende Rechtsgut häufig anzu-

103 104 105 106

Hörnle, LK, Vor § 174 ff., Rn. 79. Vgl. zur Wirkungsforschung Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, NK, § 184d, Rn. 8. BT-Drs. 12/3001, S. 5; Fischer, StGB, § 184b, Rn. 2. Vgl. dazu Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, NK, § 184d, Rn. 7.

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5. Kapitel

treffende generelle Verweisung auf „den Jugendschutz“ i.S.d. §§ 184, 184b StGB107 ist daher unzureichend. Unter anderer Perspektive kann dennoch eine Entwicklungsgefährdung angenommen werden, die sich von § 184 StGB abgrenzt108, wenn der Jugendliche neben der Kenntnisnahme der pornographischen Darstellung auch den jugendlichen oder zumindest den scheinjugendlichen Darsteller gesondert wahrnimmt. Bilden insofern die Darsteller für den jugendlichen Betrachter neue Maßstäbe, beispielsweise im Hinblick auf die für das Alter scheinbar normale Zurschaustellung auf pornographische Art und Weise, kann die abstrakte Gefahr einer sozialen Desorientierung und somit einer Fehlentwicklung begründet werden. So betrachtet bringen pornographische Schriften mit jugendlichen Darstellern zum Ausdruck, dass sie zum einen ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielen und zum anderen, dass die dargestellten Handlungen scheinbar zum sexuellen Repertoire junger bzw. jugendlicher Menschen gehören. Derartige Darstellungen stehen, ebenfalls wie einfache Pornographie i.S.d. § 184 StGB, nicht im Einklang mit den durch allgemeine gesellschaftliche Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes. Im Rahmen dieser Auslegung grenzt das Rechtsgut des Jugendschutzes i.e.S. den zu pönalisierenden Bereich allerdings ein. Immerhin kann so die Strafbarkeit von Verbreitungshandlungen gerechtfertigt werden. Im Falle des Besitzes jugendpornographischer Schriften durch Erwachsene besteht allerdings kein Erfordernis, Jugendliche vor schädlichen Einwirkungen zu schützen.

2. Darstellerschutz Der sog. Darstellerschutz bezieht sich auf den jugendlichen Akteur der pornographischen Darstellung. Zur Einordnung des Darstellerschutzes ist zu klären, ob dieser Schutzbereich individuelle Freiheitsrechte schützt oder ebenfalls dem Jugendschutz i.e.S. zuzuordnen ist. Bei Annahme einer Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts müsste die eingeschränkt zugebilligte Dispositionsfreiheit des Jugendlichen durch im Regelfall äußere Einwirkungen derart beeinträchtigt werden, dass von einer 107 Etwa bei Lackner / Kühl, StGB, § 184c, Rn. 1; Eisele, Sch / Schr., § 184c, Rn. 2; Ziegler, OK-StGB, § 184c, Rn. 2. 108 Auch im Rahmen der Rechtsvergleichung ist festzustellen, dass es einen internationalen Konsens gibt, der ein Minimum an Einwirkungsschutz von Jugendlichen im Hinblick auf pornographische Schriften vorsieht, der aber je nach Liberalität der Rechtsordnung in unterschiedlichen Formen ausfällt, vgl. dazu Sieber, ZUM 2000, 104.

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Einwilligungsunfähigkeit ausgegangen werden kann. Vergleicht man die in Kap. 4 untersuchten §§ 174, 180, 182 StGB, kommen insbesondere Zwangslagen oder willensbeeinflussende Zuwendungen in Betracht. Die Einwilligung eines jugendlichen Darstellers im Hinblick auf die Herstellung von pornographischen Filmen oder Bildern ist nur dann als strafbarer sexueller Missbrauch zu werten, wenn beispielsweise entgeltliche Leistungen für sexuelle Handlungen (§ 182 Abs. 2 StGB) bzw. für sexuelle Handlungen mit einem Dritten § 180 Abs. 2 StGB) entrichtet werden. Würde einhergehend mit der entgeltlichen sexuellen Handlung ein pornographischer Film hergestellt werden, müsste sich konsequenterweise die in dieser Situation anzunehmende Einwilligungsunfähigkeit auch allein auf die faktische Einwilligung, hinsichtlich der Herstellung des pornographischen Films, beziehen. Die entgeltliche Leistung beeinflusst die Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen. Damit einhergehend kann der Jugendliche auch nicht die Tragweite seines Handelns erfassen, die für ihn aufgrund einer möglichen Verbreitung des Filmmaterials negative Folgen haben könnte.109 Andererseits wird dem Jugendlichen sogar durch Gesetz die Selbstbestimmungsfähigkeit zur Herstellung pornographischen Materials attestiert. Nach § 184c Abs. 4 Satz 2 StGB ist die Besitzverschaffung ausnahmsweise nicht strafbar, wenn Täter und Opfer unter 18 Jahre waren und die pornographischen Schriften „mit Einwilligung“ der Darsteller (ohne das ein Verbreiten vorliegt) hergestellt wurden. Mit Einwilligung kann nur die rechtswirksame Einwilligung gemeint sein, nicht die faktische, aber rechtsunwirksame.110 Zieht man die Grenze bei der Kommerzialisierung jugendlicher Sexualität111, kann selbst bei § 184c Abs. 3 StGB (gewerbsmäßiges Handeln) die Einwilligungsunfähigkeit nur dann angenommen werden, wenn zum Zeitpunkt der Mitwirkung des Jugendlichen der kommerzielle Charakter offenkundig war. Auch im Falle der einfachen Verbreitung nach § 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB kann das ursprüngliche Material durchaus mit Einwilligung des Jugendlichen hergestellt worden sein. Wenn etwa der minderjährige Ex-Freund die zunächst unter § 184c Abs. 4 Satz 2 StGB fallenden pornographischen Fotos, auf denen seine ehemalige Freundin posiert, aus Rache zu einem späteren Zeitpunkt verbreitet, wird die ursprünglich erteilte Willenserklärung der Ex-Freundin nicht unwirksam. Sofern der Darstellerschutz auf das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung gestützt werden soll, können nur solche Tathandlungen erfasst werden, in deren Rahmen nach objektivem Empfängerhorizont eine rechtswirksame Willenserklärung überhaupt nicht hätte abgege109 Hörnle, NJW 2008, 3523. 110 BT-Drs. 16/9646, S. 18. 111 Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, NK, § 184d, Rn. 7.

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5. Kapitel

ben werden können. Fehlt es an grundsätzlichen entscheidungsrelevanten Faktoren oder treten Umständen erst zu einem späteren Zeitpunkt ein, kann das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als ein in der konkreten Tatsituation verletztes Rechtsgut nicht angeführt werden, um Darsteller umfangreich zu schützen. Der unmittelbare Schutz jugendlicher Darsteller kann somit nur auf das Rechtsgut der ungestörten Entwicklung Jugendlicher gestützt werden. Sollen jugendliche Personen davor geschützt werden, als Darsteller in pornographischen Szenen missbraucht zu werden, so können argumentativ die Gefahren angeführt werden, die auch – allerdings dort in schwächerer Form – bei der Begründung des Jugendschutzes i.e.S. im Hinblick auf die Konfrontation mit einfacher Pornographie, angeführt werden. Es besteht die Gefahr einer Desorientierung im gesellschaftlichen Gefüge, wenn Jugendliche als Darsteller in pornographischen Werken mitwirken, die dann vermarktet werden und einer unbestimmten Anzahl von Interessenten zur Verfügung stehen. Dass aber nicht nur der körperliche Missbrauch von schutzbedürftigen Personen zu pornographischen Zwecken unter Strafe gestellt wird, sondern wesentlich weitgehender auch die davon unabhängige Vermarktung, kann zudem mit der gezielten „Austrocknung“ des Nachfragemarktes begründet werden (mittelbarer Darstellerschutz112).113 Allerdings erscheint diese Argumentation vor dem Hintergrund der häufig nicht von Erwachsenen zu unterscheidenden scheinerwachsenen bzw. scheinjugendlichen Darstellern schwierig. Auch dürfte es keinen gefestigten Markt für Jugendpornographie geben, wie er etwa für den Bereich der Kinderpornographie (pädophile Netzwerke)114 existent ist. Ausschließlich unter dem Aspekt des Darstellerschutzes ist daher die Pönalisierung des § 184c StGB nur in den Bereichen zu rechtfertigen, die sich eng an den strafbaren Missbrauch gem. §§ 174, 180, 182 StGB orientieren, quasi eine logische Fortführung der Missbrauchshandlung oder der Kommerzialisierung jugendlichen Sexualverhaltens darstellen.

3. Der Kernbereich einer legitimen Strafbarkeit Die Gleichsetzung von Kindern und Jugendlichen im EU-Rahmenbeschluss hat dazu geführt, dass § 184c StGB, unabhängig von seiner separaten systematischen Erfassung, in weiten Bereichen an das Konzept der umfassenden Strafbarkeit kinderpornographischer Schriften gem. § 184b StGB angeglichen wurde. Die Herstellung und Verbreitung pornographischer Schriften, in denen 112 Reinbacher / Wincierz, ZRP 2007, 195. 113 BGH, NJW 2001, 3556; Sieber, ZUM 2000, 90. 114 Vgl. dazu Heinrich, NStZ 2005, 363.

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14- bis 17-Jährige als Darsteller zu sehen sind, war bis zur Umsetzung des EURahmenbeschlusses im Jahr 2008 nicht strafbar. Die grundsätzliche Pönalisierung von diesbezüglich bestimmten Herstellungs- und Umgangsformen kann gerechtfertigt sein, allerdings in einem wesentlich engeren Bereich. Auch unabhängig von europarechtlichen Vorgaben erscheint es plausibel, dass ein Jugendschutzkonzept, welches Jugendlichen den Zugang zu einfacher Pornographie verwehrt, auch Vorkehrungen trifft, um zu verhindern, dass Jugendliche als Darsteller eingesetzt werden.115 Vor dem Hintergrund des oben erläuterten Einwirkungsschutzes können Verbreitungshandlungen, wie sie in § 184c Abs. 1 StGB geregelt sind, verboten werden. Die Abgrenzung zum bereits bestehenden Verbot der Verbreitung einfacher Pornographie nach § 184 Abs. 1 StGB bzw. § 27 JuSchG und § 23 JMStV ist dahingehend vorzunehmen, dass der Jugendliche neben der Kenntnisnahme der pornographischen Darstellung auch den jugendlichen oder zumindest scheinjugendlichen Darsteller wahrnimmt und dieser Umstand sich bei dem jugendlichen Betrachter als Normalzustand verfestigt. Daneben kann in einem engen Rahmen auch der Darstellerschutz angeführt werden, der aber nur dann die Pönalisierung bestimmter Tathandlungen rechtfertigt, wenn sich die pornographische Darstellung als Fortführung der fragmentarisch erfassten Verbotsnormen §§ 174, 180 und 182 StGB konkretisiert. Dies ist insbesondere bei kommerzieller Vermarktung jugendpornographischer Schriften der Fall. Die in § 184c StGB aufgenommenen Tathandlungen außerhalb dieser vom Rechtsgut des Jugendschutzes i.e.S. (Schutz der ungestörten Entwicklung) erfassten Bereiche können hingegen kaum gerechtfertigt werden. Abzugrenzen ist beispielsweise die in § 184c Abs. 1 StGB erfasste fiktionale Darstellung, da die Anforderungen an jugendpornographische Schriften nicht näher eingegrenzt werden.116 Die Tathandlungen i.S.d. § 184c Abs. 1 StGB erfassen somit auch Romane, Comics und Zeichentrickfilme mit jugendpornographischem Inhalt.117 Eine derart weite Erfassung war auch nach dem Rahmenbeschluss nicht erforderlich, da nach Art. 1b des Rahmenbeschlusses nur pornographisches Material mit bildlichen Darstellungen mit echten oder realistisch dargestellten Kindern hätte einbezogen werden müssen.118 Auch war es nicht erforderlich, die Darstellung von Handlungen „vor“ Jugendlichen tatbestandlich zu erfassen, da sowohl der Schutz vor Einwirkung wie auch der Schutz 115 So auch Hörnle, NJW 2008, 3523. 116 Anders in § 184c Abs. 2 u. 3 StGB, da dort die pornographische Schrift ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben muss. 117 Eisele, Sch / Schr., § 184c, Rn. 3. 118 Siehe oben Kap. 2 A) VI. 4. b) bb).

232

5. Kapitel

von Darstellern dadurch nicht erreicht werden kann.119 Zu kritisieren ist zudem die durch den EU-Rahmenbeschluss geforderte Strafbarkeit des Besitzes pornographischer Produkte und der Besitzverschaffung gem. § 184c Abs. 2 u. 4 StGB, da es insbesondere mangels eines florierenden Marktes120 für spezielle jugendpornographische Produkte eines erweiterten Darstellerschutzes nicht bedarf.121 Die Diskussion um die Strafbarkeit der Verbreitung jugendpornographischer Schriften zeigt, dass die Heterogenität verschiedener Pornographieverbote nur dann entschlüsselt werden kann, wenn die zu schützenden Rechtsgüter hinreichend konkret differenziert und als Maßstab für ein legitimes Strafrecht herangezogen werden. Die unterschiedlichen Schutzbereiche sprechen zudem eher gegen eine systematische Verknüpfung der Pornographiedelikte. Die hier aufgezeigten Defizite resultieren überwiegend aus der Gleichschaltung von Kinder- und Jugendpornographie. Sofern die Strafgesetzgebung im Bereich der Pornographiedelikte bisher eine Domäne des nationalen Gesetzgebers war, werden die ohnehin schon zahlreichen Probleme der einzelstaatlichen Rechtsordnung durch europäische und internationale Bekämpfungsansätze verstärkt.122 Das BVerfG ist im Rahmen der Entscheidung zum Lissabon-Vertrag der Auffassung, dass das Strafrecht in seinem Kernbestand nicht als rechtstechnisches Instrument zur Effektuierung einer internationalen Zusammenarbeit diene. Es stehe vielmehr für die besonders sensible demokratische Entscheidung über das rechtsethische Minimum.123 Die im Hinblick auf die Internationalisierung des Strafrechts geübte Kritik scheint berechtigt. Gerade unter diesen Umständen ist es jedoch Aufgabe des Gesetzgebers, die ihm auferlegten Umsetzungspflichten auf ein gemeinschaftsvertragskonformes Minimum zu reduzieren und unabhängig davon zu prüfen, inwieweit nach nationalen Maßstäben eine darüber hinaus gehende Pönalisierung erforderlich ist.

C) § 184f StGB: Jugendgefährdende Prostitution Die Vorschrift § 184f StGB geht auf § 361 Nr. 6b StGB (a.F.) zurück. Durch das 2. StrRG ist die Vorschrift zunächst in § 184c StGB neu gefasst und 119 Vgl. dazu Hörnle, NJW 2008, 3524; Eisele, Sch / Schr., § 184c, Rn. 3. 120 Kritisch im Hinblick auf die Marktnachfrage selbst bei kinderpornographischem Material Eckstein, NStZ 2011, 21. 121 Siehe oben Kap. 2 A) VI. 4. b) cc). 122 Ähnlich Baier, ZUM 2004, 39. 123 BVerfG, NJW 2009, 2287.

Analyse der §§ 184, 184c, 184f StGB

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schließlich durch das 4. StrRG als § 184b StGB verabschiedet worden. Ohne inhaltliche Änderungen wurde die Vorschrift durch das SexDelÄndG in § 184e StGB und durch das Rahmenbeschlussgesetz in § 184f StGB umbenannt.124 Durch die Strafnorm sollen junge Menschen vor einer Konfrontation mit den sozialen Gegebenheiten der Prostitution bewahrt werden. Minderjährige sollen nicht durch die Zurschaustellung der Prostitution in ihren sittlichen Wertvorstellungen negativ beeinflusst werden.125 Der Begriff der „sittlichen Gefährdung“ stammt noch aus der Vorschrift § 361 Nr. 6b StGB (a.F.) und hat insofern die maßgebliche Reform des 13. Abschnittes durch das 4. StrRG überlebt.126 Alleiniges Rechtsgut, welches die Vorschrift legitimieren könnte, ist der Jugendschutz, insofern die ungestörte Entwicklung Jugendlicher.127 Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger als Abwehrrecht spielt hier keine Rolle, da nicht die konkrete sexuelle Interaktion im Vordergrund steht, sondern lediglich die Entwicklungsgefährdung. Die Prostitutionsausübung in der Umgebung von Orten, an denen sich Jugendliche aufhalten, stellt jedoch kein strafwürdiges Unrecht dar, wenn eine sittliche Gefährdung des Jugendlichen nicht nachzuweisen ist.128 Die „sittliche Gefährdung“ kann nur im Sinne des Rechtsguts der ungestörten Entwicklung Jugendlicher ausgelegt werden, da das sexuelle Selbstbestimmungsrecht nicht tangiert wird. In diesem Fall weist der Schutz der sexuellen Entwicklung Jugendlicher ausnahmsweise eine eigenständige Rechtsgutsqualität auf.129 Dabei sind Maßstäbe heranzuziehen, die nicht durch moralistische Elemente geprägt sind. Der zu schützende Zustand ist die grundsätzliche Entwicklung in einem gesellschaftlichen Kontext. Sofern die ungestörte sozialkonforme Entwicklung abgeschlossen ist, kann der „junge Erwachsene“ selbst entscheiden, welcher Erwerbstätigkeit – und sei es die der Prostitution – er nachgehen will. Bis zum Abschluss der Entwicklung im rechtspositivistischen Sinne besteht in Bezug auf bestimmte Erwerbstätigkeiten die Gefahr einer Desorientierung im gesellschaftlichen Gefüge. Dies betrifft das im jugendlichen Alter mangelnde Verständnis um die Tragweite und Konsequenzen der Prostitutionsausübung gleichermaßen, wie andere Tätigkeiten, die eine 124 125 126 127

Siehe oben Kap. 2 A) I., V. u. VI.; Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184f, vor Rn. 1. Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 572. Hanack, NJW 1974, 6. Vgl. dazu Fischer, StGB, § 184f, Rn. 2; Hörnle, MK, § 184e, Rn. 1; Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184f, Rn. 1; Ziegler, OK-StGB, § 184f, Rn. 2. 128 Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184f, vor Rn. 1. 129 Vgl. oben Kap. 3,D).

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5. Kapitel

gewissen Reife und selbstverantwortliches Handeln voraussetzen.130 Ist die Prostitution auch nicht mehr sittenwidrig, so besteht ihr gegenüber eine gesellschaftliche Ablehnung, die im Vergleich mit anderen Berufsgruppen besonders deutlich ausgeprägt ist.131 Die Anerkennung eines schützenswerten Rechtsguts ist allerdings völlig unabhängig von der Art und Weise, wie dieses Rechtsgut im Relation zu der Vielfalt an staatlichen Handlungsinstrumentarien zu schützen ist. Die Bestimmung des Begriffs der „sittlichen Wertvorstellungen“ etwa mit der Umschreibung einer „konkreten Gefährdung ethischer Wertvorstellungen“132 ist wenig zielführend. Die Gefährdung für den Jugendlichen gewinnt je nach Betrachtungsperspektive bzw. Einstellung zur Anerkennung / Nichtanerkennung der Prostitution eine ganz andere Bedeutung. Im Rahmen der kontroversen Einschätzung der Prostitution lassen sich zwei Hauptströmungen unterscheiden. Die liberale, abolitionistische Position bezieht sich nicht nur auf die Anerkennung der Prostitutionstätigkeit als berufliche Tätigkeit, sondern stellt sich auch einer ungerechten und unwürdigen Diskriminierung und gesellschaftlichen Benachteiligung entgegen.133 Im Kontext der liberalen Auffassung handelt es sich bei der Prostitution um eine frei gewählte Tätigkeit, die im Rahmen eines freien Unternehmertums selbstbestimmt ausgeführt wird, im Regelfall gewaltfrei abläuft, den ökonomischen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unterworfen ist und staatlich respektiert und entkriminalisiert werden muss. Diskriminierung und soziale Benachteiligung stellen Würdeverletzungen dar. Das Gegenstück zur liberalen Auffassung ist die prohibitionistische Position. Sie hält entgegen, dass aufgrund von sozialen und psychologischen Bedingungen die Aufnahme der Prostitutionstätigkeit nicht freiwillig erfolgt und eine grundsätzliche Empfänglichkeit für zuhälterische Manipulationen gegeben ist. Die Ausübung der Prostitution erfolgt demnach unter Druck des Zuhälters, der wiederum zumeist der Organisierten Krimina130 Zur inhaltlichen Bestimmung des Rechtsguts der ungestörten Entwicklung Jugendlicher siehe oben Kap. 3 C). 131 Auch in den westlichen Gesellschaften bestehen nach wie vor Vorbehalte gegenüber der Prostitution. Auch wenn diese rechtlich unbeachtlich sind, können sie doch die Entwicklung junger Menschen beeinflussen. Dass sich nach dem ProstG nicht mehr Prostituierte „geoutet“ haben, hat nicht nur finanzielle (steuerrechtliche) Gründe. Befragungen von Prostituierten ergaben, dass viele insbesondere aufgrund des negativen gesellschaftlichen Bildes davor abschrecken, sich zu ihrer ausgeübten Tätigkeit zu bekennen, vgl. dazu Bowald, Prostitution, S. 41; empirische Untersuchung (Interviews) von Bastian / Billerbeck, Prostitution, S. 300. 132 So etwa Fischer, StGB, § 184f, Rn. 4; Ziegler, OK-StGB, § 184f, Rn. 4. 133 Bowald, Prostitution, S. 43.

Analyse der §§ 184, 184c, 184f StGB

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lität zugehörig ist.134 Der Regelungstypus in Deutschland kann als „Regulationismus“135 bezeichnet werden, da die Prostitution nur unter bestimmten Umständen verboten ist. Spätestens mit der Anerkennung der Prostitution muss die Frage gestellt werden, ob die veränderten Bedingungen sich auch auf die Vorschriften des Jugendschutzes auswirken.136 Zumindest kann die „sittliche Gefährdung“ nicht mehr unter Bezugnahme auf prohibitionistischer Gesichtspunkte, die eines empirischen Nachweises entbehren, begründet werden. Im Lichte der Abschaffung der Sittenwidrigkeit der Prostitution durch das ProstG kann die Beobachtung der Tätigkeit von Prostituierten kaum zu einer „sittlichen Gefährdung“ führen.137 Unabhängig von einer prohibitionistisch geprägten Begründung bleibt somit wenig Raum für eine Legitimation strafrechtlicher Verbotsnormen. Von einem Eintritt der Gefahr der Schädigung der psychischen Entwicklung könnte allenfalls dann ausgegangen werden, wenn Jugendliche Gefahr laufen, der Prostitution nachzugehen, weil sie in ständigem Kontakt mit Prostituierten stehen, insofern motiviert oder angelernt werden oder ihnen die finanziellen Vorteile verdeutlicht werden. Ebenso kann die Gefahr der Fehlentwicklung bei verwahrlosten Jugendlichen gegeben sein, wenn die Gefährdung durch die Tat noch vergrößert wird.138 Allerdings werden derartige Fallgruppen bereits durch die Vorschriften §§ 180, 182 StGB erfasst oder eben aufgrund ihrer mangelnden Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit nicht pönalisiert. Auch bei Betrachtung der „Sperrgebietsverordnungen“139, deren Einhaltung durch § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG bzw. bei beharrlicher Zuwiderhandlung gem. § 184e StGB geschützt wird, erscheint eine Pönalisierung i.S.d. § 184f StGB widersprüchlich. Soll an dieser Stelle auch keine abschließende Wertung des Sperrgebietskonzepts erfolgen140, können durch Rechtsverordnungen ja gerade solche Gebiete von Prostitution freigehalten werden, die im Besonderen durch Minderjährige frequentiert werden. Die ungestörte Entwicklung Jugendlicher kann somit außerstrafrechtlich geschützt werden. 134 135 136 137 138 139 140

Bowald, Prostitution, S. 44 f.; BMFSFJ, Reglementierung von Prostitution, S. 12. BMFSFJ, Reglementierung von Prostitution, S. 13. BT-Drs. 14/4456, S. 2. Heger, StV 2003, 355. Vgl. dazu Laufhütte / Roggenbuck, LK, § 184f, Rn. 6. Dazu historisch Hartmann, Prostitution, S. 284 ff. Zumindest spricht die Anerkennung der Prostitution durch das ProstG deutlich für eine Streichung der Blankettvorschrift § 184e StGB, vgl. dazu Perron / Eisele, Sch / Schr., § 184e, Rn. 1.

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5. Kapitel

Auch unter dem Blickwinkel vergleichbarer und intensiverer Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklung Jugendlicher erscheint § 184f StGB als Strafnorm fragwürdig. In den Massenmedien wird die Prostitutionsausübung in unterschiedlichster Intensität dargeboten.141 Angebote für sexuelle Dienstleistungen aller Couleur bestimmten die Werbepausen vieler privater Rundfunk- bzw. Fernsehgesellschaften in den Nachtstunden. Ebenso bietet das Internet ein schier unendliches Angebot an pornographischen Seiten.142 Die Kommerzialisierung der Sexualität hat durch die Informations- und Kommunikationselektronik ihren Markt gefunden. Die angemessene Anpassung der Rechtslage an die sich schnell verändernden Medienrealitäten ist ein erhebliches Problem.143 Für Jugendliche war es nie so einfach wie heutzutage, an pornographische Produkte heranzukommen. Vergleicht man insofern die durch § 184f StGB kodifizierte Möglichkeit der Einflussnahme auf Jugendliche mit sonstigen im Rahmen der Informations- und Kommunikationstechnik angebotenen Darstellungen kommerzieller Anbieter, steht die Pönalisierung der jugendgefährdenden Prostitution deutlich außer Verhältnis.

141 Laubenthal, Sexualstraftaten, Rn. 578. 142 Vgl. dazu Langenfeld, MMR 2003, 303; Naumann, ZRP 2009, 44. 143 Vgl. dazu Liesching, MMR-Aktuell 2010, 298016.

6. Kapitel: Ergebnisse und Schlussbetrachtung (1) Unter der Überschrift „Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB – Ihre Legitimation im Lichte eines zeitgemäßen Jugendschutzes“ wurden in der vorliegenden Arbeit unterschiedliche Tatbestände im StGB mit der Zielrichtung untersucht, ob die Strafnormen zu rechtfertigen sind. Jugendschutzdelikte im Sinne dieser Arbeit sind zum einen solche, bei denen besondere Schutzaltersgruppen vor dem Hintergrund gebildet wurden, dass einerseits eine ausgeprägte Selbstbestimmungsfähigkeit wie bei Erwachsenen noch nicht vorhanden ist, andererseits eine, wenn auch in Relation zu Erwachsenen schwächer ausgebildete, Selbstbestimmungsfähigkeit zugestanden wird.1 Zum anderen zählen zu den Jugendschutzdelikten auch Verbote, die eine Konfrontation des Jugendlichen mit pornographischem Material oder mit sonstigen Situationen, die durch grob anstößige Verhaltensweisen geprägt werden, verhindern sollen. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass durch bestimmte Einwirkungen die Entwicklung des Jugendlichen gefährdet wird.2 (2) Die Legitimation der strafrechtlichen Verbote soll in methodischer Hinsicht unter Anwendung eines systemkritischen Rechtsgüterschutzkonzepts untersucht werden. Auch wenn die Kontroverse zwischen Befürwortern und Kritikern eines als Legitimationsmaßstab dienenden Rechtsgüterschutzkonzepts nicht Schwerpunkt dieser Arbeit ist, sei an dieser Stelle ein kurzes Plädoyer für die Aufrechterhaltung „strafrechtsbegrenzungswissenschaftlicher3“ Errungenschaften erlaubt: Die Aufgabe des Strafrechts ist der Schutz von Rechtsgütern.4 Ein systemkritisches Rechtsgüterschutzkonzept bietet einen Maßstab, mit dessen Hilfe eine Strafnorm im Hinblick auf ihre Legitimität beurteilt werden kann.5 Es gilt jedoch die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative, insofern existiert im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens keine den Gesetzgeber überragende Legitimationsinstanz. Das Ergebnis einer am systemkritischen Rechtsgüterschutzkonzept orientierten Untersuchung hat in Deutschland insofern nur informellen Charakter. Aber gerade darin liegt die überzeugende Stärke. Mangels einer instrumentellen Festschreibung bietet das Rechtsgüter1 2 3 4 5

Siehe oben Kap. 3 F) I. 2. Siehe oben Kap. 1 A) II.; Kap. 3 F). Vgl. dazu Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 273 f. Siehe oben Kap. 1 B) II. 1. Siehe oben Kap. 1 B) II. 3.

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6. Kapitel

schutzkonzept eine Fülle an unterschiedlichen Perspektiven, die Schwachstellen bei Gesetzesvorhaben oder bei bestehenden Strafnormen aufzeigen. Selbst wenn im Rahmen des Rechtsgüterschutzkonzepts Wertmaßstäbe durch feste Zustände und Substanzen wie bei Jäger6, einen geforderten personellen Bezug wie bei Hassemer7, durch gesellschaftsorientierte Auslegungen wie bei Roxin8 oder durch eine Orientierung an subjektiven Rechten wie bei Hörnle9 und Vormbaum10 inkongruent bestimmt werden, existieren doch deutliche Konturen. Das systemkritische Rechtsgüterschutzkonzept ist ein strafrechtsbegrenzendes Mittel, welches auf eine lange strafrechtsdogmatische Tradition zurückblicken kann.11 Nach seiner Entstehung zu Beginn der jetzigen Rechtsepoche wurde das systemkritische Rechtsgüterschutzkonzept angewandt, modifiziert und kritisiert, aber nie aufgegeben. Auch die durch den Inzestbeschluss des BVerfG zuletzt geübte Kritik12 verleiht der konzeptionellen Weiterentwicklung neuen Auftrieb. Dabei erscheinen insbesondere zwei Entwicklungsrichtungen als ausbaufähig: Zum einen ermöglicht die Inklusion des Rechtsgüterschutzkonzepts in den verfassungsrechtlichen Prüfungsrahmen, dass die verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Prämissen ohne Aufgabe ihrer jeweiligen Grundthesen vor dem Hintergrund einer verbindlichen strafrechtsbegrenzenden Gesamtkonzeption ineinander verzahnt werden.13 Zum anderen ermöglicht die Einbettung des Rechtsgüterschutzkonzepts in eine kohäsive Untersuchungsstruktur, welche neben dem Rechtsgüterschutzgedanken weitere Prüfungskriterien (Bestimmtheitsgebot, Analogieverbot, Subsidiaritätsgedanke) berücksichtigt, ein ganzheitliches und standardisiertes Vorgehen. Einen solchen ganzheitlichen Ansatz bietet die vorgestellte Triasschranke „Strafgerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit“.14 Es bleibt festzuhalten, dass im Rahmen einer Strafrechtsbegrenzungswissenschaft gerade solche konzeptionellen Elemente gefördert werden sollten, die gestärkt durch ihren Ursprung und ihre Entwicklung Postulate eines rationalisierten und humanen Strafrechts sind. Dazu zählt das systemkritische Rechtsgüterschutz-

6 7 8 9 10 11 12 13 14

Siehe oben Kap. 1 B) II. 3. a). Siehe oben Kap. 1 B) II. 3. c). Siehe oben Kap. 1 B) II.3. b). Siehe oben Kap. 1 B) II. 4. b) cc). Siehe oben Kap. 1 B) II. 7 a). Siehe oben Kap. 1 B) II. 2. Siehe oben Kap. 1 B) II. 4. a). Siehe oben Kap. 1 B) II. 5. Siehe oben Kap. 1 B) II.7 b).

Ergebnisse und Schlussbetrachtung

239

konzept, welches mit seiner strafrechtsbegrenzenden Funktion dafür Sorge trägt, dass die schärfste Waffe des Staates – das Strafrecht – nicht stumpf wird. (3) Die Reformbemühungen des Sexualstrafrechts und damit einhergehend auch die Entwicklung der Jugendschutzdelikte wurden in den letzten 40 Jahren durch vielfältige geistige Strömungen und kriminalpoltisch geprägten Zielformulierungen beeinflusst. Die Abkehr vom Schutz von Schamgefühlen, Sittlichkeit, Moralität und rein ethischen Verhaltensansprüchen und somit die Ausrichtung einer Pönalisierung auf ausschließlich gravierende sozialschädliche Verhaltensweisen, war der Geist der Reform des Sexualstrafrechts Mitte des 20. Jahrhunderts15 und somit im Sinne dieser Arbeit die erste Entwicklungsphase. Obwohl auch das diese Reformbewegung prägende 4. StrRG nicht unerhebliche Schwächen aufweist, stand doch der Rechtsgüterschutzgedanke, konkret „die Freiheit des Einzelnen vor Beeinträchtigung seiner sexuellen Selbstbestimmung“, im Vordergrund. Die Liberalisierung des Sexualstrafrechts ist jedoch nicht durchschlagend fortgeführt worden. In der zweiten Entwicklungsphase, die fast 20 Jahre nach dem 4. StrRG begann und bis 2003 andauerte16, wurden die Reformen durch Strafschärfungen, Ausweitung der Strafbarkeit, Opferschutz und unter dem Druck des öffentlichen Aufsehens, aufgrund medienwirksam aufbereiteter Sexualdelikte, geprägt. Das Rahmenbeschlussgesetz aus dem Jahr 200817 leitet schließlich die dritte Entwicklungsphase (obwohl überwiegend nur Bereiche des Jugendschutzes betroffen sind) ein, die unabhängig von nationalen Rechtssetzungsbedürfnissen durch die auch in anderen Bereichen fortschreitende Harmonisierung europäischer und völkerrechtlicher Vorgaben geprägt ist. Die mit der Umsetzung einhergehenden Problematiken sind im Vergleich zu den Problemkreisen bisheriger national geprägter Reformen anderer Natur. Zum einen erscheint es grundsätzlich schwierig, andersartige Schutzkonzepte an die nationale Rechtsordnung anzuknüpfen, zum anderen trennt der Gesetzgeber offenbar nicht schlüssig zwischen obligatorischen Umsetzungspflichten und eingeräumten Gestaltungsspielräumen. Im Fall des Rahmenbeschlussgesetzes hat der Gesetzgeber ohne nachvollziehbare Begründung mehr getan hat als er hätte umsetzen müssen.18 Die Jugendschutzdelikte im 13. Abschnitt des StGB teilen jedoch das Schicksal einer insgesamt zu kritisierenden Entwicklung des materiellen Strafrechts. Unabhängig von der Begründung eines erforderlich (subsidiären) Rechtsgüterschutzes werden durch weitläufig formulierte Schutz- und Bekämpfungskon15 16 17 18

Siehe oben Kap. 1 B) I.; Kap. 2 A) I. 1. und B). Siehe oben Kap. 2 B) II. bis V. Siehe oben Kap. 2 A) VI. Siehe oben Kap. 2 A) VI. 3. a) und 4. b); Kap. 4 C) III. 1.; Kap. 5 B) II.

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6. Kapitel

zepte („Bekämpfung“ durch Strafverschärfung), gesinnungsstrafrechtliche Argumente (bekämpft wird der „Sextourist“ oder der „Pädosexuelle“) oder rechtsdogmatisch nicht nachvollziehbare Ansinnen (Schließung etwaiger Strafbarkeitslücken – die es aber gerade zu erhalten gilt19) eine Entwicklung begünstigt, die materielles Strafrecht in Anlehnung an Vormbaums Kriterien eher flexibilisiert, moralisiert, materialisiert und subjektiviert.20 Auch wenn das Strafrecht einem gewissen Wandel unterworfen ist, bleibt es in der gegenwärtigen Rechtsepoche21 verwurzelt. Anzeichen für einen epochalen Wandel des Rechts sind nicht erkennbar. Somit haben die wesentlichen Wertmaßstäbe dieser Rechtsepoche weiterhin Gültigkeit. Um die Stabilität des Strafrechts zu gewährleisten, müssen in zunehmender Weise – quasi in einem der Erosion des Rechts22 entgegenwirkenden notwendigen Maße – die rechtshistorisch entwickelten Prämissen des Strafrechts gleichermaßen wie die auf den jeweiligen Gegenstand der Änderung bezogene rechtshistorische Entwicklungslinie berücksichtigt werden. Sofern im Rahmen der sukzessiven Internationalisierung des Strafrechts derartige Betrachtungsweisen der nationalen Jurisprudenz zunehmend aus der Hand genommen werden, gilt es, gerade die positiven Elemente der deutschen Strafrechtswissenschaft mit Synergiepotenzial in Einklang mit anderen Staaten zu fördern und auf internationaler Ebene zu implementieren – ohne Zweifel ein schwieriges Unterfangen. (4) Die Differenzierung zwischen zu rechtfertigenden und problematischen Strafverboten unter Bezugnahme auf das Rechtsgüterschutzkonzept verlangt neben der institutionellen Anerkennung nach einer inhaltlichen Bestimmung des Rechtsguts. Das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung kann i.S.d. 4. StrRG verstanden werden als „Recht auf freie Entfaltung der eigenen Sexualität“. Minderjährige werden im Rahmen einer solchen engen Sichtweise jedoch nicht geschützt, da sie zu einer rechtlich relevanten Willensbildung nicht in der Lage sind. Während Kinder unter keinen Umständen in die sexuelle Interaktion einwilligen können, wird Jugendlichen eine dem üblichen Entwicklungsstand angemessene Dispositionsfreiheit eingeräumt. Gerade diese soll aber durch die in den Strafnormen §§ 174, 180, 182 StGB erfassten Tathandlungen aufgehoben werden. Somit ist auch bei Jugendlichen das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung als Abwehrrecht zu erfassen, verstanden als Recht, nicht zum Objekt fremdbestimmter sexueller Übergriffe herabge19 20 21 22

Siehe oben Kap. 1 B) II. 1. Siehe oben Kap. 2 B). Vgl. dazu Vormbaum, Juristische Zeitgeschichte, S. 5; Ders., Strafrechtsgeschichte, S. 10 f. Näher zum Begriff der Rechtserosion Albrecht, Sicherheitsgesellschaft, S. 667 ff.

Ergebnisse und Schlussbetrachtung

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würdigt zu werden.23 Inhaltlich wird das so verstandene Abwehrrecht durch zwei wesentliche Grundrechtsgarantien ausgefüllt. Allein die etwa in § 240 StGB geschützte und auf Art. 2 Abs. 1 GG zurückzuführende Willensbildungsund Willensbetätigungsfreiheit würde argumentativ nicht ausreichen, um das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung zu unterfüttern. Es wäre anderenfalls nicht zu begründen, warum § 240 StGB einen im Vergleich zu den meisten Sexualstrafnormen geringeren Strafrahmen vorsieht. Die zweite wesentliche Komponente ist in Anlehnung an Hörnle der unantastbare Bereich der privaten Lebensführung und somit das Recht auf Achtung der Intimsphäre.24 Bezogen auf die Rechtfertigung von Jugendschutzdelikten liegt die Schwierigkeit insbesondere in der Nachvollziehbarkeit der Schutzaltersklassenkonzeption und in der zuweilen fast unbemerkten Aushöhlung dieser Prinzipien. Die Schutzaltersklassen basieren darauf, dass die Fähigkeit der Einwilligung zu sexuellen Handlungen mit steigendem Alter zunimmt, während der strafrechtliche Schutz in Relation dazu abnimmt und nur durch weitere strafbegründende Elemente aufrechterhalten werden kann.25 Wenn daher die Prämissen verschoben werden und eine gebildete Schutzaltersklasse, die 14- bis 15-Jährige erfasst, auf 14- bis 17-Jährige erweitert wird, müsste sich bei gleichbleibender Annahme einer eingeschränkt vorhandenen sexuellen Autonomie die Tathandlung (Zwangshandlung unterhalb der Nötigung) in ihrer Qualität verringern – was im Falle der Änderung des § 182 Abs. 1 StGB jedoch nicht berücksichtigt wurde.26 Anderenfalls müsste begründet werden, warum 16- und 17-Jährige, entgegen früherer Annahme, weniger selbstbestimmungsfähig sind. Von dem Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung deutlich zu trennen ist der häufig formulierte „Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung“, gleichbedeutend mit dem „Jugendschutz i.e.S.“. Aber auch dieser Schutzanspruch hat unter bestimmten Umständen, unabhängig von dem Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung, Rechtsgutscharakter. Der wesentlich zu schützende Zustand ist die grundsätzliche Gewährleistung einer sozialkonformen Entwicklung. Der Rechtsprechung des BVerfG folgend kann dieses Rechtsgut wiederum mit zwei Deskriptoren untermauert werden. Zum einen haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit gem. Art 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Sie bedürfen somit des Schutzes, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft 23 24 25 26

Siehe oben Kap. 3 B). Siehe oben Kap. 3 B). Siehe oben Kap. 3 F) II. Siehe oben Kap. 4 C) III. 1. a).

242

6. Kapitel

zu entwickeln. Zum anderen wird das verbriefte elterliche Erziehungsrecht gem. Art. 6 Abs. 2 GG angeführt.27 Die Einbeziehung des elterlichen Erziehungsrechts in den Rechtsgutsbegriff ist problematisch, was im Rahmen der Untersuchung des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB deutlich wird. So kann aus Art. 6 Abs. 2 GG keinesfalls ein staatlicher Schutz elterlicher Erziehungsvorstellungen und somit kein eigenständiger strafbegründender Schutzzweck abgeleitet werden.28 Andererseits kann Art. 6 Abs. 2 GG als Element des Rechtsguts „Schutz der ungestörten Entwicklung“ angesehen werden, wenn die Einwirkung Dritter, beispielsweise durch das Verbreiten pornographischer Schriften, solche intensiven Ausmaße annehmen, dass die Minderjährigen durch die Eltern von bestimmten Einwirkungen nicht mehr ferngehalten werden können und es insofern in einem engen Rahmen der flankierenden staatlichen Unterstützung bedarf.29 Dabei sind jedoch nicht die individuellen erzieherischen Vorstellungen zur Bestimmung des schutzwürdigen Bereichs heranzuziehen, sondern ausschließlich die nach den gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen.30 (5) Das Verhältnis zwischen den beiden Rechtsgütern „sexuelle Selbstbestimmung“ und „ungestörte Entwicklung Jugendlicher“ muss deutlich herausgestellt werden. Verletzt werden kann durch die Tathandlung nur das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung, während die ungestörte Entwicklung Jugendlicher allenfalls (abstrakt) gefährdet werden kann. Wenn, wie häufig argumentiert wird, beide Rechtsgüter gleichrangig geschützt werden, erscheint nicht nur das Zusammentreffen der unterschiedlichen Deliktscharaktere kurios. Unter dem Schirm der abstrakten Gefährdung können weitreichende Verbote legitimiert werden. Es bietet sich daher an, das Verhältnis zwischen diesen beiden Rechtsgütern nach folgendem Modell31 zu klären: Spiegelt sich der Charakter des Unrechts in einer konkreten Verletzungshandlung wider, hat der Schutz des individuellen Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung Vorrang. Allerdings werden die inhaltlichen Schutzelemente des Rechtsguts der „ungestörten Entwicklung Jugendlicher“ zumindest teilweise inhaltlich in den Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts implementiert. Es geht nicht um die abstrakte Gefahr einer Fehlentwicklung, sondern um die mangelnde Fähigkeit des Jugendlichen, seine weitere Entwicklung und soziale Integration, die ggf. durch die Tat beeinträchtigt werden kann, zu überblicken. Ihm kann noch 27 28 29 30 31

Siehe oben Kap. 3 C). Siehe oben Kap. 4 A) III. d) und IV. Siehe oben Kap. 5 A) III. 1. Siehe oben Kap. 5 A) III. 2. und B) III. 2. Siehe oben Kap. 3 D).

Ergebnisse und Schlussbetrachtung

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nicht zugestanden werden, dieses bestehende Risiko kalkulatorisch zu akzeptieren. Eingeschränkte sexuelle Autonomie bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Jugendliche die Tragweite seiner Handlung nicht einschätzen kann – die Tragweite umfasst neben den unmittelbaren Folgen der sexuellen Handlung auch die zukunftsorientierten Folgen. Dieser Zusammenhang wird insbesondere bei der Beurteilung der Folgen entgeltlicher sexueller Handlungen gem. §§ 180 Abs. 2, 182 Abs. 2 StGB32 deutlich. Eigenstände Bedeutung kommt dem Rechtsgut der „ungestörten Entwicklung Jugendlicher“ nur dann zu, wenn das sexuelle Selbstbestimmungsrecht nicht verletzt wird, was mangels einer konkreten sexuellen Interaktion zwischen Täter und Opfer bei den Pornographiedelikten der Fall ist.33 (6) Die Gemeinsamkeit der in Kapitel 4 untersuchten Delikte (§§ 174, 180, 182 StGB) besteht in der theoretischen Annahme, dass die Tathandlungen die eingeschränkte Dispositionsfreiheit der Jugendlichen derart beeinträchtigen, dass eine vom freien Willen getragene sexuelle Interaktion mit dem Täter ausgeschlossen wird. Im Rahmen der Rechtfertigung dieser Verbote ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei der Beschreibung des „gesellschaftlichen Normalzustandes34“ sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen generell straflos sind. Unter Berücksichtigung empirischer Erkenntnisse erfolgt der Einstieg in das Geschlechtsleben von Mädchen und Jungen heutzutage früher als noch vor 40 Jahren.35 Ob nun diese Entwicklung aus elterlicher oder psychologischer Perspektive zu bedauern ist, sei dahingestellt. Fakt ist jedoch, dass die Schwierigkeit der Jugendlichen, gegenüber anderen Personen selbstbestimmt zu agieren, offensichtlich abnimmt. Im Hinblick auf die Schutzkonzeption verschieben sich somit die Parameter: Wenn dem Jugendlichen mehr Widerstand zugetraut werden kann, muss für die Rechtfertigung der Strafandrohung eine verschärfte Einwirkung seitens des Täters verlangt werden. Allerdings kann die Qualität der äußeren Einwirkung für alle erfassten schutzwürdigen Personen unabhängig von ihrem Alter nicht konstant sein. Vielmehr handelt es sich um einen proportional verlaufenden Wertungsbereich im Rahmen dessen die Parameter Alter und sexuelle Erfahrung altersspezifisch definiert werden müssen. Die Beibehaltung von Schutzaltersklassen ist ein Kompromiss, um einerseits diesem Wertungsbereich ansatzweise Rechnung zu tragen und andererseits eine nicht zu praktizie-

32 33 34 35

Siehe oben Kap. 4 B) III. 2. und C) III. 2. Siehe oben Kap. 5. Siehe oben Kap. 1 B) II. 6. a). Siehe oben Kap. 3 E).

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6. Kapitel

rende und vor dem Hintergrund des Opferschutzes nicht zu rechtfertigende Feststellung im Einzelfall zu vermeiden. (7) Gerade diese Parameter scheinen sich im Hinblick auf § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB verschoben zu haben. Insofern muss neu diskutiert werden, ob den geschützten Personen im Rahmen der Obhutsverhältnisse grundsätzlich die kognitive und psychische Beurteilungsfähigkeit abgesprochen werden kann, sich den Autoritätspersonen, ohne dass ein zusätzliches Missbrauchsfaktum gefordert wird, zu widersetzen.36 Eine solche Beurteilung verlangt jedoch nach externem und interdisziplinärem Sachverstand. Sollte sich im Falle einer Begutachtung die Annahme veränderter Prämissen bestätigen, würde mangels Rechtsgutsverletzung der Schutzbedarf entfallen. Folglich müsste die Vorschrift gestrichen werden.37 Unabhängig davon ist der Kreis der Autoritätspersonen (Lehrer, Trainer, Mannschaftsbetreuer, Ausbilder) zu weit gefasst. Die Täter dieses Sonderdelikts können Jugendliche auf unterschiedliche Weise beeinflussen, zudem greifen je nach arbeitsrechtlicher Einbindung weitere Sanktionsmechanismen (disziplinarrechtliche oder arbeitsrechtliche Verfahren), die auch einen ausreichenden außerstrafrechtlichen Rechtsgüterschutz gewährleisten können.38 Vertretbar erscheint allerdings der Schutzumfang, wenn im Rahmen eines bestimmten Obhutsverhältnisses der Täter unter Missbrauch einer mit dem Schutzverhältnis verbundenen Abhängigkeit des Schutzbefohlenen handelt, §§ 174 Abs. 1 Nr. 2, § 180 Abs. 3 StGB.39 Auch wenn Jugendliche, gerade im Hinblick auf die Schutzaltersklasse der 16- und 17-Jährigen, sich etwaigen Offerten seitens Autoritätspersonen widersetzen können, sobald der Täter Macht und Überlegenheit gezielt einsetzt und den Anvertrauten instrumentalisiert, wird der Unrechtsgehalt evident. Wie bei § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB bedarf es auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht der Feststellung des Missbrauchs der Abhängigkeit. Das fehlende Unrechtsmerkmal wird bei letztgenannter Vorschrift allerdings dadurch kompensiert, dass ein besonders begründetes Abhängigkeitsverhältnis (anders in § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) vorausgesetzt wird. Aber auch dieses Konzept weist bei binnenteleologischer Auslegung Schwächen auf, da auch Täter, die vor der Tat keine persönliche Beziehung zum Opfer hatten (biologischer Vater) erfasst werden, hingegen keine Scheineltern. Ansonsten ist das Verbot gerechtfertigt.40

36 37 38 39 40

Siehe oben Kap. 4 A) III. 1. a) und IV. Siehe oben Kap. 4 A) IV. Siehe oben Kap. 4 A) III. 1. g). Siehe oben Kap. 4 A) III. 2. und B) III. 3. Siehe oben Kap. 4 A) 3.

Ergebnisse und Schlussbetrachtung

245

(8) Für die Pönalisierung von bestimmten Kuppeleihandlungen gem. § 180 Abs. 1 StGB ist ein logisch vollständiger Schutzgrund nicht erkennbar. Als Relikt einer mit den Mitteln des Strafrechts beabsichtigten Durchsetzung einer bestimmten Sexualmoral kann weder das „Vermitteln“41 noch das „Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten“42 das sexuelle Selbstbestimmungsrecht verletzen, zumal eine grundsätzlich straflose Handlung (sexuelle Handlungen zwischen Jugendlichen sind Ausdruck einer normalen psychischen und körperlichen Entwicklung) nicht Basis einer verselbstständigten strafbaren Beihilfe sein kann.43 Sollte in Konsequenz dessen das Rechtsgut der „ungestörten Entwicklung Jugendlicher“ subsidiär als geltendes Schutzgut angeführt werden44, fehlt dem Tatbestand jedoch jedweder Unrechtsgehalt, um selbst eine abstrakte Gefahr begründen zu können.45 Insgesamt lässt sich resümieren, dass die Kuppeleihandlungen in § 180 Abs. 1 StGB entpönalisiert werden sollten. (9) Die Strafvorschriften zum Schutze von Jugendlichen gegen entgeltliche sexuelle Handlungen (§§ 180 Abs. 2, 182 Abs. 2 StGB) müssen differenziert betrachtet werden. Nachvollziehbar sind Verbote, die einer Kommerzialisierung jugendlicher Sexualität entgegenstehen.46 Materielle Zuwendungen sind Beeinflussungsformen ganz eigener Art, so dass die oben angeführten Parameter (Alter und sexuelle Entwicklung) im Verhältnis zur Qualität der Tathandlung in ihrem Aussagegehalt relativiert werden müssen. Entgeltliche Leistungen können nicht mit Zwangslagen i.S.d. § 182 Abs. 1 StGB verglichen werden, sie können nicht in Relation zum Alter bzw. zu einer festgelegten Schutzaltersklasse als tatbestandliche Voraussetzung gesteigert oder verringert werden. Die Annahme, dass beispielsweise 14-Jährige mit 20 Euro in ihrer eingeschränkten Selbstbestimmungsfähigkeit beeinträchtigt werden können, 17-Jährige vielleicht erst mit 100 Euro, ist nicht überzeugend.47 Insofern kann bei entgeltlichen Leistungen auch unproblematisch die Differenzierung in Schutzaltersklassen, wie durch das Rahmenbeschlussgesetz 2008 verwirklicht, unterbleiben. Problematisch ist aber der Entgeltbegriff an sich, der eben nicht nur Barmittel umfasst. Der sehr weitläufige Entgeltbegriff, der auch Wohnungsgewährungen, Naturalleistungen, Arbeitsentgelt und Einladungen zu Freizeitaktivitäten umfasst, erscheint ungeeignet, auch wenn eine gewisse 41 42 43 44 45 46 47

Siehe oben Kap. 4 B) III. 1. a). Siehe oben Kap. 4 B) III. 1. b). Siehe oben Kap. 4 B) III. 1. d). Siehe oben Kap. 3 D). Siehe oben Kap. 4 B) III. 1. c) und IV. Siehe oben Kap. 4 B) III.2. und C) III. 2. a). Siehe oben Kap. 4 B) III. 2. a).

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6. Kapitel

Eingrenzung durch die zwischen Täter und Opfer erforderliche konkrete Vereinbarung (do-ut-des-Verhältnis) erfolgen muss. Die §§ 180 Abs. 2, 182 Abs. 2 StGB sollten dahingehend modifiziert werden, dass eine weitere Eingrenzung des Entgeltbegriffs (§ 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB) erfolgt. Die entgeltliche Leistung muss in qualitativer Hinsicht geeignet sein, die Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen zu beeinflussen. Dabei erlangen Argumente, wie die mögliche Gefahr einer späteren Fehlentwicklung oder die Gefahr des „Abgleitens“ in die Prostitution48 nur insofern Bedeutung, als der Jugendliche im Rahmen seiner Entscheidungsfindung derartige Auswirkungen nicht zu berücksichtigen vermag und es insofern im Ergebnis seiner Dispositionsfreiheit nicht zugebilligt werden kann. Allerdings spielen diese Aspekte bei einem „spendierten Kinobesuch“ gerade keine Rolle – was insofern den tatbestandlich zu weit gefassten Entgeltbegriff verdeutlicht. Vor dem Hintergrund des zu schützenden Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung besteht auch kein Grund, die Altersgrenze für den Täter bei 18 Jahren zu belassen, obgleich dies zu einer Erweiterung des Verbots führen würde. Auch aus der Perspektive eines strafrechtsbegrenzenden Rechtsgüterschutzes ist diese Überlegung zu rechtfertigen, da mit einer Eingrenzung des Entgeltbegriffs grundsätzlich sozialtypische Verhaltensweisen jugendlicher Täter ausgeklammert bleiben.49 (10) Eine moralistische Prägung weist ferner § 182 Abs. 3 StGB auf, da offensichtlich eine sexuelle Interaktion zwischen „älteren Erwachsenen“ und „jüngeren Jugendlichen“ ohne schlüssige Begründung strafrechtlich verboten ist. Weisen Jugendliche bestimmte schutzbedürftige Entwicklungsrückstände auf, ist eine Pönalisierung nur unter dem Aspekt gerechtfertigt, dass der Jugendliche in Relation zur durchschnittlichen Entwicklung Jugendlicher im besonderen Maße schutzbedürftig ist.50 Zum einen würde aber dann das Täteralter keine Rolle spielen51, zum anderen müsste die Tathandlung um weitere Unrechtshandlungen ergänzt werden, um nicht der Gefahr einer jeweils einzelgutachterlichen Feststellung des existenten Entwicklungsrückstandes, was die sekundären Viktimisierung verstärken würde, zu erliegen.52 (11) Durch die im 5. Kapitel untersuchten Tatbestände (§§ 184 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3a, 5 StGB, 184c, 184f StGB) wird ausschließlich das Rechtsgut der „ungestörten Entwicklung Jugendlicher (Jugendschutz i.e.S.)“ geschützt. Aus48 49 50 51 52

Siehe oben Kap. 4 B) III. 2. a). Siehe oben Kap. 4 C) III. 2. b). Siehe oben Kap. 4 C) III. 3. a). Siehe oben Kap. 4 C) III. 3. b). Siehe oben Kap. 4 C) IV.

Ergebnisse und Schlussbetrachtung

247

nahmsweise gewinnt dieser Schutzgedanke eigenständige Rechtsgutsqualität.53 Ob jedoch eine abstrakte Gefahr für die Entwicklung Jugendlicher besteht, ist mangels eines empirisch eindeutigen Beweises mit den zur Verfügung stehenden Erkenntnissen und moralfreien prognostischen Elementen zu begründen. Dabei ist zu beachten, dass der Staat bevormundend (paternalistisch) tätig wird und das Interesse von Personen, auch gegen deren individuelle Präferenzen, durchsetzt. Ausnahmsweise ist dies jedoch selbst dann gerechtfertigt, wenn es um „normales“ pornographisches Material geht: Im Rahmen des bereits oben erläuterten flankierenden Schutzes der elterlichen Erziehungsaufgabe (nicht der Erziehungsinhalte!) überschreiten unkontrolliert verbreitete pornographische Schriften nach wie vor die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes.54 Auch darf nicht verkannt werden, dass die durch den technischen Fortschritt bedingten gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten auf einer eher kommerziellen sexuellen Enttabuisierung basieren.55 Jedoch sind diesbezügliche Verbote nur in engen Grenzen gerechtfertigt. So kann ein altersunabhängiger Konfrontationsschutz gem. § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB nicht mehr gerechtfertigt werden, da es im Rahmen der Versandzustellung und auch der E-Mail-Zustellung ausreichend Konfrontationsalternativen (wegwerfen bzw. löschen) gibt und Jugendliche durch andere Vorschriften geschützt werden. Ausreichend schützt zudem § 119 Abs. 1 OWiG die ungewollte Konfrontation mit pornographischem Material.56 Auch die speziell dem Jugendschutz i.e.S. zuzurechnenden Vorschriften in § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3a und 5 StGB haben allenfalls antiquarischen Wert. Nicht mehr im Vordergrund stehen das Verbreiten von pornographischem Material mittels Werbeplakaten und die diesbezügliche Forderung nach „hölzernen Barrieren“. Im Fokus steht das Verbreiten durch Teledienste und Medien – die Problemkreise sind dabei anderer Natur. Altersverifikationssysteme und sonstige Benutzererkennungssysteme sollen Jugendliche davon abhalten, mit Pornographie konfrontiert zu werden – obgleich der Schutz vor derartigen Einwirkungen allein dadurch unterlaufen werden kann, dass ausländische Internetanbieter kontaktiert werden. Anstatt durch Rechtsprechung und Literatur die Vorschriften in § 184 Abs. 1 StGB im Rahmen teleologischer Auslegung den gegenwärtigen Anforderungen anzupassen, sollten diese Vorschriften in Gänze ersatzlos gestrichen werden.57 53 54 55 56 57

Siehe oben Kap. 3 D); Kap. 5 A) III. 1. Siehe oben Kap. 5 A) III. 2. Siehe oben Kap. 1 A) III. 2. und Kap. 5 A) III. 2. Siehe oben Kap. 5 A) III. 3. Siehe oben Kap. 5 A) III. 4. und 6.

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6. Kapitel

Ausreichender Jugendschutz wird durch die speziellen Jugendschutzgesetze gewährleistet.58 Die in § 27 JuSchG und § 23 JMStV enthaltenen Verbote stimmen überwiegend mit den Verboten in § 184 Abs. 1 StGB überein59, was einerseits den Appell einer „ersatzlosen“ Streichung stützt, andererseits verdeutlicht, dass Problemkreise materiell-strafrechtlicher Art leider in andere Gesetze verlagert wurden.60 (12) Die Strafbarkeit der Verbreitung von Jugendpornographie (§ 184c StGB) ist in einem eingeschränkten Rahmen durchaus gerechtfertigt. Jugendliche werden bereits vor unkontrollierter Konfrontation mit pornographischem Material durch § 184 Abs. 1 StGB und § 27 JuSchG, § 23 JMStV geschützt. Da für den Betrachter jugendliche Darsteller häufig nicht von erwachsenen Darstellern zu unterscheiden sind (Problematik Scheinjugendliche / Scheinerwachsene), kann der Einwirkungsschutz als Rechtfertigung der Strafnorm nur bei weiterer Spezifizierung angeführt werden: Sofern Jugendliche neben der Kenntnisnahme der pornographischen Darstellung den jugendlichen Darsteller gesondert wahrnehmen und die im Hinblick auf das Alter scheinbar normale Zurschaustellung als Maßstab anerkennen, kann die abstrakte Gefahr einer sozialen Desorientierung und somit einer Fehlentwicklung begründet werden61 – als ein in Relation zur normalen Pornographie zusätzlich abgegrenzter Schutzbereich. Das zweite Element zur Rechtfertigung des § 184c StGB ist der Darstellerschutz. Der Schutz jugendlicher Darsteller kann jedoch nur in Anlehnung an die strafbaren Missbrauchshandlungen gem. §§ 174, 180, 182 StGB gerechtfertigt werden.62 Ein generell umfassender Schutz (wie bei § 184b StGB) kann auch vor dem Hintergrund einer beabsichtigten Eindämmung des speziellen jugendpornographischen Marktes nicht gerechtfertigt werden – da es einen solchen nicht gibt.63 Eine unter diesen Gesichtspunkten gerechtfertigte Strafbarkeit erfasst Verbreitungshandlungen (§ 184c Abs. 1 StGB) und insbesondere die in Fortführung der §§ 180 Abs. 2, 182 Abs. 2 StGB kommerzielle Vermarktung jugendpornographischer Schriften (§ 184c Abs. 3 StGB).64 Die etwa von § 184c Abs. 1 StGB miterfassten fiktionalen Darstellungen (Romane, Comics und Zeichentrickfilme)65, die tatbestandlich 58 59 60 61 62 63 64 65

Siehe oben Kap. 5 A) III. 5. a). Siehe oben Kap. 5 A) III. 5. b). Siehe oben Kap. 5 A) III. 6. Siehe oben Kap. 5 B) III. 1. Siehe oben Kap. 5 B) III. 2. Siehe oben Kap. 2 A) VI. 4. a); Kap. 5 B) III. 2. Siehe oben Kap. 5 B) III. 3. Siehe oben Kap. 2 A) VI. 4. b) bb) und Kap. 5 B) III. 3.

Ergebnisse und Schlussbetrachtung

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erfasste Handlung „vor“ Jugendlichen66 sowie die Besitzstrafbarkeit gem. § 184c Abs. 2 und 4 StGB sind jedoch nicht gerechtfertigt. Da die Besitzstrafbarkeit durch den EU-Rahmenbeschluss leider als Mindeststandard vorgegeben wird67 – und eine Kritik an der europäischen Entwicklung des Strafrechts nicht Hauptanliegen in dieser Arbeit sein soll – bleibt der Appell an den Gesetzgeber, den Rückbau dieser Vorschrift in dem beschriebenen Rahmen in Betracht zu ziehen. (13) Auch im Hinblick auf die antiquierte Vorschrift § 184f StGB führt die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der so gestaltete Schutz vor Konfrontation mit den sozialen Gegebenheiten der Prostitution kein überzeugendes Anliegen ist. Die Ausübung bestimmter Erwerbstätigkeiten durch Jugendliche bis zum Abschluss der persönlichen Entwicklung begründet zwar durchaus die Gefahr einer Desorientierung im gesellschaftlichen Gefüge. Zu solchen Tätigkeiten gehört auch die Ausübung der Prostitution durch Jugendliche. Die Beobachtung der Tätigkeit von Prostituierten kann jedoch kaum zu einer „sittlichen Gefährdung“ im Sinne der Vorschrift führen. Seit Anerkennung der Prostitution durch das ProstG kann eine „sittliche Gefährdung“ zumindest nicht mehr unter Bezugnahme prohibitionistischer Argumente begründet werden. Auch die wesentlich intensiveren Einflussmöglichkeiten durch das umfangreiche multimediale Angebot sowie außerstrafrechtlicher Rechtsgüterschutz in derart niedrigschwelligen Jugendschutzbereichen lassen § 184f StGB als insgesamt unverhältnismäßig erscheinen.68

66 67 68

Siehe oben Kap. 5 B) III. 3. Siehe oben Kap. 2 A) VI. 1. a) bb) und 4. b) cc). Siehe oben Kap. 5 C).

ANHANG

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Juristische Zeitgeschichte Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, FernUniversität in Hagen Abteilung 1: Allgemeine Reihe 1 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse (1997) 2 Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert (1999) 3 Dominik Westerkamp: Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (1999) 4 Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Gesammelte Aufsätze zur Strafrechtsgeschichte (2000) 5 Jörg Ernst August Waldow: Der strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit (2000) 6 Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2001) 7 Michael Damnitz: Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürgerlichen Gesetzbuch (2001) 8 Massimo Nobili: Die freie richterliche Überzeugungsbildung. Reformdiskussion und Gesetzgebung in Italien, Frankreich und Deutschland seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts (2001) 9 Diemut Majer: Nationalsozialismus im Lichte der Juristischen Zeitgeschichte (2002) 10 Bianca Vieregge: Die Gerichtsbarkeit einer „Elite“. Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit (2002) 11 Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete (2002) 12 Milosˇ Vec: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879–1933), (2002) 13 Christian Amann: Ordentliche Jugendgerichtsbarkeit und Justizalltag im OLG-Bezirk Hamm von 1939 bis 1945 (2003) 14 Günter Gribbohm: Das Reichskriegsgericht (2004) 15 Martin M. Arnold: Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus (2003) 16 Ettore Dezza: Beiträge zur Geschichte des modernen italienischen Strafrechts (2004) 17 Thomas Vormbaum (Hrsg.): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962 (2005) 18 Kai Cornelius: Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen (2006) 19 Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus (2006) 20 Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (2006) 21 Hans-Peter Marutschke (Hrsg.): Beiträge zur modernen japanischen Rechtsgeschichte (2006)

22 Katrin Stoll: Die Herstellung der Wahrheit (2011) 23 Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford (2013) 24 Sebastian Schermaul: Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig 1819–1848 (2013)

Abteilung 2: Forum Juristische Zeitgeschichte 1 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (1) – Schwerpunktthema: Recht und Nationalsozialismus (1998) 2 Karl-Heinz Keldungs: Das Sondergericht Duisburg 1943–1945 (1998) 3 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (2) – Schwerpunktthema: Recht und Juristen in der Revolution von 1848/49 (1998) 4 Thomas Vormbaum: Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte (1999) 5 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum: Themen juristischer Zeitgeschichte (3), (1999) 6 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (4), (2000) 7 Frank Roeser: Das Sondergericht Essen 1942–1945 (2000) 8 Heinz Müller-Dietz: Recht und Nationalsozialismus – Gesammelte Beiträge (2000) 9 Franz-Josef Düwell (Hrsg.): Licht und Schatten. Der 9. November in der deutschen Geschichte und Rechtsgeschichte – Symposium der Arnold-Freymuth-Gesellschaft, Hamm (2000) 10 Bernd-Rüdiger Kern / Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810–1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts (2001) 11 Norbert Haase / Bert Pampel (Hrsg.): Die Waldheimer „Prozesse“ – fünfzig Jahre danach. Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September in Waldheim (2001) 12 Wolfgang Form (Hrsg.): Literatur- und Urteilsverzeichnis zum politischen NS-Strafrecht (2001) 13 Sabine Hain: Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht (2002) 14 Gerhard Pauli / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Fachtagung in der Justizakademie des Landes NRW, Recklinghausen, am 19. und 20. November 2001 (2003) 15 Mario Da Passano (Hrsg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Internationaler Kongreß des Dipartimento di Storia der Universität Sassari und des Parco nazionale di Asinara, Porto Torres, 25. Mai 2001 (2006) 16 Sylvia Kesper-Biermann / Petra Overath (Hrsg.): Die Internationalisierung von Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik (1870–1930). Deutschland im Vergleich (2007) 17 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. September 2005 (2007) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und (bildende) Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 21. bis 23. September 2007 (2008) 19 Francisco Muñoz Conde / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit (2010)

Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung. Materialien zu einem historischen Kommentar 1 Thomas Vormbaum / Jürgen Welp (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch seit 1870. Sammlung der Änderungen und Neubekanntmachungen; Vier Textbände (1999–2002) und drei Supplementbände (2005, 2006) 2 Christian Müller: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik (1998) 3 Maria Meyer-Höger: Der Jugendarrest. Entstehung und Weiterentwicklung einer Sanktion (1998) 4 Kirsten Gieseler: Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. (1999) 5 Robert Weber: Die Entwicklung des Nebenstrafrechts 1871–1914 (1999) 6 Frank Nobis: Die Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Republik (2000) 7 Karsten Felske: Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB (2002) 8 Ralf Baumgarten: Zweikampf – §§ 201–210 a.F. StGB (2003) 9 Felix Prinz: Diebstahl – §§ 242 ff. StGB (2003) 10 Werner Schubert / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Entstehung des Strafgesetzbuchs. Kommissionsprotokolle und Entwürfe. Band 1: 1869 (2002); Band 2: 1870 (2004) 11 Lars Bernhard: Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), (2003) 12 Frank Korn: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933 (2003) 13 Christian Gröning: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1933 (2004) 14 Sabine Putzke: Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit. Eine Analyse der Reformdiskussion und der Straftatbestände in den Reformentwürfen (1908–1931), (2003) 15 Eckard Voßiek: Strafbare Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke (§ 353d Nr. 3 StGB). Gesetzgebung und Rechtsanwendung seit 1851 (2004) 16 Stefan Lindenberg: Brandstiftungsdelikte – §§ 306 ff. StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2004) 17 Ninette Barreneche†: Materialien zu einer Strafrechtsgeschichte der Münchener Räterepublik 1918/1919 (2004) 18 Carsten Thiel: Rechtsbeugung – § 339 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 19 Vera Große-Vehne: Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), „Euthanasie“ und Sterbehilfe. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 20 Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop (Hrsg.): Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. Band 1: 1909 bis 1919. Band 2: 1922 bis 1939. Band 3: 1959 bis 1996 (2008) 21 Dietmar Prechtel: Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 22 Ilya Hartmann: Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006)

23 Ralf Seemann: Strafbare Vereitelung von Gläubigerrechten (§§ 283 ff., 288 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 24 Andrea Hartmann: Majestätsbeleidigung (§§ 94 ff. StGB a.F.) und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§ 90 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2006) 25 Christina Rampf: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 26 Christian Schäfer: „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182, a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945 (2006) 27 Kathrin Rentrop: Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2007) 28 Martin Asholt: Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts (2007) 29 Katharina Linka: Mord und Totschlag (§§ 211–213 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2008) 30 Juliane Sophia Dettmar: Legalität und Opportunität im Strafprozess. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1877 bis 1933 (2008) 31 Jürgen Durynek: Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2008) 32 Judith Weber: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2009) 33 Denis Matthies: Exemplifikationen und Regelbeispiele. Eine Untersuchung zum 100-jährigen Beitrag von Adolf Wach zur „Legislativen Technik“ (2009) 34 Benedikt Rohrßen: Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2009) 35 Friederike Goltsche: Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) (2010) 36 Tarig Elobied: Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart (2010) 37 Christina Müting: Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177 StGB) (2010) 38 Nadeschda Wilkitzki: Entstehung des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) (2010) 39 André Brambring: Kindestötung (§ 217 a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010) 40 Wilhelm Rettler: Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR (2010) 41 Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (2010) 42 Dagmar Kolbe: Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2011)

Abteilung 4: Leben und Werk. Biographien und Werkanalysen 1 Mario A. Cattaneo: Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus (1998) 2 Gerit Thulfaut: Kriminalpolitik und Strafrechtstheorie bei Edmund Mezger (2000) 3 Adolf Laufs: Persönlichkeit und Recht. Gesammelte Aufsätze (2001) 4 Hanno Durth: Der Kampf gegen das Unrecht. Gustav Radbruchs Theorie eines Kulturverfassungsrechts (2001) 5 Volker Tausch: Max Güde (1902–1984). Generalbundesanwalt und Rechtspolitiker (2002) 6 Bernd Schmalhausen: Josef Neuberger (1902–1977). Ein Leben für eine menschliche Justiz (2002) 7 Wolf Christian von Arnswald: Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzesrevision (1842–1848), (2003) 8 Thilo Ramm: Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht (2004) 9 Martin D. Klein: Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (2007) 10 Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben (2007) 11 Whitney R. Harris: Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946 (2008) 12 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2010) 13 Tamara Cipolla: Friedrich Karl von Strombeck. Leben und Werk – Unter besonderer Berücksichtigung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für ein Norddeutsches Staatsgebiet (2010) 14 Karoline Peters: J. D. H. Temme und das preußische Strafverfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts (2010)

Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mitherausgegeben von Gisela Friedrichsen („Der Spiegel“) und RA Prof. Dr. Franz Salditt 1 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. 3. Auflage (1999) 2 Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrechtliche Auseinandersetzung mit Systemvergangenheit am Beispiel der DDR (2000) 3 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Vichy vor Gericht: Der Papon-Prozeß (2000) 4 Heiko Ahlbrecht / Kai Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? (1999) 5 Oliver Franz: Ausgehverbot für Jugendliche („Juvenile Curfew“) in den USA. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2000) 6 Gabriele Zwiehoff (Hrsg.): „Großer Lauschangriff“. Die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998 und des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/98 (2000)

7 Mario A. Cattaneo: Strafrechtstotalitarismus. Terrorismus und Willkür (2001) 8 Gisela Friedrichsen / Gerhard Mauz: Er oder sie? Der Strafprozeß Böttcher/ Weimar. Prozeßberichte 1987 bis 1999 (2001) 9 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2000 in der Süddeutschen Zeitung (2001) 10 Helmut Kreicker: Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (2002) 11 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2001 in der Süddeutschen Zeitung (2002) 12 Henning Floto: Der Rechtsstatus des Johanniterordens. Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (2003) 13 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2002 in der Süddeutschen Zeitung (2003) 14 Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004) 15 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2003 in der Süddeutschen Zeitung (2004) 16 Sascha Rolf Lüder: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-keeping“-Missionen der Vereinten Nationen (2004) 17 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2004 in der Süddeutschen Zeitung (2005) 18 Christian Haumann: Die „gewichtende Arbeitsweise“ der Finanzverwaltung. Eine Untersuchung über die Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung bei der Festsetzung der Veranlagungssteuern (2008) 19 Asmerom Ogbamichael: Das neue deutsche Geldwäscherecht (2011) 20 Lars Chr. Barnewitz: Die Entschädigung der Freimaurerlogen nach 1945 und nach 1989 (2011) 21 Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB (2013)

Abteilung 6: Recht in der Kunst Mitherausgegeben von Prof. Dr. Gunter Reiß 1 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze (1999) 2 Klaus Lüderssen (Hrsg.): »Die wahre Liberalität ist Anerkennung«. Goethe und die Juris prudenz (1999) 3 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (1928) / Dreigroschenroman (1934). Mit Kommentaren von Iring Fetscher und Bodo Plachta (2001) 4 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) / Die Vergeltung (1841). Mit Kommentaren von Heinz Holzhauer und Winfried Woesler (2000) 5 Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885). Mit Kommentaren von Hugo Aust und Klaus Lüderssen (2001) 6 Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren von Wolfgang Naucke und Joachim Linder (2000) 7 Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass’ Roman „Der Fall Gouffé“ und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage (2001)

8 Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung (2001) 9 Hermann Weber (Hrsg.): Annäherung an das Thema „Recht und Literatur“. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (1), (2002) 10 Hermann Weber (Hrsg.): Juristen als Dichter. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (2), (2002) 11 Hermann Weber (Hrsg.): Prozesse und Rechtsstreitigkeiten um Recht, Literatur und Kunst. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (3), (2002) 12 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. 2., erweiterte Auflage (2002) 13 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman (1929). Mit Kommentaren von Theo Rasehorn und Ernst Ribbat (2002) 14 Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Roman (1928). Mit Kommentaren von Thomas Vormbaum und Regina Schäfer (2003) 15 Hermann Weber (Hrsg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (4), (2003) 16 Hermann Weber (Hrsg.): Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (5), (2003) 17 Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. (1908). Mit Kommentaren von Helmut Arntzen und Heinz Müller-Dietz (2004) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Dichter als Juristen. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (6), (2004) 19 Hermann Weber (Hrsg.): Recht und Juristen im Bild der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (7), (2005) 20 Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel (1811). Mit Kommentaren von Michael Walter und Regina Schäfer (2005) 21 Francisco Muñoz Conde / Marta Muñoz Aunión: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961), (2006) 22 Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Dunja Brötz (2005) 23 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist. Mit Kommentaren von Walter Gödden, Jörg Löffler und Thomas Vormbaum (2006) 24 Friedrich Schiller: Verbrecher aus Infamie (1786). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Martin Huber (2006) 25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925). Mit Kommentaren von Detlef Kremer und Jörg Tenckhoff (2006) 26 Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844. Mit Kommentaren von Winfried Woesler und Thomas Vormbaum (2006) 27 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines (2006) 28 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen (2007) 29 Alexander Puschkin: Pique Dame (1834). Mit Kommentaren von Barbara Aufschnaiter/Dunja Brötz und Friedrich-Christian Schroeder (2007)

30 Georg Büchner: Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft. Mit Kommentaren von Sven Kramer und Bodo Pieroth (2007) 31 Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Beispiel des Schauspiels „Cyankali“ von Friedrich Wolf (2007) 32 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Herausgegeben von Jürgen Seul (2007) 33 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen: Recht in Literatur, Theater und Film. Band II (2007) 34 Albert Camus: Der Fall. Roman (1956). Mit Kommentaren von Brigitte Sändig und Sven Grotendiek (2008) 35 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur. Mit Kommentaren von Ezequiel Malarino und Helmut C. Jacobs (2008) 36 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi – Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Marion Bönnighausen (2010) 37 Leonardo Sciascia: Der Tag der Eule. Mit Kommentaren von Gisela Schlüter und Daniele Negri (2010) 38 Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift. Novelle (1941). Mit Kommentaren von Matthias Pape und Wilhelm Brauneder (2011) 39 Thomas Mann: Das Gesetz. Novelle (1944). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum (2013)

Abteilung 7: Beiträge zur Anwaltsgeschichte Mitherausgegeben von Gerhard Jungfer, Dr. Tilmann Krach und Prof. Dr. Hinrich Rüping 1 Babette Tondorf: Strafverteidigung in der Frühphase des reformierten Strafprozesses. Das Hochverratsverfahren gegen die badischen Aufständischen Gustav Struve und Karl Blind (1848/49), (2006) 2 Hinrich Rüping: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (2007)

Abteilung 8: Judaica 1 Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906–1952). „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ (2005) 2 Thomas Vormbaum: Der Judeneid im 19. Jahrhundert, vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte (2006) 3 Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (2007)