Preußisch-deutsche Geschichts- und Staatsauffassung im Wandel der Zeiten 9783486762457, 9783486762440

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Preußisch-deutsche Geschichts- und Staatsauffassung im Wandel der Zeiten
 9783486762457, 9783486762440

Table of contents :
I.
II.
III.

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preußisch-deutsche Geschichts- und Staatsauffaffung im Wandel der Zeiten von

Heinrich Otto Meisner

um München und Berlin 1931 Verlag von V. Oldenbourg

Alle Rechte, einschließlich des llbersetzungSrechteS, vorbehalten. Druck von R. Oldenbourg, München.

I.

Das Wort eine- modernen Dichter-: „Sündig müssen wir werden, wenn wir wachsen wollen", umschreibt die Tatsache, daß der Weg zur Höhe auch im moralischen Sinne durch tiefe Täler zu führen pflegt. Im Elend des Zusammenbruchs werden jene toaste entbunden, die den Mederaufstieg vorbereiten. Beim einzelnen Menschen wie bei ganzen Völkern, sofem ihr Lebenswille ungebrochen blieb. Me Selbstbesinnung im Unglück führt zur rückschauenden toitif, man sucht aus seinen Fehlern für die Zukunft zu lernen. Mt Erfolg, wie das Preußen von 1807/8, das Frankreich von 1871 beweisen. So ist die seit längerer Zeit spürbare Revision unseres Geschichtsbildes von 1914 nach der Katastrophe des großen Krieges eine ganz natürliche und notwendige Erscheinung, wenn sie sich in den Grenzen hält, welche die Achtung vor den positiven Kräften der Vergangenheit gebietet und nicht in revolutionärem Fanatismus tabula rasa macht. Me Erschütterung durch das Weltbeben von 1914/18 war so stark, daß im deutschen Staatenhause nicht nur die Krömtngen herabstürzten, fonbetn auch die preußischen Eckpfeiler ins Wanken gerieten, um von den Rissen der weltanschaulichen Basis hier zu schweigen. Neben der außenpolitischen Kriegsschuldforschung sehen wir also eine innenpolitische Revisionsbewegung im Gange, die wie jene zu den tiefsten Ursachen hinabsteigt und dabei nicht nur die hier sekundäre Frage der Regie­ rungsform neu beantwortet hat, fonbetn auch das viel einschneidendere Problem der deutschen Staatsform kritisch zu betrachten sich anschickt. Me Weimarer Verfassung hat zwar das konstitutionelle Siegel auf die Novemberrepublik gedrückt, aber trotz ihrer unitarischen Tendenz über den inneren Ausbau des neuen Staatswesens Abschließendes nicht sagen können. Das Verhältnis von Reich und Ländem, die Stellung Preußens im Reiche sind offene Fragen geblieben, die die föderalistische Revisionsbewegung in ihrem Sinne zu beantworten sucht. Um aber auf die Zukunft deutscher Staatsbildung einwirken zu können, muß man die geschichtliche Auffassung der Vergangenheit ändem. Wer daS Wasser l*

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auf seine Mühlen haben will, muß an Stelle des bisherigen Laufs ein neues Bette graben. Die Revisionsbewegung vollzieht sich keineswegs immer konsequent und einheillich. Sie ist antimonarchisch vor allem im antihohenzollernschen, nicht so sehr etwa im antiwittelsbachischen Sinne, und sie ist anti­ preußisch int ©eiste des den Hegemoniegedanken und jedwede Zentralisation bekämpfenden Föderalismus. Dabei ergeben sich merkwürdige Front­ verschiebungen, insofern die republikanische Demokratie zwar den Mon­ archismus bekämpft, aber sich für den preußischen Staatsverband gegen föderalistische Auflockerungsbestrebungen einsetzt, während umgekehrt der vomehmlich außer- und antipreußische Föderalismus starke legitimistische Anwandlungen zeigt. Die Angriffsziele der Revision sind also, um sie zunächst nur aufzuzählen, folgende Begriffe: Preußen und die Hohenzollem, „Kleindeutschland" und Bismarck, unitarische und hegemoniale Bestrebungen überhaupt. Träger der Revisionsbewegung sind auf der einen Seite die hinsichtlich ihrer Motive sehr ver­ schieden zu bewertenden Monarchomachen unserer Tage»), andrerseits jene bunte Reihe „Mißvergnügtes, die Preußens und des BismarckreicheS ehemer Gang durch die Geschichte nun einmal hat entstehen lassen. Eine scharfe Trennung der Angriffsziele kann aber für gewöhnlich nicht eintreten, weil infolge der Schicksalsgemeinschaft zwischen Staat und Krone in Preußen und dem Reiche von 1871 beide zugleich vor die Schranken des historischen Revisionsgerichtshofes gefordert werden müssen. Vereinigen sich doch im Begriffe Hohenzollernstaat bzw. -reich 1) Auf die rein pamphletistische Konjunkturschriftstellerei de- Nachnovember einzugehen, liegt in diesem Zusammenhange kein Anlaß vor, da et ihr nicht auf eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sondern lediglich auf deren Zersetzung ankommt. Über die auf dar ebenso reizbedürftige wie gehetzte Lesepublikum unserer Tage berechnete „Historische Belletristik" der Hege­ mann, Emil Ludwig, Eulenberg, Megler vgl. den von der Schrtftlettung der „Historischen Zeitschrift" herausgegebenen „kritischen Ltteratmbericht", wo von Sachkennern dem, der nachdenken (und nicht nur nachplappern) will, daNötige gesagt wird. — Über Emil Ludwig insbesondere vgl. Otto Westphal, Feinde MSmarcks. Geistige Grundlagen der deutschen Opposition. 1848—1918. München 1930 S. 1—36 und die kürzlich erschienene Schrift von NielS Hansen, Der Fall Emil Ludwig. — Mit seinem Buche über „Mlhelm II." habe ich mich in dieser Zeitschrift Bd. 38 S. 368ff. auseinandergesetzt, mit der geschicht­ lichen Methode der „neuen Schule" in der Berliner Börsenzeitung vom 30. November 1929. Vgl. SB. Mommsen, „Legitime" und „illegitime" Ge­ schichtsschreibung, München 1930.

wie in einer Linse oder einem Schilde die sengenden Strahlen und die spitzen Wurfgeschosse der Kritik. Wo im folgenden von „Revisionismus" schlechthin die Rede ist, muß also beachtet werden, daß die Flagge eines derart allgemeinen Begriffs Bestrebungen deckt, die in ihren Motiven und auch in ihren Zielen manchmal recht erheblich voneinander abweichen, daß infolgedessen eigentlich stets eine spezialisierende Erläuterung über die jeweils behandelte Spielart zu geben ist. Das durch Expansion, Okkupation und Zentralisation zustande ge­ kommene preußische Machtgebilde mußte in und an seinen Grenzen eine Summe verdrängter Gegenkräfte aufspeichern, die, sobald in der preußi­ schen Dynamik Störungen eintraten, das verlorene Gelände wieder­ zuerobern trachteten. Moralisch ausgedrückt: Die exponierte Stellung der preußischen Monarchie hat gerade in ihrer stammverwandten deutschen Umwelt eine solche FMe von Neid, Ärger und Feindschaft gezeitigt, daß der gemeinsame Zusammenbruch den Vorkämpfer und Führer fast zwangs­ läufig zum Sündenbock aller stempelte. Und nun vergegenwärtige man sich, welchen ungeheuren Einfluß die nackte Tatsache des Erfolges im Leben der Staaten und Völker von je geübt hat. Er gilt den Frommen als Gottesurteil, heiligt den Politikern die Mittel und gibt den Rezensenten die populäre Stütze ihrer Behauptungen. Vom „Ausgang" her gewinnen alle drei das Bild der Ereignisse und Gestalten und — verzerren es. Bielen ganz unbewußt werden dabei Maßstäbe späterer Zeiten, meist der jüngsten, auf die ganz anders geartete Welt, die gerade Gegenstand des Urteils ist, übertragen und infolgedessen unmögliche Forderungen aufgestellt. Es ist des weiteren eine bekannte Erscheinung, daß auch das Pendel der Weltgeschichte von Extrem zu Extrem ausschlägt und erst wenn die seine Bewegung verursachenden Anstöße eine Weile vorüber sind, zur ruhigen Mittellage zurückkehrt. Schon a priori erkennen wir die Relativität jeder Antithese, der die Harmonie erst durch Bereinigung mit dem von ihr Bestrittenen, also auf einer höheren Ebene der Betrachtung, folgen soll. Ganz elementar schließlich ist die Geschichte der Männer vom Wenn und Aber, die nicht nur aus Häckerling Gold zu machen verstehen, sondem durch Einfügung eines lleinen Konditionalsatzes den Lauf der Welt nach ihren Wünschen regulieren und sich dabei jeder Beweispflicht überhoben dünken. Diese allgemeinen Überlegungen sind nützlich, wenn man über die meisten „Wandlungen" in der preußisch-deutschen GeschichtS- und Staatsauffassung, über Wert und Unwert der historisch-staatsrechtlichen Reformer von heute ins Reine kommen will.

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II. Sehen wir uns nun ihre Arbeit näher an. Zunächst die historisch theoretische Begründung. Man folgert etwa so: Der Weltkrieg hat Osteneich zerstört und Deutschland aufs schwerste geschädigt. Mer Ausgang ist ein Gottesurteil. Wso war die Politik der beiden Mächte falsch. Gab es für die europäische Mtte eine andere politische Lösung? Ja! Die 1866 zu Grabe getragene „großdeutsche", nach welcher der Dualismus zwischen Preußen und Osteneich nicht im Bismarckschen Sinne durch gewaltsame „Hinausdrängung" des Habsburger­ staates aus Deutschland, sondern auf dem friedlichen Wege einer organi­ schen Fortentwicklung des Deutschen Bundes, etwa nach dem Programm des Frankfurter Fürstentages von 1863, „überwunden" werden sollte. Mit andern Worten: Nicht die „staatliche", sondern die „nationale" Lösung des deutschen Problems wäre das Richtige gewesen. Ja, noch mehr: durch Einbeziehung der nichtdeutschen Elemente des Donaureiches in das bündisch organisierte Deutschland sogar eine übernationale Lösung. Sie hätte — durch Verlegung des Schwerpunktes nach dem Osten — der europäischen Mitte den Zusammenstoß mit Frankreich und England er­ spart, den Kleindeutschland durch seine elsässische Hypothek und Übersee­ politik heraufbeschwor. Anstatt des „Weges zur Katastrophe", der vom Scheitem des großdeutschen Gedankens 1848/49 über 1866 zum Jahre 1918 führte*), wären wir den Blumenpfad einer Elbe-Rhein-Donaukonföderation unter deutschem Vorzeichen gewandelt, an dessen Ziel das Paradies des restlos söderalisierten Paneuropa winkte. Das partikularistisch-egoistische Dazwischentreten der preußischen „Hausmacht" hat zu jener falschen Weichenstellung geführt, die am Ende das Unglück von 1914 verschuldete. Aber noch jetzt ist der Schaden heilbar. Man muß nur aus der bitteren Erfahrung die „richtige" Lehre ziehen. Dies läßt sich am besten erreichen, indem die Fehler und Sünden der PreußischNeindeutschen Vergangenheit möglichst grell zur Anschauung gebracht werden. So beginnt denn die große Reinigungsaktion der nationalen Geschichte unter großdeutsch-föderalistischen Gesichtspunkten. Entsprechend dem doppelten Ziele: Beseitigung der „Hohenzollernlegende" (oft erweitert zu einem Kampf gegen die Bedeutung der Persön­ lichkeit im geschichtlichen Leben) und Zerschlagung des preußischen Hege­ monie- und Machtstaates (auch hier häufig in Form einer pazifistischen

1) Näheres in der 1920 erschienenen Schrift des inzwischen verstorbenen Grazer Historikers R. F. Kaindl: 1848/49-1866-1918/19. Des deutschen Volkes Weg zur Katastrophe und seine Rettung.

Polemik gegen den Machtbegriff überhaupt), mußte man bis auf die Zeiten der drei großen Hohenzollern zurückgehen, die jenen Keim der Macht legten und pflegten, aus dem der alles schirmende, aber auch allebeschattende Baum preußischer Staatlichkeit erwuchs. Dieser ganze Wachs­ tumsvorgang wird von den Revisionisten nicht als etwas Natürliches an­ gesehen — die Blüte neuen Lebens aus den Ruinen des Imperium Romanum —, sondern gerade umgekehrt im Bilde einer Schmarotzer­ pflanze, die das im Widersprüche zu den Tatsachen noch als lebensfähig unterstellte Heilige Römische Reich an seiner gesunden Weiterentwicklung gehindert habe. Deswegen erscheinen die Schöpfer der neuen Macht im Norden als „Rebellen" und Hochverräter gegenüber dem Kaiser, mögen sie nun Großer Kurfürst, Friedrich Mlhelm I. oder Friedrich II. heißen. Ihre „partikularistische" Politik wird als eine Gefährdung des deutschen Ganzen betrachtet und dabei geflissentlich übersehen, daß dieses „Ganze" mindestens seit dem Westfälischen Frieden von 1648 nur noch eine Fiktion war, die man nicht mehr gefährden konnte. Am schärfsten tobt der Kampf natürlich um die Persönlichkeit Friedrichs, weil dieser Monarch in der Tat den Lauf der weiteren deutschen Geschichte bestimmt hat, insofern er durch die Schaffung einer zweiten deutschen Großmacht den Dualismus zwischen Österreich und Preußen und damit die Voraussetzung der sogenannten „kleindeutschen" Lösung schuf. Der eub- et obrepticie geführte Literaturseldzug gegen den fürstlichen Heros erinnert an die berüchtigte Propaganda unserer Gegner im Weltkriege. Man schreckt vor keinem Mttel zurück, „pour 6craser Vinläme“. Einige Beispiele: Eine wahre Fundgrube für alle Freunde antifriderizianischen Haut­ gouts ist das 1925 erschienene Buch Wemer Hegemanns»), in welchem der fingierte Amerikaner Manfred Ellis das unwissende deutsche Publikum über die wahren Qualitäten des Preußenkönigs aufklärt. Wer in der Mono­ tonie dieser 632 Seiten mit ihren ständigen Wiederholungen (Methode: gutta cavat... und calumniare audacter...) zu ermüden droht, dem hilft ein verschwenderisches Register auf die Sprünge, das z. B. e. v. „Friedrich der Große" über 400 Stichworte zur restlosen Verunglimpfung des — „Königsopfers" liefert. Kein Borwurf ist dumm genug, um nicht in diesen Katalog der Unzulänglichkeiten Aufnahme zu finden. Selbst ge­ legentliche Schmutzereien verschmäht der Verfasser nicht, um damit auf sein Publikum zu wirken'). Daß der Preußenkönig ein „Vorkämpfer 1) Friderieus oder das Königsopfer. 2) Näheres bei G. B. Bolz, in dieser Zeitschrift Bd. 39 S. 164ff.

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germanischer Zerstückelung", ein Reichsfeind im oben erwähnten Sinne war, ist selbstverständlich. Aber er muß auch als König und Mensch un­ möglich gemacht werden. So tischt uns der „Historiker" Hegemann mit Hilfe eines falsch verstandenen Lucchesinizitats die Geschichte vom Sybariten Friedrich auf, der nur 1—l»/z Stunden Zeit für seine Regierungsarbeit übriggehabt habe»). Der kenntnisreiche Autor weiß über die in preußischen Archiven ruhende Gegenprobe sicherlich Bescheid, er fälscht also bewußt im dreisten Glauben an die Oberflächlichkeit seiner Leser. Oder: Jemand entdeckt in wurmstichiger Familientmhe ein ver­ gilbtes Manuskript, betitelt: „Die Morgenstunden eines Koeniges an seinen Bruder Sohn" mit der Jahreszahl 1766 und den Buchstaben FR. Es handelt sich um ein in Paris hergestelltes Pamphlet, das nach altem Rezept Wahres mit raffinierten Lügen mischend die herben Züge des Philosophen von Sanssouci zur Fratze eines skrupellosen Moralverächters und öden Gewaltmenschen umfälscht. Das Machwerk erschien in einigen dreißig Ausgaben und verschiedenen Sprachen, obwohl es schon zu Friedrichs Lebzeiten als Täuschung erkannt wurde. Seit der Schrift von W. Lauser') wissen wir über alle Einzelheiten dieser literarischen Sumpfblüte Bescheid. Was tut's? Der glückliche Finder hält sie für das Politische Testament (!) Friedrichs des Großen, schlägt Lärm, die Sen­ sationspresse bemächtigt sich der Sache, verdreht in heuchlerischer Andacht vor dem „historischen Dokument" die Augen, bringt aber besonders zynische Pseudo-Äußerungen des Monarchen im Sperrdruck, schließlich findet sich ein Verlag, der den Schmarren zum x-ten Male neudruckt und „der deutschen Jugend" als „kulturpolitisch" besonders wertvolle Lektüre mit einer Widmung ans Herz legt8). Und ein drittes Beispiel: Das in Wien seit 1926 erscheinende „Organ für Legitimismus, Föderalismus und Völkerversöhnung" Schwarz-Gelb (Herausgeber und Eigentümer Oberst a. D. Gustav Wolf) geifert gegen den Sodomiter, Geldfälscher, Reichsverderber usw. Friedrich, der Schlesien „stahl" und „nicht anders handelte als die rheinischen Separatisten, aber leider nicht wie diese mit Gewehrkolben niedergeschlagen wurde". Das Organ für „Legitimismus" schließt diese Probe seines föderalistisch1) Statt bis zu 19, wie selbst ein SB. Eulenberg verzeichnen muß. (Die Hohenzollern [1927] S. 219.) 2) W. Lauser, Die Matinee» Royales und Friedrich der Große, 1865. Bgl. auch St. Samwer, Grenzboten 1863 Nr. 12 und 13. 3) Frhr. Eugen v. Massenbach, Morgenstunden eine- Königs. Setlag sür Kulturpolitik, München.

völlerversöhnenden Wirkens mit folgenden Sperrzeilen: „Jeder Ostreicher muß sich [fein] Leben, seine fortgesetzten Berbrechen gegen die [Habs­ burgische] Monarchie vor Augen halten, wenn er den König richtig be­ urteilen soll. Mcht hassen lernen soll er die preußische Majestät, denn Lumpen haßt man nicht, aber verachten soll er seine menschliche Minderwertigkeit". In dieser munteren Tonart geht es an den verschiedensten Stellen weiter, denn die Presse der Preußenhasser hat genug Papier zur Ver­ fügung. Und dennoch werden alle Ströme von Tinte, die im Zeitalter der Fridericus-Fllme und -Briefmarken vergossen werden, um diesen infamen Preußenkönig aus dem Gedächtnis der Gegenwart zu tilgen, ihr Ziel nicht erreichen, denn einer zeitlos großen Persönlichkeit, die das Genie Napoleon ein Genie nannte, schaufeln Lemuren vergeblich das Grab. Er selbst hätte wohl im Bewußtsein seiner Stärke auch dies Pasquill niedriger hängen lassen. — „Reichsverderber?" War an diesem „Monstrum", dessen ohnmächtige Existenz nm noch dauerte, weil England, Holland und Frankreich ein Interesse am Status quo hatten') mit seinem Regensburger ^Rumpfparlament", das derselbe Napoleon ein „Asfenspiel voll Bosheit und Lächerlichkeit dieser Tiere" nannte, mit seiner „Armee", über die sich Europa amüsierte, war an dieser bei den Hubertusbmger Friedensverhandlungen gar nicht vertretenen „Macht" überhaupt noch etwas zu „verderben"? — „Sünders am deutschen Gedanken?" Gab es denn diesen Gedanken im 18. Jahrhundert, so wie wir ihn aus späterer Zeit heraus verstehen? Mt Recht schrieb ein bekannter süd­ deutscher Historikers vor dem Kriege: „Bei der allgemeinen Herabpimmung des Nationalgesühls waren sich die Deutschen kaum bewußt geworden, daß Friedrichs Siege in einem Bruderkriege erfochten wurden. ... So nahmen denn viele auch im feindlichen Lager herzlichen Anteil an den überraschenden Erfolgen eines jungen Fürsten, der seinen Staat gegen eine Welt in Waffen verteidigte. Auch im deutschen Süden, dessen Söhne in den Regimentern der „Reichstruppen" standen, freute man sich 1) Vgl. Friedrich, Geschichte meiner Zeit, 1. Kapitel; jetzt bequem zu­ gänglich in der ausgezeichneten Edition Richard Festers: Friedrich der Große, Briefe und Schriften. 2 Bände. 1927. (Die zitierte Stelle I, 369.) 2) Das Berliner Zentrumsblatt „Germania" nannte kürzlich die auswärtige Politik Friedrichs deS Großen eine „Versündigung am deutschen Gedanken". 3) K. Th. b. Heigel, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs deS Großen bis zur Auflösung des alten Reiches (1899) I S. 7.

über Roßbach und gönnte den Franzosen, die sich seit einem Jahrhundert als die Herren des Deutschen Reichs ausspielten, die empfindliche Züchti­ gung. Es ist eine längst anerkannte Tatsache, daß Friedrichs Sieg bei Roßbach am meisten dazu beigetragen hat, den schädlich ausgearteten Einfluß der Franzosen zu brechen. Der deutsche Nationalstolz wachte wieder auf, und damit wieder der Mut und der Drang zu selbständiger nationaler Schöpfung... Deshalb steht der Siebenjährige Krieg am Ein­ gang des goldenen Zeitalters unserer Literatur, wie die Perserkriege am Eingang der Perikleischen Zeit." So wurde Friedrich dem übrigen Deutschland zum Polarstem des Nordens (wie in Goethe genannt hat), der die Richtung in die nationale Zukunft wies. Und in diesem Sinne will auch Preußens „deutscher Bemf" ver­ standen sein. Natürlich haben die Hohenzollem „bewußt" nur für ihren Staat, ihre „Hausmacht", wenn man so will, gearbeitet, wie ihre Kon­ kurrenten, die Habsburger, auch. Wer — und das ist der große Unter­ schied zwischen, beiden —, indem sie das eigene Imperium mehrten, dienten Preußens Herrscher zugleich, ohne es zu wollen, der gemeinsamen Sache Deutschlands. „Deutschland", so hat es R. Koser einmal ausge­ drückt, „gewann, was Preußen erwarb, mochte es sich um das alte Ordens­ land oder das schwedische Vorpommem oder um Westpreußen und Schlesien handeln." Ein Satz, den man von Galizien, Ungam, Nord­ italien oder sonstigen fremdvölkischen Erwerbungen des römischen Kaisers nicht wiederholen kann. Denn „mit der Wsonderung der halsburgischen Länder vom Reiche und dem Werden eines selbständigen österreichischen Staatsgebildes mußte sich eine spezifisch habsburgisch-österreichische Politik entwickeln, die in ihren europäischen Zielen sich mit den Inter­ essen des alten Reichs keineswegs immer decken tonnte.1)" Diese Zu­ sammenhänge hat gerade das Ausland llar erkannt. Ein so kritischer Beobachter der „monarchie prussienne“ wie Mirabeau erklärt, Friedrich habe zugleich die Sache Deutschlands im „Reich" und in Europa geführt. Nicht anders urteilt der dem Könige sonst so abholde Macaulay, wenn er schreibt: „Friedrichs Ruhm begann einigermaßen den Mangel einer gemeinsamen Regierung und einer gemeinsamen Hauptstadt zu ersetzen. 1) So der Wiener Historiker L. Groß, Histor. Merteljahrsschrift 22, S. 279. In der Tat mußte diese spezifisch habsburgische Politik schwerwiegende nationale Folgen haben. Man braucht nur an Slowenien zu erinnern, wo die Dynastie das Deutschtum verkommen ließ, ebenso wie sie die Jtalianisierung Südtirols auf dem Gewissen hat. Bgl. Deutsche Literaturzeitung 1928