Oper im Wandel der Gesellschaft: Kulturtransfers und Netzwerke des Musiktheaters im modernen Europa 9783205790488, 9783205784913, 9783486592368

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Oper im Wandel der Gesellschaft: Kulturtransfers und Netzwerke des Musiktheaters im modernen Europa
 9783205790488, 9783205784913, 9783486592368

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Sven Oliver Müller · Philipp Ther Jutta Toelle · Gesa zur Nieden (Hg.) Oper im Wandel der Gesellschaft

Die Gesellschaft der Oper Musikkultur europäischer Metropolen im 19. und 20. Jahrhundert Band 5 Wissenschaftlicher Beirat und Herausgeber der Buchreihe: Philipp Ther, Europäisches Hochschulinstitut Florenz Moritz Csáky, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien Heinz-Gerhard Haupt, Europäisches Hochschulinstitut Florenz und Universität Bielefeld Sven Oliver Müller, Universität Bielefeld Michael Walter, Universität Graz Michael Werner, École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris

Sven Oliver Müller · Philipp Ther Jutta Toelle · Gesa zur Nieden (Hg.)

Oper im Wandel der Gesellschaft Kulturtransfers und Netzwerke des Musiktheaters im modernen Europa

Oldenbourg · Böhlau · 2010

Gedruckt mit der Unterstützung durch:

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Wien Europa-Universität Viadriana VolkswagenStiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78491-3 (Böhlau Verlag) ISBN 978-3-486-59236-8 (Oldenbourg)

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der ­Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2010 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau.at http ://www.boehlau.de Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Umschlaggestaltung: neuwirth+steinborn, www.nest.at Umschlagabbildung: Félix Vallotton (1865–1925), La troisième galerie au théâtre du Châtelet, 1895 (Musée d’Orsay, Paris). Druck : Prime Rate, 1047 Budapest

Inhaltsverzeichnis

Philipp Ther Einleitung. Das Musiktheater als Zugang zu einer Gesellschafts- und Kulturgeschichte Europas .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I  Das Publikum der Oper

Sven Oliver Müller Das Publikum im Vergleich europäischer Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Ostap Sereda Nationalizing or Entertaining  ? Public Discourses on Musical Theater in Russian-ruled Kyiv in the 1870s and 1880s . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Fabian Bien „Bedürfnis aller Werktätigen“  ? – Zur Etablierung eines neuen Opernpublikums in der DDR am Beispiel der Ost-Berliner Komischen Oper in den 1950er Jahren . . . . . . . . . . . . . . 57 Markian Prokopovych From Gypsy Music to Wagner without a ­Transition  ? The Musical Taste of the Budapest Urban Public in the Late Nineteenth Century . . . . . . . . 69

II  Die Oper und die moderne Metropole

Gesa zur Nieden Die Oper und die moderne Metropole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91



Inhaltsverzeichnis

Gerd Rienäcker Oper – für drei Groschen  ? Genese und frühe Wirkungsgeschichte . . . . .   95 Sarah Zalfen Die Hauptstadt in Szene setzen Die Berliner Opernlandschaft als Repräsentationsraum nach 1989 . . . . . 115 Jeroen van Gessel The Strasbourg Municipal Theater 1870–1918  : an Opera House with a Special Mission  ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Martina Grempler Hauptstadt des italienischen Königreichs   Die römische Theaterlandschaft vor dem Hintergrund der politischen und urbanen Veränderungen im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . 157

III  Oper als Quelle der Geschichte

Philipp Ther Die Oper als Quelle der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Karen Painter Ritual Time in Wagner and Wagnerian Opera . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Peter Stachel Eine „vaterländische“ Oper für die Habsburgermonarchie oder eine „jüdische Nationaloper“  ? Carl Goldmarks Königin von Saba in Wien . . . 197 Vjera Katalinić Der Topos der Nation auf der Musikbühne am Anfang der Kroatischen ­Nationaloper in Zagreb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219



Inhaltsverzeichnis



IV  Die „cultural map“ des europäischen Musiktheaters

Jutta Toelle Oper global  : Ansätze zur Kartierung des Musiktheaters . . . . . . . . . . . 247 Jutta Toelle Der Duft der großen weiten Welt. Ideen zum weltweiten Siegeszug der italienischen Oper im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Adam Mestyan From Private Entertainment to Public Education  ? Opera in the late Ottoman Empire (1805–1914) – An Introduction. . . . 263 Sven Oliver Müller · Sarah Zalfen „An Interesting Eastern Potentate  ?“ Staatsaufführungen für den Schah von Persien in Berlin – 1873 und 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Annegret Fauser „Carmen in Khaki“  : Europäische Oper in den Vereinigten Staaten während des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Verzeichnis der Autoren und Autorinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

Philipp Ther

Einleitung Das Musiktheater als Zugang zu einer Gesellschafts- und ­Kulturgeschichte Europas

Als Leserin oder Leser dieses Bandes gehören Sie nun – ob Sie das wollen oder nicht – zur Gesellschaft der Oper. Unter Musikwissenschaftlern darf man Interesse an der Oper für selbstverständlich halten, bei Historikern konnte man das lange Zeit nicht voraussetzen. Die Geschichtswissenschaft hat sich in der Vergangenheit selten mit der Oper befasst, was angesichts der Bedeutung dieses Kunstgenres und dieser Institution für die Gesellschafts- und Kulturgeschichte Europas überrascht. Doch diese Lücke beginnt sich langsam zu füllen. Das lag zunächst an den Arbeiten von MusikwissenschaftlerInnen wie John Rosselli, Jane Fulcher, Michael Walter und Anselm Gerhard, deren Werke man auch verschiedenen Subdisziplinen der Geschichte zuordnen könnte. Das 1989 gegründete Cambridge Opera Journal definierte die Operngeschichte bereits als interdisziplinäres Feld, als 1993 die Zeitschrift Storia e Musica zum ersten Mal erschien, betitelte William Weber das Editorial mit  : „Towards a Dialogue between Historians and Musicologists.“ 1995 machte Ute Daniel mit ihrer Geschichte des Hoftheaters die Oper bei der westdeutschen Sozialgeschichte hoffähig. Im gleichen Jahr publizierte James Johnson sein Buch „Listening Paris. A Cultural History“, in dem er die Ansätze der „New Cultural History“ aufnahm. Johnsons  Vgl. von diesen AutorInnen u.a. J. Rosselli, The Opera Industry in Italy from Cimarosa to Verdi, The Role of the Impresario, Cambridge 1984  ; J. Fulcher, The Nation’s Image. French Grand Opera as Politics and Politicized Art, Cambridge 1987  ; A. Gerhard, Die Verstädterung der Oper. Paris und das Musiktheater des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1992  ; M. Walter, Die Oper ist ein Irrenhaus. Sozialgeschichte der Oper im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1997.  William Weber ist einer der ersten Sozialhistoriker der Nachkriegszeit, der sich intensiv mit Musik befasste. Vgl. u.a. sein bahnbrechendes Werk Music and the Middle Class  : The Social Structure of Concert Life in London, Paris and Vienna, London 1975 (inzwischen als Nachdruck erhältlich).  U. Daniel, Hoftheater. Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1995  ; J. H. Johnson, Listening in Paris. A Cultural History, Berkeley 1995. Für an Deutschland interessierte Leser ist u.a. von besonderem Interesse  : C. Applegate, P. Potter (Hg.), Music and German National Identity, Chicago 2002. Es würde den Rahmen dieser kurzen Einleitung sprengen, hier weitere einschlägige Publikationen von Historikern aufzuführen.

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Buch zeigt beispielhaft, was einen historischen Zugang zu Musik ausmacht  : Es geht bei ihm um das Publikum und dessen Rezeptionsverhalten, die soziale und kulturelle Praxis des Hörens und die außermusikalischen und musikalischen Inhalte verschiedener Aufführungen. Auch einige Kompositionen werden näher behandelt, aber nicht als zeitlose Werke wie es einem traditionellen Kunstverständnis entsprechen würde, sondern als Werke im Wandel der Zeiten. Den historischen und musikwissenschaftlichen Studien aus den 1980er und 1990er Jahren war bis auf wenige Ausnahmen gemein, dass sie sich auf ein Land oder eine Fallstudie innerhalb eines Landes konzentrierten. Gerade die Oper war jedoch seit ihrer Begründung ein internationales Genre. Die Stars des Musiktheaters, die Kastraten und Sopranistinnen, bedienten und kreierten bereits im 17. und 18. Jahrhundert einen kulturellen Markt, der von Neapel nach Lissabon, London, Moskau und bis in den Sultanspalast von Istanbul reichte. Diese gesamteuropäische kulturelle Praxis war eng mit der Geschichte der Höfe verbunden. Meist diente die Oper der Repräsentation der jeweiligen Herrscher, nur vereinzelt gab es wie in London, Paris, Wien oder Prag adelige und bürgerliche Konkurrenzinstitutionen. Während Oper zunächst praktisch ein Synonym für italienische Oper war – und das betraf nicht nur den Gesang, sondern auch die Ausbildung der Sänger, Musiker und Bühnenbildner – so etablierten sich im 18. Jahrhundert rasch weitere Zentren des Musiktheaters, darunter Wien, Dresden, London und Paris. Die französische Hauptstadt war insofern eine Besonderheit, als dort erstmals und bleibend die Dominanz des italienischen Musiktheaters gebrochen wurde. Die weitere soziale und kulturelle Ausdifferenzierung des Musiktheaters stand im Mittelpunkt des von der VolkswagenStiftung von 2005 bis 2009 geförderten Forschungsprojekts „Oper im Wandel der Gesellschaft. Die Musikkultur europäischer Metropolen im langen 19. Jahrhundert“. Es ging in dem Projekt zum einen um den sozialen und institutionellen Wandel der Oper und die damit verbundene Frage, welche gesellschaftlichen Gruppen diese Institution förderten, dominierten und das Publikum der Oper bildeten. Bei der kulturellen Ausdifferenzierung  Vgl. dazu M. Walter, „Die Oper als europäische Gattung“, in P. Stachel, P. Ther (Hg.), Wie europäisch ist die Oper  ? Die Geschichte des Musiktheaters als Zugang zu einer kulturellen Topographie Europas, Wien 2009, 11–30.



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kreisten die Diskussionen immer wieder um die Nationalisierung der Oper, die man auf der Ebene der Plots, der Gesangssprache, der mit Benedict Anderson als „Erfindung“ zu bezeichnenden Kreation nationaler Stilformen und vor allem ihrer Rezeption nachweisen kann. Der Vergleich zwischen verschiedenen Opernstädten und -institutionen ergab, wie eng miteinander verbunden und ähnlich diese Erfindungen waren. Man kann dabei von einer Internationalisierung von (erfundenen) Nationalkulturen oder noch weiter abstrahiert von einer Konvergenz in der Differenzierung sprechen. Neben der Differenzierung nationaler Operntraditionen kam es zur Trennung verschiedener Genres des Musiktheaters, allen voran der Operette und der Oper, die zunehmend von einem „klassischen“ und daher nicht nur nationalen Kanon an Stücken geprägt wurde. Möglich waren diese und andere Erkenntnisse durch die Streuung von Teilprojekten quer über den Kontinent. Die Mitarbeiter und Kooperationspartner befassten sich teilweise vergleichend mit den Städten London, Paris, Wien, Berlin, Mailand, Dresden, Prag, Budapest, Zagreb, Lemberg und Kiew. Das übergreifende Ziel war dabei, die Geschichte des Musiktheaters als einem wesentlichen Element der europäischen Sozial- und Kulturgeschichte in verschiedenen Teilen des Kontinents miteinander zu verknüpfen. In dem vorliegenden Band werden dazu einige vorläufige Ergebnisse publiziert, in den kommenden zwei bis drei Jahren werden weitere Monographien in der Schriftenreihe „Die Gesellschaft der Oper. Musikkultur europäischer Metropolen im 19. und 20. Jahrhundert“ folgen.

Die soziale Reichweite der Oper

Die Oper begann als eine elitäre, höfische Veranstaltung und ist es in gewissem Sinne bis heute geblieben. Zumindest legen das die Bilder der Bayreuther und Salzburger Festspiele nahe, bei denen sich die politische und ein Teil der gesellschaftlichen Elite ein Stelldichein gibt. Auch die öffentliche Wahrnehmung  Vgl. dazu u.a. P. Ther, In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien 2006, 360–415.  Vgl. zur Kanonisierung von Musik u.a. W. Weber, The Rise of Musical Classics  : A Study in Canon, Ritual and Ideology, Oxford 1992.

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der Oper geht in diese Richtung. Doch befasst man sich mit der „Gesellschaftsgeschichte der Oper“ im 19. und Teilen des 20. Jahrhunderts und verlässt man den institutionellen Rahmen der repräsentativen Opernhäuser, so ergibt sich ein anderes Bild. Wie man anhand von Repertoire-Statistiken, Kassenbüchern und zeitgenössischen Medienberichten nachweisen kann, war die Oper zugleich ungeheuer populär. Einige Werke wie zum Beispiel Meyerbeers Les Huguenots wurden allein in der Pariser Garnier-Oper mehr als 1.000 Mal aufgeführt. Zählt man die Aufführungen der Verkauften Braut (Prodaná nevěsta) am Tschechischen Nationaltheater in Prag oder von Halka im Teatr Wielki in Warschau bis 1914 zusammen, so ergeben sich Besucherzahlen von weit mehr als einer Million. Selbst als schwierig eingestufte Werke der musikalischen Moderne wie Richard Strauss’ Salome hatten ein massenhaftes Publikum, allein im Jahr der Uraufführung 1906 sahen in Dresden etwa 50.000 Menschen das Stück. In den folgenden Jahren zogen auch die anderen Werke von Richard Strauss ein Publikum an, dessen Gesamtzahl die Stadtbevölkerung Leipzigs oder Dresdens überschritt. Die Jahrhundertwende stellte insofern einen Einschnitt dar, weil die Oper als multimediale Kunstform nun Konkurrenz durch die Kinos bekam, bald darauf zusätzlich durch das Radio. Aber selbst in der Zwischenkriegszeit gab es noch Massenspektakel wie zum Beispiel die Wagneraufführungen in der Jahrhunderthalle von Breslau vor mehr als 20.000 Zuschauern. Damit ist bereits auf das erste große Thema des Projekts und des vorliegenden Sammelbandes verwiesen, der Frage nach der sozialen Reichweite der Oper. Wer ging historisch betrachtet in die Oper, waren es wirklich nur die Hofgesellschaft, der Adel und verschiedene Segmente des Bürgertums  ? Ein Blick in die Zuschauerräume und damit auf das Publikum zeigt, dass zumindest in bestimmten Städten und Ländern neben den gesellschaftlichen Eliten Dienstmädchen, Handwerker und gehobene Arbeiter in die Oper gingen. Dies lag auch daran, dass die Eintrittskarten erschwinglich waren. Die Preise entsprachen im 19. Jahrhundert in Zentraleuropa weitgehend konstant einem Facharbeiterlohn  Vgl. zum noch weit größeren Erfolg des Rosenkavalier P. Ther, In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien 2006, 175–176.  Vgl. zu Italien die methodisch interessante Untersuchung von R. Leydi, „Verbreitung und Popularisierung“, in L. Bianconi, G. Pestelli (Hg.), Geschichte der italienischen Oper. Systematischer Teil. Band 6. Theorien und Techniken, Bilder und Mythen, Laaber 1992, 321–404.



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für zwei bis drei Stunden Arbeit oder dem Preis für einen großen Laib Brot. In Teilen Europas gab es außerdem Initiativen, die Oper an die Unterschichten zu vermitteln, etwa durch Sondervorstellungen und Kartenkontingente für Schüler, Vereine oder Arbeiter. Dagegen lagen die Eintrittspreise in London oder New York höher, dort existierten ähnlich wie ab 1884 in der Königlichen Oper in Budapest getrennte Aufgänge für verschiedene Platzkategorien. Die soziale Reichweite der Oper, die in diesem Sammelband aufgrund des beschränkten Forschungsstandes nicht systematisch verglichen werden kann, unterschied sich mithin von Land zu Land, Stadt zu Stadt und Theater zu Theater. Für die kulturgeschichtliche Ebene ist von besonderem Interesse, was die Oper zu einem Publikumsmagneten machte. Eine Schlüsselrolle spielten dabei die Stars des Musiktheaters, ein weiterer Faktor waren die vielen Uraufführungen und Premieren. Die Oper war wie heute das Kino von Novitäten geprägt, und etwa bis 1870 kaum von einem festen Repertoire. Eine noch offene Frage ist, ob es einen Zusammenhang zwischen der Nationalisierung der Oper und ihrer sozialen Reichweite gibt, oder ob die Oper eher wegen ihrer Internationalität anziehend war. Auffällig ist einerseits, dass die Oper gerade in jenen Ländern und Städten besonders populär war, in denen man schon früh in der jeweils eigenen Sprache sang und das Musiktheater zu einem Identifikationsobjekt der Nation wurde. Beispiele dafür sind vor allem Italien, Deutschland und verschiedene Länder der Habsburgermonarchie. Der Gesang in der jeweiligen Nationalsprache ermöglichte es außerdem, Inhalte zu vermitteln, die Oper als Drama zu begreifen. Opern waren im 19. Jahrhundert auch politisch aktuell und relevant. Andererseits reüssierten Stücke, deren Handlung exotisch war. Aida ist dafür ein bekanntes Beispiel, oder die hier in einem eigenen Beitrag behandelte Königin von Saba. Auch das Starsystem blieb international geprägt. Die Opernhäuser erzielten mit Sängern wie Jenny Lind (1820–1887), Adelina Patti (1843–1919) oder Enrico Caruso (1873–1921) weltweit Einnahmen in Millionenhöhe. Der Rummel um diese Stars steht der Hysterie um heutige Popstars nicht nach. Schon an den Bahnhöfen, bei der Ankunft der Stars, regnete es Blumen, Fanpostkarten mit den Bildern der Stars erzielten hohe Auflagen. Das Musiktheater war nicht nur ein utopisches Gesamtkunstwerk, sondern auch eine Form der Populär Vgl. dazu Ther, In der Mitte der Gesellschaft, 62 und 172.

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kultur. Dies gilt insbesondere dann, wenn man die Aufführungen außerhalb der etablierten Operntheater berücksichtigt, etwa auf Freilichtbühnen und in Sommertheatern. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts trug die Erfindung des Grammophons wesentlich zur Massenrezeption der Oper bei und war eine der Voraussetzungen für den weltweiten Kult um den Tenor Enrico Caruso. Mit diesen neuen Aufführungsorten und Medien konnte die räumliche Begrenzung der repräsentativen Operntheater überwunden werden. Aber die in der Aufklärung wurzelnde Hoffnung, mit dem Musiktheater alle Schichten der Gesellschaft erreichen oder gar unter dem Dach eines Theaters vereinen zu können, erwies sich als Utopie. Pointiert gewendet lag das an den erwähnten sozialen und kulturellen Differenzierungsprozessen. Die Oper war ein Ort der sozialen Distinktion, die sich auf ästhetischer Ebene in der Unterscheidung zwischen E- und U-Musik bzw. von Oper und Operette widerspiegelt.10 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts spezialisierten sich die verschiedenen Häuser auf bestimmte Repertoires und Publikumsgruppen. Operettentheater, Varietés und andere Unterhaltungsstätten prägten um die Jahrhundertwende das Bild der Großstädte und stellten eine Konkurrenz zu den etablierten Opernbühnen dar. Dies verstärkte die bis dahin eher auf diskursiver Ebene gebliebene Differenzierung zwischen verschiedenen Genres des Musiktheaters. Insbesondere die Operette wurde als nur unterhaltend, fremd und zuweilen gar mit antisemitischen Tönen als jüdisch verteufelt.11 Diese Abgrenzung verstärkte die Tendenz, die Oper als eine Form der Hochkultur einzuordnen. Die Überhöhung und zunehmende Subventionierung der Oper wirkte jedoch kontraproduktiv auf deren Popularisierung, denn gerade die staatliche Unterstützung legte das Musiktheater auf ein Repertoire fest, das nur noch ein begrenztes Segment der Gesellschaft ansprach. Außerdem kam Anfang des 20. Jahrhunderts die bereits erwähnte Konkurrenz in Form des Films und der 10 Vgl. dazu P. Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/M. 19979  ; Ders., „Elemente zu einer soziologischen Theorie der Kunstwahrnehmung“, in Ders., Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt/M. 19976, 159–201. 11 Vgl. dazu mit kritischem Bezug auf die Musiksoziologie von Adorno M. Csáky, Ideologie der Operette und Wiener Moderne. Ein kulturhistorischer Essay, Wien 1998. Der von Moritz Csáky langjährig geleiteten Kommission (inzwischen Institut) für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sei an dieser Stelle für die intensive Kooperation gedankt.



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Schallplatte auf, bald danach auch der Rundfunk. Aber vielleicht ändert sich die gesellschaftliche Reichweite der Oper gerade wieder. Die drei Tenöre füllten schon vor gut 20 Jahren komplette Fußballstadien, und als Luciano Pavarotti im Jahr 2007 verstarb, trauerte sogar der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso öffentlich, und sprach von einem Verlust für diese genuin europäische Kulturform. Warum haben die Oper – oder jedenfalls ihre Stars – immer noch oder sogar wieder zunehmend einen derart prominenten Status  ? Es liegt wie in der Geschichte der Operntheater im langen 19. Jahrhundert an einer Mischung aus Popularität und kulturellem Anspruch. Bekannte Opernsänger sind bei repräsentativen Anlässen offenbar immer noch besser vermittelbar als andere Figuren der Kulturszene oder des öffentlichen Lebens. Wahrscheinlich hat die Oper diese gesellschaftliche Ausstrahlung heute nötiger als in der Nachkriegszeit. Staatliche Subventionen haben ihre Grenzen, insbesondere in Zeiten der Weltwirtschafts- und darauf folgenden staatlichen Budgetkrise. Ein Blick in die Vergangenheit könnte sich hier als instruktiv erweisen, denn im 19. Jahrhundert trugen häufig private Mäzene den Bau und den Unterhalt der Oper. Das betrifft insbesondere jene Städte, in denen es keine eigenen Fürsten und Höfe gab, so etwa Mailand, Leipzig, Prag, Budapest oder Kiew. Wenn der Adel oder die Bürger ihre Taschen öffneten, dann allerdings nicht ohne Eigennutz. Die Oper war als Institution ein Ausweis kultureller und politischer Macht, repräsentierte ihre Finanziers nach außen, gegenüber anderen Städten und Ländern, und nach innen gegenüber anderen gesellschaftlichen Schichten. Für den ersten Teil des vorliegenden Bandes ergibt sich daraus ein Bündel an Fragen  : Inwieweit war die Oper sozial inklusiv, trafen sich dort die Angehörigen verschiedener Schichten, passten sie ihre kulturellen Vorlieben aneinander an – oder überwog die Ausgrenzung  ? Auch hier wird man im internationalen Vergleich unterschiedliche Antworten finden, die viel über die Gesellschaft und Kultur der jeweiligen Städte und Länder verraten.

Europäisierung und Globalisierung der Oper

Der Zusammenhang zwischen Urbanität und Oper, das Thema des zweiten Teils, ist auch in anderer Hinsicht von Interesse. Praktisch jede europäische

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Stadt, die etwas auf sich hielt, errichtete im Laufe des 19. Jahrhunderts ein großes Operntheater. In Italien, Deutschland, dem Habsburgerreich und dem Russischen Reich lag die Schwelle für diese Art der kulturellen Repräsentation bei etwa 100.000 Einwohnern, manchmal leisteten sich sogar kleinere Städte ein Theater, in dem regelmäßig Opern aufgeführt wurden. Ein Beispiel dafür ist die damalige galizische Landeshauptstadt Lemberg, in der 1842 das zu diesem Zeitpunkt drittgrößte Operntheater in Zentraleuropa errichtet wurde. Bis heute herrscht im seit 1945 ukrainischen L’viv eine in Anbetracht der Umstände geradezu heroische Opernkultur. Zum hundertjährigen Jubiläum des 1900 eröffneten Opernhauses veranlasste die Stadt eine aufwändige Renovierung, obwohl es zu jener Zeit in der Stadtmitte aufgrund der maroden Infrastruktur nur ein paar Stunden pro Tag Strom, Heizung und fließendes Wasser gab. Die Oper war als Gattung und als Institution ein Ausweis von Urbanität, von Fortschritt, Zivilisation, alles Begriffe, die als dekonstruiert gelten können, die aber eine symbolische Wirkung besaßen und offenbar immer noch besitzen. Unter anderem deshalb stieg im 19. Jahrhundert die Zahl der Operntheater in Europa exponentiell. Zeichnet man die Verbreitung der Oper von ihren Ursprungsländern auf einer Karte nach, bekommt man ein anderes Bild europäischer Geschichte. Es ist nicht mehr das gewohnte Bild aus den Schulatlanten, in dem ein Land neben dem anderen steht, jeweils mit festen Grenzen und in einer speziellen Farbe gekennzeichnet. Stattdessen erscheint ein Europa kultureller Zentren und der Verbindungen zwischen ihnen. Diese imaginäre Karte gleicht einem nächtlichen Satellitenbild, das nicht aus klar abgrenzbaren, territorialisierten Nationalstaaten besteht, sondern hell leuchtenden urbanen Zentren und den Kommunikationslinien zwischen ihnen. Dieses Europa der Oper endete nicht am Bosporus, am Ural oder am Atlantik. Wie der vierte Teil des Bandes zeigt, breitete sich die Oper über den Atlantik und in den Nahen Osten aus. Voraussetzung dafür war die Existenz einer sozialen Formation, die durch Medien vermittelt oder auf der Basis eigener Reisen von der Oper wusste und zur Finanzierung einer entsprechenden Institution bereit war. Der unmittelbare Anlass für die Errichtung eines Opernhauses war auch in Baku, Kairo oder New York das Bedürfnis nach staatlicher oder schichtspezifischer Repräsentation. Es hat daher keinen Sinn, Oper und Europa



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gleichzusetzen, wie das José Manuel Barroso kürzlich versuchte.12 Ein derartiger Konstruktivismus oder gar eine identitätsstiftende Funktion ist spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die europäische Verbreitung der Oper mit weltumspannenden Kulturtransfers einherging, obsolet. Stichdaten für die Globalisierung der Oper als Institution sind die Eröffnung des Teatro Solís in Montevideo und des Teatro Colón in Buenos Aires in den Jahren 1856/57, der Oper in Kairo 1869 oder der Metropolitan Opera in New York 1883. Wie Ruth Bereson in ihrem Buch „The Operatic State“ gezeigt hat, kam es seit den 1970er Jahren im pazifischen Raum zu einer weiteren Gründungswelle von Operntheatern.13 Dennoch gibt es aus historischer Sicht Argumente für den Begriff der Europäisierung. Bevor sich die Oper über die Grenzen Europas hinweg ausbreitete, war die Diffusion dieser Institution und Kunstform ein europäisches Phänomen. Es gibt daher eine zeitliche Abfolge der beiden Prozesse, die sich allerdings in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überschnitten. Den Begriff der Europäisierung kann man auf drei Ebenen analysieren  : der zeitgenössischen Wahrnehmung und Rezeption, der Erfahrungen von Akteuren und drittens auf der Ebene kultureller Konvergenz. Dass die Oper und generell die Musik als Vehikel des Nationalismus diente, ist allgemein bekannt und wurde im Rahmen des Projekts auf mehreren Konferenzen behandelt. Doch während sich Musikpublizisten in Frankreich, Deutschland und Italien stritten, welches Land denn nun die beste Oper hervorgebracht hatte, wurde die Oper an den geographischen Rändern Europas und in seiner unmittelbaren Nachbarschaft als eine genuin europäische Kunstform betrachtet. Man findet die Gleichsetzung von Oper und Europa in den 1890er Jahren nahezu zeitgleich in polnischen, russischen und amerikanischen Zeitungen sowie im Osmanischen Reich.14 12 Vgl. zur europäischen Kulturpolitik im Hinblick auf die Oper P. Stachel, „Die Oper als „kulturelles“ Erbe Europas  ? Positionen der EU-Kulturpolitik“, in P. Stachel, P. Ther (Hg.), Wie europäisch, S. 113–124. 13 Vgl. R. Bereson, The Operatic State. Cultural Policy and the Opera House, London 2002. Vgl. zu den Repräsentationsfunktionen der Oper auch S. O. Müller, J. Toelle (Hg.), Bühne der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 2008. 14 Vgl. zu Osteuropa Ther, In der Mitte, 409–410  ; Vgl. zu den USA, New York die Diskurse im Aufsichtsrat der Metropolitan Opera und den Medien in New York in Metropolitan Opera Archive [MOA], Minute Books, April 10, 1880 – September 1892, Bll. 12, 119–138  ; MOA,

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Überall dort, wo Opern gespielt wurden, anfangs meist in italienischer Sprache, wurden sie im Laufe der Zeit für den lokalen Kontext adaptiert. Wie der Beitrag über Kairo zeigt, gilt das entgegen der Orientalismus-These von Edward Said auch für den Nahen Osten und damit einen Teil der islamischen Welt. Die lokale Adaption und die Wahrnehmung der Oper als europäisch standen nicht in Widerspruch zueinander. Anders war die Situation im britischen Dominion Indien, in dem die Oper der Unterhaltung der kolonialen Elite diente und sich auf eine kurze Spielzeit beschränkte. Abgesehen von gelegentlichen Gastspielen blieb das Opernhaus eine leere Hülle, ohne festes Ensemble und tiefere Verwurzelung in der jeweiligen lokalen Gesellschaft und Musikkultur. Damit zur Ebene des Reisens  : Opernsänger, Dirigenten, Komponisten waren seit der Erfindung der Eisenbahn und der Dampfschiffe noch weit mehr unterwegs als im 18. Jahrhundert. Ein instruktives Beispiel dafür ist die Wagner-Rezeption in Europa. Die Werke Richard Wagners wurden vor allem deshalb zu einem internationalen Phänomen, weil der Opernimpresario Angelo Neumann mit der persönlich erworbenen Ausstattung des Ring des Nibelungen von 1876 nach Süd-, West- und Osteuropa reiste. Neumann charterte für seine Europatournee mit dem „Internationalen Wagnertheater“ einen Zug mit fünf Waggons, fuhr damit nach Rom, in etliche weitere italienische Städte und nach London, später auf einer zweiten Tournee u.a. nach Budapest, Warschau und St. Petersburg.15 Wenn Deutsche bis zu Asterix und die Goten als Germanen mit Spitzhelmen, Schild und Kettenhemd imaginiert wurden, dann lag das mit an Neumanns Tourneen mit der Bayreuther Ausstattung von 1876. Neumann war wie so viele Wagnerianer jüdischer Abstammung und hauptberuflich Direktor des Neuen Deutschen Theaters in Prag. Auf die Einnahmen aus den Tourneen war er wegen der geringen Größe des deutschen und deutschjüdischen Publikums in Prag angewiesen. Kulturelle Akteure wie Neumann machten auf ihren Reisen europäische Erfahrungen. Es ist kein Zufall, dass sowohl nach dem ErsPressbooks, Roll 1  ; New York Times, Feb. 7, 1893, 4 und Nov. 10, 1907. Vgl. zu Kairo den Bei­trag von A. Mestyan in diesem Band. 15 Vgl. zu Neumann J. Ludvová a kolektiv, Česka divedelní encyklopedie. Hudební divadlo v českých zemích. Osobnosti 19. století, Praha 2006, 165–170  ; auch J. Toelle, „‚Verkündiger jener neuen musikalischen Welt‘  : Angelo Neumanns reisendes Richard-Wagner-Theater in Italien 1883“, in P. Stachel, P. Ther (Hg.), Wie europäisch, S. 187–196.



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ten wie nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten Kontakte zwischen ehemaligen Kriegsgegnern häufig über die Musik entstanden. Gleichzeitig gingen diese Erfahrungen aufgrund der immer stärkeren Position und wirtschaftlichen Macht der Opernhäuser in New York und anderen Städten in Übersee über Europa hinaus. Die Erfahrungen der Sänger, Musiker und Dirigenten in der Fremde schärfte in der Regel den Blick auf europäische Gemeinsamkeiten. Wie man über Europa dachte, war oft genug überheblich, manchmal auch rassistisch. Aber über die zahlreichen Fachzeitschriften, die einen viel weiteren Leserkreis als heute erreichten, eine Unzahl an Korrespondenten und Berichte auch über abgelegene Häuser und Premieren entstand so etwas wie eine europäische und im Anschluss daran globale Öffentlichkeit. Dass kultureller Austausch zu Konflikten und Abgrenzung führen kann, muss man nicht extra betonen. Es geht hier also keineswegs um ein idealisierendes oder harmonisierendes Bild europäischer Kulturgeschichte. Kommunikation erzeugt stets Konflikte, Konvergenz Widerstände. Das ist in dem Heft des Journal of Modern European History von 2007, das aus dem Kontext des Projekts entstanden ist, gut dokumentiert. Dort wird gezeigt, wie verschiedene Phasen der Europäisierung nationale Abwehrreaktion provozierten. Vielleicht ist man heute, im Zeitalter der Globalisierung, wieder an einem ähnlichem Punkt angelangt. Die kulturelle Angleichung in Bereichen wie des Konsums, der Alltagskultur oder der Filmindustrie provozierte die Betonung nationaler, heute auch europäischer Sonderwege. Es wäre allerdings ein Verlust für das Musiktheater, die Oper als europäisch zu definieren und sie damit ihrer Universalität zu berauben.16 Die dritte Ebene der Europäisierung liegt in konflikthaften Angleichungsprozessen. Schon der Bau der Opernhäuser trug wesentlich dazu bei, dass sich die Städte Europas immer ähnlicher wurden. Es war um 1900 gleichgültig, ob man sich im Zentrum von Barcelona, Zürich, Prag oder Kiew bewegte – es gab in allen größeren Städten des Kontinents mindestens ein repräsentatives Opernhaus. In der Architektur ähnelten sich diese Häuser, beim Wiener Architektenbüro Helmer und Fellner konnte man sie zu relativ geringen Kosten quasi von der Stange bestellen. Allein dieses Büro baute bis zur Jahrhundertwende von Aachen 16 Vgl. dazu erneut P. Stachel, P. Ther (Hg.), Wie europäisch (wie in Anm. 2).

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und Zürich im Westen bis Odessa im Osten 48 repräsentative Theater.17 Auch wenn man die Operntheater betrat, gab es viele Ähnlichkeiten. Die Programme und Repertoires richteten sich an bestimmten Vorbildern aus, lange Zeit vor allem nach Wien, Paris und Mailand, später zusätzlich nach neuen Zentren der Oper, etwa Budapest oder Moskau. Wie die ebenfalls aus einer Projektkonferenz hervorgehende Publikation Wie europäisch ist die Oper  ? Die Geschichte des Musiktheaters als Zugang zu einer kulturellen Topographie Europas zeigt, gab es bei der Bühnenausstattung und der Regie ebenfalls immer mehr Gemeinsamkeiten. Allerdings erzeugten diese Gemeinsamkeiten Abwehrreaktionen. Konvergenz oder Europäisierung ist kein Telos der Geschichte, man muss auch nach Divergenz und Gegenbewegungen fragen.18 Dazu noch eine methodische Anmerkung  : Die erwähnten Gemeinsamkeiten beruhten auf Kulturtransfers, dauerhaft getragen wurden sie von Netzwerken. Nach dem Soziologen Manuel Castells kann man von einem Netzwerk sprechen, wenn Akteure über längere Zeit kommunizieren, interagieren und dieser Austausch sich instutionalisiert.19 Die Erfindung moderner Verkehrsmittel und von Massenmedien im 19. Jahrhundert erleichterte und verbilligte kulturelle Austauschprozesse erheblich. Anhand von Netzwerken lässt sich die Intensität von kulturellen Wechselbeziehungen und die Richtung von Kulturtransfers im Wandel der Zeiten bestimmen. Eine historische Netzwerkanalyse würde es ermöglichen, europäische Kulturgeschichte zu kartieren, Vektoren und Zentren des kulturellen Austauschs zu bestimmen. Netzwerke können sich allerdings auch ausdünnen oder ganz verschwinden, wie nach den beiden Weltkriegen im Bereich der Oper vielfach geschehen. Man könnte damit also nicht nur die verschiedenen Richtungen, sondern auch die wechselnde Intensität kultureller Austauschprozesse untersuchen. Diese Kartierung von Kultur erscheint angesichts 17 Vgl. dazu G. Dienes (Hg.), Fellner & Helmer. Die Architekten der Illusion. Theaterbau und Bühnenbild in Europa anläßlich des Jubiläums „100 Jahre Grazer Oper“, Graz 1999. 18 Vgl. dazu den im Rahmen des Projekts produzierten Band des Journal of Modern European History 5 (2007/1). 19 M. Castells, „Materials for an exploratory theory of the network society“, British Journal of Sociology 51 (2000), 5–24. Vgl. zum Netzwerkbegriff aus historischer Sicht C. Boyer, „Netzwerke und Geschichte  : Netzwerktheorien und Geschichtswissenschaften“, in B. Unfried u.a. (Hg.), Transnationale Netzwerke im 20. Jahrhundert. Historische Erkundungen zu Ideen und Praktiken, Individuen und Organisationen, Wien 2008, 47–58.



Einleitung

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der Forschungsdefizite über das nördliche, östliche und südöstliche Europa nach wie vor als ein Desiderat der europäischen Kulturgeschichte, die bislang vorwiegend auf westeuropäische Städte wie Paris, London oder Berlin konzentriert ist. Dieses „Mapping European Culture“ steht aber in einem Spannungsverhältnis zum weltumspannenden Kulturtransfer der Oper samt ihrer Rückwirkungen auf Europa, sei es auf die Sänger- und Dirigentengagen, die nach 1900 in Übersee zwei bis drei Mal so hoch lagen und wesentlich zur Verteuerung der Oper in Europa beitrugen, sei es durch den Boom „exotischer“ Sujets. Schließlich etablierte sich mit dem Musical in den 1920 und 1930er Jahren ein Genre des Musiktheaters, das zwar etliche Ähnlichkeiten mit der Operette aufweist, aber nicht mehr europäischen Ursprungs ist (und deshalb von europäischen Musikkritikern und -wissenschaftlern meist negativ bewertet wurde). Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zwischen der zunehmend elitären Definition europäischer Musikkultur und der nachlassenden Produktivität Europas auf dem Gebiet des populären Musiktheaters im 20. Jahrhundert.

Musik und Geschichte

Ein dritter Schwerpunkt des vorliegenden Sammelbandes liegt auf der Oper als Kunstgattung. Was bekamen die Menschen zu sehen und zu hören, wenn sich an den verschiedenen Orten und Theater der Vorhang öffnete  ? Diese Frage relativiert die soeben mit groben Strichen gezeichnete Skizze über Konvergenz, Europäisierung und Globalisierung. Oper oder generell Musik ist immer von der jeweiligen Aufführung abhängig. Ein unpässlicher Tenor kann den Abend verderben, selbst bei einem absoluten Erfolgsstück. So gesehen ist die Musik eine Aufforderung an Historiker, sich mit kleinen Momenten zu befassen und auf Kontingenz zu achten. Das steht in Spannung zu groß angelegten Vergleichsstudien und dem viel benutzten Schlagwort transnationaler Geschichte. Die Tatsache, dass Musik sich nur in ihrem jeweiligen Aufführungskontext verstehen lässt, bedeutet für Historiker eine Aufforderung, sich auch der MikroEbene bzw. der Geschichte konkreter Aufführungen zuzuwenden. Zugleich führt Musik zur Makro-Kategorie der Gesellschaft. Musik ist in der Aufführung, ebenso in der Rezeption mit Prozessen der Vergesellschaftung

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verbunden. Mit einfacheren Worten  : Gerade die Oper hängt davon ab, dass sie von einem Ensemble produziert und von einem Kollektiv an Zuschauern gehört, empfunden und damit konsumiert wird. Es ist daher zweifelsohne richtig, wie von Musikwissenschaftlern gefordert verstärkt auf die Interpretation und Rezeption einzugehen.20 Aber wenn man wissen will, wie, wann und warum Opern auf ihr Publikum wirkten, kommt man doch nicht ganz an den Kompositionen vorbei. Für Historiker gibt es dabei einen naheliegenden Treffpunkt mit Musikwissenschaftlern, die Konstruktion von Geschichtsbildern in der Oper. In der Oper wurden Geschichtsbilder nicht nur über den Text und damit kognitiv, sondern auch visuell und akustisch vermittelt. Geschichte wurde auf der Bühne gegenwärtig. Man kann die Wirkung dieser multimedialen Bühnenpräsentationen an den emotionalen Publikumsreaktionen ablesen, an den vielen Tränen, die Zuschauer vergossen, wenn in der Oper nationalistische Themen gesetzt wurden oder Liebesbeziehungen in die Brüche gingen, und an den zahlreichen Skandalen nach dem Aufkommen der musikalischen Moderne. Die Aufsätze in der dritten Sektion des Bands bieten einen Einblick in den Nutzen der Oper als historische Quelle. Methodisch ist das komplex, denn man muss dazu die Intention der Künstler berücksichtigen, Perspektiven in den Schaffensprozess nehmen, die Rezeption und Rezeptionserwartungen kennen und die Aufführungspraxis analysieren. Die Oper war dabei kein bloßes Abbild der gesellschaftlichen oder ökonomischen Realität, manchmal war sie ihrer Zeit voraus und wirkte wie ein Schrittmacher. Mit der Berücksichtigung von Opern als historische Quelle lässt sich zugleich ermessen, wie sehr Oper als künstlerische und gesellschaftliche Institution dem Wandel der Zeiten unterlag. Viele Opern, die im 19. Jahrhundert Furore machten, sind heute nahezu vergessen, andere werden völlig unterschiedlich interpretiert. Auch wissenschaftliche Projekte unterliegen einem Wandel im Laufe der Zeiten, oft mit einem rascheren Finale als man sich wünschen würde. Das von der Volkswagen Stiftung finanzierte und bei der Abschlusstagung von der Fritz Thyssen-Stiftung großzügig geförderte Projekt über die Gesellschaft der Oper ist 2009 zu einem Abschluss gekommen. Im Anhang findet sich eine Liste der in diesem 20 Vgl. H. J. Hinrichsen, „Musikwissenschaft. Musik – Interpretation – Wissenschaft“, in Archiv für Musikwissenschaft 57 (2000), S. 78–90.



Einleitung

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Rahmen veranstalteten Workshops und Konferenzen, die bisher erschienenen Bände der Buchreihe über Musikkulturen europäischer Metropolen sind auf den letzten Seite des Buches aufgeführt.21 Zugleich kann mit diesem Sammelband eine Neuinszenierung mit erweiterter räumlicher und zeitlicher Rahmensetzung angekündigt werden. Seit 2009 wird am Europäischen Hochschulinstitut ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Beyond Europe  : Transfers, Networks and Markets of Musical Theatre in Modern Europe“ betrieben, in dem wie in der Schriftenreihe zusätzlich das 20. Jahrhundert berücksichtigt werden soll. Dieses Projekt konzentriert sich weniger auf einzelne Opernstädte und Operntheater, sondern stellt vielmehr die Kommunikation zwischen ihnen in den Vordergrund. Die empirische Basis dazu sollen vor allem Netzwerke des Musiktheaters sein. Außerdem soll wie im Obertitel angedeutet der europäische Rahmen überschritten werden, vor allem mit Blick auf den östlichen Mittelmeerraum und die Verbindungen über den Atlantik hinweg. Besonders berücksichtigt werden dabei die Stars der Oper und neue Medien, die dieses Genre im 20. Jahrhundert vermittelten. Vorhang zu bedeutet demnach zugleich Vorhang auf.

Anhang Tagungen im Rahmen des Projekts Opera as a Place of Representation. European Opera Houses in the 19th Century in Comparison. Budapest, in Kooperation mit der Central European University und dem HabsburgInstitut, 13.–14. 10. 2005 The Politics of Opera  : The Power of Culture and the Culture of Power in the 19th and 20th Centuries. Florenz, in Kooperation mit dem Europäischen Hochschulinstitut, 28.–29. 4. 2006 Geschichte als Oper  : Die Konstruktion und Inszenierung von Geschichte im europäischen Musiktheater des 19. Jahrhunderts. Sektion auf dem 46. Deutschen Historikertag in Konstanz, 21. 9. 2006 The Musical Theatre as High Culture  ? Discourses about Opera and Operetta in the Belle Epoque. Zagreb, in Kooperation mit der Kroatischen Musikwissenschaftlichen Gesellschaft, 23.–24. 11. 2006 21 Nähere Informationen bietet vorerst die Webpage www.operundgeschichte.de.

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Wie europäisch ist die Oper  ? Das Musiktheater als Zugang zu einer kulturellen Topographie Europas. Wien, in Kooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1.–2. 3. 2007 Opera and the City. Processes of Inclusion and Exclusion. Lemberg, in Kooperation mit der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften, 25.–27. 7. 2007 Die Gesellschaft der Oper. Kulturtransfers und Netzwerke des Musiktheaters in Europa Berlin, Abschlusskonferenz, in Kooperation mit der Staatsoper Berlin, der Komischen Oper und der Humboldt-Universität zu Berlin, 22.–24. 5. 2008

Sven Oliver Müller

Das Publikum im Vergleich europäischer Städte

Das 19. und das 20. Jahrhundert waren nicht nur Epochen der industriellen und politischen Revolutionen – es waren auch die Zeiten des Publikums. Opernhäuser und Konzertsäle waren zentrale Treffpunkte verschiedener Publika der Gesellschaft, öffentliche Orte der Kommunikation und des Konfliktes. Die Inszenierungen und Selbstinszenierungen der bürgerlichen Schichten und des Adels im Auditorium illustrierten und reflektierten nicht nur die sozialen Unterschiede und kulturellen Verhaltensmuster der Gesellschaft. Vielmehr brachten die regelmäßigen und geregelten Aufführungen die gesellschaftliche Ordnung mit hervor. Die Zusammenkunft des Publikums generierte gleichzeitig sozialen Status, kulturelle Verhaltensmuster und politische Ungleichheit. Erst das Publikum verwandelt die Bilder und Töne einer musikalischen Aufführung in gesellschaftliche Phänomene. Weil es die Betrachter und Zuhörer einer Inszenierung sind, die dieser Bedeutung verleihen, stellen ihre ästhetischen Bewertungen und ihr Hörverhalten relevante Handlungen dar. Die Untersuchung musikalischer Aufführungen sensibilisiert für die sozialen Praktiken kollektiver Aneignung und Sinnstiftung. Gerade die prägende Bedeutung des sinnlichen Erlebnisses des Publikums kann dabei kaum überschätzt werden. Mit anderen Worten  : Das Hören von Musik ist mindestens so sehr ein gesellschaftlicher wie ein musikalischer Prozess. Im Anschluss an die Konjunktur konstruktivistischer Ansätze in den Kulturwissenschaften ist es unstrittig, dass auch die Bedeutung von Musik nicht unverrückbar besteht, sondern immer auch von den Hörern selber erzeugt wird. Genau hier besteht das Forschungspotential  : Das Hörverhalten könnte als soziales und politisches Handeln deutend verstanden und dadurch im Idealfall erklärt werden. Da das Erlebnis von Musik nicht allein von der Musik abhängt, sondern sozial vorgeprägt ist, kommt es darauf an, das Spannungsfeld zwischen der Aufführung, dem Erwartungshorizont des Publikums und seinen Reaktionen zu vermessen. Das alles können die Autoren dieser Sektion nicht vollständig erfassen, aber sie können Perspektiven aufzeigen, wie durch die Beschäftigung mit der Musik neue Einsichten in die Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts gewonnen werden könnten. Folgt man

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Pierre Bourdieus Habituskonzept, wirkt keine Praxis stärker klassifizierend, das heißt die Verhaltensmuster einer sozialen Gruppe ausdrückend und prägend, als der öffentliche Musikkonsum. Opernaufführungen bieten den Vorzug, Bürgertum und Adel nicht als abstrakte Konstrukte, sondern als konkrete Handlungsund Erfahrungsträger an bestimmten Orten in Aktion beobachten zu können. In einer Untersuchung der sich wandelnden musikalischen Praxis besteht die Chance, die kulturellen Normen und die davon beeinflussten Ein- und Ausgrenzungsmechanismen sozialer Gruppen zu veranschaulichen. Dem Musikbetrieb kamen mithin nicht nur harmonische Funktionen zu. Die Ästhetisierung mit Hilfe der Musik korrespondierte mit einer konfliktreichen Politisierung der Musik. Das wird hier im Beitrag von Ostap Sereda über die pluralistische Theaterlandschaft in Kiew im Spannungsfeld mit der russischen Kultur im späten 19. Jahrhundert deutlich, d.h. die Gleichzeitigkeit von Unterhaltung und nationalistischer Abgrenzung  : Allgegenwärtig waren politische Deutungskämpfe in der Presse, im Staatswesen und im Auditorium. Das Publikumsverhalten und die Medienberichterstattung bildeten eine wichtige Waffe im Arsenal konkurrierender nationaler Bewegungen und der Nationalstaaten zur Verteidigung ihrer politischen und sozialen Vorrangstellungen. Die Konflikte zwischen divergierenden Lebensstilen und Wertesystemen stellten eine der zentralen politischen Bruchlinien der Musikkultur dar. Das Ineinanderwirken von kulturellen und politischen Gegensätzen veranschaulicht Fabian Bien in seinem Aufsatz über den Stellenwert der Komischen Oper in Ost-Berlin in den 1950er Jahren. Erstaunlicherweise zeichnete sich dabei ein Missverhältnis zwischen der gefeierten sozialistischen Kultur einerseits und der schwachen Vergabepolitik der Eintrittskarten an die breite Bevölkerung andererseits ab. Wohin ein Europareisender seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auch kam, allerorten schossen repräsentative Opern- und Konzerthäuser aus dem Boden. Als Folge des beispiellosen Wachstums europäischer Städte im Zeitalter von Industrialisierung, Urbanisierung und der Revolution des Verkehrswesens, veränderte sich auch ihr Erscheinungsbild umfassend. Kaum eine Großstadt, die in Europa etwas auf sich hielt, wollte auf Räume musikalischer Vergnügungen und gesellschaftlicher Repräsentation verzichten. Wir können gleichsam ein flächendeckend kulturelles Netz über Europa beobachten – und eine intensive musikalische Kommunikation zwischen europäischen Metropolen. Im Laufe des



Das Publikum im Vergleich europäischer Städte

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Jahrhunderts bildete sich zwischen Mailand und Moskau ein europäisches Standardrepertoire unter ähnlichen kulturellen Funktionen heraus. Dieser Befund erscheint umso erklärungsbedürftiger, wenn man die deutlichen Unterschiede in der Organisation und der sozialen Zusammensetzung des jeweiligen Konzertund Opernpublikums in den europäischen Städten bedenkt. Denn es ist keineswegs selbstverständlich, dass sich ein polnischer Handwerker und ein englischer Aristokrat zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Oper ähnlich benahmen und überaus ähnlichen Aufführungen ein und derselben Werke lauschten. Auf diese europaweite Angleichung des Repertoires und des kulturellen Geschmacks verweist Markian Prokopovych in seinem Aufsatz über die Rezeption von Tristan und Isolde in Budapest. Dabei relativiert er einen ungebrochenen Siegeszug der Musik Richard Wagners in Europa, und zeigt inwieweit das ungarische Publikum das deutsche Musikdrama beispielsweise nicht im Widerspruch zur lokalen Volksmusik genoss. Die Untersuchung der Publika vermag helfen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede beispielsweise in europäischen Städten, Regionen und Staaten aufzuspüren. Damit stellt sich die Frage, ob die verschiedenen politischen Systeme in den hier gezeigten Vergleichsstädten Berlin, Budapest und Kiew ähnliche oder unterschiedliche Formen des Publikumsverhaltens hervorbrachten. Alle drei Städte boten mit ihren Konzertsälen, Opernhäusern und Hoftheatern Foren öffentlicher Kommunikation und Repräsentation. Dabei hat sich die Forschung überproportional intensiv auf Paris konzentriert. Die Ungerechtigkeit dieser Hochschätzung der Rolle von Paris gegenüber der von London ist erst in den letzten Jahren allmählich korrigiert worden. Selbst das Musikleben in Wien hat aus sozial- und kulturgeschichtlicher Perspektive nur eine relativ geringe Beachtung gefunden. Vom Verhalten des Publikums im Musikleben in Berlin, Budapest und Kiew handeln auch heute noch relativ wenigen Studien. Vor ihrem politischen und urbanen Aufstieg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, schienen diese drei Städte weder institutionell noch künstlerisch mit den übrigen westeuropäischen Metropolen konkurrieren zu können. Die Autoren zeigen dagegen, dass sich auch in Mittel- und Osteuropa eine transnationale Revolutionierung im Musikleben abzeichnete. Was nützt das Publikumsverhalten  ? Der Fokus liegt auf einer Untersuchung von Repräsentationsformen und Praktiken der Rezipienten. Um die Bedeutung

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Sven Oliver Müller

musikalischer Vorstellungen zu vermessen, möchten die Autoren musikalische Aufführungen als gesellschaftliche Ereignisse in den Blick nehmen. Aus einer historischen Perspektive heraus betrachtet, gewinnt Musik ihre Bedeutung nicht allein durch die Reproduktion einer Partitur, sondern ebenso durch die Rezeption ihrer Aufführung durch das Publikum – und die dadurch konstituierten sozialen Räume und sozialen Praktiken. Die Rezeption durch das Publikum stellt ein Bindeglied zwischen musikalischen Produktionen und der Gesellschaft dar. Dieser Blick kann helfen, die immer noch wenig erforschte Rolle des Publikums bei der Bewertung und Erzeugung musikalischen Verhaltens besser zu verstehen. Das Hörverhalten soll dabei als soziales Handeln sichtbar gemacht werden  : Spezifische, im Habitus gespeicherte Werte konnten zur Legitimation sozialer und politischer Ungleichheit dienen. Der Opernbesuch lässt sich daher auch als eine gesellschaftliche Form aus kulturellen Mitteln verstehen  : Die Eliten suchten im Auditorium ihren gesellschaftlichen Status zu erlangen, zu bestätigen oder zu verteidigen. Publika sollen als Akteure rekonstruiert werden  : Das mag helfen Einblicke in Weltbilder, in soziale Praktiken, in die Strukturen und in die Bruchlinien der europäischen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts zu verschaffen.

Ostap Sereda

Nationalizing or Entertaining  ? Public Discourses on Musical Theater in Russian-ruled Kyiv in the 1870s and 1880s

The epoch of the Great Reforms (1855–1881) and its aftermath provided many stimuli for the growth of public life in the city of Kyiv (Kiev in Russian, Kijów in Polish). During this time musical theater, and opera in particular, became a key institution in the cultural life of the city. Since the late 1860s, the opera house had occupied the main stone building of the Kyiv City Theater (Gorodskoi Teatr). Opera received considerable attention from the imperial authorities, the city administration, and the Kyiv-based press. The situation changed slightly at the turn of the twentieth century, when the city grew rapidly, and new forms of social life and mass entertainment proliferated. But for the decades under consideration one may agree with the observation of Julie Buckler, who defines the period of 1840s–1880s as the “Golden Age” of opera going in the Russian empire in general. Considering the key role that opera played in the public life of the Romanov Empire, it is surprising how little attention has been paid to its social function and political role. Most Russian and Ukrainian studies (produced in imperial, Soviet or post-Soviet periods) on the history of the opera in Kyiv concentrated on its factual reconstruction and/or dealt with it within the conceptual framework of historical musicology. For example, two comprehensive histories of the Kyiv opera theater focus on its artistic history and almost completely ignore such issues as its social milieu, political significance, and administrative practices. Those authors who did take the socio-political implications of opera into account did so either as advocates of Russian or Ukrainian art or as defenders of

 J.A. Buckler, The Literary Lorgnette  : Attending Opera in Imperial Russia, Stanford 2000, 6.  M. Stefanovych, Kyivs’kyi derzhavnyi ordena Lenina akademichnyi teatr opery ta baletu URSR im. T.H.Shevchenka. Istorychnyi narys, Kyiv 1968  ; Iu. Stanishevs’ky, Natsional’nyi akademichnyi teatr opery ta baletu Ukrainy imeni Tarasa Shevchenka. Istoria i suchasnist’, Kyiv 2002.

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Ostap Sereda

“progressive” cultural elements. On the other hand, historians who studied socio-political history of the region rarely took into account how symbolic power was exercised through certain cultural practices. The City of Kyiv and its musical theater in the 19th century

Musical theater in Kyiv functioned in the context of the complicated ethnosocial composition of the Southwestern province (Iugo-Zapadnyi Krai) of the Russian empire (nowadays, the central part of Ukraine). Its evolvement resulted from cultural strategies employed by imperial authorities, city government and various segments of the urban public. Kyiv’s political and administrative status was defined by its role as the seat of the governor general for the South-Western province, which consisted of three gubernia  : Volhynian, Podolian and Kyivian. Because of its historical legacy, contemporaries saw Kyiv as a significant cultural center. In the second half of the nineteenth century, it also began to play an important role in the empire’s agricultural trade.  The two main pre-Soviet Russian studies on the history of Kyiv musical theater were written by theatrical critics  : V.A. Chechott, 25–letie Kievskoi russkoi opery, Kiev 1893  ; N.I. Nikolaev, Dramaticheskii teatr v g. Kieve. Istoricheskii ocherk (1803–1893 gg.), Kiev 1898. Several Ukrainian authors of the Soviet period highlighted artistic achievements in the musical and theatrical life of Kyiv and provided many factual details. See M. Kuz’min, Zabuti storinky muzychnoho zhyttia Kyieva, Kyiv 1972  ; M. Zahaikevych, “Muzychno-teatral’ne zhyttia pershoi polovyny XIX st.,” in Kyiv muzychnyi, Kyiv 1982, 17–28  ; L. Arkhymovych, “Rosiis’ka opera v Kyievi u tretii chverti XIX st.,” in Kyiv muzychnyi, Kyiv 1982, 38–48. Topics from the cultural life of Kyiv figured only sporadically in those studies of Soviet authors who dealt with the musicaltheatrical life of the empire in general (A. Gozenpud, Russkii opernyi teatr XIX veka, Leningrad 1973  ; I. Petrovskaia, Teatr i zritel provintsialnoi Rossii. Vtoraia polovina XIX veka, Leningrad 1979). Recently, the main authority on the musical history of the city, Olena Zin’kevych (Elena Zin’kevich), has attempted to analyse the establishment of Russian opera in the context of urban social development, but she limits her attention to certain aspects of everyday life, such as the rise of popular interest in music, and underestimates the impact of national-cultural politics on musical theater (E. Zin’kevich, “Kievskii opernyi  : gody detstva,” in Kontsert i park na krutoiare. Kiev muzykal’nyi XIX — nachala XX st., Kiev 2003, 92–156). In her most recent study Zin’kevych acknowledges connection between the officially sponsored production of A Life for the Tsar by Glinka and the growth of Pan-Slavism and the politics of Russification in the region (E. Zin’kevich, “Kievskaia premiera ‘Zhizni za tsaria’ v istoricheskom peizazhe vremeni,” in Mundus musicae. Teksty i konteksty. Izbrannyie statti, Kiev 2007, 160–176).�



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The particular ethno-cultural setting of the South-Western province made the situation in Kyiv clearly different from that of any other Russian provincial town. Throughout the nineteenth century, the population of Kyiv consisted mainly of Ukrainians, Russians, Jews and Poles. According to the first city census, which was conducted in March 1874, about 46 % of city dwellers claimed that they spoke “literary Russian” or “Great Russian,” 32 % “Little Russian” (Ukrainian), 10 % Yiddish and nearly 8 % Polish. Such a composite character of Kyiv was reflected in the intricate history of its musical theater, whose tradition can be traced back to the end of the 18th century. The first operatic performances in Kyiv were connected with the yearly fairs of the local provincial Polish szlachta and merchants which had begun in 1797. The first permanent theater building (erected around 1803), the City Theater, was usually given to itinerant troupes that had mixed repertoires and performed Italian, French, German, Polish, Russian and Ukrainian operas, comic operas, operettas, vaudevilles, dramas, and ballets. In the 1810s–1820s the City Theater was used mostly by a Polish troupe that also performed some musical plays in Russian and Ukrainian (with the participation of Russian and Ukrainian actors). After the Polish November uprisings of 1830–1831, imperial authorities began to provide regular financial support for the Russian theater, which was boycotted by the Polish nobility. Still, non-Russian troupes continued to visit Kyiv  : in the 1835/37 and 1841/42 seasons a French troupe that mostly performed comic operas, comedieballets and vaudevilles came, in 1845/46 a Polish troupe from Vilnius (Wilno) — which some scholars consider “the first professional operatic troupe in Kyiv” — played in town. In 1848 an Italian troupe from Odessa performed operas. The new building of the City Theater was constructed in stone in 1850–1856 and existed until it was destroyed by the fire in 1896 (then, a new Kyiv Opera  These calculations are made on the basis of data provided in S. Shamrai, “Kyivs’kyi odnodennyi perepys 2–ho berezolia 1874 roku,” in M. Hrushevs’ky (Hg.), Kyiv ta ioho okolytsia v istorii i pamiatkakh, Kyiv 1926, 367–368.  M. Zahaikevych, „Muzychno-teatral’ne zhyttia“, 18–24.  P. T., „K istorii pol’skago teatra v Kieve,“ in Kievskaia Starina 29 (1890), 533–540.  N.I. Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 24.  O. Lysiuk, „Frantsuz’kyi teatr u Kyievi,“ in Muzyka no. 11 (July-August 1996), 30–31  ; M. Stefanovych, Kyivs’kyi derzhavnyi ordena Lenina akademichnyi teatr, 12.  In this article all dates are given according to the Julian calendar.

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House was built by September 1901). It could host about 850 visitors  ; the majority of them (about 530) were to sit in 76 separate boxes (lodges).10 This arrangement of the theatrical interior indicated a dominance of aristocratic and noble families that expected to be separated spatially from members of lower social strata. The opening program of the new City Theater on 4 October 1856 consisted of both Russian and Polish light plays separated by a dancing “divertissement”.11 This compromise coexistence of Russian and Polish troupes continued under the entrepreneurship of Teofil Borkowski (1858–1863), a Pole from Austrian-ruled Galicia, but it could not withstand the turbulent events of the coming decade. Throughout the empire the public debate on the character of Russian opera in the 1860s resulted in the nationalization of the public’s approach to musical theater. Leading Russian public figures argued that Russian theatrical art was to be a didactic art, “a national school”. It is noteworthy that both democratic and conservative circles, education-minded intelligentsia and imperial bureaucrats shared in the 1860s an utilitarian attitude to the theater as an instrument of influence over the masses.12 In the contested regions of the empire (such as the South-Western province, where government faced a Polish challenge and worried about the explosive potential of Ukrainian separatism13) imperial authorities and a supporting segment of educated society insisted on the specific nationalizing role of the theater, especially after the Polish January uprising of 1863. In Russian nationalist discourse, Russian theater in the region was assigned the mission of neutralizing Polish cultural influence and making the Polish-influenced public into loyal imperial subjects, or maybe even into “true Russians”.14 As the Soviet-Russian 10 See the contemporary description of the newly-built theater quoted in N.I. Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 40–41. 11 N.I. Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 41. 12 I. Petrovskaia, Teatr, 24. 13 D. Beauvois, La bataille de la terre en Ukraine, 1863–1914  : les Polonais et les conflits socio-ethniques, Lille 1993  ; T.R. Weeks, Nation and State in Late Imperial Russia  : Nationalism and Russification on the Western Frontier, 1863–1914, De Kalb 1996  ; W. Rodkiewicz, Russian Nationality Policy in the Western Provinces of the Empire (1863–1905), Lublin 1998. On the Russian governmental policy and public opinion in the “Ukrainian question” see A. Miller, “Ukrainskii vopros” v politike vlastei i russkom obschestvennom mnenii (vtoraia polovina XIX v.), St. Petersburg 2000. 14 See, for example, “Kiev. 31 genvaria 1866,” in Kievlianin no. 14 (1 February 1866), 53–54.



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scholar Irina Petrovskaia observed, in the 1850s and 1860s, the imperial administration provided considerable support for the establishment of Russian theaters in all contested border areas of the empire because the theater “was seen as the strongest means to arouse national feelings and loyalist sentiment.” The policy toward the theater was central to imperial “culture-building” (kulturnoe stroitelstvo).15 Although there was not a single coherent concept of Russification in regard to the South-Western province,16 a nationalist discourse that centered on the need to russify the province (obrusenie kraia) prevailed among the governmental circles and local Russian public activists. Among the several ways of symbolically acquiring contested space such as erecting new monuments or building Orthodox churches, establishing the Russian national theater in Kyiv was also an important instrument of symbolic Russification of the region. Under these circumstances, in 1863 Borkowski was dismissed from the position of entrepreneur of the Kyiv theater and accused of promoting Polish influences.17 In the season of 1863/64, the Italian operatic troupe directed by Ferdinand Berger was invited in an attempt to find a “common ground” for Polish and Russian/Ukrainian parts of theater-going public.18 Although the latter was rather successful, the governmental plan was to establish instead a serious Russian drama theater in the region (as the Russian Ministry of Interior since 1866 granted 9,000 rubles annually for the development of Russian theater in the province.).19 The establishment of a professional Russian opera in Kyiv was traditionally perceived as the success of “native Russian” (by imperial Russian historians) or “progressive” (by Soviet and post-Soviet authors) tendencies in society. But a study of the debate in the contemporary Kyiv press reveals voices alternative to Russian nationalist discourse that argued not for Russian opera instead of Italian, but for musical theater instead of Russian drama. While the government 15 I. Petrovskaia, Teatr, 25–27. 16 A. Miller, “Rusifikatsia ili rusifikatsii  ?,” in Imperia Romanovykh i natsionalizm, Moscow 2006, 54–77. 17 See, for example, the interpretation of Borkowski’s activities in N.I. Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 43–45, 58. 18 N.I. Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 67. For a general overview of Italian operatic seasons of 1863–1865 see also M. Kuz’min, Zabuti storinky, 31–34. 19 I. Petrovskaia, Teatr, 26.

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was subsidizing a serious Russian drama theater, a part of the Kyiv public preferred more entertaining Italian opera. Thus, the “Russian opera” was founded by the government in October 1867 as a kind of a compromise with that part of the urban public that was bored by Russian drama.20 Interestingly, the educated public in all provincial cities of the empire in the 1870s preferred musical theater to drama.21 The new Russian opera in Kyiv was initially directed by two directors appointed by the Kyiv governor general. Yet from the 1868/69 season onwards, the role of theatrical entrepreneur (sometimes also called a “manager of Kyiv theaters” — upavliaiushchii Kievskikh teatrov) became more important. Ferdinand Berger, who in 1867 was again nominated to this position, was still supervised by the theatrical director and appointed by the governor general, but he had more freedom in regard to the repertoire and the composition of the troupe. The Russian theater in Kyiv was to consist of two troupes, operatic and drama, but the main part of the season (from September to Great Lent) was reserved for operatic performances, while dramas were to be performed only during the summer. Furthermore, in practice the drama troupe performed on the open-air stage of the city park (Chateau des Fleurs), which it shared with operetta troupes and other artists of light genres, and only after 1878 played in a privately-owned theatrical building. The provincial government continued to subsidize Russian theater in Kyiv with 9,000 roubles annually.22 In 1872 the City Duma took the theater under its control and the city administration appointed the entrepreneur of city theaters, although the governmental subsidy (reduced to 6,000 roubles) and general supervision continued.23 On the one hand, the imperial government appeared to be successful. For a while it secured for itself control over management, repertoire and prices in the theater and consequently a permanent Russian opera theater eventually became 20 O. Sereda, „Die Einfuehrung der russischen Oper in Kiew 1867  : Ein Fall imperialer Theater­ verwaltung,“ in S.O. Mueller, J.Toelle (Hg.), Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesell­ schaften in 19. und 20. Jahrhundert, Wien 2008, 187–204. 21 I. Petrovskaia, Teatr, 135. 22 State Archives of the City of Kyiv (Derzhavnyi arkhiv m. Kyieva), collection 163 (Kyiv city administration), inventory 7, file 185, sheet 1–3 (contract with F. Berger, 25 May 1869). 23 State Archives of the City of Kyiv, collection 163, inventory 7, file 185, sheet 17–20 (contract with F. Berger, 15 April 1872).



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the main institution of high theatrical art in the region. And by the end of the nineteenth century, Kyiv had become a predominantly Russian city. On the other hand, throughout the second half of the nineteenth century, authorities and official musical critics were constantly alarmed by the fact that Russian operas constituted only a small part of the repertoire of the Kyiv City Theater (which instead was dominated by Italian operatic production) and that imperial financial subsidy, paradoxically, supported “foreign”, mostly Italian, operas. Sporadically, they concluded that the mission of Russian opera to russify the Kyiv public and the province had failed.24 The Kyiv theater-going public in the making

Who constituted the theater-going public in Kyiv and what exactly did they prefer to see on the stage of the City Theater  ? This remained an open and sometimes much debated question. Even in internal bureaucratic correspondence one could find conflicting answers. For example, an entrepreneur of the Kyiv theater explained in June 1857 in the report to the general governor that “Kyiv as a Russian city, and as the mother of Russian towns (mater’ russkikh gorodov) has a full right to have only a Russian troupe. But a majority of the public consists of the Polish nobility”.25 The Civil Governor of Kyiv, Hesse, argued in July 1862 that “in Kyiv a majority of the public is made up of Russian people who attend exclusively Russian plays, and the Polish public in the city is rather insignificant. It consists of visitors who gather only during the Christmas Fair period”.26 The issue was even more controversial when addressed later in the public debate. After the Polish uprising of 1863, the number of Polish students at the University of Kyiv decreased, the social importance of the Polish land-owning nobility in the public life of the city diminished, and as a result, Poles ceased to be a visible 24 “Russkaia opera i obrusenie,” in Kievlianin no. 11 (25 January 1877), 1–2. 25 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv (Tsentralnyi derzhavnyi istorychnyi arkhiv Ukrainy u m. Kyievi), collection 442 (office of Kyiv governor general), inventory 85, file 658/1, sheet 91 reverse (report of N.Kobylin to Kyiv governor general, June 1857). 26 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/2, sheet 17 reverse (letter of Kyiv civil governor Hesse to Kyiv general governor, 12 July 1862).

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part of the theater-going public. Instead, new urban groups, especially Russian merchants, became more involved in theatrical life.27 Thus, on the one hand, the new Kyiv theater-going public was often portrayed as patriotic, loyal and deeply interested in serious Russian art. On the other hand, many authors were constantly disappointed by the taste and preferences of the very same public.28 This public was the product of an accelerating growth of Kyiv during and after the time of Great Reforms, which fitted the general pattern of “urban revolution” in the late Russian empire.29 The population of Kyiv increased from ca. 50,000 in 1845 to 127,000 in 1874 and 319,000 in 1902. By the end of the 19th century Kyiv had turned into one of East Europe’s metropolises with a vibrant public life.30 As in other major cities of the Russian empire, the new urban middle stratum in Kyiv developed intensively in the period of the Great Reforms. Judicial reform and the creation of a new legal system, the opening of new educational and public institutions stimulated in the 1860s–1880s the growth of a modernizing urban society in which lawyers, doctors and educators played a prominent role. Located socially “between tsar and people” (using the term of Clowes, Kassow and West),31 and deprived of the direct participation in political life, they still developed a civic society through voluntary associations and critical debates in the press. The group made a core of an urban cultural public, and consequently of opera-goers. It exercised considerable influence over the cultural politics and operatic life in the city and could articulate through the press views opposite to the governmental and right-wing postulates. In general, one may agree with the observation that contemporary “Russian obschestvo was more diverse and spoke with more voices than generally admit27 A.V. Pataleev. Staryi Kiev. Iz vospominanii Starogo Greshnika. Ed. Ol’ha Druh, Kyiv 2008, 75– 76. 28 For example, Nikolaev characteristically commented on the bad habits of the spoiled Kyiv public who preferred operettas over Ostrovsky’s plays in the middle of the 1870s (N.I. Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 97). 29 The term is borrowed from D. R. Brower, “Urban Revolution in the Late Russian Empire,” in M. Hamm (Hg.), The City in Late Imperial Russia, Bloomington 1986, 319–352. 30 On its various aspects see the only English-language study on the history of Kyiv  : M.F. Hamm, Kiev. A Portarit, 1800–1917, Princeton 1993. 31 E.W. Clowes, S.D. Kassow, and J.L. West (Hg.), Between Tsar and People. Educated Society and the Quest for Public Identity in Late Imperial Russia, Princeton 1991.



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ted”.32 Also, the Kyiv public should be seen not as a coherent but rather as a fragmented body. One can find enough information on the views of the progovernmental and pro-Russian segment of society from the state-subsidized conservative newspaper Kievlianin, which became an organ of militant Russian nationalism. This part of the public was represented by some members of the intelligentsia, governmental officials and military officers. Less is known about the views of other segments of educated society that could not so freely articulate their opinions in the press  : the more apolitical “middle” stratum, an Ukrainophile grouping, the Polish provincial gentry and city dwellers, Jewish urban professionals. In that period there were no separate Jewish, Polish or Ukrainian press organs that could represent the respective ethnic communities. But there were privately-subsidized, Kyiv-based newspapers such as Kievskii telegraf, 1859–1876, and Zaria, 1880–1886 that voiced more liberal and ethnically tolerant views. And even on the pages of Kievlianin, different authors sometimes disagreed on various matters, including musical theater, thus creating some space for discussion and promoting public discourse that would be alternative to the official one. Notwithstanding the politically contested character of the city and the variety of ethno-confessional traditions that its modern culture had integrated, Kyiv’s educated urban public belonged to a cultural sphere that could not be easily divided along the ethnic lines. Both Russian-Ukrainian and Russian-Jewish divides were usually blurred by intensive everyday communication and processes of acculturation. Although late imperial Kyiv was notorious for pogroms and the infamous Beilis blood libel trial (1911–1913), the city located on the border of the Pale of Settlement was a place where many Jewish newcomers were integrated into the imperial metropolitan culture. A recent study by Natan Meir questions the image of continuous isolation of Russian Jews from imperial society and points to the intensive collaboration of Jewish cultural and social elites with their Russian and Ukrainian neighbors in Kyiv, especially through urban voluntary associations.33 32 W.G. Wagner, “Ideology, Identity and the Emergence of a Middle Class,” in Between Tsar, 163. 33 N.M. Meir, “Jews, Ukrainians, and Russians in Kiev  : Intergroup Relations in Late Imperial Associational Life,” in Slavic Review 65 (2006), 475–501.

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It is also often overlooked that many local Ukrainophile patriots, in fact, supported the anti-Polish policy of the Tsarist government. This support was part of a general attempt to find a certain modus vivendi with the imperial authorities and to combine the concept of an ultimate Russian-Ukrainian political unity with the vague notion of Ukrainian cultural separateness.34 For some prominent Ukrainophile activists, like Mykhailo Drahomanov, notwithstanding important educational role of Ukrainian literature, only the supra-national and well-developed all-Russian literature could satisfy the intellectual needs of educated Ukrainians. It seems that a similar approach existed in the sphere of public musical culture. Kyiv was the home of the famous Ukrainian composer Mykola Lysenko, who, notwithstanding his key role in forming a separate Ukrainian musical tradition, regularly collaborated with the Kyiv Russian opera and with the local branch of the Russian Musical Society.35 Interestingly, the two best known theatrical amateurs of the 1870s–1880s, Pavel Andreevsky (Pavlo Andrievs’ky  ; 1849–1890), and Lev Kupernik (1845– 1905), were both popular lawyers and belonged to the two main non-dominant ethnic groups in Kyiv society  : Ukrainians and Jews. Both were married to daughters of artistic families, both were active members of the local amateur drama society that staged Russian drama plays in the city, and both frequently wrote theatrical reviews and aspired to shape and represent the views of the Kyiv urban public. It is noteworthy that the newspaper Zaria edited by Andreevsky was known for its Ukrainophile position and for its critical responses to antiSemitism. Neither Andreevsky nor Kupernik were open opponents of the Tsarist government or its Russifying cultural policy, but both defended a type of musical theater that would not be totally subordinate to the Russian loyalist or nationalist agenda. 34 On various discourses within Ukrainian national project of that time see O. Sereda, “Shaping Ukrainian and All-Russian Discourses  : Public Encounters of Ukrainian Activists from the Russian Empire and Austrian Galicia (1860–70s),” in A. Nowak (Hg.), Rosja i Europa Wschodnia  : “imperiologia” stosowana. Russia and Eastern Europe  : Applied “Imperiology”, Cracow 2006, 381–399. 35 M. Kuz’min, Zabuti storinky, 98.



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Continuous Italian operatic influence

Most Russian and Ukrainian studies in the history of the Russian musical theater treated the contest between Russian and Italian operas as one of opposition between a “progressive” Russian public promoting national culture and a “reactionary” regime that supported foreign influences. In her recent study of the role of opera in Russian cultural life, Julie Buckler has revised this scheme and shown that Russian opera itself incorporated both foreign Italian (and European in general) and native elements.36 She demonstrates that although Russian opera developed in the second half of the 19th century through the intensive opposition to Italian operatic influences, a truly eclectic mix of Russian and Western operas was generally typical for a Russian opera theater in the imperial capitals (St. Petersburg and Moscow) at the end of the 19th century. Therefore, the sphere of Russian operatic production served as a “contact zone” with European art. It was permeable for ideas that could not be articulated in society in more explicit form  : “Regarding opera and its travels through the Russian cultural landscape, particularly in 19th-century St Petersburg, it can be asserted that Russians made Western opera their own. While certain stories and motifs from Western opera proved initially resistant to Russian aesthetic and cultural mores, creative adaptations and reinterpretations allowed Russians to integrate this tradition over the course of the 19th century … This operatic aspect is central to an understanding of urban culture in 19th-century Russia.”37 All in all, Russian-Italian opposition in the musical theater existed more in the minds of musical critics than in the reception of the theater-going public. Russian operatic life as such was closely connected to all-European opera. At the end of the 19th century, the former can be categorized both as “periphery” and “core” — remaining peripheral in relation to European culture, but being in the process of ascending into a core of a distinct musical culture. European (first of all, Italian) operas and also operettas, often in Russian translations, circulated throughout the empire, spreading common European cultural trends, even as Russian operas became part of an all-European operatic canon. 36 J.A. Buckler, The Literary Lorgnette. See also R. Taruskin, Defining Russia Musically, Princeton 1997. 37 J.A. Buckler, The Literary Lorgnette, 214.

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The analysis of the repertoire of the Kyiv city theater shows that from the late 1860s, Russian national opera was normally reserved for opening the theatrical season, for special performances for students, and for various imperial celebrations. The “Russian opera” was opened in Kyiv on 27 October 1867 by the symbolic production of Aleksei Verstovsky’s Askold Grave, which dealt with the pre-Polish, old-Rus’ past of Kyiv. Other Russian operas produced in Kyiv in 1867–1868 were A Life for the Tsar by Mikhail Glinka (18 December 1867) and Rusalka by Aleksandr Dargomyzhsky (18 December 1868).38 And already in the first months of its existence the repertoire of the Kyiv Russian opera also included operas by Bellini, Donizetti, Rossini and Verdi in Russian translations.39 Although the 1868/69 theatrical season in the Kyiv opera house was symbolically opened by Glinka’s A Life for the Tsar, it was foremost marked by the productions of Il Trovatore and La Traviata by Verdi and Faust by Gounod.40 Thus, the entrepreneur Ferdinand Berger was dismissed in April 1874 for the lack of devotion to the Russian opera.41 His successor Iosif Setgofer (better known under the stage name Setov  ; 1826–1894) was seen as part of the artistic elite of Russian capitals, “an actor of Russian Imperial Theaters”. He was the entrepreneur of the Kyiv City Theater in 1874–1883 and then in 1892–1893 (No other theatrical director appointed by the governor general, so sometimes Setov himself was called the “director of Kyiv theaters”.). The first period of Setov’s entrepreneurship was marked by the successive rise of opera and then operetta to the peak of popularity among the urban public of Kyiv. This period is, therefore, the focus of the following part of this paper. The entrepreneurship of Setov (1874–1883)  : opponents and advocates

According to the additional “Conditions” approved by the Kyiv general governor on 24 May 1874, the Kyiv opera continued to receive an annual governmental 38 E. Zin’kievich, “Kievskaia premiera”, 160–176. 39 M. Kuz’min, Zabuti storinky, 138. 40 Iu. Stanishevs’ky, Natsional’nyi akademichnyi teatr, 60–61. 41 ��������������� V.A. Chechott, 25–letie, 25.



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subsidy of 6,000 roubles. The governor general kept the right to confirm the repertoire and personnel while the “performance of operatic and drama plays had to fully satisfy needs of the government and modern demands of the arts”.42 The same conditions were then re-confirmed by the general governor in November 1878. In August 1880 the governmental subsidy was further decreased to 3,000 roubles.43 This subsidy was explicitly issued with an aim to “Russify the province”, therefore throughout the 1870s and 1880s, the main public figures still used an anti-Polish, Russifying discourse typical of the 1860s. Since this was the way to ensure the governmental subsidy, it was vitally important for the existence of the opera theater in Kyiv. Iosif Setov’s arrival in Kyiv at the beginning of the 1870s resulted in the establishment of direct contacts with the centers of Russian operatic life. Until the end of the 1860s, Kyiv existed on a cultural map structured around the neighboring provincial centers of the South-Western province of the empire  : artists and whole troupes mostly arrived from Kharkiv, Chernihiv, Mykolaiv, or from the estates of the local gentry (if they were serfs). Only sporadically did they come from Moscow and St. Petersburg, or from the Polish-dominated cities of Cracow, Lviv/Lwów, Vilnius/Wilno, Warsaw and Zhytomyr. Also, cultural connections with the more cosmopolitan city of Odessa were important for the spread of Italian opera in Kyiv. Around 1870, musical theater in Kyiv became part of a bigger Russian operatic network, which was built around the main imperial theaters, both Russian and Italian, in the capitals (St. Petersburg and Moscow). This network was in its turn closely connected to the all-European network. Interestingly, the city of Kyiv played an important role in adapting European operas to the all-Russian musical stage. For example, Aida by Giuseppe Verdi and Carmen by Georges Bizet were performed in Russian first on the theatrical stage in Kyiv (on 11 42 Central State Archive-Museum of Literature and Arts of Ukraine (Tsentralnyi derzhavnyi arkhivmuzei literatury i mystetsv Ukrainy), Kyiv, collection 646 (Kyiv branch of the Imperial Russian Musical Society), inventory 1, file 84, appendix 2, sheet 1–2 (“Condition according to which the entrepreneur of the Kyiv City Theater receives governmental subsidy in the sum of 6 000 roubles”). 43 Central State Archive-Museum of Literature and Arts of Ukraine, collection 646, inventory 1, file 84, appendix 3, sheet 1 (“Commitments of entrepreneur of the City Theater I. Setov, 1 August 1880”).

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January 1877 and 23 January 1885) and only couple of months later — in the Mariinsky theater in St. Petersburg.44 Setov invested more funds in operatic productions but staged fewer premieres than his predecessor. Consequently, only a few new Russian operas were produced. One of his initial greatest successes was the production of Oprichnik by Piotr Tchaikovsky on 9 December 1874. The composer — present at the performance — was very pleased by the artistic level of the theater in Kyiv and wrote a flattering account praising the energy, skillfulness, cleverness of “the highly-talented singer and artist” Setov. Tchaikovsky claimed that only the St. Petersburg opera could compete with the Kyiv opera and win.45 Yet the Kyiv musical critics who represented Russian nationalist discourse very soon became disappointed with the theatrical politics of Setov. They acknowledged that the artistic level of the city theater had grown considerably and that Setov had managed to bring to Kyiv several prominent Russian and foreign singers, but they were always disappointed that “Russian opera” in Kyiv, although it was producing musical plays in Russian, still remained Italian in its nature. They suspected, perhaps justifiably, that Setov lacked Russian operatic patriotism.46 Even worse, according to some authors, Setov inherited from Berger his “scornful” inclination to operetta (Offenbach’s plays were produced in Kyiv already in the 1868/69 season)  ; and contrary to the taste of musical critics, preferred Italian music to German operas (Tannhäuser by Richard Wagner was produced for the first time only in 1882). Indeed, during the first season (1874/75) Setov arranged 38 performances of two Russian operas (26 of A Life for the Tsar  ; 12 of Oprichnik) out of 92  ; during the two seasons of 1875/76 and 1876/77, Setov arranged 56 performances of five Russian operas (25 of A Life for the Tsar  ; 14 of Rusalka  ; 8 of Askold grave  ; 5 of Rogneda by Aleksandr Serov  ; 4 of Oprichnik) out of 297 performances in total.47 A very characteristic public debate on whether the city needed opera or drama took place in early 1877, when city authorities considered extending Setov’s con44 Iu. Stanishevs’ky, Natsional’nyi akademichnyi teatr, 69. 45 Quoted in A. Ol’khovs’ky (Hg.), P.I. Chaikovs’ky na Ukraini. Materialy i dokumenty, Kyiv 1940, 11–14. 46 ��������������� V.A. Chechott, 25–letie, 24. 47 “Russkaia opera v Kieve,” in Kievlianin no 133 (8 November 1877), 1–2.



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tract. A series of articles were published in the main Kyiv newspaper Kievlianin by its editor, University Professor Vitalii Shulgin and Prince Vladimir Tsertelev. They argued that the decision to Russify the province with the help of Russian opera and to develop national feelings with the help of emotions provoked by music was wrong. In practice, the Kyiv opera had become Russian only in language, while its repertoire consisted mostly of Italian operas, and its singers were Italians, Germans and Czechs.48 Furthermore, Prince Tsertelev argued that the artistic form of opera was not Russian at all. Instead, Russian drama theater should have received a state subsidy. For the costs of one opera, Aida, argued Tsertelev, drama theater could stage all the plays of Gogol, Pushkin, Griboedov, Turgenev, Ostrovsky and others.49 Opponents of these views spoke publicly at a dinner in honor of opera entrepreneur Setov. The most outspoken was Andreevsky. He argued against the view that art should be an instrument in the hands of administration to Russify the province or to be used for political propaganda in general  : “We consider sacred art the highest delight in beauty, a satisfaction of the highest need that an individual has — aesthetic feeling.” In his opinion, Setov was first of all an artist. Others who spoke in support of Setov represented the Russian Musical Society, doctors, and the university intelligentsia. There were also speakers who attempted to develop a “middle line”. Among them, Lev Kupernik wanted to preserve opera in Kyiv but agreed with the need to stage more Russian operas.50 Finally, the city administration decided in spring 1877 to continue Setov’s contract for another 3 years.

48 “Russkaia opera i obrusenie,” in Kievlianin no. 11 (25 January 1877), 1. 49 Vl. P. Tsertelev, “Zabytaia potrebnost’ obshchestvennoi zhyzni,” in Kievlianin no. 21 (17 February 1877), 1. 50 “Obed g. Setovu,” in Kievlianin no. 24 (24 February 1877), 2. Interestingly, in the opinion of Nikolaev, the polemics on the importance of opera versus drama was still significant for Kyiv at the turn of the 20th century — when after a fire destroyed City Theater in February 1896, a splendid new Opera House was constructed, while drama theater used a less prestigious building (N.I. Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 102–103).

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Theatrical debates in the time of the Russo-Turkish war (1877–1878)

The season of 1877/78, which coincided with the Russo-Turkish war, demonstrated that even the growth of patriotic and Slavophile feelings did not stimulate interest in the Russian national operas. As always, the City Theater was a place for manifesting patriotic feelings.51 For example, after the news of the Russian army’s victory at Plevna had arrived in Kyiv, the public reacted immediately  : “Before the opera [La Traviata] numerous people demanded the anthem, and the whole opera troupe, orchestra and military chorus invited by Mr Setov sang the anthem three times. After the end of the opera, the anthem was repeated three times again, accompanied by loud “hurrahs  !” Yet Russian operas were often performed in an almost empty theater.52 And thus the public debate on the nationalizing and entertaining functions of the opera continued. The national-cultural character of the Kyiv musical theater was indeed questionable. After ten years of its existence in the city, the entire Kyiv Russian opera troupe was ethnically very mixed. Almost half the opera singers, especially the leading ones, were Italians. Their identity sometimes created confusion. Who were they — Italians or Russians  ? Representing Italian or Russian characters  ? The Kievlianin voiced different opinions on the Italian female singers playing Russian characters in Russian operas. Generally, the newspaper was critical of them. For example it wrote the following about the Italian Abrassi  : “Mrs Abrassi does not have a strong enough voice for the part of Natalia [in the opera Oprichnik]. She is too cold … and her appearance does not correspond to the image of a Russian girl.”53 The intrinsic Italian nature of prima donnas was criticized on many other occasions. The mezzo-soprano Rafaeli was not considered suitable for contralto roles in Russian operas  : “What kind of a boy Vania or princess in Rusalka is she if she does not have a deep, low voice  ? In both roles Rafaeli is not 51 L. K-k [Kupernik], “Za nedeliu,” in Kievlianin no. 144 (3 December 1877), 1–2. 52 For example, a charitable production of A Life for the Tsar on 25 December 1877 to raise money for wounded Russian soldiers attracted attention of only a few — “the theater was empty … What a shame it was to see the empty rows of seats… This is not a city, but the devil knows what [chert znaet, chto takoe]” — complained Lev Kupernik (L. K-k [Kupernik], “Za nedeliu,” in Kievlianin no. 151 (20 December 1877), 1–2). 53 “Russkaia opera v Kieve,” in Kievlianin no. 133 (8 November 1877), 2.



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a Russian boy and is not a Russian princess, but an Italian in Russian costume, an Italian who very unskillfully uses the Russian tongue.”54 But another Kievlianin writer, Kupernik, was more sympathetic to Italian singers. For example, he believed that Abrassi sang the part of Natalia “with much more sense and tact”, while, in his opinion, Rafaeli’s singing and the general performance of the part by Morozova were very good.55 And the same Abrassi was praised by Kupernik for singing her part in Rossini operas “with feeling and skill — exactly how the music of Rossini should be sung”.56 The following operatic productions were mentioned as the most successful in the newspaper’s reports  : Moses (Mosè in Egitto) by Rossini was called the most popular and profitable (“the theater is filled constantly”)57  ; The Daughter of the Regiment by Donizetti was sung in Italian and “its success on the Kyiv stage topped all expectations”58  ; La Traviata by Verdi had 18 performances in one season59  ; and L’Africaine by Meyerbeer “continues to fill the theater in spite of high prices”.60 The list of the most successful operas in the season of 1877/78 also included Faust. On the other hand, one can learn from theatrical reviews that Askold grave went badly  ; Oprichnik and Rogneda after a few successful performances finally “failed”,61 Rusalka attracted very few people (“did the people of Kyiv see it enough times, or, on the contrary, haven’t they realized yet the first-class beauty of this opera  ?”62). In March 1878 the premiere of Illia Muromets by local composer Malashkin was a great success, but the second performance met with a hostile response.63 There can be no doubt which operas the newspaper critics preferred  : “I am wondering why Mr Setov did not care about staging Ruslan [Ruslan and Ludmila by Mikhail Glinka], The Demon [by Anton Rubinstein], 54 N., “Russkaia opera v Kieve,” in Kievlianin no. 127 (25 October 1877), 2. 55 L. K-k [Kupernik], “Za nedeliu,” in Kievlianin no. 125 (12 November 1877), 2. 56 L. K-k [Kupernik], “Za nedeliu,” in Kievlianin no. 118 (4 October 1877), 2. 57 L. K-k [Kupernik], „Za nedeliu,“ in Kievlianin no. 118 (4 October 1877), 2. 58 “Russkaia opera v Kieve,” in Kievlianin no. 127 (25 October 1877), 2. 59 “Russkaia opera v Kieve,” in Kievlianin no. 133 (8 November 1877), 1–2. 60 “Kievskaia opera v velikopostnyi sezon,” in Kievlianin no. 37 (28 March 1878), 1–2. 61 “Russkaia opera v Kieve,” in Kievlianin no. 133 (8 November 1877), 1. 62 L. K-k [Kupernik], “Za nedeliu,” in Kievlianin no. 131 (3 November 1877), 1–2. 63 „Kievskaia opera v velikopostnyi sezon,” in Kievlianin no. 37 (28 March 1878), 1–2.

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and Vakula [Kuznets Vakula by Piotr Tchaikovsky]  ? Why did he not care about staging good operas, the pearls of Russian music — he has resources for that  ! I do not think that Mr Setov would lose financially. His expenses would be rewarded. But, of course, it is much easier to stage old, worn out (zaiezzhennyie) operas that are worthless in terms of the quality of music and expenses involved. Whenever one looks at a theatrical poster, one sees only Verdi and more Verdi there.”64 This quote represents the wide-spread view that the predominance of Italian operas in the repertoire resulted from the management’s disinterest in Russian operas. In the early 1890s Viktor Chechott, the main Kyiv musical expert in that time, argued that the Kyiv public’s “scornful dislike” of Russian opera resulted from the careless repertoire politics of theatrical management. In his opinion, the theater should not follow the bad taste of the public, but should educate, cultivate and develop it. He quoted and wholeheartedly supported the argument of the anonymous author of a critical brochure on the Kyiv opera from 1872  : “If there were good operas on the Kiev stage instead of translated Italian trash (italianskaia perevodnaia chepukha), then even if the public which doesn’t attend theater would at the end go to the opera diligently because it would learn about the superiority of serious Russian music over Italian trash and operetta.”65 This argument resonated in a number of publications through the 1870s and 1880s. Cultivated audience or unruly mob  ?

Yet the Kyiv theater-going public proved to be even more unruly on several occasions. Under the socio-political circumstances of the late Russian empire, theatrical politics could partly substitute for the lack of real party politics in society. The operatic emotional atmosphere could make musical theater the least controlled part of the public life and the locus of a public turmoil. Often fans of opera singers staged demonstrations in favor of their stars which couldn’t be controlled by the police anymore. 64 L. K-k [Kupernik], “Za nedeliu,” in Kievlianin no. 118 (4 October 1877), 2. 65 V.A. Chechott, 25–letie, 26.



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And even the highly patriotic A Life for the Tsar could create an occasion for clashes of the opera fans with the guardians of order, as happened on 11 March 1876. The growing popularity of the basso Fedor Stravinsky (1843–1902  ; father of famous composer Igor Stravinsky) resulted in regular nightly disorders on the streets of Kyiv. After performances, noisy crowds of fans would greet Stravinsky leaving the building of the City Theater and cheerfully follow him to his apartment. After complaints by the theater entrepreneur Setov, the police and gendarmerie attempted to prevent it from happening again after the performance of A Life for the Tsar. This attempt drew hundreds of opera fans into a fight which the police apparently lost. According to the police report, the crowd was joined by many youths who had not actually attended the opera performance. They were unexpectedly daring and carnival-like (shouting “bravo” at the police and making a charivari noise) and physically attacked several policemen and gendarmes.66 The incident showed that in the highly controlled Russian society, the musical theater did more than create a civilized space for a cultured public  ; it also created a space for the emotions and public behavior of a street carnival. The regime’s control over society was turned upside down, and after midnight, the seemingly respectful theater-going public became a disorderly mob of opera fans. Thereafter, the theatrical director made sure that the performance ended and the public was out of the theater before midnight.67 But the clashes between the opera-going public and the police sporadically continued later. Thus, comparing always-revolutionary Paris to Kyiv, Kupernik positively commented that the reasons for the clashes in his native city were theatrical and not political. Consequently he tried to defend certain freedoms of the theater-going public, arguing that even more respectful and elder operagoers would be willing to express their admiration of singers in all possible ways.68 Yet the same author occasionally criticized the aesthetic taste and unruly behaviour of those who watched operas from the cheapest upper gallery (so-called 66 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 55, file 97, sheet 1–5 rev (report of the head of Kyiv police, 16 March 1876). 67 State Archives of the City of Kyiv, collection 163, inventory 7, file 564, sheet 9 (report of I. Setov, 15 April 1876). 68 L. K-k [Kupernik], “Za nedeliu,” in Kievlianin no. 141 (26 November 1877), 1–2.

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“paradise”), presumably students and members of the lower ranks of society.69 This part of the public was in permanent conflict with those who sat in the more expensive lower areas of the interior, and, as a rule, applauded different singers. Consequently, the style of the “upper gallery” was regularly rebuked by the musical critics in Kyiv newspapers.70 Ukrainophile manifestations and the operetta craze

Excessive enthusiasm for musical theater could also have ethnic underpinnings, as it was the case with Ukrainian musical theater. At that time there was no separate Polish or Jewish theater in the city, although a significant part of the public was pleased by the operas that dealt with Jewish themes, in particular with Mosè in Egitto (first Kyiv production in September 1877)71 or Uriel Acosta by Valentina Serova (first Kyiv production in December 1887).72 The Polish opera was usually limited to Halka by Stanislaw Moniuszko (produced since 1868) because it stressed the conflict between Polish gentry and the peasantry, a conflict the Russian government liked to exploit. The most numerous non-Russian group, the Ukrainophile intelligentsia, regularly organized amateur performances of Ukrainian folk comic operas/operettas (especially Natalka Poltavka) in the City Theater.73 In early 1874, when the Ukrainophile activities in Kyiv reached their peak and just before the Tsarist restrictive prohibitions, the comic opera Rizdviana nich (The Christmas Night) by 69 L. K-k [Kupernik], “Za nedeliu,” in Kievlianin no. 16 (7 February 1878), 1–2. 70 See, for example, V. Chechott, “Opernyi teatr,” in Kievlianin no. 315 (13 November 1892), 3. On the conflict between “upper” and “lower” parts of theater-going public in Kyiv see also J.A. Buckler, The Literary Lorgnette, 28–29. 71 N., “Kievskaia opera,” in Kievlianin no. 113 (22 September 1877), 1–2. 72 “Uriel Akosta,” in Kievlianin no. 270 (13 December 1887), 3. See also E. Zin’kievich, “Bezymiannoie prostranstvo russkoi opery (1870–1880–e gg.),” in Mundus musicae. Teksty i konteksty. Izbrannyie statti, Kiev 2007, 138–140. 73 On the production of Natalka Poltavka in December 1859 in the Kyiv City Theater see M. Stefanovych, Kyivs’kyi derzhavnyi ordena Lenina akademichnyi teatr, 14–15. Amateur performances of Natalka Poltavka continued later, often with some participation of professional musicians and singers. For example, on 23 October 1867 Natalka Poltavka was staged in the City Theater, four days before the official opening of the Russian opera in Kyiv (M.Kuz’min, Zabuti storinky, 137–138).



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Mykola Lysenko was staged four times in the Kyiv City Theater, as an amateur performance (with the participation of some professional musicians and singers) with great success.74 Some authors later considered this production the first performance of a modern Ukrainian opera.75 A part of society used this production as an occasion for public manifestation and perceived it as a “national celebration”. The organizers aimed at a precise representation of Ukrainian culture and borrowed some of the decorations, armory and costumes from the famous historical collection of the rich Ukrainian landowner Vasyl’ Tarnovs’ky. A part of the audience also appeared in ethnic costumes.76 The anti-Ukrainian reaction of the right-wing part of the Kyiv public, which grouped around Kievlianin, resulted in the imperial Ems ukaz (May 1876) that, among other restrictions, prohibited “all stage performances in the [Little Russian] dialect, as well as lyrics to musical scores … (as having at the present the character of Ukrainophile manifestations)”.77 The ukaz was effective in modified form until 1905, but in 1881 the right to use Ukrainian on the stage — under special conditions — was regained. Under the new regulations, theatrical troupes could not have an exclusively Ukrainian character and had to perform both Ukrainian and Russian plays consecutively on the same evening.78 As a result of this change, Ukrainian musical theater reappeared in Kyiv in 1882, but in 1883 the local governor prohibited Ukrainian plays because of their supposedly political character.79 74 M. Kuz’min, Zabuti storinky, 170–180. On the socio-political context of the 1874 Kyiv production of Rizdviana Nich, see A. Miller, “Ukrainskii vopros”, 153–172. 75 Iu. Stanishevs’ky, Natsional’nyi akademichnyi teatr, 61–63. 76 D. Antonovych, Trysta rokiv ukrainskoho teatru, 1619–1919, Prague 1925, 112–113, 128–129, 157. See a vivid description of the preparation of the performance by an Ukrainophile amateur group L. Kobylians’ky, „Spomyny pro M.V. Lysenka (z pryvodu pershykh rokovyn smerty batka ukrainskoi muzyky),“ in Literaturno-Naukovyi Vistnyk 64 (1913), 487–500. On the symbolic use of Ukrainian ethnic costumes in the 19th century see S. Yekelchyk, “The Nation’s Clothes  : Constructing a Ukrainian High Culture in the Russian Empire, 1860–1900,” in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 49 (2001), 230–239. 77 The ukaz is quoted in full in A. Miller, “Ukrainskii vopros”, 243. 78 ����������� A. Miller, „Ukrainskii vopros“, 225. 79 Since 1888 Ukrainian plays could be produced once a year in one of the main Kyiv theaters, and after 1893 the prohibition was finally abolished (D. Antonovych, Trysta rokiv, 150–158, 171–172).

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Ukrainian musical theater had an ambivalent character — on the one hand it was often considered as comic, lower genre80 presenting a stereotyped picture facilitating integration into the all-Russian culture, but, on the other hand, it stressed a sense of local identity.81 In response to governmental restrictions, part of the Ukrainophile liberal-populist intelligentsia tried to make “Little Russian plays” a legitimate part of Kyiv theatrical life and to deprive them of any possible subversive political meaning. Thus, commenting on an amateur performance of Natalka Poltavka in the City Theater on 11 January 1882, a contributor to Zaria (probably Andreevsky) observed that “the theater was full, seemingly without a single empty seat”, and that the local audience was always grateful for all attempts of theatrical activists to stage “Little Russian plays” — “and this is a ‘wide’ public, not a selected one, without any political tendencies”.82 The Ukrainophile tendencies could be sometimes blamed for the failures of Russian operas in Kyiv (at least that is how Viktor Chechott explained the attempts at a public boycott of May Night by Nikolai Rimsky-Korsakov in 1884/85).83 Yet more often it was the operetta which was seen as a dangerous competitor to the serious national operatic art, because it could deeply “corrupt the taste” of the public. The popularity of operetta grew throughout the 1870s, and at the beginning of the 1880s the operetta dominated the repertoires of both the opera house and the drama theater in Kyiv. The mass craze for operetta around 1880 was often juxtaposed in the press to the serious preferences of the real “musical public”. But as a contemporary admitted, the latter also abandoned opera in Kyiv because it had become artistically weak.84 Interestingly, one 80 By the 1860s the Ukrainian (“Little Russian”) theatrical repertoire consisted of about 150 plays that mostly belonged to the genres of vaudeville and comic opera (I. Sikors’ka, Ukrains’ka komichna opera  : genezys, tendentsii rozvytku, Kyiv 1993, 8). 81 As the future Ukrainian actor K.I.Vanchenko recalled, the triumphant success of the Ukrainian musical theater in Kyiv made him to feel Ukrainian (K.I.Vanchenko, Vospominania ukrainskogo aktera [undated separate broschure], 155). 82 N., „Iskustvo i literatura. Malorusskii spektakl’,“ in Zaria, no. 8 (12 January 1882), 3. 83 This “native opera appeared under the ill star on the Kyiv horizon  ; the Ukrainophile part of the local public and press tried to make this beautiful opera fail … Maiskaia Noch’ was almost hissed off the stage.” ���������������� (V.A. Chechott, 25–letie, 39–40). �������������������������������������� Some scholars argued that the boycott of Maiskaia Noch’ was deliberately organized by Ukrainophile activists as a reaction against the prohibition of Ukrainian musical theater in Kyiv (D. Antonovych, Trysta rokiv, 181). 84 A.V. Pataleev. Staryi Kiev, 108–109. Another lawyer and musical critic, Sergei Iaron, recalled



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of the reasons mentioned for the popularity of operetta was that it could easily include fresh satirical couplets mocking city dignitaries.85 The dominance of operetta in Kyiv obviously wasn’t approved by the city authorities who had to preserve the Russifying political mission of the musical theater in Kyiv. Already in 1882 some members of the City Duma expressed their concerns that “Mr. Setov almost every day treats the public with obscene operettas”.86 In 1883 Setov asked for permission to open in Kiev a “comic opera” instead of the existing Russian opera arguing that “at the moment there are no good Russian opera artists who can satisfy the needs of the public, and even the St. Petersburg and Moscow operas lack them and those who sing there are from Kyiv”.87 In response, the city administration tried to negotiate the number of operettas per season in the contract with Setov, but the contract was never signed. After an open conflict that involved the press and opera singers88, a new entrepreneur, Nikolai Savin, who had directed Russian drama and operetta troupes in Kyiv since 1878, was appointed. From Setov to Setov

After June 1883 Savin attempted to introduce a Russian drama troupe to the stage of the City Theater alongside Italian and Russian operatic troupes, but the attempt was not supported by the public.89 In the 1884/85 season, Russian drama was again played only during the summer. The city authorities were not eager to support Russian drama financially and claimed that the dislike of Rusthat “operetta was played four times per week, bringing full profit, and opera twice — in an almost empty theater” (S. Iaron, Vospominania o teatre (1867–1897), Kiev 1898, 237). 85 Aleksandr Pataleev recalled how in the early 1870s the newly invented mocking couplets were included in the operetta Orpheus in the Underworld on the same evening when the carriage of former city mayor Prince Pavel Demidov killed an old woman on the street. Subsequently, the couplets were prohibited by the governor (A.V. Pataleev. Staryi Kiev, 87–88). 86 „Zasedanie gorodskoi Dumy“, in Zaria no. 12 (16 January 1882), 2. 87 State Archives of the City of Kyiv, collection 163, inventory 7, file 914, sheet 8 (petition of Setov to the City Head, 14 February 1883). 88 S. Iaron, Vospominania, 309–310. 89 “During dramatic plays the theater was completely empty”, Sergei Iaron recalled the situation under the entrepreneurship of Savin (S. Iaron, Vospominania, 293).

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sian theatrical art in the city had deeper roots. Allegedly, the mayor (gorodskoi golova) made a telling comment in regard to this situation  : “The indifference of the public to Russian dramatic plays depends on the evolution in the city of those elements who sympathize with savage operetta, khokhlomanic [a term derogatory for Ukrainophile] plays and even with Jewish but not Russian dramatic art [it was, perhaps, an allusion to the triumphant tour of Sarah Bernhardt in 1881]. The City administration cannot fight this evil  ; this is the task of the government.”90

Still, under Savin’s entrepreneurship Russian operas received a prominent place in the repertoire. If in the 1870/71 theatrical season, except for A Life for the Tsar and Rusalka, non-Russian operas and operettas were produced most often (Il Trovatore by Verdi, Norma by Bellini, Guillaume Tell by Rossini, La Belle Helène by Offenbach), in the theatrical season of 1887/88, several newly-written Russian operas (Uriel Akosta by Valentina Serova, Kavkazskii plennik by Cesar Cui, Yevgeny Onegin by Piotr Tchaikovsky and The Demon by Rubinstein) were staged as often as the most popular foreign operas, Faust and Carmen. Russian operas constituted approximately one third of all operatic performances in the early 1870s, and one half in the late 1880s.91 Yet the entrepreneurship of Savin ended after a touring Italian opera troupe from Odessa during the Great Lent of 1889 was very successful among the Kyiv public.92 The new theatrical entrepreneur Ippolit Prianishnikov, before settling in Kyiv, used to sing in the Imperial theaters of St. Petersburg and then served as an entrepreneur of the Tiflis opera. Two years later, in 1891, another prominent Russian artist and theatrical manager, Nikolai Solovtsov, moved to the city of Kyiv and became there an entrepreneur of the first successful permanent professional Russian drama theater. The arrivals of both Prianishnikov and Solovtsov marked 90 Quoted in N.I. Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 160–161. 91 This estimation is based on the analysis of the repertoire reconstructed according to announcements in the Kyiv press  : Kievskii vestnik (1870–1871) and Kievlianin (1887–1888). 92 ��������������� V.A. Chechott, 25–letie, 49. ������������������������������������������������������������������� Iaron claimed that this success of the Italian troupe in Kyiv eventually led to the dismissal of Savin from the position of theater entrepreneur  : “The public, including many members of the City Duma, admired the Italian opera troupe, and after making a comparison became certain of how badly Savin directed Russian opera.” (S. Iaron, Vospominania, 333).



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the deeper integration of Kyiv musical-theatrical life into all-Russian theatrical life. At first, Prianishnikov made another attempt at minimizing Italian operatic productions and at making the Kyiv opera more Russian — by producing more Russian operas (alongside Tannhäuser by Richard Wagner),93 and even by dressing theatrical personnel in Russian folk costumes.94 In fact, in the 1890s the Kyiv City Theater became one of those important provincial stages where newly written Russian operas could be performed immediately after their premieres in the capitals. The musical theater of Kyiv closely collaborated with several prominent Russian composers. For example, the opera Pikovaya dama (Queen of Spades) by Piotr Tchaikovsky was staged in Kyiv on 17 December 1890 (only 10 days later than in the Mariinsky theater in St. Petersburg). The opera Aleko, directed by Sergei Rakhmaninov himself, was produced in Kyiv on 18 October 189395 (the premiere had taken place in Moscow on 27 April 1893). However, while Solovtsov was rather successful in rooting Russian drama in Kyiv, the entrepreneurship of Prianishnikov would not have been possible without significant financial support of the city administration96 and lasted only for three years. As a result, in 1892, Iosif Setov, who after his dismissal managed operetta troupes in Kyiv and Odessa, returned to his post. In the opinion of Russian musical critics, this again marked the rebirth of “Italian trash” on the stage of the Kyiv City Theater.97

Conclusions

There were several important factors that influenced the development of the musical theater in Kyiv after the 1860s  : imperial policy in the province, the cultural preferences of the urban theater-going public, the gradual integration 93 On this production of Wagner’s Tannhäuser and the repertoire of the Kyiv opera in the season of 1889/90 see E. Zin’kevich, “Ten’ Wagnera v Kievskoi opere”, in Kontsert, 172–192. 94 S. Iaron, Vospominania, 339. 95 It should be noticed however, that after the first two successful performances of Aleko, the third was a failure. According to local musical critics, it was because Rakhmaninov did not represent “foreign” music which apparently was still more popular in Kyiv (E. Zin’kevich, “Pervoe iavlenie S. Rakhmaninova Kievu”, in Mundus musicae, 231–246). 96 S. Iaron, Vospominania, 346. 97 V.A. Chechott, 25–letie, 55.

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of local musical theater into the all-Russian network of operatic production, commercial and institutional restraints. The establishment of Russian opera in Kyiv was part of a Russian imperial modernizing strategy, which eventually led to the forming of a Russian national-cultural identity of the city, while marginalizing competing Polish and Ukrainian national projects. Until the end of the 19th century, the dominant tendency of urban acculturation was the adaptation of the Russian language and of Russian modern urban culture in general by the majority of the non-Russian population of Kyiv. Still, ethnicity remained an important factor of identification and was sporadically reflected on the theatrical stage of Kyiv. On the other hand, the urban public in a Russian-dominated metropolis like Kyiv cultivated much more cosmopolitan musical taste than was portrayed in Russian nationalist discourse. Throughout the 1870s and 1880s, the growing urban cultural public of Kyiv did not uniformly prefer Russian national operas over foreign (first of all, Italian) operas and operettas. Arguably, musical theater in Kyiv helped the acculturation of the urban public to European cultural models, although they were perceived through Russian institutional forms. The growth of popularity of operetta corresponded to the urbanization processes and partially satisfied the need for light entertainment for the urban masses. In general, contrary to the situation in the second half of the 1860s, throughout the 1870s and 1880s musical theater in Kyiv became more commercialized and less dependent on governmental support, while public discourse on theatrical politics became more polyphonic. The analysis of managerial politics in the Kyiv opera house shows that the political mission assigned to musical theater in Kyiv by the Russian imperial government often contradicted the inclination of theatrical entrepreneurs towards more entertaining forms, most of all, operetta. In fact, during the 1870s and 1880s, the theatrical administration was torn between the desire to make the theater financially sustainable and popular among the public, and the obligation to promote “serious” Russian art in the city and in the province. Therefore, the entrepreneurs of “Russian opera” in Kyiv attempted to balance its national representational role with the popular admiration of Italian opera and of operetta. Thus, the Italian-Russian character of musical theater in Kyiv was a result from the intricate Italian-Russian operatic culture of the empire and represented its ambivalent character, both nationalizing and entertaining.

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„Bedürfnis aller Werktätigen“  ? Zur Etablierung eines neuen Opernpublikums in der DDR am Beispiel der Ost-Berliner Komischen Oper in den 1950er Jahren



Am 28. März 1953 berief die Abteilung Kunst und kulturelle Massenarbeit des Ost-Berliner Magistrats eine Pressekonferenz ein, in der eine Neugestaltung des organisierten Theaterbesuchs für die staatlichen Bühnen Ost-Berlins angekündigt wurde  : „Auf der II. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands [vom 9. bis 12. Juli 1952, FB] wurde der historische Beschluss gefasst, in der Deutschen Demokratischen Republik planmäßig mit dem Aufbau des Sozialismus zu beginnen. Dieser Beschluss … weist auch der Kunst eine neue, gewaltige Aufgabe zu. Sie muss eine aktive Rolle spielen bei der Veränderung des Bewusstseins unserer Werktätigen.“ Das Ziel sei es, „die Kreise der Interessierten in den Betrieben ständig zu erweitern und schließlich den Besuch einer Theateraufführung zum echten Bedürfnis aller Werktätigen werden zu lassen“. In die Neugestaltung des Theaterwesens in der östlichen Teilstadt wurden nicht nur die Sprechtheaterbühnen, das Deutsche Theater, die Kammerspiele, das Berliner Ensemble, das Metropol-Theater und das Maxim-Gorki-Theater miteinbezogen, sondern auch die beiden Opernbühnen die Deutsche Staatsoper und die Komische Oper. Mindestens so sehr wie im Bereich des Schauspiels war es auf dem Feld der Oper das Ziel der SED-Kulturpolitik, das bürgerliche Bildungsmonopol zu brechen. Auf einem Werbeplakat zu Gunsten des Wiederaufbaus der im Krieg zerstörten Staatsoper Unter den Linden von 1953 etwa stand zu lesen, die Bühne werde „künftig nicht mehr dem Amüsement reicher Nichtstuer, sondern der Erholung und Erbauung der Werktätigen … dienen“. Von den beiden Ost-Berliner Opernbühnen bemühte sich jedoch vor allem die  Magistrat von Groß-Berlin, Pressekonferenz zur Neuorganisation des Theaterbesuches für alle Berliner Theater vom 21.03.1953. LAB, C Rep. 120, Nr. 2383, Bl. 47. – Im Folgenden wird bei allen Zitaten aus nicht-publizierten Quellen die zeitgenössische Schreibweise beibehalten.  „… daß die Musik nicht ohne Wahrheit leben kann“. Theater in Berlin nach 1945 – Musiktheater, Berlin 2001, 11.

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Komische Oper intensiv um das kulturpolitische Ziel, ein neues, nichtbürgerliches Publikum zu erreichen. Von der Gründung der Bühne im Jahr 1947 an stand dieses Anliegen im Mittelpunkt der künstlerischen Arbeit ihres Intendanten Walter Felsenstein. In einer Ansprache an sein Ensemble 1949 etwa äußerte dieser, sein Haus habe sich nicht so sehr um den „Beifall des vorgebildeten Publikums und der Sachverständigen“ als vielmehr um die „Ganzheit des werktätigen Volkes“ zu bemühen. Wenn dem Intendanten immer auch Zuschauer aus dem bürgerlichen Westen in der Komischen Oper willkommen waren, stellte die zitierte Äußerung Felsensteins jedoch nicht etwa ein der einsetzenden Stalinisierung geschuldetes Lippenbekenntnis dar, sondern war konstitutiv für sein Theaterverständnis und eng verbunden mit dem von ihm propagierten Konzept eines „realistischen Musiktheaters“. Mit diesem Konzept, das er mit einem im Bereich der Oper bis dahin kaum je erlebten hohen Grad an künstlerischer Perfektion und jeweils außerordentlich ausgedehnten Probenphasen umsetzte, versuchte er als Intendant wie Regisseur während der Aufführung im Theatersaal einen Zustand zu erreichen, den er immer wieder mit dem Begriff Theatererlebnis charakterisierte. Darunter verstand er das Ergebnis einer geglückten Interaktion zwischen Bühne und Publikum  : Die innere Anteilnahme der Zuschauer einerseits und ein psychologisch glaubhaft gespieltes Bühnengeschehen

 W. Felsenstein, „Über das neue Publikum. Aus einer Ansprache an das Ensemble (1949)“, in W. Felsenstein, Schriften. Zum Musiktheater, Berlin 1976, 30. – Felsenstein stand mit seiner Auffassung in direktem Gegensatz zu der Position, die Carl Ebert als Intendant der West-Berliner Städtischen Oper ab 1954 vertrat. Diesem ging es darum, den „gebildete[n] und bildungshungrige[n] Mittelstand, der das deutsche Theater in seinen besten Zeiten getragen habe, eng an die Städtische Oper zu binden“. „Carl Eberts Programm“, in Der Tagesspiegel vom 16.01.1954.  Der Anteil westlichen Publikums an den Aufführungen der Komischen Oper lag in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre bei insgesamt mindestens 15–20 %. W. Felsenstein, „[An den Magistrat von Groß-Berlin/Stadtrat]“ (16.04.1957), in W. Felsenstein, Die Pflicht, die Wahrheit zu finden. Briefe und Schriften eines Theatermannes. Aus Materialien des Felsenstein-Archivs der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg. Herausgegeben von Ilse Kobán, Frankfurt/M. 1997, 273–275, hier 274.  Siehe dazu R. Braunmüller, Oper als Drama. Das „realistische Musiktheater“ Walter Felsensteins, Tübingen 2002  ; W. Hintze, C. Risi und R. Sollich (Hg.), Realistisches Musiktheater. Walter Felsenstein  : Geschichte, Erben, Gegenpositionen, Berlin 2008. – Zur Geschichte der Komischen Oper allgemein siehe  : A. Kost (Hg.), Komische Oper Berlin, Berlin 1997  ; R. Hosfeld, B. Kehrmann und R. Wörtmann, Komische Oper Berlin, Hamburg 2001.



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andererseits sollten sich wechselseitig zu einem Theatererlebnis verstärken. Was die Bereitschaft eines „werktätigen“ Publikums zu einem solchen Erlebnis anbelangte, nahm Felsenstein – ungeachtet der komplexen visuellen wie auditiven Anforderungen einer Opernaufführung – zunächst eine höchst optimistische Haltung ein. Die Bereitschaft zum Theatererlebnis und „somit auch das Bedürfnis danach sind den Menschen angeboren“, äußerte er 1951 im Rahmen einer Diskussion der Ost-Berliner Volksbühne. Dabei setzte die Komische Oper keineswegs auf leichte Unterhaltung. Wenn der Spielplan des Hauses auch überwiegend aus den heiteren Werken der Opernliteratur, von Mozarts Hochzeit des Figaro bis hin zur Fledermaus von Johann Strauß bestand, und die schweren und ernsten Opern eines Richard Wagner oder Richard Strauss ausgespart wurden, sollte die innere Anteilnahme des Publikums doch keineswegs durch platte Witze erregt werden. Stattdessen formulierte Felsenstein zum Profil seines Hauses  : „Abseits vom belanglosen Amüsement und abseits vom unpopulären Experiment soll die Komische Oper Freude bereiten“ – eine Freude, die er dialektisch charakterisierte  : „Nur der bedeutende Spaß, ernst genommen, [kann] zur wahren und unvergänglichen Heiterkeit“ führen. Im Folgenden wird gefragt, ob es in den 1950er Jahren an der Komischen Oper gelang, den Opernbesuch „zum echten Bedürfnis aller Werktätigen“ werden zu lassen, wie es in der eingangs erwähnten Pressekonferenz hieß. Die Felsenstein-Bühne kann in diesem Zusammenhang als Beispiel untersucht werden, da sich das Haus bereits in der ersten Hälfte der Dekade den Rang des unumstrittenen Vorbilds für eine sozialistische Opernregie und der kulturpolitisch wichtigsten Musiktheaterbühne der DDR, auch gegenüber der Staatsoper, erworben hatte. Wenn die Etablierung eines „werktätigen“ Publikums an einer Opernbühne im sozialistischen deutschen Staat in den 1950er Jahren erreicht worden sein sollte, dann an der Komischen Oper, oder anders gewendet  : wenn  Siehe dazu etwa  : W. Felsenstein, „Ansprache anlässlich einer Besucherkonferenz (1953)“, in Felsenstein, Schriften, 60–63, hier 60.  W. Felsenstein, „Ist das Musiktheater eine Angelegenheit des Volkes  ? Referat zur Einleitung einer Diskussion der Volksbühne Berlin (1951)“, in Ebd., 41–47, hier 41.  W. Felsenstein, „Zum Beginn. Aus dem Programmheft der Eröffnungspremiere der Komischen Oper am 23. Dezember 1947“, in Ebd., 21–22, hier 21.  Siehe dazu  : Braunmüller, Oper, 54–76.

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es hier nicht funktioniert hat, so auch nicht an anderen Opernhäusern in der DDR. Der vorliegende Text versteht sich einerseits als Beitrag zur Erforschung der DDR-Kulturpolitik, andererseits als Beitrag zur bislang noch nicht geschriebenen Sozialgeschichte der Oper in Folge der gesellschaftlichen Umbrüche im sozialistischen deutschen Staat in den 1950er Jahren.10 Es wird dazu auf bislang nicht genutztes Archivmaterial über den organisierten Theaterbesuch in Ost-Berlin aus dem Bestand des Berliner Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und den Akten des Magistrats im Landesarchiv Berlin zurückgegriffen. Die Neugestaltung des organisierten Theaterbesuchs in Ost-Berlin 1953

Den entscheidenden Schritt auf dem Weg, ein „nichtbürgerliches“ Publikum zu gewinnen, stellte in der DDR die Auflösung der ostdeutschen Volksbühnenorganisation zum Sommer 1953 zugunsten eines neuen Abonnementsystems dar. Anfang dieses Jahres war es auf einer Delegiertenversammlung der Volksbühne nach dem üblichen Prozedere von Kritik und Selbstkritik zur Selbstauflösung der Besucherorganisation gekommen. Man hatte beklagt, dass die Volksbühne mit der politischen Entwicklung nicht Schritt gehalten habe, der Anteil an Arbeitern unter den Mitgliedern zu gering geblieben sei und überhaupt eine separate Besucherorganisation für Arbeiter im sozialistischen Staat überflüssig sei.11 An die Stelle der Volksbühne mit ihren überwiegend individuellen Abonnements trat praktisch in der gesamten DDR ein System kollektiver Betriebsanrechte, das vom FDGB organisiert wurde. Die Einheitsgewerkschaft erhoffte sich von dieser Organisationsform des Theater- und Opernbesuches eine bessere ideologische Beeinflussbarkeit des Publikums, als dies zur Zeit der Volksbühne möglich war. Die Besucherorganisation hatte für den FDGB im Bereich der Massenkultur eine erhebliche Konkurrenz dargestellt, die nun massiv 10 Der Beitrag kann bei Annette Schuhmanns Arbeit über die Kulturarbeit in ostdeutschen Betrieben anknüpfen. A. Schuhmann, Kulturarbeit im sozialistischen Betrieb. Gewerkschaftliche Erziehungspraxis in der SBZ/DDR 1946 bis 1970, Köln/Weimar/Wien 2006, 225–250. 11 Siehe dazu  : Ebd., 239.



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unterdrückt wurde.12 Für die Ost-Berliner Sprech- und Musiktheater richtete man zu Koordinationszwecken eine Anrechtszentrale ein, da hier insgesamt sieben staatliche Bühnen in das neue System einbezogen werden mussten. Mit dieser Anrechtszentrale hatten eigens gewählte Kulturfunktionäre aus den Betrieben Anrechtsverträge über fünf oder zehn Vorstellungen abzuschließen, wobei jeweils mehrere oder sogar alle der sieben Bühnen berücksichtigt wurden. Über die Abschlüsse hinaus hatten die Kulturfunktionäre die bis dahin von der Volksbühne vorgenommene Bildungsarbeit in ihrem Betrieb fortzuführen und den Kontakt zu den Bühnen zu pflegen. Probleme mit dem Theateranrecht

Das neue System, mit dessen Werbung im April 1953 begonnen wurde, kam aus verschiedenen Gründen zunächst nur schleppend in Gang. Eine erste Ursache war der Aufstand vom 17. Juni, der vorübergehend zu einem vollständigen Erliegen der Anrechtsabschlüsse führte. Eine weitere Ursache lag darin, dass die Bühnen dem neuen System von Anfang an wenig Gegenliebe entgegenbrachten. Zwar garantierten ihnen die Betriebsanrechte eine gewisse finanzielle Sicherheit. Doch mehr als von diesen Anrechten, die ja immer mehrere oder sogar alle Ost-Berliner staatlichen Bühnen berücksichtigten, versprachen sie sich von so genannten Besucherheften. Diese Hefte, die individuell mit einzelnen Zuschauern abzuschließen waren, umfassten ausschließlich Aufführungen an ihrem eigenen Haus, sodass sie damit innerhalb der Ost-Berliner Theaterlandschaft erst einmal die eigene Position stärken konnten. Dadurch allerdings traten die Bühnen in Widerspruch nicht nur zu den Zielen der Anrechtszentrale, sondern auch zu denen der Kulturfunktionäre in den Betrieben. Als der Werbeleiter der Komischen Oper bei einem Rundfunkgespräch das Besucherheft seines Hauses anpries, widersprachen ihm die anwesenden Betriebsvertreter harsch. Sie machten ihm deutlich, dass sie von diesen Heften nichts wissen wollten, da es ihre Aufgabe sei, für den kollektiven Anrechtsbesuch zu sorgen.13 Dass das 12 Ebd., 238. 13 Landesarchiv Berlin (LAB), C Rep. 120, Nr. 2383, Bl. 64.

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neue System zunächst nicht griff, hing schließlich auch mit den Eintrittspreisen zusammen. Diese lagen mit 40 % Ermäßigung gegenüber den Kassenpreisen, finanziert zu gleichen Teilen von den Bühnen und dem Magistrat14, dennoch 65 % über denen der Volksbühne.15 So betrug die Zahl der Abschlüsse noch Anfang August 1953 zur Beunruhigung des FDGB gerade einmal 18.500.16 Erst als die neuen Betriebsanrechte auf Beschluss des Ministerrates noch einmal preislich gesenkt wurden17 und der FDGB eine breit angelegte Werbekampagne unter dem Motto „Die Tore der Theater sind für Dich weit geöffnet“18 startete, erhöhten sich die Abschlusszahlen erheblich. So konnten Ende 1953, allerdings für die längst angelaufene Spielzeit, schließlich ca. 58.000 Betriebsanrechte verzeichnet werden.19 Selbstkritisch musste man jedoch feststellen, dass der Anteil der Arbeiter unter den „Betriebsanrechtlern“ – Ziel der Kampagne waren vor allem Industriearbeiter – noch viel zu gering ausfiel. Zwar konnte dieser gesteigert werden, aber der Anteil lag immer noch erst bei etwa 40 %. Bei der Mehrzahl der Anrechtsbesitzer hingegen, die in den Aufführungen der Komischen Oper 1954 insgesamt etwa 35 %20 ausmachten, handelte es sich stattdessen um Angestellte.21 Das neue Anrechtssystem bot in den 1950er Jahren ständig Anlass zu Kritik. Vor allem in den politisch verhältnismäßig liberalen Jahren 1954 bis 1956 wurde diese in ostdeutschen Magazinen wie Theater der Zeit immer wieder unverhohlen artikuliert. Die Kritik betraf etwa die bürokratische Starrheit des Systems  : Für die Anrechtsinhaber war es unpraktisch, den Aufführungstag nicht frei wählen zu können. Dies stellte gerade für Arbeiter mit wechselnden Schichten 14 Pressekonferenz zur Neuorganisation des Theaters. Ebd., Bl. 48. 15 Die Durchschnittspreise des Betriebsanrechts lagen zunächst 65 % über denen der Volksbühne. Ebd., Bl. 44. 16 Ebd., Bl. 56. 17 H. Oswald, Erfahrungsaustausch kollektiver Theaterbesuch vom 30.07.1954. LAB, C Rep. 910 (2), Nr. 8251. 18 Siehe die Broschüre in LAB, C Rep. 120, Nr. 2383, Bl. 57. 19 Bericht über den Stand des kollektiven Theaterbesuchs vom 03.12.1953. LAB, C Rep. 910 (2), Nr. 8251. 20 Siehe die Besucher-Statistiken der Komischen Oper aus dem Jahr 1954. LAB, C Rep. 121, Nr. 291. 21 Konkret wurden 23.200 Arbeiter gezählt. Sekretariatsvorlage FDGB, Abteilung Kultur und Schulung vom 05.12.1953. LAB, C Rep. 910 (2), Nr. 8251.



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ein Problem dar.22 Für die Bühnen wiederum war es nachteilig, dass sie kaum direkten Kontakt zu ihrem neuen Publikum aufnehmen konnten, lief doch fast alles über die koordinierende Anrechtszentrale.23 Zwar wurden an den Bühnen, so auch an der Komischen Oper, so genannte „Besucherräte“ gegründet, die den Kontakt zwischen der Intendanz und den neuen Besuchern herstellen sollten. Doch waren diese auf die Kooperation mit den Gewerkschaftsfunktionären in den Betrieben angewiesen. Genau hier aber lag der größte Schwachpunkt des Systems. Es zeigte sich nämlich, dass die Gewerkschaftsfunktionäre, die nur selten bereits in Diensten der Volksbühne gestanden hatten, mit der ihnen anvertrauten Aufgabe häufig überfordert waren. Theater der Zeit etwa klagte  : „Die Kulturfunktionäre sind meist ‚Verlegenheitslösungen‘. Selten ist ein solcher, meist übermäßig strapazierter Mensch in der Lage, in einer echten kulturpolitischen Diskussion mitzureden. So verschanzt er sich hinter seiner – meist tatsächlich bestehenden – Überbelastung, und die Gewerkschaften tun nichts, um hier die richtigen Leute auf die richtige Stelle zu setzen.“24 Die Kulturfunktionäre beschränkten sich in vielen Fällen schlicht darauf, ihr Soll gegenüber den vom FDGB geforderten Abschlusszahlen zu erfüllen und hatten dann Mühe, die abgenommenen Karten im Betrieb loszuwerden. Die einzige Lösung bestand dann bisweilen darin, dass sie, wie Theater der Zeit kritisierte, die Arbeiter „‚zum Kulturdienst abkommandiert[en]‘“25. Eine inhaltliche Bildungsarbeit aber blieb in den meisten Fällen aus. So zeigten sich schon bald die negativen Folgen der Entscheidung, nämlich diejenigen, die bis 1953 für die Volksbühne eine erfolgreiche Bildungsarbeit geleistet hatten, nicht in das neue Anrechtssystem miteinbezogen zu haben.26 An der unzureichenden Arbeit der Kulturfunktionäre lag es auch, dass die an der Komischen Oper durch den Besucherrat organisierten Bildungsveranstaltungen nur mangelhaft besucht wurden  : Eine Aussprache mit dem VEB Josef Garbáty im April 1955 etwa besuchten nur zehn Teilnehmer, eine ähnliche 22 H. Hofmann, „Theaterbesuch zu billig  ? Wir sprachen mit Verwaltungsdirektoren und Werbeleitern“, in Theater der Zeit 11 (1956), Heft 8, 37–40, hier 39. 23 Siehe ebd., 38–39. 24 Ebd., 39–40. 25 Ebd., 39. 26 Siehe dazu  : Schuhmann, Kulturarbeit, 240.

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Veranstaltung für das Kabelwerk Oberspree sogar nur acht. Lediglich eine Veranstaltung für das Werk für Fernmeldewesen hatte 300 Besucher. Allerdings war diese große Teilnehmerzahl auf die Anwesenheit von Rentnern und Bewohnern eines Altersheims zurückzuführen und entsprach somit nicht der eigentlich erwünschten Klientel.27 Aufgrund solcher Erfahrungen forderte der Werbeleiter der Komischen Oper im Zusammenhang mit den Kulturfunktionären eine „Erziehung der Erzieher“28 – doch ohne Erfolg. Der FDGB stellte sich einfach stur. Die Empörung über die Einheitsgewerkschaft war bei der Komischen Oper so groß, dass der Verwaltungsdirektor des Hauses öffentlich forderte, die „Festung des [Berliner] Bezirksvorstandes des FDGB ein[zu]rennen“29. Das Interesse der Arbeiter war jedoch nicht nur an den Bildungsveranstaltungen gering, sondern vor allem auch an den Aufführungen selbst  : Häufig blieben bezahlte Plätze der Komischen Oper einfach leer – sehr zum Leidwesen vieler Operninteressierter, die wegen der Anrechtsbelegung im freien Verkauf keine Karten mehr bekommen hatten. Eine Chance bestand für sie dennoch  : Nicht selten nämlich verkauften Anrechtsinhaber ihre Karte am Eingang der Komischen Oper Gewinn bringend weiter.30 Kritik kam jedoch auch von den Kulturfunktionären. Sie bemängelten an der Komischen Oper die vergleichsweise niedrige Zahl an Premieren pro Spielzeit. Dadurch war es ihnen kaum möglich, den Arbeitern in ihren Betrieben immer wieder neue Stücke zu präsentieren, was die Attraktivität der Anrechte schmälerte  : „Was kann ich anbieten  ? Immer dieselben Werke, und die will mir keiner mehr abnehmen“31, klagte ein Kulturfunktionär 27 W. Thalheim, „Theater – Betriebe – Gewerkschaften“, in Theater der Zeit 10 (1955), 44–46. 28 Ebd., 45. 29 „Was Besucher wünschen“. Öffentliche Aussprache des Berliner Theateraktivs am 22. Juni 1955 in der „Möwe“. LAB, C Rep. 910 (2), Nr. 8251. 30 Siehe W. Felsenstein, „[Theateranrecht] (1959)“, in Felsenstein, Pflicht, 275–277, hier 277. 31 Brief von Konrad Riederich an Walter Felsenstein vom 09.05.1956. Akademie der Künste (AdK), Berlin, Felsenstein-Archiv, Nr. 2549. Riederichs Einschätzung hinsichtlich der Repertoirepräferenzen eines „werktätigen“ Publikums lautete  : „Herr Intendant, die Mehrzahl aller Werktätigen, die angespannt arbeiten muß, will keine Problematik im Theater. Sie will Werke, die sie unterhalten und möglichst Opern, die sie kennen. Ich weiss [sic] ihre Gegenargumente, verstehe sie auch. Aber nur ein ganz kleiner Kreis ist aufgeschlossen und musikalisch so interessiert, Ihnen zu folgen. Die Masse ist es nicht  !“ Ebd. – Zur Kritik an den häufigen Spielplanänderungen der Komischen Oper siehe auch den Brief von Eberhard Nicolai an Walter Felsenstein vom 04.03.1961. Ebd.



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1956 in einem Brief an Felsenstein. Abschreckend wirkte für die Anrechtler darüber hinaus auch die verhältnismäßig häufige Verschiebung von Aufführungen an der Komischen Oper. Allein in der Spielzeit 1958/59 wurden dort 12 Verlegungen gezählt, wovon 5.717 Anrechtler aus 897 Betrieben betroffen waren.32 Die Bühnen kritisierten schließlich auch die inzwischen außerordentlich niedrigen Anrechtspreise. Durch finanzielle Zuschüsse aus den Betriebsgewerkschaftskassen und den Direktorenfonds, die über die grundsätzlich 50 % umfassende Ermäßigung hinaus gewährt wurden, waren diese auf bisweilen nur noch 25 % des Kassenpreises gesunken.33 Die Folge sei, hieß es in Theater der Zeit, dass die Anrechtsbesitzer „in den Erfrischungsräumen … der Theater meist ein Mehrfaches des Betrages, den sie für das Kunsterlebnis entrichteten“34, verzehren würden. Nicht wenige Kritiker forderten deswegen eine Abschaffung des unbeliebten Anrechtssystems. Doch dies war kulturpolitisch nicht durchzusetzen. Bei der Berliner Bezirksleitung des FDGB hieß es dazu 1956  : „Das Theaterbedürfnis unserer Werktätigen ist noch nicht in dem erforderlichen Maß vorhanden, um den Theaterbesuch nach Auflösen des zentralen Anrechts in der gleichen ständig steigenden Linie fortzusetzen. Die Auflösung würde ein [sic] Rückgang der Besucherzahlen zur Folge haben.“35 Diese Blöße wollte sich der FDGB gegenüber dem Westen jedoch auf keinen Fall geben, sodass die Einheitsgewerkschaft am gegenwärtigen System festhalten zu müssen glaubte. Schlimmer noch  : Bei einer Abschaffung des Anrechtssystems war zu befürchten, dass man dann „dem Kartenverkauf an Westberliner überhaupt keinen Einhalt mehr bieten“36 könne. Selbst ein Kompromiss in Form einer Erhöhung der An32 Ministerium für Finanzen, Abteilung Kontrolle und Revision, Finanzrevision Groß-Berlin  : „Revisionsprotokoll“ über die Anrechtszentrale vom 02.09.59. LAB, C Rep. 120, Nr. 2383, Bl. 120–124, hier Bl. 123. 33 H. Hofmann, „Theaterbesuch zu billig  ?“, 39. 34 Ebd. 35 Sekretariatsvorlage Abteilung Kulturelle Massenarbeit vom 14.02.1956. LAB, C Rep. 910 (2), Nr. 8251. – Bereits 1955 war eine Erhöhung der Anrechtspreise von Seiten der Abteilung Kultur der Berliner SED-Bezirksleitung und dem Berliner FDGB-Bezirksvorstand wegen der kulturellen Konkurrenz West-Berlins zurückgewiesen worden. Siehe den Brief Kurt Borks (Hauptamt Darstellende Kunst im Ministerium für Kultur) an Kulturminister Becher vom 07.02.1955. Bundesarchiv (BA), DR 1, Nr. 18253. 36 Siehe den Brief von Johanna Blecha an Oberbürgermeister Ebert vom 17.02.1960. LAB, C Rep. 101, Nr. 1726.

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rechtspreise schien dem FDGB kulturpolitisch nicht möglich. Zu sehr drohte die für 1957 vorgesehene Einführung eines „Gesamtberliner Kulturplans“ in West-Berlin, durch den östlichen Besuchern der Erwerb von Eintrittskarten zum Preis von 1  :1 in Ost-Mark gewährt werden sollte, als auch die dort beabsichtigte Aufnahme von zusätzlich 6.000 Ost-Berlinern in die Freie Volksbühne die West-Berliner Konkurrenz zu stärken.37 Der Leiter der Kulturabteilung des FDGB-Bundesvorstandes Egon Rentzsch formulierte  : „So erstrebenswert es ist zu erreichen, daß eines Tages das Theaterbedürfnis der Arbeiterklasse und aller Werktätigen so groß ist, daß sie bereit sind, den vollen Kassenpreis zu zahlen, so notwendig erscheint mir im gegenwärtigen Zeitpunkt die unbedingte Einhaltung der Errungenschaft des verbilligten Theaterbesuchs  ; ganz zu schweigen davon, daß wir in einem Deutschland leben, das aus zwei Staaten besteht und in Westdeutschland und Westberlin noch Volksbühnenorganisationen existieren.“38

Somit blieb dem FDGB, um dem Westen gegenüber kulturpolitisch erfolgreich dazustehen, keine andere Wahl, als das problematische System fortzusetzen. Immerhin konnten zu Beginn der Spielzeit 1955/56 etwa 77.000 Betriebsanrechte verzeichnet werden.39 37 Bis zum Mauerbau am 13. August 1961 war die deutsch-deutsche Grenze in Berlin prinzipiell offen. 38 Brief von Egon Rentzsch an Kurt Bork vom 07.11.1956. BA, DR 1, Nr. 18253. Siehe auch die Sekretariatsvorlage der Abteilung Kulturelle Massenarbeit beim Magistrat vom 14.02.1956  : „Es ist … nicht günstig, in der augenblicklichen Situation eine Veränderung der Ermäßigungen [der Betriebsanrechte, FB] vorzunehmen. Die gute künstlerische Arbeit unserer Bühnen und die starke Ausstrahlung nach West-Berlin sowie die immer weitere nationale und internationale Anerkennung unserer Theater liegt dem Frontstadtstrategen, dem ‚Kultursenator‘ Tiburtius schwer im Magen. Der Westberliner Senat beschäftigt sich zur Zeit mit der Frage, den Bewohnern des demokratischen Sektors die Möglichkeit zu geben, die Westberliner Theater im Verhältnis 1  : 1 zu besuchen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, in verstärktem Maße die politisch-ideologische Arbeit in den Betrieben zu verbessern, durch die Bildung von Theaterzirkeln, regelmäßige Aussprachen über die Theaterstücke und Aufführungen gemeinsam mit den Theatern in den Betrieben, das Abwandern in die Theater nach Westberlin zu verhindern.“ LAB, C Rep. 910 (2), Nr. 8251. 39 Sekretariatsvorlage Abt. Kulturelle Massenarbeit vom 14.02.1956. Ebd. Gleichzeitig war jedoch die Zahl der Aufführungen pro Anrecht zur Spielzeit 1955/56 von zehn auf acht gesenkt worden. – Allerdings sagt die Zahl 77.000 nichts über die tatsächliche Höhe des Arbeiteranteils



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Das Anrechtspublikum in der Komischen Oper

Aufgrund der Vorstellungsberichte, die sich Walter Felsenstein durch seine künstlerischen Mitarbeiter über den Verlauf jeder Aufführung an seinem Haus anfertigen ließ, können Aussagen über das Verhalten des neuen Publikums in der Komischen Oper getroffen werden. In diesen Berichten sind die Reaktionen der Zuschauer teilweise außerordentlich genau festgehalten. Immer wieder machten sich die Verfasser Luft über das Anrechtspublikum, bei dem sich das von Felsenstein erhoffte Theatererlebnis nicht einstellte. Über die Zuschauer der Aufführung von Leoš Janáčeks Das schlaue Füchslein vom 24. April 1959 etwa heißt es drastisch  : „Ich möchte wissen, was das für ein Publikum war (Beschränkter Kartenverkauf ). Ausverkauft war es nicht. Herr Enders [in der Doppelrolle als Dackel und Schulmeister, FB] war der einzige, der im 5. Bild Reaktionen holen konnte. Der Tod des Füchsleins ergab außer einigen Ausrufen des Bedauerns Anlaß zur Unterhaltung und Gelächter. Nach der Pause kamen Leute aus der 8. Reihe nicht wieder. Der Schluß schien überhaupt niemand [sic  !] verständlich geworden zu sein, denn sie erhoben sich erst, nachdem gänzlich hell gemacht wurde. Zwischenapplaus kam gar nicht …, der Schlussapplaus schleppte sich eine Weile hin, angeführt von einigen, denen die Aufführung gefallen haben musste.“40

In einer Diskussion in der Ost-Berliner Akademie der Künste 1959 übte Felsenstein vernichtende Kritik am Anrechtssystem. Der Intendant fragte  : „Ist jener Weg der richtige, daß möglichst viele Leute da unten [im Zuschauerraum, FB] sitzen  ? Ich müßte das sehr in Frage stellen nach den Erfahrungen der letzten Jahre. … So wie es bisher war, geht es nicht mehr weiter. Ich fühle mich in meiner aus. In einem Exposé an das Kulturministerium über die „Verbesserung der kulturpolitischen Massenarbeit der Gewerkschaften in den Betrieben mit Hilfe der Berliner Theater“ von Horst Kanzler vom 28.6.1958 heißt es  : „Es sind meist die Verwaltungsangestellten, die sich aus eigenem Antrieb ein Besucheranrecht und damit die Preisermäßigung sichern.“ BA, DR 1, Nr. 18253. 40 Vorstellungsbericht vom 24.04.1959. AdK, Berlin, Felsenstein-Archiv, Nr. 1558.

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künstlerischen Produktion zur Impotenz verurteilt, wenn ich gezwungen bin, vor Zuschauern zu spielen, von denen nur ein kleiner Teil die Absicht hat, an dem Erlebnis teilzunehmen. Der Prozentsatz derer, die zum Theaterbesuch überredet werden, wird größer.“

Wirklich gelungene Aufführungen seien, wie Felsenstein erläuterte, nur möglich, wenn der Anrechtsanteil nicht höher als 30 % liege. „Dieselbe gute Vorstellung ist dort, wo das ermäßigte Anrecht den Prozentsatz fünfzig bis sechzig erreicht, gelähmt. … So geht es nicht  ! Es entsteht eine Qualitätsnivellierung  ! Es wird nichts Außergewöhnliches mehr geboten. … Das Theaterbedürfnis beträgt bei uns unter zehn Prozent und noch darunter. Nicht der Theaterbesuch, sondern das Theaterbedürfnis.“41 Doch der Intendant hatte mit seinem Protest keinen Erfolg  : Das Anrechtssystem bestand weiter. Felsenstein jedenfalls musste angesichts der enttäuschenden Entwicklung seinen anfänglichen Optimismus über das neue Publikum revidieren  : Ein „angeborenes“ Opernbedürfnis jedenfalls, wie er anfangs geglaubt hatte, ließ sich bei den „Werktätigen“ der DDR nicht ausmachen. Fasst man zusammen, ergibt sich, dass das kulturpolitische Ziel, den Opernbesuch zum „echten Bedürfnis aller Werktätigen“ zu machen, in den 1950er Jahren an der Komischen Oper nicht erreicht worden ist. Die Ursachen lagen erstens im starren Bürokratismus des Anrechtssystems, des Weiteren in der mangelhaften Bildungsarbeit der Gewerkschaftsfunktionäre und schließlich im Erfolgsdruck, der aus der kulturellen und ökonomischen Konkurrenz West-Berlins resultierte. Statt die Probleme des Anrechtssystems zu reflektieren und zu korrigieren, setzte man kulturpolitisch ausschließlich auf hohe Abschlussquoten mit Außenwirkung – Theaterbedürfnis hin oder her.

41 W. Felsenstein, „[Theateranrecht] (1959)“, in Felsenstein, Pflicht, 275–277, hier 276–277.

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From Gypsy Music to Wagner without a ­Transition  ? The Musical Taste of the Budapest Urban Public in the Late Nineteenth Century



The late Géza Staud, whose “The 100th Anniversary of the Budapest Opera House” (A Budapesti Operaház 100 Éve) remains one of the most thorough and thought-provoking works in the history of the Budapest institution to date, was puzzled in his research by what seemed a very late acceptance of Richard Wagner’s legacy by the local public. In analyzing the reception of the 1901 Tristan and Isolde premiere in Budapest, Staud reiterated the contemporary music critic Gyula Fodor’s somewhat offhanded statement that “the Pest urban middle class switched from Gypsy music (cigánymuzsika) to Wagner without transition”. On record for the first time in the city’s history was a high-quality performance of Wagner, with a full house in the auditorium and an unusually attentive and patient audience. This, to Fodor, and subsequently to Staud, seemed to suggest a fundamental change of the musical taste among the local public  ; from “Gypsy music” or the Verbunkos — the urban folk melodies largely played by Roma musicians — and its “high culture” adaptations by composers as diverse as Franz Liszt and Ferenc Erkel, to the universalist Gesamtkunstwerk of Richard Wagner. The normative bias of this statement set aside, there remain doubts about its credibility. First of all, if true, it would run against current European research on opera audiences in the 19th century. Among this new scholarship, James H. Johnson’s work on early 19th century Paris vividly demonstrates that already by the middle of the century there had been a major change in the attitude of the audience towards music  : the audiences grew silent and emotional about  “A pesti polgárok akkoriban tértek át a cigánymuzsikáról — átmenét nélkül — Wagnerre.” G. Staud (Hg.), A Budapesti Operaház 100 Éve, Budapest 1984, 68.  On Verbunkos, see, for example, B. Szabolcsi, A magyar zenetörténet kézikönyve [Handbook of Hungarian music history], Budapest 1955.

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what was happening on stage. Johnson linked this change to the loosening of aristocratic control over the institution of the opera house and its repertoire, and the subsequent takeover by the local middle classes. This interpretation, however, would be inadequate to explain similar changes in the major opera stages in Central Europe. Here, the descendants of aristocracy had not always given their place to the middle class, and sometimes continued to maintain their firm grip on opera affairs well into the 20th century, as was the case in Lemberg and Prague. In Budapest, for this matter, the “theatrical crowd” was first taken to the streets by Kossuth’s nationalist speeches in 1848, and yet the aristocracy maintained its strong presence in the opera even during the years following the revolution and the 1867 Ausgleich. The second issue here is whether Staud’s statement requires reevaluation since he has not provided us with a detailed analysis of the quality of the performance, the composition, and most importantly the behavior of the public before, during, and after the performance. These issues raise important questions. Was there a change in the musical taste of the Budapest opera public, and if so, what change  ? How do we judge whether the performance was a “great success,” and what meaning did contemporaries attach to this term when it came to a musical premiere  ? These questions should be analyzed in light of the institution of the opera, the performance, the behavior of the audience, the attitudes of the critics, and generally the city’s public. By concentrating on the 1901 performance of Tristan and Isolde, this article argues that the controversial reception of the belated premiere illustrates a great deal more than the views on “new German music” in the Hungarian capital. Namely, better than any other event in the opera house’s history, it reveals the opera as an institution marked with recurrent scandals that hinted to its permanent institutional crisis throughout the 19th century. Furthermore, Staud’s statement will be tested against the evidence of what the reception of Tristan and Isolde was, as documented in the burgeoning urban press of the time. This, it will be argued, reveals much critical, and at times plainly sarcastic commentary, on Wagner’s  J. H. Johnson, Listening in Paris  : A Cultural History, Berkeley/Los Angeles 1995.  P. Ther, In der Mitte der Gesellschaft  : Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Vienna/Munich 2006.  A. Freifeld, Nationalism and the crowd in liberal Hungary, 1848–1914, Washington, D.C. 2000.



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music and its reception in Budapest that has until now been overlooked by scholarship. Naturally, to understand this commentary, and to arrive at a just judgment of the 1901 events in a historical perspective, references to the complex history of the Budapest Opera House and its diverse intendants, musical directors, singers, conductors, orchestra, and, last but not least, the reception of Wagner’s work in other cities in the region at that time will be in order. The reception of Wagner has arguably had a longer history in Hungary than elsewhere in the region because of the composer’s friendship with Franz Liszt, yet this history has not always been peaceful. The Dresden success of Rienzi in 1842 was positively covered by the Pest press of the time, and even a small Wagnerian circle was formed by the musical rivals of Ferenc Erkel — an influential Hungarian national composer, an important public figure, and a staunch opponent of Wagner. The recently formed Philharmonic Society performed Tannhäuser to amazed crowds in 1853, and when, ten years later, Wagner himself visited Budapest, he was met by a very warm reception, and even Erkel, given the situation, was forced to openly declare his appreciation of the German composer’s legacy. Large crowds of the curious public became a usual attribute at the performance of his operas in Pest afterward. Yet just how shaky and unpredictable the reception could become may be illustrated by several opposing examples from the subsequent history. When the director of the Hungarian National Theater, Károly Huber, staged Lohengrin in 1866 (later one of Wagner’s most popular works), the reception was very cool, and this led some to assume that the public was unfamiliar with the composer’s work. Conversely, when in 1871 Ferenc Erkel staged Tannhäuser with a military orchestra performing the beginning of the second act, the public accepted this as “popular music” (népszerű dalművé) and there was no performance of Tannhäuser ever since that would not cause major applause much to the surprise of the local music critics. Wagner, connoted with the “new music”, was seen among the critics as difficult to perform and listen to, though necessary in the repertoire  ; an interpretation which was further strengthened by the fact that the musical establishment, in this case director Hans Richter and intendant Frigyes Podmaniczky, did not always favor such repertoire additions. And  A. Dombay, “Trisztán és Izolde,” in Alkotmány, 29. November 1901  ; Staud, A Budapesti Operaház, 101–106.

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while militant Wagnerians remained a minority, the composer’s work continued to maintain its radical message among the learned public. And still, in 1883 in the year of Wagner’s death, when Erkel’s son Sándor (then director of the opera department at the Hungarian National Theater) staged Meistersinger, the public did not seem to understand the German text, or at least its discreet humor. The grand opening of the new Opera House in 1884 included a fragment of Lohengrin in the program — notably along with fragments from Erkel’s Bánk bán and Hunyadi László — and the following years saw Gustav Mahler stage Rheingold, Die Walküre, and once again Lohengrin with a very positive reception in the press. Nevertheless, the resulting selection of Wagner’s works that remained popular and stayed in the repertoire of the Pest Opera House by the late 19th century would have made the composer furious had he lived to see it  : this selection was limited to his earliest and musically least innovative pieces, Lohengrin, Tannhäuser, and Der fliegende Holländer. This, in a nutshell, is the history preceding the belated premiere of Wagner’s Tristan and Isolde — arguably the composer’s most difficult work as far as performance skills were concerned — which the young director Imre Mészáros staged at the Opera House. The dress rehearsal and the premiere, planned for November 1901, were widely publicized in the local press and anticipated with great interest and curiosity. It was in this anticipatory mood that the first satirical commentaries appeared in the local newspapers, paving the way to further puns and criticism, and gradually shaping public opinion. After having quoted the major music critics Eduard Hanslick and Hans Paul von Wolzogen, the Hungarian-language Magyar szó (Magyar word) compared Tristan and Isolde to a bad cooking recipe and, rather generously, concluded  : „It is as if somebody wanted to cook a course and poured all strong spices into it  : paprika, pepper, clove, cinnamon, ginger, marjoram, and nutmeg. Tristan and Isolde is such delicacy  : it is good for those who like it.“  Dombay, „Trisztán és Izolde“.  „Olyanféle ez, mintha valaki csupa kellemes izű fűszerből  : paprikából, borsból, szegfüszegből, fahéjból, gyömbérből, majorannából és szerecsendióból ételt akarna kotyvasztani. „Tristan és Isolde“ is csak ilyen csemege, – jó annak, aki szereti.“ („Két bemutató. I. Tristan és Izolde,“ in  : Magyar szó, 28. November 1901).



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A week before the scheduled dress rehearsal, Budapesti Napló (Budapest Daily) similarly recorded a general excitement among the local public and the attempts by the opera direction board to “gain the critics’ favor” by holding a dress rehearsal exclusively for them. The success, the paper noted, would probably be great, but particularly representative would be the following dialogue which had just been overheard in journalist circles. It was about Tristan and Isolde  : „– I saw it, I listened to it abroad. – And  ? How is it  ? – Well, my friend, that’s such a thing which you cannot grasp by listening only once. But all I can say is that I am not going to see it again  !“

The first scandal surrounding the premiere was not long in the making. On 12 November, five days before the scheduled dress rehearsal, opera intendant István Keglevich fired the musical director Mészáros for no apparent reason except a personal one, which resulted in a press fury.10 Keglevich, coming from an aristocratic family and a close associate of the former Prime Minister Kálmán Tisza whose strong-handed fifteen-year-long premiership had gained a lot of criticism, was an easy target for press criticism and himself an authoritarian and impulsive character. Furthermore, he already served as an intendant of both the Hungarian National Theater and the Royal Opera House in the 1880s, and his legacy had not been exactly favorable.11 Mészáros, by contrast, was a young and   Az Operaházban Tristan és Isolde premiérje izgatja a kedélyeket. A direkció, amely tudvalevően erősen ingadozik, kedvében akar járni a kritikusoknak s a főpróbát két délelőtt tartja meg. A siker talán óriási lesz, de mindenesetre jellemző a következő párbeszéd, melyet a minap egy ujságíró-társaságban lestünk el. Tristan és Isolderől volt szó. – Láttam, hallottam külföldön, mondotta egyik jeles kritikusunk. – Nos  ? Milyen  ? – kérdezte egy másik. – Hja, barátom, felelte az első, ez olyan dolog, amit egyszeri hallásra nem lehet megbírálni, de annyit mondhatok, hogy másodszor már nem nézem meg  ! (Budapesti Napló, 10. November 1901). 10 It is possible that the reason for a disagreement between Keglevich and Mészáros was the former’s decision to cut sections from the original libretto of Tristan and Isolde in order to shorten the piece. 11 See, for example, how Kornél Ábrányi viewed Keglevich’s intendantship in F. Bónis, “Gustav Mahler und Ferenc Erkel. Beiträge zu ihren Beziehungen zueinander im Spiegel vier unbekannter Briefe von Mahler,” Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae, T. 1, Fasc. 3/4 (1961), 475–476.

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promising musician who had occupied the seat of the opera’s musical director for merely a year before he was dismissed. Thus, the press enthusiastically reported the gossip about their quarrel in Keglevich’s office, calling Keglevich “the unloved” and “bloodthirsty” (a szerelem nélkül vérengző magyar intendáns), and Mészáros “the unlucky local man” (szerencsétlen, idevaló ember).12 The local paper’s critique, however, did not limit itself to the description of the personal conflict between the intendant and the musical director. Rather, a major attack on the institution of the opera was launched, highlighting the fundamental problems in its very foundation. The Royal Opera House, it should be noted, was then under a special jurisdiction of the Ministry of Internal Affairs, with its revenues routinely supplemented by government subsidies, and thus making the institution and its management politically vulnerable. Furthermore, opera intendants were as a matter of practice chosen from the rank and file of the rich aristocracy, and were personally appointed by the prime minister. It was Tisza who had appointed Keglevich to his position in the late 1880s and gave his unilateral support to the intendant’s actions. In 1901, again, Keglevich was called back to the role by Miklós Bánffy, then a member of the Hungarian Parliament and later Director of the Hungarian State Theaters and Minister of Foreign Affairs.13 The government appointees such as Keglevich were at best likely to become good managers of the Opera House, yet whether or not they understood music was a matter of secondary importance. Musical directors, by contrast, were often promising musicians, whose activity was strictly subordinated to the intendants’ orders. As the result, things had not been going well with the budget, while the most gifted among the musical directors — Gustav Mahler and Artur Nikisch, to name but two — were forced by these circumstances to look for work elsewhere. This, naturally, did not escape the attention of the attentive and critical press  : “The idea [to sack a local Hungarian opera director] is actually excellent because musicians with foreign names, Mahler and Nikisch, which had been [forced to leave this

12 Lancelot. „Megint kilöktek egy igazgatót. (- November 15)“, 1901 newspaper cuttings file of the Archive of the Budapest Opera House. 13 Staud, A Budapesti Operaház, 86.



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place], were not polite enough to romper Counts and Barons and soon went looking for bread abroad. What is the title of a man who does not know a thing about music and directing, and who [nevertheless] decides not to stage this or that [opera] …  ? Keglevich rages if a smoking jacket is not tailored well, but does not really mind if a piece is performed and directed badly. … That iconoclasm of the Kegleviches, Zichys, and Nopcsas, that is not even an exceptional kind of absolutism. … And after all that, what are they good for  ? I’ve heard that they should be representing. But at the art institution [such as the opera house] the strength of representation [should be] in the art itself … But the wise men of this country (haza bölcsei) peacefully observe Count Keglevich and his violence with eternal nostalgia, just as they watched other intendants who, after having put their musical directors to a guillotine, peacefully return to their castles.”14 14 „A kora renaissance-nak hamis utódja, a szerelem nélkül vérengző magyar intendáns ismét kiebrudalt egy operaigazgatót. Ezuttal Mészárosnak hívják a szerencsétlent, idevaló ember, nevét külföldön sehol sem csiripelik, tehát men is fogják elhívni sem Bécsbe, sem Lipcsébe. Itt közöttünk fog állás nélkül, siratlanul elpusztulni. Az ötlet, hogy t.i. néha egy magyar operaigazgatót is kilöknek, valóban kitünő, mert az idegen nevü művészek, a Mahlerek és Nikischek, akiket innen kivertek, a hanczurozó grófok és bárók iránt elég udvariaknak voltak és külföldön mertek kenyér után nézni. … Keglevich – Fölfortyan, ha egy alárendeltjének smockingja rosszul van szabva, mert ez sérti a reczehártyáját, de nem bántja, (mert nem ért hozzá), ha hamisul énekelnek és álomszuszék módra dirigálnak. … Keglevich grófnak mindig akadt egy házi zsidaja, aki konstatálta róla, hogy „európai látkörü“ és „művészi érzékü“ főur. De hát miben nyilvánul a művészi érzék, ha nem a művészet és a művész tiszteletében  ? Aki a teljhatalmuságának bombasztját a művészember ellen forditja, abban nincs az artista érzéknek egy szíkrája sem. Ez szellem nélküli idegessség [sic.], művészietlen delirium. Az a képrombolás, amelyet a Keglevichek, Zichyek, Nopcsák üznek, nem a külön izlés zsarnoksága, az a száj-íz szerinti terrorizmus. És mindezek után mire valók ők  ? Azt hallom, hogy reprezentálniok kell. Ám műintézetben reprezentativ ereje csak a művészetnek magának van. Intendánsra, akinek minden kazuistikája oda lyukad ki, hogy „hajlongj előttem  !“ – semmi szükség. Keglevich gróf ebben az állásban teljesen értéktelen és érdektelen. Az önző, stiltelen erőszak, a tartalom nélküli szenvedélyesség, az eszme nélküli lázongás, a vér nélküli váralkat, az erő nélküli döngetés  : mindennek még perverz varázsa sincsen … A haza bölcsei pedig nyugodtan nézik Keglevich grófot az ő erőszak utáni örök nostalgiájával, amint nézték a többi intendánst, akik leguillotineozván a maguk igazgatóit békésen visszavonultak kastélyaikba. Mi türtük és türtük az ő izomi orgiáikat, amelyeknek semmi élenytartalmuk nincsen. Még csak a saját gondolatukat sem diktálják (mert nincs gondolatuk), csak tiporják a másét. És valamennyi közül Keglevich esik ki legjobban a „Wahlverwandschaft“ minden törvényéből, mert ő nem fér meg senkivel, ő vele nem tart rokonságot semmilyen anyag sem, amely nem nőtt fel a ravaszkodó homagialitásban. Egykor majd műemléke lesz a mi művészeti kormányzásunk egy olyan periodusának, amelyben a bugrisokkal el akarták hitetni, hogy arisztokrata izlés az, ami voltaképp a tuczat-gőg ihlettsége.“ (Lancelot. “Megint kilöktek egy igazgatót”).

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A major local German-language paper, Neues Politisches Volksblatt, similarly called the Opera house a “test object” (Versuchsobjekt) for various intendants, directors, conductors, and singers from its very foundation.15 The echo of this discussion could even be found in Vienna, where Neue Freie Presse laconically, yet correctly, summarized the state of affairs  : “The departure of Mahler and Nikisch from the Royal Opera House, certainly the most heavily subsidized institution among all European stages, is carried from one crisis to another crisis. The most recent crisis, which had been evident already for a while, but which has suddenly erupted, should be attributed to personal differences between the [musical] director and the intendant Count Keglevich. But even if one is not well initiated into the ample and blossoming secrets behind the [opera] curtain, one can surely lament that the Royal Opera House will carry on into a new crisis.”16

Keeping in mind this general discussion, it is perhaps not very surprising that the following events only intensified the impression of a fiasco. Less than a week before the scheduled final dress rehearsal, the news came out that it would be postponed for another week, due to the fact that the performers of the main roles, especially Countess Italia Vasquez-Molina, were “too exhausted by the last rehearsal to be able to continue her difficult task with the desired freshness”.17 Countess Vasquez had already earned herself a reputation of a frivolous 15 „Wie könnte man der Oper helfen  ? Die königliche Oper, die sozusagen seit ihrer Eröffnung als Versuchsobjekt für die unterschiedlichsten Direktoren, Intendanten, Kapellmeister, Sänger, Sängerinnen … betrachtet wurde, steht wieder einmal im Mittelpunkte des Interesses. Seit Wochen schon munkelt man von Intendanten- und Direktorkrisen, … kursirten die abenteuerlichsten Gerüchte und die Zahl der offiziellen, nichtoffiziellen und Selbstkandidaten war Legion. Gar Viele halten sich für berufen, unser einziges, erstes Kunstinstitut von Ruin zu retten und durch ihre fachverständige Leitung endlich das langersehnte goldene Zeitalter hervorzurufen, das für unsere Oper leider noch immer nicht heranbrechen will.“ (Neues Politisches Volksblatt, 15. November 1901) 16 Neue Freie Presse, 16. November 1901. 17 „Verschobene Opern-Premiere. Die für Sonntag geplant gewesene Erstaufführung von Richard Wagners Tristan und Isolde ist verschoben worden, da die Inhaber der Hauptrollen, besonders aber Gräfin Vasques, durch die in letzter Zeit … Proben zu erschöpft sind, um mit der wünschenwerthen Frische an die Erfüllung ihrer schweren Aufgaben gehen zu können. Wie wir erfahren, wird die Premiere am 26. November, die Generalprobe aber drei Tage vorher, Samstag, den 23. November stattfinden“ (Budapester Tagblatt, 13. November 1901).



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and problematic prima donna, yet in this context the reports on her condition acquired different coloring, to the further disadvantage of the Opera House as an institution. In this situation, with the final dress rehearsal scheduled three days before the premiere on 25 November, the directory board made several important arrangements in order to gain the favor of the invited guests, as it turned out, with an age-old method — their stomach. On 24 November, Pesti Napló reported  : “The Tristan and Isolde dress rehearsal took place … at 10  :00 for an invited audience. In light of the length of the musical piece — the evening performance starts at 6  :30 pm – the directorship arranged that a patisserie and a buffet be at the present public’s disposal on the ground floor in the wardrobe premises.”18

The Budapester Tagblatt reported that the buffet was “ransacked” (geplündert) by the hungry public.19 Here is a newspaper description of the select cultural elite’s behavior before, during, and after the dress rehearsal from Pesti Napló  : “The audience … received with joy the news that the Opera House decided to finish the rehearsal [an hour and a half earlier]  : ‘Bravo  !’ they said, ‘this way we can at least lunch earlier. No matter how much they swear by the opera house directorship, they do have a sense of the people’s basic needs  !’ The public thus … sat down for the accommodating morning coffee to relish classical music. They observed that when Wagner wrote this work, his thoughts ran about the following  : ‘These anti-Wagnerians constantly curse [me], but they have not yet heard a true Wagner. Now I will write something for them so that at least they have a reason to curse  !’ At 12  :00 … the director called back to the seats. … One of the actors was unable to play his role, while the public applauded with an incandescent respect to somebody’s wife in the first row who, first, carefully looked around her, then unfolded a spotted tissue and took a bite 18 „A Trísztán és Isolde nyilvános főpróbáját hétfőn, november 25–én délelőtt 10 órakor tartják meg meghívott közönség jelenlétében. A darab hosszabb időtartamára való tekintettel – az esti előadást 6 1/2 órakor kezdik – az igazgatóság gondoskodott, hogy a jelenlevő közönségnek cukrászda és buffet álljon rendelkezésére a földszínti ruhatár helyviségében.“ („Trisztan és Isolde,“ in Pesti Napló, 24. November 1901). [Emphasis mine]. 19 „Die Generalprobe von Tristan und Isolde,“ in Budapester Tagblatt, 26. November 1901.

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of a salted crescent roll. At 2  :30 pm the second act was over and the public, having lost all energy, went down to grab a snack.”20

The subsequent reports in a variety of local papers were favorable. Yet another row of events was soon to destroy the shaky public support. On 27 November, two separate news items appeared in all major Budapest newspapers. The first one did not concern the Tristan and Isolde premiere, yet was connected to the state of affairs in the Opera House. The leading prima donna Bianca Bianchi, the papers informed — known in real life, ironically enough, as Bertha Schwarz — was leaving the Budapest stage for a better place.21 Hence another discussion erupted about the management of the institution  ; why was it, it was asked, that the musicians and the singers — the names of others who had recently left were meticulously mentioned — had to look for work elsewhere. The second event, however, related to the forthcoming premiere directly, and was certainly a scandal. The orchestra of the Opera House went on strike, refusing to do any 20 „A főpróbák látogatóit nagy örömmel töltötte el az a reform, hogy az Operaház „Trisztán és Izolda“ főpróbáját tizenegy óra helyett féltiz órára tüzte ki. – Bravo  ! – mondogatták – így legalább idején ebédelhetünk. Lám akárhogy szidják is az Opera vezetőségét, mégis van benne érzék a gyakorlati igények iránt  ! A közönség tehát a könnyed reggeli kávéval kibélelve leült – klasszikus zenét élvezni. Megjegyezzük, hogy amikor Wagner ezt a darabot írta, így gondolkozhatott  : Ezek az anti-wagneristák folyton szidnak, pedig még nem is hallották az igazi Wagnert. Nohát majd írok én nekik valamit, hogy legalább legyen mit szidniok  ! Az óramutató a déli tizenkettö felé hajolt, amikor az első felvonásra ráborult a függöny. A karmester félig aléltan hanyatlott vissza a székébe. A trombitások záporpróbát rögtönöztek a trombitáikkal, a közönség soraiból pedig néhány sápadt alak imbolygó léptekkel vánszorgott a kijárás felé… Kezdődőtt a második felvonás. Az egyik énekes kénytelen volt markirozni a szerepét, mert a közeledő éhtifusz (  ?) szimptomáit érezte, a közönség pedig izzó tekintettel tapadt egy elsősorbeli urhölgyre, aki előbb óvatosan körülnézett, aztán főlhajtotta pöttyös fátyolát és beléharapott egy sóskiflibe. Délután félhárom órakor véget ért a második felvonás és a közönség összeszedve minden erejét, kimenekült, hogy valami harapnivalóval mulassza el aléltságát. Csak a harmadik sorban állott szilárdan, mint az őserdők tőlgye, összefont karokkal egy zondonarcu férfiu. Elszántan összeszorította ajkait és némán, panaszhang nélkül, rohamosan fogyva, de törve nem, várta be a harmadik felvonást, amelynek félnégy órakor volt vége. Ez a férfiu sportkörökben általánosan ismert alak. Egy ízben hordóban legurult a Niagara-zuhataggal, gyalog átvándorolt a Szaharán, harcolt a lázadó szudániak ellen, kétszer volt sárgaláza Braziliában és egy alkalommal egy törött hajó roncsairól uszva menekült a Csendes-oceán egy lakatlan szigetére … Nem csoda, hogy végig kibírta a főpróbát.“ (Pesti Napló,27. November 1901). 21 „Operaház,“ in Budapesti Hírlap, 27. November 1901.



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further rehearsals unless their wages were raised. Newspaper sources did not provide any follow-up on this issue, but did add to the growing public discomfort with the management of the opera affairs, and connected it to other recent events. The strike was directly related to the previous conflict between Keglevich and Mészáros  : a raise in the orchestra members’ salaries was one of the main issues Mészáros had initiated during his short-lived directorship. The salaries were eventually raised at the end of 1901, much to Keglevich’s displeasure.22 Or, as Budapest noted with a measure of sarcasm, “Just as a current problem with a tenor [and orchestra, M.P.] resolves itself, now occurs this question about the musical director.”23 The orchestra eventually went back to its pit, and the premiere did take place, amongst the cascade of scandals. There is an overall picture of an overwhelming success at the premiere. Tristan and Isolde became a hit of the season and was staged as much as twelve times during the following months — an extraordinary number considering the difficulties.24 Most of the papers reported the exceptional behavior of the audience, which, in very simple terms, watched the performance “until the very end”.25 A closer look, however, at the entire arrangement reveals a somewhat different impression. First of all, following the success of the buffet during the dress rehearsal of Tristan and Isolde, yet another even more curious measure was taken in the Opera House for the premiere. A short note was hastily arranged to be published in all the major newspapers days before the show, which significantly adds to our understanding of why and how a “large crowd” actually remained in the auditorium  :

22 Staud, A Budapesti Operaház, 87. 23 „A dalszinház kardalos személyzete memorandumot terjesztett be gróf Keglevich István intendánshoz, melyben silány fizetésük arányos felemetését kérik. A memorandumot – melyet a hetvenöt tagból álló operai karból negyvenen írtak alá – előbb küldöttség utján személyesen akarták az intendánsnak átnyújtani, de mert az intendáns az ez iránt kérdezősködőknek elutasitó választ adott, postán küldték a kérvényt.“ („Az operaházi kardalosok sztrájkja,“ Egyetértés, November 27, 1901)  ; „Az operaházat ismét komoly válság fenyegeti. Alig, hogy elmulik egy-egy tenoristakérdés, beáll az igazgató-valság.“ „Sztrájk az operában,“ in Budapest, 27. November 1901). 24 Staud, A Budapesti Operaház, 105. 25 Budapesti Napló, 26. November 1901  ; also Neues Politisches Volksblatt, 26. November 1901  ; Neues Pester Journal, 26. November 1901

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“The directors board would like to advise the [honorable] public that the doors of the auditorium will be closed after the start of the performance so that the present audience will be able to enjoy Wagner’s great, emotional work unobstructed.”26

This, in a particular Budapest setting, was a local, from-the-top-down, application of the Romantic idea that a great musical work should be listened to silently and unobstructed — so well described by Johnson for the early 19th century bourgeois Paris — and a specific carrot-and-stick policy at the same time. Yet the local tradition of opera going, which could be best characterized as laissez faire, seemed to have found ways around this well-orchestrated plan. Several papers reported in detail on the public’s behavior on the day of the premiere  : “The premiere was scheduled to start at 6  :30, so the Wagnerians had gone to the district restaurant already at 5  :30 in order to feed themselves well, and once again, before the great fasting (hogy a nagy böjt előtt még egyszer jóllakjanak Istenigazában). At 6  :00 they were standing reverently in front of the gates of the Opera House grabbing a quince with clove. … Members of their families also stood there in front of the theater, and when the first bell rang they parted from their heroic Wagnerian [partners], sobbing. [The latter] martyrs left for the auditorium with an expression of serious audacity. No words were spoken while they occupied their seats, [and] the staff ferociously closed all the doors.”27

In order to avoid fainting, as pointed out by Pesti Napló, one needs to eat quince “according to a traditional belief ”.28 With their humble bodies thus dutifully 26 „Az igazgatóság figyelmébe ajánlja a közönségnek, hogy a nézőtér ajtóit az előadás megkezdése után bezárják, hogy a jelenlevők zavartalanul élveshessék Wagner e nagyszabásu, hangulatos zenedrámáját.“ („A Tristán és Izolde,“ in Egyetértés, 27. November 1901). [Emphasis mine] 27 „Az előadás fél hét órakor kezdődött, a wagneristák tehát már fél hat órakor ellepték a környék vendéglőit, hogy a nagy böjt előtt még egyszer jóllakjanak Istenigazában. Hat órakor egy-egy szegfűszeges birsalmát szorongatva kezükben, áhitatosan álltak meg az Operaház kapuja előtt. A hagyomány szerint a birsalmát ajánlatos szorongatni, ha ájulás környezi az embert. A családtagok is ott gyülekeztek a színház előtt és amikor megszólalt a jelző csöngetyű, zokogva bucsuztak el a hösies wagneristáktól, akik a mártirok komoly elszántságával vonultak be a nezőtérre… Szótlanul helyet foglaltak a padokban, a szolgák kegyetlenül elzárták az összes kijárókat és a szinpadon ájtatos énekébe kezdett a főkántor Laza … azaz Burrián.“ (Pesti napló, 29. November 1901). 28 Ibid.



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prepared, the public took seats in the auditorium set for “the great fasting”, noting however with interest that the intendant, who probably wanted to spare himself the unpleasant experience, was absent — doubly, because not only might he have wanted to avoid a musical piece longer than four hours, but he also might have feared a public lynching on the spot for having previously sacked director Mészáros. Yet, with the sole exception of the Opera intendant, “no single place remained empty in the auditorium … The impression was greatly enhanced by the fact that the doors remained closed during the performance. At 6  :30 everybody was already at their place and the performance started quietly, which the public was looking forward to see till the end. When, one and half hours later, the curtain rose for the first time, there was an applause which we have not heard for long at the Opera House. … It was applauded somewhat less intensely, however, after the second act, though we expected that it would make a stronger impression. But when the [second] act was over, the public, it seems, hurried to the buffet for a small snack. After the third act some boxes were empty, but the public in the ground floor stayed until the end, and angrily hissed at those few who left a few minutes before the end.”29

This description reveals several important details that might help us understand the behavior of the audience. First, there was unquestionably a high interest in the premiere and generally in everything happening within the Opera House, which was signified by the full house, and the absence of both Keglevich and Mészáros 29 „Egyetlen hely sem maradt üresen a nézötéren, amely valóságos diszelöadás képét nyujtotta. Csak éppen az indendáns nem volt ott, ami általános feltünést keltett és arra a kombinációra adott alkalmat, hogy talán őt is épp ugy szabadságoltak, mint Mészáros igazgatót. A figyelmeztetés, hogy előadás közben az ajtók zárva lesznek, megtette hatását. Hat és fél órakor már a helyén volt mindenki és mély csendben kezdődött meg az előadás, amelyet a közönség mindvégig éber figyelemmel kisért. Mikor aztán másfél óra mulva először gördült le a függöny, olyan tapsvihar tört ki, amelyhez foghatót premiére alkalmával rég nem hallottunk az Operaházban. Nemcsak a főbb szereplőknek, hanem Kerner István karnagynak is számtalanszor kellett megjelennie a lámpák előtt, Vasqueznét pedig gyönyörű virágadományokkal is kitüntették tisztelői. Valamivel kevésbbé intenziven nyilvánult a lelkesedés a második felvonás után, pedig ettől nagyobb hatást vártunk, mint az elsőtől. De mire véget ért a felvonás, a közönség – ugy látszik – kimerült és sietett a buffetbe, egy kis erősítésre. A harmadik felvonás alatt egypár páholy kiürült, de a földszinti közönség mindvégig kitartott és erősen lepisszegte azt a két-három embert, aki néhany perccel a függöny lebocsátása előtt távozott.“ (A Hazánk, 29. November 1901).

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only enhanced this impression. Second, this interest lies in the realm outside music, or at least not exclusively within that realm, as the short patience for Wagner’s work demonstrated. And third, by 1901 the Budapest Opera House was much more a place for social interaction than a space for solitary emotional musical experience. The subsequent press discussion of the premiere, full of irony and general commentary on the well-being of the institution, confirms these findings. The libretto, it turns out, was seriously cut and simplified, and this very fact gains a different light when one notes several important voices of appreciation among the local press journalists. For example, Andor Merkler, the music critic of the political paper Magyarország (Hungary), noted that this was not a problem. “Hungarian temperament”, Merkler assured, “does not bear things of great length and after four and a half hours even the seat of the most committed Wagnerian will cool down”.30 Yet even in general terms, while in other parts of Europe, especially in France, Wagner’s work was receiving its last revival before the arrival of modernism,31 in 1901 Budapest, it seems, his legacy was seen as much more problematic and questionable. Tristan and Isolde, especially was criticized for having too simple a plot that was boring, moralistic, and simply ran too long, irrespective of national temperaments. An anecdote in Budapesti Napló about the rehearsals of Tristan and Isolde in Vienna in the 1860s is illustrative. When one of the singers was asked about their progress, he is reported to have said  : “We are in the second act, but have already forgotten the first one.”32 “How simple this story which is being taken as so complicated by a negligent listener. A man dies for a woman and a woman dies in love after him. C’est tout,” joined Magyar Hírlap (Magyar Newspaper).33 30 „Ennek sem ártana, ha azt a rendező kék czeruzája kissé megrendszabályozná. Egyáltalán kivánatos volna, ha a revizió az egész partiturára kiterjedne. A magyar temperamentum nem türi a hosszadalmasságot s a négy órán át egy helyben való ülés még a legszélsöbb Wagner-enthuziástát is lehüti.“ (A. Merkler, „Trisztán és Izolde,“ in Magyarország, 28. November 1901). 31 Ther, In der Mitte der Gesellschaft, 396. 32 „Mikor a hatvanas években a bécsi Operaházban már vagy hat hónapig Trisztán-próbákat tartottak, megkérdezték a híres Andertől, akinek Trisztánt kellett volna énekelnie, hogy hol tartanak. – A második felvonásnál tartunk, de már elfelejtettük az elsőt, – felelte a tenorista. És ez a válasz jellemző.“ (I. Gergely, „Trisztán és Izolda,“ in Budapesti Napló, 29. November 1901). 33 „Mily egyszerü ez a történet, amely a felületes hallgatónak oly komplikáltnak tetszhetik. A férfi



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“And so, in the first act, Tristan and Isolde sip the love drink“, echoed sarcastically Neues Pester Journal, „in the second act, they sing about the luck of love and the longing for death for fifty minutes, and in the third act, Tristan sings almost as long while dying and dies while singing – is this the ‘action’ that should fill in a drama of five and a half hours  ?”34 The fact that the libretto was sung partly in Hungarian, and partly in Italian, certainly did not contribute to public approval, even given the somewhat modest interest in the music itself, and became a source of puns for weeks following the premiere. The very fact that there was a Hungarian translation was already extraordinary. Musical critic Károly Antalik acknowledged in Hazánk (Our Home/Country) the quality of young Emil Abrányi’s translation, yet noted with a measure of sarcasm  : „Anyhow, the Hungarian language does not allow to properly translate such meaningless [phrases] as, for example, the following  : „Liebe – heiligstes Leben, Wonne – hehrstes Weben, Nie Wieder – Erwachens Wahnlos Hold bewusster Wunsch“ If anybody could put this [in Hungarian], would he or she not get the hickups  ?“35

The irony, however, was not as much in the Hungarian translation itself, but rather in the fact that the main protagonists — Tristan and Isolde were played respectively by Károly Burrian and Italia Vasquez — could not handle the text. As the result, Burrian, a Czech by origin, known alternatively as Carl and Karel, meghal a nőért és a nő szerelmében utána hal. C’est tout. … Tristan tehát rossz dráma.“ („Tristan és Izolde,“ in Magyar Hírlap, 29. November 1901). 34 „Tristan und Isolde,“ in Neues Pester Journal, 29. November 1901. 35 „… Abrányi Emil ügyes forditása. Különben a magyar nyelv nem is bírja híven visszaadni az olyan érthetetlen bombasztokat, amilyen például ez  : Liebe – heiligstes Leben, Wonne – hehrstes Weben, Nie Wieder – Erwachens Wahnlos Hold bewusster Wunsch.“ Ha ezt valaki elszavalná, nem keltene-e kacajt  ? (Hazánk, 28. November 1901). Abrányi will later become a renowned composer, a conductor (1911–1919) and musical director of the Hungarian Opera House (1919–1920).

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sang in Italian, while Vasquez attempted a “Hungarian” Isolde, much to the disadvantage of the resulting performance  : “Countess Vasquez sang Isolde in Hungarian  : such is the world down here. A Czech tenor sings in Italian, an Italian prima donna in Hungarian, yet … nobody can understand her.”36 The fact that the two protagonists of a great musical work, the main theme of which was the eternal love, could not even sing the same language on stage was obviously an excellent material for local humor. The fact that technically the prima donna was a representative of the Italian bel canto style — something Wagner fiercely opposed during his entire life, emphasizing instead clear declamation of text, let alone the very fact that some of his works were actually sung in Italian — only added to the impression of comedy turning sour. “In terms of technical and intellectual standards of Wagner’s style,” noted the German-language Neues Pester Journal, the prima donna was “as far from it as perhaps Toscana is from Cornwall.”37 And yet it was certainly characteristic that Burrian, who sang in Italian, was able to offer the most convincing and understandable representation of his role to the local public.38 Puns and humor aside, two larger issues emerge from the critics’ analysis of Wagner’s work, which may eventually explain why, in the end, there was a full house at the premiere. First, Wagner was slowly becoming the music of the past, and the public was paying it its last, even if somewhat hypocritical, honor.39 It 36 “Izoldát Vasquez grófné magyarul énekelte, — ilyen a világ mifelénk. A cseh tenorista olaszul zeng, olasz primadonnánk magyarul, egynémely magyar énekesnőnk pedig érthetetlenül. …” (I. Gergely, „Trisztán és Izolda,“ in Budapesti Napló, 29. November, 1901). 37 „Vasques – hat allen Anspruch auf … ein noch höheres (Lob) durch die künstlerische Sorgfalt, die sie an die Beherrschung des ungarischen Textes gewandt hatte. Freilich, verstanden haben wir von dem gesungenen Text, auch von dem, den uns alle anderen Mitwirkenden boten, nur sehr wenig. Und darauf soll es, nach dem kategorischen Imperativ des Wagner-Stils, in erster Reihe ankommen. In den lyrischen Theilen der Partie von überzeugender Wärme, blieb Frau Vasquez im Ausdruck dramatischerer Regungen Vieles schuldig. Alle Hingabe an ihre Aufgabe konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die warmblütige Individualität der Künstlerin von den technischen und intellektuallen Anforderungen des Wagner-Stils so weit entfernt ist, als etwa – Toscana von Cornwall.“ („Tristan und Isolde,“ in Neues Pester Journal, 29. November, 1901). 38 „Tristan und Isolde,“ in Neues Politisches Volksblatt, 29. November, 1901. 39 „És ime, a „jövő zenéjé“-ből ma már a „jelen-zené“-je lett és Wagner hajójában evez többe-kevésbbe minden modern zeneszerző. Egészen más szemmel nézi, más füllel hallgatja tehát „Tristan és Izoldá“-t is a mai közönség, mint a mult század 60–as és 70–es éveinek közönsége.“ (K. Antalik, „Tristan és Izolda,“ in Hazánk, 28. November 1901).



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seemed that the belated Tristan and Isolde found understanding despite its flaws or perhaps exactly because of them. Neues Pester Journal asked rhetorically  : “Will Wagner’s tonal world remain the music of the future  ? … Does not the art history of the last century wish to teach us that the „music of the future“ is actually the music without future  ? … Have perhaps Aida, Othello, The Queen of Sheba, Carmen … Faust, Mignon, The Huguenots, even The Barber and Tell – not even to mention Fidelio and Don Juan – lost their appeal[  ?] Have we lost sense of Nicolai’s … and Lortzing’s amiable humor[  ?] Finally, has not a number of works – in their nature worlds apart from Wagner’s art – conquered almost all known stages during the last years  ?”40

The answers to these questions were self-evident. Wagner was considered as much a part of the musical past and, in the language of modernism, a sign of the “past century’s decadence” and an “interesting cultural intermission”, similar to Arthur Schopenhauer’s ideas in philosophy. The music of the future would become hedonist again, just as it was in the times of Mozart, assured the music critic. A year later, in 1902, the young Béla Bartók would meet Richard Strauss at his Budapest premiere of Thus Spoke Zarathustra and that would have the most significant influence on his early work. And Wagner  ? Tristan and Isolde maintained its reputation as the most difficult work to perform, but it seems to have lost most of its radicalism. About Gesamtkunstwerke one could now “equally write dithyrambs and acidic satires”.41 40 „So scheint es, als ob der verspätete ‚Tristan‘ trotz seines Säumens, oder vielleicht gerade darum, warmes, liebendes Verständniss gefunden hätte. Sollte die Wagner’sche Tonwelt also doch die Musik der Zukunft sein  ? … Die Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte selbst, will sie uns nicht lehren, dass die Zukunftsmusik eigentlich eine Musik ohne Zukunft sei  ? … Sind … in den letzten drei Jahrzehnten „Aida“, „Othello“, „Die Königin von Saba“, „Carmen“ entstanden, haben etwa „Faust“, „Mignon“, „Die Hugenotten“, selbst der „Barbier“ und „Tell“ – von „Fidelio“ und „Don Juan“ gar nicht zu sprechen – ihre Zugkraft eingebüsst, haben wir vielleicht den Sinn für den liebenswürdigen Humor Nicolai’s, selbst Lortzing’s verloren, und endlich  : ist nicht in den letzten Jahren eine Anzahl von Werken, die ihrem künstlerischen Wesen nach himmelweit von der Wagner’schen Kunst entfernt sind, siegreich über fast sämmtliche Bühnen gegangen  ? („Tristan und Isolde,“ in Neues Pester Journal, 29. November 1901) [emphasis mine]. 41 „… Ist es nicht vielmehr anzunehmen, dass der Dekadentismus im verflossenen Jahrhundert, dem in Schopenhauer sein glänzendster philosophischer Vertreter erwachsen war, in Richard

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The second larger issue to emerge from the critics’ analysis was that the reason there was a full house at the premiere was because the Opera House had remained as much a place of elite representation as a place for a musical experience, and the public was therefore at least as important as — if not more important than — the stage  : “Theaters are a noblesse oblige for the aristocracy … It is fitting, for example, that a Budapest opera put Tristan and Isolde into its repertoire as [if it were] a first class musical institution. It is fitting because other great theaters in Vienna, Paris, and many others do the same and our opera could not stay behind.”42 Irrespective of what was actually happening on stage, the performance was often seen as a great success precisely because of the representative composition of the public, hence the exaggerated attention to the theater decorations, and to their counterparts among the public.43 The Budapester Tagblatt reported that the dress rehearsal on 26 November “was not as spectacular as in its time the dress rehearsal before the very first premiere … in Munich, where King Ludwig [of Bavaria] … as well as a number of noblemen … and invited guests occupied almost all the seats in the auditorium, and one could [also] observe the distinguished representatives of the theater and music world in the boxes and the parquet”.44 And vice versa, “the sight of the [Opera] house, completely filled Wagner seinen verführerischesten, monumentalen musikalischen Propheten gefunden habe. … Aber der Vohang wird sich zweifellos wieder heben  ! Unsere Kunst, unsere Musik wird wieder hedonistisch werden… Die Kunst Wagner’s ist zu … leidenschaftlich, um nicht nach beiden Richtungen hin Reaktion zu wecken. … Ueber Wagner’s Gesammtkunstwerke lassen sich ebenso leicht Dithyramben wie ätzende Satiren schreiben.“ Ebd. 42 „A színpadok arisztokráciájának is megvan a maga noblesse oblige-je. Az előkelőség külső kényszerrel kötelezi őket olyasmire, a mi nem közvetetlenül szükséges. Illik például, hogy a budapesti Opera, mint elsőrangu műintézet beilleszsze játékrendjébe Trisztrán és Izoldé-t. Illik, mert a többi nagy színház  : a bécsi, a berlini, a párisi, s még egy csomó más, hasonlóképp cselekedtek és a budapesti Opera nem maradhat el mögöttük.“ ((k.a.), „Trisztan és Izolde,“ Budapesti Hírlap, 29. November 1901). 43 „Die neuen Dekorationen wurden vom Dekorationsmaler des Opernhauses August Spannraft angefertigt“ (Pesther Lloyd, 14. November 1901). 44 „Die Generalprobe von Tristan und Isolde ist heute unter lebhafter Betheiligung eines geladenen Publikums im Opernhaus abgehalten worden. Dieselbe war zwar nicht so glanzvoll, wie seinerzeit die Geleralprobe zu der allerersten Aufführung dieses anspruchvollsten Werkes Richard Wagners, als in München der … König Ludwig, der die Aufführung ermöglicht hatte, sowie eine Anzahl Fürstlichkeiten derselben beiwohnten, indessen auch hier füllen die geladenen



From Gypsy Music to Wagner without a ­Transition  ?

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by the distinguished public made one aware of a sensation that one will attend to a musical experience”.45 Put simply, “at this premiere, it is not about Tristan and Isolde but about us, who would like to once again belong to the civilized West.”46 Taken together as a description of a “great success” as reported in current literature, the events do not squarely fit  : Loud repeated applause followed from the hungry and exhausted public, eager but unable to leave the auditorium, or the musical work, considered incomprehensible and plainly unbearable to even serious critics. The quince lunch before the performance was accompanied by extended intermissions in the downstairs buffet. A Czech tenor sang in Italian, and an Italian prima donna sang in unintelligible Hungarian. The musical director was fired and absent from the premiere, along with a scandalous intendant. The orchestra that had previously gone on strike refused to rehearse. And finally the press used every available occasion to mock the entire enterprise. Instead, this suggests that the full house of the Budapest Opera was applauding itself rather than the performers  : they had made it, just like “other great opera houses” in Paris and Vienna  ; they had legitimated with their very presence the adherence to the “civilized West” — and how the singers performed, or what exactly the public actually thought of the performance, and generally of Richard Wagner, was a matter of secondary importance. So was there a switch from Verbunkos to Wagner, with or without transition  ? The story of the 1901 Tristan and Isolde premiere does not provide us with concrete evidence that such a switch actually took place. As a matter of fact, Verbunkos were popular and remain popular even today, and even the devoted Wagnerians might have listened to Verbunkos in one of the restaurants they visited before and after the premiere. Conversely, this story tells us that, at least Gäste fast sämmtliche Plätze des Opernhauses und konnte man in den Logen und im Parket die hervorragendsten Vertreter der Bühnenkunst, sowie der musikalischen Welt bemerken.“ („Die Generalprobe von Tristan und Isolde,“ in Budapester Tagblatt, 26. November 1901). 45 „Der Anblick des Hauses, das von einem distinguirten Publikum in allen Räumen dicht besetzt war, liess erkennen, dass man die Empfindung hatte einem musikalischen Ereigniss beizuwohnen“ („Tristan und Isolde,“ in Neues Pester Journal, 29. Novemberg 1901). 46 „Ezen a premiéren nem is Trisztán és Izoldáról van szó, hanem jómagunkról, akik egyszer megint a mívelt nyugathoz akarunk tartozni.“ (I. Gergely, „Trisztán és Izolda,“ in Budapesti Napló, 29. November 1901). Also see A. Beer, „Tristan und Isolde,“ in Pester Lloyd, 29. November 1901.

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as far as Wagner is concerned, music on stage was not what occupied the sole attention of the public in the auditorium. Despite the similarity of the Budapest institution to the late 19th century German stages such as Dresden and Vienna — and its difference to Prague — in the cool reception of another great 19th century composer, Giuseppe Verdi,47 the reception of Wagner did not follow the same pattern, and it would therefore be inappropriate to include the Hungarian capital into the “German musical orbit”. At the 1901 premiere of Tristan and Isolde in Budapest, the public behavior was as laissez faire as possible, considering the circumstances, and the press full of comical and satirical commentary.48 This, importantly, runs strongly against the embourgeoisement thesis as suggested by Johnson for Paris as an overarching explanation of the change of musical taste and public attitude across Europe during the 19th century, and should therefore be further explored in other similar contexts. And yet, the Budapest Royal Opera House — troubled by a sequence of scandals and constantly changing directors, heavily dominated by the aristocratic elite, devoid of a consistent musical program, and strongly subsidized by the authorities — may be representative of a whole larger group of European institutions away from the primary centers of musical production that remained relatively untouched by a populist brand of cultural nationalism.

47 On this see M. Prokopovych, “‘Instead, I saw a little man.’ The reception of Verdi in late nine­teenth-century Hungary,” in P. Stachel, P. Ther, (Hg.), Wie europäisch ist die Oper  ? Das Musiktheater als Zugang zu einer kulturellen Topographie Europas, Köln/ Weimar 2009, 161–76. 48 See P. Ther, In der Mitte der Gesellschaft, 155–164, 226–228, 305–306.

Gesa zur Nieden

Die Oper und die moderne Metropole

Die Oper und die moderne Metropole sind in Geschichte und Geschichtsschreibung eng miteinander verbunden. Ihr wechselseitiger Bezug betrifft verschiedenste Facetten des kulturellen Lebens, weshalb er aus unterschiedlichen historiographischen Perspektiven heraus thematisiert wird. In den letzten Jahren haben die Annäherungen zwischen der Sozial- und Kulturgeschichte der Musik und geschichtswissenschaftlichen Ansätzen zur Erforschung von Stadtkulturen das Bewusstsein für die mannigfaltigen Bezugspunkte zwischen Oper und Metropole noch verstärkt. Sowohl die Oper als auch die Metropole stellen oftmals kulturelle Brennpunkte dar, in denen sich großflächigere gesellschaftliche und politische Phänomene bündeln. Zudem handelt es sich im Verständnis musikwissenschaftlicher und neurer kulturgeschichtlicher Forschungen bei der Oper und der Metropole um Forschungsobjekte einer vergleichbar vielschichtigen Plurimedialität. Bildlichkeit und Klanglichkeit einer Oper oder einer Metropole werden dabei zunehmend nicht nur zur Analyse ihrer musikalischen oder architektonisch-repräsentativen Artefakte in gesellschafts- oder kulturpolitischer Perspektive herangezogen, sondern vermehrt in Bezug auf ihre Rezipienten, d.h. auf die Einwohner der Metropole und ihr Alltagsleben, interpretiert. Während die kulturgeschichtliche Komplexität von Oper und Metropole in vielen kultur-, stadt- und musikgeschichtlichen Arbeiten zu dieser Beziehung im Hintergrund auftaucht und die weitere Erforschung ihres Bezugs immer weiter beflügelt, sind zugleich zwei Forschungsrichtungen zu erkennen. Sie stellen jeweils die Oper oder die Metropole in den Mittelpunkt, um dann einzelne Perspektiven ihres Bezugs zu erarbeiten. Zum einen wird die Oper als Bauwerk, als Institution oder als musikalisches Werk herangezogen, um Rückschlüsse über die Geschichte und das Bild einer bestimmten Metropole in ihrer kulturhistorischen Dichte zu ziehen. Dabei geht es vornehmlich um den lokalen Platz der Oper als kulturpolitisch wirksame Institution, als gesellschaftlich umfassender Anlaufpunkt inmitten eines regen Kulturlebens, als Ort künstlerischer Reflexionen über das soziale oder politische Leben der Stadt oder als repräsentatives Bauvorhaben in städteübergreifender, zumeist nationaler Perspektive. Zum

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anderen werden auch die Einwirkungen des gesellschaftlichen und politischen Lebens der Metropolen auf die Opernproduktion und -rezeption sowie auf den repräsentativen Stand der Institution Oper innerhalb der jeweiligen Großstadt mitsamt ihrem Potential als Brennpunkt verschiedener überregionaler oder nationaler Entwicklungen untersucht. Für solche Einwirkungen auf das Opernleben sind nicht nur kulturpolitische Entscheidungen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend an Subventionen gebunden wurden, oder Änderungen des sozialen Gefälles in einer Großstadt wie nach den großen Reurbanisierungen ausschlaggebend. Wie stadtgeschichtliche aber auch sozialgeschichtliche Forschungen, die sich mit der Präsenz auswärtiger Musiker und Komponisten in einer Stadt beschäftigen, immer wieder betonen, hängt das Musikleben einer Metropole stark von ihrer kulturellen lokalen Prägung ab, die sich für Wien, Paris, London und Berlin am eindrucksvollsten nicht zuletzt anhand zeitgenössischer Beschreibungen aufschlüsseln lässt. Vertieft man diese Beschreibungen anhand einer Opernkultur in einer bestimmten Metropole oder anhand der Geschichte einer Metropole und ihres Musiklebens, treten Besonderheiten der betreffenden Großstadt in ihrer Dynamik und als Charakteristiken bestimmter Entwicklungsstadien hervor. Das Musikleben entwickelt sich nicht selten in enger Anbindung an sich wandelnde geschichtsträchtige Stadtbilder, detaillierte politische Repräsentationsanstrengungen in Bezug auf eine Stadt oder auch einzigartige stadtgeschichtliche Ereignisse. Unter dem Aspekt dieser lokalgeschichtlichen Entwicklungen, die sich in Fallstudien zeigen, bringt die zusammenhängende Erforschung von Metropole und Oper für beide Forschungsgegenstände wichtige neue Facetten und Details hervor. Ob es sich dabei um eine individuelle politische oder gesellschaftliche Evaluation des zeitgenössischen Stadtalltags durch ein Opernwerk handelt, um Institutionalisierungsprozesse eines Opernhauses, die grundlegende Probleme der Lokalpolitik überspielen, oder um auswärtige Künstler, die den überregional wirksamen Ruf einer jeweiligen Metropole vor Ort wiederzufinden oder gar umzusetzen versuchen, wobei der Ruf einer Großstadt mit der eigentlichen lokalen Praxis nicht immer übereinstimmen muss – Oper und Metropole hängen zwar stark voneinander ab, da sich mannigfache Einzelheiten gegenseitig beeinflussen oder spiegeln. Aufgrund der immer wieder neuen Konstellation dieser Einzelheiten im komplexen Geflecht des kulturellen Lebens einer Großstadt und kon-



Die Oper und die moderne Metropole

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kreter musiktheatralischer Aufführungen, die durch einzelne Akteure realisiert werden, weisen die jeweiligen Entwicklungen von Oper und Metropole jedoch trotzdem ein voneinander unabhängiges Eigenleben auf und müssen für jeden neuen Zeitabschnitt wieder neu konfrontiert werden. Die folgenden Beiträge hinterfragen genau diesen Befund zwischen einer vielschichtigen, aber auf den ersten Blick homogen erscheinenden Abhängigkeit und detaillierten Ausprägungen, die sich aus dem Wechselspiel zwischen Oper und Metropole ergeben. In einer solchen Ausrichtung rücken auch Städte in den Vordergrund, die mit dem Prädikat „Metropole des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts“ nur kaum oder gar nicht verbunden sind  : Um die Gewichtung einzelner Faktoren wechselseitigen Einflusses oder auch spezieller Distanzierungen zwischen Stadtkultur und Opernleben festzustellen, gilt es, die Verbindung von Metropole und Oper nicht nur aus verschiedenen Disziplinen heraus zu beleuchten, sondern auch Unterschiede in der lokalen Größe und politischen Reichweite sowie der damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Netze und musikalischen Repertoires zu berücksichtigen.

Gerd Rienäcker

Oper – für drei Groschen  ? Genese und frühe Wirkungsgeschichte

Im März 1928 macht Elisabeth Hauptmann Brecht auf ein wieder entdecktes, mit übergroßem Erfolg in London aufgeführtes Werk aufmerksam  : The Beggars Opera von John Gay und Christoph Pepusch. Sie übersetzt das Stück für ihn  ; er beschließt, es zu bearbeiten. Zur gleichen Zeit bittet Ernst Joseph Aufricht ihn um sein Stück für die Eröffnung des von ihm übernommenen Theaters am Schiffbauerdamm. Im April 1928 ist die Bearbeitung der Beggars Opera so weit gediehen, dass Kurt Weill mit der Vertonung der Songs beginnen kann. Im Mai 1928 ist die erste Fassung mit der Überschrift „Die Ludenoper“ (zwischendurch überschreibt Brecht seine Bearbeitung als „Gesindel“) abgeschlossen, die Brecht und Weill noch bis Anfang Juli überarbeiten. Am 10. August 1928 beginnen, so eine Mitteilung von Kurt Weill an die Universal-Edition Wien, die Proben. Ernst Joseph Aufricht hat Erich Engel als Regisseur verpflichtet. Während Brecht Helene Weigel und Carola Neher engagieren möchte, spricht sich Weill dafür aus, Lotte Lenya als Darstellerin einzusetzen. Infolge der kurzen Probenzeit und etlicher Empfindlichkeiten der Beteiligten kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen, die durch halbrichtige Kolportagen an die Öffentlichkeit gebracht werden. Carola Neher und Helene Weigel scheiden aus. Andere Darsteller verlangen Änderungen im Stück und in der Komposition  : Der Darsteller des Macheath begehrt ein effektvolleres Entree, worauf Brecht und Weil mit dem „Mackie-Messer-Song“ reagieren. Trotz zu Vgl. hierzu zahlreiche Berichte von Zeitzeugen, großenteils abgedruckt u.a. in W. Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht, Berlin 1986, Bd. 1  ; J. Lucchesi, R. Shull (Hg.), Brecht und die Musik, Berlin 1988  ; K. Kowalke, Kurt Weill in Europe, Ann Arbor 1979  ; J. Schebera, Kurt Weill. 1900–1950. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten, Mainz 1988, 90–106  ; W. Hecht, Brecht-Chronik, Frankfurt/ M. 1997, 244–245, 248, 250–252  ; J. Fuegi, Brecht & Co., Berlin 1999.  Dazu im Nachhinein  : E. J. Aufricht, Erzähle, damit du dein Recht erweist, Frankfurt/M., Berlin 1966.

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nehmender Kontroversen besteht Aufricht darauf, dass der 31. August 1928 als Termin der Premiere eingehalten wird. Die Generalprobe – nach Berichten von Lotte Lenya desaströs – dauert bis in die Morgenstunden. Daraufhin soll die als „überlang“ bezeichnete Spieldauer um eine Dreiviertelstunde verkürzt werden. Die Weglassung einzelner Nummern, hierzu unumgänglich, ruft Proteste hervor. Zudem wird der Generalprobe ein recht ungewöhnlicher zweiter Durchlauf angefügt – er verläuft ruhig, weil die Beteiligten erschöpft sind. Die Theaterleitung rechnet mit einem Skandal und erwägt ein Ersatz-Stück. Die Aufführung jedoch wird, nach anfänglichem Befremden des Publikums, ein großer Erfolg. Genauso wie die Vorgeschichte der Dreigroschenoper sind auch etliche Nachwirkungen bemerkenswert  : Zum einen die emphatische Reaktion von Alexander Tairow, zum anderen befremdliche Reaktionen linker Künstler, zum dritten Beschuldigungen, die juristische Konsequenzen haben könnten, schließlich jener Prozess um die Verfilmung der Dreigroschenoper, der, im Nachhinein als „Dreigroschenprozess“ signiert, Brecht als Gegenstand soziologischer Betrachtungen eignet. Brecht reagiert auf den Erfolg sehr argwöhnisch  : Er sieht die Dreigroschenoper zu sehr im Fahrwasser des Boulevards und gibt Weill im Nachhinein die Schuld daran. Längst arbeitet er mit einem anderen Komponisten zusammen – mit Hanns Eisler, den er nicht nur als politisch und ästhetisch kongenialen Partner, sondern als politischen Lehrer begreift.  Vgl. Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 1, 289.  Vgl. hierzu u.a. J. Schebera, Kurt Weill, 95  ; H. Shin, Kurt Weill, Berlin und die zwanziger Jahre. Sinnlichkeit und Vergnügen in der Musik, Sinzig 2002, 59–71, insbes. 59 und 60.  Erwin Piscator hält Brecht „trotz der Dreigroschenoper“ für einen Dichter. Erwin Kahn bezeichnet, in einer Rezension vom 25. September 1927 in der Weltbühne, die Dreigroschenoper als „mit viel zu großartigen Mitteln“ aufgezogenen „Künstlerklamauk“, als „Schwabinger Atelierscherz“, zit. nach W. Hecht, Brecht Chronik, 252 und 253.  Alfred Kerr beschuldigt Brecht und Weill des Plagiats.  Im Zusammenhang mit der Berliner Aufführung der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny soll Brecht Kurt Weill als „falschen Richard Strauss“ bezeichnet haben. So jedenfalls teilt es Ernst Joseph Aufricht mit – E. J. Aufricht, Erzähle, damit du dein Recht erweist, 124.  An den Stücken, zu denen Eisler die Musik schreibt, hat der Komponist erheblichen Anteil – mehrere Szenen des Lehrstückes Die Maßnahme (Uraufführung 1930) sowie des bereits im Exil entstandenen Stückes Die Rundköpfe und Spitzköpfe sind von Brecht und Eisler gemeinsam verfasst.



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Das Folgewerk von Brecht und Weill, die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, wird nicht mehr in Berlin uraufgeführt. Otto Klemperer und Ernst Legal hatten die Oper zwar für die Kroll-Oper vorgesehen, allerdings eine Voraufführung an einem anderen Theater gewünscht. Kontroversen zwischen Legal und Kurjel sowie dem Verleger Hertzka führen dazu, dass Brecht und Weill sich nach einem „Provinz-Theater“ umsehen. Also wird die Oper am 9. März 1930 in Leipzig uraufgeführt. Die Zusammenarbeit von Brecht und Weill vor dem Hintergrund des Berliner Musiktheater-Klimas

Nicht nur die Zusammenarbeit von Brecht und Weill hatte eine eigene politische und kulturpolitische Qualität, sondern auch die Rahmenbedingungen der Berliner Uraufführung wirkten entscheidend auf die Konzeption der Dreigroschenoper ein. Dazu gehören vor allem die Situation des Theaters am Schiffbauerdamm, das Verhalten von Sänger-Darstellern, das So-und-nicht-Anders der Berliner Theater-Öffentlichkeit und nicht zuletzt das zunächst kulturpolitische, später handfest politische Klima der Hauptstadt des deutschen Reiches. Auch wenn Bertolt Brecht es ungern hörte  : Nicht er war auf der Suche nach Kurt Weill, als Brunier, sein bisheriger Komponist, todkrank geworden war. Stattdessen nahm Kurt Weill, der von Brechts Hauspostille und Mann ist Mann affiziert war10, Kontakte zu Brecht auf, sodass beide auf seine Initiative hin zusammentrafen. In der Folgezeit kam es zu mehrfacher – und ihrer Zeit als fruchtbar eingeschätzter – Zusammenarbeit  : Am Songspiel Mahagonny, daraufhin an der Dreigroschenoper, schließlich und endlich an der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, an den Lehrstücken Der Lindberghflug und Der Jasager und am Ballett Die sieben Todsünden des Kleinbürgers.

  Als Kurt Weill einen Kompositions-Auftrag für Baden-Baden erhält, beabsichtigt er zunächst, einige Gedichte der Hauspostille zu vertonen. Vgl. hierzu W. Hecht, Brecht-Chronik, 225–226. 10 Kurt Weill bewertet, in einer Ankündigung für den Hörfunk am 13. März 1927, Brechts Stück Mann ist Mann als das „stärkste Theaterstück unserer Zeit“, zit. in K. Weill, Musik und musikalisches Theater. Gesammelte Schriften, hg. von S. Hinton, J. Schebera, Mainz 2000, 348

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Eben diese Zusammenarbeit wurde in früheren, zumeist marxistischen Arbeiten gegenüber dem gemeinsamen Schaffen von Brecht und Hanns Eisler und selbst gegenüber der Zusammenarbeit von Brecht und Paul Dessau abgewertet. Sie wurde nicht nur politisch und ästhetisch, sondern darüber hinaus zu einer bloßen Vorstufe für ein wirklich angemessenes Brecht-Verstehen degradiert.11 Als Gründe für eine solche Abwertung wurden hauptsächlich politische Differenzen zwischen Brecht und Weill genannt.12 In der Tat hat Kurt Weill Brechts revolutionäre Visionen nicht oder nur kaum akzeptiert. Ob es ihm deshalb jedoch am bloßen Erhalt des politischen und kulturellen Status quo gelegen war – namentlich im krisengeschüttelten Berlin –, lässt sich daraus nicht schlussfolgern.13 Der Komponist strebte zwar nicht nach proletarischen Aktionen und Revolutionen nach sowjetischem Muster, aber er vertrat dennoch den Ansatz geduldiger Reformen, die sich für den Anfang auf die Bereiche der Theater-, Literatur-, Musikerziehung diesseits und jenseits moderner Medien sowie diesseits und jenseits pädagogisierender Lehrstücke beziehen sollten. Auch Weills teils verdeckte, teils offene Religiosität,14 die sich im Exil dann zu einem offenen 11 Vgl. u.a. J. Schebera, Kurt Weill, 78–79. Inwieweit spätere Äußerungen von Hanns Eisler zu solcher Abwertung beitrugen, muss offen bleiben. Immerhin wurde ich von Stephanie Eisler brüsk zurecht gewiesen, als ich ihr in den frühen neunziger Jahren von einem Seminar berichtete, das ich über Brecht und Weill leitete  : Ich hätte mich mit Eisler und nicht mit Weill zu befassen. Zugespitzt  : Weill sei „ein Schmarrn“. Offenbleiben muss, inwieweit es um politische Kontroversen oder um höchst prosaische Konkurrenz geht. 12 Vgl. hierzu nahezu alle einschlägigen Monographien über Brecht. H. Shin, Kurt Weill, Berlin und die zwanziger Jahre, 82–90 kommt auf politische Differenzen mittelbar zu sprechen, wenn sie Weills skeptische Beurteilung des Politischen in der Kunst referiert  ; ausführlicher  : H. Geuen, Von der Zeitoper zur Broadway Opera. Kurt Weill und die Idee des musikalischen Theaters, Schliengen 1997, 247–266. 13 Weills eigene Verlautbarungen zumindest legen Ambivalenzen nahe. Zumindest ging es ihm um Demokratisierung des Theaters, übergreifend um Demokratisierung der Künste. Vgl. hierzu u.a. K. Weill, „Verschiebungen in der musikalischen Produktion“, in ders., Musik und musikalisches Theater, 61–67  ; K. Weill, „Oper – wohin  ?“, in ders., Musik und musikalisches Theater, 92–96  ; Vgl. hierzu H. Geuen, Von der Zeitoper zur Broadway Opera, 87–122, H. Shin, Kurt Weill, Berlin und die zwanziger Jahre, 19–52, 91–96. 14 Vgl. hierzu M. Classen, „Wie hältst du’s mit der Religion“, Dissertation, Ms. Kassel 2000  ; C. Kuhnt, Weill und das Judentum, Saarbrücken 2001. Eben deshalb sind die Choral-Partien sowohl in der Dreigroschenoper als auch in beiden „Mahagonny“-Projekten von bloßer Ironie weit entfernt. Vgl hierzu G. Rienäcker, „Haltet euch aufrecht“, in M. Silberman, F. Vassen (Hg.), Mahagonny.com. Das Brecht-Jahrbuch 29, University of Wisonsin 2004, 211–222.



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Bekenntnis zum jüdischen Glauben und zur jüdischen Geschichte ausprägte, lässt sich nicht als Grund für eine Abwertung der Zusammenarbeit halten, da auch Brechts stentorhaft behaupteter Atheismus nicht unanfechtbar ist.15 Seine Erklärung, das ihm liebste Buch sei die Bibel, wird man nicht der bloßen Affinität zu einem Werk der Literatur zeihen dürfen. Seit eh und je durchziehen biblische Figuren, biblische Vorgänge, biblische Redewendungen seine Dramen, seine Gedichte und seine Prosa. Was das politische Engagement angeht, befasste sich Brecht zunehmend mit den ökonomischen und philosophischen Analysen von Marx,16 Engels und Lenin, woraus er nur recht mühevoll eine Affinität zum Konzept der proletarischen Revolution entwickelte. Brecht folgerte daraus, dass auch er sich Arbeitern zuwenden müsse, und zwar diesseits und jenseits kultureller, künstlerischer Tätigkeiten, wobei er sich nach seinem Verständnis nicht als unmittelbarer Teilnehmender inmitten proletarischer Gruppen bewegte, sondern eher als Lehrer und also doch wie ein Fremder über ihnen. Entgegen Weills Ansicht gab Brecht bloßen Reformen gegenüber dem Bestehenden keine Chance  ; für ihn hatte das Bürgertum, welcher Couleur auch immer, versagt. Obwohl Brecht und Weill im Nachdenken, wie denn Bestehendes zu verändern sei, auseinander gingen, war das, was sie zusammen hielt, nicht unbeträchtlich  : Sie schufen eine gemeinsame Bestandsaufnahme der kulturellen Szene, sowie auch ihrer politischen und ökonomischen Wurzeln. Auf dieser Ebene ist ihr Blick vergleichbar,17 und eben deshalb ist es unerlaubt, Weills Komposition unterhalb der politischen, sozialen, kulturellen Optik des Dichters anzusiedeln.18 Natürlich standen den politischen Differenzen ästhetische zur Seite, und 15 Vgl. hierzu ein eigenes Symposion, veranstaltet am 10.–15. Februar 2001 vom Literaturforum im Brecht-Haus Berlin, abgedruckt in  : Brecht-Dialog 2002, Brechts Glaube, Berlin 2002. 16 „Acht Schuh tief“, so Brecht, habe er in Das Kapital von Marx eindringen müssen. Vgl. hierzu Brecht 83. Brecht und Marxismus, Berlin 1983, vor allem der Essay von Thomas Marxhausen. 17 Vgl. hierzu G. Rienäcker, „Thesen zur Opernästhetik Kurt Weills“, in Jahrbuch Peters 1980, Leipzig 1981, 124 und 125, 127. Vgl. dagegen  : H. Geuen, Von der Zeitoper zur Broadway Opera, 250 – allerdings unterstellend, dass meine Thesen das Phänomen „Entfremdung“ unentrinnbar an Brechts Bestimmung des sozialen Gestus koppelt. Das ist jedoch nicht der Fall. 18 Vgl. hierzu H. Geuen, Von der Zeitoper zur Broadway Opera, 118  : „Die Einschätzung, Weill sei ein unpolitischer Mensch gewesen, der den politischen Ideen eines Brecht allenfalls zeitweise nützlich sein konnte, gehört zu den zahlreichen Mythen, die die Rezeption von Person und Werk Weills belasten. Eine Beschäftigung mit dem kulturellen Horizont des jungen Weill … zeichnen ein anderes Bild. Dabei ist zu bedenken, dass Weills politisch-soziales Engagement

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diese wiederum waren überwölbt von höchst prosaischen Ansprüchen jeweiliger Priorität  : Wenn Kurt Weill mehrfach vom Primat der Musik sprach – am nachdrücklichsten angesichts der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny –, so bestand der Dichter auf dem Primat des Wortes, der Dichtung, des Dramas, und darin handelte er nicht anders als fast alle Meister des Wortes. Bei dieser Kontroverse um Prioritäten fiel zweierlei unter den Tisch  : Zum einen, dass nicht von Musik per se, sondern von Musizieren im Theater, Musizieren als Theater, Musik im Theater, von Musik als Theater die Rede ist – auch in Weills Denken und nicht unwesentlich beeinflusst durch ausgeprägte literarische, theatralische Interessen des Komponisten. Zum anderen, dass die Gattung Oper Prioritäten eigentlich nicht kennt, sondern vom Zusammenspiel aller Künste, von deren Verwandlung in theatrale Medien, von deren Ineinander-Wirken lebt. Der unaufhörlich repetierte Streit „prima le parole, prima la musica“ erübrigt sich im Zeichen jener musica teatralis, deren Koordinaten ich soeben fixiert habe. Sowohl in Weills als auch Brechts Denken und Arbeiten spielt Oper eine zentrale Rolle – teils affirmativ,19 teils zunehmend kritisch. Zum einen auf den ebenso konventionellen wie kostspieligen Opernspielplan eben der Städte bezogen, in denen Brecht und Weill lebten20 und wirkten. Zum anderen bezogen auf Wagners Opern und Dramen, mehr noch, auf deren Rezeption  : Hatte der junge Brecht Wagners und Strauss’ Werke in sich eingesogen wie Zigarrenrauch,21 so gehorchte seine zunehmende Abwehr nicht nur oder nicht einmal primär politischen Erwägungen,22 sondern eher dem überlebensnotwendigen Selbstschutz nicht mit den Rastern der historischen Linken zu erfassen ist …“ Dem sei großenteils zugestimmt. 19 Brechts Geliebte, erste Frau war die Opernsängerin Marianne Zoff. 20 Vgl. hierzu Brechts gallige Kritiken in Augsburg  : Die Oper verschlang nahezu alle dem Theater verfügbaren Gelder  : Für das von Brecht favorisierte Schauspiel blieb fast nichts übrig. Dass Wagners Lohengrin auf dem Spielplan des Augsburger Theaters steht, ist für Brechts spätere Ausfälle gegen dieses Werk nicht unwichtig. 21 Einer Glosse zufolge, abgedruckt in der Augsburger Schülerzeitung Die Ernte im August 1913, soll Brecht Wagner als Genie bezeichnet und gegen die Modernen ins Feld geführt haben. Diese Äußerung ist zitiert in J. Lucchesi, R. Shull. Musik bei Brecht, 91. 22 Auch wenn Brecht solche Argumente ins Feld führt. Vgl. seine Auslassungen über Wagners „Schmelz-Kunst“ vor allem in den „Anmerkungen zur Oper ,Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny‘“, zit. in J. Lucchesi, R. Shull, Musik bei Brecht, 132.



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eines Hochsensiblen und gesundheitlich Gefährdeten.23 Inwieweit Kurt Weill durch seinen Lehrer Engelbert Humperdinck24 und vor allem durch seine Assistenz bei Hans Knappertsbusch am Theater der Stadt Dessau sich Wagner, Humperdincks und Knappertsbuschs Abgott, abgewöhnt hatte, muss offen bleiben. Überdies ist seine Abkehr25 nicht ungebrochen  : In einer Sendung des Hörfunks bespricht er Wagners Meistersinger gedämpft positiv.26 Die eigenen Opern-Visionen jedoch, und dies bereits vor der Zusammenarbeit mit Brecht, kehren sich von Wagners Errungenschaften ab  : Es geht um Opern-Einakter  ; sie thematisieren und entlarven, ja demontieren, was je dem rauschhaften Zusammenspiel der Medien sich überführte.27 Von Wagners dramaturgisch-kompositorischen Verfahren ist allenfalls gebrochen, ironisch die Rede. Ferruccio Busoni, Weills bedeutendster Lehrer, wird ihm beibringen, dass Drama, Oper nicht unwesentlich aus Gestaltungsprinzipen und Formen der Instrumentalmusik erwachsen müsse28 – ohne dass das Theater auf der Strecke bleibt.29 Nicht minder wichtig als die Hinwendung zu instrumentalen Formen ist Weills von Busoni gelegentlich bekrittelte Affinität zur so genannten „niedrigen Musik“ – zum Chanson, Schlager, zum europäisierten Jazz. Nicht minder wichtig, und dies wiederum in Einklang mit Busoni, die Affinität zur italienischen Oper, namentlich zu Werken von Giuseppe Verdi30 und Giacomo Puc23 Vgl. hierzu erhellende Analysen von Steffen Bock in den frühen neunziger Jahren. Vgl. hierzu auch G. Rienäcker, „Misuk oder Musik  ?“, in G. Rienäcker, Musiktheater im Experiment, 25 Aufsätze, Berlin 2004, 145–158. 24 Immerhin Wagners Assistent in Bayreuth, zudem beauftragt, einige Takte für die Verwandlung zur ersten Gralsszene zu komponieren, weil die Wandeldekorationen zu langsam funktionierten. 25 Vgl. H. Geuen, Von der Zeitoper zur Broadway Opera, 123–125, 227–245. 26 Kurt Weill am 5. und 12. Juli 1925, zit. in Kurt Weill, Ausgewählte Schriften, hg. von D. Drew, Frankfurt/M. 1975, 147–148. 27 Das gilt schon für den Einakter Royal Palace, erst recht für Der Zar lässt sich photographieren. 28 Kurt Weill 1924, im Bekenntnis zu Busonis Anschauungen  : „… Denn die musikalischen Elemente der Oper sind keine anderen als die der absoluten Musik“ K. Weill, „Die neue Oper“ (1926), in ders., Musik und musikalisches Theater, 43. 29 Busonis Opern Arlecchino und Faust (unvollendet) machen die Probe aufs Exempel. Kurt Weill hat zu Busonis Maximen sich mehrfach geäußert. Für die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny dürfte Busonis Faust eine Rolle spielen. 30 Nachgerade mit den Händen zu greifen vor allem im Finale der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny.

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cini.31 Mit einer solchen Affinität steht Weill nicht allein  : Werke von Verdi, Puccini und Komponisten des so genannten Verismo werden allgemein aufgerufen gegen Wagner und gegen jene Nachfolge, die schier unzählige „Musikdramen“ bis in die späten zwanziger Jahre zeitigte. Weills Symbiose von Verdi und der so genannten „niedrigen Musik“ schlägt sich in Busonis fast bösmütigem Diktum nieder, Weill sei ein „Verdi des Asphalts“. Der so Gescholtene bekennt sich dazu  : Es gäbe keine Kluft zwischen „hoher“ und „niedriger“, sondern nur zwischen guter und schlechter Musik.32 Hier, in einem solchen Verstehen von Musik und Oper, können Brecht und Weill überein kommen  : Auch Brecht hatte nach etlichen Kontroversen um das (nicht zuletzt ökonomische) Recht der Oper die Operette favorisiert, auch wenn er sie als „Orange der käuflichen Musik, gemixt mit der Flachköpfigkeit des papierenen Zeitalters“ bezeichnete.33 Ganz abgesehen davon galt ein Gutteil seiner Affinität den Musiziersphären der Jahrmärkte34 und des Kabaretts35 – dem Leierkasten mitsamt Moritat, dem musikalischen, darstellerischen Überbrettel, musizierenden Aktionen also, die „weiter unten“ stattfinden oder stattzufinden scheinen, da Brecht seine gutbürgerliche Herkunft auch als Moritaten-Dichter und -Darsteller nicht gänzlich überwinden kann. Auch wenn Brecht sich nach anderen Partnern umgesehen hatte (s.o.), hatten sich grundsätzliche Prinzipien dessen, was Theater mit Musik, Theater in und durch Musik sei oder sein könnte, damit nicht erledigt. Ganz im Gegenteil gibt es nicht nur Opern-Projekte, die Eisler ausführen sollte, das Opernprojekt „Die Reisen des Glücksgottes“ für Paul Dessau, den Entwurf einer Funkoper „Das Verhör des Lukullus“ (hernach die Oper Die Verurteilung des Lukullus) sowie 31 Wichtig für den Monolog des gefangenen Paul Ackermann, wiederum in Der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. 32 So Kurt Weill 1940 in einem Interview mit William C. King, abgedruckt in K. Weill, Musik und musikalisches Theater, 487–491. 33 Diese Äußerung aus dem Jahre 1923 (überliefert von Herta Ramthun), ist abgedruckt in J. Lucchesi, R. Shull, Brecht und die Musik, 105. 34 Joachim Lucchesi weist auf die Rolle des Augsburger Plärrers hin. Vgl J. Lucchesi, R. Shull (Hg.), Die Musik bei Brecht, 14–15. 35 Vgl. hierzu W. Rösler, Das Chanson im deutschen Kabarett 1901–1933, Berlin (DDR) 1980. Nicht nur Brecht, sondern auch Weill waren von der Kabarett-Szene affiziert. Vgl. hierzu H. Geuen, Von der Zeitoper zur Broadway Opera, 63–72.



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Überlegungen zu einem Projekt „Einstein“. Brechts Vorstellungen wirken auch nach seinem Tode noch weiter – vor allem im Schaffen von Paul Dessau und seinen Opern Lanzelot, Einstein und Leonce und Lena sowie bei Kurt Schwaen und dessen Musiktheater-Arbeiten für Kinder  : Es geht um Dialektik im Theater, um dialogisierende Teilhabe aller Künste.36 Dass Brecht allerdings der Oper ein für allemal das Szepter überreichen wollte, erwies sich als Legende. Letztlich blieb er bei seiner Einschätzung der Gattung, die er in den „Anmerkungen zur Oper“ im Jahre 1930 festgehalten hatte  : Oper sei Teil der Vergnügungsindustrie und hätte ihr Recht darin, eben dies zu thematisieren. Später hingegen, ungeachtet der Opernprojekte für Eisler und Dessau, sollten Prinzipien des Lehrstücks wieder aufgenommen werden, und gefragt, was damit gemeint sei, antwortet Brecht Die Maßnahme – also jenes Lehrstück, das Brecht im Dickicht des Antikommunismus nicht aufgeführt wissen wollte. Möglicherweise standen Fastnachtsspiele in Brechts Visier, von denen Brecht ahnte, dass sie zu wirklichem Volkstheater führen könnten (Fast zwanzig Jahre später hat der Theaterwissenschaftler Rudolf Münz Emanationen eines inoffiziellen „teatro dell’arte“ erkundet,37 eines hochartifiziellen Volkstheaters, in dem nicht Hanswurst, sondern Harlekin sein Wesen treibt, um buchstäblich alles von unten her zu besichtigen). Inwieweit gehorchen jene Fastnachts-Szene aus Galileo Galilei und Eislers Komposition dieser Szene38 der Ahnung eines „anderen“, sehr komplexen, notwendig alle Künste einbeziehenden Theaters, jenseits der Oper, jenseits auch der Operette, jenseits der Revue  ? Fraglos ist die Genese und Wirkung der Dreigroschenoper eingebettet in die politische, soziale und kulturelle Physiognomie der Metropole Berlin  : Erinnert sei an die Vielfältigkeit der Theaterlandschaft,39 ohne die sich Aufrichts Initiative 36 Vgl. hierzu Bertolt Brecht in mehreren Abschnitten des „Kleinen Organon für das Theater“. Nicht unähnlich, wenngleich mit anderen weltanschaulichen Implikationen  : Ferruccio Busoni – und, möglicherweise zwischen Busoni und Brecht vermittelnd  : Kurt Weill. Vgl. hierzu H. Geuen, Von der Zeitoper zur Broadway Opera, 227–246. 37 Vgl. R. Münz. Das „andere“ Theater. Studien zu einem teatro dell’arte der Lessingzeit, Berlin 1979. 38 Darauf geht Brecht im „Kleinen Organon“ eigens ein. 39 Zur Theater-, insbesondere zur Opernsituation im Berlin der zwanziger Jahre Vgl. P. Alter (Hg.), Im Banne der Metropolen Berlin und London in den zwanziger Jahren, Göttingen 1993  ; H. Shin, Kurt Weill, Berlin und die zwanziger Jahre, 123–144.

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ebenso wenig verstehen lässt wie die Kontroversen um das So-und-nicht-Anders des zeitgenössischen Theaters. Mitzudenken sind Regulative ökonomischer und außerökonomischer Konkurrenz, denen vor allem die Privat-Theater und ihre Akteure ausgesetzt sind, zumal sie sich ganz unterschiedlichen Institutionen der Kulturindustrie gegenüber sehen.40 Erinnert sei, noch vor der Schwelle der Weltwirtschaftskrise, an jene Heere von Arbeitslosen, deren Elend Hanns Eisler in seinem Stempellied erschütternd thematisiert, an schier unzählige Bettler, die auf den Hauptstraßen der Metropole zu sehen sind. Nach einer Aufführung der Dreigroschenoper begegnen die Schauspieler schockiert wirklichen Bettlern.41 Erinnert sei schließlich an die zunächst schleichend, hernach plötzlich stattfindenden Umbrüche im Gefolge der Weltwirtschaftskrise im Schlepptau desaströser Maßnahmen der Regierung und verheerender Machtkämpfe in allen Etagen des politischen Lebens.42 Erinnert sei an die Machenschaften der NSDAP geradewegs in der Hauptstadt seit der Mitte der zwanziger Jahre, nachdem Joseph Goebbels zum Gauleiter in Berlin ernannt wurde – an Propaganda-Schriften, Aufmärsche, Schlachten diesseits und jenseits der Straße. Erinnert sei zugleich an verheerende Kämpfe zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten sowie wiederum zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten. Zunächst, so scheint es, berührt dies die Rezeption der Dreigroschenoper nur marginal.43 Eingangs der dreißiger Jahre ändert sich die Situation  : Brecht und Weill werden als Kulturbolschewisten diffamiert und im Jahr 1933 zur Emigration gezwungen.

40 Auch diesen Regulativen gehorcht die Intensität, mit der Ernst Aufricht sein Theater installiert, mit der er die Genese der Dreigroschenoper wahr nimmt – voll Argwohn, dass das Projekt nicht einschlägt. Dies vor dem Horizont des behänden Entstehens und Verschwindens von Theatern, das schon dem ersten Blick in Berliner Bühnenspielspläne der mittleren und späten zwanziger Jahre sich darbietet  ! 41 Hanns Eisler lässt den vierten Teil seines Zyklus für gemischten Chor mit dem Flüstern deklassierter Proletarier enden, die „Zündhölzchen, Zündhölzchen“ verkaufen. 42 Vgl. hierzu H. A. Winkler, Der Weg in die Katastrophe, Berlin 1990  ; H. A. Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993, insbes. Kapitel 13– 18. 43 Obwohl es erste Angriffe in der nationalsozialistischen Presse gibt  ! Vgl. hierzu J. Schebera, Kurt Weill. 1900–1950, 100.



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Szenisch- und musikalisch-dramaturgische Besonderheiten der ­Dreigroschenoper

Von hier aus können Besonderheiten der Dreigroschenoper wie die gedoppelte Einleitung und die gesprochenen Dialoge ins Visier genommen werden. Bei der Ouvertüre fällt mehrerlei auf. Zum einen die Instrumentation,44 die aus 2 Klarinetten, 2 Saxophonen, 2 Trompeten, Pauken und einem Harmonium besteht. Letzteres wird als Orgel-Ersatz verwendet – soll dergestalt Sakralmusik herbei gerufen werden  ? Zum anderen die dreiteilige Anlage aus einem feierlich-pompösen ersten Teil, der Fuge und der pathetisierten Wiederkehr des Anfangs. In allen Teilen sind musikalische Topoi des Barock anvisiert  ; der Anfang erinnert gar an den Beginn des Weihnachtsoratoriums von J. S. Bach – soll musikalischer, möglicherweise theatralischer Barock aufgerufen werden und zu welchem Zweck  ? In der Handhabe des Aufgerufenen nisten freilich Unstimmigkeiten  : Die Fuge gelangt kaum über die Exposition hinaus  ; schon ihr Thema klingt unbeholfen  ; es lässt sich schlecht verarbeiten. Harmonik und Kontrapunkt sind ohnehin von Rissen durchzogen. Schließlich und endlich bricht der Schluss auseinander – der Dreiklang im Bass, der die erreichte Tonika zementieren soll, kommt einen Takt zu spät. Solchen Unstimmigkeiten steht die verfremdende Zitation eines Barock-Orchesters zur Seite  : Klarinetten und Saxophone anstelle der Oboen, eine Posaune anstelle der Fagotte, Violoncelli und Kontrabässe, Harmonium anstelle der Orgel oder des Cembalos  ; den Trompeten fehlt in der Mittellage der erwartete Strahl-Glanz, und gänzlich ausgespart sind die Streicher. Kaum verhohlen paart sich der zitierte, aufs scheinbar Notwendigste reduzierte, verfremdete Barock mit Insignien des Jazz  : Im Klang der Saxophone, Klarinetten und Posaune haben sie ihr Zuhause. Handelt es sich hier um eine Parodie oder sogar Verunglimpfung einer barocken Ouvertüre,45 oder sogar um eine Verunglimpfung sakraler Musik diesseits und jenseits Bachscher Oratorien  ? Darin geht die Ouvertüre, so meine ich, schwerlich auf. Ihr Ton verweist auf großen Ernst  ; leider bleibt dies bei den meisten Interpretationen auf der Strecke. 44 Insgesamt sind 7 Instrumentalisten eingesetzt – 6 spielen mit je 2–3 Instrumenten. 45 So J. Schebera, Kurt Weill. 1900–1950, 96.

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Der Ouvertüre folgt die Moritat. Zu sehen ist ein öffentlicher Platz. Brecht besetzt ihn mit Bettlern, Dieben, Huren und mit einem Straßensänger, der eine Moritat vorträgt,46 den Leierkasten zur Hand und schaurig gemalte Bilder, die das Gesungene illustrieren sollen. Wovon jedoch die Rede ist, erweist sich als absurd  : Von einer „minderjährigen Witwe, deren Namen jeder weiß“, ist in der letzten Strophe die Rede  ; sie „wachte auf und ward geschändet“. Zehren Moritaten ohnehin von Halbwahrheiten, die ins vermeintlich höchst Aktuelle gebläht werden, so wird eben dieser Vorgang demontiert. Hierzu taugt Weills vermeintlich harmlose Liedweise, gepaart mit der Leierkastenmusik. Nisten in der Liedweise zahllose Unstimmigkeiten der so genannten Wort-Ton-Beziehungen – eine Akzentverzeichnung nach der anderen –, so entpuppt sich die Leierkastenmusik als keineswegs einschichtig. Zunehmend wird, was im harmonischen und satztechnischen Untergrund stattfindet, komplexer  ; eine Strophe gar möchte auf imitatorische Geflechte nicht verzichten. Wiederum wird all das Heraufgerufene ins Formelhafte gebracht, wobei gerade die herauf geholten Finessen aller einstigen Individualität beraubt und endlos repetierbar erscheinen. Nicht zu überhören sind Diskrepanzen in der Tonalität, die sich in das a-Moll im Vokalpart und das a-Moll und das C-Dur in den Instrumenten aufspaltet. Die Ouvertüre und der Mackie-Messer-Song gehören als doppeltes Exordium zusammen. Damit sind gleich zu Anfang zwei Musiziersphären gegeneinander gesetzt  : Musik einstigen barocken Hoftheaters – versetzt mit Insignien der Kirchenmusik und des Jazz –, und Musik des Jahrmarkts, der Straße. Eine solche Kontamination wird nahezu alle nachfolgenden Musik-Nummern bestimmen. Im bloß Denunziatorischen geht sie nirgends auf. Was bislang festgehalten wurde, gilt ohne Abstrich für alle Dreigroschen-Finali – also auch für das letzte. In ihm freilich tritt das szenische und musikalische Vokabular der so genannten Großen Oper am deutlichsten zutage  : In den unentwegten Läufen der Bässe, in den Chorrufen, im Zitat aus dem Beginn der Zauberflöte, wenn der Polizeichef Brown als Retter auftritt  ; im emphatischen Jubelruf der anwesenden Geliebten und auch noch in den folgenden Rezitativen. 46 Aufschlussreich Brechts Anweisung  : „Jahrmarkt in Soho. Die Bettler betteln, die Diebe stehlen, die Huren huren. Ein Moritatensänger singt eine Moritat“.



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Abermals steht dem rauschenden Beginn, den erregten, zunehmend verzeichneten47 Chor-Rufen „Horch, er kommt. Des Königs reitender Bote kommt“, der triumphalen Ankunft des Retters ein kümmerliches Instrumentarium zur Seite, das zudem zunehmend abgebaut wird. Die Fanfaren der Blechbläser mutieren zu kläglichen Akkorden des Klaviers. Emphatisch aufschießende Gebärden wie das „Gerettet, gerettet“ zementieren den Jubelruf, nur fehlt ihnen das volle Orchester  : Klavier, wenige Bläser, Schlagzeug und gestoßene Akkorde des Harmoniums müssen dafür einstehen. Eine solche Demontage und Degradierung legitimiert sich im So-und-nichtAnders der Botschaften und ihrer Kundgabe. Der „reitende Bote des Königs“ gehorcht vorheriger Ankündigung  ; längst haben sich die Geliebten mit Macheaths Tod am Galgen versöhnt, da sie um seine unentwegte Untreue wissen. Der nachfolgende Kommentar kehrt das Ganze ins Bittere  : Die reitenden Boten des Königs kämen zu selten. Daher soll ein Choral angestimmt werden. Der nun bricht aus dem Geschehen der Oper heraus – als ob die Oper nicht mehr ausreichte und die Kirche herhalten müsse. Aber auch der Choral birgt Unstimmigkeiten  : Das Unrecht möge man nicht zu sehr verfolgen, denn es gehe von allein ein, da es kalt sei. Wer dies singt, gehört nicht zu den wirklich Entrechteten, stattdessen geben sich Gewinner das Stelldichein  ; der Choral klingt falsch. Auch gedeiht das Unrecht in der Kälte der Welt, statt darin einzugehen. Und das wirkliche „Tal, das von Jammer schallt“, ist weder im Werk noch in der Aufführung noch in deren Rezeption beim Namen genannt48 – offenbar geht es um anderes (darüber weiter unten). Aber ist der Choral nur parodistisch gemeint  ? Der drohende Ton darin lässt sich kaum überhören. Er wiederum ist mit einer gebundenen Melodik vereint, deren Ton bitteren Ernst und möglicherweise verdeckte Religiosität verrät. Das Opernhafte lässt sich auch an den nicht komponierten Teilen der Dreigroschenoper festmachen, d.h. an den Eigenarten der gesprochenen Dialoge und der szenischen Vorgänge  : Diese zitieren nicht nur, was je zitierbar sein könnte wie nicht zuletzt Sprüche und Begebenheiten aus der Bibel. Nicht nur steht ihr pathetischer Ton seltsam quer zum Mitgeteilten, das selbst brüchig ist. Im 47 So werden in einer Abfolge der Sentenz „Des Königs reitender Bote“ die Silben „ter“ und „te“ betont  ! 48 Umso bestürzender erlebt, wer in der Premiere den als Bettler verkleideten Schauspielern zujubelte, nach der Vorstellung die Begegnung mit wirklichen Bettlern – s.o.

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Gegenteil verrät ihr Ton-Gefälle,49 dass Oper herbei gerufen wird – Oper freilich in unterschiedlichen Bedeutungshöfen, diesseits und jenseits der Theater, die Brecht abschätzig und hellsichtig als „fensterlose Häuser“ bezeichnen wird. Politische und musikalische Zuspitzungen

Ist von Oper die Rede, so in zweifacher Bedeutung  : Zum einen sind in Brechts und Weills Stück Errungenschaften der Oper auffindbar, zum anderen steht zur Debatte, was dem Begriff „Oper“ umgangssprachlich, jenseits des Theaters anhaftet  : Erinnert sei an die Redewendung „Quatschen Sie keine Opern“, wenn Ausreden gemacht werden, oder an die Redewendungen „Er benimmt sich wie ein Opernsänger“ und „Hör auf zu singen“, die auf erregtes, pathetisches Reden oder auf ungutes Überreden bezogen sind. In diesem Sinn ist das Stück eine Oper mit all ihren Elementen und zugleich „Oper“ in den Bedeutungsfeldern des „Als ob“. Von hier aus geht, wie es scheint, ein gerader Weg zu Brechts zwei Jahre später formulierten „Anmerkungen zur Oper“. Es liegt nahe, dass Oper als Gattung, Oper als Institution und opernhaftes Verhalten transparent gemacht werden  : Dies in doppelter Optik, per Distanz und gleichermaßen per Anteilnahme. Die Dreigroschenoper ist Opernsatire, und sie geht in der Opernsatire nicht auf. Zugleich sind in der Dreigroschenoper Elemente und Konfigurationen der Pariser, Wiener und Berliner Operette sowie der Revue der zwanziger Jahre aufgenommen.50 Mit ihnen spielen kommunikative Strategien dieser Gattungen51 eine Rolle. 49 Es zehrt vom Singsang, der vielen pathetischen Exklamationen bedeutender Schauspieler eignet. Anhand dokumentarischer Aufnahmen u.a. der Heiligen Johanna der Schlachthöfe zu Beginn der dreißiger Jahre lässt er sich fest machen  : Hier wie dort steht das heraufgerufen Opernhafte ein für ungute Überredung, für Lüge, Verstellung. Die bitteren Äußerungen der Frau Luckerniddl (gesprochen von Helene Weigel) sind vom opernhaften Singsang ganz unberührt, weil das Elend keine Exklamationen mehr zulässt. 50 Vgl. hierzu H. Geuen, Von der Zeitoper zur Broadway Opera, 73–86. 51 Vgl. M. Klügl, Erfolgsnummern – Modelle einer Dramaturgie der Operette, Laaber 1992  ; M. Csáky, Ideologie der Operette und Wiener Moderne, Wien 1996  ; G. Rienäcker, „Im Blick zurück nach vorn. Lebensbilder in der Wiener Operette“, in ders., Musiktheater im Experiment, Berlin 2004, 206–217.



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Nicht nur äußerlich lässt sich die Dreigroschenoper als Schauspiel mit Musik rubrizieren  : Schauspieler agieren, Schauspieler singen. Nach Brechts Anweisung wird der Einsatz von Musik vom Umfeld abgehoben und damit jener Selbstverständlichkeit enthoben, die für den Einsatz der Musik, für das Singen in der Oper, Operette, Revue kennzeichnend ist. Gleichwohl geht die Dreigroschenoper über das Schauspiel mit Musik hinaus. Sie ist ambivalent, und gerade darin liegt ihre Herausforderung, die vor allem in den Schwierigkeiten besteht, sie zu inszenieren. Die Bezeichnung Dreigroschenoper, namentlich die erste Worthälfte „Dreigroschen“ ist bedenkenswert. Partiell transformiert sie die Implikationen der Vorlage, in deren Titel und in deren Szenerie von Bettlern die Rede ist – allerdings nicht aus der Optik der Unteren, schon gar nicht der Bettler, sondern als Chiffre des Anstößigen, mehr oder minder verhohlenen Einspruchs gegen „Oben“, wenngleich von „Oben“ gesetzt und, wie die Rezeptionsgeschichte der Beggars Opera zeigt, durchaus akzeptiert. Mit der Vorlage gemeinsam attackiert sie miserable politische Zustände. Für Gay und Pepusch sind das Betrugshandlungen in Londoner Regierungskreisen, für Brecht und Weill die krisenhaften Zustände der Weimarer Republik. Ebenfalls mit der Vorlage gemeinsam reflektiert die Bezeichnung „Dreigroschen“ Teile der offiziellen Kultur  : Die Opera seria in London, die sich ungeachtet der Opern von Händel als Fremdkörper erwiesen hat und sowohl in die Kreisläufe bürgerlicher Unternehmungen als auch im Gewirr aristokratischer Intrigen verstrickt ist  ; die Wiederentdeckung des Barocks, die geläufige Opernproduktion und das Weiterlaufen des Wagnerianertums nach den großen Umbrüchen des Weltkrieges. Es fragt sich allerdings, von welcher Warte aus dies reflektiert wird  : Nicht aus der Warte von Bettlern, in Brechts Zeiten von Arbeitslosen, wohl aber bestimmt von Interessen eines Theaters, das seit 1918–1919 Reformen in der Gesellschaft einklagt und mit zu bewegen sucht. Was immer Brecht und Weill voneinander trennt, überdeckt das Gemeinsame keineswegs  : Es geht um Veränderung, sei es durch Reformen (auch durch erzieherisches Wirken) oder durch Revolution. Von Revolution jedoch ist in der Dreigroschenoper nicht die Rede, wohl aber von bedrohlichen Zuständen, bedrohlich auch und gerade für reale Bettler, d.h. wirklich Deklassierte. Die Rede ist nicht vom Kapitalismus per se mit seinen Regulativen und Verbrechen und auch nicht von der gesellschaftlichen Polarisierung in arm und

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reich. Stattdessen evozieren Brecht und Weill meiner Meinung nach die Verwertung (oder auch  : Verwurstung  !) alles dessen durch die Kulturindustrie. Wie es sich buchstäblich jeder Wortwendung des Librettos entnehmen lässt, werden jene tränenseligen Schilderungen von Armut, Unrecht, Verbrechen aufs Korn genommen, die seit mehr als hundert Jahren durch die Trivialliteratur geistern, jene gutbetuchten „Tränenwärmer“ (Elias Canetti), die sich als Spaziergänger am Anblick von Bettlern satt weinen, um hernach ihren Geschäften nachzugehen. Im Libretto ist aufschlussreich, dass sich jede monologische und dialogische Wendung als Zitat entpuppt – als Zitat aus dem Neuen Testament und aus der Trivialliteratur zugleich, als Zitat, das seinerseits auf gesellschaftliche Zitierweisen verweist und sie als Wundmale der Verhökerung und Verwurstung entlarvt. Thematisiert werden Surrogathandlungen und Kitsch52 – und jene Sehnsucht, die beidem innewohnt, mitsamt all den Fragen, denen Kitsch und Surrogate durch Schein-Antworten begegnen. Aufgenommen sind all die kleinen Träume, Hoffnungen, die Siegfried Kracauer seinerzeit in seiner Artikelserie „Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino“ beschrieb, analysierte und als Teil kapitalistischer Kulturindustrie begriff. Dies aufzunehmen bedarf einer doppelten Optik, braucht Distanz, und ihr Gegenteil, kaum verhohlene Betroffenheit, fordert Maximen des Zeigetheaters herauf, ohne darin aufzugehen. Dass sich in der Wirkungsgeschichte der Dreigroschenoper ihre Themenfelder verändern und ausweiten zum Ganzen des Kapitalismus, gehorcht der höchst prosaischen Wirklichkeit inmitten der Weltwirtschaftskrise und danach. Brecht unterstützt solche Weiterungen, indem er einige Nummern mit neuen Texten versieht  : Aus Mackie Messer wird Hermann Göring, „Hermann Görung“ alias „Hermann Göro“, der vom Reichstagsbrand nichts gewusst habe. Der Dreigroschenroman, geschrieben 1936 im Exil, weitet den Gegenstand aufs Neue  : Die Verhökerung von Armut, Unrecht, Verbrechen durch die Kulturindustrie wird eingebaut ins gesamte, allerdings schaurige Panorama des Kapitalismus. Das rosenfarbige Zimmer der Polly, der Film über eine Rabenmutter, die zum Balle geht und ihr krankes Kind zurücklässt – es stirbt daran – sind Teil des Ganzen  ; sie ornamentieren es, stützen 52 Vgl. hierzu G. Rienäcker, „Aufbrüche in die Illusion  ?“, in Musik und Gesellschaft 2 (1990), 80–84  ; G. Mayer, G. Rienäcker, „Kitsch“, in Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 7,1, Hamburg 2008, 225–236.



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es, statt ihm zu opponieren. Umso bitterer das gedoppelte Finale  : Der Traum des von Peachum hinausgeworfenen Soldaten, es finde ein Weltgericht statt, und er sei der Richter, hernach das böse Erwachen – er wird des Mordes bezichtigt, zum Tode verurteilt und „unterm Beifall der Menge“53 hingerichtet. In den Vorgängen der Dreigroschenoper spielen Verweise auf Begebnisse des Neuen Testaments eine Rolle54  : Da gibt es die Frauen  ; ihre Beziehung zu Macheath ist mit der Beziehung der Frauen zu Jesus vergleichbar. Im Duell zwischen Polly und Lucy lebt der Streit zwischen Maria und Martha um die rechte Gefolgschaft auf. Da gibt es die Hochzeit im Pferdestall – unverkennbar die Anspielungen auf Bethlehems Stall, darin Jesus geboren ward. Da gibt es den Verrat  : Die Spelunken-Jenny, die Macheath an die Polizei verrät, lebte jahrelang mit ihm zusammen  ; sie liebt und verrät ihn. Da gibt es das Abendmahl  ; es findet im Bordell statt, vor und auf der Schwelle des Verrates  ; wiederum findet es in der Hinrichtungszelle statt. Da gibt es den Weg nach Golgatha – hier zum Galgen, an dem der Verbrecher gekreuzigt, d.h. gehängt werden soll. Da gibt es die Rettung – durch Eingriffe von oben, diesmal vom Polizeichef Brown, als Happy End  : Unverkennbar die Travestie der Auferstehung Jesu Christi, die Travestie auch mehrerer Erweckungen der Toten. Und da gibt es den Choral am Schluss – alle singen ihn  ; der Text straft sich selbst Lügen, denn natürlich geht das Unrecht nicht in der Kälte ein. Aber der Text lügt nicht ganz  : Das irdische Tal schallt von Jammer. Zuvor gibt es mehrere Betgesänge  : Peacheums Morgenchoral, in dem vom jüngsten Gericht die Rede ist  ; die weihevollen Repliken im Streit mit Polly, Macheaths Quasi-Gebete vor der Hinrichtung. Solche Verweise gehorchen abermals der doppelten Optik  : Zum einen nehmen sie wahr, was geradewegs diesen Botschaften durch ihre Perversion widerfuhr – sie zeigen die Depravationen –, zum anderen nehmen sie die Betroffenheit auf, die der Reflexion solcher Begebnisse sich unweigerlich mitteilt. Brecht, den eigenen Worten nach Atheist, hat die Bibel als Lieblingsbuch bezeichnet – es fragt sich, ob und inwieweit er wirklich Atheist ist. Weill, der sich in den zwanziger Jahren von den Ritualen der Synagoge weitgehend distanziert,55 hat 53 So die abschließende Wortfolge im Dreigroschenroman. 54 Vgl. hierzu ausführlich  : M. Classen, „Wie hältst du’s mit der Religion“. 55 Vgl. hierzu M. Classen, „Wie hältst du’s mit der Religion“  ; C. Kuhnt, Weill und das Judentum, 2001.

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sie dennoch aufgenommen als Chiffren teils latenter, teils offener Religiosität. Das Lehrstück Der Jasager knüpft an Bachsche Passionen an. Auch in der Dreigroschenoper dürften die choralartigen Passagen nicht nur denunziativ gemeint sein. Wie schon erwähnt, nimmt die Dreigroschenoper – nicht nur, aber auch – die Barock-Welle der zwanziger Jahre auf, diesseits und jenseits der Aufführungen „alter Musik“ durch Kammerorchester, diesseits und jenseits der Göttinger Händel-Renaissance. Sie bezieht sich dabei nicht nur auf The Beggars Opera (auf ein Stück, in dem mehrere Gattungen sich vermischen), sondern auf den deutschen Barock, u.a. auf Bachs Weihnachtsoratorium (in der Ouvertüre), auf Händels Ouvertüren (im Fugenteil der Ouvertüre), auf Techniken der Choralbearbeitung (in Peacheums Morgenchoral, erst recht im Schlusschoral). Sie bezieht sich zudem auf die Praxis des Basso continuo sakraler Musik – im Einsatz des Harmoniums in einigen Stücken. Überdies ist der Barock mitsamt seinem Empire bruchstückhaft im Inventar enthalten. Für Pollys Hochzeit haben die Verbrecher ein Cembalo besorgt, den Tisch und Stühle aber vergessen. Also sollen dem Cembalo die Beine abgesägt werden, damit es als Tisch und Bank tauglich ist. Dies ist auch symbolisch gemeint  : Barock soll verwertbar sein für Alltägliches, und wenn man es beschneiden muss. Also wird auf dem Cembalo nicht musiziert, stattdessen wird der obere Teil mit Speisen und Geschenken bedeckt oder man sitzt darauf. Indessen widerfährt nicht allen Vokabeln des heraufbeschworenen Barocks, was dem Cembalo widerfährt. Weill nimmt sie zugleich ernst, und dies nicht nur als Schüler von Busoni, für den das Operntheater des Barocks und die Barock­musik erheblichen Belang haben. Die Dreigroschenoper ist somit zugleich gedoppelte, d.h. distanzierende u n d affirmative Reflexion der so genannten klas­sischen, nachklassischen oder romantischen Oper. Überdeutlich wird im letzten Finale der Chorauflauf des Opernfinals von Weber, Marschner, Rossini und auch des frühen Wagner zitiert. Browns Ansprache, darin der Verurteilte gerettet, in den Adelsstand erhoben und mit einer großen Leibrente bedacht wird, zitiert eingangs den Beginn der Oper Die Zauberflöte. Der Dankgesang des Geretteten zitiert, so verquer wie auch immer, die Sentenz des Vaters am Schluss der Oper Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck. Im Gang zum Galgen ist ein letztes Restchen „Tristan-Akkord“ enthalten, und im ersten Finale



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findet sich ein deutliches Zitat der italienischen Opera buffa von Rossini und Donizetti. Karg wird die – längst zu Leitmotivkatalogen geschrumpfte – Arbeit mit Grundthemen, zuvor die Arbeit mit so genannten Erinnerungsmotiven in Wagners Opern und Dramen zitiert. Schließlich und endlich werden Merkmale des – nach Europa gekommenen, dabei modifizierten – Jazz56 und die Tonlage von Schlagern der zwanziger Jahre57 aufgenommen – von Schlagern oft voll hintergründiger Ironie, wie sie noch in den vierziger, fünfziger Jahren gesungen wurden (Wer hat den Käse zum Bahnhof gerollt  ?, Mein lieber Schatz, kommst du aus Spanien, Deine Augen sind so schwarz wie meine Füße). Gerade dies vermittelt sich in den Errungenschaften der so genannten artifiziellen Musik. Die musikalischen Gebilde sind nur beim ersten Hören einfach, populär. Bei näherem Hören erscheinen sie komplex, durchsetzt mit Irregularitäten, die alles bequeme Mitsingen zunichte machen. Die Vermittlung des Unterschiedlichen macht sich auch und gerade im Instrumentalsatz geltend  : Der Aufnahme von Instrumentarien des Jazz (in seiner europäischen Version) auf der einen Seite stehen auf der anderen Seite die Aufnahme von Instrumentarien und Satztechniken des Barock und zugleich die Aufnahme von Errungenschaften neuerer Kammermusik (etwa im Einsatz der Holzbläser) entgegen. Mithin sind musikalisches „Oben“ und (vermeintliches) „Unten“ präsent.58 Freilich sind für das So-und-nicht-Anders der Dreigroschenoper die Bedingungen der Institution, des künstlerischen und technischen Apparates, die Intentionen des Intendanten ebenso mit verantwortlich wie die Erfahrungen der Autoren  : Sei es der künstlerische, kunst-politische und ökonomische Ehrgeiz, die 56 Über den Jazz hat Weill sich öfters und emphatisch geäußert. Vgl. u.a. K. Weill, Ausgewählte Schriften, 84  ; zur Aneignung des Jazz  : H. Geuen, Von der Zeitoper zur Broadway Opera, 46– 62. 57 Dass einige Nummern der Dreigroschenoper in die Nähe zeitgenössischer Schlager gerückt sind, hat Weill keineswegs negativ registriert – Vgl. hierzu H. Shin, Kurt Weill, Berlin und die zwanziger Jahre, 67  ; allerdings wollte er seine Musik nicht mit Schlagern verwechselt wissen. Ihre kompositorische Qualität sollte dies verhindern (66). Besonderheiten und Ursprünge des „Song-Stils“ von Kurt Weill sind in einer analytischen Studie von Tobias Fasshauer eingehend erörtert worden – Vgl. T. Fasshauer, Ein Aparter im Unaparten. Untersuchungen zum Songstil von Kurt Weill, Saarbrücken 2007. 58 Zur dramaturgischen Verwendung einzelner Instrumente Vgl. G. Wagner, Weill und Brecht. Das musikalische Zeittheater, München 1977, 121–127.

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Risikofreudigkeit eines bislang unbekannten Theaterleiters  ;59 seien es Besonderheiten eines Privattheaters, dessen Wohl und Wehe vom Erfolg der Produktionen, zuvörderst ihres künstlerischen Entrees abhängt  ;60 sei es die Größe und Qualität des verfügbaren Apparates  ;61 sei es – dem „Ereignis Dreigroschenoper“ keineswegs peripher – die Physiognomie des Hauses und seiner Umgebung.62 Dies alles verleiht der Dreigroschenoper erhebliches Gewicht sowohl in der Geschichte der Oper als auch des Schauspiels als auch der Operette. Was Brecht und Weill dem zunächst befremdeten, dann enthusiasmierten Publikum im Jahre 1928 vorstellten, kann nicht als bloße Persiflage genommen werden. Angemessene Inszenierungen werden sich daher des Klamauks zu entledigen haben, der allzu oft zu sehen und zu hören ist. Solcherart ist die Dreigroschenoper in ihrer Werkgestalt, im Reigen ihrer Aufführungen, in ihrer vielfältigen, überaus kontroversen Rezeption ein Brennspiegel,63 darin verschiedene Theaterkulturen, also auch jene der Oper und Operette inmitten der auslaufenden Weimarer Republik, in der Hauptstadt Berlin eingefangen sind.64 Ein Brennspiegel von mehreren.65

59 Vgl. hierzu im Nachhinein  : E. J. Aufricht, Erzähle, damit du dein Recht erweist. 60 Vgl. Anm. 40. 61 Vgl. hierzu Anm. 44  : Dem Komponisten standen sieben Musiker zur Verfügung, und die szenischen Akteure waren singende Schauspieler. Ihnen jedoch wie den Musikern wurden ungewöhnlich schwierige Partien zugemutet – zu erarbeiten in nicht einmal drei Wochen  ! 62 Geradewegs die seltsam neobarockisierende Fassade des Hauses und deren Querstand zu den prosaischen Bauten ringsum soll Ernst Joseph Aufricht fasziniert und zum Kauf des Theaters angeregt haben. Derlei Kontraste setzten sich im Theater-Inneren fort. Noch Brechts Inszenierungen eingangs der fünfziger Jahre hatten in der Diskrepanz zwischen mehr oder minder verschlissener Imitation eines Hoftheaters und hell erleuchtetem, prononciert Nüchternhaus verpflichtetem Bühnenraum ihren Anhaltspunkt – einen von mehreren  ! 63 Ein Brennspiegel in zweierlei Hinsicht – zum einen, weil die Ereignisse darin aufgefangen wurden, zum anderen, weil sie darin sich verkehrten. 64 Vgl. hierzu die Verweise in Anm. 39. 65 Mitzudenken sind Implikationen des Brennspiegels  : Er fängt auf und verzerrt, was er spiegelt.

Sarah Zalfen

Die Hauptstadt in Szene setzen Die Berliner Opernlandschaft als Repräsentationsraum nach 1989

Von der Inselstadt zur neuen Hauptstadt

Am 20. Juni 1991 stimmte der Deutsche Bundestag mit knapper Mehrheit dafür, Deutschlands Hauptstadt und Regierungssitz wieder nach Berlin zu verlegen. Der Beschluss löste nicht nur den Umzug der meisten politischen Institutionen vom Rhein an die Spree aus, sondern auch die Suche nach dem Charakter der neuen Hauptstadt. Diese Frage ließ sich nicht per Abstimmung klären  ; vielmehr eröffnete sie einen dynamischen Definitionsprozess, der den Weg von der „de jure Kapitale zur de facto Hauptstadt“ ebnete und in den folgenden Jahren ein neues Ordnungsgefüge entstehen ließ, mitsamt einer Neuausrichtung des Stadtraums, neuer Akteure und eigener Vorstellungen und Verfahren nationaler Repräsentation. All dies verdichtete sich in dem schillernden Begriff der „Berliner Republik“. Die neue Hauptstadt sollte das werden, was das „Provisorium“ Bonn nie war, noch sein konnte  : Eine glanzvolle Repräsentanz des ganzen Landes, seiner Geschichte und seiner Zukunft – eben eine echte Metropole. Die Ansprüche an dieses neue Gebilde waren von Anfang an hoch, denn im deutschen Sprachgebrauch meint „Metropole anders als in den romanischen und angelsächsischen Ländern, nicht einfach Großstadt, sondern mehr  : einen kulturellen Maßstab, und zwar den höchsten.“ Die Zäsur des Hauptstadtbeschlusses machte deutlich, dass sich in Berlin etwas zu verändern begann und dass der Ausdruck dafür in dem kulturellen Bild liegen würde, das die Stadt von sich zeigte  : „In der Deutschen Hauptstadt müssen andere Maßstäbe gelten, wenn sie ihren Anspruch als geistiger Mittelpunkt der Nation aufrechterhalten will“, hieß es im Berliner  Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Januar 1995.  D. Hoffmann-Axthelm, Die Dritte Stadt. Bausteine eines neuen Gründungsvertrags, Frankfurt/ M. 1993, 217.  So der CDU-Vertreter im Berliner Abgeordnetenhaus, Uwe Lehmann-Brauns in der kulturpolitischen Debatte vom 21.1.1993, Plenarprotokoll Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 12/43.

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Abgeordnetenhaus in einer der ersten großen kulturpolitischen Reden nach dem Beschluss zum Umzug. Die drei Opernhäuser Berlins spielten bei dieser kulturellen Dimension der Hauptstadtwerdung eine zentrale Rolle. Auch die Opern mussten sich organisatorisch und künstlerisch an die neuen Bedingungen anpassen und einen mühsamen kulturpolitischen Reformprozess durchlaufen, der sie der veränderten geopolitischen und verschlechterten finanziellen Situation anpasste. Die Opernlandschaft war zwar nicht durch die Teilung der Stadt entstanden, wurde aber gesellschaftlich wie institutionell entscheidend dadurch geformt. Die Bedeutung der Häuser als kulturelle Schaufenster der sich gegenüberstehenden Systeme, ausgestattet mit Zuschüssen der Bundesrepublik und des DDR-Hauptstadtfonds, war ein Produkt des Kalten Krieges. Im Zuge der strukturellen wie geistigen Vereinigung der beiden Stadthälften und Länder nach 1989 sollten sie nun „kulturelle Leuchttürme“ für ganz Deutschland werden. Entsprechend fand bereits im Januar 1990 (also noch vor dem Hauptstadtbeschluss) ein erstes Treffen aller drei Opernintendanten statt, mit dem man sich fit machen wollte, für „einen Wettbewerb …, der die Opernstadt Berlin zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer mitteleuropäischen Kulturmetropole“ machen konnte. An diesem Prozess wirkte in den folgenden Jahren eine kaum überschaubare Gruppe politischer und gesellschaftlicher Akteure mit, durch die sich die verschiedenen Interessen der nun in der Stadt zusammentreffenden Ebenen des Landes und des Bundes, aus Ost wie West artikulierten. Die Opernfrage wurde dabei deswegen so wichtig, weil sie „die gesamte Palette der kulturpolitischen Probleme berührt, vor denen Berlin selbst und in einem Verhältnis

 H. Krug, „So viel Theater. Ein Blick in die Westberliner Theaterlandschaft“, in Theater der Zeit 12 (1990), 10.  Seinerzeit Götz Friedrich für die Deutsche Oper, Günter Rimkus für die Staatsoper und Werner Rackwitz für die Komische Oper.  Götz Friedrich in  : „Trotz allem  : Oper ist die modernste Kunst, Gespräch mit Götz Friedrich“, in Theater der Zeit 4 (1990), 33–36.  Neben den Berliner Kulturpolitikern – darunter allein sieben verschiedene Kultursenatoren – auch zwei Bundespräsidenten, vier Kulturstaatsminister, ein ehemaliger Außenminister, zwei Bundeskanzler, die Bundestagsfraktionen, einige Parteivorsitzende, Größen des kulturellen Lebens innerhalb wie außerhalb Berlins, Unternehmensberatungen sowie die Vertreter des Berliner und überregionalen Feuilletons.



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zum Bund und zu den Ländern“ stand. Nicht zuletzt, so wollte es der Bundestagsbeschluss, ging es darum, in Berlin als Vorbild die Einheit Deutschlands zu „vollenden“, und wie Berlin symbolisch für das ganz Land stand, gewannen die Opern einen symbolischen Wert für ganz Berlin  : Sie zeigten nicht allein die Folgen schwindender finanzieller Sicherheit, sondern auch die Bedürfnisse und Probleme bei der institutionellen wie kulturellen Harmonisierung von Ost und West, die durch die Doppelung vieler kultureller Einrichtungen sowie durch ihre unterschiedlichen Funktionen in den Jahren der Teilung notwendig war. Des Weiteren veranschaulichten sie den Umgang mit dem Erbe der beiden untergegangen Staaten auf Berliner Territorium, dem Preußens sowie der DDR, und demonstrierten die Entstehung einer Differenz zwischen dem städtischen und dem hauptstädtischen Berlin. All diese Fragen sollten im Rahmen einer Opernstrukturreform beispielhaft bewältigt werden. Dem Metropolenfieber der frühen 1990er Jahre stand jedoch rund eine Dekade später die große Ernüchterung gegenüber. Im immer wieder aufflammenden Streit um jene sich von 1991 bis 2004 hinziehende Opernreform wurde mit den überhöhten Ansprüchen in der Stadt abgerechnet  : „Berlin, Herr Wowereit, wird allenfalls mit Pusemuckel konkurrieren, aber nicht mehr mit New York oder anderen Metropolen“,10 höhnte der Berliner Abgeordnete Wolfgang Brauer (PDS) mit Bezug auf die Opern, und auch die Kollegin Sibylle Meister (FDP) sah „die blühende Opernlandschaft … zur Seifenoper verkommen“.11 Von der „Kleinkleckersdorf-Reform“ der Oper war zu lesen12 und einer „Berliner Lokalposse“13  ; als „Intrigenstadl“14 wurde die Hauptstadt in den Feuilletons beschimpft und als „Provinznest“.15 Peter Jonas als Intendant der Bayrischen Staatsoper und Opernmann von Welt schimpfte, „das ist nicht die Politik einer Hauptstadt, sondern ist das, was man vielleicht erwartet   Kultursenator Thomas Flierl (PDS/Die Linke), Berlin  : Perspektiven durch Kultur, Rede vor dem Kulturforum Stadt Berlin der Sozialdemokratie vom 25.6.2003.   Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 20.6.1991, Drucksache 12/34. 10 Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll vom 26.10. 2000, Drucksache 14/17. 11 Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll vom 13.11.2002, Drucksache 15/40. 12 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.10.2003. 13 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.11.2004. 14 Süddeutsche Zeitung, 13.11.2004. 15 Neue Zürcher Zeitung, 22.11.2004.

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– wenn man deprimiert ist – vom Gemeinderat einer kleinen, kleinbürgerlichen Stadt“.16 Was war geschehen  ? Statt Berlin als Kulturmetropole weithin sichtbar zu machen, ließen die Opernhäuser die neue Hauptstadt im Lichte kulturpolitischen Provinzialismus erscheinen. Ging es hier wirklich nur um finanzielle Kürzungen an drei Opernhäusern  ? Die katastrophale wirtschaftliche Situation Berlins seit Mitte der 1990er Jahre ist hinlänglich bekannt, und zweifellos ist das öffentliche Defizit in Milliardenhöhe für zahlreiche Sorgen insbesondere in der von starken Kürzungen betroffenen Kulturlandschaft verantwortlich.17 So groß die ökonomischen Herausforderungen dadurch für die Opernhäuser waren, so wenig sind die Probleme der drei Berliner Opern ohne die urbanen Veränderungen während der 1990er Jahre und die Rolle der Opern als traditionelle städtische Orte und Repräsentationsräume darin zu verstehen. Die Frage ist daher, inwieweit die Opernhäuser die Hauptstadtwerdung Berlins mit prägten sowie umgekehrt, wie sich der Anspruch an diese moderne Metropole auf die Opernhäuser selber auswirkte. Dazu ist zu bestimmen, wie die Prozesse der Hauptstadtwerdung jenseits des Umzugs von Institutionen, finanziellen Transfers und nicht zuletzt eines neuen rechtlichen Status überhaupt aussahen. Verfassungsrechtlich existierte schließlich bis zum September 2006 gar kein eigener Hauptstadtstatus. Dann erst wurden die Entwicklungen der vorangehenden fünfzehn Jahre in Artikel 22 des Grundgesetzes in Worte gefasst, gleich neben dem bislang einzigen Symbol der Verfassung, der Bundesflagge. Dort heißt es nun  : „Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist Berlin. Die Repräsentation des Gesamtstaates in der

16 Süddeutsche Zeitung, 27.10.2000. 17 In den Jahrzehnten der Teilung war die Produktivkraft in Berlin massiv gesunken  ; die zuvor ansässigen Branchen von der Industrie bis zum Bankenwesen hatten sich über Westdeutschland verteilt und kehrten auch nach der Wende kaum wieder in die Stadt zurück. Mit dem Jahr 1994 liefen die Bundeszuschüsse aus Bonn, welche diese fehlende Leistung durchweg ausgeglichen hatte, aus, aber die neue Hauptstadtförderung war noch nicht auf den Weg gebracht  ; in der Stadt vermied und verpasste man eine Anpassung an die veränderte (finanz)politische Lage, was zu einer rasanten Verschuldung des Landes führte. Vgl. H.W. Weinzen, Berlin und seine Finanzen. Eine Einführung in das Finanzwesen, Berlin 2000³. Der Bankenskandal brachte den ohnehin hoffnungslos defizitären Landeshaushalt schließlich in die „extreme Haushaltsnotlage“.



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Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes.“18 Bis zu diesem Zeitpunkt vollzog sich die Genese Berlins zum Zentrum und Schauplatz der „Berliner Republik“ als ein im stadtethnologischen und -soziologischen Sinne beschreibbarer „Prozess der symbolischen Transformation des urbanen Raums“.19 Dieser Konzeption folgend können politische, soziale und kulturelle Veränderungsprozesse „nur dann erfolgreich verlaufen, wenn sie in spezifische rituelle oder symbolische Formen gefasst werden.“20 Das heißt, neben den vielfältigen neuen Akteursgruppen, institutionellen Verlagerungen und finanziellen Umverteilungen, die mit der Neuentstehung der Stadt als Hauptstadt und Regierungssitz einhergingen, entstand ein neues symbolisches Formengefüge. Dies zeigte sich sowohl in kurzlebigen Bildern – wie etwa jenen vom Ballett der Kräne während der Schaustelle Berlin 1998 – als auch in der dauerhaften Neugestaltung des Stadtraumes – am deutlichsten wohl im Neubau des gesamten Regierungsviertels. Anders als im unmittelbaren politischen und wirtschaftlichen Bereich oder im Fall einzelner Museen wurde die an historischen Bauten verschiedener Epochen reiche Musikund Theaterlandschaft Berlins nicht durch neue Architektur verändert. Doch nicht nur Neu- und Umbauten transformierten die Stadt zur neuen Hauptstadt. Im Zuge der städtebaulichen Erneuerung stellten auch alte Gebäude und die bestehende Kulturlandschaft eine städtebauliche Dramaturgie zur Verfügung, welche durch ihre öffentliche Beschreibung und Deutung sowie durch die kulturelle Praxis der sie bevölkernden und inszenierenden Akteure neu definiert und in andere funktionelle Zusammenhänge gestellt werden konnten.21 Die Opernlandschaft erwies sich dabei als einer der zentralen Räume, in denen die Veränderungsprozesse auf diese beiden Weisen besonders zugespitzt 18 Der Regierende Bürgermeister Wowereit hatte sogar die Pflicht des Bundes zur Förderung der Kultureinrichtungen in Berlin direkt ins Grundgesetz schreiben lassen wollen. 19 Vgl. F. Becker, B. Binder, „Bühnen der Macht. Stadtethnologische Perspektiven auf die Hauptstadtwerdung Berlins“, in humboldt spectrum 3–4 (2001), 112–119. 20 Binder, „Bühnen der Macht“, 114. „Auch die Republik lebt nicht vom Diskurs allein“, befand Th. Meyer, „Repräsentativästhetik und politische Kultur“, in Kunst, Symbolik, Politik. Ein Buch der KULTURBOX zur Reichstagsverhüllung, Kapitel 4  : Politische Kultur und repräsentative Demokratie, Berlin 1995. 21 „One may describe the city, in its social aspect, as a special framework directed toward the creation of differentiated opportunities for a common life and a significant collective drama“, heißt es bei L. Mumford  : „What is a City  ?“ (1937), abgedruckt in R. T. Le Gates, F. Stout (Hg.), The City Reader, New York 19963, 92–96.

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verhandelt wurden. Die Opernhäuser gehörten nicht zuletzt auf Grund ihrer tradierten Repräsentationsfunktion zu jenen kulturellen Zeichen oder Zentren, die in diesem Prozess der symbolischen Transformation stärker ausgestellt waren als andere  ; nicht nur, um die Attraktivität der Stadt als Bühnenraum zu steigern, sondern auch, um die Geltung bestimmter Ordnungen, Normen und Akteure zu bekräftigen. Die Opernhäuser erwiesen sich als „Teil der Selbstvergewisserung des Ortes“,22 an dem und für den sie standen – dadurch leisteten sie einen zentralen Beitrag zur gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit der neuen Hauptstadt Berlin. Dieser Prozess und die im Zuge dessen entstandenen Bilder, Diskurse, Reformkonzepte und Konflikte machen die Opern dazu geeignet, die Dynamiken, die den städtischen Raum, die Begriffe seiner Diskussion und das repräsentative Agieren seiner Akteure veränderten, zu beobachten. Insbesondere die Staatsoper Unter den Linden hat mit zwei im Folgenden behandelten Funktionen dazu beigetragen  : Sie ermöglichte die Konstruktion einer kulturellen Kontinuität sowie eine Neukonzeption öffentlicher Repräsentation. Von Preußens Pracht zum Glanz der neuen Mitte

Die drei Opernhäuser Berlins unterlagen einem doppelten Deutungsprozess, der zum einen durch die intensive Beobachtung und Beschreibung, zum anderen durch die aktive Nutzung der Opern durch alte und neue Hauptstädter vollzogen wurde. Vor allem als Bauten bildeten sie mithin eine Projektionsfläche für die Vorstellungen von einem neuen kulturellen Hauptstadtcharakter. Die durch deskriptive Deutungen sich vollziehende Transformation trat vor allem in der Vielzahl konzeptioneller Überlegungen und politischer Papiere zu einer Reform der Opernlandschaft auf, die unmittelbar nach der Wiedervereinigung begannen entwickelt zu werden und die erst 2004 in dem Aufbau der alle drei Opernhäuser umfassenden, öffentlich rechtlichen Landesstiftung „Oper in Berlin“ mündeten. Bis dahin blieben die Konzepte allesamt zwar strukturell folgenlos, nicht aber ohne Wirkung auf die Vorstellungen von „Hauptstadt22 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.1.1994.



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kultur“, die sie mit ihrer Argumentation und ihren gemeinsamen und unterschiedlichen Blicken auf Berlin und seine Opernhäuser maßgeblich beeinflusst haben. Erster Reformwille zeigte sich bereits 1991. Ein Gutachterteam um den Theatermann Ivan Nagel erhielt vom Senat den Auftrag, ein Konzept zu entwerfen, wie mit der wiedervereinigten Berliner Opern- und Theaterlandschaft umzugehen sei. Der Vorschlag lautete, die Staatsoper als international konkurrenzfähiges Haus mit Staraufgebot und die Komische Oper im Rahmen einer „Stiftung Nationaltheater“ dem Bund zu übergeben, die als Bürgeroper mit bewährtem Repertoirebetrieb anerkannte Deutsche Oper mit anderen städtischen Theatern beim Land Berlin zu belassen.23 Wenige Jahre später versuchte Kultursenator Peter Radunski (CDU) mit seinem „Kreise-Papier“ den Intendanten ein Profil schmackhaft zu machen, das von der Architektur der jeweiligen Theater ausging. Das „Grundverständnis“, das in der Architektur der Deutschen Oper zum Ausdruck komme, lege eine Spezialisierung auf zeitgenössische Stücke nahe, wohingegen die Staatsoper vor allem als Festivaloper die repräsentative Funktion erfüllen solle, die ihre „stadträumliche Einbindung“ gebiete.24 Obwohl diese Logik der Opernfachwelt als absurd erschien und schließlich auch nicht umgesetzt wurde, schloss daran auch die Opernreform des späteren Kultursenators Stölzl an. Die frühe Klassik gehöre hinter die klassizistische Fassade, die „große Oper“ des 19. Jahrhunderts auf die große Bühne an der Bismarckstraße, forderte sein Opernkonzept.25 Und auch Richard von Weizsäckers Traum von einem Kulturforum Mitte „so wie es von Friedrich II. geplant war“26 zeigte sich vor allem von den Fassaden der Staatsoper, des Marstalls, des Konzerthauses und der alten Staatsbank beflügelt. Der Westen dieser „Kulturhauptstadt“ lag dementsprechend bereits in der Provinz, er kam in der kulturpolitischen Konzeption gar nicht mehr vor. Unter den Linden erfolgte die geistige Verbindung 23 Vgl. I. Nagel u.a., Überlegungen zur Situation der Berliner Theater, Berlin, 6.4.1991. 24 Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur, Materialien zu öffentlich geförderten Kultureinrichtungen in Berlin, 23.9.1996, 19–21. 25 Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur, Bericht zu Bühnenstruktur, Einleitung von Reformmaßnahmen, (Teil 1) Berlin 22.6.2000, sowie Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur, Maßnahmen zur Bühnenstrukturreform, (Teil 2) 12.10.2000. 26 R. v. Weizsäcker, „Kulturforum Mitte“, Anlage 2, in Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur, Oper in Berlin – Strukturkonzept, 6.1.2003.

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von alter (preußischer) Architektur und neuem politischem und gesellschaftlichem Zentrum. Hinzu kam eine zweite, performative Form der Deutung, die noch weitaus wirkungsmächtiger war  ; sie erfolgte Ende der 1990er Jahre durch die sich verändernde Nutzung der vorhandenen Räume. Diese Form der Hauptstadtordnung trat erst deswegen so spät ein, da der formale Hauptstadtbeschluss und der wirkliche Umzug der Hauptstadt zeitlich wie gedanklich weit auseinander lagen. Der hauptstädtische Raum blieb eine abstrakte Idee bis „die Bonner“ in ihre Berliner Büros und Wohnungen zogen, bis sie Lieblingsrestaurants fanden, Orte für offizielle Empfänge etablierten und repräsentativen Abendvergnügungen nachgingen. Dann aber konnte man beobachteten, „wie die Bundespolitiker (…) mit fliegenden Fahnen in die Staatsoper über(liefen). Hier im noblen Ambiente an der alten Prachtstraße ließ sich Staat machen.“27 Die wieder gewonnene prominente Lage, die telegene Fassade und die bereits gefühlte Nähe zum wieder zu errichtenden Schloss ließen die Staatsoper Unter den Linden schnell im staatstragenden Glanz der neuen Mitte erstrahlen. So stellte man sich fortan Hauptstadtkultur vor. In die Staatsoper gingen die neuen Hauptstädter und ihre Gäste „um den Tristan und das neue Kostüm von Frau Merkel zu sehen“, wie die Wochenzeitschrift Die Zeit vermutete, oder um „sich in der Mittelloge begaffen (zu lassen), so wie vor ihnen schon Friedrich Zwo, Adolf und Erich. Man möchte wieder Weltklasse sein, wie früher“,28 wie die Wochenpost polemisierte. Kanzler und Präsidenten nahmen wieder die prominentesten Plätze ein, der signalrote Teppich lag ausgerollt da, zu verkünden  : Hier wandeln die Wichtigen. Das Opernhaus wurde durch den Vollzug seiner repräsentativen Funktion durch das neue politische Personal zu dessen Bühne. Am Beginn des 21. Jahrhunderts wurde dabei ausgerechnet „Preußen“ zu einer zentralen politischen Argumentationsfigur. Das preußische Gemäuer der Staatsoper war das Paradebeispiel für die Konstruktion einer Kontinuität von der alten preußischen zur neuen deutschen Hauptstadt – und zwar, dank des sublimen Charakters der beherbergten Kulturinstitution, vermeintlich ohne den historischen Ballast mitzuführen. Der die Oper beherbergende Bau mit der 27 Der Spiegel, 24/1998, S. 203. 28 Wochenpost, 22.12.1994.



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Knobelsdorffschen Fassade wurde zur Projektionsfläche und zum Erlebnisraum verschiedener Geschichtsbilder und historischer Deutungen, die halfen, eine noch nicht ganz deutliche gegenwärtige Realität zu bestimmen. Doch ließ sich auch auf diesem scheinbar neutralen kulturellen Terrain der Konflikt um diesen aufgeladenen Traditionsbezug nicht vermeiden, denn „das Herrichten des historischen Orts politischer Macht zur neuerlichen Bühne der Politik geht mit vielfältigen Deutungsproblemen einher“.29 Die unmittelbare Wirkung auf die kulturpolitischen Handlungsfelder der Stadt blieb nicht aus, und die Opernfinanzierungsfrage – die in der ganzen Zeit als kulturpolitisches Problem auf der Agenda stand – erschien dadurch plötzlich in zwingend neuem Licht. Denn die projizierten und gelebten Bilder von den Opernhäusern ließen sich unmittelbar in politische Handlungsoptionen übersetzen. So machte z.B. die Politikerin Alice Ströver (Grüne) im Abgeordnetenhaus deutlich  : „Die Staatsoper, in der sich seit der Wende gern die Staatsmänner aller Herren Länder versammeln und im Apollosaal in der Opernpause speisen, ist als preußische Staatsoper das repräsentative Haus für den Bund.“30 Es ging um die kulturpolitische Verbindung zwischen historischen Bezügen und den daraus ableitbaren neuen Sinnzusammenhängen und Machtstrukturen und damit bei der Konzeption der Opernreform um nichts Geringeres als die Lösung der „Probleme der historisch gewachsenen großen Kultureinrichtungen“. Nur „vor dem Hintergrund der Geschichte und (Berlins) Funktion als Hauptstadt des ganzen Landes“ könne „das in dieser Stadt manifest gewordenen kulturelle Erbe preußischer, deutscher und deutsch-deutscher Geschichte“ betrachtet werden, konstatierte auch Kultursenator Thomas Flierl (PDS/Die Linke). Deswegen sei man „nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen gehalten, … mit dem Bund und den Ländern über eine Neuverteilung der finanziellen Lasten und der kulturpolitischen Verantwortung in Berlin zu verhandeln“.31

29 B. Binder, „Eine Hauptstadt wird gebaut. Zur Produktion neuer Wahrnehmungsweisen in Berlin“, in E. Fischer-Lichte (Hg.), Wahrnehmung und Medialität, Tübingen/Basel 2001, 177–196 und 178. 30 Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll vom 26.10.2000, Drucksache 14/17. 31 So Kultursenator Thomas Flierl (PDS/Die Linke) vor dem Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll vom 28.11.2002, Drucksache 15/22.

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Wie flexibel die Wendung von der historisch bedingten Pflicht des Bundes gegenüber der Kultur für seine Hauptstadt war, zeigen die mitunter überraschenden Argumentationslogiken und Widersprüchlichkeiten, die in der politischen Diskussion um die Opern von den unterschiedlichen Akteursgruppen hervorgebracht wurden. So lehnte sich der Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Landowsky auf  : „Der Bund muss seine nationalen Pflichten, was die kulturelle Repräsentation angeht, endlich übernehmen. Da reichen 100 Mio. DM bei Weitem nicht aus“, fügte aber im gleichen Atemzug hinzu  : „Was nun nicht geht, ist, dass sich jeder Bundespolitiker, der hier früher nichts zu sagen hatte, weil es keine Kulturpolitik und -kompetenz gegeben hat, sich nun als Oberkulturguru hier in Berlin aufspielt. Das gibt es nicht bei mir.“32 Die Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag (CDU/CSU und FDP) reichten gar einen Antrag zur Errichtung einer bundeseigenen Stiftung „Staatsoper Unter den Linden“ ein.33 Dort hieß es zur Begründung  : Als eine der „herrenlosen Erbschaften Preußens“ solle der Bund die „Verantwortung für das kulturpolitische Instrument (sic  !) Staatsoper“ übernehmen. „Die DDR trat ganz selbstverständlich dieses Musiktheatererbe Preußens an“, nun müsse der Bund verpflichtet werden, die „Strahlkraft der Hauptstadtkultur“ zu stärken. Die Oper dem Land Berlin zuzusprechen, sei ein Fehler gewesen.34 Gerade die Kulturpolitiker gingen geradezu trotzig über den politischen Konsens und die seit 60 Jahren etablierten und legitimen Verfahren und Strukturen der deutschen Kulturlandschaft hinweg  : Der erste Kulturstaatsminister, Michael Naumann, dessen Amt 1998 mit dem Regierungswechsel gegründet worden war, tat den streng gehüteten Kulturföderalismus als „Verfassungsfol­ klore“ ab und schuf durch einen 3,5 Mio. DM Zuschuss an die Staatsoper neue Fakten. Die Kritik wusste die Bezüge herzustellen  ; so schrieb die tageszeitung  : „Sein (Naumanns, SZ) Hofdirigent kann bleiben, die Oper der Neuen Mitte ist gesichert und dass die anderen Opern jetzt erst recht in Problemen stecken, interessiert ihn nicht. Der Umzug nach Berlin zeigt Wirkung.“35 In die gleiche 32 Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll vom 29.3.2000, Drucksache 14/8. 33 Deutscher Bundestag, Antrag der CDU/CSU und FDP Bundestagsfraktionen  : Errichtung einer Stiftung „Staatsoper Unter den Linden“, Drucksache 15/1790. 34 Ebd. 35 die tageszeitung, 22.11.2000.



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Richtung zielten auch der Regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit (SPD), mit seinem in einer Regierungserklärung außergewöhnlich prominent untergebrachten Argument, es hieße schließlich „Staatsoper“ und nicht „Stadtoper“,36 sowie der CSU-Bundespolitiker Peter Gauweiler, der einwendete  : „Es ist nicht einzusehen, warum sich andere Länder, die eine viel schlechtere Finanzausstattung haben, eine eigene Staatsoper leisten können, die Wirtschaftsmacht Bundesrepublik Deutschland in ihrer Mitte aber nicht“37 – Deutschlands Zentrum lag sogar für den Bayern Unter den Linden. Dass der Umzug tatsächlich auch über die zugespitzten Redewendungen hinaus eine eigene Dynamik besaß, bewiesen die informellen Mechanismen der Hauptstadtwerdung, die im Umfeld der Opern stattfanden und die weniger durch offene Debatten, Beschlüsse sowie finanzielle und rechtliche Transfers sich vollzogen, als vielmehr durch Interessengemeinschaften, persönliche Verbindungen oder gemeinsame Argumentationslogiken. Vieles in der Opernfrage wurde nämlich gar nicht erst in den politischen Gremien diskutiert. Eckhardt Barthel, seinerzeit kulturpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, berichtete in der parlamentarischen Debatte über den bereits zitierten Antrag der CDU/CSU- und FDP-Bundestagsfraktionen von einem solchen neuen kulturpolitischen „Forum“, das in der Operndebatte außerhalb der entsprechenden Gremien auf Landes- oder auch auf Bundesebene entstanden war  : „Sie haben die Diskussion also nicht hier geführt, sondern in der Staatsoper“, hält er den Fraktionen vor  ; dort habe nicht nur Hans-Dietrich Genscher gesessen, dem das als „Oberlobbyist“ der Staatsoper nicht zu verübeln sei. „Außerdem saßen dort auch die beiden Parteivorsitzenden (Angela Merkel und Guido Westerwelle, SZ). Herr Otto (kulturpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, SZ), und auch Herr Gauweiler (CSU, damals Stellvertretender Vorsitzender des Bundestags-Kulturausschusses, SZ) saßen daneben. Ich habe mich gefragt, in welchem Film ich mich eigentlich befinde.“38 Die Bundespolitiker kamen zu Vertragsverhandlungen in die Oper – entsprechend besuchte der Chefdirigent der Staatsoper, Daniel Barenboim, als kulturpolitischer Berater sowie als ruhmreicher und deswegen unangreifbarer Interes36 Regierungserklärung vom 26.10.2006 vor dem Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll 16/1. 37 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 13.11.2003, Drucksache 15/75. 38 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 13.11.2003, Drucksache 15/75.

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senvertreter seines Hauses, das Kanzleramt. Die neue Nachbarschaft schuf auch neue Kommunikationskanäle und ließ andere versiegen. Der Kultursenator Berlins wurde für den berühmten Dirigenten „irrelevant“, das Gespräch mit dem Dienstherren wurde verweigert und mehr als einmal „gleich“ das Gespräch mit dem Bund gesucht.39 Die mächtige Lobby des Freundeskreises der Oper wandte sich schriftlich mit dem Aufruf, die Bundesstiftung für die Staatsoper, keine Landestiftung aller drei Musiktheater zu unterstützen, nur noch an die Mitglieder des Bundestages, nicht mehr des Abgeordnetenhauses. Spätestens als das Geld auch durch diese neuen Kanäle floss – wie der bereits genannte jährliche Bundeszuschuss von 3,5 Mio. DM und später der 200 Mio. Euro Zuschuss des Bundes zur Sanierung der Staatsoper – hatte die Umdeutung eine handfeste strukturelle Dimension erreicht. Im kürzester Zeit verschob sich so die Topografie der Stadt und insbesondere innerhalb der Kulturlandschaft, in Richtung Osten. Die Deutsche Oper, mit über 1800 Plätzen das größte Opernhaus der Stadt, kurz vor dem Mauerbau als modernes Haus für das Publikum der ganzen Stadt geplant und später das kulturelle Flagschiffs Westberlins, erlitt einen zunehmenden Standortnachteil. Sie verkörperte Traditionen städtischer, bürgerschaftlicher Kulturpolitik in Berlin, die im neuen hauptstädtischen Zentralismus unterzugehen drohte. Denn dieser vernachlässigte den städtischen und kommunalen Charakter Berlins und gliederte zugleich auch den urbanen Raum neu, so dass die Deutsche Oper plötzlich (wieder) fast an der Peripherie lag. Der neuen Präsenz der Hauptstadt stand somit eine Schwäche des Städtischen gegenüber. Die Krise der Deutschen Oper ist dafür nur ein Beispiel  ; die Reihe der Theater und kulturellen Gattungen, welche in den Jahren der Hauptstadtwerdung ausgestorben sind, ist weit länger als es heute im öffentlichen Bewusstsein noch präsent ist.40 Der vielfache Verweis auf historische Kontinuitäten und die mit deren Hilfe formulierten gegenwärtigen Ansprüche an und auf städtische Räume halfen, „Legitimität und Plausibilität von Veränderungen herzustellen“.41 Ein generelles Phänomen der Ästhetisierung der Städte in den 1990ern wird charakte39 Vgl. den Bericht in die tageszeitung, 3.2.2003. 40 Zu den geschlossenen Bühnen gehören u.a. das Schillertheater, das Metropol-Theater, das Schlossparktheater, das Hansa-Theater und die Tribüne. 41 Becker, Binder, Bühnen, 6.



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risiert durch „einen schnellen, punktuell bestätigten Konsens …, in dem die Geschichte mit ihren Konflikten und ungelösten Problemen ausgeklammert und zum Schweigen gebracht wird“,42 wie Jutta Held in ihrer internationalen Beobachtung von Hauptstadtkulturen konstatiert. Die neuen Bilder, die in Berlin entstanden, legten sich zwar über die offenen Wunden der Stadt (oder drängten sie manchmal auch nur aus dem Blickfeld), doch mit den in die schönen Hüllen der Opernhäuser verpackten geschichtspolitischen Argumenten wurden auch deren Bedeutungen und das, was sie repräsentierten, stets mit verhandelt. Daher drangen die dem ganzen Prozess der Hauptstadtwerdung innewohnen Konflikte zwischen Ost und West, den Hinterlassenschaften der DDR und Preußens, zwischen Stadt und Hauptstadt wieder an die Oberfläche. Die Umstrukturierung der Opernlandschaft fungierte als Modell und damit auch als Symbol dieser Gegensätze. Katalysiert durch die schnell zu lösende Finanzierungsfrage der Berliner Opern, die in der verschuldeten Stadt immer wieder den Kern der Opernreform bildete, stellte sich daher bald die Frage  : Wer und was wird in diesen kulturellen Symbolen der Opern eigentlich vertreten  ? Welches Gemeinwesen, wessen Geschichte und was für eine Zukunft  ? Das, was diese Fragen zu beantworten helfen sollte, der ständige, politische Lager und Handlungsebenen übergreifende und nicht einmal reaktionär konnotierte Verweis auf das preußische Kulturerbe, machte dabei aber ganz verschiedene Ansprüche deutlich  : Mal ging es um politische Machtverschiebungen, dann um die Begründung finanzieller Forderungen, dann wieder waren es Bedürfnisse nach Inszenierung und einem repräsentativen Rahmen, die plausibel gemacht werden sollten. Darin spiegelte sich gerade im Umgang mit den Opern das, was in diesen Jahren als „Wiederkehr höfischer Öffentlichkeit“ diagnostiziert und diskutiert wurde, die „nicht an Verständigung, am Austausch von Argumenten, an der Kontroverse über reale Handlungsalternativen interessiert (ist), sondern uns die Amtsträger der Demokratie bei der Inszenierung ihrer Rituale“ zeigt und daraus die Entscheidungen legitimiert.43 42 J. Held, „Kunst und Kulturpolitik der 90er Jahre in den Zentren der Welt – Zur Einführung“, in J. Held (Hg.), Metropolenkultur. Kunst und Kulturpolitik der 90er Jahre in den Zentren der Welt, Weimar 2000, 14. 43 T. Meyer, „Repräsentativästhetik“, Kapitel 2 in Bezug auf einen Bericht über die politischen Wirkungen des Fernsehens an den Bundespräsidenten (1994).

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Aus der allseitigen Konstruktion des „Kulturerbes“ entstand daher kein kulturpolitisches Konzept, es bot nur Material für immer wieder zu belebende Behauptungen und deren zeremonielle Legitimation. Insofern konnte man daher nicht nur sich und die Hauptstadt als politische und kulturelle Metropole in Szene setzen, sondern auch eine bestimmte Perspektive darauf oder Deutung davon, bzw. seiner Enttäuschung darüber Ausdruck verleihen. Als Symbole der Metropole, der Macht, des gesellschaftlichen Glanzes und des kulturellen Reichtums konnten mit den Opernbühnen auch immer die Quellen dieser Referenzen angegriffen werden – am einfachsten stets mit den eingangs zitierten Vorwürfen der Provinzialität. Strukturell ließ sich die Berliner Opernfrage aber mittels dieser Form symbolischer Politik im weitesten Sinne nicht lösen. Die Konstruktion, die behauptet werden sollte – nämlich das kulturelle Image der neuen Hauptstadt – wurde zwischen ihren verschiedenen Deutungen größtenteils zerrieben.44 Es hat letztlich keine institutionelle Aufteilung zwischen dem roten Fauteuil unter den Linden, der städtischen großen Oper an der Bismarckstraße und der avantgardistischen Liebhaberbühne in der Behrensstraße gegeben. Vom Sehen und Gesehenwerden zum „public viewing“

Die Transformation insbesondere der Staatsoper zu einem Repräsentationsraum der neuen Hauptstadt vollzog sich nicht allein in den Kulturausschüssen und Feuilletondebatten. Wie jede Form der Abbildung und Herstellung einer politischen, sozialen und kulturellen Ordnung in einer demokratisch verfassten Gesellschaft bedurfte sie der öffentlichen Anerkennung. Somit lassen sich in der hauptstädtischen Opernlandschaft Berlins nicht nur das „nationale Erbe“ verhandeln und alte Selbstdarstellungsformen zelebrieren, sondern auch neue Formen der öffentlichen Repräsentation durch ihre Anerkennung als Erlebnis einer hauptstädtischen Gesellschaft legitimieren. 44 Ironischerweise hat sich während all dieser Zeit ein ganz anderes Image der Kulturstadt Berlin seinen Weg gebahnt, das gerade weitab der traditionsreichen Hochkultur und des kulturellen Mainstream in einer ungeordneten, wenig institutionalisierten und international besetzten Kunstlandschaft, Offtheater-Szene und Kulturwirtschaft seinen facettenreichen Ausdruck fand.



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In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts versuchte man vielerorts, die Zuschauerräume demokratischer, die Opernhäuser auch baulich transparenter zu machen. Die Spuren des feudalen Erbes, das in den Opernbauten überlebte, und damit deren hermetischer, elitärer und ruchbarer Charakter sollten aus dem Opernerlebnis verschwinden. Die Deutsche Oper Berlin, der 1961 eröffnete Bau von Fritz Bornemann, gehört als prominentes Beispiel ebenso zu dieser Epoche, wie die als Volksoper konzipierte riesige Opéra Bastille in Paris. Diese „Demokratisierung“ der Oper hat mit den Möglichkeiten der multimedialen Verbreitung und dem Aufschwung der Musikindustrie sowohl neue Chancen der Verbreitung als auch eine neue Qualität erhalten. In den vergangenen Jahren war daher auch im Bereich der Hochkultur viel von dem Abschwung der klassischen und vom Aufschwung der Event-, Erlebnis- und Kommerzkultur die Rede. „An die Stelle der reflektierenden Kultur … tritt schrittweise die so genannte Erlebniskultur mit ihren Events, die nicht an das Bewusstsein appelliert, sondern an die sinnliche Affizierbarkeit, die von der Werbung seit langem als die flexiblere Instanz der Subjekte erkannt worden ist.“45 Bei aller kulturpessimistischen Übertreibung, die in solchen Überlegungen stets zu stecken droht – auch in der Berliner Opernlandschaft ist vieles kurzfristiger, projektartiger, querschnittsmäßiger geworden. Statt eines Repertoirespielplans, aus dem gelegentlich das Ereignis einer neuen Premiere hervorsticht, jagt heute mit Verdi-Tagen, Strausswochen, Oster- und Pfingstfesttagen, Premierenfestivals, Wagner- und Beethovenzyklen ein Event das nächste. Ereignisse sollen im Wettbewerb um das Publikum aber auch um Mäzene und Sponsoren Aufmerksamkeit generieren. Kunst und Kultur haben nur dann eine Chance auf den geschlossenen Kreis von Unterstützung, Sichtbarkeit und Förderung, wenn die eigene Inszenierung als Spektakel gelingt und die Einrichtung sich somit als innovativ und zukunftsweisend zeigt. Diese Entwicklung beeinflusst auch die Oper als repräsentativen Raum, denn die extra Aufmerksamkeit kommt auch jenen zu Gute, deren hauptstädtische Bühne das Opernfoyer ist, das stets ein Ort gesellschaftlicher Beobachtungen war. Doch eben diese Formen des Präsentierens und Beobachtens haben sich geändert. Was früher „sehen und gesehen werden“ war, heißt heute „public viewing“ und bezeichnet das Be45 Held, „Kunst“, 13.

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obachten eben als kollektives Erlebnis anstatt als die soziale Fähigkeit einer sich gegenseitig observierenden Elite. Das Miteinander-Sehen, -Hören und -Reden gibt der Kultur-Szene interessante neue Facetten, „entstaubt“ sie und macht sie alltagsnäher und lebendiger. Früher „hatten“ wenige Kultur, heute können viele Kultur „erleben“  ; das klassische Problem der Repräsentation, in einem gleich und besser als der Plebs zu sein, löst sich hier auf. Bedeutet dies eine Gefahr für einen räumlich so exklusiven Repräsentationsort wie die Oper  ? Neben den zahlreichen Galas, Festtagen und politischen Gedenkveranstaltungen, die in und im Umfeld der Berliner Oper Raum fanden, zeigte ein beispielhaftes Ereignis besonders deutlich, dass durch die skizzierte Entwicklung keinesfalls die Tauglichkeit für repräsentative Akte verloren geht, und veranschaulicht, wie der Wandel der Repräsentationsformen in Berlin auch einen Wandel der Oper als repräsentativem Ort bewirkte. Regierende und Regierte fanden unter den egalitären Bedingungen des Medienspektakels und der Erlebnisgesellschaft wieder in ihre klassischen Rollen im Rahmen der Oper zurück  : Im Mai 2007 gab es auf dem Bebelplatz vor der Staatsoper auf einer 70 Quadratmeter großen Leinwand live übertragen „Oper für Alle“. Jeder und Jede konnte hautnah und live dabei sein, als die Star-Sopranistin Anna Netrebko als Jules Massenets „Manon“ auftrat. Angesichts des Unter den Linden entstandenen Menschenauflaufs war zwar auch – die Fußball-Weltmeisterschaft von 2006 noch im Sinn – von „Netrebkos Fanmeile“46 die Rede, doch nicht nur die Starsopranistin konnte sich der begeisterten Menge präsentieren. Denn während es draußen „Staatsoper für Alle“ gab, wurde drinnen das Staatsbankett für die Wenigen aufgefahren. „Bei Spanferkelbäckchen, Risotto mit Meeresfrüchten und Champagner“ gesellten sich „Nadja Auermann mit großer GucciKette, Alfred Biolek mit Freund, Kati Witt“ zu „Wowi, Gregor Gysi, Günther Beckstein, Ulla Schmidt, usw. usf.“47 Den zwanzigtausend Zuschauern vor der Oper standen 1200 geladene Gäste im Inneren des Hauses gegenüber  ; mit der inklusiven Funktion ging die exklusive Hand in Hand. Das Opernhaus selber, der Sponsor des Abends (BMW), weite Teile der Presselandschaft und nicht zuletzt die teilnehmenden Politiker, feierten das Event 46 Berliner Zeitung, 19.5.2007. 47 http  ://www.am-ende-des-tages.de/g/070519–staatsoper-fuer-alle. Letzter Zugriff am 16.7.2009.



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als Verwirklichung der demokratischen Oper, deren letzten Schranken mit dieser Öffnung des Zuschauersaals in den Stadtraum gefallen seien  : „Die ungezwungene Picknick-Atmosphäre von „Oper für alle“ trägt dazu bei, die Opernhäuser knapp 400 Jahre nach Entstehung der Kunstform Oper für eine breite Öffentlichkeit und nicht etwa nur für eine vermeintliche Elite zugänglich zu machen“,48 hieß es seitens des Sponsors. Der regierende Bürgermeister, Kultursenator und Schirmherr der Veranstaltung, Klaus Wowereit, freute sich, „dass Berlin um ein weiteres kulturelles Highlight bereichert wird. Das ist eine sehr schöne Idee, die vielleicht auch manchem die Angst vor der Oper nimmt und den Kreis der Opernliebhaber erweitert.“49 Allein die Anzahl der Zuschauer, die sich vor der neben dem Opernhaus aufgebauten Leinwand drängten, mag dieser Einschätzung recht geben. Blickt man aber auf die räumliche Qualität des Ereignisses, wird fraglich, ob die Situation, in der einige Privilegierte (geladene Politiker, Prominente und Mitglieder des BMW-Konzerns) eine Opernvorstellung live im Inneren der Oper verfolgen können, während die Menge die gleiche Vorstellung draußen auf einer Leinwand verfolgt, das „elitäre“ oder geschlossene Flair der Oper wirklich verringert und nicht vielmehr steigert. In einem Musik-Blog hieß es zu diesem Ereignis durchaus pointiert  : „Ist die Oper dann erst einmal zu einer Veranstaltung verkommen, bei der die Paparazzi von Gala, Bild, und BZ Schlange stehen, um die Gäste bei ihrem Einzug in das Opernhaus zu fotografieren, dann können wir Normalbürger uns in aller Ruhe auf dem Bebelplatz niederlassen, um mit Bier aus Pappbechern und Deutschlandfahne in der Hand aus dem Sommermärchen ein Opernmärchen werden zu lassen.“50 Tatsächlich suggeriere der besonders demokratisch klingende Slogan „Oper für Alle“ einen beschränkten Zugang zur Oper, der nur temporär aufgehoben würde. Der Abend vermittelte den Eindruck, sonst sei die Berliner Staatsoper nur etwas für die Reichen und Berühmten dieser Stadt, ein kulturelles Vergnügen der Elite, an dem für wenige 48 http  ://www.kulturmarken.de/content/view/451/306, Pressetext von BMW vom 17.5.2007. Letzter Zugriff am 16.7.2009. 49 http  ://www.oper-in-berlin.de/spielplan/detailansicht.php3  ?id_event_cluster=60640&id_language= 1, Pressetext der Stiftung Oper in Berlin vom 19.5.2007. Letzter Zugriff am 16.7.2009. 50 M. Röder, „Oper für Alle“, in Zeitschichten – a webmagazine about music and history. http  :// www.zeitschichten.com/2007/05/20/oper-fur-alle/. Letzter Zugriff am 16.7.2009.

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Stunden indirekt „das Volk“ teilhaben dürfe. Fast jeder Besuch der drei Häuser an sonstigen Abenden zeigt allerdings, das dies ganz und gar nicht der Fall ist. Die Preise sind niedriger als an anderen großen Häusern Deutschlands, des Auslandes zumal, es gibt eine günstige und faire Ermäßigungspolitik – Oper zum Kinopreis ist in Berlin für viele Realität. Die weniger Zahlenden werden auch dank der Auslastungsprobleme der Opernhäuser nicht auf die sprichwörtlichen „billigen Plätze“ außerhalb der Sichtachsen des Wohlstandes verwiesen, sondern im ganzen Haus platziert. Berlin hat – anders als London in den 1980er und 90ern und auch Paris in den 1970er und 80ern kein Demokratieproblem mit seinen Opern, keinen öffentlich problematisierten sozialen Ausschluss, der zu verbreiteten Anfeindungen und einem sozialen Antagonismus zwischen Hochund Popularkultur führen würde. Woher kam also diese Legitimationsformel, die diesen Charakter der elitären Oper erst konstruierte und dem „normalen Berliner“ das Gefühl vermittelte  : „Ich muss leider draußen bleiben“  ?51 Die Trennung zwischen Drinnen und Draußen, die diesen Abend auf subtile Weise prägte, erzeugte als Form der räumlichen Inszenierung einen zeitgemäßen und vom Publikum angenommenen, ja geschaffenen repräsentativen Rahmen. Allen politischen und gesellschaftlichen Prominenten voran, konnte Schirmherr Wowereit, bevor die Oper Manon begann, sich dem Wahlvolk auf dem Bebelplatz präsentieren, das Grußwort halten, um sodann nach drinnen zu „seinen“ Gästen, darunter viele Politiker der Bundesebene, zu eilen. Schon früher war seinen Kritikern das so erzeugte Bild aufgefallen, die mehr als einmal den Vorwurf formulierten, „Wowereit inszeniert sich vor der Opernkulisse als einer, der im Umgang mit anderen Großpolitikern Bedingungen diktiert“.52 Vor dem Eingang der Oper kennzeichneten der rote Teppich, Absperrgatter und eine extra abgeteilte Auffahrt für die Wagen der geladenen Gäste die Schwelle zwischen den beiden Rezeptionsräumen. Die Fenster in der westlichen Fassade des Opernhauses boten den Besuchern im Inneren die Möglichkeit, auf das Spektakel zu blicken – ohne selber von außen beobachtet zu werden.53 Wie 51 Röder, „Oper für Alle“. 52 Der Tagesspiegel, 16.11.2006. 53 Vgl. zur Differenz von Sehen ohne gesehen zu werden und dem gegenseitigen Beobachten als Formen der höfischen bzw. demokratischen Repräsentation  : T. H. Macho, „Von der Elite zur Prominenz. Zum Strukturwandel politischer Herrschaft“, in Merkur. Zeitschrift für Europäisches



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die Besucher vor dem Eintritt in das Haus oder der Dirigent des Abends, Daniel Barenboim, aus einem Fenster, konnten sich die einen den anderen präsentieren, die Blickrichtung und damit die Dynamik der Aufmerksamkeit waren durch die räumliche Ordnung des Ereignisses klar strukturiert. Blicke nach drinnen konnte die Zuschauermenge auf dem Platz nicht werfen  ; die Teilnahme an dem Ereignis auf und vor der Bühne blieb nur indirekt über die Leinwand möglich. Die Menge draußen machte den Einlass in das Opernhaus damit selbst zu etwas Besonderem. Und weil es drinnen besonders war, ließ sich die Übertragung nach draußen wiederum als eine Form der Teilhabe erleben. In diesem, aus der alltäglichen Konkurrenz um Aufmerksamkeit heraus stechenden Ereignis, erschien die Staatsoper und ihre medial rekonstruierte Repräsentationsfunktion als das kulturelle Zentrum der Stadt  ; hier trafen tradierte kulturelle Errungenschaften auf zeitgenössisches Lebensgefühl, ließen sich die Macht und das Miteinander nebeneinander feiern. Die dabei wirkungsmächtige Idee, dass ihre Kunst politische Interessen transzendiere, ermöglichte es, die Kultur bestimmter sozialer Gruppen als repräsentativ für eine ganze Gemeinschaft, einen Staat, eine Nation zu behaupten. Zugleich bewies sie damit die Funktion, die durch das Ereignis verdeutlichte soziale Ungleichheit zu legitimieren.54 Resümee

Was lässt sich aus Opernperspektive über die Hauptstadtwerdung Berlins resümieren  ? Erst die Neugliederung durch alle sich als Hauptstädter begreifenden hat den Status der politischen Hauptstadt auch räumlich verändert. Die Definition, Gestaltung und Nutzung des kulturellen Raumes zeigte die politische Präsenz und Macht, indem sich das neue politische Personal im Stadtraum in Szene setzte und mithin auch seine eigenen Wirkungsräume und KompetenzDenken 534/535 (1993), 762–769  ; auch H. Münkler, „Die Visibilität der Macht und die Strategien der Machtvisualisierung“, in G. Göhler (Hg.), Macht der Öffentlichkeit, Öffentlichkeit der Macht, Baden-Baden 1995, 213–230. 54 Vgl. G. Jordan, C. Weedon, Cultural Politics. Class, Gender, Race and the Postmodern World, Oxford 1995, 63.

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bereiche absteckte. Die Opernlandschaft hat einen Anteil daran, insofern sie vor allem politischen Akteuren Raum bot, kulturelle Vorstellungen von dieser Hauptstadt zu definieren, zu repräsentieren oder in Frage zu stellen. In der sich im Zuge der Hauptstadtentfaltung vollziehenden Opernstrukturreform wurde die schillernde Figur der Berliner Republik, die Kulturstadt Berlin, nicht zuletzt der Kulturstaat Deutschland verhandelt. Der Aufstieg der Staatsoper und die Krise der Deutschen Oper standen dabei in einem Wechselverhältnis und markierten unter anderem eine Neuordnung von Zentrum und Peripherie, uns naher und ferner Geschichte, Stadt und Hauptstadt. Vor allem die Staatsoper belebte diesen Prozess durch die Dynamik der vor ihrer historischen Kulisse sich vollziehenden Konstruktion einer historischen Kontinuität sowie einer Neukonzeption öffentlicher Repräsentation. Als Raum der neuen hauptstädtischen Akteure verhalf sie, Geschichtsbilder wieder zu beleben, die für das Traditionsrepertoire der neuen Hauptstadt nutzbar und wichtig waren. Die Staatsoper schaffte es zudem, auch neue Bilder und Zeremonien zu produzieren, die es ermöglichten, ihre tradierte Repräsentationsfunktion in eine aktuelle Form zu übertragen. Durch moderne und der medialen und pluralistischen Ordnung angepasste Spektakel, fand die neue Lust an der prachtvollen Repräsentation die notwendige demokratische Anerkennung. Die Sichtbarmachung von hauptstädtischer Macht erzeugte aber auch Konflikte. Der Topos des Preußischen Kulturerbes schuf eine symbolische Dimension, die für unterschiedliche Interpretationen und Missverständnisse anfällig war. Die Frage „Wem gehört die Staatsoper  ?“ blieb präsent, und trotz der 2004 geschaffenen landeseigenen Stiftung „Oper in Berlin“ konnte keine abschließende Antwort darauf gefunden werden. Die geschaffene institutionelle Ordnung und ihre kulturpolitischen Ziele stehen nach wie vor in einem andauernden Spannungsverhältnis zu den hier dargestellten mächtigen Vorstellungen, Bildern und Worten der „Hauptstadtoper“. Ein wichtiges Merkmal einer repräsentativen Metropole, die allgemeine Bewunderung und Identifikation ihrer Symbole, ließ sich nicht herstellen  ; der Metropolenstatus sowie jene, die ihn für sich behaupteten, blieben damit stets angreifbar. Nicht zuletzt darin lässt sich der Grund vermuten, dass 15 Jahre nach dem Hauptstadtbeschluss die Funktion Berlins als Hauptstadt verfassungsrechtlich im Grundgesetz fixiert werden musste.



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1992 hatte die Tageszeitung Die Welt prognostiziert, dass „die Rolle, die die Lindenoper … für das Selbstverständnis Berlins als Hauptstadt … spielen wird, ein wesentliches Indiz für den zukünftigen Weg, auch für das zukünftige Verhältnis zur kulturellen Repräsentation“55 sein würde. Nicht nur hat die Entwicklung in den vergangenen Jahren diese Prognose bestätigt, sie hat auch verdeutlicht, dass die repräsentative Rolle der Oper nicht verloren gehen wird. Sie ist seit 1742 ein Raum musiktheatralischen Hauptstadtgefühls und Staatszeremoniells – und wird es allem Wandel von Repräsentationsformen, allen kulturpolitischen Krisen und allen politischen Wechseln zum Trotz wohl auch bleiben.

55 Die Welt, 9.12.1992.

Jeroen van Gessel

The Strasbourg municipal theater 1870–1918  : an opera house with a special mission  ?

It might come as a surprise to find a contribution on the Strasbourg municipal theater in a section devoted to cities that are considered major centres of European opera life. Although the Strasbourg theater could count some illustrious musicians among its personnel, like Hans Pfitzner, Georg Szell, Otto Klemperer and Wilhelm Furtwängler, its reputation never matched that of the most famous European opera houses. Embarking on a comparison of opera traditions in Strasbourg to those of such major cities as Vienna, Berlin, London, Paris or Milan would therefore inevitably beg the question why the Strasbourg municipal theater should deserve to be part of such an undertaking. Indeed, the opera house of any other European regional capital would serve the purpose just as well, because all are in some way or another instrumental in establishing, as William Weber put it, ‘cultural authority’. It is this very concept that justifies focusing on the Strasbourg municipal theater, because ‘cultural authority’ has been a highly contested topic in the history of Strasbourg. It was, after all, the capital of the Alsace-Lorraine, one of the most disputed regions in Western Europe, with a history that has been scarred by conflict, especially between 1870 and 1944. Having been French since the late seventeenth century, the region was conquered by the Germans following the Franco-German war of 1870–1871, became French again after the Great War, was occupied by the Nazis between 1940 and 1944 and then returned to France. This contribution will concentrate on the question to which extent the Strasbourg municipal theater played a part in establishing ‘cultural authority’ in the Alsace during the period 1870–1918, known in German history as the so-called  The research for this contribution was carried out for the research project Die Praxis der Oper, am Beispiel des Straßburger Stadttheaters (1886–1944).  W. Weber, “Opera and the cultural authority of the capital city”, in V. Johnson, J. Fulcher, T. Ertman (Hg.), Opera and society in Italy and France from Monteverdi to Bourdieu, Cambridge 2007, 160–180.

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‘Kaiserzeit’. Cultural politics, censorship, financial considerations, repertoire and performance schedules and audience make-up will be at the centre of attention. The turbulent past of Strasbourg and the Alsace will to a certain degree infiltrate the discussion of all these factors and therefore I start with an evaluation of the historiography of the Alsace in an attempt to reassess to which degree historic events should dictate the historian’s agenda. Using the observations from this discussion and the characteristics of opera production in the Strasbourg municipal theater during the ‘Kaiserzeit’, I will finally offer some remarks on the relation between general trends in musical and cultural history and individual cases, like this particular theater.

A historiography battered by history

As might be expected, the near-century of conflict has deeply influenced the historiography of both Strasbourg and the Alsace-Lorraine region, with two major consequences. First, historians tend to accept as a matter of course that 1870, 1918 and 1940 are the major turning points and consequently portray the history of Strasbourg in the 19th and 20th centuries as one of continuous antagonism between Germany and France and their conceptions of society, politics and culture. While it would be foolish to overlook the disruption caused by the succession of different regimes, it is equally unwise to claim that the regime changes affected every aspect of political, social and cultural life. The second point is that a lot of the literature dealing with the Alsace-Lorraine and Strasbourg is quite biased in a way that goes beyond obvious Franco-German dualism. Instead there is a three-way split into pro-German, pro-French and pro-Alsace stances, as can be traced in the historiography of the period 1870–1918. Decidedly pro-German is Das Reichsland Elsass-Lothringen (1931–1938), a substantial effort in four volumes, issued by the Frankfurt-based ‘Wissenschaftliches Institut für Elsass-Lothringer im Reich’. A French viewpoint dominates Rodolphe Reuss’s Histoire d’Alsace (1912/1934). Finally, there is the four-volume set Das Elsass von 1870–1932 (1936–1938), edited by the Alsatian priest Xavier Franz Haegy, which tells the story of the Alsace from the autonomist viewpoint and is therefore highly critical of what is basically considered French and German



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intrusion into the affairs of a what should have been, in the opinion of Haegy and his followers, a semi-autonomous region. Although it is rarely acknowledged, the latter position still dominates Alsatian historiography and that accounts for the emotional language that emerges almost instantaneously in discussions of German influence on Alsatian political and cultural life. It is however, of particular interest to note that France tends to be on the receiving end of similar reproaches as well. The surveys of Alsatian history by the Alsatian historian Bernard Vogler constitute a typical example. Although impressive inasmuch they offer a clear grasp of complex subject matter, they repeatedly give vent to a typical Alsatian disenchantment with German or French influences. For instance, Vogler’s treatment of the reinstatement of French power after the Great War is rife with reproaches to Paris central authority. “Les autorités françaises, imbues de leur supériorité et ignorant la psychologie des habitants, commettent toute une série d’erreurs”, he remarks, illustrating quite clearly, and probably unintentionally as well, that to his mind the Alsatians were in no way to blame for the uneasy relationship between Strasbourg and Paris that persisted during the 1920s and 1930s. The historiography of the Alsace, it is fair to say, is one of conflict and taking sides, something which is clearly reflected in the historiography of Alsatian cultural life, including the few contributions on the Strasbourg municipal theater. In her study of musical life in Strasbourg during the ‘Kaiserzeit’, Myriam Geyer sees the theater as a key factor in promoting German identity in the so-called ‘Reichsland’, but fails to provide any unequivocal evidence. Bernhard von Hülsen’s study of theater and society in Strasbourg between 1890 and 1944 takes the conflict between German and French cultural identities as a self-evident starting point. His book concentrates on three themes  : the Alsatian dialect theater (1890–1918), productions in German language during the interwar years (1918–1939) and the role of the Strasbourg theater in national-socialist politics (1940–1944), thus perpetuating the idea that the successive regime  See also H. Hiery, Reichstagwahlen im Reichsland 1871–1918, Düsseldorf 1986, 17–23.  B. Vogler, Histoire culturelle de l’Alsace, Strasbourg 1993  ; B. Vogler, Histoire politique de l’Alsace, Strasbourg 1995  ; B. Vogler, M. Hau, Histoire économique de l’Alsace, Strasbourg 1997.  Vogler, Histoire politique, 220.  M. Geyer, La vie musicale à Strasbourg sous l’empire Allemand (1871–1918), Paris 1999, 103–133.

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changes turned the municipal theater into a hotbed of political activity. The same goes for some smaller contributions on cultural politics and censorship during the ‘Reichsland’ years, which present a completely distorted picture of the Strasbourg municipal theater as a carefully manipulated instrument for the repression of French culture. It would be wrong to dismiss the studies mentioned above altogether, but their obvious failure is that they accept as a matter of fact what should be the object of careful study  : the question to which degree the various regime changes should be considered important or even dominant factors in the shaping of cultural practice. Furthermore, it is important to realize that, whatever one’s personal feelings on the subject may be, both Germany during the ‘Kaiserzeit’ and France during the interwar years acted wholly within their rights. (The Nazi-period with its brutal oppression obviously defies any reasonable comparison.) Any suggestion that they were illegal occupation forces is not only totally misplaced, but derails any serious study of historical and cultural developments in the Alsace during these years as well. In other words  : even if the Strasbourg municipal theater had been consciously treated as an instrument for establishing a German-orientated ‘cultural authority’, then that does not mean that any such alleged attempt may be labelled ‘repressive’. The same goes, of course, for the French efforts to reinstate French cultural values after 1918. In order to stress this, I will repeatedly draw comparisons between the German (1870–1918) and French period (1918–1939).

Cultural politics

One of the most convincing reasons to view the Strasbourg municipal theater as being deliberately exploited for imposing German culture seems to be that it was one of the first municipal theaters in Germany to come under direct control  B. von Hülsen, Szenenwechsel im Elsass. Theater und Gesellschaft zwischen Deutschland und Frankreich 1890–1944, Leipzig 2003.  See e.g. S. Hoffmann, „Scènes du conflit franco-allemand au « Théâtre municipal » de Strasbourg – La censure et le public“, in  J. Benay, J.-M. Leveratto (Hg.), Culture et histoire des spectacles en Alsace et en Lorraine. De l’annexion à la décentralisation (1871–1946), Bern 2005, 243–256.



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from the municipal authorities. In the 19th century it was common practice to lease local theaters to theatrical entrepreneurs, who, in exchange for a lump sum, were contractually obliged to mount a certain number of performances. Strasbourg had originally adhered to this practice, although with some exceptions. During the years 1873–1876 the responsible authority for the municipal theater was the so-called ‘Oberpräsident’ or ‘general president’ (from 1879 onwards called the ‘Statthalter’ or ‘imperial governor’), the highest authority in the Alsace-Lorraine, who was appointed directly by the emperor and answered primarily to him. After three years the general president abandoned his involvement in the Strasbourg theater, transferring responsibility to the municipal authority, but that made little difference, because it continued his policy of leasing the theater to theatrical entrepreneurs. This situation lasted until 1886, when the municipal authority took direct control over the theater. The reason was quite mundane. Hermann Temmel, who had been the theater’s director since 1884, suddenly handed in his resignation, because a series of unlucky incidents had caused such a degree of discontent with the audience, that he feared immediate bankruptcy if he were to carry on.10 Since this happened in mid-season, the municipal council argued that it would be impossible to find a suitable successor at such short notice, and agreed, although reluctantly, to take over, but only as a temporary measure. Financial considerations, not ideological ones, would turn this temporary measure into a permanent one. The municipal council did not fancy having to carry the financial burden of the theater alone and therefore petitioned with regional parliament for financial support. This institution — the so called ‘Landesausschuss’ — numbered 58 representatives who had received their mandates through indirect elections. Most of them maintained good relations with the new German authorities.11 Regional parliament was therefore anything but a haven for fierce opposition. Considering its sympathetic stand on German rule, the Strasbourg municipal council may have felt confident that their request would meet with sympathy.   Geyer, La vie musicale, 103–106. 10 Meeting of the municipal council, 27 October 1886. Archives Municipales de Strasbourg (hereafter AMS) 1MW222 (Verhandlungen des Gemeinderats der Stadt Strassburg 1886), 538–547. 11 Hiery, Reichstagwahlen, 72–73.

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Instead it was turned down. In itself that was not much of a surprise. Only four years earlier regional parliament had suppressed the annual subvention to the Strasbourg municipal theater which had been on the budget since 1875. Rather remarkable is the complete lack of ideological considerations in the discussion of the request. The only argument that made any impression was that Strasbourg already faced a heavy tax burden. Not a word was lost on the possible cultural significance of a generously financed theater for the capital of the ‘Reichsland’. Instead the very idea of supporting the theater financially was mocked by several members. The pensioner Eduard Koechlin was one of them  : “Wir haben ohne Enthusiasmus die Subvention, nachdem sie von früher her im Etat sich befand, beibehalten einmal  ; dann aber haben wir die Position fallen lassen, und lassen wir sie jetzt, nachdem sie einmal gefallen, ruhen  ! (Rufe  : Friede ihrer Asche  ! Stürmische Heiterkeit.) Ich bin der Ansicht, daß diese Subvention für die Entwicklung des Kunstinteresses in Elsaß-Lothringen nicht förderlich ist  ; wir mußten übrigens sehen, und es hat sich stets gezeigt, daß im Theater von Straßburg durchschnittlich große Oede herrschte. (Große Heiterkeit. Beifall.) Wenn die Straßburger mehr hineingegangen wären, so hätte uns das vielleicht aufgemuntert, zu subventioniren. Doch jetzt ist die Subvention gefallen, und wir wollen sie auch in Ruhe lassen. (Heiterkeit.)”12 For the Strasbourg municipal authority the day was saved by inserting the subvention in the budget of the imperial governor, which could be done without consent of parliament. Because the imperial governor only had to answer to the emperor, no motivation for this decision has been recorded. In any case, it soon transpired that his generosity came at a price, because of the conditions attached, the most important of which was that the municipal authority had to remain in direct control.13 This effectively forced the city to turn the temporary measure of running the theater into a permanent one. It necessitated the formation of a special theater committee that was composed of members of the municipal council. From 1887 until 1939 this committee would supervise daily operatic practice in Strasbourg. 12 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen. Band XV. Strasbourg 1888, 326–327. 13 Meeting of the municipal council, 18 July 1888. AMS 1MW224 (Verhandlungen des Gemeinderats der Stadt Strassburg 1888), 597–600.



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The idea of bringing the theater under the direct administration of the municipal authority was therefore anything but ideologically motivated and it is quite remarkable that in the years that followed the notion that direct control might facilitate some form of cultural politics never gained foothold. Other source materials testify to this. When confronted with local problems, municipal authorities from all over Germany routinely sent queries to other cities, asking for detailed information in order to find the best possible solution. A lot of these queries concerned the administrative structure for maintaining a local theater. The archives of the Strasbourg theater contain some thirty-odd requests for facts and figures about the way the Strasbourg theater was run and the cost involved in doing so. The responses of the Strasbourg authorities are as a rule remarkably bland. They consist of a copy of the theater’s budget and a brief indication that the Strasbourg theater is controlled directly by the municipal authority. A particular reason for this state of affairs is never given. Sometimes the response mentions that this system of administration raised artistic standards, but such statements are always followed by the observation that direct control was relatively expensive as well. Not a word was lost on the cultural significance of Strasbourg for the promotion of German culture in the ‘Reichsland’. Indeed, the theater’s archives contain just a single document which unequivocally points to any awareness of the theater’s political and cultural significance. It is a letter of Maximilian Wilhelmi, the theater’s director from 1904 until 1913, to Rudolph Schwander, Strasbourg’s mayor from 1906 until 1918, in which the former states that the Strasbourg theater functioned as a ‘Germanisirungsfactor’.14 This may seem a telling clue about the real agenda of the Strasbourg theater, but the context of the letter provides an unexpected twist. Wilhelmi wrote this letter from his holiday address, commenting on some rumours that the emperor had declined to visit the Strasbourg theater during his proposed visit to the Alsace-Lorraine. His Highness was apparently only willing to reconsider, if the theater would schedule a play in Alsatian dialect, probably Gustav Stoskopf ’s D’r Herr Maire. Now that, Wilhelmi complained, was an outright insult to an institution, “welches in erster Linie berufen ist, eine Kulturmission zu erfüllen, und auch ein Germanisirungsfactor zu sein”. The wording shows quite 14 Wilhelmi to Schwander, 1 August 1906. AMS 180MW14.

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clearly that for Wilhelmi culture came first and ‘germanising’ second. Moreover, if the theater aimed to establish German culture in the ‘Reichsland’, then it did so primarily at the expense of local Alsatian culture and not in an attempt to root out French culture. Another indication that consciously applied cultural politics never dominated theatrical practice in Strasbourg comes from the censor’s registers. Since the ‘Reichsland’ was effectively an anomaly within the German empire’s political structure, with a government dominated by the military and only restricted access to the few national democratic institutions, one might expect that censorship came down hard on theatrical practice. In actual fact, the opposite is true. Only one opera, Offenbach’s La fille du tambour-major, was banned, because it portrayed the French army as liberators and that ban was lifted as early as 1901.15 Occasional remarks in the censor’s registers betray that showing French or German military uniforms on stage touched upon the sensitivities of the authorities. Sometimes audience reaction necessitated additional suppressions, but these were very few and in no way specifically connected to French repertoire. A rare example of censorship in hindsight can be found in an all-time German favourite  : Lortzings Zar und Zimmermann. During a performance of this work in 1892, attended by the imperial governor, Chlodwig, Fürst zu Hohenlohe-Schillingfürst, the police officer on duty noted some commotion when the Zaandam mayor van Bett spoke the words  : “Entweder ist er ein Prinz, oder ein Spitzbube  ; dazwischen giebt es nichts  !” Apparently some among the audience had smirked at the idea that the imperial governor might be a rascal.16 Asked by the mayor for his opinion, Aloys Prasch, the theater’s director from 1889 till 1892, argued that this phrase had been heard on stage across Germany since 1837 and stressed that van Bett’s remark was repudiated immediately by the widow Brown, who jeers  : “Ihr schwetzt wieder entsetzlich viel dummes Zeug.” In addition, he claimed that this particular remark could hardly be deemed offensive, considering that a comparison of God to a bunch of drunken carpenters featured among the other jokes in the text.17 Otto Back, Strasbourg’s mayor 15 Hoffmann, „Scènes du conflit“, 250. See also the censor’s registers in the Archives Départementales de Bas-Rhin (hereafter ADBR), 152D25–29. 16 Police report, 8 February 1892. AMS 180MW5. 17 Aloys Prasch to Otto Back, [February 1892]. AMS 180MW5.



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from 1887 until 1906, was not impressed by these arguments and ordered that this line remain suppressed. After 1900 the role of censorship gradually petered out. Only on a few occasions the censor demanded the suppression of the Marseillaise, but when that happened the censor’s office showed a remarkable inconsistency. During the 1912–1913 season the French anthem had to be removed from Bogumil Zeppler’s operetta Monsieur Bonaparte, but its quotation in Wilhelm Kienzl’s Der Kuhreigen apparently did not pose any problem. The Strasbourg press reacted with editorials that condemned these actions as ridiculous and completely unnecessary.18 In fact, the most high-profile ban in later years hit a German play, Arthur Dinter’s Das eiserne Kreuz, which glorifies the 1813 ‘Völkerschlacht’. Mounting such a piece in the Alsace, the Strasbourg authorities argued, would be a senseless provocation. The role of money

On 27 November 1920 the theater committee convened to discuss the theater’s poor financial situation and vented its disappointment over the paltry financial backing from Paris. Instead of the promised annual subvention of 45.000 Francs something in the region of 300.000 Francs was needed to maintain quality standards of production. The national government, the committee remarked, should follow the example of the German authorities, who considered the theater a valuable propaganda tool and funded it accordingly  ; a plea that might not have gone down very well in Paris.19 Anyway, it is clear that the committee interpreted the German financial involvement as a political strategy. The correctness of that interpretation is dubious at best. It cannot be denied that during the ‘Kaiserzeit’ the Strasbourg municipal theater had had a lavish budget, especially after the takeover by the city. In 1886 municipal authorities backed the theater with an annual subsidy of 30.000 Mark  ; before the outbreak of the Great War that sum had increased to 220.000 18 Straßburger Bürgerzeitung, 28 December 1912  ; Der Elsässer, 30 December 1912. 19 Meeting of the theater committee, 27 November 1920. AMS 180MW27.

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Mark, despite two reorganisations expressly aimed at cost reduction.20 The reason behind this spending was not political, but practical. The imperial governor’s 1886 decision to back the theater financially came not only with the proviso that the city remain in charge, but also with the condition to engage the personnel needed for the production of large operas. Considering that the imperial governor was ready to put an annual subsidy of 40.000 Marks at the theater’s disposition, it was no surprise that the Strasbourg authorities accepted his conditions. In 1886 the total cost for the theater was 160.000 Marks per year. The city paid 30.000 Marks, received 20.000 Marks from a special local foundation, while the rest had to be financed by the theater’s revenues. These figures reveal that the imperial governor’s contribution was quite substantial at the time it was granted, but soon the sum would be dwarfed by other costs because of the conditions attached. The Strasbourg municipal theater had been destroyed during the Franco-German war, which meant that all music materials and the stock of sets and props had perished as well. An exact copy of the building was finished by 1873 and theatrical production resumed that year. As was usual at the time, a theatrical entrepreneur was contracted to mount a certain number of productions. The conditions of the contract also specified that they had to provide their own stock of performance materials. The sudden regime change during the 1886–1887 season had therefore not only robbed the theater of its director, but produced an acute need to build up a new collection of scores, sets and props. It is therefore completely understandable that one of the theater committee’s first decisions was to spend 17.000 Marks on performance materials for Lohengrin, Die Walküre, Aida, Rienzi and Der Prophet.21 Furthermore, the Strasbourg theater had always been a provincial one, where large operas had never been part and parcel of the repertoire. The promise to schedule such works meant that a lot of extra singers had to be engaged and required an increase in the number of technical assistants as well. Instead of 20 All figures, unless stated otherwise, are taken from the annually published ‘Haupt-Budget’ and ‘Ergänzungs-Budget’ (main budget and additional budget). The only surviving copies, unfortunately incomplete, are preserved in the Strasbourg Municipal Archive, where they still await cataloguing. 21 In order to avoid confusion over the language in which operas and plays were played at the time, their titles are given in German translation.



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calculating the cost of meeting the conditions of the imperial governor’s, the municipal authority had accepted it because it seemed a generous sum, which originally it was. But after a few years it had become a minor contribution, when viewed in relation to the expenses it caused. In 1887 the cost for singers and technical staff accounted for 44 % of the budget  ; in 1913 that had gone up to 75 %. The imperial governor’s generous gift actually turned out to be a recipe for financial disaster. Whereas the budget spiralled out of control, growing from 160.000 Marks in 1887 to a staggering 660.000 Marks in 1914 — orchestra not included –, the imperial governor’s annual contribution remained steady at 40.000 Marks. So what looked like a politically motivated spending frenzy to the theater committee in the 1920’s was in fact a combination of the rather practical need to rebuild the theater’s collection from scratch and an unforeseen financial burden with regard to personnel. The box office compensated only half of the city’s financial effort. The daily box office reports were therefore scrutinized in great detail. Each individual report had to be submitted to the mayor and the members of the theater committee. Considering the financial burden they faced, they had little patience for anything that failed to draw in audiences. The notion of putting on particular pieces for propaganda purposes only was completely unthinkable. The box office reports from the German period have been preserved almost completely.22 They contain nothing to suggest a heightened awareness of the theater’s political significance. For instance, the special performances on the birthday of the emperor were well attended, but rarely drew a capacity crowd. What they do reveal is that opera produced substantially better financial results than plays. As a rule Sunday witnessed the biggest audience attendances and this day was therefore reserved for operas, with the sole exception of Victorien Sardou’s play Madame Sans-Gêne (performed in German, of course) during the 1894–1895 season. Since the audience appreciated diversity in the performance schedule more than anything else, the theater director routinely scheduled different operas on each successive Sunday night, alternating German, Italian and French works. Only particularly successful novelties, like Hänsel und Gretel, earned repeated performances on Sundays. 22 AMS 616MW Nrs. 18–45.

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Reviewing this data the conclusion seems justified that neither the money spent on the theater by the municipal authority, nor the money spent by the Strasbourg population at the box office points to any form of political preoccupation. The repertoire

On 4 December 1920 the Strasbourg theater was sold out for the first Wagner performance since the Great War. In their effort to extinguish the effects of nearly fifty years of German rule, the authorities had proscribed performance of all works from German or Austrian composers — and that included Mozart. (The ban on performance of plays in German remained in place until 1927.) In later years works of Mozart and Wagner were scheduled only occasionally, a strategy that almost single-handedly ruined the theater’s financial situation, because the box office reports of these years attest that especially Wagner’s works still managed to pull in the crowds, something which the regularly scheduled lesser known works of Gounod and Massenet obviously failed to do. But Wagner was considered suspect and the dismay over the first Wagner performance (in French, of course) was almost tangible in the review in the Journal d’Alsace et de Lorraine  : « La rentrée de l’œuvre wagnérienne sur une scène française est un fait trop grave pour que le critique se défende d’émettre une opinion personnelle sur la valeur et la signification de cet événement. J’avoue en toute sincérité que j’étais résolu, avant la reprise de Lohengrin, à risquer timidement mon mot au milieu de la polémique qu’elle pouvait soulever. Mais le public du samedi 4 décembre 1920 a résolu la ‘Question Wagner’ d’une façon tellement péremptoire que la moindre parole serait superflue. A moins de suspecter le loyalisme des Alsaciens qui remplissaient le théâtre de frénétiques applaudissements, il faut s’incliner devant le fait accompli, accepté et approuvé par l’unanimité des intéressés. Et j’ai profondément senti le sentiment intime de cette foule à la fois artiste et française, oubliant la personnalité de l’auteur et se dédommageant des fâcheux souvenirs qui y sont attachés par la jouissance d’art que lui procurait l’audition d’un chef-d’œuvre incontesté. Le débat me semble donc clos et je ne vois rien à y ajouter. »23 23 Journal d’Alsace et de Lorraine, 6 December 1920.



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It is helpful to keep in mind that this particular critic wrote for the Journal d’Alsace et de Lorraine. During the ‘Kaiserzeit’ this paper had established itself as the leading French newspaper in the Alsace and had quietly sought to keep the flame of French culture alight. After 1918 it was one of the few Strasbourg newspapers that had wholeheartedly supported the vigorous reestablishment of French culture imposed by the national government. In view of this, it comes as no surprise that the critic was less than pleased with Wagner performances in Strasbourg, but in view of the audience reaction he had no choice but to put on a brave face and stress that the general enthusiasm was both artistic and French. Admittedly, he had a point about “fâcheux souvenirs” concerning Wagner. The Strasbourg press reviews of opera performances during the ‘Kaiserzeit’ are rife with clichés about the elevated character and seriousness of the Germanic repertoire and often condemn Italian and French opera for being shallow, yet always with the admission that despite their musical superficiality they never lose their charm and still manage to entertain. But press reaction should not be considered the accurate translation of audience response or artistic policies. Any brash propaganda for the German cause was unwelcome, and the sole instance it was tried proved this point exactly. After the beginning of the First World War the Strasbourg theater had remained closed, because continuing with theatrical daily practice in such grave times was deemed improper. As it became clear that the war would not be over soon, the municipal council agreed to reverse this decision under the condition that the programming would reflect the seriousness of the actuality. So when the season got underway on 10 January 1915 with a performance of Fidelio, the opera was preceded by Wilhelm Schmidtbonn’s play 1914. Ein Kriegsvorspiel. Later examples of adapted programming included Die heilige Not by Johannes Wiegand and Wilhelm Scharrelmann, a play with the subtitle “Ein Schauspiel aus den Tagen der deutschen Mobilmachung” and Georg Engel’s Der Hexenkessel. This kind of programming lasted about a month and then had to be abandoned completely because of the outrage it caused with theater audiences that argued that it was bad enough that war was dragging on and that they were in no need to be reminded of this every time they visited the theater. A fairly milder form of propaganda was constituted by the special performances of Germanic repertoire to celebrate the birthday of a composer or to com-

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memorate the first performance of a specific work. These, however, were not exclusively devoted to German composers. The death of Charles Gounod was commemorated with a special theater evening on 1 November 1893. An opening concert featured a selection of his instrumental and vocal music, followed by the third act of Faust­ — albeit with the usual German title Margarethe. Moreover, mocking the elevated character of famous German works was also part of theatrical practice. Nestroy’s old Tannhäuser-Parodie, with music by Karl Binder, remained in the Strasbourg repertoire until 1891. The same season that saw the Strasbourg premiere of Richard Strauss’s Salome, a production that was accompanied by a lot of publicity and that had been realised at enormous expense, necessitating even a special entry in the theater’s budget, also witnessed the production of Bogumil Zeppler’s Salome-Parodie. As indicated in the previous section, the Strasbourg audience preferred diversity in scheduling. It might have been proud of “their” Wagner or Beethoven, but cared nothing for any schedule that featured their works exclusively. The appetite for varied scheduling is best typified by the combination programmes that were quite normal at the time. We encounter Hänsel und Gretel on the same bill with either Die Vogesentanne, by local composer Marie-Joseph Erb, von Suppé’s Die schöne Galathée, Gluck’s Der betrogene Kadi or August Enna’s Das Streichholzmädel. The latter combination was occasionally expanded with the ballet Carnaval, with music by Adolf Steinmann. Marschner’s Der Holzdieb went side by side with Donizetti’s Die Tochter des Regiments and Massenet’s Das Mädchen von Navarra shared the bill with the German-style verismo of Karl Weis’ Der polnische Jude. Flotow’s Alessandro Stradella was played in combination with Theodor Herzl’s comedy I love you or with Bertram Luard Selby’s Das Wetterhäuschen. The latter work was also coupled to Auber’s Fra Diavolo or to the ballet Die Puppenfee. Making combinations of three was also a possibility. So the evening might start with Das Wetterhäuschen, continue with Jenö Hubay’s Der Geigenmacher von Cremona and finish with Cavalleria rusticana. On another evening the latter two works were played, with a ‘Spanish ballet’ in between. Albert Gorter, the theater’s principal conductor from 1904 until 1910, conducted his own opera Der Paria, continued with Cavalleria rusticana and concluded the evening with Weber’s ballet Aufforderung zum Tanz. Cavalleria rusticana also appeared side by side with Brüll’s Das goldene Kreuz or von Suppé’s Flotter Bursche.



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Its “usual” counterpart, Der Bajazzo, was occasionally joined to Julius Greber’s farce Der Eintagsleutnant. Even special festive performances occasionally failed to live up to any standards of unified Germanic programming. The 1914 celebration of the emperor’s birthday started with Wagner’s Kaisermarsch, continued with Schiller’s Wallensteins Lager and was concluded by Der Bajazzo. And while there is no denying that the combination of Bajazzo with Cavalleria rusticana soon became quite popular in Strasbourg as well, it may come as a surprise to find that the second most popular combination was Cavalleria rusticana with Hänsel und Gretel, which was scheduled in three different seasons. Such practices clearly indicate that we need to be very apprehensive about inferring anything about audience makeup or reception based solely on the national origin of any repertoire and its supposedly national characteristics. The audience

There are no data available about the makeup of the Strasbourg theater audience other than attendance records — the box office reports — so we have to rely on the few clues that other source materials provide. The single document that directly discusses the composition of the audience was written on occasion of a very special performance which took place on 8 May 1909. It was hosted by the Strasbourg choir Union chorale and was according to the official programme a “Grande soirée de gala … au Théâtre Municipal au profit du monument de Wissembourg. Aux soldats français morts pour la patrie”. (The very fact that this event was authorised once more underlines that the notion of one-sided German repression of French culture in the Alsace is unbalanced, to say the least.) The programme, executed in French, contained mainly opera fragments from Berlioz, Massenet and Gounod. Magnanimous though their consent might have been, the German authorities were concerned over the outcome and sent a detective, whose report was dispatched to the imperial governor.24 The report contained information about the composition of the audience — “ausschliesslich Altelsässer aus den oberen und mittleren Kreisen des Bürgerstandes  : Aertze, 24 Police report, 11 May 1909. ADBR 27AL280.

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Notare, Brauereibesitzer, Grosskaufleute, Klein-Geschäftsleute, Rentner, bessere Handwerker, namentlich aber auch viele Juden” — and their behaviour, especially during the intermissions, which he considered to be very Parisian, especially walking around “in Frack mit dem Hüte auf dem Kopf und dem Stock in der Hand”. He contradicted newspaper coverage that had claimed that the entire old Alsatian aristocracy had turned up. It is quite possible that these people normally stayed away from the theater on principle, as a silent protest against what they probably considered German cultural indoctrination. Possibly they did attend the six to eight French performances scheduled each season. These were also luxury evenings with relatively high ticket prices. Prices were not raised as a deterrent, but in order to secure some small revenue for the theater, since the take for the often quite famous visiting artists rarely left anything much for the box office. It would be wrong to conclude that these performances drew a similar exclusive audience as well. A report from one of the cashiers indicates that season-ticket holders usually bought the less expensive places, because they were unwilling to pay the increased amount for their customary seats.25 This would indicate that a Francophile elite booked the best seats for the French performances, which were always excluded from the season-ticket, whereas the regular theater goers contented themselves with the less expensive ones. The old Alsatian aristocracy may have boycotted the theater out of sympathy with France, but what of the less well-to-do part of the Francophile Alsatian population  ? Two factors suggest that they were quite prepared to visit the theater. The first is the activity of the Strasbourg socialist leader and journalist, Jacques Peirotes, whose party had successfully campaigned for special people’s performances, with tickets sold at minimum prices. Peirotes was also a staunch Francophile, who in 1919 would become Strasbourg’s new mayor, notwithstanding his involvement in municipal politics during the ‘Kaiserzeit’. A passionate theater goer himself — his father worked in the municipal theater as a stage assistant — he repeatedly stressed that the entire population of Strasbourg ought to visit the theater regularly. Considering his political and cultural orientation, that must have included the Francophile part of the population as well. 25 Cashier report, March 1902. AMS 180MW9.



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The second reason comes from quite another source, the internal censorship at the theater. The authorisation of the censor did not mean that pieces were played in their entirety. Those responsible for the production would go over the text again and omit anything that in their opinion might be inflammatory or improper. Die Rose von Straßburg, the last opera of the Alsatian composer Viktor Nessler offers a fine example. The opera had been conceived by its author as an ode to his beloved hometown and received its Strasbourg premiere on 8 March 1891, a few months after the composer’s death. Nessler’s swan song was a boisterous affair, brimming with brazen statements about the intensely German character of the Alsace and its capital. In itself, that might have been quite offensive for the pro-French part of the population. It is remarkable, however, that all disparaging lines about France were suppressed by Aloys Prasch, then the theater’s director. It was all right to exalt German characteristics, but ridiculing the French opponents clearly went too far. Phrases like “Grad hundert Jahre sind verflossen, / seit Straßburg mit den Eidgenossen / die Wälschen bei Gransee droben geschlagen” or “Vor guten alemannischen Streichen / Von je der Wälsche mußte weichen” were suppressed.26 Even the well-known Zar und Zimmermann required some small corrections. When the mayor van Bett learns that the French ambassador is getting involved in the search for the true identity of the mysterious Russian Peter, he remarks  : “Das Volk muß seine Nase doch in alles stecken.” Not in Strasbourg though  ; in all performance materials in the theater’s library this phrase is crossed out. Such deliberate attempts not to offend any Francophile theater goers make sense only if one supposes that they made up a substantial part of the audience. There is good reason, therefore, to presume that during the ‘Kaiserzeit’ audiences in the Strasbourg municipal theater contained people of extremely divergent political and cultural backgrounds. Conclusion

In The truce Primo Levi relates how he and his French comrade Charles, both having survived the horrors of Auschwitz, are transported into a transit camp 26 V. Nessler, Die Rose von Straßburg [Textbook used for the production], Strasbourg 1890. Library of the Théâtre municipal de Strasbourg  ; no signature.

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for survivors. Together they are led to a Russian barber, who, upon learning that they are Italian and French, remarks  : “Italiano Mussolini … Fransé Laval” and indicates by gesture that instead of shaving them, he would prefer to cut their throats. Levi dryly concludes that such incidents only demonstrate “how little general ideas help the understanding of individual cases”.27 That motto might seem particularly unhelpful to music historians, or indeed to any type of historian, but it does contain a truth which deserves attention, because it reminds us that writing (music) history with a top-down perspective may be a recipe for scientific blunders. With reference to the Alsace the point is difficult to miss. Instead of taking for granted that during the late 19th and early 20th century social, political and cultural life in the Alsace was a charred battleground where conflict was rife and everything was drenched in bitter antagonism between Germany and France, we may step aside, evaluate the available source material and feel free to come to different conclusions. German rule in the Alsace during the ‘Kaiserzeit’ certainly did not define itself solely in terms of compassion, sensitivity and circumspection, but that does not imply that the Strasbourg municipal theater was affected as well. Cultural politics played a part, although a modest one, and never consisted of one-sided repression. Such a conclusion may seem a bit problematic. In the first place it smacks of musicological ignorance, as it seems to perpetuate the idea that music is “just the music itself ” and apparently ignores the ongoing project of deconstructing the image of a universal classical music that hovers way above earthly matters like national, political and social identities. The “germanness” of this concept has been exposed and the ideas behind “musical idealism” have been subjected to critical analysis as well. Nevertheless, it would be a serious failure to deny that this very concept and its self-proclaimed idealism used to be taken for granted and actually managed to function quite well in social and artistic life. Its critical analysis may have ensured that we are no longer blinded by it, but if we fail to recognize its important role in the past, we throw away the baby with the bathwater. Second, the conclusion may appear to be rather lacklustre. No heated debate, but an unappealing image of calmness. Such images, I would surmise, would emerge a lot more often if we study the role of opera in society really as a 27 P. Levi, If this is a man. The truce, Translated by S. Woolf, London 1988, 196.



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societal phenomenon, accept that cultural politics constitute only a part of that picture and pay just as much attention to financial, social and artistic considerations. It would permit us to accept that the ‘cultural authority’ of the Strasbourg municipal theater during the ‘Kaiserzeit’ should be defined in terms of friendly communication between opponents  : as a place where staunch Francophiles and proud German nationalists actually managed to get on with each other rather well.

Martina Grempler

Hauptstadt des italienischen Königreichs Die römische Theaterlandschaft vor dem Hintergrund der politischen und urbanen Veränderungen im 19. Jahrhundert

Die „Römische Frage“

Die Stadt Rom zeigt Besonderheiten, die kaum ein anderer Ort dieser Welt aufweist. Zum einen ist sie als Papstsitz das Zentrum der katholischen Religion, und mit dem Vatikan liegt im Herzen der Stadt ein eigener souveräner Staat. Gleichzeitig bildet Rom die Hauptstadt des Staates Italien und den Sitz der italienischen Regierung. Diese heutige Situation ist das Ergebnis von politischen Entwicklungen vornehmlich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die für die Stadt gravierende urbane und ökonomische Veränderungen mit sich brachten. Diese Entwicklungen gilt es im Folgenden zu skizzieren und ihren Einfluss auf das römische Opernleben zu beleuchten. Die römische Theaterlandschaft erlebte als Folge der äußeren Umstände im späten Ottocento einen Umbruch, bei dem das alte System der untereinander konkurrierenden Adelstheater abgelöst wurde durch ein auf modernem kommerziellen Denken basierendem Handeln einer neuen Generation von Theaterbesitzern und Theaterleitern, die jedoch gleichzeitig in die kommunalen Strukturen einer im Fokus des nationalen Interesses stehenden Stadt eingebunden schienen. Die entscheidende Zäsur in der Geschichte Roms bildeten dabei die Jahre 1870/71. Am 20. September 1870 zogen die Truppen des Königreichs Italien nach kurzem Kampf durch die Porta Pia in die Stadt und beendeten endgültig die viele Jahrhunderte alte Herrschaft der Päpste über Mittelitalien. Die Eroberung Roms war eine direkte Folge der Niederlage Frankreichs im Konflikt mit  Zur Geschichte Roms im 19. Jahrhundert siehe u.a. F. Bartoccini, Roma nell’Ottocento. Il tramonto della „città santa“ nascita di una capitale, Bologna 1985. Als bedeutender Zeitzeuge sei hier nur Ferdinand Gregorovius genannt (Römische Tagebücher).

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Preußen, die für Deutschland zur Begründung des Kaiserreichs führte. Frankreich hatte in Rom seit der Revolution von 1848/49 Truppen stationiert und sicherte so die brüchige weltliche Macht des Papstes. Auf der anderen Seite stand gerade dieses Land unter Napoleon III. gewissermaßen Pate bei der Entstehung des italienischen Nationalstaats, denn ohne seine Unterstützung wäre der erfolgreiche Verlauf der Einigungskriege 1859–1861, die bereits den Anschluss von Teilen des Kirchenstaats an das neue Königreich mit sich brachten, kaum möglich gewesen. Auf Rom selbst musste Italien aus Rücksicht auf den französischen Bündnispartner für ein Jahrzehnt zunächst verzichten und damit auf einen aus historischen Gründen ungeheuer symbolträchtigen Ort. Rom war nicht nur seit der Spätantike das Zentrum der katholischen Kirche, sondern auch der ehemalige Mittelpunkt eines antiken Weltreichs, worin Monarchisten wie Republikaner Vorbilder finden konnten. Die „ewige Stadt“ war nicht nur ein realer Ort, an dem die alten Bauten und Ruinen von der Vergangenheit der Stadt zeugten, sondern auch eine Idee, die im Verlauf der Historie von unterschiedlichster Seite verfolgt wurde, man denke nur an die Krönungen der mittelalterlichen Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation oder an den Antikenkult unter Napoleon Bonaparte. Für führende Männer des Risorgimento wie Giuseppe Mazzini oder Giuseppe Garibaldi spielte die Stadt in Form des Traums von einem „Dritten Rom“, einem Rom des Volkes und Hauptstadt einer modernen Republik, ebenfalls eine zentrale Rolle. Mit der Eroberung Roms, dieses kleinen, aber wichtigen Restes des ehemals vom Papst regierten Territoriums, durch das Königreich Italien kam dessen territoriale Gestaltung 1870 zu einem Abschluss. Damit erwies sich die sogenannte „Römische Frage“ jedoch nicht als gelöst, sondern es ergaben sich neue Probleme, mit denen die italienische Gesellschaft noch lange zu kämpfen haben sollte. Es ging dabei letztlich um das Verhältnis des Oberhaupts der katholischen Kirche zum Staat Italien, das durch die Annektierung der päpstlichen Gebiete und die antiklerikale Haltung von Teilen der Nationalbewegung erheblich be Siehe dazu  : A. Giardina, A. Vauchez, Il mito di Roma. Da Carlo Magno a Mussolini, Rom – Bari 2000.  Aus der umfangreichen Literatur zur „Römischen Frage“ sei nur zitiert  : G. Seibt, Rom oder Tod. Der Kampf um die italienische Hauptstadt, Berlin 2001 (mit ausführlicher Bibliographie).



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lastet erschien. Formal bestanden die Herrschaftsansprüche des de facto ab Herbst 1870 auf den Vatikan beschränkten Papstes für den gesamten früheren Kirchenstaat weiter, und die teilweise vehemente Opposition der Kirchenführung gegenüber dem neuen Italien bewirkte einen tiefen Riss innerhalb der katholischen Bevölkerung der Halbinsel, die ohnehin zu beträchtlichen Teilen die Ideale der Einigungsbewegung nicht mitgetragen hatte. Erst 1929 konnte dieser Konflikt unter dem Ministerpräsidenten Benito Mussolini mit dem Abschluss der Lateranverträge, die den bis heute geltenden Sonderstatus des Vatikanstaats festschrieben, beigelegt werden. Ein zentrales und vieldiskutiertes Problem innerhalb der „Römischen Frage“ hatte stets die Hauptstadtfrage gebildet. Die Einigung war unter Führung der Könige von Piemont-Sardinien erfolgt, und 1860 bestieg ein Mitglied dieser Dynastie den italienischen Thron. König Vittorio Emanuele regierte dabei weiterhin als Vittorio Emanuele der Zweite (von Piemont-Sardinien) und nicht als der Erste von Italien. Regierungssitz blieb zunächst die Hauptstadt von Piemont-Sardinien, also Turin, eine nicht nur angesichts der Lage im fast äußersten Norden des Landes problematische Lösung, die durch die Furcht vor einer piemontesischen oder allgemeiner norditalienischen Dominanz nicht besser wurde. 1865 einigte man sich auf Florenz als Parlamentssitz, was allerdings eine provisorische Lösung bleiben sollte und auch als solche gedacht war, denn bereits seit 1861 gab es einen Parlamentsbeschluss, mit dem das noch zu erobernde Rom als künftige Hauptstadt festgeschrieben wurde. Sobald Rom zu Italien gehörte, lief es sehr schnell auf die Umsetzung dieser Vorgabe hinaus, obwohl es auch, gerade aus dem Ausland, skeptische Stimmen gab, die in der historischen Bedeutung des Ortes und in der Anlage der Stadt  Auch zur Diskussion um „Roma capitale“ existiert – abgesehen von den zeitgenössischen Schriften – von historischer Seite aus zahlreiche Sekundärliteratur, wovon an dieser Stelle genannt seien  : R. Lill, „Hauptstadtprobleme im modernen Italien“, in T. Schieder, G. Brunn (Hg.), Hauptstädte in europäischen Nationalstaaten, München/Wien 1983, 71–86  ; J. Petersen, „Rom als Hauptstadt des geeinten Italien 1870–1914. Politische und urbanistische Aspekte“, in Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 64 (1984), 261–283  ; F. J. Bauer, „Roma capitale  : Geschichtsverständnis und Staatssymbolik in der Hauptstadt Italiens (1870 bis 1940)“, in H. Engel, W. Ribbe (Hg.), Via triumphalis. Geschichtslandschaft „Unter den Linden“ zwischen Friedrich-Denkmal und Schloßbrücke, Berlin 1997, 159–180 (dort auch viele Informationen zur römischen Stadtplanung nach 1870).

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eher eine Belastung für einen modernen Nationalstaat sahen. Schon wenige Monate nach der Eroberung fand im Januar 1871 nach Abhaltung eines Plebiszits die feierliche Proklamation zur Hauptstadt statt. Am 30. Juni desselben Jahres zog die Regierung offiziell um, und nur wenige Tage später nahm König Vittorio Emanuele seinen Regierungssitz im Quirinalspalast, der ehemaligen Sommerresidenz der Päpste, ein. Von der Provinzstadt zur Kapitale

Der neue Status als Hauptstadt eines umfangreichen Königreichs bewirkte gravierende Veränderungen für Rom. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bewegten sich die Bevölkerungszahlen in einer Größenordnung von ungefähr 130.000 Einwohnern, zur Zeit der Nationalstaatsgründung lagen sie bei etwa 200.000. Damit war Rom nur eine unter mehreren größeren italienischen Städten wie Mailand, Venedig, Florenz oder Turin, deutlich kleiner als Neapel, und weit davon entfernt, an europäische Metropolen wie Paris oder London heranzureichen. In Giacomo Puccinis Tosca hört man zu Beginn des letzten Aktes den Gesang eines Hirtenknaben in unmittelbarer Nähe der Engelsburg. Für den vorgeschriebenen Zeitpunkt der Handlung der Oper im Jahr 1800 war dies ein realistisches Szenario, denn Petersdom und Engelsburg standen damals noch relativ isoliert und boten in ihrer unmittelbaren Umgebung Weideplätze für Vieh. Gleiches galt für das Forum Romanum sowie für die Kaiserforen, wo die antiken Reste von Pflanzen überwachsen oder an vereinzelten Stellen seit dem Mittelalter von einfachen Wohnhäusern überbaut waren. Das einstmalige Zentrum der antiken Welt zeigte sich im 19. Jahrhundert vor allem in pittoresk bewucherten Baudenkmälern, während die teils baufälligen Kirchen und Paläste Roms an die vergangenen großen Zeiten des Papsttums in der Renaissance und im Barock erinnerten. Die „Stadt der sieben Hügel“ konnte zu diesem Zeitpunkt eher als Stadt unterhalb der Hügel bezeichnet werden, denn das gesamte Gebiet auf dem  Vgl. Petersen, „Rom als Hauptstadt“, 261–262. Im Zusammenhang mit diesen Fragen wird stets der Begriff von der „unvermeidlichen Hauptstadt“ genutzt.  Zum Vergleich  : London hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits über zwei Millionen Einwohner.



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Esquilin, dem Viminal und den anderen Erhebungen bot zwar viele Weinberge, aber abgesehen von den Ruinen und von einzelnen Villen oder Kirchen wie Santa Maria Maggiore nur wenige Bauten. Dieses spärlich besiedelte Gelände ging außerhalb der eigentlichen Stadtgrenzen in ein fast menschenleeres, malariaverseuchtes Niemandsland über. Mit der Erhebung zur Hauptstadt Italiens verlor Rom zwar nicht seinen Museumscharakter, durchlebte jedoch einschneidende Änderungen des Stadtbilds, unter anderem eine Ausdehnung auf Gegenden, die seit der Antike nicht mehr besiedelt waren, und auf Bereiche jenseits der alten Aurelianischen Stadtmauern. Eine neue Kaste von Politikern sowie Geschäftsleute aus allen Gegenden Italiens suchten sich ihren Platz. Die Bevölkerung stieg sprunghaft an und lag um 1900 schon bei über 400.000 Einwohnern. Nicht nur das elegante Wohnviertel Prati, mit dem die gesamte Umgebung nördlich des Petersdoms zur urbanen Zone wurde, entstand wesentlich in den Jahrzehnten nach der Nationalstaatsgründung, gerade auch auf den Hügeln bildeten sich neue Bezirke, insbesondere der Stadtteil zwischen dem Kapitol und dem jetzigen Hauptbahnhof Termini mit der Via Nazionale als Achse. Diese Gegend, die sich mit dem Areal um die Piazza Barberini und die legendäre Via Veneto weiter fortsetzt, kann wohl als das Herzstück des neuen Rom bezeichnet werden. Dort entstand mit der Piazza della Repubblica auf dem durch die Anlage der antiken Thermen des Diokletian vorgegebenen runden Grundriss ein Beispiel für ambitionierte Architektur des späten 19. Jahrhunderts. Aus der Zeit nach 1870 stammen viele der Gebäude links und rechts der Via Nazionale, dazwischen finden sich immer wieder Überreste aus der Antike, darunter einige der schönsten frühchristlichen kleinen Kirchen, wie San Vitale, deren Eingang um mehrere Meter unter dem heutigen Straßenniveau liegt. Die Via Nazionale selbst war bereits kurz vor der Eroberung Roms angelegt worden, um den 1868 gebauten Bahnhof mit dem Stadtzentrum zu verbinden, wurde aber erst danach bis zur Piazza Venezia verlängert. Sie hieß zunächst Via Mérode, nach dem früheren päpstlichen Kriegsminister, dem weite Teile dieser Gegend gehörten, die er im Februar 1871 an die römische Kommune ver Das überdurchschnittlich schnelle Bevölkerungswachstum hielt während des 20. Jahrhunderts an. Heute sind es etwa 3 Millionen Einwohner. Eine Tabelle dazu bei Petersen, „Rom als Hauptstadt“, 265.

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kaufte. Der Umbenennung kam gleichsam programmatische Bedeutung zu, auch weil die links und rechts von der Via Nazionale abgehenden Straßen die Namen von Städten wie Via Milano oder Via Palermo tragen und somit für die italienische Einigung stehen. Der Bau eines Opernhauses als zeitgemäßes Unternehmen

Vor diesen Hintergründen kann es kaum verwundern, dass das jetzige Opernhaus Roms nicht in der architektonisch von der Zeit des Mittelalters bis zum Barock geprägten eigentlichen Innenstadt zu finden ist, sondern in jenem nach der Nationalstaatsgründung geprägten Viertel auf dem Viminal. Das den Namen Teatro Costanzi10 führende Gebäude befindet sich etwas versteckt in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Termini in Richtung der Via Nazionale. Es liegt zwischen der Via Firenze und der Via Torino, also (wohl zufällig) gerade zwischen den beiden Straßen, die nach den Städten benannt sind, die vor Rom für kurze Zeit Hauptstädte Italiens waren. Der Verkehrsachse Via Nazionale zugewandt ist hingegen nicht etwa die Fassade des Opernhauses, das an der eher reizlosen kleinen Piazza Gigli steht, sondern die eines Hotels. Das Hotel Quirinale ist mit dem Opernhaus durch einen Gang verbunden und diente über Jahrzehnte als bevorzugte Unterkunft für die in Rom gastierenden Künstler. Schon bei der Entstehung des am 27. November 1880 mit Gioachino Rossinis Semiramide eröffneten Teatro Costanzi spielte das Hotel eine nicht unwichtige Rolle.   Dazu Petersen, „Rom als Hauptstadt“, 273. Der Vertrag der Kommune mit De Mérode wurde zum Muster für die Übergabe des Grundbesitzes in den zur Bebauung vorgesehenen Gebieten. Das Areal um die obere Via Nazionale bestand zu weiten Teilen aus einem Park, der Villa Strozzi.   Gleiches gilt für die Umbenennung der Via Pia (Pius IX. war der Name des 1870 amtierenden Papstes) in die Via XX Settembre. Auch zahlreiche andere italienische Städte haben eine Straße mit diesem Namen, der an die Eroberung Roms erinnert. 10 Zur Geschichte des Costanzi  : V. Frajese, Dal Costanzi all’Opera. Cronache, recensioni e documenti, 4 Bde., Rom 1977, sowie Pressebüro des Teatro dell’Opera (Hg.), Il Teatro dell’Opera di Roma, Roma 1989. Frajese informiert ausführlich über die Grundstücksverhältnisse in der Gegend, wo das neue Opernhaus entstehen sollte, und über dessen Baugeschichte.



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Der Name des Theaters leitet sich von Domenico Costanzi ab, auf dessen Idee der Neubau zurückging und der ihn auch realisierte. Costanzi kam in den 1850er Jahren aus den Marken nach Rom und fand sein Geschäftsfeld in der Errichtung und Leitung von Hotels, sowieso ein Desiderat für die Pilgerstadt Rom und nach der Erhebung zur Hauptstadt ein umso lukrativeres Geschäft mit Zukunft. Eine der von ihm erbauten Herbergen war das allein schon aufgrund seiner Nähe zum Bahnhof günstig gelegene Hotel Quirinale, das 1875 eröffnete. Die Behauptung, dass in Rom das Opernhaus zum Hotel gebaut worden sei und nicht umgekehrt, hat in jedem Fall einen wahren Kern, wenngleich Costanzi sicher noch andere Motive für sein Projekt hatte. Die schnell wachsende Bevölkerung in den neuen Stadtvierteln verlangte nach kulturellen Angeboten, für die man nicht die Fahrt in die Innenstadt unternehmen musste, und in der Tat entstanden in der Nähe des Teatro Costanzi mit dem Teatro Eliseo und dem Nazionale wenig später weitere Theater. Das Teatro Costanzi wie das Hotel Quirinale zeugen somit von der Aufbruchsstimmung im Rom des späten 19. Jahrhunderts sowie von der Geschäftstüchtigkeit der römischen Neubürger. Im Gegensatz zu Paris wurde am Tiber weniger eine bestehende Metropole intern verändert, sondern es wuchsen jenseits der Grenzen der mittelalterlichen Stadtteile (Zentrum, Borgo, Trastevere) neue Viertel, die zu einer erheblichen Erweiterung der Innenstadt führten. Die Entwicklung zur modernen Metropole setzte in Rom relativ ruckartig ab Ende 1870 ein, denn die städtebaulichen Fragen wurden unmittelbar mit diesem Datum vehement in Angriff genommen. Obwohl sich manche Veränderungen schon etwas länger angebahnt hatten (zumal im letzten Jahrzehnt der päpstlichen Herrschaft deren Ende angesichts der politischen Entwicklungen vorauszusehen war), so konzentrierten sie sich doch auf die letzten dreißig Jahre des 19. Jahrhunderts. Rom „verschlief“ gewissermaßen die Epoche, in der andernorts in Europa die Urbanisierungs- und Industrialisierungsprozesse bereits in vollem Gange waren, um dann zu versuchen, dies in kurzer Zeit aufzuholen, was angesichts der historisch gewachsenen Strukturen der Stadt kein leichtes Unterfangen war und vielleicht nie wirklich gelungen ist.11 All diese Entwick11 Eine Industriestadt ist Rom nie geworden, sie blieb eine Verwaltungsstadt, für die oft der Begriff „parasitär“ gebraucht wurde. Petersen, „Rom als Hauptstadt“, 270 spricht von einer „Urbanisierung ohne Industrialisierung“.

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lungen blieben nicht ohne Einfluss auf die römischen Theater, deren Geschichte im 19. Jahrhundert die immensen Umbrüche reflektiert, teilweise aber auch erstaunliche Kontinuitäten zeigt sowie theaterpolitische Grundprobleme, die bis heute aktuell und viel diskutiert (jedoch ungelöst) sind. Die römischen Theater vor 1871

Mit dem Teatro Costanzi hatte Rom ein Opernhaus, an das der Anspruch eines „Hauptstadttheaters“ zumindest gestellt werden konnte. Dieser Gedanke war nicht neu, denn schon lange vor 1871 fand sich immer wieder die Forderung nach einem Theater, das der Hauptstadt des Kirchenstaats würdig sein solle („degno di una capitale“).12 Dies bedeutete, dem Publikum Sänger von Rang, eine kostbare Ausstattung auf der Bühne und modernen Ansprüchen genügende Theatergebäude zu bieten, was mit der Realität der römischen Bühnen nicht unbedingt übereinstimmte. Die Opernlandschaft Roms im 18. und 19. Jahrhundert unterschied sich von anderen Städten dadurch, dass es ein eindeutig führendes Theater („teatro massimo“13) nicht gab. Während etwa Neapel mit dem Teatro San Carlo, Mailand mit der Scala, Venedig mit La Fenice und Florenz mit La Pergola bereits seit dem 18. Jahrhundert ein solches erstes Haus am Platz besaßen, existierte in Rom ein überaus lebendiges Theatersystem mit bis zu sieben gleichzeitig aktiven Opernhäusern, von denen mehrere um die Führungsrolle konkurrierten.14 12 Der Begriff taucht in den Theaterdokumenten der Zeit mehrfach auf. Dieses Zitat nach  : „Considerazioni della Deputazione dei pubblici Spettacoli relativamente alla istanza del S.r Vincenzo Iacovacci, letta nella Serata del 23. cor.te Maggio 1838“, in I-Rasc, Archivio presidenze e deputazioni, b. 5 (pubblici spettacoli), cart. XXIV/98. 13 Dieser Ausdruck fand ebenfalls bereits in den zeitgenössischen Dokumenten Verwendung und ist in der italienischen Sekundärliteratur üblich. 14 In Rom entstanden im 17. Jahrhundert als öffentliche Opernhäuser das Teatro Tordinona (später Apollo), Alibert (auch Delle Dame) und Capranica. Im 18. Jahrhundert kamen das Teatro Valle und das Argentina hinzu. Daneben spielten das Teatro Pace und das Pallacorda zeitweise Oper. Grundlegendes zu den römischen Theatern bieten mehrere Aufsätze in B. M. Antolini, A. Morelli, V. Vita Spagnuolo (Hg.), La musica a Roma attraverso le fonti d’archivio. Atti del convegno internazionale Roma 4–7 giugno 1992, Lucca 1994. Siehe außerdem die verschiedenen Beiträge von B. M. Antolini, v.a.  : „Musica e teatro musicale a Roma negli anni della dominazione francese (1809–1814)“,



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Setzte sich ein Theater als führendes Haus durch, so hielt es diese Position vielleicht maximal für einige Jahrzehnte, niemals jedoch so kontinuierlich wie die genannten Theater in den anderen italienischen Städten. Im Zuge der Veränderungen in der Epoche Napoleons um 1800 gaben mehrere römische Spielorte die Opernproduktion auf. Eine klare Nummer eins hingegen konnte sich weiterhin nicht durchsetzen. Im frühen 19. Jahrhundert herrschte bei der Vergabe des Privilegs für das sogenannte „Teatro regio“, das heißt die Lizenz für die Aufführung von ernsten Opern vor allem in der Karnevalssaison, nicht immer Klarheit, welches Theater vorzuziehen sei.15 Zu dieser Zeit waren noch drei Opernhäuser regelmäßig aktiv (Teatro Apollo, Teatro Argentina, Teatro Valle). Das nahe der Spanischen Treppe gelegene Teatro Alibert diente im 19. Jahrhundert vornehmlich als Räumlichkeit für Karnevalsbälle und spielte im Theaterbereich kaum mehr eine Rolle. 1863, also wenige Jahre vor der Erhebung Roms zur Hauptstadt Italiens, fiel es einem Feuer zum Opfer. Auch das Teatro Capranica, wie das Alibert schon im 17. Jahrhundert Schauplatz für Opera seria und dann eines der wichtigen Theater des 18. Jahrhunderts im ernsten wie komischen Genre, hatte seine ursprüngliche Funktion eingebüßt.16 Regelmäßige Opernaufführungen sind dort bis 1796 dokumentiert, anschließend kaum mehr.17 Am 1. März 1881 markierte eine Vorstellung in Rivista italiana di musicologia 38 (2003), 283–380 sowie „Teatro e musica a Roma nell’Ottocento attraverso gli archivi familiari“, in La musica a Roma attraverso le fonti d’archivio, 237–286. 15 Im 18. Jahrhundert war das führende Theater grundsätzlich der Aufführungsort für die Opera seria. Diese Trennung verwischte zwar im 19. Jahrhundert, war aber immer noch präsent. Obwohl die großen Theater nun auch für komische Opern wie Rossinis Il barbiere di Siviglia oder Donizettis Don Pasquale offen waren, bildeten die ernsten Opern von Rossini bis zu Verdi den Schwerpunkt des Repertoires. Zum vermeintlichen Verschwimmen der Gattungsgrenzen um 1800 siehe C. Siegert, Cherubini in Florenz. Zur Funktion der Oper in der toskanischen Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts, Laaber 2008, 48–52. 16 Zum Teatro Capranica  : E. Natuzzi, Il teatro Capranica dall’inaugurazione al 1881, Neapel 1999  ; G. Pavan, „Il Teatro Capranica (Catalogo cronologico delle opere rappresentate nel secolo XVIII)“, in Rivista musicale italiana 29 (1922), 424–444. Zum Alibert  : A. De Angelis, Nella Roma Papale. Il Teatro Alibert o Delle Dame (1717–1863), Tivoli 1951  ; A. Cerocchi, „Il Teatro Alibert o «Delle Dame» nella seconda metà del Settecento  : struttura e organizzazione“, in P. Pinamonti (Hg.), Mozart, Padova e la »Betulia liberata«, Kg. Padua 1989, Florenz 1991, 395–405. 17 Siehe die Chronologie in Natuzzi, Il teatro Capranica, die allerdings für das 19. Jahrhundert sehr lückenhaft scheint (was am Gesamtbefund, dass das Theater zu dieser Zeit kaum mehr eine Rolle spielte, allerdings nichts ändert).

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von Verdis Ernani das vorläufige Ende dieses Theaters, das im 20. Jahrhundert für längere Zeit als Kino weiter bestand und erst seit wenigen Jahren als Kongresszentrum, teils aber auch wieder als Spielstätte für Opern genutzt wird. Anders erging es den Theatern Argentina und Valle, beide um 1730 erbaut und damit zu einer jüngeren Generation gehörend als die eben genannten Häuser.18 Sie spielten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine recht konstante Rolle innerhalb des römischen Opernbetriebs und gehören heute zu den wichtigsten Sprechtheatern. Das Teatro Valle pflegte schon kurz nach seiner Eröffnung 1727 die Tradition, Opern zwischen den Akten von Schauspielen aufzuführen und hielt daran auch noch fest, als es sich nicht mehr um komische Intermezzi, sondern um die ernsten Werke eines Rossini, Donizetti, Bellini oder Verdi handelte, die sich die Abende mit den Vorstellungen einiger der besten wandernden Schauspieltruppen der Halbinsel teilten. Um 1850 fand eine sich länger andeutende Entwicklung ihr Ende  : Die Realisierung der Opern wurde für das kleine Teatro Valle in szenischer Hinsicht wie bei der Besetzung zunehmend zum nicht zuletzt finanziellen Problem und so bestritt das Sprechtheater immer mehr Spielzeiten allein, bis das Theater letztlich zum Schauspielhaus wurde, das man in den folgenden gut 150 Jahren seiner Geschichte nur noch vereinzelt für Musikaufführungen nutzte. Die Entwicklung des Teatro Argentina vollzog sich dazu nur noch teilweise parallel. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war es neben dem Valle der wichtigste Opernspielort und Schauplatz der Uraufführungen von Rossinis Il barbiere di Siviglia (1816), Donizettis Zoraide in Granata (1824) und von Verdis I due Foscari (1844) sowie La battaglia di Legnano (1849). Ab den 1870er Jahren setzten sich am Argentina neben dem italienischen Melodramma verstärkt Operetten von Jacques Offenbach oder Franz Suppé durch und vor allem in den 1920er und 1930er Jahren dominierten Werke von Franz Lehar und 18 Zum Teatro Argentina M. Rinaldi, Due secoli di musica al Teatro Argentina, 3 Bde., Firenze 1978 sowie G. Trincanti, Il Teatro Argentina, Roma 1971. Zum Teatro Valle siehe M. Grempler, Das Teatro Valle (1727–1850). Opera buffa im Kontext der Theaterkultur ihrer Zeit, Habilitationsschrift Bonn 2007 (Druck in Analecta musicologica in Vorbereitung). Außerdem A. D’Amico, M. Verdone, A. Zanella, Il Teatro Valle, Rom 1998 (v.a. für die Zeit nach 1850)  ; S. Cretarola, „Proprietà e impresa nel Teatro Valle (1818–1844)“, in La musica a Roma, 221–236.



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Emmerich Kálmán den Spielplan, nachdem um die Jahrhundertwende wieder verstärkt die ernsten italienischen Opern und auch Werke Richard Wagners wie Lohengrin (1893) oder die Walküre (1896) aufgeführt worden waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete das Teatro Argentina den Schauplatz für zahlreiche Ballette etwa von Igor Stravinskij, aber auch für Musiktheaterwerke des 20. Jahrhunderts wie Alban Bergs Wozzeck. Seit 1832 gehörte das Teatro Argentina zum Besitz der Familie Torlonia, ebenso wie seit 1820 das Teatro Apollo.19 Die römische Theaterlandschaft war über die Jahrhunderte zu weitesten Teilen eine Angelegenheit des einheimischen Adels gewesen, beginnend mit der zentralen Rolle des Theaters im Palazzo der Barberini im 17. Jahrhundert. In ganz überwiegendem Maße waren Adelsfamilien wie die Sforza Cesarini (Teatro Argentina), die Alibert (Teatro Tordinona und Alibert) oder die Capranica (Teatro Capranica und Valle) die Theaterbesitzer, der Adel bildete einen Großteil des Publikums und er besetzte die von staatlicher Seite übergeordneten Gremien, woran sich während der französischen Herrschaft um 1800 nicht allzu viel änderte. Zwar war Oper noch im frühen 19. Jahrhundert auch an anderen Orten zu einem beträchtlichen Teil an die Adelsschicht gebunden, in Rom erschien diese Stellung aber vergleichsweise noch dominanter sowie autonomer, da es mangels eines weltlichen Herrscherhauses kein Hoftheater gab. Zwar hatten die Päpste und die ihnen unterstellten Regierungsstellen wie der Gouverneur der Stadt Rom oder das Staatssekretariat letztendlich Entscheidungsgewalt in Theaterfragen, das persönliche Interesse eines Papstes an solchen Angelegenheiten war jedoch begrenzt im Vergleich zu dem eines weltlichen Fürsten, für den das Opernhaus ein entscheidender Ort staatlicher Repräsentation war und finanziell an die Staatskasse gebunden erschien.20 In Rom konnten die untereinander bekannten und verschwägerten Familien 19 Grundlegend zum Teatro Apollo A. Cametti, Il teatro di Tordinona poi di Apollo, 2 Bde., Tivoli 1938. Von Cametti auch zahlreiche weitere Veröffentlichungen zu den römischen Theatern v.a. im 19. Jahrhundert. Speziell zu den letzten Jahren des Apollo M. Ruggieri, „Per un teatro nazionale di musica a Roma  : il teatro Apollo tra gestione impresariale e progetti di ‚teatro a repertorio‘ (1881–1888)“, in La musica a Roma attraverso le fonti d’archivio, 345–391. 20 Zum oft zwiespältigen Verhältnis der Päpste zu den römischen Theatern siehe M. Grempler, „‚Per fatto di Principe‘. Zu den Auswirkungen päpstlicher Regentschaft auf die römischen Theater“, in Kongressbericht Päpstliches Liturgieverständnis im Wandel der Jahrhunderte, Deutsches Historisches Institut Rom 2006, Analecta musicologica (im Druck).

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der städtischen Oberschicht dieses Feld weitgehend unter sich aufteilen und dies beförderte die Heterogenität des dortigen Theaterlebens ebenso wie dessen notorische Finanzschwäche, da sich die päpstliche Regierung mit Subventionen mehr als zurückhaltend zeigte. Mit der Monopolstellung der Torlonia wurde dieses System gleichermaßen bestätigt wie verändert. Nach wie vor hielt eine Adelsfamilie das Heft in der Hand, jedoch zählten die Torlonia zu den jüngeren, zunächst weniger bedeutenden „Nobili“ im Kirchenstaat.21 Ihren Aufstieg in der napoleonischen Zeit sowie ihren enormen Reichtum im 19. Jahrhundert verdankten sie Aktivitäten im Bankwesen und in der Bauspekulation. Sie stehen für eine modernere Adelsgeneration, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten der neuen Zeit ebenso nutzte wie die sich wandelnden politischen Umstände (wenn sie diese nicht selbst mitbestimmte). Das Teatro Apollo übernahm nach einem durch Alessandro Torlonia veranlassten Umbau 1831 die Führungsposition unter den römischen Theatern, die es bis in die 1880er Jahre halten konnte. Unter der langjährigen Impresa von Vincenzo Jacovacci gehörte das Theater nicht nur durch die Uraufführungen von Il trovatore (1853) und Un ballo in maschera (1859) zu den bedeutendsten Orten der Verdi-Pflege. Nach der Einigung erhielt das Teatro Apollo als erstes römisches Theater eine Königsloge und übernahm damit inoffiziell die Funktion eines „teatro reale“.22 Das Teatro Costanzi und die altehrwürdige Konkurrenz

Das neu erbaute Teatro Costanzi stand also zunächst hinter dem Apollo zurück und hatte mit dem Teatro Argentina ein weiteres seit langem etabliertes Theater als Konkurrenz, das seine Kapitel in der Operngeschichte bereits geschrieben 21 Vgl. Carpaneto, Le famiglie nobili romane, 269–277. Nach Carpaneto taucht die vermutlich ursprünglich französische Familie erst im 18. Jahrhundert in Rom auf. Marino Torlonias Erhebung zum Baron durch Pius IX. fand 1847 statt. Er heiratete 1821 mit Anna Sforza Cesarini das Mitglied einer Adelsfamilie, die als Besitzer des Teatro Argentina schon seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert von großer Bedeutung für das römische Theaterleben war. 22 Die Begriffe „teatro regio“ (der für eine im Vergleich zu den anderen Theatern der Stadt besonders hohe Qualität des Hauses steht) und „teatro reale“, also Königliches Theater (der eine institutionelle und finanzielle Abhängigkeit vom Herrscherhaus bedeutet) sind voneinander abzusetzen.



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hatte. In den 1880iger Jahren war vor allem das Teatro Apollo der Schauplatz großer Opern und zeigte einen Spielplan von beachtlicher Internationalität.23 Einen hohen Anteil des Repertoires bildeten die Werke Giacomo Meyerbeers mit Dinorah, Les Huguenots, L’Étoile du Nord, Le Prophète und L’Africaine, und die entscheidende römische Spielstätte für die Musikdramen Richard Wagners war in dieser Zeit ebenfalls nicht das Teatro Costanzi, sondern das Apollo. Dort standen Tannhäuser, Lohengrin und Der fliegende Holländer auf dem Programm sowie 1883 der auf Deutsch gesungene komplette Ring des Nibelungen im Rahmen der Europatournee von Angelo Neumann. Im Jahr 1887 allerdings erlitt das Apollo eine Niederlage, als der Verlag Ricordi Verdis Otello an das Teatro Costanzi vergab und zwar kurz nach der Uraufführung an der Scala in der originalen Ausstattung der Mailänder Produktion. Als lang erwartetes neues Werk des Nationalidols Verdi stellte Otello die aktuelle Opernsensation überhaupt dar und verfügte über eine Anziehungskraft, der andere Theater kaum etwas entgegen zu setzen hatten.24 Nur ein Jahr später fiel am Teatro Apollo der letzte Vorhang, eine angesichts des Rangs dieses Theaters nach der Einigung überraschende Entscheidung. Obwohl noch bis in die 1880er Jahre hinein ständig bauliche Verbesserungen vorgenommen wurden, zuletzt mit dem Einbau von elektrischem Licht, opferten die Verantwortlichen der römischen Kommune das Apollo städtebaulichen Maßnahmen. Als der Tiber durch den Bau von hohen Seitenmauern ein festes Bett zugewiesen bekam, um endlich das Problem der häufigen Überschwemmungen zu bewältigen, stand das unmittelbar am Ufer schräg gegenüber der Engelsburg gelegene Teatro Apollo im Weg und musste weichen.25 23 In den 1880ern standen an ursprünglich deutschsprachigen Werken etwa Die Königin von Saba von Karl Goldmark und Beethovens Fidelio auf dem Programm. Daneben ein sehr hoher Anteil an Opern von französischen Komponisten, darunter Faust von Charles Gounod und Hamlet von Ambroise Thomas. Zum Repertoire siehe die Chronologie in Cametti, Il Teatro di Tordinona poi di Apollo, Bd. 2. 24 Siehe dazu Cametti, Il Teatro di Tordinona poi di Apollo, Bd. 2, 595–596. 25 Heute verläuft an dieser Stelle die Straße Lungotevere und nur eine Steintafel erinnert an das Theater. Der Abriss des Apollo hatte schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts mehrfach zur Diskussion gestanden, war aber nie realisiert worden. Dass Rom ausgerechnet im Dezember 1870 eine der schwersten Überschwemmungen seiner Geschichte erlebte, verlieh der Lösung des Problems neue Dringlichkeit.

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Der Beschluss zu seiner Beseitigung fiel bereits in den 1870er Jahren, und somit spielte das „teatro massimo“ der italienischen Hauptstadt in den letzten Spielzeiten seiner Existenz im Bewusstsein des baldigen Endes. Trotzdem behielt es seine Bedeutung fast bis zur letzten Minute bei, nämlich bis zum Jahr 1888, als der Abriss in die Tat umgesetzt wurde. Das Teatro Costanzi als einziges modernes großes Opernhaus lag eigentlich als Nachfolger auf der Hand, war jedoch nicht unumstritten, da es in den Augen der alteingesessenen Römer in der Peripherie lag. Außerdem war es immer noch das Privattheater des Nichtrömers Costanzi, das in seinem Anspruch zwischen Eliteopernhaus und Theater für das breite Volk schwankte.26 Domenico Costanzi hatte schon seit dem kostspieligen Bau seines Theaters viel Zeit in die Verhandlungen mit der Stadtverwaltung investiert und versuchte in den 1880er Jahren sogar, das Theater an die Kommune zu verkaufen, die inzwischen das Teatro Argentina besaß und das Apollo in Erbpacht führte. Letztlich kam es jedoch nicht zum Verkauf und ebenso wenig zum zeitweise angedachten Bau eines neuen Opernhauses mit nationalem Anspruch in der Innenstadt als Ersatz für das Teatro Apollo. Die Verantwortlichen der Stadt beschlossen stattdessen eine Renovierung des Teatro Argentina, das damit nach dem Abriss des Apollo zumindest in der Theorie dessen Position als führendes Theater der Hauptstadt übernahm. Der Gedanke an ein königliches Opernhaus, mit anderen Worten der Ruf nach finanzieller Verantwortung des Staates, stand dabei ständig mit im Raum, konkretisierte sich aber nicht weiter. Gleiches galt für die Forderung nach Einführung eines Repertoiretheaters, die in der römischen Presse jahrelang diskutiert wurde.27 26 Nach Costanzis Willen sollte sich das Theater wohl zunächst an den Mittelstand richten, blieb aber letztlich „una sorte di compromesso tra il teatro popolare e quello d’élite“ (P. Guzzi, Il teatro a Roma. Tre millenni di spettacolo, Rom 1998, 168 sowie fast wörtlich P. Staccioli, I teatri di Roma dal Rinascimento ai giorni nostri, Rom 1997, 42). Vor Staccioli und Guzzi verwendete schon S. Rinaldi, „Il Teatro Costanzi (1880–1926)“, in Il Teatro dell’Opera di Roma, Rom 1989, 13 den Satz vom „compromesso tra un teatro d’‚élite‘ e un teatro popolare“, allerdings bezogen auf die Gesamtheit der römischen Theaterlandschaft nach 1870  : Demnach gab es im Stadtzentrum wie in Trastevere mehrere ältere wie neu erbaute Theater mit volkstümlichem Charakter, die etwa Dialekttheater spielten. Bedenkt man noch die weitere Existenz der alten Opernhäuser, so machte die Ausrichtung auf die Zielgruppe Mittelschicht in der Tat Sinn, zumal vor dem Hintergrund der römischen Bevölkerungsentwicklung, gerade in den neuen (groß)bürgerlichen Stadtvierteln. 27 Detailliert Auskunft zu all diesen Diskussionen, insbesondere auch zu den Verhandlungen der



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Letztlich blieb vieles beim Alten  : Rom hatte nach wie vor kein eindeutiges erstes Opernhaus am Platz, die Konkurrenz zwischen mehreren Häusern, nun das Costanzi und das Argentina, und damit der Kampf um Subventionen existierte weiter. Mehrere Modelle wurden diskutiert, jedoch nicht verwirklicht. Die politischen Verantwortlichkeiten hinsichtlich der Theater hatten zwar gewechselt, trotzdem blieb vieles privater Initiative überlassen. So war es auch die Tätigkeit eines norditalienischen Geschäftsmannes, die dem Teatro Costanzi zu einem individuellen künstlerischen Profil verhalf. 1888 gewann Costanzi als Theaterdirektor Eduardo Sonzogno, und dieser setzte seinen Akzent auf die von ihm als Verleger vertretenen Komponisten der Giovane scuola italiana. Aus einem von Sonzogno ausgeschriebenen Kompositionswettbewerb ging bekanntlich Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana hervor, die am 17. Mai 1890 am Teatro Costanzi ihre sensationelle Uraufführung erlebte und zum Prototyp einer aktuellen Form von Musiktheater wurde. Mit dieser Premiere gelang dem Theater erstmals ein wirklich übernationaler Erfolg und bedeutender Beitrag zur Operngeschichte. Genau ein Jahrzehnt später folgte mit der Uraufführung von Puccinis Tosca ein weiteres weltweit beachtetes Ereignis. Das Teatro Costanzi übernahm damit allmählich stillschweigend die Führungsrolle unter den römischen Bühnen, die man ihm in den ersten Jahren seiner Existenz nicht zuerkennen konnte und wollte. Nach dem Tod von Domenico Costanzis Sohn Enrico 1907 übernahm für einige Zeit eine Aktiengesellschaft, die Società teatrale internazionale, das Theater. 1926 erwarb die römische Stadtregierung das Teatro Costanzi, das nach einem Umbau zwei Jahre später unter dem Namen Teatro reale dell’Opera wieder eröffnete.28 Damit gestand man erstmals einem Theater der italienischen Hauptstadt offiziell den Titel eines königlichen Opernhauses zu und nahm mit dem Eröffnungsstück, Arrigo Boitos Nerone, Bezug auf die antike Vergangenheit der Stadt. Theater mit der Kommune, gibt der Aufsatz von Ruggieri, „Per un teatro nazionale di musica a Roma“. 28 Nach dem Zweiten Weltkrieg, der für Italien das Ende der unter Mussolini offiziell weiterbestehenden Monarchie brachte, änderte sich der Titel in Teatro dell’Opera. Seit dem Jahr 2000 ist dies der Name der Institution, während das Theatergebäude wieder in Teatro Costanzi umbenannt wurde.

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Dem Anspruch eines führenden Operntheaters für ganz Italien konnte das Teatro Costanzi jedoch auch unter dem neuen Namen nie wirklich gerecht werden. Es blieb in gewisser Weise ein Newcomer unter den geschichtsträchtigen Theatern des traditionsbewussten Landes. Das alljährlich landesweit beachtete Opernereignis ist bis heute die Eröffnung der Mailänder Scala und ohne Zweifel ist es dieses Haus, das in der öffentlichen Wahrnehmung den Status des nationalen Opernhauses und der Kultstätte einer genuin italienischen Operntradition an erster Stelle ausfüllt.

Philipp Ther

Die Oper als Quelle der Geschichte Die Erfahrung des Tanzens lehrt, dass zu viele Drehungen Schwindel und im Extremfall sogar einen Bewusstseinsverlust auslösen können. Es stellt sich daher die Frage, ob man in der Geschichtswissenschaft nach dem linguistic turn und dem iconic turn auch noch einen acoustic turn ausrufen sollte. Diese Sektion widmet sich deshalb lediglich der Frage, was Historiker lernen können, wenn sie sich näher mit der Oper oder anderen musikalischen Genres befassen. Aufklärer wie Immanuel Kant oder Friedrich Schiller hätten auf diese Frage mit Skepsis geantwortet, weil sie der Musik die Fähigkeit absprachen, Inhalte vermitteln zu können. Kant kritisierte in seiner Kritik der Urteilskraft, dass die Musik „durch lauter Empfindungen ohne Begriffe spricht, mithin nicht, wie die Poesie, etwas zum Nachdenken überlässt.“ In der Romantik änderte sich das Musikverständnis diametral. Schopenhauer ordnete die Musik ganz oben auf der Skala der Künste ein, die Oper wurde mit Wagner zur Grundlage einer ästhetischen Einheitsutopie, der Idee des Gesamtkunstwerks. Bereits zuvor bildete sich eine soziale Einheitsutopie, alle Schichten der Gesellschaft unter dem Dach eines Theaters vereinen und bilden zu können. Außerdem spielten insbesondere in Zentraleuropa Musik- und Gesangsvereine eine wichtige Rolle in diversen Nationalbewegungen, die im Anschluss an Herder daran glaubten, dass jede Nation über eine spezifische Musiktradition verfüge und sich ihr Geist in der Musik ausdrücke. Wie im Folgenden in zwei Beiträgen über Nationalopern und den Versuch einer multinationalen Oper gezeigt wird, hatte dies erhebliche Rückwirkungen auf den Schaffensprozess von Komponisten. Nationen definierten sich über Musik, wenngleich in unterschiedlichem Maße. Man kann kurz zusammenfassen, dass die Wirkung von Musik in der Aufklärung gering geschätzt, seit der Romantik tendenziell überschätzt wurde. Schon allein dieser Befund lädt dazu ein, sich aus historischer Perspektive näher mit Musik zu beschäftigen, auch wenn dies erst einmal zu Diskursen über Musik und somit zu konventionellen Textanalysen führt.  Zit. nach Hans Heinrich Eggebrecht, Musik im Abendland. Prozesse und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 1991, 668.

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Die Oper ist aufgrund ihrer diversen Funktionen als Objekt und Ort politischer und gesellschaftlicher Repräsentation, politisches Medium, Publikumsmagnet und Kunstform von besonderem Interesse. Bereits seit längerer Zeit haben die über die Libretti vermittelten Inhalte die Aufmerksamkeit von Disziplinen jenseits der Musikwissenschaften auf sich gezogen. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Publikationen des Politikwissenschaftlers Udo Bermbach über die politische Bedeutung der Opern von Richard Wagner. Dabei kann man entweder einer älteren philologischen Tradition folgend Opern samt ihrem Textanteil als zeitlose und dadurch aktuelle Werke verstehen, oder eher auf deren zeitgenössische, sich im Lauf der Zeiten verändernde politische Relevanz verweisen. Nur Letzteres entspricht einem historischen Ansatz, wobei sich große Übereinstimmungen mit jüngeren Debatten in der Musikwissenschaft ergeben. So verweist zum Beispiel Hans-Joachim Hinrichsen auf die Bedeutung der historischen Aufführungspraxis, der Interpretation und Rezeption. Daran anschließend lässt sich die jeweils epochenspezifische Frage stellen  : Was kann man aus einer Oper über die Zeit ihrer Entstehung und Aufführung heraushören  ? Dieser Gedanke wurde von Carl Schorske in seinem Buch über Wien im Fin de Siécle am Beispiel von Schönberg aufgegriffen und mündete in eine kulturhistorische Variante der Sonderwegsthese. Auch der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus hat mit einem anderen methodischen Zugriff gezeigt, dass man Musik oder eine bestimmtes Werk nicht nur als Resultat einer Intention des Komponisten und mit einem ausschließlichen Blick auf die Partitur betrachten kann. Die häufig und in verschiedenen Varianten benutzte Metapher der Widerspiegelung ist irreführend, da dies letztlich auf einer Vor- und Gegenüberstellung einer imaginierten Realität und ihres künstlerischen Abbilds basiert. Außerdem kommt es in der Oper stets auch auf die Institution an, die bestimmte Werke auf den Spielplan setzte, ihrer eigenen wirtschaftlichen und künstlerischen Logik folgte und somit wesentlich auf die Kunstgattung einwirkte. Oper als Institution und Gattung war von den Intentionen und Erwartungen der Akteure geprägt, die an der jeweiligen Bühne tätig waren. Ferner spielte das  Vgl. H. J. Hinrichsen, „Musikwissenschaft. Musik – Interpretation – Wissenschaft“, in Archiv für Musikwissenschaft 57 (2000), S. 78–90.



Die Oper als Quelle der Geschichte

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Publikum eine entscheidende Rolle, nicht nur im Hinblick auf die Einnahmen, sondern auch die Rezeption, die wiederum durch Rezeptionserwartungen und Hörkonventionen beeinflusst wurde. Kurzum, man muss die musikalischen Bestandteile der Oper in einem weiter gefassten Koordinatensystem verorten, was erhebliche theoretische und darstellerische Herausforderungen mit sich bringt. Ein weiteres Problem ist, dass für die Zeit vor dem 20. Jahrhundert keine Tondokumente vorliegen. Daher kann man sich musikalischen Inhalten und Aufführungen nur über schriftliche Überlieferungen annähern. Im Rahmen dieser Referenzpunkte befasst sich die Sektion „Die Oper als Quelle der Geschichte“ auch mit dem musikalischen Inhalt ausgewählter Werke. Es geht dabei um Vorstellungen von Zeitlichkeit und den jeweils zeitbezogenen Sinn von Mythen, den musikalischen Ausdruck multinationaler und jüdischer Identitäten und um Versuche, durch Opern nationale Identität zu stiften. Anhand dieser Topoi soll exemplarisch aufgezeigt werden, wie man musikalische Werke in ihrer Aufführungspraxis als Quelle für die Geschichtsschreibung nutzen kann.

Karen Painter

Ritual time in Wagner and Wagnerian Opera

As a historical source, Wagner’s operas are exemplary, not for the mythic distant epochs they allegedly represent, but for their powerful instantiation of nineteenth-century concepts of time. Der Ring des Nibelungen unfolds within a temporal order that embodies on the one hand the grand bourgeois achievements of the epoch — the formation of industrial capitalism and the parallel construction of the nation-state order. But simultaneously the Ring points to alternative concepts of time that ran alongside these epic linear projects. It incorporates a somber cyclical narrative, shaded by impending downfall  : we spectators know (as does Wotan himself ) how this story must end. And the Ring also incorporates a continuing alternative that nineteenth-century time claimed to vanquish but could not entirely subdue  : a temporal consciousness of repetition, circularity, and even stasis — what I will term here ritual time. Together these fundamental apprehensions of time, conveyed by musical devices as well as plot, suggest the power behind so much of nineteenth century accomplishments — grandiose, the product of extraordinary industry, but tinged by a melancholy sense of conflict and possible downfall.

Myth versus history

Historical thinking permeates nineteenth-century European culture, from the novels of Scott and Manzoni to Hugo  ; the unfolding “spirit” traced by Hegelian philosophy  ; the triumph of evolutionary biology  ; the self-confidence of historical “science” itself as exemplified by Ranke  ; and no less the cosmic span of Wagner’s Ring cycle. These are all works of epic size and ambition, implicitly claiming that vast scope and scale must accompany the metahistorical theme of rise and fall, and testifying in diverse ways to bourgeois ascendancy, even when taking up themes of lost aristocratic worlds. Yet by the second half of the  My thanks to Matthew Bribitzer-Stull, Charles S. Maier, and Philipp Ther for their suggestions.

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century, related stances emerge that implicitly critique or even reject the grand historicizing project, denying the claims of narrative and progress. A familiar alternative tradition projects an anti-bourgeois world of ritual atemporality, often expressed in passages of brevity and aperçus that stress flashes of psychological insight and build on tropes of fragmentation. Nietzsche is a principal exemplar, but this counter-historical mode can be seen from Lichtenberg to Benjamin and Adorno. Nietzsche’s early analysis of the birth of tragedy and his later notion of eternal recurrence reveal that this critique of bourgeois linear time also involves concepts of duration and liminality that are best termed ritual time. Ritual time takes leave of history, and as Nietzsche, still under the influence of Wagner, was allied to “the spirit of music.” Wagner’s Ring incorporates both stances–the sweeping narratives, but also a world of ritual time counterposed to history. Indeed, it posits a musical world that provides the atemporal basis from which narrative emerges and into which it dissolves. This dichotomy, I shall argue here, is nowhere clearer than in the opening scenes of Das Rheingold and Götterdämmerung. Before examining the creative process and the musical structure, it is worth recalling the particular moment in which Wagner developed the cycle in the aftermath of the German revolutionary upheavals in 1848 and then again in 1849. Wagner and his friend Gottfried Semper, the architect with similar grandiose concepts, had taken part in those exuberant days. Despite the flight into Swiss exile, the heady intoxication of the barricades remained and the expectation of revolution renewed became the premise of what he sensed was the grandeur of his concept  : “During my walks, which I now took utterly alone, I relieved my spirits by working out in my head, in ever more elaborate detail, my conception of a state of human society, for which the boldest wishes and goals of the socialists and communists, then so actively constructing their systems, offered me a mere foundation. Their efforts would assume significance and value for me only when they had completed their political upheavals and reforms, for it was only at that point that I could begin to realize my new ideal of art.” Although this recollection comes from his later autobiography, it faithfully elaborated his letter of 1851 in which he wrote to Theodore Uhlig that it would be impos R. Wagner, My Life, hg. von Mary Whittall, Cambridge 1983, 376.



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sible to stage his new music drama in Weimar or any other theater  ; “with this new conception, I am proceeding with utter freedom from the conventions of contemporary theaters and its public  : I am breaking decisively and permanently from the present … I can envision a performance only when the conditions are entirely different.” The Ring advanced from early explorations of the “Die Sage von den Nibelungen,” completed in October 1848, to the initial scenes of Siegfried’s Tod (later renamed Götterdämmerung), to the libretto of the encompassing four operas between 1850 and 1852, an era in which the vision of radical upheaval and rupture had to be displaced to the aesthetic realm. But the musical achievement and the political ideals, which Wagner believed must be its precondition, rested on the premise that momentous changes in society and art had in effect to transcend ordinary historical processes and narrative and attain a realm beyond linear time.” The Ring would ultimately fuse a transhistorical world of heroic value with an intensely historical one in which the curse of gold motivates the linear narrative. And it could hardly have been coincidental that in the same period, Wagner published his essay on “Judaism in Music.” The tract on Judaism reflected his Paris experience of the earlier 1840s as much as the recent revolutionary episode, but it used the same device of counterposing the materialist drives of a corrupted aesthetic realm, which in this case excelled in imitative work and written prose, against a higher musical art. At the same time, Wagner’s tale of gold in the Rhine was less remote historically than its mythology suggested. One possible inspiration, unmentioned in the literature, was an issue pressing in the years of Wagner’s youth and early adulthood  : the threat (and eventual end) to an age-old history of cultivating the river’s riches, from gold to fish and fowl. As detailed in David Blackbourn’s The Conquest of Nature  : Water, Landscape, and the Making of Modern Germany, attempts to control the flooding and damage from swamps failed, in the mire of local rulers, until Napoleon dissolved the Holy Roman Empire. The ambitious young engineer Johann Gottfried Tulla, following his studies in revolutionary France, dreamed up a large-scale “rectification of the Rhine,” which took the  Letter of 12 Nov. 1851 to Theodor Uhlig, in Richard Wagner’s Briefe an Theodor Uhlig, Wilhelm Fischer, Ferdinand Heine, Leipzig 1888, 120. See also P. Wapnewski, “The Operas as Literary Works,” in U. Müller, P. Wapnewski (Hg.), Wagner Handbook, Cambridge, MA 1992, 3–95 and R. Krohn, The Revolutionary of 1848–49,” trans. Paul Night, Wagner Handbook, 156–165.

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form of individual projects, most of which were negotiated by treaty, designed, and supervised by Tulla from 1825 to 1844. Wagner probably witnessed none of Tulla’s glories — for example, the two thousand who gathered to watch the cut opened between Knielingen and Eggenstein, where the engineer, in one poem read for the occasion, was hailed for “liberating us from the Rhine.” But he may well have heard of the insurgent villagers and protests from the engineering community against the efforts to “tame the Rhine,” Blackbourn aptly calls it. Among the damages wrought by these massive changes to nature’s course were an end to reed-cutters and fowlers and a threat to numerous fishing communities. In short, wild nature was replaced with orchards and fields of crops. The outlines of Wagner’s drama were far from the fantastical tale it seems today. The Rhine did contain gold. “Gold washing” along its shores was a reputable means of livelihood, extending back centuries. During Wagner’s youth, about thirty pounds of gold a year were sent from the Baden side of the Rhine to the Karlsruhe mint. The construction work on the Rhine, as designed by Tulla, initially resulted in far higher gold yields over a ten-year period in the 1830s and 1840s  : about thirty pounds per year on the right bank and 4.4 pounds per year on the left. According to an 1838 census, in Baden about 400 gold-washers were active on the right bank. The sudden changes in tide that resulted from the rectification of the Rhine prevented the deposits from accumulating along the bank, leaving many without work. Gold washing all but disappeared by 1874, at which point the state no longer bothered keeping records of Rhinegold. Wagner’s characterization of greed — as personified by Alberich and Hagen but also Fafner and Fasolt — is usually seen as crude anti-Semitism. But the lure of gold may also reflect the tension in local politics, as engineers, farm The poem was read by an official, Bernhard Dillmann, as recounted in H. G. Zier, “Johann Gottfried Tulla. Ein Lebensbild,” in  : Badische Heimat 50 (1970)  : 437  ; trans. from D. Blackbourn, The Conquest of Nature  : Water, Landscape, and the Making of Modern Germany, New York 2006, 102.  See Blackbourn, The Conquest of Nature, 77–120 (chapter 2, “The Man who Tamed the Wild Rhine  : Remaking Germany’s River in the Nineteenth Century”).  Blackbourn, The Conquest of Nature, 105, citing the Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe 237/44817  : Goldwaschen im Rhein 1824–1946  ; H.-J. Tümmers, Der Rhein  : ein europäischer Fluss und seine Geschichte, München 1994, 142–43  ; and G. Albiez, “Die Goldwäscherei am Rhein, in K. Klein (Hg.), Land um Rhein und Schwarzwald, Kehl 1978, 271.



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ers, and others battled over the rights to the Rhine. It is unsurprising that the quiet tedium of goldwashing did not spark Wagner’s musical imagination as much as mining and smithing. But the flooding of the Rhine in Götterdämmerung did have historical precedent. Destruction from flooding, even more than disease and pestilence from swamps and marshes, was the primary reason that thousands of workers toiled at the cutting and reconstruction of the Rhine. Yet Tulla’s plans faced opposition from the profession, some predicting correctly that the cuts he designed — and even more those after his death — would lead to less regular but more catastrophic flooding. Wagner had no firsthand experience of the Rhine while living in Saxony, but in exile in Zurich, he was about twenty kilometers from the upper Rhine, and its shores remained a presence in his dreams for the monumental work. Soon after expanding the two-opera cycle to four, Wagner envisioned building a theater on the Rhine as the site of “a great, dramatic festival” where he would produce the Ring over the course of four days. The polemic surrounding Tulla’s modernization of the Rhine, which continued to 1844, may well have contributed to Wagner’s choice of setting. Just as Goethe had turned to the Brocken in the Harz, and Weber to the forest as their metahistorical locales, Wagner found inspiration in the Rhine, in the wake of the crisis with France that had erupted in 1840, leaving Germans with a patriotic song, “Die Wacht am Rhein” and a renewed national agenda. A Rhine drama implicitly allowed geographical and temporal flow that revealed the impermanence of the realm along the shore. On its surface the Rhine allowed for historical time  ; indeed Wagner compresses time most notably in Siegfried’s Rhine journey. But in its depths the Rhine is counterposed to the realm of the Gods that will ultimately dissolve into the river — although, admittedly, already in scene 3 of Das Rheingold other realms are conjured up. The connection between historical time and mythical time, so crucial to the dramatic structure of the Ring, occurs through the convergence of the individual and collective in two introductory scenes  : the Rhinemaidens and the Norns. It remains remarkable, so early in the creative process (crafting Siegfried’s Tod) and early in the eventual opera cycle (the opening  Letter of 12 Nov. 1851 to Uhlig, in R. Wagner, Briefe an, 120  ; Warren Darcy, “Creatio ex nihilo  : The Genesis, Structure, and Meaning of the Rheingold Prelude,” 19th-Century Music 13, no. 2 (1989), 79–100.

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of Das Rheingold) that Wagner constructed scenes around a grouping of three daughters — of the Rhine and of Erda, forfeiting character development and, according to his own theories, musical progress. The Rhinemaidens are barely distinguishable, and the three Norns are not even bestowed names but rather designated by number. Or, to put the matter practically, innovative productions notwithstanding, how can we make sense of the opening of Das Rheingold, when the psychology of the Ring is otherwise so compelling? Why did Wagner favor a repetitive dramatic structure, each Rhinemaiden taunting Alberich in turn with similar ploys and results, whereas Wagner’s other revisions to the Nibelungensaga, such as inserting the figure of Erda in lieu of the Norns, favored interaction between individuals? On the face of it, the reason is simple. Repetition serves an introductory function, although Wagner’s strategies of introductory function change over the course of the Ring. Each drama has in turn increasingly less instrumental material. The creatio ex nihilo (to cite Warren Darcy) of the Prelude to Rheingold is the most monumental, creating the world that envelops the viewer for the fourday cycle. The storm depicted in Die Walküre compresses, rather than extends, time. (The opening scene for the Valkyries, with their lack of differentiation, forms an obvious parallel with the other two sets of sisters, although they additionally provide a foil for Brünnhilde.) The progress from nature (Rheingold) to the human (Walküre) continues, as the prelude to Siegfried plunges the viewer into the dark toiling of the Nibelungen under the earth’s crevices. The Siegfried prelude, despite its wider range of leitmotifs, is just as repetitive, setting the stage for the Nibelungen world through the sounds of industrialization. By contrast, the Norns’ scene usurps the role of the prelude to Götterdämmerung, which is effectively reduced to a few extended chords — to be precise, 25 measures, whereas the sunrise that follows is a full 59 measures. In effect, drama consumes any role of instrumental music, even though there is no dramatic action or character. Highly structured scenes also introduce the final act of each opera. (Medial acts consistently do not receive the same attention from Wagner, with respect to the extent and nature of the prelude and introductory character of the opening scene.) Act III of Siegfried opens with the encounter of Erda and Wotan, a scene with its own ritualistic repetition. The parallels are more striking in the third acts of Walküre and Götterdämmerung, in which the next genera-



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tion, Brünnhilde and Siegfried, each interact with a group of indistinguishable characters–the Valkyries and the Rhinemaidens. Whereas the cycle itself is a history — a history of the renunciation of primal love for the accumulation of wealth and power and the related history of the breaking of oaths and convention — the prelude to Das Rheingold relies on an atemporal ritual repetition. The almost imperceptible changes in the build up of the Rhine’s waves, bridging the worlds of silence and sonorous organicism, suggest a new passage of time not unlike what Victor Turner calls “ritual time” in his theorization of liminality as a stage in rites of passage. The pregnant pauses in the Tristan Prelude stop the march of time, but through intimate and sensual melodic and harmonic gestures that cannot be compared to the unaltered repetition and stasis that opens the Ring. By understanding the Rhinemaidens’ scene, and to some extent the Norns’ scene, as the musical construction of a different temporality, defying any individuality and the character portrayal so compelling elsewhere in the cycle, we can make sense of what otherwise smacks of parody (the frivolous play in the opening drama) or lacks any dramatic pull (the dark, mythological Norns in a scene analyzed by theorists and yet all but ignored by critics and musicologists).

Parallels between the Rhinemaidens and the Norns

The importance of repetition within the formal junctures of the Ring cycle comes in part from Wagner’s struggle with the challenge of how to introduce the Nibelungen drama. Initially conceived as a single musical drama, then expanded to a pair, and finally a cycle of four, the Ring expanded to enormous dimensions, with only minimal changes to how the myth itself. In the first prose sketch of the Rhinemaidens’ scene, Wotan bathes in the Rhine, but in the developed sketch Wagner preferred the chastity of the three sisters frolicking alone. Across its evolution — from the Nibelungensage to prose sketch and prose draft and the final text — the scene defies Wagner’s stipulations for music drama.  The textual documents for Wagner’s creative process are reproduced in R. Wagner, Skizzen und Entwürfe zur Ring-Dichtung. Mit der Dichtung “Der junge Siegfried” (hrg. O. Strobel), München 1930.

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Most remarkable is that the Rhinemaidens deliver their lines simultaneously, without differentiation  ; the only lines delivered individually are when they tease Siegfried, each playing the same game in turn. Wagner’s theorizing in Oper und Drama disallowed the traditional opera chorus, and any vocal ensembles, for that matter. Moreover, his discomfort with ensemble roles led him to replace Norns and Rhinemaidens with Erda, and the Valkyries with Waltraute. Why did Wagner remain committed to the Rhinemaidens introducing the drama collectively, as it were? In abandoning the repetition patterns that were paradigmatic of contemporary opera — formal repetition within a number as well as the genre similarities from one number type to another, such across arias or duets — Wagner found a surrogate, I would argue, in ritualized repetition. The playfulness, even triviality, of the Rhinemaidens, with their nonsense syllables, is starkly juxtaposed with the sublimity of nature. The ambition not only to paint a naturalistic scene that trumped those of contemporary theatres but also, perhaps, to invoke the sublime may partly account for why Wagner took such care in the details for Rhine’s waterbeds and location — more than any other scene in the Ring. A craggy cliff (“bold, overhanging, and, as it were threatening, rocks”) is first of Kant’s six visual images for the sublime. Notable is Wagner’s insistence that the entire stage is covered with cliffs, which prevented the reuse of the staging for Götterdämmerung, Act 3, scene 1. Whereas Wagner stipulated the reuse of other scenery at other points in the Ring, here, the awesome effect of pristine nature would be sacrificed by reappearing in another, later context. Most striking about the Rhinemaidens is that they sing, rather than participate in a drama that happens to materialize as a musical work. Although the same is true with the Norns, the result could not be more different. Unlike the preverbal exuberance of the Rhinemaidens, the verses denoting that the Norns actually sing — as opposed to speak about singing and weaving — are among the least melodic moments in the opera cycle. Wagner underlines the contradiction with the curious performance instruction, “dusteres Schweigen.” How does one portray silence? The generative creativity of the Rheinmaidens, for all their  I. Kant, Kritik der Urteilskraft (1790), quoted from the translation by J. H. Bernard, 1914, rpt. New York 2007, 75.



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dramatic frivolity, is opposed to the Norns, who offer no new material in their first and only appearance within the cycle, other than the weaving figuration. In short, their silence mandates that no leitmotif is born. As if music withdraws from itself, the harmonic writing — for all its dark sonorities — includes numerous open fifths. Tonal lyricism suffers under the heaviness of fate.

Wagner’s creative process

The stark contrast between the two groups of sisters was not inscribed in the myth itself. Over the course of Wagner’s work on the Ring the Rhinemaidens diminished in age and stature (a process that was not helped by the later production history and English convention of referring to the Rheintöchter as Rhinemaidens). In the Nibelungensaga they are wise women  ; the only reference as “daughters” is to identify their lineage as “weissagende Töchter der Wasser­ tiefe.” And in introducing Act III of Siegfried’s Tod, they know who Siegfried is and that he will die if he fails to return the ring. It is, moreover, they who explain, offstage, the larger plot web to Brünnhilde. In the prose draft to Siegfried’s Tod, completed later in October 1848, they consistently referred to as “Wasserfrauen” (Strobel, p. 50). The age-neutral designation as Rhinedaughters (and not “Mädchen”) persisted as late as the November 1851 prose sketches. When Wagner resumed work on Rheingold five months later, they became “Mädchen,” and their play adopts a tone of “kindischer Lust.” Indeed, Alberich initially sees them as “Wellenkinder,” possibly before noticing their gender. Wagner stipulates that thereafter, Alberich’s Wohlgefallen grows into Begierde (Strobel, pp. 214–215). Unlike in the prose draft, now they do not know who Alberich is, and whatever little they know, for example the powers of the gold, is attributed to their father. Wagner only later, and inconsequentially, differentiated the Rhinemaidens. In the full prose draft, of March 1852, they go uncharacterized, although Wagner intended to give them names, as the marginalia indicate. The eldest warns her sisters to protect the gold, but there is otherwise as yet no correlation between age and their behavior towards Alberich. Most of their lines are given to the Rhinemaidens as a group, without individuation.

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The Norns’ stature was likewise diminished as Wagner developed the cycle. In the Nibelungensage, Siegfried is aware of the Norns’ wisdom, regarding the battle of the gods. Still in the prose draft of Siegfried’s Tod, they are knowledgeable and authoritative narrators. But in extending the Nibelung drama to include Der junge Siegfried, Wagner introduced the Norns’ mother Erda, who usurps the wisdom and prophetic vision possessed by the Rhinemaidens and the Norns. Quite clearly, the two scenes with Erda derive from the role of the Norns in earlier versions. In the Nibelungensage the Norns convince Wotan to give the ring to the giants, and in the prologue to Siegfried’s Tod, the Norns see Wotan approaching and hope to answer his questions wisely. The scene between the Norns and Wotan was eliminated from Siegfried’s Tod, instead becoming the source for the Wotan/ Erda encounter in Siegfried, Act III, scene 1, where he calls forth the goddess and demands that she answer his questions. In the final version, the Norns lose these trappings of wisdom  : Wotan does not approach their spring to hear advice. And in the prelude to the final drama, they can’t see into the future, the thread of time is broken, and they repeat to us what we know (by contrast with the original conception, in which they revealed to the audience what had not been witnessed). The total effect of these changes is to introduce the framing music dramas with sets of characters who are transitional, either in age or in their relationship to the myth. The Rhinemaidens sing to the gold, in a song that joins the collective, in preverbal language, with largely gestural music. The Norns’ scene reverses the process of maturation at the opening of Rheingold. As the rope rips, they regress, crying out for their mother. In effect, the Norns reverse the process from Das Rheingold. The opening of the Ring undoes the biblical history, in starting with woman — rather, women. And the difference is crucial. The opening scene shows the passage of time from childhood to adult, or, in the maturation of the Rhinedaughters from playful girls to flirtatious women. Yet through the Rhinegold song, they return to an almost preverbal ritual. Norse mythology, to be sure, dictated the idea of sisters with like traits and functions — the Valkyries and Norns — and Germanic traditions envisioned an abundance of mermaids who populated the Rhine. Yet Wagner clearly found the idea of female ensembles amenable to his creative work, so much so that, I shall argue, these became the musical framework for the drama, almost existing independent of it, at least in a temporal span.



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Ritual holds a prominent position in Wagner’s oeuvre — but we think of Der fliegende Holländer and Parsifal, not the Ring. The Rhinemaidens and Norns both perform in ways that retard the passage of time. This occurs musically in the Norns’ scene by means of the tempo, moments of rhythmic stasis, and brusque musical repetition in the vocal line — just as it has occurred dramatically at the opening of Rheingold. The course of events is implausible, even ludicrous, unless we accept the Rhinemaidens’ song as ritual. Why do they call attention to the gold’s power, even despite Flosshilde’s iteration of their father’s warning? The momentum from their intensifying taunts of Alberich is swept away as a golden light suffuses the stage, uniting the impish girls into a single voice. They forget the dwarf and attending dangers, as they rejoice together in wordless song. To quote Clifford Geertz, “In a ritual, the world as lived and the world as imagined, fused under the agency of a single set of symbolic forms, turn out to be the same world, producing thus [an] idiosyncratic transformation in one’s sense of reality.”10 Their frolicking around the Rheingold suddenly takes on more meaning, providing the physical contact with an object that should remain present in the listener’s consciousness through the rest of the cycle. In ritual, as J. Ian Prattis writes, there is an intense engagement with metaphor, to the point that it becomes physical experience.11

The Norns’ Scene

Let us turn back to the beginning of Wagner’s creative work on the Nibelungen project. In the prose draft of what was to be the first drama, Siegfried’s Tod — it is clear that Wagner wanted an introductory scene with highly structured repetition. He wrote out a refrain no fewer than five times, in each of which the second and third Norns have one line). The repetition is no less evident in his initial musical sketch, where each refrain line has the same musical figure. The sequence that ensues is accompanied by sixteenth-note bass figuration repre10 C. Geertz, “Religion as a Cultural System”, in Ders, The Interpretation of Cultures  : Selected Essays, New York 1973, 112. 11 J. I. Prattis, Anthropology at the Edge  : Essays on Culture, Symbol, and Consciousness, Lanham 1997 (chapter 10, “Metaphor, Vibration and Form”).

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senting the weaving. Perhaps realizing that a slower rhythm would portray the motions of weaving, he changed the figuration to eighth notes in the second sketch (August 12, 1850), a rhythm that would be retained in the new weaving motif of the 1869 setting.12 The weaving material occupies a significant portion of the scene. Weaving was, perhaps not coincidentally, a common metaphor for the creative process. The repetition, too, may have offered an anchor of sorts, at this transitional point as Wagner shifted from literary work to composing. In the sketch, a ninebar refrain precedes each of the three narrative sections, which are, respectively 11, 18, and 21 measures. The narration is sketched in a recitative-like fashion, with a purely chordal accompaniment  : unlike in the refrain, there is no motivic repetition. In the first narrative section, the vocal line is merely an ascending scale with each pitch repeated several times (Norns 1 and 2) and a cadential flourish sung by Norn 3. In the ensuing narrative sections this scale pattern assumes more melodic shape, to the point of faintly resembling the refrain. After abandoning the two musical sketches of 1850, Wagner turned to textual revisions, finally completing his work on Siegfried’s Tod in December 1852. Yet he waited almost a year to begin composing. The compositional process began from the beginning, with Das Rheingold, although Wagner appears to have used material from the 1850 sketch for the Norns’ scene. The bass “weaving” figuration resurfaces in an 1853 sketch for the Rheingold prelude. Whether or not it was conscious, or possibly whether or not the borrowing is indisputable, the introductory function of the one-opera project was mapped onto the first opera in the cycle of four. Again, later, Wagner appears to have pillaged the abandoned sketch. In January 1854 he adopted a figure from the vocal line into the refrain for Erda’s reference to the Norns (Das Rheingold, scene 4). And in 1869 he gave a similar vocal line to Erda’s longer discussion of the Norns in Siegfried, Act 3, scene 1. In effect, he rendered earlier sketch the leitmotif for his compositional process. A more manifest transfer from the August 12, 1850 to the composition of Das Rheingold is tonal. In the sketch, the Norns’ scene begins in Eb minor and ends 12 For a transcription of the sketches, see J.-J. Nattiez, “Les trois Nornes et la ‘petite madeleine’  : les esquisses de Richard Wagner pour La Mort de Siegfried (1850),” Revue de musicologie 82 (1996), 39-–122.



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in Eb major, a modal shift suggestive of the return of the gold to the Rhine that concludes the tragedy. When the Norns disappear at the end of the scene, the Eb major harmony is sustained through most of the 22-bar interlude to the second scene. The stability contrasts sharply with the rapid harmonic shifts in the Norns’ scene. When the second scene opens, the Eb major resolves, as it were, into Ab major tonic. This modal shift from Eb minor to Eb major would have no place in the new Norns’ scene, which no longer prefaced a drama of redemption. Rather, the redemptive power of Eb major belonged in Das Rheingold, to depict the innocence and purity of the Rhine and its gold. An Eb major chord is sustained for over three minutes until the first scene opens in Ab major. Still, it is finally the differences between the two scenes that most strike us. The Norns are in many ways the historical counterpart to the Rhinemaidens. The two sisters are the exact opposite  : knowing nothing, playful, physical versus disembodied, earnest, unmelodic. The positioning of the Norns toward the end, introducing the final drama, allows Wagner to show the progress of not just history but music history, thoroughly drenched with dissonance. The Norns are derivative, reminding the viewer of earlier narratives, and yet the transformative effect on the dramatic course is far greater. Any sense of musical progress comes to a halt during the brief instrumental lead in, and the narration is fragmented among the three sisters, who represent the three faces of time — the present, past and future. Although it is their first appearance on stage, the soothsaying Norns have little or no knowledge of the future, and as the rope tears, their knowledge and even their consciousness slip away. Their very existence, predicated on night and sleep, as if they are embedded in our consciousness, hints at the indeterminate spaces that Victor Turner ascribed to ritual in The Anthropology of Performance. Liminalty and communitas, in his words, promote the stability of social structure, yet often through the recognition of this indeterminacy.13 The Norns were originally characters within the drama, but Wagner internalized them, absorbing into the non-representation myth. In effect, we become the Norns, telling the history that we have experienced in the earlier days of the cycle. Gesturally as well as dramatically, the Norns’ scene is largely one of closure, in contrast to the opening of the previous three music dramas. The only instrumen13 V. Turner, The Anthropology of Performance, New York 1986.

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tal introduction to the opera is a sequence of deracinated cadential structures. These cadences are the chief material of the Götterdämmerung and are followed by spinning figuration, which continues until the Norns speak. Although the instrumental opening of Götterdämmerung is not designated a separate section from the Norns’ scene, in duration it is commensurate with the interior preludes of Walküre Act 2 and Siegfried Act 3. The formal function in Das Rheingold and Götterdämmerung — what I have called the opening strategy in the former and the closure impart through the latter — is reinforced by the absence of interior preludes in the rest of these two dramas. It is unsurprising that Das Rheingold, with its more modest dimensions, would not bring weight to subsequent scenes through a prelude. But these aspects of the formal structure of Götterdämmerung merits further comment, particularly as every act in the other two dramas is introduced with a prelude, except the final act of Die Walküre. The seminal achievement of the Ring, at least in historical terms, is serving as a monument to bourgeois society at the same time as denouncing it. Capitalist accumulation is pitted against love. Despite the political radicalism of the text of the Ring, during a certain period of its conception, as a whole the work epitomizes Marx’s celebrated attack on the bourgeois culture of saving — and collecting, one might add. Marx exclaims “Akkumuliert, Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten!” and then goes on to quote Adam Smith’s chapter on “the Accumulation of Capital, or of Productive and Unproductive Labour,” translated from the Marx as “Industry furnishes the material which saving accumulates.”14 The mass accumulation of characters, leitmotifs, and sheet history, by the start of Götterdämmerung brings an irony to the original political conception of the work. For this reason, I would suggest, the Norns’ scene remains static in characterization — powerfully musically, and compelling as a mythological drama. 14 K. Marx, Das Kapital, vol. 1 (1867), ch. 22, section 3, “Teilung des Mehrwerts in Kapital und Revenue. Die Abstinenztheorie,” in Marx and F. Engels, Werke, vol. 23 (Berlin 1968), 621. The original reads, “Industry, indeed, provides the subject which parsimony accumulates  ; but whatever industry might acquire, if parsimony did not save and store up, the capital would never be the greater.” See Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of Wealth of Nations, London 1852, book II, ch. 3, p. 138.



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Das Rheingold finally functions more as a critique of ritual than its enactment, or perhaps as a demonstration that ritual time must succumb to historical time. The parodic treatment of the Rhinemaidens, at least in Wagner’s later stages of conceiving the drama, invite sympathy for Alberich, who experiences more vivid and stronger feelings and reactions, becoming a three-dimensional character, however repulsive. Indeed, Alberich is the character who introduces historical time to this ahistorical world  : he sets the drama in motion, he acts to claim power and wealth, and he shatters ritual time. It is only fitting that he returns to tell his son Hagen near the end of the cycle that we must continue to drive history forward. And other moments of atemporality come to mind, such as the celebrated end of Götterdämmerung, with the repetition-based form as analyzed by Warren Darcy,15 Siegfried’s invocation of Wälse, and his naming of Nothung. In each, a repeated text/musical gesture, if without formal repetition that is characteristic of an introductory scene, evokes the ritual of naming that was so powerful in Germanic history and mythology. Wagner’s Legacy

Normally we think of repetition as spatial — the essential component of musical architecture. By contrast, musical development is presumed to be more akin to the listener’s emotional state of mind, be it the paradigm of musical logic or a more vivid and dramatic process of change. For the long nineteenth century, historical time and epic replaced ritual repetition. Wagner made space for repetition, yet when post-Wagnerians critiqued the historicizing project of the nineteenth century, they could not simply return to repetition but had to develop aesthetic alternatives. In so doing, they drew inspiration from Wagner’s notion of split temporality, the most paradigmatic examples from Strauss (Salome and Elektra) and Berg (Wozzeck). Repetition has no formal function in these modernist operas, at least commensurate to the introductory character in Rheingold. It is not surprising that in Salome, his first modernist experiment, Strauss shuns the proccesual altogether, 15 W. Darcy, “The Metaphysics of Annihilation  : Wagner, Schopenhauer, and the Ending of the Ring,” Music Theory Spectrum 16 (1994), 1–40.

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favoring instead an opening that is in medias res and, in general, avoiding any concessions to the purely musical. Salome, like Elektra, is a single-act opera. Yet the idea of a temporality that exists from the progress of the opera becomes crucial to the character development, or degeneration, of the title role. Salome lives in the sensuous present, as do those who share her obsessive lust — Narraboth and Herod. Jochanaan, however, achieves ritual time through harmonic vocabulary (the purity of C major) and scoring. The striking moments of repetition within final monologues in particular highlight the instable psychology of obsession, an alternative to the eternity of Christian time and not the logic of structure. Elektra, similarly, is given over to an internalized ritual time, as the broad intervals of her call, “Agamemnon” suffuse the orchestra, a bleak extended tonality to which Chrysothemis’s aspirations to the sweet traditions of domesticity serve merely as parentheses. Wozzeck takes as its principle of repetition the brutality of modernity, not only in Berg’s structure of the final act, each scene built on the repetition of a unit or idea, but especially in the passages where Wozzeck becomes unhinged from reality. Repetition is everywhere evident in the invocation of genre — the character pieces of Act 1, the symphonic form of Act 2, and the inventions of Act 3 — but remains, at best, a scar from its compositional history, one that disappears in the moment the opera unfolds before the listener’s eyes as pure drama. The transference of repetition is most often recognized in Wagner’s legacy of the leitmotivic web, but there are important examples in formal structure. The rondos that comprise the concluding scenes in Acts 1 and 2 of Wozzeck are among the most dramatic examples, with structurally equivalent scenes that emphasize the parallels between seduction (Act 1) and violence (Act 2). The most powerful statement of ritual time is the final scene, a quiet reiteration of the opening. The children, curious and eager, yet self-absorbed, symbolize a new beginning of a world that should not reproduce itself. Only one has a name, and none has any distinguishing characteristics. Berg states, “Although [the final scene] … moves to cadence on to the closing chord, it almost appears as if it carries on. And it does carry on! In fact, the opening bar of the opera could link up with this final bar and in so doing close the whole circle.”16 16 Berg’s 1929 lecture on Wozzeck was first published in H. F. Redlich, Alban Berg  : Versuch einer



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The counterpole, as an opera that dramaticizes ritual yet without achieving ritual time, is Pfitzner’s Palestrina (1917), a work that is historical in a radical and self-conscious way. Through allegory that was ideologically freighted, Pfitzner deliberately rendered the present as the past, suffused with archaicism, lacking any of the tension associated with modernism. Palestrina fails in part, I would argue, because there is no intersection of different temporal modes. Act 2 is very much in the world, with the warring cardinals, with the outer movements aspire to seclusion from the world. The historicity of Palestrina — along with the idea that art should serve as ideology — irked Pfitzner’s artistic contemporaries. Strauss envisaged a satirical operetta on an “authentic German” composer who indulges in anti-Semitic rhetoric while seeking donations from Jews.17 And Schoenberg went so far as to sketch a parody of Palestrina that pokes fun at Pfitzner’s opportunism and the pressure exerted on composers, in the modern day, by agents and publishers.18 In the end, whether the metaphor is ritual, or some other experiential category, scholars and commentators would do well to find ways to capture the multiple temporalities of music. Herein lies the basic mechanism for ensuring listener participation in the construction of meaning. A listener is drawn into a work, in her full consciousness, when there are intersecting modes of temporality. Otherwise, the presentation of a single mode of being risks overwhelming the listener — in its insistence of how things must be — or trivializing the notion of drama itself. Ritual time provided the operatic counterpart to the symphonic sublime. The shift in temporality provides the opportunity for, literally, the transcendence that came through übersehen in the symphony. The advanced listener could grasp the repetition and the formal consequences of theses pillars, while the novice might have the same experience by way of the changing passage of time, Würdigung, Vienna 1957, 311–27  ; trans. from A. Pople, The Cambridge Companion to Berg, Cambridge 1997, 147. 17 See Strauss’s letter to Alfred Kerr in M. Konhauser, “Der Briefwechsel zwischen Alfred Kerr und Richard Strauss (Erstveröffentlichung),” Richard Strauss-Blätter 39 (1998), 34–51. I am grateful to Alex Ross for pointing me to this reference. 18 A. Schoenberg, “Pfitzner  : Three Acts of the Revenge of Palestrina” (c. 1919)  ; see the excerpted translation in J. Auner, A Schoenberg Reader  : Documents of a Life, New Haven 2003, 153–156.

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as the enacted ritual separates the character from the progress of the drama. And yet by installing ritual time in the great operatic tradition, which had for most of the century celebrated, sanctified, and exemplified music drama as historical, composers also undermined the art form in which they worked — compelling a break with the nineteenth-century tradition. Ritual time undermined historical time for Wagner  ; his successors envisaged an operatic time bereft of ritual and grand history alike.

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Eine „vaterländische“ Oper für die Habsburgermonarchie oder eine „jüdische Nationaloper“  ? Carl Goldmarks Königin von Saba in Wien

Insbesondere das 19. Jahrhundert kennt das Phänomen der Nationaloper und der Nationalkomponisten  ; ein Phänomen, das mittlerweile intensiv erforscht wurde, wobei sich zumindest in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung das Diktum von Carl Dahlhaus allgemein durchgesetzt hat, dass die „Kategorie des Nationalen in der Musik“ „weniger ein musikalischer Substanz-, als ein politischer und sozialpsychologischer Funktionsbegriff“ sei. Eine Festlegung, die, auf allgemeinerer Ebene, den Erkenntnissen der neueren Nationalismus-Forschung entspricht, welche die Nation als eine „imagined community“ eine „vorgestellte“, letztendlich auch von den ihr Angehörigen immer wieder neu „erfundene“ Gemeinschaft, versteht. Dennoch bleiben die „Nationaloper“ und die mit ihr verbundenen Vorstellungen weiterhin ein lohnendes Forschungsobjekt, da gerade in der Auseinandersetzung mit ihnen bestimmte Mechanismen und Strategien der Entstehung dieser „vorgestellten Gemeinschaften“ besonders gut sichtbar werden. Nicht nur, aber unter anderem in diesem Sinn, kann das Musiktheater für historische Zusammenhänge verschiedenster Art als Quellenbeleg dienen. Die soziale Zusammensetzung des Publikums in einer bestimmten Region und Epoche, die Bedeutung, die die Institution Oper für bestimmte Gesellschaftsschichten erlangte, ist nicht nur Teil der Opern- sondern auch der Sozialgeschichte  ; der allmähliche Wandel von einer höfischen und adeligen Einrichtung, hin zu  C. Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts (2. Aufl.), Laaber 1989 [Neues Handbuch der Musik­wissenschaft 6], 180. Für wichtige Anregungen und Hinweise auf Quellen bin ich Christian Glanz (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) zu Dank verpflichtet.  Vgl. insbesondere B. Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt/M. 1988.

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einer bürgerlich-urbanen, bis zu einem gewissen Grad der Logik des Marktes gehorchenden Institution, verweist auf tiefgreifende soziokulturelle Veränderungen. Welche Stoffe auf die Bühne gebracht wurden, welche beim Publikum erfolgreich waren und welche nicht, kann Aspekte der Kultur- und der Mentalitätsgeschichte beleuchten, Fragen der offiziellen Förderung oder Unterdrückung bestimmter Werke sind Ausdruck politischer Verhältnisse. Besonders deutlich wird der Charakter der Oper als historischer Quelle aber eben gerade in Zusammenhang mit den „Nationalopern“, die Ausdruck und Instrument von Identitätspolitik waren. Diese blieb jedoch auch im 19. Jahrhundert nicht auf die Ebene der „Nation“ und des „Nationalstaates“ beschränkt  : Die Frage, ob es in multinationalen Staaten auch so etwas wie „Übernationalopern“ gegeben habe, mutet auf den ersten Blick ungewöhnlich an, aber auch multinationale staatliche Gebilde wie beispielsweise die Habsburgermonarchie versuchten, mit vergleichbaren kulturellen Strategien wie national homogenere Staaten oder Territorien ein emotional unterfüttertes Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen – wenngleich mit offenkundig deutlich geringerem Erfolg. Sucht man nach einem Komponisten, der als so etwas wie ein offiziöser Staatskomponist der Habsburgermonarchie des 19. Jahrhunderts, als Exponent der übernationalen Staatsidee auf dem Gebiet der Musik, angesehen werden könnte, so bietet sich insbesondere Carl Goldmark (1830–1915) als geeigneter Kandidat an. Zumindest auf der biographischen Ebene gibt es dafür einige Anknüpfungspunkte. Könnte man demnach auch seinen größten Publikumserfolg, die Oper Die Königin von Saba – einst ein Welterfolg und, laut Harald Graf, „die Kultoper des Historismus“ – als die habsburgisch-altösterreichische „Übernational-Oper“ betrachten  ? Um es gleich vorwegzunehmen  : Im Sinne einer linearen Übertragung des Models der „Nationaloper“ funktioniert dies nicht, wenngleich eingeräumt werden muss, dass es nicht wenige Stimmen gegeben hat, die angesichts der Uraufführung mit besonderer Emphase hervorho Vgl. insbesondere  : I. Weingartner, Carl Goldmark und seine Oper „Die Königin von Saba“. Diplomarbeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien 2002. Siehe auch  : S. Döhring, Karl Goldmark. Die Königin von Saba, in C. Dahlhaus (Hg.), Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 2., München 1987, 482–485.  H. Graf, Carl Goldmark. Beziehungen zu den Zeitgenossen, in Studia Musicologica Academiae Hungaricae 38, 3–4 (1997), 371–407, hier 371.



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ben, dass endlich wieder einmal eine Oper eines heimischen Komponisten auf die Bühne der Wiener Hofoper gebracht wurde. Überdies deuten auch Goldmarks eigene Aussagen im Zusammenhang mit der schwierigen Vorgeschichte der Uraufführung, etwa die in einem Brief an Eduard Hanslick formulierte Feststellung, es falle ihm – Goldmark – nicht ein, sich „auf den ,Vaterländischen‘ zu berufen“, wenn sein Werk sich als misslungen erweisen sollte, zumindest die Möglichkeit einer solchen Interpretation an  : Belege für eine ausdrückliche Rezeption der Königin von Saba in einem derartigen Sinn durch das breite Publikum gibt es jedoch nicht. Dennoch kommt der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Königin von Saba und nicht zuletzt der Oper selbst Aussagekraft als historische Quelle für politische, gerade auch identitätspolitische Bezüge, zu.

Zur Biographie Goldmarks

Carl Goldmark kann als ein typischer künstlerischer Repräsentant des franziskojosephinischen Zeitalters gelten. Dies unterstreichen schon seine Lebensdaten  : Er ist im selben Jahr wie Kaiser Franz Joseph, 1830, geboren und ein Jahr vor diesem, 1915 verstorben. Geburtsort war Kezthely am Plattensee (Balaton) in Ungarn, ab dem vierten Lebensjahr lebte er in Deutschkreutz (ung. Németkeresztúr, von der jüdischen Gemeinde Zelem genannt), im heutigen österreichischen Bundesland Burgenland, damals Westungarn, eine allerdings weitgehend deutschsprachig geprägte Region. Diese „ungarische Herkunft“ hat Goldmarks Rezeption in Ungarn stark geprägt, bis heute wird er – der kein Ungarisch sprach – dort der ungarischen Musikgeschichte zugerechnet, eine Deutung, die auch durch die eine oder andere magyarisch getönte oder gewidmete Komposition unterstützt wird, so etwa durch sein op. 47, die Symphonische Dichtung Zrinyi aus dem Jahr 1902, die er für die Budapester Philharmoniker aus Anlass zu deren fünfzigjährigem Jubiläum schrieb (übrigens ist die Mehrzahl der heute exis C. Goldmark, „Brief an E. Hanslick“, 1873, zit. in K. Goldmark, Erinnerungen aus meinem Leben, Wien u.a. 1922, 124.  Als neueste umfassendere biographische Studie zu Carl Goldmark Vgl. H. Graf, Carl Goldmark. Studie zur Biographie und Rezeption. Diplomarbeit an der Universität Wien 1994.

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tierenden Einspielungen Goldmark’scher Kompositionen in Ungarn entstanden und sein 150. Geburtstag im Jahr 1980 wurde in Ungarn mit Aufführungen seiner Werke begangen). Goldmarks Vater war Kantor und Notar der jüdischen Gemeinde von Deutschkreutz, einer der ausgesprochen konservativ geprägten so genannten „Sieben Gemeinden“ Westungarns, die unter dem Patronat des Hauses Esterházy standen  ; überregional bekannt war die jüdische Gemeinde von Deutschkreutz vor allem durch ihre sehr angesehene Talmud-Schule (Jeschiva). Goldmarks intellektuelle und musikalische Bildung fand anfangs offenkundig im Umfeld der jüdischen Gemeinde statt, anzunehmen ist, dass er die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bestehende jüdische Volksschule der Gemeinde besuchte, erste musikalische Eindrücke muss er wohl in der Synagoge erfahren haben. Erfahrungen, die sicher noch vertieft wurden, als er, zu diesem Zeitpunkt bereits als Musiker tätig, von 1857 bis 1860 bei einem Schwager lebte, der Oberkantor der Synagoge von Pest war (wir befinden uns noch in der Zeit vor der Vereinigung von Buda, Obuda und Pest zu Budapest). Viele Jahre lang stand er überdies als Chordirigent dem Wiener Synagogenchor Zion vor, der seinen Namen später in Männergesangsverein Eintracht abänderte. Diese Prägung Goldmarks durch die jüdische religiöse und insbesondere liturgisch-musikalische Kultur muss deshalb mit Nachdruck betont werden, weil sie einerseits für das Verständnis des politischen Kontexts der Rezeption der Königin von Saba bedeutsam ist und weil Goldmark andererseits in seiner in seinen letzten Lebensjahren verfassten, erst postum (1922) veröffentlichten Autobiographie Erinnerungen aus meinem Leben (sie wurde auch ins Ungarische und Englische übersetzt) diesen Aspekt vollkommen marginalisiert und wo immer möglich ausspart  ; Begriffe wie „jüdisch“ oder „Jude“ kommen in der Schilderung der Kindheitserinnerungen nicht vor. Er geht dabei so weit, in Bezug auf seine frühen Jahre Daten und Fakten augenscheinlich zu manipulieren. So erscheint es wenig glaubhaft, dass der Sohn des Kantors und Notars der jüdischen Gemeinde keinerlei Schulunterricht erhielt – wie Goldmark ausdrücklich

 Vgl. die ersten Sätze der Autobiographie  : „Ich wurde am 18. Mai 1830 in Kezthely in Ungarn geboren. Mein Vater war Kantor und Notär der Gemeinde.“ Goldmark, Erinnerungen, 11. Auch der Männerchor, dem Goldmark vorstand, taucht nur unter seinem späteren Namen, Männergesangsverein Eintracht, auf.



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behauptet – und Lesen und Schreiben erst mit zwölf Jahren von einem Verwandten erlernte. Unter anderem, und dies mutet geradezu tragisch an, führt Goldmark seine früheste musikalische Prägung nicht auf die ihm mit Sicherheit vertraute synagogale Musikpraxis, sondern explizit auf eine singuläre Erfahrung mit katholischer Kirchenmusik zurück, die er vor einer Kirche, also von Außen – wir „durften sie nie betreten“ – vernommen habe.10 „In diesem Augenblick hatte sich mein Geschick, meine Zukunft entschieden … – ich war Musiker und – sonderbar genug – durch die katholische Kirche.“11 Mit elf Jahren, also relativ spät, erhält Goldmark erste musikalische Unterweisungen, mit 14 übersiedelt er nach Wien, wo er als Geiger in Theaterorchestern seinen Lebensunterhalt verdient und Klavierunterricht erteilt. Relativ früh erhält er staatliche und offizielle Förderung, so 1863 ein Stipendium des Unterrichtsministeriums. Gerade im Umgang mit derartigen Preiskomitees erweist er sich lebenslang als überaus geschickt, diverse Stipendien, später auch Preise und Auszeichnungen, ziehen sich durch seine Biographie. Und relativ bald gehört er selbst als Juror wichtigen preisverleihenden Institutionen an, und ist damit eine auch institutionell etablierte und wichtige Person im Wiener Musikleben (als Gustav Mahler sich um die Direktion der Hofoper bemüht, versäumt er nicht, sich um ein Empfehlungsschreiben von Goldmark zu bemühen12). Johannes Brahms, der berühmte Kritiker Eduard Hanslick und Johann Strauss (Sohn) gehören zu seinem Freundeskreis – auch wenn es sich dabei durchwegs um komplizierte und fragile Freundschaften handelt. Erste eigene Kompositionen stellt er erfolglos 1858 vor, den ersten Publikumserfolg erringt er mit der Ouvertüre (passender vielleicht wäre der Ausdruck „Symphonische Dichtung für großes Orchester“) Sakuntala, op. 13, im Jahr   Ebd, 12.   Ebd, 13. 10 Ebd, 15f. 11 Ebd, 16. 12 Harald Graf merkt an, dass Mahler gerade an entscheidenden Punkten seiner Karriere immer wieder mit Goldmark zu tun hatte (394). Mahler habe zwar in seiner Funktion als Hofoperndirektor Werke Goldmarks häufig zur Aufführung gebracht, sich in schriftlichen Kommentaren aber eher negativ über deren Qualität geäußert. Vgl. Graf, Carl Goldmark. Beziehung zu den Zeitgenossen, 394–402. Vgl. auch  : R. Kubik, E. W. Partsch (Hg.), Mahleriana. Vom Werden einer Ikone, Wien 2005, 91 und 99–100.

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1865, die „indische“ Stimmung wiedergeben soll, allerdings ohne sich an konkreten Vorbildern indischer Musik zu orientieren, mit denen Goldmark wohl auch gar nicht vertraut sein konnte. Auf die „Vorlage“, Goldmark selbst spricht von einer „musikalischen Nachdichtung“13, das gleichnamige Versdrama des Sanskrit-Dichters Kalidasa (um 400), war er durch den Philosophen Ernst Mach aufmerksam gemacht worden. Diese Komposition begründete Goldmarks Ruf als Spezialist für musikalische Exotismen, der ihm sein Leben lang anhaften blieb.14 Der große Durchbruch gelingt ihm 1875 mit der Oper Die Königin von Saba, die ein Welterfolg wird. Es folgen fünf weitere Opern  : Merlin (1886), danach Das Heimchen am Herd (nach der dritten von Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichten) (1896), sein zweiter großer internationaler Erfolg, ein Werk, das ein populärer Opernführer in der Zeit um 1900 als „eine der besten Blüten, die die deutsche Oper gezeitigt hat“ und die „an allen besseren Theatern ständiges Repertoirestück geworden [ist]“15 charakterisiert. Nicht mehr ganz an diesen Erfolg anschließen konnte Goldmark mit seinen drei letzten Opern  : Die Kriegsgefangene (nach einem Motiv aus der Ilias) (1899), Götz von Berlichingen (nach Goethe) (1902) und Ein Wintermärchen (nach Shakespeare) (1907). Daneben schreibt er zwei Symphonien, die erste, betitelt Ländliche Hochzeit (1876), im Tonfall der österreichischen Volksmusik, war ein besonderer Publikumserfolg. Sein Werk enthält überdies ein Violinkonzert, Lieder, Chorwerke und Kammermusik (letztere findet sich gelegentlich noch heute auf Konzertprogrammen) – insgesamt um die 150 Kompositionen. Überdies war er ein hochbegehrter Kompositionslehrer, unter anderem gehörte Jean Sibelius, der sich aus diesem Grund eigens in Wien niederließ, zu seinen Schülern.16 Gegen Ende seines Lebens wurde Goldmark mit Auszeichnungen und in den Nachrufen mit Superlativen überhäuft, Karl Kraus bezeichnete ihn wie13 Goldmark, Erinnerungen, 77. 14 So vermerkte etwa der Kritiker der Musical Times angesichts der Erstaufführung von Goldmarks Heimchen am Herd (nach Dickens) in England im Jahr 1900, dass das Sujet für Goldmark ungewöhnlich sei  : „He is so used to move in gorgeous eastern temples“. Goldmarks „Cricket on the Hearth“, in The Musical Times and Singing Class Circular 42, 695 (1. 1. 1901), 31–32. 15 J. Scholtze (Hg.), Vollständiger Opernführer durch die Repertoireopern nebst Einführungen, geschichtlichen und biographischen Mitteilungen (3. Aufl.), Berlin o.J., 182. 16 Zur Beziehung von Sibelius zu Goldmark Vgl. Graf, Carl Goldmark. Beziehung zu den Zeitgenossen, 402–405.



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derholt als den größten Musikdramatiker seit Wagner17, Max Kalbeck nannte ihn eine „europäische Zelebrität“18, und Julius Korngold sprach gar von einem regelrechten „Goldmark-Kultus“19. Die schwarz gekleideten Massen, die sich zu Goldmarks Leichenzug vor seinem Wohnhaus zusammenfanden, haben den damals zehn Jahre alten Elias Canetti, der im selben Haus wohnte, derart beeindruckt, dass er sie noch Jahrzehnte später ausführlich beschrieb.20 Der Musikkritiker Richard Specht brachte in seinem Nachruf die Meinung vieler Wiener Musikfreunde auf den Punkt, als er anmerkte, mit Goldmarks Tod habe „die österreichische Musik keinen Mittelpunkt mehr“, denn „ihr Herz hat in Goldmark geschlagen“.21 Von den jungen Musikern und Komponisten dieser Zeit war Goldmark allerdings bereits längst zum alten Eisen gelegt worden, Hugo Wolf beispielsweise hat ihn in Kritiken wiederholt gnadenlos verrissen. Versucht man eine musikalische Einordnung, so wurde Carl Goldmark zu Beginn seiner Karriere vielfach als Neuerer eingestuft, wobei etwa Hanslick seine Anlehnung an Wagner (gemeint ist der frühe Wagner) und seinen „Dissonanzenreichtum“ tadelte, für die Generation um 1900 galt er dagegen als letzter Exponent einer nicht mehr zeitgemäßen spätromantischen Musikkultur. Was allerdings nicht absehbar war, ist der Umstand, dass dieser Mann, der für Jahrzehnte ein führender Exponent des Wiener Musiklebens und auch international mit einigen seiner Kompositionen höchst erfolgreich war, heute so vollständig vergessen ist, dass, außer für Experten, selbst sein bloßer Name nicht mehr bekannt zu sein scheint.22 „Die Popularität, die 17 K. Kraus, in Die Fackel 42, 2. Jg. (1900) 27–28 und Ders., in Die Fackel 105, 4. Jg. (1902), 17. 18 M. Kalbeck, in Neues Wiener Tagblatt, 3. 1. 1915, zit. Graf, Carl Goldmark. Beziehung zu den Zeitgenossen, 372. 19 J. Korngold, in Neue Freie Presse, 5. 1. 1915, 1–3, hier 1. 20 Vgl. E. Canetti, Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend, Wien 1977, 165–167. 21 R. Specht, in Der Merker, 15. 1. 1915, 64. Dass Goldmarks Tod gewissermaßen das Ende einer musikalischen Epoche bedeutet habe, haben auch spätere Kommentatoren, wenngleich in distanzierterer Form angemerkt. So datiert Alexander L. Ringer das „Ende des 19. Jahrhunderts in der österreichischen Musik“ auf das Todesdatum Goldmarks. Vgl. A. L. Ringer, Arnold Schönberg. Das Leben im Werk, Stuttgart 2002, 30. 22 Carl Dahlhaus beispielweise qualifizierte ihn als eine der „peripheral figures“, über die wenig bekannt sei. Vgl. C. Dahlhaus, „Neo-Romanticism“, in 19th Century Music 3 (1979), 97–105, hier 97.

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Goldmark allenthalben genoss“, so Harald Graf, „scheint für heutige Augen nur noch schwer nachvollziehbar“23  : „Der Komponist der ,Königin von Saba‘ … ist aus dem musikgeschichtlichen Bild des 20. Jahrhunderts verschwunden, die Anziehungskraft seiner Werke scheint gänzlich erloschen.“24

Ein „schwarz-gelber Komponist“  ?

Für die Einordnung Goldmarks als „schwarz-gelber Komponist“, wie sie der Wiener Musikwissenschaftler Christian Glanz im Mai 2006 im Titel eines Vortrags an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – allerdings ausdrücklich mit nachgestelltem Fragezeichen – formulierte, gibt es mehrere biographische Belege. Tatsächlich war Goldmark im allgemeinen Bewusstsein der österreichischen Kunstöffentlichkeit gegen Ende seines Lebens so etwas wie der „vaterländische“ Komponist schlechthin, insbesondere auf dem Feld der Oper. Bereits 1866, also erst ganz am Beginn seiner Erfolge als Komponist, wird er Ehrenmitglied der einflussreichen Wiener Gesellschaft der Musikfreunde  : Mit ihm gemeinsam der zwar jüngere, aber bereits arriviertere Johannes Brahms. In der breiteren musikalischen Öffentlichkeit Wiens ist er damals erst mit einem Streichquartett in a-moll und der Sakuntala-Ouvertüre ein wenig bekannt geworden. Betrachtet man diese doch auffallende Ehrung, so liegt der Verdacht zumindest nicht ferne, dass hier gezielt versucht wurde, eine Komponistenkarriere öffentlich zu fördern. Auch offizielle Unterstützung anderer Art, Stipendien und Preise, erhält Goldmark auffallend häufig, bald gehört er selbst den verschiedensten preisvergebenden Kommissionen an – zuerst auf nationaler, dann auch auf internationaler Ebene. Als Begünstigten „liberaler Protektion“ bezeichnet ihn Karl Kraus, der ihn außerordentlich schätzte, ausdrücklich aber auch als Opfer „antisemitischer Gegnerschaft“.25 Innerhalb der zerstrittenen Lager im Wiener Musikleben – pro und contra Wagner – gelingt es Goldmark im Großen und Ganzen, eine wenn schon nicht neutrale, so doch geschützte 23 H. Graf, Carl Goldmark. Beziehung zu den Zeitgenossen, 372. 24 Ebd. 25 Beide Formulierungen  : K. Kraus, in Die Fackel 105, 4. Jg. (1902), 17.



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Position zu halten. Er bekennt sich zwar offen zu Wagners Einfluss, besonders stark in späteren Jahren (den gleichfalls starken Einfluss Mendelssohns vertraut er bezeichnenderweise nur privaten Notizen an), verkehrt aber auch mit den Wagner-Gegnern freundschaftlich, so dass ein Kommentator anmerkte  : „Ein unbegreiflich hohes Wunder  : Ein großer Meister, ein berühmter Meister – der keinen einzigen Feind hat.“26 Das stimmte so nun freilich auch wieder nicht. In einem Brief an Eduard Hanslick aus dem Jahr 1873, in dem er diesen um Unterstützung für die Aufführung der Königin von Saba bittet, bezeichnet Goldmark sich selbst ausdrücklich als „österreichischer“ und „vaterländischer“ Komponist – ja er geht sogar soweit, zu behaupten, der „einzige österreichische Komponist“ zu sein, dessen Werke auch international wahrgenommen würden, da man beispielsweise Brahms nicht wirklich als Österreicher betrachten könne.27 Dabei handelt es sich freilich um strategisch motivierte Formulierungen, wurde doch zu dieser Zeit bemängelt, dass kaum zeitgenössische Opern österreichischer Komponisten in Wien gespielt würden (spätere Musikhistoriker haben gar von einem „Opernloch“ gesprochen). „Ich habe Grund, zu glauben, daß unsere Direktion durch einige vaterländische Mißerfolge ängstlich und mißtrauisch wurde. Es mag wohl manchmal ein Unglück sein, ein Österreicher zu heißen, aber eigentlich doch noch keine Schande.“28 In Kommentaren nach Goldmarks Tod wird dieser „vaterländische“, also „österreichisch-habsburgische“ Bezug, mehrfach hervorgehoben. Noch im Jahr 1949 schreibt der Musikhistoriker Max Graf, dass Goldmark ein typischer Repräsentant jener Epoche sei, in der es „zum letzten mal in der Geschichte Österreichs gelungen ist, die geistigen und künstlerischen Kräfte der deutschen, slawischen und ungarischen Völker des Donauraumes zu sammeln und zu einer höheren Kultur zusammenzufassen“29. Diese Aussage Grafs entspricht in Tonfall und Wortwahl genau jener Art und Weise, wie in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie die Programmatik des „übernationalen“ Nationalitätenstaates mit seiner beschworenen „Einheit in der Vielfalt“ verbreitet wurde. 26 A. Gutmann, Aus dem Wiener Musikleben. Künstler – Erinnerungen 1873–1908, 1. Bd., Wien 1914, 49. 27 C. Goldmark, „Brief an E. Hanslick“, 1873, zit. in Goldmark, Erinnerungen, 123. 28 Ebd., 124. 29 M. Graf, Legende einer Musikstadt, Wien 1949, 216.

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Goldmark, so Graf, „verkörpert den Geist der österreichischen Kultur unter Franz Joseph“30, in den sich gleichsam ganz natürlich auch eine Beimischung des Orientalischen einfüge. Zu berücksichtigen ist hier freilich der Kontext, in dem diese Aussagen stehen  : Max Graf veröffentlichte sein Buch Legende einer Musikstadt nach seiner Rückkehr aus der Emigration und bemühte sich darin besonders, die „Musikstadt Wien“ und das „Musikland Österreich“ als von deutscher Kultur weitgehend unabhängige, eigenständig österreichische Hervorbringungen darzustellen. Es gibt jedoch auch aus neuerer Zeit ähnliche Urteile  : So bezeichnet etwa Gerhard Winkler Goldmark im Jahr 2002 als „so etwas wie den ,offiziellen‘ Opernkomponisten der Doppelmonarchie“  ; er habe politisch die „österreichisch-ungarische Option“ gewählt, sich „aber innerlich stets der deutschen Musiktradition zugehörig gefühlt“31. Dies musste zu Lebzeiten Goldmarks keineswegs ein Widerspruch sein, wie eigene Aussagen des Komponisten belegen. So bekennt er sich in seiner Autobiographie ausdrücklich auch zu einer ungarischen Identität, im selben Atemzug aber zu seiner entscheidenden Prägung durch die deutsche (deutsch-österreichische) Kultur  : „Ungarische Blätter haben mir oft nicht bloß Heimatrechte, sondern auch Heimatgefühle abgesprochen, weil ich nicht ungarisch spreche und so lange außer Landes lebe. Nun, ich lebe seit siebenundsechzig Jahren in Wien, habe mich aus deutschen Bildungsquellen in Wissenschaft und Kunst auferzogen und in diesem Sinne zähle ich mich auch zu den Deutschen. Auch liebe ich diese meine zweite Heimat des Wachsens und des Werdens, der ich alles verdanke, was ich bin und bedeute. Aber all das hat die starken, tiefverwurzelten Heimatsgefühle nicht ausgelöscht.“32 Goldmark kann mithin als ein Beispiel für jene Art von „Mehrfachidentitäten“ angesehen werden, wie sie – in allerdings häufig problematischer Weise – für die Bewohner der Habsburgermonarchie nicht untypisch waren. Ein bekennender österreichischer und ungarischer Patriot, der sich kulturell als Deutscher definierte, wobei möglicherweise – sicherlich in den „vaterländischen“ Bekundungen in Zusammenhang mit den Bemühungen um die Aufführung der Königin von Saba, wahrscheinlich aber 30 Ebenda. 31 G. Winkler, Joseph Joachim und Carl Goldmark, online  : http  ://www.ojm.at/artikel/goldmark 02/ [Zugriffsdatum  : 3.4. 2009]. 32 Goldmark, Erinnerungen, 84.



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auch in den beschworenen ungarischen „Heimatsgefühlen“ – ein gewisses Maß an strategischem Kalkül in Rechnung zu stellen ist. Was in auffälliger Weise fehlt, ist ein Bekenntnis zu einer irgendwie jüdisch geprägten Identität. Lässt sich ein identitätspolitischer Bezug des Komponisten Goldmark zur Habsburgermonarchie also biographisch einigermaßen schlüssig aufweisen, so wird es ungleich schwieriger, wenn man ins Musikalische geht. Ein Bemühen um eine „österreichische“ Schreibweise im Sinn eines irgendwie dekodierbaren musikalischen „Vokabulars“ fehlt, selbst der Folkloreton in der Ländlichen Hochzeit ist gewissermaßen „allgemein folkloristisch“ gehalten und nicht eindeutig bestimmbaren Vorbildern zuordenbar. Andererseits ist es aber auch schwierig, sich sofort verstehbare musikalische Spezifika vorzustellen, die einen deklariert übernationalen Kontext unmissverständlich zu formulieren im Stande wären – wie sollten diese klingen  ? Auch finden sich im Werk Goldmarks keine Titel, die eine spezifische Widmung an die Gesamtmonarchie ausdrücken würden, schon gar nicht eine bewusst vaterländisch konzipierten Großkomposition, die etwa mit Smetanas Má Vlast vergleichbar wäre. Was es gibt, sind direkte Bezugnahmen auf ungarische Musik in zwei oder drei Kompositionen, die aber vielleicht auch als Ausdruck eines musikalischen Genres aufgefasst werden können  ; immerhin hat auch der gebürtige Hamburger Johannes Brahms mit großem Erfolg Ungarische Tänze komponiert. Was als musikalisches Charakteristikum feststellbar ist, ist – neben persönlichen Eigentümlichkeiten in der Harmonik und der Neigung zu Dissonanzen (was von den Zeitgenossen eben als „orientalisch“ wahrgenommen wurde) – der Hang zu strengen musikalischen Formen, wie etwa der Fuge. Bei der Wahl der Libretti ist eine Neigung zu anerkanntem, klassischem Bildungsgut zu konstatieren  : Homer, die Sagen um König Arthus, Shakespeare, Goethe. Prägend ist ein Hang zum Ornamentalen und Opulenten, wie er der Wiener Ringstraßenkultur ja generell nachgesagt wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass Goldmark bereits von Zeitgenossen und auch von späteren Kommentatoren mit Hans Makart, dem „Ausstattungskünstler“ der Wiener Malerei in Zusammenhang gebracht wurde. Schon in den Nachrufen auf Goldmark ist dieser Vergleich zu finden, etwa, wenn vom „Makart unter den österreichischen Tondichtern“33 gesprochen wird, als „Klischee vom Schwulst des musikalischen 33 Musica Divina, 3, 1 (Jänner 1915), 19.

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Makartstils“34 ist, wenn auch in einer distanzierenden Formulierung, in neuerer Literatur die Rede und selbst das große Lexikon Musik in Geschichte und Gegenwart stellt, in durchaus pejorativer Weise, diesen Zusammenhang her.35 Unbestreitbar ist, dass Goldmark vor allem in Wien und Budapest, aber zumindest mit einigen seiner Kompositionen auch weltweit, große und größte Erfolge feierte. Man kann also wohl davon ausgehen, dass seine charakteristische Mischung von traditionellem, kompositorischem „Handwerk“ bei gleichzeitiger Annäherung an den frühen Wagner, der als spezifisch persönlich angesehene angeblich „orientalische“ Tonfall, die Bezugnahme auf bildungsbürgerliches anerkanntes Bildungsgut und die Tendenz zu Opulenz und Ornament, den Publikumsgeschmack der Zeit relativ punktgenau traf. Freilich war es auch genau dies, was später als Ausdruck einer überkommenen, oftmals auch als verlogen betrachteten Ästhetik kritisiert wurde. Entstehung, Libretto und Aufführungsgeschichte der Königin von Saba

An der Königin von Saba hat Goldmark mehrere Jahre lang gearbeitet, vier weitere Jahre vergingen nach Fertigstellung der Komposition noch, bis das Werk an der Wiener Hofoper uraufgeführt wurde. Seinen Bemühungen um die Aufführung der Oper und die Intrigen, die in diesem Zusammenhang angeblich gegen ihn gesponnen wurden, widmet Goldmark in seiner Autobiographie breiten Raum, wobei nicht alles, was er darüber erzählt, glaubhaft erscheint. Immerhin ist es nicht ganz so schwer zu verstehen, dass man sich scheute, den Opernerstling eines mäßig bekannten Komponisten, der größten inszenatorischen Aufwand und erstklassige Sängerbesetzung erforderte, einfach kurz entschlossen an der Hofoper aufzuführen. Diese Verzögerung führte übrigens dazu, dass Die Königin von Saba erst nach Verdis Aida (1871) uraufgeführt wurde, die gewisse Parallelen in Sujet und Milieu aufweist – was Goldmark überaus bedauerte, da er fürchtete, dass man ihn der Nachahmung bezichtigen könnte. Eine Befürchtung, die sich als nicht ganz unberechtigt erweisen sollte, tatsächlich stellten 34 G. Gruber, „Nachmärz und Ringstraßenzeit“, in R. Flotzinger und G. Gruber (Hg.), Musikgeschichte Österreichs, Bd. 3  : Von der Revolution 1848 bis zur Gegenwart, Wien 1995 (2. Aufl.), 57. 35 MGG, 1. Aufl., Bd. 5, 484.



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mehrere Kommentatoren, unter ihnen auch Hanslick36, zumindest Vergleiche an, die meist nicht gerade zu Gunsten Goldmarks ausfielen. Librettist war Salomon Hermann Mosenthal (1821–1877), dessen Lebenslauf einige Parallelen zu jenem Goldmarks aufweist. Auch er stammte aus einer jüdischen Familie (aus Kassel) und auch er nützte die Chancen der bürgerlichen Emanzipation der Juden Mitte des 19. Jahrhunderts  : In seinem Fall im Staatsdienst in Wien, er wurde Beamter, gelangte bis in den hohen Rang eines Regierungsrates und wurde in den Adelsstand erhoben  ; eine Karriere, die für einen Juden ein oder zwei Generationen davor noch undenkbar gewesen wäre. Das Adelsprädikat verdankte er möglicherweise auch seinen Erfolgen als Dramatiker. Mit einem seiner frühen Theaterstücke, dem Drama Deborah37, der Geschichte eines jüdischen Mädchens, das in einem katholischen Dorf in der Steiermark aufwächst und dabei Anfeindungen mit Duldsamkeit überwindet, gelang ihm ein veritabler Welterfolg. Im Revolutionsjahr 1848 verfasst, wurde es 1849 zuerst in Hamburg, danach in Brünn und schließlich im Theater an der Wien aufgeführt, war jedoch später in Österreich zeitweilig verboten und wurde erst 1864 auch am Burgtheater aufgeführt.38 Seinen internationalen Siegeszug trat es daher über Aufführungen in Deutschland an. Übersetzt wurde es unter anderem ins Englische, Französische (von Leon Halevy), Tschechische, Ungarische, Polnische, Serbische, Italienische, Russische und Dänische. In England war es derart populär, dass es zu einem Roman verarbeitet wurde, nachweisbar sind Aufführungen in New York (unter dem Titel Leah) und Kalifornien, in Kapstadt und in Australien. Heute ist das Stück noch weitaus gründlicher vergessen als Die Königin von Saba. Weitere Dramen Mosenthals waren zwar nicht mehr derart erfolgreich, fanden aber zumindest teilweise auch international Aufmerksamkeit. Darüber hinaus hat Mosenthal auch mehrere Opernlibretti verfasst, von denen heute noch jenes der Lustigen Weiber von Windsor von Otto Nicolai bekannt ist.39 36 Vgl. E. Hanslick, Die moderne Oper, Bd. 2  : Musikalische Stationen, Berlin 1880, 304. 37 S. H. Mosenthal, Deborah. Volksschauspiel in vier Acten, Berlin 1849. Vgl. Auch J. W. Nagl, J. Zeidler, E. Castle, Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Dichtung in Österreich-Ungarn, Bd. 3, Wien 1930, 143. Die dort angegebenen Aufführungsdaten sind jedoch zweifelhaft. 38 Ebd, 103. 39 Vgl. C. von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 19, Wien 1868,

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Es war Mosenthal, der Goldmark den Vorschlag unterbreitete, für ihn ein Opernlibretto zu schreiben, worauf Goldmark einbekannte, sich ohne Erfolg bereits einmal an der Geschichte der Königin von Saba als Thema einer Oper versucht zu haben.40 Im jüdisch-christlichen Kulturkreis ist die Figur der legendären Königin – über die es auch in anderen Kulturen (z.B. in äthiopischen Legenden und im Koran) Überlieferungen gibt – durch das Alte Testament (1. Buch der Könige und 2. Buch der Chronik) bekannt. Dort wird geschildert, wie die Königin von Saba mit großem Gefolge an den Hof Salomos in Jerusalem kommt, um zu überprüfen, ob die ihr zugetragenen Geschichten über die große Weisheit und Gerechtigkeit Salomos zutreffen. Sie überzeugt sich davon, dass sie zutreffen, preist Salomos Gott Jahve, beschenkt Salomo und sein Volk reich und zieht mit ihrem Gefolge wieder ab. Das Sujet war sowohl in der Malerei als auch in der Literatur überaus populär, wohl auch deshalb, weil der knappe und eher dürftige Inhalt der biblischen Erzählung breiten Raum für Ausschmückungen erlaubte, etwa auch für eine Liebesgeschichte zwischen Salomo und der Königin, wie beispielsweise in einer Novelle Gérard de Nervals. Bereits vor Goldmark wurde das Motiv zweimal als Opernsujet verwendet  ; von dem wenig bekannten französischen Komponisten Antoine Elwart, diese Oper wurde anscheinend nie aufgeführt, und von Charles Gounod, dessen La Reine de Saba auf der Novelle Nervals beruht und bei der Uraufführung in Paris 1862 bei Kritik und Publikum derart kapital durchfiel, das sie völlig in der Versenkung verschwand. Im Jahr der Uraufführung von Goldmarks Königin von Saba vollendete der heute vergessene, zu seiner Zeit aber recht erfolgreiche Wiener Dramatiker Franz Keim sein Drama Sulamith, das einige Ähnlichkeiten mit Mosenthals Libretto aufweist und am 19. Oktober 1876 in Wien mit großem Erfolg uraufgeführt wurde.41 Das Sujet lag gewissermaßen „in der Luft“. Bei Mosenthal wird nicht eine Liebesgeschichte zwischen Salomo und der Königin erzählt, er gibt dem knappen biblischen Bericht eine völlig andere Wendung. Salomo sendet den jungen Assad, den Verlobten Sulamiths (der Name ist natürlich eine Bezugnahme auf das Hohelied), der Tochter des Hohepriesters, 137–143. Vgl. weiters  : F. Kustjak, Heinrich Salomon Mosenthal als Dramatiker. Dissertation Universität Wien 1928. 40 Vgl. Goldmark, Erinnerungen, 115. 41 Nagl, Zeidler, Castle, Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte, Bd. 3, 698–699.



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der Königin entgegen, um ihr schon vor der Ankunft in Jerusalem seine Grüße zu übermitteln. Assad beobachtet bei dieser Gelegenheit, wie eine Frau in einem Teich badet und verliebt sich sofort in diese und Kenner von Opernlibretti wissen sofort, dass es sich dabei um niemand anderen als die Königin selbst handeln kann. Assad selbst wird dies jedoch erst nach der Ankunft der Königin in Jerusalem bewusst. Als er am nächsten Tag im Tempel Sulamith heiraten soll, stört die Königin die Zeremonie und bringt Assad dazu, die Heirat mit Sulamith zu verweigern und sie, die Königin, als seine „Göttin“ zu bezeichnen. Diese Gotteslästerung soll mit dem Tod bestraft werden, doch es gelingt Sulamith bei Salomo, die Aufhebung dieses Urteils zu erreichen, nachdem dieser zuvor entsprechende Bitten der Königin abgelehnt hatte. Assad wird in die Wüste verbannt, wohin ihm die Königin nacheilt, um ihm anzubieten, sie als ihr Geliebter in ihre Heimat zu begleiten. Der inzwischen geläuterte Assad lehnt dies ab und stirbt schließlich nach gemeinsamem Liebes-Todes-Duett in den Armen Sulamiths, die ihm – gemeinsam mit zwölf Jungfrauen – gleichfalls in die Wüste gefolgt ist. Die Uraufführung fand, nach mehrmaliger Verschiebung und unmittelbar davor vorgenommenen starken Kürzungen, am 10. März 1875 an der Wiener Hofoper statt, Dirigent war der junge Wilhelm Gericke, erstklassige Kräfte der Hofoper besetzten die Hauptrollen  : Amalia Materna sang die Königin, Gustav Walter den Assad, Johann Nepomuk Beck den Salomo (ihm hatte Goldmark eigens noch eine Zusatzszene komponiert, die ihm Szenenapplaus sichern sollte42), und die populäre Marie Wilt, auf deren Beteiligung Goldmark bestanden hatte, die Sulamith. Die Kritiken43 lobten grundsätzlich, dass endlich wieder einmal eine neue große Oper eines österreichischen Komponisten gegeben worden sei, äußerten sich aber zurückhaltend zur Musik und einhellig negativ zum in der Tat unintelligenten Textbuch, das etwa der bekannte Kritiker Ludwig Speidel im Fremdenblatt als „sich selbst parodierenden Blödsinn“44 abkanzelte. Beim Publikum kam die Oper dagegen auf Anhieb exzellent an und ihr Siegeszug war in der Folge auch durch negative Kritiken nicht aufzuhalten. 42 Vgl. Goldmark, Erinnerungen, 127–128. 43 Eine Auswahl von Zitaten aus Kritiken von der Uraufführung bis 1936 findet sich in R. Werba, „Königin für 277 Abende“, in Österreichische Musikzeitschrift 34 (1979), 192–201. 44 Wörtlich lautet das Zitat  : „Solcher Blödsinn parodiert sich selbst. „ L. Speidel, in Fremdenblatt 12. 3. 1875, 5.

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Im darauf folgenden Jahr folgte die Budapester Uraufführung in ungarischer Sprache, danach in dieser Reihenfolge Aufführungen in Deutschland, Italien, diversen österreichischen Städten, Böhmen, Polen, Russland, Belgien, den Niederlanden, England45, der Schweiz, dem Kronland Kroatien, dem heutigen Slowenien, schließlich auch in Übersee, in New York und Buenos Aires  ; noch nach 1918 erfolgten die Erstaufführungen in Bulgarien und Finnland. In Wien und Budapest hielt sich die Oper bis Mitte der 1930er Jahre als fixer Bestandteil des Repertoires, allein an der Wiener Hof- bzw. Staatsoper wurde sie zwischen dem 10. März 1875 und dem 15. Dezember 193746 in drei verschiedenen Inszenierungen nicht weniger als 277 mal gegeben. Den völligen Bruch in der Rezeptionsgeschichte stellt die NS-Zeit dar.

Die Königin von Saba – eine jüdische Oper  ?

Teile der zeitgenössischen Kritik und vor allem Goldmark selbst haben das Sujet und die Musik als „orientalisch“ definiert. Orientalische Sujets waren damals in der Kunst allgemein populär, auch in der Oper  : Man denke an Aida, Lakmé, Die Perlenfischer und andere Beispiele mehr. Was nun aber das Libretto der Königin von Saba betrifft, so ist offenkundig, dass das, was hier als orientalisch bezeichnet wird, nicht irgendwie unbestimmt und allgemein „orientalisch“, sondern spezifisch jüdisch ist. Der Tempel Salomos ist nicht irgendein „orientalischer“ Tempel, es ist der Tempel des jüdischen Volkes und ein zentraler Bezugspunkt seiner Überlieferung, und die Figuren der Handlung sind, mit Ausnahme der titelgebenden Königin von Saba und ihres Gefolges, Juden. Dass aber ein Komponist jüdischer Herkunft mit einem Libretto eines Autors jüdischer Herkunft und einem jüdischen Sujet so besonders erfolgreich war, dies sollte später – in Ansätzen schon bei der Uraufführung – zum Ansatzpunkt antisemitischer Anwürfe werden. Der „jüdische Charakter“ des Sujets, stellte Goldmark auch vor bestimmte kompositorische Probleme, insbesondere in der dramaturgisch zentralen Szene 45 Zur englischen Erstaufführung Vgl. E. G. Clark, Goldmark’s „The Queen of Sheba“”, in The Musical Times 56, 865 (1. 3. 1915), 157  ; H. S. Bayliss, „Goldmark’s ‚The Queen of Sheba‘“, in The Musical Times 65, 981 (1. 11. 1924), 1021. 46 Vgl. H. Graf, Carl Goldmark, 43.



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im Tempel  : „Für den musikalisch gebildeten Europäer besteht die orientalische Musik ohne Unterschied einheitlich in den bekannten Skalendifferenzen und Moll-Melismen. Mir wurde es jedoch klar, dass der Stil des indischen Büßerhaines in der ,Sakkuntala‘ nicht der des prachtliebenden Hofes König Salomos und dieser nicht der der arabischen Königin … sein konnte. Und doch sollen alle orientalisches, das heißt verschiedenes orientalisches Gepräge haben. Dazu gesellte sich noch eine ganz besondere Schwierigkeit  : dass die auch orientalisch gefärbten Tempelgesänge für den europäischen Hörer weihevollen, religiösen Eindruck machen sollten, ohne den protestantischen Choral oder katholische Marienlieder hiezu benützen zu können.“47 Man vermerkt, dass Goldmark von indisch, arabisch, protestantisch und katholisch spricht, das Wort „jüdisch“ im Bezug auf die Musik am Hof und im Tempel Salomos aber vermeidet. Um den liturgischen Charakter der Musik in der Tempelszene hervorzuheben, bediente sich der Komponist einer spezifischen Leitmotivtechnik, die bestimmte kurze Motive in liturgischem Zusammenhang wiederholt. Dazu gehört insbesondere eine kurze Tonfolge, die in zweierlei Gestalt auftritt und die in der Literatur als ein komponiertes „Amen“ interpretiert wird  : Entweder mit einem tieferen Zwischenton [G-Fis-G] oder in drei aufsteigenden Noten [E-Fis-G]. Sie taucht auch schon im ersten Akt auf, gehäuft jedoch in der Tempelszene des 2. Aktes, so beispielsweise wenn der Hohepriester seine Tochter zum Altar führt und der Bräutigam sie anspricht (zu den Worten „und mit dem Hochzeitsschleier“), während des Psalms (2. Akt, 4. Szene) zur Textzeile „Lobet den Herrn, der Herr ist gut (das „Amen“ erfolgt hier zwei mal über den Worten „Herr ist gut“) und dreimal zum Segen des Hohepriesters (2. Akt, 7. Szene).48 Sowohl Zeitgenossen, wie beispielsweise die Kritiker der Uraufführung49, als auch spätere Musikanalytiker, haben vermerkt, dass sich in der Tempelszene 47 Goldmark, Erinnerungen, 116–117. 48 Vgl. I. Kecskeméti, „Liturgical elements in the opera The Queen of Sheba (1875) by Karl Goldmark“, in J. Cohen (Hg.), Orbis Musicae X. Essays in Honor of Hanoch Avenary, Tel Aviv 1990–91 (= Assaph. Studies in the Arts. Section A), 229–240, insbesondere 234–237. 49 Vgl. eine der ersten Kritiken der Uraufführung, wo von „Entlehnen und Nachbilden ritueller Gesänge“ in der Tempelszene die Rede ist und der Kritiker dies als „billige Effecte“ kritisiert. Florestan, „Die Königin von Saba“, in Wiener Sonn- und Montagszeitung 14. 3. 1875, 1–2, hier 2. Auch der Kritiker des Vaterlandes rügt „ernstlich“ „die Vorliebe Goldmarks für synagogale Wendungen in der Melodiebildung“ und fügt hinzu „Warum nicht im Tempel einen schönen

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des 2. Akts, vor allem im Responsieren zwischen Hohepriester und Volk, konkrete Spuren synagogaler Musikpraxis niedergeschlagen hätten. Dies rief nach der Uraufführung sogar die Kritik hervor, dass es „nicht zu den Aufgaben der Bühne gehört, die Äußerlichkeiten eines lebendigen Religionscultus zur Schau zu stellen“50. Dass ein solcher Einfluss tatsächlich vorliegen dürfte, erscheint angesichts des musikalischen Werdegangs des Komponisten und des liturgischen Charakters der Szene jedenfalls plausibel.51 So wird etwa im Beitragsband zu einer Ausstellung über „Juden und die Musikstadt Wien“, die im Jahr 2003 im Wiener Jüdischen Museum stattgefunden hat, das in der Ausstellung gezeigte „prächtige Bühnenmodell für die Königin von Saba … in der Hofoper“ (jenes der Tempelszene) auch als Verweis auf „die fast religiöse Bedeutung, die diese verehrte Institution für die assimilierten bürgerlichen Juden erhielt“52 interpretiert. Aufgrund des Sujets und der behaupteten Anklänge an synagogale Musikpraxis wurde die Königin von Saba denn häufig – nicht automatisch auf pejorativer, sondern auch auf gleichsam wertfrei-zuschreibender Ebene – als „jüdische Oper“ betrachtet. Max Graf beispielsweise, der für Goldmarks Werk insgesamt, besonders aber für Die Königin von Saba nur Worte höchsten Lobes findet, betrachtete die Oper unter anderem als Ausdruck „der jüdischen Phantasie nach dem Land der Urväter“ und bescheinigte Goldmark in diesem Zusammenhang „Rabbinische Phantasie“53. Graf verschweigt jedoch auch nicht, dass Goldmark selbst sich gegen derartige Auffassungen heftig zur Wehr setzte. Als er, Graf, ihm vorgeschlagen habe, Franz Grillparzers Esther als Vorlage für ein Libretto zu wählen, habe Goldmark mit heftiger Ablehnung reagiert  : „Es scheint, dass die Juden meine ,Königin von Saba‘ als eine Nationaloper [  !] betrachten. Allein, als ich dieses Werk komponierte, hatte ich keine andere Absicht, als zu einem vierstimmigen Choral a la Sebastian Bach  ?“. Ed. K., „Die Königin von Saba“, in Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie, 14. 3. 1875, 1–2, hier 2. 50 Florestan, „Die Königin von Saba“, 2. 51 Verschiedene Kommentatoren haben behauptet, in der Musik Goldmarks sei generell ein Einfluss synagogaler Musikpraxis vorhanden, es zumeist aber bei dieser allgemeinen Feststellung belassen. Vgl. z.B. in essayistischer Form  : Graf, Legende einer Musikstadt, 220–222  ; aber auch MGG, 1. Aufl., Bd. 5, 483. 52 W. Hanak, „quasi una fantasia. Zur Dramaturgie einer Ausstellung“, in L. Botstein und W. Hanak (Hg.), quasi una fantasia. Juden und die Musikstadt Wien, Wien 2003, 23–41, hier 24. 53 M. Graf, Legende einer Musikstadt, 220.



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interessanten und wirksamen Text Musik zu schreiben. Mich fesselten die orientalischen Farben. Ich war an dem Stoff nur aus künstlerischen Motiven heraus interessiert. Nachdem ich diese Orientoper komponiert hatte, war für mich dieses Milieu ein für allemal erledigt. Ich suche seither meine Anregungen und Stoffe in anderen Himmelsrichtungen“54. Es blieb ausgerechnet dem großen Eduard Hanslick, der mit Goldmark persönlich auf vertrautem Fuß stand, vorbehalten, mit seiner Kritik der Uraufführung in der Neuen Freien Presse den Reigen derer zu eröffnen, die in eindeutig pejorativer Weise die Gleichung „orientalisch ist gleich jüdisch“ aufstellten. Hanslick äußert sich eher abfällig über das jüdische Sujet der Handlung und verwendet in Bezug auf die Musik wiederholt die Wortkoppelung „jüdischorientalisch“ bzw. „orientalisch-jüdisch“ und spricht gar vom „alten Sulzer im Sopranschlüssel“55 (gemeint ist natürlich der berühmte Wiener Kantor Salomon Sulzer) – weiters auch von „winselnder Melodik“, „bleischwer fortbrummenden Bässen“ und „schneidenden Missklängen“56. „Als hervorstechendste Eigentümlichkeit der Goldmark’schen Musik bezeichnete ich oben ihren orientalisch-jüdischen Charakter. Er machte sich schon in Goldmark’s frühern Werken … mehr oder weniger geltend und gab ihnen ein interessant fremdartiges, aber künstliches Gepräge. In der ,Königin von Saba‘, welche einen jüdischen Stoff auf eigenstem Grund und Boden vorführt, nimmt der Componist natürlich das Recht zur breitesten Entfaltung dieser Musikweise in Anspruch. Vielleicht ist es eine Einseitigkeit meines Geschmacks, aber ich gestehe, diese Art Musik nur in sehr mässigen Dosen vertragen zu können.“57 Und weiter unten heißt es im selben Text  : „Da sehnen wir uns denn manchmal nach einem herzhaften Schluck klarer europäisch-abendländischer Melodie.“58

Ob man Hanslicks Auslassungen als explizit antisemitisch bewerten soll, sei dahingestellt, die Definition des Judentums als „orientalisch“ und „nicht-europä54 Ebd, 220f. 55 E. Hanslick, Feuilleton. Die Königin von Saba, in Neue Freie Presse, 13. 3. 1875, 1–3, hier 3. 56 Ebd. Alle drei Formulierungen auf Seite 2. 57 Ebd. 58 Ebd., 3.

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isch“ gehörte jedoch zum Grundbestandteil antisemitischer Diskurse der damaligen Zeit. Wobei anzumerken bleibt, dass Hanslick, dessen Mutter aus einer konvertierten Familie jüdischer Herkunft stammte, diesen Umstand aus seiner Autobiographie gleichfalls ausgeklammert hat.59 Ein Grundton der Diffamierung sowohl der Königin von Saba als auch ihres Komponisten ist damit angeschlagen, der beide, Werk und Komponist, in der Folge in fataler Weise begleiten sollte. Die Berliner Erstaufführung des international recht erfolgreichen Heimchens am Herd 1896 wurde von einer Reihe antisemitischer Kommentare begleitet, in denen etwa wiederholt die Beurteilung als „fremdartig“ auftaucht, genau jener Begriff, den Wagner in seinen antisemitischen Polemiken gegen Meyerbeer einsetzte. Auch in Wien wird Goldmark mit antisemitischen Attacken konfrontiert, etwa in Zusammenhang mit der Aufführung seiner Oper Die Kriegsgefangene unter der Leitung Gustav Mahlers, die als Beleg für ein „jüdisches Regime“ an der Hofoper bezeichnet wird. Auch einige der Kommentare angesichts der Neueinstudierung der Königin von Saba unter Gustav Mahler im Jahr 1901, lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, so jener eines Hans Puchstein im Deutschen Volksblatt  : „Director Mahler ist mit seinem Latein zu Ende. Da er keine jüdischen Opernnovitäten mehr findet, mit denen [er], dank der Zusammensetzung unseres Opernpremierenpublikums, billige Premieren-Scheinerfolge zu erringen vermag, versucht er es mit der Neueinstudierung von älteren Opern, die natürlich vornehmlich von Componisten der bekannten Race geschrieben sein müssen. Goldmarks ,Königin von Saba‘ musste gestern den Reigen eröffnen, Halévys ,Jüdin‘ soll ihr bald folgen. Um den Beifall seiner Clique braucht ihm natürlich unter solchen Umständen nicht bange zu sein, wenn er auch zwischen die Werke der beiden jüdischen Componisten, um auch den dummen Gojims einen Brocken hinzuwerfen, eine Neueinstudierung des ,Tannhäuser‘ einschiebt.“60 59 Vgl. E. Hanslick, Aus meinem Leben, 2 Bde., Berlin 1894. Anzumerken ist freilich, dass es in Hanslicks Elternhaus, anders als in jenem Goldmarks, offenkundig keinerlei Bezug zum religiösen Kultus des Judentums gab. 60 H.P. [H. Puchstein], in Deutsches Volksblatt, 30. 4. 1901, zit.n. Werba, Königin für 277 Abende, 199. Die Behauptung, dass das Wiener Opern- und Konzertpublikum „mehrheitlich jüdisch“ sei und deshalb jüdische Komponisten und Musiker besonders protegiert würden, gehörte zum



Eine „vaterländische“ Oper für die Habsburgermonarchie oder eine „jüdische Nationaloper“  ?

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Nicht alle Attacken waren derart primitiv, aber selbst Johannes Brahms, dem eine grundsätzlich antisemitische Einstellung nicht nachzusagen ist, konnte es sich nicht verkneifen, gelegentlich in herablassendem Ton über die jüdische Herkunft seines Freundes Goldmark zu spotten, so wenn er sich darüber mokierte, dass gerade ein Jude einen Luther-Text vertone61 oder er dessen Merlin sarkastisch dafür lobte, dass es dem „fixen Kerl“ Goldmark gelungen sei, darin nicht zu „jüdeln“  : „gar keine Triolen“62. Karl Kraus brachte es auf den Punkt, wenn er über Goldmark schrieb  : „Für Freund und Feind ist er nicht sowohl zum Musiker wie als Jude geboren.“63 Es waren wohl Erfahrungen dieser Art, die erklären, warum Goldmark in seiner Autobiographie seine – allerdings ohnehin allgemein bekannte – jüdische Herkunft nicht thematisiert und aus diesem Grund über prägende Einflüsse – gerade auch musikalische Einflüsse – seiner Kindheit und Jugend weitestgehend schweigt oder diese gar verfälscht. Andererseits kann man allerdings auch konstatieren  : Geschadet haben derartige Anwürfe der Popularität der Königin von Saba beim breiten Opernpublikum lange Zeit nicht. Bis weit in die 1930er Jahre war sie in Wien und Budapest fixer Bestandteil des Repertoires und auch in anderen Ländern wurde sie wiederholt gespielt. Den abrupten und wie es scheint möglicherweise absoluten Endpunkt der Rezeptionsgeschichte stellt die NS-Zeit dar, mit ihr verschwindet die Oper von den Spielplänen  ; in Wien wird sie genau drei Monate vor dem „Anschluss“ zum letzten Mal gegeben. Nach 1945 findet das Werk nicht mehr den Weg zurück auf die Bühne  : Es wäre jedoch zu einfach, dies linear auf ein Nachwirken antisemitischer Einstellungen zurückzuführen. Es ist eine Sache, eine dem Publikum bekannte und beliebte Oper im Repertoire zu halten, eine ganz andere, eine weitgehend in Vergessenheit geratene Oper ins Repertoire Standardrepertoire antisemitischer Angriffe auf das Wiener Kulturleben  ; der Vorwurf konnte problemlos auch auf Personen ausgeweitet werden, die selbst nicht jüdischer Herkunft waren, in dem ihnen zu große Nähe zu Juden vorgeworfen wurde. Vgl. u.a. M. Notley, „Brahms as Liberal  : Genre, Style, and Politics in Late Ninteenth-Centuy Vienna“, in Nineteenth Century Music 17 (1993), 107–123, insbesondere 122–123. 61 Goldmark, Erinnerungen, 87. 62 Notley, Brahms as Liberal, hier 122  ; der Hinweis auf Brahms Kommentar zur Vertonung von Luthers „Wer sich der Musik erkiest“, op. 42, findet sich hier ebenfalls, und zwar auf Seite 110. 63 K. Kraus, Die Fackel 105, 4. Jg. (1902), 17.

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Peter Stachel

zurückzuholen. Gegen diese Möglichkeit sprechen heute auch Veränderungen des musikästhetischen Geschmacks und das in der Tat dumme Libretto, von Seiten der Opernhäuser auch der enorme inszenatorische Aufwand und die unabdingbare Notwendigkeit eines erstklassigen Gesangsensembles. So blieb es nach 1945 in der Regel bei konzertanten Aufführungen, in Wien, in Budapest und – im Jahr 1970 – in New York (von diesem Konzert gibt es seit kurzem einen Live-Mitschnitt, eine von zwei im Handel erhältlichen Gesamteinspielungen). Der zumindest vorläufig letzte Versuch einer szenischen Neueinstudierung – 1985 am Grazer Opernhaus – fiel sowohl beim Publikum, als auch bei der Kritik durch. „Was vor fünfzig Jahren noch Publikumsgunst genossen hat“, so der Kritiker Hans Lossmann in seinem Artikel „Verblasster Pomp von Vorgestern“, „wirkt heute … langweilig und zum Teil ermüdend. Ein verblasstes Museumsstück, nicht mehr. … Eine Repertoirebereicherung ist diese ,Königin von Saba‘ heute jedenfalls nicht mehr.“64 Ganz ähnlich hatte sich sechs Jahre zuvor, angesichts einer konzertanten Aufführung im Rahmen des 19. Internationalen Musikfestes der Wiener Konzerthausgesellschaft, der Kritiker Franz Endler in der Presse geäußert  : Man könne zwar noch erahnen, was einst die Publikumswirksamkeit dieser Oper ausgemacht habe, aber „irgendwann war’s trotzdem vorüber mit dem Erfolg dieser Oper“65. Wann genau das der Fall war und warum es exakt zu diesem Zeitpunkt der Fall war, kann man allerdings ungleich genauer benennen, als es der Kritiker getan hat.66

64 H. Lossmann, „Verblasster Pomp von Vorgestern“, in Bühne. Das österreichische Theatermagazin, 28. Jg. (1985), 89–90. 65 F. Endler, in Die Presse, 7. 6. 1879, 5. 66 Noch in einem zweiten Punkt kann man Endlers Ausführungen hinterfragen  : Wenn er nämlich behauptet, dass Goldmark nicht einmal „die eine Arie, mit der sich international angesehene Tenöre gern ausstaffieren oder das elegische Duett, das in Wunschsendungen des Rundfunks so gut ankommt“ eingefallen sei, so befremdet daran nicht nur der herablassende Ton der Formulierung, es kann dagegen auch eingewandt werden, dass einzelne der stimmlich anspruchsvollen Arien durchaus als Bravourstücke galten und sich dementsprechend heute auf historischen Samplern berühmter Interpreten aus vergangener Zeit (so etwa Enrico Caruso und Leo Slezak) finden.

Vjera Katalinić

Der Topos der Nation auf der Musikbühne am Anfang der Kroatischen Nationaloper in Zagreb

Der Topos der Nationaloper ist von Carl Dahlhaus und anderen Autoren international vergleichend dargestellt worden, bezieht sich aber mit wenigen Ausnahmen auf dieses spezielle Genre des Musiktheaters. Im folgenden Beitrag wird zusätzlich die institutionelle Entwicklung der Nationaloper analysiert. Das Fallbeispiel der Kroatischen Nationaloper ist dabei von zweifachem Interesse, da es einerseits in der internationalen Literatur noch relativ wenig beachtet wurde, andererseits die Schwierigkeiten und Widersprüche bei der Nationalisierung des Musiktheaters als ästhetischen und institutionellen Prozess beispielhaft beleuchten werden können. Entsprechend den Diskussionen im Rahmen des Projekts „Oper im Wandel der Gesellschaft“ wird die Entstehung und Entwicklung der kroatischen Nationaloper nicht nur mit einer internalistischen Perspektive, sondern in ihrem weiteren zentraleuropäischen Kontext analysiert. Nach der Gründung einer unabhängigen Opernabteilung im Zagreber Nationaltheater (1870) entwickelten sich lebhafte Diskussionen über die Ziele und Arbeitsweise dieser Institution. Eine Gruppe von Schriftstellern veröffentlichte einen Entwurf des Theaterstatuts, das die Entwicklung eines nationalen Bildungskanons im Musiktheater vorsah. Bereits der erste Artikel definierte das Theater als „Landesinstitut…, das sich ausschließlich der dramatischen Nationalkunst widmen sollte“, wo das „gesprochene (gehobene Drama und Lustspiel) und gesungene ernste Bühnenwerk, vor allem das originale, gepflegt und gefördert werden soll“. Dementsprechend wurde der Operndirektor verpflichtet, dem Theaterbeirat (dessen Mitglieder vom Parlament ernannt wurden) das Saisonrepertoire vorzuschlagen und fremdsprachige Opern zu übersetzen. Gemäß dem Statut sollte das Grundkriterium für das Repertoire die Qualität der Werke sein. Gleichzeitig sollte der Direktor des Theaters darauf achten, „dass ins ein Damit wird immer das kroatische Werk gemeint, im Gegensatz zu übersetzten Werken von ausländischen Autoren.  Vienac, 27.9.1873, V/39, 621–22 (alle Zitate aus kroatischen Zeitungen und Zeitschriften hat die Autorin übersetzt).

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heimische Repertoire solche Werke übernommen werden, die am meisten mit Denkart und Gemüt unseres Volkes übereinstimmen“. Der Komponist Ivan Zajc übernahm die anspruchsvolle Aufgabe ein professionelles Opernensemble und ein nationales Opernrepertoire aufzubauen. Er schien dafür aufgrund seiner Ausbildung am Mailänder Konservatorium und seiner Erfolge als Opernund Operettenkomponist in Wien bestens geeignet zu sein. Zagreb, die Hauptstadt des „Dreieinigen Königreichs“ besaß zwar ein kleines Musiktheaterensemble, das bald nach der Gründung des Nationaltheaters im Jahr 1861 mit den populären Operetten von Jacques Offenbach, Franz von Suppé und des bereits genannten Ivan Zajc das Publikum amüsierte, das aber kaum über Erfahrungen und die nötige Größe für die Aufführung eines anspruchsvollen Opernrepertoires verfügte. Zajc musste deshalb den Aufbau des Repertoires vorsichtig angehen und manchmal sogar in Partituren eingreifen. Von dem Operndirektor wurde außerdem erwartet, neue Nationalopern zu schaffen. Erschwert wurde diese Aufgabe als „Nationalkomponist“ durch die fehlende Kontinuität des kroatischen Opernlebens nach dem Tod Vatroslav Lisinskis 1854, dem einzigen Komponisten von Nationalopern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zajc agierte dabei im Kontext des „nationalen Aufbaus“ nach der Liberalisierung Österreichs 1860/61, des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867 und des darauf folgenden ungarisch-kroatischen Ausgleichs von 1868. Das Ziel, in diesem Rahmen eine neue und für alle Gesellschaftsschichten attraktive nationale Mythologie und Hochkultur zu schaffen, motivierte Zajc zur Kompo Vienac, 4.10.1873, V/40, 637.  In Wien unter dem Namen Johann von Zayitz oder Giovanni von Zayitz bekannt (Vgl. R. Flotzinger  : „Ivan Zajc“, in Österreichisches Musiklexikon, Bd. 5, Wien 2006, 2712).  Nach der Aufhebung der Venezianischen Republik und Napoleons Niederlage wurden die dalmatinischen Küstengebiete nicht mit Kroatien vereinigt, sondern den Habsburgern als «an Waffen gewonnenes Gebiet» zugeteilt. Trotzdem wurde Kroatien in den Dokumenten als «Dreieiniges Königreich» bezeichnet, was in seinem Wappen, in dem die Gebiete Kroatiens, Slawoniens und Dalmatiens zusammen dargestellt waren, deutlich wurde.  Der Aufbau des Ensembles dauerte – besonders in Bezug auf das professionelle Orchester – bis zur Mitte der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts, als der erste einschlägig fachlich vorgebildete Theaterintendant Stjepan Miletić den ehemaligen Kern des Orchesters, die Militärmusiker aus den bei Zagreb stationierten Regimentern, durch professionelle, in der Musikvereinsschule ausgebildete Instrumentalisten ersetzte.



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sition seiner ersten Nationalopern. Sie beruhten auf dramatischen Handlungen, die der nationalen Mythologie entnommen waren und sollten zugleich spezifisch kroatisch klingen. Die Mythen, die Zajc in seiner historischen Trilogie verarbeitete, stimmten nur teilweise mit dem damaligen Stand der positivistisch geprägten und national orientierten Geschichtsschreibung überein, aber sie konnten sich durch Libretto, Bühnenbild und Musik dreier Kunstgattungen bedienen. Zajc versuchte – wie es in dem Theaterstatut festgehalten war – anspruchsvolle Opern auf die Bühne zu bringen. Doch was bedeutete das konkret  ? Nimmt man das Repertoire der ersten, zwanzigjährigen Periode der Zagreber Oper unter die Lupe, ist Folgendes zu erkennen  : Von den insgesamt 53 auf die Bühne gebrachten Opern waren fast 40  % italienischer Provenienz. An der Spitze stand Verdi mit neun Opern, dann folgten Donizetti (vier), Rossini, Bellini (je zwei) und einige weniger bekannte Komponisten. Dieser Schwerpunkt auf italienische Opern war bei dem in Italien geschulten Zajc, der nicht nur eine persönliche Vorliebe für diese Werke hatte, sondern den italienischen Einfluss auf die eigenen Kompositionen nicht verheimlichen konnte, zu erwarten. Weitere 20 % des Repertoires waren mit französischen Werken bestückt, dabei führten wie in anderen europäischen Opernstädten Meyerbeer und Auber (jeweils mit drei Opern). Einen gleich hohen Anteil hatten kroatische Opern, wobei die Werke von Zajc klar dominierten. Der prominenteste kroatische Komponist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war mit acht Opern im Repertoire vertreten und spielte damit für das Repertoire eine ähnliche Rolle wie in den 1870er Jahren Smetana in Böhmen oder Moniuszko in Polen. Aus dem deutschsprachigen Raum wurden nur 11 % der Opernwerke importiert, aus slawischen Ländern 5 % – trotz aller panslawistischer Tendenzen. Dabei dominierten tschechische Komponisten (Smetana, Blodek, Hřimalý) klar.  Diese dauerte bis zur ersten Auflösung der Oper im Jahr 1889, solange Zajc der Operndirektor war.  In dem vorliegenden Artikel werden sieben seiner Bühnenwerke dargestellt. Das achte Werk, die Oper Amelia, ossia il banditto (nach Fr. Schiller), entstand noch während seines Studiums in Mailand und nachher in Rijeka. Ursprünglich auf Italienisch geschrieben, wurde sie 1872 auf der Bühne des Nationaltheaters in Zagreb zum ersten Mal in kroatischer Übersetzung aufgeführt.  Die restlichen 4 % blieben für Werke von Balfe und Gomes. Die Angaben stammen aus mei-

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Der Spielplan von Zajc wurde von zeitgenössischen Kritikern oft als zu wenig national kritisiert, aber mangels finanzieller Unterstützung, Musikerpersonal und neuer kroatischer Opern konnte er nicht mehr erreichen.10 Aus diesem kroatischen Repertoire werden im Folgenden einige Opern näher betrachtet, die gleich nach der Gründung der Opernabteilung des Nationaltheaters (1870) aufgeführt wurden und für diese Institution komponiert wurden. Die Werke sind im Einzelnen die nationale Trilogie von Ivan Zajc (Mislav, Ban Leget und Nikola Šubić Zrinjski), Sejslav ljuti von Gjuro Eisenhuth, sowie die „erste kroatische Nationaloper“, die 1846 uraufgeführte und 1871 erneut auf die Bühne gebrachte Oper Ljubav i zloba von Vatroslav Lisinski. Die angestrebte Nationalisierung der Zagreber Oper manifestierte sich jedoch auch in Übersetzungen, so wurden Il Trovatore und Ernani von Giuseppe Verdi, Der Freischütz von Carl Maria von Weber und Prodaná nevěsta von Bedřich Smetana zwischen 1870 und 1875 auf Kroatisch aufgeführt. Auch die Aufführungen dieser Werke werden daher eigens behandelt.

Ivan Zajc  : Mislav (Zagreb, 1870)

Die neu gegründete Nationaloper wurde am 2. Oktober 1870 mit Mislav, einer „romantisch-historischen Oper“11 in drei Aufzügen, eröffnet. Die Musik stammte von Ivan Zajc, dem neuen Operndirektor und Dirigenten. Das Libretto verfasste der kroatische Philosoph und Poet Franjo Markovic nach der Volkssage „Die braven Kinder“, die Handlung spielte im 6. Jahrhundert in der vermeintlichen Urheimat der Kroaten12 vor ihrer Wanderung in die pannonische Ebene nem Text „Opera and Operetta in the Late 19th-Century Zagreb National Theatre  : Composers, Librettists, Topics – A Comparison“, im Sammelband  : Musical Theatre as High Culture  ? Discourse on Opera and Operetta during the Late 19th Century, im Druck. 10 Die Werke, die ein größeres Ensemble, eine neue Art des Singens und besonders ein differenzierteres Orchester brauchten, wie z. B. diejenigen von Wagner, standen erst in der zweiten Opernperiode (1894–1902) an der Spitze des Spielplans. 11 So steht es im Werkverzeichnis von Ivan Zajc. In der Partitur ist Mislav jedoch als „großes original musikalisches Drama“ bezeichnet. 12 Vgl. zur Frühgeschichte der Kroaten R. Katičić  : „On the Origins of the Croats“, in I. Supičić (Hg.), Croatia in the Early Middle Ages, Zagreb 1999, 149–159.



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bis zur ostadriatischen Küste. Der Konflikt entwickelt sich zwischen uneinigen Kroaten auf der einer Seite und den Avaren auf der anderen. Während einer Hungersnot verlangt der kroatische Fürst Vojin, dass die knappen Lebensmittel nur noch an die Jugend verteilt werden sollen, wodurch die Älteren zum Verhungern verurteilt werden. Zur Uneinigkeit trägt auch der kroatische Militärkommandant Veljan bei, bei dem es sich eigentlich um den getarnten Sohn des avarischen Khans Batum handelt. Veljan schmiedet ein Komplott gegen den greisen Mislav, das Haupt der kroatischen Gemeinschaft. Mislav stimmt zuerst Vojins Plan zu, widersetzt sich dann aber Veljan und demaskiert ihn. Die Handlung ist mit einer Liebesgeschichte zwischen Vojins Tochter Rusana (ursprünglich Veljan versprochen) und Miloj, dem ältesten Sohn von Mislav, verknüpft. Die in der Sage überlieferten Inhalte lieferten den Stoff für mehrere Mythen.13 Zajc und sein Librettist bestätigten die Kontinuität der Kroaten als ein altes Volk, dessen Wurzeln sich bis ins 6. Jahrhundert und noch weiter in die Geschichte zurückverfolgen lassen. Die Oper vertritt das Ideal einer nationalen Gemeinschaft, denn nur diese kann erfolgreich gegen die Avaren kämpfen (historisch gab es tatsächlich einen Konflikt, der aber erst im 7. Jahrhundert ausbrach). Im Sinne der Identität grenzt das Libretto die gutmütig dargestellten Kroaten von den brutalen Avaren ab. Die Kroaten verteidigen die eigene, positiv dargestellte Gesellschaft, wobei sie durch ein Wunder Gottes, der den lange erwarteten Regen, eine neue Ernte und damit ein Ende des Hungers brachte, zusätzliche Bestätigung bekamen. Obwohl die Kroaten zu dieser Zeit noch nicht christianisiert waren, ist die Terminologie deutlich christlich. So heißt es im Libretto zum Beispiel  : „Kniet nieder, Kinder, dass durch den Segen des alten Vaters der Heilige Geist euch verklärt…“14 Außerdem stellte sich das christliche Kroatien den asiatischen Ungläubigen entgegen. Der Konflikt wird stellenweise 13 Etienne François und Hagen Schulze benennen fünf Gründungsmythen, die mit den drei Nationalbegriffen – Identität, Kontinuität und Gemeinschaft – übereinstimmen. Es sind Mythen der Vereinigung nach innen, Abgrenzung nach außen, Einheit aller Mitglieder, geistige Grenzen nach außen und territoriale Grenzen, die oft – wie auch in den drei historischen Nationalopern von Zajc – miteinander verflochten sind (Vgl. J. Revel  : „Le fardeau de la mémoire“, zit. nach E. François, H. Schulze, „Das emotionale Fundament der Nationen“, in M. Flacke (Hg.), Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama, Berlin 1998, 20. 14 „Kleknite čeda Otca da sieda blagoslov sveti duh vam prosvieti …“ (4. Szene  ; Vgl. H. Pettan, Hrvatska opera. Ivan Zajc, II., Zagreb 1983, 23).

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zu einem religiösen Kampf stilisiert.15 Die Verteidigung der Heimat mittels nationaler Einheit war im Jahr 1870 eine codierte Botschaft an die kroatischen Abgeordneten im neuen ungarisch-kroatischen Parlament. Die Allegorie wurde klar verstanden, wie es der Berichterstatter im Wochenblatt Vienac zum Ausdruck brachte. Die Oper Mislav, so hieß es dort, „spiegelt die Missgeschicke unseres Volkes, seine Interessen, seinen Charakter …“16 Im musikalischen Sinne zitierte Ivan Zajc keine „nationalen“ Melodien, aber man erkennt in seinem kompositorischen Verfahren die Nachahmung von Volksliedern, so etwa in der Arie von Liško, dem Diener und Höfling des Fürsten Vojin. In der leeren Quinte der Begleitstimme versuchte Zajc die Spielart des Dudelsacks nachzuahmen. In der Melodieführung zahlreicher Gesänge imitierte Zajc damals verbreitete Volkslieder.17 In der Romanze Rusanas hingegen zeigte Zajc seine in Italien geschulte Kompositionstechnik mit einer breiten Phrasierung und einer Melodie, die an Verdis Il Trovatore erinnert.18 Der Chor der Avaren aus dem zweiten Akt ist von parallelen Quinten begleitet – der Komponist und Dirigent vermerkte dazu in der Partitur auf Deutsch  : „Die Quinten, wenn auch verboten, die Freiheit des Gedanke Bricht[  !] jede Schranke  ! So hat es der große Schiller gemeint (sic)“.19 Den darauf folgenden Dialog zwischen dem avarischen Chor und Batum dramatisierte Zajc durch harte Quart- und Quintenbewegungen.20 Die Kritiker bemerkten dazu, dass die Musik einen vorwiegend nicht-nationalen Charakter aufweise, was damals nicht unbedingt als Kompliment gemeint war. Sie schrieben aber zugleich, dass die Oper beim wiederholten Hören immer besser gefalle. Am deutlichsten war der Kritiker der Agramer Zeitung  : „Man hört öfter den Vorwurf, die Oper ‚Mislav‘ strotze nicht von bekannten Nationalliedern, sie habe keinen nationalen Charakter und dgl. Was soll aber mit diesem Vorwurf gesagt sein  ? Nicht in dem Pfeifen von Nationalliedern, sondern viel15 Die 8. Szene im 3. Akt. (Vgl. H. Pettan  : Hrvatska opera. Ivan Zajc, 35). 16 Vienac, 8.10.1870, II/41, 655. 17 G. Doliner, „Glazbeni folklor u djelima Ivana Zajca“, in L. Županović (Hg.), Zbornik radova sa znanstvenog skupa održanog u povodu 150. obljetnice rođenja Ivana Zajca (1832–1914), Zagreb 1982, 163. 18 H. Pettan  : Hrvatska opera. Ivan Zajc, 26. 19 H. Pettan  : Hrvatska opera. Ivan Zajc, 30. 20 Die Kritiker bemerkten dies damals. Vgl. die Rezeption u.a. in Vienac, 8.10.1870, II/41, 655.



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mehr in der wahrhaft künstlerischen Auffassung und Verwerthung derselben, liegt der Charakter der nationalen Oper und diesen dürfte H. Zajc hier wohl ziemlich gefunden und getroffen haben.“21 Allerdings kritisierte der Rezensent unterlegt von anti-italienischen Stereotypen die „unechte“ Dramaturgie des Werkes und verwies dabei auf Wagner als Vorbild. Immerhin wurde Zajc zugebilligt, einen passablen Mittelweg gefunden zu haben.22 Der Gymnasiallehrer Armin Šrabec fand die Spuren einiger „einheimischer Klänge“ nur gegen Ende der Akte, zum Beispiel im „berühmten Gesang‚ Brüder, jeder unter uns …‘“.23 Er wies dem Werk eher deutsche Eigenschaften zu, vor allem die „mädchenhafte Unschuld und die aus dem Grund des Herzens kommende Anmut, mit der sich die liebenswürdige Individualität des Komponisten wunderschön im Reigentanz erschließt.“24 Kurz nach der Zagreber Uraufführung wurde die Oper ganz im Sinne des Panslawismus in Prag inszeniert. Dort unterstrichen die Rezensenten mehr als in Kroatien die nationale Ausrichtung der Oper und hoben den „originellen Charakter der slawischen Musik“ hervor.25 Die tschechische Einschätzung der „zahlreichen Melodien aus dem Volksschatz“ betrachtete der Kritiker in Vienac als Missverständnis, das aber zugunsten des Komponisten gewesen sei  : „… sie hielten die Mehrzahl der Melodien von Zajc für Volkslieder. Wenn Herr Zajc den Charakter des Volksliedes so täuschend verwenden kann, nehmen wir es ihm nicht übel.“26

21 Agramer Zeitung, 12.10.1870, LXV/232  : Nationaltheater. 22 Vienac, 8.10.1870, II/41, 655. Als erste Oper des neuen Ensembles konnte sie nicht zu anspruchsvoll sein. Die Kritiker bemerkten, wie Zajc sich Mühe gegeben hatte, die Arien den Fähigkeiten der Solisten anzupassen (Narodne novine, 3.10.1870, XXXVI/224  : Različite vijesti.). 23 Offensichtlich wurde die Einfachheit einiger Melodien und der Ton der Weckruflieder als national empfunden. 24 H. Pettan, Hrvatska opera. Ivan Zajc, 42 (Narodne novine, 13.10.1870, in einem offenen Brief von Armin Šrabec an Franjo Kuhač in Osijek). Er verweist auf eine Disharmonie zwischen dem internationalen Charakter der Musik (als „Weltmusik“ bezeichnet) und dem nationalen Sujet und Patriotismus des Textes. 25 H. Pettan  : Hrvatska opera. Ivan Zajc, 48. 26 Vienac IV/1, 1874, zit. nach H. Pettan  : Hrvatska opera. Ivan Zajc, 48–49.

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Vatroslav Lisinski  : Ljubav i zloba (Zagreb, 1846, Neuinszenierung 1871)

Noch weit mehr Aufmerksamkeit als die Oper Mislav erregte die Premiere der „ersten kroatischen Nationaloper“ Ljubav i zloba (Liebe und Bosheit, uraufgeführt 1846) von Vatroslav Lisinski am 21. Oktober 1871. Die Agramer Zeitung brachte eine ausführliche Inhaltsangabe  : Vukosav und Obren, zwei junge Adelige aus Dalmatien kämpfen im 16. Jahrhundert um die Liebe von Ljubica. Sie liebt Vukosav, Obren wird eifersüchtig und will sich an allen rächen. Die Liebenden werden im letzten Moment von Vukosavs Freund als Deus ex Machina gerettet. Der Inhalt wurde erst während der Kompositionsarbeit in den passenden nationalhistorischen Rahmen gesetzt. Die Wahl des Ortes der Handlung in der Umgebung von Split durch den zweiten Librettisten Dr. Demeter war aus nationalistischer Sicht wegweisend. Auf diese Weise wurde die Verteidigung der ursprünglichen Grenzen des Dreieinigen Königreichs (Kroatien, Slawonien und Dalmatien) symbolisch aufgeladen und das Ziel der fiktiven Wiedervereinigung aller drei Landesteile legitimiert. Außerdem war die Bereitschaft, das eigene Leben für die Geliebte zu opfern, ein Symbol des Opfers für das Vaterland. Das Werk gehört zum Genre der Rettungsoper, wurde jedoch als Nationaloper angekündigt und anerkannt. Die Musik vereinigt virtuose Arien (heute als donizettische Tradition erkannt, insbesondere in sehr hoch geschriebenen Sopran- und Tenorstimmen) mit national intonierten Elementen, vor allem „das Rezitativ, in welchem namentlich der Charakter heimischer Musik angesprochen ist, was überdies auch jede Nummer und jeder Satz zeigen“.27 Von besonderem Interesse ist der Vergleich der Rezeption der Uraufführung und der 25 Jahre späteren Premiere. In den 1840er Jahren kündigte die Presse das Werk enthusiastisch als Nationaloper an, vor allem wegen der kroatischen Sprache, ganz nach der Herderschen Tradition, welche die Anfänge des nationalen Theaters (damals noch als Laienensemble tätig) und der illyrischen Bewegung stark beeinflusste. Nach der Premiere von 1871 ging es dagegen vor allem um den nationalen Klang (nicht den der Volkslieder, sondern eher der städtischen Aufruflieder der nationalen Bewegung, die so genannte urbane Folklore). Die Rezeption eine Generation später war nicht frei von Kritik, einige Rezensenten 27 Agramer Zeitung, 25.10.1871, XLVI/245. Feuilleton.



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bezeichneten die Musik als „classisch“ mit reichlichem Kontrapunkt, also als altmodisch und steif.28 Daher sahen die Musikkritiker ihre Pflicht darin, dem Publikum zu erklären, wie die Oper entstanden war und welche kulturgeschichtliche Bedeutung sie für die Nation hatte. Dem Andenken Lisinskis galten besondere Feierlichkeiten im Rahmen der Aufführung  : das festlich beleuchtete Theater, ein passender, für diese Gelegenheit gedichteter Prolog,29 das übervolle Haus, wo die Anwesenheit des Banus (Koloman von Bedeković), hoher Militärs und Regierungsmitglieder30 den passenden Rahmen zu diesem „Fest der slawischen, bzw. unserer Nationalmusik“31 bildeten. Lisinski wurde als nationales Genie verklärt, das Theater unterstrich mit der Premiere die kulturelle Kontinuität der Nation in die Zeit vor 1848.

Ivan Zajc  : Ban Leget (Zagreb, 1872)

Auch wenn die Zagreber Oper mit Lisinskis Ljubav i zloba einen Erfolg feiern konnte, herrschte weiter ein großer Mangel an kroatischen Opern. Ivan Zajc erkannte dies als das drängendste Problem seines Hauses und schuf Ban Leget als „originelle Nationaloper in 3 Akten“. Der Librettist Ivan Dežman griff für die Handlung auf eine Notiz in dem Buch De Regno Dalmatiae et Croatiae des Historikers Ioannes Lucius (1666) zurück, welche die brutale Regierung des Banus Leget, einem unehelichen Sohn des kroatischen Königs Stephan im 10. Jahrhundert in Südkroatien und Bosnien, beschreibt. Der einzige überlebende legitime Thronfolger Silvester (in der Oper heißt er Vukmir) musste mit seiner Mutter nach Dubrovnik fliehen. Nach den historischen Quellen starb Leget an der Pest, in der Oper steckte ihn die Mutter von Vukmir absichtlich an. Nach seinem Tod holt das Volk den legitimen Thronfolger Silvester/Vukmir zurück, um sich seiner Herrschaft zu unterstellen. 28 Narodne novine, 25.10.1871, XXXVII/245. 29 Von August Šenoa geschrieben  : nach der Agramer Zeitung wurde es „beifällig aufgenommen“ (25.10.1871, XLVI/245), nach Narodne novine „kälter angenommen“ (23.10.1871, XXXVII/ 243). 30 Narodne novine, 23.10.1871, XXXVII/243. 31 Vienac, 28.10.1871, III/43.

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Im Libretto werden mithin die südlichen Grenzen des „einstmals großen kroatischen Königreichs“32 markiert und wieder die Uneinigkeit der Nation, die Kämpfe um die Thronfolge und die illegitime und brutale Herrschaft kritisiert. Diesmal gab es keinen Feind von außen, stattdessen stand im Vordergrund, dass der Machthaber gegen das eigene Volk agierte. Die Kritiker beurteilten das Libretto überwiegend negativ – unlogische Wendungen der Handlung erschwerten die Arbeit des Komponisten. Die Musik, obwohl bei der Premiere mit Enthusiasmus aufgenommen, wurde in späteren Bearbeitungen als „schon bekannt“ kritisiert. Das Vorhandensein der nationalen Elemente wurde unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. So schrieb der Rezensent der Narodne novine  : „… wir wissen, wie schwer es ist, eine Nationaloper zu schreiben, ohne die Möglichkeit, die Motive von irgendwo herzuholen, weil wir noch keine Sammlung der Nationallieder haben.“33 In Obzor ist aber folgendes zu lesen  : „… es kann nicht verschwiegen werden, dass sich H. Zajc schon mit dem Geist der Nationalmusik ziemlich vertraut gemacht hat, worauf einige, ganz im nationalen Geist komponierte Nummern hinweisen. So müssen wir vor allem die beiden Kampfchöre …, dann die Militärorgie im dritten Akt, Margitas Romanze und Vukmirs Gebet, beide im zweiten Akt, erwähnen. Der Begräbnischor und der Franziskanerchor im ersten Akt tragen einen echten glagolitischen Stempel.“34 Aus heutiger Sicht kann man das Werk als eine Nachahmung traditioneller Kompositionsverfahren zur Entwicklung einer originalen Melodie beschreiben.35 Die Agramer Zeitung machte auf folgende Tatsache aufmerksam  : „Wir haben eben leider in unserm Vaterlande Wenige, welche sich auf diesem Felde bewegen, welche dazu auserkoren sind, die heimische Musik zu pflegen, zu verbreiten, sie empor zu heben und zur Geltung zu bringen.“36 Die Oper wurde nach sieben Vorstellungen am Ende des Jahres aus dem Repertoire genommen.

32 Nach der türkischen Eroberung eines großen Teils Kroatiens im 16. Jh. wurden die Überreste des freien Territoriums als „Reliquiae reliquiarum olim inclyti regni Croatiae“ bezeichnet. 33 Narodne novine, 30.11.1872., XXXVIII/276. 34 Obzor, 19.3.1872, II/64 (Beilage). 35 G. Doliner  : „Glazbeni folklor u djelima Ivana Zajca“, 158. 36 Narodne novine, 20.3.1872, XLVII/66.



Der Topos der Nation auf der Musikbühne am Anfang der Kroatischen Nationaloper in Zagreb

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Ivan Zajc  : Nikola ãubić Zrinjski (Zagreb, 1876)

In der „musikalischen Tragödie“ Nikola Šubić Zrinjski verarbeitete Zajc die historische Schlacht bei Siget von 1566 (unweit der kroatisch-ungarischen Grenze). Der Schriftsteller und Dichter Hugo Badalic dichtete das Libretto nach der Vorlage von Theodor Körners Drama Zriny um und heroisierte die kroatische Niederlage. Demnach besiegten die Türken zwar den kroatischen Titelhelden, waren aber so geschwächt, dass sie nicht weiter nach Wien vorrücken konnten. Erneut wurde die kroatische Nation mithin als Antemurale Christianitis heroisiert. Mit diesem Werk rundete Zajc seine nationale Trilogie ab, und widmete sich fortan wieder Opern und Operetten, die nicht auf nationalhistorischen Sujets beruhten. Die Oper Zrinjski wird bis heute als Krone seines Schaffens und der kroatischen Nationaloper betrachtet. Eine gute Aufführung, Massenszenen, die durch Mitglieder Zagreber Chöre ergänzt wurden, exotische Ballettszenen des neu eingestellten Tanzensembles und am Ende ein Tableau vivant,37 sowie ein gutes Libretto, psychologisch ausgearbeitete Charaktere und gelungene Arien (trotz einiger Kritik) sorgten dafür, dass die Rezensionen ausführlicher waren als bei den vorausgegangenen Nationalopern, und einige Arien als „Hits“ ein breites Publikum gewannen. Der berühmte Weckrufchor „U boj“ („Zur Schlacht  !“)38 avancierte später fast zur kroatischen Nationalhymne. Der historische Stoff (trotz der Niederlage gab es Überlebende, darunter auch Offiziere) wurde zum Mythos, in dem alle Akteure umkamen und sogar Frauen den freiwilligen Tod wählten, um nicht in die Hände der Feinde zu fallen. Die Oper verherrlichte also die innere Einheit der Nation, die christliche Gemeinschaft und das Opfer fürs Vaterland. Zur historisch-politischen Seite der Geschichte äußerte sich der Rezensent der Agramer Zeitung  : „(es) darf nicht vergessen werden, dass speziell 37 Die vorletzte Szene mit der Verwirrung vor dem Ausbruch aus der Festung und das folgende tableau vivant, wo sich die Aktion aufhält in der Szene der Erstürmung, sind gelungen dramatisch entgegengesetzt. Es zeigt deutlich die Ähnlichkeit der Dramatisierung mit Verdis Trovatore (Vgl. C. Dahlhaus  : Die Musik des 19. Jahrhunderts, Laaber 1980, 171). 38 Dieser Chor wurde 1866 komponiert, noch während seines Aufenthalts in Wien, beim Anlass des 300. Jubiläums der Schlacht bei Sisak, wo die Türken die erste bedeutende Niederlage erlitten hatten. Den Text dichtete der Philosoph Franjo Marković.

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bei uns in Kroatien Zrinjski eine Person ist, welche die Herzen höher schlagen lässt. Während sich um die Ehre, Geburtsort Homers zu sein, sieben Städte des Alterthums stritten, so wollen jetzt zwei ganze Nationen schon drei Jahrhunderte lang einander den Ruhm streitig machen, Zrinjski den Ihrigen zu nennen.“ Damit spielte der Rezensent auf die Tatsache an, dass auch Ungarn die Schlacht von Siget und den Tod Zrinskis für sich reklamieren konnte. In den vorherigen Vertonungen des Dramas39 war Zrinski immer ein Ungar gewesen – mit der neuen Oper hatten die Kroaten in diesem Streit um Zrinski einen politischen Pluspunkt gewonnen. In Bezug auf die damalige Zensur war es am wichtigsten, dass es sich um einen Verteidiger der Monarchie handelte und nicht um den ein Jahrhundert jüngeren Nikola Zrinski, der die Rebellion gegen die Habsburger anführte und 1671 als Verräter in der Wiener Neustadt enthauptet wurde. In Bezug auf die Musik waren sich die Rezensenten im Grossen und Ganzen einig  : ein Gleichgewicht zwischen italienischer Melodik, dezente Einführung der „Leitmotive“40 und deutliche Elemente der kroatischen „Nationalmusik“, insbesondere durch die Harmonisierung und Instrumentierung sowie die thematische Verarbeitung von zwei identifizierbaren Volksliedern.41 Der Rezensent der Zeitung Obzor äußerte sich enthusiastisch und verwies auf die veränderten Standpunkte in Bezug auf die Nationalmusik. Früher habe man unter dem Einfluss des Musikwissenschaftlers Franjo Kuhač, dem eifrigen Sammler von Nationalmelodien und Befürworter der Nationalmusik, gemeint, dass die Nationalmusik aus den typischen Formen der kroatischen Volksmusik herauswachsen müsse und deren Elemente in der Nationaloper angewandt werden sollten. Aber, so der Artikel „die Oper ‚Nikola Zrinjski‘ ist gewachsen aus der Seele des kroatischen Komponisten, und als solche begrüßen wir sie  ! Sie ist kein Ausdruck der 39 Vgl. dazu V. Katalinić  : „Nikola Zrinyi (1508–66) as a National Hero in 19th-Century Opera between Vienna, Berlin, Budapest and Zagreb“, in Musica e storia, XII/3 (2004), 611–630. 40 Obwohl es sich eher um Identifikationsmotive handelt. Der damals gebräuchliche Ausdruck hieß auf Kroatisch „značajni motiv“ (z.B in Obzor, VI/257, 9.11.1876), was auf Deutsch eher als „Charaktermotiv“ oder „charakteristisches Motiv“ übersetzt werden sollte. In dieser Bedeutung wurde das motivische Netz in Zrinjski verwendet. Das Thema ist interessant genug, um weitere Forschungen anzuregen. 41 Das Rezitativ und Wiegenlied von Jelena sowie Jelenas Traum (vlg. G. Doliner, „Glazbeni folklor u djelima Ivana Zajca“, 162).



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Epoche wie wir sie vorher beschrieben haben, sie kann nicht verlangen, dass wir ihre Musik national nennen, aber das ist auch nicht notwendig und es ist in der Zeit, in der sie entstanden ist, kein Nachteil. Sie erhebt auf eine würdige Art die Tat des nationalen Heroismus, sie ist wunderschön gedacht und wunderschön gemacht, sie hat das Publikum begeistert, und dabei ist sie genauso kroatisch, wie allgemeingültig, so dass ihr der radikalste kroatische Nationalmusiker keine Vorwürfe machen kann.“42 Tatsache ist, dass sich Zajc nicht bemühte, die Oper Zrinjski gänzlich im „nationalen Ton“ zu komponieren (wie z. B. Smetana in der Verkauften Braut), sondern sich mit den mehr oder weniger transformierten Zitaten (zwei Volkslieder und ein eigener Weckrufchor) dörflicher und urbaner Provenienz zufrieden gab.43

Gjuro Eisenhuth  : Sejslav ljuti (Zagreb, 1878)

Der vielseitige Musiker Gjuro Eisenhuth (1841–1891) – Orchester-, Operettenund Chordirigent, Komponist, Geiger und Konzertmeister im Opernorchester, Pädagoge an der Musikvereinsschule – hatte bedeutende Positionen im Musikleben von Zagreb inne. Seine einzige aufgeführte Oper44 Sejslav ljuti wurde bei der Uraufführung als „originelle Nationaloper in 3 Aufzügen“ bezeichnet. Franjo Žigrović-Pretočki, ein hoher Beamter in der kroatischen Regierung, zugleich Schriftsteller, Übersetzer und zeitweilig Theaterintendant, schrieb das Libretto in Anlehnung an sein Theaterstück. Ähnlich wie bei Ban Leget sind in der Oper die Probleme der uneinigen Kroaten und deren Stammeskämpfe mit einer Liebesgeschichte verflochten. Die Titelperson, Sejslav, der Sohn des kroatischen Königs Radoslav, wird König und regiert tyrannisch. Er liebt Zorka, aber sie liebt den kroatischen Banus Ljudevit. Es kommt zu Konflikten, das Volk erhebt sich, und der Vater muss Sejslav töten, um Zorka zu retten. Die Handlung, nach „alten kroatischen Chroniken“45 zusammengestellt, verbindet Dalmatien, das 42 Obzor, 6. 11. 1876, VI/254. 43 G. Doliner  : „Glazbeni folklor u djelima Ivana Zajca“, 162–163. 44 In seinem Nachlass ist auch die Oper Petar Bačić sowie die Operette Moć ljubavi (Die Macht der Liebe) aufbewahrt. 45 Vienac, 16.3.1878, X/11.

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Küstenland und das pannonische Kroatien und markierte damit erneut das von der Nationalbewegung postulierte Territorium Kroatiens. Die Zeit der Handlung im mittelalterlichen Königreich Kroatiens erinnerte erneut an die Kontinuität der kroatischen Nation. Die Rezensenten bemerkten einige unlogische Stellen im Libretto, aber die Musik wurde vor allem von Franjo Kuhac positiv beurteilt, der sie aber als eher slawisch als kroatisch beurteilte.46 Die Aufführungen waren trotz ziemlich positiver Kritiken nicht gut besucht, weshalb die Oper in neun Jahren nur neun mal gespielt wurde. Bei der letzten Aufführung kommentierten die Kritiker  : „Ein guter Chor ist besser als eine schwache Oper.“47 Ein zweiter Schwerpunkt der Tätigkeit von Zajc zur Schaffung einer kroatischen Opernkultur lag wie erwähnt in Übersetzungen importierter Stücke. Ein internationales Standardrepertoire, das den noch immer schwachen musikalischen und technischen Kräften der Zagreber Oper entsprach, versprach außerdem zusätzliches Publikum anzuziehen. Im Folgenden steht die Frage im Vordergrund, ob und wie der Topos der Nation in diesen übersetzten Opern thematisiert und interpretiert wurde. Als Beispiele werden die Opern Il Trovatore und Ernani von Giuseppe Verdi wegen ihrer historisch-politischen Sujets sowie Webers Freischütz und Smetanas Prodaná nevěsta als Beispiele fremder Nationalopern behandelt.

Giuseppe Verdi  : Il Trovatore, Ernani (Zagreb, 1871)

Die beiden Opern von Verdi wurden unmittelbar nach der Eröffnung der Opernabteilung des Nationaltheaters aufgeführt.48 Sie waren indes in Zagreb nicht unbekannt. Wandernde italienische Operntruppen hatten sie bereits in den 1860er Jahren in ihrem Repertoire. Die Rezensionen der Premiere unterschieden sich deutlich je nach Sprache und Ausrichtung der jeweiligen Zeitungen. Heinrich Hirschl lobte in der Agramer Zeitung im allgemeinen Verdis 46 Obzor, 12.3.1878, VIII/59. Kuhač bezeichnet seine slawischen Melodieeigenschaften als „lieblich und naiv“  ! 47 Vienac, 20.11.1886, XVIII/47. 48 Für die Übersetzungen wurden nicht italienische Originaltexte, sondern deutsche gedruckte Versionen genommen.



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Werke, vor allem den Trovatore, meinte aber, dass Ernani ein „mittelmäßiges Werk“ sei, und nicht unbedingt auf dem Spielplan stehen müsse. Hirschl berührte in seinen Rezensionen weder den Entstehungskontext der beiden Opern noch die politischen Implikationen ihrer Aufführung in Italien. Auch die kroatischen Blätter Narodne novine und Vienac gingen darauf nicht ein und hielten sich generell mit kritischen Bemerkungen zurück, weil sie fürchteten, schlechte Kritiken könnten die Existenz der Oper gefährden. Sie nutzten jede Gelegenheit, um auf die wichtige Rolle der Nationaloper im Leben der Nation hinzuweisen und weitere kroatische Opern einzufordern. Sie verlangten lediglich eine unterschiedliche Interpretation  : „So groß der Unterschied zwischen slawischer und italienischer Musik ist, so groß sollte auch der Unterschied zwischen der Interpretation der einen und der anderen sein.“49 Die Kritiker reduzierten damit die „wahre italienische Musik“ auf stilistische Eigenschaften, während nationalpolitische Inhalte kaum eine Rolle spielten.

Carl Maria von Weber  : Der Freischütz (Zagreb, 1875)50

Anlässlich der Aufführung von Webers Freischütz äußerte der deutsche Kritiker Hirschl offen seine Vorliebe für deutsche Bühnenwerke.51 Zur Ankündigung der Oper lieferte er eine ausführliche Biographie des Komponisten, nach der kroatischen Uraufführung zuerst einen kurzen Bericht und schließlich eine ausführliche Rezension zum Inhalt der Oper und zur Aufführung selbst. Hirschl interpretierte den Freischütz als nationales Vorzeigestück  : „Wohl keine Oper dürfte es geben, welcher der Typus der Nation, in der sie entstanden, mit lesbaren Zügen aufgedrückt ist, als Weber’s Freischütz. Da ist Alles vom Anfange bis zum Ende so urdeutsch, wie nur möglich … diese Oper ist aus dem Volke entstanden, schildert das Volk und ist für das Volk gemacht  ; freilich zunächst 49 Narodne novine, 21.11.1871, XXXVII/267. 50 Auch diese Oper war dem Publikum in Zagreb schon bekannt durch Aufführungen von deutschen Wandertruppen, vor allem seit der erfolgreichen Saison 1832 des Theaterdirektors Karl Mayer. 51 Er gab sich schon bei den Rezensionen von Verdis Opern als nicht zu großer Verehrer der italienischen Musik zu erkennen.

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für das deutsche Volk.“ Weiter erklärte er  : „Allein jedes menschliche Empfinden  : Freude, Leid, wie überhaupt alle individuellen Gefühle haben mit der Nationalität wenig zu thun. Nur die Art und Weise, wie dieselben zum Ausdrucke gelangen, sind bei den einzelnen Nationen verschieden. Im französischen oder italienischen Volke ist wohl, um ein Beispiel anzuführen, ein so träumerischer, kopfhängerischer Bursche wie Max beinahe undenkbar.“52 Der Rezensent der Agramer Zeitung war begeistert, dass gerade „diese Oper als Novität für die hiesige Bühne gewählte und nicht eine sogenannte ‚moderne‘ Oper“.53 Über diese Ode an die deutsche Kunst machte man sich im kroatischen Wochenblatt Vienac mit den Worten lustig  : „…von den Kroaten erwartet man nicht, sich für ein Geistesprodukt zu begeistern, weil es deutsch ist, sondern es wird angepriesen, weil es ein Geistesprodukt ist. Wir schätzen Rafael, Murillo, Dürer, Matejka, Czermak sowie Andrija Medulic – letzteren natürlich vor allem weil er ein Kroate ist, wir bewundern Rossini, Weber, Auber, Gounod, Mozart genauso … Dass wir keine Chinesen oder Huronen sind, konnte man kürzlich bei der letzten Vorstellung des ‚Freischütz‘ sehen, den unser Publikum sehr freundlich begrüßte, weil es ein wirklich schönes und poetisches Werk ist und nicht weil die Büste des Karl Maria Weber in der germanischen Walhalla steht.“ Dann folgte wieder die Verknüpfung mit der Lage der Nation im Musiktheater  : „Wir begrüßen die kroatische Oper in Zagreb gerade deswegen, weil nur sie uns die musikalischen Geistesprodukte auf die Bühne bringen kann – die romanischen, germanischen und slawischen…“54 Es gab kritische Bemerkungen „zu den gesprochenen Teilen“ („in der Oper hörten wir tschechischen sowie slowenischen Akzent“) und zu den Kostümen („Samiel ist ein Dämon und kein Bajazzo“).55 Wegen des schwach besetzten Chores konnte der berühmte Jägerchor in seiner „Deutscheit“ leider nicht ausreichend zum Ausdruck kommen, aber im Ganzen wurde das Singspiel passabel aufgeführt und erreichte einen grossen Publikumserfolg.

52 Agramer Zeitung, 27.4.1875, L/95. 53 Agramer Zeitung, 27.4.1875, L/95. 54 Vienac, 8. 5. 1875, VII/19, 310. 55 Ebd.



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Bedřich Smetana  : Prodaná nevěsta (Zagreb, 1873)

Die Verkaufte Braut von Smetana56 war die erste tschechische Oper auf der neuen Zagreber Bühne. Die kroatischen Rezensenten nahmen sie mit viel Enthusiasmus auf, was angesichts der Anteilnahme kroatischer Intellektuellen am Bau des Tschechischen Nationaltheaters und den damaligen panslawischen Tendenzen wenig überrascht.57 „Ihre Musik hat einen zweifellos slawischen Charakter, der zwischen dem italienischen und deutschen steht  ; die Melodien, welche die ‚Verkaufte Braut‘ im Überfluss hat, befriedigen das kroatische Ohr als ob sie einheimisch wären.“58 In Vienac folgt die übliche Abrechnung mit den „Feinden der slawischen Musik“  : „Die Oper wurde nicht nur mit Begeisterung in ihrer Heimat in Prag aufgenommen, sondern auch vom kosmopolitischen Publikum in Petersburg, und sie wurde in das Repertoire der Pariser Opéra comique übernommen. Dieses für diejenige Clique, die glaubt, dass im slawischen Kopf nichts Schönes wachsen könne.“59 Überraschend ist der Text in der Agramer Zeitung, in der sich der Referent Verdienste für die Inszenierung des Werkes in Zagreb anrechnete  : „Jahre hindurch haben wir eine Instanz nach der andern geschrieben, des Inhalts, man möge den Croaten gestatten, die übrigen Slaven in ihrer Musik näher kennen zu lernen …“, aber „so wollen wir aber nicht … dass man sagen könnte, wir wären musikalische Slavomane … Möge uns die Gegenwart wie auch immer verurtheilen, wenn wir nur für eine glückliche Zukunft unserer Nationalmusik etwas gethan haben, so ist unser Ruhmesantheil groß genug.“ Wie die anderen Zeitungen kritisierte die Agramer Zeitung das Sujet der Oper als trivial, lobte aber die Musik. Besondere Aufmerksamkeit galt den Melodien, der Instrumentierung und dem Sinn für die Form. Der Rezensent warnte alle slawischen Komponisten, „sie müssen gegen Alles, was nicht slavisches Gemeingut ist, energisch protestiren, 56 Vgl. zum Vergleich zwischen Zajc und Smetana W. A. Everett  : „Opera and National Identity in Nineteenth-Century Croatian and Czech Lands“, in International Review of the Aesthetics and Sociology of Music, 35/1 (2004), 63–69. 57 Wie die Zeitungsnotizen bekannt gaben, war der Banus Ivan Mažuranić mit seinem Gefolge bei der festlichen Aufführung anwesend. 58 Narodne novine, 20. 10. 1873, XXXIX/241. 59 Vienac, 1. 11. 1873, V/44, 703. Bezüglich der Aufführung in Paris handelte es sich um einen glatten Irrtum.

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und das vornehmlich deßhalb, weil wir durch einen permanenten Protest nicht nur die Originalität unserer Musik bewahren, sondern diese bis zu einer jetzt noch nicht geahnten Höhe steigern können … Mit diesem wollen wir nicht sagen, dass wir gegen die Musikwerke anderer Nationen intolerant sein sollen  ; wir meinen nur, dass wir trachten möchten, unsere Musik rein zu erhalten und mit keiner andern zu vermengen.“60 Man mag auf den ersten Blick überrascht sein, einen derartigen Text in der Agramer Zeitung zu finden, allerdings offenbart das Autorenkürzel F. K. das Rätsel. Autor des Artikels war Franjo Kuhač, ein eifriger Sammler nationaler Lieder und Befürworter einer „echt slawischen“ bzw. „kroatischen Musik“. Zusammenfassend ist festzustellen, dass nur Smetanas Verkaufte Braut in der kroatischen Öffentlichkeit als Nationaloper rezipiert wurde, während man Verdi und Wagner entpolitisiert als Bestandteil des europäischen Standardrepertoires interpretierte.

Zajcs Distanzierung von nationalhistorischen Dramen

Nach Zajcs Trilogie wurde nur noch eine historische Nationaloper aufgeführt, Sejslav ljuti von Gjuro Eisenhuth (1878), die aber im Erfolg weit hinter Zrinjski und Mislav zurückblieb. Zajc selbst verlegte sich vorwiegend auf komische Opern, darunter Lizinka (Uraufführung am 12. November 1878). Das Libretto des Schriftstellers Josip Eugen Tomić beruht auf der Kurzgeschichte von Alexander Puschkin Die Edelfrau als Bäuerin. Die Adelstochter Lizinka genießt, als Bäuerin verkleidet, die Erntearbeiten. Aleksij, der Sohn der rivalisierenden Adelsfamilie, verliebt sich in sie, ohne zu wissen wer sie ist. Um zwei Familien zu versöhnen, sollten Aleksej und Lizinka heiraten. Aleksej widersetzt sich wegen der unbekannten Schönen, die er liebt. Nach der Auflösung der Missverständnisse wird das junge Paar von den Eltern gesegnet. Alle Rezensenten lobten das Libretto mit dem typischen Sujet einer komischen Oper. Die Oper wurde mit ihren Verwechslungen und Verkleidungen als Volltreffer des „nationalen Komponisten“ bezeichnet, mit der Bemerkung, dass „dem Herrn Direktor“ das Komponieren solcher Spielopern viel besser gelinge als große Opern. Das 60 Agramer Zeitung, 24.10.1873, LVIII/245.



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Werk enthält mehrere in breite Linien gesetzte Arien (z. B. die Romanze von Aleksej im 3. Akt) und ist reich an komischen Rollen, wie z. B. der Anglomane Muromski, der Vater von Lizinka, oder ihre Gouvernante Miss Jackson, die ihr Entsetzen immer mit „Ah, that is terrible  !“ äußert. Es fehlt auch nicht an lebhaften Massenszenen, besonders die Abschlusschöre oder der Mädchenchor im 3. Akt. Ähnlich wie bei der Rezeption der Verkauften Braut in Prag betonten die Rezensenten den nationalen Charakter des Werks. In den Narodne novine stand dazu  : „Natürlich merkt man die Unterschiede zwischen der französischen und der deutschen Spieloper, die aus verschiedenen nationalen Temperamenten herstammen. Aber aus diesen Verschiedenheiten bildet sich nach und nach ein nationaler Stil, bei dem man feststellen kann, wie aus jeder Nummer der Oper Lizinka zu vernehmen ist, dass sie von einem Slawen oder einem Kroaten komponiert wurde. Wenn auch Zrinjski der Absicht nach ein nationales Werk ist, so ist die Musik von Lizinka auch slawisch, obwohl die Handlung ebenso in einem – außer Russland – nicht-slawischen Land spielen könnte.“ Der Rezensent der Agramer Zeitung pries die lockere Art, mit der Zajc die Elemente der großen Oper, der Operette, des volkstümlichen Gesangs und der modernen Chansonette nebeneinander stellte. Wenn der Komponist, ein Meister der Orchestrierung, einige Kürzungen durchführen würde, könne die Oper auch im Ausland Erfolg haben.61 Trotz des allgemeinen Zuspruchs konnte Zajc seine Lizinka aber nur beschränkte Zeit auf der Bühne halten. Das Publikum gab anscheinend dem internationalen Standardrepertoire mit den Opern von Verdi, Donizetti und Meyerbeer den Vorrang. In der nächsten Oper – Tvardovski62 – einer großen Oper in fünf Aufzügen, griff derselbe Librettist, J. E. Tomić, nach einer polnischen literarischen Vorlage, dem Roman Mistrz Twardowski des polnischen Schriftstellers Józef Ignacy Kraszewski. Die Figur des Pan (Herrn) Twardowski stammt aus der polnischen Volkslegende, erinnert eindeutig an die Gestalt des Doktor Faustus und wird oft auch als „polnischer Faust“, jedoch mit weicheren Zügen dargestellt.63 Zajc war 61 Agramer Zeitung, 14.11.1878, LIII/262. 62 Oft auch als Pan Tvardovski angegeben. 63 Der Kritiker von Obzor erwähnte zwei frühere Opernwerke  : ein polnisches und ein deutsches von Müller. Möglicherweise hat der Rezensent an Moniuszkos Musik für die komische Variante

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diese Figur offenbar auch aus anderen Quellen bekannt, so findet sich in seiner Bibliothek der Roman Meister Tvardovski von Hans Max. Nun allerdings warfen die Rezensenten Zajc und dem Librettisten die Wahl eines internationalen Stoffes vor. In der Wochenzeitung Obzor hieß es  : „Herr Tomić schreibt schon zum zweiten Mal den Text für Herrn Zajc. Für Lizinka entstammte er dem russischen Leben, für Tvardovski dem polnischen. … Wir denken, dass es die Pflicht unserer Schriftsteller wäre, den Kosmopolitismus zu verlassen und sich lieber der Bearbeitung einheimischer Themen zu widmen.“64 In den nächsten Nummern folgte die Rezension der Musik  : „Wenn wir schon dem Libretto vorgeworfen haben, es entstamme nicht der kroatischen Geschichte oder dem Alltag, so gilt derselbe Vorwurf auch für die Musik. … Seit unsere Volkslieder publiziert sind, haben sich Musiker aller Völker auf sie gestürzt wie Bienen auf den Honig. Und Herr Zajc, der hier auf der Quelle sitzt, hat er nicht von dem reichen Erz ein wenig profitiert  ? … Wenn Herr Zajc nur einige Male den Volksliedern zuhören würde, eine Sammlung nähme und darin blätterte, so würde er den Geist der Volksmusik einatmen können, der ihm dann in einer transformierten und veredelten Gestalt, idealisiert, artistisch entspringen würde. Bis dahin ist es vergeblich, von einer nationalen Musik zu reden, in welcher nichts anderes national ist, als der Text.“65 Der Rezensent der Narodne novine reagierte erst auf die dritte Vorstellung, die offenbar besser einstudiert war und für welche der Komponist einige Kürzungen vornahm. Er fand einige nationale Elemente (definierte aber nicht, zu welcher Nation sie gehörten) wie z. B. den Promenadenchor aus dem 3. Akt  : „Kada sunce gasne“ („Wenn die Sonne untergeht“), lobte die elegante Polonaise und warf dem Rezensenten des Obzor ein Komplott gegen den Komponisten vor.66 Ausnahmsweise reagierte der Librettist Tomić auf die Kritik in Obzor. Er erklärte, dass er den Text absichtlich aus der slawischen Welt genommen habe, weil er dachte, den Kroaten könnten die Ähnlichkeiten gefallen, aber auch den anderen Slawen, so dass die Opern dadurch „einfacher in die große Welt gelangen können. Ich bin sicher, dass die Russen die Oper Lizinka, wenn sie ihnen von Adam Mickiewicz Pani Twardowska gedacht oder vielleicht an die Oper Pan Tvardovsky des russischen Komponisten Alexey Nikolayevich Verstovsky, einen Rivalen von M. Glinka. 64 Obzor, 14. 5. 1880, X/110. 65 Obzor, 22. 5. 1880, X/116. 66 Narodne novine, 19. 5. 1880, XLVI/113.



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bekannt wäre, sofort in ihr Repertoire aufnehmen würden, während die Oper Zrinjski gerade wegen ihres Librettos und ihrer angeblich lokalen Interessen weder in Petersburg noch in Wien angenommen würde“.67 Haben Tomić und möglicherweise Zajc auf eine internationale, gewissermaßen panslawische Verbreitung der beiden Opern gehofft  ? Hat Zajc absichtlich die kroatischen volkstümlichen Melodien weder zitiert noch nachgeahmt, sondern eine Musik zu komponieren versucht, die man als allgemein slawisch beschreiben könnte, um so die internationale Verbreitung seiner Werke zu erreichen  ? Hat er wegen der guten Aufnahme der Verkauften Braut in Zagreb auf eine Reziprozität gehofft  ? Die Quellen liefern keine Antwort auf diese Fragen, aber zur Aufführung dieser Opern kam es im Ausland jedenfalls nicht. Möglicherweise beherzigte Zajc für sein nächstes Bühnenwerk den Rat des Rezensenten von Obzor, denn er bezeichnete sein neues Werk Zlatka (Uraufführung am 7. März 1885) als „kroatische volkstümliche Oper in drei Aufzügen“. Das Libretto hatte der kroatische Schriftsteller August Harambašić verfasst, der Inhalt spielte sich in einem Dorf in Slawonien ab, was erneut Ähnlichkeiten zur Verkauften Braut belegt. Zur Handlung  : Zlatka ist in den armen Janko verliebt, aber der Vater möchte, dass sie den reichen Pero heiratet. Die Dorfwahrsagerin intrigiert gegen die Liebenden, und Janko muss abreisen. Er kommt wieder zurück, inzwischen wohlhabend geworden, und darf Zlatka heiraten. Die Intention von Zajc, eine weitere komische Nationaloper zu komponieren, geht aus dem Werk klar hervor. In den Narodne novine hieß es dazu  : „Die Musik des Herrn Zajc hat mit der Zeit den Weg zum echten Volk gefunden, einige ihrer Melodien sind zu richtigen Volksliedern geworden.“68 Zajc ahmte tatsächlich wie in der dramatischen Oper Ban Leget den Charakter des Volkstons nach, und zwar so überzeugend, dass die Kritiker diese Passagen als ursprüngliche Volkslieder zu erkennen glaubten. Andererseits war dieser Volkston – nach den Rezensionen – in anderen Teilen der Oper kaum bemerkbar, die Hauptpersonen waren zu melancholisch für eine fröhliche Volksoper konzipiert und die Arien entsprachen eher dem Modell dramatischer Opern. Diese Gegensätze und die als eintönig empfundene Wiederholung mancher volkstümlicher 67 Narodne novine, 25. 5. 1880, XLVI/118. 68 Narodne novine, 9. 3. 1885, LI/55.

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Passagen führte dazu, das die Oper Zlatka trotz aller Bemühungen nach nur sieben Vorstellungen von der Bühne verschwand. Zajc und sein Librettist J. E. Tomić griffen daraufhin erneut zu einem polnischen Stoff, dieses Mal von Aleksander Fredro. In der dreiaktigen komischen Oper Gospodje i husari (Die Damen und die Husaren, 13. Oktober 1886) geht es um das Liebesleben zweier hoher Offiziere. Ein alter Major möchte die junge Sophie heiraten, sie liebt aber einen jungen Leutnant. Das junge Paar flieht zusammen, der Major schickt ihnen die Husaren nach, wird aber rechtzeitig überzeugt, dass er für die Heirat schon zu alt sei. Der Hauptvorwurf gegen das Libretto sowie gegen die Musik war der Mangel an spritziger Komik, so dass das Werk eher blass wirkte, trotz einiger schöner Melodien.69 Das Zagreber Publikum begrüßte die Oper trotzdem mit viel Enthusiasmus, aber nach neun Vorstellungen verschwand sie ebenfalls aus dem Repertoire.70 Im Jahr 1889 kam es nach diesen Misserfolgen zu einer institutionellen Krise. Zum ersten Mal wurde die Nationaloper aufgelöst, der Operndirektor verlor seinen Posten und widmete sich seiner Tätigkeiten als Direktor der Musikvereinsschule, die er bereits 1870 angenommen hatte. Mit seinem Abgang gab Zajc das Komponieren von Nationalopern auf, blieb aber in der Sphäre der Operette und Bühnenmusik tätig.

Das Bühnenbild

Die visuelle Komponente der Opernaufführungen wurde in den Rezensionen nur selten erwähnt, war aber ein Barometer für finanzielle Probleme. Die erste Ausstattung erwarb die Opernabteilung des Nationaltheaters von deutschen und italienischen Truppen, aber seit 1870 musste es selbst für die Kostüme und Kulissen sorgen. Die seltenen und manchmal niederschmetternden Kritiken des Bühnenbildes und der Dekoration wurden immer als Zeichen mangelhafter finanzieller Unterstützung dargestellt. Meist fertigten unbekannte Maler die Bühnenbilder an, manchmal wurden sie aus Wien bestellt. Erste Fortschritte gab es 69 Zajc verwendete erneut mehrere polnische Tänze (Polonaise, Mazurka) 70 Die Vorstellungen erstreckten sich über das ganze Jahr (13.10.1886–3.10.1887).



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beim Freischütz, was in Zeitungsrezensionen lauthals gelobt wurde  : „Die Oper war für unsere Verhältnisse glänzend in Szene gesetzt. Dies gilt besonders von der Wolfschluchtszene. Nur hatte man der Pyrotechnik einen zu großen Spielraum gelassen. Auch möchten wir zu bedenken geben, dass die gothische Halle im Anfange des 2. Actes wohl kaum für das einfache Försterhaus passt.“71 Der Erfolg von Nikola Šubić Zrinjski war auch der neuen Inszenierung und Ausstattung zu verdanken, für die 1.100 Gulden ausgegeben wurden. Der Italiener Domenico d’Andrea fertigte für Zrinjski neue Dekorationen der alten Festung Siget an. Sein Name ist der des ersten Theatermalers (1876) der uns aus Zagreb bekannt ist,72 aber nach dieser Inszenierung wurden die Bühnenbilder in den Rezensionen selten erwähnt. Dauerhaft angestellte Bühnenbildner wurden am Zagreber Nationaltheater erst Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Es sieht so aus, dass in der Reihenfolge der wichtigsten Elemente des Musiktheaters das Bühnenbild an letzter Stelle stand und man immer auf das Improvisationstalent des Theaterregisseurs und die Imagination des Publikums hoffte.

Schlussfolgerungen

Die nationale Idee, bzw. das „versteinerte imagologische Identitätskonstrukt über sich selbst“73 wurde in den Libretti der kroatischen Opernwerke behandelt und durch die Musik unterstützt. Die Intention der Komponisten Ivan Zajc und Gjuro Eisenhuth war von der Idee geprägt, ihre historischen Nationalopern mit Elementen „nationaler“ oder „slawischer“ Musik „auszuschmücken“. Die öffentlichen Reaktionen auf diese Konstruktion eines nationalen Stils hingen von den Zeitungen und den einzelnen Rezensenten ab.74 Unabhängig von dem 71 Agramer Zeitung, 27.4.1875, L/95. 72 J. Konjović, „Boja i oblik u scenskom prostoru“, in Rad JAZU, Bd. 326, Zagreb 1962, 32. 73 D. Oraić Tolić  : „Kroatische kulturelle Stereotypen. Dissemination der Nation“, in Neohelicon, XXXIII/1 (2006) 207. 74 Die deutschsprachigen Zeitungen lobten einerseits die deutschen Bühnenwerke, anderseits, die Qualität eher als die Nationalidentifikation in Text und Musik. Die kroatischen Berichte waren den nationalen Bestrebungen gegenüber positiv orientiert. Aber der strenge Kritiker und Schriftsteller August Šenoa war in seiner Zeitschrift Vienac immer ein Befürworter universeller Werte und gab ihnen den Vorzug vor nationalen Eigenschaften.

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Grad an Zustimmung war die nationale Rezeption durchgängig. Die Werke von Zajc, Eisenhuth und dem bereits verstorbenen Lisinski wurden als Nationalopern aufgenommen. Dies änderte allerdings nichts an der insgesamt geringen Anzahl an Nationalopern, die sich tatsächlich durchsetzen konnten.75 Insbesondere Zajc erkannte die ambivalente Haltung des Publikums, das eher gute Unterhaltung im Opernhaus erwartete als nationale Erbauung. Zusätzlich zu den kroatischen Werken wurden Smetanas Verkaufte Braut und später seine Opern Der Kuss und Dalibor (1895 in Zagreb aufgeführt) als Nationalopern rezipiert.76 Allerdings war diese Rezeption ähnlich wie in Böhmen gebrochen. Während man dort Smetana wegen seines angeblichen Wagnerismus kritisierte, warf man Zajc einen Verdianismus und eine zu deutliche Anlehnung an die italienische Oper vor. Slawische Themen, die Zajc und sein Librettist Tomić in drei Opern verarbeitete, fanden trotz der damaligen Verbreitung panslawischer Ideen wenig Widerhall. Das lag daran, dass sich die kroatischen Eliten noch vor dem panslawistischen Kongress in St. Petersburg 1867 stärker lokalen Varianten des Panslawismus – dem Südslawentum – zuwandten. Davon zeugt in anderen Bereichen der Kultur die Herausgabe des ersten Lexikons südslawischer Künstler Slovnik umjetnikah jugoslavenskih durch Ivan Kukuljevic (1858–60), in der Satzung des südslawischen Theaters des Dreieinigen Königreichs (1860), in den Bestrebungen des Bischofs Strossmayer zur Gründung einer Südslawischen Akademie (1866) und in der Herausgabe der monumentalen Sammlung südslawischer Volkslieder (Južno-slovjenske narodne popievke, 4 Bde, 1878–81) durch Franjo Ks. Kuhač. Die von Zajc verarbeiteten polnischen und russischen Themen blieben außerhalb dieser Strömungen, und die slawische Musik – die lieblichen und naiven Melodien, wie sie Kuhač in der Rezension von Sejslav ljuti bezeichnete – zu allgemein. Smetanas Oper Die Verkaufte Braut war zwar ein großer Erfolg, aber es gab dann bis Mitte der 1890er Jahre wenig Versuche, weitere Werke von 75 Der Komponist Gjuro Eisenhuth wurde immer wegen seines Mangels an Bildung entschuldigt. Wenige kroatische Komponisten studierten Komposition  ; wenn, dann immer im Ausland (Lisinski in Prag, Zajc in Mailand), weil es in Zagreb noch kein Konservatorium gab. Man konnte nur Privatstunden nehmen, was Eisenhuth gelegentlich bei Anton Storch in Wien tat. 76 Vgl. dazu P. Ther  : In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien/ München 2006, besonders das Kapitel „Nationalkomponisten“, 378–384.



Der Topos der Nation auf der Musikbühne am Anfang der Kroatischen Nationaloper in Zagreb

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ihm auf die Bühne zu bringen. Andererseits hatte die Oper Mislav von Zajc in Prag nur geringen Erfolg. Nach der Gründung der Opernabteilung im Nationaltheater gab es einen nicht mehr nur theoretischen Bedarf nach einem nationalen Repertoire. Zajc reagierte darauf mit der Komposition seiner national-historischen Trilogie. Doch später richteten sich die Anstrengungen, eine nationale Hochkultur aufzubauen, auf andere Bereiche der Kultur. In den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurden trotz der versuchten Magyarisierung unter dem Banus Khuen-Héderváry (1883–1903) mehrere wichtige kulturelle Institutionen und Gebäude eröffnet, darunter das neue Nationaltheater, der Musikvereinssaal, Schulen, und Museen.77 Die Oper verlor an Relevanz, was sich nicht zuletzt in der Schließung der defizitären Opernabteilung des Nationaltheaters im Jahr 1889 spiegelte. Erst die auf Zajc folgende Generation von Komponisten wandte sich um die Jahrhundertwende und vor dem Ersten Weltkrieg neuen Opernthemen und nun auch verstärkt der Instrumentalmusik zu. Vor allem der neue Kontext des ersten südslawischen Staats nach 1918, als die Kroaten wieder eine neue Vereinigung nach innen und gemeinsame kulturelle Identität und Abgrenzung nach außen suchten, führte dann zu neuen Versuchen, ein kroatisches Opernrepertoire zu schaffen.

77 Die Schule für angewandte Kunst wurde 1882 gegründet, das Gebäude des Museums für angewandte Kunst wurde 1888 nach den Plänen von Herman Bollé gebaut.

Jutta Toelle

Oper global  : Ansätze zur Kartierung des Musiktheaters

Die Oper wird heute als eine genuin europäische und gleichzeitig globalisierte Kunstform wahrgenommen. Ihre europäische Herkunft und die anhaltende Assoziation der Kunstform mit dem Alten Europa stehen dabei in keinerlei Widerspruch zum weltweiten Sänger- und Dirigentenmarkt, der die Oper seit dem späten 19. Jahrhundert in seinem Griff hat. Längst stehen weltweit Künstler aus aller Herren Länder auf der Bühne, sind Sänger aus Südafrika, von den Philippinen oder aus Korea keine Seltenheit mehr an deutschen Stadttheatern oder italienischen Konservatorien. Wie alles globalisierte Kulturgut unterlag die Oper nicht nur im 19. Jahrhundert, sondern bis heute vielfältigen Austauschprozessen, sowohl innerhalb Europas als auch zwischen Europa und außereuropäischen Gebieten. So wie einerseits in amerikanischen Musikzeitschriften heute vermeintlich skandalöse, aktualisierte oder auch nur behutsam modernisierte Inszenierungen der immer gleichen Werke als Eurotrash gescholten werden, so herrscht andererseits an vielen europäischen Theatern Skepsis gegenüber den harmlosen Literaturopern, die so erfolgreich an amerikanischen Bühnen aufgeführt werden  : Die „koloniale Beziehung“, von der John Rosselli in Bezug auf die Abhängigkeit des amerikanischen Opernlebens von Europa im 19. Jahrhundert spricht, gehört größtenteils sicherlich der Vergangenheit an, doch die Deutungshoheit über das Genre will man sich auf keiner Seite nehmen lassen. Annegret Fauser zeigt in ihrem Beitrag über Oper in den Vereinigten Staaten während des Zweiten Weltkriegs deutlich, wie eine bis dorthin meist noch als europäisch empfundene Kunstform sozusagen amerikanisiert und für amerikanische Zwecke instrumentalisiert wurde. Schon bald nach dem Entstehen der Kunstform wurden Künstler, Werke und Techniken zwischen Italien und Nordeuropa, Spanien und Frankreich ausgetauscht, unterlagen vielfältigen und wechselseitigen Einflüssen, wurden von den Moden anderer Länder verändert und verwandelten so ihrerseits rückwirkend wieder das Opernleben in den Herkunftsländern. An allen Höfen zwischen Portugal und Russland, die auf sich hielten, wurden schon bald

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italienische Musiker beschäftigt, um das Genre zu reproduzieren  ; Städte wie Hamburg und Leipzig ließen bereits im 17. Jahrhundert eigene Opernhäuser errichten, um mithalten zu können. Die Expansion des Genres Oper war also zuerst eine staatlich sanktionierte, die vor allem der Repräsentation diente. Dies kann als ein erster Schritt hin zu einer globalisierten Kunstform gesehen werden, doch die Idee, als Beweis des „Zivilisationsgrades“ eines Staates ein Opernhaus zu errichten, blieb bis heute bestehen. Ebenso sind die repräsentative Funktion eines Theaters und bestimmter Aufführungen verblüffende Konstanten des staatlichen Umgangs mit dem Genre, wie Sarah Zalfen und Sven Oliver Müller in ihrem Beitrag über die Schahbesuche in Berlin 1873 und 1967 bestätigen. Auch in Istanbul, wie Adam Mestyan zeigt, war Oper eine europäische Art der Unterhaltung, mit der das schnell wachsende städtische Bürgertum seine Modernität bewies, während gleichzeitig der Sultan im Privaten das Genre ebenfalls schätzte. Durch die verstärkte Mobilität der Menschen im 19. Jahrhundert, durch die bessere Erreichbarkeit großer Teile der Erde schritt die Globalisierung des Genres voran. War die Oper bereits in allen Ecken Europas und an dessen Rändern angekommen, reisten italienische Opernkompanien ab den 1820er, 1830er Jahren immer öfter auf eigene Gefahr nach Nord- und Südamerika. Sie waren bald überall dort anzutreffen, wo sich ein potentielles Publikum versammeln konnte  ; sie lieferten das Angebot dorthin, wo eine Nachfrage nach Oper zu erwarten war. Eine europäisierte Kunstform wurde so globalisiert. Auch der Kolonialismus der Europäer trug zur Globalisierung der Oper bei. Der Europasehnsucht der Kolonialbeamten und den Repräsentationszwängen der neu geschaffenen Staatsgebilde wurden in vielen Fällen mit dem Bau von Opernhäusern Rechnung getragen. Drei Stränge sind also in erster Linie für die Globalisierung der Oper im 19. Jahrhundert verantwortlich  : die politisch sanktionierte Unterstützung des Genres aus meist repräsentativen Gründen, die kommerziell verankerte Ausbreitung der Oper vor allem nach Amerika, wo mit immer mehr europäischstämmigen Siedlern die Nachfrage nach Unterhaltung wuchs und durch reisende Opernkompanien gestillt wurde und der Kolonialismus und Imperialismus europäischer Staaten, in dessen Zuge ebenfalls Theaterneubauten entstanden.



Oper global  : Ansätze zur Kartierung des Musiktheaters

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In allen drei Fällen lebte das Genre auch von seiner Identifikation mit dem Alten Europa  : eine zuvor europäisierte Kunstform wurde also zu einer globalen, behielt aber ihren Stallgeruch, ohne den die Globalisierung nicht stattgefunden hätte.

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Der Duft der großen weiten Welt Ideen zur weltweiten Ausbreitung der italienischen Oper im 19. Jahrhundert

Im Film Fitzcarraldo von Werner Herzog träumt der Exzentriker Brian Sweeney Fitzgerald – genannt Fitzcarraldo und verkörpert durch Klaus Kinski – davon, im peruanischen Regenwald nach dem Vorbild des Teatro Amazonas in Manaus ein Opernhaus zu errichten. Zur Eröffnung soll Enrico Caruso dort auftreten, der erste international bekannte Superstar der Oper. Zur Finanzierung des Theaters will Fitzcarraldo in den Kautschukhandel einsteigen  ; zur berühmtesten Szene des Films aber ist die geworden, in der er einen Dampfer nicht über gefährliche Stromschnellen fahren, sondern mit reiner Muskelkraft über einen Berghang ziehen lässt. Selbstverständlich wird das Opernhaus am Ende nicht gebaut, der Film endet mit einer Einstellung auf Fitzcarraldo, der auf seinem derangierten Schiff steht und laut Arien von Giacomo Puccini, gesungen von Caruso, über den Fluss tönen lässt. Der verrückte und utopische Traum Fitzcarraldos ist unverkennbar einer des 19. Jahrhunderts  : Oper in den Dschungel zu bringen, ein Stück Zivilisation oder „Kultur“ in ein unwirtliches, von europäischen Gegebenheiten möglichst weit entferntes Land zu bringen, europäische Stars auftreten zu lassen und so gleichzeitig sein Geld und seine Kultiviertheit zur Schau stellen zu können. Richard Taruskin schreibt in einem Artikel über Sankt Petersburg, dass um 1840 der Bau eines größeren italienischen Opernhauses eine Grundvoraussetzung dafür war, die neue Hauptstadt als „a world-class diplomatic and cultural centre“ zu etablieren. Zur Idee, den eigenen Anschluss an Europa zu demonstrieren und europäische „Zivilisation“ außerhalb des Kontinents zu demonstrieren, gehörte ein Opernhaus offensichtlich unbedingt dazu.  S. dazu den Film Fitzcarraldo von Werner Herzog (Bundesrepublik Deutschland, 1982) und dazu Werner Herzog, Eroberung des Nutzlosen, München 2004.  R. Taruskin, Artikel St. Petersburg, The New Grove Dictionary of Opera, www.oxfordmusiconline.com, eingesehen am 17.06.2009.

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Die Erforschung einer europäischen Topographie der Oper ist mittlerweile begonnen worden, doch die Frage, inwieweit Oper nicht nur als konstitutiv für den europäischen Kulturraum gelten kann und die Gattung als eine genuin europäische zu betrachten ist, sondern inwieweit das Genre Oper auch außerhalb Europas „europäisierend“ wirkte oder wirken sollte, muss noch ausgiebig diskutiert werden. Zwar hatten italienische Künstler schon im 17. Jahrhundert die Oper in Europa verbreitet, doch erst im 19. Jahrhundert trugen sie das Genre tatsächlich „in die Welt“ hinaus und erreichten – von Italien weit entfernte – Orte in Südamerika, Australien und Asien. Und so wie sich im 19. Jahrhundert fast jede größere Stadt in Europa ein öffentliches Theater leistete, in dem Opern und Operetten gespielt wurden, schwappte dieser Trend auch bald über die Ränder Europas hinaus  : zwischen 1840 und 1880 entstanden weltweit viele hundert Theater, in denen Opern gespielt wurden und Opernhäuser, die ausdrücklich dem Genre gewidmet waren. Doch wie kam es zu diesem Boom der italienischen Oper  ? Mehrere Gründe bieten sich an  : die europäisch beeinflussten oder an Europa orientierten Oberschichten übernahmen das Repräsentationspotenzial des Genres Oper, vielerorts lassen sich auch städtebauliche Gründe für die Errichtung eines großen Theaters anführen. Ermöglicht jedoch wurde dieser Aufschwung der Oper in aller Welt erst durch die italienischen Kompanien, die zu hunderten unterwegs waren, ihr Theater einem neuen Publikum darzubieten und damit zugleich ihr Auskommen zu finden. Erst durch diese Handlungsreisenden in Sachen Oper wurde das Genre weltweit bekannt gemacht. Der  Als Beispiele dienen hier z.B. P. Ther, In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien/ München 2006  ; auch die Sonderausgabe der Revista de Musicologia XVI, 1993.  S. hierzu P. Stachel, P. Ther, Einleitung, in dies. (Hrsg.), Wie europäisch ist die Oper  ? Die Geschichte des Musiktheaters als Zugang zu einer kulturellen Topographie Europas, München/ Wien 2009, 7–9, auch L. Bianconi, „Vorwort“, in A.L. Bellina (Hg.), Il teatro dei due mondi. L’Opera italiana nei paesi di lingua iberica, Treviso 2000, 5–8 und U. Schreiber, Opernführer für Fortgeschrittene, Band 3  : Das 20. Jahrhundert, 3. Ost- und Nordeuropa, Nebenstränge am Hauptweg, interkontinentale Verbreitung, Kassel 2006.  Im März 1884 meldete die Leipziger Zeitschrift Signale für die musikalische Welt  : „In Europa existieren gegenwärtig 1498 Theater.“ Davon entfielen 348 auf Italien, 337 auf Frankreich, 194 auf das Deutsche Reich, 160 auf Spanien, 150 auf England, und 44 auf Russland, s. Signale für die musikalische Welt, 1884, 392.



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Musikwissenschaftler Marcello Conati nennt die italienischen Sänger, Impresari, Musiker, Choristen und Bühnenmaler „Pioniere“, weil sie den Mut hatten, das Risiko der weiten Reisen, die Gefahren von Gelbfieber, politischen Unruhen und pleitemachenden Impresari auf sich zu nehmen. Immer wieder finden sich in den Zeitschriften des 19. Jahrhunderts Berichte über Opernkompanien, die in Neuseeland, Patagonien oder Venezuela gestrandet waren und das Geld für die Heimreise nicht mehr aufbringen konnten. Viele Künstler starben auf Tourneen an exotischen Krankheiten – wie die berühmte Sopranistin Henriette Sontag, die 1854 in Mexiko dem Gelbfieber erlag. Die reisenden Opernkompanien bestanden meist aus italienischen Künstlern und wurden in der Regel von Mailand aus zusammengestellt, wie ein deutscher Dirigent, der in Italien tätig war, berichtete  : „Von Mailand aus werden alle italiänischen Operncompagnien gebildet, selbst diejenigen, welche nach den fernsten Urwäldern gehen. Zu einer bestimmten Jahreszeit sieht man denn alltäglich in den Straßen Mailands abziehende Operntruppen. Fragt ihr, wohin sie den Schritt lenken, so wird euch eine Gruppe antworten, daß sie nach Pernambuco geht, die andere nach Mexico, eine dritte nach Lissabon, eine vierte nach Guatemala.“ Ihr Repertoire beschränkte sich meist auf die italienische Oper  ; eher selten wurden französische grands opéras gespielt, dann allerdings ebenfalls auf Italienisch. Die Tradition des weltweiten Reisens hatte unter italienischen Sängern schon in den 1820er Jahren ihren Anfang genommen. Italienische Operntruppen waren nicht zuletzt deshalb unterwegs, weil die Art von Oper, die sie pflegten, im Mutterland nicht mehr goutiert und als altmodisch empfunden wurde. John Rosselli führt das auf den veränderten Geschmack in Italien selbst zurück, wo sich mit dem Niedergang der traditionellen opera buffa und dem Aufstieg  M. Roeder, „Über den Stand der öffentlichen Musikpflege in Italien“, in P. Graf Waldersee (Hg.), Sammlung musikalischer Vorträge, Dritte Reihe, Leipzig 1881, S. 29, s. auch J. Toelle, Bühne der Stadt. Mailand und das Teatro alla Scala zwischen Risorgimento und Fin de Siècle, Wien u.a. 2009, 97.  R. Kitson, „The 19th Century International Operatic Industry and the American Press“, in Revista de Musicologia XVI, I, 1993.  R. Kitson, „International Operatic Industry“, 28.  J. Rosselli, „The Opera Business and the Italian Immigrant Community in Latin America 1820– 1930  : The Example of Buenos Aires“, in Past & Present 127 (1989), 155.

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Rossinis für durchschnittliche Sänger, die in Kompanien organisiert waren, die Auftrittsmöglichkeiten deutlich verringerten  : „No doubt some went to South America because remote places might still welcome comic opera, others because they had failed at home.“10 Die Mobilität dieser Truppen vergrößerte sich mit der immer besseren verkehrstechnischen Zugänglichkeit der Welt. Sobald an einem mehr oder weniger erreichbaren Ort eine (wenn auch nur rudimentäre) Infrastruktur in Form eines halbwegs adäquaten Saals in einer Gaststätte und eines interessierten Publikum mit ausreichenden finanziellen Mitteln vorhanden war, avancierte der Ort zu einem potentiellen Standort für ein Gastspiel. Durch diese hohe Flexibilität der italienischen Opernkompanien war das Genre Oper also leicht verfügbar – verblüffend bleibt dennoch die Geschwindigkeit, mit der die italienische Oper sich in alle Welt ausbreitete. Die Mailänder Zeitschrift Moda, die wie so viele andere italienische Periodika des 19. Jahrhunderts zu Beginn des Theaterjahres eine Beilage, ein Supplemento veröffentlichte, in der die geplanten Spielzeiten der jeweiligen Saison aufgeführt waren, listete für 1845/46 in folgender Reihenfolge auf, in welchen Staaten italienische Opernkompanien aufzutreten planten  : Lombardo-Venetien, Illyrien, Dalmatien, Kroatien, Piemont-Sardinien, die Herzogtümer Parma/Piacenza, Modena und Lucca, das Großherzogtum Toskana, der Kirchenstaat, das Königreich beider Sizilien, dann die Schweiz, Frankreich, Spanien, Portugal, Preußen, Dänemark, Holland, die Ionischen Inseln, Russland, das Osmanische Reich, die Walachei, die Vereinigten Staaten, Brasilien und Mexiko.11 Auch anhand der Verbreitung bestimmter einzelner Opern wird diese phänomenale Geschwindigkeit deutlich  : Das erste Bühnenwerk, das innerhalb kürzester Zeit weltweit nachgespielt wurde, war Giuseppe Verdis Il Trovatore, im Januar 1853 in Rom sehr erfolgreich uraufgeführt. Innerhalb von zwölf Monaten wurde die Oper in siebenundzwanzig Theatern Italiens gespielt, nach drei Jahren in mehr als sechzig Städten weltweit (u.a. Korfu, Konstantinopel, Madrid, Porto, Wien, Barcelona, Odessa, Warschau, Cádiz, Rio de Janeiro, Budapest, 10 Ebd., 163. 11 Zit. nach M. Conati, „La presenza dell’opera italiana nella penisola iberica nell’America latina attraverso la stampe periodica italiana dell’Ottocento“, 13, in Revista de Musicologia XVI, I, (1993).



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Paris, Jassy, Puerto Rico, Buenos Aires, Timisoara, Alexandria, Montevideo, Braunschweig, New York, London, Sevilla, Havanna, Liverpool, Brünn, Dublin, Nizza, Palma de Mallorca, Zadar, St. Petersburg und Darmstadt). 1860 war Il Trovatore in Mexiko, Belgien, Chile, Peru, den Niederlanden, Venezuela, der Schweiz, Kanada, Australien, Kolumbien, Guatemala und Schweden angekommen, 1870 in Norwegen, Finnland, Indien, Indonesien, China, den Philippinen und Südafrika. Bereits 1862 schrieb Giuseppe Verdi an einen Freund  : „Wenn du nach Indien reist oder ins Herz von Afrika, überall wirst du den Trovatore hören.“12 In all diesen Fällen gilt  : Il Trovatore war ein Exportgut und wurde auch außerhalb Europas von Europäern gemacht. John Rosselli geht im weltweiten Operngeschäft bis ca. 1870 von einer „straight forward colonial relationship“ zwischen italienischen Künstlern und Amerika – oder Asien, Afrika, Australien – aus  ;13 in Nordamerika gab es danach auch einheimische Opernkompanien. Das Hauptgeschäft jedoch blieb bei den Italienern. Hatten die italienischen Künstler die führenden Gesellschaftsschichten außerhalb Europas erst einmal mit dem Genre Oper bekannt gemacht, gab es in vielen Fällen bald erste Impulse zum Bau eines eigenen Opernhauses  : um den Kompanien bessere Auftrittsmöglichkeiten zu bieten, um das Stadtbild zu vervollständigen, aber vor allem, um Reichtum, Macht und nicht zuletzt die eigene Anschlussfähigkeit an europäische Kultur zur Schau zu stellen.14 Viele Bauten verdankten ihre Existenz schnell zu Geld gekommenen Schichten und deren Repräsentationsbedürfnissen. Dem Kautschukboom ist das 1896 eröffnete Teatro Amazonas in Manaus geschuldet  ; das Teatro Municipal im chilenischen Iquique wurde 1890 in einer Stadt errichtet, die durch den Salpeterhandel im Aufschwung war. Auch Aspen in Colorado bekam bald nach Entdeckung der Silbervorkommen in den 1870er Jahren ein Opernhaus.15 In Städten wie Kalkutta, Saigon oder Batavia sorgten Kolonialbeamte – die sich nach Europa 12 Brief von Giuseppe Verdi an Opprandino Arrivabene, 2. Mai 1862, zitiert in J. Budden, The Operas of Verdi, II, 112. 13 J. Rosselli, „Latin America and Italian Opera  : a Process of Interaction, 1810–1930“, in Revista de Musicologia XVI, 1, (1993), 8. 14 S. dazu J. Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, 29. 15 J. Osterhammel, Verwandlung der Welt, 391.

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zurücksehnten – und neu entstandene, gemischte Oberschichten dafür, dass ebenfalls bald Theatergebäude errichtet wurden. In gewisser Hinsicht können auch die Theaterneubauten der 1990er Jahre in China und diejenigen der letzten Jahre in Skandinavien dazu gezählt werden  : auch diese emotional hoch aufgeladenen Bauten haben den demonstrativen Charakter des „Dazugehörens“. Nach dem Vorbild des berühmten Opernhauses in Sydney, das in einem Land ohne große Operntraditionen zwischen 1959 und 1973 erbaut wurde,16 verfügen jedoch alle diese neueren Bauten auch über eine äußerst wichtige städtebauliche Funktion, so das spektakuläre Grand National Theatre in Peking von Paul Andreu, das in unmittelbarer Nähe zum Tian-An-Men-Platz erbaut wurde und die 2004 und 2008 eröffneten Opernhäuser in Kopenhagen und Oslo, die architektonische Akzente setzen. Fast macht es sogar den Anschein, als würde ein Opernhaus nicht nur bis heute als Ausweis des „Zivilisationsgrades“ einer Nation verstanden werden, sondern als sei Konsens, dass sich nichts so sehr wie ein Opernhaus dazu eigne, unwirtliche Gegenden einer Stadt aufzuwerten und gleichzeitig emotional wichtige, symbolhafte Orte zu besetzen. Mit den Bauten des 19. Jahrhunderts haben viele der neueren Theater jedoch nicht nur die städtebauliche Rolle gemein, sondern auch die Funktionsweise  : sie werden nicht ständig bespielt, sondern sehen Oper – wenn überhaupt regelmäßig – nur im Zuge kurzer stagioni. Das italienische stagione-System, in dem an Theatern nur kurze Spielzeiten mit mehrfachen Aufführungen derselben Oper stattfinden, hat sich so über die ganze Welt verbreiten können  ; und in gewisser Hinsicht folgen bis heute fast alle Opernhäuser außerhalb Europas diesem ursprünglich italienischen Muster. Wie bereits anhand des Films Fitzcarraldo thematisiert, waren die Kolonialgebiete in Nord- und Südamerika im 19. Jahrhundert ein großer Wachstumsbereich für die italienische Oper. Dort gab es europäische oder europäisch beeinflusste Oberschichten, die ein potentielles Publikum darstellten und durch verbesserte Verkehrswege und Verkehrsmittel ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts deutlich leichter mit Oper versorgt werden konnten. Traditionelle Zentren 16 R. Bereson, The Operatic State  : Cultural Policy and the Opera House, London 2002  ; G. Fontaine, Le Grand Théatre National de Pékin  : comment réussir un opéra de Charles Garnier à Paul Andreu, Paris 2003.



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waren – teilweise schon seit dem 18. Jahrhundert – New York,17 Havanna, New Orleans (wo aber die französisch geprägte Musikkultur überwog), Mexiko Stadt und Rio de Janeiro, wo mit dem Zuzug des portugiesischen Hofes 1813 eine prachtvolle europäische Repräsentanz entstanden war. Die italienischen Operntruppen reisten von Europa aus auf zwei Hauptrouten, einer nord- und einer südamerikanischen, die strikt voneinander getrennt waren.18 Die südamerikanische Route startete in Rio de Janeiro, von wo die Künstler die Küste per Schiff hinab nach Süden zogen. Sie spielten in São Paulo, in Montevideo – wo 1856 das große Teatro Solís eröffnet wurde – und in Buenos Aires, wo ein Jahr später das Teatro Colón seine Türen öffnete (zur Einweihung dieser beiden großen Opernhäuser wurden erstmals bekannte italienische Sänger direkt nach Südamerika engagiert).19 Um Kap Hoorn herum führten die Wege dann nach Chile, von dort die Küste hoch über Peru und die Westküste Mexikos bis nach Kalifornien, wo mit dem Goldrausch ab 1849 viele Menschen zu unterhalten waren und viel Geld zu holen war.20 Für Nordamerika gab es zwei klassische Routen italienischer Opernkompanien und Impresari  : ausgehend von New York reisten sie entlang der Küste nach Süden bis nach Charleston, wo es in den 1790ern bereits zwei Theater gab. Eine Alternative bot die erste große befestigte Straße in Nordamerika, die National Road, auf der man von der Küstenstadt Baltimore bis nach Pittsburgh am Ohio River gelangen, dann entweder auf ein Schiff umsteigen oder über St. Louis auf dem Missouri und Mississippi River New Orleans erreichen konnte. Obwohl die Stadt seit 1803 amerikanisch war, gab es dort seit der französischen Kolonialzeit eine starke französische Theatertradition und bereits mehrere Theater. Beide erwähnten nordamerikanischen Routen, die an der Küste und die im 17 S. dazu Lorenzo da Pontes Bericht über die ersten Opernaufführungen in New York durch die Familie Garcia, s. L. da Ponte, Mein abenteuerliches Leben. Die Erinnerungen des Mozart-Librettisten, Zürich 1991, 311–313. 18 John Rosselli legt Wert darauf, dass bis 1878 keine Querverbindungen zwischen beiden Routen existierten und Sänger, die von Havanna nach Caracas reisen wollten, dies von Europa aus tun mussten, s. J. Rosselli, „Latin America and Italian Opera“, 7. 19 Enrico Tamberlick und Emma La Grua kamen also nicht wie ihre Vorgänger auf einer Tour­nee nach Südamerika, sondern wurden direkt in Italien eingekauft, s. J. Rosselli, „Opera and Italian Immigrants“, 167. 20 J. Rosselli, „Latin America and Italian Opera“, 7.

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Landesinneren auf dem Wasserweg konnten über Havanna nach Mittelamerika, an die mexikanische Karibikküste, fortgesetzt werden. Alternative Routen eröffneten sich, als 1869 und 1883 die Eisenbahnlinien an die amerikanische Westküste von Chicago nach San Francisco und von New Orleans nach Los Angeles fertig gestellt waren. Folgt man dem amerikanischen Dwight’s Opera Journal von 1851, umfasste das Repertoire der italienischen Operntruppen in Nordamerika zu diesem Zeitpunkt achtzehn Opern von Bellini, Donizetti, Rossini, dazu Don Giovanni, Ernani von Giuseppe Verdi (mit dieser Oper beginnt der Film Fitzcarraldo) sowie Robert le Diable, Les Huguenots (Meyerbeer) und La Muette de Portici (Auber), alle drei allerdings in italianisierten Versionen. 1884 berichteten die stets gut informierten Signale für die musikalische Welt, dass New York mittlerweile über dreißig – auch der Oper gewidmete – Theater verfüge und zum ersten Mal im Central Park „nach dem Widerstand der Puritaner“ ein Sonntags-NachmittagsKonzert stattgefunden habe.21 Der zweite große Wachstumsbereich für die italienische Oper im 19. Jahrhundert bzw. eine weitere Linie, entlang der sich die Oper vor allem nach Asien ausbreiten konnte, waren die Gründung immer neuer Handelsstützpunkte und die kolonialen Bestrebungen der europäischen Imperien. In diesen Gebieten, wo sich im Zuge der Kolonialisierung und der Ausweitung der Einflusssphären in Indien, Indonesien, China, den Philippinen, Australien und Neuseeland Europäer ansiedelten, gab es sehr schnell auch Opernaufführungen italienischer Truppen und bald Opernhäuser  : den britischen Kolonialherren verdankte Kalkutta das erste dem Genre gewidmete Theater, das bereits 1813 eröffnet und 1867 durch das größere Grand Opera House ersetzt wurde. In Shanghai und Hongkong gab es schon vor 1870 Opernhäuser, Saigon verfügte sogar über eine feste Kompanie, die vor allem französische, aber auch italienische Werke spielte. In Hanoi war selbstverständlich ein Theater („eine verkleinerte Kopie der Pariser Garnier-Oper“)22 Teil des groben Stadtumbaus unter französischer Kolonialherrschaft. Manila entpuppte sich nach 1871 als ein derart erfolgreicher Schauplatz, dass Gastspiele italienischer Opernkompanien so lukrativ wa21 Signale für die musikalische Welt, 1884, 612. 22 J. Osterhammel, Verwandlung der Welt, 415.



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ren, dass Truppen direkt aus Italien nur nach Manila kamen, dort drei Monate spielten und dann wieder nach Italien zurückkehrten. Oft jedoch war die Stadt eine Station auf der Tour von Shanghai über Saigon nach Batavia. Dort, in der holländischen Kolonie, gab es nach mehreren Gastspielen französischer Operntruppen die ersten italienischen Opern, aufgeführt von Künstlern aus Italien, 1869 zu hören. Auch an den Rändern Europas, in den Ländern rund um das Mittelmeer, die Kolonien und Mandatsgebiete europäischer Mächte oder Teile des Osmanischen Reiches waren, entstanden ebenfalls überall zwischen 1830 und 1850 große Theater. In Algier, das ab 1830 zu einer französischen Kolonie gehörte, wurde 1836 ein großes Opernhaus erbaut, das 1853 durch das noch größere Théâtre Impérial d’Alger ersetzt wurde. In Tunis, ab 1881 unter französischer Herrschaft, gab es bereits seit 1830 das Théâtre Tapia. In Izmir erbaute der Italiener Barbieri 1861 ein Opernhaus  ; in Athen waren es 1840 der griechische Impresario Boukouras und in Istanbul ebenfalls 1840 der Italiener Bosco, die die ersten über längere Dauer bestehenden Opernhäuser der Stadt bauten. Das Entstehen so vieler neuer Opernhäuser, die sich auf italienische Traditionen beriefen und am liebsten italienische Sänger engagierten, hatte selbstverständlich wiederum Rückwirkungen auf das Operngeschäft in Italien und Europa. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass viele dieser Theater über einen erheblich größeren finanziellen Spielraum verfügten als die traditionellen Opernhäuser im Mutterland, schlug sich das verstärkte Werben um die Spitzengruppe der Sänger und Dirigenten in stetig höheren Gagen nieder.23 Die italienischen Theater konnten nicht mehr mithalten, und viele Künstler suchten ihr Heil außerhalb des Heimatlandes, wo die Gagen deutlich höher waren.24 Der britische Sänger und Impresario Walter Maynard berichtete 1867 von den Konsequenzen der Globalisierung des Marktes auf das italienische Opernleben  : “Its best singers and actors are rarely heard or seen in their native land. As soon as they have means to do so, they seek their fortunes in other countries, where they receive better pay, and are better appreciated. The result is that the performances in Italy are 23 J. Rosselli, Singers of Italian Opera, The History of a Profession, Cambridge 1992. 24 Zu den gravierenden Auswirkungen auf die italienische Opernindustrie s. J. Toelle, Oper als Geschäft. Impresari an italienischen Opernhäusern 1860–1900, Kassel 2007.

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inferior, and art generally is in a state of decadence. There are crowds of artists, musical and dramatic, but almost without exception, those at all above mediocrity are to be met with anywhere but in Italy.”25

Die erwähnten Orte in Asien, Nord-, Mittel- und Südamerika lernten das Genre Oper also über italienische Künstler und deren Traditionen kennen. Grundsätzlich hieß Oper außerhalb Europas zuallererst  : italienische Oper, organisiert von italienischen Impresari, in italienischer Sprache – selbstverständlich wurden in Buenos Aires, Manila und Sydney ebenso wie in London, Sankt Petersburg und Madrid auch die seltener gespielten französischen (Les Huguenots, Le Prophète, L’Africaine, Faust, Les Pêcheurs des Perles, Carmen, Manon, Werther) und deutschen Werke (Martha, Lohengrin, Tannhäuser) zuerst in italienischer Sprache aufgeführt. Diese dominante Opernsprache garantierte so den kontinuierlichen und sehr schnellen Austausch von Personal und Repertoire zwischen Italien und den italianisierten Subsystemen anderer Länder. Damit ging auch einher, dass die italienische Art, Oper aufzuführen, exportiert wurde  : Oper als ein Spektakel, das so künstlerisch anspruchsvoll wie kommerziell war, als ein Kunstgenre, das sich sehr viel mehr am Geschmack des Publikums orientierte26 – darauf sogar angewiesen war – als dies z.B. in Zentral- und Osteuropa der Fall war, wo Opernhäuser großzügig subventioniert wurden und weniger den Kräften des Marktes ausgesetzt waren. Durch die einseitige Bindung an die führenden Schichten stand die Oper in der Neuen Welt nicht „in der Mitte der Gesellschaft“27 und besaß nur begrenzte gesellschaftliche und politische Relevanz – außer der, dass Kolonialherren gerne auf Kosten der einheimischen Bevölkerung Theater erbauten, zu denen nur sie selbst Zugang hatten. Die deutsche oder zentraleuropäische Idee des 19. Jahrhunderts, dass Oper „erbauen, erheben, emotional formen und mobilisieren“28 sollte, wurde sicher kaum exportiert. Die Aufführung von Opern von Rossini, Verdi oder Bellini in 25 W. Maynard, The Enterprising Impresario, London 1867, 75. 26 K. K. Preston, „To the Opera House  ? The Trials and Tribulations of Operatic Production in Nineteenth-Century America“, in Opera Quarterly 23/1, (2008), 41. 27 S. dazu P. Ther, In der Mitte der Gesellschaft. 28 Ebd., 15.



Der Duft der großen weiten Welt

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Batavia, Caracas oder Philadelphia diente – wie in Italien – in erster Linie der Unterhaltung, in zweiter Linie jedoch dem Nachweis europäischer sophistication. Die italienische Oper wurde somit zu einem transferierten Kulturgut, das, überaus anpassungsfähig an örtliche Gegebenheiten, seine europäischen Wurzeln dennoch erkennbar beibehielt. Ob nun eine große Opernaufführung mit den besten italienischen Sängern in einem spektakulären Theater wie dem (allerdings erst 1908 erbauten, dritten) Teatro Colón in Buenos Aires stattfand29 oder im 1878 eröffneten Opernhaus der Goldgräberstadt Central City in Colorado, wo die meisten Einwohner kaum wussten, was Oper sei,30 spielt keine Rolle  : der Duft der großen weiten Welt wehte auf jeden Fall in die Logen hinein.

29 „Gli abitanti di Buenos Aires si tuffarono nel festoso consumo di musica del vecchio continente“, Enrique Cámara, „L’influenza italiana e spagnola nel teatro musicale di Buenos Aires (1747–1900)“, in A.L. Bellina (Hg.), Teatro dei due mondi. L’opera italiana nei paesi di lingua iberica, Treviso 2000, 205. 30 Die Website von Central City erwähnt zwar das „grand opening“ des Opernhauses 1878, berichtet aber lediglich, dass dort sowohl Buffalo Bill als auch P.T. Barnums Zirkus aufgetreten seien (www.centralcitycolorado.com, eingesehen am 16.6.2009).

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From Private Entertainment to Public Education  ? Opera in the late Ottoman Empire (1805–1914) – An Introduction

The presence of European music in the Middle East or the Southern Mediterranean is understood in various contexts and debates. Music and opera studies in general do not consider the 19th century Ottoman Turkish or Arab reception of European music, while Islamic or “Orientalist” studies interpret it as a sudden realization of cultural colonialism — or like Amnon Siloah who incorrectly notes “that the performance of Verdi’s masterpiece Aida on 24 December 1871 was the first opera ever performed in this region”. In this article I attempt to highlight some of the problems concerning the uses and forms of (European) music theater in the late Ottoman Empire. My intention here is only to provide a general introduction in order to point out to a hiatus and to pose new questions. After a short pre-history of opera in the Ottoman territories, I focus on the opera houses and theaters in Istanbul and Cairo in the late 19th century. Here Istanbul theater life serves as background while the main emphasis is on the debate initiated by Edward Said surrounding the Cairo Opera House and the creation of Aida. Doing so, my aim is to present the appropriation of opera and music theater in the Eastern Mediterranean as a gradual process  : opera and European music started as private entertainment of the ruling class and of the  A. Shiloah, Music in the world of Islam  : a socio-cultural study, Aldershot 1995, 106. One must note however, that especially in Turkey, several studies of importance were published in Turkish, like the works of Metin And in the 1960s and 70s, or recently of Emre Aracı. In Turkey I also have knowledge of forthcoming PhD-dissertations in this field. In Arabic, apart from some scattered articles, the history of the reception of European music is usually understood as part of theatre history.  For detailed accounts, see my forthcoming PhD-dissertation. Adam Mestyan, “Opera and Politics in the Eastern Mediterranean, 1867–1892”, (in preparation, PhD diss., Central European University, Budapest, expected  : 2011). In this article, with one exception, I will not provide any primary material.  E.W. Said, Culture and Imperialism, New York 1993, 111–132.

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non-Muslim communities but finally as a form of public education contributed to the social transformation of the Middle East. One must note that this is a working theory so far which perhaps holds true in the long run but surely can be challenged by particular cases. Before the 19th century

Since the first centuries of Islam, music has been very much part of the entertainment at Muslim courts  : it became part of Arab adab, the culture of the educated, and it formed also a part of the popular culture  : “the importance of music across medieval Islamic civilization is widely documented”. In the Ottoman Empire, music was one of the most important sources of entertainment, and Ottoman traditional music indeed represented an important part of the social sphere. On the other hand, it is also well known that from the 9th century onwards some of the scholars of Muslim law fought against the use of music and dance as unholy entertainments. It is worth noting that the Ottoman Empire never was an isolated unity within the Mediterranean world. Not only through war and diplomacy did it have relations with “Europe” (Western Europe in this case, since large parts of South-East and Central Europe were under direct Ottoman rule) — cultural relations existed as well. Some of the early Ottoman Sultans were extremely receptive of French and Italian arts and goods, starting from Mehmed II who  In the transliteration of Arabic words I use the standard of the Library of Congress and in the transliteration of the Ottoman Turkish words I keep the accepted practice that uses the contemporary Turkish style of transliteration.  Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., s.v. “mūsiqī” (O. Wright) and Shiloah, Music, 26.  Medieval Islamic Civilization  : an Encyclopaedia, New York/ London 2006, s.v. “music” (Sunni M. Fass).  C. Behar, “The Ottoman musical tradition,” in The Cambridge History of Turkey, vol. 3, The Later Ottoman Empire, 1603–1839, hrsg. S.N. Faroqhi, Cambridge 2006, 396.  The most cited refutation is Ibn Taymiyya’s opinion given in a 14th century treatise  : J.R. Michot, Kitāb al- SamāÝ wa-l-RaqÒ = Musique et Danse selon Ibn Taymiyya  ; compilé par le Shaykh Muhammad al-Manbijī, Paris 1991  ; cf. also Shiloah, Music, 31–35. A useful website about music in Islam (also containing Al-Ghazālī’s opinion about music from the IÎyā ÝUlūm al-Dīn) is at http  ://www.islamawareness.net/Music/ (accessed  : 2 May 2008).



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had his portrait painted by Gentile Bellini in 1480 finishing with Abdülhamid II who decorated Enrico Caruso. Already in the first half of the 18th century, in the so-called Tulip period (1703–1757), European style buildings were erected in Istanbul and European-style music was imported while traditional Ottoman court music also flourished.10 One of the earliest accounts of an Ottoman Muslim subject present in a theatrical performance is about a ballet organized by the Italian community in 1524 in Pera (in Turkish  : Beyoğlu), the part of Istanbul which was inhabited mainly by foreigners  : Genoese and Venetians. It is said that this ballet was also performed partly by Ottoman Turks.11 In the 1670s, members of the Ottoman elite showed interest in Western opera  : the Grand Vizier of Mehmet IV invited an opera company from Venice (but he gave them only 15 days to arrive so finally the Venetians could not make it). This we know from the Marquis de Nointel who was the ambassador of Louis XIV to the Porte at that time. He himself also organised a little theater in the French embassy in Pera.12 The European embassies often invited the Ottoman Pashas to attend their celebrations. These cultural events were sometimes mixed, like in 1730 when the “Reis ül-Küttab” was a guest at a theatrical event after which “a group of fourty-five dancers from the Palace performed Turkish dances” as well.13 Thus, amateur and, as one may call it, “diplomatic” theaters, in which European music was played, existed in Pera since the 17th century. Mostly, these theaters were maintained and enjoyed by French and Italians. However, there is evidence that the notables and leading officers of the Ottoman Sultans were   See the catalogue of the exhibition Ressam, Sultan ve Portesi — The Artist, the Sultan and His Portrait in Yapı Kredi Cultural Center — Kazım Taşkent Art Gallery, 7.12.1999 — 7.1.2000, Istanbul 1999, without page numbers. 10 E. Pekin, “Music at the Ottoman Court”, in Istanbul 4 (1996), 42–45. 11 N. Menemencioglu, “The Ottoman Theatre 1839–1923”, in Bulletin (British Society for Middle Eastern Studies) 10 (1983), 49. Others give the year 1543 when an orchestra was sent by the “French King François I to his ally Suleiman the Magnificent to perform a few concerts as proof of his friendship.” N.S. Turan, A. Komsouğlu, “From Empire to the Republic  : the Western music tradition and the perception of opera”, in International Journal of Turcologica 2 (2007)  : 10. 12 A. Vandal, L’Odyssée d’un Ambassadeur – Les Voyages du Marquis de Nointel (1670–1680) (Paris  : Librarie Plon, 1900), 196–197, 202. 13 Menemencioglu, “The Ottoman Theatre,” 49.

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among the audience at that time.14 Ottoman ambassadors to Paris, Berlin, Vienna, St. Petersburg and London also attended theatrical events in these cities. In 1721 for instance, Yirmisekiz Mehmed Çelebi, the Ottoman ambassador to Paris, “saw a performance of Quinault’s Thésée, with music by Lulli at the Palais Royal” and Giritli Ahmed Resmi Efendi, ambassador to Berlin in 1777 described the opera house as a “dream house”.15 The first Sultan who reportedly had a fascination for Western music and theater is Selim III (1789–1807), who, apart from being a modernizer, also wrote poems and played the nāy or ney, a reed flute considered one of the typical instruments of Ottoman classical music. A foreign, perhaps Italian opera company gave a performance in his palace in 1797.16 It is from this time onwards that we can speak about the Sultans’ continuous fascination for operas. Thus, already in the 18th century one can detect the usage of European opera for the private entertainment of the rulers.

Early 19th century

Invited to Istanbul in 1828, Giuseppe Donizetti, an older brother of the famous composer Gaetano Donizetti, became music teacher of the Sultan’s (Mahmud II) children and Head of Imperial Music — the application of European military music formed part of the reorganization of the Ottoman army.17 As a result, Italian music became popular at the court in the first half of the 19th century. There were even a few theaters established by Italians in Pera. The most famous among them was an Italian entertainer-magician, Bartolomeo Bosco (1793– 1863) whose theater was permitted by Sultan Abdülmecid in 1840 to be built in the estate of the Naum family in Pera and played mostly Italian operas.18 In 14 Ebd., 50. 15 Ebd., 49 and Turan-Komsouğlu, “From Empire,” 11. 16 Menemencioglu, “The Ottoman Theatre,” 49 and Turan-Komsouğlu, “From Empire,” 12. 17 E. Aracı, Donizetti Paşa – Osmanlı Sarayının İtalyan Maestrosu [Donizetti Pasha – The Italian Master of the Ottoman Palace], Istanbul 2006. One of his English articles  : E. Aracı, „Giuseppe Donizetti at the Ottoman Court  : A Levantine Life“, in The Musical Times 143 (2002), 49–56. 18 Turan-Komsouğlu, „From Empire,“ 14.



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1844 a member of the Naum family (a Christian Arab family of Aleppo origin), Michael Naum (MīkhāÞīl NaÝūm), took over Bosco’s theater (later simply  : Naum Theater).19 Abdülmecid financially supported his institution that played also operas  ;20 later (in the 1850’s) the ladies of the harem also attended the performances.21 The Naum Theater then between 1851 and 1870 became the unofficial opera house of the Sultans.22 We know that parallel to the Pera theaters, in Istanbul already in the 1810s begun the Armenian theater movement, and in the 1850s the first Armenian musical theater/operetta groups were established.23 Opera was not only played in Istanbul but also in other major cities like Izmir, and in the provinces, notably in Egypt. In Cairo, the occupying French staged operas around the year 1800, while in Alexandria the Italian community established its theater in the 1830s. It is reported that Italian operas were played for the governor, MuÎammad Alī (Mehmet Ali Pasha), most probably around 1841. These works were staged by the Italian decorator Pietro Avoscani who some thirty years later became the architect of the Cairo Opera House.24 However, both in Cairo and in Istanbul, in the first half of the 19th century operas were played mostly for the rulers. Although in Istanbul and in Alexandria some operatic activity already begun in the 1830s for the Italian, French, Armenian and Greek communities but not with the participation of the local Muslims. Thus, I propose a working theory that the beginning of the appropriation of the opera was first of all a private elite entertainment for the Ottoman ruling class and both the traditional and new non-Muslim communities. 19 S. Umur, “Abdülmecit, Opera ve Dolmabahçe Tiyatrosu”, in Milli Saraylar no. 1, (1987), 49. 20 Umur, “Abdülmecit, Opera,” 49–50 and Turan-Komsouğlu, „From Empire,“ 15. 21 M. And, A history of theatre and popular entertainment in Turkey, Ankara 1963–64, 67, 112. For an introduction see E. Ulu, “The First Operatic Activities in Istanbul”, in Istanbul 1, no. 2 (1993), 109–115. 22 As far as I know, my dear friend, Dr. Emre Aracı will publish a monography about the Naum theatre in 2010 in Turkish. 23 A. Budak, “The Contributions of The Armenians Over The Constitution of A New Social Life And Literature in the 19th Century”, in Ozean Journal of Social Sciences 1 (2008), 65–74. However, one must be careful with the data of Ali Budak because this researcher also states that one of the later Pera theaters, Palais de Cristal, became the Naum Theater (page 65), which is not true. 24 J. Tagher, „Pietro Avoscani, artiste-décorateur et home d’affaires“, in Cahiers d’histoire égyptienne 4 (1949), 307.

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An important follow-up in Istanbul after the 1860s is that — as we will see — the usage of opera as private entertainment of the Sultan remains in practice while at the same time bourgeois operatic activity flourishes. Compared to this pattern, in Cairo, a conscious use of opera by the ruler for public education is visible.

Ottoman Opera and Western Music in Istanbul (1850s–1890s)

In the second half of the 19th century, Istanbul experienced a real theatrical boom, perhaps in part due to the economic and social penetration of European capital and the growing number of Europeans in the city. For our case, the most important theater was the so-called Gedikpaşa Theater, later Ottoman Theater (Osmanlı Tiyatrosu) run by the Armenian actor Agop Vartovyan, Güllü Agop, from 1867 (also with antecedents, like the Şark Tiyatrosu [Orient Theatre]).25 This theater started to play dramas and operas in Ottoman Turkish also for an elite audience, including the Grand Vizier and the ambassadors.26 In 1874, a new theater-opera company called Opera Theater (the Opera Tiyatrosu of Dikran Chukhajian27) emerged and rivalled the Gedikpaşa Theater which resulted in a public debate in the Ottoman journals.28 The reason of the debate was Güllü Agop’s monopoly in the 1870s to play dramas in Ottoman Turkish — and the question was if this monopoly was valid for Ottoman Turkish operas. One must note that there was no attempt in Istanbul to build a separate opera house in the 19th century, although other forms of European symbolic power were indeed planned, like the Ottoman General Exhibition of 1863 or the Istanbul Agricultural and Industrial Exhibition scheduled for 1894.29 This is probably due to the following two factors. 25 M. And, Osmanlı Tiyatrosu, Ankara 1999, 41. Later, Güllü Agop, “Rosy Jacob” turned Muslim and changed his name to Mehmed Yakup. 26 And, A history of theatre, 68–69. 27 Note the other spellings  : in Turkish Çuhaciyan, in French Tchouhadjian. 28 And, A history of theatre, 113 and And, Osmanlı Tiyatrosu, 75–77. 29 Z. Çelik, Displaying the Orient  : Architecture of Islam at Nineteenth-Century World’s Fairs, Berkeley 1992, 139–145.



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First, that in the 19th century the Sultans had private palace-theaters with their own orchestras, like Abdülmecit’s theater in the Dolmabahçe Palace, built in 1859, and Abdülhamit’s theater in the Yıldız Palace from 1889 (still existing today).30 Thus the central power which often manifests itself through an opera house, as Ruth Bereson pointed out,31 here was not exhibited to its subjects. Second, the most important Pera theater remained the Naum Theater which was indeed used by Sultan Abdülmecit and Abdülaziz as a kind of representational space. From time to time they visited this unofficial opera house and also brought here their royal guests, like the Prince of Wales or Emperor Franz Joseph in 1869.32 However, the Naum Theater burned down in June 1870 and from then on the Gedikpaşa Theater gained more attention while the Pera theaters continued to entertain the public. Thus in Istanbul opera was a modern entertainment of the growing Ottoman bourgeoisie, and, at the same time, a royal or “sultanic” private entertainment.

The Cairo Opera House

The establishment of the Cairo Opera House is subject to numerous debates. One of these is Edward Said’s famous critique on Giuseppe Verdi’s Aida as an imperial and colonial opera that is closely associated with the foundation of the Opera House.33 Another one is of urban historians who consider the Opera House an alien body in Cairo.34 While partly acknowledging the truth of these criticisms, my aim is to contextualize and re-interpret the case of the Opera House here involving local perceptions with the argument that the Opera House in the last decades of the 19th century became indeed one of the most important places of Egyptian national representation. Khedive IsmāÝīl, the governor-ruler of Egypt this time (1863–1879), was a man educated in Europe, first in Vienna, then in Paris. He later became some30 And, A History of Theatre, 75. 31 R. Bereson, The operatic state  : cultural policy and the opera house, London 2002), 14, 178. 32 See my ongoing dissertation, Mestyan, “Opera and Politics”, chapter 6. 33 Said, Culture and Imperialism, 111–132. 34 Like Janet Abu Lughod who considered the Cairo Opera House the borderline between new and old Cairo. J. Abu-Lughod, Cairo  : 1001 Years of the City Victorious Princeton 1971, 107.

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thing of an exile at the Ottoman court while his uncle ÝAbbās Pasha ruled Egypt (1849–1854), and he returned to Cairo when the reign of another uncle, SaÝīd (1854–63), started. IsmāÝīl was then employed as a diplomat  : he was sent to Napoleon III and to Pope Pius IX. After the death of his older brother, IsmāÝīl was named the heir of SaÝīd Pasha, and in 1863 acquired the title wālī, that is, the governor of Egypt.35 IsmāÝīl wanted to become politically independent of the Ottoman Empire, or at least to be seen as independent. It suffices to mention that his official title — wālī — was changed to the Persian title khidīw, Khedive (master, lord, king), which had one important consequence  : he had the right to contract with foreign powers. IsmāÝīl dreamt of an imperial Egypt and started to conquer the Sudan with British help.36 IsmāÝīl inherited two projects from his predecessors  : one from his grandfather, MuÎammad ÝAlī — the modernisation of the country and the visual transformation of Cairo — and one from his uncle, SaÝīd  : the Suez Canal works. Both projects were united in the grandiose opening ceremony of the Suez Canal and its exhibition-like setting in 1869.37 The Cairo Opera House was, along with other theatres, built in occasion of this opening ceremony. Empress Eugénie, the wife of Napoleon III, Emperor Franz Joseph and other European notables were invited along with journalists — the name of the Ottoman Sultan, however, was missing on the list of invitees.38 All of these intentions were manifested in the Suez Canal opening ceremonies, which had cost a fortune and later contributed to the bankruptcy of the Egyptian 35 There are numerous more or less detailed accounts of his life and reign, I considered here three of them  : 1. I. Al-Ayyūbī, TaÞrīkh MiÒr fī Ýahd al-khidīw IsmāÝīl Bāshā min sanat 1863 ilā sanat 1879, vol. II. [The history of Egypt in the epoch of Khedive Ismail Pasha from the year of 1863 to the year 1879], Cairo 1996  ; 2. G. Zananiri, Le Khédive Ismail et L’Egypte (1830–1894), Alexandrie 1923  ; 3. G. Douin, Histoire du Règne du Khédive Ismail, Rome 1934. See also Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., s. v. “khidīw” (P. J. Vatikiotis) and as a contemporary report  : B. Jerrold, Egypt under Ismail Pacha — Some Chapters of Contemporary History, London 1879. 36 E. A. Stanton, “Secret Letters from the Khedive Ismail in Connection with an Occupation of the East Coast of Africa”, in Journal of the Royal African Society 34 (1935) 281. 37 J. Sleigh Pudney, Suez  : De Lesseps’ Canal, (New York/ Washington 1969. 38 See for instance an eye-witness’ notes  : A. Siliotti, A. Vidal Naquet, Journal de Voyage en Egypte – Inauguration du Canal de Suez de Roberto Morra Di Lavriano, Paris 1997. An Egyptian perception is from ÝA. Pasha Mubārak, Al-KhiÔaÔ Al-Tawfīqiyyat Al-Jadīda, [Tawfīq’s New Plans] vol. 18, Cairo 2007, 239–244.



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state. As IsmāÝīl was not only keen on presenting the Europeans with a modern Egypt, but also to show Egypt the modern Europe. The Opera House played a key role in both intentions. But even before the idea of the Opera House, the Khedive, who was a devoted fan of Offenbach, in 1868 commissioned a Théâtre de la Comédie (Théâtre Français) which was inaugurated with Offenbach’s La Belle Hélène on 4 January 1869.39 This was presumably the first occasion that an opera (La Belle Hélène) was translated into Arabic (Hilāna al-Jamīla) which was printed in Būlāq three days before the premiere (we may note that opera translations in Ottoman Turkish existed in Istanbul already in the 1830s if not before). A possible explanation for ordering this translation would be that the Khedive and his court became aware of the necessity of translation into Arabic as a national language of culture. Nonetheless, there is another, less abstract explanation for the translation  : that the ladies of the harem did not know French and therefore‚ “could not follow the performance of these Parisian favourites in the Gallic origin”.40 In April 1869, the Cairo Opera House was commissioned by IsmāÝīl. Under the direction of Pietro Avoscani it was built in remarkably short time41 and opened on 1 November 1869. On this occasion, a cantata composed by prince Poniatowsky was played in honour of the Khedive. Eight singers stood around a bust of IsmāÝīl and while performing the cantata, they represented eight allegories  : Justice, Mercy, Fame, Music (Mélodie), History, Agriculture, Industry, Commerce. The end of the cantata was accompanied by a hurray and the shouting of the name of the Khedive. Afterwards, Verdi’s Rigoletto was performed by the finest Italian singers.42 IsmāÝīl had already asked Giuseppe Verdi in the summer of 1869 if he would compose a hymn for this first night, but Verdi had refused his request. Only after half a year or even more was the plot of Aida sent to Verdi and the final agreement to compose the opera was signed in June 1870. It is still debated whether this opera, which was finally staged only in December 1871, is an Orientalist op39 P.C. Sadgrove, The Egyptian Theatre in the Nineteenth Century (1799–1882), Berkshire 1996, 46. 40 J. C. McCoan, Egypt under Ismail, London 1889, 86. 41 According to the archival documents, Pietro Avoscani was „engagé a diriger la construction et la décoration du Théatre“. Letter dated 18 September 1869 to Avoscani from „Nazir de la Daira Hassa“ MuÎfaÛa 80., Collection ÝAhd IsmāÝīl, Dār al-WathāÞiq al-Qawmīya, Cairo, Egypt (Egyptian National Archive). 42 Douin, Histoire du Règne, 470–471.

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era or not.43 At this point, my intention is to present the historical background of the creation of Aida, which perhaps offers more clues for interpretation. One of the aims of IsmāÝīl was to create an educated audience for the Opera House. He supported cultural newspapers in Arabic and the translations of the plots. The journal Wādī al-Nīl and its editor, the remarkable Abū al-SuÝūd Efendi, published descriptions of opera plots, but reviews of the actual performances were not written. In early 1870, the son of Wādī al-Nīl’s editor, MuÎammad Unsī, expressed his hope that in the next season the Opera House would also give operas in the Arabic language,44 which is probably the first sign of a nationalist (Arabist) intention being connected to the Opera House. However, in its first epoch the Opera performed exclusively in Italian.45 The Wādī al-Nīl tried to “create a climate in which Arabic dramatic pieces could be written and performed” and also “ensured [its Arabic readers] that they were ready to respond to the experiments in Arab drama”.46 The newspaper’s primary focus was on the educational value of the operas being performed. Soon though, the emotional power of the operas and the cathartic effect on the audience, which transcends the apparent educational value, was mentioned by the journal as well  : “we feel grief and anguish as if we had been ill”.47 The search for a national identity and the spread of theater and opera was further supported by those who — like the wealthy al-Muwaylihī — translated and distributed librettos freely. The Wādī al-Nīl continued to report on the Opera and from these reports we can gain an insight into who actually was in the audience. The season of 1870/71 for example opened with Gaetano Donizetti’s La Favorite and had IsmāÝīl, his sons and the usual court notables attending. On 4 November 1870 the Opera presented Il Barbiere di Siviglia — both this work and La Favorite were presented in Arabic translation, and the critic of Wādī al-Nīl discovered the similarities between Rossini’s barber and the Barber of Baghdad from Thousand 43 P. Robinson, “Is Aida an Orientalist Opera  ?”, in Cambridge Opera Journal 5 (1993), 133–140. More recently  : R.P. Locke, “Beyond the exotic  : How ‘Eastern’ is Aida  ?”, in Cambridge Opera Journal 17 (2005), 105–139. 44 Sadgrove, The Egyptian Theatre, 56. 45 See the statistics in ÒāliÎ ÝAbdūn, Khamsūn Ýāmān min al-mūsīqā wa-l-ūbirā [Fifty Years of Music and Opera], Cairo 2000, 141–146. 46 Sadgrove, The Egyptian Theatre, 58. 47 Ebd., 57.



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and One Nights.48 The discovery of this similarity can serve as a powerful example of the process of understanding and appropriating a foreign work of art. On closer scrutiny, the reports on the composition of the audience are somehow ambiguous. The Italian critic Filippo Filippi, for instance, wrote on the occasion of the premiere of Aida that “[w]hen I say Egyptian public, I refer especially to the European colony  ; for the Arabs, even the wealthy, do not like our theatre  ; they prefer the miauing [sic  !] of their chants, the monotonous banging of the drums to all the melodies of past, present, and future. It is a clear miracle to see a fez in the theatres of Cairo.”49 On the other hand, the journal Al-JawāÞib [Answers], a highly influential Arabic paper in Istanbul with Ottomanizing agenda, observed in 1871 that “many Egyptian notables (wujūh and Ýayān), Indians, foreigners and others attended”. The correspondent also reported  : “I saw a black slave in a white turban, and in his hand was a translation of Don Juan … the Director of the Theatre … said to me  : Nothing delights me more than to see the people of Egypt pleased with these theatres. Now they have entered through all the doors of civilisation, with the theatre providing its relaxing side.”50 While the European observer did not find Egyptians in the audience, the Ottoman-influenced correspondent underlined the presence of the Ottoman-Arab elite. For everyone, the opera house represented a different idea  : for Filippi, it was a European form of entertainment in which the “natives” were not involved. For the Al-JawāÞib, it was a symbol of modernization which the native Egyptians also shared. The discrepancy between these two views is the result of the different ideological backgrounds. Let me give two examples for the proto-nationalist and later nationalist role of the Cairo Opera House and Aida. There clearly is a connection between the newly formulated Egyptian history and the national ideology within an educational agenda. On the one hand, the title page of the Arabic translation of Aida says  : “This is a theatrical piece from the kind that is known as opera (that is, the representation [taÒwīr] of a famous historical event). It is composed of marvellous scenes and strange [or  : Western — mustaghriba] dances mixed with charming 48 Sadgrove, The Egyptian Theatre, 60. 49 Quoted in William Weaver, Verdi — A documentary study, London 1977, 228–229. 50 Quoted in Sadgrove, The Egyptian Theatre, 61–62.

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musical songs. It is divided into three parts and seven scenes. Written by Mr. Ghislanzoni and composed [tawqīÝ al-awsātih51] by Verdi. Compiled for the order of His Highness, the Khedive of Egypt, with the aim to show it in the Theatre and Opera House of Cairo, Egypt. The performance took place in the above mentioned theatre in the season of the year 71/72. Translation into Arabic  : the humble servant Abū al-SuÝūd Effendī, the editor of the journal Wādī al-Nīl.”52 It is important to quote lengthy this description because it also gives us a clue in how opera was considered by Arab intellectuals of the period  : a representation of a famous historical event, a new form of teaching history. The translator/advertiser also fully acknowledges the Khedive as the man behind the scenes but at the same time gives due respect to the composer and the writer. On the other hand, there are reminiscences of Aida from the famous Egyptian poet AÎmad Shawqī. In 1902 he wrote an obituary for Verdi’s death. In the opera Aida he envisions a glorious future of Egypt  : “[Aida] represents Egypt, for this [our present] era, / As it was in the ages gone by. / On the basis of [Aida] we recall those [long-ago] nights / And seek [in the Egyptian reality of the present] those visions / that go out from it.”53 Shawqī wrote another poem about IsmāÝīl and Aida  : “Ismāīl built with a sublime hand / and every building testifies his builder / … / People saw there Aida / and grieved the cooing Verdi / And we renewed in her protection a state / its column is reign and deep-rooted splendour.”54 51 Print-mistake probably — sawt with sīn instead of Òād. 52 In fact, there are two title pages published  : the above translated is published in Weaver, Verdi, 228. Another one in ÝAbdūn, Khamsūn Ýāmān, 141. It reads  : “The translation of the opera called Aida. Written by Mr. Ghislanzoni and composed [tawqīÝ al-awsātih — sīn instead of Òād again] by Verdi. Compiled according to the order of His Highness, the Khedive of Egypt. Translation into Arabic  : the humble servant Abū al-SuÝūd Effendi, editor of the newspaper Wādī al-Nīl. (First edition). In the press of the journal Wādī al-Nīl in Cairo, year 1288.” My translations. Most probably this shorter text is the title page of a brochure that was printed to distribute during the opening night among the Arabic-speaking notability. 53 Quoted in Locke, “Beyond the exotic,” 137. (With reference to Peter Bachmann, „Zwei arabische Verdi-Würdigungen aus dem Jahre 1901,“ in Musikalische Quellen – Quellen zur Musikgeschichte  : Festschrift für Martin Staehelin zum 65. Geburtstag, ed. U. Konrad with J. Heidrich and H.J. Marx, Göttingen 2002, 443–4.) 54 My translation. A. Shawqī, “Fī Dār Al-Ūbirā”, in Al-AÝmāl al-ShiÝriyya al-Kāmila, Majallad II, Al-JuzÞ IV. [Complete poetical works, vol. II, part IV.], Beirut 1988, 52–54.



From Private Entertainment to Public Education  ?

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Thus, one can clearly observe how early the piece became a part of the nationalist discourse in Egyptian intellectual circles as it visualized and musicalized the archaeological past. Already in the 1870s, it was translated into Arabic and became partly a drama, partly an opera.55 During the British occupation, from Shawqī’s poetry it seems that Aida embodied a certain hope and glory for the intellectuals themselves. This view and the conditions of this perception were created by the cultural politics of IsmāÝīl  : politics which in the end generated Aida.56

Problems and questions

There remain numerous problems and questions concerning the reception, perceptions and usages of the genre of the opera, operetta and in general European music as part of the social transformation in the Eastern Mediterranean. This crucial topic is also connected to a new type of publicity and a form of early global networks. In this context, the lack of research on the networks of travelling music theater companies in the Mediterranean within a comparative framework is intriguing. These companies — Armenian, Greek, Italian — existed since the middle of the 19th century and played mostly in port cities in a common Mediterranean cultural space. In connection with the identities of these actors and singers, one should also look at the role that religion played in the establishing of opera in the Ottoman Empire. We know that the first producers of theater and opera performers were Christians  ; however, the audience changed and from the 1860s onwards consisted of Muslims as well. For instance, RamaÃān or, in Turkish, Ramazan (the Muslim month of fast) was a period when the Armenians in Istanbul started to produce more plays and operas because people were awake until late at night.57 55 Cf. Sadgrove, The Egyptian Theatre, 130–131. There are several references to the Arabic Aida in the Egyptian press. Written as ÝĀyida or rather ÝĀÞida, it was performed by the new SyrianEgyptian theatre troupes, translated by Salīm Naqqāsh in 1875. See more in my ongoing PhDdissertation. 56 More on the relation between the politics of the Khedive IsmāÝīl, the Suez Canal and the Cairo Opera House, see my MA thesis, A. Mestyan, “Khedive Ismāīl and The Foundation of the Cairo Opera House” (master’s thesis, Central European University, Budapest, 2007). 57 And, A History of Theatre, 67.

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Yet, opera was condemned as non-Islamic by Europeans as well  ; when the famous Orientalist Ignaz Goldziher arrived in Cairo in 1872, he described the Cairo Opera House as an European symbol which distracted his eyes from the “undisturbed Muhammadan world.”58 However, the example of the Cairo Opera House demonstrates a net of relationships between art, westernization, nationalism and elite formation. Opera and Western music became so well established in Cairo among the elite, that in 1909 an Englishman, Frederick Kitchener, found that “the great feature of Cairene musical life is the opera” and “Cairenes are almost note-perfect in all the principal Italian and French operas, ancient and modern”.59 Westernization must be paralleled with Ottomanization and Arabization as three principles along which the cultural and social transformations were organised. The Cairo Opera House in its first decades can be seen as a meeting point of these three aspects. In Istanbul, a bourgeois interest in opera and theater flourished parallel to the Ottoman Sultans’ private entertainment. It was perhaps due to the larger number of the Levantine communities and new European immigrants. Its real Egyptian parallel thus would be Alexandria perhaps and not Cairo. The differences and similarities of how the Ottoman and Egyptian central authorities would establish, encourage (or censure) “European” cultural institutions, as a symbolic means of participation in the international cultural politics or as educational tools for the public, remain the object of further studies.

58 G. Ignác, Napló [Diary], Budapest 1984, 89. 59 F. Kitchener, “Recollections of Life at Cairo”, in The Musical Times 64 (1923), 203.

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„An Interesting Eastern Potentate“  ? Staatsaufführungen für den Schah von Persien in Berlin – 1873 und 1967

Das Potential der persischen Potentaten

„We receive with ceremonial and state, an interesting Eastern potentate  !“ Was Gilbert und Sullivan in der Savoy Opera The Gondoliers so scharfzüngig persiflierten, war Bestandteil der diplomatischen und außenpolitischen Konventionen in den meisten europäischen Staaten des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Zeremonie, auf die darin angespielt wird, war nicht selten der Besuch eines Opernhauses selber, denn als Programmpunkt zwischen prächtigen Empfängen und repräsentativen Staatsakten bildeten derartige Galavorstellungen einen konstitutiven Bestandteil von Staatsbesuchen. Dieser Beitrag vergleicht die Funktion und Wahrnehmung der Staats- und Opernbesuche zweier „Eastern Potentates“, wie sie auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein können, und zwar der beiden persischen Monarchen Schah Nassr-ed-din 1873 und Schah Mohamed Reza Pahlavi 1967 in Berlin. Im Fokus stehen die vollzogenen Inszenierungen von Herrschaft und die staatstragenden Zeremonien vor und im Opernhaus während des Staatsbesuches. Die sowohl historische als auch politikwissenschaftliche Perspektive und der Vergleich der beiden Ereignisse berücksichtigt dabei sowohl die unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im frühen Deutschen Kaiserreich und in West-Berlin als auch die ähnlichen Muster, in denen politische Ordnung, gesellschaftliches Selbstverständnis und politische Fremdwahrnehmung generiert wurden. Die beiden hier beleuchteten historischen Ereignisse haben drei Merkmale gemeinsam, die diesen Vergleich ermöglichen  : Den Staatsbesuch, den Gang in die Oper und den öffentlichen Stellenwert des persischen Monarchen. Bevor die  I. Bradley (Hg.), The Complete Annotated Gilbert and Sullivan, Oxford 2001, S. 923

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beiden Besuchsfälle beleuchtet werden, sollen diese Kategorien und ihr heuristischer Wert für eine Analyse kurz vorgestellt werden  : Staatsbesuche wie die beiden hier betrachteten erfüllten in der Regel die Funktion, „detailliert geplante Repräsentationen nach innen wie außen“ zu erzeugen. Dabei war es das Ziel, „möglichst genau vorherzubestimmen, wen und was die Gäste zu Gesicht bekamen und in welcher Atmosphäre etwas wahrgenommen wurde“. Die außenpolitische Dimension lag vor allem darin, sich in den Rollen als Gast und Gastgeber stellvertretend für sein Land zu präsentieren. Monarchen und Präsidenten vollzogen die Zeremonien des Staatsbesuches, um die Dynastie, den Staat oder die Nation öffentlich durch Inszenierung zu legitimieren, ihre Verbindungen und Verbündeten zu stärken. Dabei ging es nicht zuletzt wie bei jeder Form politischer Inszenierung darum, „die notorische Invisibilität des eigentlich politischen Geschehens zu kompensieren“. Die Inszenierung von Sichtbarkeit wird in der Moderne zu einem Kennzeichen von Herrschaft und der Zwang zur Öffentlichkeit insofern ein wesentliches Kennzeichen moderner politischer Kommunikation. Außenpolitische bzw. zwischenstaatliche Beziehungen – zumal vor einer Zeit, in der die Darstellungen von Ereignissen in Sekundenschnelle rund um den Globus gesendet werden konnten – bedurften der Illustration durch Bilder, welche die dahinter stehenden Strukturen, Verfahren und Positionen für die jeweilige Öffentlichkeit der Zeit erfahrbar machen konnten. Das galt nicht zuletzt für den Status des eigenen Herrschaftsbereichs, d.h. des Landes und der Kultur selber. Staatsbesuche erlaubten den beiden zu den Zeitpunkten noch jungen politischen Gebilden Deutschlands, „den neuen Staat und die Attribute, mit denen er sich versehen wissen wollte, zu visualisieren bzw. in der Performanz zu generieren“. Damit erhielten Staatsbesuche auch die Bedeutung eines innenpolitischen Zeremoniells, in dem die  S. Derix, „Gruppenbild mit Industrielandschaft. Wie Krupp die Bundesrepublik Deutschland bei Staatsbesuchen bebilderte“, in  : J. Paulmann (Hg.), Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945. Köln u.a. 2005, 165–184, 169.  H. Münkler, „Die Theatralisierung der Politik“, in  : J. Früchtl, J. Zimmermann (Hg.), Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt/M. 2001, 144–163, 158.  S. Derix, „Gruppenbild“, 167f. Vgl. auch J. Paulmann, „Auswärtige Repräsentationen nach 1945. Zur Geschichte der deutschen Selbstdarstellung im Ausland“, in  : ders. (Hg), Repräsentationen, 1–32.



„An Interesting Eastern Potentate“  ?

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politischen Machthaber sich als kollektiver Gastgeber begreifen konnten. Die Ehre und Huldigung wird nicht nur dem Gast, sondern somit auch sich selbst erzeugt – der repräsentative Akt demonstrierte auch die eigene Repräsentativität. Durch die Präsenz der Öffentlichkeit wurde potentiell jeder Beobachter zugleich ein Teil des Staatsbesuches – weder im Kaiserreich noch in der Bundesrepublik kamen die staatlichen Repräsentationen ohne die kommunikative Beteiligung der Gesellschaft aus. Vor allem aber avancierten das besuchte Land und seine Errungenschaften zur medialen Bühne. Die Orte und Räume der Macht, die veranschaulichte politische, ökonomische und kulturelle Potenz des Gastgeberlandes waren es, die anlässlich solcher Staatsbesuche aufgesucht wurden. Zu diesen herrschaftsrelevanten Räumen zählten nicht nur Schlösser und Regierungssitze, sondern eben auch Opernhäuser. Der festliche öffentliche Status der Oper versprach, diese Funktionen und Ziele der Staatsbesuche zu unterstützen. Zum einen zogen die Opernhäuser ihre Bedeutung aus der Rolle als gesellschaftliche Treffpunkte sozialer Eliten. Als Raum der gegenseitigen Beobachtung, Anpassung und Abgrenzung spiegelte das Verhalten der Besucher und die öffentliche Berichterstattung nicht nur bestehende kulturelle Konventionen wider, die Praxis des Besuchs von Opernaufführungen stellte die gesellschaftliche Ordnung zugleich auch her. Für die Staatszeremonien im Opernhaus hieß das  : Sie waren zwar eine strikt geregelte Veranstaltung der Mächtigen, verlangten aber öffentliche Beobachtung und Teilnahme – zunächst der anwesenden Besucher und dann einer immer größeren Öffentlichkeit, der die sich ausdehnende und ausdifferenzierende Medienlandschaft erlaubte, an den Festlichkeiten teilzuhaben. Zwar demonstriert der hier angestellte Vergleich einen Erhalt der staatlichen Galaaufführungen vom 19. zum 20. Jahrhundert – er wirft aber auch die Frage auf, wie der parallele Aufstieg der Mediengesellschaft sie beeinflusst hat. Zum zweiten begünstigten das repräsentative Design und die prachtvolle Ausstattung der großen Opernhäuser das theatrale politische Zeremo Vgl. M. Vogel, „Der 2. Juni 1967 als Kommunikationsereignis“, in  : F. Bösch, N. Frei (Hg.), Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, 207–241.  Vgl. N. Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde. Frankfurt/M. 19807. Vgl. R. Sennet, The Fall of the Public Man, London 1977  ; ders., The Conscience of the Eye. The Design and Social Life of Cities, London 1993.

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niell. Die Gebäude boten eine eigene transzendente Welt, die eine genuin politische Funktion erfüllte und doch zugleich als vermeintlich unpolitisch erschien. Das gemeinsame Genießen von Musik und szenischer Darbietung durch zwei Staatsoberhäupter in einer Loge zeigte gerade das Gegenteil von dem, was heute zwischenstaatliche Kontakte kennzeichnet  : sachliche Arbeitsgespräche und politische und wirtschaftliche Verhandlungen. Zuletzt der Schah. Nassr-ed-din und Reza Pahlevi waren nicht nur Herrscher und Repräsentanten eines anderen, sondern auch eines reichlich fremden Landes. Die Staatsbesuche der beiden boten sowohl idealisierenden wie dämonisierenden Wahrnehmungen des Gastes Raum. Damit gilt es, die Frage nach den orientalistischen Deutungen des Schahs in Deutschland zu stellen. Das Konzept des Orientalismus stellt eine Deutung europäischer Machtverhältnisse über einen als Orient bezeichneten geographischen und kulturellen Raum dar. Die bei den Staatsbesuchen kommunizierten Bilder des Orients bilden mithin eine Synopse aus Vorwissen, eigener kultureller Prägung, projizierten politischen Sehnsüchten und den angebotenen visuellen Eindrücken. In dem Maße, in dem in Deutschland in unterschiedlichen politischen Systemen und zu unterschiedlichen Zeiten persische Monarchen öffentlich ähnlich bewertet wurden, avancierten diese Staatsbesuche zu Präsentationen distinktiver Gesellschaftsordnungen. Mit der Kommunikation über eine – sei es als dekadent und exotisch oder aber als autoritär und modernisierungsfeindlich vorgestellte – Gesellschaft zeigte sich die westliche Reflexion über die eigenen Errungenschaften durch die Bewertung oder Verzerrung einer fremden Kultur.  Vgl. R. Bereson, The Operatic State, Cultural Policy and the Opera House, London 2002  ; die Beiträge in  : S.O. Müller, Jutta Toelle (Hg.), Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Oldenbourg, Wien/München 2008  ; A. Gerhard, The Urbanization of Opera. Music Theatre in Paris in the Nineteenth Century, Chicago 1998  ; U. Daniel, Hoftheater. Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1995.  Vgl. aus der Auswahl zur Orientalismusdebatte neben der grundlegenden Arbeit von E.W. Said, Orientalism, ND London 2003  ; auch ders., Culture and Imperialism, London 1993  ; S. Jalal as’Azm, „Orientalism and Orientalism in Reverse“, in  : A.L. Macfie (Hg), Orientalism. A Reader, Edinburgh 2000, S. 217–38  ; A.L. Macfie, Orientalism, London 2002  ; K. von Beyme, Die Faszination des Exotischen. Exotismus, Rassismus und Sexismus in der Kunst, München 2008  ; D. Cannadine, Ornamentalism. How the British Saw Their Empire, Oxford 2001.



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Schah Nassr-ed-din, im Juni 1873

Berlin, Hofoper, 4. Juni 1873, Galaaufführung für den persischen ­Monarchen Nassr-ed-din. Die Reichsleitung des gerade entstandenen Deutschen Reiches etablierte innerhalb und außerhalb Europas ihr diplomatisches Netzwerk. Machtpolitisch scheinbar ohne größeren Stellenwert, stand Persien an der Schnittstelle zwischen den Einflusssphären und Konfliktzonen des Britischen Empire und Russlands. Politik und Militär in Deutschland interessierten sich für das politische Potential des Schahs und luden ihn nach Berlin ein. Die Reichshauptstadt war nur eine Station des Monarchen und seines Hofstaates auf einer ausgedehnten mehrmonatigen Europareise, doch auch hier nahm der Schah Nassr-ed-din 1873 an kaiserlichen Empfängen im Stadtschloss, Galadiners und Militärparaden teil. Die Presse beschäftigte sich intensiv mit dem „großen politischen Werthe“ des Schahbesuches in der westlichen Welt – „Die Reise Nasreddins’s nach Europa ist … ein epochemachendes Ereignis“, gerade für England und Russland, „denn beide Staaten wetteifern in dem Empfange und der Bewirthung des orientalischen Monarchen“. Was für die beiden Weltmächte galt, galt auch im übrigen Europa. Die Reise des Schahs durch die europäischen Machtzentren in Russland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und ÖsterreichUngarn glich einem wahren Triumphmarsch, in denen Gast und Gastgeber ihre politische Position markierten. Der öffentliche Empfang des persischen Monarchen in Berlin unterschied sich kaum von denen in den anderen europäischen Hauptstädten. Zunächst leistete das Publikum „seiner Schaulust Rechnung, die vielbesprochenen Diamanten des Schah zu bewundern“.10 Deutlich wird in der Presse eine wachsende Neugier, denn Nassr-ed-din interessierte die Menschen und die Medien als ein aus der Fremde kommendes Objekt der Begierde und des Gespräches  : „Vergessen wir nicht zu erwähnen, daß in Berlin von nichts anderem als dem Schah gesprochen wird, daß jeder eine andere und noch wunderbarere Mär von ihm zu berichten hat und die Gegend des Hotel de Rome, sowie des Schlosses von Reporterschaaren vollständig belagert wird.“11   Fremdenblatt, 30.7.1873 (A). 10 Ebd. 11 Spenersche Zeitung, 5.6.1873 (M). „Da eine riesige Ansammlung des Publicums zu erwarten

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Selbstverständlich besuchte der Schah mit den deutschen aristokratischen Eliten und der Kaiserfamilie die Oper. Das geschmückte Auditorium, zumal die eigens für den Besuch des Gastes überreich dekorierte Loge, versinnbildlichte den Übergang vom Alltag in die glänzende Welt der Mächtigen. Die Berichterstattung der Reporter rühmte genüsslich die Lichteffekte und die goldene Pracht des Hauses, den Blumenschmuck des Saales sowie den Glanz der Toilette der Uniformträger und der Damen des Hofes  : „Heute Abend wurde der Schah in die Räume des Opernhauses geführt, die ihm wohl … als ein Zauberpalast erscheinen müssen.“12 Wie schon zuvor in Wien, wo der Schah vor seinem Berlin-Besuch mit Kaiser Franz Joseph I. in die Oper eingezogen war, nutzten die reichsdeutschen Machthaber das Musiktheater als idealen Ort politischer Inszenierungen. „Das Haus war nicht blos glänzend beleuchtet, sondern bot auch in den Zuschauern einen festlichen Anblick … Um 8 Uhr wurde es lebendig in der großen Hofloge, alle Operngläser richteten sich hin, der demantenblitzende (sic) Schah, geführt von unserem Kaiser, der die OberstUhlanenuniform, und auf derselben das Bildnis des Schah in Brillanten gefasst, trug, wurde sichtbar … Die ‚Pracht des Reiches‘, der Großvezier, der Memalek und das übrige Gefolge occupierte vier Logen neben der großen Hofloge … Nassr-ed-din, der ‚Mittelpunkt der Welt‘ war gestern ein reiner Leuchtthurm des Orients.“13 Dem Konzept des Performativen folgend,14 kann die Teilnahme an musikalischen Aufführungen als eine Praxis definiert werden, welche die gesellschaftliche Ordnung herstellte, indem sie diese inszenierte. Das Spektakel auf der Bühne und im Auditorium war nicht irgendeine oberflächliche, unwirkliche Verschleierung von Tatsachen. Gesellschaften entstehen als Kommunikationsgemeinschaften, die sich erst durch gegenseitige Beobachtung und Auseinandersetzung bilden. In den Staatsbesuchen in Opernhäusern des 19. Jahrhunderts steht, wurden von der Polizeidirection die umfassenden Vorkehrungen zur Hintanhaltung des Publicums getroffen“, Wanderer, 2.8.1873. 12 Die Presse, 6.8.1873. 13 Wanderer, 6.8.1873. 14 E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Frankfurt/M., 2004, 31–57  ; J. Früchtl, Jörg Zimmermann, „Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines gesellschaftlichen, individuellen und kulturellen Phänomens“, in  : Früchtl, Ästhetik, S. 9–47  ; P. Fryer, The Opera Singer and the Silent Film, Jefferson 2005.



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kamen verschiedene Gruppen in Kontakt und wurden zunehmend vom Urteil der Anderen abhängig. Die staatlich bestimmte Zulassung eines ausgewählten Publikums oblag 1873 – wie bezeichnenderweise auch 1967 – dem Protokoll. Ob aus dem Adel oder dem Großbürgertum, ob hohe Offiziere oder führende Geschäftsleute, die Eliten des Kaiserreiches bemühten sich um ihre Teilnahme an der Galavorstellung. Wichtig war nicht nur die Anwesenheit, sondern auch die gute Sicht auf die Kaiserloge. „Die Blicke der Zuschauer schienen oft mehr auf die Hoflogen, als auf die Opernbühne gerichtet“15, hob ein Kommentator ausdrücklich hervor. Die zeitgenössischen Zeitungsberichte stimmten darin überein, dass die gesellschaftlichen Eliten auf den besten Plätzen des Hauses saßen. In Berlin wie in anderen europäischen Metropolen versammelte sich für den fremden Herrscher ein Heer aus Uniformträgern, Hofbeamten und Wirtschaftseliten. Zunächst aber wartete das Publikum im Auditorium eine ganze Weile auf den berühmten Gast aus Persien. War es ohnehin schon üblich, dass die Monarchen in der Regel erheblich zu spät zur Vorstellung kamen, so genoss Schah Nassr-ed-din den Ruf besonderer Unpünktlichkeit.16 Bei seinem Erscheinen erhoben sich das Publikum und auch die Musiker von ihren Plätzen und jubelten minutenlang den Herrschern zu. Voller Stolz hielt die „Vossische Zeitung“ darüber fest  : „Der Schah … verneigte sich mehrere Male gegen die Versammlung, die mit einem unausgesprochenen Ah zu ihm hinaufblickte.“ Und das Publikum hatte „die Genugthuung …, ein orientalisches Boll-Auge gerichtet zu sehen“.17 Den Besuch des persischen Monarchen beschrieb die Presse im Wesentlichen als intensive Konversation der aristokratischen Eliten während der Vorstellung. Der Schah plauderte mit Herzögen des Kaiserhauses, betrachtete die jungen Damen im Zweiten Range, er genoss exquisite Getränke nebst einem Schokoladen-Eis. Sein Blick ruhte während des Ballettes mit Hilfe des Opernglases so intensiv auf 15 Neue Preußische Zeitung, 8.9.1872. Vgl. zur Rang- und Sitzordnung in der Berliner Hofoper auch J. Laforgue, Berlin. Der Hof und die Stadt, Frankfurt/M. 1981², 53–62. 16 „Nassr-eddin scheint sich ans Worthalten zu gewöhnen und vielleicht gelangt er, wenn er noch lange in Europa bleibt, in den Ruf eines pünktlichen Mannes. Heute jedenfalls erschien der Schah, wie versprochen, bei der Festvorstellung im Hofoperntheater, und was noch mehr ist, er kam auch nur eine halbe Stunde zu spät.“ Deutsche Zeitung, 6.8.1873 (M). 17 Vossische Zeitung, 6.6. 1873.

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dem Publikum, wie umgekehrt das Publikum ihn mit neugierigen Blicken betrachtete.18 Zeitungsberichte und Karikaturen thematisieren immer wieder die gegenseitigen Betrachtungsrituale. Der „Kikeriki“ ironisierte 1869 in Wien den exotischen Vizekönig von Ägypten als eine Erscheinung in der Oper, auf die sich alle Operngläser, auch die der Künstler, richteten (Abbildung 1).19 Johann Strauss d.J. schrieb eigens zu dem Besuch einen pittoresk mit Schlagwerk eingefärbten „Persischen Marsch“ , um den Gast nach europäischem Standard so korrekt wie exotisch empfangen zu können. Ganz ähnlich darf man sich wohl die Situation in der Berliner Hofoper vorstellen. So sehr die Pracht des Schahbesuches die Beobachter beeindruckte, so wenig Raum nahmen die Berichte über die den Operngästen gebotene Aufführung ein. Ausführliche Beschreibungen des Publikums kontrastieren mit auffallend knappen Kommentaren zum Programm auf der Bühne. Statt um das bühnenwirksame Spektakel ging es vielen Anwesenden in erster Linie um politische und kulturelle Interessen, um Monarchie und Imperialismus, um Exotismus und Nationalismus. Sicher gefiel aber den Gastgebern die Tatsache, dass eigene Ideale, eigene Weltbilder und Ordnungsvorstellungen auf die Bühne gebracht wurden. Das für den Schahbesuch in Berlin inszenierte Ballett Fantasca war aufwändig gestaltet. In der Handlung ging es um den „Kampf des europäischen Rittertums gegen asiatische Despoten … (es) endete mit dem Triumphe Europas über den Orient“.20 Die Kulissen eines als orientalisch kreierten Stückes bildeten auf den europäischen Bühnen bereits seit der Wende zum 19. Jahrhundert eine Modeform, deren Geltung in den 1870er Jahren aber bereits nachgelassen hatte. Hier aber war das Sujet überaus relevant. In der Märchenwelt des Balletts war ein Sieg des Westens über den Orient zu erleben – im Angesicht eines deutschen und eines persischen Kaisers – und bildete eine Leinwand für eigene 18 Fremdenblatt, 6.8.1873, (M). Vgl. P. Gradenwitz, Musik zwischen Orient und Okzident. Eine Kulturgeschichte der Wechselbeziehungen, Wilhelmshaven 1973  ; A. Schmitt, Der Exotismus in der deutschen Oper zwischen Mozart und Spohr, Hamburg 1988  ; A. von Plato, Präsentierte Geschichte. Ausstellungskultur und Massenpublikum im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/ M. 2001, bes. 120–35. 19 Kikeriki, 10.6.1869, „Annehmlichkeiten für durchreisende Potentaten“. 20 Die Presse, 6.8.1873.



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Abbildung 1  : „Kikeriki“, 10. Juni 1869, „Annehmlichkeit für durchreisende Potentaten“.

gesellschaftliche Projektionen. Die europäische Suche nach einem asymmetrischen Verhältnis zum „Orient“ auf der Bühne und vor der Bühne degradierte fremde Welten und fremde Menschen zu westlichen Metaphern. Der Fokus der Öffentlichkeit richtete sich auf den Glanz des Auditoriums und das Erscheinungsbild eines als exotisch empfundenen Monarchen. Seitenweise füllten sich Berichte über den Schah, mit seiner altpersischen Mütze, der Brillant-Agraffe und einem schwarzen Rock mit riesigen Brillanten. Faszination und Fremdheit markierten die Hauptanziehungspunkte des Schahs. Das Entscheidende vieler Berichterstattungen war die Abweichung des Schahs von geltenden europäischen Idealen. Die Stereotypen der Darstellung strichen immer wieder heraus, dass Schah Nassr-ed-din trotz allen Wohlstandes und trotz eigener Pracht, sich „noch immer nicht unseren Sitten und Gebräuchen fügen und nur seinem Willen als den einzig maßgebenden betrachtet wissen will“.21 Nach dem Urteile vieler Berichterstatter war der Schah ein hochwillkommener, wenn 21 Wanderer, 2.8.1873 (M).

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auch „infolge der gesellschaftlichen Verhältnisse des Orients“ ein merkwürdiger Gast. „Es ist … nicht zu leugnen, dass die asiatische Majestät, indem dieselbe hier und da die eigenen statt der hier herrschenden Sitten zur Geltung brachte, einige Verwunderung hervorrief.“22 Die Beschreibungen negativer Stereotype über den Schah gingen dabei oft mit einer Verklärung der Errungenschaften europäischer Kultur einher. Gerade der Blick auf die vermeintlich von der gesellschaftlichen Norm abweichenden Eigenschaften des Besuchers festigten Deutschlands und Europas Glanz. Westliche Moderne kontrastierte mit asiatischer Vormoderne  ; in Deutschland und Europa lebe man in der „Großartigkeit des Zeitalters“. Gegenüberstellen könne man den „erstaunlichsten Wechsel der Cultur, den wir im Oriente sehen“ mit der „Kraft zur Einführung abendländischer Cultur“.23 Mit anderen Worten  : Von europäischer Politik, Gesellschaft und Kultur zu lernen, bedeute für Persien, Erfolg zu lernen. Der Schah möge „die Früchte europäischer Zivilisation, moderner Kultur nach allen Richtungen kennen lernen, … dieselben nach seiner Heimath verpflanzen, auf das die Prinzipien der gesellschaftlichen Ordnung und Aufklärung auch in Persien eine bleibende Stätte finden“.24 Ein Kommentar zur Abreise des Schahs aus Berlin brachte die Parallelität von Ironie, Exotismus und Eurozentrismus auf den Punkt  : „Damit ist der Schahinschah, der als seltenes Phänomen am europäischen Horizont auftauchte, und kometenartig einige Monate hindurch an ihm leuchtete, die öffentliche Meinung durch das fremdartige seiner Erscheinung blendend und fesselnd, wieder aus unserm Sehkreis entschwunden, voraussichtlich wohl für lange Zeit“.25 Der Schahbesuch im Opernhause erfreute reichsdeutsche Machthaber und Kulturträger. Die durch öffentliche Spekulationen erworbenen Vorstellungen vom Luxus durch Fremdheit wollte das Publikum genießen. Gleichzeitig aber stellte der Orientalismus mehr dar als eine negative Verzerrung einer als exotisch und vormodern gedachten Zivilisation, sondern ebenso eine westliche Reflexion über die eigenen Errungenschaften durch den Vergleich mit einer fremden Kultur. Der Schahbesuch gab als ordnendes und generierendes Element der kulturellen 22 Illustrirte Zeitung, 21.6.1873, S. 474. 23 Neue Freie Presse, 30.7.1873 (M). 24 Fremdenblatt, 30.7.1873 (A). 25 Spenersche Zeitung, 5.6.1873 (M).



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Kommunikation einen Rahmen und erschloss die Erfahrung des Fremden selber erst für die politischen Verantwortlichen und für weite Teile der Bevölkerung. Eine Pointe zum Schluss liegt auf der Hand  : Was dachte der persische Monarch über das Deutsche Reich und die hier geltenden Wahrnehmungen  ? Der Schah entschied sich zu einer ungewöhnlichen schriftstellerischen Darstellung. Er fertigte nach seiner großen und großartigen Europareise selber einen Bericht an, der sogar ins Deutsche übertragen und publiziert wurde. Die Deutschen befremdeten ihn offensichtlich etwas, den Opernbesuch dagegen schätzte er – obwohl er bei diesem, seiner Meinung nach, den Blicken zu vieler Untertanen ausgesetzt war. Über den Besuch der Berliner Hofoper und die kulturellen Errungenschaften des Abendlandes hielt der Schah fest  : „Eine Beobachtung ist mir einfach unerklärlich  : Da bauen die Herrscher solche Paläste und machen sich ein Vergnügen daraus, in den Gebäuden mit tausend anderen Menschen, bis zu den einfachsten Arbeitern hinunter Tanz– und Singspiele anzuschauen. Sehr seltsam  ! Wenn ich mir ein solches Haus bauen ließe, dann möchte ich es schon ganz allein für mich und meine Tänzerinnen haben. Was hätten da andere, etwa meine Untertanen, darin zu suchen  ? … Dem Untertan sollte … nicht ermöglicht werden, in den gleichen Genuß wie sein Herrscher zu kommen. Hier scheint man von diesen Selbstverständlichkeiten nicht viel zu halten.“26 Der Stil und der Zweck einer gesellschaftlichen Inszenierung im Opernhaus für den Schah und durch den Schah blieben selbstredend auch nach der geschilderten Berliner Visite lange bestehen. Nassr-ed-din höchstpersönlich kam 1889 wieder nach Europa und wieder besuchte er die Oper als Staatsgast und als Exot. Berlin besuchte er dann nicht mehr – dieses Vergnügen genoss einer seiner Nachfolger im Jahre 1967. Schah Reza Pahlavi, im Juni 1967

Berlin, Deutsche Oper, 2. Juni 1967, Galaaufführung für den persischen Monarchen Mohamed Reza Pahlavi und seine dritte Ehefrau, Farah Diba. Dieser 26 Nasreddin Schah, Ein Harem in Bismarcks Reich, Stuttgart 1983, 246, 250f. Vgl. zum Kulturtransfer die Beiträge in  : S.O. Müller, L. Raphael (Hg.) Demarcation and Exchange. „National“ Music in 19th Century Europe, Journal of Modern European History 5 (2007/1).

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Besuch eines Schahs in einem europäischen Opernhaus gilt wohl als einer der berühmtesten Staatsbesuche überhaupt – doch hat dies augenscheinlich nichts mit dem Umstand zu tun, dass der persische Herrscher dort eine staatstragende Galaaufführung der Zauberflöte sah. Vielmehr erreichte er seinen Rang im kollektiven Gedächtnis dadurch, dass im Zuge der Demonstrationen gegen den Besucher an jenem Abend, der Student Benno Ohnesorg in einer Seitenstraße gegenüber dem Opernhaus von einem Berliner Kriminalbeamten erschossen wurde. Der Schuss aus der Dienstwaffe des Polizisten wurde auch das auslösende Moment der 68er-Studentenbewegung und ihrer gesellschaftlichen und politischen Folgen und Umbrüche. Man mag es als einen historischen Zufall abtun, dass dieser wichtige Wendepunkt in der deutschen Innenpolitik und der politischen Kultur der Bundesrepublik der Nachkriegszeit vor einem Opernhaus stattfand. Betrachtet man das Ereignis aber aus der Perspektive des Staatsbesuchs und vor dem Hintergrund des historischen Vergleichsfalls, so wird deutlich – es war keinesfalls nur zufällig. Denn die Operngala als konstitutiver Bestandteil des Zeremoniells eines Staatsbesuches schien den Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, die Veränderungen zwischen dem Kaiserreich und der Bundesrepublik, die Wandlung von der erblühenden Presseöffentlichkeit zur multimedialen Kommunikationsgesellschaft schadlos überstanden zu haben. Sie war an diesem Abend obligatorischer Teil eines nach traditionellem Muster geplanten und in Angriff genommenen Staatsbesuches. Der Schah Reza Pahlavi trat am 23. Mai 1967 eine rund einmonatige Weltreise an. Nach der ersten Station in der Tschechoslowakei folgte ein gut einwöchiger Staatsbesuch in Deutschland. Anschließend ging es weiter nach Frankreich, Kanada, in die USA und die Türkei. Auf dem Programm für den Schah und seine Frau stand eine repräsentative Reise durch die Bundesrepublik, die sich mit den wieder entdeckten positiven Seiten ihres historischen Erbes schmückte, ihre ökonomische und industrielle Potenz herausstellte und ihren kulturellen Reichtum zeigen wollte  : Im Schloss Augustusburg in Brühl, auf dem Bonner Petersberg und im Schloss Bellevue in Berlin versammelten sich Politiker, Diplomaten und Ordensträger zu ausufernden Defilees  ; im Reaktor des Kernkraftwerks in Jülich durfte der Schah westliche Innovationen studieren  ; in den Opernhäusern von München, Berlin und Hamburg schließlich sich an der Krönung deutscher Kultur berauschen. In München bekam er die Zaubergeige



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von Werner Egk zu sehen, Wolfgang Amadé Mozarts Zauberflöte in Berlin und ein George Balanchine-Ballett in Hamburg. Die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber dem Paar war auch im Jahre 1967 enorm – dieser Schah war nicht nur ein Staatsgast, er war ein Stargast  ; seit der – bereits wieder geschiedenen – Ehe mit der deutschstämmigen Soraya stand er vor allem im Fokus der Boulevardpresse. Die Traube von akkreditierten Journalisten, die den Schah fast ständig umgab – allein in Berlin waren es über 800 – bestand zum Großteil aus Vertretern westdeutscher Illustrierten.27 Obwohl immer wieder die Modernität des Kaiserpaars hervorgehoben wurde, übte die Herkunft des Gastes eine nach wie vor geheimnisvolle Anziehungskraft aus. Die Magazine fanden in den Gästen eine Projektionsfläche für romantisierende und orientalisierende Phantasien. Vom „Herrscherpaar aus dem Morgenland“ oder dem „Kaiser auf dem Pfauenthron“28 war zumeist die Rede. „Wer sind sie – diese beiden Menschen zwischen Politik, Märchen, Traum und Wirklichkeit  ?“29 fragte die „Bild-Zeitung“ und versprach mit einer überbordenden Berichterstattung Aufklärung. Hier faszinierte auch der monarchische Rang der Gäste, das „edle“ Geblüt des schillernden Kaiserpaares bildete ein beliebtes Sujet der Berichte. Nicht nur die „Bunte“ freute sich offen, „eine Woche hat Deutschland eine Kaiserin  !“30 Die Reflexion dessen fand in sich neben der Hofberichterstattung behauptenden und immer lauter werdenden kritischen Stimmen statt. Ein Leserbrief in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ fragte etwa, ob es wohl auch so ein „Tam tam“ gäbe, wenn es sich um einen Ministerpräsidenten statt einen Schah gehandelt hätte  : „Der Verdacht liegt nahe, daß sich in solchen Augenblicken wie dem Schahbesuch in Deutschland ein verdrängtes monarchistisches Wunschdenken breitmacht.“31 Große Teile des Landes fühlten und zeigten sich dem Status des Besuchers untertan, ganz nach dem alten Motto  : „Macht einen Knicks, der Kaiser kommt  !“32 27 So ist es einem Vermerk des Bundespresseamtes vom 18. Mai 1967 zu entnehmen. Die Liste der an der gesamten Deutschlandreise teilnehmenden Journalisten enthält vor allem Klatschblätter wie die Bunte, Gala, Neue Revue, Quick. Landesarchiv Berlin (LAB) B Rep. 004. 28 Obwohl sich Reza Pahlavi erst im Oktober des gleichen Jahres nach 26jähriger Regierungszeit krönte. 29 Bild, 27.5.1967. 30 Die Bunte, Nr. 38, 1967. 31 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.3.1967. 32 Die Zeit, Deutschland  : Schicksalsstunden – Von der Wannseekonferenz bis zur Wiedervereinigung

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Doch abseits dieser ironischen Kritik nahm auch das Interesse an dem Politiker und autokratischen Herrscher zu. Einer von der sich entwickelnden transnationalen Medienwelt informierten, politischen Öffentlichkeit erschien der Gast keinesfalls als orientalischer Märchenprinz. Die bedrohliche Seite des „Orientalismus“ zeigte sich hier von fast jedem exotischen Flair befreit als Typus eines autoritären Herrschers, der sein Land unterdrückte und in der Vormoderne gefangen hielt. Diese Anklage erfolgte vor allem im Kontext der Dekolonialisierung der dritten Welt, in deren Folge sich Diktaturen durchsetzten, mit denen der Westen nun paktierte.33 Die frühere eurozentristische Reflexion der eigenen Stärke wich (zumindest in diesem, mehrheitlich aus Studenten aus dem linken alternativen Milieu bestehenden Segment der Öffentlichkeit) einer kritischen Prüfung der westlichen Politik. Zunächst jedoch fehlte dem Besuch die konfliktträchtige Politisierung – er war vielmehr diplomatische und protokollarische Formsache. Zwar wurde immer wieder auf die hohe „politische Bedeutung“ des Ereignisses hingewiesen, die politischen Hintergründe des Besuches wurden in der Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen aber nicht wirklich thematisiert.34 Sie blieben etwas unnahbar Abstraktes, zwar Wichtiges, aber den meisten Bürgern Unverständliches. Der politische Charakter des Ereignisses forderte nicht Auseinandersetzung, Austausch und Kommunikation, sondern er verlangte Unterordnung, Akzeptanz und Huldigung.

(dvd-video) Bd. 5, Der Polizeistaatsbesuch, von Roman Brodman, Miromar Entertainment, 2007 (original Süddeutscher Rundfunk 1967). 33 Vgl. S. Derix, Bebilderte Politik. Staatsbesuche in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1990, Göttingen 2009, S. 312  ; Vogel, „Juni“. „Aus Berichten über Folterungen in Gefängnissen, politische Morde, Unterdrückung jeder Opposition und himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit gewannen viele von uns diese Überzeugung  : Wenn schon unsere Regierung den Besuch des verantwortlichen Machthabers dieses Staates durch das Abziehen einer ‚Supershow‘ zu einem Reklamefeldzug macht, der dieses despotische Regime unterstützt, müsse es unsere demokratische Pflicht sein, durch Protestaktionen der Bevölkerung und dem Monarchen deutlich zu verstehen zu geben, daß es in diesem unserem Staat Menschen gibt, die es unwürdig finden, einen solchen Mann derart zu feiern.“ So schrieb ein Vertreter der Studentenschaft der FU Berlin in einer Erklärung, abgedruckt im Hamburger Abendblatt, 16.6.1967, 8. 34 So hat es Meike Vogel in ihrer Analyse dieses Schah-Besuchs als Kommunikationsereignis herausgestellt, Vgl. Vogel, „Juni“.



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Vor diesem Hintergrund werden drei zentrale Funktionen deutlich, die der wiederholte Opernbesuch des Schahs als gewünschter Programmpunkt und verbindendes Element der Stationen des Staatsbesuches innehatte  : Zum einen unterstrich er den monarchischen Status des Besuchers, der die erwähnte öffentliche Faszination genoss. Die Oper zu besuchen, passte hervorragend in das vordemokratische Zeremoniell, das dem gesamten Besuchsablauf eigen war. Das verdeutlichte nicht nur die Pracht und das Ritual der Applaus spendenden Menschenmenge in den Sälen, die aufstanden, um sich zu dem Kaiserpaar hinzuwenden und zu ihm aufzublicken, sondern auch und gerade die Architektur der Opernhäuser. Bauten aus dem 19. Jahrhundert passten ganz unverändert das Publikum in die traditionelle hierarchische Ordnung ihrer Entstehungszeit ein. Zweitens bot die Oper noch immer einen Raum der Transzendenz  : „Kaiserin Farah wird zweimal verzaubert“35 schwärmte die „Bild-Zeitung“ und spielte damit nicht nur auf den Titel der zwei aufgeführten Opern an, sondern auch auf jene Atmosphäre des Übergangs vom Alltag in eine andere, glänzende Welt. Damit bekam das Ereignis zugleich den vermeintlich unpolitischen Charakter, den es gerade angesichts der Kritik an dem politischen Kontakt benötigte. Drittens versprachen die Opern aber nicht nur nach wie vor ein allgemein repräsentatives und ostentatives Ereignis, sondern galten dem Protokoll vor allem als typisch deutsche Kunstform.36 „Der Schah genießt diese Darbietung deutscher Kultur, auf die er sich von Beginn seiner Deutschlandreise an gefreut hat“37, phantasierte ein Berliner Radiobericht später. Bevor sich im Inneren der Deutschen Oper Berlin jedoch der Schah und sein Hofstaat in Begleitung des Bundespräsidenten Heinrich Lübke und des Regierenden Bürgermeisters von West-Berlin, Heinrich Albertz, niederlassen durften, die Besucher sich zu Ehren der hohen Gäste und zu den Klängen derer Nationalhymne erhoben und der Vorhang den Blick auf die Zauberflöte frei35 „Bild“, 27.5.1967. 36 Vgl. Derix, Politik, 193, 203  ; sowie den internen Vermerk des Auswärtigen Amts vom 30.3.1967  : Anders als zunächst formuliert, wünsche der Schah in Berlin nun doch kein Ballett, sondern eine Mozart-Oper zu sehen – die Intendanz des Hauses solle entscheiden, was sie disponieren könne. 37 Berliner Rundfunk, Berliner Zeitzeugen  : Sendung vom 22.03.2007, „Der Schah von Persien in Berlin“, Radio Online-Archiv http  ://www.berliner-rundfunk.de.

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geben konnte, bedurfte es langer Vorbereitungen. Da keine Bilder von der Veranstaltung existieren bzw. zugänglich sind, lässt sich der Abend in der Oper allein an den Dokumenten dieser Vorbereitung rekonstruieren. Dabei zeigt sich zugleich jedoch, wie sehr die Inszenierung des politisch neutralen und transzendenten Opernbesuches fest in politischer bzw. protokollarischer Hand lag und wie diese versuchte, mehr eine bestimmte überlieferte Form zu füllen, als einen spezifischen dem Anlass entsprechenden Abend zu gestalten. So erhielt das Haus nicht nur die Partitur der iranischen Hymne, die das Auswärtige Amt mit dem Verweis „an die Oper weiterleiten“ an die Berliner Senatskanzlei geschickt hatte, sondern auch direkte Anweisungen für die Durchführung des Abends. Dabei bereitete der moderne Opernbau bei der Planung des tradierten Zeremoniells monarchischer Prägung durchaus Schwierigkeiten. In der Bayerischen Staatsoper in München hatten die Staatsgäste und ihre staatsmännischen Gastgeber in der königlichen Mittelloge Platz nehmen können und waren dadurch perfekt in den räumlichen Kontext der feudalen Architektur, mit den Körpern des Kaiserpaars in Opposition zur Bühne und im Fluchtpunkt des Raumes gerückt. Dies funktionierte in dem 1961 eröffneten Berliner Bau des Architekten Fritz Bornemann, der die Oper architektonisch in die demokratische Gegenwart holen sollte, in der Form nicht mehr, denn er bot schlicht keine herausgehobenen Plätze. Über dem weitläufigen, leicht ansteigenden Parkett erhoben sich vielmehr zwei Ränge, mit gleichmäßigen langen Reihen, gesäumt von kleinen offenen, die beiden Ränge optisch verbindenden Seitenbalkonen. Es lässt sich nur darüber spekulieren, ob auch deswegen in der Deutschen Oper kein Bildmaterial aufgenommen werden durfte – es hätte zweifelsohne nicht die gewünschten Bilder geliefert. Zwar galten Sicherheitsregelungen als ein Grund, doch in München hatten sich die Kameras noch zwischen Bühne und Publikum positionieren dürfen, um mit den geladenen Zuschauern zur Königsloge mit dem Kaiserpaar aufzublicken. Aus dieser Perspektive konnten auch die Millionen Menschen zu Hause vor den Bildschirmen an jener schon durch die räumliche Ordnung gebildeten Form der Huldigung teilnehmen. Wie aber aus der Korrespondenz des Opernhauses mit der Senatsinnenverwaltung hervorgeht, gab man sich in Berlin alle Mühe, dennoch das richtige Arrangement für die hohen Gäste und Gastgeber zu schaffen. Die Leitung des Hauses erhielt die Anweisung, dem Schah und seinem Gefolge den gesamten



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Ersten Rang zu reservieren und ferner „Sorge zu tragen, daß ein freier Verkauf von Karten in jedem Fall unterbleibt“.38 Die sorgfältige Auswahl von Politikern, Diplomatischem Korps sowie prominenten Vertretern aus Kultur und Wirtschaft oblag dem Protokoll – doch es galt ein modernes, 1800 Plätze bietendes Opernhaus zu füllen und so sollte die Oper 576 Parkettplätze an „zuverlässige Mitglieder einer Theatergemeinde vergeben“.39 Am 10. Mai fragte die Deutsche Oper wiederum an, wie dieser für den Schah, seine Gastgeber und sein Gefolge reservierte Rang denn in die adäquate Form zu bringen sei und schlug vor, vorne im Rang die Plätze 1–10 und 25–36 auszubauen „so daß die Mittelplätze der ersten Reihe hervorgehoben sind“.40 Das alte Zeremoniell zeigte sich wichtiger als seine zeitgenössischen Rahmenbedingungen  ; die Deutsche Oper Berlin musste ihr Hauptmerkmal als dezidiert bürgerliches Opernhaus, eben die Abkehr von der feudalen Raumordnung, zumindest ansatzweise zurücknehmen. Doch so sehr das Protokoll diesen Besuch nach den alten Regeln der politischen Staatskunst geplant hatte, so wenig sollte er ihnen insgesamt folgen. Denn eine zweite Inszenierung machte dem Staatsbesuch zunehmend Konkurrenz  : die des Protestes auf der Straße. In allen Städten, in die der Schah kam, warteten an den Straßenrändern nicht nur das „jubelnde Volk“, sondern auch Demonstranten, vor allem Studenten, die mit Plakaten und Parolen das Unrechtsregime des Gastes anprangerten. Sie machten sich die mediale Öffentlichkeit, die dem Schah auf Schritt und Tritt folgte, zu Nutze. Die gespaltene Sprache der Bilder, die auf diese Weise entstand, machte vor allem eines deutlich  : staatliche Repräsentation und staatliche Repression lagen bei diesem Ereignis nahe beieinander  ; das zeitgenössische ironische Fernsehportrait des Schahbesuchs von Roman Brodman hat diesen Umstand in seinem Titel „Polizeistaatsbesuch“ pointiert zusammengefasst.41 Rund dreißigtausend Einsatzkräfte sicherten den Weg der Besucher durch die Bundesrepublik und Berlin. Das Bundesinnenministerium hatte weit reichende Maßnahmen ergriffen, um vor allem Proteste seitens der politischen Gegner, meist der in Deutsch-

38 Vermerk Protokoll, Senatsverwaltung Inneres, 17. Mai 1967, Lab B Rep 004. 39 Vermerk Protokoll, Senatsverwaltung Inneres, 13. April 1967, LAB B Rep 004. 40 Schreiben der Deutschen Oper vom 10. Mai 1967 an das Auswärtige Amt, LAB, B Rep. 126. 41 Die Zeit, „Polizeistaatsbesuch“, Erstausstrahlung am 26. Juni 1967 in der ARD.

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land lebenden oppositionellen iranischen Studenten, zu verhindern.42 Dennoch wurden die beiden Gäste immer häufiger mit Protesten konfrontiert. Bilder und Nachrichtenwert der Demonstrationen gewannen gegenüber dem Besuchszeremoniell an Gewicht. Hatten schon die ersten Stationen des Schahs zwar mitunter heftige Studentenproteste hervorgerufen, so kam es doch erst in Berlin zur Eskalation. Zunächst am Nachmittag des 2. Juni vor dem Schöneberger Rathaus, als eine Prügelei zwischen den Protestlern und den so genannten „Jubelpersern“ (unter anderem den Sicherheitskräften des Schahs) ausbrach  ; dann schließlich am Abend vor der Deutschen Oper, als bei der gewaltsamen Konfrontation zwischen Straße und Staat um ca. 20.30 Uhr „der Schuss fällt, der Deutschland verändert“.43 Das Kaiserpaar verschwand nach seiner Ankunft zügig im Inneren der Oper. Die Vorstellung begann im Jahr 1967 pünktlich um 20 Uhr – allerdings waren die anderen Besucher gebeten worden, bereits um 19.30 Uhr ihre Plätze einzunehmen, der Effekt der wartenden Gemeinschaft dürfte dem von 1873 somit gar nicht unähnlich gewesen sein. Als die Demonstrantengruppe vor dem Haus sich daraufhin bereits aufzulösen begann, kam es überraschend zur Räumung durch die Polizei und zur Straßenschlacht (Abbildung 2).44 42 Offene und verdeckte Observation, eine auferlegte Meldepflicht bei der Polizei vorzugsweise zu Zeitpunkten, an denen öffentliche Auftritte des Schahs Demonstrationen ermöglichten, waren ebenso Teil der staatlichen Sicherheitsstrategie wie Drohungen der Aberkennung des politischen Asylrechts. Vermerk der Sicherheitsbesprechung im BMI am 8. Mai 1967 (LAB B Rep. 004)  ; Vgl. auch Derix, Politik, 290f. 43 So zum 40. Jahrestag die Berliner Morgenpost, 30.5.2007. Warum der Beamte Kurras geschossen hatte, blieb Gegenstand heftiger öffentlicher Debatten, eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und einer Vielzahl gerichtlicher Verhandlungen. Ermittelt wurde allerdings nur wegen fahrlässiger Tötung, nicht wegen Totschlags. Trotz zahlreicher anderslautender Zeugenaussagen setzte sich schließlich die Version der Notwehr durch und Kurras wurde im November 1967 trotz der gerichtlichen Feststellung seines eindeutig falschen Handelns freigesprochen. Vgl. Uwe Soukup, Wie starb Benno Ohnesorg  ? – Der 2. Juni 1967, Berlin, 2007. Nach Aktenfunden vom Mai 2009 war Kurras 1967 Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Einen Zusammenhang mit seinem Schuss auf Ohnesorg zeigen die Akten jedoch nicht. Dennoch fordern Opferverbände neue Ermittlungen  ; es wird nun erwogen, Strafanzeige wegen Mordes zu stellen. 44 Der Regierende Bürgermeister Albertz soll – überrascht davon, dass man seinem Plan, das Areal der Oper weiträumig abzuriegeln, nicht gefolgt war – dem Polizeipräsidenten Düsing gesagt



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Abbildung 2  : Demonstrationen gegen den Schah-Besuch in West-Berlin 1967; Bildarchiv Preußischer Kulturbestiz, 30.027.953.

Mit den Staatsbesuchern waren auch die staatstragenden Bilder verschwunden – „inszenatorisch beherrschten nicht mehr die politischen Repräsentanten das Straßenbild, sondern andere gesellschaftliche Akteure“.45 Während die massenhaben  : „Wenn diese Oper fertig ist, wünsche ich, dass auf Berlins Straßen wieder Recht und Ordnung herrschen.“ Düsing gab, bevor schließlich auch er im Smoking in die Oper eilte, den Befehl zur Räumung. In der Pause der Vorstellung traf sich der Regierende Bürgermeister mit seinem Innensenator und dem Senatsprotokollchef und die Frage stand im Raum, ob auf Grund der fragilen Sicherheitslage der Schah nicht zügig ins Hotel zurückgebracht werden sollte. Aber man entschied, dass die Blamage für die Stadt zu groß sei, würde der Schah der Vorstellung nicht bis zum Ende beiwohnen können. Und so blieben alle Entscheidungsträger der Politik wie der Polizei bei dem Gast im Inneren, wo sie von den Ereignissen draußen nichts erfuhren. Der Satz von Albertz existiert in einer Vielzahl von Varianten (hier zit. nach Berliner Rundfunk, „Zeitzeugen“). „Ich hoffe, dass sich bei der Abfahrt dieses Schauspiel nicht wiederholt“, soll er später selber den Satz wiederholt haben, Berliner Zeitung 1. Juni 2007. Vgl. auch zum Ablauf des Abends S. Lönnendonker, B. Rabehl, J. Staadt, Die antiautoritäre Revolte der Sozialistische Deutsche Studentenbund nach der Trennung von der SPD 1  : Der sozialistische deutsche Studentenbund nach der Trennung von der SPD, Opladen 2002, 33 sowie M.L. Müller, „Nach der Oper“, in ders., Berlin 1968  : Die andere Perspektive, Berlin 2008, 45–66. 45 Derix, Politik, 325.

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mediale Berichterstattung der inszenierten Reise als Medienereignis vor allem affirmative Funktion hatte, sprengten der massive Polizeieinsatz und schließlich der Tod Benno Ohnesorgs plötzlich diesen Rahmen. Die beiden in ihrer medialen Qualität so gegensätzlichen Ereignisse sorgten für eine breite öffentliche Irritation und gesellschaftliche Reaktion. Die entstehende Spannung zwischen dem Herrschaftsritual im Inneren der Oper und dem Zusammenstoß von Staatsgewalt und Protest vor dem Gebäude, fand in der Berichterstattung ihre Reflexion. Die Bild-Zeitung kommentierte am nächsten Tag die kontrastierenden Bilder  : „Glanzvolle Repräsentation vor der Kulisse der blutigen Zusammenstöße  : Der Schah und eine strahlende Farah beim Betreten des Opernhauses“.46 Eine Radiodokumentation berichtete später  : „Während die Königin der Nacht in der Oper zu ihrer legendären Arie ansetzt, verwandeln sich die Straßen Westberlins in eine hassgetriebene Krawallandschaft“47  ; in der musikalischen Untermalung der Moderation gingen Soprankoloraturen in Straßengeschrei über. Der Kabarettist Dieter Hildebrandt kommentierte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Schuss während Zauberflöte“  : „Innen Gala, draußen Steinwürfe, Prügeleien, Gummiknüppel. Drinnen, in diesen heilgen Hallen, kennt man die Rache nicht, draußen werden Verletzte des affektgeladenen Tumults mit Krankenwagen in die Unfallstationen gebracht.“48 Stets dominierte die Gegenüberstellung zweier verschiedener Welten. Bilder gab es letztlich aber nur von der Straße. Drinnen verfolgten knapp 1800 Menschen das räumlich und medial abgegrenzte Zeremoniell einer vergangen Zeit, draußen verbreiteten sich rasend schnell die Bilder einer neuen Bewegung – sie besetzten das Thema, das schließlich die eigentliche historische Erinnerung an diesen 2. Juni 1967 füllt. Nicht zuletzt diese Gegenüberstellung markierte den „Wendepunkt im Verhältnis von Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik“49, für den dieser Schahbesuch steht. Das heißt, durch die katalysierende Funktion dieser Opposition zwischen Staat und Gesellschaft avancierte das Ereignis zu einem genuin innenpolitischen Thema, das eine öffentliche Auseinandersetzung um das 46 Bild, 3.6.1967. 47 Berliner Rundfunk, Zeitzeugen. 48 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.6.1967. 49 Derix, Politik, 317.



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Eigene statt das Fremde erzwang  : „Der Schah-Besuch in Deutschland war ein deutsches Thema. Kann unsere Regierung glaubhaft von Unfreiheit im Osten sprechen, wenn sie sich bei denen anbiedert, die ebensolche Unfreiheit zu verantworten haben, nur weil sie zum Westen stehen  ?“50 fragten die Studenten „ihren“ Staat. Wie deutsch das Thema tatsächlich war, machten die öffentlichen Interpretationen des Ereignisses vom 2. Juni 1967 deutlich  ; die um die Deutung der Ereignisse konkurrierenden politischen Lager, scheuten dabei keine Vergleiche. „Sie (die Krawallmacher, SZ) schwenken die Rote Fahne und sie meinen die rote Fahne. Hier hört der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden … Die Deutschen wollen Frieden“51, verkündete die Bild-Zeitung und zog damit alle Register geschichtspolitischer Argumentation in der Bundesrepublik. Doch auch die politische Linke bediente diese Rhetorik. Sebastian Haffner sprach im Stern von einem „systematischen, kaltblütig geplanten Pogrom. … Während in der Berliner Oper zu Ehren des Schahs die ‚Zauberflöte‘ erklang, haben sich draußen Gräuel abgespielt, wie sie außerhalb der Konzentrationslager selbst im Dritten Reich Ausnahmeerscheinungen gewesen sind“,52 prangerte er die staatliche Gewalt an. Günter Grass sprach später von dem Vorfall als vom „ersten politischen Mord in der Bundesrepublik“.53 Mit dem Tod des Studenten zerriss die Spannung zwischen der Inszenierung des Staatsbesuches in der Oper und den Medien, wurde aus einem außenpolitisch konnotierten Repräsentationsakt ein innen- und gesellschaftspolitischer Deutungskampf. Die Eindeutigkeit der Bilder war gebrochen und der politische Opernbesuch als notwendiger Teil der affirmativen Repräsentation einer unmündigen gesellschaftlichen Ordnung, gescheitert. Über seinen Besuch in Deutschland verfasste Reza Pahlavi keinen unterhaltsamen persönlichen Reisebericht. Seine politische Meinung zu dem Erlebten 50 So der Berliner Politologie-Student Gerhard Maurer, Doktorand am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, in eine Stellungnahme unter der Überschrift  : „Antwort eines engagierten Studenten“, abgedruckt in Hamburger Abendblatt, 16.6.1967, 8. 51 Bild, 3.6.1967. 52 S. Haffner, „Die Nacht der langen Knüppel“ im Stern vom 20.6.1967, 132. 53 Zit. in T. Meyer, Am Ende der Gewalt   ? Der deutsche Terrorismus – Protokoll eines Jahrzehnts, Frankfurt/M. 1979, 45.

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kam vielmehr in dem diplomatischen Nachspiel des Besuchs zum Ausdruck. In einer Note vom 13. Juni 1967 überbrachte die iranische Botschaft dem Auswärtigen Amt Vorwürfe aus Teheran. Die Regierung sei „sehr traurig“ wegen des Staatsbesuchs und forderte die Bundesregierung auf, strafrechtlich gegen die Personen vorzugehen, die den Schah während seines Besuchs beleidigt hätten.54 In der Zwickmühle zwischen außenpolitischer Staatsräson und dem sich infolge der Ereignisse entwickelnden innenpolitischen Druck überdachte die Bundesrepublik Deutschland ihre Konzeption von Staatsbesuchen für die Zukunft gründlich. Fazit  : Interesting Eastern Potentates

Der Vergleich der Aufenthalte und Opernbesuche der beiden persischen Schahs in Berlin 1873 und 1967 ergibt eine uneinheitliche Bilanz. Den vergleichsweise ähnlichen Zeremonien und politischen Intentionen der Staatsbesuche und Staatsakte stehen gravierende Unterschiede in deren öffentlichem Erfolg als staatliche Repräsentationsstrategie gegenüber. Mit der Abreise Nassr-ed-dins war auch das funkelnde Ereignis vorbei und das Fremde wieder dort verschwunden, von wo es plötzlich aufgetaucht war  : in den fernen Geschehnissen internationaler Politik und in der orientalisierenden Mythenbildung. Am Ende des Besuches von Resa Pahlavi war von seinem Glanz wenig übrig geblieben und das Fremde – als Entfremdung zwischen Staat und Bevölkerung – ein Teil der deutschen Gesellschaft geworden. Daher scheint deutlich, dass die Unterschiede weniger in der Funktion des Staatsbesuches oder im offiziellen Besuchszeremoniell lagen. Gerade die Funktion der Oper, eine begrenzte Öffentlichkeit herzustellen und in deren Rahmen dem politischen Ritual einen vermeintlich unpolitischen und transzendenten Duktus zu verleihen, der bestimmte Werte hervorhebt oder konserviert, zeigte zwischen den beiden knapp einhundert Jahre auseinander liegenden Ereignissen eine überraschende Kontinuität. Die Hofoper wie die Staatsoper bewiesen die Fähigkeit, Räume zu formieren, in denen die Erscheinungen vor der Bühne die Theatralität im Zuschauersaal legitimierte und die 54 Vgl. die Aufarbeitung des Konfliktes bei Derix, Politik, 306ff.



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durch den rituellen Nachvollzug tradierter Beziehungen zwischen Herrschern und Beherrschten diese als überzeitlich gültig bestätigten. Auch konnte das Opernhaus seine Rolle als hohe Errungenschaft deutscher Kultur erhalten, der es würdig war, das Land den Herrschern eines mächtigen, aber leider „opernlosen“ Reiches gegenüber kulturell zu präsentieren. Ungeachtet dieser Beständigkeit veränderte sich nachdrücklich die öffentliche Auseinandersetzung mit den Staats- und Opernbesuchen des Schahs. In dem Maße, in dem in Deutschland in unterschiedlichen politischen Systemen und zu unterschiedlichen Zeiten der Besuch des persischen Monarchen verschieden bewertet wurde, veranschaulichten die beiden Ereignisse die gewandelte Beurteilung staatlicher Repräsentationsstrategien durch die politische Öffentlichkeit. Sie verraten mithin vor allem etwas über die politische Kultur der sie kontextualisierenden Gesellschaften. Die hier betrachteten beiden Opernbesuche der persischen Monarchen als zeremonielle Legitimation von Herrschaft ließen sich öffentlich nicht gleichermaßen durchsetzen. Während es im Deutschen Kaiserreich noch gelang, durch die Inszenierung des Staatsbesuches eine innen- wie außenpolitisch integrative Aussage zu kreieren, muss der Versuch eines gleichermaßen märchenhaften wie autoritären Besuchszeremoniells in der Bundesrepublik und insbesondere in Westberlin als gescheitert begriffen werden. Der Opernbesuch sollte zwar als Ritual bestimmter Verhaltensmuster auch hier die bestehende Gesellschaftsordnung in ihrer Rechtmäßigkeit bestätigen, doch hatte das Opernhaus 1967 seine Stellung als ein Raum der Inszenierung und damit auch die Inszenierung ihre unantastbare Gültigkeit bereits verloren. Die Deutsche Oper Berlin wurde nicht nur von einer kritischen Öffentlichkeit als geschützter elitärer Raum verworfen. Den Kritikern des Schahs war es vielmehr nun möglich, eine öffentliche Gegenwelt und Gegenwirklichkeit zu inszenieren. Es war somit nicht zuletzt die veränderte mediale Qualität der Abläufe, die auch das Geschehen selber beeinflusste. Beide Besuche waren große Medienereignisse. Die Berichte an eine nicht unmittelbar anwesende Öffentlichkeit bedienten und reflektierten ein gleichermaßen großes Interesse an Hintergründen wie an Legenden. Diese wurden zwar in der Massenpresse intensiv diskutiert, blieben gleichwohl ohne Einfluss auf das politische Geschehen – 1873 ebenso wie 1967. Doch mit Funk und Fernsehen wuchs im 20. Jahrhundert nicht nur

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die Gruppe der indirekten Zuschauer, sondern auch deren Möglichkeit, aktiv die öffentliche Aufmerksamkeit für die eigene Sache zu gewinnen. Die Form des Beobachtens veränderte und die der Bewertung beschleunigte sich. Im Kampf vor der Oper am Abend des 2. Juni 1967 kollidierten entsprechend nicht nur Wertesysteme, sondern auch Nachrichtenwerte miteinander. Reza Pahlavis Opernbesuch bildete quasi ein letztes Überbleibsel eines hochgradig formalisierten und konservativen Elementes. Staatsbesuche in der Bundesrepublik waren danach nie mehr das gleiche  ; der Staat zog sich mit seinen autoritativen Inszenierungen fortan aus der Öffentlichkeit zurück. Dass die Wende ausgerechnet vor einem Opernhaus ausgelöst wurde, bezeichnet auch die Abkehr der gehorsamen Bürgerpflicht gegenüber einem sich als „opernhaft“ präsentierenden Staat.

Annegret Fauser

Carmen in Khaki Europäische Oper in den Vereinigten Staaten während des Zweiten Weltkrieges

Im August 1942 veröffentlichte Joseph Goebbels höhnische Zeilen über die amerikanische Opern- und Theaterkultur in seiner wöchentlichen Kolumne für Das Reich  : „Dasselbe Land, das zum Schutze der Freiheit des Geistes mit den ältesten Kulturvölkern Europas und Asiens Krieg führt, besitzt selbst kein stehendes Schauspiel und keine stehende Oper. Ein Privatunternehmen wie die New-Yorker Metropolitan Opera lebte im Frieden nur von deutschen und italienischen Opern und Sängern und musste bei Beginn des Krieges bezeichnenderweise wegen Geldmangels seine Pforten schließen.“ Mit ihrer krassen und eklatant antisemitischen Rhetorik zielte Goebbels Salve treffsicher auf einen wunden Punkt im amerikanischen Selbstbewusstsein, denn Musiker und Kritiker in den Vereinigten Staaten waren sich dessen bewusst, dass Goebbels’ Vorwurf, es sei alles „geborgt“ und Amerika besäße „keine eigene Sprache, keine eigene Kultur und keine eigene Bildung“, vor allem auf die Oper hätte zutreffen können. Zwar war – um Mark Twain zu paraphrasieren – Goebbels’ Nachricht vom Ableben der Met „greatly exaggerated“, sein Kommentar deutete aber auf mehrere zentrale Fragen der amerikanischen Opernkultur der Kriegsjahre hin, vor allem im Hinblick darauf, wie sich regelmäßige Aufführungen des europäischen Repertoires mit einem durch den Weltkrieg verschärften amerikanischen Nationalismus vereinbaren ließen. Im Kulturkrieg dieser Jahre kam aber gerade dem „highbrow“-Repertoire der europäischen Oper besondere Bedeutung zu, und der Zweite Weltkrieg ent Ich danke Tim Carter und Reinhart Meyer Kalkus für die hilfreichen Kommentare zu einer ersten Fassung dieses Textes.  J. Goebbels, „Aus Gottes eigenem Land“ (9. August 1942), nachgedruckt in dem Sammelband Das eherne Herz  : Reden und Aufsätze aus den Jahren 1941/42 von Joseph Goebbels, München 1943, 423. Ich danke Gunilla Budde für den Hinweis auf Goebbels’ Kommentar.  Goebbels, „Gottes Land“, 423.

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puppte sich für die klassische Musik in den Vereinigten Staaten in der Tat als eine Blütezeit. Um dem Vorwurf der Nazipropaganda zu begegnen, dass Amerika eine kulturelle Wüste sei und außer Hollywood and Jazz nichts zu bieten habe, stellte der Staat reiche finanzielle Mittel für die Kultur zur Verfügung, während die vom Office of War Information (OWI) gesponserten Radioprogramme und Einspielungen klassischer Musik einen besonders großen Raum gewährten. Dass vor allem klassische Musik und Oper als eine Waffe in diesem Konflikt galten, zeigt sich etwa in einer vertraulichen Direktive an amerikanische Radiostationen in Frankreich, wonach 35 % der Einspielungen aus klassischer und zeitgenössischer Musik zu bestehen hätten. Diese Musiksammlungen, so der OWI Kommentar, „sollen in den Informationszentren dazu benutzt werden, den Musikkritikern, Musikgesellschaften und Musiklieberhabern zu zeigen, dass Amerika der Nazipropaganda zum Trotz eine echte Musikkultur besitzt.“ Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg, in dem die Aufführung der Musik feindlicher Nationen in Amerika von den Bühnen verbannt wurde, galten hochrangige Aufführungen europäischer Musik in den Vereinigten Staaten als Sieg im Kulturkrieg zwischen Achsenmächten und Alliierten. Politiker wie Künstler feierten Amerika als die neue Heimat der Weltkultur, welche der Kunst vor den Kriegsverwüstungen in Europa und Asien ein Asyl bot. So konnte man bereits im Februar 1940 etwa in Musical America lesen, dass „dieser Krieg, welcher direkt oder indirekt die gesamte zivilisierte Welt berührt, Amerika zur Bewahrerin der Künste machte“. Das Vokabular der Kulturtransfers, das die amerikanische Rhetorik dieser Jahre charakterisierte und einen wichtigen Aspekt im komplizierten Gewebe nationaler Musikkultur darstellte, wird besonders im Hinblick auf die Oper als Gattung und Institution plausibel. Gerade weil die Oper einerseits symbolisches Kapital (sowohl durch ihren europäischen Ursprung als auch in ihrer spezifisch  „Program Guide for France  : Office of War Information, United States of America. Compiled April 1, 1945. Management Planning Office“, Records of the Historian, National Archives, College Park Maryland (NARA), RG 208, Box 13  : „…are to be used for audition purposes in the Information Centers to show music critics, music societies and lovers of music that, contrary to Nazi propaganda, America has a real musical culture.“  J. Ober, „A Singing Nation  : America’s Mission“, in Musical America 60/3 (1940), 21  : „In a certain sense this war which touches intimately or remotely most of the civilized world has made America the custodian of arts.“



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amerikanischen Realisierung) besaß und andererseits in ein kompliziertes Netz interner Musikpolitik und internationalen Kulturkonflikts verflochten war, fand sich diese Gattung am Schnittpunkt diverser und oft konträrer politischer und sozialer Trends. Die europäische Oper in Amerika erwies sich während des Zweiten Weltkrieges als ein in einen dynamischen Prozess nationaler Identitätsfindung eingebundenes musikalisches Repertoire, das unter anderem in die Realpolitik des Kriegsalltags eingespannt wurde, als Brennpunkt ästhetischer Diskussionen diente oder für die Emanzipation von Afroamerikanern fruchtbar gemacht wurde. Die gerade in den Kriegsjahren erneut akute Debatte um Klasse und Rasse in den Vereinigten Staaten kam in der amerikanischen Rezeption der europäischen Oper genauso zum Tragen wie pragmatische Fragen der Truppenbetreuung oder moralische Probleme der Programmwahl. Pragmatik  : Zur Nutzung der Oper im Kriegsalltag

Mit dem Kriegsbeitritt der Vereinigten Staaten am 8. Dezember 1941, einen Tag nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, änderte sich das politische Klima in den Vereinigten Staaten dramatisch. Während die Nation zuvor zwischen Isolationisten und Interventionisten gespalten war, wendete sich das Blatt über Nacht und vereinigte die Bevölkerung in einer überwältigenden Unterstützung des Krieges. Amerikaner aller Schichten und Berufe boten dem War Department und dem Office of Civilian Defense ihre Hilfe an, und Musiker dienten beispielsweise als Air Raid Warden, wie die Sopranistin Francia White in Los Angeles, oder als Hilfsfeuerwehrmann, wie Lauritz Melchior, der Startenor der Met. In weithin publizierten Aktionen stellten Opernhäuser und -sänger der  Zum Konzept des Kulturtransfers als Theorie reziproker Austauschbeziehungen und Wahrnehmungen siehe M. Espagne, M. Werner „Deutsch-französischer Kulturtransfer als Forschungsgegenstand“, in Transferts. Les Relations interculturelles dans l’espace franco-allemand (XVIIIe et XIXe siècle), Hg. M. Espagne, M. Werner, Paris 1988, 11–34. Multidirektionale Verflechtungen als methodologische Fragestellung werden diskutiert in M. Werner, B. Zimmermann, „Penser l’histoire croisée entre empirie et réflexivité“, in De la comparaison à l’histoire croisée, Hg. M. Werner, B. Zimmermann, Paris 2004, 15–49.  „For Defense“, in Musical America 62/3 (1942), 9  : „Engagements with the USO Prevent Francia White from Continuing as an Air Raid Warden and Manipulating Light Switches“  ; „Mel-

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Kriegsindustrie wichtige Materialien zur Verfügung. So berichtete die New York Times am 10. September 1942, dass die Met die Fenstergitter des Opernhauses der Metallsammlung übergeben habe, eine Ausbeute von insgesamt 3 Tonnen Eisen. Weniger imposant, aber dafür fotogener war die Sopranistin Helen Traubel, als sie dem American Women’s Voluntary Service in einer symbolträchtigen Geste Schild, Speer und Helm ihres Brünnhildenkostüms übergab. Stars wie Lily Pons nutzten die Pausen zwischen den Akten einer Opernvorstellung, um Kriegsanleihen zu verkaufen.10 Schon vor dem Kriegsbeitritt der Vereinigten Staaten hatten regelmäßige Benefizkonzerte für verschiedene Länder und Organisationen wie den Polish War Relief Effort stattgefunden. Nach Pearl Harbor vervielfachten sich solche Veranstaltungen. Nicht nur die üblichen Konzertauftritte der Opernstars – etwa in einem Galakonzert, das Musiker aus sechzehn alliierten Nationen zusammenbrachte – sondern auch ganze Opernvorstellungen fanden nun als Benefizveranstaltungen statt.11 Im Januar 1942 etwa fand eine vierstündige Galavorstellung mit Stars wie Astrid Varnay and Ezio Pinza an der Met statt, die Gelder für das Rote Kreuz aufzubringen suchte. Der Höhepunkt des Abends war die Aufführung der amerikanischen Nationalhymne, die uniformiertes Militärpersonal und kostümierte Opernstars auf der Bühne zusammenbrachte  : „In diesem Finale traten Mitglieder der Army, der Navy und des Marine Corps und Rot-Kreuz Schwestern gemeinsam mit Teilnehmern der Aktivitäten dieses Abends und anderen Mitgliedern der verschiedenen Abteilungen der Metropolitan Opera auf und beendeten dieses bemerkenswerte Ereignis mit The Star-Spangled Banner.“12 chior Made Fireman“, in New York Times, 14. November 1943  : „Lauritz Melchior, tenor with the Metropolitan Opera Company, was sworn in yesterday as an auxiliary fireman in the office of mayor La Guardia in City Hall.“   „Iron Grills Given as Scrap by Opera“, in New York Times, 10. September 1942.   „Bruennhilde’s 17-Pound Armor Goes to War“, in New York Herald Tribune, 12. Oktober 1942. 10 „For Defense“, 8  : „Lily Pons Sells Defense Bonds During a Performance of ‚The Daughter of the Regiment‘ at the Metropolitan.“ 11 „Allied Festival of Music is Heard  ; 2,100 Attend the Gala Benefit Program Presented by ORT at Carnegie Hall  ; 16 Nations Represented“, in New York Times, 19. März 1942. 12 „Metropolitan’s Opera Festival Aids Red Cross“, in New York Herald Tribune, 28. Januar 1942  : „In this finale, members of the Army, Navy and Marine Corps and Red Cross nurses appeared on stage with the participants in the evening’s activities and other members of the Metropolitan’s various departments, and closed a notable event with ‚The Star Spangled Banner‘“.



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Eine solche Verbindung von Uniform und Opernkostüm war während des Zweiten Weltkrieges keineswegs ungewöhnlich und machte die Instrumentalisierung der Oper für den Krieg für Zuschauer, Zeitungsleser und Kinobesucher sichtbar. Eine reduzierte Produktion von Bizet’s Carmen im Ballsaal des Waldorf Astoria Hotels am 19. Januar 1943 etwa präsentierte Lily Djanel als Carmen und Licia Albanese als Micaela in Kostüm und Maske, während „die Soldaten von Fort Hancock in ihrem offiziellen Khaki die Männerrollen“ in der Oper übernahmen.13 In den Zeitungen wurde die Aufführung in Artikeln angekündigt, deren Überschriften „Carmen in Khaki“ und „Soldiers to Sing Opera Carmen“ die militärischen Bezüge des Sujets in den Vordergrund stellten.14 Dass sich Carmen in diesen Kriegsjahren für eine solche Mischung zwischen historischer Oper und zeitgenössischem Militär besonders gut eignete, liegt nicht nur an der Handlung, die den Soldaten Don José in den Mittelpunkt eines Dramas stellt, welches die Gefahr der Pflichtverletzung vorführt, sondern auch daran, wie das Militär, vor allem im ersten Akt, präsentiert wird. Kriegsbeiträge von Opernsängern erstreckten sich auch auf die Truppenbetreuung. Zwar kam der Löwenanteil der Musiker, von Lena Horne bis Marlene Dietrich, aus der Unterhaltungsindustrie von Broadway und Hollywood, doch sandte die United Service Organization (USO) auch klassische Musiker wie Jascha Heifetz, Yehudi Menuhin und Isaac Stern auf Tour. Unter den Opernsängern stach vor allem Lily Pons hervor, die sich sowohl in Konzerten in Feldlagern innerhalb der Vereinigten Staaten als auch auf Konzerttourneen an der Front einsetzte. Von Mai bis August 1944 reiste sie mit ihrem Ehemann, dem Dirigenten André Kostelanetz, an den persischen Golf (Iran und Irak). Ein paar Monate später, am 10. Dezember 1944, brach das Paar dann auf eine Tournee durch Indien, Burma, China, und Frankreich auf.15 In einer Pressenotiz nach der Rückkehr der Musiker am 11. April 1945 fasste die USO den Erfolg der 13 „Carmen in Khaki“, in Newsletter of the Metropolitan Opera Guild, ohne Datum, 23. New York Public Library (NYPL), Music Division, Clippings file „World War II“  : „Costumed in their official khaki, the enlisted men of Fort Hancock will assume the men’s roles in Carmen.“ 14 „Soldiers To Sing Opera ‚Carmen‘“, in New York Times, 10. Januar 1943. 15 A. Lastfogel, „USO Camp Sows, Inc. (Stage, Radio, and Screen)  : Report on the Year of 1944 (January 1, 1944 to December 31, 1944)“, 15–19. NYPL, Billy Rose Theatre Division, *T=Mss 1991–007, Box 2.

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Tour folgendermaßen zusammen  : „Das erste Konzert dieser Tournee fand am Heiligen Abend in Kalkutta statt und das letzte ereignete sich im Pariser Opernhaus, wo die U.S. Army Band für die Begleitung sorgte. … Frau Pons und Herr Kostelanetz schätzen, dass sie mehr als zwei Millionen G.I.s auf dieser Reise unterhalten haben. … Die Kostelanetzes reisten per Flugzeug, Jeep, Panzer, Auto, Zug und Boot. Eine von dem Paar signierte Bombe wurde pflichtgemäß auf die Japaner in Burma abgeworfen.“16 Der lakonische Hinweis in der Pressenotiz auf die mit einem Autogramm versehene Bombe lässt die Signierung einer Kriegswaffe durch eine berühmte Opernsängerin als einen nicht unerwarteten Höhepunkt erscheinen. André Kostelanetz beschrieb den Vorfall in seinem Reisetagebuch  : „Lily und ich versahen eine 500–Pfund Bombe mit unserem Autogramm und der Inschrift ‚Grüsse an Japan‘. Ich bin mir sicher, dass sie schnell und zielsicher abgeliefert wurde.“17 Diese offensichtlich chauvinistische Seite der „musikalischen Moraloperation“ wirft ein krasses Schlaglicht auf die in den Vereinigten Staaten bis heute selten hinterfragte Symbiose von Kunst und Militär während des Zweiten Weltkrieges (eine Symbiose, die erst viel später im Vietnamkonflikt problematisiert wurde). In den Vierziger Jahren ging es darum, Musik für den Krieg nutzbar zu machen, und die Frage nach der Musik als Waffe im Krieg wurde in Tageszeitungen und Musikzeitschriften gleichermaßen diskutiert.18 In diesem Zu16 Publicity Department, USO Camp Shows Inc., Press Release, 11. April 1945, NYPL, Billy Rose Theatre Division, *T=Mss 1991–007, Box 3  : „Their first concert on this tour was given on Christmas Eve in Calcutta, India and their last concert before returning to the United States occurred in the Paris Opera House with the U.S. Army band providing orchestral accompaniment. … Miss Pons and Mr. Kostelanetz estimate they have entertained more than two million GIs on this trip which started on December 10, 1944 and terminated on April 10, 1945. … The Kostelanetzes have traveled by plane, jeep, tank, automobile, carriage and by boat. A bomb inscribed by the musical couple was dutifully dropped on the Japs in Burma.“ 17 Eintrag vom 13. Januar 1945, in A. Kostelanetz, L. Pons, Reisetagebuch (Typoskript), 7. NYPL, Billy Rose Theatre Division, *T=Mss 1991–007, Box 3  : „Lily and I autographed a 500 pound bomb with an inscription, ‚Greetings to Japan.‘ I am sure that it was delivered speedily and accurately.“ 18 Siehe beispielsweise O. Downes, „Wartime Weapon  : Music Swings Its Weight in the Battle Between Nations and Systems“, in New York Times, 26 October 1941  ; H. Cowell, „In Time of Bitter War“, in Modern Music 19 (Januar-Februar 1942), 83–87  ; R. L. Finney, „The American Composer and the War“, in Proceedings of the Music Teachers National Association, Hg. T. M. Finney, Pittsburgh 1943, 31–52  ; A. Berger, „Music in Wartime,“ in The New Republic, 7 February 1944, 175–78.



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sammenhang hatte die Oper (und die Truppenkonzerte der Opernsänger) vor allem die Funktion einer moralisch hoch angesehenen Form der Unterhaltung, die zugleich dem Erziehungsideal der Roosevelt-Administration entsprach.19 Dieser Aspekt klingt etwa in Lily Pons’ Bemerkung durch, wenn Sie über ein Konzert vor G.I.s in Burma schreibt  : „Manchmal staune ich, dass diese riesigen Soldatenscharen, von denen viele noch nie einer Koloratursopranistin zugehört haben, so aufmerksam und ehrfurchtsvoll dasitzen, während ich singe.“20 Beschreibungen, wonach Soldaten, die nie zuvor klassische Musik anhörten, diese durch den Krieg entdeckten, während ihre Musikerkameraden endlich wieder einmal „gute“ Musik in diesen Konzerten zu hören bekamen, gehörten zur Standardrhetorik der USO, der Militärverwaltung und klassischer Musikorganisationen.21 Jedoch deuten die Photographien von Künstlern in Uniform (Lily Pons und André Kostelanetz etwa trugen die USO-Uniformen von „noncombatant Captains“ auf ihrer ersten Tournee 1944), das bereits erwähnte Signieren von Bomben und die Betonung der Anstrengungen und Opfer der Künstler sowohl in ihrer eigenen Rhetorik als auch in den Presseberichten auch auf einen weiteren Aspekt dieses militärisch-musikalischen Nexus’ hin  : die drängende Frage danach, ob denn Kunst und Künstler überhaupt eine integrale Rolle im Krieg haben können.22 Der Verdacht der Nutzlosigkeit vor allem klassischer Musiker hatte (und hat) in der amerikanischen Gesellschaft eine lange Tradition, weshalb die positive Rolle der klassischen Musik und Oper für die Kriegsführung und ihr demokratisches Potential für Krieg und Frieden so sehr propagiert wurden.23 19 Zur Rolle der Kunst in der Roosevelt Administration, siehe vor allem M. Denning, The Cultural Front  : The Laboring of American Culture in the Twentieth Century, London/New York 1997  ; Elizabeth B. Crist, Music for the Common Man  : Aaron Copland during the Depression and War, Oxford/New York 2005. 20 Eintrag vom 13. Januar 1945, in Kostelanetz, Pons, Reisetagebuch  : „Sometimes I marvel that these vast audiences of fighting men, many of whom have never listened to a coloratura soprano, sit so intently and reverently as I sing.“ 21 Siehe beispielsweise den Bericht von C. Hamilton, Keep Em Laughing  : A Commentary on the Contribution of USO – Camp Shows, Inc. to the Winning of the War (Typoskript), 214–18. NYPL, Billy Rose Theatre Division, *T=Mss 1991–007, Box 1. 22 Eine Photographie von Lily Pons und André Kostelanetz in Uniform findet sich in Lily Pons  : A Centennial Portrait, Hg. J. A. Drake, K. B. Ludecke, Portland 1999, s. p. 23 Zur Rolle von Konzert, Theater und Oper in Amerika im 19. und frühen 20. Jahrhundet, siehe

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Die Metropolitan Opera und ihr Repertoire zwischen 1942 und 1945

Selbst die Metropolitan Opera sah sich gezwungen, ihr Dasein als kulturelle Institution während des Krieges zu rechtfertigen. Auf der praktischen Ebene trug die Met dadurch unmittelbar zum Krieg bei, dass sie Benefizaufführungen veranstaltete, ab der Saison 1942–43 die Eintrittspreise senkte und jeden Abend Freikarten für Militärpersonal ausgab.24 Olin Downes, der Musikkritiker der New York Times, beschrieb diese kriegsbedingte Demokratisierung der Met in seinem Bericht zum Ende der Spielzeit  : „In einem noch nie dagewesenen Maße hat die Metropolitan diese Saison die Oper populär gemacht. … Die Zuschauer sind nicht diejenigen aus früheren Spielzeiten. Es ist nun ein Querschnitt des üblichen Theaterpublikums der Stadt anstelle der gesellschaftlich oder auch nur musikalisch Auserwählten. Der Mann auf der Straße, der Bürger vom Broadway, der Besucher von außerhalb, eine große Anzahl des Militärpersonals, das in und um die Stadt einquartiert ist, und einfache Leute aus allen Schichten besuchen die Aufführungen.“25 Dieser Publikumserfolg führte zu einer Verlängerung der Spielzeit und brachte das Opernhaus in die schwarzen Zahlen. Hier profitierte die Oper von einem Trend der Kriegsjahre  : Wie andere amerikanische Zentren fand sich auch New York durch die zivile und militärische Mobilisierung einem Zustrom von oft alleinstehenden Personen ausgesetzt, was zu einer erhöhten Nachfrage für abendliche Unterhaltung führte. Aber das Publikum der Met ging weit über den Opernsaal hinaus. Durch ihre wöchentlichen Radioübertragungen hatte sich die New Yorker Institution in ein nationales Opernhaus entwickelt, und amerikanische PropagandaorganiL. W. Levine, Highbrow – Lowbrow  : The Emergence of Cultural Hierarchy in America, Cambridge/Mass. 1988. 24 O. Downes, „Rule of the Pit“, in New York Times, 27. Dezember 1942. „Concert and Opera Asides“, in New York Times, 22. März 1942  : „The Metropolitan Opera gave free seats to between 170 and 200 service men every week of its recently completed season.“ 25 O. Downes, „Season in Review“, in New York Times, 21. März 1943  : „[T]his season, in an unprecedented degree, the Metropolitan has made opera popular. … The audiences are not those of earlier seasons. They now involve a cross section of the general public of the city, rather than of the socially or even musically elect. The man on the street, the Broadway denizen, the visitor from out of town, large numbers of the armed forces quartered in and about the city, and plain people in every walk of life, frequent the performances.“



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sationen waren sich dieser aufmerksamen, landesweiten Hörerschaft durchaus bewusst. Im Herbst 1942 begann eine mehrjährige Zusammenarbeit zwischen der Met und dem OWI, bei der eine der Pausen der wöchentlichen Übertragungen einer Moralbotschaft gewidmet war. 1942 begann dies mit internationalen Würdenträgern, etwa der Gattin des chinesischen Botschafters, Madame Wei Tso-Lin, die im Dezember 1942 in dieser Radiosendung sprach. Ihre Rede basierte auf einem Text, welchen das OWI an die Botschaft sandte, einschließlich solcher Bemerkungen wie „ohne China können Sie den Krieg gegen Japan nicht gewinnen.“26 Die Aufführungen an solchen Tagen begannen dann mit der Nationalhymne des Gastes, hier etwa China, anstelle des im Krieg üblichen Star-Spangled Banner, und das Opernhaus wurde mit der Fahne der jeweiligen Nation dekoriert.27 Diese Pausenveranstaltungen verbanden somit ein kulturelles Ereignis mit einer politischen Botschaft, welche direkt mit den Kriegsereignissen verbunden war. Oper und Krieg waren denn sowohl visuell als auch auditiv zusammengespannt. Das Repertoire der Metropolitan Opera während des Krieges unterschied sich kaum von dem der Spielzeiten vor und nach dem Krieg. In den Dreißiger und Vierziger Jahren bestand die Auswahl hauptsächlich aus Opern des „langen“ neunzehnten Jahrhunderts, mit einem Schwerpunkt auf den Werken von Verdi und Wagner. Ein Überblick über die Produktionen der Met zeigt, dass zwischen 1941 und 1945 nur ein einziges zeitgenössisches Werk aufgeführt wurde, Carlo Menottis Island God (siehe Tabelle). Die Uraufführung dieses Werks, das vor Kriegseintritt in Auftrag gegeben worden war, fand am 20. Februar 1942 statt, und es wurde bereits nach ein paar Aufführungen wieder abgesetzt. Hin und wieder finden sich Artikel in der amerikanischen Presse, in denen der Mangel an amerikanischen Werken beklagt wird, doch blieben dies vereinzelte Stimmen, 26 Brief von C. Siepman an W. Tso-Lin, 28. November 1942. NARA, Archives of the Office of War Information, Subject file „Metropolitan Opera“, RG 208  : „First, without China you cannot win the war against Japan.“ 27 Brief von C. Siepman an W. Tso-Lin, 17. November 1942. NARA, Archives of the Office of War Information, Subject file „Metropolitan Opera“, RG 208  : „The Metropolitan Opera Company, whose season opens on 28 November, have decided to associate with these performances a tribute to the United Nations. Each week the flag of the selected country will be displayed in the Opera House alongside the Stars and Stripes, and the National Anthem of that country will be sung before the opera performance.“

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selbst in Musikzeitschriften. Stattdessen wurden die Aufführungen an der Met diskutiert und die Repertoirewahl kommentiert. Nur ein einziges Werk im Repertoire der Met fiel dem Krieg zum Opfer  : Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor wurde Puccinis Madama Butterfly (eine Wiederaufnahme vom 29. November 1941) abgesetzt. Schließlich, wie ein Journalist schrieb, war es ein Werk, das „eine japanische Tänzerin auf Kosten eines Amerikaners – und darüberhinaus eines Offiziers der Marine – feiert. Und es wurde von einem Italiener komponiert.“28 Die Ironie, dass mit Madama Butterfly eines der wenigen Repertoirewerke abgesetzt wurde, welches die Folgen des amerikanischen Imperialismus problematisierte, ging in dieser Diskussion völlig verloren. Statt dessen wies ein Kolumnist darauf hin, dass „Cio Cio Sans Vertrauen darin, dass eines schönen Tages ein amerikanisches Kriegsschiff mit ihrem Leutnant an Bord in den Hafen von Nagasaki in Japan dampfen werde, heutzutage nicht das Signal für ein sanft rhythmisches Schluchzen in sechs Bs wäre, sondern für einen Sturm von Pfiffen, Beifall, Stampfen und Klatschen.“29 Madama Butterfly teilte sich ihr Schicksal mit einer der beliebtesten Savoyopern, Gilbert und Sullivans The Mikado, die noch kurz nach Kriegsbeginn als die Persiflage „We are Gangsters of Japan“ auf der Bühne des St. James Theatre zu sehen war, dann aber ebenfalls von den Bühnen amerikanischer Musiktheater verschwand.30 Ansonsten blieb das Repertoire relativ unverändert. Was auf den ersten Blick vielleicht überrascht, ist die Tatsache, dass in diesen Jahren insgesamt neun Musikdramen von Richard Wagner aufgeführt wurden, mehr Werke als von jedem anderen Komponisten, mehr selbst als von Verdi, von dem insgesamt acht Opern produziert wurden.31 Lediglich die Wiederaufnahme von Die Meister28 „Opera and Concert Asides“, in New York Times, 14. Dezember 1941  : „After all, it extols a Japanese dancing girl at the expense of an American — and a naval officer at that. And it was composed by an Italian.“ 29 „Tabu Or Not Tabu  ?“, in The Washington Post, 2. Dezember 1942  : „We suspect poor Cio Cio San’s confidence that one fine day an American warship with her lieutenant aboard would steam into the harbor of Nagasaki, Japan, would now be the signal not for a gentle rhythmic sobbing in six flats but for a tempest of whistles, cheers, footstamping and handclapping.“ 30 „Impolite ‚Mikado‘ Will Bow Tonight“, in New York Times, 3. Februar 1942. 31 Diese Statistiken basieren auf der CD-ROM, Annals of the Metropolitan Opera  : Performances and Artists, 1883–2000, Hg. G. R. Peterson, New York 2002.



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singer wurde bis in die 1944–45 Spielzeit verschoben, da der vierte Akt Passagen enthält, welche, so Olin Downes, „als mehr als nur ein Hauch deutscher Propaganda verstanden werden könnten.“32 Ansonsten aber, schrieb derselbe Kritiker ein Jahr später, „sind wir im Hinblick auf Opern des deutschen Repertoires der Kriegshysterie vollständig entkommen.“33 Downes wie auch viele andere Kritiker verglichen die Präsenz einer universellen internationalen Musikkultur während dieses Konflikts mit der Praxis während des Ersten Weltkrieges, als Produkte der Feinde (einschließlich der Musik) von amerikanischen Bühnen verbannt waren, und feierten die zeitgenössische amerikanische Kulturpraxis als aufgeklärte Alternative zum Nationalchauvinismus der Achsenmächte.34 Im Kontext des Transferdiskurses haben daher gerade die Wagneraufführungen einen besonderen Stellenwert, da sie nicht nur Amerika als neue Heimstatt der Weltkultur ausweisen, sondern auch im neuen internationalen Operntempel Wagners Musikdramen von seinen einseitigen nationalen Konnotationen befreien. „Herr Hitler,“ so schrieb Oscar Thompson in einem Leitartikel für Musical America, „möge zwar persönlich von den Meistersingern besessen sein,“ aber Amerika, ein Land von Einwanderern, habe bereits 1853 Wagners Musik willkommen geheißen und zu schätzen gewusst.35 Und Olin Downes verkündete bereits 1940  : „Die musikdramatischen Schöpfungen Richard Wagners sind die Antithese zu Hitler und eine vernichtende Verurteilung von allem, was Hitlerismus impliziert.“36 Indem amerikanische Kritiker Wagners Musik von Hitlers Ideologie abspalteten und sie stattdessen als universal gültige Kunst priesen, griffen sie zugleich den nationalsozialistischen Anspruch auf eine nationale kulturelle Identität an. Anstelle von Hitlers deutschnationalem Wagner setz32 O. Downes, „Season in Review“, in New York Times. 15. März 1942  : „As is well known, the opera has passages which could be construed as more than a touch of German propaganda.“ 33 Downes, Season (1943)  : „It will be observed that, as regards operas of the German repertory, we have escaped war hysteria entirely.“ 34 Dieser Vergleich ist weitverbreitet. Siehe etwa Berger, Wartime, 175. 35 O. Thompson, „Our ‚Cultural Defenses‘“, in Musical America 60/17 (1940), 16  : „His music has won and held its place purely as music, and today it is fantastic to think of regarding ‚Die Meistersinger‘ as subversive merely because Herr Hitler may happen to have a personal obsession for it.“ 36 O. Downes, „On Misrepresenting Wagner“, in New York Times, 3. März 1940  : „The musicodramatic creations of Richard Wagner are the antithesis of Hitler, and crushing condemnation of all that Hitlerism implies.“

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ten amerikanische Musiker und Kritiker auf einen universellen Wagner, dessen Musik in Amerika vor dem kulturellen Niedergang Europeas gerettet wurde.37 Zwar war dies die dominante ästhetische Position in den Vereinigten Staaten, doch blieb sie keineswegs unangefochten. Vor allem europäische Musiker und Musikwissenschaftler im amerikanischen Exil sahen eine gefährliche Verbindung zwischen Hitler und Wagner, wie etwa Paul Henry Lang, der 1945 in einem Artikel mit dem Titel „Background Music for ,Mein Kampf‘“ Wagner als „den musikalischen Architekten einer unheilbaren Krankheit“ beschrieb.38 Dennoch waren dies eher vereinzelte Stimmen in einem kulturellen Kontext, in dem gerade die hochklassige Reproduktion des europäischen Kanons als Zeichen kultureller Freiheit im Rahmen einer Einwandererdemokratie gefeiert wurde. So schrieb die Präsidentengattin Eleanor Roosevelt im Februar 1942 in einer Botschaft an die Musiker in Amerika  : „Die Musik ist eine der feinsten Blüten jener freien Zivilisation, welche zu uns von unseren freiheitsliebenden Vorvätern kam, und wir verstehen sie nun als ein essentielles Element für das Erbe eines Landes, welches das Genie der großen Komponisten und Musiker aller Länder und Völker schätzte.“39 Problematischer und schärfer war der Konflikt um die Musik von Richard Strauss, den Erika Mann im Februar 1942 mit einem offenen Brief an die New York Times auslöste. In diesem Austausch ging es nicht nur darum, welche Musik ein kriegsführendes Land aufführen solle, sondern auch darum, ob eine Emigrantin das Recht habe, den Institutionen ihres Gastlandes vorzuschreiben, was gespielt werden dürfe.40 Die deutsche Autorin fragte ihre amerikanischen Leser, 37 A. Gannett, „A Plea for Legislation to Uphold American Culture“, in Musical America 61/11 (1941), 58  : „When the first hob-nailed German boot rang upon the pavements of Vienna, the banners of European culture began an ignominious descent.“ 38 P. H. Lang, „Background Music for ‚Mein Kampf‘“, in Saturday Review of Literature, 20. Januar 1945, 5–8. Ich danke William Boone für den Hinweis auf diesen Artikel. 39 E. Roosevelt, „Music Should Go On  ! A Message from the First Lady“, in Musical America 62/3 (1942), s.p.  : „Music is one of the finest flowerings of that free civilization which has come down to us from our liberty loving forefathers, and we have come to regard it as an essential of the heritage of a country that has cherished the genius of the great composers and the musical artists of all lands and peoples.“ 40 Für eine Darstellung des Konflikts aus der Sicht Erika Manns, siehe I. von der Lühe, Erika Mann  : Eine Biographie, Frankfurt/ New York 1994, 196–198. Für eine Diskussion im Kontext von Deems Taylors Laufbahn, siehe J. A. Pegolotti Deems Taylor  : A Biography. Boston 2003, 260–261.



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weshalb man „Hitlers Mann zuhören“ solle, nachdem Strauss „sein Genie dem Feind der Menschheit zur Verfügung gestellt“ habe und er selber seine Musik für „Herrn Hitlers Sturmtruppen dirigiere, um sie in ihrem mörderischen Angriff auf die Zivilisation zu inspirieren“.41 Die amerikanische Reaktion auf Manns Leserbrief war ungewöhnlich negativ. Beispielsweise protestierte Samuel F. Pogue, ein junger Musiker aus Cambridge/Mass., gegen Manns Boykottaufruf „mit aller Kraft, die ich habe, denn es ist ein Zeichen dafür, wie politischer Antifaschismus in das Extrem eines aktuellen intellektuellen Faschismus gekehrt werden kann“, und er klagte Mann an, in ihrem Angriff auf Nazi-Musiker dieselbe Sprache wie Hitler benutzt zu haben. „Selbst wenn Strauss’ Dirigieren [die deutschen Soldaten] zum Krieg inspirieren sollte,“ spitzte er seine Rhethorik zu, „was hat dies denn mit unserem Hören seiner Musik zu tun  ?“42 Deems Taylor seinerseits verglich in seiner populären wöchentlichen Radiosendung im Columbia Broadcasting System (CBS) Manns Angriff auf die amerikanische Repertoirewahl mit den Autodafés der Nazis, nur wolle sie Schallplatten anstelle von Büchern zerstören.43 Hunderte von Hörern schrieben an den Radiosender und unterstützten Taylors Position gegen Mann, die ihrerseits vom Sender verlangte, dass sie Gelegenheit erhielte, ihren Standpunkt in derselben Sendung zu begründen. CBS verweigerte ihr dies, gab ihr jedoch 15 Minuten in einer Nachtsendung, in der sie versuchte, die Wellen zu glätten.44

41 E. Mann, „Erika Mann Protests“, in New York Times, 15. Februar 1942  : „Strauss, it may be argued, has put his genius at the disposal of the enemy of mankind. At this moment he is apt to conduct for the benefit of Mr. Hitler’s storm troopers in order to inspire them in their murderous assault on civilization. … So, why listen to Hitler’s man  ?“ 42 S. F. Pogue, „By Way of Reply“, in New York Times, 22. Februar 1942  : „I, in turn, protest against this protest with all the vigor at my command, for it is an indication of how political anti-fascism can be carried to the extreme of actual intellectual fascism. These are the words which Der Fuehrer himself might have used at almost any time in speaking of such people as Schnabel, Schoenberg, Walter, Einstein and even Thomas Mann. … But even if Strauss’s conducting should inspire them on to war, what, again, does that have to do with our listening to his music  ?“ 43 Von der Lühe, Erika Mann, 196. 44 Von der Lühe, Erika Mann, 197. Manns Radioansprache ist in deutscher Übersetzung veröffentlicht in E. Mann, Blitze überm Ozean  : Aufsätze, Reden, Reportagen, Hg. I. von der Lühe, U. Naumann, Hamburg 2000, 255–261.

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Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass ein simpler Leserbrief einen solchen Sturm auslöste, aber Manns Argumente hatten vor allem zwei wunde Punkte berührt. Zwar feierten amerikanische Kritiker eine universelle Musikkultur von Bach bis Strauss, welche die deutsche und italienische (nicht aber japanische) Musik einschloss, sie mussten diese jedoch als transnationale Kunst rechtfertigen. Manns Frage nach den politischen Aktionen von Strauss und anderen deutschen Musikern waren ein Stolperstein für dieses Transferprojekt, da sie der dominanten formalistischen Debatte, wonach die „Größe“ der Musik einen immanenten und abstrakten Wert unabhängig von der Genese oder Rezeption eines Werkes darstellte, einen unbequemen moralischen Spiegel vorhielt. In den amerikanischen Reaktionen klingt aber auch ein zweiter, persönlicher Aspekt mit  : die Anklage der Taktlosigkeit. Wenn sich die Vereinigten Staaten als Bewahrerin der Weltkultur darstellten (etwa in dem bereits zitierten Text der Präsidentengattin), dann erschien die Kritik einer Nichtamerikanerin an der amerikanischen Musikwelt als unangebracht. In diesem Konflikt kreuzten sich somit mehr als bloß ästhetische Meinungen. Vielmehr ging es darum, wer das Recht habe, demokratische und nationale Musikpraxis in einer Zeit der Krise zu definieren. Manns transnationale moralische Position wurde von ihren amerikanischen Lesern als der engstirnig nationalistische Angriff eines europäischen Snobs auf die Prinzipien amerikanischer Demokratie und Freiheit interpretiert. Auf die Aufführungen von Strauss an der Metropolitan Opera jedoch hatte die Debatte keinerlei Auswirkung  : Der Rosenkavalier blieb den ganzen Krieg hindurch im Repertoire, und Salome wurde am 9. Dezember 1942 wiederaufgenommen. Amerikanisierung der europäischen Oper

Trotz des viel gepriesenen Universalismus’ der amerikanischen Ästhetik erwies sich der fast ausschließlich europäische Charakter des amerikanischen Opernrepertoires dennoch als ein Problem. Die Opernproduzentin Helen Lyttle Hull etwa kommentierte, dass „wir viel zu lange für unsere Musik von Europa abhängig waren.“45 Für amerikanische Operntruppen stellte sich in den Kriegsjahren 45 H. Lyttle Hull zitiert in S. J. Woolf, „Opera for Everybody“, in New York Times, 15. November 1942  : „We have depended too long upon Europe for our music.“



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erneut die Frage, wie man diese europäische Gattung amerikanisieren konnte. Die Werbung für eine Aufführung von Carmen und Il barbiere di Siviglia in Pasadena 1943 fasst die Antwort schlagwortartig zusammen  : „Große Oper, amerikanisiert durch neue englische Übersetzungen und junge amerikanische Sänger, wird nächsten Monat vom American Music Theater of Pasadena in dieser Stadt präsentiert.“46 Schon im Jahr davor wurden spritzige Dialoge auf Englisch und lebendige Inszenierungen in Pasadena als „Oper auf die amerikanische Weise“ gefeiert.47 In Washington kündigte man im Januar eine Opernsaison in „the American way“ an, und mehrere Operntruppen – beispielsweise die New Opera Company (New York), die Shoestring Opera (New York) und die Philadelphia Opera Company – präsentierten sich als amerikanische Alternativen zur europäischen Tradition durch den Gebrauch von Übersetzungen, ihr ausschließlich amerikanisches Personal und einen Fokus auf moderne Inszenierungen.48 Selbst die Met begann, diesem Trend zu folgen und brachte in den Kriegsjahren mehrere Opern auf Englisch heraus, von der Zauberflöte 1941 bis hin zu Fidelio 1945 (siehe Tabelle 1). Übersetzungen ins Englische und Adaptionen für ein selbstbewusstes amerikanisches Publikum haben in den Vereinigten Staaten eine lange und komplizierte Geschichte, die die Gattung bereits im 19. Jahrhundert zwischen Minstrel Shows (sogenannten „Ethiopian Operas“), englischsprachigem Volkstheater und an Europa orientiertem Snobismus ansiedelte.49 Während sich in den Zwischenkriegsjahren vor allem die Met als eine elitäre Hochburg der 46 [I. M. Jones], „Music and Musicians,“ in Los Angeles Times, 30. Mai 1943  : „Grand opera, Americanized by new English translations and young American singers, will be presented by the American Music Theater of Pasadena at the Civic Auditorium in that city next month.“ 47 H.D.C., „,The Barber‘ Sung in English“, in Christian Science Monitor, 20. Juni 1942  : „Opera in the ‚American manner‘ attracted a capacity audience to the Pasadena Civic Auditorium on June 2, when the Opera Associates, headed by Richard Lert as conductor, and George Houston, stage director, gave an up-to-the-minute presentation of Rossini’s ‚Barber of Seville.‘ A racy new English translation and a livelier tempo brought the score down to date and provided a healthy argument for those who would refurbish old works for modern taste.“ 48 „Plans Complete For ‚American‘ Grand Opera“, in The Washington Post, 3. Januar 1943  : „Grand opera produced the ‚American way‘ will be presented at Constitution Hall on January 4, 5 and 6, when the Philadelphia Opera Co. with the National Symphony Orchestra will give three performances of opera in English.“ 49 Levine, Highbrow, 85–104.

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Oper in Originalsprache stilisierte, versuchten die Verfechter des „New Deal“, eine demokratischere Form der Oper auf Englisch zu gestalten. Da die Musikund Theaterprogramme der Work Progress Administration (WPA) außerdem verpflichtet waren, mindestens 90 % arbeitslose amerikanische Musiker zu beschäftigen, erwiesen sich diese englischsprachigen Opernproduktionen als eine Chance für unabhängige Operntruppen, die sich kurz vor und während des Krieges etabliert hatten.50 Der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg brachte die Frage nach einer demokratischen Oper auf Englisch in eine neue Phase. Ironischerweise war es die Met, deren englischsprachige Produktion von Mozarts Zauberflöte die Diskussion neu anfachte. Journalisten proklamierten Ruth und Thomas Martins neue Übersetzung als Vorbild in ihrer unverschnörkelten Direktheit.51 Diese Produktion der Zauberflöte führte zu einer öffentlichen Debatte der Metropolitan Opera Guild am 10. Februar 1942, in der Verteidiger der Originalsprache und Befürworter von Übersetzungen miteinander diskutierten und das Publikum dann abstimmte. Zwar gewann die Originalsprachenfraktion marginal mit 460 zu 451 Stimmen.52 Was dieses Ereignis aber so ungewöhnlich macht, ist die Tatsache, dass in diesen ersten und für Amerika so verheerenden Kriegswochen eine anscheinend bedeutungslose Angelegenheit wie eine Debatte über Opernübersetzungen ein Publikum von nahezu tausend Zuschauern anzog.53 Offensichtlich berührte diese Frage ein breiteres Segment der (in diesem Fall) New Yorker Bevölkerung, als dies selbst die Veranstalter gedacht hatten. Im Februar 1942, zur gleichen Zeit, als die Metropolitan Opera Guild die Debatte um Übersetzungen organisierte, begann das National Committee for 50 Siehe T. Carter, „Music and the Federal Theater Project  : a View from the West Coast“, Vortragsmanuskript, 35th Annual Conference of the Society for American Music, Denver 2009. 51 Jedes Jahr, wenn Die Zauberflöte wieder aufgenommen wurde, wiesen Musikkritiker auf die Qualität der Übersetzung hin. Siehe etwa O. J. Gingold, „A Magical Event at the ‚Met‘“, in The Wall Street Journal, 13. Dezember 1941  ; O. Downes, „Walter Conducts ‚The Magic Flute‘“, in New York Times, 28. November 1942  ; H. Taubmann, „Ezio Pinza Sings in Mozart’s Opera“, in New York Times, 2. Dezember 1943. 52 „Vote on Language for Opera Near-Tie“, in New York Times, 11. Februar 1942. 53 Ursprünglich war die Debatte als eine geschlossene Veranstaltung für Mitglieder der Metropolitan Opera Guild geplant. Sie wurde jedoch auf Grund des großen Interesses der Öffentlichkeit weiteren Kreisen zugänglich gemacht. Siehe „Public to Join in Opera Debate“, in New York Times, 7. Februar 1942.



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Opera in America, einen Überblick über die englischen Opernfassungen zu erstellen.54 Dies war als ein erster Schritt zur Standardisierung von Übersetzungen gedacht. Der Chicago Tribune zufolge war dies notwendig  : „Eines der Hindernisse für mehr Oper auf Englisch ist der Mangel an guten Standardübersetzungen. Diejenigen, die in den Klavierauszügen gedruckt sind, sind normalerweise gestelzt und unsingbar, während die neuesten und besten Fassungen üblicherweise unveröffentlicht sind.“55 Standardübersetzungen würden vor allem das Problem mit englischsprachigen Opern lösen, das Sänger zwang, für jede neue Produktion potentiell eine andere Übersetzung zu lernen.56 Beispielsweise waren in den acht Produktionen jüngeren Datums von Smetanas Verkaufter Braut sechs unterschiedliche Übersetzungen benutzt worden, während die sechs Carmen-Produktionen dreierlei englische Fassungen verwandten.57 So vernünftig dieses Projekt auch klang, es zeitigte am Ende doch keine konkreten Ergebnisse. Stattdessen wurden neue und bessere Übersetzungen als ein Werbepunkt für neue Opernproduktionen benutzt, beispielsweise wenn die Met damit warb, dass Falstaff in einer „neuen, von Sir Thomas [Beecham] erarbeiteten Übersetzung“ gegeben werden würde.58 Kritiker diskutierten in ihren Besprechungen regelmäßig die Qualität von Übersetzungen. Die gelungenen englischen Fassungen von Il barbiere di Siviglia, Pelléas et Mélisande und Der Rosenkavalier, die die Philadelphia Opera 1942 und 1943 präsentierte, ernteten hohes Lob 54 Das National Committee for Opera in America war eine Untergruppe innerhalb des National Music Council, das im Frühjahr 1941 etabliert wurde, um die „Produktion von Opern auf Englisch in diesem Land zu fördern und zu stimulieren.“ Siehe „Concert and Opera Asides“, in New York Times, 31. Mai 1942  : „The National Committee for Opera in America … was organized a year ago to promote and stimulate the production of opera in English in this country.“ Zu den Mitgliedern gehörten unter anderen der Komponist Quincy Porter, Claire Reis (League of Composers) und Aldred Wallerstein von der Metropolitan Opera. 55 „Survey Lists Translations of English Operas“, in Chicago Tribune, 15. März 1942  : „One ob­ structing factor to more opera in English is the lack of good, standard translations. Those to be found printed in scores are usually stilted and unsingable, whereas the latest and best translations are usually unpublished.“ 56 „Opera and Concert Asides“, in New York Times, 8. Februar 1942  : „[N]ow a new problem arises. How are English texts to be standardized that a singer will not be forced to learn a new version of an opera whenever he sings a given role at a new locality  ?“ 57 Survey (Chicago Tribune). 58 „Diamond Jubilee of Opera on Nov. 22“, in New York Times, 5. Oktober 1943  : „The opera will be given in English, using a new translation worked out by Sir Thomas.“

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im allgemeinen und positive Kommentare zur Wortwahl im besonderen, beispielsweise im Hinblick auf den sparsamen, aber erfolgreichen Gebrauch der amerikanischen Umgangssprache in Il barbiere.59 Wenn eine Übersetzung aber daneben ging, waren die Kritiker mitleidlos. Eine englische Fassung von Flotows Martha, die im November 1942 im Civic Opera House in Chicago Premiere hatte, führte dazu, dass Claudia Cassidy, die Musikkritikerin der Chicago Tribune, das Produktionsteam als „Opernsaboteure“ anklagte, die ein elegantes Stück in eine fade „ländliche Scharade“ verwandelt hätten.60 Wie die englischen Übersetzungen, die mit jedem Kriegsjahr populärer wurden, erwiesen sich auch amerikanische Sänger als eine wichtige Zutat im Rezept für die alchimistische Verwandlung von europäischen Opern in amerikanische Kunstwerke. Während der Diskurs um die Übersetzungen die breitere Zugänglichkeit zur Oper und somit ein demokratisches Ideal selbstbewusst in den Vordergrund stellte, vermochte die chauvinistische Rhetorik um einheimische Sänger allerdings kaum den ausgeprägten amerikanischen Minderwertigkeitskomplex zu verbergen. Edward Johnson, der Generaldirektor der Met, schrieb 1944 etwa, es sei nun bewiesen, „dass wir in diesem Land, wenn sich die richtige Gelegenheit bietet, erstklassige Musiker in allen Kategorien entwickeln können. Auf jeden Fall hat unser Publikum gezeigt, dass es amerikanischen Künstlern gegenüber offen ist und sie als Gleichgestellte akzeptiert, wenn ihre Verdienste dies rechtfertigen.“61 Journalisten verfolgten im Detail, wieviele 59 R. C. B. Brown, „‚Barber of Seville‘ in English Delights 5 000 at Watergate“, in The Washington Post, 14. August 1942  : „About 5000 auditors enjoyed an experience unusual for even the most confirmed opera goers, that of hearing this familiar comic opera sung in English with a text so up-to-date as to contain such a phrase as ‚take a walk around the block.‘ This use of the vernacular certainly met with the approval of the assemblage, as was evident by frequent outbursts of laughter and by salvos of applause directed as much at the neat rendering of a couplet as at the artistry of the singer.“ 60 C. Cassidy, „Opera ‚Martha‘ Singing Good, for a Hayride  !“, in Chicago Tribune, 14. November 1942  : „These operatic saboteurs contrived to turn a music drama of essentially French elegance into a kind of bucolic charade that takes both score and libretto for a hayride. … But ‚Martha‘ loses all its flavor when it becomes rough and hearty.“ 61 E. Johnson, „American Opera Comes of Age“, in New York Times, 26. November 1944  : „[W]e think that we have proved that, given the proper opportunity, we can develop first-class performers of virtually all categories in this country. Certainly our audience has proved that it has an open mind toward our American artists and will accept them as equals of any when their merits justify.“



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Ensemblemitglieder der Met in Amerika geboren waren. 1942 berichtete Olin Downes  : „Die Kriegszeit brachte der Met und der amerikanischen Oper harte Prüfungen, in längerer Sicht aber auch ein gewisses Glück im Unglück. … Bis heute hat die Met ihre Hauptdarsteller aus Übersee importiert. Diese Spielzeit gab es nicht eine einzige Einfuhr aus Europa.“62 1943 lesen wir dann  : „Zum ersten Mal in der Geschichte der Met präsentieren [die Besetzungslisten] mehr Amerikaner als Europäer, mit 46 einheimischen Künstlern im Vergleich zu 40 Ausländern im Personal des Hauses.“63 In Berichten über andere Operntruppen von Philadelphia bis San Francisco wurde die amerikanische Geburt der Sänger kontinuierlich betont und mit den angeblichen Schwächen europäischer Sänger kontrastiert  : Europäer, so das summarische Mantra, waren eben keine guten Schauspieler und sahen oft wie Karikaturen von Opernsängern aus. In Realität und trotz des Krieges hielten solche Verallgemeinerungen die Fans einer Lotte Lehmann oder einer Lily Pons jedoch nicht davon ab, ihre Stars zu bewundern und den einheimischen Sängern vorzuziehen. Nativistische Rhetorik und kulturelle Praxis deckten sich hier nur teilweise. Ein logischer Schritt in der Adaptation der europäischen Oper für die Vereinigten Staaten war die Übersetzung der Handlung in ein amerikanisches Milieu. Das vielleicht bekannteste Beispiel aus den Kriegsjahren ist Oscar Hammersteins Carmen Jones, eine Fassung von Bizets Carmen, die am 2. Dezember 1943 im Broadway Theater mit einem ausschließlich African American Ensemble ihre New Yorker Premiere hatte.64 Hammerstein hatte die Handlung von Carmen in die Gegenwart nach North Carolina verlegt. Carmen war nun eine Arbeiterin in der Kriegsindustrie (wobei die Fallschirme in einer ehemaligen Zigarettenfabrik hergestellt werden), und Joe (alias Don José) wurde ein desertierender Korporal. Escamillo als Preisboxer Husky Miller lockte Carmen und ihre 62 O. Downes, „Opera Opening“, in New York Times, 22. November 1942  : „Wartime has brought its trials, but also, on the long view, certain blessings in disguise to the Metropolitan and to American opera. … Up to the present time the Metropolitan has imported its principal stars from overseas. This season there has not been a single importation from Europe.“ 63 Downes, Season (1943)  : „For the first time in Metropolitan annals they present more Americans than Europeans, there being forty-six native-born artists to forty aliens in the personnel of the association.“ 64 Wie es mit Broadway Shows üblich war, hatte Carmen Jones sogenannte „try outs“ in der Provinz, die am 19. Oktober in Philadelphia begannen.

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Freundinnen ins urbane Chicago, dessen Clubs der Oper eine modernistische Note verliehen. Bizets Musik selber blieb größtenteils unangetastet, wurde in der amerikanischen Fassung aber mit neuer Bedeutung für ein breiteres Publikum versehen. Hammersteins Modernisierung der Oper wurde von der Presse und vom Publikum begeistert gefeiert und der Met als ein erfolgreiches Beispiel echt amerikanischen Musiktheaters vorgehalten.65

Europäische Oper und „Racial Uplift“

Carmen Jones hatte aber noch mehr zu bieten als die gelungene Amerikanisierung einer europäischen Oper. Als eine der erfolgreichsten und glanzvollsten Produktionen der Kriegszeit (mit über 500 ausverkauften Vorstellungen) präsentierten diese Opernaufführungen afroamerikanische Sänger in einer hochrangigen Show in ernsthaften Opernpartien anstelle der üblichen Komparsen- oder komischen Rollen. Hammersteins Stück spielte damit in die durch die Entwicklungen des Krieges neu angefachte Diskussion um „racial uplift“ hinein.66 Da fast alle amerikanischen Opernhäuser (wie etwa die Metropolitan Opera) afroamerikanischen Sängern verschlossen waren, standen ihnen in den Zwischenkriegsjahren drei mögliche Sololaufbahnen offen  : auf der Konzertbühne (wie etwa Marian Anderson), in populären Shows und Filmen (etwa Todd Duncan, Gershwins Porgy der Uraufführung, oder Paul Robeson in der Verfilmung von Showboat) und in europäischen und südamerikanischen Opernhäusern (Lillian Evanti verbrachte vier Jahre in Italien, bis das faschistische Regime den Aufent-

65 Die Produktion wurde in der Presse monatelang diskutiert, nicht nur von Musikkritikern, sondern auch von Theaterkritikern, Klatschkolumnisten und anderen Reportern. Ein Pressedossier findet sich in den Hammerstein-Papieren in der Library of Congress. Carmen Jones wird in der Literatur vor allem in Otto Premingers Filmfassung von 1954 diskutiert. Siehe beispielsweise R. L. A. Clark, „Local Color  : The Representation of Race in Carmen and Carmen Jones“, in Operatic Migrations  : Transforming Works and Crossing Boundaries, Hg. R. M. Marvin, D. A. Thomas, Aldershot/Burlington 2006, 217–239. 66 Zur Rolle klassischer Musik im Kontext von „racial uplift“, siehe L. Schenbeck, „Music, Gender, and ‚Uplift‘ in the Chicago Defender, 1927–1937“, in The Musical Quarterly 81 (1997), 344–370.



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halt für eine afroamerikanische Sängerin zu gefährlich machte).67 Im Rahmen der WPA-Programme fanden außerdem in den Dreißiger Jahren auch vereinzelt afroamerikanische Opernaufführungen statt, wie die Los Angeles Produktion von Fra Diavolo 1937, doch blieben sie die Ausnahme in einer Nation, die im Süden ihre afroamerikanische Bevölkerung durch die Jim Crow-Gesetze und lynchings unterdrückte und im Norden in Ghettos ansiedelte.68 Der Löwenanteil der schwarzen Bühnenrollen in Amerika bestand daher hauptsächlich aus Charakteren, welche für Afroamerikaner stereotypisch waren und diese rassistisch verkörperten.69 Insofern stach Carmen Jones als eine Produktion heraus, die trotz der Transformation der Charaktere in teilweise stereotypisierte Afroamerikaner des amerikanischen Südens (unter anderem durch Hammersteins Gebrauch von Dialekt) schwarzen Sängern die Möglichkeit für eine positive und vor allem professionelle Opernidentität auf der Bühne gab.70 Das Ensemble in Carmen Jones zeichnete sich nicht nur durch seine Bühnenpräsenz, sondern auch durch die Qualität seiner musikalischen Interpretation aus. Die Kriegsjahre halfen auch bei der Etablierung eines anderen African American Opernunternehmens, der National Negro Opera Company (NNOC), einer Truppe, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Oper zur sozialen Emanzipation von African Americans zu instrumentalisieren. Wie im Fall anderer gesellschaftlicher Subalterner in Amerika (etwa Frauen) schaffte der Krieg berufliche und soziale Gelegenheiten, da einerseits ein signifikanter Anteil der männlichen weißen Bevölkerung vom Militär eingezogen wurde und andererseits der ökonomische 67 Marian Andersons Debüt auf der Bühne der Metropolitan Opera fand 1955 statt, erst 10 Jahre nach Kriegsende. 68 Zur Fra Diavolo Produktion, siehe Carter, Federal Theater Project. 69 Für eine zeitgenössische Kritik, siehe M. M. Jefferson, „The Negro on Broadway — 1944“, in Phylon 6 (1945), 42–52. Siehe auch A. Woll, Black Musical Theatre From „Coontown“ to „Dream­ girls“, Baton Rouge/London 1989  ; S. Gubar, Racechanges  : White Skin, Black Face in American Culture, Oxford/New York 1997. 70 Zur komplizierten Rolle des Dialekts in der amerikanischen Literatur der Zwischenkriegsjahre, siehe M. North, The Dialect of Modernism  : Race, Language & Twentieth-Century Literature, Oxford/ New York 1994. Zu Hammersteins Identitätspolitik auf der Broadwaybühne (vor allem in Oklahoma  ! und South Pacific), siehe A. Most, Making Americans  : Jews and the Broadway Musical, Cambridge/ London 2004. Zum Problem amerikanischer Rassenbeziehungen auf der Bühne, siehe auch L. Barg, „Black Voices/White Sounds  : Race and Representation in Virgil Thomson’s Four Saints in Three Acts“, in American Music 18 (2000), 121–161.

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Aufschwung während der Kriegsjahre zusätzliche Arbeitskräfte benötigte.71 Im Gegensatz zu der selbstbewusst patriotischen Haltung der Met, die kaum eine Gelegenheit zur öffentlichen Kundgebung ihres nationalen Engagements vor­übergehen ließ, waren Referenzen aufs Kriegsgeschehen im Diskurs um die NNOC eher verhalten, während das Emanzipationsprogramm klar im Vordergrund stand. Die NNOC wurde 1941 von der Sängerin und Produzentin Mary Cardwell Dawson gegründet. Eine erfolgreiche Aufführung von Verdis Aida im Oktober 1941 in Pittsburgh, welche Dawson für die National Association of Negro Musicians produzierte, bildete den Anstoß für das Unternehmen, dessen Zielsetzung im Programmbuch als politisch ausgewiesen ist  : „Es ist unsere Hoffnung, dass diese Aufführung die Mitglieder unserer Rasse sowie Freunde von anderen Rassen, von denen viele bereits gut in die Opernkultur eingeführt sind, von den Möglichkeiten unserer Anstrengungen auf diesem Gebiet überzeugt.“72 Für Dawson bestand der Weg zur Gleichberechtigung darin, den Mitbürgern in den Vereinigten Staaten zu beweisen, dass schwarze Musiker dem europäischen Opernrepertoire in erstklassigen Produktionen gerecht werden konnten. Nicht Jazz oder andere populäre Musik, sondern Verdis Opern wurden als das Billet zu größerem Respekt für African Americans verstanden. So erklärte Dawson 1944 in einem Brief an mögliche Mäzene für die Aufführung von La Traviata in New York  : „Das Ziel unserer Bewegung ist zweifach  : den schwarzen Opernsänger zu fördern und etwas zum Stolz der Rasse beizutragen.“73 Erst in den Siebziger Jahren wurde diese Hierarchie kultureller Normen grundsätzlich in Frage gestellt, während in den Vierzigern die eurozentrische Idee eines musikalischen Kanons von mehr- oder minderwertiger Musik im Kampf um politische Gleichberechtigung eingesetzt wurde. 71 Zur Einberufung von African Americans im Zweiten Weltkrieg, siehe B. D. Booker, African Americans in the United States Army in World War II, Jefferson 2008. 72 Programmbuch für Aida, Pittsburgh, 30. Oktober 1941, 2. NNOC Collection, Library of Congress, Box 1  : „It is our hope that this performance will convince members of our racial group, and our friends among other races, many of whom are already well initiated in operatic culture, of the possibilities of our efforts in this field.“ 73 Brief der NNOC an Sponsoren, 24. Februar 1944. NNOC Collection, Library of Congress, Box 1  : „The object of the movement is two-fold  : To encourage the Negro Opera Singer and to contribute something to racial pride.“



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Mit Aida wählte Dawson eine Oper, in der afroamerikanische Sänger Authentizität reklamieren konnten, da Verdi „mit der Komposition von Aida operntrainierten schwarzen Sängern ein ideales Werk schenkte.“74 Zuerst in Pittsburgh und dann in Chicago wurde die Produktion in der Presse als eine Aufführung gefeiert, welche sich problemlos mit anderen, professionellen (und das hieß in den Vierziger Jahren „weißen“) Produktionen messen konnte und daher ein Erfolg für Afroamerikaner darstellte. Die nächste Oper, die die NNOC in ihr Repertoire aufnahm, brachte eine größere Herausforderung. Verdis Traviata mit der Pariser Kurtisane und französischen Adeligen zählte zu den meistgespielten Opern Amerikas, und die Veranstalter wie die Rezipienten waren sich des symbolischen Kapitals, das mit dieser Oper verbunden war, deutlich bewusst. Zwei Aufführungen stachen besonders hervor  : in Washington am 28. August 1943 und in New York am 29. März 1944. Beide Aufführungen waren Massenveranstaltungen  : in Washington vor 15.000 Zuhörern im Watergate Freilufttheater, in New York vor einem ähnlich großen Publikum in Madison Square Gardens. In diesen Veranstaltungen ging es darum, einem möglichst großen Publikum den Beweis zu liefern, dass Afroamerikaner eine Oper wie La Traviata erstklassig aufführen konnten. Die Presse nahm dieses Thema auf, wenn etwa ein Kritiker schrieb, dass „die erfahrenen Washingtoner Kritiker von der Wiedergabe dieser schwierigen Oper durch ein vollständig schwarzes Ensemble so beeindruckt waren, dass die Tageszeitungen zum ersten Mal ihr rassistisches Vorurteil beiseite ließen und einen enthusiastischen, inspirierenden Bericht über die Vorstellung dieser Verdipartitur gaben.“75 Louisa Vaughn Jones schloss ihre Kritik in The African American, einer schwarzen Washingtoner Zeitung, mit den Worten  : „Diese glänzende Aufführung bewies die Befähigung der Rasse zur Grand 74 R. Gassman, „Open Opera Season with All-Negro ‚Aida‘“, in La Julia Rhea  : America’s First Black Artist to Star with a Major Opera Company, Self-published Memoir, n.p. NNOC Collection, Library of Congress, Box 63  : „After all, in writing ‚Aida‘, Verdi provided operatically trained Negro singers with a natural, and it has been seldom enough in the past that they have availed themselves of it.“ 75 „Negro Singers Score Hit in Verdi’s ‚Traviata‘“, ungekennzeichnete Kritik der Aufführung in Washington vom 28. August 1943, in NNOC Collection, Library of Congress, Box 17, Folder 1943  : „So impressed were Washington’s seasoned critics with the rendition of this difficult opera by an all-Negro cast that the daily papers for the first time shelved their racial bias and gave an enthusiastic, inspiring account of the presentation of this Verdi score.“

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Opera.“76 Die Produktionen der NNOC und ihre Rezeption in den Vierziger Jahren waren somit hauptsächlich in das Dubois’sche Programm des „racial uplift“ durch Erziehung und Kultur eingespannt, das auf die Etablierung einer African American Mittelklasse zielte. Im Gegensatz zum kulturellen Mainstream in den Vereinigten Staaten in der Kriegszeit ging es der NNOC weniger um eine erfolgreiche Amerikanisierung der europäischen Oper als vielmehr darum, die Oper und ihren europäischen Stammbaum für das Emanzipationsprogramm fruchtbar zu machen.77 Während des Zweiten Weltkriegs spielte die europäische Oper somit eine ausgesprochen vielseitige Rolle im Kulturleben der Vereinigten Staaten. Ihre Verflechtung in multiple Diskursnetzwerke, die ein weites Feld von der Nazipropaganda bis zum Streben nach „racial uplift“ umspannten, trägt die Herausforderung in sich, den sich kreuzenden Fäden nachzugehen und die Komplexität des Rezeptionsfeldes zu erschließen.78 Fragen nach der Aneignung und Übersetzung des Repertoires stellen sich dabei je nach Kontext neu  : eine Carmen, die an der Met in der Originalsprache aufgeführt wird, verlangt andere Fragestellungen als eine Carmen, welche die Philadelphia Opera Company in englischer Übersetzung herausbringt, oder Carmen Jones am Broadway. In der amerikanischen Rezeption dieser drei Beispiele kreuzen sich wiederum lokale und nationale Diskurse, die von praktischen Problemen der militärischen Moraloperationen und sozialen Fragen der Klasse bis zur Diskussion nationaler Identität reichen. 76 L. Vaughn Jones, „15,000 See Evanti Triumph in ‚La Traviata‘ at Watergate,“ in The Afro American, 4. September 1943  : „This stellar performance definitely proved the race’s ability to do Grand Opera.“ 77 Im Gegensatz zu Christopher Wells, der die NNOC als eine Institution sieht, welche sowohl Dubois’ Programm des „racial uplift“ durch Kultur als auch Washington T. Bookers Konzept einer Emanzipation durch handwerkliche Fertigkeiten gleichermaßen vertritt, sehe ich die NNOC schwerpunktmäßig auf der Dubois’schen Seite der Diskussion angesiedelt. Siehe C. Wells, „The National Negro Opera Company and the Black Middle Class“, Vortragsmanuskript, SCGMC Konferenz, Chapel Hill 2008. 78 Meine epistemologische Position ist nicht nur von den methodischen Fragestellungen von Kulturtransfer und „histoire croisée“ beeinflußt, sondern auch von Diskussionen in der Nationalismusforschung und der historischen Musikethnologie. Siehe A. Fauser. ���������������������� „Alterity, Nation and Identity  : Some Musicological Paradoxes“, in Context  : A Journal of Music Research 21 (2001), 1–18, und ead., „Histoires interrompues  : raconter l’histoire de la musique en France“ (Übersetzung von H. Panneton), in Musique et modernité en France 1900–1950, Hg. S. Caron, M. Duchesneau, F. de Médicis, Montréal 2006, 19–50.



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Gerade im kulturellen Wettbewerb des Zweiten Weltkrieges blieb Europa die Richtschnur für die amerikanische Opernkultur, weshalb Goebbels’ eingangs zitierte Verhöhnung so treffsicher war. Systemisch lassen sich viele der amerikanischen Diskurse und Aufführungsentscheidungen im Kontext der europäischen Oper in den Vereinigten Staaten als Reaktionen auf dieses kulturelle Über-Ich interpretieren, wobei individuelle, lokale und nationale Themen die spezifische Form der Rezeption, Übersetzung und Aneignung färbten. Diese Verflechtungen stellen auch die Frage nach den Kategorien neu, denn die europäische Oper in Amerika könnte auch als ein amerikanisches Thema behandelt werden, nämlich als nationales Kulturprodukt, das wie ein Quilt patchworkartig oft auf den ersten Blick unpassende Elemente in ein neues, harmonisches Ganzes einarbeitete und damit einen zentralen Beitrag zur nationalen Identitätsbildung im Amerika des 20. Jahrhunderts leistete. Tabelle 1  : Repertoire der Metropolitan Opera New York, 1941–45 Produktionen sind üblicherweise in der Originalsprache, abgesehen von den Werken mit einem der folgenden Hinweise auf ihre Übersetzung  : E = Englisch  ; F = Französisch  ; I = Italienisch

Titel

1941/42

1942/43

1943/44

1944/45

Johann Sebastian Bach Phoebus und Pan (E)

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Ludwig van Beethoven x

Fidelio (E) Vincenzo Bellini Norma

x

x

x

x

x

x

Georges Bizet Carmen

x

x

Gustave Charpentier x

Louise Claude Debussy Pelléas et Mélisande Léo Delibes Lakmé

x

Gaetano Donizetti L’elisir d’amore

x

x

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Titel

1941/42

1942/43

La Fille du régiment

x

x

1943/44

1944/45

Lucia di Lammermoor

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Christoph Willibald Ritter von Gluck Orfeo ed Euridice

x

Charles Gounod Faust Ruggero Leoncavallo I Pagliacci Pietro Mascagni x

Cavalleria rusticana Jules Massenet x

Manon Gian Carlo Menotti The Island God

x

Wolfgang Amadeus Mozart Don Giovanni

x

x

Le nozze di Figaro

x

x

x

x

Die Zauberflöte (E)

x

x

x

x

x

x

Modest Mussorgsky Boris Godunov (I) Jacques Offenbach x

Les Contes d’Hoffmann Giovanni Battista Pergolesi x

La serva padrona Amilcare Ponchielli

x

La gioconda Giacomo Puccini La Bohème

x

x

x

x

x

Gianni Schicchi Madama Butterfly

x

Tosca

x

x

x

Nikolai Rimsky Korsakov Zolotoy petushok [Der goldene Hahn] (F 1942  ; E 1945)

x

x

Gioachino Rossini Il barbiere di Siviglia

x

x

x

x



Carmen in Khaki

Titel

1941/42

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1942/43

1943/44

1944/45

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Camille Saint-Saëns Samson et Dalila

x

Bedrich Smetana Prodaná nevěsta [Die verkaufte Braut] (E)

x

Richard Strauss Der Rosenkavalier

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Salome Ambroise Thomas Mignon

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x

x

x

Giuseppe Verdi Aida

x

x

x

Falstaff (E) x

La forza del destino Otello

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Rigoletto

x

La Traviata

x

Il trovatore Un ballo in maschera

x x

x

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x

x

x

x

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Richard Wagner Götterdämmerung

x

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Lohengrin

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Parsifal

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Das Rheingold

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x x

Die Meistersinger

Siegfried Tannhäuser

x

Tristan und Isolde Die Walküre



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Verzeichnis der Autoren und Autorinnen

Fabian Bien, Studium der Fächer Musik und Geschichte (Lehramt Gymnasium)

in Köln ; 2009 Abschluss einer Promotion am Historischen Seminar der Universität zu Köln über die Berliner Opernbühnen als Orte nationaler kultureller Repräsentation in den 1950er Jahren. Annegret Fauser ist Professorin in Women’s Studies am Departement of Music an der University of North Carolina at Chapel Hill. Sie studierte Musikwissenschaften, Kunstgeschichte und Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität in Bonn, der Université de la Sorbonne-Paris IV und an der Ecole Normale Supérieure in Paris. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Musik des 19. und 20. Jahrhundert besonders in Frankreich und Amerika. Jeroen van Gessel studierte Orgel an der Musikhochschule Utrecht und Musik-

wissenschaft an der Universiteit Utrecht. Er ist Universitätsdozent für Musikwissenschaft an der Rijksuniversiteit Groningen. Martina Grempler promovierte an der Universität zu Köln mit einer Arbeit über Rossini und ist seit 2007 Privatdozentin an der Universität Bonn. Derzeit arbeitet sie in Wien als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem FWF-Forschungsprojekt „Opera buffa auf der Wiener Bühne 1763–1776“. Vjera Katalinic´ leitet seit 1992 das Institut für die Geschichte der kroatischen

Musik an der Kroatischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Zagreb. Sie ist Dozentin am Institut für Musikwissenschaften der Musikakademie und der Universität Zagreb und ist Herausgeberin der Zeitschrift „Arti musices“. Zurzeit arbeitet sie u.a. an einem Projekt zur Operngeschichte Kroatiens im langen 19. Jahrhundert. Adam Mestyan ist Doktorand an der Central European University und der

ELTE University in Budapest. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Kulturge-

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Europas und der ottomanisch-arabischen Provinzen im 19. Jahrhundert. Darüber hinaus ist er Research Fellow im Projekt „Europe and Beyond: Transfers, Networks and Markets for Musical Theatre in Modern Europe, 1740–1960“ am European University Institute in Florenz. Er ist Mitherausgeber der European Review of History. Sven Oliver Müller studierte Neue Geschichte, Alte Geschichte und Archäolo-

gie an den Universitäten Bonn und Bielefeld. 2000/01 war er Research Fellow am Hamburger Institut für Sozialforschung, 2007/08 Habilitationsstipendiat an der Columbia-University New York. Seit 2008 ist er Research Fellow am European University Institute in Florenz. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kulturgeschichte der Musik in Europa, Theorien des Nationalismus und die Politikgeschichte des Ersten Weltkrieges. Gesa zur Nieden ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Musikgeschichtlichen

Abteilung des Deutschen Historischen Instituts Rom. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Sozial- und Kulturgeschichte der Musik, insbesondere Frankreichs und Italiens des 17. und 19. Jahrhunderts.. Karen Painter ist Professorin für Musikwissenschaften an der University of

Minnesota. Ihre Abschlüsse erlangte sie an der Yale University (1987) und an der Columbia University (1996). Ihre vorhergehende Lehrtätigkeit übte sie am Dartmouth College und der Harvard University aus. Markian Prokopovych arbeitet zurzeit an einer Studie über das Opernhaus

in Budapest im 19. Jahrhundert. Er studierte Kunstgeschichte in Lemberg/ Lviv und Prag und forschte mit Stipendien in Oxford und Berlin. Mit einer Arbeit über Architektur, Kulturpolitik und nationale Identität im Lemberg des 19. Jahrhunderts promovierte er an der Central European University in Budapest. Gerd Rienäcker ist Inhaber der Professur für Theorie und Geschichte des Musik-

theaters am Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Theorie des Musik-



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theaters, Geschichte der Oper und Operette, Richard Wagner, Musikgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, Musikanalyse. Ostap Sereda ist Assistent an der Abteilung für moderne Geschichte der Ukrai­

nischen Akademie der Wissenschaften in Lemberg/Lviv und arbeitet zurzeit an einer Studie über das Opernhaus in Kiew im 19. Jahrhundert. Peter Stachel, Historiker, Mag. Dr. phil., Dozent für Neuere Geschichte. Wis­

senschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Kulturwissenschaften und Theater­ geschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. For­ schungsschwerpunkte : Geschichte Zentraleuropas 18. bis 20. Jahrhundert, Wissenschafts- und Bildungsgeschichte, Historisches Gedächtnis, Politische Rituale und Symbole, Musikgeschichte. Philipp Ther ist Professor für Europäische Geschichte am Europäischen Hoch­

schulinstitut Florenz. Seine Forschungsschwerpunkte sind vergleichende Sozialund Kulturgeschichte und ihre methodologischen Grundlagen, Musik und Ge­ schichte und komparative Nationalismusstudien. Jutta Toelle ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Musiksoziologie und Sozialgeschichte der Musik am Institut für Musikwissenschaft und Medien­ wissenschaft der Humboldt-Universität Berlin. Sarah Zalfen promovierte an der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit über

den Wandel von Staatlichkeit und die Opernkrisen in Berlin, London und Paris am Ende des 20. Jahrhunderts im Fach Politikwissenschaften. Sie ist freischaf­ fend tätig als Produktionsleiterin bei Opernprojekten.

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Mirella Freni, Edita Gruberova, Peter Dvorsky José Carreras, Placido Domingo, Thomas Hampson, Nicolai Ghiaurov, Samuel Ramey sind nur einige der Sänger, mit denen er in den großen europäischen und amerikanischen Opernhäusern gearbeitet hat. Seine ersten Sängererfahrungen aber machte Fabio Luisi, Chefdirigent der Wiener Symphoniker und seit Herbst 2007 Generalmusikdirektor der Dresdner Semper Oper und der Staatskapelle Dresden, mit einem der Stars der Wiener Karajan-Ära: als Korrepetitor von Leyla Gencer. Mit ihr erarbeitete er die großen italienischen Opern und schuf sich das Rüstzeug für seine kommende Karriere. Sie begann in Graz: als Meisterschüler von Milan Horvat, Korrepetitor und Dirigent an der Oper, wo man auf den jungen Genuesen, der auch fabelhaft Klavier spielte, aufmerksam wurde. Von dort ging es über die deutsche Provinz rasch an die großen Opernhäuser von Wien, München und Paris bis zur New Yorker „Met“ und an die Spitze mehrerer europäischer Orchester. Nicht immer ohne störende Hintergrundmusik, wie sich Fabio Luisi in seiner Autobiographie pointiert erinnert.

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Nach langen Jahren einer kulturellen Randständigkeit ist die Oper gegenwärtig wieder ein vielbeachtetes Öffentlichkeitsphänomen geworden. Im Gegensatz zum Sprechtheater, das weitgehend hinter Film und Fernsehen zurücktritt, fasziniert die Oper immer breitere Bevölkerungsschichten nicht nur durch die Verführungskraft ihrer Musik, sondern auch durch ihren Starkult und ihre provokanten Regieexperimente. Allerdings bleibt abzuwarten, ob dies zu einer Demokratisierung dieser anspruchsvollen Kunstgattung oder eher zu einem Abgleiten ins Massenmediale führen wird. Dieses Buch zeigt, dass einige Komponisten auch schon früher den elitären Status der Oper mit fortschrittsbetonten Konzepten zu durchbrechen suchten, während andere lediglich die Repräsentations- und Unterhaltungsbedürfnisse der herrschenden Gesellschaftsschichten befriedigen wollten. Jost Hermand stellt anschaulich dar, wie sich – zwischen Glanz und Elend – die sozialhistorischen, inhaltlichen und musikalischen Bedingungen der deutschen Oper vom Barock bis heute entwickelt haben. ÖÖ3%)4%.Ö'%"5.$%.Ö-)4Ö3#(54:5-3#(,!'ÖÖ8ÖÖ-- )3".Ö    

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Im Zentrum dieses Bandes steht die Fest- und Opernkultur am Wittelsbacher Hof während der Herrschaft der Kurfürsten Max Emanuel (1680–1726) und Karl Albrecht (1726–1745). Betrachtet wird vor allem die Intention des Fürstenhauses, den Untertanen auf diese Weise die Notwendigkeit der bestehenden Ordnung zu vermitteln und zugleich die konkurrierenden Höfe von der Macht des bayerischen Hofes zu überzeugen. Opern, Turnierspiele und Festkantaten werden dazu in die höfischen Kommunikationszusammenhänge eingeordnet. Der Autor zeigt, wie die politisch-kulturelle Gegenwart in den Aufführungen gespiegelt wurde, indem in ihnen der konkrete Aufführungsanlass verarbeitet, aber auch Aspekte der höfischen Lebenspraxis in symbolischer Form zum Ausdruck gebracht wurden. ÖÖ3Ö-)4ÖÖ37 !""Ö'"ÖÖ8ÖÖ--Ö )3".Ö    

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