Politik im Krieg: Ferdinand III. von Toskana und das Großherzogtum Würzburg [1 ed.] 9783205214267, 9783205214243

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Politik im Krieg: Ferdinand III. von Toskana und das Großherzogtum Würzburg [1 ed.]
 9783205214267, 9783205214243

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MAXIMILIAN TH. L. RÜCKERT

POLITIK IM KRIEG Ferdinand III. von Toskana und das Großherzogtum Würzburg

Maximilian Th. L. Rückert

POLITIK IM KRIEG Ferdinand III. von Toskana und das Großherzogtum Würzburg

Böhlau Verlag Wien Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung  : Hippolyte Lecomte, 1811, Ölgemälde, Treffen zwischen Napoleon und Ferdinand III. Großherzog der Toskana in Würzburg im Oktober 1806, photo © RMN-Grand Palais (Château de Versailles) / image RMN-GP © 2022 Böhlau Verlag, Zeltgasse 1, A-1080 Wien, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande  ; Brill USA Inc., Boston MA, USA  ; Brill Asia Pte Ltd, Singapore  ; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland  ; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat  : Christoph Landgraf, St. Leon-Rot Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Ebook-SBN 978-3-205-21426-7

Inhalt

Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9

I. Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Das Großherzogtum Würzburg als Forschungsgegenstand . . . . . . . 1.1 Als Phänomen der Sattelzeit.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Im Napoleonischen Weltkrieg.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Im Forschungskontext der Militärgeschichte.. . . . . . . . . . . . . 1.4 Die moderne Militärgeschichte und die Rückbesinnung auf Clausewitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Kriegstheorie Clausewitz’ als Analyseinstrument – die Thesen .

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 13  13  15  21

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II. Empirie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Quellen zum Großherzogtum Würzburg . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Quellenprovenienz eines europäischen Themas. . . . . . . . 2.2 Die Forschungsgrundlage eines multiperspektivischen Themas . 2.3 Der ›politische Verkehr‹ – Quellenkritik und multilinguale Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Vom Friedensfürst zum militärischen Erfüllungsvasallen? Die Politikgestaltung Erzherzog Ferdinands im Krieg. . . . . . . . . . . 1.1 Die ›höheren Verhältnisse‹ als ererbter Handlungshorizont . . . . . 1.2 Erzherzog Ferdinand und Kaiser Franz – die ›in der Entwicklung spezieller Akte begriffenen Personen‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Aushandlungsprozesse – Neutralität und Friedensbemühungen im Ersten Koalitionskrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Bruderliebe und Souveränitätsanspruch – Erzherzog Ferdinand zwischen den Kriegsfronten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1.5 Ein Habsburger im Rheinbund – Realpolitik zur Erreichung des ›politischen Zwecks des Krieges‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

2. Das Mittel zum Zweck? Das Großherzogtum Würzburg im Krieg . . . . . . 2.1 Vom ›gesellschaftlichen Zustande‹ am Main – Kontinuität im Umbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Im Vierten Koalitionskrieg (1806–1808) – Kommunikations- und Disziplinprobleme einer unterversorgten Truppe . . . . . . . . . . . . . 2.3 Auf der Iberischen Halbinsel (1808–1814) – als ›Hilfsvölker‹ im ›Kleinen Krieg‹. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Im Fünften Koalitionskrieg 1809 – Professionalisierung unter Feuer .. 2.5 Im Sechsten Koalitionskrieg (1812–1814) – die provisorischen Massen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269

3. Politik im Krieg – Forschungsergebnisse und Zusammenfassung . . . . . 3.1 Der ›schwache Fürst‹ als erfolgreicher Realpolitiker.. . . . . . . . . . . 3.2 Kriegsgewinner und Kriegsverlierer am Main . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Bibliographie . . . . . 1.1 Quellen. . . . . . 1.2 Edierte Quellen . 1.3 Literatur . . . . .

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2. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Quellenanhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abstract

Die 2019 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg vorgelegte Dissertation untersucht am Beispiel des aus den Revolutionskriegen geborenen, aber weitgehend von der Historiografie übersehenen Staatsgebildes, dem Großherzogtum Würzburg, wie man am Main mindermächtig Politik im napoleonischen Weltkrieg gestaltete. Die Forschungsarbeit untersucht anhand von Clausewitz’ Kriegstheorie das Entscheidungshandeln der bestimmenden Akteure, Ferdinand III. von Toskana (1769–1824) und seines oft auch eigenständig agierenden Verwaltungsapparats innerhalb eines äußerst begrenzten politischen Handlungshorizonts. Sie versteht sich dabei als ein Beispiel der ›modernen Militärgeschichte‹, mit politik-, diplomatie- und sozialgeschichtlichen Perspektiven, bei der auch die Operationsgeschichte nicht ausgeklammert bleiben kann. Denn das dabei offengelegte eigentümliche Phänomen, im politischen System des Rheinbunds große Truppenkontingente für Napoleons Gunst gegen politischen Handlungsspielraum einzutauschen, erfordert die Notwendigkeit einer Methodenvielfalt. Zentralperspektive bleibt dabei der Krieg als Handlungshorizont, in dem die politisch maßgeblichen Akteure, aber auch das Militär und die Bevölkerung am Main, interagierten. Den einfachen Soldaten des Großherzogtums Würzburg gilt es daher genauso auf den Schlachtfeldern zu untersuchen wie seinen Fürsten Ferdinand III. von Toskana – den zweitgeborenen Bruder des österreichischen Kaisers. Durch neue Archivfunde in Prag vermag es die Forschungsarbeit dabei auch einiges bisher Unbekanntes zur Dynastiegeschichte der Habsburg-Lothringer aufzudecken und zudem die Biografie dieses in der Historiografie bisher ziemlich blass gebliebenen Erzherzogs neu zu beleuchten.

Danke

Für meine Buben Lorenz und Joseph

Anton Chroust, 1889 zum Professor für Neuere Geschichte an die Julius-MaximiliansUniversität nach Würzburg berufen, widmete fast zwanzig Jahre seines Forscherlebens den acht Jahren des Bestehens des Großherzogtums Würzburg (1806–1814). In seinem Vorwort von 1932, dem Jahr der Veröffentlichung seines ersten Bandes, beklagte er den zersplitterten Quellenbestand in fünf europäischen Ländern und die Zerstörung dieser Bestände durch die kriegsbedingten Versetzungserlebnisse des Fürsten, der Mainfranken in diesen acht Jahren regierte, Erzherzog Ferdinand. Man liest eine Art Resignation heraus, wenn Chroust nach knapp 400 Seiten über diese zentrale Figur seines Untersuchungsgegenstands schreibt  : »In das innerste Wesen des Großherzogs […] einzudringen, erlauben die Quellen nicht.« Diese Art Resignation ist jedem wohl vertraut, der sich mit diesem Habsburg-Lothringer beschäftigt. Dass mich diese Resignation während der langjährigen Entstehungsgeschichte dieser vorliegenden Arbeit zu Erzherzog Ferdinand und dem Großherzogtum Würzburg nicht überwältigte, ist das Verdienst vieler  : Prof. Dr. Matthias Stickler ist mir vom akademischen Lehrer zum Doktorvater und in diesen langen Jahren zum spiritus rector geworden. Prof. Dr. Peter Hoeres ist es zu verdanken, dass am Ende die Resignation keine Alternative war. Der Hanns-Seidel-Stiftung, deren Promotionsstipendiat ich sein durfte und der Sparkassenstiftung Würzburg ist die Finanzierung dieser Forschungsarbeit genauso zu verdanken wie meiner Familie und Karl und Marlies Flicker. Die Unterstützung meiner Familien bei dieser Arbeit war im Ringen mit der Vergangenheit Basis und Rückhalt. Otto Wehner, Annemarie Benkert und Erna Rückert wirkten dann »von oben« an diesem »Dynastieprojekt« im doppelten Wortsinne mit, was Isabel Wehner, Natalie Palotz, Carlo Floth und allen voran – mein Antrieb und meine Zuversicht – Judith Wehner-Rückert »hier unten« leisteten. Die »Plusgruppe«, Dr. Sebastian Gräb, Dr. Eva Karl, Dr. Philipp D. Gierlich, Dr. Benjamin Heidenreich, Dr. Tirza Mühlan und Dr. Thomas Blobel, bot die intellektuelle und seelische Verstärkung. Herrn Dr. Yannik Mück, Frau Dr. Carolin König, Frau Dr. Claudia Schlembach sowie vielen »meiner« Studierenden – hier stellvertretend Herrn Maximilian Vitzthum – sei für ihre kritischen und immer bereichernden Impulse gedankt. Allen Archivarinnen und Archivaren in Florenz, Paris, Wien, München, Dresden und Würzburg sei kollektiv gedankt, denn wir können nur die Geschichte schreiben, die sie uns geben. Feldafing, am 100. Geburtstag meines Großvaters, Dr. Erwin Benkert.

»Ob der Geist die Geschichte oder Naturphänomene zu ergründen sucht, stets befindet er sich vor Wirklichkeiten, deren Vielfalt er nicht gewachsen ist  : Er kann sie, obgleich er es möchte, nicht in ihrer Einheit sehen und versucht, diese Wirklichkeit stückweise zu erfassen, zu begreifen, zu deuten. Die widerspruchsvollen Wahrheiten, die der Skeptiker einander gegenüberstellt, um zu beweisen, dass es die Wahrheit nicht gibt, sind Fragmente einer einzigen Wahrheit, die zu kompliziert ist, als dass der menschliche Geist sie in ihrer Ganzheit erfassen könnte.«1

Prolog

»Dieser Krieg ist der unglücklichste, welchen man sich nur erdenken kann, die Folgen werden es beweisen und durch viele Jahre werden alle, auch welche keine directe Einflüsse in selben gehabt haben, unter selben äußerst schwer zu leiden haben«2, sagte Erzherzog Ferdinand (1769–1824)3, Großherzog der Toskana, in einem Brief aus dem Jahr 1796 seinem nur ein Jahr älteren Bruder, dem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, Franz II. (1768–1835) voraus. Er sollte Recht behalten. Ihn selbst zwang der befürchtete Krieg trotz aller diplomatischer Anstrengungen bereits 1799 für die folgenden 14 Jahre aus der Toskana ins Exil. Vom Krieg im Jahr 1805 erneut aus dem Kurfürstentum Salzburg, einem eigens für ihn gebildeten territorialen Entschädigungskonglomerat, vertrieben, regierte er dann ab 1806 am Main. Der Krieg in all seiner Grausamkeit beherrschte das Leben aller Menschen in Europa am Anfang des 19. Jahrhunderts – nicht nur das der Machthaber. Er war verbindendes Element des Schicksals von Erzherzog Ferdinand und dem seiner Untertanen, wie beispielsweise des arbeitslosen Würzburgers Christoph Trunk. Trunk, der 1787 im seit 1168 von Fürstbischöfen souverän regierten Herzogtum Franken geboren wurde, also kurz vor 1 Guglielmo Ferrero  : Abenteuer. Bonaparte in Italien (1796–1797). Bern 1950, S. 9. 2 HHStAW, Sammelbände 36-1, Erzherzog Ferdinand an Kaiser Franz, Florenz, 24. Mai 1796. 3 In der vorliegenden Forschungsarbeit wird künftig darauf verzichtet, die jeweiligen Titel von Erzherzog Ferdinand anzugeben, da dieselben sich häufig wandelten. So war Erzherzog Ferdinand Joseph Johann Baptist auch zeitweilig Kurfürst von Salzburg und danach vom 26. Dezember 1805 bis 25. September 1806 Kurfürst auch noch in Würzburg. Dann erneut zum Großherzog erhoben, hatte er diesen Rang zunächst in Würzburg inne und zuletzt ab 1814 wieder in der Toskana. Die Bezeichnung als Erzherzog trifft als hausinterner Prinzentitel – seit dem 15. Jahrhundert gebräuchlich – allerdings stets auch bei wechselnden Territorialherrschaften zu und wird daher verwendet. Abweichungen davon finden sich lediglich in Zitaten aus Primär- und Sekundärliteratur. Erzherzöge gleichen Vornamens im Forschungszeitraum werden durch Titel- und Lebensdatenangabe kenntlich gemacht.

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Prolog

der die Welt verändernden Französischen Revolution, durchlebte all seine 29 Lebensjahre in den Schrecken des Krieges. Er starb 1815 auf dem Heimweg aus französischer Gefangenschaft nach Würzburg4, das zu diesem Zeitpunkt bereits kein souveräner Staat mehr war. Aber gerade dafür kämpfte schon unter den letzten Fürstbischöfen Johann Michael Seuffert (1765–1829) sein ganzes politisches Leben. Für die Beibehaltung der Eigenstaatlichkeit Würzburgs argumentierte er zuerst als fürstbischöflicher Hofrat und geheimer Sekretär noch kurz vor der Auflösung der geistlichen Herrschaft am Main gegenüber dem einzig verbliebenen Schutzherren, dem Kaiser in Wien, dass bisher die würzburgische »Hülfe an Mannschaft und Geld in den Zeiten des Krieges, […] nicht ohne Erfolg verwendet wurden«5. Dieses Argument diente noch lange dem Streben nach Souveränität am Main. Nachdem der Friedensschluss von Lunéville den zweiten Koalitionskrieg mit der Säkularisation der rechtsrheinischen geistlichen Fürstentümer beendete, blieb für Seufferts Hoffen auf Eigenstaatlichkeit Würzburgs nur der neue starke Mann in Europa  : Napoleon Bonaparte (1769–1824). Seuffert diente auf gleiche Weise genauso ergeben der jetzt mit Frankreich verbündeten Krone Bayern, von 1802– 1805 den kurzzeitigen neuen Machthabern am Main. Eilfertig organisierte er wieder Truppen und Geld aus der neuen bayerischen Provinz. Wenig später, nun als Staatsrat des Großherzogtums und unter dem neuen Fürsten Erzherzog Ferdinand, versicherte Seuffert in gleicher Argumentation wie zuvor an den Wiener Hof jetzt nach Paris, dass bei Garantie der Eigenstaatlichkeit Würzburgs und für »les Bonté et la Protection de Sa Majesté Impériale«6 Napoleon leicht von Würzburg aus mit bis zu 4.000 Soldaten, mit guter Truppenversorgung sowie finanzieller Unterstützung rechnen könne. Wiederum kurze Zeit später schickte Seuffert, nach 1814 zum bayerischen Hofgerichtspräsidenten avanciert, seine beiden Söhne »zum Dienste für das Vaterland« als »Würzburgische freywillige Jäger« 7 gegen Napoleon ins Feld. Diese drei skizzierten Lebensgeschichten verbinden sich eigentümlich innerhalb eines Staatswesens am Anfang des 19. Jahrhunderts in Mainfranken8  : dem Großherzog­ tum Würzburg. Nach Mainfranken brachten das revoltierende Frankreich und die darauffolgenden Koalitionskriege nicht nur fortlaufend neue Landesherren in wechseln4 5 6 7 8

DAW, Würzburg, St. Burkard. HHStAW, Kleinere Reichstände 549, Seuffert an Kobenzl, Regensburg, 5. Januar 1802. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 66, Seuffert an Hirsinger, Würzburg, 10. August 1806, Fol. 173. GhzRegBl, 1814, XXVIII. Stück, S. 99f. Trotz der belasteten Begriffsverwendung unter den Nationalsozialisten, die 1934 den »Gau Unterfranken« in »Gau Mainfranken« umbenannten, wird in dieser Arbeit am Begriff Mainfranken festgehalten. Mittlerweile ist er rehabilitiert, umfasst er doch im Wesentlichen genau auch die für den Untersuchungszeitraum relevanten Regionen  : das am östlichen Mainviereck und am Maindreieck bis nördlich zur Rhön gelegene Gebiet – also eben nicht den vom Spessart abgetrennten Teil des Bayerischen Untermains, das als Ganzes heute gemeinhin unter dem Begriff Unterfranken subsummiert wird.

Prolog 

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den Bündnissen und gegen wechselnde Gegner, sondern vor allem großes Leid für die dortigen Bewohner durch immer neue Truppendurchmärsche von Freund und Feind und beständige Truppenaushebungen. Darunter litten unzählige Familien und ihre zum Militärdienst gelosten Söhne. Zuhause hatten diese jungen Männer, wie sich zeigen wird, aufgrund demografischer Entwicklung kaum die Chance auf ein Auskommen und deswegen für die Zukunft »wenig zu hoffen«9. Ihre Lebenszeit und die ihrer Fürsten war in Mainfranken geprägt von kontinuierlichen Kriegen und zudem von fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Der Krieg war für die Zeitgenossen Trunks, Seufferts und Erzherzog Ferdinands das verheerend Beständige in Zeiten des revolutionären Wandels. Die in Würzburg und anderswo häufig geäußerte Befürchtung eines »neuen 30–jährigen Krieges«10 wurde schmerzliche Realität und der Wunsch nach Frieden war allgegenwärtig. Der Krieg steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Der Krieg, seine Ursachen, seine Folgen und die darin handelnden Akteure sind die Forschungsgegenstände. Eine Geschichte über das Großherzogtum Würzburg als eine Geschichte des Krieges, als Militärgeschichte zu schreiben, bedarf einer theoretischen Rechtfertigung, auf die ein empirischer Teil folgt. Im Ersteren werden aus der theoretischen Verortung des Themas in der sogenannten modernen Militärgeschichte Thesen abgeleitet, die sodann archivquellengestützt geprüft werden.

  9 Auszug aus den Konskriptionsakten von 1812/13  : Christoph Trunk [26 Jahre alt, Anm. d. V.], ohne Profession, […] ist liederlich und der Unmäßigkeit im Truncke ergeben und wurde wegen häußlichen Unfriedens und ungebührliches Benehmen gegen seine Eltern auf Anrufen seiner Mutter im Jahre 1811 auf die Polizeiwache gebracht, und darauf nach vorgängiger Untersuchung mit 10 Stockschlägen belegt. Nach den Zeugnissen der Viertelmeister und der Districtscomissairs hat er seine liederliche Lebensart noch nicht gebessert, hat kein ausgemachtes Vermögen und wenig zu hoffen und wird daher zum Militairdienst gegeben.« So in  : StAWü, MOK, 112, Standtabelle für Juni 1812, Liste der assentierten Würzburger mit Charakterisierungen durch die Polizeidirektion. 10 Am 1. Dezember 1805 schreibt Caroline Schelling (1763–1809), Gattin des Philosophieprofessors Friedrich Schelling (1775–1854), in einem Brief aus Würzburg  : »Jeder Tag bringt neue Siege, zu denen wir nun so kommen, wir wissen nicht wie. Die Aussichten sind glänzend, aber vielleicht langes und großes Elend im Hinterhalt. Denn irgendein Volk und irgendein Fürst wird sich doch zum Widerstand gegen den Allesverschlingenden ermannen und wir können einen neuen 30jährigen Krieg bekommen«, so in  : Caroline von Schelling  : Briefe aus der Frühromantik. Leipzig 1913, S. 418.

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I. Theorie 1. Das Großherzogtum Würzburg als Forschungsgegenstand 1.1 Als Phänomen der Sattelzeit

Zunächst ein Blick auf den Untersuchungszeitraum. Er liegt am Anfang des sogenannten langen 19. Jahrhunderts1, aus welchem sich Entwicklungen, Tendenzen und Ursachen dessen herleiten lassen. In Teilen der historischen Forschung wird er als »Epoche des Übergangs«, als »zentrale Passage der deutschen Geschichte auf dem Weg von der staatlichen Vielfalt des Alten Reiches zur nationalstaatlich-demokratischen Ordnung des Staates«2 gewertet. Bekanntlich sprechen die einen auch vom Säkulum des Fortschritts und der Moderne, vom Jahrhundert der Transformation3. Wieder andere sehen darin eine Zeit des Zäsurenpluralismus4, der politischen, militärischen und industriellen Revolutionen und in deren Kulminationspunkt, der Französischen Revolution, eine »Wasserscheide, die Moderne und frühe Neuzeit trennt«5. In Mainfranken, so wird die vorliegende Arbeit zeigen, herrschte beides vor  : Kontinuität und Umbruch, revolutionärer Neuanfang und Althergebrachtes vermischen sich in einem längeren Zeitraum, wie es sich in der kurzen biografischen Skizze zu Johann Michael Seuffert eingangs andeutete. Die vorliegende Forschungsarbeit versucht, in diesem Fall in landesgeschichtlicher Diktion der Argumentation von Reinhart Koselleck beizupflichten, der den Begriff der »Sattelzeit zwischen rd. 1750 und rd. 1850«6 für die Historiografie nachhaltig prägte. Denn eine Geschichte über das Großherzogtum Würzburg kann – obwohl bisher weitgehend von der gängigen Historiografie unbeach-

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Vgl. Franz J. Bauer  : Das »lange« 19. Jahrhundert (1789–1917). Profil einer Epoche. Stuttgart 2004. Ralf Pröve  : Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. München 2006, S. 1f. Johannes Süßmann  : Vom Alten Reich zum Deutschen Bund. 1789–1815. Paderborn 2015, S. 9. Stig Förster  : Der Weltkrieg, 1792–1815. Bewaffnete Konflikte und Revolutionen in der Weltgesellschaft, in  : Jost Dülffer (Hg.)  : Kriegsbereitschaft und Friedensordnung in Deutschland. 1800–1814. Münster 1995, S. 17–38, S. 29–34. Hierbei ebenfalls zu berücksichtigen  : Frank Becker  : Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg. Zum Wandel des Zeitbewusstseins in der napoleonischen Ära, in  : Carl Buschmann (Hg.)  : Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn 2001, S. 67–96 5 Ute Planert  : Die Kriege der Französischen Revolution und Napoleons. Beginn einer neuen Ära der europäischen Kriegsgeschichte oder Weiterwirken der Vergangenheit, in  : Dietrich Beyrau/Michael Hochgeschwender u. a. (Hg.)  : Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart. Paderborn 2007, S. 149– 162, S. 149. 6 Reinhart Koselleck  : Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, in  : Werner Conze (Hg.)  : Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts. Stuttgart 1972, S. 10–37. S. 14.

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Das Großherzogtum Würzburg als Forschungsgegenstand

tet7 – als mustergültiges Beispiel zur Sattelzeit gelten, weil sie eben gerade nicht erst mit dem Regierungsantritt Erzherzog Ferdinands in Würzburg 1806 begann und mit seinem Abdankungspatent 1814 endete. Sie vermag, wie sich zeigen wird, durch ihre personelle, geografische, diplomatische und kulturelle Persistenz, mit ihrer Vor- und Nachgeschichte nahezu die gesamte Sattelzeit auszufüllen. Um die Entwicklungen und Handlungsweisen der Akteure am Main ab 1806 zu verstehen, muss die vorliegende Analyse am Arno in Florenz in den 1760er Jahren beginnen. Erst dadurch wird klar, dass sich jene die Sattelzeit in Europa dominierenden Konti­ nuitäten, Einflüsse und Entwicklungen in diesem Staatswesen am Main wie in e­ inem Brennglas bündeln, weswegen deren Genese besonders beachtenswert ist. Nur auf den ersten Blick scheint auch für das Großherzogtum Würzburg, diesen »ephemere[n] Kunststaat rheinbündischer Provenienz«8, das zum geschichtswissenschaftlichen Kanon gewordene Diktum von Thomas Nipperdey zu gelten, »am Anfang war Napoleon«9. Wenn aber die gesamte Sattelzeit in den Blick genommen wird, können relevante Entwicklungslinien – wie im Streulicht – gerade noch erkennbar werden. Damit sind Entwicklungslinien gemeint, die für die Entstehung der Handlungsspielräume von Akteuren im Großherzogtum Würzburg maßgeblich waren und die gleichwohl deren Determinanten konstituierten. Es wird sich zeigen lassen, dass für jene Akteure wichtige Kontinuitätslinien bereits weit in die Frühe Neuzeit zurückreichen. Es ist erst heute in der Forschung anerkannt, dass die Kriege von 1792–1815 nichts Exklusives, sondern lediglich Bestandteil einer langen Konfliktkette waren10. Weder in der Geschichte Europas, noch in der Geschichte Mainfrankens war Napoleon Bonaparte allein der Anfang.

  7 Vgl. Kapitel 2.2., S. 56f.   8 Winfried Romberg  : Religion und Kirchenpolitik Ferdinands III. von Toskana zwischen Spätabsolutismus und Rheinbund. Zum 200. Jahrestag seines Regierungsantrittes im Großherzogtum Würzburg, in  : Würzburger Diözesangeschichtsblätter 68 (2006), S. 108–213, S. 114.   9 Thomas Nipperdey  : Deutsche Geschichte. 1800–1866  ; Bürgerwelt und starker Staat. München 1994, S. 7. Dazu generell kritisch  : Süßmann, Vom Alten Reich, S. 10–13. Süßmann vertritt m. E. zurecht die These nicht erst Napoleon habe die Modernisierung nach Deutschland exportiert, er habe eine evolutio­ näre Entwicklung vielmehr gestört. Der Krieg sei es vielmehr gewesen mit seiner katalysierenden Kraft und eine »Strukturformel« der Moderne. Ebd. S. 119f. 10 Zu Bestandteilen dieser Kette zählen auch bereits der Österreichische Erbfolgekrieg (1740–1748), der Siebenjährige Krieg (1756–1763), der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775–1783), der preußische Einmarsch in Holland (1787) sowie der Russisch-Schwedische (1788–1790) bzw. der Russisch-Türkische Krieg (1787–1792). Vgl. Michael Rowe  : Die Napoleonischen Kriege und ihre Folgen, in  : Jörg Echternkamp/Hans-Hubertus Mack (Hg.)  : Geschichte ohne Grenzen  ? Europäische Dimensionen der Militärgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Berlin, Boston 2017, S. 39–49, S. 40f.

Im Napoleonischen Weltkrieg 

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1.2 Im Napoleonischen Weltkrieg

Angetrieben werden diese bestimmenden Entwicklungen, die Anfang und Ende des Großherzogtums Würzburg generierten, immer durch einen Faktor  : den Krieg. Der Dritte Koalitionskrieg 1805 und der Friede von Preßburg begründeten das Großherzogtum Würzburg 1806 – der Sechste Koalitionskrieg und der Vertrag von Ried 1813 besiegelten sein Ende. Damit kann es als eines von vielen Beispielen gelten, welche sich durch »die Kriege der Französischen Revolution und Napoleons in eine lange europäisch-atlantische Tradition belligerenter Staatsbildung«11 einordnen lassen. Den prozessualen Charakter der Staatswerdung des Großherzogtums Würzburg gilt es daher ebenfalls in dieser Forschungsarbeit zu untersuchen. Kriege und damit verbundene territoriale Veränderungen sind dauerhafte Begleiter, quasi eine »anthropologische Konstante«12 der Menschheitsgeschichte und sowohl die »Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit«13 als auch die einiger Jahrzehnte später sorgte für einige ephemere Staatsgebilde in Europa. Dennoch unterscheiden sich die Kriege der Sattelzeit von den Auseinandersetzungen früherer Zeit qualitativ und quantitativ, auch wenn es ebenfalls gelten mag, dass »die Kriege der Französischen Revolution und Napoleons weniger einen Wendepunkt der europäischen Kriegsgeschichte, als vielmehr das Glied einer längeren Ereigniskette sind«14. Auch hier lässt sich das Grundprinzip der Sattelzeit von Persistenz und gleichzeitiger Dynamik ausmachen. Die vorliegende Untersuchung wird am Beispiel des Großherzogtums Würzburg deutlich machen können, dass trotz aller Kontinuitäten hinsichtlich Waffentechnik und Ressourcenmobilisierung im Feindesland, die globale Dimension der Kriege der Sattelzeit und die gleichzeitige Beschreitung des Weges hin zu einer Totalisierung von Krieg, zuvor beispiellos waren. Die für die Zeit des Bestehens des Großherzogtums Würzburg nachzuweisende geografische Erweiterung der Kriege mit ihren weltumspannenden Verästelungen, sowie die Verschiebung der zeitgenössischen Denkungsart hin zu einem

11 Planert, Die Kriege, S. 151. Es ist mittlerweile offenbar geworden, dass Krieg, neben anderen Faktoren, ein konstitutives Element der neuzeitlichen Staats- und Gesellschaftsbildung ausmacht und sich als ein wesentliches Strukturmerkmal der Moderne begreifen lässt. So  : Marcus Funck  : Militär, Krieg und Gesellschaft. Soldaten und militärische Eliten in der Sozialgeschichte, in  : Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.)  : Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 157–174, S. 159. 12 Jörg Echternkamp  : Krieg, in  : Jost Dülffer/Wilfried Loth (Hg.)  : Dimensionen internationaler Geschichte. München 2012, S. 10–28, S. 10. 13 Vgl. Dieter Langewiesche  : Nation, Nationalismus, Nationalstaat in der europäischen Geschichte seit dem Mittelalter, in  : Dieter Langewiesche/Georg Schmidt (Hg.)  : Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg. München 2000, S. 9–30. 14 Planert, Die Kriege, S. 151.

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Das Großherzogtum Würzburg als Forschungsgegenstand

»Vernichtungskrieg um das politische Dasein«15, »erzeugte einen neuartigen Typus des Krieges, dessen verderblicher Systemcharakter, die plötzliche Ausdehnung und Aggressivität, die künftigen Weltkriege des 20. Jahrhunderts ankündigte«16. Dieses Neuartige der Kriege in der Sattelzeit, das anhand des Großherzogtums Würzburg verdeutlicht werden soll, ist keineswegs unumstritten und bedarf im Folgenden einer kurzen Begründung17. Die von Stig Förster vertretene Meinung gilt mittlerweile als unangefochten18  : »[D]er Krieg, der 1792 ausgebrochen war, hatte längst eine globale Dimension angenommen«19, 15 So die Diktion eines Zeitgenossen und noch heute bedeutenden Militärtheoretikers und -strategen Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz (1780–1831). Vgl. Kapitel 1.4. ab S. 24. Alle Zitate Clausewitz’ aus seinem Werk ›Vom Kriege‹ sind entnommen aus der immer noch grundlegenden Edition  : Werner Hahlweg/ Carl von Clausewitz (Hg.)  : Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz  : vollständige Ausgabe im Urtext, drei Teile in einem Band. Bonn 1980, hier S. 34. 16 Helmut Bock  : Napoleon-Deutschland-Europa. Zur Wirkungsdialektik eines kontinentalen Hegemonialsystems (1806–1813), in  : Gerd Fesser/Reinhard Jonscher (Hg.)  : Umbruch im Schatten Napoleons. Die Schlachten von Jena und Auerstedt und ihre Folgen. Jena 1998, S. 97–121, S. 113. 17 Ute Planert sieht gewisse Kontinuitätslinien beispielsweise hinsichtlich der Truppenaufstellung bereits in der Frühen Neuzeit. So bei Planert, Die Kriege, S. 162. 18 Zur Diskussion, vgl. Pröve, Militär, S. 59. Auch T.C.W Blanning  : Die Ursprünge der französischen Revolution, in  : Bernd Wegner (Hg.)  : Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten. Paderborn 2000, S. 175–189. Tim C.W. Blanning weist auch darauf hin, dass historiografisch über weite Strecken dieses Jahrhunderts die innenpolitische Dimension der revolutionären und napoleonischen Ära im Mittelpunkt des Interesses der Forschung stand, während die internationale Dimension bis vor kurzem vernachlässigt wurde. Gemeinhin wurde der Krieg als bloße Begleiterscheinung der innenpolitischen Situation in Frankreich gesehen, der nur gelegentlich auf diese zurückwirkte. Vielmehr, so Blanning, war er ein zentrales Ereignis. ebd., S. 175f.; Der Beitrag Paul W. Schroeder  : The transformation of European politics, 1763–1848. Oxford 1994 arbeitete die internationalen Beziehungen, die zu diesem Weltkrieg führten, heraus und gab ihnen damit »den gebührenden Platz an der vordersten Front der Geschichtsschreibung zurück«, so in  : Blanning, Die Ursprünge, S. 176. Dagegen wendet sich Pierre O. Juhel, der wegen des Totalverlusts der französischen Flotte nach Trafalgar aufgrund der fehlenden Seekriegskomponente die Bewertung als Weltkrieg in Zweifel zieht und ihm zufolge die europäischen Kriege dieser Epoche nur den »Charakter von ›Weltkriegen‹ besaßen«. So in  : Pierre O. Juhel  : 1813 – Das Jahr eines Weltkriegs  ?, in  : Gerhard Bauer/Gorch Pieken u. a. (Hg.)  : Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege  ; [Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, 6. September 2013–16. Februar 2014]. Dresden 2013, S. 40–51, S. 50. Jüngst hat Wolfram Siemann in seiner 2016 erschienenen und zu Recht vielbeachteten Metternich-Biografie drei Kapitel mit ›Weltkrieg‹ überschrieben. Er begründete dies – und das soll auch für die vorliegende Forschungsarbeit gelten, dass mitnichten durch diese Begriffswahl die »Vergangenheit künstlich aktualisiert werde«, vielmehr zielten »Napoleons Kriege auf die globale Dominanz [ab], welche er dem britischen Empire und dem Zarenreich streitig machen wollte.« So in Wolfram Siemann  : Metternich. Stratege und Visionär  : eine Biografie. München 2016, S. 238f. 19 Förster, Der Weltkrieg, S. 17. Seine These wiederholte er jüngst auch auf breiterer Fakten- und Detailbasis in englischer Sprache  : Stig Förster  : The first World War. Global Dimensoins of Warefare in the Age of Revolutions, 1775–1815, in  : Roger Chickering/Stig Förster (Hg.)  : War in an age of revolution, 1775–1815. Cambridge 2010, S. 101–115.

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weil – so seine Definition – »autochthone Außereuropäer […] dabei als eigenständig handelnde Kombattanten [auftraten], die nicht mehr nur Opfer europäischer Konflikte in Übersee waren, sondern […] die Vernetzung ihrer regionalen Konflikte mit dem allgemeinen Krieg von sich aus bewusst betrieben«20. Förster erklärt, dass der Kriegsausbruch 1792 im Sklavenaufstand in Saint-Domingue, dem heutigen Haiti, zu finden sei, da der Wegfall der reichsten und erträglichsten Kolonie und der damit verbundene Wegfall der wichtigsten Kolonialware, des Zuckers, die aufgeladene Stimmung geschaffen habe, in der die Nationalversammlung im Frühjahr die Provokation zum Krieg als einzigen Ausweg sah21. Allein diese Deutung des Kriegsausbruchs als Folge der »Entstehung einer Weltgesellschaft«22 verdeutlicht eine enge Vernetzung europäischer und außereuropäischer Konflikte, die sich in den Napoleonischen Kriegen noch verheerend ausweitete und tatsächlich auch Indien, den Kaukasus und Lateinamerika betraf23. Auch wenn bereits im 18. Jahrhundert militärische Auseinandersetzungen die Dimension welterschütternder Konflikte angenommen hatten, wie etwa der Spanische Erbfolgekrieg oder besonders der Siebenjährige Krieg, werden allerdings erst die Revolutions- und Napoleonischen Kriege der Jahre 1792–1815 nach Försters Definition als Weltkrieg gewertet24.

20 Förster, Der Weltkrieg, S. 36. Und ergänzt sei Försters Definition von Weltkrieg  : »In a world war, local and regional conflicts if all kinds merge into a comprehensive struggle between coalitions and other parties. Peoples on all continents are drawn in. Fighting for their own interests, non-European powers play major roles. Without them, there is no world war«, so in  : Förster, The first World War, S. 102. 21 Förster, Der Weltkrieg, S. 20f. Zur rechtlichen Argumentation für einen Interventionskrieg Frankreichs 1792, zuletzt Ilse Reiter  : Krieg und Recht in Kontinentaleuropa vom 16. bis ins 19. Jahrhundert, in  : Thomas Kolnberger (Hg.)  : Krieg in der europäischen Neuzeit. Wien 2010, S. 321–346, S. 330ff. 22 Pröve, Militär, S. 59. 23 Es kann hier Försters Argumentation nicht detailliert nachgezeichnet werden. Er weist in seinem Beitrag von 2010 überzeugend nach, wie Konflikte in Nord- und Südamerika, in weiten Teilen Asiens und in Afrika geführt wurden, von denen einige direkt durch die Expansion Napoleons in Ägypten angestoßen wurden  ; so die Kämpfe zwischen den Wahhabiten und den Alewiten auf der Arabischen Halbinsel. In anderen Kriegen, wie beispielsweise die Kriege der Engländer gegen Mysore, die Marathenkonföderation und andere kleinere indigenen Mächte, traten die alten indischen Großmächte als eigenständige Kriegsparteien auf. Zudem führt er den autochthonen außereuropäischen Konflikt zwischen Persien und Russland an, der zum Finkensteiner Vertrag vom 4. Mai 1807 zwischen Frankreich und Persien führte. Vgl. Förster, The first World War, S. 107–109, sowie weniger detailliert Förster, Der Weltkrieg, S. 25ff. Auch in der angelsächsischen Historiografie spricht man sich für die Weltkriegsthese aus. Christopher Bayly sieht die Triebfeder dieses Weltkriegs ebenfalls in der Amerikanischen und Französischen Revolution mit Auswirkungen auf jedem Kontinent  : »Kairo, Moskau, Delhi, Jogjakarta und Paris, alle großen und berühmten politischen und wirtschaftlichen Zentren waren von Eroberungsarmeen eingenommen worden«, so in  : Christopher Alan Bayly  : Die Geburt der modernen Welt eine Globalgeschichte 1780–1914. Frankfurt u. a. 2006, S.158. 24 Förster, The first World War, S. 102  ; Pröve, Militär, S. 95f.

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Die Ursachen für den Weltkrieg finden sich im status quo nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) begründet  : Während dabei die Habsburgermonarchie, Russland und Preußen vor allem um die Vorherrschaft in Mitteleuropa kämpften, ging es für die englische und französische Krone bereits zunehmend nun auch um die Hegemonie in Nordamerika und Indien. Der in diesem Krieg sich verschärfende französisch-britische Dualismus war somit nur die eine bestimmende Konfliktlinie bis 1815 mit dem neuartigen, weltumspannenden Charakter25. Es muss deutlich herausgestellt werden, dass zwar die Kriege um die französische Hegemonialstellung in Europa wichtige Bestandteile dieses Weltkriegs von 1792–1815 waren, ihn jedoch keinesfalls in seiner Gesamtheit beschreiben26. Eine andere Konfliktlinie zeichnete außerdem der preußisch-österreichi­ sche Dualismus, der mit seinem geopolitischen Fokus auf Mittel- und Osteuropa, trotz der Verabredungen in Reichenbach 1790 und wieder 1813, die Koalitionen gegen Frankreich zu rein strategischen ›Notgemeinschaften‹ deklassierte27. In diesen vom französisch-britischen und preußisch-österreichischen Dualismus geprägten Weltkrieg wurde Mainfranken als Großherzogtum Würzburg im Rheinbund mit allen Folgen hineingezogen. Es gilt daher, sich jene größere Dimension zu vergegenwärtigen, wenn im Laufe dieser Untersuchung gezeigt werden wird, dass innerhalb des Großherzogtums Würzburg nahezu alle politischen, gesellschaftlichen und sozialen Bereiche von diesem Weltkrieg beeinflusst waren, wobei man schon an ›totale‹ Charakterzüge der Kriege des 20. Jahrhunderts denken könnte. Kritische Stimmen mögen entgegenhalten, damit würde ein provinzgeschichtliches Thema gezwungen aufgebauscht, um damit wichtiger zu erscheinen. Dabei reiht sich diese Arbeit lediglich ein in die neuere Forschung und wird transnationale und transkulturelle Handlungszusammenhänge aufdecken28. 25 Vgl. Michael Hochedlinger  : Krise und Wiederherstellung. Österreichische Grossmachtpolitik zwischen Türkenkrieg und »Zweiter Diplomatischer Revolution«, 1787–1791. Berlin 2000, S. 116–120. 26 Vgl. Blanning, Die Ursprünge, S. 176f. Stig Förster weist zudem recht überzeugend nach, dass es eine lange Tradition britischer Politik gab, den europäischen Dualismus zwischen britischen und französischen Interessen überseeisch auszutragen – »it therefore played a key role in the globalization of warefare« (S. 114). Die Französische Revolution hätte demnach nur den Anlass für die Briten, das Ringen für sich zu entscheiden, geboten. Während des Weltkriegs wäre dann, so Förster, britisches Regierungshandeln, das eher von der industriellen Revolution und den damit verbundenen globalökonomischen Interessen nach Zugang zu Rohstoffen bestimmt gewesen sei, unvereinbar auf die französische Expansionsabsicht getroffen, die eher eurozentrisch ausgelegt war. Die sich seit dem Siebenjährigen Krieg zunehmend intensivierte Vernetzung von Staaten, Territorien und Koalitionen hätte dann zum Weltkrieg geführt. So in Förster, The first World War, S. 107–109, 114–115. 27 Vgl. Oskar Folkert  : Johann Amadeus Franz de Paula Freiherr von Thugut (1736-1818), in  : Hugo Hantsch (Hg.)  : Gestalter der Geschicke Österreichs. Innsbruck u. a. 1962, S. 323–332, S. 324. 28 Vgl. Jürgen Osterhammel  : Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009, S. 13.

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Die Forschung vertritt heute die Meinung, dass ein ›totaler Krieg‹ vor allem durch seine »eigentümliche Intensität und Ausdehnung«29 von früheren Formen des Krieges unterschieden werden kann30. Die aus fränkischer Perspektive noch nie dagewesene geografische Ausdehnung wird am Untersuchungsgegenstand deutlich, wenn Würzburgs Soldaten innerhalb von vier Jahren auf den Schlachtfeldern von Portugal bis Weißrussland kämpften31. Die ›eigentümliche Intensität‹ lässt sich nicht nur an Opferzahlen, gesteigerter Schusskraft von Artillerie und Infanterie in Schlachten, oder der Kriegsdauer messen. Vielmehr haben sich mehrere internationale Historikertagungen zu diesem Thema dafür ausgesprochen, die Totalität des Krieges auch an der »Extensität, d. h. an seiner Ausdehnung [zu messen], vor allem an der Überwindung der letzten Unterschiede zwischen Soldaten und Zivilisten«32. These dieser Arbeit ist, dass Anfänge dieses Prozesses der Egalisierung von Militär und Gesellschaft sich am Beispiel des Großherzogtums Würzburg darlegen lassen. Alles, sei es Kultur, Bildungs-, Gesundheits-, Finanz- sowie Steuerwesen, wurde dort in den Dienst von Napoleons Kriegen gestellt. Mit dem Beispiel dieses Staatswesens lässt sich »dieser Krieg auch als erster Waffengang mit totalen Zügen beschreiben«33, nicht aber als »tota29 Roger Chickering  : Militärgeschichte als Totalgeschichte im Zeitalter des totalen Krieges, in  : Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.)  : Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 301–312, S. 306  ; und gleichlautend  : Jutta Nowosadtko  : Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte. Tübingen 2002, S. 220. 30 Vgl. Mark Hewitson  : Absolute war. Violence and mass warfare in the German lands, 1792–1820. Oxford 2017. 31 Vgl. Kapitel II. 2.2–2.5. 32 Chickering, Militärgeschichte, S. 307. Zur ganzen Diskussion die grundlegenden angelsächsischen Forschungsarbeiten zu den Kriegen des späten 19. und 20. Jahrhunderts von Förster, Chickering und Boemeke Stig Förster  : On the road to total war. The American Civil War and the German Wars of Unification  ; 1861–1871. Washington u. a. 1999, Roger Chickering  : Great war, total war. Combat and mobilization on the Western Front, 1914–1918. Cambridge 2000, Manfred F. Boemeke (Hg.)  : Anticipating total war. The German and American experiences, 1871–1914. Cambridge 1999 und darin auch über den inflationären Gebrauch des Begriffs totaler Krieg Roger Chickering  : Total War. The Use and Abuse of a Concept, in  : Manfred F. Boemeke (Hg.)  : Anticipating total war. The German and American experiences, 1871–1914. Cambridge 1999, S. 13–28. Neuere Zusammenfassung zum Diskurs um den »totalen Krieg« bei Nowosadtko, Krieg, S. 219f. 33 Pröve, Militär, S. 95. Dagegen urteilt Ute Planert, dass sich, »um einen Begriff von Clausewitz zu gebrauchen, der Krieg »seiner absoluten Vollkommenheit« nähert, aber total war er nicht.« Sie legt dar, dass längst nicht alle Bevölkerungsschichten vom Krieg betroffen gewesen seien, und hinsichtlich der Entfesselung und Entgrenzung von Grausamkeiten, diese nicht systematisch angeordnet und »keiner zentral geplanten Vernichtungsstrategie« entsprungen wären. So Planert, Die Kriege, S. 158f. Die hier vorliegende Forschungsarbeit vermag aber dennoch Tendenzen eines ›totalen Krieges‹ aufzuzeigen. Siehe Kapitel 4.3., S. 389  ; Kapitel 4.5., S. 464. Sie folgt damit auch Tim C. W. Blanning. Dieser argumentierte bereits zuvor, »dass französischen Revolutionskriege mit Recht als die ersten modernen Kriege bezeichnet werden, denn angesichts der Opferzahlen, die sich wegen ungenauer Schätzungen nur vage auf fünf Millionen

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ler Krieg«34. Roger Chickering formuliert gleichsam einem Kriterienkatalog, die Definition eines totalen Krieges, die es aufgrund ihrer Prägnanz verdient im Ganzen zitiert zu werden  : »Im totalen Krieg hat sich […] der Kriegsschauplatz auf den ganzen Erdball ausgeweitet. Schlachten sind riesige, anhaltende und intensive Auseinandersetzungen zwischen ungeheueren Formationen geworden, die leidenschaftliche, weil ideologisch motivierte Bürger in Uniform ausfechten. Die Mobilisierung für den Krieg macht keinen Halt mehr an den Grenzen des zivilen Lebens, weil alle Mitglieder der Kriegführenden Staaten an den titanischen wirtschaftlichen und moralischen Anstrengungen beteiligt sind, die für die Unterhaltung der modernen Streitkräfte erforderlich sind. Folglich werden nun auch alle Mitglieder der kriegführenden Staaten legitime Ziele der militärischen Gewalt, sei es durch Blockaden auf dem Meer oder Bombardierung aus der Luft. Im totalen Krieg richten sich die Kriegsziele dementsprechend auf die Vernichtung des Feindes.«35

Von den darin genannten Teilaspekten ausgehend, wird im Rahmen dieser Forschungsarbeit gezeigt werden können, wie sich eine beginnende Totalisierung in den Wechselwirkungen von Politik, Diplomatie, Militär und Gesellschaft im Großherzogtum Würzburg finden lässt36. Eine Perspektiventrennung von Außen- und Innenpolitik in diesem Staatswesen ist somit genauso unmöglich, wie eine zwischen den kriegführenden Parteien und der Zivilbevölkerung37. Nochmals zusammenfassend und deutlich  : Ohne behaupten zu wollen, die Napoleonischen Kriege seien ›totale Kriege‹ wie sie sich im 20. Jahrhundert zeigen sollten38, so werden sich doch Anfänge, Tendenzen und Prozesse dieses Phänomens am Untersuchungsgegenstand nachweisen lassen. Menschen beziffern lässt, stehen sie in ihrer Grausamkeit in nichts nach, vergleicht man im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung den Ersten Weltkrieg mit denen der Französischen Revolution und Napoleons«, so bei  : Blanning, Die Ursprünge, S. 75. Diese Argumentation wird später bei David Avrom Bell  : The first total war Napoleon’s Europe and the birth of modern warfare. London 2007 argumentativ gestützt, worauf im Folgenden noch zu rekurrieren sein wird. 34 Vorgeworfen wird diesem Begriffspaar vor allem seine terminologische Unschärfe, die bis heute auch noch nicht ausgeräumt werden konnte. Die vorliegende Forschungsarbeit versucht eine der von Jutta Nowosadtko zur Klärung der Unschärfe geforderten »Vergleichsmöglichkeiten und wechselseitigen Ergänzungspotentiale« zu liefern und mitzuwirken an diesem Diskurs, der »noch nicht einmal ansatzweise begonnen [hat und] verspricht jedoch aufschlussreich zu werden.« So in  : Nowosadtko, Krieg, S. 221. 35 Chickering, Militärgeschichte, S. 306. 36 Elisabeth Fehrenbach machte für ›totalen Krieg‹ auch Politisierung und Ideologisierung des Krieges als ergänzende Kriterien aus. Vgl. Elisabeth Fehrenbach  : Die Ideologisierung des Krieges und die Radikalisierung der Französischen Revolution, in  : Dieter Langewiesche/Elisabeth Fehrenbach (Hg.)  : Revolution und Krieg. Zur Dynamik historischen Wandels seit dem 18. Jahrhundert. Paderborn 1989, S. 57–66, S. 57. Jüngst hierzu  : Hewitson, Absolute war. 37 Vgl. Pröve, Militär, S. 55. 38 Vgl. Stig Förster  : »Vom Kriege«. Überlegungen zu einer modernen Militärgeschichte, in  : Thomas Kühne/

Im Forschungskontext der Militärgeschichte 

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1.3 Im Forschungskontext der Militärgeschichte

Umso deutlicher tritt auf Grundlage dieser Forschungsfragen hervor, dass es sich empfiehlt, eine Geschichte des Großherzogtums Würzburg als Militärgeschichte zu schreiben. Denn will man diese Totalisierungsprozesse beispielhaft mit dem Großherzogtum Würzburg belegen, kommt man nicht umhin, den Krieg und das Militär in den Mittelpunkt der Betrachtung zu setzen. Zum einen, weil diese Prozesse unmittelbar und direkt auf die Streitkräfte selbst einwirkten und zum anderen die Veränderungen im militärischen Apparat auch die allgemeinen Veränderungen im Staatswesen am Main spiegelten. Am Beispiel des Großherzogtums Würzburg soll sich klären, dass die Reformen des Heeres geradezu den Kristallisationspunkt und den Ausgangspunkt der fundamentalen Umbrüche der Zeit bildeten, denn das militärische Instrument war selbst Hebel und Motor vieler Veränderungen gerade hinsichtlich einer beginnenden Totalisierung39. Roger Chickering macht in diesem Sinne deutlich  : »Die Wechselbeziehungen zwischen Front und Heimat sind massiv und allumfassend. Darum geht es in totalem Krieg«40 und er fordert deswegen im selben Atemzug zur »Totalgeschichtsschreibung«41 auf, bei der kein Aspekt irrelevant bleiben könne. Eine solche holistische Geschichtsauffassung hat eine lange Tradition und reicht weit bis in das 18. Jahrhundert zu Montesquieu und Voltaire zurück42. Sie versucht »sämtliche Lebensphasen einer kulturellen Benjamin Ziemann (Hg.)  : Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 265–281. Wegen eines gewissen »Hitlerzentrismus« der Geschichtsschreibung über das 20. Jahrhundert »schien es nicht erforderlich, nach längerfristigen Ursachen für den Krieg zu suchen, das heißt nach gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen«, so Jörg Echternkamp  : Wandel durch Annäherung oder  : Wird Militärgeschichte ein Opfer ihres Erfolges  ? Zur wissenschaftlichen Anschlussfähigkeit der deutschen Militärgeschichte seit 1945, in  : Jörg Echternkamp/Wolfgang Schmidt u. a. (Hg.)  : Perspektiven der Militärgeschichte. Raum, Gewalt und Repräsentation in historischer Forschung und Bildung. München 2010, S. 1–38, S. 10. Zwei Jahre nach Erscheinen dieses genannten Beitrags negiert Echternkamp alle in das 19. Jahrhundert zurückreichenden Kontinuitätslinien des ›totalen Krieges‹. Er schreibt 2012 in einem anderen Beitrag zur Internationalen Geschichtsschreibung  : »Doch wer glaubt, dass die Kriege zwischen 1782 und 1815 einen dramatischen Wendepunkt in der Kriegsführung zwischen der Frühen Neuzeit und dem 19 Jahrhundert markieren, sitzt der zeitgenössischen Propaganda auf. Bei genauerem Hinsehen wird rasch klar, dass es sich weniger um einen ersten totalen Krieg als um den letzten großen Krieg handelt, der noch mit frühneuzeitlicher Taktik und Technik geführt wurde.« So in  : Echternkamp, Krieg, S. 20. Die vorliegende Forschungsarbeit wird sich daran versuchen, Argumente gegen diese These aufzuzeigen und Beweise für eine Neuartigkeit dieses Weltkriegs der Sattelzeit zusammenzutragen. 39 Vgl. Pröve, Militär, S. 1f. 40 Chickering, Militärgeschichte, S. 308  ; auch bei  : Peter Hoeres  : Das Militär der Gesellschaft. Zum Verhältnis von Militär und Politik im Deutschen Kaiserreich, in  : Frank Becker (Hg.)  : Geschichte und Systemtheorie. Exemplarische Fallstudien. Frankfurt am Main, New York 2004, S. 330–354, S. 330. 41 Ebd. 42 Vgl. Hans Schleier  : Geschichte der deutschen Kulturgeschichtsschreibung. Waltrop, S. 53ff.

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und gesellschaftlichen Formation«43 historiografisch zu analysieren und firmiert heute auch unter dem Begriff der Kulturgeschichte. Das Methodenproblem dieses scheinbar nahezu unmöglich zu bewältigenden Vorhabens thematisierten allerdings bereits Historiker im 19. Jahrhundert. Das befeuerte schließlich den Methodenstreit der 1890er Jahre und führte zum Ergebnis einer strikten Implementierung historiografischer Subdisziplinen, was wiederum eine Fokussierung auf eine rein politische Geschichtsschreibung Ende des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts vorbereitete44. Heute wird die Überwindung des Methodenproblems von der histoire totale, wie sie die Annales-Schule noch betrieb, eher in mikrohistorischen Untersuchungen gesehen, beispielsweise über nur eine Familie oder eine Dorfgemeinschaft45. Für das Großherzogtum Würzburg im Untersuchungszeitraum ist wegen des Forschungsziels solch ein alltagsgeschichtlicher Ansatz auch aufgrund der inhomogenen Quellenlage kaum möglich46. Der Forderung, »das historische Blickfeld auf den ganzen politischen, sozialen und kulturellen Rahmen auszudehnen, in dem der Krieg in seiner jeweiligen Besonderheit stattfindet«47, versucht die vorliegende Arbeit allerdings dennoch nachzukommen. Sie richtet sich dabei nach den Maßgaben einer sogenannten ›modernen‹ bzw. ›neuen‹ Militärgeschichte, deren Fixpunkte der Krieg und die Kriegsvorbereitung sind. Da der Militärgeschichte bis weit in die 1990er Jahre hinein ein »Schmuddelkind­ image«48 anhaftete und auch heute noch vor allem deutsche Rezipienten die Beschäftigung mit Krieg und Militär als »unfein«49 erachten, seien an dieser Stelle kurz die weit zurückreichenden und weitschweifigen Entwicklungslinien referiert, die ›das Neuartige‹ zur Militärgeschichtsschreibung brachten. Diese Entwicklungslinien ermöglichen heute Historikern darauf verzichten zu können, Unterstellungen über irgendwelche implizite politische Absichten innerhalb ihrer Untersuchungen ertragen zu müssen, oder gebetsmühlenartig »die Normalität« 50 der eigenen Forschungen unter Beweis stellen zu müssen. In folgendem kurzen Exkurs wird auch eine für diese Untersuchung zum Großherzogtum Würzburg gültige Definition von ›neuer‹ bzw. ›moderner‹ Militärgeschichte hergeleitet51. 43 Chickering, Militärgeschichte, S. 303. 44 Vgl. ebd., S. 303. 45 Vgl. Pröve, Militär, S. 55. 46 Vgl. Kapitel I. 2.1., ab S. 48. 47 Vgl. Förster, Vom Kriege, S. 266. 48 Pröve, Militär, S. 54. 49 So formulierte es Manfred Messerschmidt rückblickend, der von 1970 bis 1988 Leitender Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes war. Zit. nach Echternkamp, Wandel, S. 7. 50 Nowosadtko, Krieg, S. 9. 51 Ausführlicher als es hier geschehen kann und jüngst mit dem europäischen Ausland kontextualisiert  :

Im Forschungskontext der Militärgeschichte 

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Die Wurzeln der modernen Militärgeschichte

Militärgeschichtsschreibung gab es bekanntlich bereits in Form von Petro- und Hieroglyphen und die Geschichte ihrer Kriege beschäftigte die Menschheit seit jeher. Deutschsprachige Militärgeschichte fand sich in Form einer Generalstabsgeschichte bereits im frühen 18. Jahrhundert, doch entsprach sie mehr einer Kriegsgeschichte, oder treffender, einer Kriegskunde, da ihre thematisch-konzeptionelle Ausrichtung nur die Beschreibung von Kriegen und Feldzügen aus dem 18. und 19. Jahrhundert hinsichtlich Taktik und Strategie zuließ und das bei vollständiger Außerachtlassung nahezu aller nichtmilitärischer Faktoren52. Erstmals versuchte Hans Delbrück, der eigentliche Begründer einer akademischen Militärgeschichte in Deutschland, das Beziehungsgeflecht von Krieg und Politik zu erforschen, was ihn im späten 19. Jahrhundert als Außenseiter erscheinen ließ53. Besonders, weil auch nach dem Ersten Weltkrieg Militärgeschichte noch als Residuum von Militärs galt, die aus vergangenen Kriegen lernen wollten, um die folgenden zu gewinnen. Kriegsgeschichte blieb zu diesem Zeitpunkt »handlungsorientierte Erfahrungslehre«54. Vor und nach dem Ersten Weltkrieg sah man Politik als die Sache der Ordnung und etwas, was nach dem bewaffneten Konflikt nur zum (möglichst günstigen) Friedensschluss gedacht war – das Militär war in dieser Blickrichtung das »ganz Andere«55. Deshalb wurde Geschichtsschreibung über den Krieg nur von uniformierten Historikern geduldet. An den (zivilen) Universitäten hatten solche Themen, gerade wenn sie Nieder­ lagen oder Kriegsgräuel behandelten, keinen Platz. Daran änderte sich auch unter den Nationalsozialisten nichts, die ebenfalls Militärgeschichte als ›Wehrgeschichte‹ zu instrumentalisieren suchten56. Erst nach 1945 gelang es, unter der neuen Selbstbezeichnung ›Militärgeschichte‹, eine universitäre Historiografie zu etablieren, welche auch Kriegsursachen und KriegsGeorges-­Henri Soutou  : Europäische Militärgeschichte vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Kalten Krieges, in  : Jörg Echternkamp/Hans-Hubertus Mack (Hg.)  : Geschichte ohne Grenzen  ? Europäische Dimensionen der Militärgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Berlin, Boston 2017, S. 27–38. 52 Vgl. Pröve, Militär, S. 48. Seiner Argumentation folgt der Exkurs genauso wie der Herleitung von Sönke Neitzel  : Militärgeschichte ohne Krieg  ? Eine Standortbestimmung der deutschen Militärgeschichtsschreibung über das Zeitalter der Weltkriege, in  : Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hg.)  : Geschichte der Politik. Alte und neue Wege. München 2007, S. 287–308. 53 Vgl. v.a. Wilhelm Deist  : Hans Delbrück. Militärhistoriker und Publizist, in  : Militärgeschichtliche Zeitschrift 57 (1998), S. 371–383, und Nowosadtko, Krieg, S. 13. 54 Vgl. Thomas Kühne/Benjamin Ziemann  : Militärgeschichte in der Erweiterung. Konjunkturen, Interpretationen, Konzepte, in  : Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.)  : Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 9–46, hier S. 12. 55 Thomas Mergel  : Politikbegriffe in der Militärgeschichte. Einige Beobachtungen und ein Vorschlag, in  : Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.)  : Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 141–156, S. 144. 56 Vgl. Pröve, Militär, S. 50.

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ausbrüche, Waffenstillstände und Friedensschlüsse thematisierte57. Diese entwickelte sich jedoch lange Zeit strikt separat und eigenständig neben einer institutionalisierten Militärgeschichtsschreibung innerhalb der Streitkräfte. Jener Trennung gemäß, nahmen die zivilen universitären Forschungen die Vor- und Nachgeschichte von Kriegen in den Blick. Die militärischen Untersuchungen hingegen fokussierten Schlachten und Kriegszüge58. Mit der Gründung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) 1957 in Freiburg und des wenig später in der DDR gegründeten Militärgeschichtlichen Instituts in Potsdam blieb die Forschung trotz einer im Vergleich zu der des Kaiserreichs oder der des Dritten Reiches »sensationellen, ja revolutionären Entwicklung«59 alten militärisch-historiographischen Traditionen verhaftet. Denn auf beiden Seiten der Mauer beabsichtigte die institutionalisierte Militärgeschichte weiterhin ihren jeweils ideologiegefärbten Erkenntnisgewinn vornehmlich der Ausbildung ihrer Soldaten dienlich zu machen60. Dennoch ist ihr Verdienst um die Weiterentwicklung der Forschungsrichtung nicht zu gering zu achten. Es basierte auf dem »großen Aufwand, mit dem das Militär selbst die Erforschung seiner eigenen Geschichte betrieb«61. Grundlage jener Weiterentwicklung der Militärgeschichte war die Ausweitung der eigenen Forschungen auf politik-, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen, basierend auf der historisch-kritischen Methode. Das überwand schließlich die traditionellen historiografischen Vorgaben von Wehr- und Kriegsgeschichte62. So formulierte Rainer Wohlfeil, 1970 Leiter der MGFA, auf Grundlage dieser Perspektivenerweiterung eine Definition von Militärgeschichte, die noch heute in weiten Teilen ihre Gültigkeit hat. Die Militärgeschichte, forscht, so Wohlfeil,

57 Vgl. Kühne u. a., Militärgeschichte, S. 12. 58 Vgl. ebd., S. 12. 59 Wolfram Wette  : Militärgeschichte zwischen Wissenschaft und Politik, in  : Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.)  : Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 49–71, S. 62. 60 Zusammenfassend schildert Reinhard Brühl die Militärgeschichtsschreibung in der DDR, »nicht mehr der Krieg, im Wesentlichen begrenzt auf sein Hauptmerkmal, den bewaffneten Kampf, sondern der Krieg als Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse und Fortsetzung der Politik gesellschaftlicher Kräfte, nicht mehr nur die Streitkräfte im bewaffneten Kampf, sondern darüber hinaus ihr Platz und ihre Rolle als Teil und inmitten der Gesellschaft in den Zeiten des Krieges wie des Friedens« sollte von nun an im Vordergrund stehen. So in Reinhard Brühl  : Zum Neubeginn der Militärgeschichtsschreibung in der DDR. Gegenstand, theoretische Grundlagen, Aufgabenstellung., in  : Militärgeschichtliche Mitteilungen 52 (1993), S. 303–322, S. 306f. So auch Pröve, Militär, S. 52 und neuer Bruno Thoß  : Institutionaliserte Militärgeschichte im geteilten Deutschland. Wege und Gegenwege im Systemvergleich, in  : Jörg Echternkamp/ Wolfgang Schmidt u. a. (Hg.)  : Perspektiven der Militärgeschichte. Raum, Gewalt und Repräsentation in historischer Forschung und Bildung. München 2010, S. 41–65. 61 Nowosadtko, Krieg, S. 13. 62 Vgl. Pröve, Militär, S. 47ff.

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»nach der bewaffneten Macht als Instrument und Mittel der Politik und befasst sich mit dem Problem ihrer Führung in Krieg und Frieden. Im Krieg sieht sie jedoch nicht nur eine rein militärische Angelegenheit, sondern stellt ihn hinein in die allgemeine Geschichte. […] Die Militärgeschichte untersucht weiterhin das Militär nicht nur als Institution, sondern als Faktor des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und gesamten öffentlichen Lebens. Nicht zuletzt aber beschäftigt sie sich mit der bewaffneten Macht als politischer Kraft. Im Mittelpunkt der Militärgeschichte aber steht – analog zum Ziel der allgemeinen historischen Wissenschaft, den Menschen und seinen Wirkungskreis zu erforschen – der Soldat in allen seinen Lebensbereichen«63.

Bei einem solchen Verständnis von Militärgeschichte lassen sich die Ergebnisse nicht ausschließlich nur für die Außendarstellung und für die Traditionsbildung innerhalb der Truppe verwerten64. Somit sind die Ergebnisse der Militärgeschichtsschreibung weniger für ein Publikum bestimmt, »das sich aus unverbesserlichen Militaristen in Gestalt Jugendlicher oder unbelehrbarer Kriegsveteranen rekrutiert«65. Eine solche Sichtweise bedeutete eine Annäherung der traditionellen Militärwissenschaft an die allgemeine Geschichtswissenschaft, die es bisher in dieser Form noch nicht gab66. Der Prozess der Annäherung wird vornehmlich durch den Ansturm der 1990er Jahre an den Universitäten auf Forschungsprojekte, Seminare und Dissertations- und Habilitationsprojekte mit militärgeschichtlichem Schwerpunkt unterstützt67. Die moderne Militärgeschichte

Jene Hochkonjunktur lässt sich zwar auch mit der ökonomisch erfolgreichen Nischensuche von findigen Historikern auf einem immer stärker umkämpften Wissenschaftsmarkt erklären68, sie ist aber vor allem Folge und Motor für eine »erkenntnistheoretische und 63 Rainer Wohlfeil  : Wehr-, Kriegs-, oder Militärgeschichte  ?, in  : Militärgeschichtliche Mitteilungen 1 (1967) (1967), S. 48–59, S. 28f. 64 Vgl. Pröve, Militär, S. 51 sowie neuer  : Manfred Görtemaker  : Traditionsstiftung und Militärgeschichte in der Bundeswehr. Konstruktion und Dekonstruktion, in  : Jörg Echternkamp/Wolfgang Schmidt u. a. (Hg.)  : Perspektiven der Militärgeschichte. Raum, Gewalt und Repräsentation in historischer Forschung und Bildung. München 2010, S. 315–320. 65 Kühne u. a., Militärgeschichte, S. 11. 66 Echternkamp, Wandel, S. 2. Zweifelsohne spielen bei diesem Wandel in der Militärgeschichte auch die veränderten politischen Vorzeichen in der Bundesrepublik eine Rolle, insofern die sozial-liberale Koalition ab 1969 die Forschungen am MGFA mitbestimmte. 67 Vgl. Pröve, Militär, S. 54. Jutta Nowosadtko sieht den Erfolg der Renaissance der Militärgeschichte ebenfalls vor allem in der erwähnten Perspektivenerweiterung durch die »kontinuierliche Forschungsarbeit und Trendsetterfunktion der wissenschaftlichen Abteilung des militärgeschichtlichen Forschungsamtes«, so in  : Nowosadtko, Krieg, S. 15. 68 Vgl. Dieter Langewiesche  : Kampf um Marktmacht und Gebetsmühlen der Theorie. Einige Bemerkungen

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methodologische Modernisierung und damit auch die konzeptionelle und themenspezi­ fische Erweiterung des Faches«69. Sie brachte das Neuartige in die Militärgeschichte, womit sie heute als ›moderne‹ Militärgeschichte gelten kann70. Zur Modernisierung verhalf zudem der Perspektivwechsel in der allgemeinen Geschichtswissenschaft durch die Aufwertung der Alltagsgeschichte, der auch in der Militärgeschichte erstmals Raum geschaffen wurde. Eine Militärgeschichtsschreibung »von unten«71, durch die Überwindung von Dichotomien wie Heimat und Front, Militär und Gesellschaft, war somit erstmals möglich72. Historische Forschungen zum Phänomen Krieg zogen nun Quellenmaterial heran, das nicht ausschließlich aus dem Militär oder der Verwaltung stammte, womit sie Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erinnerungen von Soldaten und Zivilpersonen ebenfalls analysierten und die Auswirkungen von Krieg auf alle Bereiche des sozialen Lebens untersuchten73. Forschungen thematisieren heute dementsprechend subjektive Weltdeutungen vom Krieg genauso wie Identitätskonstruktionen von Militärs und gehen Fragen nach, welche sich durch die Übernahme von Theorien aus der Soziologie, der Kulturanthropologie, oder etwa auch Psychologie ergeben74. Die thematische Erweiterung der Militärgeschichte bezieht sich somit auch auf die Mikro- und Alltagsgeschichte, die Geschlechtergeschichte und zudem auf die Kulturgeschichte. Mit dieser zunehmend exorbitanten Ausweitung auf vielfältige Wissenschaftsfelder und Themen wird der Militärgeschichte, der man nunmehr das ›Wildern im fremdem Gebiet‹ zum Hauptvorwurf machen könnte, auch ein »Substanzverlust« durch ein zu viel an »Substanzgewinn«75 bescheinigt. Die Pluralität von Themen und Methoden brachte der Militärgeschichte zwar die erforderliche Modernisierung, aber auch eine fortwähzu den Debatten um eine neue Militärgeschichte, in  : Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.)  : Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 323–327, S. 324. 69 Pröve, Militär, S. 55. 70 Vgl. Neitzel, Militärgeschichte ohne Krieg, S. 288  ; Soutou, Europäische Militärgeschichte, S. 32. 71 Dafür noch immer grundlegend Wolfram Wette  : Militärgeschichte von unten. Die Perspektive des »kleinen Mannes«, in  : Wolfram Wette (Hg.)  : Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten. München 1995, S. 9–47. Neuerdings auch Christian Th. Müller  : Kasernierte Vergesellschaftung und militärische Subkultur. Überlegungen zur Alltags- und Sozialgeschichte des deutschen Militärs im 19. und 20. Jahrhundert, in  : Christian Th. Müller/Matthias Rogg (Hg.)  : Das ist Militärgeschichte  ! Probleme, Projekte, Perspektiven. Paderborn u. a. 2013, S. 479–497, wo sich auch die hier ausgesparte weitere Diskussion zum Desiderat einer kasernierten Vergesellschaftung findet, die später in Kapitel II. 2.1, S. 319 wieder aufgegriffen werden wird. 72 Vgl. Kühne u. a., Militärgeschichte, S. 36. 73 Echternkamp, Wandel, S. 16. 74 Vgl. Pröve, Militär. Dieses breite Spektrum an methodischen und theoretischen Zugängen verdeutlicht besonders die Festschrift für Bernhard Kroener  : Christian Th. Müller/Matthias Rogg (Hg.)  : Das ist Militärgeschichte  ! Probleme, Projekte, Perspektiven. Paderborn u. a. 2013. 75 Echternkamp, Wandel, S. 22.

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rende Ablehnung seitens der Hochschulen als eigenständige historische Spezialdisziplin76. Der Ruf nach einer thematischen Rückbesinnung auf eine »Zentralperspektive«77, auf einen »harten Kern«78 der Militärgeschichte steht heute mehr denn je im Raum79. Jüngst versuchte Jörg Echternkamp diesen historiografischen Problemkomplex aufzulösen, indem er feststellte, dass es »angesichts der [mittlerweile üblichen] Grenzüberschreitungen zwischen den Teildisziplinen nicht mehr sinnvoll [ist], Historikern Etiketten aufzukleben«80 und so sei Militärgeschichte auch als Politikgeschichte, als Organisationsgeschichte, als Kulturgeschichte, als Kunstgeschichte, als Bildungsgeschichte, als Sozialgeschichte, als Wirtschaftsgeschichte etc. zu lesen und zu denken81. Der Methodenpluralismus eröffne »die Möglichkeit, immer wieder neu zu entscheiden, welche Kombination von Ansätzen je nach Fragestellung, Zeithorizont und Komplexität des Themas den größten Erkenntnisgewinn verspricht«82. Der Zugang zu einer Geschichte des sozialen Wandels mithilfe der Militärgeschichte ermögliche, so Echternkamp abschließend, darauf einen genauso originären Blick wie es andere Teildisziplinen ebenfalls vermögen. Seiner Meinung scheint sich die historische Zunft anzuschließen, wie die neuesten Veröffentlichungen belegen würden83. Dieses Eindeutigkeit vermeidende Diktum Echternkamps ist in jedem Fall ein gangbarer Weg, der zukünftigen Forschungen alle Möglichkeiten lässt. Auch diese Arbeit über die Geschichte des Großherzogtums Würzburg soll als eine Militärgeschichte mit landes-, politik-, gesellschafts-, sozial- und operationsgeschichtlichen Perspektiven verstanden werden können. Echternkamps Vorschlag löst, so verstanden, aber nicht das Problem des Fehlens einer nötigen ›Zentralperspektive‹. Ob eine Arbeit über die De76 Vgl. Nowosadtko, Krieg, S. 16. 77 Kühne u. a., Militärgeschichte, S. 35. 78 Echternkamp, Wandel, S. 22. 79 »Insgesamt wird deutlich, dass die additive Aneinanderreihung von Bindestrichgeschichten eben keine moderne Militärgeschichte produziert, solange die Behandlung von verschiedenen Teilaspekten nicht auf den sachlichen Kern des Militärs bezogen wird, die Vorbereitung und praktische Organisation von kriegerischer Tötungs-Gewalt.« So rezensierte jüngst Benjamin Ziemann die Festschrift für Bernhard Kroener Müller u. a., Das ist Militärgeschichte, die es seiner Meinung nach, trotz des Titels, innerhalb der Beiträge an der erforderlichen Zentralperspektive vermissen ließ. So in  : Benjamin Ziemann  : Rezension zu  : Chickering, Roger  ; Showalter, Dennis  ; van de Ven, Hans (Hg.)  : War and the Modern World. Cambridge 2012 / Müller, Christian Th.; Rogg, Matthias (Hg.)  : Das ist Militärgeschichte  ! Probleme – Projekte – Perspektiven. Paderborn 2013 / Hüppauf, Bernd  : Was ist Krieg  ?. Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs. Bielefeld 2012, in  : H-Soz-Kult, 26.11.2013, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/ rezbuecher-18870. [zuletzt abgerufen 01.08.2021] 80 Echternkamp, Wandel, S. 38  ; Ähnlich bei Echternkamp, Krieg, S. 9. 81 So auch die Einteilung von Beiträgen in sogenannte Cluster bei Müller u. a., Das ist Militärgeschichte. Ergänzt wird die Liste noch bei Nowosadtko, Krieg, S. 17. 82 Echternkamp, Wandel, S. 38. 83 Vgl. ebd., S. 38.

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serteure des 18. Jahrhunderts84, bloß weil sie militärisches Personal fokussiert, auch wirklich eine Militärgeschichte, oder nicht ›nur‹ eine Sozialgeschichte ist, müsste ohne klar definierte und für alle Forschungsarbeiten dieser Fachrichtung gültige Zentralperspektive in der Militärgeschichte offenbleiben85. So muss an dieser Stelle deutlich herausgestellt werden, dass sich die vorliegende Forschungsarbeit an einer eigentlich ganz offensichtlichen Zentralperspektive orientiert  : dem Krieg. Es sei, so Sönke Neitzel, in den (vermeintlich) militärgeschichtlichen Spezialuntersuchungen der vergangenen Zeit ab 1969, das Wesentliche, »der Kampf und die militärische Operation«86 kaum berücksichtigt worden. Die Rückbesinnung auf den Krieg und die Untersuchung dessen als Handlungshorizont der Akteure, auf dem Schlachtfeld, auf dem Feldherrnhügel oder in der Heimat scheint als lohnende wissenschaftliche Aufarbeitung ohne Anwendungsabsicht geboten. Der Krieg bestimmt die diachrone Blickrichtung, das Interpretations- und Analyseschema, nach dem die Geschichte des sozialen Wandels im zeitlich und räumlich begrenzten Forschungsgegenstand, dem Großherzogtum Würzburg, untersucht wird. Dabei folgt die vorliegende Arbeit einer Definition moderner Militärgeschichte von Stig Förster  : »Der Krieg und die Kriegsvorbereitung sind somit das zentrale Thema der Militärgeschichte. Das impliziert nun nicht etwa eine Rückwendung auf die verengte Operationsgeschichte. Der Krieg ist nämlich ein viel gewaltigeres Phänomen als das Schlagen von ein paar Schlachten, umfasst er doch die Interaktion zwischen Politik, Militär, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Mentalitäten. […] Krieg als zentrales Thema der Militärgeschichte darf keinesfalls als Verengung auf die Geschichte der Kriege missverstanden werden. Krieg ist vielmehr der unterschwellige Fixpunkt auch bei der Beschäftigung mit der Problematik von Militär und Gesellschaft im Frieden. Wo dieser Gedanke Beachtung findet, handelt es sich tatsächlich um genuine Militärgeschichte im modernen Sinne«87.

Umso erforderlicher ist es daher, die darin zentralen Begriffe nun genau zu reflektieren, woraus sich dann der theoretische und methodische Zugang zum Untersuchungsgegen84 Vgl. Michael Sikora  : Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert. Berlin 1996. 85 Vgl. Nowosadtko, Krieg, S. 17. 86 Er schreibt außerdem  : »Zur Aufarbeitung dieser ›Praxis‹ erscheint die Kombination verschiedener historisch-kritischer Ansätze dringend notwendig zu sein. Dabei wäre neben der Kulturgeschichte auch die Politik-, Operations- und Technikgeschichte prominent zu berücksichtigen. Je nach Fragestellung und zu untersuchendem Zeitfenster wird man sich dabei eher der einen oder der anderen Methode bedienen müssen, ohne einer von vornherein eine Sonderstellung zu geben.« So in  : Neitzel, Militärgeschichte ohne Krieg, S. 289. 87 Förster, Vom Kriege, S. 266.

Die moderne Militärgeschichte und die Rückbesinnung auf Clausewitz 

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stand ableiten lässt88. Am Ende dieser Überlegungen soll deutlich (auch schematisch) gezeigt werden, wie und was erforscht wird. 1.4 Die moderne Militärgeschichte und die Rückbesinnung auf Clausewitz

Förster argumentierte in seinem Beitrag aus dem Jahr 2000 auf die Frage »Was ist Militärgeschichte  ?« als einer der ersten Historiker der modernen Militärgeschichte mit einer Rückbesinnung auf den für die historische Rezeption durchaus problematischen Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz (1780–1831). Die Modernisierung der Militärgeschichte sei so verstanden eine Reform im eigentlichen etymologischen Sinn des Wortes. Damit reihte sich Förster in eine lange Reihe der Historiografie nach 1945 ein, die das »Großwerk«89 Clausewitz’ reinterpretierte und rehabilitierte, welches zuvor im späten 19. Jahrhundert seitens militärischer Führer eher als Legitimationsschrift für kommende Kriege missverstanden wurde90. Hinsichtlich 88 In ihren einleitenden Worten des zum Standardwerk avancierten »Was ist Militärgeschichte  ?« fordern Thomas Kühne und Benjamin Ziemann explizit für die Militärgeschichte »eine intensive theoretische Reflexion seiner zentralen Begriffe.« Kühne u. a., Militärgeschichte, S. 35. 89 Panajotis Kondylis  : Theorie des Krieges. Clausewitz, Marx, Engels, Lenin. Stuttgart 1988, S. 9. Es sei an dieser Stelle besonders darauf hingewiesen, wie belastet der Umgang mit Clausewitz’ Kriegstheorem noch heute eigentlich ist. Nicht vergessen werden darf, wie nach langer Reihe von Fehlinterpretationen das nationalsozialistische Deutschland Clausewitz’ Theorien bis zur Unkenntlichkeit verkürzt, dann missverstanden, instrumentalisiert und damit missbraucht hat. Vgl. hierzu vor allem Peter Baldwin  : Clausewitz in Nazi Germany, in  : Journal of Contemporary History 16 (1981), S. 10–15. Die vorliegende Arbeit stellt sich in die Tradition von Panajotis Kondylis, der wie vor ihm Werner Hahlweg die theoretische Abstraktion und damit die Universalität von Clausewitz’ Kriegsbegriff herausarbeitete und als Analyseinstrument für das Phänomen Krieg nutzte – nicht als Taktikleitfaden zur praktischen Kriegsführung, worauf später noch dezidiert einzugehen sein wird. Die Aktualität der Clausewitzschen Theorie als methodologischer Ansatzpunkt neuer historischer Arbeiten betonte zuletzt auch Thomas Jäger/Rasmus Beckmann  : Carl von Clausewitz’ Theorie des Krieges, in  : Thomas Jäger/Rasmus Beckmann (Hg.)  : Handbuch Kriegstheorien. Wiesbaden 2012, S. 214–226, S. 214. 90 Clausewitz hätte als ›der große Warner‹ vor dem ›deutschen Sonderweg‹ durch die französische und angelsächsische Historiografie seine »Salonfähigkeit« zurückerhalten. So Kondylis, Theorie des Krieges, S. 10. Dadurch aber, dass gerade Ende des 19. Jahrhunderts viele Militärstrategen und »Kriegshandwerker«, wie Colmar Freiherr von der Goltz, Friedrich von Bernhardi und Hugo Freytag von Loringhoven ihre Schriften mit aus dem Kontext gerissenen Clausewitz Zitaten schmückten, ohne die Weiterentwicklungen innerhalb seiner Theorien zu berücksichtigen, konnte man fast jedes Argument damit abstützen, wie Kondylis postuliert. Da gerade ›Vom Kriege‹ eine unvollendete Zusammenfügung von zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstandenen Teilbüchern ist, finden sich in diesem Werk auch sich diametral widersprechende Behauptungen. Weiterführendes zur Rezeptionsgeschichte (und deren geschichtspolitischer Dimension) dieses Werkes, das meist nie ganz gelesen, sondern nur als Zitatensammlung gebraucht wurde, kann die vorliegende Arbeit nicht leisten, findet sich indes auf dem bis dato neuesten Forschungsstand bei Beatrice Heuser  : Clausewitz lesen  ! München 2005, S. 15–31  ; Es sei nicht bestritten, »dass die Rezeption von Clausewitz’ Hauptwerk »Vom Kriege« einen großen Beitrag zur zunehmenden Dominanz des Ver-

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einer Definition für moderne Militärgeschichte ist für Förster und für die vorliegende Forschungsarbeit bezüglich der Methoden und Perspektivenauswahl eine Stelle in Clausewitz’ hinterlassenen Werken besonders maßgeblich  : »Wer den Einfluß der allgemeinen und höheren Verhältnisse auf das Handeln der in der Entwicklung spezieller Akte begriffenen Personen nicht anerkennt, für etwas Zufälliges hält, der hat den Krieg schlechterdings nicht in seinem eigentlichen Leben aufgefaßt, und Dem würden wir durchaus kein Urtheil über die Entwicklung der in ihm wirkenden Kräfte einräumen«91.

Will man also die Kriege, welchen das Großherzogtum Würzburg zeit seines Bestehens ausgesetzt war, deren Vor- und Nachgeschichte und die Auswirkungen in ihrer Wesensart verstehen, so muss man, dieser Anweisung Clausewitz’ folgend, die ›Verhältnisse auf das Handeln’ der wirkenden Akteure untersuchen. Die Rückbesinnung auf Clausewitz kann daher also wie eine frühe Legitimation für einen Perspektiven-, Themen- und Methodenpluralismus innerhalb der Militärgeschichte gewertet werden92. Sie untersucht dabei den Krieg ›in seinem eigentlichen Leben‹ und ›die darin wirkenden Kräfte‹ als zentrale Fragestellung. Das sei das eigentlich revolutionär Neue, was die Militärhistoriografie erst nach 1945 erkannt habe, so Förster. Rainer Wohlfeil fasste prägnant zusammen, dass die Militärgeschichte nämlich das Militär ›nicht nur als Institution, sondern als Faktor des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und gesamten öffentlichen Lebens‹ untersuchen solle und was Stig Förster mit seiner oben zitierten Definition von moderner Militärgeschichte noch konkretisierte. Clausewitz’ Beschreibung der Napoleonischen Kriege, an denen er bekanntlich persönlich teilgenommen hat und die ihn und sein Gesamtwerk nachhaltig geprägt haben93, ist die empirische Grundlage für seine theoretischen Reflexionen über den Krieg und er begnügte sich keineswegs mit einer in dieser Zeit üblichen Analyse und heroisierender Nacherzählung von Schlachten und Feldzügen94. Er wollte vielmehr das »Wesen nichtungsgedankens geleistet hat […] und man wird Mühe haben, das Buch ganz von der Mitverantwortung für seine Wirkung freizusprechen«, so in  : Jan Philipp Reemtsma  : Die Idee des Vernichtungskrieges. Clausewitz-Ludendorff-Hitler, in  : Hannes Heer/Klaus Naumann (Hg.)  : Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht. Hamburg 1995, S. 377–401, S. 380. Zur komplexen Rezeptionsgeschichte innerhalb der europäischen Intellektualität, auch  : Hoeres, Peter  : Krieg der Philosophen. Die deutsche und die britische Philosophie im Ersten Weltkrieg. Paderborn 2014, S. 135. 91 Carl von Clausewitz  : Die Feldzüge von 1799 in Italien und der Schweiz. Berlin u. a. 1834, S. 336. 92 Vgl. dazu auch  : Sönke Neitzel  : Krise, Reformen – und Militär, in  : Jürgen Kloosterhuis/Sönke Neitzel (Hg.)  : Krise, Reformen – und Militär Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806. Berlin 2009, S. 7–13, S. 7f. 93 Näheres dazu auch bei Heuser, Clausewitz lesen, S. 2ff. 94 Vgl. Förster, Vom Kriege, S. 275. Jäger u. a., Carl von Clausewitz, S. 214.

Die moderne Militärgeschichte und die Rückbesinnung auf Clausewitz 

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des Ganzen«95, die Geschichte von Kriegen in ihren jeweiligen sozio-politischen Voraussetzungen darstellen und erklären. Das ist ein weitblickender und zukunftsträchtiger Ansatz, der in dieser Untersuchung zum Großherzogtum Würzburg das methodische Vorgehen, die thematische Eingrenzung und die Deutungsrichtung präjudiziert und deswegen hier einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Dabei darf es als vielversprechende Ausgangssituation gelten, dass ein Untersuchungsgegenstand auf Grundlage einer theoretischen Schrift bearbeitet werden kann, die zur gleichen Zeit entstanden ist und sich aus Erfahrungen, Diskursen und Mentalitäten aus eben dieser speist, in welcher auch der Untersuchungsgegenstand verortet ist. Es kann als großer Vorteil gelten, Erkenntnisse aus Clausewitz’ Theorie über den Krieg auf jene Kriege anwenden zu können, auf die er selbst in seinen Werken rekurrierte und welche auch, wie gesagt, die entscheidenden Faktoren für die Existenz des Großherzogtums Würzburg waren. Die Verwendbarkeit seiner handlungstheoretischen Begriffe, Definitionen und Fragestellungen auf den Untersuchungsgegenstand ist auch deshalb möglich, weil er mit seiner »philosophischen Reflexion über das Wesen des Krieges«96 einen wesentlich »höheren Grad der Abstraktion«97 als andere Kriegstheoretiker seiner Zeit erreichte98. Zweifelsohne beschränkt sich die vorliegende Forschungsarbeit aber nicht nur auf Denkweisen des frühen 19. Jahrhunderts, um dasselbe zu interpretieren. Dabei dürfen die jüngsten kriegstheoretischen Erkenntnisse nicht ausgeklammert bleiben, sondern müssen vielmehr integriert werden, wodurch ein Analyseinstrument für erkenntnisleitende Fragen an den Untersuchungsgegenstand im Folgenden generiert werden soll99. Um es an dieser Stelle ganz deutlich zu machen  : Der theoretische Rückgriff

95 So bereits in der Einleitung  : Carl von Clausewitz  : Vom Kriege. Berlin 1867, S. 3. 96 Heuser, Clausewitz lesen, S. 15. 97 Ebd., S. 12. 98 Auch Autoren wie Constantin von Lossau (1767–1833), Henri Baron de Jomini (1779–1869), oder auch Gerhard von Scharnhorst (1755–1813) reflektierten über ihre einschneidenden Erlebnisse in den Napoleonischen Kriegen. Genauso wie Erzherzog Carl (1771–1847), der wie Erzherzog Ferdinand, Bruder des Kaisers Franz II./I. war und der seine 1806 erschienenen »Grundsätze der höheren Kriegskunst« und die 1814 veröffentlichten »Grundsätze der Strategie« wie alle vorgenannten Kriegstheoretiker als Lehr- und Handbücher für Offiziere konzipierte. vgl. ebd., S. 10f. Das ist ein entscheidender Grund, sich vielmehr der Kriegstheorie Clausewitz zu bedienen, war er doch gleichzeitig General und Philosoph. Laut Christian Stadler sei es Clausewitz gelungen, als »die Inkarnation des zentralen Projekts des deutschen Idealismus, die Einheit von Theorie und Praxis zu denken«, »den Krieg von den Uniformen zu befreien und aus den geschlossenen Kasernen hinaus auf das politische Parkett zu führen.« So in  : Christian Stadler  : Krieg. Wien 2009, S. 74–76. Dies macht den Kriegstheoretiker für die vorliegende Forschungsarbeit zudem so attraktiv. 99 Bekanntlich wird erst durch erkenntnisleitende Fragen die Geschichte »objektbezogen […] zu einer historischen Kategorie, ohne Gegenstand bleibt sie metaphysische Größe.« So bei Koselleck, Über die Theoriebedürftigkeit, S. 13.

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auf Clausewitz soll zur Herausarbeitung der Untersuchungsperspektiven100, nicht als anwenderorientierte Rezeptsammlung für Militärpraktiker dienen101. Was also verstand Clausewitz unter ›Krieg‹  ? Die Definition von Krieg

Clausewitz sieht den Krieg abstrakt und im Ganzen, metaphorisch als »erweiterten Zweikampf«, bei dem »jeder sucht den anderen durch physische Gewalt zur ­Erfüllung seines Willens zu zwingen«102. Dies ist der »systematische Ausgangspunkt seiner Kriegs­ theorie«103. Die Quelle aller Kriegsgründe ist demgemäß »Hass und Feindschaft«, der »blinde Naturtrieb«104 des Menschen, über andere herrschen zu wollen, »sich in Gruppen zusammenzufassen und sich darin gegen andere abzugrenzen«105. Das sehen neueste kriegstheoretische Forschungen zur Frage, was die konstitutiven Merkmale von Krieg sind, genauso. Ein Forschungsprojekt der Universität Oxford mit dem Titel Oxford Programme on the Changing Character of war macht als bedeutendstes Merkmal den gewaltsamen Gebrauch von Macht als konstitutives Element von Krieg aus, das zudem auf Reziprozität gründe, in Clausewitz Worten ›jeder sucht den anderen … zu zwingen‹106. Clausewitz methodisches Vorgehen, seine Betrachtungsebene, bleibt dabei grundsätz­ lich supraindividuell  : Bestimmende Akteure in den Prozessen zur Kriegsentstehung und -führung sind im Clausewitz’schen Sinne »souveräne Gesellschaftsverbände«107. Allerdings gilt es auch den problematischen Terminus ›Staat‹ insofern zu vermeiden, da sich Clausewitz, weder als Staatstheoretiker noch als Politikwissenschaftler verstand und ihm eher an der Funktionsweise und Definition von Kriegen, denn an derer von Staaten gelegen 100 Damit versucht sie Clausewitz’ Forderung zu folgen  : »Die Theorie soll mit einem klaren Blick die Masse der Gegenstände beleuchten, damit der Verstand sich leichter in ihnen finde, sie soll das Unkraut ausreißen, welches der Irrtum überall hat hervorschießen lassen, sie soll die Verhältnisse der Dinge untereinander zeigen, das Wichtige von dem Unwichtigen sondern.« Clausewitz, Vom Kriege, S. 951. 101 Clausewitz selbst machte deutlich  : »Die Theorie soll eine Betrachtung und keine Lehre sein«, so in ebd., S. 290. 102 Ebd., S. 191f. 103 Kondylis, Theorie des Krieges, S. 13. 104 Clausewitz, Vom Kriege, S. 200. 105 Kai Lütsch  : Jeder Krieg ist anders – jeder Krieg ist gleich. Eine Analyse des Kriegsbegriffes bei Carl von Clausewitz. Potsdam 2009, S. 61. 106 Hew Strachan/Sibylle Scheipers  : Changing Character, in  : Dies. (Hg.)  : The changing character of war. Oxford u. a. 2011, S. 1–24, S. 6ff. 107 Kai Lütsch erweiterte damit den Begriff von Panajotis Kondylis des »gesellschaftlichen Verbandes« (Kondylis, Theorie des Krieges, S. 17), um damit eine treffendere Terminologie zu finden, die Clausewitz’ Argumentation von »Gebildeten«, also organisierten Gemeinwesen näherkommt, im Gegensatz zu »Ungebildeten«, d. h. stark vereinfacht Kriegerstämmen, bei denen Staat und Kriegsmacht eine Einheit sind. Vgl. Lütsch, Jeder Krieg, S. 39.

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war108. Volker Sellin griff vor nicht allzu langer Zeit diesbezüglich die Frage auf, ob nicht während der Sattelzeit überhaupt erst das Konstrukt ›Staat‹ durch die herrschenden und miteinander konkurrierenden Dynastien aktiv geschaffen wurde109. Das ist für die vorliegende Arbeit eine vielversprechende These, steht doch die Dynastie der Habsburg-Lothringer als Akteur im Zentrum, die ihren Machtanspruch nicht auf ein Territorium, einen ihrer ›Staaten‹ allein begründete110. Die Verwendung des auf der Grundlage von Panajotis Kondylis geprägten Begriffspaares von Kai Lütsch ›souveräner Gesellschaftsverband‹ schließt von Dynastien beherrschte Territorialkomplexe als Handlungseinheit mit ein. Jeder souveräne Gesellschaftsverband ringe laut Clausewitz’ Theorie als eine »Großpersönlichkeit, als bewusste, handelnde und in steter Reibung mit anderen ›Staaten‹ begriffene Individualität«111 ebenfalls darum, ›den anderen durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen‹. Fehle eine einheitliche Obergewalt, die Rechtsgrundsätze achten und wahren würde, käme es zwischen den souveränen Gesellschaftsverbänden zum gewalttätigen Konflikt, der erst mit der absoluten Unterwerfung und vollkommenen Vernichtung des Gegners beendet wäre. Diese Vorüberlegung – entstanden durch die Beobachtung der für die zeitgenössischen Verhältnisse absoluten und unbeschränkten Kriegsführung Napoleons – wandelte Clausewitz in den 1820er Jahren allerdings entschieden ab112. Er erkannte, dass der absolute Krieg nur ein »idealer«113, damit ein irrealer Krieg sein könne114. Lediglich in solchem Krieg wären beide Parteien gezwungen, geleitet von nur einem Interesse, unter Einsatz des Maximalen ihrer Kräfte, mit absoluter Effizienz und Rücksichtslosigkeit in einem Hauptschlag, geführt mit größtmöglicher Härte, die komplette Vernichtung der gegnerischen Streitmacht herbeizuführen115. Damit beschreibt er einen Idealtyp, dem sich der ›reale‹ Krieg bloß annähern könne, was während der Napoleonischen Kriege im Rahmen der erwähnten 108 Ebd. 109 »Die Entstehung von zusammengesetzten Staaten als Folge dynastischer Politik zeigt, dass nicht die Dynastien aus den Staaten hervorgingen, sondern dass umgekehrt die Dynastien sich ihre Staaten schufen.« So  : Volker Sellin  : Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen. München 2011, S. 44. 110 Vor der französischen Revolution, so Volker Sellin, kämpften nicht Staaten miteinander, verhandelten nicht Staaten den Frieden, sondern regierende Häuser. Erst allmählich trat die Konstruktion des ›Staates‹ als Akteur in Erscheinung  : 1804 wurde ›Österreich‹ mit »Erfindung des österreichischen Kaisertums« zum Staatsnamen, noch 1794 proklamierten die Hohenzollern ihr »Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten«, nicht ein Landrecht für Preußen. Vgl. ebd., S. 45f. 111 Hans Rothfels  : Carl von Clausewitz. Politik und Krieg  ; eine ideengeschichtliche Studie. Bonn 1980, S. 103. 112 Näheres zu diesem Erkenntnisprozess bei Heuser, Clausewitz lesen, 38ff. 113 Clausewitz, Vom Kriege, S. 199. 114 Vgl. Kondylis, Theorie des Krieges, S. 12–27. 115 Vgl. Lütsch, Jeder Krieg, S. 91.

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Totalisierungstendenzen bereits in erheblichem Ausmaß geschehen sei. In der »Wirklichkeit« entbrenne kein Krieg nur durch »eine einzige Entscheidung«116, auf Grundlage eines einzigen ›Willens‹. Genauso wenig ist in der Realität »Krieg ein isolierter Akt, […] der urplötzlich [entstehe] und nicht mit dem früheren Staatsleben [zusammenhänge]«, sondern es sei laut Clausewitz vielmehr so, dass dem ›realen‹ Krieg jene verschiedenen Variablen hinzukommen, die eingangs schon genannt wurden  : der ›Einfluß der allgemeinen und höheren Verhältnisse auf das Handeln der in der Entwicklung spezieller Akte begriffenen Personen‹. Anders gewendet sei es so, »dass der Krieg nur ein Teil des politischen Verkehrs [ist], also durchaus nichts Selbstständiges«117. Dadurch zeige sich zudem »wie verschieden die Kriege nach der Natur ihrer Motive und der Verhältnisse, aus denen sie hervor gehen, sein müssen«118. Jeder der einzelnen Bedingungsfaktoren, also ›die darin wirkenden Kräfte‹, müsse daher freigelegt werden, um ein Gesamtbild des Krieges zeigen zu können. Das versucht die vorliegende Arbeit am Beispiel des Großherzogtums Würzburg. Als wichtigsten Bedingungsfaktor sieht Clausewitz die Politik. Die Politik sei Repräsentant »aller Interessen der ganzen Gesellschaft. [Sie] ist die Intelligenz, der Krieg aber bloß das Instrument«119. In dieser Denkungsart ist auch sein oft zitierter (und genauso oft falsch verstandener) Brief an Major v. Roeder vom 22. Dezember 1827 zu interpretieren, in dem der Krieg »als die Fortsetzung der politischen Bestrebungen mit veränderten Mitteln«120 erklärt wird. Alle Erkenntnis gründet sich daher, heute wie damals, auf das hermeneutische Verständnis von Clauswitz’ Politikbegriff121. Nicht nur die Kriegsdenker vor dem Ersten Weltkrieg, allen voran Helmuth von Moltke, interpretierten Clausewitz’ Aussagen insofern, dass der Krieg ein machtstaatliches Erfordernis sei. Zur Konfliktlösung sei nur das Militär und nicht die Politik im Stande. Politik wurde in den 1920er und 30er Jahren so interpretiert, dass sie die den »Lebensinteressen der Nation dienende[n] Ziele mit Beharrlichkeit [verfolgen] und von vorneherein damit [rechnen müsse], zu deren Erreichung zum Schwerte greifen zu müssen, wenn das auf anderen Wegen nicht möglich ist«122. Damit wurde fälschlicherweise 116 Clausewitz, Vom Kriege, S. 196. 117 Ebd., S. 990. 118 Ebd., S. 212. 119 Ebd., S. 993. 120 Ebd., S. 1119 f. 121 »Auf Clausewitz […] kann sich keine Partei logisch einwandfrei berufen – eine bellizistische nicht und auch keine pazifistische, eine zivil-liberale ebenso wenig wie eine nationalistische oder militaristische. […] Er hat […] weder die Abschaffung der Kriege empfohlen oder ins Auge gefasst, noch den Ratschlag erteilt, bei erster Gelegenheit Krieg zu suchen und zu führen«, so Kondylis, Theorie des Krieges, S. 9. 122 Colmar v. d. Goltz  : Das Volk in Waffen. Ein Buch über Heerwesen und Kriegführung unserer Zeit. Berlin 1925, S. 167.

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der Krieg als eigentlich politisches Instrument zur politischen Bedingung erklärt und ein Dualismus von Militär und Politik herbeigeredet123. Dies war allerdings eine »fatale Abweichung von Clausewitz’ Lehre über den Primat der Politik«124. Clausewitz war vielmehr der Meinung, ein Krieg gehe »immer von einem politischen Zustande«, nur von einem »politische[n] Motiv« aus, und wird »nur durch den politischen Verkehr der Regierungen und Völker hervorgerufen«125 – also durch spezifische Situation, beabsichtigten Zweck und aktiven Prozess. Das müssen die Grundkoordinaten einer militärgeschichtlichen Untersuchung sein und auch die vorliegende Arbeit richtet sich nach dieser Maßgabe126. Denn so verstanden ist der Krieg Fortsetzung und Produkt der Politik, nicht eine beliebig lange bzw. kurze Pause in diesem »politischen Verkehr«127. Ein souveräner Gesellschaftsverband bediene sich des Krieges – damit des Militärs – und zudem (oftmals auch gleichzeitig) der Politik zur Durchsetzung und damit ›zur Erfüllung seines Willens‹ gegenüber anderen Gesellschaftsverbänden nach außen128. Die Politik ist auch während eines Krieges immer Sprachrohr zur Erreichung des ›politischen Zwecks‹, sie endet nicht einfach129. Der Krieg indes ist dabei nur ein anderes, ein ›fortsetzendes‹ Kommunikationsmittel. Das unterstreicht auch das eben zitierte Kriegsforschungsprojekt aus Oxford, wonach es im Krieg auch Phasen ohne aktives Gewalthandeln gebe. Der Kalte Krieg sei 123 Vgl. Echternkamp, Krieg, S. 17  ; und Mergel, Politikbegriffe, S.144f. Mergel arbeitet heraus, dass laut Clausewitz eigentlich das Militär der Politik dienstbar sein sollte. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gefiel es sich in dieser Rolle allerdings nicht, sondern strebte selbst erfolgreich nach der Herrschaft, was zur Niederlage im Ersten Weltkrieg führte. Noch bei Gerhard Ritter in den 1960er Jahren findet sich diese Denkungsart auch hinsichtlich des Zweiten Weltkriegs  : Gerhard Ritter  : Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des »Militarismus« in Deutschland. München 1964. 124 Förster, Vom Kriege, S. 267. 125 An anderer Stelle liest man  : »Das Unterordnen des politischen Gesichtspunktes unter den militärischen wäre widersinnig, denn die Politik hat den Krieg erzeugt  ; sie ist die Intelligenz, der Krieg aber bloß ein Instrument, nicht umgekehrt«, so in  : Clausewitz, Vom Kriege, S. 993. Besonders dieser Auszug verdeutlicht die krasse Fehlinterpretation im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. 126 In diesem Sinne argumentiert auch Günther Kronenbitter  : »Methodenbewusster und durch einen kontrollierten Eklektizismus flexibler, bietet eine politikgeschichtlich arbeitende Militärhistoriografie heute die Chance, dem gesellschaftlichen und zunehmend auch wissenschaftsinternen Bedürfnis nach einer umfassenden Aufarbeitung von Entscheidungsprozessen, Macht und Gewalt Rechnung zu tragen«, so in  : Gerd Kronenbitter  : Militär und Politik – Anmerkungen zur Militärgeschichte zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg, in  : Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hg.)  : Geschichte der Politik. Alte und neue Wege. München 2007, S. 271–286, S. 285. 127 Vgl. Kondylis, Theorie des Krieges, S. 31. 128 Die festgestellte Konvergenz von Militär und Politik widerspricht der schon benannten historiografischen Tradition eines angeblichen Dualismus von Militär und Politik diametral. Vgl. Pröve, Militär, S. 87 129 »Wobei gleichzeitig gegen jene polemisiert wird, die einen Wesensunterschied zwischen Krieg und Politik annehmen und meinen, mit dem Krieg trete ein ganz anderer, anderen Gesetzen unterworfener Zustand ein.« So in Kondylis, Theorie des Krieges, S. 31.

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dafür bestes Beispiel. Krieg sei es allerdings dennoch, weil sich die Dauer und Intensität des Konfliktes maßgeblich beispielsweise von einem kurzen Aufflackern eines Grenzkonfliktes unterscheide130. Als letztes konstitutives Merkmal von ›Krieg‹ machen Hew Strechan und Sibylle Scheipers eine »absichtsvolle Gewaltanwendung«131 aus, im Gegensatz zur Kriegsführung zum Selbstzweck. Wenn das Kriegsziel in Clausewitz’ Theorem vom ›idealen Krieg‹ noch die absolute Wehrlosmachung des Gegners war, so wird seiner Ansicht nach im ›realen Krieg‹, wo »die beiden Gegner nicht mehr bloße Begriffe, sondern individuelle Staaten und Regierungen sind«132, das Ziel entsprechend dem politischen Zweck gewählt133. In einem fiktiven Beispiel, einem »Reagenzglaskrieg«134 zur Verdeutlichung, wäre es demnach so, dass A den Erhalt des reichen, aber B-ländischen Territoriums E beansprucht. Weil aber alle diplomatischen Bemühungen, alle Gewaltandrohungen nichts nützen und die Krone B Territorium E weiterhin nicht herausgeben will, sieht A Krieg als fortsetzendes Mittel im ›politischen Verkehr‹ an. Der ›politische Zweck‹ wäre in diesem Fall aus Sicht A’s der Erhalt E’s, Kriegsziel die militärische Eroberung E’s. Rational dürften die Verteidigungsanstrengungen nur so groß sein wie es dem Wert E’s für B entspräche. Die militärischen Mittel würden von beiden Seiten dem Zweck entsprechend eingesetzt. Clausewitz macht aber deutlich, dass der ›politische Zweck des Krieges‹ als solcher nicht rational sei, denn hinzu trete eine emotionale Dimension – Hass und Feindschaft als ›blinder Naturtrieb‹. Würde also, um im fiktiven Beispiel zu bleiben, B irrational stark, d. h. mit einer großen Masse militärischer Mittel E verteidigen und A, aus Hass und Feindschaft genauso angetrieben, versuchen die gegnerische Streitmacht und die danach erneut ins Feld gestellte und noch eine usw. zu vernichten, würde dieser Krieg dem totalen, dem ›idealen Krieg‹ sehr nahekommen. Das Kriegsziel wäre aus der Sicht A’s die gänzliche Vernichtung aller Streitkräfte B’s ausgehend vom politischen Zweck des Krieges  : dem Erhalt E’s. So richtet sich der ›politische Zweck des Krieges‹ nach Clausewitz nach drei Dimensionen, nämlich die inhaltliche Substanz (Erhalt E’s), die rationale Abwägung der Mittel zur Erreichung des Ziels (wie viele militärische Mittel) und die emotionale Dimension  : das ›feindselige Gefühl‹, der ›blinde Naturtrieb‹ auf beiden Seiten. Zusammenfassend erkennt Clausewitz den universellen Kriegsbegriff von einer 130 Vgl. Strachan u. a., Changing Character, S. 7  ; sowie Echternkamp, Krieg, S. 11. 131 Vgl. Strachan u. a., Changing Character, S. 7. 132 Clausewitz, Vom Kriege, S. 199f. 133 Vgl. Jäger u. a., Carl von Clausewitz, S. 218. 134 Rasmus Beckmann  : Clausewitz trifft Luhmann. Eine systemtheoretische Interpretation von Clausewitz’ Handlungstheorie. Wiesbaden 2011, S. 88.

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»wunderlichen Dreifaltigkeit«135 bestimmt, deren Wirkkräfte bereits in eben erläuterter Analyse zum ›politischen Zweck des Krieges‹ aufscheinen  : »Der Krieg ist also nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach, in Beziehung auf die in ihm herrschenden Tendenzen eine wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elements, dem Hass und der Feindschaft, die wie der blinde Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeuges, wodurch er dem bloßen Verstande anheimfällt.«136

Der Hass, die Angst, der Stolz, die Feindseligkeit, die Ehre – dies alles fasst Clausewitz mit dem Begriff ›blinder Naturtrieb‹ zusammen. Hinzu komme eine weitere Dimension, die sich als ›Wille zum Risiko‹, als Mut – verstanden als die freiwillige Inkaufnahme eines unbekannten Ausgangs einer Handlung – am besten fassen ließe und Clausewitz mit ›freier Seelentätigkeit‹ begrifflich zu erfassen sucht. Mut, sich der zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume auch bei unkalkulierbaren Ergebnissen zu bedienen, spielt auch im ›politischen Verkehr‹ eine entscheidende Rolle. Dem entgegengesetzt sieht Clausewitz Krieg als politisches Instrument aber eben auch rational und der ›politische Zweck‹ dient dem Krieg als objektiver Grund. Die Mittel zur Erreichung des Zwecks und des Ziels können im ›politischen Verkehr‹ ziviler Art sein, wie Verträge, Konventionen und diplomatische Bemühungen, oder militärischer Art, wobei sich ein Gesellschaftsverband dabei für alle Formen des wirklichen Krieges entscheiden kann, »von dem Vernichtungskrieg hinab bis zur bloßen bewaffneten Beobachtung«137. Kurz  : Die Kriegsziele sanktionieren die aufzuwendenden Mittel. Der Zweck bestimmt das Ziel138.

135 Clausewitz, Vom Kriege, S. 213. 136 Ebd., S. 212f. 137 Ebd., S. 201. Vgl. Kondylis, Theorie des Krieges, S. 31. 138 Dazu Clausewitz  : »Man fängt keinen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in demselben erreichen will, das erste ist der Zweck, das andere das Ziel. Durch diesen Hauptgedanken werden alle Richtungen gegeben, der Umfang der Mittel, das Maß der Energie bestimmt und er äußert seinen Einfluss bis in die kleinsten Glieder der Handlungen hinab.« Clausewitz, Vom Kriege, S. 952.

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Der ›politische Verkehr‹

Der ›politische Verkehr der Regierungen und Völker‹ kommuniziere den Zweck mit zivilen und/oder militärischen Mitteln nach außen, so Clausewitz. Nach innen, also innerhalb eines Gesellschaftsverbandes wirke er insofern, dass dort dieser Wille zunächst kommuniziert und dann die Mitglieder für den Kampf zur Durchsetzung dieses Willens nach außen gewonnen werden müssen. Denn keineswegs darf in Clausewitz’ Theorem davon ausgegangen werden, diese Willens- oder Zweckbildung käme auf pluralistischem oder gar demokratischem Wege zustande – das entsprach nicht dem monarchistischen Staatsverständnis seiner Zeit. Er sah »keine Selbstbestimmung des Volkes, sondern nur eine Selbstbestimmung des Staates, dem sich das Volk rigoros unterzuordnen hatte«139. Wie gesagt, Clausewitz’ Theorie ist supraindividuell angelegt und er äußert sich nicht zu den sozialen Bedingtheiten des Krieges. Clausewitz fragt nicht, warum und wofür ein Soldat kämpft. Nach Clausewitz bestimme das Handeln des einzelnen Soldaten im Krieg nur der ›blinde Naturtrieb‹ – Angst, Hass, Stolz etc. Die Masse der Soldaten speise sich aus dem einem Staat untergeordneten ›Volk‹. Dem Volk erkennt Clausewitz bei der eben gezeigten dreidimensionalen Bedingtheit seines universalen Kriegsbegriffs die Komponente des ›blinden Naturtriebs‹ zu, die »politischen Zwecke aber gehören der Regierung allein an«140. Für Clausewitz fasse »die zu einem politischen Zweck verdichtete Politik«141 alle Interessen eines Gesellschaftsverbandes gegenüber anderen Gesellschaftsverbänden zusammen. Handlungsträger seien dabei demnach Fürsten und deren Regierungen, was der historischen Realität im Europa seiner Zeit entspricht. Es lässt sich jedoch auch am Beispiel des Großherzogtums Würzburg zeigen, dass es falsch verstanden wäre, darin alleine einen Prozess »von oben nach unten«142 zu sehen. Im Staatsrat, der ranghöchsten Regierungsbehörde des Großherzogtums Würzburg wurden Entscheidungen zur Begriffstrias Zweck-Ziel-Mittel auch ›von unten nach oben‹ vorbereitet, diskutiert, und exekutiert. Der Staatsrat war nicht nur ein Erzherzog Ferdinand beratendes Gremium führender Staatsbeamter, sondern übte dirigierende, also anweisende Funktion auf praktisch alle Bereiche der Staatsverwaltung aus und konnte diese Machtposition auch gegen den fürstlichen Willen behaupten143. Vielfach gab der 139 Lütsch, Jeder Krieg, S. 53. 140 Clausewitz, Vom Kriege, S. 213. 141 Kondylis, Theorie des Krieges, S. 31. 142 Jost Dülffer  : Militärgeschichte und politische Geschichte, in  : Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.)  : Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 127–139, S. 130. Zum Ganzen  : S. 130–134. 143 Dem Geheimen Staatsrat war »die oberste Leitung aller Geschäfte des Großherzogthums anvertraut.« So in  : GhzRegBl, 1814, X. Stk., S. 37. Nicht erst Erzherzog Ferdinand schuf diese höchste Behörde.

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Staatsrat dabei auch die Themen aus der Lebenswirklichkeit der Bevölkerung vor. Dieser Reziprozität zwischen Herrscher und Beherrschten hinsichtlich des ›politischen Zwecks‹ war sich Clausewitz auch durchaus bewusst, wenn er schreibt  : »Ein und derselbe politische Zweck kann bei verschiedenen Völkern, oder selbst bei ein und demselben Volk zu verschiedenen Zeiten ganz verschiedene Wirkungen hervorbringen. Wir können also den politischen Zweck nur so als das Maß gelten lassen, indem wir uns ihn in Einwirkungen auf die Massen denken, die er bewegen soll, so dass die Natur dieser Massen in Betrachtung kommt. Dass dadurch das Resultat ein ganz anderes werden kann je nachdem sich in den Massen Verstärkungs- oder Schwächungsprinzipe für die Handlung finden ist leicht einzusehen.«144

Der breiten ›Masse‹ der Bevölkerung im Großherzogtum Würzburg blieben, so wird sich zeigen lassen, im Weltkrieg der Sattelzeit allerdings nur passive Einflussmöglichkeiten auf die Genese des ›politischen Zwecks‹. Noch waren es allerdings nicht die Massen, die das Politische bestimmten, wie später im 20. Jahrhundert maßgeblich. Noch war die Masse nicht »zur Nation geschmiedet«145 – trotz der bereits zeitgenössisch vorkommenden Terminologie einer »fränkischen Nation«146. Die leisen Anfänge dieser Veränderung hin zur Reziprozität lassen sich aber am Untersuchungsgegenstand herausarbeiten, da der ›politische Zweck‹ überhaupt vom Fürsten und/oder Staatsrat ›nach unten‹ vermittelt werden musste. Auch für die Entscheidungsprozesse im Inneren ließe sich daher Clausewitz’ Begriff des ›politischen Verkehrs‹ anwenden. Wenn der ›politische Verkehr der Regierungen und Völker‹ eine kommunikative Funktion nach außen u. a. durch Diplomatie147, Sie hat ihre Ursprünge bereits in der Verwaltungsgliederung des Hochstifts (geheime Kanzlei/geheimes Kabinett) und der durch Bayern geschaffenen Nachfolgebehörden, dem General-Landeskommissariat. Auf mittlerer Verwaltungsebene überdauerte die 1803 geschaffene Landesdirektion nur mit leichten Modifikationen alle staatsrechtlichen Umbrüche. Vgl. Findmittelband StAWü, Großherzogtum Würzburg, Geheimer Staatsrat, Vorbemerkungen von Jens Martin, 2016.. 144 Clausewitz, Vom Kriege, I.1.11. 145 Stadler, Krieg, S. 85. 146 Franz Oberthür  : Über öffentliche Denkmale. Elberfeld 1817, S. 226. 147 Ohne an dieser Stelle ins Detail gehen zu können, so ist doch bemerkenswert, dass gerade dieses Regierungshandeln, was wir heute so selbstverständlich Diplomatie nennen, nicht nur begrifflich erst ein Kind des 19. Jahrhunderts ist. Johannes Paulmann legt in einem Beitrag aus dem Jahr 2012 eindrucksvoll offen, dass man eigentlich erst mit dem Ende des Ancien Régimes die Kunst der gesandtschaftlichen Verhandlung vom Monarchen ent- und an die öffentliche Meinung rückkoppelte. Damit wandelte sich der Charakter der Diplomatie drastisch. Nicht mehr »Ränke und Zwist«, sondern öffentliche Kommunikation (später nach völkerrechtlichen Grundsätzen orientiert) sollte zwischenstaatliche Arrangements künftig ausmachen. Vgl. Johannes Paulmann  : Diplomatie, in  : Jost Dülffer/Wilfried Loth (Hg.)  : Dimen-

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Bündnisse und Konventionen ausübt, so tut er dies offensichtlich nach innen durch Gesetze, Verordnungen, Dekrete und Kabinettsbeschlüsse usw. Auch diese müssen erst vermittelt und umgesetzt werden. Wie ein Gesellschaftsverband seine Glieder für den Kampf motiviert, ist bedingt durch dessen innere Verfasstheit. Dabei reichen die Mittel von durch Propaganda vorbereiteter Heroisierung und/oder Ideologisierung des Krieges bis hin zum körperlichen Zwang mit schweren Strafen bei Desertion. Die ›politischen Motive‹, den ›politischen Zweck‹ eines Krieges erreicht der ›politische Verkehr‹ also mit den Mitteln der Kommunikation – in Clausewitz’ Worten mit »Schrift und Sprache«148. Politik ist damit etwas Stattfindendes, etwas Prozessuales, etwas Kommunikatives. Clausewitz’ Formulierung des ›politischen Verkehrs‹ drückt genau das – wenn vielleicht auch unabsichtlich – bereits implizit aus149. Wenn hier also ein politischer Zugang zur Militärgeschichte gewählt wird, dient dies zur Klärung »realer Entwicklungen, ihrer Genesis und ihrer Folgen«150 im Krieg und wenn dabei besonders die Entscheidungsprozesse untersucht werden sollen, beschränkt sich eine Untersuchung nicht nur auf die nach Reinhart Koselleck zu vermeidende »Finalkausalität«151. Vielmehr erwägt sie hypothetisch auch die lediglich Entwurf gebliebenen und nicht durchgesetzten Handlungsalternativen verschiedenster Art. Dieses Prozessuale der Politik hervorhebend versteht der Soziologe Niklas Luhmann insofern Politik auch »als die Herstellung bindender Entscheidungen«152. Dieser Herstellungsprozess ist bei genauer Betrachtung nichts anderes als dieser ›politische Verkehr‹, sowohl im Inneren als auch nach außen. Der Begriff ›Herstellung‹ alleine bezeugt bereits »den Prozess der kommunikativen Fabrikation von Politik«153. Zu untersuchen

sionen internationaler Geschichte. München 2012, S. 47–65, S. 50f. Auch dieser Bedeutungswandel, was eigentlich Diplomatie ist, lässt sich bei der vorliegenden Forschungsarbeit erfahren. Erzherzog Ferdinand bediente sich noch seiner sog. Geschäftsträger, seiner Plenipotenzarios, um während des Krieges das zu treiben, was wir heute Diplomatie nennen. Geldgeschenke und Intrigen waren, wie im Folgenden zu sehen sein wird, elementarer Bestandteil zwischenstaatlicher Kommunikation. Am Ende des Weltkrieges und dieses Transformationsprozesses von Diplomatie entwickelte sich vor allem durch die Kongressdiplomatie des frühen 19. Jahrhunderts eine Art europäischer Gemeinsinn zwischen den Staaten. 148 Clausewitz, Vom Kriege, S. 991. 149 Deutlich tritt dieser prozessuale Impetus auch in der Formulierung von Clausewitz’ berühmt-berüchtigter Kriegsdefinition in seinem Werk »Vom Kriege« hervor  : »So sehen wir also, dass der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln.« ebd., S. 210. 150 Dülffer, Militärgeschichte, S. 139. 151 Koselleck, Über die Theoriebedürftigkeit, S. 22. 152 Niklas Luhmann  : Legitimation durch Verfahren. Neuwied am Rhein u. a. 1969, S. 29 ff. 153 Was laut Thomas Mergel »eine Dimension [ist], die in der Militärgeschichte noch so gut wie gar nicht zu Kenntnis genommen« wurde. So in  : Mergel, Politikbegriffe, S. 152f.

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Abb. 1: Clausewitz’ Kriegstheorie als Analyseinstrument: Krieg geht »immer von einem politischen Zustande« – Politik als »Repräsentant der Interessen aller« – nur von einem »politische[n] Zweck« aus und wird »nur durch den politischen Verkehr der Regierungen und Völker hervorgerufen« (aus: Clausewitz, Vom Kriege).

  ist daher der Prozess anhand von Kommunikationswegen handelnder Akteure und anhand der die Kommunikation determinierenden Strukturen und Umstände154. So ist Politik »zunächst und vor allem Verständigungshandeln, das auf der Basis von Erwartungen nach Erreichbarkeit und Vermittelbarkeit fragt«155. Beides bezieht sich auf die innere und äußere Ordnung, denn die sich ›zum politischen Zweck verdichtete Politik‹ wird durch jene schon vorher angesprochene Umsetzbarkeit ›nach unten‹ begrenzt. Erst dadurch entstehen Handlungsspielräume und die leitende Frage nach der 154 Andreas Hillgruber stellte bekanntlich 1972 die Weichen hin zu einer modernen Politischen Geschichte, ohne eine »Rückkehr zu den Männern, die Geschichte machen.« Er betonte vielmehr die relative Autonomie im politischem Handeln gegenüber strukturellen Zwängen. Somit gehe es – und die vorliegende Forschungsarbeit versucht im Rahmen einer Militärgeschichte das Gleiche – um »die Geschichte der praktizierten Politik« also um eine »auf die Staaten und ihre Beziehungen untereinander gerichtete Forschung«, wie es Jost Dülffer prägnant forderte. Er schreibt in seinem für diese Arbeit wichtigen Beitrag über die Kohäsion von ›Militärgeschichte und politische Geschichte‹  : »Politische Geschichte kann Innen- wie Außenpolitik umfassen. ›Politisch‹ ist sie deshalb, weil sie das Moment der Entscheidungen gegenüber der Vorstellung vom Prozesscharakter der Geschichte betont.« So in  : Dülffer, Militärgeschichte, S. 130f. Die vorliegende Arbeit versucht wie an anderer Stelle gefordert, »nach Herrschaftsstrukturen und nach den Funktionen von Entscheidungen« zu fragen, so bei  : Thomas Mergel  : Politikbegriffe in der Militärgeschichte. Einige Beobachtungen und ein Vorschlag, In  : ebd.: Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 141–156, S. 147. 155 Ebd., S. 154.

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»Realität von Politik im Krieg«156 wird durch die Analyse dieser beantwortet. Es wird versucht werden, wie Peter Hoeres fordert, mithilfe einer »zirkulären Operation […] in der Theorie und Empirie sich gegenseitig stützen«157, herauszuarbeiten, wer am Main »[d]ie kollektiv bindende Entscheidung über die Gewalt [traf ] mithin also die Entscheidung über Krieg und Frieden«158. So kann »Militärgeschichte als Geschichte politischen Entscheidungshandelns«159 geschrieben werden, wie es auch die vorliegende Arbeit zu unternehmen versucht. Die Determinanten im Herstellungsprozess liegen dabei klar auf der Hand und finden sich in dieser modernen Lesart bereits in Clausewitz’ oben erwähnter Definition. Zur Wiederholung  : »Wer den Einfluß der allgemeinen und höheren Verhältnisse auf das Handeln der in der Entwicklung spezieller Akte begriffenen Personen nicht anerkennt, für etwas Zufälliges hält, Der hat den Krieg schlechterdings nicht in seinem eigentlichen Leben aufgefaßt«160.

Zerlegt man diese Formel, lassen sich drei Teilaspekte als Determinanten des ›politischen Verkehrs‹ herausfiltern  : Zum einen ›der Einfluss der allgemeinen und höheren Verhältnisse‹, dann ›auf das Handeln der in der Entwicklung spezieller Akte‹ und die darin ›begriffenen Personen‹. Situation, Prozess und Akteure – diese drei Variablen bestimmen die Kommunikation innerhalb der Herstellungsprozesse von Politik im Luhmannschen, den ›politischen Verkehr‹ im Clausewitz’schen Sinn. Sie werden am Beispiel des Großherzogtums im Weltkrieg der Sattelzeit herausgearbeitet161. Zusammenfassend lassen sich diese theoretischen Vorüberlegungen schematisch darstellen  : 156 Ebd., S. 153. 157 Hoeres, Das Militär, S. 351. 158 Ebd., S. 332. 159 Kronenbitter, Militär und Politik, S. 281. 160 Clausewitz, Die Feldzüge, S. 336. 161 Stig Förster spricht sich genau dafür aus, die Militärgeschichte um diese Perspektiven zu erweitern  : »Wenn Krieg erstens niemals ein eigenständiges Ding, sondern immer nur ein politisches Mittel ist, also aus der Politik hervorgeht, und zweitens die Natur der verschiedenartigen Kriege immer der Natur der Verhältnisse entspricht, die sie hervorgebracht haben und prägen, dann ist eine Analyse eben dieser Verhältnisse für das Verständnis der Kriegsgeschichte konstitutiv. Das heißt im Klartext, um es modern zu formulieren, dass Kriegsgeschichte immer Gesellschaftsgeschichte sein muss.« Förster, Vom Kriege, S. 273. Damit ist auch eine so verstandene Militärgeschichte einer Internationalen Geschichte eng benachbart. Auch sie fragt genauso wie die Internationale Geschichte nach »Genese und Beschaffenheit von Beziehungen, Begegnungen und Bewegungen zwischen Menschen und Staaten vor dem Hintergrund der Sehnsucht nach Dominanz«, wie es Jessica C. E. Gienow-Hecht 2012 treffend zusammenfasste. (Jessica C. E. Gienow-Hecht  : Nation Branding, in  : Jost Dülffer/Wilfried Loth (Hg.)  : Dimensionen internationaler Geschichte. München 2012, S. 65–84, S. 65). So wie »Staaten und Machtbeziehungen […] also aus der Internationalen Geschichte nicht eskamotiert werden [können] und auch die zwischenstaatlichen Beziehungen selbst […] weiterhin einen wichtigen und lohnenswerten Gegenstand der Forschung« bilden

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Die vorliegende Forschungsarbeit über das Großherzogtum Würzburg verpflichtet sich dem methodischen Bezugsrahmen einer modernen Militärgeschichte. Dafür will sie die herausgearbeiteten Bedingungsfaktoren untersuchen, was nach Clausewitz’ Handlungstheorie Krieg ist. Durch die Beforschung der Akteure, der Situation und der Prozesse im Weltkrieg der Sattelzeit ist damit bereits eine Gliederung vorgegeben. Nach Beschreibung des Handlungshorizonts, innerhalb dessen ein Akteur agiert, folgt die Beschreibung des Prozesses, in dem er handelt. Der Prozess entspricht ›politischem Verkehr’. Es soll untersucht werden, wie ein Akteur darin zu welchem Zweck, mit welchen Mitteln und bei welchem Ziel handelt. Die Herstellungsprozesse dieses Handelns (= Politik) orientieren sich an Machbarkeit und Vermittelbarkeit dieser jedem Gesellschaftsverband eigenen Interessen. Das gilt naturgemäß nach innen – innerhalb eines Gesellschaftsverbands – genauso wie nach außen. Ob die Interessen vermittelbar und machbar sind, diese beiden Dimensionen müssen also in einer Kriegsanalyse berücksichtigt werden. Die Interessen sowie Machbarkeit und Vermittelbarkeit als deren Determinanten im ›politischen Verkehr‹ gilt es daher auch gesondert zu untersuchen. Im Folgenden sollen diese theoretischen Variablen mit Inhalten aus dem Forschungsgegenstand befüllt werden. 1.5 Die Kriegstheorie Clausewitz’ als Analyseinstrument – die Thesen

Die aus Clausewitz’ Kriegstheorem soeben herausgearbeiteten Variablen, die Situation, die Prozesse und die Akteure, strukturieren die vorliegende Forschungsarbeit maßgeblich. Für eine vertikale Struktur innerhalb der Untersuchung sorgt die jeweilige chronologische Beschreibung der Situation, der ›allgemeinen und höheren Verhältnisse‹, die den Handlungshorizont für die Akteure im Krieg konstituieren, woran sich eine Analyse der Prozesse anschließt, die das Handeln der Akteure in ihren Möglichkeiten und ›Entwicklungen‹ fokussiert. Nimmt also diese Untersuchung die den Akteuren zur Verfügung stehenden Chancen in den Blick, indem sie die Handlungsspielräume mithilfe von Hypothesen auslotet, vermeidet sie ein »Schema kausaler Addition und erzählender Beliebigkeit«162. Will man eine der leitenden Forschungsfragen beantworten, wie Politik im Weltkrieg der Sattelzeit ›gemacht‹ wurde und soll eine Militärgeschichte als Geschichte des politikönnen, wie es auch Peter Hoeres fordert, so gilt das Gleiche für die Militärgeschichte, deren Hauptfokus allerdings im Unterschied zur Internationalen Geschichte auf dem Krieg liegt. Peter Hoeres  : Rezension zu  : Dülffer, Jost  ; Loth, Wilfried (Hg.)  : Dimensionen internationaler Geschichte. Berlin  2012. in  : Connections. A Journal for Historians and Area Specialists, 11.01.2013, . [zuletzt abgerufen 01.08.2021] 162 Koselleck, Über die Theoriebedürftigkeit, S. 21.

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schen Entscheidungshandelns im Krieg gelesen werden können und will man dabei den ›Kern des Krieges‹, die Schlacht, deren Organisation, die kämpfenden und sterbenden Soldaten, die Einwirkung und Durchdringung des Krieges in die Zivilgesellschaft nicht außer Acht lassen, dann geraten zwangsläufig drei Akteure, nicht als Einzelperson, sondern als Handlungseinheiten verstanden, in den Blick  : 1. Der Fürst – idealtypisch – als souveräner Herr über Krieg und Frieden, 2. die Militärführung als ausführendes strategisch handelndes Organ und die Mittel zur Erreichung des ›politischen Zwecks des Krieges‹, 3. die Soldaten. Die horizontale Struktur der Untersuchung wird also durch die Akteure vorgegeben. Beim Untersuchungsgegenstand, dem Großherzogtum Würzburg, werden daher dessen Fürst, Erzherzog Ferdinand, seine ihm verantwortliche Regierung und Militärführung sowie die Streitkräfte nebeneinander (Kapitel II. 1. und II. 2.) und demnach zweimal entlang der Zeitachse analysiert. Diagonales Strukturelement und verbindender Bezugspunkt wird dabei immer die Zentralperspektive Krieg sein. Mit dem Vorgehen, synchrones Geschehen nebeneinander darzustellen, wird es möglich163, zum einen der Forderung nach Multiperspektivität der modernen Militärgeschichte nachzukommen, zum anderen wird gerade am Main deutlich, dass statt von einer »Politik der großen Männer«164 eher von Aushandlungsprozessen auch von unten nach oben gesprochen werden muss. Die Situation, die ›allgemeinen und höheren Verhältnisse‹, werden im Laufe dieser Forschungsarbeit entwickelt  : Der ›souveräne Gesellschaftsverband‹ Frankreich suchte seinen ›politischen Zweck‹, die siegreiche Überwindung des französisch-englischen Dua­lismus zu erreichen – mit zivilen Mitteln, aber auch, den ›politischen Verkehr der Regierungen und Völker‹ fortsetzend, mit Krieg. Ab 1792 überlagerte die Absicht, die revolutionären Ideen gegen die koalierten Kräfte des Ancien Régime zu verteidigen, diesen eigentlichen ›politischen Zweck‹. Die Volksheere Frankreichs, die einsetzende Totalisierung der Kriegsführung, versetzte die Entscheider in Paris in die Möglichkeit, dass aus der Verteidigungsdoktrin mehr und mehr eine Expansionsbewegung über Frankreichs ›natürliche Grenzen‹ hinaus wurde165. Der Krieg an Frankreichs Grenzen wurde zu einem Hegemonialkrieg. Basierend auf den militärischen Erfolgen des Revolutionsgenerals Napoleon war das Erreichen einer französischen Hegemonialstellung auf dem europäischen Kontinent in greifbare Nähe gerückt. Napoleon war dabei anfangs nur ein effizienter Erfüllungsgehilfe der Pariser 163 Eine »Dekonstruktion der naturalen Chronologie«, um erneut Koselleck zu zitieren, ist für die vorliegende Forschungsarbeit grundlegend, denn so lässt sich die »chronologische Reihe, an der sich unsere Historie bisweilen entlanghangelt […] leicht als Fiktion entlarven.« So ebd., S. 14. 164 Mergel, Politikbegriffe, S. 155. 165 Vgl. Elisabeth Fehrenbach  : Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress. München 2008, S. 47.

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Vorgaben gewesen166. Auf der anderen Seite gebrauchte England seit 1792 in diesem Ringen durch unaufhörliche finanzielle Unterstützung die mitteleuropäischen Staaten in unterschiedlicher Intensität als »Festlandsdegen«167 gegen Frankreich. Um das zu unterbinden, wurde jeder, der sich dem ›politischen Zweck‹ Frankreichs widersetzte, ›durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens‹ gezwungen. Das traf der Reihe nach die europäischen Großmächte, allen voran Österreich und Preußen. Dieser Prozess der Willensbehauptung und Willensdurchsetzung Frankreichs im ›politischen Verkehr‹ drückte sich auch durch politisch-zivile Mittel aus. Eine der Hauptthesen dieser Arbeit ist dementsprechend  : Der Rheinbund sei, um die gegen Frankreich gerichteten Stellvertreterkriege ein für alle Mal zu unterbinden, als politisches Pendant zu den gleichzeitig stattfindenden napoleonischen Hegemonialkriegen geschaffen worden. Als politisches Instrument blieb der Rheinbund aufgrund ausbleibender innerer Institutionalisierung, und obschon beabsichtigter Ausgestaltung zu einem wirklichen Staatenbund, dabei ein reines Militärbündnis zum Nutzen seines Protecteurs Napoleon168. Das war für das Großherzogtum Würzburg die Situation, mit Clausewitz’ Worten die ›höheren Verhältnisse‹, welche sich auf jeden Bereich seiner inneren und äußeren Ordnung auswirkte, das Entscheidungshandeln seiner Akteure wesentlich beschränkte und deren eigenen ›politischen Motive‹ im Rahmen des Möglichen bestimmte. Und es wird sich am Untersuchungsgegenstand zeigen, wie immens eingeengt die Handlungs- und Entscheidungsspielräume für das Großherzogtum Würzburg im Weltkrieg der Sattelzeit waren. In scheinbarer Handlungsohnmacht konnte es sogar über das Kriegsziel, obwohl aktiver Kriegsteilnehmer, nicht selbst bestimmen. Für alle Rheinbundmitglieder befahl dessen Protecteur Napoleon und damit Frankreich die Kriegsziele. Alle Konföderierten im Rheinbund fanden sich in einem System, in dem sie zur Erreichung ihrer eigenen jeweiligen politischen Zwecke im ›politischen Verkehr der Regierungen und Völker‹ gezwungen waren, fremde, gar widerstrebende Kriegsziele zu erfüllen. Besonders drastisch zeigt sich dieses Phänomen am Untersuchungsgegenstand insofern, dass im Jahr 1809 Erzherzog Ferdinand gezwungen war, gegen seinen Bruder, den Kaiser in Wien, Truppen seines Großherzogtums Würzburg ins Feld zu stellen. Es wird in dieser Arbeit stets zu 166 Vgl. Ferrero, Abenteuer, S. 70. 167 Bock, Napoleon-Deutschland-Europa, S. 100. 168 Vgl. Eberhard Weis  : Napoleon und der Rheinbund, in  : Armgard von Reden-Dohna (Hg.)  : Deutschland und Italien im Zeitalter Napoleons. Wiesbaden 1979, S. 57–80, S. 57. Dort  : »Der Rheinbund von 1806 bis 1813 war in der historischen Realität ein reines Militärbündnis, das bis zu seinem Auseinanderbrechen den Zweck erfüllte, den ihm sein Gründer und Protektor zugedacht hatte, nämlich Napoleon Soldaten und Aufmarschgebiete zu liefern und Pufferstaaten gegen Österreich, Preußen und Russland zu bilden«.

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fragen sein, wie man als (militärisch) mindermächtiges Staatswesen im Krieg Politik gestalten konnte, wie Erzherzog Ferdinand seine fürstliche und seine Regierung die staatliche Souveränität in einem engen Korsett vielschichtiger Determinismen ausüben konnte. Ein anderes Beispiel zur Verdeutlichung  : Es bestand weder ein ›feindseliges Gefühl‹ gegenüber den Spaniern, noch war seitens Würzburgs beabsichtigt, Gebiete in Nordspanien zu erobern, dennoch führte das Großherzogtum Würzburg von 1808–1814 als Teil des Rheinbundkontingents äußerst verlustreich Krieg gegen spanische Insurgenten – aber warum dann  ? All diese Rheinbundtruppen, seien es die über 30.000 Bayern im ­Russlandfeldzug 1812 oder die 25 Mann großherzoglich würzburgischen Fuhrwesens in Portugal, kämpften für die Erreichung der unterschiedlichen politischen Zwecke des jeweiligen Rheinbundmitglieds. Der einzelne Soldat Würzburgs, so eine weitere These dieser ­Arbeit, kämpfte auf dem Schlachtfeld wirklich aus ›blindem Naturtrieb‹ – Hass, Stolz, Angst, Ehre. Es wird zudem gezeigt werden können, dass administrativer Zwang und die schiere Existenzangst viele junge Männer in der demografisch angespannten Situation des Großherzogtums Würzburg überhaupt erst in die Armee trieb. Je mehr militärische Mittel wiederum ein jedes Rheinbundmitglied für die Kriegsziele Napoleons aufzubringen im Stande war, desto näher gelangte man im ›politischen Verkehr‹ des Rheinbundes an die Erreichung seiner eigenen ›politischen Zwecke‹, so eine weitere These, die es im Laufe dieser Arbeit zu prüfen gilt. Aber wie waren die in diesem System herrschenden Kommunikationsstrukturen ausgestaltet  ? Anders gewendet  : Wie wurde die ›zu einem politischen Zweck verdichtete Politik‹ ›gemacht‹  ? Diese eigentümlichen Wirkkräfte, dieses komplexe Systemgefüge aus Krieg, ›politischem Verkehr‹, ›politischem Zweck‹ und fremdbestimmten Kriegszielen versucht diese Arbeit als Handlungs- und Kommunikationssystem am Beispiel des Großherzogtums Würzburg zu erklären und mit dem Begriff ›Rheinbundpolitik‹ zu erfassen. Angelehnt an Luhmanns Diktum ist als Formel darunter abstrakt zu verstehen, dass jemand innerhalb der Konföderation des Rheinbundes für jemanden oder etwas bindende Entscheidungen über jemanden oder etwas herstellt. Dieses komplexe Gefüge versucht die vorliegende Forschungsarbeit zu beschreiben und die Leerstellen ›jemand und/oder etwas‹ am Beispiel des Großherzogtums Würzburg zu füllen. Will man die Herstellungsprozesse erforschen, die im Großherzogtum Würzburg zu bindenden Entscheidungen während des Weltkrieg der Sattelzeit führten, geraten zwangsläufig die Akteure in das Zentrum der Untersuchung, denen der empirische Teil, in zwei Hauptkapiteln gegliedert, gewidmet sein soll.

Die moderne Militärgeschichte und die Rückbesinnung auf Clausewitz 

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Die Forschungsthesen zu Erzherzog Ferdinand

In einem ersten Kapitel soll also Erzherzog Ferdinand in den Fokus genommen werden, sein Regierungshandeln im ›politischen Verkehr‹ untersucht werden. Allzu oft wurde bei der leider sehr überschaubaren Anzahl von Forschungen zum Großherzogtum Würzburg im Stile von »Aussagen zwingender Notwendigkeiten«169 argumentiert, dass Erzherzog Ferdinand ein »schwacher Fürst«170 gewesen sei, weswegen sowohl die Ressourcen und Menschen des Staatswesens am Main so über die Maßen strapaziert wurden, als auch am Ende die jahrhundertelange bewahrte Eigenstaatlichkeit aufgegeben werden musste. Ein schwacher Fürst vor allem deswegen, weil er blass erscheint in seiner Rolle zwischen den beiden Antagonisten Österreich und Frankreich, eingekeilt zwischen großen Persön­ lichkeiten in einer »Koordinatenkonstellation zwischen Leopold II., Franz II./I. und Napoleon«171. Ein schwacher Fürst auch weil er aufgerieben erscheint in seinem loyalem Dienen gegenüber seinem Bruder und seinem Protecteur. Seine immer fremdbestimmten »Versetzungserlebnisse«172, erst 1799 aus der Toskana, dann 1802 nach Salzburg, von dort 1806 nach Würzburg, begünstigten zudem eine solche Deutungsweise. Aber wie gelang es ihm dennoch 1814 in die Toskana zurückkehren zu können, was, wie sich zeigen wird, immer sein ganz eigener ›politischer Zweck‹ war  ? Ganz handlungsohnmächtig und ›schwach‹ kann er so gesehen wohl nicht gewesen sein, dies gegen alle Widerstände durchzusetzen. Wie nutzte er also die Rheinbundpolitik zu seinen Gunsten  ? Blieben ihm, wie bisher angenommen, tatsächlich keine Handlungsspielräume zwischen den beiden sich so grundsätzlich widersprechenden Systemen – dem des Rheinbunds und dem des Habsburgisch-Lothringischen Familienverbands  ? Erst jüngst verwies Ellinor Forster für diese Arbeit absolut zutreffend auf ein diesbezügliches historiografisches Desiderat, die Rolle Erzherzog Ferdinands neu zu bewerten173. Dazu verdient vor allem die Stellung Ferdinands im habsburg-lothringischen Familienverband gesteigerte Aufmerksamkeit. 169 Koselleck, Über die Theoriebedürftigkeit, S. 22. 170 Ellinor Forster  : Die Konstruktion eines »schwachen Fürsten«. Biografische Überlegungen zu Ferdinand III. von Toskana, in  : Ernst Bruckmüller/David Wineroither (Hg.)  : Biografie und Gesellschaft. Wien 2012, S. 47–63, S. 48  ; und Forster weiter  : »Solche Charakterisierungen ließen häufig die zeitgenössischen Kommunikationsstrukturen außer Acht und befragten Ferdinands Verhalten selten auf die möglichen und unmöglichen Handlungsspielräume.« Zur weiteren Literatur, die sich diesem Fürsten widmete, siehe Kapitel I. 2.2, S. 55f. 171 Ebd., S. 48. 172 Wolfgang Altgeld  : Zur Einführung, in  : Wolfgang Altgeld/Matthias Stickler (Hg.)  : »Italien am Main«. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg. Rahden u. a. 2007, S. 17–32, S. 19. 173 »Dazu ist nicht nur vertiefte Quellenrecherche nötig sondern auch die Bereitschaft, Äußerungen Ferdi-

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Die Politikgestaltung im ›Haus Österreich‹ ist, wie auszubreiten sein wird, von weitreichender Persistenz präjudiziert, deren Entwicklungslinien bis zu den Anfängen der Sattelzeit zurückreichen. Es wird genau darzulegen sein, dass diese Traditionen das Entscheidungshandeln Erzherzog Ferdinands massiv determinierten. Sie ermöglichten aber gleichfalls der der Primogenitur zum Gehorsam verpflichteten Sekundogenitur, die für Ferdinands Vater Peter Leopold eingerichtet worden war, einen weit größeren Handlungshorizont als sonst einem mittelitalienischen Fürsten eines vergleichbar großen Territoriums. Deswegen ist anders als in anderen Untersuchungen zum Großherzogtum Würzburg auch Ferdinands frühe Regierungstätigkeit in der Toskana, das Verhältnis zu seinem Bruder in Wien sowie die Genese seiner Stellung im habsburg-lothringischen Familienverband als Sekundogenitur besondere Beachtung zu schenken. Die innerdynastischen Aushandlungsprozesse, die sich von 1792–1806 erst entwickelten, bestimmten Erzherzog Ferdinands Aktionsradius am Main wesentlich, weswegen sein Entscheidungshandeln im Ersten Koalitionskrieg kleinschrittig analysiert werden wird. Denn genau dieses verschaffte Ferdinand, so die These, die Zugehörigkeit zu zwei Systemen – dem Rheinbund und dem ›Haus Österreich‹ – die im Weltkrieg der Sattelzeit stets auf gegnerischen Seiten zu finden waren, Handlungsoptionen, die anderen Fürsten nicht zur Verfügung standen. Das Lavieren zwischen diesen beiden antagonistischen Systemen, die komplizierte Politikgestaltung Ferdinands vor diesem determinierenden Handlungshorizont, macht die Untersuchung so spannend. Dabei agierte Ferdinand alles andere als ›schwach‹. Die These der vorliegenden Arbeit ist, dass ihm bei augenscheinlicher Ohnmacht zwischen beiden Blöcken, in seiner spezifischen Zwischenstellung durch zähes Verfolgen eigener ›politischer Motive‹ am Ende des Krieges 1814 der bisher seitens der Historiografie missachtete Erfolg gelang  : Es wird aus einem umfangreichen Archivquellenkorpus schlaglichtartig herauszuarbeiten sein, dass Erzherzog Ferdinands Politik, ausgerichtet auf die Vermehrung der Österreichischen Erblande zur Erhöhung des Hauses Habsburg, am Ende erfolgreich im Dienste dessen auf die Wiedererlangung der Toskana abzielte. Dies tat er im Einvernehmen mit seinem Bruder Kaiser Franz auch in Form einer »Erfüllungspolitik«174 für Napoleon. Ein Instrument zum Erreichen dieser ›politischen Zwecke‹ boten ihm dabei die Ressourcen und Menschen seiner Herrschaft, des Großherzogtums Würzburg.

nands sowie seiner Zeitgenossen umfassender zu erheben und stärker an den Kontext rückzubinden.« So Forster, Die Konstruktion, S. 63. 174 Harm-Hinrich Brandt  : Das Großherzogtum Würzburg – landespolitische Aspekte, in  : Robert Meier (Hg.)  : Großherzog Ferdinand und die Würzburger »Toskanazeit« 1806–1814. Würzburg 2006, S. 21–39, S. 27.

Die moderne Militärgeschichte und die Rückbesinnung auf Clausewitz 

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Die Forschungsthesen zum Großherzogtum Würzburg

Als Erbmonarchie ohne ständische Mitwirkungsrechte konstituiert, entschied im Großherzogtum Würzburg de jure Erzherzog Ferdinand alleine über die Geschicke des Staatswesens, also auch hinsichtlich der ›politischen Zwecke‹. Es stellt sich daher die Frage, wen im Großherzogtum Würzburg das Entscheidungshandeln eigentlich betraf, wen oder was die Entscheidungen im ›politischen Verkehr‹ eigentlich ›verbindlich‹ banden, wie es Luhmann formulierte. Es ist die Frage nach den Mitteln, mit deren Hilfe der ›politische Zweck‹ im Krieg zu erreichen war. De facto wird allerdings für das Großherzogtum Würzburg darzulegen sein, dass dort die Trägerschaft des ›politischen Verkehrs‹ nicht etwa alleine auf dem Fürsten beruhte, sondern, oftmals von eigenen ›politischen Motiven‹ getrieben, auch auf jenen »Fürstendienern«, die bereits im Hochstift Politik gestalteten. Herrschaftswechsel war man in Würzburg schließlich gewohnt. In einem geistlichen Staatswesen, das seit hunderten von Jahren bereits ihren Fürsten durch Wahl des Domkapitels bestimmte, sorgten die Beamtendynastien für die große Politikkontinuität, die Fürstbischöfe wechselten aufgrund hohen Alters oftmals in schneller Abfolge. Inwieweit unterschied sich ihr Entscheidungshandeln im Krieg von dem ihres Landesherrn  ? Wie wurde sein Entscheidungshandeln ›von unten‹ beeinflusst und inwiefern sind die Fürstendiener selbst Entscheidungsträger im Krieg gewesen  ? Welche Kräfte mobilisierte der großherzogliche Verwaltungsapparat zur Politikgestaltung im Krieg  ? Führte auch in den gewachsenen Herrschaftsstrukturen am Main das Bemühen der »Fürstendiener« um eine effiziente Ressourcenallokation zu den sprichwörtlich geworde­nen »rheinbündischen Reformen«175  ? Dabei ist ein ganz wesentlicher Aspekt zu beachten  : In diesem kleinen Staatswesen am Main gab es keine eigenmächtige Generalität, keine selbstständige militärische Führung – die Strategie und Taktik war fremdbestimmt. Die strategisch-organisatorische Ebene des Krieges, also die »vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Kriege«176, lag in den Händen des großherzoglich-würzburgischen Staatsrates und der neugegründeten, ihm direkt unterstellten Militär-Oberkommission. Diese Kollegien bestimmten in allen militärischen Fragen der Armierung, Ausstattung und Truppenorganisation genauso wie in Desertions- und Konskriptionsangelegenheiten eigenständig. Der Landesherr Erzherzog Ferdinand war de jure nur letzte Entscheidungsinstanz. De facto blieb er Mitbestimmer, war nur Mitglied im Staatsrat. Die ›bindenden Entscheidungen‹ über den 175 Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 69. 176 »Taktik ist die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefechte, Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges«, so in  : Carl von Clausewitz  : Verstreute kleine Schriften. Festgabe d. Militärgeschichtl. Forschungsamtes zum 200. Geburtstag d. Generalmajors Carl von Clausewitz. Osnabrück 1979, S. 33.

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›Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges‹ wurden dort verhandelt, politische Entscheidungen kommunikativ geschaffen. Die taktische Entscheidungsebene indes füllten die Offiziere Napoleons aus, da die großherzoglich-würzburgischen Streitkräfte nummerisch immer zu schwach und unbedeutend waren, als dass sie selbst taktische Einheiten hätten bilden können177. Ob damit im Kriegsdienst für Frankreich eine Entwicklung begann, die schließlich in den deutschen Militarismus mündete, kann jedoch nur am Rande untersucht werden. Die »eigene Rekursivität« im Militärsystem des Großherzogtums, das gerade im Feld abgekoppelt von politischer Einflussnahme, einer »Orientierung an selbstproduzierten Eigenwerten«178 Vorschub leistete, drängt sich jedoch auf und verdient eine empirische Gegenprüfung. Um dieser Frage nach Herrschaftsstrukturen innerhalb des Militärsystems nachzugehen, wird die Frage der Truppenorganisation mit der Beschreibung der Kriegseinsätze verknüpft. Dies soll die tatsächlichen Auswirkungen des Entscheidungshandelns der Akteure auf die militärischen Organisationstrukturen im Großherzogtum Würzburg aufdecken, genauso wie die Folgen auf das letzte Glied in der hierarchischen Befehlskette nachweisen, den Soldaten auf dem Schlachtfeld. Die Interaktion zwischen »Politik und Militär«179 gilt es dabei gleichermaßen darzustellen wie den Verlauf von Gefechten, Feldzügen und Schlachten180. Um dem Anspruch moderner Militärgeschichte gerecht zu werden, müssen die »Motivation und die Moral der Soldaten, die konkrete Situation des Kampfes, des Tötens und Sterbens an der Front«181 erläutert werden wie »die innere Geschichte des militärischen Apparates, die soziale Struktur des Offizierskorps, […] Reproduktion und Produktion sozialer Ungleichheit innerhalb der Armee [und] die militärische Durchdringung ziviler Gesellschaftsbereiche«182. Wie das Militär am Main organisiert wurde und unter welchen sozialen Bedingungen dies geschah, welchen Einfluss das Militär auf die zivile Gesellschaft dort hatte – bei solchen Fragestellungen 177 Vgl. Maximilian Th. L. Rückert  : Opfer für Napoleon. Die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg, in  : Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 62 (2011), S. 183–206, S. 197. 178 Hoeres, Das Militär, S. 337. 179 »Für die Erforschung des 19. Jahrhunderts ist vornehmlich das Verhältnis von Politik und Militär von Bedeutung.« So  : Pröve, Militär, S. 87. Zudem zum Spannungsverhältnis beider Begriffe  : Ebd. S. 86–88. 180 »Man wird insbesondere an der bislang vollkommen vernachlässigten Operationsgeschichte nicht vorbeikommen, wenn man den Kriegen all seinen Erscheinungsformen zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung machen und die Geschehnisse auf dem Schlachtfeld und in den Stäben nicht dauerhaft ausblenden will«, rät Sönke Neitzel für eine neue Militärgeschichtsschreibung. So in  : Neitzel, Militärgeschichte ohne Krieg, S. 295. Später noch deutlicher  : »Die Militärgeschichte kann in Zukunft nur überzeugen, wenn sie die politik- und operationsgeschichtliche Methodenverengung der sechziger und siebziger Jahre nicht durch eine kulturhistorische ersetzt. Diskurs und Praxis müssen gleichermaßen Gegenstand der Praxis sein.« Ebd. S. 308. 181 Echternkamp, Wandel, S. 25. 182 Pröve, Militär, S. 75–77.

Die moderne Militärgeschichte und die Rückbesinnung auf Clausewitz 

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lässt sich Militärgeschichte auch als Sozialgeschichte lesen183. Mit den Anforderungen des napoleonischen Hegemonialkriegs wuchsen die Streitkräfte nummerisch so stark an wie niemals zuvor in Mainfranken. Aber woher kamen diese zigtausend jungen Soldaten, aus welchen sozialen Schichten und wie wurden sie ausgehoben  ? Überhaupt möglich wurde dies wegen des effizienzsteigernden Reformhandelns der Würzburger Regierung und wegen demografischen Entwicklungen der 1760er und 1770er Jahre, wie auszuführen sein wird. Damit ›Diskurs und Praxis‹ zugleich in der Militärgeschichte ›Gegenstand der Forschung‹ sind, wie es Sönke Neitzel fordert184, ergänzt das zweite Kapitel (I. 2.) eine ausführliche operationsgeschichtliche Analyse des großherzoglich-würzburgischen Beitrags zu den napoleonischen Hegemonialkriegen. Sie folgt, anhand zahlreicher Einzelbeispiele, den Soldaten auf die Schlachtfelder Süd-, Mittel- und Osteuropas. Von Portugal bis Weißrussland kämpften und starben sie im Gefecht, bei Gewaltexzessen spanischer Insurgenten, an Krankheiten und Mangelversorgung. Von den 6.498 Soldaten, die das Großherzogtum Würzburg allein im Sommer 1813 unter die Fahnen Napoleons hielt, kehrte nur ein Bruchteil wieder zurück. Um dies zu erklären, kommt der Stellung und der Verwendung dieser kleinen großherzoglich-würzburgischen Korps innerhalb der Grande Armée eine besondere Bedeutung zu, was die vorliegende Forschungsarbeit in ihrer operationsgeschichtlichen Perspektive zu klären versucht.

183 Marcus Funck konstatierte noch im Jahr 2000, »dass Militär und Krieg zu den eindeutig vernachlässigten Themenfeldern der Sozialgeschichte in Deutschland zu zählen sind.« So in  : Funck, Militär, S. 157. 184 Vgl. Neitzel, Militärgeschichte ohne Krieg, S. 308.

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»Wenn ich weitergeblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.«1

2. Quellen zum Großherzogtum Würzburg Das Großherzogtum Würzburg aus der Dunkelheit scheinbarer historischer Bedeutungs­ losigkeit herauszuführen, ist in erster Linie Hauptanliegen dieser Arbeit. Zu Unrecht findet sich die Zeit Mainfrankens von 1806 bis 1814 häufig nur als Randnotiz in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung oder wird gar ganz ausgeblendet2. Das mag an der komplizierten und engen Verwobenheit der maßgeblichen Akteure und ihrer Handlungshorizonte mit der in vielen Kriegen verwickelt erscheinenden Ereignisgeschichte im Europa des frühen 19. Jahrhunderts liegen. Es mag auch damit erklärt werden können, dass eine Geschichte des Großherzogtums Würzburg im Geruch einer reinen Regional-, ja Lokalgeschichte steht, was durch den episodenhaften Charakter des Großherzogtums Würzburg als »ephemerer Kunststaat rheinbündischer Provenienz«3 noch verstärkt wird. Die weitgehende Nichtbeschäftigung mit dem Großherzogtum Würzburg seitens der zeitgenössischen Historiografie hat indes vor allem aber wohl praktische Gründe. Denn ließe man sich im Vorfeld von genannten Hemmnissen nicht schon abschrecken, so wird eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Großherzogtum Würzburg auch durch eine äußerst unübersichtliche Quellenlage erschwert. Paris, Prag, Wien, München, Florenz und schließlich Würzburg – in all diesen Städten findet sich überraschenderweise das Archivmaterial zum Großherzogtum Würzburg und muss mühsam und bruchstückhaft zusammengetragen werden. Anders gewendet, bezeugen diese Umstände aber gleichzeitig den Stellenwert des Forschungsgegenstandes in der gesamteuropäischen Geschichte des frühen 19. Jahrhunderts – und das auf einer bis dato weitgehend unbekannten breiten Quellenbasis. 1 Richard S. Westfall  : Isaac Newton. Eine Biographie. Heidelberg u. a. 1996, S. 143. 2 Das mag bei Ausstellungen und deren zugehörigen Publikationen unter größerer, europäischer Perspektive noch nachvollziehbar sein, wie bspw. bei  : Bénédicte Savoy (Hg.)  : Napoleon und Europa. Traum und Trauma  ; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 17. Dezember 2010 bis 25. April 2011. München u. a. 2010. Die Nichtbeachtung des Großherzogtums bei der bayerischen Landesaustellung in Ingolstadt 2015 mit dem Titel »Napoleon und Bayern« verwundert indes  : Vgl. Margot Hamm/Evamaria et. al. Brockhoff (Hg.)  : Napoleon und Bayern. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2015  ; Bayerisches Armeemuseum, Neues Schloss Ingolstadt, 30. April bis 31. Oktober 2015. [Darmstadt] 2015. Der wissenschaftliche Berater dieser Landesaustellung Marcus Junkelmann ergänzte immerhin in der zeitgleich erschienenen Neuausgabe seines Buches von 1985, dem »Volksbuch zur Montgelaszeit« (Karl Ottmar von Aretin), seine Darstellung um ein schmales Kapitel »Würzburger und Regensburger Sonderwege«  : Marcus Junkelmann  : Napoleon und Bayern. Eine Königskrone und ihr Preis. Regensburg 2014. 3 Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 114.

Die Quellenprovenienz eines europäischen Themas 

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Gerade deshalb scheint es angebracht, an dieser Stelle ausführlicher und detaillierter als dies in vergleichbaren historischen Arbeiten der Fall ist, über die Quellen zum Großherzogtum Würzburg Auskunft zu geben. Die Komplexität einer zergliederten, multilingualen und multikategorialen Quellensituation gebietet es, sie selbst zu einem Untersuchungsgegenstand dieser vor allem archivquellengestützten Forschungsarbeit zu machen. Es soll nun im Folgenden der Quellenbestand analysiert und ein Überblick über die heute hilfreiche Sekundärliteratur gegeben werden. Dies geschieht unter der Maßgabe der eingangs erläuterten Teilung dieser Untersuchung. Es stellt sich nämlich bei einer Quellenbestandsanalyse zum Großherzogtum Würzburg ein sehr inhomogener, qualitativ und quantitativ je nach Teilaspekt sehr unterschiedlicher Zustand dar. 2.1 Die Quellenprovenienz eines europäischen Themas

Die relevanten schriftlichen Quellen für das Großherzogtum Würzburg befinden sich zum Großteil nicht in Würzburg selbst, wie man vermuten könnte4. Grund dafür ist weniger die Zerstörung vieler großherzoglicher Akten im Staatsarchiv Würzburg durch die verheerende Bombardierung Würzburgs und den dadurch ausgelösten Feuersturm am 16. März 1945, denn überraschend Vieles hat sich dennoch erhalten und wurde erst nach und nach katalogisiert und erfasst, worauf später noch genauer einzugehen sein wird. Vielmehr ist die Ursache in der Ereignisgeschichte des 19. Jahrhunderts selbst zu finden. So war wegen der Kurzlebigkeit des Großherzogtums Würzburg eine konservierende vollständige Erhaltung des Aktenbestands in Würzburg schlicht unmöglich. Der Landesherr Erzherzog Ferdinand nahm am Ende seiner Herrschaft in Würzburg ungezählte Schriftstücke aus dem damals schon bestehenden ›Großherzoglich geheimen Archiv‹ in seine Besitzungen nach Böhmen mit, 1814 in seine Heimat Toskana zurückgekehrt, auch nach Florenz. Systematisch, so scheint es, ließ er während seiner Versetzungserlebnisse die vor Ort gebildeten Archive in Florenz, später in Salzburg und in Würzburg, von fachkundiger Hand auseinandernehmen5. Persönliches verschwand gerade 4 Vgl. Anton Chroust  : Die Geschichte des Großherzogtums Würzburg (1806–1814). Die äußere Politik des Großherzogtums. Würzburg 1932, S. X. 5 Es gibt in den besuchten Archiven jeweils deutliche Hinweise, dass auch bereits zu Lebzeiten Ferdinands offenbar wichtige Aktenstücke »sehr sorgfältig und sachgemäß ausgehoben und von ihrer Umgebung getrennt [wurden], augenscheinlich durch die Hand eines Archivars«, so in ebd., S. X  ; Dieter Schäfer weist zu Recht darauf hin, dass das »wiederholte Aussortieren der ihn persönlich betreffenden Akten bei seinem Abzug aus Würzburg« ein großes Problem der Forschung zum Großherzogtum Würzburg ist. Die Inhalte dieser entnommenen Schriftstücke können nur mehr aus »Nebenbemerkungen von Gesandtschaftsberichten« rekonstruiert werden, was bisher unterblieben sei. So in  : Dieter Schäfer  : Die politische Rolle des

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Quellen zum Großherzogtum Würzburg

aus Würzburg vollständig und wurde entweder im Auftrag Erzherzog Ferdinands in ein eigens gebildetes Konvolut, gleich einem Hausarchiv, überführt6, oder wie zu zeigen sein wird, wegen des kompromittierenden Inhalts vor dem Umzug vernichtet7. Aber auch ganze Akten und vereinzelte Dokumente zu bestimmten Themen, die Ferdinand offenbar besonders interessierten und am Herzen lagen, wurden aus den jeweiligen Beständen genommen und in neue Bestände überführt. Beispielsweise Korrespondenzen mit Künstlern und Komponisten, Theaterkritiken, Noten, Partituren und Libretti von Erzherzog Ferdinand u. a. auch in Würzburg akribisch gesammelt und – weil dort teilweise inszeniert und aufgeführt – damit auch wesentlicher Bestandteil von Würzburgs kulturellem Leben, finden sich daher heute in hauptsächlich der Biblioteca Laurenziana in Florenz. Nahezu alles, was zum Beispiel die Finanzwirtschaft, also u. a. Schuldenwesen und Steuerreformen, aber auch Verwaltungs- und Geschäftsordnungen einzelner Behörden des Großherzogtums Würzburg betrifft, archiviert heute das Staatsarchiv Prag – zur Provenienz später mehr – nicht Würzburg. Die weitläufige Zerstreuung und die lediglich oft bruchstückhafte Überlieferung der Archivalien großherzoglich würzburgischer Provenienz lassen den Eindruck entstehen, Erzherzog Ferdinands Hausarchiv sei ganz verloren8. Dem kann allerdings nur zum Teil recht gegeben werden, denn es ist heute lediglich völlig zerteilt und in verschiedenen Archiven europäischer Metropolen aufbewahrt. Des Weiteren verkompliziert ein gewöhnliches Phänomen die heute bereits komplexe Überlieferungssituation  : Wichtige Beschreibungen der würzburgischen Vorgänge, Einschätzungen zu Akteuren und aufschlussreiche Statistiken, die es uns erst erlauben ihre Handlungshorizonte adäquat auszuleuchten, fertigten die am Würzburger Hof akkrediErzherzogs Großherzog Ferdinand, des nächsten Bruders des Kaisers, in seinen Würzburger Jahren, in  : Wolfgang Altgeld/Matthias Stickler (Hg.)  : »Italien am Main«. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg. Rahden u. a. 2007, S. 65–73, S.72. 6 Wie groß der Aktenbestand »Protokolle betreffend persönliche und auswärtige Angelegenheiten des Großherzogs Ferdinand« gewesen sein muss, verdeutlicht der karge Rest der sich noch erhalten hat. Lediglich die Seiten 384–405 eines Bandes vom Mai 1814 finden sich als zufälliges Fragment nun neu eingereiht  : StaWü, Geheimer Staatsrat, 41. Ob der sicher umfangreiche Rest am 16. März 1945 verbrannte, lässt sich aus den erhaltenen Findbüchern nicht rekonstruieren. Aber selbst Anton Chroust, der noch voll umfassend Zugriff auf diese Akten hatte, zitiert daraus nicht. 7 Im Repetitorienbuch Segreteria e Ministerio degli Esteri zum Jahr 1793 findet sich tatsächlich die bereits von Reumont erwähnte Randnotiz  : »Auf Befehl Sr. k. k. H. des Großherzogs wurden sämtliche im Archiv der auswärtigen Angelegenheiten befindlichen Actenstücke vom 1. Januar 1791 bis zum Einrücken der Franzosen in Toscana verbrannt, wie S.E. der Cav. Fossombroni, Minister der auswärtigen Angelegenheiten und Hr. Gaetano Rainoldi, Secretär des Staatsraths, bezeugen können.« Übersetzung zit. nach Alfred von Reumont  : Manfredini und Carletti. Eine Episode der Revolutionszeit, in  : Historische Zeitschrift (1870), S. 94–124, S. 116. 8 Chroust ging beispielsweise damals noch davon aus, »dass der Hauptbestand einer gewaltsamen Katastrophe zum Opfer gefallen ist.« Chroust, Die Geschichte, S. XI.

Die Forschungsgrundlage eines multiperspektivischen Themas 

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tierten ausländischen Gesandten. So finden sich in den Archiven von München, Paris und Wien große Bestände würzburgischen Ursprungs, die naturgemäß auch den großherzoglichen Schriftverkehr mit den jeweiligen auswärtigen Höfen aufnahmen – durch sie können entstandene Lücken ergänzt werden, wenigstens teilweise. Eine Gesamtbetrachtung aller Vorgänge des Untersuchungszeitraumes in einem Archiv, wie es in München für das Kurfürstentum, später Königreich Bayern möglich ist, bleibt dem Forscher für Würzburg also verwehrt. Dieses ›archivalische Puzzlespiel‹ mag nun eine Gesamtschau auf den Forschungsgegenstand ermöglichen, verdeutlicht aber damit den Charakter einer Geschichtskonstruktion im Wortsinn, die bereits zuvor thematisiert worden ist. Nacheinander soll für die drei Untersuchungsbereiche zunächst die Quellenlage beschrieben und zudem im Forschungskontext verortet werden. 2.2 Die Forschungsgrundlage eines multiperspektivischen Themas

Wie beschrieben, steht im Zentrum der diplomatie- und dynastiegeschichtlichen Betrachtung der Landesherr des Großherzogtums Würzburg Erzherzog Ferdinand im Ringen der Großmächte zwischen Kaiser Franz und Napoleon Bonaparte. Bisher stützten sich Untersuchungen zu diesem Themenkomplex in der Regel auf leicht zugängliche autobiografische Quellen der höchsten Beamten dieses Landesherren9, denn »Briefe von Ferdinand, denen die Hintergründe seines Agierens und Reagierens entnommen werden könnten, sind nur vereinzelt überliefert und wurden in ihrer Gesamtheit noch kaum ausgewertet«10. Dadurch entstand eben jene bereits skizzierte Beschreibung, »die ihn als schwachen, unschlüssigen und von außen bestimmten Fürsten erscheinen ließ«11. Tatsächlich fehlen heute viele Ego-Dokumente12 Ferdinands wie seine Tagebücher, die vielleicht Aufschluss über seine persönlichen Ansichten und Einschätzungen über die vermuteten   9 Vgl. bspw. Wagner, Christian Johann Babtist von  : Die Biographie des Staatsrats, in  : AUFr 47 (1905), S. 1–124. 10 Forster, Die Konstruktion, S. 53. 11 Ebd. 12 Unter diesem nicht unumstrittenen Begriff wird hier, in Anlehnung an Winfried Schulzes Vorüberlegungen jene Quellengattung verstanden, »die uns über die Art und Weise informieren, in der ein Mensch Auskunft über sich selbst gibt, unabhängig davon ob dies freiwillig – also in einem Brief oder in einem autobiographischen Text – oder durch andere Umstände bedingt ist.« Als andere Umstände können, so Schulze, auch Visitationen und Zeugenbefragungen gelten. So bei Winfried Schulze  : Ego-Dokumente  : Annäherung an den Menschen in der Geschichte  ? Vorüberlegungen für die Tagung »EGO-DOKUMENTE«, in  : Winfried Schulze (Hg.)  : Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Berlin 1995, S. 10–30, S. 10. Dort ist auch ein Überblick über die aktuelle Diskussion und ein umfassender Literaturüberblick geboten.

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Quellen zum Großherzogtum Würzburg

und/oder tatsächlichen Handlungsspielräume während der napoleonischen Kriege hätten geben können. Zwar schrieb er offenbar regelmäßig jene Journales, deren Erhalt für die Forschung heute unschätzbar wäre, aber nur ein winziges Bruchstück derer, nämlich ein Konvolut – beginnend im März 1814 und täglich fortgeführt bis Ende August 1814 – hat sich zufällig im staatlichen Zentralarchiv in Prag erhalten13. Notizen und umfangreiche persönliche Korrespondenzen der Jahre 1792–1824 mit verschiedenen Persönlichkeiten seines italienischen und verwandtschaftlichen U ­ mfelds14, allen voran auch mit seinem Bruder Kaiser Franz15 und Napoleon16, verwahrt man heute dort. Das erwähnte Tagebuch17, die Reiseberichte18 und selbst erarbeitete Analy­ sen zu seinen Herrschaftsgebieten aus der Feder des Erzherzogs Ferdinand19 erlauben im Zentralarchiv in Prag einen bisher unbekannten Einblick in seine Gedanken- und Lebenswelt.

13 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kart. 10, sign. 81  ; Dieses Quellenfragment lässt aber Rückschlüsse auf Ferdinands Gedankenwelt zu, besonders was die Vorgänge vor und während des Wiener Kongresses betrifft. Es überrascht vielleicht, dass sich einige Ego-Dokumente und andere Schriftstücke aus der Feder Ferdinands heute in der Tschechischen Republik finden lassen. Hinsichtlich der Provenienzanalyse ist es wichtig zu wissen, dass die Habsburg-lothringische Nebenlinie der Toskana ihren Hauptsitz während der italienischen Einigungskriege gezwungenermaßen nach Böhmen verlegen musste. Die unter der Abteilung IV des Staatlichen Zentralarchivs in Prag (Tschechisch  : Stàtnj Ustredni Archév v Praze künftig  : SUAP IV) eingegliederten 21 Bände und acht Kartons Schriftgut, die die Bereiche der Würzburger Landesverwaltung betreffen, sind nur ein Teil des sich dort befindlichen Familienarchivs Habsburg-Toskana (Bestand  : Rodinný archiv toskánských Habsburků, Abk.: RAT). Dieses Familienarchiv (der Jahre 1765–1915) besteht aus 118 lfd. Metern, die 386 Bände, 734 Kartons Akten und 2519 Stück Karten beinhalten. Vgl. Alena Skipalová  : Staatliches Zentralarchiv Prag, IV. Abteilung, in  : Volker Rödel (Hg.)  : Quellen zur südwestdeutschen Geschichte in Archiven der Tschechischen Republik. Kolloquium am 18. und 19. März in Ochsenhausen. Stuttgart 1995, S. 50–59, S. 57. Auch die Staatsverwaltungsakten bezüglich der Toskana und Korrespondenzen von Ferdinands Vater Peter Leopold befinden sich dort, vgl. hierzu jüngst Orsola Gori/Diana Toccafondi  : Fra Toscana e Boemia. L’archivio di Pietro Leopoldo d’Asburgo Lorena nell’Archivio nazionale di Praga  : inventario. Roma 2013. Dies betrifft vor allem das großherzoglich würzburgische Archiv, das offenbar im Auftrag des Würzburger Staatsrats Johann Nepomuk von Hennebrith (1754–1815) zusammengestellt wurde, da alle original Aktendeckel Hennebriths Handschrift und viele Erläuterungen zum Inhalt tragen. 14 Korrespondenzen bspw. mit Herzog Ferdinand von Bourbon (1751–1802), Landesherr von Parma, Pia­ cenza und Guastalla in SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 2 sign. 29., mit König Viktor Emanuel I. (1759–1824) in  : Ebd. kt. 3 sign. 40. 15 Vor allem in  : Ebd. kt.10, sign. 84. 16 Ebd. kt. 1 sign. 4 und kt. 3, sign. 35. 17 Ebd. kt. 10, sign. 81. 18 Ebd. kt. 8, sign.72. 19 Ebd. Es gilt in diesem Zusammenhang zu erwähnen – vor allem für die Kunstgeschichte Würzburgs interessant – dass sich Inventarlisten der Würzburger Residenz und ebenfalls der als Sommersitz der großherzoglichen Familie genutzten Schlossanlage Werneck, in  : Ebd., kt.1, sign. 62–69, finden lassen.

Die Forschungsgrundlage eines multiperspektivischen Themas 

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Gerade die persönliche Relevanz für Erzherzog Ferdinand selbst mag jedoch Anlass dazu geboten haben, Persönliches, eigentlich Bestandteil des Archivo di Stato, zunächst 1799 aus Florenz heraus nach Salzburg im Jahr 1802, 1806 nach Würzburg und nach Kompensationserwerb seiner böhmischen Herrschaften und dem Zukauf der Herrschaft Schlackenwerth (Ostrov nad Ohří) bereits im Jahr 1811 teilweise dorthin zu überführen, um sie jeweils vor drohenden Kriegseinwirkungen zu sichern. Der Großteil des sogenannten Hausarchivs der Habsburg-Lothringer wird vermutlich erst 1859 von Florenz nach Schlackenwerth verbracht worden sein, als in diesem Jahr die letzten Habsburger erneut und endgültig aus der Toskana vertrieben wurden20. Im Schloss von Schlackenwerth, das als Teil der kaiserlichen Güterdirektion noch bis 1918 zum Hause Habsburg-Lothringen zugehörig war, lagerte dieses Archiv und wurde von Ferdinands Erben weitergeführt, bevor es mit dem Untergang der Habsburgermonarchie dem tschechoslowakischen Staat zufiel21. Dieser Bestand blieb der Historiografie nicht unbekannt. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erfuhr die Beschäftigung mit dem Großherzogtum Würzburg durch den aus Graz stammenden Würzburger Professor für Neuere Geschichte und Hilfswissenschaften Anton Chroust (1864–1945) einen ersten Höhepunkt22, wobei auch Teile des Prager Bestandes ausgewertet wurden. Dennoch blieb der Archivalienaustausch zwischen der Weimarer Republik und der ersten Tschechoslowakischen Republik nicht besonders ergiebig und die von Chroust eingesehenen und analysierten Dokumente des damals sogenannten Schlossarchivs Schlackenwerth blieben Stichproben23. Die strukturelle Aufarbeitung dieses Bestandes wurde erst in den 1960er Jahren begonnen und erst Ende der 1990er Jahre durch Eva Gregorovičová fertiggestellt, weshalb

20 Vgl. Franz Pesendorfer  : Zwischen Trikolore und Doppeladler. Leopold II., Großherzog von Toskana, 1824 – 1859. Wien 1987, S. 351ff. 21 Vgl. hierzu  : Stefano Vitali/Carlo Vivoli (Hg.)  : Fra Toscana e Boemia. Le carte di Ferdinando III e di Leopoldo II nell’Archivio centrale di Stato di Praga. Roma 1999. 22 Von 1898 bis zu seiner Emeritierung 1934 war Anton Chroust Professor für Neuere Geschichte und Hilfswissenschaften in Würzburg. Zu dessen Leben und Werk  : Andreas Biglmair  : Anton Chroust (1864– 1945), in  : Lebensläufe aus Franken 6 (1960 [Nachdruck Würzburg 1993]), S. 98–108  ; sowie Peter Herde  : Anton Chroust. Mitbegründer der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Ein österreichischer Historiker im deutschen akademischen Umfeld von der Wilhelminischen Zeit bis zum Nationalsozialismus, in  : Erich Schneider (Hg.)  : Nachdenken über fränkische Geschichte. Vorträge aus Anlass des 100. Gründungsjubiläums der Gesellschaft für fränkische Geschichte vom 16.–19. September 2004. Neustadt/Aisch 2005, S. 39–56. 23 Chroust erlebte bei seinen Recherchen den heutigen Prager Bestand als »sichtlich zufällig zusammengeraffte Aktenbündel mit vielfach rein familiärem Inhalt, darunter eben einige Konvolute, die einst dem Würzburger Archiv angehört haben müssen, – aber alles nur Bruchstücke.« Chroust, Die Geschichte, S. XI.

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erst seitdem eine Bearbeitung vollumfassend möglich ist24. Die letzten wissenschaftlichen Untersuchungen zum dynastie- und diplomatiegeschichtlichen Themenkomplex um Erzherzog Ferdinand wurden jedoch bereits in den 1980er Jahren publiziert25. Somit ist es wenig verwunderlich, dass das Original des dort aufgefundenen Sekundogeniturvertrages von 1803 bisher in diesen Untersuchungen wenig beachtet und kaum analysiert wurde26. Er ist jedoch ein Schlüsseldokument, um die enge Verbindung zwischen dem Großherzogtum Würzburg und der Habsburgermonarchie verstehen zu können. In Erzherzog Ferdinands Heimat Florenz finden sich heute dennoch einige Teile seines Hausarchivs. Im Archivio di Stato di Firenze ließen sich ebenfalls die zur Analyse der dynastie- und diplomatiegeschichtlichen Aspekte so wichtigen Korrespondenzen Ferdinands entdecken. So konnten vor allem durch Nachlässe und Ankäufe seitens des Florentiner Staatsarchivs eine große Menge an Ferdinand adressierter Briefe erworben werden27. Die Hoffnung des Ferdinandbiografen Dieter Schäfer, dass eine Auswertung der in Florenz archivierten Korrespondenzen »Belege für die Instrumentalisierung der nachgeborenen Erzherzöge und insbesondere des Toskaners«28 bieten könnten, erfüllte sich tatsächlich. Der Briefwechsel mit seiner Tante Königin Maria Karolina von Neapel (1752–1814) brachte zwar weniger die entscheidenden Ergebnisse, wie es Schäfer noch vermutete29. Die Auswertung der meist vertraulichen und privaten Schriftwechsel mit seiner Schwester Maria-Theresia (1767–1827)30, der späteren Königin von Sachsen und seiner Nichte Marie-Louise (1791–1847), der späteren Kaiserin von Frankreich, vervollständigten aber das Bild davon, wie im Familienverbund der Habsburger im familiär24 Vgl. Eva Gregorovičová  : L’Archivio familiari degli Asburgo di Toscana negli archivi cèchi, in  : Stefano Vitali/Carlo Vivoli (Hg.)  : Fra Toscana e Boemia. Le carte di Ferdinando III e di Leopoldo II nell’Archivio centrale di Stato di Praga. Roma 1999, S. 177–326. Der Biograf Ferdinands, der historisch interessierte ehemalige Würzburger IHK-Präsident Dieter Schäfer, beklagt noch 2007, dass deswegen das Prager Archiv noch immer nicht unter diplomatiegeschichtlichen Aspekten ausgewertet worden ist. Vgl. Schäfer, Die politische Rolle, S. 71, Anm. 11. 25 Dieter Schäfer  : Ferdinand von Österreich. Köln u. a. 1988 und Franz Pesendorfer  : Ein Kampf um die Toskana. Großherzog Ferdinand III. 1790–1824. Wien 1984. 26 Original in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., Listiny Inv. 8. und ediert im Anhang als Dokument XI. 27 Im Bestand ASF, Acquisti e Doni, Pez. 317, Ins. 2, der für Erzherzog Ferdinands Musikbegeisterung wichtige Briefwechsel mit Marie-Elisabeth von Savoyen in sehr vertraulichem privaten Stil. 28 Schäfer, Die politische Rolle, S. 71, Anm. 11. 29 In  : ASF, Aquisti e Doni, Pez.317, Ins. 2. 30 Ausgewertet wurde für seine »Lieblingsschwester« auch der im Hauptstaatsarchiv Dresden (HStAD) gelagerte Bestand 12548, Fürstennachlass Therese, Königin von Sachsen, 3a-3b-3c. Dieser Bestand konnte aus einem Berliner Antiquariat für das Archiv anfangs des 20. Jahrhunderts erworben werden. In großer Regelmäßigkeit standen die beiden in Kontakt. Anders als bisher angenommen, hat er sich mit Therese nicht nur über die gemeinsamen Leidenschaften der Musik und Literatur ausgetauscht, sondern es zeigte sich, dass sie vielmehr auch Einschätzungen über die Persönlichkeiten an den allerhöchsten Höfen in Paris und Wien sowie die gegenseitigen Ansichten zum tagespolitischen Geschehen geschrieben haben.

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freundschaftlichen und höflichen Umgangston und bei ›Smalltalk‹ nüchterne und lange kalkulierte Politik gemacht wurde, worauf später besonders einzugehen sein wird. Auch die in Florenz noch verbliebenen Briefe von Kaiser Franz belegen dies anschaulich31. Der Bestand Segreteria e ministerio degli esteri im Florentiner Archiv bezeugt indes, dass Ferdinand den Kontakt über all die Jahre seines Exils zu den in der Toskana wechselnden Herrschern und zu dort im Amt gebliebenen Regierungsmitgliedern aufrechterhielt, die er nach 1814 wieder in den Dienst nahm, wie beispielsweise zu Vittorio Fossombroni (1754–1844) und Fürst Neri Corsini (1771–1845)32. Das Herausnehmen und Zusammenfügen, das andauernde Umstrukturieren der Reste des Hausarchivs der Habsburg-Lothringer in Florenz, lässt sich noch heute an der bisweilen ungeordneten Zusammenstellung der Kartons ablesen. Zufallsfunde, wie ein Briefwechsel zwischen Königin Marie-Antoinette (1755–1793) mit ihrem Bruder Peter-Leopold, dem Vater Ferdinands, aus den letzten Tagen ihres Lebens sind daher dort noch immer möglich33. Naturgemäß archivierte das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien die wesentlichen Schriftwechsel der Habsburg-Lothringer untereinander in sogenannten Sammelbänden bereits zu deren Lebzeiten34. Darin wurden auch die Briefe Ferdinands aufgenommen. Für die große Mehrheit dieser Briefe müssen zwar vielfach die aussagekräftigen Konzepte als verloren gelten, aber die autographierten Reinschriften ermöglichen dennoch nahezu eine Gesamtschau des bereits skizzierten Beziehungsgeflechts zwischen Erzherzog Ferdinand und seinem Bruder im Familienverband des Hauses Habsburg-Lothringen. Diese Sammelbände wurden hinsichtlich der Bruderbeziehung Ferdinand-Franz in ihrer Gesamtheit und unter dieser Perspektive noch nie vollumfassend ausgewertet. Was sich nicht, oder nur zwischen den Zeilen an Informationen dort finden ließ, kann durch die offizielle Kanzleikorrespondenz beider, durch Gesandtenberichte, Aktennotizen, Protokolle und Memoranden, die am Wiener Hof gefertigt wurden, ergänzt werden35. Auch 31 ASF, Segreteria di gabinetto, Appendice, Pez. 2, 3, 11, 13  ; die hoch offiziellen Briefwechsel zu Geburten und Todesfällen sowie Regierungsantritte bzw. Abdankungen, in  : Ebd. Segreteria e Ministerio degli Esteri 2220, 2203, 2204. 32 ASF, Segreteria di gabinetto, Appendice, Pez. 2. 33 Dieser Fund erregte einige Aufmerksamkeit und Angelo de Scisciolo beabsichtigt soeben eine Edition zu diesem bisher unbekannten Zeitdokument. Dass gerade solch brisantes Material noch immer gefunden werden konnte, spricht auch dafür, dass kaum einer vor der hier vorliegenden Forschungsarbeit, tatsächlich systematisch das Florentiner Archiv bearbeitete. 34 HHStAW, Sammelbände 28–46, zudem ein eigener Bestand für Erzherzog Ferdinand in  : HHStAW, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A, Kart. 27, 28. 35 Dort finden sich in den Beständen HHStAW, Staatskanzlei, Würzburg 1–4 die Berichte der im Großherzogtum Würzburg akkreditierten Gesandten, in ebd. Staatskanzlei, Würzburg 5 die diplomatische Korrespondenz des österreichischen Außenministeriums, in ebd. Staatskanzlei, Würzburg 6 sämtliche Weisungen an die in Gesandten in Würzburg.

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das Brief- und Aktenmaterial, das zeitlich und räumlich nicht zum Großherzogtum Würzburg gehört, ist doch für eine Einschätzung der Beziehung beider Brüder zueinander relevant, hat diese Beziehung doch weit zurückreichende Traditionen36. Hinweise auf Erzherzog Ferdinands Einbindung in den Rheinbund und seine persönliche Beziehung zu dessen Protektor Napoleon können aus den Schriftwechseln mit dem Kaiser der Franzosen37 sowie aus den Akten des französischen Außenministeriums herausgelesen werden38. Diese Erzherzog Ferdinand und das Großherzogtum Würzburg betreffenden Akten werden heute in den Archives des Affaires étrangères in La Courneuve/ Paris aufbewahrt. Hervorzuheben sind dabei vor allem die dortigen Quellenbestände Mémoires et documents, Allemagne 118 und 123, denn diese konnten erstmals unter der diplomatiegeschichtlichen Fragestellung zu Ferdinands Stellung im Rheinbund ausgewertet werden, da sie erst 2001 aufgefunden wurden. Die Forschung über Erzherzog Ferdinands Stellung zwischen den beiden Großmächten Frankreich und der Habsburgermonarchie ist überschaubar. Erste historiografische Untersuchungen dazu gibt es Ende des 19. Jahrhunderts für seine Zeit in der Toskana zunächst durch Antonio Zobi39 und in deutscher Sprache erstmals grundlegend durch Alfred von Reumont40. Über das Zwischenspiel von 1802–1805 als Kurfürst von Salzburg, Berchtesgaden, Eichstädt und Passau arbeitete Johannes Emmer41. Zu Erzherzog Ferdinands Regierungszeit im Großherzogtum Würzburg schrieb nach den zeitgenössischen Arbeiten von Bonaventura Andres42 und Philipp Franz Horn43 erstmals ­Valentin

36 HHStAW, Staatskanzlei, Toskana 21–26, 35 und 37–71. 37 Napoleons Briefe sind zwar meist bereits ediert in Empereur I. Napoléon  : Correspondance de Napoléon Ier. publiée par ordre de l’empereur Napoléon III. Bd. I-XXVIII. Paris 1868. Sehr viele an Ferdinand persönlich gerichtete Briefe fanden sich allerdings in AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65–69. 38 Die Archivbestände AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65–69 beinhalten sowohl Weisungen des französischen Außenministeriums also auch die Gesandtschaftsberichte der in Würzburg akkreditierten französischen Geschäftsträger. Zudem wurden dort chronologisch alle Korrespondenzen der großherzoglich würzburgischen Beamten, sowie der würzburgischen Gesandten am Hof Napoleons zusammengeführt. 39 Antonio Zobi  : Storia civile della Toscana. Firenze 1852. 40 Alfred von Reumont  : Geschichte Toscana’s seit dem Ende des florentinischen Freistaats. Haus Lothringen-Habsburg 1737–1859. Gotha 1877. Ihm folgt Dieter Schäfer oftmals gar im Wortlaut. Einiges zur Bruderbeziehung von Ferdinand und Franz nahmen die in den 1880er Jahren erschienenen Bände Eduard Wertheimers in den Blick  : Eduard von Wertheimer  : Geschichte Österreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Nach ungedruckten Quellen. Leipzig 1884, ders.: Geschichte Österreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Nach ungedruckten Quellen. Leipzig 1890. 41 Johannes Emmer  : Erzherzog Ferdinand III. Großherzog von Toscana als Kurfürst von Salzburg, Berchtesgaden, Passau und Eichstädt. Eine historische Studie. Salzburg 1878. 42 Bonaventura Andres  : Chronik des Churfürstenthums Würzburg. Würzburg 1806. 43 Philipp Franz Horn  : Über die Entstehung und Auflösung des vormaligen Fürstenthums, nachherigen Großherzogthums Würzburg. Würzburg 1841.

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Langmantel44, was allerdings eher eine überblicksartige Studie blieb. Die berühmte Würzburger Chronik brachte 1925 dann Leo Günther heraus, bietet aber zur Diplomatie- und Dynastiegeschichte kaum Verwertbares45. Systematisch beforschte erst der bereits häufig erwähnte Anton Chroust die Geschichte des Großherzogtums Würzburg Anfang des 20. Jahrhunderts46. Zu Recht muss er als Nestor der Forschung zur napoleonischen Zeit am Main gelten. Chroust legte seine Studie über das Großherzogtum Würzburg auf zwei Bände an. Den, welcher die äußere Politik in den Blick nahm, veröffentlichte Chroust 1932. Ein anderer Band, der bereits als fertiggestelltes Manuskript vorlag, verbrannte in den letzten Kriegstagen 1945 unwiederbringlich zusammen mit unzähligen Archivalien des Staatsarchivs Würzburg47. Als größtes Verdienst von Chrousts Grundlagenwerk zum Großherzogtum Würzburg muss gelten, dass Vieles, was später Raub der Flammen wurde, darin noch bearbeitet und sogar teilweise ediert worden ist. Chrousts Werke, die er auf das Genaueste mit einem umfangreichen Belegapparat versah, müssen daher heutiger Forschung in vielen Fragen als einzige Quelle dienen. Das ist Fluch und Segen gleichermaßen. Alle nachfolgenden Autoren bezogen sich naturgemäß auf dieses Grundlagenwerk und übernahmen Chrousts Deutungsmuster der Geschehnisse um den Landesherrn Erzherzog Ferdinand in den napoleonischen Kriegen. Seine Interpretationen, so basal und wichtig sie für die Rheinbundforschung und für die fränkische Landesgeschichte heute sind, können durch die vorliegende Forschungsarbeit allerdings nur zum Teil bestätigt werden. Ohne den folgenden Betrachtungen vorausgreifen zu wollen, ist an dieser Stelle doch beispielsweise darauf hinzuweisen, dass Chroust stets eine gewisse Schwäche Ferdinands im Charakter und damit zusammenhängend in seiner Regentschaft beson­ders betonte und dies als Grundlage des Handlungshorizonts im Großherzogtum Würzburg unter der Hegemonie Napoleons herauszuarbeiten versuchte48. Begründet hat er 44 Valentin Langmantel  : Die äussere Politik des Grossherzogthums Würzburg. Würzburg 1878. 45 Leo Günther  : Würzburger Chronik. Personen und Ereignisse von 1802–1848. Würzburg 1925. 46 Chroust publizierte zunächst Voruntersuchungen  : Anton Chroust  : Das Großherzogtum Würzburg. Ein Vortrag. Würzburg 1913  ; ders.: Das Würzburger Land vor hundert Jahren. Würzburg 1914  ; ders.: Eine österreichische Sekundogenitur in Franken, in  : Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 2 (1929), S.  395–444  ; ders.: Ferdinand, Großherzog von Toskana. 1769–1824 bzw. 1806–1814, in  : Lebensläufe aus Franken VII. Reihe (1930), S. 142–172  ; dann als Ergebnis einer mehr als 18 Jahre andauernden Recherche  : Chroust, Die Geschichte des Großherzogtums Würzburg (1806–1814). Die äußere Politik des Großherzogtums. Würzburg 1932. 47 Das Manuskript wurde wie viele andere Archivalien aus Würzburg und München Opfer eines Feuers im Schloss Wässerndorf. Die Umstände des Brandes bleiben im Dunkeln, auch wenn einige von einer amerikanischen Vergeltungsaktion sprechen  : Wolfram Bilz  : Die Großherzogtümer Würzburg und Frankfurt. Würzburg 1969, S. 293. 48 Beispielhaft sei hier eine dieser kritischen Stellen angeführt  : »Der Großherzog war am 26. Oktober 1813 zu den Alliierten übergetreten und sein kaiserlicher Bruder schützte ihn vor allen weiteren Folgen seines

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dies u. a. damit, dass der musikbegeisterte Ferdinand unter der liebevollen ­Obhut seiner Mutter herangewachsen sei, »die trotz der vielen Kinder ihre ganze Liebe auf den Zweitgeborenen vereinigte«49. Damit zeichnete er ein Bild eines angeblich schwachen Fürsten auf Grundlage der dichotomen Zuschreibung weiblich/musisch/schwach, was als »typisch für die 1930er Jahre«50 gelten kann. Dieser Diktion folgten die sich anschlie­ßenden Arbeiten zu Ferdinand und dem Großherzogtum Würzburg, oftmals gar im Wortlaut51. Chrousts Grundlagenwerk zum Großherzogtum ­Würzburg, das sich explizit wie die vorliegende Forschungsarbeit als »Beitrag zur Geschichte des Rheinbundes«52 verstand, macht letztere damit also keineswegs obsolet53.

schwächlichen Verhaltens.« So in  : Chroust, Die Geschichte, S. 256. Solche und viele weitere Belege gleicher Art, die Ferdinands Realpolitik als Entscheidungs- und Charakterschwäche finden lassen, durchziehen das gesamte Werk und sind als Deutungsmuster wohl nur vor dem Hintergrund der als schmachvoll empfundenen »Erfüllungspolitik« des deutschen Reiches während der Weimarer Republik zu verstehen, als Chroust sein Werk niederschrieb. »Man hatte in Wien offenbar nicht mehr damit gerechnet, dass Kurfürst Ferdinand, der so gerne Entschlüssen auswich, und sich lieber leidend verhielt, sich zu einer selbstständigen Haltung aufraffen und die einmal gefasste Entschließungen der kaiserlichen Regierung, die ihm – wenigstens offiziell – spät genug bekannt gegeben worden waren, durch seinen Entschluss durchkreuzt werde.« In  : ebd., S. 46f. Alfred Reumont, der die Toskana vor allem fokussierte, begann diese Deutungsart am Ende des 19. Jahrhunderts  : »Aber ihm fehlte, wie schon Leopold erkannte, der rechte Ernst und die Kraft, welche die Ausdauer bei der Arbeit bedingen«, so in  : Reumont, Geschichte Toscana, S. 244. 49 Chroust, Die Geschichte, S. 142. 50 Forster, Die Konstruktion, S. 54. 51 So liest man bei Chroust, Die Geschichte, S. 93  : »Langsam, wie es seine [Erzherzog Ferdinand, Anm. d. Verf.] Art war, kam er in Bewegung.« Das wurde unhinterfragt übernommen und auf das ganze Staatswesen übertragen  : »Die toskanische Zeit war ein Anhalten der Entwicklung, eine Zeit des Abwägens und Abwartens, des auf die lange Bank Schiebens«, so bei  : Franz Bungert  : Toskanisches Zwischenspiel 1806– 1814, in  : Heimat-Jahrbuch des Landkreises Rhön-Grabfeld 24 (2002), S. 296–301, S. 296. Bei Chroust, Die Geschichte, S. 451 liest man von einem »unentschlossenen schwunglosen Fürsten, der seinen eigenen Erfolgen mißtraute und der es nicht verstand, das Glück bei der Locke zu fassen.« Ähnlich bei Brandt, Das Großherzogtum, S. 30  : »Der Herrscher […] entfaltete aber keine besonderen Führungsqualitäten oder gar Initiativen, sondern ließ sich bei schwach entwickelter Entschlusskraft von seinen Spitzenbeamten tragen.« Genauso meint Walter Ziegler, es gäbe noch viel zu sagen über Franzens Brüder, wie zum Beispiel über »den ältesten Bruder Ferdinand von Toskana, den man, weich wie er war, territorial herumschob.« So bei Walter Ziegler  : Franz II./I. (1792–1835). Kaiser, Dynastiechef, Landesvater, in  : Alfred Ableitinger/ Marlies Raffler (Hg.)  : »Johann und seine Brüder«. Neun Brüder und vier Schwestern  : Habsburger zwischen Aufklärung und Romantik, Konservativismus, Liberalismus und Revolution. Graz 2012, S. 57–76, S. 68. Diese Gegenüberstellung ohne Vollständigkeitsanspruch soll nicht ›Fehlurteile‹ aufdecken, sondern beabsichtigt vielmehr die Langlebigkeit der Chroustschen Beurteilung Erzherzog Ferdinands zu belegen. 52 Chroust, Die Geschichte, S. IX. 53 Es sei nur am Rande einmal mehr an Kosellecks Wort der »sogenannten Transzendenz der Geschichte« erinnert, die seiner Meinung nach »den Forscher dauernd zwingt die Geschichte immer wieder neu zu schreiben« womit »das Umschreiben der Geschichte nicht nur zur Fehlerkorrektur oder zum Wiedergut-

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Zwei weitere nennenswerte Forschungen der 1980er Jahre, die sich mit der Frage nach Ferdinands Stellung im Rheinbund beschäftigen, sind nach Anton Chroust vor allem Franz Pesendorfer54 und Dieter Schäfer55. In letztvergangener Zeit erfuhr das Großherzogtum Würzburg und sein Landesherr erneut gewisse Aufmerksamkeit56, auch anlässlich des 200-jährigen Gedenkens an seinen Regierungsantritt von 1806. Wolfgang Altgeld und Matthias Stickler veranstalteten unter dem Titel »Italien am Main« im Mai 2006 ein Symposium, auch in Anwesenheit zweier Nachfahren Erzherzog Ferdinands57. Der daraus entstandene Tagungsband fasste die zu diesem Zeitpunkt aktuellen Forschun­gen zusammen, zimmerte das Sprungbrett für neue Forschungen, ohne jedoch die Interpretationspfade Chrousts, eben aufgrund der komplexen Überlieferungssituation, wirklich verlassen zu können58. Der unlängst erschienene Sammelband über Erzherzog Ferdinands Geschwister darf als wichtiger Startschuss zur Rückbesinnung auf die Bedeu­tung dynastiegeschichtlicher Forschungsarbeiten zum Haus HabsburgLothringen gelten59. machungsakt, sondern […] zu den Voraussetzungen unseres Berufes« gehöre. So in  : Koselleck, Über die Theoriebedürftigkeit, S. 12. 54 Pesendorfer, Ein Kampf  ; und das danach verfasste, in beiderlei Wortsinn ›leichtere‹ Werk  : Franz Pesendorfer  : Die Habsburger in der Toskana. Wien 1988. 55 Dieter Schäfer  : Ferdinand Großherzog zu Würzburg. Würzburg 1985  ; Schäfer, Ferdinand von Österreich  ; Dieter Schäfer  : Erzherzog Großherzog Ferdinand, in  : Robert Meier (Hg.)  : Großherzog Ferdinand und die Würzburger »Toskanazeit« 1806 – 1814. Würzburg 2006, S. 9–19  ; Schäfer, Die politische Rolle. 56 Nennenswert hierbei vor allem die überblicksartigen Beiträge von Erwin Probst  : Würzburg – Vom Hochstift bis zum Rheinbundstaat, in  : Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 9 (1957), S. 70, Harm-Hinrich Brandt  : Würzburg von der Säkularisation bis zum endgültigen Übergang an Bayern, in  : Peter Kolb/Ernst-Günter Krenig (Hg.)  : Unterfränkische Geschichte, Bd. 4,1. Würzburg 1998, S. 477– 527, und Wolfgang Weiß  : Übergang an Bayern (1795–1814), in  : Ulrich Wagner (Hg.)  : Vom Bauernkrieg bis zum Übergang an das Königreich Bayern 1814. Stuttgart 2004, S. 206–228. Zudem auch mit biografischem Bezug Romberg, Religion und Kirchenpolitik. 57 Am Symposium vom 13. Mai 2006 nahmen auch Familienmitglieder der Dynastie teil  : Erzherzog Sigismund, heutiges Oberhaupt der Linie Toskana des Hauses Habsburg-Lothringen und Erzherzog Radbot von Habsburg-Lothringen. 58 Wolfgang Altgeld/Matthias Stickler (Hg.)  : »Italien am Main«. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg. Rahden u. a. 2007  ; Im Zuge dieses Symposiums fanden auch an der Universität Würzburg Seminare am Lehrstuhl für Neueste Geschichte statt, wodurch angeregt auch meine unveröffentlichte Magisterarbeit zum Thema »Die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg im Rahmen des napoleonischen Hegemonialsystems« entstand, auf die sich die vorliegende Forschungsarbeit teilweise gründet. Neue Forschungsergebnisse aus dieser Magisterarbeit konnten den Kenntnisstand des Tagungsbandes von 2006 erweitern. So konnte beispielsweise herausgefunden werden, dass Ferdinand 1809 sehr wohl aktiv kämpfende Soldaten gegen seinen Bruder ins Feld schickte, was Altgeld, Zur Einführung, S. 30 dort Anm. 24 ohne neue Aktenfunde noch nicht wissen konnte. 59 Alfred Ableitinger/Marlies Raffler (Hg.)  : »Johann und seine Brüder«. Neun Brüder und vier Schwestern  : Habsburger zwischen Aufklärung und Romantik, Konservativismus, Liberalismus und Revolution. Graz 2012  ; darin machen vor allem die Beiträge von Walter Ziegler und Matthias Stickler deutlich, wie viel

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Was die Literatur zum Rheinbund indes betrifft, ist sie im Vergleich zu Würzburgs Stellung darin nahezu uferlos, besonders was die ereignisgeschichtlichen ­Beschreibungen der einzelnen verbündeten Mitglieder angeht. Auch bei ihnen wirkte das 200-jährige Jubiläum gleich einer publizistischen Initialzündung60. Umso verblüffender, dass eine wissenschaftliche Gesamtschau für die Konföderation im Schatten Napoleons fehlt. Die letzte Arbeit zum Rheinbund stammt von Theodor Bitterauf aus dem Jahr 190561. Seitdem wird die Geschichte des Rheinbundes entweder landesgeschichtlich oder nur hinsichtlich von Detailfragen beforscht62. es hinsichtlich der Erforschung der Familienpolitik im Hause Habsburg-Lothringen noch zu entdecken gibt. Vgl. Matthias Stickler  : Großherzog Ferdinand III. von Toskana – ein Habsburger im Spannungsfeld von aufgeklärtem Spätabsolutismus und liberalkonservativer Reformpolitik, in  : Alfred Ableitinger/Marlies Raffler (Hg.)  : »Johann und seine Brüder«. Neun Brüder und vier Schwestern  : Habsburger zwischen Aufklärung und Romantik, Konservativismus, Liberalismus und Revolution. Graz 2012, S. 77–97 und Walter Ziegler  : Franz II./I. (1792–1835). Kaiser, Dynastiechef, Landesvater, in  : ebd.: »Johann und seine Brüder«. Neun Brüder und vier Schwestern  : Habsburger zwischen Aufklärung und Romantik, Konservativismus, Liberalismus und Revolution. Graz 2012, S. 57–76  ; Hervorzuheben ist in diesem Kontext auch der bereits zitierte Beitrag  : Forster, Die Konstruktion. 60 Die große Liste sei lediglich hier beispielhaft verdeutlicht. Eine vollständige Publikationsliste zum Thema ist nicht zu erreichen  : Katharina Schaal  : Hessen im Rheinbund. Die napoleonischen Jahre 1806 – 1813  : Beiheft zur Ausstellung des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt (15. Mai – 14. Juli 2006), des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden (7. September – 20. Oktober 2006) und des Hessischen Staatsarchivs Marburg (14. Februar – 18. April 2008). Darmstadt 2006  ; Paul Sauer  : Napoleons Adler über Württemberg, Baden und Hohenzollern. Stuttgart u. a. 1987  ; Anton Schindling/Gerhard Taddey (Hg.)  : 1806 – Souveränität für Baden und Württemberg. Beginn der Modernisierung  ? Stuttgart 2007  ; Charles Schmidt  : Das Großherzogtum Berg 1806–1813. Eine Studie zur französischen Vorherrschaft in Deutschland unter Napoleon I. Neustadt/Aisch 1999  ; Alexander Schmidt  : Prestige, Kultur und Außendarstellung. Überlegungen zur Politik Sachsen-Weimar-Eisenachs im Rheinbund, in  : Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 59/60 (2005/2006), S. 153–192  ; Winfried Schüler  : Das Herzogtum Nassau. Wiesbaden 2006. 61 Vgl. Theodor Bitterauf  : Geschichte des Rheinbundes. München 1905. Das unlängst erschienene Werk Alain Pigeard  : L’Allemagne de Napoléon. La Confédération du Rhin, 1806–1813. Paris 2013, stellt ohne Interpretation und Gesamtwürdigung des Rheinbundes nur die wichtigsten Fakten und Daten der 39 Rheinbundmitglieder zusammen. 62 Auch hier werden nur beispielhaft einige Werke zur Thematik angeführt ohne dem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht werden zu können. Dezidiert zum Rheinbund arbeiteten  : Weis, Napoleon und der Rheinbund  ; Bock, Napoleon-Deutschland-Europa  ; Karl-Heinz Börner  : Krise und Ende des Rheinbundes – hauptsächlich unter militärpolitischem Aspekt, in  : Jahrbuch für Geschichte / Akademie der Wissenschaften der DDR 38 (1989), S. 7–38  ; Manfred Botzenhart/Kurt von Raumer  : Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Deutschland um 1800  : Krise und Neugestaltung von 1789 bis 1815. Wiesbaden 1980  ; Hartwig Brandt/Ewald Grothe (Hg.)  : Rheinbündischer Konstitutionalismus. Frankfurt am Main, New York 2007  ; Ludolf Pelizaeus  : Frankreich, der Erzkanzler und Schwaben  : Raumkonzepte vom Rheinbund (1658) zum Rheinbund (1806), in  : Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben (2008), S. 59–70  ; Savoy, Napoleon und Europa  ; in französischer Sprache  : Françoise Knopper/Jean Mondot (Hg.)  : L’Allemagne face au modèle français de 1789 à 1815. Toulouse 2008  ; Pigeard, L’Allemagne  ; als Sammelband  : Wolfgang von Groote (Hg.)  : Napoleon I. und die Staatenwelt seiner Zeit. Freiburg 1969  ; Heinz-Otto Sieburg (Hg.)  : Napoleon und Europa. Köln u. a. 1971 darin vor allem

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Ein wesentlicher Beitrag für künftige Geschichtsschreibung über den Rheinbund bleibt die Edition der Quellen zu den Rheinbundstaaten, herausgegeben von der Histo­ rischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften63. Für das Großherzogtum Würzburg fehlt allerdings ein solcher Band. Wie bereits für den dynastie- und diplomatiegeschichtlichen Aspekt aufgezeigt, so gilt auch hinsichtlich der Regierungsakten dieses Staatswesens hier  : die Überlieferungstradition ist äußerst komplex, unübersichtlich und lückenhaft. Im Staatsarchiv in Würzburg verbrannten im März 1945 die für die Genese der staatlichen Verordnungen wichtigen Quellen, also die eigentlichen Regierungsakten nahezu vollständig64. Die ministeriellen Gutachten und Gegengutachten, die Reformentwürfe, Luigi Salvatorelli  : Napoleon und Europa, in  : Heinz-Otto Sieburg (Hg.)  : Napoleon und Europa. Köln u. a. 1971, S. 171–200  ; Marion George/Andrea Rudolph (Hg.)  : Napoleons langer Schatten über Europa. Dettelbach 2008  ; Gabriele B. Clemens/Guido Braun/Lutz Klinkhammer/Alexander Koller (Hg.)  : Napoleonische Expansionspolitik. Okkupation oder Integration  ? Berlin 2013. Wichtige Beiträge lieferte auch  : Reinhard Mußgnug  : Der Rheinbund, in  : Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte. (2007), S. 249–267  ; Gerhard Schuck  : Die Rheinbundakte von 1806, in  : Hartwig Brandt/Ewald Grothe (Hg.)  : Rheinbündischer Konstitutionalismus. Frankfurt am Main, New York 2007, S. 17–30  ; Etienne François  : Das napoleonische Hegemonialsystem auf dem Kontinent, in  : Andreas Klinger (Hg.)  : Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen. Köln u. a. 2008, S. 73–84  ; sowie früher Georg Schmidt  : Der Rheinbund und die deutsche Nationalbewegung, in  : Heiner Timmermann (Hg.)  : Die Entstehung der Nationalbewegung in Europa, 1750–1849. Berlin 1993, S. 29–44. Als wichtige Untersuchungen jedoch mit Fokussierung auf Einzelaspekte, wie die Rheinbundpublizistik  : Birgit Fratzke-Weiss  : Europäische und nationale Konzeptionen im Rheinbund. Politische Zeitschriften als Medien der politischen Öffentlichkeit. Frankfurt am Main, New York 1997  ; Gerhard Schuck  : Rheinbundpatriotismus und politische Öffentlichkeit zwischen Aufklärung und Frühliberalismus. Kontinuitätsdenken und Diskontinuitätserfahrung in den Staatsrechts- und Verfassungsdebatten der Rheinbundpublizistik. Stuttgart 1994  ; zur Entwicklung des Konstitutionalismus  : Christof Dipper (Hg.)  : Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien – Verwaltung und Justiz. Berlin 1995  ; Michael Hecker  : Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland. Berlin 2005. 63 Mittlerweile sind neun Bände erschienen  : Klaus Rob  : Regierungsakten des Grossherzogtums Berg, 1806– 1813. München 1992  ; ders.: Regierungsakten des Königreichs Westphalen. 1807–1813. München 1992  ; ders.: Regierungsakten des Primatialstaates und des Grossherzogtums Frankfurt, 1806–1813. München 1995  ; Maria Schimke  : Regierungsakten des Kurfürstentums und Königreichs Bayern. 1799 – 1815. München 1996  ; Uta Ziegler  : Regierungsakten des Herzogtums Nassau. 1803–1814. München 2001  ; dass.: Regierungsakten des Großherzogtums Hessen-Darmstadt 1802–1820. München 2002  ; und jüngst Gerhard Müller  : Thüringische Staaten. Sachsen-Weimar-Eisenach 1806–1813. München 2015. 64 In den übrigen Würzburger Archiven, dem Diözesan- und dem Stadtarchiv Würzburg findet sich über die Zeit des Großherzogtums Würzburg hinsichtlich der Fragestellung nur wenig Substantielles. Im Stadtarchiv waren lediglich die Nachlassakte Seufferts (StadtAWü, ZGS Biographische Mappen Seuffert, Johann Michael) und die Nachlasssammlung von Dr. A. G. Ziegler relevant sowie die zur Illustration hier veröffentlichten Karten und Stiche. Außerdem konnten den Ratsakten Hinweise über das Verhältnis von Stadtregierung, französischer Garnison und Staatsrat entnommen werden, in  : StadtAWü, Ratsakten, bspw. 1707, 2019, 2020. Im Diözesanarchiv konnte hinsichtlich der Einwirkung der napoleonischen Rheinbundpolitik auf

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Denkschriften und Vorträge und schließlich auch einige der Verordnungen selbst, wurden zu großen Teilen vernichtet65. Jedoch bei weitem nicht alles. Das Ausmaß der verbrannten Archivalien sorgte für einen weitverbreiteten Eindruck, alle Dokumente zur großherzoglichen Zeit seien unwiederbringlich verloren. Und doch fanden sich sukzessive in anderen Archiven, oder in sogenannten Mischbeständen des Staatsarchivs Würzburg (beispielsweise ›Geistliche Sachen‹) Reste zur Regierungsarbeit in den Jahren 1806–1814. Dieser erfreuliche Umstand ist insbesondere dem Würzburger Archivar im Staatsarchiv Jens Martin zu verdanken, der an neuen Kategorisierungen und am Neuaufbau von Beständen zu inneren Verwaltungsangelegenheiten, zu Reformtätigkeiten und -projekten des Großherzogtums Würzburg bis Mai 2016 arbeitete66. Manche Archivalien, Akten, Protokolle, Memoranden und Dekrete waren zuvor in Beständen des Staatsarchivs Bamberg eingereiht und wurden jüngst erst wieder zurückgegeben67 oder sie konnten nach umfangreichen Provenienzanalysen aus den Beständen der Regierung von Unterfranken gefiltert werden68. So fanden sich verlorengeglaubte Aktenkonvolute beispielsweise zum Armenwesen, zu dem für eine Beurteilung der Bevölkerungsstimmung ausschlaggebenden Zensurwesen, aber auch eine große Menge zum Schulwesen wieder69. Gerade hinsichtlich des letztgenannten Reformbereichs ließ sich aus diesen wiederentdeckten Archivalien ein bisher unbekannter Reformeifer der Würzburger Regierung erkennen70. Alleine ein Blick auf jenen Reformbereich widerspricht der so oder meist die Regierung des Großherzogtums die Pfarrchronik von Michael Anton Rauch Verwendung finden, in  : DAW, Euerfeld 1346. Einen kleinen Bestand bewahrt auch die Universitätsbibliothek Würzburg auf. Dort sind hierfür die würzburgischen Verordnungen relevant. Eine Sammlung von allerlei gedruckten Aufrufen, Proklamationen und Edikten findet sich chronologisch zusammengefügt, in  : UBWü 26/Rp 13,6–3. 65 Schmerzlich ist insbesondere der vollständige Verlust der Staatsratsprotokolle von 1806–1814, der 44 Bände umfassenden Sammlung der inneren sowie der Verlust der 25 Bände der äußeren Angelegenheiten. Umso tragischer daher auch der Verlust von Chrousts Manuskript zur Innenpolitik des Großherzogtums Würzburg 1945 in Schloss Wässerndorf. 66 Großherzogtum Würzburg, Geheimer Staatsrat, 408. Auch für die Zeit von 1800–1806 konnten neue Bestände geschaffen werden  : General-Landeskommissariat in Franken, 72 (beinhaltet Wesentliches zur ersten bayerischen Regierungsübernahme 1802/03)  ; Landeskommissariat Würzburg, 9  ; Spezialkommission in Administrativangelegenheiten der Stifte und Klöster, 65 (beinhaltet interessante Akten zur Säkularisation). 67 StAWü, alte Signatur  : Würzburger Archivalien, 451, 511, 554, 869, 1428f. 68 Man gab bereits 1943 und dann wieder 1945 Akten des geheimen Staatsrats, der obersten Regierungsbehörde des Großherzogtums Würzburg, an das Staatsarchiv Bamberg und bewahrte sie so vor der Zerstörung. Darunter zählten bspw. die Bestände der Altsignatur Militärsachen 611, 3122  ; Reichswesen 880, 889  ; Schulsachen 193, 637, 1101f.; Geistliche Sachen 1370  ; Administrative Sachen 11570  ; sie alle finden sich nun eingereiht in Großherzogtum Würzburg, Geheimer Staatsrat, 408. 69 StAWü, Großherzogtum Würzburg, Landesdirektion 1343–1345. 70 Ohne dem Folgenden vorweggreifen zu wollen, so ist es doch bemerkenswert, dass aus den Akten (Altsi-

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ähnlich lautenden Meinung  : »Die toskanische Zeit war ein Anhalten der Entwicklung, eine Zeit des Abwägens und Abwartens, des auf die lange Bank Schiebens«71. Auch die in unübersehbar reichhaltiger Fülle erhaltenen Rechnungsbücher (zu allen Etatjahren) lassen Rückschlüsse auf die Regierungstätigkeit im Großherzogtum Würzburg zu. Dort zusammengetragene Daten sind Zeugnisse beginnender Statistik, die zur Effizienzsteige­ rung und Nutzenmaximierung der Ressourcen des Staatsgebiets Würzburg für die Regie­ rung, gerade in Zeiten anhaltender Kriege, handlungsweisend war. Die daraus errechneten Defizite in vielfältigen Bereichen, wie Bevölkerungsentwicklung, Gesundheits- und Bildungswesen nahmen die Regierungsbeamten oftmals zum Anlass ihrer später noch zu erläuternden punktuellen, aber vor allem militärisch wirkungsvollen Reformtätigkeit. In diesem Kontext sind auch die Bestände des Historischen Vereins für Unterfranken und Aschaffenburg (H.V.) erwähnenswert, die eine datengestützte Analyse der Sozialstruktur, der Demografie und der Wohlstandsverteilung im Land im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit überhaupt erst ermöglichen72. Der H.V. besitzt außerdem einige der sehr seltenen Ego-Dokumente aus dem Kreis der höchsten Spitzenbeamten des Erzherzogs Ferdinand. Beispielsweise verfasste der Staatsrat Ferdinands Johann Christian Baptist von Wagner (1754–1833) eine Autobiografie – geschrieben für seinen Sohn, laut Wagner um »sie einstmals zu Deiner Versorgung und zur Versorgung Deiner Geschwister bei dem gerechten König von Bayern und seinem erleuchteten Ministerium geltend zu machen«73. Im Gegensatz dazu müssen die Nachlassenschaften des Staatsrats Johann Michael von Seuffert (1765–1829) in der Sammlung des H.V., die von Chroust noch bearbeitet werden konnten und von ihm als »Seufferts Papiere« bezeichnet wurden, heute als ver-

gnatur) Regierung von Unterfranken 5820–5825 hervorgeht, dass auf Anordnung der großherzoglichen Regierung von 1805–1814 insgesamt 56 Schulen im Großherzogtum Würzburg neu gebaut und weitere 82 Schulen um- bzw. ausgebaut oder wieder instand gesetzt wurden. Siehe hierzu Kapitel 3.5, S. 218. 71 Bungert, Toskanisches Zwischenspiel, S. 296. 72 Neben dem Bestand StAWü, Statistische Sammlung, 3, 4 sind also die Quellenbestände, die sich im Besitz vom Nachfolgeverein des H.V., den Freunden Mainfränkischer Kunst und Geschichte, befinden, aber ebenfalls im Staatsarchiv Würzburg aufbewahrt werden, relevant  : StAWü, H.V. MS, f. 589, 592, 1054. 73 Ediert ist diese autobiografische Studie  : Wagner, Christian Johann Babtist von, Die Biographie  ; hier S. 9. Immer wieder wies Wagner darin auf nicht eingeforderte Geldsummen oder Auslagen hin, die seitens der Bayerischen Krone nicht »gratificiert« wurden. Die Autobiografie bestimmt ein anti-französischer Grundtenor, der typisch für die Zeit nach 1813 war und im Wesentlichen stereotyp ist. Zudem finden sich vielfach Rechtfertigungen gegenüber Würzburger Honoratioren. Neben der Glorifizierung der Regierungszeit der letzten Fürstbischöfe Erthal und Fechenbach, deren Beschreibung bisweilen an Panegyrika erinnert, wirkt die Regierungszeit des Erzherzogs Ferdinand in seiner Autobiografie blass und eher negativ bewertet. Das überrascht angesichts des angestrebten Wirkungszwecks nicht.

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loren gelten74. Seine Argumentation für eine profranzösische Politik legte er indes auch in seiner umfangreichen publizistischen Arbeit dar75. Trotz der bemerkenswerten Funde im Staatsarchiv bleiben die erhaltenen Regierungs­ akten in Würzburg selbst allerdings ein Fragment, Archivalien über den Geheimen Staatsrat fehlen völlig. Wieder ist ein Gang in das Tschechische Zentralarchiv in Prag ertragreicher als die Archive in Würzburg selbst. Festzuhalten ist, dass sich dort heute die wohl noch größte Sammlung von Staatsrats- und Landesverwaltungsdokumenten befindet, die sich aus diplomatischen Akten, politischen Tätigkeitsberichten, Rechnungen, Regularien zum Verwaltungsvollzug sowie Dekreten und Reformvorhaben zur Förderung des Militär-, Bau-, Kultur und Wissenschaftswesens zusammensetzen76. Der Staatsrat von Erzherzog Ferdinand, Johann Nepomuk Hennebrith von Henneberg (1754–1814), ist wohl der Urheber der dort auffindbaren Aktenkonvolute. Nahezu vollständig wurden »Bittbriefe und Sollicierungen«77 genau den Antwortkonzepten Hennebriths zugeordnet, alle originalen Aktendeckel tragen seine Handschrift und gar Ferdinands Handzettel an den Staatsrat (z.B.: »bringen sie mir um 12 Uhr die Akten herauf, welche sie in ihrer Kanzley haben, und auf die Korrespondenz mit dem Grafen Kobenzl in Paris bezug haben«78) wurden penibel zusammengefügt. Hennebriths Grundordnung der Archivalien ist in Prag heute größtenteils beibehalten worden. Darin eingegliedert ist auch eine vollständige Reihe der gedruckten Sammlung des Regierungsblattes des

74 Auf Nachforschung des Stadtarchivs Würzburg über den Verbleib der Sammlung konnte Dr. M. Hofmann, Oberregierungsarchivrat des Staatsarchiv Würzburgs am 27.4.1960 nur antworten, dass viele Schriftstücke, darunter die Diarien, in der Wohnung des Herrn Generalmajors Franz Alexanders (1889–1972) in Köslin (Pommern) aufbewahrt wurden, und »infolge der Flucht von Frau Seuffert vor dem Einmarsch der Russen im Februar 1945 verlassen werden mussten. Über das Schicksal der Dinge war bis zur Stunde nichts in Erfahrung zu bringen. Die Hoffnung, dass es je auf irgendeinem Weg gelingen könnte, darüber näheres zu erfahren, wird auch von den Angehörigen der Familie Seuffert nur als sehr gering angeschlagen.« So in StadtAWü, ZGS Biographische Mappen Seuffert, Johann Michael. 75 Vgl. besonders Johann Michael von Seuffert  : Rechtfertigung des Versuchs einer doctrinellen Auslegung des siebenten Friedensartikels von Lunéville. Gegen den Versuch einer natürlichen Erklärung des besagten Friedensartikels. [Germanien] 1801  ; Seuffert publizierte gerade in fürstbischöflicher Zeit einige rechtswissenschaftliche Arbeiten. An dieser Stelle soll jedoch auf folgende Werke hingewiesen werden, die in direktem Bezug zu seiner Beamtentätigkeit stehen  : Johann Michael Seuffert  : Ueber die Entstehung, den Fortgang und den gegenwärtigen Bestand der Industrie-Schulen in dem Hochstifte Wirzburg. Würzburg 1791  ; ders.: Von dem Verhältnisse des Staats und der Diener des Staats gegeneinander im rechtlichen und politischen Verstande. Würzburg 1793  ; ders.: Über die Aufstellung größerer StaatenMassen in Teutschland statt der vielen kleinern und Organisirung derselben nach dem Geiste des ZeitAlters. Leipzig 1799. 76 Vgl. SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6, 7, sign. 71. 77 Ebd., kt. 9, sign. 73/1. 78 O.D. Ebd., kt. 3, sign. 43.

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Großherzogtums Würzburg der Jahre 1806–181479, die sich aufgrund der Kriegszerstörung in Würzburg nur lückenhaft erhalten hat80. Eine datengestützte Analyse in dieser Untersuchung wird beweisen, dass Würzburgs Regierung nicht vollkommen untätig war, wie oftmals in Unkenntnis der Quellen zu lesen, sondern vielmehr effizient81. Wichtige Auskunft für die Bewertung einer erfolgreichen oder missglückten Rheinbundpolitik der großherzoglichen Regierung war die geografische Expansion – in der zeitgenössischen Wendung – die ›Purifizierung‹ des Großherzogtums Würzburg. Dafür existiert im Familienarchiv ›Habsburg-Toskana‹ in Prag zudem eine aussagekräftige Sammlung von insgesamt 2.500 Stück Landkarten und Plänen, die auch den geografischen status quo des Großherzogtums Würzburg zu verschiedenen Zeitpunkten detailliert aufzeigen82. Die Verhandlungen um die Gebietserweiterungen führte – wie bereits angerissen – die großherzoglich würzburgische Regierung vornehmlich mit der Krone Bayern und bemühte sich dabei notgedrungen immer wieder aufs Neue um eine Vermittlung des französischen Außenministeriums. Dies fand seinen Niederschlag in zahllosen Akten in München und Paris. Es belegen diese Quellenbestände am eindringlichsten, was unter dem Phänomen Rheinbundpolitik zu verstehen ist, welche sich konkret auf die Verhandlungen hinsichtlich der Grenzberichtigungen in den Jahren 1806/7 und 1810 beziehen und in direkter Verbindung zu französischen Truppenforderungen stehen83. Die teils 79 Vgl. Ebd., kt. 1, sign.48  ; kt.15, sign.56. 80 So finden sich Teile der Reihe in der Sondersammlung der Universitätsbibliothek Würzburg und auch in den Beständen im Staatsarchiv Würzburg in der Sammlung des Historischen Vereins. Einzelne Ausgaben oder teilweise ganze Jahrgänge fehlen allerdings. 81 »Im Resultat herrschte in der Toskanazeit in den entscheidenden gesellschaftspolitischen Reformfragen völliger Gesetzgebungsstillstand« Harm-Hinrich Brandt  : Innenpolitik als Problem. Würzburg in der rheinbündischen Reformperiode, in  : Wolfgang Altgeld/Matthias Stickler (Hg.)  : »Italien am Main«. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg. Rahden u. a. 2007, S. 105–127, S. 125, dagegen siehe Kapitel II. 2.1. 82 SUAP IV, RAT, Mapy, sign. 1570, 5401, 5413, 5449, 5475, 5476. 83 BayHStA, Außenministerium, MA III, 13074 Würzburg (darin  : Gesandtschaftsberichte 1807–1812)  ; ebd., MA VI, 4590–4594 (darin  : Übergabegeschäft 1806), 4595 (darin  : Widerrechtliche Okkupation der Deutschordensgebiete 1806–1808), 4598 (darin  : Übergabegeschäft 1806 vornehmlich das Ebrachsche betr.), 4600–4607 (darin  : Regierungsabtretungsgeschäft 1806), 5836/2–12 (darin  : Akten zum Kongress von Mergentheim zur Regelung der Aufteilung der Deutschordensgüter), 6390 (darin  : Bereinigung der Grenzdifferenzen 1810), 6393 (darin  : Vollziehung der Pariser Vertäge 1810–1818), 6395 (darin  : Wechselseitige Geschenke wegen Pariser Verträge 1810), 6397 (darin  : Verfügungen über Territorial Verletzungen 1812–13), 6400 (darin  : Würzburgische Entschädigungsansprüche wegen Deutschordensbesitzungen 1812)  ; Im Jahr 1999 wurde erst der Bestand »Hofkommission Würzburg« neu geschaffen. Für den Untersuchungsgegenstand relevant sind davon  : BayHStA, Hofkommission Würzburg, 8–14 (darin  : Vollzug der Pariser Verträge 1810), ebd., 104 (darin  : Wohnsitz und Rechte der mediatisierten Fürsten und adeligen Grundbesitzer)  ; Ebenfalls wichtig in diesem Zusammenhang  : BayHStA, Die Bayerische Gesandtschaft in Würzburg, 46–51 und 61. In den Archives des Affaires étrangères in Paris sind die Bestände nicht so speziell gegliedert

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stark bewertenden Kommentare der österreichischen Gesandtschaft zu diesen Vorgängen, an den Wiener Hof adressiert, erweitern den Blick auf die Ereignisgeschichte und erlauben heute eine Einschätzung auf geopolitische Zielrichtung der Habsburgermonarchie84. In der bisherigen Historiografie wurde die Regierungstätigkeit der Spitzenbeamten im Großherzogtum stets eng verknüpft mit der meist als schwach bewerteten Regentschaft Erzherzog Ferdinands untersucht85. Dennoch leisteten diese und ihnen folgende Beiträge unersetzbare Vorarbeiten und Anknüpfungspunkte für die vorliegende Forschungsarbeit86. Einzig und alleine Wolfram Bilz nahm in seinem Vergleich der Großherzogtümer Würzburg und Frankfurt auch militärgeschichtliche Aspekte in den Blick, die sonst seitens der landesgeschichtlichen Beiträge nur vage angedeutet wurden87. wie in München. Alle Geschäftskorrespondenzen der würzburgischen Amtsträger finden sich (meist) chronologisch geordnet in den bereits angeführten Beständen AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65–69. 84 Hierfür besonders  : HHStAW, Stk, Kleinere Reichsstände 549, 550  ; Ebd., Stk, Würzburg 1, 2. 85 Arbeiten zur Regierungsarbeit im Großherzogtum Würzburg wurden meist als Beitrag zu landesgeschichtlichen Überblickswerken konzipiert und hatten fast immer ein Regierungsantritts- oder Abdankungsjubiläum zum Anlass. Zuerst Leo Günther  : Der Übergang des Fürstbistums Würzburg an Bayern. Leipzig 1910, und Theodor Vogt  : Das fränkische Beamtentum zur Zeit des Übergangs an Bayern, in  : Josef Friedrich Abert/Stadt Würzburg (Hg.)  : Hundert Jahre bayerisch. Ein Festbuch. Würzburg 1914, S. 27–40 der sich bereits auf Chroust, Das Würzburger Land beruft und seiner Deutung folgt. Das Beamtenpatriziat zur Zeit des Hochstifts untersuchte Hildegunde Flurschütz  : Die Verwaltung des Hochstifts Würzburg unter Franz Ludwig von Erthal (1779–1795). Würzburg 1965. Einzelne Regierungsverantwortliche nahmen folgende Arbeiten in den Blick  : Max Domarus  : Bürgermeister Behr. Würzburg 1985, Dieter Schäfer  : Johann Michael von Seuffert (1765–1829), in  : Lebensläufe aus Franken (1990), S. 114–134, Walter Demel  : Politische und soziale Integration im »neuen Bayern« (1803–1818). Eine Zwischenbilanz der Forschung, in  : Jahrbuch für fränkische Landesforschung 58 (1998), S. 327–348 und Günter Schulz  : Der Würzburger Legationssekretär in Paris, Heinrich Thomas Karcher, in  : Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst (1996), S. 192–198. Besonders hervorzuheben sind die Beiträge von Harm-Hinrich Brandt, der den Aspekt der Innenpolitik von 1806–1814 vermehrt fokussierte  : Brandt, Würzburg, Brandt, Das Großherzogtum und diesem Beitrag ähnlich Brandt, Innenpolitik. Die Beiträge Rudolf Endres  : Bayern und das Großherzogtum Würzburg, in  : Ernst Günther Krenig (Hg.)  : Wittelsbach und Unterfranken. Würzburg 1999, S. 85–94 und Weiß, Übergang beschäftigten sich vor allem mit der komplexen Fragestellung des Verhältnisses vom Großherzogtum Würzburg zum Königreich Bayern. 86 Einen wichtigen Vergleich der Regierungsarbeit im Großherzogtum Würzburg und dem Großherzogtum Frankfurt bietet Bilz, Die Großherzogtümer. Mit dem Schwerpunkt einer statistischen Analyse der Zeit von 1806–1814 sind die Beiträge von Hansjoachim Daul  : Die würzburgischen Landgerichte im Jahre 1810. Ein Beitrag zur Statistik und Verwaltungsorganisation des Großherzogtums Würzburg, in  : Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 21 (1969), S. 378–391, Ellen Christoforatou  : Zwischen geistlicher Herrschaft und Eigenverantwortung. Die Wirtschaftsentwicklung in der Stadt Würzburg 1650–1803. Würzburg 2010 und vor allem Ute Feuerbach  : Konflikt und Prozess. Neustadt/Aisch 2003 unerlässlich. Diese Arbeiten werden durch die Dissertationsschrift von Clemens M. Tangerding ergänzt, die die Lebenswelten von Einwohnergruppen der Stadt Würzburg während der häufigen Herrschaftswechsel am Main mit phänomenologischen Methoden untersucht  : Clemens Maria Tangerding  : Der Drang zum Staat. Lebenswelten in Würzburg zwischen 1795 und 1815. Köln 2011. 87 Vgl. Bilz, Die Großherzogtümer, S. 122–138.

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Er vervollständigte seine Untersuchung zu innen- und außenpolitischen Aspekten in beiden Staatswesen – für das Großherzogtum Würzburg zum ersten Mal – mit einem eigenständigen operationsgeschichtlichen Teil, der aufgrund seines noch begrenzten Quellenzugangs der späten 1960er Jahre leider nur Überblick bleiben konnte. Im Rahmen eines unveröffentlichten Magisterarbeitsprojekts, das 2011 am Würzburger Lehrstuhl für Neueste Geschichte abgeschlossen wurde88, war es erstmals möglich, wieder Zugang zu Quellen zu haben, die eigentlich für im März 1945 ebenfalls vollständig verbrannt galten. Denn der Rechtsnachfolger des Großherzogtums Würzburg verbrachte jene militärgeschichtlich relevanten Archivalien ab 1814 sukzessive nach München, da die Militärverwaltung des in Würzburg neugebildeten 9. Infanterieregiments nun von dort aus erfolgte. Diesem glücklichen Umstand ist der Erhalt der Konvolute und dem Münchner Archivar Otto-Karl Tröger die Wiederauffindung und Neuordnung dieser Akten zu verdanken89. Insgesamt 589 Archivalienbände mit unterschiedlichem Umfang wurden im Jahr 2005 aus dem dortigen Kriegsarchiv wieder in das Staatsarchiv Würzburg zurückgegeben und sie bilden jetzt den Bestand ›Großherzogtum Würzburg, Militäroberkommission (MOK)‹90. Besonders die dort eingereihten Sitzungsprotokoll­bände der Militäroberkommission der Jahre 1807–1809 lassen Kenntnisse über die Verwaltungsstrukturen, den Truppenaufbau und die Truppenstärke sowie deren Organisation, und über die operationelle Planung des Stabes für die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg überhaupt erst zu. Aus diesem neu aufgearbeiteten Archivgut lassen sich auch vornehmlich all die Informationen ziehen, die Montur, Aufstellung, Sold, Desertion und Kosten der würzburgischen Streitkräfte betreffen91. Aus ihnen konnten grundlegende Hinweise zu Lebensumständen und deren soziale, wirtschaftliche und kriegsbedingte Determinanten der großherzoglich würzburgischen Soldaten herausgelesen werden92. Eine Militärgeschichte des Großherzogtums Würzburg soll, wie bereits erläutert, auch als Sozialgeschichte, als Organisationsgeschichte, als Wirtschafts- und Operationsgeschichte gelesen werden können. Dieses Vorhaben lässt sich durch den Bestand MOK überhaupt realisieren. Ergänzt wird der Quellenbestand im Staatsarchiv Würzburg um die ebenfalls umfangreiche, doch stellenweise informationsarme Sammlung des H. V., die vor allem ereignisgeschichtlich relevante und teils sehr detaillierte Schilderungen 88 Die wesentlichen Ergebnisse finden sich zusammengefasst in  : Rückert, Opfer für Napoleon. 89 Vgl. https://www.gda.bayern.de/service/common/online-findmittel/staatsarchiv-wuerzburg/grossherzogtumwuerzburg-militaer-oberkommission-1806-1815/ [zuletzt aufgerufen 01.08.2021] 90 Künftig  : StAWü, MOK. 91 Erweitert und ergänzt wurden diese um die Erkenntnisse, die aus den würzburgischen Verordnungen und aus den Großherzoglich würzburgischen Regierungsblättern der Jahre 1806 bis 1813 generiert werden konnten. Die Fragen zur Uniformkunde konnten durch die Sammlung Brodt, die in der Universitätsbibliothek Würzburg lagert, vornehmlich geklärt werden. 92 Vgl. Kapitel II. 2.1, S. 313f.

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zu Marsch- und Schlachtverläufen bietet93. In der Sammlung findet sich auch ein bisher unveröffentlichter Spionagebericht des Vicarius Bauer, der eine lebhafte Darstellung über die letzten Tage des Großherzogtums am Hof des Erzherzog Ferdinands bietet94. Besonders erwähnenswert ist auch der Manuskriptentwurf einer ­Regimentsgeschichte über die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg von einem Zeitgenossen. Hauptmann Karl Fritz, der selbst viele Feldzüge der Truppen Würzburgs für Napoleon miterlebt hat, verfasste damit kein Ego-Dokument, sondern vielmehr eine heroisierende Feldzugsgeschichte95. Über die Geschichte des Infanterieregiments kann daher ausführlicher Auskunft gegeben werden als beispielsweise über die Chevaulegers96 und die diversen Artilleriekorps, über die nicht einmal bekannt ist, ob überhaupt Berichte von diesen angefertigt wurden. Hinsichtlich der Operationsgeschichte in diesen Archivalien ist verblüffend, dass Erzherzog Ferdinand 1809 doch ein Truppenkontingent gegen seinen Bruder für Napoleon ins Feld stellte. Das konnte zu einer Neubewertung der Stellung des Habsburger Agnaten und damit des Großherzogtums Würzburg im Rheinbund in der vorliegenden Forschungsarbeit führen. Archivalische Grundlage dafür sind auch die Offizierspersonalakten, die Musterungslisten, die Standes- und Diensttabellen sowie Desertionsakten in Abteilung IV des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, dem Kriegsarchiv in München97. Das Datenkorpus konnte noch durch eine Erstauswertung des Sterberegisters der Militärpfarrei St. Burkhardt im Diözesanarchiv Würzburg98 sowie durch eine große Menge an Suppliken um Befreiung vom Militärdienst, die seitens der Betroffenen auch an Mitglieder des Staatsrats direkt gerichtet wurden99, vergrößert werden. Dennoch ist festzustellen, dass trotz der großen Quantität der erhaltenen militärhistorisch relevanten Archivalien deren tatsächliche Aussagekraft stark variiert. Zu manchen Einzelphänomenen gibt es eine nicht zu bewältigende Fülle an gut erhaltenen Informationen, wenn es beispielsweise um die Zusammenstellung und die Kostenentwürfe eines einzigen Truppenteils geht100. Ausgedehnt über mehrere hundert Seiten existieren beispielsweise noch Akten, die detailliert die Einkleidung und ausführlich die Dienstabzeichen

 93 Siehe vor allem  : StAWü, H.V. MS, f., 166  ; 168  ; 169  ; 187.  94 Vgl. StAWü, H.V. MS, o., 14.  95 Diese in  : StAWü, H.V. MS, f., 166  ; 170  ; Ebd., q., 116  ; 117.  96 Dieser wie andere erklärungswürdige militärhistorische Fachtermini finden sich im Glossar.  97 BayHStA, Abt. IV, Serienakten 297  ; 359  ; 479.  98 DAW, Würzburg, St. Burkhard.  99 Bittbriefe und Sollicierungen an Staatsrath von Hennebrith, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 9, sign. 73/1. 100 Vgl. bspw. StAWü, MOK, 433  ; wo es ausführlich um die Beschaffenheit von Montur, deren Besorgung und Kosten, deren Zusammensetzung und Aufstellung bei einer Artilleriekompanie geht.

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der 1806 aufgestellten Infanteriebataillone bestimmen101, oder rein chronologische Schilderungen der Schlachten und Feldzüge – die sogenannten Marschtagebücher – einzelner Infanteriebataillone102. Quellen für die Chevaulegers hingegen existieren fast nicht103. Über Einzelschicksale von Deserteuren und ihren Anverwandten finden sich noch mehrere Bände stark in den Prozessakten104, auch in den erwähnten Suppliken – Aufzeichnungen von den Schlachterlebnissen Einzelner in Form von Ego-Dokumenten fehlen allerdings. Ihr alltägliches Schicksal im Krieg muss aus Archivalien geschlossen werden, die nur in Form von Bataillons- bzw. Regimentsgeschichten vorliegen105. Auch diesbezüglich könnten die Zerstörungen in Würzburg 1945 verheerend gewirkt haben, denn beispielsweise fiel nahezu alle Korrespondenz zwischen den sich an verschiedenen Fronten befindenden Bataillonschefs mit der Militär-Oberkommission dem Feuer zum Opfer. Aber keine Hinweise auf Ego-Dokumente, weder von Offizieren noch von Mannschaften, lassen sich in den Findbüchern ausmachen, die ja bereits weit vor 1945 angefertigt wurden – ein Umstand, den bereits Herman Helmes 1919 in seinem Überblick zur würzburgischen Regimentsgeschichte bedauerte106. Auch die Recherche in einigen Gemeindearchiven, beispielsweise in Schweinfurt, Volkach, Haßfurt, Ebern und Gaukönigshofen enttäuschte die Erwartungen. Die unvermeidlichen Lücken auch hinsichtlich der Operationsgeschichte müssen daher durch jene Sekundärliteratur gefüllt werden, die noch uneingeschränkt Zugriff auf die erhaltenen Archivalien haben konnte. Aus den zugänglichen Arbeiten vor 1945 seien hier allen voran die Arbeiten von Herman Helmes107, Fedor Grosch108, Josef Schuster109 101 Hier vor allem StAWü, MOK, 176  ; Ebd., H.V. MS, f., 187. 102 Siehe StAWü, H.V. MS, f., 166, 169  ; 170, ebd., H.V. MS, q., 116  ; 117. 103 Einzige, aber wenig ergiebige Akte StAWü, MOK, 375. 104 Zum Beispiel StAWü, H.V. MS, f., 1512, ebd., MOK, 96, 265, 328. 105 Hier vor allem StAWü, H.V. MS, f., 170 und ebd., H.V. MS, q., 116  ; 117. 106 Eine überblickartige Zusammenfassung der großherzoglichen Truppengeschichte bei Hermann Helmes  : Die Würzburger Truppen vor hundert Jahren. Würzburg 1913  ; hier S. 132. Er rief am Ende des regimentsgeschichtlichen Überblicks dazu auf, die vielleicht erhaltenen Papiere, Bilder, Waffen und Ausrüstungsgegenstände der Geschichtswissenschaft zur Verfügung zu stellen. Ein leider erfolgloser Aufruf des später zum Kriegsarchivar avancierten Majors. 107 Vornehmlich einzige Darstellung für Chevaulegers bietet  : ders.: Die Würzburger Chevaulegers im Feldzuge 1812/13. München 1902. Aber auch er betrauert schon fehlende und verlorene Berichte von der Front. Außerdem  : ders.: Aus der Geschichte der Würzburger Truppen. (1628–1802). Würzburg 1909  ; und Eduard Hagen  : Die Fürstlich Würzburgische Hausinfanterie vom Jahre 1757 bis zur Einverleibung des Fürstbistums in Bayern 1803. München 1911  ; bieten wie vor ihnen Julius von Henle  : Über das Heerwesen des Hochstifts Würzburg im 18. Jahrhundert. München 1898 einen Überblick über die direkte Vorgeschichte der großherzoglichen Truppen. 108 Fedor Grosch  : Geschichte des K.B. 12. Infanterieregiments Prinz Arnulf und seiner Stammabteilungen. München 1914. 109 Joseph Schuster  : Das Großherzoglich Würzburgische Infanterie-Regiment (jetziges 12. Inf.-Regt. Prinz Arnulf ) in Spanien. München 1909, ist deswegen besonders erwähnenswert, weil, obwohl er nur den

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Friedrich von Furtenbach110 hervorzuheben, die sowohl auf Regimentsebene als auch auf Kompanieebene ereignisgeschichtlich Wertvolles leisteten. Auf Literatur nach 1945 konnte diesbezüglich vor allem auf die Arbeiten von Bilz111 und Kopp112 zurückgegriffen werden. Kopps beeindruckende Bibliographiearbeit berücksichtigte die würzburgische Truppengeschichte von fast 1.000 Jahren. 2.3 Der ›politische Verkehr‹– Quellenkritik und multilinguale Herausforderung

Doch nicht nur wegen der divergenten und zergliederten Quellenlage ist heute die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Großherzogtums Würzburg beschwerlich, sondern auch, weil neben des hohen paläografischen Anspruchs vieler Originalquellen – oft nur im Entwurfsstadium überliefert – diese größtenteils auf Französisch und Italienisch abgefasst wurden. Das Französisch des beginnenden 19. Jahrhunderts, vor allem in diplomatischer Korrespondenz, birgt für Übersetzer heute viele grammatische Fallstricke113. Über diese Fallstricke stolperte bereits selbst der in der Toskana geborene Landesherr Erzherzog Ferdinand ab und an114. Daher schrieb er meist zunächst ein italienisches Konzept, das er dann übersetzen ließ, oder er sendete gerade vertrauliche Dokumente gleich in seiner Muttersprache ab. Deutsch erlernte Ferdinand zwar gleichzeitig mit dem Italienischen am Hof von Florenz, aber er bevorzugte die Sprache seines Heimatlandes. Auch in Würzburg bediente er sich selbst in alltäglichen Anweisungen an seinen Hofstaat des Italienischen. Einige Schriftstücke Ferdinands, besonders in den Korrespondenzentwürfen, finden sich seine Sätze in babylonischer Sprachverwirrung auf Italienisch, grammatikalisch nicht immer korrektem Deutsch und Französisch formuliert115. Feldzug in Spanien beschreibt, dort Berichte veröffentlicht sind, die vor allem den schlimmen Zustand und die persönlichen Schicksale der würzburgischen Spanienkämpfer nachzeichnen und vor allem wegen seinem Schwerpunkt auf die medizinischen Zustände im Bataillon I und II. 110 Friedrich von Furtenbach  : Zum 100. Jubiläum des 12 K.B. Infanterieregiments Prinz Arnulf. Inhaber und Kommandanten der Würzburger Infanterieregimenter von 1688–1803 u. von 1806–1814, soweit sie zum Stamm des Regiments gehören, in  : Frankenland (1914), S. 276–283. 111 Bilz, Die Großherzogtümer, S. 122–138. 112 Walter Kopp  : Würzburger Wehr. Eine Chronik zur Wehrgeschichte Würzburgs. Würzburg 1979. 113 Es sei daher darauf hingewiesen, dass innerhalb der vorliegenden Forschungsarbeit weitgehend darauf verzichtet wird, verbindliche Übersetzungen anzugeben. Zitate erfolgen stets in der vorgefundenen Originalsprache, allerdings orthographisch bereinigt, es sei denn die Passage wurde bereits von anderer Hand übersetzt, was dann ggf. gekennzeichnet ist. 114 Vgl. Anhang, Dokument II. In diesem Autographen erhalten in Paris sind die grammatikalischen und orthografischen Irrungen Ferdinands durch ein ›(sic  !)‹ deutlich gemacht und zeigen die Schwierigkeiten, die man heute bei der Übersetzung mit diesen Texten haben kann. 115 Beispielsweise folgender Korrespondenzauszug  : »Was den Singer Marcheri betrifft habe ich vernommen, che é stato fissato dall’Impressario di Livorno per il prossimo Autumno con una grassa paga […]« ­HHStAW, Sammelbände 37, Ferdinand an Franz, o.O., 2. Juli 1798.

Der ›politische Verkehr‹– Quellenkritik und multilinguale Herausforderung 

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Französisch war die (inoffizielle) Diplomatiesprache des beginnenden 19. Jahrhunderts, egal ob am Main, der Donau oder am Arno. Frankreichs Strahlkraft verblasste aller­dings merklich seit dem Kriegsjahr 1813, als beginnendes Nationalbewusstsein, selbst in Diplomatenkreisen, dem Deutschen vor dem Französischen den Vorzug gab. Diese sprachlichen Verdrängungstendenzen lassen sich in Würzburg genau aufzeigen. An seinen Bruder schrieb Ferdinand private, autographierte Briefe meist auf Deutsch, oder sich manchmal dann dafür auch entschuldigend, auf Italienisch116. Offizielle und offiziöse Schreiben finden sich, nach strengen Formeln angelegt, während seines Aufenthalts in der Toskana zunächst noch auf Italienisch, dann auf Französisch, bezeichnenderweise ab 1810 dann zunehmend auf Deutsch. Im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit ließ sich ersehen, dass nicht nur die weiträumige Verteilung und die Vielsprachigkeit, sondern auch jeweils höchst unterschiedliche und vielfältige Quellengattungen, welche genauso vielfältige h ­ ermeneutische Methoden erfordern, eine Beschäftigung mit dem Großherzogtum Würzburg verkomplizieren. Die unterschiedliche Zusammensetzung dieser Basis bedarf im Folgenden kurz ebenfalls einer Analyse, da naturgemäß die Quellengattungen immer die Forschungs­ ergebnisse präjudizieren. Wie gesagt, stehen für die Untersuchung von Erzherzog Ferdinands Regierungshandeln im Krieg vornehmlich dessen Ego-Dokumente im Fokus. Diese privaten Quellen können, bei aller kritischer Distanz und größter hermeneutischer Vorsicht117, dabei helfen zu verstehen, warum die Akteure so und nicht vielleicht anders handelten, oder handeln konnten. Sie lassen subjektive Einschätzungen zu eigenen Handlungshorizonten erkennen und Entscheidungshandeln nachvollziehen. Gerade Erzherzog Ferdinands Korrespondenzen mit beiden Kaisern, seinem Bruder Franz II./I. auf der einen und Napoleon auf der anderen Seite, sind wichtiger Bestandteil des Forschungsgegenstandes  : Für eine Beurteilung der Doppelrolle Ferdinands und seiner Handlungsspielräume sind Briefquellen, die anhand dieser Fragestellung ausgewertet werden, unerlässlich. Die besondere Bedeutung dieser Briefquellen beruht darauf, dass sie unmittelbare Einblicke in alle Sphären persönlicher und zwischenmenschlicher Beziehungen Ferdinands bieten können. 116 »Verzeihe wenn ich auf welsch geschrieben haben denn ich kann mich in dieser Sprache besser ausdrücken und ich weiß, dass du sie eben so gut als ich verstehest«, So in  : HHStAW, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 2. Juli 1796. 117 »Verstellung ist nirgendwo so leicht wie im Brief. Niemand kann Gesichtszüge beobachten, die Heuchelei oder Lüge ebenso verraten können wie unterdrückte echte Gefühle. Daraus folgt, dass für Briefe generell eine hermeneutische Lage eintritt.« So in  : Rainer Baasner  : Briefkultur im 19. Jahrhundert. Kommunikation, Konvention, Postpraxis, in  : Rainer Baasner (Hg.)  : Briefkultur im 19. Jahrhundert. Tübingen 1999, S. 1–36, S. 3.

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Vor allem die Briefe zwischen beiden Brüdern, zumal sie von stark dialogischen Elementen durchdrungen sind, enthalten nicht nur Informationen über teils bisher unbekannte Fakten und Ereignisse, sondern lassen in vielen Fällen Gedanken und Gefühle der Briefpartner erkennen. Außerdem zeigen sie ihre Leidenschaften und Nöte, sie verdeutlichen Motive ihres Denkens und Handelns118. Die genaue Untersuchung der ausgewerteten Briefe aber verdeutlicht, dass die Interpretation des vor allem »auf persönliche Anliegen bezogene[n] Inhalt[s]« eines Briefes und der »persönliche von amtlichen oder geschäftlichen Befugnissen unabhängige Charakter der Beziehungen zwischen Absender und Empfänger«119 hierbei äußerst problematisch ist. Gerade für die Fürsten des 19. Jahrhunderts greift die Definition zu kurz, ein Brief sei »eine schriftliche Mitteilung persönlichen Inhalts, gewechselt zwischen Partnern, die in rein persönlicher, nicht amtlich oder geschäftlich bedingter Beziehung zueinander stehen – unabhängig davon ob und welche Ämter oder Funktionen sie anderweitig bekleiden«120. Erzherzog Ferdinand stand zwar in verwandtschaftlichen, allen voran aber hierarchisch-dynastischen Beziehungen zu jenen Korrespondenzpartnern, was die Briefinhalte vorausbestimmte121. Sowohl Napoleon als auch Franz gebrauchten Briefe als Kommunikationsmittel zur Durchsetzung ihrer Direktiven an Ferdinand. Wenn Napoleon explizit um Truppen für seine Feldzüge ›bat‹, oder Franz bei Ferdinand um Vermittlung bei Napoleon ›nachsuchte‹, hatte die persönliche Komponente des Briefes immer auch den amtlichen Charakter einer Forderung. Genauso auch anders herum  : Als Ferdinand über die Taufe seines Erstgeborenen an Franz schrieb und dies mit der Absicht verband, dessen Zustimmung zur umstrittenen Neutralitätspolitik des toskanischen Hofs abzutrotzen, wird auch hierbei eine Vermischung privater und ›amtlich oder geschäftlich‹ geführter Korrespondenz sichtbar122. Es wird an vielen Beispielen gezeigt werden können, dass genau dies nicht eine zufällige Erscheinung, sondern wesentlicher Bestandteil des zu erforschenden politischen Handelns im Krieg ist. Der häufig zu beobachtende enge Zusammenhang zwischen familiären Inhalten – ausgedrückt und verstärkt durch freundschaftlich-brüderliche Gefühlsbeteuerungen – und hochpolitischen Inhalten innerhalb der Briefe muss als Kommunikations- und Argumentationsstrategie zur Politikgestaltung gesehen werden. Es wird sich zeigen, dass genauso die ›zu einem politischen Zweck verdichtete Politik‹ ›gemacht‹ wurde. Welche anderen Kommunikationsmittel blieben den Akteuren im 118 Vgl. Irmtraut Schmid  : Briefe, in  : Friedrich Beck/Eckhart Henning (Hg.)  : Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die historischen Hilfswissenschaften. Köln 2012, S. 125–135, S. 129. 119 Ebd., S. 125. 120 Ebd. 121 Vgl. Baasner, Briefkultur, S. 3. 122 Vgl. Anhang, Dokument I.

Der ›politische Verkehr‹– Quellenkritik und multilinguale Herausforderung 

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›politischen Verkehr‹ auch sonst, lagen die jeweiligen Höfe doch Tagesreisen voneinander entfernt. Briefe waren das Hauptmedium zur »Einbindung in ein kommunikatives Netzwerk«123. Als Kommunikationsinstrumentarium dienten Ferdinand außer den Briefen naturgemäß noch persönliche Gespräche von Angesicht zu Angesicht, sowie offizielle oder inoffizielle Kuriere. Gerade das persönliche Informationsnetzwerk, das ohne Schriftlichkeit auskam, sollte für Ferdinand bedeutsam werden, angesichts der von der französischen Geheimpolizei ständig überwachten Post124. Nur vage Hinweise dieser rein ­mündlichen Informationsweitergabe und vertrauter Absprachen finden sich in den Archivalien wieder125. Oftmals in Gesandtenberichten der Gegenseite – bei Kommunikation zwischen Ferdinand und Napoleon, also in den Aufzeichnungen des österreichischen Geschäftsträgers, der auf gleiche Weise misstrauisch jede französische Einflussnahme am würzburgischen Hof beobachtete und nach Wien weitergab, genauso wie jeder Kontakt zur Primogenitur nach Paris vermeldet wurde. Auch angesichts dieses Umstands, der ständigen Beobachtung und möglicher daraus resultierender unabsehbarer Folgen sowie der Tatsache, nie sicher sein zu können, wer noch mitlas, bedarf die Auswertung der Briefquellen besonderer Aufmerksamkeit. Wie sind diese Briefquellen heute zu verstehen und für die Forschungsfragen auszuwerten  ? Zuallererst scheint es ratsam, anhand der Ausfertigungsart und des Adressaten zwischen den aufgefundenen Briefen drei Subkategorien zu bilden  : Es findet sich private, autographierte Korrespondenz Ferdinands direkt an den jeweiligen Kommunikationspart­ ner, die per persönlich bekanntem Kurier auch nur persönlich übergeben worden sein dürften und es lässt sich nachweisen  : Selbst den Spitzenbeamten der jeweiligen Höfe war Inhalt und sogar Häufigkeit der ausgewechselten Briefe oftmals unbekannt. Im Gegensatz dazu gingen offiziöse Briefe zunächst wohl an die Kanzlei, bzw. durch die Hände der Spitzenbeamten. Diese offiziösen Korrespondenzen sind insofern zu unterscheiden, dass sie als von der Kanzlei ausgegebene und nur von Ferdinand subskribierte Schreiben mit halboffiziellem Inhalt, formalistisch den hierarchisch-diplomatischen Gepflogenheiten folgten. D. h. alleine schon die Anrede unterschied sich formal von den autographierten Privatbriefen126. Auch diese konnten emotional-appellativ sein, hatten aber eher meist den Charakter von Suppliken, Protestnoten und ähnlichen offiziösen Quellengattungen. 123 Ebd., S. 4. 124 »Auf die Post ist noch nicht zu trauen«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 37-8, Ferdinand an Franz, Florenz, 12. Januar 1798. Gleichlautend  : »Es gibt nichts neues was man durch die Post schreiben kann.« 125 Zum schwer nachvollziehbaren mündlichen Kommunikationsweg durch Boten und Kuriere auch  : Baasner, Briefkultur, S. 14f. 126 Formulare für des Erzherzog Ferdinands Kgl. Hht. Correspondenz-Schreiben, in  : SUAP IV, RAT-Fer-

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Jeder dieser beiden skizzierten Kommunikationskanäle verfolgte mit unterschiedlicher Wirkkraft unterschiedliche Absichten, was sowohl Sendern als auch Adressaten bewusst war127. Offizielle Briefe hingegen wechselte man anlässlich von Geburten, Sterbe­ fällen oder Regierungswechseln aus. Gemeinsam haben alle diese Korrespondenzen neben der bereits genannten persönlichen Komponente jedoch auch eine starke Standardisierung, die je nach Korrespondenzart variiert. Naturgemäß sind die offiziellen und offiziösen Briefe am meisten von Ehrerbietungsformeln und Höflichkeitsfloskeln durchdrungen und folgen einem immer gleichen Aufbau. Die autographierten Privatkorrespondenzen boten zwar »die Lizenz, Dinge zu äußern oder symbolisch auszuagieren, die mit dem Reglement mündlicher Interaktion unvereinbar wären«128, sie sind dennoch formal angelegt, unterlagen einer »bis ins kleinste Detail entwickelten Konventionalisierung«129 und folgten strikten Regeln. Aus der stets von Ferdinand floskelhaft gebrauchten Schlussformel, »Lebewohl liebster Bruder erhalte mir immer deine Freundschaft und Liebe und glaube mich auf immer deinen besten Bruder und Freund Ferdinand«130, lässt sich noch lange nicht auf die tatsächliche Bruderbeziehung rückschließen. Aber Ferdinands redundante Schilderung über das Wetter und die unverfänglich erscheinenden Schilderungen über den eigenen Gesundheitszustand und den seiner Familie können indes genauso wenig als inhaltsleere

dinand III., kt.1, sign.10. Ferdinand fügte darin handschriftlich zum Eintrag »An Sn.Majt. den Kaiser« hinzu »all’Imperatore formalmente«. In autographierten Privat-Korrespondenzen bediente er sich der Anrede »Liebster Bruder«, in Kanzleibriefen  : »Allerdurchlauchtigster, großmächtigster Röm. Kaiser, gnädigster Herr und geliebtester Bruder.« 127 »Ich antworte zugleich auf zwei Deinige gütigste Briefe, deren einen ich durch den Courier, den andern durch die heutige Post erhalten habe. […] Ich habe Deinen officiellen Brief durch den Grafen Wilczek erhalten. Da ich nicht meinen Staatsrath hier bei mir habe, werde ich nicht sogleich antworten«, und damit wird klar, deutlich wirksamer war die schnelle und vertrauliche Absprache, als der Umweg über die Subalternen. So in  : Ferdinand an Franz, 13. Januar 1794, zit. nach  : Alfred von Vivenot  : Quellen zur Geschichte der deutschen Kaiserpolitik Oesterreichs, während der franz. Revolutionskriege 1790– 1801. herausg. von Vivenot, fortgesetzt durch Heinrich Ritter v. Zeissberg. Wien 1885, S. 30. 128 Albrecht Koschorke  : Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München 2003, S. 208. 129 Baasner, Briefkultur, S. 13. 130 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 35-2, Ferdinand an Franz, Paris, 15. September 1807. Gegenüber Napoleon findet sich in gleicher standardisierter Weise folgende Schlussformel  : »La bouté et l’amitié que Vous m’avez toujours témoignée, Sire, ne me laissent même doute sur l’intérêt que Vous voudrez bien prendre à mon sort ainsi que sur la justice, que Vous rendez mon sentiments de respect, de reconnaissance, et d’attachement avec lesquelles j’ai l’honneur d’être Sire de Votre Sacrée Majesté impériale et royale Ferdinand », so beispielsweise in   : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, Ferdinand an Napoleon, Würzburg, 16. November 1806, Fol. 255.

Der ›politische Verkehr‹– Quellenkritik und multilinguale Herausforderung 

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Hüllen abgetan werden wie die gebetsmühlenartige Wiederholung von Freundschaftsund Verbundenheitsversicherungen131. Es wird sich zeigen, dass während Ferdinands Mitgliedschaft im Rheinbund diese Kommunikationsinhalte die einzigen waren, die man mit einer starken französischen Truppenpräsenz im eigenen Land überhaupt mit dem Kriegsgegner hat austauschen können. Wenngleich stereotyp formuliert, sind Beschwörungen für »freundbrüderliche[s] Einvernehmen«132 und »Beweise von brüderlicher Liebe«133 und »wahrem brüderlichem Antheile«134, welchen man sich »zeitlebens«135 gegenseitig versprach aneinander zu nehmen, dennoch wie eine Kommunikationsbrücke, die die Bruderbeziehung aufrecht erhielt, als man auf gegnerischen Seiten stand136. Nicht der Inhalt der Briefe ist dabei relevant, sondern eben deren »kommunikative Wirkung«137, was im ›politischen Verkehr des Krieges‹ als Handlungsstrategie verstanden werden muss. Die Einbeziehung und Auswertung nach der historisch-kritischen Methode dieser drei Subkategorien von Briefquellen vermag damit das Deutungsspektrum bereits wesentlicher zu erweitern als es in der älteren Militärgeschichtsschreibung üblich war, die nur »das offiziöse, dem militärischen Apparat entstammende Schrifttum privilegierte« und einer »faktisch um eine hierarchische Ebene des Militärs zentrierte Spielart des Aktenpositivismus«138 verhaftet blieb. Friedensverträge, insoweit sie Erzherzog Ferdinand oder das Großherzogtum Würzburg betreffen, Staatsverträge zwischen den einzelnen Rheinbundmitgliedern, aber auch die Hausverträge von Habsburg-Lothringen bieten die Quellenbasis der ›höheren und allgemeinen Verhältnisse‹ im ganzen ›politischen Verkehr‹. Das Prozessuale der Politik­ gestaltung im Krieg, das, wie gesagt, unabhängig vom Regierungshandeln Erzherzog Ferdinands auch bei den Würzburger Spitzenbeamten zu untersuchen sein wird, lässt sich anhand von offiziösen Quellengattungen wie Instruktionsakten und Gesandt-

131 »Nicht selten dehnten die ausgedehnten Briefwechsel ausschließlich dazu, sich selbst der freundschaftlichen Verbundenheit zuversichern oder sich durch einen Brief in Erinnerung zu rufen«, so in  : Tanja Reinlein  : Der Brief als Medium der Empfindsamkeit. Erschriebene Identitäten und Inszenierungspotentiale. Würzburg 2003, S. 52. Allgemein dazu auch Baasner, Briefkultur, S. 15. 132 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 44-1-7, Ferdinand an Franz, Würzburg, 27. August 1811. 133 HHStAW, Hausarchiv, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A, Kart. 28, Erzherzog Ferdinand von Toskana, Franz an Ferdinand, Wien, 18. September 1802. 134 HHStAW, Stk, Würzburg 1, Franz an Ferdinand, 11. Oktober 1806, Fsz. 33–35. 135 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 43-5-1, Ferdinand an Franz, Compiegne, 19. April 1810. 136 »Durch die Übermittlung von auf Papier gehefteten Gedanken, […] lässt sich das Getrenntsein überwinden. […] Insofern mündlicher Kontakt der Gedankenübermittlung dient, ist er medial ersetzbar«, so in  : Koschorke, Körperströme, S. 191. 137 Reinlein, Der Brief, S. 53. 138 Kühne u. a., Militärgeschichte, S. 19.

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schaftsberichte, Pro-Memorias und Vorträge sowie administrativen Korrespondenzen darstellen. Die politikgeschichtlichen Fragen konnten durch Analyse der zur Verfügung stehen­ den offiziellen Quellen wie Regierungsblätter, Staatsratsprotokolle, großherzogliche Landesdirektionsakten, Rechnungsbücher oder auch Statistiken beantwortet werden. Vor allem letztere bargen einen enormen Gewinn für die vorliegende Forschungsarbeit, kann doch der Auftrag zu ihrer systematischen Erstellung ab dem Jahr 1811 selbst bereits als ein auf Effizienz abzielendes Regierungshandeln gewertet werden. Die in dieser Zeit überall im Rheinbund in Mode gekommenen statistiques genügen kaum heutigen Anstrengungen gleichen Namens. Dennoch dienten die erhobenen Daten als Entscheidungsgrundlage der Zeitgenossen, als die Vermögenswerte, Seelen- und Häuserzahl die eigentliche Währung im diplomatischen Ländergeschacher waren. Diese Daten wurden aber auch in militärischer Hinsicht für Entscheidungen über Aufmarschgebiete und Konskriptionspotenziale herangezogen. Sie sind Grundlage für die hier vorgenommene sozialgeschichtliche Untersuchung zur Herkunft und Sozialstruktur der großherzoglichwürzburgischen Streitkräfte. Durch eine Auswertung all dieser unterschiedlichen Quellengattungen unter der Fragestellung, wie Politik im Krieg ›gemacht‹ wurde, erfüllt sich erst die von Stig Förster aufgestellte Definition moderner Militärgeschichte. Das stimmt gerade insofern, dass durch die Hinzunahme von privaten Quellen der Akteure, durch deren Selbstzeugnisse wie autobiografische Notizen, Tagebücher und Korrespondenzen die Untersuchung auf eine subjektive und damit »doppelte Quellenbasis«139 gestellt wird, die individuelle »Stimmungslagen, Denken und Handeln«140, aber auch die »Interpretation des Krieges, das heißt Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erinnerungen sowohl von Soldaten wie von Zivilpersonen«141 berücksichtigen lässt.

139 Ebd., S. 15. 140 Ebd. 141 Echternkamp, Wandel, S. 16.

»Igitur qui desiderat pacem, praeparet bellum«1

II. Empirie 1. Vom Friedensfürst zum militärischen Erfüllungsvasallen? Die Politikgestaltung Erzherzog Ferdinands im Krieg 1.1 Die ›höheren Verhältnisse‹ als ererbter Handlungshorizont

Die Geschichte des Großherzogtums Würzburg als belligerente Staatsgründung der Sattelzeit muss aufgrund ihrer spezifischen dynastischen, rechtlichen und ›politischen Zustände‹ mit einem Blick auf die Vorgänge im ›Haus Österreich‹ um das Jahr 1760 beginnen. Die bestimmenden Determinanten des ›politischen Verkehrs‹ für Erzherzog Ferdinand in den Revolutions- und Hegemonialkriegen sowie im Rheinbund konstituieren sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt. Die Errichtung einer Sekundogenitur in der Toskana für Ferdinands Vater Peter Leopold (1747–1792) im Jahr 1763 schuf im Hause Habsburg-Lothringen ganz spezielle ›politischen Zustände‹, die Erzherzog Ferdinand schließlich erben sollte. Dies sind essentielle Determinanten des Entscheidungshandelns Erzherzog Ferdinands im Weltkrieg der Sattelzeit, zunächst in seiner Herrschaft in der Toskana, dann in Würzburg und verdienen deshalb im Folgenden besondere Berücksichtigung. Das Haus Habsburg-Lothringen

Alles hatte seinen Ursprung darin, dass das Maison Lorraine die Toskana gegen ihr Stammland Lothringen eintauschte2  : Im Jahr 1738 ging die Toskana durch die Garantie der europäischen Großmächte und Kaiser Karls VI. (1685–1740) an Franz Stephan von Lothringen (1708–1765) explizit als Reichslehen3. Dabei wurde verfügt, dass die 1 Flavius Vegetius Renatus/Alf Onnerfors  : Epitoma rei militaris. Stuttgart 1995, Lib. III. Prologus, S. 101. 2 Zur Nachfolge der Habsburg-Lothringer auf die letzten Medici unter Gian Gastone (1671–1737) grundlegend  : Rita Tezzele  : Der Übergang des Großherzogtums Toskana von den Medici an die Lothringer. Mit bes. Berücks. d. Allodialgüter. Wien 1986  ; Anna Bellinazzi/Alessandra Contini  : La Corte di Toscana dai Medici ai Lorena. Atti delle giornate di studio Firenze, Archivio di Stato e Palazzo Pitti, 15–16 dicembre 1997. Roma 2002. 3 Erst am 18. November 1738 bestätigte die Wiener Staatskanzlei mit der Veröffentlichung des Wiener Friedens die Friedenspräliminarien, die bereits 1735 den polnischen Thronfolgekrieg beendeten. Vgl. dazu  : Karl Vocelka  : Geschichte der Neuzeit. 1500–1918. Wien u. a. 2010, S. 469f. Urkunde heute in  : HHStAW, Lothringische Urkunden 1737/24, 24. Januar 1737.

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Vom Friedensfürst zum militärischen Erfüllungsvasallen?

Toskana zur Wahrung des allgemeinen Mächtegleichgewichts stets unabhängig von der Habsburgermonarchie bleiben solle4. Franz Stephan, der darauf besonders Wert legte, erneuerte selbst in seinem Testament noch die Verbindlichkeit dieser Vorgabe gegenüber Peter Leopold, seinem Nachfolger, »denn die Angelegenheiten und Regierung dieses [der Toskana, Anm. d. Verf.] müssen immer getrennt bleiben, da es nicht den Erblanden angehört, welche in der Pragmatischen Sanction enthalten sind«5. Dieser strikten Trennung verpflichtet, etablierte Franz Stephan in der Toskana eine echte souveräne Herrschaft, wie es im Lothringischen vom Maison Lorraine gehandhabt worden war. Zur Unterstreichung der Rechtmäßigkeit der Souveränität und zum Zeichen der Unabhängigkeit von den österreichischen Erblanden sollte die Toskana als Hort des Gedächtnisses an die Herrscherdynastie der Lothringer dienen. Das geschah beispielsweise durch die Überführung der lothringischen Ahnengalerie sowie weiterer bedeutender Kunstwerke vom Schloss Lunéville in den Palazzo Pitti6. Zur Behauptung dieses Souveränitätsanspruchs nahm Franz Stephan während seiner Regierungszeit als Kaiser (1745–1765) noch redlichen Anteil an den dortigen Regierungsgeschäften seines von ihm persönlich eingesetzten und stets Rechenschaft ablegenden Regentschaftsrats und versuchte politisch »die Toskana aus jeglichen Konflikten herauszuhalten«7, die vom Erzhaus initiiert wurden. Dementsprechend blieb die Toskana erst im Österreichischen Erbfolgekrieg, dann auch während des Siebenjährigen Krieges neutral8. Zum einen folgte man dabei einer mediceischen Tradition der Neutralisierung der Toskana, die sich seit dem 16. Jahrhundert durch Einrichtung der 4 Vgl. Renate Zedinger  : Franz Stephan von Lothringen (1708–1765). Monarch, Manager, Mäzen. Wien 2008, S. 169. 5 Testament Franz Stephans, §22, zit. nach ebd., S. 111. 6 Ebd., S. 127. 7 Ebd., S. 169. Grundlegend zur Regentschaftszeit Marcello Verga  : La Reggenza Lorenese, in  : Franco Cardini/Furio Diaz u. a. (Hg.)  : Storia della civiltà toscana. L’età dei lumi. Firenze 1999, S. 27–50 und Alessandra Contini  : La reggenza lorenese tra Firenze e Vienna. Logiche dinastiche, uomini e governo (1737–1766). Firenze 2002. 8 Vgl. Zedinger, Franz Stephan, S. 169. Die Neutralität der Toskana hinderte das Erzhaus während jener Kriege allerdings nicht daran, viel Geld und Truppen aus diesem Staatswesen zu generieren. Vgl. Adam Wandruszka  : Leopold II. Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser. Wien 1963–1965, Bd. I, S. 124. Die Wurzeln einer toskanischen Neutralität liegen also viel weiter zurück als das heute bisweilen angenommen wird  : »Il principio della neutralità, proprio di alcuni piccoli Stati dell’Italia settecentesca, affondava le sue radici nel concetto istituzionale della rivendicazione dell’autonomia contro le mire delle grandi potenze europee. Nel caso della Toscana la neutralità, proclamata dal granduca Pietro Leopoldo con editto dell’agosto 1778, avrebbe dovuto innanzitutto costituire una garanzia di indipendenza di fronte agli interessi della casa d’Asburgo«, so in  : Bianca Maria Cecchini  : I problemi della neutralità negli Stati Italinani nel 1793. Li Caso della Toscana e della Repubblica di Genova attraverso la corrispondenza segreta dell’Ambasciatore Russo Lizakevič, in  : Rassegna storica del Risorgimento (1993), S. 148.

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Freihäfen in Portoferraio auf Elba sowie der für den Handel maßgeblichere in Livorno entwickelte9, zum anderen geschah das auch aus der Notwendigkeit heraus, weil das dortige Militär unter den letzten Medici faktisch zu existieren aufgehört hatte. Franz Stephan brachte eigens Streitkräfte (jedoch nummerisch unbedeutend) aus Lothringen in die Toskana – auch das als weiteres Zeichen für die Unabhängigkeit vom Erzhaus10. Aus dieser ›Unabhängigkeitsdoktrin‹ heraus und wohl außerdem wegen hoch­zeitsstrategischer Gründe11, richteten Franz Stephan und Maria Theresia (1717– 1780) die Toskana als de jure unabhängige und souveräne Herrschaft, als Sekundogenitur, für ihren (eigentlich drittgeborenen) Sohn Peter Leopold ein12. Bereits in dieser Begründungsurkunde für die Errichtung einer Sekundogenitur aus dem Jahr 1763 ­findet sich allerdings ein folgenschwerer Widerspruch, im Grunde genommen sogar ein staatsrechtliches Paradox, welche später für Erzherzog Ferdinand eine große Belastung werden sollte. Peter Leopolds älterer Bruder, Joseph II. (1741–1790), verzichtete in dieser Urkunde auf die Toskana zugunsten einer souveränen Sekundogenitur, weil er »dem erhabenen Wunsch der Heiligen kaiserlichen Majestät [Franz Stephan, Anm. d. Verf.], nachkommen wolle«, aber auch »um das Wachstum und die Verbreitung des gemeinsamen Haus Österreich«13 zu fördern. Das Paradoxe daran war, dass eine zugesicherte staatliche Souveränität, welche als »la puissance absoluë & perpetuelle«14 vom damals viel rezipierten Staatstheoretiker des Absolutismus Jean Bodin (1529–1596) definiert wurde, eigentlich unvereinbar war mit einer gleichzeitigen Anerkennung der Toskana als Besitzstandsmehrung des ›Haus Österreich‹. Entweder sollte die Toskana eine souveräne Herrschaft sein oder ein Zugewinn für die Habsburgermonarchie, bedeutet ein gemeinsames Stre-

  9 So wurde der Freihafen von Livorno bereits 1691 für neutral erklärt, woran alle seefahrenden Staaten ein Interesse hatten, weswegen diese Neutralität auch während des Spanischen Erbfolgekriegs beibehalten werden konnte. Die Verträge von 1718 und 1735 über das mediceische Erbe schrieben diese Neutralität durch die europäischen Großmächte fest. Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 25. 10 Vgl. hierzu Alain Petiot  : Au service des Habsbourg. Officiers, ingénieurs, savants et artistes lorrains en Autriche. Paris 2000, S. 18 f. 11 Für Infantin Maria Ludovica (1745–1792), die Tochter des spanischen Bourbonen König Karl III. (1716– 1788) musste das Haus Habsburg-Lothringen-Lothringen einen passenden, das heißt souverän herrschenden Kandidaten präsentieren. Vgl. hierzu, Wandruszka, Leopold II, Bd. I, S. 82. 12 HHStAW, UR FUK, 1992, Ratifikation und Acceptation des Kronprinzen Erzherzog Joseph in Betreff der von Kaiser Franz I. errichteten Secundogenitur des Hauses Habsburg-Lothringen in Italien (Großherzogtum Toscana) für Erzherzog Peter Leopold, 14. Juli 1763, gedruckt bei  : Zobi, Storia civile, II, Appendice, S. 214f. Erzherzog Karl Joseph (1745–1761), der zwei Jahre vor Peter Leopold geboren wurde, starb an den Pocken. 13 Übersetzung zit. nach Pesendorfer, Ein Kampf, S. 24. 14 Jean Bodin  : Les Six Livres De La Republique. Paris 1578, S. 125.

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ben nach ›Wachstum‹ und ›Verbreitung‹ doch die Akzeptanz der Entscheidungsgewalt des Familienverbandes, bzw. dessen Spitze, der Oberhoheit des Kaisers. Die eigentümliche ›Unabhängigkeitsdoktrin‹ zur Wahrung des europäischen Gleichgewichts und die Einrichtung einer souveränen Sekundogenitur passte de facto nicht zum sich jahrhundertelang entwickelnden dynastischen Herrschaftssystem der Habsburger. Das dynastische Politiksystem, auch durch Heirat, Erbe und Krieg zu Territo­ rialerwerb zu gelangen, zeigte seinen vollen Erfolg bekanntlich schon unter Kaiser Karl V. (1500–1558), der als Spross günstiger Heiratsverbindungen über Spanien, die Niederlande, Oberitalien und das Heilige Römische Reich gebieten konnte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde das Haus Habsburg-Lothringen zum »Prototyp einer transnationalen Fürstenfamilie«15. Es verdeutlichte sich in diesem Prozess der exorbitanten Besitzstandsmehrung aber auch das Problem des zersplitterten und deswegen schwer gegen andere wettbewerbende Dynastien im Kriegsfall zu behauptenden Herrschaftsraumes. Einziges verbindendes Element der durch Krieg, Erbe und Heirat zusammengesammelten, und teilweise weit auseinanderliegenden Territorien war nur das Herrscherhaus16. Nicht also auf einen Staat gründete sich ihr Machtanspruch, sondern auf die Dynastie. Sie ging nicht aus einem ihrer Staaten hervor, »transzendierte sie doch ethisch-nationale Grenzen sehr weitgehend [und] identifizierte sich […] bis zuletzt weder mit den Deutschen der Habsburgermonarchie noch mit einer anderen Ethnie«17 ihres Territorialstaatskomplexes. In Wien sah man den beherrschten Territorialstaatskomplex als der Dynastie untergeordnete, »monarchische Union von Ständestaaten«18. Um im Wettstreit mit anderen europäischen Dynastien ihre Macht zu behaupten, musste die Aufgabe nachfolgender Generationen habsburgischer Familienoberhäupter daher sein, den eigenen Familienverband gegen andere zu erhöhen, eine Zentralstellung der Dynastie als integratives Element im zergliederten Territorialstaatskomplex einzurichten und auszubauen. Dazu dienten die einzelnen dem Familienoberhaupt untergeordneten und eben nicht in föderaler Systematik nebeneinander gestellten Ge15 Matthias Stickler  : Machtverlust und Beharrung – Dimensionen einer erneuerten politischen Geschichte der regierenden Dynastien Europas im 20. Jahrhundert, in  : Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hg.)  : Geschichte der Politik. Alte und neue Wege. München 2007, S. 375–396, S. 381. 16 Vgl. Sellin, Gewalt, S. 44. 17 Stickler, Machtverlust und Beharrung, S. 381. 18 Otto Brunner  : Das Haus Österreich und die Donaumonarchie, in  : Hellmuth Rössler (Hg.)  : Festgabe dargebracht Harold Steinacker zur Vollendung des 80. Lebensjahres. München 1955, S. 122–144, S. 126. Jüngst hierzu auch  : Karin Schneider  : Zwischen ›Monarchischer Union von Ständestaaten‹ und Gesamtstaat. Die Habsburgermonarchie im 18. und 19. Jahrhundert, in  : Martin P. Schennach (Hg.)  : Rechtshistorische Aspekte des österreichischen Föderalismus. Beiträge zur Tagung an der Universität Innsbruck am 28. und 29. November 2013. Wien 2015, S. 31–49.

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bietsteile lediglich als ausbeutbare Geldquelle. Dies gilt auch für die Toskana, was der Siebenjährige Krieg verdeutlichte. Denn trotz aller Bestrebungen, die Unabhängigkeit der Toskana von der Habsburgermonarchie zu gewährleisten, zogen Franz Stephan und Maria-Theresia diesen Länderbesitz zur Vermehrung der Einkünfte des Familienverbands heran19. Die Mittel der im Krieg unabhängigen Toskana verwendete Wien zur Unterhaltung der habsburgischen Söldnerheere, um jene gegen die jeweils anderen europäischen Dynastien in Stellung zu bringen und damit entgegen der ursprünglichen Idee eines Mächtegleichgewichts20. Die Unabhängigkeit war damit ad absurdum geführt. Die ›monarchische Souveränität‹

In diesem dynastischen Herrschaftssystem der Habsburger hatte die modern anmutende Denkkategorie eines tatsächlich souverän regierten unabhängigen Einzelstaates keinen Platz und es widersprach ausdrücklich dem in der Pragmatischen Sanktion erneuerten Grundsatz, alle beherrschten Gebiete »indivisibiliter ac inseperabiliter«21 zu erhalten. Es wird offengelegt werden können, dass souveräne Herrschaft innerhalb des habsburg-lothringischen Familienverbands maximal als ›Eigenverwaltung‹ aufgefasst wurde, dass die Zugehörigkeit aller von Agnaten und Cognaten beherrschten Territorien zum ›Haus Österreich‹ fraglos zu akzeptieren war und dass sich am Anspruch, alles und jeder hätte am Ausbau einer Zentralstellung der habsburg-lothringischen Dynastie mitzuwirken, sogar noch über die Sattelzeit hinaus, nichts änderte. Deswegen nimmt es sich nicht Wunder, dass in Franz Stephans »Instruction pour mon Fils Leopold, ce 15 Janvier 1765«22 der gleiche Widerspruch zur explizit beschlossenen Souveränität Peter Leopolds zu finden ist. Die Instruktion gemahnte Peter Leopold, dass »im Familienzusammenhalt das ganze Glück seines Lebens zu finden sei« und er »sich nicht und in keiner Situation vom Familienoberhaupt zu trennen, [sowie] den eigenen Kindern […] die gleichen Gefühle des Respekts gegenüber ihren Onkeln und Tanten und allen Verwandten einzuflößen habe«23. Während Peter Leopolds Regierungszeit sollte dieses Paradoxon von Eigenstaatlichkeit und Unterordnung unter das Familien19 Vgl. Wandruszka, Leopold II, Bd. I, S. 124. 20 Vgl. Sellin, Gewalt, S. 46. 21 Diesen Grundsatz schrieb bereits Kaiser Ferdinand II. (1578–1638) in sein Testament. Zit. nach Schneider, Zwischen ›Monarchischer Union‹, S. 36. 22 In  : HHStAW, Hausarchiv, Familienakten 55–6. 23 Übersetzung zit. nach  : Wandruszka, Leopold II, Bd. I, S.83. als Volltext abgedruckt bei  : Adam Wandruszka, Le «Istruzioni« di Francesco di Lorena al figlio Leopoldo, in  : Archivio Storico Italiano (1957), Jahrgang 115, Heft 4, S. 485ff. In gleicher paradoxer Diktion ist auch die Mahnung seiner Mutter Maria Theresia gehalten  : »Du wirst mich daher genau über die Angelegenheiten dieses Landes unterrichten, Du wirst es mir mitteilen, wenn Du irgendwelche Änderungen vornehmen willst. Ich werde dich niemals als

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oberhaupt bereits zu Spannungen zwischen Primo- und Sekundogenitur führen. Weil das später für eine Einordung und Bewertung des Verhältnisses von Kaiser Franz und Erzherzog Ferdinand und damit für dessen Entscheidungshandeln im Krieg ganz wesentlich ist, soll es im Folgenden kurz angerissen werden. Kaiser Joseph II., dann bereits Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, übte seine Prärogativgewalt in der 24-jährigen Regierungszeit seines Bruders Peter Leopold nicht lediglich auf familiärer oder privater Ebene aus, sondern außerdem auf innertoskanische Belange wie beispielsweise die Kirchen-, Handels- oder dessen progressive Reformpolitik24. Immer wieder wies Joseph II. seinen Bruder Peter Leopold, das eigentlich souveräne Staatsoberhaupt der Toskana, auf seine sicherheits- und außenpoli­ tische sowie finanzielle Abhängigkeit vom Haupthaus hin25, die dieser »nach Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit strebende Fürst […] auch als Fessel und Belastung«26 empfunden haben musste. Die Konflikte zwischen Primo- und Sekundogenitur gipfelten schließlich im Jahr 1783 darin, dass Joseph II. seinen Bruder zu der Zustimmung zwang, dass die Toskana nach Peter Leopolds Tod mit den Erblanden vereinigt werde und die Sekundogenitur mit ihm erlösche27. Bei seinem Besuch im Winter 1783 in Florenz legte Joseph II. Peter Leopold Pläne vor, die die älteren Konzeptionen der 1770er Jahre wesentlich veränderten, gemäß welcher Peter Leopold nach dem Tod des Bruders zum Kaiser erhoben werden, dessen Sohn Franz wiederum schließlich ihm selbst nachfolgen und Ferdinand Großherzog der Toskana werden sollte. Jetzt unterbreitete er seinem Bruder Pläne für nichts weniger als eine territoriale Revolution in Europa28. Dabei sollte die Vereinigung Souverän stören [!], die Gott, Dein großer und guter Vater, Dein lieber Bruder Dir gegeben und abgetreten haben«. Übersetzung zit. nach ebd., Bd. I, S. 117. 24 Vgl. ebd., Bd. II, darin vor allem der IV. und V. Teil. 25 Beispielsweise hinsichtlich der Absichten Peter Leopolds in den 1760er Jahren die Maremma, ein Sumpfgebiet im Süden der Toskana, trocken zu legen, verwies ihn Joseph auf das Hauptanliegen des Erzhauses sich unter allen Umständen finanziell konsolidieren zu müssen und solcherlei Aktionen dieser finanzpolitisch wenig zuträglich wären  : »Il serait facile à démonter qu’il importe plus au souverain de Toscane une salutaire et bonne opération de finances qui établit et soulage la monarchie autrichienne et la met en état de protéger que cent desséchements de ses Maremme«. Josef an Leopold, 5. Dezember 1765, zit. nach Alfred von Arneth  : Maria Theresia und Joseph II. Ihre Correspondenz samt Briefen Joseph’s an seinen Bruder Leopold. Wien 1867, S.163f. 26 Wandruszka, Leopold II, Bd. I, S. 194. 27 Ausführlicher als dies hier möglich ist, ebd., Bd. II, S. 70–77. 28 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände, 15–3, Punti fissati coll’Imperatore nel febbaio 1784. Erst das revoltierende Frankreich und mit ihm Napoleon schuf eine völlige Umgestaltung des europäischen Kontinents, wie sie bereits Joseph II. beabsichtigte. In seinem unitarischen Denken sollte im Bündnis mit der russischen Zarin als Kriegsziel Belgrad erobert und das Osmanische Reich bezwungen werden, der venezianischen Republik sollten, im Austausch mit der Peloponnes, Dalmatien und Istrien genommen werden und ganz Oberitalien unter österreichischen Einfluss kommen. Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 58ff.

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der Toskana mit den Erbländern nur ein kleiner Teil dieser unitarischen Pläne sein, welche beabsichtigten, der Zersplitterung des Territorialstaatskomplexes entgegenzuwirken und durch Zentralisierung der Rechte auf das Familienoberhaupt die Dynastie mehr zu stärken. Dieser großdimensionierte geostrategische Kriegsplan Josephs II. sah des Weiteren vor, im Bündnis mit Russland das Osmanische Reich endgültig zu zerschlagen und währenddessen für Österreich weite Expansionen zu realisieren. Der Aufstand gegen die 1783 erfolgte russische Annexion der Krim sollte dafür zum Anlass genommen werden29. Diese Überlegungen sind insofern relevant, weil sie vor dem Hintergrund des für das Frühjahr 1784 möglichen Großkrieges im Osten den ›Zweck des Krieges‹ für die Habsburgermonarchie ganz allgemein und damit auch für die nachfolgende Generation offenbaren  : Er bestand für Kaiser Joseph II. darin, »bei günstiger Gelegenheit zuzugreifen und die Monarchie zu vergrößern und durch Abrundung zu stärken«30. Dieser Zweck, so wird sich an vielen weiteren Beispielen noch zeigen lassen, bestimmte für die Habsburg-Lothringer den ›politischen Verkehr‹ in den folgenden zwei Jahrhunderten maßgeblich. Der ›höhere Zweck‹ eines territorialen Aus- und Umbaus der Monarchie sollte dabei gegen Partikularinteressen einzelner Familienmitglieder der Dynastie durchgesetzt werden und damit den Leitlinien der Pragmatischen Sanktion eher entsprechen31. Das Kriegsziel Josephs, ganz Oberitalien unter der Krone Habsburg-Lothringens zu vereinigen, würde Erzherzog Ferdinand zu einem Provinzgouverneur degradieren, ihm das Erbe einer tatsächlich souveränen Eigenstaatlichkeit versagen. Der Plan Josephs sollte für Erzherzog Ferdinand bewirken, dass er »ständig und für immer in der Toskana versorgt wird, damit er nach Vollendung des zwanzigsten Lebensjahres mit der Tochter der Königin von Neapel verheiratet werden kann«32. Die Ehe mit Luisa Maria von NeapelSizilien (1773–1802) wurde als dynastische Verbindung zum Nutzen des habsburg-lothringischen Herrschaftsausbaus in Italien auch realisiert33, der Rest allerdings nicht in allen Teilen, wie von Joseph beabsichtigt. 29 Vgl. Hochedlinger, Krise, S. 27, 107–109, 120–122. 30 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände, 15–3, Punti fissati coll’Imperatore nel febbaio 1784. Übersetzung zit. nach Wandruszka, Leopold II, Bd. II, S.78. 31 Für geostrategische Absichten am Ende des 18. Jahrhunderts war »einer der »produktivsten« politischen Leitgedanken der Epoche […] vielleicht der der geografischen Geschlossenheit […] Überall war der kompakte durch keine Enklaven oder Binnengrenzen behinderte politische Raum das Ziel des politischen Handelns«. So bei Heinz Duchhardt  : Balance of power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700 – 1785. Paderborn u. a. 1997, S. 409. 32 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände, 15–3, Punti fissati coll’Imperatore nel febbaio 1784. Übersetzung zit. nach Wandruszka, Leopold II, Bd. II, S. 73. 33 Zu den Italienischen Besitzungen und den Verwandtschaftsbeziehungen des Hauses Habsburg-Lothringen, vgl. Matthias Stickler  : Familienverband und monarchische Souveränität, in  : Wolfgang Altgeld/

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Was blieb, waren die großen außenpolitischen, handlungsleitenden Linien, welche eine in sich geschlossene und solide territoriale Ausgestaltung der ­Habsburgermonarchie beabsichtigten und nun einer kurzen Analyse bedürfen. Sie waren im Regierungshandeln der Familienoberhäupter fest verankert und man arbeitete auch nach dem Wiener Kongress 1815 weiter daran34. Die inneren und äußeren Konsolidierungsprozesse

Immer nur kurzfristig gelang es der Habsburgermonarchie sich geostrategisch wirklich zu konsolidieren35. Zweifelsohne existierte im 18. Jahrhundert keine Denkkategorie ›Geostrategie‹36. Eine solche Konzeption verkennt den zeitgenössischen Horizont des selbstverständlichen Annehmens des ›Flickenteppichs‹ als Herrschaftsraum, eben ohne festgelegte Grenzen. Aber gerade am Ende des 18. Jahrhunderts setzte sich in der Politik der epochentypische Rationalismus durch und man erkannte in Wien für die Habsburgermonarchie, dass der Zugewinn Belgiens und weiter Teile Italiens wegen der schwierigen Verteidigung im Kriegsfall eher eine machtpolitische Schwäche war. Die habsburg-lothringischen Umtauschpläne Bayerns gegen Belgien sind Beweis eines streng rational-strategischen Vorgehens, dem ›arrondissement‹ vor dem willkürlichen »Anhäufen von disparaten Territorien und Besitztiteln«37 den Vorzug zu geben. Man könnte daher von zwei parallel ablaufenden Stabilisierungsprozessen innerhalb der Habsburgermonarchie während der Sattelzeit sprechen. Ein innerer Konsoli­ die­rungsprozess sollte eine Zentralstellung der Dynastie einrichten und ausbauen als Herrschaftsstabilisator eines zergliederten Territorialstaatskomplexes. Ein äußerer Konsolidierungsprozess beabsichtigte die geostrategische Neuausrichtung hin zum zusammenhängenden Flächenstaat. Dieser innere und äußere Konsolidierungsprozess, der sich über fast die gesamte Sattelzeit erstreckte, stieß ab den 1790er Jahren auf harten Widerstand Frankreichs. In diesem Ringen kam den Kindern Peter Leopolds besondere Aufmerksamkeit zu. Das wird aus den Plänen Kaiser Josephs II. von 1783 ersichtlich. Peter Leopold fasste die Unterredungen mit seinem Bruder diesbezüglich insofern zusammen, »dass um alle herumerzählten Gerüchte über eine Verstimmung zwischen dem Kaiser und mir zu beseitigen, […] man öffentlich sagen soll, dass alle meine Kinder dazu bestimmt seien, in Matthias Stickler (Hg.)  : »Italien am Main«. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg. Rahden u. a. 2007, S. 33–54, S. 36–38. 34 Vgl. Hochedlinger, Krise, S. 31. 35 Vgl. Schneider, Zwischen ›Monarchischer Union‹, S. 48. 36 Ausführlicher zum Folgenden  : Hochedlinger, Krise, S. 26–43. 37 Ebd., S. 30.

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der Monarchie angestellt zu werden«38. In der Tat wurden alle Agnaten und Cognaten in der Folgezeit zum Dienst an der Dynastie und an diesem Konsolidierungsprozess der Habsburgermonarchie verpflichtet, wenngleich nicht in der Arbeitsaufteilung wie sie Joseph II. vorherbestimmen wollte. Der überraschende Tod Josephs am 20. Februar 1790 gab Peter Leopold als Nachfolger auf dem Kaiserthron die Gelegenheit, die damals erzwungene Abolition der Toskana zurückzunehmen. Er übergab seinem zweitgeborenen Sohn Erzherzog Ferdinand die Toskana im Versprechen einer unabhängigen Eigenstaatlichkeit als souveräne Sekundogenitur mit der Urkunde vom 21. Juli 1790, worauf sein Vater Franz Stephan schon gepocht und er selbst dafür gekämpft hatte39. In Wirklichkeit übernahm Ferdinand seine Herrschaft jedoch mit dem gleichen para­ doxen Charakter einer dem Familienverband der Habsburg-Lothringer untergeordneten Souveränität – ein schweres Erbe. Denn gerade in der Folgezeit zogen verschiedene europäische Mächte im Ringen um den Einfluss in Oberitalien die tatsächliche Eigenstaatlichkeit Ferdinands in Zweifel, was der Vater noch nicht voraussehen konnte. Es sollte sich für Ferdinand äußerst heikel gestalten, gegenüber England oder Frankreich nicht als Teil des habsburg-lothringischen Herrschaftssystems zu gelten und mit seiner Toskana gegenüber Wien nicht als weisungsgebunden zu erscheinen. Für Erzherzog Ferdinand musste gelten, gerade während der Revolutionskriege einen solchen Eindruck zu vermeiden, sonst wäre die Toskana schnell als Feindesland behandelt worden. Aber genau das geschah später. Die engen dynastischen Bande der Toskana an das Haus Habsburg-Lothringen-Lothringen, die in den benannten Familienurkunden 1790 besiegelt wurden, hatten darüber hinaus sogar auch eine reichsrechtliche Ergänzung. Nicht vergessen werden darf, dass einst Franz Stefan die Toskana als Reichslehen erhielt. Die Familienurkunden tradierten dies insofern auf Erzherzog Ferdinand, als dass Peter Leopold »als Kaiser der Römer und oberster Lehensherr kraft seiner höchsten Gewalt [die Toskana, Anm. d. Verf.] in voller Übereinstimmung mit den Dispositionen seines Vaters«40 übergab. Damit befand sich 38 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände, 15–3, Punti fissati coll’Imperatore nel febbaio 1784. Übersetzung zit. nach Wandruszka, Leopold II, Bd. II, S.73. 39 HHStAW, UR FUK, 2127, Kaiser Leopold II. als bisheriger Großherzog von Toscana überträgt nach Überkommung der Kaiserwürde nach den Bestimmungen der beiden vollständig inserierten Urkunden des Kaisers Franz I. und Joseph II., 14. Juli 1763, in Betreff der Errichtung der Secundogenitur das Großherzogtum Toscana an seinen zweitgeborenen Sohn, Erzherzog Ferdinand. Sowie  : HHStAW, UR FUK, 2128, Ratifikation und Acceptation des Erzherzogs Franz. Bereits am 29. März, 17 Tage nach Peter Leopolds Ankunft in Wien, forderte er Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz auf, seinen eigenen »im Jahr 1784 ausgefertigten Act der Abolition der toskanischen Secundogenitur« herbeizubringen und offenbar hat Peter Leopold das Dokument daraufhin vernichtet, da es nur noch als Abschrift erhalten ist. Vgl. ebd., Bd. II, S. 291f. 40 Übersetzung aus HHStAW, UR FUK, 2127, zit. nach  : Pesendorfer, Ein Kampf, S.26. Zur Diskussion des

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die Sekundogenitur nicht nur »im Spannungsfeld von monarchischer Souveränität und dynastischer Solidarität«41, sondern bis zum Ende des Alten Reiches auch in einer Lehensabhängigkeit zum Reichsoberhaupt, dem Kaiser. Dass dieser Status als Reichslehen von toskanischer Seite über lange Zeit bestritten wurde42, tat dem Anspruch und der Rechtfertigungsgrundlage keinen Abbruch, auf welcher die Primogenitur ihre Prärogativen gegenüber der Sekundogenitur geltend zu machen versuchte. Die Ausübung der Prärogative führte, wie erwähnt, besonders bei Joseph II. und Peter Leopold zu einem angespannten Verhältnis zwischen Primo- und Sekundogenitur. Obwohl dies Peter Leopold sehr empörte und ihn auch die gleich noch näher zu behandelnde Einmischung seines Bruders in die Erziehung seiner Kinder störte, gemahnte er seinen Sohn Erzherzog Ferdinand dennoch bei Antritt seiner eigentlich unabhängigen Herrschaft 1790 trotzdem, dass »es im Interesse der Toskana liege, immer den Hof von Wien als dem Haupt des Hauses Habsburg Beachtung, Rücksicht und Ehrerbietung«43 entgegenzubringen, aber gleichzeitig auf die Unabhängigkeit der Toskana zu achten. Wenn Peter Leopold das darin implementierte Konfliktpotential aus eigener Erfahrung kannte, so drängt sich doch die Frage auf, warum er dieses schwere Erbe auf Ferdinand übertrug, denn jener fand sich in der Toskana eingebunden in einem dynastischen, reichs- und staatsrechtlichen Determinationskomplex, der die für die Bewertung seiner späteren Handlungsspielräume von grundlegender Wichtigkeit ist. Peter Leopold muss von »der Begründung eines lebhaften Familiengefühls, das den alten Habsburgern so oft gefehlt hatte und auch noch Joseph II. fremd war«44 im Zweig seiner Familie überzeugt gewesen sein, welches über alle Missverständnisse und Rangstreitigkeiten innerhalb des Familienverbands hinweg helfen sollte. Kern dieses ›Familiengefühls‹ und integrierendes Moment in der vielgliedrigen Familie der Habsburg-Lothringer war schon früher das gemeinsame Streben nach »Vergrößerung der österreichischen Hausmacht«45. Peter Leopold kombinierte dies mit den Appellen, man solle sich gegenStatus als Reichslehen der Toskana auch Verga, La Reggenza, S. 30. Zur österreichischen Politikgestaltung im Reich  : Kulenkampff, Angela  : Österreich und das Alte Reich. Die Reichspolitik des Staatskanzlers Kaunitz unter Maria Theresia und Joseph II. Köln 2005. 41 Stickler, Familienverband, S. 38. 42 Im Einzelnen kann an dieser Stelle nicht auf den langwierigen Rechtsstreit eingegangen werden, der seine Ursprünge schon um 1530 mit dem Schiedsspruch Kaiser Karls V. nach der Kapitulation von Florenz hatte. Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 27–30. 43 »Gl’interessi della Toscana sono di aver sempre tutta la considerazione, riguardo e rispetto per la Corte di Vienna, come capo di Casa, senza dipendenza veruna dalla medesima negli affari politici ed interni«, so in  : Pietro Leopoldo/Arnaldo Salvestrini  : Relazioni sul governo della Toscana. Firenze 1969–74, S. 39. Übersetzung zit. nach Pesendorfer, Ein Kampf, S. 33. 44 Alphons Lhotsky (Hg.)  : Das Haus Habsburg. München 1971, S. 343. 45 »Josef II., mit dem Bruder wenig einträchtig, obgleich ihrer Regierungsprincipien wesentlich dieselben

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über dem ›Haupt des Hauses Habsburg‹ rücksichts- und respektvoll gegenüber betragen. Der Kinderreichtum Peter Leopolds, die Abgeschiedenheit vom Wiener Hof und die 16 Jahre andauernde gemeinsam verbrachte Lebenszeit der beiden ältesten Kinder schufen dazu die emotionale Grundlage. Die Familie stand zudem im Fokus der empfindsamen Schriften Diderots, Lillos und Lessings zur gleichen Zeit, was in mentalitätsgeschichtlicher Hinsicht nicht übersehen werden darf. In der Tat scheint sich die Forschung heute weitgehend darin einig, dass »der spezifische ›Familiensinn‹ des Hauses Habsburg-Lothringen […] ein Zeugnis der Epoche Franz«46 war, um den sich Peter Leopold bis zu seinem plötzlichen Tod 1792 intensiv kümmerte und das Bewusstsein darum bei allen seinen Kindern pflegte. Wer weiß wie sich die Verhältnisse zwischen Primo- und Sekundogenitur unter einer länger währenden Obhut Peter Leopolds entwickelt hätten. Vielleicht wären die von Ferdinand ererbten, seine Handlungsspielräume begrenzenden Faktoren sukzessive abgebaut worden. Vielleicht hätte sich eine größere Selbstständigkeit von der Habsburgermonarchie einspielen können, waren doch die hierarchischen Regeln innerhalb des Familienverbandes lediglich gewohnheitsrechtlich geregelt47. Aber nach dem überraschenden Tod Peter Leopolds am 1. März 1792 hing Ferdinands dynastischer, reichs- und staatsrechtlicher Determinationskomplex von einer Person alleine ab, seinem Bruder. Franz folgte, den Plänen Maria-Theresias und Josephs II. gemäß, unbestritten in allen Ämtern nach. Er wurde zum römisch-deutschen Kaiser gewählt und damit Erzherzog Ferdinands Lehensherr, Oberhaupt des Hauses Habsburg-Lothringen und damit als Primogenitur durch die hierarchischen Regeln des Familienverbands der Sekundogenitur übergeordnet. Wie gesagt, waren die Regeln aber keineswegs klar definiert. Sie unterlagen Aushandlungsprozessen, für die die jeweiligen persönlichen Beziehungen zum Familienoberhaupt konstitutiv waren, obwohl Franz ab 1792 unbestritten als Familienoberhaupt an der Spitze stand und ihm die Rolle als Vaterersatz gerade am Anfang seiner Herrschaftszeit eine noch größere Autorität verschaffte48. Bis man im Hause Habsburg-Lothringen eine Familiengesetzgebung tatsächlich schriftlich festschrieb, dauerte es bis zum Jahr 1839, als ein Familienstatut angesichts der politischen Entscheidungsschwäche Kaiser Ferdinand I. (1793–1875) als unerlässwaren und nur von dem Gedanken der Vergrößerung der österreichischen Hausmacht erfüllt waren […]«, so in  : Reumont, Manfredini und Carletti, S. 98. 46 Ziegler, Franz II, S. 66. 47 Vgl. Stickler, Familienverband, S. 39. 48 Man muss sich vergegenwärtigen, dass zum Zeitpunkt von Franz’ Regierungsantritt nur »Ferdinand schon 23 und Karl 21 Jahre alt [war], dagegen war der sechzehnjährige Josef der dreizehnjährige Anton und der zehnjährige Johann besonders dann die noch jüngeren Rainer neuen Ludwig acht und Rudolf vier Jahre auch die jungen Schwestern ganz auf ihn angewiesen«. So in  : Ziegler, Franz II, S. 67.

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lich erachtet wurde49. Bis dahin waren die Aufgabenverteilungen, die hierarchische Ordnung und die Entscheidungskompetenzverteilung im habsburg-lothringischen Familienverband jenen Aushandlungsprozessen unterworfen. An der Beziehung zum Oberhaupt des Familienverbands richtete sich das Schicksal der einzelnen Glieder aus. Grund genug die Bruderbeziehung zwischen Ferdinand und Franz seit frühen Kindertagen genauer zu untersuchen. 1.2 Erzherzog Ferdinand und Kaiser Franz – die ›in der Entwicklung spezieller Akte begriffenen Personen‹

Will man wissen, welche Handlungsspielräume Erzherzog Ferdinand als Rheinbundfürst während seiner Herrschaft im Großherzogtum Würzburg hatte, ist das Bruderverhältnis zwischen ihm und Kaiser Franz relevant, stellte sich die Politik des kaiserlichen Bruders Napoleons Hegemonialstreben doch bis 1809/10 und wieder ab 1813 am deutlichsten in den Weg. Auf welcher Grundlage sich dieses Bruderverhältnis entwickelte, soll nun betrachtet werden und es wird sich zeigen, dass dieses Verhältnis, wie jedes verwandtschaftliche, nur schwerlich mit den einfachen Dichotomien ›gut‹ oder schlecht‹ bewertet werden kann. Die Charaktere

Laut der bisherigen Forschungsmeinung sollten Peter Leopolds älteste Söhne allerdings angeblich eine starke gegenseitige Antipathie empfunden haben. Sie sollten sich, der eine zum Kaiser, der andere zum Großherzog von Toskana erzogen, seit frühesten Kindertagen misstrauisch, die jeweils eigenen Interessen verfolgend, entgegengestanden haben50. Ferdinands Biograf urteilte  : »Sie sahen sich ähnlich, waren dies aber nicht«51. Franz sei sehr arbeitsam gewesen, Ferdinand weniger, dafür künstlerisch interessiert und musisch begabt. Dieser sei äußerst misstrauisch, jener hingegen sei der Liebenswürdigere, schüchtern, etwas steif, »einer der leichter Sympathien gewann«52. Es wird berichtet, dass beide viel stritten, auch handgreiflich, wobei der Ältere den Jüngeren reizte 49 Vgl. vor allem hinsichtlich Inhalt und Einführung des Familienstatuts 1839  : Matthias Stickler  : Dynastie, Armee, Parlament. Probleme staatlicher Integrationspolitik im 19. Jahrhundert am Beispiel Österreichs und Sachsens, in  : Winfried Müller/Martina Schattowsky (Hg.)  : Zwischen Tradition und Modernität. König Johann von Sachsen 1801–1873. Leipzig 2004, S. 109–140. 50 Vgl. Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S.111  ; Chroust, Die Geschichte, S. 60, 212. 51 Schäfer, Erzherzog Großherzog, S. 9. 52 Ebd.

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und sich dann über ihn beklagte53. Dabei sei Ferdinand immer gutmütig und unempfindlich, Franz indes der Stärkere, Kräftigere gewesen, was er den jüngeren auch spüren lassen sollte54. Ferdinand sei öfter krank und von schwächlicher Konstitution, weshalb auf ihn allzeit Rücksicht zu nehmen gewesen sei, wobei allerdings »jede Anerkennung, die dem Jüngeren zuteilwurde, den Älteren störte«55. Solch dichotome Zuschreibungen von stark und schwach folgen, wie bereits erwähnt, der Argumentation von Anton Chroust. Ferdinand, die »stille, leidende Natur«56, sei unter der überzärtlichen und liebevollen Obhut seiner Mutter herangewachsen, »die trotz der vielen Kinder ihre ganze Liebe auf den Zweitgeborenen vereinigte«57. Er sei »nur eine liebenswürdige Persönlichkeit mit musikalischen Neigungen und einigem Kunstverständnis [gewesen], weiter nichts«58. Zu bedenken ist bei einer solchen Interpretation, was die Historiografie bei der Bewertung oftmals vergessen zu haben scheint, dass die Charakterzuschreibungen absichtsvoll zwischen Florenz und Wien ausgetauscht und in der jeweiligen Deutungsrichtung angelegt worden sein könnten59. Die antagonistische Unterschiedlichkeit beider Brüder wäre somit erst ex post, im Sinne Kosellekscher ›Finalkausalität‹, herbeiinterpretiert worden60. Die Charakterzuschreibung der bisherigen Biografik zu Erzherzog Ferdinand fußt auf Briefen Peter Leopolds in den 1780er Jahren61, just zu dem Zeitpunkt als Joseph 53 Cölestin Wolfsgruber  : Franz I., Kaiser von Oesterreich. Wien u. a. 1899, S. 34f. Zum Beispiel  : »Da zwickte Franz den Bruder so stark in die Wange, dass er blutete« ebd. S. 39. Sehr auffällig ist, dass sich die spätere Biografik eng an Wolfsgrubers Untersuchungen anlehnte. Diese ist aber in sich selbst oft wider­sprüchlich, da er die Tagebucheinträge Colloredos zu den unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Kindheit und Jugend der Erzherzöge wertfrei aneinander reihte, was Argumentationen in die eine oder andere Richtung erlaubte. So findet sich bei Wolfsgruber, Ferdinand sei »sehr gleichgiltig und unempfindlich« (S. 34) genauso wie er sei »sehr zum Zorne geneigt, ungehorsam« (S. 36). 54 »So bildete sich schon hier im Ansatz bei Ferdinand die Gewohnheit heraus, dem älteren Bruder die führende Rolle zu überlassen. Dadurch wurde in späteren Jahren die Autorität, die Franz ohnedies schon als Kaiser und als Oberhaupt der Familie besaß, bei Ferdinand noch verstärkt. Ferdinands Unterordnung und widerspruchslose Ergebenheit lag des Öfteren nahe beim Devoten und Servilen«, so bei  : Pesendorfer, Ein Kampf, S. 57. Aus kindlichem und pubertärem Verhalten Rückschlüsse auf das spätere Regierungsverhalten Ferdinands abzuleiten ist insofern bedenklich, dass dafür die Quellenbasis fehlt. Es gibt keine Egodokumente, die diese These stützen würden. 55 Auch zum Vorhergehenden  : Schäfer, Erzherzog Großherzog, S. 48f. 56 Chroust, Ferdinand Großherzog, S. 148. 57 Chroust, Die Geschichte, S. 142. 58 Ivo Striedinger  : Das Großherzogtum Würzburg, in  : Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 6 (1933), S. 250–256, S. 252. 59 Vgl. Forster, Die Konstruktion, S. 54. 60 Es ist daher große Vorsicht geboten, Chrousts Einschätzung zu folgen, wenn er beispielsweise anführt  : »Natürlich wich das Mißtrauen unter den Brüdern auch jetzt nicht, konnte auch bei den Charakteranlagen der beiden nicht weichen.« Chroust, Die Geschichte, S. 80. 61 »Er hat in Gesinnung und Haltung das vermittelnde Prinzip repräsentiert. Aber ihm fehlte, wie schon

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seinen Bruder zu überzeugen suchte, die beiden ältesten Erzherzöge zur besseren, weil strikteren Erziehung an den Wiener Hof abzugeben62. Dem entgegnete Peter Leopold in einem Urteil über seinen Sohn  : »Mon fils Ferdinand a la santé beaucoup plus forte à présent, mais a encore besoin de beaucoup de soins et ménagemens et d’un climat doux, étant délicat. Il a terminé ses études, au droit près qu’il étudie à présent. Son caractère est bon, doux, mais pas capable de beaucoup de travail assidu, sa complexion n’étant pas des plus fortes, d’ailleurs de caractère franc et ouvert. Si vous me permettez de dire mon sentiment, je crois qu’il aurait besoin du climat d’Italie, et si jamais avec le temps il était destiné à faire le gouverneur dans ce pays-ci, vous nous feriez une grâce de nous le laisser.«63

Wesentlich überzeugender ist jedoch die Deutungsweise, er hätte dies deswegen geschrie­ ben, um nicht auch Ferdinand nach Wien gehen lassen zu müssen und um »somit der angedachten Auflösung der toskanischen Sekundogenitur entgegen zu treten und den eigenen Thronfolger im Land zu behalten […] und um ihn für Joseph uninteressant und ungefährlich erscheinen zu lassen«64. Die Pflichten

Wie schon angedeutet, versuchte der Wiener Hof verstärkt auf die Erziehung von Peter Leopolds Kindern Einfluss zunehmen, da die neue Nachfolgeregelung im Kaiserhaus selbige direkt betraf65. Joseph urteilte über die den Prinzipien der Aufklärung streng verLeopold erkannte, der rechte Ernst und die Kraft, welche die Ausdauer bei der Arbeit bedingen«, so in  : Reumont, Geschichte Toscana, S. 244. 62 »Quant à Ferdinand, quoique cela ne me regardera jamais, néanmoins, si vous croyez à l’avantage de la réunion inséparable de la Toscane avec la monarchie, alors il a peut-être plus besoin qu’aucun autre à être dépaysé«, so in  : Joseph an Peter Leopold, 14. Dezember 1786, zit. nach  : Alfred Ritter von Arneth  : Joseph II. und Leopold von Toskana. Ihr Briefwechsel von 1781 bis 1790. Wien 1872, S. 57. »Vis-à-vis de ses frères, comme il doit être un jour le chef de la famille et qu’ils devront dépendre de lui, il paraît avantageux qu’il en soit un peu séparé pour qu’une certaine considération en reste aux autres pour lui. Autrement celui qui aurait le plus d’esprit, qui aurait le plus d’adresse et hardiesse le mènerait, et par conséquent la maison et les affaires, ce qu’on doit tâcher d’éviter par ce moyen«. So in   : Points de reflexion au sujet de l’Archiduc Françoise. Zit. nach  : ebd., II, S. 351. 63 Peter Leopold an Joseph, 5. Dezember 1786, zit. nach ebd., S. 51f. Im Wortlaut nahezu identisch und deswegen vermutlich in gleicher Absicht berichtet der Prinzenerzieher Franz de Paula Colloredo-Wallsee (1736-1807) nach Wien  : »Ferdinand ist sehr frisch, jedoch aufrichtig und, ein sehr fühlbares Herz und erkenntlich, allein etwas jäh in seinen Gebärden ausgelassen, weniger solid als Franz und in seinen Verrichtungen distract«. Zit. nach  : Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 120. 64 Forster, Die Konstruktion, S. 54. 65 Peter Leopold klagte in seinem vielzitierten »Stato della famiglia« von 1778 über die versuchte Einflussnahme seiner Mutter Maria Theresia  : »Sie hat auch verschiedene Vorurtheile wegen unserer Kinder, weil

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haftete Erziehungsarbeit Peter Leopolds scharf  : »In diesem Lande und bei diesem Hauswesen ist es unmöglich, dass meines Bruders Söhne fähig werden, dem Staat in irgendeiner Weise zu dienen. Die Seele verschrumpft und der Körper wird durch Klima und Lebensweise geschwächt«66. Diese Generalverdammung wird der Erziehung von Peter Leopolds Kindern jedoch nicht gerecht. Eben gerade die Vermittlung von s­elbstlosem Dienst am Staat, diszipliniertem Pflichtgehorsam und Aufopferung für die res publica stand bei ihrer Ausbildung zur »Statuselite in funktionalistischer Weise«67 im Mittelpunkt  : »Man muss ihnen die Leidenschaft, die sie haben müssen, einflößen, nämlich die der Humanität, des Mitleides und des Verlangens, ihr Volk glücklich zu machen. […] Die Prinzen müssen vor Allem von der Gleichheit der Menschen überzeugt sein, […] dass sie ihnen ihre ganze Existenz, ihre Neigungen und ihre Vergnügungen bei jeder Gelegenheit zum Opfer bringen müssen. [Sie] müssen immer vor Augen haben, dass sie […] nur mit Billigung der anderen Menschen das sind, was sie sind, und dass sie von ihrer Seite alle Pflichten erfüllen müssen«68.

Der hier offen zu Tage tretende, tief empfundene Geist der Aufklärung, des »erste[n] konstitutionell gesinnte[n] Monarch[en]«69 Peter Leopolds, manifestierte sich nicht nur in seinen vielfach überlieferten staatstheoretischen Aussagen70, sondern auch in seinem ich bei den Töchtern keine Damen halte und andere ähnliche Dinge, aber jetzt scheint sich doch damit zufrieden und auch mit Colloredo und sich nicht mehr in unsere Angelegenheiten einmischen zu wollen«. Übersetzung zit. nach Wandruszka, Leopold II, Bd. II, S. 340. Immer blieb das Lehrpersonal, das Leopold zur Erziehung berief Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Wien und Florenz, vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 56. 66 Zit. nach Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 46. Gleichlautend  : »Was Deine Kinder anbelangt, erlaube ich mir ganz offen zu sprechen  : Je mehr ich die Erziehung Deiner Ältesten, Franz und Therese aus der Nähe beobachten kann und je mehr ich von Deinen anderen Kindern höre, umso mehr bin ich überzeugt, dass – so rein Deine Absichten und so groß Deine Bemühungen für ihr Wohl sind – umso mangelhafter entweder die Methode oder die Personen sein müssen, die Du zu ihrer Erziehung verwendest. Der Körper scheint mir ebenso vernachlässigt wie der Geist. Sie wissen mit ihren Armen und Beinen nichts anzufangen, sowie sie außerstande sind, im Gesellschaftsleben die Kenntnisse, mit denen man ihre Köpfe pedantisch angefüllt hat zu verwerten«, zit. nach ebd., S. 54. 67 Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 40. 68 HHStAW, HausA, Familienakten 56–5, Altri punti diversi per i figlii, 1774, Übersetzung zit. nach  : ebd., S. 40. 69 Adam Wandruszka  : Joseph II. und das Verfassungsprojekt Leopolds II. Die Abolition und Wiederrichtung der toskanischen Sekundogenitur, in  : Historische Zeitschrift (1960), S. 18–30, S. 18. 70 Berühmt sind in dieser Hinsicht vor allem seine Briefwechsel mit seiner Schwester Marie Christine (1742– 1798), in denen er offen für den Konstitutionalismus eintritt  : »que le pouvoir executif estt dans le souverain, mais le législatif dans le peuple et ses représentants«, so in  : Peter Leopold an Marie Christine, 25. Januar 1790, abgedruckt bei  : Adam Wolf  : Leopold II. und Marie Christine. Ihr Briefwechsel (1781–1792). Wien

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Erziehungsstil, der eher den Charakter einer »Verhaltensdressur«71 hatte. Die strengste Reglementierung des Alltags seiner Kinder zwang sie zur Ordnung und Pflichterfüllung, was jedoch der Fürstenerziehung der Zeit entsprach72. Das aufopferungsvolle Dienen internalisierten die Kinder Peter Leopolds tief und es hatte gerade im Leben der beiden Ältesten weitreichende Auswirkungen auf ihr Regierungshandeln, wie noch zu zeigen sein wird. In der Erziehungsarbeit Peter Leopolds verband sich dieser selbstlose Dienst mit dem schon angesprochenen spezifischen Familiensinn und so sollte besonders für Erzherzog Ferdinand schließlich gelten, dass er »zuerst Habsburger [war], dann erst Italiener oder Würzburger – Habsburger in dem Sinne, überall eingesetzt zu werden, sich mit der gestellten Aufgabe identifizieren zu können«73. Nach streng aufgeklärt-rationalistischen Erwägungen förderte Peter Leopold die Neigungen, Interessen und Befähigungen seiner Kinder nach der Maßgabe, welche Aufgaben und Anstellung sie darin später einmal ausüben sollten. Diesbezüglich schrieb er an seinen Bruder  : »Meine Kinder sind Diener des Staates und von Euch. Sie können nach Belieben über sie verfügen«74. Wie vorher bereits thesenhaft formuliert, zeigt sich hierbei die Dienstbeflissenheit aller Agnaten und Cognaten, innerhalb des inneren Konsolidierungsprozesses der Habsburgermonarchie mitzuarbeiten, die Einrichtung und den Ausbau der Zentralstellung 1867, S. 85. Von dieser neuen Geisteshaltung zeugte auch sein Verfassungsprojekt für die Toskana, das nur wegen Josephs unerwarteten Tods liegen bleiben musste. Vgl. Wandruszka, Leopold II, Bd. I, S. 368–390. 71 Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 40. Nach Anweisung Peter Leopolds sollten die beiden Ältesten zunächst die Sprachen Französisch, Deutsch, Latein beherrschen, worauf die Unterweisung im Katechismus, in Geschichte und Geografie folgte. Das Programm eines Tages war von früh bis abends ohne Mittagsschlaf mit Unterrichtsstunden oder geistlichen Andachten ausgefüllt, nur eineinhalb Stunden Ballspiele aller Art waren den beiden Buben genehmigt. »Sie haben niemals Vacanzen noch einen Recreationstag. Der Ostertag ist wie jeder andere nur die Pflichten sind verschieden  ;« So in Wolfsgruber, Franz I, S. 29, 38. Pflichterfüllung wurde ihnen mit diesem rigiden Erziehungsplan von frühesten Kindheitstagen an eingetrichtert. Vgl. dazu Pesendorfer, Ein Kampf, S. 55 sowie Karl Vocelka/Lynne Heller  : Die private Welt der Habsburger. Leben und Alltag einer Familie. Graz 1998, S. 59f. 72 Vgl. Claudia Kollbach  : Aufwachsen bei Hof. Aufklärung und fürstliche Erziehung in Hessen und Baden. Frankfurt u. a. 2009, S.162–194. Sowie Helga Glantschnig  : Liebe als Dressur. Kindererziehung in der Aufklärung. Frankfurt/Main, New York 1987, S.122–126. Peter Leopold führte in seinen Points d’education pour les entfants envoyes par S.A.R. a la Reine des Neaples über seine Kindererziehung diesbezüglich aus  : Man sieht darauf, dass sie fleißig springen, […] vor nichts Furcht haben besonders aber, dass sie nicht weinen wenn sie fallen oder sich wehtun  ; man leidet nicht den geringsten Ungehorsam oder gar eine Lüge.« Zit. nach  : Wolfsgruber, Franz I, S. 11. 73 Radbot Habsburg-Lothringen  : Grußwort, in  : Wolfgang Altgeld/Matthias Stickler (Hg.)  : »Italien am Main«. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg. Rahden u. a. 2007, S. 13–15, S. 15. 74 »Ils sont les serviteurs de l’Etat et les vôtres  ; vous en pouvez donc disposer à votre gré, et je ne désire autre chose sincèrement que de combiner en tout avec vos désirs et intentions«, waren diesbezüglich Peter Leopolds Worte zu seinem Bruder. Peter Leopold an Joseph, 5. Dezember 1786, zit. nach Arneth, Joseph II, S. 51.

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der Dynastie im Territorialstaatskomplex zu unterstützen. Dies war nicht nur als höflich unterwürfige Floskel gemeint, fügte sich Peter Leopold doch, wenn auch widerwillig, den Vorgaben aus Wien, Franz zur beabsichtigten militärischen Ausbildung nach Wien abgehen zu lassen75. Den Dienst an der Monarchie versah Peter Leopold, »der prinzipielle Friedensfreund und leidenschaftliche Hasser von Krieg und Militär«76 pflichtbewusst, auch gegen seine ureigenen Einstellungen. Die Kriegskunst (k)ein Erziehungsinhalt

Schon als Sechsjähriger bekam Franz, gegen den Willen seines Vaters, aber von der Großmutter, Maria-Theresia, persönlich ein eigenes Kürassier-Regiment zugeschrieben77 und Ferdinand wurde auf gleiche Weise als Zehnjähriger zum Titular-Oberst und Inhaber des österreichischen 23. Infanterieregiments berufen78. Das geschah, weil Maria-Theresia und vor allem Joseph, dem während der Mitregentschaft seiner Mutter nur das Militär als Betätigungsfeld blieb, nicht zu Unrecht befürchteten, die Beschäftigung mit der Kriegskunst komme im strengen Erziehungsplan Peter Leopolds zu kurz79. In den zahlreichen Notizen und Aufzeichnungen Peter Leopolds über die Erziehung seiner Kinder, die er penibel plante80, findet sich auch seine Gegenposition zu militärischen Erziehungsinhalten begründet  : »Jeder Fürst, der den Krieg liebt oder den Kriegsruhm gierig anstrebt, ist eine Tyrann seines Volkes  ; man soll nur den Ruhm suchen, den man durch Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Pflichterfüllung erwirbt«81. Das war ein Frontalangriff auf den offen missbilligten militärischen Aktionismus seines Bruders Joseph in den 1780er Jahren82. 75 Dazu vor allem  : Wandruszka, Leopold II, Bd. I, S. 396ff. 76 Wandruszka, Joseph II, S. 25. 77 Wolfsgruber, Franz I, S. 40. 78 Vgl. Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 64. 79 Immer wieder versuchte Joseph in seinen Briefen diesbezüglich auf seinen Bruder zu wirken  : »Das Waffenwerk ist so schön, seine Ausübung so ruhmreich, dass jeder der den Preis des Ruhmes zu schätzen weiß, es hinreißend und als das einzige empfinden muss, das großen Seelen zur Wahl bleibt«, zit. nach Pesendorfer, Ein Kampf, S. 57. 80 Insgesamt auf mehreren hundert Folioseiten finden sich Peter Leopolds aufgeklärt-rationalistische Überlegungen in Denkschriften und Erziehungsplänen an die Erzieher der Erzherzöge und Erzherzoginnen  : HHStAW HausA Familienakten 56–1 bis 56–24. Ganz außergewöhnliche Einblicke in das florentinische Hofleben und in die Welt einer höfischen Kindheit ermöglicht die Lektüre dieser Akten. Weite Teile davon dienten Cölestin Wolfsgruber für sein Werk über die Jugend Franz’. Vgl. Wolfsgruber, Franz I. 81 HHStAW, Hausarchiv, Familienakten 56–5, Altri punti diversi per i figlii, 1774, Übersetzung zit. nach Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 40. 82 Peter Leopold war der Ansicht, »dass jeder Krieg ein Ruin und ein großes Unglück für ein Land ist  ; dass man in diesem Krieg [gemeint ist der 1789 losgetretene Türkenkrieg um Belgrad, Anm. d. Verf.] viele Menschen durch Krankheiten verloren, das Land durch Steuern ruiniert hat und dass man wahrscheinlich

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Peter Leopold hing, geprägt durch die Erfahrungen des Siebenjährigen Krieges, im krassen Gegensatz zu seinem Bruder einer »die Kriege als atavistisches Überbleibsel von Barbarei und Unvernunft verabscheuenden Aufklärungsphilosophie«83 an. Das hatte durchaus Auswirkungen auf seine Kinder und ist mit ein Grund dafür, dass Erzherzog Ferdinand weniger als sein älterer Bruder Franz, der allem Militärischen »dem ›Raufen‹, wie er es wienerisch-derb gerne sagte«84 zugeneigt blieb. Erzherzog Ferdinand, der in den ersten beiden Jahrzehnten seines Lebens weitgehend ohne Berührungspunkte zum Militär auskam, unterschied sich darin auch von seinem jüngeren Bruder, Erzherzog Karl (1771–1841)85, dem wohl größten Militärstrategen und Feldzugstheoretiker im Hause Habsburg-Lothringen. Auch die Bestimmung eines Majors in habsburgischen Diensten, Marchese Federigo Manfredini (1743–1829), zum Erzieher (Ajo) Ferdinands änderte daran nichts86. Das für Ferdinand bestimmte Aufgabenprofil eines toskanischen Herrschers bedurfte gemäß den aufgeklärt-rationalistischen Erwägungen Peter Leopolds eigentlich keiner militärischen Ausbildung. Daraus ergab sich die nur im Kern richtige Charakterzuschreibung Ferdinands der gängigen Historiografie, er sei »ganz ohne militärische Ambitionen«87, »dem Kriegsgetümmel abgeneigt«88 und »kein Freund der Soldaten«89 gewesen. Es wird allerdings noch gezeigt werden können, dass Ferdinand im Weltkrieg der Sattelzeit und während seiner verschiedenen Landesregierungen jedoch sehr wohl im Stande war, das Militär zu seinen Zwecken effektiv zu gebrauchen, auch wenn sein Herzblut, wie schon bei seinem Vater, nicht am Militärischen hing90. Eine fatale Fehlnicht so viel dadurch gewinnen wird, wie man verloren hat«, Peter Leopold an Marie Christine am 8. März 1789, Übersetzung zit. nach Wandruszka, Leopold II, Bd. II, S. 192. 83 Ebd., Bd. I, S. 316. 84 Ziegler, Franz II, S. 63. 85 Zur Biografie Karls empfiehlt sich Winfried Romberg  : Erzherzog Carl von Österreich. Geistigkeit und Religiosität zwischen Aufklärung und Revolution. Wien 2006  ; ders.: Erzherzog Carl. Plädoyer für eine Relektüre, in  : Alfred Ableitinger/Marlies Raffler (Hg.)  : »Johann und seine Brüder«. Neun Brüder und vier Schwestern  : Habsburger zwischen Aufklärung und Romantik, Konservativismus, Liberalismus und Revolution. Graz 2012, S. 113–136. 86 Der Erzieherstab der beiden Ältesten bestand zunächst aus dem Ajo Franz de Paula Colloredo-Wallsee, einem Priester, drei Offizieren, ihren Fachlehrern, und jeweils zwei Kammerdienern. Vgl. Wolfsgruber, Franz I, S. 28. 87 Schäfer, Erzherzog Großherzog, S. 14. 88 Botzenhart u. a., Deutsche Geschichte, S. 335. 89 Chroust, Die Geschichte, S. 275, Anm. 3. 90 Hier sei als Beleg nur kurz der chronologischen Argumentation insofern vorausgegriffen, dass Ferdinand nicht nur einmal Handbillets an seine Spitzenbeamten folgenden Inhalts herausgab  : »Wenn der Herr v. Hennebrith die conduite liste der sämptlichen Offiziers hiesiger Truppen hat, welche dem Vernehmen nach vor drey oder zwei Tagen ist dem Regimente abgefordert worden, so möchte ich sie sofort sehen  !« So in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt.6, sign.71, Fol. 254.

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einschätzung seitens der Forschung liegt genau dann vor, wenn ehrgeiziges Soldatentum mit erfolgreicher Politikgestaltung gleichgesetzt und beides für Erzherzog Ferdinand negiert wird91. Erzherzog Ferdinands mangelnde militärische Ausbildung wurde seitens der Biografik fälschlicherweise auch zur Festschreibung der leidlich herbeigeredeten, antagonistischen Unterschiedlichkeit beider Brüder benutzt  : Ferdinands angeblich gänzliche Militärlosigkeit versus die aktive Präsenz Franz’ auf den Schlachtfeldern Europas, nicht nur an der Seite seines Onkels in den Türkenkriegen der 1780er Jahre92. Das fügte sich trefflich in die Zuschreibung eines schwachen Fürsten und es ermöglichte Parallelen zwischen beiden Generationen zu ziehen  : Der feingeistige Peter Leopold mit seinem ebenso gearteten Sohn Erzherzog Ferdinand im Gegensatz zum »militaristischen Bruder«93 Joseph und seinem 2. Nachfolger Franz94. Dies leistete auch einer Deutungskonstruktion Vorschub, nach welcher es zu einem angeblich vererbten Konflikt des einen Bruderpaars Leopold–Joseph auf das folgende Bruderpaar Ferdinand–Franz kam95. Das führte zu Fehlinterpretationen des für die Beurteilung von Ferdinands künftigen Handlungsspielräumen wesentlichen Bruderverhältnisses, wie bereits hergeleitet. Die scheinbare Militärlosigkeit Ferdinands ist jedoch Folge von Peter Leopolds den Grundsätzen aufgeklärter Pädagogik verpflichteten und deshalb für jedes seiner Kinder individualisierten Erziehungszielen. Für die seinem Sohn zugedachte ›Anstellung‹ in der Dynastie waren seiner Ansicht nach weder Interesse am, noch Befähigung zum Militär benötigt, wovon er schließlich gar seinen Bruder Joseph überzeugen konnte96. In einem kleinen Land, umgeben von verbündeten oder verwandten Nachbarn, erschien dies Peter Leopold in Unkenntnis der kommenden Revolutionskriege vernünftig. 91 »Alle diese Briefe mit respektvoller, aber inniger Zurückhaltung geschrieben, lassen die liebenswertesten Eigenschaften dieses Mannes sichtbar werden, dem die Härte abging, um sich erfolgreich als Politiker oder gar als Soldat zu bewähren – das musisch Feindsinnige, das hochgezüchtet Empfindsame, das gemütvoll Menschliche.« So in  : Pesendorfer, Ein Kampf, S. 334. 92 Vgl. Walter Ziegler  : Kaiser Franz II. (I.). Person und Wirkung, in  : Wilhelm Brauneder (Hg.)  : Heiliges Römisches Reich und moderne Staatlichkeit. Frankfurt am Main, New York 1993, S. 9–27, S. 12. 93 Wandruszka, Leopold II, Bd. I, S. 316. 94 Die Konstruktion zum schwachen, weil unkriegerischen Fürsten zeigt sich auch hier deutlich  : »Kriegerische Tugenden gingen dem kleinen zarten Mann ab, trotz der Feldmarschallswürde, die ihm sein Bruder verliehen hatte.« So in  : Chroust, Ferdinand Großherzog, S. 152. 95 »Um es auf einen einfachen, vielleicht vereinfachenden Nenner zu bringen  : In zwei Generationen standen sich im Hause Habsburg zwei sehr unterschiedliche Brüder gegenüber, Josef II. und Peter Leopold und Franz II. und Ferdinand.« So in  : Schäfer, Ferdinand Großherzog, S. 55. 96 »Quant à vos fils, comme je ne crois pas Ferdinand en santé ni en goût de faire le soldat, ils ne pourront venir à Vienne«, so in  : Joseph an Peter Leopold, 6. September 1787, zit. nach  : Arneth, Joseph II, II, S. 118. Dies bedeutete zugleich die Resignation Josephs im Streit vom Dezember 1786 bis September 1787 um die Frage, ob Ferdinand ebenfalls nach Wien zur besseren Erziehung kommen solle, oder nicht. Vgl. Wandruszka, Joseph II, S. 23.

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Auch die Abschaffung der teuren, aber durch Desertion völlig zerrütteten und ineffizienten regulären Armee der Toskana und die gleichzeitige Einführung einer verlässlicheren und billigeren Bürger-Miliz, den »Sbirren«97, waren so gesehen auch nur konsequent und konnte nur ex post und damit unrichtig als »gravissimo errore«98 gewertet werden. Der Verzicht auf ein eigenes toskanisches Militär hatte zudem, wie erwähnt, seine Tradition aus mediceischen Zeiten und wurde durch die Instruction Générale aus dem Jahr 1765 Kaiserin Maria-Theresias bei Regierungsantritt ihres Sohnes nochmals bekräftigt99. Die Abrüstungsunternehmungen Peter Leopolds, die hier nur Skizze bleiben können, sind auch im Kontext einer anderen, von seinem Vater übernommenen Tradition zu verstehen  : der Neutralitätspolitik. Er erweiterte 1778 mit der ›constituzione fondamentale perpetua‹ die traditionelle Neutralität des Freihafens Livorno hin zu einer einseitigen Neutralität der ganzen Toskana, ungeachtet dessen, ob dies zum einen von anderen Mächten auch anerkannt wurde oder ob eine unbewaffnete Neutralität überhaupt zu realisieren war100. Vor den Revolutionskriegen war die Umsetzung seiner Militärreform sowie die Neutralitätspolitik als Ausdruck einer »eudämonistisch-humanitärer Staatsauffassung«101 und eines aufgeklärt-rationalistisches Effizienzstrebens auch problemlos möglich. Nur für seinen Nachfolger bedeutete dies eine nahezu unmögliche Ausgangssituation102, schnürten diese sicherheitspolitischen Zustände die Handlungsfreiräume Ferdinands bereits zum Zeitpunkt seines Regierungsantritts noch enger. Diese hätten, um zusammenzufassen, nicht ungünstiger mit den verschiedensten Vorbestimmungen beschnitten gewesen sein können  : Erzogen zu absolutem Pflichtbewusstsein gegenüber der Dynastie und gleichzeitig seinem eigenen Staatswesen, verpflichtet auf die tradierte Wahrung der souveränen Eigenstaatlichkeit der Toskana bei

 97 Reumont, Manfredini und Carletti, S. 106.  98 Zobi, Storia civile, IV, S. 248.  99 Demnach solle er seine ohnehin geringen Militärausgaben in der Toskana noch mehr beschränken, weil er gegen niemanden Krieg führen werde, und wenn man ihn in Florenz angreifen sollte, sein Militär doch nicht ausreichen würde. Insofern koste es derweil zu viel Geld, welches man besser in den Handel investieren könne. So bei Wandruszka, Leopold II, Bd. I, S. 112. 100 Ebd., Bd. I, S. 32. 101 Ebd., Bd. I, S. 318. 102 In den Briefen an Franz klagt Ferdinand sehr kritisch über seinen Vater  : »Du weißt, dass nachdem mein Vatter hier alles verkauft hat, wenn es erlaubt ist zu sagen, geraubet und zerstört hat und mit großer Generösität viele Festungsanlagen aufgehoben hat und ich trotzdem bey meiner Ankunft in Toscana nur 10.000 Scudi in der Cassa in allem gefunden habe.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a2, Ferdinand an Franz, 19. Oktober 1793. Diese dezidiert kritische Haltung lädt dazu ein die Ansicht Pesendorfers zu bezweifeln  : »Es ist wahrscheinlich – Beweise dafür fehlen offensichtlich – dass sich Ferdinand III. als schwächerer Sohn eines großen Vaters gesehen und empfunden hat«, so in  : Pesendorfer, Ein Kampf, S. 36.

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gleichzeitigem Gehorsamsgebot gegenüber dem Dynastiechef, militärisch unausgebildet und zur unbewaffneten Neutralität gedrängt, während eines beginnenden Weltkriegs. 1.3 Aushandlungsprozesse – Neutralität und Friedensbemühungen im Ersten Koalitionskrieg

Dieser Weltkrieg kam in die bis dahin so friedliche und friedliebende Toskana schneller als sich der 23-jährige Erzherzog Ferdinand mit diesen 1792 übernommenen, komplexen Verhältnissen hätte auseinandersetzen können. Ein Blick auf die ersten Regierungsjahre beider Brüder im Krieg zeugt vom erwähnten Aushandlungsprozess zwischen Primo- und Sekundogenitur, den es im Folgenden chronologisch und detailliert aufzudecken gilt. Dies geschieht, weil dieser Aushandlungsprozess später für die Handlungsspielräume Erzherzog Ferdinands als Rheinbundfürst und Familienmitglied wegweisend sein wird. Die ersten Regierungsjahre verdeutlichen außerdem, wie sehr Erzherzog Ferdinand den ererbten Vorgaben des Vaters einerseits folgen wollte, andererseits bei deren Umsetzung an den inneren Widersprüchen des väterlichen Erbes und somit auch an der Realität scheitern musste. Die Beraterkreise

Der Aushandlungsprozess, dem die Beziehung in den ersten Regierungsjahren beider Brüder unterworfen war, entbrannte sich an der Frage nach Krieg oder Frieden. Der eine Bruder, Franz, erbte schließlich vom Vater Peter Leopold die Pillnitzer Deklaration vom 27. August 1791, die einen Krieg mit Frankreich unvermeidlich machte, der andere, Erzherzog Ferdinand, die unbewaffnete Neutralität mit der »constituzione fondamentale perpetua« von 1778. Die Frage der Ausgestaltung des ›politischen Verkehrs‹ mit dem revolutionären Frankreich stand damit auch unter dem Vorzeichen jeweils unterschiedlicher Beraterkreise. Bei Regierungsantritt wurde Erzherzog Ferdinand unterstützt und beraten von den gleichen Ministern, die ihm der »Augusto […] genitore«103 hinterließ, wie er seinem Bruder schrieb. Eine dominierende Stellung im Kreis dieser Minister hatte vornehmlich der in Wien als »marchese giacobino«104 schlecht beleumundete Manfredini inne. Aber 103 »Nell’ attuale stato della guerra accesa nell’Europa io ho sempre osservata esattamente la neutralità dichiarata al principio di essa, e ciò non meno per impulso della mia lealtà ed onoratezza, che per deferire a consigli ed insinuazioni de più provetti de accreditati Ministri lasciatimi dall’Augusto nostro genitore.« So in  : HHStAW, StK, Toskana, 22, Ferdinand an Franz, Florenz, 6. April 1793, Fol. 481. 104 Alfred von Reumont  : Federigo Manfredini e la politica toscana dei primi anni di Ferdinando III. Firenze 1877, S. 176. Er wurde innerhalb Franz’ Beraterkreis als »général philosophe et pacificateur« verlacht und

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auch der Rest dieses Ministerkreises, gebildet aus Mitgliedern des bei der Abreise aus der Toskana von Peter Leopold eingesetzten Regentschaftsrates, stand im profranzösischen Geruch105. Diese negativen Zuschreibungen stammten indes vom Beraterkreis um Kaiser Franz, der ebenfalls seinen ehemaligen Erzieher Franz de Paula Colloredo-Wallsee in die verantwortungsvolle Position eines Kabinetts- und Konferenzministers hob, den, auffällig genug, damals allerdings Maria-Theresia bestimmt hatte106. In Florenz hatten Ajo Colloredo und Sotto-Ajo Manfredini schon bei der ihnen beiden übertragenen Erziehung der ältesten Söhne Peter Leopolds weltanschauliche Grabenkämpfe ausgefochten107. Man könnte daher zwar eine personell präjudizierte Gegnerschaft hinsichtlich der Frage anti- oder profranzösische Außenpolitik zwischen den beiden Höfen Florenz und Wien ausmachen, eine Deutungskonstruktion zu einem angeblich vererbten Konflikt des einen Bruderpaares auf das ihm folgende, lässt sich damit allerdings nicht beweisen. Es wird daher nun darzulegen sein, dass beide Höfe mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen zwar eine diametral andere Strategie im ›politischen Verkehr‹ mit dem Kriegsgegner Frankreich verfolgten, aber sich beide stets bemühten, dass darunter nicht das vertrauensvolle Bruderverhältnis litt. Sie beide mussten sich erst mit den ungeheuren Aufgaben arrangieren, die in ihren jungen Jahren mit ihrem unerwartet frühen Regierungsantritt auf sie zukamen. Beide waren besonders deswegen angewiesen auf ihre jeweils eigenen und sich aber in vielerlei politischen Angelegenheiten widersprechenden Beraterkreise, die zudem jeweils versuchten, die andere Seite in Misskredit zu bringen. Über dieses Problem tauschten sich die Brüder aus. Erzherzog Ferdinand diesbezüglich  :

kritisiert. So in  : Thugut an Colloredo, 5. Mai 1795, zit. nach  : Alfred von Vivenot  : Vertrauliche Briefe des Freiherrn von Thugut, Österr. Ministern des Äussern, 1792–1801. Beiträge zur Beurtheilung der politischen Verhältnisse Europa’s in den Jahren 1792–1801. Wien 1872, S. 207. 105 Zu diesem Kreis um Manfredini zählten  : Fürst Neri Corsini (1771–1845), zur Person  : Caffiero, Marina  : Corsini, Neri, in  : Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 29, 1983  ; außerdem Giulio Mozzi del Garbo (1730–1813) und Francesco Carletti di Montepulciano (1740–1803), zur Person  : P ii, Eluggero  : Carletti, Francesco Saverio, in  : ebd., Bd. 20, 1977  ; sowie Vittorio Fossombroni (1754–1844), zur Person  : Pazzagli, Carlo  : Fossombroni, Vittorio, in  : Ebd., Bd. 49, 1997. 106 Vgl. Reumont, Manfredini und Carletti, S. 99  ; Pesendorfer, Ein Kampf, S. 54. 107 Colloredo beklagte sich, was dessen Charakterbild in Wien maßgeblich prägen sollte, bei Joseph II. und Maria-Theresia über Manfredini, er sei »so gänzlich der jetzigen freien Denkungsart ganz ähnlich. […] Er hat verschiedene Principie, so etwas gefährlich, die er wohl gegen selbe [Peter-Leopold und seine Frau, Anm. d. Verf.] nicht hat hervorgelassen. Ich weiß aber nicht, was in das Künftige davon entstehen könnte. Er preist in allem Rousseau, Voltaire Montesquieu sehr an und glaubt, bloß die Herren gut zu erziehen selbe aber in Vielem nicht zu sehr zu genieren und über viele Sachen hinauszugehen.« Zit. nach Wolfsgruber, Franz I, S. 79.

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»Manfredini hat hier einen Brief an dich beygelegt, welchen ich dich bitte mit Aufmerksamkeit zu lesen. Wir kennen diesen unseren guten Diener beide zu gut, um von ihm einen Augenblick zweifeln zu können und nicht wohl einsehen zu können, wie viel wir ihm schuldig sind. Er schreibet dir vom Grunde seines Herzens und ich, welcher ich ihm auch sehr ergeben bin, da ich wohl weiß, dass alle seine Handlungen allezeit nach dem allgemeinen Besten des Staates gerichtet sind und immer waren, bitte dich von ganzer Seele und vermög der Liebe und Freundschaft welche du vür mich hast, […] dass er nicht einen Augenblick zweifeln könne, dass du Falschheiten und Verläumdungen über ihn ein Gehör giebst«108.

In der Folgezeit waren immer wieder Rechtfertigungen und eine Widerlegung von Gerüchten über Jakobiner am Florentiner Hof nötig. Dass beide aus der Not geboren, aber auch überzeugt von der Meinung, dies entspräche dem Willen ihres früh verstorbenen Vaters, zunächst trotz der Vorwürfe und Gerüchte an ihren Beraterkreisen festhielten, beförderte die Möglichkeit zu Missverständnissen auch zwischen den Brüdern109. An der Frage über den Umgang mit dem revoltierenden Frankreich waren beide Beraterkreise höchst uneins. Zutiefst beunruhigt zeigte sich die Umgebung Kaiser Franz’, als Erzherzog Ferdinand und sein leitender Staatsrat Manfredini mit der erneuten Veröffentlichung der »constituzione fondamentale perpetua« seines Vaters am 28. April 1792 an der unbewaffneten Neutralität der Toskana festhielt110, obwohl gerade kurz zuvor am 20. April 1792 die Gesetzgebende Versammlung Frankreichs der Habsburgermonarchie und den mit ihr koalierenden Mächten den Krieg erklärte. Die Konfliktlinien zwischen Florenz und 108 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 29. Oktober 1793. Immer wieder wirbt Ferdinand für Manfredini, er sei kein Franzosenfreund, sondern im Gegenteil Unterstützer der Ersten Koalition  : »Mich hat sehr gefreuet, aus Deinem Briefe zu sehen, wie Du von Manfredini denkest. Was ich Dir von ihme neulich geschrieben habe, dass Engelland von ihme eine günstigere Meinung gefasst hat, bestätiget sich durch unaufhörliche Proben, durch die Unterweisung aller dem Staat geneigten, sowohl Nationalen als Fremden, und durch mehrere Briefe aus London hierher, wovon ich einige unter meinen Augen gehabt habe, und man mithin keine Thatsache aufzuweisen hat, welche ihme unvortheilhaft im Geringsten sein könnte. Dahero mache ich mir zur Schuldigkeit, vor der ganzen Welt zu erkennen, dass Manfredini wegen Attachement für uns Beide, Rechtschaffenheit und besonderer Capacität unsere ganze Erkenntlichkeit und Liebe verdienet. Dieses habe ich in meinem Briefe sagen wollen, dieses ist Dir aber ebenso gut bekannt als mir.« Ferdinand an Franz, 13. Januar 1794, zit. nach  : Vivenot, Quellen, S. 30. 109 Über die Vorwürfe am Florentiner Hof befänden sich gefährliche Jakobiner  : »Übrigens lebe ich ganz freundschaftlich mit ihnen. Aber es ist grundfalsch, dass er [Manfredini, Anm. d. Verf.] alle meine Handlungen und die affairen des Staates leitet wie manch einer glaubt und sagt. Ich gebrauche mich in dem letzten nur seiner Minister, welche mir der Wille unsers Vatters, den ich achte, hinterlassen hat und welche in den affairen dieses Landes vertrauet sind«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 23. April 1796. 110 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 72.

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Wien waren hinsichtlich der Frage über Krieg und Frieden aufgeworfen. Am Wiener Hof machte es einigen den Anschein, als ob sich Erzherzog Ferdinand durch diese laut geäußerte Neutralitätspolitik einer durch seine Berater beeinflussten profranzösischen Politik verschrieb, weil er sich damit einem gemeinsamen, geschlossenem Vorgehen der Habsburgermonarchie im Krieg entzog und ihr damit schaden könnte111. Dabei hätte es vor allem Kaiser Franz’ engsten Beraterstab um Colloredo, der bereits vor seinem offiziellen Amtsantritt im Jahr 1794 um den ›Interventionalisten‹ Johann Franz von Thugut (1736-1818)112 ergänzt wurde, doch offenbar sein müssen, dass die Brüder ihr Vorgehen wohl miteinander abgesprochen haben dürften  : Als die Habsburgermonarchie den Krieg und kurz danach die Toskana ihre Neutralität verkündete, waren beide Brüder anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten Kaiser Peter Leopolds’ zusammen in der Wiener Hofburg113. Folgt man dieser Einschätzung, kann also nur zum Teil der Forschungsmeinung recht gegeben werden, dass man im Festhalten an dem vom Vater ererbten neutralen Kurs der Toskana auch ein Zeichen eines Selbstbehauptungswillens gegen die Ausübung der Prärogative über Krieg und Frieden der Primogenitur erkennen könnte114. Vielmehr erkennt man in der Interaktion zwischen Florenz und Wien hinsichtlich der Frankreichfrage zwei Dimensionen. Auf der einen Seite der Beraterkreis um Erzherzog Ferdinand, allen voran Manfredini, strebte durchaus danach, die de jure eingerichtete, und von Peter Leopold erstrebte Unabhängigkeit von der Habsburgermonarchie auf- und auszubauen115. Zudem sahen Erzherzog Ferdinands Berater vor Ort mit dem Festhalten an der Neutralität wenigstens realpolitisch eine Möglichkeit, sich unbewaffnet im Krieg gegen eine drohende Übermacht behaupten zu können, hatte man doch 111 »Que a fait la cour de Florence  ? Le marquis entraîne un mouvais jeu   ; pour nous le tout prendre mal peut.« Thugut an Colloredo, 3. Mai 1792, zit. nach  : Vivenot, Vertrauliche Briefe. 112 Zu ihm immer noch lesenswert  : Folkert, Johann Amadeus. 113 Anlass war die Krönung Peter Leopolds zum König von Böhmen in Prag Anfang September. Als die Pillnitzer Deklaration am 27. August Frankreich die gemeinsame Intervention der Österreicher und Preußen in Aussicht stellte, befanden sich beide Brüder in Wien, kurz vor ihrer Abreise nach Prag. So urteilt auch Moloney  : »The Grand-Duke Ferdinand, who was in Vienna when the war declared, reaffirmed to France, with the Empcror’s agreement, the traditional Tuscan policy of neutrality«. Brian Moloney  : Florence and England. Essays on cultural relations in the 2nd half of the 18th century. Firenze 1969, S. 112f. 114 Vgl. Forster, Die Konstruktion, S. 57. 115 Die Meinung des Beraterkreises war es, dass ihr Fürst ein italienischer sei, ohne dass er oder sein Land der Habsburgermonarchie in irgendeiner Weise verpflichtet sei. Der Kammerdiener Erzherzog Ferdinands Fiaschi schrieb an Neri Corsini, die bezeichnenderweise beide ihre Stellung noch Erzherzog Ferdinands Vater zu verdanken hatten  : «Il Granduca è nato in Italia, forma una famiglia italiana, e non appartiene ad alcuna lega  ; e l’ha ben fatto vedere col sistema da lui adottato«, so in  : Fiaschi an Corsini, Florenz, 27. Mai 1796, zit. nach  : Filippo Antonio Gualtieri  : Gli ultimi rivolgimenti italiani. Memorie storiche con documenti inediti. Firenze 1852, S. 253.

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schließlich wegen Korsika mit dem Kriegsgegner Frankreich eine gemeinsame Seegrenze. Eine gemeinsame Kriegserklärung von Wien und Florenz hätte für letzteres daher vernichtende Folgen gehabt. Auf der anderen Seite wird sich zeigen, dass Erzherzog Ferdinand pflichtbewusst versuchte, wie er erzogen worden war, sowohl dem »Hof von Wien als dem Haupt des Hauses Habsburg Beachtung, Rücksicht und Ehrerbietung«116 entgegenzubringen und auch seinem Bruder, nicht nur aus hierarchischer Erfordernis, sondern zudem aus echter brüderlicher Zuneigung zu Diensten sein zu wollen, trotz seiner divergenten Strategie im Krieg. Diener des Hauses Habsburg sein zu wollen, geriet zunehmend mit Erzherzog Ferdi­ nands Absicht »niemals meine Pflicht, von meinen Unterthanen alle Gattungen von Unheilen abzuwenden ausser Augen«117 zu lassen, in Konflikt. Wie dieses Wohl seiner Untertanen im Ersten Koalitionskrieg nämlich gewährleistet werden sollte, sorgte in erster Linie zwischen den Beraterkreisen zu konflikthaften Missverständnissen, später auch zwischen den Brüdern. Bei absolut verschiedenen Voraussetzungen warben Erzherzog Ferdinand und Kaiser Franz jeweils um Verständnis in ihrer Privatkorrespondenz für ihr eigenes Regierungshandeln. Sie besprachen ihre Handlungsalternativen im Krieg oft sehr genau und es kam nicht soweit, dass der eine etwas vor dem anderen »sorgfältig geheim gehalten«118 hätte. Kurz  : Die kaiserlichen Brüder waren sich völlig einig darüber, der gleichen Sache pflichtbewusst zu dienen  : dem Interesse ihres eigenen ›Gesellschaftsverbandes‹ und dem Haus Habsburg-Lothringen-Lothringen. Welches welchem unterzuordnen war, musste ausgehandelt werden und führte schließlich über die Zeit hinweg zur Ausprägung des bereits erwähnten ›spezifischen Familiensinns‹. Die Neutralitätspolitik …

Erzherzog Ferdinand ging während seiner frühen Regierungszeit, die gleich zu Beginn existenzbedrohende Krisen bereithalten sollte, nach Maßgabe einer noch später oft zu beobachtenden vernünftigen Realpolitik vor. Er übernahm die vom Vater ausgegebene Neutralitätsdoktrin, überzeugt davon, dass »keine andere Art mein Volk […] von dem gänzlichen Untergang retten kann«119. Dabei sah er sich nur vor ein Problem gestellt  : Er hätte die Neutralität gegenüber niemandem behaupten können.

116 Pietro Leopoldo u. a., Relazioni sul governo, S. 39. Übersetzung zit. nach  : Pesendorfer, Ein Kampf, S. 33. 117 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 16. Dezember 1793. 118 Pesendorfer, Ein Kampf, S. 100. 119 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 33-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 8. September 1794.

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Vor dem Hintergrund erster militärischer Erfolge der Revolutionsarmeen, nach der Kanonade von Valmy und ersten Gebietseroberungen in den Österreichischen Niederlanden, musste Erzherzog Ferdinand feststellen, dass nicht nur im Freihafen Livorno die Festungen ruinös und teilweise verkauft worden waren, sondern in der ganzen Toskana keine Kanone und nahezu keine Munition oder irgendeine brauchbare Mannschaft zu finden war120. Er musste in den 1790er Jahren, vor der Drohkulisse einer französischen Invasion von See- und/oder Landseite stehend, erkennen, dass ohne schlagkräftige Flotte und ohne ausreichendes Truppenkontingent eine unbewaffnete Neutralität keinen Wert hatte. Der Frieden für seine toskanischen Untertanen konnte wegen des expansiven Vorgehens Frankreichs mit toskanischen Kräften allein nicht garantiert werden. Da Erzherzog Ferdinand de facto über ein wehrloses Land gebot, blieb ihm als einziger Ausweg nur die enge Anlehnung an das Erzhaus, wollte er seine Herrschaft nicht, kaum erhalten, wieder verlieren. Nach außen, zunächst gegenüber Frankreich, nach dem Kriegseintritt Englands auch dagegen121, versuchte man von Florenz aus, eine ererbte Neutralitätspolitik zu behaupten und in der Argumentation mit den, tatsächlich weit zurückreichenden Traditionen auch aufrecht zu erhalten122. Um es deutlich zu sagen  : Im Ersten Koalitionskrieg wollte man seitens der Toskana gegen Frankreich und England neutral sein, aber für eine echte Neutralität auch gegenüber der Habsburgermonarchie war im Verständnis Erzherzog Ferdinands kein Platz. Dem widersprach seine internalisierte Gehorsamspflicht gegenüber dem Familienoberhaupt und seine Herrschaftsauffassung als Dienstverhältnis für das Haus HabsburgLothringen-Lothringen, und damit kann dies auch schwerlich als Anzeichen eines Selbstbehauptungswillens gewertet werden123. Explizit bat Erzherzog Ferdinand seinen 120 »Il porto di Livorno é sprovveduto di artiglieria, e la sua posizione è tale che più esser rouinato in poche ore da due soli vasetti che si pongano a bombardarlo. Le altre Fortezze della Toscana furono disfatte dal nostro augusto padre e ridotte a casamenti di particolari, ne v’è più alcun facile, né cannoni che furono parimente venduti.« Ausschnitt des Briefes von Erzherzog Ferdinand an Franz vom 6. April 1793 aus Florenz der die Absprache über die scheinbare toskanische Neutralitätspolitik bezeugt, in  : HHStAW, StK, Toskana, 22, Fol. 480–484, teilweise abgedruckt im Anhang, Dokument III. 121 Erzherzog Ferdinand schrieb im Februar 1793, »dass man nicht von der Kriegserklärung Engellands zweifelt. Allein dass man wohl sieht, wie viel es selben kostet und aus allen Ziele der selben erhellt sich, dass die Regierung den Frieden zu haben und den status quo herzustellen ihr Hauptwunsch und Absicht ist. Wenn jetzt dieses Land auch in Krieg kommt werden sich hoffe ich die Sachen ändern, allein für Italien ist die Gefahr noch nicht vorbey, könnte es doch diesem selbst oder anderen Beute seyn.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Castello, 11. Februar 1793. 122 »Est-ce la neutralité qu’avoit pû déplaire  ? C’est la loi fondamentale e héritée du cet Pays«, so in  : HHStAW, StK, Toskana, 22, Manfredini an den englischen Bevollmächtigten Trevor in Turin, o.D., Entwurf, Fol. 526. 123 Im Jahr 1796 wird Erzherzog Ferdinand an Franz schreiben, worauf später noch genauer einzugehen sein wird  : »Seye versichert […] alles was ich dir durch den letzten Courier geschickt habe, geschrieben habe aus Liebe für dich und vür das Beste deiner Person und deine Länder und unseres Hauses geschrieben

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Bruder um militärischen Schutz der Toskana und versprach ihm im April 1793, »che se le Truppe della M.V. vengono a difendere la Toscana, io mi uniformerò del tutto a di Lei suggerimenti«124. Von einer tatsächlichen Neutralität in diesem Krieg gegen das revolutionäre Frankreich konnte also gar nicht die Rede sein125. Sie diente vielmehr nur nach außen als Fassade, insofern er seinen Bruder zum schnellen und absolut geheimen Marschbefehl österreichischer Truppen in die Toskana (»con la maggior sollecitudine e segretezza«126) drängte. Je schneller, desto besser sollten diese dort eintreffen, wisse man doch nicht, wie lange man die Franzosen von der angeblichen Neutralität überzeugen könne und »perché se i Francesi si accorgono ch’io abbia alterato per qualunque cagione il mia sistema, vengo a somministrar loro un pretesto di attaccarmi da un giorno all’altro«127. Aber die Truppen kamen nicht. Der Plan, die Neutralität der Toskana gegenüber Frankreich nur so lange aufrechtzuerhalten, bis die Habsburgermonarchie den Schutz der Toskana übernehmen konnten, scheiterte daran, dass Kaiser Franz II. seinem Bruder die sehnlichst gewünschten Truppen nicht schicken konnte, da alle Streitkräfte am Rhein und in den Österreichischen Niederlanden gebunden waren. Es blieb im ›politischen Verkehr‹ des Ersten Koalitionskrieges seitens der Toskana nur die diplomatische Verhandlung, eine Verständigung mit dem Gegner. Ein Vorgehen, das sich später auch in Salzburg und Würzburg wiederholen wird und deshalb besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Um diese scheinbare Neutralität ›im politischen Verkehr‹ dem bedrohlich siegreichen Frankreich als ›echte‹ Neutralität zu verwirklichen, begann Florenz Anfang 1793 direkte Verhandlungen mit der neu errichteten Republik Frankreich. Man muss sich die Brisanz dieses Entscheidungshandelns Erzherzog Ferdinands im Krieg vor Augen führen  : Gerade zu der Zeit verabredete man wechselseitig den Gesandtenaustausch, als man in Paris auf dem Place de la Révolution Erzherzog Ferdinands Onkel König Ludwig XVI. guillotinierte128. Diese Tat verabscheute Erzherzog Ferdinand wie jeder Fürst des Ancien Régime auf das Äußerste129. und nicht wegen mir«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 10. September 1796 . 124 HHStAW, StK, Toskana, 22, Fol. 480–484, sowie im Anhang, Dokument III. 125 Zu Recht spricht Franz Pesendorfer hier von einer »Neutralität mit Schönheitsfehlern«. Kapitelüberschrift bei ebd., S. 71–95. 126 HHStAW, StK, Toskana, 22, Fol. 480–484, sowie im Anhang, Dokument III. 127 Ebd. 128 Vgl. AN, A.E. BIII, Consulats. Mémoires et Documents, 387, Toscane. Nach Florenz kam am 2. Juli 1791 Alexis Joseph Marie Fourvet de la Flotte. Vgl. zudem Otto Friedrich Winter (Hg.)  : Repertorium der diplomatischen Vertreter aller Länder 1764 – 1815. Graz u. a. 1965, S. 141. 129 »[…] wir sind alle, wie du dir wohl recht einbilden kannst recht sehr über den grausamen Mord des

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Er ließ daher sicher nicht aus irgendeiner sozialromantischen Gefühlslage für die Ideale der Revolution heraus, trotz seiner aufgeklärten Erziehung, oder wegen einer Sympathie für Frankreich dort unterhandeln130, sondern weil ein Zurück, ein plötzlicher Abbruch der Beziehungen für Florenz in dieser heiklen Situation ohne weitreichende Folgen für die Sicherheit des Landes schlicht nicht mehr in Frage kam131. So progressiv der Schritt war, als erster Souverän Europas direkt mit dem Revolutionsregime in Verhandlungen zu treten und jenes damit staatsrechtlich anzuerkennen, aus genauso großer militärischer Ohnmacht und realpolitischer Alternativlosigkeit erwuchs er. Der schon die Erneuerung des Neutralitätspatents kritisch beäugende Beraterkreis Kaiser Franz’ in Wien lehnte nun diesen toskanischen Sonderweg als ein »Paktieren mit dem revolutionären Todfeind«132 vollkommen ab – nicht so aber Kaiser Franz selbst. Das ist eine Erkenntnis, die sich von der bisherigen Historiografie unterscheidet133. Anfangs war Kaiser Franz kein entschiedener Gegner dieses Sonderwegs. Erzherzog Ferdinand stimmte seine Maßnahmen zur Anerkennung der scheinbaren Neutralität eng mit seinem Bruder ab. Denn zum einen schrieb er bereits im Januar  : »Ich bin gottlob zufrieden und glücklich dass ich in dieser fatalen Lage der Sachen meine Ehre mit diesem unseren Nutzen und Vortheil dieses Landes habe vereinigen können und du als ein wahrer und zärtlicher Freund und Bruder wirst sagen können, ob ich mich nicht würdiger gezeigt habe, dem Bruder und von dem Hause Oesterreich zu seyen, als viele meiner Nachbarhen, welche viel incoerenter gewesen sind, als ich und nicht die persönliche Würde und Anstand, mit dem Interesse des Staates, welches das erste unserer Pflichten ist, zu vereinigen

Königs von Frankreich betroffen. Eine so himmelschreyende Ungerechtigkeit und Grausamkeit ist in der Geschichte nie vorgekommen. Nach einem so grausamen und schrecklichen Vorfall habe ich nicht dem Publicum das Vergnügen benehmen wollen, welches selbes in denen letzten Faschingstagen gehabt haben. Allein ich habe mich ganz allein mit Manfredini und meinem Obristkämmerer Rospigliosi nach Castello retiriert und bleibe dort bis Aschermittwoch«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 3­ 1a-2, Ferdinand an Franz, Castello, 05. Februar 1793. 130 »Gott gebe uns bald ein Ende von diesen Unheilen und strafe die Franzosen wie sie es verdienen« so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Castello, 09. Februar 1793. Gleichlautend  : »Meine Lage ist schmerzlich, da man mit Feinden zu thuen hat, welche, wenn sie aufgebracht sind, keine Ménagements halten. Gott gebe, dass durch Deine besondere Sorgfalt für das allgemeine Beste wir von solchen Unheilen geschützet seien, aber auch dass wir bald den Frieden geniessen könnten«, so in  : Ferdinand an Franz, 13. Januar 1794, zit. nach  : Vivenot, Quellen, S. 30. 131 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 75. 132 Vgl. ebd., S. 74. 133 Z.B.: »Aber die Neutralitätspolitik des Landes wurde von der kaiserlichen Regierung keineswegs mehr als eine Selbstverständlichkeit […] hingenommen. Sie musste ausdrücklich begründet und verteidigt werden.« So  : ebd., S. 72. An anderer Stelle  : »Gegenüber seinem älteren Bruder musste er sie [die Neutra­ litätspolitik, Anm. d. Verf.] rechtfertigen«, ebd. S. 84.

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gewusst haben. Wenn du etwas von mir weißt, was diesen Principien nicht gemäß ist, oder du einigen Zweifel darüber hast, sage es mir. Niemand kann es besser als du beurtheilen.«134

Da die Antwort des Bruders dem Ansinnen des toskanischen Hofes wohl zustimmte, den Interessen der Toskana sowie des ganzen ›Haus Österreich‹ mehr zu nützen als mit einem Überwechseln in das Lager der Alliierten, antwortete Erzherzog Ferdinand darauf wieder  : »Mich hat sehr gefreuet alles jenes zu sehen, was du über unseren conduites in politicis sagtest. Ich wünsche nichts mehr als in allen Gelegenheiten dir gänzlich zu gefallen«135. Auch im Folgenden müssen, wie hier in diesem Fall, die Reaktionen auf Erzherzog Ferdinands Regierungshandeln oftmals aus seinen eigenen Briefen geschlussfolgert werden. Alle Schreiben Kaiser Franz’ und viele der diplomatischen Schriftstücke der Jahre 1791 bis 1799 finden sich bezeichnenderweise nicht mehr in den Archiven in Florenz oder Prag. Erzherzog Ferdinand hat sie, wie so vieles an kompromittierendem Material später absichtlich vernichtet136. Ein anderer Beleg für dennoch stattgehabte Absprache zwischen den Brüdern mit positiver Resonanz findet sich im Briefwechsel vom April 1793, in dem auch deutlich wird, dass nicht die Brüder, sondern die jeweiligen Beraterkreise mit dem toskanisch-französischen Unterhandlungen ein Problem hatten  : »Dein letzter Brief hat mich unendlich und ungemein gefreuet und getröstet, weilen ich aus selbem ersehe, dass auch schon vor der Auskunft der meinigen du gänzlich von den Maßregeln überzeugt bist welche uns hier geblieben haben [sic], um Toscana von dem größten Ruin zu retten um Italien und besonders die Lombardei einen Nutzen bringen zu können. Dass die Principien in Frankreich und der Franzosen infam sind ist wohlbekannt […]. Ich hoffe zu Gott, dass wenn er die Gerechtigkeit meiner Maßregeln erkennt […] auch deine Leute sehen, dass von allen Fürsten in Italien ich dir am besten gedient habe. Besonders erinnere dich liebster Bruder, dass du vür mich alles bist  ;«137

Andere Staaten Italiens, auf die Erzherzog Ferdinand hier rekurrierte, die von den vertraulichen Absprachen der Brüder naturgemäß nichts wussten und nicht ahnen konn134 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 17. Januar 1793. 135 Ebd., Ferdinand an Franz, Florenz, 22. Januar 1793. 136 »Auf Befehl Sr. K.H. des Großherzogs wurden sämmtliche im Archiv der auswärtigen Angelegenheiten befindlichen Actenstücke vom 1. Januar 1791 bis zum Einrücken der Franzosen in Toscana verbrannt, wie S.E. der Cav. Fossombroni, Minister der auswärtigen Angelegenheitenund Hr. Gaetano Rainoldi, Secretär des Staatsraths, bezeugen können«, Übersetzung zit. nach Reumont, Manfredini und Carletti, S. 116. 137 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 13. April 1793.

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ten, dass die Habsburgermonarchie als militärische Garantiemacht der toskanischen Neutralität geplant war, werteten furchtsam die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Florenz und Paris als Einladung zur Invasion138. Gerade der Kirchenstaat, der bereits ab 1791 mit dem Verlust Avignons und der Grafschaft Venaissin Schlimmstes vom revoltierenden Frankreich befürchten musste, sah sich als Kriegsziel Frankreichs. Mit einer durch Frankreich anerkannten Neutralität der Toskana wäre der Stuhl Petri der Gefahr einer Landung französischer Truppen ausgesetzt139. Erzherzog Ferdinand beruhigte die Kurie mit einem deutlichen Verweis auf die engen Absprachen innerhalb des Hauses Habsburg-Lothringen  : »Non intende poi, confesso il vero, come il S. Padre possa temere, aprendo la strada ad un accomodamento civile con la Francia di attracchi l’odio die. M. l’Imperatore, quando io che gli sono fratello, ed il suo più tenero amico non ho mai fatto alcun passo pubblico in questa materia della neutralità con la Francia senza dargliene una confidenziale comunicazione e posso dire con verità che anzi che approvazione ne ho sempre riportata lode ed applauso«140.

Die angeführten Belege aus dem Januar und Februar 1793 beweisen allerdings, dass Erzherzog Ferdinand tatsächlich keinen ›passo pubblico‹ hinsichtlich der Neutralität ohne ›confidenziale comunicazione‹ mit Kaiser Franz und dessen Billigung und Beifall gemacht hat141. Auch der diplomatische Austausch mit dem Kirchenstaat wurde im Übrigen von Florenz aus direkt nach Wien weitergeleitet142. Bald schon sollte allerdings die einvernehmliche Stimmung kippen. Es begann mit den Ereignissen des Herbsts 1793 und wieder stand die angebliche Neutralität der Toskana im Mittelpunkt143. Als die englische Flotte bereits im August den Hafen von Livorno besetzt hatte, zum einen

138 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 80f. 139 Darüber Erzherzog Ferdinand an Franz  : »Nun drohen die Franzosen auch dem Papst […] und vermuthlich werden sie ihm auch eine unangenehme Visite machen«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 24. Februar 1793. 140 Ebd., StK, Toskana, 22, Ferdinand an Kardinal Corsini, 26. Februar 1793, Fol. 499f. Ausschnitte übersetzt auch bei ebd., S. 83. 141 Zu einem anderen Ergebnis kommt hier ebd., S. 84. 142 Vgl. HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Fol. 38-42. Mit dem Brief vom 2. März 1793, in dem Erzherzog Ferdinand seine Verhandlungen mit dem Kirchenstaat ausbreitet, sind alle Briefe und auch Noten Manfredinis nach Wien weitergeleitet worden. Immer wieder finden sich auch in der Folgezeit dieserlei Hinweise von Erzherzog Ferdinands Weitergabe an ihn gerichteter Unterlagen  : »Ich werde alle Documente sammeln lassen und dir wie es meine höchste Pflicht ist einschicken.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Cajano, 12. Oktober 1793. 143 Ausgewertet wurde hierzu v.a. SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 2, sign. 11, Affari d’Italia nei mesi di novembre e dicembre 1793.

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wegen eigener geostrategischer Vorteile144, aber konkret auch um von dort die geplante ›Befreiung‹ Toulons zu organisieren, erhielt Erzherzog Ferdinand eigentlich den von ihm gewünschten Schutz seiner Toskana durch alliierte Kräfte. Es waren aber nicht die von Erzherzog Ferdinand geforderten Landtruppen seines Bruders. Dem Koalitionspartner der Habsburgermonarchie gegenüber ließ er – England wie jede andere ausländische Macht behandelnd – strikt am Neutralitätskurs festhalten und unterhielt trotz scharfer Proteste der Briten weiterhin diplomatische Kontakte mit Frankreich – auch als sich der ›Frei‹-Hafen Livorno bereits fest in der Hand der alliierten Flottenverbände befand. Das zwang am 8. Oktober 1793 die englische Krone, ein Ultimatum an die toskanische Regierung auszusprechen, den diplomatischen Kontakt mit dem Kriegsgegner Frankreich augenblicklich einzustellen, sonst würde Livorno beschossen werden145. Warum ließ Ferdinand es so weit kommen und wechselte nicht bereits mit Erscheinen der englischen Armada im Mittelmeer ins Lager der Koalition  ? … als Realpolitik im Krieg

Die Beibehaltung der Neutralität sollte sich zwar realpolitisch als der richtige Weg herausstellen, hielt sie ihm doch nach dem kläglichen Scheitern der Alliierten in Toulon – verursacht durch den massiven Artillerieeinsatz des bis dato unbekannten Napoleon Bonaparte146 – den Weg für Verhandlungen mit Frankreich immer noch offen. Das wäre aber ex post argumentiert. Bestimmend war erneut schlicht die Realpolitik des Moments. Erzherzog Ferdinand schrieb an Kaiser Franz  :

144 Nur am Rande sei erwähnt, dass der Besitz des Hafens für Livorno nicht nur militärstrategisch für den ganzen Mittelmeerraum von Wichtigkeit, sondern auch als Handelsplatz von Bedeutung war, mit dem der Seehandel in die Levante organisiert werden konnte. Vgl. Cecchini, neutralità, S. 151. 145 Vgl. HHStAW, StK, Toskana, 22, Fol. 621–640  ; sowie Pesendorfer, Ein Kampf, S. 89. Der Beraterkreis um Franz wunderte sich über das rüde Umgehen Englands mit dem toskanischen Hof, schob dies aber auf die in ihren Augen ebenfalls verwunderliche dortige Neutralitätspolitik  : »La démarche de Mylord Harvey est un peu violente, mais il faut avouer que la conduite qu’on a tenue et qu’on s’obstine de tenir en Toscane n’est pas moins singulière.« Thugut an Colloredo, 5. Juni 1793, zit. nach  : Vivenot, Vertrauliche Briefe, S. 18. 146 Der österreichische Gesandte Giovanni Girola schrieb in einer ersten und deshalb bemerkenswert weitsichtigen Charakterbeschreibung über den Korsen an Franz von Thugut  : »del primo [Napoleon Bonaparte, Anm. d. Verf.], giovane d’anni 27 circa, che à da temersi per essere di umore torbido, di spirito ardente repubblicano, di vasta cognizione nel militare, di molta attività, e di gran corraggio conosciutosi anche nel suo piano dallo stesso eseguito nella ripresa di Tolone«, Girola an Thugut, Genua, 17. Juli 1794, zit. nach Vivenot, Quellen, S. 340. Aktuell und ausführlicher als es hier möglich ist über die Vorgänge in Toulon  : Martin Boycott-Brown  : The road to Rivoli. Napoleon’s first campaign. London 2001, S. 79f.

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»Die jetzige Lage von Europa und besonders von Italien ist weiter nicht die schönste. Wir anderen kleinen Fürsten müssen alles fürchten und sich in allen Fällen so gut als möglich wehren. Nun drohen die Franzosen auch dem Papst mit Absetzung und vermuthlich werden sie ihm auch eine unangenehme Visite machen. Wie es mit mir gehen wird, weiß ich nicht. Ich mache alles möglich, um dieses zu verhindern und gottlob habe ich keinen Fehltritt gemacht und habe mich über nichts retractieren müssen und die Franzosen sind in der besten Harmonie mit mir«147.

Warum sollte er sich mutwillig um diesen Vorteil ›der besten Harmonie‹ bringen, bedeutete sie doch die einzige Wehrhaftigkeit eines militärisch Ohnmächtigen. Er wolle ›alles möglich‹ machen, um den drohenden Herrschaftsverlust abzuwenden. Das bedeutete auch das Paktieren mit dem Kriegsgegner. Man muss sich vergegenwärtigen, dass ohne eigene oder die gewünschten habsburglothringischen Truppen im Land die Sicherheit der Toskana auch mit der englischen Flotte im Mittelmeer weiterhin nicht gesichert war. Das französische Streben nach den ›natürlichen Grenzen‹ führte zur Kriegserklärung an Piemont-Sardinien und zur Einnahme Nizzas am 31. Januar 1793. Die Invasion drohte auf dem Landweg. Um ihre Gebietsgewinne abzusichern und um Gebietsreserven für Entschädigungen für das Haus Savoyen zu haben, reifte bei den französischen Kriegsstrategen im Wohlfahrtsausschuss der Plan »man könne die natürlichen Grenzen nur erobern, indem man über sie hinausginge, bis in die Lombardei und noch viel weiter«148. Zielpunkt für »une paix glorieuse et durable« 149 war, nach den auch für Frankreich überraschenden Anfangserfolgen »de chasser les Autrichiens de l’Italie«150, die gänzliche Vertreibung des ›Haus Österreich‹ aus Italien. Die französischen Expansionen im Oberitalienischen auf dem Landweg schürten berechtigte Ängste auch im Mittelitalienischen. Aus dortiger Perspektive könnte im Angriffsfall auch die englische Flotte vor der toskanischen Küste nicht schützen. Je länger man also auch gegen England auf einer Neutralität beharrte, konnte man toskanischerseits abwarten, was im Oberitalienischen passierte und umso deutlicher konnte man ge147 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 24. Februar 1793. 148 Ferrero, Abenteuer, S. 16. 149 »Il résulte de ce qui vient d’être dit que l’attaque unique du Piémont ne remplirait pas le but que le Directoire exécutif doit se proposer, celui de chasser les Autrichiens de l’Italie, et d’amener, le plus tôt possible, une paix glorieuse et durable. […] Le général en chef ne doit pas perdre de vue que c’est aux Autrichiens qu’il importe de nuire principalement, et qu’une des mesures capables de déterminer l’Italie à la paix est de l’intimider, en avançant le plus qu’il sera possible sur la droite et vers Tortone«, so in   : Le Directoire exécutif au général en chef Schérer, commandant L’Armée d’Italie, 2. März 1796, zit. nach  : Antonin Debidour  : Recueil des actes du Directoire exécutif. Paris 1910–1917, I, S. 717f. 150 Ebd.

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genüber Frankreich auf den immer größer werdenden Druck Englands verweisen, unter dem man die Neutralität aufzugeben bereit war. Über das Ultimatum war Erzherzog Ferdinand nahezu dankbar, wie er an Kaiser Franz schrieb  : »Heute den 8ten früh ist Mylord Hervey [151] zu mir gekommen und hat mir ministeriellement declariert dass es der Wille des Königs von Engelland seye, dass ich den französischen Minister und […] auch alle anderen Franzosen wegschicke. Diese Begebenheit […] scheint mir nun ein sehr gelegenes Ereignis, welches mich von einer grossen Menge Beschwerlichkeiten befreyet. Mir war es genug mein Wort unverbrüchlich zu halten, ich habe immer gesagt, dass eine superiore Gewalt entscheidet und diese Gewalt, dir im Vertrauen gesagt, macht es mir dieses Mahl recht ruhig schlafen.«152

Hiermit wird das Ausgeklügelte von Erzherzog Ferdinands Realpolitik und damit das Fassadenhafte der toskanischen Neutralitätspolitik deutlich  : Er konnte mit dem strikten Beharren auf dem Neutralitätskurs gegenüber England für Frankreich sein Gesicht wahren, hatte er doch versucht sein Wort der Neutralität ›unverbrüchlich‹ zu halten. Er könnte dann im Falle eines französischen Angriffs argumentieren, er sei nur das Opfer einer ›superioren Gewalt‹ und habe deswegen auf die Seite der Koalition gewechselt. Diese Handlungsoption blieb ihm – und das ohne eigene Armee, aber mit einer englischen Flotte im Hafen. Ohnmächtig es zu verhindern, denn die englische Flotte hatte sich ja Livornos de facto bemächtigt und damit eine toskanische Neutralität vor aller Augen deutlich beendet, konnte sich die dortige Regierung somit wenigstens eine diplo­ matische Hintertüre mit Frankreich offenhalten. Dies fasste er in erklärenden Worten an Kaiser Franz wenig später zusammen  : »Ich bin so auf alles gefasst und habe mich auch in allen Gelegenheiten so feyerlich erklärt, dass ich dieser Macht [England, Anm. d. Verf.] nicht widerstehen kann und nur das Wohl dieses Landes suche«153. Der Gefährlichkeit dieses Doppelspiels im Krieg war sich Erzherzog Ferdinand dabei durchaus bewusst, er schrieb an Kaiser Franz  : »Ich bitte dich um deinen Rath und über alles um deine protection bey den [sic  !] Englischen, Sardinischen und Spanischen Hof«154. Dem Kaiser in Wien waren allerdings Ende 1793 militärisch noch immer die Hände gebunden. Das brüderliche Wohlwollen alleine änderte die sicherheitspolitische Lage in der Toskana nicht. Erzherzog Ferdinand schloss deshalb am 28. Oktober eine Konvention mit England, die alle Häfen der Toskana den französischen Handels- und 151 John Augustius Hervey (1757–1796) war ab 1788 bereits als Gesandter Englands in Florenz tätig. Vgl. Moloney, Florence and England, S. 112. 152 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 8. Oktober 1793. 153 Ebd., Ferdinand an Franz, Florenz, 22. Oktober 1793. 154 Ebd., Ferdinand an Franz, Pisa, 8. November 1793.

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natürlich Kriegsschiffen versperrte und der Regierung jeden diplomatischen Kontakt mit Frankreichs Nationalversammlung ausdrücklich verbot155. Der Florentiner Hof unternahm dies immer geschickt mit dem ausdrücklichen Hinweis an Frankreich, alles geschehe nur mit »strettissime premure ed uffici delle potenze coalizzate«156. Die »commedia della neutralità toscana«157 war damit indes dank der offengehaltenen Hintertüre noch nicht vorüber. Nach dem Fall von Toulon im Dezember 1793 und dem Abziehen der englischen Flotte Anfang 1794 war die Toskana wieder schutzlos158. Man errang dort also weniger »etwas größeren politischen Freiraum«159, sondern sah sich vielmehr unter der Herausforderung – unterrichtet von großen Truppenbewegungen in der Provence (angeblich 28.000 französische Soldaten)160 – bei leeren Staatskassen etwas zur Verteidigung unternehmen zu müssen161. Wieder sollte Wien helfen  : »Gewiss, was du mir schreibst, dass du in die Mayländischen Gegenden Truppen gegen das Genuesische zusammenziehen wirst, um auf den Falle, dass die Republik […] sich anders erklährten, Italien von einem dann unvermeidlichen Einbruch zu schützen, ist gewiss die einzige und größte Wohltat, welche du mir und ganz Italien thun kannst«162. Aber die Hilfe sollte erst Mitte 1794 im Oberitalienischen eintreffen. Erzherzog Ferdinand hatte noch immer keine Truppen im Land und überlegte deswegen gar die Flucht aus der Toskana an die Seite seines Bruders163.

155 Ausschnittsweise ediert bei Zobi, Storia civile, III, Appendice, S. 23–27. 156 Außenminister Antonio Serristori an den französischen Gesandten Alessio de la Flotte, 9. Oktober 1793, zit. nach  : ebd., III, Appendice, S. 15. 157 Cecchini, neutralità, S. 1. 158 »Die Engelländer haben alle ihre Kriegsschiffe von Livorno abgewissen, mithin bin ich nunmehr wieder ganz allein und entblösset. Weiß Gott was dann geschehen wird.« HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 33-2, Ferdinand an Franz, 8. September 1794. Vgl. im Anhang, Dokument IV. 159 Pesendorfer, Ein Kampf, S. 95. 160 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 11, sign. 2, Fol. 388. Gleichlautend  : ebd., S. 92. 161 Darüber Ferdinand zu Franz  : »Ich glaube ich habe dir liebster Bruder schon ein andermahl geschrieben, dass unser Vatter Toscana in so einen solchen Zustande versetzt hat, dass es nicht im Stande ist, weder andere anzugreifen noch sich selbst zu verteidigen und die Einkünfte so vermindert sind, dass ich voriges Jahr habe Geld ausleihen müssen.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, 8. November 1793. 162 Ebd., Ferdinand an Franz, 6. Dezember 1793. Wenig später unterstrich Erzherzog Ferdinand seine Bereitschaft diesem militärischen Unternehmen des Bruders Beihilfe zu leisten  : »Ich danke Dir tausendmal für alle Nachrichten, welche Du mir von den Massregeln gibst, welche Du treffen willst, um Italien vor einem Einbruch zu schützen. Seie versichert, dass ich Alles, was von mir abhänget, thun werde, um selben beizukommen und Deinem Willen zu entsprechen«, so in  : Ferdinand an Franz, 13. Januar 1794, zit. nach  : Vivenot, Quellen, S. 30. 163 »Ignorando io il ritorno di V. M. a Vienna avea pensato di ritirarmi ad Innsbruck con la mia famiglia, menarvi una vita privatissima con due o tre persone, che mi accompagneranno, e spedir subito a V. M. per informarla della mia situazione. Ora che ella mi chiama a Vienna con tanto affetto, verrò ad inchinarmi alla

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Längst überfällig erließ Erzherzog Ferdinand ein Motuproprio zur Landesverteidigung, die nicht nur wegen der Verspätung jedoch von geringem Nutzen war164. Ohne effiziente militärische Verwaltungsstrukturen rekrutierte man trotz Ausrufung der levée en masse in Frankreich 1792, in der Toskana lediglich ca. 2.900 Mann, zu diesem Zeitpunkt noch mit dem alten Mittel der Werbung und Zwangszuweisung. Zurückgeworfen auf das rein Zivile, blieb ihm, beraten von Manfredini, als einziger Ausweg aus der Bedrohungslage, Opfer französischer Expansion zu werden, erneut nur die diplomatische Kontaktaufnahme mit Frankreich165. Glücklicherweise gab es dort im Nationalkonvent und im Wohlfahrtsausschuss nach dem Sturz Maximilien Robespierres (1758–1794) die Sehnsucht nach innerer und äußerer Stabilisierung, weswegen das toskanische Ansuchen auf erneute Anerkennung der Neutralität gerne gehört wurde  ; ganz anders in Wien. Kaiser Franz missbilligte jetzt im August 1794 die erneute Abkehr aus der Linie der Koalition und lehnte die Unterhandlungen mit Frankreich, anders als noch Anfang 1792, genau zu dem Zeitpunkt ab, als der ›Interventionalist‹, Franz von Thugut, zum neuen Außenminister bestellt worden war166. Angesichts der großen militärischen Erfolge, die die Habsburgermonarchie mit den Koalitionären in den Niederlanden bis Mitte 1794 errang167, hatte Erzherzog Ferdinands Bitte um Anerkennung der toskanischen Neutralität beim nahezu besiegt geglaubten Kriegsgegner allzu anbiedernden und den Waffenerfolgen unwürdigen Beigeschmack. M. V. ed all’Imperatrice, ma per ritirarmi poi in qualche luogo solitario, finchè non piaccia alla providenza di restituirmi al mio stato«, so in  : Ferdinand an Franz, 24. Juni 1794, zit. nach  : ebd., S. 300. 164 Erzherzog Ferdinand selbst stellte fest  : »Weit entfernt bin ich zu glauben, dass wenn ja die Franzosen kommen sollten, ich sie mit meinen zusammengerafften Truppen schlagen könnte, ja sogar ich bin versichert, dass sie die allerersten sind, die in aller Eile flüchten würden, wenn dies geschehe […] es wäre eine Narrheit zu hoffen es [die Toskana, Anm. d. Verf.] von der Landseite zu vertheidigen«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 22. Juli 1794. 165 Dies geschah zwischen Francesco Carletti di Montepulciano (1740–1803) und François Cacault (1742– 1805), dem in Genua akkreditierten französischen Generalbevollmächtigten für Italien, Ende August 1793. Vgl. zu dieser Mission auch Pesendorfer, Ein Kampf, S. 100 und Reumont, Geschichte Toscana S. 263f. 166 »Ich habe durch die letzte Post und ich bekenne es mit meinem größten Leidwesen einen anderen deinigen welchen Brief vom 26. Vorigen Monats erhalten in welchem du meine Bemühungen die vormahlige Neutralität wieder zu errichten missbilligst. Ich habe mit Fürst Rosenberg, welcher von dir den Auftrag dazu hat, alle Punkte deines Briefes durchgegangen.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a2, Ferdinand an Franz, Florenz, 8. September 1794. Das wichtige Dokument ist teilweise zu finden im Anhang, Dokument IV. 167 Hier sei nur der Vollständigkeit halber auf die 1794 im Niederländischen gewonnenen Schlachten und Scharmützel der Habsburgermonarchie hingewiesen. Bei Digby George Smith  : The Greenhill Napoleonic Wars Data Book. Mechanicsburg, PA 1998  : Châtillon am 17. April (S. 73), Landrecies am 19. April (ebd.), Villers-en-Chauchie am 24. April (S. 74), Troisvilles am 26. April (S. 75), Courtray vom 10.–13. Mai (S. 79), Tournay am 22. Mai (S. 80), Charleroi am 3. Juni (S. 83), Vry-Bosch am 6. Juni (S. 84), Fleurus am 16. Juni (S. 84) und Gent am 24. Juni (S. 85).

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Die Zeichen standen in Wien – mit Thuguts Amtsanritt erst recht – auf Fortsetzung des Krieges, auf Bezwingung der Revolution und nicht auf Verständigung und Annäherung. Freundliche Worte wie sie der Florentiner Hof noch bei Gelegenheit erster toskanisch-französischer Kontaktaufnahme Anfang November 1793 gebraucht hatte, nämlich »l’assurance la plus solemnelle de la constante amitié que la gouvernement de Toscane a toujours eue et aura toujours pour la République française«168, würden nun, wenn sie von einem Teil der Habsburgermonarchie wiederholt würden, nicht zur beabsichtigten unerbittlichen Haltung des Gesamthauses passen. Die von Thugut sicherlich direkt mitbestimmte klare Ablehnung Kaiser Franz’ zwang Erzherzog Ferdinand den toskanischen Kurs erstmals auch gegen seinen Bruder rechtfertigen zu müssen und er beeilte sich darauf hinzuweisen, dass jene ›amitié‹ gegenüber der Republik lediglich als diplomatische Floskel zu verstehen sei169. Er wiederholte die Argumentation, er könne den unbeschadeten Erhalt der Toskana nicht anderes realisieren, als durch die Neutralität und beruhigte angesichts des angeblichen Koalitionsbruchs, dass die Weiterführung des ›politischen Verkehrs‹ mit zivilen Mitteln, also die Unterhandlung mit dem Kriegsgegner Frankreich »keinen geringsten Schaden den Alliierten, sondern sogar vielen von selben einen mehreren Nutzen bringen kann«170. Damit meinte er vor allem die im Falle einer Neutralität erhaltene Besitzstandswahrung englischer Händler in den toskanischen Häfen, auf die er in den Verhandlungen in Paris großen Wert legen ließ171. 168 Aus dem Beglaubigungsschreiben des toskanischen Unterhändlers, siehe Anm. 506. 169 Vgl. Anhang, Dokument IV. 170 Ebd. 171 Im von der Nationalversammlung besonders zur Kenntnis breiter europäischer Öffentlichkeit gedruckten Beglaubigungsschreiben des toskanischen Unterhändlers in Paris steht daher ausdrücklich auch beides, Neutralitätswahrung bei gleichzeitiger Restitution englischer Ansprüche  : « lesquels mémoires ont été déjà communiqués au même comité par le moyen de Cacault, agent de la République française en Italie, dans la vue de faire agréer la neutralité que la Toscane est prête à publier à la face de toute l’Europe, de stipuler la restitution soit en argent, soit en nature, des grains enlevés par les Anglais à Livourne, et de renouveler l’assurance la plus solemnelle de la constante amitié que la gouvernement de Toscane a toujours eue et aura toujours pour la République française. » Beglaubigungsschreiben vom 4. November 1793, als gedruckte Beilage  : Rapport fait a la Convention Nationale au Nom du Comité de Salut Public sur la demande faite par la Toscane de rétablir sa neutralité avec la Republique francaise 13 Feb. 1795. Als Anhang (!) eines Briefes von Erzherzog Ferdinand an Franz, in   : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 35-2, Fol. 35–40. Wenig später berichtete er an Kaiser Franz, »ein Mitglied des comité du salut public [hat] in öffentlicher Versammlung dem Carletti gesagt ›Le Gouvernement de Toscane est bien fui de s’être raccommodé avec la France, au moment où nous sommes car j’avons fait adopter par la convention Nationale le projet de tener un débarquement de la Flotte de Toulon à Livorne, d’y respecter à la vertité les proprietés des Toscans, mais d’envahir toutes celles des Anglais, et les chasser du Pays‹. Auf diese Art siehst du liebster Bruder, dass ich die Zufriedenheit und das Glück habe durch meine Neutralität in Livorno zweymahl die Reichthümer der Engellender gerettet und ihre Personen in Sicheit gestellet zu haben«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 35-2, 28. Februar 1795.

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Erzherzog Ferdinand schien indes zu ahnen, dass nicht Kaiser Franz, sondern seine Berater das eigentliche Problem bei der Anerkennung des toskanischen Sonderwegs waren. Provokant schrieb er, dass, wenn »ein Minister oder sonst einer vür ein hof, selben in Zweifel setzen wollte oder suchte mich bey dir zu verläumden, nun nichts übrig bleibt, als ein Manifest drucken zu lassen, welches meine ganze Denkungsart und Handlungen ganz Europa in dem rechten Lichte darstelle«172. Und wenn selbst das nichts nütze, er nach Wien kommen wolle, um sich persönlich mit Kaiser Franz zu besprechen. Der ungewöhnlich aufgebrachte Ton des autographierten Briefes mag die Wichtigkeit bezeugen, die Erzherzog Ferdinand der Beziehung zu seinem Bruder nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf diplomatischer Ebene im Krieg zumaß. Wohlgemerkt schrieb er dies bereits im September nach Wien – lange bevor man von Paris aus berechtigt worden war tatsächlich einen Unterhändler für die toskanische Neutralität zu schicken. Vom Austausch beider Brüder über diese Sache scheint aber selbst der engste Beraterkreis Kaiser Franz’ nichts gewusst zu haben, denn Franz von Thugut sah, als ihm die Nachrichten über die Erneuerung toskanisch-französischer Verabredungen im November zugespielt wurden, dass damit »die überaus schuldhafte Haltung des toskanischen Kabinettes ans Licht« gekommen wäre und es sei nun erwiesen, dass es nie aufgehört habe »geheime Beziehungen mit den Franzosen zu unterhalten«173. (Im Übrigen antizipierte Erzherzog Ferdinand damit schon im September diese überlieferte ›Verleumdung‹ vom November.) Nur ohne Kenntnis der privaten Korrespondenz beider Brüder ist die Forschungsmeinung nachvollziehbar, dass die Akkreditierung eines Unterhändlers in Paris seitens der Toskana »sorgfältig geheim gehalten«174 worden wäre. Im Gegensatz dazu benutzte Erzherzog Ferdinand vielmehr absolute Offenheit über sein Entscheidungshandeln im Krieg, die Neutralität vom Wohlfahrtsausschuss garantiert zu bekommen, um Kaiser Franz für eine Zustimmung zu gewinnen175. Kaum war die Einladung vom Wohlfahrtsausschuss, einen toskanischen Gesandten schicken zu dürfen, in Florenz eingegangen, klärte Erzherzog Ferdinand Kaiser Franz darüber auf, dass Francesco Carletti di Montepulciano (1740–1803) den Auftrag habe, in schon bekannter Argumentation Frankreich zu überzeugen, »dass ich meiner [sic] in so weit es von mir abgehangen ist, das einzige sistem gefolget habe, welches Toscana angemessen ist und deren Tractaten gemäß ist und dass ich mich von selbem wider meinen Willen und durch Gewalt abgelöset habe«176. 172 Anhang, Dokument IV. 173 Thugut an Colloredo, 20. November 1794, zit. nach Reumont, Federigo Manfredini, S. 236. 174 Pesendorfer, Ein Kampf, S. 100. 175 Vgl. im Anhang, Dokument IV. 176 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 33-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 16. Dezember 1794. Vollständig abgedruckt in Anhang, Dokument I.

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Die Politikgestaltung unter Brüdern

Interessant ist, auf welche Weise Erzherzog Ferdinand während dieser Zeit der Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Frankreichfrage gegenüber seinem Bruder agierte, welche Kommunikationsstrategie er verfolgte. Dies soll nun kurz Gegenstand näherer Betrachtung sein  : Zweifelsohne bezeugen weniger die floskelhaft gebrauchten, stets ähnlich formulierten Versicherungen in Erzherzog Ferdinands Briefen seine Loyalität gegenüber der Habsburgermonarchie. Solche Beispiele finden sich indes zuhauf  : »Nichts habe ich allezeit mehr gewunschen als dir mit allem was ich habe, in allem angenehm seyen zu können. Wenn du etwas befiehlst so stehe ich allzeit zu vollkommenen Befehlen«177, oder in einem anderen Brief »heute Mittag geht eine Kiste mit Weinreben an dich ab […], wenn du wieder etwas von hier befiehlst, stehe ich ganz zu Diensten mit Leib und Leben«178. Aber wenn Erzherzog Ferdinand solche Versicherungen mit wichtigen militärstrategischen und evtl. kriegsentscheidenden Informationen verknüpfte, sind jene nicht nur inhaltsleere Hüllen. Beispielsweise schrieb er, gleich nachdem Kaiser Franz seinen Unmut über die toskanische Kontaktaufnahme mit Paris geäußert hatte, als Antwort, er hätte von Gerüchten gehört, »dass die Franzosen versuchen durch Bestechungen Informationen über den Festungszustand und die Munitionierung von Mantua zu erlangen und durch selbes die Offiziere und die Bevölkerung für die Franzosen zu gewinnen. Mein Eifer und Antheil welchen ich an allem jenem nehme, was deine Person betrifft, haben mich bewogen dir so bald und so geheim als möglich diese Nachricht mitzutheilen«179.

Zwei Jahre nach diesem Brief sollte sich dort in Mantua tatsächlich das Schicksal Italiens entscheiden. Diese brisante Informationsweitergabe ›so geheim als möglich‹ gerade zu diesem Zeitpunkt sollte offenkundig vertrauensbildend und loyalitätsbeweisend wirken und eventuell, wie es mit der Ablehnung Kaiser Franz’ notwendig geworden sein könnte, zerbrochenes diplomatisches Porzellan wieder kitten. 177 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 12. Januar 1793. 178 Ebd., Ferdinand an Franz, Florenz, 16. Februar 1793. Das Gegenstück zu Erzherzog Ferdinands Angebot von absoluter Gehorsamspflicht ist der ebenso formelhaft korrespondierte Dank für von Franz bezeugte ›brüderliche Liebe und Freundschaft‹. Immer wieder kann man Erzherzog Ferdinands Dankesbekundungen solcher Art finden  : »Dein letzter Brief hat ich sehr gefreuet, welcher mir einen neuen Beweiß deiner Liebe und Freundschaft vür mich gibt. Ich habe nie einen Augenblick gezweifelt, dass du so von mir denkst und seye versichert, dass ich nicht mehr als dein Glück und Zufriedenheit wünsche und gewiss allezeit in jenem wenigen was ich kann zu selben beytragen es thun werde.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 33-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 2. Dezember 1794. 179 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 33-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 25. September 1794.

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Die häufig zu beobachtende enge inhaltliche Verbindung zwischen freundschaftlichbrüderlichen Gefühlsbeweisen mit familiären und hochpolitischen Inhalten in den Korrespondenzen, muss, wie bereits hergeleitet, als Kommunikations- und Argumentationsstrategie zur Politikgestaltung gesehen werden. Ein besonderer, eindrucksvoller Beleg dieser These ist der Brief vom 16. Dezember 1793, weswegen er beispielhaft hier im Dokumentenanhang in Gänze abgedruckt wird180. Dieser Brief ist daher von großer Brisanz, weil in ihm offenbar wird, wie genau Erzherzog Ferdinand bei Kaiser Franz erneut um Verständnis und Unterstützung für sein Regierungshandeln wirbt. Die Argumentationsstrategie Erzherzog Ferdinands bedarf daher einer beispielhaften Analyse. Mit privaten Details über das Wohlbefinden seiner Frau Luisa Maria, der Neapolitanerin, und die glückliche Geburt seines ersten Sohnes Franz Leopold (am 15. Dezember 1794  ; er starb bereits 1800), der bezeichnenderweise gleichzeitig die Namen seines Onkels und Großvaters tragen sollte, bedankt sich Erzherzog Ferdinand bei Kaiser Franz auch im Namen seiner Frau für »das prächtige Geschenk, was du ihr und dem Kinde gemacht hast«181. Er dankte auch dafür, »dass es deinen Nahmen haben kann« und steigerte seinen Dank noch mit den Worten  : »Wir wünschen nichts sehnlicher als, dass es sich auch mit der Zeit immer mehr und mehr deiner Güte würdig erweisen werde«182. So auf die engste familiäre Verbindung erinnert und eingestimmt, leitete Erzherzog Ferdinand im Brief auf das eigentliche Thema hin, nämlich dass die Toskana nach wie vor in der größten Gefahr schwebt, welche von Frankreich ausgehe. Mit dem Verweis darauf, dass er stets seinem tief internalisierten Pflichtgefühl gegenüber seinem Staatswesen Folge geleistet habe, argumentierte er gegenüber Kaiser Franz, Gott habe deswegen nicht nur die erfreuliche Geburt seines Sohnes, sondern auch den glücklichen Umstand, Carletti nach Paris zum Wohlfahrtsausschuss schicken zu können, herbeigeführt. Argumentativ knüpfte Erzherzog Ferdinand hierbei an die gemeinsam erfahrenen Erziehungsinhalte an  : Die Pflicht, dem Staatswesen zu dienen, Gottesfurcht und Familiensinn – wie bereits hergeleitet183. Er argumentiert weiter, wie er es zuvor schon gegenüber Frankreich und England tat, dass er nur das vom Vater übernommene System der Neutralität der Toskana, das vernünftig sei und zudem eine lange Tradition habe, weiterführe. Die Formulierung »dieses ist alles was er [Carletti, Anm. d. Verf.] zu Paris zu sagen hat«184, sollte genauso absolute Transparenz suggerieren wie seine Aussage  : »Dies ist meine Denkungsart, ich eröffne dir

180 Siehe Anhang, Dokument I. 181 Ebd. 182 Ebd. 183 Vgl. Kapitel 3.2. 184 Siehe Anhang, Dokument I.

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dadurch, liebster Bruder, mein ganzes Herz«185. Argumentativ stellte er auch damit auf einen scharfen Gegensatz zu den in seinen Augen eigentlich schuldigen Verursachen der Meinungsverschiedenheit zwischen den Brüdern ab  : »Wenn jemand sich traute mich zu beschuldigen, dass ich dabei das Vorhaben hätte in Alliancen zu tretten oder Trouppen den Durchzug zu gestatten oder einige Meerhäfen oder Küsten zu übergeben usw. werde ich mich gezwungen sehen, diese öffentlich vor ganz Europa Lügen zu straffen«186. Das bedeutete nichts anderes als eine im Ton gereiztere Drohung an Kaiser Franz, diesen ›Jemand‹ öffentlich zu benennen und damit die Misshelligkeiten zwischen den beiden Höfen offen anzusprechen und damit den ganzen Wiener Hof zu diskreditieren. Dieses Drohszenario baute man in Florenz ja schon während des ganzen Neutralitätsdiskurses auf187. Ohne ihn direkt zu nennen – Erzherzog Ferdinand spricht an anderer Stelle, wie bereits gesagt, von ›Minister‹188– scheint hier stets das Umfeld von, aber besonders Franz von Thugut selbst gemeint zu sein. Wie immer beendete er auch diesen Brief mit der Beschwörung auf gegenseitige ›Freundschaft und Liebe‹. Die aufgezeigte Verquickung von familiären und politischen Inhalten als Kommunikations- und Argumentationsstrategie führte, wie noch oft zu beobachten sein wird, keinesfalls zur sofortigen Einsicht, oder gar zum sofortigen Einschwenken Kaiser Franz’ auf den toskanischen Kurs. Sie nahm jedoch die Spannung aus dem, was ein gewalttätiger Konflikt zwischen nicht verbrüderten Höfen hätte werden können. Es wirkte sich schließlich auch auf die jeweiligen Beraterkreise in Florenz und Wien aus, deren konfrontative Stimmung durch das stete herbeibeschworene brüderliche Einvernehmen ihrer Regenten gedämpft wurde. Die hier sich entwickelnde und später weiterhin zu beobachtende Kommunikationsstrategie konnte dabei nur auf lange Zeit angelegt ihre Wirkung entfalten. Nicht ein Brief, sondern dutzende im Monat, auch formalisierten Inhalts, erreichten den Zweck, dass zum einen sich die Geschwister in den Kriegswirren auch auf verschiedenen Seiten stehend nicht aus den Augen verloren und zum anderen dafür zu sorgen, dass sich auch die ›große‹ Politik der Habsburgermonarchie um Familiensorgen bekümmerte. In den 1790er Jahren hörte Erzherzog Ferdinand also mit dem Werben um Verständnis für seinen Sonderweg nicht auf. Er folgte zum einen pflichtbewusst dem ›Wunsch‹ seines Bruders, alles über den Verlauf der Verhandlungen zwischen Toskana und Frankreich erfahren zu wollen189 und er sorgte weiterhin bei seinem Bruder für Loyalitätsbeweise durch Geheimnisweitergabe. 185 Siehe Anhang, Dokument I. 186 Ebd. 187 Vgl. Anhang, Dokument IV. 188 Vgl. ebd. 189 »Bis dato habe ich alle Hoffnung und kann fast sagen Sicherheit, dass meine Unterhandlungen einen

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Während der Unterhandlungen mit Frankreich sei seinem Bevollmächtigten Carletti zu Ohren gekommen, »dass Barohn Stahl sich in Paris befindet und den Frieden (er [Carletti, Anm. d. Verf.] weiß nicht vür welchen Hof ) mit den Franzosen unterhandelt, allein dass er sich darinnen auf eine Art benimmt durch welche er vermuthlich selben nicht erhalten wird, weilen er ganz von derjenigen Diplomatie der Franzosen verschiedene Wege gebraucht«190. Die Brisanz dieser Information folgert sich aus ihrem Zeitpunkt. Auch wenn nicht zweifelsfrei zu klären ist, wer Baron Stahl war und von welchem Hof er geschickt worden sein könnte, so ist ein Zusammenhang mit dem Frieden von Basel im April und den preußischen Vorverhandlungen im Februar und März 1795 doch wenigstens auffällig191. Hätte Erzherzog Ferdinand dezidiert gewusst, Stahl wäre ein preußischer Unterhändler gewesen, hätte diese weitergeleitete Information genügend Sprengstoff in die ohnehin nur als ›Notgemeinschaft‹ eingerichtete Erste Koalition gebracht. Die offizielle Anerkennung der Neutralität der Toskana am 13. Februar 1795 war allerdings die erste einer Reihe von Neutralitätsverträgen, die daraufhin den Ersten Koalitionskrieg in seinem Ausgang wesentlich entscheiden sollte. Nach Florenz schloss zwei Monate später Preußen und fünf Monate später Spanien im Grunde ganz ähnliche Abkommen mit der eigentlich verfeindeten Republik Frankreich. Dies gab den Revolutionstruppen überhaupt erst die Gelegenheit, ihre Kräfte zu bündeln und in einem orchestrierten Vorgehen gegen die von England finanzierten Koalitionstruppen in Süd-

guten Erfolg haben werden, welches ich dir sobald ich etwas sicheres wissen werde mitheilen werde«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 35-2, Ferdinand an Franz, Pisa, 16 Januar 1795. »Indessen habe ich aus Frankreich gute Nachrichten und weiß, dass es leicht wäre Frieden zu haben, denn die ganze französische Nation wünscht und braucht selben und erwartet nur, dass die anderen Mächte einen Schritt zu selben machen«, so in  : ebd. Ferdinand an Franz, Pisa, 16. Februar 1795. »Vermöge dem Wunsch welchen du mir in einem deiner letzten Briefe geäußert hast, von mir alles jenes zu erfahren, was meine Unterhandlungen zu Paris betrifft, kann ich dir heute sagen, dass ich vollkommen meine Absicht erhalten habe meine Neutralität wieder anzunehmen«, so in  : Ebd. Ferdinand an Franz, Pisa, 28. Februar 1795. 190 Ebd., Ferdinand an Franz, Pisa, 28. Februar 1795. 191 Vor dem Frieden von Basel ließ der preußische Generalfeldmarschall Wichard von Möllendorff (1724– 1816) durch seinen Adjutanten Meyerinck und den Weinhändler Georg Heinrich Schmerz aus Kreuznach bei den Franzosen vorfühlen, wie sie zu einem Separatfrieden stünden. Vgl. Hans Hausherr  : Hardenberg und der Frieden von Basel, in  : Historische Zeitschrift 1952, S. 292–295, S. 304. Ausgerechnet in demselben Kreuznach findet sich bis 1784 als Oberamtmann ein Freiherr von Stahl. Vgl. Eduard Schneegans  : Historisch-topographische Beschreibung Kreuznachs und seiner Umgebungen, mit Beziehung auf seine Heilquellen. Koblenz 1839, S. 151. Nähere Beweise dafür, dass Erzherzog Ferdinand Kenntnis von direkten preußisch-französischen Unterhandlungen bereits im Februar 1795 hatte, existieren nicht. Auch dass man diesen Berichten in Wien auch nur Aufmerksamkeit geschenkt hätte, ist nicht überliefert. Zur Mission des Kreuznachers Schmerz auch  : Otto Kohl/G. H. Schmerz  : Das Tagebuch von G.H. Schmerz über den Baseler Frieden 1794–95. Kreuznach 1906.

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deutschland und im Oberitalienischen vorzugehen192. Eine Kausalkette, dass erst der toskanische Neutralitätsvertrag Preußen zum Vorbild gereicht hätte, weswegen die französischen Truppen 1796 bis Florenz haben marschieren können, lässt sich nur im Nachhinein als Ironie der Geschichte beurteilen193. Für Erzherzog Ferdinand bedeutete das französische Neutralitätsabkommen vom Februar 1795 mittelfristig jedoch – immerhin bis 1799 – die ersehnte Möglichkeit, von seinen »Unterthanen alle Gattungen von Unheilen abzuwenden«194. Froh über das Erreichte schrieb er im März an Kaiser Franz  : »Besser hätte es mir mit Gottes Hülfe nicht gehen können. Mir hat mein Tractat nicht Unkösten, nicht Erniedrigungen gekostet. Ich habe mit den Franzosen von gleich auf gleichen unterhandelt und habe keinen einzigen secreten Artikel bey selben gemacht. Alles enthalten die drey öffentlichen, welche ich dir letzthin geschickt habe. Ich habe auch in allem nur ganz allein vür mich tractiert und ohne deinen ausdrücklichen Befehl würde ich es auch nie anderst thun. Ich habe mich nie in die Geschäfte anderer Höfe gemischt. Solltest du liebster Bruder Befehle für mich haben und könntest glauben, dass ich dir in etwas dienlich seyen könnte, so gebe mir deine Befehle ausdrücklich und habe die Gnade und sage es keinem Menschen«195.

Die eigentlichen ›Unkösten und Erniedrigungen‹ bestanden nur darin, dass Erzherzog Ferdinand »jeden Act von Beitritt und Zustimmung zu der gegen die französische Republik bewaffneten Coalition« 196 zu widerrufen habe. Was war aber mit der familiären Bindung an die Habsburgermonarchie  ? Der letzte Satz des hier zitierten Autographen Erzherzog Ferdinands sollte sympto­ matisch für die Folgezeit seines Regierungshandelns der nächsten knapp 20 Jahre werden. Realpolitisch geschickt ging man seitens der Toskana Verabredungen mit dem Kriegsgegner mangels anderer militärischer Option ein, ordnete sich dennoch im Gehei-

192 Im Mémoire pour l’armée d’Italie aus dem Jahr 1795 verdeutlicht sich der kriegsstrategische DeutschlandItalienplan Frankreichs  : »Wenn der Februarfeldzug glücklich verläuft, werden wir in den ersten Frühlingstagen die Herren über Mantua sein und gemeinsam mit der Armee, die den Rhein überschreitet, den Krieg in den Breisgau tragen, bis in das Herz der österreichischen Erbländer. Die Natur hat Frankreich die Alpen zur Grenze gesetzt, Österreich aber Tirol«, so in  : Napoléon, Correspondance, I. Bd., Nr. 49, S. 65  ; Übersetzung zit. nach Ferrero, Abenteuer, S. 17. 193 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 103. 194 Anhang, Dokument I. 195 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 35-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 14. März 1795. 196 »Art. 1. Le Grand-Duc de Toscane révoque tout acte d’adhésion, consentement, ou accession à la Coalition armée contre la République française. Art. 2. En conséquence il y aura paix, amitié et bonne intelligence entre la République française et le Grand-Duc de Toscane. Art.3. La neutralité de la Toscane est rétablie sur le pied ou elle était avant le 8 octobre 1793«, Vertrag vom 9. Februar 1795. Ediert in  : Zobi, Storia civile, III, Appendice, S. 33. Übersetzung zit. nach Reumont, Manfredini und Carletti, S. 110.

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men der Befehlsgewalt der Habsburgermonarchie unter197. Das heikle Doppelspiel, das für die Rheinbundzeit später handlungsleitend für Erzherzog Ferdinand werden sollte, steht hier in einem Satz zusammengefasst. Als die stets befürchtete französische Invasion im Jahr 1796 dann tatsächlich stattfand, zeigte sich die Gefährlichkeit, aber auch die Tragfähigkeit dieser Handlungsstrategie im Krieg. Die Politikgestaltung mit dem Gegner

Obwohl sich Napoleons Mythos in Oberitalien 1796 begründete198, blieb er im Grunde genommen »nur der tatkräftige, begabte Verwirklicher der Pläne, Ratschläge und ­Befehle, die von Paris«199 kamen. Um, wie gesagt, eine starke Verhandlungsposition für »une paix glorieuse et durable«200 zu erreichen, beabsichtigte das Direktorium den Einmarsch ins Mailändische. Nach ersten von Napoleon selbstständig geführten Manövern bei Ceva und Montenotte201 ermöglichte der »Pförtner Italiens«202, König Viktor Amadeus III. von Piemont-Sardinien (1726–1796) mit seinem unnötigen und übereilten Separatfrieden von Cherasco am 28. April ein schnelles Vordringen gegen die herbeieilende österreichische Armee203. Nach der Einnahme der Festung von Ceva stand Napoleon der Weg in die Lombardei offen. Er suchte die Entscheidungsschlacht gegen Österreich und die mit diesem noch verbündeten Neapolitaner, die sich von Süden aus 197 Gleichlautend schon Ferdinands Worte im Januar 1794  : »Indessen habe ich allsogleich Deinen Brief […] überschickt, […] um so schleunig als möglich Deiner Forderung zu willfahren und jenes beizutragen, was Du nur verlangest. Eine Sache bitte ich mir von Deiner Güte und Liebe und Freundschaft für mich aus, nämlich dass Du mir erlaubtest, diese ganze Affaire im Geheim zu tractiren. Denn sollte das Unglück wollen, dass die Franzosen in dieses arme Land einbrechen, so wäre dies eine Ursache mehr, um sie zu bewegen, selbes in Grund und Boden zu verheeren. Dieses wäre ein Schaden für ein Jahrhundert, welcher mich unfehlbar betreffen würde, wenn sie wüssten, dass ich öffentlich etwas tractirt hätte, indessen als ich im Geheimen Dir mit Allem willfahren kann, was Du nur schaffen kannst.« So in  : Ferdinand an Franz, 13. Januar 1794, zit. nach  : Vivenot, Quellen, S. 30. 198 In seine Memoiren auf St. Helena wird Napoleon später schreiben lassen, sein Adel rühre von der Schlacht von Montenotte und des Staatsstreichs am 9. November 1799 her  : »Napoléon fit persifler cet essai de la flatterie, dans un papier public, où l’on finissait par conclure que la noblesse du Primer Consul ne datait que de Montenotte ou du 18 Brumaire«, so in   : Emmanuel Auguste Dieudonné Marius Joseph de Las Cases  : Mémorial de Sainte-Hélène, ou Journal où se trouve consigné, jour par jour, ce qu’a dit et fait Napoléon durant dix-huit mois. Paris 1823, S. 137. 199 Ferrero, Abenteuer, S. 21. 200 Le Directoire exécutif au général en chef Schérer, commandant L’Armée d’Italie, 2. März 1796, zit. nach  : Debidour, Recueil, I, S. 717. 201 Zum oberitalienischen Feldzug empfiehlt sich wesentlich ausführlicher als dies hier der Fall sein kann die operationsgeschichtliche Analyse von Boycott-Brown, Rivoli. Hinsichtlich Montenotte S. 219–221. 202 Ferrero, Abenteuer, S. 39. 203 Boycott-Brown, Rivoli, S. 282f.

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der französischen Invasion entgegen werfen wollten. Ihr Weg führte auch durch die ›neutrale‹ Toskana und sie besetzten im Vorbeigehen den ›Frei‹-Hafen von Livorno mit einer starken Garnison. Der Großherzog von Toskana verließ sich in dieser Situation auf die zur Routine gewordene Handlungsstrategie  : Protest und verzweifeltes Flehen bei Kaiser Franz sowie gleichzeitig Beschwichtigungen und Beteuerungen gegenüber Frankreich. Wie wenig das System einer unbewaffneten Neutralität sein Staatswesen zu schützen vermochte, zeigte sich Erzherzog Ferdinand nicht nur in der Neutralitätsverletzung der Toskana durch den eigenen Schwiegervater aus Neapel im Frühjahr 1796204. Auch in Oberitalien erschreckte ihn das Beispiel des verwandtschaftlich verbundenen Herzogtums Parma205. Die Handlungsstrategie kam mit dem unberechenbaren und unkonventionellen Auftreten Napoleon Bonapartes auf den Schlachtfeldern Oberitaliens an seine Grenze. Denn der junge Revolutionsgeneral brach mit den Traditionen und Rechtsgrundsätzen der Kriege des 18. Jahrhunderts. Als er bei seiner Verfolgung der sich zurückziehenden österreichisch-neapolitanischen Armee statt des stark geschützten Weges über die Flüsse Agogna, Tredoppio und Ticino, kurzerhand den Po bei Piacenza überquerte, verletzte somit einfach die Neutralität des Herzogtums Parma und erlegte diesem zudem noch hohe Kontributionen auf206. Kein General des Ancien Régime hätte einen solchen Rechtsbruch gewagt. Neutralitätsbekundungen wurden bisher stets geachtet, weswegen Napoleon in Piacenza sogar alle Transportmittel zur Flussüberquerung von den sich zurückziehenden Koalitionstruppen unbeschadet vorfand. Dies erst verschaffte ihm jenen 204 Im Übrigen sah sich Erzherzog Ferdinand anderen Familienmitgliedern nicht weisungsgebunden. Sein Schwiegervater und gleichzeitig angeheirateter Onkel, Ferdinand IV. König von Neapel-Sizilien (1751– 1825) verlangte, immerhin Teil der Ersten Koalition, den Truppendurchmarsch, was Erzherzog Ferdinand mit Hinweis auf die Neutralität strikt ablehnte. Er schrieb an Franz, dass er das deswegen nicht zulassen könne »weil ich das Zutrauen von Seiten der Franzosen aussetzen würde und dadurch meine Unterthanen und mich gänzlich zugrunde richten würde und überdies ich als untreu und von übelem Glauben angesehen werden würde«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 26. Februar 1796. Wenig später am 15 März  : »Ich bitte dich liebster Bruder, wenn du mich liebst, helfe mir mit einem Wort in dieser Sache. Dein Fürwort wird gewiß ausgiebig und nützlich seyen.« Gleichlautend am 9. April  : »Ich habe dem König von Neapel erklärt, dass die Neutralität der natürliche Zustand der Toskana ist […] ich bitte also liebster Bruder wenn du mich gerne hast und nicht mein gänzliches Unglück willst, nehme dir diese Sache zu Herzen.« Am 19. März berichtete er dann an Franz ausführlich seine Argumentation an den in Florenz akkreditierten Gesandten Frankreichs, »dass diese Truppen sollten sie durch sein Land marschieren, das gegen seien ausdrücklichen Willen geschehe […] der Untergang von mir, meiner Familie und des ganzen unschuldigen Landes seye.« 205 Eine Tante Erzherzog Ferdinands, Erzherzogin Maria Amalia von Österreich (1746–1804), war mit Herzog Ferdinand von Bourbon (1751–1802), dem Herzog von Parma, Piacenza und Guastalla verheiratet. Mit seiner Tante stand Ferdinand nur in losem Kontakt. Berichte über die französische Neutralitätsverletzung der Parmesischen Grenzen finden sich in  : ASF, Segreteria di Gabinetto Appendice 2/3, Pez. 39–42. 206 Vgl. Ferrero, Abenteuer, S. 52–54.

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ungeheuren Zeitvorsprung, was zum legendären Nachhutgefecht mit der österreichischneapolitanischen Armee auf der Brücke von Lodi am 10. Mai führte. Am 15. Mai zog er in Mailand ein. Was nützte angesichts dieses skrupel- und rechtlosen Vorgehens noch das stets auf Neutralität ausgerichtete Regierungshandeln Erzherzog Ferdinands im Krieg  ? Wie er mit der Neutralität des parmesischen Hofes umging, führte der Toskana ihre existenzbedrohende Lage vor Augen  : Alliierte Truppendurchzüge im Land, englische Flottenverbände vor der toskanischen Küste mit einem habsburgischen Erzherzog an der Spitze, zudem verheiratet mit einer neapolitanischen Prinzessin – der Wert des Neutralitätspatents vom 9. Februar 1795 verlor augenscheinlich seinen Wert. Mit verzweifelten Worten schrieb Erzherzog Ferdinand von Florenz nach Wien  : »Was die auswärtigen Nachrichten betrifft wirst du sie besser als ich wissen und was ich dir sagen kann dass die Franzosen Meister der Lombardei sind […] wann diese Sache ein Ende nehmen wird, das weiß Gott. Sicher ist, dass je eher ein allgemeiner Frieden gemacht wird je besser es seyen wird. Denn es ist allgemeine Rede, dass Frankreich sucht allen Einfluss des Hauses Österreich auf Italien gänzlich zu tilgen und dass verschiedene Mächte darinnen gänzlich einverstanden sind und es wünschen und dass du noch Zeit haben könntest selbes zu verhindern.«207

Erzherzog Ferdinand erkannte die Situation richtig, auch ohne Kenntnisse der französischen Geheimpläne, die sich in einem Memorandum des Juli 1796 finden lassen. Darin fragt der Außenminister der Republik Charles-François Delacroix (1741–1805  ; Außenminister vom 03. November 1795 bis 15. Juli 1797) die Entscheidungen des Direktoriums ab  : »4eme Question  : Est-il de l’intérêt de la République d’expulser totalement la maison d’Autriche de l’Italie«. Die Antwort des Direktoriums war deutlich  : »decidé a l’affirmative«208. Erzherzog Ferdinand änderte nun seine Handlungsstrategie im Krieg  : Nun nicht mehr nur um Anerkennung seines offensichtlich nutzlosen Neutralitätskurses warb er daher bei Kaiser Franz, sondern um ›allgemeinen Frieden‹. Nur ein solcher, selbst auf den Konditionen eines status-quo hätte ihm angesichts der französischen Neutralitätsverletzungen in Parma seine Herrschaft bewahrt und somit in seinen Augen dem Wohl des Hauses Österreich gedient. Er handelte nicht nur aus Friedensliebe, was von älterer Historiografie bekanntlich als charakterliche Schwäche missdeutet worden ist. Schließ207 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 24. Mai 1796. 208 Zit. nach Hermann Hüffer/Friedrich Luckwaldt  : Der Frieden von Campoformio. Urkunden u. Aktenstücke z. Geschichte d. Beziehungen zwischen Österreich u. Frankreich in d. Jahren 1795–1797. Innsbruck 1907, S. 67f.

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lich gratulierte er seinem Bruder doch sonst zu jedem österreichischen Schlachtenerfolg209. Erzherzog Ferdinand empfahl also dem Kaiser einen sofortigen Friedensschluss mit Frankreich aus rein machtpolitischem Kalkül. Diesem genannten folgten weitere Friedensapelle aus Florenz und dies muss als Stimme einer Friedenspartei am Wiener Hof gewertet werden, ohne dass er dort direkt anwesend war210. Auf das Entscheidungshandeln seines Bruders versuchte er auch in der Folgezeit mit autographierten Privatbriefen Einfluss zu nehmen. Die Friedensbemühungen Erzherzog Ferdinands wurden allerdings Anfang 1796 in den Wiener Regierungskreisen nur belächelt211. Als Erzherzog Ferdinand seinen leitenden Minister Manfredini mit einer expliziten Friedensmission nach Wien schickte, um der Friedenspartei quasi eine tatsächliche Stimme am Hof zu geben, gelang es der Kriegspartei mit Verweis auf das schlechte Licht, in welches diese Unterredungen die Habsburgermonarchie beim Koalitionspartner geraten könnte212, ihn alsbald fortzuschicken, ohne mit ihm über die Friedensbemühungen auch nur zu verhandeln213. 209 Es entsprach der allgemeinen politischen Überzeugung bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, dass Krieg verbunden mit Absicht auf anschließend dauerhaften Frieden legitim ist, wie es hier auch die Auffassung Erzherzog Ferdinands war. Eine Beobachtung, die es später noch besonders zu berücksichtigen gilt  : »Ich habe mit wahrer Freude aus deinem letzten güthigsten Brief die besten Nachrichten von deiner Gesundheit und den glücklichen Erfolg deiner Waffen gesehen. Nichts sehnlicher wünsche ich als die steete Fortsetzung derselben und hoffe, dass selbe desto eher den Frieden mit sich bringen werden«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 23. März 1793. Gleichlautend  : »Ich ergreife die Feder ohngeachtet mich noch ein hartnäckiges Augenweh sehr quält um die meinen aufrichtigsten Glückwünsche zu achen für die glorreichen Vortheile, welche du in den Niederlanden erhalten hast und an welchen ich den lebhaftesten Anteil nehme. Gott segne deine Waffen und bringe uns dadurch bald den Frieden« so in  : Ebd. Sammelbände 33-2, 24. Mai 1794. 210 »Gott gebe Italien den Frieden den, obschon ich nicht die geringsten Sorgen um mich und mein Land habe, so kannst du nicht glauben wie sehr ihn alle wünschen und wir nothwendig haben« HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 14. Juni 1796. Am 21. Juni  : »Ich habe nie auch nur eine dringende Gelegenheit gehabt als heute dich um alles in der Welt zu bitten bald den Frieden zu unterhandeln. […] All diese großen Unglücke kann ein einziges Wort des Friedens tilgen und niemand kann es thun als du, liebster Bruder.« Am 16. Juli  : »Alles seufzt nach dem Frieden und alle jene Leute welche die Franzosen gewünschet oder ihnen applaudiert haben empfinden jetzt die Schwere ihrer Freundschaft […] Gott gebe alsbald ein Ende dieses Unfriedens, denn schon lange habe ich keinen ruhigen und lustigen Augenblick.« Am 20. August  : »Mithin wenn dir dein Land, deine Familie, wir, und die Welt, die Christenheit am Herzen liegen mache ein Ende diesem Unheilen und tröste uns alle mit einem einzigen Wort, dem Frieden nämlich. Machst du es nicht bald, so kann ich nicht sagen was uns und dir besonders noch neue Unglücke und traurige Augenblicke bevorstehen.« 211 »Le marquis parle d’or  ; il jure de ne jamais s’être écarté des bons principe.« So in  : Thugut an Colloredo, 09. April 1796, zit. nach Vivenot, Vertrauliche Briefe, S. 291. 212 »J’espère d’être du sentiment de V. E. [Thugut, Anm.d.Verf.] à faire le possible de faire repartir Manfredini le plus tôt et sans délai. Chaque conversation avec le maître et avec ceux auxquels ce ministre parlera peut être dangereuse.« So in   : Colloredo an Thugut, 11. April 1796, zit. nach  : ebd., S. 292. 213 »Je souhaite seulement que la bonté de S. M. n’ait donné prise sur elle, qu’elle ait uniquement écouté le marquis

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Eine neue Eskalationsstufe im Aushandlungsprozess zwischen Primo- und Sekundogenitur konnte nur insofern vermieden werden, dass Erzherzog Ferdinand Verständnis zeigte für die Situation seines Bruders  : »Was deine Ursachen betrifft wegen welchen du Manfredini bald zurückschickst, um dich nicht mit deinen Alliierten zu compromittieren, vernehme ich selbe und bin überzeugt, dass die Bekanntmachung der wahren Ursache wegen welcher ich selben zu dir geschickt habe allen Zweifel erklären wird und dich aus aller Verlegenheit ziehen wird.«214

Erzherzog Ferdinands Friedensbemühungen waren nicht unüberlegt, so naiv sie ex post aussehen mögen. Noch war die Habsburgermonarchie nicht empfindlich geschlagen, noch hatte die Schlacht von Rivoli nicht stattgefunden. Noch hätte ein Frieden den status quo erhalten können. Aber über Erzherzog Ferdinands Schicksal war bereits in Paris entschieden worden. Napoleon erreichte Anfang Mai die Direktive aus Paris in Mailand, dass sich die Italien­ armee spalten und Napoleon mit der größeren Kolonne an der Meeresseite südwärts »d’abord sur Livourne« marschieren solle, um »menacera ensuite Rome et Neaples«215 – das war das eigentliche französische Kriegsziel des Einmarschs in Mittelitalien  : Die Zerschlagung der Koalition aus Kirchenstaat, Neapel und Österreich. Die Toskana war nur günstig als Aufmarschgebiet gegen die Koalition gelegen, dieses taktische Vorgehen sollte sich als Erzherzog Ferdinands Schicksal später an Salzach und Main wiederholen. Dort in der Toskana sei für Napoleon zu beachten, so das Direktorium  : »La République n’est point en guerre avec le grand-duc, et il importe de maintenir nos liaisons avec lui«216. Die lange verfolgte Neutralitätspolitik rentierte sich zwar auf der einen Seite217. Auf der anderen Seite zeigte sich die Gefährlichkeit der toskanischen Doppelstrategie, sich gegenüber Frankreich als Opfer der englischen Gewalt zu stilisieren, diente sie dem Manfredini sans entrer en matière, sans lui avoir fait connaître ses intentions ou lui avoir donné une résolution.« So in  : Colloredo an Thugut, 11. April 1796, zit. nach  : ebd., S. 293. 214 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 23. April 1796. 215 Direktorium an den General der Italienarmee, 7. Mai 1796, zit. nach  : Debidour, Recueil, II, 330. 216 Ebd. 217 Zeitgleich zum Schreiben des Direktoriums schickte Erzherzog Ferdinand in Unkenntnis an den offensichtlich nun beunruhigten Bruder  : »Italien ist nun ganz in den Händen der Franzosen. Mit Gewalt drängen sie gegen Mantua und falls keine Truppen zu dessen Hilfe kommen, können sie es einnehmen  ; dann können sie alles thun was sie wollen. […] Du fragst mich, was ich in diesen Umständen thun werde. Ich bleibe auf Ort und Stelle und rühre mich keinen Schritt von hier, weilen ich mit diesen Franzosen im Frieden bin und sie mir noch nicht die geringste Gelegenheit gegeben haben von ihnen etwas ungünstiges zu erwarten«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 17. Mai 1796.

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Direktorium schließlich doch zur offiziellen Begründung für den Einmarsch  : Es teilte dem Armeechef mit, die Engländer und zuvor die neapolitanischen Truppen würden sich in der Toskana als Tyrannen gebärden, wie der toskanische Gesandte in Paris berichtet hätte und es »est digne de la République de l’affranchir de cette sujétion, et il importe surtout que les couleurs nationales soient respectées dans les ports de Toscane. Que les troupes françaises arrivent à Livourne avec cet ordre qui commande la confiance et qui est indispensable dans les pays neutres.«218 Dieser Passus entbehrt nicht einer gewissen Komik, zeigen doch die ›couleurs nationales‹, also die toskanische Flagge, im Herzschild das habsburg-lothringische Hauswappen, den Bindenschild, und damit deutlich die Farben des Kriegsgegners. Des Weiteren forderte zwar das Direktorium  : »veillez surtout, citoyen général, veillez à ce que ces richesses ne deviennent pas la proie de la cupidité et des dilapidations«219 – was aber mit einer Armeeorder zehn Tage später angesichts der überwältigenden Nachrichten von der erfolgreichen Einnahme der Lombardei wieder egalisiert wurde, als es hieß  : »Vos marches vers le Sud de l’Italie doivent être vives et rapides  ; les ressources immenses qu’elles vous procureront seront dirigées sans délai vers la France. Ne laissez rien en Italie de ce que notre situation politique nous permet d’emporter et qui peut nous être utile.«220

Die mittelitalienische Expedition war also von Beginn an als Beutefeldzug vorgegeben, unabhängig jeder zuvor eingegangenen staatsrechtlicher Vereinbarungen. Das Direktorium befahl sogar ausdrücklich Kunstraub, was häufig als ein für Napoleon alleine spezifisches Vorgehen missdeutet worden ist, aber vielmehr Napoleons Funktion als pflichtbewusster ›Erfüllungsgehilfe‹ des Direktoriums aufzuzeigen vermag221. Schließlich sollten schon bald einige Kunstschätze von Florenz den Besitzer wechseln. Vornehmlich hatte das Direktorium es aber auf die englischen Waren und Güter in Livorno abgesehen und wie wenig der Neutralitätsvertrag von 1795 im Jahr darauf im Angesicht reicher Beute zählte, zeigte die Aufforderung an Napoleon  :

218 Direktorium an den General der Italienarmee, 7. Mai 1796, zit. nach  : ebd., II, 330. 219 Ebd. 220 Direktorium an Napoleon, 18. Mai 1796, ebd., II, 417. 221  »Le Directoire exécutif est persuadé, citoyen général, que vous regardez la gloire des beaux-arts comme attachée à celle de l’armée que vous commandez. L’Italie leur doit en grande partie ses richesses et son illustration  ; mais le temps est arrivé où l leur règne doit passer en France pour affermir et embellir celui de la liberté. […] Le Directoire exécutif vous invite donc, citoyen général, à choisir un ou plusieurs artistes, destinés à rechercher, à recueillir et à faire transporter à Paris les objets de ce genre les plus précieux et à donner des ordres précis pour l’exécution éclairée de ces dispositions, dont il désire que vous lui rendiez compte.« So in  : Direktorium an Napoleon, 7. Mai 1796, zit. nach  : ebd., II, 333.

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»Vous lui déclarerez, citoyen général, au nom du Directoire exécutif, qu’il faut qu’il donne sur-lechamp des ordres pour que tout ce qui appartient dans ses Etats à nos ennemis soit immédiatement remis en notre puissance, et qu’il se porte garant du séquestre  ; sans quoi la République française se verrait forcée de traiter la Toscane comme une alliée de l’Angleterre et de l’Autriche.«222

Von Berichten aus Bologna alarmiert, schickte Erzherzog Ferdinand im Juni 1796 der heranrückenden französischen Armee Manfredini und einige weitere Unterhändler entgegen223, um Napoleons Absichten zu erfahren und im besten Fall seine Streitkräfte um die Toskana herum zu lenken224, ohne natürlich zu vergessen, darüber genau seinem Bruder zu berichten  : »Die ganze Lombardei und ein Theil des Venezianischen Staates ist in ihren Händen und mit 3 oder 4 Tagen sind sie auch Meister von Bologna Ferrara und Fort Urbans nebst der Garnison. Die Französische Armee marschiert gegen Rom. Aus dieser Ursache da ich von meinem Minister Marulli zu Bologna erfahren haben, dass selbe vielleicht den Durchmarsch von ­einer Colonne von 12.000 Mann durch Toscana veranlassen wollen, habe ich mich gezwungen gefunden Manfredini zu befehlen, dass er als ein Obristhofmeister und ohne Uniform oder Kennzeichnung alsogleich nach Bologna abreise und dort mit dem General Bonaparte und dem Comissair Saliceti zu reden und dort mit allen guten Ursachen welche ich habe sie zu überreden die Toscana nicht zu berühren. Gott gebe, dass es mir gerathe.«225

Es geriet nicht, auch wenn Manfredini auf seine Galauniform eines österreichischen Generals verzichtet hatte. Erzherzog Ferdinand betonte diese Vorsichtsmaßnahme besonders, weil die Zurückweisung Manfredinis in Wien aus Gründen des vermeintlichen Koalitionsbruchs im April in Wien noch deutlich in Erinnerung war. Es sollte nicht einmal optisch der Anschein erweckt werden, es verhandle hier die Habsburgermonarchie mit den Revolutionstruppen. Die diplomatische Mission hatte jedoch keinen Erfolg. Die Beschlüsse des Direktoriums und selbst den Ton derer aufnehmend, schrieb Napoleon an Erzherzog Ferdinand226, die Rechte der Republik seien durch die Anwesen222 Direktorium an den General der Italienarmee, 7. Mai 1796, zit. nach  : Debidour, Recueil, II, 330. 223 Die Mission ist bildreich beschrieben bei  : Reumont, Manfredini und Carletti, S. 118f. 224 Napoleon schrieb über Manfredinis Mission an das Direktorium am 2. Juli 1796  : »Le Grand-Duc de Toscane m’envoya à Bologne le marquis de Manfredini, pour me représenter qu’ayant refusé le passage aux Napolitains, il serait injuste de nous voir violer un territoire que les coalisés avaient respecté. Après quelques pourparlers, il parut satisfait de la proposition que je lui fis de ne pas passer par Florence  ; l fut réglé que cetl.e division se porterait sur Rome par Sienne.« So in  : Napoléon, Correspondance, I. Bd., Nr. 707, S. 553. 225 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 21. Juni 1796. 226 »Le pavillon de la République française est constamment insulté dans le port de Livourne  ; les propriétés des négociants français y sont violées  ; chaque jour y est marqué par un attentat contre la France, aussi contraire

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heit fremder Truppen verletzt, die Würde Frankreichs beschädigt und selbst der toskanische Botschafter in Paris habe bestätigt, »qui a été obligé d’avouer l’impossibilité où se trouvait Votre Altesse Royale de réprimer les Anglais, et de maintenir la neutralité du port de Livourne«227. Die Unmöglichkeit sich militärisch ohnmächtig im Krieg zu behaupten, brachte Erzherzog Ferdinand Anfang des Krieges überhaupt erst auf den Neutralitätskurs, was sich jetzt 1796 gegen ihn richtete, weil es die Rechtfertigungsgrundlage zur französischen Invasion in der Toskana lieferte. Als das stets Befürchtete nun bevorstand, verließ Erzherzog Ferdinand dennoch nicht, wie einst 1794 beabsichtigt, fluchtartig das Land. Er blieb und empfing Napoleon als souveräner Fürst, während andere italie­ nische Machthaber ihren Posten durch die französische Invasion räumen mussten228. Schließlich ein bisher wenig beachteter Erfolg Erzherzog Ferdinands politischen Entscheidungshandelns im Krieg. Die Division unter Claude-Henri Belgrand de Vaubois (1748–1839) marschierte mit dem Chef der Italienarmee, Napoleon, ins Großherzogtum ein, besetzte Livorno, beschlagnahmte die englischen Waren ohne einen einzigen Schuss abzugeben229. Es ist vor allem bildreich und anschaulich über dieses erste Zusammentreffen am 31. Juni 1796 in Florenz dieser unterschiedlichen, aber gleichaltrigen Akteure im Krieg geschrieben worden – vom Besuch des Korsen in den Uffizien, dem Galadiner an der prächtigen Hoftafel, an der Erzherzog Ferdinand den Emporkömmling in den Augen vieler wie einen Gleichrangigen im Palazzo Pitti empfing230. Es ist aber bisher nicht nach der Begründung für dieses Handeln von Erzherzog Ferdinand als Maßnahme im ›politischen Verkehr‹ gefragt worden. Betrachtet man die hier nun ausgebreiteten ersten Regierungsjahre Erzherzog Ferdinands im Krieg, ist diese besonders zuvorkommende und ungewöhnlich freundliche, ehrerbietige Behandlung nur konsequent. Denn die Frage blieb bei der Erneuerung des ererbten Neutralitätsgrundsatzes 1792 die gleiche,

aux intérêts de la République qu’au droit des gens.« Napoleon an Ferdinand, Pistoia, 23. Juni 1796, so in  : ebd., I. Bd., Nr. 678, S. 530f. 227 Ebd. 228 Zu denken ist hierbei vor allem an Karl Emanuel IV. von Piemont-Sardinien (1751–1819), dem sein diplomatisches Doppelspiel zwischen Frankreich und der Habsburgermonarchie 1798 zum Verhängnis wurde und er aufgrund von dem Direktorium bekannt gewordenen Geheimabsprachen mit Wien, wie sie ja auch Ferdinand unterhielt, seine Herrschaft in Oberitalien räumen musste. Vgl. dazu vor allem Michael Broers  : The Napoleonic empire in Italy, 1796–1814. Cultural imperialism in a European context  ? New York 2005, S. 34 229 Vgl. Ferrero, Abenteuer, S. 80. 230 Pesendorfer, Ein Kampf, S. 124–128  ; Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 19–21. Jüngst bemerkte Zamoyski dazu lapidar, sie seien am Abend des 30. Juni in die Oper gegangen und hätten am nächsten Tag zu Mittag gegessen, obwohl er der Bruder des österreichischen Kaisers war, mit dem er im Krieg stand. Zamoyski, Adam  : Napoleon. A life. New York 2018, S. 134.

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wie im Juni 1796, als Napoleon mit ca. 5.500 Mann231 vor den Toren stand  : Was wäre für Erzherzog Ferdinand die Handlungsalternative gewesen  ? Das Pflichtbewusstsein seinem Staatswesen und dem Erzhaus gegenüber verpflichtete ihn zum Ausharren auf dem großherzoglichen Thron so lange als nur irgend möglich. Er wolle ›alles möglich‹ machen, um seine Absetzung zu verhindern, schrieb er bekanntlich bereits im Jahr 1793. Pragmatisch und realpolitisch klug folgte er der nun lange beobachteten Linie des Kontaktaufbaus, der Unterhandlung und der Diplomatie mit dem Kriegsgegner, weil keine anderen militärischen Möglichkeiten gegeben waren232. Die ehrerbietige Haltung Erzherzog Ferdinands war angesichts von ca. 5.500 französischen Bajonetten im eigenen Land nur konsequent. Wenn man den Kommandanten dieser Truppen mit einer Ehrenwache hoffierte, erhoffte man sich toskanischerseits die schlimmsten Repressalien der Besatzungsmacht damit zu vermeiden. Anders als es die bisherige Literatur postuliert  : Es ist nicht überliefert, ob Erzherzog Ferdinand den Revolutionsgeneral auf der persönlichen Ebene sympathisch fand oder nicht. Er äußerte sich schriftlich lange Jahre nicht dazu. 1796 war Napoleon für Erzherzog Ferdinand bloß »General Bonaparte«233, ohne Wertung, dann im Rheinbund lediglich »der Kayser«234, kein »Heros der Geschichte«235, wie für andere Rheinbundfürsten. Erst nach 1813 wird er ihn in seinen Autographen nur noch mit Vornamen betiteln. Dass er Napoleon im Jahr 1814 einen raschen Tod mit den Worten wünschte, »das allerbeste in aller Rücksicht wäre, wenn es unserem Herr Gott gefiehle ihn aus dieser Welt zu schaffen«236, könnte man entweder als lange zurückgehaltene ehrliche Meinung, als enttäuschtes Fazit über ihre Beziehung werten. Oder es ist im Kontext des allgemein sich erhebenden Jubels der sogenannten ›Befreiungskriege‹ und der überall beobachtbaren strikten Abgrenzung zur Seite des Verlierers, auf der man zu lange ausgeharrt hatte, zu verstehen. Ohne diese persönliche Frage an dieser Stelle beantworten zu können, lässt sich für Erzherzog Ferdinands Gegenüber konstatieren, dass er sich durchaus geschmeichelt fühlte vom Zweiten des Ersten Hauses Europas auf diese Weise willkommen geheißen 231 Standesausweis der frz. Truppen Juni 1796, zit. nach Napoléon, Correspondance, I. Bd., Nr. 664, S. 520. 232 Als Napoleon dem Direktorium über die militärischen Verhältnisse in Italien Auskunft gab, schrieb er über die Toskana  : »Le Grand-duc de Toscane est absolument nul, sous tous les rapports.« So in  : Napoleon an das Direktorium, 3. Oktober 1796, ebd., II, Nr. 1060, S. 32. 233 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 20. August 1796. 234 Ebd., Sammelbände 41-2-7, Ferdinand an Franz, Paris, 15. September 1807. 235 Carl Theodor von Dalberg über Napoleon, zit. nach Herbert Hömig  : Carl Theodor von Dalberg. Staatsmann und Kirchenfürst im Schatten Napoleons. Paderborn 2011, S. 371 236 Ferdinand an Franz, Entwurf, Florenz, o.D. SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 10, sign. 84, Fol. 91. Sowie in Reinschrift  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 45-5-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 20. April 1814.

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worden zu sein. Für Napoleon war es überhaupt der erste persönliche Kontakt zu einem Souverän, was einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterließ237. Für Erzherzog Ferdinand indes bekam die Revolution in Frankreich erstmals ein Gesicht, das so gefährlich wohl gar nicht aussah. Vielleicht erkannten beide die gegenseitig unterstellten Vorurteile als irrig, sahen sich als vernünftige Verhandlungspartner trotz der unbestrittenen Standesunterschiede. Auf dieser Grundlage konnte sich eine gewisse professionelle Zuneigung – eine Sympathie wie zwischen erfolgreich zusammenarbeitenden Geschäftspartnern – entwickeln. Auch dass Napoleon seine Wurzeln gerne in der Toskana hatte finden wollen238 und Erzherzog Ferdinand sich seiner Heimat ebenfalls sehr verbunden fühlte, brachte das Gemeinsame dieser Unterschiedlichen zur Geltung. Dessen ungeachtet forderte Napoleon genauso wie von den anderen eroberten Gebieten Truppenversorgung und vor allem Geld für seinen weiteren Feldzug gegen Neapel, den Kirchenstaat und Österreich239. Als dadurch zunächst der Separatfrieden von Toltentino am 19. Februar 1797 zwischen Frankreich und dem Kirchenstaat erzwungen wurde, schloss sich der Kreis um die Toskana, die nun von drei Seiten unbewaffnet dem Zugriff Frankreichs ausgeliefert war  : Im Westen war Korsika wieder in französischer Hand, im Norden war aus den päpstlichen Legationen Bologna, Ferrara und dem ehemaligen Herzogtum Modena die cispadanische Republik entstanden, im Süden blieb der geschrumpfte Kirchenstaat als verwandte oder verbündete Nachbarschaft aus Peter Leopolds Zeiten übrig240. Seine missliche Lage bedauernd, schrieb er an Kaiser Franz  : »Ich helfe und vertheidige mich [sic], so gut ich kann, von der Frühe bis in die Nacht, um nicht unterzugehen  ; allein so kann es nicht fortdauern. Es ist ein fatales Leben. Man will neue Republiken errichten und kein Mensch will Republikaner werden.«241

237 Ein Zeuge, der bei dem außergewöhnlichen Treffen dabei gewesen war, schreibt darüber  : »Alors ce fut un événement pour lui  ; et, comme il a toujours été sensible aux souvenirs qui se rattachaient au commencement de sa carrière, il a conservé, toute sa vie, à ce prince une affection qui lui a été utile en plus d’une occasion.« Zit. nach  : Auguste Frédéric Louis Viesse de Marmont  : Mémoires du Maréchal Duc de Raguse de 1792 à 1832 imprimés sur le manuscrit original de l’auteur. Paris 1857, S. 193. 238 Hierzu v.a. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 124f. 239 Am 11. Januar 1797 stimmte Manfredini im Namen Erzherzog Ferdinands einem Vertrag zu, der die Toskana verpflichtete, keinen Koalitionstruppen den Durchzug zu gestatten, die Verproviantierungskosten der französischen Truppen zu übernehmen und eine Million Lire in Silber an die Italienarmee Napoleons zu entrichten. Im Gegenzug dazu stellte Napoleon den Truppenabzug von Livorno und den Verzicht des Truppendurchmarsches durch die Toskana in Aussicht. Der Vertrag ist abgedruckt bei  : Zobi, Storia civile, III, Appendice, S. 47–48. 240 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 144f. 241 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 37-8, Ferdinand an Franz, Florenz, 29. Februar 1798.

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Nur das geschickte Lavieren Erzherzog Ferdinands, mit der vorgeblichen Neutralitätspolitik sowohl der Habsburgermonarchie treu zu bleiben, als auch die neuen Machthaber in Italien dadurch nicht zum Feind zu machen, gewährleistete einstweilen noch die Fortdauer seiner Herrschaft am Arno. Dazu gehörte es, einen toskanischen Gesandten in Mailand der Hauptstadt der Cisalpinischen Republik – vom Direktorium aus der Cis- und Transpadanischen Republik am 29. Juni 1797 errichtet – zu akkreditieren242. Eine solche diplomatische Geste guten Willens erlaubte noch der enge Handlungsrahmen von Erzherzog Ferdinands Doppelspiel im Krieg. Als diese Republik allerdings auf toskanischem Gebiet Soldaten gegen die Habsburgermonarchie werben wollte, war das zu viel und wurde toskanischerseits auf das Schärfste geahndet. Dass Erzherzog Ferdinand auch den Bruder Napoleons, Joseph (1768–1844), mit großen Ehren empfing und sogar Manfredini mit der Wohnungsfindung in Rom für eben diesen beauftragte, der neuerdings zum Botschafter der Republik bei der Kurie bestellt worden war, sollte ebenfalls die Beziehungen zum Kriegsgegner aufrecht erhalten und auch auf persönlicher Ebene mit den Bonapartes ausbauen243. Sein konsequentes Verständigungshandeln mit Frankreich ermöglichte ihm wenigstens in kleinen Teilen die Umsetzung seines gesetzten Ziels, von seinen »Unterthanen alle Gattungen von Unheilen abzuwenden«244. Persönliche Eingaben bei Napoleon bewirkten, dass beispielsweise die das Land auszehrenden Truppendurchmärsche umgelenkt, bei Truppenablösungen im Oktober 1796 in Livorno die Hauptstadt vom Durchzug verschont wurde245. Das Prinzip do-ut-des rentierte sich für Erzherzog Ferdinand in der Toskana und wurde zur Handlungsmaxime später im Rheinbund. Auf der anderen Seite erwies Erzherzog Ferdinand direkt auch seinem Bruder gegenüber stets kleinere Gefälligkeiten im gleichen Zeitraum. Bücher246, Blumensamen247, Weinreben248 und Tauben249 wurden auf nur beiläufig geäußerten Wunsch von Florenz 242 Akkreditierungsschreiben für Giacomo Marulli, datiert auf den 12. Dezember 1797, in  : SUAP IV, RATFerdinand III., kt. 1, sign. 5. 243 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 149. 244 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 31a-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 16. Dezember 1793. 245 Dies belegen die als Kopien in der Handschrift Rainoldis vorliegenden Briefe an Napoleon im Zentralarchiv in Prag. Darin bedankt sich Erzherzog Ferdinand für Napoleons persönlichen Einsatz bei der Truppendislokation mit den vielsagenden Worten  : »Cependant je vous prie Monsieur le Général d’en agréer l’expression et de souffrir que dans des cas semblables je m’adresse uniquement à vous dont la noble franchise détruit d’un seul mot les tracasseries que d’autres se plaisent à faire naître.« Tatsächlich wird er sich in der Folgezeit noch einige Stolpersteine von Napoleon persönlich aus dem Weg räumen lassen. Zitat in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 1, sign. 4, Ferdinand an Napoleon, 25. Oktober 1796. 246 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände, 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 19. September 1796. 247 Ebd. Ferdinand an Franz, Florenz, 1. Februar 1796. Sowie am 8. November 1796. 248 Erneut am 4. März 1796. 249 Ebd. Über die Tauben schrieb Ferdinand wortwörtlich am 2. April 1796  : »Die Schönsten sind mir,

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nach Wien geschickt. All dies um den persönlichen Kontakt zum Bruder aufrecht zu erhalten, auch wenn dessen Beraterkreis nicht müde wurde Erzherzog Ferdinands Verständigung mit Frankreich als »l’excès d’avilissement«250 zu kritisieren. Wenngleich Erzherzog Ferdinands Doppelstrategie seine Herrschaft im Krieg noch sichern konnte, geschah dies dennoch unter schlechten Konditionen. Die Toskana blieb bis Mitte Mai 1797 besetztes Land mit allen wirtschaftlichen Einbußen251, da nun die englische Flotte den Seehandel im Mittelmeer, auf den vor allem die Stadt Livorno angewiesen war, blockierte252. Dass diese auch Portoferraio im Handstreich nehmen konnte, ohne dass Erzherzog Ferdinand nur die Chance zur Verteidigung gehabt hätte, ließ Napoleon kurz nach dem vermeintlich Sympathie und Freundschaft stiftenden, harmonischen Treffen beider bereits im August mit dem Schlimmsten drohen  : »Le Directoire exécutif serait autorisé, sans doute, à s’emparer, par représailles, des États de Votre Altesse Royale qui sont sur le continent«253. Und das, obwohl man dort wirklich alles unternahm, um den Besatzern zu gefallen  : Sogar österreichische Gefangene wurden den Franzosen ausgeliefert. Natürlich erregte dieser Vorfall in Wien größte Bestürzung, auch wenn diese Bestürzung, die Florenz zugedachte »pusillanimité et de l’indignité«, auf die Wiener Regierung selbst zurückfiel – drehte es sich bei dieser Affäre doch nur um 27 Soldaten254. Ob Erzherzog Ferdinand überhaupt etwas von dem Vorfall wusste, ist fraglich. Der Beraterkreis um Kaiser Franz fühlte sich jedoch bestätigt, dass der toskanische Hof, das »gouvernewelche ganz groß sind einen Schopf auf dem Kopf und viele Federn als wie Stiefel an den Füssen haben. Seye versichert, dass mir nichts angenehmer ist, als wenn ich dir in etwas dienen kann und je öfters ich Gelegenheit dazu von dir bekommen kann, desto mehr gefreut es mich.« 250 Über Erzherzog Ferdinands Zusammenkunft mit Napoleon schrieb Thugut an Colloredo  : »Elle y’a verra [der Wiener Gesandte am toskanischen Hof Veigl, Anm. d. Verf.] avec douleur sans doute l’excès d’avilissement, où se trouvent reduite la Toscane et la personne de S. A. R., malgré la plus basse adulation qu’on prodigue aux Français et à Bonaparte, à qui le grand-duc a fait donner à Florence une garde d’honneur avec drapeau etc., enfin telle qu’on la donne aux princes Souverains   ! Evviva Manfredini  !« So in  : Thugut an Manfredini, 20. Juli 1796, zit. nach Vivenot, Vertrauliche Briefe, S. 318. 251 »Unser Zustand ist der alte. Die Besetzung von Livorno und die Versperrung von der Meerseite durch die Engelländer richten dieses arme Land gänzlich zugrunde und hierfür werde ich einen kümmerlichen Winter haben.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 13. August 1796. 252 Vgl. Reumont, Geschichte Toscana, S. 277. 253 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 1, sign. 4, Napoleon an Ferdinand, 12. August 1796. 254  »Vingt-sept de nos soldats, prisonniers des Français et s’étant échappés de leurs mains, traversant sans armes et tranquillement le territoire du grand duché, ont été arrêté par le gouvernement Toscan et renvoyés par Livourne à Gènes, d’où le comte Girola les avait expédiés, ce qui me paraît le comble de la pusillanimité et de l’indignité de la part du gouvernement philosophique de Florence, qui manifeste en toute occasion envers l’Autriche plus d’aversion et plus de partialité pour les Français que ne se permettent les Génois et les Vénitiens« Thugut an Colloredo, Wien, 18. Juli 1796, zit. nach Vivenot, Vertrauliche Briefe, S. 309.

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ment philosophique de Florence«255, profranzösische Politik betrieb. Die eigentlich unbedeutende Affäre wurde von Thugut und Colloredo zur Befeuerung eines wachsenden Misstrauens zwischen den Höfen gerne aufgegriffen256. Auch daran lässt sich ablesen, wie man in Florenz gezwungen war zu lavieren, um nicht die eine oder andere Seite zu vergällen. In diesem Kontext ist jedoch erneut die Korrespondenz zwischen den Brüdern zur gleichen Zeit bemerkenswert, die von Erzherzog Ferdinands vorrausschauendem Entscheidungshandeln in außenpolitischen Fragen zeugt. Unermüdlich warb er für einen ›allgemeinen Frieden‹ als einzige Möglichkeit zur Besitzstandsgarantie der Habsburgermonarchie. Erzherzog Ferdinand schrieb in aufgebrachtem Ton an Kaiser Franz, kurz bevor Napoleon Mantua am 27. August 1796 belagern ließ  : »Ob es nicht jetzt höchste Zeit ist Frieden zu machen wirst du selbst besser als ich aus diesen Sachen ersehen, deren ich aus dem Mund selbst des Generals Bonaparte mit meinen eigenen Ohren gehört habe und aus der Lage der Sachen in Deutschland, wo deine Armeen schon sich haben zurückziehen müssen. Die deutschen Fürsten machen einer nach dem anderen Frieden mit diesen Franzosen und zwar durch Vermittlung des Königs von Preussen, welchem die Franzosen alles willfahren. Jetzt ist es kein Geheimnis mehr  : die Franzosen zielen von drey verschiedenen Seiten gerade nach Wien zu gehen, eben wie es ihnen in dem Successionkrieg Maria Theresias fast gerathen war und da ihnen täglich von allen Seiten Verstärkungen zufliessen, will ich nicht sagen, was leicht mit meinem größten Schmerz geschehen könnte. […] Um Gottes willen, wenn du mich jemals geglaubt hast, so glaube einem Bruder, der nur dein Glück wünschet und dem das Herz blutet dich so hintergangen und zugrundegerichtet zu sehen. Mithin wenn dir dein Land, deine Familie, wir, und die Welt, die Christenheit am Herzen liegen mache ein Ende diesem Unheilen und tröste uns alle mit einem einzigen Wort, dem Frieden nämlich. Machst du es nicht bald, so kann ich nicht sagen, was uns und dir besonders noch neue Unglücke und traurige Augenblicke bevorstehen«257.

Ob er es von Napoleon persönlich wusste, oder selbst seine Schlüsse zog, muss offenbleiben, aber er erkannte den vom Direktorium in Paris erdachten deutsch-italienischen Kriegsplan258. Zugegeben, der letzte appellativ-emotional-aufgeladene Abschnitt liest 255 Ebd. 256 Beispielsweise gebe die Unterredung zwischen Manfredini und Napoleon in Bologna im Juni 1796 ein »scandaleux exemple de son philosophisme et cette rage de contrarier toutes les résolutions adoptées par S. M., afin de montrer que la Toscane est entièrement indépendante de l’Autriche, que Florence brave les déterminations de Vienne«. So in  : Thugut an Colloredo, 6. Juli 1796, zit. nach ebd., S. 314. 257 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 20. August 1796. 258 Zur Erinnerung steht im Kriegszielplan von 1795, dem Mémoire pour l’armée d’Italie  : »Wenn der Febru-

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sich tatsächlich wie des Regenten eines ›gouvernement philosophique‹ würdig, aber man darf nicht vergessen, dass Erzherzog Ferdinand bereits 1794 Nachrichten über Bestechungen und Spionagemaßnahmen der Franzosen in Mantua an Wien weitermeldete und deswegen die schlimmsten Befürchtungen hatte, ›diesen Franzosen‹ könne es gelingen, die südliche Pforte zu den Erbländern einzunehmen. Er nutzte den direkten Kommunikationsweg zu seinem Bruder, um eine in seinen Augen drohende Niederlage abzuwenden und der Kriegspartei am Wiener Hof um Thugut und Colloredo argumentativ entgegenzuwirken. Diese war der Meinung, mit einem Hauptschlag gegen die französische Armee Mantua entsetzen zu können, was dann am 14. und 15. Januar 1797 gründlich misslingen sollte, als in Rivoli von den ca. 28.000 Österreichern 4.000 getötet und 8.000 gefangen genommen wurden und der Prestigeverlust von 11 Fahnen und Standarten die totale Niederlage noch verstärkte259. Inwieweit Erzherzog Ferdinands Wunsch nach Frieden bei aller Richtigkeit der Situationsanalyse naiv war oder nicht, wird im Anschluss zu beleuchten sein. Wichtig ist jedoch, an dieser Stelle deutlich zu machen, dass Erzherzog Ferdinand selbst geglaubt hatte, er handle bei seiner Friedensmission im Dienst für die Dynastie und seinen Bruder. Als Kaiser Franz’ Antwortschreiben auf den emotionalen Friedensaufruf eintraf, schrieb Erzherzog Ferdinand am gleichen Tag darüber noch zurück  : »Seye versichert, […] alles was ich dir durch den letzten Courier geschickt habe, habe ich aus Liebe für dich und für das Beste deiner Person und deiner Länder und unseres Hauses geschrieben und nicht wegen mir.«260

Auch in den kommenden Jahren, in denen sein häufig geäußertes Sehnen nach Frieden beständig an der Wirklichkeit scheiterte, lässt sich häufig dieser begriffliche Dreiklang von Kaiser-, Haus- und Eigenwohl als Argumentationsmuster in den Korrespondenzen beider Brüder finden. Was Erzherzog Ferdinand allerdings nicht wissen konnte, ist, dass bereits zur gleichen Zeit im Juli 1796 im Direktorium in Paris an einem Mémoire über einen künftigen Frieden gearbeitet wurde, was seinem Eigenwohl wenig zuträglich war. In dem von Außenminister Delacroix angefertigten Papier hieß es, dass es, wie an anderer Stelle schon arfeldzug glücklich verläuft, werden wir in den ersten Frühlingstagen die Herren über Mantua sein und gemeinsam mit der Armee, die den Rhein überschreitet, den Krieg in den Breisgau tragen, bis in das Herz der österreichischen Erbländer. Die Natur hat Frankreich die Alpen zur Grenze gesetzt, Österreich aber Tirol«, zit. nach Ferrero, Abenteuer, S. 16. 259 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 131. 260 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 10. September 1796, Orig. eigh.

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dargelegt, im Interesse Frankreichs sei, Österreich ganz aus Italien zu verdrängen. Für die habsburg-lothringische Abtretung des linken Rheinufers sowie für den Verzicht seiner Rechte und »dépandances«, (also auch die Toskana) »il recevrait en dédommagement, la Bavière, le Haut-Palatinat, la Principauté de Neubourg, l’Archevêché de Saltzbourg, les Evêches d’Augsbourg, d’Eichstedt, de Passau […] celles de l’ordre teutonique«261. Dagegen sollte der Kurfürst von Bayern an Italien beteiligt werden. Als Gebiet schlug das Direktorium Toskana, Modena, Ferrara, Mantua, die Romagna und Bologna vor. Frankreich sollte vom Toskanischen Territorium die Insel Elba, Livorno und einen Teil der Einkünfte der abgetretenen Staaten für sich beanspruchen. Über das Schicksal Erzherzog Ferdinands hieß es in diesem Papier lapidar, aus den Gewinnen der Habsburgermonarchie »il se chargerait de faire un spanage convenable à l’Archiduc et au Grand-duc de Toscane«262. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt wurde Erzherzog Ferdinand in einem Dokument mit den von ihm später zu verwaltenden Gebieten Salzburg, Eichstätt und Passau in Verbindung gebracht. Die Angst Erzherzog Ferdinands vor seinem Herrschaftsverlust in der Toskana war demnach stets berechtigt. Seine Neutralitätspolitik, sein Lavieren zwischen den Machtblöcken, sein ehrerbietiges Verhalten gegenüber Napoleon, erschwerten der französischen Revolutionsregierung ihre ›politischen Zwecke‹ im Krieg in einem sonst üblichen ›kurzen Prozess‹ zu erreichen. Noch schlug sich die Habsburgermonarchie, vor allem auf Reichsgebiet unter Erzherzog Ferdinands Bruder Carl, gut. Die Schlacht bei Würzburg konnte er am 3. September für sich entscheiden263 und die Koalitionstruppen marschierten kämpfend erfolgreich bis Mainz und Limburg264. Im Oberitalienischen verloren sie gegen Napoleons Revolutionsarmee zunächst am 8. September in Bassano, gewannen aber wieder an Boden bei Gefechten in Cerea und Fontanvia265. Napoleon schrieb beunruhigt nach Paris, er brauche dringend neue Soldaten, alle seien erschöpft, wenn es so weitergeht, könne man gar Italien verlieren266. Wer hätte in diesem für die Habsburgermonarchie so günstigen Moment in Wien auf den Friedensmahner von Florenz gehört  ?

261 Zit. nach Hüffer u. a., Der Frieden, S. 67ff. 262 Ebd. 263 Vgl. Winfried Romberg  : »als ob sich die Glocken selbst zu Grabe läuten«. Die militärische Blockade Würzburgs im Jahr 1800/1801, in  : Frankenland 53 (2001), S. 442–450, Smith, Napoleonic Wars, S. 121. 264 Vgl. ebd., S.122, 124. 265 Vgl. ebd., S. 123. 266 »Son infériorité et l’épuisement ou elle est des hommes les plus braves me font tout craindre. Peut-être sommesnous à la veille de perdre l’Italie. Aucuns des secours attendus ne sont arrivés.« So in   : Napoleon an das Direktorium, 13. November 1796, zit. nach  : Napoléon, Correspondance, II. Bd., S. 136.

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Am 15. November reagierte das Direktorium auf die düsteren Schilderungen ihres Armeechefs in Italien und bestellte Divisionsgeneral Henri Clarke d’Hunebourg (1765–1818) zum Sondergesandten, um bei der Habsburgermonarchie zu eruieren, wie sie zu einem Frieden stünden267. Erst die schwere österreichische Niederlage bei Arcole am 17. November268 lies auch die Kriegspartei für eine Friedensunterhandlung mit dem Kriegsgegner zugänglich werden. Keiner der Gegner war de facto gezwungen, den Frieden nachzufragen, aber »beide waren gleich müde, beide wünschten ihn gleichermaßen«269. Wien machte in einer Instruktion gegenüber dem österreichischen Unterhändler Marquise Gherardini deutlich, wenn Frieden mit dem Kriegsgegner, dann nur zu ihren Bedingungen. Kaiser Franz sei nicht bereit auf irgendwelche Provinzen zu verzichten, er bestehe auf den status quo ante – darauf folgte jedoch die entscheidende Einschränkung, die davor Gesagtes wesentlich relativierte – »sans un dédommagement équitable et d’une valeur égale pour la richesse et la population«270. Die Möglichkeit, im Rahmen der stets verfolgten geostrategischen Neuausrichtung der Habsburgermonarchie günstiger gelegene Gebietsteile zu erwerben, wollte man sich nicht verbauen, wenn schon der Kriegsgegner um Frieden nachsuchen will. Der Wiener Hof, so Thugut in diesem Sinne weiter, wäre durchaus geneigt auf die niederländischen Besitzungen zu verzichten im Austausch gegen Bayern, oder sonst gegen eine von Frankreich vorzuschlagende Entschädigung, »qu’il serait sans doute libre de tenter dans tous les temps à ses propres risques et périls«271. Eine Säkularisation im Reich als Kompensationsmasse, obschon in Paris wohl bereits diskutiert, käme somit nicht in Frage272. Der Wunsch Frieden zu schließen, nahm nach Rivoli und dem Fall von Mantua am 2. Februar 1797 auf Seiten Wiens konkretere Züge an. Aber noch waren die Friedensverhandlungen zwischen Wien und Paris nicht direkt unternommen worden, auch um den englischen Verbündeten nicht zu verprellen. Paris spielte im Februar erstmals über Bande. Das Direktorium ließ den französischen Gesandten Clarke mit konkreten Vorschlägen für einen »paix continentale« nach Florenz eilen273  : Der Habsburgermonarchie

267 Debidour, Recueil, IV, S. 281. 268 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 127. 269 Ferrero, Abenteuer, S. 132. 270 Thugut an Gheradini, 27. Dezember 1796, zit. nach  : Hüffer u. a., Der Frieden, S. 102–108, hier S. 105. 271 Zit. nach  : ebd., S. 106. 272 »Nous n’ignorons pas qu’on s’est occupé depuis quelque temps tant en France qu’ailleurs peut-être de divers plans de sécularisation, destinés â faciliter de certains arrangements à la pacification future, mais comme la première sécularisation qu’on admettrait en Allemagne entrainerait infailliblement un bouleversement total et la destruction de l’ancien ordre dans l’Empire.« Zit. nach  : ebd., S. 106. 273 Vgl. Ferrero, Abenteuer, S. 164.

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wurde »un accroissement très considerable« 274 rechtsrheinisch für die Abtretung linksrheinischen Gebiets an Frankreich in Aussicht gestellt. Erzherzog Ferdinand versprach, so Clarke an das Direktorium, mit einem außerordentlichen Kurier die Vorschläge Frankreichs an seinen Bruder zu schicken275. In den Wiener Archiven findet sich kein solcher Brief mehr. Jemand aus der dortigen Staatskanzlei muss sie vernichtet haben aus Angst vor kompromittierendem Bekanntwerden ihres Inhalts beim Bündnispartner England. Umso mehr erscheint die durch Archivdokumente in Prag belegte Vermittlungsaktion Erzherzog Ferdinands zwischen den beiden Kriegsgegnern bedeutsam276. Dass Erzherzog Ferdinand die Briefe Clarkes zusammen mit einigen Kopien und Autographen Napoleons für aufbewahrenswert hielt, lässt darauf schließen, dass er sie wie diplomatische Wechsel auf die Zukunft verstand – im Sinne von ›seht her  : hier hab ich es schwarz auf weiß. Ich habe euch geholfen, jetzt brauche ich eure Hilfe‹. Erstmals sollte er mit dieser Vermittlerfunktion 1797 die Funktion einer »Art Relaisstation«277, einer Brücke zwischen der Habsburgermonarchie und Frankreich spielen, wie es später im Rheinbund eine wesentliche Konstante seiner Politikgestaltung werden sollte. Die von Clarke gebrachten und von Erzherzog Ferdinand übermittelten Vorschläge passten jedoch nicht mehr zu den in Wien entwickelten Plänen, die Kaiser Franz seinem Bruder Carl fast zeitgleich zu den Florentiner Verhandlungen erläuterte, »dass wir viele Kräfte in Italien versammeln wollen, […] dass ohngeachtet des Verlusts von Mantua wir keineswegs gesinnt seyen, Italien den Franzosen zu überlassen […] dass wir uns im Venezianischen festsetzen und so viel als möglich davon besetzen, um dadurch die Republique für uns zu erhalten«278. So groß die militärischen Niederlagen am Ende des Ersten Koalitionskrieges auch gewesen waren, trotzdem verlor die Habsburgermonarchie ihren ›politischen Zweck‹ 274 »Que la France n’exigeait point ce fleuve pour limite, que si l’Autriche croyait devoir espérer quelques dédommagements sur a rive droite du Rhin, non seulement la France ne s’y opposerait pas, mais même qu’elle employerait son influence pour l’appuyer. Que cet objet cependant ne pourrait être fixé qu’en entamant des négociations à cet égard.« So in  : Détails sur l’entrevue secrète avec le Grand-Duc de Toscane, Zit. nach  : Hüffer u. a., Der Frieden, S. 129–130. Hier S. 130. 275 »Le Grand-Duc a promis de transmettre par un courrier extraordinaire à l’Empereur le précis de la conférence.« So in   : Ebd. 276 »Lorsque j’eus l’honneur de prier votre Altesse Royale, de faire parvenir à Sa Majesté l’Empereur et Roi l’Expression des sentimens pacifiques du Directoire-Executif de la République française, ainsi que les conditions modérées qui dévoient mettre un terme aux malheur de la guerre, j’était persuadé que la démarche que je demandai à Votre Altesse Royale étoit conforme à Ses opinions personnelles, et à Ses sentimens philanthropiques.« So in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 1, sign. 4, Clark an Ferdinand, Monbello bei Mailand, 1. Juni 1797. 277 Schäfer, Die politische Rolle, S. 68. 278 Franz an Carl, 14. Februar 1797, zit. nach Hüffer u. a., Der Frieden, S. 124.

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nicht aus den Augen, den bereits Kaiser Joseph II. im Gespräch mit Peter Leopold 1784 skizzierte  : Nämlich »bei günstiger Gelegenheit zuzugreifen und die Monarchie zu vergrößern und durch Abrundung zu stärken«279. Die reiche und ehemals mächtige venezianische Adelsrepublik, immer noch »das Juwel Italiens«280, gar noch mit den Dependancen Istrien und Dalmatien, wäre eine kaum vorstellbar große Bereicherung für die Habsburgermonarchie gewesen. Der Friedenswille der Franzosen bot trotz aller Verluste auf habsburg-lothringischen Seiten im Ersten Koalitionskrieg die ›günstige Gelegenheit‹. Verwendbare Ergebnisse brachte allerdings erst der Präliminarfrieden von Leoben am 18. April 1797281, den Napoleon trotz des Sieges bei Rivoli eingehen musste, weil seine Armee in der Weite der steirischen Alpen kurz vor Wien ohne Nachschubversorgung ins Leere gelaufen war282. Die Einnahme Wiens war ihm ohne Truppenaufstockung nicht möglich283 und er sah sich in Leoben zu Zugeständnissen gegenüber der Habsburgermonarchie gezwungen  : In neun offiziellen Artikeln, die die Habsburgermonarchie besonders dem eigenen Koalitionspartner England gegenüber als Verlierer stilisierten sollten (Verlust der Lombardei und der Österreichischen Niederlande), und elf weiteren Geheimartikeln, die genau diesen Charakter des Kriegsverlierers wesentlich ins Gegenteil verkehrten, sicherte sich die Habsburgermonarchie im Austausch gegen ihre linksrheinischen Besitzungen die Aussicht auf das ganze Venezianische Gebiet, einschließlich Istriens und Dalmatiens bis zur Westgrenze des Oglio zu284. Ein über lange Zeit verfolgter, aber nie für möglich gehaltener, geostrategisch äußerst vorteilhafter Tauschplan schien in greifbare Nähe gerückt – die Habsburgischen Niederlande im Norden, weit weg vom Einfluss der Erblande, gegen das im Süden direkt angrenzende Venedig. Das Direktorium aber forderte neben den habsburgischen Nie279 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände, 15–3, Punti fissati coll’Imperatore nel febbaio 1784. Übersetzung zit. nach Wandruszka, Leopold II, Bd. II, S.78. 280 Ferrero, Abenteuer, S. 156. 281 Ediert u. a. bei Napoléon, Correspondance, II. Bd., S. 648–653. 282 Es war der französischen Armee ohne gesicherte Nachschublinien unmöglich in Kärnten und der Steiermark zu bleiben. Zurückkehren ins Oberitalienische konnte er so kurz vor Wien auch nicht, um einen Fehlschlag nicht zugeben zu müssen, was alle vorherigen Waffenerfolge egalisiert hätte. Die Einnahme von Wien, um einen Diktatfrieden realisieren zu können, war ohne weitere Truppen aber ebenfalls unmöglich. Vgl. Ferrero, Abenteuer, S. 209, 212f. 283 In seinem Rechtfertigungsbrief vom 19. April an das Direktorium argumentierte Napoleon für die Richtigkeit seiner Taktik und verwies auf die von Paris unterlassene Truppenvermehrung von 26.000 Mann, die zur »Zerstörung des Kaisers« in Wien notwendig gewesen wären  : »Si je me fusse, au commencement de la campagne, obstiné à aller à Turin, je n’aurais jamais passé le Pô  ; si je m’étais obstiné à aller a Rome, j’aurais perdu Milan  ; si je m’étais obstiné à aller à Vienne, peut-être aurais-je perdu la République. Le vrai plan de campagne pour détruire l’Empereur était celui que j’ai fait, mais avec 6000 hommes de cavalerie et 20000 hommes de plus d’infanterie.« So in  : Napoléon, Correspondance, II. Bd., S. 656. 284 Präliminarfrieden von Leoben in Hüffer u. a., Der Frieden, S. 176–179, sowie bei Napoléon, Correspondance, II. Bd., S. 648–653.

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derlanden eine Expansion bis zum Rhein. Darüber konnte Kaiser Franz jedoch als Oberhaupt der »monarchische[n] Union von Ständestaaten«285 nicht frei verfügen, stand es doch auch seiner Herrschaftsauffassung als semper Augustus, als ›Mehrer des Reiches‹286 entgegen. Mit seiner Zustimmung stünde er vor der Geschichte und für sein Haus nur als ›Verkleinerer des Reiches‹, was aber genau das Direktorium verlangte. Monatelange Verhandlungen zwischen der Habsburgermonarchie und Frankreich, welche die Zugeständnisse von Leoben gerade hinsichtlich Venedigs abändern wollten, folgten  : »Es ist nur allzu klar«, instruierte das Direktorium während der Vertragsverhandlungen Napoleon, »wenn man dem Kaiser Venedig, Friaul, Padua, die terra ferma bis zur Etsch, die ins Herz der Lombardei dringt, überlässt, so wird Österreich Neapel und Toskana die Hand reichen, von Istrien und Dalmatien gar nicht zu sprechen, deren Lage und Wert selbst die Lombardei übertreffen. Die zisalpinische Republik an allen Grenzen von dieser gierigen Macht eingekreist, müsste ihr bald zum Opfer fallen und wir könnten sie nicht halten, sondern würden ganz aus Italien hinausgedrängt. Wir hätten nicht den Frieden herbeigeführt, sondern nur den Krieg vertagt und Österreich das Mittel geliefert uns mit Vorteil anzugreifen. Ein solcher Vertragsabschluss würde uns in die Lage des Besiegten versetzen«287.

Eine Landbrücke von Wien über die Toskana bis Neapel war den Kriegszielen des Direktoriums genau entgegengesetzt. Interessant an diesem geostrategischen Worst-CaseSzenario ist, dass die auf strikte Neutralität pochende Toskana, die der Republik noch 1795 in »la constante amitié a toujours eue et aura toujours««288 versprach, von eben dieser eindeutig, wie auch das angeheiratete Bourbonenkönigreich Neapel, als Bestandteil der Habsburgermonarchie angesehen wurde. Ein Faktum, das später noch relevant werden wird. Jedenfalls eine solche Landbrücke wollte man französischerseits angesichts der großen errungenen militärischen Erfolge in Italien nicht hinnehmen. Napoleon solle, würde Österreich auf die Präliminarien weiterhin bestehen, so die Weisung des Direktoriums weiter, wieder den Krieg beginnen. Die Waffen ruhten dennoch aufgrund Napoleons taktischer Überlegungen bis zur Unterzeichnung des Friedens von Campo Formio am 285 Brunner, Das Haus, S. 126. Jüngst hierzu auch Schneider, Zwischen ›Monarchischer Union‹. 286 Nur am Rande sei auf den Kanon gewordenen Übersetzungsfehler verwiesen, infolgedessen man bereits im Mittelalter den Begriff Augustus fälschlicherweise auf das lateinische Verb augere (vermehren, fördern, vergrößern) zurückführte. 287 Direktorium an Napoleon, 29. September 1797, Übersetzung zit. nach Ferrero, Abenteuer, S. 271. 288 Aus dem Beglaubigungsschreiben des toskanischen Unterhändlers, Giacomo Marulli, datiert auf den 12. Dezember 1797, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 1, sign. 5.

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17. Oktober 1797  : Er wusste, dass, wenn es im April mit dem Affekt der Überraschung schon nicht gelungen war Wien einzunehmen, jetzt mit dem dortigen Alarmzustand ein solches Vorhaben im Vorneherein zum Scheitern verurteilt sein musste289. Der Frieden, der eigentlich in Passeriano bei Udine unterzeichnet wurde, aber zu Campo Formio datiert ist, beendete den Ersten Koalitionskrieg und setzte »das große Chaos des Abendlandes«290 – eine Abfolge von weiteren Kriegen, wie vom Direktorium befürchtet, in Gang. Die Inhalte dieses Vertrages wären für die vorliegende Arbeit eigentlich irrelevant, wenn nicht Erzherzog Ferdinand mit all jenen der Habsburgermonarchie darin in Aussicht gestellten Gebietserwerbungen nach seiner Vertreibung aus der Toskana 1799 als möglicher Landesherr in Verbindung gebracht worden wäre. Der Friedensvertrag beruhte mit seinen 25 offiziellen und 17 geheimen Artikeln im Wesenskern auf den Präliminarien von Leoben. In den veröffentlichten Artikeln verzichtete die Habsburgermonarchie zugunsten Frankreichs sowohl auf ihre Besitzungen in den Niederlanden (Art. III)291, als auch auf die venezianischen Inseln der Levante, sowie auf ihre italienischen Besitzungen, wie die Lombardei, Brescia, Mantua, die Legationen292, Modena, Cararra und Massa. Jene letzteren wurden der neugeschaffenen Cisalpinischen Republik zugeschlagen, die somit auch vom Erzhaus selbst anerkannt wurde (Art. VIII)293. Dagegen sollte die Habsburgermonarchie die Stadt Venedig, und den Teil Venetiens bis zur Etsch erhalten, dazu das Gebiet um Cattaro an der Adria sowie Istrien und Dalmatien – was nichts anderes war als eine beeindruckende und nicht weniger illegitime Expansion, denn die Habsburgermonarchie hatte darauf niemals einen Besitztitel. Der Art. XX bestimmte die Einberufung eines Kongresses in Rastatt, der offiziell den Frieden zwischen dem Reich und Frankreich aushandeln sollte294. Inoffiziell verpflichtete sich allerdings das Oberhaupt des Reiches dazu, seine »bons offices«295 auf dem Kongress dahingehend einzusetzen, dass Frankreich die Rheingrenze einschließlich der Festungen Mannheim und Mainz erhalten wird, sofern Frankreich seine ›bons offices‹ dazu gebraucht, dass der Habsburgermonarchie das Erzbistum Salzburg, ganz Tirol sowie das Gebiet zwischen Inn und Salzach zugeschlagen würde296. 289 Vgl. ebd., S. 262. Ein Umstand den die jüngere Untersuchung zum Italienfeldzug zu übersehen scheint  : Boycott-Brown, Rivoli, S. 522f. 290 Ferrero, Abenteuer, S. 275. 291 Vgl. Heinrich Wolfensberger/Frankreich  : Napoleonische Friedensverträge. Campo Formio 1797, Lunéville 1801, Amiens 1802, Preßburg 1805, Tilsit 1807, Wien-Schönbrunn 1809. Bern 1946, S. 8. 292 Gemeint sind  : Bologna, Ferrara, Mesola und die Romagna. 293 Vgl. ebd., S. 9. 294 Vgl. ebd., S. 11. 295 So in Art. I der Articles secrets, zit. nach  : ebd., S. 12. 296 »Art. V. La République française emploira ses bons offices pour que S.M. l’Empereur acquière en Allemagne

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Die Säkularisation kirchlichen Besitzes zum geostrategisch günstigen Ausbau und zur Zentralisierung des eigenen Herrschaftsraumes lässt keinen Zweifel daran, wie wenig sich die Habsburgermonarchie, in der Hoffnung auf beträchtliche Gebietsgewinne für die Dynastie, noch mit dem Reich eigentlich identifizierte. Auch die militärisch hochbrisante Vereinbarung, die Habsburgermonarchie halte sich im Falle eines Reichskrieges mit der Republik weitgehend zurück, sollte auf dem angesetzten Kongress keine Einigung erreichbar sein, deutet in diese Richtung297. Die damit von Wien beschlossene Inkaufnahme eindeutiger Rechtsbrüche im Frieden von Campo Formio, sei es die Säkularisation alter geistlicher Herrschaften, die Annexion Venedigs, oder der faktische Koalitionsbruch mit England – schließlich trat man in ein Militärbündnis mit Frankreich ein – all das wurde später von früherer Geschichtsschreibung Kaiser Franz selbst zur Last gelegt und so ein weitgehend negatives Charakterbild von ihm gezeichnet298. Gegen diese Diktion wendet sich die jüngere Franz-Biografik, die sein Regierungshandeln insofern treffender bewertet, als dass sie ihm ein »kühles Interesse des aufgeklärten Fürsten« attestierte, »der aufgibt, was weniger wichtig ist, tauscht, was nützlich erscheint und zur Abrundung nimmt, was er bekommen kann ohne Rücksicht auf Tradition und Volkswille«299. Damit folgte er – wie hergeleitet – konsequent dem schon von Josef II. vorformulierten ›politischen Zweck‹ mithilfe einer geostrategischen Neuausrichtung, durch Arrondieren, die Monarchie zu stärken. Auch in den Folgejahren wird dieses Vorgehen bei ›günstigen Gelegenheiten‹300, die sich vor allem in Verbindung mit seinem Bruder Erzherzog Ferdinand ergeben sollten, weiterhin zu beobachten sein. l’Archevêché de Salzbourg, et la partie du cercle de Bavière située entre l’Archevêché de Salzbourg, la rivière de l’Inn et de Salza, et le Tirol y compris la ville de Wasserbourg sur a rive droite de l’Inn avec l’arrondissement d’un rayon de trois mille toises.« Zit. nach  : ebd., S. 14. 297 »Et si, malgré les bons offices de S.M. l’Empereur […], l’Empire germanique ne constait pas `l’acquisition par la République française de la ligne de limite ci-dessus désignée, S.M. l’empereur et Roi s’engage formellement à ne fournir à l’armée d’Empire que son contingent, qui ne pourra être employé dans les forteresses, sans que par là il soit porté aucune atteinte à la paix et à l’amitié qui viennent d’être établies entre Sadite Majesté et la République française«, so in Art. I der Articles secrets, zit. nach  : ebd., S. 13. 298 Beispielsweise der deutschnationale Historiker Heinrich von Treitschke warf ihm aufgrund des Friedens von Campo Formio vor  : Er habe aufgrund »der ganzen Starrheit eines gedankenlosen Kopfes« (S.124) zugelassen, dass »wieder einmal das Heilige Reich die Buße zahlen [sollte] für Österreichs Niederlagen und wieder, heuchlerischer denn je zuvor, erklangen am Reichstage jene weihevollen reichsväterlichen Phrasen, womit die undeutsche Kaisermacht ihre Hauspolitik zu bemänteln pflegte.« So in Heinrich von Treitschke  : Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Leipzig 1927, S. 160. 299 Ziegler, Franz II, S. 66. 300 In seinen Punti fasste, wie erwähnt, Peter Leopold das Gespräch mit seinem Bruder Joseph II. zusammen, dass es Absicht der Habsburgermonarchie zu sein hat »bei günstiger Gelegenheit zuzugreifen und die Monarchie zu vergrößern und durch Abrundung zu stärken.« HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände, 15–3, Punti fissati coll’Imperatore nel febbaio 1784. Übersetzung zit. nach Wandruszka, Leopold II, Bd. II, S.78.

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Jener Bruder spielte zwar bei den Friedensverhandlungen in Udine keine entscheidende Rolle, aber seine Vermittlertätigkeit mit Clarke im Vorfeld, im Februar 1797, ist an Bedeutung durchaus nicht zu unterschätzen. Gerade diese beweist, um mit einem kurzen Resümee zu enden, dass Erzherzog Ferdinand mit seinem Entscheidungshandeln im Krieg nicht nur der Primogenitur vor Augen führte, dass man mit der Revolutionsrepublik durchaus auch auf zivil-diplomatischer Ebene ›politischen Verkehr‹ erfolgreich führen konnte  : Erzherzog Ferdinand blieb immerhin noch in seiner Herrschaft, während andere ihre Posten zu räumen hatten. Erzherzog Ferdinands Politik im Krieg mit dem revolutionären Frankreich machte in Wien zum einen deutlich, dass Paris ihn als Verhandlungspartner akzeptierte, wenn nicht gar schätzte, zum anderen, dass ›politische Zwecke‹ trotz aller ideologischer Unterschiedlichkeiten erreicht werden können, sogar durchaus lukrative Geschäfte möglich sind, wenn man sich nur an das Prinzip des do-utdes hielt und einer nach Verständigungshandeln ausgerichteten Politik folgte. Diese in der Toskana gemachte Erfahrung hatte also nicht nur nachhaltige Folgen für Erzherzog Ferdinands weiteres Regierungshandeln an Salzach und Main, sondern auch in Wien nutzte man in passenden Situationen den von Florenz vorbereiteten Weg für Verhandlungen, wie sich 1797 zeigte. Um es deutlich zu sagen  : Was zuvor von der Sekundogenitur in Florenz ab 1792 erprobt worden war, zeigte sich der Primogenitur ab 1797 in den Friedensverhandlungen und mit dem günstigen Ergebnis von Campo Formio. Natürlich hat Wien im Anschluss daran nicht das Florentiner Regierungshandeln, die Verständigung mit Frankreich, imitiert – im Gegenteil. Keine absichtsvolle Nachahmung eines Verständigungshandelns seitens der Wiener Regierung lässt sich archivgestützt nachweisen. Überhaupt findet man für die ersten Regierungsjahre keinen eindeutigen Beleg dafür, dass Erzherzog Ferdinand Kaiser Franz konkret in seinen Entscheidungen im Umgang mit Frankreich, in der Frage von Krieg und Frieden beeinflusst hätte. Die eng geführte Korrespondenz zwischen beiden Brüdern allerdings gar nicht als Teil der ›Herstellung bindender Entscheidungen‹ innerhalb des Erzhauses zu werten, wäre indes ebenso falsch. Mit seiner Neutralitätspolitik und seinen Friedensappellen gehörte Erzherzog Ferdinand eben auch zu den »Wortführern der Friedenspartei […] im engsten Familienkreis«301, wie Kaiser Franz’ zweite Frau Maria Theresa von Neapel-Sizilien (1772–1807) und Erzherzog Carl. Sie waren der Widerpart gegen den kaiserlichen Beraterkreis, der ›Interventionalisten‹. Ihre Stimmen kamen erst dann wirksam zur Geltung, als Metternich nach 1809 planvoll die Verbindung zu Napoleon suchte, um ihn effektiv bekämpfen zu können. Erzherzog Ferdinands Verständigungshandeln mit Frankreich während des Ersten Koalitionskrieges, das statt des Bekämpfens das Verteidigen beabsichtigte und 301 Ziegler, Kaiser Franz, S. 17.

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somit aber nicht weniger fassadenhaft war als die Frankreichpolitik des Haupthauses nach 1809, entsprang allerdings nicht aus freier Wahl. Er konnte in der Toskana keinesfalls innerhalb seines nun ausführlich als determiniert beschriebenen Handlungshorizonts selbstbestimmt zwischen der einen Option, den Gegner »durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen«302 und der anderen Option, diplomatischer Bemühungen, wählen. Er musste sich für Herrschaftsverlust oder eben für letztere entscheiden. Es stimmt also, dass es »in der für die erste Regierungshälfte [von Kaiser Franz und Erzherzog Ferdinand, Anm. d. Verf.] so wichtige[n] Frage von Krieg und Frieden […] stets auch unter den Brüdern, sehr verschiedene Ansichten [gab], die mit richtig oder falsch kaum zu klassifizieren sind«303. Erzherzog Ferdinand hatte in der kleinen, militärisch ohnmächtigen Toskana keine Handlungsalternative. Aus der großen Wiener Perspektive hatte man ganz andere, vielfältigere Möglichkeiten. Betrachtet man die Habsburgermonarchie indes als Handlungseinheit, als ›souveränen Gesellschaftsverband‹, führte sie den ›politischen Verkehr‹ zur Erreichung ihres ›politischen Zweckes‹ im Ersten Koalitionskrieg mit militärischen Mitteln und gleichzeitig mit zivil-diplomatischen Mitteln. Die in der Monarchie ›angestellten‹304 Nachgeborenen Peter Leopolds versahen darin lediglich verschiedene Aufgaben. Erzherzog Ferdinand übernahm, ob freiwillig und selbstbestimmt oder nicht, die Aufgabe der zivildiplomatischen Kommunikation mit dem Kriegsgegner. Er verstand sich ja als Mitarbeiter der Dynastie und er verständigte sich in der Toskana mit »diesen Franzosen«305, wie er selbst sagte, »aus Liebe für dich [Kaiser Franz, Anm.d.Verf.] und für das Beste deiner Person und deiner Länder und unseres Hauses« 306. Der Weg, den Erzherzog Ferdinand in der Toskana begann und später konsequent in Würzburg weiterbeschritt, sollte der Habsburgermonarchie in den nächsten Jahren noch wertvolle Dienste leisten. Ihr bot sich durch die von Erzherzog Ferdinand in den folgenden Jahren geschaffene diplomatische Brücke, einer Verständigung mit Napoleon, eine äußerst dienliche Handlungsalternative zur militärischen Auseinandersetzung im ›politischen Verkehr‹ mit der aufstrebenden Hegemonialmacht Frankreich. Allerdings sollte aus der Perspektive Wiens Erzherzog Ferdinand damit eben nur eine Funktion erfüllen, 302 Clausewitz, Vom Kriege, S. 191f. 303 Ziegler, Franz II, S. 64. 304 Er schrieb bekanntlich in seinen Punti, »dass […] man öffentlich sagen soll, dass alle meine Kinder dazu bestimmt seien, in der Monarchie angestellt zu werden.« HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände, 15–3, Punti fissati coll’Imperatore nel febbaio 1784. Übersetzung zit. nach Wandruszka, Leopold II, Bd. II, S. 73  ; Vgl. Kap. II. 1.2, S. 90f. 305 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 36-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 20. August 1796. 306 Ebd., Ferdinand an Franz, Florenz, 10. September 1796, Orig. eigh.

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ein Werkzeug der Dynastie sein und nicht eigenmächtig und auf eigene Faust agieren. Das verdeutlicht sich in den geschilderten Vorgängen Mitte 1794 bis Anfang 1795, als Kaiser Franz die erneuten Verhandlungen zwischen Paris und Florenz als eigenmächtiges Ausscheren aus der Koalition verstand und deswegen die Kommunikation zwischen den Brüdern im Ton schärfer wurde. Im Angesicht großer militärischer Erfolge anfangs 1794 störte das Verständigungshandeln mit dem Kriegsgegner eines kleinen Teils der Habsburgermonarchie den Kriegskurs des größeren Ganzen und die Primogenitur wollte sich die Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden von der Sekundogenitur nicht aus den Händen nehmen lassen, ihre eigenen Entscheidungen nicht durch Entscheidungen aus Florenz präjudizieren zu lassen. Deswegen schickte auch Kaiser Franz im April 1797 Manfredini schnellstmöglich von Wien ohne Ergebnisse wieder weg, damit es bei den Koalitionären nicht so aussah, als ob Wien über den Umweg Florenz mit Paris paktiere. Deswegen hatte auch Manfredini beim ersten Zusammentreffen mit den Kommandierenden der Italienarmee tunlichst die Generalsuniform der Habsburgermonarchie zu vermeiden. Deswegen hob Erzherzog Ferdinand wiederholt deutlich hervor, dass er, wie er schrieb, »allein vür [s] ich tractiert«307 habe. In der Toskana genügte noch das für Kaiser Franz typische Kommunikationsmittel seiner autographierten Privatkorrespondenzen mit der ihm eigenen »eindrucksvollen Mischung aus brüderlicher Sorge und herrschaftlicher Weisung«308, um das Entscheidungshandeln der eigentlich souveränen Sekundogenitur zu beeinflussen. Später, mit Regierungsantritt Erzherzog Ferdinands in Salzburg, dem Vorposten der Monarchie, war ein eigenmächtiges politisches Agieren der Sekundogenitur für Wien wesentlich gefährlicher als im weit von Wien entfernten Land Toskana. Ein neutrales Salzburg vor den Toren der Kernlande durfte es nicht geben. Wie gleich zu schildern sein wird, zielte der Brudervertrag von 1802 deshalb auch darauf ab, den Aushandlungsprozess zwischen Primogenitur und Sekundogenitur zu beenden und die künftige Herrschaft Erzherzog Ferdinands lediglich als Eigenverwaltung festzuschreiben, die aber nicht den Charakter einer eigenverantwortlichen Selbstständigkeit, oder gar einer staatlichen Souveränität haben sollte. Einen Abschluss im Aushandlungsprozess brachte dieser Brudervertrag noch nicht, wie zu zeigen sein wird, aber er wurde Grundbestandteil von Erzherzog Ferdinands Entscheidungshandeln im Rheinbund und in den auf den auf den Frieden von Campo Formio folgenden Napoleonischen Hegemonialkriegen, denn so »solide et invoilable«309, wie man sich »pour 307 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 35-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 14. März 1795. 308 Ziegler, Franz II, S. 67 309 »Il y aura à l’avenir et pour toujours, une paix solide et inviolable entre Sa Majesté l’empereur des Romains,

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toujours« 1797 versprach, war der ›politische Verkehr‹ der Habsburgermonarchie und Frankreich in Wirklichkeit nicht geworden. 1.4 Bruderliebe und Souveränitätsanspruch – Erzherzog Ferdinand zwischen den Kriegsfronten

Obwohl der Frieden von Campo Formio zwar die Kriegshandlungen mit der Habsburgermonarchie beendete und man den ›politischen Verkehr’ nun auf dem im Dezember 1797 beginnenden Kongress von Rastatt zivil-diplomatisch austrug, war der Krieg in Europa nicht zu Ende, freilich auch der französisch-englische Dualismus nicht. Er bekam durch das Ausgreifen der französischen Republik auf Ägypten sogar erst seine globale Dimension310. Der Zweite und Dritte Koalitionskrieg, um die es im Folgenden gehen soll, verteilten die Macht nicht nur in Europa und insbesondere in Italien revolutionär neu, sondern führten auch zu gewaltigen Machtverschiebungen innerhalb der Familie der Habsburg-Lothringer. In Italien schwelten auch nach dem Frieden noch Konflikte, denn der Kirchenstaat unterdrückte massiv von Seiten Frankreichs gezielt geschürte, revolutionäre Stimmung in Rom311. Als Reaktion darauf versammelte die Cisalpinische Republik mit Hilfe der Mutterrepublik Frankreich Truppen in Ancona – bereit, die Republikaner in Rom zu unterstützen312. Das Direktorium wollte sich endlich vom Einfluss des Papstes entlediroi de Hongrie et de Bohême, ses héritiers et successeurs et la République française.« So in  : Art 1 zit. nach  : Wolfensberger u. a., Napoleonische Friedensverträge, S. 13. 310 Die Niederwerfung der rivalisierenden Mamelucken-Parteien durch Napoleon bewirkte zudem das Eingreifen des Osmanischen Reiches in den Krieg, welches seinerseits bis 1812 gegen Frankreich, die Serben, Rumänen, Araber, und das Zarenreich focht. Vgl. Förster, Der Weltkrieg, S. 25. Zur Expedition nach Ägypten allgemein  : Yves Laissus  : L’Egypte, une aventure savante. Avec Bonaparte, Kléber, Menou, 1798–1801. [Paris] 1998, Mustafa el Attar  : Napoleon in Ägypten. Geschichtserfindung und historische Wahrheit. Münster 2007. Die Angst vor einer Invasion Napoleons auf dem Landweg nach Indien gab der britischen Regierung die Möglichkeit, eigene expansionistische Ziele dort umzusetzen und bekriegte Mysore, die Marathenkonföderation sowie kleinere indigene Mächte. Dazu  : Stig Förster  : Die mächtigen Diener der East India Company. Ursachen und Hintergründe der britischen Expansionspolitik in Südasien 1793–1819. Stuttgart 1992, S. 119–256. 311 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 142. Viel ausführlicher als dies hier möglich ist, da wie erwähnt in diesem Kapitel nur schlaglichtartig das Entscheidungshandeln Erzherzog Ferdinands beleuchtet werden soll, empfiehlt sich für den Zeitraum 1797–1799  : ebd. S. 151–183. Sowie Michael Groblewski/Angelica Gernert  : Von den italienischen Staaten zum ersten Regno d’Italia. Italienische Geschichte zwischen Renaissance und Risorgimento (1559–1814), in  : Wolfgang Altgeld (Hg.)  : Kleine italienische Geschichte. Stuttgart 2002, S. 185–256, Volker Reinhardt  : Geschichte Italiens. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. München 2003, besonders S. 175–185. 312 Zu den Vorgängen in Rom, bei denen der französische General Léonard Duphot (1769–1797), ein Schwager von Joseph Bonapartes, während eines antifranzösischen Aufstandes ums Leben kam, detail-

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gen, wie es schon der vielfach zitierte französische Kriegsplan vom Juli 1796 vorsah313. Papst Pius VI. (1717–1799) weigerte sich auf seine weltliche Macht zu verzichten, ließ aber seine Truppen gegen die heranrückenden Cisalpiner kampflos die Waffen strecken. Knapp 230 km Luftlinie von Florenz entfernt rief man am 10. Februar 1798 in Rom eine neue Republik aus. Im Angesicht dieser umstürzenden Realitäten bemühte sich das Direktorium in Paris um beruhigende Töne für Florenz, wenngleich nur vordergründig314. In Wahrheit versuchte die Cisalpinische Republik in der Toskana eine republikanische Revolution anzuzetteln, infolgedessen nach geplanter Ermordung Erzherzog Ferdinands in einem Theater die Republik Etrurien ausgerufen werden sollte – was aber auch mangels Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten misslang315. Die revolutionäre Verschwörung blieb indes auf einen kleinen Zirkel revolutionsbegeisterter Emigranten begrenzt, wurde rasch aufgedeckt und schließlich der kleinen Gruppe Republikaner der Prozess gemacht316. In diesem Fall bedrohte die Revolution die Herrschaft Erzherzog Ferdinands nicht nur von außen. Diesmal wurde seine ›monarchische Souveränität‹ von innen heraus offen in Frage gestellt. Wieder bat Erzherzog Ferdinand seinen Bruder direkt um Hilfe, erhoffte sich eine konkrete Einflussnahme der Primogenitur zugunsten des Gesamthaulierter als es hier möglich ist, bei Reumont, Geschichte Toscana, S. 280ff. Allgemein zum Verhältnis der Schwesterrepubliken zu Frankreich Alexander Grab  : From the French Revolution to Napoleon, in  : John A. Davis (Hg.)  : Italy in the Nineteenth Century 1796–1900. Oxford 2000, S. 25–50, S. 27f. Dort (S.  30)  : »The independence of the Cisalpinian republic was largely nominal, however, and ultimately the French were in control«. 313 »Le Pape, indépendamment des territoires ci-dessus désignés, cédait su Roi de Neaples, le Duché de Bénévent   ; à la République, Ancône, Cività vecchia avec un territoire de trois lieues de diamètre.« So in, Memorandum Delacroix, 25. Juli 1796, zit. nach Hüffer u. a., Der Frieden, S. 68. 314 Napoleon versicherte Neri Corsini bei dessen Abberufung aus Paris, dass er nur die besten Erfahrungen mit dem Regierungshandeln der Toskana während des Ersten Koalitionskrieges gemacht habe und er freue sich, dass er mit dem Direktorium darüber übereinstimmt  : »J’ai eu à me louer, pendant que j’ai en Italie, de la conduite de la cour de Toscane envers la République française«. Napoléon, Correspondance, XXX. Bd., Nr. 2408, S. 483, Napoleon an Corsini, 14. Januar 1798. Das Direktorium bestätigte dies dem neuen in Paris akkreditierten Gesandten Luigi Angiolini (1750–1821)  : »Das Direktorium legt umso größeren Wert auf die Gesinnungen der toskanischen Regierung, je deutlicher es den friedlichen Charakter des Großherzogs in seinen Beziehungen zur französischen Republik erkannt hat.« Übersetzung nach  : Reumont, Geschichte Toscana, S. 280. 315 Zu den republikanischen Splittergruppen und ihren mangelnden Rückhalt seitens der Bevölkerung der Toskana  : Broers, The Napoleonic empire, S. 39f. 316 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 157. Pesendorfer weist zudem darauf hin, dass aus den Prozessakten herausgefunden werden konnte, dass auch die Ermordung von wichtigen Ratgebern Erzherzog Ferdinands geplant gewesen sei, u. a. auch Manfredini, den man in Kenntnis dessen also zu Unrecht in Wien als »marchese giacobino« betitelte. Vgl. ebd. S. 158. Zu den anderen revolutionären Umsturzversuchen und Gegenmaßnahmen in Italien  : Reinhardt, Geschichte Italiens, S. 176f.

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ses317. Aber die Kommunikationswege zwischen Wien und Florenz waren zu diesem Zeitpunkt faktisch unterbrochen und die Toskana isoliert318. Der Komplott blieb jedoch begrenzt, die Revolution von innen fand in den bestimmenden Bevölkerungsschichten keinen ausreichenden Rückhalt, es blieb bei einer importierten, einer »passiven Revolution«319. Von außen waren aus Florentiner Perspektive die Bedrohungen eines Souveränitätsverlusts aber keineswegs eindämmbar. Nachdem die Französische Republik den Krieg gegen England in Ägypten begann, um den Handel mit Indien zu stören und somit England wirtschaftlich zu bezwingen, sollte die bedrohliche Lage des Erzherzogs im Jahresverlauf noch in einem Krieg eskalieren. Der Zweite Koalitionskrieg

Mit Napoleons Abwesenheit vom europäischen Schauplatz und der von ihm gegen Horatio Nelson (1758–1805) verlorenen Schlacht von Abukir (1. August 1798)320 fühlten sich die Mächte des Ancien Régime stark genug, um neuerlich den Krieg gegen die Französische Republik zu wagen321. Die verlorene Seeschlacht verletzte den Unbesiegbarkeitsnimbus der revolutionären Kräfte nachhaltig und das Zarenreich schloss sich wegen des Verlusts von Malta (11. Juni 1798) – der Zar wurde am 7. November 1798 Großmeister des Malteserordens – der Koalition aus England, Portugal und Neapel genauso an wie das Osmanische Reich, welches Ägypten zu seinem Hoheitsgebiet zählte. Von diesen Großmächten gestützt, rüstete mithilfe von Offizieren der Habsburgermonarchie der Schwiegervater Erzherzog Ferdinands, Ferdinand IV. von Neapel-Sizilien zur »Befreiung des Kirchenstaats von den Franzosen und Republikanern«322. Die nach außen neutrale Toskana hatte somit eine weitere bedrohliche Front im Süden. Der Hof in Wien ließ sich allerdings zu keinem offenen Beitritt zur Koalition und zu einer Kriegserklärung gegen Frankreich bewegen. Er verhandelte während dieser trans317 »Du allein kannst helfen. Wenn aber du nicht Ordnung schaffst, weiß ich nicht, wie es sein wird«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 37-8, Ferdinand an Franz, Florenz, 3. Februar 1798. 318 »Auf die Post ist noch nicht zu trauen« (12. Januar), »Es gibt nichts neues, was man durch die Post schreiben kann« (23. Februar), »Wenn ich nur könnte, käme ich zu dir um dich zu umarmen und von meinen Gesinnungen persönlich [zu] versichern.«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 37-8, Ferdinand an Franz, Florenz, 12. Januar–8. März 1798. 319 Pesendorfer, Ein Kampf, S. 159. 320 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 140. Ausführlicher zur Taktik  : Napoléon I. Bonaparte  : Die Memoiren seines Lebens. In neuer Bearbeitung Hg.. von Friedrich Wencker-Wildberg in Verbindung mit Friedrich M. Kircheisen. Feldzug in Italien 1797. Diplomatsche Verhandlungen und Friedensschluss. Hamburg u. a. 1930, S. 388. 321 Vgl. Groblewski u. a., Von den italienischen Staaten, S. 252. 322 Manifest vom 24. November 1798 an die neapolitanische Armee, zit. nach Pesendorfer, Ein Kampf, S. 165.

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nationalen Kriegsvorbereitung vordergründig noch mit der Französischen Republik um den Frieden im Reich in Raststatt. Deshalb konnte Kaiser Franz auch ein weiteres Mal nicht dem Gesuch aus Florenz um militärischen Beistand nachkommen. Vom Ende her gedacht, sah Erzherzog Ferdinand in dieser Situation weitsichtiger voraus als sein kaiserlicher Bruder. Er ahnte, dass strikte Neutralität vor Herrschaftsverlust nicht retten können würde. Auf seine Anordnung bat Manfredini Kanzler Thugut nahezu flehentlich, doch von Wien wenigstens ein österreichisches Armeekorps in die Toskana zu verlegen, um von dort aus den sich schließenden Ring der Römischen und der Cisalpinischen Satellitenrepubliken wenn nicht zu zerschlagen, so wenigstens mit einer ausreichend bewaffneten österreichischen Toskana zu unterbrechen323. Erzherzog Ferdinand ersuchte realpolitisch für den Augenblick eine Verbesserung der Lage. Bei der Primogenitur mag dieses ständige Bitten um militärischen Beistand jedoch den Eindruck verstärkt haben, die Sekundogenitur sei weiterhin zu hilflos, um ihre Souveränität tatsächlich behaupten zu können – ohne dass dies Eingang in schriftliche Quellen gefunden hätte324. Was sich, ex post betrachtet, als das einzig richtige strategische Vorgehen für den Erhalt der Toskana für die Habsburgermonarchie herausgestellt hätte, wurde in der Hofburg abgelehnt, pikanterweise mit dem Hinweis auf die eigene Neutralität, welche sie seit dem Frieden von Campo Formio für sich eingenommen hätte325. Am 23. November 1798 rückten die neapolitanischen Streitkräfte in die Römische Republik ein, flankiert von einem Unternehmen, welches den endgültigen Herrschaftsverlust für Erzherzog Ferdinand bewirken sollte. Tags zuvor wurden ca. 5.000 neapolitanische Soldaten auf portugiesische und englische Schiffe gegen Livorno befohlen, um den möglichen Rückzug der Franzosen aus Rom in der linken Flanke zu bedrohen326. Wie bereits 1793 wurde Livorno besetzt, um die florentinische Regierung zum Abrücken von ihrem vordergründigen Neutralitätskurs zu bewegen, diesmal aber auch um die Habsburgermonarchie in eine erneuerte Koalition zu zwingen327. Aber weder die 323 Die Truppenentsendung solle geschehen, um Erzherzog Ferdinands Schwiegervater, dem König von Neapel-Sizilien »gegen die Franzosenfeinde freie Hand zu geben.« So in  : HHStAW, Stk, Toskana 34, Manfredini an Thugut, Florenz, 30. August 1798. Zu Napoleons Italienpolitik nach Campo Formio Näheres bei  : Salvatorelli, Napoleon und Europa, S. 180–183. 324 Der sarkastische Subtext in Thuguts Antwort auf das Truppengesuch aus Florenz legt diese Vermutung allerdings nahe  : Man sei in der Hofburg überzeugt, dass »die hohe Weisheit Seiner Königlichen Hoheit schon im Voraus alle Maßnahmen zur Vorsorge [im Kriegsfall] treffen werde.« Zit. nach Pesendorfer, Ein Kampf, S. 164. 325 Vgl. ebd. 326 Vgl. Reumont, Geschichte Toscana, S. 283. 327 Nelson, der von Abukir über Neapel, die Militäraktion in Livorno begleitete, schrieb an William Frederick Wyndham (1763–1828), den Vertreter Englands in Florenz am 28. Januar 1799  : »Toskanas imaginäre Neutralität wird sein Ruin sein. Es kann diese Neutralität weder für uns noch für Neapel aufrechterhalten, und der Name wird zum Vorteil Frankreichs prostituiert. […] Verliert der Kaiser Toskana und

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über den Umweg Florenz nach Wien gerichteten barschen Worte Nelsons, noch die wegen anhaltender militärischer Ohnmacht zu erduldende Besetzung des Landes durch englisch-neapolitanische Truppenverbände und der damit verbundenen bedrohlich ungewissen Haltung der Republik, vermochten den engsten Beraterkreis um Erzherzog Ferdinand von der Hoffnung auf die Effizienz ihres bisher verfolgten Entscheidungshandelns abzubringen328. Was blieb ohne Habsburgertruppen auch anderes übrig  ? Die Florentiner Regierung wiederholte ihre Handlungsstrategie im Vertrauen auf ›die guten Gesinnungen Frankreichs‹ wie schon zuvor im Ersten Koalitionskrieg  : Sie klagte die Missachtung der Neutralität gegenüber den (verwandtschaftlich verbundenen) Besatzern scharf an329, betonte die unverschuldete und ungerechte Behandlung durch fremde Truppen in aller Öffentlichkeit, vor allem gegenüber Frankreich330. Aber die Situation verbesserte sich nicht, im Gegenteil. Die Französische Republik drängte Ende 1798 innerhalb von drei Wochen mit den Resten einer kampferprobten und schlagkräftigen Italienarmee die Neapolitaner in den Schlachten von Fermo, Civita Castellana und Otricoli zurück331. Gleichzeitig beauftragte das Direktorium General Jean Sérurier (1742–1819) mit der Wiederherstellung der Neutralität in der Toskana und ca. 6.000 Mann zogen über Pistoia mit dem Ziel Neapel – wozu, ich erkühne mich es zu sagen, das Verhalten seines Ministeriums mehr beiträgt als die französischen Waffen – so kann er seinen neuen (italienischen) Ländererwerb nicht bewahren. Aktives, nicht passives Handeln bietet die einzigen Waffen gegen dies Schurken. Wir haben wahrlich keinen Grund dem Großherzoge durch unser Verhalten Verlegenheiten zu bereiten, im Gegenteil ist es unsere Pflicht, S.K.H. gegen französische Tyrannei zu schützen. […] Wenn der Kaiser nicht rasch vorgeht, wird unsere Flagge seine einzige Sicherheit sein. Toskana hat die Wahl entweder mannhaft zu handeln und das Waffenglück zu versuchen, oder binnen weniger Wochen die Zahl der französischen Eroberungen zu mehren und eine neue Republik zu bilden«. Zit. nach ebd., S. 287. 328 Manfredini schrieb an seinen Vertrauten Leonardo Frullani, den Gouverneur von Livorno, beruhigende Nachrichten aus Paris  : »Respiriamo. Ieri giunse il Giorgi da Parigi  ; e sebbene io non abbia letti i dispacci, risulta che non vi è animosità contro dì noi  ; che non ci faranno la guerra  ; che la nostra riputazione è radicata  ; che Angiolini si è condotto a meraviglia  ;« So in  : Manfredini an Frullani, Pisa, 25. Dezember 1798, zit. nach  : Filippo Antonio Gualtieri  : Gli ultimi rivolgimenti italiani. Memorie storiche con documenti inediti. Firenze 1850, S. 259. 329 Man drohte dem Schwiegervater nach Neapel, dass man alle Kräfte zur Bewahrung und Behauptung der toskanischen Neutralität zu tun gedenke  : »per […] la perfetta neutralità a questo paese, per la ferma volontà di S.A.R. di volverà sostenere con tutta la sua autorità, e con tutti gli sforzi del suo populo che senza mistero altamente la desidera e la reclama.« So in  : Manfredini an Frullani, Pisa, 31. Dezember 1798, zit. nach ebd., S. 261. 330 Vittorio Fossomroni gab an alle auswärtigen in Florenz akkreditieren Gesandten ausländischer Höfe die Verlautbarung am 30. November 1798 heraus, man hoffe, jeder wisse, dass die florentinische Regierung unschuldig sei  : »Il Governo di S.A.R. il Granduca, […] nuire speranza, che l’occupazione sera breve, e che la Corte e Nazione che Ella rappresenta, saprà apprezzare la Sua innocenza in un fatto che giustamente lo ha amareggiato«. Zit. nach  : Zobi, Storia civile, III, Appendice, S. 65. 331 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 142.

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Livorno332. Da die Neapolitaner aber bereits aus Rom zum Jahresende vertrieben worden waren, zogen sie sich bereits in den ersten Januartagen 1799 aus Livorno zurück und eine Invasionsrechtfertigung des Direktoriums war somit fürs Erste hinfällig333. Man begnügte sich damit, an der Nordgrenze der Toskana für die Auflösung der Adelsrepublik Lucca zu sorgen (4. Februar 1799) und im Süden, als Folge des erfolglosen neapolitanischen Alleingangs, mit der Schaffung der kurzlebigen Parthenopäischen Republik am 23. Januar 1799334. Jetzt war der Ring französischer Satellitenrepubliken um Erzherzog Ferdinand komplett geschlossen, was die von Erzherzog Ferdinand und Manfredini eingeforderte militärische Intervention der Habsburgermonarchie hätte verhindern sollen. Allen Vereinbarungen zur Neutralität zwischen Toskana und Frankreich zum Trotz, wider alle gegenseitige Versicherungen immerwährender Freundschaft, die Florenz gegenüber Wien so ermüdend oft verteidigen musste, beschloss das Direktorium in seiner ­Sitzung vom 27. Februar, dass Livorno und die Toskana einzunehmen seien – sollten die Kampfhandlungen in Italien wieder beginnen. Dem nicht genug, verfügte eine geheime Instruk­tion für Barthélemy Scherer (1747–1804), den Oberbefehlshaber der französischen Italienarmee, dass, sollte sich der Großherzog wiedersetzen, er sofort zu inhaftieren sei. Füge er sich, solle ihm gestattet werden, sich nach Wien zurückzuziehen, wenn er verspräche, auch dort zu bleiben335. Bemerkenswert an dieser Instruktion ist zudem, dass darin explizit steht, dass, sollte Erzherzog Ferdinand die Vermittlung eines Friedens mit der Habsburgermonarchie vorschlagen, das Direktorium auf der Räumung Venetiens bestehe und es im Gegenzug dem Kaiser die Zubilligung aller künftig eroberten Territorien des Osmanischen Reiches in Europa gewähre336. Man nahm in Paris also an, Erzherzog Ferdinand, den man selbst 332 In der Sitzung des Direktoriums vom 8. Dezember wurde »l’occupation de Livourne par les Britanniques« vermeldet. So in  : AN, AF III 561, plaquette 3791, pièces 1–3. Am 12. Dezember befahl das Direktorium »de barrer l’entrée des présides de Toscane aux troupes françaises venant empêcher les britanniques de s’approvisionner.« So in   : Ebd. plaquette 3799, pièces1–4. Schließlich am 14. Dezember beschlossen, im Falle noch keine Kriegserklärung der Habsburgermonarchie vorläge, den Einmarsch in die Toskana insofern zu rechtfertigen, »que ce n’est que pour en expulser les Napolitains et les Anglais […] que d’ailleurs le Grand Duc, en éloignant de lui toute influence ennemie, peut rester tranquillement dans ses états, qu’on ne changera rien aux formes du gouvernement ni à la religion et qu’on y respectera les propriétés.« So in  : Ebd., AF III 562, plaquette 3805, pièces 1–9. 333 Vgl. Grab, From the French Revolution, S. 31. 334 Vgl. Reinhardt, Geschichte Italiens, S. 179. 335 Man vergaß nicht, auch Scherer zu beauftragen, der englischen Kaufleute und derer reichen Ressourcen habhaft zu werden. So in  : AN, AF III., 581, plaquette 3970, pièce 44. 336 »Si le Grand Duc évoque des projets de paix avec l’Autriche, lui répondre que la France veut que les ex-états vénitiens soient évacués et s’engage à remettre en compensation à l’Empereur tous les territoires qu’elle conquerra sur la Turquie en Europe«, so in  : Ebd.

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im Februar 1797 mit einem Friedensangebot für Wien betraut hatte, habe nun eventuell seinerseits von Wien aus Instruktionen für eine Friedensunterhandlung erhalten, wofür man den Armeechef vorbereitet wissen wollte. Paris sah in Erzherzog Ferdinand keinen souveränen Fürsten, sondern einen Habsburger Statthalter in der Toskana. Auf der entgegengesetzten Seite wollte allerdings zu diesem Zeitpunkt der Wiener Hof die Sekundogenitur mit der Rolle als »Gesprächsrohr« im ›politischen Verkehr‹ mit dem Kriegsgegner (noch) nicht betrauen. Erneut standen die Zeichen in der Hofburg auf Krieg. Die Kriegsvorbereitung der Habsburgermonarchie und der Zusammenschluss zur zweiten antifranzösischen Koalition bot der Republik schließlich Anlass, das bereits 1796 seitens des Direktoriums aufgestellte Kriegsziel, »d’expulser totalement la maison d’Autriche de l’Italie«337, endgültig umzusetzen. Am 12. März 1799 erklärte das Direktorium der Habsburgermonarchie und im gleichen Atemzug der Toskana den Krieg. Für Frankreich hatte der Feind zwei Gesichter, die zweier Brüder eines Hauses. Im Protokoll dieser Direktoriumssitzung kann man diesbezüglich lesen  : »Le Directoire exécutif ayant pris séance rédige et adresse un message au Conseil des Cinq-Cents pour le prévenir qu’après avoir épuisé tous les moyens de conciliation avec l’Empereur, il a reconnu que celui-ci n’avait cherché qu’à se mettre en mesure de recommencer la guerre avec avantage, qu’il appelle à cet effet des armées de Russes dans ses états et ceux de l’Empire, et qu’il s’est associé le Grand Duc de Toscane, dont l’astucieuse politique n’a cessé de servir fidèlement la coalition sous le voile de la neutralité, que, dans cette circonstance, le Directoire exécutif a pris les mesures qu’il a cru nécessaires pour la deffense de l’État. Le Directoire termine par proposer au Corps législatif de déclarer la guerre à l’Empereur roi de Hongrie et de Bohème et au Grand Duc de Toscane.«338

Es wird hieran deutlich, für das Direktorium zählte das innerhabsburgische Ringen um die Neutralität der Toskana ebenso wenig wie der scharfe Protest Erzherzog Ferdinands gegen den Schweigervater. In Paris sah man in jedem Habsburger in Italien einen Feind. Jene hier vorgeworfene ›hinterlistige Politik’, die Erzherzog Ferdinand zum ›Wohl der Koalition’ und bei ›Verletzung seiner Neutralität’ getrieben haben sollte, wird ihm zwei Wochen später vom Direktorium nahezu gleichlautend als Argument zur Herrschaftsaufgabe übermittelt werden. Am 16. März rückte Sérurier in der Toskana ein und stellte am 26. März Erzherzog Ferdinand ein Ultimatum, binnen der nächsten 24 Stunden seine Herrschaft in der

337 Zit. nach Hüffer u. a., Der Frieden, S. 67f. 338 AN, AF III 594, plaquette 4085, pièce 11.

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Toskana zu räumen339. Die offizielle Begründung, die Scherer am 22. März an das toskanische Volk verlautbaren ließ340, verschleierte eine »expansive Annexionspolitik mit dem Ziel, Länder direkt an Frankreich anzugliedern bzw. sich einen Schutzgürtel von Satelitenstaaten zu schaffen«341, mit dem unbegründeten Vorwurf, Erzherzog Ferdinand habe jüngst erneut den Neapolitanern keinen Widerstand geleistet, ja er paktiere mit den Alliierten und es gäbe ›altri indizi non men poco equivoci delle disposizioni del Granduca a favore della coalizione’. Zweideutigkeit und Listenreichtum dem Entscheidungshandeln Erzherzog Ferdinands zu unterstellen, war angesichts der hier herausgearbeiteten, im Ersten Koalitionskrieg erprobten Doppelstrategie, dem Lavieren zwischen der Republik und der Habsburgermonarchie durchaus berechtigt. Aber warum lieferte dies erst jetzt den Anlass zur Kriegserklärung und zur Absetzung Erzherzog Ferdinands  ? Bekanntlich zwang faktisch die militärische Ohnmacht Erzherzog Ferdinand bereits seit 1792 zum zivilen Verständigungshandeln mit dem Kriegsgegner und unstrittig blieb die Toskana ihrem Selbstverständnis nach ein Teil der Habsburgermonarchie, übrigens auch, wie dargelegt, in den Augen einiger französischer Entscheider. Zwei Gründe sind dafür denkbar, warum Erzherzog Ferdinand zu diesem Zeitpunkt der geostrategischen Säuberungsaktion der Republik zum Opfer fallen musste. Zum einen erlaubte es die militärische Machtposition Frankreichs nun, das ganze Land und nicht nur die Hafenstadt Livorno besetzen zu können, da der Ring der Schwesterrepubliken militärisch gesichert um die Toskana geschlossen war. Zum anderen ermöglichte es die Gunst der Stunde dem Direktorium, seinen Kriegszweck – »d’expulser totalement la maison d’Autriche de l’Italie«342 – zu verwirklichen, als ein wichtiger Fürsprecher der Toskana kurzzeitig verstummte  : Es wurde dargelegt, wie Napoleon das Entscheidungshandeln der Florentiner Regierung belobte, wie ihm die zuvorkommende und nicht selbstverständliche Behandlung 1796 ganz persönlich schmeichelte. 339 Vgl. Reumont, Geschichte Toscana, S. 288. 340 »Popoli della Toscana  ! […] La Repubblica francese si aspettava, che il Granduca di Toscana prendesse le misure opportune per andare anticipatamente a riparo di questo assoggettamento della nuova coalizione tramata contro di essa e le repubbliche sue alleate in Italia. […] Di già le truppe Napolitane vi erano state ricevute anteriormente e senza ostacoli, in un momento in cui i nemici della Repubblica si lusingavano di vantaggi vicini, ed aggiungevano a questo atto altri indizi non men poco equivoci delle disposizioni del Granduca a favore della coalizione. In questo stato di cose il Governi francese ha stimato convenevole tanto per la sua dignità, che per la sicurezza dello Stato, e delle repubbliche alleate in Italia, di assicurarsi della Toscana«. So in  : Proclama del Generale in capo delle Armate d’Italia al Popolo Toscano, 22. März 1799, zit. nach  : Zobi, Storia civile, III, Appendice, S. 67f. 341 Wolf D. Gruner  : Italien zwischen Revolution und Nationalstaatsgründung 1789–1861, in  : Wolf D. Gruner/Günter Trautmann (Hg.)  : Italien in Geschichte und Gegenwart. Hamburg 1991, S. 105–156, S. 118. 342 Zit nach  : Hüffer u. a., Der Frieden, S. 67f.

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Für den Moment hatte sich die Florentiner Regierung verkalkuliert. Erzherzog Ferdinand, aber auch Manfredini und der neuberufene Minister für Auswärtiges, Vittorio Fossombroni, richteten ab 1796 ihre Aufmerksamkeit im ›politischen Verkehr‹ besonders auf die Person Napoleons. Dies geschah zu diesem Zeitpunkt nicht nur aus dem praktischen Grund kurzer Kommunikationswege, oder allein deshalb, weil man von seiner Wirkmächtigkeit in Paris als militärischer Bezwinger Oberitaliens überzeugt war, sondern auch, weil man in ihm, als der »Inkarnation der Revolution«343, einen direkten Ansprechpartner der neuen Ordnung hatte. Die synergetische Beziehung zwischen Erzherzog Ferdinand und dem Revolutionsgeneral, im Sommer 1796 geknüpft, baute die Florentiner Regierung kontinuierlich aus. Sie richtete ihr Verständigungshandeln zunehmend auf Napoleon, allein zum Zweck des Herrschaftserhalts Erzherzog Ferdinands. Bestes Zeugnis dessen ist die an Napoleon direkt übergebene Denkschrift Fossombronis »Oraculo sulla Toscana« 344. In panegyrischer Diktion wirbt sie konkret bei ihm um künftige Verschonung, um anhaltende Freundschaft und um eine toskanische Unabhängigkeit  : »Immortale Bonaparte, per rappresentare le di cui incredibili azioni non sarebbe servito alla favolosa antichità il figurare in tua mano i fulmini di Flegra, «o fuoco che dal ciel Prometeo tolse«. […] Alla Gloria d’essere il più gran Guerriero dell’Universo ambirai di aggiungere l’altra del più zelante Difensore della più giusta causa. […] Alle onorate statue tu questi cinque geni del non vorrai impedire, e Bonaparte, che per voto unanime di tutti i Toscani sia aggiunta la sua con una quanto più semplice e veridica altrettanto più pomposa descrizione, ove leggasi, 343 Wolfgang Kruse  : Die Erfindung des modernen Militarismus. Krieg, Militär und bürgerliche Gesellschaft im politischen Diskurs der Französischen Revolution 1789 – 1799. München 2003, S. 369. 344 SUAP, RAT-Leopold II. k.133. appendici, Oraculo sulla Toscana di Vittorio Fossombroni, 1796(?). Eine (spätere  ?) Version dessen findet sich ediert bei Gualtieri, Gli ultimi, S. 223–241. Über die Entstehungszeit dieser Denkschrift herrschte bis zum Auffinden des italienischen Originalmanuskripts im Zentralarchiv in Prag während der Recherchen zu dieser Forschungsarbeit Unklarheit. Gualtieri (ebd., S. 223) nahm an, sie seien Napoleon im Sommer 1796 in Bologna übergeben worden, wie eine vorwortgleiche Beigabe aus dem Jahr 1831 dazu bestimmt. Die Nennung der neu errichteten Cispadanischen Republik schließt eine Übergabe in Bologna aus, da diese sich erst am 27. Dezember konstituierte. Auch diese ist in Prag ohne Datierung erhalten, aber auf losen Blättern späterer Zeit, wie Dr. Eva Gregorovičová bestätigte. Franz Pesendorfer (Pesendorfer, Ein Kampf, S. 134, Anm. 31) folgte der Argumentation von Abele Morena (Vittorio Fossombroni/Abele Morena  : Scritti di pubblica economia. Arezzo 1896) und (Zobi, Storia civile, III, S. 195, Anm. 62), dass die Denkschrift erst im Januar 1797 übergeben worden sein dürfte. Das bestätigt nun eine neu aufgefundene Randnotiz  : »Il rispettabile autore parlando cosi della Toscana, e della sua Porto di Livorno, fa una Nota in piè di pagina dell’appresso tenore »cett analyse étoit terminée avant l’overture en Italie de la campagne du 1796« quasi ché all’ epoca del 1797, in cui quel libro è stato pubblicato ignorandosi quanto dovese seguitare una guarnigione francese ad occupare Livorno, l’Autore vedesse vacillare per questo inaspettato accidente le sue speculagioni.« So in SUAP, RAT-Leopold II.k.133.appendici, Oraculo sulla Toscana di Vittorio Fossombroni, 1796(?), Fol 36.

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Bonaparte Toscano Cittadino della Francese Repubblica Distruggendone i nemici, la stabilità Rispettandone gli Amici la decorò«345

Aber der ›toscanische Napoleon‹, dem diese Idee anscheinend gefiel346, war im März 1799, als sich alles Entscheidungshandeln hätte bezahlt machen sollen, weit weg von dort. Nur am Rande sei erwähnt, dass jener ›più gran Guerriero dell’Universo‹ nahezu zeitgleich in Jaffa (heute israelisches Haifa) 2.441 unbewaffnete Kriegsgefangene hinrichten ließ347. Nach der verlorenen Schlacht von Abukir war er in Ägypten isoliert und politisch kaltgestellt. Die personalen Bande, die der Florentiner Hof auch durch die eben erwähnte Panegyrik zu pflegen beabsichtigte, waren allerdings keinesfalls zerrissen, wie in der Folgezeit deutlich werden wird. 1799 aber waren sie im Augenblick wertlos. Für das Revolutionsdirektorium war jetzt Erzherzog Ferdinand nur ein störender Monarch, zudem Habsburg-Lothringer, den es zu entfernen galt, im entstehenden republikanischen ›Schutzgürtel’. Ob Napoleon, wäre er zu diesem frühen Zeitpunkt bereits in Italien eingetroffen, eine Absetzung Erzherzog Ferdinands unterstützt hätte oder sich durch das von ihm so belobte toskanische Verständigungshandeln zu deren Schutz hätte verleiten lassen, muss offenbleiben. Sehr wahrscheinlich ist Letzteres nicht, befolgte er doch während des Ersten Koalitionskrieges bereits genau die Vorgaben des Direktoriums. Er hatte beispielsweise persönlich schon 1796 auftragsgemäß jene Kunstschätze in Florenz benannt, deren sich nur einen Tag nach der Vertreibung von Erzherzog Ferdinand das Direktorium bemächtigte348. Deshalb ist es äußerst fraglich, ob es nicht lediglich diplomatische Augenwischerei gewesen war, als Napoleon aus Ägypten zurückgekehrt und am 10. November 1799 zum ersten Konsul geputscht, Luigi Angiolini,

345 Ebd., Fol. 47f. 346 Napoleon hatte sich später selbst gerne als Toskaner bezeichnet. Genealogische Forschungen weisen ihm diesen Irrtum heute allerdings nach. Vgl. mit weiteren bibliografischen Nachweisen  : Pesendorfer, Ein Kampf, S. 125. 347 Vom 7. März bis zum 10. März starben zudem beim Sturm auf Jaffa alleine 2.000 osmanische Kämpfer und auf ausdrücklichen Befehl Napoleons wurden die Kriegsgefangenen danach größtenteils erschossen. Dies geschah nicht aus versorgungstechnischen Gründen, denn die Festung war reichlich verproviantiert, vielmehr verdeutlicht es die Totalisierungstendenzen des Krieges. Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 146. 348 Bereits am 28. März beschloss das Direktorium jemanden zu »Scherer et à l’ambassadeur recommandant aux agents civils et militaires en Toscane« zu schicken, » de veiller aux collections d’antiquités et d’art, de vérifier où en est la réalisation de copies en cire des pièces anatomiques du muséum de Florence ordonnée par Bonaparte en l’an V [1796, Anm. d. Verf.].« So in  : AN, AF III 590, plaquette 4058, pièces 22–26.

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dem toskanischen Geschäftsträger in Paris, sagte, dass, wenn er den Großherzog in der Toskana aufgefunden hätte, er ihn dann sicherlich dort gelassen hätte349. Wichtig ist dabei auch eigentlich nur, dass Erzherzog Ferdinand tatsächlich annahm, er könne auch künftig auf Napoleons Unterstützung bauen und seine illegitime Herrschaftsabsetzung eventuell rückgängig machen, wie noch zu zeigen sein wird. Aber für den Moment war Napoleon für Ferdinand unerreichbar und eine Kommunikation zwischen beiden war bis Anfang 1801 unterbrochen. Im März 1799 zwangen ihn jedenfalls zunächst »Francesi in forza non indifferente, per quanto credo, di cinque, o sei mila uomini«, die »senza ombra di difficoltà tutta la mia povera Toscana«350 einnehmen konnten, ins Exil, wie er während seiner fluchtartigen Abreise aus Rovigo seinen Bruder vor seiner unangemeldeten Ankunft in Wien wissen ließ. Explizit ohne offiziell abzudanken oder offiziell auf seine Herrschaft in der Toskana zu verzichten, hätte er sich im Angesicht französischer Bajonette und in Gefahr einer Gefangennahme – so Erzherzog Ferdinand weiter – auch um die Unversehrtheit seiner mittlerweile fünfköpfigen Familie zu gewährleisten, in die Staaten seines Bruders begeben, »sotto l’ombra del tuo cuore obbedienza, e protezione«351. Wohin hätte er auch sonst gehen sollen  ? Im Wiener Exil

Er hätte nicht bleiben können, wie es Napoleon von ihm angeblich erwartet hätte. Seine vom Direktorium angeordnete Gefangennahme, sollte er sich seiner Absetzung widersetzen, wäre eine Niederlage mit unkalkulierbaren Folgen für die Habsburgermonarchie gewesen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte der immer finanziell bedrängte 349 »Se avessi trovato il Grand Duca in Toscana ve lo avrei certamente lasciato«, so die überlieferte Aussage Napoleons in Angiolinis Proemoria an Erzherzog Ferdinand im Mai 1801, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 10, sign. 76, Fol. 9. 350 Ferdinands Brief vom 2. April 1799, den ersten nach der erzwungenen Kommunikationspause ab Ende 1798, findet sich als Auszug abgedruckt im Anhang, Dokument V. 351 Ebd. Wie sicher sich Erzherzog Ferdinand noch kurz vor dem französischen Ultimatum mit seinem Verständigungshandeln mit Frankreich wähnte, bezeugt auch, dass er völlig überstürzt und unvorbereitet aus Florenz nach Wien aufbrach, ohne überhaupt die Unterbringung eines ganzen Hofstaats in Wien zu organisieren. Er schrieb noch auf der Reise, bei der er alleine vorausfuhr, dass die »übrige Caravane« hinterher führe und »wenn du wünschst zu wissen wer wir alle sind so füge ich eine Note mit Nahmen der Personen bei«. So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 38-4, Ferdinand an Franz, o.O., 15. ­April 1799. Neben seinen vier Kindern und seiner Frau folgten ihm u. a. noch Fürst Giuseppe Rospigliosi (1755–1833), welcher auch in Würzburg noch sein Oberkämmerer bleiben sollte. Vgl. Reumont, Geschichte Toscana, S. 288. Seine übrigen Minister, wie Manfredini und Fossombroni flohen bezeichnenderweise ebenfalls aus Florenz aus Angst vor französischen Repressalien, was wohl unnötig gewesen wäre, hätte Manfredini heimlich als ›marchese giacobino‹ echte profranzösische Politik betrieben, wie von der Wiener Regierung unterstellt. Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 172.

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Kriegsgegner Frankreich nach Wien eine Lösegeldforderung für Erzherzog Ferdinand und dessen Familie gestellt. Zunächst im Amalientrakt der Wiener Hofburg untergebracht352, richtete sich Erzherzog Ferdinand nach und nach in seinem Exil ein. Musik, Diners und Jagden scheinen den Alltag des Vertriebenen in den Schlössern von Laxenburg und Schönbrunn bestimmt zu haben  : »Habe die Güte und lasse mir die Musikanten vür heute abend um 7 Uhr nach Schönbrunn bestellen, mit jenen Abänderungen von welchen wir gestern Abend conveniert sind, damit neuer Dienst und Vergnügungen nicht im geringsten dabey leiden mögen. Verzeihe wenn ich dir diesen Auftrag gebe, ich bin noch zu neu hier um zu wissen, an wen ich mich wenden solle, um diese Leute zu haben.«353

Er ›convenierte‹ sich beispielsweise mit seinem Bruder über die Neubesetzung der Flötistenstelle, während sich für »S.A.R. Ferdinando III nostro ben amato ed ottimo Sovrano«354 und an seinem Geburtstag, dem 6. Mai 1799, ein zum Teil blutiger Aufstand in seiner ›povera Toscana‹ gegen die Franzosen erhob355. Er begann in Wien seine umfangreiche Musikaliensammlung u. a. mit Musikstücken wie, »A Schisserl und a Reindel«, »Das lustige Beylager«, »oder »Il trionfo del bel Sesso«356 zu einem Zeitpunkt, wo durch die erstmalige Teilnahme von Truppen des Zarenreiches in Italien der Krieg seinen europäi­ schen Bezugsrahmen zunehmend überschritt. 352 Vgl. ebd., S. 211. 353 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 38-4, Ferdinand an Franz, Schönbrunn, 20. Mai 1799. 354 Die neu eingerichtete »Supremo Governo Provvisorio d’Arrezo« stellte sich, wenngleich aussichtslos, ganz in den Dienst der Herrschaftsrestitution Erzherzog Ferdinands. So in  : Editto della Deputazione Governativa d’Arezzo rispetto alla politica Amministrazione di Siena, 18. Juli 1799, zit. nach  : Zobi, Storia civile, III, Appendice, S. 127. 355 Zur Ereignisgeschichte und den Hintergründen der Aufstandsbewegung in der Toskana 1799, die hier unberücksichtigt bleiben muss, empfiehlt sich Gabriele Turi  : Viva Maria. Riforme, rivoluzione e insorgenze in Toscana (1790–1799). Bologna 1999. 356 Ein 1899 erstelltes und von Horst Schäfer-Schuchardt ausgewertetes Gesamtverzeichnis aller musikalischen Werke, die Erzherzog Ferdinand gesammelt hatte, führte unter anderem 600 Glorienmessen, 80 Totenmessen, 183 Opere Serie, 200 Opere Buffe, sieben Oratorien, 67 Possen, sechs theatralische Stücke, 127 Kantaten sowie zahlreiche Oratorien, Canzonette, Madrigale und Pantomimen auf. Nach seinen Angaben fanden sich unter den Komponisten Namen wie Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven, Luigi Cherubini, Carl Ditters von Dittersdorf, Joseph Haydn, Johann Nepomuk Hummel, Rodolphe Kreutzer, Wolfgang Amadeus Mozart, Giovanni Paisiello, Giovanni Pierluigi da Palestrina, Giovanni Battista Pergolesi, Antonio Salieri oder auch Karl Maria von Weber. Bezirk Unterfranken  : Ein Blick in Ferdinands Würzburg-Souvenirs (1. September 2011). https://www.bezirk-unterfranken.de/presseresort/ archiv-2015/13506.Ein-Konzert-zu-Ehren-des-Groszligherzogs-Ferdinand-III.-15.-Februar-2015.html [zuletzt abgerufen 01.08.2021]

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Die militärischen Erfolge durch die russisch-habsburgischen Truppen in Oberitalien u. a. in Perona, Magnano und Brescia357 fachten in unterschiedlicher Intensität an vielen Orten der Toskana, besonders aber in Arezzo eine sozial- und religiös motivierte Aufstandsbewegung358 mit dem Ziel der Regierungsrestitution »pel nuostro bel Fernando«359 an, die mit großer Teilnahme der toskanischen Bevölkerung versprengte französische Truppenteile gefangen nahm, die Trikolore verbrannte und Freiheitsbäume unter den Rufen »Viva Maria  !« und »Viva Ferdinando  !«360 fällte. Auf den ersten Blick wäre das die ideale Chance für Erzherzog Ferdinand zur Restitution auf den toskanischen Thron gewesen, wäre er dem vielstimmigen Jubel der Massen gefolgt. Erzherzog Ferdinand blieb jedoch vermeintlich unbeeindruckt in Wien, offenbar an den Vorgängen in seiner Herrschaft Toskana desinteressiert. Einmal mehr erschien sein Entscheidungshandeln zu bestätigen, dass »im Bannkreis des Wiener Hofes […] der Großherzog immer mehr an Entschlusskraft [einbüßte], die ohnedies nicht allzu stark entwickelt war, [weil] er […] viele Wochen lang alles in der Schwebe [ließ]«361. Dieses Urteil scheint von einer unergiebigen Quellenlage des Jahres 1799 gestützt. Es gilt hierbei jedoch zu berücksichtigen, dass sich über strategische Überlegungen, Pläne und Entscheidungen Erzherzog Ferdinands zu diesem Zeitpunkt keine schriftlichen Quellen finden lassen können, da eine schriftliche Korrespondenz oder deren Entwürfe schlichtweg nicht vonnöten war. Er besprach sich mit seinem Bruder mündlich und direkt. Liest man heute die spärlich erhaltenen Autographen aufmerksam362, erkennt man sehr wohl ein aktives Entscheidungshandeln dessen, wie und wozu er Politik im Krieg zu diesem Zeitpunkt ›gemacht‹ hatte, was im Folgenden zu beleuchten sein wird.

357 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 150f. 358 Zu den religiösen Motiven der Aufstandsbewegung, die eine Restauration althergebrachter, volksfrömmiger Bräuche forderte, welche zuvor von den ›gottlosen‹ Franzosen aufgehoben worden waren, und den damit zusammenhängenden judenfeindlichen Gewaltexzessen an der jüdischen Bevölkerung in Siena und bei Arezzo Ulrich Wyrwa  : Juden in der Toskana und in Preussen im Vergleich. Aufklärung und Emanzipation in Florenz, Livorno, Berlin und Königsberg i. Pr. Tübingen 2003, S. 167–173. 359 »Pel nostro buon Fernando / Impugnerem il brando/ Né curerem l’estranea /Moderna Libertà« Kampfgesang der Aretiner Aufständischen, zit. nach  : Pesendorfer, Ein Kampf, S. 200. 360 Zit. nach ebd., S. 189. 361 Ebd., S. 204. 362 Erzherzog Ferdinand blieb durch Korrespondenzen zu Rainoldi und Fossombroni stets bestens über die Vorgänge in der Toskana unterrichtet. Diese Nachrichten ließ er dann zunächst an Kaiser Franz direkt weiterleiten und erst dann an Thugut adressieren. Vgl. bspw. HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände ­38-4, Ferdinand an Franz, Schönbrunn, 22. Juni 1799. Auf die direkte, mündliche Absprache mit seinem Bruder auch gegen alle Widrigkeiten legte Ferdinand besonders viel Wert  : Am 28. Juni schrieb er  : »Da es schon mehrere Tage ist, dass ich nicht das Vergnügen gehabt habe euch zu sehen und ich mich wegen der Blattern nicht getraue nach Herzendorff zu gehen, so bitte ich dich mir zu sagen, wenn es dir nicht unangenehm ist, wo ich dich heute in der freyen Luft sehen kann, wenn du spazieren gehst«, so in  : Ebd.

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Das Wozu liegt auf der Hand  : Sein Ziel, sein persönlicher ›politischen Zweck‹, welcher das Bestimmende seines Entscheidungshandelns über die nächsten Jahre bleiben sollte, war ab dem Zeitpunkt seiner Flucht aus der Toskana seine Rückkehr. Archivgestützt nachweisbar sind jedoch keine sentimentalen, romantischen Heimat- oder Verlustgefühle. Er verstand die Toskana vielmehr als sein Erbe, sein Eigentum363, als seine rechtmäßige, gottgewollte Herrschaft und gegenüber dem neu gewählten Papst Pius VII. (1742–1823  ; Pontifikat  : 1800–1823) formulierte er dies präzise  : »Ich bitte Ihre Heiligkeit den Protest entgegenzunehmen, den ich im Geheimen vor Ihnen einlege als sichtbares Oberhaupt der Kirche gegen die ungerechten Gewaltakte, durch die ich meiner Staaten beraubt wurde. Ich erkläre, dass ich niemals auf die Toskana verzichtet habe und dass ich beabsichtige, sie mir und meinen Erben unversehrt zu erhalten mit allen Rechten der Souveränität und des Eigentums«364.

Dieser Erklärung kann man ohne pathetische Übertreibung den Charakter eines heiligen Schwurs unterstellen. Es wird hier aber eines deutlich  : Es ging Erzherzog Ferdinand in erster Linie zweckrational um seinen eigenen souveränen Herrschaftsanspruch und eine künftige Sicherstellung der Herrschaft in der Toskana für seine Familie, ganz in der Tradition des Ancien Régime. Kaum Emotionales lässt sich aus seinen Autographen jener Zeit herauslesen, über persönliche Empfindungen über die Vertreibung aus seiner Heimat, oder über seine Gedanken über das zurückgelassene Land und seine Bevölkerung. Überhaupt zeigt Erzherzog Ferdinand zu diesem Zeitpunkt quellenbasiert wenig der erzieherischen Wirkung seines Vaters Peter Leopold, »Leidenschaft, ein [zu] flößen, nämlich die der Humanität, des Mitleides und des Verlangens, [sein] Volk glücklich zu machen«365, als er den Ruf seines sich gegen die Franzosen erhebenden und für ihn die Waffen ergreifenden Volkes derart ignorierte. Er schickte keinen Bevollmächtigten nach Arezzo und kehrte nach dem Fall Turins366 nicht nach Italien zurück, obwohl sich die Bevölkerung in der Toskana ihren ›ottimo Sovrano‹ sehnlichst herbeiwünschte367. Ja, selbst als die zutiefst betroffenen Florentiner 363 »Ich will hoffen, dass mein Land [!, Anm. d. Verf.] nicht niederdrückendes Unglück leiden wird« ­HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 38-9-2, Ohne Datum und Ort. 364 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 1, sign. 4, Ferdinand an Pius VII., Schönbrunn, 25. August 1801, Übersetzung zit. nach ebd., S. 308. 365 HHStAW, HausA, Familienakten 56–5, Altri punti diversi per i figlii, 1774, Übersetzung zit. nach Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 40. 366 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 159. 367 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 191. »Das ganze Land erwartet mit Ungeduld und Sehnsucht einen Bevollmächtigten von Wien, welcher den Staat wieder in Ordnung bringen sollte«, so in  : HHStAW, StK, Toskana 26, Veigl an Thugut, 18. August 1799. Die mit »RELIGIONE, LEALTÀ, CONSTANZA« über-

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seinen erstgeborenen sechsjährigen Sohn, Franz Leopold (1794–1800)368, in Florenz beisetzten, erschien Erzherzog Ferdinand das Symbol einer (wenn auch nur kurzfristigen) Rückkehr zu wirkmächtig. Er blieb den Trauerfeierlichkeiten für seinen schmerzlich betrauerten Sohn fern369, sorgte aber mit einer pompösen Inszenierung370 derer für eine nachhaltige Erinnerung daran, wer in Florenz rechtmäßiger Herrscher trotz französischer Bajonette ist – das Haus Habsburg-Lothringen-Lothringen. Warum aber nur diese, wenn überhaupt indirekte Stellungnahme  ? Volkserhebungen, egal gegen welche Machthaber, konnten einem souveränen Monarchen – der Gedankenwelt des Ancien Régime verhaftet – nur verdächtig sein. ›Mitleid und Verlangen‹ bezog sich in seinen Autographen auch lediglich auf das Wohl der eigenen Familie, sie in der Katastrophe und dem Unheil »sani e salvi«371 zu erhalten. Die Beherrschten indes werden von Erzherzog Ferdinand stets nur stereotyp – »mia povera Toscana […] mio povero popolo«372 – abgehandelt, scheinbar mehr aus dem Gefühl einer an ihn gerichteten Erwartung heraus, statt aus internalisierter Überzeugung vom aufklärerischen Idealbild eines für sein Volk sorgenden Herrschers. Nicht ›Leidenschaft‹, sondern rationale Erwägungen darüber, wie sein ›politischer Zweck‹ zu erreichen war, führten zur Einsicht, dass »für das Schicksal der Toskana nicht wichtig [war], was die Toskaner wollten, sondern was in der Mächtekonstellation des Jahres 1800 an die-

schriebene Proklamation der provisorischen Regierung der Aufständischen, später Suprema Deputazione, in Arezzo richtete sich gegen die französische »illegitime Herrschaft« mit den Worten  : »Noi abbiamo un legitimo Sovrano. A lui abbiamo giurata ubbidienza e fedeltà. Se la più nera perfidia ce lo ha allontanato, la giustizia della causa, a cui con immortal valore e gloria voi cooperate, ben presto ce la ridonerà«. Zit. nach  : Zobi, Storia civile, III, Appendice, S. 107. 368 Franz Leopold litt wohl schon zeit seines Lebens an starken Kopfschmerzen, bei denen auch die Pflege im Kloster der hl. Johanna von Sienna nichts half. Am 17. März 1800 (nicht am 18. Mai wie auf Wikipedia fälschlicherweise steht) starb der junge Erbprinz plötzlich in der Wiener Hofburg. Die – ungewöhnlich genug – angeordnete Obduktion durch die Ärzte Andreas Josef Stift und Matthias von Störk kommt zum Ergebnis eines durch Hirnblutung ausgelösten Schlaganfalls  : »Sa ciò resulta, età la causa della morte di S. et R. Archiduca Francesco è stato uno stravaso di finta nel cervello e tremolamento nei fuori ventricoli che ha prodotto una Apoplessia Sierosa insuperabile dar compensi dell’Arte Medicai«. So in  : ASF, Segreteria di Gabinetto, Appendice 3/1, datiert auf  : 19. März 1800. Die zu enge verwandtschaftliche Beziehung der Eltern (Cousine und Cousin ersten Grades) als Ursache für die Leiden der Kindergeneration war nicht Gegenstand zeitgenössischer Überlegungen. 369 Erzherzog Ferdinand schrieb innerhalb der Hofburg an Kaiser Franz, »von dem Unglück was mir heute geschehen ist. Gott hat mich uns [Streichung im Original, Anm. d. Verf.] mit diesem Schmerz heimsuchen wollen. Du kannst dir wohl einbilden wie sehr wir es gefühlt haben. Habe die Güte und sage es deiner Frau weilen ich es nicht selbst kann«. So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 38-9-2, Ferdinand an Franz, Wien, 17. März 1800. 370 Vgl. dazu ausführlich Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 87. 371 Anhang, Dokument V. 372 Ebd.

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ser Stelle der Landkarte passend war«373. Solches wurde weder in Florenz, oder gar in ­Arezzo, sondern in Wien entschieden. Nicht aus den Händen der Aretiner Insurgenten war seine Großherzogskrone wiederzugewinnen, sondern nur auf dem Parkett der internationalen Politik, lediglich durch eine Garantie der Großmächte war eine Herrschaftsrestitution überhaupt denkbar. Direkten Zugang dazu bot sich Erzherzog Ferdinand am Wiener Hof durch das stets beschworene und nun durch sein aktives Handeln in Wien zu vertiefende ›brüderliche Einvernehmen‹. Gemeinsame Spazierfahrten, die Teilnahme an Jagdgesellschaften und Diners und damit auch die organisierten Orchesterabende können als Inhalt einer zielgerichteten Kommunikationsstrategie gewertet werden, um den politischen Zweck im Krieg auch in seiner Situation absoluter Ohnmacht und Abhängigkeit zu erreichen. Die beiden Brüder besprachen sich beim Abendessen und ähnlicher solcher Gelegenheiten im Kreise der Familie, welche weiteren Schritte auf Grundlage der sich überschlagenden Nachrichten aus Italien möglich und nötig wären. Vermutlich ist es so geschehen, als beispielsweise die Aufständischen (bezeichnenderweise unter der Führung eines Fähnrichs aus der habsburgischen Armee, namens Carl Schneider (1777–1846)374 die letzten Reste der französischen Armee nach deren Niederlage gegen die Koalitionstruppen bei Trebbia (17.–20. Juni) ganz aus der Toskana vertrieben hatten  : »Heute frühe kömmt mir ein Kourir von der Befreyung von Florenz den 5ten dieses Monats. Erlaube mir, dass ich heute zu dir mit meiner Frau auf Laxenburg speisen kann, um meine Freude mit dir zu theilen und die neuesten Nachrichten zu geben. Falls du nicht zu Laxenburg bist oder nicht kannst, lasse mir es durch einen anderen Reitknecht auf Schönbrunn sagen«375

Was die beiden Brüder Richtungsweisendes miteinander verabredeten, schrieb Thugut an Colloredo noch am gleichen Tag, »que la Toscane pendant la guerre doit être régie par un gouvernement provisoire, établi et agissant au nom de S. M.«376. Nicht im Namen Erzherzog Ferdinands, des eigentlich souveränen Fürsten der Toskana, der als unabhängig eingerichteten Sekundogenitur, sondern durch das Oberhaupt der Habsburgermonarchie solle während des Krieges die Toskana verwaltet werden. Und so verwundert es kaum, dass knapp zwei Wochen nach diesem Abenddiner in Laxenburg sich Erzherzog Ferdinand – erstmals nach seiner Flucht überhaupt – in der Toskana zu Wort meldete und Bemerkenswertes verlautbaren ließ  : Er versicherte einer Aretinischen Deputation 373 Ebd., S. 87. 374 https://de.wikisource.org/wiki/BLK%C3%96:Schneider_von_Arno,_Karl_Freiherr [zuletzt abgerufen 01. 08.2021]. 375 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände38-9-2, Ferdinand an Franz, Schönbrunn, 11. Juli 1799. 376 Thugut an Colloredo, 11. Juli 1799, zit. nach  : Vivenot, Vertrauliche Briefe, II, S. 177.

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»di tutti quei sentimenti di cordialità, ammirazione e gratitudine« und lobte »coraggio, fermezza e fedeltà di tutto quel Popolo toscano«. Dann aber ließ er dazu aufrufen, »dell’intiera nostra Nazione, che essa tutta, senza divisibilità di massime si uniformi ad obbedire intieramente a ciò che sia per prescrivere frattanto S. M. I. e R. [also Kaiser Franz, Anm. d. Verf.], alle cui vittoriose armi tanto deve l’ umanità, e quindi sottoporsi a quelle pubbliche Autorità, che in vigore delle Leggi veglianti, o del comando espresso dell’ I.M.S., sono e saranno costituite«377. Nicht also den Vorschriften der Sekundogenitur, sondern dem ausdrücklichen Befehl sowie den gegebenen und künftigen Gesetzen der Primogenitur solle sich die Toskana unterordnen und dieser gehorchen. Schon Franz Pesendorfer erwähnte diesen für die weitere Bewertung des Entscheidungshandelns Erzherzog Ferdinands wichtigen Aufruf, bewertete ihn allerdings mit dessen angeblich mangelnder Entschlusskraft378. Erzherzog Ferdinands Aufruf vom 27. Juli 1799 darf indes nicht als charakterschwaches Einknicken der Sekundogenitur aufgefasst werden, sondern es ist nichts anderes als die faktische Anerkennung des Status quo. Was war die vermeintliche Unterordnung der Sekundogenitur unter die Primogenitur, die erstmals offen geäußerte Aufgabe der Eigenstaatlichkeit und Souveränität Erzherzog Ferdinands anderes als eine aus mangelnden Handlungsoptionen geborene Folge der eigenen Ohnmacht eines Fürsten ohne Herrschaft  ? Das in diesem Aufruf manifestierte Einschwenken Ferdinands auf die Linie des Beraterkreises von Franz, der bekanntlich seit 1792 versuchte, das Entscheidungshandeln des Florentiner Hofes den Vorgaben aus Wien ganz unterzuordnen, hatte vielmehr zwei klug durchdachte, realpolitische Gründe  : Zum einen bezweckte dieser Aufruf ganz praktisch eine problemlose Einrichtung eines absehbar künftigen österreichischen Militärgouvernements, denn schließlich besetzten nach und nach die Truppenverbände der Habsburgermonarchie die Toskana379. Dies wäre die notwendige Basis, der erste wichtige Schritt hin zu einer erfolgreichen Restitution seiner Herrschaft. Zum anderen erlaubte seine aktuelle Exilstellung am Wiener Hof kein Beharren auf Eigenständigkeit der Sekundogenitur wie es noch in Florenz während des Ersten Koalitionskrieges möglich war. Dass diese Aufgabe der Souveränitätsrechte zugunsten der Primogenitur, die hier aus der Situation geboren, im Brudervertrag vom März 1803 eine schriftliche Fixierung fand und sich damit auch auf seine künftigen Herrschaften ausdehnen sollte, war 1799 noch nicht abzusehen.

377 Dispaccio rimesso in Vienna ai Deputati d’Arezzo recativisi per complimentare il Granduca Ferdinando III., zit. nach. Zobi, Storia civile, III, Appendice, S. 150. 378 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 204. 379 Abschluss dieses Prozesses war die Einnahme von Florenz am 8. September 1799 unter General Fröhlich vgl. ebd., S. 212.

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Vor Ort in ›seiner Toskana‹ konnte er wenig ausrichten. Die Situation in der Toskana war unübersichtlich – »ungerührt«380 ließ sie ihn nicht. Bürgerkriegsähnliche Zustände, Verfolgung und Racheaktionen gegen Juden und Jakobiner, eine durch Hungersnot bedrohte und exorbitante Preise 1799 aufgewiegelte Bevölkerung381 ließen Erzherzog Ferdinand zwar von einer Rückkehr in die mittlerweile durch Habsburgertruppen gesicherte Hauptstadt Florenz einstweilen Abstand nehmen – auf Anraten von Kaiser Franz382. Sein Anfang Februar 1800 in der ganzen Toskana veröffentlichtes Motuproprio weist aber vielmehr in die Richtung absichtsvoller Symbolpolitik im besten Sinne des Wortes  : Darin lässt sich ersehen, dass Erzherzog Ferdinand der Aufstandsbewegung die Hand zu reichen beabsichtigte und für eine Wiedereingliederung der Aufstandsbewegung in die toskanische Gesellschaft vorsorgen wollte, beispielsweise durch die Auszeichnung von Insurgenten, durch den Bau eines Erinnerungsmonuments und durch die Verfügung, dass im Palazzo Pitti ein Hofpage immer aus Arezzo dienen solle. Mit diesem Motuproprio bereitete er den Weg für eine Beruhigung der angespannten Situation und damit für eine problemlose Rückkehr als Monarch in die durch republikanische Umtriebe verunsicherte Toskana vor. Die Kriegsgeschichte, die dafür sorgte, dass aus seinen gutgemeinten Plänen zunächst nichts wurde, ist bekannt und kann hier schnell abgehandelt werden  : Was vor ihm schon viele andere französische Generäle geschafft haben, stilisierte Napoleon ex post zu einem monumentalen Triumph, die Überquerung des St. Bernhard vom 17.–20. Mai. Sein siegreicher Vorstoß, über die Schlachtfelder Monte Nave, Montebello und schließlich Marengo383 war indes eine erfolgreiche Zusammenarbeit vieler junger Revolutionsgeneräle, obwohl erst die für die Habsburgermonarchie noch katastrophaler verlaufene Schlacht von Hohenlinden384 den zweiten Koalitionskrieg zugunsten der Republik beendete. Er verstand es dennoch, sich seine erputschte Macht als Erster Konsul durch diese Siege zu sichern, was direkte Auswirkungen auf die militärisch noch immer 380 So interpretiert es die Forschung einseitig  : ebd., S. 216. 381 Zu den Zuständen im Sommer und Herbst 1799  : ebd., S. 212–217. 382 »Heute Nacht ist einer meiner Courire zurückgekommen. Neues hat er von zu Haus nichts anderes mitgebracht als die beiliegenden Briefe beinhalten  ; ich bleibe also wie du es empfiehlst. […] Morgen werden wir nach Laxenburg zum Speisen kommen«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 38-9-2, Ferdinand an Franz, Wien, 25. Oktober 1799. Ob es sich lediglich um Wien handelte, wo er bleiben sollte, um auf weitere Nachrichten zu warten, obwohl er schon an diesem Tag nach Laxenburg bestellt gewesen wäre, oder ob es sich mit »bleiben« um die Absage einer geplanten Abreise in die Toskana handelte, muss quellenkritisch leider offen bleiben. 383 Gefecht bei Monte Nave am 5.–6. Juni, anschließend Schlacht bei Casteggio und Montebello am 9. Juni mit erstmaliger Beteiligung des Ersten Konsuls, dann Schlacht von Marengo, die die blutigste bisher war, mit ca. 2.063 Toten, ca. 9.118 Verwundeten auf beiden Seiten. Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 185f. 384 Insgesamt starben auf habsburgischer Seite 1.900 Mann, 8.000 Soldaten wurden mit 50 Kanonen und 85 Munitionswägen gefangen genommen. Vgl. ebd., S. 189.

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ohnmächtige Situation Erzherzog Ferdinands, des vertriebenen Fürsten ohne souveräne Herrschaft, haben sollte. Denn anders als im Vorjahr war Napoleon jetzt nicht mehr in Ägypten gebunden. Jetzt konnte sich die Florentiner Fokussierung ihres Verständigungshandelns auf die Person Napoleons bezahlt machen. ›Bonaparte Toscano‹ hatte den ersten Souverän Europas, der ihn damals empfangen hatte, nicht vergessen, betrachtet man sich die Korrespondenz Napoleons. Den französischen Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754–1838) instruierte er bezeichnenderweise noch während des Waffenstillstands und bevor Johann Ludwig von Cobenzl (1753–1809) als österreichischer Bevollmächtigter zu den Verhandlungen in Lunéville anlangte  : »Que, quelle que soit l’issue des négociations entre la République française et Sa Majesté Impériale, Son Altesse Royale ayant été toujours reconnue comme souverain indépendant, le Premier Consul n’oublie pas la manière dont Son Altesse Royale s’est conduite pendant son séjour en Italie.«385

Zwei Dinge sind daran bemerkenswert  : Napoleon, der erste Konsul, trennt die Souveränität Erzherzog Ferdinands klar von der der Habsburgermonarchie. Er wähnt die Sekundogenitur völlig ›indépendant‹ von der Primogenitur, Erzherzog Ferdinand als unabhängigen Herrscher. Das steht im Kontrast dazu wie es das Direktorium noch im März 1799 einschätzte und es Erzherzog Ferdinand als »associé […] avec l’Empereur«386 und als Statthalter des Kaisers verstand. Zum anderen präjudizierte diese explizite Erinnerung an Napoleons Sommererlebnis von 1796 für den Außenminister die Begünstigung Erzherzog Ferdinands, die dieser dann in den langwierigen Verhandlungen zum Friedensvertrag von Lunéville schließlich erfahren sollte. Die Verhandlungen zogen sich bis zum Reichsdeputationshauptschluss 1803 hin, der final den größten Austausch- und Umtauschplan der europäischen Großmächte ratifizierte, den es seit dem Westfälischen Frieden gab387. Ob Erzherzog Ferdinand persönlich damit gerechnet hatte, nach seiner Flucht aus Florenz als ›souverain indépendant‹ im Wiener Exil zu gelten und dabei im großen Mächtekonzert Europas überhaupt eine Stimme zu haben, ist nicht belegt. Die Überraschung aber, die er gleich nach Bekanntwerden der Friedensartikel von Lunéville, gegenüber Napoleon zum Ausdruck bringt, ist echt und weniger diplomatische Farce388  : Bezeich385 Napoléon, Correspondance, IV. Bd., S. 598, Napoleon an Talleyrand, 15. Oktober 1800. 386 AN, AF III 594, plaquette 4085, pièce 11. 387 Vgl. Roger Dufraisse  : Napoleon und Bayern, in  : Hubert Glaser (Hg.)  : Beiträge zur bayerischen Geschichte und Kunst. 1799–1825. München u. a. 1980, S. 221–238, S. 222f. 388 »La sorpresa che questi Articolo mi hanno fatto, e la fiducia che ripongo nei sentimenti che mi avete manifestati quando feci la vostra conoscenza in Toscana mi determinano a pregarvi, che vi contentiate che io à faccia communicare direttamente i motivi che giustificano la mia sor-presa. Se condiscendete a ciò come spero abbiate la

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nenderweise auf Italienisch, stellte er bei ›Bonaparte Toscano‹ nur scheinbar beiläufig in einem Brief nun auch selbst seine Stellung als souveräner Fürst heraus, welcher nun dank Napoleon auf eine Entschädigung hoffen könne. Im Entwurfsstadium dieses Briefs unterschrieb Erzherzog Ferdinand gar noch mit »GDuca di Toscana« und strich es anschließend wieder aus, was das Tragikomische an seiner Situation mehr als deutlich herauszustellen vermag389. Napoleon als oberste Gewalt Frankreichs – der neuen aufstrebenden Hegemonialmacht Europas – maß Erzherzog Ferdinand eine monarchische Souveränität bei und garantierte somit gleichsam künftigen Territorialbesitz, eine Souveränität, die er wegen der französischen Pläne in Mittelitalien schon gar nicht mehr hatte. Dass Napoleon zu diesem Zeitpunkt Erzherzog Ferdinand als souveränen Herrscher trotz Vertreibung, trotz militärischer Ohnmacht, trotz seiner engsten Verbindungen zur Habsburgermonarchie anerkannte, ist der eindrücklichste Beweis der erfolgreichen Realpolitik dieses Fürsten. Die umstrittene Neutralitätspolitik, sein Zugehen auf das revolutionäre Direktorium, der respektvolle Umgang mit dem Revolutionsgeneral – all das zahlte sich am Ende des Jahrhunderts aus. Der Vertrag von Lunéville

Es gab mit diesem Erfolg vor Augen keinen Grund für Erzherzog Ferdinand seine Handlungsstrategie, seine Politikgestaltung als heikles Doppelspiel des steten Auslotens von Handlungsspielräumen zwischen Frankreich und seinem Haus HabsburgLothringen, zwischen ›dynastischer Solidarität‹ auf der einen Seite und ›monarchischer Souveränität‹390 auf der anderen Seite, zu beenden. Im Gegenteil, Napoleons Bestätigung von Erzherzog Ferdinands Souveränität, die im Vertrag von Lunéville und in der abschließenden Konvention vom 26. Dezember 1802 dann expressis verbis Realität wurde391, ermöglichte ihm überhaupt wieder die Teilnahme am europäischen Mächcompiacenza di indicarmi ore io debba mandare la persona a cui darò questa commissione.« So in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 3, sign. 35, Fol. 2, Ferdinand an Napoleon, Wien, 20. Februar 1801. Abgedruckt im Anhang, Dokument VI. 389 Der Zufallsfund dieses Briefentwurfs zeigt in seiner flüchtigen Nachlässigkeit der falschen Unterschrift als Großherzog auf beeindruckende Weise einmal mehr das Selbstverständnis Erzherzog Ferdinands  : In seinen Gedanken ist sein Vorname nur eine mit seinem Titel vollständige Unterschrift, den er eigentlich bereits zwei Jahre vorher aufgeben musste. Bildausschnitt des Originalbriefs abgedruckt im Anhang, Dokument VII. 390 Stickler, Familienverband, S. 38. 391 In Artikel III, der »Convention de l’Empereur d’Allemagne avec la France avec accession de la Russie, concernant les indemnités accordées au Duc de Modène et au Grand-Duc de Toscane  ; signée à Paris le 26 Décembre 1802« steht, Erzherzog Ferdinand erhalte die Entschädigung »en toute souveraineté et indépen-

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tekonzert. Für Ferdinand war dies indes keine Konfliktlinie, die ihn gegen den Bruder aufbegehren ließ, wie es einige Autoren mutmaßen. Wie eingangs gezeigt, verstand Ferdinand das Erbe seiner ›monarchischen Souveränität‹ als Dienst für das Haus HabsburgLothringen und damit als Mittel seiner ›dynastischen Solidarität‹. Es ist daher auch kein Widerspruch, oder gar eine »Konfliktline«392 im Verhältnis zu seinem Bruder, wenn er ein weiteres Mal auf seinen realpolitischen Instinkt vertraute und während der zähen Verhandlungen um den Frieden von Lunéville erneut mit beiden Karten spielte  : seinem Bruder Kaiser Franz und dem Ersten Konsul der Französischen Republik, Napoleon. Zwar regelte Artikel 5 des Friedensvertrags von Lunéville, Erzherzog Ferdinand habe für sich und seine Nachfolger auf die Toskana zu verzichten und als souveräner Fürst in den deutschen Gebieten eine volle Entschädigung erhalten – der geheime Separatartikel des Vertrages weist ihm bereits das Fürsterzbistum Salzburg und die Fürst-Probstei Berchtesgaden zu393. Aber als ›souverain indépendant‹ – wenngleich nur auf Papier – verfolgte er während der fast dreijährigen Verhandlungen vom Haus Österreich scheinbar unabhängige Absprachen mit Napoleon, ihn in der Toskana zu restituieren. Gleichzeitig verhandelten die österreichischen Bevollmächtigten, allen voran Cobenzl, in Regensburg und Frankreich ebenfalls um eine Entschädigung im Reich. Kaum ein Gebiet, mit dem Ferdinand in diesen Jahren nicht in Verbindung gebracht worden wäre  : Venetien, die kurbayerischen Länder zwischen Inn und Salzach nebst Wasserburg, sogar bis nach München zur Isar, oder die ehemaligen Legationen des Kirchenstaats Bologna und Ferrara, oder das Herzogtum Neuburg und die Oberpfalz, Nordtirol bis zur Quelle des Inns oder – bereits bei diesen Verhandlungen – die Bistümer Bamberg und Würzburg394. Für die Habsburgermonarchie diente Erzherzog Ferdinand im Territoriengeschacher dieser Zeit als wertvolle diplomatische Waffe, ein habsburg-lothringisches Drohpotenzial gegen Bayern und gegen die vom Zaren geschützten Mächte im Reich, allen voran Preußen.

dance«. Zit. nach  : Ludwig Bittner  : Chronologisches Verzeichnis der österreichischen Staatsverträge. II. Die Öster­reichischen Staatsverträge von 1763 bis 1847. Wien 1909, Nr. 1442, S. 26. 392 Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 95. 393 »Ainsi qu’il est convenu par l’article 5 du traité patent, le Grand-Duc de Toscane obtiendra an Allemagne un indemnité pleine entière et équivalente de ses états en Italie, à laquelle seront préferablement employés l’archévêché de Salzbourg et la prévôtè de Berchtolsgaden« So der Article séparé et secret des Friedensvertrags vom 9. Februar 1801, zit. nach Chroust, Die Geschichte, S. 15, Anm. 5. 394 Vgl. ebd., S. 14–17  ; Wertheimer, Geschichte Österreichs I, I, S. 137f., Noch weit vor diesen Plänen ahnte bereits der Würzburger Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal prophetisch  : »Wir werden das Stück Tuch abgeben, aus welchem man für Freund und Feind Entschädigungen zurechtschneiden wird«, zit. nach  : Vogt, Das fränkische Beamtentum, S. 31.

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Als ›souverain indépendant‹ beharrte Erzherzog Ferdinand auch nach dem Friedensschluss von Lunéville noch für alle europäischen Großmachte vernehmbar auf der Toskana, währenddessen die Gesandten des Kaisers anderslautende Entschädigungspläne vereinbarten. Er schrieb u. a. an den russischen Zaren, den englischen König und, wie bereits erwähnt, an den Papst395, dass er und seine Erben niemals auf die Toskana verzichten wollten396. Er unterzeichnete auch nicht das ihm von Paris aus vorgelegte Abtretungspatent, das die Herrschaft von der habsburgischen Sekundogenitur formaljuris­ tisch auf das neugeschaffene Königreich Etrurien übertragen sollte. Er schickte Luigi Angolini, den früheren toskanischen Gesandten, und selbst Manfredini zu Napoleon nach Paris, um in persönlichen Verhandlungen seine ererbte Herrschaft zurückzufordern397. Auf der zweiten Handlungsebene bemühten sich die österreichischen Unterhändler, die im Auftrag des Kaisers und nicht Ferdinands die Verhandlungen führten, um den Rahmen der zugesprochenen Gleichwertigkeit der Entschädigungen maximal auszudehnen. Dennoch, die zugesicherte Kompensationsmasse Salzburg und Berchtesgaden stellte geostrategisch für die Habsburgermonarchie einen großen Wert dar. In der Situation, die 1800 das Haus Habsburg-Lothringen zum Frieden mit Frankreich zwang, 395 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 1, sign. 4, Ferdinand an Pius VII., Schönbrunn, 25. August 1801. 396 Vgl. Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 92. 397 Luigi Angiolini hatte im Mai 1802 die Aufgabe zunächst mittels des spanischen Botschafters José ­Nicolás de Azara (1730–1804), dann über das französische Außenministerium, schließlich direkt bei Napoleon in Malmaison um die Restitution seines Auftraggebers, Erzherzog Ferdinand, zu verhandeln. Der ausführliche Bericht über diese Mission Angiolinis liegt heute im Staatsarchiv in Prag  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 10, sign. 74. Gleich zu Beginn des Berichts weist er darauf hin, dass ein Zurückkommen für Ferdinand unmöglich sei (»quasi impossibile il retrocedere«). Dennoch zeigt dieser Bericht auf eindrucksvolle Weise das Regierungshandeln Napoleons auf  : Alle seine Ordres gehen direkt von Malmaison von Napoleon persönlich ab, ohne dass der Außenminsiter auch informiert worden wäre (»senza che il Ministero delle Relazioni Esteriori abbia neppure indizio degli ordini ed istruzioni che portano«). Auch für den Vertrag von Lunéville verhandle Cobenzel mit Joseph Bonaparte, ohne das französische Außenministerium auch nur zu unterrichten. Im Gespräch mit dem französischen Außenminister beim Mittagessen beklagt dies Talleyrand aufs Schärfste, so Angiolini. Es sei nun immer unmöglicher, die Verhandlungen vorauszusehen und denen vorherzukommen, da alles von einem Willen alleine abhänge, der grenzenlos und schnell sowohl in der Durchführung als auch in der Äußerung sei (»che tutto dipende da una sola volontà che non ha ostacoli e che è rapida a eseguire come a concepire«). Am Ende sei Napoleon im persönlichen Gespräch hart geblieben und habe für das Haus Habsburg-Lothringen auf der Etschgrenze bestanden (»disse che ormai si era preso per fisso il riguardare il Gran Duca come casa d’Austria e che Casa d’Austria non doveva essere al di lá dell’Adige«). So weit ging die Sympathie Napoleons für Erzherzog Ferdinand dann doch nicht, dass er die französischen Interessen alleine seinem Sommererlebnis von 1796 geopfert hätte. Er machte gegenüber Angiolini klar, dass in keinem Fall und niemals (»nesun tempo e in nesun caso«) das Haus Habsburg-Lothringen wieder die Toskana erhalten würde, auch wenn Ferdinand selbst dieselbe inne hätte. Er solle geduldig sein und sich mit Salzburg und Passau begnügen (»il Granduca bisognava che avesse pazienza, e che si accomodasse ad avere Saisburgo e Passavia«). Näheres dazu auch überblicksartig bei Pesendorfer, Ein Kampf, S. 311–315.

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hätte man sich auch mit weniger begnügen müssen als mit dieser günstigen Aussicht auf Arrondierung – ein territoriales Glacis, leichter zu verteidigen gegen Bayern und das Reich im Tausch gegen ein entfernt liegendes militärisch ohnmächtiges Land, das zudem von französischen Tochterrepubliken umschlossen war. In der Rückschau betrachtet, versuchte damit das Haus Habsburg-Lothringen als Handlungseinheit in den Verhandlungen um Lunéville beides  : den Spatz in der Hand und die Taube auf dem Dach zu erhalten. Das aktive diplomatische Bemühen Erzherzog Ferdinands um seine Restitution in der Toskana und seine passive Nutzung als geostrategisches Drohpotenzial u. a. gegenüber Kurbayern waren zwei Ebenen einer Verhandlungsstrategie – so fassten das auch die Verhandlungspartner auf398. Auf beiden Ebenen war Erzherzog Ferdinands Anspruch auf ›monarchische Souveränität‹ das Mittel seiner ›dynastischen Solidarität‹. Dass das nicht alle am Wiener Hof so akzeptieren wollten, versteht sich von selbst. Erzherzog Ferdinands jüngerer Bruder Karl verwehrte sich beispielsweise heftig gegen die (kurzzeitig) fokussierten Pläne Cobenzls, Ferdinand in Venetien einzusetzen. Es sei militärisch gesehen unverantwortlich, den in diesem Bereich vollkommen unerfahrenen Bruder gerade dort zu installieren, wodurch die militärische Deckung Innerösterreichs, die ungarischen Provinzen sowie Dalmatien und Kroatien auf dem Spiel stünden. Eine wie auch immer tatsächlich praktizierte Eigenstaatlichkeit des Bruders, der durch seine toskanische Neutralitätspolitik in den Beraterkreisen des Kaisers größtenteils noch immer in profranzösischem Geruch stand, sei an dieser Stelle inakzeptabel399. Auch wenn vielleicht Erzherzog Karl, Kanzler Thugut und auch Kaiser Franz ein brüderliches Einvernehmen gar nicht angezweifelt haben würden, so erschien ihnen vor dem Erfahrungshorizont der ersten Herrschaftsjahre der Sekundogenitur in der Toskana ein solches Experiment in Venetien zu risikoreich. Wie würde Erzherzog Ferdinand, eingesetzt in Oberitalien, seine Herrschaft tatsächlich ausgestalten  ? Das Recht über Krieg und Frieden, das Ergreifen notwendiger Maßnahmen zu Angriff und Verteidigung, läge nicht in den Händen des Kaisers, sondern würde aus der Souveränität der Sekundogenitur heraus bestimmt. Was würde das konkret für die Verteidigung der Erblande bedeuten  ? Diese geostrategischen Überlegungen der Habsburgermonarchie sind ursächlich für das enge Regelkorsett, das 398 In den Akten der kurbayerischen Gesandtschaft in Wien finden sich dutzende Hinweise darauf, dass man bei den Verhandlungen von einer Handlungseinheit beider Brüder ausging, wenn der Verhandlungsgegen­ stand eigentlich nur Erzherzog Ferdinand betraf  : »Wir Max Joseph […], von jener Weisung welche Wir unter dem heutigen an Unseren Bevollmächtigten Gesandten in Paris und St. Petersburg in Betreff des Ausgleichs-Geschäfts mit dem Erzhaus Österreich und Chur von Salzburg [Hervorhebung durch den Verf.] erlassen haben setzen wir auch durch die abschriftliche Anlage in Kenntnis […]« So in  : BayHStA, Gesandtschaft Wien 852, dat. auf den 3. August 1803, hier Fol. 2. 399 Vgl. Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 95.

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erstmals überhaupt das Verhältnis zwischen Primo- und Sekundogenitur vertraglich fixierte – namentlich im sogenannten Brudervertrag vom März 1803. Die ältere Forschungsliteratur sieht indes darin den Kulminationspunkt angeblicher »Verstimmungen«400 zwischen den Brüdern. Dieser »unvorteilhaft[e]«401 Allianzvertrag sei der Ohnmacht Ferdinands geschuldet, er habe sich nur schwach gegen die Prärogative seines Bruders zu erwehren gewusst, der Vertrag habe final die »Rechte des Kaiserhauses gegen die Sekundogenitur wiederhergestellt«402. Zwei Argumentationslinien sprechen jedoch gegen eine solche Behauptung, die im Folgenden kurz hergeleitet werden sollen. Erstens ist von einer ›Verstimmung‹ zwischen den beiden Brüdern in den Jahren des Wiener Exils von Erzherzog Ferdinand quellengestützt nichts nachweisbar – ganz im Gegenteil. Im August und September 1799 rüstete die Habsburgermonarchie im Geheimen erneut, um den Krieg nach dem einstweiligen Waffenstillstand wieder gegen Frankreich (schließlich erst bei Hohenlinden) aufzunehmen. Wie ernst diese Rüstungspläne waren, belegt auch die Tatsache, dass der sonst so reisemüde Kaiser Franz sich selbst in die Armeelager nach Passau und Wasserburg begab, um dort die Mobilisierung zu beaufsichtigen. In dieser kritischen und hochgeheimen Rüstungsphase überließ Kaiser Franz die Regierungsgeschäfte der Habsburgermonarchie ganz Erzherzog Ferdinand403. Diese Stellvertretung wird, seitens der älteren Forschungsliteratur nur oberflächlich behandelt, ja sogar wird die Abreise Erzherzog Ferdinands nach Graz während seiner stellvertretenden Regentschaft als Argument für den angeblichen »Unmut«404 über den Ausgang der Entschädigungsgeschäfte in Lunéville missverstanden. Dass Erzherzog Ferdinand jedoch nach Graz auswich, hatte lediglich den Hintergrund, näher bei der stockenden Truppenaushebung in Ungarn zu sein405. Die vielen Briefe während seiner sechswöchigen Stellvertretung zeugen von vertraulichen, engen Absprachen und zeigen einen tatkräftigen Entscheider bei der pflichtgehorsamen Erledigung der Regierungsgeschäfte, der die Sache der Dynastie auch mit militärischen Mitteln zum Erfolg führen möchte406  : »Deine Befehle werden alle pünktlich befolget wer400 Ebd., S. 130. 401 Chroust, Eine österreichische Sekundogenitur, S. 400. 402 Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 129. 403 Kaiser Franz beauftragte Kanzler Thugut am 5. September 1799, »alle andern Ihnen von Demselben zukommenden Aufträge und Befehle gleich den meinigen in genaue Erfüllung bringen«, zit. nach  : Vivenot, Vertrauliche Briefe, II, S. 269. 404 Chroust, Die Geschichte, S. 15. 405 »Von Ungarn weiß ich noch nichts, aber ich möchte nicht, dass die Insurrectionen welche, wie ich vernehme eifrigst betrieben werden, ein Hinderniss wären, um die nothwendigen Recrouten vür die Armee bald zu haben und dass sie nicht wegen den bedarf an Gewehren und Montierungsgegenständen sie deine Armeen einen Abruch oder wenigstens eine Verzögerung bringen könnte.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 38-9-2, Ferdinand an Franz, 16. September 1799. 406 »Das Misstrauen der Königin (von Neapel) wächst, weil sie glaubt, dass wir ein secret machen wollen. […] wegen Stellung der Rekruten und besonders wegen Absendung klingender Münze zu deinen Armeen

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den und ich werde alles betreiben, was zur Fortsetzung des Krieges erforderlich seyen kann. Diese Nachricht wird gewiss ein großes Vergnügen für alle Klassen von Leuten seyen«407. Erzherzog Ferdinand und Kaiser Franz agieren als Handlungseinheit, was dem Pflichtbewusstsein beider, dem Haus Habsburg-Lothringen zu dienen, wie vorher ausführlich dargelegt, ja auch durchaus entsprach. Statt ›Verstimmungen‹ bezeugt die Korrespondenz vielmehr größtes Vertrauen408. Und außerdem passen diese während der stellvertretenden Regentschaft Erzherzog Ferdinands an den Tag gelegte schnelle Auffassungsgabe und Entschlusskraft, die Sachkenntnis auch in militärischen Dingen und eine besonnene Politikgestaltung, ein weiteres Mal nicht in das Bild eines schwachen Fürsten409. Die enge familiäre Bindung, jener ›spezifische Familiensinn‹ zwischen beiden Brüdern, offenbarte sich ein weiteres Mal mit dem plötzlichen und unerwarteten Tod von Erzherzog Ferdinands Frau und Cousine Marie Louisa als Folge der Schwangerschaft mit ihrem sechsten Kind im September 1802410. Der sonst immer etwas distanziert formulierende Kaiser Franz drückt sein Mitleid über diesen Schicksalsschlag mit seinem tiefsten Innern aus und sichert Erzherzog Ferdinand einmal mehr »Beweise von brüderlicher Liebe [zu], welche ich in meiner Jugend für dich schon gehabt habe«411. Zweitens haben alleine die Bemühungen Kaiser Franz’ zwischen dem Vertrag von Lunéville und dem Reichsdeputationshauptschluss für eine halbwegs adäquate Entschädiwerde ich alles mögliche besprechen. Bald werden wir eine Zusammentretung mit dem Finanzen, Hofkriegsrath und Staatsrath veranstalten, um über diesen Punkt eine Regel festzusetzen. […] Dieses sage ich aber nur als einen blossen meinigen Gedanken.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 38-9-2, Ferdinand an Franz, 16. September 1799. 407 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 38-9-2, Ferdinand an Franz, 12. September 1799. 408 Das große Vertrauen des Kaisers in Erzherzog Ferdinand verdeutlicht die folgende Aussage, in der es um Nachrichten um die Waffenstillstandsverlängerung mit Frankreich geht. »Morgen schicken wir wieder einen Courrier mit den bestimmten Nachrichten. Mein Bruder allein weiss hiervon, […] – meine Frau Nichts  ; also bitte ich Sie, lesen Sie meinem Bruder diesen Brief vor  ; sonst schweigen Sie, ich trage es Ihnen auf – auch gegen Thugut«, so in  : Kaiser Franz an Colloredo, 10. September 1799, zit. nach  : Vivenot, Vertrauliche Briefe, II, S. 272. 409 Die gute Regierungsarbeit wird auch von den sonst gegenüber Erzherzog Ferdinand sehr skeptischen Beraterkreisen bemerkt. An Colloredo schrieb Kaiser Franz  : »Mich gefreut es zu vernehmen, dass mein Bruder die Geschäfte aufarbeitet, und ich wünsche, dass, wenn möglich, ich bei meiner Rückkunft Alles in currenti finde.« So in  : Kaiser Franz an Colloredo, 10. September 1799, zit. nach  : ebd., II, S. 272 An anderer Stelle  : »Ihren zweiten Bericht vom 7. habe ich erhalten und mit Freuden ersehen, dass mein Bruder meine alten, so zu nennenden Sünden aufarbeitet.« 410 Erzherzog Ferdinands Frau starb plötzlich, »totalmente sano e perfette«, weshalb eine Autopsie der ehemaligen Großherzogin von Toskana in Wien angeordnet wurde. In diesem italienischen Autopsiebericht vom 20. September musste Ferdinand dann lesen, dass seine Frau an ihrem noch ungeborenen weiblichen Foetus verstorben sei, das an »Idrocefalo«, genetisch bedingter Wasserköpfigkeit, litt. ASF, Segreteria di Gabinetto, Appendice 3/1. 411 HHStAW, Hausarchiv, Familien-korrespondenz A, Kart. 28, Erzherzog Ferdinand von Toskana, Franz an Ferdinand, Wien, 19. September 1802. Im Anhang, Dokument VIII abgedruckt.

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gung der künftigen Besitzverhältnisse von Erzherzog Ferdinand geführt. Auch dies wird seitens der älteren Forschung zumeist übersehen. Der Reichsdeputationshauptschluss verschaffte Erzherzog Ferdinand neben dem Großteil des ehemaligen Hochstifts Eichstätt persönlich auch einen enormen Gebietsgewinn in Böhmen412. Wäre es nach den Plänen Frankreichs gegangen, wäre an Ferdinand eben ausschließlich das Fürsterzbistum Salzburg und die Fürst-Probstei Berchtesgaden gegangen413. Hinzugewonnen werden konnten durch das Verhandlungsgeschick der Unterhändler von Kaiser Franz 15 Quadratmeilen im Passauischen, und 13 ¼ Quadratmeilen aus dem Hochstift Eichstätt. Wesentlich bedeutsamer für diese Aufrechnung sind jedoch die Böhmischen Besitzungen  : Großherzogtum Toskana

Herrschaftskomplex Salzburg, ­Berchtesgaden/Passau, Eichstätt

Geschätzte Fläche414

440 Quadratmeilen

222 ¼ Quadratmeilen

Geschätzte Seelenzahl

1.150.000 Einwohner

270.000 Einwohner

Geschätzte Einkünfte (netto)

3.800.000 fl.

1.611.970 fl.

Erstmals können an dieser Stelle alle böhmischen Besitzungen, die in der Forschungsliteratur bisher nur als unbekannte Größe firmierten, aufgeführt werden. Die folgende Tabelle listet deren zeitgenössisch geschätzten Wert sowie deren jährliche Einnahmen auf, die Kaiser Franz in den Verhandlungen alleine für die Privatkasse Erzherzog Ferdinands realisieren konnte415  : 412 Im Reichsdeputationshauptschluss  : »§1 […] Dem Erzherzoge Großherzoge von Toscana und dessen Zugehörungen  : Das Erzbistum Salzburg, die Probstey Bergtolsgaden, der jenseits der Ilz und des Inn auf der Seite Oesterreich gelegene Theil des Bistums Passau, jedoch mit Ausnahme der Innstadt und der Ilzstadt, samt einem Bezirke von 500 französischen Toisen im Durchschnitte vom äußeren Ende jener Vorstädte an gemessen  ; und endlich die in den oberwähnten Diöcesen gelegenen Capitel, Abteien und Klöster. Die Besitzungen erhält der Erzherzog unter den, auf die bestehenden Verträge gegründeten Bedingungen, Verbindlichkeiten und Verhältnissen […] Der Erzherzog erhält überdies für sich und seine Erben in völlig souveränem und unabhängigem Besitz das Bistum Eichstätt« zit. nach  : Ulrich Hufeld  : Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Köln u.a 2003. Die Böhmischen Besitzungen erhielt Erzherzog Ferdinand in der bereits erwähnten Konvention mit Frankreich und Russland, vom 26. Dezember 1802 in Artikel III  : »S. A. royale l’archiduc grand- duc recevra en remplacement un équivalent en argent comptant, qui sera pris sur les domaines de S. A. électorale Bavaro- Palatine en Bohème, et en cas que ceux – ci n’y suffiroient pas, sur d’autres revenus de S. A. électorale Bavaro-Palatine«, zit. nach  : Bittner, Chronologisches Verzeichnis, Nr. 1442, S. 26. 413 Chroust, Die Geschichte, S. 16. 414 Die Zahlen beziehen sich auf statistische Erhebungen der österreichischen Seite, so in  : HHStAW, Stk, Provinzen, Fasz. 154. Außerdem relevant  : »Einige die zur Erledigung der im 5 und 7 artikel des Lüne­ viller Friedens einer besonderen Übereinkunft vorbehaltenen Gegenstände (nähere Bestimmung der dem Großherzogtum von Toskana und dem erblichen Reichständen gebührende Entschädigungen)« in  : HHStAW, Stk, Toskana 35, Fol. 23–26, 33–47. 415 Eine genaue Berechnung der Wirtschaftskraft und Beschreibung dieser Herrschaften verspricht die Aus-

Bruderliebe und Souveränitätsanspruch  Herrschaftsgebiet mit historischem Namen (und ­heutige Entsprechung)416 Tachlowitz (Tachlovice), Kreis Rakonitz

Geschätzter Wert der Besitzung in fl.

Geschätzte jährliche Einnahmen (brutto) in fl.

1.855.280

120.000

Buschtierad (Buštehrad), Kreis Rakonitz

836.927

36.000

Swollinowes/Swolenjowes (Zvoleněves), Kreis Rakonitz

722.951

20.000

Plosokowitz/Ploschkowitz (Ploskovice), Kreis Leitmeritz

814.418

37.196

Politz (Horní Police), Kreis Böhmisch Leipa

514.139

23.869

Reichstadt (Zákupy), Kreis Bunslau

2.253.191

108.262

Katzow (Kácov), Kreis Czaslau

502.998

30.000

Kronporitschen (Červené Poříčí), Kreis Klattau

552.077

Summe

8.051.981417

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50.000 638.523418

wertung einer für Erzherzog Ferdinand angefertigten Gesamtaufstellung seiner böhmischen Besitzungen, durch seinen dafür bevollmächtigten Salzburger Hofrat Franz Pichler  : Sulla Relatione fiscale di Pichler de 5 Gennaio 1806, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 8, sign. 72, Fol. 63–73. Diese hier verwendeten Zahlen erscheinen schon deshalb valider, weil sich keine Absicht dahinter verbirgt, den Wert künstlich nach oben oder unten zu rechnen, wie dies in den österreichischen oder kurbayerischen Verhandlungsunterlagen der Fall ist. 416 Die vorliegende Aufzählung deckt sich fast mit der Dotationsurkunde für den Herzog Franz Joseph Carl Sohn von Marie-Louise vom 22. Juli 1818. Diese Urkunde weist aber noch detaillierter einzelne Güter auf  : »Die Ernennung aus Artikel 101 der Wiener Kongressakte vom Jahre 1815 und der darin bemerkte Fall, der Einverleibung des Herzogtums Lucca in das Großherzogtum Toskana eingetreten seyn wird und folglich die in Böhmen liegenden bei der königlichen Landtafel in Prag seit dem Jahre 1805 für seine königliche Hoheit Ferdinand Großherzog von Würzburg landtäflich vorgeschriebenen Realitäten, nähmlich  : die Herrschaft Tachlowitz samt inkorporierter Güter Ientsch, Draheltschitz, Horzelitz, Litowitz, Rothaugezd, Hostiwitz, Dobra, Dolan, Chrustenitz, Nenantschowitz, Kosolup und Hof zu Plitz im Rakonitzer Kreis  ; […] das Gut Groß-Boken im Leutmeritzer Kreis  ; […] die Herrschaft Kazow sammt dem Gut Tschestin im Haslauer Kreis  ; […] die Herrschaft Kron-Poritzschen und Ruppau im Klattauer Kreis  ; […]das Gut Mikowitz im Rakonitzer Kreis  ; […] die Herrschaft Ploßkowitz samt Gütern Pilskowitz und Sobenitz im Leutmeritzer Kreis[…] die Herrschaft Reichstadt sammt den Gütern Zwikow und Politz im Leutmeritzer Kreis  ; […] das Gut Sandau im Leutmeritzer Kreis  ; […] das Gut Schwaden im Leutmeritzer Kreis […] das Gut Swoleniowes im Rakonitzer Kreis  ; […] das Gut Trowan im Leutmeritzer Kreis  ; […] die Herrschaft Buschtierad im Rakonitzer Kreis  ; endlich […] das auf dem Hradschin Sub Nro. 182 liegende Landtäfliche Haus.« So in  : HHStA, UR FUK 2314. 417 Die von Kurbayern errechneten Zahlen sind noch größer, versuchten sie doch so wenig wie möglich als Ausgleichsgeschäft abtreten zu müssen  : Als reinen Kapitalwert 9.749.869 fl. 19Xr. So in  : BayHStA, Gesandtschaft Wien 852, Fol.18f. 418 Als jährliche Nettoeinnahmen berechnet die Österreichische Seite »ohne Einbeziehung der Pensionszahlungen« (!) 220.000 fl. Ertrag, Kurbayern hingegen errechnet »Lit.AA pro 1803 werden zu Hauptkasse eingehen 386.728 fl.,29Xr.«. Von 1799–1804 seien insg. 2.256.023 fl. 36Xr eingegangen, was im Durchschnitt der sechs Jahre ca. 376.000 fl. erbrächte, wobei im Jahr 1801 insgesamt 410.463 fl.3Xr eingegangen sein. So in  : Ebd.

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Die Finanzkraft und Größe dieser böhmischen Besitzungen wurde bisher kaum untersucht, obwohl sie in Ausdehnung und Wirtschaftskraft beinahe selbst eine eigene Landesherrschaft darstellten. Das Besondere  : All diese böhmischen Besitzungen gehörten Erzherzog Ferdinand persönlich, nicht dem Erzhaus, alle Einkünfte flossen in seine Privatkasse und fanden keinen Eingang in den Haushalt seines neuen Herrschaftskomplexes. Politisch gehörten diese umfangreichen Besitzungen nach wie vor zum Königreich Böhmen, dessen Herrscher sein Bruder Franz war. Als die Dynastie der Toskanischen Linie der Habsburg-Lothringer 1848 endgültig aus der Toskana vertrieben wurde, bildeten diese Güter den Grundstock ihres Vermögens. Aus einem Teilbereich dieser Besitzungen, der Herrschaft Reichstadt, bildete 1814 der Wiener Kongress eine eigenständige Landesherrschaft für den Sohn von Kaiser Franz’ Tochter Louise und Napoleons, des Königs von Rom. Dass die Regierungsjahre in Salzburg für Ferdinand dennoch immer am Rande des finanziellen Bankrotts verliefen und er stets auf die Zuwendungen seines Bruders angewiesen blieb, lag auch an der vertragswidrigen Zurückhaltung der böhmischen Güter durch Kurbayern. Dennoch ist festzuhalten, dass die in den österreichischen Berechnungen naturgemäß niedrig gerechneten jährlichen Einnahmen Erzherzog Ferdinands von ca. zwei Millionen Gulden – man wollte ja von der verhandelnden Gegenseite Frankreich mehr herausschlagen – immerhin die Hälfte der 3,8 Millionen entsprachen. Auch hinsichtlich der künftigen Stellung seines Bruders im europäischen Großmächtekonzert bewirkte Kaiser Franz viel – zumindest innerhalb seiner Denkkategorien. Er setzte sich persönlich bei Russland und Frankreich für die Verleihung der Kurwürde an Erzherzog Ferdinand ein, die sich erstmals nicht auf seinem Herrschaftskomplex gründen sollte, sondern auf ihn persönlich. Eine solche Rangerhöhung erstrebten trotz des anhebenden Abgesangs auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation eine ganze Reihe Fürsten des Reichs. Kaiser Franz erwählte seinen Bruder, auch um gemeinsam mit ihm die ins Hintertreffen geratene katholische Partei im Kurfürstenkollegium zu stärken – zweifelsohne ein Vertrauensbeweis. Der Verlust der katholischen Mehrheit im Kurkollegium ließ die letztverbliebene Säule kaiserlicher Reichsmacht bröckeln und die Ernennung Erzherzog Ferdinands zum Erzmünzmeister im Angesicht der durch die Revolution veränderten europäischen Koordinaten mutet heute grotesk an. Als Symbol und Zeichen der Wertschätzung hatte diese Ernennung für Kaiser Franz dennoch, dazumal ihm die traditionell in der Rangfolge noch höherwertige Stellung des Erzhofmeisters für seinen Bruder noch lieber gewesen wäre, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Man darf dabei eines nicht außer Acht lassen  : Beide Brüder waren in Herkunft und Erziehung der Gedankenwelt des Ancien Régimes, seiner Machtinszenierung und seiner Symbole verhaftet. Deshalb ist dieser Vertrauensbeweis nicht nur ein »Schatten an der Wand«, auch wenn dem letzten

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Kurkollegium klar gewesen sein musste, dass nach Kaiser Franz wohl kein Nachfolger mehr vom höchsten Gremium des Reichs gewählt werden würde – ganz auszuschließen waren diese Hoffnungen dennoch nicht. Der Brudervertrag

Der Brudervertrag vom 14. März 1803, der der älteren Forschung so oft als Grundfeste in der Argumentationskette des angeblich lebenslangen Zerwürfnisses beider Brüder verwendet wurde, bedarf nicht zuletzt wegen der eben ausgebreiteten Gegenargumente einer Neubewertung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil bisher die Tatsache nicht ausreichend beachtet wurde, dass von Erzherzog Ferdinand – sich anschließend an die geostrategischen Überlegungen seines jüngeren Bruders Karl – selbst nach Herrschaftsantritt in Salzburg »die Anregung zu diesem Vertrag« als verbindliche Regelungen für das Verhältnis von Primogenitur und Sekundogenitur bei Kaiser Franz ausging  : »Mon pays est un avant-poste de la Monarchie dans les guerres d’Empire, de France de Prusse. Si à cet objet V.M. jugera nécessaire d’y bâtir une place, nous conviendrons de tous les points nécessaires au salut de l’Etat, et à l’appui mutuel, vous les réserves de l’indépendance qui constitue ma souveraineté«.419

In diesem Briefausschnitt, der Grundlage für den von Cobenzl und Manfredini im Geheimen ausgehandelten Vertrag gewesen war, verdeutlicht sich das Bild, was Ferdinand unter seiner ›monarchischen Souveränität‹ verstand. Im Angesicht seiner schwierigen geostrategischen Position als Vorposten der Monarchie behalte sich Erzherzog Ferdinand aus der Unabhängigkeit, welche seine Souveränität konstituiere, vor, zum Wohl des Staatswesens seine Souveränitätsrechte an seinen Bruder zu übertragen. Das komplizierte und abstrakte Konstrukt spiegelt sich wieder in der verschränkten französischen Formulierung. In Vertragstext gegossen, liest sich diese weitreichende Übertragung von Souveränitätsrechten spektakulär, weshalb eine Übersetzung des ohnehin in der Forschung nahezu unbekannten Vertrags an dieser Stelle angebracht erscheint420  :

419 HHStAW, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A, Kart. 27, Erzherzog Ferdinand von Toskana, Ferdinand an Franz, 22. Februar 1802. 420 Eine Abschrift des Originals dieses Vertrags, datiert in Wien auf den 14. März 1803 ist im Anhang als Dokument IX zu finden. Die ungewöhnlich prunkvolle Ausgestaltung des Vertrags zeugt von der Bedeutung für das Gesamthaus Habsburg-Lothringen auch für spätere Generationen der Sekundogenitur. Siehe Abbildungen im Anhang als Dokument X.

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Artikel I Zwischen den beiden Vertragsparteien, ihren Erben und Nachfolgern wird es das engste aller Bündnisse geben. Folglich versprechen sie sich künftig bei allen Maßnahmen und politischen Vorgehen, die die gemeinsamen Interessen ihres erhabenen Hauses betreffen, untereinander abzustimmen und namentlich für die deutschen Angelegenheiten versprechen sie sich gegenseitig mit ihren Stimmen im Reichstag und mit ihren guten Diensten in allen Gelegenheiten, die ihre gegenseitige Interesse und Vorteile betreffen, zu unterstützen. Artikel II Die Minister des Kaisers an allen Höfen werden den Befehl bekommen, auf die Interessen von Erzherzog Ferdinand als auch auf jene des Kaisers zu achten und zu diesem Zweck alle ihnen von Erzherzog Ferdinand anvertrauten Dinge mit derselben Effizienz zu erledigen und sodann ihm sofort darüber Bericht zu erstatten. Und wenn es Erzherzog Ferdinand für gut befände, werden an die jeweiligen Höfe, in denen die Brüder wohnen, Minister oder persönliche Vertreter geschickt. Beide werden in allen Angelegenheiten völlig gemeinsam mit jenen Vertretern handeln und diese auch bereitwillig unterstützen. Artikel III Beide Vertragsparteien verpflichten sich, sich in jeglichem Krieg in Deutschland gegenseitig zu helfen und sie verpflichten sich außerdem, nur in gemeinsamem Einverständnis die Waffen niederzulegen, einen Frieden oder einen Waffenstillstand zu schließen. Artikel IV Da Erzherzog Ferdinand diejenigen unter seinen Staaten, die an diejenigen seines Bruders angrenzen, als die Vorposten der österreichischen Monarchie betrachtet, ist er damit einverstanden, dass der Kaiser die für die gemeinsame Verteidigung notwendigen Orte verteidigt, unter anderem die Stadt Salzburg. Der Kaiser verpflichtet sich diesbezüglich alle Kosten zu übernehmen, außer denjenigen, die in einem solchen Fall für die Rohmaterialen und andere Hilfsmittel, die der Ort anzubieten hat, zu Lasten des Landes gehen. Artikel V Erzherzog Ferdinand wird die Anzahl von Truppen unterhalten, die seine Mittel ermöglichen. Diese Truppen werden ihm nach österreichischem Vorbild organisiert und unterhalten. Zu diesem Zweck bietet der Kaiser an, einige erfahrene Offiziere zur Verfügung zu stellen, die vorbehaltlos in den Dienst seines Bruders übergehen werden. Artikel VI Erzherzog Ferdinand wird den kaiserlichen Truppen Eintritts- und Durchmarschrecht in seinen Staaten gewähren, jedes Mal wenn es benötigt wird. Dieses Eintritts- und Durchmarschrecht wird von Seiner Königlichen Hoheit keiner anderen ausländischen Truppe gewährt, es sei denn der Kaiser bittet ihn darum. Artikel VII Das Rekrutierungsrecht des Kaisers in den neuen Staaten des Erzherzogs bleibt im gleichen Zustand, wie es in den besagten Ländern für die ehemaligen Besitzer war. Erzherzog Ferdinand verpflichtet sich, keiner anderen Macht das Rekrutierungsrecht zu gewähren. Artikel VIII Beide behalten sich vor, sich über eine Kartellregelung für die gegenseitige Rückgabe der Deserteure zu einigen. Artikel IX Beide versprechen sich, nie irgendwelche Vereinbarungen zu treffen, die den Klauseln der vorliegenden Konvention zuwiderlaufen würden. Artikel X Sie behalten sich vor, die Abmachungen, die Ihnen am vorteilhaftesten für den jeweiligen Handel erscheinen, unter sich zu vereinbaren, besonders für den Salzhandel. Außerdem behalten sie sich vor, keine Vereinbarungen, die Ihnen gegenseitig schaden könnten, mit irgendeiner anderen Macht zu treffen.

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Artikel XI Erzherzog Ferdinands neue Staaten treten an die Stelle des Großherzogtums Toskana, die er an seine männlichen Nachkommen aufgrund des Vertrags des 21. Juli 1790 vom verstorbenen Kaiser Peter Leopold über die Einrichtung der Sekundogenitur und aufgrund des Vertrags gleichen Datums die Verzichtserklärung von Kaiser Franz, vererben wird. Daher besteht ein Einvernehmen darüber, dass die Konditionen besagter Verträge, sowohl bezüglich der Erbfolge, als auch bezüglich des Rückfallrechts, der Primogenitur des Hauses Österreich im Falle des Aussterbens der männlichen Erben Erzherzog Ferdinands garantiert sind. Dies betrifft alle seine neuen Herrschaftsgebiete und wird in diesem Umfang auch bei künftigen Besitzungen aufrechterhalten. Artikel XII Als Folge dieses Rückfallrechts, verpflichtet sich Erzherzog Ferdinand alle künftigen Tauschverabredungen nur dann einzugehen, wenn sein Bruder Kaiser Franz davon weiß und damit einverstanden ist. Auf der anderen Seite verpflichtet sich Kaiser Franz jedes Tauschprojekt für seinen Bruder, das diesem von Vorteil sein könnte, weil es dessen Besitzungen betrifft – ein Tauschprojekt das gleichzeitig den Wert und die gleiche Sicherheit böte, zur Mehrung seiner Staaten nicht nur zu bewilligen, sondern mit all seiner kaiserlichen Macht zu fördern. Artikel XIII Dieser Vertrag unterliegt der strengsten Geheimhaltung

Der Grundtenor des Vertrags ist offensichtlich  : Ein Haus, eine Linie, eine Stimme in allen außenpolitischen Fragen. Was während der stellvertretenden Regentschaft Erzherzog Ferdinands im Herbst 1799 so erfolgreich funktionierte, soll für die Zukunft festgeschrieben und vertraglich eingefordert werden  : das Agieren von Primo- und Sekundogenitur als Handlungseinheit. Dass dies in der praktischen Umsetzung zwischen beiden Brüdern bisweilen stark verbesserungswürdig war, daraus macht der Vertrag kein Geheimnis. Eine kontinuierliche Kommunikationsarbeit zwischen den Brüdern nimmt darin an prominenter Stelle (Art. I und II.) viel Raum ein. Als effektives Mittel zur Vorbeugung von Missverständnissen oder Fehlinformationen, auch gegen den Eindruck des Über-den-Kopf-des-anderen-hinweg-Entscheidens – wie in den 1790er Jahren geschehen – soll die Kommunikation durch den Aufbau eines Kommunika­ tionsnetzwerks mit Gesandten und Bevollmächtigten an den jeweiligen Höfen verbessert und institutionalisiert werden. Der ›politische Verkehr‹ zwischen den beiden verwandten Fürsten sollte damit standardisiert und professionalisiert werden. Es ist dies ein revolutionär moderner erster Schritt heraus aus dem jahrhundertealten Gewohnheitsrecht, das viele innerdynastische Konflikte hervorbrachte, nun die Hauspolitik durch diesen Vertrag zu rationalisieren – ein erster Schritt auch auf dem Weg zum Familienstatut von 1839. Da der Vertrag im Februar und März 1803 von beiden Brüdern in Wien eng abgestimmt worden ist, kommt ihm deswegen auch eine besondere Bedeutung für die künftige Politikgestaltung als ›Verständigungshandeln‹ beider Brüder zu. Diese Artikel versuchen den kommunikativen Austausch über die ›zum politischen Zweck verdichtete

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Politik‹ zu regeln, sei es in Fragen über Bündnisse mit anderen Mächten (Art. IX), in Handels- (Art. X) oder Territorialfragen (Art. XII) oder auch in der fundamentalen Frage über Krieg und Frieden (Art. III). Dieser Vertrag muss auch so verstanden werden, dass er dem »Prozess der kommunikativen Fabrikation von Politik«421 einen Rahmen geben will, was schon drei Jahre nach Vertragsabschluss dringende Voraussetzung für die Handlungsspielräume Erzherzog Ferdinands werden sollte. Denn ganz konkret finden diese bedeutsamen Artikel ihren Anwendungsfall mit dem Herrschaftsantritt Erzherzog Ferdinands 1806 in Würzburg. In diesem Zusammenhang ist die kaiserliche Instruktion – bisher von der Forschung ebenfalls unberücksichtigt geblieben – für Johann Rudolf Graf von Buol-Schauenstein (1768–1834) relevant, welche jenem bei seinem Amtsantritt als Gesandter des Kaisers im Großherzogtum Würzburg 1807 erteilt wurde. Darin trug der Kaiser Buol auf, er habe sich »nicht nur als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister bei irgendwelchem fremden Hofe sondern zugleich als Hausminister der Primo- bei der Sekundogenitur zu betrachten und in seinem ganzen Benehmen diese zweifache Eigenschaft sich gegenwärtig zu halten.«422 In dieser seiner Funktion als Hausminister solle er »durch sein passives Benehmen den bis dahin bestandenen Verdacht, dass man die Eigenschaft der Primogenitur in eine Vormundschaft über die Sekundogenitur ausdehnen wolle, nach und nach zu ersticken suche[n]«423. Er habe sich dabei besonders klar zu machen, »dass der allerhöchste Hof nicht veranlasst sei, sich um die äußeren oder inneren Angelegenheiten Würzburgs anzunehmen, so lange nicht seine Assistenz reklamiert wird.«424 Zwei Aspekte sind daran bemerkenswert, bedenkt man, dass die im März 1803 getroffenen Vereinbarungen sich auch auf die künftigen Besitzungen Ferdinands beziehen (Art. XI)  : Eine gemeinsame Hauspolitik kann es unter den veränderten Koordinaten, der Gründung des Rheinbunds 1806, nur im kommunikativen Austausch über Dritte, also den Hausminister, geben. Erzherzog Ferdinand könne sich dennoch auf jede Unterstützung in inneren und äußeren Angelegenheiten durch das Haus Habsburg-Lothringen verlassen, wenn er diese nur ›reklamiert‹. Dabei hat Buol sowohl die Aufgabe des Botschafters, als Ansprechpartner für andere Mächte zu dienen, als auch als Verbindungsstation für eine gemeinsame Hauspolitik. Es wird sich im Kapitel II. 1.5 zeigen, dass die im Vertragstext vorgeschriebene und in der Instruktion für Buol Wirklichkeit gewordene Politikgestaltung der beiden kaiserlichen Brüder »zunächst und vor allem

421 Mergel, Politikbegriffe, S. 152f. 422 HHStAW, Stk, Würzburg 6, Weisungen 1807–1816, Instruktion vom 26. Juni 1807. Vollständig abgedruckt im Anhang als Dokument XI. 423 Ebd. 424 Ebd.

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Verständigungshandeln [war], das auf der Basis von Erwartungen nach Erreichbarkeit und Vermittelbarkeit fragt«425. Ein zweiter Aspekt sticht allerdings ins Auge, trägt man den Einwänden der ­älteren Forschung Rechnung, der Brudervertrag sei der Kulminationspunkt brüderlicher ›Verstimmungen‹ gewesen. Dem im Raum stehenden Verdacht der ›Vormundschaft‹ der Primogenitur über die Sekundogenitur möge Buol aktiv entgegenwirken, so die Instruktion von 1807. Das gab der Forschungsmeinung Aufschub, Erzherzog Ferdinand habe seinem dominanten Bruder die tiefgreifenden Einschnitte in seine monarchische Souveränität übelgenommen. Denn in der Tat höhlen die Artikel des Brudervertrags von 1803 Erzherzog Ferdinands Souveränitätsrechte gehörig aus  : Die Aufgabe des Rechts auf die eigene Grenze (Durchmarschrechte in Art. VI), die Aufgabe des Rechts auf eigene Verteidigungsmaßnahmen (Art. IV und V) sowie auf eigene Truppenaushebungen (Art. VII), ja sogar die Aufgabe der alleinigen Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden als Kernelement ›monarchischer Souveränität‹. In der Tat bezieht Erzherzog Ferdinand dazu ungewöhnlich energisch noch vor Vertragsabschluss Stellung, dass seine Interessen, gehe es um Krieg und Frieden, oder um finanzielle oder nachbarschaftliche oder innenpolitische Angelegenheiten lediglich nur sein alleiniges Eingreifen zu erfordern hätten426. In der wichtigen Frage zum ius ad bellum sowie die innenpolitischen Belange wollte er nicht über sich bestimmen lassen. Die Einräumung von Mitbestimmungsrechten jedoch – gleichberechtigt und immer mit dem Fokus auf das Wohl des Hauses – schlug Erzherzog Ferdinand als Grundlage des Brudervertrages selbst vor, wenn sich beispielsweise ein Ländertausch ergäbe427. Erzherzog Ferdinand bestand auf der Möglichkeit zur unabhängigen Politikgestaltung, wie bei seiner erfolgreichen toskanischen Neutralitätspolitik, bei gleichzeitigem Verzicht auf Souveränitätsrechte. Politik als Verständigungshandeln, das sich nach Erreichbarkeit und Vermittelbarkeit ausrichtete, kam so gesehen gar nicht ohne Delegation von Souveränitätsrechten aus. Das jedoch sollte sich in den Augen Erzherzog Ferdinands durchaus auf beide Seiten beziehen. Das sah Kaiser Franz anders. Er antwortete auf diese Forderungen, ob sich Erzherzog Ferdinand vorstellen könne, im Krieg und in der Politik wirklich unterschiedlichen Parteien zu folgen und das Familienoberhaupt 425 Mergel, Politikbegriffe, S. 154. 426 »Enfin je n’oublie point les transactions qui conservent les engagements politiques sur la guerre on sur la paix, car il ne peut y avoir question de ce que mes intérêts, on pécuniaires, on de voisinage on domestique ne sauvaient exiger que ma seule intervention«. So in  : HHStAW, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A, Kart. 27, Erzherzog Ferdinand von Toskana, Ferdinand an Franz, 22. Februar 1803. 427 »Sur les premiers je n’hérite pas de déclarer avec franchise, que quand même je pourvois entamer un échange de pays tout à mon avantage mais qui détériorât la ligne da défense commune, je n’y accéderai jamais sons consulter l’oracle de V.M.« So in  : Ebd. Dem entspricht Artikel XII vollkommen  : Mitbestimmung bei Verzicht auf eigene Verhandlungsführung.

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sich somit in einer Lage befände, wo es notwendig wäre, Sicherheitsmaßnahmen gegen den eigenen Bruder zu ergreifen428. Dieser Deutungsunterschied wird im Vertragstext nur insoweit konsensual gelöst, dass man sich versprach, künftig alle politischen Entscheidungen gemeinsam zu treffen, unterstützt durch das zu etablierende Kommunikationsnetzwerk – der Aushandlungsprozess in der praktizierten Politik zwischen beiden war damit nicht abgeschlossen. Der Dritte Koalitionskrieg

Ein allzu einseitig praktiziertes ›Verständigungshandeln‹, die kritisierte ›Vormundschaft‹ der Primogenitur, zeitigte kurze Zeit später tatsächlich katastrophale Folgen. Erzherzog Ferdinand war darüber nachvollziehbarerweise verzweifelt, als im Dritten Koalitionskrieg andere für ihn über Krieg und Frieden entschieden und er sich am Ende über den erneuten Verlust seiner Herrschaft bei seinem Bruder bitter beklagte, »dass es äußerst schmerzhaft für einen Vater von drey Kindern ist, sie ohne eine Schuld in denen Unglücken seines Hauses mit gefangen zu sehen«429. Bezeichnenderweise mit dem Verweis auf das höhere Ziel von beiden versuchte Kaiser Franz zu beschwichtigen  : »Habe Geduld mit gegenwärtigen fatalen Umständen an den, die man nur mit Beharrlichkeit überwinden kann. Denke, dass nur, wenn unser Stammhaus festbleibt auch das Deine und Deine Familie aufrecht bleiben kann. Schränke Dich auf einige Zeit so Viel als möglich in allem ein und wenn Du Hilfe brauchst, so suche sie vielmehr bei mir als wo immer anderswo. Wenn ich es nur tun kann, wird sie gewiß ohne böse Folgen Dir zu theil werden.«430

Das inhaltsarme Heraufbeschwören der Verpflichtung zur Handlungseinheit, das Ermahnen zur Gefolgschaft des Stammhauses blieb jedoch wenig erfolgreich. Trotz weiterhin enger Absprachen zwischen den Brüdern, trotz eines erneuten Werbens um Frieden aus Salzburg431, trotz gleichzeitiger Versorgung der österreichischen Truppenverbände in seinem Land432, trotz zahlreicher Informationsweitergabe, die im anstehenden Kon428 »Mais pouvez-vous, mon cher frère, vous faire à l’idée, que nous suivions des partis différents tant en guerre qu’en politique, et que sois dans le cas déprendre des mesures de sûreté contre vous  ?« So in  : Ebd. Franz an Ferdinand, 22. Februar 1803. 429 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 10, sign. 84, Ferdinand an Franz, Buda, 5. Januar 1806. 430 ASF, Segreteria di Gabinetto, Appendice Pez. 2, Ins. 3, Franz an Ferdinand, Baden, 19. Januar 1806, Fol. 236. 431 »Neues haben wir sonst nichts in diesem Loche [gemeint ist Salzburg, Anm.d.Verf ]. Bayern antwortet noch keine Silbe ohngeachtet, dass auch du ihnen auf dem Nacken sitzt. Es muss Frieden bleiben« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 40-2-1, Ferdinand an Franz, 7. Januar 1804. 432 »In diesem Augenblicke sind keine Truppen im Durchmarsch. Sobald einige erscheinen werden, habe

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flikt mit Bayern nützlich hätten sein können433 – die Kriegspartei am Wiener Hof hatte die Teilnahme an der Dritten Koalition beschlossen und Salzburg wurde – militärisch ohnmächtig mit seinen 539 eigenen Soldaten noch aus fürstbischöflichen Zeiten – Aufmarschplatz der österreichischen Armee und damit Feind Frankreichs434. Nur etwas Wesentliches unterschied die Situation in Salzburg von der in der Toskana. Die Politik der Primogenitur ließ Erzherzog Ferdinand in seinen Salzburger Jahren keinen Raum zur eigenen unabhängigen Politikgestaltung. Er durfte sich, wie beschrieben, diesmal seine Hilfe ›nicht anderwo‹ organisieren. Erzherzog Ferdinand opferte dem vertraglich fixierten ›Verständigungshandeln‹ mit seinem Bruder das bisher gut funktionierende Doppelspiel mit Napoleon. Eine enge Kontaktpflege zum mächtigsten Mann Frankreichs, wie vormals in der Toskana unternommen, fand während Erzherzog Ferdinands Salzburger Regierungsjahren nicht statt435. ich befohlen, dass selbe mit den wenige Mitteln welche in meinen Kräften sind sobald als möglich befördert werden. Ich wünsche dir gute Witterung denn lange wird sie nicht mehr so schön bleiben«. So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 40-2-5, Ferdinand an Franz, Salzburg 21. September 1805. Zwei Tage später  : »Da du nun nicht weit von hier entfernet seyen wirst, so schreibe ich dir um dir die neuesten Nachrichten zu geben […] Täglich passieren deine Truppen hierdurch und zwar in nicht geringer Anzahl. Da sie ohne vorläufige Nachricht ankommen, so finden wir uns öfters in der schrecklichsten Verlegenheit. Du weißt wie wenig ressourcen wir an allen Früchten haben, mithin bitte ich dich damit der Dienst noch besser besorget werde, habe die Güte zu befehlen, dass man von deiner Seite auf ein Magazin denke wie es anderes Mahl schon geschehen ist.« So in  : Ebd. 23. September 1805. 433 Näheres lässt sich leider nicht herausfinden, aber Erzherzog Ferdinand traf sich mit Kronprinz Ludwig von Bayern (1786–1868) in Salzburg zu Absprachen und das obwohl bekannt war, dass er zur antifranzösischen Partei am Wittelsbacher Hof gehörte. Sofort berichtete Erzherzog Ferdinand seinem Bruder über das Treffen, aber nicht über den Inhalt  : »Der Kurprintz ist schön gewachsen stark bey Leibe, aber von den Blattern sehr im Gesicht verdorben, hat dabei eine offene Physionomie und ist sehr artig. Taub ist er sehr stark und hat viel Mühe beim Reden. Das linke Ohr ist das bessere und wenn man laut redet versteht er ganz gut aber um ihn zu verstehen braucht man einige Übung. […] Er ist sehr gut erzogen und von dem besten Herzen […] Er ist dir ungemein attachiert wie unserem ganzen Hause. Von seinen Ältern redet er wie es seine Schuldigkeit fordert, aber er wird in München sehr kurz gehalten.« So in  : Ebd., Ferdinand an Franz, 23. September 1804. 434 Seine Gebietsteile Berchtesgaden und Passau boten gemeinsam 768 Soldaten auf, im Eichstättischen weitere 91 Soldaten. Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 335. 435 Vgl. Emmer, Erzherzog Ferdinand, S. 73f. Bezeichnenderweise finden sich nur Briefe bis zum 24. April 1803 an Napoleon, in denen er vergebens um seine Restitution in der Toskana bat. Vgl. SUAP IV, RATFerdinand III., ktn. 3, sign. 34. An seinen Schwager Anton von Sachsen (1755–1836) schrieb Erzherzog Ferdinand diesbezüglich   : »J’ai one dans circonstances qu’il pourvoit à propres d’écrie directement à l ’Empereur de France pour le prier qu’il ne mette pas dans ma situation que dût augmenter tous les maux que je déjà souffrir par le trait de Lunéville et ses conséquences. Malheureusement, je n’ai pas eu de réponse   ; Voilà pourquoi je me tais maintenant, dans l’espoir de Dieu.« So in  : ASF, Segreteria di Gabinetto Appendice 2, 3, Ferdinand an Anton, 16. Oktober 1805. Überhaupt überließ er die außenpolitische Richtung nun ganz seinem Bruder in Wien. Das im Sommer anfangs des Dritten Koalitionskriegs, der zu diesem Zeitpunkt (nur) Seekrieg war, noch proklamierte Neutralitätspatent der Habsburgermonarchie von Kaiser Franz

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Diese Möglichkeit wurde ihm erst wieder in seiner neuen Herrschaft am Main eingeräumt. Es bedeutete sowohl eine vollzogene Lehre aus dem Dritten Koalitionskrieg sowie eine deutliche Kurskorrektur seitens der Primogenitur, wenn Kaiser Franz 1807 dann für die Politikgestaltung im Rheinbund festsetzte, dass der ›Hausminister‹ Buol künftig »alle der Primogenitur und der Sekundogenitur erforderlichen Verträge lieber zu ignorieren [habe] als durch Teilnahme irgendwelcher Art unter sehr ungünstigen Umständen die Rechte des Erzhauses, denen ohnehin einseitig nicht präjudiziert werden kann, zu kompromittieren.«436 Buol habe in Würzburg deswegen »zu bedenken, dass der Großherzog in den gegenwärtigen Verhältnissen unabhängig von dem allerhöchsten Hof erscheinen müsste, dass seine Politik sich nach der individuellen Lage richte und dass seine Verbindung mit dem k.k. Hofe sich auf die wohlwollenden Verhältnisse der Verwandtschaft beschränke.«437 Es braucht nicht gesondert darauf hingewiesen zu werden, dass ein großer Unterschied zwischen ›unabhängig erscheinen‹ und ›unabhängig sein‹ besteht, worauf später noch ausführlicher einzugehen sein wird. Nach dem Dritten Koalitionskrieg und dessen für das Haus Habsburg-Lothringen katastrophalen Ausgang änderte sich damit der ›politische Verkehr‹ der darin alliierten Brüder zwar auf schmerzhafte, aber für die Zukunft ertragreiche Weise. Dass im Fall der militärischen Niederlage der Habsburgermonarchie im Dritten Koalitionskrieg Salzburg, Berchtesgaden und Eichstätt als Erstes zum Opfer fallen würden, weil sich Bayern, Baden, Hessen-Darmstadt, Nassau und Württemberg mit Frankreich verbündet hatten, nahm der Hof in Wien, aber auch Erzherzog Ferdinand, der seinem Herrschaftsraum wenig abgewinnen konnte438, billigend in Kauf. Verabredeten die Koalitionäre in der Russisch-Österreichischen Deklaration vom November 1804 u. a. doch lukrative Kriegsziele, die auch Erzherzog Ferdinand sehr zu passe kommen würden  : seine Restitution in der Toskana. Für Kaiser Franz sollte es ganz Bayern sein439.

ließ Ferdinand unkommentiert auch in Salzburg in das Intelligenzblatt drucken. Von Anspruch auf Eigenstaatlichkeit und ›monarchische Souveränität‹ keine Spur. Dazu  : Pesendorfer, Ein Kampf, S. 329. 436 HHStAW, Stk, Würzburg 6, Weisungen 1807–1816, Instruktion vom 26. Juni 1807. Vollständig abgedruckt im Anhang als Dokument XI. 437 Ebd. 438 Siehe oben S. 176, Anm. 770. 439 Convention secrète du 6 Novembre 1804 entre l’Autriche et la Russie et actes y relatifs. Darin Art. XII  : »Les deux Cours impériales désirent que, dans le cas supposé de succès, S. A. R. l’électeur de Salzbourg puisse être replacé en Italie, et qu’à cet effet, il soit remis ou bien en possession du grand- duché de Toscane ou – qu’il obtienne quelque autre établissement convenable dans la partie septentrionale de l’Italie, supposé que les évènements rendent cet arrangement possible.« Zit. nach  : Leopold Neumann  : Recueil des traités et conventions conclus par l’Autriche avec lès puissances étrangères depuis 1763 jusqu’à nos jours. Vienne 1856, S. 110f.; Vgl. Rudolfine von Oer  : Der Friede von Pressburg. Münster u. a. 1965, S. 9–11.

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Zu verlockend waren auch für Erzherzog Ferdinand diese Kriegsziele440 und zu gierig und unvorbereitet trat das Haus Habsburg-Lothringen dann Ende September der Koalition bei441. Nach dem Totalversagen seiner Truppen bei Ulm und später bei Austerlitz ging das Herrschaftsgebiet Salzburg als besiegtes Feindesland – nun französisch besetzt – im Frieden von Preßburg verloren. Erzherzog Ferdinand floh zunächst nach Graz, mit dem weiteren Vordringen der Franzosen bis Wien, dann nach Ofen442. Die Verhandlungen im Vorfeld des Preßburger Friedens 1805 bezeugen, wie sehr sowohl Kaiser Franz als auch Erzherzog Ferdinand die 1803 getroffenen Vereinbarungen des Brudervertrags einhielten und wie erfolgreich die dort vertraglich fixierte Delegation ›monarchischer Souveränität‹ dem Haus Habsburg-Lothringen am Ende diente. Nur skizzenhaft kann an dieser Stelle angeführt werden, wie Erzherzog Ferdinands Verzicht auf eigene Verhandlungsführung bei gleichzeitiger Mitbestimmung über die Tauschgeschäfte den Interessen des Hauses nutzte. Die Bevollmächtigten des Kaisers taten ihr Übriges »immer dann einen Vorteil zu ergreifen, wo immer er sich bot, Länder zu gewinnen, wo sie gerade zu gewinnen waren«443. Das Agieren als Handlungseinheit sicherte Erzherzog Ferdinand trotz abermaliger Vertreibung und jetzt sogar noch als Kriegsgegner Frankreichs immer noch eine gewichtige Stellung bei den Verhandlungspartnern, ohne selbst oder in rechtlicher Vertretung anwesend zu sein. Die Bemühungen der österreichischen Diplomaten für Erzherzog Ferdinand trafen auf der Gegenseite erstaunlicherweise auf anhaltende Sympathie. Napoleon protegierte weiterhin eine Vorzugsbehandlung des Kriegsgegners – interessanterweise in derselben Argumentation, die Ferdinand bereits im Jahr 1800 vor der politischen Bedeutungslosigkeit bewahrte  : Er sah ihn als unabhängigen Souverän, der nur durch die verfehlte Politik der HabsburgLothringer ins Unglück gestürzt wurde, er müsse in Zukunft deshalb einfach eine noch unabhängigere Herrschaft erhalten444.

440 Als Cobenzl im Auftrag des Kaisers an Erzherzog Ferdinand die Russisch-Österreichische Deklaration Anfang Januar 1805 schickte, die zusammenfasste, welche Gewinne zu erwarten seien, wenn eine dritte Koalition gewönne, schrieb Erzherzog Ferdinand an Kaiser Franz enthusiastisch  : »Wenn ich das Glück haben kann zum Ende meiner äusserts unangenehmen und bedrängten Lage jetzt zu gelangen, so werde ich es nur deiner Liebe und Freundschaft für mich zu bedanken haben.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 40-2-5, Ferdinand an Franz, 20. Januar 1805. 441 »Österreich war wieder einmal um ein Jahr, ein Heer und eine Idee zurück.« ebd., S. 23. Insgesamt waren die Kriegsvorbereitungen der Dritten Koalition defizitär  : England knauserte mit den finanziellen Mitteln, Russland war noch nicht kriegsbereit und die Habsburgermonarchie steckte in einer Heeresreform, die durch die Abberufung Erzherzog Karls erneut unterbrochen wurde. 442 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 338. 443 Oer, Der Friede, S. 14. 444 In Venedig, so Napoleon »l’électeur serait dans la plus grande indépendance«, So in  : Napoléon, Correspondance, XI. Bd., Nr. 9532, Napoleon an Talleyrand, 30. November 1805, S. 439.

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Tatsächlich wurde, obwohl französische Bajonette die Hauptstadt Wien beherrschten, kurz vor dem Kriegseintritt Preußens zwischen österreichischen und französischen Unterhändlern ganz ernsthaft darüber diskutiert, dass künftig Erzherzog Ferdinand auf seine Besitzungen im Reich verzichten solle und besser in Oberitalien zu installieren sei, »de la même maniére qu’il a possédé jusqu’ici les etats de Salzbourg«445. Eine Formulierung, die später noch von Bedeutung sein wird. Außenminister Johann Philipp von Stadion (1763–1824) erhielt vom Kaiser die Weisung, dass auf alle anderen Kriegsziele, u. a. größere Gebietsarrondierungen im Reich, verzichtet werden könne, wenn nur Venedig für Erzherzog Ferdinand und das Haus Habsburg-Lothringen gewonnen werden könne446. Als die Entscheidungsschlacht der drei Kaiser in Austerlitz kurz bevorstand, was Napoleon durchaus fürchtete447, ging er sogar noch weiter. Er schlug vor, Erzherzog Ferdinand solle doch mit den Herrschaften Feltrino, Belluno und Cadore, also Venetien und dem Dolomitental als Entschädigung bedacht werden und regte an, »dass die Lagunenstadt etwa als selbstständiges Königreich an den Kurfürsten von Salzburg komme«448. Ein Separatfriede kam jedoch nicht zustande, weil Kaiser Franz seinen Bevollmächtigten in anderen Punkten keine Spielräume ließ. Die Unterhändler mussten das lukrative Angebot ausschlagen449. Der vollkommene Sieg der französischen Armee in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz veränderte jedoch die Verhandlungsgrundlage deutlich. Die Habsburgermonarchie war vollständig besiegt – von den venezianischen Plänen sprach daraufhin keiner mehr. Die französische Seite brachte eine Herrschaft im nun französisch besetzten Tirol für Erzherzog Ferdinand in die Verhandlungen. Das wichtige Kernland habsburgischer Herrschaft seit Jahrhunderten, »die Brustwehr der Monarchie«450, ließ sich der Kaiser gerne ›als Gebietsgewinn‹ anbieten, aber die geheim stattfindenden französischen Verhandlungen mit Preußen verwarfen auch diesen Plan wieder451. 445 »S’il était pas possible de conserver à S. Mté. la possession entière et intacte du duché de Venise, Elle consentirait à ce que la ville de ce nom et la partie du duché la plus voisine du royaume d’Italie jusqu’à la Livenza soient transférées à son auguste frère l’Archiduc Ferdinand en troc des états de Salzbourg, Berchtolsgaden et Passau pour être possédé par S. A. R. et ses héritiers de la même manière qu’il a possédé jusqu’ici les états de Salzbourg. Le reste du dit duché à la gauche de la Livenza resterait au pouvoir de S. Mté.« So als 11e Gradation in  : Zwei geheime Weisungen für Stadion, der Instruktion vom 23. November 1805 anliegend, ediert bei  : Oer, Der Friede, S. 247–250, hier S. 248. 446 Ebd., S. 80. 447 »Wir brauchen den Frieden um jeden Preis  !«. (Eigene Übersetzung) So in  : Napoléon, Correspondance, XI. Bd., Napoleon an Talleyrand, 30. November 1805, Nr. 9532, S. 439f. 448 Oer, Der Friede, S. 94. 449 Zu den Friedensverhandlungen in Brünn und die große verpasste geopolitische Chance, Ebd., S. 139– 148. 450 Ebd., S. 191. 451 Noch kurz bevor der preußische Gesandte Christian von Haugwitz (1752–1832) die Verträge unter-

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Die Habsburgermonarchie stand einen Tag vor Beendigung des Waffenstillstands, der den Krieg wieder hätte aufleben lassen, isoliert da. Stadion, vertraut mit den Zuständen im Reich, lancierte nun einen geostrategisch kühnen Plan bei Talleyrand, der stets eher auf Ausgleich mit dem Haus Habsburg-Lothringen bedacht war452. In diesem geostrategischen Konzept sollte Erzherzog Ferdinand wieder Herrscher eines Vorpostens im Reich werden. In den letzten Stunden vor Ablauf des Waffenstillstands bemühten sich die österreichischen Diplomaten, eine habsburg-lothringisch beherrschte Speerspitze weit in das nun französisch dominierte Reich zu treiben. Erzherzog Ferdinand sollte von Kurbayern das ehemalige Hochstift Würzburg als Entschädigung seiner Herrschaft in Salzburg und Toskana bekommen. Erzherzog Anton Viktor, als Hochmeister des Deutschen Ordens, würde die weiter südlich gelegenen Deutschordensgebiete übernehmen. Die Unterhändler versuchten zusätzlich das Bistum Bamberg für Ferdinand zu erlangen und der Wiener Hof bemühte sich auch noch in den Folgejahren durch den Erhalt der Oberpfalz und Bayreuths eine Landverbindung zu den Kernlanden zu realisieren453. Im Vertragswerk, das dann der Kaiser zu unterzeichnen hatte, blieb nur der Erhalt Würzburgs verbindlich, alle weiteren Entschädigungen machte Napoleon geschickt von seinem künftigen Wohlwollen abhängig454. Ein Vertragspassus, der für die gesamte Regierungszeit Erzherzog Ferdinands in Würzburg relevant bleiben wird. Und das, obwohl er selbst den Friedensvertrag von Preßburg gar nicht unterzeichnete. Ein weiteres Mal tat dies für ihn sein Bruder Kaiser Franz, ganz genauso, wie sie es 1803 gemeinsam verabredeten. Ein reger Schriftwechsel aus Hollitsch, Preßburg und Ofen belegen, wie sehr Erzherzog Ferdinand in die Unterhandlungen eingebunden war455. Als Handlungseinheit versuchte der Kaiser das Beste für die Sekundogenitur und damit für das Haus Habsburg-Lothringen herauszuholen. Vor Austerlitz war der habsburg-lothringische Expansionsdrang trotz Niederlage zu groß, nach Austerlitz versuchte man das Maximale, was bei einem total verlorenen Krieg herauszuholen war. Erzherzog Ferdi­ zeichnet aushändigte, schrieb Napoleon  : »Sûr de la Prusse, l’autriche en passera par ou je voudrai«, so in  : Napoléon, Correspondance, XI. Bd., Nr. 9573, S. 478, Napoleon an Talleyrand. Und genau so kam es. Das Haus Habsburg stand isoliert und musste sich dem Willen Napoleons beugen. 452 Vgl. Oer, Der Friede, S. 241. 453 Vgl. ebd., S. 202. 454 Im Art. 12 des Vertrags von Preßburg  : »Sa Majesté l’Empereur Napoléon promet ses bon offices pour faire obtenir le plutôt possible à S.A.R. l’Archiduc Ferdinand une indemnité peine et entière en Allemagne.« Zit. nach  : Ebd., S. 275. 455 Insgesamt finden sich für die Monate November, Dezember und Januar, in denen der Vertrag verhandelt wurde zehn mehrseitige Briefe. Wie detailliert Erzherzog Ferdinand über die Vorgänge informiert wurde, belegt beispielhaft ein Brief Kaiser Franz’ vom 29. Dezember 1805, im Anhang als Dokument XII. Darüber hinaus wurde Erzherzog Ferdinand immer wieder im Dezember von seinem Bruder dem Palatin Joseph unterrichtet, Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 31.

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nand hatte sich nun in Würzburg mit der ihm gestellten Aufgabe zu identifizieren und dort der Habsburgermonarchie zu dienen456. Diese Umstände beklagte er als großes Unglück, nicht jedoch die zwischen der Sekundogenitur und dem Familienoberhaupt getroffenen Vereinbarungen über eine gemeinsame Politikgestaltung, die ausdrücklich auch in Preßburg für sein neues Herrschaftsgebiet am Main ihre Gültigkeit haben sollten457. Besonders hervorzuheben gilt es  : Diese Abhängigkeit unterschied ihn von den sonst im Friedensvertrag von Preßburg Begünstigten. In all den Briefen an seinen Bruder oder sonst ein Familienmitglied, bei all den Anlässen sich über eine ›Vormundschaft‹ der Primogenitur zu brüskieren, lassen sich keine Hinweise auf Zwang zur Aufgabe seiner ›monarchischen Souveränität‹ finden. Ob freiwillig oder nicht, die Aufgabe von Souveränitätsrechten der Sekundogenitur an die Primogenitur wurden erstens von ihm 1803 selbst aus geostrategischen Gründen vorgeschlagen und zweitens diente sie einem gemeinsamen Zweck  : der Mehrung der Macht des Hauses. Ausdrücklich begrüßte Erzherzog Ferdinand den Passus im Brudervertrag (Art. XI), der das sogenannte Heimfallrecht der Primogenitur auch auf die künftigen Erwerbungen der Sekundogenitur ausweitete, sollte die Linie im Mannesstamm erlöschen458. Ziel war die Besitzstandswahrung und damit der kontinuierliche Ausbau der Dynastie. Dieser Brudervertrag von 1803 muss so gesehen im Kontext eines weiteren Großprojekts als Kernbestandteil der inneren Konsolidierungsprozesse in der Habsburgermonarchie gewertet werden – der Etablierung eines Österreichischen Kaisertums. Die Herrschaftslegitimation des Österreichischen Kaisertums gründete nicht mehr auf der Herrschaft über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, sondern beruhte nur auf der Dynastie und der Person des Familienoberhaupts der Habsburg-Lothringer459. 456 Wie bereits an anderer Stelle angeführt, legte Erzherzog Ferdinand damit das Grundverständnis noch heute lebender Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen  : »Ich glaube auch, Ferdinand war zuerst Habsburger, dann erst Italiener oder Würzburger- Habsburger in dem Sinne, überall eingesetzt zu werden, sich mit der gestellten Aufgabe identifizieren zu können«. Habsburg-Lothringen, Grußwort, S. 15. 457 »Ich habe deinen Brief vom 29. Dezember richtig erhalten aus welchem ich sehe, dass Gott mich noch mehr heimsuchen will  : Sein Wille geschehe und ich nehme es zum besten meiner Seele. Ich zweifle gar nicht, dass du wirst alles angewendet haben um das Unheil was mich betrifft zu erleichtern wie du mir es versicherst«. So in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 10, sign. 84, Ferdinand an Franz, Buda, 5. Januar 1806. 458 »Votre Majesté a un droit légitime, et qu’on ne peut ni doit contester sur la réversibilité à l’extinction de mes descendants   ; je m’engage de consigner ce droit dans un acte, dont le force et l’authenticité ne souffrira aucun doute.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A, Kart. 27, Erzherzog Ferdinand von Toskana, Ferdinand an Franz, 22. Februar 1803. 459 »Die Verbindung aller Staaten zu einem Staatskörper war nur in der Person des erblichen Kaisers von Österreich garantiert […] diese Einstellung war bei Kaiser Franz II.(I.) und Metternich grundgelegt und hielt bis zum Ende der Monarchie an«. Werner Telesko  : Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger

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Als durch die auf allen Seiten emsig betriebene Säkularisation die letzte Säule der a­ lten kaiserlichen Macht – die Unterstützung durch die geistlichen Fürsten – fiel und das Reich in der Reichsdeputation 1803 faktisch aufgehört hatte zu existieren und sich zudem Napoleon im Mai 1804 selbst zum Kaiser krönte, war ein neues Narrativ zur Herrschaftslegitimation erforderlich. Auf diese eigenmächtige Rangerhöhung Frankreichs und den Wegfall alter Reichsmacht reagierte die Staatskanzlei in Wien insofern, dass der Kaisertitel in Zukunft nicht nur auf einem Territorium der Erbländer allein basieren sollte, »sondern auf dem Complexum aller Ihrer [Kaiser Franz, Anm. d. Verf.] unabhängigen Staaten und auf der Person des Regenten, der diese Staaten unter seinem Szepter vereiniget«460. Damit gab man eine bis 1918 gültige politische Grundkonzeption einer »Realunion«461 aller unabhängigen Staatswesen innerhalb der Habsburgermonarchie vor, die unter Kaiser Franz in den Folgejahren nach Preßburg erste Gestalt annahm und für die nächsten Generationen handlungsleitend war. Die durch diese Konzeption beabsichtigte Erhöhung des Erzhauses und damit die in Europa beispiellose Zentralstellung der Dynastie innerhalb eines ›souveränen Gesellschaftsverbands‹ war keineswegs mit der Schaffung des Österreichischen Kaisertums am 11. August 1804 bereits erreicht. Auch wenn Traditionslinien über die Zeit der Pragmatischen Sanktion von 1713 hinaus bis zu den

und ihre Geschichte in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Wien 2006, S. 46. Keineswegs bestritten seien damit die langen geopolitischen Traditionslinien der sukzessive entstehenden monarchia austriaca. Vgl. Brigitte Mazohl-Wallnig  : Zeitenwende 1806. Das Heilige Römische Reich und die Geburt des modernen Europa. Wien u. a. 2005, S. 95f. Vielmehr wird hiermit versucht, die prozessuale und systematische Implementierung des theoretischen Konstrukts, des Narrativs eines Österreichischen Kaisertums innerhalb des Familienverbands zu belegen. Außerdem wichtig in diesem Kontext  : Haug-Moritz, Gabriele/Holtz, Sabine/Kasper, Verena/Moisi, Stephanie  : Die österreichische Kaiserwürde (1804) und das Ende des Alten Reiches (1806) im Spiegel der Medien. Die Steiermark und der Süwesten des Reiches, ein Vergleich. Graz 2008. Grundlegend für die verfassungsrechtliche Perspektive außerdem  : Wilhelm Brauneder  : Die Pragmatische Sanktion als Grundgesetz der Monarchia Austriaca von 1713 bis 1918, in  : Helfried Valentinitsch (Hg.)  : Recht und Geschichte. Festschrift Hermann Baltl zum 70. Geburtstag. Graz 1988, S. 51–84  ; Wilhelm Brauneder  : Österreichische Verfassungsgeschichte. Wien 112009  ; Ders.: Die Habsburgermonarchie als zusammengesetzter Staat, in  : Hans-Jürgen Becker (Hg.)  : Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte (Beihefte zur »Der Staat«, Bd. 16). Berlin 2006, S. 197–236. 460 So im Mémoire Cobenzls vom 8. August 1804 an Kaiser Franz, zit. nach Gottfried Mraz  : Das Kaisertum Österreich – Die Vollendung der Gesamtstaatsidee, in  : Gottfried Mraz/Henrike Mraz u. a. (Hg.)  : Kaisertum Österreich 1804–1848. Ausstellung Schallaburg, 27. April bis 27. Oktober 1996. Bad Vöslau 1996, S. 1–25, S. 9. Zum Ende des Alten Reiches Mazohl-Wallnig, Zeitenwende 1806, dort v.a. S. 217–266. 461 Matthias Stickler  : Die Herrschaftsauffassung Kaiser Franz Josephs in den frühen Jahren seiner Regierung. Überlegungen zu Selbstverständnis und struktureller Bedeutung der Dynastie für die Habsburgermonarchie, in  : Harm-Hinrich Brandt (Hg.)  : Der österreichische Neoabsolutismus als Verfassung- und Verwaltungsproblem. Diskussionen über einen strittigen Epochenbegriff. Wien [etc.] 2014, S. 35–60, S. 44.

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Babenbergern und Friedrich III., der Österreich in völliger Unabhängigkeit vom Reich ein Königtum schaffen wollte, zurückreichten462. Der innere Konsolidierungsprozess, den Kaiser Franz und Erzherzog Ferdinand gemeinsam gestalteten, veränderte die äußere Gestalt der Habsburgermonarchie nachhaltig und er ließ aus einem Narrativ der Neubegründung des Kaisertums auf Dynastie und Regent ganz reale Tatsachen für die nächsten Generationen der Habsburg-Lothringer werden. Das zeugt jedoch von einer prozessualen Entwicklungsgeschichte, einer kleinschrittigen, schwierigen Genese, nicht von plötzlichem Geschehen. Dazu war einmal mehr die Mithilfe aller Glieder der Dynastie erforderlich, das Erzhaus durch die napoleonischen Verheerungen hindurch nicht etwa nur zu sichern, sondern dabei eine Erhö­ hung dessen gegenüber den anderen Mächten sukzessive auch zu realisieren. Für den künftigen Machtanspruch und die Machtsicherung Österreichs war das Dienen aller Mitglieder für die Dynastie vorher zwar schon selbstverständlich, aber mit Neubegründung des Österreichischen Kaisertums während beständiger Kriege schlicht existentiell. In den Zeiten des faktischen Macht- und Einflussverlusts in Mitteleuropa schweißte dieser Dienst für das Haus Österreich, und damit für Kaiser Franz selbst, alle Mitglieder der kaiserlichen Familie fest zusammen463. Wenn die ältere Forschung die Aufgabe der Souveränitätsrechte Erzherzog Ferdinands als schwächliches Regierungshandeln interpretiert, nimmt sie damit die Möglichkeit, dass er sich ganz bewusst während des Aufbauprozesses des Österreichischen Kaisertums gemäß seiner Erziehung und persönlichen tiefsten Überzeugung in den Dienst dessen stellte – auch als Sympathisant und Günstling von Napoleon, auch später als Rheinbundfürst. Da das Österreichische Kaisertum eben auf dem ›Complexum aller unabhängiger Staaten‹ beruhte, kann überhaupt von Souveränität im Wortsinn für Erzherzog Ferdinand nicht ausgegangen werden. Richtete sich in der Folgezeit nach Preßburg für alle deutschen Fürsten ihre Staatsraison nach Erlangung staatlicher Souveränität, was ein »unerhört nützliches Instrument der französischen Diplomatie dar[stellte]«464, folgten Kaiser Franz und Erzherzog Ferdinand eher einer ›Dynastieraison‹. In der Verfassungswirklichkeit des 1806 untergegangenen Alten Reichs ließ sich für die Fürsten der Begriff Souveränität aus dem 16. Jahrhundert genauso wenig in der Realität abbilden wie dann im Rheinbund. Für Erzherzog Ferdinand scheint es, wie dargelegt, kein erstrebenswer-

462 Vgl. Mraz, Das Kaisertum, S. 8. 463 So war »der spezifische ›Familiensinn‹ des Hauses Habsburg-Lothringen […], wie zurecht festgestellt wurde, ein Zeugnis der Epoche Franz’ und auch von ihm persönlich, der gleichsam zum Pater Familias des Reiches wurde«. So in  : Ziegler, Franz II, S. 66. 464 Oer, Der Friede, S. 40.

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tes Ziel gewesen zu sein, sich aus dem Familienverband auszugliedern, eine tatsächlich unabhängige Herrschaft auszuüben465. In diesem Licht erscheint es auch nicht verwunderlich, dass sich Kaiser Franz von 1802–1805 in sein großes Staatswappen auch Salzburg, Eichstätt, Berchtesgaden und Passau mitaufnehmen und von 1806–1814 in seiner großen Titulatur auch Herzog in Franken nennen ließ und im großen Staatswappen des Kaisertums Österreich dann das Würzburger Rennfähnlein und der fränkische Rechen zu finden war466. 1.5 Ein Habsburger im Rheinbund – Realpolitik zur Erreichung des ›politischen Zwecks des Krieges‹

Erzherzog Ferdinands Herrschaftsantritt in Würzburg hatte große Bedeutung für die Menschen am Main. Viele freuten sich dort, »dass […] unser Ländchen dem tyranni­ schen Scepter entrissen ist  !«467. Weil dieses ›Ländchen‹ mit Blick auf den Weltkrieg 465 Der Text des Besitzergreifungspatents von Salzburg Erzherzog Ferdinand vom 11. Februar 1803 bringt sein Verständnis von ›monarchischer Souveränität‹ auf den Punkt (und macht ihn im Übrigen vor allen public)  : »So haben wir uns entschlossen von diesen Ländern und ihren Zugehörden, welchen Rahmen solche immer haben mögen, nach Maßgabe der Freyheiten Unseres Erzhauses und nach dem Hausvertrage vom 21. Julius 1790 festgesetzten Sukzessions und Rückfalls-Rechten nunmehr wirklichen Besitz zu ergreifen.« So in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn.3, sign.44. Allgemein zum Problem der dynastischen Nachfolge im Haus Habsburg-Lothringen  : Hansert, Andreas  : Welcher Prinz wird König  ? Die Habsburger und das universelle Problem des Generationswechsels  : eine Deutung aus historisch-soziologischer Sicht. Petersberg 1998. 466 Vgl. Abbildung im Anhang als Dokument XIII. Genauso übrigens wie 1804 schon für das Gebietskonglomerat Salzburg, Eichstätt, Berchtesgaden und Teile im Passauischen geschehen, vgl. Mraz, Das Kaisertum, S. 11. 467 Günther, Der Übergang, S. 92. Authentisch wirken die Berichte von Caroline Schelling, die alles andere als begeistert in ihr Tagebuch am 12. März 1806 notiert – auch wenn die Familie Schelling letztlich Profiteure der bayerischen Herrschaft gewesen war  : »Wer hätte sich so ein verruchtes Zeug träumen lassen  ! Es ist ein Spott des Zufalls, dass wir am Ende noch kaiserlich werden müssten. Am Ende freilich werden wirs nicht bleiben  !« So in  : Schelling, Briefe, S. 422. Sie scheint nahezu die einzige zu sein, die sich nicht über den Habsburg-Lothringer freut, wenn sie am 25. April schreibt  : »die Narrheit ist nun völlig ausgebrochen und traut sich bei hellen Tag auf offener Gasse zu erscheinen, denn man glaubt endlich vor einem Rückfall sicher zu sein.[…] man hat keinen ruhigen Augenblick mehr vor Bürgeraufzügen, execieren, paradieren, Musik die ganze nacht hindurch, wobei sie ein paar furchtbare Pauken, die irgendwo gesteckt haben mögen, in schmetternde Bewegung setzen, dass ich zittere, wenn ich sie von weitem inne werde. Die Kockade steckt auf allen Hüten, die kleinen Seufferts [Gemeint ist Die Familie Johann Michael von Seuffert, Anm.d.Verf ] haben sie bis aufs Neugeborene in der Wiege.« Ebd. S. 427. Tags darauf  : »Wir laborieren hier an der Ankunft des Regenten, von der niemand etwas sicheres weiß, aber alle glauben und hoffen. Unzählige Illuminationsgerüste stehen fertig, die Ampeln werden auf Wägen gefahren, es ist kein Unschlitt mehr in der Stadt aufzutreiben, Tag und Nacht exerciert das Bürgervolk, sie müssen noch bersten vor Patriotismus und Zuneigung, wenn der Herr nicht bald kommt.« Ebd. S. 434.; allgemein  : Brandt, Würzburg.

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von 1792–1815 zu provinziell, zu regional für die Historiografen erschien, spielt es, wie bereits beschrieben, in den Geschichtswerken unserer Tage kaum eine Rolle – der »ephemere Kunststaat«468 ist kaum einer Randnotiz wert. Wie in einem Brennglas bündeln sich jedoch in diesem Staatswesen am Main die weltpolitischen Gegebenheiten und es wird im Folgenden zu zeigen sein, dass es für das europäische Mächtegefüge eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Zunächst sollen daher aus den »internationalen Rahmenbedingungen«469 die »äußeren Restriktionen«470 herausgearbeitet werden, die den Handlungshorizont von Politik im Krieg konstituieren. Der Weltkrieg der Sattelzeit hatte eine Epoche der Antagonismen hervorgebracht, die sich ab 1806 immer krasser voneinander abgrenzten und immer unversöhnlicher aufeinanderprallten471  : Lehensherrschaft und Revolution, Bürgertum und Adel, Bündnispolitik und postabsolutistisches Souveränitätsstreben etc. Das europäische Mächtegefüge wurde aber von einem Antagonismus zwischen zwei ›souveränen Gesellschaftsverbänden‹ besonders erschüttert  : Der Dualismus zwischen den bürgerlich-kapitalistischen Staaten Frankreich und England geriet an seinen Kulminationspunkt, als England, die stärkste Protoindustrie- und Handelsmacht der Welt, durch die Kontinentalsperre ausgehebelt werden sollte. Während Englands kontinentaler ›Festlandsdegen‹ – allen voran in der Gestalt der feudalen Großmacht Habsburg-Lothringen – beständig gegen die Massenheere Napoleons verlor, gewann es selbst zur gleichen Zeit auf den Meeren und in den Kolonien an Geld und Einfluss472. Napoleon suchte im Ringen mit England nach »globaler Dominanz«473, auf dem Wege europäischer Hegemonie. Nach dem Frieden von Preßburg schuf er ein auf diese Hegemonie ausgerichtetes Staaten- und Militärsystem in ganz Europa und erzeugte damit eine »explosive Kombination von militärischer Ambition und Geldnot, die die Weltkrise seit ihrem Beginn angetrieben hatte«474. Zwischen 1806 und 1815 trachteten alle ›souveränen Gesellschaftsverbände‹ nach territorialer Expansion, um die Mittel – Geld und Soldaten – aufzubringen, damit sie sich einen Krieg leisten konnten, der wiederum neue Expansionen zur wiederholten Mittelakquise beschaffen sollte. Sie verfolgten damit eine Überlebensstrategie, die Krieg als einziges existenzsicherndes Mittel im ›politischen Verkehr‹ erlaubte.

468 Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 114. 469 Jäger u. a., Carl von Clausewitz, S. 222. 470 Beckmann, Clausewitz trifft Luhmann, S. 115. 471 Zur Diskussion über den Charakter von 1806 als Epochenjahr der Sammelband  : Christine Roll/Matthias Schnettger (Hg.)  : Epochenjahr 1806  ? Das Ende des Alten Reichs in zeitgenössischen Perspektiven und Deutungen. Mainz am Rhein 2008. 472 Vgl. Bock, Napoleon-Deutschland-Europa, S.98f. 473 Siemann, Metternich, S. 238. 474 Bayly, Die Geburt, S. 123.

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In dieser Phase drehte es sich für alle Herrschaftsträger in Europa um »die Durchsetzung, Etablierung und Zerstörung des napoleonischen Kontinentalsystems [und] alle Friedensschlüsse […] zählten jeweils nur als Waffenstillstand vor dem nächsten Feldzug«475. Napoleons Kontinentalsystem richtete sich ganz nach seiner Kriegsstrategie gegen England – der Kontinentalsperre – aus476, die versuchen sollte, den Gegner wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Sie beschwor ein System herauf, deren erforderliche Perfektion unmöglich zu erreichen war. Nur eine einzige ungedeckte Küste, nur ein ›souveräner Gesellschaftsverband‹ auf dem europäischen Festland, der seine Häfen ­öffnete und die Blockademaßnahmen aller anderen wurden nutzlos. Die ›totale‹ Kontrolle erforderte einen ›total‹ geführten Krieg477. Eine theoretische Grenzziehung zwischen diplomatisch-ziviler und militärischer Politikgestaltung der ›souveränen Gesellschaftsverbände‹ war durch die Herausforderung Napoleon in der Phase 1806–1815 in Europa nicht möglich. Nach dem Frieden von Preßburg hatte sich der Antagonismus zwischen dem revolutionären Frankreich und dem alteuropäischen Habsburg-Lothringen nicht aufgelöst. Englands ›Festlandsdegen‹ war nach Ulm und Austerlitz – um im Bild zu bleiben – brüchig geworden, bevor er 1809 erneut voreilig gezogen, ganz zerbrach. Nicht erst mit Klemens Wenzel Lothar von Metternich (1773–1859) änderte sich die österreichische Politik, die sich ab 1810 nach seinen Worten ausrichtete »auf ein ausschließendes Lavieren, auf Ausweichen dem Andrange, auf Schmeicheln dem Gegner«478. Dass dies das Haus Habsburg-Lothringen bereits seit 1793 durch die Sekundogenitur in der Toskana bestellen ließ, ist zu Unrecht bisher historiografisch ausgeblendet worden. Ab 1806 führte Erzherzog Ferdinand seinen ›politischen Verkehr‹ im Krieg von Würzburg aus mit ›Lavieren, Ausweichen und Schmeicheln‹ so erfolgreich, dass er nach Napoleons politischem Ende 1814 in der Toskana restituiert werden konnte. Wie konnte ihm das gelingen, sah die ältere Forschung in ihm von 1806–1814 den »Prototyp des Rhein-

475 Siemann, Metternich, S. 239. 476 Historiografen, die sich im 20. Jahrhundert entweder auf Preußen oder auf Marx fixierten, arbeiteten sich stets mit eingeschränkter Forschungsperspektive an Frankreich ab, als Erbfeind oder Vorbild. Die zerstörende Kraft der britischen Seeherrschaft allerdings, die auch in dieser Untersuchung sträflich vernachlässigt bleiben muss, thematisierte die Wissenschaft erst spät. Richtungsweisend in dieser Frage muss m.E. nach Hans-Uwe Wehlers Analyse der Negativauswirkungen britischer Dominanz gelten, deren Ursache er im »Auseinanderklaffen der Wachstumspfade« zwischen England und dem Festland schon viel früher ausmachte und die Kontinentalsperre erst als viel spätere Reaktion darauf wertete, so in  : Hans-Ulrich Wehler  : Deutsche Gesellschafts-Geschichte. 1700–1815. Band 1. München 1987, S. 487  ; Vgl. Bock, Napoleon-Deutschland-Europa, S. 112–115. 477 Vgl. ebd., S. 101. 478 Vortrag Metternichs am 10. August 1809, zit. nach  : Siemann, Metternich, S. 307.

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bundfürsten, der ohne Rücksicht auf die Folgen für sein Land und dessen Bewohner bedenkenlos alle Anforderungen Napoleons erfüllte«479. Diese leitende Frage des folgenden Kapitels wird durch die Beschreibung von Erzherzog Ferdinands Verständigungshandeln mit beiden antagonistischen Machtblöcken während des Weltkriegs geklärt. Schlaglichtartig wird im folgenden Kapitel »nach Herrschaftsstrukturen und nach den Funktionen von Entscheidungen«480, nach der »Geschichte der praktizierten Politik«481, oder um es mit Kondylis zu formulieren, nach seiner »zu einem politischen Zweck verdichtete[n] Politik«482 gegenüber Napoleon und seinem Bruder geforscht483. Wenn Wolfram Siemann für Metternichs Politikgestaltung ab 1810 die kongeniale Brecht-Parabel der ›Methode Keuner‹ als treffende Charakterisierung fand484, muss das – wie schon in den vorhergehenden Kapiteln ausführlich dargelegt – auch für Erzherzog Ferdinand gelten, nur begann er bereits 1793 damit. Siemann führt in seiner Metternich-Biografie aus, dass es Metternichs Bestreben gewesen sei, ausgerichtet auf ein politisches Ziel, »die Rettung des Gesamtstaats kraft möglichst schneller Entfaltung seiner Ressourcen für den Wiederaufbau«485, die Verhaltenstaktik situativ und kühl berechnend auf das Ziel auszurichten. Ausgehend von Bertholt Brechts Parabel ›Maßnahmen gegen die Gewalt‹ aus dem Zyklus ›Geschichten vom Herrn Keuner‹ leitet Siemann die »Methode Keuner« ab. Sie verdient es aufgrund der analytischen Präzision hier vollständig zitiert zu werden, weil sie exakt auch auf das ›Verständigungshandeln‹ von Erzherzog Ferdinand im Rheinbund zutrifft, wie auszuführen sein wird  : »Eigentlich ist es eine Geschichte in einer Geschichte, denn Herr Keuner erzählt hier von einem Herrn Egge, welcher in der Zeit der Gewaltherrschaft einen allmächtigen Agenten in seinem Haus beherbergen musste. Dieser fragte  : ›Wirst du mir dienen  ?‹ Herr Egge blieb stumm, diente aber dem Gebieter in allen Dingen sieben Jahre lang, bis dieser dick geworden war und starb. Herr Egge schaffte ihn aus dem Haus, und erst dann antwortete er – ›nein‹. Diese Parabel berührt in szenisch-anschaulicher Weise, wie ein Verhalten von außen irrtümlich als weichlich und opportunistisch angesehen werden kann, das erst in der folgenden Maxime

479 Börner, Krise, S. 26. 480 Mergel, Politikbegriffe, S. 147. 481 Dülffer, Militärgeschichte, S. 130f. 482 Kondylis, Theorie des Krieges, S. 31. 483 Es soll hierbei also um das Herausarbeiten von großen Linien der Politikgestaltung Erzherzog Ferdinands gehen, denn in seinem chronologisch geordneten Detailreichtum wird Anton Chrousts Lebenswerk über die Außenpolitik des Großherzogtums Würzburg unerreicht bleiben. 484 So in  : Siemann, Metternich, S. 306. 485 Ebd.

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von Herrn Keuner seine richtige Erklärung findet  : ›Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muss länger leben als die Gewalt‹.« 486

Ohne Opportunismus, aber mit langem Atem und stets seinem Kriegsziel vor Augen agierte Ferdinand in seinen Würzburger Herrschaftsjahren mit politischer Klugheit zwischen diesen antagonistischen Machtblöcken im Talkessel der alten Residenzstadt am Main – als Diener Habsburg-Lothringens im napoleonischen Rheinbund. Der ›politische Verkehr‹ mit Napoleon

Das wirkungsvolle ›Nein‹ aus Berthold Brechts Parabel des Herrn Keuner am Ende der jahrelangen Gewaltherrschaft hört man auf ganz ähnliche Weise auch von Erzherzog Ferdinand  : »Was Napoleon auf dem Felsen mit 13000 Einwohnern [Insel Elba, Anm. d. Verf.] wird anfangen wollen, weiß ich nicht. Vielleicht macht er einen Piraten. Das allerbeste in aller Rücksicht wäre, wenn es unserem Herr Gott gefiehle ihn aus dieser Welt zu schaffen«487. Diese offenen Worte Erzherzog Ferdinands an seinen Bruder von 1814 zeugen vom Gefühl wiedererhaltener Sicherheit, von Triumph, am Ende des Krieges das Kriegsziel erreicht zu haben und es schwingt darin ein Gefühl der Befreiung von einer großen Bürde mit. Neun Jahre lang vom Friedensvertrag von Preßburg 1805 bis zum erneuten Regierungsantritt in der Toskana blieb Erzherzog Ferdinand – wie Herr Egge – in Würzburg während Napoleons Herrschaft über Europa stumm und diente. Die Herrschaft Erzherzog Ferdinands am Main war während dieser Zeit dauerhaft gefährdet, hatte Napoleon doch bereits weit mächtigere Fürstengeschlechter entthront, wie die Welfen in Hannover und die Bourbonen in Neapel-Sizilien. Selbst die Päpste im Kirchenstaat waren nicht sicher. Erzherzog Ferdinand war schließlich durch französischen Druck von seinem rechtmäßigen Erbe getrennt worden. Der Eindruck akuter Existenzgefährdung durch erneuten Entzug seiner ›monarchischen Souveränität‹ herrschte jederzeit auch in Würzburg. Die Mediatisierung selbst von im Rheinbund konföderierten Fürsten wie Oldenburg, Arenberg und der Fürsten von Salm statuierten ein deutlich sichtbares Exempel, dass der Beschützer und Gewahrer von Souveränitätsrechten nicht davor zurückschreckte, vertraglich zugestandene Souveränität mit seiner Unterschrift auch wieder zu beenden488.

486 Ebd. 487 HHStAW, Sammelbände 45-5-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 20. April 1814. 488 Vgl. Karl Murk  : »… ohne Ruder, ohne segel in der offenen See während heftigsten alles entwurzelnden Sturmes«. Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume kleinstaatlicher Politik im napoleonischen Rheinbund  : Staat, Gesellschaft, Wissenschaft. Beiträge zur modernen hessischen Geschichte  : [Hellmut

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Die stets drohende Gefahr ließ sich auch durch die gönnerhaften Worte ›der Wertschätzung und Freundschaft‹ Napoleons nicht verschleiern, denn der Subtext war ent­ scheidend. Er gratulierte beispielsweise dem neuen Kurfürsten von Würzburg überschwänglich und stellte es so dar, als hätte er selbst Erzherzog Ferdinand zu einer besseren Stellung verholfen und ihm eine Herrschaft ermöglicht, die ihm durch die ›nouveaux arrangements de la paix‹ seine Souveränität versichert  : »J’ai regardé comme une circonstance heureuse pour moi l’occasion qui s’est présentée d’améliorer Votre position et d’assurer Votre indépendance dans les nouveaux arrangements de la paix. Mr. Manfredini Vous dira, combien je désire faire quelque chose qui soit agréable à V. A. roy. et Vous convaincre de l’estime et d’amitié que je Vous porte.«489

Die erneuerte Bestätigung vom Oktober 1800 als ›souverain indépendant‹ für Erzherzog Ferdinand hinterlässt in dieser Glückwunschadresse den Eindruck einer nicht ausgesprochenen Einschränkung ›aber nur durch meine Gnade und Gunst‹, wähnte Napoleon sich doch als Stifter des Friedens von Preßburg, als Garant von ›monarchischer Souveränität‹ aller dort Begünstigten490. Mit diesem Selbstverständnis ließen sich leicht die feinen Nuancen der Politikgestaltung des Gegners übersehen, ließen sich leicht die harten Verhandlungskämpfe um Worte seiner diplomatischen Sacharbeiter mit den österreichischen Unterhändlern geringschätzen491. Diese sorgten jedoch dafür, dass in Art. XI des Preßburger Friedensvertrags die Souveränität Erzherzog Ferdinands über Würzburg mit einem einzigen Halbsatz wirkungsvoll eingeschränkt wurde  : ›de la même manière et aux mêmes conditions qu’elle possédoit l’électorat de Saltzbourg‹. Ist Napoleon entgangen, dass Ferdinand öffentlich bei seinem Regierungsantritt in Salzburg wahrheitsgetreu angab, die Herrschaft dort nur nach der »Maßgabe der Freyheiten Unseres Erzhauses und nach dem Hausvertrage vom 21. Julius 1790 festgesetzten Sukzessionsund Rückfalls-Rechten«492 auszuüben  ? Was hatte es also mit der ›monarchischen Souveränität‹ Erzherzog Ferdinands zunächst als Kurfürst, mit seinem Beitritt zum Rheinbund im Herbst 1806, dann als Großherzog von Würzburg auf sich  ?

Seier zum 65. Geburtstag]. Marburg 1994, S. 23–42, S. 34. Bereits ein Jahr nach ihrem Beitritt zum Rheinbund wurden diese Fürsten kurzerhand 1807 entthront. 489 Napoléon, Correspondance, XI. Bd., Nr. 9643, S. 522, Napoleon an Ferdinand. 490 Der Artikel 14 des Preßburger Friedens bestimmte nicht etwa Frankreich, sondern die Person Napoleon als Garant, »de la plénitude de la souveraineté et de tous les droits qui en dérivent, et qui leur ont été garantis par Sa Majesté l’Empereur des Français, Roi d’Italie.« Zit. nach  : Oer, Der Friede, S. 275. 491 Talleyrand berichtete aus Preßburg nach Paris  : »Eine Verhandlung ist für mich, was ein Kampftag für die Armee ist«. Zit. nach ebd., S. 242. 492 So in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn.3, sign.44.

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Drei Akteure verfolgten je unterschiedliche politische Zwecke mit der ›monarchischen Souveränität‹ Erzherzog Ferdinands und bei der Analyse dieser Zwecke entwickeln sich auch mögliche Deutungsrahmen, warum es gerade am Main zur belligerenten Staatsbildung unter Erzherzog Ferdinand kam. Bestimmender Akteur, der an der Staatsbildung in Würzburg erheblichen Anteil hatte, ist der französische Außenminister Talleyrand. Ohne es seinem französischen Kaiser offen zu zeigen, verfolgte er ganz andere ›politische Zwecke‹ als dieser. Die neuere Forschung belegt es, Talleyrand erkannte im »europäischen Konzert« […] die einzig richtige Grundlage einer stabilen Ordnung«493. Wo immer Talleyrands Handlungsspielraum es zuließ, zielte dessen Politik hinter der Hand darauf ab, einen europäischen Ausgleich zu erhalten, was in den Verhandlungen um Preßburg nichts anderes hieß, als Österreich zu begünstigen494. Wiederholt ließ er auch schon kurz nach dem Waffenstillstand von Znaim die Österreichischen Verhandlungsgegner wissen, dass »seine Ansichten von denen seines Herrn abwichen«495. Talleyrand, demgegenüber Napoleon 1800 so vehement die Rolle Erzherzog Ferdinands als ›souverain indépendant‹ hervorgehoben hatte, benutzte diese zugesicherte Eigenstaatlichkeit Erzherzog Ferdinands, um für die Zeit nach Preßburg die Habsburger­ monarchie als schwächeren Kriegsgegner aussehen zu lassen als sie es in Wirklichkeit war. Er unterstützte damit vor der Hand Napoleons Absicht, dem Zweitgeborenen Habsburg-Lothringer eine Souveränität ›pleine et entière‹ einzurichten und ließ die Bürokraten seines Außenministeriums in allen für die Verhandlungsunterlagen von 1806 die Besitzungen Erzherzog Ferdinands und die seines Bruders Anton Viktor konsequent aus dem Besitz der Habsburgermonarchie herausrechnen496. Pikanterweise finden sich 493 Siemann, Metternich, S. 277  ; hierzu auch die berücksichtigenswerte Biografie Talleyrands  : Johannes Willms  : Talleyrand. Virtuose der Macht 1754–1838. München 2011  ; Außerdem  : Schulz, Matthias  : Internationale Politik und Friedenskultur. Das europäische Konzert in politikwissenschaftlicher Theorie und historischer Empirie. In  : Wolfram Pyta (Hg.)  : Das europäische Mächtekonzert. Friedens- und Sicherheitspolitik vom Wiener Kongress 1815 bis zum Krimkrieg 1853. Köln 2009, S. 41–57. 494 Zwei Jahre später wird ihm Napoleon vorhalten »Sie sind und bleiben doch ewig ein Österreicher  !« Zit. nach Ebd. 495 Oer, Der Friede, S. 242, dort auch S. 106, 165f. 496 AAÉ, Mémoires et documents Allemagne 118, 1797–1806, Reflexions sur la puissance de la maison d’Autriche avant la derniere guerre et sur sa puissance actuelle, Fol 281–291. Dort werden die Erwerbungen aufgeführt, die an Kaiser Franz direkt gehen. Im Anschluss daran wird die Liste weitergeführt  : »Elle a obtenu les objets suivant qu’il en faut déduire, savoir  : 1° Le Wurtzbourg pour l’Archiduc l’El. de Salzbourg – Population 250.000, Revenues 1.500.00 Florins, 2° La possession héréditaire de la grande Maitrise de l’ordre Teutonique – Population 120.000, Revenues 150.000. 3° L’indemnité peine et entière en Allemagne de l’Archiduc Ferdinand pour le Brisgaw et l’Ortenau dont la population peut être évaluée à 166.000 habitants. La totalité des possessions de la Maison d’Autriche pourvoit être évaluée avant le traité du Presbourg en population à 24.264.367 habitants et en revenues à 103.604.177 florins. Il lui rester donc actuallement une population de 21.0530667 habitants et un revenu de 89.959287 florins. Paris le 25 Janvier 1806«.

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diese Papiere heute neben denen eingereiht, in welchen 1793 die Toskana französischerseits noch als »acquisition Autrichienne«497 charakterisiert worden war – hinsichtlich der Souveränitätsrechte Erzherzog Ferdinands hatte sich in der Zwischenzeit allerdings nichts geändert. Das Herausrechnen von Einwohnern und Einnahmen half, die österreichische Geostrategie zu verschleiern, welche die Unterhändler in den letzten Dezembertagen 1805 erarbeitet hatten. Talleyrands Unterstützung ermöglichte es Kaiser Franz, noch einen Fuß auf Reichsgebiet zu behalten, aus dem ihn Napoleon eigentlich herausdrängen wollte. Sie gewährte der Habsburgermonarchie die Gelegenheit, in der Mitte des zerfallenden Reiches einen mit der Festung Marienberg stark befestigten Brückenkopf zu errichten. Dieser Brückenkopf »qualifiziert« – wie es das Außenministerium in Wien besonders wertschätzte – »zu einem Observationsposten, der gegen manchen andern vorzüglich benutzt werden kann«498 . Es lässt sich nicht zweifelsfrei klären, ob Talleyrand gegenüber Napoleon bereits in Schönbrunn zehn Tage vor Vertragsabschluss Würzburg und Bamberg für Erzherzog Ferdinand gegenüber Napoleon ins Spiel brachte499. Unbestritten ließ Talleyrand allerdings die österreichischen Unterhändler gewähren, als sie die Phrase ›de la même manière et aux mêmes conditions qu’elle possédoit l’électorat de Saltzbourg‹ in den Vertragstext einbauten. Eher unglaubhaft wäre es, wenn dies dem akkuraten Außenminister unbemerkt »hineingeschmuggelt«500 worden wäre. Napoleon war, als er nachträglich erkannte, welche Macht der Passus dem Haus Habsburg über das Staatswesen am Main einräumte, erzürnt über Talleyrands Eigenmächtigkeit501. Ganz eigene Absichten und Vorstellungen verfolgte Erzherzog Ferdinand mit der ihm zugesicherten ›indépendance‹. Es wurde in den vorangegangenen Kapiteln breit dargelegt, dass Erzherzog Ferdinands Verständnis von ›monarchischer Souveränität‹ eher Eigenverwaltung intendierte – bei gleichzeitiger Delegation von Souveränitätsrechten an die Primogenitur zum ›Besten des Hauses‹. So konnte seine Politikgestaltung daran anknüpfen, dass sich Napoleon in der Rolle gefiel, alleine auf Grundlage seiner militärischen Überlegenheit die Souveränität altehrwürdiger Dynastien garantieren zu kön497 AAÉ, Mémoires et documents Allemagne 123, 1711–1830, Princes et Etats, Fol. 191. 498 In der Instruktion an den österreichischen Gesandten in Würzburg werden die Interessen der Habsburgermonarchie daran noch verdeutlicht  : »Von der Nachbarschaft Würzburgs interessiert einen k. k. Gesandten dermal am Meisten, was in den angränzenden Provinzen des Königreichs Bayern vorgeht und vorzüglich ist die Stadt Nürnberg ein bedeutender Punkt, der zwar dermal noch mit einem Beobachter zufällig besetzt ist.« So im Anhang Dokument XI. Instruktion für Johann Rudolf Graf von Buol-Schauenstein vom 26. Juni 1807, in  : HHStAW, Stk, Würzburg 6, Weisungen 1807–1816. 499 Ebd., S. 178. 500 Eher unglaubhaft bei  : Pesendorfer, Ein Kampf, S. 381. 501 Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 39  ; Siemann, Metternich, S. 276–279.

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nen502. Aktiv ergriff Erzherzog Ferdinand die ihm damit dargebrachte Chance, um sich ohne viel Aufhebens in das ›System Napoleon‹ auch als Bruder des österreichischen Kaisers integrieren zu können. Er stimmte ein in den Chor derer, die nach Preßburg nach innen und außen die eigene staatliche Souveränität zur Handlungsmaxime erklärten und für deren Schutz und Behauptung gegenüber anderen ›souveränen Gesellschaftsverbänden‹ im Zerfall des Alten Reiches nur Napoleon zur Verfügung stand503. Er tat dies u. a. damit, dem französischen Botschafter in Wien mitzuteilen, er freue sich, dass er in Würzburg »nunmehr auf eine Unabhängigkeit hoffen dürfe, wie er sie bisher nie besessen habe«504. Er versprach ihm, sich in Würzburg um eine eigene bewaffnete Macht zu kümmern, die ganz ohne österreichische Offiziere auskomme. Er habe darüber bereits mit Bayern ein Abkommen getroffen, das die notwendigen Truppen dafür liefern würde. Das Letztere war eine taktisch klug platzierte Lüge, die den Gesang über den Gewinn von Unabhängigkeit nur noch lauter klingen ließ, für all jene, die es so verstehen wollten505. Orchestriert wurden diese Töne durch Erzherzog Ferdinands Vertrauten Manfredini, der gegenüber dem französischen Gesandten in Salzburg das Souveränitätsstreben seines Herrn fast im gleichen Wortlaut betonte und gleichzeitig lancierte, die Interessen Erzherzog Ferdinands mit Frankreich könnten nicht mit denjenigen der Österreicher übereinstimmen, wenn sie sich nicht sogar völlig von jenen unterscheiden würden. Er legte noch insofern nach, dass er befürchte, die Aktionen der Österreicher könnten Erzherzog Ferdinand als Abhängigkeit, irgendwann vielleicht sogar als Verrat an Frankreich ausgelegt werden506. 502 Vgl. Bock, Napoleon-Deutschland-Europa, S. 97. Es spricht für sich, dass Napoleon 1804 beiläufig erwähnt haben soll, dass ein europäischer Friede nur dann erreicht werden könne, wenn »ein einziger Kaiser […] seinen Statthaltern die Königreiche zuteilt.« So in  : Thierry Lentz  : Grundlinien der napoleonischen Deutschlandpolitik, in  : Michael Eisenhauer (Hg.)  : König Lustik  !  ? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen. München 2008, S. 25–31, S. 28. Die Medaillen, die Napoleon anlässlich der Rheinbundgründung herausgeben ließ, zeigen auf der Rückseite Napoleon vor dem Kaiserthron vor einem Tisch mit Kronen der Rheinbundfürsten darauf. Die Umschrift dieser Medaille lautete »Souverainetés Données MDCCCVI« und inszeniert Napoleon als »Souveränitäts-Spender«. Vgl. Mußgnug, Der Rheinbund, S. 258. 503 Vgl. Weis, Napoleon und der Rheinbund, S. 60f. 504 AAÉ, Vienne, 378, La Rochefoucault an Talleyrand, 15. April 1806, Bl. 215. 505 Selbst der sonst skeptisch gegenüber Erzherzog Ferdinands Entschlusskraft argumentierende Anton Chroust muss dies einräumen. Chroust, Die Geschichte, S. 81, Anm. 1. 506 »S.A.R. l’électeur est heureux d’avoir enfin un poste indépendant à Würzbourg […] Les interêts de l’électeur avec la France et la Bavière pouvant ne pas se quadrer avec ceux de l’Autriche ou moins en différer entièrement.« Er befürchte, »quelles Autrichiens, une fois là, pourroient sous différents prétextes chercher à s’y entretenir, sans qu’il [Erzherzog Ferdinand, Anm.d.Verf.] fut maitre d’empêcher, que la France ne le soupçonnât de connivence et qu’après un tel acte de dépendance [die Truppentsendung Österreichs, Anm.d.Verf.] on ne le crût dépendant pour jamais.« So in   : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, Manfredini an Lazarey, 5. März 1806, Fol. 148–150.

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Das alles geschah – heute mit Wissen um das bereits ausführlich hergeleitete enge Vertrauensverhältnis – nicht etwa aus plötzlich aufgetretenem »Mißtrauen unter den Brü­dern«507, sondern mit kühler Berechnung. Um in seiner neuen Position in der »confédération Germanique«508 fußfassen zu können, musste eine Abkehr vom kaiserlichen Bruder nicht nur inszeniert, sie musste auch ganz real praktiziert werden, weil Erzherzog Ferdinand in Würzburg bis auf weiteres nur von Napoleons Gnaden regierte509. Mit seinem Herrschaftsantritt in Würzburg befand er sich in der heterogenen Schicksalsgemeinschaft aller ehemaligen Reichsfürsten, deren Mächtigstem unter ihnen, Kurfürst Max-­Joseph, Napoleon nach dem Waffenerfolg von Austerlitz entgegenhielt  : »Sie können sich beglückwünschen, dass Sie die Ratschläge wörtlich befolgt haben, die ich Ihnen aus dem Lager bei Boulogne gegeben habe [gemeint ist die Ratifikation des bayerischfranzösischen Allianzvertrag vom 25. August 1808, Anm. d. Verf.] Wissen Sie was passiert wäre, wenn Sie sich Österreich in die Arme geworfen hätten  ? An Ihrer Stelle stände jetzt Murat  !«510 Napoleon selbst nutzte seine militärische Macht zur Garantie ›monarchischer Souveränität‹ absichtsvoll, um ein System der Abhängigkeit zu erschaffen. Deswegen geriet er auch so außer sich, drohte ernsthaft mit Wiederaufnahme des Krieges, als Anfang Februar 1806 zwei Bataillone des Infanterieregiments ›Erbach‹ und eine Division Chevaulegers ›von Klenau‹, insgesamt 1.921 österreichische Soldaten, mitsamt eines österreichischen Besitzergreifungskommissars den Besitz von Würzburg sicherten511  : »Il faut parler haut. Il est temps qu’Autriche me laisse tranquille et reste chez elle. […] Je ne veux point de troupes Autrichiennes au-delà de leurs limites héréditaires   !«512. Er ärgerte sich, als ihm der wahre Gehalt von Artikel XI des Preßburger Friedens mit den österreichischen 507 Ebd., S. 80. 508 Artikel VII des Friedensvertrags von Preßburg   : Les électeurs de Bavière et de Wurtemberg ayant pris le titre de roi, sans néanmoins cesser d’appartenir à la conféderation Germanique, S. M. l’empereur d’Allemagne et d’Autriche les reconnaît en cette qualité. Zit. nach  : Neumann, Recueil des traités, S. 187. 509 Damit stand er in der Schicksalsgemeinschaft ehemaliger Reichsfürsten nicht alleine. Die sogenannten Napoleoniden, Herrscher in verwandtschaftlichem Verhältnis zu Napoleon, waren nur durch ihre Nähe zu Napoleon zur Herrschaft in Berg, Westfalen etc. gekommen. Die deutschen Mittelstaaten, wie Bayern und Württemberg, waren abhängig, denn von der Garantie ihrer Souveränität im europäischen Mächtekonzert hing ihre Herrschaft ab. Die Klein- und Kleinststaaten bedurften den größten Schutz vor allem gegenüber ihren größeren Nachbarn und deren Begehrlichkeiten. Zum Machtgefüge allgemein  : Lentz, Grundlinien  ; zur Determination kleinstaatlicher Politik  : Murk, Ruder. 510 Zit. nach Weis, Napoleon und der Rheinbund, S. 71. 511 HHStAW, Stk, Kleinere Reichsstände, 549 Würzburg, Hügel an Thürheim, 24. Januar 1806. Auffällig ist, dass am 8. Februar die österreichischen Truppenverbände in Würzburg ankamen und dies auch so Talleyrand gemeldet wurde, der Außenminister es allerdings erst am 14. Februar Napoleon meldete. Vgl. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, Lazarey an Talleyrand, 3. Februar 1806, Fol. 62. 512 Napoléon, Correspondance, XII. Bd., Nr. 9810, S. 42.

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Truppen auf der Festung Marienberg sowie einem dort verlautbarten Regierungsantrittspatent von Kaiser Franz vor Augen geführt wurde513 und ließ via Talleyrand ausrichten  : »Ce prince doit être indépendant […] Si les Autrichiens avaient une fois de le pied en Franconie, ils tenteraient d’y faire ce qu’ils ont fait en Souabe  ; on ne serait jamais en paix«514. Die Unabhängigkeit Erzherzog Ferdinands solle unter allen Umständen gewahrt werden, die Habsburgermonarchie habe in Deutschland nichts mehr zu suchen – selbst unter Inkaufnahme eines weiteren Krieges515. Das Königreich Bayern wurde durch den französischen Gesandten Otto scharf angewiesen, auch in Zukunft darauf zu achten, dass bei den Streitkräften Erzherzog Ferdinands niemals ein Österreicher mehr sein soll, sonst sei der Frieden nicht zu garantieren – ein direkter Aufruf zur gründlichen Spionage unter künftigen Verbündeten516. Das war keine »erkünstelte Erregung«517 Napoleons. Mit dem neugeschaffenen Staats­wesen in Würzburg ging es ihm offenbar um Grundsätzliches. In dieser Angelegenheit mobilisierte er alle diplomatischen Korps in München, Wien und Würzburg – und noch eindrucksvoller – seinen in Süddeutschland stationierten Armeeapparat un513 »RegierungsAntrittsPatent des Herrn Churfürsten und Erzherzogs Ferdinand. Königl. Hoheit/Wir Franz der Zweyte von Gottes Gnaden erwählter römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs […] Nachdem […] im 11. Artikel das Fürstenthum Würzburg […] an Unseres geliebtesten Bruders Erzherzog Ferdinand Liebden mit allen Eigenthums- und HoheitsRechten, und unter der nämlichen Art auch unter den nämlichen Bedingungen abgetreten werden solle, wie seine Liebden die Chur Salzburg besessen habe  : und nachdem also auch für Uns, und Unser kaiserlich und königliches Haus, die nämlichen HausGerechtsame auf gedachtes Fürstenhum übertragen werden, wie dieselben auf dem Herzogthum Salzburg gehaftet haben, hiernach es folglich nothwendig seyn will, von diesem Unsers Herrn Bruders und Unserm eigenen Namen den einstweiligen Besitz zu ergreifens« So in  : GhzRegBl, 1806, IV. Stk, S. 18. In den wenigen Sätzen des Patents lässt Kaiser Franz gleich mehrfach Würzburg als Besitz der Habsburgermonarchie deklarieren. Stets auf Grundlage der Rechtsartikel. Napoleon ist aufgebracht   : »Je suis fort surprise que l’empereur d’Allemagne ait pris possession pour son frère de la principauté Wurzbourg. Faîtes connaître Mr Liechtenstein que je ne entends pas, que des troupes Autrichiennes entrent à Wurzbourg, que je tiens cette prise de possession nulle et que je la regarderai comme telle, taut qu’elle ne sera pas faite par l’électeur de Salzbourg.« So in  : ebd., XII. Bd., Nr. 9793, S. 31. 514 Zit. nach  : Chroust, Die Geschichte, S. 61. 515 Am 18. Februar wiederholte Napoleon im Ton aufgebracht gegenüber Berthier seine Forderung  : »Ne faites point évacuer Braunau que Wurzbourg ne soit évacué. Je ne veux point d’Autrichienns en Allemagne hors de chez eux. C’est un point fondamental.« Zit. nach ebd., S. 62, Anm. 2. Berthier wies seinerseits am 20. Februar Bernadotte an, der in Ansbach das Kommando führte, sollten sich die österreichischen Truppenverbände nicht aus Würzburg zurückziehen, seien sie mit Gewalt zu entfernen. Vgl. Ebd. S. 69. 516 »[I]l est même à désirer que dans les troupes que l’Electeur pourra, lever dans la suite, il n’y ait ni officiers ni soldats autrichiens. L’Electeur doit être indépendant, il ne le serait point d’il avait au d’un de des Etats de troupes étrangères dont les commandais égayeraient de faire en Franconie et qu’ils ont fait si souvent pour troubler la Paix intérieur de l’Allemagne et exciter l’attention du Gouvernement Franconie.« So in  : BayHStA, MA 4591, Otto an Montgelas, München, 24. Februar 1806. 517 Chroust, Die Geschichte, S. 62.

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ter Bernadotte und Berthier518. Was Napoleon nicht wusste  : Es handelte sich bei der Truppenabsendung vom österreichischen Heer um eine zwischen den Brüdern eng abgestimmte Maßnahme, damit dem Vorbesitzer Bayern weniger Zeit »zur organisierten Ausbeutung«519 Würzburgs blieb, worauf später noch einzugehen sein wird520. Napoleons scharfe Reaktion auf das geschlossene Vorgehen des Hauses HabsburgLothringen zeigt zum einen, dass er die ›dynastische Solidarität‹ Erzherzog Ferdinands deutlich unterschätzt hatte und sich nun »hinters Licht geführt«521 fühlte. Er hatte 1796 Erzherzog Ferdinand in der Toskana schließlich als souverän agierenden Fürsten erlebt, der anders als sein Stammhaus, das Frankreich nach der Revolution als einer der ersten Staaten überhaupt anerkannte und in Zeiten des allgemeinen Kampfes gegen Frankreich einen strikten Neutralitätskurs fuhr. Ende Februar 1806 erkannte er nun seine Fehleinschätzung. Es zeigt zum anderen, dass es Napoleon um den Wesenskern seiner Herrschaft ging  : Die österreichischen Truppen am Main untergruben für alle sichtbar sein Herrschaftsverständnis und daraus resultierend sein Herrschaftssystem522. Nur er alleine, in der Tradition Karls des Großen, sollte ›unantastbar‹ für den Schutz der Fürsten sorgen können523. Implizit basierte dieses Schutzangebot auf der gewaltigen militärischen Macht 518 Dem Wiener Hof ließ Talleyrand bestellen  : »Si des commissaires Autrichiens prennent possession du pays de Wurzbourg, si des Autrichiens le gouvernement, si des troupes l’occupent, n’est-il pas Evident que l’électeur n’y est souverain, que de nom et que la cour de Vienne y est souveraine de fait. […] C’est le vœu formel du traité de Preßbourg, que l’électeur de Wurtzbourg jouisse de la plus grande indépendance, et comme il est évident qu’il n’en jouirait pas, en résidant à Vienne, il convient qu’i se rend das ses nouveaux états, qu’il en prenne possession lui-même et qu’il réside.« Die Weisung an den Wiener Botschaftssekretär Dodun wurde genauso auch an den Salzburger Gesandten weitergegeben   : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, Champagny an Lazarey, 28. Februar 1806, Fol. 147. In München gibt Berthier dem aus Wien von Erzherzog Ferdinands beauftragten Vincent zu verstehen  : »l’empereur Napoléon exige que l’archiduc Ferdinand soit en possession libre de sonétat et que Vos troupes sortent« Zit. nach Chroust, Die Geschichte, S. 72. An den österreichischen Gesandten Friedrich Lothar Stadion in München schrieb er »rudement«  : »Votre empereur doit perdre de son influence en Allemagne  ; la paix de Presbourg a été basé sur ce principe. L’électeur de Wurtzbourg doit être ind’pendant chez lui qu’il ne seroit pas, s’il avoit garnison Autrichien chez lui.« Zit. nach ebd., S. 73. An den Hof in Würzburg wurde der »adjudant commandant« La Camus geschickt, um dort »alles zu verabreden, was sich auf die ›indépendance absolue‹ des Kurfürsten bezöge«. Vgl. Ebd. S. 75. 519 Oer, Der Friede, S. 217. 520 Vgl. im Anhang, Dokument XIV. SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 10, sign. 84, Franz an Ferdinand, Hollitsch, 12. Januar 1806. 521 Chroust, Die Geschichte, S. 65. 522 Die Außenstehenden nahmen die österreichische Besitzergreifung übel auf. Montgelas klagte gegenüber dem französischen Gesandten in München, »que le roi était déjà sommé d’évacuer le pays de Wurzbourg au profit de l’Autriche«. Zit. nach ebd., S. 61, Anm. 1. 523 Ihn faszinierte die Herrschaftslegitimation von Gottesgnaden. Napoleon gegenüber Metternich  : »Dieser Brauch ist schön und selbstverständlich. Die Gewalt kommt von Gott, und nur dort allein ist sie unerreichbar für den Menschen. Von dort werde ich zur gegebenen Zeit denselben Titel übernehmen«. Zit

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Napoleons, dem »Sohn des Glücks«524 nicht auf dynastischer Legitimität. Napoleon wollte die alte Reichsherrschaft durch Gewährung des Schutzes durch Kaiser Franz beendet wissen, indem er die Fürsten durch die Garantie ihrer Souveränität unter seine eigene Oberhoheit stellte. Nicht nur für die ›monarchische Souveränität‹ Erzherzog Ferdinands, sondern für alle süddeutschen Fürsten bedeutete das, dass sie die Oberhoheit des Kaisers des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gegen die des französischen Kaisers eintauschten525. Denn auch ihre ›monarchische Souveränität‹ beschränkte sich spätestens nach Beitritt zum Rheinbund auf Eigenverwaltung. Das ius ad bellum, das Recht über Krieg und Frieden, das Recht zur selbstständigen Außenpolitik, das Recht zur autonomen Kriegsführung und unabhängigen Kommandogewalt lag in den Händen ihres Protecteurs526. Die Fürsten, die sich in diesem Bund zusammenschließen wollten, das sogenannte Dritte Deutschland527, brauchten den Schutz Napoleons in Verteidigung auch gegen nach  : Siemann, Metternich, S. 260. Bereits im November gab Napoleon dem Modellstaat Westfalen eine Verfassung mit den Worten  : »Wir Napoleon, von Gottes Gnaden und durch die Constitutionen, Kaiser der Franzosen, König von Italien und Beschützer des Rheinischen Bundes.« 524 Gegenüber Metternich äußert er 1813  : »Eure Herrscher, geboren auf dem Throne, können sich zwanzigmal schlagen lassen und doch immer wieder in ihre Residenzen zurückkehren  ; das kann ich nicht, ich der Sohn des Glücks. Meine Herrschaft überdauert den Tag nicht, an dem ich aufgehört habe stark und erfolgreich zu sein«. Zit. nach Mraz, Das Kaisertum, S. 14. 525 Vgl. Stickler, Familienverband, S. 44. Auch für andere kleinere Staaten hing Sein und Nichtsein von Napoleon ab. »Für ein Land wie Nassau bestand in Anbetracht seiner geographischen Lage nur die Wahl zwischen dem Beitritt zur französischen Klientel oder Untergang.« So in  : Mathias Bernath  : Die auswärtige Politik Nassaus 1805–1812. Ein Beitrag zur Geschichte des Rheinbundes und der politischen Ideen am Mittelrhein zur Zeit Napoleons 63 (1952), S. 106–191, S. 132. 526 Von einer in der Rheinbundakte zugesicherten »plenitudo potestatis« konnte also de facto gar nicht die Rede sein. Vgl. Erwin Rudolf Huber  : Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Reform und Restauration 1789–1830. Stuttgart u. a. 1988, S. 79. 527 In weiten Kreisen des Reichsadels war die Idee des Dritten Deutschland im 18 Jahrhundert verbreitet. »Das südlich-teutsche Vaterland« wie es Carl Theodor von Dalberg (1744–1814), der spätere Fürst Primas des Rheinbundes nannte, war es, was »ein erneuertes altes Reich« im Schutz von Napoleon wollte, ein Drittes Deutschland, das dem Einfluss ihrer »former manipulators«, den Dynastien der HabsburgLothringer und der Hohenzollern, entzogen war. In der Idee blieb das Dritte Deutschland faktisch aber ein lockerer Verband, der sich um Neutralität gegenüber den Großmächten bemühen sollte. Verschiedene Absichten konstituierten die Idee des Dritten Deutschland, welche Napoleon geschickt für sich zu nutzen wusste  : Der Rheinbund bot »für das Dritte Deutschland eine Art Ersatz und außerdem Hoffnung auf Verfassung, die scheinbar in den Händen des Fürstprimas lag, aber natürlich in Napoleons Händen blieb«. Dalberg dachte, er könne im Rheinbund seine Reichsreformvorstellungen umsetzen. Robert Billinger, JR.: Good and true Germans. The »nationalism« of the Rheinbund Princes 1806–1814, in  : Heinz Duchhardt/Andreas Kunz (Hg.)  : Reich oder Nation  ? Mitteleuropa 1780–1815. Mainz 1998, S. 105–139, S. 106  ; »Napoleons Absichten kamen den hochfliegenden Ideen Dalbergs entgegen. Umso entschiedener verfolgte er seine eigenen Ziele, die auf eine indirekte Herrschaft über einen großen Teil Deutschlands hinausliefen. Er wollte vor allem dessen militärisches Potential für die künftige Auseinan-

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den Feind aus Wien. Der Expansionsdrang der Habsburgermonarchie, der sich ihnen erst in deren Kriegszielen von 1804 und der geplanten Einverleibung Bayerns zeigte, trieb sie zum Angebot der Souveränitätsgarantie Napoleons528. Diese Angst des Dritten Deutschland nutzte Napoleon für seine Politikgestaltung im aufgelösten Reich, auch ohne dessen formelles Oberhaupt sein zu müssen. »Ihr habt vermutet, dass ich mich zum Kaiser von Deutschland machen wollte. Glaubt dies nur nicht, ich möchte eure Krone nicht. […] Es liegt nicht in meinem Interesse, euer Oberhaupt zu sein. Ich habe die Hände freier, wenn ich euch fremd bleibe, und ich verstehe es sehr wohl, euch mir willfährig zu machen.«529

›Willfährig‹ wurden diese auf dem Papier souveränen Herrscher nicht nur durch Napoleons Garantie ihrer Souveränität gemacht, sondern auch durch seine Garantie ihrer Expansionsabsichten – beides auf seiner Militärmacht beruhend530. Zur inneren Staatskonsolidierung erstrebten die Fürsten – nach französischem Vorbild einmal mit territorialer ›purification‹ und ›arrondissement‹ begonnen – nach Herstellung eines Flächenstaats531. dersetzung mit anderen Großmächten nutzen. Das Verhältnis zwischen dem Protektor und dem Bund begründete im Kriegsfall ein Bündnis mit der Pflicht zum militärischen Beistand« Hömig, Carl Theodor, S. 412f.; allgemeiner  : Tim Blanning  : The European states-system at the time of the French Revolution an Napoleonic Empire, in  : Wolfram Pyta (Hg.)  : Das europäische Mächtekonzert. Friedens- und Sicherheitspolitik vom Wiener Kongress 1815 bis zum Krimkrieg 1853. Köln 2009, S. 79–102  ; Wolfgang Burgdorf  : Ein Weltbild verliert seine Welt. München 2009. 528 In einem »Wutanfall« Kaiser Franz’ soll dieser gesagt haben  : »Je ne pense pas prendre la Bavíere, je veux la manger«, was Otto umgehend an Talleyrand meldete. Zit. nach  : Bitterauf, Geschichte, S. 174. 529 So Napoleon an in Paris versammelte Rheinbundfürsten 1810, zit. nach  : Weis, Napoleon und der Rheinbund, S. 71. 530 Der systematische Charakter von Napoleons territorialen Zuteilungen erschließt sich auch aus Folgendem  : »le Piémont, la Suisse, n’intéressènt l’Empereur qu’en tant que vestibules des cols alpins. L’italie et l’Allemagne  ? Des réserves d’hommes et de terrains juste bons à protéger la France et servir de monnaie diplomatique. La Hollande  ? Une base contre l’Angleterre et des richesses qui feraient l’affaire de la France.« Soldaten und Gebietsreserven als diplomatisches Kapital dienten Napoleon dazu, Fürsten als abhängige Stellvertreter von ihm selbst zu installieren und Staaten zu »Festlandskolonien des Empire« zu formen. Zit nach  : François, Das napoleonische Hegemonialsystem, S.79. 531 Artikel 34 der Rheinbundakte legte ihnen die Konsolidierung und Vollendung eines Flächenstaats auch nahe  : Art. XXXIV.  Les Rois, Grand-Ducs, Duc et Prince confédérés renoncent chacun d’Eux pour Soi, Ses héritiers et successeurs à tout droit actuel qu’Il pourrait avoir ou prétendre sur les possessions des autres membres de la confédération telles qu’elles sont et telles qu’elles doivent être en conséquence du présent traité, les droits éventuels de succession demeurant seuls réservés et pour le cas seulement où viendrait à s’éteindre la maison ou la branche qui possède maintenant, ou doit, en vertu du présent traité, posséder en souveraineté les territoires, domaines et biens, sur lesquels les susdits droits peuvent s’étendre. In Übersetzung  : Die conföderirten Könige, Großherzoge, Herzoge und Fürsten entsagen, jeder für sich, seine Erben und Nachfolger, jedem jetzt bestehenden Rechte, welches derselbe auf jetzige oder durch gegenwärtigen Vertrag bestimmte Besitzungen

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Absichtsvoll bildete der »große Flurbereiniger«532 Napoleon gerade im Vertrag von Preßburg kleinere Staaten als »Pfähle im Fleisch«533 der größeren. Im Falle Bayerns war dies das Kurfürstentum Würzburg, das ausgerechnet mit einem Habsburg-Lothringer besetzt, die bayerische Souveränität mit einem Zweifrontenkrieg bedrohte534. Im Falle von Württemberg und Baden sollte das abschreckende Beispiel von Cleve und Berg als »­ Préfecture Française« ebenfalls gefügig machen535. Diese kleineren Territorialstaaten dienten in diesem Herrschaftssystem als »Manövriermasse der Diplomatie«536 und wie an einer Angel­schnur ausgelegte Köder. Dem Fürstprimas des Rheinbunds, ein Bund, der ab 1806 schließlich beide Methoden als Herrschaftsinstrument Napoleons institutionalisieren sollte, eröffnete er  : »Monsieur l’Abbé […] ich will ihnen ein Geheimnis anvertrauen. Die Kleinen in Deutschland möchten gegen die Großen geschützt werden. Die Großen wollen nach ihrer Phantasie regieren. Nun, da ich von dem Bündnis nur Menschen und Geld haben will und da es die Großen sind und nicht die Kleinen, die mir das eine und das andere verschaffen können, so lasse ich die Großen in Ruhe und den Kleinen bleibt nichts übrig, als sich mit den Großen zu arrangieren, so gut sie können.«537

Der hier geoffenbarte ›politische Zweck‹ Napoleons zur Erlangung der europäischen Hegemonie ist grundlegend für die Herrschaftsstruktur, in der Erzherzog Ferdinand in Würzburg zu agieren hatte. Eine Herrschaftsstruktur, in der Napoleon aktiv lenkte, aber deren Konstituenten schon vor der französischen Revolution im Alten Reich, dem anderer Glieder der Conföderation hat oder in Anspruch nehmen könnte. Ausgenommen bleiben blos die eventuellen Rechte der Nachfolge, aber nur für den Fall, wenn ein Haus oder eine Linie erlöschen sollte, welche dermalen die Gebiete, Domainen und Güter, über die sich obgedachte Rechte erstrecken können, als Souverain besitzt, oder vermöge des gegenwärtigen Vertrages besitzen soll. 532 Oer, Der Friede, S. 203. Um die Dimensionen dessen zu begreifen, helfen Prozentzahlen  : Baden wuchs um 300 %, Bayern um 60 % und Hessen-Darmstadt um 70 %. Vgl. Lentz, Grundlinien, S. 27. 533 Weis, Napoleon und der Rheinbund, S. 61. 534 Der zum bayerischen König erhobene Max-Joseph äußerte sich verbittert über die Ergebnisse des Preßburger Friedens  : »Ich hätte lieber Franken gegen Tirol, das Innviertel und das Land Salzburg eingebüßt […] Was nützt mir mein Königstitel, wenn ich mir meiner Grenzen nicht sicher bin  ?« zit. nach  : Adalbert von Bayern  : Max I. Joseph von Bayern. Pfalzgraf, Kurfürst und König. München 1957, S. 501. Vergessen darf nicht werden, dass Bayern weiterhin bedroht blieb  : Schon durch die Versetzung nach Salzburg/Eichstätt war die Gefahr einer österreichischen Zange gegeben, denn es kam zu einer »Einkreisung im Norden durch Eichstätt und Böhmen, im Osten Süden und Westen durch die österreichischen Erblande und weitere Gebiete durch Ferdinand von Toskana«. Eberhard Weis  : Montgelas 1759–1838. Eine Biographie. Köln u. a. 2008, S. 270. 535 Vgl. Weis, Napoleon und der Rheinbund, S. 60f. 536 Bungert, Toskanisches Zwischenspiel, S. 296. 537 Zit. nach  : Weis, Napoleon und der Rheinbund, S. 78.

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sogenannten aufgeklärten Absolutismus zu finden sind  : Die Durchsetzung von Staatssouveränität, das »eigentliche[ ] Signum der Epoche«538, beruhte auf dem Willen zum Ausbau zentralistischer und nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit und Rationalität regierter Einheitsstaaten. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang seit Heinrich von Treitschke von ›Fürstenrevolution‹ – ein Machtmechanismus, der das Hegemonialstreben Napoleons mit den lange gehegten Absichten der deutschen Mittelstaaten verquickte539. Diese Herrschaftsstruktur determinierte den Handlungsspielraum Erzherzog Ferdinands maßgeblich und den des Dritten Deutschland insgesamt. Die Souveränitäts- und Expansionsgarantie für die ehemaligen Reichsfürsten gebrauchte Napoleon so verstanden als Herrschaftsinstrument im Inneren Europas. Um das Funktionieren dessen zu gewährleisten, musste Napoleon genauso bedingungslos und total durchgreifen, keine Fehler im System erlauben, wie er es als globales Herrschaftsinstrument mit der Kontinentalsperre ab 1806 versuchte umzusetzen. Wenn einer dieser Fürsten eine größere Abhängigkeit von einem anderen Herrscher als Napoleon hatte, in einem konkurrierenden Herrschaftssystem stehen sollte, gefährdete das das System als Ganzes. Damit beispielsweise Bayern auch in Zukunft vom französischen Schutz abhängig war, für immer mit der Habsburgermonarchie entzweit blieb, installierte er auffallend sinnstiftend einen Habsburg-Lothringer am Main540. Das wiederum schuf jedoch in seinem Herrschaftssystem einen kalkulierten Systemfehler, der mit der militärischen Besitzergreifung des Kurfürstentums Würzburg durch die Habsburgermonarchie kritisch zu werden drohte. Ungeachtet seiner Sympathie für Erzherzog Ferdinand hatte Napoleon dies stets unter besonderer Beobachtung zu halten, ihn mehr als andere Rheinbundfürsten mindermächtig zu halten. Aus diesem Blickwinkel folgerichtig, sollte nach der »überfallartigen«541 Rheinbundgründung Erzherzog Ferdinand auch sofort gezwungen werden, »l’établissement de la 538 Elisabeth Fehrenbach  : Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht. Göttingen 1974, S. 10. 539 Süßmann, Vom Alten Reich, S. 134f.; allgemein  : Karl Ottmar von Arentin  : Das Reich und Napoleon, in  : Wolf D. Gruner/Klaus Jürgen Müller (Hg.)  : Über Frankreich nach Europa. Frankreich in Geschichte und Gegenwart. Hamburg 1996, S. 184–200. 540 Weis, Montgelas 1759–1838, S. 431. 541 Um die »angebliche Anarchie in Deutschland innerhalb weniger Tage zu beenden« unterzeichnete Napoleon erst am 31. Mai den von Talleyrand vorgelegten Plan zur Gründung des Rheinbunds, am 25. Juli 1806 wurde er bereits durch die Ratifikation der Rheinbundakte durch 16 Gründungsmitglieder Verfassungswirklichkeit. Als Gründungsmitglieder die Königreiche Bayern und Württemberg, als Großherzogtümer Frankfurt, Baden, Berg, Hessen-Darmstadt, sowie die Herzogtümer Nassau-Usingen und Arenberg, des Weiteren die Fürstentümer  : Nassau-Weilburg, Hohenzollern-Hechingen, Hohenzollern-Sigmaringen, Salm-Salm, Salm-Kyrburg, Isenburg-Birstein, Lichtenstein und die Grafschaft von der Leyen. Im Laufe des Jahres 1806 trat außerdem das Königreich Sachsen und am 25. September 1806 das Großherzogtum Würzburg hinzu. 1807 folgten verschiedene Linien Anhalts, außerdem Schwarzburg,

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nouvelle Confédération du Rhin«542 beizutreten, um – wie er Erzherzog Ferdinand mitteilen ließ – sich damit eine Fülle von Souveränitätsrechten zu sichern, wie es die anderen Verbündeten bereits genießen würden. Napoleon versuchte den erkennbaren Systemfehler in seiner Wirkung einzudämmen, beherrschbar zu machen. Er instruierte persönlich den französischen Gesandten am Würzburger Hof, den Elsässer Yves-Louis Josef Hirsinger (1751–1824), von 1806 bis 1811 dort akkreditiert, er solle dem Kurfürsten mitteilen, der Rheinbund sei ein größerer Garant für dessen Souveränität als der Besitz Würzburgs alleine. Erzherzog Ferdinands Herrschaftsgebiet wäre fast gänzlich eingeschlossen von der Konföderation und seine Interessen geböten es ihm, daran teilzuhaben, um der Gefahr zu entgehen, unter den aktuellen Umständen isoliert zu werden. Hirsinger solle Erzherzog Ferdinand die Vorteile spüren lassen, die er für sich gewinne und ihn fühlen lassen, als wäre es jetzt der letzte Moment zu unterzeichnen, weil sonst der Besitz Würzburgs mit der Konföderation unvereinbar wäre. Um dem Zwang nur äußerlich die Schärfe zu nehmen, ergänzte Napoleon, er brauche es Hirsinger nicht ausdrücklich zu empfehlen, dass diese Mitteilung auf äußerst freundschaftliche Art und Weise zu vermitteln sei. Er schärfte dem Gesandten am Ende der Instruction allerdings nochmals ein, Erzherzog Ferdinand sei von ihm dazu zu bringen (»amenez«), in den Rheinbund einzutreten, weil es sonst für Erzherzog Ferdinand wahrhaftige Gefahr der Isolation wäre und eine nie versiegende Quelle der Peinlichkeit bedeute. Es wird in Hirsingers Instruktion offenbar, dass Napoleon Erzherzog Ferdinand in das gleiche Herrschaftssystem zu ziehen versuchte wie die anderen Fürsten der deutschen Mittelstaaten. Deren durch Souveränitätsgarantie und territoriale Expansion erkaufte Zustimmung sollte die napoleonische Neuordnung des Reichs und damit seine Hegemonie über Europa als Ganzes garantieren543. Mit den gleichen »Fangeisen«544 – Landgewinn, Souveränitätsgarantie und Angst vor Isolation als Mindermächtiger – soll Erzherzog Ferdinand in dieses Herrschaftssystem integriert werden. Als möglicher Systemfehler bedurfte es allerdings in der Folgezeit einer besonderen Behandlung  : Territoriale Expansion im gleichen Umfang wie die anderen Rheinbundfürsten wurde Erz-

Reuß, Lippe, Waldeck sowie das neu gegründete Königreich Westfalen. 1808 kamen Mecklenburg und Oldenburg hinzu und nach direkter Annexion durch Frankreich 1810 fielen wieder weg  : Oldenburg, Salm-Salm, Salm-Kyrburg und Arenberg. In seinem Verlauf hatte der Rheinbund also durchschnittlich 35 Mitglieder. Vgl. dazu  : Georg Schmidt  : Der napoleonische Rheinbund – ein erneuertes Altes Reich, in  : Volker Press/Dieter Stievermann (Hg.)  : Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit  ? München 1995, S. 227–246, S. 234f.; Weis, Napoleon und der Rheinbund, S. 65f.; Schuck, Die Rheinbundakte. 542 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, Instruction, 28. Juni 1806, Fol. 156–158. 543 Süßmann, Vom Alten Reich, S. 131. 544 Bock, Napoleon-Deutschland-Europa, S. 108.

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herzog Ferdinand trotz militärischer Pflichtübererfüllung verwehrt545. Das blieb mit dem Beitritt zum Rheinbund, nach der Kriegsteilnahme 1806/07 genauso wie dann im Jahr 1809. Und das obwohl das französische Außenministerium schon im Nachgang von Preßburg genau berechnete, dass, wolle Napoleon seine im Art. XII des Preßburger Friedens gegebene Versicherung einhalten, »ses bon offices pour faire obtenir le plutôt possible à S.A.R. l’Archiduc Ferdinand une indemnité pleine et entière en Allemagne«546, noch 14.000 Seelen und 525.000 Franc Einnahmen fehlen würden547. Napoleon ließ sich die versprochene Bereitschaft erst mit der Teilnahme an zwei Kriegszügen und einem Regiment in Spanien aus Würzburg bezahlen548. Erst die neue dynastische Verbindung zwischen Napoleon und den Habsburg-Lothringern im Jahr 1810 verbesserte Erzherzog Ferdinands Lage, worauf noch einzugehen sein wird549. Dass sich dahinter Napoleons Absicht verbarg, territoriale Erwerbungen Erzherzog Ferdinands gering zu halten, um die geostrategische Situation der Habsburgermonarchie mitten in der Konföderation nicht zu verbessern, ist nicht durch Quellenfunde belegbar. Aber als sich 1809 durch den erneuten katastrophalen Kriegsausgang für das Haus Habsburg-Lothringen die Gelegenheit bot, nahm Napoleon umgehend die Erzherzog Anton Viktor in Preßburg noch zugebilligten Deutschordensbesitzungen und vergab sie an die Krone Württemberg550. 545 Vgl. Maximilian Th L. Rückert  : Das Großherzogtum Würzburg 1806–1814, in  : Markus Naser (Hg.)  : Unterfranken in Bayern. 1814–2014  ; historischer Atlas zum 200–jährigen Jubiläum. Baunach 2014, S. 14–15, S. 14. Siehe im Anhang dazu Dokument XVII. Die Tabelle wird in Kapitel 5 dann ausführlich erklärt werden. 546 Zit. nach  : Oer, Der Friede, S. 275. 547 AAÉ, Mémoires et documents Allemagne 118 (1797–1806), Statistique du Traité du Preßbourg, Fol. 281–291, hier  : Fol. 290. 548 Siehe Kapitel II. 2.3, S. 355. 549 Am Ende meldete Reigersberg, der großherzogliche Gesandte in Paris an Erzherzog Ferdinand, er habe mit Ende der Differenzen mit Bayern »15.000 ames« aus den ehemaligen reichsunmittelbaren Gebieten gewonnen. So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67 Reigersberg an Ferdinand, Paris, 26. Mai 1810, Fol. 62. Im anschließenden Staatsvertrag mit Bayern vom 26. Mai 1810 konnten 42.400 Seelen gewonnen werden. Worauf ihm Ferdinand am 5. Juni antwortete, er sei »trés satisfait« und, dass die erhaltenen Gebiete »de la plus grande convenance et du plus grand intérêt pour le Grand-Duché« sind. So in  : Ebd. Fol 64. Durch die Pariser Verträge erhielt Erzherzog Ferdinand insgesamt einen Zugewinn von 360.376 fl. 58 Xr. an Staats- und Dominalgefällen. Die Übersicht über die genauen Territorialgewinne als Auflistung der Verluste für Bayern im Anhang als Dokument XVIII. 550 Erzherzog Anton Viktor ließ noch vor Bekanntwerden der Auflösung rasch »alle silbernen Gerätschaften und Kostbarkeiten« aus Mergentheim wegschaffen, um sie bei seinem Bruder in Würzburg einzulagern. Einmal mehr zeigt sich daran, wie schnell und effektiv die Kommunikationsstrategie im Haus HabsburgLothringen funktionierte. Der König von Württemberg verlangte die Preziosen zurück, weil sie keine Privateigentümer, sondern deutschmeisterisches Eigentum seien. Wie gut das Spitzelsystem zwischen den Verbündeten funktionierte, lässt sich auch daran erkennen, dass die Krone Württemberg genau Kenntnis davon hatte, dass die Kostbarkeiten nicht im Schloss aufbewahrt wurden, sondern bei den Kaufleuten

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Wie skeptisch er gegenüber Erzherzog Ferdinand trotz Austausch allerlei höflicher Floskeln und freundschaftlicher Beteuerungen blieb551, zeigte sich 1808 auch darin, dass er ihn als einen der wenigen Rheinbundfürsten nicht zum Fürstentag nach Erfurt einlud. Dieser Fürstentag war inszeniert als »glänzende Machtdemonstration«552, als imposantes Familienfest, bei dem die Rheinbundfürsten die Rolle der auch dynastisch vom ›pater familias‹ Abhängigen einnahmen553. Warum Napoleon Erzherzog Ferdinand genauso wie Vertreter aus Wien nicht dabei haben wollte, verdeutlichte sich nicht nur im geheimen Erfurter Vertrag, der dezidiert gegen England gerichtet war, es offenbarte sich dort aber auch allen Anwesenden die Angriffsbereitschaft Napoleons gegenüber der Habsburgermonarchie, seinem, wie er sagte, »wahren Feind, den es in Schach zu halten gelte«554. Gegenüber dem russischen Gesandten Romanzow erklärte dies Napoleon in Erfurt freimütig und beweist damit, wie sehr er sich, als ›Sohn des Glücks‹, auf den Krieg zum Erhalt seines Herrschaftssystems angewiesen fühlte  :

Philipp Josef Wieber und Peter Bolzano Graf von Taube – das zeuge von der Illegalität jener Ausleerungen aus Mergentheim, so die Argumentation. So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 301. 551 Napoleons Versprechungen waren höflich, aber wirkungslos, weil zeitlich unbestimmt  : »Je la remercie de tout ce qu’elle me dit. J’interviendrau avec plaisir por faire terminer d’une manière convenable les différends qu’elle a avec la Bavière, désirant de lui donner des preuves de l’intérèt que je lui porte.« Napoléon, Correspondance, XV Bd., Nr. 12892, S. 402, Napoleon an Ferdinand, 10. Juli 1807. 552 Hömig, Carl Theodor, S. 451. 553 Vgl. Siemann, Metternich, S. 273–276. Über die Rolle der Rheinbundfürsten auf dem Kongress in Erfurt berichtete ein österreichischer Spion namens Fahnenberg am 9. Oktober 1808 nach Wien  : »Die prahlerische Reise beider Kaiser nach Erfurt wäre nicht notig gewesen. Sie hätten die deutschen Angelegenheiten durch Correspondenz und durch Befehlsschreiben an die folgsamen Mitglieder der rhein. Confoederation eben so gut ins reine bringen können. Diese rheinischen Souveräns thun ohnehin alles, was Napoleon von ihnen verlangt«. Zit nach  : Ernst D. Petritsch  : Österreich und der Fürstenkongress, in  : Rudolf Benl (Hg.)  : Der Erfurter Fürstenkongress 1808. Hintergründe, Ablauf, Wirkung. Erfurt 2008, S. 223–234, S. 232. 554 Aus Talleyrands Memoiren. Zit nach  : Siemann, Metternich, S. 275. Anders die Deutung bei Wolfgang Altgeld  : »Indessen war Ferdinand der Fürst eben nur eines der kleinen Mitglieder des Rheinbundes, in dem es Napoleon in allem Wichtigen erklärtermaßen nur auf die Großen angekommen ist, zum Erfurter Fürstenkongress 1808 wurde er folge richtig nicht eingeladen« Altgeld, Zur Einführung, S. 30. Dass der Erfurter Fürstentag jedoch im Vorzeichen gegen Österreich ausgerichtete war und Erzherzog Ferdinand deshalb nicht eingeladen worden ist, unterstreicht jedoch auch Matthias Stickler  : »[D]ie bedeutenden Rheinbundstaaten waren demnach alle vertreten, es fehlten lediglich die beiden nassauischen Herzöge sowie das Herzogtum Berg […] Nicht anwesend war auch – obwohl er ganz offensichtlich erwartet wurde – der Großherzog Ferdinand von Würzburg, dessen doppelte Stellung als Rheinbundfürst in ­einem strategisch wichtigem Staat und als Agnat des Hauses Habsburg durchaus prekär war.« So in  : Matthias Stickler  : Erfurt als Wende. Bayern und Württemberg und das Scheitern der Pläne Napoleons I. für einen Ausbau der Rheinbundverfassung, in  : Rudolf Benl (Hg.)  : Der Erfurter Fürstenkongress 1808. Hintergründe, Ablauf, Wirkung. Erfurt 2008, S. 265–300, S. 292.

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»Der Kaiser der Franzosen will ihn [den Krieg, Anm. d. Verf.], denn er braucht ein Land, das er mehr oder weniger frei ausbeuten kann  ; er muss seine Armeen beschäftigen, um sie auf Kosten anderer zu unterhalten. […] Er braucht Geld  ; er hat es mir gegenüber nicht verheimlicht. Er will den Krieg gegen Österreich, um es sich zu verschaffen, aber wann wird er aufhören, wird er kommen und es auch bei uns suchen  ?«555

Das legt eine weitere bestimmende Determinante im Koordinatensystem des napoleonischen Herrschaftssystems offen  : Sein »systemsprengender europäischer Imperialismus«556 beruhte auf Krieg, auf Geld und Soldatenmassen557. Das war die materielle Inhaltsseite der Rheinbundpolitik, die Gegenleistung für seine Gewährung von Souveränität und Expansion, die er von seinen Bündnispartnern im Rheinbund oder von seinen jeweils kurzfristig unterworfenen Gegnern abzupressen versuchte558. Spätestens nach dem Frieden von Tilsit 1807 und dem Entschluss, die Iberische Halbinsel zur Einhaltung der Kontinentalsperre zu zwingen, hatte sich Napoleons Herrschaftsstil gewandelt559. Er bezog seine Berater noch weniger mit ein und der gefühlte Zwang zu Eroberung und Unterwerfung machte bei der Degradierung seines Kriegsgegners künftig nicht mehr halt – er wollte auch deren Herrschaftsdynastien, wie in Spanien und Portugal gezeigt, total beseitigen, sollten sie sich nicht seinem Willen beugen560. Ein fatales Signal für die regierenden Habsburg-Lothringer, deren Großvater mütterlicherseits noch den spani555 Metternich an Stadion, 17. Februar 1809, zit. nach  : Siemann, Metternich, S. 288. 556 Wolfram Siemann wertet, der Friede von Tilsit 1807 sei der Wendepunkt gewesen, an dem Napoleon die Möglichkeit gehabt hätte, die Dynastie in Spanien oder Österreich umzustürzen. Dass er seinen Blick auf die spanischen Kolonien als künftige Beute richtete, belege Metternichs These von Napoleons Plan zur »domination universelle«. Vgl. ebd. S. 289. 557 Nur am Rande sei bemerkt, dass allerdings vor allem Napoleons Unvermögen einen ausgleichenden Frieden zu schließen, dieses System überhaupt erst hervorrief. Es muss der psychologisierenden Biografik überlassen bleiben, warum er im »europäischen Konzert« keine (Er-)Lösung seines Getriebenseins erkennen konnte. Dass er selbst seine Macht nur auf militärischen Siegen beruhend sah, lässt an dessen Wahrnehmung zweifeln  : Insgesamt sechs seiner zwölf Feldzüge gingen am Ende verloren. Vgl. Johannes Willms  : Napoleon und Europa  : Das Verpasste Rendezvous, in  : Bénédicte Savoy (Hg.)  : Napoleon und Europa. Traum und Trauma  ; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 17. Dezember 2010 bis 25. April 2011. München u. a. 2010, S. 147–150, S. 149. 558 Vgl. Weis, Napoleon und der Rheinbund, S. 57. 559 Vgl. Lentz, Grundlinien, S. 25. 560 Bei einer Audienz im Oktober 1807 drohte er dem portugiesischen Gesandten  : »Wenn Portugal nicht macht, was ich will, wird das Haus Bragança in zwei Monaten nicht mehr in Europa regieren.« Ende November musste sich nach der Kriegserklärung die Dynastie nach Brasilien in Sicherheit bringen. Die spanische Bourbonenmonarchie zerschlug er bekanntlich im Jahr darauf. Gegenüber dem österreichischen Gesandten in Paris sprach er die Sorge aller Herrscherdynastien an  : »Geben Sie zu, es sind die spanischen Angelegenheiten  ; Sie sehen sich bereits umgestürzt, wie ich diesen Thron umgestürzt habe.« Vgl. Siemann, Metternich, S. 269–272.

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schen Thron innehatte. Ein wirkmächtiges Exempel vor allem für Erzherzog Ferdinand, dessen verstorbene Frau ebenfalls spanisch-neapolitanische Bourbonin war. So viele Determinanten sich für den Handlungsspielraum Erzherzog Ferdinands daraus ergaben, so ermöglichte das Herrschaftssystem Napoleons in engem Rahmen ein vorsichtiges, kühl abwägendes, rationales Entscheidungshandeln, die Möglichkeit zur eigenen Politikgestaltung. Die ihm mittels Instruktion an Hirsinger in Aussicht gestellten ›Vorteile‹ und damit die Verwirklichung seiner ›Interessen‹ nutzte Erzherzog Ferdinand aktiv. In Napoleons Herrschaftssystem versuchte er in den folgenden Jahren als Großherzog von Würzburg weiterhin seinem Stammhaus zu dienen, seinen beschränkten Machthorizont auszubauen und durch Einflussgewinn zur Erhöhung der HabsburgLothringischen Dynastie beizutragen – der Hauptkonkurrentin des Dritten Deutschland und des Rheinbunds561. Der ›politische Zweck‹ Erzherzog Ferdinands war im Krieg also ein vollkommen anderer als derjenige der übrigen Rheinbundfürsten. Die Ziele zur Erreichung dieses Zwecks waren jedoch mit ihnen deckungsgleich – die Rheinbundpolitik als Tausch von Geld und Soldatenmassen gegen Napoleons Gunst562. Erzherzog Ferdinand strebte wie die anderen Rheinbundfürsten im beschriebenen Herrschaftssystem nach Machtgewinn durch Expansion (1), nach Einflussgewinn durch Herrschaftsverdichtung und Effizienzsteigerung im Inneren (2) und nach engem persönlichen Kontakt zum Protecteur, von dessen Gnade und Gunst sich beides erhalten lassen 561 Seinem dirigierenden Staatsminister Anton von Wolkenstein-Trostburg (1760–1808) trug er am 3. August 1806 auf, nach Wien an Stadion chiffriert (!) zu melden  : »Der kaiserlich französische Minister, Monsieur Hirsinger ist gestern Abends hier angekommen. Es ist heute durch ihn der förmliche Antrag zum Beytritt zu der Conföderation gemacht, und dabey Sr. königlichen Hoheit die völlige Souveränität über alle ritterschaftliche Güter im Würzburgischen zugesichert worden. Man kann diesem Antrage hierorts nicht ausweichen, und also nur darauf bedacht seyn, von diesem Beitritte den größtmöglichen Nutzen für das Höchste Haus zu ziehen. Es wird gesucht werden nicht bloß die ritterschaftlichen Güter, sodann auch Schweinfurt, Ebrach und einige noch nicht vergebene, dem Kurstaate nützlich gelegenen Parzellen von Löwenstein, Leinigen und Salm-Krautheim zu erhalten. Auch die Rechte der Primogenitur sind in Anregung gebracht und darauf gesehen worden, sie – soviel an hier liegt zu verwahren und zu erhalten, damit die Verbindlichkeit des Heimfalls, welche von Salzburg auf Würzburg überging, in ihrer Kraft bleibe«. So in  : HHStAW, Stk, Würzburg 5, Diplomatische Korrespondenz, Wolkenstein an Stadion, Würzburg, 3. August 1808. 562 Über die Politikgestaltung kleinerer Rheinbundmitglieder kommt Karl Murk zur Einschätzung  : »Getreu der Maxime ›Wachse oder Weiche‹ entstand in dieser Phase permanenter Gebietsverschiebungen auch in ihrem Lager eine aus Angst und Begehrlichkeit gemischte, auf territoriale Akquisitionen bzw. auf die Schaffung eines von fremdherrschaftlichen Rechten gereinigten ›territorium clausum‹ abzielende Politik. […] [Sie hofften,] durch eine Abrundung ihrer Territorien und die damit verbundene Revenüenvermehrung ihre Bündnispflichten insbesondere im Hinblick auf die Stellung ihrer militärischen Kontingente leichter erfüllen, ihr politisches Gewicht innerhalb der Konföderation stärken und ihre Bündnisfähigkeit wirkungsvoll unter Beweis stellen zu können.« Murk, Ruder, S. 31. Allgemeiner  : Dann, Otto  : Mitteleuropa im Zeichen der napoleonischen Herausforderung. In  : Jost Dülffer (Hg.)  : Kriegsbereitschaft und Friedensordnung in Deutschland. 1800–1814. Münster 1995, S. 7–16.

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würde (3). Diese konstitutiven Elemente von Politikgestaltung im Rheinbund sollen im Folgenden exemplarisch geschildert werden, auch wenn alle Ziele miteinander untrennbar verknüpft waren, einander bedingten und sich in der ›praktizierten Politik‹ kaum voneinander unterscheiden ließen. Dennoch soll im Folgenden versucht werden, die skizzierte Wirkungskette – größerer Territorialbesitz bedeutet größeres Truppenaufgebot sowie mehr Finanzmittel und damit mehr erkaufter Einfluss bei Napoleon – offenzulegen. (1) Worauf sich die Expansionsabsichten Erzherzog Ferdinands gleich zum Zeitpunkt der Besitzergreifung durch das Haus Habsburg-Lothringen richteten, erklärt sich mit Blick auf eine Karte im Anhang  : Auch er trat seine Herrschaft über ein territorium non clausum an563. Der Besitzergreifungskommissar der Habsburgermonarchie Johann Aloys Joseph Reichsfreiherr von Hügel (1754–1825) meldete schon wenige Tage nach seinem Eintreffen in Würzburg an die beiden Brüder in Wien, dass 426 ritterschaftliche Besitzungen von 78 Mitgliedern aus dem reichsritterschaftlichen Stand oder landesfremder Herrschaften in diesem neuen Herrschaftsgebiet nicht zur Landesherrschaft gehörten564. Wie unübersichtlich und schwer regierbar sich der Besitzstand für den neuen Landesherrn darstellt, verdeutlicht das Beispiel Poppenlauer in der Rhön. In diesem Dorf teilten sich beispielsweise die 255 fl. Steuereinnahmen im Jahr die Adelsfamilien von Bibra, von Rosenbach, von Voit, von Münster sowie der Deutsche Orden – für den Souverän blieb nichts. Diesen Missstand erkennend, ›purifizierten‹, also mediatisierten die bayerischen Vorbesitzer des Fürstentums Würzburg von den 426 ritterschaftlichen Orten bereits 177565. Das ermöglichte es nun 1806 der Krone Bayern, den Passus im XI. Artikel des Preßburger Friedens restriktiv und zu ihren Gunsten auszulegen. Denn dieser, so argumentierten sie in unzähligen Noten, Vorträgen und Klarstellungen, regle lediglich, Bayern solle das Fürstentum so an Erzherzog Ferdinand übergeben »telle qu’elle a été donnée à 563 Eine bereits (Rückert, Das Großherzogtum) edierte Karte hier nochmals zur Verdeutlichung im Anhang als Dokument XV. 564 Eine für künftige Forschung eventuell relevante Übersicht findet sich als Tabelle ediert im Anhang unter Dokument XVI. 565 Vgl. HHStAW, Stk, Kleinere Reichsstände, 549 Würzburg, Classifikation der ritterschaftlichen Besitzun­ gen  ; Darin wird unterschieden in  : »I  : Innerhalb der Würzburgischen Landesgrenzen  : 77 purifizierte ritterschaftliche Orte  ; 51 mit dem Churtum gemeinschaftliche Orte«. Sowie »II  : An den Grenzen  : 100 purifiziert welche mit dem Churtum in staatenrechtlichem Verhältnisse stehen  ; 37 die dem Churtum gemeinschaftlich in staatenrechtlichem Verhältnisse stehen  ; 14 purifizierte ritterschaftliche Orte welche außer allem Verhältnis sind.« Hierzu vor allem ausführlicher  : Erwin Riedenauer  : Besitz und Rechte des fränkischen Adels um 1806 im Raum des Kurfürstentums Würzburg, in  : Jahrbuch für fränkische Landesforschung 46 (1986), S. 99. Als Einzelbeispiel eines Mediationsverlierers dient  : Stockert, Harald  : Vom Gewinner der Säkularisation zum Opfer der Mediatisierung. Das Haus Löwenstein-Wertheim zwischen dem Frieden von Lunéville und der Gründung des Rheinbunds. In  : Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 61 (2002), S. 293–304.

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Sa dite Majesté par le recès de la députation de l’Empire Germanique du 25. février 1803«566. Während der ersten bayerischen Zeit (1803–1806) habe Bayern aber unabhängig vom Reichsdeputationshauptschluss viele Gebietsteile »aus einem besonderen Titel«567 erworben und diese müssten nun nicht abgegeben werden. Auf diesem Standpunkt hielt die Krone Bayern zudem die vormalige Reichsstadt Schweinfurt und die Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld noch bis 1810 militärisch besetzt568. Alleine in den besetzt gehaltenen reichsritterschaftlichen Gebietsteilen gebot Bayern über ca. 18.600 Einwohner, deren Steuern und Militärpflichtige eigentlich Erzherzog Ferdinands neuer Landesherrschaft zustanden569. Aus gleichen Gründen, man habe die Abtei Ebrach und deren Territorialbesitz aus einem anderen Artikel erhalten, verwehrten die Bayern auch darauf den Zugriff570. Was im diplomatischen Kleinkrieg zwischen Bayern, Würzburg und ­Paris um diesen Besitzstand nicht offiziell verbalisiert wurde, ist die dahinterliegende Geostrategie Bayerns, von Bamberg über Ebrach bis Schweinfurt einen tiefen Keil in das neu entstandene Staatswesen zu erhalten, das man so ungern abgegeben hatte571. Die Abtei von Ebrach stellte dabei nicht nur irgendeine Arrondierung unter vielen dar. Erzherzog Ferdinands Bemühungen zielten in Ebrach auf ein Gebiet, das nicht 566 Art. XI des Preßburgerfriedensvertrags, zit nach  : Oer, Der Friede, S. 275. 567 Zit. nach Chroust, Die Geschichte, S. 127. 568 In einem Protokoll der Konferenz zur Ausgleichung der Differenzen vom 23. August 1806 zwischen Montgelas und dem Würzburger Bevollmächtigten Freiherrn von Gebsattel wird Montgelas deutlich  : »Da des Königs Majestät jedoch niemals und in keinem Falle weder zur Abtretung der Stadt Schweinfurt mit ihren Gebiethe, dann der ehemaligen Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld geneigt sei, noch in die Veräußerung der allerhöchstdenselben durch die Föderationsacte zugewiesenen Landeshoheit über das Fürstentum Schwarzenberg, die Grafschaften Castell und Limburg Speckfeld, dann die gräfl. Schönbornsche Herrschaft Wiesentheit einwilligen werden, so muß der unterzeichnete vor allen bemerken, ass diesgenannten Objekte eben so wenig als der von Würzburg durch einen gültigen Staatsvertrag abgetrennt District Iphofen, Gegenstände der Unterhandlung seyen und unter der diesseitigen Cessionen begriffen werden können.« So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 187–200, hier  : 192. Weiteres auch bei  : Chroust, Die Geschichte., S. 112  ; Müller, Uwe  : »… und manche Leute hatten geweint«. Vor 200 Jahren wurde die Reichstadt Schweinfurt erstmals bayerisch. In  : Schweinfurter Mainleite IV (2002), S. 3–11. 569 Näheres dazu bei  : Rückert, Das Großherzogtum  ; Chroust, Die Geschichte, S. 192. 570 Der bayerische Geschäftsträger für die Übergabe, Stupp, brachte bereits im Januar den Stein ins Rollen. Er stoße »auf den Zweifel  : ob die Ämter der vormaligen Abtei Ebrach als zum ehemaligen Hochstifte Würzburg gehörig behandelt werden sollen oder nicht […] Die Abtei Ebrach ist in dem EntschädigungsDeputations-Schlusse nicht als Theil des Hochstifts sondern abgesondert, genannt« So in BayHStA, MA 4590, Stupp an Montgelas, 4. Januar 1806. 571 Montgelas argumentiert gegenüber dem bayerischen Gesandten in Würzburg   : Die Ansprüche (»justice des prétentions«) auf »l’abayé d’Ebrac, et la ville de Schweinfurt et la nécessité d’une frontière sur la Tauber et les principautés de Bamberg, Ansbach et de Baireuth   ; ces réclamations furent appuyées pas le ministre de France, et en croit pouvoir être persuadé ici, que ces prétentions ne peuvent manquer d’être réalisées«. So in  : BayHStA, MA 3074, Würzburg  : Gesandtschaftsberichte Tautphöus 1807–1810, Montgelas an Tautphäus, 31. Juli 1807.

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nur wirtschaftlich lukrativ war, bedeutete Waldbesitz doch den Zugriff auf den einzigen Brenn-, Bau-, und damit wirtschaftlichen Treibstoff des Landes572. Ebrachs über Jahrhunderte gewachsener Territorialbesitz bis weit ins Bambergische hineinragend, war außerdem auch dichtbesiedelt573. Während mit den anderen Rheinbundnachbarn in rascher Folge von Staatsverträgen eine geregelte Grenzführung und damit Arrondierung gelang574, stand aus Sicht des Großherzogtums Würzburg nur die Krone Bayern als Haupt­konkurrent der gewünschten territorialen Expansion im Weg. Erzherzog Ferdinand kümmerte sich, anders als die ältere Forschung Glauben machen möchte, durchaus intensiv um diese territoriale Expansion. Er bediente sich dabei der immer gleichen Verhandlungsstrategie, die er bis Ende des Krieges auch so beibehal­ ten sollte. Er insistierte direkt bei Napoleon, seinen großherzoglichen Beamten überließ er die Kommunikation mit dem Außenministerium und deren Zuständigen Gesandten575. In seinen Briefen an Napoleon verquickte er stets die Forderung nach einer geregelten Bestimmung von Grenzen, die er »desirer ardemment«576, mit dem Hinweis, nur so könne er seine Unabhängigkeit bewahren, seine Souveränität ausüben577. Dies würde 572 Siehe zur geografischen Lage und Dimension die Karte im Anhang als Dokument XV (in grauer Schraffierung). 573 Für das Ende der Klosterzeit ist eine Bevölkerung von ca. 7.000 Menschen anzunehmen, die zum unmittelbaren Einflussbereich der ebrachschen Herrschaft gehörten. (Gegliedert in den Ämtern Ebrach, Burgwindheim, Sulzheim, Mainstockheim, Oberschwappach, Weyer), vgl. Winfried Schenk  : Mainfränkische Kulturlandschaft unter klösterlicher Herrschaft. Ebrach 1988, S. 133f. Alleine der Holzerlös betrug pro Jahr »60.980 fl. 49 Xr. aus Waldschwind, Koppenwind, Burgwindheim, Mittelsteinach, Gressingen, Ilmbach, Schönaich, Oberschwarzach, Oberrimbach, Münsterschwarzach«. Zahlen aus  : HHStAW, Stk, Kleinere Reichsstände, 550 Würzburg, Fol. 470. Das alleine verdeutlicht die große Ausdehung. Als Besitzstand berechnete Dannert  : 3.700 Morgen Äcker, Wiesen und Gärten, 25.500 Morgen Waldbesitz, und 32 Morgen Weinberge. Das Barvermögen bezifferte er auf über 107.000 fl. und über 331.000 fl. an langfristig ausgeliehenen Kapitalien. Dieter M. Dannert  : Die Finanz- und Besitzverhältnisse der Abtei Ebrach zum Zeitpunkt ihrer Aufhebung 1802/03 1969, S. 152f. 574 Die Staatsverträge wurden geschlossen mit dem Großherzogtum Baden am 23. Mai 1807, mit Hildburghausen am 16. Juni 1807, mit Sachsen-Meinigen am 20. Juni 1808 und mit dem Großherzogtum Frankfurt am 19. August 1808. Hierzu in seiner Detailfülle unerreichbar  : Chroust, Die Geschichte, S.240–256  ; Außerdem  : Albert, Reinhold  : Bedeutender Tauschhandel vor 200 Jahren mit einem Staatsvertrag besiegelt. In  : Heimat-Jahrbuch des Landkreises Rhön-Grabfeld (2008), S. 406–411. 575 Beispielhaft sei angeführt  : »La bouté et l’amitié que Vous m’avez toujours témoignée, Sire, ne me laissent même doute sur l’intérêt que Vous voudrez bien prendre à mon sort ainsi que sur la justice, que Vous rendez mon sentiments de respect, de reconnaissance, et d’attachement avec lesquelles j’ai l’honneur d’être Sire de Votre Sacrée Majesté impériale et royale […]« So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, Ferdinand an Napoleon 16. November 1806, Fol. 255. 576 Er wies im eben zitierten Brief auf die Übergriffe der benachbarten föderierten Prinzen, also Bayern, hin und »desirer ardemment« die Bestimmung von Grenzen. Im darauffolgenden Satz versicherte er, die sechste Kompagnie sei zum Ausmarsch bereit und werde die gleiche Route zur Großen Armee nehmen, die die anderen fünf bereits genommen haben. So in  : Ebd. Fol. 254. 577 »Son Altesse Royale invoque les bontée et la Protection de Sa Majesté Imperiale pour l’applenissement des dif-

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ihn überhaupt erst in die Lage versetzen, Napoleons Rüstungspolitik zu unterstützen, ein Kontingent aufzubieten oder sonstig nötige militärische Hilfe zu leisten578. Gegenstand dieser militärischen Hilfe waren zumeist Truppengestellungen, aber auch die freigiebige Gewährung von Durchmarschrechten, Versorgungsdiensten für die Armee oder die Duldung der französischen Besatzung auf der Festung Marienberg. Je mehr sich Napoleons Politik allerdings auf die großen Kontinentalfragen ausrichtete, desto schwieriger war es für die kleineren Rheinbundfürsten, dass ihr willfähriger Dienst auch wahrgenommen wurde. Dafür brauchte es eine besondere Kommunikations­ strategie, da es an einer institutionalisierten Austauschplattform zwischen dem Protec­ teur und den Rheinbundfürsten, wie es der Bundestag hätte sein können, fehlte. Erzherzog Ferdinand reihte sich ein in die Schar derer, deren monarchische Souveränität nicht zu groß gewesen wäre, um dem Protecteur detailliert ihre militärischen Leistungen in größter Unterwürfigkeit minutiös aufzulisten  : »[…] Da ich nicht weniger mache als Euer Majestät um die ernsthaftesten Wünsche nach Frieden nachzukommen, zögere ich keinen Moment einen neuerlichen Beweis meines Diensteifers für das Gemeinwohl zu geben und meine unverletzliche Verbundenheit mit Ihrer Majestät auszudrücken und aus den Pflichten, die mir die Konföderation auferlegt hat, werde ich sofort unverzüglich alles bereitstellen, damit das Fünftel, das Ihre Majestät unter diesen Umständen für passend erachtet, zum Kontingent hinzufügen und kampfbereit und marschbereit dort sein wird, wo es zu sein bestimmt ist. Das Kontingent selbst ist komplett am 17. dieses Monats und wird dann bereits ausmarschiert sein. Nachdem ich Euren Wünschen damit zuvorgekommen bin, glaube ich nicht, dass ich Euch, Sire, Versicherung geben muss, dass meine Bemühun-

ficultées qu’elle a avec la cour de Baviere, tant relativement à la possession de l’abbaye d’Ebrach, qui a de tout tems fait partie integrante de la prinipauté de Wurtzbourg« in einer dem Brief mitgeschickten Notiz werden die reichsritterschaftlichen Gebiete aufgeführt, [eigene Übersetzung] »die in das Kurtum Würzburg eingeschlossen sind, von denen der Prinz Besitz ergreifen möchte, um sie als Arrondierung seines Gebiets zu haben, die ihn in den Stand setzt, die Souveränität und Unabhängigkeit einfacher auszuüben, die ihm durch seinen Beitritt zum RB zugesichert wurde. Die Zusicherung der reichsritterschaftlichen Gebiete interessiert den Kurfürsten essentiell und er kann sie nur bekommen durch den Schutz seiner Majestät, auf den er sich mit Vertrauen und gutem Willen beruft.« So in  : Ebd. Hirsinger an Talleyrand, 11. August 1806, Fol. 173. 578 Der Beitritt Erzherzog Ferdinands zum Rheinbund sichere ihm den Genuss der Rechte zu, so der französische Gesandte in Würzburg, die ihm durch den Vertrag von Preßburg zuteil geworden wären. Es sei ihm wichtig, wie er ihm versichert habe, dass ihm der souveräne Besitz über die »terres equestres enclavées« im Kurtum übereignet würde, um selbst das Truppenkontingent zur Verfügung stellen zu können, das ihm auferlegt sei. Die Ausmaße des Kontingents seien verabredet und bis er sie in Marsch setzt, erwartet er nur die Unterrichtung der Absichten Napoleons. Dieses Kontingent könne indes leicht mit 4.000 Männern beziffert werden, wie Erzherzog Ferdinand Hirsinger versichert habe. So in  : Ebd. Hirsinger an Talleyrand, 7. September 1806, Fol. 181.

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gen in der gemeinnützigen Sache zu kooperieren niemals enden werden und, dass trotz der beschränkten Ressourcen meines Landes mich keine Person übertreffen wird in der nicht steigerungsfähigen Zuneigung, die niemals aufhören wird sich Eurer Majestät zu weihen und in der höchsten Wertschätzung mit der ich die Ehre habe Ihrer Majestät der sehr ergebene Bruder und Diener Ferdinand zu sein.«579

Bei allen persönlichen Treffen580, bei jeder Gelegenheit eines Glückwunschs für eine gewonnene Schlacht581, in nahezu jeder Korrespondenz mit dem Protecteur versuchte Erzherzog Ferdinand im eng von Napoleon gesteckten Rahmen seinen Territorialbesitz zu vergrößern. Bemerkenswert ist das in Erzherzog Ferdinands Korrespondenz mit Napoleon immer wiederkehrende Argumentationsmuster, er habe seinen Beitrag in den höheren Dienst eines durch Napoleon garantierten Friedens in Deutschland geleistet – und das mit den ihm nur beschränkt zur Verfügung stehenden Mitteln. Zwischen den Zeilen lässt sich stets lesen, verfüge er über eine größere Herrschaft, könne auch sein ›Beitrag‹ größer ausfallen582. Erzherzog Ferdinand verband bis zuletzt das In-Erinnerung-Rufen 579 Beispielhaft soll der folgende Brief hier in eigenständiger Übersetzung belegen, wie sehr Erzherzog Ferdinand auch selbst eingebunden war in die militärische Planung im Großherzogtum Würzburg. So in  : Ebd. 66, Ferdinand an Napoleon, 22. April 1807, Fol. 63. 580 »Nach den neuesten aus Paris eingetroffenen Nachrichten hat der Großherzog von Würzburg erst am 20ten Oktober seine eigenen Angelgenheiten bey dem Kaiser Napoleon selbst zur Sprache gebracht und von demselben zur Antwort erhalten, dass er sie in Überlegungen nehmen wolle.« So während Ferdinands Aufenthalt in Paris 1807. Aus  : HHStAW, Stk, Würzburg 1, 13. November 1807. »[O]b zu einer Gebietsvermehrung Aussicht vorhanden sey, darüber habe man ihm zwar noch keine Auskunft gegeben« doch immerhin versicherte man »dass die großherzoglichen Angelegenheiten wenigstens insofern sie die Differenzen mit BY betreffen, ganz gut stünden.« So bei seinem Aufenthalt 1810. 581 Kurz vor dem Frieden von Tilsit schrieb Erzherzog Ferdinand an Napoleon  : »Der Frieden der Eure Majestät Europa geben wird, wird endlich die allgemeine Ruhe und den allgemeinen Wohlstand herstellen. Indem ich Ihr zu einem großen Ereignis gratuliere, das der ganzen Menschheit gut tut, erlaube ich es mir Ihre Majestät an die Güte zu erinnern, wie Sie mir mehrere Male versichert hat, wenn Frieden herrscht, meinen Interessen widmen würde. In einer so glorreichen Zeit unterbreche ich nicht Ihre großen Vorhaben, durch die erneute Erwähnung der Bedürfnisse meines kleinen Staates und meiner Rechte gegen Bayern. Ihre Majestät kennt die einen wie die anderen. Und wenn sie mir die Ehre Ihrer Anwesenheit in Würzburg erweist, hat sie mir Ihren Schutz versprochen auf die Art und Weise, die nicht zweifeln lässt, am Interesse, das Ihre Majestät meinem Schicksal schenken möchte.« Original abgedruckt als Dokument II im Anhang. Erzherzog Ferdinand verband seine Glückwünsche für Siege gegen seinen Bruder bei Znaim und Deutsch Wagram 26.7.1809 mit der wiederholten Bitte um eine »intervention pour la reglement des relations de son Granduche avec la Bavíere« So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 329. 582 »C’est une satisfaction toute particuliére pour moi d’avoir merité l’approbation de VM en me conformant aux devoirs que l’acte de la Confédéderation du Rhin m’impose. Mes troupes se trouvant depuis le millieu d’aout presentes sous les armes, j’ai déjà ordonné qu’elles soient exercés. Je suis bien aise d’avoir aussi sur ce point rempli ses vues. Persuadé d’avoir contribué par cette demarche autant que mes forces le permettent à la conservation de la paix en Allemagne et aux grands éfforts de Votre Majesté Imperial et Royal pour améner la paix universelle,

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der eigenen Leistungen ›als sehr ergebener Diener‹ mit der formalisiert wiederholten Versicherung, seiner nicht steigerbaren Hochachtung  : »que je ne cesserai de prendre à Sa prospérite personelle, et à cette des personnes qui Lui sont chères ainsi que de l’empressement avec lequel je m’efforcerai de donner à Votre Majesté en toute occasion les preuves de ma plus haute consideration avec laquelle j’ai l honneur d’etre […].«583 Diese Kommunikationsstrategie verfolgte er bereits in der Toskana und sie lässt sich auch in Würzburg wieder erkennen. Sie verfolgt das Ziel, im Gedächtnis, im Gespräch und damit in Bedeutung zu bleiben. Die gestelzt wirkende Wiederholung von unverbrüchlicher Hochachtung und Freundschaft muss jedoch auch im Kontext der dazu passenden Handlungen gesehen werden. Erzherzog Ferdinand legte höchsten Wert darauf, dass alle Truppenlieferungen »sans délai […] et prompt«584 ausgeführt werden sollten, stets mit dem ebenfalls formalisierten Hinweis  : »l’archiduc grandduc voulant donner à Sa Majesté Imperial et Royal une nouvelle preuve de son attachement et devouement inalterable«585. Darin unterschied er sich augenscheinlich nicht vom Fürstprimas Dalberg, dem sein Biograf attestiert, sein Verhältnis zu Napoleon sei »durch ein hohes Maß an Devotion bestimmt gewesen, das über den Rahmen höfischer Stil- und Umgangsformen hinausging.«586 Wie aber bereits in der Toskana von Erzherzog Ferdinand erprobt, lässt sich all dieses ›Lavieren, und Schmeicheln dem Gegner‹ als Handlungsstrategie eines Mindermächtigen werten. Es wird noch zu zeigen sein, dass Erzherzog Ferdinand in Würzburg sehr wohl einige antinapoleonische, antirevolutionäre und damit antifranzösische Akzente setzte. In allen militärischen Belangen jedoch fanden die schmeichelhaften Worte aus Würzburg ihre Entsprechung in einer Politik der einspruchslosen Erfüllung. Erzherzog Ferdinand sorgte dafür, dass nachweislich insgesamt mindestens 9.499 Soldaten aus dem Großherzogtum Würzburg unter die Fahnen Napoleons gestellt wurden. Er übererfüllte mit 6.498 Soldaten, die im Sommer 1813 zum gleichen Zeitpunkt im

je la prie d’agréer l’hommage de mon attachement et de la plus haute consideration avec la quelle j’ai l’honneur d’être […].« So in  : Ebd., Ferdinand an Napoleon, 15. September 1808, Fol. 215. 583 Ebd., 68, Ferdinand an Napoleon, 18. Januar 1812, Fol. 15. 584 Als Beispiel  :  »je ne hésite un moment à Vous donner une nouvelle preuve Sire de mon zèle pour la cause commune et mon attachement inviolable à Votre Majesté et aux devoirs, que m’impose la confédération, en faisant sur le champ toutes les dispositions pour que le cinquième que Votre Majesté juge dans ces Circonstances convenable qu’en ajoute au contingent, soit sans délai sur pied et prompt à marcher là où le destinera.« So in  : ebd., 66, Ferdinand an Napoleon, 22. April 1807, Fol. 63. 585 Erzherzog Ferdinands Staatsrat Seuffert berichtete an das französische Außenministeruim, der ›preuve de son attachement et devouement‹ sei die Fertigstellung eines Infanterieregiments mit 1.680 Soldaten, das nun bereit sei seinen Dienst in Frankreich zu tun. Dass das Regiment am Ende in Spanien aufgerieben wird, wusste man zumindest vor der Hand noch nicht. Aus  : ebd., 66, Seuffert an Talleyrand, 15. September 1808, Fol. 212. 586 Hömig, Carl Theodor, S. 366.

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Feld standen, das im Rheinbund vertraglich geforderte Kontingent von 2.000 Soldaten, fast dreieinhalbfach587. Selbst als sein Staatsrat, der diese Politik mittrug, wie noch zu zeigen sein wird, unvorsichtigerweise ohne Kenntnis, wofür die Truppen eigentlich bestimmt seien, einen Truppenverband auch noch gegen seinen Bruder entsandte, legte Erzherzog Ferdinand kein Veto ein. Er verfolgte die Handlungsstrategie der einspruchslosen Erfüllung bis zuletzt und ganz persönlich. Als Napoleon, während dessen groß angelegter Truppenreorganisation im Januar 1813, eine neue Kavalleriereserve aufzustellen beabsichtigte588, versprach er mit den demütigsten Worten, dass »aucun sacrifice ne sera épargner pour Vous convaincre, Sire, de mon zélé immuable à rétablir Vos désirs, même dans les choses ou il se trouve des difficultés presque insurmontable […] une compagnie de chevaux légers de quatre-vingt-dix hommes, égaler aux deux premières qui sont déjà à l’armée«589. Eine Woche später erteilte er den Befehl, sofort die Truppen aufzubieten, drei Wochen später verließen die ersten Chevaulegers die Residenzstadt, obwohl es eigentlich keine Pferde in In- und Ausland mehr gab590. ›Difficutés insurmontable’ stellten für Erzherzog Ferdinand keinen Hinderungsgrund dar im Kampf um die Gunst Napoleons – alles in seiner Macht Stehende bot er dafür auf. Will man Erzherzog Ferdinands Politik der einspruchslosen Erfüllung in allen militärischen Belangen als Mittel zur Durchsetzung seines ›politischen Zwecks‹ im Krieg verstehen, dann muss man sein Entscheidungshandeln rückkoppeln an seinen Handlungsspielraum. So gesehen könnte man Erzherzog Ferdinands militärische ›Erfüllungspolitik‹ als Folge des größten strukturellen Defizits im Rheinbund bewerten. Weil der Rheinbund, anders als in Aussicht gestellt und von einigen bedeutenden Staatsrechtlern der Zeit immer wieder aufs Neue gefordert, keine institutionalisierte Rechtsprechung, kein Bundesgericht geschweige denn einen Bundestag – auch aufgrund des andauernden Krieges – etablieren konnte, blieb allen Fürsten des Dritten Deutschland für die erstrebte Gebietsbereinigung nur der Kampf um die Gunst Napoleons als praktizierte Rheinbundpolitik591. 587 Hier sei auf die Tabelle hingewiesen, die alle Truppenkontingente zusammenfasst, die in den französischen Dienst übergeben wurden. Die Ergebnisse dieser Tabelle werden im Kapitel II.3. später noch ausführlich zu beschreiben sein. Im Anhang als Dokument XVII. 588 Vgl. Pierre O. Juhel  : Die Truppen des Rheinbunds im Jahr 1813, in  : Gerhard Bauer/Gorch Pieken u. a. (Hg.)  : Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege  ; [Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, 6. September 2013 – 16. Februar 2014]. Dresden 2013, S. 52–63, S. 56. 589 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 69, Ferdinand an Napoleon, Würzburg, 27. Januar 1813. 590 Siehe Kapitel II. 2.5, S. 420. 591 Obwohl es in der Historiografie noch viel zu wenig untersucht worden ist, so muss auch hier die zeitgenössische publizistische Begleitung, der öffentliche Diskurs um den Rheinbund sträflich vernachlässigt werden. Gerade die Kontextualisierung der Schriften des im ganzen Bundesgebiet hoch anerkannten Würzburger Staatsrechtlers Wilhelm Josef Behr versprächen der Wissenschaft einen großen Gewinn für

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Wollte Erzherzog Ferdinand das Großherzogtum Würzburg mit territorialem Gewinn im Osten gegen Bayern arrondieren, konnte dies nur mit Hilfe und Unterstützung Napoleons gelingen. Wie weit Erzherzog Ferdinand bereit war, dafür zu gehen, zeigt auch das Glückwunschschreiben an Napoleon zu dessen Sieg über Habsburg-Lothringen im Jahr 1809. Darin vermied er auffällig genug, den Kriegsgegner beim Namen zu nennen  : »Sire, la Paix que votre Majesté Imperiale et Royale vient de donner à l’Allemagne, mettra sans doute aussi fin aux différents qui ont subsisté jusqu’ici entre les Etats de la Confédération du Rhin.«592 Selbst anlässlich der vernichtenden Niederlage seines Stammhauses versuchte Erzherzog Ferdinand die Gelegenheit zu nutzen, um erneut beharrlich um Napoleons Intervention bei den ›differents’ zwischen dem Großherzogtum Würzburg und Bayern zu werben. Dass jedoch 1809 die mehr als 30.000 Soldaten der Krone Bayern ein stärkeres Gewicht im Kampf gegen Österreich genauso wie um Napoleons Gunst hatten als die 239 Soldaten Würzburgs, versteht sich von selbst593. Lapidar antwortete Napoleon darauf, er wünsche »la bonne harmonie entre les souverains«594. Allein bei diesen Größenverhältnissen wird deutlich, dass es sich bei der Absicht Erzherzog Ferdinands, einen Machtgewinn durch Expansion zu erreichen, ohne zu übertreiben, um einen Kampf im Format David gegen Goliath handelte. Erzherzog Ferdinands Politik der einspruchslosen Erfüllung sicherte ihm als militärisch mindermächtiger Verhandlungspartner dennoch die Wertschätzung Napoleons und die Achtung am französischen Hof und für die Nachwelt den Ruf eines mustergültigen Rheinbundfürsten. Selbst der stets kritische bayerische Gesandte in Würzburg, der das ganz ›österreichische‹ an der Politikgestaltung Erzherzog Ferdinands bemerkt haben wollte, musste gerade 1809 dessen einwandfreie Haltung gegenüber dem Rheinbund, und viel wichtiger gegenüber dessen Protecteur, resigniert nach München melden595. Am Ende blieb zwar Ebrach weiterhin bayerisch, worauf noch näher einzugehen sein die bisher blass gebliebene Geschichte des Rheinbunds. In engem Austausch mit anderen Staatsrechtlern und politischen Publizisten wie Karl Ludwig von Klüber oder Nikolaus Thaddäus Gönner erschuf er eine Mentalität, die als »Rheinbundpatriotismus« angesehen werden könnte. Eine mentalitätsgeschichtliche Abhandlung darüber könnte einige blinde Flecken erhellen. Vgl. Wilhelm Joseph Behr  : Systematische Darstellung des Rheinischen Bundes aus dem Standpunkte des Öffentlichen Rechts. Frankfurt am Main 1808  ; Biografische Notiz bei  : Domarus, Bürgermeister Behr. Einen Ansatz bietet  : Coignard, Tristan  : Vom »Reichspatriotismus« zum »Rheinbundpatriotismus«  ? Napoleons Reformkonzept und sein Widerhall im Umfeld des Rheinischen Bundes. In  : Marion George u. a. (Hg.)  : Napoleons langer Schatten über Europa. Dettelbach 2008, S. 87–102. 592 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Ferdinand an Napoleon, 26. November 1809, Fol. 345. 593 Obwohl Napoleon sehr wohl bewusst war, dass diese Einheit auf den Schlachtfeldern in Österreich kämpfte, erwähnte er sie doch u. a. im Tagesbefehl vom 5. September 1809, dachten wie erwähnt viele Historiker vorher anders  : Napoléon, Correspondance, XIX. Bd., Nr. 15759, S. 434. 594 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Napoleon an Ferdinand, o.D., Fol. 346. 595 »Il est […] constaté que le principe du grand-duc est suivre sans restriction l’impulsion qu’aura la confédération

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wird, aber ab 1810 gebot Erzherzog Ferdinand weitgehend über eine geschlossene Landesherrschaft mit 349.016 Einwohnern in 31 Städten, 869 Marktflecken, Dörfern und Weilern sowie 462 Höfen, auf 6.185km2 Fläche596. Gemessen an den Zahlen bei seinem Regierungsantritt bedeutete das – bei allen statistischen Schwierigkeiten und den jeweils geringsten Angaben zufolge – einen für den Krieg nutzbaren Bevölkerungszuwachs597 von ca. 31,5 %, einem Flächenzuwachs598 von ca. 40 %. (2) Mit der eben herausgearbeiteten Konsolidierung des Staatswesens nach außen ging der Prozess im Inneren einher, den die neuere Forschung unter ›Herrschaftsverdichtung‹ zusammenfasst599. Erzherzog Ferdinand folgte dabei in erster Linie dem Primat des Militärischen in seinem Entscheidungshandeln. Kurz  : Er versetzte das von ihm beherrschte Territorium durch sein aktives Regierungshandeln im Inneren in die Lage, dass es den Beitrag im Kampf um Napoleons Gunst mit immer aufs Neue erbrachten ›preuves de devounement‹ überhaupt aufbringen konnte. Die Politik der einspruchslosen Erfüllung gegenüber Napoleon weist jedoch in allen anderen, auf den ersten Blick nicht-militä-

du Rhin […] Le grand-duc sera toujours porté de suivre en tout les avis qu’il recevra de la cour de France.« So in  : BayHStA, MA 3074 Würzburg, Tautphäus an Montgelas, 11. August 1809. 596 Für alle Zahlen, die auch im folgenden Kapitel noch wichtig werden, findet sich im Anhang eine statistische Zusammenstellung als Dokument XIX. Für die km2-Angabe  : Chroust, Die Geschichte, S. 255. 597 Zahlen aus BayHStA, MA 4556 ergeben für das Jahr 1797 insgesamt für das Fürstbistum 265.381 Einwohner. Diese Zahlen wurden der Berechnung zugrunde gelegt genau wie die 349.016 Einwohner, die entnommen sind aus StAWü, Statistische Sammlung 4. Andere Zahlen sprechen für das Jahr 1800 von 267.838 Einwohnern. Für 1810 finden sich 251.342 Einwohner in französischen Berechnungen in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Fol. 46f.In Prag (SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6., sign. 71) hingegen findet sich indes für 1809 282.005 Einwohner. Für 1811 gibt Demian 268.900 Einwohner an  : Johann Andreas Demian  : Statistik der Rheinbundstaaten. Frankfurt am Main 1812a, S. 6. Andere Berechnungen weisen für das gleiche Jahr 333.765 Einwohner aus, so in  : StAWü, H.V. MS, f. 1054. Mangelnde statistische Erhebungen auf dem Lande und die nur sukzessive von den Bayern an das Großherzogtum übergebenen Gebiete sind Grund für die unterschiedlichen Zahlen. Als Karte die endgültige Ausdehnung des Großherzogtums Würzburg für das Jahr 1810 im Anhang als Dokument XX. 598 HHStAW, Stk, Kleinere Reichsstände, 550 Würzburg, Nach Hasselts Tabellen  : Statistische Vergleichung der neuen Aquisizionen des Prinzen Murat mit dem Churfürstentum Würzburg  : Darin wird für das Staatswesen am Main 1806 eine Fläche von 80 Quadratmeilen veranschlagt. Nach sorgfältigen Berechnungen kommt Chroust für 1810 auf 112 1/3 Quadratmeilen, trotz Problemen mit dem statistischen Material. Vgl. Chroust, Das Würzburger Land, S. 48f., 55f. 599 Der Ansatz des Mittelalterhistorikers Peter Moraw brachte den Begriff auf und meint damit einen Prozess, bei dem im Spätmittelalter Fürsten ihre Lehen in Länder, ihre Lehensherrschaft in Landesherrschaft verwandelten. So seien zunächst aus persönlichen Beziehungen Personenverbandsstaaten erwachsen. Daraus abgeleitet weist Johannes Süßmann diesen Weg in die Moderne über die Monopolisierung von Herrschaftsrechten zu Machtpolitik im Inneren und Äußeren während des Absolutismus. Vgl. Süßmann, Vom Alten Reich, S. 44–50.

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rischen Belangen bemerkenswerte Brüche auf. Diese Brüche sind es, die dem Bild des ›Prototypen des Rheinbundfürsten‹ widersprechen. Es soll im Folgenden daher die persönliche Linie, das Entscheidungshandeln Erzherzog Ferdinands im Prozess der inneren Staatskonsolidierung herausgearbeitet werden600. Dass er überhaupt darin eine eigene Linie verfolgte, bestreitet die ältere Forschung indes601, die Erzherzog Ferdinand ebenfalls unterstellte, es mangle ihm an militärischem Sinn602. Dass er sich im Kampf um Napoleons Gunst dem Primat des Militärischen v­ erschrieb, beweist bereits eines seiner ersten Regierungsprojekte in Würzburg, das er gleich nach seinem Eintreffen dort anschob. Zwar konnte er, wie schon in Salzburg so auch am Main, auf den Reformeifer der Krone Bayern aufbauen und die nach aufgeklärt-ratio­ nalen Grundsätzen umgestaltete Verwaltung sofort nutzen. Die Neugründung der Mili­ tär-­Oberkommission (MOK), als oberste Militärbehörde am 14. August 1806 ist daher umso auffälliger, weil sie eben nicht nur als »nothwendiges Surrogat […] der ehemaligen Hofkriegsraths-Ordnung« geschaffen werden sollte, »wenn das churfürstliche Kabinett und Staatsministerium nicht mit einer Menge unvorbereiteter Bittgesuche und anderer militärischer Gegenstände behelliget seyn will« 603. Das Gremium, dessen, in Erzherzog Ferdinands Worten, »vornehmste Aufgabe es [sei] eine churfürstliche Militärmacht ins Leben zu rufen und kriegsdienstfähig zu machen«604, sollte alle Militärverwaltungsangelegenheiten eigenständig regeln605. In einer so handlungsmächtig geschaffenen Posi­ tion setzte Erzherzog Ferdinand die MOK aus Kriegsexperten zusammen  : aus »unseren 600 Vgl. Feuerbach, Konflikt, S. 344. Viel ausführlicher als es hier geschehen kann, analysierte Ute Feuerbach umfangreich den Prozess der Herrschaftsverdichtung im Gebiet des Großherzogtums Würzburg. An dieser Stelle soll indes das Entscheidungshandeln von Erzherzog Ferdinand fokussiert werden. 601 Vgl. Ziegler, Kaiser Franz, S. 12. Ohne die hier vorgestellten Aktenfunde in München und Prag musste man der Deutungsart Anton Chrousts folgen und urteilte Erzherzog Ferdinand hätte »keine besonderen Führungsqualitäten oder gar Initiativen [entfaltet], sondern ließ sich bei schwach entwickelter Entschlusskraft von seinen Spitzenbeamten tragen.« Brandt, Das Großherzogtum, S. 30. 602 Siehe Kapitel II. 1.2, S. 92. 603 StAWü, Großherzogtum Würzburg, Landesdirektion, Oberkriegskommissariat 4, Instruktion zur Errichtung (Commissionsordung) der Militär-Obercommission am 04. Juli 1806. 604 Zit nach  : Chroust, Die Geschichte, S. 274. 605 Die Entwürfe und Vorträge zur MOK-Gründung mit eigenhändigen Notizen Erzherzog Ferdinands sind zusammengefasst im StAWü, Großherzogtum Würzburg, Landesdirektion, Oberkriegskommissariat 4. Darin eine Instruktion in 29 Artikeln. Art. 12 regelt die Aufgaben der MOK  : »Diese sind  : a) Kriegsdienst betreffende Anordnungen b) Militärgesetze-Initiativrecht, Reglementsangelegenheiten, Avancements der Offiziere c) Handhabung der höheren Kriegspolizei und Disziplin d) Werb-Entlassungs und Heiratssachen e) Vermögenskonfiskation der Deserteurs f ) Quieszenten und Pensionsgesuche g) Verträge und Correspondenzen mit Auswärtigen über Cartell und andere milit. Gegenstände h) Revision der Urteile der Militär-Untergerichte wenn Todes- oder infamierende Strafen, auf Cassation oder Wegjagung aus den Diensten, oder auch ein stärkeres und längeres als ein eintägiges Gassenführen durch 300 Mann

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commandierenden Truppen-Chefs«606, drei Stabsoffizieren, die nicht mehr im aktiven Militärdienst standen, sowie einem Oberkriegskommissar (zuständig für Finanzen), ­einem Oberauditor (zuständig für Justiz- und Polizeisachen), einem Kriegssekretär (verantwortlich für die Protokolle) und drei Verwaltungsangestellten. Bemerkenswert sind bei der Einrichtung der MOK zwei Dinge  : Das Gremium entschied nach Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit sollten die Stimmen der ›Truppen-chefs‹ entscheiden. Der Geheime Staatsrat hatte folglich nur ein Veto- und Initiativrecht607. Und zweitens  : Budgetrechtlich unterstand die MOK der Landesdirektion als »höchster Militär­öco­no­ mie­stelle«608. Erzherzog Ferdinand etablierte – gemäß der althabsburgischen Tradition – damit ein Verwaltungsgremium, das durch seine Zusammensetzung von einem aufgeklärt-rationalen Behördencharakter zeugt, deren Mitglieder damit nicht zu Befehlsempfängern eines dem Fürsten direkt unterstellten Kriegsministers degradiert wurden609. Er schuf willentlich ein Aushandlungssystem zwischen Militärbehörde und ziviler Landesverwaltung, die MOK als solche selbst als Plattform, für die ›kommunikative Fabrikation‹ seiner Kriegs- und Rüstungspolitik610. Die Politikgestaltung Erzherzog Ferdinands war durch die Schaffung der MOK das Ergebnis von Aushandlungsprozessen, bei denen stets sechsmal auf und ab i) Verpflichtung des Regimentsauditors, Des General-Staabsmedicus und Wundarztes sowie eigenes Kanzleipersonal«. 606 Ebd. Art. 1. Bei den Truppenchefs handelte es sich um Friedrich Sigismund von Stetten (Generalinspecteur), Generalbrigardier Lothar August Daniel Frh. v. Gebsattel (Infanterie), Maj. Georg von Benz (Kavallerie), Maj.Johann Babtist Weis (Festungskommandant in Königshofen), Olt. Jakob Korb (Artillerie)  ; so in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 7, sign. 71, Rangliste des gesamten GroßherzoglichWürzburgischen Militair für den Monat July 1812. 607 Die Artikel 18–20 regelten das Kommunikationsprozedere zwischen den Behörden. Das Protokoll solle nach MOK-Sitzung schleunigst an den Geheimen Staatsrat geleitet werden, damit »die Entschließungen bis nächste Sitzung getroffen werden kann«. Auch mit dem der zivilen Landesdirektion wurde per Protokoll kommuniziert, während »an die Unterstellen dekretiert« werden sollte. So in  : StAWü, Großherzogtum Würzburg, Landesdirektion, Oberkriegskommissariat 4. 608 Zit. nach GhzRegBl, 1806, XIII. Stk, S. 46. Das Landesdirektorium wiederum gliederte sich in 5 sogenannte Referate  : Für äußere Angelegenheiten, für innere Angelegenheiten, für Finanzen, für Justiz und Bildung. Eine genaue Analyse dessen findet sich in Kapitel II. 2.1, Die Fürstendiener. Die Aufteilung samt Aufgaben geht hervor aus Erzherzog Ferdinands Instruktion für den dirigierenden Staatsminister in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6., sign. 71 und teilediert im Anhang als Dokument XXI. 609 Bis 1848 gab es bekanntlich in der Habsburgermonarchie kein eigenes Kriegsministerium. 610 Um die Kommunikationsabläufe zwischen den beiden Behörden zu verbessern, plante Erzherzog Ferdinand die Landesdirektion, die oberste Justizstelle, das Hofgericht, die Militär-Oberkommission, und das Vicariat »nebst allen dazugehörenden Registraturen und Ämterbehörden in eine einziges dem Aerarium gehörendes Gebäude zu verlegen«. Er verfügte  : »Da die Landesdirektion und die MOK nach der Natur ihrer wechselseitigen Geschäfte miteinander in näherer Verbindung stünden,« wäre eine räumliche Verbindung äußerst wünschenswert. So in  : StAWü, MOK 8, Militär-Oberkommission Sitzungsprotokolle 01.01.1807–01.07.1807, S. 402–404.

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um die Machbarkeit und Vermittelbarkeit zur Erreichung des ›politischen Zwecks im Krieg‹ gefragt wurde. Es wird im vierten Kapitel zu zeigen sein, dass die MOK und die großherzogliche Landesdirektion die Machbarkeit der Vorgaben Erzherzog Ferdinands durchaus einzuschränken wusste – Forderungen aus Paris wurden verzögert, quantitativ, nicht qualitativ erfüllt, die Kommunikation mit der im Feld stehenden Truppe ignoriert. Die Landesdirektion und MOK leisteten damit einen ganz wesentlichen Beitrag zur Politikgestaltung des Großherzogtums, wie später mit Blick auf die Aufstellungspraxis und Truppenversorgung zu zeigen sein wird611. Einen bedeutsamen Anteil an der militärischen Erfüllungspolitik Erzherzog Ferdinands, der seitens der Forschung bisher völlig unbeachtet gelassen wurde, hatten dessen umfangreiche Infrastrukturprojekte. Sie dienten ihm sowohl als Mittel zur Beherrschung seines Territoriums genauso wie als Mittel zur Heereslogistik für Durchmärsche und Versorgungsnachschub. Dies hatte gerade in der napoleonischen Kriegsstrategie einen elementaren Stellenwert und Napoleon nutzte das Staatswesen am Main als militärische Drehscheibe, wie noch zu zeigen sein wird. Erst mit Napoleon wurde das Etappenwesen revolutioniert, das es ihm ermöglichte, über einen großen Raum hinweg seine Truppen zu koordinieren612. In diesem Etappensystem war Würzburg, fast in der Mitte gelegen, ein wichtiger Knotenpunkt, an dem sich insgesamt sieben Operations- und Kommunikationslinien trafen613. Die mili­ tärstrategische Bedeutung Würzburgs begründet sich auch auf den schiffbaren Fluss Main, der für das Truppentransportwesen ebenfalls eine wichtige Rolle spielte614. Nicht 611 Siehe Kapitel II. 2.1, S. 283ff. 612 Duguè Mac Carthy  : Strategie und Logistik Napoleons im bayerischen Feldzug von 1809, in  : Hubert Glaser (Hg.)  : Beiträge zur bayerischen Geschichte und Kunst. 1799 – 1825. München u. a. 1980, S. 230–238, S. 230f. 613 Der geostrategische Wert des Großherzogtums Würzburg verdeutlicht sich in einer Übersicht von 1814, als man würzburgischerseits bei der Habsburgermonarchie darum warb, nicht mit Bayern vereint zu werden, sondern eigenständig unter einem Prinzen des Erzhauses regiert zu werden  : »Die Geschichte der älteren und neueren Zeit bewährt die Angabe, dass der Main die natürliche Operationslinie von Frankreich gegen Österreich ist. Würzburg ist als der Schlüssel derselben anzusehen, da durch Würzburg 7 Communikations Straßen verlaufen, welche größtentheils durch die Festung dominiert werde so wie auch selbst der Mainstrom, welches besonders bei dem Zufrieren dieses Stroms wichtig ist. An dem letzt benannten Strom finden sich mehrere Punkte, welche im Falle einer Befestigung als Stütz- und Haltepunkte dieser Operationslinie anzusehen sind  ; z.B. Gemünden, wo sich die Saale und der Main vereinigen, Schweinfurt, Lengfurt, Trifelstein, so wie auch noch andere Punkte […] Auf die Communicationsstraßen über Bischofsheim vor der Rhön, den fränkischen Alpen nach Fulda und Frankfurt, die Communicationsstraßen über Hafenlohr verdient besonders beachtet zu werden, da sich nach Napoleons Grundsätzen, die Kriegskunst und deren ersprießlichste Anwendung, auf die möglichst erleichterte Communicationen mit den betreffenden Corps reduziert […].« So in  : HHStAW, Stk, Würzburg 5, Diplomatische Korrespondenz, Handel an Metternich, 18. Februar 1814. 614 Der Schweizer Militärstratege Antoine Henri de Jomini urteilte zeitgenössisch  : »Les trois grandes lignes

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nur die Etappenstationen sondern auch weitere wichtige Stützpunkte wie Gemünden, Schweinfurt, Triefenstein, Lengfurt und Hafenlohr, die im Falle des Krieges kurzerhand fortifiziert hätten werden können, sicherten ein schnelles Weiterreisen auch durch die Einrichtung eines neuen Vorspannsystems durch Erzherzog Ferdinands Regierung615. Wie bereits in der Toskana, bereiste Erzherzog Ferdinand jeden Sommer von Werneck aus das Großherzogtum Würzburg, notierte akribisch Streckendistanzen und Reisezeiten. Er beschrieb die Beschaffenheit der Straßen, deren Breite und Ausbauart, die Qualität der Brücken und Poststationen616. Die Sorge um die Brauchbarkeit des Straßenbelags ist besonders im napoleonischen Heereslogistiksystem wichtig geworden, entwickelte er doch einen Truppentransport mithilfe von Kastenwägen, so dass die Marschleistung auf bis zu 100 km am Tag erhöht werden konnte617. Auf eigene Initiative ließ Erzherzog Ferdinand die Nord-Südverbindung vom sächsischen Saalfeld über Coburg nach Hofheim, Haßfurt und Schweinfurt als breite Chaussee und damit immer auch d’opérations de la France contre l’Autriche sont, l’Italie à droite, la Suisse et le Tirol au centre, l’Allemagne à gauche   : celles qui sont les plus naturelles pour entrer en Allemagne sont celles du Mein et du Danube.« So in Antoine Henri Jomini  : »Traité de grande tactique, ou, Relation de la guerre de sept ans, extraite de Tempelhof, comentée at comparée aux principales opérations de la derniére guerre  ; avec un recueil des maximes les plus important de l’art militaire, justifiées par ces différnts évenéments.» Paris 1811, S. 211. 615 Die Einrichtung eines Ober- und Untermarschkommissariats, das sich ausschließlich um Truppendurchzüge und Einquartierungen zu bekümmern hatte, wird im nächsten Kapitel vorgestellt. Dieses System muss als behördliches Pendant zu den Einquartierungen ebenfalls als wichtige Militärleistung für Napoleon verbucht werden. 616 Als »Giornali del Viaggio« finden sich von nahezu allen Reisen (1805–1814) von Erzherzog Ferdinand ausführliche Itinerare, die hauptsächlich Posten (als Distanzbeschreibungen, Meilenberechnungen gab es noch nicht) und benötigte Zeit aufführen und verbunden sind mit Beschreibungen der Straßenverhältnisse. Einige Beispiele seien als Stichproben angeführt  : »Durch den Wald bei Ballingshausen geht es recht gut, wenn es nicht regnet«  ; »Sodann in Bischofsheim wo dann ½ 11 Uhr angekommen, dort taugt die Frankfurter Chaussee, 40 Fuß breit. guter Belag mit Stein«  ; »Brücke von Euerdorf braucht am 2ten Bogen Ausbesserung«  ; »Den 9ten Sept. um 7Uhr von Werneck über Heydenfeld, Gernach ob Spiesheim nach Sulzheim wo vorbildlich umgespannt mit drey Knechten und starcken Pferden«  ; »bey Rotenhan schlechter weg – muss gemacht werden dann links auf den Rücken des Bergs, mit starkem Gefäll«  ; »die Schweinfurter Post-Pferde taugen – Gedanken über Zucht in Würzburg«  ; »die Weg waren theils steinig ausgefahren und schlecht, gerade bei den zwei Bergen bey Gemünden äußerst steil und gefährlich – hier muss außenherum angelegt werden«  ; »Nachmittag über Schindelsee rechts von Hummelmarta durch Trostfurt, Tresendorff über die Kelchhöferwiese durch den Wald nach Eltmann angekommen – der Weg ist von 1fuß hohlen Löchern« Die »Landfahrten« verband Erzherzog Ferdinand stets mit Arbeitsessen  : »Beym Landrichter gespeiset. er soll am 14ten Julius die Chaussee gerichtet haben.« So in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 8, sign. 72. 617 Napoleon führte den Transport der Truppen auf Kastenwagen zu je 15 bis 20 Mann ein, die auf diese Weise zu einer Tagesmarschleistung von 80 bis 100 km kamen. Die Post schaffte 150–180 km pro Tag »und war damit kaum schneller als zu Zeiten Attilas.« Henri de Nanteuil  : Logistische Probleme der napoleonischen Kriegsführung, in  : Wolfgang von Groote (Hg.)  : Napoleon I. und das Militärwesen seiner Zeit. Freiburg 1968, S. 65–75, S.68f.

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als Heeresstraße ausbauen. In der offiziellen Version diente es allerdings zur Beförderung des sächsisch-würzburgischen Salzhandels618. Das 1807 nach dem Preußenfeldzug begonnene Bauprojekt muss allerdings schon deshalb als militärstrategisch relevanter Dienst für Napoleon gelten, weil es 1811 bereits größtenteils abgeschlossen war und der Grande Armée einen wertvollen Dienst für den 1812 erneut im Nordosten geführten Krieg leistete. Insgesamt 90.000 fl. investierte Erzherzog Ferdinand durchschnittlich in den Straßenbau pro Jahr, knapp ein Fünftel des Militärbudgets.619 Jede Verordnung in diese Richtung, wie jene »zur Erhaltung der Chausseen«620, muss im Kontext des Krieges gelesen werden, jedes Infrastrukturprojekt als indirekte Kriegshilfe für Napoleons Armee. So erscheinen auch Erzherzog Ferdinands Maßnahmen, diese Infrastrukturmaßnahmen im Prozess selbst zu optimieren, in neuem Licht. Nicht nur, dass er die Gründung des »Statistischen Bureaus« 1812 veranlasste621, er berief mit großem Eifer und hohem eigenem Interesse »die Gesellschaft zur Vervollkommnung der mechanischen Künste und Handwerker« ein – eine Initiative, die dann in der zukunftsweisenden Gründung der Centralen-Industrie und Fabrikschulen gipfelte622. 618 Für stärkeren »Transithandel« und für die »Schifffahrtshandlung« v. a. »einfacheren. Import« und in »größeren Mengen aus sächsischen Salinen« unternahm Erzherzog Ferdinand dieses Projekt. So in  : BayHStA, Hofkommission Würzburg 9  : »Es war seitens Sr. Kais. Königl. Hoheit der Vorschlag gemacht worden, eine neue Straße anzulegen, durch welche die sich sächsische Landstraße von Saalfeld her über Coburg mit dem großherzoglichen Gebiete unmittelbar verbinden könne. Dieser Vorschlag ist bereits verwirklicht« 1811 meldete Stumpf bereits an Montgelas  : »Dieser Straßenzug ist für den hiesigen und den sächsischen Handel ungemein vorteilhaft.« 619 Zahlen nach Zusammenstellungen der Einnahmen und Ausgaben in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6, sign. 71. 620 In dieser Verordnung wird genau geregelt, was mit Gräben, Böschungen und Straßenbelag seitens der Gemeinden zu erfolgen hat. Unter Strafe sollte nichts dort angebaut, der Pflug nicht bei der Wendung nur auf dem Acker drehen, die Chausseen von Kot gereinigt sein etc. GhzRegBl, 1808, III. Stück, S. 11f. 621 »Sämmtliche großherzogliche Stellen, Landgerichte, Rentämter, Patrimonialämter, milde Stiftungs-Verwaltungen und Gemeinheiten werden hiervon mit der Weisung in Kenntnis gesezt, an besagtes Bureau und den hierzu ernannten Commissarien alle auf die Statistik des Großherzothums Bezug hagbenden Acten und Documente, ferner die zur Fertigung der gedachten neuen Gemeinds- und Lager-Bücher nöthigen Katastern, Lehenbücher, Frohn- und Zehntbeschreibungen Grundrisse und Charten von einzelnen Lehenschaften sowohl als von ganzen Districten und Markungen …« GhzRegBl, 1812, V. Stk, S. 37. Danach sollte eine tiefe Durchdringung des Herrschaftsgebiets möglich gemacht werden. Interessant wäre es gewesen zu sehen, was Erzherzog Ferdinand mit diesem Wissensschatz bewerkstelligt hätte. 622 Die später »Polytechnischer Verein« genannte »Gesellschaft zur Vervollkommnung der mechanischen Künste« gab Erzherzog Ferdinand bereits am 30. August die Aufgabe zur Gründung einer Zeichenschule für »jene welche zum Bauen concurrieren, als da sind der Maurer, Steinbauer, Zimmerleute« etc. sollte das Bauwesen allgemein professionalisieren. GhzRegBl, 1808, VIII. Stk, S. 44. Die von Erzherzog Ferdinand initiierte Gründung der Central-Industrie-Schule beabsichtigte praktische Gewerbeförderung im Großherzogtum Würzburg  : Acker- und Gartenbau, Spinnerei, Nähen sollten im minutiös geplanten Curriculum unterrichtet werden. GhzRegBl, 1811, XIX. Stk, S. 73–76. Die Ideen und Ergänzungen Erzherzog Ferdinands, die er dem Entwurf der Verordnung beifügte, zeugen von großem Interesse daran.

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Ganz anders gelagerte Interessen, die Brüche im scheinbar auf ›Erfüllungspolitik‹ ausgerichteten Regierungshandeln, zeigen sich bei weiteren ebenfalls umfangreichen Infrastrukturprojekten Erzherzog Ferdinands, die auf den ersten Blick nichts mit militäri­ scher Pflichterfüllung im Großherzogtum Würzburg zu tun haben. Betrachtet man die hinterbliebenen Rechnungsbücher, sind die Ausgaben für Kirchenneubauten oder Kirchenreparaturausgaben auffällig. Noch mehr ins Auge stechen hingegen die Baumaßnahmen für Schulen  : Von 1806–1814 werden insgesamt 56 Schulen neu gebaut sowie an 80 weiteren Schulen Reparatur-, Um- und Ausbaumaßnahmen vorgenommen623. 30 Kirchen und Kirchenverwaltungsgebäude werden saniert, fünf auf dem Gebiet des Großherzogtum Würzburgs neu errichtet. Die Kirche in Unterhohenried, ganz im sogenannten Revolutionsstil gehalten, mag nur als ein ausgesprochen auffälliges Beispiel für Erzherzog Ferdinands rege Betätigung auf diesem Feld gelten624. Neben der dezentralen Arbeitsbeschaffung im ganzen Land und damit als wirtschaftliche Fördermaßnahme – wurden doch Baumaterialen vor Ort erworben und über ­einige Jahre hinweg zahlreiche Arbeitskräfte auch in strukturschwachen Regionen konzentriert – so kann diese herrschaftliche Investitionsmaßnahme auch in militärischer Hinsicht verstanden werden. Erzherzog Ferdinand erkannte in Lehrern, aber auch in den Geistlichen vor Ort einen bereits solide funktionierenden Verwaltungsapparat, dessen Datenhoheit von keiner staatlichen Stelle erreicht werden konnte. Die Pfarreien waren ein Konzentrationspunkt militärisch hoch brisanter Daten, weil diese nicht nur über die für die Musterung und Konskription dringend erforderlichen Geburtsdaten der Einwohner am verlässlichsten verfügten, sondern sie besaßen darüber hinaus auch Informationen über deren Familienstand, der für die Einziehung junger Männer relevant war625. Selbst über die Vermö-

Vgl. SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6, sign. 71. Näheres auch bei  : Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 215f. 623 Eine Tabelle im Anhang verdeutlicht die intensive Schulbautätigkeit Erzherzog Ferdinands. Es zeigt selbst während der Kriegszeiten 1812–1814 nicht nachlassende staatliche Wirtschaftsförderung auf dem platten Land und kann als Ausgangspunkt für ergebnisreiche künftige Auseinandersetzung mit der Reformtätigkeit Erzherzog Ferdinands genommen werden. Im Anhang als Dokument XXII. Zahlen entnommen aus StAWü, Regierung von Unterfranken, 5820–5825. 624 Der spektakuläre Sakralbau, der im sogenannten Revolutionsstil als Pantheonbau in Unterhohenried in den Haßbergen realisiert ist, findet sich als Abbildung im Anhang als Dokument XXIII. 625 Die in dieser Zeit überall im Rheinbund in Mode gekommenen statistiques steckten methodisch noch in den Kinderschuhen und können heutigen Anstrengungen gleichen Namens nicht genügen. Da das Statistische Büro erst 1812 im Großherzogtum Würzburg gegründet wurde, dienten die kirchlichen Archive mit ihren Taufmatrikeln, Eheurkunden und Vermögenserhebungen als Grundstock aller Datenarbeit. Das Statistische Büro sollte auch diese Informationen, die Lehrer und Pfarrer vor Ort erhoben, vielmehr zentral zusammenfassen und auswerten.

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gensverhältnisse der künftigen Rekruten und/oder Deserteure konnten die Ortsgeistlichen Daten am aller besten bereitstellen. Ganz anders gelagert dürften Erzherzog Ferdinands Interessen mit seinen unerwartet hohen Investition im Schulbau sein. Es gehört nicht nur zu den Topoi aufgeklärter Fürsten, die allgemeine Schulbildung, die Alphabetisierungsrate zu heben und den Kampf gegen Aberglauben zu führen, was den massiven Ausbau von Bildungseinrichtungen gerechtfertigt hätte626. Erzherzog Ferdinand orchestrierte diese Schulbaumaßnahmen jedoch auch mit einem großangelegten Reformprogramm. Von den 544 in seinem Regierungszeitraum erlassenen Verordnungen und Gesetzen zielten 95 alleine auf eine Reform im Bildungswesen. Zum Vergleich  : Für den gesamten militärischen Bereich wurden nur 45 Verordnungen erlassen. Von der Einrichtung einer Schulkommission, über Prüfungs- und Examensvorschriften, bis hin zu Schulneugründungen (Thierarznei-, Hebammen-, Zeichen-, Landwirtschafts- und Industrieschule), alles dekretierte Erzherzog Ferdinand. Als roter Faden zog sich durch seine Reformtätigkeit im Bildungsbereich die Durchsetzung staatlicher Oberhoheit. Das Berichtswesen wurde reformiert und vereinheitlicht, indem jedes Landgericht monatlich Berichte an die Schulkommission zu schicken hatte, die Lehrerausbildung wurde staatlich bestimmt. Anders als die Krone Bayern genehmigte Erzherzog Ferdinand aber generell auch wieder eine kirchliche Aufsicht, was eher restaurative denn revolutionär reformerische Züge wie in anderen Rheinbundstaaten belegt. Die Forschung will darin gar – ein wenig großspurig – einen Baustein eines weitgefächerten »Rekatholisierungsprojekts«627 im Großherzogtum Würzburg ausmachen628. Die bisher seitens der Forschung ausgeblendete Investitionsfreudigkeit Erzherzog Ferdinands für den Neubau von Schulen, aber auch der Um- und Ausbau der Kirchengebäude und Pfarrhäuser im Großherzogtum Würzburg muss in jedem Fall als gezielte Maßnahme Erzherzog Ferdinands in ein funktionierendes Informationsnetzwerk zur Herrschaftsdurchdringung gewertet werden. Dass er die von staatlicher Seite bezahlten Geistlichen per Erlass dazu verpflichtete, von der Kanzel auch Seuchenpräventionsmaß626 Hierzu vor allem  : Annelie Hopfenmüller  : Schule und Säkularisation  : die bayerischen Schulen in den Jahren 1799–1804, in  : Rainer Braun (Hg.)  : Bayern ohne Klöster  ? Die Säkularisation 1802/03 und die Folgen. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs. München 2003, S. 411–430 627 Tangerding, Der Drang, S. 103. 628 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Bildungspolitik in Hochstift, Kurfürstentum Bayern, Großherzogtum Würzburg und am Ende unter der Krone Bayern stellt jedoch ein Desiderat dar, das am Main das Wechselspiel gesellschaftlicher Restauration und Revolution anhand des Bildungsbereichs zeigen könnte. Einen Ansatz bietet  : Romberg, Religion und Kirchenpolitik. Auch  : Peter Baumgart  : Die Universität Würzburg während der ersten bayerischen und der großherzoglich-toskanischen Herrschaft (1802–1814), in  : Wolfgang Altgeld/Matthias Stickler (Hg.)  : »Italien am Main«. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg. Rahden u. a. 2007, S. 93–103.

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nahmen an die Gläubigen zu richten, scheint dieses Bild zu ergänzen629. Man könnte leicht auf den Gedanken kommen, dieses hier beschriebene Regierungshandeln Erzherzog Ferdinands richtete sich nach dem Staatskirchenverständnis des revolutionären Frankreichs aus. Damit unterliefe einem in der Bewertung der Kirchenpolitik Erzherzog Ferdinands allerdings ein gravierender Interpretationsfehler, trotz des revolutionären Kirchenbaus in Unterhohenried. Die restaurative Kirchen- und Bildungspolitik Erzherzog Ferdinands, die sich eng an die des Stammhauses anlehnte, ist einer jener wesentlichen Kontrapunkte zum Bild des ›Prototypen eines Rheinbundfürsten‹. Sowohl in seiner Politikgestaltung im Bildungsbereich, mit der Festschreibung kirchlicher Aufsicht im Schulwesen, mit der Rückführung der theologischen Fakultät der Universität in das katholische Priesterseminar sowie mit der Ausrichtung der philosophischen Fakultät nach katholischen Glaubensgrundsätzen630, als auch mit der Wiedereinführung von (zeitlich begrenzten)631 Prozessionen und Wallfahrten, die die reformeifrigen Bayern noch kurz zuvor am Main verboten hatten – in all diesen Punkten, die hier nur angerissen werden können, lässt sich eine ganz eigene Linie Erzherzog Ferdinands ausmachen. Diese Politikgestaltung Erzherzog Ferdinands entsprang aus der in seinem Stammhaus tief verankerten pietas austriaca und seinem darauf basierenden Herrschaftsverständ­nis. Darunter muss im Hinblick auf Erzherzog Ferdinand gelebte Spiritualität verstanden werden, die seinem sakralisierten Herrschaftsverständnis Ausdruck verlieh. Das Mitführen von Raffaels Bild Madonna di Granduca aus Florenz ist nicht nur höfische Inszenierung von Frömmigkeit632, sondern tief empfundenem Glauben und verinnerlichter Religiosität Erzherzog Ferdinands geschuldet. Inszenierung des habsburg-lothringisch sakralisierten Herrschaftsverständnisses findet durch Erzherzog Ferdinand in ­Würzburg nicht nur insofern Anwendung, dass er bei den Gottesdiensten im Würzburger Dom auf der Evangelienseite, der Seite des Bischofs saß, um sein Gottesgnadentum zu demonstrie­ ren633. Er nahm mit seinem Hofstaat persönlich auch an Fronleichnamsprozessionen

629 GhzRegBl, 1811, XI. Stk, S., S. 41. 630 Vgl. Schäfer, Ferdinand von ÖsterreichS. 205  ; Brandt, Innenpolitik  ; ausführlich  : Romberg, Religion und Kirchenpolitik. 631 Wallfahrten und Prozessionen wurden durch den Landesherrn, nicht durch den Bischof (!) nur gestattet, wenn sie »unbeschadet des pfarrlichen Gottesdiensts an Sonn- und Feyertagen gehalten, von einem Priester begleitet werden, und in einem Vor- oder Nachmittage geendiget seyen.« So in  : GhzRegBl, 1806, XVI. Stk, S. 51. Erzherzog Ferdinand stellte sich damit in die maßvolle, rational-aufgeklärte Frömmigkeitstradition seiner Großmutter Maria-Theresia. Vgl. Barbara Stollberg-Rillinger  : Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biografie. München 2017, S. 585f. 632 Vgl. Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 127  ; Chroust, Ferdinand Großherzog, S. 149. 633 Vgl. Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 144.

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teil, wusch am Gründonnerstag Bedürftigen die Füße und ließ Hofgottesdienste am Tag seines Namenstages und Regierungsantritts zelebrieren634. Es ist hier nicht der Platz, um auf die Kirchenpolitik Erzherzog Ferdinands näher einzugehen, nicht auf sein durchaus willensstarkes und eigenmächtiges Verhalten gegenüber Weihbischof Zirkel rund um die Einführung des Jais-Katechismus. Dabei ist auf die Expertise des Würzburger Kirchenhistorikers Winfried Romberg zu verweisen635. Es ist an dieser Stelle vielmehr wichtig, die ganz entschiedene Gegenposition zu Napoleons bisweilen antiklerikalem Kurs herauszustellen636. Erzherzog Ferdinands Bildungs- und Kirchenpolitikgestaltung nach Maßgabe seiner aufgeklärten Frömmigkeit steht dazu im Kontrast und verdeutlicht eher ein Einfügen in die josephinische Tradition seines Stammhauses. Wie sein Vater Peter Leopold und sein Bruder Franz, hatte Erzherzog Ferdinand dabei keine Rückkehr in vorjosephinische Zeiten im Sinn, sondern beabsichtigte eine auf den jeweils rationalen Zweck ausgerichtete, reformierte Umsetzung der pietas austriaca637. Wie sich beispielhaft bei seinem Investitionsprogramm mit den Schul- und Kirchenneu- und -ausbauten zeigen ließ, verfolgte er damit nicht nur die Verfestigung des katholischen Glaubens, sondern auch eine Dienstbarmachung für seine militärische Pflichterfüllung zur Erreichung seines politischen Zwecks im Krieg. Restaurativ und revolutionär zugleich kann auch Erzherzog Ferdinands Regierungshandeln in Bezug auf dessen Auszeichnungspraxis für Leistungen und Verdienste um das Großherzogtum Würzburg gesehen werden. Noch deutlich vor Stiftung des Eisernen Kreuzes durch den preußischen König Friedrich Wilhelm im Jahr 1813, schuf Erzherzog Ferdinand einen Verdienstorden ebenfalls in einem Zweiklassensystem, in der Ausführung Gold und Silber638. Als im Staatsrat die Conduitenliste, also eine Aufzählung tapferer Soldaten- und Befehlshaberleistungen während des Feldzugs in Preußen 1807 verlesen wurde, forderte Erzherzog Ferdinand eine »goldene Ehrenmedaille« mit 634 Erzherzog Ferdinand wusch »mit denn herkömmlichen Ceremonien« zwölf armen Würzburger Bürgern »am Gründonnerstag die Füße«, bekleidete sie neu, bewirtete sie und hatte sie sogar in den Hofwägen abgeholt, wie die Zeitung verehrend zu berichten wusste. WüZ, Nr.98, 08. April 1814, S. 411. 635 Ebd.; Auch in dieser Hinsicht lesenswert  : Romberg, Erzherzog Carl  ; und neuer  : Romberg, Erzherzog Carl Plädoyer. 636 Nach wie vor grundlegend zu Napoleons Kirchenpolitik ist  : Haussonville, Joseph Othenin Bernard d’  : L’église romaine et le premier empire 1800–1814. Bd. 1–3. Paris 1870.; in knapper Zusammenfassung bei  : Willms, Johannes  : Napoleon. Eine Biographie. München u. a. 2005, S. 382f. Aktuell hierzu  : Grabner-Haider, Anton/Davidowicz, Klaus S./Prenner, Karl  : Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2015, S. 85–87, dort auch mit weiterer Literatur. 637 Vgl. Romberg, Erzherzog Carl, S. 279, 281. 638 Zur Auszeichnungspraxis im Weltkrieg allgemen und zusammenfassend  : Wernitz, Frank  : »Der Soldat mit dem Generale ganz gleich.« Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Eisernen Kreuzes. In  : Gerhard Bauer u. a. (Hg.)  : Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege  ; [Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, 6. September 2013–16. Februar 2014]. Dresden 2013, S. 122–129.

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einem Brustbild und umseitiger Umschrift »Lohn der Tapferkeit«639, wie es heute die MOK-Protokolle bezeugen können640. Laut seiner Vorgaben an die MOK im Nachgang an diese Staatsratssitzung würden »durch diese Auszeichnungen und Gratifikation […] die um das Vaterland sich verdient gemachten Krieger nicht nur auf eine ehrenvolle Art belohnet, sondern es würden hierdurch bei dem übrigen Militär der Trieb und die Aufmunterung zu ähnlichen Taten erwecket«641. Damit adaptierte Erzherzog Ferdinand, wie andere Rheinbundfürsten ebenfalls, nicht nur die französische Auszeichnungspraxis der Ehrenlegion, die bekanntlich vom Soldaten bis zum General zu militärischen Höchstleistungen animierte642, sondern er bezeugte, wie sehr er die Mentalität seines auf persönlichen Ruhm fixierten Militärapparates durchschaute, auch ohne auf den Schlachtfeldern mit dabei gewesen zu sein. Später konkretisierte er seine Pläne noch, indem er mitteilte, dass diese Auszeichnung nur »an wirklich verdiente Krieger und nicht auch an die [verliehen werde], die nur ihre Schuldigkeit vor dem Feinde gethan hatten«643. Dass Erzherzog Ferdinand »alles Militärische nicht [hätte] schmecken«644 können, scheint im Angesicht dieser Initiative eine irreführende Behauptung. Diese von ihm initiierte Auszeichnungspraxis sollte ebenfalls die militärische Leistungsfähigkeit seines Staatswesens für Napoleon steigern. Dass er diese Tapferkeitsmedaille für Soldaten in der Tradition der französischen Ehrenlegion einführte und auf der anderen Seite kurze Zeit später den Orden des Heiligen St. Josephs stiftete, dessen Großkreuz nur dem Hochadel vorbehalten blieb, zeigt dieses der Revolution ganz konträr Andere an Erzherzog Ferdinands Regierungshandeln645. Seine Beharrung auf 639 Angefertigt wurde das Ehrenzeichen vom Kammermedailleur Johann Nepomuk Wirt (1753–1810). Das goldene Ehrenzeichen wies revers auf glattem Grund einen mit einer Schleife gebundenen Lorbeerkranz auf und zeigte dort den Schriftzug »Lohn der Tapferkeit«. Revers ein Brustbild Erzherzog Ferdinands mit der Namensumschrift. Das Goldene Ehrenzeichen wog 29,73g  ; das Silberne 16,31g. Vgl. Volker Löbner/ Tilmann Lombard  : Frankfurter Orden und Ehrenzeichen 1806–1866. Frankfurt am Main 2015, S. 90. 640 StAWü, MOK 10, Militär-Oberkommission Sitzungsprotokolle 01.01.1808–31.06.1808, S. 664–682. 641 Ebd., S. 671. 642 Vgl. Billinger, Good, S. 122–124. 643 StAWü, MOK 10, Militär-Oberkommission Sitzungsprotokolle 01.01.1808–31.06.1808, S. 674. 644 Striedinger, Das Großherzogtum, S. 252. 645 Vgl. hierzu grundlegend Fred Altmann  : Das Großherzogtum Würzburg 1806 bis 1814 und der großherzoglich würzburgische Orden des Hl. Josef, in  : Orden und Ehrenzeichen 8 (2006), S. 2–11. Von den 26 vergebenen Großkreuzen trugen u. a. Sein Bruder Kaiser Franz, Alexander, Zar von Russland, Jêrome Bonaparte, der König von Westfalen, Joachim Murat, der König beider Sizilien und natürlich Napoleon selbst eines, worauf gleich noch einzugehen sein wird. Ordensurkunde weist als Hauptzweck »die Belohnung und Auszeichnung« für »Aufrechterhaltung der Religion und des Staats, durch Treue und Anhänglichkeit an uns und unser allerdurchlauchtigstes Haus [!  !  !, Anm.d.Verf ] und durch Untadeligkeit der Sitten besonders verdient gemacht haben und deren edle Geburt uns die Gewährschaft leistet, dass Wir noch in den Enkeln die Verdienste und Thaten großer Ahnen auszeichnen« So in  : SUAP IV, RAT-

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dem Ständischen, auf der klaren Distinktion der Klassen durch Uniformen646, seine Vorschrift zur Wiedereinführung des Beamtenzopfs647, zeigt einmal mehr, wie sehr Erzherzog Ferdinand in den Kategorien des Ancién Regimes dachte und deren (auch performative) Symbole ganz verständlich gebrauchte. Das lässt sich auch an Erzherzog Ferdinands Umgang mit dem fränkischen Adel im Großherzogtum Würzburg aufzeigen. Dazu muss man wissen, dass in der kurbayerischen Zeit am Main nahezu die gesamte Staatsspitze des Hochstifts ausgewechselt wurde, deren höchste Staatsämter in Militär und Verwaltung von alt eingesessenen Adeligen aus dem fränkischen Grafen und Freiherrnstand besetzt waren648. Kurbayern entließ jene adeligen Amtsträger nicht aus Gründen ihrer Herkunft, sondern schlicht deshalb, weil die Regierungsbehörden aufgelöst und nach München hin ausgerichtet zentralisiert wurden649. Die beiden bürgerlichen Funktionsträger Johann Michael von Seuffert und Johann Babtist von Wagner, die im Hochstift nur Referendarstellen begleiteten, rückten als »eingespieltes Würzburger Regierungspersonal«650 in der Regierungsverwaltung der neuen Provinz auf. Unter Erzherzog Ferdinand lässt sich nun konstatieren, dass gerade die Hofämter »die Namen prominenter fränkischer Adelshäuser [aufwiesen] und [diese] damit zum Kristallisationspunkt einer wiederbelebten höfischen Gesellschaft mit neuen Akzenten«651 wurden. Wie im folgenden, zweiten Kapitel (II. 2.) noch weiter auszuführen sein wird, drängten die fränkischen Adelsgeschlechter nach vierjähriger Zwangspause durch Kurbayern nun wieder in den Staatsdienst, allerdings auf subalternen Posten652. Familien wie von und zu Guttenberg, von Greiffenklau, von Speeth, Fürst zu Salm-Reifferscheid-Krautheim, Fürst von Thurn und Taxis – um nur einige Geschlechter der alten fränkischen Standesherren zu nennen – berief Erzherzog Ferdinand an den Hof zurück. Das napoleonische Herrschaftssystem, das nur einen Verdienst- und Gunstadel hervorbrachte, unterschied sich von dieser Herrschaftspraxis Erzherzog Ferdinands diametral653. Ganz ausdrücklich Ferdinand III., kt. 6, sign. 71, Entwurf der Stiftungsurkunde des St. Josephs Ordens, Würzburg, 19. März 1808. Fol.76. 646 Im GhzRegBl finden sich Verordnungen 1806 über »die Uniformierung des Civildienstpersonals«, 1807 über »die Standesuniform für den Adel im Großherzogthume« sowie »die Uniformierung für die großherzoglichen Postbeamten«, 1809 über »die Uniform der Landes-Districts-Aerzte« und 1813 über »die Uniformierung des großherzoglichen Zollpersonals«. 647 GhzRegBl, 1806, X. Stück, S. 41 »Die Haare werden, welches für alle nachbenannten Staatsdiener gilt, in einem Zopfe gebunden getragen«. 648 Vgl. Wolfgang Weiß  : Kirche im Umbruch der Säkularisation. Die Diözese Würzburg in der ersten bayerischen Zeit (1802/1803–1806). Würzburg 1993, S. 26. 649 Tangerding, Der Drang, S. 170. 650 Brandt, Würzburg, S. 487. 651 Ebd., S. 503. 652 Vgl. Tangerding, Der Drang, S. 170. 653 Vgl. Fehrenbach, Vom Ancien Régime, S. 53.

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privilegierte er Adelige in seinem Herrschaftsraum. Er gestand ihnen einen p ­ rivilegierten Gerichtsstand im Hofgericht zu, befreite sie, ihre Söhne und sogar ihre Beamten von der Militärpflicht im Großherzogtum Würzburg und gestattete ihnen gleichzeitig in ausländische Militärdienste eintreten zu dürfen und erlaubte ihnen die Freizügigkeit654. Sie durften dem Adel vorbehaltene Uniformen tragen und fanden »Erwähnung ihres N ­ amens im Kirchengebete«655. Des Weiteren genehmigte er ihnen die Patrimonialgerichtsbarkeit in ihren Herrschaftsgebieten und etablierte damit ein abgestuftes Herrschaftsmodell der Mehrfachherrschaft unter dem Mantel einer Landesherrschaft. Das stellte auch die Grundlage des neugeschaffenen Österreichischen Kaisertums dar. Dessen Mehrfachherrschaft über die vielen Völker Europas vermochte es nur durch eine Wiederbelebung der alten Ständeordnung. Die Habsburgermonarchie sah sich durch die Herausforderung Frankreichs gezwungen, die Loyalität seiner Herrschaftsgebiete durch Wiedereinberufung der Landtage, der Privilegierung der alten Eliten zu sichern. Erzherzog Ferdinands Politikgestaltung in Würzburg zeigt, dass er dieser Linie ebenfalls folgte, dass er sich an »einer Neuerfindung Österreichs aus dem konservativen Geist der Ständeherrschaft«656 in seinem eigenen kleinen Herrschaftsraum beteiligte. Was die Habsburgermonarchie im Großen mit der Einbeziehung von alten Eliten und gleichzeitiger Zentralisierung der Bürokratie und aufgeklärt-reformerischer Politikgestaltung an innerer Widersprüchlichkeit zementierte, kopierte Erzherzog Ferdinand im Großherzogtum Würzburg. Die Einbindung des Adels in seine Politikgestaltung bedeutete nicht etwa, dass er mittelalterliche Lehensabhängigkeiten revitalisierte, sondern er machte die Adeligen zu »privilegierte[n] Staatsbürger[n]«, billigte ihnen eine »allgemeine Rechtsfähigkeit eines Einheimischen – mit einer Garantie bestimmter Privilegien«657 zu. Das brachte allerdings teure Pflichten für den fränkischen Adel mit sich und band sie so sehr an die Landesherrschaft, wie es nie zuvor geschehen war. Ihr Landesfürst, Erzherzog Ferdinand, verfügte nämlich die Beseitigung der bisherigen Steuerfreiheit658. Um Geld für die militärischen Herausforderungen aufbringen zu können, tastete er – was nicht einmal die reformeifrigen Bayern gewagt hatten – die Einnahmen aus ihren adeligen Gütern an und drohte bei »unrichtigen Angaben«, oder »absichtliche[r] Verschweigung ihrer Be654 »Der Adelige ist für sich und seine Kinder frei von der Militärkonskription« Landesherrliche Bestimmung der Rechte und Verbindlichkeiten der adeligen Grundbesitzer und ihrer Unterthanen in dem Großherzogthume Würzburg  : Würzburgische Verordnungen 1807  ; Näheres zur Adelspolitik im Großherzogtum Würzburg  : Brandt, Das Großherzogtum, S. 30f. 655 GhzRegBl, 1807, XIV. Stück., §122, S. 65. 656 Süßmann, Vom Alten Reich, S. 162. 657 Feuerbach, Konflikt, S. 333f. 658 Zit nach  : Ebd. S. 336.

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sitzungen mit dem Verluste der selben«659. Erzherzog Ferdinand erhöhte ihre steuerliche Belastung sogar noch erheblich mit der wenig später erfolgten »Verordnung, die Deckung der Staatsbedürfnisse betreffend«660, die zudem eine allgemeine Grundsteuer abverlangte. Erzherzog Ferdinand setzte dies trotz aller Widerstände des Adels durch – waren sie doch von der Grundsteuer am stärksten betroffen. Er sorgte bei aller Privilegierung des Adels dennoch auf lange Sicht für eine »Ansehens- und Statusminderung des Adels«661 und löste nach dem Vorbild der Französischen Revolution damit also auch am Main eine Welle bürgerlicher Umgestaltung aus662. Während seiner Regierungszeit allerdings bewirkte er damit eher das Gegenteil, nahm der fränkische Adel die Steuerbelastung doch zum Anlass, jedes noch so geringe Feudalrecht maximal auszunutzen. Selbst geringe Beträge, wie der Kleezehnt wurde wieder verstärkt eingefordert663. Die Umgestaltung der Herrschaftsverhältnisse indes sollte in den Augen Napoleons der kurz vor seiner Selbstkrönung zum Kaiser fertiggestellte Code Napoléon vollenden. Er sollte als »Symbol der Revolution«664 – das Gesetzbuch sicherte das bürgerliche Recht vor aristokratischer Willkür als größte revolutionäre Errungenschaft – auch im Rheinbund für Recht und Ordnung sorgen. Napoleon drängte bereits 1807 vermehrt beim Fürstprimas Dalberg auf die Einführung seines Gesetzbuchs am Untermain, deren Umsetzung der Fürstprimas daraufhin willfährig bereits 1808 dekretierte. Im Großherzogtum Würzburg bat der französische Gesandte 1808 um Prüfung der Einführung, die Erzherzog Ferdinand zunächst stillschweigend ignorierte665. Erst 1812 mit dem neuen französischen Gesandten in Würzburg, Charles Tristan de Montholon-Semonville (1783–1853), erhöhte sich französischerseits der Druck auf ihn, stellte der Code Napoléon doch das moralische Pendant zu Napoleons militärischen Eroberungsarmeen dar666  : geschaffen, um die ›domination universelle‹ zu realisieren667. Die 659 Zit nach  : Ebd. 660 GhzRegBl, 1809, VII. Stück, S. 35–54. 661 Ebd., S. 333. 662 Bock, Napoleon-Deutschland-Europa, S. 105. 663 Feuerbach, Konflikt, S. 338. 664 Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 9. 665 Buol meldete nach Wien, »dass der hiesige französische Gesandte schon öfters versucht hat die Einführung des Code Napoleón zu bewirken. Bisher hat man sich noch darauf beschränkt sein Ansinnen dilatorisch zu beantworten, ob es gestattet ist auf der Hiesigen Universität öffentliche Vorlesungen darüber zu halten. Auch haben sich Seine K.K. Hoheit sich bewogen gefunden, nicht nur auf eine nahmhafte Anzahl Exemplare in besonders empfohlener Edition dieses Gesetzbuches subscribieren zu lassen, sonder selbst einer dieser Auflagen ein besonderes Privilegium zu verleyen.« So in  : HHStAW, Buol an Metternich, Würzburg, 27 Januar 1809. 666 Vgl. ebd., S. 16. 667 Am eindrücklichsten zeigt sich der Charakter als Herrschaftsinstrument in Napoleons Brief an Jêrome vom 10. Mai 1807  : » le bonheur des peuples m’importe non seulement par l’influence qu’il peut avoir sur votre gloire

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Notwendigkeit einer neuen Rechtsgrundlage in Franken war offenkundig, fiel doch mit dem Austritt aus dem Reichsverband auch dessen Reichsprivatrecht unersetzt weg668. Erzherzog Ferdinand reagierte auf die wiederholte Aufforderung, den Code einzuführen, mit der Aussage, »er habe noch keine Entschließung«669 getroffen. Er ließ die Zeit für sich arbeiten und verordnete wie Dalberg zwar im September für jedermann sichtbar die Einführung des Code Napoléon670, verlangte aber vom österreichischen Staatsrechtler Franz Edler von Zeiller ein Gutachten zur Einführung von dem ›Commentar über das allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie‹ im Großherzogtum Würzburg671. Erzherzog Ferdinand lavierte einmal mehr und verschob die Beratungen zur Anpassung des Code Napoléon an sein Herrschaftsgebiet in einen Ausschuss, der bis zum Ende seiner Regierungstätigkeit am Main zu keinem Ergebnis kam672. Auch in der Frage der Einführung des Code Napoléon zeigte sich das antirevolutionäre, das auf ständische Privilegien ausgerichtete Regierungshandeln Erzherzog Ferdinands als System, das eher Richtung Wien als in Richtung Paris zeigte. Überhaupt entsprach die gesamte Regierungsstruktur im Großherzogtum Würzburg mit Einrichtung des Staatsrats und den Hofämtern vom Obersthofmarschall über den Mundschenk zum Oberstallmeister althabsburgischer Tradition, nicht der napoleonischen Ordnung der Musterstaaten. Mit Hofkapelle, Leibpagen, Silberdienern, Leibkutschern, Leibgarde, mit Livrierten und sogar einer schmuckvollen Garde du Palais pflegte Erzherzog Ferdinand eine zwar im Vergleich mit München bescheidene, aber dennoch stattliche Hofhaltung, als hätte es die Revolution nie gegeben673. et la mienne  ; mais aussi sous le point de vue du système générale de l’Europe […] Les bienfaits du Code Napoléon, la publicité des procédures l’établissement des jurys, seront autant de caractères distinctifs de votre monarchie. Cela est si vrai, que partout où il met la main, il applique sa forme sociale, qu’il impose aux pays annexés et aux états vaisseaux le même cadre uniforme, sa hiérarchie administrative, ses divisions et sous-divisions territoriales, sa conscription, son code civile, sa machine constitutionnelle, ecclésiastique, universitaire, son système français, et autant qu’il peut, la langue, la littérature, le théâtre, l’esprit même de la France, bref, la civilisation telle qu’il la concoit en sorte que sa conquête, devient une propagande, et que, comme ses prédécesseurs, les Césars de Rome, il parvient quelque fois à voir dans l’établissement de sa monarchie universelle un bienfait pour l’Europe.« Zit. nach  : Toni Chroust  : Die Einführung des Code Napoleon im Großherzogtum Würzburg im Jahre 1812 unter Berücksichtigung der allgemeinen rechtsphilosophischen Grundlagen. Erlangen 1929, S. 2f. 668 Das beklagten schon zeitgenössische Staatswissenschaftler und legten ihre Hoffnungen auf die flächendeckende Einführung des Code Napoléon. Vgl. Behr, Systematische Darstellung, S. 21–25. 669 HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buols Berichte 1811–1812, Buol an Metternich, 29. März 1812. 670 GhzRegBl, 1812, XXIII. Stück, S. 105. Bezeichnenderweise auf der vorletzten Seite dieser Ausgabe. 671 HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buols Berichte 1811–1812, Buol an Metternich, 9. März 1812. 672 »Seine K.K.Hoheit hat dieselbe bereits beschlossen und zu diesem Ende eine eigene Comission ernannt um über die erforderlichen Modificationen Bericht zu erstatten.« HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buols Berichte 1811–1812, Buol an Metternich, 7. April 1812. 673 Vgl. Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 169.

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Illuminationen und Feuerwerke, beleuchtete Yachtschiffe auf dem Main674, Theater­ inszenierungen, für die Erzherzog Ferdinand selbst die Programme bestimmte675, große Jagdgesellschaften auf dem Land676 und Hofbälle in der Residenz, Weinfeste, bei denen er als Praterwirt verkleidet Wein ausschenkte677  : All das inszenierte der Landesherr weniger in der Pracht des untergegangen Ancién Regime, sondern vielmehr im »Typus eines geselligen Hofes […] mit äußerlich gewandelten, ›privateren‹ Formen des Kunst- und Kulturgenusses«678. Das Würzburger Theater spielte darin eine besondere Rolle, dem Erzherzog Ferdinand zeit seiner Regierungstätigkeit am Main größtes Betätigungsfeld bot679. Jeder Staatsbesuch in Würzburg, sei es der Kaiser der Franzosen, der Großherzog von Baden, der König von Westfalen oder Württemberg u. a., all jene besuchten gemeinsam mit Erzherzog Ferdinand das Theater, galt doch Musen- und Kunstförderung als Eckpfeiler herrschaftlicher Repräsentanz680. Die auch von anderen Monarchen geschätzte prächtige Würzburger Residenz, bot für fürstliche Repräsentanz die außenwirksame, prestigefördernde Kulisse681. Dass Erzherzog Ferdinand diese Öffentlichkeitswirksamkeit absichtlich beförderte, zeigen die 674 Vgl. ebd., S. 217. 675 Es böte sich auch hier ein viel versprechender interdisziplinärer Forschungsansatz, welche Theaterstücke Erzherzog Ferdinand für das Theater bestimmte. Der reiche Quellenkorpus, der sich über die ganze Bestehenszeit des Großherzogtums erstreckt, lädt dazu ein. Es wäre interessant, ob »Die Rückkehr ins Vaterland« ausgerechnet 1809, »Das Gastrecht. Gemälde der Sitten und Gesetze der Vorzeit« im Jahr 1810, »Das Landhaus an der Heerstraße«, »Der Deserteur«, »Die Uniform«, »Der Mann im Feuer«, »Die Bestürmung von Smolensk« 1811 nur zufällig auf den Spielplan geraten sind und wenn nicht, welche erzieherischen Absichten sich dahinter verbragen. Vgl. grundsätzlich dazu  : Schulz, Wolfgang  : Theater in Würzburg 1600–1945. Eine soziokulturelle Untersuchung. Würzburg 1970. Die Auswertung der Theaterzettel ist heute einfach zugänglich  : https://vb2.uni-wuerzburg.de/solr/theaterzettel/browse. [zuletzt abgerufen 01.08.2021] 676 Der Erzherzog veranstaltete von Gerolzhofen bis Poppenhausen und Werneck alleine elf Jagdgesellschaften im Oktober und November 1810 und brachte dabei fünf Fasane, 943 Hasen, 160 Rebhühner, 28 Stück Rehwild und sieben Stück Schwarzwild zur Strecke. Zusammenstellung verschiedener Randnotizen in einem Itinerar mit der Überschrift »Kurze Beschreibung der sämtlichen Land-Reisen beym Aufenthalt im Schlosse Werneck im Jahre 1810« in SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 8, sign. 72. 677 Schäfer, Ferdinand Großherzog, S. 28. 678 Schmidt, Prestige, S. 160. 679 Auch die eher auf Zensur ausgerichtete Theaterkommission wäre näher zu untersuchen  : GhzRegBl 1808 XIII. Stück, S. 56  ; Ebd. XII. Stück, S. 54. 680 Die Gründung des Musikkonservatoriums durch Erzherzog Ferdinand lässt sich genauso unter die traditionellen Topoi des Herrscherlobs subsumieren wie seine in Würzburg zur Schau gestellte und stetig erweiterte Münz- und Kupferstichsammlung, die heute noch einige Exponate Würzburger Provenienz in Florenz aufbietet. Vgl. Chroust, Ferdinand Großherzog, S. 149. 681 »Le chateau de Würzbourg doit etre superbe, et je suis persuadi que Vous essez adoré comme partout.« HStAD, 12546, Fürstennachlass Anton, König von Sachsen (1755–1836), Nr. 5, Anton an Ferdinand 1806, Fol. 41.

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mit großem finanziellen Aufwand eingerichteten Räume der Residenz in einer damals unerhört modernen Stilmischung italienischer und französischer Mode682. Er beschränkte seinen prestigefördernden Aufwand jedoch nicht nur auf den euro­päi­ schen Hochadel. Erzherzog Ferdinand arrangierte die Dinée de famille als gesellschaft­ liche Events mit zahlreichen Vertretern des fränkischen Adels, und lud »die ganze Gesellschaft« 683 am Abend zum Spiel. Wie Friedrich der Große stand auch Erzherzog Ferdinand in der Würzburger Residenz im Zentrum der höfischen Abendgesellschaft, wenn er mit offenbar angenehmer Bassstimme auch Selbstkomponiertes anstimmte684, oder das Hoforchester dirigierte685. Man kann das mit heutigen Augen als dekadente fürstliche Zerstreuung eines »hochgezüchtet[en]«686 realitätsfernen Monarchen in Zeiten eines Weltkriegs sehen, oder eben als bewusst akzentuierten Kontrapunkt gegen die Französische Revolution und als Form der Politikgestaltung eines militärisch mindermächtigen Fürsten. Macht »als Quintessenz« 687 der Politik manifestierte sich auch nach der Revolution nach wie vor nicht nur durch materielle oder militärische Ressourcen, sondern eben auch durch Ansehen, durch fürstliches Prestige, durch eine »Politik des Prunks«688. Dieses symbolische Kapital eines Staatswesens nicht aktiv einzusetzen, hätte fatale Auswirkungen auf die Politikgestaltung Erzherzog Ferdinands gehabt, beabsichtigte er doch auch in Würzburg, die Erhöhung seiner Dynastie im Konkurrenzkampf mit den europä682 Umfangreich  : Irene Helmreich-Schoeller  : Die Toskanazimmer der Würzburger Residenz. Ein Beitrag zur Raumkunst des Empire in Deutschland. München 1987. Aktueller  : Helmberger, Werner/Mauß, Cordula  : So wohnte der Großherzog. Begleitheft zur Ausstellung über die vergessenen Empiremöbel der Residenz Würzburg. München 2014. 683 »Mit sämtlicher Gesellschaft in 4 Waagen aufgebrochen«  ; »die höchste Familie [Eigenbezeichnung  !, Anm.d.Verf ] mit 16 Personen heute auf Geroltzhofen«  ; »gespeiset mit voriger Gesellschaft. die 2 Fh. v. Fuchs und Fürst Salm kamen nach«. »Erst Dinée de famille dann Spiel«  ; »eine Partie Orubu [?] mit der Gesellschaft«. Zusammenstellung verschiedener Randnotizen in einem Itinerar mit der Überschrift »Kurze Beschreibung der sämtlichen Land-Reisen beym Aufenthalt im Schlosse Werneck im Jahre 1810« in SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 8, sign. 72. 684 Chroust, Ferdinand Großherzog, S. 153. Dort auch die positiven Reaktionen seiner Zuhörer(innen)  : Königin Katharina von Westfalen nannte ihn einen »parfait honnêt homme […] reélement le meilleur homme du monde«. 685 Vgl. Botzenhart u. a., Deutsche Geschichte, S. 335. 686 Pesendorfer, Ein Kampf, S. 334. 687 Hoeres, Das Militär, S. 331. 688 Performances dienen gleichsam zur Her- und Darstellung eines herrscherlichen Selbstverständnisses. Karl-Joachim Hölkeskamp  : ›Performative Turn‹ meets ›Spatial Turn‹. Prozessionen und andere Rituale in der neueren Forschung, in  : Dietrich Boschung/Karl-Joachim Hölkeskamp u. a. (Hg.)  : Raum und Performanz. Rituale in Residenzen von der Antike bis 1815. Stuttgart 2015, S. 15–74, S. 20  ; dazu vor allem  : Johannes Paulmann  : Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn, München 2000.

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ischen Fürstenhöfen durchzusetzen. Die Hofhaltung eines habsburgisch-lothringischen Agnaten musste standesgemäß sein. Erzherzog Ferdinand war als Fürst des Ancien Régime in »ein kollektives soziales Symbolsystem hineingeboren«689 worden, das Machtverhältnisse nach außen hin auch symbolisch und figurativ kommunizierte. Der umfangreiche und kostenintensive, prunkvolle Ausbau der Würzburger Residenz nach dem neuesten Geschmack und der aktuellen Mode des Empirestil in den Jahren 1808–1812 muss als »Ausdrucksseite der politischen Kultur[ ]«690 Erzherzog Ferdinands gewertet werden, was seitens der Forschung bisher unbeachtet blieb. Die Ausstattung mit mehr als 400 Möbeln, »qualitätvollen Bronzearbeiten«691, Standleuchtern etc. aus angesehenen Werkstätten in Frankfurt und Paris dürfen nicht nur »als Metahphern der Macht begriffen werden, sie sind Mittel und Zweck der Macht«692. Gäste, ganz gleich ob der französische Kaiser selbst, die Napoleoniden oder der alteingesessene fränkische Adel sollten auch durch die prunkvolle Ausgestaltung der Residenz an die Macht des Erzhauses erinnert sein, um über die eigene realpolitische Mindermächtigkeit im Krieg hinwegzutäuschen. Die auf eine solche Außenwirkung ausgerichtete Hofhaltung Erzherzog Ferdinands verursachte selbst in Kriegsjahren höhere Kosten als seine Investitionen für das Heer693. Im Vergleich der beiden Ausgabenposten ergibt sich bemerkenswerterweise im Zeitraum von 1807–1812 eine 27,5 % höhere Investitionsleistung in die Hofhaltung694. Diese »Prestigepolitik, die als Alternative zur ›klassischen‹ Machtpolitik für mindermächtige Staaten«695 diente, trieb Erzherzog Ferdinand intensiv sowohl für das Haus Habsburg als auch um die persönliche Beziehung zu Napoleon weiter auszubauen. (3) Es mag Erzherzog Ferdinands Beharren auf höfischen Traditionen als Gegenentwurf zum Frankreich der Revolution gelten, im Frankreich Napoleons stieß es auf große Gegenliebe und Faszination, denn »[d]ie persönlichen Sympathien des Usurpators für 689 Barbara Stollberg-Rilinger  : Rituale. Frankfurt 2019, S. 37. 690 Hölkeskamp, Performative Turn, S. 25. 691 Werner Helmberger/Cordula Mauß  : So wohnte der Großherzog. Begleitheft zur Ausstellung über die vergessenen Empiremöbel der Residenz Würzburg. München 2014, S. 13. 692 Hölkeskamp, Performative Turn, S. 27  ; Vgl. auch  : Lynn Hunt  : Symbole der Macht, Macht der Symbole. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur. Frankfurt am Main 1989, S. 50–57. 693 Für das Etatsjahr 1809/10 wurden aus den Einnahmen für die Hofkasse 718.392 fl. 24 Xr. für die Kriegskasse indes nur 401.846 fl. 22 Xr. bezahlt. Der Verglich hinkt aber insofern, dass im Februar 1809 eine Sonderzahlung von 278.932 fl.24 Xr an Baukosten (wohl für die Residenz) extra hinzukamen. Für das Etatsjahr 1811/12 beispielsweise verwendete Erzherzog Ferdinand 573.934 fl. und 450.072 fl. für die Kriegskasse. Zahlen aus Zif 6 des Etatsjahrs 1811/12 im Anhang als Dokument XXIV. 694 Für die Hofhaltung wurden von 1807–1812 insgesamt 2.869.669 fl. und für das Militär 2.250.363 fl. bezahlt. Vgl. ebd. 695 Schmidt, Prestige, S. 161.

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die Repräsentanten des Ancien Régime zeigten sich in seiner gesamten Politik«696. Wenn Erzherzog Ferdinand bei seinen drei mehrmonatigen Besuchen am französischen Hof in den privaten Salons der Kaiserin Josephine in Fontainebleau sang, in St. Cloud für Napoleon einen Knabenchor dirigierte, sich mit dem zum Herzog von Neuchâtel avancierten Revolutionsgeneral Berthier Partituren austauschte, dann tat er zwar das, wozu ihn seine höfische Erziehung geformt hat697. Es ist dies jedoch auch immer symbolische und figurative Politik, wenn Erzherzog Ferdinand – »distingué par la cour«698 – am französischen Hof an den zahlreichen Ballets, Soupers und Diners etc. teilnahm, sozusagen die Cour machte. Figurative Politik insofern, dass Erzherzog Ferdinand dort die »Repräsentation einer politischen Ordnung in einer Person«699 übernahm, Repräsentanz der Habsburgermonarchie war. Erzherzog Ferdinands höfische Inszenierung als Sänger oder Dirigent in den französischen Salons stellte die Dynastie der Habsburg-Lothringer buchstäblich in das Zentrum der Aufmerksamkeit des aus dem Boden gestampften Revolutionsadels. Ohne dass eine Aufzeichnung oder ein Brief Erzherzog Ferdinands dies belegen würde, die Selbstinszenierung in der Uniform eines österreichischen Feldmarschalls, die er zu jedem öffentlichen Anlass trug, dienten so gesehen auch als optische Unterstützung seiner figurativen Politik im Dienste seines Hauses Habsburg-Lothringen. Sein symbolisches Handeln ist so verstanden nicht »Hülle und Maske von Macht, sondern deren integraler Bestandteil«700. Für die Ausgestaltung seiner symbolischen und performativen Politikgestaltung als mindermächtiger Fürst im Krieg nahm Erzherzog Ferdinand auch die Bevölkerung am Main in die Pflicht, wenn diese bei jeder Durchreise des französischen Kaisers per Dekret verpflichtet war, wenn diese »auf den Straßen in Parade sich aufstellen und Vivat rufen«701 mussten. Auch das gestaltete den symbolseitigen Aspekt 696 Hömig, Carl Theodor, S. 362. 697 Chroust, Ferdinand Großherzog, S. 154. 698 Metternich meldete dem Kaiser in Wien, sein Bruder, Erzherzog Ferdinand, sei der einzige unter den anwesenden Rheinbundfürsten »qui est véritablement distingué par la cour«, zit. nach  : Ebd. 699 Hans-Georg Soeffner/Dirk Tänzler  : Einleitung, in  : Hans-Georg Soeffner/Dirk Tänzler (Hg.)  : Figurative Politik. Zur Performanz der Macht in der modernen Gesellschaft. Opladen 2002, S. 7–14, S. 8. 700 Verena Steller  : Diplomatie von Angesicht zu Angesicht. Diplomatische Handlungsformen in den deutsch-französischen Beziehungen 1870–1919. Paderborn, München 2011, S. 16. 701 »Bei dieser Gelegenheit [Russlandfeldzug] kamen große Heereszüge durch Franken, die von Würtzburg aus die Straßen theils über Neustadt und Mellrichstadt, theils über Bamberg nach Sachsen und Schleßien eingeschlagen haben. Der Französiche Kaiser Napoleon der Große kam bey Eröffnung dieses Feldszugs selbsten mit sienr Gemahling Louise, einer Tochter Franz II. am 13ten Mai 1812 nach Würtzburg, wo der selbige mit großer feierlichkeit empfangen wurde, und ging dann über Dettelbach, Bamberg Bayreuth Dresden zur Armee ab. Bei dieser Durchreise der Majestäten des Kaisers und der Kaiserin mussten alle angrentzenden Orthschaften und Landgerichte des Groß-Hertzogtums Würtzburg auf den Straßen in Parade sich aufstellen und Vivat rufen […] Die Orthsvorsteher, Gerichts Verwandten sammt allen Bürgern und Jünglingen, die Schul-Jugend mit ihren Lehrern mussten bey dieser parade erscheinen und wie schon oben gesagt wurde, bei der Ankunft der höchsten Reisenden Vivat rufen  ; Auch mussten alle

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der Rheinbundpolitik Erzherzog Ferdinands. Er konstruierte ­mittels »symbolischer Politik als […] Zeichensystem« und »via Kommunikation politische Wirklichkeit«702 gegenüber dem Protecteur des Rheinbundes. Dass es Napoleon nicht unbeeindruckt ließ, wenn ihn der zweite Mann des Ersten Hauses Europas, wieder in der leuchtend weißen Feldmarschallsuniform, in der Würzburger Residenz mit den größten Ehren und höfischem Pomp empfing, beweist ein Ölgemälde, das in seinem Auftrag angefertigt wurde703. Mit einem unbedeutenden Duodezfürsten schmückt man keine Gemäldegalerie. Als Kulisse in doppelter Bedeutung diente die Würzburger Residenz, deren neue Räume 1812 gerade fertiggestellt worden waren  : Die »Darstellung von Macht in Glanz und Gloria«704 wurde durch das Empfangsritual inszeniert  : Erzherzog Ferdinand empfing Napoleon unten im Tiepolotreppenhaus, geleitete ihn in den weißen Saal und mehrere Vorzimmer bis dann im von ihm neu eingerichteten Großen Salon die komplette Vergoldung den Betrachter blendete705. Erzherzog Ferdinand inszenierte sich so als Herrscher, der den Glanz der Fürstbischöfe noch zu übertreffen suchte. Dass Napoleon sich und seinen Hof mit einem Habsburg-Lothringer schmückte, der sich durch seine höflich elegant zurückhaltende Art auszeichnete, um damit auch seinen eigenen Anspruch auf dynastische Legitimität zur Geltung zu bringen sowie eine gelingende Verschmelzung alten und neuen Adels zu demonstrieren, zeugt von einem symGlocken geläuthet werden. Die Geistlichen, Pfarrer und Kapläne, so wie auch das Kloster Dettelbach waren sämtlich hierzu aufgebothen und wir mussten der ausdrücklichen Vorschrift des Bischöflichen General-Vicariats in Kirchenkleidung, da ist mit Chorrock und Kragen aber ohne priesterliche Stole dabey erscheinen.« Diözesanarchiv Würzburg, Euerfeld, 1346, Fol. 96. 702 Hölkeskamp, Performative Turn, S. 27  ; Lynn Hunt  : Politics, Culture, and Class in the French Revolution. Twentieth Anniversary Edition, With a New Preface. Berkerley 2016, S. 54. 703 Das besagte Ölgemälde von Hippolyte Lecomte als Abbildung im Anhang als Dokument XXV. Dieses Bild inszeniert bildhaft auch Ferdinands figurative Politik gegenüber Napoleon anlässlich seines festlichen Empfangs. Das höfische Gepränge dessen schilderte Hirsiniger an Talleyrand (nach eigener Übersetzung)  : »Seine k.k. Hoheit empfängt Seine k. k. Majestät mit seinem ganzen Hof, den entscheidenden Staatsräten unten an der großen Tiepolo-Treppe, um Napoleon bereits in seinem Wagen heraus zu empfangen und ihm ein Gefolge bis in Seine kostbar und neu gestalteten Appartements zu bieten. Der Großherzog ist alleine in sein Kabinet gefolgt und dort eine Viertelstunde geblieben, als er wieder herauskam wurde er vom ganzen Hof und den großen Offizieren Ihrer Majestät begleitet. Eine halbe Stunde später hat Seine k.k. Majestät seiner k.k Hoheit einen Besuch abgestattet. Er wurde angeführt von den großen Offizieren seines Hauses und es folgten ihm Armeechefs, die sich im Salon versammelten. Der Kaiser blieb eine Viertelstunde beim Großherzog. Ebenfalls begleitete er ihn bis zur ersten Tür des Vorzimmers. Die kaiserliche Garde hat Posten im Schloss geleistet zusammen mit der großherzoglichen Leibgarde. So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, Hrisinger an Talleyrand, Würzburg, 3. Oktober 1806. Fol. 214. Zu den Festlichkeiten  : Günther, Würzburger Chronik, S. 107–110. 704 Hölkeskamp, Performative Turn, S. 27. 705 Vgl. Helmberger u. a., So wohnte der Großherzog, S. 13.

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biotischen Verhältnis zwischen beiden706. Beabsichtigte doch auch das Haus Habsburg-­ Lothringen im Zentrum des europäischen Interesses zu stehen, obwohl militärisch erniedrigt und geschlagen, worauf gleich noch einzugehen sein wird. Dass Erzherzog Ferdinand wiederum durchaus absichtsvoll seine figurative Politik als elementaren Teil seiner Politikgestaltung verstand, belegt außerdem seine Enttäuschung, als die (im Übrigen sehr kostspieligen707) monatelangen Besuche in Paris nicht die von ihm erhoffte Wirkung zeitigten708. Zu gering erschienen ihm die territorialen Expansionszugeständnisse, zu groß hatte sich Erzherzog Ferdinand den Gewinn ausgemalt, anders als der französische Hof zu geben bereit war. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass gerade erst der persönliche Einsatz von Erzherzog Ferdinand im Jahr 1810 den Durchbruch im vier Jahre langen Ringen um territoriale Arrondierung seines Großherzogtums mit der Krone Bayern brachte. 42.400 Seelen und 360.376 fl. 58 Xr. mehr Einnahmen im Jahr709 konnte er nicht nur wegen seiner einspruchslosen Erfüllung im militärischen Bereich für sich verbuchen, sondern auch, weil er ›das Courmachen‹ als performative, symbolische Ebene seiner Politikgestaltung verstand. Napoleon hingegen nutzte Erzherzog Ferdinands Abstammung nicht nur zur Zierde seiner Hochzeitsreise, um der Welt zu demonstrieren, wie friedfertig er sei und wie gut

706 Metternich schilderte Erzherzog Ferdinands ausgezeichnte Wirkung auf den Pariser Hof  : »Il est le seul de tous les princes confédérés véritablement distingué par la cour, et s’il y a sans doute un sentiment intérieur et top noble pour être supprimé, qui lutte contre la présence d’une archiduc à Paris, les égards, dont il jouit, forment un contrepoids puissant dans l’opinion publique.« Der bayerische Gesandte in Paris Cetto meldete nach München mit ähnlich lobenden Worten die gute Aufnahme  : »Son intimité avec l’empereur, que l’on a tant natté à Wirzbourg, n’a été remarqué ni à Paris ni à Fontainebleau. On ne pourvoit guères traiter moins bien qu’il ne l’a été un souverain de son rang, qui a un esprit orné de talents et de connaissances agréables, joint des manières simples et faciles.« Beides zit. nach  : Chroust, Die Geschichte, S. 280. 707 Teil der performativen Politik Mindermächtiger sind auch die jeweils überbrachten ›Geschenke‹ als Teil der politischen Kommunikation, diese konnten Geldgeschenke sein, so 4.000 fl. für den chef du bureau La Besnadiére, für Talleyrand »ein Ring« und »eine Dose im Werthe von zehntausend Gulden«, für niederes diplomatisches Personal 2.000 Gulden. Aber wie sehr Erzherzog Ferdinand die fränkischen Sitten bereits verinnerlicht hatte, oder erst begründete, zeigte seine Genehmigung, dass an Talleyrand und La Besnardiére auch noch hundert Flaschen Stein- und Leistenwein geschickt werden müssten. Vgl. ebd., S. 174  ; Langmantel, Die äussere Politik, S. 14f. 708 Buol berichtet, aus den Äußerungen Erzherzog Ferdinands herauslesen zu können »wie wenig das Erhaltene den billigmäßigsten Erwartungen entsprach« HHStAW, Stk, Würzburg 2, Buols Berichte 1809– 1810, Buol an Stadion, 30. Juni 1810. Ganz ähnlich enttäuscht zeigte sich bereits Erzherzog Ferdinand bei seinem Besuch in Paris 1808, als er im engeren Kreis meinte, man müsse wohl erst mit Napoleon verwandt sein, um etwas Territorialbesitz zu erhalten  : »Il voyoit bien qu’il falloit absolument être apparente à Bonaparte pour obtenir quelque chose.« Zit. nach  : Chroust, Die Geschichte, S. 285. 709 AAÉ Allemagne Petites Principautés 67, Reigersberg an Ferdinand, Paris, 26. Mai 1810, Fol. 64. Die Übersicht über die genauen Territorialgewinne als Auflistung der Verluste für Bayern im Anhang als Dokument XVIII.

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das Haus der Habsburg-Lothringer und das Haus der Bonapartes nun harmonierten710. Er nutzte Erzherzog Ferdinand auch, um mit ihm Machtpolitik auf dem europäischen Parkett zu treiben. Immer dann, wenn Napoleon einen neuen Posten in seinem Herrschaftssystem zu vergeben hatte und es galt, seine eigentlichen Absichten zu verschleiern oder seinem Gegner zu drohen, wie im Falle des Großherzogtums Warschau, dann erfüllte Erzherzog Ferdinand die Rolle des diplomatischen Pappkameraden, den man aus dem Hut zauberte. Napoleon versprach 1812 den Polen  : »Je viens pour Vous donner un roi et pour étendre Vos frontières  ; Votre territoire sera plus considérable qu’il ne l’était sous Stanislas. Le grand-duc de Würzbourg sera Votre roi«711. Zweifelsohne zeugt dies von Napoleons Wertschätzung für Erzherzog Ferdinands einspruchslose Erfüllung seiner militärischen Wünsche. Napoleon hätte sonst wohl kaum an Ferdinand gedacht, wenn er ein unzuverlässiger Rheinbundalliierter gewesen wäre. Es steckte aber 1812 während der russisch-französischen Rüstungsspirale vielmehr Napoleons Kalkül dahinter, dem russischen Zaren einen Habsburg-Lothringer vor dessen Tür anzudrohen. Die gleiche Taktik der künstlichen Heraufbeschwörung eines Bedrohungsszenarios verfolgte Napoleon bereits 1809, als die Verhandlungen um den Frieden von Schönbrunn nicht im von Napoleon gewünschten Tempo vorangingen und er Erzherzog Ferdinand vom Main auf den kaiserlichen Thron in Wien versetzen wollte  : »si la monarchie restait indépendante, l’empereur céderait volontiers da couronne   ; […] si l’empereur veut abdiquer en faveur du grand-duc de Wurzbourg, je livrerai le pays tel qu’il est avec son indépendance actuelle, et je ferai une alliance avec lui, qui nous mettra à même de finir les affaires du continent. Comme j’ai confiance dans le caractère et le bon esprit du grand-duc de Wurzbourg, je considérai le repos du monde assure par cet événement.- Il est certain que cette dernière manière de s’arranger me conviendroit assez et si elle ne peut pas avoir lieu, il est toujours bon d’en parler comme d’une preuve du peu d’intérêt que nous avons à affaiblir la monarchie.«712

Es wäre ein interessantes Angebot gewesen, den demütigenden Schönbrunner Frieden in einen Thronwechselplan zugunsten Erzherzog Ferdinands bei Erhaltung territorialer Unversehrtheit umzugestalten – verlor die Habsburgermonarchie darin doch ein Gebiet 710 Die Hochzeitsreise, an der auch Metternich teilnahm, führte in die ehemaligen habsburgischen Nieder­ lande. Das dort so »habsburgfreundliche Echo« war Metternich peinlich und Napoleon unrecht, er wollte seinen kriegsmüden Landsleuten aber »Beruhigung [gewähren] im Sinne von  : ›Schaut her, die Tochter des österreichischen Kaisers und sein Bruder in seiner kleidsamen Feldmarschallsuniform. Ich kann Frieden halten. Ihr seht es doch‹.« So in  : Siemann, Metternich, S. 351  ; Schäfer, Die politische Rolle, S. 69. 711 Chroust, Die Geschichte, S. 347 712 Napoléon, Correspondance, XIX. Bd., Nr. 15832, S. 485f., Napoleon an Champagny.

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eineinhalb Mal so groß wie das heutige Österreich713. Die Reaktion des Wiener Hofs darauf zeigte indes, was von der Ernsthaftigkeit dieses diplomatischen Manövers zu halten war – sie ignorierten es schlichtweg. Napoleon bluffte und nutzte Erzherzog Ferdinand als Droh- und Druckmittel714. In all diesen Fällen spielte Napoleon die Karte Erzherzog Ferdinand, ohne ihn davor um sein Einverständnis zu fragen oder im Nachhinein seine Einwilligung einzuholen. Im Falle der angedrohten Kaisernachfolge kann man neben der offensichtlichen Absicht einer künstlichen Bedrohungssituation außerdem mutmaßen, es ginge Napoleon darum, einen Keil zwischen die Brüder zu treiben, die Abhängigkeit des Rheinbundfürsten gegenüber seines Protecteurs weiter auszubauen und damit den ›Systemfehler‹ des Habsburg-Lothringers am Main einzuhegen. Was Erzherzog Ferdinand über Napoleons Pläne dachte, ist nicht überliefert715. Der Plan Napoleons, Missgunst zwischen den Brüdern zu erzeugen, ist nicht aufgegangen, auch wenn das Jahr 1809 unter dem eigentümlichen Charakter des Bruderkriegs stand und keine Briefe in der Wiener Registratur zwischen den Brüdern verzeichnet sind. Aus der historischen Distanz betrachtet, sorgten alle Gerüchte, alle lancierten Andeutungen und Androhungen Napoleons, sei es über den Wechsel auf den Kaiserthron, den Wechsel auf den polnischen oder böhmischen Thron, dafür – egal ob sie sich am Ende nur als folgenlose Versprechungen entpuppten –, dass Erzherzog Ferdinand als bedeutsamer Machtfaktor im ›europäischen Konzert‹ wahrgenommen werden konnte716. Erzherzog Ferdinand leistete durch seine Politikgestaltung einen wichtigen Beitrag, den Stellenwert des Hauses Habsburg-Lothringen im napoleonischen Herrschaftssystem trotz verheerender Niederlagen seiner Brüder im Krieg zu sichern. Napoleon hingegen nutzte die Abstammung Erzherzog Ferdinands machtpolitisch auch insofern, um durch ihn aus erster Hand an Informationen über die ­Außenpolitik der Habsburgermonarchie zu gelangen. Während des ersten Besuchs Napoleons in 713 Pesendorfer, Ein Kampf, S. 405. 714 Dies belegen auch die Memoiren von Napoleons Geheimsekretär  : »Napoléon avait en même temps le pensée de placer sur la trône impérial de Vienne le Grand-duc de Wurzbourg  ; mais il n’y arrête pas sérieusement son esprit. L’insurrection de la Hongarie et la changement de succession en Autriche étaient deux entreprises dont les chances auraient pu le conduire plus loin qu’il ne voulait  ; il ne s’y laissa pas entraîner.« Claude François de Méneval  : Mémoires pour servir à l’histoire de Napoléon Ier depuis 1802 jusqu’à 1815 par le baron Claude François de Méneval. Paris 1894, II. Bd., S. 262. 715 Für das Jahr 1809 ist keine Korrespondenz in der Wiener Registratur zwischen Erzherzog Ferdinand und Kaiser Franz verzeichnet. Sein Bruder Erzherzog Karl, der ebenfalls als Nachfolger des Kaisers 1809 ins Spiel gebracht wurde, berichtete Franz gleich darüber in einer auch aus den Briefen Erzherzog Ferdinand bekannten Weise  : »mes principes et l’attachement invariable à mon souverain et à la monarchie que Vous me connaissez vous sont garants que je n’en désire pas d’autre«. Zit. nach  : Wertheimer, Geschichte Österreichs II, S. 417. 716 »Das alles war nicht sonderlich ernst zu nehmen. Napoleon hat vielen viel versprochen und zuallermeist wenig oder nichts gehalten«, so  : Altgeld, Zur Einführung, S. 30.

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Würzburg, kurz vor dem Feldzug gegen Preußen 1806, wollte er wissen, wie sich die Habsburger gegen Preußen verhalten würden, ob sie weiterhin am Neutralitätskurs festhalten würden oder sogar zu einem Bündnis mit Frankreich bereit wären. Erzherzog Ferdinand ließ sich dazu gerne gebrauchen und schrieb an Kaiser Franz detailliert über Napoleons Pläne  : »Ich habe mehrere mahle mit dem Kayser gesprochen und habe ihn sehr gut gegen Dich und mich disponirt gefunden. Er hat mir heute frühe den Wunsch geäußert, dass ich Dir dieses durch einen eigenen Kurier zur Wissenschaft bringen und Dir zugleich schreiben möchte, dass wie immer die Sachen in der jetzigen Laage der Dinge ausfallen mögen, oder zu seinem Vor- theil oder Nachtheil, er nimmermehr sich mit Preußen vereinigen will und dass dieses der günstige Augenblick für Dich wäre, Dich mit Frankreich zu alliiren, wie Du ihme nach der Schlacht von Austerlitz gesagt hast, dass es Dein Interesse wäre, und Du ihme noch später daraus in Wien hast sagen lassen. Zugleich wollte er, dass Ihr beyde die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Türkischen Reichs garantieren sollet, welches, wie er mir sagt, von denen Russen soll sehr nahe bedrohet werden, da man schon von einem Einfall derselben in die Moldau spricht.«717

Wie daraus hervorgeht, konnte Erzherzog Ferdinand durch diese diplomatische ­Mission im Dienst für Napoleon auch an sein Haus wichtige Informationen weitergeben und seinem Bruder damit eigene Handlungsspielräume verschaffen. Dieses hier von Napoleon durch Erzherzog Ferdinand vermittelte Allianzangebot von 1806 wurde von Wien aus mit dem Hinweis auf die strikte Neutralität der Habsburgermonarchie im anbrechenden Feldzug gegen Preußen und Russland abgelehnt. Bezeichnend ist jedoch, dass das gleiche Angebot im Jahr darauf, als sich Erzherzog Ferdinand in Paris auf Einladung Kaiserin Josephines und Napoleons befand, nun von seinem Bruder an Napoleon gerichtet wurde. In gleicher Weise wie im Vorjahr diente Erzherzog Ferdinand nun im September 1807 seinem Bruder, »um bey ihm [Napoleon, Anm. d. Verf.] alles jenes anzubringen, was du mir in deinem Brief über deinen Wunsch mit Frankreich steets in gutem Einverständinss zu seyen geschrieben hast«718. Ziel der Wiener Außenpolitik zu diesem Zeitpunkt war es, den französischen Truppenabzug aus Braunau zu realisieren sowie die Grenze zwischen dem Königreich Italien und den Erblanden zu definieren. Als Handlungseinheit unternahmen die Brüder am Pariser Hof ein Täuschungsmanöver  : Auf unterschiedlichen Kanälen versuchte die Habsburgermonarchie zum einen den Druck auf Frankreich durch das gezielte Lancie717 Ferdinand an Franz, 3. Oktober 1806, zit. nach Chroust, Die Geschichte, S. 266. 718 Der ganze Brief ist im Anhang als Dokument XXVI abgedruckt.

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ren über Truppenrüstungen zu erhöhen und gleichzeitig durch Erzherzog Ferdinand die Bedenken über die vermeintlichen Rüstungen zu zerstreuen719. Kaiser Franz vergaß bei diesem Anlass nicht, Erzherzog Ferdinand mit dem gebräuchlichen Argumentationsmuster nahezulegen, er solle sehen, was er für die Dynastie bei Napoleon sonst noch bewirken könne720. Es kann hier nicht näher ausgeführt werden, aber gerade in der Anwesenheit Erzherzog Ferdinands in Paris 1807 konnte die Grenzfrage in Italien zwischen der Habsburgermonarchie und Frankreich geklärt werden – zum Besten des Hauses. Erzherzog Ferdinands Wirken als »eine Art Relaisstation«721, als Brücke zwischen den beiden antagonistischen Blöcken, versetzte ihn in die vorteilhafte Position, in beide Richtungen die Kommunikationskanäle offen zu halten und sich in der Mitte des Informationsnetzwerkes Handlungsspielräume für eigene Politik im Krieg zu eröffnen. Es soll daher nun auf die andere Seite des Netzwerks geblickt werden, nämlich wie Erzherzog Ferdinand mit seinem Bruder Kaiser Franz als Rheinbundfürst den ›politischen Verkehr‹ gestaltete. Der ›politische Verkehr‹ mit Kaiser Franz

Über Kaiser Franz gibt es – auffällig genug – keine moderne historiografische Biografie. In biografischen Skizzen wird über ihn geschrieben, er habe sich »für Gottes Statthalter auf Erden [gehalten]. […] So hoch glaubte er sich über alle anderen Menschen hinausgehoben, dass er sehr früh schon sogar zwischen sich und seinen jüngeren Brüdern eine Schranke aufzurichten sich bestrebte, die zu durchbrechen, keinem von diesen je gelungen ist.«722 In der Tat wirkt es heute merkwürdig, wenn Erzherzog Ferdinand in seinen 719 Der österreichische Außenminister Stadion lancierte beim französischen Gesandten in Wien, La Roche­ foucauld, fast im gleichen Wortlaut  : »L’avantage de l’alliance est sentie, et elle est même désirée«. Nach Abfangen der französischen Depesche freute sich Stadion, »dass es ihm gelungen, denselben über die wahren Gesinnungen des Wiener Hofes in die Irre zu führen, so ist die Vermutung vielleicht nicht ganz ungerechtfertigt, der Großherzog von Würzburg habe die Mission gehabt, Napoleon und dessen Minister zu täuschen. Um so mehr ist die Annahme begründet, als Stadion wirklich die Absicht hatte, durch Irreführung La Rochefoucauld zugleich auch das Pariser Cabinet auf falsche Fährte zu leiten.« So in  : Wertheimer, Geschichte Österreichs II, S. 147. 720 »Graf Metternich wird dich von den Hauptbeständen unterrichtet haben, die noch zur Räumung Braunaus und Berichtigung der Grenze am Isonzofluss bestehen, bei welch letzerem er [Napoleon, Anm. d. Verf.] neue Opfer von mir fordert. Kannst du zu deren Abwendung und sonst überhaupt zum Besten meiner Monarchie und in soweit es dieses nicht hindert zu jenen unseren anderen Anverwandten als unseres Bruders Anton und Vetters Franz wirken, so rechne ich auf dich, du wirst es thun«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 41-2-7, Franz an Ferdinand, Salzburg, 7. September 1807. 721 Schäfer, Die politische Rolle, S. 68. 722 Friedrich Walter  : Kaiser Franz I. (1768–1835). Versuch einer Deutung seinens Wesens und seines Cha-

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persönlichen Tagebucheinträgen und Itineraren, die nur für seine Augen bestimmt waren, im Jahr 1813 schrieb  : »13. Julius – mit der gantzen Familie nach Prag wohin S. M. der Kayser von Brandeis eigens kam und mit uns gespeiset. Abends um halb sechs fuhr jedermann wieder nach Hause.«723 Für heutige Familienverhältnisse erscheint diese hier bei Verwendung des Herrschertitels zum Ausdruck gebrachte Distanz zum eigenen Bruder merkwürdig, tatsächlich wie durch eine unsichtbare Schranke getrennt. Die bereits hier ausführlich nachgezeichnete Beziehung zu seinem Bruder Erzherzog Ferdinand wies im ganzen Verlauf die »eindrucksvolle Mischung brüderlicher Sorge und herrschaftlicher Weisung«724 auf. Es liegt in der Natur der Historiografie, dass es nahezu unmöglich ist, brüderliche Gefühle quellengestützt nachweisen zu können, denn selbst ein festgehaltener Hinweis im Brief oder im Tagebuch ist leicht dekonstruierbar. Dennoch  : Erinnert sei an dieser Stelle an das wirklich betroffene Mitgefühl, das Kaiser Franz beim Tod seiner Schwägerin seinem Bruder gegenüber zum Ausdruck brachte, erinnert sei an die Finanzhilfen in Salzburg, erinnert sei an den intensiven Austausch der beiden jungen Monarchen in Wien und Florenz, erinnert sei an die Stellvertretung Erzherzog Ferdinands in den Amtsgeschäften seines Bruders, erinnert sei an die Verhandlungen in Lunéville und Preßburg und aufmerksam gemacht sei auf das Datum des eben zitierten Itinerars und das dort nicht zufällig platzierte Wort ›eigens‹. Der Kaiser sei ›eigens‹ nach Prag gekommen, um mit seinem Bruder und dessen Familie zu speisen und das im Sommer 1813, zum Zeitpunkt, als der Krieg am Wende­punkt stand. Die Grande Armée war in Russland vernichtet, mit angestrengter Aufbringung von unerfahrenen Rekrutenheeren kämpfte Napoleon in Preußen gegen eine preußischrussische, nach der Reichenbacher Konvention auch noch gegen eine schwedisch-­eng­ lische Allianz. Napoleons Hegemonialsystem zeigte Risse durch den Austritt erster Mit­ glieder725. Und in dieser Situation kommt Erzherzog Ferdinands kaiserlicher Bruder ›eigens‹ auf ein Treffen vorbei, bevor die Habsburgermonarchie einen Monat später Napoleon den Krieg erklärte. An Außergewöhnlichkeit steht dieses Prager Treffen dem von 1796 zwischen Erzherzog Ferdinand und Napoleon wohl in nichts nach, denn im Juli 1813 traf hier nun ein serviler Rheinbundfürst und Günstling von Napoleon mit dessen rakters, in  : Hugo Hantsch (Hg.)  : Gestalter der Geschicke Österreichs. Innsbruck u. a. 1962, S. 295, S. 303. 723 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 8, sign. 72, Reise von Würzburg nach Prag und dann auf den böhmischen Herrschaften 1813, Fol. 100–106, Fol. 105. 724 Ziegler, Franz II, S. 67. 725 Die Fürsten von Mecklenburg-Strelitz stiegen im Schutz Preußens als erste aus dem Bündnis aus. Hierzu ausführlich  : Matthias Manke/Ernst Münch  : Unter Napoleons Adler. Mecklenburg in der Franzosenzeit. Lübeck 2009.

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(nicht mehr lange heimlichem) Widersacher im besten Einvernehmen zusammen. Sie werden – wie im Anschluss noch zu zeigen sein wird – über ihre gemeinsame Zukunft sprechen, eine Zukunft ohne Napoleon. Der bis hierher gespannte Bogen, der die Bruderbeziehung im Krieg vom Arno bis an den Main nachzeichnete, scheint die Mutmaßung einer weiteren biografischen Skizze über die »komplizierte Persönlichkeit«726 Kaiser Franz’ zu bestätigen, dass dieser »seine Geschwister durchaus liebte, selbstverständlich für sie sorgte, dass er aber ihre ihnen zugewiesenen Dienste so verstand, dass sie seine Weisungen ausführen und sich nicht in die Gestaltung von Politik und Verwaltung einmischen sollten.«727 Es ist bereits ausgeführt worden, dass diese ›Nichteinmischung‹ zwischen der eigentlich als souveräne Herrschaft eingerichteten Sekundogenitur und der Primogenitur durch den Brudervertrag von 1803 vertraglich fixiert wurde. Die dort niedergelegten Grundsätze – ein Haus, eine Linie, eine Stimme in allen außenpolitischen Fragen – behielten ihre Gültigkeit auch in Würzburg. Es wurde bereits kurz angerissen, dass auf Grundlage dieses Vertrags ein Übernahmekommissar von Kaiser Franz bestimmt wurde und unterstützt von einer österreichischen Armeeabteilung von Würzburg Besitz ergriff – als die nördlichste Speerspitze der Habsburgermonarchie. So gesehen geschah es folgerichtig, dass sich Kaiser Franz von 1806–1814 in seiner großen Titulatur auch Herzog in Franken nennen ließ728. Aber gerade die Regierungsübernahme von Würzburg gestaltete eine Episode im Bruderverhältnis, die

726 Ziegler, Franz II, S. 74. 727 Ebd., S. 69. 728 Dieser Titel war nicht unumstritten und es entbrannte auch deswegen mit der Wittelsbacher Dynastie ein viele Seiten starker Notenkrieg zwischen Würzburg und München  : König Max Joseph schrieb am 17. April 1807 an Tautphäus  : »Wir haben erfahren, dass der Herr Großherzog von Würzburg in seiner großen Titulatur, sich den Titel eines Großherzogs zu Würzburg und in Franken Herzog beilegt. Da dieser letzte Titel auf Rechte und Ansprüche zielet, welche auf die ehemalige Reichsverfassung Bezug haben und mit dieser erloschen sind, so tragen wir euch auf, bei dem großherzoglich Würzburgischen Ministerium, jedoch in gefälligen Ausdrücken eine Erklärung darüber zu verlangen, damit durch den Gebrauch des Titels Unseren und Unseren fränkischen Landes-Rechten kein Nachtheil zugehe.« Daraufhin beauftragte Erzherzog Ferdinand seinen Staatsminister Wolkenstein am 9. Mai zu antworten  : »Dass seine kaiserlich königliche Hoheit bei Ihrem Regierungsantritte über das Fürstenthum Würzburg den von den ehemaligen Fürstbischöfen seit unfürdenklichen Zeiten geführte Titel eines Herzogs zu Franken aufzunehmen wohl befugt gewesen seien. Sie hätten aber vorgezogen, dem Beispiele Ihres Herren zu folgen, Allerhöchstwelche ohne Zweifel als Fürst von Würzburg den Titel in Franken Herzog vormals geführt hätten, und nach gleicher Ansicht hätten auch Seine Majestät der Kaiser von Österreich in ihrer größeren Titulatur denselben Titel angenommen, das Recht hierzu sei im Frieden von Pressburg gegründet.« Es wäre interessant, das Weitere näher zu beleuchten, stellt sich doch hier deutlich das Ringen der Dynastien um Gleichrangigkeit eindrucksvoll dar. Der umfangreiche Akt in  : BayHStA, Hofkommission Würzburg, 5–8.

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aufzeigte, dass die Rollenverteilung im neubegründeten Österreichischen Kaisertum noch nicht vollständig ausgehandelt war. Erzherzog Ferdinand wollte einen eigenen Bevollmächtigten zur offiziellen Regierungsübernahme von Würzburg ernennen, Franz hatte selbst einen solchen bestimmt und bereits mit Vollmachten ausgestattet729. Die Folge davon waren zahlreiche im Ton angespannte Briefe zwischen den Brüdern und eine Verzögerung des Übernahmeprozesses um mehrere Wochen, die es dem Vorbesitzer Bayern ermöglichte, den Landstrich am Main »rücksichtslos und mitunter mit bis zum Jakobinismus reichender revolutionärer Energie«730 auszuräumen. Der Sekundogenitur wurde schließlich auf ganz persönlicher Ebene deutlich gemacht, künftige Eigenmächtigkeiten zum Zweck der Dynastie zu unterlassen. Die privaten Briefe, die heute im Staatsarchiv Prag verwahrt sind, finden sich alle im Anhang abgedruckt731, auch um zu belegen, dass der auch von außenstehenden Zeitgenossen wahrgenommene Eindruck eines »Verhältnis der Spannung des Mißtrauens und der Bitterkeit«732 im Grunde irregeleitet war. Anton Chroust, der bei der Beschreibung der Besitzergreifung vom Kurfürstentum Würzburg einmal mehr die schwache Entschlusskraft Erzherzog Ferdinands gegen die auf Durchsetzung der Prärogative bedachte Willensstärke seines Bruders kontrastiert, kannte diese Briefe nur zum Teil. In der Tat zeigte sich hierbei weniger ein Konflikt, sondern ein Aushandlungsprozess, wie die im Brudervertrag festgeschriebenen Artikel in der Praxis umgesetzt werden. Es drehte sich mit anderen Worten darum, zu ermitteln, was Eigenverwaltung im Inneren und was außenpolitische Gestaltung ist. Wichtig für den künftigen Handlungsspielraum Erzherzog Ferdinands sind dabei die in diesem Aushandlungsprozess gebrauchten Argumentations­muster733  :

729 »[V]ermög meines neuen bevollmächtigten gegebenen Erklärung des Ministers Tallyerand soll das Würzburgische in einem Monat vom Auswechslungstag der Friedensratifikation geräumt und abgegeben werden also am 1.Hornung. ich habe mich also bemüßiget gesehen dem B. Hügel eine Vollmacht zu dessen Besitznahme in deinem Namen zu geben und 2 Bataillone und 1 Divis Kavallerie unter Komanndaten Obristleut. Bezau an selben anzuweisen nun dahin zu rücken.« Franz an Ferdinand, 12. Januar 1806, im Anhang als Dokument XIV. 730 Günther, Würzburger Chronik, S. 9. Zu diesen Umständen v.a. Endres, Bayern. 731 Als Briefserie ediert im Anhang als Dokument XXVII. 732 Hügel berichtet an Stadion über ein Gespräch mit den Bevollmächtigten des Kurfürsten Hennebrith und von Hartmann am 28. Februar 1806  : »Aus Ihren Ansichten und Klagen habe ich mit tiefer Bekümmernis das Verhältnis der Spannung des Mißtrauens und der Bitterkeit wahrgenommen, worinn sie glauben oder von dem, der sie schickte, zu glauben veranlaßt worden sind, daß der Herr Kurfürst von Würzburg kgl. Hoheit mit ihrem erhabenen Bruder des Kaisers Maj. stehen.« Zit. nach Chroust, Die Geschichte, S. 60. 733 Mit Hervorhebung durch den Verfasser.

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Aus Kaiser Franz’ Briefen

Aus Erzherzog Ferdinands Briefen

Ich wünsche in allem diesem nur das Beste unseres Hauses und das deinige, den ich von Kindheit an liebe

so wird mir ein einziger wink von dir Gesetz seyn.

Ich bitte dich also dringend darum zumalen meine Pflichten gegen mein Haus mir eine Schuldigkeit daraus machen alles was zu dessen besten gewesen seie, zu thun. Seye überzeugt keine anderen Ursachen leiten mich in dieser Sache, gewiß aber meine brüderliche Liebe für dich und der Wunsch dir eine so gute Existenz wie möglich zu verschaffen.

da ich nichts machen will, was dir missfallen könnte, noch im geringsten gegen dem handeln will, was ich denke

will ich hier nur noch beisetzen, daß ich dich wegen deines und deiner Familie und unseres Hauses Wohl dich angelegentlich bitten muß, dich um deine neune Besitzungen ernstlich selbst nun mehr anzunehmen

Du kannst versichert sein, dass alles dieses mit der Verschwiegenheit über die Artikel des Traktats welche mich nicht betreffen, und welche ich dir versprochen gemacht habe, damit es dich nie reuen könne mir selbe anvertraut zu haben. Mit gleichen Vertrauen auf dich muss ich dir sagen

daß es für das Interesse Eurer Liebden vorzüglich erforderlich war, zu einem so verwikelt- und äußerst delikaten Geschäft eine Person zu wählen, die mit allen hier unterliegenden Verhältnissen und Lokalitäten aufs genaueste bekannt ist,

Habe also die Güte sowohl dem Grafen Stadion als dem Baron Hügel die nötigen Befehle zu diesem Endzweck zu ertheilen

Im Übrigen bitte ich dich zu rechnen daß ich alles Mögliche für dein bestes was ich noch vermag mit Freuden thun werde, so wie überzeugt zu sagen wie ich sehr ich zeitlebens seyn werde. Dein bester Freund und Bruder Franz

Ich werde in der Woche nach Ostern von hier abreisen und mich gefreuet es sehr vorallens dich, und deine Frau und Kinder wieder sehen zu können.

Kaiser Franz stellt die Bedeutung des gemeinsamen Stammhauses in das Zentrum seiner Argumentation. Der Dienst an der Dynastie geböte im Ringen um die Durchsetzung gegen andere Dynastien die Gefolgschaft der Agnaten. Deren Eigeninteressen könnten nur dann verwirklicht werden, wenn es dem Gesamthaus dienlich ist. Die Bereitschaft dazu offenbarte sich in Erzherzog Ferdinands Antworten  : Nach diesem ›Endzweck‹ solle alles ausgerichtet sein, des Bruders Wille sei Gesetz. Dem gereizten Ton seines Bruders, endlich der Formalität zu genügen, selbst auch den kaiserlichen Gesandten von Hügel zu ernennen, begegnete Erzherzog Ferdinand mit der Ankündigung eines baldigen Besuches und der Rekurrenz auf die Familie. Die Familie ist bei beiden vereinigendes Element und Richtschnur der Politikgestaltung. Dass dieser Aushandlungsprozess nicht etwa die militärische Besitznahme Würzburgs, die ja vor allem Napoleons Zorn hervorrief, sondern die Ernennung des zivilen Besitzergreifungskommissars zum Gegenstand hatte, bedeutete, dass die vor allem ›monarchische Souveränität‹ einschränkenden Artikel IV (gemeinsame milit. Verteidigung) und Artikel VI (Durchmarsch- und Eintrittsrechte) des Brudervertrags bei Erzherzog Ferdinand gar keinen Widerspruch hervorriefen. Dessen Verweigerung gegenüber der Ernennung Hügels zu seinem Besitzergreifungskommissar hatte vermutlich zwei Gründe  : Erstens sah er die zivile Besitzergreifung sei-

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nes neuen Territoriums als Verwaltungsakt der Sekundogenitur an, die außerhalb der kaiserlichen Bestimmungshoheit im Gegensatz zur militärischen stand. Nachweislich wollte er die Bestimmungen des Brudervertrags achten734. Zweitens beabsichtigte er, diese erste Regierungshandlung als letzten ehrenvollen Dienst Manfredinis vor dessen Pensionierung auch deshalb einzufordern, um ein deutlich profranzösisches Signal in Richtung Paris zu senden. Manfredini war Napoleon und Talleyrand persönlich bekannt und von beiden geschätzt – als Manfredini 1802 in Salzburg von unachtsamen französischen Gendarmen festgesetzt wurde, verwendete sich Napoleon selbst für die Freilassung des Subalternen735. Erzherzog Ferdinand erkannte die Machtkoordinaten des napoleonischen Herrschaftssystems nach dem »unglückliche[n] Frieden von Preßburg«736 und meinte mit Manfredini einen besseren Start seines ›politischen Verkehrs‹ in Würzburg mit Napoleon realisieren zu können als mit Hügel, dessen »österreichfreundliche und kaisertreue Haltung«737 als »Reichstestamentsvollstrecker«738 vor allem gegen französische Interessen gerichtet waren und durch sein Agieren während des Reichsdeputationshauptschluss öffentlich bekannt war739. Dass es Erzherzog Ferdinand nur darum ging, die Person Manfredini wegen der erhofften Signalwirkung zu beauftragen, belegt auch, dass er im Gegensatz zu Würzburg am Besitzergreifungsprozess in seinen böhmischen Herrschaften keinen Anstoß nahm, die von Bayern durch einen österreichischen Regierungsrat übernommen wurde. Und hier handelte es sich schließlich um Privat-, nicht um Staatsbesitz740.

734 »S. königl. Hoheit wissen nach einer vorgestern hier eingetroffenen Estafette ddt. Ofen den 5 des M. – aber nicht offiziell Ihr Schicksal. So lange der 11. Artikel [Rückfallrecht, Anm.d.Verf.] und überhaupt der ganze Brudertraktat nicht publiziert ist, ist nichts zu thun. Der König von Bayern sagte mir, er seye verbunden, Würzburg in dem Stande abzutreten, in welchem er es bekommen habe. […] Von der Neigung des französischen Kaisers dürfte ich mir – ohne mir zu schmeicheln – etwas versprechen. Eine Plünderung glaube ich leider nur zu sehr. Am Ende muss doch eine billige Abrechnung eintreten. Die rechtschaffenen Männer von Würzburg sind mir schon bekannt« So in  : HHStAW, Stk, Kleinere Reichsstände, 549 Würzburg, Manfredini an Hartmann, 12. Januar 1806. 735 Vgl. Pesendorfer, Ein Kampf, S. 338f. 736 Ferdinand an Franz, Ofen, 25. Januar 1806, siehe Dokument XXVII. 737 Ulrike M. Dorda  : Johann Aloys Joseph Reichsfreiherr von Hügel. 1754–1825. Ein Leben zwischen Kaiser u. Reich im napoleonischen Deutschland 1969, S. 14. 738 Ebd., S. 224. 739 Erzherzog Karls Worte über v. Hügel aus dem Jahr 1803 geben beredtes Beispiel seiner proösterreichischen Linie  : »Noch angelegentlicher liegt es mir indessen am Herzen die Wirkliche Beendigung der Deputations-Verhandlungen nicht vorrübergehen zu lassen, ohne einem Manne, dessen Geschickte n Einleitungen, klugen Ratschlägen und Benehmen der Allerhöchste Hof es größtentheils zu verdanken hat dass der Ausgang der wichtigsten Verhandlungen am Ende eine nicht ganz nachteilige Wendung, dafür […] meinen ganzen Beyfall zu erkennen zu geben«. So in  : ebd., S. 299. 740 Es wurden auch die Herrschaften in Böhmen von Österreich besetzt durch Regierungsrath von Moser,

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Dass die Übernahmeaffäre keinen Konflikt zwischen beiden auslöste, belegt auch die weitere Korrespondenz der Brüder im Jahr 1806741. Erzherzog Ferdinand gibt, wie bereits in der Toskana und in Salzburg, militärisch dienliche Informationen an seinen Bruder weiter, unterrichtet ihn über die Gründung des Rheinbunds und schildert ihm, dass er nicht anders als mit Beitritt hätte reagieren können742. Deutlichstes Signal allerdings, dass auch Erzherzog Ferdinand seine Politikgestaltung in Würzburg in den Dienst des neugeschaffenen Österreichischen Kaisertums stellen wollte, belegen die bisher von der Forschung übersehenen Konferenzen zwischen Bevollmächtigten der Primound Sekundogenitur über den außenpolitischen Kurs des Großherzogtums Würzburg im März 1806743. Diese sind allerdings Schlüsseldokumente für eine Beurteilung des Staatswesens am Main im Herrschaftssystem des Rheinbunds. Erzherzog Ferdinand und der an den Kursalzburgischen Regierungsrat von Diller abgab. HHStAW, Stk., Vorträge, Kart. 172, 1806 I–V, Fol. 149. 741 Erster Brief Erzherzog Ferdinands in Würzburg richtete sich an ihn  : »Unsere Reisen waren gottlob die glücklichsten welche man sich wünschen kann, allein das Wetter war beständig schlecht bis auf den letzten Tag. Schneegestöber und ein eiskalter Wind haben uns beständig verfolget. Der Weg ist biß auf einige Posten sehr gut. […] Gottlob befinden wir uns alle gut und haben schon etwas warm. Das Klima scheint gut zu sein und die Stadt ist schön. An Leuten und an sehr schönen Bauten mangelt es auch nicht, mehr kann ich nicht sagen weilen ich noch zu neu hier bin. Habe die Güte tausend Empfehlungen an diene Frau zu machen und deinen Kindern tausend schönes zu sagen.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 41-1, Ferdinand an Franz, Würzburg, 3. Mai 1806. Im Juni berichtet er über französische Truppendurchzüge detailliert  : »Aus einem Schreiben meines dirigierenden Staatsministers an den Grafen Stadion wirst du sehen was diese Tage hier vorgefallen ist, nemlich daß die Stadt und das umliegende Land von einer Division Französischer Truppen unter dem Befehl des Gral. Gazan ist besetzte worden. Bis dato ist nichts neues vorgefallen und ein Theil desselben ist wieder auf verschiedenen Seiten abmarschiert. Hier bleibt ein Gral. welcher die Stadt commandiert und vielleicht ein paar tausend Mann hier und da.« So in  : Ferdinand an Franz, Würzburg, 23. Juni 1806. 742 Erzherzog Ferdinand verkündete seine Rheinbundmitgliedschaft sehr spät und anlässlich von Napoleons Aufenthalt bezeichnenderweise auf Französisch  : »Sire, les derniers événements ayant amenée la dissolution de l’Empire germanique, et l’intérêts de mon Pays avant exigé mon accession à la confédération du Rhin J’y ai accédé et échangé en conséquence mon ancien titre contre celui d’Archiduc Grand Duc de Wurzbourg. En faisant part à Notre Majeste Imperiale du changement qui vient de s’opérer dans ma position politique et mon titre, je conçois l’espoir flatteur, qu’Elle voudra bien continuer les relations amicales, qui subsistèrent jusqu’ici entre Son Empire et mon Archiduché et surtout cette bienveillance fraternelle, dont Elle m’a toujours honoré. Je saisis en revanche avec plaisir cette occasion pour renouveler à Votre Majesté l’assurance de mon vif désir d’entretenir ces rapports avec Elle et Lui réitérer l’ expression des sentiments du tendre attachement et de la haute considération, avec laquelle j’ai honneur d’être. Sire De votre Sacree Majesté Imperiale le très dévoué frère et serviteur« HHStAW, Stk, Würzburg 5, Diplomatische Korrespondenz, Ferdinand an Franz, Würzburg, 12. Oktober 1806. Schon Ende Juni wird er deutlicher als in der offiziellen Bekanntgabe  : »Da du vermuthlich schon mit der in Sinn habenden neuen confoederation mehrerer teutscher Fürsten wirst bekannt seyen, so werde ich mich nicht darüber aufhalten, desto mehr als die Sache noch nicht ganz im Klahren ist. Man wird mitmachen müssen. […] Was noch geschehen wird, weiß Gott allein.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 41-1, Ferdinand an Franz, Würzburg, 27. Juni 1806. 743 Diese Konferenzen mit Stadion und Wolkenstein fanden am 12., 14., 15., 17. und 18. März statt.

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Kaiser Franz definierten die exakte territoriale Expansionsmasse, die es von der Krone Bayern zu erhalten gelte, die ritterschaftlichen Gebiete bis ins Bambergische, die Abtei Ebrach samt Territorialbesitz und bestimmten Schadensersatzforderungen von Bayern für die Plünderungen und verkauften Immobilien der Klöster744. Um das zu erreichen, vereinbarten die beiden, »das sich vorzüglich um die Theilnahme und Unterstützung des kaiserl. französischen Hofes durch die baldige Bewerkstelligung der schon beschlossenen Absendung eines eigenen kurfürstlichen Ministers nach Paris beworben, sowohl als von der kaiserl. Oester. Gesandtschaft die zu diplomatischem Gebrauch zu concertirende Gründe über beide Gegenstände wie es wegen Ebrach bereits geschehen ist, aufs beste benützt werde, um günstige Instrukzionen an die kaiserl. französische Minister zu München und zu Würzburg zum Vortheil des Herren Kurfürsten und des Hauses Oesterreich zu erwirken.«745

Würzburg und Wien verabredeten sich unter Zuhilfenahme von Paris, München zur Herausgabe Ebrachs zu zwingen. Die Habsburgermonarchie agierte ›konzertiert‹ als Handlungseinheit, auch um kleinste Gebietsteile ihrer Herrschaft einzuverleiben und durch kleinteilige Puzzlearbeit Geld und damit Macht im Ringen der Dynastien zu aggregieren. Beide etablierten damit eine wegweisende Handlungsmaxime während des Kriegs, dass über den Einfluss von Erzherzog Ferdinand im Rheinbund die Macht ihres Stammhauses gemehrt werden sollte746. Erzherzog Ferdinand verkörperte gegenüber Napoleon die auf Verständigungshandeln ausgerichtete Politik im Krieg, Kaiser Franz bis Ende 1809 deren konfrontative Komponente. Die schon erwähnte diplomatische Mission Erzherzog Ferdinands im Auftrag von Napoleon im Oktober 1806 bot dazu bereits einen ersten Anknüpfungspunkt. Napoleon bat bekanntlich Erzherzog Ferdinand bei seinem Bruder zu eruieren, ob die Habs744 Die Konferenzergebnisse in einer Registratur vom 19. April 1806, ediert im Anhang als Dokument ­XXVIII. 745 Ebd. 746 In einer Aktennotiz an Außenminister Stadion am Rand des Entwurfs zu den Konferenzergebnissen zwischen Primo- und Sekundogenitur fügte Kaiser Franz handschriftlich hinzu  : »Diese Anzeige nehme ich zur Nachricht in der Vorraussetzung, daß bey den Verhandlungen mit dem Grafen Wolkenstein nichts verabsäumet worden, was zum Besten meines Hauses und jenes Meines Bruders des Churfürsten in dieser Sache gereichen kann. Auch mache Ich Ihnen zur Pflicht dafür zu sorgen, dass alles angewendet werde um zwischen der Primo- und Sekundogenitur jederzeit das beste Einvernehmen zu erhalten und damit letztere von allen möglichen Schaden uund Abbruch bewahret, ja sogar ihre Aufnahme soviel thunlich zum Vortheil Meines Hauses befördert werde. Zugleich aber werden Sie darauf denken, wie durch zu errichtende Vertäge oder sonst die Secundogenitur zur Beförderung des Besten des Stammhauses gebunden oder verhalten werden könne, über welch letzteres ich sobald als möglich Ihr Gutachten erwarte.« So in  : HHStAW, Stk, Vorträge, Kart. 172, 1806 I-V, Fol. 31.

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burgermonarchie an ihrer strikten Neutralität im Kriegsfall festhalten wolle. Dies beantwortete Kaiser Franz mit einem eindrucksvollen Brief, der die einspruchslose Erfüllung Erzherzog Ferdinands im Kampf um Napoleons Gunst legitimierte. »Liebster Bruder […] mit wahrem brüderlichem Antheile habe ich aus demselben [Bericht, Anm.d.Verf.] erfahren, daß du mit deinen Verhältnissen unter den gegenwärtigen Umständen ganz zufrieden bist, und dass die guten Gesinnungen, welche eben jetzo Kaiser Napoleon dir bezeugt, dir mit Grunde die Fortdauer günstiger Aussichten hoffen lassen. […] Ohne jeden Zweifel theilst du, lieber Bruder mit mir die Überzeugung, dass dieses System das einzige ist, was ich annehmen kann, und dass ich den Kaiser Napoleon durch strenge Einhaltung einer solchen Neutralität einen weit wichtigeren Dienst leiste, als wenn ich Verbindungen eingehen wollte diesem, derer ich bei dem jetzigen Zustande unsrer Monarchie keineswegs genug zu thun im Stande wäre und welche, statt den französischen Waffen zur hilfe zu dienen, mich von dem ersten augenblicke an in den Fall setzten würden, ihre Hilfe zu meiner nöthigen Unterstützung anzurufen. Wenn der Schauplatz des Krieges sich deiner Residenz nähern sollte, so kennst du lieber Bruder, meine brüderliche Gesinnung gegen dich zu gut, als dass du einen Augenblick an meiner Bereitwilligkeit zweifeln könntest, dir so wie du es wünschst, in meinem Prager Schlosse einen Aufenthalt zu geben.«747

Den vom Kanzlisten ausgefertigten Brief ergänzte Kaiser Franz noch vor seinem Sig­ nat mit den Worten  : »Uns geht es gottlob allen recht gut und meine Frau lässt dir viel Schönes sagen. Umarme in meinem Namen deine Kinder auch glaube mich zeitlebens deinen dich liebender Bruder«748. Einmal mehr vermischt sich der Charakter eines diplomatischen Geschäftsbriefs, geht es inhaltlich doch um Großmachtspolitik in Europa, mit privater Korrespondenz. Der in diesem Brief verbalisierte Aufruf zur Handlungseinheit in einem sich dramatisch gewandelten Machtgefüge lässt den ›politischen Verkehr‹ zwischen den Brüdern als geschlossene und gemeinsame Machtpolitik von Primo- und Sekundogenitur deuten. Nur im Verständigungshandeln mit Napoleon konnte nach Ulm und Austerlitz Politik gestaltet werden, das verstanden beide Brüder so. Nur ›durch die guten Gesinnungen‹ Napoleons könne Erzherzog Ferdinand auf ›die Fortdauer günstiger Aussichten hoffen‹, da die eigene Dynastie handlungsohnmächtig geworden sei. Kaiser Franz ermutigt geradezu Erzherzog Ferdinand, Napoleons ›gute Gesinnungen‹ auch in Zukunft aufrechtzuerhalten und auszubauen. Er empfiehlt, den dadurch entstandenen Handlungsspielraum unter den ›gegenwärtigen Umständen‹ zu 747 HHStAW, Stk, Würzburg 5, Diplomatische Korrespondenz, Franz an Ferdinand, Würzburg, 11. Oktober 1806. 748 Ebd.

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nutzen. Durch die sprachliche Miteinbeziehung Erzherzog Ferdinands in den ›Zustande unsrer Monarchie‹ – ein sprachliches Konstrukt, das hier nicht wie häufig sonst den pluralis majestatis grammatikalisch ausdrückt – verpflichtet er Erzherzog Ferdinand, diesen Handlungsspielraum ›zum Besten‹ des Stammhauses zu verwenden. Der Rekurs am Ende des Briefes auf die engen Familienverhältnisse stützt diese Absicht in gleicher Weise wie dessen handschriftliche Ausfertigung. In gleiche Richtung wies die ebenfalls bereits zitierte Instruktion, die Kaiser Franz 1806 dem österreichischen Gesandten am Würzburger Hof auftrug. Buol habe »alle der Primogenitur und der Sekundogenitur erforderlichen Verträge lieber zu ignorieren als durch Teilnahme irgendwelcher Art unter sehr ungünstigen Umständen die Rechte des Erzhauses, denen ohnehin einseitig nicht präjudiziert werden kann, zu kompromittieren.«749 Vom neu etablierten Hegemonialsystem Napoleons, dem Rheinbund, »nimmt der allerhöchste Hof keine weitere Notiz« so die Instruktion, »als in soweit sie von der Sekundogenitur vertraulich anhero mitgeteilt worden ist, und etwa zur Grundlage dienen wird, bei der vorstehenden neuen Regulierung der KonföderationsStaaten das Los der Sekundogenitur in der Hinsicht der nun zum sistierten Kriege im Norden gebrachten Opfer zu verbessern.«750 Kaiser Franz legitimierte dadurch nicht nur Erzherzog Ferdinands Eigenmächtigkeit in außenpolitischen Fragen, die ihm der Brudervertrag (Art. I) ja bisher vorenthielt, sondern er billigte explizit dessen Rheinbundpolitik, ›Opfer‹, also Truppenaufgebote, gegen die Gunst Napoleons einzutauschen – für territoriale Expansion und Garantie der ›monarchischen Souveränität‹. Der Gesandte solle sich stets »vor Augen […] halten, dass der allerhöchste Hof nicht veranlasst sei, sich um die äußeren oder inneren Angelegenheiten Würzburgs anzunehmen, so lange nicht seine Assistenz reklamiert wird.«751 Dieser Auftrag an den Gesandten, jederzeit den Kommunikationskanal zwischen Primound Sekundogenitur aufrechtzuerhalten und gegenüber Erzherzog Ferdinand stets die Hilfsbereitschaft der Primogenitur in Erinnerung zu rufen, knüpft auch an das Angebot Kaiser Franz’ an, Erzherzog Ferdinand könne, ›wenn der Schauplatz des Krieges‹ sich nähern sollte, stets im ›Prager Schlosse einen Aufenthalt‹ nehmen. Genau dahin wird sich Erzherzog Ferdinand im Sommer 1813 begeben und dort wird er die hier bereits in Aussicht gestellte Hilfe erfahren, als das Herrschaftssystem Napoleons zusammenbricht. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich Erzherzog Ferdinands Situation als Habsburg-Lohringer im Rheinbund verstehen. Nur so ist seine Kriegsteilnahme gegen das Stammhaus 1809, ohne dass sie Konsequenzen zeitigte, erklärbar. Es 749 HHStAW, Stk, Würzburg 6, Weisungen 1807–1816, Instruktion vom 26. Juni 1807. Vollständig abgedruckt im Anhang als Dokument XI. 750 Ebd. 751 Ebd.

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mussten eben ›Opfer‹ gebracht werden, um das ›Los der Sekundogenitur‹ zu verbessern. Auf das Einverständnis Kaiser Franz’ konnte er vertrauen, auch wenn es darüber keinen direkten Austausch zwischen ihnen gab. Wie loyal Erzherzog Ferdinand trotz Truppenentsendung gegen Wien zu seinem Bruder stand, belegt ein in Chiffre verfasster Brief Buols vom Februar 1809752. Die Chiffrierung war durchaus angebracht, denn nichts weniger als Geheimnisverrat gegen den Protecteur des Rheinbunds hatte er zum Inhalt. Darin schilderte Buol, Erzherzog Ferdinand habe Seuffert beauftragt, ihm den Inhalt einer geheimen Depesche des Fürstprimas mitzuteilen. Der Fürstprimas, so Buol, habe Erzherzog Ferdinand seinerseits beauftragt, die Würzburger Truppen zu mobilisieren – es gehe gegen Österreich und England. Napoleon sei deshalb aus Spanien nach Paris zurückgeeilt und beginne nun selbst dort zu rüsten. Die Rheinbundfürsten hätten das ebenfalls zu tun, um ihre Grenzen zu sichern. Erzherzog Ferdinand habe als Reaktion, so Buol, nur die Ergänzung seines Kontingents (ca. 150 Mann), das sich in Spanien befinde, in Aussicht gestellt, da diese zu seiner vollständigen Kontingenterfüllung noch fehlen würden. Der Fürstprimas habe des Weiteren gebeten, ob nicht Erzherzog Ferdinand als ›mediateur‹ zwischen Österreich und Frankreich vermitteln könne. Buol folge daher der Bitte Erzherzog Ferdinands, Wien von alldem zu informieren und zu berichten, dass er die Vermittlungsanfrage ablehnen werde753. Wichtig ist es an dieser Stelle festzuhalten, dass Erzherzog Ferdinand nur einer Truppenergänzung zugestimmt hatte, im Glauben sie würden dem Regiment nach 752 Der dechiffrierte Text Buols  : »Son Altesse Imperiale vient de me faire informer par Mr. De Seuffert qu’Elle avait reçu hier au soir un dépêche secret du Prince Primat datée du 2. Decemois. par laquelle le Grand Duc est requis au nom de l’Empereur Napoléon de tenir son contingent prêt à marcher. La lettre de l’empereur au Prince Primat porte, quelles mouvement qui se fessaient en Autriche, avaient motivé son retour à Paris après avoir de fait les armes espagnoles et contraint les anglais battus à se rembarquer, qu’il espérait encore que l’Autriche adopterait un système compatible avec le report de l’Europe qu’en tout car les Primées confédérer pourraient être rassuré sur les souis qu’il prendrait à défendre leurs Etats. Le prince Primat forme des vœux à ce quelle Grand Duc veuille servir de médiateur entre l’Autriche et la France. SAI a résolu de répondre  : Que fidèle aux engagements contractés. Elle ne manquerait pas de donner son Contingent c’est à dire le supplément au nombre de troupes déjà au service de la France /   :le supplément ne doit pas excéder 150 hommes en tout /   : Quant à la proposition de s’intéresser auprès de notre Cour, le Grand Duc veut la décliner, en observant qu’il n’a aucune connaissance des discussions qui existent entre les deux Courts.« So in  : HHStAW, Stk., Würzburg 2, Buols Berichte 1809–1810, Buol an Stadion, 4. Februar 1809. 753 Via Hirsinger ließ Erzherzog Ferdinand Dalberg ausrichten  : (nach eigener Übersetzung) »er könne sich hinsichtlich des besonderen Vorschlags des Fürstprimas zu intervenieren – um eine Übereinkunft zwischen beiden kaiserlichen Höfen zu erwirken – Napoleons so heikler (démarche delicate) Angelegenheit nicht annehmen, da er weder französischen Hof noch vom Wiener Hof über den Gegenstand ihrer Differenzen informiert wurde. Deshalb sehe er sich nicht in der Lage, auf diesen Vorschlag reagieren zu dürfen. Außer durch den sicherlich sehr ernsten Ausdruck seiner Wünsche der Weiterführung und Verfestigung des Friedens auf dem Kontinent«. So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Hirsinger am 4. Februar 1809, Fol. 244.

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Spanien folgen und »déjà au service de la France«754. Es war indes Staatsrat Seuffert, der es bei seiner willfährigen Antwort verpasst hatte, auf die Aufforderung Talleyrands diese Ergänzung als Sappeur-Kompagnien (Pioniertruppe) zu formen, deren Bestimmungsort festzulegen755. Ein folgenschwerer Fehler, der ihm am Ende den Posten kosten sollte, wie noch auszuführen sein wird. Erzherzog Ferdinand verriet, wie hier dargelegt, über den ihm zur Verfügung stehenden Kommunikationskanal hochbrisante Informationen an seinen Bruder. Damit nicht genug  : Den ganzen Februar 1809 meldete Buol jeden Tag chiffriert nach Wien, wo im Umfeld des Großherzogtums französische Truppenbewegungen von Bayreuth bis zum Rhein stattfanden. Am 11. März noch verriet er aus Würzburg  : In »der hiesigen Festung hat sich bisher noch keine Garnison angesagt vielmehr wird der dortige Vorrath an Zwieback nach Regensburg verschafft«756. Zwei Tage später berichtete er jedoch aufgeregt, dass eine vier Bataillon starke Garnison französischer Artilleristen in die Stadt und Festung komme757. 1809 zeigte sich erstmals, als wie wertvoll der »vorzüglichste Observationsposten«758 sich der Habsburgermonarchie am Main erwies, auch wenn nicht geklärt werden konnte, ob dieser vom Großherzog aktiv unterstützte Geheimnisverrat in Wien irgendeine Wirkung auf die militärischen Pläne hatte. Der bereits dort noch vor Weihnachten 1808 geplante Feldzug folgte den geostrategischen Plänen, die österreichische Diplomaten im Vorfeld des Friedensvertrags von Preßburg schmiedeten  : Mit Würzburg als Ziel sollte von Böhmen aus am 15. März 1809 die österreichische Armee tief in den Rheinbund vorstoßen, wo ein gesicherter Brückenkopf ja durch Erzherzog Ferdinand möglich gewesen wäre. Wenn auch ein Zusammenhang quellengestützt nicht belegbar ist, fiel Buols Bericht über die starke französische Garnison in Würzburg – die in diesem Szenario ja zu beseitigen gewesen wäre – doch auffällig zeitlich zusammen mit der veränderten Aufmarschplanung in Wien. Dort lenkte man nämlich das Heer nun in Richtung Altbayern um, was den Feldzugsbeginn bis zum 10. 754 Siehe oben. So in  : HHStAW, Stk., Würzburg 2, Buols Berichte 1809–1810, Buol an Stadion, 4. Februar 1809. 755 Am 19. Februar konkretisierte Champagny die Forderung, es seien 200 Sappeurs ins Feld zu stellen, was am 25. Februar Seuffert reflexartig zusagte. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 250–251. Siehe Kapitel 5.4. 756 HHStAW, Stk., Würzburg 2, Buols Berichte 1809–1810, Buol an Stadion, 11. März 1809. 757 Ebd. Buol an Stadion, 13. März 1809. 758 Bei Abschluss der außenpolitischen Konferenzen zwischen Primo- und Sekundogenitur im April 1806 urteilte der österreichische Außenminister Stadion  : »damit also nunmehr die ersten und wesentlichsten Schritte zu einem vollkommenen Einverständnis zwischen Primo- und Sekundogenitur gemacht worden sind, welches auf alle Art zu unterhalten umso wichtiger ist, als das beiderseitige höchste Interesse hierdurch nur gewinnen kann und als die Lage des Kurfürstenthums Würzburg, mitten im deutschen Reiche so beschaffen ist, daß dieser Hof den vorzüglichsten Observationsposten werden dürfte.« So in  : HHStAW, Stk, Vorträge, Kart. 172, 1806 I-V. Fol. 31.

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April aufschob und Napoleon die Konzentration seiner Truppen bei Regensburg erlaubte. Der Kriegsplan, den Rheinbund in der Mitte mithilfe Würzburgs zu spalten, ist seitens der Forschung bisher unberücksichtigt geblieben. Gerade diese Feldzugsstrategie beweist jeoch, wie stark Würzburg ins militärstrategische und machtpolitische Kalkül der Habsburgermonarchie einbezogen war. Korrespondenz zwischen den Brüdern, die über Absprachen oder Informationsaustauch Zeugnis geben könnten, sind für das Jahr 1809 nicht auffindbar. Nur an seinen Protecteur finden sich demütige Glückwunschadressen über die Vernichtung der österreichischen Armeen. Überhaupt ging die Anzahl der ausgewechselten Briefe mit seinem Bruder während seiner Herrschaft am Main stark zurück, was weder im Angesicht der französischen Besatzung auf der Festung noch des den ganzen Rheinbund umfassenden französischen Spitzelwesens besonders verwundert. Politikgestaltung beschränkte sich auf den symbo­ lischen Raum  : Als Antwort auf die allgemeinen Rangerhöhungen der Rheinbundfürsten durch den ›Souveränitäts-Spender‹ Napoleon griff 1807 Kaiser Franz selbst im Dienste der Erhöhung seines Hauses zur Tat und verfügte, dass sich alle Agnaten der HabsburgLothringer künftig auch kaiserliche Hoheit zu nennen hatten759. Wie schon die Rangerhöhung Ferdinands zum Kurfürsten und Erzhofmeister in Salzburg, so mag man auch hierbei geneigt sein, diese Titulatur als Reminiszenz an längst vergangene Zeiten zu belächeln. Als politisch-semiotisches Zeichen manifestierte sich darin allerdings die beabsichtigte Rangerhöhung der Habsburg-Lothringer gegenüber anderen europäischen Dynastien760. Kaiserliche und königliche Hoheit zugleich zu sein, konnten eben nur Napoleon, die Romanows und das Haus Habsburg für sich beanspruchen und damit die frischgebackenen Könige und Herrscher von Napoleons Gnaden überragen. Erzherzog Ferdinand reagierte darauf mit gleicher devoter und gestelzt wirkender Art und Weise, die bereits gegenüber Napoleon zu beobachten war  : »Allerdurchlauchtigst Großmächtiger Kaiser  ! Eurer kaiserlichen Majestät sind meine gehorsamsten freundschaftlichen willigen Dienste jederzeit wie zuvor  ; gnädigster Herr und geliebter Bruder  ! Alle Mitglieder des durchlauchtigsten österreichischen Kaiserhauses haben in der von Euer kaiserlich königlichen Majestät genommener Maaßregel wegen der Ausdehnung des kayserlichen Hoheitstitels auf euer Majestät Brüder und Frauen Schwestern einen neuen Beweis von höchstdero Weisheit und Sorgfalt zu verehren und ich ergreife diese Gelegenheit Höchst759 GhzRegBl, 1807, I. Stück, S. 3. 760 Die politische Semiotik bietet einen vielversprechenden Ansatz zur Beschreibung dieser symbolseitig formulierten Machtpolitik  : »Der Zeichencharakter von Gebärden, Gesten und performativen Akten erfüllt sich in der Bezogenheit auf Normen und Werte, aus Sinngehalten, an welchen sich die Akteure orientieren.« Mit weiterer Literatur  : Egon Flaig  : Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom. Göttingen 2004, S. 10.

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denselben die Gesinnungen jener zärtlichst brüderlichen Verehrung auszudrücken, womit ich mich zu kayserlichen Gnaden und brüderlichem Wohlwollen unterthänigst empfehle. Euer kaiserlichen Majestät unterthänigster Diener und treu ergebenster Bruder Ferdinand«761

Die Gleichrangigkeit im Wettstreit der Dynastien auch bei militärischer Ohnmacht zu behaupten und auszubauen, ist Bestandteil der bereits beschriebenen figurativen Politik zum Zweck der Ausgestaltung des österreichischen Kaisertums. Darauf richteten sich auch Erzherzog Ferdinands ›gehorsamste freundschaftliche willigen Dienste‹. Es ist daher eben nicht irrelevant, wenn ›Seine kaiserliche und königliche Hoheit ErzherzogGroßherzog von Würzburg‹ im Salon der Kaiserin der Franzosen mit der kaiserlichen Erbprinzessin von Baden, Stephanie de Beauharnais, Duette sang und mit distinguiertem ›Courmachen‹ am französischen Hof die Aufmerksamkeit auf sich zog. Gleichrangigkeit beginnt eben mit dem Titel in einer noch immer auf traditionellem Vorrang achtenden Hofgesellschaft762. Und gerade das ist es, was er seinem Bruder anlässlich seiner Besuche in Paris in Wien berichtete  : »[Ich habe] alles auf befehl des Kaisers zu meiner Wohnung und gänzlicher Bedienung bereitet gefunden, welcher mich überhaupt in allem besonders gnädig behandelt«763. Im Monat darauf  : »Ich kann nicht anderes sagen als das sowohl der Kayser, als auch die Kayserin ausgezeichnet gnädig gegen mich sind und daß auch König und Königin von Holland Großherzog und Großherzogin von Berg mir alle möglichen Höflichkeiten erweisen. Es wimmelt hier von Fremden aller Art, unter welchen ich viele alte Bekannte finde.«764 Und auch ein Jahr später waren die Hinweise auf seine gute Aufnahme relevant  : »Wie lange ich noch hier bleiben werde, kann ich noch nicht genau bestimmen. Ich wollte schon künftigen Montag nach Haus gehen, allein der Kayser und die Kayserin haben so sehr gebeten ich möchte noch biß 761 HHStAW, Stk., Würzburg 1, Ferdinand an Franz, Würzburg, 21. Januar 1807, Fsz. 38. 762 Dass man generell noch großen Wert auf die Vorrangsregeln legte, zeigt die Instruktion an Buol in dieser Frage  : »Außer diesem dürfte der Hof zu Würzburg selbst aus eigener Achtung für seine Geburt und für das Haus, wovon er seine Hauptwürde führt, geneigt sein mit beizutragen, dass der Rang der Sr. Majestät gebührt, bei keiner Gelegenheit gegen einen anderen Souverän außer Acht gelassen, oder zurückgesetzt werde, sondern vielleicht selbst wünschen, dass der kaiserlich österreichische Gesandte als Minister der Familie, wie an mehreren anderen Höfen der Fall ist, einige Vorrechte genieße. Nur in dem Fall hat der Herr Gesandte alle Aufmerksamkeit zu verwenden, und als Minister der Primogenitur jene der Sekundogenitur zu erregen, wenn der Hof, welcher sich zum Protektor der Conföderation aufgeworfen hat unter dieser Eigenschaft einen Vorrang zu begründen oder gar noch andere Vorzüge sich beizulegen im Schild führen könnte.« Im Anhang als Dokument XI. Zum Vorbildcharakter des Wiener Hofs  : Stekl, Hannes  : Der Wiener Hof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In  : Karl Möckl (Hg.)  : Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Boppard am Rhein 1990, S. 17–60. 763 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 41-2-7, Ferdinand an Franz, Paris, 31. August 1807. 764 Ebd., Ferdinand an Franz, Paris, 15. September 1807.

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nach deren festivitäten welche biß halben May ein Ende haben werden noch bleiben, daß ich es ihnen nicht habe versagen können.«765 Kein Wort verlor er über sein zähes Ringen mithilfe Napoleons der Krone Bayern Gebietsteile abzutrotzen, trotz der außenpolitischen Verabredungen zwischen beiden im April 1806. Vielmehr stellte er sich in der Korrespondenz an seinen Bruder als Mittel­ punkt der französischen Hofgesellschaft, als habsburg-lothringische Repräsentanz im Zentrum der Macht dar, der in seiner österreichischen Feldmarschalluniform und geschmückt mit dem hochangesehenen Hausorden des Goldenen Vlieses, figurative Politik als Machtpolitik der Habsburg-Lothringer im Wettstreit der Dynastien betrieb. Es erschien Erzherzog Ferdinand offenbar stets wichtiger, seinen Dienst an der Dynastie mithilfe politisch-semiotischer Zeichen gegenüber seinem Bruder herauszustellen, als der Erwerb von einigen fränkischen Ortschaften in der Peripherie seines Großherzogtums. Das war sein größtes Verdienst um die Habsburgermonarchie im Weltkrieg der Sattelzeit. Napoleon stand ihm in Sachen performativ-symbolischer Politikgestaltung in nichts nach und »klonte die Herrschaftsweise«, die Symbole, Rituale und Traditionen »des verpönten und bekämpften Ancien Régime«766. Dieser Umstand machte es möglich, dass die ebenfalls an Symbolen ausgerichtete Politik des mindermächtigen Fürsten Erzherzog Ferdinands fruchtete767. Er wusste beispielsweise, dass Napoleon gerne das Toison d’or, den traditionsreichen Habsburgischen Hausorden hätte verliehen bekommen768. Der Orden des goldenen Vlieses unterschied sich vor allem in der gravitätischen Würde seiner spätmittelalterlich-burgundischen Tradition vom Orden der Ehrenlegion Napoleons, was ihn für den französischen Kaiser als politisch-semiotisches Zeichen umso begehrenswerter machte. Auch Napoleon kämpfte schließlich um standesgemäße Ebenbürtigkeit im Ringen der europäischen Dynastien769. 765 Ebd. Sammelbände 43-5-1, Ferdinand an Franz, Compiegne, 19. April 1810. 766 Siemann, Metternich, S. 329. 767 Erinnert sei an dieser Stelle an die diplomatische Täuschungsmission, mit der ihn sein Bruder 1807 beauftragte  : »Graf Metternich wird dich von den Hauptbeständen unterrichtet haben, die noch zur Räumung Braunaus und Berichtigung der Grenze am Isonzofluss bestehen, bei welcch letzeren neue Opfer von mir fordert. Kannst du zu deren Abwendung und sonst überhaupt zum besten meiner Monarchie und in soweit es dieses nicht hindert zu jenen unsseren anderen Anverwandten als unseres Bruders Anton und Vertters Franz wirken, so rechne ich auf dich, du wirst es thun  ; Nun bitte ich dich um mit Grund und Erfolg darin handeln zu können, dich von gf. Metternich über all jenes unterrichten zu lassen was hierauf Bezug hat und er in diesen Sachen gethan hat und noch zu thun glaubt. Ich rechne auf dich in dieser und jeder Gelegenheit meines Lebens und bitte dich überzeugt zu seyen von den Gesinnungen mit welchen ich zeitlebens seien werde« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 41-2-7, Franz an Ferdinand, Salzburg, 7. Oktober 1807. 768 Seine heikle Lage schilderte Erzherzog Ferdinand seinem Bruder  : »Indessen da ich mich hier mitten in diesem Hofe befinde, konnte ich mich nicht enthalten selben [den Orden des goldenen Vlieses, Anm.d. Verf.] zu tragen, was ich gewiss glaube du nicht übel nehmen wirst.« Ebd. Ferdinand an Franz, 3. November 1807. 769 Die absichtsvolle Amalgamierung von Altem und Neuem fasste Napoleon selbst 1813 so in Worte  : »In-

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Um den Erfolg seiner diplomatischen Täuschungsaktion 1807 nicht zu gefährden und Napoleons Gunst sich auch dann noch zu erhalten, wenn er ihm kein Toison d’or als Erwiderung zur Verleihung des Ordens der Ehrenlegion an ihn anbieten konnte – das stand nur seinem Bruder zu – manövrierte sich Erzherzog Ferdinand geschickt und mit einigem realpolitischem Feinsinn aus dieser heiklen Situation heraus  : Als bescheidenes Äquivalent stiftete Erzherzog Ferdinand kurzerhand selbst den schon erwähnten St. Josephs-Orden als »Belohnung und Auszeichnung« für die »Aufrechterhaltung der Religion und des Staats, durch Treue und Anhänglichkeit an Uns und Unser allerdurchlauchtigstes Haus«770. Es ist schon bemerkenswert, dass der Rheinbundfürst Erzherzog Ferdinand im Dienste der figurativen Politik für sein Stammhaus Napoleon einen Orden an die Brust heftete, der sich weder um das eine noch um das andere Verdienste erworben hatte. Aber das Zeichen zählte, die Geste hatte Gewicht – »[p]olitisches Entscheidungshandeln der Diplomatie bedarf […] symbolischer Mittel.«771 Doch nicht nur althergebrachte Symbole der Macht erstrebte Napoleon, der »sich gern als Mann des Fortschritts gab«772, er sehnte sich nach einem dynastischen Fundament. Vor allem nach dem gescheiterten Attentat auf Napoleon Ende 1809 trieb ihn der Wunsch nach einem dynastisch-legitimen Nachfolger zur Brautschau – zu den um Macht und Geltung ringenden höchsten Dynastien in Europa, den Romanows, den Albertinern und eben auch den Habsburg-Lothringern. Die Initiative ging von Napoleon aus und Metternich überzeugte Kaiser Franz gemäß der von Siemann beschriebenen ›Methode Keuner‹, auch seine älteste Tochter Marie-Louise, die Napoleon für den ›Antichristen‹ hielt, in die Pflichten ihrer Dynastie zu nehmen773. Sie müsse sich als Friedensengel opfern, so der Metternich-Unterstützer Schwarzenberg, »der mit der einen Hand die Ströme des Blutes aufhalte und mit der anderen zugleich alle Wunden heile«774. Tatsächlich zogen sich die französischen Armeen wegen der dynastischen Verbindung aus dem ehemaligen Reichsgebiet weitgehend zurück. Es herrschte eine als Friedensphase empfundene Ruhe, die vor allem die Habsburgermonarchie zur Armeereform und Wiederbewaffnung nutzte. Während der Hochzeitsfeierlichkeiten Anfang April 1810 in Paris stand neben dem Brautpaar Erzherzog Ferdinand im Mittelpunkt, vertrat er doch als Onkel der Braut seidem ich eine Erzherzogin heiratete, habe ich das Neue mit dem Alten verschmelzen wollen, die gotsichen Vorurteile mit den Institutionen meines Jahrhunderts«. zit. nach  : ebd., S. 350. 770 So in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6, sign. 71, Entwurf der Stiftungsurkunde des St. Josephs Ordens, Würzburg, 19. März 1808. Fol.76. 771 Steller, Diplomatie, S. 17. 772 Siemann, Metternich, S. 329. 773 Vgl. Ebd. 774 Ebd.

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nen Bruder auf dessen ausdrücklichen Wunsch775. Erzherzog Ferdinand sollte als ranghöchster Repräsentant das Gesicht der Habsburgermonarchie bei diesem gesellschaftlichen Großereignis sein – Inbegriff figurativer Politik – Metternich hingegen fungierte als der politisch starke Arm. An der Hochzeitstafel in den Tuilerien saß er inmitten des napoleonischen Neu-Adels als Teil des imperialen Herrschaftssystems Napoleons in Europa, das ebenfalls ganz auf dynastische Familienpolitik in der Tradition des Ancien Régime ausgerichtet war776. Im Kampf um Gleichrangigkeit der Dynastien trotz militärischer Ohnmacht überflügelte Erzherzog Ferdinand wegen dieser figurativen Politik, wegen seiner überlegenen Stellung als Zweitgeborener der Dynastie Habsburg-Lothringen und seiner performativen Politikgestaltung im Gepränge des Ancien Regimés, jenen Neu-Adel. Viele andere Rheinbundfürsten, die viel bedeutendere Kriegsdienste leisten konnten und gerne bei den Hochzeitsfeierlichkeiten dabei gewesen wären, wurden nicht eingeladen, unter ihnen sogar der Fürstprimas Dalberg. Erzherzog Ferdinand zelebrierte seine Anwesenheit wie bereits 1807 mit ›Courmachen‹ und diesmal in großem Gefolge auch aus dem fränkischen Adel777. Bei einem dieser rauschenden Hofbälle konnte er sich als Lebensretter verdient machen, indem er Fürstin Schwarzenberg aus einem Feuer rettete778. So tragisch das Ereignis, so wirkungsvoll war es für seine figurative Politik, 775 »Ich bin wie du weißt seit 4 Wochen hier und sehr zufrieden mich bey diesem jetzigen so schönen Augenblick gefunden zu haben, besonders da ich weiß, daß es dir recht war daß ich mich hierher begeben habe.« So in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 43-5-1, Ferdinand an Franz, Compiegne, 19. April 1810. Die Nachrichten Hirsingers belegen, dass Erzherzog Ferdinand bereits am 18. Februar Bescheid wusste und am 12. März eingeladen wurde, worauf er Napoleon in gewohnt unterwürfiger Weise antwortete  : »Sire, le mariage que Votre Majesté Impériale et Royale vient de conclure avec S.A.I. Madame l’Archiduchesse Marie Louise ma Nièce est un événement si heureuse et si conforme à mes vœux, que j’m éprouve, Votre Majesté Imperial et Royale m’a donné toujours tant de sa bienveillance, que je ne crois par me tromper en supposant qu’Elle voudra bien honneur de Son approbation l’empressement de Lui témoigner de vive voix la joie que j’eu ressent Je me propose en consequence de me rendre auprès de Votre Majesté Imperial et Royale et de lui renoveller en personne les assurances de mon attachement invariable, et de la plus haute considération avec la quelle j’ai l’honneur d être «. So in  : ASF, Segreteria di Gabinetto, Appendice 2, 3 Ferdinand an Napoleon, 12. März 1803. Die Behauptung, Ferdinand sei erst am 30. März eingeladen worden (Pesendorfer, Ein Kampf, S. 405.) ist eine Fehlinterpretation der Quellenlage. In SUAP k.10.sign.79 sind zwar Einladungen des französischen Zeremonienmeisters Ségur, allerdings wird ihm darin nur das genaue Protokoll der Festlichkeiten mitgeteilt. 776 Siemann, Metternich, S. 345. 777 Hisinger meldet noch bevor die Delegation aus Würzburg eintraf, dass Erzherzog Ferdinand begleitet würde von den »Herren von Speeth, von Bodeck und von Stadion, Leuitnant seiner Garde und Cousin des Ministers in Wien, dazu sei er der Neffe des Fürstprimas und seine Frau die Schwester vom Prinzen von der Leyen  ; Prinz von Thurn und Taxis, der Capitain seiner Garde, sei leider erkrankt und kann nicht teilnehmen.« So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Hiersinger an Talleyrand, 14. März 1810. 778 Marie-Louise berichtete ausführlich ihrem Vater über die ›Heldenthat‹  : »Wir hatten Gestern ein sehr schönes Fest bei Fürst Schwarzenberg daß mit einem Trauerspiel endete. Es gab […] ein Feuerwerk und den schönsten Ballet mit österreichischen trachten deren ich noch nie gesehen habe. nach dieser wurde

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wurde er dadurch doch zum Inhalt jedes Hofgesprächs. Häufig dinierte er mit MarieLouise und erleichtere ihr die Eingewöhnung am französischen Hof779. Dies versetzte ihn außerdem in die Lage, das Projekt seiner äußeren Staatskonsolidierung voranzutreiben, das seit vier Jahren stillstand und ohne Ferdinands Verständigungshandeln auch in Form des ›Courmachens‹ womöglich noch lange ungelöst geblieben wäre. Durch ein Wort Napoleons, er wünsche »la promte terminaison de cet affaire«780 zahlte sich die Prestigepolitik Erzherzog Ferdinands aus – jedoch, wie beschrieben, in bescheidenem Maß. Er musste sich sogar noch gefallen lassen, dass ein Geheimartikel dieser Pariser ­Verträge verfügte, das Großherzogtum habe von nun an alle Einquartierungs- und anderen Versorgungsdienste der Französischen Armee innerhalb der Landesgrenzen zu tragen781. Das ist durchaus bemerkenswert, dass Napoleon darauf so viel Wert legte, befand man sich doch im Frieden. Dass Napoleon sich bereits 1810 mit Gedanken um einen gegen Russland gerichteten Feldzug beschäftigte, offenbarte er Metternich Mitte September, Erzherzog Ferdinand wusste davon nichts. Als Erzherzog Ferdinand Anfang Juli zurück nach Würzburg kam, ließ er über sechs Wochen den französischen Gesandten zur Audienz abweisen und setzte persönlich einen Entwurf zur Schaffung einer geheimen Hofkommissionsstelle auf, die über die Hoheitsrechte des Staates zu wachen habe. Auf diese berief er seinen Staatsrat Seuffert bereits am 23. Juli und entfernte ihn damit aus seinen Ämtern. Warum ist unklar und ob es stimmt, dass er für Erzherzog Ferdinand lediglich »eben der Beamte [war], den man der Ball eröffnet in einem hölzernen Saale den man eigens deswegen gebaut hat. Kaum waren wir eine Stunde dorten als ohne Ursache die Draperie Flammen inwandig fing man bemerkte es nicht, kaum hatte der Kaiser Zeit mich herauszuführen als das Gebäude Flammen fing und zusammenstürtze. Sie können sich die Confusion des Geschehens vorstellen. Sie wissen dass ich gar nicht erschrecke, Fürst Schwarzenberg und der Kaiser führten mich unter dem schrecklichsten Ungewitter durch den Garten nach hause und ich bin ersterem sehr erkenntlich, denn er verließ Frau und Kind in brennendem Saale um mir beizustehen. Das Getümmel und Gedränge war schrecklich. Wenn der Großherzog von Würzburg die Königin von Neapel nicht hinausgetragen hätte, so wäre sie lebendig verbrannt. Meine Schwägerin Katharina, welche ihren Mann im Feuer glaubte fiel ohne Anzeichen um und die Vizekönigin war so erschrocken dass der Vizekönig sie heraustragen musste. […] die Herzogin von Rovigo eine Dame du Palais ist sehr verbrannt die Gräfinnen Bucholz und Löwenstein Damen der Königin von Westfahlen ebenfalls. Der Herzog von Istrien verbrannte sich die Hand bis aufs Bein um die Frau des Generals Thoyard zu retten, welche in Lebensgefahr ist. […] Fürst Stounakin fiel vor Schrecken um, verbrannte sich schrecklich und in dem Getümmel lief alles über ihn und tat ihn halb tot. […] Man spricht allenthalben vom Heldenmuth Ihres Bruders.« HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 43–3–2, Marie-Louise an Franz, St. Cloud, 2. Juli 1810. 779 Ebd., Marie-Louise an Franz, St. Cloud, 22. April 1810. 780 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Fol. 41. 781 Alleine von Juli–Dezember 1806 verursachten 422.538 Soldaten mit 127.165 Pferden Einquartierungskosten in Höhe von 2.017.852 fl., was fast den gesamten Jahreseinnahmen des Großherzogtums Würzburg ausmachte. Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 262 und Kapitel II. 2.3.

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verwendet, so lange er nützlich ist, der aber in der Entschädigungssache schließlich versagt und doch nur einen geringen Erfolg heimgebracht hatte«782, muss fraglich bleiben. Über dessen Motive lässt sich archivgestützt nichts herauslesen und eine Veränderung im politischen Verkehr gegenüber Frankreich ist ebenfalls nicht erkennbar, wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird. Indizien einer proösterreichischen »Palast-Intrigue«783 können stimmen, lassen sich für Erzherzog Ferdinand jedoch nicht klar ausmachen. Auffällig ist, wie auch Chroust bemerkte, dass die ersten Gerüchte über eine Abberufung Seufferts bereits im April 1809 aufkamen, just zu diesem Zeitpunkt als Seuffert die Truppen Würzburgs eilfertig, ohne den Bestimmungsort festzulegen, unter die Fahnen Napoleons stellte. Selbst wenn Erzherzog Ferdinand damit einen Wechsel in seiner Politikgestaltung hätte vollziehen wollen, war es ihm unmöglich. In den kommenden Jahren verwandelte sich sein Großherzogtum Würzburg doch zu einem Aufmarschplatz der französischen Armee. Im Jahr 1812 waren von April bis Oktober alleine in der Residenzstadt Würzburg nachweislich insgesamt 296.397 Soldaten und 35.430 Pferde einquartiert, seit 1809 gebot ein französischer Kommandant über die Festung784. In den Jahren von 1810–1812 richtete sich Erzherzog Ferdinands Politikgestaltung auf die innere Herrschaftsdurchdringung des nun arrondierten Staatswesens am Main. Steuer- und Finanzpolitik, Kirchen- und Bildungspolitik dominierten, was mehrheitlich von seinen Staatsbeamten bestimmt wurde und er nur die großen Linien der Effizienzsteigerung und ›Rekatholisierung‹ verfolgte, wie im folgenden Kapitel nachzuzeichnen sein wird. Der Krieg schien sich beruhigt zu haben. Sein dritter, ebenfalls vierteljähriger Aufenthalt in Paris anlässlich der Geburt und Taufe von Napoleons Sohn bot Erzherzog Ferdinand erneut die Möglichkeit, die Habsburgermonarchie in der Pariser Hofgesellschaft zu repräsentieren – ›figurative Politik‹ zu gestalten. Er folgte der Einladung Napoleons und seiner Nichte, die offenbar für die Zeit der Geburt ein verwandtes Gesicht um sich haben wollte785. Sein Bruder beauftragte ihn, die Taufe des künftigen Königs von Rom zu übernehmen, weil »les affaires de la monarchie ne lui premettent point de venir 782 Ebd., S. 333. 783 Ebd. 784 Vgl. Ebd. S. 372 785 Hirsinger kündigte Erzherzog Ferdinand gegenüber Talleyrand an  : »Le Grand-Duc est aussi sensible que flatté de cette invitation de leurs Majestés Impériales »So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Hirsinger an Talleyrand, 4. März 1811, Fol. 151. Aufgeregt berichtete Ferdinand sofort per Estafette  : »in aller Eile um dir zu sagen, dass deine Tochter heute Frühe glücklich mit einem Sohn niedergekommen ist. Mutter und Tochter (sic) befinden sich gottlob sehr gut wie es den Umständen erlauben. Sie hat viel ausgestanden aber alles ist glücklich vor sich gegangen da so in besten Händen war. Denken läßt es sich schreiben aber nicht, was jeder bey dieser Angelegenheit empfunden hat. Ich nehme von ganzem Herzen allen Antheil von all jenem was du dabei empfinden wirst. Ich hoffe wenn es wieder möglich ist euch

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en personne«786. Diese ›affaires‹ bezogen sich auf die bereits stattfindenden Rüstungen Österreichs, die unter strengster Geheimhaltung vorangetrieben wurden, getarnt als Heeresreform. Einmal mehr hatte Erzherzog Ferdinand im Frühjahr 1812, während er eilfertig mehrere Infanterieregimenter auf einmal für Napoleon ausstatten ließ, zum Besten des Hauses die Rolle des Frieden verheißenden Familienmenschen zu spielen. Nach einer im Mai für Napoleon ausgerichteten abendlichen Hoftafel in der Residenz, an der auch Ferdinands Nichte, die neue Kaiserin, sowie bedeutende Fürsten des Rheinbunds wie der Großherzog von Baden und der württembergische König teilnahmen, reiste man gemeinsam zur Dresdner Konferenz, dem Spiegelbild des Erfurter Fürstenkongresses 1808, wo Erzherzog Ferdinand nach langer Zeit seinen Bruder wiedersah. Jetzt eben war eine Beteiligung der Habsburger Monarchie nicht nur erwünscht, sondern von zentraler Bedeutung. Anders als noch beim Erfurter Fürstentag hatte die Dresdner Konferenz nun den Charakter einer habsburg-lothringisch-bonapartischen Familienzusammenkunft, war denn auch Erzherzog Johann mit dabei. Ziel war offiziell die Besiegelung der französisch-österreichischen Allianz und Erzherzog Ferdinand passte sowohl für die österreichische Strategie, Napoleon in Sicherheit zu wiegen sowie in die französische Strategie, die Habsburger zum Kriegseintritt gegen Russland zu bewegen, vortrefflich ins Bild787. Erst als sich nach der russischen Katastrophe im Jahr 1813 erneut die Rheinbundkontingente mit der 6. Koalition die Bajonette kreuzten, flüchtete sich, wie eingangs beschrieben, Ferdinand im April nach Prag, wie ihm sein Bruder bereits 1806 angeboten hatte788. Von dort aus unternahm er seine alljährliche Inspektionsreise in seine böhmischen Herrschaften, ein Vorwand, wie auch der französische Gesandte in Würzburg beobachtete789. Am 3. Juni traf Kaiser Franz im Geheimen in Gitschin ein790, am 8. Juni ist ihm durch einen Boten von seinem Bruder Näheres zur allgemeinen Kriegslage mitgeteilt worden, wohl versehen mit dem Hinweis, sich bedeckt zu halten, aus Vorsicht vor heuer noch persönlich umarmen zu können. HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 44-1-7, Ferdinand an Franz, 20. März 1811. 786 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Fol. 155. 787 Vgl. Siemann, Metternich, S. 370f. 788 Er schrieb seinem Bruder er sei am 26. April in Prag angekommen  : »Diesesmahl hatten wir den Weg über Nürnberg und Pilsen eingeschlagen, weilen jener über Bayreuth etwas zu nahe an dem Kriegstheater war. Jetzt glaube ich wird selbes auch zu passieren seyen weil sich alles gegen Erfurt gezogen hat. […] Ich habe von deiner Erlaubniß Gebrauch gemacht und mich mit Sack und Pack hier in die Residenz einlogiert, welche heute durch den sächsischen Hof recht voll werden wird« HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 44-7-1, Ferdinand an Franz, 27. April 1813. 789 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Fol. 53f. 790 Vgl. ebd., S. 394.

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großem »Geschwätz«791. Außerordentliches spielte sich nämlich »im Herzen des Kontinents ab« und Erzherzog Ferdinand war mit dabei, als zwischen Reichenbach, dem preußisch-russischen Hauptquartier und Gitschin, dem österreichischen Hauptquartier »Weltgeschichte gemacht«792 wurde. Auf engstem Raum wurden zwischen dem Zaren, dem Österreichischen Kaiser und dem Preußischen König bereits die »Entscheidungen […] des Wiener Systems von 1815 präformiert«793. Umso bedeutsamer sind dann die informellen Zusammenkünfte des Rheinbundfürsten und seines Bruders am 13. und 31. Juli 1813794. Dass Erzherzog Ferdinand in den Verhandlungen in Opotschno und Reichenbach zwischen dem Zaren und dem Kaiser selbst aktiv keine Rolle spielte, als festgelegt wurde, Napoleon bis zum Ende gemeinsam zu bekämpfen, deckt sich mit dem Vorgehen der Habsburgermonarchie in den zurückliegenden Verhandlungen. Was Kaiser Franz Erzherzog Ferdinand in diesen Treffen berichtete, findet sich in keinen Quellen, musste doch die Vereinbarung strengstens geheim gehalten werden, brach sie doch mit der Dresdner Allianz von 1812 zwischen Napoleon und der Habsburgermonarchie, bei deren familiärer Inszenierung Erzherzog Ferdinand mitgewirkt hatte795. Kurz nach der alles verändernden Völkerschlacht schrieb Ferdinand über die geheimen Treffen an seinen kaiserlichen Bruder  : »Ich bin doppelt glücklich weilen da ich in Prag dich verließ, schon aus allem was ich von dir vernehmen konnte, schon in meinem Herzen einen so glücklichen Ausgang so vieler Anstrengungen hoffte. Allein, weiß Gott, so geschwind hätte ich es nicht vermutet […] der Sache ein gutes Ende zu geben.«796 Das ›gute Ende‹ bedeutete für Erzherzog Ferdinand die Rückkehr in die Toskana. Es war der Lohn ›so vieler Anstrengungen‹. Nur zwischen den Zeilen könnte man vermuten, 791 »Liebster Bruder, tausend Dank für alles was du mir gestern durch den Obristburggrafen hast sagen lassen, was alles allein für mich bleibt. Du hast auch sehr wohl gedacht, dass ich dich lieber wo anders als in Gitschin [heutiges Jičín, Anm.d.Verf.] des vielen Geschwätzes wegen sehen möchte. […] Näheres mündlich  ; glaube mir dass es mir sehr leid wäre da wir beyde uns hier so nahe sind saß ich dich nicht umarmen und von meinen Gesinnungen persönlich versichern könnte«, so in  : HHStAW, Sammelbände 44-7-1, Ferdinand an Franz, Prag, 8. Juni 1813. 792 Ebd., S. 394. 793 Ebd., S. 396. 794 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 8, sign. 72, Reise von Würzburg nach Prag und dann auf den böhmischen Herrschaften 1813, Fol. 100–106, Fol. 105. 795 Dass eine intensive Kommunikation zwischen den Brüdern 1813 stattgefunden haben musste, ohne dass Belege heute noch auffindbar wären, belegt auch Redings Bericht nach München  : »Der hiesige Großherzog erhält fast täglich Briefe aus Böhmen. Einige hiervon waren bisher erbrochen, erhielten aber nur eine Korrespondenz über nicht politische Gegenstände. Andere dagegen sind en chiffre geschrieben. In dem vorgestrigen kleinen Zirkel, der gewöhnlich Abends aus zwei Spieltischen besteht, äußerte er, dass der Krieg bis zum 13. oder 15. dieses [Monats] eine sehr bestimmte Wendung erreicht haben würde. Nach diesen und anderen Nachrichten lässt sich vermuthen, dass bis dahin eine sehr entscheidende Schlacht vorfallen wird.« So in  : BayHStA, MA 3075, Reding an Montgelas, 1. Oktober 1813. 796 HHStAW, Sammelbände 44-7-1, Ferdinand an Franz, Mergentheim, 27. Oktober 1813.

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Erzherzog Ferdinand hätte sich bereits Ende Oktober wieder in Florenz gesehen797. Im Januar 1814, kurz vor dem Kongress von Châtillon, an dem er wohl zunächst teilnehmen sollte, schrieb er im bereits bekannten Argumentationsmuster  : »Sollte es [der Kongress in Châtillon, Anm. d. Verf.] schon früher los gehen so ist es mir nicht bange, da du so brüderlich für mich sorgest und ich überzeugt bin, dass du alles auf das Beste für das Allgemeine, für unser Haus und auch für meine Person einleiten wirst«798.

Natürlich wurde, wie bereits in Lunéville und Preßburg, demgemäß nicht mit, sondern über Erzherzog Ferdinand in Châtillon und Paris diskutiert799. Weniger aus persönlicher Schwäche und »schwach entwickelter Entschlusskraft«800 legte Ferdinand seine Zukunft in die Hände des Bruders, sondern wegen der mittlerweile eingespielten und bewährten Rollenverteilung zwischen Primo- und Sekundogenitur und im Vertrauen auf das gemeinsame Wirken zum ›Besten des Hauses‹. Die Restitution in der Toskana

Dass die Primogenitur nun, als der französische Einfluss gebrochen war, auch über Würzburg in Châtillon und vorher schon im Oktober in Ried als diplomatische Verfügungsmasse bestimmen konnte, wurde deswegen nicht einmal thematisiert. Und schon vor dem Kongress in Châtillon stellte sich heraus, dass die Habsburg-Lothringer nun erstarkt und mit einem gefestigten österreichischen Kaisertum allen napoleonisch-französischen Widerständen zum Trotz, ihren vorherigen Einfluss in Italien wieder ausüben würden können, was Erzherzog Ferdinand de facto in der Toskana restituierte. Und dann ging alles sehr schnell  : Nach mündlichen Vorabsprachen im Hauptquartier von Basel mit Kaiser Franz stellte am 28. Januar 1814 Ferdinand die Vollmacht für Fürst Giuseppe Rospigliosi (1755–1833) zur Besitzergreifung der Toskana aus801. Ganz 797 Was beim persönlichen Treffen der beiden im Dezember 1813 und ihrer gemeinsamen Reise in das Hauptquartier privat abgesprochen wurde, findet sich in den Quellen nicht verschriftlicht. »Dort scheint nun ernstlich über das Schicksal Würzburgs geredet worden zu sein«, so in  : Chroust, Die Geschichte, S. 447. 798 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 45-5-1, Ferdinand an Franz, Würzburg, 12. Januar 1814. 799 Keineswegs kann es dieser nun breit dargelegten Argumentationslinie folgend daher als absichtliche »Verschleierung« zur Aufrechterhaltung des Scheins seiner Souveränität gewertet werden. Vgl. ebd., S. 468. 800 Vgl. Brandt, Das Großherzogtum, S. 30. 801 »An Fürsten Rosigliosi habe ich eine Vollmacht ausgestellt von Toscana besitz zu nehmen in meinem Nahmen, und eine gehörige Instruction gegeben. Der Hauptpunkt derselben besteht darin sich genau mit dem Kommandierenden Grafen v. Bellegarde zu verabreden über alles, was dieses Geschäft und den Zeitpunkt desselben betrifft« so in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kart. 10, sign. 84, Ferdinand an

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eng stimmte man diesmal das konzertierte Vorgehen miteinander ab. Kein Anzeichen von Missverständnissen zwischen Primo- und Sekundogenitur, wie sie noch 1806 beim Regierungsantritt in Würzburg geschahen. Am 20. April ließ Franz mit Murat, dem König von Neapel in Parma über Ferdinands Restitution verhandeln802. Am 27. April verkündete der österreichische Geschäftsträger General Starhemberg die Rückkehr des einstigen Landesherrn in Florenz803 und am 1. Mai 1814 nahm Rospigliosi in Ferdi­ nands Namen, aber unterstützt von einer starken österreichischen Militärabteilung unter Johann Franz Graf von Bellegarde (1756–1845) offiziell Besitz von der Toskana804. Wie effektiv und schnell die Aktionen beider Brüder ineinandergriffen, ist zum einen ein Zeichen dafür, wie gut die Rollenverteilung zwischen Primo- und Sekundogenitur mittlerweile funktionierte und zum anderen wohl auch, wie sehr Erzherzog Ferdinand sich freute, seinen politischen Zweck nach ›so vielen Anstrengungen‹ im Krieg endlich erreicht zu haben805. Damit wurden bereits vor dem Wiener Kongress, welcher eigentlich einberufen wurde »pour régler, dans un congrès général, les arrangemens qui doivent compléter les dispositions présent traité«806 – gemeint ist der Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 – Fakten geschaffen. Nur ganz allgemein fand sich im VI. Artikel des Pariser Friedens ein Hinweis auf die künftige Gestaltung Italiens807, aber dass zu diesem Zeitpunkt bereits der zu den Alliierten übergelaufene Schwager Napoleons, Murat, die Toskana an Erzherzog-Großherzog Ferdinand übergab, blieb unerwähnt. Noch vor Beginn des Friedenskongresses, der das ›europäische Konzert‹ etablieren sollte, reiste Erzherzog Ferdinand aus Wien wieder ab und ließ sich frenetisch umjubelt in Florenz empfangen808. Er wusste seine und die Inte-

Franz, Würzburg, 28. April 1814. Im April schrieb er daraufhin an Franz  : »Gottlob ist nun alles aus […]. Unserer Verabredung gemäß bleibe ich hier und erwarte deine Befehle wo ich mich hin begeben soll, um dich anzutreffen. […] Wegen der Besitznahme von Toskana danke ich dir recht sehr und zweifle nicht, dass alles wird in der Ordnung seyen«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 45-5-1, Ferdinand an Franz, Würzburg, 17. April 1814. 802 Chroust, Die Geschichte, S. 454. 803 Vgl. Zobi, Storia civile, Appendice, S. 6. 804 Vgl. ebd. S. 9. 805 Erzherzog Ferdinand »identifizierte sich […] auch emotional mit der Toskana, die für ihn seine eigentliche Heimat war. Insofern war die Rückkehr dorthin 1814/15 für ihn die Einlösung eines lange gehegten und zeitweise nicht mehr für möglich gehaltenen Wunsches«, so in  : Stickler, Großherzog Ferdinand, S. 82. 806 Art. XXXII des Pariser Friedens vom 30. Mai 1814, zit. nach Neumann, Recueil des traités, S. 472. 807 »L’Italie, hors des limites des pays qui reviendront à l’Autriche, sera composée d’états souverains« So in  : Art. VI des Pariser Friedens vom 30. Mai 1814, zit. nach ebd., S. 467. 808 »Der Empfang war sehr rührend und die Leute haben sich sehr ordentlich betragen, ohne den Wagen zu zerreißen. Der Zulauf war ungeheuer«, so in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 45-5-1, Ferdinand an Franz, Würzburg, 22. September 1814.

Ein Habsburger im Rheinbund 

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ressen der Dynastie durch Metternich und Fürst Neri Corsini (1771–1845)809, die dort für die toskanischen Belange als Handlungseinheit agierten, gut vertreten. »Kurz, ich lege mich ganz in deine Hände«810, schrieb er diesbezüglich an seinen kaiserlichen Bruder. Damit waren auch vor Augen der europäischen Öffentlichkeit die Fakten geschaffen. Beide forderten auf dem Kongress wegen »des pertes énormes éprouvées pendant quinze ans«811 zur inneren und äußeren Konsolidierung der Toskana größere Gebietsteile im Namen Erzherzog Ferdinands und für das Haus Habsburg-Lothringen. Das Streben nach territorialer Expansion endete nicht mit seiner Abreise vom Main  : Begehrt waren die Fürstentümer Piombino und Lucca sowie das kleine Viareggio, welches komplett in der Toskana eingeschlossen war, außerdem die enklavierten Reichslehen (»Fiefs Imperiaux«) Montauto, Vernio und Monte Santa Maria. Genauso wurden durch Metternich und Corsini noch Orbetello, den Stato die Presidi und La Spezia in die Verhandlungen eingebracht. Dieser Forderungskatalog war schon zwischen Ferdinand und Franz bei ihrem Zusammentreffen im Frühjahr 1814 im Hauptquartier von Basel verabredet worden und Franz ließ Metternich in Vorbereitung zum Wiener Kongress ausführliche Statistiken zu Ferdinands Forderungskatalog erstellen812. Ureigenes Interesse der Dynastie HabsburgLothringen war indes die Insel Elba, die der Pariser Frieden Napoleon als souveränen Besitz garantierte813. Hinsichtlich des letzten Punktes war aber selbst die Macht des Österreichischen Kaisers im Lager der Alliierten begrenzt, sodass das Projekt Elba bis zur spektakulären Flucht Napoleons von dort einstweilen unbearbeitet bleibt. Alle diese Forderungen, so argumentierte Corsini später auf dem Wiener Kongress, »qui ne blessent en rien les droits des ancien Souverains«, seien berechtigt und zusammengestellt worden »au nom d’un Prince qui autant de titres à la justice et la Bienveillance de ces souverains et qui pendant quinze ans à prouvée tant de contrariétés et supporté d’énormes sacrifices«814. 809 Vasoli, Nidia Danelon  : Neri Corsini, in  : Dizionario Biografico degli Italiani, Bd.29, 1983. 810 HHStAW, Sammelbände 45-5-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 20. April 1814. 811 HHStAW, Stk, Kongressakten, Kt. 15–3, Mémoire relatif aux nouvelles limites demandées pour le Grand Duché de Toscane, 9. September 1814, Fol. 44–55. 812 Vgl. HHStAW, Stk, Kongressakten, Kt. 14-2-1-5, Fol. 42–48  ; Die relevanten Gebiete wurden dort statistisch analysiert  : Lucca 321 qm und 117.000 Einwohner bei 180.000 Fr. Einkünften (ohne Abzüge für Verwaltung)  ; Fiefs Imperiaux 140 qm und 20.495 Einwohner bei 60.000 Fr. Einkünften  ; Stato dei Presidi 119 qm und 8.000 Einwohner und 40.000 Fr. Einkünften  ; Piombino 111qm 3.000 Einwohner bei 40.000 Fr. Einkünften  ; Elba mit 11.000 Einwohnern bei 300.000 Fr. Einkünften, so in  : HHStAW, Stk, Kongressakten, Kt. 15-3, Fol. 194–199. 813 Art III. des Vertrags zwischen Napoleon Österreich, Russland, Preußen und England vom 11. April 1814, zit. nach ebd., S. 452. Darüber Franz an Ferdinand  : »Ich war nicht dabey sonst wäre es nicht geschehen. Ich werde aber trachten, da ich dir Elba wünsche, ihn wohin anderst schieben zu machen«, so in  : SUAP Prag IV, RAT-Ferdinand III., kart. 10, sign. 84, Franz an Ferdinand, Châtillon, 10. April 1814. 814 HHStAW, Stk, Kongressakten, Kt. 15–3, Mémoire relatif aux nouvelles limites demandées pour le Grand Duché de Toscane, 9. September 1814, Fol 44–55.

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Bemerkenswert ist dabei Metternichs und Corsinis Argumentationsstrategie, Erzherzog Ferdinand als Opfer der Revolution und Napoleons zu stilisieren815. Ferdinands Vertreibung im Jahr 1799 sei eine der »plus injustes agressions«816 gewesen, die eigentlich auf seinen Bruder Kaiser Franz und jene Machthaber von Russland und England abgezielt, Ferdinand aber getroffen hätten. Hier kam die formal-juristische Trennung von Primo- und Sekundogenitur der Argumentation zupass, deswegen wurde sie angeführt, obwohl beide Seiten auch auf dem Wiener Kongress ganz offensichtlich eine Handlungseinheit bildeten. Um die Revolution und deren Auswirkungen wieder zu ›reparieren‹, soll es, so Fürst Corsini – als hätte er den allgemein gültigen Grundtenor des Wiener Kongress schon vorbestimmt – zu einer »restauration de l’ordre politique et social«817 kommen, um die künftige Ruhe in der Toskana sicherzustellen. Zu diesem Zweck bekräftigte er daher die Gebietsforderungen auf Elba und Piombino und spielte argumentativ mit den allerorts geäußerten Sicherheitsbedenken über Napoleons Verwahrung auf der Insel vor der Toskana818. Die Ansprüche auf Piombino und Elba versuchte auf dem Wiener Kongress jedoch auch das Haus Boncompagni-Ludovisi geltend zu machen. Zudem galt es, die Interessen der Krone Siziliens, die einen Suzeränitätsanspruch auf diese Herrschaften behauptete, zu bedenken. Die Verhandlungen darüber führte indes nur Metternich, beispielsweise mit Luigi Boncompagni-Ludovisi (1767–1841), alleine. Dieser scheiterte jedoch mit seiner historischen Argumentation, welche durch Herbeibringung von Besitzurkunden seit 1509 die Eigenstaatlichkeit bewahren sollte819, am einvernehmlichen Vorgehen der Bevollmächtigten von Primo- und Sekundogenitur. Metternich bediente sich eines klugen Kunstgriffs, um allen Parteien mit Ansprüchen auf das von Erzherzog Ferdinand bereits besetzte Gebiet ein Forum zu bieten. Er ließ eine Kommission zur Erörterung 815 »Il y a pen de Souverains en Europe qui aient souffert autant que S.A.I et Royal Monseigneur l’Archiduc Grand-duc de Toscane des suites de la révolution«, so in  : ebd. 816 Ebd. 817 Ebd. 818 »Es befinden sich die beyden Häven Piombino und Porto Cavatti, zwey Punkte an der Küste, so nahe an der Insel Elba, dass die Ueberfahrt in einer Stunde geschehen kann. Ein Umstand, der alleine hinreichte die Nothwendigkeit der Vereinigung mit Toskana zu beweisen. Denn dieses eingeschlossene Territorium in fremden Händen macht die Ausübung aller Küsten-Polizey in sanitätischer und militärischer Hinsicht unmöglich. […] Wenn einmal die Rückgabe von Portoferraio an Toscana entscheiden ist, so wird es auch natürlich seyen den Rest, der für den Handel und die Sicherheit der Küste so wichtigen durch einen förmlichen Tractat abgetretenen Insel dem Fürsten zuzuwenden, der – in Besitz der Stadt und Festung, sie am besten zu schützen vermag. Am nothwendigsten ist jedoch die Vereinigung des Continentaltheils und die Rückgabe von Portoferrajo, obschon diese ungesunden und wenig furchtbaren Gegenden Toscana keine vollen Vortheile darbieten, vielmehr sie Ausgaben vergrößern würden«, so in  : HHStAW, Stk, Kongressakten, Kt. 15-1, Fol. 89. 819 HHStAW, Stk, Kongressakten, Kt. 15–1, Fol. 65–73.

Ein Habsburger im Rheinbund 

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der Toskanischen Frage einberufen, die tatsächlich jedoch nie zusammentrat. Am Ende bestimmte das Comité des cinq puissances »einen für die beiden habsburgischen Linien günstigen Vertragsartikel«820. Zuvor geschah noch insofern auch Bemerkenswertes, als dass es den Ferdinand betreffenden Inhalt des Art. 100 der Schlussakte eigentlich erst konstituierte  : Die Flucht Napoleons von Elba und die sogenannte Herrschaft der hundert Tage821. Nicht von Florenz, sondern von Genua aus wurde die Flucht Napoleons am 7./8. März dem Kongress in Wien bekannt gemacht822 und am 15. März erbat die Sekundogenitur von der Primogenitur genaue Verhaltensbefehle823. Bevor man dort reagieren konnte, zwang der ›närrische‹ Murat Erzherzog Ferdinand erneut ins Exil, wenn diesmal auch nur für kurze Zeit. Corsini nutzte die Gunst der Stunde und forderte in Wien nun, durch die von Napoleon geschaffenen Tatsachen bestärkt, noch lauter die Insel Elba für Erzherzog Ferdinand824. Währenddessen reagierten die versammelten Alliierten prompt auf Napoleons Rückkehr und bei der Suche nach weiteren Verbündeten wurde unter Zusicherung der Restitution als König von Neapel der Bourbone Ferdinand I. vertraglich verpflichtet, nicht nur mit den Alliierten gegen Murat zu Felde zu ziehen, sondern auch auf den Stato die Presidi, Orbetello sowie auf seine Suzeränitätsrechte für Elba und Piombino zu verzichten825. Damit schufen einmal mehr die Diplomaten Österreichs auf italienischem Boden die rechtliche Grundlage für die Verhandlungen in Wien und damit die Möglichkeit, Erzherzog Ferdinand den gewünschten Besitz von Elba zuzubilligen. Einmal mehr wirkten seine Wünsche und das machtstaatliche Interesse der Primogenitur ineinander. Der 100. Artikel der Wiener Schlussakte sicherte ihm die Toskana für sich und seine Nachfolger genauso zu wie die Zuerwerbungen der Stati die Presidii, die Insel Elba so820 Vgl. auch zum Vorhergehenden Pesendorfer, Ein Kampf, S. 423. 821 Noch im Dezember meldete Ferdinand nach Wien  : »Neues haben wir nichts und ist alles ruhig. An Wachsamkeit fehlt es hier nicht und wenn ja sich hier etwas Neues ereignen sollte, was ich nicht glaube, so wirst du es sogleich erfahren«, so in  : HHStAW, Sammelbände 45-5-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 6. Dezember 1814. 822 Vgl. ebd., S. 429. 823 »Ich will doch hoffen, daß Murat nicht so närrisch seyen wird seine Existenz so auf das Spiel zu setzen, allein da es geschehen kann […] so habe ich nichts anderes gewusst, als dich so bald möglich von meiner Lage zu prävenieren und um deinen Rath zu bitten. […] Ich wünsche, dass uns Gott einmahl ein Ende von diesen ängstlichem Leben gebe«, so in  : HHStAW, Sammelbände 46-1-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 15. März 1815. 824 Vgl. ebd., S. 434. 825 Vgl. zu diesem Vertragsprojekt und den angesprochenen Geheimartikeln  : HHStAW, StK, Kongressakten, Kt. 16-2-1. Anders als bei staatlicher Souveränität, bleibt bei Suzeränitätsrechten die Handlungsvollmacht auf nur wenige Bereiche beschränkt. Eigentliche Souveränitätsrechte werden von einer anderen staatlichen Macht ausgeübt, die Oberherrschaft jedoch anerkannt.

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wie Piombino, gegen eine Entschädigungszahlung an die Ludovisi-Boncompagni, und die Reichslehen Montauto, Vernio und Monte Santa Maria826. Erzherzog Ferdinand hatte allen Grund sechs Tage nach Vertragsunterschrift der Wiener Schlussakte seinem Bruder zu danken, »was du und alle deine treuen Diener für mich getan haben und zugleich mich in die Zukunft in deine Freundschaft, Wohlwollen und Schutz zu empfehlen«827. Der am 1. Juli, also kurz nach dem Wiener Kongress, in Florenz ratifizierte Allianzvertrag der Toskana und Österreichs, setzte einen Endpunkt hinsichtlich der Aushandlungsprozesse zwischen Primo- und Sekundogenitur828. Er schrieb die Entwicklungslinien des Brudervertrags von 1803 weiter fort, indem er die Souveränitätsrechte über Krieg und Frieden, und damit den Kern von staatlicher Souveränität, ganz der Primogenitur überließ. Die Toskana wurde damit nach 1815 Kernbestandteil des habsburgischen Hegemonialsystems in Italien.

826 Vgl. Schlussakte des Wiener Kongress, Art. 100, zit. nach  : Neumann, Recueil des traités, S. 711–712. 827 HHStAW, Sammelbände 46-1-1, Ferdinand an Franz, Bäder bei Pisa, 15. Juni 1815. 828 Neumann, Recueil des traités, Bd. II., S. 18–21. Menger, Philipp  : Die Heilige Allianz – »La g­ arantie religieuse du nouveau système Européen«  ? In  : Wolfram Pyta (Hg.)  : Das europäische Mächtekonzert. Friedens- und Sicherheitspolitik vom Wiener Kongress 1815 bis zum Krimkrieg 1853. Köln 2009, S. 209– 236.

»Je suis élevé dans les camps, je ne connais que les camps, et un homme comme moi se f[out] de la vie d’un million d’hommes   !«1

2. Das Mittel zum Zweck? Das Großherzogtum Würzburg im Krieg 2.1 Vom ›gesellschaftlichen Zustande‹ am Main – Kontinuität im Umbruch

Mit dürren Worten übergab Kaiser Franz an seinen Bruder die Herrschaft über Würzburg  : »Da ich für dich kein Geheimnis habe, so erhällst du in der Anlage sowohl eine Abschrift des letzten unglückseeligen Friedenstraktats als auch die dem B. Hügel gegebene Vollmacht und Instruktion wegen Besitznahme des Churfürstentums Würzburg. Du erhällst gutes Land es hat dem Hause Oesterreich sehr zugethan gewesene Unterthanen die ich hoffe, daß sie sich glücklich schätzen werden dir zu gehören.«2

Neben ein paar Zetteln ›erhielt‹ Erzherzog Ferdinand im Januar 1806 aus der auf die monarchische Souveränität gegründeten Machtfülle seines kaiserlichen Bruders wie beiläufig ›ein gutes Land‹. Das Herrschaftsverständnis beider Agnaten des Hauses Habsburg-Lothringen wird hier sehr deutlich  : Das ›gute Land’ hat – sie sind also sprachlich gesehen dem Besitzstand beigeordnet – proösterreichische ›Unterthanen‹, die von nun an ebenfalls Erzherzog Ferdinand ›gehören‹. Leicht überliest man für gewöhnlich die Verwendung von Besitzverben als womöglich flüchtige Unachtsamkeit in privater Korrespondenz, wenn auch der nun Besitzende im gleichen Duktus antwortete  : »Bey dieser Gelegenheit empfehle ich dir von ganzer Seele die armen Salzburger und Berchtesgadner. Du bekommst gute Unterthanen allein welche bey den jetzigen Umständen gänzlich auf mehrere Jahre zu grunde gerichtet sind«3. Es ist ein Gemeinplatz, dass kaum ein staatsrechtlicher Territorialvermehrungs- oder -verminderungsvertrag in Europa bis ins 20. Jahrhundert, das berücksichtige, was US-Präsident Wilson dann ›Selbstbestimmungsrecht der Völker‹ nannte4. Obschon sich gerade Napoleon als Verfechter dieses 1 Napoleon im Gespräch mit Metternich, Dresden, 26. Juni 1813. In einem Autograph Metternichs in Prag verwendete er noch anders als in der späteren Reinschrift den »viel derberen Ausdruck«  : »Ich bin in den Feldlagern aufgewachsen, ich kenne nichts als die Feldlager, und ein Mann wie ich scheißt auf das Leben von einer Million Menschen  !«. Zit. nach  : Siemann, Metternich, S. 411f. 2 Franz an Ferdinand, Wien, 12. Januar 1806, im Anhang als Dokument XXVII. 3 Ferdinand an Franz, Ofen, 14. Januar 1806, ebd. 4 Zum monarchischen Selbstverständnis zwischen Gottesgnadentum und konstitutioneller Monarchie in globaler Perspektive und europäischem »Sonderweg«, Osterhammel, Die Verwandlung, S. 828–848.

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Das Mittel zum Zweck? Das Großherzogtum Würzburg im Krieg

revolutionär neuen Grundsatzes stilisierte, trug er bekanntlich den Krieg weit über die ›natürlichen Grenzen‹ Frankreichs hinaus und ›erhielt‹, ›besaß‹ und ›vergab‹ selbst Menschen und Länder. Herrschaftsgebiet und Beherrschte wurden auch von Erzherzog Ferdinand stets nur stereotyp und entpersonalisiert (»mia povera Toscana […] mio povero popolo«5, die ›armen Salzburger und Berchtesgadner‹) in einer formalisierten Diktion aus dem aufklärerischen Herrschaftstopos des für sein Volk sorgenden Herrschers beschrieben. Das monarchische Herrschaftsverständnis Erzherzog Ferdinands, den Herrschaftsgegenstand für den eigenen ›politischen Zweck‹ zu nutzen, in den Dienst des Gesamthauses zu stellen und nachgelagert auch Diener der Bevölkerung zu sein, war bereits Erziehungsgrundlage Peter Leopolds, wie ausgeführt wurde6. Ganz zutreffend kann daher von »Versetzungserlebnissen«7 nach Salzburg, nach Würzburg und am Ende nach Florenz insofern gesprochen werden, dass Erzherzog Ferdinand seinen Einsatzort wie ein Minister sein Ministerium zur Politikgestaltung auf höherer Ebene dienstbar zu machen verstand. Das Subjekt – im ursprünglichen Sinne des Wortes subicere/subiectum est unterwerfen/es ist unterworfen worden – war dabei das Großherzogtum Würzburg8. Erzherzog Ferdinand nutzte die Ressourcen und Menschen seiner Herrschaft, des Großherzogtums Würzburg, zur Erreichung seines ›politischen Zwecks‹ im Krieg aktiv. Es soll im Folgenden daher das »Gegengewicht der eigenen inneren Verhältnisse« ergründet werden, das die kriegführenden Parteien, wie es Clausewitz beschreibt »wieder in einen Mittelweg [zurückführt], in welchem er gewissermaßen nach dem direkten Grundsatz handelt, um diejenigen Kräfte aufzuwenden und sich im Kriege dasjenige Ziel zu stellen, welches zur Erreichung seines politischen Zweckes eben hinreicht«9. Es geht um die »innenpolitischen Restriktionen«10 und damit um »de[n] gesellschaftlichen Zustande, sowohl der Staaten in sich als unter sich«, aus dem »der Krieg hervor[geht]«, durch den er »bedingt, eingeengt, ermäßigt«11 wird. Wie detailliert dargestellt, ließen es die ›äußeren Restriktionen‹ und die internationalen Rahmenbedingungen nicht zu, dass das Großherzogtum Würzburg selbst taktische Gefechte »als Beitrag zum politischen

  5 Im Anhang als Dokument V.   6 Siehe Kapitel II. 1.2, Die Pflichten.   7 Altgeld, Zur Einführung, S. 19.   8 Erzherzog Ferdinands Biograf urteilte stattdessen dem entgegengesetzt  : Er sei der »Springer [gewesen], den man auf dem politisch-militärischen Schachbrett dem Gegner gegenüber positionieren konnte. […] In dieser Rolle war Ferdinand Objekt nicht Subjekt.« Schäfer, Die politische Rolle, S. 72.   9 Clausewitz, Vom Kriege, S. 961. 10 Beckmann, Clausewitz trifft Luhmann, S. 115. 11 Clausewitz, Vom Kriege, S. 192.

Vom ›gesellschaftlichen Zustande‹ am Main 

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Zweck des Krieges«12 ausführen konnte. Das ius ad bellum – eingeschlossen jede Art von Angriffskriegen – hatte der Protecteur des Rheinbunds in Händen13. Erzherzog Ferdinand gab im Kampf um Napoleons Gunst seine Weisungen an den am Main vorgefundenen Verwaltungsapparat weiter, der dessen Beitrag zur Erreichung seines ›politischen Zwecks‹ organisieren sollte. Die Rheinbundpolitik des Großherzogtums Würzburg erstreckte sich daher auf Truppenaufgebot, auf Versorgungs- und Geldleistungen zum Unterhalt der napoleonischen Armee. Jedoch unterlag, wie auszuführen sein wird, dieser ›Beitrag‹ inneren Restriktionen, wie der öffentlichen Meinung, den noch nicht standardisierten innerbürokratischen Abstimmungsprozessen, dem Verhältnis von Regierung, Gesellschaft und Militär und nicht zu vergessen – und vor allem im Großherzogtum Würzburg relevant – den finanziellen und materiellen Ressourcen, die zur Beitragsleistung am Krieg unerlässlich waren. Die ›Erreichbarkeit‹ des politischen Zwecks im Krieg wurde dadurch wesentlich beeinträchtigt. Konkret  : Zu wenig Geld bedeutete qualitativ minderwertige oder keine Ausrüstung, wenig oder kein Lohn für die Soldaten, schlechte Truppenmoral und hohe Desertionszahlen und damit einen nicht nur nummerisch geringen Beitrag zum Krieg. Dies ist vor allem in Hinblick auf die Finanzkraft des Großherzogtums zu untersuchen, aber auch durch die Darstellung der demographischen Gegebenheiten sowie einer Beschreibung der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz des Militärs und des Kriegsdiensts. Diese Faktoren präformierten die Anzahl der zur Verfügung stehenden Rekruten. Gerade aber die Einbindung der Truppen in die großherzoglich würzburgische Gesellschaft lässt auch Rückschlüsse auf die ›Vermittelbarkeit‹ des ›politischen Zwecks‹ im Krieg zu. Eine große Anzahl von Deserteuren, allgemeine Kriegsdienstverweigerung, gewalttätige Übergriffe von Zivilisten auf Militärs sind aussagekräftige Zeugnisse dafür, dass der Bevölkerung keine opferwillige Kriegsbereitschaft im ausreichenden Maß vermittelt werden konnte. Es zeigt sich in der Untersuchung dessen ein Aushandlungs- und Kommunikationsprozess von ›unten nach oben‹  : Aushandlungsprozesse zwischen dem neuen Machthaber am Main, Erzherzog Ferdinand und seinem Verwaltungsapparat, Aushandlungsprozesse innerhalb des Verwaltungsapparats und schlussendlich Aushandlungsprozesse zwischen dem Verwaltungsapparat der Gesellschaft sowie den Soldaten. 12 Beckmann, Clausewitz trifft Luhmann, S. 119. 13 In der Rheinbundakte dazu  : Art. XXXV. »Il y aura entre l’Empire français et les Etats confédérés du Rhin collectivement et séparément une alliance en vertu de laquelle toute guerre continentale, que l’une des Parties contractantes aurait à soutenir, deviendra immédiatement commune à toutes les autres«. In der Übersetzung  : Zwischen dem französischen Reiche und den rheinischen Bundesstaaten soll in ihrer Gesammtheit sowohl als mit jedem einzelnen ein Bündniß Statt haben, vermöge dessen jeder Krieg auf dem festen Lande, den einer der contrahirenden Theile zu führen haben könnte, für alle andere unmittelbar zur gemeinsamen Sache wird.

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Das Mittel zum Zweck? Das Großherzogtum Würzburg im Krieg

Für diese Prozesse sind jedoch auch andere Bedingungsfaktoren in den Blick zu nehmen, die sich positiv oder negativ auf die Kriegsbereitschaft und Wehrmotivation innerhalb eines ›souveränen Gesellschaftsverbands‹ auswirken konnten  : die Einquartierungslasten der französischen und/oder rheinbündischen Armeen, damit einhergehende Krankheiten und Requisitionen für eine sich selbst erhaltende Kriegsmaschinerie. Die Fürstendiener

Zunächst sind die Akteure zu bestimmen, die Rheinbundpolitik als ein nach außen hin widerspruchsloses Erfüllen der militärischen Wünsche des Protecteurs ermöglichten. Mit einem Blick in die Hof- und Staatskalender der Jahre 1806–1814 lassen sich leicht vier unterschiedliche Akteursgruppen ausmachen, die das Regierungshandeln in Erzherzog Ferdinands Auftrag ab 1806 versahen. Eine italienisch-florentinische Gruppe, die Erzherzog Ferdinand bereits in Salzburg in den Hofämtern, als persönliche Kammerherren, Erzieher der Kinder etc. in einem eher privaten, höfisch-zeremoniellem Bereich ganz nach Art »de l’ancienne monarchie« 14 diente. Eine Salzburger Gruppe, die sich in den Regierungsgeschäften in den Augen Erzherzog Ferdinands bei seinem vorherigen Einsatzort bewährt hatten, darunter der frühere Hofmarschall in Salzburg Anton Graf von Wolkenstein-Trostburg, der frühere Staatsratssekretär Friedrich Ludwig von Hartmann, sowie der frühere Hofkammerdirektor Johann Nepomuk von Hennebrith, aber auch Subalterne wie Georg Friedrich Schmidt, der in der großherzoglichen Landesdirektion dann den Verbindungsposten zu den fränkischen Reichsrittern ausübte. Beide Gruppen reisten erst im Laufe des Jahres 1806 in die Residenzstadt am Main und kamen durch ihre persönliche Verbindung zu Erzherzog Ferdinand auf einflussreiche Posten. Dort stand diesen Gruppen eine Fraktion gegenüber, die sich wohl am besten als »eine Art von Beamtenpatriziat«15 beschreiben lässt, deren Mitglieder bereits über Generationen als Juristen in den Diensten der Fürstbischöfe subalterne Verwaltungstätigkeiten ausübten. Dieses bürgerliche Regierungspersonal verdankte seine Beförderung in 14 Im Hof- und Staatskalender von 1812 sind aufgeführt  : Giuseppe Fürst Rospigliosi, Herzog zu Maccarese, Carolo Marquis Araldi Torresini, Cajetani Rainoldi, Philippe Giannetti, Iovanni Babista Endrici, Petro del Greco, Giuseppe Allodi, Alessandro Graf Oppizioni, Hieronimus Bonola, Antonio Bondi, Ignacio Nasi, Bernardo Santini, Cajetani Sagaruti. So in  : Großherzoglich Würzburgischer Hof- und Staats-Kalender. Würzburg 1812. Der französische Gesandte sagte ihnen nach, sie seien ganz der alten Monarchie verhaftet und würden bei Ferdinand stets die Hoffnungen auf eine Rückkehr in die Toskana schüren  : »C’est celle de l’ancienne monarchie qu’il regrette et bien plus encore l’indépendance de l’Italie. On croit qu’il veut persuader le Grand-duc de se regarder comme un martyr et loin de lui faire naitre le désir d’un accroissement de puissance, lui montrer clans sa position secondaire un soulagement a ses regrettes par l’espérance d’un autre monde«. So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 68, Montholon an Maret, Würzburg, 15. Februar 1812, Fol 41. 15 Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 167.

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höhere Positionen Kurbayern, das von 1802/03–1806 auf ihre Orts- und Fachkenntnis angewiesen war, nachdem es die Zerschlagung des Domkapitels und der gesamten vom fränkischen Adel dominierten geistlichen Regierung als erste Amtshandlung bei der Eingliederung vollzogen hatte16. Diese ehemaligen bürgerlichen Subalternen beließ der österreichische Besitzergreifungskommissar Hügel 1806 aus gleichen Gründen in ihren Ämtern. Erst als Erzherzog Ferdinand selbst anfing in seinem Kurfürstentum Politik zu gestalten, bezog er, wie bereits beschrieben, den fränkischen Adel wieder stärker in die Regierungsgeschäfte ein. Die Familien aus dem fränkischen Freiherrn- und Grafenstand blieben durch alle Herrschaftswechsel hindurch die dominierende Gruppe  – auch nach 181417. Der fränkische Adel besetzte fast alle Hofämter und dominierte den Geheimen Staatsrat. Der Geheime Staatsrat, von Kurbayern abgeschafft und dann von Erzherzog Ferdinand gemäß seiner restaurativen Adelspolitik wiedereingeführt, fungierte als unterstützende Behörde des Staatsrats und vertrat das allgemeine Interesse des Staatswesens gegenüber dem Hof und des Fürsten18. Des Weiteren stellten Mitglieder des fränkischen Adels die Direktion der mächtigen Landesdirektion, der Militär-Oberkommission, die oberste Justizstelle, das Hofgericht, die Schul- und Salinen-Commission und das Oberstjägermeisteramt. Allein an dieser Aufzählung lässt sich ermessen, wie der großherzoglich würzburgische Verwaltungsapparat wie eine Amalgamierung von alt und neu, von modernisierendem Bürokratismus und altständischer Repräsentanz Politik auch zum Selbstzweck und zur Existenzsicherung betrieb19. 16 Vgl. Tangerding, Der Drang, S. 172. 17 Vgl. ebd., S. 168–174. 18 Die große Mehrheit der Mitglieder im Geheimen Staatsrat stammten aus fränkischem Adel  : Marquis Friedrich Manfredini, Joseph Fürst von Rosvigliosi Herzog zu Zagarolo, Freiherr Karl Philipp von Nordegg zu Rabenau, Marquis Karl Uraldi Torresini, Ludwig Angiolini, Johann Nepomuk von Hennebrith, Freiherr Franz Wilhelm von und zu Guttenberg, Freiherr Philipp Anton von Greiffenklau zu Vollraths, Freiherr Karl Philipp von Würtzburg, Freiherr Lothar Anselm von Gebsattel, Christian Johann Babtist von Wagner Freiherr Friedrich Adolph von Speth, Johann Michael von Seuffert, Freiherr Karl Alexander von Werneck, Karl Graf von Wersowetz, Freiherr Hartmann Philipp von Mauchenheim genannt Becholtsheim, Freiherr Philipp von Stauffenberg, Friedrich Karl Joseph Graf von Ingelheim, Freiherr Friedrich Karl von Reigersberg, Freiherr Albrecht Friedrich Sigismund von Stetten, Großherzoglich Würzburgischer, S. 31f. Der im StAWü von Jens Martin Anfang Mai 2016 nach eingehender Provenienzanalyse aus Mischbeständen, den sogenannten Würzburger Archivalien und Geistlichen Sachen, herausgehobene Bestand, Großherzogtum Würzburg, Geheimer Staatsrat, für innenpolitische Aspekte, die hier nur unter der Zentralperspektive des Krieges ausgewertet werden konnten, sehr erkenntnisfördernd. Wichtig ist jedoch die Unterscheidung von Geheimen Staatsrat, der 20 Mitglieder und beratende Funktion hatte und dem Staatsrat der von Erzherzog Ferdinand präsidiert wurde und nur vier weitere Mitglieder hatte und dem laut GhzRegBl 1814, X. Stück, S. 37 »die oberste Leitung aller Geschäfte des Großherzogthums anvertraut« war. 19 Dabei ist der ›Drang zum Staat‹ auch im bayerischen Adel zu bemerken  : 40,8 % von den bayerischen Beamten bis 1918 stammten aus dem Adel. Tangerding, Der Drang, S. 174.

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›Der Drang zum Staat‹ ist so gesehen ein trefflicher Titel einer Dissertation aus dem Jahr 2010, die sich dem mainfränkischen Regierungspersonal intensiver annahm, als dies hier geschehen kann. Tangerding attestierte zu Recht den fränkischen Verwaltungsbeamten eher den Charakter spätaufklärerischer Fürstendiener20. Damit widerspricht er einer älteren Forschung Werner Blessings, der konstatierte, dass »auf allen Stufen diejenigen ersetzt [worden seien], die in Gesinnung und Effizienz dem Münchner Leitbild eines neuen, besonders in Frankreich vorgeprägten Beamtentyps nicht entsprachen«21. Im Gegenteil – Erzherzog Ferdinand positionierte vielmehr Regierungspersonal in entscheidende Positionen, die anti-modernistisch oder gar mehr oder weniger offen eine anti-französische Gesinnung vertraten. Hartmann sei ein »ennemi júre de la France«, Hennebrith ein »ennemi du système français«, Christian Johann Babtist von Wagner sei »lent et timide […] sans opinion politique prononcée«22 gewesen, urteilte der französische Gesandte Montholon-Semonville im Jahr 1812. Auf diese Urteile wird später noch dezidiert zurückzukommen sein, aber auffällig ist doch, dass am Main eine andere Art Staatsdiener zu bemerken war als zeitgleich in Preußen, Bayern oder den Modellstaaten des Rheinbunds23. Den einzigen wirklich am Vorbild Frankreich orientierten, reformeifrigen Staatsdiener entließ Erzherzog Ferdinand 1810 nach zwei Jahren  : Johann Michael von Seuffert. Schon als Gesandter der Fürstbischöfe beim Reichsdeputationshauptschluss in Regensburg verband er seinen ergebenen Fürstendienst mit revolutionären Argumenten der rationalistischen Vertragslehre und der Volkssouveränität24. Kontrastiert dazu steht die von Erzherzog Ferdinand erlassene Kanzleiordnung von 1809, die seine Staatsdiener nur der Gnade des Fürsten unterstellte  : »§59 Die Eigenschaften und Gesinnungen, welche wir von allen, in Unseren im Staatsministerial-Department angestellten Personen vornehmlich fordern und voraussetzen, sind 20 Vgl. ebd., S. 172. Grundlegend zum Status der Fürstendiener an der Schwelle zur Moderne  : HeindlLanger, Waltraud  : Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich. Wien u. a. 1991. 21 Werner K. Blessing  : Herrschaftswechsel im Umbruch. Zur inneren Staatsbildung Bayerns im 19. Jahrhundert, in  : Helga Schnabel-Schüle/Andreas Gestrich (Hg.)  : Fremde Herrscher – fremdes Volk. Inklusions- und Exklusionsfiguren bei Herrschaftswechseln in Europa. Frankfurt am Main 2006, S. 174. 22 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 68, Montholon an Maret, Würzburg, 11. April 1812, Fol. 94–97. 23 Allgemein hierzu  : Gabriele B. Clemens  : Beamte im napoleonischen Rheinland, in  : Christof Dipper (Hg.)  : Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien – Verwaltung und Justiz. Berlin 1995, S. 141–155  ; Zum Vergleich  : Bernd Wunder  : Die badische Beamtenschaft zwischen Rheinbund und Reichsgründung (1806 – 1871). Dienstrecht, Pension, Ausbildung, Karriere, soziales Profil und politische Haltung 1998. 24 Vgl. Fehrenbach, Vom Ancien Régime, S, 73. Seine Schriften weisen eine eigentümliche Verbindung von Staatsdienst, Gemeinwohl und Fürstendienst auf, wenn er beispielsweise bemerkte  : »Wenn der Diener des Staats sein Amt von den Händen des Fürsten in gewissem Verstande als eine Gnade empfängt  ; so muß derselbe auch von dem Gefühle der Dankbarkeit gegen den Regenten beseelt werden. Auf solche Art wird auch die Dankbarkeit ein Sporn für den Diener des Staats seine Pflichten zu erfüllen.« Seuffert, Von dem Verhältnisse, S. 17.

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ein anständiger und unbescholtener Lebenswandel, tiefe Verschwiegenheit, Bescheidenheit, Rücksichtlichkeit und Eifer im Dienst aus treuer Anhänglichkeit an Unsere Person, Güte und Freundlichkeit im Betragen auch gegen den geringsten Unserer Untertanen, Eintracht, Vertrauen und Dienstfertigkeit im Geschäftsumgang unter sich.«25

Nur ›Güte und Freundlichkeit‹ solle der Angestellte für die Untertanen aufbringen, die ja dessen Exekutivhandeln am Ende betraf. In direkter Abhängigkeit sollte er indes von der Person des Fürsten stehen. Untertanen statt Staatsbürger, Fürstendiener statt Staatsbeamte – das war der Unterbau des Herrschaftssystems Erzherzog Ferdinands26. Die Motivation zum ›Eifer im Dienst‹ liegt für das ganze Regierungspersonal Erzherzog Ferdinands auf der Hand, egal ob adelig oder bürgerlich, egal ob in Franken, Salzburg oder Italien gebürtig  : die existenzsichernde Eigenstaatlichkeit des Staatswesens am Main. Dass alle Rheinbundstaaten durch die wankelmütige Gunst Napoleons in ihrer Existenz bedroht blieben, sorgte dafür, dass die Regierungsbeamten im Rheinbund »ein energischer Leistungswille verband«27. Ein Leistungswille, der sich weder aus religiöser Verbundenheit zum alten Hochstift noch aus den Ideen der Französischen Revolution speiste. Ihr bereitwilliger Dienst im ›souveränen Gesellschaftsverband‹ erfolgte schlicht deshalb, »weil sie ihre Arbeitsstelle behalten wollten«28. Gerade der die Verwaltung dominierende fränkische Adel musste, wollte er zum einen nicht wieder von Bürgerlichen aus den einflussreichen Posten verdrängt werden und zum anderen nicht erneut in die Bedeutungslosigkeit einer bayerischen Provinz in Münchens Peripherie versinken, alles daran setzen, die Politik der einspruchslosen Erfüllung in allen militärischen Belangen ihres Fürsten zu unterstützen, selbst wenn dies »Erfüllungspolitik contre cœur«29 bedeuten sollte30. 25 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6, sign. 71, Kanzleyordnung für Unser Staatsministerial-Departement, 8. April 1809. Fol. 119–132, S. 134. 26 Damit hatte das Großherzogtum Würzburg kein Alleinstellungsmerkmal  : Berding, Helmut  : Der Gesellschaftsgedanke Napoleons und seine Auswirkungen im rheinbündischen Deutschland  : ein Verrat der Revolution, in  : Roger Dufraisse u. a. (Hg.)  : Revolution und Gegenrevolution 1789–1830. Zur geistigen Auseinandersetzung in Frankreich und Deutschland. München 1991, S. 107–119. 27 Gabriele B. Clemens  : Diener dreier Herren – Die Beamtenschaft in den linksrheinischen Gebieten vom ›Ancien Régime‹ bis zur Restauration, in  : Helga Schnabel-Schüle/Andreas Gestrich (Hg.)  : Fremde Herrscher – fremdes Volk. Inklusions- und Exklusionsfiguren bei Herrschaftswechseln in Europa. Frankfurt am Main 2006, S. 73–102, S. 97. 28 Tangerding, Der Drang, S. 185. 29 Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 117. 30 Als klar war, dass Würzburg wieder an die Krone Bayern fallen sollte meldete der bayerische Gesandte nach München  : »Der hiesige Adel hofft noch immer, dass das Großherzogtum Würzburg selbstständig bleibt und einen eigenen Souverän erhält, weil man durchaus einen Hof hier zu haben wünscht.« So in  : BayHStA, MA 3075, Reding an Montgelas, Würzburg, 6. Mai 1814. Dazu  : Hümpfner, Clemens  : Als Un-

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Erzherzog Ferdinands heterogenes Regierungspersonal aus Salzburg, aus Florenz und aus Würzburg verband ein Schlüsselerlebnis  : Sie alle hatten in den zurückliegenden zehn Jahren in ihren unterschiedlichen Territorien erlebt, wie schnell eine Anstellung durch Machtwechsel beendet sein kann, wie ersetzbar der Einzelne im Verwaltungsapparat durch das Gebot der Effizienzsteigerung geworden ist, weil eigene pflichtgehorsame Leistung mehr gezählt hatte als althergebrachte und vererbte Pfründe. Durch diese radikalen Umbrüche geformt, versuchten sie auf den ihnen zugewiesenen Posten die Anerkennung ihres Fürsten zu erhalten und sich mit großem Diensteifer und Leistungswillen ihm zu empfehlen31. Auch wenn man der Autobiografie des späteren dirigierenden Staatsministers Wagner quellenkritisch entgegenzuhalten hat, dass er diese für seinen Sohn in der Absicht verfasste, »sie einstmals zu [s]einer Versorgung und zur Versorgung [s]einer Geschwister bei dem gerechten König von Bayern und seinem erleuchteten Ministerium geltend zu machen«32, ist sie an einer Stelle dennoch in diesem Kontext bemerkenswert  : »Die auswärtigen Geschäfte waren die allerdornigsten wegen der Verhältnisse mit Napoleon. Ich musste mir und dem Großherzog immer das Ansehen geben, als wenn wir in Würzburg mit Leib und Seele der französischen Sache zugetan wären. Napoleon war dem Großherzog im Grunde gar nicht hold  ; es hatte viel Wahrscheinlichkeit, daß er damit umging, ihm bei irgend einer äußerlich scheinbaren Veranlassung das Großherzogtum Würzburg zu nehmen und es dem Vizekönig von Italien, seinem Stiefsohne, welcher bereits als Nachfolger des Fürsten Primas von Dalberg in dem Großherzogtum Frankfurt bestimmt war, mitzuübergeben und mit Beiziehung einiger benachbarten Provinzen ein kleines Königreich, so wie Württemberg, für den selben zu bilden. Dadurch würde Deutschland in das südliche und nördliche auf immer geteilt und die Staaten von beiden so getrennt worden sein, daß sie sich nie wieder unter sich hätten verbinden können.«33

Nicht nur, dass Wagner die im vorherigen Kapitel geäußerte These stützt, Erzherzog Ferdinands Herrschaft sei auch am Main dauerhaft durch den Zugriff Napoleons bedroht gewesen, er machte sich als Fürstendiener mit der Politikgestaltung seines Fürsten gemein. ›Das Ansehen geben‹ als Ausdrucksform widerspruchsloser Erfüllung ist durchaus wörtlich zu verstehen, wie sich bei der oftmals nur quantitativ statt qualitativ erfolgten Truppenaufstellung im Großherzogtum Würzburg in den nachfolgenden Unterkapiteln terfranken bayerisch wurde. Wege und Probleme der Eingliederung Unterfrankens ins Königreich Bayern. In  : Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 48 (1996), S. 233-247. 31 Vgl. Tangerding, Der Drang, S. 184. 32 Wagner, Christian Johann Babtist von, Die Biographie, S. 9. 33 Ebd., S. 102.

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noch zeigen wird. Wenn auch das Regierungspersonal die Rheinbundpolitik Erzherzog Ferdinands nur dem Ansehen nach ausführte, deutet das ebenfalls in die Richtung der von Wolfram Siemann apostrophierten ›Methode Keuner‹. Stillschweigend dienen und am Ende ›Nein‹ sagen – diese Richtlinie der Politikgestaltung bestätigt sich auch, wenn Wagner sich rühmt, er habe die Einführung des Code Napoléon »durch eine gelungene Zögerung verhindert«34. Anders als in Bayern, wo Entwürfe für ein Bürgerliches Gesetzbuch nach französischem Vorbild durch Anselm Feuerbach und Nikolaus Thaddäus Gönner 1813 fertiggestellt waren35, verhinderten die Fürstendiener Erzherzog Ferdinands hinter der bayerischen Grenze dies mit einer Verbindung von ›Nicht-leistenwollen‹ und ›Aber-dem-Ansehen-nach-müssen‹. Wie beschrieben, diente dem von Erzherzog Ferdinand eingesetzten Ausschuss zur pro forma angekündigten und drei Jahre zuvor bereits mehrfach aufgeschobenen Einführung des Code Napoléon das von Franz Edler von Zeiller geschaffene Werk »Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie« als Grundlage der Diskussionen36. ›Dem Ansehen nach‹ folgte man den Vorgaben aus Paris, tatsächlich torpedierte das großherzogliche Regierungspersonal deren ›Revolutionsexport‹. Das von einiger lokalhistorischer Forschung über die Politikgestaltung im Großherzogtum Würzburg gefällte Urteil als »Anhalten der Entwicklung, eine Zeit des Abwägens und Abwartens, des auf die lange Bankschiebens«37 verkennt zum einen diese dahinter liegende absichtsvolle Handlungsstrategie. Denn das Nichthandeln der Fürstendiener Erzherzog Ferdinands als Handlungsoption kritisierte bereits der französische Gesandte Montholon, als diese den immer schneller befohlenen Forderungen 1812 immer langsamer entsprachen38. Und zum anderen misst ein solches Urteil mit dem falschen Maßstab. Würzburg war nicht München oder Berlin. Erzherzog Ferdinand bestand, wie sein Bruder Kaiser Franz, auf einer Art konservativer Erneuerung durch Rückgriff auf die 34 »Er [Montholon, Anm.d.Verf.] brachte den Großherzog dahin, daß das französische Gesetzbuch in Würzburg eingeführt werden sollte, welches ich aber noch durch eine gelungene Zögerung verhinderte«. So in  : ebd., S. 103. 35 Eberhard Weis  : Die Begründung des modernen bayerischen Staates unter König Max I. (1799–1825), in  : Max Spindler (Hg.)  : Das neue Bayern. 1800–1970. München 1974, S. 3–84 S. 49. 36 Vgl. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 156. Allgemein  : Chroust, Die Einführung. 37 Bungert, Toskanisches Zwischenspiel, S. 296. 38 Im Februar 1812 berichtete Montholon nach Paris, die großherzogliche Verwaltung könne vielmehr leisten, wenn sie nur wolle. Der Großherzog dulde unfähige Personen, namentlich Wagner, Hennebrith und Hartmann, die seine Regierungsgeschäfte lähmten  : »En cette dépêche je me borne à dire à V. Exc. que ces trois hommes n’ont que de foibles moyens et une in capacité presque absolue de remplir avec distinction les postes qui leur ont confiees, surtout mr. Hartmann.« AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 68, Montholon an Maret, Würzburg, 15. Februar 1812, Fol 41  ; ausführlich hierzu auch  : Chroust, Die Geschichte, S. 384f.

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Ständeherrschaft, auf die Tradition der Hofämter, auf ein Nebeneinander von alten Eliten und modernen Verwaltungsstrukturen. Dadurch entstand am Main jedoch eine aufgeblähte, überbürokratisierte Staatsverwaltung, mit dutzenden Interdependenzen und konkurrierender Zuständigkeiten, die durchaus zu einer strukturell bedingten Lähmung der Regierungstätigkeit führte. Je größer die sich potenzierenden Herausforderungen durch Truppenaushebungen, Einquartierungen, finanzpolitische Modernisierungsmaßnahmen etc. wurden, desto langsamer funktionierte die großherzogliche Verwaltungsmaschinerie. Im Jahr 1805 liefen »im Ministerial-Departement 6.409 Stücke an auswärtigen Schreiben, Protokollen und Vorträgen der Landesstellen und Bittschreiben« ein und die Anzahl »der erledigten Stücke lag bei 6.409«39. Im Jahr 1810 waren 8.011 dergleichen eingegangen, wovon 7.581 bearbeitet werden konnten. Das Jahr darauf sind jedoch bereits 8.913 Stück eingegangen, nur 7.715 erfuhren eine Bearbeitung und bis Juli 1813 waren bereits 5.181 Vorgänge angefallen, was von Hartmann als »dermahlen unmöglich zu bewerckstelligen«40 beschrieben wurde. Statt jedoch die »Züge der rationalen Herrschaft«41 des Vorbesitzers Bayern noch weiter zu konturieren, noch mehr auf Effektivität und Zentralisierung der Verwaltungsabläufe zu drängen, erachtete Erzherzog Ferdinand es bei seinem Regierungsantritt zunächst für sinnvoll, den von Kurbayern revolutionär durchreformierten Verwaltungsapparat in Form einer Landesdirektion beizubehalten, aber alle deren untergeordneten Ämter und Kommissionen zu belassen sowie die Hofämter und einen Geheimen Staatsrat wieder einzuführen. Das Nebeneinander von althergebrachten hochstiftischen Behörden und modernen Verwaltungsstrukturen verdeutlicht das Schema auf S. 279. Die nach modernen Maßstäben gegliederte Landesdirektion war eingeteilt in eine Rentkammer, betraut mit allen fiskalischen und sonstigen der Staatbilanz zugehörigen Vorgängen und eine Regierungskammer, die sowohl exekutive und legislative Kompetenzen in sich vereinigte. Von ihr aus gingen die Überwachung der Zensur, die Aufsicht über die kirchlichen Angelegenheiten, die kulturellen, sozial- und gesundheitspolitischen Entscheidungen. Wie schon in Salzburg schuf Erzherzog Ferdinand ein der Landesdirektion übergeordnetes Kollegium nach österreichischem Vorbild, den Staatsrat als oberste legislative Körperschaft. Das dirigierende Staatsministerium indes war als oberstes Exekutivorgan etabliert worden. Auf diese Stelle berief Erzherzog Ferdinand 1806 in Absprache mit seinem Bruder (!) Anton Graf von Wolkenstein-Trostburg42. Nach dessen plötzlichen Tod in Folge einer Lungenentzündung ließ er bezeichnenderweise die Stelle vakant und der Staatsrat übernahm exekutive 39 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 6, sign. 71, Fol. 146. 40 Ebd. 41 Blessing, Herrschaftswechsel, S. 174. 42 Ferdinand an Franz, Ofen, 25. Januar 1806, im Anhang als Dokument XXVII.

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Vollmachten, indem zunächst bis 1810 Staatsrat Seuffert und ab dann Staatsrat Wagner in »eingetretener Erledigung der Stelle eines dirigierenden Staatsministers«43 beide Ämter vereinten. Dadurch entstand im Staatsrat ein Machtmonopol, sollten dort doch nun alle Regierungsgeschäfte beraten und ausgehandelt werden44. Vor allem militärische und außenpolitische Angelegenheiten wurden mit Vorrang behandelt45. Überhaupt setzte Erzherzog Ferdinand auf strukturelle Nähe zwischen Militärwesen und Staatsverwaltung, denn er und der Staatsrat standen über der von ihm neugeschaffenen Militär-Oberkommission (MOK). Auch wenn sich im militärischen Bereich die Behörden und einzelnen Unterabteilungen besser abzustimmen versuchten46, gab es jedoch auch hier konkurrierende Kompetenzen und Zuständigkeitsrangeleien. Die Budgethoheit für das Militär lag beim Zivilisten Philipp Wilhelm Papius, ehemaliger Amtmann in Königshofen im Grabfeld47, der als Oberkriegskommissar für ›Militärökonomiesachen‹ in der Landesdirektion zuständig war, aber gleichzeitig als ständiges Mitglied in der MOK einen Platz hatte. Als deren Direktor fungierte der Festungskommandant Albrecht Friedrich Sigismund Freiherr von Stetten, der über weitere sechs Oberkriegskommissare als Räte gebot48. Dieses Kollegium bestritt, wie bereits ausge43 StAWü, MOK 10, S. 124. 44 »Der Regel nach musste alles in dem Staatsrate welchen der Großherzog jederzeit und wöchentlich ein, auch zweimal abhielt, vorgetragen werden. Er hielt öfters die Sitzungen 4 Stunden lang und nicht selten zwei Tage nacheinander, wenn der Geschäfte viel waren, mit der größten Aufmerksamkeit und erteilte über Alles seine Entschließung. Ehe das Staatsratsprotokoll geschlossen und von dem Großherzog nach jeder Sitzung unterzeichnet war, durfte in der Kanzlei nichts ausgefertigt werden. Dringende Sachen, besonders in auswärtigen Angelegenheiten durfte ich zu jeder Zeit vortragen. Dieses geschah auch in dem damaligen Drange sehr oft.« So in  : Wagner, Christian Johann Babtist von, Die Biographie, S. 19f. 45 Vgl. Bilz, Die Großherzogtümer, S. 56f. 46 Um die Kommunikationsabläufe zwischen den beiden Behörden zu verbessern, plante Erzherzog Ferdinand die Landesdirektion, die oberste Justizstelle, das Hofgericht, die Militär-Oberkommission und das Vicariat »nebst allen dazugehörenden Registraturen und Ämterbehörden in eine einziges dem Aerarium gehörendes Gebäude zu verlegen«. Er verfügte  : »Da die Landesdirektion und die MOK nach der Natur ihrer wechselseitigen Geschäfte miteinander in näherer Verbindung stünden,« wäre eine räumliche Verbindung äußerst wünschenswert. So in  : StAWü, MOK 8, Militär-Oberkommission Sitzungsprotokolle 01.01.1807–01.07.1807, S. 402–404. 47 Vgl. Würzburger Hof-, Staats- und Standskalender. Für das Jahr 1794, S. 139. 48 Die MOK setzte sich zusammen aus Philipp Wilhelm Papius, Oberstlt. Leopold von Haugwitz, Friedrich Christian von Navarra, Maj. Johann Nepomuk Kunst, Maj. Joseph Kaspar Depauli, Maj. Karl Metz. Sekretär Franz von Eckart, drei Kanzlisten und einem Kanzleidiener  ; der Generalstab  : Generalinspekteur Albrecht Friedrich Sigismund von Stetten, Generalbrigardier Lothar August Daniel Freiherr von Gebsattel, Friedrich Christian von Navarra, Großmajor Ferdinand Freiherr von Harrach, Stabsarzt und Chirurg Dr. Herrmann Brünninghaus, Stabsauditor Kaspar Joseph Voll, Garnisonsarzt Dr. Franz Hennemann, Olt. Jakob Korb als General-Inspektions-Adjudant, Platzlieutenant Jakob Korb, Stabs-Profoss Adam Pfisterer. Infanterie mit 14 Stabsoffizeren, 15 Hptm, 13 Stabscapt., 27 Olt, 31 Ult, 2 Stabsoffz der Artillerie, fünf Stabsoffz. der Kav., zwei Rittmeister, drei Olt und vier Ult, wobei zu bedenken ist, das zu diesem

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führt, die gesamte Militärverwaltung und war de iure auch die weisungsberechtigte Instanz des Generalstabs – alle taktische Befehlsgewalt wäre von ihnen ausgegangen. De facto lag die Befehlsgewalt nach Ausmarsch der Truppen jedoch in den Händen der französischen Offiziere, wie in diesem Kapitel noch auszuführen sein wird. Lediglich die Cordonsmannschaften, das großherzogliche Landessicherheitskorps, hatte die MOK direkt zu befehligen und deren Grenzsicherungsdienst und allgemeine Polizeiaufgaben zu koordinieren. Die Kriegsausgaben allerdings genehmigte der Staatsrat nur auf Antrag Papius‹, die im Untersuchungszeitraum stetig anstiegen. Anders als der Vorbesitzer Bayern investierte der Staatsrat massiv in das Militär. Kostete das würzburgische Militär im Zweiten Koalitionskrieg 1802 die bayerische Hofkriegskommission pro Jahr 413.455 fl. 31 5/12 Xr.49, bestimmte der Staatsrat für das Großherzogtum Würzburg im Durchschnitt 37 % höhere Ausgaben für die Streitkräfte. Jahre

An die Kriegskasse

1807/08

470.654 fl. 21 Xr.

1808/09

580.490 fl. 26 Xr.

1809/10

401.846 fl. 23 Xr

1810/11

347.299 fl. 47 Xr

1811/12

701.622 fl. 8 Xr

1812/13

745.571 fl. 46 Xr

Die hier abgebildeten Schwankungen ergeben sich aus der Kostendifferenz von Friedenszu Kriegszeiten. In Friedenszeiten kostete das Heer die Staatskasse des Großherzogtums ca. 300.000 fl. Vornehmlich an Gagen konnte dann gespart werden, weil die Soldaten während ihres Urlaubs keinen Sold bekamen50. Im Durchschnitt kostete der Unterhalt eines Regiments mit 1.800–1.900 Mann 30.000 fl. im Monat51. Insgesamt stiegen die Zeitpunkt die großherzoglichen Streitkräfte nummerisch auf dem Höchststand operierten. Großherzoglich Würzburgischer Hof- und Staats-Kalender für das Jahr 1813, S. 65–72. 49 Die Höhe des Betrags resultierte daraus, dass zum Zeitpunkt seiner Erhebung der Zweite Koalitionskrieg erst so eben beendet worden war und die Streitkräfte noch nicht auf den Friedensfuß gesetzt waren. So in  : StAWü, H.V. MS, f., 187, Ausweis, das alt Würzburgische Militär nach all seinen Branchen nach dem effectiven Stande mit Ende November 1802. Dabei beliefen sich z.B. die Kosten auf »Besoldung der Verwaltungs Personale 1.152,34 fl., auf Holz 19.300 fl., auf Lichter und Öl 2.563,20, auf Lagerstroh 1.066,40 fl. auf Bettfournituren, Wasch und Flickwerk 4.892 fl.« insgesamt auf 30.010 fl. pro Jahr, wie die »Summarische Übersicht von der Cassern-Verwaltung Würzburg über die auf den Garnisons-Stand von 1600 Köpfe in einem Jahr allenfalls erforderlichen Gelder« zeigt. In  : ebd., Fol 1. 50 Das kann man an der Einsparung von 20.000 fl. für »jährliche Urlaubsersparnis« sehen. Vgl. ebd., S. 1. 51 Vgl. Bilz, Die Großherzogtümer, S. 96.

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Kriegsausgaben bis zum Jahr 1814 auf 832.734 fl. 13 Xr.52, was mehr als das Doppelte der Ausgaben für das Militär in Friedenszeiten darstellte. Es fehlen in dieser Kalkulation für 1813 jedoch noch die Rückstände an Gagen, die aufgrund der Kriegswirren noch nicht gezahlt werden konnten53. Auf der Soll-Seite des Großherzogtums Würzburg standen im gleichen Berechnungszeitraum insgesamt 4.366.538 fl. 10 5/8 Kr.54, womit die Militärausgaben 1813 mindestens 20 % der Gesamtetatausgaben betrugen55. Die wirklich enormen Dimensionen verdeutlichen sich erst, indem man sich vergegenwärtigt, dass 1½ Pfund Brot 1806 24 Xr.56, ein Pfund Rindfleisch zwischen 8 ½ und 11 Xr. kostete57 und ein gemeiner Soldat der Infanterie im Jahr durchschnittlich 45 fl.58 verdiente. Die finanzielle Ausgangssituation für das großherzogliche Regierungspersonal zur Deckung der Militärausgaben war denkbar schlecht. Die Vorbesitzer Bayern ließen nur 1.211 fl. 22 Xr. in den Staatskassen zurück, nachdem zuvor noch kurzerhand 400.000 fl. als Zwangsanleihe und 200.000 fl. als Kriegskostenvorschuss aus dem Staatswesen am Main abgepresst wurde59. Der neu eingerichtete Staatsrat hatte sich zunächst im Oktober mit einem Extra-Anlehen in ausgeschriebener Höhe von 600.000 fl. zu behelfen und nahm ein Darlehen bei Jakob Hirsch60 in Höhe von 200.000 fl. auf61. Im Folgejahr 52 »Schon 1811/1812 war der Militäretat, der in Friedenszeiten 300.000 fl. betrug, auf 701.622 fl. 8 Xr 3/8 Kr. gewachsen, 1812/1813 betrug er 5/8 Xr.; die ersten 9 Monate von 1813/1814 kosteten aber – ohne Einrechnung der Rückstände – 832.734 fl. 13 Xr.,« so der Bericht »den Zustand der Finanzen und Kassen im Großherzogtum betreffend«, abgedruckt bei Chroust, Das Würzburger Land, S. 390–398, hier S. 391. 53 Hauptmann Düring, Bataillonschef des Bat. VI meldete an die MOK 1813 aus der Festung Modlin  : »Der Stand unseres Truppenteils schmolz von 300 auf 80 Köpfe […] 199 Mann vom Feldwebel abwärts starben an Krankheit. Die Offiziere sind seit April 1813 ohne Gage, die Mannschaften seit 20. Dezember 1812 ohne Löhnung. Der Bekleidungszustand ist der denkbar schlechteste.« Zit. nach  : August Eichelsbacher  : Die Würzburger Truppen in den Kriegen Napoleons I. (1806–1815), in  : Frankenland (1914), S. 284–293, S. 290. 54 Ebd. S. 397. 55 Zu den sonstigen Ausgaben, die vom Großherzogtum geleistet wurden, Bilz, Die Großherzogtümer, S. 104. 56 Aus den Akten geht hervor, dass am 22. Februar 1806 1½ Pfund Brot über 24 Xr., am 19. April ein Laib über 23 Xr. und am 2. Januar 1807 über 26 Xr. rh. kostete. Die Preise blieben aber abgesehen von saisonalen Schwankungen konstant. So in  : StAWü, H.V. MS, q., 156. 57 Vgl. Chroust, Das Würzburger Land, S. 209. 58 Zahlen nach  : StAWü, H.V. MS, f., 187. Ein Soldat verdiente damit nicht schlecht, wie ein Vergleich mit einem Jahreseinkommen eines Dorfschullehrers zeigen lässt, dessen Verdienst bei 40–100 fl. lag. Vgl. Winfried Schenk  : Ländliche Gesellschaft und Raumnutzung, in  : Peter Kolb/Ernst-Günter Krenig (Hg.)  : Unterfränkische Geschichte, Bd. 4,1. Würzburg 1998, S. 275–323, S. 309. 59 Vgl. Bilz, Die Großherzogtümer, S. 97. 60 Dazu  : Wolfgang Zorn  : Jakob, Julius und Joseph v. Hirsch, in  : Fränkische Lebensbilder (1978), S. 214– 227. 61 GhzRegBl, 1806, XVI. Stück, S. 51.

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griffen sie auf das Instrument der Schatzung zurück, eine »vermischte Gebäude-Grundund Kopfsteuer«62, die bereits in fürstbischöflichen Zeiten eingetrieben worden war. Ursprünglich eine reine Vermögensabgabe, entwickelte sich diese Staatseinnahme als regulierte Abgabe insofern, dass jeder Einwohner prozentual an einer festgeschriebenen Summe, dem sogenannten Simplum, seinen Beitrag zu leisten hatte. Vor den abgeschlossenen Gebietserweiterungen des Jahres 1810 bestimmte der Staatsrat die Höhe eines Simplums auf 12.700 fl., wobei pro Jahr die Distriktskommissariate/Rentämter von den Einwohnern insgesamt 42 ¾ Simplen eintrieben. Das bedeutete eine pro Kopf Belastung von 2 fl. im Jahr. Diese blieb auch nach der Anhebung auf 15.960 fl. pro Simplum und der Erhöhung der Gesamtlast auf 44 Simplen durch den Staatsrat 1813 gleich, teilte sich die eingeforderte Summe doch durch mehr Einwohner63. Bedenkt man jedoch, dass diese Abgabe für jedes Familienmitglied aufgebracht werden musste, in den allermeisten Fällen aber nur ein Einkommen pro Familie erzielt werden konnte, und eine durchschnittliche Familie 1809 aus 4,38 Personen bestand, verschärft sich die finanzielle Belastung gerade der unteren und einkommenslosen Schichten. Vor allem auch deshalb, weil beispielsweise 1813 in nur einem Jahr zusätzliche 48 Simplen für »die Approvisierung der Spitäler und Magazine«64 vom Staatsrat eingefordert wurden. Eine durchschnittliche Lehrerfamilie mit einem Einkommen von 50 fl. im Jahr und vier Familienmitgliedern hatte demnach alleine im Jahr 1813 18 fl. zur Begleichung der ordinären Schatzung zu entrichten. Weil jedoch bereits nach der Teilnahme am Vierten Koalitionskrieg 1808 im Staatsrat klar war, dass »die Mittel« zum Ausgleich des Staatshaushalts, »welche wir in gegründeter Erwartung einer besseren Zukunft zu diesem Zwecke wählten, theils nicht mehr vorhanden sind, theils […] dieselben bei einem fortgesetzten Gebrauche das Mißverhältnis der Einkünfte des Staates zu dessen Bedürfnissen noch mehr verschlimmern [würden]«65, erarbeitete Staatsrat Hennebrith ein Manuskript mit dem Titel »Finanzwirtschaft des Großherzogtums Würzburg«66. Darin arbeitete er zur Entscheidungsgrundlage im Staatsrat eine umfangreiche Steuerreform in drei Stufen aus  : Zunächst wurde darin eine »Personalsteuer«67 gefordert, die von jedem Familienoberhaupt 20 fl. im Jahr forderte. Der Staatsrat drehte nach seinen Beratungen im Jahresverlauf 1808 die Steuerschraube in seiner am 1. April 1809 erlassenen Steuerordnung jedoch insofern noch höher, dass jeder »Staatsbürger« in Zukunft noch zusätzlich zur Schatzung, 3 ½ Simplen monatlich 62 Bilz, Die Großherzogtümer, S. 97. 63 1809  : 273.859 Einwohner  ; 1813  : 349.016 Einwohner. Zahlen aus dem Anhang im Dokument XIX. 64 GhzRegBl, 1812, XXV. Stück, S. 124. 65 GhzRegBl, 1809, VII. Stück, S. 35. 66 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 7, sign. 71, Fol. 155–174. 67 Ebd. Fol. 157.

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zu bezahlen hatte. Unter der Maßgabe »jede noch bestehende Ungleichheit […] zu diesem Zwecke aufzuheben«68 verlangte man somit, um beim Rechenbeispiel der durchschnittlichen Lehrerfamilie im Jahr 1813 zu bleiben, weitere knapp 8 fl. und erhöhte die Steuerlast damit auf 26 fl. Für die untersten sozialen Schichten, die Knechte und Tagelöhner, die keine geregelten Einkommen, sondern saisonale, oder konjunkturbedingte Einkommen hatten, wie die kleinen Einmann-Handwerksbetriebe, musste diese Steuerordnung fatal gewirkt haben. In einer zweiten Ausbaustufe empfahl Hennebrith in seinen Überlegungen über die Finanzwirtschaft die Einführung der Grundsteuer nach französischem Vorbild69. Dieses Reformprojekt der großherzoglichen Regierung evozierte weitere damit verbundene Reformvorhaben. Das Problem, das sich der flächendeckenden Einführung der Grundsteuer in den Weg stellte, war ein fehlendes Kataster. Es gab schlichtweg keine Übersicht, wer wie viel Grund besaß, geschweige denn, dass es in dem Staatswesen am Main ein einheitliches Flächenmaß gegeben hätte70. Die Gründung des Statistischen Bureaus drei Jahre später ließ sich der Staatsrat anfangs jährlich 30.000 fl. kosten, deren Arbeit musste aber wegen Geldnot 1812 bereits schon wieder eingestellt werden. Die bruchstückhaft erhobenen Grundsteuern brachten nach einer weiteren Erhöhung derer 1813 insgesamt nur 181.535 fl. 48 Xr. bei einer geschätzten Nutzfläche von 2 Millionen Morgen71. Hennebriths Plan zur Finanzwirtschaft sah des Weiteren eine Art Vermögenssteuer vor, die ab Oktober 1810 auf Grundlage einer alten Einnahme, der sogenannten Accise, gebildet wurde72. Demzufolge wies die Rentkammer jedem Distriktskommissariat eine Steuerklasse nach dem Aufkommen der Simplen und Personalsteuer zu73 und die Distriktskommissariate wiederum unterteilten die dort ansässigen Familien in Untergrup68 GhzRegBl, 1809, VII. Stück, S. 35. 69 »Lässt man in diesem akkerbauenden Staate, welcher zu den fruchtbarsten in Deutschland gehoeret, die sumarische Ertragsfähigkeit als Probe seiner sumarischen Abgabefähigkeit gelten und auf diesem Falle von jedem Morgen Land und Wasser im Duschschnitt eine jährliche Abgabe von 36 Xr. rheinische an Geldwerth fordern, so erhält die Regierung jährlich eine Grundabgabe oder Grundsteuer von 1.312.416 Gulden rheinisch. Bey einer solchen Grundabgabe kann das Auskommen des Volkes und besonders der Grundbesitzer gewiss regelmäßig bestehen  !« SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 7, sign. 71, Fol. 157. 70 Der Kitzinger Morgen betrug 0,61018 bayerische Tagwerk, der Würzburger Morgen 0,5759 bayerische Tagwerk und der Bischofsheimer Waldmorgen 1,2479 bayerische Tagwerk. Vgl. Chroust, Das Würzburger Land, S. 40. 71 GhzRegBl, 1813, XIX. Stück, S. 67f.; Die landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Nutzung läge dann bei rund 96 Mio. fl. Ertragswert. Vgl. Bilz, Die Großherzogtümer, S. 339. 72 GhzRegBl, 1810, XIII. Stück, S. 59f. 73 Die vermögendsten Distrikte im Großherzogtum Würzburg waren demnach die Stadt Würzburg, Gerolzhofen, Königshofen, Ochsenfurt, Röttingen, Volkach und Werneck, die am wenigsten vermögenden in Steuerklasse III waren Bischofsheim, Fladungen, Gemünden, Hilders, Kissingen und Proelsdorf. Siehe Tabellen, Entwicklungen der Überschüsse nach Steuerklassen und Einwohner von 1805–1812 im Anhang als Dokument XXIX.

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pen, gemessen am wahrscheinlichen Verbrauch von Mehl und Fleisch. Eine Familie in der III. Steuerklasse und 3. Untergruppe hatte also 1 fl. 17 2/5 Xr. an »Accis« pro Jahr zu entrichten, eine Familie der I. Klasse in der I. Untergruppe 9 fl. 9/20 Xr.74. Für das Rechenbeispiel der Lehrerfamilie bedeutete dies eine weitere Steuerbelastung von mindestens weiteren 3 fl. Hinzu kam die Einkommenssteuer in Höhe von 1,5 % pro Jahr, womit dieser Beispielfamilie im Jahr 1813 nur 20 fl. Nettoeinkommen geblieben wäre75. Ausgehend von diesen Zahlen lassen sich einige weitere interessante sozio-ökonomische Aussagen zum Regierungshandeln des großherzoglichen Verwaltungsapparats treffen  : Betrachtet man nun die Bruttoüberschüsse pro Distrikt und Steuerklasse und setzt diese ins Verhältnis zu den Einwohnern, ergibt sich, dass die Rentkammer von 1805/06 bis 1811/12 trotz allgemein fallendem Wohlstand auf die ohnehin geringen Vermögenswerte der ärmeren Ämter in Steuerklasse III prozentual immer stärker zugriff76. Entwicklung der Überschüsse

in fl. 900.000 800.000 700.000 600.000 500.000

Steuerklasse I Steuerklasse II

400.000

Steuerklasse III

300.000 200.000 100.000 0

Überschüsse 1805/06

Überschüsse 1809/10

Überschüsse 1811/12

Die Abgabenbelastung pro Kopf in der III. Steuerklasse war durch die Rentkammer innerhalb von sechs Jahren von 2 fl. 58 Xr. auf 3 fl. 58 Xr. angehoben worden, wohingegen die Abgaben der Steuerklasse I pro Kopf von 6 fl.3 Xr. auf 5 fl. 77 Xr. gesunken 74 Vgl. ebd., S. 105. Das entsprach bei 1 fl. 17 2/5 Xr. Accis einem geschätzten Verzehr von 3,5 Zentnern 1 Mehl und 20 Pfund Fleisch pro Familie. Für 9 fl. 9/20 Xr. Accis veranschlagte Hennebrith 6,25 Zentner Mehl und 2 Zentner Fleisch. So in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 7, sign. 71, Fol. 163f. Die darin offengelegte Definition von »Reichtum« lädt zu weiteren Nachforschungen zu den sozialen Milieus des Staatswesens am Main ein. 75 Ebd., S. 99 76 In der Kalkulation wird der Iststand von 1809/10 »eingefroren«, d. h. die territorialen Veränderungen der Pariser Verträge müssen nicht mitberücksichtigt werden. Außerdem wurde angenommen, der Bevölkerungsstand innerhalb der Distrikte im Berechnungszeitraum habe sich nicht gravierend geändert. Grundlage der Berechnung die Tabellen im Anhang als Dokument XXIX.

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sind. Betrachtet man die von Hennebrith zugrunde gelegte Schätzung der Kaufkraft für Grundnahrungsmittel einer Familie der Steuerklasse I, sieht man, dass die eine Familie gegenüber einer Familie der Steuerklasse III das Neunfache an Kaufkraft hatte. Die Abgaben pro Kopf in der Steuerklasse I waren jedoch nur doppelt so hoch wie die Abgaben pro Kopf der Steuerklasse III. Die Steuerklasse III hatte somit, gemessen am Beispiel der Lebensmittelausgaben, eine wesentlich höhere Abgabenbelastung. Es scheint daher, als habe Hennebriths Absicht darin bestanden, die Finanzwirtschaft des Großherzogtums im Krieg durch stärkere Belastung der finanzschwachen Einwohner des Landes bei gleichzeitiger Entlastung der finanzstärkeren zu verbessern. Auffällig ist außerdem, dass gerade die von der Hauptstadt entferntesten Distrikte von der größeren Abgabenbelastung betroffen waren als die näher am Zentrum liegenden. Anders gewendet – die Distrikte Würzburg Stadt, Würzburg links und rechts des Mains, Ochsenfurt, Werneck und Karlstadt wurden um 8,3 % entlastet, während die Distrikte in der Peripherie, Bischofsheim, Fladungen, Gemünden Hilders, Kissingen und Proelsdorf um 5,0 % mehr belastet wurden. Das ist insofern bedeutungsvoll, dass die französischen Gesandten wie Seismografen immer wieder ganz genau den »esprit public«77 in der Bevölkerung zu erfassen suchten. An der Stimmung innerhalb der Gesellschaft bemaßen die Gesandten pro- oder antifranzösisches Regierungshandeln und bezogen sich dabei auf einen Erhebungsradius, der sich nur auf das Umland der Residenzstädte beschränkte. Das Großherzogtum Würzburg fand sich beispielsweise belobigt, dass » la gazette du Wurzbourg conservera aussi pour l’avenir la réputation d’une obéissance entière aux ordres du gouvernement78. Bei dieser geschickten Lastenumverteilung auf die ärmeren Steuerklassen und auf die Distrikte in der Peripherie beließ es der Verwaltungsapparat des Großherzogtums Würzburg jedoch nicht und er forderte von seinen Einwohnern eine noch weit größere Anzahl von Steuern wie die Gewerbesteuer79, die Besoldungs- und Pensionistensteuer für alle Hof-, Staats- und Militärdiener, die sich nicht im Feld befanden, sowie eine Zinsund Ertragssteuer für adelige Gutsbesitzer und eine Konsumtionssteuer80. Dass bei die77 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Hirsinger an Talleyrand, 31. Januar 1809, Fol 241. 78 Ebd. 79 Da aber nur rund ein Fünfhundertstel des geschätzten Jahresumsatzes von Händlern und Kaufleuten abzugeben war, schadete dies in Wahrheit kaum der Wirtschaftsleistung des Landes wie verschiedentlich behauptet wird  : »Wegen der verzweifelten Finanzlage (die Bayern hatten alle Kassen gelehrt und alle Waffen mitgenommen) und wegen der Unvollkommenheit der Steuererhebung, wurden die Verbrauchssteuern und Zölle angehoben. Das erwies sich als schwer schädlich für die Wirtschaftskraft des Landes«. Bungert, Toskanisches Zwischenspiel, S. 296. Wolfram Bilz berechnete, dass wenn bei einem 500stel des Jahreseinkommens immerhin 30.000 fl. Steuern zusammengekommen waren, insgesamt von einer beachtlichen Nettohandelsbilanz von 15 Mio. fl. ausgegangen werden muss. Vgl. Bilz, Die Großherzogtümer, S. 98f. 80 Vgl. Johann Andreas Demian  : Statistik der Rheinbundstaaten. Frankfurt am Main 1812b, S. 178  ; zu den einzelnen Steuern Bilz, Die Großherzogtümer, S. 98f.

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sem immens angewachsenen Verwaltungsaufwand, der bei diesem enormen Reformprojekt zur Geldbeschaffung entstanden war, in den Behörden eine noch größere Menge an Bediensteten ›zum Staat drängten‹, versteht sich von selbst. In der Rentkammer bildete der Staatsrat eine »Extra-Steuerkommission«81 und während im Dirigierenden Staatsministerium einige Vorgänge liegen bleiben mussten, exekutierte die Rentkammer die finanzpolitischen Maßnahmen ausgesprochen effektiv. Ein Beispiel  : Am 13. Mai 1813 verfügte der Staatsrat die Ausschreibung einer Schatzung von 12 Simplen (188.864 fl.), am 12. Juni kamen 16 Simplen dazu (251.809 fl.), am 25. Juni liefen bereits 436.291 fl. bei der Rentkammer ein und erfüllten damit 99 % der eingeforderten Steuersumme binnen von sechs Wochen82. Genauso effektiv griff der großherzogliche Verwaltungsapparat in zollpolitischer Hinsicht auf die im Krieg dauerhaft knappe Ressource Geld zu. Zur Herrschaftsverdichtung und zur »Verstaatlichung von Herrschaftsrechten«83 gehörte als wesentlicher Baustein, dass die Rheinbundakte in § 25 den Souveränen die Zollhoheit zusprach. Alle Zolleinnahmen wurden zuvor von den Distrikten alleine einbehalten. Der Staatsrat zentralisierte mit der Zollordnung vom 20. Mai 1812 diese Einnahmequelle und verfügte zur Effizienzsteigerung dann im gleichen Jahr die Schaffung eines eigenen Zolldepartements in Landesdirektion84. Die Landesdirektion hatte damit nicht nur ein effektives Instrumentarium für 1812 notwendig gewordene Schutzzölle für Getreide, als Requirierungen der napoleonischen Armeen zu einer enormen Getreideknappheit führten, die außerdem durch eine schlechte Ernte verschärft wurde85, sondern es ermöglichte dem Verwaltungsapparat, aus der günstigen geografischen Lage des Großherzogtums geldwerten Vorteil zu ziehen. Häufig wird seitens der Forschung übersehen – falls eine wirtschaftliche Untersuchung überhaupt stattfindet –, dass das Großherzogtum Würzburg eine bemerkenswert positive Handelsbilanz aufwies86. Der 81 Ebd. 82 Zum ganzen Vorgang ausführlich  : Chroust, Die Geschichte, S. 373. 83 Weis, Die Begründung, S. 39. 84 GhzRegBl, 1812, VII. Stück, S.45f. 85 Ein Blick auf die Kornpreise ermöglicht gerade im Vergleich zwischen Kriegs- und Friedensjahren eine auffällige Preisschwankung  : Kornpreise pro Malter 1804  : 12,30 fl.; 1805  : 15 fl. 52 Xr., 1806  : 12 fl.,52 Xr., 1807  : 7 fl. 56 Xr., 1808  : 7 fl. 24 Xr., 1809  : 7 fl., 1810  : 5 fl. 51 Xr., 1811  : 8 fl. 38 Xr., 1812  : 13 fl. 40 Xr., 1813  : 10 fl. 58 Xr.; so in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6, sign. 71. Fol. 51. 86 »Mitten in Deutschland gelegen ist das Großherzogthum Würzburg der bisher so vernachlässigte natürliche Stapelort des ganzen deutschen Handels. Bei einer guten Straß an die sächsische Grenze nach Ummerstadt und nach Gleusen wird Haßfurt den Handel von dem östlichen, sowie Schweinfurt jenen des nördlichen Sachsens und von Westphalen für den Main gewinnen. Ochsenfurt, Marktbreit und Markt-Stefft befördern die Waaren von und nach Nürnberg, Schwaben und Italien weit geschwinder zu Lande, als durch die langsame Mainfahrt nach Bamberg. Sie sind zugleich die Kornmärkte von der Provinz Anspach und durch Würzburg selbst ist nach Mannheim, Straßburg, über den Rhein nach

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Export des Staatswesens am Main übertraf die Staatseinnahmen durchschnittlich um das Vier- bis Fünffache87. Während die neue Zollordnung zu großer Missstimmung bei den Betroffenen führte88, da sich dadurch ihre Abgabenlast nur noch weiter erhöhte, blieb das Edikt von Trianon vom 5. August 1810, das die Kolonialwaren aus dem napoleonischen Herrschaftsgebiet verbannen sollte, für die großherzogliche Finanzpolitik eher bedeutungslos. Sie verursachte nur bei drei Händlern im Großherzogtum Würzburg einen Schaden von zwei Tonnen Baumwolle, 1,7 Tonnen Öl, und einer nicht genauer bestimmbaren Menge an Zucker und Kaffee im Wert von 223.170 fl. ¾ Xr.89. Der Staatsrat ließ diese Kolonialwaren vor den Toren der Stadt am 29. November 1810 öffentlichkeitswirksam am Sander-Glacis verbrennen, was den Behörden lobenswerte Erwähnung in Paris einbrachte und ›dem Ansehen‹ nach einen weiteren Beweis »dans le système de dévouement«90 liefern konnte. De facto bezog die Rentkammer den größten Teil der zollpolitischen Einnahmen ohnehin aus dem Transit-Handel, der sich auch dank Erzherzog Ferdinands umfangreichen Investitionsprogramms in die Infrastruktur mit der Verordnung von 1813 mit einem ½ Xr. pro Zentner und Wegstunde auszahlte91. Dieser Exkurs in die finanzpolitische Reformtätigkeit der großherzoglich würzburgischen Regierung zeigt deutlich, dass von »Anhalten der Entwicklung, eine Zeit des Abwägens und Abwartens«92 nicht gesprochen werden kann. Höchst effektiv nutzte das Regierungspersonal die im Großherzogtum Würzburg vorhandenen Ressourcen, Seelen und Quadratmeilen, um immer noch mehr Geldmittel für die Rheinbundpolitik zu akquirieren. Wenn im Folgenden eher die enormen Ausgaben im Vordergrund stehen werden, die das Großherzogtum Würzburg im Krieg aufwendete, so sollen an dieser Stelle die nackten Zahlen für ein reformorientiertes, modernes Regierungshandeln sprechen  : 115 der insgesamt 544 Verordnungen befassten sich alleine mit Steuer- und Zollangelegenheiten.

Frankreich die nächste Straße von Osten und Norden und kann bei weniger Einrichtung der Posten und Straßen in einem Tage von Würzburg bis Mannheim gereißt werden.« Regierungskammerdirektor Philipp Heffner an den Bayerischen Hofkommissar von Lerchenfeld, zit. nach  : Chroust, Das Würzburger Land, S. 233f. 87 Der französische Gesandte Montholon berichtete den Mittelwert der Exporte von 1800–1810 nach Paris in Höhe von 12.491.637 fl., davon alleine 8.631.900 fl. Wein, aber auch 1.753.860 fl Getreide. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 68, Fol. 51. 88 HHStAW, Stk., Würzburg 3, Buol an Metternisch, 14. Juni 1812. 89 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Fol. 137  ; ausführlicher  : Chroust, Die Geschichte, S. 328. 90 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Fol. 137. 91 GhzRegBl, 1813, VI. Stück, S. 27. 92 Bungert, Toskanisches Zwischenspiel, S. 296.

Vom ›gesellschaftlichen Zustande‹ am Main  Jahre

Bruttoeinkünfte

180293

1.118.498 fl. ¾ Xr.

1805/0694

2.290.957 fl. 39 Xr.

1809/10

2.142.832 fl. 20 Xr.

95

1811/1296

2.450.760 fl.10 ¼ Xr.

181497

2.600.000 fl.

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Dadurch konnten die Bruttostaatseinnahmen im Untersuchungszeitraum trotz der hohen Ausgabenlasten um 13,5 % gesteigert werden. Obwohl die Kriegsausgaben enorm waren und auch noch 1813 Schulden gemacht werden mussten, ließ Erzherzog Ferdinand nur die geringe Schuldenlast von 60.000 fl. für Bayern zurück – eindrucksvollster Beweis effektiver fiskalpolitischer Maßnahmen.98 Die großherzoglichen Behörden ermöglichten dieses Einnahmenplus mit stetig wachsendem Personalaufwand. Sie betrieben Herrschaftsverdichtung durch punktuelle Reformtätigkeit unter einer andauernden Verstaatlichung alter Herrschaftsrechte und machten dies für die Kriegsmaschinerie nutzbar. Zupass kamen ihnen die territorialen Erwerbungen ihres Landesherrn, »dass der Großherzog ein guter Haushalter war«99 sowie die für den Handel so günstige Lage des Großherzogtums100. Das Aufmarschgebiet

Das Großherzogtum Würzburg war jedoch nicht nur der »natürliche Stapelort des ganzen deutschen Handels«101. Es war das Aufmarschgebiet schlechthin, da es am Main  93 BayHStA, MA 4555, Bericht Seuffert, Regensburg, 7. Oktober 1802.  94 HHStAW, Stk, Kleinere Reichsstände, 550 Würzburg, Fol. 578  95 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6., sign. 71, Zusammenstellung der Special Etats saemmtlicher Rentaemter im Grossherzogthume Würzburg für das Etatsjahr 1809/10.  96 Hauptfinanzetat pro anno 1811/12, so im Anhang als Dokument XXIV.  97 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6., sign. 71, Vorläufige kurze Übersichten von den Landes-, oder Staatsschulden, Hennebrith, 1. Juli 1814, Fol 14. Gesamtübersicht der Einnahmen als Auszug im Anhang als Dokument XXX.  98 Der stets gut informierte bayerische Gesandte Reding meldete im Untergang des Staatswesens am Main nach München  : »Die Kriegsauslagen im hiesigen Lande vom Oktober 1813 bis April 1814 betragen weit über drei Millionen Gulden, welche jedoch bis auf eine Summe von circa 60.000 fl. abgezahlt sind.« So in  : Reding an Montgelas, Würzburg, 16. Mai 1814.  99 Wagner, Christian Johann Babtist von, Die Biographie, S. 118. 100 Insgesamt mussten an dieser Stelle die wirtschafts- und handelspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten im Großherzogtum Würzburg weitgehend ausgeblendet bleiben. Das Archiv in Prag verspricht indes auch dabei einigen Erkenntnisgewinn. 101 Heffner an Lerchenfeld, zit. nach  : Chroust, Das Würzburger Land, S. 233f.

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gelegen, durch »Spessart, Rhön, Thüringer Wald, Steigerwald und den Frankenwald hervorragend abgeschirmt«102 war. Der schiffbare Fluss ermöglichte effizienten Truppenund Versorgungstransport und die Straße Würzburg-Frankfurt-Mainz wurde in umgekehrter Richtung seit einigen hundert Jahren militärisch genutzt. Während der Feldzüge der Jahre 1806, 1810 und 1813–1815 lag das Großherzogtum Würzburg im Hauptmarschkorridor der napoleonischen und später der alliierten Truppen103. Die Stadt Würzburg selbst war eines der ca. 200 Etappenquartiere vom Rhein bis zur Weichsel und alle Einwohner entlang der Hauptmarschrouten, egal in welchem Bündnis sie gegenüber Napoleon standen, wurden dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Dies brachte den Krieg in die Lebenswirklichkeit der Menschen am Main104. Sah die Militärtaktik im 18. Jahrhundert noch eine Versorgung der Streitkräfte aus flächendeckend errichteten Magazinen vor, was den Operationsradius gehörig einschränkte105, bestand Napoleons Neuerung für seine weit raumgreifenden Feldzüge darin, »dass er die alten Gepflogenheiten über den Haufen w[arf ] und die Verpflegung beim Feind suchen g[ing]«106. Dies steigerte die Marschetappenleistung der napoleonischen Armeen entscheidend von bis zu 160 km in 36 Stunden107. Würzburg spielte dabei in den Aufmarschplänen Napoleons bis zuletzt konkret eine Rolle  : »Les circonstances me portent à attacher une nouvelle importance à la citadelle de Würzburg. […] Ordonnez sur-le-champ les travaux convenables et fournissez les fonds nécessaires.«108 Der fortifikatorische Wert der Würzburger ›citadelle‹ hingegen wird, auch wenn es »der wichtigste Punkt aller Operationen zwischen dem Rhein und Böhmen sowohl nach Westen wie nach Norden [war und] dem Feinde nicht gestattet, ungestraft an ihm vorbei zu ziehen«109, überschätzt. Alleine die Lage der Festung Marienberg und vor allem 102 Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 165. 103 Vgl. Stephanie Poßelt  : Die Grande Armée in Deutschland 1805 bis 1814. Wahrnehmungen und Erfahrungen von Militärpersonen und Zivilbevölkerung. Frankfurt am Main u. a. 2013, S. 74–80 u. StAWü, HV., MS., f. 604 a. 104 Ebd., S. 118. 105 »Um eine Armee von 100.000 Mann 25 km von ihren Versorgungsbasen entfernt zu ernähren, waren zweimal 100 Wagen erforderlich. Bei einer Entfernung von 100 bis 120 km aber brauchte man bereits zweimal 500, also 1.000 Wagen. Da sie mit 4 Pferden bespannt waren, bedeutete das 4.000 Pferde […] Daraus erklärt sich die Langsamkeit der Operationen im 18. Jhd. und vor allem die Tatsache, dass Erfolge nicht großräumig genutzt wurden.« Nanteuil, Logistische Probleme, S. 66. 106 Ebd. S. 67. Jedoch so neu war dieses Vorgehen nicht, was die napoleonischen Kriege daher immer in enge Verbindung zum Dreißigjährigen Krieg brachte, bei dem es auch schon hieß, der »Krieg ernährt den Krieg«. Vgl. Volkmar Regling  : Grundzüge der militärischen Kriegsführung. Grundzüge der Landkriegsführung zur Zeit des Absolutismus und im 19. Jahrhundert, in  : Hans Meier-Welcker (Hg.)  : Handbuch zur deutschen Militärgeschichte. München u. a. 1964, S. 411–421, S. 228f. 107 Vgl. Karl J. Mayer  : Napoleons Soldaten. Darmstadt 2008, S. 39. 108 Napoléon, Correspondance, 23. Mai 1813, Nr. 20040, S. 365, Napoleon an Rogniat. 109 BayHStA, Abt. IV, Generalstab 486, Sonderakt Würzburg 1852–1875, Gutachten vom 14. Februar 1852,

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der Stadt im Talkessel ließ mit den neueren gezogenen Kanonen den Beschuss von den nur sporadisch befestigten Höhen Nikolausberg, Grainberg und Hubland unvermindert zu110. Und tatsächlich waren an der Festung nicht nur einmal ›travaux convenables‹, sondern während des ganzen Untersuchungszeitraums dauerhaft nötig. Die Festung war nach der bayerischen Plünderung und durch die Belagerung im Jahr 1800 bei der Besitzergreifung durch die Habsburgermonarchie in einem erbärmlichen Zustand, so dass »ohne eine […] Dotation mit Geschütz und Munition der Name und der Begriff einer Festung nicht besteht«111. Der Staatsrat investierte in den Festungsbau umfangreich112. zit. nach  : Dirk Götschmann  : Die Festung Marienberg bei ihrem Übergang an Bayern, in  : Helmut Flachenecker (Hg.)  : Burg – Schloss – Festung. Würzburg 2009, S. 237–255, S. 237f. 110 Schon 1815 wurde auch deswegen der fortifikatorische Wert der Festung vom bayerischen Ingenieurhauptmann Streiter negativ beurteilt. Vgl. Daniel Burger  : Festungen in Bayern. Regensburg 2008, S. 189. 111 HHStAW, Stk, Kleinere Reichsstände, 549 Würzburg, Hügel an Thürheim, 3. März 1806. »Kaum angekommen fiel Hügel die enormen Plünderungen der Festung auf  : Die ganze Festung wurde rein ausgeleert. Alles Geschütz, sogar die Kanonen, die bei Feuersbrünsten abgebrannt wurden, alles Holz, sogar die Stöcke, worauf man die Helme und Casquets aufzuhängen pflegte wurden abgeführt. […] Die Festung kann demnach nicht einmal dazu dienen, sich vor einem unvermutheten Überfall für den Augenblick zu schützen.« Ebd. Hügel an Stadion, 11. Januar 1806. Er beobachtete »Maßregeln zur gänzlichen Ausleerung des Fürstenthums« und schickte im März ein 42–seitiges »Verzeichnis derjenigen Zeuchhaus Effekten welche bei der Churfürst Baierischen Besitzergreifung von Würzburg im Jahr 1802 vorhanden gewesen« nach Wien. Darunter eine genaue Auflistung der Würzburger Kanonen (31 schwere Kanonen, darunter auch die 1796 von Frankreich geschenkten Alarmkanonen) und Munition etc. Das Ausmaß der Plünderungen verdeutlicht sich im Detail  : Es fehlen 5.758 kleine Nägel,175 Sättel, 169 Winterdecken, 55 Hafersäcke 17.299 Stopfer für die weit über 10.000 Gewehre, aber auch Antiquitäten wie 101 Ritterharnische, Fahnen und Ähnliches, Brunneneimer, Leitern, Tische, sogar die Ketten der Burgtore sowie Portraits des Fürstbischofs Georg Karl und Franz von Hutten. 112 Nach und nach wurden die Schäden von der Festungskommandatur beanstandet und durch die Militäroberkommission an die Landesdirektion zur Bearbeitung weitergegeben. Für weitere Forschungen sei hier die Reparaturleistung der großherzoglichen Militärbehörden zusammengefasst  : Im September 1807 ließ der Festungskommandant den Einsturz eines Stück Daches auf der Schottenseite beheben und verfügte die Reparatur des Staatsgefängnisses auf der Festung, Im Kommandantenhaus gab es nach den französischen Einquartierungen keine Fenster mehr. Im Oktober verfügte man die Überdachung der Salpeterplantage, im November 1807 wurden die Schieferdächer repariert, weil im Schottenflügel »drei Stock hoch und darin nicht mehr als 6 Wohnungen bewohnbar« waren. Das Scherenbergtor war durch die »Bomben« von 1800 stark beschädigt worden und brauchte neue Dachbalken. Dort befand sich die sogenannte Holzmanns Wohnung im Tor mit Überdachung, die aber »auf höchsten Befehl« durch den Bauintendant Erzherzog Ferdinands, Nicolas Alexandre Salins de Montfort, eingerissen wurde. Im April 1808 wurde »die Pallisadierung am Pulvermagazin« erneuert. Im September der Kalkschuttboden im Pulvermagazin gegen Feuchtigkeit eingerichtet. Im Juni 1809 unternahm man Brunnenarbeiten an der Wohnung von General Menard auf der Festung. Ein Jahr später standen Reparaturen der Turmdächer (Michaelsturm, Marienturm) an und es wurden im September am Artilleriebau Ausbesserungsarbeiten unternommen. Im Oktober 1810 wurde nach Einsturz die Mauer oberhalb der Courtine gegen die Stadt ausgebessert. Im Juni 1811 unternahm das Bauamt Reparaturen an der Neutorwachstube »wegen dem vielen Ungeziefer im faulen Holz« und die Reparatur der Pfarrwohnung durch Baumeister Speeth wurde angeordnet. Im Oktober kam es zum Abbau der verfaulten Pallisaden. Im Mai 1812 befahl die MOK die

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Weil jedoch die Kapazitäten zur Unterbringung auf dem Marienberg nicht ausreichten, ließ der Staatsrat im Hexenbruch unterhalb der Festung zusätzlich Baracken für 10.500 Soldaten errichten113. Alleine an dieser Dimension verdeutlicht sich, in welchen Massen die napoleonischen Armeen durch das Großherzogtum wälzten. Die »Truppenversorgung aus dem Lande« war aus der finanziellen Not der Französischen Revolutionsheere geboren und erreichte durch Massenheere nie gekannter Größe eine neue Eskalationsstufe, denn der neuartige Bewegungskrieg und die daraus resultierenden Requirierungen und Einquartierungen sowie Plünderungen und Übergriffe fielen besonders zu Lasten der Zivilbevölkerung  : 1806 beschrieb Ortspfarrer Michael Anton Rauch von Euerfeld die Verschiebung des Krieges von weit entfernten Schlachtfeldern in die Heimat  : »Es gab hier ungeheuere Heeres-Züge  : Vom 4. Oktober bis in die Mitte desselbigen war die Straße, so über Dettelbach nach Bamberg führt, Tag und Nacht mit Infanterie, Cavallerie, Artillerie, Munition, BagageWägen etc. bedeckt, wobey Ortschaften, so an der Straße, oder nicht weit davon lagen entsetzlich gelitten haben  ; wie es z.B. Biebergau ergangen ist, wo 5–6 Tausend Mann in der Nacht vom 5ten auf den 6ten Oktober einfielen, einige brave zum Vorspann nahmen, 1.000 fl. Kontribution verlangten, zwar nicht plünderten, aber doch alles in Schreckensetzten und aufzehrten.«114

Die Belastung durch Truppendurchmärsche und -einquartierungen, durch Requisitionen und Verschleppung, die im Krieg die Einwohner des Großherzogtums Würzburg heimsuchte, betraf alle Lebensweltbereiche  : größter wirtschaftlicher Schaden auf staatlicher, regionaler, kommunaler, aber auch persönlicher Ebene, Gefährdung, wenn nicht gar Verlust eigener körperlicher Unversehrtheit durch Krankheit und/oder Gewalt und dazu noch das weitverbreitete kollektive Angstgefühl, als Nächster oder Nächste von all

Festungsgrabenreparatur »zur Sicherung des von der französischen Artillerie übernommenen Pulvers«. Im Dezember 1812 musste wegen Wassermangel auf der Festung Abhilfe geschaffen werden. Zehn Tage bevor die österreichisch-bayerische Armee in Würzburg einrückte, verfügte die MOK am 17. Oktober 1813  : »Auf Antrag des Herrn Festungskommandanten Oberst Journet sollen die Bombenfreien Gewölbe auf der Festung welche bisher zu Gefängnissen gedient haben, zu Wohnungen für Staabsoffiziere hergerichtet, sonach geweiselt und gewaschen, mit Öfen, Fenstern, und Thüren versehen werden.« StAWü, Würzburger Archivalien 869, Würzburg mit Marienberg. Festungswerke, Militärgebäude. Generell dazu wichtig  : Helmut Flachenecker (Hg.)  : Burg – Schloss – Festung. Würzburg 2009. 113 Der bayerische Gesandte in Würzburg meldete nach München »Die Barraquen alleine kosten dem Staate 40.000fl. Und die Erhaltung der Mannschaft ohne die Generale 5.000 Gulden pro Tag.« So in  : BayHStA, MA3075 Würzburg, Reding an Montgelas, Würzburg, 22. Juni 1813. 114 DAW, Euerfeld 1346, Chronik des Pfarrers Michael Anton Rauch (1758–1844), S. 87.

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dem betroffen sein zu können115. Diese Belastungen durch Einquartierungen durchziehender Soldatenmassen betrafen die mainfränkischen Distriktskommissariate, Städte und Gemeinden keineswegs unkoordiniert und volatil, auch wenn es bisweilen in der lokalgeschichtlichen Forschungsliteratur den Anschein erweckt. Vielmehr bedurfte es, wie es im Folgenden zu zeigen sein wird, einer tatkräftigen zeit- und ressourcenbindenden Organisationarbeit, die das Regierungshandeln sogar noch über die faktische Existenz des Großherzogtums hinaus bestimmen sollte. Die großherzogliche Regierung integrierte zur Bewältigung dieser Herausforderungen statistische Methoden und moderne Abwicklungssysteme in vormodernen Verwaltungsgegebenheiten, um die enormen Herausforderungen, zu denen man sich vertraglich verpflichtet hatte, bewältigen zu können. Im Austausch für die territorialen Zugeständnisse in den Pariser Verträgen von 1810 stimmte Erzherzog Ferdinand freimütig einem »Article separé et secret« zu, der die französischen Durchmärsche, Requisitionen und Einquartierungslasten staatsrechtlich legitimierte  : »Son Altesse Imperial et Royale renonce à tout répétition et demande pour raison de fournitures faites au à faire Troupes françaises, jusqu’à l’époque de leur Retour prochain en France. Le présent article séparé sera ratifié et les ratifications en Seront échanges en même tems que celle du Traité de le jour.«116

Dass alleine bis Vertragsunterzeichnung jedoch bereits mind. 2,3 Millionen fl. – immerhin eine Jahresnettostaatseinnahme – an Kosten aufgelaufen waren, mag verdeutlichen, wie außerordentlich groß die Kraftanstrengungen des Großherzogtums Würzburg waren. Im Folgenden soll daher analysiert werden, welchen Belastungen die mainfränkische Zivilbevölkerung im Krieg ausgesetzt war, welcher Zusammenhang zwischen den Einquartierungsbelastungen und den demographischen und ökonomischen Gegebenheiten bestand und wie die großherzoglich würzburgische Regierung dies ausnutzte, um die zahlreichen Truppendurchmärsche als militärische Drehscheibe des Rheinbundes zu organisieren.

115 In fast allen Tagebüchern der Zeit finden sich Klagen wegen Einquartierungen und Durchmärschen. »Gelitten und gestorben wurde nicht nur auf den Schlachtfeldern, sondern auch überall dort wo fremde aber auch eigene Soldaten brandschatzen und mordeten, erpressten vergewaltigten und Seuchen mitbrachten«. »Lieber tot als so gequält« brachte es Friedrich Ludwig Burk auf den Punkt, so Ute Planert  : Auf dem Weg zum Befreiungskrieg  : Das Jubiläum als Mythenstifter. Die Re-Interpretation der napoleonischen Zeit in den Rheinbundstaaten, in  : Winfried Müller/Wolfgang Flügel u. a. (Hg.)  : Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus. Münster 2004, S. 195–218, S. 195. 116 StAWü, Geheimer Staatsrat, 21, Pariser Verträge, 8. Mai 1810, Fol 57–61.

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Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu haben, veranschaulicht die folgende Tabelle, welche Truppenmassen im Großherzogtum Würzburg, vor allem in den Jahren 1806, 1810 und 1813, untergebracht werden mussten und welch enorme Geldsummen aus der Staatskasse dafür entnommen werden mussten117. Anhand einiger Beispiele daraus soll nachfolgend das Regierungshandeln der Regierung im Krieg dargelegt werden. Jahr

Einquartierungszeitraum

1806

Juli-Dezember

1809

April

38.034

6.026

127.164

1809

Oktober-Dezember

62.148

11.940

198.934

1810

Januar-April

105.783

20.125

370.179

1811

Januar-Dezember

44.514

8.469

155.773

1812

April

10.000

5.000

44.101

1813

Februar

1.400

266

4.899

1813

März-April

35.100

6.678

122.830

1813

Juni

13.799

2.318

47.385

1813

Juli

30.836

2.703

98.607

1813

August

21.064

1.758

67.098

1813

September-Oktober

Summe

Soldaten 422.538

Pferde 127.165

Geldsumme 2.017.852

220.688

28.591

352.475

1.005.904

221.040

3.607.298

Bereits kurz nach Regierungsantritt 1806 war effektives Organisationsmanagement gefragt. Die Neubesetzung des 1802 von Bayern gegründeten Ober- und Untermarschkommissariats, das sich ausschließlich um Truppendurchzüge und Einquartierungen zu kümmern hatte, erfolgte zeitgleich mit dieser ersten großen Herausforderung118  : So war in den drei Wochen zwischen 28. September und 21. Oktober 1806 die Unterbringung von insgesamt 41.137 Soldaten sowie 8.850 Pferden alleine in der Stadt Würzburg notwendig.119 Der Obermarschkommissar Ernst von Halbritter verfügte zunächst für die 117 Die hellgrau hinterlegten Flächen wären nach Quellenlage Leerstellen. Diese wurden jedoch mittels prozentualer Annahmen errechnet. 118 Das Obermarschkommissariat als »Mittelorgan zwischen den Civilstellen und den Militärbehörden« hatte als der MOK untergeordnete Behörde die Marschroute für die eigenen und fremden Truppen festzulegen und sich um die Truppenversorgung mit »Kost und Fourage« zu bekümmern. Die Untermarschkommissariate deckten sich personell und in der Fläche mit den Distriktskommissariaten und hatten die »ordnungsgemäße Verrechnung desjenigen, was von fremden Truppen für Kost, Fourage und Vorspann bezahlt werden muss« vor Ort zu organisieren. Mayr, Georg Karl Edler von  : General-Index über alle Landes-Verordnungen, welche durch die Königlich baierische Regierungs-Blätter von Baiern in München, von der Oberpfalz in Amberg, von Franken in Bamberg, und von Schwaben in Ulm, von den Jahren 1802, 1803,1804, und 1805 promulgiert und bekanntgemacht worden sind. München 1806, S. 262. 119 Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 272.

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Stadt, dass »jedes Offiziersquartier mit 16–17 Offizieren, jedes Mannschaftsquartier mit 24–25 Mann belegt«120 werden sollte. Setzt man die einzuquartierenden Soldaten und ihre Pferde mit einer Stadtbevölkerung von ca. 19.110 Einwohnern sowie der Anzahl der vorhandenen Tiere ins Verhältnis, so ergibt sich ein problematisches Verteilungsbild  : Es bedeutete einen Personenzuwachs von 115 %121. Noch dramatischer fällt die Beobachtung der unterzubringenden Pferde aus  : Bei ca. 400 Pferden im Stadtgebiet ergab sich ein Zuwachs von 2.112 %, gerechnet auf das gesamte Großherzogtum immerhin noch ein Zuwachs von 118,68 %122. Das größte Problem, das sich dem Obermarschkommissariat stellte, waren die damit binnen kürzester Zeit anfallenden ungeheuren Naturalforderungen, die hier zusammenfassend dargestellt seien  : »Tarif über die Verpflegung der verbündeten Armeen«123 Täglicher Proviant für einen Soldaten

Menge (in Pfund bzw. Ration)

Entspricht124

Einfache Soldaten Roggen oder Weizenbrot

2 Pfund

954,26 g

oder Zwieback

1 ¹/6 Pfund

556,80 g

oder Mehl

1 ²/3 Pfund

636,45 g

Grütze oder Reis, Erbsen, Bohnen und Linsen

1 ¼ Pfund

596,58 g

Kartoffeln und andere rohe Zugemüse

1 Pfund

477,26 g

Fleisch

½ Pfund

244,63 g

Brandwein, Bier oder Wein

1 Portion

Brandwein: k.A. Bier: Wein: 0,18 l

Salz, monatlich

1 Pfund

477,26 g

Brod

2 Pfund

954,26g

Fleisch

2 Pfund

954,26g

Reis oder feine Graupen

¼ Pfund

119,32 g

Guten Brandwein, Bier oder Wein

1 Portion

Brandwein: k.A. Bier: 0,71 l Wein: 0,18 l

Offiziersportionen

120 Verwaltungsrat der Stadt an die Landesdirektion am 22. Oktober 1806, zit. nach  : Ebd. 121 Dies war im Großherzogtum Würzburg jedoch kein Einzelfall. Die Städte entlang der Marschroute wurden in gleichem Maß belastet. Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 84. 122 Zahlen nach dem Stand von 1814 basierend auf Chroust  : Würzburger Land, S. 56–57  ; S. 111. 123 StAWü, HV., MS., f. 600. 124 Laut StAWü, HV., MS., f. 600  : »Die Pfunde werden bei kleinen Quantitäten immer landüblich angenommen«, daher Verrechnung mit Würzburger Pfund. (1 Würzburger Pfund zu 477,26 g, Rundungen vorgenommen).

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Um die Mengen begreifbar zu machen, die innerhalb kürzester Zeit aufgebracht werden mussten, hilft ein weiteres Beispiel. Im April 1809 mussten 38.034 fremde Militärs versorgt werden125. Dafür brauchten die Militärbehörden für die 35.975 gemeinen Soldaten 26,9 t Brot, 8,9 t Fleisch und 251 l Branntwein pro Tag. Für die im April von jenen mitgeführten 6.028 Pferde mussten pro Tag außerdem 1,8 t Stroh, 3,6 t Heu und 602 kg Hafer aufgebracht werden126. Diese Versorgung musste das Obermarschkommissariat vorrangig aus den Magazinen organisieren. Für den ganzen Untersuchungszeitraum wendete das Großherzogtum Würzburg insgesamt beinahe 8 Millionen rheinische Gulden für die Verpflegung und Versorgung der durchmarschierenden Armeen auf127, wobei das nur die Staatsausgaben waren. Waren in den Magazinen nämlich keine Vorräte mehr vorhanden, so sollte »die Verpflegung von den Quartierständen ein[treten]«128, also eine Versorgung durch den quartierstellenden Bürger erfolgen – ohne Ausnahme von Adel und Geistlichkeit129, was zur hohen Steuerbelastung eine weitere Bürde bedeutete. Die von den Quartiergebern zu leistenden Versorgungssätze waren hoch  : Unteroffiziere und Soldaten sollten täglich »Zum Frühstück Brod und ein Schoppen Wein  ; Zum Mittagessen Suppe, Rindfleisch, Gemüse und eine Bouteille Bier  ; Zum Abendessen Suppe Gemüse und ein Schoppen Wein« erhalten130. Dies stellte die Zivilbevölkerung vor große Probleme, denn die Versorgung mit Lebensmitteln war meist generell in Feldzugsjahren sehr kostspielig, stiegen mit der Anwesenheit großer Truppenkontingente

125 Zahlen nach Kopp, Würzburger Wehr, S. 128. 126 Diesen Berechnungen liegt zugrunde, dass die Verpflegung pro Mann und Tag 750g Brot, 60g Trockengemüse, 250g Fleisch und 7g Schnaps benötigte, außerdem an Futter (für 10 Pferde pro Tag)  : 1kg Hafer, 6kg Heu, 3kg Stroh. So bei  : Nanteuil, Logistische Probleme, S. 65. 127 So lautet ein Bericht »den Zustand der Finanzen und Kassen im Großherzogtum betreffend« aus dem Etatjahr 1813/1814 des königlich bayerischen Hofkommissärs Freiherr Maximilian von Lerchenfeld an König Max I. Joseph vom 28. Juli 1814, abgedruckt bei Chroust, Das Würzburger Land, S. 390–398, Zahl nach S. 394. 128 StAWü, MS f. 600. 129 Vgl. Einquartierungsordnung von 29. Juli 1808 StAWü, H.V. MS, f., 168, dort heißt es im § 1  : »Die Einquartierung des fremden Militärs ist eine gemeinsame Last aller Stadtbewohner. Jedes Individuum, welches ein fixes Domicilium dahier hat und Schutz seiner Person und seines Eigenthums genießt, ist daher, an dieser Last mitzutragen, verbunden. Hieraus fließt, dass Niemand, es sey wer immer es wolle, auf welchen die obigen Vorraussetzungen anwendbar sind, von der Einquartierungslast befreyt sein könne«. Für gewöhnlich wurden aber nur die Offiziere und andere Stabsangehörige in der Stadt untergebracht. Der gemeine Soldat wurde auf dem nahegelegenen Land untergebracht. Vgl. Mayer, Napoleons Soldaten, S. 48f. 130 Tagesbefehl des 28. März 1813, von General St. Charles, Kommandeur des 3. Korps der Grande Armée, wonach »für die in dem Großherzogtum kantonierenden Truppen […] für die Unteroffiziere und Soldaten nachstehende Verpflegungsrationen festgesetzt [sind].« StAWü, MOK, 600

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die Lebensmittelpreise vor allem in den Städten massiv an131. Dazu kam erschwerend, dass sich einige der Soldaten mit der geleisteten Verpflegung keineswegs zufrieden gaben und trotz Strafandrohung mehr forderten als ihnen zustand132. Im Angesicht dieser kaum zu bewältigenden Anforderungen an den großherzoglich würzburgischen Verwaltungsapparat überrascht ein zeitgenössischer, überaus positiv formulierter Einblick in die Einquartierungspraxis  : »Ungeahtet keine guten Aussichten schienen war ich und alle Soldaten ganz Lustig, Sangen und Tanzten immer, besonders da über das schöne Würzburger Land die besten Quartire und Essen und Drünken, besonders des vielen Weins wegen, ganz gut warn so, […] überdiess machten einen jeden die schönen Oerter an dem Meinfluss frohe Gemüther.«133

So erinnerte sich der württembergische Soldat Jakob Walter an seinen Aufenthalt im Großherzogtum. Dass er seine Einquartierung in Mainfranken in guter Erinnerung behielt, liegt nicht zuletzt an der Organisationsleistung der großherzoglichen Militärbehörden und der 1808 erlassenen Vorschrift, dass vor allem bei längerfristiger Unterbringung die einzelnen Truppenteile auf dem Lande zu dislozieren seien, um die Lasten für alle Ortschaften möglichst gleichmäßig zu verteilen134. Die Aufnahmeleistung, welche auch die kleinsten Ortschaften der verschiedenen Untermarschkommissariate leisten mussten, veranschaulicht die Kantonierung der 2. Division des 4. französischen Armeekorps vom 4. bis 30. Januar 1810135. Bestehend aus drei Infanterieregimentern sowie dem Majors-Stab und einer Artillerieabteilung, umfasste sie insgesamt 211 Offiziere, 9.794 Mann und 386 Pferde.136 Aufgrund der längerfristigen Unterbringung dieses Truppenteiles verfügte das Obermarschkommissariat eine Dislokation137. Durch die Gegenüberstellung mit der Bevölkerungsanzahl zeigt sich der prozentuale Satz an Untergebrachten im Vergleich zur Ortsbevölkerung. Hierbei schwanken die Zahlen der einquartierten Soldaten zwischen 90 (in Gerolzhofen) und 8 Mann (in Altmannsdorf u. a.) bzw. zwischen 23,8 % an untergebrachten Soldaten im Verhältnis zu den Ortsbewohnern (in Stephansberg) und 1,0 % (in Kitzingen). Weiterhin ist auffällig, dass die ländlichen Ortschaften durchschnittlich 10,9 % an Soldaten aufnehmen muss131 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 88. 132 StAWü, HV., MS., f. 600. 133 Bernhard Hildebrand  : 1812  : Drei Schwaben unter Napoleon. Rußlandberichte eines Infanteristen, eines Leutnants, eines Generals. Aalen 1967, S. 35. 134 StAWü, HV., MS., f. 600. 135 StAWü, HV., MS., f., 597. 136 Ebd. 137 Im Anhang als Dokument XXXI, Tabelle, Dislocation II. Division du 4e Corps durch das Obermarschkommissariat, in  : StAWü, HV., MS., f. 597.

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ten, wobei die Städte nur 5,8 % an Soldaten unterbringen mussten. Somit wird deutlich, dass, zumindest im Zuge der Dislokation für eine längere Unterbringung, die Dörfer erheblich stärker belastet waren als die Städte und Märkte. Das Obermarschkommissariat verlegte die einzuquartierenden Soldaten planvoll und verließ sich auf die Rückmeldungen der Untermarschkommissariate, wie diese ihre eigenen Aufnahmekapazitäten bewerteten138. Diese meldeten beispielsweise kurzfristig für Lindach im Distrikt Volkach  : »ist itzo ein ärmerer Ort«  ; für Düllstadt im gleichen Distrikt »wird täglich mit deren fremden Truppen bequartiert, dermahlen keine weitere Aufnahme möglich«139. Die Verteilung der Soldaten berücksichtigte die finanzielle und wirtschaftliche Situation der einzelnen Ortschaften und Bezirke insofern, dass das Untermarschkommissariat Karlstadt beispielsweise rückmeldete, dass generell keine Kavallerie einquartiert werden könne, »da bekanntlich im letzten Sommer der Haberbau ganz mieß verlief, so daß im ganzen Bezirke selbst der Saathaber gekauft werden [musste].«140 Im Landgericht Röttingen hingegen war »das Städtchen Aub [welches] ohnstrittig der ärmste Ort im ganzen Landgerichtsbezirk [gewesen], denn es hat fast kein GemeindVermögen, [ist] eine äußerst kleine Markung, [hat] keine Bauern, kein Fourage, sondern lauter Professionisten, unter welchen etwa 90 ihr zureichendes Auskommen haben, ein großer Theil der übrigen aber selbst kein Brod.«141 Die großherzoglich würzburgische Verwaltung setzte sich durchaus das Ziel, wirtschaftlich bereits geschwächte Orte vor übermäßigen Belastungen zu schonen. Dafür stand die Obrigkeit vor Ort auch im engen Austausch mit der Bevölkerung und reagierte auf individuelle Anliegen. So beschwerte sich der Schuster Valentin Diesenbacher aus Waldbrunn am 6. Februar 1810 beim zuständigen Untermarschkommissariats links des Maines, dass man sich zwar »zu Folgen höchster Weisung des Großherzoglichen Untermarschcommissariats […] mit Fourage versehen [habe]«, allerdings auf keinen Fall, wie gefordert, Pferde unterbringen könne, da »wir kein Wasser haben, den das Gräben Wasser ist eingefroren und die 2 Brunnen haben kaum so viel, das wir zum Trinken haben.«142 Selbst das eigene Vieh der Einwohner, »welches doch daran gewöhnd ist« würde das Wasser nicht mehr trinken, »denns stinkt wie Mistlauge.«143 Daraufhin befreite das Untermarschkommissariat Waldbrunn von weiteren Einquartierungen.

138 Im Anhang als Dokument XXXII, Tabelle, Übersicht über kantonierbare Truppen in den einzelnen Landgerichten (soweit Meldung abgegeben, März 1813), so in  : StAWü, HV MS f. 598. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Ebd. 142 StAWü, HV., MS., f., 595. 143 Ebd.

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Weit größere Organisationsanstrengungen verursachte indes das System der Requisitionen zur Versorgung des weiterziehenden Heeres, das ebenfalls das Obermarschkommissariat federführend zu verantworten hatte. Wie auch bei den Einquartierungen, so regelte die Behörde die Requisitionen ebenfalls durch ein auf ausgestellten Requisitionsscheinen basierendes bürokratisches System von Abrechnung und Entschädigung. In der Praxis krankte das Requisitionssystem aber daran, dass insbesondere auf Vormärschen in kurzer Zeit durch das Militär zumeist keine Billets ausgestellt wurden144 oder sich die Soldaten einfach nahmen, was sie wollten, unabhängig davon, ob es notwendig war oder nicht145. Requiriert wurden in den meisten Fällen Schlachtvieh, Pferde, Kleidung, Transportfahrzeuge, Werkzeuge, aber auch Hilfspersonal, wobei den Großteil der Requisitionen vor allem die Beschaffung von Nahrungsmitteln ausmachte146. Dies bedeutete oft – vor allem für kleine Handwerker und Bauern – den finanziellen Ruin, fehlten die Tiere und Werkzeuge doch zur Bestellung der Äcker147. Auch hier mag ein Fallbeispiel vom 2. Oktober 1806 für eine ganze Reihe großer Nahrungsmittelrequisitionen stehen. Der französische General Jean-Jacques Reubell forderte 19.400 Zentner Weizen148, was, gegengerechnet mit der Jahresernte an ­Weizen im Friedensjahr 1815 von 76.168 Scheffel149, 0,08 % der Jahresernte ausmachte150. Weiterhin waren 2.400 Zentner Roggen abzuführen151, welche einem Gesamtertrag von 219.342 Scheffel Roggen und Korn152 gegenüberstanden, und sich somit auf 0,003 % der Ernte beliefen. So gering dieser Anteil am Gesamtertrag des Großherzogtums ausfallen mag, so darf dennoch nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich hierbei um eine Requisition für einen einzigen Tag handelte, welche am nächsten Tag noch einmal wiederholt wurde153. Mit unverhohlener Drohung durch Reubell (»Der Kaiser fällt auf Euch wie der Donner und ihr seid écrasiert [zerdrückt, Anm. d. Verf.], wenn ihr nicht

144 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 118f. 145 Vgl. Ebd. 146 Vgl. Siegfried Fiedler  : Kriegswesen und Kriegführung im Zeitalter der Revolutionskriege. Koblenz 1988, S. 173  ; Ute Planert  : Der Mythos vom Befreiungskrieg. Paderborn 2007, S. 149. 147 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 96. 148 Vgl. Weiß, Übergang, S. 220. 149 Vgl. Chroust, Das Würzburger Land, S. 89  ; Umrechnung  : Angaben in Chroust als bayerische Scheffel  : 1 Scheffel zu 222,7 Liter, 100 L Weizen zu 70 kg (Vgl. Gabriele Hendges  : Masse und Gewichte im Hochstift Würzburg vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. München 1989, S. 15) 150 Umrechnung  : 1 Pfund Nürnberger Gewicht (Großgewichtsangabe) zu 510,10 g, entsprechend 989.594 kg. (Vgl. ebd., S. 39 u. 177)  ; Rundungen vorgenommen. 151 Umrechnung  : 1 Pfund Nürnberger Gewicht zu 510,10g, demnach 122.424.000 g, entsprechend 122.424 kg. (Vgl. Hendges  : Maße und Gewichte, S. 177)  ; Rundungen vorgenommen. 152 Trennungsunschärfe durch Chroust, Das Würzburger Land, S. 89. 153 Weiß, Übergang, S. 220.

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seine Armee versorgt«154) folgte der großherzogliche Verwaltungsapparat einspruchslos  : Im Verbund mit Hirsinger forderte die französische Armee, dass täglich weitere 600 Zentner Getreide und 500 Schlachtochsen in die Magazine abgeführt werden müssen, was zumindest hinsichtlich des Schlachtviehs 2,2 %155 des gesamten Viehbestandes im Großherzogtum Würzburg ausmachte. Hier veranschaulicht sich, dass diese Requisitionslasten auf ein Jahr gerechnet – wenn natürlich auch nicht täglich requiriert wurde – einen gravierenden Einschnitt in die Nahrungsmittelversorgung der Region bedeuteten156. Auch daraus lernte die großherzogliche Verwaltung und entwickelte im Verlaufe der Kriegshandlungen ein effizienteres, strukturiertes Vorgehen in Aktenführung und Beschaffung gemäß eines Verteilungsschlüssels157. So hatten beispielsweise Klöster einen Beitrag zur Gesamthöhe der Forderung beizusteuern, auch wenn sie gar nicht direkt betroffen waren. Alle Städte, Gemeinden und Ortschaften konnten wegen der durchmarschierenden und einquartierten napoleonischen Truppen auch dann stark belastet sein, wenn sich diese gar nicht in ihrem eigenen Distrikt befanden, bezog der großherzogliche Verwaltungsapparat durch finanzielle und materielle Umlagen doch die gesamte Region mit ein. Für die einzelnen betroffenen Familien erhöhte sich demgemäß die finanzielle Belastung noch weiter, weil sich die Umlage wie eine weitere Steuer auswirkte. Das Obermarschkommissariat forderte allerdings auch Requisitionsleistungen in Naturalien aus den Distrikten außerhalb des Hauptmarschkorridors, um jene innerhalb dessen zu entlasten und fungierte damit als großer Umverteilungsapparat unter enormem logistischem Aufwand. Die Beschaffung aus anderen Distrikten bedurfte jedoch einiger Zeit und die Requisitionsforderungen waren oftmals nicht auf Anhieb zu erfüllen158. So schwankten die Erfüllungsraten beispielsweise für eine Kleidungsrequisition zwischen 73,6 % und 3,7 % – deutliches Zeichen dafür, dass an bestimmten Gütern, welche öfter Gegenstand von Requisitionen waren, auch großer Mangel in der Zivilbevölkerung herrschen musste. Belasteten die finanziellen Umlagen, die Einquartierungen und die Wegschaffung von Arbeitsgerät und Arbeitstieren die Landbevölkerung bereits maßgeblich, so »quält […] die Wegschaffung aller Fahr -und Zugzeuge, der Raub aller Furknechts und die Wegschaffung braver Bauern zum Vorspannsdienst«159 – klagte Simon Wiersing, Bürgermeister in Münnerstadt 1807. Wieder traf es vor allem die Bauern, wenn die durch154 Zit. nach  : Chroust, Die Geschichte, S. 264. 155 Jahresstand 1815  : 22.052 Ochsen im Großherzogtum. Vgl. Chroust, Das Würzburger Land, S. 111. 156 Im Anhang als Dokument XXXIII, Tabelle, Zusammenstellung regelmäßiger Requisitionen 1800/01. 157 Im Anhang als Dokument XXXIV, Tabelle, Requisitionsumlagen an Naturalien im Januar 1801. 158 Im Anhang als Dokument XXXV, Tabelle, Kleidungsrequisition von der Stadt Würzburg, Januar 1801. 159 StAWü, MOK 8, S. 487.

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ziehenden Armeen sie zwangen, als Hilfspersonal Güter und Personen für das Heer zu transportieren160. Erst nach 1809 löste eine militärisch organisierte Logistik mit den neu geschaffenen Trainbataillonen die privaten Vorspanndienste sukzessive ab161. Die meist unfreiwillige Begleitung des Armeetrosses war vor allem dann mehr als gefährlich, wenn das Heer in Richtung Schlachtfeld zog. Nicht wenige versuchten sich daher bereits im Vorfeld durch Verstecken, Schlachten oder Abschaffen der benötigten Zugtiere zu entziehen162. Die vom Obermarschkommissariat bezahlte Entschädigung für die Vorspannpflicht – für ein Reitpferd oder angeschirrtes Pferd pro Stunde 5 Xr.163 – stellte keinen Anreiz für die Bauern am Main dar. Zu groß war die Gefahr des Verlusts des eigenen Lebens oder ihrer wirtschaftlichen Existenz durch den Verlust der Nutztiere, sei es durch Krankheiten, Überanstrengungen oder mangelhafte Fourage-Rationen, besonders dann, wenn die Fuhrleute gezwungen waren, weiter zu ziehen als die vereinbarten ca. 100 km164. Insbesondere das Anspannen von Milchvieh mangels anderweitig vorhandener Tiere erwies sich als außerordentlich verlustreich.165 Weil die meisten Akten zu Vorspanndiensten 1945 verbrannt sind und kein flächendeckendes Bild über diese Form der Kriegsbelastung erlauben, seien auch hier Beispiele zur Verdeutlichung angeführt. Das Obermarschkommissariat berechnete, dass alleine während des Vierten Koalitionskriegs 1.051 Pferde, 754 Zugochsen und 623 Wägen verloren gegangen seien166. Für das Frühjahr 1813 lässt sich jedoch eine quantitative Anzahl der zu leistenden Vorspanndienste errechnen – eine Momentaufnahme als pars pro toto  : Die Grande Armée forderte aus dem Großherzogtum Würzburg binnen 21 Tagen insgesamt 499 Wägen mit zugehörigem Zugvieh (958 Pferde, 80 Ochsen) und Mannschaft, was eine Gesamtarbeitsbelastung – vorbehaltlich einer normalen Stationsleistung von ca. sechs Stunden – von 3.384 Stunden mit sich brachte167. Angesichts dieser Zahlen ist leicht vorstellbar, welchen Effekt das Fehlen der Arbeitskraft der Fuhrleute und ihres Spannviehs auf deren Broterwerb in der Landwirtschaft haben musste. Des Weiteren machen diese Berechnungen erklärbar, dass vor allem die Leistung der Vorspanndienste für ein massives Konfliktpotential sorgte, wurden Tagelöhner und Knechte einfach direkt von ihrer Feldarbeit ›geraubt‹ und ›weggeschafft‹168. 160 Poßelt, Die Grande Armée, S. 98. 161 Hans Meier-Welcker (Hg.)  : Handbuch zur deutschen Militärgeschichte. München u.a 1964, S. 157. 162 Chroust, Das Würzburger Land S. 110  ; Planert, Der Mythos, S. 261. 163 StAWü, MOK 190. 164 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 98f. 165 Ebd., S. 99. 166 Chroust, Die Geschichte, S. 273. 167 Im Anhang als Dokument XXXVI, Tabelle, Aufstellung der geleisteten Vorspanndienste Februar bis März 1813. 168 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 98.

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In Würzburg kam es am Abend des 8. Februar 1810 im aufgelassenen Kirchhof des Klosters St. Stephan, welches als zentraler Fuhrpark innerhalb der Stadt diente, zum Streit, der nur durch energisches Polizeidurchgreifen eingedämmt werden konnte. Der Polizeidiener Johan Schlereth gab an, dass er »nachdem er die zur Vorspann angewiesenen Bauern vom L[and] G[ericht] diesseits [des Mains] angewiesen [hatte], daß sie sich nunmehr zur Ruhe begeben, und frühe zeitlich ihre Tiere erfüttern sollten damit [sie] für freihe 5 Tache zum Militaire Vorspann begeben könnten«, auf einer anschließenden Patrouille mitbekommen habe, dass »unter den Vorspann Bauern in dem StephannsPark eine große Lärme und Streit [sei]« und daraufhin dorthin geeilt sei. Dort habe er gesehen, »daß Nicolaus Stauter von Rimpar und Georg Weiden von Oberdürrbach sich gegen den zur Aufzeichnung der Vorspannbauern Michael Gillich und den Stephaner Thormann Jacob mit aller Ungestüme aufgehalten und solche zu schlagen gedrohet« hätten. Nachdem es zu Handgreiflichkeiten kam, konnte Schlereth die Situation nur beruhigen, indem er »mit seiner bey sich habenden Pistoll [drohte].«169 Wenn auch die beiden Unruhestifter durch das Obermarschkommissariat bestraft wurden und sich ansonsten wohl keine schlimmeren Folgen ergeben hatten, so wird dennoch deutlich, dass sich einige der Bauern den geforderten Diensten nicht beugen wollten. Generell schien die Obrigkeit bei Verweigerung des Vorspanns hart durchzugreifen. So beschwerte sich der Bauer Caspar Haitmann über eine verhängte Strafzahlung von 10 fl., da er angeblich nicht zu seinem Vorspann im Stephanspark erschienen sei170. Allerdings, so das ihn vertretende Untermarschkommissariat, habe »derselbe jedoch seine Anspann bis Bischofsheim gehörig geleistet.«171 Immer wieder kam es auch zu Zusammenstößen der großherzoglichen Untertanen mit den durchmarschierenden oder einquartierten französischen Soldaten. Im Dezember 1806 gab es eine Schlägerei zwischen französischen Truppen und Bauern aus Zahlbach im Distrikt Kissingen172. In Bischwind im Distrikt Ebern gab ein Bauer nach einer Auseinandersetzung, »weil noch mehrere Franzosen in der Nähe waren, einem solchen mit der Haue einen Schlag auf den Kopf«173. In Kolitzheim im Distrikt Volkach wurde ein Bauer von zwei Soldaten zusammengeschlagen, »worauf dieselben behaupten selbst angegriffen und verstümmelt worden zu sein, was sich nach Untersuchung und Anhörung geschworener Zeugen nicht bewahrheiten« sollte174. Nur ein französischer Soldat,

169 StAWü, HV MS f. 595. 170 StAWü, HV MS f. 616. 171 Ebd. Daraus lässt sich ableiten, dass Vorspanndienste tatsächlich ca. 100 km betrugen. 172 StAWü, MOK 8, S. 315. 173 StAWü, Geheimer Staatsrat 31 174 StAWü, MOK 8, S. 736–737.

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Capitain Driancourt, wurde bei Stadtlauringen wohl im Zuge eines Raubüberfalls getötet175. Das Bemerkenswerte daran ist  : Das war alles. Quellengestützt sind keine weiteren Ausschreitungen für den Untersuchungszeitraum bekannt. Das ist im Angesicht der enormen Belastungen für die Zivilbevölkerung kaum zu glauben. Im Großherzogtum Berg hingegen rotteten sich an die 4.000 Untertanen im Frühjahr 1813 zusammen, griffen konzertiert französische Verbände an und diese Insurrektion konnte nur durch massiven französischen Truppeneinsatz gebändigt werden. Wirtschaftliche Bedrängnis und anhaltende Konskriptionen lieferten dort wie im Fürstentum Lippe, in Erfurt und Frankfurt die Gründe zu gewalttätigen Aufständen176. Damit verglichen, blieb es im Großherzogtum Würzburg nahezu gespenstisch ruhig. In den Salons einiger fränkischer Adeliger kam es wohl zu »Schmähen und Schimpfen gegen die Franzosen«177 und dass auch der Chef der MOK, Albrecht Friedrich Sigismund Freiherr von Stetten, zum Kreis derer gehört haben soll, verdient im nächsten Unterkapitel genauere Untersuchung. Eine antifranzösische Bewegung entstand daraus allerdings nicht. Dass auch erst vier Tage, bevor die österreichisch-bayerische Armee im Oktober 1813 vor die Stadt zog, die französische Besatzung der Stadt auf die Idee kam, »einen Franzosen ins Postbureau [zu] stecken und alle Briefe öffnen [zu] lassen«178 spricht dafür, dass zuvor gar keine Notwendigkeit zu besonderen Überwachungsmaßnahmen bestand. Die Ursachen dafür können nur vermutet werden  : Auffällig an diesen vereinzelten, im Grunde eher harmlosen Vorfällen zwischen Zivilbevölkerung und Besatzungsmacht ist, dass sie alle in der Peripherie stattfanden. Kein Gewaltexzess gegen französische oder rheinbündische Streitkräfte ist für die Residenzstadt selbst nachzuweisen179, was dafür 175 Ebd., S. 200–202. 176 Vgl. Mahmoud Kandil  : Sozialer Protest gegen das napoleonische Herrschaftssystem. Äusserungen der Bevölkerung des Grossherzogtums Berg 1808 – 1813 aus dem Blickwinkel der Obrigkeit. Aachen 1995, S. 101f. 177 Ein Spionage-Bericht von Vikarius Bauer an den französischen Gesandten gewährt interessante Einblicke in die letzten Tage der Rheinbundmitgliedschaft im Großherzogtum Würzburg  : »In Hinsicht der Fremden dahier sagt mir so eben Cantler, es wäre unter den Herren Baron v. Watzdorf (ein Ausländer) ein sehr gefährlich böser Mensch, hier anerkannt als Spion und Feind der Franzosen, der aber alleinvon einigen Mitgliedern des Mas. und von den beiden Zobeln, Stadion und Greifenclau Unterstützung fände  ; dieser Mensch wäre es gewesen, der alle bösen Nachrichten verbreitet habe und Köpfe der Gutgesinnten verrücken wollte. Er nannte mir ferner seinen Spießgesellen den Canonier Förtsch und den Kriegsraths Präsident nebst dem Professor Friedenreich und Barthel Sieboldt als Menschen, die der General wegen Schmähen und Schimpfen gegen die Franzosen warnen sollte.« So in  : StAWü HV., MS., o., 14, Vicarius Bauer. Correspondenz – oder vielmehr Spionerie des Vicarius Bauer an Graf St. Germain, Bauer an St. Germain, 22. Oktober 1813. 178 Ebd., Bauer an St.Germain, 23. Oktober 1813. 179 Bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen Zivilbevölkerung und Militärs waren erst nach dem Seitenwechsel von 1813 in der Residenzstadt zu beklagen. Bemerkenswerterweise jedoch nicht gegen französi-

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spricht, dass die starke französische Militärpräsenz in der Residenzstadt jede aufwallende Stimmung im Keim erstickte. Ansonsten steht zu vermuten, dass sich im Großherzogtum Würzburg kein Identität stiftendes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln konnte, es gab bei dem bis vor kurzem noch »politisch und konfessionell zersplitterte[n] Raum[ ]«180 kein verbindendes Regionalbewusstsein, das einen Mentalitätskonflikt, eine Stimmung ›Wir gegen die‹ erzeugen hätte können. So entzündete sich eine Handgreiflichkeit nur lokal und im Affekt ohne irgendeine Flächenwirkung. Der großherzogliche Verwaltungsapparat unterstützte die friedliche Grundstimmung mit einigen repressiven Verordnungen statt die polizeistaatlichen Unterdrückungsmaßnahmen vollumfänglich auszurollen, um die Stimmung in der Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Als beispielsweise 1807 eine preußisch-russische Proklamation als ›aufrührerisches Flugblatt‹ »Brave biedere Deutsche Ermannet euch  !« im Großherzogtum Würzburg auftauchte, reagierte die Landesdirektion sofort181. Sie ließ alle Ausländer auf Schritt und Tritt überwachen und verschärfte die Passkontrollen. Dem französischen Gesandten versicherte Staatsrat Seuffert umgehend, man werde den »multiplicateur trahissant« dieses ›Attentats‹ finden und die großherzogliche Regierung werde in Zukunft alles daran setzen, um solche »projects de l’ennemi« zu unterbinden und die »tranquillité publique«182 wieder herzustellen. Die Zensurmaßnahmen der Landesdirektion fanden die Zustimmung des französischen Gesandten »conforme à ce que nous promettre des sentimens d’un prince, connu par son dévouement à la personne de notre auguste souverain, et qui d’ailleurs a pour principe que les gazettes ne doivet que narrer des faits sans se permettre de réflexions«183.

sche, sondern gegen die bayerischen Truppen  : »Gestern Abend ist zwischen dem königlich bayerischen und großherzoglich würzburgischen militaire und der Bürgerschaft dahier ein so heftiger Streit entstanden, dass die ganze Garnison ausrücken musste, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. […] In einem Bräuhause des Mainviertels, welches ganz nahe an der Festung liegt hatten sich gestern viele miliaires von beiden Seiten versammelt, und nachdem die Köpfe durch das Bier noch mehr erhitzt waren, brach dieser gegenseitige Hass in solchen Tätigkeiten aus, dass man förmlich zu Felde zog, aufeinander feuerte, von den Festungswerken mit Steinen auf die bayerischen Soldaten herabwarf und einige Tod blieben, sehr viele aber verwundet wurden. Durch Zufall wurden bei dieser Gelegenheit auch einige Kinder getötet und mehrere Bürger, die Teil an diesem Streit nahmen, wurden dafür durch kräftige Säbelhiebe bestraft.« So in  : BayHStA, MA3075, Reding an Montgelas, Würzburg, 23. Mai 1814. 180 Brandt, Das Großherzogtum, S. 21f. Allgemein zur komplexen Thematik, die hier leider unberücksichtigt bleiben muss  : James, Leigthon S.: War and European Identity. In  : Wolfram Pyta (Hg.)  : Das europäische Mächtekonzert. Friedens- und Sicherheitspolitik vom Wiener Kongress 1815 bis zum Krimkrieg 1853. Köln 2009, S. 257–271. 181 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Hirsinger an Talleyrand, 18. April 1807, Fol. 24. 182 Ebd. 183 Ebd. Hirsinger an Talleyrand, 3. Februar 1809, Fol. 243.

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Der damit von Erzherzog Ferdinand beauftragte dirigierende Staatsminister hatte, wie auch Staatsratssekretär Hartmann184, laut Vorgaben aus Paris in allen im Großherzogtum Würzburg erscheinenden Veröffentlichungen das zu zensieren, was »tendant à donner une mauvaise direction à l’esprit public« und das Würzburger Intelligenzblatt »conservera aussi pour l’avenir la réputation d’une obéissance entière aux ordres du gouvernement«185. Artikel über die Habsburgermonarchie, gerade im Kriegsjahr 1809, wurden sofort noch vor Veröffentlichung verboten. Eine Proklamation von Kaiser Franz 1809 wurde nur »en secret«186 verbreitet. Im gleichen Jahr verbot die Landesdirektion kurzerhand alle politischen Gespräche im öffentlichen Raum187. 1813 verfügte die Landesdirektion, dass die »politische Polizey« die durch »Intriguen und Insinuationen durch Uebelgesinnte« in Umlauf gekommenen Gerüchte einzudämmen seien und »die Vermeidung und Unterdrückung aller politischen Gespräche in allen öffentlichen Schenken, Gast- und Kaffeehäusern [sei] das nächste Mittel, einer schiefen Richtung der öffentlichen Meinung zuvorzukommen«188. Unter Androhung von schweren Strafen sollten alle Wirte »durchaus keine politischen Gespräche über die itzigen Kriegs- und Zeitereignisse von ihren Gästen dulten«189. Immer wieder mahnte die Landesdirektion unter schweren Strafen die öffentliche Ruhe an. Doch auch im Sommer 1813, als die finanzielle Belastung durch Steuern und die Lebensmittelknappheit durch umfangreiche Requisitionen enorm war, das höchste Truppenaufgebot aus dem Land genommen wurde, dutzende Deserteure, Kriegsheimkehrer und durchziehende Truppen die Zivilbevölkerung mit allerlei Krankheiten infizierten, blieb es ungewöhnlich friedlich190. Mahnungen, Über184 »Was sich auf die Zensur der hier erscheinenden Bücher und öffentlichen Blätter bezieht, wird von dem Staatsratssekretär in der Art besorgt, dass er in allem, von unserem Minister ihm bezeichneten, oder ihm zweifelhaft scheinenden Fällen dessen Weisungen einzuholen hat.« So in  : Instruktion für den dirigierenden Staatsminister, SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6., sign. 71, o.D.; vgl. im Anhang Dokument XXI. 185 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Hirsinger an Talleyrand, 4. Februar 1809, Fol. 241. 186 Ebd. Hirsinger an Talleyrand, 23. Mai 1809, Fol. 293. 187 »Insbesondere ist es der Wille seiner Kaiser. Königl. Hoheit des Erzherzogs Großherzogs, daß sich alle Ihre Unterthanen aller Gespräche über politische oder kriegerische Ereignnisse allenthalben, vorzüglich in öffentlichen Gast- und Wirtshäusern und Kaffeeschenken enthalten, und den falschen Neuigkeiten des Tages, welche durch bösen Willen oder aus Unbesonnenheit verbreitet werden, kein Gehör leihen.« So in  : GhzRegBl., 1809, VI. Stück, S. 31. Jenen, die sich dennoch dabei ertappen ließen, wurde Festungsarrest angedroht. 188 StAWü, HV., MS., f., 589. 189 Ebd. 190 »Im Namen seiner kaiserlich königlichen Hoheit des Erzherzogs Ferdinand, Großherzog von Würzburg  ! Zur Vermeidung der schweren Folgen, welche Zwistigkeiten der Untertanen mit dem französischen Militäre nach sich ziehen, werden sämtliche Untertanen des Großherzogtums abermals gewarnt, alle Gelegenheit zu Missverständnissen und zum Streite mit dem französischen Militäre durch Worte und Handlungen genau zu vermeiden, ihre etwaigen Beschwerden gegen den einen oder den anderen unverzüglich ihrem Amts- oder Ortsvorstande, und in den Städten der Polizeibehörde anzuzeigen, welcher an

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wachungen und die auch in anderen Rheinbundländern statthabende Zensurbürokratie hätten eine Eskalation in einer kritischen Masse nicht verhindert. Sicher hat die Präsenz der überall im Aufmarschgebiet sichtbaren französischen Bajonette für Ruhe gesorgt und aufrührerische Gedanken und Worte nur innerhalb der eigenen vier Wände zugelassen. Zu überlegen ist jedoch, ob nicht vielmehr das Regierungshandeln des großherzoglichen Verwaltungsapparats insofern seinen Anteil daran hatte, die Belastungen des Kriegs in die Peripherie zu verlegen, die exorbitante Steuerbelastung, die Requisitionsforderungen, die Vorspanndienste auf die unterste, nicht alphabetisierte und damit stimm- und namenlose Klasse abzuwälzen – die Tagelöhner, Fuhrknechte, Kleinbauern, Handwerker. Sie kostete der Krieg im eigenen Land oftmals die wirtschaftliche Existenz, ihre Verpflichtung zu Hilfsarbeiten für die fremden und eigenen Streitkräfte die physische Kraft, was die hohen Nahrungsmittelpreise noch verschlimmerten und sie anfälliger für Krankheiten machte. Überhaupt waren die meisten Opfer des Krieges innerhalb des Großherzogtums Würzburg indes nicht durch Schlachten oder gewalttätige Übergriffe, sondern durch eingeschleppte Krankheiten und weit um sich greifende Epidemien zu beklagen191. So gibt auch der Bericht der Landesdirektion einen »erheblichen Rückgang der Bevölkerung des Großherzogtums« wieder, »in den letzten drei Jahren [1812–1814] um 13.656 Seelen, fast vier von Hundert.«192 Erklärbar sei dieser Rückgang, neben dem »starken Menschenverbrauch in Folge der Rüstungen der Jahre 1812 und 1813, vor allem […] durch die fürchterlichen Verheerungen, die seit 1813 Typhus und Pocken […] besonders in den Distrikten des Nordens anrichteten.«193 Besonders aufgrund der miserablen hygienischen Lage kam es zur Verbreitung von epidemischen Krankheiten, vor allem dem sogenannten »Nerven- oder Lazarettfieber«, dem Typhus bzw. der Ruhr.194 So berichtete der General-Stabschirurg Dr. Brünninghausen schon 1806 an die Militär-Oberkommission, dass »das großherzogliche MilitairSpital dahier […] von einer solchen Einrichtung und Erschaffenheit [ist], daß es täglich nicht mehr als hundert Kranke aufnehmen kann  ; wird diese Zahl überschritten, so durch zur besonderen Pflicht gemacht wird, die Untertanen sogleich bei der geeigneten Militärbehörde zu vertreten, und denselben Ruhe, Ordnung und Sicherheit gegen zu besorgende, oder Genugtuung wegen erlittener Misshandlungen zu verschaffen. Alle durch ein entgegenstehendes Benehmen sich ergebende Arretierungen, kostspielige Untersuchungen, und schweren Strafen sind Folgen, welche ein solcher Untertan wegen seiner Unklugheit und seines Ungehorsams verbüßen würde. Würzburg den 8. August 1813«, so in  : StAWü, MOK 600, Verpflegungsreglement fremder Truppen und andere dahin einschlagende Verordnungen. 191 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 140. 192 Chroust, Das Würzburger Land, S. 63. 193 Ebd. 194 Ebd.

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reiset […] durch Verderbung der Luft eine ansteckende Krankheit, der Hospital-Brand, unter denjenigen ein, welche offene Wunden und Geschwüre haben.«195 Das Problem der Überfüllung zog sich über die gesamte Dauer des Krieges, so dass 1813 in einem weiteren Bericht übermittelt wurde, dass »[…] bereits viele kranke Soldaten in die bis jetzt bestehende[n] beyden Spitäler nicht aufgenommen werden konnten und noch bey den Einwohnern dafür in Quartier sind.«196 Konsequenz war, dass die Krankheiten, die die Soldaten einschleppten, auf die Zivilbevölkerung übergriffen und teilweise im Tod ganzer Familien resultierten197. Die aus dem Vierten Koalitionskrieg zurückströmenden Armeen brachten aus dem Norden mit Mutterkorn verunreinigtes Getreide mit, woraufhin im »Seuchenjahr 1808« lokal in Euerfeld 14 Tote und 66 Befallene der sogenannten Griebelkrankheit zu beklagen waren, einer Gehirnerkrankung, bei der post mortem Blut aus Nase und Ohren austrat (Ergotismus oder Mutterkornvergiftung). Die Kirchengemeinde wusste sich nicht anders zu helfen als ein heiliges Gelübde abzulegen, bei sich 30 Jahre keinen Tanz mehr an Sonntagen zuzulassen198. Ein Bericht der Landesdirektion von 1815 belegt indes weit dramatischere Fälle insofern, dass »überhaupt die Sterblichkeit im vorigen Jahre (1815) gegen das 1813er und 1814er Jahr, wo Frieseln und Ruhren, Scharlach, Steckhusten und die Kriegspest oder das Nervenfieber allenthalben grosse Sterblichkeit in der Provinz verbreiteten und wo nach den amtlichen Berichten an dem Nervenfieber allein 16.000 krank waren und 2.519 daran gestorben sind, sehr gering [war].«199 Dennoch verzeichnet die Tabelle der 1814/1815 Gestorbenen 10.187 Todesfälle für das Großherzogtum, wovon 671 allein auf »Nervenfieber« (Typhus), und 1.831 auf »Lungensucht und Auszehrung« (Tuberkulose) zurückzuführen sind. Gerade die nördlicheren Distrikte, die im Hauptmarschkorridor lagen, die Landgerichte Münnerstadt, Karlstadt, Mainberg und Arnstein waren mit Verhältniswerten an Toten zur Gesamtbevölkerung von 1,34 %– 0,33 % am stärksten von Typhus, die Landgerichte Mainberg, Schweinfurt, Kitzingen und Euerdorf mit Werten von 0,88 %–0,68 % am stärksten von Tuberkulose betroffen200. Während diese Epidemien mangels medizinischen Fortschritts als »Gottesgericht«201 195 StAWü, MOK 222. 196 StAWü, MOK 579. 197 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 150. 198 »Da nämlich durch die nach der Saekularisation ergangene bayerische Verordnung das Tantzen auf allen Sonntagen, das Advent und die Fasten allein ausgenommen, erlaubt wurde, so hörte man in allen Städten und Dörfern des Landes nichts als Jauchzen und Tantzen wodurch nicht nur die Sabbathe entheiligt sondern auch unverschähmte Zügllosigkeiten auf einmal eingeführt und die Jugend vollens gantz verdorben wurde« DAW, Euerfeld 1346, Chronik des Pfarrers Michael Anton Rauch (1758–1844), S. 90–92. 199 Chroust, Das Würzburger Land, S. 69. 200 Siehe hierzu im Anhang als Dokument XXXVII, Tabelle, Aufstellung der Typhus- und Tuberkulosetoten. 201 DAW, Euerfeld 1346, Chronik des Pfarrers Michael Anton Rauch (1758–1844), S. 91.

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hingenommen werden mussten, stemmte sich der großherzogliche Verwaltungsapparat gegen die ebenfalls kriegsbedingten Viehseuchen, welche viele Bauernfamilien in anderen Regionen in den absoluten finanziellen Ruin stürzten202. Das Großherzogtum Würzburg blieb nur deshalb verschont203, weil mit dem Erlass vom 29. November 1813 die Landesdirektion festgelegt hatte, dass von den Truppen mitgeführtes Vieh auf speziellen Biwakplätzen unterzubringen sei. Diese waren schon vorab mit Fourage bestückt und dieselben nach Abreise der Tiere gereinigt worden  ; auch musste deren Mist vergraben, eingepflügt oder verbrannt werden204. Genauso wirkungsvoll zeigte sich der bereits 1798 begonnene, aber durch den großherzoglichen Staatsrat mehrmals verordnete allgemeine Impfzwang zur Pockenbekämpfung. Die bereits erwähnte Informationskampagne in Schulen und Kirchen des Landes führte in Verbindung mit der Impfpflicht im Zeitraum vom 11. Januar – 30. Juni 1809 zu 23.131 geimpften Schulkindern205. Trotz der vielen aus der Völkerschlacht bei Leipzig mit Pocken infizierten Soldaten, die durch die nördlichen Distrikte Bischofsheim, Hilders, Mellrichstadt und Kissingen massenweise zurückdrängten, ist kein Todesfall an den Pocken, auch in den Folgejahren, zu verzeichnen. Der Truppenlieferant206

Den ›starken Menschverbrauch‹ betrieb die Regierung des Großherzogtums Würzburg allerdings auf anderer Seite proaktiv. Im Zeitraum von 1806–1814 zogen die Fürstendiener Erzherzog Ferdinands mindestens 14.225 Soldaten aus dem Landstrich am Main, davon mindestens 9.499 Soldaten für den Kriegsdienst unter dem ›aigle de drapeau‹, dem französischen Feldzeichen207. Der von Napoleon geschaffene Rheinbund hatte 1810 insgesamt 35 Mitglieder. Von ihnen verlangten die jeweiligen Vereinbarungen in der Rheinbundakte208 und die nachfolgenden Akzessionsverträge, insgesamt ca. 106.820 Soldaten 202 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 150f. 203 Vgl. Chroust, Das Würzburger Land, S. 188. 204 StAWü, HV., MS., f., 600. 205 GhzRegBl, 1809, XVII. Stück, Beilage. 206 Grundlage dieses Unterkapitels ist die unveröffentlichte Magisterarbeit des Verfassers, eingereicht 2011 am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg zum Thema »Die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg im Rahmen des napoleonischen Hegemonialsystems«. 207 Siehe Tabelle, Zahlen der aus Würzburg abgehenden Truppenverbände, im Anhang als Dokument XVII. 208 Die entscheiden Artikel seien hier angeführt  : »Art. 35. Zwischen dem Kaiser der Franzosen und den Staaten des rheinischen Bundes, insgesamt und einzeln genommen, soll eine Allianz Statt haben, kraft welcher jeder Kontinental-Krieg, welchen einer der kontrahierenden Theile zu führen hätte, für alle Anderen zur gemeinen Sache wird. […] Art. 38. Das von jedem der Verbündeten im Falle eines Krieges zu stellende Kontingent wird auf folgende Weise festgesetzt  : Frankreich stellt 200.000 Mann von jeder Art Waffen  ; das Königreich Baiern 30.000 von jeder Waffengattung  ; das Königreich Württemberg 12.000  ;

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zu stellen209. Dabei sollte es jedoch nicht bleiben, weil gemäß der Beistandspflicht von den Verbündeten für die immer häufiger werdenden Kriege Napoleons mehr Truppen zu stellen waren. Im Krieg gegen die Habsburgermonarchie 1809 bot der Rheinbund bereits ca. 118.050 Soldaten auf210, im Frühjahr 1812 für den Krieg gegen Russland waren es schon ca. 128.000 Mann, hinzu kamen bis Anfang 1813 weitere 12.000–14.000 Mann, womit das Gesamtaufgebot des Rheinbunds im Jahr 1813 ca. 150.000 Soldaten betrug211. Das Großherzogtum Würzburg hielt davon im Sommer 1813 mindestens 6.498 Soldaten im Feld und stellte damit ca. 4,3 % der Rheinbundtruppen. Zahlenmäßig immer geringer wurde über diese Zeit hinweg das Kontingent genuin französischer Truppen in den Armeen, denn es war »der Gedanke maßgebend, die französische Volkskraft so gut als möglich zu schonen«212. In Napoleons Worten  : »Mon principe  : La France avant tout. Si j’ai conquis des royaumes, c’est pour que la France ne retire des avantages«213. Die großherzoglich würzburgische Regierung war insofern dauerhaft unter Druck gesetzt, dass Napoleon die in der Rheinbundakte verfügte Kontingentsverpflichtung so verstanden haben wollte, dass die Mitglieder über die ganze Zeit hinweg ihre Streitkräfte auf dem vertraglich fixierten Stand von 2.000 Soldaten kriegsbereit zu halten hatten. Daher waren stetige Truppenergänzungen erforderlich. Im Untersuchungszeitraum kam die MOK in Würzburg dieser Anforderung insgesamt neun Mal mit insgesamt 1.567 Soldaten nach – fast eine Regimentsstärke214. Diese Bedarfe wären mit den vor dem Kriegsausbruch 1792 gebräuchlichen Methoden nicht zu befriedigen gewesen. Nichts spiegelt das Nebeneinander von Althergebrachtem und modernen Verwaltungsstrukturen, von Kontinuität im Wandel so sehr wider, wie die Praxis des Truppenaufgebots, weswegen die Betrachtung ihrer Genese lohnt. Bereits Ende des 17. Jahrhunderts zeigte es sich am Main wenig hilfreich, die Subsidientruppen der Würzburger Fürstbischöfe durch die Anwerbung »in den Würtzhäusern anfenglich durch den Trunckh«215 zu gestalten216. Der Übergang von der Landsknechtszur Soldatenarmee ging mit dem Verfall der wirtschaftlichen Stellung der Militärs und der Grosherzog von Baden 8.000  ; der Grosherzog von Berg 5.000  ; der Grosherzog von Darmstadt 4.000. Ihre Durchlauchten der Herzog und der Fürst von Nassau stellen mit den übrigen verbündeten Fürsten ein Kontingent von 4.000 Mann.« Zit. nach  : Hufeld, Der Reichsdeputationshauptschluss, S. 136f. 209 Die Zahl bezieht sich auf den Stand von 1808  ; vgl. Demian, Statistik I, S. 10–12. 210 Vgl. Eberhard von Mayerhoffer Vedropolje  : Krieg 1809. Wien 1907, dort Anhang V. 211 Zahlen nach  : Börner, Krise, S. 9. 212 Kandil, Sozialer Protest, S. 55. 213 Zit. nach  : François, Das napoleonische Hegemonialsystem, S. 77. 214 Siehe Tabelle, Zahlen der aus Würzburg abgehenden Truppenverbände, im Anhang als Dokument XVII. 215 Ratsprotokoll aus dem Jahr 1697, zit. nach  : Franz Seberich  : Werbewesen in alter Zeit, in  : Die Mainlande. Geschichte und Gegenwart 12 (1961), S. 89–91, S. 90. 216 Ausführlicher zur Werbungspraxis mithilfe von Alkohol  : Sikora, Disziplin und Desertion, S. 226f.

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damit dem Verfall gesellschaftlichen Ansehens einher217. Desertion riss große Lücken in die Armeekörper des 18. Jahrhunderts, die man auch am Main durch die sporadische Aufstellung von Bauernmilizen aus dem Land als billige Aushilfe zu schließen suchte218. Diese Milizen zur Ergänzung der hochstiftischen Haustruppen bildete die Dorf-Obrigkeit in starker zeitlicher Bedrängnis zum Großteil aus »liderlichem Gesind«219, die entweder straffällig geworden waren oder aus wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit dem Gemeinwesen zur Last zu fallen drohten220. Der Zustand des Truppenaufgebots war mehr als mangelhaft  : Eine Kompagnie der aus dem Hochstift an den fränkischen Reichskreis gestellten Truppen schickten kaiserliche Kommissäre beispielsweise 1795 wieder nach Hause, weil vom Hofkriegsrat dort erst »der status quo eines Kriegsgefangenenkorps«221 verändert werden sollte. Der Vorgang der Herrschaftsdurchdringung durch Verwaltung und Militärwesen als »Wandlung der Ordnung des Zusammenlebens der Menschen«222, der seitens der Forschung seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit dem gebräuchlichen Begriff der Sozialdisziplinierung versucht wird zu fassen, zeigte daher erst gegen Ende des Ancien Régimes am Main erste zarte Konturen. Kaum Freiwillige fanden sich für den Dienst für ihren Fürstbischof, ihr Vaterland, die Religion oder eine andere höhere Wehrmotivation. Bei Milizen und der ordinären Werbung mag sich ein geringer Teil durch »Abenteuerlust, Übermut und Neugier auf das Leben außerhalb der engeren »Heimat«223 freiwillig zur Armee verpflichtet haben lassen. Einen häufig erfolgreicheren Überzeugungsgrund freiwilliger Werbung bot jedoch das relativ hohe Handgeld von 20 Reichstalern224. Mit Beginn der Revolutionskriege brachte in Würzburg jedoch auch dieses Mittel nicht die erforderlichen Rekrutenzahlen225. Erst ein ›Revolutionsexport‹ aus Frankreich, der auch die Revolutionsgegner zur Volksbewaffnung zwang, brachte 217 Vgl. Matthias Rogg  : Kompass Militärgeschichte. Ein historischer Überblick für Einsteiger. Potsdam 2017, S. 6–8. 218 Vgl. Tangerding, Der Drang, S. 233  ; ausführlich dazu  : Hagen, Hausinfanterie. 219 Zit. nach  : Seberich, Werbewesen, S. 90. 220 Vgl. Michael Sikora  : Das 18. Jahrhundert. Die Zeit der Deserteure, in  : Ulrich Bröckling/Michael Sikora (Hg.)  : Armeen und ihre Deserteure. Göttingen 1998, S. 86, S. 94  ; Allgemein  : Schubert, Ernst  : Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts. Neustadt a.d. Aisch 1990. 221 Zit. nach  : Hagen, Hausinfanterie, S. 95. 222 Winfried Schulze  : Gerhard Oesterreichs Begriff »Sozialdisziplinierung« in der frühen Neuzeit«, in  : Zeitschrift für historische Forschung 14 (1987), S. 265–302, S. 292. 223 Stephan Kroll  : Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728–1796. Paderborn, München u. a. 2006, S. 89. 224 Vgl., ebd., S.118. 225 »Soll aber der Sieg den kaiserlichen und Reichswaffen getreubleiben so ist es nötig die Truppen zu ergänzen. Diese suchten wir bisher durch freiwillige Werbung, indem Wir das Handgeld der Rekruten auf eine ungewöhnliche Weise erhöhten, in vollzähligem Stande zu erhalten. Allein dieses Mittel steht mit dem Abgange bey Unseren Truppen nicht mehr im Verhältnisse« So in  : Verordnung, die neue Rekrutenhebung betreffend, Würzburg den 6ten des Märzes 1800, Würzburgische Verordnungen 1789–1829, Bd. 3.

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auch außerhalb Frankreichs durch Einführung des Konskriptionssystems »Menschen so billig wie Dreck«226 auf. Größte militärische Not zwang das Frankreich der Revolution zum Handeln  : Der Revolution liefen die ›citoyens‹ in Scharen davon227. Grundlage zur Verbesserung dieser Krisensituation schuf das für Militärangelegenheiten in Paris zuständige Comité de salut public in Form der levée en masse, wonach auf Beschluss des Nationalkonvents vom 20. Februar 1793 alle französischen Vollbürger vom 18. bis zum 40. Lebensjahr zu Wehrpflichtigen wurden, solange sie nicht verheiratet waren und keine Kinder hatten228. Als der Weltkrieg der Sattelzeit 1792 ausbrach, kopierte Franz Ludwig von Erthal (1730–1790) als erster Fürstbischof seit dem Dreißigjährigen Krieg das moderne Mittel der Zwangsrekrutierung für sein Staatswesen am Main im gleichen Jahr der französischen Etablierung der levée en masse »zum Schutze […] des Vaterlandes, ihrer eigenen Güter, ihrer Aeltern, Brüder und Anverwandten«229. Die Wehrmotivation mit einem Aufruf zur Vaterlandsverteidigung zu erhöhen, war auch deshalb nötig, weil »das gewöhnliche Mittel, dieselben durch eine freywillige Werbung in jener Eilfertigkeit aufzubringen, welche dem Bedürfnisse einer äusserst dringenden Hülfe entspricht«230 unzulänglich war. Die sonst zuvor im Hochstift angeworbenen Söldner waren in diesen Zeiten der allgemeinen Bedrohung durch französische Revolutionstruppen Mangelware. So verfügte die hochstiftische Regierung, dass jede Gemeinde mit Ausnahme der Hauptstadt Würzburg auf einen Steuerbetrag von acht Reichstalern einen Mann zu stellen hatte231. Die damit beauftragte fürstbischöfliche Behörde, der Hofkriegsrat, stellte auch deshalb »relativ problemlos«232 eine neue Rekrutenarmee auf, da es in der Verantwortung der Ämter lag, die geforderte Menge an Tauglichen aufzubringen233. 226 John F. C. Fuller  : Die entartete Kunst Krieg zu führen. Köln 1964, S. 36. 227 Im Jahr 1794 wies das französische Militär noch 732.474 Soldaten auf, 1795 nur noch 484.363 und im August 1797 381.000, das war ein Rückgang von 52 %. Vgl. Josef Smets  : Von der »Dorfidylle« zur preußischen Nation. Sozialdisziplinierung der linksrheinischen Bevölkerung durch die Franzosen am Beispiel der allgemeinen Wehrpflicht (1802–1814), in  : Historische Zeitschrift 262 (1996), S. 695–758, S. 710. 228 Vgl. Stephan Huck  : Vom Berufsheer zur allgemeinen Wehrpflicht. Militärgeschichte zwischen Französischer Revolution und Freiheitskriegen 1789–1815, in  : Karl Volker Neugebauer (Hg.)  : Die Zeit bis 1914. Vom Kriegshaufen zum Massenheer. München 2009, 122–217, S. 134f., Siegfried Fiedler  : Grundriss der Militär- und Kriegsgeschichte. Das Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons. München 1976, S. 220. 229 Würzburgische Verordnungen 1789–1829, Bd. 3, Verordnung des Hochstifts Würzburg. Recruten-Stellung betreffend. 23. May 1793, S. 593. 230 Ebd., S. 592. 231 Vgl., ebd., S. 593. 232 Vgl. Bernhard Sicken  : Die Streitkräfte des Hochstifts Würzburg gegen Ende des Ancien Régime. Beobachtungen zur Organisation und Sozialstruktur, in  : Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 47 (1984), S. 691–744, S. 699. 233 »Wir überlassen es mämlich unseren Aemtern und den in denselben befindlichen Gemeinden, die auf

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Dort befleißigten sich die kommunalen Obrigkeiten, die Schultheißen und Landrichter, zuerst »müßige, liderliche oder sonst verdächtige durch ihre Unsittlichkeit dem Publico schädliche Pursche«234 auszuwählen, was dem fürstbischöflichen Militär vielmehr die »Funktion der Erziehungs- und Strafanstalt«235 gab – Werkzeug zur Sozialdisziplinierung der untersten gesellschaftlichen Schichten. An der Praxis der Rekrutengewinnung hatte sich auch nach der Revolution nichts geändert  : Tauglich war jeder Mann, der unter 36 und höchstens 40 Jahre alt, ledig und gesund war236. Man versprach als Anreiz für die zukünftigen Rekruten auch weiterhin ein Handgeld, das sich nach der Körpergröße des einzelnen richtete237. Die Dienstzeit sollte sechs Jahre betragen238. Der vermögenden Klasse wurde ermöglicht, sich »durch die Stellung eines diensttauglichen Mannes von ihrem Militärdienste«239 freizukaufen. Von diesen zwangsrekrutierten Truppen ließ sich, wie bereits im Jahrhundert zuvor, keine hohe Wehrmotivation und Opferbereitschaft erwarten, wurde doch der Ruf zum Militärdienst auch während der proklamierten allgemeinen Wehrpflicht ausgesprochen selektiv gehandhabt240. Die hohen Verluste in den ersten beiden Koalitionskriegen der auf diese Weise am Main ausgehobenen Truppe resultierten zum Großteil aus dieser Zusammensetzung241 und führten dazu, dass der Truppenbedarf noch zunahm. Fürstbischof Georg Karl Freiherr von Fechenbach (1749–1808), Erthals Nachfolger und der letzte Fürstbischof Würzburgs, senkte für die erneuten Truppenaushebungen 1796 zunächst den Steuerfuß von acht auf fünf jedes Amt berechnete Anzahl von Recruten zu liefern.« So in  : Würzburgische Verordnungen 1789–1829, Bd. 3, Verordnung des Hochstifts Würzburg. Recruten-Stellung betreffend. 23. May 1793, S. 592. 234 Zit. nach  : Henle, Heerwesen des Hochstifts, S. 4f. 235 Sicken, Die Streitkräfte, S. 301. 236 Die Gesundheit wurde dann attestiert, wenn keine Mängel vorlagen, »die von selbst in das Auge fallen, z. B der Mann wäre einäugig oder sonst an Augen fehlerhaft, kröpfig oder dickhalsig, ausgewachsen oder einhüftig, hätte einen Kahlkopf, keine vorderen Zähne im Munde, um die Patronen aufbeißen zu können, hätte einen kürzeren oder einen Krummfuß oder es fehlte ihm ein Finger.« Würzburgische Verordnungen 1789–1829, Bd. 3, Verordnung des Hochstifts Würzburg. Recruten-Stellung betreffend. 23. May 1793, S. 596. 237 Die vorgeschriebene Mindestgröße lag bei 5 Schuh 3 Zoll. Der Würzburger Schuh maß 0,2918 m, ein Würzburger Zoll maß 2,431 cm. Damit ist als Mindestmaß eines Rekruten 1793 1,53 Meter festzustellen. Lag einer ein halbes Zoll unter der geforderten Größe konnte er trotzdem rekrutiert werden, wenn er »sehr robust an Körper und Gliedmaßen war. Jene bekamen aber nur 18 fl. Handgeld, die das Maß erfüllten 20 fl. und die das Maß übererfüllten, größer als 1,58 waren, erhielten 24 fl.. Vgl., ebd., S. 595f. 238 Ebd. S. 596 239 Ebd. 240 Vgl. Ute Frevert  : Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland. München 2001, S. 27–39. 241 Im Bat. I waren 168 Soldaten auf althergebrachte Art freiwillig geworben, 135 sogenannte remplaçants wurden für ihre Stellvertreterschaft bezahlt. Dazu kamen noch 86 reuige Deserteure und einige Deserteure, die »in Eisen und Banden« zum Schlachtfeld geführt wurden. Nur 268 Nachgeschickte waren tatsächlich Konskribierte. Vgl. Hagen, Hausinfanterie, S.77f. und Kopp, Würzburger Wehr, S. 103.

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Reichstaler242. Weil das nicht den erhofften Erfolg zeitigte, griff der Hofkriegsrat auch wieder zum alten Werbungssystem, verbunden mit einer Erhöhung des Anwerbegelds für Rekruten auf die unerhört hohe Summe von 100 Reichstalern243 und dem Erlass eines Generalpardons für alle bisherigen Deserteure244. Als auch dieses Maßnahmenpaket nicht die erforderliche Höhe an Rekruten aus dem beherrschten Land aufzubringen vermochte, griff man 1800 erneut auf die Zwangsmaßnahme des Landsturms zurück, um die im Zweiten Koalitionskrieg kämpfenden Truppen Würzburgs zu komplettieren245. Das Nebeneinander von Werbung, Landsturm und Zwangsrekrutierung bezeugt, wie unsicher sich der Verwaltungsapparat in Würzburg mit einer Volksbewaffnung in revo­ lutionären Zeiten war, aber auch wie wenig effektiv das revolutionäre levée en masse im Hochstift noch umgesetzt werden konnte246. Erst Kurbayern schaffte durch die Montgelasschen Militärreformen auch in Würzburg eine systematische Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht247. Nach der Übernahme 1802 war man nur mit wenig Verzögerung daran gegangen, ein neues Rekrutierungssystem einzuführen, da bayerische Beamte wegen der »veränderte[n] Kriegsart, theils wegen Unbestimmtheit und Unvollkommenheit der Gesetze, insbesondere bey dem Recrutierungs-System, wesentliche Gebrechen und ein willkürliches Verfahren«248 dem hochstiftischen Militärsystem attestierten. Nach Ansicht der neuen Landesherren gehörte der Militärdienst zu den »Pflichten des Staatsbürgers dem Staate gegenüber«249. Aber genau mit diesem baye242 Vgl. Würzburgische Verordnungen 1789–1829, Bd. 3, S. 627f. 243 Vgl. ebd., S. 108. 244 Vgl. Dirk Munker  : Die Garnison Würzburg im Wandel vom Fürstbistum zum Königreich Bayern. München 1994, S. 17f. 245 Vgl. Sicken, Die Streitkräfte, S. 701 und Genaueres bei  : Hagen, Hausinfanterie, S. 93f. Zur Feldzugsund Regimentsgeschichte während des Zweiten Koalitionskrieges sind Berichte erhalten in  : StAWü, H.V. MS, f., 210 a. 246 Zur ›Ablehnungsfront‹ im Reich allgemein  : Frevert, Die kasernierte Nation, S. 19. 247 Anton Rauch, Pfarrer in Euerfeld, berichtete in seiner Pfarrchronik diesbezüglich  : »Die Regulaire Militz im Hochstifte wurde nun bishierher durch freywillige Anwerbung gebildet und complettt erhalten. Das nach erfolgter Saecularisation auch ein anderes Militair-system erfolgen werde war leicht ab zu sehen. Wirklich wurde die Recrutierung durch freywillige Werbung aufgehoben, die Militair Conscription auch in den fränkischen Fürstenthümern Wützburg und Bamberg eingeführt und derselbigen alle Jünglinge von 16 bis 40 Jahren, nur mit etwelchen Ausnahmen unterworffen. Dieses war ein empfindsamer Schlag für die Landes-Unterthanen, sowohl für Eltern als auch für Kinder. Die Eltern wollten ihre Kinder nicht zum Soldaten-Leben hergeben und diese wollten auch keine Soldaten werden. Man klagte, wendete und krümmte such seufzte und weynte  ; Aber vergebens.« So in  : DAW, Euerfeld 1346, Chronik des Pfarrers Michael Anton Rauch (1758–1844), S. 79. 248 Regierungsblatt für die Churpfalz-baierischen Fürstenthümer in Franken, 1804, XVIII. Stück, S. 107– 119. Das Konskriptionsreglement vom 22. Mai 1804 in Auszügen als Dokument XXXVIII im Anhang. 249 Eugen von Frauenholz  : Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte in Umrissen dargestellt. München 1927, S. 174.

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rischen Staat sahen sich die Würzburger wegen beschriebenen ›Ausleerungen‹ weniger verbunden, weswegen auch das bayerische Heeresergänzungsgesetz vom 22. Mai 1804 auf breite Ablehnung stieß250. Da dieses bayerische Heeresergänzungsgesetz zunächst unverändert von der großherzoglich würzburgischen Regierung zur Bereitstellung der Truppen für Napoleon übernommen wurde, verdient es hier besondere Aufmerksamkeit251. Besonders erregte in der ersten bayerischen Zeit der Umstand die Gemüter, dass nun auch die Stadtwürzburger, die bisher immer von der allgemeinen Konskription befreit waren, unter die Konskriptionsgesetze fielen252. Die Fürstbischöfe hatten sich nicht an dieses Privileg des ius sequale herangetraut, zu gefährlich erschien ihnen das dadurch in ihrer Residenzstadt entstehende Konfliktpotential mit der Stadtbevölkerung253. Die Regierung im fernen München brauchte nun darauf keine Rücksicht walten zu lassen. Von nun an galt zumindest auf dem Papier grundsätzlich  : »Die Verbindlichkeit zu Kriegsdiensten ist dabei als eine allgemeine und von jeher anerkannte Obliegenheit unserer getreuen Unterthanen, die mit Erhaltung des Staates und mit der Sicherstellung ihrer eigenen Personen, Hab und Güter in der genauesten Verbindung steht […] und wir haben unsere landesväterliche Sorgfalt vorzüglich darauf gerichtet, dass diese Dienstverbindlichkeit, […] mit Gleichheit getragen, für die treffenden Individuen so wenig drückend als möglich ist.«254

Von ›Gleichheit‹ und allgemeiner Wehrpflicht konnte allerdings in der Praxis des bayerischen Heeresergänzungsgesetzes nicht die Rede sein. Es waren zwar mit diesem Reglement alle ledigen und gesunden 16 bis 40-Jährigen der Militärpflicht unterworfen,

250 Erneut Anton Rauch  : »Die Pfalzbaierische Regierung hatte sich bis hierher in Würtzburg so wie in ganz Franken, wenig beliebt gemacht. Die Unterdrückung und Auffhebung der Stifter, Klöser und geistlichen Corporationen, die Veräußerungen der Kirchen und Kirchen-Güther, der heiligen Gefäße, die dabey so sehr entehret wurden, die Ausführung und Hinwegschaffung der von aufgehobenen Stifter und Klöstern entnommenen Schätzen, die in die Millionen hinein lief  : die harte und so weit ausgedehnte Militair Conscription, die augenscheinliche Begünstigung der Protestanten, die dagegen sehr abstechende Zurücksetzung der Katholiken, die Herabwürdigung des geistlichen Standes etc. machten bey den Einwohnern von Franken keine gute Sensation.« So in  : DAW, Euerfeld 1346, Chronik des Pfarrers Michael Anton Rauch (1758–1844), S. 85. Vgl. auch ausführlicher  : Günther, Der Übergang, S. 130f. 251 »Das Konskriptionsreglement vom 22. Mai 1804« in Auszügen als Dokument XXXVIII im Anhang. Dazu auch  : Tangerding, Der Drang, S. 239–251. 252 Vgl. Kopp, Würzburger Wehr, S. 126. 253 Vgl. Tangerding, Der Drang, S. 232. 254 So als Dokument XXXVIII im Anhang.

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eine Vielzahl war aber aus »besonderen Gründen befreit«255. Sechs Paragraphen regelten darin den Ausschluss all jener, die für »unentbehrlich gehalten«256 wurden. Alle Zivil- und Militärbeamte und ihre Söhne, die Patrimonialrichter und Patrimonialverwalter sowie das »nötige Schreiberpersonale«, auch die Bürgermeister, Verwaltungs- und Stadtgerichtsräte, alle Geistlichen, Lehrer, Ärzte und Anwälte257, selbst Revierförster und Söhne, Salzillenschopper258 sowie Schiffbauer galten als ›unentbehrlich‹. Außerdem waren Studenten ausgenommen, »die nicht wegen des Standes ihrer Eltern befreit sind, wenn sie von ihrer guten Aufführung, ihren Fähigkeiten und vorzüglichem Fleiße von den geeigneten Behörden günstige Zeugnisse beibringen«259. Bemerkenswert für eine Beurteilung der Sozialstruktur der großherzoglichen Truppen ist aber vor allem die Exemtion aller Adeligen260. Darunter fielen sogar deren »Kammerschreiber, Kammerdiener und Hausofficianten«261. Überhaupt waren Begüterte vor der Militärpflicht geschützt. Die Stadt- und Marktbewohner mit Bürgerrecht, also alle »angesessene Unterthanen«, das heißt alle Pächter und Personen mit eigenem Grund und Boden, waren ebenfalls ausgenommen. Darunter fielen also nicht nur die Patrizier der ehemaligen Reichsstädte, sondern auch einfache Hausbesitzer »ohne Unterschied des Wertes ihrer Besitzungen«262. Auch alle Händler, Fabrikanten und Bankiers waren als besitzende Schicht befreit. Das Heeresergänzungsgesetz eximierte jedoch zudem »Handwerksgesellen, die bei Witwen arbeiteten, wenn sie Meistersstelle vertreten« und »die einzigen Söhne der Einwohner der Städte, wenn sie ihnen in ihrer bürgerlichen Nahrung unumgänglich nötig sind  ; im gleichen die einzigen Söhne auf dem platten Land, ohne die die Besorgung der Landwirtschaft oder des Gewerbes oder der Erhaltung einer hilflosen Familie schlechterdings oder doch ohne wesentlichen Nachteil nicht bestehen kann«263. Nach Regierungsübergabe bestätigte der Staatsrat diese Vorgaben mit dem »Standesregelement der Chur-würzburgischen Truppen« vom 1. August 1806 und bestimmte (§25), dass »der in Folge der Zeit an dem festgesetzten Stande sich ergebende Abgang durch die Conscription, oder den sogenannten Milizenzug nach der […] Verordnung vom 22. Mai 1804 ersetzet [wird] und dabey ebenso, wie vormals verfahren werden 255 Ebd. §1. 256 Ebd. §4 . 257 Bei Lehrern, Ärzten und Anwälten waren auch die Söhne ausgenommen, »wenn diese sich gleichfalls einer wissenschaftlichen Bildung widmen«, genauso bei Söhnen protestantischer Geistlicher. Ebd. § 4. 258 Bezeichnung für einen Salinenarbeiter. 259 Ebd. 260 Ihr Ausschluss wurde 1807 ein weiteres Mal festgeschrieben  : »§ 26  : Der Adelige ist für sich und seine Kinder frei von der Militärkonskription.« Großherzogtum Würzburg, Landesherrliche Bestimmungen. 261 Ebd. 262 So im Anhang als Dokument XXXVIII, § 5. 263 Ebd., § 6.

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[solle]«264. Stellvertreter für den Militärdienst, sogenannte remplaçants, durften nach dem bayerischen Heeresergänzungsgesetz von 1804 nicht gestellt werden, weil »eine willkürliche Losmachung vom Militärdienste mit Geld dem Reicheren allein zu Gute komme und dem Ärmeren seine bleibende Verbindlichkeit nur desto drückender und gehässiger machen müsste«265. Diese Regelung wurde zunächst auch im ­Großherzogtum nicht abgeändert266. Ausgenommen von diesem Stellvertreterverbot waren nur Mennoniten und Juden, die sich mit einer Zahlung von 180 fl. vom Dienst befreien lassen und einen Ersatzmann stellen konnten267. 1807 wurde mit einer Novellierung dieses Konskriptionsreglements im Großherzogtum diese Verordnung, mit der die Regierung ermöglichte, gegen eine Entrichtung von 5 % des eigenen Vermögens eine Zurückstellung vom Kriegsdienst zu erreichen, jedoch aufgeweicht268. Dadurch wurde den Geringverdienern weiteres Geld abgenommen, für die untersten Schichten hingegen stand diese Option erst gar nicht zur Disposition. Wesentliche Neuerung hinsichtlich der Militärpflicht in großherzoglicher Zeit war die erneute Bestätigung des städtischen Privilegs, die Befreiung der Stadtwürzburger von der Militärdienstpflicht – wohl ein Befriedungsgeschenk Ferdinands an seine neue Residenzstadt269. Als Kompromiss versprachen die Würzburger fürderhin lediglich ein Artilleriekorps aufzustellen. Außerdem verkürzte die MOK die zu leistende Dienstzeit dieser Artilleristen auf acht Jahre270. Auf Grundlage des bayerischen Heeresergänzungsgesetzes hatte das Großherzogtum ein Instrumentarium für eine Truppengestellung nach Napoleons Wünschen zur Hand, das mit denen anderer Rheinbundstaaten durchaus vergleichbar war271. Ausführendes Organ der Truppenaushebung blieb wie bereits in bayerischer Zeit jedes Distriktskommissariat, das in territorialer Form und behörd264 StAWü, Landesdirektion Oberkriegskommissariat 2, Standesreglement der Chur-würzburgischen Truppen vom 01. August 1806. 265 Im Anhang als Dokument XXXVIII, § 26. 266 Daher stimmt die Aussage genaugenommen nicht, das Stellvertreterprinzip sei 1804 eingeführt worden und wirke durch geleistete Ablösesumme wie eine zusätzliche Besteuerung. So bei Brandt, Würzburg, S. 489. Es kann aber vermutet werden, dass diese rechtliche Grundlage nicht mehr strikt eingehalten wurde, wofür zum einen die hoffnungslose finanzielle Situation des Großherzogtums genauso spricht wie die Tatsache, dass das Stellvertreterprinzip schon 1800 in Frankreich (Mayer, Napoleons Soldaten, S. 19) und das remplaçant-System in Bayern ab 29. März 1812 wieder offiziell eingeführt wurden. Vgl. Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte und Oskar Bezzel  : Geschichte des Königlichen Bayerischen Heeres unter König Max I. Joseph von 1806 (1804) bis 1825. München 1933, S. 23. 267 Im Anhang als Dokument XXXVIII, § 2. 268 Bilz, Die Großherzogtümer, S. 125f. 269 Vgl. hierzu ausführlicher Günther, Würzburger Chronik, S. 63, und Munker, Die Garnison, S. 80 270 Vgl. Günther, Würzburger Chronik, S. 63. 271 Im Großherzogtum Berg wurde ab 9. Juni 1807 ein Konskriptionsgesetz ausgeführt, nach dem nur Einheimische (hier aber auch Juden und dort wohnhafte Ausländer) zwischen 20 und 25 Jahren wehrpflichtig waren, außer den Söhnen Adeliger, den Söhnen von Staatsräten, Künstlern und vornehmen Fabrikan-

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licher Struktur einem mit dem Rekrutenzug beauftragten Untermarschkommissariat entsprach. Ein Distriktskommissär, zeitgenössisch auch synonym noch Landrichter genannt, war in Personalunion auch Untermarschkommissär. Dieser erstellte zu Beginn eines vom Staatsrat angeordneten Rekrutenzugs eine Kantonistenliste272. Darin waren all diejenigen eines Rekrutierungsjahrgangs als sogenannte Landkapitulanten aufgeführt, die keinen im bayerischen Heeresergänzungsgesetz aufgeführten Exemtionsgrund hatten. Problematisch daran gestaltete sich jedoch das Nebeneinander von mittelbarer und unmittelbarer Herrschaft im Großherzogtum Würzburg. Die Patrimonialgerichte waren bei weitem nicht so straff organisiert wie die Landgerichte. Veraltete Listen bewirkten, dass oftmals nur die Hälfte der Landkapitulanten der Patrimonialgerichte zur Musterung erschien273. Der Staatsrat versuchte seinen Durchgriff mit einigen Verordnungen auf die Herrschaften der adeligen Gutsbesitzer auszuweiten, um dadurch die Anzahl der Landkapitulanten zu erhöhen274. Während eines durch die Landesdirektion, ab 1806 durch die MOK, ausgerufenen Rekrutenzugs hatte sich jeder Landkapitulant, der keinen Grund für seine Befreiung hatte, beim Distriktskommissariat/Untermarschkommissariat zu melden, wo ein Musterungsausschuss, bestehend aus einem Offizier, einem Arzt, dem jeweiligen Distriktskommissar oder Ortsdeputierten, meist der Dorfschultheiß, und einem Schullehrer, denselben einer Tauglichkeitsprüfung unterzog275. Dies geschah entweder direkt in den ten, Beamten, Geistlichen, Lehrern und in sozialen Härtefällen auch Söhne von Witwen oder betagten Eltern und erstgeborenen Waisen. Vgl. Kandil, Sozialer Protest, S. 55. 272 »§11 Um alle Cantonspflichtige zu wissen, müssen Cantons- oder Musterrollen verfertigt werden, worin alle pflichtige Feuerstellen, die darauf gebornen pflichtigen Söhne und die Gestorbenen verzeichnet sind«. Wie diese Tabelle angelegt werden sollte, regelte ebenfalls das bayerische Rekrutierungsreglement, siehe im Anhang als Dokument XXXVIII, §13. 273 »Dem Landgerichte sind nun zwar die Verhältnisse der Landkapitulanten seines Distrikts bekannt, aber da sie mit jenen der Patrimonialämter unbekannt sind, geschieht es nicht selten, dass von den einberufenen Landkapitulanten der Letzteren kaum die Hälfte erscheinen, sogleich solange einberufen werden muss, bis die Zahl complett ist. Um dieses zu vermeiden und das Ziehungsgeschäft zu erleichtern, erhält das Landgericht als Conscriptionsbehörde die Weisung, den Patrimonialbeamten seines Distrikts eine Abschrift der Musterrollen quoad passus concernentes zu dem Ende zuzufertigen, damit vorgenannte Patrimonialbeamten in den Stand gesetzt werden, bey einer Ziehung statt denjenigen Landkapitulaten, welche in der Zwischenzeit die Ansässigmachung erlangt haben, [etc] die in den Loosnummern nachfolgenden Individuen sogleich an die ghz. Civil-Canton-Commission einzuschicken. Wenn nun bei einem Rekrutenzuge dem Landgerichte von der großherzoglichen Civi-Cantons-Commission einzuschicken – so ereignet es sich – besonders wenn die Konskription schon ein oder mehrere Jahre alst ist, nicht selten der Fall, dass von den Landkapitulanten in der Zwischenzeit mehrere die Ansässigkeit erlangt haben – ausgewandert oder verstorben sind, oder mit Erlaubnis sich auf Wanderschaft begeben haben  ; welches die natürliche Folge hervorbringt, dass die im Loose nachfolgenden Landkapitulanten statt der abgängigen eingeschickt werden müssen.« So in  : StAWü, HV., MS., f., 589, 2. September 1812. 274 Ausführlicher  : Bilz, Die Großherzogtümer, S. 125f. 275 Offenbar wurde die Hauptarbeit eher von den Schullehrern und Dorfschultheißen getragen, sah sich

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Amtsstuben des Distriktskommissariats oder außerhalb der Verwaltungszentren in den Schulgebäuden der Dörfer. Im vorherigen Kapitel ist bereits eingehend auf die rege Investitionstätigkeit der großherzoglichen Regierung im Bereich der Schulneubauten eingegangen worden, die dem Konskriptionssystem damit eine zentrale Infrastruktur boten276. Als wichtigen Aspekt zur Ergründung der Funktionsweise des Herrschaftssystems am Main gilt es an dieser Stelle hervorzuheben, welch immens hohe Autorität damit auch immer noch die dörflichen Eliten im Gesellschaftsgefüge innehatten. Die Herrschaftswechsel vom Hochstift, zum Kurfürstentum Bayern, zum Kurfürstentum Würzburg, dann zum Großherzogtum Würzburg und schließlich zur Krone Bayern begünstigten deren Zentralstellung, wurden sie doch zu wichtigsten persistenten Verwaltungsorganen vor Ort, zu Treibern der Herrschaftsdurchdringung. Der Pfarrer, der Lehrer, der Schultheiß blieben die konstanten Autoritäten in Zeiten des Umbruchs für die Lebenswirklichkeit der Menschen auf dem Land277. Die Machtwechsel zeigten sich auf dem platten Land vielmehr nur durch Anbringung neuer landesherrschaftlicher Wappen und neuer obligatorischer Amtsstubenportraits der jeweiligen Landesherren278. Im zersplitterten Herrschaftsgebiet am Main stand eine Herrschaftsdurchdringung erst am Anfang und hatte, wie vorher beschrieben, aufgrund mangelnder Zusammengehörigkeitsmentalität auch schwierigere Ausgangsbedingungen als beispielsweise in Altbayern. Eine Herrschaftszentralisierung schoben die Bayern ab 1802 mit der Etablierung von Verwaltungsknotenpunkten, den Distriktskommissariaten erst langsam an, indem die Regierungsbehörden den Knotenpunkten immer größere Befugnis und Macht zubilligten. Dennoch  : Die alten Dorf- und Landeliten alteingesessener und begüterter Familien bestimmten auch im Großherzogtum Würzburg auf kommunaler Ebene über Kriegsdienst oder Befreiung. Nur gesundheitliche oder physische Unzulänglichkeiten doch die Landesdirektion gezwungen die Distriktsbeamten zu ermahnen  : »Zu den Einsichten und Eifer der großherzoglichen Beamten lässt es sich übrigens ohnedieß vertrauen, daß dieselben diese Arbeit nicht bloß den Schultheißen, Schullehrern, oder Ortsdeputierten überlassen, sondern, so viel möglich, selbst beschäftigen, und in jedem Falle genauestens revidiren werden, um verläßige, vollständige Arbeiten zu Regierungsstelle zu erhalten« So in  : GhzRegbl. XXI. Stück, S. 93f. Verordnung über die Bearbeitung der allgemeinen Volks-Conscription. 276 Siehe Kapitel II. 1.5., S. 218. 277 Damit war das Staatswesen am Main allerdings keinesfalls besonders rückständig, wie sich in vergleichbaren Studien zum Untersuchungsgegenstand beispielsweise im Rheinland zeigte  : Vgl. Smets, Von der Dorfidylle, S. 707. 278 Der sukzessive Ausbau der Herrschaftsdurchdringung versinnbildlicht sich dadurch beispielhaft, dass in Haßfurt erst im Jahr 1808 ein Portrait Erzherzog Ferdinands aufgehängt worden war. Vgl. Thomas Schindler  : Als in Haßfurt Herrscher und Wappen in schneller Folge wechselte. Der Übergang der Stadt an Bayern und die Episode des Großherzogthums Würzburgs, in  : Frankenland 58 (2006), S. 232–236, S. 235.

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»der dem Publico schädlichen Purschen«279 führten dazu, beim Musterungsausschuss durchzufallen. Am Beispiel der Aufstellung einer Artilleriekompagnie lassen sich die Gründe der Untauglichkeit aufzeigen  : »wegen Mindermaas zur Infanterie geeignet, […] untauglich absolute wegen großen Kropfes, […] absolute untauglich wegen bösartigem Hautausschlags und Geschwüren am Kopfe, […] zum Fuhrwesen tauglich wegen Verlust der zwei Glieder des rechten Zeigefingers, […] zum Fuhrwesen tauglich wegen dicken Halses, […] absolute untauglich wegen veralteten Geschwühren, […] untauglich wegen schwachem Gesichts«280.

Bei der Musterung war vor allem die Körpergröße relevant, weil danach die jeweilige Waffengattung bestimmt wurde281, aber darüber hinaus auch die Tauglichkeit davon abhing282. Einen eindrucksvollen Bericht über das Musterungsprozedere in Dettelbach findet sich in der Pfarrchronik von Euerfeld  : »Ich hätte nie geglaubt, dass der Soldatenstand so sehr gefürchtet würde, wenn ich nicht selbst Augen-Zeuge von dem großen Leydwesen gewesen wäre. So wie mehrere Pfarrer, so war auch ich bey der ersten Conscription zu Dettelbach zugegen, um ab Seiten der Pfarrei Euerfeld das legale Zeugnis über das Alter eines jeden geben zu koennen. Die Eltern ächzeten, und ihre Jünglinge gingen unter Zittern und Beben unter das Maaß, mehr Todten als Lebendigen ähnlich waren sie oft nicht im Stande sich zu strecken. Man konnte von manchem sagen  : Vivit et est vitae nescius ipse suae.«283

Eine große Familie war, genau wie Unentbehrlichkeit aus wirtschaftlichen Gründen wie zum Beispiel die Gesellenwanderschaft, ein Grund für Zurückstellung. Dies hatte je279 Henle, Heerwesen des Hochstifts, S. 4f. 280 Ein »Verzeichnis der dahießigen Residenzstadt, welche zum persönlichem Dienst bei der großherzoglichen Artillerie-Compagnie von der unterzeichneten Stelle der großherzoglichen Militär-Commission übergeben wurden« beurteilt 19 Rekruten zwischen 19 und 31 Jahren. StAWü, MOK 112, Ergänzung des großherzoglich-würzburgischen Artilleriekorps mit Rekruten. Darin  : Standtabelle für Juni 1812, Liste der assentierten Würzburger mit Charakterisierungen durch die Polizeidirektion 1812–1813. 281 Nach rheinischem Maß entsprach 1 Zoll = 2,62 cm, 1 Fuß = 31,41 cm. Damit galt als Mindestgröße für die Artillerie 1,67 m und darüber, für die Infanterie 1,62 m, also fast 10 cm größer als noch 1793, für die Dragoner1,64 m bis 1,72 m und für die Chevaulegers 1,62 m bis 1,70 m. 282 Im Jahr 1793 bemerkte man diesbezüglich  : »Wie bei den freywilligen Recruten wohl aufgesehen werden muß, daß sie sich um das Maß zu erreichen, nicht übernatürlich ausstrecken  : also muß hingegen bey Ausgehobenen wohl acht gegeben werden, dass sie sich, um kleiner zu scheinen und der Miliz zu entgehen, nicht geflissentlich zusammen kriechen.« Würzburgische Verordnungen 1789–1829, Bd. 3, Verordnung des Hochstifts Würzburg. Recruten-Stellung betreffend. 23. May 1793, S. 595. 283 DAW, Euerfeld 1346, Chronik des Pfarrers Michael Anton Rauch (1758–1844), S. 79.

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doch eher fiskalische denn moralische Gründe, verlangte die MOK diesen Härtefällen doch genauso wie den Untauglichen eine Ablösesumme in Höhe von 5 % des Gesamtvermögens für die Hauptkasse ab284. Die zum Felddienst Tauglichen wurden dann in einer Konskriptionsliste erfasst und aus dieser wurden im Bedarfsfall dann die neuen Rekruten durch das Los bestimmt285. Die Konskribierten zogen dabei einen Zettel und je niedriger die darauf stehende Nummer war, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich durch die Civil-Cantons-Commision eingezogen zu werden286. Wenngleich die große Zahl der von der Militärdienstpflicht Befreiten dazu verleiten will zu glauben, es seien kaum noch Taugliche vorhanden, verdeutlicht gerade das Losverfahren, dass es ungleich mehr Konskribierte gab als Streitkräfte benötigt wurden. Für das Jahr 1812/13 waren bei einer angenommenen Gesamtbevölkerung von 349.021 Einwohnern des Großherzogtums Würzburg 30.649 ledige junge Männer von 17 bis 36 Jahren zu verzeichnen287, also knapp 9 %. Als im Januar 1812 vom Großherzogtum ein neues Bataillon und zudem noch ein Reservebataillon – insgesamt 1.000 Mann – aufgestellt werden sollte, waren dafür 9.504 Kantonisten in den Musterrollen vermerkt288. 69 % dieser jungen Männer waren also in diesem Jahr wegen der großzügigen Behandlung der Exemtionen vom Kriegsdienst befreit. Das erstaunt hinsichtlich der in der Forschung häufig kolportierten Erzählung des Aufkommens von Massenheeren von zu den Waffen gerufenen Staatsbürgern. Nur 31 % aller jungen Männer wurden überhaupt nur zur Musterung bestellt. Wer waren aber diese Männer dann  ? Aufschluss darüber verspricht die statistische Auswertung eines aus dem Sterberegis­ ter der Militärpfarrei St. Burkhardt zusammengestellten Datenkorpus289. Grundlage sind die dort eingetragenen Gefallenen der Koalitionskriege von 1806–1811. Insgesamt konnten von 999 Gefallenen die Geburtsorte, Distrikte, das Alter, der Dienstgrad und der Sterbeort ermittelt werden – womit eine gewisse statistische Relevanz hergestellt werden konnte. Dazu ist quellenkritisch anzumerken, dass die dort im Sterberegister Aufgeführten eher den Charakter von Stichproben haben, denn die Totenscheine sind von den französischen Militärbehörden keineswegs zuverlässig aus den zahlreichen Laza­

284 Vgl. Günther, Der Übergang, S. 130. 285 Dieses Vorgehen war schon seit fürstbischöflichen Zeiten üblich. Würzburgische Verordnungen 1789– 1829, Bd. 3, S. 696. 286 Einen anschaulichen Bericht über den Konskriptionsvorgang im Allgemeinen bietet Mayer, Napoleons Soldaten, S. 18f. 287 Eine Aufstellung in StAWü, HV., MS., q., 156, weist eine Gesamtbevölkerung von 349.021 Einwohnern auf, wovon 13.071 Witwen und 7.180 Witwer, 60.301 Ehemänner und 60.270 Ehefrauen, 31.001 erwachsene ledige Kinder männlich sowie 38.431 erwachsene ledige Kinder weiblich verzeichnet waren. 288 Zahlen nach Chroust, Die Geschichte, S. 341. 289 DAW, St. Burkhard.

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retten und Schlachtfeldern Europas nach Würzburg übermittelt worden290. Dennoch lassen diese Stichproben sowohl ein klares Bild über die Truppenaufstellungspraxis der großherzoglichen Regierung, als auch einige kollektivbiografische Skizzen über deren Streitkräfte zu. Wenn man die 999 also eher zufällig notierten gefallenen Soldaten auf die Distrikte und deren Einwohner im Zeitraum von 1809, also noch vor der territorialen Erweiterung, bezieht, ergibt sich ein interessanter Befund hinsichtlich ihrer Verteilung291. Natürlich weist ein bevölkerungsreicher Distrikt wie Würzburg rechts des Mains mit 10.827 Einwohnern auch eine Gefallenenanzahl von 67 oder der Distrikt Bischofsheim mit 12.043 Einwohnern 61 Gefallene auf. Die prozentualen Anteile der Gefallenen an der Gesamtbevölkerungszahl variieren jedoch auffällig. Der Distrikt Proelsdorf mit 1.380 Einwohnern und 10 Gefallenen hatte jedoch mit 0,72 % einen wesentlich höheren Anteil an Gefallenen zu verzeichnen als die Stadt Würzburg, die mit ihren 19.110 Einwohnern nur 0,18 % zu verzeichnen hatte. Schenkt man dieser auf den ersten Blick geringen Varianz Bedeutung, lässt sich ein Gefälle herauslesen  : Auf die vermögenderen Distrikte aus Steuerklasse I entfallen prozentual deutlich weniger gefallene Soldaten als auf Steuerklasse III. Clustert man diese Distrikte unabhängig von der Gesamtbevölkerungszahl nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Steuerklassen, offenbart sich ein aussagekräftigeres Bild  : Für die Distrikte der Steuerklasse I ist nur ein Anteil von 0,25 % der zufällig notierten Gefallenen zu verzeichnen, für die der Steuerklasse II 0,38 % und die Steuerklasse III 0,51 %. Noch eindeutiger wird die Aussagekraft, bezieht man diese prozentualen Anteile auf die tatsächlich Betroffenen, die Kantonisten. Nimmt man auch für 1809/10 an, dass ca. 9 % der Gesamtbevölkerung rekrutierbare Männer waren, wie nachweislich 1813, und davon wiederum nur 31 % tatsächlich Kantonisten waren, dann konkretisiert sich die Belastung der unvermögenden Distrikte  : An den jungen Männern, die potentiell Kantonisten waren, hatten in Steuerklasse III die zufällig notierten Gefallenen einen Anteil von 18,39 % – in der Steuerklasse I dagegen jedoch nur 9,12 %. Es ist leider nicht trennscharf möglich diese Zahlen mit einer Gesamtanzahl der Gefallenen in Bezug zu setzen, denn man verlässt den Boden valider Berechnungen und muss sich mit Hilfskonstruktionen und Hochrechnungen begnügen  : Der großherzogliche Verwaltungsapparat stellte von 1806–1813, wie erwähnt, 9.499 Soldaten unter französischen Befehl. Die in St. Burkard aufgefundenen 999 genau er290 Als sich Seuffert am 23. Juni 1810 für den Erhalt von 200 Totenscheinen der Würzburger Armee beim französischen Außenministerium bedankte, verknüpfte er dies mit der Bitte, in Zukunft doch für einen kontinuierlicheren Kommunikationsfluss zu sorgen. So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Fol. 66. 291 Im Anhang als Dokument XXXIX, Tabelle, Anteil der Gefallenen an Steuerklassen und Bevölkerung 1806–1810.

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fassbaren Gefallenen müssten daher um den Faktor 8,5 multipliziert werden, um die Anzahl derer je Distrikt zu berechnen, die tatsächlich im Untersuchungszeitraum auf den Schlachtfeldern Europas gefallen sind292. Hypothetisch ergäben sich daraus für Steuerklasse I 1.795 Gefallene mit einem prozentualen Anteil an Einwohnern der Steuerklasse I (jetzt mit dem Mittelwert des Jahres 1813 nach der territorialen Erweiterung) von 2,13 %, für die Steuerklasse II 4.866 Gefallene mit einem Anteil an deren Gesamtbevölkerung von 2,8 % und 1.838 Gefallenen aus Steuerklasse III mit einem Anteil von 3,41 %. Die insgesamt damit hypothetisch hochgerechneten 8.499 Gefallenen entsprechen exakt dem in den nächsten Unterkapiteln herauszuarbeitenden Gesamtverlust von ungefähr 90 %, da beim Bündniswechsel im Oktober 1813 von den 9.499 Ausgehobenen nicht einmal 1.000 Soldaten übrigblieben. Dass an diesen Verlusten die finanzschwächsten Distrikte den prozentual größten Anteil an Gefallenen hatten, kommt nicht von ungefähr. Der großherzogliche Verwaltungsapparat griff zur Deckung seines Soldatenbedarfs vor allem auf deren Söhne zu. Grundsätzlich ist in den bisherigen Berechnungen für alle Distrikte angenommen worden, dass von den dort lebenden 9 % junger Männer der Gesamtbevölkerung durchschnittlich 30 % als Kantonisten gelistet wurden. Es zeigt sich bei der Hochrechnung allerdings, dass gerade aus den Distrikten der Steuerklasse III wesentlich mehr Kantonisten gelistet worden sein müssen als diese 30 %, denn die Anzahl der Gefallenen übersteigt die Anzahl der Kantonisten um 22,24 %. In Steuerklasse II listeten die Fürstendiener Erzherzog Ferdinands ungefähr 30 % Kantonisten, in Steuerklasse I forderten sie deutlich weniger. Dass überhaupt die besitzlosen Gesellschaftsschichten überproportional die meisten Soldaten zu stellen hatten, deckt sich auch mit einem weiteren Befund. Nur 16 % der Gefallenen stammten aus den 31 Städten, die nicht alle Stadtrecht hatten, sondern vielmehr als Verwaltungsknotenpunkte zu verstehen waren. 86 % hingegen stammten aus den noch kleineren Dörfern, Weilern und Höfen, wie ein Blick auf die Verteilung der statistisch relevanten 999 Gefallenen auf eine Zentrums- und Peripherie-Verteilung belegt293. Erinnert sei an die Exemtionsgründe der Militärpflicht  : Alle ›angesessenen Unterthanen‹ blieben befreit sowie alle Gewerbe und Handeltreiben­ den. Warum aber konnte der Verwaltungsapparat des Großherzogtums Würzburg vor allem aus dem Land die überwiegende Mehrzahl von Soldaten ziehen, wenn doch dort eigentlich alle Kräfte gebraucht wurden, fielen doch die Erntezeiten oftmals mit den Feldzugszeiten saisonal zusammen294  ? Erklärung dafür bietet die Demographie  : Im Jahr 1813 lebten im Großherzogtum Würzburg 56 Einwohner auf einem Quadratkilome292 Von den 9.499 Gestellten sind 999 in dem Sterberegister in St. Burkhard verzeichnet. Aus der Differenz ergibt sich der Multiplikationsfaktor von 8,5. 293 Im Anhang als Dokument XL, Tabelle, Anteil der Gefallenen an Steuerklassen und Bevölkerung gesamt. 294 Vgl. Ute Planert  : Militär, Krieg und zivile Gesellschaft. Rekrutierungsverweigerung im Süden des Alten

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ter, während es nur 51 Einwohner pro Quadratkilometer im gleichen Bemessungszeitraum im Rheinland waren295. Während am Rhein die Einwohner ebenfalls in »zutiefst ländliche[n] Strukturen«296 lebten, die mit Ackerbau für ihren Broterwerb sorgten, drängten sich am Main, »in diesem akkerbauenden Staate«, auch wenn er »zu den fruchtbarsten in Deutschland«297 gehörte, wesentlich mehr Menschen. Ein demographischer Faktor ist daran besonders bemerkenswert  : Sprunghaft stieg die Bevölkerung am Main um 15–20 % an, was die Ursache in hohen Geburtenüberschüssen des letzten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts hatte298. Das brachte allerdings große Probleme bei der allgemeinen Versorgung mit sich, da die agrarische Nutzfläche ja in etwa die gleiche blieb, aber binnen eines Jahrhunderts durch den Bevölkerungszuwachs jene pro Person de facto halbiert wurde, von 1,27 ha pro Kopf im Jahr 1700 auf 0,66 ha im Jahr 1812299. Die Versorgungssituation verschärfte sich auch insofern im Großherzogtum Würzburg noch dadurch, dass die Vererbung aller Nutzflächen nach der fränkischen Realerbteilung erfolgte, wonach sich die Anbauflächen für jeden neu entstehenden Haushalt immer kleiner parzellierten und deren wirtschaftliche Erträge immer weiter vermindert wurden. Dem gegenüber standen im Großherzogtum Würzburg jedoch nur rund 19.000 Handwerkstellen300, die das Potenzial an überzähligen Arbeitskräften hätten absorbieren können. Für das Jahr 1813 blieben nur 3.602 Gesellenstellen als Handwerker für 30.649 junge Männer zur Verfügung301. Damit wird klar, für welche Gesellschaftsschicht, entgegen der Beteuerung der ›Gleich­heit‹ im Heeresergänzungsgesetz von 1804, die Militärdienstpflicht ›drückend‹ war. Die Last des Wehrdienstes trugen nur die Nachkommen von Kleinbürgern, niedrigem Personal, den Dienst- und Amtsboten, den Torwachen und Lakaien in den Städten, den beschäftigungslosen Handwerkern und Kleinbauern302. Die jungen Männer mit den generell geringsten Einkommen, wie Tagelöhner, »Herumträger« und »Handlanger«303 Reiches, in  : Ute Planert (Hg.)  : Krieg und Umbruch in Mitteleuropa um 1800. Erfahrungsgeschichte(n) auf dem Weg in eine neue Zeit. Paderborn 2009, S. 111–137. 295 Vgl. Smets, Von der Dorfidylle, S. 705. 296 Ebd., S. 704. 297 Hennebriths Manuskript »Finanzwirtschaft des Großherzogtums Würzburg«, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 7, sign. 71, Fol. 157. 298 Vgl. Feuerbach, Konflikt, S. 48. Ein Befund, der sich für den gesamten süddeutschen Raum treffen lässt, vgl. Planert, Militär, S. 111. 299 Vgl. Schenk, Ländliche Gesellschaft, S. 277. 300 Vgl. Bilz, Die Großherzogtümer, S. 114. 301 Vgl. Zahlen Zusammenstellung aller Destricts-Kommissariate mit Einwohnern, Familien, Juden, verheirateten Männern, Kindern, Handwerksgesellen, Knechten, Städten, Dörfern, Höfen und Häusern für die Jahre 1811–1813, im Anhang als Dokument XIX. 302 Vgl. Tangerding, Der Drang, S. 213  ; Bezzel, Geschichte, S. 20. 303 Im Anhang als Dokument XXXVIII, § 6.

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wurden konskribiert, also alle, die in der sowieso überbesetzten Handwerksbranche keine Perspektive hatten304 und wegen mangelndem Besitz der Eltern »in Zukunft wenig zu hoffen«305 hatten. Dass also gerade die finanzschwächsten Distrikte den größten prozentualen Anteil an ausmarschierten Soldaten stellten, ist daher sicher kein Zufallsbefund, konnte die großherzoglich würzburgische Regierung doch gleich zwei Probleme auf einmal lösen  : Napoleons Wunsch nach Soldatenmassen widerspruchslos erfüllen und den demographischen Druck aus ohnehin wirtschaftlich schwachen Distrikten nehmen. Hier spielten also drei sich überlagernde Herrschaftsstrukturen ineinander  : Der Landesherr Erzherzog Ferdinand konnte zur Politikgestaltung mit dem Protecteur seine Herrschaft durch die bereitwillige Stellung von Soldaten sichern. Diese zog sein überbürokratisierter Regierungsapparat in der Residenzstadt aus dem Land und trieb dadurch eine Herrschaftsdurchdringung und -zentralisierung eines bisher politisch zersplitterten Territoriums voran und sicherte sich damit einen weiteren Machtzuwachs. Die auch in allen Herrschaftswechseln persistent gebliebenen Orts- und Landeliten bedienten dieses System gezielt zur demographischen Entlastung ihrer verantworteten Kommunen  : Jene Ausgehobenen kosteten eine kleinbäuerliche Familie, Tagelöhner und Handwerksfamilien mehr als sie erwirtschaften konnten und so war die Konskription eine günstige Möglichkeit, sich dieser Kostgänger zu entledigen. Dass das durchaus absichtsvoll von den Orts-Obrigkeiten so betrieben wurde und sogar seitens der Eltern der Betroffenen, wenn nicht Gefallenen, Duldung erfuhr, belegen die Akten der großherzoglichen Polizey-Direktion über die Landkapitulanten  : »Kaspar Beuschel [19 Jahre alt als Musikant geeignet], ohne Profession, Musikant, hat ein unordentliches Leben geführt, war in einigen Schlägereien verwickelt, und seinen Eltern namentlich seinem Vater widerspenstig, erwieß ihnen die gebührende Ehrfurcht nicht, erregte abermalige häusliche Zwistigkeiten. Er wurde von seinem eigenen Vater der Liderlichkeit wegen bei der Polizeidirection angeschuldigt und auch deswegen schon gewarnt, ist als liderlicher und böser Mensch von den Viertelmeistern und Distrikts-Comissaire, besitzt zur Zeit kein ausgemachtes Vermögen und hat in Zukunft wenig zu hoffen Babtist Degen [30 Jahre alt, zur Infanterie geeignet] verübte nächtliche Schlägerreien, Ausschweifungen mit Weibspersonen […] in den Gassenhäusern ohne das er seiner Mutter die nötige Unterstützung leistet […] dem Spiele ergeben […] hat in der Zukunft noch etwas zu hoffen. Andreas Behr [24 Jahre alt, zur Infanterie geeignet] 1808 wegen eines gewagten nächtlichen Angriffs auf Weibsleute […] polizeylich mit 10 Stockschlägen bestraft […] Nachtschwärmerei 304 Vgl. Planert, Militär, S. 111. 305 StAWü, MOK, 112, Akten der großherzoglichen Polizey-Direktion über die Landkapitulanten.

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und Schlägerei 1810, gewarnt und mit Polizey Arreste belegt […] wegen Feldfrevel mit 10 Stockschlägen […] 1811 Schuldenmachens beklagt etc. Johann Heckelmann [28 Jahre alt] Wegen verübter Realinjurien gegen seinen Vater mit 10 Stockschlägen belegt und aus der Stadt zu Wanderschaft verwiesen, wegen unruhigen Betragen im Jahr 1811 gegen Schwester und Mutter mit Polizey Arrest belegt, im nämlichem Jahr wegen verübter Misshandlung an seiner Schwester mit 12 Schlägen und 8 tägigen Polizey Arreste gezüchtiget, wieder zur Wanderschaft angewiesen und im Jahr 1812 nachdem er nicht in der Fremde geblieben, sich wieder dahier eingefunden und an einer nächtlichen Schlägerei auf der Glacie Anteil gehabt hat […] Er hat zwar einen Militär-abschied wollte aber im vorrigen Jahr freywillig Soldat werden, und ist nach der Vorschrift der Kantonsordnung als ein Mensch der dem älterlichen Hauße lästig und beschwehrlich ist, wieder zum Militärdienste abgegeben worden Wolfgang Rheinlein [22 Jahre, zur Infanterie geeignet] wegen kleinerer Entwendungen und liderlichem Herumziehen, wegen Exzessen auf der Straße […] von seinen Eltern geschickt. Franz Wolf [23 Jahre, zur Infanterie geeignet] überführt mehrerer Schlägereien und Gassenschwärmerein, wegen unmäßsigem Trincken eingestellt. Johann Rossmann [22 Jahre, zur Infanterie geeignet] übles Betragen gegen seine Mutter […] liderlich und nicht eine Lust zur Arbeit. Christoph Trunk [26 Jahre 2 Monate 2 Tage zur Infanterie geeignet], ohne Profession, Sohn des Rentamts-Bothen jenseits des Mains ist liederlich und der Unmäßigkeit im Truncke ergeben und wurde wegen häußlichen Unfriedens und ungebührliches Benehmen gegen seinen Eltern auf Anrufen seiner Mutter im Jahre 1811 auf die Polizeiwache gebracht, und darauf nach vorgäniger Untersuchung mit 10 Stockschlägen belegt. Nach den Zeugnissen der Viertelmeister und der Districtscomissairs hat er seine liderliche Lebensart noch nicht gebessert, hat kein ausgemachtes Vermögen und wenig zu hoffen Josef Weber [20 Jahre, zur Infanterie geeignet] hat die Tochter des Steuereinnehmers Gothinger geschwängert, mit 8 tägigem Polizey Arreste bei Wasser und Brod bestraft.«306

Ob sich diese intergenerationellen Konflikte, die hier beschrieben sind, kollektivbiografisch verallgemeinern lassen, kann in dieser Untersuchung nicht näher ausgeführt werden. Jedoch, so belegen diese Akten stichprobenartig, diente das Militärsystem des Großherzogtums Würzburg auch weiterhin als Erziehungsanstalt und ermöglichte dem Verwaltungsapparat, das demographisch entstandene, gesellschaftliche Konfliktpotential, das durch die massenhaften ›liderlichen‹ Arbeitslosen bestand, mit deren Militärverpflichtung abzubauen. Dass es im Großherzogtum Würzburg deshalb auch keine großen aufrührerischen Emotionen wie beispielsweise im Großherzogtum Berg gegeben 306 Ebd.

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hatte, obwohl tausende Mitbürger zu den Schlachtfeldern Napoleons gerufen wurden, scheint dies zu stützen. Der systemische Charakter dieser Politikgestaltung im Krieg belegt auch die großherzogliche Verordnung über »Die Beiziehung incorrigibler junger Leute zum Militärdienste« von 1812, der zufolge von höchster Stelle genehmigt wurde, »daß incorrigible junge Leute, wenn sie anders noch nicht behandelt worden sind, und ihnen sonst keine Vergehungen zur Last liegen, zur Besserung an das Militär gegeben werden dürfen«307. Es muss daher besonders betont werden, dass gerade 1812/13, als die Forderungen Napoleons nach Truppen aus dem Großherzogtum Würzburg am lautesten waren, das Reservoir an kriegstauglicher Mannschaft am reichlichsten gefüllt war und der großherzogliche Verwaltungsapparat zu keinem Zeitpunkt auf die gesamte Anzahl der Kantonisten zurückgreifen musste308. Von den bereits erwähnten 9.504 Kantonisten, die im Januar 1812 in den Musterrollen vermerkt waren, konskribierten die Distriktskommissariate nur insgesamt 2.541 Landkapitulanten als tauglich. Eine gehörige Anzahl der Kantonisten, nämlich insgesamt 2.442 junge Männer, erschienen aber erst gar nicht zur Musterung  : 1.863 junge Männer blieben noch dazu ohne Entschuldigung fern309. Die MOK hatte zwar gar nicht die personellen Ressourcen, aber ganz offensichtlich auch nicht den Bedarf, diesen eigentlich gegen das Gesetz Verstoßenden, und damit als réfractairs310 geltenden, nachzuspüren. Um die Frage nach der Sozialstruktur der Streitkräfte und deren Einbindung in die Gesellschaft zu beantworten, gerät einmal mehr eine große Entwicklunglinie der Sattelzeit in den Blick  : Für das Fallbeispiel Würzburg lässt es sich mit »Militarisierung der Gesellschaft«311 wohl am besten beschreiben. Es lässt sich eine Entwicklungslinie insofern für das Staatswesen am Main herausarbeiten, dass »allmählich der Soldatenstand sein Unterklassenimage [verlor]«312. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war der beschriebene Status des Militärsystems als Zwangs- und Unterdrückungssystem, die Bedeutungsverschiebung von der ›Schlachtbank‹ hin zum ›Feld der Ehre‹ prägte sich

307 GhzRegBl., 1812, XXIV. Stück, S. 121. 308 »So konnte man Ende 1812 und Anfang 1813 bei den Rekrutenaushebungen auf Wehrpflichtige mehrerer Jahrgänge zurückgreifen. Nur schwer zu bewältigen war 1813 die Neubeschaffung der im Krieg gegen Russland fast völlig vernichteten Ausrüstungen.« Börner, Krise, S. 24. 309 Zahlen nach Chroust, Die Geschichte, S. 341. 310 So wurden all jene Widerspenstigen genannt, die zwar in den Musterungslisten vermerkt waren, aber nicht in den Kasernen ankamen. Gemeinhin wurde nach ihnen gefahndet und wenn sie gestellt wurden, belegte man sie mit einer empfindlichen Geldstrafe, um sie schlussendlich doch noch einzuziehen. Vgl. Mayer, Napoleons Soldaten, S. 21. 311 Zum Militarismusbegriff in der Historiografie  : Pröve, Militär, S. 90–93, hier Zitat S. 91. 312 Planert, Auf dem Weg, S. 201.

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jedoch im Weltkrieg der Sattelzeit aus313. Als 1790 in Bamberg hochstiftische Soldaten vereidigt wurden, skizzierte ein Augenzeuge diesen Entwicklungsbogen von den stehenden Söldnerheeren damaliger Zeit hin zum Ideal der Staatsbürgerarmeen  : »Mit welcher Stimmung muss mancher geschworen haben, da er immer nur von Bestrafung der Verbrechen, nie von Belohnung, immer nur von Erschiessen, Henken, Rädern, Köpfen, Spießruthen, Eisen und Brand und der gleichen gehört  ? In welchem thierischen Zustande betrachtet man den Menschen  ? […] Muss er denn immer nur durch Furcht, Prügel und Schläge geleitet werden  ?«314

Die Belohnung, die Achtung der naturbedingten Menschenrechte und ein fehlender ideologischer Kriegszweck gingen seiner Meinung nach den Armeen des Ancien Régimes ab. Dies war vor allem dem Umstand geschuldet, dass das Militärsystem die noch fehlenden Strafanstalten im Hochstift ersetzten. Schmuggler, Schuldner, Diebe, Wilderer und andere Kleinkriminelle, aber auch unehelich Geborene und »mangels anderer Unterbringungsmöglichkeiten steckte man selbst psychisch Kranke ins Heer«315. Die Würzburger Bettelordnung von 1801 ließ solchen gesellschaftlichen Randgruppen die Wahl zwischen Arbeitshaus und Zwangsrekrutierung316. Wie eben breit dargestellt, änderte sich an der Rekrutierungspraxis auch im Großherzogtum Würzburg wenig und vor allem die besitzlosen Schichten, die ›liderlichen Purschen‹ füllten die Regimenter. Betrachtet man jedoch weniger die von den Dorf- und Landeliten massenhaft umgesetzte Rekrutierungspraxis, um das demografisch entstandene Sozialproblem in den Griff zu bekommen und analysiert die Ideen, das Mindset und die Selbstreferenzialität des großherzoglich-würzburgsichen Militärsystems, kommt man zu anderen Schlüssen. Die Protokolle der MOK bieten dafür die Quellengrundlage. Bei im Rat der MOK verhandelten Einzelfallentscheidungen zeichnet sich durchaus eine zum Charakter der ›Erziehungs- und Strafanstalt‹ kontrastierte »Orientierung an selbstproduzierten Eigenwerten«317 anhand von Einzelfallentscheidungen ab. Beispielsweise sollte im Jahr 1807 der von der Civil-Cantons-Commission an die Militär-Can313 Vgl. Latzel, Klaus  : »Schlachtbank« oder »Feld der Ehre«  ? Der Beginn des Einstellungswandels gegenüber Krieg und Tod 1756–1815. In  : Wolfram Wette (Hg.)  : Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten. München 1995, S. 76–92  ; hierzu vor allem  : Planert, Der Mythos, S. 120f. 314 Schubert, Arme Leute, S. 143. 315 Planert, Der Mythos, S. 120. »Überhaupt dienten die Heere zum bequemen Abschieben von Personen, für die in der Gesellschaft kein Platz war. Ein Verrückter musste in Schweinfurt mangels eines Irrenhauses in Banden gelegt werden und wurde schließlich als Fourier in Würzburger Militär gesteckt « Schubert, Arme Leute, S. 142. 316 Vgl. ebd. 317 Hoeres, Das Militär, S. 337.

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tons-Commission318 abgegebene Joseph Otto aus Dettelbach laut MOK-Urteil nicht zum Militärdienst genommen werden, weil er nach einem Diebstahl im Arbeitshaus einsaß und deswegen nicht zum Militärdienst verwendet werden dürfe, »weil die Ehre des Militärstandes erfordere, dass dergleichen Leute hierzu nicht aufgenommen werden und dieses auch seit mehreren Jahren beobachtet worden [sei]«319. Dass auf die ›Ehre des Militärstandes‹ allerdings keine Rücksicht mehr genommen werden konnte, wenn die exorbitanten Truppenforderungen wie 1812/13 das Aufgebot von Soldatenmassen verlangte, beweist der eben zitierte Auszug aus den Akten der großherzoglichen PolizeyDirektion über die Landkapitulanten. Dass allerdings überhaupt solche Personalakten für die untersten Dienstgrade angelegt wurden, weist nicht nur auf eine Professionalisierung der Truppenführung, sondern auch auf den grundlegenden Mentalitätswandel hin, dass eben nicht jedermann als der ›Ehre des Militärstandes‹ zuträglich erachtet wurde. Gerade in leitenden Positionen legte die MOK auf die charakterliche Eignung besonderen Wert  : Ult. Leitner und Lt. Clemens »seyen nach Bemerkungen des Mayor Metz dem Trunke und anderen Ausschweifungen ergeben und sie müssten […] unfehlbar gewärtigen, dass die strengsten sehr nachteiligen Maßregeln ergriffen würden, indem ihr bisheriges Benehmen mit dem Rocke, den sie zu tragen die Ehre haben, sich schlechterdings nicht vereinbaren lassen.«320 Nach Beratungen der MOK hatten sie Lohnkürzungen in Kauf zu nehmen und für beide weit schmerzlicher  : Es wurde ihnen die von Erzherzog Ferdinand gestifteten Tapferkeitsmedaillen vorenthalten, die sie sich im Feldzug gegen Preußen im Vierten Koalitionskrieg bei der Belagerung von Graudenz verdient hätten. Die wertegeleitete Selbstreferenzialität des Militärsystems exemplifizierte sich auch als Karl August Freyherr von Soden seinen jüngsten Sohn als Cadeten einzukleiden wünschte, obwohl dieser kein Cadet der Streitkräfte war. Die MOK lehnte dieses bedeutungsvolle Ansuchen aus dem hohen altfränkischen Adel höflich, aber bestimmt ab, »weil dadurch ein Ansprch entstehen könnte, der erst noch einer Charakterprüfung bedürfe«321. Selbst die Einschaltung des höherinstanzlichen, zivilen Verwaltungsapparats durch Freiherr von Soden, eine direkt an den dirigierenden Staatsminister gerichtete Supplik in dieser Sache, ließ die MOK von ihrer strikten Haltung nicht abrücken und

318 Die Aufgabe der Civil-Cantons-Comission (CCC) war es die aus den Distrikten nach Würzburg abgesendeten Landkapitulanten in den dortigen Kasernen zu empfangen, deren Vollständigkeit zu prüfen und jeden einzelnen nochmals auf körperliche Tauglichkeit zu visitieren. Die Militär-Kantons-Kommission übernahm die nun zu Rekruten gewordenen Landkapitulanten und überführte sie in die von der MOK vorgegebene Organisationsstruktur der Streitkräfte je nach Tauglichkeit ein. 319 StAWü, MOK 8, Militär-Oberkommission Sitzungsprotokolle 01.01.1807–01.07.1807, S. 1094 f. 320 Ebd., MOK 10, Militär-Oberkommission Sitzungsprotokolle 01.01.1808–31.06.1808, S. 671. 321 StAWü, MOK 8, Militär-Oberkommission Sitzungsprotokolle 01.01.1807–01.07.1807, S. 97f.

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von Soden wurde »auf spätere Zeiten«322 vertröstet. Allein daran lässt sich die Eigengesetzlichkeit des Militärsystems nachweisen. Bedeutsam ist die Bitte Freiherr von Sodens aber auch deshalb, weil in ihr deutlich wird, wie weit die Aufwertung des Soldatenstandes bereits fortgeschritten war, welchen Stellenwert das Militär für das gesellschaftliche Prestige am Main bereits hatte. Es finden sich in den MOK-Protokollen zahlreiche Fälle, dass vor allem der fränkische Adel die Zugehörigkeit zum Militär nach außen hin demonstrieren wollte und das Recht, die Uniform der großherzoglich würzburgischen Streitkräfte tragen zu dürfen, zur eigenen Standeserhöhung diente. Beispielsweise bat der pensionierte Obristlieutnant von Gilsa, der »38 Jahre dem Staate diente«, die Uniform der Kavallerie tragen zu dürfen, was die MOK ebenfalls abschlägig beurteilte, wegen »einer gewissen Verwechslungsgefahr mit aktivem Dienst«, aber sie erlaubte ihm als »ehrenvolles Distictionszeichen«323 das Tragen der Uniform der Pensionisten. Der Wunsch nach der repräsentativen Uniform rekurierte auf die Berufungspraxis der obersten Chargen der Streitkräfte  : Wie bereits zu hochstiftischen Zeiten wurden fast alle Stellen mit herausragender Prestigewirkung und hoher finanzieller Vergütung von altem fränkischem Adel besetzt324. Vor allem die Spitzenbeamten der Militär-Oberkommission, die Regimentschefs und Oberbefehlshaber der Leibgarde waren von adeliger Herkunft. Auf Bataillonsebene allerdings kann man durchaus soziale Durchlässigkeit konstatieren. Es zeigt sich beispielhaft in einem Verzeichnis der Bataillonsstäbe von 1812, dass unter ihnen nur die wenigsten adeliger Herkunft waren325. Zur Aufwertung des Solda322 Ebd. S. 99. 323 Ebd. S. 485. 324 Ein »Obrist und Commandant« erhielt jährlich 2.234 fl. 24 Xr. Zu den Verdienstmöglichkeiten eine Zusammenstellung mit dem Titel »Standesentwurf eines Infanterie Regiments von 2 Bataillons, jeder zu 1 Grenadier und 5 Fusilier Compagnien und Kostenaufschlag eines Infanterieregiments nach der neu eingeführten königlich bayerischen Verpflegungsgebühr«, im Anhang als Dokument XXXVIII A. 325 Bataillon I  : chef de batillon (CdB) Erle  ; Hauptleute (Hptm)  : v. Adelsheim, Habersack, Sorger  ; Staabscapitän (Stabscap.) Fröhling, Schmid, Fritz  ; Oberleutnant (Olt)  : Zimmermann, Ott, Steinhauer Jun., Siebert, Büchold, Meut, Gabler  ; Unterleutnant (Ult)  : Christ, Kuchenmeister, Geippert, Jäger, Kiesner, Jllini Bat. II CdB Nickels  ; Hptm  : Kunz, Herbst, Brück  ; Stabscap.: Engelbrecht, Baunacht, Drescher  ; Olt  : Pfretschner, v. Waldenfels Fischer, Herzing, Schenk, Wucherer, Knörr  ; Ult  : Gierbacher jun., Deisenberger, Büttner, v. Lurz, Seyfried, Lenz Bat. III CdB v. Waldenfels  ; Hptm  : Cantler, Weiskopf, Wiesen  ; Stabscap.: Gebsattel, Zitzmann, Endres  ; OLt  : Mees Sen., Borst, v. Welsch, Mees jun., Beringer, Giesbacher Sen., Vornberger  ; Ult.: Zorn, Braun, Kirchgessner, Scheuring, Sauer, Müller Bat. IV CdB Dietz  ; Hptm  : v. Singer, Düring, Göpping  ; Stabscap  : v. Münchhausen, Fortenbach, Storch  ; OLt.: Steinhauer Sen., Bestle, Spat, Graf, Wießer, Seibert, Sixtus, v. Gemmingen  ; Ult  : Körbling, Sartorius, Eisenmann, Stephan, Wahlhäuser, Rauscher. So in  : StAWü, HV., MS. f., 187, Kriegswesen Würzburg, 1.

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tenstandes, der Grundlage der Militarisierung der Gesellschaft, trug vor allem bei, dass der Jahresverdienst auch nur eines Gemeinen mit durchschnittlich 45 fl. nicht schlecht bezahlt war326. Damit bot sich im Militärsystem jenen gesellschaftlichen Randgruppen die Möglichkeit, bis zu einem gewissen Grad einen sozialen Aufstieg zu erreichen. Die Grenze zu den dem Adel vorbehaltenen Chargen wurde im Untersuchungszeitraum allerdings nie angetastet. Ein ehemaliger Tagelöhner mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 30 fl. konnte es durchaus bis zum Feldwebel mit einem Jahresverdienst von 110 fl. bringen327. Auch diese soziale Durchlässigkeit knüpfte an bereits begonnene Entwicklungen im Ancien Régime an  : Eine Übersicht über die zu Zeiten des Großherzogtums schon pensionierten Offiziere bezeugt, dass diese Durchlässigkeit eben auch früher schon existent war328. Es war auch numerisch unmöglich, alle Führungspositionen mit Adeligen zu besetzen und man darf nicht annehmen, die Ideale der Revolution, Freiheit und Gleichheit, seien im großherzoglichen Militärsystem bereits umgesetzt worden. Bei Analyse der Mitglieder des großherzoglichen Offizier-Korps ohne adelige Herkunft fällt ihr Geburtsort ins Auge  : Nahezu alle stammten aus der Residenzstadt329. Der Einfluss des erstarkenden Bürgertums, der Drang zum Staat, zeichnet sich also auch im Militärsystem ab. Beispielhaft hierfür sei die militärische Karriere von Kaspar Mees (1790–1873) skizziert, der als Sohn eines Amtmanns seine Ausbildung zum Offizier der gehobenen Stellung seines Vaters verdankte und es nach dem Weltkrieg der Sattelzeit, eingegliedert in die bayerische Armee, bis zum Hauptmann brachte330. Überhaupt beförderte die militärische Prägung der Residenzstadt, die ja bereits in hochstiftischen Zeiten als Garnisonsstadt diente, durch Festung, Kasernen und starke Umwallung, eine Einbindung des Militärsystems in die bürgerliche Gesellschaft und leistete einer »Militarisierung als Kulturphänomen« 331 vorschub. Davon vor allem auch die Einrichtung und der aktive Gebrauch der Würzburger Bürgerwehr und Handelskompanie bei allen festlichen Anlässen332. Diese Bürgerwehr war es auch, die Erzherzog 326 Der Sold nach Chargen im Großherzogtum Würzburg erschließt sich beispielhaft aus der Zusammenstellung, Aufstellung des II. Bataillons, Kostenausweis vom 15. Januar 1807, in  : StAWü, MOK, 478 im Anhang als Dokument XXXVIII B. 327 Vgl. ebd. 328 Vgl. »Ancienneté des hochfürstlichen Offizier-Corps«, in  : StAWü, HV., MS. f., 187, Wehr- und Kriegsverfassung. Von 141 darin Genannten tragen nur 35 einen adeligen Namen. Diese besitzen allerdings fast alle einen höheren Rang als ein Oberleutnant. 329 Vgl. »Rang-Liste der Herren Staabs und Oberoffiziers des gesamten großherzoglichen Miliair für den Monat July 1812«, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 7, sign. 71, Fol. 383. Darin sind von 114 Offizieren 52 in der Residenzstadt Würzburg geboren. 330 Vgl. Kopp, Walter  : Kaspar Mees. Portrait eines großherzoglich würzburgischen Offiziers, in  : Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 31 (1979), S. 136-142. 331 Pröve, Militär, S. 92. 332 Über diese Handelskompanie zu Pferde, die es seit 1699 gab, ist überliefert, dass sie zu Zeiten des Groß-

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Ferdinand 1806 in Gestalt einer Bürger-Infanterie und einem Bürger-Kavalleriekorps einen militärisch geprägten Empfang bereitete333. Obwohl das Militär gerade im Untersuchungszeitraum auf allen Plätzen und Straßen, in den Wirtshäusern und den Stadttoren, bei den Kasernen und Lazaretten der Stadt überall im öffentlichen Leben präsent war, gab es dennoch sehr wenig Anteilnahme für das Militär. Das Militärsystem blieb auch am Main eine eher geschlossene militärische Gesellschaft, »analog zur ständischen Gesellschaftsordnung [als] eigene[r] Stand mit spezifischer Rechtsprechung, bestimmten Regeln und – ähnlich den Gilden und Zünften – einem genossenschaftlich ausgeübten Brauchtum«334. Diese geringe Anteilnahme, die Gründe, warum sich kein massenhafter Protest gegen die Rekrutierungspraxis entbrannte, obwohl der Verwaltungsapparat immense Soldatenmassen aus dem Großherzogtum Würzburg zog, liegt auch an der hier skizzierten Sozialstruktur des großherzoglich würzburgischen Militärsystems. Ausgehend von diesen Befunden lässt sich diese zusammenfassend insofern beschreiben, dass die prestigeträchtigen und finanziell lukrativen Posten des Militärs in Verwaltung und strategischer Führung der Truppe von Adeligen besetzt wurden, das Bürgertum die mittlere Truppenführung stellte und alle Mannschaftsdienstgrade vom Korporal abwärts, die, wie nachgewiesen, die höchsten Verlustraten zu verzeichnen hatten, von den gesellschaftlichen Randgruppen gestellt wurden. Drängte in den Verwaltungszentren das dort lebende Bürgertum auf die lukrativeren Posten des Militärsystems und sorgte somit für eine graduelle Einbindung des Militärs in die Gesellschaft, muss eine solche Einbindung in der Peripherie, wo die persistenten Dorf- und Landeliten die meisten jungen Männer zu den großherzoglichen Truppen schickten, negiert werden. In die Mannschaften der würzburgischen Armee schickte die MOK trotz ihrer Bemühungen zum Imagewandel all jene, die die großherzoglich würzburgische Gesellschaft sonst nicht brauchen konnte. Mitgefühl für die ständigen Truppenaushebungen wurde nur individuell, nicht kollektiv empfunden. Die dürftigen Selbstzeugnisse versagen allerdings ein umfassendes Bild. herzogtums insgesamt 58 Mann stark gewesen sein musste und nur »der äußerlichen Repräsentation« diente. So bei  : Kittel, J. B.: Die Handlungs-Kompagnie zu Pferd 1699–1803, in  : Handelskammer für den Regierungsbezirk Unterfranken und Aschaffenburg (Hg.)  : Festschrift zur Eröffnung des Handelskammergebäudes Würzburg. Würzburg 1914, S. 78. 333 Darunter befanden sich wohl eine Schützenkompagnie und einige in ihrer Anzahl unbekannte Infanteriekompagnien. Über die Aufstellung und Bewaffnung sowie deren Organisation gibt es wenige Hinweise. Bekannt ist, dass sich jene aus den acht Stadtvierteln Würzburgs rekrutierte, deren Zahl aber unbekannt bleibt. Anzunehmen ist auch für die übrigen Bürger-Militärs, dass sie von rein repräsentativem Wert waren und nur zu Wach- und Polizeidiensten taugten. Eine genauere Kenntnis über die Würzburger Bürgerwehr würde aber auch Rückschlüsse auf die Akzeptanz und den Militarisierungsgrad Würzburgs erlauben. Vgl. Munker, Die Garnison, S. 53. 334 Pröve, Militär, S. 3.

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Die Bedeutungsverschiebung von der ›Schlachtbank‹ hin zum ›Feld der Ehre‹ lässt sich deshalb auch wieder lediglich exemplarisch belegen  : Amalia Gräfin zu Castell wendete sich im Dezember 1813 an Staatsrat Hartmann, um die Militärdienstbefreiung eines ihrer Untertanen namens Pflüger zu erwirken, weil er für das »Gütchen«, das es zu bewirtschaften gilt, unersetzlich ist. Nach Antrag Hartmanns an die MOK kommt diese nach Beratung dem Wunsch nach, woraufhin die Gräfin an Hartmann antwortete  : »Auf das verbindlichste seye Ihnen mein Dank gezollt, für die gütige Verwendung für den Pflüger. Ich fühle diese Güte um so lebhafter, da mich das schmerzliche Loos nun trifft meinen ätesten Sohn, der erst ausstudiert hatte, als Militär von meiner Seite gerissen zusehen. Doch es war Pflicht seinem Souverän und dem Vaterlande sich ganz zu weihen und so bin ich zufrieden.«335

Dass jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, ihr Sohn, der ja wegen seiner adeligen Herkunft von der Militärpflicht befreit war, einer der wenigen im Großherzogtum Würzburg war, der dieser ›Pflicht dem Souverän und Vaterland das Leben zu weihen‹, nachkam, belegt das Aufgebot der Freiwilligen Jäger 1813  : Nur 193 von diesen folgten dem Aufruf zum »heiligen Kampf« 336, der Rest wurde mit den üblichen Mitteln der Konskription ausgehoben. Das Nebeneinander von als zunehmend ehrenvoll empfundenem Kriegsdienst und Zwangsrekrutierung von Soldatenmassen ist für den Weltkrieg von 1792–1814 generell symptomatisch337. Kann von allgemeiner Wehrpflicht im Großherzogtum Würzburg wegen der noch erheblichen Ausnahmen im Grunde nicht gesprochen werden, hatten jedoch auch immer mehr Bevölkerungsschichten Anteil an den Truppengestellungen, je länger der Krieg dauerte. Durch diese soziale Durchmischung, die durch soziale Durchlässigkeit, gute Bezahlung und soziale Absicherung auch in Form von Witwen- und Waisenfonds sowie zunehmendes gesellschaftliches Prestige durch die von Erzherzog Ferdinand begonnene Auszeichungspraxis, verlor der Soldatenstand am Main langsam aber kontinuierlich »sein Unterklassenimage« 338. Die Truppenorganisation

Wichtig festzustellen ist gleich zu Beginn, betrachtet man die Geschichte von Würzburgs Truppen, dass jene ihre Militäroperationen immer im Verbund mit größeren Militärmächten unternommen haben. Nicht im Siebenjährigen Krieg und auch nicht in 335 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 9, sign. 73, Amalia Gräfing zu Castell an Hartmann, 5. Januar 1813. 336 Vgl. StAWü, HV., MS., f. 615. 337 Vgl. Bock, Napoleon-Deutschland-Europa, S. 107. 338 Planert, Auf dem Weg, S. 201.

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den sogenannten ›Befreiungskriegen‹ kämpften die würzburgischen Truppen geschlossen als ein Korps339. Zum selbstständigen Operieren im Feld, ja sogar zur adäquaten Verteidigung des eigenen Territoriums waren Würzburgs Streitkräfte stets numerisch zu schwach340. Der Fürstbischof war demnach der strategischen und taktischen Ebene enthoben und die militärischen Entscheidungen wurden im Militärsystem selbst getroffen. Zwar spielte das Hochstift Würzburg noch eine herausragende Rolle im fränkischen Kreis, der Ende des 18. Jahrhunderts immerhin knapp 30 Stände zählte341, dennoch stellte es gezwungenermaßen seine Truppen immer in die Dienste anderer342. Entweder wurden die Truppen im Rahmen des Kreiskontingents im Kriegsfall an das Reich überstellt, oder die Fürstbischöfe gaben sie als Subsidientruppen in den Dienst des Meistbietenden, wie beispielsweise an die Niederlande 1746–1749343. Größtenteils reihte man sie vor allem aber jedoch in die Reihen des Hauses Habsburg ein. Diese Subsidientruppen wurden aus den Kräften gebildet, die überzählig des durch Reichs- und Kreisbeschlüsse festgelegten Minimalstandes waren344. Diese auch als Haustruppen bezeichneten Verbände ermöglichten dem Landesherrn nach dem Ausmarsch des Reichs- und Kreiskontingents weiterhin über Bewaffnete verfügen zu können, was teils zum Schutz des Territoriums geboten erschien und teils zur Wahrung eines gewissen politischen Freiraums und zur Steigerung des Bündniswerts diente. Im Jahr 1780 verfügte Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal nach einer auf aufgeklärt-rationalistischen Prinzipien beruhenden Umgestaltung über 3.053 Militärs345. Diese gliederten sich in drei Infanterieregimenter346, ein Dragonerregiment, in Frie­denszeiten aus Kostengründen unberitten347, ein Husarenkorps, das als berittene Landgendarmerie fungierte, und ein Artilleriekorps. Die Haustruppen uniformierte das Fürstbistum nach österreichischem Vorbild mit weißen Röcken und weißen, roten bzw.

339 Vgl. Sicken, Die Streitkräfte, S. 711. 340 Vgl. ebd., S. 733. 341 Vgl. ebd., S. 693. 342 Damit war das Beispiel des Hochstifts Würzburg eines von vielen  : Vgl. Kunisch, Johannes  : Das »Puppenwerk« der stehenden Heere. Ein Beitrag zur Neueinschätzung von Soldatenstand und Krieg in der Spätaufklärung. In  : Zeitschrift für historische Forschung 17 (1990), S. 49–83, S. 49f. 343 Vgl. Henle, Heerwesen des Hochstifts, S. 4f. 344 Vgl. Sicken, Die Streitkräfte, S. 695. 345 Vgl. Munker, Die Garnison, S. 13. 346 Jene waren jeweils nach den Namen ihrer Befehlshaber benannt  : Infanterieregimente »Stetten« 740 Mann, »Wurmb« und »Drachsendorf« mit je 736 Mann, Dragonerregiment »Guttenberg« 508 Mann, Landregimentsstab 75 Mann, Kriegskommissariat 5 Mann, Generalstab 47 Mann, Leibgarde 56 Mann, Husarenkorps 80 Mann, Artilleriekorps 70 Mann. 347 Vgl. ebd., S. 13.

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gelben Brustaufschlägen, je nach Kompaniezugehörigkeit348. Die Kreistruppen indes trugen einen blauen Rock und blaue, grüne oder rote Aufschläge349. Es galt bei allen Waffengattungen, dass die »Regimenter zu Roß und zu Fuß gleichförmig montiert«350 seien. Ganz anders urteilte 1780 ein Werbehauptmann der Habsburgermonarchie über die fürstbischöflichen Truppenverbände  : »Das Äußerliche ist nicht sehr auffallend  ; alte und junge Leute nebeneinander und durcheinander  ; keine Gleichheit im Anzuge und überhaupt wenig Nettigkeit  ; Gewehre alt und verdorben«351. Zur Altersstruktur ist an dieser Stelle zu bemerken, dass zwar das Durchschnittsalter der fürstbischöflichen Truppen bei 32 Jahren lag352, die Stäbe aber ein Durchschnittsalter von 45 Jahren und somit die Mannschaften einen Altersdurchschnitt von 25 Jahren hatten353. Was die ebenfalls bemängelten Gewehre anbelangte, so ist darauf zu verweisen, dass es vom Ende des Ancien Régime bis Mitte des 19. Jahrhunderts keine waffentechnischen Neuerungen gab. Zur Bewaffnung der Infanterie dienten die seit Beginn des 18. Jahrhunderts üblichen Steinschlossgewehre354, bei denen es nur qualitative Unterschiede gab, die sich aber nicht in fortschrittlich neue und veraltete differenzieren ließen355. Außerdem trugen die Infanteristen als Blankwaffen Infanteriesäbel356. Der bemerkte schlechte Zustand der Truppe lässt sich auch mit der immensen Schulden348 In den Abbildungen im Anhang als Dokument XLI erkennt man den für die österreichische Form typischen einreihigen Rock mit offenem Kragen. Der Dreispitz war nur zu Friedenszeiten üblich, hingegen wurde zu Kriegszeiten das ebenfalls für die österreichische Montur übliche Kasket getragen. Die Ähnlichkeit mit einem österreichischen Infanteristen von 1756 ist bemerkenswert. Vgl. Kopp, Würzburger Wehr, S. 99. 349 Daher auch der Name ›Kompagnie Rot Würzburg‹ etc., vgl. Hagen, Hausinfanterie, S. 2, 133. 350 Vgl. Henle, Heerwesen des Hochstifts, S. 4f. 351 Zit. nach Kopp, Würzburger Wehr, S. 100. 352 Im Jahr 1789, für welches die Musterungslisten noch im HStA München vorliegen, und von Sicken, Die Streitkräfte, S. 724–732, statistisch ausgewertet wurden. 353 Die Kompaniechefs waren zu einem Drittel sogar über 60 Jahre alt. Vgl. ebd., S. 725f. 354 Zweifellos wurden diese Steinschlossgewehre weiter verbessert. Die Mechanik blieb jedoch die gleiche, und damit auch das Problem, dass sich wegen bei jedem Schuss ablagernden Schwarzpulverresten nicht genau zielen ließ. Siehe hierzu ausführlich  : Matthias Rogg  : Die Ursprünge  : Ritter, Södner, Soldat. Militärgeschichte bis zur französischen Revolution 1789, in  : Karl Volker Neugebauer (Hg.)  : Die Zeit bis 1914. Vom Kriegshaufen zum Massenheer. München 2009, S. 114f. und vor allem Torsten Verhülsdonk/ Carl Schulze  : Napoleonische Kriege. Einheiten – Uniformen – Ausrüstung. Herne 1996, S. 68f. Eine Inventarliste aus dem hochstiftischen Militärdepot vom Jahr 1802 listet 3.950 Infanteriegewehre mit einem Kaliber von eineinhalb Lot sowie 6.152 Waffen mit dem Kaliber von zwei Lot auf, die 1802 zwar nun unbrauchbar, zuvor allerdings noch genutzt wurden. Vgl. Sicken, Die Streitkräfte, S. 714f. 355 Die in Würzburg zu Zeiten des Hochstifts verwendeten Infanteriegewehre nannten sich »schwere zylindrische Flinte«, vgl. Munker, Die Garnison, S. 44  ; Generell konnte diese Art von Gewehren höchstens vier Schuss pro drei Minuten abfeuern und das auf maximal 200 m Entfernung. Vgl. Georges Lefebvre  : Napoleon. Stuttgart 1989, S. 208. 356 Vgl. Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, S. 191.

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last erklären, die Fürstbischof Adam Friedrich Graf von Seinsheim (1708–1779) seinem Nachfolger hinterließ, und diesen zu rigiden Sparmaßnahmen besonders bei der Montur der Truppen nötigte357. Diese Missstände ließen sich offenbar aber durch die erwähnte reformierende Neuordnung des Militärs, »ganz im Geiste des aufgeklärten Absolutismus«358, durch Fürstbischof Erthal schließlich beheben. Neben den Feldtruppen unterhielten die Fürstbischöfe noch eine Leibgarde zu repräsentativen Zwecken und naturgemäß einen Generalstab, betraut mit Dienstaufsichts-, Disziplinar- und Verwaltungsaufgaben sowie ca. 200 Soldaten als Besatzungstruppe359 in der Festung Königshofen360. Über all diese Militärs übte der Hofkriegsrat die Militärverwaltung und die Militärgerichtsbarkeit aus. Diesem noch übergeordnet war ein sogenannter ›Kriegsstaat‹, der höhere Kommando- und Organisationsgewalt hatte und mit dem Generalstab die Koordinierung der auf verschiedenen Schlachtfeldern Kämpfenden zur Aufgabe hatte361. Die Truppenführung hingegen übernahmen die Regimentskommandeure, aber auch das Kriegskommissariat, welches als wichtige Militärverwaltungsbehörde nicht nur die fiskalisch-wirtschaftlichen Interessen des Staates zu beobachten, sondern auch die Truppe mit aller notwendigen Montur, Naturalverpflegung, Fourage, Bewaffnung und Sold zu versorgen hatte362. Hauptaufgabe dieser hochstiftischen Behörde war auch die Bereitstellung von neuen Rekruten – gerade in den Koalitionskriegen ein mühsames Unterfangen, wie im Folgenden immer wieder zu zeigen sein wird. Im Jahr 1790 schloss Fürstbischof Erthal mit Kaiser Josef II. einen Subsidienvertrag, der von Erthal 2.068 Soldaten der Infanterie und 408 Kavalleristen für die Sicherung Luxemburgs forderte363. Kurz darauf stieg der Rekrutenbedarf exorbitant  : Im Zuge des Ersten Koalitionskrieges gegen Frankreich zur Sicherung des Hochstifts sowie zur Stellung weiterer Truppen als Reichskontingent364 musste auf das ius sequelae, also die Landfolgepflicht, zurückgegriffen werden365. Was ursprünglich als Instrument zur Wahrung des Landfriedens während des späten Mittelalters erdacht wurde, wurde gegen Ende des 357 Vgl. Kopp, Würzburger Wehr, S. 99. 358 Vgl. Munker, Die Garnison, S. 12. 359 Zur Unterbringung der Soldaten in Königshofen, aber auch in Würzburg sowie eine detaillierte Zusammenstellung des Gesundheits- und Kasernenwesens im Hochstift bietet  : Wolfgang Bühling  : Kaserne und Lazarett im Hochstift Würzburg. 1636-1802. Würzburg 1997. 360 Diese aber schon fortifikatorisch stark veraltet. Näheres dazu bei  : Josef Sperl  : Stadt und Festung Königshofen im Grabfeld. Königshofen i. Grabfeld 1974. 361 Vgl. Sicken, Die Streitkräfte, S. 710. 362 Vgl. Flurschütz, Die Verwaltung, S. 232f. 363 Vgl. Munker, Die Garnison, S. 16  ; außerdem für die Beschreibung des Feldzuges, der sich bis in die Niederlande ausdehnte, eine genaue Übersicht bei Hagen, Hausinfanterie, S. 74–94. 364 Obwohl die Truppen, die eigentlich als Subsidientruppen im Feld standen, auf das zu stellende Kontingent angerechnet wurden, fehlte es an Streitkräften. Vgl. ebd., S. 74. 365 Vgl. Sicken, Die Streitkräfte, S. 697.

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Das Mittel zum Zweck? Das Großherzogtum Würzburg im Krieg

18. Jahrhunderts von nahezu allen Kriegsherren zur Ergänzung ihrer regulären Truppen verwendet. Diese wurden dann auch außerhalb des eigentlich zu verteidigenden Territoriums eingesetzt366. Jenes sogenannte Landregiment, das ein Stab aktiver Militärs367 – nur im Notfall aus Untertanen rekrutiert – befehligte, war zu diesem Zeitpunkt ca. 3.000 Soldaten stark368. Während Fürstbischof Erthal noch aus Rücksicht auf die Staatsfinanzen und seiner eigentlich neutralen Haltung zu Frankreich nur die geforderte Truppenstärke dem Kaiser zur Verfügung stellte, befleißigte sich sein Nachfolger Fürstbischof Fechenbach die Wünsche des Kaisers noch zu übertreffen. Das Hochstift stellte somit insgesamt 3.517 Soldaten im Zweiten Koalitionskrieg369. Alle Soldaten Würzburgs standen im Feld, die Residenzstadt verfügte über keinerlei würzburgische Militärs zur Bewachung der eigenen Verteidigungsanlagen370. Es verwundert daher nicht, dass die eilends zusammengestellte Besatzung aus österreichischen und bambergischen Truppen371 im Angesicht des übermächtigen französischen Heers Ende Dezember 1800 nach Belagerung und Beschießung von Stadt und Festung kapitulierte und den Franzosen übergeben werden musste372. Erst der Frieden von Lunéville beendete die französische Besetzung der Festung. Es sollte sich aber zeigen, dass diese Besetzung nicht bloßes Intermezzo blieb. Der somit beendete Zweite Koalitionskrieg hatte die würzburgischen Truppen komplett zerstreut. Aus dem oberfränkischen Gräfenberg zogen die Würzburger Truppen als Reichsregimenter – unwissentlich »sang- und klanglos«373, für immer aus dem Reichsverbund gelöst und auf die Hälfte des Sollstandes dezimiert – nach Hause. Andere hochstiftische Truppen wie ein Kreisbataillon aus dem badischen Philippsburg, das dort

366 Vgl. Gerhard Papke  : Von der Miliz zum stehenden Heer. Wehrwesen im Absolutismus. München 1979, S. 66f. 367 Wie bereits erwähnt 75 Mann um 1780/1781  ; vgl. Flurschütz, Die Verwaltung, S. 233. 368 Sicken, Die Streitkräfte, S. 697. 369 Zur Reichsarmee wurden 2.102 Mann Infanterie, sowie 501 Mann Kavallerie gestellt und unter englischem Sold, dennoch auf Seiten des Reiches, standen weitere ca. 800 Mann Infanterie und 100 Mann Kavallerie, vgl. Munker, Die Garnison, S. 26. 370 Nur eine kleine Infanteriereserve und der Generalstab waren verblieben. Insgesamt ungefähr »600 Köpfe, darunter jedoch sehr viele Invaliden, sodass man ihren Gefechtswert nur gering anzuschlagen vermochte«, so bei  : Hagen, Hausinfanterie, S. 126. 371 Vgl. Munker, Die Garnison, S. 26, und genaue Zahlen bei Hagen, Hausinfanterie, S. 125f. 372 Siehe zu dieser Belagerung Würzburgs 1800/1801 eine detaillierte Darstellung  : Romberg, Glocken. Zu bemerken an dieser Stelle ist des Weiteren, dass bei der Schlacht bei Würzburg selbst keine Würzburger Truppen eingesetzt wurden, vgl. Hans-Peter Baum  : Die Schlacht bei Würzburg vom 1. bis 3. September 1796, in  : Ulrich Wagner (Hg.)  : Vom Bauernkrieg bis zum Übergang an das Königreich Bayern 1814. Stuttgart 2004. 373 Kopp, Würzburger Wehr, S. 112.

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sechs Jahre als Garnisonsbesatzung stationiert war, eine Grenadierkompagnie sowie einige Dragoner aus Österreich kehrten wieder an den Main zurück374. Um die überstrapazierte Staatskasse375 zu entlasten, setzte Fechenbach die Truppen nach ihrer Rückkehr auf den Friedensfuß und ordnete sie völlig neu376. Alle bisherigen Truppenorganisationen in Haus- und Reichstruppen sowie in aktive und Reservetruppen beseitigte er, fügte sie in eine effizientere Organisationsform  : Demnach wurde aus der Hausinfanterie die Bat. I377 und II378 gebildet, die Kreisinfanterie zum Bat. III379 umstrukturiert. Diese Bataillone setzten sich jeweils (mit leichten Abweichungen) aus ca. 16 Mann Stab und sechs Füsilierkompagnien und einer Grenadierkompagnie zusammen380. Wichtig ist an dieser Stelle zu bemerken, dass sich diese Zusammensetzung der Stäbe und der Kompagnien zwar in ihrer Anzahl, nicht aber strukturell bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts änderte. Die Infanteriebataillone wiesen im Jahr 1802 eine Sollstärke von 1.852 Mann381 auf und waren nach österreichischer Manier alle ganz in weiß gewandet382. Die Kavallerie wurde zum gleichen Zeitpunkt ebenfalls neu formiert und in zwei Divisionen aufgeteilt mit einer Gesamtstärke von 410 Mann383, davon 25 Offiziere. Dazu beließ der Hofkriegsrat das Husarenkorps nahezu unverändert384. Das Artilleriekorps in Würzburg bestand effektiv aus 59 Mann und weiteren 15 Artilleristen 374 Vgl. Hagen, Hausinfanterie, S. 132. 375 Die Schulden durch Requisitionen, Einquartierung und Versorgung von Freund und Feind sowie der Unterhalt der im Feld stehenden Truppen verursachte ein Staatsdefizit von 5.149.375 fl., vgl. ebd., S. 132. 376 Die Heeresreform von 1801 kann hier nur angerissen werden. Einen genauen Überblick bietet Munker, Die Garnison, S. 31–56, dort auch die genauen Truppenaufstellungen einzelner Bataillone. 377 Nach dem Oberbefehlshaber Stetten benannt, hatte es eine Ist-Stärke von 583 Mann, davon 16 Stabsoffiziere. Diese Zahl richtet sich nach dem effektiven Stand (Kranke, Abwesende etc. sind also bereits abgezogen) und stammt aus »Standes-Ausweis der gesamten fürstl. Würzburgischen Truppen-Corps auf den completen Fuß sowol, als wie solche mit Ende August 1802 effective bestanden«  ; in  : StAWü, H.V. MS, f., 187. 378 Nach dem Oberbefehlshaber Gebsattel benannt, hatte es eine Ist-Stärke von 563 Mann, davon 13 Stabsoffiziere. 379 Nach dem Oberbefehlshaber Cantler benannt, hatte es eine Ist-Stärke von 597 Mann, davon 15 Mann Stabsoffiziere. 380 Im Fall des Bat. III hatten diese zwei Kompagnien Grenadiere. 381 »Standes-Ausweis der gesamten fürstl. Würzburgischen Truppen-Corps auf den completen Fuß sowol, als wie solche mit Ende August 1802 effective bestanden«, in  : StAWü, H.V. MS, f., 187. 382 »Der Rock war nach dem damaligen österreichischen Muster kurz (daher die Bezeichnung Röckel), gleichwohl aber an den Schößen umgeschlagen, hatte eine Reihe weißer Knöpfe, einen Stehkragen und kurze Aufschläge« so bei  : Hagen, Hausinfanterie, S. 135. Das I. Bat. wies sich durch rote, das II. Bat. durch blaue und das III. durch grüne Krägen und Aufschläge aus. Unter den einreihigen Röcken trug man Ärmelwesten und eine kurze Tuchhose und darunter leinene Gattien. Vgl. Munker, Die Garnison, S. 44. 383 Diese allerdings aus Kostengründen wieder unberitten. 384 Diese 80 Mann starke Polizeigruppe war mit einem grünen Dolman (ein kurzer Leibrock ursprünglich

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in Königshofen. Die Ist-Stärke aller »dienstbaren« Militärs lag also im Jahr 1802 bei 2.416 Mann385. Gleich nach diesen militärischen Umstrukturierungsmaßnahmen machten sich gemäß der Bestimmungen aus Lunéville die bayerischen Besitzergreifungstruppen umgehend daran, die Selbstständigkeit des Hochstifts zu beenden. »Wenn ich sicher wäre, dass keine Preußen oder Franzosen sich einmischen, so wollte ich die Pfälzer jagen, Stadt und Land würden sich gerne brauchen lassen«386, gab sich Fürstbischof Fechenbach noch kurz vor der militärischen Inbesitznahme kämpferisch. Wegen dieser befürchteten ›Einmischung‹ der Garantiemächte beließ er aber seine Truppen in den Kasernen, wo sie ab dem 30. November 1802 unter dem Oberbefehl des kurbayerischen Generals Georg August Graf Ysenburg (1741–1822) standen387. Ab 1803 begann nun der bayerische Hofkriegsrat – mit dem Reichsdeputationshauptschluss dazu auch berechtigt – mit bekannt reformerischem Eifer, die Truppen erneut umzugestalten, deren Verwaltung personell auszuwechseln. Das Kriegskommissariat und den Hofkriegsrat löste man auf, wobei die Militärverwaltung von der »Militär-Inspektion-Franken« übernommen wurde. Bat. I und II wurden als »Regiment Vacant«388 zusammengeführt, Bat. III in »Leichtes Bataillon de la Motte« umbenannt und die Hofgarde völlig aufgelöst. Die Kavallerie wurde nach bayerischer Manier in ein Chevauleger-Regiment389 umgewandelt, die, finanziert auch durch Versteigerungen kostbarster hochstiftischer Kleinodien und wertvoller Bücher, unter bayerischer Herrschaft nun alle beritten waren390. Diese nun bayerisch montierten Würzburger Streitkräfte begannen 1805 ihre Teilnahme am Dritten Koalitionskrieg mit dem »Ausmarsch aus Würzburg zum Zwecke im Krieg zwischen Österreich und Frankreich, sich an die französische Armee türkischer Manier), einem grünen Mantel sowie einem kurzen Pelzmantel, roten Hosen sowie einem Filztschako mit einer gelben Borte ausgestattet. 385 StAWü, H.V. MS, f., 187. Die Sollstärke lag Ende August 1802 bei 2.646 Mann. Die Differenz lässt sich durch die vielen aus Kostengründen beurlaubten Soldaten erklären. 1801 stehen 2.456 Mann in den Diensten des Fürstbischofs, wenngleich der Begriff ›Gesamtstärke‹ offen lässt, wie viele von jenen tatsächlich dienstbar waren. Vgl. Munker, Die Garnison, S. 53. 386 Günther, Der Übergang, S. 71. 387 Kopp, Würzburger Wehr, S. 115. 388 Erst 1805 erhielt Fürst Konstantin von Löwenstein-Wertheim den Oberbefehl, womit sich der Name in »Regiment Löwenstein« änderte. Siehe hierzu besonders Bezzel, Geschichte, S. 6ff., und Grosch, Geschichte, S. 173. Die Montur der würzburgischen Infanterie glichen die Bayern ihren eigenen an. Damit änderte sich die Rockfarbe vom weißen zum kornblauen Grundtuch. Dazu kam ein ponceauroter Kragen, grüne Klappen und Aufschläge mit rotem Vorstoß und gelbe Knöpfe. Im Anhang als Dokument XLII. 389 Nämlich in das Chevauleger-Regiment »Leiningen«, das nur aus Würzburger Dragonern und Husaren gebildet wurde. Ausführlich bei Munker, Die Garnison, S.75ff. 390 Die Chevaulegers änderten ihre Montur auch nach bayerischem Vorbild, sogar mit den üblichen weißblauen Federbüschen auf dem Hut. Siehe Abbildung im Anhang als Dokument XLIII.

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anzuschließen«391. Da hinsichtlich des bevorstehenden Krieges die Bayerische Armee in Brigaden aufgeteilt worden war, finden sich sowohl die Chevauleger-Division, das Infanteriebataillon de la Motte, als auch das 12. Infanterieregiment Löwenstein in der fünften Brigade unter Franz Graf von Minucci (1767–1812)392. Um den im Kriegsverlauf wichtigsten aus München geflohenen Einwohner Würzburgs, Kurfürst Max IV. Josef in der Residenzstadt zu schützen, bildete das kurbayerische Kriegskommissariat aus den überzähligen Soldaten des 12. Infanterieregiments und anderen Verbänden ein dreizehntes393, was später ebenfalls ins Feld ausrückte394. Unter Generalleutnant von Wrede als Vorhut Bernadottes wirkten die Würzburger Streitkräfte u. a. im Dezember 1805 bei der Rückeroberung Münchens und in Gefechten von Stecken bei Iglau in Böhmen mit395. Nach Preßburg hingegen ließ die Krone Bayern die nun kurfürstlich würzburgischen Truppen nicht in ihre Heimat zurückmarschieren. Sie verblieben in ihren Standorten Bamberg, Amberg und Ulm kaserniert396, denn die Bayern wollten dem neuen Landesherrn die Montur und Bewaffnung der Truppen nicht überlassen397. Entlassen wurden die würzburgischen Truppen offiziell erst am 1. August 1806. Erzherzog Ferdinand verfügte bei seinem Regierungsantritt im Mai 1806 also faktisch über keinerlei eigene Streitkräfte. Erst im Februar wurde militärisch die Inbesitznahme des neuen Kurfürstentums, wie erwähnt, durch zwei österreichische Bataillone bewerkstelligt. Diese genügten gerade für eine Festungsbesatzung und die Aufrechterhaltung der Sicherheit im Lande398. Nach dem von Napoleon verfügten Abzug der Truppen Mitte März versah die Würzburger Bürgermiliz die Torbewachung und den Festungsdienst399 – ein Zustand, wie er seit dem Bauernkrieg in der Residenzstadt nicht mehr vorgekommen war400. 391 Aus einem Marschtagebuch, in  : StAWü, H.V. MS, f., 169. 392 Siehe zur genaueren Betrachtung der Truppenumstellungen  : Bezzel, Geschichte, S. 29. 393 Denn die Infanterieregimenter wurden neu strukturiert, sodass ein Regiment eine Grenadier- und vier Füsilierkompanien aufwies. Somit standen 457 Mann des 12. im 13. Linieninfanterieregiment. Näheres bei Franz Schubert/Hans Vara  : Geschichte des K. B. 13. Infanterieregiments Kaiser Franz Joseph von Österreich. München 1906, S. 35. 394 Nach der sicheren Rückkehr des Kurfürsten nach München marschierten diese bis Amberg  ; vgl. Kopp, Würzburger Wehr, S. 120. 395 Dort standen sich 4.000 Bayern und 7.000 Österreicher gegenüber. Die Österreicher unter General Schwarzenberg gewannen die Schlacht. Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 217f. Außerdem Näheres zu Marschroute und den Vorgängen in der 5. Brigade, in  : Tagebuch, Bei Ausmarsch der 4 Kompagnien unter dem Commando des Obrist Lieutnant de la Motte dem 29. Sept. 1805, StAWü, H.V. MS, f., 169. 396 In Bamberg standen das 12. und 13. Infanterieregiment sowie das Artilleriekorps, in Ulm ein Teil der Chevaulegers und in Amberg der andere. Vgl. Munker, Die Garnison, S. 86. 397 Vgl. Langmantel, Die äussere Politik, S. 7f. 398 Vgl. Chroust, Eine österreichische Sekundogenitur, S. 416. 399 Vgl. Probst, Würzburg, S. 94ff. 400 Vgl. Kopp, Würzburger Wehr, S. 122.

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Diese Bürgermiliz war es auch, die Erzherzog Ferdinand mit einem Bürger-Infanterieund einem Bürger-Kavalleriekorps401 einen durchaus militärisch geprägten Empfang bereitete, zu dessen Vervollkommnung nur noch das Donnern der Salutschüsse von den Batterien der Festung fehlte – wie die Chronik zu berichten weiß. Die Kanonen hatten bekanntlich die Bayern restlos mitgenommen402. Bereits wenige Monate nach seiner Ankunft verfügte Erzherzog Ferdinand, wie bereits dargelegt, am 14. August 1806 die Gründung seiner neuen militärischen Verwaltungs­ instanz, die MOK. Dies geschehe, so sein Befehl, um »Militärmacht ins Leben zu rufen und diese kriegsfähig zu machen«403. Einige Tage vorher, am 8. August, kehrten die »ohne Helm, Waffen, Ausrüstung und Pferde entlassenen Landeskinder«404 aus dem verbüßten Arrest in Ingolstadt nach und nach in die Stadt zurück und bildeten damit die erste Verfügungsmasse des neu gegründeten Kommissariats405. Der Beitritt zum Rheinbund nötigte die Kommission dazu, zunächst besonders den Aufgabenkomplex der Rekrutenaushebung in den Vordergrund zu stellen. Die Klausel »im Falle des Krieges«406 war bei diesem Beschluss bereits akut. Seit Juli 1806 steigerte sich das gegenseitige Misstrauen zwischen Preußen und Frankreich, das in der Kriegserklärung (9. Oktober 1806) Preußens gipfelte und den Vierten Koalitionskrieg auslöste407.

401 Darunter befanden sich wohl eine Schützenkompagnie und mehrere Infanteriekompagnien. Über die Aufstellung und Bewaffnung sowie deren Organisation gibt es wenige Hinweise. Bekannt ist, dass sich jene aus den acht Stadtvierteln Würzburgs rekrutierte, deren Zahl aber unbekannt bleibt. Über eine Handelskompanie zu Pferde, die es seit 1699 gab, ist überliefert, dass diese zu Zeiten des Großherzogtums insgesamt 58 Mann stark war. Sie diente »der äußerlichen Repräsentation«, J. B. Kittel  : Die Handlungs-Kompagnie zu Pferd 1699–1803, in  : Handelskammer für den Regierungsbezirk Unterfranken und Aschaffenburg (Hg.)  : Festschrift zur Eröffnung des Handelskammergebäudes Würzburg. Würzburg 1914, S. 78. Anzunehmen ist auch für die übrigen Bürger-Militärs, dass sie von rein repräsentativem Wert waren und nur zu Wach- und Polizeidiensten taugten. Eine genauere Kenntnis über die Würzburger Bürgerwehr würde aber auch Rückschlüsse auf die Akzeptanz und den Militarisierungsgrad Würzburgs erlauben. Vgl. Munker, Die Garnison, S. 53. 402 Vgl. Chroust, Das Großherzogtum, S. 9. 403 GhzRegBl, 1806, XII. Stück, S. 43. Die Constituierung einer Militair-Ober-Kommission betreffend. 404 Helmes, Die Würzburger, S. 3. 405 Es kamen 35 Offiziere und 867 Mann vom 12. und 13. Infanterieregiment sowie vom Bataillon de la Motte 6 Offiziere und 332 Mann Kavallerie ohne Pferde, außerdem 1 Offizier und 78 Mann Artilleristen zurück, insgesamt also 42 Offiziere und 1277 Mann. Vgl. Munker, Die Garnison, S. 88. 406 Der Akzessionsvertrag vom 25. September 1806 fordert in Artikel 6  : »Das Kontingent Sr. königl. Hoheit im Falle des Kriegs wird auf 2000 Mann bestimmt«  ; in  : StAWü, lib. div. form. 69, S. 64f. 407 Vgl. Herbert Grundmann (Hg.)  : Von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg. Stuttgart 1970, S. 46–50.

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1.2 Im Vierten Koalitionskrieg (1806–1808) – Kommunikations- und Disziplinprobleme einer unterversorgten Truppe Truppenaufstellung und Ausrüstung

Das Bat. I, in einer Stärke von 850 Mann (davon 21 Offiziere), stellte die kurz zuvor erst neu begründete Militär-Oberkommission (MOK) erst am 15. Oktober ins Feld408. Tags zuvor war das preußische Heer bei Jena und Auerstedt bereits vernichtend geschlagen worden409. Damit blieb dem Würzburger Kontingent im Vierten Koalitionskrieg zunächst nur die Sicherung des eroberten Gebietes zur Aufgabe. Der Protecteur des Rheinbundes vertraute bekanntlich den neuen Verbündeten nicht vorbehaltlos, weswegen er auch die noch kommenden Vernichtungsschlachten gegen das russische Heer bei Eylau (Bagrationowsk – 07./08. Februar 1807)410 und Friedland (Prawdinsk – 14. Juni 1807)411 von den vermeintlich vertrauenswürdigeren Franzosen bestreiten ließ und das Würzburger wie das übrige Rheinbundkontingent vermehrt für ›Aufräumarbeiten‹ verwendet wurde412. Daher hatte das Bat. I unter Oberst von Gebsattel im November zunächst einen Kriegsgefangenentransport von Erfurt nach Mainz zu eskortieren. Auf halben Weg zurück nach Berlin vereinigte sich das Bat. I mit dem erst am 18. November ausmarschierten Bat. II413 in Wittenberg. Die 991 Mann dieses II. Bat. zogen von Würzburg aus zunächst allerdings gänzlich unbewaffnet in den Krieg, worauf gleich noch einzugehen sein wird. Nicht nur das, 408 Oberst Lothar August Freiherr von Gebsattel (1753–1824) kommandierte das Bataillon. Ob diesem Bataillon ebenfalls eine Artillerieabteilung zugeteilt war, wie dem später eingerichteten Bataillon II muss offen bleiben. Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 274  ; Kopp, Würzburger Wehr, S. 126. Seine Offizierspersonalakte (BayHStA, Abt. IV, OP 77778) ist leider wenig aussagekräftig. Auch im Familienarchiv der von Gebsattel in Bamberg fand sich auf Anfrage nichts zu ihm. 409 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 223–226. 410 Vgl. ebd., S. 241. In Klammern werden jeweils bei Erstnennung die heute verwendeten Ortsnamen angeführt, um Irreführungen einer Doppelbennenung auszuschließen. 411 Vgl. ebd., S. 249. 412 Der Anteil genuiner Franzosen innerhalb der Grande Armée wurde durch den großen Verschleiß der folgenden Kriege immer weniger. Napoleon folgte ab 1800 der Tradition des Ancien Régime vermehrt ausländische Regimenter aufzustellen. Zunehmend speiste sich diese Armee ab 1805 immer mehr aus annektierten und unterworfenen Gebieten, bis die Franzosen spätestens ab 1812 nur noch eine Minderheit waren. Vgl. Lefebvre, Napoleon, S. 210. 413 Das Bataillon II kommandierte Oberst Ferdinand Zorn, wobei der Oberbefehl über das Regiment aber bei v. Gebsattel lag. Dieses Bataillon bestand aus  : 1 Oberst, 1 Maj., 1 Adj., 1 Aud.,1 Bat.-Chir., 1 Bat.Pfeiffer, 1 Bat.-Actuar, 6 Four., 3 Wund-Chirurgen, 8 Hautboisten/Musiker, 1 Profos samt Jungen, 4 Hptm., 2 Bat.-Capt., 6 Olt., 6 Ult., 6 Fw., 6 Serg., 48 Kpl., 1 Bat.-Tamb., 12 Tamb., 50 Gefr., 6 Zimmerleute, 820 Gemeine (Summe Sollstärke 991 Mann). Dazu kam noch eine Artillerieabteilung mit 1 Kan.-Kpl., 22 Kanoniere, 1 Zeugmeister und 1 Büchsenmacher. Vgl. StAWü, MOK 478, S. 33, 45.

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sondern besonders auch die Verzögerung bei der Mobilmachung verdeutlicht die enormen Schwierigkeiten der Aufstellungsorganisation im Durcheinander der ersten Regierungsmonate Erzherzog Ferdinands. De facto wäre eine Teilnahme des neu geschaffenen Großherzogtums am kurzfristig anberaumten Feldzug gegen Preußen ohne die durchaus wörtlich zu nehmende Schützenhilfe des französischen Kaisers gar nicht möglich gewesen, »puisque les Bavarois nous laissé dénués de tout«414, wie Hirsinger nach Paris meldete. Es sind die bayerischen Ausleerungen der Zeughäuser und Munitionshäuser in Würzburg an anderer Stelle bereits ausführlich beschrieben worden415. Es wundert daher nicht, dass der zum Zeitpunkt des Regimentsaufbaus in Würzburg anwesende Protecteur selbst veranlasste, es seien für das Bat. I aus französischen Beständen nach Würzburg 834 Säbel, 810 Gewehre, zwei Feldgeschütze und vieles Notwendige mehr abzugeben. Das Bat. II sollte schließlich aus der Kriegsbeute in Berlin mit preußischen Waffen ausgerüstet werden416. Nur Außenstehende schienen deswegen die Organisationsbemühungen der MOK zu überzeugen  : In ihren von der Komiss-Schneiderei Hofmann417 in großer Schnelligkeit verfertigten, blendend weißen Uniformen österreichischer Probe – also nach österreichischem Schnittmuster gefertigt – beeindruckten Würzburgs Soldaten den französischen Gesandten, der an Talleyrand schrieb, dass »ce corps est plus complettement équipément qu’on ne pouvait l’espérer«418. Die tatsächliche Mangelhaftigkeit der übereilt zusammengetragenen Ausrüstung trat allerdings schon bald offen zu Tage. 414 Hirsinger an Talleyrand, Würzburg, 4. Oktober 1806, in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, Fol. 218. 415 »Es ist […] bekannt, daß nicht nur die von hier abgezogene Kriegsmannschaft den im Dienstgebrauche gehabten Gewehr- und Rüstungs Vorrath samt dem Depot mitfortgenommen habe, sondern auch das dahiesige Zeughaus dermaßen rein ausgeleert worden, daß nicht eine Flinte nicht ein Lederstück, noch weniger eine Patrone von Munition allda zurückgeblieben ist«, so in  : StAWü, Landesdirektion Oberkriegskommissariat 2, Bericht an die an die churfürstliche Übernahme Commission vom 21. Mai 1806. 416 Hirsinger an Talleyrand, Würzburg, 4. Oktober 1806, in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, S. 218. Wie sich in den MOK-Sitzungsprotokollen finden lässt, ergänzte sich diese Anschaffungsliste durch »1000 Musquetensteine, 10 Centner Pulver, 400 Brandeln [und] 20 Zündlichter«, so in  : StAWü, MOK 11, S. 98f. Die Lieferungen aus den Beständen der Grande Armée verstanden sich indes als Vorleistung und als zeitlich terminierte Leihgaben und General St. Laurent forderte gleich nach Beendigung des Vierten Koalitionskrieges im September 1808 vom MOK die Rückgabe. Vgl. ebd. S. 103 ff. 417 StAWü, MOK 9, S. 358. Noch im Mai galt die große und kleine Montur als »abgeschlumpt« und musste daher »von Kopf bis Fuß« erneuert werden. Dafür waren laut Berechnungen selben Monats 4757 11/16 Ellen wollenen Tuches erforderlich, »ohne dass man zur Zeit weiß, welche Montursfarbe eingeführt […] werden solle«. 1 Elle als Maßeinheit im Großherzogtum Würzburg entspricht laut Gabriele Hendges 60 cm. Es waren also innerhalb eines halben Jahres 285,42 m Stoff erst anzufertigen und dann von der Komiss-Schneiderei Hofmann entzuverarbeiten. Vgl. für Maßeinheiten  : Hendges, Masse  ; und für den Monturaufbringungsprozess des Jahres 1806  : StAWü, Landesdirektion Oberkriegskommissariat 2, Bericht an die churfürstliche Übernahme Commission vom 21. Mai 1806. 418 Hirsinger an Talleyrand, Würzburg, 16. Oktober 1806, in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 65, Fol. 242.

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Kaum ausmarschiert, offenbarte sich dem Regimentsstab schmerzlich der Mangel an Tornistern für die Truppe, worin kleine Montur, Kochgeschirr sowie Proviant u.Ä. aufbewahrt hätten werden müssen. So war man zunächst auf die kostspieligere Versorgung in den Etappenorten angewiesen419. Während der ersten Einsätze als Garnisonstruppe zeigte sich außerdem, dass die von Kompagnie zu Kompagnie unterschiedlichen Gewehre große Probleme mit der je unterschiedlichen Munition hatten420. Schon in Wittenberg forderte Oberst Zorn Geld (16fl.) aus Würzburg für sogenannte Kugelzieher. Diese sind bekanntlich dafür einzusetzen, eine sich im Rohr festgeklemmte Munition zu lösen, was häufig dann vorkam, wenn falsche Munition in einen dafür ungeeigneten Lauf eingesetzt wurde421. Zu erinnern sei an die Tatsache, dass das Bat. I französische, das Bat. II indes preußische Waffen trug. In der Etappe

Die unzureichende Vorbereitung und eine folgenschwere, fatale Fehlkalkulation der MOK zeigt sich auch in weiteren Forderungen Zorns wenig später, dringend Halsbinden, Handschuhe, 2000 Paar Sohlen und 1000 Paar Schuhe »wegen anhaltend arger Wittherung«422 nachzusenden, denn das Regiment hatte für den Herbst- und Winterfeldzug nur leichte Sommerausrüstung dabei. Gerade bei einer Marschetappenleistung von bis zu max. 110 km in 48 Stunden war dies ein essenzieller Appell423. Diese Forderung wurde (spät genug Mitte Januar) erfüllt, freilich nicht ohne den schon bekannten 419 Oberst Zorn forderte daher 3.000 fl. für die bereits in Erfurt gekauften Tornister, weil man auf die Nachlieferung aus Würzburg nicht warten konnte. Zu bedenken ist hierbei die Transportleistung eines einzelnen Tornisters. Ein Soldat konnte in seiner aus Kalbsleder und Zwillich gefertigten Umhängetasche bis zu 4 kg Brot tragen. Vgl. StAWü, MOK 8, S. 53f. 420 Das Problem der ungleichen Bewaffnung wird an anderer Stelle bereits eingehend erläutert. Vorhergehendem nur angefügt sei die Einschätzung Wagners aus dem Jahr 1808 dass, »beim großherzoglichen Infanterieregiment […] noch immer keinerlei Gewehre [sind], welche sowohl hinsichtlich der Form, Schwere und der Ladstärke von minder großen Unterschieden, als auch von verschieden ungleichen Kaliber sind« womit die Gefahr bestehe, dass bei einem »nötig ernstlichstem Gebrauche der Militär oder gar bei einem seiner Kameraden Schaden an Leib und Leben« entstünden. So in  : StAWü, MOK 8, MilitärOberkommission Sitzungsprotokolle, 1.1.1807–1.7.1807, S. 493, S. 2. 421 Dieser Kugelzieher oder Krezer genannte Gegenstand war ein Gewindezapfen am Ladestock befestigt, der konisch zulaufend mit zwei ihn umschlingenden Drähten zunächst die Papier-Umhüllung der Kugel samt Schießpulver zu fassen bekam und der sich im Zentrum des Gewindezapfens sich befindliche Bohrer schließlich in die Bleikugel eindrang. Vgl. Hamm u. a., Napoleon, S. 182, dort auch eine Abbildung auf S. 180. 422 Militär-Oberkommission Sitzungsprotokolle, 1.1.1807–1.7.1807. StAWü. Abschrift, MOK 8, S. 39–49. 423 Allerdings waren laut französischem Exerzierreglement gewöhnlich im sogenannten pas ordinaire 75 Schritte pro Minute vorgeschrieben, im pas accéléré 100 Schritte, womit eine normale Tagesmarschleistung von 35 km üblich, bei Gewaltmärschen bis zu 55 km. Vgl. Adam Zamoyski  : 1812 Napoleons

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Impetus der MOK, dass diese Mehrausgaben zum größten Teil von der Truppe selbst zu tragen seien424. Die zu Beginn des Feldzugs beobachtbare mangelnde Organisationsfähigkeit der MOK zeigte sich auch bei der ausbleibenden Anweisung von benötigtem Geld für Sold und Nahrungsmittelversorgung – in Wittenberg fehlte dafür beiden Bat. bereits die Summe von 27.902 fl. 40 Krz425. Ein Problem, welches bald schon zum Normalzustand für die Würzburger Truppen außerhalb des Heimatlandes werden sollte. Die Protokolle und Briefe des Regimentsstabes belegen schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Kriegsteilnahme des Großherzogtums Würzburg den Aushandlungs- und Transformationsprozess, der für das gesamte Heerwesen in napoleonischer Zeit symptomatisch war  : Die Abkehr vom Magazinversorgungswesen hin zu einem System, in dem immer mehr Geldleistungen die vormals gebräuchlichen Naturalleistungen ablösten. Als Reaktion auf die Beschwerdebriefe des Regiments beschloss die MOK im August 1807 ein neues Regulativ, wonach für Soldaten im Auslandseinsatz sogenanntes »Brotgeld und Schlafgeld« von täglich drei Kreuzern »zusätzlich zur normalen Löhnung« gewährt würden426. Das Problem, dass die aus Würzburg angewiesenen Wechsel allerdings auch bei der Truppe im Einsatz eintrafen, bestand aber weiterhin fort427. Nahrungsmittel konnten deswegen nicht gekauft werden. Täglich mehr und mehr schwächender Hunger und gesundheitsgefährdende Kälte sorgten schon bald für ernste Folgen. Trotz aller augenscheinlicher Versorgungsschwierigkeiten wurde dann das Würzburger Regiment zunächst nach Berlin als Teil der französischen Besatzung befohlen, wo es bis zum 15./16. Januar 1807 stand428. Dort scheint es aber wohl immer noch eine gute Feldzug in Russland. München 2012, S. 120. Andere können noch größere Marschleistungen von bis zu 160 km in 36 Stunden nachweisen. Vgl. Mayer, Napoleons Soldaten, S. 39 424 So findet sich in den MOK Sitzungsprotokollen eine Abschrift von Wolkensteins Antwort, der nach Wittenberg ausrichten lässt, es »verstehe sich von selbst, dass die Mannschaft, welche hiervon etwas empfängt [Schuhe, Sohlen, Anm.d.Verf.], sich den wahren Werth der Sachen als Schuld anschreiben und hiernach für die kleine Montur eine Vergütung leisten müsse«. Militär-Oberkommission Sitzungsprotokolle, 1.1.1807–1.7.1807. StAWü. Abschrift, MOK 8, S. 53. 425 Vgl. StAWü, MOK 8, S. 42. So bittet v. Gebsattel um einen ausreichenden Wechsel, um die Bezahlung der Truppe sicherzustellen. So soll das Militär-Oberkommissariat die Wechsel zunächst nach Berlin schicken, und im Falle des Abmarsches der Truppe hinterher, »in Berlin wisse man dann schon wohin«. StAWü, MOK 478, S. 91. 426 StAWü, MOK 9, S. 9. 427 Im Juni 1807 musste sich Regimentsinhaber Gebsattel in Graudenz 18.000 Franken leihen, weil der Wechsel aus Würzburg einmal mehr nicht eingegangen war. Vgl. ebd., S. 18. 428 Das Bataillon I verließ Berlin am 15., das Bataillon II am 16. Januar. Über die genaue Marschroute von Würzburg nach Berlin gibt das »Tagebuch der Märsche und militärischen Ereignisse seit dem Ausmarsch des 2ten Bataillon Großherzog Würzburg am 18. November 1806 als alliierte mit Frankreich gegen Preußen und Russen«, in  : StAWü, H.V. MS, f., 169 Auskunft  : 18.11. von Würzburg nach Werneck, 19.11. Münnerstadt, 20.11. Mellrichstadt, 21.11. Meiningen  ; am 22.11 hatte das Bataillon einen Rasttag,

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Figur abgegeben zu haben, bzw. keine schlechtere als die anderen Rheinbundkontingente, wie das 48. Bulletin d’Armée verhieß429. Die meist als Garnison, zu Polizei- und Wachdiensten430 gebrauchte Truppe war ja bisher noch recht komfortabel in den Städten untergebracht. Dennoch blieben überraschend viele auf der Strecke von Würzburg nach Berlin krank in den Militärspitälern der besetzten Städte zurück – Mangelversorgung führte zu Krankheiten. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass bei der Truppenversorgung mit Nahrungsmitteln auf den Feldzügen die Stäbe der Rheinbundkontingente mit den für die Grand Armée zuständigen Comissairs des guerres konkurrierten und dabei oftmals den Kürzeren zogen. Diese Commissaires kümmerten sich vornehmlich um die Versorgung genuin französischer Truppen431. Die Rheinbundkontingente waren dabei indes auf sich alleine gestellt. Wenn, wie im Fall Würzburgs, das Geld für Sold und Nahrung nicht eintraf, musste die Nahrungsmittelversorgung ›aus dem Lande heraus‹ organisiert werden, was allerdings im dünnbesiedelten Nordosten zunehmend schlechter gelang432. Es mag überraschen, aber nicht erst in Spanien oder im Feldzug gegen Russland bestimmte Hunger den Alltag der Soldaten. Auch im Vierten Koalitionskrieg waren die Soldaten Würzburgs darauf angewiesen, alles Essbare, wessen sie habhaft werden konnten, zu sich zu nehmen. Sie schreckten dabei nicht vor Unverdaulichem wie Birkenrinde und Klee, aber auch nicht vor entlang der Marschroute gefundenem Pferdeaas oder anderen verdorbenen Lebensmitteln zurück433. Das verursachte einen Großteil der zunehmend massenhaft 23.11. Schmalkalden, 24.11. Ohrdruf, 25.11. Erfurt, 26.11. Buttstädt, 27.11. Naumburg, 28.11 Weissenfels, 29. Leipzig, 30.11. Wittenberg – dort Standquartier bis zum 23.12 von Wittenberg nach Treuenbrietzen, 24.12. Potsdam, 25.12. Berlin – dort Standquartier bis 16. Jan 1807. Um eine Datenflut zu vermeiden, werden, sofern es die Quellenlage zulässt, die Marschrouten in Karten im Anhang dargestellt als Dokument XLIV. Aus dieser genauen Angabe der Marschroute lässt sich bei einer geschätzten Distanz von 480 km eine Tagesetappe von ungefähr 30 bis 35 km ermitteln. Je nach Bestimmungsort und Einsatz der Truppe konnten die Tagesetappen auch größer ausfallen. 429 »Les troupes du grand-duc de Würzbourg forment la garnison de Berlin. Elles sont composées de deux régiments, qui se font distinguer par leur belle tenue«, so in   : 48. Bulletin d’Armée, 3. Januar 1807, zit. nach  : Napoléon, Correspondance, XIV Bd., Nr. 11549, S. 138f. 430 Zum Einsatz in Berlin siehe Chroust, Die Geschichte, S. 275 Anm. 2. 431 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 87. 432 Vgl. ebd., S. 108. 433 Ein sächsischer Offizier berichtete aus der Etappe in Ostpreußen (Eintrag vom 12 Juni 1807)  : Jämmerlich war es anzusehen, wie sich die Leute dem Hunger zu erwehren suchten  ; Klee, Blüthen, Wurzeln frische Birkenrinde und gekochtes Korn, wo dieses noch zu finden war, diente vorzüglich zur Nahrung Ich sahe einmal ein kleines dürres Stückchen Brodrinde am Wege liege, nach welchem ein Haufen Soldaten auf einmal hinstürtzten«. Zit. nach  : Wilhelm Christian Friedrich Moritz/Rainer Postel  : Unter Napoleon gegen Preussen. Tagebuch des Leutnant Moritz vom Sächsischen Truppencorps 1807. Köln 1975, S. 60. Populärer die Untersuchung zum Hunger während der Napoleonischen Kriege  : Daniel Furrer  : Soldatenleben. Napoleons Russlandfeldzug 1812. Paderborn 2012, S. 117–125.

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erkrankten Soldaten. Anders als drei Jahre später auf der Iberischen Halbinsel scheint es trotz Mangelversorgung nicht zu Plünderungen gekommen zu sein, was später noch zu thematisieren sein wird. Weder in den Aufzeichnungen des Hptm. Frits noch in den MOK-Akten haben sich Hinweise darauf erhalten. Die Unzulänglichkeit der eilig zusammengetragenen Montur tat zur fatalen Versorgungssituation ihr Übriges. Schlechtes Schuhwerk in mangelnder Qualität gefertigt434 und die für den Winter unpassende Kleidung der Mannschaftsgrade ließen den Krankenstand »vom Feldwebel abwärts«435 außerdem anschwellen. Beide Ursachen zusammen kosteten bereits die ersten Opfer436. Die unzureichende Versorgungslage war jedoch nicht für alle Chargen der Rheinbundkontingente gleich. Für die Offiziere bedeutete Hunger gemeinhin keine existenzielle Bedrohungslage und man sah es gemeinhin als Normalzustand an, dass die Versorgung von der Militärhierarchie abhing437. Dem Würzburger Regimentsstab gab daher auch eher die Tatsache Grund zur Klage, dass »die reconvalescierten Soldaten, die aus den Spitälern zurückkommen […] weder Armatur noch Montur mehr [haben]«438. Auch im Stab war man überzeugt, einfache Soldaten seien leichter zu ersetzen als Waffen und Ausrüstung. Oberst von Gebsattel berichtete nach Würzburg, dass keine Anzeige deswegen bei den französischen Behörden Abhilfe gebracht habe und er nun die MOK um »Equipierung« ersuchen müsse. Es wundert nicht, dass die MOK lediglich auf »wiederholte Vorstellung« bei den französischen Behörden drängte. Mehr konnte die MOK nicht für ihre Soldaten im Feld tun, hatte sie doch in ihren Augen die Kontrolle über die Truppen abgegeben. Auch in diesen Fällen waren die Streitkräfte auf sich alleine gestellt. Die Soldaten behalfen sich mit zusammengesammelten Uniformstücken. Auch das ein sich wiederholendes Phänomen während der noch kommenden Feldzüge. Vor allem tauschte man 434 Auch die Forderung nach neuen Sohlen lässt darauf schließen, dass die massenweise hergestellten Schuhe eher von minderer Qualität waren. Ohne Schriftbelege des Regiments gefunden zu haben, lässt der Herstellungspreis für Stiefel von nur 1fl 48X (Vgl. StAWü, MOK, 378) schon die Auslegung zu, dass sie leicht wasserdurchlässig, ungefüttert, schnell abgenutzt und zudem oft schlecht am Fuß saßen. Solche Schuhe verursachten dauerhafte Schmerzen und leicht entzündliche Verletzungen. Es mag aus heutiger Sicht merkwürdig erscheinen, aber die Schuhe waren das wichtigste Ausstattungsstück der Soldaten der napoleonischen Zeit, gerade bei der hohen täglichen Marschanforderung. Bei anderen Kontingenten waren die Schuhe sogar so schlecht, dass die Soldaten es vorzogen, lieber gar keine Schuhe zu tragen. Vgl. Alan Forrest  : The logistics of Revolutionary War in France, in  : Roger Chickering/Stig Förster (Hg.)  : War in an age of revolution, 1775 – 1815. Cambridge 2010, S. 177–195, S. 191. 435 StAWü, MOK 8, S. 192. 436 Bis September 1807 sollten 29 Mann in den verschiedenen Lazaretten Preußens verstorben sein. Vgl. StAWü, MOK 9, S. 1088. 437 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 109. 438 StAWü, MOK 8, S. 331.

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sich mit den ähnlich ausgerüsteten Infanteristen aus dem Großherzogtum Berg aus, die ebenfalls weiße Uniformstücke hatten und zudem oftmals die Kontingente beider Großherzogtümer gemeinsam eingesetzt wurden439. Diese im Vierten Koalitionskrieg eingeübte gegenseitige Aushilfe und die gemeinsam gemachten Entbehrungserfahrungen im ersten Feldzug legten die Grundlage für einen ganz eigentümlichen Korpsgeist später in Spanien, wo man wieder gemeinsam eingesetzt im Feuer spanischer Guerilleros stand, wie noch zu thematisieren sein wird. Im Einsatz

Noch allerdings musste sich das Würzburger und Berger Regiment nicht in direktem Feindeinsatz beweisen, denn die meist gewaltlose Übergabe vieler preußischer Festungsstädte wegen der Übermacht der französischen Hauptarmee440 vermehrte weiterhin den Bedarf an Besatzungstruppen. Zunächst wurde daher das Würzburger Regiment nach Stettin (Szczecin) als Vorposten gegen die noch preußisch besetzte Festung in Kolberg (Kołobrzeg) verwendet441. Dort blieben sie bis Anfang Mai 1807 als Besatzung. Die Anzahl derer, die durch ihre schlechte Ausrüstung im kalten norddeutschen Winter und durch die Folgen von ständigem Hunger erkrankt waren, muss – ohne genaue Zahlen zu kennen – so groß gewesen sein, dass, angeregt durch den für das Rheinbundkontingent verantwortlichen französischen General Thouvenot (1757–1817), das Kriegsministerium via Hirsinger am 21. April eine 400 Mann Verstärkung für die beiden Bat. forderte442. 439 Vgl. die Aufzeichnungen von Frits in  : StAWü, H.V. MS, f., 170, S. 7. Für den Feldzug 1807 vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 245, 252, 253, 255. 440 So zum Beispiel  : Spandau 25. Oktober 1806, Prenzlau 28. Oktober 1806 und Stettin am 29. Oktober 1806, Glogau (Głogów) 2. Dezember 1806 etc.; vgl. ebd., S. 227f. 441 Marschroute im Anhang dargestellt als Dokument XLIV. Dass sich Kolberg als eine der wenigen von beinahe zwanzig preußischen Festungsstädten bis zum Ende des Feldzugs 1806/07 behaupten konnte, diente bekanntlich später der nationalsozialistischen Propaganda. Der von Veit Harlan unter großem Aufwand gedrehte und 1945 in den Kinos gezeigte, teuerste NS-Film sollte in gespiegelter Erinnerung an Kolberg 1807 den letzten Durchhaltewillen der Deutschen stärken. Dass dabei insgesamt auch ca. 5100 Deutsche des Rheinbundkontingents auf der anderen Seite der Festungsmauern von Kolberg starben, blieb naturgemäß unberücksichtigt. Vgl. Erwin Leiser  : Deutschland, erwache  ! Propaganda im Film des Dritten Reiches. Reinbek bei Hamburg 1978, S. 104f.; mit weiterführender Literatur auch bei  : Sönke Neitzel  : Gneisenau – Reformer oder Feldherr  ?, in  : Jürgen Kloosterhuis/Sönke Neitzel (Hg.)  : Krise, Reformen – und Militär Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806. Berlin 2009, S. 83–106, S. 83. 442 Talleyrand an Wolkenstein, Würzburg, 21. April 1807, in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 61. Zudem wird hierbei auf persönliche ›Einladung’ von Napoleon eine Verstärkung Kavallerie gefordert, natürlich »sous le rapport d’utilité commune« Dort Talleyrand wörtlich   : »Vous l’inviteriez à armer, monter et équiper le Corps aux Deux Cents hommes afin qu’il puisse se joindre aux troupes français qui seront rassemblés à Erfurt vers le 19 May«.

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Nur wenige scheinen sich also auf den Weg aus ihrem Militärspital in Erfurt, Wittenberg und Berlin zurück zur Truppe gemacht zu haben. Die, denen es dennoch gelang, halbwegs zu Kräften zu kommen, marschierten in kleinen Gruppen dem Regiment hinterher. Dabei waren sie leichte Beute von hinter den feindlichen Linien agierenden preußischen Husaren. Einige Würzburger Soldaten gerieten so in Kriegsgefangenschaft und dezimierten somit zudem die Sollstärke des Regiments443. Es verwundert daher nicht, dass die französischen Befehlshaber den Würzburger Regimentsverband vor Kolberg aufhoben und das Regimentskommando die Kontrolle über die eigenen Soldaten vor Ort einbüßte. Somit stellten die Würzburger bei der Belagerung nicht etwa in Bataillonsstärke eine Garnison in Stettin, sondern waren aufgelöst als Vorposten in kleineren Dörfern und zu sogenannten ›Kommandos‹ in kleineren Einheiten (1 Hptm., 40 Gemeine) eingeteilt444. Bei einem solchen Kommando verband sich die Geschichte des Großherzogtums Würzburg mit der später in deutsch-nationaler Geschichtsschreibung besonders berühmt gemachten und überhöhten Figur Ferdinand von Schill (1776–1809). Das Freikorps Schill in ihren schwarz-rot-goldenen Uniformen nahm ein solches Kommando Würzburger Soldaten unter dem 30-jährigen Hptm. Sebastian Anger bei Gefechten um das Amt Naugard (Nowogard) am 20. Februar gefangen445. Es muss eine der letzten Aktionen des Schillschen Freikorps dort gewesen sein, denn bekanntlich zog sich Ferdinand von Schill, selbst schwer verwundet, nach Kolberg zurück446. Erst am 25. März ließen die Preußen die Soldaten Würzburgs auf ihr Ehrenwort frei, nicht mehr gegen Preußen zu kämpfen. Das akzeptierte die MOK in Würzburg nach einer »Vernehmung« Angers auch anstandslos und befand, er sei nun »nur noch zum Garnisonsdienst zu verwenden«447. Durch diesen Vorfall verringerte sich die Sollstärke des IR um weitere 40 Mann, die aber schnellstmöglich auf Drängen Talleyrands zu ersetzen waren448. Die MOK 443 Näheres dazu bei Grosch, Geschichte, S. 211. 444 Vgl. die Aufzeichnungen von Frits in  : StAWü, H.V. MS, f., 170. S. 3. 445 Ausführlicher Bericht zu Sebastian Anger aus Würzburg (zum Olt. 1812 befördert) zur Conduitenliste des Jahres 1812, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 7, sign. 71, Rangliste des gesamten Großherzoglich-Würzburgischen Militair für den Monat July 1812. Nur Nennung bei  : Grosch, Geschichte, S. 211  ; Helmes, Die Würzburger Truppen, S. 126. 446 So bei Anonym  : Tagebuch von der Belagerung der Festung Colberg im Jahr 1807. Nebst einem Anhange, enthaltend  : authentische Nachrichten von dem K. Preuß. Major von Schill und dem Bürgerrepräsentanten Nettelbeck zu Colberg. Berlin 1808, S. 100f. Dort auch Hinweise auf die Gefangenen  ; hier allerdings unter »meist Badische« subsummiert. 447 StAWü, MOK 8, S. 535. Die Aufgabe von Hptm. Anger übernahm daraufhin der 45-jährige Ult. Philipp Göppingen aus Würzburg. 448 Vgl. Talleyrand an Wolkenstein, Würzburg, 21. April 1807, in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 61.

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schickte zwei Tage nach Eingang der nötigenden ›Einladung‹ eine Ersatzmannschaft von 40 Mann »Gemeiner« unter dem in Prag geborenen Lt. Karl Engelbrecht zum Feld­ regiment – allerdings wieder ohne Gewehre, Patronentaschen und Casquets449. Die Aufbringung von Soldaten ging, wie erläutert, problemlos vor sich, die Beschaffung von Waffen und Montur nicht. Obwohl der französische Abmarschbefehl aus Stettin bereits am 27. April bei von Gebsattel einging, rückte das Regiment wohl wegen der noch nicht eingetroffenen Ersatzmannschaft und dem hohen personellen Fehlbestand erst am 11. Mai ab, um daraufhin bei der Belagerung des ebenfalls preußisch besetzten Danzig (Gdańsk) verwendet zu werden450. Erst am 21. Mai nahm es seinen ihm von Marschall Édouard Adolphe Mortier (1768–1835) zugedachten Posten auf der Insel Holm ein – Danzig kapitulierte allerdings bereits am 24. Mai 1807451. Nach erfolgreicher Übergabe der Stadt besetzte das Bat. II die Stadt Weichselmünde bis Ende Mai452. Zur gleichen Zeit rückte in Würzburg am 21. Mai die von Napoleon geforderte Kavallerieeinheit als 1. Esk. Chevaulegers453 unter dem 48-jährigen Divisionskommandeur Maj. Georg Benz in nicht einmal der Hälfte der Sollstärke aus454. So mangelhaft wie die Infanterie, so stattete die MOK auch die Kavallerie aus. Bereits wenige Wochen im Einsatz als »Cordons-Mannschaft zu Berlin«, also als Grenzund Patrouillentruppe, waren die Uniformjacken und Hosen und Gattien/Unterhosen »durchgewetzt« und unbrauchbar geworden455. Die zuständigen französischen Behörden verweigerten aber ebenso den Ersatz derer wie die Besetzung der krankheitsbedingt vakanten Stelle des nötigen Hufschmids, sowie die Anschaffung von neuen Hufeisen456. Genauso wie auch bei der Infanterie wies die MOK auf den französischen Verantwor449 Dies geschah wie es die Sitzungsprotokolle der MOK festhalten, »weil es einen theils an Gewehren hier mangle, anderen Theils dergleichen Requisiten von verstorbener Mannschaft beym Regiment vorräthig seyen«, so in  : ebd., S. 691f. 450 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 245. 451 Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 169. Marschroute im Anhang dargestellt als Dokument XLIV. 452 Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 170, S. 4. 453 Über die Operationsgeschichte der Chevaulegers im Vierten Koalitionskrieg war bisher noch nichts bekannt. Die noch unveröffentlichte Magisterarbeit des Verfassers musste noch konstatieren, dass eine genauere Auskunft über deren Marschroute und Verbleib in den noch verfügbaren Quellen bisher noch fehle, wobei der Sicht von Helmes, Die Würzburger, S. 3 gefolgt wurde. Diese Lücke kann hiermit nun geschlossen werden. 454 In der Regel sollte jede Eskadron drei Offiziere (1 Rittmeister, 1 Olt., 1 Ult.) sowie 184 Mann (4 Wachtmeister, 16 Korporale, 2 Fouriers, 2 Unterärzte, 2 Trompeter, 2 Schmiede und 2 Sattler sowie 164 Gemeine) verfügen. Tatsächlich ausgerückt sind als 1. Eskadron drei Offiziere (1 Rittmeister, 1 Olt., 1 Ult.), aber nur 80 Mann (1 Trompeter, 1 Schmid, 1 Unterchirurg, 1 Fourier, 1 Sattler, 1 Fuhrknecht (mit zwei »Weibern«). Vgl. StAWü, MOK 8, S. 954–956. 455 So der Bericht von Maj. Benz am 1. August 1807, in  : StAWü, MOK 9, S. 339–348. 456 Vgl. ebd., S. 339.

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tungsbereich bzw. schob die Organisation auf den hilfesuchenden Stab selbst ab457  : Die MOK antwortete beispielsweise auf eine bittende Anfrage von Maj. Benz nach dringend zum Patrouillendienst nötigem Kartenmaterial, »dass die Anschaffung dergleichen Karten auf keinen Fall das höchste Ärarium übernehmen könne vielmehr von einem jeden Commandanten der in dem Felde stehenden Truppen zu erwarten sei, dass er für das Beste seiner Untergebenen sorgen, und dergleichen nicht nur für diese, sondern auch für seine eigene Person ersprießliche, übrigens gewisse unbeträchtliche Auslagen ex propriis zu bestreiten, keinen weiteren Anstand nehmen werde«458.

Auf sich alleine gestellt, musste daher – wie bei der Infanterie – auch der Stab der Kavallerie improvisieren und sich um die alltäglichen Notwendigkeiten selbst kümmern, was nichts anderes heißen konnte als diese ›aus dem Lande zu nehmen‹. Denn die Wechsel für Nahrungsmittelversorgung und Soldzahlungen aus Würzburg blieben auch bei der Chev.Div. über viele Monate aus459. Hunger und Mangelernährung waren auch bei der Kavallerie die Folge und mangelhafte Ausrüstung in Verbindung mit Unterernährung führte zu sich häufenden Krankheitsfällen. Schon im August suchte der Stab des Chev.Div., wie vorher Oberst von Gebsattel, die MOK um die Entsendung einer unberittenen Ersatzmannschaft nach, die die notwendigen Aufgaben der Erkrankten übernehmen könnten. Wie auf die anderen Anfragen auch, reagierte die MOK allerdings schroff, »dies falle beinahe ins Lächerliche«, denn wozu würde man denn dann die Wiedergesundeten verwenden460. Tatsächlich war damit jedoch aber auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Die gleichen Aufgaben mussten daher von wesentlich weniger Diensthabenden übernommen werden. Schlecht ausgerüstet, unbezahlt, überarbeitet und durch Krankheit geschwächt – solche Umstände waren die, wie geschildert, sonst hoch angesehenen Würzburger Reiter nicht gewohnt. Während sich die Infanteristen diesen Missständen anfänglich trotz aller 457 Obwohl Maj. Benz nach Würzburg meldete, dass, weil der Würzburger Regimentsschmid erkrankt sei, französischerseits klargestellt wurde, der verlangte Hufschmid sei von Würzburg zu stellen, antwortete das MOK, Benz habe sich den Hufschmid vom Regiment, dem die Chev.Div. zugeteilt ist zu nehmen. Hinsichtlich der durchgewetzten Hosen entschied das MOK die Kosten vom »Verpflegsgeld« zu bezahlen und selbst auszubessern. Vgl. ebd., S. 340f. 458 Ebd., S. 635. 459 Viele Berichte und Gegenberichte des MOK-Sitzungsprotokolls verdeutlichen die unzulängliche Finanzorganisation der Truppenversorgung im Einsatz. Offenbar stellte die MOK die Wechsel zunächst persönlich auf den Divisionschef Maj. Benz aus, einzulösen bei einem Wechsler in Wittenberg. Die Chev.Div. war allerdings bereits weiter nach Berlin befohlen gewesen. Erst in vielen im Ton gereizter werdenden Noten verständigte man sich im August darauf, dass die MOK die Wechsel für die Chev. Div. zum Chef des frz. Generalstabes (in diesem Falle Brün) schickt, der nach Erhalt vom Wechsler (i.d.F. Natan Bendix), in Berlin ausgezahlt werde. Vgl. ebd., S. 399–400. 460 Ebd., S. 342.

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Beschwerdenoten des Stabes noch fügten, war das bei der Kavallerie anders. Die Mangelversorgung hatte Auswirkungen auf deren Disziplin, was bei den Rheinbundkontingenten keine Seltenheit war461. Obwohl die Umstände nicht eindeutig zu rekonstruieren sind, kam es während des Vierten Koalitionskriegs wohl bereits nach ca. drei Wochen im Sattel zu einer spektakulären »Meuterei und Insubordination«462 durch fünf Rädelsführer bei den berittenen Würzburgern, die außergewöhnlich hart bestraft wurden. Das Urteil des sechsmaligen »Gassenlaufens durch 600 Mann« 463 sollte vermutlich als abschreckendes Beispiel dienen. Allein auf persönliche Intervention ihres Landesherrn, Erzherzog Ferdinand, wurden die drakonischen Strafen in eintägiges, aber zehnmaliges Gassenlaufen durch 300 Mann ›abgemildert‹. Auch eine solche Tortur überlebten die Verurteilten selten. Die bei der Meuterei Minderbelasteten, die mit einer Arbeitshausstrafe belangt werden sollten, wurden begnadigt464. Wie wäre eine Bestrafung einer kompletten Division, oder auch nur Eskadron vor dem Protecteur zu rechtfertigen gewesen, gerade hinsichtlich seines stets unstillbaren Verlangens nach Soldaten dieser Waffengattung  ? Unterdessen wurde das IR zum Belagerungskorps von Graudenz (Grudziądz) unter Marschall Claude-Victor Perrin (genannt Victor  ; 1764–1841) kommandiert465. Die Aufzeichnungen von Hptm. Frits zeugen in stolzem Ton von einem besonderen Zusammentreffen bei Dirschau (Tczew), als es das erste Mal zum direkten Kontakt zwischen den Würzburger Streitkräften und ihrem obersten Befehlshaber Napoleon kam. Die Regimentsgeschichte berichtet darüber, Napoleon »sah einige Gewehrschlösser nach, frug die Staboffiziere, ob den Soldaten nichts abgehe, ob sie die Löhnung richtig erhielten und empfahl dringend Geld und Schuhwerk zu beschaffen, […] lobte das Regiment und entließ es mit den Worten  : »Destinguez vous au siège de Graudenz  !«466. Ob dieses Zusammentreffen so stattfand oder nicht, lässt sich aus keiner anderen Quelle als bei Hptm. Frits belegen, auf der die Regimentsgeschichten beruhen. Dass sein Bericht der Aufdeckung von Missständen durch den Oberbefehlshaber und Kaiser einen solch hohen Stellenwert beimisst und diese für eine Heldengeschichte doch bedeutende Peinlichkeit nicht etwa verschweigt, kann zweifelsohne insofern gewertet werden, als dass Frits damit eine verdeckte Kritik an denen üben wollte, die in seinen Augen die 461 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 108. 462 Die fünf Kavalleristen Martin Geist, Joachim Bald, Roman Carl, Jakob Seubert und Johann Loell wurden als Rädelsführer verurteilt. Die Namen und Anzahl der Mitläufer fanden sich nicht. StAWü, MOK 8, S. 981. 463 Ebd., S. 981. 464 Vgl. ebd. 465 Marschroute im Anhang dargestellt als Dokument XLIV. 466 Grosch, Geschichte, S. 212.

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Schuldigen für die unerträgliche Lage der Würzburger Truppen waren. Die MOK in Würzburg sollte durch Napoleons Aufforderung zur Beschaffung von Geld und Schuhen beschämt werden. Ob diese nun tatsächlich von Napoleon selbst oder erneut nur von einem hohen französischen Militär geäußert wurde, tut dem Argument keinen Abbruch. Möglich wäre ein Treffen indes durchaus gewesen, Napoleon eilte in diesem Zeitraum (in Frits Aufzeichnungen »Anfang d.M. Junius«467) mit seiner ca. 54.000 Mann starken Hauptarmee gegen den sich in Heilsberg (Lidzbark Warmiński) verschanzten General der russisch-preußischen Truppen, Graf Levin August von Bennigsen (1745–1826), entgegen468. Am 14. Juni schlug er das preußisch-russische Heer ohne Beteiligung der Würzburger Kräfte vernichtend. Diese waren unterdessen am 5. Juni wieder zusammen mit dem Berger Regiment und unter General Victor in das Belagerungskorps vor Graudenz (Grudziądz) eingereiht worden469. Bereits seit Januar 1807 hielten ca. 4.500 preußische Soldaten unter dem greisen preußischen General Guillaume de Courbière (1733–1811) die mit 152 Kanonen stark gesicherte Festung. Die beiden Würzburger Bat. wurden dabei zu Vorpostendiensten und Schanzarbeiten herangezogen. Mit dem kräfteraubenden Ausgraben langer Parallel­ reihen, Trancheen genannt, versuchten die Angreifer in 24-stündigem Schichtbetrieb den starken Festungsmauern immer näher zu kommen. Dabei war die weiße Uniformfarbe der Berger und Würzburger Einheiten bei der vor dem Feind geheim zuhaltenden Arbeit höchst unvorteilhaft, wie der später zum Major avancierte Josef Kunst bei der Neuaufstellung von Sappeurs zu bedenken gab470. Die Preußen entdeckten jedenfalls die Arbeiten an den Laufgräben in der Nacht vom 15. Juni und töteten die ersten Soldaten Würzburgs in diesem Feldzug471. Korporal Franz Sauer aus Volkach behielt angesichts des überraschenden Ausfalls der Belagerten offenbar einen kühlen Kopf und hielt, obwohl schwer verwundet, dem Angriff stand, ließ nach Verstärkung durch das IR Berg schicken, womit es gelang, gemeinsam die Angreifer zurückzuschlagen. Dies brachte 467 StAWü, H.V. MS, f., 170. S. 4. 468 Näheres zu »Bennigsen’s most stupid battle of a poor campaign«, bei Smith, Napoleonic Wars, S. 249– 251 und Vincent J. Esposito  : A military History and Atlas of the Napoleonic Wars. London 1964, Maps 76–83. 469 »Das Belagerungskorps besteht aus 7–8000 Mann, welches in die Corps Darmstadt, Großherzog Berg und Würzburg und 3 Bat. Polnischen«, wie ein Marschtagebucheintrag Auskunft gibt. So in  : StAWü, H.V. MS, f., 169, A Materialien zu den Feldzügen 1805–1806–1807 gegen Österreich und Preußen. 470 »Wie bei der Belagerung bei Danzig und Graudenz gesehen, so sei bedenklich, dass »dass die weiße Montur bei stätter Arbeit in Transcheen oder sonst im Felde, sowohl bei Tag als auch bei Nacht, am aufälligsten ist«. So in  : Vortrag, Die Errichtung zweier Sappeur Kompagnien nach dem französischen Dienstsystem zur Copletierung des abverlangten Kontingents von 2000 Mann betreffend, in  : StAWü, MOK 378. 471 Groß scheint der Ausfall der Belagerten nicht gewesen zu sein, denn nur vier starben, acht wurden schwer verletzt ins Lazarett gebracht. So bei  : Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 285  ; Grosch, Geschichte, S. 212.

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ihm nicht nur das goldene Würzburger Tapferkeitsabzeichen ein, sondern es führte auch zu einem eher seltenen Lob von Erzherzog Ferdinand472. Noch ein anderer Würzburger machte vor Graudenz auf sich aufmerksam und der angeblich so militärfeindliche Erzherzog Ferdinand setzte sich persönlich in Paris bei seinem Besuch im Spätherbst 1807 bei Napoleon für eine Auszeichnung von Olt. Johann Cantler mit dem Ordenskreuz der Ehrenlegion ein473. Cantler hatte sich offenbar freiwillig gemeldet, völlig ohne Schutz vor feindlichen Kugeln, eine weitere Parallele auf dem Glacis vor den Festungsmauern abzustecken und damit für das Weitergraben vorzubereiten474. So heldenhaft diese Einzeltaten von den Verantwortlichen und später auch in den Regimentsgeschichten gelobt wurden, täuschen sie doch über einen auffälligen, aber verschwiegenen Befund hinweg  : Es kam bereits vor Graudenz zu massenhaften Desertionsfällen. Ob die anhaltend schlechte Versorgungssituation daran schuld gewesen war475 und/ oder die von vielen Soldaten erstmals direkt erlebten Schrecklichkeiten des Grabenkampfs zur Desertion verleitete, darüber schweigen die Quellen, aber Disziplinlosigkeiten dieser Art bezeugen einen zunehmenden Kontrollverlust der Vorgesetzten über die eigene Truppe. Die mögliche Motivation zur Desertion so vieler ist allerdings leicht zu erdenken  : Nach einem bereits entbehrungsreichen Winter erschöpfte die schwere Arbeit des Schanzens die Würzburger körperlich völlig. Hinzu kam die mentale Überlastung, 472 Von der »Affaire« durch Oberst von Gebsattel unterrichtet, riet das MOK dem dirigierenden Staatsminister Wolkenstein, »dass es dem Regimente zur besonderen Aufmunterung gereichen werde, wenn Seine kaiserlich-königliche Hoheit gnädigsten Beyfall über die bei dieser Gelegenheit bezeigten Tapferkeit der Mannschaft […] erkennen zu geben geruhen würden«, so in StAWü, MOK 9, S. 8. Worauf er antwortete  : »Seine kaiserlich-königlichen Hoheit wollen, dass der Mannschaft, welche sich bei der Gelegenheit auszeichnete höchstihre Zufriedenheit mit besonderer Erwähnung des Korporals Sauer im Regimentsbefehle kund gemacht werde«. So in  : ebd, S. 49. Mitte 1808 entschied der Staatsrat hinsichtlich der Tapferkeitsmedaillen  : »Seine Kais. Königl. Hoheit setzen demnach fest, dass zur Erlangung einer Medaille […] eine Handlung gehöre, die etwas mehr als die Erfüllung der beschworenen Soldatenpflicht sey. Jener kann daher keine Medaille erhalten, welcher nur Thaten aufzuweisen hat, die er ohne Verletzung seiner Pflicht nicht hätte unterlassen dürfen. Nach diesen Ansichten wird daher dem Korporal Sauer als Commandaten die goldene Medaille erteilt werden. Die unter ihm gestandenen Gemeinen, wovon 6 blessiert worden sind, haben sich als brave Soldaten verhalten, welche zum nachahmungswürdigen Beispiele namhaft gemacht werden sollen, sie haben aber noch keine Medaille verdient und es wird daher […] nur eine Medaille und zwar die goldene dem Corp. Sauer bewillget«. So in  : StAWü, MOK 10, S. 1142. 473 Aus Paris wird dem MOK allerdings erst im Juni 1808 gemeldet  : »Seine Majestät der Kaiser von Frankreich haben dem Wunsche seiner kaiserlichen königlichen Hoheit entsprochen und dem großherzoglich würzburgischen Oberleutnant das Ordenskreuz […]« verliehen. So in  : StAWü, MOK 11, S. 359. 474 Grosch, Geschichte, S. 212. 475 Erneut musste sich Oberst von Gebsattel, eingereiht im Belagerungsring von Graudenz, eine nicht unbeträchtliche Summe von 18.000 Franken leihen, um die Mannschaft weiter versorgen zu können, weil einmal mehr die Wechsel von Würzburg das Regiment im Feld nicht erreichten. Vgl. StAWü, MOK 9, S. 18.

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aufgrund der weißen Uniformen und immer näher an die Festung gerückt, jederzeit Opfer von direkten Treffern werden zu können und stetig mit feindlichen Ausfällen rechnen zu müssen. Als die Berichte von immer mehr Desertionsfällen in Würzburg publik werden, schrieb Seuffert der MOK vor  : »Dass jenen Rekruten, welche durch eine sichtliche Niedergeschlagenheit und Mißmuth Argwohn erregen, dass sie wahrscheinlich zu entlaufen suchen werden, ohne ihrem Wissen alte vertraute Leute durch die Abtheilungs- respective Compagnie-Commandanten als Beobachter an die Seite gegeben und sonst gewöhnliche Maßregeln zur Verminderung der Desertion angewendet werden, indem die Erfahrung durchaus lehret, dass der Rekrut wenn er eine gewisse Zeit überstanden, und die neue Lebensart etwas gewöhnt hat, nicht mehr so leicht entläuft, wodurch also dem Dienste mancher gute Mann und dadurch auch demselben sein Vermögen und dem Staate seiner Zeit ein guter Unterthan erhalten werden könnte.«476 Auch wenn das MOK den Stab des IR anwies, dass es künftig genau so bei den Rekruten gemacht werden solle, »die Niedergeschlagenheit und Mißmuth« zeigen und diese Befehle »genauestens befolgt werden«477 sollen, besserte sich die Disziplin bei der Würzburger Truppe nicht. Bereits im Monat darauf meldete Oberst von Gebsattel eine »nicht unbeträchtliche Anzahl von vermisster Mannschaft«. Die MOK vermutete, dass »bei dem Ausrücken und Märschen des Regiments die gehörige Aufsicht nicht bestehe«478. Man ordnete im fernen Würzburg an, dass kein Mann ohne vorherige Meldung aus den Gliedern treten dürfe. Die Weisung blieb nichts anderes als ein wohlgemeinter Wunsch angesichts der sich noch immer nicht zum Besseren verwandelten Versorgungslage. All diese Anstrengungen des Schanzens, alle öffentlich gemachten ›Heldentaten‹ der Würzburger vor Graudenz liefen Ende Juni allerdings ins Leere, denn kurz bevor die Festung hätte sturmreif geschossen werden können, war ein Waffenstillstand am 21. Juni vereinbart worden, der schließlich zum Frieden von Tilsit (7.–9. Juli 1807) führte479. Das Würzburger IR marschierte am 10. Juli ab, obwohl Graudenz noch bis zum 12. Dezember erfolglos belagert wurde480. Unter Marschall Guillaume-Marie-Anne Brune (1763–1815) war es nun die Aufgabe der Würzburger, einen Streckenabschnitt der Ostseeküste gegen die Schweden abzusichern, die bei den Verhandlungen in Tilsit außen vor geblieben waren481. 476 Ebd., S. 468f. 477 Ebd., S. 596. 478 Ebd., S. 630. 479 Vgl. Georges Lefebvre/Peter Schöttler  : Napoleon. Mit einem Nachwort von Daniel Schönpflug. Stuttgart 2003, S. 236. 480 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 255  ; Auch zum Folgenden  : StAWü, H.V. MS, q., 117, S.45. 481 Marschroute im Anhang dargestellt als Dokument XLIV. Das Regiment versah seinen Wachdienst ab dem 25. Juli bei Wolgast in Vorpommern. Vgl. ebd.

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Aus diesem Grund sollten sie daraufhin auch zum Belagerungskorps vor dem schwedisch besetzten Stralsund herangezogen werden482. Die Belagerung dieser Stadt dauerte schon weit über sechs Monate an. Nun half das IR von Würzburg wieder zusammen mit dem IR von Berg nebeneinander arbeitend mit Schanzarbeiten, eine Kanonade der Stadt und Festung vorzubereiten. Im Angesicht dieser befürchteten Bombardierung gelang es dem Stralsunder Magistrat jedoch, König Gustav IV. Adolf von Schweden (1778–1837) zu überzeugen, die Festung zu räumen. Am 20. August war Stralsund ohne Bombardement aufgegeben, die Würzburger besetzten das Kniepertor483, aber die Hoffnung der Mannschaft auf ordentliche Unterbringung währte nur kurz. Sie mussten die frisch bezogenen Unterkünfte für französische Armeeteile räumen und vor der Stadt einen Monat lang biwakieren484. Auch das ist eines der zunächst unscheinbaren Signale für den Stellenwert der Rheinbundkontingente im Heeresverband und vermutlich auch ein Grund für die erneut hohen Desertionszahlen in den Reihen des IR Würzburg485. Bis Anfang September versah das IR Würzburg mit Badenern, Bergern und anderen Rheinbundtruppen den Garnisonsdienst in Stralsund, wohin schließlich eine Verstärkung von 400 Mann aus der Heimat eintraf486. Diese zwei Kompagnien unter Hptm. Wilhelm Freiherr von Waldenfels (1777–1846), am 21. Mai aus Würzburg ausmarschiert, waren als Garnisonstruppen in Magdeburg bis Juli und danach bis zu ihrer Vereinigung in Güstrow in Mecklenburg-Schwerin tätig487. Gemäß dem Vorschlag der MOK sollte die Verstärkungsmannschaft nach der Zusammenkunft mit dem IR keine selbstständige Kompagnie mehr bilden, »sondern das im Felde stehende Regiment bei seinen dermaligen Einteilungen von 12 Kompagnien belassen und diese lediglich durch 400 Mann«488, jede Füsilier-Kompagnie um 33 Mann und jede Grenadierkompagnie um 35 Mann verstärken. Um weiteren Desertionsfällen vorzubeugen, wurde »für die nöthige Übersicht« je ein Ult. zusätzlich beigegeben. Diese ungewöhnliche Generosität der MOK unterstreicht, wie groß die Disziplinprobleme beim IR tatsächlich waren. Der Schwedenkönig Gustav IV. Adolf hatte sich indes mit seiner 10.000 Mann starken Armee, dem Generalstab und der Kanzlei auf die Insel Rügen zurückgezogen, weswegen Oberst von Gebsattel den Befehl erhielt, die bayerischen und französischen Truppen dort zu unterstützen  ; am 17. September setzten die Würzburger über489. Die 482 Vgl. Günther, Würzburger Chronik, S. 134. 483 Grosch, Geschichte, S. 213. 484 Vgl. StAWü, H. V. MS, q., 117, S. 45. 485 Vgl. StAWü, MOK 9, S. 630. 486 Vgl. ebd. 487 Vgl. Grosch, Geschichte, S. 214. 488 Auch zum Folgenden  : StAWü, MOK 8, S. 757–781. 489 Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 170, S. 4f.

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Schweden räumten die Insel bereits zehn Tage später vollständig. Die Soldaten Würzburgs und zufällig auch deren Chev.Div.490 sollten jedoch noch bis zum 14. November auf der ungastlichen Insel blieben müssen. Maj. Benz berichtete nach Würzburg, sie seien in dem von den Schweden verlassenen und ausgeplünderten Gebiet äußerst elend untergebracht, es fehle an allem Notwendigen, die Mannschaft würde sich wie ihre Pferde aus »Mangel an Fourage auf der Insel« in »sehr ernster Lage« befinden. Die dauerhaften Herbstschauer hätten »alles Beständige zerweicht«491, viele seien erkrankt und nach Stralsund gebracht worden und wie im Winter davor bat er die MOK dringend um Winterkleidung für seine Chevaulegers. Der Zustand des IR war währenddessen nicht besser. Der Krankenstand hatte auf Rügen mit 502 Mann seinen absoluten Höchststand erreicht492. Die MOK reagierte angesichts der lebensbedrohlichen Lage der Soldaten auf der Ostseeinsel nahezu zynisch, »es sey sohin zu erwarten, dass die Division […] mit männlicher Standhaftigkeit ausharren werde«493. Immerhin dachte man in Würzburg über die Anschaffung von 1.000 Mänteln aus Loden nach, »vorzugsweise angefertigt vom Arbeitshaus, weil es ungut [wäre,] würden manche besser als andere Kontingente«494 angezogen sein. Deshalb erteilte die MOK nur die Erlaubnis maximal »einen kleinen Teil vom guten Tuch von Nathan Baruch zu beziehen«495. Die »roquelors [Mäntel, Anm. d. Verf.] sollten bisweilen nur ausgebessert«496 werden. Wieder auf sich alleine gestellt, frierend, durch Hunger geschwächt und durch Krankheit stark dezimiert, konnten die Würzburger Streitkräfte Mitte November den Rückweg antreten. Er sollte sich bis zum 22. Dezember hinziehen, denn die französischen Bevollmächtigten im Kriegsministerium hatten offenbar schlicht vergessen die Erlaubnis zur Rückkehr zu erteilen, weshalb die Streitkräfte Würzburgs kurz vor der Landesgrenze bei Kulmbach mehrere Wochen ausharren mussten. In Würzburg dachte man bis Mitte Dezember, sie seien unter Marschall Berthier einmal mehr zu Garnisonsdiensten, diesmal im Bayreuther Oberland bestellt worden497, in Paris wusste man auf Nachfrage

490 Einem Teil der auf der Insel stationierten bayerischen Truppen, der 4. Chev.Div. Bubenhofen, waren auch die Würzburger Chevaulegers beigeordnet. Ob es aber zu einem Treffen der beiden Truppengattungen kam, kann nur vermutet werden. Vgl.StAWü, MOK 9, S. 875–878. 491 Ebd., S. 875–878. 492 Ebd., S. 1088. 493 Ebd., S. 996. 494 Ebd., S. 1047. 495 Ebd. 496 Ebd. 497 Johann Philipp Freiherr von Wessenberg an Stadion, Bayreuth den 23. November 1807, in  : HHStAW, SB Stadion 104-2, S. 26.

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vom Verbleib der Würzburger nichts Näheres498. Auch diese Angelegenheit mag einen Hinweis darauf geben, wie unwichtig das Rheinbundkontingent in den Überlegungen der französischen Behörden war und wie wenig Einfluss die Regierung in Würzburg auf ihre Truppen im Feld hatte. Als sich das Regiment Mitte Dezember dann schlussendlich gen Heimat in Bewegung setzte, war die MOK darauf nicht vorbereitet. Die Residenzstadt hatte für die eigenen Soldaten zu wenig Platz, denn gleichzeitig hatte man ein starkes russisches Korps zusätzlich zu den französischen Truppen einzuquartieren499. In völliger Überforderung erinnerte sich die MOK daran, »dass es von jeher beynahe gleichheitlich beobachtet worden [ist], dass den vom Felde einrückenden Truppen, und zwar den Offiziers 14 – der übrigen Mannschaft vom Feldwebel abwärts hingegen drey Tage freye Unterkunft und Zehrung bey hiesiger Bürgerschaft bewilliget worden [ist]«. Dieser »festliche Empfang« und die »freundliche Aufnahme«, die Unterbringung bei Stadtbürgern, blieb, anders als es die Regimentsgeschichten glauben machen wollen500, aber aus. Um es deutlich herauszustellen – der Empfang der zurückgekehrten Truppen war nicht deswegen nicht ›angemessen‹, weil Erzherzog Ferdinand oder sein dirigierender Staatsminister Wolkenstein »Soldaten nicht schmecken«501 konnten, sondern weil die Beamten der MOK von der plötzlichen Ankunft tatsächlich überrumpelt und mit der Unterbringung anderer Truppenteile von Napoleons Armee anderweitig beschäftigt waren502. Die MOK verwarf den Plan der Unterbringung bei städtischen Privatbürgern schnell wieder, denn man sah ein, »die Stadt werde ungemein stark überlagert und es fehlen die Bettfornituren«503, weswegen man die völlig Entkräfteten aus Würzburg aufs Land schickte. Man beabsichtigte sie wie Fremdtruppen »in jene Gegend zu verlegen, welche bey den dermalen stattfindenden Durchmärschen am meisten verschonet bleiben«504. Das bedeutete erneuten Aufbruch in die Ämter Euerdorf und Kissingen, die erst in letzter Minute über die Ankommenden informiert wurden. Dort und selbst in den Kasernen Würzburgs war für die Ankommenden nichts vorbereitet und schon wieder war Hunger der bestimmende Faktor des Alltags der Soldaten Würzburgs505. Die Stabsoffi498 Vgl. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, S. 125. 499 Die beiden Kasernen boten maximal Platz für sechs Kompagnien Infanterie und eine Eskadron Chevaulegers. Laut Anweisung der MOK sollte das Bataillon I und die 1. Chev. Esk. dort einrücken. So in  : ebd., S. 1279. 500 Grosch, Geschichte, S. 213. 501 Chroust, Die Geschichte, S. 275, Anm. 2. 502 Zu diesem Urteil kommt auch Bilz, Die Großherzogtümer, S. 125. 503 StAWü, MOK 9, S. 1251–1256. 504 Ebd. 505 Vgl. Günther, Würzburger Chronik, S. 135.

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ziere wurden jedoch zu einer Audienz bei Erzherzog Ferdinand in die Residenz eingeladen506 und der dirigierende Staatsminister Wolkenstein ließ öffentlich verlautbaren  : »Da die großherzoglichen im Felde gestandenen Truppen den höchsten Erwartungen durch ihre bei allen Gelegenheiten bezeigte und von der k. französischen Generalität belobte Bravour und überhaupt durch ihr Betragen sich die Achtung zu erhalten wussten so befehlen SKKH, dass dem sämtlichen Staabs- und Offiziers und der gesamten und aus dem Felde einrückenden Mannschaft vom Feldwebel und Wachtmeister abwärts die höchste Zufriedenheit durch einen Brigade-Befehl in angemessenen Ausdrücken zu erkennen gegeben werden solle«507

Dringlicheres Problem sah die MOK aber trotz aller Belobigungen erst einmal in der Truppenreduktion. Durch die Vielzahl der Zurückgekehrten war die Truppenstärke auf einem Rekordhoch. Ca. 2.800 Soldaten der eigenen Streitkräfte mussten ›in loco‹ versorgt und bezahlt werden508. Nachdem sie für Würzburgs Interessen aus dem Nordosten unter größten Strapazen zurückgekehrt waren, galten sie nun als unliebsame Kostgänger. Die MOK versuchte diese schnell loszuwerden und verfügte, binnen acht Tagen seien viele, die es wünschen, in Urlaub zu schicken und die, deren Kapitulationszeit abgelaufen ist, seien augenblicklich zu entlassen. Das reduzierte die Truppe, die in Garnison stand, bis zum 31. Dezember 1807 auf 1.210 Mann Infanterie und weitere 240 Mann, die auf Patrouillendienst innerhalb der Grenzen des Großherzogtums Würzburg unterwegs waren509. Diese zusätzlichen 100 Berittenen in Bereitschaft waren der MOK allerdings bereits schon zu teuer. Im Staatsrat wurde in der letzten Sitzungswoche vor Jahreswechsel noch beschlossen, dass »Seine Kais. Königl. Hoheit die Besetzung der Posten nach dem vorgeschlagenen Ausweis [genehmigen, d. h.] das 4fache an Gefreyten und Gemeinen, welches nach einer richtigen Berechnung 952 Köpfe ausmachen wird, 140 Unteroffz. als der komplette Stand für sämtliche Kompagnien«510. Hinzu kämen 506 Obwohl auch Chroust keine Quellen über den Inhalt der Gespräche zwischen Erzherzog Ferdinand und dem Offizierskorps hatte, urteilte er gewohnt einseitig  : »Der Großherzog ließ in der Audienz wenigstens nicht merken, dass auch er kein Freund der Soldaten sei«. So in  : Chroust, Die Geschichte, S. 275, Anm. 2. 507 StAWü, MOK 9, S. 1251–1256. 508 Auf Anfrage des Staatsrats, wurde deutlich  : Die genaue Zahl überblickte die MOK selbst nicht, denn es müsse »noch visitiert werden  ; in loco seyen aber dermalen mehr als 2500 Köpfe vom höchsten aerariium zu tragen«, so in  : ebd., S. 1257. Zu ergänzen sind aber noch die auf ›Cordon‹ kommandierten ca. 300 Mann. Vgl. StAWü, MOK 8, S. 1077–1080. 509 StAWü, MOK 9, S. 1299f. 510 Zudem »14 Zimmerleute, 2 Pfeiffer, 28 Tambours, 8 Hautboisten, soll der Locostand 1144 Köpfe nie überschreiten. Jedoch können auch die überflüssigen Zimmerleute und was an Tambours nicht unumgänglich nothwenig ist, von Zeit zu Zeit beurlaubt werden. Eine Überzahl von 100 Mann auf unvorhergesehene Fälle wird aber in Locostand zu führen nicht bewilliget […] da durch das, was an Infanterie auf den Cordon stehen bleiben muß, der Kasse ohne dies größere Auslagen zugehen, versteht es sich von

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noch die nötigen Funktionsstellen, insgesamt also 1.144 Soldaten als Garnison, 2000 Mann insgesamt sollte die Infanterie nach den Plänen des Staatsrats, den vertraglichen Vereinbarungen von 1806 gemäß, stark sein511. Betrachtet man am Ende des 4. Koalitionskrieges diese Zahlenüberlegungen, dieses Feilschen zwischen MOK und Staatsrat um Stellen, fällt bei allen gemeinsamen Klagen über zu viele Soldaten, die zu bezahlen seien, vor allem aber auf, wie Wenige doch aus dem Feldzug tatsächlich zurückgekehrt waren. Die bisherige Historiografie ging eher davon aus, dass es 1806/1807 eher geringe Verluste zu vermelden gab512. Auch die Quellen scheinen dies zu bestätigen, waren doch beim Ausfall vor Graudenz bekanntlich nachweislich nur vier Soldaten »vor dem Feind geblieben«513. Das muss allerdings berichtigt werden. Ein Blick auf die Zahlen der nachweislich von Oktober 1806 bis Mai 1807 ins Feld gestellten Soldaten, in Summe von 2.504 Mann, verdeutlicht aber die Differenz zu den Zahlen Ende 1807, nachdem die Soldaten zurückgekehrt waren, wo von ungefähr 2.800 Mann die Rede war. Von dieser Zahl müssen aber noch jene abgezogen werden, die im Großherzogtum Würzburg als Garnison (302 Mann)514 und als Reserve in Form von Rekruten in Ausbildung (ca. 500 Mann)515 verblieben waren. Damit bleibt eine Differenz von ungefähr 500 Mann. Davon, dass die Verluste niedrig gewesen seien, kann also gar nicht die Rede sein. Dies belegen auch – wie bereits erwähnt – die eher zufällig notierten toten Soldaten im selbst, dass täglich ein Offizier mit 50–60 Mann auf unvorhergesehene Fälle in Bereitschaft zu seyn, commandiert werden könne, weil man diese Einrichtung als eine bestehende vermuthet hätte«. Ebd. S. 1309f. 511 »Zugleich wird hier angefüget, dass Sr. k. k. Hoheit den künftigen Stand der Infanterie auf 2000 Köpfe festsetzen, und da der dermalige Effektive Stand größer ausfallen wird, so sind die Überzähligen bey den Compagnien nur als solche, nämlich als supernummeraires zu führen« StAWü, MOK 10, S. 1010. 512 Günther, Würzburger Chronik, S. 134f.; Grosch, Geschichte, S. 214, Helmes, Die Würzburger Truppen, S. 126  ; Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 285  ; Kopp, Würzburger Wehr, S. 125f. 513 StAWü, H.V. MS, q., 117, S. 45. 514 Die MOK bedauerte im Januar 1807 den Fehlstand bei der Garnison nach dem »Abgang von 466 Köpfen«, so in  : StAWü, MOK 8, S. 3. Viele Posten mussten infolgedessen unbesetzt bleiben. Während das IR im Nordosten seinen Dienst verrichtete, bildete die MOK die Garnisons-Mannschaft »meistentheils aus alten und gedienten Leuten«. Auf die Anfrage Wolkensteins, wie hoch der Stand der Reserve ist, »so könne freylich ein solcher Stand ganz genau nicht bestimmt werden, weil wegen den vielen Transporten und sonstigen Commandos in das In- und Ausland, durch andere unvorhergesehenen Fälle eine beständige Veränderung verursacht werde«. Die MOK berechnete aber insgesamt »welche zu Wachen, Commandos und der gleichen verwendet werden können  : 21 Corporals und 281 Ober und Unterkanonier, Gefreyte und Gemeine«, also in Summe 302 Köpfe. So in  : ebd., S. 1077–1080. 515 Nach den Rekrutenzügen am 26. Mai, 1 Juni, 24. Juli, 28. August, 5. und 14 September 1807 erreichte die Civil-Kantons-Komission die vorgeschriebene Höhe von 500 Mann für die Reserve, der Rest bildete den Grundstock der 372-köpfigen Verstärkungsmannschaft. Vgl. ebd., S. 839, StAWü, MOK 9, S. 972– 973  ; Zahlen der ins Feldstellungen im Anhang als Tabelle dargestellt als Dokument XVII.

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Matrikelbuch der Militärpfarrei St. Burkard. Dort finden sich alleine 149 Tote, deren Sterbeort eindeutig mit dem Feldzug von 1806/07 in Verbindung zu bringen ist  : Zehn davon in Berlin, 13 in Graudenz, 43 in Stettin, 33 auf Rügen und Torgau u. v. m516. Über den stichprobenartigen Charakter dieser Sterbematrikel ist an anderer Stelle bereits Auskunft gegeben worden, es ist aber dennoch auffällig, dass von 149 überlieferten Toten nur Ult. Niklaus Schubert aus Fuchsstadt als gefallener Offizier angeführt wird. Die restlichen 139 ›Gemeinen‹ in der Sterbematrikel bezeugen als stumme Beweise das nach Chargen differenzierte Sterben an Hunger und Krankheit. Zusammenfassung

Erst in dieser Untersuchung kann die miserable Versorgungslage herausgearbeitet werden, unter denen die Soldaten des Großherzogtums Würzburg schon während des ersten Feldzugs unter Napoleon zu leiden hatten. Die Truppe war im Einsatz auf sich allein gestellt und kann als erster empirischer Beweis der ›Selbstreferenz des militärischen Systems‹ gelten517. Weder die Behörden in Paris noch die in Würzburg halfen Missstände zu beheben. Das dringend benötigte Geld für die Versorgung der Truppe mit allem Lebensnotwendigen erreichte, wenn überhaupt, den Regimentsstab viel zu spät. Hunger, der Genuss von verdorbenen und unverträglichen Lebensmitteln war die Folge. Aber auch die eilig zusammengesammelte, unzureichende und qualitativ schlechte Ausrüstung, gerade für die ungewohnte Winter- und Herbstkälte im rauen Seeklima, ließ den Krankenstand immer weiter anschwellen. Die in der Sterbematrikel von St. Burkard verzeichneten Sterbeorte waren alle – falls nicht anders angegeben, wie im Fall von Caspar Backe aus Würzburg, der in der Elbe bei Tangermünde ertrank – größtenteils Militärspitäler518. Die Folgen von schwächendem Hunger und Krankheit sind auch noch nach ihrer Rückkunft aus dem Feld spürbar. Viele starben zuhause an »Fieberkrankheiten«519, die meisten dabei ohne den Anspruch auf ein Militärspital, denn die Truppe wurde um knapp ein Drittel reduziert und die MOK schickte bekanntlich zuerst die Zurückgekehrten in den Zivilstand. Auf der anderen Seite wurde die Truppenstärke, wie erwähnt, durch die hohen Desertationszahlen wesentlich gemindert, auch wenn konkrete Zahlen dabei offenbleiben müssen. Zu vernachlässigen waren diese Zahlen aber sicher nicht, musste der verantwortliche Regimentsinhaber von Gebsattel, recht peinlich berührt, – fiel der Kontrollverlust 516 Siehe Verlustliste im Anhang als Dokument LVI, S. 585. 517 Vgl. Kapitel 1  ; Hoeres, Das Militär, S. 336. 518 Im Anhang als Dokument LVI, S. 585, Zusammenstellung der Verluste des Vierten Koalitionskriegs, sofern verzeichnet, in  : DAW, Würzburg, St. Burkhard. 519 StAWü, MOK 10, S. 903.

Auf der Iberischen Halbinsel (1808–1814) 

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über die Disziplin der Truppe doch in erster Linie auf ihn – eine »nicht unbeträchtliche Anzahl von vermisster Mannschaft«520 beim MOK einräumen. Dass die Desertion dann einzureißen begann, als das Würzburger Regimentskommando die Kontrolle über die eigenen Truppen verlor und sie nur in Kompaniestärke disloziert französischen Befehlshabern zu gehorchen hatten, wurde als Begründung nicht in Erwägung gezogen. Die zur Abschreckung hart ausgefallenen Urteile gegen die Rädelsführer der Meuterei bei der Chev.Div. unterstreicht zum einen die bei allen Soldaten Würzburgs wohl vorherrschende »sichtliche Niedergeschlagenheit und Mißmuth«521 während des Feldzugs und sollte außerdem solche Überlegungen wohl gar nicht erst zulassen. Die Schicksale der einzelnen Soldaten standen nicht im Fokus der Bemühungen der MOK oder des Staatsrates, trotz des angeordneten Gedenkgottesdienstes zu Ehren der Gefallenen im Feldzug am 31. März 1808 im Würzburger Dom522. Ohne es quellengestützt beweisen zu können, schien ihnen jede Dezimierung der Truppenstärke einfacher Soldaten im Gegenzug einer Entlastung des ›höchsten aerariums‹ willkommen, musste man desfalls weniger Sold ausbezahlen, weniger Nahrungsmittel für die Kasernen beschaffen. Im ersten Drittel des Jahres 1808 bewilligte die MOK daher auch ca. 4/5 der Entlassungsgesuche, natürlich nicht ohne den Kriegsheimkehrern zu eröffnen, »dass denselben, der gebetene Abschied, jedoch gegen Zahlung der erhaltenen Montur, der Abschiedstaxe, dann des Beytrages zum Wittwenfond allergnädigst zu bewilligen seyn dürfte«523. 2.3 Auf der Iberischen Halbinsel (1808–1814) – als ›Hilfsvölker‹ im ›Kleinen Krieg‹

Mit den Worten, »Je ferai toujours cequi pourra être agréable à L’Empereur. J’accepte la proposition qu’il me fait d’envoyer mon regiment en France«524, begann für die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg, kaum ein halbes Jahr nach ihrer Rückkunft aus dem Nordosten, im Süden Europas der langwierigste, blutigste und verlustreichste Feldzug unter französischer Flagge. Laut dem französischen Gesandten Hirsinger seien dies die Worte gewesen, die Erzherzog Ferdinand beim Erhalt des ›Vorschlags‹ vom Kaiser der Franzosen – übermittelt durch den Fürst Primas am 10. August 1808 – geäußert habe. ›Angenehm‹ war es Napoleon, den Rheinbundfürsten ausrichten zu lassen, sie hätten

520 StAWü, MOK 9, S. 630. 521 Ebd. S. 468f. 522 Vgl. StAWü, MOK 10, S. 735. 523 Ebd., S. 839. 524 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Hirsinger an Tallyerand, Würzburg 14. September 1808, Fol. 211.

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ihre Kontingente mobil zu machen, ohne ihnen einen konkreten Einsatzort zu nennen. Österreich oder Spanien – beide Kriegsziele waren denkbar. Mit der wiederholten Versicherung Erzherzog Ferdinands, gerne »une nouvelle preuve de son attachement et devouement inalterable«525 in Form der Mobilmachung seines IR ablegen zu wollen, verband er gegenüber Napoleon allerdings den Wunsch, es sei »nur zu Garnisonsdiensten im Inneren Frankreichs und namentlich nicht gegen Spanien« zu gebrauchen, »weil er […] ein persönliches Interesse darin fände, sein Kontingent auf alle Fälle friedlich verwendet zu sehen«526. Der Wunsch blieb vielsagend unbeantwortet. Überall machten bereits kurz nach dem Fürstenkongress von Erfurt Gerüchte von einem baldigen Feldzug die Runde. Spanien, Polen, Schlesien oder Manöver am Rhein – all dies diskutierte man als mögliche Ziele in den Würzburger Militärbehörden527. Erste Truppenforderungen wiesen anfangs noch in den Norden, als Mitte Juni französischerseits eine 15 Mann starke Truppe Fuhrwesen für Berlin verlangt wurde. Der Staatsrat sicherte noch vor dem eigentlichen ›Vorschlag‹ Napoleons eine sofortige Erledigung zu und die MOK wies die CCC an, für den 23. Juni 1808 30 zum Fuhrwesen vorgemerkte Kantonisten einzuberufen528. 25 Mann schickte die MOK schließlich Ende September los. Bisher war es völlig unbekannt, dass diese kleine Gruppe Würzburger bis Herbst 1811 streckenmäßig den weitesten Weg aller Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg zurückgelegt haben musste – von Würzburg nach Berlin, dann aber durch Frankreich und über Valladolid, Salamanca und Rodrigo in Spanien bis Coimbra und Torres Novas in Portugal. Den Regimentsgeschichten war dieser nicht aktiv kämpfende Truppenteil wohl keiner rühmlichen Erwähnung wert. Obwohl – wie vielfach im Vorausgegangenen geschildert – die Logistiker das Rückgrat jeder Kampfhandlung des Kriegs und damit vor allem in Spanien ständig das Ziel von Aufständischen waren, finden sich keine Berichte oder andere Hinweise auf ihre Erlebnisse. Nur eine Totenliste gibt heute Auf-

525 Ebd. Hirsinger an Talleyrand, Würzburg 15. September 1808, Fol. 212. 526 HHStAW, Stk, Würzburg 1, Buol an Stadion, Würzburg, 17. September 1808. 527 Vgl. HHStAW, Stk, Würzburg 1, Buol an Stadion, Würzburg, 08. August 1808. 528 Einziges Auswahlkriterium der CCC war es, die Rekruten sollten zwischen 20–30 Jahre alt sein und sie sollen gut mit Pferden umgehen können. Der Truppe sollte ein Unteroffizier als Wagenmeister (Ludwig Willanz aus Sonderhofen wurde zum Marcheal de Logie bestimmt) beigegeben werden. Das französische Kriegsministerium schlug vor, was die Montur betrifft, solle man sich an die fürst-primatische MOK wenden. Der Truppe sollen zunächst nur zwei Hemden, ein Paar Schuhe und ein paar Stiefel, eine Holzkappe, ein Tornister und einen Monat Sold mitgegeben werden. Die Verpflegung bekämen sie anders als im Feldzug von 1806/07 von der frz. Armee organisiert. Nur die Besoldung falle der MOK zur Last. Hier wurde das neue Versorgungssystem erstmals der MOK unterbreitet, weswegen es besondere Beachtung verdient. So in  : ebd.; S. 1202–1217  ; 1222.

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schluss darüber, wie weit sie für Napoleon tatsächlich marschiert waren. Nur neun von ihnen sollten das Jahr 1810 überleben, acht kehrten am Ende aus Portugal zurück529. Das Mitte August wieder neu errichtete IR, das in zwei Bat. à 12 Kompagnien530 »nebst der dazu gehörigen Artillerie, namentlich 8 Kanonen, und dem Staabe, welche noch im Laufe dieses Monats [August, Anm. d. Verf.] fleißig im Feuer exerciert«531 wurden, sollten bald darauf auf anderen Wegen nach Spanien und anders als die Gruppe der Fuhrwerker verwendet werden. Aber auch die Mehrzahl derer sollte auf der Iberischen Halbinsel den Tod finden532. Das beabsichtigte die MOK im Sommer 1808 zu verhindern. Man analysierte den Feldzug von 1806/07 und versuchte Lehren aus dem zurückliegenden, verlustreichen Einsatz zu ziehen. Allerdings verfehlten die überstürzten Änderungen ihre Wirkung. Einer erfolgversprechenderen Vorbereitung des Feldzugs als beim letzten Mal stand einmal mehr die strikte Verfolgung des ›politischen Zwecks‹ durch den Staatsrat entgegen, wie im Anschluss dargelegt werden soll. Truppenaufstellung und Ausrüstung

All die Reforminitiativen gingen dabei, wie an anderer Stelle bereits beschrieben wurde, nicht unmittelbar von der MOK selbst aus, die sich eher mit der Organisations- und Verwaltungsarbeit begnügen musste, sondern von den Anweisungen des französischen Sous-Inspecteur aux Revues Bonnet. Vor allem die Versorgung sollte besser geregelt werden, wie der Inspecteur vorgab. Der Staatsrat informierte die MOK daraufhin  : »Die 529 Siehe hierzu im Anhang als Dokument LVI, S. 585, Zusammenstellung der Verluste des Vierten Koalitionskriegs, sofern verzeichnet, in  : DAW, Würzburg, St. Burkhard. Die Rückkunft nach Würzburg war für den 26. September 1811 geplant. Sie standen also drei Jahre im Feld. Vgl. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 67, Kriegsministerium an Hirsinger, Paris, 19. Juli 1811  ; außerdem  : StAWü, Großherzogtum Würzburg, Landesdirektion Oberkriegskommissariat 19. 530 Die Bataillone sollten zunächst in zwölf Kompagnien mit je 121 Mann in Grenadier- und Füsilier-Kom­ pagnien und zwei Voltigeur-Kompagnien in der Stärke von je 140 Mann gegliedert sein. Die Funktionsstellen, die noch dazu kamen, setzten sich beim Ausmarsch dann wie folgt zusammen  : 1 Oberst (Franz Lothar von Gebsattel), 1 Oberstlt. (Ferdinand Zorn), 2 Maj. (Wilhelm von Moser, Carl Metz), 1 Adj. (Franz Zitzmann), 2 Bataillonsärzte und 6 Unterärzte, 2 Act., 12 Fouriers nebst Praktikanten, 1 Regimentstamb., 1 Profoß samt Jungen, 8 Hautboisten, 1 Büchsenmacher. So in  : StAWü, H.V. MS, f., 166 Personalien, Fol. 1. 531 HHStAW, Stk, Würzburg 1, Buol an Stadion, Würzburg, 17. September 1808. Das Artilleriekorps bestand aus 1 Olt. (Michael Büchold), 1 Ult. (Jakob Korb), 1 Unterarzt, 1 Fourier, 1 Oberfeuerwerker, 1 Unterfeuerwerker, 6 Kpl., 2 Tamb., 50 Gemeine Artilleristen. Hinzu kamen zwei Sechspfünder und die dazugehörigen zwei Munitionswägen, außerdem 21 Pferde und 10 Knechte mit einem Wagenmeister (Summe 75 Mann). Vgl. StAWü, MOK 11, S. 543–545. 532 Auch diese Untersuchung wird am Ende zu konstatieren haben  : »Weitaus der größte Teil der ausmarschierten Frankenkinder ruht in der spanischen Erde«. So in  : Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 286.

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ausmarschierenden Truppen bleiben im Solde Seiner k. k. Hoheit des ErzherzogGroß­herzogs, erhalten aber die Vivren auf Rechnung seiner Majestät des Kaisers von Frankreich«533. Damit wäre zumindest theoretisch die Nahrungsmittelversorgungsfrage aus der Würzburger Verantwortung an das französische Kriegsministerium abgegeben. Im Einsatz sollten sich dann die Comissairs des guerres um die Nahrungsmittelbeschaffung vor Ort kümmern – es sollte anders kommen. Vorab traute man auch in Würzburg dieser vermeintlichen Erleichterung wenig, denn die MOK schärfte dem erneut zum Regimentsinhaber befohlenen Oberst Lothar August von Gebsattel ein, er hätte sich im Streitfall während des Einsatzes mithilfe der Instruktionskopien von Bonnet »auf die gemachten Versprechungen zu berufen«534. Das im Feldzug von 1806/07 relevant gewordene Problem der ungleichen Bewaffnung der Bat. mit jeweils unterschiedlichen Gewehren und jeweils eigenen Munitions­ anforderungen wurde von der MOK ebenfalls erkannt, allerdings zu spät zu lösen versucht. Nach langwierigen Beratungen und vielen eingeholten Kostenvoranschlägen erteilte erst am 29. August die MOK den Auftrag an Johann Paul Sauer in Suhl, für das IR einheitliche Gewehre neu herstellen zu lassen535. Die laufende Ausrüstung der Truppe fiel also erst mit der Auftragserteilung zusammen und die MOK musste auf die alten Bestände zurückgreifen. Wieder wäre Munition nicht austauschbar, wieder dadurch die Einsatzfähigkeit gemindert gewesen. Alexandre-Françoise Bonnet erreichte deshalb beim französischen Kriegsministerium Ende September 1808, es seien die Gewehre bei allernächster Gelegenheit im Einsatz in Frankreich gegen französische Gewehre auszutauschen536, was am Ende indes so nicht stattfinden sollte. Die Würzburger kämpften daher in Spanien mit ihren alten, mit der französischen Armee inkompatiblen Gewehren, weil es augenscheinlich der französischen Militärführung bei den Rheinbundkontingenten einmal mehr um billig verfügbare Masse denn um kostspielige Qualität der Truppen ging537. 533 StAWü, MOK 11, S. 543. 534 Ebd., S. 1003. Zudem wurde verfügt, die ersten Gagenzahlungen seien bei Ausmarsch gleich mitzunehmen und Oberst von Gebsattel hatte die nicht unbeträchtliche Summe von 11.139fl. 35x für das IR im Reisegepäck zu verstauen, was ihn offenbar wenig erfreute. 535 Vgl. StAWü, Großherzogtum Würzburg Landesdirektion Oberkriegskommissariat 3. Darin wird der von 1.350 Feuergewehren zum Stückpreis von 12 fl. 40X, 100 »Cavaleriestutzen« zu 8 fl.30X und 130 Pistolen zu 9 fl. 40X das Stück zu einer verabredeten Gesamtsumme von 18.792 fl. beschlossen. 536 StAWü, MOK 11, S. 1121. 537 Oberst v. Gebsattel meldete aus Metz, es seien nun doch keine Gewehre für die Rheinbundkontingente bereitgestellt worden, man könne allerdings auf eigene Kosten aus Thionville die Waffen besorgen, was allerdings »dem höchsten Aerarium wohl zu kostspielig sey« und einen Monat Zeit brauche. Weil man auf höchsten Befehl bereits weitermarschieren haben müsse, werden die aus Würzburg mitgebrachten nicht zurückgeschickt, sondern behalten. Vgl. StAWü, MOK 12, S. 68.

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Ein weiterer Vorschlag des Inspecteur aux Revues betraf die Unterbringung der Truppe. Um die Mannschaft weniger im Freien biwakieren lassen zu müssen, was »bedeutend zu häufig im verflossenen Feldzug geschehen [sei]«538, sollte dafür extra die neue Stelle eines Quartiermâitre geschaffen werden. Der Staatsrat machte es der MOK bei der Besetzung der Stelle zur Voraussetzung, dass jener das Rechnungswesen beherrschen sowie »der französischen Sprache vorzüglich kundig sein müsse«539. Die MOK sah wohl ein, dass ein Kommunikationsproblem zwischen Regimentsstab und den französischen Befehlshabern die Missstände im 1806/07er Feldzug verschlimmert haben dürfte. Als es sich Anfang Dezember abzeichnete, dass sich die grobe Organisationsarbeit der MOK dem Ende zuneigte und alle Versorgungsfragen für den kommenden Einsatz scheinbar wie geklärt behandelt wurden, begehrte das gesamte Offizierskorps des IR gegen die MOK auf. Sie waren entsetzt, dass die MOK nur einen einzigen Bataillonssarzt mit in den Einsatz schicken wollte und protestierten deswegen in einer scharf formulierten Note. Es habe sich die Wichtigkeit von ausreichenden und gut geschulten Ärzten im vergangenen Feldzug schmerzlich gezeigt, als der Hauptfeind, der die meisten Opfer forderte, nicht der direkte Feindkontakt gewesen sei, sondern Krankheiten. Ausreichende medizinische Versorgung sei »lebensnothwendig«540. Außerdem wolle der ausgewählte Bataillonssarzt, Dr. Josef Pfeiffer541 überhaupt nicht am Feldzug teilnehmen, denn er suche »flehentlich« um eine »Anstellung als Physikus auf dem Lande«542 nach. Ferner sei er mit seinen 27 Jahren zu jung. Ein scheinbar unwilliger und unerfahrener Bataillonssarzt mit nur zwei Unterärzten für das ganze IR, das, wie sich gezeigt hatte, selten im Regimentsverbund, sondern voneinander auch weitläufig getrennt, eingesetzt wurde, war den Offizieren für den kommenden Einsatz ein unannehmbares Risiko. Der Regimentsarzt Prof. Dr. Hermann J. Brünnighausen warb zwar ebenfalls für die Anstellung eines weiteren chyrurgien aide major für das Bat. II, lehnte das Ansuchen des Doktor Pfeiffer auf Entlassung aber ebenfalls ab. Zu Pfeiffers vermeintlicher Verweigerungshaltung, die ihm schlussendlich nichts helfen sollte, muss man wissen, dass er noch 538 StAWü, MOK 11, S. 1129. 539 Ebd., S. 1173. Noch am 12. Dezember 1808, einen Tag vor Ausmarsch, wurde Quartiermeister Hang und Universitätssprachmeister Georg Bils von der MOK geprüft und es soll noch am gleichen Abend Seuffert benachrichtigt werden, wer geeignet ist. Dabei verrechnete sich Bils und Hang hatte Defizite im Französischen. Seuffert entschied sich für Bils, weil Seuffert dessen Sprachfertigkeiten als wichtiger erachtete. Vgl. ebd. S. 1209. Eine schwerwiegende Fehlentscheidung, wie sich später herausstellen sollte. 540 Ebd., S. 1064. 541 Die Berichte des Feldchirurgen Josef Pfeiffer (1781–1862) an die MOK müssen heute als verloren gelten. Sie bildeten die Grundlage der kriegs- und sanitätsgeschichtlichen Abhandlung von Joseph Schuster  : Schuster, Infanterieregiment. Auch seine Personalakte ist wenig aussagekräftig. Vgl. BayHStA, Abt. IV, OP 85595. 542 StAWü, MOK 11, S. 1067. Auch zum Vorhergehenden  : Ebd. S. 1063–1068.

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im Frühjahr 1808 um eine Heiratserlaubnis und Ansässigmachung bei der MOK nachgesucht hatte. Angesichts dessen, dass man zu diesem Zeitpunkt noch versuchte Personal einzusparen, wo immer es nur ging, genehmigte die MOK ihm dieses Ansuchen. Pfeiffer musste einwilligen, 1.000 fl. Kaution für den Witwenfond sofort einzuzahlen und monatlich nochmals 100 fl. bis zu einer Summe von 2.000 fl. zu hinterlegen543. Bei Joseph Pfeiffers monatlichem Einkommen von 51 fl. bedeutete dies eine stolze Summe als Investition in eine glücklichere Zukunft, die er wohl durch seine Kriegsteilnahme zu Recht in Gefahr sah. Die MOK urteilte in bekannt bürokratischer Pragmatik barsch über sein Freistellungsgesuch in letzter Minute  : »Aus dieser Hinsicht, und weil es überhaupt hier die Regel geworden zu sein scheine, dass bei jedem Ausmarsche die sonderbarsten Forderungen gemacht und unterstützt würden, halte man dafür, dass dieses allerdings übertriebene Gesuch […] höchst abschlägig zu verabschieden sei«544. Da Seuffert bekanntlich um jeden Preis schnellstmöglich das Regiment unter Napoleons Befehl zu stellen gedachte545, gab der Staatsrat dem Protest des Offizierskorps statt und die MOK stellte dem Bataillonssarzt Joseph Pfeiffer noch Michael Flach als chyrurgien aide major sowie die Unterärzte Büchsner und Kreppel als chyrugiers sous aide zur Seite546. Doch nicht nur Doktor Pfeiffer hatte wenig Begeisterung für die Teilnahme an einem neuerlichen Feldzug aufbringen können. Einige dieser ›sonderbarsten Forderungen‹ um Entlassung oder Versetzung gingen tatsächlich vermehrt bei der MOK ein, als allmählich durchsickerte, wohin marschiert werden sollte. Obwohl das Einsatzziel, auch um der Bitte Erzherzog Ferdinands scheinbar zu entsprechen, von Napoleon selbst lange geheim gehalten worden war, »bedrückt[en]« die nach Würzburg gelangten Gerüchte vom blutigen Aufstand des 2. Mai 1808 in Madrid und die verlustreiche Schlacht bei Bailén (19.–22. Juli)547 die Würzburger Streitkräfte sehr, »sich womöglich so fern der Heimat verwendet zu sehen«548. Wie der Kaiser der Franzosen den Erzherzog Ferdinand549, so 543 Vgl. StAWü, MOK 10, S. 307. 544 Die Ablehnung ist auf den 4. Dezember datiert. StAWü, MOK 11, S. 1068. 545 »Was aber noch mehr beweiset, wie sehr sich Herr v. Seuffert beeilt habe, dem französischen Antrage zu willfahren, erhellet aus dem hier anliegenden Auszuge eines schriftlichen Vortrags, wodurch er den Großherzog noch vor der Ankunft des Herrn Hirsinger in Werneck mit dem kaiserlichen Schreiben, zu einer entsprechenden Antwort zu stimmen beflissen war«. So in  : HHStAW, Stk, Würzburg 1, Buol an Stadion, 29. September 1808. 546 Vgl. ebd., S. 1214. 547 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 263. 548 StAWü, H.V. MS, f., 166, S. Verschiedene Kriegsbegebenheiten, Fol. 1. 549 Durch Hirsinger ließ er den Erzherzog wissen, »l’invite à le diriger incessamment sur Mayence, où il recevra les ordres ultérieurs de Mr. le Maréchal Kellermann.« So in  : HHStAW, Stk, Würzburg 1, Hirsinger an Seuffert, Würzburg, 26. November 1808.

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versuchte auch die MOK das IR mit der gleichen Halbwahrheit zu beruhigen, als Bestimmungsort sei Mainz angegeben, wo man mit Garnisonsaufgaben betraut wäre. Es lässt sich nicht genau rekonstruieren, ab wann genau feststand, wie und wo die Truppen des Großherzogtums eingesetzt werden sollten, aber Erzherzog Ferdinand selbst wird es trotz aller französischer Täuschungsmanöver vermutlich Anfang Dezember 1808 erfahren haben550. Er reagierte prompt und bewirkte durch persönliche Verfügungen, dass ihm Vertraute vom abmarschbereiten Regiment abgezogen und zur Reserve zurückgestellt wurden551. Am besten quellengestützt nachweisen lässt sich dieses persönliche Engagement im Fall von Wilhelm von Waldenfels, der Erzherzog Ferdinand während seiner Dienstzeit als Leibgardeoffizier persönlich bekannt und vertraut wurde552. Erzherzog Ferdinand erhob ihn zum großherzoglichen Kämmerer und arrivierte ihn auf eigenen Wunsch zum Hauptmann des neu aufgestellten IR. Als jedoch das Einsatzziel bekannt wurde, attestierte Erzherzog Ferdinands Leibarzt, Johann Caspar Gutberlet, v. Waldenfels plötzlich Gichtanfälle und Koliken, weswegen er zur Reserve zurückzustellen sei553. Die MOK wagte zwar nicht, offen das Urteil in Frage zu stellen, hätte aber wohl den 32-jährigen Offizier gerne beim Einsatz dabei gehabt und wollte eine endgültige Entscheidung durch ein weiteres Urteil des Generalstabsmedikus Nikolaus Friedrich über den Abmarschbefehl hinaus verzögern. Am 4. Dezember wird v. Waldenfels indes auf ausdrücklichen Befehl des in der Historiografie angeblich stets unbeteiligt erscheinenden Erzherzogs zur Reserve zurückgestellt554. Kurz darauf reist er (plötzlich wieder gesundet  ?) als persönlicher Kurier Erzherzog Ferdinands zu Marschall François-Christophe Kellermann (1735–1820) nach Mainz, wo er sich im Auftrag dessen erneut dafür einsetzen sollte, dass das IR ›friedlich verwendet‹ werden sollte. Bemerkenswert ist, Wilhelm v. Waldenfels sendete, dort angelangt, für die organisationsmüde MOK unerfreuliche Befehle von Kellermann nach Würzburg zurück. Kellermann wünsche, dass das IR »doit être organisé entiérement sur le pied français«555, was bedeutete, dass zusätzlich zwei neue Voltigeur-Kompagnien zu bilden seien. Diese als gut in der Plänklertaktik ausgebildete, schnelle Eingreiftruppe der vordersten Kampf550 Buol berichtet nach Wien bereits am 6. Dezember, der Regimentsinhaber wisse bereits, dass es nach Spanien gehen solle. Erzherzog Ferdinand wird es noch früher gewusst haben müssen. Vgl. HHStAW, Stk, Würzburg 1, Buol an Stadion, 6. Dezember 1808. 551 Neben Wilhelm von Waldenfels lässt sich die direkte Einmischung Ferdinands in den ersten Dezembertagen noch bei Maj. Karl Metz nachweisen, der auf ähnliche Weise durch Attest plötzlich erkrankte  : Grosch, Geschichte, S. 216  ; auch bei Chroust, Die Geschichte, S. 292. 552 Vgl. BayHStA, Abt. IV, OP 74027. 553 Vgl. StAWü, MOK 11, S. 1167. 554 Vgl. ebd., S. 1193. 555 So in  : HHStAW, Stk, Würzburg 1, Von Waldenfels an Seuffert, Mainz, 6. Dezember 1808.

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linie bildete man in Frankreich gewöhnlich aus den besten Schützen der Streitkräfte. In Würzburg aber gab es noch keine für das zerstreute Gefecht ausgebildete Soldaten. Das wusste auch Kellermann und bot der MOK die Möglichkeit, den Abmarsch zu verschieben556. Davon wollte der Staatsrat allerdings offenbar nichts wissen. Zwar waren weder Gewehre mit gleichartiger Munition oder die nötigen Säbel beschafft557, noch die bei den französischen Voltigeuren üblichen gelben Distinktionszeichen zur Hand558, ja nicht einmal ein Exerzierreglement für diese Truppengattung hatte man in Würzburg559, aber Seuffert legte den Abmarsch wider besseren Wissens auf den 14. Dezember fest560. Ohne besondere Ausbildung wurden aus Soldaten der Füsilier-Kompagnien und mit einigen erst im August gezogenen Rekruten der Reserve die beiden Voltigeur-Kompagnien gebildet561. Eilig wurden zudem in den letzten Tagen vor dem Ausrücken noch die nötigen Funktionsstellen um- und nachbesetzt, junge Kadetten zu Offizieren avanciert562, ungeachtet dessen, dass weder sie noch die Mannschaft ausreichend geschult, ausgebildet, geschweige denn brauchbar ausgerüstet gewesen wären. Der Staatsrat gab vielmehr anstatt des dringend wichtigen Zeitaufschubs der MOK per Reskript sogar noch drei Tage vor Abmarsch zu bedenken  : »Seine ks. und kgl. Hoheit der Erzherzog Großherzog erachten, dass es nicht nur zur Ehre sondern auch zum vorzüglichen Nutzen für das ausmarschierende Regimentes zur Beförderung des höchsten Dienstes erforderlich sey, dass die Chefs de Battaillons nebst 556 Völlig überrascht über diese unerwartete Umstrukturierung erreichte v. Waldenfels bei Kellermann, »qu’il valait mieux retarder pour quelque tems le départ du régiment, que l’envoyer avec une organisation ne quadrant guère au système adopté par le gouvernement français.« So in   : HHStAW, Stk, Würzburg 1, Von Waldenfels an Seuffert, Mainz, 6. Dezember 1808, Kopie. 557 Vgl. ebd., S. 1177. 558 Vgl. ebd., S. 1142. 559 Vgl. ebd., S. 1155. 560 Die MOK wies deutlich jede Verantwortung für mögliche fatale Folgen von sich, indem sie an den Staatsrat ihre Klage richtete  : »Obschon man es seitens der MOK gewiss an Tätigkeit nicht fehlen lassen werde, so wisse man dennoch nicht, ob bey aller Anstrengung und mit dem besten Willen es dahien zu bringen sey, daß die noch zur Zeit beynahe gänzlich abgehende Belehrung, welche bey einer so großen Umänderung der ganzen zeither bestandenen Militärverfassung zu der neuen Einrichtung derselben sowohl in dienstlicher als auch in oeconomischer Hinsicht dem Regimente nothwendig seyen, in so kurzer Zeit aufgebracht und eingeübt werden können, was die ärgsten Folgen haben könne«. So in  : Vgl. ebd., S. 1163. 561 Vgl. HHStAW, Stk, Würzburg 1, Buol an Stadion, Würzburg, 6. Dezember 1808. Eine Voltigeur-Kompagnie setzte sich zusammen aus  : 1 Hptm. oder Capitän, 1 Olt., 1 Ult., 1 Fw., 1 Serg., 8 Kpl., 10 Gefr., 1 Zimmermann, 2 Tamb., 114 Gem. So in  : StAWü, H.V. MS, f., 166 Personalien, Fol. 1. 562 Beispielsweise Marquard von Borie war erst 17 Jahre alt. Befördert wurden  : Stabscapt. Melchior Hüllmantel zum Hptm.; Olt. Veit Geutler, Olt. Michael Vay zum Stabscapt.; Ult. Joseph Zitzmann, Ult. Johann Baunach, Ult. Friedrich Leidner, Heinrich Ganz zu Olt.; Kad. Cajetan Joseph Gutberlet, Kad. Anton Hitzelberger, Kad. Marquard Freiherr v. Borie zu Ult. Vgl. GhzRegBl, 1808, XXV. Stk., S. 124.

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den übrigen Eigenschaften auch die dermalig unerlässlich scheinende besitzen, dass sie nemlich die französische Sprache geläufig sprechen und schreiben.«563 Die realitätsferne Verordnung 72 Stunden vor dem Ausmarsch ist symptomatisch dafür, wie unwichtig der würzburgischen Regierung doch ›die Mittel‹ ihrer Politik im Rheinbund waren. Auf Kosten der Streitkräfte ging es ihnen darum, auch nur den geringsten Eindruck zu vermeiden, man erfülle die Forderungen aus Paris nicht augen­ blicklich, weil »auch andere Fürsten ihre Truppen sofort dazu bewilligt hätten und [man] sonst allen Hoffnungen entsagen müsste, die man auf Frankreich setzte«564. Der ›politische Zweck‹, über den an anderer Stelle geurteilt wurde, bestimmte die höchste Eile und das vollkommen überstürzte und unvorbereitete Aufbrechen des IR, wie bereits vor dem Feldzug von 1806/07 geschehen. Die Zahl derer, die erst im Dezember zu Offizieren ernannt wurden und bereits wenige Monate später in Katalonien starben565, ist beachtlich und sicher genauso Folge dieses Entscheidungshandelns der Würzburger Regierung wie die hohen Verluste an Mannschaft, die ohne Ausbildung in einen Krieg in Spanien geschickt wurden, der für die Soldaten Würzburgs erstmals als ein ›totaler Krieg‹ erlebbar werden sollte. In der Etappe nach Spanien

Der Stab kommunizierte die ungenügende Improvisation bei der Einsatzvorbereitung nicht an die unteren Chargen. Überhaupt versuchte er das Einsatzziel bei den Soldaten bis zuletzt zu verheimlichen, um eine zunehmend ausufernde, »empfindliche Desertion«566 zu verhindern. Am 14. Dezember rückten die zwei Bat., mit je einer Grenadier-, einer Voltigeur und vier Füsilier-Kompagnien schließlich in einer Stärke von 1.732 Mann aus567. Aber schon auf dem Weg zu ihrem ersten Etappenort, Metz, deser563 StAWü, MOK 11, S. 1190. 564 Vortrag Seufferts an den Großherzog vom 26. November 1808, zit. nach  : Chroust, Die Geschichte, S. 297. 565 Stabscapt. Veit Geutler gef. 1809 Figueras, Stabscapt. Michael Vay gef. 1809 Camdura (nordöstl. von Gerona), Olt. Friedrich Leidner, 1809 Gerona, Ult. Cajetan Joseph Gutberlet gef. 1809 Camdura, Ult. Anton Hitzelberger gef. 1809 Gerona, Ult. Marquard Freiherr v. Borie gef. 1809 Gerona. Von den zehn im Dezember 1808 Beförderten starben sechs noch im Jahr 1809. 566 »Der comandierende Obrist Gebsattel sagte mir so eben, dass man sich vorerst mit der Organisation der Voltigeurs beschäftigen müsse. Er setzte hinzu, dass die Truppen ohne allen Zweifel nach Spanien ziehen würden, dass man aber bey der Mannschaft bey welcher sich bereits eine empfindliche Desertion zeigte, mit diesem Zweck nicht bekannt machte«. So in  : HHStAW, Stk, Würzburg 1, Buol an Stadion, 6. Dezember 1808. 567 Die genaue Truppenstärke musste bisher fraglich bleiben, Chroust spricht von »rund 1800 Mann«, ebd., S. 297. Vertraut man der Standestabelle aus der Sammlung des historischen Vereins, waren es 1.701 Soldaten, StAWü, H.V. MS, f., 166. Tatsächlich sind allerdings 1.732 Soldaten ausmarschiert, wie aus

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tierten binnen zwei Wochen 18 Soldaten568, obwohl bekanntlich die Richtlinien zum Desertationsgesetz noch kurz vor Abmarsch der Truppen am 10. Dezember empfindlich verschärft worden waren569. In Metz am 30. Dezember angekommen, fand das Würzburger IR, erstmals auf französischem Boden, nicht die gleiche freundliche Aufnahme vor, wie man sie wohl umgekehrt den französischen Truppen in Würzburg zugestand570. Oberst v. Gebsattel beschwerte sich über die horrenden Summen, die für die Truppenversorgung und sogar für die Unterbringung in den Kasernen zu zahlen seien. Dies war eigentlich anders vereinbart worden. Offiziell verlangten die französischen Kasernenbehörden in Metz von allen durchziehenden deutschen Truppen auch lediglich penibel Ersatz für »die geringste Kleinigkeit, die entweder zerbrochen oder verdorben war, bezahlt werden musste, wie z.B. für zerbrochene Glasscheiben, fehlende oder zerbrochene Bretter, auch für zerrissene oder verschmutzte Betten«571. De facto ließ man sich dadurch die Unterbringung teuer bezahlen. Oberst v. Gebsattel zahlte aus der Soldkasse. Ein weiteres Mal drohte die Finanzierung für Sold, Unterkunft und Verpflegung zum Erliegen zu kommen, weshalb er um einen Wechsel aus Würzburg bitten musste. Freilich wies die MOK diese Geldforderung schroff zurück, war doch vereinbart worden, die Versorgungsfinanzierung ginge ab Zeitpunkt des Ausmarschs ans französische Kriegsministerium über. Einmal mehr war der IR-Stab wie schon im ersten Feldzug 1806/07 ohne Unterstützung aus Würzburg auf sich alleine gestellt572.

StAWü, MOK 12, S. 269f. hervorgeht. Dort ergibt sich die genaue Berechnung aus »der Bereithaltung der nach Abzug des im Felde stehenden Regiments zu Complettierung des auf 2000 Mann festgesetzten Contingents noch abgängigen 268 Köpfe«. Anders der Bericht des Hptm. Fritz, an dem sich bekanntlich die folgenden Regimentsgeschichten orientierten. Dort kommt es aber zu einer gehörigen Überschätzung der Truppenstärke von »2500 Mann« StAWü, H.V. MS, f., 170, S. 6. 568 StAWü, MOK 12, S. 69. 569 GhzRegBl, 1808, XXIII. Stk., S. 111f. 570 Was offenbar selbst Napoleon gegenüber Champagny am 11. September 1808 bemerkte, während er sich über die Aufnahme der Armee in Bamberg beschwerte. zit. nach Chroust, Die Geschichte, S. 293f., Anm. 4. 571 Vgl. Georg Heinrich Barckhausen  : Tagebuch eines Rheinbund-Offiziers aus dem Feldzuge gegen Spanien und während spanischer und englischer Kriegsgefangenschaft 1808–1814, Hg.. v. Georg Barkhausen. Wiesbaden 1900, S. 30. 572 Die MOK antwortete, dass »in dem Falle, dass ähnliche Beyschaffungen anderen deutschen Truppen ebenfalls auferlegt sind, so wünsche man, dass vom Regimente kein Ansuchen um eine Sache gemacht würde, worin nicht willfahret werden kann«. So in  : StAWü, MOK 12, S. 87–94. Da auch das sogenannte bataillon des princes und auch die später eintreffenden Berger systematisch zur Kasse gebeten wurden, zahlte v. Gebsattel aus der Soldkasse. Vgl. dazu auch Barckhausen, Tagebuch, S. 30. Die Aufzeichnungen dieses Georg Heinrich Barckhausen, ein Kompaniechef des bataillon des princes, sind für die vorliegende operationsgeschichtliche Abhandlung eine unverzichtbare Quelle, da sein ausführliches Tagebuch die

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Leider lassen sich die Kommunikationswege aus den Quellen nicht mehr genau rekonstruieren und ob v. Gebsattel via Reigersberger, dem würzburgischen Gesandten in Paris, direkt beim Kriegsministerium intervenieren ließ, muss offen bleiben573. Aber bereits drei Wochen nach v. Gebsattels Bitte teilte das französische Kriegsministerium überraschend der MOK in Würzburg mit, dass ab dem 1. Februar Soldzahlungen der Truppen im Einsatz vom französischen Finanzministerium vorgeschossen und vor Ort durch die Payeurs der französischen Armee ausbezahlt werden würde. Damit war das IR erstmals von der direkten finanziellen Abhängigkeit der MOK losgelöst. Es bedeutete naturgemäß aber auch, dass das MOK nicht mehr nur die taktische Führung an die Franzosen abgab, sondern jedwede Kontrolle über das IR einbüßte. Der Drang zur Assimilation wurde deshalb auch immer weiter fortgetrieben. Marschierten die Würzburger nicht südwärts, hatten sie sich in den jeweiligen Etappenorten im ihnen unbekannten französischen Exerzierreglement zu üben, was bisher nach wie vor auf österreichische Art geschah574. Unterwegs hatte das IR wie alle Rheinbundtrup­ pen jeweils die »Revue vor dem Sous-Inspekteur«575 zu passieren, bevor es in die Quartiere ging. Am darauffolgenden Tag sollte ›Scheibenschießen‹ die Treffgenauigkeit v. a. der Voltigeure verbessern, was nur von erneutem Exerzieren abgelöst wurde, wenn nicht eine weitere Marschstrecke zu bewältigen war. Auch ohne feindlichem Feuer ausgesetzt zu sein, ermüdete dieser rastlose und kräftezehrende Arbeitsalltag die Soldaten zunehmend. Nur eine Woche blieb dem IR in Metz Zeit, bis der Befehl, sich in Bordeaux einzufinden, beim Stab einging und die Hoffnungen der Truppe, doch nicht nach Spanien zu müssen, zunichtemachten576. Auf dem Marsch dorthin, in Melun, wurde am 19. Januar 1809 der Befehl Napoleons jedoch insofern erneut abgeändert, dass das Regiment nun

spärlichen Berichte des Würzburger IR-Stabes ergänzen können und zudem gerade wegen seiner objektiveren Außensicht auf die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg besondere Beachtung verdient. 573 Einziger vieldeutiger Hinweis findet sich in einem Brief Seufferts an Hirsinger vom 18. März 1809, in dem Seuffert der Rolle des in Spanien angekommenen IR bereits einen hohen Stellenwert innerhalb der ganzen Spanienarmee zu attestieren versucht und schreibt, dass das IR »porte déjà les marques distinctives employées dans l’armée françoise, et Colonelle Gebsatell est le ministre de la guerre même devenu très connu personnellement.« So in  : Seuffert an Hirsinger, Würzburg 18. März 1809, in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, S. 258. 574 Das beweist Barckhausens Tagebuch  : »Am 30. Dezember kam ein Großherzoglich Würzburgisches Regiment, 1700 Mann stark, in Metz an und wurde daselbst bis auf weitere Ordre in die Kasernen gelegt. Dieses Regiment war schon ganz auf französischen Fuß organisiert, nur das Exercieren und die Uniform waren noch auf österreichische Art«. So in  : ebd., S. 29. Obwohl Schuster, Infanterieregiment, S. 5 von abgeschlossener Formation nach französischem Muster spricht. 575 Vgl. Barckhausen, Tagebuch, S. 33. 576 Vgl. Schuster, Infanterieregiment, S. 5.

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Perpignan zum Bestimmungsort habe577, womit von diesem Zeitpunkt an feststand, dass die Würzburger nicht dem Gros der napoleonischen Truppenverbände folgend an den Feldzügen im Norden, in Zentralspanien und Portugal teilnehmen würden. Vielmehr sollten sie die linke Flanke der Hauptarmee durch die Bewachung der Mittelmeerküsten decken. Damit waren sie am Nebenschauplatz in Katalonien dem VII. Armeekorps zugeteilt worden und sollten unter dem französischen General Laurent Marquis de Gouvion Saint-Cyr (1764–1830) stehen578. Die drei Einsatzbefehle, die Napoleon an ihn ausgab, sollten daher auch für die Würzburger Streitkräfte in Spanien gelten. Sie zielten in erster Linie darauf ab, dem in Barcelona mit einem Expeditionsheer eingeschlossenen General Guillaume Philibert Duhesme (1766–1815) beizustehen, dann auf Kosten des Feindes bedeutende Magazine in Figueras anzulegen und schließlich die Aufständischen in den Gebirgstälern der Pyrenäen zu unterwerfen579. Um Ersteres bewerkstelligen zu können, sollte neben anderen Befestigungen die spanische Festung Gerona, die die wichtige Versorgungsverbindung zwischen Frankreich und Barcelona abschnitt, auf Wunsch des Kaisers endlich übernommen werden580. Den französischen Kommandierenden glich dieses Unternehmen einem unmöglichen Himmelfahrtskommando. Kurz vor Ankunft der Würzburger Anfang März 1809 beklagte sich Saint-Cyr schwer bei seinem Vorgesetzten über seinen Auftrag. Zu wenige 577 Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 297, Anm. 3. und Grosch, Geschichte, S. 216. 578 Dieser hatte im Verlauf des Jahres 1808 das in Barcelona eingeschlossene Expeditionskorps von Guillaume Philibert Duhesme (1766–1815) befreit und die spanischen Truppen hinter den Ebro zurückgedrängt. Bei der Schlacht von Igualada am 18. Februar 1809 waren die Streitkräfte Würzburgs dementsprechend noch nicht dabei. Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 279. Zur wechselhaften Operationsgeschichte vor Eintreffen der Würzburger in Katalonien Esposito, A military History, Maps 86–91. Generell ist aber festzuhalten, dass die Franzosen sich selbst in einer Situation wiederfanden, in der sie Spanien seit 1808 »from inside out« zu erobern hatten. Vgl. Charles J. Esdaile  : Fighting Napoleon. Guerrillas, bandits and adventurers in Spain, 1808–1814. New Haven 2004, S. 29. Daher agierten die Würzburger, im Nordosten eingesetzt, wie in einer Exklave abgeschnitten von der französischen Hauptarmee. 579 Vgl. Alexander an Saint-Cyr, o.O., o.D., Laurent Gouvion Saint-Cyr, Marquis de/Franz Xaver Rigel  : Tagebuch der Operationen der Armee von Catalonien in den Jahren 1808 und 1809, unter den Befehlen des Generals Gouvion Saint-Cyr oder Beiträge zur Geschichte des Spanischen Krieges. Karlsruhe u. a. 1823, ed. im Anhang Nr. 7, S. 371. Barcelona war dabei die einzige Mittelmeerküstenstadt, die Napoleon unter allen Umständen zu halten versuchte, wenn es schon nicht gelang, die englische Flotte von der restlichen Küste abzuhalten. Vgl. Michael Broers  : Napoleon’s other war. Bandits, rebels and their pursuers in the age of revolutions. Oxford 2010, S. 109. 580 Vgl. Verdier an Staint-Cyr, Gerona, 15. Mai 1809, zit. nach  : Laurent Gouvion Saint-Cyr, Tagebuch, ed. als Anhang Nr. 29, S. 466. Die beiden Angriffe vom 20./21. Juni und vom 24. Juli–16. August 1808 unter Duhesme konnte die stark befestigte Stadt bereits abwehren. Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 261, 265. Die Eroberung Geronas war als konzertierte Aktion mit der Behauptung der Festungen Hostalric, Figueras im Landesinneren und Rosas an der Küste geplant, um die Verbindung Frankreich-Barcelona abzusichern. Vgl. Laurent Gouvion Saint-Cyr, Tagebuch, S. 28f.

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Soldaten seien bisher für einen erneuten Angriff auf Gerona verfügbar, und wenn, seien sie »aus zu vielen Nationen zusammengesetzt«, »ohne Sold, ohne Schuhe und großen Theils ohne Kleidung«581 und deshalb unzuverlässig, das Land sei bereits seit zwei Jahren von durchziehenden Truppen völlig ausgelaugt, weshalb die Nahrungsmittelversorgung nahezu völlig ausbleibe, während hingegen der Feind über gut ausgerüstete, wohlgenährte Landeskinder verfüge. Selbst mit »dem besten Willen von der Welt«582 sei eine Einnahme der Festung unter diesen Bedingungen unmöglich. In dieser militärischen Lage kamen die großherzoglichen Streitkräfte am 13. März 1809 in Sichtweite der Pyrenäen nach ca. 1.500 km Marsch durch Frankreich ausgezehrt an, »wo man nicht das Mindeste umsonst erhalten«583 hatte. Machten sie auf Beobachter in Metz noch den Eindruck, dass »kein französisches Linienregiment dieses übertreffen«584 könne, litten sie trotz des Versorgungsversprechens des französischen Kriegsministeriums in der Etappe bereits an Hunger und es fehlte ihnen im ungewöhnlich nasskalten Frühjahr nun dringend an neuen Schuhen und Mänteln – erneut mit Auswirkungen auf die Disziplin der Truppe585. Was die Regimentsgeschichten geflissentlich übersehen  : Die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg verhielten sich in ihrer Zwangslage keineswegs vorbildlich, auch wenn das die Regimentsberichte v. Gebsattels ebenfalls glauben machen wollen586. Auf dem Marsch nach Perpignan kam es offenbar zu einigen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Gastgebern und würzburgischen Soldaten. Ob die Qualität der Nahrungsmittel und deren horrende Kosten zu »Streit und Prügelei mit den Wirthen«587 führten oder das Unvermögen des Quartiermaître Bils, die Kosten ordentlich zu kalkulieren und mit den zuständigen Offizieren abzusprechen, wie es die MOK vermutete588, muss offenbleiben. Festzuhalten ist jedoch, dass die Kommunikation zwischen der fran581 Saint-Cyr an Alexander, Valls, 6. März 1809, zit. nach  : ebd., ed. als Anhang Nr. 27, S. 457–463, hier 461f. 582 Ebd., S. 460. 583 Schuster, Infanterieregiment, S. 7. 584 Barckhausen, Tagebuch, S. 29. 585 Vgl. Schuster, Infanterieregiment, S. 6. 586 »Das Benehmen des Regiments in diesen Tagen hat den ungeteilten Beifall aller Chefs, insbesondere des Brigadegenerals erworben. Die Teuerung hat den höchsten Stand erreicht.« So in  : Oberst v. Gebsattel an die MOK, Camdura, 12. Mai 1809, zit. nach  : ebd., S. 8. 587 Barckhausen, Tagebuch, S. 44. 588 Der kurzen Erwähnung angeblicher Exzesse in der Etappe und der Verdächtigung von Bils wird im MOK-Sitzungsprotokoll gleich eine Nachricht von Reigersberger aus Paris beigegeben, dass »die gute Mannszucht des großherzoglichen Regiments aller Orten gerühmt werde«. Reigersberger empfahl der MOK demnach außerdem »dem Regimente die höchste Zufriedenheit Seiner kais. u. königl. Hoheit bekannt zu machen und dasselbe zur Fortsetzung dieses Ehre bringenden Betragens aufzumuntern«, was von der MOK zu diesem Zeitpunkt vielsagend unterlassen wurde. So in  : StAWü, MOK 12, S. 242.

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zösischen und den rheinbündischen Armeen weniger gut gelang, als man offiziell zugeben wollte589. Die Leidtragenden waren die Soldaten des würzburgischen IR, das ohne Pause von Etappe zu Etappe geschickt wurde, weil kein französischer Befehlshaber sie länger bei sich haben wollte590. Auch wenn bereits in Perpignan die ersten krank im Lazarett zurückbleiben mussten591, verschlimmerte sich die Versorgungslage jenseits der Pyrenäen jedoch noch spürbar. Die Ressourcen der ohnehin dürftigen Besiedelung in dieser kargen Gebirgslandschaft waren durch anhaltende Durchmärsche verschiedener Truppen komplett aufgebraucht592. Der zusammenbrechenden Versorgung der französischen Armee versuchte man schon vor Ankunft der Würzburger mit Plünderungen Herr zu werden, die gleichzeitig die bereits häufig beschriebene, und von Franciso de Goya treffend bebilderte Spirale der Gewalt aus Terror und Gegenterror lostrat593. Die grausamen Berichte über das bisher noch nicht gekannte Ausmaß von Gewalt verbreitete große Angst in den Reihen der nachrückenden Kontingente594. Offenbar auch alleine das Aussehen der stark dezimierten Kontingente, die sich zur Wiederaufrüstung nach Frankreich zurückzogen, 589 Ein Befund, der sich generalisiert findet bei Poßelt, Die Grande Armée, S. 155f. 590 »Das Regiment Würzburg hat gleich nach seiner Ankunft [in Perpignan, Anm. d. Verf.] von hier nach dem letzten franz. Orte weiter marschieren müssen, weil der General, wegen mehrerer auf dem Marsche begangenen Exzesse, es nicht hier behalten wollte.« So in  : Barckhausen, Tagebuch, S. 47. 591 Vgl. ebd., S. 49. 592 Vgl. John Lawrence Tone  : Partisan Warefare in Spain and Total War, in  : Roger Chickering/Stig Förster (Hg.)  : War in an age of revolution, 1775 – 1815. Cambridge 2010, S. 243–259, S. 259. 593 Zum oft fehlinterpretierten sogenannten »Guerillakrieg« in Spanien allgemein  : Martin Rink  : Vom kleinen Krieg zur Guerilla. Wandlungen militärischer und politischer Semantik im Zeitalter Napoleons, in  : Thomas Jäger/Rasmus Beckmann (Hg.)  : Handbuch Kriegstheorien. Wiesbaden 2012, S. 359–370, der vor allem die semantische Verschiebung der Begriffe ›Volkskrieg‹ und ›Guerilla‹ treffend thematisiert  ; zur kritischen Einschätzung eines keineswegs flächendeckenden Phänomens, Tone, Partisan Warefare  ; Tones Beitrag ergänzt das Buch, Broers, Napoleon’s other war, wobei besonders das Kapitel 5 die Entstehungsgeschichte der Guerilla in den Blick nimmt, S. 105–127. überblicksartig  : Thomas Kolnberger  : Der Aktionsraum eines »Partisanen der Tradition«. Spanische Guerillia und Tiroler Freiheitskampf in napoleonischer Zeit, in  : Thomas Kolnberger (Hg.)  : Krieg in der europäischen Neuzeit. Wien 2010, S. 166–189  ; Ludolf Pelizaeus  : Die Radikalisierung des Krieges der »Guerilla« auf der Iberischen Halbinsel und in Süditalien 1808–1813, in  : Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hg.)  : Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Paderborn 2008, S. 205–222  ; Esdaile, Fighting Napoleon  ; Spanisch  : Ronald Fraser  : La maldita guerra de España. Historia social de la guerra de la Independencia 1808–1814. Barcelona 2006  ; Jean-René Aymes  : La guerra de la independencia en España (1808 – 1814). Madrid 1986  ; nach wie vor grundlegend  : Rainer Wohlfeil  : Der Volkskrieg im Zeitalter Napoleons, in  : Wolfgang von Groote (Hg.)  : Napoleon I. und das Militärwesen seiner Zeit. Freiburg 1968, S. 105–122. 594 Ein französischer Soldat thematisierte in einem Brief nachhause treffend die allgegenwärtige Angst, die durch die grausamen Kriegserlebnisse noch verschlimmert wurde  : »Plus de batallies comparables à celles d’Eylau et de Friedland, mais des combats tous les jours  : partout des assaillants invisibles, semés par milliers derriére les buissons, au fond des ravins, embusqués à l`angle de chaque mur […] Tout était à redouter, même

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erschreckten die Neuangekommenen zutiefst595. Alleine im Monat April desertierten aus den Reihen des würzburgischen IR 14 weitere Soldaten, bis die übrigen Soldaten das Hauptquartier des VII. Korps in Figueras erreichten596. Im Einsatz

Dort übernahm der Elsässer François Pierre Amey (1768–1850) den Brigadebefehl über die IR aus den Großherzogtümern Würzburg und Berg (IR-Berg mit ca. 3.000 Mann) sowie über das Bat. des princes mit ca. 900 Soldaten unter dem Namen ›deutsche Brigade‹597. Im Rahmen des gesamten Operationsverbands gesehen, verdeutlicht sich allerdings der numerisch schwache und tatsächlich militärisch nahezu unbedeutende Stellenwert der Würzburger Truppen im nordöstlichen Spanien. In Katalonien standen im ersten Quartal 1809 ca. 49.000 Soldaten, in 71 Bat. und 15 Esk.598. Elf Bat. befanden sich unter Duhesme als Garnison in Barcelona, 30 Bat. waren als mobiles Corps in drei Divisionen eingeteilt, wovon nahezu alle dieser ca. 18.000 Soldaten Italiener, Toskaner, Genueser, Neapolitaner und Päpstlicher Truppen waren599. Hinzu kam eine Division von ca. 7.000 Neapolitanern in zehn Bat. Die ausschließlich zur wiederholten Belagerung Geronas bestimmten Einheiten aus dem VII. Korps unter Saint-Cyr unterstanden zunächst Graf Honoré-Charles-Michel-Joseph Reille (1775–1860), welcher damit über insgesamt 23 Bat. mit ca. 18.000 Männern gebot600. Die nummerischen Aufstellungen und die Ordre de Bataille dieser Belagerungstruppen Reilles lassen zwei Aspekte besonders deutlich in den Vordergrund treten  :

l’hôte qui vous prêtait son toit.« Zit. nach  : Alan Forrest  : Napoleon’s Men. The Soldiers of the Revolution and Empire. London 2002, S. 124. 595 So hatte das Regiment Toskana aus Spanien, »durch Affairen und Krankheiten von 1500 Mann über 1000 Mann verloren. […] Vielleicht hat mein letztes Stündlein geschlagen, wenn Du dieses erhältst, denn die Feindseligkeiten werden bei unserem Eintritt in Catalonien anfangen und die Grausamkeit der Spanier sind, nach dem, was wir schon davon gehört und gesehen haben, ohne Grenzen«. So in  : Barckhausen, Tagebuch, S. 51, auch S. 53. 596 Zahlen aus StAWü, H.V. MS, f., 168, S. 1. 597 Vgl. Barckhausen, Tagebuch, S. 45f. 598 Hermann von Staff  : Der Befreiungs-Krieg der Katalonier, in den Jahren 1808 bis 1814. Breslau 1821, S. 174. 599 Vgl. Laurent Gouvion Saint-Cyr, Tagebuch, S. 28. 600 Das Belagerungskorps wurde vom Rest des VII. Korps mit 18.000 Männern gedeckt. Staff, Der Befreiungs-Krieg, S. 174. Teile der 6. Inf.-Div. rechnet von Staff doppelt. Daher wohl eher 16.000 Soldaten wie bei Smith, Napoleonic Wars, S. 337.

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Tabelle Ordre de Bataille der Belagerung Geronas601 4. Inf.-Div. u. Div.Gen. Jean-Antoine Verdier

Westfälische Inf.-Div. u. Div.Gen. Joseph Antoine Morio (ca. 6000 Mann602)

6. Inf.-Div. u. Div.Gen Guiseppe Lechi (ca.3000 Mann)

1. Brig. u. Brig.Gen. Dominique Joba (ca. 3.400 Mann603)

1. Brig. u. Brig.Gen. Johann David Börner

Vélites de la garde (1 Bat.)

32. frz. Leichtes IR (1 Bat.)

2. IR Westfalen (2 Bat.)

5. IR Italien (2 Bat.)

2,. 16., 56. frz. IR (je 1 Bat.)

4. IR Westfalen (2 Bat.)

1. IR Neapel (2 Bat.)

2. Brig. u. Brig.Gen. François Pierre Amey (ca. 5.600)

2. Brig. u. Oberst Adam Ludwig Ochs

2. IR Neapel (2 Bat.)

IR Würzburg (2 Bat.) (ca. 1700 Mann)

2. IR Westfalen (2 Bat.)

1. IR Berg (2 Bat.) (ca. 1.500 Mann)

1. Leichtes IR Westfalen (1 Bat.)

2. IR Berg (2 Bat.) Bat. des princes (1 Bat.) (900 Mann)

Auffällig an der Truppengliederung in Katalonien ist, dass die Franzosen mit ihren zwölf Bat. im Jahr 1809 nur einen kleinen Anteil von den aus Sicht der Spanier ›französischen Besatzern‹ Kataloniens stellten – genauso gering ist der Anteil genuin französischer Truppen vor Gerona. Daraus lässt sich auch der Stellenwert ablesen, den man den Rheinbundkontingenten französischerseits generell beimaß  : Ihnen, nicht den französischen Truppen, mutete man hauptsächlich die von Saint-Cyr noch im Monat zuvor als unlösbar beschriebene Aufgabe der Belagerung von Gerona zu. Des Weiteren ist ersichtlich, dass mit ihren ca. 1.700 tatsächlich noch in Spanien Angekommenen der würzburgische Anteil an den in Katalonien eingesetzten Truppen mit knapp 3 % in taktischer Hinsicht fast zu vernachlässigen war. Selbst in den Belagerungslinien vor Gerona brachten sie es nur auf knapp 10 %, damit also eher kein »hervorragender Anteil«604, wie die Regimentsgeschichte Glauben machen möchte. In den Augen ihrer französischen Befehlshaber dürfte das nummerische Argument allein also bereits zu wenig Potential besessen haben, um auf eventuelle Petitionen des Würzburger IR-Kommandos nach besserer Versorgung, Unterbringung oder anderer Verwendung besonders Wert legen zu müssen. Die Würzburger hatten auch deswe601 Aufstellung nach ebd., S. 337. Hier wird allerdings von 24 Bataillonen gesprochen, wobei die aus verschiedenen Truppenteilen zusammengesetzte Artillerieeinheit mit insgesamt 38 Kanonen irreführend als ein Bataillon aufgefasst wurde. 602 Staff, Der Befreiungs-Krieg, S. 171. 603 Vgl. Zahlen abzüglich 1 Bataillon Walliser und ein weiteres französisches Bataillon. Ebd., S. 170. 604 Schuster, Infanterieregiment, S. 7. Diese fehlleitende Einschätzung von Schuster ist im Übrigen wörtlich übernommen bei Chroust, Die Geschichte, S. 297.

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gen kaum Möglichkeiten auf Einflussnahme auf taktische Überlegungen im Einsatz. Die Kontrolle hatte nicht das IR-Kommando, sondern die übergeordneten Chargen, i.d.R. die Franzosen. Dies darf im Folgenden nicht außer Acht gelassen werden, wenn gezeigt werden soll, wie und wofür Würzburgs Streitkräfte in Katalonien verwendet wurden. Denn es scheint an dieser Stelle eher erkenntnisfördernd, losgelöst von der Chronologie die Einsatzziele, mit denen die französischen Befehlshaber das IR Würzburgs betrauten, sowie deren Begleitumstände näher in den Blick zu nehmen, statt die bereits bekannte Ereignisgeschichte der Belagerung Geronas vom 8. Mai bis 10. Dezember 1809 und ihre Einsätze danach im katalanischen Hinterland bis 1813 wiederholen zu müssen605. Bei Durchsicht der Quellen und der Regimentsgeschichten fällt vor allem auf, dass die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg genauso wie 1806/07 wenig für konventionelle Feldschlachten gegen reguläre spanische Truppen verwendet wurden. Die französische Armeeführung bediente sich dabei eher der eigenen, vermeintlich verlässlicheren Truppen606. Das war allerdings auch der militärischen Lage in Katalonien in den Jahren 1809–1813 geschuldet. Im zweiten Jahr nach Ausbruch des Krieges hatten sich die verbliebenen regulären spanischen Truppen zunehmend in Städten und Festungen verschanzt, um die französischen Nachschublinien zu blockieren607. Die französische Armeeführung erkannte das schon bald als das taktische Hauptproblem in Katalonien, weil »diese Provinz die einzige in Spanien ist, welche durch Kunst vollständig befestigt erscheint  ; überall ragen Festungen, mehrere von erstem Range, alle in wohlgewählten Lagen, wo die Natur das meiste gethan«608. Eine dieser Festungen war die Stadt Gerona, die im Talkessel gelegen und von einigen bedeutenden Nebenwerken, vor allem aber durch das Fort Montjuich geschützt wurde609. 605 Dies leisten Regiments- und Kriegsgeschichten detailliert, allerdings verklärend unkritisch  : Staff, Der Befreiungs-Krieg, Schuster, Infanterieregiment, Grosch, Geschichte, S. 215–239. Die tabellarische Übersicht der Ereignisgeschichte im Anhang als Dokument XLV sowie als Karte zur Belagerung Geronas als Dokument XLVI. Die Marschroute des IR in Spanien findet sich zum besseren Verständnis als Dokument XLVII. 606 Über das Verhältnis der französischen Kommandeure zu den Fremdtruppen in der Grande Armée vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 64–67. 607 Vgl. Wohlfeil, Der Volkskrieg, S. 114. 608 Laurent Gouvion Saint-Cyr, Tagebuch, S. 18. 609 Im Anhang Karte zur Belagerung Geronas als Dokument XLVI. Die Stadt Gerona war nicht nach zeitgemäßer Art bastioniert, größtenteils umgab sie ein zehn Meter hoher, mittelalterlicher Bering, nur im Norden waren die Mauern sukzessive ausgebaut und mit Rondellen und Bastionen neuerer Art bewehrt worden. Allerdings deckten die Stadt vier schwer zugängliche und nach neuester Manier bastionierte Höhenforts  : das Fort des Capucins, Fort du Connétable und Fort de la Reine Anna auf einer Anhöhe im Süden der Stadt und dem heute noch erkennbaren und stark bastionierten Fort Montjuich im Norden. Insgesamt sicherten 168 Kanonen diese Werke vor den Belagerern. Allgemein zu den Fortifikationswer-

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Wie gesagt, die dringlichste Aufgabe in Napoleons Augen war die freie Verbindungslinie aus Frankreich nach Barcelona, die diese Festungsstadt blockierte, weswegen deren Eroberung oberste Priorität hatte610. Der Sturm dieser Festung, der bereits zwei Mal gescheitert war, sollte daher möglichst schnell erfolgen, trotz aller Bedenken der Befehlshabenden vor Ort611. Für diese befürchtet aussichtslose Aufgabe verwendete man vornehmlich die Fremdtruppen, allen voran die des Rheinbunds. An allen Bestürmungen, sei es auf das Fort Montjuich, die Außenwerke oder die Stadtbefestigung Geronas selbst, hatten Abteilungen des Würzburger IR zentrale Aufgaben zu erfüllen. Zwei Einsatzszenarien lassen sich dabei unterscheiden, der Sturmangriff in Kolonne und der Angriff in kleinen eigengeführten Detachements. Bei Ersterem waren, nach einer vorausgegangenen Breschierung, sei es durch massierten Artilleriebeschuss durch die vorhandenen zwanzig 24-pfünder Belagerungsgeschütze wie er beim »Halbmond«, einem Außenwerk des Forts Montjuich, vorgenommen wurde612, oder durch eine lange vorbereitete Minierung, wie sie an der Hauptmauer an der Nordostseite des Forts unternommen wurde613, jeweils die Würzburger Grenadiere »immer an der Tête«614 und ken im Stile von Marquis Sébastien Le Prestre de Vauban (1633–1707), die sich in napoleonischen Zeiten nicht wesentlich änderten  : Vgl. Hartwig Neumann  : Festungsbau-Kunst und -Technik. Erftstadt 2004, S. S. 132–144  ; außerdem Robert B. Bruce/Iain Dickie/Kevin Kiley/et. al.: Fighting techniques of the napoleonic age. 1792–1815. Equipment, Combat Skills, and Tactics. New York 2008, S. 200  ; allgemein ist festzuhalten, dass sich die Belagerungskämpfe zu Zeiten Napoleons nicht wesentlich von denen der Frühneuzeit unterschieden. Zu Taktik und Ablauf grundlegend  : Hagen Haas  : Belagerungskrieg  : Absolutistische Festungsstädte im Ausnahmezustand, in  : Thomas Kolnberger (Hg.)  : Krieg in der europäischen Neuzeit. Wien 2010, S. 289–318  ; zu Gerona  : Smith, Napoleonic Wars, S. 337. 610 Je länger sich außerdem die Festungsstadt des französischen Zugriffs erwehrte, desto länger waren die Kräfte des VII. Armeekorps im Nordosten Spaniens gebunden, die dringend im Südwesten gegen die Engländer gebraucht worden wären. Vgl. Laurent Gouvion Saint-Cyr, Tagebuch, S. 28f. 611 Saint-Cyr kritisierte die Entscheidung Napoleons einer Eroberung Madrids den Vorzug zu geben, statt Katalonien, als »Vormauer Spaniens«, zum Hauptangriffspunkt zu wählen. Nur dort könne Spanien gewonnen werden, so müsse er aber in zu kurzer Zeit unlösbare Aufgaben mit unzureichenden Mitteln lösen. Resigniert schrieb er  : »In dem Maße, wie der nun beginnende Feldzug, sich nach seinen Begebnissen entwickeln wird, wird man sich immer mehr in dem Gedanken bestärken, daß Napoleon bei seiner ungeheueren Macht schwach genug war, keinen Erfolg zu wünschen, der nicht durch ihn selbst oder unter seinen Augen gewonnen ward. So in ebd., S. 24ff., hier S. 25. Außerdem sein Beschwerdebrief an Alexander, der sich angesichts der Befehle Napoleons nahezu wie eine Befehlsverweigerung lesen lässt  : Ebd. ed. als Anhang Nr. 27, Saint-Cyr an Alexander, 6. März 1809. Gerona wurde schon vom 20. bis 21. Juni 1808 und vom 24. Juli bis 16. August 1808 von französischen Truppen berannt. 612 Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 166, auch bei Schuster, Infanterieregiment, S. 8  ; Grosch, Geschichte, S. 220. Zur taktischen Komponente des Belagerungskrieges zu Napoleonischen Zeiten  : Bruce u. a., Fighting techniques, S. 197–211. Hinzu kamen außerdem noch 20 Mörser und 24 der 16-pfünder Kanonen. Vgl. Staff, Der Befreiungs-Krieg, S. 181  ; Anton W. Bucher  : Tagebuch der Belagerung von Gerona im Jahr 1809. Als Erläuterung zum Plane dieser Festung. o.O. 1812, S. 16. 613 Vgl. Staff, Der Befreiungs-Krieg, S. 197. 614 Hans Leher  : Die Würzburger in Spanien, in  : Das Bayerland 1 (1890), S. 4–7, S. 6.

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Teil der ersten Reihen der zentralen Sturmkolonnen615. Eingereiht neben anderen Soldaten aus der ›deutschen Brigade‹ stürmten sie mit aufgepflanztem Bajonett meist in den frühen Morgenstunden die Bresche hinauf616. Allerdings kamen die Verteidiger des Forts Montjuich beide Male dem Überraschungsangriff zuvor und hatten das Geröll, das durch die Breschierung entstanden war – offenbar unbemerkt – wegräumt, sodass die angreifenden Würzburger nach kurzer Attacke über die verbliebene Rampe noch immer vor einem unüberwindlichen Mauerrest Opfer der die Flanken bestreichenden Geschütze wurden617. Beim Sturmangriff des 8. Juli musste tatsächlich »der Weg über Wälle und Gräben spanischer Festungen […] erst mit Leichen gefüllt«618 werden, damit nachrückende Würzburger auf den Körpern ihrer Gefallenen einen erneuten Sturm versuchen konnten, der dennoch im Feuer der Belagerten scheiterte. Eine solch hartnäckige Verteidigung einer bereits geschlagenen Bresche war dabei überaus selten, denn für gewöhnlich zogen sich die Verteidiger zurück oder waren zu Kapitulationsgesprächen bereit619. Ganz anders im Falle Geronas, wo Mariano Alvaréz an den Patriotismus und die Treue zum König der Geronesen appellierend schwor, die Festung »bis zum letzten Blutstropfen«620 zu verteidigen und die Todesstrafe über jeden verhängte, der es wagen sollte, überhaupt von Kapitulation zu sprechen. Der auch durch die Ortsgeistlichkeit 615 So am 8. Juli und am 4. August 1809. Zur Sturmtaktik allgemein  : Griffith, Paddy/Dennis, Peter/Windrow, Martin  : French Napoleonic infantry tactics 1792–1815. Oxford 2007, S. 34. 616 Vgl. Staff, Der Befreiungs-Krieg, S. 185  ; Grosch, Geschichte, S. 220. Man hatte aufgrund des vermeintlichen Überraschungsangriffs den Sturmtruppen befohlen, nicht zu schießen, sondern »Alles mit dem Bajonett auszumachen«. So in  : Bucher, Tagebuch, S. 17. 617 »Kanonen und Gewehrkugeln, Bomben, Granaten, Kartätschen, Steine und Balken alles fiel wie ein Regen über die Mauern und wenn eine Kompagnie auf die Mauern gelangte so wurde sie hier so empfangen, dass nur wenige oder Blessierte zurückkamen. Das Gemetzel [8. Juli, Anm. d. Verf.] war mit einem Wort schrecklich«, erinnert sich ein Augenzeuge. So in  : Barckhausen, Tagebuch, S. 73. Bildreich beschriebener Bericht des Sturms vom Fort Montjuic auch bei Franz Morgenstern  : Kriegserinnerungen des Obersten Franz Morgenstern aus westfälischer Zeit. Herausg. von Heinrich Meier. Wolfenbuettel 1912, S. 23–26. 618 Leher, Die Würzburger, S. 6. 619 Vgl. Haas, Belagerungskrieg, S. 309. 620 »Bewohner von Girona, die Feinde maßen sich zum dritten Mal an, eure Kräfte auf die Probe stellen zu wollen  ; zudem maßen sie sich an, diese Stadt durch Verrat zu erobern  ; aber ich, der ich aus Erfahrung euren Patriotismus kenne, euren Wert und eure Treue, die ihr für Ferdinand VII. habt, ich bin ohne den geringsten Zweifel sicher, dass ihr mich in meiner festen Entschlossenheit begleitet, mit der ich diesen Platz bis zum Verlieren meines letzten Tropfen Blutes verteidigen werde  : Ja, Gironesen, die ganze Nation ist von eurer Gefolgschaft abhängig und ich bin der Glücklichste, da ich unter euch sein kann  ; Trotzdem, um jegliche Intrige [gemeint ist wohl feindliche Propaganda] aufzuhalten, die der Feind versuchen könnte, um in die Festung irgendetwas Böses einzuführen  : Im Fall, dass sich die Feinde vor ihr [der Festung] zeigen, verhänge ich die Todesstrafe auf jede Person, von welchem Stand, Dienstgrad oder Verfassung auch immer, wenn sie die Frechheit besäße, den Wunsch nach Kapitulation zu äußern. Girona 1. April 1809, Eigene Übersetzung, nach  : Aus  : http://www.pedresdegirona.com/historia_guerra_frances_1. htm ] [zuletzt abgerufen 01.08.2021].

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propagandistisch aufgeheizte, ungewöhnliche Verteidigungswille zeigte sich den Angreifern als neuartige Totalisierung von Krieg621. Pikant an diesen Sturm-Einsätzen der Würzburger ist die Tatsache, dass ihnen nach der Sprengung oder dem konzentrierten Artilleriebeschuss stets eigentlich eine gründliche Bewertung der Gangbarkeit der Bresche durch Inspecteurs der französischen Genie-Abteilung vorausgegangen wäre622. Ob allerdings die Forderung des Kaisers nach schnellen Erfolgen die Vorsicht vergessen ließ, ist quellengestützt heute nicht mehr zu beweisen. Fakt ist jedoch, dass in beiden Fällen der französische Korpsstab unter SaintCyr die Inspektionsergebnisse noch in der Nacht des Angriffs beriet und den Sturmbefehl dann sofort an den Divisionsstab weitergab, der wiederum Zeitpunkt und Ort, an dem sich die Truppen in Kompaniestärke einzufinden hatten, an die Kompaniechefs befahl623. In der gleichen Nacht erfolgte dann der Sturm durch die ›deutsche Brigade‹ ohne stichhaltige Prüfung. In ihren Überlegungen blieben die Rheinbundregimenter wohl nur eine namenlose, verfügbare Masse, mithilfe derer man das Risiko zu scheitern auch wagen konnte. Überhaupt blieb der Stab aus Würzburg von all diesen operativen Entscheidungen ausgeschlossen, was aber nicht zu (aktenkundigen) Differenzen zu führen schien624. Nicht etwa also v. Gebsattel oder sonst eine höhere Charge aus dem Regimentsstab führte die Truppen in den Sturmangriff. Meist befehligte ein französischer Offizier, oder einer aus Berg, die Soldaten Würzburgs nicht in Regiments- oder Bataillonsstärke, sondern lediglich einzelne Kompanien oder Detachements im direkten Gefecht, wie beispielsweise beim Angriff auf das Kloster St. Daniel625. Als die Sturmangriffe – am 19. September auch auf den westlichen Stadtbering Geronas626 – jeweils scheiterten, sah der 621 Am 10. Juli schrieb Oberst v. Gebsattel an die MOK  : »Nach dem bisherigen Verhalten der feindlichen Garnison, die von der Geistlichkeit dirigiert wird, ist wohl anzunehmen, dass sie lieber unter dem Schutt ihrer Forts und der Stadt sterben, als solche ausliefern will.« Zit. nach  : Schuster, Infanterieregiment, S. 8. 622 Dabei galten die französischen Genie-Abteilungen als die bestausgebildetsten in ganz Europa. Vgl. Bruce u. a., Fighting techniques, S. 200f. 623 Vgl. Staff, Der Befreiungs-Krieg, S. 195. 624 Der IR-Stab hielt sich während der Belagerung im 6 km entfernten Campdorà, dem Artilleriereservepark auf. Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 166. Generell gilt es zu beobachten, dass die Regimentsinhaber der Rheinbundkontingente aus taktischen Besprechungen herausgehalten wurden und sie de facto alle Befehlsgewalt über ihre Truppen den französischen Kommandeuren überließen. Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 153. 625 Sturmangriff am 8. Juli unter Major Hegel (Ghz. Berg)  ; Sturmangriff auf Kloster St. Daniel unter Oberstlt. Maisonneuve (Frankreich), Vgl. P. [unklar] Zimmermann  : Erinnerungen aus den Feldzügen der bergischen Truppen in Spanien und Russland. Düsseldorf 1842, S. 36. 626 Siehe im Anhang Karte zur Belagerung Geronas als Dokument XLVI. Zusammen mit dem 4. IR Westfalen bildete das IR Würzburg die Sturmkolonne am sogenannten Französischen Tor. Vgl. Morgenstern, Kriegserinnerungen, S. 40 f.; Auch diesmal blieb der Sturmangriff im Grunde unvorbereitet und die Breche unzureichend untersucht. Die Würzburger sollten laut Befehl an einer Stelle stürmen, wo in

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Kommandeur der ›deutschen Brigade‹ Verdier darin einen taktischen Fehler  : »[N]icht wegen der Anzahl der Truppen oder der mangelhaften Breschen, sondern lediglich wegen der Beschaffenheit derselben Truppen, die ohne Officiere sind«627. Ob nicht auch die Sorglosigkeit der französischen Armeeführung am katastrophal verlustreichen Misserfolg der Sturmangriffe in Kolonne Schuld trage, sei dahingestellt. Napoleon allerdings wechselte als Reaktion auf die noch immer nicht erfolgte Eroberung Geronas den Korpskommandeur und die Divisionschefs Anfang Oktober aus628. Diese Einsatzart am 8. Juli, am 4. August, am 19. September 1809 brachte jedenfalls die zahlenmäßig größten Verluste auf Seiten der Würzburger Streitkräfte durch Kampfhandlung in Katalonien mit sich629. Erfolgreicher zeigte sich indes jenes Einsatzszenario, bei denen kleinere Detachements, von ihren eigenen Kompaniechefs geführt, ohne Kolonnenformation einen Sturmangriff wagten. In diesem Fall befahl die französische Divisionsführung den Kompaniechefs tags zuvor direkt ein Einsatzziel, das diese mit ihren kleinen Einheiten von 50–200 Mann, nicht immer in Kompanieformation, zu erfüllen hatten. Ausgerüstet mit Sturmleitern und mobilem Feldgeschütz eroberten Würzburger so kleinere und weniger modern bastionierte Außenwerke unter hohem persönlichen Einsatz und Risiko ihrer Truppenführer und Mannschaft. Nach starkem, anhaltendem Artilleriebeschuss konzentrierten sie beim tatsächlichen Angriff ihr Feuer auf die Tore und Brustwehre und stürmten dann die Festungswerke mit ihren flexibleren Einheiten, wodurch den Würzburgern sukzessive die Eroberung der Werke St. Ludwig, St. Daniel und St. Narciß gelang630.

Wirklichkeit ein steiler felsiger Abgrund das Erreichen der Breche unmöglich machte, sie aber heftigem feindlichem Feuer aussetze. Vgl. Bucher, Tagebuch, S. 27f. 627 »Einige Tapfere, an deren Spitze die wenigen noch übrigen Officire standen, haben dreimal die Höhe der Bresche erstiegen  ; allein es unterstützte sie niemand  ; Tod oder Verwundung war ihr Loos«, so weiter in  : Verdier an Saint-Cyr, Saria, 19. September 1809, ed. in  : Laurent Gouvion Saint-Cyr, Tagebuch, S. 529. 628 Ausgetauscht wurden Saint-Cyr gegen Pierre-François-Charles Augereau (1757–1816), Verdier gegen Amey. Vgl. Morgenstern, Kriegserinnerungen, S. 41f. 629 Am 8. Juli alleine verzeichnete das IR 34 Tote, 152 Verwundete. Insgesamt hatten die Belagerer von ca. 4.000 Soldaten der Sturmkolonnen 3.080 Soldaten Tote oder Verwundete zu beklagen. Vgl. Bucher, Tagebuch, S. 19. 630 Die Werke wurden vom 19.–21. Juni erobert. Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 166.

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Die Auszeichnungen von Olt. Valentin Cantler631, Fw. Morasch und Gem.Volt. Georg Saalmüller632, Sergeant Bechthold633 und anderer dieser »Bravsten der Braven«634 mögen zum einen jenen persönlichen Einsatz belegen, sind zum anderen aber auch deutliche Beweise dafür, wie erfolgreich sich die bereits beschriebene französische und würzburgische Auszeichnungspraxis bewährte. Die standesunabhängige Ordensverleihung spornte zur Erreichung der französischen Kriegsziele auch die Soldaten des Großherzogtums Würzburg, freilich unter hohem persönlichem Risiko, zu militärischen Höchstleistungen an635. Den letzten Angriff auf die Festung am 4. Dezember, der wenig später zur Kapitulation der Stadt führen sollte, unternahmen die Belagerer wieder in Kompaniestärke, geführt von den eigenen Offizieren. Hptm. Johann Babtist Cantler bemächtigte sich mit seiner 1. Volt.Komp. alleine des Vorwerks Gironella636, was ihm genauso wie August Adolf Erlée, der sich mit seiner Kompanie in der Vorstadt festsetzen konnte637, den Orden der Ehrenlegion einbrachte. Den Alltag der Würzburger Streitkräfte vor Gerona bestimmten allerdings weniger ruhmversprechende, bei allen Soldaten äußerst unbeliebte Schanzarbeiten, Laufgrabenund Batteriebau, für die vor allem die Rheinbundtruppen herangezogen wurden638. Die gefahrvolle und aufreibende Schwerstarbeit verdeutlicht erneut den Stellenwert der

631 Olt. Valentin Cantler fiel mit 50 Gem.Gren. am 21. Juni in das Fort St. Daniel ein, wofür ihm französischerseits ausdrücklich »un courage et une energíe a toute e preuve« attestiert wurde. An der Spitze seiner Einheit verletzte er sich an Arm und Auge schwer, konnte sich aber dennoch auf der Zugbrücke festsetzen und mithilfe des nachrückenden Würzburger Detachements unter Gallus Nickels das Werk erobern. Er erhielt wie bereits sein Bruder Johann 1807 vor Graudenz noch im Lazarett von Sarrià von der französischen Militäradministration den Orden der Ehrenlegion. Erzherzog Ferdinand beförderte ihn auf Vorschlag der MOK zum Hauptmann. Vgl. BayHStA, Abt. IV, OP 76465. 632 Morasch befehligte den erfolgreichen Angriff auf Fort St. Narciß. Er und Georg Saalmüller drangen als erstes in die Befestigungsanlage ein. Saalmüller erwarb sich als einfacher Soldat das goldene Ehrenzeichen als er das Pulvermagazin des Forts St. Narciß sicherte. Allerdings bedurfte es in beiden Fällen einiger Petitionen durch Oberst v. Gebsattel und einer beratenden Kommission, bis Saalmüller und Morasch erst 1813 die höchste Auszeichnung erhielten. Vgl. Grosch, Geschichte, S. 239. 633 Im Jahr 1815 erhielt Serg. Bechthold nach einigen Eingaben erst 1815 vom bayerischen König die goldene Militär-Verdienstmedaille. Vgl. ebd., S. 219. Bei Michael Büchold dauerte es sogar bis 1824, als er kurz vor dem Tode Erzherzog Ferdinands den St. Joseph-Militärverdienstorden erhielt. Vgl. BayHStA, Abt. IV, OP 76425. 634 Ebd., S. 239. 635 Generell gilt dieser Befund, dass sich die französische Auszeichnungspraxis äußerst positiv auf die Moral der rheinbündischen Soldaten auswirkte. Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 153 636 Vgl. BayHStA, Abt. IV, OP 76463. Die Würzburger Zeitung zitierte den Moniteur und schrieb, die »Bundestruppen und die Italiener [hätten] an diesem Tage Wunder vollbracht«. So in  : WüZ, 29. Dezember 1809, Nr. 209, S. 365. 637 Vgl. BayHStA, Abt. IV, OP 77290. 638 Vgl. Bucher, Tagebuch, S. 20.

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Rheinbundkontingente im Heeresverband, genauso wie die häufig befohlenen Sturmangriffe, mit dem Unterschied, dass es für erstere keine Orden zu gewinnen gab. Vor Gerona mussten die insgesamt zehn Batterien auf felsigen Hügelketten errichtet und die für die Brustwehr notwendigen Sandsäcke im Flusstal des Ter erst mühsam heraufgeschafft werden, was Wochen andauerte639. Zumeist arbeiteten die Würzburger nachts, da tagsüber die Belagerten mit Artillerie oder weitreichendem Gewehrfeuer der spanischen Schützen den Batteriebau versuchten zu verhindern640. Bevor eine Batterie gebaut werden konnte, mussten jedoch durch Schanzkörbe gedeckte Laufgräben angelegt werden, die so breit sein mussten, dass später auch das Geschütz beigebracht werden konnte641. Die Kraftanstrengung dieser gewaltigen Baumaßnahmen erschöpften die Soldaten Würzburgs enorm, was den Krankenstand bereits kurz nach Arbeitsbeginn wesentlich anschwellen ließ642. Die Arbeiten endeten allerdings erst mit der Aufgabe der Stadt am 10. Dezember und wie viele Opfer sie forderten, muss offenbleiben643. Weitaus größere Opferzahlen forderten die Abwehrgefechte feindlicher Angriffe, mit denen sich das IR in Katalonien wesentlich häufiger konfrontiert sah, als dass sie selbst aktiv angriffen. Glaubt man den Regimentsgeschichten, entsteht der falsche Eindruck, dass das Würzburger IR von Beginn unter einem bestialisch geführten, völlig neuartigen ›Volkskrieg‹ litt, bei dem sie sich mit allen und jedem im Kampf befanden644. Eine solche generalisierende Betrachtungsweise ist dabei nur auf einzelne, besonders grausame Vorfälle in den letzten Jahren des Einsatzes verengt645. In den ex post entstandenen Selbstzeugnissen von rheinbündischen Spanienkämpfern wird allerdings bei jeder Feindberührung verallgemeinernd von marodierenden Guerilleros und Brigands

639 Für den Bau der batterie impérial für ca. 40 Geschütze dauerten die Arbeiten vom 22. Juni bis 3. Juli 1809. Vgl. ebd., S. 16. »Die außerordentliche Schwierigkeit dieses langwierigen Unternehmens wurde der Hauptgrund der Vernichtung des Belagerungskorps«, urteilt Staff, Der Befreiungs-Krieg, S. 188. 640 »Unglaublich ist es, auf welche ungeheuer Entfernung die Spanier schießen. Ich war über 1500 Schritte von ihnen entfernt und dennoch brachten sie am Nachmittag hinter einander drei Kugeln in mein Piquet-Feuer, sodass die Soldaten aufsprangen«, so in  : Barckhausen, Tagebuch, S. 56. 641 Vgl. Haas, Belagerungskrieg, S. 301. 642 Schon am 12. Mai meldete Oberst von Gebsattel an die MOK, dass die am 8 Mai begonnenen Batteriebauarbeiten gegen das Außenwerk St. Narciss äußerst kräfteraubend seien und außerdem, dass schon jetzt »[d]ie Zahl der in das Hauptspital [in Figueras, Anm. d. Verf.] abgehenden Individuen […] sehr groß [ist]«. Zit. nach  : Schuster, Infanterieregiment, S. 8. Über die Batteriebauarbeiten mit Würzburger Beteiligung auch  : Staff, Der Befreiungs-Krieg, S. 183, 188f.; Grosch, Geschichte, S. 218f. 643 Zu den vielfachen Baumaßnahmen, bei denen das IR beteiligt war, siehe im Anhang Karte zur Belagerung Geronas als Dokument XLVI. 644 »Das IR rang in dem wütenden Vernichtungskriege, der aus einer unermesslichen Reihe von Scharmützeln, Überfällen, Hinterhalten bestand, wobei eine Fechtweise geübt wurde, welche bis zur indianischen Wildheit entartete«, so in  : Leher, Die Würzburger, S. 6  ; ähnlich  : Grosch, Geschichte, S. 215. 645 Vgl. Broers, Napoleon’s other war, S. 106.

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gesprochen646 und dabei übersehen, dass es sich um einen Wandlungsprozesses der Kriegspraxis von symmetrischem zu asymmetrischem Krieg handelt, der im Folgenden kurz beispielhaft skizziert werden soll. Vor Gerona kämpfte das IR schließlich noch gegen reguläre Truppen, welche die Festung unter Mariano Alvaréz de Castro (1749–1810) 647 verteidigten und einige Male ganz konventionell versuchten, die Belagerer durch Ausfälle am Batterie- und Laufgrabenbau zu hindern648. Auch der feindliche Angriff am 1. September einer vom spani­ schen General Joaquín Blake y Joyes (1759–1827) geführten Armee waren reguläre Truppen, deren Absicht es war, den Belagerten neue Truppen und Vorräte zuzuführen649. Und auch noch nach dem Fall Geronas fanden sich die Würzburger eingereiht in einer konventionellen Feldschlacht gegen reguläre Truppen – beispielsweise Anfang August 1813 beim befestigten Santuari de la Salut zwischen Olot und Vic, als sie sich gegen einen angeblich sechsfach überlegenen Feind über zehn Stunden lang auf dem Schlachtfeld behaupteten650. Bei der Belagerung Geronas jedoch zeigten die dauerhafte Beschießung, die anhal­­ tenden Sturmangriffe, ausbleibende Nahrungsmittelversorgung und grassierende Krankheiten auf Seiten der Eingeschlossenen fatale Wirkung651. Es dezimierten sich die regu­lären Truppen während der Belagerungszeit wesentlich, weswegen den irregulären Truppenverbänden immer größere Bedeutung zukam. Mit ihnen kam es auch zu den ersten überlieferten würzburgischen Opfern feindlicher Gewaltexzesse. Im September 646 Zimmermann, Erinnerungen, S. 22, 55 etc. Morgenstern, Kriegserinnerungen, S. 9, 12, 14, 25 etc. Barckhausen, Tagebuch, S. 56, 59, 71 etc. 647 In Gerona verteidigten anfangs 5.723 Soldaten in drei Bataillonen der regulären spanischen Armee, sowie drei Bataillone Iren unterstützt von Freiwilligenkorps aus der Umgebung als Reserve. Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 337. Zur Person Alvaréz  : Juan Ruiz de Albornoz  : Mariano Álvarez de Castro, in  : El Militar Espanol 74 (1846), S. 7–8  ; Cristina Viñes Millet  : Figuras granadinas. S.l. u. a. 1995, S. 195f. 648 Auch die Ausfälle der Belagerten am 17. Juni, 9., 10. und 15. August 1809 unternahmen die regulären spanischen Bataillone. Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 166  ; Grosch, Geschichte, S. 219, 222. Die »braven Würzburger« schlugen sich in den Abwehrgefechten »mit Bajonett und Kolben« offenbar recht überzeugend, wie dies Berichte auch von außen zu bezeugen meinen. Vgl. Morgenstern, Kriegserinnerungen, S. 31. Die Ausfälle hatten dabei meist, vor allem am 17. Juni, den Charakter einer formalen Schlacht, da die Belagerten in Regimentsstärke von ca. 1500 Soldaten angriffen. Vgl. Bucher, Tagebuch, S. 14. Allgemein zu Ausfallgefechten im Belagerungskrieg  : Haas, Belagerungskrieg, S. 304f. 649 Vgl. Morgenstern, Kriegserinnerungen, S. 38. 650 Dort standen sie neben dem 23. französischen LIR im rechten Flügel der Schlachtordnung. Vgl. Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 286  ; Grosch, Geschichte, S. 234–236. 651 Bericht der Junta unter Alvaréz an den König, im August 1809  : »Die gegenwärtige Lage dieser unglücklichen Stadt ist unbeschreiblich  ; ihre Mauern sind allenthalben offen […]. Besatzung wie Einwohnerschaft hat den feindlichen Kugeln und Bayonnetts nichts mehr entgegenzustellen, als sich selber  ; ihre Brust ist ihr letzter Wall, diese Brust, welche so hochpatriotische Herzen umschliesst«. Zit. nach  : Laurent Gouvion Saint-Cyr, Tagebuch, Anhang Nr. 35, S. 485.

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1809 »ließ der Unmensch von Gouverneur […] zur Volksbelustigung […] ein ganzes Detachement vom Regiment Würzburg […] im Angesichts des Regiments auf einem offenen Platze in der Stadt [aufknüpfen]«652. Der Einsatz zweier Frauenkompanien hinter den Festungsmauern Geronas verstärkte noch vor 1810 den Eindruck eines total entgrenzten ›Volkskriegs‹653 in den Reihen der Belagerer und führte schließlich (auch in der älteren Historiografie) zur begrifflichen Gleichsetzung von »Guerllia = Volkskrieg«654. In Wahrheit hatten es die Spanienkämpfer vor allem nach dem Jahreswechsel 1808/09, als die regulären spanischen Einheiten größtenteils zerschlagen worden waren, mit verschiedenen Gruppen zu tun, die aus genauso heterogenen Motiven kämpften. Zum einen griffen Kleinbauern, Pächter und Landbesitzer immer häufiger im Rücken der Belagerer zu den Waffen, um ihr Eigentum zu schützen, je länger die napoleonische Besatzungsarmee in Katalonien für ihre Versorgung eine lediglich »nach rationalen Kriterien erfolgende Ressourcenextraktion betrieb«655. Hinter jeder Stalltüre, aus der die Besatzungsarmee zur Truppenversorgung Vieh zu ›requirieren‹ versuchte, konnte ein wehrhafter Bauer zur tödlichen Bedrohung werden. Auch aus diesen Bevölkerungsteilen speiste sich (durchaus auch durch das Zwangsmittel der Konskription)656 das Reser652 Barckhausen, Tagebuch, S. 82. 653 Alvaréz dekretierte am 28. Juni 1809, dass eine Compagnie von 200 sämmtlich jungen, starken und männlich-muthigen Frauen, ohne Unterschied des Standes, gebildet werde.« Später wurde dieses ›Bataillon St. Barbara‹ noch um ein weiteres ›Bataillon St. Martha‹ ergänzt, deren Bestimmung es war, den »unter den Waffen befindlichen Soldaten oder Bürgern, welche unglücklicher Weise verwundet werden, Hilfe und Pflege, sowie auf die verschiedenen Posten Mund- und Schiessbedarf zu bringen.« Zit. nach  : Laurent Gouvion Saint-Cyr, Tagebuch, Anhang Nr. 5, S. 364. Der Einsatz von Frauen zur Verteidigung ist keine Erfindung der Französischen Revolution. Nach anfänglichen Gleichstellungsbestrebungen der femmes soldates am Anfang der 1790er Jahre wurde allerdings im April 1793 der Ausschluss von Frauen aus der französischen Armee beschlossen. Wenngleich Frauen auf den Schlachtfeldern des napoleonischen Weltkriegs allgegenwärtig waren, so waren aktiv an den Kämpfen beteiligte Frauen in den Augen der Zeitzeugen doch ein Signal einer neuartigen Grenzverwischung von zivilem und militärischem Bereich. Vgl. Staff, Der Befreiungs-Krieg, S. 168f. Allgemein dazu  : Erich Pelzer  : Frauen, Kinder und Krieg in revolutionären Umbruchzeiten (1792–1815), in  : Dittmar Dahlmann (Hg.)  : Kinder und Jugendliche in Krieg und Revolution. Vom Dreissigjährigen Krieg bis zu den Kindersoldaten Afrikas. Paderborn 2000, S. 18–41. Ein faktenreicher Internetauftritt zur Geschichte der Companyía de Santa Bárbera  : http://www.pedresdegirona.com/guerra_frances/compania_santa_barbara.htm [zuletzt aufgerufen 01.08.2021]. 654 Vgl. Über den Mythos der Neuartigkeit des Guerilla-Konzepts  : Ludolf Pelizaeus  : Die preußischen Reformer und der »Kleine Krieg« in Europa 1808–1813. Die Entstehung eines Mythos, in  : Jürgen Kloosterhuis/Sönke Neitzel (Hg.)  : Krise, Reformen – und Militär Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806. Berlin 2009, S. 65–82. 655 Rink, Vom kleinen Krieg, S. 364  ; Tone, Partisan Warefare, S. 259. 656 Kaum mehr lässt sich heute das sozial-romantische Bild des spanischen Vaterlandverteidiges aufrechterhalten, das die ältere Historiografie gerne zeichnete. Zwangsrekrutierung, hohe Desertionszahlen und Ausschreitungen auch gegen die eigene Bevölkerung bestimmten das Bild des Guerra de la Independencia.

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voir der für das katalanische Bergland typischen Milizen, der sogenannten Miquelets, die bereits auf eine lange Geschichte zurückblicken konnten und in Organisation etc. regu­lären Truppen ganz ähnlich waren657. Nach Zerschlagung der regulären spanischen Streitkräfte strömten die versprengten Soldaten und Deserteure vermehrt zu diesen Korps in den Pyrenäen. Eine weitere Gruppe kämpfte als Bürgerwehr, die Somaténs, sobald die Alarmglocke herannahende napoleonische Truppen meldete658. Diese irregulären Truppenverbände führten ortskundig den Kleinen Krieg, griffen Aussichtsposten, Lebensmittel- und Krankentransporte aus dem Hinterhalt an, verschanzten sich ab 1810 zunehmend in festen Plätzen und bekämpfen die Napoleonischen Truppen innerhalb ihres Aktionsradius. Hinzu kam, dass die medial aufwendige Propaganda der sich im Zuge der zerfallenden spanischen Armeeköper etablierenden Juntas659 auch das jahrhundertealte Treiben von Räuberbanden und Schmugglern, den bandos, im katalanischen Grenzgebiet als Freiheitskampf legitimierte. Somit vermengten sich auch Kriminelle mit versprengten regulären und irregulären Einheiten660. Hauptzweck all dieser heterogenen Gruppen sollte laut der Provinzialjunta von Katalonien die Störung der Nachschub- und Kom-

Grundlegend zur ›Guerillia‹-Geschichte in Katalonien von 1808–1814 der Beitrag  : Antonio Moliner Prada  : Popular Resistance in Catalonia  : Somatens and Miquelets (1808–1814), in  : Charles J. Esdaile (Hg.)  : Popular resistance in the French wars. Patriots, partisans and landpirates. Basingstoke u. a. 2005, S. 91–114. 657 Vgl. ebd., S. 93f. Ihr Anteil an Gefechten gegen das IR Würzburg nimmt bis 1814 ab, denn die spanischen Bestrebungen diese Truppen in reguläre Einheiten umzuwandeln, gelangen größtenteils. Vgl. ebd. 109. Während dieses Prozesses kämpften die Würzburger vor allem im Frühjahr 1810 zwischen Vic und Tordera gegen diese semi-regulären Einheiten, die Enrique O’Donnell (1769–1834) befehligte. Vgl. die tabellarische Übersicht der Ereignisgeschichte im Anhang als Dokument XLV. 658 Dabei riefen zumeist Kleriker oder Ortsnotablen durch Alarmglocken (Somatén bedeutet wörtlich ›Sei alarmiert‹) die Dorfbevölkerung zu den Waffen und kontrollierten danach deren Aktionen im Umkreis. Diese Gruppe war bei weitem weniger organisiert und insgesamt in ihrer Entstehung fluider, wenngleich nicht nummerisch schwächer. In Katalonien führten die Somaténs den Kleinen Krieg bis 1814, als die Miquelets bereits in regulären Truppen aufgegangen waren. Vgl. ebd. S. 96–100. 659 Vgl. Rink, Vom kleinen Krieg, S. 365  ; Auch Pelizaeus, Die preußischen Reformer, S. 80. Flugblätter wie »Prevenciones que hace la suprema Junta de Sevilla a todos los del Reyno« hatten einen hohen Verbreitungsgrad, auch wenn es der Junta Suprema Central eigentlich an einer gesamtspanischen Machtbasis mangelte. Darin forderte die Junta auf »toda ación general« zu vermeiden und sich eher auf einen »guerra de partidas« zu verlegen, für den die Beschaffenheit des Landes die besten Möglichkeiten böte. Vgl. Wohlfeil, Der Volkskrieg, S. 110. 660 Schmugglerbanden, meist im Familienverband operierend, gab es besonders in der staatsfernen Peripherie des katalanischen Grenzgebiets und deren Küste seit langem. Die französische Besatzung ging gegen diese Banden jedoch entschiedener vor, als dies zuvor noch unter den Bourbonen geschah. Auch den kriminellen partidas ging es bei ihrem Kampf gegen die Besatzer primär um die Erhaltung ihrer Existenz. Vgl. Pelizaeus, Die preußischen Reformer, S. 76–77, 82  ; Broers, Napoleon’s other war, S. 106.

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munikationslinien mit Frankreich sein661, aber sie erreichten damit noch Größeres. Sie verhinderten faktisch, trotz ihrer militärischen Unbrauchbarkeit in konventionellen Feldschlachten, dass Spanien schließlich für die Franzosen überhaupt regierbar werden konnte662. Aus Sicht der Rheinbundtruppen reduzierte sich jedoch das Bild ihrer Angreifer auf marodierende Banditen und Verbrecher, die sich in ihren Augen ehrlos des regellosen Kleinen Kriegs bedienten – kurz auf Guerilleros663. Diese vereinfachende Zuschreibung, Feind = ehrloser Bandit, schuf die Grundlage einer sich steigernden Gewaltspirale. Erlaubten die Napoleonischen Truppen den Eingeschlossenen nach der Kapitulation Geronas noch den schadlosen Abzug in die Kriegsgefangenschaft664, eskalierte die Gewalt in den Folgejahren auf beiden Seiten zusehends und keiner sah sich mehr gezwungen, ›den Feind‹ zu verschonen665. Die »Dreiheit der Gewalt  : Überfall, Tötung und Verstümmelung«666 gehörte zum Alltag der Truppen in Katalonien. Beispiele für diese Gewalteskalation boten sich den Würzburgern in der Zeit von 1810–1813 zuhauf, als »die Marschverhältnisse, die in schwer zugänglichen Gebirgslandschaften hinter Gerona und Figueras lagen, [und] den unsichtbaren Feinden eine immerwährende Angriffsflankierung [boten]«667. Hptm. Frits war beispielsweise am 27. August 1810 mit seiner Kompanie und dem Waldeckschen Kontingent zusammen als Nachhut eines Krankentransports zugeteilt, als »spa-

661 Vgl. Moliner Prada, Popular Resistance, S. 92. 662 Vgl. Broers, Napoleon’s other war, S. 123. 663 »Guerillieros, whether heroes or villains, had to live like bandits, on the run and in the hard country, even if they did not always fight like them«. So in  : ebd., S. 114. 664 Auch als der Sturm der Festungsstadt am 19. September bevorstand, gab Div. Gen. Verdier einen Tagesbefehl heraus, in dem ausdrücklich der Schutz von Zivilisten eingefordert wurde  : »Also seid zu großmüthig um die schwächeren Geschöpfe als Weiber, Kinder und alte Greise nicht unter eueren Schutz zu nehmen.« So in  : StAWü, H.V. MS, f., 166, S. 3. 665 Kriegsgreuel als »eklatante Verletzung der […] gültigen Grenzen kriegerischer Gewaltausübung« waren anfangs auch beim Krieg auf der Iberischen Halbinsel kein »Normalzustand«, wie Sönke Neitzel und Daniel Hohrath bemerken. Besonders die Aufgabe des Prinzips der Reziprozität, in diesem zunehmend asymmetrisch werdenden Krieg, führte zur Entgrenzung der Gewalt. Vgl. Sönke Neitzel/Daniel Hohrath  : Entfesselter Kampf oder gezähmte Kriegsführung  ? Gedanken zur regelwidriger Gewalt im Krieg, in  : Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hg.)  : Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Paderborn 2008, S. 9–38, S. 10. Die gehenkten würzburgischen Soldaten auf einem Platz in Gerona müssen als eine Reaktion der Belagerten verstanden werden, es dem Kontrahenten mit ›gleicher Münze‹ zu antworten. Schließlich ließ zuvor Verdier bereits im Mai »8 bis 10 gefangene Brigants […] über den Fluß bringen und im Angesichts des Feindes erschießen«. Barckhausen, Tagebuch, S. 59. 666 Pelizaeus, Die Radikalisierung, S. 212. 667 StAWü, H.V. MS, f., 166, S. 6.

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nische Brigands«668 bei Croix-Falines einen Krankentransport überfielen und unter die Wagen der Verwundeten Feuer legten  : »Keine Feder ist wohl kräftig genug, die Gräuelszenen zu beschreiben, welche wir nachher sahen, als wir ihnen, leider zu spät, zu Hülfe eilten. Viele Westphalen und Nea­ politaner waren ganz zerhackt und zerstochen, einem blessierten Sergeanten hatten sie die Schamteile abgeschnitten und dann mehrere Patronen unter die Weste gesteckt und angezündet. Vielen waren die Nasen und Ohren abgeschnitten und mehrere fanden wir in einem erbärmlichen Zustande noch lebend. Ein Artillerist wurde hereingetragen und die Chirurgen entdeckten 23 Blessuren an ihm. Der Frau eines Neapolitaners hatten sie die linke Hand abgehauen, die Brüste und Schamteile abgeschnitten und mehrere Stiche in die Brust gegeben.«669 Ob diese Kriegsgreuel sich tatsächlich genauso abgespielt haben, wie sie Barckhau­sen und viele andere berichten, oder sie in dieser Form Produkt einer bildreich ausgeschmückten immer wieder erzählten Lagerfeuergeschichte innerhalb der Napoleonischen Armee ist, ist im Grunde irrelevant. Denn auch eine für wahr gehaltene Gewaltentgrenzung des ›Feindes‹ vermochte eigenes gewaltsames Vorgehen zu legitimieren. Natürlich waren auch die Soldaten Würzburgs nicht nur anteilnahmslos Zeugen und Opfer dieser Gewalteskalation, wenn sie bis 1813 auf unzähligen Märschen zur Bedeckung von Transporten aller Art verwendet wurden und viele dabei starben670. Auch wenn manche Regimentsgeschichten meinen, »dass die deutschen Truppen sich von allen Racheakten fernhielten«671, gilt für die Würzburger wie für andere Rheinbundkontingente auch, dass sie sich sehr wohl an Strafexpeditionen, Plünderungen und Gewalt­ exzessen in Katalonien beteiligten und nicht nur die Franzosen vermeintliche Brigands dort aufknüpften672. Teile des würzburgischen IR plünderten nachweislich bereits im

668 Ebd. 669 Barckhausen, Tagebuch, S. 71. 670 Es würde zu weit führen alle Konvoi-Begleitungen hier aufzulisten. Dies geschieht in tabellarischer Form. Die tabellarische Übersicht der Ereignisgeschichte im Anhang als Dokument XLV. Bezeichnend für die berechtigte Angst vor Überfällen ist die Beteiligung des Würzburger IR an der Bedeckung eines Lebens­ mittelkonvois nach Barcelona am 15. und 16. März 1810, zu dem insgesamt 16.000 Soldaten zur Bewachung von 1.000 Wägen aufgeboten wurden. 500 Tote, davon 5 Würzburger, und 400 Vermisste hat dieser Begleitschutz die Napoleonischen Truppen gekostet. Zur Marschroute siehe im Anhang als Dokument XLVII. 671 Schuster, Infanterieregiment, S. 12. 672 »Der Marschall Augerau versuchte durch Strenge und Zwangsmittel die Ruhe unter den Einwohnern von Catalonien herzustellen und durch einen panischen Schrecken zu unterjochen. […] In diesen Monaten [Dezember 1809 und Januar 1810, Anm. d. Verf.] sind schon gegen 50 bis 60 Menschen, worunter viele Geistliche, von den Franzosen aufgeknüpft worden.« So in  : Barckhausen, Tagebuch, S. 91. Die Verantwortung für Kriegsgreuel wird weit von sich geschoben auch bei Schuster  : »Ist es da ein Wunder, wenn

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Mai 1809 in Sarriá673 und im Juni 1811 eskalierte in Bellver de Cerdanya eine Plünderung sogar in solchem Ausmaß, dass der Brig.Gen. Frédéric Auguste de Beurmann (1777–1815) eine Strafzahlung von 103 Franc vom Sold des Bat. einforderte, um solche »Diziplinwidrigkeiten«674 künftig zu unterbinden. Ausgedehnte Strafexpeditionen, bei denen mobile Kolonnen unter Führung eines Offiziers einzelne Brigands zu töten oder ganze Operationsbasen der Guerillaverbände zu zerstören hatten, gehörten beispielsweise im Gebirgsumland von Olot im Frühsommer 1810 genauso wie im Sommer und Herbst 1811 während der Grenzsicherung der Cerdanya zu den Aufgaben der Würzburger675. Für ein erfolgreiches ›Search-and-Des­ troy‹ war während der Bergkämpfe, wie Gen. Reille zusammenfasste, »nicht die große Schwierigkeit […], sie zu bekämpfen, aber sie zu finden«676. Weite Strecken und kaum vorstellbare Anstrengungen mussten die Würzburger bei diesem Aufklären, Aufspüren und Vernichten über sich ergehen lassen, ganz zu schweigen von der psychischen Belastung, jederzeit Opfer eines Hinterhalts werden zu können677. Dieses Einsatzszenario die französischen Truppen Rache übten und jeden in ihre Hände fallenden Catalonier aufhingen oder niederstachen  ?« Schuster, Infanterieregiment, S. 12. 673 Vgl. Barckhausen, Tagebuch, S. 64f. 674 Anschauliche Berichte darüber fehlen. Vgl. Schuster, Infanterieregiment, S. 14  ; Grosch, Geschichte, S. 233. Hptm. Adolf August Erlée (1765–1828), der die zum Bataillon zusammengeschrumpften Würzburger zu diesem Zeitpunkt befehligte, wurde allerdings noch 1824 die Beförderung zum Oberst verwehrt, wegen einer Beschwerdeschrift einiger Bataillonsoffiziere über gravierende von Erlée 1811 in Spanien begangenen »verschiedene[n] Dienstwidrige[n] Handlungen«. Die genauen Umstände bleiben allerdings im Dunklen. Vgl. BayHStA, Abt. IV, OP 77290. 675 Eine solche Strafaktion kann beispielhaft für so viele gelten  : Am 11. Juli 1810 versuchten fünf Kompanien des IR mit einem Bataillon aus Berg während eines ausschweifenden Streifzugs unter Oberst von Geuther (Ghz. Berg) die vom Fluss Fluvia gut geschützte Operationsbasis der Somaténs in Castellfolit de la Roca zu stürmen. Die alarmierte Bürgerwehr verteidigte sich mit Steinen und Plänkierfeuer, aber gegen den massierten Kolonnenangriff konnten sie sich auf Dauer nicht durchsetzen. Die Somaténs zogen sich vermeintlich zurück, als die Rheinbundtruppen zur Verfolgung ansetzten, die sich aber im Gebirge um Olot verliefen. Der Rückmarsch nach Besalú jedoch hatte dann allerdings den Charakter einer heillosen Flucht, weil die Strafexpedition von allen Seiten, vor allem aber die Nachhut unter Johann Babtist Cantler, beständig von allen Berghängen aus beschossen und angegriffen wurde. Der Ein-TagesEinsatz kostete den Würzburgern fünf Tote, 23 Verwundete und einen Vermissten. Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 170, S. 10. Ab Mitte März lagen die Würzburger unter François Jean Baptiste Quesnel (1765–1819) zusammen mit einem Bataillon Schweizer, dem 32. frz. LIR und einem Bataillon des 2. frz. IR bei Puigcerdà. Die Somaténs beschränkten sich nun nicht mehr auf Angriffe in Spanien selbst, sondern sie zogen brandschatzend und »beutebeladen« auch durch die französische Cerdanya. Vgl. Grosch, Geschichte, S. 231f. Die Bewachungseinsätze, »die niemals ohne Berührung mit dem Feind abliefen«, dezimierten die Soldaten Würzburgs dauernd. Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 170, S. 10. Die Marschrouten im Anhang als Dokument XLVII. 676 Vgl. John Lawrence Tone  : The fatal Knot. The Guerrilla War in Navarre and the Defeat of Napoleon in Spain. Chapel Hill 1994, S. 105. 677 Für die Streifzüge wurden immer wieder Rheinbundtruppen herangezogen. Barckhausen berichtete nach

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nannte man zeitgenössisch Reconnaissance bzw. Rekognoszierungen, welche unter dem Deckmantel der militärischen Aufklärung ein breites Spektrum allerarten von Gewaltaktionen vereinte. Die gewaltsame Beschlagnahmung von Nahrungsmitteln im Umland konnte genauso Teil davon sein678 wie Exekutionskommandos, deren Aufgabe es war, die Brigands in großer Zahl zu jagen und »dehumanized«679 ›zur Strecke zu bringen‹. Besonders hervorzuheben ist, dass die Würzburger nach dem Fall Geronas somit selbst mit der Kriegspraxis des Kleinen Krieges beauftragt wurden und in den Jahren 1810–1813, meist aufgeteilt in Kompaniestärke wie die Guerilla, die sie bekämpften, strahlenförmig von der ein oder anderen Operationsbasis aus agierten680. Für diese Kriegspraxis waren die Soldaten des Rheinbunds gar nicht ausgebildet. Sie wurden nur in kürzester Zeit nach französischem Reglement für den Kolonnenkampf gedrillt, nicht für den Kleinen Krieg mit der selbstständigen, taktischen Bewegung im Terrain. Die ungeregelte Improvisation in taktischer Hinsicht vor Ort schuf eine weitere Grundlage zur Gewalteskalation681. Es ist in Anbetracht dessen schon ein bezeichnendes Signal, dass mit Ende des vermeintlich ›zivilisierten Krieges‹, bei dem es auch zu Gewaltexzessen von den Würzburger Streitkräften kam – wie beispielsweise die bestrafte Plünderung in Bellver de Cerdanya –, auch der Kontakt mit der MOK in Würzburg 1812/13 völlig zusammenbrach682. Hause, dass es ein schwerer taktischer Fehler ist, »dass die Truppen durch einiges Hin- und Hermarschiren zu sehr fatigiert [würden], welches nie einen anderen Zweck hat, als einige Brigands einzufangen, die sich in der umliegenden Gegend aufhalten und uns ganz unschädlich sind. Hierzu werden dann gewöhnlich starke Kommandos von 50 bis 100 Mann genommen und müssen manchmal 8 Stunden marschieren, um einen einzigen Bauer, der als Spion verrathen ist, in seiner Wohnung zu arretieren oder todt zu schießen. Die Leute sind dadurch zu sehr der Hitze und der nächtlichen Kälte ausgesetzt, liegen gewöhnlich nach einer solchen Expedition krank danieder und müssen dann, zu 60 bis 100 Mann ins Hospital weggeschafft werden«. Barckhausen, Tagebuch, S. 101f.; auch  : Forrest, Napoleon’s Men, S. 123. 678 Darüber ein Teilnehmer der Reconnaissance  : »Mit den bewaffneten Bauern der umliegenden Gegend waren wir fast täglich im Gefecht, sey es, daß sie kamen und unsere Vorposten neckten, oder daß wir in ihren Dörfern fouragierten«, so in  : Bucher, Tagebuch, S. 11. Ein anderer Spanienkämpfer berichtet in seinen Memoiren plastischer  : »Wehe dem Bauern, der bei einer solchen Expedition aufgegriffen wurde. Dem Armen wurde alles abgenommen und oft von Männern, die der Hunger grausam und viehisch hatte werden lassen, getötet […]. Begonnen als eine Sache von zivilisierten Leuten, war unser Krieg ein Krieg des Todes geworden«, so ein Spanienkämpfer 1811, zit. nach  : Pelizaeus, Die Radikalisierung, S. 214. Ähnlich auch  : Barckhausen, Tagebuch, S. 67. 679 Alan Forrest spricht passend von »random tit-for-tat killings« und führt zahlreiche Beispiele an  : Alan Forrest  : The Ubiquitous Brigand  : The Politics and Language of Reppression, in  : Charles J. Esdaile (Hg.)  : Popular resistance in the French wars. Patriots, partisans and landpirates. Basingstoke u. a. 2005, S. 25– 43, S. 35f. 680 Zum Aktionsraum der Würzburger Einsätze der sich von Puigcerdà bis zur Küste nach Matarò erstreckte, siehe im Anhang als Dokument XLVII. 681 Vgl. Pelizaeus, Die preußischen Reformer, S. 73. 682 Resigniert muss die MOK bei einem Vortrag an Erzherzog Ferdinand im Juni 1813 einräumen, dass

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Es scheint sich dabei um einen potenzierten Kontrollverlust zu handeln  : Die MOK gab die Verantwortung komplett (finanziell, logistisch, strategisch) in die Hände des französischen Armeekommandos, das Regimentskommando gab im Einsatz die taktische Kontrolle an fremde Offiziere ab und die Soldaten befanden sich in einer unkontrollierten Gewalteskalation, bei der sie Täter und Opfer zugleich waren. Wie generell für den Guerillakrieg auf der Iberischen Halbinsel zu konstatieren ist, standen die gewaltsamen Ausschreitungen bei Plünderungen und Strafexpeditionen in engem Zusammenhang mit großen Versorgungsproblemen683. Seit die Würzburger von Metz abmarschierten, war, wie schon beim Feldzug 1806/07, der Hunger ihr ständiger Begleiter. Schon bei ihrer Ankunft vor Gerona war eine ausreichende Truppenversorgung nicht gewährleistet, es gab keine Nahrungsmittel außer »Speck […und] schlechtes warmes Wasser […in] schlecht verzinnten kupfernen Kesseln«684. Die Streitkräfte Würzburgs, die offensichtlich auch schon in Frankreich wegen überteuerter und schlechter Versorgung nicht zimperlich mit ihren Quartierwirten umgingen, plünderten bekanntlich zum ersten Mal in dieser Notsituation vor Gerona in Sarrià. Trotz der schweren Schanzarbeiten war im August und September für die Rheinbundtruppen nur jeden zweiten Tag eine »halbe Ration«685 möglich, weniger also als 240g Brot pro Tag. Gegen Ende 1809 war die Versorgungslage dermaßen schlecht, dass alles Zug- und Lastvieh verspeist wurde und die Soldaten selbst Ratten aßen, wobei man »letztere [teuer] mit einem Spanischen Franken (pezeta) bezahlte«686. Die Versorgungslage hinter den Stadtmauern war noch schlimmer. Der Hunger zwang die Geronesen schließlich zur Aufgabe ihrer hart verteidigten Stadt687. Aber damit waren indes die Versorgungsprobleme für die Würzburger lange noch nicht beendet. Nach kräftezehrender Konvoi-Bewachung mussten sie sich statt der erhofften »man schon lange vom Regimente in Spanien keine Nachricht mehr habe, wo ihr Aufenhaltsort sei«. Vgl. StAWü, MOK 15, Allerhöchste Entschließung auf die Protocolls Auszüge pro 1813, 6. Juni 1813. 683 Vgl. Pelizaeus, Die Radikalisierung, S. 213f. 684 So der Bericht von Dr. Joseph Pfeiffer am 21. Juli 1809 aus Campduró. Zit. nach Schuster, Infanterieregiment, S. 9. Barckhausen schildert die Mangelversorgung gewohnt plastischer  : »Lebensmittel haben wir hier [vor Girona, Anm. d. Verf.] weiter nicht, als den gelieferten Schiffszwieback, ein wenig nicht zu genießendes Fleisch und Salz  : Bei einem Spanier im Ort bisweilen etwas schlechten Wein gegen gute Bezahlung. Alle anderen Bedürfnisse muß man von Figueras, vier Stunden von hier nehmen, doch stehen diese in so hohem Preise, daß der gemeine Soldat sie sich nicht anschaffen kann. Er muss deshalb verhungern oder sich einige Kräuter auf dem Felde suchen, wobei er nicht selten verjagt, oder wenn sie ihn ergreifen, erschlagen wird.« Barckhausen, Tagebuch, S. 68. 685 Ebd., S. 81. 686 Bucher, Tagebuch, S. 29. 687 Ganze Familien waren ausgestorben, ihre Leichen lagen in den Straßen und Häusern und die Überlebenden, »hohläugig, abgemagert, wankend« konnten selten die Stadt auf eigenen Beinen verlassen. Grosch, Geschichte, S. 223  ; Barckhausen, Tagebuch, S. 86.

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reichgefüllten Magazine in Barcelona »fünf Tage lang mit blossem Brot begnügen«688. Das Umland Geronas war am Ende der dritten Belagerung gänzlich erschöpft. Die Versorgungskonvois aus Frankreich stockten oder blieben ganz aus, weil sie von Guerilleros attackiert wurden, was wiederum weitschweifige gewaltsame Requirierungen durch die Besatzungsmacht zur Folge hatte689 und die Guerilleros zu noch härteren Racheaktionen verleitete. Nicht nur einmal gab es gleichlautende Warnungen vor »wiederholten Versuchen des Feindes« die Truppen zu vergiften, wie den Tagesbefehl vom 22. August 1812, wonach die Napoleonischen Truppen »höchste Aufmerksamkeit auf die Untersuchung von Nahrungsmitteln und die strenge Vorsicht beim Einkauf von Flüssigkeiten«690 zu verwenden hätten. Die Angst vor Vergiftungen durch gekauftes Essen und Trinken verschlimmerte den Nahrungsmittelengpass noch, da man nicht den spanischen, aber selbst den französischen Marketenderinnen nicht mehr vertrauen wollte. In den Pyrenäen konkurrierten dann die napoleonischen Streitkräfte um die ohnehin knappen Ressourcen mit den Somaténs und den umherstreifenden bandos, die bekanntlich auch auf die eigenen Landsleute keine Rücksicht nahmen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit plünderten691. Dass diese chronische Unterernährung zu vielen Todesfällen führte, müsste genauso wenig erwähnt werden wie der dauerhaft anhaltende Mangel an Schuhen, Monierungsstücken und Arznei, wenn dies nicht mehr Opfer gefordert hätte als aller Feindkontakt zusammen. Mangelversorgung, Entkräftung und Krankheiten waren sich bedingende, tödliche Faktoren für Würzburgs Soldaten in Katalonien692. »Seit zwei Jahren sei der Soldat nicht aus seiner Uniform herausgekommen«693, klagte Dr. Pfeiffer 1810 und das bei allgegenwärtiger Läuse- und Flohplage und grassierender Krätze694, ganz zu schwei688 Im gleichen Bericht von Joseph Pfeifer vom 25. April 1810 fasst er außerdem zusammen  : »Die Lebensmittel, besonders das Fleisch sind schlecht, insbesondere misslich war, der gänzliche Mangel an Salz in den Magazinen«. Zit. nach Schuster, Infanterieregiment, S.11. 689 Barckhausen berichtet, er habe »zusammen mit einiger Kavallerie in die Gebirge nahe am Meere [gehen sollen, gemeint ist wohl das Massis del Montgì, Anm. d. Verf.] und dort einige Herden Schafe, welche sich dahin geflüchtet hatten zu nehmen. Nach einem beschwerlichen Marsche fanden wir auch 400 Stück, welche der Obrist sogleich ans Hauptquartier schickte.« Barckhausen, Tagebuch, S. 57  ; Zur schwierigen logistischen Herausforderung die Truppen Kataloniens zu versorgen  : Staff, Der BefreiungsKrieg, S. 188f., 194. 690 StAWü, H.V. MS, q. 116, S. 239. Dort auch Hinweise auf Brunnenvergiftungen in Hostalric und Vic. 691 Vgl. Pelizaeus, Die Radikalisierung, S. 215. 692 Pfeiffer schrieb im August 1810 Brandbriefe an die MOK  : »Die braven Landeskinder sind nur noch Schatten von Menschen und wenn das Regiment nicht in eine anderes Klima gebracht wird und eine bessere Verpflegung erhält, ist die gänzliche Auflösung des Regiments zu erwarten.« Zit. nach  : Schuster, Infanterieregiment, S. 11. 693 Zit. nach  : Ebd. 694 Barckhausen beschreibt die Zustände vor Gerona  : »Die häufigen Kommandos ermüdeten unsere Leute

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gen von den sonst im Feld und Biwak üblichen hygienischen Zuständen. Dies muss den Würzburgern mindestens genauso lästig gewesen sein, wie ihre wollene Uniform in der spanischen Sommerhitze und bei anstrengenden Gebirgsmärschen und Schanzarbeiten u. Ä. tragen zu müssen. Hitzeschlag, aufplatzenden Sonnenbrand und Durst bis zur Bewusstlosigkeit lernten die Soldaten aus Franken wohl erst vor Gerona kennen, wo die Verteidiger keinen Schatten spendenden Baum mehr stehen ließen695. Aber nicht nur die wollene Uniform allein führte zu gesundheitlichen Folgen. Über die mangelnde Qualität der Schuhe beklagte man sich bereits 1807 und sie waren bei der übermäßig großen Marschleistung in Katalonien sicher ein noch größerer Krankheitsfaktor. In welch erbärmlichen Zustand generell die Montur der Würzburger ohne Versorgungsleistungen aus Würzburg gewesen sein muss, ist schwer vorstellbar696. Tödlicher erwiesen sich Thyphus (Nervenfieber) und Gelbfieber durch den Konsum verschmutzten Wassers, Diarrhö und Ruhr durch verdorbenes Fleisch. Besonders Malaria traf die Rheinbundtruppen hart. Es erkrankten in den letzten drei Monaten des Jahres 1810 alleine 101 Würzburger daran und wurden ins Lazarett gebracht697. Betrachtet man dahingehend die in der Pfarrmatrikel von St. Burkard verzeichneten Sterbeorte der Spanienkämpfer, fällt auf, dass von 638 in Spanien Gefallenen mehr als die Hälfte (342) in Figueras im Hauptlazarett Kataloniens starben, weitere 118 in anderen Lazarettstandorten. Nur 122 dieser zufällig Notierten lassen sich direkten Kampfhandlungen wie beispielsweise »vor Girona« oder »beim Sturm des Forts Calvaria« zuschreiben698. Dass so viele in den Lazaretten starben, ist auch wegen der gängigen Sanitätspraxis kaum verwunderlich. Am Beispiel des Würzburger Hptm. Johann Babtist Cantlers lässt sich der Leidensweg eines Verwundeten exemplifizieren. Es zeigt sich an diesem Fallbeispiel die übliche Abfolge von Feldlazarett hinter der Kampflinie, dann in das Hospital des Armee-Korps, welches auch Amputationen und Wundoperationen durchführen konnte, endlich die Verbringung in eine wesentlich weiter entfernte Dauereinrichtung, um epidemische Krankheiten zu verhindern oder schlicht wegen Platzmangel in den Feldlazaretten699. äußerst, und die wenige nächtliche Ruhe, welche uns übrig bleibt, wird durch die ungeheure Menge von Flöhen, die man hier antrifft, um vieles gestört.« Barckhausen, Tagebuch, S. 58. 695 Grosch, Geschichte, S. 222. 696 Entweder man half sich in der deutschen Brigade gegenseitig durch Tausch von Montierungsstücken aus, oder man schaffte sich durch Plünderungen Ersatz  : »Außerdem hatte ich den Vortheil von dieser Affaire [Plünderung des Dorfes Torrella de Montgrì durch das Waldecksche Bataillon, Anm. d. Verf.] dass alle meine Leute, die sehr der leinernen Hosen bedurften, nun auf einmal aus spanischen Bettlaken gekleidet waren.« Barckhausen, Tagebuch, S. 63. 697 Das teure Chinin war derweil nur den Offizieren vorbehalten. Schuster, Infanterieregiment, S. 13. 698 Zahlen aus DAW, Würzburg, St. Burkard. 699 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 141. Die Würzburger fanden sich bis verteilt in verschiedenen La-

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Bei einem ›Streifzug‹ zwischen Besalù und Bàscara am 25. September 1810 trafen Gewehrkugeln aus dem Hinterhalt den rechten Oberschenkel und die Wade des Offi­ ziers700. Schwerverwundet musste er sich, unterstützt von seiner Mannschaft, selbst zurück zur Operationsbasis bringen, weil es generell keinen geregelten Krankentransport wie Sanitäter o. ä. bei der französischen Armee gab701. Dort angelangt, wurde er daraufhin in der vom chirurgien sous aide Michael Flach in Bàscara notdürftig eingerichteten ambulance erstversorgt702. Da der in diesen Fällen nahezu unvermeidliche Wundbrand drohte, wurde er unverzüglich ins Hauptlazarett nach Figueras mit einem der in stetiger Abfolge verkehrenden Verwundeten-Konvois gebracht703. Die mangelhafte Wundbehandlung durch die Anwendung von ›Digestivmitteln‹ hatte meist wenig Erfolg, beschränkte sie sich dort wie überall sonst in dieser Zeit lediglich auf das Auftragen von harzhaltigen Salben, welche die Eiterung der Schusswunde befördern sollte704. In Figueras attestierte schließlich am 30. September ein französischer chirurgien major Hptm. Cantler eine »impossibilité des transportes«705, weswegen er zunächst wegen Überfüllung neben tausenden anderen Verwundeten in Staub und Schmutz auf einem Platz vor dem Hospital liegen musste706. Dort erkrankte er zudem an dem all-

zarettstädten im Südosten Frankreichs, in Carcassonne, Toulouse, Montpellier, Narbonne und selbst in Nîmes untergebracht. Vgl. Verlustliste im Anhang als Dokument LVI, S. 587–591. Allgemein dazu auch  : Antoine de Baecque  : Imperiale Verletzungen, in  : Bénédicte Savoy (Hg.)  : Napoleon und Europa. Traum und Trauma  ; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 17. Dezember 2010 bis 25. April 2011. München u. a. 2010, S. 49–63. 700 Seine Krankengeschichte findet sich gut dokumentiert in der Offizierspersonalakte Cantlers  : Vgl. BayHStA, Abt. IV, OP 76463, Fol.18–20. Daraus das Folgende. 701 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 141. 702 Vor Gerona fanden sich die ambulances entweder am Sitz des IR-Kommandos in Campdorà oder noch näher am Schlachtgeschehen in Sarrià. Dort fehlte es, wie ein Kriegscomissaire namens Rey an das Kriegsministerium in Paris meldete, »an Allem, an Arzei, an Leinwand zum Verband, an Geräth, an Verpflegungsbedarf  ; dazu steht nicht ein Heller zur Verfügung, um so wesentliche Armeebedürfnisse abzuhelfen.« ed. in  : Laurent Gouvion Saint-Cyr, Tagebuch, Anhang Nr. 6, S. 368f. 703 Barckhausen, der Zeuge eines solchen Transports war, schildert plastisch  : »600 Blessierte kamen am selben Tage noch unverbunden nach Bascara und ich musste sie nach Figueras eskortieren. Auf dem ganzen Wege sah man eine Spur von Blut, weil durch die Erschütterung auf den Wagen die Wunden wieder aufbrachen. Fürchterlich war der Anblick dieser Menschen, die, halb todt, nun noch in der größten Sonnenhitze und ohne Erquickung bis nach Figueras, 8 Stunden weit geschleppt wurden. Viele starben unterwegs.« Barckhausen, Tagebuch, S. 74. 704 Poßelt, Die Grande Armée, S. 142f.; Schuster, Infanterieregiment, S. 6. 705 BayHStA, Abt. IV, OP 76463, Fol. 19. 706 Über das Lazarett in Figueras Barckhausen  : »Wer menschliches Elend sehen und dessen höchste Stufe beschreiben will, der muss einen Blick über eine solche Trauerscene werfen. Hier lag einer ohne Arme, dort einer ohne Beine, hier einer an Arm und Bein zugleich zerschmettert, dort einer dem die Eingeweide aus dem Leibe quollen und ein anderer, dem die der ganze Mund fehlte, wieder ein anderer, der durch eine

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seits gefürchteten ›Lazarettfieber‹707. Er musste deshalb bis zum 2. Januar 1811 bleiben, bis ihm ein medicine ordinaire à l’armee catalogne die Transportfähigkeit bescheinigte. Nachdem auch der Chef des dortigen Militärspitals dies bestätigte, konnte er weiter nach Perpignan verbracht werden. Zwei Wochen später, am 16. Januar schrieb ihm dort Dr. Joseph Pfeiffer als Regimentsarzt ein Attest aus, dass er wegen »schwerer Bleßur am rechten Oberschenkel feldkriegsdienstuntauglich« sei und er eine »Ausweisung [aus dem IR, Anm. d. Verf.] zum Gebrauch mineralischer Bäder«708 anordne. Es grenzt an ein Wunder, dass Cantler seine schwere Verletzung und die epidemischen Krankheiten überhaupt überlebte und mit einer kleinen Gruppe Würzburger Offiziere im März 1811 (auf eigene Kosten) nach Würzburg gelangen konnte709. Dieses Beispiel zeugt nur auf den ersten Blick von einer gut funktionierenden Organisation mit Gutachten und Gegengutachten und genügend Ärzten, die sich um Cantler kümmerten. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die höheren Chargen wie Cantler in den Hospitälern bevorzugt behandelt wurden und wegen besserer Lebensmittelversorgung von vorneherein zumeist eine bessere Konstitution aufwiesen und zudem gewöhnlich unter weit weniger kräftezehrender Arbeiten zu leiden hatten wie gemeine Soldaten710. Der Anteil letzterer an den in den Hospitälern Verstorbenen ist daher auch viel höher, wie sich für die Streitkräfte Würzburgs belegen lässt711  : Von den 638 zufällig im Sterberegister von St. Burkard verzeichneten, gefallenen Spanienkämpfern finden sich lediglich 39 Tote, die keine einfachen Soldaten waren712. Wie schon 1806/07 zeigt Granate verbrannt war, und so fand man nur alle erdenklichen Blessierungen.« Barckhausen, Tagebuch, S. 74. 707 Welche epidemische Krankheit, wie u. a. Fleckthyphus, Hospitalbrand oder Pyämie unter diesem Sammelbegriff im Einzelfall steckte, ist heute meist nicht mehr nachzuvollziehen. 708 BayHStA, Abt. IV, OP 76463, Fol. 20. 709 Er überlebte während seiner Felddienstjahre noch etliche andere Torturen. Ein ärztliches Attest aus dem Jahr 1828 bezeugt sein seltenes Überlebensglück, das Cantler während seines Felddiensts hatte  : »Am Unterkiefer der linken Seite befindet sich eine Schusswunde mit Knochensubstanzverlust, an der rechten Brust ein Bajonettstich, am rechten Hüftgelenk und am linken Oberschenkel und in der linken Wade wieder eine Schusswunde« BayHStA, Abt. IV, OP 76463, Fol. 50. 710 Vgl. Poßelt, Die Grande Armée, S. 146. 711 François-René Chateaubriand (1768–1848) schrieb 1814 darüber in seiner Abrechnungsschrift De Bonaparte et deBourbons  : »Ein verwunderter Mann wird für Bonaparte zu Last, besser, er stirbt. Haufen von verstümmelten Gemeinen Soldaten blieben manchmal Tage, ja Wochen in einer Ecke liegen, ohne dass sie behandelt werden  ; es gibt keine Hospitäler, die groß genug sind […]. Keine Vorsichtsmaßnahme war vom Henker der Franzosen für sie voresehen.« Zit. nach  : Antoine de Baecque, Imperiale Verletzungen, S. 51. Auch wenn Chateaubriands Schrift einseitig wertend ist, täuscht sie nicht darüber hinweg, dass tatsächlich erst 1813, als dann keine Logistik für eine Reform des Verwundetenversorgungssystems mehr realisiert werden konnte, Napoleon hinsichtlich dessen umzudenken begann. Vgl. ebd. S. 57f. 712 Der größte Anteil derer jedoch im Rang eines Kpl. Vgl. Verlustliste im Anhang als Dokument LVI, S. 587–591

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sich auch im Spanieneinsatz ein nach Chargen differenziertes Sterben, wie auch das Fallbeispiel Cantlers zeigt. Wie viele Soldaten aus Würzburg nun direkt ›vor dem Feind geblieben‹ oder in Folge einer Wundinfektion, einer Fieberkrankheit, aus Erschöpfung oder aus Mangelversorgung starben, ist im Detail irrelevant. Der am Feldzug beteiligte Hauptmann Frits notierte in seine Entwürfe zu einer Regimentsgeschichte diesbezüglich vielsagend  : »La Guerre d’Espagne est la fortune des Generaux, la misère de l’offiziers et la morte du soldat«713. Viel wichtiger ist die Frage, wie wenige den Einsatz in Spanien tatsächlich überlebten, nachdem sie zunächst im Dezember 1813 – nach dem Austritt Würzburgs aus dem Rheinbund – als französische Kriegsgefangene interniert wurden und erst im Mai 1814 wieder nach Würzburg zurückkehrten714. Für eine solche Berechnung ist wichtig zu wissen, dass am 26. März 1811 auf Befehl Napoleons das IR-Würzburg, zu diesem Zeitpunkt nur noch in Stärke eines kleinen Bat., in ein ebensolches umgeformt wurde715. Aus 423 dienstfähigen Soldaten formte das französische Brigadekommando ein Bat., die restlichen 15 Offiziere und 52 Mann wurden nach Würzburg geschickt716. Geht man für eine Verlustberechnung also davon aus, dass 1.732 Mann Würzburg im Jahr 1808 verließen und am 19. Januar 1810 von dort eine 258 Mann starke Ergänzung nach Bàscara kam717, im Dezember 1813 die Würzburger nur noch einen Effektivstand von 713 StAWü, H.V. Ms, q. 116, S. 173. 714 Während die Residenzstadt Würzburg längst in den Händen der bayerisch-österreichischen Koalition war, versahen deren Soldaten noch Bewachungsdienste in und um Puigcerdà. Der von Napoleon am 25. November 1813 erlassene Befehl der »Entwaffnung aller deutschen Hilfstruppen« erreichte die Würzburger erst am 24. Dezember, wo sie von eben noch verbündeten französischen Soldaten mit vorgehaltenen Waffen die eigenen abzulegen hatten. Der Chef der Katalonienarmee Marschall Louis Gabriel Suchet (1770–1826) ließ sie wissen  : »Es tut mir leid Euch zu verlieren  ; ich unterließ nicht meinem Kaiser anzuzeigen, wie sehr ich Euch schätze und versäumte nicht, zu bitten, Euch sobald es die Umstände erlauben die Waffen, die ihr in Spanien vor Gerona, bei allen Gelegenheiten und Affären, denen Ihr beigewohnt, mit ausgezeichnetem Ruhme ehrenvoll getragen habt, zurückzugeben und damit euch wieder bei der Armee, wo Offiziere und Soldaten Euch so sehr geschätzt und geliebt.« zit. nach  : Grosch, Geschichte, S. 237f. Natürlich sollte es anders kommen. Am 26. Dezember 1813 begannen die Würzburger »unter Zurücklassung der Bagagewägen und der Cassa den Marsch nach Frankreich in die Gefangenschaft«, wo am 11. Februar 1814 die Offiziere in Mortagne-au-Perche und die Mannschaften in Bourg im Departement Orne ankamen, vgl. StAWü, H.V. MS, q., 116, S. 253. 715 Ebd., S. 231. 716 Zahlen nach StAWü, H.V. MS, f., 166. Unter den Abmarschierenden befanden sich im Übrigen auch die Ärzte Pfeiffer, Flach und Kreppel. Das Bataillon war daraufhin nur mit dem Unterarzt Dörflein versorgt. Die MOK entschloss sich Ende April 1811 zwei Ersatzärzte (Dr. Kretschmar und Dr. Beidler) zu schicken, »weil einer alleine die in Spanien herrschenden Krankheiten und das Klima nicht verkraften könne«. So in  : StAWü, MOK 13, 30. April 1811. 717 Vgl. Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 286. 300 Mann waren unter Maj. Karl Metz am 19. Oktober 1810 von Würzburg ausmarschiert. 42 Mann wurden schon auf dem Marsch nach Spanien krank oder desertierten. Vgl. Grosch, Geschichte, S. 227.

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573 Soldaten aufwiesen und von diesen nach der Kriegsgefangenschaft nur noch 347 im Jahr Mai 1814 in bayerische Dienste überführt werden konnten718, muss man einen Verlust von 1.643 Mann, also 82,6 % vom ursprünglichen Kontingent, beklagen. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Befunden anderer Rheinbundtruppen in Spanien, die im Zeitraum von 1808 bis 1814 80–90 % ihrer Sollstärke einbüßten719. Zusammenfassung

»Beyläuffig zwei Tausend Mann von den Würtzburger Truppen wurden als hilfs-Völcker in diesem jahre gegen die spanischen Insurgenten abgeschickt, deren Unterhalt dem Lande monathlich dreißig tausend Thaler kostete, welches Geld außer Landes ging«720 Das schrieb Pfarrer Michael Anton Rauch aus Euerfeld zum Abmarsch des IR nach Spanien 1808 in seine Pfarrchronik. Vier Aspekte sind an dieser nüchternen Formulierung bemerkenswert, ist die Pfarrchronik doch sonst in überaus empathischem Stil gehalten. Bemerkenswert ist erstens, dass die zeitgenössische Wortverwendung dennoch präzise den Einsatz der Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg in Spanien beschreibt. Von 1809–1811 übten diese und die anderen Rheinbundtruppen tatsächlich unselbstständige, bei den Soldaten unbeliebte und dem Charakter von ›Hilfs-Völkern‹ entsprechende Aufgaben aus. Schwerstarbeit beim Schanz- und Laufgrabenbau, Konvoibewachung gehören in dieses Aufgabenspektrum. Der zahlenmäßig geringe Anteil der Würzburger mit ­ihrem oftmals dislozierten Regimentskommando wurde vom französischen Brigade- und / oder Korpskommando dahin geschickt, wo und wie man sie eben brauchte. Die genuin französischen Truppen wurden zu Feldschlachten und Hinterlandsicherung verwendet. Dies änderte sich mit der Einsatzzeit. Durch die standesunabhängige Vergabepraxis militärischer Verdienstorden zu höchstem persönlichem Risiko animiert, vollbrachten einzelne Truppenführer Höchstleistungen, denen sich nur der fanatische Verteidigungswille der Belagerten in Gerona in den Weg stellte. Sobald ein solcher hochmotivierter Offizier seine eigenen Truppen in kleineren Verbänden unter der Regimentsstärke mit eigenem Handlungsspielraum befehligte, gelangen die militärischen Operationen erfolg­reicher, als wenn die Soldaten Würzburgs von fremden Truppenführern die Festungswerke Geronas in Sturmkolonne angriffen. Dass die Auftragstaktik zur späteren »Spezialität des deutschen Heeres«721 in Kaiserreich und Wehrmacht werden konnte, 718 Beide Zahlen aus  : BayHStA, Abt. IV, Serienakten, 407. Nicht eingerechnet die 25 Mann des Fuhrwesens, von denen bereits 1810 16 Soldaten gestorben waren. 719 Vgl. Börner, Krise und S. 11. 720 Diözesanarchiv Würzburg, Euerfeld, 1346, S. 93. 721 Hoeres, Das Militär, S. 339.

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könnte im ungeregelten Krieg der Rheinbundtruppen in Spanien seinen Ursprung gefunden haben. Der Einsatz eigengeführter Truppenverbände in Kompaniestärke (oder darunter) war auch nach der Belagerung bis 1813 bei sogenannten Reconnaissances im gebirgigen Katalonien die militärische Praxis und de facto der Kleine Krieg. Darauf waren die Soldaten Würzburgs – gedrillt seit ihrem Abmarsch nach französischem LinienInfanterie-Reglement – nicht vorbereitet worden. Die bei diesen Zügen regelmäßige weite räumliche Entfernung vom disziplinierenden Regiments- bzw. Brigadekommando befeuerte die Gewalteskalation außerdem. Auch die ›braven Soldaten Würzburgs‹ plünderten und beteiligten sich an Gewaltexzessen. In der Außensicht waren dafür allerdings die ›Insurgenten‹, wie sie die Pfarr­chronik aus Euerfeld benennt, verantwortlich, was ein zweiter wichtiger Aspekt ist. Die so Bezeichneten, in Wahrheit heterogenen Gruppen aus regulären Soldaten, Freiwilligenverbänden, Schmugglern und Straßenräubern zeigten sich den Würzburgern vor Ort als Brigands und verbrecherische Banditen. In ihren Augen schienen alle Spanier gegen sie zu kämpfen, Frauen, für sie unerhört, in militärischer Organisation (Kompanien St. Barbara und St. Martha) oder als sie vergiften wollende Marketenderinnen, Kinder als Späher im Gebirgskampf um Olot, Greise als letzte starke Verteidiger von Vieh und Hof. Überall drohte der Hinterhalt. In Spanien war der Krieg für die Soldaten Würzburgs als ein totaler Krieg erlebbar. Freund wie Feind befanden sich in Katalonien in der gleichen Ressourcenkonkurrenz und bedienten sich dabei den gleichen Mitteln des Kleinen Krieges. Die mangelhafte Versorgungssituation, die große Hitze und nächtliche Kälte, das raue Gebirgsklima, stachelte zu Kriegsgreueltaten auf beiden Seiten an. Die Kommunikation mit der MOK in Würzburg kam gleichzeitig völlig zum Erliegen, was für Kriegsgreuel durchaus bezeichnend ist. Nachdem sie die Kontrolle über Strategie, Taktik und Versorgung an Frankreich übertragen hatte, war für die Regierung in Würzburg das Schicksal der in Spanien für ihre ›politischen Zwecke‹ Kämpfenden entindividualisiert. Die monatlichen Geldüberweisungen für den Sold an das französische Kriegsministerium blieben für die MOK und offensichtlich auch für die Bevölkerung, wie Pfarrer Michael Anton Rauch, der einzige Bezug zu den Soldaten. Der Spanieneinsatz wird in der sonst so empathisch erzählenden Pfarrchronik nicht weiter thematisiert. Erst als das Leiden der Soldaten in Katalonien mit den 1811 zurückkehrenden Offizieren in Würzburg buchstäblich wieder ein Gesicht bekam, rang sich die MOK nach langen Beratungen zu einer Hilfslieferung durch. 1.600 Paar Schuhe sollten zur Katalonien-Armee geschickt werden722. Allerdings erreichte der Konvoi nie sein Ziel, was 722 Am 18. April 1812 marschierte ein Konvoi mit drei Ult. (von Lurz, Seyfried und Lenz), ein Fourierkpl.

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angesichts der Rüstungen gegen Russland Mitte 1812 in Frankreich nicht verwunderlich ist, wurden diese kostbaren Monturstücke doch auch französischerseits besonders gebraucht. Am Ende des Spanieneinsatzes findet sich heute keine Protestnote der Würzburger Regierung oder sonst einer Behörde zur Internierung der letztverbliebenen Spanienkämp­ fer. Es scheint, als habe man die am Ende weniger durch den Feind als durch Krankheit, Hunger und Durst gehörig dezimierte Truppe schon kurz nach dem Ausmarsch aus Würzburg dort nicht mehr weiter beachtet. 2.4 Im Fünften Koalitionskrieg 1809 – Professionalisierung unter Feuer

Anders als es noch jüngst in einer vielbeachteten Schrift anlässlich der Landesaustellung »Napoleon in Bayern« im Jahr 2015 zu lesen ist, schickte 1809 Erzherzog Ferdinand doch Soldaten seines Großherzogtums gegen seinen älteren Bruder Kaiser Franz zur Komplettierung seines bereits im Feld stehenden Regiments723 und somit auch gegen jene Truppen, die von seinen jüngeren Brüdern Erzherzog Carl und Erzherzog Johann kommandiert wurden724. Die absurde Situation wird um noch eine Facette reicher, dass sich Soldaten des Großherzogtums Würzburg auf dem Schlachtfeld von Wagram dem österreichischen 23. IR mit dem Beinamen »Würzburg« gegenübersahen, dessen Regimentsinhaberschaft ihr Oberbefehlshaber Erzherzog Ferdinand seit 1800 ehrenhalber innehatte725. und neun Gemeine als Transport-Kommando mit 1.600 Paar Schuhen nach Spanien ab. Weiteres ist nicht bekannt. Vgl. StAWü, MOK 14, Entschließung vom 18. April 1812. 723 Hirsinger meldete am 4. Februar 1809 auf die Anordnung des Fürstprimas Dalberg, schleunigst Truppen zur Verfügung bereitzuhalten nach Paris  : »Le grand duc a répondu aujourd’hui au Prince Primat, que, fidèle à ses devoirs comme Prince confédéré, il avait donné immédiatement ordres pourque le complément de son contingent soit prêt à marcher en premier signal, que son régiment d’après la demande que j’en ai faite en septembre dernier était entré au service de sa Majesté Imperial et se trouvait actuellement en France«. Hirsinger an Champagny, Würzburg, 4. Februar 1809, in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 244. 724 In seiner, dem Titel nach viel zu knapp gehaltenen Betrachtung des Großherzogtums Würzburg schreibt Marcus Junkelmann über Erzherzog Ferdinand  : »Wenigstens blieb es ihm erspart, seine 2000 Soldaten gegen die Armee seines Bruders, die von einem weiteren seiner Brüder kommandiert wurde, kämpfen lassen zu müssen«. Aufgrund heutigen Kenntnisstands (Rückert, Opfer für Napoleon, S. 202–204) ist dies aber genauso zu korrigieren wie die Aussage  : »Napoleon hielt es für taktvoll das Würzburger Kontingent bei der Niederwerfung des Donaustaats 1809 nicht auf dem Hauptschauplatz zu verwenden«, so bei  : Botzenhart u. a., Deutsche Geschichte, S. 336. Genauso die Einschätzung Winfried Rombergs über das Kontingent des Großherzogtums Würzburg  : »Dessen Gros seit 1808 in Spanien eingesetzt, hatte im Krieg Österreichs gegen Napoleon 1809 aber nicht wider den Bruder des Souveräns zu marschieren, abgesehen von 200 Mann Trainpersonal in der Etappe um Bayreuth«. So in  : Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 116. 725 Smith, Napoleonic Wars, S. 320.

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Es wird im Folgenden möglich sein, diesen bemerkenswerten, bisher weitgehend unbekannten Einsatz archivgestützt näher zu beleuchten, der wie nichts anderes zeigt, wie weit Erzherzog Ferdinand seine selbstgewählte Doppelstrategie zwischen den beiden mächtigsten Höfen trieb und wie weit das ›dévouement‹ ging, das der Geheime Staatsrat zur Erreichung seines ›politischen Zwecks‹, als Vorbereitung maßgeblicher Gebietsexpansionen 1810 einzusetzen bereit war. Truppenaufstellung und Ausrüstung

Die Aufforderung Dalbergs, datiert auf den 2. Februar 1809, an alle Rheinbundfürsten, ihre Kontingente zu mobilisieren und zu vervollständigen, um »maintenir et consolider la paix du continent«726, beantwortete man in Würzburg wie gewohnt schnellstmöglich. Erzherzog Ferdinand ließ zwei Tage später seine Bereitschaft erklären, ›en premier signal‹ Truppen zu stellen – auf seinen Bruder zielte er damit nicht. Anton Chroust weist zwar in seinem Hauptwerk zum Großherzogtum Würzburg mit einigem Recht darauf hin, dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein französischer Waffengang gegen Erzherzog Ferdinands von ihm »nicht geliebten Bruder«727 und gegen sein eigenes Haus Habsburg-Lothringen drohend in der Luft lag. Trotzdem habe er eilfertig den Wünschen Napoleons entsprochen. Deutliche Worte in diese Richtung habe der Fürstprimas schließlich bereits in seiner Aufforderung gewählt728. Allerdings deckt sich Chrousts Deutung nicht mit allen Tatsachen, sondern scheint auf den Fixpunkt einer angeblich schlechten Bruderbeziehung hin ausgerichtet zu sein. Tatsächlich rechnete man in Würzburg lediglich mit einer Truppenergänzung des bereits bestehenden IR, nicht mit einem neuen Kriegseinsatz einer neu zu formierenden Truppe. Die MOK beriet in ihrer Sitzung vom 18. Februar die jüngsten Beschlüsse des Geheimen Staatsrats, und meldete auf Grundlage dessen an letzteren zurück, dass »die Bereithaltung der nach Abzug des im Felde stehenden Regiments zur Complettierung des auf 2000 Mann festgesetzten Contingents noch abgängigen 268 Köpfe […]« durchaus möglich sei und nun 271 Soldaten in zwei Kompanien »dem Regiment unter [Olt.] Zitzmann und Cadet Steuert dem Infanterie-Regimente nachgeschickt werden«729 könnten. Die MOK plante 726 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 244, Hirsinger an Champagny, Würzburg, 4. Februar 1809. 727 Chroust, Die Geschichte, S. 212  ; gleichlautend S. 291ff. 728 So wies Dalberg beim Mobilisierungsaufruf darauf hin, dass Kaiser Napoleon wegen »mouvements de l’Autriche« aus Spanien am 23. Januar in seine Hauptstadt zurückgekehrt sei und deswegen eine erneute Mobilisierung bevorstünde. Das nächste Kriegsziel, nach der Niederringung des spanischen Aufstandes, könnte also durchaus für jedermann ersichtlich gewesen sein. Vgl. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Hirsinger an Champagny, Würzburg, 4. Februar 1809, Fol. 245. 729 StAWü, MOK 12, S. 269f.

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also zunächst lediglich eine Truppenergänzung für das IR in Spanien, einen anders lautenden Befehl aus dem Staatsrat gab es nicht. Daran änderte sich auch nichts, als tags darauf am 19. Februar Champagny via Hirsinger aus Würzburg konkret zwei Kompanien Sappeurs zu je 100 Mann forderte730. In der Annahme einer lediglich speziellen Truppenergänzung für den Spanieneinsatz sicherte Seuffert dann am 25. Februar jene sofort reflexartig zu. Er tat dies allerdings ohne genaue Absprachen über deren Verwendung zu treffen, was ihm vermutlich zuletzt das Amt des dirigierenden Staatsministers kosten sollte731. Er versprach deren Marschbereitschaft ›incessamment […] au primer signal‹, auch ungeachtet dessen, dass man in Würzburg noch nie eine solche Truppengattung ausgebildet hatte und auf die Schnelle auch keine dafür geeigneten Mannschaften auftreiben konnte732. Die MOK reagierte auf die übereilte Forderung des Geheimen Staatsrats hektisch und überfordert. Von allen Kommandos wurden Listen eingefordert, welcher Soldat vorher einen für das Geniewesen dienlichen Beruf ausgeübt habe – allerdings ohne Erfolg  : So meldete beispielsweise das Infanterie-Reserve-Kommando, dass von den 303 dienstbaren Soldaten der beiden Reservekompanien 224 keinen Beruf erlernt hatten. Das einzige, was aufgeboten werden könne, seien 56 Freiwillige, von denen aber nur elf ›mit Profession‹ wären733. Auch die Hoffnung der MOK auf die bisher noch 297 »abgä-

730 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Champagny an Hirsinger, o.O., 19. Februar 1809, Fol. 249. Die ursprünglich zum Bau von Sappen, also die bei Belagerung einer Befestigung notwendigen Laufgräben und Minierschächte herangezogenen Regimentszimmerleute oder überzählige oder feldkriegsuntaugliche Infanteristen, professionalisierten sich während der Napoleonischen Kriege und wurden nach und nach in eigenen Einheiten zusammengefasst. Vor allem das französische Geniewesen verlangte angesichts ihrer ausgefeilten Artillerietaktik ausgesprochen versiertes handwerkliches Können. 731 In seinem Antwortschreiben lässt Seuffert wenig Zweifel, dass er lediglich beabsichtigte die Truppenergänzung in Auftrag zu geben. Der Interpretationsspielraum auf französischer Seite hatte in seiner Formulierung dennoch genügend Platz  : »Son Altesse Impériale et Royale ayant d’jà fait organiser Son Régiment d’infanterie se trouvant au service de Sa Majesté l’Empereur et Roi, d’après le système militaire, qu’Elle a créé se flatte d’avoir satisfait aux vues, lesquelles Son Excellence vient de manifester sur la formation d’un Régiment d’infanterie. Quant aux deux compagnies de sapeurs de cent hommes chacun, les ordres ont été donnée, de les former incessamment, pour les en état de marcher au primer signal«. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Seuffert an Hirsinger, Würzburg, 25. Februar 1809, Fol. 250f. 732 Obristlt. Joseph von Kunst gab bei seinem Vortrag am 14. März dem Geheimen Staatsrat zu bedenken, »dass [es] bei einem so geringen Militär-Etat nicht möglich sein wird, die abverlangten theils Arbeitsfähigen, als abgerichteten Leute aufzubringen, […] weil die zum Militärstand bestimmten Landpflichtigen meistens aus dem Bauern und Häckerstand gezogen werden, und bis zur dieser Zeit noch nie ein derley Sappeur-Korps in diesseitigem Staate bestanden hat, welches durch frische Erlernung und praktischer Vollführung sich die nöthigen Kenntnisse zu sammeln in Stande gesetzt war.« So in  : StAWÜ, MOK 378, Vortrag Kunst, 14. März 1809. 733 Zahlen aus  : StAWü, MOK 378, Verzeichniß, der zum feldkriegstauglichen Mannschaft der 1ten Reserve Compagnie  ; Verzeichniß der zum felddiensttauglichen Mannschaft der 2ten Reserve Compagnie.

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nigen Rekruten«734 der 600 insgesamt von der CCC angeforderten Rekruten, zerschlug sich, weil die gelosten Kantonisten nicht erschienen. Denn schon am 11. März erneuerte das französische Kriegsministerium sein Verlangen nach den Sappeurs »ohne dabey auszudrücken, ob sie zu dem nach Spanien gewanderten Kontingent oder zu einem der deutschen arméecorps zu ziehen haben«735, wie Buol aufgeregt nach Wien meldete. Die oberste Verwaltungsbehörde gab das erneute französische Drängen sogleich an die MOK weiter, ohne »den allermindesten Verzug […] zwey Compagnien Sapeurs zu errichten. […] Man versieht sich, dass starke Leute und so viel möglich die genannten Handwerksleute werden ausgewählt werden und überlässt es der Militär-Oberkommission von den Artilleristen so viel Leute dazu zu stellen, als thunlich ist, weil diesselben zu diesem Corps tauglicher sind«736. Immer neue Aufforderungen änderten allerdings nichts daran, dass Soldaten mit solch gefordertem Profil für die MOK schlicht nicht zur Verfügung standen. Obwohl ein wesentlich höherer Sold als bei gewöhnlichen Infanteristen lockte, fanden sich nur die erwähnten 56 Freiwilligen737. Seit der ersten Forderung hatte die Behörde lediglich einen Plan angefertigt, dass die Kompanien »auf das Schnellste mit den Distinctions-Zeichen wie es im französischen Dienste überhaupt üblich und für das das gedachte Korps vorschriftsmäßig ist, zu versehen«738, und man beschloss, wie die Truppe zu organisieren sei, allerdings nicht, mit welchen Soldaten die Pläne verwirklicht werden sollten739. Weil dennoch weder dem Begehren Frankreichs, noch dem des Geheimen Staatsrats »beinahe nicht zu wider­sprechen [sei]«740, wie es der Protokollauszug der MOK vermerkte, antwortete sie ausweichend. Sie sprach von »Hindernissen«, verwies auch darauf, dass sich »die zum Abmarsche bestimmten Offiziere« durch »Vorgabe übler Gesundheit« 741 zu entziehen 734 StAWü, StAWü, MOK 12, S. 379. 735 HHStAW, Stk, Würzburg 2, Buol an Stadion, Würzburg, 11. März 1809. 736 StAWü, MOK 378, Hartmann an die MOK, Würzburg 11. März 1809. 737 Ein Sappeur I. Klasse sollte 14½Xr. (53 frz. Centimes) pro Tag im Feld verdienen, im Jahr damit 88 fl. 20 Xr. (Sappeur II. Klasse  : 10 Xr. 4 hlr. (48 frz. Centimes) pro Tag/ 63fl. 87 Xr. im Jahr). Vgl. StAWü, MOK 378, Verpflegstarif für die großherzogliche Artillerie/ Sappeurs in Friedens und Kriegszeiten pro Monat. Ein gemeiner Infanterist hingegen wurde nur mit 45 fl. 47 Xr. entlohnt. Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 187, Gebührs-Ausweis 1805. 738 StAWü, MOK 378, Reskript Hartmanns, 10. März 1809. 739 Laut Plan  : ein Hptm., ein Oberstlt. (»Baron von Waldenfells und Joseph Kunst als Compagniechefs«), zwei Olt. (»als II. Klasse-Capitäns«), ein Olt., ein Ult., ein Fw., ein Oberfeuerwerker (»als Lieutnants«), »2 Sergant-Majors, 8 Sergants, 16 Caparaux«, vier Tambours, 162 Sappeurs. Diesen wären zusätzlich zuzuteilen  : ein Unterarzt, zwei Fouriers, ein Schneider, ein Schuhmacher sowie acht Wagenknechte, in  : Ebd. 740 StAWü, MOK 12, S. 451. 741 Ebd., S. 379. Vgl. bspw. ebd., MOK 378, Antrag und Gutachten des Regiments-Arztes Brünninghausen betreffs des als Kompaniechef gedachten Obristlt. Kunst auf den Gebrauch mineralischer Bäder wegen eines Gichtanfalls.

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versuchten – ein bekanntes Motiv bei den vorausgegangenen Einsatzbefehlen in Würzburg. Anfang März, als die Habsburgermonarchie bereits ihre Hauptarmee in Böhmen mit Stoßrichtung Franken positioniert hatte – der Angriff war auf den 15. März terminiert742 – wusste sich die MOK nicht mehr alleine zu helfen. Sie bat am 11. März den Geheimen Staatsrat, selbst tätig zu werden, »mittels Circular-Befehl an alle Landgerichte sogleich sämtliche Artilleristen vom Urlaube einzuberufen« mit der Androhung, dass »diejenigen welche in Zeit von 8 Tagen bei ihrem Corps-Commando nicht eintreffen als Deserteurs angesehen und auch so behandelt werden«743. Die oberste Regierungsbehörde folgte und reduzierte die Frist in dem am 12. März erteilten ›Circular-Befehl‹ auf drei Tage, um die Soldaten möglichst schnell unter französischen Befehl stellen zu können. Doch schon fünf Tage später teilte das französische Kriegsministerium den völlig überforderten Würzburger Behörden den 20. März als Zeitpunkt zum Ausmarsch mit744 – allerdings immer noch ohne Bestimmungsort745. Am 18. März einigte man sich in letzter Sekunde auf die Offiziers-Chargen746. Gezwungenermaßen nahm die MOK in diesen Tagen der ›ununterbrochenen Arbeit‹ und ›der thätigsten Betriebsamkeit‹ nun doch die überwiegende Mehrheit der benötigten Sappeurs aus der zwangsrekrutierten Infanteriereserve747. Vor allem Arbeitslose, ehemalige Metzger, Drechsler, Händler, Bar742 Vgl. Siemann, Metternich, S. 290. 743 StaWü, MOK 378, Auszug aus dem MOK-Protokoll, Nr. 166. 744 »Nachdem eben heute [17.03.] von Seiten der kaiserlich französischen Obersten-Militärbehörde die Forderung eintraf, dass die 200 Sappeurs bis den 20ten dieses M. in marschfertigem Stand seyen, und an dem genannten Tage neue Ordre erhalten sollen, so hat die großherzogliche Militair-Oberkommission das Äußerste aufzubiethen, damit dieser Forderung genüge geleistet werden könne. Es sind daher alle Arbeitsleute zur ununterbrochenen Arbeit [mit der thätigsten Betriebsamkeit] zu verhalten.« So in  : StAWü, MOK 12, Hartmann an die MOK, Würzburg, 17. März 1809, S. 451. 745 Selbst noch am 26. März war der Bestimmungsort den Würzburger Behörden noch nicht bekannt. Das bestätigte Buol in seinen Berichten nach Wien, der sonst so gut über alles informiert war, was den Anflug einer antiösterreichischen Politik bedeuten konnte. Vgl. HHStAW, Stk, Würzburg 2, Buol an Stadion, Würzburg, 26. März 1809. 746 Erneut zeigt sich ein Beispiel persönlicher Einmischung Erzherzog Ferdinands in militärische Belange. Der Bruder des im Dezember 1808 wegen vermeintlicher Gesundheitsprobleme zurückgehaltenen Offiziers Wilhelm v. Waldenfels, Joseph, wird nun auf eigenen Wunsch (respektive »künftigen avancements«) zum Regiment abgeordnet  : »Seine k. k. Hoheit der Erzherzog Großherzog befehlen, dass zu den zwey Sappeurskompagnien Hauptmann Freyherr von Waldenfels […] bestimmt werden solle«. Außerdem werden von der MOK bestimmt  : zum Olt. Andreas Büchold und Joseph Zitzmann, zum Ult. Jakob Korb, zum Fw. Franz Steinhauer, zum Oberfeuerwerker Frank Späth, zum zweiten Brigadier Johann Fischer. In  : ebd. S. 433–452. 747 Der Circular-Befehl des Staatsrates, datiert auf den 16. März, an die Artilleristen verfehlte ebenso seine Wirkung wie die vorhergehenden Bemühungen der MOK. In der 1. Kompanie fanden sich nur 34 Artil-

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biere und Maler sollten fortan die Elite-Truppe des in aller Welt bewunderten und fortschrittlichsten französischen Geniewesens ergänzen748. Wissend ob dieser Unzulänglichkeit meldete die MOK dem Staatsrat nach der nun innerhalb von drei Tagen erfolgten Truppenzusammenstellung, sich vorsorglich entschuldigend  : »[A]llein sie hätten sich auf den einem Sappeur nöthigen Wissenschaften nie verleget und seyen daher nicht hinlänglich bewandert, jedoch würden sie sich bestreben, dasjenige was ihnen abgehe, soviel als möglich zu erlernen«749. Genauso wie die völlig fehlende Ausbildung der Soldaten und deren überstürzte Aufstellung, so gehört auch ihre mangelhafte Ausrüstung zu den sich wiederholenden Moti­ ven der großherzoglich würzburgischen Militäreinsätze. Diesmal befahl der Geheime Staatsrat der MOK, den Sappeur-Kompanien lieber die zum Teil schadhaften Restbestände der preußischen Gewehre aus den Berliner Magazinen vom Feldzug 1806/07 mitzugeben, als die neu angefertigten Suhler Gewehre, die man besser für spätere Verwen­ dung im Land zurückbehalten wollte, trotz gegenteiliger Gutachten der MOK750. Um weitere Kosten zu sparen, habe die MOK für die Sappeure die altbayerischen Säbel, Feldflaschen und Feldkessel der Artillerie zu nehmen – »Tornister hat jeder Mann ohnehin schon den seinigen«751. Die erforderlichen Uniformen hatte das Artilleriekommando zu stellen. Dass diese Uniformstücke denen der österreichischen Artillerie in Schnitt und Farbgebung zum Verwechseln ähnelten, schien niemanden besonders zu stören. Es ahnte ja innerhalb der Würzburger Behörden auch keiner, dass die Sappeure gegen die Habsburgermonarchie eingesetzt werden würden. Diese Uniformähnlichkeit sollte nicht nur für Verwirrung auf dem Schlachtfeld, sondern auch zu Toten auf Seiten der Würzburger Soldaten führen. Nur hinsichtlich der Gerätschaften, die man für das Geniewesen benötigte, wie Steinhämmer, Brecheisen, Schaufeln und Kreuzpickel etc., ließ man die Kosten außer Acht und schaffte alles neu an. Das geschah natürlich nicht ohne explizit darauf hinzuweisen, der Kompaniechef habe »das sorgfälltigste Augenmerk«752 auf deren unbeschaleristen und 62 Infanteristen  ; in der 2. Kompanie 27 Artilleristen bei 69 Infanteristen. Vgl. StAWü, MOK 378. 748 Vgl. Bruce u. a., Fighting techniques. S. 200f. 749 StAWü, MOK 12, S. 485. 750 Obristlt. Kunst riet dem Staatsrat  : »Was die Armierung betrifft so ist ein hinlänglicher Vorrath von den nun angekommenen Souller-Feuer Gewehren vorhanden um die beyden Sappeur-Comapgnien damit auszurüsten« StAWÜ, MOK 378, Vortrag Kunst, 14. März 1809. Die Anweisung durch Staatsratssekretär Eckert mit gegenteiligem Urteil ist auf den 16. März 1809 datiert. 751 StAWü, MOK 378, Reskript Hartmanns, 10. März 1809. 752 Der § 6, der »Instruction für den Commandanten der zwey Sapeurs-Compagnien« bestimmte diesbezüglich  : »Auf Erhaltung der Montur-Armatur und übrigen Feldrequisiten mit Inbegriff der mitgegebenen Handwerks-Zeugs, hat der Commandant der Mannschaft das sorgfälltigste Augenmerk zu tragen, damit

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deten Erhalt zu legen und deren außerordentliche Qualität bei den Franzosen bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu erwähnen. Bei Durchsicht der Berichte, die Waldenfels aus dem Feld an die MOK einsandte, fällt hinsichtlich dessen auch auf, dass er die Zustandsbeschreibung von Montur- und Ausrüstungsgegenständen weitaus umfangreicher gestaltete als die seiner Soldaten. Oft hob er darin hervor, man habe ihn französischerseits wegen des »Aussehens der Truppen Sr. k. k Hoheit« der »Zufriedenheit in den schmeichelhaftesten Ausdrücken«753 versichert. Überhaupt scheint das Streben nach äußerem Eindruck bei der Truppenaufstellung symptomatisch. Das Großherzogtum Würzburg schien bei den verschiedenen Anlässen neuer Truppenforderungen aus Paris ein System verfolgt zu haben  : Nach außen hin sollte stets und peinlichst genau der Anschein einer schnell und problemlos aufgestellten, vollständig ausgerüsteten professionellen Truppe erweckt werden, die zudem mit der französischen Hauptarmee konform organisiert ist. Allein der äußere Schein spielte dabei die wichtigste Rolle. Das belegt auch die Anweisung Seufferts Ende März, dass von der MOK »alsbald noch Aufklärung erwartet [wird], ob bey der von den französischen Behörde vorgenommenen Revue, das blöde Gesicht des Feldwebels Steinhauer nicht von nachtheiligen Folgen seyn könnte«754. Der geheime Staatsrat beabsichtigte wenigstens auf den ersten Blick keinen Zweifel an der Tauglichkeit und am herausragen­ den Wert seiner Truppengestellungen für Frankreich aufkommen zu lassen, auch wenn Anspruch und Wirklichkeit dabei weit auseinanderlagen. Während Seuffert nach Abschluss der Truppenaufstellung nicht müde wurde, die vorbildliche Ausstattung der Sappeure und »leur belle tenue et apparence«755 in seinen Eingaben an das französische Außenministerium laut in den Himmel zu loben, pflichtete ihm sogar Hirsinger – oftmals sogar im gleichen Wortlaut – bei. Am 30. März verfügte Napoleon, die Würzburger Sappeure hätten zusammen mit den kleineren Häusern Sachsens und Naussaus ein kleineres 300–400-köpfiges Bat. die zur Vertheidigung nöthigen Waffen immer in den besten brauchbarsten Stand erhalten und die Werkzeuge welche zur Ausführung der anbefohlenen Arbeiten sowohl als zum Nutzen der übrigen Truppen verwendet werden müssen auf keine Weise gefährdet werden können, und dies bei den revenuen der kaiserlich französischen Obersten-Militärbehörde bei jeder Gelegenheit vorzüglichst anzuzeigen«. So in  : StAWü, MOK 378, Instruction für den Commandanten der zwey Sapeurs-Compagnien, Erstes Hauptstück. 753 StAWü, MOK 379, J. v. Waldenfels an MOK, Lager bei Ebersdorf, 2. Juni 1809. Besonders ausführlich beschrieb er den »außerordentlichen Eindruck«, den die Sappeure bei der großen Revue vor Kaiser Napoleon im Schlosspark von Schönbrunn gemacht hätten. Ebd., MOK 380, J. v. Waldenfels an MOK, Wien, 6. September 1809. 754 Ebd., S. 510. Das »blöde Gesicht« bei Franz Steinhauer könnte wohl Folge einer leichten Hydrocephalie oder eines ausgeheilten Schlaganfalls gewesen sein. 755 Vgl. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 66, Berichte vom 21. und 26. März, sowie 6. April 1809, Fol. 262–269.

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als Reserve des Geniewesens zu stellen756. Damit stand nun auch für die Würzburger Behör­den fest, dass ihre Truppen gegen Österreich zu marschieren hätten757. Am 6. ­April befahl Napoleon seinem General Berthier, sie nach Ingolstadt zu verlegen758. Am 10. April begann die Habsburgermonarchie, angeführt von Erzherzog Carl, die Offensive in Bayern, drei Tage zuvor marschierten 213 Sappeure unter dem Befehl von Joseph von Waldenfels aus Würzburg ab. In der Etappe

Für den Feldzug von 1809 rief Napoleon ca. 140.000 französische Rekruten zusätzlich zu den altgedienten ca. 90.000 Soldaten der sogenannten Rheinarmee. Die Verbündeten, Polen, rheinbündische Truppen und Holländer stellten ca. 100.000 Soldaten. Die 300.000-köpfige französische Armee, die im März 1809 einsatzfähig war, hatte einen gänzlich anderen Charakter als die von 1805 und verdeutlicht den Transformationsprozess hin zu einer ›Ausländerarmee‹759. Angesichts dieser gigantischen Streitmacht fanden sich die Würzburger Sappeure als nummerisch unbedeutender Teil einer Reserveabteilung eingereiht unter Gen. Henri-Gatien Bertrand (1773–1844), dem das gesamte Geniewesen unterstand und der seine Truppen bei Donauwörth zu sammeln begann, wo das Aufmarschgebiet aller napoleonischen Truppen lag760. Am 13. April kamen die Würzburger dort an und schon wieder zeigte sich, wie auch bei den Einsätzen davor, die mangelhafte Vorbereitung und die tatsächlich schlechte Qualität ihrer Ausstattung, aller beabsichtigter Augenwischerei zum Trotz. Wieder war es das so wichtige Schuhwerk, das diesmal bereits schon eine Woche nach ihrem Ausmarsch größte Probleme bereitete. Kompaniechef Waldenfels meldete darüber aus dem Truppenquartier in Lauterbach/Buttenwiesen761, »dass solche auf dem kurzen Marsche schon ganz durchgetreten sind und bei genauer Durchsuchung hat sich ergeben, dass die Sohlen ganz mit Holz unterlegt waren, damit sie ein stärkeres und festeres Ansehen erhielten. Es hat sich sogar der Fall ereignet, dass manche Leute ihren Schuh nur 756 Befehl ed. bei  : Franz Josef Adolf Schneidawind  : Der Krieg Oesterreich’s gegen Frankreich, dessen Alliirte und den Rheinbund im Jahre 1809 oder ausführliche Geschichte der Feldzüge in Deutschland, Italien, Polen und Holland, der Insurrectionen Tyrols und Vorarlbergs, der Aufstände in der Altmark und in Hessen, und der Züge des Herzogs Wilhelm von Braunschweig und des Majors F. von Schill. Urkunden, Briefe und Actenstücke. Schaffhausen u. a. 1850, S. 123. 757 Erst am 5. April ist diese Nachricht in Würzburg bekannt geworden. Vgl. HHStAW, Stk, Würzburg 2, Buol an Stadion, Würzburg, 8. April 1809. 758 Befehl ed. bei  : ebd., S. 129. 759 Vgl. Lefebvre u. a., Napoleon, S. 292. 760 Vgl. Mac Carthy, Strategie, S. 233. 761 Zur Marschroute siehe im Anhnang als Dokument XLVIII.

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einen Tag angezogen und ebenfalls gänzlich durchgegangen haben«762. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die MOK wohl seit langem über »den schlechten Zustand der vom Schuhmacher Satori zu Würzburg gefassten Schuhe«763 Bescheid wusste und aus Kostengründen diese nur nach optischen Maßstäben orientierte Produktion billigend in Kauf nahm. Nun fühlte sich die MOK allerdings zu einer Reaktion verpflichtet, »weil diesmal [!  !] gar keine Verbindlichkeit bestand, dem Satori seine unfertigen Schuhe abzunehmen«764. Kurzerhand entzog sie dem Schuhmacher – freilich trotz vieler Protestschreiben dessen – seine Konzession und die freie Wohnung in der alten Kaserne, um im Dezember 1809 die Rentkammer damit zu beauftragen, noch »wohlfeilere neue Akkorde wegen der Militärschuhlieferung«765 abzuschließen. Ähnlich verfuhr die MOK, als beim Einsatz offenbar wurde, dass auch die Röcke äußerst mangelhaft hergestellt worden waren und bereits nach kurzer Zeit z­ erschlissen waren766. Nachrüstungen musste v. Waldenfels in der Etappe auch hinsichtlich der »gegenwärtig großen Hitze« unternehmen und neue »Hosen und Gamaschen aus feinen Leinwanden«767 für jeden Soldaten kaufen. Er kaufte auch die zur lebenswichtigen Unterscheidung mit den feindlichen österreichischen Artilleristen französischerseits geforderten seidenen Halstücher und Federbüsche, weil es aufgrund einer Verwechslung bereits den ersten Toten gegeben hatte768. Die MOK lehnte die Bezahlung für diese Distinktionszeichen ab, weil die Würzburger Sappeure »durch ihre Epauletts und die auf den Tschakos angebrachten rothen Schnüre und Büsche zu unterscheiden [seien, und] weitere Distinktion unnöthig«769 sei. Kaum zu glauben, dass sich die selbst kriegserfahrenen Herren der MOK nicht vorstellen konnten, wie heiß die wollene Uniform bei der kraftraubenden Arbeit der Sappeure werden musste, oder wie wenig im Schlachtgetümmel die ›roten Schnüre‹ zur Unterscheidung taugen würden. Einmal mehr bestimmten ökonomische Überlegungen alleine ihr Handeln. Die Anschaffungen waren nur dank 762 StAWÜ, MOK 437, v. Waldenfels an MOK, Lauterbach, 15. April 1809. 763 Ebd. 764 Ebd., Auszug eines Protokolls der MOK-Sitzung vom 21. Juni 1809. 765 Ebd., Auszug eines Protokolls der MOK-Sitzung vom 16. Dezember 1809. 766 Z.B.: StAWü, MOK 445, Vorzeitiger Verschleiß der Röcke der ehemaligen großherzoglich-würzburgischen Sapeure betr. 767 StAWü, MOK 379, J. v. Waldenfels an MOK, Lager bei Ebersdorf, 16. Juni 1809. 768 Waldenfels beklagte sich bei der MOK, Olt. Zitzmann habe »durch einen würtembergischen Jägerhauptmann mit dem er auf Arbeit stand, die Nachricht eingezogen […], dass einer seiner Jäger einen Sapeur von uns, der seit Ebelsberg nächst Linz vermisst und als Traineur geführt wurde, erschossen hat, weil ihn derselbe für einen kayserl. oesterreischischen Canonier angesehen habe. […] Die allzugroße Aehnlichkeit unserer Uniformen mit der kayserl. oersterreichschen Armee gibt fast täglich Anlass zu unangenehmen Auftritten und Irritierungen, da noch überdieß bey den kayserl. oesterreichischen Armee die Czakós ganz gleich der unserigen eingeführt sind«. Ebd. J. v. Waldenfels an MOK, Wien, 6. September 1809. 769 Ebd., Auszug eines Protokolls der MOK-Sitzung vom 24. September 1809.

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einer Gratifikationszahlung von 4.000 Franc »ihrer Majestät Kaiser Napolion […] zum Beweis ihrer Zufriedenheit mit den Truppen der confoederation«770 möglich. Überhaupt war wieder die Truppenfinanzierung im Feld äußerst problematisch. Bis zuletzt gingen die Würzburger Behörden ja davon aus, die Sappeure würden dem IR nach Spanien hinterherziehen und auf gleiche Weise vom französischen Kriegsministerium auf Rechnung mitfinanziert. Jetzt reagierte die MOK zu spät, versäumte, wie bereits in den vorangegangenen Feldzügen zu beobachten gewesen, die rechtzeitige Ausstellung von den zur Truppenfinanzierung benötigten Wechseln. Zurückgeworfen auf die störungsanfällige Finanzierung durch Wechsel blieben dem Kompaniechef beim Ausmarsch nur die gutgemeinten Worte der MOK, der Kompaniechef habe bei Zahlungsausfällen ›die Mannschaft zu beruhigen‹ und ein gutes Beispiel für Geduld zu geben771. Ende Juli 1809 fehlten der Soldkasse bereits 3.000 fl. Im September war erneut das Geld für den Sold zwei Monate überfällig. Um an Geld zu kommen, reiste Waldenfels von Raab (Györ) in Ungarn auf eigene Rechnung nach Wien, wo der kleinere Teil der fälligen Kosten von ihm selbst, der andere durch ein unbürokratisches Privatdarlehen des würzburgischen Geschäftsträgers in Wien, v. Odelga, aufgebracht werden konnte, um die Disziplin der Truppe zu erhalten772. Noch zwei Jahre nach dem Einsatz beschäftigten verschiedene entlang der Marschroute der Sappeure aufgelaufene Forderungen die MOK. Die meisten wurden mit dem Verweis, dass eigentlich Frankreich die Kosten zu tragen hätte, abgewiesen. Frankreich schob sie als geringfügige Verwaltungskosten wiederum in den Aufgabenbereich Regiments/Kompaniekommandantur. Joseph v. Waldenfels, der auch in den noch kommenden Feldzügen in Verantwortung stand, klagte 1817 über seine Schuldenlast von 2.497 fl., die während seiner Einsatzzeiten entstanden sei und die er bis zu seinem Tod nicht verringern konnte.

770 Ebd. 771 Das Erste Hauptstück der Instruktion an den Kompaniechef schrieb in §4 vor  : »Da indessen die Verhältnisse oft gegen den besten Willen es mit sich bringen, dass des Soldat das, was ihm gebühret, nicht zur rechten Zeit erhalten kann, so hat der commandierende Offizier in solchen Fällen die Mannschaft zu beruhigen und nach allen Kräften, nöthigenfalls auch unter Hinweisung auf den bestehenden VIII. Kriegsartikel der Unzufriedenheit zuvorzukommen, da solche eines der gefährlichsten Übel im Militär ist. Das gute Beispiel des Offiziers Corps ist jedoch hier, so wie in allen Gelegenheiten das beste Mittel erwünschte Ordnung zu erhalten«. So in  : StAWü, MOK 378, Instruction für den Commandanten der zwey Sapeurs-Compagnien, Erstes Hauptstück. 772 Dies geht aus seinem Forderungsschreiben an die MOK aus Klagenfurt vom 4. Dezember 1809 hervor. Alleine wegen der Reisekosten füllte die MOK mit Vorträgen, Gegendarstellungen, Kassenbelegen, Zeugnissen und Beratungen einen 20 doppelseitigen Akt wegen entstandener 67 fl. 12 Xr. Die Zahlungsrückforderungen bestimmen den größten Teil seiner Offiziersakte, die auch für das Folgende bestimmend ist  : Vgl. BayHStA, Abt. IV, OP 83577.

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Auch wenn man die Überraschung des plötzlich angeordneten Österreicheinsatzes in Rechnung stellt, so scheint es doch, dass die Würzburger Behörden sich wieder nicht mehr besonders um ihre aufgestellten Truppen kümmerten, hatten diese erst einmal die Landesgrenze passiert. Denn eine die Kommunikation erschwerende große räumliche Distanz, wie sie für den Spanieneinsatz als Argument angeführt werden könnte, spielte beim Einsatz gegen die Habsburgermonarchie 1809 eher keine Rolle. Das gesamte Einsatzgebiet war infrastrukturell auf der Höhe der Zeit. Eine schriftliche Kommunikation zwischen der Kompaniekommandantur und der MOK funktionierte mit der üblichen zeitlichen Verzögerung bis zuletzt reibungslos. Erzherzog Ferdinand, den verständlicherweise die Vorgänge an der Front aus erster Hand besonders interessierten, forderte via MOK sogar tägliche Berichte ein773 und die geforderten Berichte aus dem Feld kamen auch in großer Menge in Würzburg an, weshalb die Überlieferungssituation heute sehr gut ist. Nur in die Gegenrichtung – aus Würzburg hin zu den Truppen – wollten sich der Zahlungsverkehr, kostspielige Ergänzungs-, Hilfs- und Ersatzlieferungen nicht bewerkstelligen lassen und die ausgeschickten 213 Sappeure waren auf sich alleine gestellt. Im Einsatz

»Unsere Bestimmung ist stets dem Kaiser zu folgen, um uns außer unserer gewöhnlichen Berufsgeschäfte, auch noch da gebrauchen zu lassen, wo es seiner Kais. Majestät für nöthig achtet und geprüfter Truppen bedarf«774, meldete Kompaniechef Joseph v. Waldenfels in seinen ersten Einsatztagen nach Würzburg zurück und beschrieb damit genau auch die künftige Verwendung der Würzburger Sappeurs. Wiederum nummerisch eigentlich unbedeutend, angesichts der ca. 127.000 Soldaten, die gegen Wien marschierten, gebrauchte die französische Militärführung die Würzburger, wo gerade zupackende Hände nötig waren. Sie wurden nicht zu anspruchsvollen Ingenieursplanungen herangezogen, sondern als einfache Arbeitskräfte benutzt. Das sollte sich erst nach der für die napoleonischen Truppen katastrophal verlaufenden Schlacht von Aspern ändern. Bei den entscheidenden Schlachten vom 19.–23. April zwischen Isar und Donau (Thann, Abensberg, Landshut, Eggmühl und Regensburg), bei welchen Napoleon sich den Weg bis Wien freikämpfte775, waren die Würzburger nicht beteiligt. Sie halfen bis Anfang Mai währenddessen beim Wiederaufbau der von den sich zurückziehenden Ös-

773 StAWü, MOK, 380, J. v. Waldenfels an MOK, Wien, 2. August 1809. Die übliche sonst bei den anderen Feldzügen zu beobachtende Regimentsberichterstattung begnügte sich mit nur monatlichen Nachrichten. 774 StAWü, MOK 379, J. v. Waldenfels an MOK, Burghausen, 30. April 1809. 775 Vgl. Siemann, Metternich, S. 290.

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terreichern niedergebrannten Brücke bei Burghausen noch in Kompaniestärke776. Dann wurden einzelne Soldaten aber auch aus ihrem Kompanieverband herausgelöst und mit anderen Aufgaben betraut. Um das vereinigte napoleonische Massenheer zu versorgen, war allerlei logistische Hilfsarbeit nötig, wofür die Würzburger herangezogen wurden. Beispielsweise bestimmte ein französischer comissaire du guerre in einer Nacht zwanzig Sappeure zum »Fouragieren«, von denen sich 16 dabei im Wald verirrten und erst Tage später wieder zu ihrer Truppe fanden. Drei andere wurden zur Schlacht von Aspern am 21./22. Mai 1809 »detachiert«, ohne dass sie davon je zurückkehren sollten, oder irgendwelche Berichte über deren Verwendung bekannt wären777. Die französische Militärführung verstand die Würzburger Einheiten nur als potentielle Ergänzung akuter Engpässe, erneut nicht als eigenständiges Korps – kaum verwunderlich bei der geringen Anzahl. Die faktische Aufhebung des Regimentsverbands führte dazu, dass die geforderte »Beobachtung […] einer guten Disziplin«778 nicht gewährleistet werden konnte – Ende April desertierten sechs Soldaten aus dem Lager, weitere nutzten Anfang Mai die Gelegenheit und kehrten nicht wieder zurück779. Verantwortungsvoller gestaltete sich dann schon die Mitarbeit des Rests der Würzburger Sappeur-Kompanien bei der logistischen Vorbereitung Anfang Mai zur beabsichtigten Schlacht links der Donau auf dem Marchfeld. Die französischen Offiziere aus dem Geniekorps bestimmten die Insel Lobau für einen überraschenden Übergang geeignet, dem Brückenbau bei Kaiser-Ebersdorf kam die höchste Priorität zu780. Die Würzburger setzten mit Gabriel Jean Joseph Molitor (1770–1849) am 19. Mai auf die Insel über, kämpften in kurzem Gefecht den kleinen Posten österreichischer Truppen nieder und arbeiteten dann an den drei noch benötigten Brücken781. Am 20. Mai schanzten sie 776 Vgl. StAWü, H.V. MS, q., 116. 777 StAWÜ, MOK 379, J. v. Waldenfels an MOK, Ebersdorf, 2. Juni 1809. 778 StAWü, MOK 378, Instruction für den Commandanten der zwey Sapeurs-Compagnien, Erstes Hauptstück, § 2. 779 StAWü, MOK, 379, Consignation, über nachstehende desertierte Mannschaft. 780 Befehl Berthiers an Messana, Schönbrunn, 13. Mai 1809. Ed. bei  : Schneidawind, Der Krieg II, S. 314  ; Adolf Strobl  : Aspern und Wagram. Kurze Darstellung der Ereignisse in den Schlachten von Aspern am 21. und 22 Mai und Wagram am 5. und 6. Juli 1809. Mit 17 Skizzen und 4 Ordres de Bataille. Wien 1897, S. 12f.; Maximilian Ritter von Hoen/Hugo Kirchnawe  : Krieg 1809. Aspern. Nach den Feldakten und anderen authentischen Quellen bearbeitet in der kriegsgeschichtlichen Abteilung des k. und k. Kriegsarchivs. Wien 1910, S. 298  ; Allgemein  : Binder von Krieglstein, Karl  : Der Krieg Napoleons gegen Oesterreich 1809. Aspern und Wagram  : mit einer Übersichtsskizze und einem Gefechts-Plan. Berlin 1906. 781 Vgl. Franz Josef Adolf Schneidawind  : Der Krieg Oesterreich’s gegen Frankreich, dessen Alliirte und den Rheinbund im Jahre 1809 oder ausführliche Geschichte der Feldzüge in Deutschland, Italien, Polen und Holland, der Insurrectionen Tyrols und Vorarlbergs, der Aufstände in der Altmark und in Hessen, und der Züge des Herzogs Wilhelm von Braunschweig und des Majors F. von Schill. Schaffhausen u. a. 1842, S. 403  ; Hoen u. a., Krieg 1809, S. 350ff.

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beim Laufgrabenbau auf der Insel, womit genügend Brückenbaumaterial für den letzten Donauarm vor feindlichem Beschuss herangeführt werden konnte782. Es war eine Meisterleistung militärischer Ingenieurskunst, unter den Augen der sich überrascht nun nach Süden ausrichtenden österreichischen Armee jenseits der Donau durch bedeckte Laufgräben einen Brückenkopf auf der linken Donauseite (Mühl-Au) errichten zu können, wofür die Würzburger ihre ganze Arbeitskraft zur Verfügung stellten. Vom 20. auf den 21. Mai schanzten sie Tag und Nacht in ungeheurer Geschwindigkeit »bei Esslingen in der Avantgarde« am Brückenkopf, »wobei die Montierungsstücke der Leute natürlich beträchtlich leiden«783 mussten, wie Waldenfels nach Würzburg meldete. Die österreichische Armee hatte sich währenddessen bei Anderklaa aufgestellt, um Napoleon bei der Truppensammlung und Ausbreitung auf dem Marchfeld zu überraschen. Während der Schlacht wurden einige der schnell und fragil errichteten Brücken durch Brandschiffe zerstört und während des Gefechts am 22. Mai notdürftig neu errichtet784. Diese immens wichtige Nachschubverbindung sollte noch drei weitere Male abreißen und konnte erst am 25. Mai vollständig wiederhergestellt werden785. Woran genau jedoch die Würzburger in der Schlacht von Aspern arbeiteten, verschweigen die Quellen. Unbeteiligt waren sie allerdings nicht, denn aufgrund ihres dort gezeigten erschöpfenden Arbeitseifers verdienten sich die Würzburger die schon erwähnte Gratifikationszahlung »zur Anschaffung und Ausbesserung ihrer kleinen Montierungsstücke«786 trotz des für Napoleon blutig verlustreichen Schlachtverlaufs am 21./22. Mai. Auch an den Verlusten waren sie beteiligt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Würzburger bereits 34 Mann durch Krankheit und Erschöpfung eingebüßt – kein Vergleich angesichts der ungeheuren Masse der 20–23.000 in Aspern Gefallenen auf Seiten der napoleonischen Truppen787. Dadurch kam es jedoch schlagartig zu einem Bedeutungszuwachs der Klein- und Kleinsteinheiten, auch im Fall von Würzburgs Sappeuren788. Während des Waffenstillstands im Folgemonat verwandelte das französische Geniekorps unter der Leitung von Gen. Bertrand die Donauinseln regelrecht in eine Großbaustelle789. Auch die Würzburger bauten Schiffbrücken gegenüber von Kaiser-Ebers782 Näheres dazu bei  : Schneidawind, Der Krieg I, S. 404f. 783 StAWÜ, MOK 379, J. v. Waldenfels an MOK, Ebersdorf, 2. Juni 1809. 784 U.a. wurde die von den Würzburgern mitgebaute Hauptbrücke zur Lobau durch sogenannte Kellhammer Schiffe gesprengt. Vgl. Berthier an Davout, Bivouac an der Donau, 21. Mai 1809. Ed. bei  : Schneidawind, Der Krieg II, S. 314. 785 Strobl, Aspern, S. 22, 28. 786 Ebd. J. v. Waldenfels an MOK, Ebersdorf, 16. Juni 1809. 787 Smith, Napoleonic Wars, S. 309  ; Andere Zahlen  : 44.373 frz. Gefallene bei  : Strobl, Aspern, S. 30. 788 Zahlen nach Smith, Napoleonic Wars, S. 309. 789 Ein französischer Feldapotheker berichtete darüber nachhause  : Der General Bertrand hat sich durch die schnelle Konstruktion der Brücken einen ehrenvollen Namen erworben, und es ist kaum glaublich, dass

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dorf so breit, dass drei Wägen übersetzen konnten, rammten Pfähle auf 500 m vor den Brücken in den Flussgrund der Donau, um einen Brandschiffangriff zu verhindern, bauten gigantische Brückenköpfe und Redouten790. Zwar führten sie weiterhin bis Anfang Juli noch Hilfsarbeiten aus, insofern beispielsweise, dass sie Anfang Juli auf den Donauinseln massenhaft Bäume fällten, um Platz zu schaffen für die immer stärker nachdrängenden Soldaten, die Napoleon zum zweiten Schlag gegen die österreichische Armee zusammenzog. Aber für die Entscheidungsschlacht wurden sie dann in den vordersten Gefechtsreihen gebraucht. »Wenn Sie eine Schlacht schlagen, setzen Sie Ihre Kräfte ein, lassen Sie auch nicht das geringste ungenutzt, ein einziges Bat. entscheidet manchmal den Tag«791, erklärte Napoleon seine Grundmaxime bei den taktischen Vorbereitungen für Schlachten. Das wies den Würzburgern eine neue Rolle als bisher – der einer bloßen Truppenergänzung auf einem ›Nebenschauplatz‹792 – zu. Im Gegenteil, die Würzburger Sappeure kämpften bei Deutsch-Wagram in »la plus grand bataille des temps modernes en nombre d’ hommes combattants, réunis ensemble sur la même terrain à la vue de l’observateur«793, wie Gen. Auguste-Frédéric-Louis Viesse de Marmont (1774–1852) darüber urteilte, unter dessen Befehl sie noch am Ende des Feldzugs in Znaim dienen sollten. Hinsichtlich Material und Soldateneinsatz standen sie bei Deutsch-Wagram am 5./6. Juli 1809 inmitten einer Schlacht mit totalen Dimensionen. Nur ein Bericht über den Einsatz der Würzburger hat sich erhalten, bei der ca. 154.100 napoleonische Soldaten mit 544 Artilleriestücken gegen ca. 128.000 österreichische Soldaten und 414 Kanonen miteinan­der rangen794. Dem Bericht zufolge gehörten sie beim Übergang über die Donau, in der Nacht auf den 5. Juli zum rechten Flügel, eingereiht im III. Korps unter General Louis-Nicolas Davoût (1770–1823). Sie vollendeten gegen Mitternacht, in nächster Nähe zu Napoleon, den Bau einer Bockbrücke über den Stadler Arm795. Auf dessen direkten Befehl zu all diesen ungeheuren Arbeiten nur ein Monat genügt hat. Über den großen Arm der Donau führen 4 Brücken jede von ihnen hat eine Länge von 6.000 Schritten«. So in  : Cadet de Gassicourt  : Aus den Papieren eines Apothekers der franzöischen Armee, in  : Friedrich M. Kircheisen (Hg.)  : Feldzugserinnerungen aus dem Kriegsjahre 1809. Hamburg 1909, S. 149–192, S. 161. 790 Vgl. John H. Gill  : 1809 Thunder on the Danube  : Napoleon’s defeat of the Habsburgs. Volume III  : Wagram and Znaim. London 2010, S.156  ; Strobl, Aspern, S. 34 791 Vgl. Mac Carthy, Strategie, S. 230f. Allgemein  : Druène, Bernhard  : Der Feldherr Napoleon -Theorie und Praxis seiner Kriegskunst. In  : Wolfgang von Groote (Hg.)  : Napoleon I. und das Militärwesen seiner Zeit. Freiburg 1968, S. 37–65. 792 Vgl. Botzenhart u. a., Deutsche Geschichte, S. 336 793 Marmont, Mémoires, S. 242. 794 Der Bericht ist abgedruckt im Anhang als Dokument XLIX. Zahlen nach Smith, Napoleonic Wars, S. 318–322. 795 Gill, 1809 Thunder, S. 203, 205  ; Strobl, Aspern, S. 37.

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schlugen sie sich im dichten Wald der Schuster-Au mit ihren alt-bayerischen Säbeln den (schwachverteidigten) Weg zur Vorpostensicherung frei, warfen bis zur Mittagszeit unter Deckung einer Abteilung Sachsen »in der Geschwindigkeit ein paar kleine Schanzen auf«796 – wohl hinter dem sog. Weißen Haus797. Mit massivem Artilleriebeschuss (unter Einsatz von 2.875 Projektilen und 5.000 kg Pulver798) gelang es den Napoleonischen Truppen daraufhin, sich links von Wien aus gesehen in Enzersdorf festzusetzen und rechts, wo sich später die Würzburger befunden haben müssen, in Mühlleuten799. Die österreichische Armee war von der Schnelligkeit des Donauübergangs mitten in der Nacht, an dem die großherzoglichen Sappeure schließlich mitarbeiteten, überrumpelt800. Die taktische Tragweite der eigenen Leistung, die Kämpfe gegen die Vorposten (1. Jägerkompanie) des österreichischen Gen. Nordmann auf der rechten Flanke und das stürmische Gewitter in der Nacht, was auf beiden Seiten zu wesentlichen Beeinträchtigungen geführt haben musste, verschweigt der Bericht801. Ohne größere Gefechte rückten die Sappeure als Begleitung der 30 mitgeführten Artilleriestücke von Davouts Korps über Pysdorf Richtung Glinzendorf vor, wo sie bis zum Vorabend ankamen802. Dann erhielt Davout gegen 19.30 Uhr überraschend noch einen Angriffsbefehl auf Markgrafneusiedl. Auch wenn der Waldenfelssche Bericht es ebenfalls nicht explizit erwähnt, erst infolgedessen begannen sie »im Geschwindschritt«803 und unter starkem feindlichen Beschuss aus Markgrafneusiedl am späten Abend des 5. Juli nordwestlich von Glinzendorf, hinter Grossendorf, aber noch vor dem Rußbach, die im Bericht erwähnte »gegen-Batterie« zu errichteten. Ihnen genau gegenüber lagen die Verteidigungsgeschütze des österreichischen IV. Korps, das unter dem Befehl von Franz Seraph von Orsini-Rosenberg versuchte, die sogenannten Rußbacher Höhen bis zur Verstärkungsankunft zu halten804. Aber die dringend benötigte Truppenergänzung von Erzherzog Johann traf nicht ein, trotz des frühen Appells seines älteren Bruders Carl, dass es »auf dem Marchfeld [zu einer großen Schlacht] kommen wird, die das Schicksal

796 August Rühle von Lilienstern  : Memoiren des August Rühle von Lilienstern  : Erlebnisse eines Sächsichen Offiziers, in  : Friedrich M. Kircheisen (Hg.)  : Feldzugserinnerungen aus dem Kriegsjahre 1809. Hamburg 1909, S. 89–148, S. 124. 797 Vgl. Gill, 1809 Thunder, S. 202. 798 Vgl. ebd. 799 Strobl, Aspern, S. 37. 800 Vgl. Gill, 1809 Thunder, S. 209. 801 Vgl. zum Schlachtverlauf  : Zamoyski, Adam  : Napoleon. A life. New York 2018. S. 470–474. 802 Vgl. ebd., S. 212. 803 Bericht im Anhang als Dokument XLIX. 804 Vgl auch zum Vorhergehenden  : Manfried Rauchensteiner  : Die Schlacht bei Deutsch Wagram am 5. und 6. Juli 1809. Wien 1977, S. 30.

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unseres Hauses entscheidet«805. Die Binnenkoordination und die Kommunikation innerhalb der österreichischen Armee war miserabel organisiert806. Am nächsten Morgen (gegen vier Uhr morgens), die Sappeurarbeiten an der »gegenBatterie« waren »noch nicht zur Hälfte vollendet«, begann »das große Maneuver Sr. Majestät des Kaisers«807. Charles Nicolas Odinots (1767–1842) II. Korps und Davouts restliches III. Korps, wesentlich um Kavallerieeinheiten ergänzt, drang in die schwache linke österreichische Flanke immer tiefer hinein. Gegen 11.00 Uhr gaben die Österreicher ihre Stellung in Markgrafneusiedl auf und zogen sich – schlachtentscheidend – unter großen Verlusten in nordwestliche Richtung zurück, die würzburgische ›gegenBatterie‹ war nutzlos geworden, wie es auch Waldenfels oberflächlich beschreibt808. Überhaupt verdeutlicht der Bericht durch seine Ungenauigkeit die völlige Unkenntnis des würzburgischen Kompaniechefs über die großen taktischen Zusammenhänge in der Schlacht der beiden Massenheere. Er zeugt davon, wie wenig Waldenfels in die Vorgänge auf dem Schlachtfeld eingeweiht war und beweist, wie tief unten er in der Kette der Befehlsempfänger gestanden haben muss. Nicht selbstständig agierten die Sappeure Würzburgs in erster Kampflinie, nur zufällig waren sie am schlacht- und kriegsentscheidenden Scharnier zwischen Odinots II. Korps und der die Österreicher überflügelnden rechten Flanke Davouts eingesetzt worden. Überraschend ist an Waldenfels Bericht, dass es in seinem Sappeurkorps zu keinen Verlusten bei Wagram gekommen sei. Schwer vorstellbar in einer Schlacht, die aufgrund ihrer gewaltigen Verlustzahlen von ca. 70.000 französischen und österreichischen Gefallenen während nur eines Gefechts jede bisherige Dimension sprengten. Der Standesausweis vom August 1809, datiert auf den 19. September in Wien, spricht denn auch eine andere Sprache  : Es seien in diesem Monat nur noch 127 Sappeure dienstbar gewesen. Der Rest befand sich »vermisst«, desertiert, »detachiert« oder »krank in loco« – im Vergleich zum Vormonat fehlten 50 Würzburger Sappeure809. Mit welchen Aufgaben die Sappeure in den Verfolgungsschlachten vom 7.–10. Juli810 betraut waren, verschweigt der Waldenfelssche Bericht ebenfalls. Sicher ist nur, dass sie 805 Zit. nach  : Gill, 1809 Thunder, S. 211. 806 Vgl. Siemann, Metternich, S. 299. 807 Der Bericht ist abgedruckt im Anhang als Dokument XLIX. 808 Vgl. Strobl, Aspern, S. 59  ; Karl August von Varnhagen Ense  : Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Leipzig 1843, S. 106  ; Gill, 1809 Thunder, S. 230, 244. 809 Nur ein Soldat war in der Zwischenzeit nachweislich desertiert. So steht im Bericht von v. Waldenfels vom 16. Juni, dass ein Sappeur am 7. Juni aus dem Lager desertiert sei  : »Er war ausgemacht das untüchtigste Subjekt bey den beyden Sappeur Compagnien«. Vgl. StAWü, MOK 379. In der Sterbematrikel finden sich nur 17 Gefallene, die sich eindeutig dem Feldzug gegen Österreich zuordnen lassen. Siehe Verlustliste im Anhang als Dokument LVI, S. 586. Sieben von ihnen starben demnach in Wien. 810 Korneuburg 7. Juli, Gefrees und Stockerau 8. Juli. Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 322f.

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schon vor der Schlacht von Znaim (Znojmo) am 10./11. Juli von Davouts III. Korps in das XI. von Marmont verschoben wurden und währenddessen bei Hollabrunn bereits erneut in Gefechte verwickelt waren811. Sicher ist auch, dass sich die Verlustzahlen nicht nur mit den »unausgesetzten Märsche[n]«812 in größter Eile und Hitze erklären lassen, die sie nach der Schlacht bei Deutsch-Wagram auf sich nehmen mussten, um die geschlagene, aber nicht vernichtete Armee Österreichs schlussendlich zu stellen. Sondern die Verluste lassen sich auch mit ihrem (im Detail unbekannten) Einsatz im Häuserkampf der brennenden Stadt Znaim erklären, wo sie mit Gen. Bertrand und unter dem Befehl Michel Marie Claparèdes (1770–1842) auf dem rechten Flügel standen813. Auch wenn die napoleonischen Truppen die Habsburgermonarchie dadurch zum Waffenstillstand zwangen, sollten die Verlustzahlen noch weiter steigen, denn der Feldzug war für die Sappeure trotz der vernichtenden Niederlage der Habsburgermonarchie noch nicht vorüber814. Im Oktober, als die Würzburger zusammen mit französischen und italienischen Minierkorps die Festungswerke im sumpfigen Raab zu sprengen hatten, sank die Zahl der Dienstbaren weiter rapide auf nur noch 90 Soldaten815. Krankheit und Klima »hat dem hier in der Gegend stehenden Armee Korps unbeschreiblich viele Menschen gekostet«816, berichtete Waldenfels nachhause. 43 Sappeure lagen an der Ruhr erkrankt in überfüllten Spitälern, wo die medizinische Versorgung sehr schlecht war. Nachweislich vier starben infolgedessen, unter ihnen der Olt. Andreas Büchold, der allerdings als einziger derer »mit allen militärischen Ehren begraben«817 worden ist. Ihre Situation verbesserte sich auch in Klagenfurt nicht, wo sie ebenfalls Festungswerke zu schleifen hatten818. Die dort von Waldenfels dringend erbetene Winterbekleidung819, die mitsamt einer 26-köpfigen Ergänzungsmannschaft unter Obristlt. Joseph v. Kunst nach Klagenfurt geschickt werden sollte, wurde im letzten Moment von der MOK mit Verweis auf den in Schönbrunn (14. Oktober 1809) unterzeichneten Frieden zurück-

811 Über den Truppenaustausch und die Gefechte von Hollabrunn vgl. Gill, 1809 Thunder, S. 271. 812 Siehe im Anhang das Dokument XLVIII aus StAWü, MOK 379. 813 Vgl. ebd., S. 275  ; Smith, Napoleonic Wars, S. 324. 814 Nach einem über 80 km langen Rückmarsch verbesserten die Würzburger ab dem 18. Juli am Nussdorfer Spitz, einer heutigen Schleusenanlage Wiens, die Befestigung. (Wenngleich v. Waldenfels von »Arnspitz« spricht)  ; Vgl. im Anhang das Dokument XLIX. 815 Ebd., J. v. Waldenfels an MOK, Festung Raab, 5. November 1809. 816 Ebd. 817 Ebd. 818 Am 26. November meldete Waldenfels aus Leoben  : »Unsere Bestimmung in Klagenfurt ist, die dortigen Werke zu sprengen und von da werden wir vermutlich über Salzburg nach Kuffstein marschieren, um uns dort wieder mit der Armee von Deutschland zu vereinigen«. In  : StAWü, MOK 380. 819 Er wiederholte die seine bereits am 5. November in Raab dringend gestellte Bitte. Vgl. Ebd., J. v. Waldenfels an MOK, Klagenfurt, 5. Dezember 1809.

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gehalten820. In Klagenfurt froren die Soldaten aber auch trotz des Friedens. Sechs von ihnen blieben in Klagenfurt tot zurück, als am letzten Dezembertag der Befehl eintraf, über die Alpen und Salzburg nach Augsburg zu marschieren821. Mitte Januar brachen die letzten 77 dienstbaren Soldaten ohne Ausrüstung und Winterbekleidung auf  : »Unser Marsch hierher [Salzburg, Anm. d. Verf.] bey dieser Jahreszeit über den Katsch­berg und den Tauern war mit unendlichen Fatiguen und Mühseligkeiten verknüpft. Ich war gezwungen die Requisitenwägen auszuladen und die Werkzeuge auf etliche 30 Schlitten packen zu lassen um die Passage über diese Berge überhaupt möglich zu machen.«822 Nicht verwunderlich, dass am Ende des Einsatzes der Krankenstand der Sappeure im Februar bei 72 Soldaten lag, 82 weitere musste Waldenfels schlicht als ›abwesend‹ registrieren823. Über deren genauen Verbleib schien sich niemand ernsthaft zu kümmern. Penibel genau allerdings notierte die oberste Militärbehörde die wieder in Würzburg eingetroffenen Ausrüstungsstücke824. Daraus geht hervor, dass im Laufe des März noch einige Sappeure auf eigene Faust aus den verschiedenen Militärspitälern entlang der Marschroute zurückkehrten. Aber bei weitem nicht alle  : Von der ersten Kompanie kehrten insgesamt 52, von der 2. Kompanie nur 48 Mann – damit nur 51,6 % der im April 1809 Ausgerückten – aus dem Einsatz gegen die Habsburgermonarchie zurück. Die, deren Dienstzeit noch nicht abgelaufen war, bildeten nun den Grundstock für ein weiteres Artilleriekorps in Würzburg. Zusammenfassung

Die Quellen belegen es deutlich, die großherzoglich würzburgischen Behörden gingen bis in die ersten Apriltage hinein davon aus, die Truppenforderung sei tatsächlich als spezialisierte Ergänzung dem IR nach Spanien nachzusenden. Wie lange Napoleon schon vor dem 30. März, als er die Pläne zur Armeeorganisation an Berthier schickte, im Kopf hatte, die Truppen des einen Erzherzogs gegen die anderen Mitglieder seines Hauses marschieren zu lassen, bleibt unklar. Fakt ist, dass Napoleon Erzherzog Ferdinand ganz und gar nicht den »unmittelbare[n] Kampf gegen den Bruder und das Haus 820 Am 17. Oktober standen 26 Mann, zusammengesetzt aus den ältesten Rekruten der Infanteriereserve bereit und erwarteten ihren Ausmarschbefehl. Vgl. StAWü, Landesdirektion OKK 16  ; Am 21. Oktober beschloss die MOK in ihrer Sitzung, »bey den durch den Frieden geänderten Umständen hat die zum SappeurCorps bestimmt gewesene Ergänzungs-Mannschaft hier zu verbleiben«, so in  : StAWü, MOK 380, Auszug eines Protokolls der MOK-Sitzung vom 21. Oktober 1809. 821 Ebd., J. v. Waldenfels an MOK, Klagenfurt, 31. Dezember 1809. 822 Ebd., J. v. Waldenfels an MOK, Salzburg, 22. Januar 1810. 823 Vgl. ebd., J. v. Waldenfels an MOK, Salzburg, 1. Februar 1810. 824 Vgl. ebd., Montursvisitationsliste.

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Österreich erspart[e]«825, wie es die Historiografie bisher annahm. Tatsächlich lässt sich nachweisen, dass die Sappeure des Großherzogtums Würzburg nicht nur bei DeutschWagram, sondern auch bei Aspern und Znaim ihre Waffen gegen die Habsburgermonarchie zu benutzen hatten. Wenn auch nummerisch schwach, so ist dennoch ihre Mitarbeit ›in der Avantgarde‹ an Brücken, Schanzen, Batterien und Brückenköpfen nicht zu vernachlässigen, zeitigte das Ingenieurswesen auf den Donauinseln doch maßgeblich den Waffenerfolg der Napoleonischen Truppen in diesem Feldzug. Überhaupt lässt sich anhand der Verwendung der großherzoglich würzburgischen Streitkräfte ein Professionalisierungsprozess des Geniewesens nachzeichnen, der dann erst im Laufe des 19. Jahrhunderts in der Errichtung selbstständiger Pioniertruppen gipfelte826. Wurden 1806/07 vor Graudenz, oder 1808/09 vor Gerona noch Infanteristen zu Belagerungs- und Schanzarbeiten herangezogen, vollzogen im Feldzug gegen die Habsburgermonarchie 1809 diese Aufgaben zwar ebenfalls mehrheitlich zwangsrekrutierte Infanteristen lediglich mit besonderer Ausrüstung. Aber bei deren Auswahl wurde, anders als bisher nur gesundheitliche Tauglichkeit, Größe und Alter, erstmals deren handwerkliches Geschick zum Maßstab genommen. Diese Planung sollte unter militärimmanenten Gesichtspunkten vollzogen werden, was die »eigene Rekursivität«827 des Würzburger Militärsystems hätte beweisen können. Daraus hätte sich zudem die Idee einer professionalisierten Truppe entwickeln können, wäre man in Würzburg seitens des französischen Kriegsministeriums in bisher nicht bekannter Vehemenz so bedrängt worden, in kürzester Zeit die geforderten Soldaten zu liefern. Es scheint, die MOK hätte gerne einem besser ausgebildeten und geeigneteren Soldatenaufgebot den Vorzug gegeben, aber der ›politische Zweck‹, den der Geheime Staatsrat unter Seuffert verfolgte, gebot es, sich eher mit dem äußeren Anschein zu begnügen – zum Leidwesen der Soldaten. Obwohl sie mehrheitlich nur zu ›einfachem‹ Infanteriedienst taugten, leisteten sie auf den Donauinseln vielfach bewunderte, unvorstellbare Kraftanstrengungen binnen kürzester Zeit. Die hohen Verlustzahlen verwundern nicht, bedenkt man die Kampfeinsätze in den Schlachten der Massenheere mit ihren totalen Ausmaßen, bedenkt man die knapp 2.000 km Marschleistung mit schlechter Ausrüstung, auch über die winterlichen Alpen und die epidemischen Krankheiten in Ungarn, denen die völlig entkräfteten Soldaten reihenweise erlagen.

825 Gegenteilig  : Chroust, Die Geschichte, S. 212. 826 Allgemein dazu  : Planert, Die Kriege. 827 Hoeres, Das Militär, S. 337.

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2.5 Im Sechsten Koalitionskrieg (1812–1814) – die provisorischen Massen

Nur auf den ersten Blick herrschte in Zentraleuropa 1810/11 Frieden, der Handelskrieg gegen England ruhte nicht. Die Heirat in das Haus Habsburg-Lothringen sollte Europa befrieden. In Napoleons globaler, gegen England gerichteter Strategie hatte allerdings Russland die Schlüsselposition inne  : »Die große Politik wird dort gemacht. Der Frieden der Welt liegt in Petersburg«828. Im Verbund mit Zar Alexander I. (1777–1825) sollten schon 1798, wieder 1808, die Engländer endlich in Indien geschlagen werden und der Zar dort ein Imperium errichten. Aber die in Erfurt zelebrierte Weltaufteilungsfreundschaft der beiden Kaiser blieb bekanntlich seitens Russlands nur Fassade. Während des Feldzugs gegen die Habsburgermonarchie hatte der Verbündete Napoleons durch geschickte Verzögerungs- und Schlachtvermeidungstaktik nur einen einzigen toten Soldaten zu beklagen. Napoleon ahnte daher zu Recht, welchen Wert die Loyalität des Zaren tatsächlich hatte829. Der Ernennung Bernadottes zum Kronprinzen Schwedens, die geplatzten Hochzeits-, die gescheiterten russischen Staatskonsolidierungspläne und die französischen Absichten mit Polen bedeuteten weitere Schritte hin zur weltumspannenden Kriegseskalation. Eine Eskalation von antifranzösischen Ressentiments in bedeutenden Kreisen des russischen Adels hatte es angesichts der schweren militärischen Niederlagen bei Austerlitz, Friedland und Eylau schon vorher gegeben und viele von ihnen werteten die Verhandlungen von Tilsit als Verrat. Hinsichtlich der Gravamina, die 1810 der russische Hof in Paris offen ansprach, drohte Napoleon erstmals mit Krieg, wenn auch zunächst nur gedanklich830. Im Ringen gegen Großbritannien war für Frankreich Russlands Bedeutung als Verbündeter zu wichtig, ein Krieg schlichtweg »verrückt«831. Die Zuverlässigkeit des Bündnispartners versuchte Frankreich einstweilen nur rhetorisch zu erzwingen832. Das gelang bekanntlich immer weniger, da sich die wirtschaftliche Lage Russlands massiv verschlechterte833. Der Zar sah sich genötigt, die mit Napoleon in Tilsit verabredeten Bestimmungen bezüglich der Kontinentalsperre ab Januar 1811 zu brechen834. Um 828 Zit. nach  : Zamoyski, 1812 Napoleons, S. 53. 829 Ebd., S. 58f., 79. 830 »Que prétend la Russie, a dit l’Empereur, par un tel langage  ? Veut-elle la guerre  ? Pourquoi ces plaintes continuelles  ?« So in  : Napoléon, Correspondance, XX. Bd., Nr. 16181, S. 159. 831 Napoleon im Mai 1811 über einen möglichen Krieg gegen Russland  : »Es wäre ein Verbrechen meinerseits, denn ich würde grundlos einen Krieg beginnen, und ich habe Gott sei Dank, noch nicht meinen Verstand verloren, ich bin nicht verrückt.« Zit. nach  : Zamoyski, 1812 Napoleons, S. 92. 832 »Dans toute cette discussion, le comte Lauriston doit parler franchement  : nous voulons la paix, mais nous sommes prêts à la guerre.« Napoléon, Correspondance, XXII. Bd., Nr. 17832, S. 266, Napoleon an Maret. 833 Das russische Defizit betrug immerhin 100 Mio. Rubel  ; wodurch das Papiergeld fünf Sechstel seines Wertes verlor. Vgl. Lefebvre, Napoleon, S. 394. 834 Vgl. zum Folgenden Huck, Vom Berufsheer, S. 192  ; Katherine B. Aaslstead  : Lost Neutrality and Econo-

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seine Wirtschaft mit den dringend benötigten Industriegütern zu versorgen, gewährte er den Engländern Vorzugszölle, womit die von Napoleon diktierte Kontinentalsperre »durchlöchert« 835 und unwirksam wurde. Zar Alexander zog knapp 365.000 Soldaten an der Grenze zu Polen zusammen und Napoleon tat es ihm in bisher noch nie dagewesenem Maße gleich836. Das beiderseitige Misstrauen fasste der Kaiser der Franzosen in einem Brief an den Zaren Anfang April 1811 zusammen  : »Meine militärischen Vorbereitungen werden bewirken, dass Eure Majestät seine eigenen verstärken  ; und wenn die Nachrichten solcher Handlungen mich erreichen, werde ich mich gezwungen sehen, weitere Truppen auf zu stellen  : und all dies wegen nichts  !«837 Es verwundert nicht, dass auch das Großherzogtum Würzburg in den Strudel dieser Aufrüstungsspirale hineingezogen wurde, woraus schließlich bis 1814 »Enthegung und Totalisierung des Krieges [auch] eine Entgrenzung von Hass und Gewalt«838 erwuchsen. Truppenaufstellung und Ausrüstung

Im Gegensatz zu anderen Rheinbundtruppen plante Napoleon das Großherzogtum Würzburg von Beginn an in seine Militärstrategie gegen das Zarenreich mit ein, die zunächst auf Grenzsicherung und Abschreckung ausgerichtet war. Würzburgs Streitkräfte sollten demnach in Glogau eine Garnison bilden839. Der Geheime Staatsrat rechnete daraufhin im April 1811 damit, »hier mit nächstem zur Stellung eines zweyten Bataillons [= III. Bat., Anm. d. Verf.840] eingeladen zu werden«841. Doch weder sollte es mic Warefare. Napoleonic Warefare in Northern Europe, 1795–1815, in  : Roger Chickering/Stig Förster (Hg.)  : War in an age of revolution, 1775–1815. Cambridge 2010, S. 373–394. 835 Vgl. Zamoyski, 1812, S. 90. 836 Alleine die operative französische Feldarmee hatte Ende Mai 460.000 Mann. 170.000 Deutsche, Holländer und Österreicher kamen hinzu, außerdem 60.000 Polen, 20.000 Italiener, 10.000 Schweizer und 10.000 Spanier, Portugiesen, Illyrer und Kroaten. Vgl. Fiedler, Kriegswesen, S. 90. 837 Zit. nach  : Zamoyski, 1812 Napoleons, S. 97. 838 Hans-Ulrich Thamer  : Die Schrecken des Krieges und die Legitimation des Krieges durch die Nation. Kriegswahrnehmung und Kriegsdichtung während der Befreiungskriege, in  : Gerhard Bauer/Gorch Pieken u. a. (Hg.)  : Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege  ; [Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, 6. September 2013–16. Februar 2014]. Dresden 2013, S. 30–37, S. 36. 839 »Je ne demande pas les quatre régiments de la Confédération, des petit Princes de la Confédération, parce que je ne pense pas qu’ils puissent être formés en 1811  ; mais un régiment du Prince Primat et un du duché de Würzburg pourrait être assignés por les garnisons de Küstrin et de Glogau.« So in  : Napoléon, Correspondance, XXII. Bd., Nr. 17549, S. 13, Napoleon an Maret. 840 Wichtig ist zu bemerken, dass hier anders als in den Regimentsgeschichten und in den Quelltexten, die Bataillonszählung trotz faktischer Zusammenlegung des I+II Bataillons in Spanien die Zählung weiter fortgeführt wird. Um keine Doppelbenennung zuzulassen, handelt es sich hierbei de facto um das III. Bataillon, wenn Buol hier von der »Stellung eines zweyten Bataillons« schreibt. 841 HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buol an Metternich, Würzburg, 11. April 1811.

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bei einer höflichen ›Einladung‹ noch bei einer nur vertragsgemäßen Aufstockung der Truppenstärke auf die festgeschriebene Kontingentsstärke von 2.000 Soldaten bleiben. Statt der erhofften Einladung erneuerte Napoleon am 30. Dezember 1811 seinen Befehl zur Stellung eines ganzen Regiments842. Ende Januar 1812 konkretisierte er den Befehl noch, Würzburg habe ihm 1.680 Soldaten zu stellen und damit über 30 % der ›division du Princes‹ (insg. 5.040 Soldaten)843. Überhaupt löste 1811 im diplomatischen Schriftwechsel zwischen Paris und Würzburg das Verb ›demander‹ das noch in den Jahren 1806/07 eine freie Wahl suggerierende Verb ›inviter‹ ab844. Jetzt, während der sich beschleunigenden französisch-russischen Rüstungsspirale, befahl das Kriegsministerium Hirsinger, er habe nun monatlich Auskunft über die IstStärke der großherzoglich würzburgischen Truppen von der MOK einzufordern, genaue Conduite-Listen ihrer Offiziere einzureichen und genaue Auskunft über die genaue Einwohnerzahl des Großherzogtums und sämtliche Militäranstalten Würzburgs zu geben845. Auch Hirsingers Nachfolger Montholon änderte nicht den Tonfall. Er befahl am 3. Februar 1812 statt der von Napoleon nachweislich geforderten 1.680 Mann, gleich 2.000 Soldaten in zwei neuen Bat. (III. und IV.) »mit Nachdruck«846. Am 6. März traf ein Befehl Berthiers ein, noch ein weiteres Bat. (V.) zu organisieren847. Befehl folgte auf Befehl im Rüstungswettlauf gegen das Zarenreich. Am 8. April traf die gebieterische Anweisung in Würzburg ein, zusätzlich ein VI. Bat. plus Depot aufzubauen und die Organisationskontrolle Montholon ganz zu überlassen848. In Behördenkreisen Würzburgs erkannte man schon Anfang 1811 diesen »sehr auffallenden Unterschied in der höchst einfachen Art und Weise dieser nunmehrigen Einführung einer fortwährenden Kontrolle im Vergleich mit den bisher in ähnlichen Veranlassungen beobachteten Rücksichten« und man registrierte dort durchaus, dass »die diesmal gebrauchte Form sich durch nichts von einem starken Oberbefehl«849 unterschied. Den sprachlichen Ausdruck eines französischen ›Oberbefehls‹ über das Großherzogtum Würzburg manifestierte eine Reihe von Maßnahmen, die diesen Worten spürbar Nachdruck verlieh. Im Jahresverlauf 1811 wurden in der Residenzstadt alleine 44.514 842 Napoleon diktierte an Maret  : »Demandez au grand-duche de Würzburg«, sie hätten zusammen mit den sächsischen Fürstenhäusern ein komplettes IR »dans le courant de fèvrier« unter den französischen Befehl zu geben. So in  : ebd., XXIII. Bd., Nr. 18394, S. 132. 843 Ebd., XXIII. Bd., Nr. 18459, Napoleon an Maret, S. 192. 844 Beispielsweise in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Talleyrand an Wolkenstein, Würzburg, 21. April 1807. 845 HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buol an Metternich, Würzburg, 12. Februar 1812. 846 Ebd., Buol an Metternich, Würzburg, 3. Februar 1812. 847 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 67, Berthier an Montholon, 15. März 1812, Kopie. 848 HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buol an Metternich, Würzburg, 8. April 1812. 849 Ebd., Buol an Metternich, Würzburg, 23. Mai 1811.

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französische Soldaten einquartiert850. Außerdem erhielt Montholon von N ­ apoleon Machtbefugnis und Titel eines Militärgouverneurs, der faktisch alle Selbstständigkeit der Würzburger Behörden in militärischen Fragen aufhob851. Montholon agierte selbstherrlich, visitierte und kontrollierte ganz anders als sein Vorgänger in »Special-Revenuen«852 die Würzburger Truppenorganisation nach französischem Fuß, verlangte Rüstungsgüter und enorme Naturalleistungen zum Unterhalt der Grande Armée853. Der MOK blieb ab April 1812 nur noch die Militärverwaltung, die Ausführung der französischen ­Befehle. Was als langsamer Prozess einer Angleichung der großherzoglich würzburgischen Streitkräfte an die französische Armee begann, fand im Zuge dessen in hoher Geschwindigkeit seinen Abschluss und veränderte Aussehen und Truppenorganisation nachhaltig. Somit wurde auch die »Französisierung«854 der Würzburger Uniformen bis 1812 abgeschlossen. Im Mai 1811 dienten die Tschakos französischer Artilleristen auf der Festung den von der MOK beauftragten Handwerkern zum Vorbild und lösten den ­bisher noch üblichen Raupenhelm österreichisch-bayerischer Manier ab855. Zwar trug die Würzbur­ger Infanterie noch immer die weißen Waffenröcke mit scharlachroten ­K rägen und Ärmel-Aufschlägen, genauso wie zeitgleich die österreichische Infanterie856. Ab 1810/11 schneiderten die Kiliani-Werkstätten in der alten Kaserne aber statt des österreichischen Stils die Röcke nun insgesamt länger und verzierten die Schößen verspielt 857. Außerdem wurden die Ärmelaufschläge nach französischer Art mit dreispitziger Patte und Litzen genäht und der Brustaufschlag nach französischem Vorbild geknöpft. Aus Kostengründen wurden diese Neuerungen nur sukzessive und immer erst nach Verschleiß einer alten Uniform umgesetzt. Mischformen waren als Folge daher eher die Regel als die Ausnahme858. Trotz zunehmender ›Französisierung‹ zeigt sich 850 Chroust, Die Geschichte, S. 341, Anm. 1. 851 Motholon wird am 2. April 1812 zum Militärgouverneur, »[…] ohne den Titel offen zu führen, aber ausüben zu wollen.« So in  : HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buol an Metternich, Würzburg, 8. April 1812. 852 Ebd. 853 Im Oktober forderte er beispielsweise 150.000 Malter Getreide. Vgl. ebd., S. 349. 854 Ausführlich hierzu  : Rückert, Opfer für Napoleon, S. 195f 855 Mitte Mai 1811 beschloss die MOK, die Neuausstattung mit Tschakos solle bei der Grenadierkompagnie »mit rothen Hangschnüren« begonnen werden, hingegen seien die Füsiliere mit »grünen Hangschnüren« zu versehen. Vgl. StAWü, MOK 13, Allerhöchste Entschließungen auf die Protocolls Auszüge pro 1811, 21. Mai 1811. Trotz der unliebsamen Neuanschaffung, hatte die Einführung der Tschakos positive Langzeitfolgen  : Die Filztschakos französischer Probe ließen sich wesentlich billiger herstellen als die Raupenhelme, vgl. Richard Knötel  : Farbiges Handbuch der Uniformkunde. Stuttgart 1985, S. 116. 856 Dazu trug der Infanterist weiße Beinkleider, schwarze Gamaschen und weißes Lederzeug. Uniformkunde der großherzoglich würzburgischen Streitkräfte 1806–1813 im Anhang als Dokument L. 857 Näheres zur Kiliani-Schneiderei  : Sicken, Die Streitkräfte, S. 717. 858 Im Anhang als Dokument L Figur B zeigt wie eine Momentaufnahme Soldaten mit hohen Tschakos aber mit noch gänzlich österreichisch beeinflusster Uniform. Ein im August 1811 nun neu eingeführtes Montursreglement regelte (§ 17), dass die bisherige Tragzeit von 36 Monaten für »röckl und leibl« auf 30

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dennoch auch weiterhin eine gewisse Tradition zur österreichischen Uniformierungsweise, denn die Chevaulegers trugen immer noch Röcke nach österreichischer Probe859. Da sich das Gros der Artilleristen aus den heimgekehrten Sappeurs des Feldzugs von 1809 zusammensetzte, waren sie seitdem bereits ganz nach französischer Mode gekleidet. Die optische ›Französisierung‹ der großherzoglich würzburgischen Streitkräfte sollte eine innere ergänzen und die MOK schaffte Sprachlehrbücher an und bestand auf verpflichtendem Sprachunterricht für die Offizierschargen860. Rang- und Abteilungskennzeichen an der Uniform wurden nun für alle großherzoglich würzburgischen Soldaten nach französischem Vorbild zur Pflicht. Aus »Führers« und »Gefreiten«861 wurden auch im inoffiziellen Schriftverkehr nun »Sergants« und »Caporaux«862. Die MOK führte Anfang 1812 das französische Dienst- und Exerzierreglement für alle Streitkräfte verbindlich ein, statt dem österreichischen für die Infanterie bzw. dem bayerischen für Sappeurs und Kavallerie wie bisher863. Kaum verwunderlich, dass die Militärausgaben damit während dieses Angleichungsprozesses auch in den »stillen Jahren 1810/1811«864 seit dem letzten Einsatz 1809 stetig wuchsen865. Im Jahr 1811, als man in den Würzburger Behörden lediglich über einen Einsatz »in Spanien oder gegen Norden«866 nachdachte, entstanden der würzburgischen Militärkasse bereits Kosten von 450.072 fl. 44Xr. 1/4Hl. Damit nahmen die Ausgaben für das Militär im Gegensatz zum Vorjahr um 10,7 % (48.226 fl. 22Xr.) zu867. Im Etatjahr 1812/13 stiegen die Ausgaben horrend um weitere 65,6 % auf 745.751 fl. an und

Monate reduziert wurde. Hosen sollten statt zwölf nun neun Monate getragen werden. Vgl. StAWü, Landesdirektion OKK 20. Regulativ die Montur betreffend, 20. August 1811. Bekanntlich gab es häufig im Feld keinen Ersatz und der Soldat musste durch Tausch oder durch Beutestücke seine Montur ersetzen. Vgl. auch  : Sauer, Napoleons Adler, S. 258. 859 Bei den Chevaulegers zeigte sich durchgehend die österreichische Manier einreihiger Kollets, allerdings in grüner Farbe. Auch bei ihnen weicht der Raupenhelm mit gelben Aufschlägen den Tschakos mit roten Behängen. Im Anhang als Dokument L Figur D. 860 Die MOK berief dazu den aus Spanien zurückgekehrten Georg Bils. Vgl. StAWü, MOK 62. 861 Beispielsweise in  : StAWü, H.V. MS, f., 187, Summarium, Über die Verköstigung sämtlicher Truppen und militärischen Stellen. 862 Beispielsweise in  : StAWü, MOK 13. 863 Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 342. 864 Ebd., S. 322. 865 Im Oktober 1810 gingen 26.745fl. 14Xr, im November 32.473fl. 6Xr., im Dezember 40.485fl. 2Xr. an die Kriegskasse. Vgl. SUAP IV, RAT-Ferdinand III., k.7 sign.71. 866 HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buol an Metternich, Würzburg, 23. Mai 1811. 867 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., k.6.sign.71., Conspect über die Einnahmen und Ausgaben der Großherzoglichen Hauptkasse dahier zu Würzburg für das Etatsjahr 1809/10. Für 1811 vgl. im Anhang als Dokument XXIV.

Im Sechsten Koalitionskrieg (1812–1814) 

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erreichten ihren Gipfelpunkt Ende 1813 bis Anfang 1814868. Die Ausgaben der Militärkasse zu diesem Zeitpunkt von 832.734 fl. 13Xr. überstiegen die Kosten des letzten Kriegseinsatzjahres 1809 um 107,2 %869. Wie an anderer Stelle ausgeführt, waren die Kosten zur Erfüllung der Truppengestellungsbefehle ein gravierenderes Problem für die großherzogliche Regierung als das tatsächliche Soldatenaufgebot870. Die Rekrutenzüge im Januar, im April und Mai, im Juli und im Oktober 1812 brachten innerhalb eines Jahres problemlos insgesamt ca. 3.200 neue großherzogliche Soldaten für fünf weitere Infanteriebataillone, drei ChevaulegerEskadronen und Ergänzungsmannschaften auf, die das Großherzogtum in diesem und dem darauf folgenden Jahr ins Feld stellte871. Truppenabmarsch 1812

Einheit

Truppenstärke

18. Februar

Chev.Reg. (1. und 2. Chev.Esk.)

339 Soldaten; 42 Offiziere872

Bat. III

789 Soldaten; 25 Offiziere873

7. April

Bat. IV

789 Soldaten; 25 Offiziere874

20. April

Bat. V

789 Soldaten; 25 Offiziere875

Juni876

Ergänzungsmannschaft

22 Feldmusiker; 8 Offiziere; 82 Soldaten Ergänzung

Truppenabmarsch 1813

Einheit

Truppenstärke

4. April

Bat. III (neu)

ca. 760 Soldaten und Offiziere877

868 SUAP IV, RAT-Ferdinand III., k.6.sign.71., Conspect über die Einnahmen und Ausgaben der Großherzoglichen Hauptkasse dahier zu Würzburg für das Etatsjahr 1812/13. 869 Vgl. ebd., S. 440. 870 Siehe Kapitel II. 2.1, S. 313f. 871 Vgl. Bilz, Die Großherzogtümer, S. 131  ; StAWü, H.V. MS, f. 589, 24. April, 27. Juli, 8./24. Oktober 1812. 872 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 68, Fol. 118 873 Ebd. 874 Ebd. 875 Ebd. 876 Das genaue Datum bleibt unbekannt. Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 169, Materialien zu dem Feldzug nach Rußland 1812–1813. 877 Bataillon III und IV hatten laut Buols Bericht vom 22. April 1813 nach den Truppenergänzungen einen Effektivstand von 2.585 Mann. Davon müssen jedoch 1.060 Soldaten herausgerechnet werden, die bereits 1812 ausmarschiert nun im Frühjahr 1813 in norddeutschen Spitälern lagen. Daraus ergibt sich, dass beide Bataillone wieder auf eine Mannschaftsstärke von ca. 760 Mann gebracht wurden. HHStAW, Stk, Würzburg 4, Buol an Metternich, Würzburg, 22. April 1813.

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Das Mittel zum Zweck? Das Großherzogtum Würzburg im Krieg

Truppenabmarsch 1813

Einheit

Truppenstärke

4. April

3. Chev.Esk.

84 Soldaten878

24. April

Bat. IV (neu)

ca. 760 Soldaten und Offiziere

12. Juni

Ergänzung für Chev.Reg.

15 Soldaten879

22. Juli

Bat. VI

750 Soldaten und Offiziere880

10. August

Ergänzung für Chev.Reg.:

71 Soldaten881

(Während ­ affenstillstand W bis 10. Aug. )

Ergänzungsmannschaft für Bat. V unter Hptm. Göpping

2 Kompanien: 234 Soldaten und Offiziere882

Ergänzungsmannschaft unter Hptm. Kunst

2 Kompanien (unbestätigt)

Ergänzungsmannschaft unter Hptm. Drescher

Marschkompanie: 301 Mann

28. Oktober (für die Allianz)

Depot-Bat.

500 Soldaten

zwei Infanteriekomp.› Kordonsmannschaft‹

270 Soldaten

Die Anzahl der Soldaten, die das Großherzogtum Würzburg unter Waffen hielt, stieg in bis dahin am Main noch nicht erlebte Höhe an. Waren im Mai 1812 noch 3.999 Soldaten im Einsatz, stieg deren Anzahl auf 5.244 Soldaten im November und 5.662 Soldaten im März 1813. Schon damit hatte sich das im Akzessionsvertrag festgelegte Kontingent nahezu verdoppelt. Nach Stellung des VI. Bat. und der Ergänzungen für die Chev.Esk. im Juni und Juli 1813 hatte es sich mit 6.498 Soldaten unter Waffen deutlich verdreifacht. Dabei sind die 500 Soldaten des Depots und die restlichen zwei Kompagnien Grenz- und Polizeimannschaft nicht mit einberechnet, die im Oktober dann unter bayerischer und österreichischer Fahne kämpften, aber im Sommer 1813 noch auf französischen Befehl von der MOK aufgestellt wurden.883 Das war ein kleiner Beitrag angesichts der gegen Russland mobilisierten »Armee der 20 Nationen«884 mit insgesamt ca. 450.000 napoleonischen Soldaten. Der Charakter der französischen Streitkräfte, von denen jedoch nur 100.000 am Russlandfeldzug teilnehmen sollten und das Gros von 300.000 Soldaten in die alten Reichsgebiete und 878 StAWü, MOK, 375, Die vom Herren Oberleutnant Leicht der 3ten Chavauxlegers Compagnie als vermisst angegeben Mannschaft betreffend  ; Zusicherung Erzherzog Ferdinands vom 26. Januar 1812 in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 69, Fol. 18  ; Helmes, Die Würzburger, S. 20. 879 StAWü, MOK 15, 17. August 1813. 880 Ebd., 15. Juli 1813. 881 Ebd., 17. August 1813. 882 Grosch, Geschichte, S. 274. 883 Eine Berechnung des Gesamtaufgebots ist wegen der enormen und von Tag zu Tag unterschiedlichen Verlustzahlen der Jahre 1812/13 problematisch. 884 Juhel, 1813, S. 50.

Im Sechsten Koalitionskrieg (1812–1814) 

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Italien verlegt werden sollten, »um diese Länder im Zaume zu halten«885, veränderte sich bekanntlich dabei von einer schlagkräftigen und erprobten Veteranenarmee hin zu einer Rekrutenarmee886. Diese Effekte lassen sich auch für die 115.000-köpfige Rheinbundarmeen und im Besonderen für Würzburg feststellen. Die Beschlüsse von 1808, aus Kostengründen den »Locostand auf 1.144 Soldaten«887 Gesamtstärke zu beschränken, führten dazu, dass nach Herausrechnung von nötigen Wach- und Grenzdiensten im Großherzogtum bei der ersten Truppenforderung 1811 der MOK nur die sogenannte Reserve »aus mehr oder weniger Felddienstunfähigen«888 und die Reste der Sappeurs als Reserve für neue Kontingentsstellungen zur Verfügung standen. Wie in anderen Rheinbundstaaten auch musste Würzburg sein Kontingent »praktisch aus dem Nichts wieder aufbauen«889 Der Rest musste aus den 1.000 frisch einberufenen Rekruten gebildet werden, die man erst im Januar 1812 loste. Für die Erlernung des erforderlichen Exerzierreglements blieb ihnen da bis zu ihrem Abmarsch Mitte Februar keine Zeit und wieder hatten Soldaten Würzburgs trotz der seit einem Jahr bekannten Forderung tatsächlich ein weiteres Mal ungeübt und unvorbereitet in den Einsatz zu ziehen. An dieser Stelle muss allerdings auf eine Besonderheit hingewiesen werden, die sich bereits im kursorischen Überblick über die Verwendung der Würzburger Streitkräfte auf der iberischen Halbinsel zeigte. Auch wenn sich ab 1812 die Rheinbundkontingente (wie im Übrigen auch zunehmend die französischen) aus immer jüngeren und ungeübteren Soldaten zusammensetzten, so nahmen sie innerhalb der napoleonischen Streitkräfte dennoch nicht nur an nummerischer, sondern auch an militärischer Bedeutung zu. Dies geschah jedoch nicht ad hoc und für alle Bat. in gleicher Weise. Am Beispiel des Großherzogtums Würzburg wird sich für die Jahre 1812/13 zeigen, dass die französische Armeeführung sehr genau die Qualität und Tauglichkeit einzelner Einheiten ihrer Verbündeten einzuschätzen wusste  : Ihre Verwendung und Zusammensetzung – sogar auf Ebene einzelner Bat. – standen in enger Korrelation. Betrachtet man beispielsweise das III. Bat. der Würzburger Streitkräfte hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, dann wird es offensichtlich, dass es qualitativ bessere Voraussetzungen mitbrachte als das V. Bat. Ersteres hielt die französische Korpsführung von 1812–1813 als FeldBat. solange – quasi als Elite-Einheit – in der Reserve, bis sie in einer kritischen Situation während des Feldzugs oder der Schlacht auf sie zugriff, um eine

885 Zit. nach  : Siemann, Metternich, S. 362. 886 Zamoyski, 1812 Napoleons, S. 101. 887 StAWü, MOK 9, S. 1319. 888 Grosch, Geschichte, S. 240. 889 Juhel, Die Truppen, S. 53.

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Das Mittel zum Zweck? Das Großherzogtum Würzburg im Krieg

günstige Entscheidung herbeizuführen890. Letzteres steckte man hingegen als Garnison in eine Festung891. Bei der Formierung des III. Bat.892 konnte die MOK noch auf die Reste der noch einsatzfähigen Sappeurs und die aus Spanien im Juni 1811 zurückgekehrten 14 Offiziere (und nur noch 44 statt 52 Mann893) als Grundstock ausgebildeter und erfahrener Soldaten und Offiziere zurückgreifen. Außerdem ist für das III. Bat. (und später auch das IV. Bat.) hervorzuheben, dass diese Rekruten nach ihrer Ankunft in Berlin fünf Monate lang vom dortigen Militärgouverneur Joseph François Durutte (1767–1827) in täglichen Exerzierübungen nach französischem Reglement geschult wurden – der Höhepunkt der ›Französisierung‹ der Würzburger Streitkräfte. Für die anderen Soldaten Würzburgs ließ sich dies im Jahresverlauf 1812 dann nicht mehr realisieren. Die Rekruten der anderen Bat. wurden, wie im Fall des III. Bat., auch weiterhin bereits wenige Wochen nach ihrer Einberufung ohne Ausbildung ins Feld gestellt. Des Weiteren fehlte es nach Abmarsch des III. Bat. in Würzburg wie überall im Rheinbund an kriegsdiensterfahrenen Offizieren, die die Unerfahrenheit ihrer Soldaten hätten halbwegs ausgleichen können894. Konnten die leitenden Offiziere (bis einschließlich Olt.) des I. Bat. in Spanien im Durchschnitt noch knapp 20 (19,85) Dienstjahre vorweisen, waren es beim III. Bat. durchschnittlich nur noch 12 (12,35) und beim IV. gar nur noch 10 (9,9). Beim V. Bat. griff die MOK auf einige hochbetagte und bereits pensionierte Offiziere zurück, was den Durchschnitt wieder hob, allerdings keine Aussage darüber erlaubt, inwieweit altgediente Offiziere mit den neuen taktischen Manövern Napoleons und den französischen Reglements vertraut waren895. Bei der Formierung des VI. Bat. verzichtete die MOK auf die erforderliche Anzahl von Offizieren und schickte nur sieben Kadetten aus, die man überhaupt erst drei Monate zuvor in den 890 Es bedient einen Gemeinplatz, wenn man im Hinblick auf die Kriegsführung im 18. und 19. Jahrhundert darauf hinweist, dass Heerführer auf Feldzügen und während Feldschlachten ihre Eliteeinheiten so lange wie möglich in der Reserve hielten, während Landsturm und unausgebil-dete Rekruten die ersten Kampfkolonnen stellten. Vgl. bspw. Dominic Lieven: Russland gegen Napoleon. Die Schlacht um Europa. München 2011, S. 545. 891 Das V. Bat. wurde in der Festung Modlin, das VI. Bat. dann in der Festung Torgau als Garnison eingesetzt. 892 Das geschah wie bisher in Gliederung einer Grenadier-, einer Voltigeur- und vier Füsilierkompanien, mit einer Stärke von 789 Mann unter Bataillonskommandeur Hauptmann Gallus Nickels (1773–1842), vgl. StAWü, H.V., MS, f., 169, Materialien zu dem Feldzug nach Rußland 1812–1813. 893 Vgl. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 67, Fol. 171. 894 Zur Lage in anderen Rheinbundstaaten 1812/1813: Juhel, Die Truppen. 895 Die MOK berief beispielsweise den pensionierten 62-jährigen Paul Dietz mit 42 Dienstjahren zum Bataillonskommandeur. Für alle Zahlen zur Berechnung der Dienstjahre: Vgl. SUAP IV, RAT-Ferdinand III., k. 7. sign. 71, Rangliste des gesamten Großherzoglich-Würzburgischen Militair für den Monat July 1812.

Im Sechsten Koalitionskrieg (1812–1814) 

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Dienst nahm896. Einmal mehr schien nur die Tatsache einer Truppenaussendung, nicht deren Eignung und Qualität, handlungsleitend. Diese These belegt auch eindrucksvoll ein ›Gegenangebot‹ der MOK auf die Forderung Berthiers vom 9. Februar 1812 nach einer Artilleriekompanie mit sechs Geschützen. Statt der teuren Geschütze und der durch ihren Einsatz 1809 erfahreneren Artilleriesoldaten und Sappeurs brachte Würzburgs höchste Militärbehörde stattdessen eine vermeintlich ›billigere‹ Offerte eines weiteren Infanteriebataillons (V.) ins Spiel897. Dieses Angebot der MOK unterbreitete Montholon dem französischen Außenministerium erfolgreich mit der ergänzenden Zusicherung, die Infanteriebataillone würden würzburgischerseits sogar stets auf einem Effektivstand von 2.700 Soldaten erhalten werden898. Die 72-köpfige Artilleriekompagnie blieb samt Geschützen dann auch auf der Festung Marienberg, während das 814-köpfige V. Bat. an dessen statt gen Norden ausmarschieren musste. Pikant daran ist die Tatsache, dass sich auch dieses Bat. nahezu vollständig aus erst im Januar gelosten und völlig ungeübten Rekruten und kurz vor Abmarsch noch schnell avancierten Offizieren zusammensetzte899. Ein weiterer Beleg für diese These mag überhaupt die Aufstellungspraxis des III. Bat. sein. Die MOK hätte die Aushebung, Formierung und Ausbildung der Soldaten viel eher beginnen können, als sie es erst Ende Januar 1812 übereilt tat, war die erste Truppenforderung doch bereits im April 1811 eingegangen. Um die Würzburger Regierung endlich zum Handeln zu bewegen, waren drei weitere ausdrückliche Befehle Napoleons im Dezember und Januar, Aufforderungen Berthiers und beständiges Drängen der französischen Gesandtschaft vor Ort nötig900. Ein solches Regierungshandeln ist für die Truppengestellungen vor den Pariser Verträgen von 1810 nicht zu beobachten gewesen. Erst als erste französische Einheiten bereits Schwedisch-Vorpommern besetzten, machte die MOK das III. Bat. marschfertig. Die endgültige Formierung des IV. Bat. wurde ebenfalls erst wenige Tage vor dem Ausmarsch fertiggestellt901, die 896 So Hptm. Theodor v. Moilet seit zwei Monaten in großherzoglichen Diensten, sowie Olt. August Brentano, Olt. Kaspar Hitzelberger und Olt. Karl Gotthilf Oehninger seit drei Monaten. Vgl. ebd. 897 Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 342. 898 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 68, Montholon an Maret, 10. Februar 1812. 899 »On m’a dit  : Ce 4eme Bataillon [V. Bataillon, Anm.d.Verf.] est entièrement composé que de conscritt et manque d’officiers et de officiers en état de faire la guerre.« So in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 68, Montholon an Maret, Würzburg, 23. März 1812. Die Offiziere Hptm. Elias Dürring, Hptm. Philipp Göpping Hptm. Gottfried v. Singer, die Staabkap.: Friedrich v. Münchhausen, Philipp Fortenbach, Johann Storch, sowie die Olt. Franz Steinhauer Sen., Damian Pestlen, Franz Späth, Karl Wießner, Georg Seibert, Georg Sixtus, Reinhard v. Gemmingen erfuhren – auffällig genug – allesamt am 29. März 1812 ihre Rangerhöhung. Vgl. SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 7, sign. 71, Rangliste des gesamten Großherzoglich-Würzburgischen Militair für den Monat July 1812. 900 Vgl. ebd., S. 327, 343f. 901 Am 10. Februar wäre laut Montholon das IV. Bataillon trotz »s’efforcer de faire avec activité« nur »quasi-

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Bildung des V. mit Hinweis auf Offiziersmangel über sechs Wochen herausgezögert902, das VI. über ein Jahr lang als DepotBat. in Würzburg zurückgehalten und erst kurz vor Bruch des Waffenstillstands von Pläswitz (4. Juni – 10. August) Ende Juli 1813 ausgeschickt903. Der österreichische Gesandte glaubte schon im April 1812 ein Handlungssystem hinter dem stets zunächst abwartenden, dann überhasteten Truppenaufstellungen der großherzoglich würzburgischen Behörden erkannt zu haben, wenn er nach Wien berichtet, »dass das Großherzogliche Ministerium in jeder Rücksicht am besten daran [tut], sich nur erst als dann zu außerordentlichen Opfern zu bequemen, wenn die Bestimmtheit der dießfälligen Ansinnen, […] nicht nur in der That, sondern auch dem Scheinen nach keine andere Wahl übrig lässt«904. Und diese Einschätzung scheint die Aufstellungs­praxis der Jahre 1812/13 tatsächlich zu belegen. Bei diesem Verhalten handelte es sich allerdings um keine mutwillige Verweigerungshaltung oder gar Sabotage. Zu einer offenen Befehlsverweigerung des Rheinbundmitglieds Würzburg war es auch nach dem Personal- und Kurswechsel von 1810 nie gekommen. Das zeigte sich anlässlich Montholons überzogener und unberechtigter, weil nicht vom französischen Kriegsministerium autorisierter Forderung nach noch einem weiteren Regiment zu drei Bat. im Oktober 1812905. Denn die Regierung Würzburgs wäre selbst diesem übertriebenen Befehl nachgekommen, wie die Sitzungsprotokolle belegen. Darin stellte Wagner im Geheimen Staatsrat im Angesicht dieser (am Ende wirkungslosen) Forderung klar, ein »Widerspruch würde nur unangenehme Folgen haben, man würde sich um das Verdienst der bisherigen Bereitwilligkeit bringen und jede Hoffnung auf Vergrößerung des Großherzogtums ginge verloren  ; gerade vom Großherzog würde der Kaiser einen Einspruch nicht erwarten«906. Wie zuvor ausgebreitet verfolgte Erzherzog Ferdinand die Handlungsstrategie der einspruchslosen Erfüllung tatsächlich auch persönlich, als Napoleon während dessen groß angelegter Truppenreorganisation im Januar 1813 eine neue Kavalleriereserve aufzustellen beabsichtigte und wozu der Protecteur alle Rheinment« fertig, am 23. März musste er aus Würzburg melden, die MOK brauche immer noch zwei Wochen Zeit, erst am 7. April konnte das Bataillon schließlich nach Berlin aufbrechen. Vgl. AAÉ, Allemagne, ­Petites Principautés 68, Montholon an Maret, Fol. 32, 66; HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buol an Metternich, Würzburg, 7. April 1812. 902 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 68, Montholon an Maret, Würzburg, 23. März 1812. 903 Das VI. Bataillon, Bataillon de Marche genannt, rückte unter Johann Kantler am 22. Juli 1813 mit dem Ziel Torgau aus, obwohl es bereits am 29. Mai 1812 gefordert wurde. Vgl. StAWü, MOK 15, Allerhöchste Entschließungen auf die Protocolls Auszüge, 18 März und 15. Juli 1813; Ebd. H.V. MS, f. 117. 904 HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buol an Metternich, Würzburg, 23. April 1812. 905 Zu seinen nach persönlicher Bereicherung und Prestige ausgerichteten Forderungen: Bilz, Die Großherzogtümer, S. 132f. 906 Zit. nach  : Chroust, Die Geschichte, S. 348f.

Im Sechsten Koalitionskrieg (1812–1814) 

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bundmitglieder in die Pflicht nehmen wollte907. Am 9. Februar erging der Befehl aus dem Geheimen Staatsrat an die MOK, diese Chevauleger-Kompagnie marschfertig zu machen, am 13. März hatte man erst 46 Kavalleristen neu aufgestellt908, am 4. April rückten dann die versprochenen 84 Soldaten als 3. Eskadron aus909. Wieder waren es frisch ausgehobene Rekruten, die die Reihen auffüllten. Die MOK brachte sie durch einen »itzt neuerlich nothwendig gewordenen«910 und am 3. Dezember begonnenen Rekrutenzug auf. Auch bei Ergänzungsforderungen der gleichen Truppengattung im Juni 1813 zeigte sich, die ›difficultés insurmontables‹ entstanden nicht bei der Aufbietung der geforderten Soldaten, sondern vielmehr der Pferde. Weil selbst für eine »quantité gigantesque d’argent«911 felddiensttaugliche Pferde auch im Ausland nur schwer zu erwerben waren, konnten lediglich 15 Kavalleristen am 12. Juni als Ergänzungstruppe ausreiten, obwohl Napoleon am 8. Juni 1813 für seinen Wiederaufrüstungsplan einer 60.000 Mann starken Kavallerie eine ganze Eskadron forderte912. Erst als die Würzburger Regierung nach einem verstärkten Befehl Napoleons vom 13. Juni keine Handlungsalternative mehr für sich sah, verfügte die MOK schließlich den Zukauf weiterer Pferde913. Die Soldaten rekrutierte die MOK daraufhin binnen weniger Tage und am 10. August konnten weitere 71 Berittene den im Feld stehenden Chevauleger-Einheiten folgen, die somit auf Regimentsstärke angewachsen waren914. Um es auf den Punkt zu bringen  : Die Anschaffung teurer Pferde verursachten der MOK weit größere Sorgen als die der Soldaten915. Die Truppenaushebungen folgten 907 Vgl. Juhel, Die Truppen, S. 56. 908 Ebd., Fol. 55. 909 So in  : StAWü, MOK, 375, Die vom Herren Oberleutnant Leicht der 3ten Chavauxlegers Compagnie als vermisst angegeben Mannschaft betreffend; Zusicherung Erzherzog Ferdinands vom 26. Januar 1812 in  : AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 69, Fol. 18; Helmes, Die Würzburger, S. 20. 910 StAWü, H.V. MS, f. 589, 3. Dezember 1812. 911 Vgl. AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 69, Saint-Germain an Maret, Würzburg, 13. Juni 1813. 912 »Éctrivez à mon ministre près le grand-duc de Würzburg que je préfére la cavalerie à l’infanterie: la cavalerie est fort bonne; je préférais donc que Würzburg me fournît moins d’infanterie, et me fournît un escadron de cavalerie de plus«. So in  : Napoléon, Correspondance, XXV. Bd., Nr. 20097, S. 429  ; außerdem  : Juhel, Die Truppen, S. 56. 913 »Je vous ai déjà mandé, que je desiderais que le contingent de Würzburg fût augmenté en cavalerie et diminué en infanterie«. So in  : Napoléon, Correspondance, XXV. Bd., Nr. 20117, Napoleon an Maret, 13. Juni 1813. 914 Am 10. Juli begann die Losung und am 21. Juli konnte die MOK Vollzug melden. Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 365, Anm. 6. 915 Das wird daraus deutlich, auch ohne es konkret zu verbalisieren, dass nicht nur die schiere Masse von Gutachten, Gegengutachten und Vorträge bezüglich der Pferdeankäufe, der Monturfragen und ähnlicher kostenintensiver Anschaffungen bei weitem größer ist als die bezüglich der Truppenrekrutierung, sondern auch der Ton in den Akten bei Kostenfragen emotionalisierter ist, als bei den immer größeren

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problemlos auf französische Bestellung und sie erfüllten ihren Zweck  : Der französische Gesandte Saint-Germain lobte Aussehen und Haltung (»apparence«) der ungeübten jungen Kavallerierekruten auf offiziellem Weg bei Maret (»les jeunes garçons [à départ] ont jubilé ›Vivat  !‹«) sowie den Umstand, dass Erzherzog Ferdinand und die Würzburger Regierung durch ihr Handeln auch bei dieser Gelegenheit keinen Zweifel daran ließ, dass »de prendre les Mesures les plus promtes à remplir les intentions de l’empereur«916. Wie schon bei den Truppengestellungen davor zeigt sich vor allem für die Jahre 1811– 1813, dass man erst dann Truppen unter Napoleons Befehl stellte, wenn »nicht nur in der That, sondern auch dem Scheinen nach keine andere Wahl übrig«917 blieb. In diesem Fall schien es als Handlungsschema zur Erreichung des ›politischen Zwecks‹ – einer möglichen Expansion – nur wichtig zu sein, dass man überhaupt lieferte, egal auf welche Art und Weise. Das nahezu offizierslose VI. Bat., die Verwandlung der Artillerieforderung in eine tatsächliche Infanteriegestellung, der Abschluss der ›Französisierung‹ der Uniform sowie das massenhafte Aufgebot von frischgelosten Mannschaften und unerfahrenen Offizieren können verdeutlichen, dass alleine das Aussehen der Soldaten und deren nummerische Größe für die Regierungsbehörden des Großherzogtums Würzburg die einzig bestimmenden Parameter gewesen waren – eine Politik der Erfüllung auf dem Papier. Im Einsatz

»Pour contenir la Prusse«918 zog Napoleon in Norddeutschland ein 400.000 Mann s­ tarkes Heer zusammen, um einen russischen Erstschlag verhindern oder widrigenfalls den russischen Zaren in einer Entscheidungsschlacht zum Einlenken zu zwingen. Zugleich hatte es eine seit längerem gärende Volkserhebung in Preußen zu unterbinden. Bei dieser primär auf Abschreckung vor und hinter der Front abzielenden Militärstrategie für das Jahr 1812 war die Eignung und die Kampfkraft seiner versammelten multiethnischen Grande Armée auch weniger entscheidend als deren den Feind einschüchternde Masse919  : »Die Zahl und die unterstellte Qualität meiner hochangesehenen Regimenter werden eher übertrieben als kleingeredet, wenn man Gerüchte über sie in Umlauf setzt. Und an dem Tag, Soldatenforderungen. Beispielsweise: StAWü, MOK 15, Allerhöchste Entschließungen auf die Protocolls Auszüge, 17. August 1813. 916 AAÉ, Allemagne, Petites Principautés 69, Saint-Germain an Maret, Würzburg, 17. Juli 1813. 917 HHStAW, Stk, Würzburg 3, Buol an Metternich, Würzburg, 23. April 1812. 918 Zit. nach  : Helmes, Die Würzburger, S. 4. 919 Vgl. Zamoyski, 1812 Napoleons, S. 100–104.

Im Sechsten Koalitionskrieg (1812–1814) 

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an dem ich meinen Feldzug beginne, wird mir eine psychologische Kraft vorrauseilen, die die wirkliche militärische Stärke ergänzt, welche ich mir selbst habe besorgen können.«920

Es wird sich zeigen, dass der Protecteur nicht alle Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg zu jenen Truppenteilen zählte, denen er ›wirkliche militärische Stärke‹ attestierte. Die These ist  : Ganz unterschiedlich, aber in Relation zu ihrer Zusammensetzung, Ausbildung und Kriegserfahrung, setzte die französische Armeeführung Würzburgs Streitkräfte im sechsten Koalitionskrieg ein. Es wird zu zeigen sein, dass manche Truppenteile während einer Schlacht taktisch verantwortungsvolle Aufgaben versahen, manche nahmen nicht direkt an Kampfhandlungen teil, aber sie übernahmen nicht weniger verantwortungsvolle Hilfsdienste für die französische Armee hinter der Front und manche dienten schlicht als Masse, die für die ›psychologische Kraft‹ sorgen sollte. Diese feine Unterscheidung berücksichtigten die Regimentsgeschichten nicht in hinlänglichem Maße, wenn sie abfällig beispielsweise über den Einsatz des Chev.Reg. als Gendarmerie urteilten, die Truppen wären mit »fortwährendem Hin- und Herrücken«921 beschäftigt, »was mehr als alles andere den Wert erkennen lässt, der ihnen beigemessen wurde«922. Unter dem Parameter nationalen Heroismus unterlag der direkte Vergleich der Truppenverwendung französischer und würzburgischer Einheiten  : Während sich die französischen Truppenkontingente in den Festungsstädten entlang der Weichsellinie, in Danzig, Glogau, und Stettin sammelten, bereit auf den ersten Befehl loszuschlagen923, waren im Frühjahr 1812 das Bat. III924 in Stade und Ritzebüttel sowie die 340 großherzoglich würzburgischen Chevaulegers unter General Saint-Cyr in Stralsund925 – vermeintlich wenig heldenhaft – mit der Aufgabe betraut, »auf alles zu achten, was die Landessicherheit beeinträchtigte«926. Die neue Forschung allerdings misst gerade dieser Aufgabe der Sicherung des Landes hinter der Front und des Gendarmeriedienstes besonderen Wert zu. Der Einsatz der Würzburger Streitkräfte im Hinterland verfolgte 920 Napoleon an General Dejan über die Vorbereitungen 1812, zit. nach  : ebd., S. 110f. 921 Helmes, Die Würzburger, S. 14. Zur besseren Übersicht über die Operationen der Chevaulegers siehe hierzu die Marschroute der Jahre 1812–1813, verdeutlicht als Karte im Anhang, Dokument LI. 922 Ebd., S. 15. 923 Vgl. Zamoyski, 1812 Napoleons, S. 100f. 924 Nur am Rande sei erwähnt, dass das Bat. III einmal mehr mit schlechter Ausrüstung im dauerhaften Biwak an der rauen Nordseeküste auszuharren hatte. Erneut zeigte sich auch 1812 bereits nach kurzer Zeit im Einsatz die mangelhafte Qualität von Schuhen und Mänteln, die schon auf dem Hinmarsch mehr und mehr zerschlissen. Vgl. StAWü, MOK, 450; 462. Das Nordseeklima kostete bis Mai bereits 113 Soldaten die Gesundheit. Vgl. Grosch, Geschichte, S. 242. 925 Dort bis zum 3. Dezember 1812, Helmes, Die Würzburger, S. 7. 926 Ebd., S. 5. Siehe hierzu die Marschroute der Jahre 1812–1813, verdeutlicht als Karte im Anhang, Dokument LI.

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dabei einen höheren strategischen Zweck. Es ging um die Sichtbarmachung und damit die physisch spürbare Präsenz des napoleonischen Imperiums in der Peripherie927. Die Würzburger dienten als Gendarmerie, als imperiales Mittel, als »example of the dominant culture«928 im unruhigen Nordosten des erst seit Kurzem unterjochten Preußen. Lange wurde in der Historiografie die entscheidende Rolle der napoleonischen Gendarmerie für die französische Hegemonie unterschätzt929. Die Wichtigkeit dieser Aufgabe verdeutlicht sich jedoch, folgt man der These von Michael Broers  : Dort, wo es keine napoleonische Gendarmerie gab, dort habe es auch keine napoleonische Herrschaft gegeben930, was sich im Rücken der gegen Osten marschierenden Armeeverbände bitter hätte rächen können. So gesehen ist die mehrmalige Verwendung der Würzburger als Gendarmen ein außerordentlicher Vertrauensbeweis seitens der französischen Armeeführung gewesen. Je länger jedoch der Krieg andauerte, desto weniger entsprachen die Gendarmen ihrer ursprünglichen Konzeption einer Eindruck machenden Armeeelite und es handelte sich eher um eine ›colonne mobile‹, eine eilig zusammengesammelte Reservetruppe aller Waffengattungen aus den Garnisonen, die gerade zur Verfügung standen931. Die Chevaulegers entsprachen da noch am ehesten dem Idealbild. Ihre Ausbildung und Bewaffnung deckte sich mit dem Kriegsziel, stets mobil bis tief in die letzten Winkel des Landes hinein jeden Versuch einer Konterrevolution mit gnadenlosen Verfolgungsjagden im Keim zu ersticken. Die Gejagten waren meist deutsche Zivilisten, die sich gegen die Konskription sperrten, die gegen Einquartierung und Requirierung ihres Eigentums gegen die französische Besatzung opponierten, was nicht vergessen werden darf. Den Einsatz als Gendarmen erfüllten die Würzburger Chevaulegers ein ganzes Jahr vom Frühjahr 1812 bis April 1813 in Berlin mustergültig. Als die Stimmung nach dem preußisch-russischen Bündnisvertrag von Kalisch (23./24. Februar 1813) hochkochte, hatten die Würzburger Reiter in den Berliner Straßen Jagd auf einfallende Kosakeneinheiten unter General Ludwig Graf Yorck von Wartenburg (1759–1830) und »mitwirkende Bürger«932 zu machen. Es ist schon bemerkenswert, dass eine Regimentsgeschichte aus dem frühen 20. Jahrhundert nicht verschweigt, dass Würzburger unter französischem Befehl vom aufblühenden deutschen Patriotismus beseelte Berliner ­Bürger blutig niederschlugen. Nur in einer Darstellung findet sich dies auch und ohne weitere 927 Vgl. Michael Broers  : The Napoleonic Gendarmerie. The state on the periphery made real, in  : Crime, Histoire & Sociétés Vol. 20 (2016), S. 91–105, S. 102. 928 Ebd., S. 93. 929 Weiterführend dazu vgl. ebd., S. 92–93. 930 Ebd., S. 92. 931 Vgl. ebd., S. 103. 932 Helmes, Die Würzburger, S. 10.

Im Sechsten Koalitionskrieg (1812–1814) 

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Bewertung, aber die Tatsache vermag die Auflösung der Grenze von ziviler und militärischer Sphäre zu belegen. Es verdeutlicht einmal mehr die Totalisierung dieses Krieges. Am 4. März gab die französische Militärführung Berlin schließlich auf und die würzburgischen Chevaulegers unter Napoleons Stief- und Adoptivsohn Eugène de Beauharnais (1781–1824) zogen sich auf die Linie Wittenberg-Magdeburg unter andauernden Rückzugsgefechten gegen preußisch-russische Einheiten zurück933. Ihr loyaler Einsatz gegen die deutsche Nationalerhebung fand den Beifall der französischen Armeeführung und sie übten im April ihre Gendarmerie-Dienste auch eingereiht im XI. Korps unter ihrem neuen Befehlshaber Jaques MacDonald (1765–1840) zwischen Magdeburg und Wittenberg aus. Sogar der Protecteur selbst bemerkte ihre Eignung – in Antithese zur Regimentsgeschichte – »was mehr als alles andere den Wert erkennen lässt, der ihnen beigemessen wurde«934  : »Éctrivez à mon ministre près le grand-duc de Würzburg que je préfére la cavalerie à l’infanterie  : la cavalerie est fort bonne  ; je préférais donc que Würzburg me fournît moins d’infanterie, et me fournît un escadron de cavalerie de plus«935.

Gerade aber die in Ausstattung und Unterhalt billigere Infanterie schickte von 1812– 1813 die großherzoglich würzburgische Regierung vornehmlich, wie bereits erwähnt. Sie wurde, so auch der Rest der division princière kleinerer Rheinbundfürsten indes wie bei anderen Einsätzen auch eher in der zweiten Reihe gehalten. Das sollte sich auch im beginnenden Feldzug gegen Russland nicht ändern. In Berlin trafen im Mai 1812 kurz alle Truppenteile Würzburgs zusammen, wo die Infanterie fünf Monate lang mit wenig Gelegenheit sich militärisch zu beweisen als Besat­ zungsgarnison stand936. Die drei Infanteriebataillone waren als ›Regiment ­Würzburg‹ zusammen unter dem Oberbefehl von Maj. Gottfried Wilhelm Moser von Filseck (1757–1823) zusammengefasst und wurden dort vielmehr mit Wachdienst und täglichen Exerzierübungen nach französischem Reglement »ermüdet«937. Maj. Moser von Filseck war es deshalb auch, der persönlich beim Berliner Militärgouverneur Du933 Vgl. Esposito, A military History, Map 127  ; Helmes, Die Würzburger, S. 12f. 934 Ebd., S. 15. 935 So in  : Napoléon, Correspondance, XXV. Bd., Nr. 20097, S. 429. 936 Das Bat. IV unter Wilhelm von Waldenfels, das V. Bat. unter Paul Dietz sowie das Bat. III unter Gallus Nickels – letzteres traf als letztes am 18. Mai in Berlin ein. Vgl. Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 286. Die Chevaulegers blieben in Berlin als Gendarmerie noch bis Februar 1813. 937 Ebd., S. 286. Noch in Berlin verlangte der neu zuständige Brig.Gen. Devaux die Aufstellung von einer Feldartillerie beim Würzburger IR. Die MOK lies die Bedienmannschaften für vier von den Franzosen übernommenen Feldgeschützen aus den dafür gar nicht ausgebildeten Grenadier-Kompanien nehmen. Vgl. StAWü, MOK, 382  ; 383.

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rutte darum bat, es möge auch ihnen die Ehre zuteilwerden »die begonnene Kampagne mitmachen zu dürfen«938. Aus heutiger Sicht erscheint diese Bitte grotesk, weiß man doch, dass 5/6 der gegen Moskau geschickten Soldaten nicht wieder zurückkehren sollten939. Die Bitte bezeugt aber den durch die französische Auszeichnungspraxis motivierten Drang engagierter Offiziere sich unter den Augen des Kaisers beweisen zu wollen. »Mit Neid im Herzen«940 sahen die Würzburger dann allerdings nur zu, als Napoleon seine »zuverlässigsten Verbündeten«, die Bayern, die »sehr disziplinierten« Italiener, die »ausgezeichneten« Polen, das Groß vom gut in die französische Armee integrierten Badi­ schen Heer, die »disziplinierten« Sachsen und »treuergebenen«941 Franzosen zum Abmarsch formierte. Was er im Gegensatz dazu tatsächlich von der Würzburger Infanterie dachte, dafür mag sein beiläufig erteilter Armeebefehl vom 11. Juni 1812 an Berthier stehen. Statt der fast flehentlich vorgetragenen Bitte des Würzburger Regimentsinhabers »an dem unausbleiblichen Triumphzuge des großen Kaisers und Feldherrn teilzunehmen«942, befahl ihm Napoleon indes mit zwei Bat. zur Hinterlandsicherung in Berlin zu bleiben und eines nach Küstrin (Kostrzyn nad Odrą) zu verlegen943. Mit Hinterlandsicherung gewann man allerdings keine Verdienstorden. Bedeutungsvoll in diesem Zusammenhang ist außerdem seine den Würzburgern natürlich nicht mitgeteilte Begründung an Berthier  : »Mandez que je ne vieux pas mettre de François à Küstrin, parce que l’air y est mauvais  ; qu’il vaudrait mieux, si cela était nécessaire, y mettre un Bat. de Wurzburg«944. Dabei vertrugen die Würzburger Soldaten die ›schlechte Luft‹ wohl keineswegs besser als französische, wie ein Blick auf den Ist-Stand vom 9. November zeigt  : Von 3.565 großherzoglichen Infanteristen im Einsatz waren 1.231 Soldaten wegen Krankheit nicht dienstfähig945. Für ein weiteres Zeichen kaiserlicher Geringschätzung erachteten die deutsch-nationalen Regimentsgeschichtsschreiber auch die von Napoleon persönlich am 6. und erneut am 8. Oktober 1812946 angeordnete Zuteilung des Würzburger IR zur 32. Division947. Die Würzburger blieben noch bis Mitte Oktober 1813 in dieser »Räuberbande«, 938 Hinweise darüber auch in seiner Personalakte  : BayHStA, Abt. IV, OP, 80428. Zit. nach  : Grosch, Geschichte, S. 243. 939 Esposito, A military History, Map 115  ; Huck, Vom Berufsheer, S. 193. 940 Grosch, Geschichte, S. 242. 941 Alle Zuschreibungen so bei  : Zamoyski, 1812 Napoleons, S. 106f. 942 Zit. nach  : Grosch, Geschichte, S. 242. 943 Für die folgenden Operationen des IRs, im Anhang als Dokument LII. 944 Napoléon, Correspondance, XXIII. Bd., Nr. 18783, Napoleon an Berthier, 11. Juni 1812. 945 AAÉ, Petites Principautés, 68, Fol. 167. 946 Ebd., XXIV. Bd., Nr. 19258, Napoleon an Berthier, 6. Oktober 1812; Nr. 19263, 8. Oktober 1812. 947 Für den einen stellte sie die »meist aus Kriegsgefangenen, Konskribierten, Ausreißern und Verbrechern« bestehende Division eine »wenig beliebte Musterkarte aller europäischen Nationen dar«, so in    : Artur

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»dem Auswurf der französischen Armee«, dem »Gesindel der Division Durutte – die man auch déroute948 nannte« eingereiht, weshalb eine kritische Analyse der 32. Divisionan dieser Stelle angebracht ist. Diese Urteile hatten und haben durchaus Gewicht bei der Einschätzung, was die Würzburger Einheiten der französischen Armeeführung ›wert‹ waren und welchen Stellenwert sie in der napoleonischen Armee besaßen. Tatsächlich bezeugen sie vielmehr die »teils tatsächlich vorhandenen, teils erst durch nachträgliche Verzerrung wahrgenommenen Konflikte«949 der Zusammenarbeit französischer und rheinbündischer Truppen, was im Folgenden zu beweisen sein wird. Die französische Militärgeschichtsschreibung bewertet die Division Durutte naturge­ mäß auch differenzierter950  : Die sogenannten réfractaires hätten durch ihre freiwillige Wiedereingliederung viel mehr »l’esprit miliaire, cette suprême expression du patriotisme«951 gezeigt, als die frisch gelosten Rekruten, die Kriegsgefangenen hätten den Kriegsdienst dem Arrest vorgezogen und wären alles freiwillige, ›altgediente Leute‹ gewesen952. Dahinter mag sich zwar Apologie genauso wie Verdammung auf Seiten der deutschen Historiografie verbergen, aber es ist ja bereits erwähnt worden, dass Napoleon auf keinen einzelnen Soldaten verzichten wollte, um die Rüstungsspirale gegen den Zaren weiter­ Baumgarten-Crusius (Hg.)  : Die Sachsen 1812 in Rußland. Nach Tagebüchern von Mitkämpfern. Leipzig 1912, S. 170. Ein anderer, der explizit die Formierung der Division Durutte untersuchte, schrieb  : »Und als hätte der Kaiser an diesem unzuverlässigen Truppenmaterial noch nicht genug gehabt, beschloss er gegen Ende auch noch die Untersteckung einer bedeutenden Anzahl spanischer Kriegsgefangener unter seine Armee.« So in  : Georg Schmeißer: Die Refraktärregimenter unter Napoleon I. und die aus ihnen hervorgegangene Divison Durutte, in  : Beiheft zum Militär-Wochenblatt (1890), S. 23–125, S. 103. Der sächsische Offizier und kurzzeitige Adjutant Napoleons Otto von Odenleben (1777–1833), der unter General Jean Louis Ebenezer Reynier (1771–1814) im VII. Korps stand, in das das Regiment Würzburg vergebens um Aufnahme ersuchte, charakterisierte die 32. Division in drastischen Worten  : »Die Division Durutte war der Auswurf der großen Armee. Zum Teil aus jungen Konskribierten, zum anderen aber aus den Strafbataillonen der Isle de Ré, sogenannten réfractaires, d. h. Leuten, die sich der Aushebung entzogen hatten, Deserteuren, Verbrechern und aus gegen ihren Willen zum Kriegsdienst gezwungenen Spaniern zusammengesetzt – ohne Fahnen, ohne Adler, die sie sich erst verdienen sollten – waren sie die schlimmsten Bundesgenossen. Schrecklich sind die Schilderungen ihrer Zuchtlosigkeit, die Offiziere und Unteroffiziere nicht zu steuern vermochten Sie verließen während der Märsche die Kolonnen, brachen truppweise in die Höfe, schändeten die vornehmsten Frauen des Landes.« Zit. nach  : Paul Holzhausen  : Die Deutschen in Rußland 1812. Berlin 1924, S. 153. De facto sollte laut Napoleons Anweisung vom Mai 1812 die 32. Division als 4. Reservedivision zusammengesetzt sein aus drei Bat. des IR Belle Isle, drei Bat. des IR Île de Ré, drei Bat. des IR der Walcheren sowie fünf Bat. des 2. Mittelmeerregiments. Vgl. Schmeißer, Die Refraktärregimenter, S. 114. 948 Holzhausen, Die Deutschen, S. 153. 949 Roman Töppel  : Die Sachsen und Napoleon. Ein Stimmungsbild 1806–1813. Köln u. a. 2013, S. 270. 950 Vgl. Zamoyski, 1812 Napoleons, S. 229f. 951 Adrien-Félix-Marie-Joseph Paimblant Du Rouil  : La Division Durutte. Paris 1896, S. 19. 952 Mit den entsprechenden Quellen belegt bei  : ebd., S. 17f.

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zudrehen und die Drohkulisse gegen Russland aufrechtzuerhalten. Die Masse von Soldaten war in dieser Strategie bestimmend und die Formierung der 32. Division aus der französischen Peripherie nur ein Beispiel von vielen. Anfänglich war sie auch nur als Auffüllungsreserve für bereits bestehende Divisionen geplant, die im Süden des Operationsgebiets gegen Moskau die rechte Flanke der Hauptarmee zu decken hatten. Nach den erheblichen Verlusten in den Schlachten im weißrussischen Kobryn (eine ganze sächsische Brigade wurde gefangengenommen) und Gordeczna und wegen der desaströsen Nahrungsmittelversorgung waren diese Truppenergänzungen akut geworden953. Ob die Zuteilung der Würzburger Bat. zu diesen Ergänzungstruppen lediglich als rein zahlenmäßige Verstärkung erfolgte, oder ob gar Durutte selbst, der die Würzburger fünf Monate in Berlin exerzierte, verlangte, weil sie in seiner »wohl auch aus Verbrechern zusammengesetzte[n] Division […] eine ehrenvolle Ausnahme«954 machten, ist heute quellengestützt nicht nachweisbar955. Näheren Aufschluss darüber verspricht einmal mehr die Analyse der Verwendung des IR im Feldzug von 1812/13, denn allen Defiziten zum Trotz scheinen einige Bat. des IR tatsächlich eine ›ehrenvolle Ausnahme‹ gemacht zu haben, wurden sie doch häufig von den Brigadekommandeuren taktisch zunächst in der Reserve gehalten, um dann in der Schlacht den durchschlagenden Erfolg mit ihnen zu erzielen. Weil die russischen Westarmeen bekanntlich vor dem überlegenen Feind in das Innere des Landes unter andauernden Scharmützeln zurückwichen, gelang es Napoleon nicht, sie zur Entscheidungsschlacht zu stellen956. Die russische Donauarmee unter General Pawel Wassiljewitsch Tschitschagow (1767–1849) sollte aus dem Moldaugebiet heraus nach Norden marschieren, um den Resten von Napoleons Armee den Rückzug aus Moskau zu versperren. Aufgabe der 32. Division und damit des würzburgischen IR war es im Herbst 1812 gemeinsam mit Tschitschagows Verfolgern, dem österreichischen Korps unter Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg (1777–1820), dies zu ver953 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 382, 385. Zur Versorgungslage  : Töppel, Die Sachsen, S. 260. 954 Wilhelm Edlen von Gebler  : Das k. k. österreichische Auxiliarkorps im russischen Feldzuge 1812. Wien 1863, S. 156  ; Ähnlich bei: Grosch, Geschichte, S. 244. 955 Angeblich seien die Würzburger über diese Zuteilung »unglücklich« gewesen. Dies ist allerdings auch nur aus einer sächsischen Regimentsgeschichte entnommen : Cerrini di Monte Varchi, Clemens Franz Xaver von : Die Feldzüge der Sachsen in den Jahren 1812 und 1813 aus den bewährtesten Quellen gezogen und dargestellt von einem Stabsoffiziere des königlich sächsischen Generalstabes. Dresden 1821, S. 89. 956 Das entsprang dabei keineswegs einer stringent verfolgten Taktik der russischen Generalität. Zar Alexander schwankte stets zwischen Angriff und dem von seinem Oberbefehlshaber der Westarmeen, Michail Barclay de Tolly (1761–1818), präferierten Rückzugsstrategie. Trotz der Vermeidung einer Entscheidungsschlacht kam es immer wieder zu Offensiven der 1. und 2. Westarmee. Zu einer Entscheidungsschlacht kam es aber auch nicht, weil ihre Armeeteile zu weit auseinander lagen. Vgl. Regling, Grundzüge, S. 288f.; Lieven, Russland, S. 194–198.

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hindern. Tschitschagow ermöglichte sich durch die Zurücklassung der Hälfte seiner Truppen (ca. 27.000 Mann) unter Fabian Gottlieb von der Osten-Sacken (1752–1837) den Vormarsch bis zur Beresina, indem diese seine Verfolger für den Rest des Feldzugs banden957. Das war das Einsatzszenario, als das würzburgische IR am 30. Oktober von Warschau in den Osten abmarschiert war, um sich dort mit dem VII. Korps (Sachsen) unter Reynier bei Wolkowysk (Waukawysk, Weißrussland) zu vereinigen. Als das IR dort am 14. November mittags im Hauptquartier Reyniers ankam, ahnten die Würzburger nicht, dass ihnen ihre verlustreichste Schlacht während des Weltkriegs der Sattelzeit mit am Ende über 400 Gefallenen und Verwundeten958 in den eigenen Reihen bevorstand – ca. 28.000 napoleonische Truppen kämpften gegen ca. 27.000 russische. Insgesamt wurden insgesamt ca. 1.300 Soldaten auf napoleonischer Seite verwundet oder getötet959. Das Hauptquartier hatte Reynier in Sichtweite des Feindes in die Stadt verlegt und die Truppen Duruttes in zwei Linien hinter der Stadt auf einer Anhöhe positioniert. Das IV. Bat. versah, herausgelöst aus dem Divisionsverband, den Vorpostendienst der Schlachtordnung und sicherte somit die Verbindung vom Hauptquartier in der Stadt zum Biwak der Division auf der Anhöhe. Interessanterweise hielt man das III. Bat. in der »zweiten Reihe«960. Das Bat. mit dem Grundstamm ausgebildeter und kriegserfahrener Offiziere und Soldaten wurde also absichtlich als Reserve zurückgehalten, während man das IV Bat. eben dort einsetzte, wo es die Kommandeure situativ benötigten. Der russische General Osten-Sacken hatte erfahren, dass sich Reyniers Korps noch nicht mit Schwarzenbergs (bei Slomin) zusammengeschlossen hatte und beschloss daher den isolierten Reynier mit seiner Hauptmacht anzugreifen, bevor Schwarzenberg zur Hilfe eilen konnte. General Sacken griff dann in der Nacht zum 15. November überraschend vom Süden aus mit seinen 27.000 russischen Soldaten die Stadt an. Sächsische Vorposten verteidigten die in Brand geschossene Stadt bis in den Morgen. Das IV. Bat. sicherte den Rückzug des völlig überrumpelten Generalstabs im Hauptquartier, der der russischen Übermacht die Stadt überlassen musste. Dieses Bat. verteidigte die letztverbliebene Brücke über den Rós-Bach gegen die anstürmenden russischen Truppenver957 Ebd., S. 326f. 958 Zahlen aus StAWü, H.V. MS, f., 169, S. 12. Dass Bataillonskommandeur Gallus Nickels bei der Schlacht um Wolkowysk eine Gewehrkugel in den Kopf bekam und dennoch überlebte, beschreibt er selber als »übernatürliche[n] Glücksfall«, so in  : BayHStA, Abt. IV, OP, 80627. Die meisten der 335 Verwundeten überlebten ihre Verletzungen in den kaum vorhandenen Feldlazaretten nicht. Vgl. dazu allgemein: Thamer, Die Schrecken, S. 31, 33. Darüber, dass die Veröffentlichung dieser Zahlen die Gemüter der Würzburger erregte, obwohl die Zahlen im Nachhinein offiziell geschönt wurden, ist an anderer Stelle beschrieben worden. Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 352. 959 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 402. 960 Vgl. Cerrini, Die Feldzüge, S. 92.

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bände »heldenmüthig«961. Erst am Morgen wurde ihnen Rückzug »auf eine mindergefährliche Stellung«962 befohlen. Die Verluste waren durch diese Verteidigungsleistung des IV. Bat. enorm hoch und teuer erkauft963. 32 Soldaten starben noch auf der Brücke, 335 blieben vor der sich formierenden französischen Schlachtordnung liegen, 29 Offiziere und Soldaten waren auch noch zwei Wochen später vermisst964. Taktisch genutzt hat dieses Opfer insofern, dass General Osten-Sackens Armee dann in den frühen Morgenstunden massiert die Anhöhe gegen geordnete Reihen der Division Durutte – unter ihnen ›im zweiten Treffen‹ die Soldaten des III. Bat. – berennen musste. Dort hätten die »ältesten und kriegsversuchtesten Truppen eine bessere Haltung nicht zeigen können«965, wie es Divisionsgeneral Durutte an Erzherzog Ferdinand berichtete, und »unterhielten kleine Stunde lang ein so lebhaftes Feuer, dass der Feind sein Vorhaben aufgeben musste«966. Er habe »die ruhige und feste Art bewundert womit Kommandeur Nickels die Truppe führte«967. Die Verluste blieben mit zwei Toten und 75 Verwundeten beim III. Bat. nur deshalb so gering, weil in die rechte Flanke der angreifenden Russen sächsische Truppenverbände einfielen. Der Angriff brach zusammen und Osten-Sacken zog sich in die Ruinen Wolkowysks zurück. Am Nachmittag des 16. November befahl dann Korpsgeneral Reynier Duruttes Truppen den Angriff auf die Ruinenstadt, als er von Izabelin das verabredete österreichische Artilleriefeuer vernehmen konnte, welches die Ankunft des Korps Schwarzenbergs zeitigte. Durutte sah die Zeit für einen Gegenangriff gekommen und wählte daraufhin als erste Sturmlinie Truppen von Belle Isle. Würzburgs IV. Bat. stellte deren Reserve, das III. Bat. blieb auf den Anhöhen zurück – ein weiterer Hinweis auf eine gewisse Elitensicherung968. Das IV. Bat. hatte damit die doppelte Aufgabe, zum einen die viel zu jungen Rekruten von Belle Isle an der Flucht zurück zu hindern und zum anderen daraufhin selbst eine zweite, durchschlagende Angriffswelle zu starten. General Osten-Sacken hatte das Gros seiner Armee bereits gegen Schwarzenberg in Stellung gebracht und in Wolkowysk nur 3.000 961 Völderndorff und Waradein, Eduard Freiherr von  : Kriegsgeschichte von Bayern unter König Maximilian Joseph I. mit zwölf Karten und Plänen. Zeitraum vom Jahre 1810 bis zum Schluße der Beladerung von Thorn (April 1813). München 1826, S. 267. 962 Bericht Durutte an Erzherzog Ferdinand, 27. November 1812, zit. nach  : Grosch, Geschichte, S. 245f. 963 »Dieses Bat. hatte an 200 Verwundete, woraus Sie schließen können, wie lebhaft der Kampf war«, so in : Ebd. 964 StAWü, H.V. MS, f., 169, S. 12f. 965 Bericht Durutte an Erzherzog Ferdinand, 27. November 1812, zit. nach  : Grosch, S. 245f. 966 Ebd. 967 Ebd. 968 Die These stützt ein Blick auf die Auszeichnungspraxis  : In Würzburg verlieh die MOK auf Befehl Erzherzog Ferdinands und animiert durch den Bericht Durutts dem III. Bat. wegen der Schlacht um Wolkowysk vier goldene und 17 silberne Ehrenzeichen. Soldaten des IV. Bat. erhielten hingegen nur sechs silberne. Vgl. Grosch, Geschichte, S. 248.

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Soldaten zurückgelassen. Die erste Angriffswelle scheiterte, ermöglichte allerdings dem III. Bat. den Zugang in die Ruinenstadt. Mit Bajonett und Kolben kämpften die Würzburger und weitere napoleonische Truppen (vornehmlich Sachsen) unter dem »Feldgeschrei  : Wolkowysk et Victoire  !«969 800 russische Soldaten nieder. Diese mehrstündige Attacke kostete dem III. Bat. sechs Tote und 40 Verwundete. General Osten-Sacken gelang es indes, sich aus der Umklammerung der beiden napoleonischen Korps zu entziehen und wich südlich über Rudnia an der Narew (Polen) zurück. Die aus der Schlacht um Wokowysk schwer mitgenommenen Würzburger Bat. mussten die Verfolgung bei täglich sehr hoher Marschleistung und gänzlich ohne organisierte Nahrungsversorgung fortführen970. Aus den Aufzeichnungen des Hptm. Frits zum Zeitpunkt des 27. November lässt sich das Ausmaß der Strapazen ersehen, wonach schon fünf Offiziere und 747 Mann erkrankt waren971. Die Lage verschlimmerte sich noch, als Schwarzenberg und Reynier ihren ursprünglichen Plan wieder aufgriffen, den russischen General Tschitschakow zu stellen, allerdings ohne zu wissen, dass dieser sich bereits mit der wittgensteinschen Armee verbunden und die aufgeriebene Hauptarmee Napoleons am Übergang über die Beresina (Bjaresina  ; 26./28. November 1812) attackiert hatte. Die Würzburger Einheiten brachen mit Durutte zunächst dennoch nordwärts auf, obwohl sie dabei nur sehr langsam vorankamen. Der russische Winter war mit bis zu –28°C in Pruschany auf dem Weg nach Slomin hereingebrochen. Als sich die Nachricht von der Zerschlagung von der Grande Armée und ihr Rückzug nach Vilnius herumsprach, zog sich das VII. Korps unter Reynier auf einem langen Weg nach Westen zurück. Verfolgt von Eis und Schnee und den wiedererstarkten Verbänden von General Sacken. Die Würzburger standen zum Jahreswechsel 1812/13 im polnischen Wegrow fünf Tagesmärsche vor Warschau. Wie wenig die Ausrüstung der Würzburger diesen Witterungsverhältnissen angepasst war und wie denkbar schlecht die Truppenversorgung in der dünnbesiedelten polnischen Peripherie gelang, braucht nicht hervorgehoben zu werden. Zum Jahreswechsel zählte das Regiment nur noch 35 Offiziere und ca. 650 Mann972, was nur noch 28 % der im April ausmarschierten Truppen entsprach. Als sich Anfang Januar das VII. Korps in die besser mit Nahrungsmitteln versorgte Landschaft um Warschau begab, sicherte die Division Duruttes die Nachhut. Die Würz969 StAWü, H.V. MS, f., 169, S. 13. 970 Die Bat. legten bis 18. November 70 km und bis 26. November nach Brest Litowsk 112 km zurück. Das dauerhafte Biwakieren bei tiefen Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt kostete ihnen genauso Leistungskraft wie die anhaltende Mangelversorgung. Während der Verfolgungsmärsche brach die Brotversorgung der Truppen völlig zusammen. Vgl. Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 287. 971 Vgl. StAWü, H.V. MS, f., 169, S. 13. 972 Vgl. Grosch, Geschichte, S. 249.

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burger waren die Letzten, die in dem von ausgehungerten Soldatenmassen des total gescheiterten Russlandfeldzugs völlig überbelegten Landstrichs eintrafen. Faktisch war für sie ein Ausruhen und zu Kräfte kommen im Quartier zunächst in Okuniew und dann in Warschau selbst unmöglich. Bereits am 4. oder 5. Februar verließ das IR die polnische Hauptstadt unter Zurücklassung vieler durch Kälte und Hunger Entkräfteter973. Ihre neue Bestimmung sollte die Verfolgung der sich nach Galizien zurückziehenden Österreicher sein. Auch bei diesem Marsch war es die verantwortungsvolle Aufgabe der Würzburger die Nachhut zu decken, erneut mit fatalen Folgen. Kurz vor Erreichen der Stadt Kalisch (Kalisz) wurden die Flanken der Marschkolonnen des VII. Korps von einer russisch-preußischen Abteilung unter Ferdinand Freiherr von Wintzingerode (1770–1818) angegriffen974. Die abgeschnittene Nachhut, darunter Würzburgs Bat. IV und V, galten Reynier als verloren. Nur unter »sehr empfindlich[en]« Verlusten gelang es ihnen »mit dem Bajonett den Weg zum Gros des Korps bahnen«975. Danach folgten Gewaltmärsche über Glogau gen Westen  : mehr als 580 km, von Warschau bis Dresden innerhalb eines knappen Monats. Die zügige Räumung des Ostens war der einzige Ausweg die noch kampftüchtigen Trümmer der Armee vor der sicheren Vernichtung zu retten976. Weniger kampftüchtige Einheiten wurden indes in den polnischen Festungen zurückgelassen, um die nachdrängenden russischen und preußischen Einheiten dort zu binden. Eine solche Aufgabe der ungeliebten Garnisonsbildung wurde nicht etwa dem zwar schwer ausgedünnten, aber ausgezeichneten III. oder IV. Bat. erteilt, sondern dem V., das sich bekanntlich aus nahezu vollständig erst im Januar 1812 gelosten und völlig ungeübten Rekruten und kurz vor Abmarsch noch schnell avancierten Offizieren zusammensetzte. Es sollte in Modlin (Twierdza Modlin) als Besatzung der Festung zurückbleiben977. Dort wurde es unter dem Kommando Herman Willem Daendels (1762–1818) von den nachrückenden Russen vom 23. Februar bis 1. Dezember 1813 belagert978. 205 Soldaten des Bat. starben in dieser Zeit an Hunger und am dort wütenden Typhus979. Die Nahrungsmittelversor973 Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 288, spricht von 8 Offizieren und 600 Soldaten, die »meist verwundet und mit erfrorenen Gliedern« dort zurückgelassen wurden. 974 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 411f. 975 StAWü, H.V. MS, f., 169, S. 13  ; Leider fehlen genaue Angaben über die Verluste. Frits’ Schilderungen auch wörtlich übernommen bei Grosch, Geschichte, S. 250. 976 Die Aktionen des IRs verdeutlicht als Karte im Anhang, Dokument LII. 977 Vgl. Günther, Würzburger Chronik, S. 143. 978 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 484. Tatsächlich zogen die napoleonischen Truppen erst Anfang Januar 1814 von dort ab und die Würzburger erreichten erst im März ihre Heimat. 979 Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 407, zieht diese Zahlen aus einer heute verbrannten Quelle. So bleibt es verwunderlich, warum er immer vom Bat. III als Besatzung Modlins schreibt. Andere sind sich einig, es handle sich um das Bat. V (in alter Zählung Bat. IV), so  : Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 289, Grosch,

Im Sechsten Koalitionskrieg (1812–1814) 

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gung war nach dem Zusammenbruch der französischen Logistik, wie in jeder belagerten Stadt der Jahre 1812/13 katastrophal980. Für genauso untauglich für den Felddienst hielt die französische Armeeführung das nahezu offizierslose VI. Bat. unter dem in Spanien schwer verwundeten Johann Cantler, das am 22. Juli 1813 mit drei Viertel der Sollstärke als Bat. de marche ausmarschierte981. Es sollte als Hilfstruppe die Garnison in Torgau bilden. Die Formierung dieses Bat. aus ungeübten Rekruten wurde an anderer Stelle berichtet. Wie wenig die französischen Militärs von der Eignung dieses Bat. hielten, verdeutlicht auch der – ungewöhnlich genug – an Cantler persönlich ausgegebene Befehl Berthiers vom 16. Juli 1813, dass »il maintiendra un exacte police en route pour prévenier la desertion des toupes ques vous commandez«982. Generell schickte die französische Armeeführung schon das ganze Jahr über Truppen nach Torgau, die »zu ungeübt [sind], dass sie kämpfen können«983. Die Bedingungen in diesem völlig überfüllten Truppensammlungsplatz verschlimmerten sich nach der verlorenen Schlacht bei Leipzig ins Unermessliche. An der dort grassierenden Ruhr, die sich mangels zentralen Lazaretts schon vorher in der ganzen Stadt epidemisch verbreitete, an den allgemeinen medizinischen und hygienischen Umständen und an beispielloser Unterversorgung starben bis zum 24. November 1813 über 300 Soldaten des Großherzogtums984. Auf dem Rückmarsch der Marschkolonnen nach Westen im Frühjahr des gleichen Jahres gestaltete sich die Nahrungsmittelversorgung nicht wesentlich besser  : die Reste der Bat. II und III, die unter Durutte Dresden am 26. März räumten, waren Anfang Geschichte, S. 251  ; Helmes, Die Würzburger Truppen, S. 127. Hptm. Düring berichtete aus Modlin  : »Am 1. Dez. 1813 wurde die Festung von dem Franzosengeneral Dutaillis an den russischen Generalleutnant Klein übergeben […] Der Stand unseres Truppenteils schmolz von 300 auf 80 Köpfe. […] 199 Mann vom Feldwebel abwärts starben an Krankheit. Die Offiziere sind seit April 1813 ohne Gage, die Mannschaften seit 20. Dez. 1812 ohne Löhnung Der Bekleidungszustand ist der denkbar schlechteste«. Zit. nach  : Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 290. 980 Vgl. Robert Rill: Die belagerte Festungsstadt in den deutschen Befreiungskriegen, in  : Gerhard Bauer/ Gorch Pieken u. a. (Hg.)  : Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege [Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, 6. September 2013–16. Februar 2014]. Dresden 2013, S. 104–113, S. 107f. 981 Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 365  ; bei Helmes, Die Würzburger Truppen, S. 128, liest man, es seien von Juni bis August 992 Mann ausgerückt. Legt man dem zugrunde, dass 234 Mann von diesen, jene Marschkompanie ist, kommt man auf eine Stärke von 758 Mann des Bat. VI, was bei einer regulären Stärke von gewöhnlich ca. 1.000 Mann pro Bat. (vgl. StAWü, MOK, 478) tatsächlich drei Viertel der Stärke entspräche. 982 BayHStA, Abt. IV, OP 76463, Berthier an Cantler, o.O., 16. Juli 1813, S. 23. 983 Der sächsische General von Langenau an Reynier, Dresden, 26. Februar 1813, zit. nach  : Juhel, Die Truppen, S. 58. 984 »In dieser Zeit sieht man die wankenden französischen Soldaten Hunden, Katzen, Ratzen Sperlingen und Mäusen nachstellen, auch in den Gemüllhaufen nach eßbaren Überbleibseln sorgfältig nachsuchen«. Zit. nach  : Rill, Die belagerte Festungsstadt, S. 111. Als die ca. 400 Soldaten Würzburgs Ende November entlassen wurden, litten noch 223 an der Ruhr. Vgl. Grosch, Geschichte, S. 273.

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April zusammen nur noch 120 Mann stark985. Diese enorme Truppenreduzierung von über 90 % innerhalb eines Jahres wird sonst gemeinhin nur mit dem verlustreichen Marsch der Grande Armée nach Moskau assoziiert. Dass die Verlustzahlen jedoch auch bei der von der Forschung eher unbeachteten Flankensicherung von Napoleons Russlandfeldzug im Süden, im heutigen Polen und Weißrussland horrend waren, belegt auch diese Untersuchung. Wegen der Verluste formierten die Rheinbundstaaten im Frühjahr 1813 b­ ekanntlich ihre Kontingente neu. Auch die Division Durutte wurde mit frischen Rekruten aufgestockt und neu gebildet, wozu auch diesmal das Würzburger Kontingent ­bestimmt wurde986. Dafür komplettierte bis Anfang Mai die MOK in Würzburg die Trümmer der beiden Bat. durch sogenannte Marschbataillone in Fulda987, denen die Regiments­ geschichte ex post und nach den verlustreichen Schlachten des Herbstfeldzugs 1813 attestierte, es fehle ihnen »für soldatische Brauchbarkeit vor dem Feinde der Enthusiasmus«988. Das, so wird sich zeigen lassen, könnte zwar für die völlig neu aufgebauten und tatsächlich unausgebildeten Mannschaften beider Bat. gelten, nicht allerdings für deren ehrgeizige Offiziere, von denen zwölf es trotz der schweren Niederlagen des Jahres 1813 schafften, das Ritterkreuz der Ehrenlegion zu erwerben. In allen Feldzügen zuvor erlangten nur drei die von ihnen ersehnte höchste Ehrbezeugung der napoleonischen Armee. Die ambitionierten Offiziere zeichneten sich somit genau zu jenem Augenblick auf den Schlachtfeldern Napoleons aus (oft sogar unter den Augen des Kaiser selbst), als

985 Vgl. ebd., S. 251 und Chroust, Die Geschichte, S. 353. Das Bat. II wies am 4. April 1813 nur noch einen Effektivstand von 70 Dienstbaren (inkl. Offiziere) auf. Das entspricht einem Schwund von 91,4 % hinsichtlich der 814 im Februar und April 1812 von Würzburg ausgerückten Soldaten. Zahlen nach  : StAWü, H.V. MS, f., 169, S. 13. 986 Als Sammlungspunkt zur Vereinigung alter und neuer Würzburger Truppen bestimmte der Kaiser höchstselbst Fulda. An Marmont gerichtet schrieb er, »deux bataillons de marche de Würtzbourg qui sont en Würtzbourg se rendissent à la Divission Bonet en Fulda«. So in  : Napoléon, Correspondance, XXV. Bd., Nr. 19822, Napoleon an Marmont, 7. April 1813, S. 196. Napoleon verfügte, aus der Division Bonet soll »anfin de former une brigarde de tout ce qui appartient à la Divison Durutte«. So in  : Ebd., Nr. 19866, Napoleon an Ney, 11. April 1813, S. 212. Ihr erster Marschbefehl erging nach Torgau, danach in einem weit ausholenden Bogen über Dahme/Mark und Calau nach Bautzen. Die am 12. März erlassene Verordung Napoleons wies auch diese Divison Duruttes dem VII. Korps unter Reynier zu. Dieses Korps setzte sich gemäß Art. VII »zusammen aus den beiden Divisionen des sächsischen Kontingents, sie erhalten die Nummer 25, und aus der 32. Division, der derzeitigen Division Durutte, die ihre Nummer behält.« Zit. nach  : Juhel, Die Truppen, S. 53. 987 Vgl. Kopp, Würzburger Wehr, S. 131. Insgesamt marschierten 735 Mann aus Würzburg aus. Die dazu zu zählenden 70 Mann des Bat. III ergeben eine Gesamtstärke von 805 Kombattanten im neu errichteten III. Bat. Vgl. Grosch, Geschichte, S. 251. 988 Ebd., S. 252.

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die Stimmung in anderen Offizierskadern sich gegen Frankreich wendete989. Für den Frühjahrs- wie für den Herbstfeldzug ergibt sich daher mit Blick auf die Einsätze der Würzburger Streitkräfte ein ambivalentes Bild  : Auf der einen Seite verängstigte, passive Soldatenmassen, die sich sogar aus der eigenen Einheit herausgelöst von der französischen Armeeführung dort einsetzen lassen mussten, wo man sie situativ eben benötigte und auf der anderen Seite hoch ambitionierte Offiziere, die ihre unerfahrenen Kompanien zu militärischen Höchstleistungen animieren konnten. Dieses ambivalente Bild gilt auch für die Kavallerieeinheiten des Großherzogtums Würzburg, nur hinsichtlich der Kriegsverluste erging es indes den beiden Würzburger Chevauleger Eskadronen während Napoleons Russlandfeldzug besser, blieben sie wie erwähnt doch bis April 1813 als Gendarmen imperiales Werkzeug. Bei der Truppenmobilisierung für den Frühjahrsfeldzug war Kavallerie nach der russischen Katastrophe ein knappes Gut990. Jetzt im Angesicht dieses Mangels und schlicht deshalb, weil aus französischer Perspektive die Landessicherheit nur noch mit starken Armeeverbänden statt mit Gendarmen gesichert werden konnte, zog man die Würzburger Reiter auch bei Schlachten hinzu. Beispielhaft für ihre Verwendung kann ihr Einsatz in der Schlacht von Großgörschen/Lützen am 2. Mai 1813991 stehen. Der französische Korpsstab maß einer Verwendung der Chevaulegers im Regimentsverbund keinen taktischen Nutzen bei. Vielmehr diente das Kavallerieregiment während der Schlacht als Lückenfüller und versah disloziert Ordonanz- und Meldedienste. Selbst die dritte Eskadron, die unter Obristlt. Kaspar Leicht über Erfurt und Naumburg mit einer Stärke von 84 Mann ebenfalls nach Sachsen dirigiert worden war, durfte sich trotz offizieller Bitte nicht mit dem Chev.Reg unter MacDonald vereinigen, sondern wurde zur Division Durutte beordert992. Die erste Eskadron blieb während der Schlacht wie viele andere nur Reserve, denn von den insgesamt 144.000 Soldaten auf napoleonischer Seite kamen nur ca. 78.000 ins Schlachtgemenge gegen 70.000 preußische und russische Soldaten993. Die ganze dritte Eskadron wurde gänzlich aufgelöst und als Befehlsüberbringer unterschiedlichen Generälen und Kompaniechefs zugeteilt, was die völlige – und die MOK in Würzburg auf das Äußerste beunruhigende – Auflösung dieser Eskadron nach der Schlacht zur Folge

989 Töppel, Die Sachsen, S. 273–275. 990 Vgl. Juhel, Die Truppen, S. 56. 991 In der französischen Historiografie wird diese Schlacht gemeinhin ›Schlacht von Lützen‹ genannt. Im Folgenden wird hier von Großgörschen gesprochen. 992 Die Bitte selbst hat sich nicht erhalten. Hinweise darüber aber in  : StAWü, MOK, 375 (nicht nummeriert). 993 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 416–418.

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hatte994. Die 2. Chev.Esk. wurde ebenfalls aufgeteilt und ergänzte die löchrig werdenden Kavalleriereihen auf der rechten Flanke995. Dabei verlor die Eskadron acht Soldaten schwerverletzt und fünf tot996. Abgesehen davon wird bei diesem Einsatz in Großgörschen einmal mehr deutlich, dass man Würzburgs Einheiten gerade dort als rein nummerische Ergänzung einsetzte, wo man sie eben situativ brauchte und das militärische Entscheidungshandeln der Würzburger Offiziere rein auf die innere Truppenführung beschränkt blieb. Dass französische Befehlsstrukturen parallel und nahezu unabhängig neben der würzburgischen bestand, zeigt sich auch in der chaotischen Situation nach der Schlacht, als zunächst nicht einmal ein Sieger feststand997  : Durch die ausbleibenden Berichte aus dem Feld sah es tatsächlich für die MOK auch Tage danach noch so aus, als hätte das Großherzogtum in Großgörschen zwei Eskadronen völlig verloren. Kontakt zu den Eskadron-Kommandeuren gab es keinen mehr. Auf Nachfrage bei der französischen Militärführung wusste man dort über deren Verbleib nur die Vermutung abzugeben, die Auflösung der Eskadronen sei weniger durch Gefechtsverlust als durch Desertion erklärlich, weswegen auf französischen Druck die MOK sofort Untersuchungen für ein Desertionsverfahren eingeleitete. Wie schlecht die Kommunikation zwischen den französischen Befehlshabern und den Würzburger Offizieren im Einsatz funktionierte, zeigte sich auch insofern, dass sich die vermeintlichen Deserteure kurz darauf nicht mehr bei der französischen Armeeführung, sondern trotz eindeutiger anderer Befehle und die großen Entfernungen nicht scheuend, vereinzelt in Würzburg selbst einfanden998. Die disziplinierende innere Truppenführung funktionierte also insofern, dass 994 Auch zum Folgenden  : StAWü, MOK, 375 (nicht nummeriert). 995 Näheres zur Taktik in der Schlacht von Großgörschen bei  : Lieven, Russland, S. 377–379  ; Huck, Vom Berufsheer, S. 200; Esposito, A military History, Map 129. 996 Die Berichte des Rittmeisters Michael Hemmerth sind im Original leider 1945 verbrannt. Einzige Quelle bleibt Helmes, Die Würzburger, S. 20–24. 997 Die Schlacht entschied zwar Napoleon für sich, aber die hohen Verluste auf beiden Seiten, die »zahlreichen Unterlassungssünden seiner eigenen Unterführer« versagten, dass die Umfassung und vollständige Vernichtung der russisch-preußischen Truppen gelang. Auf der Gegenseite feierte man anfangs deshalb die Schlacht auch als Sieg, beriet über eine Fortsetzung der Schacht nach Sammlung und Auffrischung der Truppe in den folgenden Tagen. Vgl. Rudolf Friederich  : Die Befreiungskriege 1813–1815. Vom Abschluss des Waffenstillstandes bis zur Schlacht bei Kulm. Berlin 1903, S. 242f. Die zehntägige Verfolgung des sich geordnet auf Bautzen zurückziehenden Feindes erschwerte die Kommunikation mit den dislozierten und zergliederten Würzburger Truppen. Vgl. Lieven, Russland, S. 380. 998 Aus diesen Akten ist zu entnehmen: »Die vom 2ten bis zum 10ten May d. J. vermissten 27 Mann, 25 Pferde sind laut anliegendem Verzeichnis nur 14 Mann 8 Pferde im Depot [Schweinfurt, Anm. d. Verf.] eingetroffen, und welche bis auf zwei Mann welche Krankheitshalber im Hospital lagen, wieder zur Feldeskadron abgeschickt worden. […] Außer diesen sind noch 23 Mann 13 Pferde bis daher hier eingetroffen, welche aber meistens schon wieder zur Feldeskadron abgegangen sind«. So in  : StAWü, MOK, 375, (nicht nummeriert). Die 1. Chev. Esk. unter Rittmeister Hemmert meldete während der Verfolgung

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trotz der chaotischen Situation nach der Schlacht keine Desertionsfälle nachzuweisen sind. Die Einbindung in die Befehlshierarchie des französischen Armeekorps hingegen war nicht ausreichend gewährleistet. Aus den Akten des Desertionsprozesses geht aber hervor, dass es sich hierbei nicht etwa um antifranzösische Befehlsverweigerung handelte. Nur die völlige Aufsplitterung der Eskadronen und die völlige Unkenntnis von Zuständigkeiten innerhalb des Korps führten zur nicht abgesprochenen Entfernung aus der französischen Formation. Im Gegenteil, ein Feldbericht der 1. Chev.Esk bezeugt Ergebenheit zum siegreichen Feldherrn und Kaiser, trotz der offenkundigen Geringschätzung, die sich mit ihrer Verwendung als Lückenfüller zeigte, und trotz der in dieser Schlacht 19.655 verlorenen, napoleonischen Soldaten999  : »Abends biwakierten wir. Zweimal ritt Se. Maj. der Kaiser vor uns vorüber, mit lauten Vivat-Rufen wurde er empfangen«1000. In der Folgezeit behielten auch die neuerrichteten Infanterie-Bat. wie die Chevaulegers den Status als rein zahlenmäßig relevante ›Hilfs-Völker‹ bei. Zur Schlacht von Bautzen (20.–22. Mai) kamen die Bat. III und IV zu spät und Napoleon hielt sie in dieser nach allen Regeln der strategischen Kunst geführten Schlacht nur als massenhafte Verstärkungsreserve in den hintersten Reihen1001. Würzburgs Kavallerie1002 versah ausbildungs- und ausrüstungsgemäß vor der Schlacht den Aufklärungsdienst. Napoleon positionierte unbemerkt die noch nicht kämpfenden Truppen auf Kreislinien an den Flanken bei Särchen und Klix auf der linken Flanke und bei Stiebitz nach Mehlteuer auf der rechten Flanke1003. Verborgen rückten hinter der Front restliche Reserven an, darunter die Bat. III und IV aus Würzburg. Sich um Rückzugslinien bemühend formierte sich die preußisch-russische Armee um, was zum Auseinanderziehen der Truppenverbände der Generäle Gortschakow und Berg führte. Als Napoleon die napoleonischen Reserven gegen den durch massiven Artilleriebeschuss geschwächten Abschnitt



»unter beständigem Plänkeln mit Kosaken« am 13. Mai auf dem Weg von Großgörschen nach Bautzen – anders als die Kommandeure der 2. und 3. Chev.Esk. – noch französische Befehle an die MOK  : »Da eine weitere große Schlacht vorauszusehen war, so bekamen wir Befehl alle unberittene und kranke Mannschaft nebst Pferden nach Dresden zum Kavallerie-Depot […] abzuschicken«. Zit. nach  : Helmes, Die Würzburger, S. 31.  999 Davon war der größte Teil (16.898 Mann) verwundet. Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 417. 1000 Zit. nach  : Helmes, Die Würzburger, S. 22. 1001 Erst nachmittags am 21. Mai kamen sie in Bautzen an, als die Schlacht fast schon zu Ende war. Laut Bericht des Hptm. Frits: StAWü, H.V. MS, f., 169. Siehe auch Esposito, A military History, Map131b. Eine Beschreibung dieser ›strategischen Schlacht‹ bei  : Regling, Grundzüge, S. 224f. 1002 Nach und nach trafen auch die aufgesplitterten Reste der dritten Eskadron bei jenen ein. Sie wurden allerdings als Ersatz der beiden bestehenden Eskadronen aufgeteilt. Vgl. Helmes, Die Würzburger, S. 26. 1003 Der Plan der Schlacht von Bautzen im Anhnag als Dokument LIII zeigt zum besseren Verständnis die Schlachttaktik.

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formierte, verzichtete er bezeichnenderweise auf die Verwendung der Würzburger1004. Der Umschließung und damit Vernichtung kam die preußisch-russischen Armee zuvor und verwehrte Napoleon den finalen Sieg1005. Erst der Verlust von 21.200 Soldaten (Toten und Verwundeten) in seinen Reihen am Ende der Schlacht am 21. Mai motivierte Napoleon zum Einsatz der Division D ­ urutte als Vorhut zur zügigen Verfolgung. Tags darauf bei Reichenbach, als eine Kompanie unter Maj. Nickels »als Avantgarde«1006 eine russische Batterie einzunehmen hatte, kämpften die Würzburger dann bei Markersdorf am 22. Mai und am 23. Mai bei Überquerung der Neiße stets in Kompaniestärke (oder darunter) und in Form des ›Kleinen Krieges‹1007. Wie bei solchen Einsatzszenarien zuvor auch, verlor das Würzburger IR 17 Soldaten an Toten und Verwundeten, aber eine »größere Zahl an Mannschaften«1008 blieb vermisst. Wie bei anderen Einsätzen mit ähnlich hohen Vermisstenzahlen, kämpften die Würzburger auch während dieser Gefechte mit der preußisch-russischen Nachhut aufgelöst in Kompaniestärke. Gleiches Phänomen gilt für die Chev. Esk., bei denen die Fälle vermisster Einheiten zunahmen. Das weit nach Norden ausgedehnte Operationsgebiet und die asymmetrische Kriegsführung mit »herumstreichenden Kosaken« führte dazu, dass 36 Kavalleristen und 40 Pferde »verloren«1009 gingen. Deren Verbleib ist genauso ungeklärt wie die 176 Vermissten nach der Schlacht von Großbeeren (23. August 1813), neun Tage nach dem Bruch des Waffenstillstands von Pläswitz, als Napoleon seine Korpskommandeure eigenständig mit dem Ziel Berlin nach Norden schickte.1010 1004 Bericht des Hptm. Frits  : StAWü, H.V. MS, f., 169. 1005 Näheres dazu bei Lieven, Russland, S. 387f. 1006 Bericht des Hptm. Frits  : StAWü, H.V. MS, f., 169, B 5. Für diese »Affaire« ermittelte Hptm. Frist 3 Tote und 15 Verwundete. 1007 Teile der 3. Füsilierkompanie sollten beispielsweise am 23. Mai zusammen mit zwei Kompanien sächsischer Soldaten jenseits der Neiße ein stark bewehrtes Stück Wald freikämpfen, um den nachrückenden Verfolgern den Übergang über die Laufbrücken der Neiße zu ermöglichen. Vgl. Grosch, Geschichte, S. 254. Die Offiziere Oehninger und Christ erlangten von Erzherzog Ferdinand hierauf wegen ihrer erfolgreichen Truppenführung die goldene Tapferkeitsmedaille. 1008 Ebd., S. 253. 1009 Helmes, Die Würzburger, S. 34. 1010 Dem »Trachenberg-Plan« entsprechend, war es strategische Absicht der Alliierten, der Hauptarmee Napoleons so lange auszuweichen bei gleichzeitigem Vernichten ihrer einzelnen Glieder, bis man mit der russischen Reserve eine Übermacht von ca. 518.000 Soldaten mobilisieren konnte. Huck, Vom Berufsheer, S. 204. Der Krieg begann also erneut am 14. August mit dem Vorrücken von Blüchers »Schlesienarmee« gegen die »Boberarmee«, den rechten napoleonischen Flügel. Vgl. Esposito, A military History, Map 133. Die Würzburger Reiter finden sich unter Brigade General Montbrun in der Boberarmee im XI Korps eingereiht. Vgl. Friederich, Die Befreiungskriege I, S. 584. Die originalen Regimentsberichte aus dem Feld während dieser letzten Periode französisch-würzburgischer Waffenbrüderschaft sind nur aus Sekundärquellen zu entnehmen. Ergänzt können diese durch vereinzelte Fragmente von Egodo-

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Zweifelsfrei war das Chaos, die Unübersichtlichkeit nach dieser verlustreichen Schlacht ungleich größer als drei Monate zuvor in Bautzen  : Die sächsische Division Sahr in Reyniers VII. Korps zersprengte sich fluchtartig durch Bülows massierten, artil­ leriegestützten Angriff, als letzterer von Heinersdorf überraschend nach Groß­beeren vorrückte1011. Auch auf diesem Schlachtfeld setzte die französische Korpsführung die Würzburger in den hintersten Reihen ein. Sie hätten die zweite, durchschlagende Angriffswelle bilden sollen, indes wurden sie von den fliehenden Sachsen mitgerissen. ­Neben Fahnen und Geschützen gingen dabei eben auch 176 Würzburger Infanteristen ›verloren‹. Der Regimentskommandeur Moser von Filseck tat sich schwer, in seinem Bericht an die MOK diese hohen Verluste zu verklausulieren. Denn obwohl sich die Truppe angeblich »sehr brav gehalten und in Ordnung zurückgegangen« sei, bestehe der Verlust »in 40 meist Schwerverwundeten und 176 Vermissten, unter denen sich viele Tote und Verwundete befunden haben werden«1012. Dass die ›Ordnung‹ nicht mehr so ›brav gehalten‹ wurde wie Moser die MOK zu überzeugen suchte, belegt eine andere Quelle zur Schlacht bei Großbeeren  : »Wir mussten wegen überlegener Kavallerie alle in Karrees stehen und so wurde peletonweise [sic  !] mit Kanonen gefeuert. Wir konnten wegen des starken und anhaltenden Regenwetters keinen Gewehrschuss unternehmen. […] Wir hatten durch Granaten mehrere Leute verloren, bis wir endlich überflügelt wurden und uns in Karrees zurückziehen mussten. Die Unordnung war so groß, dass beinahe alle Truppen durcheinander kamen.«1013

Selbst der schlachterprobte und kampferfahrene Bataillonskommandeur Gallus Nickels schreibt in einem Bericht über seine vielfachen Verwundungen in unterschiedlichen Schlachten über Großbeeren, es sei seine »verzweifelste«1014 gewesen. Das Chaos scheint mehr als die von Moser erdichtete ›brave Ordnung‹ die Szenerie bestimmt zu haben. Die Angst, die Überforderung und Hilflosigkeit der unerfahrenen jungen Soldaten, die kumenten in den Offizierspersonalakten. Zu den napoleonischen Aufrüstungen während des Waffenstillstands vom 20. Juni–16.August: Juhel, Die Truppen, S. 56. Zur Ereignisgeschichte: Munro Price  : Napoleon. Der Untergang. München 2015, S. 181f. 1011 Schlachtverlauf und Taktik bei  : Rudolf Friederich  : Die Befreiungskriege 1813–1815. Der Herbstfeldzug 1813. Berlin 1912, S. 254. 1012 Zit. nach  : Grosch, Geschichte, S. 257. 1013 Zit. nach  : Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 288. 1014 Nickels richtete 1821 ein Supplik-Schreiben an den bayerischen König wegen seiner in Wolkowysk erlittenen Kopfverletzung auch »außer Dienst einen Hut tragen zu dürfen«. Er schilderte darin kursorisch seine erlittenen Verletzungen  : »Nach Großbeeren, meiner verzweifelsten, traf mich bei Jüterbok [auf dem Schlachtfeld von Dennewitz, Anm. d. Verf.] eine Gewehrkugel in den Rücken«. So in  : BayHStA, Abt. IV, OP 80627.

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erst im April und Mai in Würzburg eingereiht wurden, ist schwer vorstellbar1015. Ohne Möglichkeit eines Gegenfeuers, in Karrees gepfercht, ohne sich heranstürmender Kavallerie und wahllos tötender Artillerie erwehren zu können, ist das Schlachterlebnis derer, mit dem Wort ›traumatisch‹ sicher nur euphemistisch beschrieben. Es ist daher gut vorstellbar, dass sich die vom Grauen der Schlacht überwältigten jungen Rekruten in der Masse der ebenfalls in weißen Uniformen vor dem Feind fliehenden Sachsen nicht mehr bei ihren Kommandeuren nach der Schlacht einfanden. Was für die unausgebildeten Rekrutenbataillone Würzburgs galt, galt für die napoleonischen Truppen insgesamt  : Die Mehrheit derer hatte vor August 1813 noch nie eine Schlacht erlebt1016. Das traf zwar auch auf die österreichischen und preußischen Landwehreinheiten1017 zu, auch die russischen Verbände traten zum ersten Mal ins Feuer, aber deren Soldaten genossen eine längere Ausbildung und waren körperlich stärker als die aus den durch andauernde Einquartierungen ausgelaugten Landstrichen kommenden Rheinbundsoldaten1018. Überhaupt lässt sich für die Rheinbundtruppen konstatieren, dass neben den Desertionszahlen auch die Gefangennahmen nach der demoralisierenden Schlacht von Großbeeren überproportional anstiegen1019. Die Kampfkraft der Kontingente war vielmehr auf Einzelleistungen ehrgeiziger und langgedienter Offiziere beschränkt, die Masse der ungeübten Mannschaften blieb auf dem Schlachtfeld überwiegend passiv. Beides lässt sich auch am Beispiel der Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg zeigen  : Während 370 gemeine Soldaten des III. Bat. in der Schlacht von Dennewitz (6. September 1813) – so viele wie noch nie zuvor – gefangen genommen wurden1020, erwarb sich im Gegensatz dazu der Rittmeister Michael Hemmerth dort das Ritterkreuz 1015 Über den verheerenden Kugelhagel schrieb der Augenzeuge Johann Jacob Röhrig, ein begeisterter Napoleonverehrer  : »Einem Offizier hatte sie den Schädel abgedeckt. Inzwischen kam eine Kanonenkugel der Länge der Kompanie nach uns zu und schlug Gewehre und Beine entzwei.« Zit. nach  : Thamer, Die Schrecken, S. 31. 1016 Die Heeresmacht Napoleons zerfiel sukzessive. Es gab auch in den französischen Bat. zu viele zu junge Rekruten, die mangelnde körperliche Belastbarkeit nicht mit einer starken inneren Haltung zu Kaiser und Vaterland mehr ausgleichen konnten, denn den meisten war die expansionistische Bestrebung ihres Anführers gleichgültig. Vgl. Fiedler, Kriegswesen, S. 92. 1017 Beispielsweise verließen das 6. Schlesische Landwehrregiment in preußischen Diensten in diesen Augusttagen 1813 ca. 1.300 Soldaten ihre Einheiten. Vgl. Lieven, Russland, S. 451. Außerdem   : Price, Na­poleon, S. 175. 1018 Vgl. ebd. S. 435. 1019 Juhel, Die Truppen, S. 55f. 1020 Das Bat. III hatte den Auftrag den Windmühlenberg beim schwer umkämpften Göhlsdorf zu halten, aber die ständig sich verstärkende Streitmacht der Alliierten zwang zu panikartigem Rückzug. Die Verluste waren verheerend. Alleine das Bat. III hatte 63 Tote und Verwundete, die ganzen napoleonischen Truppen einen Verlust von 6.500 Soldaten zu beklagen. Vgl. Bericht des Hptm. Frits   : StAWü, H.V. MS, f., 169 ; Smith, Napoleonic Wars,, S. 450.

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der Ehrenlegion seiner Meinung nach deswegen, »weil ich mit wenigen Leuten einige hundert Kosaken angriff, welche die Flanke bedrohten und mit bedeutenden Verlusten zurückschlug«1021. Diese einzelne Heldentat wog nur wenig die Tatsache auf, dass beide So Hemmerth in seinem Pensionsgesuch von 1822, in  : BayHStA, Abt. IV, OP 78515. Das Bat. III stand am sogenannten Windmühlenberg westlich von Dennewitz wieder in der zweiten Rei-he, verteidigte die Stellung (55 Tote und Verwundete, darunter Batal­ lionskommandeur Nickels) und wurde erst »in die Flut der Zurückeilenden hineingerissen«. So in  : Grosch, Geschichte, S. 260. Das IV. Bat. hielt die Divisionsführung nur für die Bewachung des Reserveparks geeignet. Wie schon in Großbeeren war auch Dennewitz keine geordnete Schlacht. Zu großem Chaos führ-te es in den französischen Reihen, dass jedes eintreffende Korps in die Schlacht geworfen wur-de. Rangstreitigkeiten und gravierende Kommunikationsprobleme zwischen Oudinot, Reynier und Ney führten zur Niederlage in Dennewitz. Vgl. Price, Napoleon, S. 205–207. neu errichteten Bat. III und IV zusammen binnen vier Monaten knapp 75 % ihrer Sollstärke eingebüßt hatten1022. Keine Zahlen sind überliefert, wie viele Würzburger Chevaulegers im Gedränge zwischen den Dörfern Kroitsch und Niedercrayn flohen, als eine Massenpanik den geordneten Aufmarsch zur Schlacht bei der Katzbach (26. August 1813) verunmöglichte1023. Wie viele weitere von ihnen ›verloren‹ gingen, als die Schlacht wegen des Sturmregens nur mit den Kavalleriesäbeln geschlagen werden konnte, wie viele sich noch retten konnten, als die präzise Verfolgung nach der Schlacht die Niederlage erst zu einer Katastrophe für MacDonalds Korps wandelte, verschwiegen die Quellen ebenfalls1024. Heldenmut bezeugt wiederum nur ein Einzelzeugnis. An der Katzbach verdiente sich Hemmerth die 1021 So Hemmerth in seinem Pensionsgesuch von 1822, in   : BayHStA, Abt. IV, OP 78515. Das Bat. III stand am sogenannten Windmühlenberg westlich von Dennewitz wieder in der zweiten Reihe, verteidigte die Stellung (55 Tote und Verwundete, darunter Batallionskommandeur Nickels) und wurde erst »in die Flut der Zurückeilenden hineingerissen«. So in   : Grosch, Geschichte, S. 260. Das IV. Bat. hielt die Divisionsführung nur für die Bewachung des Reserveparks geeignet. Wie schon in Großbeeren war auch Dennewitz keine geordnete Schlacht. Zu großem Chaos führte es in den französischen Reihen, dass jedes eintreffende Korps in die Schlacht geworfen wurde. Rangstreitigkeiten und gravierende Kommunikationsprobleme zwischen Oudinot, Reynier und Ney führten zur Niederlage in Dennewitz. Vgl. Price, Napoleon, S. 205–207. 1022 Die beiden Bat. wiesen nach der Schlacht von Dennewitz im Biwak bei Trossin nur noch 387 Mann auf. Zahlen nach : ebd., S. 262. 1023 Vgl. Smith, Napoleonic Wars, S. 442. Zur Operationsgeschichte der Schlacht : Lieven, Russland, S. 453–462. 1024 Die Regimentsgeschichte zu den Chev.Esk. endet mit dem Waffenstillstand von Pläswitz. Wie Helmes feststellt, verliert sich dann die Spur der würzburgischen Chevaulegers. Im folgenden Herbstfeldzug scheinen sie häufig beteiligt gewesen zu sein. Helmes spricht von 20 Feindkontakten, aber es gibt heute hierzu keine belegenden Quellen mehr. Vgl. Helmes, Die Würzburger, S. 33–38. Zur Einordung der Schlacht auch Price, Napoleon, S. 201–204.

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Aufnahme in den großherzoglichen St. Josephs Orden, weil er »der erste war, der über das Wasser schwamm und den Feind vom Ufer verdrängte«1025. Dass diese Tapferkeitstopoi einzelner Offiziere in den Regimentsgeschichten weit größere Beachtung finden als die massenhafte Flucht, das stumme Sterben an Krankheit oder Verwundung oder eben auch die Bereitschaft zur Gefangennahme in Kompaniestärke, bedient einen Gemeinplatz. Sie verstellen allerdings den Blick darauf, dass weder die höhere Befehlsebene der französischen Armeeführung noch die würzburgischen Truppenführer die Disziplin in den Einsätzen 1813 aufrecht und strukturelle Fahnenflucht aufzuhalten vermochten. Es entging natürlich auch den Korpskommandeuren Napoleons nicht, dass die Gefahr der Fahnenflucht ganzer Einheiten als »beredtes Zeugnis einer allgemeinen Haltung«1026 auch von Würzburgs Streitkräften ausgehen könnte. Sie sollten sich für die anstehende Entscheidungsschlacht jedoch täuschen. Die taktisch unbedeutend kleine Streitmacht von deutlich unter 400 Soldaten aus dem Großherzogtum blieb Napoleon während seines finalen Gefechts, seines »ersten, sächsischen Waterloo«1027 unter französischen Fahnen in Leipzig treu. Aber Reynier miss­traute wohl der einzig noch verbliebenen Rheinbundtruppe der 32. Division, als er von Gerüchten vom bevorstehenden Abfall seiner beiden sächsischen Divisionen erfuhr und was am Nachmittag des 17. Oktober dann auch tatsächlich geschah1028. Am schicksalhaften 18. Oktober blieben die Würzburger deshalb einmal mehr passive Reserve auf der Straße nach Eilenburg weit hinter der Front in Paunsdorf und hatten als »mobile Kolonne bei den überall drohenden Angriffen des Feindes gegen Leipzig zu dienen«1029. In der Nacht befahl Napoleon den Rückzug, Durutte hatte mit Souham und Marmont diesen zu decken – der letzte Einsatzbefehl des Kaisers. Kein Selbstzeugnis hat sich erhalten, das erhellen würde, wie dieser dezimierte Rest Würzburger das Grauen dieser auf totale Vernichtung ausgelegten Schlacht, das Chaos fliehender Zivilbevölkerung, unzähliger Verwundeter, den Häuserkampf mit Kolben und 1025 In Hemmerths Pensionsgesuch, in   : BayHStA, Abt. IV, OP 78515. Die Chev.Esk. sollen unter stetigen Rückzugsgefechten ihr letztes Gefecht ebenfalls in der Völkerschlacht von Leipzig geleistet haben. Näheres ist unbekannt. Die bei Helmes, Die Würzburger Truppen, S. 128f., aufgeführten Marschetappen finden sich zusammengefasst im Anhang als Dokument LI. 1026 Juhel, Die Truppen, S. 55. 1027 Kristin Anne Schäfer: Die Völkerschlacht, in  : Etienne François/Hagen Schulze (Hg..): Deutsche Erinnerungsorte II. München 2001, S. 187–201, S. 181. 1028 Vgl. Price, Napoleon, S. 226. 1029 Grosch, Geschichte, S. 266. Näheres zur Operationsgeschichte: älter, aber detailliert, Friederich, Die Befreiungskriege II, S. 293–364   ; Zusammenfassend   : Hans-Ulrich Thamer   : Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon. München 2013   ; Andreas Platthaus: 1813. Die ­Völkerschlacht und das Ende der alten Welt. Reinbek 2015. Mentalitätsgeschichtlich: Schäfer, Die Völkerschlacht. Rezeptionsgeschichtlich jüngst   : Martin Hofbauer/Martin Rink (Hg.): Die Völkerschlacht bei Leipzig. Verläufe, Folgen, Bedeutungen 1813–1913–2013. Berlin 2017.

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Bajonett empfunden haben mag1030. Am 19. Oktober besetzten die Reste der Division Durutte mit ca. 4.000 Soldaten, darunter die Würzburger, die Hallersche Vorstadt, um den Rückzug von den letzten Getreuen um Napoleon zu sichern. Ihr Regimentsverband wurde aufgelöst und sie besetzten in Schützenlinien die eingefriedeten Gärten gegen die nachdrängenden Alliierten. Wieder war es der russische General Osten-Sacken, der den Würzburgern wie schon in Wolkowysk große Verluste beibrachte, dennoch konnte der Angriff durch Duruttes 32. Division zweimal abgewehrt werden1031. Sie kämpften Rücken an Rücken mit dem Rückstau der Napoleonischen Truppen, deren Flucht nur noch über die Elsterbrücke abgewickelt werden konnte. Taktik gab es keine mehr, nur »Überlebenskampf«1032. Daher verwundert es nicht, dass durch unabsichtlich vorzeitige Sprengung der Elsterbrücke die meisten des würzburgischen Regiments, welche noch versuchten panisch aus der verlorenen Stadt zu fliehen, in Gefangenschaft gerieten1033. Anders als es ein Spionagebericht des Vicarius Bauer zu wissen glaubt, sammelten Maj. Moser von Filseck und Maj. Gallus Nickels wohl nur noch deutlich unter hundert Soldaten der Bat. III und IV um sich und folgten der gejagten französischen Armee1034. Beim Übergang über die Unstrut schlugen die Kanonenkugeln der Verfolger in die Nachhut der Fliehenden. In dieser Situation höchster Agonie trafen die Würzburger ein letztes Mal, bezeichnenderweise bei Freyburg persönlich auf ihren Protecteur, der ihnen am Ende erstmals direkt einen Einsatzbefehl erteilte  : »Soldates de Wurzburg  ! En avant pour chasser ces bougres-lá  !«1035 Treu ergeben attackierten die Würzburger und stürmten das zurückliegende Ufer, bis sie im Angesicht ihrer hoffnungslosen Lage zurückgerufen wurden. Über Eckartsberga und Erfurt gelangten sie schließlich am 24. Oktober nach Eisenach. Dort bat Maj. Moser von Filzeck Berthier in Unkenntnis über den Seiten1030 Vgl. allgemein dazu auch   : Thamer, Die Schrecken, S. 31–34; Grosch, Geschichte, S. 268. Besispielhafte Selbstzeugnisse zur »Völkerschlacht«: Karl-Heinz Börner   : Die Völkerschlacht in Augenzeugenberichten   : Vor Leipzig 1813. Husum 2012; Carl Bertuch/Siegfried Seifert   : Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813. Ein Augenzeugenbericht zur Völkerschlacht. Markkleeberg 2013. 1031 Vgl. Friederich, Die Befreiungskriege II, S. 354f. 1032 Die Nachricht des Spions erreichte den geflohenen französischen Gesandten St. Germain bereits nicht mehr   : »Den 20. Oktober war das Canttlerische Batall. 979 Mann stark mit 11 Offizieren. 747 Mann mit 1 Offizier waren am linken Elbeufer in Blockhäusern in der Direktion von Meißen, Torgau nach Wittenberg, diese haben sich vermutlich auch in nichts einlassen wollen und ließen sich fangen.« So in   : StAWü, H.V. MS, o., 14, Eintrag datiert auf den 21. Oktober 1813. Weder ihre Verwendung noch der Zeitpunkt stimmt allerdings mit den erhaltenen Regimentsberichten überein   : StAWü, H.V. MS, q. 116, S. 250. 1033 Vgl. allgemein  : Friederich, Die Befreiungskriege II, S. 358f.; Pierre O. Juhel  : Die wichtigsten Schlachten des Jahres 1813, in  : Gerhard Bauer/Gorch Pieken u. a. (Hg.)  : Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege; [Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, 6. September 2013–16. Februar 2014]. Dresden 2013, S. 70–85, S. 80–82. Zu Würzburg  : Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 289  ; Sie wurden wohl bis Prag verschleppt. Vgl. Grosch, Geschichte, S. 268. 1034 Vgl. zum Folgenden  : Rückert, Opfer für Napoleon, S. 206. 1035 Diese direkte Befehlserteilung ist mehrfach quellengestützt nachweisbar  : StAWü, H.V. MS, q. 116, S. 250.

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wechsel des Großherzogtums Würzburg am Vortag darum, zur Truppenergänzung nach Würzburg zurückkehren zu dürfen, was ihnen »unter schmeichelhafter und ehrenvoller Anerkennung ihrer ausgezeichneten und treuen Dienste«1036 auch gestattet wurde. Nur noch 40 Mann von ihnen kehrten am 3. November in die Residenzstadt zurück. Nicht zuletzt deshalb, weil sie auch auf dem Heimweg wieder und wieder von auf versprengte französische Truppen Jagd machenden Kosaken dezimiert wurden1037. In der Woche zuvor war Erzherzog Ferdinand der Allianz beigetreten – nach Leipzig und mit einer bayerisch-österreichischen Armee im Land, das als Rheinbundmitglied behandelt wurde wie besiegtes Feindesland. Die Residenzstadt – vom Landesherrn bereits seit dem 17. Oktober verlassen, war aus militärischen Gesichtspunkten nur noch eine starke Festung der Franzosen, die die Armee unter General Wrede und Erzherzog Karl daran hinderte Napoleons Rückzug von Leipzig wie geplant bei Hanau abzuschneiden1038. General Turreau de Linière gebot auf der Festung Marienberg über eine nicht unerhebliche Soldatenmasse von 2.828 Soldaten, die als Musterbeispiel der Truppenzusammenstellung im Rheinbund hätten gelten können  : zwei Bat. Italiener, ein Bat. Franzosen, ein Bat. Hanseaten dazu noch 200 Artilleristen aus Westfalen und eine Abteilung Husaren, zuzüglich einem Würzburger Depot-Bat. mit ca. 500 Soldaten1039. Dass Wrede der Beschuss von Festung und Stadt oftmals als Racheaktion für die schlechten bayerisch-würzburgischen Beziehungen ausgelegt worden ist, zeigt sich im Angesicht dieser Streitmacht als irrig, hätte sie doch die Nachhut beim Weiterzug empfindlich bedrohen können1040. Nachdem sich Turreau am 24. Oktober 1813 drei Mal weigerte, die Stadt zu übergeben, ließ Wrede sie eine Stunde lang »mit Kugeln, Haubitzen und Granaten, der Himmel war völlig erleuchtet«1041 beschießen. Ein weiteres Kapitulationsangebot folgte, was Turreau erneut ausschlug1042. Ein Öffnungsversuch der belagerten Stadt scheiterte mit 1036 Zit. nach  : Grosch, Geschichte, S. 270. 1037 Vgl. StAWü, H.V. MS, q., 116–117. So wurden sie im Thüringer Wald von einer Truppe Kosaken gefangen genommen und wieder gen Osten verschleppt. Erst als der Bündniswechsel Würzburgs auch jenen bekannt gemacht wurde, ließen sie ihre Gefangenen wieder frei. 1038 Vgl. Chroust, Die Geschichte, S. 381. 1039 Auch zum Folgenden die lebensnahe, detaillierte, wenn auch etwas antiquierte Darstellung über die geteilte Stadt am Main  : Georg Adam Ullrich: Die Blockade der Festung Marienberg und des Mains zu Würzburg in den Jahren 1813 und 1814. Würzburg 1857, S. 29. 1040 Vgl. Schäfer, Ferdinand von Österreich, S. 256. Zur strategischen Ausrichtung der alliierten Truppen  : Plischnack, Alfred  : »Sie alle sind verrückt und gehören ins Narrenhaus«. Österreich und seine Alliierten im Kampf gegen Napoleon 1813/14. In  : Gerhard Bauer u. a. (Hg.)  : Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege; [Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, 6. September 2013–16. Februar 2014]. Dresden 2013, S. 184–191. 1041 Bericht des Polizeidirektors Franz Anton Gessert an die Landesdirektion, 27. Oktober 1813. Ediert bei  : Chroust, Die Geschichte, S. 534–540, hier S. 537. Orginal ist verbrannt. 1042 »General Turreau, der sein dem hiesigen Ministerium gemachtes Versprechen, die Stadt sogleich ohne

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Toten und Verletzten auf den Glacies am Rennweger Tor1043. Die erneute Beschießung in der Nacht die Folge, Feuer brachen aus, die Residenz war stark beschädigt, das Heulager in Johanniterkirche brannte – von zivilen Opfern ist jedoch nichts überliefert1044. Der Krieg war in die Residenzstadt gekommen und die großherzoglichen Streitkräfte versuchten sich aus französischem Einfluss zu entziehen. Bei einem Ausbruchsgefecht am Brückentor wurden zwei Soldaten erschossen, eine größere Zahl inhaftiert1045. Obwohl am 27. Oktober die Stadt rechts des Mains übergeben wurde und die ca. 500 groß­herzoglichen Soldaten die Festung verlassen durften, mussten dieselben nun gegen ihre Kommandierenden des Vortags und gegen die 2.500 Würzburger Einwohner des Mainviertels in Stellung gehen. Wrede ließ das Depot-Bat. an der alten Mainbrücke aufmarschieren, die Kanonen wurden in Stellung gebracht, die Brücke verbarrikadiert, um die Franzosen in der Festung zu blockieren. Holzmangel und Kälte sowie Hunger bei den Eingeschlossenen, ohne Unterschied zwischen Militärs und Zivilisten, alle versuchten sie sich mit Lebensmittelschmuggel am Leben zu halten. Soldaten, die sich bei Zivilisten im Mainviertel versteckt hielten wurden genauso standrechtlich exekutiert wie ihre Beschützer. Typhus grassierte stark und der Platz auf dem Friedhof in St Burkard genügte nicht mehr. Gewalt zwischen Besatzern und Besetzten und umgekehrt prägte den Alltag der besetzten Stadt im Winter 1813. Am 26. November kämpften Streitkräfte Würzburgs erstmals seit 13 Jahren wieder gegen Franzosen, als diese versuchten auf der Mainbrücke einen Ausfall zu unternehmen. Über Verluste und genauen Hergang ist nichts bekannt – der Wahrheitsgehalt ist zweifelhaft. Ein eindrucksvolles Bild hat sich dennoch erhalten, vielleicht auch nur deswegen, weil das den Charakter der geteilten Stadt gut einzufangen weiß1046.

die Citadelle zu übergeben, nicht erfüllte, veranlasste hierdurch eine Verzögerung von zwei Tagen. Ohne diesen Umstand wäre die Stadt ganz verschont geblieben.« So in  : BayHStA, MA 3075 Würzburg, Reding an Montgelas, 27. Oktober 1813. 1043 »Die hanseatischen Truppen versuchten, die Tore einzuhauen und der verbündeten Armee den Eingang in die Stadt zu verschaffen. Allein sie wurden von den französischen Husaren überfallen und zum Teil zusammengehauen worden. In dem Hofgarten selbst wurden fünf Hanseaten von den Franzosen erschossen, weil sie entwischen wollten. Dem ohngeachtet haben sich sehr viel in den Häusern verborgen und sind sogleich bei dem Einzuge zu den verbündeten Truppen übergegangen.« So in  : Ebd. 1044 »In die Residenz des Großherzogs sind nach einer angestellten Untersuchung 89 Kugeln und Haubitzen gefallen. Der Zufall wollte, dass eine Batterie dem Schlosse gegenüber auf einer Anhöhe war und dadurch dieser beträchtliche Schaden verursacht wurde.« Tags darauf meldete Reding nach München  : »Der Schadenwelchen das Bombardement in der Residenz angerichtet hat, wird auf 50.000 fl. angegeben. Hierbei sind viele meubles aus Paris und eine sehr künstliche Flötenuhr zerschlagen worden.« So in  : Ebd. Reding an Montgelas, 29. Oktober/1. November 1813. 1045 Ullrich, Die Blockade, S. 27. 1046 Lithographie als Abbildung im Anhang, Dokument LV.

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Bereits am 28. Oktober bildete die noch in der Residenzstadt verbliebene Regierung umgehend Fränkisches Jägerlied aus dem Depot-Bat. zwei ­ Marsch­ kompanien mit einer Gesamtstärke von 270 Mann, die dem Wir Jäger frei aus Frankenland, Im grün und rothen Jagdgewand, abrückenden Wrede mitgegeben wurde. Dies das Grün bedeutet Muth, bedeutet nur den Anfang des Truppenaufgebots das Rot bedeutet Blut. für die geteilte Stadt. Im Dezember befahl man bayerischerseits mit der Rekrutierung von 3.000 Des Jägers Muth ist immer grün, neuen Soldaten zu beginnen. An Weihnachten und aus dem grühnen Muth soll blühn, 1813 rief der Staatsrat die »Würzburgisch freyEin Blümlein blutig rot, willigen Jäger« zum »heiligen Kampf«1047. Weil Soll heißen Feindes Tod. diese allerdings nur wenig Zuspruch seitens der […] intellektuellen Zielgruppe erfuhren, denn es melDen schwarzen Raben trag’ ichs nach, deten sich nur 193 Mann1048 wirklich freiwillig, Die hier genistet, mir zur Schmach  ; bediente sich die die MOK der üblichen RekJetzt ziehn sie übern Rhein, rutierungspraxis und ergänzte diejenigen, deren Der Jäger hinterdrein. nationale Begeisterung während der ›Befreiungs[…] Mein Schatz gab mir ’nen silbren Ring, kriege‹ doch von Friedrich Rückert besungen Dass ich ihr einen golnen bring, wurde1049, durch die üblichen› die ›in Zukunft Der Ring soll seyn entwandt wenig zu hoffen‹ hatten. Erst am 4. April rückten von eines Franzmanns Hand sie aus Würzburg aus, fünf Tage zuvor zogen die Alliierten in Paris ein. Nachdem am 3. November 40 Mann der Bat II und III, am 25. November das Bat. V aus Torgau mit ca. 400 Mann1050, von denen 223 die Ruhr hatten1051 und am 1. Dezember das Bat. IV mit nur noch 80 Mann1052 aus Modlin entlassen wurden, kehrten die spärlichen Reste ungefeiert und still1053 sukzessive in die Heimat zurück. Erst am 6. Mai kamen noch 347 Streitkräfte Würzburgs 1047 Vgl. StAWü, HV.MS. f. 615. Dort liest man in einem Aufruf, dass für Montur und Bewaffnung selbst gesorgt werden müsse und ein weiteres Novum wurde proklamiert  : »In Hinsicht der moralischen Fähigkeit kann Niemand in dieses Corps aufgenommen werden, welcher den Vorwurf eines Verbrechens oder einen entschieden bösen Ruf wider sich hat«, weswegen auch verfügt wurde, dass die freiwilligen Jäger mit »Sie« anzusprechen seien. Siehe zur Uniformierung dieser Einheit bezeichnenderweise nach französischem Schnitt im Anhang die Abbildung als Dokument LIV. 1048 Vgl. Weiß, Übergang, S. 226. 1049 Friedrich Rückert  : Kranz der Zeit. Stuttgart u. a. 1817, S. 19. 1050 Grosch, Geschichte, S. 273. 1051 Eichelsbacher, Die Würzburger, S. 290. 1052 Das Dokument, auf das sich Chroust, Die Geschichte, S. 407, bezieht, ist verbrannt. 1053 Vgl. Kopp, Würzburger Wehr, S. 137.

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nach fünf Jahren in Spanien aus der Kriegsgefangenschaft nach Würzburg1054. Insgesamt blieben damit wohl nur deutlich unter 1.000 Mann der unter französischen Befehl gestellten 9.499 Soldaten nach dem Bündniswechsel übrig1055. In Würzburg hatte man bereits 2.293 Soldaten in zwei Bataillonen neu formiert und sie in bayerische Dienste gestellt1056. An Truppen insgesamt wurden den Bayern dann mit dem Vertrag zwischen Österreich und Bayern am 3. Juni 1814 3.137 Mann Infanterie, 2.160 Mann Reserve, 842 Freiwillige des Jägerkorps, 152 Mann Chevaulegers, 74 Mann einer Artilleriekompanie sowie Leibgarde und Garnison in Königshofen mit 132 Mann überstellt1057, was ein letztes Mal von den großen Anstrengungen des Würzburger Landes in den letzten Jahren an Napoleons Seite zeugen mag.

1054 StAWü, H.V. MS, f., 166. 1055 Unklar ist die genaue Anzahl wegen des ungeklärten Verbleibs der Chevaulegers. 1056 Vgl.StAWü, MOK, 96. 1057 Zahlen nach Bezzel, Geschichte, S. 14, und StAWü, MOK, 96. Für die Zeit ab 1814 dient als Regimentsgeschichte Major z. D. Schleicher  : Die Würzburger Infanterie in bayerischen Diensten nach 1815, in  : Frankenland (1914), S. 293–297.

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»Es ist also klar, dass das erwünschte Ende und Ziel des Krieges der Frieden ist. Sucht ja doch jeder auch durch Krieg nur den Frieden, niemand durch Frieden den Krieg. Auch wer im Frieden lebt und dessen Beseitigung wünscht, ist nicht ein Gegner des Friedens, sondern möchte nur einen anderen, seinem Wunsch entsprechenden Frieden. Er will also nicht, dass kein Frieden sei, sondern, dass ein Friede sei wie er ihn wünscht«1

3. Politik im Krieg – Forschungsergebnisse und Zusammenfassung Friedrich Rückerts Gedicht zu den ›Freywilligen Jägern‹– am Ende des letzten Kapitels – verkündet in der Geburtsstunde des modernen deutschen Nationalismus emphatisch den Geist eines eigenen, eines fränkischen Nationalismus, es spricht jenen aus den Herzen, die »eine Fränkische Nation«2 nach Ausmerzung der »Schwarzen Raben«3 als verwirklicht ansahen. Dieses Gedicht war Ausdruck der Empfindung einer Generation, die sich im Krieg und durch den Krieg überhaupt erstmals zu einem einheitlichen Staat zugehörig fühlten. Johann Gottlieb Fichte brachte das theoretisch auf den Punkt, was Rückert poetisch intonierte  : »Aber auch im Kriege und durch gemeinschaftliches Durchkämpfen desselben wird ein Volk zum Volke«4. Der Krieg brachte in Mainfranken unterschiedliche Herrschaften unter eine Herrschaft, vereinigte beispielsweise die Einwohner der ehemals freien Reichsstadt Schweinfurt mit den Einwohnern aus Obereisenheim, der ehemals reichsunmittelbaren Grafschaft Castell mit den Einwohnern aus Weyer der säkularisierten Abtei Ebrach und schmiedete den kleinteiligen fränkischen Flickenteppich zu einem neuen Staatswesen. Im Krieg ging das Hochstift unter – im Krieg entstand 1806 das Großherzogtum Würzburg neu und war reale Lebenswelt der Menschen am Main, in Rhön und Steigerwald  : »Wir sind wieder freye Franken, wir sind wieder eine Nation unter einem eigenen Fürsten« – um diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen, wollte der Würzburger Franz Oberthür, Gründer des polytechnischen Zentralvereins und Impulsgeber für Erzherzog Ferdinands Bildungsinvestitionen, zur »Apotheose dieses Fürsten, dieses Stifters einer neuen Dynastie«5 auf dem Hauptplatz der Festung Marienberg eine Statue errichten lassen. Für deren Ausführung gab Oberthür der Nachwelt einen Auftrag  : »Vor allem verbanne ich von diesem Monumente, was nur immer etwas von einem kriegerischen Ansehen haben, was nur von weitem die Idee wecken könnte, als sey mein 1 2 3 4 5

Aurelius Augustinus, De Civitate Dei XIX, 12, zit. nach  : Stadler, Krieg, S. 37. Oberthür, Über öffentliche Denkmale, S. 226. Rückert, Kranz, S. 19. Zit. nach Stadler, Krieg, S. 85. Oberthür, Über öffentliche Denkmale, S. 222.

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Vaterland ein kriegerischer Staat, oder die Provinz eines kriegerischen Staates, ob[wohl] ich schon überzeugt bin, meinen Landsleuten würde es an kriegerischem Mute nicht fehlen, wenn Pflicht und Klugheit sie zur Wehre rufen sollte«6 Als Oberthür das im Jahr 1809 zu Papier brachte, wurde ein ganzes Detachement Würzburger Soldaten im über 1.000 km entfernten Spanien von Guerilleros auf offenem Platz aufgeknüpft, an der Donau bekämpften weitere Soldaten aus Würzburg genau jene ›Dynastie des Stifters‹. Bis zum Untergang des Staatswesens sollte es insgesamt mindestens 14.225 Soldaten auf die Schlachtfelder Europas senden, diente dauerhaft als französischer Armeestützpunkt und lag im Hauptmarschkorridor massenhaft durchziehender Armeen. Zu keiner Zeit zeigte sich Oberthürs Vaterland in Wahrheit als noch ›kriegerischerer Staat‹. Wenn Historiker das Narrativ einer ›fränkischen Nation‹ weitertragen und von der ›Durchsetzung einer letzten Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit‹ erzählen, die jenes Staatswesen von 1806–1814 hätte behaupten können, scheint dabei noch immer das diffuse Gefühl eines eigentümlichen fränkischen Nationalismus mitzuschwingen, das sich in schwermütiger Reminiszenz an vergangene Tage nur schwer damit abzufinden vermag, am Ende zur bayerischen Provinz degradiert und ›Beutebayern‹ geworden zu sein. Das Großherzogtum Würzburg aus der Dunkelheit scheinbarer historischer Bedeutungslosigkeit herauszuführen, hat sich diese hier nun endende Untersuchung zur Aufgabe gemacht. Das Großherzogtum Würzburg dabei zu beschreiben als letzte Bastion der Eigenstaatlichkeit, als wirklich souveränen Gesellschaftsverband, der als ›fränkische Nation‹ selbstbestimmt durch Aufopferung im Krieg seine Zukunft gestaltete, oder gar das Großherzogtum Würzburg als Symbol für fränkischen Separatismus zu konstruieren, gelang ihr nicht. Vielmehr verortete sie dieses belligerente Staatswesen in einer als Umbruchs-, in einer als Sattelzeit erfahrenen Weltkriegsperiode und kontextualisierte seine Staatsbildung in europäischer Dimension. Für dessen Anfang war nicht Napoleon, sondern der Krieg bestimmend und der korsische Revolutionsgeneral als Kaiser der Franzosen nur ein Produkt und Katalysator dessen. Am Anfang des Großherzogtums Würzburg stand nicht allein Napoleons Wille. Die Genese, die Existenz und der Untergang des Großherzogtums Würzburg waren verwoben in ein dichtes Netz von Entwicklungen, von Aushandlungsprozessen, ausgefochtenes Ergebnis von ›zu einem politischen Zweck verdichteter Politik‹. Das Großherzogtum Würzburg entstand im Ringen der Habsburgermonarchie mit dem Frankreich der Revolution, im unversöhnlichen Antagonismus des imperialen Weltmachtstrebens Englands gegen die kontinentale Hegemonialmacht Frankreich und im Wettstreit des preußisch-österreichischen Dualismus. Die belligerente Staatsbildung 6 Ebd., S. 223.

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des Großherzogtums Würzburg diente dabei als Untersuchungsgegenstand, um transnationale und transkulturelle Handlungszusammenhänge während der Sattelzeit aufzudecken, die sich lange vor Napoleons kometenhaftem Aufstieg konstituierten. Zentrale Forschungsperspektive der Untersuchung war der als »Strukturformel«7 der Sattelzeit erkannte Krieg. Um ihn und die ›in ihm wirkenden Kräfte‹ zu ergründen, leitete die vorliegende Forschungsarbeit aus der Kriegstheorie eines Zeitgenossen des Weltkriegs, Carl von Clausewitz, eine Handlungstheorie ab, um die Strukturformel besser zu verstehen. Clausewitz’ Kriegstheorie gründet auf der Annahme, ein Krieg gehe »immer von einem politischen Zustande«, nur von einem »politische[n] Motiv« aus, und wird »nur durch den politischen Verkehr der Regierungen und Völker hervorgerufen«8. Der Krieg habe also seine Bedingungsfaktoren in einer spezifischen Situation, einem beabsichtigten Zweck sowie einem aktiven Prozess. So gesehen ist der Krieg Fortsetzung und Produkt der Politik, nicht eine beliebig lange bzw. kurze Pause im »politischen Verkehr«9. In diesem ›politischen Verkehr‹ manifestiert sich das Kommunikative, es beschreibt einen Herstellungsprozess von »kollektiv bindenden Entscheidungen«10. Darauf aufbauend entwickelte die Arbeit im Forschungskontext der modernen Militärgeschichte ein theoretisches Analyseinstrument, das empirisch am Untersuchungsgegenstand abgeprüft werden konnte. Die Arbeit war somit darauf angelegt, dass sich Empirie und Theorie zirkulär und gegenseitig stützen konnten11. Als Akteure konnten am Untersuchungsgegenstand Handlungseinheiten herausgearbeitet werden, die jeweils eigene Zwecke im Krieg verfolgten, Politik im Krieg teils kongruent, teils konträr zueinander gestalteten  : Der Landesherr des Großherzogtums, Erzherzog Ferdinand, der großherzogliche Regierungsapparat und das großherzogliche Militärsystem. Nach Beschreibung der Situation, die ihren Handlungsspielraum im Krieg jeweils herstellte, erfolgte die Darstellung ihrer Politikgestaltung im Krieg. Dadurch bedingte der Untersuchungsgegenstand, dass die vorliegende militärgeschichtliche Untersuchung außerdem als Beitrag zur Dynastiegeschichte der Habsburg-Lothringer, aber eben auch als Diplomatie-, Landes-, oder Sozialgeschichte gelesen werden kann. Anhand der Beschreibung der belligerenten Staatsbildung des Großherzogtums Würzburg konnte sie als Beispiel einer Staatsentstehung durch europäische Dynastiekämpfe angeführt und der Weg hin zum während der Sattelzeit überhaupt erst entstehenden Konstrukt ›Staat‹ kleinschrittig nachvollzogen werden. Die Untersuchung legte   7 Süßmann, Vom Alten Reich, S. 119.   8 Clausewitz, Vom Kriege, S. 993.   9 Ebd., S. 990. 10 Hoeres, Das Militär, S. 333. 11 Ebd., S. 351.

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offen, wie aktives Entscheidungshandeln der Akteure im Krieg aus im Grunde willkürlich zugeteilten Territorialkomplexen – bestand doch keine dynastische Legitimation eines Habsburg-Lothringers am Main – durch Expansion und Herrschaftsdurchdringung im Inneren die Vorbedingungen für moderne Staatlichkeit schuf. Sie legte aber auch offen, in welch großem Maß die Akteure an bereits stattgefundene Modernisierungsprozesse und Politikgestaltungsmethoden des aufgeklärten Absolutismus anknüpfen konnten. Es konnte ein prozessualer Entwicklungsbogen belligerenter Staatswerdung räumlich von Florenz über Salzburg, Wien und Paris nach Würzburg sowie zeitlich von 1765 bis 1814 gespannt werden. Ein Entwicklungsbogen, der auf ererbten Beziehungen, tradierten Verhaltensmustern und auf althergebrachten Gedankentraditionen basierte. Das Selbstbestimmungsrecht einer ›fränkischen Nation‹ spielte dabei keine Rolle. Vielmehr richtete sich am Main der Gestaltungsspielraum der fränkischen Eliten und Intellektuellen im sich zunehmend bürokratisierenden Verwaltungsapparat an der Fürstenherrschaft aus. Die Lebenswirklichkeit der Menschen außerhalb der Residenzstadt bestimmten durch die Beharrungskräfte der Dorf- und adeligen Landeliten persistente Herrschaftsstrukturen vor Ort – im noch immer politisch und konfessionell zersplitter­ ten Großherzogtum Würzburg. Einen Rheinbundpatriotismus oder wenigstens ein einigendes Regionalbewusstsein, das aufbegehrt hätte gegen den kriegsbedingten Entzug von Ressourcen und Menschen aus diesem Staatswesen in gewaltigem, seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr dagewesenen Ausmaß, ließ sich quellengestützt nicht freilegen. Die Macht der ›souveränen Gesellschaftsverbände‹ – um den sich ja erst in der Konstruktion befindlichen Begriff ›Staat‹ zu vermeiden – bemaß sich nach außen auch nach dem vermeintlichen Epochenbruch der Französischen Revolution noch immer nach Parametern des Ancien Régime. Die Ausdrucksseite von Politikgestaltung im Krieg manifestierte sich noch immer in monarchischer Repräsentanz, in fürstlichem Prestige und in auf Rang, tradierten Symbolen und Riten beruhender, höfischer Machtinszenierung. Musste doch ein ›souveräner Gesellschaftsverband‹ – um mit Max Weber zu sprechen – nach außen »plausibel sein«12, dass er seinen Willen im Krieg auch durchzusetzen vermochte. Gerade für militärisch mindermächtige Gesellschaftsverbände, die Erzherzog Ferdinand zeitlebens regierte, sei es das Großherzogtum Würzburg, das Herrschaftskonglomerat mit dem Namen Kursalzburg sowie die völlig unbewaffnete Toskana, kam es auf diese ausdrucksseitige Politikgestaltung an. Ein Verständigungshandeln mithilfe traditioneller Kommunikationsformen und Symbole des Ancien Régime stellte sich als Alternative zu militärischer Machtpolitik als Gestaltungsoption heraus – und es ging 12 Zit. nach Ebd., S. 332.

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gerade am Anfang des Krieges nicht um Weltanschauungen, sondern um Besitzstandswahrung und -mehrung. Erfolge im ›politischen Verkehr‹ der souveränen Gesellschaftsverbände untereinander wurden jedoch neuerdings in beherrschbaren Quadratmeilen und Seelen rational genau vermessen13. Im Ringen der ›souveränen Gesellschaftsverbände‹, ihre jeweilig eigenen ›politischen Zwecke im Krieg‹ zu realisieren, gerieten sie wie zwangsläufig in eine spiralförmige Kreisbahn, die sowohl Neues erschaffen und zugleich alles zu vernichten vermochte  : Im Weltkrieg der Sattelzeit war ein schlagkräftiges Heer vonnöten, was das Aufbringenmüssen von durch Frankreich in Mode gekommene Soldatenmassen nach sich zog, für die ein Gesellschaftsverband wiederum massenhaft ausreichend bevölkerte Territorien unterwerfen musste, was neuen Krieg evozierte. Diesen Kreislauf – die Inhaltsseite der Politikgestaltung im Krieg – hielt eine immer effizienter funktionierende Finanz-, Diplomatie- und Militärbürokratie als schier nie enden wollendes ›Länder-Monopoly‹ im Dienste ihrer Fürsten in Betrieb. Dabei war innere und äußere Staatskonsolidierung die Folge, zugleich Triebfeder der Moderne. In zwei empirischen Untersuchungseinheiten konnte das komplexe Systemgefüge aus Krieg, ›politischem Verkehr‹ und fremdbestimmter Kriegsziele als Kommunikations- und Handlungssystem erklärt werden, welches begrifflich unter ›Rheinbundpolitik‹ subsummiert werden konnte. Im Prozess zur ›Herstellung bindender Entscheidungen‹ nahm im Großherzogtum Würzburg Erzherzog Ferdinand die zentrale Position ein, eingebunden in die seine »monarchische Souveränität«14 beschränkende Determinanten. Der in seiner Zusammensetzung heterogene Verwaltungsapparat, dessen Teile sich jedoch gemeinsam als Fürstendiener von Einfluss- und Bedeutungsverlust bedroht fühlten, organisierten aus dem Territorium des Großherzogtums Würzburg für sein Entscheidungshandeln die Ressourcen. Die Forschungsergebnisse für diese beiden Untersuchungseinheiten sollen im Folgenden zusammengetragen werden. 3.1 Der ›schwache Fürst‹ als erfolgreicher Realpolitiker

Die vorliegende Arbeit belegte die Forschungsdeutung zur Dynastie der HabsburgLothringer als »Prototyp einer transnationalen Fürstenfamilie«15. Was Kaiser Josef II. noch zentralistisch straff reformieren wollte, etablierte schließlich sein Neffe, Kaiser Franz, und gestaltete während des Untersuchungszeitraums die äußere und innere Form der Habsburgermonarchie so aus, wie sie bis zum Ende ihres Bestehens sein sollte – als 13 Siemann, Metternich, S. 315. 14 Stickler, Familienverband, S. 38. 15 Ders., Machtverlust und Beharrung, S. 381.

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Mehrfachherrschaft über viele heterogene Völker Europas. Der Krieg gegen Frankreich, der sich 1792 der Habsburgermonarchie zunächst als günstige Gelegenheit für Territorialerwerb präsentierte, sollte sich mit zunehmend ideologischer Färbung gerade für diese Mehrfachherrschaft zur existenziellen Bedrohung erwachsen, strebten die Völker doch, durch den Funken der Revolution aus Frankreich entfacht, nach Selbstbestimmung. Im Krieg musste sich die europäische Großmacht der Habsburg-Lothringer gegen die erwachsende Hegemonialmacht nach außen behaupten und gleichzeitig im Innern erneuern. Dieser Gestaltungprozess zeigte sich in der vorliegenden Untersuchung als innerer Konsolidierungsprozess zur Herstellung einer Zentralstellung der Dynastie mit strikt hierarchischer Machtverteilung und als äußerer Konsolidierungsprozess eines zusammenhängenden Flächenstaats. Für beide Prozesse war die Bruderbeziehung zwischen Erzherzog Ferdinand und seinem Bruder, Kaiser Franz, konstitutiv. Eine Untersuchung dieser Bruderbeziehung konnte andere Forschungen insofern bestätigen, dass die kinderreiche Familie Peter Leopolds ein ›spezifischer Familiensinn‹ auszeichnete, der substanziell für die Bewerkstelligung dieser existenziellen Herausforderung war16. Ein Familiensinn, der neben gegenseitig fürsorgender familiärer Zuneigung jedes seiner Glieder auf eine tief internalisierte Verantwortung zum Dienst an der Dynastie verpflichtete. Das Erziehungskonzept Peter Leopolds im Stile der Zeit eher eine Verhaltensdressur, sollte die Agnaten und Cognaten dazu bewegen, dass sie »ihre ganze Existenz ihre Neigungen und ihre Vergnügungen bei jeder Gelegenheit zum Opfer bringen […] und dass sie von ihrer Seite alle Pflichten erfüllen müssen«17. Die Erziehung seiner Kinder zur »Statuselite in funktionalistischer Weise«18 setzte Maßstäbe bis zu den heute noch lebenden Sukzessoren der Dynastie, für die Habsburg-Lothringer zu sein noch heute bedeutet, »überall eingesetzt zu werden, sich mit der gestellten Aufgabe identifizieren zu können.«19 In zahlreichen Briefquellen, die im Zuge der vorliegenden Untersuchung zur Freilegung des Handlungsspielraums Erzherzog Ferdinands im Krieg ausgewertet wurden, findet sich als Handlungsmaxime der nach der Reihenfolge priorisierte Dreisatz  : »Denke, dass nur, wenn unser Stammhaus festbleibt auch das Deine und Deine Familie aufrecht bleiben kann«20. Erzherzog Ferdinand richtete seine Politikgestaltung, wie kleinschrittig dargelegt, nach diesen Maximen aus. 16 Vgl. Ziegler, Franz II, S. 66. 17 HHStAW, HausA, Familienakten 56-5, Altri punti diversi per i figlii, Peter Leopold 1774, Übersetzung zit. nach  : Romberg, Religion und Kirchenpolitik, S. 40. 18 Ebd. 19 Habsburg-Lothringen, Grußwort, S. 15. 20 ASF, Segreteria di Gabinetto, Appendice Pez. 2, Ins. 3, Franz an Ferdinand, Baden, 19. Januar 1806, Fol. 236.

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Gerade als die Reichskrone durch Napoleons Hegemonialstreben final ihren Wert verlor und das neu geschaffene Österreichische Kaisertum nur als inhaltslose Klammer existierte, leistete Erzherzog Ferdinand seinen Beitrag zur Etablierung der Zentralstellung der Dynastie als integratives Element im zergliederten Territorialstaatskomplex der Habsburgermonarchie. Die Untersuchung beleuchtete anhand der kontextualisierenden Analyse von Briefquellen die Einrichtungsphase dieser Zentralstellung. Dass dies ein bisweilen konfrontativer Aushandlungsprozess zwischen dem Erstgeborenen und dem Zweitgeborenen des Hauses Habsburg-Lothringen war, entwickelte sich aus dem »Spannungsfeld von monarchischer Souveränität und dynastischer Solidarität«21. Die als unabhängige Sekundogenitur geschaffene Herrschaft in der Toskana – nur ein Bruchteil der Mehrfachherrschaft unter dem Mantel der Habsburgermonarchie – war auch durchaus im Konsens der europäischen Mächte reichsrechtlich souverän eingerichtet worden. Peter Leopold konstituierte jedoch bereits noch zu seinen Lebzeiten ein innerdynastisches Herrschaftssystem, das ›monarchische Souveränität‹ ›dynastischer Solidarität‹ unterordnete. Alleine sein früher Tod ließ zwei im Grunde für diese komplexe Herrschaftsstruktur unvorbereitete Monarchen zurück. Die Beraterkreise des 23- und 24-Jährigen übten in Florenz und Wien großen Einfluss auf beide aus – ein konflikträchtiger Zustand, den beide oft mit vertraulich privater Korrespondenz zu deeskalieren wussten. Realpolitik im Krieg, verstanden als Verwirklichung des maximal Erreichbaren innerhalb minimaler Handlungsspielräume, präformierte für Florenz und Wien zwei unterschiedliche Handlungsstrategien mit dem Kriegsgegner Frankreich  : Erzherzog Ferdinand, beraten von Manfredini, dem ›marchese giacobino‹, versuchte in der Toskana durch Annäherung an das Frankreich der Revolution und seinen Stellvertretern seine (politische) Existenz zu sichern, auch aus der Not militärischer Wehrlosigkeit heraus. Kaiser Franz suchte in enger Abstimmung mit dem persistenten Regierungspersonal – Colloredo, Thugut, Stadion – die Leitlinien seiner Vorgänger im Waffengang gegen Frankreich durchzusetzen  : Die Konsolidierung des Staatswesens durch expansive territoriale Abrundung. Beide stimmten ihren ›politischen Verkehr‹ mit Frankreich trotz unterschiedlich eingeschlagener Wege eng miteinander ab. Damit konnte die ältere Forschung grundsätzlich revidiert werden, die behauptete, beide Brüder stünden sich antagonistisch gegenüber, der Ältere jähzornig auf die Durchsetzung seiner Prärogative bedacht, der Jüngere eifersüchtig auf die Durchsetzung seiner ›monarchischen Souveränität‹. Kleinschrittig und bis auf die semantische Ebene hinab konnte die Politikgestaltung zwischen Brüdern als »kommunikative Fabrikation von Politik«22 nachgewiesen wer21 Stickler, Familienverband, S. 38. 22 Mergel, Politikbegriffe, S. 154.

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den  : Die Verbindung von nur auf den ersten Blick standardisiert und floskelhaft anmutenden familiär-freundschaftlichen Gefühlsbeweisen mit hochpolitischen Inhalten in der Korrespondenz führte zur ›Herstellung bindenden Entscheidungen‹ auf beiden Seiten. Erzherzog Ferdinand orchestrierte diese schriftlichen Beweise loyaler Verbundenheit auch in realer Form, angefangen von kleinen Geschenken bis hin zum offenen (meist militärisch brisantem) Geheimnisverrat, so wie er beispielsweise anlässlich des Friedens von Basel 1795 oder im Jahr 1809 genau belegbar ist. Kaiser Franz dankte die Loyalität mit besonderer Sorgfalt seinem Bruder, eine »so gute Existenz wie möglich zu verschaffen«23 – das gelang vor allem mit dem in Böhmen liegenden Privatbesitz, deren enormer Umfang hier erstmals dargelegt werden konnte. Nicht ein Brief, aber dutzende im Monat, auch formalisierte und floskelhafte, die Familiensorgen, Krankheiten oder immer wieder das Wetter thematisierten, dienten dem Zweck, dass die Geschwister in den Kriegswirren auch auf verschiedenen Seiten stehend die Kommunikation aufrecht erhielten und sich nicht aus den Augen verloren, auch wenn ihr alltäglich beratendes Umfeld ihnen dabei oftmals den Blick verstellten. Erzherzog Ferdinands Neutralitätspolitik in der Toskana gegenüber Frankreich – in erster Linie aus militärischer Ohnmacht geboren und nicht ideologisch begründet – blieb zwischen den Beraterkreisen, Ende der 1790er Jahre aber zunehmend auch zwischen Brüdern umstritten. Erzherzog Ferdinand ging realpolitisch geschickt mangels anderer militärischer Optionen ehrerbietige Verabredungen mit dem Kriegsgegner ein, hoffierte den Revolutionsgeneral Napoleon wie einen Gleichrangigen in Florenz 1796 und ordnete sich dennoch in vollem Bewusstsein klandestin der Befehlsgewalt seines Bruders als Chef des Stammhauses unter  : »Solltest du liebster Bruder Befehle für mach haben und könntest glauben, dass ich dir in etwas dienlich seyen könnte, so gebe mir deine Befehle ausdrücklich und habe die Gnade und sage es keinem Menschen«24, schrieb er bereits 1795 an Kaiser Franz und fasste in einem Satz das heikle Doppelspiel seiner dennoch tragfähigen Handlungsstrategie als mindermächtiger Fürst im Krieg zusammen. Es war essentiell, dass Frankreich in dem Glauben gelassen wurde, Erzherzog Ferdinand suche die Annährung, wolle die ererbte Neutralität der Toskana erhalten. Zu dieser Handlungsstrategie gehörte es für Erzherzog Ferdinand auch, in offiziellen Verlautbarungen sei es an das Direktorium in Paris oder an den Wiener Hof, stets während des Kriegs in Oberitalien als lautstarker Mahner eines ›allgemeinen Friedens‹ aufzutreten. In der privaten Korrespondenz indes beglückwünschte er seinen Bruder zu jedem Waffenerfolg seines Stammhauses. Es konnte herausgearbeitet werden, dass dadurch Erzherzog Ferdinand als ernstzunehmen23 Franz an Ferdinand, Wien, 29. Januar 1806, Briefserie ediert im Anhang als Dokument XXVII. 24 HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 35-2, Ferdinand an Franz, Florenz, 14. März 1795.

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der Stellvertreter der Friedenspartei am Wiener Hof avancierte und in dieser Funktion von den ›Interventionalisten‹ um Thugut und später Stadion in Unkenntnis der brüderlichen Absprachen zum vermeintlichen Jakobiner erklärt wurde. Erzherzog Ferdinands öffentlich gemachte Friedensbemühungen wussten beide Kriegsgegner, Frankreich und die Habsburgermonarchie, in den kommenden Jahren für die je eigenen Zwecke zu instrumentalisieren  : Schon bereits in der Toskana diente er zwischen den antagonistischen Blöcken als Relaisstation und bei den im Untersuchungszeitraum zahlreich notwendig gewordenen Friedensverhandlungen zwischen beiden Seiten diente Erzherzog Ferdinand im Rahmen territorialer Konfliktfragen als Lösung eines ausgleichenden Arrangements. Immer dann kam sein Name als Verhandlungsoption bei den als Friedensverhandlungen bemäntelten Territorialtauschplänen auf, wenn die beiden Kriegsgegner ein Aufeinander-Zugehen demonstrieren wollten  : In den Vorverhandlungen des Friedens von Campo Formio (1796) sollte er künftig das gesamte Venetien oder Dalmatien und Istrien regieren, in den Verhandlungen von Lunéville (1801) sollte er erneut Venetien oder Tirol oder Oberbayern inklusive München erhalten, in den Verhandlungen von Preßburg (1805) Venetien und das Dolomitental oder Venedig als eigenes Königreich oder Tirol zugesprochen bekommen, im Jahr 1809 sollte er sogar seinen Bruder als Kaiser ablösen, oder wenigstens König der Polen oder von Böhmen werden. Erzherzog Ferdinand stand in all diesen Überlegungen im Zentrum, vor der Hand versprachen sich beide Seiten durch diesen Kompromiss von ihm eine Gegengabe. Keine von diesen Überlegungen ist allerdings realisiert worden. Es verdeutlich aber, dass Erzherzog Ferdinands aktives Verständigungshandeln, das Zugehen auf den Kriegsgegner, die fassadenhafte Neutralitäts- und Friedenspolitik, sowohl für Frankreich als auch für die Habsburgermonarchie die Grundlage für einen Ausgleich bot. Daran konnte die von Wolfram Siemann trefflich apostrophierte ›Methode Keuner‹ anknüpfen, als 1809 die ›Interventionalisten‹ am Wiener Hof ihre Wirkmächtigkeit im Kanonendonner von Aspern und Wagram verloren  : Das Zugehen der Habsburger Monarchie auf Frankreich – besiegelt durch die dynastische Verbindung – bei gleichzeitiger militärischer Reorganisation, Wiederbewaffnung und Warten auf den richtigen Zeitpunkt, um in geeignetem starken Bündnis den Hegemon zu stürzen. Diese beiden Wege im politischen Verkehr – der militärisch-konfrontative Kaiser Franz’ und der bisweilen auch schmeichelnd-ausgleichende Erzherzog Ferdinands – muss im Hinblick auf die engen Absprachen zwischen den Brüdern, wie in dieser Untersuchung breit dargelegt, als gemeinsame Politikgestaltung einer Handlungseinheit verstanden werden. Damit diese Handlungseinheit nutzbringend und effektiv im Krieg auf zwei Kanälen den politischen Verkehr mit dem Kriegsgegner gestalten konnte, versuchten dies beide Brüder ganz im Stile aufgeklärter Rationalität normativ zu regeln und in Form eines geheimen Brudervertrags vertraglich zu fixieren. Darin wurde nichts

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weniger als eine kommunikative Herstellung bindender Entscheidungen zwischen Sekundogenitur und Primogenitur des Hauses Habsburg-Lothringen verabredet  : Die Etablierung institutionalisierter Kommunikationskanäle in Form von ›Familienministern‹ an den jeweiligen Brüderhöfen, eine geregelte enge Abstimmung in allen außen- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten, wobei – um im modernen Politjargon zu bleiben – die Richtlinienkompetenz klar beim Oberhaupt des Hauses lag. Die Vertragsartikel, die eine Abstimmung zwischen beiden Agnaten regelten, sicherten – im Sinne ›der kommunikativen Fabrikation von Politik‹ – der Sekundogenitur Mitbestimmungsrechte zu und delegierte gleichsam Souveränitätsrechte an die Primogenitur. Die hier nur zart angedeuteten föderalistischen Motive in der habsburg-lothringischen Mehrfachherrschaft, die die Habsburgermonarchie als europäische ›Union von Ständestaaten‹ unter monarchischen Vorzeichen vorausdachten, wären durchaus ein interessanter Untersuchungsgegenstand anschließender Forschungen. Dass Erzherzog Ferdinand dieser Delegation und damit Schmälerung seiner ›monarchischen Souveränität‹ keineswegs gezwungen, sondern freiwillig und aktiv unternahm, verdeutlichte sich bereits in einer Episode der Kriegsgeschichte im Jahr 1799  : Nach seiner Vertreibung aus der Toskana bestimmte Erzherzog Ferdinand, als dort ein Volksaufstand gegen die französischen Besatzer eine von österreichischen Truppen geführte Befreiungsaktion für Florenz erfolgreich unterstützte, dass in ›seiner‹ Toskana eine provisorische Regierung im Namen des Kaisers eingesetzt werden sollte. Die vorliegende Analyse belegt, dies geschah in enger Absprache zwischen den Brüdern. Die im Brudervertrag von 1803 bemerkte Rationalisierung und Standardisierung von politischer Kommunikation zur Herstellung einer Handlungseinheit markierte einen wichtigen Schritt in einer langen Entwicklung zur geordneten innerdynastischen Kompetenzverteilung, die sich im Allianzvertrag von 1815 sowie im Familienstatut von 1838 niederschlug. Es konnte nachgezeichnet werden, dass dieser innerdynastische Hausvertrag zwar für den Moment, als Erzherzog Ferdinand ab 1802 den »avant-poste de la Monarchie dans les guerres d’Empire, de France de Prusse«25, das Gebietskonglomerat Kursalzburg beherrschte, paragrafengetreu umgesetzt werden konnte, die Aushandlungsprozesse zwischen den Agnaten des Hauses damit aber nicht abrupt endeten. Die als Verständigungshandeln angelegte Politikgestaltung zwischen den Brüdern sicherte das ius ad bellum der Primogenitur, forderte, wie gesagt, allerdings auch die Mitbestimmung der Sekundogenitur ein. Als im Dritten Koalitionskrieg einem eigenständigen Verständigungshandeln Erzherzog Ferdinands 1805 vom Wiener Hof kein Raum gelassen wurde, zeitigte dies am Ende die Behandlung seines Herrschaftsgebiets 25 HHStAW, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A, Kart. 27, Erzherzog Ferdinand von Toskana, Ferdinand an Franz, 22. Februar 1802.

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durch Frankreich als besiegtes Feindesland. Aus dem sich anschließenden »unglücklichen Frieden«26 von Preßburg zogen die auch in den Vorverhandlungen als Handlungseinheit agierenden Brüder die Konsequenzen. Kaiser Franz korrigierte seinen Kurs, wie sich mit der 1807 verfassten Instruktion für den ›Hausminister‹ Buol belegen lässt  : Die Sekundogenitur habe »unter den gegenwärtigen Verhältnissen vom allerhöchsten Hof unabhängig zu erscheinen« nur wenn die Hilfe aus Würzburg »reklamiert« werden würde, dann könne man sich darauf verlassen. Dass Erzherzog Ferdinand diese Hilfe sogar dann in Anspruch nahm, als er bereits verfassungsrechtlich an den Protecteur des Rheinbunds, Napoleon, gebunden war und durch die Rheinbundakte ganz ausdrücklich eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Kaiser des Reichs widersagt wurde, belegen die außenpolitischen Konferenzen zwischen Wien und Würzburg 1806 im Bezug auf den ›politischen Verkehr‹ mit der Krone Bayern. Kleinteilig und genau verabredeten die beiden Höfe eine Strategie zum Machtausbau des Staatswesens am Main zu Lasten Bayerns. Kaiser Franz billigte explizit, Erzherzog Ferdinand solle alle politischen Gestaltungsmöglichkeiten im Umgang mit Paris benutzen, um die expansionistischen Absichten »zum Vortheil des Herrn Kurfürsten und des Hauses Habsburg zu erwirken.«27 Die Verabredungen aus dem Brudervertrag behielten nicht nur de facto, sondern auch de iure ihre Gültigkeit auch im Staatswesen am Main, regelte doch der Vertrag von Preßburg Erzherzog Ferdinand solle Würzburg erhalten »de la même maniére qu’il a possédé jusqu’ici ese tats de Salzbourg«28. Um es ein letztes Mal als Ergebnis deutlich herauszustellen  : Erzherzog Ferdinand leistete eine einspruchslose Erfüllung von Napoleons Wünschen in allen militärischen Belangen, seien es massenhafte Truppengestellungen, Natural- oder Finanzhilfen für die französischen Armeen im Dienst für sein Haus Habsburg und mit eindeutiger Billigung seines Bruders. Wie weit dieses in der Toskana begonnene Doppelspiel führte, versinnbildlicht sich, als Teile von Erzherzog Ferdinands Streitkräften aus dem Großherzogtum Würzburg gegen die Streitkräfte seines eigenen Bruders 1809 kämpften. Dass im Rheinbund die von Napoleon freigebig garantierte ›monarchische Souveränität‹ sich in der Praxis nur auf eine Rekrutierungshoheit beschränkte, weil das ius ad bellum in Händen des Protecteurs lag und die Rheinbundakte implizit auch französische Angriffskriege zum Bündnisfall deklarierte, brachte Erzherzog Ferdinand überhaupt erst in diese ungewöhnliche Konstruktion eines unfreiwilligen Bruderkriegs. Mit Ausbleiben einer verfassungsmäßigen Ausgestaltung des Rheinbunds blieb er wie alle anderen Rheinbundfürsten auch stets von der volatilen Gnade und Gunst Napo26 HHStAW, Stk, Würzburg 6, Weisungen 1807–1816, Instruktion vom 26. Juni 1807. Vollständig abgedruckt im Anhang als Dokument XI. 27 Siehe Kapitel II. 1.5, S. 189. 28 Zit nach  : Oer, Der Friede, S. 247–250, hier S. 248.

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leons abhängig und in seiner politischen Existenz bedroht. Es war daher zeit seiner Herrschaft am Main essentiell, dass er sich und seinem Regierungspersonal »immer das Ansehen geben [musste], als wenn wir in Würzburg mit Leib und Seele der französischen Sache zugetan wären«29. Dies spiegelte aus der Vergangenheit die aus der militärischen Ohnmacht geborene Politikgestaltung Erzherzog Ferdinands von Florenz nach Würzburg. Von Handlungsohnmacht kann jedoch nicht gesprochen werden. Erzherzog Ferdinand verstand es realpolitisch geschickt, geringe Spielräume für sein Wohl und das seines Hauses zu nutzen. An ihm ließ sich eindrucksvoll exemplifizieren, wie man als militärisch mindermächtiges Staatswesen aktiv Politik gestalten konnte. Die Untersuchung erkannte die Ende des 18. Jahrhunderts absichtsvoll dichotom gefassten Charakterzuschreibungen der ältesten Söhne Peter Leopolds – Franz, der kriegerisch Starke, Ferdinand, der musische Schwache – als politisches Kalkül. Diese übernahm die ältere Forschung unhinterfragt und bezog dies irrigerweise auch auf die Politikgestaltung der beiden Brüder. Gerade das Agieren als Handlungseinheit im Dienst des Hauses – beispielhaft während Erzherzog Ferdinands Kaiserstellvertretung im Jahr 1799 praktiziert – zeigt einen ganz anderen Herrschertyp  : Die Untersuchung trug Indizien und Beweise zusammen, die Erzherzog Ferdinand als tatkräftigen Entscheider präsentieren können, der Mut hatte, sich der zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume auch bei unkalkulierbaren Ergebnissen zu bedienen. Die historiografische Festschreibung der nur vermeintlich ins Bild passenden Dichotomien erfolgte auch deshalb, weil die ältere Forschung den Facettenreichtum Erzherzog Ferdinands aktiv betriebener Rheinbundpolitik ausblendete, die hier noch einmal zusammenfassend dargestellt werden soll. Die Souveränitätsanerkennung für Erzherzog Ferdinand durch Napoleon persönlich noch während der Wiener Exiljahre 1799 diente als Garant Erzherzog Ferdinands künftiger Territorialherrschaft und als Garant, auch weiterhin noch eine Stimme im europäischen Mächtekonzert zu haben. Diese Souveränitätsanerkennung hatte ihren Ursprung im persönlichen Austausch zwischen zwei gleichaltrigen, aber sehr unterschiedlichen Machthabern im Sommer 1796. Auf der zu diesem Zeitpunkt in Florenz begonnenen persönlichen Beziehung zwischen Ferdinand und Napoleon beruhten die eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten für Politik im Krieg. Für Erzherzog Ferdinand war dieser Schritt der ehrenvollen Behandlung des Revolutionsgenerals, der mit tausenden Bajonetten in die unbewaffnete Toskana einmarschierte, nach dem zuvor stattgehabten Verständigungshandeln mit dem Direktorium nur konsequent, für Napoleon indes bedeutete der respektvolle Empfang des Zweitgeborenen der ersten Dynastie Europas auch die lange ersehnte Aufwertung.

29 Wagner, Christian Johann Babtist von, Die Biographie, S. 102.

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Zusammenfassend lässt sich dennoch das persönliche Verhältnis zwischen beiden nur schwierig beurteilen – kein Quellenfund ermöglicht dies zweifelsfrei. Für Erzherzog Ferdinand war er anfangs nur ›General Bonaparte‹, dann ›Kayser Napolion‹, später ›der Pirat auf Elba‹ und er war am Ende 1814 der Meinung, dass es das »allerbeste […] wäre wenn es unserem Herrgott gefiehle ihn aus der Welt zu schaffen«30. Im Sommer 1796 bekam für Erzherzog Ferdinand in Napoleon die Revolution ein Gesicht, das offenbar gar nicht so unsympathisch war, gleich alt und sich als vernünftiger Verhandlungspartner zeigte. Ein Verhandlungspartner, mit dem man arbeiten konnte, mit dem man Politik im Krieg zu eigenen politischen Zwecken gestalten konnte. Napoleon hingegen inszenierte sich zwar gerne als ›Sohn der Revolution‹, hatte jedoch eine innere Zuneigung für die Repräsentanten des Ancien Régime, ihre Symbole und Herrschaftsinszenierung. Erzherzog Ferdinand konnte darauf aufbauend vom do ut des-Prinzip profitieren, solange er den Wünschen Napoleons entsprach  : Das Leistungsspektrum auf der persönlichen zwischenmenschlichen Ebene erstreckte sich von der Wohnungsfindungshilfe für Napoleons Bruder Joseph in Rom 1796, über frankreichdienliche Vermittlungsmissionen bei Kaiser Franz 1797 und 1806/07, bis hin zur Begleitung auf der Hochzeitsreise 1810, um die friedensverheißende Verschmelzung beider antagonistischen Dynastien für die Öffentlichkeit zu versinnbildlichen. Das wechselseitige do ut des-Prinzip konkretisiert sich auch insofern, dass Erzherzog Ferdinand beispielsweise die Autographenbriefe Napoleons über die eingeforderten Vermittlungsmissionen, seinen Gebrauch als Relaisstation zwischen den antagonistischen Machtblöcken in seinem Privatarchiv sicher verwahrte als Wechsel auf die Zukunft. Als Napoleon in Ägypten die Engländer zu vernichten beabsichtigte, fehlte dessen schützende Hand und Erzherzog Ferdinand musste Florenz für 15 Jahre verlassen. Ob eine Korrelation zwischen Napoleons Abwesenheit und Ferdinands Vertreibung besteht, konnte quellengestützt nicht belegt werden  : Wichtig dabei ist aber nur, Erzherzog Ferdinand hatte geglaubt, dass ihm der Korse in Zukunft noch helfen können würde und konzentrierte sein Verständigungshandeln von da an besonders auf ihn. Für das revolutionäre Direktorium Frankreichs und deren diplomatischer Bürokratie war allerdings klar, Erzherzog Ferdinand fungiere als Statthalter der Habsburger-Lothringer in Florenz, was ihrem Kriegszweck ›d’expulser totalement la maison d’Autriche de l’Italie‹ zuwider lief, deswegen musste er aus der Toskana weichen. Auf dieses persönliche Verhältnis aufbauend konnten in der Folgezeit beide die sich im jeweils anderen bietenden Synergien nutzen. Napoleon gewährte Erzherzog Ferdinand in seiner hegemonialen Ordnung eine auf innere Verwaltung reduzierte Souveränität am Main und spannte ihn in eine Herrschaftsstruktur, die sich als Rheinbundpolitik zusammenfassen ließ. 30 HHStAW, Sammelbände 45-5-1, Ferdinand an Franz, Florenz, 20. April 1814.

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Auf der materiellen Inhaltsseite dieser Rheinbundpolitik stand Erzherzog Ferdinands bereitwillige Armeeversorgung mit Truppen, Geld- und Naturalrequisitionen aus dem strategisch günstig gelegenen Aufmarschgebiet »als Beitrag zum politischen Zweck des Krieges«31 und er erhielt dafür (in bescheidenem Maß) territoriale Zugeständnisse. Auf der immateriellen Inhaltsseite setzte er Napoleons Souveränitätsgarantie zum höheren ›politischen Zweck‹ dem Machterhalt und Machtausbau seines Stammhauses ein. Dem untergeordnet, kongruierte dieser politische Zweck mit seiner eigenen, als ›heiliger Schwur‹ geäußerten Agenda – seiner Restitution in der Toskana. Sich dabei der Instrumente der Revolution zu bedienen, kam nicht in Frage  : Im ›politischen Verkehr‹ der ›souveränen Gesellschaftsverbände‹ konnte ihm seine beiden politischen Zwecke kein wie auch immer geäußerter Volkswille – wie er sich schließlich in Arezzo mit »Viva Maria  ! Viva Ferdinando  !« gegen die französische Besatzung artikulierte – erfüllen. In der Gedankenwelt eines Fürsten des Ancien Régime entschied man sowohl über das Schicksal der Toskana als auch über das des Stammhauses nicht in Arezzo oder in Florenz oder Würzburg, sondern in direktem kommunikativem Austausch mit den ›allerhöchsten Majestäten‹ in Wien und Paris. Dafür bediente Erzherzog Ferdinand die Klaviatur höfischer Performanz und überflügelte den aus dem Boden gestampften napoleonischen Neuadel mit seiner Art des ›Courmachens‹. In seiner österreichischen Feldmarschallsuniform setzte er als Sänger oder Dirigent in den kaiserlich-französischen Salons in Fontainebleau, Versailles oder Malmaison die militärisch geschlagene Dynastie der Habsburg-Lothringer augenscheinlich in das Zentrum der Öffentlichkeit. Die Vertretung seines Bruders anlässlich der Hochzeit seiner Nichte Marie Louise mit Napoleon gehörte bei Erzherzog Ferdinand genauso wie anlässlich der Taufe von Napoleon Franz, dem König von Rom, zur ›figurativen Politik‹. Seine Politikgestaltung, auch unter absichtsvoller Zuhilfenahme tradierter politischsemiotischer Zeichen und Symbole, wie der Stiftung des St. Joseph Ordens, gehörte damit zur Ausdrucksseite der Rheinbundpolitik. Dass auch sein Bruder Kaiser Franz sich politisch-semiotischer Zeichen und Metaphern bediente, leistete dieser Form der Politikgestaltung Schützenhilfe  : Die im Grunde inhaltslose Aufwertung seines Bruders zum Kurfürsten 1802 sowie Kaiser Franz’ Reaktion auf die Rheinbundgründung insofern, dass er allen Gliedern des Stammhauses den Titel ›kaiserlich königliche Hoheit‹ verlieh, diente einzig und allein dem Zweck, gegen die frischgebackenen Könige und Großherzöge von Napoleons Gnaden die Spitzenstellung im Reigen der europäischen Dynastien zu behaupten.

31 Beckmann, Clausewitz trifft Luhmann, S. 119.

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Die Ausdrucksseite der Rheinbundpolitik manifestierte sich auch in Erzherzog Ferdinands ›Politik des Prunks‹ unter aktivem Einsatz des symbolischen Kapitals seines Staatswesens am Main  : Der umfangreiche Ausbau der Residenz im Empirestil diente genauso fürstlicher Repräsentanz wie die Pflege und der Aufbau einer vornehmlich aus fränkischem Adel bestehenden Hofgesellschaft. Bei militärischer Mindermächtigkeit kam diesen Symbolen als Machtfaktoren besondere Bedeutung zu. Nutzte Erzherzog Ferdinand die prächtige Kulisse der Würzburger Residenz für die Inszenierung von Ebenbürtigkeit bei gleichzeitiger militärischer Mindermächtigkeit im Krieg auf der immateriellen Ebene seiner Rheinbundpolitik, so nutzte er genauso absichtsvoll die Ressourcen und Menschen seiner Herrschaft als ›Beitrag zum politischen Zweck des Krieges‹ auf einer materiellen Ebene. Ganz zutreffend kann daher von »Versetzungserlebnissen«32 nach Salzburg, nach Würzburg und am Ende nach Florenz insofern gesprochen werden, dass Erzherzog Ferdinand seinen Einsatzort wie ein Minister sein Ministerium zur Politikgestaltung auf höherer Ebene dienstbar zu machen verstand. 3.2 Kriegsgewinner und Kriegsverlierer am Main

Erzherzog Ferdinand traf dafür am Main auf günstige Ausgangsbedingungen. Der Vorbesitzer Bayern hatte in gleicher Absicht, Truppen und Geld für Politikgestaltung im Krieg zu generieren, zu diesem Zweck bereits enorme Vorarbeit geleistet – im positiven wie im negativen Sinn  : Das Staatswesen, das Erzherzog Ferdinand 1806 übernahm, war komplett ausgeplündert worden und alle über Jahrhunderte am Main angehäuften Schätze versilberten die Bayern kurzerhand, aber es blieb Erzherzog Ferdinand auf der anderen Seite erspart, dort einschneidende Reformen selbst umsetzen zu müssen. Die bereits umgesetzten Reformen setzten ihn vielmehr in die bequeme Situation, den am Main vorgefundenen Verwaltungsapparat nur noch zu perfektionieren. Napoleon verlangte Geld und Soldatenmassen für seine militärischen Ambitionen und Erzherzog Ferdinands Absicht, ihm dies im Tausch gegen seine Gunst, gegen die Souveränitätsgarantie und territoriale Expansion auch aus dem Großherzogtum Würzburg zu verschaffen, traf auf große Leistungsbereitschaft eines durch mitgebrachte Verwaltungsexperten aus Salzburg und Florenz heterogen gewordenen Verwaltungsapparats. Der unter dem Herrschaftssystem der bayerischen Krone funktions- und damit einflusslos gewordene fränkische Adel erlebte durch Erzherzog Ferdinand seine Renaissance und wichtige Hof- und Verwaltungsämter wurden wieder von deren Mitgliedern besetzt. Bereits in fürstbischöflichen Zeiten drängten jedoch bürgerliche Verwaltungs- und Rechtsspezialisten zum Staat, die durch die Herrschaftswechsel am Main zu einfluss32 Altgeld, Zur Einführung, S. 19.

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reichen und für die Verwaltung unentbehrlichen höchsten Fürstendienern avancierten. Dass von Staatsbeamten nicht gesprochen werden kann, belegte die vorliegende Untersuchung auch durch einige von Erzherzog Ferdinand verfügte, bisher unbekannte Instruktionen an sein Regierungspersonal, das diese nur von seiner Person statt von Leistung und Eignung abhängig machte. Das Nebeneinander von auf Effizienz getrimmten Behörden bayerischen Zuschnitts und auf Repräsentation ausgerichteten Versorgungsämtern, wie der Geheime Staatsrat, der sich mehrheitlich aus alteingesessenem fränkischen Adel konstituierte und Hofämter wie das Oberjägermeisteramt, führte zu einer Vermischung der Verwaltung, einer Amalgamierung von Althergebrachtem und Neuem. Einigendes Element der adeligen wie bürgerlichen Fürstendiener waren die beiderseits als existenzgefährdend erlebten Herrschaftswechsel, was sie ihrerseits zur Erfüllungspolitik fürstlicher Wünsche nötigte. Die konkurrierenden und teilweise in ihren Zuständigkeiten nicht voneinander zu trennenden Behörden versuchten den durch die Herausforderungen der Rheinbundpolitik notwendig gewordenen punktuellen Reformtätigkeiten mit enormem personellen Aufwand zu begegnen, was zu immer größerer bürgerlicher Beteiligung am Staatswesen beitrug. Die Untersuchung konnte, anders als von der Regional- und Landesgeschichte bisweilen kolportiert, breit darlegen, wie effektiv von Erzherzog Ferdinand und seinen Staatsrat angestoßene Reformvorhaben umgesetzt wurden. Die hier offengelegten Investitionsprogramme für Straßenbau, für Kirchen- und vor allem Schulneubauten überall im Großherzogtum Würzburg sowie für die Gesundheitsvorsorge beweisen eine rege fortgeführte Gestaltung von Herrschaftsdurchdringung, Herrschaftsverdichtung und schließlich Herrschaftszentralisierung im Untersuchungszeitraum. Insgesamt 544 Verordnungen und Gesetze wurden vom großherzoglich würzburgischen Verwaltungsapparat binnen acht Jahren beschlossen, nur 41 zielten auf die Reformierung des Militärwesens, 115 davon indes versuchten mit finanzpolitischen Regulierungen maximale Erträge aus dem Landstrich zu ziehen. Die hier detailliert herausgearbeitete, umfangreiche Steuerreformpolitik der Jahre 1809–1812 ermöglichte, dass die Staatseinnahmen bei allgemein sinkendem Wohlstand der Bevölkerung prozentual dennoch immer stärker anstiegen. Der Durchgriff der großherzoglich würzburgischen Verwaltung auf das Vermögen selbst der kleinsten Herdstätten in der entferntesten Rhöner oder Steigerwälder Peripherie wurde äußerst effizient organisiert, sodass wie an einigen Fallbeispielen demonstriert, binnen kurzer Zeit enorme Summen aus dem ohnehin stark belasteten Land gezogen werden konnten und das Land trotz der enormen Staatsausgaben im Krieg nahezu schuldenfrei 1814 an Bayern übergeben werden konnte. Vergegenwärtigt man sich die enormen Kosten, die durch die hier ebenfalls breit dargestellten Einquartierungsund Naturalrequisitionslasten der massenhaft durchmarschierenden napoleonischen Truppen, die sich bis zum Ende auf mindestens acht Millionen Gulden – dem vierfa-

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chen einer Jahresbruttoeinnahme – belaufen haben dürften, konkretisiert sich dadurch die außergewöhnliche finanzpolitische Organisationsleistung des Verwaltungsapparats. Die geografische Lage des Staatswesens am schiffbaren Fluss, Würzburg als gesicherter Rückzugspunkt, war eben nicht nur für die Habsburgermonarchie gegen Preußen und Frankreich ›als Observationsposten‹ gut geeignet, sondern eben auch als Aufmarschgebiet für die Napoleonische Armee. Im Austausch gegen territoriale Vergrößerung legitimierte Erzherzog Ferdinand durch die Pariser Verträge von 1810, dass alle versorgungsbedingten Kosten von seinem Staatswesen getragen werden würden. Die Bereitstellung der gewaltigen Naturalleistungen bedurfte eines genauso wirkmächtigen Organisationsmanagements wie bei den fiskalischen Maßnahmen. Beschränkte sich die Belastung der vermögenderen Schichten auf weitere rein finanzielle Abgaben, führte der Entzug von Naturalien, der Entzug von Produktionsmitteln wie Nutzvieh und aller Arten von Transportmitteln sowie der Entzug von Arbeitskraft durch die Verpflichtung zu Vorspanndiensten in den kleinbäuerlichen Gesellschaftsschichten in den wirtschaftlichen Ruin. Dies trieb aus finanzieller Not und existenzieller Armut viele derer Söhne zum vergleichsweise gut bezahlten Militärdienst. Eine eklatante Höherbelastung der finanzschwachen Haushalte fiel auch bei der in dieser Forschungsarbeit unternommenen Analyse der Steuerreformpolitik der großherzoglich würzburgischen Fürstendiener auf. Anders gewendet, es ließ sich die absichtsvolle Entlastung der bürgerlichen und vermögenden Schichten genauso als aktives Regierungshandeln herausarbeiten wie eine ungleiche Abgabenbelastung zwischen zentrumsnahen Distrikten rund um die Residenzstadt und Distrikten in der entfernten Grenzperipherie. Ob dadurch der stets vom französischen Gesandten besonders sorgfältig nach Paris berichtete ›esprit public‹ im Umland der von französischen Truppen besetzten Festungsstadt geschont werden sollte, ist durch keinen überlieferten Staatsratsvortrag und kein Protokoll nachweisbar. Dass jedoch auch diese finanzschwächsten Distrikte tatsächlich am stärksten von der Zwangsrekrutierung betroffen waren, ließ sich zweifelsfrei und statistisch belegbar nachweisen. Dass das Großherzogtum Würzburg als widerspruchsloser Truppenlieferant für Napoleons Armeen dienen konnte – immerhin schickte das Staatswesen am Main mindestens 9.499 Soldaten binnen acht Jahren unter französischen Befehl – ohne dass sich wie in anderen Rheinbundstaaten daran der Funke zum offenen Aufruhr entfachte, hatte sowohl strukturell-demographische, aber auch aktiv politisch gelenkte Gründe. Die unter dem Label der allgemeinen Wehrpflicht firmierende Konskription traf am Main vor allem die besitzlosen, sozial abgehängten Schichten. Die von den Bayern übernommenen, weitreichenden Kriegsdienstbefreiungsgründe erweiterte der großherzoglich würzburgische Verwaltungsapparat noch um den Adel samt ihrer Angestellten sowie um die Stadtwürzburger. Statistische Berechnungen ergaben, dass die ärmsten Distrikte

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und die ärmsten Familien den prozentual größten Anteil an Gefallenen zu beklagen hatten. Grund dafür war auch, dass die von den Machtwechseln am Main unbehelligt gebliebenen Dorf- und Landeliten – die Landrichter, die Schultheißen, die Lehrer und Pfarrer – unmittelbaren Einfluss auf das Konskriptionsprozedere hatten und nach eigenem Gutdünken entscheiden konnten, wen am Ende das ›Los traf‹ und wer verschont bleib. Sie nutzten das ausführlich beschriebene Rekrutierungsverfahren, um sich jenem demographischen Überschuss, in ihren Worten den ›liderichen Purschen‹ zu entledigen, deren Broterwerb nicht durch die kleinstteilige landwirtschaftliche Bewirtschaftung oder die vollkommen überlastete Handwerksbranche gewährleistet werden konnte. Die geburtenstarken Jahrgänge der letzten beiden Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts lieferte der Politikgestaltung am Main »Menschen so billig wie Dreck« 33. Dass gerade fast 90 % der Soldaten aus den kleinen Dörfern, Weilern und Höfen und nicht den Landstädten und Verwaltungszentren stammten, belegt dies genauso wie die im Vergleich zu anderen Rheinbundländern herausgearbeitete deutlich höhere Bevölkerungsdichte im Großherzogtum Würzburg. Von der Abwälzung der Kriegsbelastungen auf die besitzlosen Gesellschaftsschichten auf die sprachlose und im kollektiven Bewusstsein namenlose Masse, profitierten am Main die vermögenderen alteingesessenen bürgerlichen Schichten, die Stadtbewohner und der Adel. Es ist dies mithin als Grund dafür angenommen worden, dass es im Zusammenwirken mit einer gelenkten Zensur deswegen im Großherzogtum nur zu einigen im Grunde bedeutungslosen Handgreiflichkeiten gegen die französische Besatzungsmacht kam. In der vorgenommenen Erforschung der Herrschaftssysteme, die im Krieg die Lebenswirklichkeit der Menschen am Main konstituierten, ließen sich hinsichtlich des Truppenaufgebots drei sich überlagernde freilegen  : Der Landesherr Erzherzog Ferdinand konnte zur Politikgestaltung mit dem Protecteur seine Herrschaft durch die bereitwillige Stellung von Soldaten sichern. Diese zog sein überbürokratisierter Regierungsapparat in der Residenzstadt aus dem Land und trieb dadurch eine Herrschaftsdurchdringung und -zentralisierung eines bisher politisch zersplitterten Territoriums voran, womit er sich einen weiteren Machtzuwachs sicherte. Die auch in allen Herrschaftswechseln persistent gebliebenen Orts- und Landeliten bedienten dieses System gezielt zur demographischen Entlassung der von ihnen verantworteten Kommunen. Die Plattform für die ›kommunikative Fabrikation von Politik‹ bot indes im Großherzogtum Würzburg das zentrale Gremium des Staatsrats, der als eigentliches Exekutiv- und Legislativorgan fungierte. Das Wechselspiel zwischen ihm und der ihm untergeordneten, von Erzherzog Ferdinand neu geschaffenen MOK schuf einen Aushandlungsprozess, der nach Erreichbarkeit und Vermittelbarkeit fragte. Die Maßgabe 33 Fuller, Die entartete Kunst, S. 36.

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des Staatsrats, möglichst schnell und ›dem Ansehen nach‹ marschfertige Truppen aus dem Großherzogtum Würzburg unter die Fahnen Napoleons zu schicken, kollidierte beispielsweise mit der langsam entstehenden, militärsystemimmanenten eigenen Werteorientierung nach Ehre und Charaktereignung. Sie knüpfte an hochstiftische Zeiten an, in denen der Adel und das vermögende Bürgertum die höchsten Chargen der Streitkräfte besetzten und dadurch die Uniform bereits als gesellschaftliches Statussymbol galt. In der Praxis der hastig aufgestellten Kontingente legte allerdings auch die MOK keinen Wert auf intrinsische Wehrmotivation, sondern ließ vor allem für die Mannschaftsgrade den Status der Truppenorganisation als ›Straf- und Erziehungsanstalt‹ bestehen. Dass die Verantwortlichen in Staatsrat, MOK oder bei Hofe, das Schicksal tausender ›Landeskinder‹ nach dem Aufgebot noch besonders bekümmert hätte, lässt sich archivgestützt nicht belegen – nicht einmal 1.000 Soldaten kehrten von den mindestens 9.499 ausgeschickten Soldaten nach Würzburg zurück. Den Großherzog verband wie seine Fürstendiener nichts mehr mit den Ausmarschierten und die monatlichen Geldüberweisungen für den Sold an das französische Kriegsministerium blieb für sie der einzige Bezug zu den Soldaten. Die Untersuchung konnte anhand der Auswertung ihrer Feldzugsgeschichte detailliert belegen, dass nachdem die Verantwortlichen im Großherzogtum Würzburg die Kontrolle über Strategie, Taktik und Versorgung ihrer Streitkräfte an Frankreich übertragen hatten, das Schicksal der in Norddeutschland, Polen, Weißrussland, Spanien, Portugal, Österreich und Ungarn für ihre ›politischen Zwecke‹ Kämpfenden entindividualisiert war. Nach außen hin sollte stets und peinlichst genau der Anschein einer schnell und problemlos aufgestellten, vollständig ausgerüsteten professionellen Truppe erweckt werden, die zudem mit der französischen Hauptarmee konform organisiert war. Allein der äußere Schein spielte, wie viele angeführte Beispiele aus der Aufstellungspraxis belegten, die wichtigste Rolle. Völlig fehlende Ausbildung einer in aller Hast aufgestellten Truppe, mangelhafte Ausrüstung, gering funktionstüchtige Bewaffnung, unzureichende Bekleidung und die katastrophal schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln gehörten zu den sich wiederholenden Motiven der großherzoglich würzburgischen Militäreinsätze. Die Kommunikation mit den im Feld stehenden Einheiten war logistisch schon schwierig, erfolgte sie durch glückliche Umstände dennoch, lehnte die oberste Militärbehörde Würzburgs mit Verweis auf die exorbitanten Kosten jede auch noch so geringe monetäre Unterstützungsleistung ab und versuchte ihrerseits (ohne Erfolg) die französischen Militärbehörden in die Pflicht zu nehmen. Stattdessen verlegte man sich in Würzburg auf billigere, am Ende jedoch nutzlose Naturalleistungen  : Die beispielsweise in Spanien dringend benötigten Stiefel trafen nie bei der Truppe ein, waren Schuhe doch auch in der französische Armee Mangelware. Massenhafte Desertion, epidemische Krankheiten und Mangelernährung dezimierten die Streitkräfte Würzburgs um mehr als 90 %.

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Genau explorierte die abgeschlossene Untersuchung ein Phänomen, das bisher wenig im Forschungskontext berücksichtigt wurde  : ein nach Chargen differenziertes Sterben im Krieg. Durch statistische Auswertungen, die Einzelschicksale auf den Schlachtfeldern Europas kontextualisierten, ließ sich erkennen, dass sich Kranken- oder Nahrungsmittelversorgung, genauso wie die Truppenverwendung nach sozialen und schichtspezifischen Kriterien richtete. Kurz  : Der 20-jährige ›liderliche Pursch‹, Adam Herterich aus Kützberg im Distrikt Werneck, starb am Lazarettfieber als gemeiner Soldat unter freiem Himmel auf dem staubigen Vorplatz des Lazaretts von Figueras, während Hptm. Johann Babtist Cantler aus der angesehenen Würzburger Bürgerelite mit einer Schusswunde durch bessere medizinische Versorgung nach Hause zurückkehren konnte. Dass dieser dennoch für Rückreise und medizinische Versorgung selbst aufkommen musste, versteht sich von selbst. Öffentliche Massenerschießung eines ganzen Detachements Würzburger Soldaten in Spanien, der entgrenzte Kleine Krieg in den Pyrenäen, bei dem die Würzburger nicht nur Opfer, sondern nachweislich auch Täter der vielfach geschilderten Gewaltexzesse waren, die Soldatenmassen in noch nie da gewesenen Dimensionen in Wagram, Bautzen oder Leipzig, Frauenkompanien in Girona, die Jagd von Würzburger Chevaulegers auf vom deutschen Nationalgeist entflammte Berliner Bürger, die Einquartierungsbelastung und damit einhergehende Lebensmittelknappheit in Mainfranken, der verheerende Beschuss der Alliierten von Residenz und Stadt – all jenes vermag die Auflösung der Grenze von ziviler und militärischer Sphäre zu belegen. Es verdeutlicht die beginnende Totalisierung von Krieg. Das chargenspezifische Sterben, die planvollen Entlastungen der besitzenden Schichten, die Entindividualisierung der Streitkräfte, Erzherzog Ferdinands ›Politik des Prunks‹ in Zeiten des Kriegs, die Zwangsrekrutierung bei geringster Wehrmotivation, die Delegation sowohl des ius ad bellum sowie oftmals die taktische und vor allem die strategische Befehlsgewalt an eine fremde Macht – all das spricht eher gegen das Diktum vom totalen Krieg. Totalisierungstendenzen im Weltkrieg der Sattelzeit konnte diese Untersuchung dennoch nachweisen. Gerade dass die Befehlsgewalt seit einigen hundert Jahren nicht mehr in den Händen eines Militärsystems am Main lag, bedeutete Kontinuität im Wandel. Bereits in hochstiftischen Zeiten erlangten die Streitkräfte nie eigene Operationsfähigkeit und dienten schon vor Napoleon als Subsidienregimenter. Die Untersuchung konnte herausarbeiten, dass die großherzoglich würzburgischen Streitkräfte diesen Charakter im Grunde beibehielten und im französischen bzw. rheinbündischen Armeesystem als ›Hilfs-Völcker‹ fungierten – Schanzen statt Feldschlacht war die gängige Praxis. In ihren taktischen Planungen blieben die Würzburger wie die kleineren Rheinbundregimenter insgesamt eher eine namenlose, verfügbare Masse, mithilfe derer man das Risiko zu scheitern auch wagen konnte. Auch wenn sich ab 1812 die Rheinbundkon-

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tingente und auch zunehmend die französischen aus immer jüngeren und noch ungeübteren Soldaten zusammensetzten, so nahmen sie innerhalb der napoleonischen Streitkräfte dennoch nicht nur an nummerischer, sondern auch an militärischer Bedeutung zu, was sich mit Blick auf die steigenden Aufnahmezahlen Würzburger Militärs in die Ehrenlegion belegen ließ. In Summe betrachtet, muss man für die Streitkräfte des Großherzogtums Würzburg auf taktischer Ebene konstatieren, dass sie auf der einen Seite verängstigte, passive Soldatenmassen blieben, die sich sogar aus der eigenen Einheit herausgelöst von der französischen Armeeführung dort einsetzen lassen mussten, wo man sie situativ eben benötigte. Auf der anderen Seite sind hoch ambitionierte Offiziere zu bemerken, die ihre unerfahrenen Kompanien zu militärischen Höchstleistungen animieren konnten. Wenn jedoch ein französischer Offizier – wie meistens geschehen – die Soldaten Würzburgs nicht in Regiments- oder Bataillonsstärke, sondern lediglich einzelne Kompanien oder Detachements im direkten Gefecht befehligte, zeitigte dies wesentlich seltener Erfolg, als wenn ein würzburgischer Offizier seine Männer anführte. Die Untersuchung stellte fest, dass das durchaus auch an der französischen, aber auch großherzoglich würzburgischen Auszeichnungspraxis lag und an dem stetig sich verbessernden, gesellschaftlichen Ansehen der Militärs. Der Krieg stand im Zentrum dieser Untersuchung. Der Krieg als ›Strukturformel der Sattelzeit‹ verursachte am Main in tausenden Familien individuell empfundenes Leid, über wirtschaftlichen Ruin, über den Verlust eines geliebten Menschen im Feld oder deren Verlust durch die von Massenheeren eingeschleppten Krankheiten. Kollektiv empfunden wurde es nicht, kollektiv erinnert wurde es nicht. Erst die Herrschaftswechsel in rascher Folge, erst die bürokratisierte Herrschaftsdurchdringung und Herrschaftszentralisierung bis in den letzten Weiler der Peripherie hinein, ließ ein Regionalbewusstsein aufkommen, als die Idee einer ›fränkischen Nation‹ bereits obsolet war. Der letzte Landesherr eines eigenständigen Staatswesens am Main, Erzherzog Ferdinand, gründete keine eigene Dynastie in Würzburg, war weder so souverän noch so friedliebend wie Oberthürs ›Apotheose‹ ihn zeichnete. Er war als Diener seines Hauses HabsburgLothringen gleichzeitig Friedensfürst und Kriegsvasall und nutzte das Großherzogtum Würzburg für seine Politik im Krieg.

III. Anhang

1. Bibliographie 1.1 Quellen

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Maximilian Joseph I. mit zwölf Karten und Plänen. Zeitraum vom Jahre 1810 bis zum Schluße der Beladerung von Thorn (April 1813). München 1826. Wagner, Christian Johann Babtist von  : Die Biographie des Staatsrats, in  : AUFr 47 (1905), S. 1–124. Walter, Friedrich  : Kaiser Franz I. (1768–1835). Versuch einer Deutung seinens Wesens und seines Charakters, in  : Hugo Hantsch (Hg.)  : Gestalter der Geschicke Österreichs. (= Studien der Wiener katholischen Akademie 2) Innsbruck u. a. 1962, S. 295. Wandruszka, Adam  : Joseph II. und das Verfassungsprojekt Leopolds II. Die Abolition und Wiederrichtung der toskanischen Sekundogenitur, in   : Historische Zeitschrift (1960), S. 18–30. Ders.: Leopold II. Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser. Wien 1963–1965. Wehler, Hans-Ulrich  : Deutsche Gesellschafts-Geschichte. 1700–1815. Band 1. München 1987. Weis, Eberhard  : Die Begründung des modernen bayerischen Staates unter König Max I. (1799–1825), in  : Max Spindler (Hg.)  : Das neue Bayern. 1800–1970. (= Handbuch der Bayerischen Geschichte 4,1) München 1974, S. 3–84. Ders.: Montgelas 1759–1838. Eine Biographie. Köln u. a. 2008. Ders.: Napoleon und der Rheinbund, in  : Armgard von Reden-Dohna (Hg.)  : Deutschland und Italien im Zeitalter Napoleons. (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Beiheft 5) Wiesbaden 1979, S. 57–80. Weiß, Wolfgang  : Kirche im Umbruch der Säkularisation. Die Diözese Würzburg in der ersten bayerischen Zeit (1802/1803–1806). Würzburg 1993. Ders.: Übergang an Bayern (1795–1814), in  : Ulrich Wagner (Hg.)  : Vom Bauernkrieg bis zum Übergang an das Königreich Bayern 1814. Stuttgart 2004, S. 206–228. Wernitz, Frank  : »Der Soldat mit dem Generale ganz gleich.«. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Eisernen Kreuzes. In  : Gerhard Bauer u. a. (Hg.)  : Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege  ; [Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, 6. September 2013 – 16. Februar 2014]. (= Forum MHM 4) Dresden 2013, S. 122–129. Wertheimer, Eduard von  : Geschichte Österreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Nach ungedruckten Quellen. Band 1. Leipzig 1890. Ders.: Geschichte Österreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Nach ungedruckten Quellen. Band 2. Leipzig 1884. Westfall, Richard S.: Isaac Newton. Eine Biographie. Heidelberg u. a. 1996. Wette, Wolfram  : Militärgeschichte zwischen Wissenschaft und Politik, in  : Thomas Kühne/ Benjamin Ziemann (Hg.)  : Was ist Militärgeschichte  ? Paderborn 2000, S. 49–71. Willms, Johannes  : Napoleon und Europa  : Das Verpasste Rendezvous, in  : Bénédicte Savoy (Hg.)  : Napoleon und Europa. Traum und Trauma  ; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 17. Dezember 2010 bis 25. April 2011. München u. a. 2010, S. 147–150. Ders.: Talleyrand. Virtuose der Macht 1754–1838. München 2011. Wohlfeil, Rainer  : Der Volkskrieg im Zeitalter Napoleons, in  : Wolfgang von Groote (Hg.)  : Napoleon I. und das Militärwesen seiner Zeit. Freiburg 1968, S. 105–122.

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Anhang

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2. Abkürzungsverzeichnis

Adj. Adjutant ASF Archivio di Stato di Firenze / Staatsarchiv Florenz Aud. Auditor Bat. Bataillon BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv CCC Civilcantonscommission CdB Chef de Bataillon Chev.Div. Chevauleger Division Chev.Esk. Chevauleger Eskadron Chev.Reg. Chevauleger Regiment DAW Diözesanarchiv Würzburg Fasz. Faszikel fl. Gulden Fol. Folio Gem. Gemeiner

Glossar 

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Gem.Gren. Gemeiner Grenadier GhzRegBl Großherzogliches Regierungsblatt H.V. MS. Historischer Verein Hptm. Hauptmann HStAD Hauptstaatsarchiv Dresden IR Infanterieregiment Kad. Kadett Kan.-Kpl. Kanonier-Korporal Kpl. Korporal MA Ministerium des Äußeren Maj. Major MOK Militäroberkommission o.D. Ohne Datum OKK Ober Kriegskommissariat Olt. Oberleutnant OP Offizierspersonalakten RAT Rodinný archiv toskánských Habsburků / Bestand Habsburg-Lothringisches Familienarchiv Serg. Sergant Stabscap. Stabscapitain StadtAWü Stadtarchiv Würzburg StAWÜ Staatsarchiv Würzburg Stk Staatskanzlei SUAP Stàtnj Ustredni Archév v Praze/ Staatliches Zentralarchiv Prag Tamb. Tambour UBWü Universitätsbibliothek Würzburg Ult. Unterleutnant WüZ Würzburger Zeitung Politisch-literarischen Inhalts Xr. Kreuzer

3. Glossar

Actuar

Bataillon

Batterie

Ein Actuar (auch Aktuar) war ein höherer Beamter, der öffentliche Vorgänge aufzeichnete und archivierte. Dieser war für die Ordnungsmäßigkeit seiner Arbeit selbst verantwortlich. Ein Bataillon ist ein militärischer Verband bestehend aus ca. 500–600 Mann in 4–6 Kompanien, bzw. bis Ende des 17. Jhds. unterteilt in 4 Divisionen à 2 Pelotons. Es stellte einen administrativen Truppenkörper und eine taktische Grundeinheit dar, welche durch einen Major oder Oberstleutnant kommandiert wurde. Mehrere Bataillone ergeben ein Regiment. Eine Batterie ist eine Kampfeinheit der Artillerie (Geschütze, Haubitzen, Mörser), die in der Regel aus vier Geschützen und mit dazugehö-

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rigen Fahrzeugen, Beobachtungsgeräten und Fernmeldeeinrichtungen bestand und als militärische Einheit eingesetzt wurde. Die Geschütze wurden dabei meist parallel ausgerichtet und zusammen eingesetzt, um sich durch Salven gegenseitig zu verstärken, da die Feuerrate und die Treffergenauigkeit der Artillerie stark begrenzt waren. Brigade Eine Brigade ist ein Truppenteil, der hinsichtlich Größe und Bedeutung zwischen Division und Regiment rangiert. Sie bestand meist aus je zwei Regimentern und wurde vorrangig im Bereich der Infanterie- oder Kavalleriedivision eingesetzt. Chevauleger Als Chevauleger bezeichnet man eine Gattung der leichten Kavallerie (französisch  : chevaux = Pferde, léger = leicht). Sie kamen vor allem im Kleinen Krieg zum Einsatz und übernahmen Aufgaben wie Aufklärung und die Sicherung der Flanken. Corporal Als Corporal bezeichnet man den niedrigsten Dienstgrad eines Unteroffiziers. Division Eine Division ist eine Untergliederungseinheit beispielsweise der Bataillone oder des Regiments. Sie bestand größtenteils aus Infanterieund Kavalleriebrigaden. Fourage Als Fourage bezeichnet man in militärischer Hinsicht das Futter für die Pferde, wie Hafer, Stroh und Heu. Vorwiegend verwendete man trockene Fourage. In Notsituationen fütterte man auch grüne Fourage (=frisch gemähtes Gras), was jedoch bei den Tieren zu schweren Koliken mit möglicher Todesfolge führen konnte. Fourier (auch Furier) Ein Fourier war ein Unteroffizier, dessen Aufgabe darin bestand, Futter für die Tiere, Verpflegung und eine Unterkunft für seine Einheit zu organisieren. Gemeiner Ein Gemeiner ist ein einfacher Soldat ohne Dienstgrad aller Waffengattungen. Die Gemeinen werden auch als »Mannschaften« bezeichnet. Haubitze Als Haubitze bezeichnet man eine Distanzwaffe beim Heer  : Sie war ein Artilleriegeschütz zum indirekten sowie direkten Beschuss (Steil- und Flachfeuer) auf große Entfernung und ermöglichte ein Steilfeuer mit großer Reichweite. Eine Haubitze hatte im Gegensatz zur Kanone ein kurzes Rohr, wodurch sich die Geschwindigkeit des Geschosses verringerte. Sie wurden als universelle Unterstützungsartillerie der Infanterie verwendet. Hauptmann/Capitain Die Bedeutungen und Funktionen dieser beiden Offiziersränge sind in etwa gleich. Das Wort Capitain lässt sich aus dem Lateinischen für caput (das Haupt) herleiten, womit das Haupt einer Einheit gemeint war (daher auch die deutsche Bezeichnung Hauptmann). Sie hatten die Aufgabe, ihre unterstellten Truppenteile zu führen. Husaren Husaren ist die deutsche Bezeichnung für Chevaulegers. Kadett Ein Kadett ist ein Offiziersanwärter, meist ein adeliger Sohn, der sich der militärischen Laufbahn hingab. Karree Das Karree (von französisch carré, Quadrat) war im Militärwesen vom 17. bis ins 19. Jahrhundert hinein eine Gefechtsformation der Infante-

Glossar 

Kolonnenstoß

Kompanie

Korps/Armeekorps

Landsturm

Landkapitulanten Major

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rie mit nach vier Seiten hin geschlossener Front zur Abwehr von Kavallerie. Das Karree bot einen wirkungsvollen Schutz gegen Kavallerieangriffe, da es keine ungeschützten Flanken aufwies und die Pferde vor den aufgepflanzten Bajonetten zurückschreckten. Die Hauptwaffe des Karrees war nicht die Feuerkraft der nach allen Seiten gerichteten Feuerwaffen, sondern die Dichte der zusammengedrängten Soldaten und ihrer nach außen gerichteten Bajonette. Mit Kolonnenstoß wird eine Taktik bezeichnet, bei der eine Truppe in weniger Breite in einzelne kleinere Truppen geteilt wird. Die Feuerkraft wurde dennoch durch den häufigeren Wechsel der schießenden Soldaten hoch gehalten. Eine Kompanie ist ein militärischer Verband bestehend aus ca. 100 Mann (Infanterie) bzw. ca. 60 Mann (Kavallerie). Sie stellte den kleinsten administrativen Truppenkörper dar, war später eine taktische Grundeinheit der Infanterie, kommandiert durch einen Hauptmann. Mehrere Kompanien ergaben ein Bataillon. Kordon (auch Cordon) Als Cordon (Schnur) bezeichnet man eine Truppenstellung in ununterbrochener Linie, die wie folgt unterteilt werden kann  : a) Kette militärischer Abteilungen, um Grenzen vor feindlichen Einfällen zu sichern. b) Postenkette (beispielsweise zur Ordnung der Zivilbevölkerung o.ä.). Das Armeekorps stellt seit der Entstehung von Massenheeren Ende des 18. Jahrhunderts und der damit verbundenen Notwendigkeit einer höheren Gliederungsform eine entsprechend größere Organisationseinheit der Truppen dar. Es besteht grundsätzlich aus mehreren Divisionen, aber auch aus selbstständigen Truppenteilen und Einheiten verschiedener Waffengattungen und Spezialtruppen. Die Dienstpflicht zum Landsturm erstreckte sich auf alle waffenfähigen Männer vom vollendeten 17. bis zum 60. Lebensjahr, außer geistliche und weltliche Staatsdiener, Schullehrer, Kirchendiener, Ärzte, Apotheker, Schreiber, Bürgermeister und Schultheißen. Ihre Aufgaben waren die kraftvolle Entgegenstellung gegen eine Bedrohung durch den Feind, die Unterstützung der Truppen, die Übernahme der Eskorte von militärischen Transporten und Gefangenen sowie das Bewachen der Magazine und Spitäler. Landkapitulanten sind alle zum Kriegsdienst Verpflichteten, bevor sie mit ihrer Eintragung in die Konskriptionslisten zu Kantonisten wurden. Ein Major, von lat. maior (größer, stärker), war in der französischen Armee in der Napoleonischen Ära eine Charge, der anstelle des LieutnantColonel getreten war. Davor agierte er als höchster Feldwebelgrad. Als diese führten sie die Regimenter der Napoleonischen Armee.

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Anhang

Oberleutnant (auch Oberleutnant ist eine Bezeichnung für den untersten Offiziersrang. Er Premieleutnant) gehörte zur Gruppe der Subalternoffiziere. Mehreren Leutnants wurde eine Einheit zugeteilt und dienten dieser als Zugführer. Pionier Ein Pionier ist ein Soldat, dessen Aufgabe es ist, die Bewegung der eigenen Armee zu fördern sowie gleichzeitig die des Feindes zu hemmen und die Überlebensfähigkeit der eigenen Armee zu erhöhen. Pioniere vereinten somit die Aufgaben der Mineurs (Auslegen von Minen), der Sappeurs (Bau von Feldstellungen) und der Pontoniers (Bau von Brücken). Quartiermeister Quartiermeister ist die deutsche Bezeichnung für Fourier. Rekognoszierung Rekognoszierung beinhaltet sowohl militärische Aufklärung als auch die Beschaffung von Truppenversorgungsgütern (Nahrungsmittel, Fourage etc.). Refractairs Refractairs ist ein Deserteur, der nach seiner freiwilligen oder zwangsweisen Rückführung wieder in die regulären Streitkräfte eingereiht wird. Regiment Ein Regiment ist ein militärischer Verband bestehend aus ca. 1.000 Mann in 2 Bataillonen à 4–6 Kompanien (Infanterie) bzw. ca. 600 Mann in 5 Esquadrons (Kavallerie), das für die Schlachtaufstellung zusammengestellt wurde. Es stellt den größten Truppenkörper einer Waffengattung dar und wurde von einem Obristen/Oberst geführt. Rekrut »Rekrut« war vom 17. bis Mitte des 20. Jahrhunderts der gängige Begriff für einen Soldaten während der Grundausbildung. In dieser Zeit sollte der Soldat lernen sich in das Militärsystem einzufügen, sprich sich in Gehorsam zu üben und militärische Grundfertigkeiten anzueignen. Requisition Requisition bedeutet im militärischen Sinn die Beschlagnahmung von Sachgütern bei Zivilisten für den Armeebedarf. Requisition unterscheidet sich deswegen von der Kontribution, bei der Geld von der Zivilbevölkerung beschlagnahmt wird. Einzelne Soldaten, die sich Gegenstände aneignen, begehen hingegen Plünderung. Sappeurs Als Sappeureinheiten bezeichnete man in den napoleonischen Kriegen eine sich professionalisierende Pioniertruppe. Ihre Aufgaben waren unter anderem Schanzarbeiten, Brückenbauarbeiten, Sprengung und Minierung von gegnerischen Festungsanlagen. Vor allem Handwerker, Maurer, Zimmerleute, Tischler und andere Handwerksberufe wurden vornehmlich ausgehoben, um diese Spezialeinheit zu bilden. Zu ihrer leichten Bewaffnung mit kleinen Karabinern verfügten sie über zu Schadensarbeiten notwendige Gerätschaften wie Schaufeln, Äxte, Harken etc. Von einem Geniewesen war die Würzburger Sappeureinheit im Vergleich zur Französischen allerdings weit entfernt. Das Wort Sappeur lässt sich auf das Wort Sappe zurückführen, welches Laufgraben bedeutet.

Quellenanhang 

Sergant

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Der Sergant ist ein Unteroffiziersrang. Dieser hatte die Aufgabe, als Trupp- oder Gruppenführer dafür Sorge zu tragen, dass seine Untergebenen entsprechend den Anweisungen kämpften und bei Verstoß Disziplinarmaßnahmen einzuleiten. Ein Aufstieg in höhere Dienstgrade war ebenfalls gewährleistet. Ein Tambour war ein Feldmusiker. Es findet sich auch die Bezeichnung Tambourmajor, wobei Major in diesem Fall irreführend ist, weil es sich nicht grundsätzlich um einen Offizier handeln musste. Ein Tornister ist ein Rucksack für den Infanteristen, in dem Verpflegung und Proviant transportiert wurde. Er bestand aus einem mit Fell überspannten rechteckigen Holzrahmen.

Tambour

Tornister

4. Quellenanhang

Dokumentenverzeichnis I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X.

XI.

Brief, Ferdinand an Franz, Florenz, 16. Dezember 1794, in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 33-2.. . . . . . . . . . . . . . Brief, Ferdinand an Napoleon, Würzburg, 30. Juni 1807, in  : AAÈ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 98.. . . . . . . . . . . . . . Auszug eines Briefes, Ferdinand an Franz, Florenz, 6. April 1793, in  : HHStAW, StK, Toskana, 22, Fol. 480–484.. . . . . . . . . . . . . . . Auszug eines Briefes, Ferdinand an Franz, Florenz, 8. September 1794, in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 33-2... . . . . . . . . Auszug eines Briefentwurfs, Ferdinand an Franz, o.O., 2. April 1799, in  : ASF, Segreteria di Gabinetto, Appendice, Pez. 3.. . . . . . . . . . Brief, Ferdinand an Napoleon, Wien, 20. Februar 1801, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 3, sign. 35, Fol. 2.. . . . . . . . . . . . . . . Bildausschnitt eines Briefes, Ferdinand an Napoleon, Wien, 20. Februar 1801, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 3, sign. 35.. . . . Brief, Franz an Ferdinand, Wien, 19. September 1802, in  : HHStAW, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A, Kart. 28, Erzherzog Ferdinand von Toskana.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag zwischen Kaiser Franz und Erzherzog Ferdinand, datiert auf Wien, den 14. März 1803 und von Erzherzog Ferdinand in Wien am 16. März ratifiziert, in  : SUAP IV, RAT-Listiny, inv. 8.. . . . . . . . . Abbildungen, Vertrag zwischen Kaiser Franz und Erzherzog Ferdinand, datiert auf Wien, den 14. März 1803 und von Erzherzog Ferdinand in Wien am 16. März ratifiziert, in  : SUAP IV, RATListiny, inv. 8.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instruktion für Johann Rudolf Graf von Buol-Schauenstein vom 26. Juni 1807, in  : HHStAW, Stk, Würzburg 6, Weisungen 1807–1816. . .

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Anhang

XII. XIII.

XIV. XV.

XVI. XVII. XVIII. XIX.

XX.

XXI. XXII. XXIII. XXIV. XXV.

Brief, Franz an Ferdinand, Hollitsch, 29. Dezember 1805, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 10, sign. 84. .. . . . . . . . . . . . . . . Abbildungen, Großes Staatswappen der Habsburgermonarchie von 1806 mit Einbezug des Kurfürstentums Würzburg (links) und großes Staatswappen von 1803 mit Einbezug des Kurfürstentums Salzburg (rechts), entnommen aus: Mraz, Das Kaisertum, S. 19. . . . Brief, Franz an Ferdinand, Hollitsch, 12. Januar 1806, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 10, sign. 84.. . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung, Das Fürstentum Würzburg im Jahr 1805; Originaltitel: Charte von dem Fürstenthum Würzburg, nebst dem Fürstenthum Schwarzenberg, den Grafschafften Castell und Limpurg-Speckfeld, der Herrschaft Wiesentheid; Autor: C.F. Hammer; Signatur: Universitätsbibliothek Würzburg 36/A 50.5; Hervorhebungen durch den Verf.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufstellung, Tableau über den Stand saemtlicher in dem Fürstenhume würzburg inclavierter ritterschaftlicher Besitzungen, so in  : HHStA, Stk, Kleinere Reichsstände, 549 Würzburg... . . . . . Tabelle, Zahlen der aus Würzburg abgehenden Truppenverbände und ihrer nachweisbaren Stärke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berechnungen über baierische Verluste mit dem Pariser Vertrag. Summe der Gefälle (Staats- und Dominial), in  : BayHStA, MA 6390, Pariser Verträge 1810.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenstellung aller Destricts-Kommissariate mit Einwohnern, Familien, Juden, verheirateten Männern, Kindern, Handwerksgesellen, Knechten, Städten Dörfern, Höfen und Häusern für die Jahre 1811–1813. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Großherzogtum Würzburg im Jahr 1810; Originaltitel: Charte von dem Grosherzogthum Würzburg, nebst dem Fürstenthum Schwarzenberg, den Grafschafften Castell und Limpurg-Speckfeld, der Herrschaft Wiesentheid; Autor: C.F. Hammer; Signatur: Universitätsbibliothek Würzburg 36/A 50.5; Hervorhebungen durch den Verf.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instruktion für den dirigierenden Staatsminister, SUAP IV, RATFerdinand III., kt. 6., sign. 71, o.D.; Fol. 115–121.. . . . . . . . . . . Verzeichnis, Schulneu- und umbauten, in StAWü, Regierung von Unterfranken, 5820–5825.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung, Kirche Unterhohenried als Beispiel eines Kirchenbaus im sogenannten Revolutionsstil. [eigenständige Erstellung]. . . . . . Hauptfinanzetat pro anno 1811/12, so in  : SUAP IV, RATFerdinand III., kt. 7., sign. 71, Fol. 111–113. . . . . . . . . . . . . . Abbildung, Hippolyte Lecomte, 1811, Ölgemälde, Treffen zwischen Napoleon und Ferdinand III. Großherzog der Toskana in Würzburg im Oktober 1806, photo © RMN-Grand Palais (Château de Versailles) / image RMN-GP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellenanhang 

XXVI.

Brief, Ferdinand an Franz, Paris, 15. September, in HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 41-2-7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII. Briefe, Ferdinand an Franz und Franz an Ferdinand, 1806, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 10, sign. 84. .. . . . . . . . . . . . . . . . . XXVIII. Konferenzergebnisse, Registratur, Wien den 19ten April 1806, in  : HHStAW, Stk, HHStA, Staatskanzlei, Vorträge, Kart. 172, 1806 I–V. Fol. 35–41.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIX. Tabellen, Entwicklungen der Überschüsse nach Steuerklassen und Einwohnern 1805–1812. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXX. Vorläufige kurze Übersichten von den Landes, oder Staatsschulden, Hennebrith, 1. Juli 1814, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6., sign. 71, Fol. 14.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXI. Tabelle, Dislocation II. Division du 4e Corps durch das Obermarschkommissariat, in  : StAWü, HV MS f. 597. . . . . . . . . . . XXXII. Tabelle, Übersicht über kantonierbare Truppen in den einzelnen Landgerichten (soweit Meldung abgegeben, März 1813), so in  : StAWü, HV MS f. 598.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIII. Tabelle als Zusammenstellung regelmäßiger Requisitionen 1800/01.. . . XXXIV. Tabelle, Requisitionsumlagen an Naturalien im Januar 1801.. . . . . . . XXXV. Tabelle Kleidungsrequisition von der Stadt Würzburg, Januar 1801. . . . XXXVI. Tabelle, Aufstellung der geleisteten Vorspanndienste Februar bis März 1813. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVII. Tabelle, Aufstellung der Typhus- und Tuberkulosetoten. . . . . . . . . . XXXVIII. Das Konskriptionsreglement vom 22. Mai 1804, in  : Regierungsblatt für die Churpfalz-baierischen Fürstenthümer in Franken, 1804, XVIII. Stück, S.107–119.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVIII A. Zusammenstellung einer Verdienstordnung von 1806, in  : StAWü, HV. MS. f., 187.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVIII B. Zusammenstellung, Aufstellung des II. Bataillons, Kostenausweis vom 15. Januar 1807, in  : StAWü, MOK, 478. . . . . . . . . . . . . . . . XXXIX. Tabelle, Anteil der Gefallenen an Steuerklassen und Bevölkerung 1806–1810. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XL. Tabelle, Anteil der Gefallenen an Steuerklassen und Bevölkerung gesamt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLI. Abbildung, Monturvergleich hochstiftischer Füsilier mit österreichischem Füsilier.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLII. Abbildung, Ein würzburgischer Füsilier in der bayerischen Periode 1803–1806.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLIII. Abbildung, Die Montur eines würzburgischen Chevaulegers in der bayerischen Periode.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLIV. Abbildung, Marschroute des Infanterieregiments im Vierten Koalitionskrieg [eigenständige Erstellung]. . . . . . . . . . . . . . . . . XLV. Chronologischer Aufriss der Feldzugsgeschichte des IR auf der Iberischen Halbinsel von der Belagerung Geronas bis Anfang Juli 1813..

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Anhang

XLVI. XLVII. XLVIII. XLIX. L. LI. LII. LIII. LIV. LV. LVI.

Abbildung, Belagerung Geronas (vom 8. Mai bis 10. Dezember 1809) .. Abbildung, Marschroute des Infanterieregiments auf der Iberischen Halbinsel [eigenständige Erstellung]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung, Marschroute der Sappeurs im Fünften Koalitionskrieg [eigenständige Erstellung]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feldbericht, Hauptmann Waldenfels, Wien 19. Juli 1809 (dat. auf den 28. Juli 1809), so in  : StAWü, MOK 379.. . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung, Uniformblätter der »Sammlung Brod«, Universitäts­ bibliothek Würzburg (eigenständige Zusammenstellung zur Collage).. . Abbildung, Marschroute der Chevaulegers im Sechsten Koalitionskrieg [eigenständige Erstellung]. . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung, Marschroute des Infanterieregiments im Sechsten Koalitionskrieg [eigenständige Erstellung]. . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung, Schlachtplan von Bautzen 21. Mai 1813. . . . . . . . . . . . Abbildung, Uniformkunde Würzburgs »Freywillige Jäger«. . . . . . . . Abbildung, Lithographie »Zusammenstoss Würzburgischer Truppen mit der französischen Brücken-Thor-Besatzung«.. . . . . . . . Verlustlisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellenanhang 

I.

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Brief, Ferdinand an Franz, Florenz, 16. Dezember 1794, in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 33-2.

Liebster Bruder, Mit Freuden schreibe ich dir heute um dir unsere Nachrichten zu geben welche gottlob nicht erwünschlicher seyen könnten. Meine Frau befindet sich recht gut hat recht ruhig geschlaffen und könnte nicht in besseren Umständen seyen. Das Kind ist ebenfalls recht gesund und ruhig. Gestern Nachmittag ist es getauft worden und Fürst Rosenberg hat es aus der Taufe vür dich gehoben. Bey dieser Gelegenheit empfange von ganzem Herzen meine und meiner Frau Danksagungen vür das prächtige Geschenk, was du ihr und dem Kinde gemacht hast. Wir sind sehr glücklich, dass es deinen Nahmen haben kann und wir wünschen nichts sehnlicher als dass es sich auch mit der Zeit immer mehr und mehr deiner Güte würdig erweisen werde. Ich habe dir liebster Bruder geschrieben, wie groß die Gefahr ist, welche ich und meine Unthertahnen von Seiten der Franzosen ausgesetzet sind, wie auch dass mir nichts in diesen Umständen überbleibt als davon zu lauffen und sie ihrem Schicksal zu überlassen. Die ganze Welt weiß, dass dieses nicht aus meiner Schuld ist sondern von der Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit jener Nation herkommt, welche am meisten von meiner Neutralität Vortheil gezogen hat. Nunmehr läufft die Flotte von Toulon aus und man schreibet mir von verschiedenen Orten, dass ihre Bestimmung Livorno ist. Da ich niemals meine Pflicht von meinen Unterthanen alle Gattungen von Unheilen abzuwenden ausser Augen gellassen habe, so hat Gott, welcher meine Wünsche durch die Geburth eines Sohnes erhellt hat auch zugleich eine Gelegenheit gegeben die Unheile dieses Landes in etwas zu vermindern. Mir hat es gerathen einen Paß von dem Comité du salut public zu bekommen um einen Menschen nach Paris zu schicken dessen Auftrag in nichts anderem bestehet als alldort zu beweisen, dass ich meiner in so weit es von mir abgehangen ist das einzige sistem gefolget habe, welches Toscana angemessen ist und deren Tractaten gemäß ist und dass ich mich von selbem wider meinen Willen und durch Gewalt abgebildet habe. Dieses ist alles was er zu Paris zu sagen hat. Wenn jemand sich traute mich zu beschuldigen, dass ich dabei das Vorhaben hätte in Alliancen zu tretten oder Trouppen den Durchzug zu gestatten oder einige Meerhäfen oder Küsten zu übergeben usw. werde ich mich gezwungen sehen, diese öffentlich vor ganz Europa Lügen zu straffen. Ich bin nicht im Stande eine solche Niederträchtigkeit oder Immoralität zu thun. Mein Land ist berechtigt von mir zu erfordern dass ich nichts im Geringsten vernachlässige was dessen Untergang und Unglück verhindern kann. Dies ist meine Denkungsart, ich eröffne dir dadurch, liebster Bruder, mein ganzes Herz und ich bin versichert dass du es gewiss nicht missbilligen wirst, Ich habe dem Fürsten von Rosenberg auch gesagt, welcher es gänzlich der Gerechtigkeit gemäß gefunden hat, und dir da-

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rüber schreiben wird. Lebe wohl indessen, liebster Bruder und schohne deine kostbare Gesundtheit denn wenn es so kalt ist in Proportion wie hier, bei euch ist so muss es einer der heftigsten Winter seyen, Ich habe auch schon lange Keuchen und Katharr und kann selbe nicht vom Halse bringen. Meine Frau empfiehlt sich mit besten und Manfredini legt sich dir zu Füssen, Ich bitte dich erhalte mir immer deine Freundschaft und Liebe und glaube mich von Grunde der Seele deinen besten Bruder und Freund Ferdinand. Florentz 16 Xbris 1794 II.

Brief, Ferdinand an Napoleon, Würzburg, 30. Juni 1807, in  : AAÈ, Allemagne, Petites Principautés, 66, Fol. 98.

Sire La paix que VM va donner à l’Europe ramenerà (sic  !) enfin le repos et la propspérité genérale (sic  !). En la félicitant sur un événement aussi grand que bienfaisant pour l’humanité, VM me permettrà (sic  !) de la faire souvenir de la bonté avec la quelle (sic  !) Ella a bien voulú (sic  !) m’assurer plusieures fois, qu’à la paix Elle auroit soin de mes interêts (sic  !) Dans une épôque aussi glorieuxe je n’interromperai pas Sire vos vastes conceptions par le récit des besoins de mon petit état et de mes droits contre la Baviere (sic  !) VM connoit les uns ainsi que les autres et lorsque’Elle m’honorà (sic  !) de sa présence a (sic  !) Würzbourg Elle m’a promis sa protection de maniere (sic  !) à ne pas pouvoir douter de l’interêt (sic  !) qu’Elle veut bien accorder à mon sort. En lui reitérant mes vives instances je la prie d’agréer d’avance l’assurance de mon éternelle réconnaissance (sic  !)de même que celle des sentimens (sic  !) de respect et de dévouement avec les quels (sic  !) j’ai l’honneur d’être [Grußformel] III.

Auszug eines Briefes, Ferdinand an Franz, Florenz, 6. April 1793, in  : HHStAW, StK, Toskana, 22, Fol. 480–484.

Il porto di Livorno è sprovveduto di artiglieria, e la sua posizione è tale che più esser rouinato in poche ore da due soli vasetti che si pongano a bombardarlo. Le altre Fortezze della Toscana furono disfatte dal nostro augusto padre e ridotte a casamenti di particolari, ne v’è più alcun facile, né cannoni che furono parimente venduti. Quanto a ciò che V.M. si compiace di farmi osservare che il mio sistema di neutralità può trovarsi in opposizione ai rapporti che hanno fra loro gli altri Principi d’Italia, ho l’onor di risponderle che se le Truppe della M.V. vengono a difendere la Toscana, io mi uniformerò del tutto a di Lei suggerimenti e mi munirò di quelle difese che saranno compatibili con le circostanze di questo stato ma la supplico vivamente ad ordinarne la marcia con la maggior sollecitudine e segretezza, perché se i Francesi si accorgono ch’io abbia alterato per

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qualunque cagione il mia sistema, vengo a somministrar loro un pretesto di attaccarmi da un giorno all’altro […] Dalla maggiore o minore lontananza delle predette Flotte e delle Truppe della M.V. dispenderà l’utilità ed il vigore delle misure che posso adottar io, e tanto è debicata e spinosa a mia situazione, che non mi conviene di avventurarne alcuna, se non dopo che l’Armata dit. M. sia entrata in Toscana. […] Appetto con impazienza le finali determinazioni e comandi di V.M nell’atto che pieno della più tenera ed affettuosa divozione ed ossequio ho L’onore di conserrarmi di Vostra Maestà Imperiale. IV.

Auszug eines Briefes, Ferdinand an Franz, Florenz, 8. September 1794, in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 33-2.

Ich schreibe dir heute mit viel Vergnügen, um dir vür die Güte welche du gehabt hast den Fürsten von Rosenberg den Antrag zu geben mein Kind für dich aus der Taufe zu heben, von gantzem Herzen zu danken. Dieses ist ein neuer Beweis deiner besonderen Liebe und Freundschaft. […] Ich habe durch die letzte Post und ich bekenne es mit meinem größten Leidwesen einen anderen deinigen welchen Brief vom 26. Vorigen Monats erhalten in welchem du meine Bemühungen die vormahlige Neutralität wieder zu errichten missbilligst. Ich habe mit Fürst Rosenberg, welcher von dir den Auftrag dazu hat, alle Punkte deines Briefes durchgegangen. Er hat alle meine Ursachen gehört und hat mir eingestanden dass ich auf keine andere Art mein Volk als durch die Neutralität von dem gänzlichen Untergang retten kann. Dass dieses keinen geringsten Schaden denen Alliierten, sondern sogar vielen von selben einen mehreren Nutzen bringen kann, wie es den Engelländern gebracht hat, eher als selbe mich so übermächtig und gewaltig missbraucht haben. Rosenberg hat mir versprochen, von allem diesem dir Rechenschaft zu geben und ich bekenne dir mit aufrichtigem Hertzen, dass man ja, nachdem ich meine Grundsätze und die Redlichkeit meiner genommenen Maaßregeln so deutlich erklärt habe, noch ein Minister oder sonst einer vür ein hof, selben in Zweifel setzen wollte oder suchte mich bey dir zu verläumden, nun nichts übrig bleibt, als ein Manifest drucken zu lassen, welches meine ganze Denkungsart und Handlungen ganz Europa in dem rechten Lichte darstelle und dem selbst nach der Niederkunft meiner Frau wenn es die Umstände meines Landes zulassen nach Wien zu kommen, um alles dir selbst unter die Augen zu legen und dich davon zu überzeugen. Ich erwarte von deiner Güte und Liebe für mich nur Antwort denn meine jetztige Lage ist vür mich zu schmerzlich. Was ich schon vor langer Zeit geschieben habe ist nunmehr geschehen, die engelländische Flotte hat den Golfe Juan verlassen müssen, und daher die bloquierte Französische Flotte von dort ungehindert ausgelauffen ist, und sich mit der Division von Toulon verabredet hat. Diese besteht aus 16 Kriegsschiffen und vielen Fregatten. Man sagt sie gehet nach Corsica um selbes wieder zu nehmen und was ihr sehr leicht gemacht wird.

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[…] Die Engelländer haben alle ihre Kriegsschiffe von Livoro abgewissen, mithin bin ich nunmehr wieder ganz allein und entblösset. Weiß Gott was dann geschehen wird. V.

Auszug eines Briefentwurfs, Ferdinand an Franz, o.O., 2. April 1799, in  : ASF, Segreteria di Gabinetto, Appendice, Pez. 3.

Giunsi ieri ser in ora tarda in questo tuo paese con mia Moglie e tutti i figli sani, e salvi e non tardo un momento a spedirà un Corriere, acciò sa sappia subito, come fino dal di 24., e 25. dello scorso mesa di Marzo i Francesi in forza non indifferente, per quanto credo, di cinque, o sei mila uomini, invasero senza ombra di difficoltà tutta la mia povera Toscana dai punti principali di Lucca, Modena, Bologna e Perugia impossessandosi subito di Pisa, Livorno, Firenze, e Cortona. Dopo il loro arrivo nella mia Capitale essendomi riuscito che niuno danno personale accadesse ni questa grande sventura al mio povero popolo, da me giammai per sentimento e per coscienza abbandonato, mi applicai nell’instante e senza alcuno atto di viltà incompetente al mio grado, all’importanza di mettere in salvo la mia famiglia e me medesimo per dirigermi nei tuoi Stati, e sotto l’ombra del tuo cuore obbedienza, e protezione. Partii nella notte di 27. e viaggio a piccolissime giornate con la mia famiglia, ed un seguito limitato, e penso frattanto di separarmi tra qualche giorno dalla famiglia medesima, e volare ad abbracciarti per darvi conto pieno di me, per comunicarvi tutto quel molto che io so, per guistifarvi come nella catastrofe di tante e continue mie disgrazie, spero di non aver abbandonato i tuoi savie consigli, e finalmente per sentire i tuoi ordini e dispendere intieramente della tua volontà. Potete ben credere che io conduceva mais Manfredini dei di cui interessanti e non mai interrotti servigi, non posso che lodarmi abbastanza. Ma il Generale Gaulitier comandante di Firenze seguendo la solita durezza francese poche ore avanti la mia partenza gli negò il Passaporto. Ho fatto per questo effetto la più risolute premure, e gli hò ordinato di seguitarmi al caso che l’ottenga in forza di una spedizione stata fatta al generale in capite Scherer. Fino a ché sono vimato in Firenze ho fatto di tutto per secondare i doveri di un buon Cristiano, e per risparmiare al Papa qualunque oltraggio, e dispiacere per mio mezzo. Poche ore dopo la mia partenza ho intero dire che venne intimata a questo languente, e malato vecchio la sua partenza nell’istante, con ordine di potarsi immediatamente à Parma, ore aurebbe sentito per mezzo del Generale in capite Francese Scherer la di lui ulteriore destinazione. Vi prego rispedire indietro al mio incontro il mio Corriere nel più presto possibile. In somma raccomando me, ed i poveri mici figli al tuo amore, e non vedo il momento di abracciarti.

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[Im Originalbrief, den Franz erhielt, ist hastig als Randnotiz auf Deutsch noch beigefügt  : »Meine Frau macht dir und der deinigen die freundlichsten Empfehlungen. Erhalte mir immer deine Freundschaft und Liebe und seye versichert, dass ich nichts sehnlicher wünsche als dich bald umarmen zu können.« So in  : Ferdinand an Franz, o.O., 2. April 1799, in  : HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 38-4.] VI.

Brief, Ferdinand an Napoleon, Wien, 20. Februar 1801, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 3, sign. 35, Fol. 2.

Cittadrino Primo Console  ! Ho avuto communicazione dall’Imperatore mio Fratello dell’Articolo 5to de Trattato patente di Pace convenuto fra il vostro ed il suo Plenpotenziario nel 9. del cocente mesa egualmente che del relativo articolo segreto della stessa data. La sorpresa che questi Articolo mi hanno fatto, e la fiducia che ripongo nei sentimenti che mi avete manifestati quando feci la vostra conoscenza in Toscana mi determinano a pregarvi, che vi contentiate che io à faccia communicare direttamente i motivi che giustificano la mia sorpresa. Se condiscendete a ciò come spero abbiate la compiacenza di indicarmi ore io debba mandare la persona a cui darò questa commissione. Gradite le assicurazioni della mia distinta ’stima e considerazione Vienna il 20 Febbrajo 1801 VII.

Bildausschnitt eines Briefes, Ferdinand an Napoleon, Wien, 20. Februar 1801, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 3, sign. 35.

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VIII. Brief, Franz an Ferdinand, Wien, 19. September 1802, in  : HHStAW, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A, Kart. 28, Erzherzog Ferdinand von Toskana.

Bester Bruder. Mit wahrem Bedauern habe ich heute nach meinem Aufstehen die Nachricht erhalten des schlimmen Unglücks welches dich betroffen hat, kaum einen reellen Trost kannst du nicht hierbei als in den Tränen finden, denn ich habe mich schon in einer ähnlichem Fall befunden. Weiß also, was das ist. Indessen kann menschlicher Trost, Zerstreuung oder sonst was helfen, dich zum Theil aufzurichten und ich meine Person dazu beitragen können, so befehle nur viel mir Tag und Nacht, und ich werde mich glücklich schätzen dir jene Beweise von brüderlicher Liebe jetzt geben zu können, welche ich in meiner Jugend für dich schon gehabt habe. Verzeihe, dass ich nicht gleich hinüberkomme, wie ich es thäte wenn ich für nichts anderes zu sorgen hätte, wo ich mit vieler Schonung vorgehen muss und mich hierin richte wie nur es Umstände zulassen werden. Indessen sehe ich dich so Gott will schnellestens erholen und bitte dich mir einstweilen Nachrichten von deiner Gesundheit zu schicken, für die ich dich zu sorgen bitte. Erhalte mir immer deine Freundschaft und Liebe und seye von der meinen aufs innigste überzeugt mit der ich zeitlebens seyn werde. Dein bester Freund und Bruder Franz IX.

Vertrag zwischen Kaiser Franz und Erzherzog Ferdinand, datiert auf Wien, den 14. März 1803 und von Erzherzog Ferdinand in Wien am 16. März ratifiziert, in  : SUAP IV, RAT-Listiny, inv. 8.

NOS FRANCISCUS Secundus Divina favente Clementia electus Romanorum Imoerator semper Augustus, Germaniae, Hungariae, Bohemia, Damatiae, Slavoniae,Galiciae, Lodomeriae et Hierosolymae Rex   ; Archidux Austriae etc   : etc   : Notum testatumque omnibus et singulis quorum interest tenore praesentium facimus  : Cum subsecutis ultimum bellum Conventionibus et dispositionibus Serenissimo Archiduci Magno Duci Ferdinando, dilectissimo Domino Fratri Nostro in locum Magni Hetruriae Ducatus, quem ex pactis Domus Nostrae jure Secundogeniturae tenebat, aliae in Gemania surrogatae sint Possessiones hereditariis Nostris Provinciis praecipuae ex parte contiguae, quarum inter se invicem nexus ac rationnes pro intima Nostra Fraterna unione et in subditorum Utriusque Nostrum commodum, securitatem et quietem determinandae sunt ab Ambarum. Partium contrahentium Plenipotentariis plena agendi facultate munitis, Conventio desuper inita et signata fuit, teneris sequentis.

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Au Nom de la très- Sainte et indivisible Trinité. Les événemens de la dernière guerre, et les Traités qui en sont résultés, ayant rendu la partie la plus essentielle des possessions de Son Altesse Royale Monseigneur l’Archiduc Grand-Duc limitrophe des pays héréditaires de Sa Majesté Impériale et Royale Apostolique, les nouveaux rapports qui en dérivent ont déterminé ces augustes Princes à conclure entr’Eux une convention aussi analogue à leurs intérêts respectifs, qu’à l’intimité de Leur union fraternelle. Ils ont choisi en conséquence pour leurs Plénipotentiaires, savoir  : Sa Majesté l’Empereur- Roi, le Sieur Louis, Comte du Saint Empire Romain, de Cobenzl, Chevalier de la Toison d’or, Grand Croix de l’ordre Royal de St. Etienne et de l’ordrede St. Jean de Jérusalem, Chambellan, Conseiller intime Actuel de Sa dite Majesté Impériale, Son Ministre d’Etat et des Conférences, et Vice-Chancelier de Cour et d’Etat, et Son Altesse Royale l’Archiduc Grand-Duc, le Sieur Frédéric, Marquis Manfredini, Grand Croix de l’ordre Royal de St. Etienne, Chambellan, Conseiller intime actuel, Lieutenant Général des Armées de Sa Majesté Imperial et Royale Apostolique, Chef propriétaire d’un Régiment d’Infanterie au Service de Sa dite Majesté, Conseiller intime d’Etat, et Grand-Maître de la Cour de Sa dite Altesse Royale Monseigneur l’Archiduc, Grand-Duc, lesquels après avoir échangé leurs pleins pouvoirs, trouvés en bonne et due forme, out arrêté les articles suivans  : Article I. Il y aura entre les deux hautes parties contractantes, leurs héritiers et successeurs, l’union la plus intime  ; en conséquence Elles promettent de se concerter relativement à leurs mesures et démarches politiques sur tout ce qui regarde les intérêts communs de leur auguste Maison, et nommément pour les affaires de l’Allemagne, Sa Majesté et Son Altesse Royale se promettant de Se seconder mutuellement de leurs voix à la Diète de l’Empire et de leurs bons offices dans toutes les occasions, qui concerneront Leurs intérêts et avantages réciproques. Article II. Les Ministres de l’Empereur dans toutes les Cours, recevront l’ordre de veiller aux intérêts de Monseigneur L’Archiduc Grand-Duc, autant qu’à ceux de Sa Majesté Elle-même, d’exécuter à cet effet avec la même ponctualité tout ce dont ils seront chargés de la part de Son Altesse Royale, et de Lui en adresser le rapport direct. Et lorsque sa dite Altesse Royale jugera à propos d’envoyer dans les Cours où ils résident des Ministres ou Agens particuliers, ils agiront en toutes les occasions dans un concert parfait avec ceux de Sa Majesté Impériale et les seconderont avec empressement. Article III. Les deux hautes parties contractantes s’engagent à Se secourir mutuellement dans toute guerre en Allemagne  ; et Elles ne poseront les Armes et ne conclueront ni paix ni trève, que d’un commun accord.

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Article IV. Considérant ceux des Etats de Monseigneur l’Archiduc Grand-Duc qui sont limitrophes aux frontières de Sa Majesté comme les avant-postes de la Monarchie Autrichienne, Son Altesse Royale consent à ce que l’Empereur-Roi puisse en fortifier ]es points nécessaires à la défense commune, notamment la Ville de Salzbourg  ; Sa Majesté s’engageant à pourvoir à tous les fraix, hors ceux qui tombent en pareille occasion à la charge du pays pour les matériaux bruts et autres secours que fournit la localité. Article V. Monseigneur le Grand-Duc entretiendra le nombre de troupes que Lui permettront ses facultés. Ces troupes seront organisées et maintenues par Son Altesse Royale sur un pied conforme à celui des troupes Autrichiennes, et pour cet effet Sa Majesté s’offre à y fournir des officiers expérimentés, qui passeront sans réserve au service de Son Auguste frère. Article VI. Monseigneur l’Archiduc Grand-Duc accordera l’entrée dans ses Etats, ainsi que le passage aux troupes de Sa Majesté, toutes les fois qu’il en sera requis. Son Altesse Royale n’accordera ce passage ni l’entrée dans Ses Etats à aucune autre troupe étrangère quelconque, à moins qu’il ne Lui en soit fait la réquisition de la part de Sa dite Majesté. Article VII. Le recrutement pour Sa Majesté dans les nouveaux Etats de Monseigneur l’Archiduc Grand-Duc restera sur le même pied où il étoit dans les dits pays pour les ci- devant possesseurs. Son Altesse Royale s’engage à n’accorder le recrutement à aucune autre Puissance. Article VIII. Les hautes parties contractantes se réservent de convenir d’un Cartel poutr la restitution réciproque des déserteurs. Article IX. Les hautes parties contractantes promettent de ne jamais prendre aucun engagement quelconque qui puisse être contraire aux stipulations de la présente Convention. Article X. Les hautes parties contractantes se réservent de convenir entr’Elles des arrangemens qui leur paroitront les plus avantageux pour Leur commerce respectif, particulièrement pour celui du Sel, à l’égard duquel Elles ne prendront aucun engagement avec qui que ce soit, qui puisse Leur être réciproquement préjudiciable. Article XI. Les nouveaux Etats dévolus à Monseigneur l’Archiduc Grand-Duc étant subrogés au Grand-Duché de Toscane, qui avait été transmis à Son Altesse Royale e’ à Sa postérité masculine en vertu de l’Acte d’institution de seconde géniture de feu l’Empereur Leopold II. de glorieuse Mémoire, du 21 Juillet 1790, ainsi que de l’Acte de renonciation

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et de réservation de même date, émané de Sa Majesté l’Empereur-Roi actuellement régnant  ; il est entendu, que les clauses et conditions des dits Actes, tant relativement à l’ordre de succession, qu’au droit de réversion assuré à la primogéniture de la Maison d’Autriche en cas d’extinction des hoirs mâles de Son Altesse Royale, seront maintenus dans leur force et vigueur à l’égard de la totalité de Ses nouvelles possessions. Article XII. Par une suite de ce même droit de réversion, Monseigneur l’Archiduc Grand -Duc s’engage à ne donner les mains ù aucun arrangement d’échange, que du sû et du consentement de Sa Majesté Impériale et Royale Apostolique, laquelle s’engage de Son côté, non seulement à agréer, mais même à favoriser de tout Son pouvoir tout projet d’échange pour Son Altesse Royale, qui en concentrant Ses Possessions, pourrait Lui être réellement avantageux, et Lui conserveroit en même tems et leur valeur, et la sûreté qui résulte pour la majeure partie de Ses Etats, de leur contiguité aux pays héréditaires de Sa dite Majesté. Article XIII. La présente Convention, sur laquelle les hautes parties contractantes s’engagent à observer le plus profond secrèt, sera ratifiée par Elles, et les ratifications échangées aussitôt que faire se pourra. En foi de quoi Nous Plénipotentiaires de Sa Majesté Impériale et Royale Apostolique, et de Son Altesse Royale Monseigneur l’Archiduc, Grand-Duc, avons signé la présente Convention, et y avons apposé le cachet de nos Armes. Fait à Vienne le 14 Mars 1803. (L. S.) Louis ete. Cobenzl. (L. S.) Le Marquis Manfredini. Nos igitur prelectis omnibus et singulis dictae Conventionibus capitibus, omnio illa adprobavimus eaque omnino rata, grataque habere hisce declaramus ac profitemur, verbo Nostro Caesareo Regio et Archiducali pro Nobis, Heredibus et Successoribus Nostris spodentes, Nos ea omnia que in illis continentur, fideliter executione mandaturos esse, in quorum fidem ac robur praesentes Ratihabitionis Nostrae Tabulas manu Nostra signa vimuus, sigilloque Nostro Caesareo Regio Archiducali majori appenso firmari jussimus. Dabantur in Civitate Nostra Vienna die 16. Mensis Martii anno millesimo octingentesimo tertio Regnorum Nostrorum Romano Gemanici undecimo et hereditariorum duodecimo Franziscus

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X.

Abbildungen, Vertrag zwischen Kaiser Franz und Erzherzog Ferdinand, datiert auf Wien, den 14. März 1803 und von Erzherzog Ferdinand in Wien am 16. März ratifiziert, in  : SUAP IV, RAT-Listiny, inv. 8.

XI.

Instruktion für Johann Rudolf Graf von Buol-Schauenstein vom 26. Juni 1807, in  : HHStAW, Stk, Würzburg 6, Weisungen 1807–1816.

Seine Majestät haben bei der Errichtung eines neuen gesandtschaftlichen Postens an dem großherzoglichen Hofe zu Würzburg doppelte Absicht gehabt, nämlich jene einen souveränen Hof Deutschlands in der gewöhnlichen Art zu beschicken sodann aber die weitere, mit des Herren Großherzogs kaiserliche Hoheit als ältesten Herrn Bruder und Chef der Sekundogenitur die bestehenden Familienbande mit den aufrichtigsten Freundschaftsverhältnissen zum Besten des wechselseitigen Interesses zu befestigen. Der von Seiner Majestät zu diesem Posten ausersehener Herr Graf von Buol Schauenstein hat sich daher nicht nur als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister bei irgendwelchem fremden Hofe sondern zugleich als Hausminister der Primo- bei der Sekundogenitur zu betrachten und in seinem ganzen Benehmen diese zweifache Eigenschaft sich gegenwärtig zu halten. Als souveräner Hof ist Würzburg zwar in Hinsicht auf Territorialumfang und Bevölkerung von keiner größeren Bedeutenheit als verschiedene andere gleiche souveräne Staaten, die in den rheinischen Bund schon aufgenommen sind, oder darin noch auf-

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genommen werden dürften. Die Geographische Lage des Landes aber, fast in der Mitte von Deutschland ganz von den Bundesstaaten umgeben, qualifiziert ihn zu einem Observationsposten, der gegen manchen andern vorzüglich benutzt werden kann. Welches der Bestand des Großherzogtums Würzburg sein sollte, wird der Herr Graf aus denen von dem Freiherrn von ihm durchgeführten bist Ergreifung Verhandlungen wahrgenommen haben. Aus denselben waren aber auch die Widersprüche und Hemmnisse zu ersehen welche Bayern von Anfang an bis jetzt der genauen Erfüllung des Preßburger Friedensartikels XI entgegen gesetzt hat. Welchen Ausgang die derhalb laufenden Ministerial-Unterhandlungen nehmen werden, dies wird ein Gegenstand der Beobachtungen und Berichte des Herrn Gesandten sein. Seit der Akzession Würzburgs zum rheinischen Bunde, die am 25. September v. J. erfolgte, ist sein ursprünglicher Bestand mit einigen ritterschaftlichen Besitzungen vermehret worden. Ein weiterer bedeutenderer Zuwachs an Territorium sowohl als eine kraftvollere Berichtigung der mit Bayern noch bestehenden Anstände erwartet der Hof zu Würzburg von der Gunst Frankreichs, vorzüglich gestützt auf die Verheißungen des Kaisers Napoleons, zum Teil aber auch in dem Vertrauen auf jene Gründe, die ihm aus dem Preßburger Frieden zur Seite stehen, die Bayern selbst für sich gegen andere immer geltend gemacht hat, und die durch die Konföderationsakte vom 12. Juli v. J. zum System für alle neuen Bundesstaaten erhoben worden sind. Die eigentlichen Quellen, woraus die dermaligen territorial und politischen Verhältnisse Würzburg zu betrachten sind, bestehen demnach in den Pressburger Frieden und dem Reichs-Entschädigungs-Rezess, insoweit jener sich hierauf bezieht, in der rheinischen Konföderation Akte vom 12. Juli und dem würzburgischen Akzessions-Akte vom 25. September v. J. Nur die erste davon ist ein für den allerhöchsten Hof wahrhaft verbindlicher Akt. Die zweite ist bisher noch nicht förmlich anerkannt worden, besonders wo sie manches enthält, was die bestimmten Verfügungen der ersteren ohne Einwilligung der Mitkontrahenten verletzt. Auch von der letzteren nimmt der allerhöchste Hof keine weitere Notiz, als in soweit sie von der Sekundogenitur vertraulich anhero mitgeteilt worden ist, und etwa zur Grundlage dienen wird, bei der vorstehenden neuen Regulierung der Konföderations-Staaten das Los der Sekundogenitur in der Hinsicht der nun zum sistierten Kriege im Norden gebrachten Opfer zu verbessern. Diese Bemerkungen können dem Herren gesamten zwar nie einen Stoff zu mündlichen oder schriftlichen Äußerungen geben, sie werden ihm aber immer dazu dienen seine Ausdrücke und Wendungen gegen des Herren Großherzogs kaiserliche Hoheit und das Ministerium sowohl, als gegen auswärtige Gesandten dernach zu bemessen. Indessen sind es gerade diese beiden Letzteren Akten, welche die politischen Gesinnungen des großherzoglichen Profis bestimmen  ; die Erwartungen welche er sich von

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Frankreich macht und worin der dortige französische Gesandte ihn zu erhalten sich bemüht, vermehren natürlicherweise die Dependenz worin er mit allen übrigen Konföderations-Staaten gegen den Protektor steht. Da dieselbe bei allem dem Druck, die sie für alle während dem Kriege gehabt hat, von den kleineren Staaten weniger als von den größeren gefühlt wird, so ist auch für jetzt alle Anspielung oder Erinnerung hierauf zu vermeiden, selbst dann aber, wenn das Gefühl für Würde und Selbstständigkeit erwachen sollte, alle Schonung eintreten zu lassen und einstweilen bei jedem Vortheil, den der großherzogliche Hof erhält, demselben der aufrichtigsten Teilnahme des allerhöchsten Hofes zu versichern. Überhaupt dürfte es bei der persönlichen Stimmung Sr. k.k.Hoheit das Angemessenste sein, dass der Herr Gesandte besonders in der anfänglichen Zeit auf die Beschäftigungen eines stillen Beobachters beschränke und durch sein passives Benehmen den bis dahin bestandenen Verdacht, dass man die Eigenschaft der Primogenitur in eine Vormundschaft über die Sekundogenitur ausdehnen wolle, nach und nach zu ersticken suche. Es wird zwar der Herr Gesandte bald von selbst wahrzunehmen die Gelegenheit erhalten, mit welchem Grad von Offenheit oder Zurückhaltung man ihn behandle, allein in jedem Falle ist sich vor Augen zu halten, dass der allerhöchste Hof nicht veranlasst sei, sich um die äußeren oder inneren Angelegenheiten Würzburgs anzunehmen, so lange nicht seine Assistenz reklamiert wird. Sollte sogar die Wahrung der Rechte des Erzhauses eine Einschreitung zu erfordern scheinen, so hat der Herr Gesandte, wenn man ihm keine Eröffnung davon macht, alle der Primogenitur und der Sekundogenitur erforderlichen Verträge lieber zu ignorieren als durch Teilnahme irgendwelcher Art unter sehr ungünstigen Umständen die Rechte des Erzhauses, denen ohnehin einseitig nicht präjudiziert werden kann, zu kompromittieren. Ja, wenn auch dem Herrn Gesandten das volleste und offenste Zutrauen geschenkt werden sollte, so hat er selbst zu bedenken, dass der Großherzog in den gegenwärtigen Verhältnissen unabhängig von dem allerhöchsten Hof erscheinen müsste, dass seine Politik sich nach der individuellen Lage richte und dass seine Verbindung mit dem k.k. Hofe sich auf die wohlwollenden Verhältnisse der Verwandtschaft beschränke. Ein nach diesem Gesichtspunkt eingerichtetes Benehmen und eine hiernach beharrlich abgemessene Sprache ist als das einzige Mittel anzusehen um Vertrauen zu begründen, oder das bereits erworbene zu erhalten. So, wie es aber das einzig angemessene in Hinsicht auf den Großherzoglichen Hof und sein Ministerium ist, so ist es auch das einzig notwendige bei der Anwesenheit der französisch und bayerischen Gesandten, die mit jenem des allerhöchsten Hofes wohl noch eine geraume Zeit das ganze diplomatische Korps an diesem Hofe bilden werden, die aber gerade dann sich bei ihren Höfen und Ministerien am meisten zu empfehlen trachten, wenn sie in dem Benehmen des österreichischen Ministers Absichten seines Hofes zu entdecken glauben, die jenen ihrer Höfe entgegen, oder überhaupt Aufsichtigkeit zu erregen im Stande sind.

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Da jedoch übrigens zwischen dem allerhöchsten Hof und beiden zu Paris und München freundschaftliche Verhältnisse bestehen, die man diesseits zu unterhalten das aufrichtigste Verlangen hat, so kann in das übrige Benehmen gegen deren Minister alle Gefälligkeit gelegt und bei jedem Anlass dieses Verlangen geäußert werden. Bei der geringen Anzahl diplomatischer Personen wird das Zeremonial- und EtiquetteWesen keine Schwierigkeiten oder Anstände veranlassen, die überhaupt auf alle Art zu vermeiden sind. Nach erloschener römischer Kaiserwürde kann nur eine Gradation zwischen kaiserlichen und königlichen, dann fürstlichen Gesantden von gleichem Rang angenommen, unter kaiserlichen aber nur eine volle Gleichheit gehalten werden, wozu auch der französische Hof sich erbethen hat. Da es jedoch Fälle gibt, wo ein Gesandter gegen den anderen, oder der Hof gegen dieselbe mit einem den Anfang machen muss, so ist eine alternative das schicklichste und einzige Auskunftsmittel welches hierin adopiert werden kann. Wer aber in der Alternative den Anfang machen soll, hierüber wird sich bald ein Einverständnis pflegen lassen, wenn man allerseits gleich geneigt ist, derlei Diskussionen zu vermeiden  : Unter anderem kann der Vorschlag gemacht werden, dass der älter residierende Minister anfange unbedenklich gemacht, oder angenommen werde. Über das ExzellenzPrädikat dürfte an diesem großherzoglichen Hofe keine Bedenklichkeit zu erwarten sein. Zu allem Überfluss jedoch gibt man dem Herrn Gesandten in der Anlage eine Abschrift der Weisung, welche unter dem 13 May an den k.k.Gesandten in Stuttgart hierüber erlassen worden ist und deren Inhalt daher auch auf Erforderniss mitgeteilt werden kann. Außer diesem dürfte der Hof zu Würzburg selbst aus eigener Achtung für seine Geburt und für das Haus, wovon er seine Hauptwürde führt, geneigt sein mit beizutragen, dass der Rang der Sr. Majestät gebührt, bei keiner Gelegenheit gegen einen anderen Souverän außer Acht gelassen, oder zurückgesetzt werde, sondern vielleicht selbst wünschen, dass der kaiserlich österreichische Gesandte als Minister der Familie, wie an mehreren anderen Höfen der Fall ist, einige Vorrechte genieße. Nur in dem Fall hat der Herr Gesandte alle Aufmerksamkeit zu verwenden, und als Minister der Primogenitur jene der Sekundogenitur zu erregen, wenn der Hof, welcher sich zum Protektor der Conföderation aufgeworfen hat unter dieser Eigenschaft einen Vorrang zu begründen oder gar noch andere Vorzüge sich beizulegen im Schild führen könnte. Von der Nachbarschaft Würzburgs interessiert einen k.k. Gesandten dermal am Meisten, was in den angränzenden Provinzen des Königreichs Bayern vorgeht und vorzüglich ist die Stadt Nürnberg ein bedeutender Punkt, der zwar dermal noch mit einem Beobachter zufällig besetzt ist. [… Liquidationssachen wegen Salzburg> Ferdi fordert 1400000Rt aber will nur 500000 verlangen  ; Passsachen, nur ausstellen wenn die Hauptstraße in die Landeshauptstadt gewählt wird und nicht über »Nebenländer« erfolgt  ;]

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Anhang

Würzburg, sowohl Stadt als Land  ; ist mit manchen guten Einrichtungen versehen und gehört in Hinsicht der Geistes und anderer Kultur unter die besseren ehemaligen Reichsländer. Alle neuen Produkten literarische- oder administrativen Inhalts verdienen daher von dem Herrn Gesandten bemerkt und jedes von wirklichem Wert anher eingesendet zu werden. Zur Führung der Korrespondez für Gegenstände, die fremden Blick nicht ertragen können wird dem Herrn Gesandten ein französischer Chiffre zu weitläufig sind, oder auch nicht einmal der Gefahr einer fremden Entzifferung ausgesetzt werden dürfen, mit demselben die größte Vorsicht wegen der mit den ehemaligen Reichsposten vorgegangenen Veränderungen anempfohlen und daher eingeraten, sich in solchen Fällen einiger vertrauten Personen allenfalls bis zur Grenze der K.K. Erblande zu bedienen. XII.

Brief, Franz an Ferdinand, Hollitsch, 29. Dezember 1805, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 10, sign. 84.

Bester Bruder. Ich benutze diese Gelegenheit um dir über deine Angelegnheiten Auskunft zu geben worinnen ich ein unglicklicher wenigst nicht solcher unterhandler gewesen wie ich es gewünscht. Nachden vielen und großen Unglicken die ich gehabt und ich da sie dir ohnhin bekannt sind nicht wiederholen brauchte musste es zu einem Frieden mit Franckreich kommen. Bey dieser Gelegenheit trachtete ich zu deinem Vortheil all jenes zu wege zubringen was mir meine Pflichten gegen meine Staaten gestatteten. Ich kam selbst mit Bonaparte zusammen er begehrte nur meine Italiänischen Staaten ich sagte ihm dieses wäre zu viel und trug ihm an sie wem anderen von meinem Hause abzutretten hierauf antwortete er mir so viel ich mich erinnere cela seroit déjà mieux. Bey den negotiationen mit ihm ließ ich darauf anfragen sie dir abzutreten gegen dem daß mir diene gegenwärtigen Staaten oder ein theil davon überlassen bliebe. Davon wollte er gar nichts wissen, sondern kam mit der proposition dass ich dir Tyrol gegen Abterttung von Salzburg und Berchtesgaden an mich übergeben sollte. Ich fügte mich diesem suchte aber mein Schicksal zu verbessern wo thunlich. Anstatt dem fordert er nun Tyrol für Bayern sowie den Theil von Aichstätt und Passau den du besessen verspricht dir das Würzburgische sowie es an Bayern beim letzen Frieden abgetreten zu verschaffen und eignet mir Salzburg und Berchtesgaden zu. Was will ich thun bei diesen Umständen. Je länger ich zögere so werden immer meine Bedingnisse härter und meine von Bonaparte besetzten Länder werden sehr mitgenommen es bleibt mir also nur übrich um ein größeres Übel abzuwenden einzuwilligen. Du bekommst zwar ein gutes und schönes Land ob und wieviel du aber in utili verlierst weiß ich nicht. Ich hatte getrachtet dazu das Bambergische und den theill von Aichstätt, den du gehabt hast oder nur Bamberg allein zu verschaffen wo ich hoffe du gegen vorhin gewonnen haben würdest, so wie ich glaube

Quellenanhang 

|

dir der Besitz von Tyrol angenehm gewesen seyn würde, allein wegen Tyrol könnte man das von ihm ein mahl hierwegen gesagte nicht erhalten und wegen Bamberg und Aichstätt wollen sie es nicht zulassen. Ich bin recht unglücklich wenn ich nebst allem anderen Unheil deine Geschäfte auch schlecht schießen muß. Gott gebe uns bessere Zeiten und an meinem Bestreben dir sie so viel ich es werde thun können ein besseres Schicksal zu machen wird es nicht fehlen. Erhalte mir nur immer deine Freundschaft und Liebe, auch glaube mich zeitlebens, Dein bester Freund und Bruder Franz Unser Bruder Karl der letzthin mit Bonaparte in der Absicht zusammengekommen um uns besseren Vortheil bey dem Frieden zu verschaffen hat weder tyrol noch Bamberg, seine Bemühnungen ohngeachtet erhalten können. Endlich bitte ich dich sogleich Kommissionen zur Übernahme der Würzburgischen und Übergabe von Salzburg und Berchtolsgaden zu bestimmen und mir anzuzeigen. Zur Besetzung des ersteren werden Truppen von mir vorrücken die du aber sobald du sie nicht mehr brauchen wirst zurückschicken kannst. Auch werde ich nicht übermäßig viele schicken. Auf Salzburg haben die Franzosen 6,000,000 Francs Kontribution gelegt da sie aber vom 26.ten dieses an nicht mehr hier an zu beheben und sie nicht bereits empfangen berechtigt sind, so habe ich dem Manfredini sehr scharf eingebunden nicht mehr zu zahlen.

XIII. Abbildungen, Großes Staatswappen der Habsburgermonarchie von 1806 mit Einbezug des Kurfürstentums Würzburg (links) und großes Staatswappen von 1803 mit Einbezug des Kurfürstentums Salzburg (rechts), entnommen aus: Mraz, Das Kaisertum, S. 19

527

528 | 

Anhang

XIV. Brief, Franz an Ferdinand, Hollitsch, 12. Januar 1806, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., ktn. 10, sign. 84.

Deinen Brief vom 5ten Jänner habe ich erhalten und muß dich nun wieder sequiren, vermög meines neuen bevollmächtigten gegebenen Erklärung des Ministers Tallyerand soll das Würzburgische in einem Monat vom Auswechslungstag der Friedensratifikation statthaben geräumt und abgegeben werden also am 1. Hornung. ich habe mich also bemüßiget gesehen dem B. Hügel eine Vollmacht zu dessen Besitznahme in deinem Namen zu geben und 2 Bataillone und 1 Divis Kavallerie unter Komanndaten Obristleut. Bezau an selben anzuweisen nun dahin zu rücken, welche sich einstweilen an der böhmischen Gränze versammeln. Ich muß dich also bitten jemand auch zu dieser Übernahme zu bevollmächtigen und ihm ein Comissorium mit der Klausel zu geben, dass es ohnbeschadet allen jenem geschehe, was noch zur Verbesserung deines Schicksals geschehen könne. Ich muß dich darum inständig bitten denn wie du die Franzosen kennst so wäre nichts leichter als daß wenn du das dir bestimmte nicht annehmen, sie von ihrem Entschädigungsantrage zurückgehen und dadurch unser Haus wieder zu kurz käme. Was Salzburg und Berchtesgaden anbelanget so soll es auch in diesem Monate geräumt werden und ich werde es gleich 48 Stunden nach dem Abzuge der Franzosen besetzen lassen. Wegen dem Würzburgischen habe ich mich erkundiget  : Du gewinnst wie ich höre in utili nämlich in Einkünften gegen deine vorherige Besitzungen und wenn meine Bemühungen ferners gelingen so kann dein Stand noch besser werden. Ich bitte dich also, Bruder, xxxx das von mir verlangte Comissorium bald zu schicken und entweder hierdurch den Hügel in seiner Übernahmekommission zu bestätigen oder einen eigenen Comissair hinzu zu bestimmen denn nebst dem oben angezeigten Umstand könnte gar wohl Bonaparte entweder deinen Brief gar nicht oder erst in Paris nach langer Zeit, und Gott weiß wie beantworten. Ich wünsche in allem diesen nur das Beste unseres Hauses und das deinige den ich von Kindheit an liebe. Erhalte mir immer deine Freundschaft und Liebe auch glaube mich Zeitlebens deinen besten Freund und Bruder Franz

Quellenanhang 

XV.

Abbildung, Das Fürstentum Würzburg im Jahr 1805; Originaltitel: Charte von dem Fürstenthum Würzburg, nebst dem Fürstenthum Schwarzenberg, den Grafschafften Castell und Limpurg-Speckfeld, der Herrschaft Wiesentheid; Autor: C.F. Hammer; Signatur: Universitätsbibliothek Würzburg 36/A 50.5; Hervorhebungen durch den Verf.

|

529

530 | 

Anhang

XVI. Aufstellung, Tableau über den Stand saemtlicher in dem Fürstenhume würzburg inclavierter ritterschaftlicher Besitzungen, so in  : HHStA, Stk, Kleinere Reichsstände, 549 Würzburg. Ansbach

4

Bamberg

13

von Habermann

1

von Henderich

2

1

von Hutten

3

Deutscher Orden

1

von Imhof

2

Ebrach

2

von Kalb

2

Fürst von Scharzenberg

2

von Komann

1

Johanniter-Orden

1

von Konitz

1

Preußen

1

von Künsberg

2

Ritterkanton Baunach

6

von Ledergerb

Ritterkanton Königswerra

1

von Liechtenstein

Ritterkanton Malteser

2

von Lochner

Sachsen

1

von Marschalik

10

Sachsen-Coburg

1

von Münster

16

Sachsen-Eisenach

2

von Oberkamp

1

von Pöllnitz

2

Bauer von Sappenstein

Sachsen-Hildburghausen

13

1 35 3

Sachsen-Meinigen

1

von Rosenbach

7

von Albini

1

von Rothenhan

31

15

von Schönborn

16

1

von Schorneck

1

von Bastheim

1

von Schrottenberg

1

von Beschtolsheim

2

von Seckendorf

3

von Altenstein von Aufsess

von Bibra

von Segnitz

1

1

von Seinsheim

1

von Bodeck und Frankenstein

1

von Sickingen

1

von Borie

3

von Soden

1

von Buttenheim

1

von Stadion

von Castel-Ingelheim

9

von Stein

von Crailsheim

5

von Steufflein zu Eußenheim

2

von Dalberg

4

von Thann

9

von Drachsdorf

2

von Thüngen

21

von Ebersberg/Weyers

1

von Truchsess

29

von Erthal

6

von und zu Lüßberg

5

von Fronberg

1

von Voit

8

von Bobenhausen

von Fuchs

10

1 13

19

von Wildungen

1

von Gebsattel

4

von Woellwarth

4

von Gemmingen

1

von Wolfskehl

9

Quellenanhang  von Gleichen

1

von Greiffenclau

16

von Gross (Bamberg)

7

von Guttenberg

6

von Zobel

8

von Zollner

1

Gesamt:

426

XVII. Tabelle, Zahlen der aus Würzburg abgehenden Truppenverbände und ihrer nachweisbaren Stärke Datum

Einheit

15.10.1806

Bat. I

999

18.11.1806

Bat. II

1.029

April 1807

Verstärkung für Bat I+II unter Lt. Engelbrecht

21.05.1807

1.Chev. Esk.

83

Mai 1807

2.Chev. Esk

101

Juni 1807

Verstärkung für Bat. I + II

372

Juli 1808

Fuhrweseneinheit (Berlin bis Portugal)

14.12.1808

Bat. I + II

07.04.1809

Sap.Div.

18.10.1809

Verstärkung für Sap.Div. Unter Hptm. Kunst

Truppenstärke

40

30 1.732 213 26

19.10.1809

Verstärkung für Bat. I + II

18.02.1812

1.+2. Chev. Esk.

300 381

18.02.1812

Bat. III

814

07.04.1812

Bat. IV

814

20.04.1812

Bat. V

814

Juni 1812

Verstärkung (Musiker, Offiziere und 80 Soldaten)

112 805

04.04.1813

Bat. III (neu)

14.04.1813

3. Chev.Esk.

24.04.1813

Bat. IV

12.06.1813

Verstärkung für 1.+2. Chev. Esk.

22.07.1813

Bat. VI (de Marche)

10.08.1813

Verstärkung für 1.+2. +3. Chev. Esk.

20.10.1813

DepotBat.

84 735 15 750 71 500

28.10.1813

2 Compagnie du Marche

12.02.1814

Bat.1

1.160

270

12.02.1814

Bat.2

1.133

04.04.1814

Freywillige Jäger

842

|

531

532 | 

Anhang

XVIII. Berechnungen über baierische Verluste mit dem Pariser Vertrag. Summe der Gefälle (Staats- und Dominial), in  : BayHStA, MA 6390, Pariser Verträge 1810.

im Rezatkreis  : – Anteil an der Grafschaft Kastell  : 23.370 fl.rh.24 Xr. – Anteil an scwarzenburgschen Besitz von Ebrach  : 3.053 fl.rh. 36 Xr. – Anteil limp. District von Sommerhausen  : 8.653 fl.rh. 25 Xr. – Herrschaft Wiesentheid 3.252 fl.rh.,18 Xr. – Rentamt Marktsteft und Marktbreit  : 66.974 fl.rh. 35 Xr. im Mainkreise  : – Rentamt Schweinfurt 42.217 fl.rh. 2 Xr. – Rentamt Zeil  : 39.807 fl.rh.8 Xr. – Rentamt Sulzheim  : 58.127 fl.rh.3 Xr. – Vom Rentamt Ebrach die Orte Altenschönbach, Siegendorf, Breitbach, Geusfeld, Wüstviel, Waldschwind, Theinheim Falsbrunn, Marketsgrün  : 5.600 fl.rh. – von den 22.000 fl.rh. Waldungen von Ebrach einschließlich Forsts bei Marketsgrün gehen wahrscheinlich 7.000 fl.rh. verloren  : 21.000 fl.rh. – von dem Rentamt Gleusdorf 18.218 fl.rh.26 Xr. – von dem Rentamt Hallstadt (BAmberg  !), verm. Baunach  : 1.756 fl.rh.32 Xr. – vom Rentamt Bamberg  : Trossenfurt, Kirchaich, Denkenfeld, Rosstadt  : 1.500 fl.rh. und – Das Amt Prichsenstadt, welches als Ersatz von Markt Bibart ganz aufwiegt  : 29894 fl.rh. – die Ebrachschen im Würzburgsichen liegenden Gefälle welches W. bisher schohn beziehen und zurückgehalten hat  : 1.532 fl.rh.,29 Xr. – die von Würzburg widerrechtlich okkupierten Deutschordens Güter  : 22.312 fl.rh. – die im würzburgischen liegenden altbamberger Lehensgefälle 55.100 fl.rh. – weil Würzburg Iphofen zurückfordert 8.000 fl.rh. ohne es zu erhalten insgs. 360.376 fl.rh. 58 Xr.

Quellenanhang 

XIX. Zusammenstellung aller Destricts-Kommissariate mit Einwohnern, Familien, Juden, verheirateten Männern, Kindern, Handwerksgesellen, Knechten, Städten Dörfern,

Handwerks-gesellen 1813

Knecht 1813

Männl. Kinder, erwachsen ledig 1813

19

145

78

185

63

472

31

1675

799

1185

657

2150

1375

1603

941

11686

613

2123

1109

4718

114

816

241 462 616

11297

386

Bischofsheim

3076

13553

Dettelbach

2187

9410

Ebern

2743

Eltmann

1050

Euerdorf

2170

9194

Fladungen

1707

6610

Gemünden

2573

12743

Gerolzhofen

2545

Haus 1811

2316

169

10529

Hof 1811

139

2240

Dorf 1811

801

Arnstein

Stadt 181135

1780

Seelen 1813

Verh. Männer 1813

206

Juden 1813

80

153

Familien 1813

Districts-Commissariate 181334

Höfen und Häusern für die Jahre 1811–1813

1

29

9

1946

1

24

32

2115

1

19

3

1732

205

1

78

7

2185

58

1

18

2

809

30

92

0

24

3

1812

6

38

1

18

2

1601

1198

88

309

1

16

2

934

1922

1115

136

159

2

42

5

1991

Gleusdorf

1836

7464

452

1352

738

40

116

0

46

12

1518

Haßfurt

2180

9473

372

1686

937

49

157

1

32

0

1902

Hilders

1936

8607

259

1428

921

16

171

1

38

21

1516

Hofheim

3182

12802

728

2316

1166

30

223

1

47

1

1632

Homburg

2697 11602

475

2179

959

87

107

0

18

1

2246

Karlstadt

3324

14567

555

2533

1303

95

157

1

23

1

2984

Kissingen

2162

9440

236

1620

924

44

78

1

24

3

1549

Kitzingen

2299

9308

248

1674

790

148

180

1

10

4

1781

Königshofen

3407 13562

562

2413

1227

54

216

1

33

6

3154

Mainberg

1990

8802

215

1576

713

39

151

0

33

2

2304

Marktsteft

2966

12743

472

2307

1109

216

250

2

20

3

1587

Mellrichstadt

1712

6573

250

1196

582

26

63

1

17

2

2300

Münnerstadt

2494

11270

444

1936

1138

48

123

1

25

2

2411

Neustadt

2610

10367

611

1813

949

38

98

1

28

1

2566

Ochsenfurt

2920

12493

645

2298

874

158

247

2

21

0

491

34 Zahlen entnommen aus StaWü HV.,MS., f 14 35 Zahlen entnommen aus Topografisches Lexikon von Heffner 1811 in StaWü HV.,MS., n 47

|

533

Anhang

229

13

46

0

9

0

1871

Röttingen

2273 10936

392

1784

861

107

354

2

30

0

571

Schweinfurt

1962

8316

160

1481

506

298

73

1

6

1

806

Stadt 181135

Juden 1813

Haus 1811

467

Hof 1811

Handwerks-gesellen 1813



Dorf 1811

Männl. Kinder, erwachsen ledig 1813

2927

Knecht 1813

Seelen 1813

720

Proelsdorf

Verh. Männer 1813

Familien 1813

Districts-Commissariate 181334

534 | 

Sulzheim

1028

4819

142

803

417

20

129

0

14

1

1537

Volkach

2821 12053

319

2123

967

117

181

1

26

5

2256

Werneck

2608 11535

933

2042

1025

79

223

0

29

3

2122

Würzburg Stadt

2821 12267

104

2499

1419

1164

471

1

0

5

1987

Würzburg r.d.M.

2953 13333

279

2164

1077

100

177

1

24

12

2346

Würzburg l.d.M.

3693 19925

991

2372

1069

66

201

1

21

2

2347

282

19

47

1

7

0

749

Zeil Wolfsmünster  Summe

957

4092

104

690

– 



 –

 –

– 

– 

– 

0

20

11

1050

79842  349016 12814 60322  30649 

3602 

5636 

31

869

164

62708

Quellenanhang 

XX. Das Großherzogtum Würzburg im Jahr 1810; Originaltitel: Charte von dem Grosherzogthum Würzburg, nebst dem Fürstenthum Schwarzenberg, den Grafschafften Castell und Limpurg-Speckfeld, der Herrschaft Wiesentheid; Autor: C.F. Hammer; Signatur: Universitätsbibliothek Würzburg 36/A 50.5; Hervorhebungen durch den Verf.

|

535

536 | 

Anhang

XXI. Instruktion für den dirigierenden Staatsminister, SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6., sign. 71, o.D.; Fol. 115–121.

Instruction für den dirigierenden Staatsminister 1. Die zur allerhöchsten Behörde gelangenden Geschäfte und Petitionen werden an uns gerichtet und in Unserem Namen erledigt 2. Der gesamte Geschäftseinlauf wird aber mit Ausnahme derjenigen eingaben welche wir persönlich annehmen in dem Departement unseres dirigierenden Staatsministeriums abgegeben und aus den Händen des dirigierenden Ministers dem Staatsratssekretär zur weiteren Kanzleiordnung mäßigen Beförderung zugestellt. 3. Die einkommenden Geschäfte teilen sich, was den bei Ihrer Erledigung zu beobachtenden Gang betrifft, erstens in diejenigen, welche wir in unserem Staatsrate auf den Vortrag der treffenden Referenten persönlich erledigen und entscheiden Zweitens diejenigen welche wir zwar ebenfalls persönlich anordnen und entscheiden in Ansehung derer aber der dirigierende Staatsminister unsere Befehle außer dem Staatsrates empfängt, oder einzuholen für nötig erachtet. Drittens diejenigen, welche unserer dirigierender Staatsminister, dann die Mitglieder und Referenten das Staatsrates ohne Einholung unserer Entschließung für sich allein erledigen. 4. Wie der Gang diese Geschäfte von uns angeordnet, und welches insbesondere diejenigen seien, worüber uns im Staatsrats im Staatsrat der Vortrag zu erstatten ist, wird unser dirigierende Staatsminister aus der abschriftlich beiliegenden Kanzlei-Ordnung für unser Staatsministerial-Departement von 8. April 1809 dann den hierzu ergangenen Nachträgen vom 12. November 1809 und 7. September 1810 ersehen. 5. Das Staatsratsprotokoll, in welches die eben unter 3.1. Erwähnten Geschäftssachen eingetragen werden, und das Staatsministerial-Protokoll, welches die eben unter 3.2 enthaltenen Geschäftssachen in sich fasst, werden so wie die darin begriffenen Ausfertigungen von unserem dirigierenden Staatsminister und unseren Staatsratssekretär gemeinschaftlich unterzeichnet. Das Protokoll über die oben unter 3.3 erwähnten Erledigungen, sowie die darin enthaltenen Ausfertigungen unterzeichnet unser Staatsratssekretär unter dem Beisatz  : auf allerhöchsten Befehl. Dieses Protokoll ist jedoch unseren dirigierenden Staatsminister, damit wir in der vollständigen Übersicht der Geschäfte bleiben, fortlaufend zur Einsicht vorzulegen, und die betreffenden Referenten des Staatsrats haben ihr, wo er es für nötig erachtet, über die geschehenen Erledigungen Auskunft zu geben. 6. I.Referat auswärtiges Corps dipolomatique an Unserem Hofe. Unsere Gesandten und Geschäftsträger im Auslande, als welche ihre Berichte an unseren dirigierenden Minister zu erstatten haben, um durch ihn die betreffenden Weisungen zu erhalten  ; auswärtige Hoheits und Jurisdiktions-Sachen dann fremde Truppen-Angelegenheiten  :

Quellenanhang 

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Regierungskammer der Landesdirektion und die für einen oder anderen dieser Gegenstände allenfalls besonders niedergesetzen Kommissionen. II. Referat alle Theile des Kammeralwesens, die Jagdsachen miteinbegriffen  : Rentkammer der Landesdirektion, Rechenkammer, Steuerkommission, Salinen-Kommission, Oberjägermeisteramt  ; Militärsachen  : Militär-Oberkommission III. Referat Regierungs- und Polizey-Sachen, die Lehen-Hofs Angelegenheiten miteingeschlossen  :  Regierungskammer der Landesdirektion  ; Justitzsachen  : Oberste Justitzstelle, Hofgericht IV. Referat Milde-Stiftungs-Sachen  : Regierungskammer der Landesdirektion, Administrationsrath des Juliushofspitals  ; Geistliche Angelegenheiten  : Generalvikariat  ; V. Referat Studienwesen  : Universitätskuratel, Universitäts Receptorat  ; General-Vikariat rücksichtlich der theologischen Fakultät  ; Deutsches Stadt- und Landschulwesen  : Schulkommission, General-Vikariat rücksichtlich des Ursulinerklosters  ; Das I .te Referat ist unserem dirigierendem Minister angewiesen  ; das II.te Unserem Staatsrath v. Hennebrith das III.te Unserem Staatsrathe Wagner das IV.te Unserem Staatsrathe von Gebsattel das V.te unserem Hofrathe und Staatsrats Sekretär v. Hartmann. In Ansehung des Gutachtens über Anstellung und Beförderungen bleibt es bei der bisherigen noch um, in deren Gemäßheit hier rüber von den betreffenden Referenten, je nachdem der zu besetzende Dienst in den ein oder anderen der oben bestimmten Referatssparten einschlägt, der Vortrag zu erstatten ist. 7. Wenn wir Unserem Staatsrat nicht persönlich beiwohnen, so hat unser dirigierende Minister in dem selben den Vorsitz zu nehmen, und auf die Vorträge der Referenten nach geschehener Umfrage und Diskussionen die Entscheidung zu geben, von denen Wir jedoch folgende Gegenstände ausnehmen, als  : a) Neue Gesetze und Regierungsgrundsätze b) Abänderung oder Aufhebung der bestehenden Gesetze und Regierungsgrundsätze. c) Dienstanstellungen, Beförderungen, Versetzungen, Pensionierungen, Quieszenzen und Entlassungen der Staatsbediensteten. d) Besoldungsregulierungen, insofern sie nun und nicht systemmäßig sind Gehaltszulagen, Gratifikationen e) keine Gnadensachen in Bezug auf unser Aerarium, namentlich auf die Pensionen aus denselben, sodann sie nicht in einem bestehenden Regulative begründet sind f ) Kontrahierung neuer Staatsanlehen g) außerordentliche Staatsauslagen, welche nicht in dem Etat der gewöhnlichen Administrationskosten liegen. h) Veräußerungen von Staats-, Dominal-, Kirchen- und milden Stiftungsgütern. I) Ausschreibung neuer Auflagen und Steuern k) Nachlässe, wenn sich die Summen von 50fl. in einem einzelnen Falle übersteigen und nicht von der Art sind, dass sie nach Maß Angabe unseres Nachtrags zur Kanzlei Ordnung am 7. Dezember des Jahres durch die betreffenden Referenten des Staatsrats erledigt werden. l) Todes- oder ihren gleichgesetzten Strafen m) Begnadigung der Verbrechern, worunter jedoch die aus da

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538 | 

Anhang

liegenden Gründen für billig erkannten Milderungen militärischer oder polizeilicher Strafen nicht begriffen sein sollen. n) Verträge und überhaupt Verhandlungen mit auswärtigen Staaten wodurch neue und bleibende Verbindlichkeiten eingegangen werden. In allen diesen Fällen nämlich wird uns der Minister das Gutachten des Staatsrats, welche er das seinige beigefügt, zu Entschließung vorlegen. 8. Wann nebst Uns auch unser dirigierende Staatsminister dem Staatsrat beizuwohnen verhindert ist, so tritt der erste Staatsrat, jedoch mit der Einschränkung an seine Stelle, dass nach ordentlich gehaltener Stimmen Umfrage alle vorkommenden Gegenstände nach der Stimmen Mehrheit der Referenten entschieden werden, wobei es sich versteht, dass die im vorigen Artikel genannten Gegenstände von dieser Entscheidung des Staatsrats gleichfalls ausgenommen, und uns zu Entschließung vorzulegen seien. Auch werden als dann die Ausfertigungen und das Protokoll von dem ersten Staatsrat mit dem Beisatz  :/ in Verhinderung/ oder /in Abwesenheit/ des dirigierenden Staatsministers und von einem Staats-Ministerialsekretär unterzeichnet, welche der Sitzung beiwohnet. Nach dieser Verhaltensvorschrift, welche für den oben vor ausgesetzten Fall, so oft er eintritt, bleibend ist, ist der Staatsrat jedes Mal anzuweisen. 9. Wenn wir unsere Minister über die Gegenstände Befehle erteilen, welche in eines der oben bestimmten Referate einschlagen, so wird das selbe die erforderliche Ausfertigung durch den betreffenden Referenten beschäftigen lassen, damit jedes Mitglied des Staatsrats in der vollständigen Kenntnis und Übersicht der ihnen übertragenen Geschäftssparte bleibe. 10. Unserem dirigierenden Staatsminister ist unter unserem unmittelbaren Befehlen die oberste Leitung und Aufsicht aller Geschäfte übertragen, welche einen Gegenstand dieselben immer betreffen würden. Er hat daher wann und wo es Ihnen angemessen scheint, von Amtswegen Verfügungen zu treffen, sofern die Sache nicht zum Vortrag im Staatsrat geeignet ist, oder sofern sie es ist einen Vortrag hierüber im Staatsrate zu veranlassen. In beiden Fällen jedoch wird er, wenn der Gegenstand eines der oben bestimmten Referate berührt, das geeignete durch die betreffenden Referenten beschäftigen lassen. 11. In Dienstsachen, welche das im Staatsministerial-Department angestellte Personal betreffen, namentlich, wo es auf Anstellungen, Besoldungsregularien, Zulagen Gratifikationen, Versetzungen, Entlassungen und Pensionierungen dieses Personals angekömmt, wird der Minister das betreffende mit Zuziehung des Staatsratssekretärs bearbeiten. 12. Außerdem wird sich der Staatsminister, wo er die Abschaffung seiner Aufsätze, Vorträge und Berichte nicht sich selbst vorzubehalten für nötig findet, hierzu der Staatsministerium-Sekretäre bedienen. Wo es alsdann hierbei auf deren und Ausfertigung durch die Kanzlei das Ministerialdepartments ankommt, werden sie dem Staatsratssekretär zu weiteren Kanzleiordnungsmäßigen Besorgung übergeben.

Quellenanhang 

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13. Was sich auf die Zensur der hier erscheinenden Bücher und öffentlichen Blätter bezieht, wird von dem Staatsratssekretär in der Art besorgt, dass er in allem, von unserem Minister ihm bezeichneten, oder ihm zweifelhaft scheinenden Fällen dessen Weisungen einzuholen hat. 14. Unser dirigierende Staatsminister hat über Geschäfts Unterredungen, welche er mit denen hier akkreditierten fremden Gesandten, oder mit anderen auswärtigen Personen von Rang und Geschäfts-Einfluss zu halten in dem Falle ist, uns nicht nur jedes Mal mündliche Meldung zu machen, sondern auch, je nach Wichtigkeit der Sache, eine Registratur eigenhändig zu verfassen, welche zum allfälligen künftigen Gebrauch bei den Akten zu verwahren ist. 15. Unser dirigierende Staatsminister ist zugleich Kanzler des von uns gestifteten Sankt Josefs Ordens und versieht in dieser Eigenschaft die ihm statutenmäßig obliegenden Geschäfte. Alle zu unserem Hofe und unserer Hofhaltung, dann unsagbarerer unseren Residenzen in der Stadt und auf dem Lande gehörigen Amtspersonen und Gegenstände ohne Ausnahme liegen außer dem Ressort des Ministeriums. Wo sie mit der Landesadministration und dem Amte unseres Ministers in einige Berührung kommen oder derselbe im Falle sein sollte, an Hofbehörden oder einzelnen zum Hof gehörigen Personen irgendeine Eröffnung oder Mitteilung zu machen, da sollte dieses nie unmittelbar geschehen, sodann der Minister wird lediglich an uns einen Vortrag hierüber schriftlich erstatten, worauf wir selbst an den betreffenden Behörden das Geeignete verfügen werden. Ebenso wird hier wie darum in allen Fällen, wovon Seite des Hofs oder einer einzelnen Hofbehörde eine Mitteilung oder Weisung an irgendeine Landes Administrationsbehörde würde veranlasst werden sollte, das betreffende unmittelbar vollens dem dirigierenden Staatsminister zugehen. 16. Alle zu Unserem Hofe und Unserer Hofhaltung, dann Unseren Residenzen in der Stadt und auf dem Lande gehörigen Amtspersonen und Gegenstände ohne Ausnahme liegen außer dem Ressort des Ministeriums. Wo sie mit der Landesadministration in einige Berührung kommt oder derselbe im Falle seyn sollte, an Hofbehörden oder einzeln zum Hof gehörige Personen irgend eine Eröffnung oder Mittheilung zu machen, da soll dieses wie unmittelbar geschehe, so dann der Minister wird lediglich an Uns einen Vortrag hierüber schriftlich erstatten, worauf Wir Selbst an der treffenden Behörde das Geeignete verfügen werden. Eben so wird hier wie darum in allen Fällen, wo von Seite des Hofs oder einer einzelnen Hofbehörde eine Mittheilung oder Weisung an irgend einer Landesadministrations-Behörde veranlaßt werden sollte, der Betreffende unmittelbar von uns dem dirigierenden Minister zugehen Würzburg den [o.D.]

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Anhang

XXII. Verzeichnis, Schulneu- und umbauten, in StAWü, Regierung von Unterfranken, 5820–5825. Reparaturen 1805–1808

1809–1811

1809–1811

Neubauten

• Dimbach • Erlenbach • Tiefental • Frickenhausen • Lg. Gemünden • Gerlachshausen • Lg. Hofheim • Kitzingen • Lg. Kitzingen • Lg. Mainburg • Lg. Münnerstadt • Oberschwappach • Unleben (Umbau) • Unterwaldbehrungn • Veitshöchheim(Neubau) • Lg. Werneck • Wernfeld • Wonfurt

• Bolzhausen • Gaboltshausen • Hassenbach • Heidingsfeld (Lateinschule Wiedererrichtung) • Herrschfeld • Hörblach • Hofstetten • Neubessingen • Ochsenfurth • Rothhausen • Struth • Thüngen • Tückelhausen • Welsberg • Zeilitzheim

• Dürrndorf • Eisingen • Eschenau • Euerfeld • Fridritt • Lg. Haßfurt • Heßlar • Himmelstadt • Höchheim • Lg. Hofheim • Holzkirchen • Lg. Homburg • Lg. Kitzingen • Mechenried • Michelau a.d. Saale • Nordheim Main • Oberstreu • Obervolkach (Umbau) • Ottendorf • Prappach • Rödels • Rohrbach • Tiefenthal • Unfinden (Umbau) • Lg. Volkach • Waldbrunn • Lg. Werneck • Wernfeld

• Eßleben • Garitz • Geldersheim • Halsbach • Haßfurt • Hilders • Krebfeld (Neuanbauten) • Knetzgau • Oberlauringen • Osthausen • Poppenlauer • Reichenbach • Ueschersdorf • Weikersgruben

Quellenanhang  Reparaturen

Neubauten

• Weyersfeld • Lg. Wolfmünster • Wolkshausen (Umbau) • Wonfurt • Würzburg (Neumünster) 1812–1814

• Ebern • Eltingshausen • Escherndorf • Falkenstein (Umbau) • Frickenhausen • Knetzgau (Umbau) • Neubrunn (Umbau) • Nüdlingen • Pfaffendorf • Lg. Prölsdorf • Pusselsheim • Wernfeld • Theinfeld • Untereisenheim • Unterleinach • Vorbach • Wargolshausen (Umbau) • Weichtungen • Werneck • Wiebelsberg • Wiesenbronn • Wiesenfeld • Wonfurt • Wustfiel • Zell

• Arnstein • Eckarts • Eckartshausen • Emmershausen • Garstadt • Gaubüttelbrunn • Gesserndorf • Geusfeld • Gleisenau • Grettstadt • Hirschfeld • Höttingen • Hundelshausen • Kirchaich • Theilheim • Thundorf • Trossenfurt • Uettingen • Unterdürrbach • Vögnitz • Völkersleier • Windheim

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Anhang

XXIII. Abbildung, Kirche Unterhohenried als Beispiel eines Kirchenbaus im sogenannten Revolutionsstil. [eigenständige Erstellung]

Quellenanhang 

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XXIV. Hauptfinanzetat pro anno 1811/12, so in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 7., sign. 71, Fol. 111–113.

Einnahmen36 An Überschüssen von dem großherzoglichen Rentämtern und Expeditionsämtern bei den Justiz- und Adiministrationsstellen dahier nach Abzug der Perzeptionskosten et Zif. 1 An Staatsdomänen a) Von der Saline Kissingen b) Vom Kurbrunnen zu Kissingen und Bocklet c) Von der Glashütte zu Schleichach einschlüssig des Pottaschen Bestands Aus Staatsauflagen a) An Extrasteuern Zif. 2 b) An Militärpflichtigkeits-Redimirungsgeldern c) An konficiertem Desertionsvermögen d) An Stempeltaxen An Beyträgen zum Salarien-Etat An Beträgen von den benachbarten Staaten zu deren Landesschulden.Besoldungs- und Pensions-Etat wegen den vom vormaligen Fürstenthume erhaltenen Gebieththeile Zif.3

1.449.392,33 ¼

40.600,00 400,00 5.501,00 449.408,5 ²/4 2.055,00 478,00 42.000,00 3.561,15 70.196,15

An Zinsen von den Kapitalien zu 414959,2 ¾

1.808,49

An Rückersatz an Individuen

3.687,12

Ausgaben An die großherzogliche Hofkasse Zif 6

573.934,04

Auf Besoldung der Staatsdiener

381.211,21

An Pensionen der Geistlichen, Wittwen und Waisen Zif 5

527.889,05

Auf Unterhaltung der Militärs Auf Staatsregalien Auf Unterhaltung der Collegien für Holz, Licht, Schreibmaterialien, Geräthschaften, Buchbinder- und Binderlöhne, Commissionskosten, Diurnistengebühr, Taglöhne, Postgelder, Boten und Fuhrlöhne, Provisionen und Wechselspesen Zif 6 Auf Unterhaltung des statistischen Bureaus und Fertigung der neuen Lager und Lehen­ bücher Auf Unterhaltung des Gebäude und Brunnenwesen Auf Unterhaltung des Landstraßen und Wasserbaues Zif 6

450.072,44 ¼ 200,00

98.735,04 ¼ 150.000,00 99.818,33 58.389,27

Deckung der Passiv-Kosten des Oeconomie Rentamts, der Polizeidiretktion etc Zif 6

87.645,18 ²/4

Auf Unterhaltung des Gottesdienstes, der Schulen und übrigen Bildungsanstalten Zif 6

15.357,23 ¾

Auf Künsten, Verschönerungen, Beiträge zur Unterhaltung des Theaters Zif 6

7.962,22 ¾

36 Die Stellen nach dem Komma entsprechen Kreuzern. Die hier aufgeführten Summen sind als rheinische Gulden dargestellt. Bruchzahlen als Heller.

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Anhang

Zur Unterhaltung der noch bestehenden Mönchsklöster, Armen-Institute und Spitäler, des Waisenhauses und der Entbindungsanstalt und auf Unterstützung für Individuen Zif 6 Auf Malefiz-Kosten, Unterhaltung der Straf- und arbeitshäuser dann auf Landes-Sicherheit und Unterhaltung der Sanitätsanstalten Zif 6 Auf Prämissen und Gratifikationen

20.460,52 ¾ 3.204,24 5.052,12 ²/4

An Vertrags und Mannlehensgeldern

1.075,50

Auf beständige Renten an das fürstliche Haus Löwenstein-Wertheim Auf vormalige Reichs- und Kreisanlagen

28.000,00 82.625,09

Auf Zinsen von Passivkapitalien zu 5300155f53 ¾x Zif 7

216.218,53 ¼

Auf Rückersatz und Entschädigung, Umzugskosten und Ausgaben zu besonderen allerhöchst bestimmten Zwecken

110.333,24 ¼

Summe Einnahmen

2.450.760,10 ¼

Summe Ausgeben

2.844.186,10 ¼

Defizit Welches durch die kais. Schillingsgelder den veräußerten Staatsgütern Aufnahme von Kapitalien, Vorschuss aus der Landesdepositenkasse, Rückzahlung der activ Kapitalien, Einführung der Mauth und Erhöhung der Zölle und Weeggelder zu decken ist

393.426

Zif 1 Districts-Commissariate Arnstein

Überschüsse pro 1811/12

Zusätze

56.549,28

Bischofsheim

26.292,17

Dettelbach

34.929,23

Ebern

27.122,32

Eltmann

12.303,44

Euerndorf

39.121,04

Fladungen

13.940,44

Gemünden

43.930,30

Gerolzhofen

27.191,34

Gleusdorf

20.522,45

Haßfurt

36.417,22

Hilders

16.070,03

Hofheim

40.731,33

Homburg

26.849,13

Karlstadt

57.039,54

Kissingen

44.185,25

Kitzingen

34.577,01

Königshofen

66.718,48

Mainberg

42.707,48

Markttsteft

40.296,58

4132,45 ehem bay. Gefälle

Oberschwarzach 7394,07 etxtra aufgeführt Hammelburg 366,23

Quellenanhang  Districts-Commissariate

Überschüsse pro 1811/12

Mellrichstadt

25.658,50

Münnerstadt

53.890,05

Neustadt

46.696,29

Ochsenfurt

55.321,09

Proelsdorf

6.217,21

Röttingen

77.829,56

Schweinfurt

27.700,02

Sulzheim

26.162,53

Volkach

46.071,17

Werneck

87.391,22

Würzburg Stadt

Zusätze

115.280,57

Würzburg r.d.M

62.079,51

Würzburg l.d.M

49.258,47

Zeil

22.186,35

besondere Ämter, als Expeditionsämter der ghz. Landesdirektion, der obersten Justizstelle, des Hofgerichts, Stadtgerichts, Polizeidirektion 28282,18

Zif 2 An Grundvermögenssteuer

192595,38 ²/4

Gewerbssteuer

26649,09 ¾

Consumtionssteuer

185846,13 ¾

Besoldungssteuer

29635,12 ¼

Revenuensteuer von den adeligen Gutsbesitzern

12176,29 ¾

Revenuensteuer von den auswärtigen herrschaftlichen Korporationen, milden Stiftungen und sonstigen Individuen Summe

2515,21 ¾ 449408,05 ²/4

Zif 6 Jahre

An die ghz Hofkasse

An die Kriegskasse

Auf die Unterhaltung der Collegien

557795,52

470654,21

162894,18

1808/09

491008,01

580490,26

61950,21

1809/10

718932,25

401846,23

73282,44

1810/11

528000,00

347299,47

96812,54

Gemeinjahr

573934,04

450072,44

98735,04

1807/08

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Anhang

Jahre

Bauliche Kosten und ­Brunnen

Straßen und Wasserbau

Gottesdienst und Bildung

1807/08

81586,31

38471,18

3004,49

1808/09

69343,36

54961,03

23010,48 17546,20

1809/10

99130,51

67402,08

1810/11

149213,14

72723,20

17867,37

Gemeinjahr

99818,33

58389,27

15357,23

Künste und ­Verschönerungen

Mönchsklöster und ­Wohltätigkeiten

Straf-, Sicherheits- und ­Gesundheitswesen

Jahre 1807/08

7362,14

17970,12

2747,15

1808/09

5982,51

21473,53

4288,46

1809/10

8092,53

21281,53

5588,45

1810/11

10411,33

21117,33

7584.04

Gemeinjahr

7962,22

20460,52

3204,24

Jahre

Ersatz und Entschädigung

Deckung der Passiv kosten und auf das Oeckonomierentamt

1807/08

63204,56

32501,17

1808/09

109050,51

55379,01

1809/10

48428,04

241905,07

22749,46

20795,49

110333,24

87645,18

1810/11 Gemeinjahr

Quellenanhang 

XXV. Abbildung, Hippolyte Lecomte, 1811, Ölgemälde, Treffen zwischen Napoleon und Ferdinand III. Großherzog der Toskana in Würzburg im Oktober 1806, photo © RMNGrand Palais (Château de Versailles) / image RMN-GP

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548 | 

Anhang

XXVI. Brief, Ferdinand an Franz, Paris, 15. September, in HHStAW, Hausarchiv, Sammelbände 41-2-7

Deinen Brief vom 1ten 7ten welchen mir Graf Metternich allsogleich überbracht hat, habe ich bis dato noch nicht beantworten können weilen ich 4 Tage in Ramouillet zugebracht habe, wohin mich ihre Majestäten welche sich dort zu Jagdt befinden geladen hatten. Da ich nun wieder in Paris eingetroffen bin, schreibe ich sogleich um dir zu sagen, das mich diene Botschaft genau von der Laage deiner Verhältnisse gegen Frankriech in jetzigem Augenblicke unterrichtet hat. Bey meiner Ankunft in Rambouillet war der Kayser so gnädig mich alsgleich zu besuchen und mit mir bey einer guten Stunde über allerley zu sprechen. Diese Gelegenheit benützte ich um bey ihm alles jenes anzubringen, was di mir in deinem Brief über deinen Wunsch mit Frankreich steets in gutem Einverständinss zu seyen geschrieben hast. Er antwortete er wünsche auch nichst sehnlicher und glaube es seye dem Interêt und der Politik beyder Staaten des angemessenste. Er möchte es aber von deiner Seite deutlicher und gewisser wissen, damit einmahl dem beständigen Gerede alls ob du es nicht wirklich wünschst ein Ende gemacht werde. Er begreiffe nicht was die Maasnahmen bedeuten sollen welche man bey dir durch Ergäntzung und bisher zu gewesener Aushebung vieler Recrouten, durch approvisierung der Festungen und der gleichen steets brauchet, welches einen neuen Verdacht über deine Denkungsart gegen Frankreich erregen und ihn zwingen müssen immer en mesure von seiner Seite zu seyen, um sich auf alle Fälle bereit zu finden. Dieses unterhielte immerein gewisses Mißverständnisse zwischen beyden Staaten und zwinge ihn auch zu Maaßregeln, welche selbes noch mehr unterhalten müsse. Er seye versichert Graf Metternich habe von dir instructionen und befehle bekommen um alles afzuklären und er sähe für beyde Staaten nichts erwünschteres und vortrefflicheres als sich näher einander zu verbinden, welches we immer gewunschen habe und nun noch mehr als jemals wünsche. ich habe ihn darauf versichert, daß ich deine Gesinnungen über dieses kenne und versichern müsse daß er aus der Art wie du während der verflossenen campagne dich gegen ihn betragen hast genung ersehen könnte wie du es meinst. Er sagte mir auch dass ihn die Mission des Genearl Vincent besonders angenehm gewesen wäre aber doch immer sagen müsse daß du dich deutlicher darüber erklären müsstest, um allen Verdacht des entgegengesetzten aus der Welt zu tilgen. Ich kann nicht anderes sagen als das sowohl der Kayser, als auch die Kayserin ausgezeichnet gnädig gegen mich sind und daß auch König und Königin von Holland Großherzog und Großherzogin von Berg mir alle möglichen Höflichkeiten erweisen. Es wimmelt hier von Fremden aller Art, unter welchen ich viele alte Bekannte finde. Wie lange ich noch hier bleiben werde kann ich noch nicht bestimmen, da S.M. so gnädig waren mir zu sagen einige Zeit bey ihnen in Fontainebleau zuzubringen, wohin sie künftige Woche gehen werden. Gottlob genissen

Quellenanhang 

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wir alle die beste Gesundheit. es fängt aber an kalt zu werden. Lebewohl liebster Bruder erhalte mir immer deine Freundschaft und Liebe und glaube mich auf immer deinen besten Bruder und Freund Ferdinand

XXVII. Briefe, Ferdinand an Franz und Franz an Ferdinand, 1806, in  : SUAP IV, RATFerdinand III., ktn. 10, sign. 84.

[Ferdinand an Franz, Ofen, 14. Januar 1806, Briefentwurf ohne Unterschrift und Schlussnote] Liebster Bruder, Wenige Täge nachdem ich dir geschrieben habe ist mir die Antwort des französischen Kaisers zu gekommen  ; ich kann aber nicht den Kommissair welcher für mich Würzburg in Besitz nehmen soll dahin schicken bis ich eine förmliche und legale Abschrift des letzten Friedenstraktat bekommen, damit ich die Instruktionen welche ich selbem geben muß nach diesem genau abfassen kann. Ich bitte dich daher mir schleunigst diese Abschrift zu verschaffen. Wolltest du dass ich den Inhalt welcher mich nicht angeht geheim halten sollte so wird mir ein einzigesr worth wink von dir Gesetz seyn. Bey dieser Gelegenheit empfehle ich dir von ganzer Seele die armen Salzburger und Berchtesgadner. Du bekommst gute Unterthanen allein welche bey den jetzigen Umständen gänzlich auf mehrere Jahre zu grunde gerichtet sind. Ehrliche und geschickte Leute wirst du unter den angestellten finden und alle Stände werden gewiss alles anwenden um deine Gnade zu verdienen [Ferdinand an Franz, Ofen, 17. Januar 1806, Briefentwurf ohne Unterschrift und Schlussnote] Deinen Brief vom 12ten dieses habe ich gestern durch meinen Bruder den Palatinus erhalten. Du wirst, wie ich hoffe meinen Brief von 14 erhalten haben, daher beschränke ich mich dir nur zu bestäthigen daß mein Kommissar welcher für mich den Besitz des Würzburgischen nehmen soll gleich wird benannt und abgeschickt werden sobald in der ganzen Kenntnis des mit Frankreich abgeschlossenen Friedenstraktats werde gesetzt sein, um was ich dich durch meinen letzten Brief gebethen habe. xxxx [Franz an Ferdinand, Wien, 19. Januar 1806, original eigenhändig] Bester Bruder. Da ich für dich kein Geheimnis habe, so erhällst du in der Anlage sowohl eine Abschrift des letzten unglückseeligen Friedenstraktats als auch die dem B. Hügel

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Anhang

gegebene Vollmacht und Instruktion wegen Besitznahme des Churfürstentums Würzburg. Du erhällst gutes Land es hat dem Hause Oesterreich sehr zugethan gewesene Unterthanen die ich hoffe, daß sie sich glücklich schätzen werden dir zu gehören. Was die Salzburger und die Berchtolsgadener anbelangt so werde ich gewiß mein möglichstes für sie thun. Und wegen der daselbst angestellten Leute werde ich mir bei dir Rath holen. Im Übrigen bitte ich dich zu rechnen daß ich alles Mögliche für dein bestes was ich noch vermag mit Freuden thun werde, so wie überzeugt zu sagen wie ich sehr ich zeitlebens seyn werde. Dein bester Freund und Bruder Franz [Ferdinand an Franz, Ofen, 25. Januar 1806, Briefentwurf ohne Unterschrift und Schlussnote] Liebster Bruder Ich habe deinen Brief von 19 den 23. nachmittags estaffete erhahlaten  ; diesen expedire ich durch den nämlichen Courier welcher mir den deinigen gebracht hat und danke dir recht sehr für die mir anvertraute abschrift des Friedens-Traktat. Ich bitte dich sogleich mir nach Salzburg mein hier beigeschlossenes Schreiben an Manfredini schicken zu lassen. Es enthilt seine benennung als mein bevollmächtigter Comissair um in meinem Nahmen den Besitz des Würzburgischen zu nehmen eben wie die Bestimmung des Baron Röhling zu meinem uebergabskomisair des Salzburgischen und Berchtolsgadischen an jenen welchen du dahn bestimmen wirst. Du kanst versichert sein das alles dieses mit der Verschwiegenheit über die artikel des Traktats welche mich nicht betreffen, und welche ich dir versprochen gemacht habe, damit es dich nie reuen könne mir selbe anvertraut zu haben. Mit gleichen Vertrauen auf dich muss ich dir sagen dass zur nehmlichen Zeit als ich dem Manfredini den auftrag nach Würzburg gebe ich ihm auch ankundige daß sobald er Vollgemach haben ich ihn in die Ruhhe mit allen bisher bey mir genosenen bezügen setze. Beyläufig vor sieben Monathen hatte er mich schon gebethen ihm zu erlauben sich zu retiriren, damahls schien mir das ich es nich thun kaönnte. Allein xxxx nachdem was er sich selbst bey dem französichen Kaiser erklärt hat daß er meine dienste niederlegen wollte, wie du es aus seinen eigenen brief, welcher in meheren Zeitungen und selbst in der Wiener Zeitung abgedruckt war, wirst gesehen gelesen haben, und da er dies in einem der ersten Briefen die er mir nach dem unglücklichefrieden von Presburg geschrieben hat mir zu verstehen gibt daß er nicht mehr in Stand ist die Kraft des ihm von mir anvertrauten dienstes zu tragen so habe ich den Umständen angemessen geglaubt nicht länger anzustehen ihm zu willfahren, und habe den Grafen Wolkenstein bestimmt als chef meines kunftigen Ministerium zu seyn. Du kennst diesen persönlich  : Seine Ansorgungen haben mir die Achtung welche ich von ihm habe nur vergroßert. Die Salzburgische Landschaft hat mich inständig gebethen dir byliegende bitte von Setber [Anm.d.Verf.: Gemeint wohl September] anzuempfehlen. Ich kann nichts bessers

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thun als dir ihren Vortrag in originali beyzulegen da ich weiß welche gutige gesinnungen für diese arme aber gute Volk hegest. Erhalte mir immer deine freundschaft und liebe, mache meine empfehlungen deiner Frau, und glaube mich zeitlebens den nämlichen Bruder und Freund Ferdinand [Franz an Ferdinand, Wien, 29. Januar 1806, Brief von Kanzlei ausgefertigt] Lieber Herr Bruder  ! Aus Eurer Liebden gefälligen Antwort Schreiben auf meine Zuschrift vom 19ten habe ich ersehen, daß es Denselben gefällig war, den Marquis Manfredini zum Besitzergreifungs Commissär von Würzburg zu ernennen. Ich gestehe Ihnen jedoch freymüthig, dass ich so zuversichtlich geglaubt habe, Sie wünsche nach dem Innhalt ihr Ihnen von mir zugekommenen Piecen den Freyherren v. Hügel auch Ihrer Seits bevollmächtigen, dass ich deßfalls schon in Meiner Denselben gegebenen Vollmacht von Eurer Liebden Erwähung that, und demselben bereits angewiesen hatte bei dem Ministerium in München um so eher davon Gebrauch zu machen, als ich bei der schwankenden Redaction des Artikels 11. des Presburger Friedens Mich so frühe als möglich für Euer Liebden von der Gesinnung dieses Hofes näher versichern wollte. Freyherr von Hügel hat nun dieses wirklich so bewerkstelliget und seine Einleitungen mit so vieler Klugheit getroffen, daß die Antworten über die Erwartung gut ausfielen, auch die Auswahl seiner Person als beiderseitiger Commissarius den vollkommsten Beifall erhielt. Euer Liebden ermessen daher selbst, wie sehr er, und noch mehr Ich kompromittiert werden würde, wenn nun bei dem Anfang des Geschäfts ein anderer Bevollmächtigter erscheinen sollte, als der wirklich schon von Bayern angenommen worden ist. Nicht ohne die triftigsten Gründe bin ich bewogen worden zu diesem Geschäft selbst für Eure Liebden den gedachten Freyherren von Hügel zu wählen. Bekanntlich hat Bayern gleich nach dem Besitz von Würzburg von 1802 ganze Territorial-Distrikte veräußert, vertauscht und mit Bambergischen oder anderen Distrikten vermischt, es hat fast alle geistlichen Korporationen aufgehoben, ihr mo- und immobilar Vermögen veräußert, hat seit dem neuesten Kriege so viele eigenmächtige Occupationen gegen die Reichs-Ritterschaft, gegen den dütschen Ritter-Orden sich erlaubt, diese noch im laufenden Monath festgesetzt und erweitert, hat selbst gegen das Reichs-Postwesen in der Hauptstadt sich Schritte angemaßt, und macht Miene, die Occupationen auch noch in der Zukunft zu behaupten, und hat durch alle diese Verfügungen den Zustand von 1802 so verändert, daß es für das Interesse Eurer Liebden vorzüglich erforderlich war, zu einem so verwikelt- und äußerst delikaten Geschäft eine Person zu wählen, die mit allen hier unterliegenden Verhältnissen und Lokalitäten aufs genaueste bekannt ist, und nebst einer bewährten Geschicklichkeit und Rechtschaffenheit auch die nöthige Gewandheit

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Anhang

in den Reichsgeschäften hat, um alle diesseitige gewünschte Ansprüche geltend zu machen, hingegen auch alle jensietigen übertriebenen Zumuthungen abzulehnen, ohne deswegen mit den Nachbarn in nachteilige Collisionen zu gerathen. Überzeugt, dass Freyherr v. Hügel diese Eigenschaften in sich vereinigen, habe ich um so weniger geglaubt, dass Eure Liebden den Marquis Manferdini hierzu ausersehen würden, als er wirklich bisher den Carakter eines ersten Staatsministers bei Denselben versieht, der zu dergleichen Aktus nie gebraucht zu werden pflegt. Vielmehr dürfte es weit angemessener seyn, nach der durch einen anderen Commissarium geschehenen und in der Haupt-Sache beendigten Besitz-Ergreifung, Dero Staatsminister durch den Auftrag einer feyerlichen Huldigungs Einnahme die Gelegenheit zu geben, sein Ministerium mit einer ehrenvollausgezeichneten Amtshandlung zu beschließen. Es versteht sich übrigens von selbst, daß es Eurer Liebden anheimgestelt bleibe, auch den Freiherren v. Hügel mit den erforderlichen eigenen Instruktionen zu versehen, der sich es besonders anglegen seyn lassen wird, sie zur Zufriedenheit zu befolgen und auszuführen. Franz [Franz an Ferdinand, Wien, 29. Januar 1806, original eigenhändig] Bester Bruder, aus dem dir unter einem zukommenden und vom Uberbringer dieses unter einem aufzuklärenden Gründen wirst du ersehen warum ich dich bitten muß und zwar für dein eigenes Bestes dem Grf. v.Hügel zum Ubernahmskomisair von Würzburg und nicht den Manfredini zu bevollmächtigen. Ich habe gegen letzteren nichts  ; allen der beste unseres [?  ?  ?verderbt] erheischt die Ernennung des ersteren aus denen Ursachen, die du in meinem Handschreiben endlich ersehen wirst. Ich bitte dich also dringend darum zumalen meine Pflichten gegen mein Haus xxxx mir eine Schuldigkeit daraus machen alles was zu dessen besten gewesen seie, zu thun. Seye überzeugt keine anderen Ursachen leiten mich in dieser Sache, gewiß aber meine brüderliche Liebe für dich und der Wunsch dir eine so gute Existenz wie möglich zu verschaffen. Erhalte mir auch deinerseits deine Liebe auch glaube mich zeitlebens Deinen besten Freund und Bruder Franz [Ferdinand an Franz, Buda, 1. Februar 1806, Briefentwurf ohne Unterschrift und Schlussnote, mit ital. Erstentwurf ] Viller hat mir heute frehe deinen 2. Brief vom 29.Jänner gebracht. Ich bitte dich zu bedenken, dass die Benennung des Manfredini, um in meinem Nahmen von Bayern den Besitz von Würzburg zu übernehmen, nicht allein deinem Brief von 29. Xber, in

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welchem du mir sagest ich solle bald einen Kommissair zu dieser Besitznahme absenden, sondern auch deinem anderen vom 12. Jänner gemäß ist, in welchem, da du mir zu wissen machest, dass du den B. Hügel den Auftrag gegeben hat diesen Besitz auch in meinem Nahmen zu ergreifen, du mir zugleich auch wiederholte Mahlen anrahtest jemanden mit meiner Vollmacht zu schicken und diesen Besitz für mich zu nehmen oder den B. Hügel in dieser Eigenschaft in meinem Nahmen zu bestätigen. Manfredini ist schon von mir präsenniert worden, daß ich ihn dazu bestimmt habe  : Er ist nach meinem Erachten mit allen Eigenschaften begabt, welche notwendig sind um in diesem Geschäfte genügen zu leisten, und ich habe nicht ein gleiches Zutrauen zum B.Hügel. Nichts destoweniger, da ich nichts machen will, was dir misfallen könnte, noch im geringsten gegen dem handeln will, was ich denke, so habe ich den Entschluss gefasst niemanden die Vollmacht zu geben um in meinem Nahmen vom König von Bayern den Besitz von Würzburg zu empfangen. Zu Folge dessen wird B.Hügel Kraft deines Befehls diesen Besitz von Bayern empfangen, und mir ihn zugleich geben, und für mich dem Kommissair, welchen ich bestimmen werde und selben zu übernehmen, und dem Eid der Treue meiner neuen Unterthanen zu empfangen [Franz an Ferdinand, Wien, 13. März 1806, original eigenhändig] Bester Bruder. Durch überbringen dieses unseres Bruders Joseph schreibe ich dir diese Zeilen um dich zu benachrichtigen, daß ich ihm aufgetragen dich von der Lage deiner Angelegenheiten zu unterrichten. Glaube ihm was er dir sagen wird, da ich ihn davon informieren lassen, will ich hier nur noch beisetzen daß ich dich wegen deines und deiner Familie und unseres Hauses Wohl dich angelengentlich bitten muß dich um deine neune Besitzungen ernstlich selbst nun mehr anzunehmen und auf so eine Art, daß es durch Leute geschehe, wenn du nicht selbst gleich hinaus gehen willst, die dermassen die Sache kennen, dass durch Unkunde deine Rechte und Vortheile nicht verschaffen und verscherzet werden. Erhalte mir übrigens immer deine Freundschaft und Liebe auch glaube mich zeitlebens deinen besten Freund und Bruder Franz [Ferdinand an Franz, Buda, 19. März 1806, Briefentwurf ohne Unterschrift und Schlussnote, mit ital. Erstentwurf ] Liebster Bruder, Unser Bruder Joseph hat mir deinen letzten Brief vom 13ten dieses, eben wie die Papiere übergeben welche ihm der Graf Stadion für mich gegeben hat. Ich habe schon drey transporte von meinen Sachen von hier und Salzburg sind schon nach Würzburg

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Anhang

expediert abgegangen, sobald ich gesehen habe, dass sich die der Zeitpunkt herannahet, in welchem ich auf die mich schicklichste Art dahin begegnen kann. Gr.Stadion wird dir das mehrere darüber sagen, da ich dem Grafen Wolkenstein den Auftrag gegeben habe es zu schreiben. Dieser wird noch vor mir in Wien eintreffen um sich ganz dem Stand meiner Geschäfte und deiner Unterhandlungen mit Bayern eigen zu machen. Habe also die Güte sowohl dem Grafen Stadion als dem Baron Hügel die nötigen Befehle zu diesem Endzweck zu ertheilen schon alles mitzutheilen was darauf Bezug hat mitzutheilen. Ich werde in der Woche nach Ostern von hier abreisen und mich gefreuet es recht sehr sehr vorallens dich, und deine Frau und Kinder bald wieder sehen zu können. Wenn es nicht thunlich wäre oder es dir ungelegen seyen sollte, daß es mich in der Burg xxxx mit meinen Kindern und einschließlich meines Gefolges wohnen zu haben einzulogieren so habe die Güte und lasse mir nur ein Wort xxxx darüber zu sagen  : Nächster Tage werde ich dem Hofrath Mayer schreiben, damit er über diesem Stück deine Befehle erhalten möge und mir dann xxxx die für mich die nöthigen dispositionen treffe könne. Mein Aufenthalt in Wien wird ohnedieß von wenigen tagen seyen. XXVIII. Konferenzergebnisse, Registratur, Wien den 19ten April 1806, in  : HHStAW, Stk, HHStA, Staatskanzlei, Vorträge, Kart. 172, 1806 I–V. Fol. 35–41.

In Folge der von des dirigierenden Herrn Ministers der auswärtigen Angelegenheiten reichsgrafen von Stadion Exzellenz nach Inhalt der beiden anliegenden Noten vom 9ten und 10 d, M gegebenen Veranlassung sind die Unterzeichneten nach verschiedenen vorläufigen Unterredungen und nachdem sämtliche an die geheime Hof und Staatskanzlei von dem Besitzergerifungs-Comissario Hern Baron Hügel Exzellenz erstatteten Berichte, die nicht schon früher in Abschrift mitgetheilet waren, des kurfürstlich-würzburgischen dirigierenden Herrn Staatsministers, Grafen von Wolkenstein Excellenz, gleich nach ihrer Ankunft dahier zur vördersamen Einsicht und Kenntnis zugestellt worden waren am 12. 14. 15. und 17. und 18. d.M. zusammengetreten und haben über die das Kurfürstenthum Würzburg betreffenden wichtigen Gegenstände unter Verlesung und zu Grundelegung der – darüber von dem Herrn Baron v. Hügel ersatteten Berichte umständlciche Besprechungen gepflogen um den dirigierenden kurfürstlichen Herrn Staatsminister in die volle Kenntnis alles dessen zu setzen, was von dem Besitzergreifungs-Comissario während de, Laufe aller Unterhandlungen miz dem königlich. bayerischen Commisarius bei seiner ganzen Anwesenheit in Würzburggeschehen ist und wodurch die manigfaltigen und verwickelten Verhältnisse des Kurfürstenthums und die wichtigen Ersatzfordeungen an Bayern in ihrerm Zusammenhange übersehen und beurtheilet werden können. Der kurfürstl. dirigierende Staatsminister hat sich nach der in dieser Art erhaltenen Einsicht sämtlicher Verhandlungen verpflichtet erachtet der

Quellenanhang 

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verdienten Beruhigung des Freyherrns von Hügel Excellenz die schon füher abgegebene Erklärung zu wiederholen, daß des Herrn Kurfürsten von Würzburg Herrn Erzherzog Ferdinand köngl. Hoheit alle – von ihm erstattetem Berichte mit Wohlgefallen und gnädigster Zufriedenheit aufgenommen haben, und dem ebenso mühevollen als treflichen Bemühungen desselben für Ihr Interesse und das Wohl des Landes volle Gerechtigkeit widerfahren ließen. Ueber die – zwischen Seiner köngl. Hoheit und des Königs von Bayern wegen obwaltenden vielfältigen Differenzien zu treffenden Uebereinkunft hat man sich sofort über folgende Punkte einer Meynung vereiniget  ; daß Erstens das Bayerischer Seits gemachte Anerbiethen zur theilweisen Ablieferung einzelner inclavirten, ritterschaftlichen Güter, nach dem vorgelegten Verzeichnis nicht anzunehmen, sondern auf die der Ueberantwortung aller, innerhalb der Gränzen des Kurfürstenthum Würzburg ganz inclavirten, ritterschaftlichen Besitzungen und derselben Ueberweisung unter die kurfürstliche Landeshoheit und Souveränität in dem vollen Vertrauen zu bestehen sei, daß die offenbare Gerechtigkeit der kurfürstlichen Ansprüche sowohl von Frankreich, als selbst von Bayern unmöglich verkannt werden könne. Eben so wenig wäre eine Trennung jener ritterschaftlichen Besitzungen, welche an das Bambergische angrenzen, und am linken Ufer des Flusses Baunach liegen, zuzugeben, und der vorzusehende Antrag auf Ueberlaßung der sechs – mit Bamberg vereinigt gewesenen – Würzburgischen Aemter durch Austausch an Bayern mit Klugheit von der Hand zu weisen, und alle unter Handlung darüber bis nach Vördersamst erledigten, sämtlichen, dermaligen Differenzien auszusetzen. Dagegen wäre a) Eine güthliche Vereinbarung über alle nur an das Würzburgische mehr und minder anstossende, ritterschaftlichen Besitzungen anzubiethen, und sich über derselben Erwerb so gut man kann einzuverstehen  ; sodann b) In Ansehung der inclavierten Rittergüter der Grundsatz der Compensation nicht ganz von der Hand zu weisen, sondern die Bereitwilligkeit zu äußern, bei der FinalLiquidation und unter Hinsicht auf das Ganze von verschiedenen anderen Ersatzforderungen, ihren unten weiter wird erwähnt werden, abzustehen. Gleicher einhelliger Ueberzeugung war man  : Zweytens über die Prätension auf die Abtey Eberach, ihren Zubehörden zu dem Fürstenthum Würzburg bei den vorliegenden wichtigen Gründe nicht mißkannt werden kann, und deren Ertrag allein einigen Ersatz für das an Hand zugeben vermag, was von dem Complex des ehemaligen Bestands des Fürstenthums Würzburg, auf den nun ein Kurfürstenthum gegründedt wurde, auf mannigfältige Art getrennt worden ist. Um diese beide wichtigen Forderungen gehörig geltend zu machen, erachtet man

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Anhang

Drittens für nothwendig das sich vorzüglich um die Theilnahme und Unterstützung des kaiserl. französischen Hofes durch die baldige Bewerkstelligung der schon beschlossenen Absendung eines eigenen kurfürstlichen Ministers nach Paris beworben, sowohl als von der kaiserl. Oester. Gesandtschaft die zu diplomatischem Gebrauch zu concertirende Gründe über beide Gegenstände wie es wegen Ebrach bereits geschehen ist, aufs beste benützt werde, um günstige Instrukzionen an die kaiserl. französische Minister zu München und zu Würzburg zum Vortheil des Herren Kurfürsten und des Hauses Oesterreich zu erwirken. Viertens wäre bei der bekannten Abhängigkeit der Bayerischen Landes-Commissarien und Lokal Behörden von dem königlichen Ministerium in München und von den geheimen Referendarien ein eigener kurfürstl. Bevollmächtigter nach München abzusenden um allda unmittelbar bei dem Hofe die Festsetzung billiger allgemeiner Grundsätze und einer Uebereinkunft über die Hauptpunkte, sowie die Ernennung eines eigenen köngl. Commissarius zu diesem Geschäft zu erwirken. Fünftens wären die Einleitungen bei dem köngl. Ministerio in München und die Absendung des kurfürstlichen Bevollmächtigten dahin zu beschleunigen, um nachtheilige Uebereinkünfte zwischen Bayern und einzelnen enclavirten oder angränzenden Ritterschaftlichen Mitgliedern und mit eingeschlossenen oder angränzenden Reichsstande /  : wie es mit Sachsenmeinungen geschehen  :/ und von andren eingeleitet ist   :/ zu verhindern, und um den weiteren Vollzug des von Bayern wider die Ritterschaft aufgestellten Systems zu unterbrechen. In Ansehung der von Bayern abgeschlossenen zahlreichen Landesvergleiche hat man Sechstens Die gemeinsame Ueberzeugung aufgenommen, daß derselben Gültigkeit überhaupt nicht zu bestreiten sondern auf angemeßene Surogate an Gebiethstheilen und auf gleichen Rhentenbetrag der Antrag zu machen – hiebei aber auf die Aquisizion der ehemaligen Reichsstadt Schweinfurth zur Vermeidung aller Hindernisse und Erschwerungen der Schiffahrt auf dem Main und des Kommerzes, so wie zur weiteren Purifikation des kurfürstlichen Gebiethes die vorzügliche Absicht zu richten seye. Siebtens Die Liquidation der Schulden der Ersatzforderungen für aufgehobene Aktiv-Kapitalien verkaufte Mobilien und was denselben gleich geachtet wird, und die wechselseitige Abrechnung über den Rentenbezug des laufenden Jahrs und über die ältern Rückstände waren durchaus nach den in der Note vom 16 März aufgestellten Grundsätzen fortzusetzen, und wegen dem Schuldenwesen, wegen des Rentenbezugs für das laufende Jahr,

Quellenanhang 

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und wegen der eingezogenen Aktiv-Kapitalien ohne Nachgiebigkeit dabei zu bestehen  ; dagegen erachtet man, daß a) Die Forderungen und Ansprüche für verkaufte Pretiosen und das Silber für verkaufte und weggeführte Weine und für verbrachte und fehlende Mahlereyen und Mobilien. b) Die Forderung auf Ersatz des ganzen Erlöses der verkauften Immobilien der mittelbaren Stifter und Klöster, als Gegenstände der Aufopferung und Nachsicht, wenn dadurch im Ganzen ein annehmlicher Vergleich über alle andere Punkte erzielet werden kann, zu betrachten und zu behandeln seyen. Doch müßte auf jeden Fall dasjenige, was von der verkauften Immobilien mit Kammeral oder Landes-Obligationen bezahlt worden ist, und deren Betrag sich pp auf 600000 fl. belaufen soll, zum besten des Fürstenthums von Bayern nachgesehen, und auf deßfalsigen Ersatz bei der Abrechnung Verzicht geleistet und was noch an Kaufschillings-Geldern für das laufende und die folgenden Jahre ausstehet, Sr. köngl. Hoheit zum eigenen Bezug überlaßen werde. Zur Erleichterung dieser Hauptliquidation würde Achtens auch der Sr. königl. Hoheit gebührende Exstantien des Fürstenthums Eichstädt, welche wenigstens 200000 fl. betragen – jener des Fürstenthums Passaus, ferner des Rentenbezugs von beiden bis zum 1ten Februar d.J. und der Forderung des noch nicht liquidirten Antheils an Silber, Weinen, Kapitalien etc. des vormaligen Hochstifts Passau, welche Bayern sich ausschließlich zugeeignet hat und über deren Vergütung schon verbindliche Erklärungen Abtheilungs-Commissarii Freyh. v. Traunberg [Fraunberg] zum Theil vorliegen, zu erwähnen, und eine allgemeine Verzichtleistung auf diese im Ganzen ein ansehnliches betragende Objekte anzubieten. Von den aufzuopfernden Gegenständen wäre gleichwohl Neuntens a) des Codex Theodosianus b) das Würzburgische Münz-Kabinet. auszuscheiden und die Rückerstattung beider, als für das Land und die Universität unschätzbarer Objekte auch unmittelbar von des Königs Majestät als Beweiß freundschaftlicher Gesinnung gegen Seine köngl. Hoheit zu erbitten. Zehntens würde eine eigene Rücksicht zu nehmen seyn, daß von den zurückzusendenden Festungs-Dotations-gegenständen, deren Rücksendung bereits verbindlich zugesichert ist, die zahlreichen Objekte getrennt werden, welche kaum des Transports wehrt sind, und die nur im Falle einer gänzlichen Wiederherstellung der Festung in brauchbaren Vertheidigungsstand mittelbaren Nutzen gewähren würde. Statt derselben, und zur Erleichterung des Rücktransports würde überhaupt rathsam seyn, auf Ablieferung einer sol-

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558 | 

Anhang

chen Anzahl brauchbaren Festungsgeschützes den Antrag zu machen dessen Werth mit jenem der abgeführten Objekte überhaupt in einem angemessenen Verhältniße steht. Wien den 19ten April 1806 [Hügel Wolkenstein Radermacher Stadion Franz Ferdinand] Eben wollte ich mich an einen Brief an dich machen weilen ich endlich es gottlob mit Sicherheit machen konnte, als ich von der Ankunft des Fürsten Auersperg sehr angenehm überrascht wurde. Dieser hat mir deinen Brief gebracht und zugleich von der Befreyung der Stadt Würzburg die sichere Nachricht gegeben. Es war für selbe ein wahres Glück daß sie eine solche Capitualtion noch erhalten konnte. Da ich die Denkungsart der Einwohner kenne, hätte man sich noch viel Uebel erwarten können was gottlob nicht geschehen ist. Empfange nun meinen lebhaftesten Dank für die Sorge welche du für mich und mein Land haben willst. Meine Abwesendheit welche sich geflissentlich nur seit 10 Tagen nicht weiter als Mergentheim erstecket hatte, wird nicht lange mehr seyen, da vermöge der Capitualtion der Festung auf die Stadt nicht geschossen werden darf. Es werden sich in Deutschland wenige Länder finden können wo von ersten biß zum letzten eine solche Anhänglichkeit aus aufrichtigen Herzen an unser Haus herrschet.Dahero werden wir doppelt glücklich seyen, dass ein Militairgouverneur von dir aus und nicht ein Bayrischer gesetzet wird Ich hoffe du wirst sehen wie alles für die gute Sache zusammenhelfen wird und wenn es die ersten Tage nicht gleich ging wie es gehen sollte, so war es die Schuld bloß davon daß wir alle Mittel durch Sperrung der Stadt benommen wurden etwas zu wirken. ich habe dich in dieser Zeit mit meinen Gedanken und Wünschen immer gefolget, und da wir nichts anderes thun konnten als Gott für dich zu bittenm so haben wir nun auch den Trost, daß selber uns erhörez hat und doch steets bey guter Gesundtheit erhalten und deine Sorgen und Bemühungen für das Wohl der Menschheit mit einem so glücklichen Erfolg gekrönt hat. ich bin doppelt glücklich weilen da ich in Prag dich verließ schon aus allem was ich von dir vernehmen konnte schon in meinem Hertzen einen so glücklichen Ausgang so vieler Anstrengungen hoffte. Allein weiß Gott so geschwind hätte ich es nicht vermuthet und sehe deutlich die Hand der Vorsehung, welche alles so einstimmig zusammen wirken macht um der Sache ein gutes Ende zu geben. Sollte ich so glücklich seyen dich vielleicht bey mir noch zu sehen, so wäre mir nichts zu wünschen übrig. Sobald ich nach Würtzburg kommen werde, werde ich nicht ermangeln dich davon zu benachrichtigen. Indessen empfange nochmals meine Danksagungen für alle jene Maaßregeln welche du für das Wohl und Schonung meines leider schon sehr gedrückten, aber nun glücklichen Landes hast treffen wollen. Empfange auch meine herzlichsten Empfehlungen meiner Kinder, welche immer auf dich denken, erhalte deine Gesundheit und mir deine Freundschaft und Liebe und glaube ich steets den nemlichen Bruder Ferdinand

Quellenanhang 

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XXIX. Tabellen, Entwicklungen der Überschüsse nach Steuerklassen und Einwohnern 1805–1812 Entwicklung der Überschüsse - Zentrumsnahe Distrikte

in fl. 900.000 800.000 700.000 600.000

Steuerklasse I Steuerklasse II

500.000

Steuerklasse III 400.000

Zentrumsnahe Distrikte

300.000 200.000 100.000 0

Überschüsse 1805/06

 

Überschüsse 1809/10

Überschüsse 1805/06

Steuerklasse I

497.601

Steuerklasse II

714.604

Steuerklasse III

Überschüsse 1811/12

Überschüsse 1809/10

Überschüsse 1811/12

510.334

475.805

764.968

645.933

108.759

143.386

150.636

1.320.964

1.418.688

1.272.374

Überschuss pro Seele 1805/06

Überschuss pro Seele 1809/10

Überschuss pro Seele 18011/12

Steuerklasse I

6,03

6,18

5,77

Steuerklasse II

4,79

5,13

4,33

Steuerklasse III

2,58

3,41

3,58

Summe Steuerklassen

2

In der Kalkulation wird der Iststand von 1809/10 »eingefroren«, d. h. die territorialen Veränderungen der Pariser Verträge müssen nicht mit berücksichtigt werden. Außerdem wurde angenommen der Bevölkerungsstand innerhalb der Distrikte im Berechnungszeitraum habe sich nicht gravierend geändert.

559

560 | 

Anhang

XXX. Vorläufige kurze Übersichten von den Landes, oder Staatsschulden, Hennebrith, 1. Juli 1814, in  : SUAP IV, RAT-Ferdinand III., kt. 6., sign. 71, Fol. 14.

3tens Beiläufige Übersicht der Landesertragnisse Es ist äußerst schwer, einen beiläufigen Ertragnisetat in einem Lande aufzustellen, wo viel an Naturalien einkommt, sohin auch gar viel von einem besseren oder schlechteren Jahr ganz wohl mehr aber von Preisen abhängt welche diese Naturalien erhalten. Intzwischen kann aber doch angeführet werden was beinahe als richtig angenommen werden darf nämlich  : An Steuern von 42 ordinären Simplen

672.000

12 extra Simplen haben im Jahr 1813 ertragen

218.893

Die Consumtionssteuer macht

273.923

Die Handels und Gewerbssteuer macht

28.519

Die Besoldungs und Pensions-steuer beträgt

32.728

Die Revenüensteuer von adeligen Gutsbesitzern

13.627

Ertrag von auswärtigen Herrschaften

2.508

Es bestehe daher an ordinären und extraordinären Steuern

1.242.198

Dazu kommen an Mauthgefällen beyläufig

290.000

Die Saline

130.000

Die Accis beträgt

45.000

Die Dominalgefälle dürfen wenn man sicher gehen will, obschon die manchmal beträchtlich mehr betragen können mit Verlässlichkeit nicht höher angeschlagen werden als auf Das Total der Erträgnis besteht daher mit einiger Gewissheit in

892.802 2.600.000

XXXI. Tabelle, Dislocation II. Division du 4e Corps durch das Obermarschkommissariat, in  : StAWü, HV MS f. 597

Basierend auf StAWü, HV MS f. 597 und Chroust  : Würzburger Land, S. 284–263  ; Tabelle wurde um falsche Landgerichtszuordnungen im Originalakt bereinigt. Städte und Märkte sind mit einem * gekennzeichnet. Prozentwerte auf zwei Dezimalstellen gerundet. II. Division du 4e Corps Dislocation du 24 Regiment d’Infanterie légére Landgericht Dettelbach

Ortschaft

Mann

Einwohner 1815

Satz an Unter­ gebrachten

Albertshofen

30

667

4,49 %

Dettelbach*

40

2397

1,67 %

Quellenanhang  II. Division du 4e Corps Dislocation du 24 Regiment d’Infanterie légére Landgericht

Gerolzhofen

Ortschaft

Mann

Einwohner 1815

Satz an Unter­ gebrachten

Effeldorf

30

178

16,85 %

Euerfeld

40

329

12,16 %

Gerlachshausen

30

206

14,56 %

Hörblach

20

194

10,31 %

Mainsondheim

25

232

10,77 %

Schernau

40

327

12,23 %

Schwarzach

20

k.A.



Schwarzenau

20

231

8,65 %

Stadtschwarzach*

30

413

7,26 %

Abtswind

30

838

3,58 %

8

79

10,13 %

Altmannsdorf Bimbach

20

150

13,34 %

Bischwind

20

233

9,58 %

Brünnau

20

210

9,52 %

Brünnstadt

30

k.A.



Dampfach

20

k.A.



Dingolshausen

40

449

8,91 % 9,05 %

Donnersdorf

40

442

Dürrfeld

20

289

9,92 %

Falkenstein

10

77

12,98 %

Gerolzhofen*

90

1942

6,63 %

Handthal

20

164

12,19 %

Hundelshausen

20

150

13,34 %

Kammerforst

Gerolzhofen

8

58

13,79 %

Kirchschönbach

25

310

8,06 %

Kleinrheinfeld

20

120

16,66 %

Lülsfeld

20

273

7,23 %

Michelau

30

310

9,68 %

8

66

12,12 %

Mutzenroth Neudorf

15

117

12,82 %

Neuses am Sand

15

116

12,93 %

Oberschwarzach*

50

570

8,77 %

Prichsenstadt*

50

949

5,26 %

Prüssberg

15

99

15,15 %

8

83

9,64 %

Rügshofen

20

139

14,38 %

Schallfeld

25

340

7,35 %

Rüdern

|

561

562 | 

Anhang

II. Division du 4e Corps Dislocation du 24 Regiment d’Infanterie légére Landgericht

Haßfurt

Kitzingen

Mainberg

Ortschaft

Mann

Schönaich

10

Einwohner 1815 81

Satz an Unter­ gebrachten 12,34 %

Traustadt

40

393

10,18 %

Untersambach

20

200

10,00 %

Vögnitz

20

k.A.

Wiebelsberg

20

101

19,80 %

Wohnau

10

75

13,34 %

Hainert

20

242

8,26 %

Horhausen

15

116

12,93 %

Steinsfeld

20

192

10,41 %

Wohnfurt

50

506

9,88 %

Biebelrieth

30

234

12,82 %



Buchbrunn

40

458

8,73 %

Großlangheim*

70

1054

6,64 %

Kitzingen*

40

3750

1,07 %

Kleinlangheim*

70

969

7,22 %

Repperndorf

40

486

8,23 %

Stephansberg

10

42

23,81 %

Sulzfeld*

70

845

8,28 %

Westheim

20

226

8,85 %

Wiesenbronn

40

886

4,51 %

Grafenrheinfeld

k.A.

916

Heidenfeld

30

428

7,01 %

Hirschfeld

30

365

8,22 %



Obereuerheim

40

374

10,69 %

Roethlein

20

318

6,28 %

Schwebheim

30

514

5,84 %

Untereuerheim

40

297

13,46 %

Marktsteft

Kaltensondheim

20

232

8,62 %

Ochsenfurt

Eibelstadt

60

1204

4,98 %

Erlach

30

k.A.

Frickenhausen

60

871

Kleinochsenfurt

20

262

7,63 %

Lindelbach

30

222

13,51 %

Segnitz

20

565

5,13 %

Sommerhausen

60

1180

5,08 %

Zeubelried

20

225

8,88 %

Dimbach

20

180

11,11 %

Volkach

– 6,89  %

Quellenanhang  II. Division du 4e Corps Dislocation du 24 Regiment d’Infanterie légére Landgericht

Ortschaft

Mann

Einwohner 1815

Satz an Unter­ gebrachten

20

385

5,19 %

Fahr

50

493

10,14 %

Gaibach

25

342

7,31 %

Gernach

30

244

12,29 %

Järkendorf

20

139

14,39 %

Eichfeld

Volkach

Kolitzheim

36

461

7,81 %

Krautheim

20

186

10,75 %

Lindach

30

247

12,15 %

Nordheim

60

917

6,54 %

Obervolkach

50

613

8,15 %

8

119

6,72 %

Oettershausen Rimbach

20

235

8,51 %

Sommerach

60

923

6,50 %

Stadelschwarzach

40

444

9,01 %

Stammheim

40

436

9,17 %

Volkach*

90

1260

7,14 %

8

80

10,0 %

Wadenbrunn Volkach

Zeilitzheim

40

692

5,78 %

Werneck

Theilheim

30

451

6,65 %

Würzburg r.a.M.

Estenfeld

60

661

9,08 %

Gerbrunn

30

433

6,93 %

Lengfeld

30

378

7,94 %

Randersacker

50

1054

4,74 %

Rottendorf

60

551

10,88 %

XXXII. Tabelle, Übersicht über kantonierbare Truppen in den einzelnen Landgerichten (soweit Meldung abgegeben, März 1813), so in  : StAWü, HV MS f. 598. Landgericht

Infanterie

Kavallerie

Arnstein

 815



Dettelbach

1120

446

Gerolzhofen

 416

246

Homburg

1720

343

Karlstadt

 488



Kitzingen

1500

600

Marktsteft

1707

818

|

563

564 | 

Anhang

Landgericht

Infanterie

Kavallerie

Münnerstadt

1662

558

Ochsenfurt

2071

622

Röttingen

 824

393

Schweinfurt (Stadt und Landgericht)

 800



Volkach

2208

707

Werneck

 991

626

Würzburg l.d.M.

2264

908

Würzburg r.d.M.

1456

660

XXXIII. Tabelle als Zusammenstellung regelmäßiger Requisitionen 1800/01. Naturalrequisitionen 6. Dezember 1800–8. Januar 1801 Datum

Kartoffeln (Metzen)

Salz (Pfund)

Branntwein (Maas)

Heu (Ration zu 15 lb.)

Hafer (Ration zu 15 lb.)

Stroh (Ration zu 10 lb.)

06.12. 10.12.

1000

600

1500

3000

3000

3000





1600

900

4500

7800

7800

7800

27000

27000

13.12.

1500



2000

6000

6000

6000



6000

20.12.

2000



4000

9600

9000

9000



8000

26.12.

475



1100

4200

4200

4200



4000

04.01.

475



1100

4200

4200

4200



4000

08.01. SUMME Jahresanteil:

950

Brot (Ration zu 1 ½ lb.)



Fleisch (Ration zu ½ lb.)



2200

9400

9400

8400

8000

1500

16.400

44.200

43.600

42.600

27.000

57.000

8000

0,21 %37

k.A.38

k.A.39

0,44 %40

46,59 %41

k.A.42

k.A.43

0,26 %44

37 Umrechnung nach Würzburger Stadtmaß  : 1 Malter = 2 Achtel = 8 Metzen (Hendges  : Maße und Gewichte, S. 35), demnach 1000 Malter Forderung, Jahresernte 1815  : 459.635 Scheffel (entspr. Malter)  ; Rundungen vorgenommen. 38 Da kein Produktionsausstoß der Salinen angeben, vgl. Chroust, S. 121. 39 Da kein Produktionsausstoß der Branntweinbrennereien angegeben, vgl. Chroust, S. 119. 40 Verrechnet mit »Grünfutter«, da Heu nicht explizit ausgewiesen. Jahresertrag 1815 zu 1.510.563 Zentner, nach Nürnberger Maß (Großrecheneinheit), demnach 151.056.300 Pfund Ernte gegenüber 663.000 Pfund Forderung  ; Rundungen vorgenommen. 41 Umrechnung nach Bayerische Scheffel (Angaben in Chroust, S.92) zu 222,7 l, demnach 28.638.551,9 l Jahresernte, 1 l Hafer zu 40 kg entspricht 715.964,79 kg Jahresernte, Forderung zu 654.000 Pfund in Nürnberger Gewicht (Großmengenmaß) zu 333.605,4 kg Forderung  ; Rundungen vorgenommen. 42 Keine Umrechnung von Schober (vgl. Chroust  : Würzburger Land, S. 89 [Waizen, Ertrag, Schober] in kg möglich. 43 Keine Angabe möglich, da kein Produktionsausstoß der Bäckereien angegeben. 44 Verrechnet auf Ochsen im Großherzogtum 1815 (vgl. Tabelle 1)  : 22.052, ein Rind deckt den Tagesbedarf von 1.000 Soldaten (Vgl. Nanteuil  : Logistische Probleme der napoleonischen Kriegsführung S. 65, in  :

Quellenanhang 

|

XXXIV. Tabelle, Requisitionsumlagen an Naturalien im Januar 180145 Klöster

Hafer ­(Ration zu 10 lb.)

Engelgarten (Kartause)

Heu ­(Ration zu 15 lb.)

Stroh ­(Ration zu 10 lb.)

Rindfleisch (lb)

Branntwein (Maas)

Kartoffeln (Metz)

226

226

226

215 ¼

59 ¼

25 ½

Ostheim

179 ½

179 ½

179 ½

171

47

20 ¼

Ilmbach

29

29

29

27 ½



3¼ 136 ½

Kloster Schwarzach

1207

1207

1207

1149 ¾

316 ¼

602 ¾

602 ¾

602 ¾

574

158

68 ¼

Volkach

1682

1682

1682

1602

440 ½

190 ¼

Kitzingen

2845

2845

2845

2709 ½

745

321 ¼

Dettelbach

1070

1070

1070

1019

280 ½

121 ¼

557

557

557

531 ¼

146

63 ¼

Theres

Oberschwarzach

XXXV. Tabelle Kleidungsrequisition von der Stadt Würzburg, Januar 180146 Forderung:

Geliefert:

Schuldig:

Erfüllt:

6176 Paar Schuhe

4550

1626

73,67 %

3474 Capottes

2327

1147

66,98 %

618 Paar Reit- und Husarenstiefel

308

310

49,83 %

7720 Paar Hemden

286

7434

3,70 %

XXXVI. Tabelle, Aufstellung der geleisteten Vorspanndienste Februar bis März 1813 Datum

Landgericht

Wägen

Zugehörige Pferde (je 2)

Zugehörige ­Ochsen (je 4)

Geleistete ­Stunden47

17

34



102

09. Februar

Würzburg r.d.M.

10. Februar

Würzburg l.d.M.

17

34



102

12. Februar

Ochsenfurt

36

72



216

16. Februar

Rüttingen

62

124



372

18. Februar

Ochsenfurt

22

44



132

28. Februar

Würzburg l.d.M.

25

50



150

28. Februar

Homburg

40

80



240

08. März

Marktsteft

12

24



72

Groote, Wolfgang u. Müller, Klaus-Jürgen (Hg.), Napoleon I. und das Militärwesen seiner Zeit, Freiburg 1968, zit. nach Planert  : Mythos, S. 250), demnach 57 Ochsen. 45 Basierend auf StAWü, HV MS f. 647 a. 46 Basierend auf StAWü, HV MS f. 647 a., Rundungen vorgenommen. 47 Zugrundeliegend eine Station á 6 Stunden vgl. StAWü, MOK 190.

565

566 | 

Anhang

Datum

Landgericht

Wägen

Zugehörige Pferde (je 2)

Zugehörige ­Ochsen (je 4)

Geleistete ­Stunden47

22. März

Würzburg r.d.M.

36

72



22. März

Marktsteft

36

72



216

25.–26. März

Schweinfurt

25

50



300

26. März

Marktsteft

60

120



360

27. März

Würzburg r.d.M.

37

74



222

50

60

80

300

8

16



192

16

32



192

499

958

80

3384

[…] März

Kitzingen

25.–28. März

Volkach

27.–28. März

Schweinfurt

SUMME

21 Tage

216

XXXVII. Tabelle, Aufstellung der Typhus- und Tuberkulosetoten48 Landgericht

Verstorbene (1815)

Davon an Nervenfieber (Typus)

Typhustote (Prozentual zur Gesamtbevölkerung)

Davon an Lungensucht und Auszehrung (Tuberkulose)

Tuberkulosetote ­(Prozentual zur Gesamtbevölkerung)

Zivilbevölkerung (1815)

Arnstein

307

33

0,33 %

47

0,46 %

10.113

Bischofsheim

355

30

0,23 %

59

0,46 %

12.819

Dettelbach

265

17

0,18 %

42

0,45 %

9.294

Ebern

282

10

0,09 %

66

0,61 %

10.900

Eltmann

112



21

0,47 %

4.467

Euerdorf

294

6

0,07 %

60

0,68 %

8.873

Fladungen

138

5

0,08 %

21

0,32 %

6.590

Gemünden

306

17

0,14 %

63

0,52 %

12.218

Gerolzhofen

348

5

0,05 %

71

0,67 %

10.640 5.489



Gleusdorf

212

7

0,13 %

35

0,64 %

Hassfurt

234

16

0,18 %

49

0,54 %

9.047

Hilders

197

13

0,15 %

40

0,48 %

8.407

Hofheim

385

12

0,09 %

60

0,47 %

12.645

Homburg

355

14

0,12 %

71

0,61 %

11.662

Karlstadt

429

72

0,51 %

74

0,53 %

14.005

Kissingen

264

26

0,29 %

56

0,61 %

9.116

Kitzingen

279

16

0,17 %

64

0,70 %

9.161

Königshofen

372

13

0,10 %

61

0,45 %

13.434

Mainberg

324

31

0,36 %

66

0,77 %

8.527

Marktsteft

348

6

0,05 %

50

0,40 %

12.403

48 Basierend auf Chroust  : Würzburger Land, S. 56f. u. 70f. (jeweils in Auszügen).

Quellenanhang  Landgericht

Verstorbene (1815)

Davon an Nervenfieber (Typus)

Typhustote (Prozentual zur Gesamtbevölkerung)

Davon an Lungensucht und Auszehrung (Tuberkulose)

Tuberkulosetote ­(Prozentual zur Gesamtbevölkerung)

Zivilbevölkerung (1815)

Melrichstadt

145

1

0,02 %

33

0,52 %

6.361

Münnerstadt

491

141

1,34 %

63

0,60 %

10.492

Neustadt

298

15

0,15 %

42

0,42 %

10.105

Ochsenfurt

359

5

0,04 %

69

0,57 %

12.171

Prölsdorf

69

1

0,03 %

15

0,52 %

2.875

Böttingen

264

5

0,05 %

33

0,31 %

10.778

Schweinfurt ­(Distrikt)

76

5

0,18 %

10

0,35 %

2.819

Schweinfurt Stadt

181

2

0,04 %

41

0,75 %

5.453

Sulzheini

142

11

0,24 %

23

0,50 %

4.629

Volkach

313

18

0,16 %

58

0,51 %

11.340

Werneck

276

25

0,22 %

55

0,49 %

11.142

Würzburg r. a/M.

414

37

0,31 %

53

0,45 %

11.908

Würzburg 1. a/M.

423

32

0,25 %

62

0,49 %

12.716

Würzburg Stadt

792

23

0,12 %

174

0,88 %

19.814

Zeil

138

3

0,08 %

23

0,58 %

3.935

10187

673

0,20 %

1831

0,54 %

336.348

SUMME

|

XXXVIII. Das Konskriptionsreglement vom 22. Mai 1804, in  : Regierungsblatt für die Churpfalz-baierischen Fürstenthümer in Franken, 1804, XVIII. Stück, S.107–119.

§1 Jeder Unterthan, der zum Militär tüchtig und nicht aus besonderen Gründen befreit wird, ist dazu persönlich verpflichtet, und kann dafür gezogen werden  ; es ist ihm nicht erlaubt ein anderes Individuum dafür einzustellen. § 2 Von dieser allgemeinen Obliegenheit sind ausgenommen a) Alle Ausländer für sich und ihre Kinder[…] b) wegen Religion §3 Keine Glaubenskonfession kann einen Untertanen von der Militär-Dienstpflichtigkeit befreien  : Daher sind auch Juden und Mennonisten der selben unterworfen[…] jedoch gestatten Wir, dass sie […] 180fl. pro Kopf an die Militärkasse bezahlen, wofür die durch freiwillige Anwerbungen die von ihnen zu stellende Mannschaft […] ersetzt wird.

567

568 | 

Anhang

c) Wegen Stand §4 In Absicht des Standes und der daher dem Staate in anderen Verhältnisse leistenden Dienste sind frei  : die Geistlichen und der Adel zu welchem in den Reichstädten auch die adeligen Patrizier gehören […] Die im Dienste des Staates stehenden vereideten Civil- und Militärbeamten und ihre Söhne, soweit sie gemäß dem baierischen Codex in die Klasse der Siegelmäßigen gehören […] die Patrimonialrichter und Verwalter für sich, jedoch nicht für ihre Söhne. Die Söhne der Bürgermeister, Stadtrichter, Verwaltungs und Stadtgerichtsräthe (etc) Das nötige Schreiberpersonale […] jedoch nur für sich Kammerschreiber, Kammerdiener und Hausofficianten des Adels […] nach Ermessen der Obrigkeit […] für unentbehrlich gehalten[…] Das Personale bei den Hofstäben […] Bürger in Städten und Märkten von größerem oder kleinerem Bürgerecht für sich, ihre Söhne sind aber militärpflichtig, und aus dem die Städte treffenden Aushebungsquantum soll vorzüglich die Artillerie ergänzt werden. Öffentliche Lehrer der Universitäten, Lyceen, Gymnasien, und Akademien […] für sich Ärzte und wissenschaftlich gebildete Chirurgen für sich und ihre Söhne, wenn diese sich gleichfalls einer wissenschaftlichen Bildung widmen  ; welches auch für die Söhne protestantischer Geistlichen, welche den Studien sich widmen erstreckt wird […] Legale Advokaten und Prokuratoren für sich und ihre Söhne[…] Studenten und Praktikanten, die nicht wegen des Standes ihrer Eltern befreit sind, wenn sie von ihrer guten Aufführung, ihren Fähigkeiten und vorzüglichem Fleiße von den geeigneten Behörden günstige Zeugnisse beibringen Revierförster[…] für sich ihre Söhne sind aber dienstpflichtig. d) Wegen Ansässigkeit §5 Alle in unseren Landen mit Gütern und Häusern angesessene Unterthanen ohne Unterschied des Wertes ihrer Besitzungen, wie auch die Pächter sind von der Militär-Dienstpflichtigkeit befreit. Diese Ausnahme erstreckt sich aber nicht auf diejenigen, welche in Herbergen wohnen, und nur Anteile an Häusern ohne Grundstücke besitzen  ; ferner auf die Besitzer walzender Grundstücke an einzelnen Äckern ohne Häuser, in so fern diese wegen ihrer Unbeträchtlichkeit des Eigentums ihre fortwährende Anwesenheit nicht nötig haben. e) Wegen Gewerbe §6. In Bezug auf Gewerbe sind frei Künstler im eigentlichen Sinne […] Die Obrigkeit soll aber aufmerksam sein, damit diese Auszeichnung nicht einer Klasse von Menschen zu Teil werde, die nach der bloß mechanischen handwerksmäßigen Art, wie sie Gegenstände der Kunst behandeln, mehr in die Klasse der gewöhnlichen Professionisten gehören. Fabricanten und Manufakteurs […] nicht aber alle Handlanger, oder nur grobe Arbeiten verrichtende Tagelöhner[…]

Quellenanhang 

|

Alle Negocianten, Baquiers und Handelsleute […] nicht aber ihre Hausknechte, ebensowenig die kleinen Krämer und Herumträger[…] Die Lehrjungen während ihrer Lehrzeit  ; jedoch hat die Obrigkeit zu wachen, damit diese Zeit besonders bei den Meistersöhnen nicht über die gewöhnlichen Lehrjahre, um dem Militärdienste desto länger sich zu entziehen, erstreckt werden oder aus diesem nämlichen Motiv mehrere Aufnahmen in andere Handwerke geschehen, oder Einschreibungen in Handwerke vorzüglich von Söhnen der Landleute nur in der Absicht vorgenommen werden, um dem Rekrutenzuge zu entgehen […] Handwerksgesellen die bei Witwen arbeiten, wenn sie Meistersstelle vertreten[…]bleibt im Ermessen der Obrigkeit, ob und in wieweit sie entbehrlich sind […] die einzigen Söhne der Einwohner der Städte, wenn sie ihnen in ihrer bürgerlichen Nahrung unumgänglich nötig sind  ; im gleichen die einzigen Söhne auf dem platten Land, ohne die die Besorgung der Landwirtschaft oder des Gewerbes, oder der Erhaltung einer hilflosen Familie schlechterdings oder doch ohne wesentlichen Nachteil nicht bestehen kann.[…] Berg und gleichgeachteten Arbeiter, […] für sich und ihre Söhne wen diese die nämlichen Arbeiten verrichten[…] Die bei den Salinen angestellten Personen […Salzsillenschopper, Schiffbauer] Diese Befreiungen sollen zu Ungebühr nicht erweitert werden. §7 Bey diesen verzeichneten Befreiungen ist zu beobachten, dass[…] der für den Staat zu gewärtigende Nutzen als ein zur Bewirkung einer solchen Befreiung hinlänglicher Grund betrachtet werden solle[…] III. Regierungs Districte §8 Um […]der zu ziehenden Mannschaft den Vorteil zu verschaffen, dass sie künfig in ihrer Heimat bleiben, und ihren Verwandten in der Wirtschaft und der Nahrung desto leichter beistehen kann, sollen in Zukunft den Regimentern und Bataillons bestimmte Landes Districte zu ihren Rekrutierungen dergestalt angewiesen werden, dass sie darin ihren bleibenden Standort erhalten […] Die leichte Infanterie Bataillons werden den Infanterie Regimentern zugewiesen, von welchen sie die dem leichten Felddienste angemessene, aber stark gebaute Mannschaft erhalten. Zur Ergänzung der Cavallerie Regimenter treten verhältnissmäsig mehrere Cantons zusammen, und die Artillerie soll […] aus dem Bürgerstande rekrutiert werden. In jedem solchen Distrikte wird die junge waffenfähige Mannschaft vom 16 bis zum 40 Jahre konskribiert, und zur Ergänzung und respektive Verstärkung der demselben zugeteilten Regimente und Bataillons angewiesen […] IV. Festsetzung der Dienstzeit §9 […] auf 10 Jahre festgesetzt, wobei ein Kriegsjahr für 2 Friedensjahre zu rechnen ist

569

570 | 

Anhang

V. Bestimmung der notwendigen Verabschiedung der Inländer §10 Die Entlassung aus der Dienstpflichtigkeit wird bewirket  : 1. Durch vollendete Dienstzeit […] 3. […]auf Ansässigkeit gegründete Abschiedsgesuche VI. Vorschriften bei Bearbeitung des Rekrutierungs Geschäftes §11 Um alle Conatonspflichtige zu wissen, müssen Cantons- oder Musterrollen verfertigt werden, worin alle pflichtige Feuerstellen, die darauf gebornen pflichtigen Söhne und die Gestorbenen verzeichnet sind. Die Geburtsstelle entscheidet allzeit, zu welchem Regiment oder Bataillon der Dienstpflichtige gehört, wenn man solcher Eltern gewöhnlicher Wohnsitz war. Die Dienstpflicht der Findelkinder richtet sich, im Falle die Eltern unbekannt bleiben, nach dem Orte wo sie gefunden sind. §12 Bei jedem Cantonspflichtigen, müssten Alter, Größe und Leibesbeschaffenheit bemerkt werden[…] §13 Den Landrichtern und Magistraten in den Hauptstädten sämtlicher Bezirke[…] muss dernach aufgetragen werden[…] ein Verzeichniss sämtlicher in ihren Gerichten und respective Städte befindlichen jungen Mannschaft von 16–40 Jahren in einer Tabelle zu entwerfen, welche folgendes enthalten muss  : Nummer der Häuser […] Namen und Stand der Eltern ihr Wohnort und Alter, ihre Begüterung, Namen der Söhne, e) ihr Geburtsjahr, ihre Größe nach verschiedenen Jahren, Profession, zu Hause entbehrlich oder unentbehrlich, warum  ; i) zum Soldat tüchtig oder unbrauchbar, warum  ; gegenwärtig oder abwesend  ; in der Lehre, auf der Wanderschaft, oder im Dienste, bei wem  ? […] §14 […] alle Jahre im Monat Dezember muss dies Verzeichnis revidiert werden[…] § 20 Das Maß wird für die verschiedenen Waffen bei der Assentierung auf folgende Art bestimmt  : Für die Artillerie 5 Schuh 4 Zoll und darüber  ; Für die gesamte Infanterie 5 Schuh 2 Zoll und darüber  ; für die Dragoner 5 Schuh 3Zoll bis 5 Schuh 6 Zoll  ; Für die Chevauxlegers 5Schuh 2 Zoll bis 5Schuh 5Zoll nach rheinischem Maße. Bei der Infanterie können auch junge Leute, die nur 5 Schuh 1 Zoll haben, von welchen aber noch Wachstum zu hoffen ist, angenommen werden §21 Diejenigen Dienstpflichtigen, welche wegen Abgang des gehörigen Maßes zum wirklichen Dienst nicht genommen worden sind, sollen entweder zum Fuhrwesen, oder im Notfalle zur inneren Verteidigung des Vaterlandes verwendet werden §22 […]die Landcapitulanten werden von dem einschlägigen Landrichter oder Magistrat ausgehoben, und […] durch eine Gerichtsperson an die einschlägigen Regimenter und Bataillons abgeliefert. Bei Widersetzlichkeiten muss der Zivil-Obrigkeit militärische Assistenz geleistet werden §23 Die Militär-Kommandanten lassen die eingelieferten Mannschaften untersuchen, ob sie nach dem Reglement zu dem bestimmen Militär Dienste tauglich sind oder nicht […]

Quellenanhang 

|

VII. Maßregeln gegen die Dienstpflichtigen, welche durch unerlaubte Mittel dem Militärdienste sich zu entziehen suchen a) Verbot des Loskaufens und aller Einstellungen §26 […] 2) dass eine willkürliche Losmachung vom Militärdienste mit Geld dem Reicheren allein zu Gute komme, und dem Ärmeren seine bleibende Verbindlichkeit nur desto drückender und gehässiger machen müsste 3) dass nebstdem ein sehr erweitertes Beurlaubungssystem besteht, [sind Wir] bewogen worden, nach jener Regel alles Loskaufen von der Militärdienstpflicht durch Geld, oder durch Stellung eines anderen Mannes gänzlich zu verbieten h) Verfahren gegen diejenigen, welche wegen angeblicher Gebrechen dem Militärdienste sich zu entziehen suchen, oder sich absichtlich dafür untauglich machen §33 Diejenigen, welche sich vorsetzlich zu Kriegsdiensten untauglich machen machen, eine Krankheit oder Gebrechen vorschützen, um sich dem Militärdienst zu entziehen, von diesen sollen die letzteren zur doppelten Dienstzeit, die ersteren aber zu einer 6 jährigen Arbeitsstrafe im Zuchthause verurteilt werden[…] §34 Diejenigen, welche um der Rekrutierung sich zu entziehen, auf mehrere Monate, ohne eine erhebliche Ursache anzugeben, sich entfernen oder außer Landes gehen, oder sich im Lande verbergen, soll ihr in unseren Landen besitzendes Vermögen angehalten, und im Falle sie vor Ablauf eines Jahres nach ihrer öffentlichen Vorladung sich nicht wieder einfinden, wie im Falle der Desertion eines Soldaten, dasselbe zur Militärkasse eingesendet werden[…] X. Vorzüge der aus dem Kriegsdienste Entlassenen §40. Die Ausgedienten sollen in Rücksicht ihrer Ansässigmachung, Verheiratung, bei Handwerksconcessionen, bei Verteilung der Kultur Gründe, wie auch bei Besetzung der öffentlichen Ämter vorzüglich begünstigt werden unterz. Max. Joseph, Churfürst Freiherr von Montgelas XXXVIII A. Zusammenstellung einer Verdienstordnung von 1806, in  : StAWü, HV. MS. f., 187.

Standesentwurf, eines Infanterie Regiments von 2 Bataillons, jeder zu 1 Grenadier und 5 Fusilier Compagnien und Kostenaufschlag eines Infanterieregiments nach der neu eingeführten königlich bayerischen Verpflegungsgebühr Staab  : [Verdienst in Gulden, Kreuzer pro Jahr] 1 Obrist und Regiments Inhaber 1884 1 Obristen und Commandant 2234,24 1 Obristlieuntnant 1629,36

571

572 | 

Anhang

2 Major 1509,36 (1te) 1029,36 (2te) 1 Auditor 600 1 Rechnungsfüherer 600 1 Regiments Adjutant 480,48 1 Regimentsarzt 600 2 Bataillonsarzt 480 7 Fouriers 1118,1 7/8 6 Unterärzte 777 1 Regiments Tambour 92,48 1/8 8 Hautboisten 609 1 Profoss samt Steckenknecht 138, 35 5/8 ------------------------------------8 Hauptleute 8160 4 Staabscapitains 2640 12 Oberlieutnants 5184 12 Unterlieutnants 4320 12 Feldwebls 1478,37 4/8 12 Führers [=Serganten] 1113,37 4/8 72 Corporals 6531,45 24 Tambours 1099 14 Pfeifers 641 144 Gefreite 7470 12 Zimmerleute 549,30 1056 Gemeine 48356 ---------------Summa inclusive des Staabs 1416 Köpfe Summa des benöthigten Geldes 101.331,47 5/8 fl. pro Jahr Septemberi 1806 XXXVIII B. Zusammenstellung, Aufstellung des II. Bataillons, Kostenausweis vom 15. Januar 1807, in  : StAWü, MOK, 478

Aufstellung des II. Bataillons, Kostenausweis vom 15. Januar 1807. [Verdienst in Gulden, Kreuzer pro Monat und Kopf ] 1 Oberst 221,15 [49] 1 Mayor 150,00 49 Zu bemerken ist hierbei, dass 1801 ein Oberst nur 93fl. im Monat verdiente aber im Jahr noch zusätzliche

Quellenanhang 

1 Adjudant 1 Auditor 1 Baons-Chirurg 1 Actuar 6 Fouriere 3 Chirurgen 8 Hauboisten 1Profoss samt Jung 4 Hauptleute 2 Capitains 6 Oberlieutenants 6 Unterlieutnants 6 Feldwebel 6 Sergeanten 48 Corporale 12 Tambours 50 Gefreite 6 Zimmerleute 820 Gemeine 1 Stabstambour --------------------------------------------------------------991 hinzu  : 1 Canoniercorporal 22 Canoniere 1 Zeugmeister 1 Büchsenmacher ----------------------------------------------------------------1029 Köpfe Für extra Anforderungen und sonstige Ausgaben 2000

|

47,30 66,00 51,00 26,00 21,00 21,00 5,10 9,20 103,30 [50] 66,00 51,00 [51] 43,00 [52] 9,10 6,40 6,10 2,40 3,10 3,10 2,40 [53] 6,60 4708 7,50 6,10 18,00 6,35 4975,40

Hofgagen bezog die je nach Rang und Gunst beim Fürstbischof zwischen 430fl. und 530fl. schwankten. Vgl. Munker, Die Garnison, Anhang 1, S. 95 50 1801 verdiente ein Hauptmann nur 53fl. 58Kr.; Vgl. ebd. 51 Im Jahr 1801 lag der Verdienst noch bei 26fl. 50Kr., vgl. ebd. 52 Im selben Jahr verdienten jene nur 19fl. 66Kr., vgl. ebd. 53 1801 verdiente ein gemeiner Füsilier noch 6fl, 45Kr im Monat und ein Grenadier, meist verstanden als Eliteeinheit, 7fl. 19Kr. Nur so konnten die Söldner bei der Fahne gehalten werden. Im Entwurf 1806 waren es noch 3fl. 81Kr. pro Monat und Kopf. Die erneute Senkung ist wohl auf die ausgeleerten Kassen zurückzuführen. Vgl. ebd.

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574 | 

Anhang

XXXIX. Tabelle, Anteil der Gefallenen an Steuerklassen und Bevölkerung 1806–1810 Ämter

Steuerklasse Seelen

Gerolzhofen

I

Königshofen

I

Ochsenfurt

I

Volkach

I

Röttingen

I

Werneck

I

Würzburg die Stadt

I

Summe Arnstein

II

Dettelbach

II

Ebern

II

Eltmann

II

Euerdorf

II

Haßfurt

II

Hofheim

II

Homburg

II

Karlstadt

II

Kitzingen

II

Mainberg

II

Mellrichstadt

II

Münnerstadt

II

Neustadt

II

Würzburg r:j:M:

II

Würzburg l:d:M:

II

Summe Bischofsheim

III

Fladungen

III

Gemünden

III

Hilders

III

Kissingen

III

Proelsdorf

III

Summe Gesamtsumme

Gefallene

10.218 12.794 9.341 10.043 9.866 11.153 12.110 75.525 9.884 8.226 11.748 3.141 8.830 8.333 12.192 6.939 14.171 8.077 8.493 6.318 9.818 9.863 10.827 12.374 149.234 12.043 6.716 5.065 7.926 8.970

23

Anteil Gefallene Annahme 9% an Einwohner sind junge pro Steuerklasse Männer

30% von jungen Anteil Gefallene an Kantonisten Männern sind Kantonisten

36 26 36 26 29 34 210

0,28%

6.797,25

2.107,15

9,97%

0,38%

13.431,06

4.163,63

13,74%

36 26 24 15 50 33 20 16 42 20 44 26 32 57 67 64 572 61 38 29 36 42 10

1.380 42.100

216

0,51%

3.789,00

1.174,59

18,39%

266.859

998

0,37%

24017,31

7445,3661

13,40%

 

Quellenanhang 

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XL. Tabelle, Anteil der Gefallenen an Steuerklassen und Bevölkerung gesamt Ämter

Steuerklasse

Gerolzhofen

I

11.297

23

196

Königshofen

I

13.562

37

315

Ochsenfurt

I

12.493

26

221

Volkach

I

12.053

36

306

Röttingen

I

10.936

26

221

Werneck

I

11.535

29

247

Würzburg die Stadt I

12.267

34

289

Summe

84.143

211

1.795

10.529

36

306

Seelen 1813 Gefallene Hochrechnung Gefallene

Anteil Gefallene an Einwohner pro Steuerklasse

Arnstein

II

Dettelbach

II

9.410

26

221

Ebern

II

11.686

24

204

Eltmann

II

4.718

15

128

Euerdorf

II

9.194

50

425

Haßfurt

II

9.473

33

281

Hofheim

II

12.802

20

170

Homburg

II

11.602

16

136

Karlstadt

II

14.567

42

357

Kitzingen

II

9.308

20

170

Mainberg

II

8.802

44

374

Mellrichstadt

II

6.573

26

221

Münnerstadt

II

11.270

32

272

Neustadt

II

10.367

57

485

Würzburg r:j:M:

II

13.333

67

570

Würzburg l:d:M:

II

19.925

64

544

173.559

572

4.866

13.553

61

519

Summe

Anteil Gefallene Annahme 9% (Hochrechnung) sind junge Männer an Einwohner pro Steuerklasse

30% von jungen Anteil Gefallene an Kantonisten Männern sind Kantonisten

Anteil Gefallene (Hochrechnung) an Kantonisten

0,25%

2,13%

7.573

2.348

8,99%

76,46%

0,33%

2,80%

15.620

4.842

11,81%

100,50%

Bischofsheim

III

Fladungen

III

6.610

38

323

Gemünden

III

12.743

29

247

Hilders

III

8.607

36

306

Kissingen

III

9.440

42

357

Proelsdorf

III

2.927

10

85

53.880

216

1.838

0,40%

3,41%

4.849

1.503

14,37%

122,24%

311.582

999

8.499

0,32%

2,73%

28.042

8.693

11,49%

97,77%

Summe Gesamtsumme

 

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576 | 

Anhang

XLI. Abbildung, Monturvergleich hochstiftischer Füsilier mit österreichischem Füsilier.

Hochstiftischer Füsilier (links) mit österreichischer Montur. Interessant sind hierbei die Schwedischen Ärmel-Aufschläge, die den Ärmelaufschlägen französischen Typs weichen werden. (entnommen aus  : Kopp, Würzburger Wehr, S. 176) Zum Vergleich ein österreichischer Füsilier im Jahr 1756 (rechts) (entnommen aus  : Richard Knötel  : Farbiges Handbuch der Uniformkunde. Stuttgart 1985, S. 114)

Quellenanhang 

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XLII. Abbildung, Ein würzburgischer Füsilier in der bayerischen Periode 1803–1806.

Das 12. Linien-Infanterie-Regiment trug zum kornblauen Grundtuch ponceauroten Kragen, grüne Klappen und Aufschläge mit rotem Vorstoß, gelbe Knöpfe. Die Ärmelaufschläge sind nach bayerischer Manier vierfach geknöpft. Entnommen aus  : Cantler, Johann Baptist  : Der Bayerischen Armee sämtliche Uniformen von 1800–1873, Schwarzbach 1976

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Anhang

XLIII. Abbildung, Die Montur eines würzburgischen Chevaulegers in der bayerischen Periode.

Das 4. Chevauleger-Regiment Bubenhofen hatte zur grünen Uniform schwarze Auszeichnung mit hochroten Vorstößen und weißen Knöpfen. Entnommen aus  : Cantler, Johann Baptist  : Der Bayerischen Armee sämtliche Uniformen von 1800–1873, Schwarzbach 1976

Quellenanhang 

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XLIV. Abbildung, Marschroute des Infanterieregiments im Vierten Koalitionskrieg [eigenständige Erstellung]

XLV. Chronologischer Aufriss der Feldzugsgeschichte des IR auf der Iberischen Halbinsel von der Belagerung Geronas bis Anfang Juli 1813

8. April–8. Mai 8. Mai Ab 9. Mai ab 13. Juni 17. Juni 19. Juni 20. Juni

IR in Medinyà zur Deckung von Verdiers Hauptquartier zu Bandolo Angriff auf spanische Vorposten (8–11. Mai), dabei Plünderung des Dorfes Sarriá und Qualta (2)54 Batteriebau bei Casa Negrel (800m nördl. Werk St. Narciß) (3) Beschuss von Fort Montjuich, IR in Nähe Galgenberg in den Weinbergen (4) spanischer Ausfall wird durch IR Nähe Galgenberg abgewehrt (4) Besetzung Fort St. Ludwig (5) Korp. Morasch und Volt Saalmüller verdienen sich goldene Ehrenmedaille durch Eindringen in Fort St. Naciß (6)

54 Die Nummerierung (1)–(17) bezieht sich auf die Abbildung zur Belagerung Geronas als Dokument XLVI.

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580 | 

Anhang

21. Juni

22. Juni–1 Juli

7. Juli 8. Juli

ab 8. Juli 3. August 4. August 9. August 13. August 14. August 19. August

28. August 1. September

19. September

Sturm des Fort St. Daniel durch Olt. Cantler, der dabei ein Auge und einen Arm verlor, mit 50 Gem.Gren. (13 Tote) und Sicherung von sechs Geschützen (7) Ein Teil des IR zur Sicherung im Hinterland auf Vorpostendienst, mit einigen Verlusten durch guerilleros  ; der andere Teil  : schwerer Batteriebau mit Sandsäcken gegen das Fort Montjuich (8) Sammlung zum Sturm am rechten Abhang der »Teufelsbatterie« Grenadiere und 8. Füsilierkompanie im Zentrum der Sturmkolonne der Bresche in Fort Monjuich scheitert  ; Rest des IR unter Maj. Hebel (Ghz. Berg) bei Ablenkungsmanöver an einem Nebenwerk von Fort Monjuich (9), genannt ›Halbmond‹, danach verzweifelter Sturm über die bereits Gefallenen scheitert unter starken Verlusten (34 Tote, 152 Verwundete) (10) langwieriger Laufgrabenbau mit Anlegen einer Bresch-Batterie (Minierschächte) gegenüber von »Halbmond« (11) Bat I unter Oberstlt. Maisonneuve Sturm Kloster St. Daniel (9 Tote, 15 Verwundete) (12) Nach Sprengung durch Mineure, Sturm des Nebenwerks »Halbmond« (5 Tote, 15 Verwundete, 2 vermisst) (11) Abwehr eines spanischen Ausfalls aus Fort Monjuich bis hinein in die zweite Parallele (13) spanische Aufgabe des Fort Monjuich und Besetzung des Forts Verlegung ins Kloster St. Daniel 200 Soldaten des IR versuchen den Turm Gironella in der Nacht zu erklettern und scheitern, Räumung einiger besetzter Häuser am nächsten Morgen (15) Schwerer spanischer Granatenbeschuss aus Gerona, Ult. Hitzelberg stirbt Vorposten des IR weicht bei Ansturm der spanisch-englischen Versorgungsarmee unter Blake, außerdem kurzzeitige Aufgabe des Klosters St. Daniel (16) gescheiterter Sturm auf Gerona, das IR im linken äußeren Flügel versucht erneut unter Ult v. Adelsheim mit 200 Mann den Turm von Gironella gegen 800 Verteidiger zu erobern und muss sich fluchtartig in das Fort Montjuich zurückziehen (5 Tote, 14 Verletze) (15)

Quellenanhang 

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Oktober/November (16) Batteriebau nach Ankunft Augeraus (13. Okt.)Versuch der Erhaltung des Status quo nur löchrige Einschließung Geronas möglich, Gefangennahme und Exekution eines Detachements des IR auf dem Hauptplatz in Gerona 2. Dezember Erneuter konzentrierter Beschuss Geronas 6. Dezember Zusammen mit dem IR Berg erobert das IR die Capitell- und Kalvarien-Redoute (17) und Kompanien unter Johann Cantler stürmen den Turm Gironella und die dortige Vorstadt (15) 10. Dezember IR zieht in das ausgehungerte Gerona ein 20. Dezember Unter Verdier Ausrücken ins Umland Geronas 22. Dezember Angriff einer 6.000 Mann starken feindlichen Division und Flucht bis Figueras (3 Tote, 22 Verwundete, 24 Vermisste) bis 27. Dezember Recognoszierungen im Gebirge von Olot 1810 19. Januar Truppenverstärkung von 258 Mann unter Major Metz trifft ein Februar Kämpfe auf dem nordöstlichen Flügel des von Enrique O’Donnell (1769–1834) geführten Angriffs zwischen Vic und Tordera März Begleitung eines Versorgungstransports bis Barcelona unter andauernden Kämpfen (5 Tote), Ankunft 16. März  ; anschließend Aufteilung des IR und Besetzung einiger Küstenstädte 14. April Rückzug nach Gerona, anschließend Sicherung der Straße nach Frankreich durch ausgedehnte »Streifkommandos« 11. Juli 5 Komp. Gefecht unter Oberst von Geuther (Ghz. Berg) bei Castelfolit (5 Tote, 23 Verwundete, 1 Vermisster) 27. August Überfall auf Krankenkonvoi von Croix Fallines, 1 Komp unter Olt. Frits als Bewachung betroffen (1 Toter, 4 Verwundete) September– Wach- Begleit- und Streifdienste in Bascara Februar 1811 26. Februar Rückzug nach Perpignan 22. März Abmarsch nach Vilalobent bei Puigcerdà  ; Dort Umwandlung des IR in Bat 1 unter Hptm. Erlée (26. März) eingereiht in die »Cerdagnedivision« unter François Jean Baptiste Quesnel Bewachung der Cerdagne gegen feindliche Einfälle 28. März Gebsattel geht mit 14 Offizieren und 40 Gem. zurück Richtung Würzburg 6. August +23. Oktober Abwehrgefechte  : (4 Tote, 39 Verwundete)

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Anhang

Bis August 1812

8. August 17. August bis Juni 1813 23. Juni

6.–9 Juli

In Brigarde Breuermann (mit 102. frz LIR, IR Berg) Streifzüge um Puigcerdà, Marsch nach Bellver de Cerdanya und Seu d’Urgel  ; Plünderung durch Bat 1 Lebensmitteltransport nach Figueras, dann nach Olot Nachschubsicherung nach Gerona/Saria, Nachschubsicherung nach Vich, Olot, Barcelona Gefecht bei Banolas  : Feindliches Korps von 5000 Mann und 200 Pferden versucht Vereinigung mit englischer Schiffsbesatzung vor Palamos, vereitelt Div. GenLamarque (4 Verwundete)55 Gefechte im Gebirge um Vic und St Feliu, dann Rückzug und erfolgreiche Verteidigung von St. Salud gegen anfangs 3000 Miquelets unter Eroles, dann verienigung anderer Verbände (unter Manso Fleres, Villiamil) waren es 8–9000 gegen 1600 Napeoleonische  ; es waren über 200.000 Kugeln verschossen die Bergkanonen waren ohne Munition man stand seit 3 Morgens 11 Stunden lang im Feuer, dann endlich gewahrte man die Briagde Breuermann mit 4 Bat von Gerona kommend »Vive l’Empereur« erscholl es nun allenthalben, man schwang die Tschakos auf die Bajonets, mit Entusiasmus wiederholte man diesen alles wiederbelebenden Ruf-bey den Franzosen der Begleiter großer Freuden, der Beschützer und Retter in großen Gefahren«56 Noch zwei Stunden Gefecht mit dem Bajonett aus zwei Seiten bis sich gegen 17 Uhr nach Esquirol zurückzuziehen begann »Die Toten (um sie nicht den Verstümmelungen des Feides Preis zu geben (249) wurden in die Felsklüfte hinabgestürzt insgesamt 450 blessierte(2 Tote, 21 Verwundete, wovon 6 auf dem Rückmarsch starben)57

55 StAWü, HV. MS.q.116, S. 241f. 56 S. 248f. 57 S. 245–251

Quellenanhang 

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XLVI. Abbildung, Belagerung Geronas (vom 8. Mai bis 10. Dezember1809)

Die hier in der Karte eingefügten Zahlen beziehen sich auf die die Nummerierung (1)– (17) des chronologischen Aufriss der Feldzugsgeschichte des IR auf der Iberischen Halbinsel (Dokument XLV). Die Verteidigung der Forts und der Stadt stand unter dem Befehl von Mariano Alvaréz de Castro (1749–1810)58, der anfangs 5.723 Soldaten unterschiedlicher Herkunft59 kommandierte. Angesichts der schieren Übermacht napoleonischer Truppen überrascht die lange Blockadedauer. Zu bedenken ist aber, dass die Festungen Spaniens, als Brennpunkte der Volkserhebung60, ganz im Sinne eines totalitären Krieges, alles und jeden zu deren Verteidigung heranzogen. Girona steht für dieses Phänomen beispielhaft, da dort auch die Stadtbevölkerung, Männer wie Frauen, die Verteidigung effektiv bewerk-

58 Zu seiner Person  : Albornoz, Juan Ruiz de  : Mariano Álvarez de Castro, in  : El Militar Espanol, 22.12.1846, S. 7–8, S. 7f.; Viñes Millet, Cristina  : Figuras granadinas, S.l., España 1995, S. 195f. 59 So finden sich neben drei Bataillonen Iren, auch irreguläre Freiwilligenkorps (sogenannten Miquelets) aus Vic, Barcelona, und Girona selbst, aber nur drei Bataillone der regulären spanischen Armee. Vgl. Smith  : Napoleonic Wars, S. 337 60 Vgl. von Frauenholz  : Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, S. 198

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Anhang

stelligten. Außerdem sind dorthin als Kernpunkt nationaler Erhebung sukzessive 4.784 freiwillige irreguläre Soldaten zur Unterstützung gekommen61. XLVII. Abbildung, Marschroute des Infanterieregiments auf der Iberischen Halbinsel [eigenständige Erstellung]

61 Smith  : Napoleonic Wars, S. 337

Quellenanhang 

XLVIII. Abbildung, Marschroute der Sappeurs im Fünften Koalitionskrieg [eigenständige Erstellung]

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Anhang

XLIX. Feldbericht, Hauptmann Waldenfels, Wien 19. Juli 1809 (dat. auf den 28. Juli 1809), so in  : StAWü, MOK 379.

Dem Militär-Obercommisariate habe ich gehorsamst zu melden, dass die zwei Copagnien Sappeurs sr. kaiserlich königlichen Hoheit in der 2ten Schlacht bei Esslingen und Enzersdorf beygewohnt haben. In der Nacht auf den 5ten des Juli ging der Übergang des rechten Flügels der Armee, dem wir zugetheilt wurden über den letzten Arm der Donau für sich, nach dem man von kais. oesterreichischer Seits vergebens gesucht hat, durch ein anhaltendes Kannonenfeuer, durch stetes Bomben und Granaden werfen, dem wir die ganze Nacht hindurch unaufhörlich ausgesetzt waren dieses Vorhaben zu vereiteln. Mit Tages Anbruch man alles [sic] hinüber, und die große Schlacht nahm ihren Anfang. Der rechte Flügel der kaiserlich französischen Armee umging den linken österreichischen und weil sie dem ungeachtet, nebst dem dass [*] ihren Batterien so vielen Schaden that, durchaus nicht weichen wollten, so erhielt ich den Befehl mit den zwei Kompagnien Sappeurs Sr. k. k. Hoheit gegen diese Batterie im Sturmschritt vorzurücken, auf 600–700 Schritt Distanze haltzumachen und unter der Direction eines Obristen vom GenieCorps eine gegen-Batterie zu erbauen. Im Geschwindschritt eilte ich nun zu dem Ort unserer Bestimmung und erlangte ohne einen Verlust das Ziel. Die Arbeit war noch nicht zur Hälfte vollendet als durch das große Maneuver Sr. Majestät des Kaisers Napolion [sic] die österreichische Armee plötzlich gezwungen wurde, auf eiligste die ganzen Linien ihrer Position und folglich auch die Batterien zu verlassen. Ich kann das Benehmen der Herrn Officiers sowohl als die Contenance der Truppen während der ganzen Affäre nicht genug anrühmen, und ich darf mir schmeicheln, dass sich die Sappeurs Sr. k.k. Hoheit bey dieser Gelegenheit wieder die vollkommene Zufriedenheit unseres Chefs des Herren General Berdrans erhalten haben. Die unausgesetzten Märsche machten es mir unmöglich früher meinen Bericht über die zweite Bataille von Esslingen gehorsamst einzuschicken. Nachdem der Waffenstillstand bekannt gemacht worden war, so rückte ich am 18ten mit der Division zu Arnspitz, eine kleine Stunde vor Wien ein, um am Brückenkopf daselbst zu arbeiten – ich selbst bin zur Herstellung meiner Gesundheit, die sehr gelitten hat, auf Befehl des Herrn General Joyeard der unter den Herrn General Berdrans commandiert, hier einquartiert. Wiederholt muss ich nun schleunigst um die Übersendung eines Wechsels bitten, in dem bis zum 25.ten die Cassa ohne Geld ist  ; wenn ich gegen alle Erwartungen von hier aus der Gegend abmarschieren müsste, so würde es in jedem Falle, dem großherzoglich würzburg. Geschäftsträger dahier sehr leicht werden meinen Aufenthalt zu erfahren. Das großherzogliche Sapeurs Commando

Quellenanhang 

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Herr von Waldenfels Hauptmann [* leider verderbte Stelle  ; lesbar ist Schl… vermutlich Schlamm, weil tags zuvor am 4. Juli ein kräftiges Gewitter den Platz aufweichte, vgl. Varnhagen Ense, Denkwürdigkeiten, S. 103] L.

Abbildung, Uniformblätter der »Sammlung Brod«, Universitätsbibliothek Würzburg (eigenständige Zusammenstellung zur Collage)

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Anhang

LI.

Abbildung, Marschroute der Chevaulegers im Sechsten Koalitionskrieg [eigenständige Erstellung]

Quellenanhang 

LII.

Abbildung, Marschroute des Infanterieregiments im Sechsten Koalitionskrieg [eigenständige Erstellung]

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Anhang

LIII. Abbildung, Schlachtplan von Bautzen 21. Mai 1813

Oben  : Schlachtsituation in Bautzen am 21. Mai am Anfang. Unten  : Schlachtsituation kurz vor dem Durchbruch der napoleonischen Truppen. Aus  : Esposito, A military History, Map 132 a und b

Quellenanhang 

LIV. Abbildung, Uniformkunde Würzburgs »Freywillige Jäger«

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Anhang

Die freiwilligen Jäger Würzburgs waren gänzlich nach französischer Probe gewandet. Die Schützen hatten statt der sonst üblichen Säbel Bajonette in der Scheide. Dazu ­wurden erdbraune Mäntel gestellt. Uniformblätter der »Sammlung Brod«, Universitätsbibliothek Würzburg. LV.

Abbildung, Lithographie »Zusammenstoss Würzburgischer Truppen mit der französischen Brücken-Thor-Besatzung«

Entnommen aus  : Ullrich, Georg Adam  : Die Blockade der Festung Marienberg und des Mainviertels zu Würzburg in den Jahren 1813 und 1814. Würzburg 31879

Quellenanhang 

LVI. Verlustlisten

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Anhang

Quellenanhang 

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Anhang

Quellenanhang 

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Anhang

Quellenanhang 

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Anhang

Die Verlustlisten richten sich nach den Matrikelbüchern der Militärpfarrei St. B ­ urkard, Würzburg (DAW, Würzburg St. Burkard) ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Das Schema der Nennung  : Nachname, Vorname-Alter des Gefallenen-Militärischer RangGe­burtsort-Todesjahr (07=1807)-Todesort.