Poetogenesis: Funktionalisierung von Wissen zur Konstruktion und Verhandlung von 'Leben' in der deutschsprachigen Literatur (1996-2007) 9783110302417, 9783110302189

This study furnishes literary anthropological research with a number of fruitful routes for approaching the issue of “li

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Poetogenesis: Funktionalisierung von Wissen zur Konstruktion und Verhandlung von 'Leben' in der deutschsprachigen Literatur (1996-2007)
 9783110302417, 9783110302189

Table of contents :
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Vorbemerkungen
2.2 Wissen
2.2.1 Abgrenzung: Information vs. Wissen
2.2.2 Wissensbegriffe
2.2.3 Von Wissensbegriffen zu Wissensarten
2.2.4 Zusammenfassung
2.3 Literatur und Wissen
2.3.1 Forschungsfeld Literatur und Wissen(schaften)
2.3.2 LiterarischesWissen als Wissen in Literatur
2.3.3 LiterarischesWissen als Wissen durch Literatur
2.3.4 Metaphern und Wissen
2.3.5 Zusammenfassung
3 Methodischer Zugang
4 Textanalytischer Teil
4.1 Kriterien der Textauswahl
4.1.1 Formale Kriterien
4.1.2 Inhaltliche Kriterien
4.1.3 Problemkategorie Genre
4.1.4 Konkrete Umsetzung
4.2 Wissen
4.2.1 Wissenssystem: Differenzierung von Wissensmengen
4.2.2 Formen der textuellen Wissensrepräsentation
4.2.3 Formen der textuellen Wissensgestaltung
4.2.4 Denkstrukturen
4.3 Leben
4.3.1 ‹Leben› in der literarischen Anthropologie
4.3.2 Strukturierung des Lebenslaufs: Altersklassen
4.3.3 Lebens(phasen)modelle
4.3.4 Parameter eines sich wandelnden Lebensbegriffs
4.3.5 Leben = Materie + x: Verhandlungen des Lebensbegriffs
4.4 Wissen und Leben
5 Zusammenfassung und Ausblick
Bibliographie
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Personen- und Textregister

Citation preview

Stefan Halft Poetogenesis

spectrum Literaturwissenschaft/ spectrum Literature

Komparatistische Studien/Comparative Studies

Herausgegeben von Moritz Baßler, Werner Frick, Monika Schmitz-Emans Wissenschaftlicher Beirat/Editorial Board Sam-Huan Ahn, Peter-André Alt, Aleida Assmann, Francis Claudon, Marcus Deufert, Wolfgang Matzat, Fritz Paul, Terence James Reed, Herta Schmid, Simone Winko, Bernhard Zimmermann, Theodore Ziolkowski

Band 36

Stefan Halft

Poetogenesis

Funktionalisierung von Wissen zur Konstruktion und Verhandlung von ‹Leben› in der deutschsprachigen Literatur (1996–2007)

DE GRUYTER

ISBN 978-3-11-030218-9 e-ISBN 978-3-11-030241-7 ISSN 1860-210X Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt 1

Einleitung

1

2

8 Theoretische Grundlagen 8 2.1 Vorbemerkungen 2.2 Wissen 9 10 2.2.1 Abgrenzung: Information vs. Wissen 11 2.2.2 Wissensbegriffe 2.2.3 Von Wissensbegriffen zu Wissensarten 30 32 2.2.4 Zusammenfassung 35 2.3 Literatur und Wissen 2.3.1 Forschungsfeld Literatur und Wissen(schaften) 36 40 2.3.2 Literarisches Wissen als Wissen in Literatur 70 2.3.3 Literarisches Wissen als Wissen durch Literatur 2.3.4 Metaphern und Wissen 72 76 2.3.5 Zusammenfassung

3

Methodischer Zugang

4

82 Textanalytischer Teil 4.1 Kriterien der Textauswahl 83 83 4.1.1 Formale Kriterien 84 4.1.2 Inhaltliche Kriterien 4.1.3 Problemkategorie Genre 85 87 4.1.4 Konkrete Umsetzung 4.2 Wissen 88 88 4.2.1 Wissenssystem: Differenzierung von Wissensmengen 103 4.2.2 Formen der textuellen Wissensrepräsentation 4.2.3 Formen der textuellen Wissensgestaltung 158 179 4.2.4 Denkstrukturen 193 4.3 Leben 4.3.1 ‹Leben› in der literarischen Anthropologie 194 197 4.3.2 Strukturierung des Lebenslaufs: Altersklassen 202 4.3.3 Lebens(phasen)modelle 4.3.4 Parameter eines sich wandelnden Lebensbegriffs 226 241 4.3.5 Leben = Materie + x: Verhandlungen des Lebensbegriffs 251 4.4 Wissen und Leben

5

Zusammenfassung und Ausblick

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257

vi

Inhalt

Bibliographie

263 293

Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis

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Personen- und Textregister

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Danksagung Die vorliegende Studie wurde im Juli 2011 als Dissertationsschrift an der Philosophischen Fakultät der Universität Passau angenommen und im August 2012 verteidigt. Zu promovieren bedeutet, sich manchen fachlichen und privaten Herausforderungen zu stellen. Daher danke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Michael Titzmann, für die vielen Anregungen, die er mir während meiner Studien- und Promotionsphase zu geben imstande war. Seine Forschungsarbeit ist eine wesentliche Grundlage der vorliegenden Studie. Prof. Dr. Hans Krah bin ich nicht nur dankbar für die Gelegenheit, mein Projekt mehrfach im Oberseminar des Lehrstuhls für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Medienwissenschaft der Universität Passau zur Diskussion stellen zu können. Vielmehr danke ich ihm auch für die Zweitbegutachtung meiner Arbeit, den kontinuierlichen und fruchtbaren Austausch sowie die nachhaltige Förderung. Für kritische Rückfragen und konstruktive Anmerkungen sowie die Drittbegutachtung der Arbeit danke ich Prof. Dr. Jan-Oliver Decker. Außerdem danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen, die sich die Zeit genommen haben, die Arbeit Korrektur zu lesen: Dr. Dennis Gräf, Dr. Stephanie Großmann, Dr. Nora Pleßke und Dr. Verena Schmöller. Für ihre Geduld und Unterstützung möchte ich schließlich und insbesondere meiner Familie und meinen Freunden von ganzem Herzen danken. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Die Arbeit an der Dissertationsschrift wurde durch die Universität Bayern e. V. mit einem Stipendium im Rahmen des Bayerischen Eliteförderungsgesetzes (BayEFG) unterstützt.

Passau, den 08.04.2013

Stefan Halft

1 Einleitung Im Mai 2011 gewann der Spielfilm The Tree of Life (USA 2011) des amerikanischen Regisseurs Terrence Malick beim 64. Internationalen Filmfestival von Cannes die Goldene Palme. Es ist ein philosophischer Film, der die Geschichte einer texanischen Familie der fünfziger Jahre erzählt. Dabei reflektiert er das Leben des Menschen und dessen Position im Kosmos gleich mit. In einer „Bilderkaskade“ (Schulz-Ojala 2011: 1) erleben wir mit, wie Licht das Nichts erhellt, wie die ersten Bakterien, die Urzelle, informationstragende DNA und schließlich Meereslebewesen und Dinosaurier entstehen. Im Prolog gibt eine Off-Stimme zu bedenken, dass es neben dem Weg der Natur noch einen Weg der Gnade gebe. Dieser, so argumentiert der Film und amalgamiert dabei wissenschaftliche, naturtheologische und psychologische Diskurse, vermag dem menschlichen Dasein einen höheren Sinn zu verleihen. Auch fiktionale literarische Texte der letzten Jahre partizipieren an einem Lebensdiskurs, in den naturwissenschaftliche und kulturelle Teildiskurse bzw. Wissensmengen gleichermaßen verflochten sind. Die Texte integrieren und funktionalisieren die jeweiligen Wissensmengen, um teils explizit danach zu fragen, was ‹Leben›1 ist: DNS [. . . ] sei die eigentliche Essenz des Lebendigen – so hatte er geglaubt. Doch nun musste er feststellen, dass [. . . ] nichts weiter übrigblieb als dieser farblose Tropfen Flüssigkeit [. . . ]. [. . . ] Aber was war das Leben? (Pilz 2 : 175–176, Hervorhebung im Original)

Zu keinem besseren Zeitpunkt könnte diese Frage gestellt werden, ist doch die Unschlüssigkeit darüber, ob die sogenannten Lebenswissenschaften überhaupt imstande sind zu erklären, was die „Essenz des Lebendigen“ ist, in den letzten Jahrzehnten beständig gewachsen. Am Umbruch zum 21. Jh. sind Molekularbiologie und Genetik beispielsweise bestrebt, dem Leben durch die ‚Entschlüsselung‘ der DNA sein Geheimnis zu entlocken. Indessen simulieren Physiker mit dem Large Hadron Collider 3 Bedingungen, die jenen kurz nach dem Urknall ähneln, und erforschen damit den Beginn des Lebens als solches. Nun wurde 1996 zwar das erste geklonte Schaf, Dolly, geboren, aber die Hoffnung, nach der Entschlüsselung des Genoms das ‚Buch des Lebens‘ zu verstehen, hat sich nicht erfüllt. Und auch die Physik bleibt auf die Frage, wieso Leben im Universum möglich ist, bislang eine Antwort schuldig. Mit der Entwicklung der Quantentheorie, der Stringtheorie und der Suche nach einer Theory of Everything entfernt

1 Anmerkung zur Schreibweise: Begriffe in Guillemets ‹. . . › bezeichnen Paradigmen, Konzepte etc., die in der Studie herausgearbeitet werden. 2 Die Texte werden mit Siglen zitiert. Bei mehrfachem, unmittelbar aufeinanderfolgendem Zitieren von Belegstellen desselben Textes wird nur die Seitenzahl in Klammern angegeben. 3 Großer Hadronen-Speicherring. Ringförmiger Teilchenbeschleuniger für Hadronen am Europäischen Kernforschungszentrum CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) bei Genf.

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Einleitung

sie sich stattdessen weit von dem, was informierten Laien noch mit Alltagskategorien zugänglich wäre. Wenngleich also die Frage danach, was ‹Leben› ist, oder gar, welchen Sinn es hat, so alt sein dürfte, wie das menschliche Reflexionsvermögen, scheint diese Frage gerade in den letzten Jahren drängender denn je zu sein (vgl. Gottwald 2000: 53; Faulstich 2002). Dies umso mehr, weil der wissenschaftliche Fortschritt Einfluss auf den Lebensbegriff hat und derzeit nicht unstrittig ist, „inwieweit sich die Lebenserscheinungen mittels der Begriffe, Methoden und Gesetzmäßigkeiten von Physik und Chemie erklären lassen“ (Küppers 1987: 7). Seine Entsprechung findet dieser wissenschaftliche Lebensdiskurs im kulturellen Wandel, der als Dynamik von Lebensformen sowie von kulturellen Normen, Sinn-, Bedeutungs- und Wertsystemen auf das Leben des Individuums Einfluss nimmt. Angesichts der Steigerung bzw. Individualisierung von Erlebens-, Handlungs- und Lebensmöglichkeiten in der Multioptionsgesellschaft (vgl. Gross 1994) stellt sich hier die Frage nach dem intrinsischen Wert von ‹Leben›. Wie bereits am obigen Zitat deutlich wurde, reflektieren literarische Texte als Medien der kulturellen Selbstwahrnehmung diese Fragen. Sie inszenieren und entwerfen Lebensmodelle und greifen dabei auf wissenschaftliche wie nicht-wissenschaftliche Wissensmengen zurück. Die Literatur entfaltet damit „ein komplexes Verständnis von Leben, welches einer semantischen Reduktion des Lebensbegriffs entgegenwirkt“ (Ette 2007: 16). Sie gewinnt in Bezug auf die Gesellschaft also eine ‚seismographische‘ Qualität: Die Frage »Was ist Leben?« [kann] heute nicht mehr nur biologisch, chemisch oder physikalisch verstanden werden, sondern [muss] anthropologisch, ethisch und juristisch erweitert werden [. . . ]. (Mainzer 1990: 42, Hervorhebungen im Original)

Die Relevanz der vorliegenden Studie ergibt sich deshalb vor allem daraus, dass die Frage nach dem Wesen und Wert von ‹Leben› heute vor dem Hintergrund naturwissenschaftlicher Forschung mehr denn je politische Implikationen hat. Dies hat sich erst jüngst an Debatten um Lebensqualität, Umweltschutz, Euthanasie und Präimplantationsdiagnostik gezeigt: „Was in der gegenwärtigen Politik zur Debatte steht, ist die Frage, was Leben und was Nicht-Leben ist“ (Rose 2009: 171). Der Wert ‹Leben› stellt folglich einen der zentralen Integrationsbegriffe der Gegenwart dar (vgl. Toepfer 2005: 157; Mainzer 1990: 42). Die Analyse literarischer Texte ist dabei insofern von großer Bedeutung, da die Literatur als „spezifischer Konstruktions- und Transformationsmodus von genuin ‚nicht literarischen‘ sozialen Wissenssegmenten“ (Ort 1992: 417) fungiert: Durch die Aktualisierung alter Wissensbestände und die Integration aktuellen Wissens werden kulturelle Lebensformen und kollektive Denkmuster ständig erneuert und verändert. Vor diesem Hintergrund will die vorliegende Studie herausarbeiten, wie ausgewählte literarische Texte insbesondere naturwissenschaftliches Wissen funktionalisieren, um ‹Leben›, d. h. kulturell geprägte Lebensmodelle zu konstruieren (Poetogenesis) und den Lebensbegriff explizit zu verhandeln. Ziel ist es zu präzisieren, wie die

Einleitung

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Texte das Konzept und den Wert ‹Leben› sowohl formal als auch inhaltlich konstruieren und wie sie dabei mit wissenschaftlichen wie nicht-wissenschaftlichen Wissensmengen umgehen. Für diese Analyse wurde ein Korpus von deutschsprachigen Erzähltexten aus den Jahren 1996 bis 2007 zusammengestellt. Zwar ist diese Setzung letzten Endes pragmatischer Natur,4 sie ist jedoch vor allem vor dem Hintergrund eines intensivierten Lebensdiskurses nachvollziehbar, der sich gegen Ende des 20. Jh. entfaltet (vgl. Faulstich 2002) und eine literarische Auseinandersetzungen mit Wissenschaft im Allgemeinen provoziert hat. Die inhaltlichen Kriterien der Textauswahl (4.1) stellen darauf ab, den thematischen Fokus im Hinblick auf die Relevanz wissenschaftlichen Wissens in den Texten zu justieren. Dazu zählt in erster Linie die erkennbare Repräsentation wissenschaftlichen Wissens. D. h., die wissenschaftlichen Wissensmengen sollen wenigstens handlungsrelevant und bestenfalls semantisch relevant (sujethaft5 ) sein. Auf der Basis dieser und weiterer Kriterien ließ sich eine Liste von rund 200 oberflächlich relevant erscheinenden Texten zusammentragen, von denen ca. 40 Texte zu einem vorläufigen Korpus zusammengestellt und insgesamt zweiundzwanzig für die Analyse herangezogen wurden. Die Studie stützt sich also auf neue, teils noch nicht kanonisierte literarische Texte, darunter u. a. die Texte Blueprint (Kerner 1999), Das Cusanus Spiel (Jeschke 2005), Götterdämmerung (Kinkel 2003) Der Schwarm (Schätzing 2004), Sexy Sons (Kegel 2001), Die Vermessung der Welt (Kehlmann 2005) und Zweiundvierzig (Lehr 2005). Lediglich aus pragmatischen Gründen beschränkt sich die Analyse auf deutschsprachige Erzähltexte, denn die herausgearbeiteten Prozesse und Tendenzen lassen sich sowohl an englisch- wie französischsprachiger Literatur6 als auch an Filmen7 aufzeigen. Die Studie kann damit zunächst als Beitrag zur literarischen Anthropologie der Gegenwart gelesen werden. Systematische Studien zum Konstrukt ‹Leben› in der Literatur liegen bislang nur für die Frühe Moderne vor8 und beschränken sich ansons-

4 Da sich die Fragestellung der Studie nicht auf eine bestimmte Naturwissenschaft beschränkt, war es nicht möglich, eine Zäsur vorzunehmen, die in allen Wissenschaften gleichermaßen im Sinne eines Paradigmenwechsels von Bedeutung gewesen wäre. Auch politisch-historische Daten erschienen dazu ungeeignet. 5 Damit sind Ordnungsverletzungen (vgl. Lotman 1993) gemeint, die nicht nur topografische, sondern auch topologisch-semantische Grenzen betreffen (klassifikatorische Grenzen). 6 Beispielhaft sei verwiesen auf: Houellebecq, Michel (2005): La possibilité d’une île. Paris: Fayard. Für eine diesbezügliche Analyse siehe Halft (2008a). 7 Parallelen zu Filmen werden in den jeweiligen Analyseabschnitten gezogen. Siehe dazu auch Halft (2010, 2011a). 8 Die Frühe Moderne als Referenzpunkt zu wählen, leuchtet insofern ein, als die Texte auf ähnliche Modelle rekurrieren, wenn sie diese auch modifizieren. Darüber hinaus bietet sich die Frühe Moderne als Vergleichsparameter schon deshalb an, weil wesentliche Wandelsphänomene in der Anthropologie dieser Epoche ebenfalls auf die Entwicklung der Wissenschaften zurückgeführt werden können.

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Einleitung

ten auf einzelne Autoren.9 Eine umfassende wissenschaftliche Monographie zu anthropologischen Aspekten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur liegt in dieser Form demnach noch nicht vor. Zum anderen fällt die Studie in den Forschungsbereich Literatur und Wissen(schaften). Da sich entsprechende Analysen bis auf wenige Ausnahmen10 immer noch überwiegend der Einflussnahme der Wissenschaft auf die Literatur im 18. und 19. Jh. widmen,11 versteht sich die vorliegende Studie als eine theoretisch fundierte, dringend notwendige Erschließung zeitgenössischer literarischer Texte im Hinblick auf deren Umgang mit naturwissenschaftlichem Wissen. Für eine epistemologisch orientierte Analyse12 , wie sie im Rahmen dieser Studie durchgeführt werden soll, ist ein anschlussfähiger und gleichzeitig klar umrissener wie textanalytisch operationalisierbarer Wissensbegriff unverzichtbar. Zur Beantwortung der Leitfrage muss also zunächst in grundlegender Weise geklärt werden, was Wissen ist, welche Wissensformen es gibt und ob Wissen in fiktionalen literarischen Texten als Wissen enthalten sein kann. Vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen13 um die epistemologische Qualität von Literatur wird in Kapitel 2 daher nach einem textanalytisch anwendbaren Wissensbegriff gefragt. Dies scheint insbesondere deshalb erforderlich, weil die Frage nach Wissen in der Literatur zumeist entweder pauschal abschlägig beschieden oder aber mit einem nur behelfsweise definierten Wissensbegriff ausweichend beantwortet wird. Ausgehend von einem epistemologischen Wissensbegriff (2.2.2.1), sondiert die Studie die Anwendbarkeit eines wissenssoziologischen (2.2.2.2) sowie eines kognitionswissenschaftlich-linguistischen Wissensbegriffs (2.2.2.3). Diese werden in einer differenzierungsfähigen Arbeitsdefinition (2.3.5) zusammengeführt, die Wissen als ein kognitives Konstrukt fasst, welches in Zeichen objektivierbar und kommunizierbar ist. Zu seiner nicht-mentalen Repräsentation bedarf es daher einer medialen Basis (Wissensformat) und einer konkreten se-

Siehe vertiefend bei Breger et al. (2006), Lindner (1994), Riedel (1996), Titzmann (1989, 1996, 2002) und Wünsch (1983, 1989, 1990). Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden Forschungsberichte zu relevanten Kontexten den jeweiligen Abschnitten zugeordnet. In diesem Fall siehe Abschnitt 4.3.1. 9 Seidel (2005) untersucht Phänomene reduzierten ‹Lebens› am Werk Marlen Haushofers. 10 Der Sammelband von Klinkert/Neuhofer (2008) bietet einen Ausblick ins 20. und 21. Jh., streift deutschsprachige Literatur dabei jedoch nur am Rande. Renneke (2008) beschränkt sich auf Walter Benjamin, Franz Kafka und Herta Müller. 11 Stark begrenzte Auswahl: Lange, Thomas; Neumeyer, Harald (Hg.) (2000): Kunst und Wissenschaft um 1800. Würzburg: Könighausen & Neumann; Hempfer, Klaus W.; Traninger, Anita (Hg.) (2007): Dynamiken des Wissens. Freiburg im Breisgau: Rombach; Valentin, Jean-Marie; Perlwitz, Ronald (Hg.) (2008): Akten des XI. Internationalen Germanistenkongresses Paris 2005. Band 7. Sektion 16: Wissenschaften und Literatur seit der Renaissance. Bern u. a.: Lang (Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, Band 83); Welsh, Caroline (Hg.) (2008): Interesse für bedingtes Wissen. Wechselbeziehungen zwischen den Wissenskulturen. München: Fink sowie Dittrich (2009). 12 Darunter versteht Förster (2004) den textanalytischen Fokus auf die Ebene des Wissens und Denkens, die Ermöglichungsbedingungen und Organisation von Wissen, Erkenntnis und Erfahrung. 13 Für einen ausführlichen Forschungsbericht siehe Abschnitt 2.3.1.

Einleitung

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miotischen Repräsentationsform, die einer jeweils medien- bzw. textspezifischen Gestaltung unterliegt. Dieser Wissensbegriff ist für verschiedene textanalytische Verfahren anschlussfähig und kann methodologisch operationalisiert werden. Dann muss außerdem auf die Beziehung von Literatur und Wissen eingegangen und erörtert werden, ob Literatur Wissen ‚enthalten‘ (2.3.2) und/oder neues Wissen generieren (2.3.3) kann. Im Rückgriff auf systemtheoretische (2.3.2.1), literaturphilosophische (2.3.2.2), fiktionalitätstheoretische (2.3.2.3) und kultursemiotische (2.3.2.4) Positionen lassen sich textuelle Phänomene der Gestaltung von Wissen beschreiben und differenziert analysieren (2.3.2.6). Erörtert werden muss darüber hinaus, wie textexternes Wissen in textinternes Wissen umgewandelt wird, und ob bzw. wie es dabei transformiert wird (2.3.2.5). Wenn dieser Prozess bislang auch noch keiner theoretischen Modellierung zugeführt wurde, so ließe sich ein Text dennoch als dynamisch-interaktive Verweisstruktur verstehen. Zum „Funktionselement von Wissen“ (Vogl 1999: 15) kann Literatur also insofern werden, als sie Wissensbestände in Beziehung setzt und mitunter in neue Konstellationen bringt. Das Verfahren der Rekonstruktion von Wissen aus literarischen Texten muss außerdem methodisch gesteuert und verfügbare literaturwissenschaftliche Instrumente justiert werden, um Prozesse der Wissensrepräsentation und Wissensgestaltung angemessen beschreiben zu können (Kapitel 3). Bei der Zusammenstellung der AnalyseInstrumente ist zu berücksichtigen, dass je nach Perspektive verschiedene Zugangsweisen denkbar sind: rein textuelle auf der einen, ausschließlich transtextuelle bzw. kontextualisierende auf der anderen Seite (vgl. Neumann/Nünning 2006: 4–5). Neuere kulturwissenschaftliche Ansätze (Neumeyer 2004) streben dazu eine Verbindung einzelner Theorie- bzw. Methodenkomponenten wie etwa der Poetologie des Wissens (Vogl 1997, 1999, 2007) an. Mithilfe der strukturalen Textanalyse (Titzmann 1993; Krah 2006), der strukturalen Erzähltheorie (Martinez/Scheffel 2003), der Intertextualitätstheorie (Helbig 1996; Anz 2002) sowie verschiedener epistemologisch oder kulturwissenschaftlich orientierter Ansätze wird der erarbeitete Wissensbegriff anschließend so operationalisiert, dass auch Prozesse der strukturellen, formalen, semantischen oder funktionalen Transformation bzw. des Aufbaus emergenter Strukturen in den Texten beschrieben werden können. Die Studie geht damit methodologisch zeitgemäß und analytisch hochauflösend vor. Die Textanalyse wird dann in Kapitel 4 entfaltet. Dieses gliedert sich in einen Großabschnitt zum Thema „Wissen“ (4.2) und einen Großabschnitt zum Thema „Leben“ (4.3) Im ersten Teil der Analyse werden Wissensmengen in den Texten lokalisiert, rekonstruiert, qualifiziert und ihre semiotischen Repräsentationsformen mithilfe von Indikatoren auf verschiedenen Textebenen beschrieben, um damit Einblicke in das von den Texten jeweils spezifisch konfigurierte Wissenssystem zu erlangen (4.2.1 und 4.2.2). Hierdurch werden komplexe Prozesse der Wissensgestaltung (4.2.3) in der logisch-semantischen Tiefenstruktur der Texte freigelegt. Dazu zählen insbesondere Phänomene der Hyperkonnektivität, d. h. der rekursiven Bestätigung von kulturellen

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Einleitung

Mustern durch Verwendung zentraler Codes (4.2.3.1), der Generierung von Wissensobjekten durch neu geschaffene Konzepte bzw. durch die Modifizierung von bestehenden Kategorien- und Konzeptsystemen (4.2.3.2), die Genese von Hybridwissen (4.2.3.3) und die Emergenz von Wissensansprüchen durch die Narrativierung von Wissenslücken in literarischen Gedankenexperimenten (4.2.3.4). In einem weiteren Schritt werden kulturelle Denk- und Deutungsmuster analysiert (4.2.4), die den Umgang der Texte mit Wissen auf einer Metaebene reflektieren. Indem die Texte dies tun, etablieren sie Basispostulate, die den Rahmen dafür vorgeben, was als und wie ‹Leben› gedacht werden kann. Sie reflektieren die Einflussnahme wissenschaftlichen Wissens auf die menschliche Lebenswelt und entwerfen bzw. präfigurieren dadurch Modelle von ‹Leben› (4.3.1). Vor diesem Hintergrund können im zweiten Teil der Analyse Konstruktionen von ‹Leben› – in Form eines anthropologischen Lebensmodells einerseits und der Verhandlung eines mehr oder weniger abstrakten, allgemeinen Lebensbegriffs andererseits – in der Interaktion mit den Wissensmengen nachvollzogen werden. Zunächst werden dazu Strukturierungen des Lebenslaufs durch Altersklassen (4.3.2) und Modellierungen des Lebensprozesses durch Lebensphasen sowie deren Übergänge und Wendepunkte (4.3.3) analysiert. Eine kleinere Zahl von Texten setzt sich außerdem explizit mit dem Lebensbegriff auseinander, sodass sich kontextuelle Semantiken eines gegenwärtigen Lebensbegriffs (4.3) ebenso konturieren lassen wie ein Wissensobjekt ‹Leben› (4.4). Parameter wie Natur- und Menschenbilder, metaphysische Grundannahmen, Körperlichkeit und Sexualität, die in der literarischen Anthropologie von zentraler Bedeutung und ohne ihre diskursiven und wissenschaftlichen Voraussetzungen kaum verstehbar sind, vermitteln indes zwischen beiden Zugängen (4.3.4). Sie markieren einen sich wandelnden Lebensbegriff: Die Realisierung eines subjektiv als lebenswert empfundenen ‹Lebens› scheint gerade deshalb nicht einfach zu sein, weil sich zentrale Werte der Moderne teils unvereinbar gegenüberstehen. Nicht nur herrscht Unsicherheit darüber, was nun die Essenz des Lebendigen sei, vielmehr zeichnet sich an den Lebensmodellen auch eine allgemeine Verunsicherung darüber ab, welche Merkmale mit ‹Leben› im emphatischen Sinne der Rhetorik verbunden sind. Das Subjekt blickt eher mit Ungewissheit in die Zukunft. Der teils radikalen Subjektivierung, Isolierung und metaphorischen Fragmentierung des Subjekts, steht vereinzelt ein Streben nach einem ganzheitlichen Dasein gegenüber. Die Texte begegnen diesem Dilemma, indem sie verschiedene Varianten von ‹Leben› und ‹Nicht-Leben› vorführen. Diese Lösungen erscheinen jedoch oftmals als provisorische Lebensformen, die den Lebenslauf als „schräge Musik“ (Schilf : 7), d. h. als tendenziell makelund krisenbehaftet charakterisieren. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass die Texte auch naturtheologische Modelle von ‹Leben› verhandeln, die ihre Entsprechung in der Diskussion über Formen des Intelligent Design der letzten Jahre finden. Sie können als Strategie betrachtet werden, der neuerlichen Unsicherheit sowie den durch wissenschaftliche Forschung entstehenden, ethisch-moralischen Herausforderungen, kollektiven Ängsten und (vermeintlichen) Gefahren normativ zu be-

Einleitung

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gegnen. Auch wenn die Naturwissenschaften heute nicht mehr auf einen „Gott der Lücken“ (Wilkinson 1992: 3) angewiesen zu sein scheinen, so ist eine pauschale Priorisierung der Naturwissenschaften als Lebenswissenschaften an den Texten jedenfalls nicht ablesbar. ‹Leben› ist ein Phänomen, das nicht nur in einem Spezialdiskurs zu verorten wäre, vielmehr ist es dadurch, dass es alle betrifft, prädestinierter Gegenstand populärer Medien wie der Literatur. Diese stellt „All-Gemeinwissen“ (Krah 2001: 5) darüber zur Verfügung, was ‹Leben› (nicht) sein kann oder (nicht) sein darf – ‚Lebenswissen‘14 (Ette 2007). Durch die Rezeption, Transformation und Produktion von Wissen über ‹Leben› geht der Lebensbegriff als Wissensobjekt aus den analysierten Texten hervor. Vor diesem Hintergrund ist die literatur- und kulturwissenschaftliche Relevanz der vorliegenden Studie dadurch bestimmt, dass sie Rückschlüsse auf das gegenwärtige kulturelle Normen- und Wertesystem zu ziehen erlaubt. Sie leistet dabei idealerweise einen Beitrag zum mentalitätsgeschichtlichen Umgang mit ‹Leben› und zur Repräsentation und Prozessierung von Wissen in Literatur gleichermaßen.

14 Kritisch zu Ettes Begriff nimmt Stellung Gschwind (2012).

2 Theoretische Grundlagen 2.1 Vorbemerkungen Wissen hat seit einigen Jahren nicht nur in ökonomischer Hinsicht Konjunktur. Ablesbar ist dieser Umstand an Zeitschriften wie Geo, TV-Formaten wie Galileo und der Breite wissenschaftlicher Forschung, die sich mit wissensbezogenen Phänomenen beschäftigt. Gerne wird die gegenwärtige Gesellschaft daher als Wissensgesellschaft bezeichnet, weil ihre Strukturen und Prozesse der materiellen und symbolischen Reproduktion derart von wissensabhängigen Operationen durchdrungen sind, dass „Informationsverarbeitung, symbolische Analyse und Expertensysteme gegenüber anderen Faktoren der Reproduktion vorrangig werden“ (Willke 2001: 380).1 Nimmt man diese These ernst, so lässt man sich auf eine Plethora von Themen und Begriffen ein, die es zu definieren und zu systematisieren gilt, wie ein tentatives ABC der Wissensgesellschaft (Auer/Sturz 2007) dokumentiert. Auf den zweiten Blick wirft die leichtfertige Zuschreibung allerdings die Frage auf, ob diese Gesellschaft nicht unsicher in ihrem „epistemischen Wesen“ (Mittelstraß 2001: 33) geworden ist, ob das Wissen seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat bzw. wir keinen klaren Wissensbegriff (mehr) haben. Für die weiteren Analysen, ist ein anschlussfähiger und gleichzeitig klar umrissener wie textanalytisch operationalisierbarer Wissensbegriff allerdings unverzichtbar. Dies umso mehr, als die Frage, was ‚Wissen‘ sei, welche Wissensformen es gebe und ob Wissen in fiktionalen literarischen Texten enthalten sein könne, jüngst wieder neu aufgeworfen wurde.2 Während Christine Maillard und Michael Titzmann (2002: 13) beispielsweise die Ansicht vertreten, dass Literatur „jederzeit wissenschaftliches wie nicht-wissenschaftliches Wissen [in sich] kombinieren“ könne, bestehen hieran auf literaturphilosophischer Seite große Zweifel. Bisher stehen sich Vertreter wissenssoziologisch bzw. (kultur-)semiotisch inspirierter Ansätze einerseits und Vertreter erkenntnistheoretischer Positionen andererseits unvermittelt gegenüber. Dies soll zum Anlass genommen werden, in grundsätzlicher Weise nach einem im Rahmen dieser Studie textanalytisch anwendbaren Wissensbegriff zu fragen (2.2). Dazu werden nach ersten Klärungen (2.2.1) zunächst einschlägige Wissensbegriffe (2.2.2) sondiert und in einer Arbeitsdefinition (2.2.4 und 2.3.5) zusammengeführt: Ausgehend von einer (in Bezug auf ihre textanalytische Anwendbarkeit) kritischen Betrachtung der epistemologischen Standarddefinition von Wissen (2.2.2.1) wird diese mit

1 Siehe auch bei Jäger, Wieland (2007): Wissensgesellschaft. In: Schützeichel, Rainer (Hg.): Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Konstanz: UVK, S. 662–669. 2 Im 20. Jh. ist diese Frage Gegenstand der Literaturphilosophie (Lamarque/Olsen 1994; New 1999) sowie der Literaturtheorie (Jahraus 2004) und hat eine Reihe von Arbeiten provoziert (siehe Abschnitt 2.3.1). Eine intensive Diskussion fand zuletzt in der Zeitschrift für Germanistik statt. Siehe dazu Borgards (2007), Dittrich (2007), Köppe (2007) und Jannidis (2008).

Wissen

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einer wissenssoziologischen Definition kontrastiert (2.2.2.2). Letztere kann schließlich durch die neuere kognitionswissenschaftliche Forschung linguistisch adaptiert und damit für die literaturwissenschaftliche Praxis nutzbar gemacht werden (2.2.2.3). Im Anschluss an einen Überblick über den Forschungsbereich Literatur und Wissen (schaften) (2.3.1) muss sodann die Beziehung von Literatur und Wissen und damit die Frage geklärt werden, ob Literatur Wissen ‚enthalten‘ (2.3.2) oder neues Wissen generieren (2.3.3) kann.

2.2 Wissen Ob als wahrer und begründeter Glaube, sozial situierte Konstruktion, symbolische Repräsentation, allgemein verfügbare Orientierungen im Kontext alltäglicher Handlungszusammenhänge, gebündelte und geordnete Information oder als Quelle der Erlösung definiert: Eine begriffliche Bestimmung von ‚Wissen‘ variiert erheblich mit dem sozialen, kulturellen, diskursiven oder wissenschaftlichen Kontext. Klassischerweise3 der Philosophie – konkreter der Erkenntnistheorie bzw. Epistemologie4 – zugeordnet, wird der Wissensbegriff heute von den Disziplinen Soziologie, Psychologie, Informatik und Linguistik mitbestimmt.5 Infolgedessen sind zahlreiche Konzeptualisierungen von Wissen denkbar (vgl. Antos 2005). So zunächst eine sensualistische, die sich aus der etymologischen Verwandtschaft6 von ‚wissen‘ und ‚gesehen haben‘ speist: Was man selbst gesehen hat, das ‚weiß‘ man.7 Von zentraler Bedeutung für die Studie werden indessen wissenssoziologische, kognitionswissenschaftliche und linguistische Konzeptualisierungen sein. Bei Wissensbegriffen in anderen Disziplinen handelt es sich zumeist um fachspezifische Perspektivierungen dieser Konzepte. Das wird bei einem Blick auf die wirtschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen offenbar: Wissen ist dort ein „psychologisches

3 Eine Geschichte des Wissens skizzieren Damerow/Lefèvre (1998). Zur Ausdifferenzierung und Spezialisierung von wissenschaftlichen Disziplinen siehe Stichweh (1984). 4 épistéme (gr.: Wissen, Geschicklichkeit, Wissenschaft). Die Bezeichnungen ‚Epistemologie‘ und ‚Erkenntnistheorie‘ werden im Folgenden synonym verwendet und als Teildisziplin der Philosophie angesehen. 5 Der quantentheoretische Informationsbegriff wird hier mangels Anwendbarkeit ausgeklammert. Das Fehlen eines spezifischen Informationsbegriffs in der Biologie ist u. a. darauf zurückzuführen, dass er molekularbiologisch-genetische Zusammenhänge nur metaphorisch beschreibt (vgl. Kary/Mahner 2001: 368). 6 Das deutsche Wort ‚Wissen‘ geht auf das althochdeutsche Wort wizzan und die indoeuropäische Wurzel ueid (gesehen/erkundet haben) mit der Perfektform woida zurück. Im Deutschen kann Wissen sowohl als Prozess des etwas Wissens oder des Wissens als Ergebnis verstanden werden. Dies gilt auch für das französische savoir. 7 Die suggestive Plausibilität täuscht, zumal man umgekehrt nur sieht, was man weiß/kennt, wie sich an Vorannahmen und Vorurteilen zeigt (vgl. Antos 2005: 348).

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Konstrukt mit ökonomischer Bedeutung“ (Reinmann/Eppler 2008: 18). Für die Managementlehre ist es dabei „weder zielführend noch verbreitet [. . . ], den Wissensbegriff mit der Forderung nach Wahrheit zu verbinden“, da bei der Bewältigung von Managementproblemen kaum gesicherte Wahrheiten zur Verfügung stehen und daher „auf Kenntnisse zurückgegriffen werden muss, die zwar nicht zweifelsfrei wahr sind und dennoch einen nicht zu vernachlässigenden Erkenntniswert besitzen“ (Talaulicar 2006: 6311). Um einen textanalytisch anwendbaren Wissensbegriff herleiten zu können, sind infolgedessen einige Präzisierungen notwendig, weshalb im folgenden Abschnitt zunächst eine Abgrenzung von den verwandten Begriffen der ‚Bildung‘ und der ‚Information‘ erfolgt.

2.2.1 Abgrenzung: Information vs. Wissen

Das heutige Informationsverständnis wird zunehmend auch durch den Wissensbegriff mitprägt (vgl. Hasler Roumois 2007: 33–37; Gaus 2005). Dieser Einfluss zeigt sich im oftmals synonymen Sprachgebrauch von Information und Wissen, aber auch im betriebswirtschaftlichen Wissensmanagement8 sowie der Kognitionspsychologie. Dort hat sich die Rede von Information als Grundlage von Wissen bzw. der Topos vom Wissen als Information einer höheren Reflexionsstufe etabliert (vgl. Spinner 1998: 16). Dem liegt die bildhafte Vorstellung einer ‚Wissenstreppe‘9 zugrunde, die von Zeichen über Daten (Zeichen + Syntax) hin zu Informationen (Daten + Semantik) und schließlich Wissen (Informationen + Vernetzung) führt. So kann aus dieser Perspektive durch die syntaktische Verknüpfung der Elemente ‚eins‘, ‚vier‘, ‚null‘ und ‚Komma‘ zu 1,40 im Kontext der Finanzwirtschaft etwa die Information zusammengesetzt werden, dass der Eurokurs derzeit USD 1,40 beträgt. In diesem Sinne ist Information die Selektion aus der Alternativenmenge eines Möglichkeitsraumes (vgl. ibid.: 26). Durch Vernetzung mit weiteren Informationen kommt gemäß dieser Vorstellung Wissen – etwa über die Mechanismen des Devisenmarktes – zustande. Die ‚Wissenstreppe‘ ist an jedem Punkt ansprechbar, sodass Zeichen in Wissen transformiert, Wissen aber auch in Informationen und Daten zerlegt und als Zeichen objektiviert und gespeichert (signal approach10 ) werden kann (vgl. Reinmann/Eppler 2008: 22). Im kognitionspsychologischen Zusammenhang wird In-

8 Vgl. z. B. Laudon/Starbuck (1996: 3923–3924). Zu Entwicklungslinien des Wissensmanagements siehe Reinmann/Eppler (2008: 24–26). Aktuelle Konzepte des Wissensmanagements stellt Jäger (2007: 643–645) vor, darunter insbesondere die von Probst et al. (2006) sowie die Studie zur Transformation von Wissensarten bei Nonaka/Takeuchi (1997). 9 Ursprünglich bei North, Klaus (1998): Wissensorientierte Unternehmensführung. Wiesbaden: Gabler. Zitiert u. a. bei Probst (2006: 16–17). 10 Die englische Terminologie stammt von Gaus (2005: 29–35).

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formation abweichend hiervon als kontinuierlich variierendes Aktivitätsmuster von Nervenzellen (structure approach) in verschiedenen Gehirnregionen definiert (vgl. Anderson 2007: 21–23) und gilt als Vorstufe von Wissensstrukturen. Auch semiotisch (message approach und meaning approach) und linguistisch ist dieses Verständnis anschlussfähig. In der Erkenntnistheorie spielt der Informationsbegriff hingegen keine Rolle, da Wissen dort streng genommen nicht graduell bestimmbar ist und das, was in anderen Kontexten als Information bezeichnet wird, dort bereits als Proposition den Anforderungen an Wissen unterliegt. Für eine pragmatische Unterscheidung von Wissen und Bildung genügt es an dieser Stelle, die pädagogische Komponente des Bildungsbegriffs im Sinne der Ausprägung der individuellen Anlagen (cultura animi) (vgl. Lichtenstein 1971: 923) zu betonen. D. h. unter Bildung kann die Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung und Subjektentwicklung mit dem Ziel der Gewinnung von Individualität und Vielseitigkeit in kognitiver wie praktischer Dimension verstanden werden (vgl. Gudjons 2008: 200): Sie ist gleichermaßen Zustand und Prozess (vgl. Lichtenstein 1971: 926). Während die Prozesshaftigkeit bisweilen als Unterscheidungsmoment von Wissen und Bildung herangezogen wird, so ist dies vor dem Hintergrund strukturgenetischer Konzepte von Wissen (vgl. Seiler/Reinmann 2004) nicht mehr ausreichend.

2.2.2 Wissensbegriffe

Nachdem zunächst etwas klarer sein dürfte, was Wissen nicht ist, sollen nun einschlägige Wissensdefinitionen rekonstruiert und auf ihre Anwendbarkeit im Rahmen dieser Studie überprüft werden. Aufgrund ihrer weitreichenden Bedeutung beginnen wir mit dem epistemologischen Wissensbegriff und der sogenannten Standardanalyse von Wissen.

2.2.2.1 Der epistemologische Wissensbegriff Die Epistemologie sieht sich mit einer Reihe von Problemen konfrontiert (vgl. Williams 2001: 1–2): Sie hat zu klären, was Wissen ist (analytisches Problem), was man wissen kann und welche Arten von Wissen es gibt (Abgrenzungsproblem), wie man Wissen gewinnen kann (Methodenproblem), ob man eigentlich mit Sicherheit wissen kann (Skeptizismusproblem) und ob Wissen überhaupt erstrebenswert ist (Wertproblem). Lösungsvorschläge zu diesen Problemen haben in der Geschichte der Epistemologie11 zumeist neue Fragen aufgeworfen, von denen gegenwärtig die nach der

11 Siehe hierzu Ritter (1971), Pappas (1998), Engel (1999) und Abel (2009b).

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Rechtfertigung die drängendste ist.12 Für unsere Zwecke wird es genügen, die ersten beiden Probleme sowie aus heuristischen Gründen die Frage der Rechtfertigung und Tendenzen postmoderner Philosophie zu behandeln. Im Zuge dessen wird auch eine Kurzdefinition von ‚Wissenschaft‘ und ‚wissenschaftlichem‘ Wissen erfolgen. a) Wissen: Die Standardanalyse Das Erfahren der Wirklichkeit kann in erkenntnistheoretischer Hinsicht in epistemische Modi differenziert werden: in Meinung (dóxa), Glauben (pístis) und Wissen (épistéme) (vgl. Brülisauer 2008: 30; Mittelstraß 1996). Das traditionelle Konzept von Wissen geht zurück auf Platons Dialog Theaitetos. Dort diskutiert Sokrates drei mögliche Vorschläge einer Definition von Wissen als Wahrnehmung (151e-186e), als wahre Meinung (187a-201c) und schließlich als wahre Meinung mit Erklärung (201c-210d): Was ich auch schon einen sagen gehört [. . . ] habe, kommt mir wieder in den Sinn. Er sagte nämlich, die mit Erklärung verbundene wahre Meinung sei Wissen, die ohne Erklärung dagegen liege außerhalb des Wissens. Und wovon es keine Erklärung gebe, das sei auch nicht wissbar. (Theaitetos 201c-201d 9)

Der epistemologische Begriff von Wissen bezeichnet demnach eine wahre Meinung, die mit Erklärung (lógos) verbunden ist, was später als wahre gerechtfertigte Überzeugung in der sogenannten Standardanalyse reformuliert wurde: Eine Person S weiß, dass p genau dann, wenn (a) S überzeugt ist, dass p (b) p wahr13 ist, d. h. der Sachverhalt, der ausgedrückt wird, tatsächlich besteht. (c) S gerechtfertigt ist in ihrer Überzeugung, dass p .

12 Auslöser war im 20. Jh. der Aufsatz von Edmund Gettier, der die Standardanalyse von Wissen mit Problemen der Rechtfertigung konfrontierte (Gettier-Probleme), an denen die Epistemologie bis heute laboriert. Siehe Gettier, Edmund (1963): Is Justified True Belief Knowledge? In: Analysis, Jg. 23, S. 121– 123. Zur Vertiefung siehe: Steup, Matthias; Sosa, Ernest (Hg.) (2005): Contemporary Debates in Epistemology. Oxford u. a.: Blackwell sowie Sosa, Ernest; Kim, Jaegwon; Fantl, Jeremy et al. (Hg.) (2008): Epistemology: An Anthology. Second Edition. Malden/MA: Blackwell. Zur Unabgeschlossenheit der Rechtfertigungsdebatte und ihrer Probleme aus metatheoretischer Sicht: Spohn, Wolfgang (2001): Vier Begründungsbegriffe. In: Grundmann, Thomas (Hg.): Erkenntnistheorie. Positionen zwischen Tradition und Gegenwart. Paderborn: mentis, S. 33–52. 13 Zum Wahrheitsbegriff siehe: Schantz, Richard (2006): Wahrheitstheorien in der analytischen und pragmatischen Tradition. In: Endes, Markus; Szaif, Jan (Hg.): Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit. Berlin: de Gruyter, S. 369–396. Da Entscheidungsgrundlagen oft unsicher sind, kann der Wahrheitsstatus von Aussagen nicht immer geklärt werden (unsicheres Wissen). Daher bietet sich das Konzept der Wahrscheinlichkeit im Sinne des Grades der Akzeptanz einer Hypothese an (vgl. Dorn/Gottlob 1997: 824–825). S weiß damit also genau dann, dass p, wenn (a) S überzeugt ist, dass p, (b) die entsprechende subjektive Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Wert übersteigt, (c) p wahr ist und (d) eine weitere Bedingung erfüllt ist (z. B., dass S nicht zufällig zu dieser wahren Meinung gelangt ist) (vgl. Baumann 2002: 131).

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Die Bedingungen (a) und (b) sind dabei notwendig, aber insofern nicht hinreichend, als erfolgreiches Raten und voreiliges induktives Schließen nicht ausgeschlossen werden. Daher tritt die hinreichende Bedingung (c) hinzu. Der Versuch einer befriedigenden Klärung der Rechtfertigungsbedingung stößt dabei auf massive Probleme, denn gegebene Rechtfertigungen können immer wieder hinterfragt werden und in einen infiniten Regress münden. Dieser ist nur vermeidbar, wenn ein dogmatischer Abbruch an einem als letzte Rechtfertigung gesetzten Punkt erfolgt oder zirkulär argumentiert wird. Edmund Gettier machte außerdem darauf aufmerksam, dass Wissen auch nicht nur zufällig wahr sein dürfe. Aus diesem Grund wurde die Standardanalyse im 20. Jh. mehrfach erweitert, was aber bis heute zu keiner unangefochtenen Lösung geführt hat (vgl. Baumann 2002: 40–45; Brülisauer 2008: 50). Die Reaktion auf die sogenannten Gettier-Probleme drückt sich in folgender Ergänzung aus: (d) diese Bedingungen nicht zufällig erfüllt sind. Das so definierte Wissen liegt sprachlich in Form entscheidbarer, d. h. wahrheitsdifferenzierter (wahr/unwahr) Aussagesätze, sogenannten Propositionen, vor (vgl. Rehfus 2003: 684) und wird daher auch als propositionales Wissen bzw. theoretisches oder auch explizites/deklaratives Wissen bezeichnet. Im Zentrum der Streitigkeiten innerhalb der Epistemologie und in der Auseinandersetzung mit anderen Wissensbegriffen steht die Frage, ob es auch nicht-propositionales Wissen – Fähigkeiten (techné), Kenntnis – geben könne. Seitens der Erkenntnistheorie wird diese Frage verneint bzw. ignoriert: Die Erkenntnistheorie befasse sich nur mit propositionalem Wissen, andere Erkenntnisformen dürften also nicht als Wissen bezeichnet werden (vgl. Baumann 2002: 31).

b) Wissenschaftliches Wissen und Wissenschaftsbegriff Vor allem das System der Wissenschaft beansprucht seit seiner Ausdifferenzierung (vgl. Weingart 2003: 127; Stichweh 1984) diesen hochrangigen Status für seine Aussagen (vgl. Richter/Schönert/Titzmann 1997: 22) und grenzt sich damit von anderen Wissensformen ab. Als Wissenschaft kann also eine Lebens- und Weltorientierung bezeichnet werden, „die auf eine spezielle [. . . ] Begründungspraxis angewiesen ist und insofern über das jedermann verfügbare Alltagswissen hinausgeht“ (Mittelstraß 1996: 719), als sie wissenschaftliches Wissen, d. h. ein geordnetes System wahrheitsfähiger Aussagen, nach bestimmten Regeln produziert (vgl. Poser 2007: 42–45).14

14 Eine differenziertere Definition von Wissenschaft als gesellschaftliches Subsystem (Luhmann), als komplexe soziale und diskursive Praxis (Foucault) oder als Korpus von Texten wird je nach Argumentationszusammenhang gesondert herausgestellt. Eine Zusammenfassung dieser Blickwinkel formulieren Richter/Schönert/Titzmann (1997: 27).

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Entlang ihres Gegenstandsbereiches, ihrer Methoden oder ihrer Begründungsart können weiterhin wissenschaftliche Disziplinen unterschieden werden, wobei die stereotypen und idealtypischen Gegensatzpaare ‚Verstehen vs. Erklären‘, ‚Objektivität vs. Subjektivität‘, ‚nomothetisch vs. idiografisch‘, ‚Allgemeines vs. Besonderes‘, ‚Verfügungswissen vs. Orientierungswissen‘ (vgl. Benedikter 2001) trotz zunehmender Überlagerung von Forschungsinteressen und Erkenntnisaufgaben (vgl. ibid.: 137) auch heute noch zur Abgrenzung von ‚Naturwissenschaften‘ und ‚Geisteswissenschaften‘ dienen.15 Als eine Rumpfdefinition der Naturwissenschaften bleibt somit nur Posers (2007: 51–53) Vorschlag, diese durch das Ziel der Beschreibung und Erklärung der Eigenschaften der belebten und unbelebten Natur zu definieren.

c) Das Rechtfertigungsproblem Das im Zusammenhang mit der Standardanalyse erwähnte Problem der Rechtfertigung verdient gesonderte Aufmerksamkeit, da es Einblicke in unsere Vorstellung von der Struktur von Wissen zu geben vermag. Unterschieden werden können folgende Arten von (nicht notwendig überschneidungsfreien) Rechtfertigungstheorien16 : 1. Internalismus (Internalism): Alle Faktoren, die für die Rechtfertigung einer Überzeugung relevant sind, müssen dem Subjekt (potenziell) bewusst sein (können). 2. Fundamentalismus (Foundationalism): Es wird unterstellt, dass es basale Sätze und Normen gibt, von denen alle anderen Sätze und Normen abgeleitet werden können. 3. Externalismus (Externalism): Hinreichende Bedingung für die Rechtfertigung ist eine kausale externe Beziehung zwischen dem Vertreter einer Überzeugung und dem infrage stehenden Sachverhalt. 4. Kontextualismus (Contextualism): Die Rechtfertigung ist abhängig von historischen und kulturellen Standards, die für eine erfolgreiche Rechtfertigung erfüllt sein müssen.

15 Eine Kritik (insbesondere am fragwürdigen Gegensatzpaar ‚Verstehen vs. Erklären‘) findet sich bei Jahraus (2004: 45) und Haussmann (1991: 233–234). Dabei erscheint die Herabwürdigung der Geisteswissenschaften ebenso unangebracht wie deren ethisch-moralische Überhöhung bei Marquard (2001: 98–116), die eine „groteske Überforderung“ (Mainusch 1993: 18) derselben darstellt. Zum historischen Hintergrund siehe die Ausführungen zur Zwei-Kulturen-Debatte (Two Cultures Debate) im Abschnitt 2.3.1. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund der Genese distinkter wissenschaftlicher Disziplinen siehe insbesondere Stichweh (1984), der die Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen im 19. Jh. untersucht. Überblicksdarstellungen bieten Rousseau (1987) und Schramm (1989). 16 Die Ausführungen basieren auf Baumann (2001, 2002), Brendel (2001), Engel (1999) und Klein (1998a, 1998b).

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Reliabilismus (Reliabilism): Von Belang sind das Zustandekommen (Prozess) und die Wahrscheinlichkeit der Rechtfertigung. Kohärentismus (Coherentism): Rechtfertigung kann nur durch die Beziehung zu anderen Überzeugungen erfolgen.

Die verbreiteteste Art der Rechtfertigung besteht derzeit in kohärentistischen Rechtfertigungsstrategien. Aufgrund der Nähe zu Grundbegriffen der strukturalen Textanalyse17 und ihrem heuristischen Potenzial für die Textanalyse sollen Kohärenztheorien der Rechtfertigung im Folgenden etwas genauer betrachtet werden. Diese Art der Theorie basiert darauf, „Rechtfertigungsbeziehungen zwischen allen Überzeugungen eines Überzeugungssystems anzunehmen und die Möglichkeit eines Fundaments der Rechtfertigung zurückzuweisen“ (Baumann 2002: 212): Wenn die Überzeugungen eines Überzeugungssystems gerechtfertigt sind, dann stehen sie in vielfältigen Rechtfertigungsbeziehungen untereinander, sie stützen sich quasi gegenseitig. Eine einzelne Überzeugung ist nur insofern und in dem Maße gerechtfertigt, als sie Teil ebendieses umfassenden Systems von Überzeugungen ist (vgl. ibid.: 213; Bonjour 1985: 92). Mit anderen Worten: The network model accordingly abandons the conception of priority or fundamentality on its arrangement of theses. It replaces such fundamentality by a conception of enmeshment [Verstrickung, SH] – in terms of the multiplicity of linkages and the patterns of interconnectedness with other parts of the net. (Rescher 2008: 121, Hervorhebungen im Original)

Ein Überzeugungssystem ist dabei umso kohärenter, je mehr inferenzielle Beziehungen die Propositionen vernetzen, je besser die Erklärungen sind, je weniger Inkonsistenzen auftreten, je weniger nur wenig vernetze Subsysteme enthalten sind, je weniger Erklärungsanomalien auftreten, je weniger konkurrierende Erklärungen vorliegen und je stabiler das System in der Vergangenheit war (vgl. Bonjour 1985: 93, 95, 98– 99; Wiedemann 2004: 61).18 Ernste Zweifel am Gesamtsystem kommen erst dann auf, wenn neue Überzeugungen nicht eingepasst werden können (vgl. Bonjour 1985: 91).

17 Die strukturale Textanalyse begreift Texte als Aussagensysteme im Sinne einer Gesamtmenge von Strukturen aus Elementen und den zwischen den Elementen bestehenden Relationen, die jeweils spezifische Funktionen erfüllen (vgl. Krah 2006a: 48–50). 18 Zum Konsistenzbegriff siehe weiterführend auch Thagard (2000: 41–83). Probleme des Coherentism wie die Isolation von der externen Welt oder das Fehlen von Begründungen für alternative Überzeugungssysteme diskutiert O’Brian (2006: 80–82). Der aktuelle Stand der Forschung wird abgebildet in: Analysis Jg. 67/68 (2007/2008) und Wiedemann (2004). Dort findet sich auch eine Taxonomie von Kohärenztheorien.

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d) Tendenzen postmoderner Philosophie Das epistemologische Problem der Rechtfertigung spitzt sich in der Postmoderne weiter zu. Die Postmoderne scheint geprägt durch Krise des modernen Wertsystems und durch die Kritik an ebendiesem System (vgl. Zima 1997: 18–19). Als Auslöser einer gefühlten existenziellen Verunsicherung durch Ambiguität, Ambivalenz und Indifferenz werden seitens der Philosophie insbesondere die einschneidenden Paradigmenwechsel in Physik und Mathematik, d. h. Einsteins Relativitätstheorie, Heisenbergs Unschärferelation und Gödels Unvollständigkeitssatz, angeführt (vgl. ibid.: 23; Welsch 2002: 5–7, 77–78). Der Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Verallgemeinerungsfähigkeit wird durch Pluralisierung und Partikularisierung (vgl. Zima 1997: 26) radikal infrage gestellt: Die postmoderne Philosophie ist „anti-foundational“ (Sim 2006: 3; vgl. Zima 1997: 147). So erteilt Richard Rorty (2005: 11–12) dem Versuch der Sinnstiftung durch Objektivität eine Absage. Nach seiner Auffassung „ist die Wahrheit das, woran zu glauben für uns gut ist“ (ibid.: 14, Hervorhebung im Original). Sie ist nicht universell, sondern zeit- und kulturgebunden (vgl. ibid.: 15). Auch Jean-François Lyotard (1986: 19–29, 63– 67) distanziert sich in seinem Bericht über Das postmoderne Wissen von Theorien mit universalem Anspruch und von der Vorstellung eines objektiven wissenschaftlichen Wissens: Das Wissen ist gerade in seiner gegenwärtigen Form mit der Wissenschaft nicht identisch. [. . . ] Das Wissen im allgemeinen reduziert sich nicht auf die Wissenschaft, nicht einmal auf die Erkenntnis. (ibid.: 63)

Aufgrund von Ökonomisierung, Informatisierung und Mediatisierung wird Wissen zum diskursiven Produkt (vgl. ibid.: 135, 175).

2.2.2.2 Der wissenssoziologische Wissensbegriff Anders als die Philosophie kennt die Wissenssoziologie keinen derart standardisierten Wissensbegriff. Das liegt im Wesentlichen daran, dass sie den Menschen „als Teil eines sozialen Zusammenhangs [sieht], der selbst in den Prozess des Erkennens und den Inhalt des Erkannten bzw. Gewussten eingeht“ (Knoblauch 2005: 14). Im konstruktivistischen Menschenbild ist der Mensch ein aktives Element in der Generierung von Realitätsmustern bzw. einer Wirklichkeit, die zu ihm passt. Verschiedene Definitionen in der Wissenssoziologie fußen daher auf dem gemeinsamen Nenner, dass Wissen sozial und kulturell geprägt, also ein Produkt sozialer Verhandlungsprozesse ist. Aus dieser sozialen Bedingtheit von Weltsichten folgt, so Karl Mannheim (1969), die relative Gleichberechtigung aller Denkstandpunkte: Wissen ist gerade nicht auf wahre gerechtfertigte Überzeugung reduzierbar. Ins Zentrum des Interesses der Wissenssoziologie rückt vielmehr das Wechselspiel von Wissen und Gesellschaft, die Bedeutung von Wissen für Wirklichkeitskonstruktionen sowie deren Struktur und so-

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ziale wie kulturelle Kontextualisierung (vgl. Reich 2001: 359–360; Maasen 1999: 5–7, 17–21). Im folgenden Abschnitt werden daher wissenssoziologische Konzeptualisierungen von Wissen vorgestellt und ihr heuristisches Potenzial für eine Textanalyse erörtert. Von zentraler Bedeutung sind dabei das Konzept des Wissensvorrats in der Alltagswelt von Alfred Schütz und die darauf aufbauenden Theorien kollektiver Deutungsmuster (2.2.2.1) sowie die Studie zur gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit von Peter L. Berger und Thomas Luckmann (2.2.2.2). Des Weiteren muss die Prägung von Wissen durch diskursive Praxen (2.2.2.3) bzw. historisch-kulturelle und soziale Kontexte (2.2.2.4) aufgezeigt werden.19

a) Wissen als lebensweltlicher Wissensvorrat und Deutungsmuster Der wissenssoziologische Ansatz von Alfred Schütz strebt eine Beschreibung der Grundstrukturen menschlichen Denkens und Handelns an, dessen Verankerung er im alltäglich erfahrenen Umfeld des Menschen, der Lebenswelt, sieht. Die Lebenswelt gilt Schütz als die eigentliche Wirklichkeit des Menschen, da er diese durch sein Handeln beeinflussen und sich dort mit seinen Mitmenschen verständigen könne (vgl. Schütz/Luckmann 1979: 25). Aufgrund der wechselseitigen Beziehungen von Individuen in der Lebenswelt ist diese einerseits zwar individuell, andererseits aber notwendigerweise auch intersubjektiv (vgl. ibid.: 26–27). Der Vollzug von Handlungen bzw. das Reagieren auf Situationen in dieser Lebenswelt erfordert eine Interpretation derselben, die auf vorherigen Erfahrungen und Sozialisation basiert. Die Menge der Erfahrungen eines Individuums bezeichnet Schütz als dessen Wissensvorrat: All diese mitgeteilten und unmittelbaren Erfahrungen schließen sich zu einer gewissen Einheit in Form eines Wissensvorrats zusammen, der mir als Bezugsschema für den jeweiligen Schritt meiner Weltauslegung dient. (ibid.: 29)

Im Wissensvorrat sind sinnhafte Deutungs- und Handlungsmuster in Form von (stereo-)typisierten Erfahrungen und Problemlösungsstrategien sedimentiert (vgl. ibid.: 38–39, 181), wozu Fertigkeiten ebenso gehören wie Gebrauchs- und Rezeptwissen (vgl. ibid.: 139–143). Ein Kern von als selbstverständlich eingestuftem Sinnzusammenhängen erlaubt es dem Individuum, einerseits routiniert auf neue Situationen zu reagieren, andererseits aber auch, den Wissensvorrat durch neue Erfahrungen zu aktualisieren (vgl. ibid.: 30, 33, 133).20 Wissen dient in dieser Hinsicht als „Gebrauchsan-

19 Weitere Ansätze, die hier nicht berücksichtigt werden konnten, finden sich bei Maasen (2001) und Knoblauch (2005). 20 „Wissenserwerb ist die Sedimentierung aktueller Erfahrungen nach Relevanz und Typik in Sinnstrukturen, die ihrerseits in die Bestimmung aktueller Situationen und Auslegung aktueller Erfahrungen eingehen“ (Schütz/Luckmann 1979: 154). Im Zuge dieses Prozesses werden auch eventuelle Widersprüche im Wissensvorrat – sofern sie situationsrelevant sind – aktualisiert (vgl. ibid.: 192–196).

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weisung“, wobei es in seinen „‚theoretischen‘ Horizonten durchaus undurchsichtig sein und mir in ‚praktischen‘ Lagen dennoch als selbstverständlich anwendungsfähig erscheinen“ mag (ibid.: 37). So handelt es sich bei diesem erweiterten Begriff von Wissen21 nicht um objektiv-absolute, d. h. wahre gerechtfertigte Überzeugungen im Sinne der Epistemologie, sondern im Gegenteil um individuell, kulturell und sozial22 geprägte, „relativ-natürliche[. . . ]“ Weltanschauungen (vgl. ibid.: 143, 145), die nichtsdestotrotz wahrnehmungs- und handlungsleitend wirken (ibid.: 134): Die Elemente des lebensweltlichen Wissensvorrats sind nicht klare und widerspruchsfreie Sätze, die in einer Hierarchie der Allgemeinheit systematisch angeordnet sind. Die Struktur des lebensweltlichen Wissensvorrats gleicht weder der logischen Systematik einer nicht-empirischen Wissenschaft, wie zum Beispiel der Algebra, noch dem Gefüge von Deutungsschemata, Taxonomien, Gesetzen und Hypothesen der empirischen Wissenschaften. [. . . ] Wir können [. . . ] annehmen, dass der Wissensvorrat Wissensbereiche enthält, die auf Erfahrungen in verschiedenen Wirklichkeitsbereichen geschlossener Sinnstruktur zurückgehen. So können wir von Traumwissen, Phantasiewissen, religiösem Wissen und Alltagswissen sprechen. (ibid.: 158)23

Wie ein Überzeugungssystem besteht die Struktur des lebensweltlichen Wissensvorrates aus einem System von spezifischen Wissenselementen, die in syntaktischen und semantischen Beziehungen stehen, also durch einen inhaltlichen Sinnzusammenhang verbunden sind (vgl. ibid.: 219). Der Rückgriff auf bestimmte Wissenselemente erfolgt dann je nach thematischer, interpretationsbedingter oder motivationsbedingter Relevanz (vgl. ibid.: 224–276). Durch die Objektivierung von Vorgängen subjektiven Wissenserwerbs, Erzeugnissen (Artefakten) und Wissensinhalten in Zeichenform entsteht aus subjektiven Wissensvorräten ein gesellschaftlicher Wissensvorrat, der wiederum auf das Individuum zurückwirkt (vgl. ibid.: 316–342).24

21 Im linguistischen Kontext wird dieses Wissen auch Weltwissen genannt (vgl. Linke et al. 2004: 257– 258). 22 Diese These beruht auf der Annahme, dass Erfahrungssituationen sozial mitbestimmt und Wissensinhalte (Einstellungen, Handlungsmuster, Typisierungen, Auslegungsmodelle) weitgehend aus sozialen Auslegungsvorgängen (soziale Institutionen, Sozialisation) abgeleitet sind (vgl. Schütz/Luckmann 1979: 293–294, 308–313). 23 Schütz unterscheidet Sinngebiete, wie etwa die Traumwelt, die sich durch einen einheitlichen Erlebnis- und Erkenntnisstil auszeichnen (vgl.: Schütz/Luckmann 1979: 49). Diese Sinngebiete können als Modifikationen der alltäglichen Lebenswelt aufgefasst werden und werden mitunter als ebenso ‚real‘ erfahren, wie die Lebenswelt selber: „Allerdings darf man nicht vergessen, dass der Realitätsakzent einem jeden Sinnbereich erteilt werden kann, dass zwar von der alltäglichen Lebenswelt her die anderen Sinnbereiche nur als Quasi-Realitäten erscheinen mögen, dass aber zugleich [. . . ] die alltägliche Lebenswelt als Quasi-Realität gesehen werden kann“ (ibid.: 51). Erfahrungslücken durch Abbrechen eines Ablaufs in einem Wirklichkeitsbereich (z. B. eines Traums durch Aufwachen) können in anderen Wirklichkeitsbereichen ausgelegt werden, wodurch sie dann in andere Erfahrungsabläufe einfließen (vgl. ibid.: 163, 170). 24 Berger/Luckmann (2005: 72–73) bezeichnen diesen Prozess ebenfalls als Sedimentierung, die zur Genese von Wissensobjekten im gesellschaftlichen Wissensbestand führt.

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Der individuelle Wissensvorrat lässt sich so nicht nur im Sinne von Mentalitäten25 , Rahmen26 und Habitusformen27 , sondern auch als Orientierungs- und Deutungsmuster beschreiben. Als Deutungsmuster werden dabei die mehr oder weniger zeitstabilen und in gewisser Weise stereotypen Sichtweisen und Interpretationen von Mitgliedern einer sozialen Gruppe bezeichnet, die diese zu ihren alltäglichen Handlungs- und Interaktionsbereichen lebensgeschichtlich entwickelt haben. Im einzelnen bilden diese Deutungsmuster ein Orientierungs- und Rechtfertigungspotential von Alltagswissensbeständen in der Form grundlegender, eher latenter Situations-, Beziehungs- und Selbstdefinitionen, in denen das Individuum seine Identität präsentiert und seine Handlungsfähigkeit aufrechterhält. (Ullrich 1999a: 429)

Deutungsmuster sind somit Handlungs- und Interpretationsschemata für Situationen, die bereits mithilfe eines vorgängigen Deutungsmusters erschlossen und als Handlungsproblem markiert werden müssen. Ähnlich wie Bourdieus Habitus sind sie damit eine strukturierte und strukturierende Praxis zugleich.28 Zwar sind Deutungsmuster in ihrer Strukturiertheit durchaus mit wissenschaftlichen HypothesenSystemen vergleichbar (vgl. Oevermann 2001a: 5), allerdings haben sie „ihre je eigene ‚Logik‘, ihre je eigenen Kriterien der ‚Vernünftigkeit‘ und ‚Gültigkeit‘“ (ibid.; vgl. Kassner 2003: 41). Plaß/Schetsche (2001) heben in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Dokumentanalyse hervor, da diese im Fall von Zeitungsartikeln und Schulbüchern explizit oder im Falle von Film und Literatur auch implizit der medialen Verbreitung von Deutungsmustern dienen und „etwas über die Verbreitung von kollektivem Wissen“ aussagen (ibid.: 530–531).

b) Wissen und gesellschaftliche Wirklichkeit Die Arbeit von Peter L. Berger und Thomas Luckmann Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (1969) pointiert Schütz’ erweiterten Wissensbegriff und formuliert damit das Programm einer zeitgenössischen Wissenssoziologie wie folgt: Sie habe

25 Vgl. auch Hansen (2000: 88–112), der von Mentalitäten als kulturellen Standardisierung des Denkens spricht. 26 Goffman, Erving (1976): Frame Analysis. An Essay on the Organisation of Experience. Cambridge/MA: Harvard UP. 27 Bourdieu, Pierre (1982/2007): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 28 Die handlungsleitende Qualität der Deutungsmuster weist große Ähnlichkeit mit den kognitionswissenschaftlichen Konzepten des Schemas und des Skriptes auf (siehe Abschnitt 2.2.2.3), so insbesondere in der Definition nach Plaß/Schetsche (2001: 523): Sie „strukturieren das kollektive Alltagshandeln, indem sie Modelle von (ideal-)typischen Situationen bereitstellen, unter die Sachverhalte, Ereignisse und Erfahrungen anhand bestimmter Merkmale subsumiert werden“. Sie nennen folgende Elemente von Deutungsmustern: Situationsmodell, Erkennungsschema, Prioritätsattribute, Hintergrundwissen, Emotionsmuster und Handlungsanleitungen (vgl. ibid.: 528–530).

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Theoretische Grundlagen

sich mit allem zu beschäftigen „was in einer Gesellschaft als ‚Wissen‘ gilt, ohne Ansehen seiner absoluten Gültigkeit oder Ungültigkeit“ (Berger/Luckmann 2005: 3). In diesem umfassenden Sinne ist Wissen „ein Sammelsurium von Maximen, Moral, Sprichwortweisheiten, Werten, Glauben, Mythen und so weiter“, die sich gesellschaftlich als „Allgemeingut an gültigen Wahrheiten über die Wirklichkeit“ in einzelnen Wissensobjekten sedimentiert (ibid.: 70). Theoretisches Wissen wird damit zu einem kleinen Teil dessen, was in einer Gesellschaft als Wissen gilt. Ausdrücklicher noch als Schütz heben Berger und Luckmann die Bedeutung sprachlicher Objektivationen von Wissen hervor, die die intersubjektiv erfahrene Wirklichkeit überhaupt erst kraft ihrer Zeichenhaftigkeit erzeugen (vgl. ibid.: 37): Weil Sprache die Kraft hat, das ‚Hier und Jetzt‘ zu transzendieren, überbrückt sie die verschiedenen Zonen der Alltagswelt und integriert sie zu einem sinnhaften Ganzen. [. . . ] [Sie kann] eine Fülle von Phänomenen [. . . ] ‚vergegenwärtigen‘, die räumlich, zeitlich und gesellschaftlich [. . . ] abwesend sind. Genauso kann sie weite Bereiche subjektiver Erfahrung und subjektiv gemeinten Sinnes objektivieren. (ibid.: 41)

Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit wird dabei durch eine dialektische Interaktion aus Prozessen der Externalisierung, Objektivation, Tradierung und Internalisierung (Sozialisation) in dem Sinne ermöglicht, dass eine Gesellschaft einerseits als menschliches Produkt gelten muss, der Mensch aber andererseits durch diese als objektiv empfundene Wirklichkeit geprägt wird (vgl. ibid.: 57–65, 139–157). Insbesondere Kunst, Religion und Wissenschaft können als Symbolsysteme verstanden werden, die die Alltagswelt maßgeblich formen, indem sie symbolische Sinnwelten mit einem übergeordneten Ordnungs- und Bezugssystem zur Verfügung stellen und andere Wirklichkeitsbereiche in die Alltagswelt integrieren (vgl. ibid.: 42, 102–110).29

c) Wissen als Produkt diskursiver Praxis In den bisherigen Ausführungen ist bereits mehrfach der wissenssoziologische Grundkonsens angeklungen, dass die Beziehungen des Menschen zur Welt durch kollektiv erzeugte symbolische innsysteme vermittelt werden. Diese Sinnsysteme sind Wissensordnungen, die, so Michel Foucault, an einer gemeinsamen epochen- und kulturspezifischen Denkstruktur, der Episteme, partizipieren.

29 Symbolische Sinnwelten sind Produkte des Menschen und besitzen außerhalb des Daseins dieser Menschen keinen empirischen Status. Ein Beispiel geben Berger/Luckmann (2005: 113–115, 138) mit dem christlichen Weltbild und dem Konstrukt der christlichen Theologie als dessen Stütze.

Wissen

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Die Episteme stellt das übergeordnete System der Regeln des Deutens und Handelns dar, das sich vermittelt über Diskurse30 in gesellschaftlichen Wissens- und Praxisordnungen manifestiert (vgl. Keller 2007: 199–200). Hieraus resultiert Foucaults Absage an die Idee einer objektiven Vorstellung von Wissen. Es ist Foucault (2001: 921) zufolge gerade nicht eine „Summe von Erkenntnissen“, sondern vielmehr die „Menge [der] von einer diskursiven Praxis regelmäßig gebildeten [. . . ] Elemente[. . . ]“ (Foucault 1969/2008: 259; vgl. Foucault 2001: 921). Wissen und Wahrheit werden so zum Produkt einer diskursiven Aushandlung, zum vorläufigen Ergebnis einer Machtrelation, die daraus erwächst, dass Diskurse in jeder Gesellschaft durch bestimmte Prozeduren selektiert, organisiert, kanalisiert und somit ‚gebändigt‘ werden (vgl. Foucault 1972/2007: 10–11). Zu diesen Prozeduren gehören zunächst extern wirkende Ausschließungssysteme der Diskursabgrenzung (vgl. ibid.: 11–17) durch die Regelung von Aussagen, Aussageweisen und Aussagenden durch Verbote und die Normierung von ‚wahren‘ und ‚falschen‘ Aussagen (vgl. ibid.: 11, 13–17). Wahrheit und somit Wissen ist in diesem Sinne, was die „gewaltige Ausschließungsmaschinerie“ (ibid.: 17) aus diskursiven und gesellschaftlichen Praktiken passieren kann, gemäß derer es „gewertet und sortiert, verteilt und zugewiesen wird“ (ibid.: 15). Stabilisierend wirken weiterhin nach innen gerichtete Prozeduren des Diskurserhalts, die als „Klassifikations-, Anordnungs- und Verteilungsprinzipien“ (ibid.: 17) fungieren.31

d) Historisch-kulturelle und soziale Prägung von Wissen Wissenssysteme sind Produkte historischer Entwicklungen und können in diesem Sinne als Wissenskulturen beschrieben werden (vgl. Damerow/Lefèvre 1998). Als sol-

30 Als Diskurs soll hier nicht jegliche Form der Konversation, des Dialogs oder des Gesprächs bezeichnet werden und auch nicht eine normative Form der Kommunikation (Habermas). Vielmehr wird damit in Anlehnung an Foucault ein übertextuelles System von Aussagen bezeichnet, das sich durch einen gemeinsamen Redegegenstand, erkennbare Regularitäten der Rede über diesen Gegenstand und spezifische Relationen zu anderen Diskursen auszeichnet (vgl. Titzmann 1989: 51–56). Foucault (1969/2008: 156, 170) sieht den Diskurs als durch „eine Menge von Zeichenfolgen konstituiert, insoweit sie Aussagen sind, das heißt [. . . ] eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“. Das Formationssystem zeichnet sich durch spezifische Formationsregeln, Äußerungsmodalitäten, eine diskursspezifische Formation der verhandelten Begriffe und daran gebundenen Strategien aus (vgl. ibid.: 58–87). 31 Eine wissenssoziologische Adaption haben diese Foucault’schen Beschreibungskategorien in den Begriffen des Wissensregimes und der Wissenspolitik erfahren. Ersteres bezeichnet den strukturierten und (mehr oder weniger) stabilisierten „Zusammenhang von Praktiken, Regeln, Prinzipien und Normen des Umgangs mit Wissen“ bezogen auf spezifische Handlungsfelder und Problembereiche (Wehling 2007c: 704–705). Als Wissenspolitik wird dementgegen dasjenige Politik-, Handlungs- und Diskursfeld bezeichnet, das sich „um die Gestaltung des Umgangs mit dem expandierenden (wissenschaftlichen) Wissen sowie um die Regulierung von Konflikten und Spannungen zwischen unterschiedlichen Wissensformen und -ansprüchen herum konstituiert hat“ (ibid.: 694).

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Theoretische Grundlagen

che bestimmt Detel Kulturen, für die gilt, dass ihre Praktiken epistemisch sind und propositionales Wissen produzieren sollen, [. . . ] ihre Hintergrundüberzeugungen sich z.T. auf die Idee und den Begriff von Wissen richten, und [. . . ] ihre Hintergrundüberzeugungen und epistemische Praktiken32 in Bildungseinrichtungen oder in Meister-Schüler-Verhältnissen unter Anwendung regulativer Macht tradiert werden. (Detel 2003: 120)

Dabei ist die Annahme konstitutiv, dass das kulturelle Umfeld (im totalitätsorientierten Sinne) nicht nur Wissensinhalte bestimmt, sondern auch die kognitiven Strukturen der Mitglieder eines solchen Systems (vgl. Damerow/Lefèvre 1998: 79). Die diachrone Beschreibung und Analyse von Wissen, Wissenszuschreibungen und Wissensansprüchen muss daher auch wissenschaftshistorisch und wissenschaftssoziologisch kontextualisiert werden. Diese soziale wie kulturelle Prägung wissenschaftlicher Praxis ist Untersuchungsgegenstand der Wissenschaftssoziologie (vgl. Weingart 2003: 11). In Bezug auf die Frage nach der sozialen Prägung wissenschaftlichen Wissens können vier idealtypische Positionen unterschieden werden: 1. Extremer Absolutismus: Tatsachen der Welt sind Instanz der Bewertung von Theorien. 2. Moderater Absolutismus: Methodologie beeinflusst die Bewertung von Theorien. 3. Moderater Relativismus: Theorien werden durch soziale Faktoren mitgeprägt. 4. Extremer Relativismus: Soziale Faktoren überwiegen bei Bewertung von Theorien. Während der extreme Absolutismus den Einfluss von sozialen Faktoren in der Genese wissenschaftlichen Wissens also negiert, verwirft der extreme Relativismus implizit die Möglichkeit wissenschaftlichen Wissens. Gegenwärtig dürfte es als Konsens gelten, dass Wissenschaft im Sinne einer sozialen Praxis immer durch soziale und kulturelle Faktoren geprägt war (moderater Relativismus). Diese Position vertritt im Wesentlichen folgende Thesen: 1. Wissenschaft ist kein neutrales System der Produktion von Wissen, sondern ein soziales Kommunikationssystem (vgl. ibid.: 22–30). Als solches hat es spezifische Mechanismen der Kommunikation ausgebildet, die subjektiv, medial und kulturell geprägt sind.

32 Das ist „eine Praktik, deren Hintergrundüberzeugungen sich zum Teil auf Vorstellungen vom Wissen beziehen [. . . ], deren Praktiken aus Verfahren zur Herstellung von Wissen, Wissensansprüchen oder Wissensprodukten bestehen“ (Detel 2003: 120). Zur Unterscheidung von Wissenskulturen im erweiterten (Praktiken) und im speziellen Sinn (Reflexion und Produktion von Wissen) siehe Detel (2009: 189–193).

Wissen

2.

3.

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Weiterhin steht das Postulat der Rationalität von Wissenschaft den auf sie wirkenden Umwelteinflüssen gegenüber, sodass sich die Frage nach der Fremdbestimmung von Wissenschaft durch gesellschaftliche Strukturen, Organisationen, Ökonomie (Ökonomisierung), Medien (Mediatisierung) und Politik (Politisierung) stellt (vgl. ibid.: 41–42). Beispielhaft konnte Thomas Kuhn (1962/2003) zeigen, dass wissenschaftliche Entwicklung gerade nicht rein rational motiviert ist, sondern sich als Abfolge von Revolutionen modellieren lässt, die jeweils von Perioden normaler Wissenschaft gefolgt sind. So ist es verständlich, dass Wissenschafts- und Wissenssoziologie verstärkt auf die Genese und Kodifizierung von Wissen fokussieren und dessen soziale Konstruiertheit unterstellen.33 Der Konstruktionscharakter des Wissens ist hierbei durch mehrere Aspekte bedingt: a) Forschungsarbeit muss als Serie von Verhandlungsprozessen zwischen Wissenschaftlern/Institutionen verstanden werden. b) Durch den Einsatz von Instrumenten schreibt sich deren Funktionslogik in das Ergebnis ein. c) Fakten werden sukzessive zu stabilisierten Gebilden kombiniert, die dann als Wissen gelten. d) Die im Labor untersuchten Objekte sind hochgradig idealisierte, d. h. analytisch isolierte und gerade nicht mehr ‚natürliche‘ Entitäten (vgl. Weingart 2003: 67–71). Vor allem in der Experimentalanalyse wird das Labor so zum Ort der Konstruktion wissenschaftlichen Wissens.34

2.2.2.3 Der kognitionswissenschaftlich-linguistische Wissensbegriff a) Kognitionspsychologische und psycholinguistische Prämissen Die kognitionswissenschaftliche Forschung bekam in den letzten Jahrzehnten auch für die Linguistik stetig größere Bedeutung, sodass an dieser Stelle auch auf einen kognitionswissenschaftlich-linguistischen Wissensbegriff zurückgegriffen werden kann.

33 Radikal wissenssoziologische (relativistische) Positionen stellen Laboranalysen dar: Latour, Bruno: Woolgar, Steve (1979): Laboratory Life: The Social Construction of Scientific Facts. Beverly Hills, CA: Sage; Bloor, David (1991): Knowledge and Social Imagery. Chicago: Chicago UP; Knorr-Cetina, Karin (1991): Die Fabrikation von Erkenntnis. Frankfurt am Main: Suhrkamp und Rheinberger, HansJörg (2001): Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Göttingen: Wallstein. 34 Zur Kritik der Konstruktionsmetapher bzw. an der undifferenzierten Attribuierung von Konstruktionsprozessen als ‚sozial‘ siehe Hacking (2003): Ausführlich bei Hacking (1999): Was heißt ‚soziale Konstruktion‘? Zur Konjunktur einer Kampfvokabel in den Wissenschaften. Frankfurt am Main: Fischer.

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Theoretische Grundlagen

Das Phänomen der Kognition35 ist dabei ursprünglich der Psychologie zuzurechnen. Diese nimmt aber seit geraumer Zeit Impulse aus der Biologie sowie auch aus Computerwissenschaft und KI-Forschung36 auf: Die kognitive Psychologie beschäftigt sich mit allen Prozessen der Aufnahme, Speicherung und Anwendung von Informationen im menschlichen Gehirn. Aus Kritik an behavioristischer Verhaltensforschung vollzog sich dort ab der Mitte der 1960er Jahre ein – zumindest wahrgenommener37 – Paradigmenwechsel, der heute als Kognitive Wende bezeichnet wird (vgl. Schwarz 2008: 15). In der Abwendung von behavioristischen Theorien von Wissen als ReizReaktions-Verbindung (Assoziationstheorie) oder Aktivitätsmuster im Gedächtnis (Konnektionismus) entwickelt die kognitive Psychologie einen Wissensbegriff, demgemäß als Wissen der Besitz von Konzepten und kognitiven Fähigkeiten zur Wiedererkennung und Konstruktion von Symbolmustern gilt (vgl. Wenninger 2002: 21). Nach strukturgenetischer Auffassung (vgl. Seiler/Reinmann 2004) besteht personales Wissen aus „reaktivierten Systemen von kognitiven Strukturen unterschiedlicher Art“ (ibid.: 18), die jeweils aktiv und subjektiv von einem Individuum in der Interaktion mit seiner sozialen und kulturellen38 Umwelt ‚konstruiert‘ werden (vgl. ibid.: 14–15). Aus strukturgenetischer Perspektive ist Wissen zwar nicht auf Sprache reduzierbar, da es aus Zeichen, also Schrift oder Sprache, erst verstehend interpretiert werden muss (sonst bleibt es Information), aber in objektivierter Weise kommunizierbar (vgl. ibid.: 13).39 Das mentale Lexikon/die mentale Enzyklopädie bildet die besagten Strukturen in Form von Konzepten ab (vgl. ibid.: 29). Das sind abstrakte Wissensstrukturen, die stereotype Charakteristika von Gegenständen oder Sachverhalten repräsentieren (vgl. Rickheit et al. 2002: 62).

35 Im Anschluss an Schwarz (2008: 16) hier: Menge aller Strukturen und Prozesse menschlichen Wissens. 36 KI: Künstliche Intelligenz, Teilgebiet der Informatik mit dem Ziel der Nachbildung der Strukturen menschlicher Intelligenz und Denkprozesse. Die KI ist wiederum ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, an dem auch Psychologie, Linguistik, Biologie und Mathematik teilhaben (vgl. Dorn/Gottlob 1997: 819). 37 Zur Kritik hieran siehe O’Donohue, W.; Ferguson, K.E; Naugle, A.E. (2003): The Structure of the Cognitive Revolution. An Examination from the Philosophy of Science. In: The Behavior Analyst, Jg. 26, S. 85–110. 38 Zur Kulturspezifität siehe Mandl/Spada (1988) sowie Klix, Friedhart; Birnbaumer, Niels; Graumann, Carl Friedrich (Hg.) (1998): Wissen. Göttingen: Hogrefe (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich C, Serie II, Band 6). 39 Siehe Reinmann/Eppler (2008). Vertiefend: Seiler, Thomas Bernhard (2003): Thesen zum Wissensbegriff – Die phänomenale und personale Natur des menschlichen Wissens. In: Wirtschaftspsychologie, H. 3, S. 41–49. Grundlegend in Seiler, Thomas Bernhard (2001): Entwicklung als Strukturgenese. In: Hoppe-Graff, Siegfried (Hg.): Entwicklung als Strukturgenese. Hamburg: Kovaˇc, S. 15–122.

Wissen

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In der Psycholinguistik bzw. der kognitiven Linguistik40 stehen demgemäß Fragen der Organisation und Repräsentation von Wissen im menschlichen Gedächtnis sowie deren Funktion bei sprachlich vermittelten Kommunikations- und Deutungsprozessen im Zentrum des Interesses. Die dort erfolgende Konzeptualisierung von Wissen kann als Konkretisierung wissenssoziologischer Ansätze gesehen werden. Die aus anderen Disziplinen entlehnten Konzepte wurden mittlerweile weitestgehend in linguistische Kategorien überführt und bergen daher ein immenses textanalytisches Potenzial. Im Folgenden werden daher die Grundannahmen der kognitiven Semantik bzw. Textlinguistik nachgezeichnet und deren Konzepte als Beschreibungsinventar spezifiziert.

b) Wissen in der kognitiven Semantik und Textlinguistik Die kognitive Semantik als Teildisziplin der kognitiven Linguistik basiert auf den Grundannahmen, dass 1. Bedeutung als Konzeptualisierung, d. h. als die Konstruktion von Konzepten, verstanden werden muss und damit 2. semantische Strukturen konzeptuelle Strukturen sind, die 3. in Form von enzyklopädischen Einträgen repräsentiert werden, die wiederum 4. mental verankert (embodied) sind (vgl. Evans/Green 2006: 157).41 Die Inhaltsseite eines Ausdrucks wird vor diesem Hintergrund folglich durch ein hypostasiertes mentales Konzept repräsentiert, d. h. konkret, dass Bedeutungsinhalte als eine aktualisierbare Menge von im mentalen Lexikon repräsentierten, semantischen Informationen angesehen werden (vgl. Schwarz 1992: 22–23; Linke et al. 2004: 257–258). Dabei werden Konzepte zu generellen Kategorien systematisiert: Eine Kategorie enthält also die Gesamtmenge der Konzepte einer bestimmten Art (vgl. Löbner 2003: 25, 257). D. h., Kategorisierung stellt den Klassifikationsprozess der Unterordnung, Abstraktion und Hierarchisierung von Konzepten dar (vgl. Schwarz 1992: 58, Löbner 2003: 264). In der abgestuften Struktur dient insbesondere die mittlere Basisebene zur Orientierung, da sie als erste erlernt wird und einen mittleren Abstraktionsgrad repräsentiert (vgl. Löbner 2003: 272–273; siehe Abbildung 2.1) Individuelle Konzepte sind als Token Teile dieser Kategorien, die quasi TypeKonzepte darstellen (vgl. ibid.: 58–59). Kategorien können dabei durch die Abstraktion ihrer wesentlichen Tendenzen oder durch Abspeichern spezifischer Exemplare repräsentiert werden (vgl. ibid.: 198).42 Die Bestandteile eines Konzepts sind damit 1. ein

40 Die Forschungsfragen bei Schwarz (2008: 18–19) legen eine weitreichende Deckung von Psycholinguistik und kognitiver Linguistik nahe, wobei die Psycholinguistik neben der Sprachwissensforschung mehr auf prozessuale Aspekte (Spracherwerb und Sprachprozess) fokussiert. 41 Von einer Skizzierung neurobiologischer Grundlagen musste hier abgesehen werden. In Bezug auf die semantische Kompetenz leisten dies Schwarz (1992) und im Rahmen ihrer Einführung insbesondere Evans/Green (2006). Auch bei Löbner (2003) werden grundlegende Aspekte der Kognition erhellt. 42 Wie genau sich die Kategorisierung vollzieht, ist umstritten: So besteht zwar mehr oder weniger Konsens darüber, dass es notwendige und hinreichende Bedingung für Zuordnung (Familienähnlich-

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Theoretische Grundlagen

Wort oder Wortgruppe, die das Konzept bezeichnet und es nach außen repräsentiert, 2. eine Menge von Relationen zu anderen Konzepten und 3. eine Menge von dem Konzept zugeordneten Merkmalen (vgl. Helbig 2006: 17). Konzepteigenschaften werden jeweils nur einmal, nämlich beim hierarchisch höchsten Knoten repräsentiert und an untergeordnete Konzepte ‚vererbt‘ (vgl. Schwarz 1992: 82–84; Anderson 2007: 185; siehe Abbildung 2.2). Als Reaktion auf die Kritik, dass Wissen nicht in Form statischer Merkmalslisten repräsentiert sein könne, wurde der Konzept-Ansatz mittlerweile erweitert und der theoretische Begriff Frame43 eingeführt.44 Ein Frame repräsentiert eine komplexe Wissenseinheit, die Konzepte auf dynamische Weise relationiert und die auf zwei Ebenen beschrieben werden kann: In einem Frame ist konzeptuelles Wissen in Form einer Struktur von Slots (Merkmalsvariablen) und den ihnen zugeordneten und regu-

übergeordnet (Hyperonym)

Tier

Basisebene

untergeordnet (Hyponym)

Kanarienvogel

Vogel

Fisch

Strauß

Waldschnepfe

Hund

Abb. 2.1: Kategorie ‹Tier› mit hierarchischer Ordnung und ausgewählten Token-Konzepten

keit) zu einer Kategorie geben müsse (vgl. Löbner 2003: 259, 263). Ob diese dann aber durch Prototypen repräsentiert werden, wie scharf die Grenzziehung zwischen einzelnen Kategorien ist, oder ob es eine graduelle Zugehörigkeit geben könne, ist dabei noch nicht befriedigend geklärt (vgl. ibid.). Typikalisierungsgrade lassen sich etwa durch sogenannte Heckenausdrücke (hedges) sprachlich markieren (‚Er ist ein typischer Deutscher‘). Die Kategorisierung unterliegt (abgesehen von einem mittelfristig stabilen semantischen Kern) kulturellen Einflüssen (vgl. ibid.: 307). 43 engl.: Rahmen. Frame und Schema werden bisweilen gleichgesetzt. Im Anschluss an Konerding (1993) bezeichnet Klein (2002: 180), das Schema daher auch als übergeordneten „Matrixframe“, der die Struktur einer Kategorie repräsentiert. 44 Zu den meistzitierten Definitionen gehören Minsky (1975) und Fillmore (1977). Deren Impulse wurden zwar euphorisch aufgenommen, in der Folge jedoch nur langsam – falls überhaupt – begrifflich präzisiert. Daher kursieren auch heute noch unterschiedliche Framebegriffe, vor allem im Hinblick darauf, wie Frames von anderen Strukturen der Wissensrepräsentation abzugrenzen sind. Problematisch ist nach wie vor ihr empirischer Status. Diese Punkte wurden auch in einschlägigen Handbüchern noch nicht mit der wünschenswerten Klarheit behandelt. Kritisch nehmen hierzu Stellung Schwarz (1992: 88–91) und insbesondere Konerding (1993: 78), der frametheoretische Modelle rekonstruiert.

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Wissen

atmet

Tier kann sich bewegen

hat Federn

hat Kiemen

Fisch

Vogel kann fliegen

kann singen

Kanarien vogel

kann schwimmen

kann beißen

ist groß

Strauß

Hai kann nicht fliegen

ist gelb

ist rosa

Lachs ist gefährlich

ist essbar

Abb. 2.2: Beziehung zwischen Konzepten einer Kategorie in Anlehnung an Collins/Quillian (1969)

lär durch Standardwerte (Default-Werte) besetzten Fillers (Merkmalsausprägungen) repräsentiert (vgl. Konerding 1993: 282; siehe Tabelle 2.1). Die Struktur eines Frames wird dabei von der Struktur der Kategorie bestimmt und beschränkt, der er zugeordnet ist. Der Frame ‹Student› etwa wird durch den der Kategorie vorgegebenen Matrix-Frame ‹Person/Aktant› bestimmt bzw. beschränkt (vgl. Klein 1999: 160–161). Der Frame bringt folgerichtig die Struktur und die komplexen Beziehungsrelationen zwischen Konzepten einer Kategorie und auch ihren Beziehungen zu anderen Konzepten und Kategorien zur Darstellung (vgl. Konerding 1993: 282). Die Slots eines Frames können selbst wieder auf Frames verweisen. Wenn man Konzepte also als Frames konzipiert, heißt das, dass die einem Konzept zugeordneten Merkmale selbst in Konzepten typisiert sind. Das bedeutet weiterhin, dass sie einerseits intern strukturiert und andererseits in eine externe Verweisstruktur eingebunden sind (vgl. ibid.: 282; Dorn/Gottlob 1997: 827). Durch diese Relation zu anderen Tabelle 2.1: Beispiel für einen Frame ‹Kanarienvogel› mit vererbten Konzepten als Slots Konzept-Frame: ‹Kanarienvogel› Slots

Fillers

Atmung

Lungenatmung

Fortbewegung

Fliegen, tippeln

Oberflächenstruktur

Federn

Farbe

Gelb (prototypisch)

Besondere Fähigkeiten

Kann singen

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Theoretische Grundlagen

Frames und Konzepten entsteht ein semantisches Netzwerk45 (vgl. Helbig 2006: 17). Als Modell einer Konzeptstruktur besteht es aus einem Set von Konzepten und kognitiven (inferenziellen46 ) Beziehungen zwischen ihnen.47 Die Repräsentation von handlungsbezogenem Wissen kann schließlich durch Skripte erfolgen. Das sind Ereignisschemata, die beim Nachdenken über prototypische Ereignisse zum Einsatz kommen (vgl. Anderson 2007: 192–195): Ein Skript beschreibt prototyphaft eine Folge von Ereignissen und Aktionen [. . . ] in einem speziellen Kontext. Eintrittsbedingungen beschreiben Ereignisse, die auftreten müssen, bevor die Handlung des Skripts stattfinden kann; Resultate sind Aussagen oder Ereignisse, die nach Abarbeitung des Skripts gelten. Rollen (roles) und Requisiten (props) sind Platzhaltersymbole für Personen bzw. Objekte, die an der Handlung des Skripts teilnehmen oder benutzt werden. (Dorn/Gottlob 1997: 829)

So lässt sich beispielweise ein prototypischer Restaurantbesuch mindestens durch die Abfolge der Ereignisse ‚Eintreffen‘, ‚Bestellung‘, ‚Essen‘, ‚Zahlen‘, ‚Gehen‘, die Rollen ‚Gast‘, ‚Kellner‘ und die Requisiten ‚Speise‘ etc. schematisch beschreiben.

c) Das Referenzproblem in der kognitiven Semantik Im Gegensatz zur Referenzsemantik ist Referenz in der kognitiven Semantik nicht prinzipiell an „perzeptuelle Wahrnehmungssituationen“ gebunden, sondern es ist auch eine Bezugnahme auf „vergangene, zukünftige, imaginal-vorgestellte und fiktive Identitäten“ möglich (Schwarz 1992: 23; vgl. Schwarz/Chur 2007): Die Referenz besteht im kognitionswissenschaftlichen Sinne im Namen eines Frames und die Prädikation einer Proposition stimmt strukturell mit Slots und Fillers im Frame überein (vgl. Ziem 2008: 287, 371). Semiotisch gesprochen ist das Signifikat hier ein konventionalisierter, aber wandelbarer Vorstellungsinhalt (vgl. Krah 2006a: 51–52).48 Die Adaption des kognitionswissenschaftlichen Beschreibungsinventars kann die struktu-

45 Entspricht bei Anderson (2007: 178–179) einem ‚propositionalen Netzwerk‘. Ein neuronales Netz stellt demgegenüber den Versuch der Simulation eines menschlichen Gehirns (insbesondere dessen Fähigkeit zur Mustererkennung) dar. 46 Durch Inferenzen bei der Textlektüre werden Wissensbestände aktiviert, die in der zu verarbeitenden Proposition nicht explizit angesprochen werden (vgl. Rickheit et al. 2002: 72). Zu deren methodologischer Kontrolle in der Interpretation siehe Titzmann (1993) und Krah (2006a). 47 Die Informatik stellt dies durch Ontologien dar. Sie visualisieren „einen Wissensbereich (knowledge domain) mit Hilfe einer standardisierten Terminologie sowie Beziehungen und ggf. Ableitungsregeln zwischen den dort definierten Begriffen“ (Hesse 2002: 477, Hervorhebungen im Original). Sofern es sich beim Repräsentierten um geografische Räume oder räumlich vorstellbare, logische Zusammenhänge handelt, spricht man stattdessen von kognitiven Karten bzw. mental/cognitive maps. Zu grundlegenden Aspekten der Wissensrepräsentation siehe Dorn/Gottlob (1997: 821–822). 48 Die Zeichentheorie von Saussure (1975: 98) konzipiert Referenz nicht als Bezugnahme auf eine außersprachliche Entität, sondern als Bezugnahme auf Vorstellungen: „Le signe linguistique unit non une chose et un nom, mais un concept et une image acoustique“. Vgl. auch Zipfl (2001: 51). Die epis-

Wissen

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ral-semiotische Merkmalssemantik49 erweitern und bei der Beschreibung fiktionaler Texte helfen, da diese neue Konzepte einführen, für die es keinen empirischen Referenten gibt (siehe Abschnitt 2.3.2.3).

d) Konzepte und textuelle Bedeutungsgenerierung als Dreistufensemantik In einem Text50 werden nun inhaltliche Kohärenz und Bedeutung gerade durch die Konfiguration von Konzepten und ihre Relationen auf semiotischer Ebene hergestellt.51 Sprachliche Bedeutung entsteht in diesem Modell durch das Zusammenspiel von konzeptinduzierter Ausdrucksbedeutung, kompositionaler52 Äußerungsbedeutung und kontextdeterminierter kommunikativer Bedeutung (Dreistufensemantik).53

temologische Dimension triadischer Zeichentheorien (Charles S. Peirce) untersucht Pruisken (2007). Zur Relevanz semiotischer Ansätze für diese Studie siehe Abschnitt 2.3.2.4. 49 Merkmalssemantische Ansätze zerlegen Texte in ihre Bedeutungskomponenten (Seme), um so ein textspezifisches System des Bedeutungsaufbaus durch dessen jeweils spezifische Auswahl von Paradigmen und deren syntagmatischer Kombination rekonstruieren zu können. Seme gelten dabei – im Gegensatz zur kognitiven Semantik – als kleinste Bedeutungseinheit. Die kognitive Semantik erlaubt eine besser nachvollziehbare Zerlegung in Merkmalsvariablen (Slots) und Merkmalsausprägungen (Fillers) und eine weiterreichende Rekonstruktion von aktivierten Wissensstrukturen (Frames) (vgl. Löbner 2003: 190–210). 50 Als Kriterien für Textualität gelten nach de Beaugrande/Dressler (2001): Kohäsion (syntaktischer Zusammenhang), Kohärenz (inhaltlicher Zusammenhang), Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und Intertextualität. Eine Übersicht über weitere Textbegriffe geben: Scherner, Maximilian (1998): Text. In: Ritter, Joachim (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10: St-T. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Sp. 1038–1045 sowie Knobloch, Clemens (2003): Text/Textualität. In: Barck, Karlheinz (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Stuttgart, Weimar: Metzler, Bd. 6, S. 23–48. 51 Vgl. de Beaugrande/Dressler (2001: 4), Jahraus (2004: 350–357) und Linke et al. (2004: 263). 52 Kompositionalitätsprinzip: „Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ergibt sich eindeutig aus der lexikalischen Bedeutung seiner Komponenten, aus deren grammatischer Bedeutung und aus seiner syntaktischen Struktur“ (Löbner 2003: 20). 53 Vgl. ausführlich bei Löbner (2003: 1–20) und insbesondere Schwarz/Chur (2007). Die Frage nach der Identität von konzeptuellem und semantischem Wissen ist auch bei Schwarz/Chur (2007: 26) noch nicht zufriedenstellend beantwortet. Es ist insgesamt zu beklagen, dass jede Abhandlung im Bereich der Textlinguistik eine andere Abgrenzung von ‚Wissensarten‘ vornimmt. Im Sinne dieser Studie ist die Differenzierung bei Gansel/Jürgens (2007: 114–119) erhellend, die wie folgt unterscheiden: elokutionelles Wissen (Sprechen), idiomatisches Wissen (phonemisch, graphemisch, lexikalisch-semantisch, semantisch, paradigmatisch, syntagmatisch), expressives Wissen (Textstruktur, -formulierung, -sorten, -muster) und schließlich enzyklopädisches Wissen, zu dem Konzepte und deren Gesamtheit, die Enzyklopädie, gehören. Da Konzepte bei Schwarz/Chur (2007: 26) als „amodal“ bezeichnet werden, liegt die Vermutung nahe, dass Konzepte die lexikalische Bedeutung der Ausdrücke in einem Sachverhalt repräsentieren, die dann zu kompositionaler und kommunikativer Bedeutung zusammengesetzt werden. Diese Hypothese stützen auch Rickheit et al. (2002: 67), die postulieren, dass sich einfache Sachverhalte in „mentale Propositionen“ zerlegen lassen, die ihrerseits aus Konzepten bestehen.

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Theoretische Grundlagen

Propositionen sind hierbei in Konzepte und ihre Relationen zerlegbar (vgl. Rickheit et al. 2002: 67) und „[d]as Netz der semantischen Textstruktur lässt sich aus Verknüpfungsbeziehungen von einzelnen Argumenten in verschiedenen Propositionen des Gesamttextes erschließen“ (Heinemann/Heinemann 2002: 76).54 Das im Text repräsentierte Wissen wird dabei zum Aufbau von Wirklichkeitsmodellen genutzt.55

2.2.3 Von Wissensbegriffen zu Wissensarten

Aufgrund der obigen Ausführungen muss von vornherein grundlegend zwischen etablierten Verwendungsweisen von Wissen im Sinne eines engen und eines erweiterten Wissensbegriffs unterschieden werden. Dabei ist der enge Wissensbegriff identisch mit der epistemologischen Standardanalyse von Wissen als wahre gerechtfertigte Überzeugung. Diesen epistemischen Modus des Wissens streben auch die Wissenschaften an. Lässt man einen erweiterten Wissensbegriff zu, dann und zwar nur dann56 kann man zwischen Wissensarten unterscheiden, worunter der epistemologische Wissensbegriff als propositionales, theoretisches, explizites oder deklaratives Wissen bzw. Faktenwissen (‚wissen, dass‘) firmiert. Der erweiterte Wissensbegriff fasst Wissen als konstruktiv-kognitives, erfahrungsbasiertes, handlungsleitendes und damit personales Phänomen einerseits und gleichzeitig als gesellschaftliches, kulturell und historisch geprägtes und damit impersonales Phänomen andererseits.57

2.2.3.1 Explizites und implizites personales Wissen Das Wissen, welches aus den Erkenntnisstrukturen einer Person erwächst,58 firmiert daher unter der Sammelbezeichnung personales Wissen. Es umfasst die verschiedenen Wissensarten eines Individuums, wie etwa deklaratives bzw. propositionales oder theoretisches Wissen einerseits und prozedurales Wissen (Fähigkeit, ‚wissen,

54 Dabei sind zwei Propositionen miteinander verbunden, wenn die Sachverhalte miteinander verbunden sind (vgl. Heinemann/Heinemann 2002: 76). Die Vorstellung vom Text als Propositionskomplex geht zurück auf van Dijk (1980). 55 Vgl. Richter/Schönert/Titzmann (1997: 29) und Gansel/Jürgens (2007: 113). 56 Baumann (2002: 36–37) lehnt aus erkenntnistheoretischer Sicht die Bezeichnung Wissen für die Begriffsinhalte der Wissenssoziologie und Kognitionswissenschaften ab. Dies führe zu einem relativistischen Verständnis von Wissen. 57 So z. B. auch bei Fraas (2002) oder Hyman (1999). 58 Der epistemologische Wissensbegriff erfasst die Beziehung einer Person zu einer Überzeugung (vgl. Baumann 2002: 29). So auch Seiler/Reinmann (2004: 19, 36, 66) und Reinmann/Eppler (2008: 19).

Wissen

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wie‘, Know-how) andererseits.59 Weitere ‚Wissensarten‘60 wie gegenstandsbezogenes Objektwissen, im weitesten Sinne zielbezogene Wissensarten (‚wissen, warum‘, ‚wissen, was zu tun ist‘) und Metawissen (Wissen über Wissen) lassen sich als Unterarten von personalem Wissen interpretieren. Personales Wissen lässt sich weiterhin danach differenzieren, ob es explizit oder implizit ist. Als explizit gilt Wissen dann, wenn es sich in propositionaler Form artikulieren lässt.61 Propositionales Wissen ist damit immer explizites Wissen, weil es bewusstseinsfähig und auch artikulierbar ist. Dies trifft auf prozedurales Wissen wie z. B. die Fähigkeit, Fahrrad fahren zu können62 nicht oder nicht im gleichen Maße zu: Es ist, so Reinmann/Eppler (2008: 21), dem Bewusstsein nicht (mehr) zugänglich, sondern implizit, weil es sich der sprachlichen Artikulation überwiegend entzieht.63 Im Anschluss an Michael Polanyi (1966/1985: 14–15) wird das Phänomen, mehr zu wissen als man sagen kann, als implizites Wissen bezeichnet: Wir definieren implizites Wissen [. . . ] als Gesamtheit des Wissens [. . . ], das in einem unbewussten (stilles Wissen), nicht bewussten (latentes Wissen) oder bewussten Zustand sein kann und aus kognitiven Elementen [. . . ] und aus operativen, kognitiv unzugänglichen Elementen besteht (die nicht explizierbar, höchstens demonstrierbar sind). (Hasler Roumois 2007: 43)

In ihrer Studie zum Wissensmanagement in japanischen Unternehmen erarbeiten Nonaka und Takeuchi (1997: 74–87) das Modell einer Wissensspirale, die den Prozess der Konvertierung von Wissen beschreibt: Ausgehend von der Flüchtigkeit personalen Wissens heben sie die Bedeutung des allgemeinen Zugangs zu solchem Wissen hervor. Hierzu müsse implizites Wissen entweder durch Sozialisation weitergegeben oder aber artikuliert und fixiert werden (Externalisierung), sodass es Dritten zur Aneignung (Internalisierung) und Weiterentwicklung zur Verfügung stehen kann. Nach herrschender Meinung kann Wissen also objektiviert und kommuniziert werden, um dann wiederum interpretierend angeeignet zu werden. In diesem Fall ist es dann nicht nur explizites, sondern expliziertes (vgl. Hasler Roumois 2007: 44–45) bzw. impersonales Wissen.

59 Über die Frage, ob diese beiden aufeinander reduziert bzw. überschneidungsfrei voneinander abgegrenzt werden können oder inwieweit sie interdefinierbar sind, herrscht kein Konsens. Fantl (2008) unterscheidet intellektualistische (auf explizites Wissen reduzierbar), stark antiintellektualistische (auf Know-how reduzierbar) und gemäßigt antiintellektualistische (unabhängig voneinander) Positionen. 60 Für einen Überblick siehe Hug (2003), Talaulicar (2006), Gottschalk-Mazouz (2007), Hasler Roumois (2007: 45–46) und Reinmann/Eppler (2008: 18–23). 61 Vgl. Polanyi (1966/1985: 15), Baumann (2002: 30–31) und Hasler Roumois (2007: 44–45). 62 Das Beispiel stammt von Polanyi (1966/1985). 63 Das gelte umso mehr für „intuitives Wissen“ (Reinmann/Eppler 2008: 21), bei dem es sich um vorbegriffliches, nicht sprachlich artikulierbar Wissen bzw. verinnerlichte Wahrnehmungen handle.

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Theoretische Grundlagen

2.2.3.2 Impersonales Wissen Außerhalb der Erkenntnistheorie gilt es als durchaus nachvollziehbar, dass personales Wissen in materialisierter Form der Allgemeinheit in Form von Information oder Daten zugänglich gemacht werden könne. Dies lässt sich sowohl aus wissenssoziologischen wie auch kognitionswissenschaftlichen Positionen ableiten, zu deren Grundannahmen es gehört, dass insbesondere explizites personales Wissen semiotisch, also durch Zeichen, objektiviert bzw. repräsentiert werden kann (vgl. Reinmann/Eppler 2008: 22): Kollektives Wissen entsteht, wenn Menschen Bedeutungen aushandeln, verdichten, vereinheitlichen und systematisch durch Zeichen [. . . ] darstellen. [. . . ] Individuen können also ihr Wissen objektivieren, und in dieser Form kann es mit anderen Personen geteilt und verbreitet werden. [. . . ] Wissen im objektivierten Zustand [ist] nur potenzieller Natur [. . . ]: Es ist in Zeichen ‚eingefrorenes‘ Wissen und kann nur wieder von Individuen aktualisiert (und damit verstanden) werden, die wissen, was diese Zeichen bedeuten. (ibid.: 21, Hervorhebungen im Original)

Die idiosynkratisch aufgebauten, dynamischen Strukturen können durch Sprache objektiviert, kommuniziert und dann wiederum zum Aufbau neuer, gleichermaßen idiosynkratischer Strukturen genutzt werden (vgl. ibid.: 19, 36, 66).

2.2.4 Zusammenfassung

Wissen – gleich wie man es definiert – hat einen hohen Stellenwert in einer Gesellschaft, die sich selbst als Wissensgesellschaft begreift. Die große Bedeutung wird durch eine Krise des Wissens (vgl. Mittelstraß 2001) konterkariert, die sich darin ausdrückt, dass es zwar manche Konzeptualisierung von Wissen gibt, aber keine dieser Definitionen allgemein anerkannt ist. Ziel dieses Kapitels war es, eine Annäherung an eine textanalytisch anwendbare Wissensdefinition unter Berücksichtigung der prominentesten aktuellen Wissensbegriffe zu wagen. Dazu wurde Wissen zunächst in pragmatischer Weise vom Begriff der Bildung als der Ausprägung individueller Anlagen im pädagogischen Sinne abgegrenzt. Weiterhin wurde verdeutlicht, dass Information in vielen Ansätzen auf die eine oder andere Weise als Vorstufe von Wissen angesehen wird. Dies gilt vor allem für ein Informationsverständnis, das Information als kommunizierbare Zeichenstruktur modelliert (message approach), die der Mensch verstehend interpretieren (knowledge approach) und dadurch seinen Wissensstand erhöhen kann (effect approach). Während dies in den Wirtschaftswissenschaften, in gewisser Weise auch der Wissenssoziologie und der Kognitionspsychologie der Fall ist, so ist ein modularer Wissenscharakter mit der epistemologischen Standardanalyse von Wissen als wahrer gerechtfertigter Überzeugung inkompatibel. In Bezug auf die textanalytische Anwendbarkeit birgt der Absolutheitsanspruch der Standardanalyse einiges Konfliktpotenzial (siehe Abschnitt 2.3.2.2), auch wenn

Wissen

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dieser Anspruch durch das Rechtfertigungsproblem innerhalb der Epistemologie und die Zahl der divergierenden Rechtfertigungstheorien relativiert wird. Letzten Endes handelt es sich beim epistemologischen Wissensbegriff demzufolge nur um einen Begriff unter anderen (vgl. Abel 2009b: 11). Diesen als einzigen für die literaturwissenschaftliche Praxis zuzulassen, hieße Literatur (Objekt) mit Literaturwissenschaft (Metasprache) zu verwechseln bzw. diese gleichzusetzen. Fußend auf einem konstruktivistischen Menschenbild wird das Wahrheitskriterium in der Wissenssoziologie indessen durch das Sinnkriterium ersetzt. Als Wissen gilt dort eine erfahrungsbasierte, vielfältig geprägte und handlungsleitende relativ natürliche Weltanschauung, die zwar strukturiert, aber nicht notwendig wahr oder widerspruchsfrei sein muss. Die wissenssoziologische Erweiterung des Wissensbegriffs macht ihn auch auf andere Wirklichkeitsbereiche anwendbar und erlaubt eine Beschreibung des dialektischen und diskursiven Prozesses der Aushandlung von Wissen in einer Gesellschaft. Die Charakterisierung von Wissen als in Zeichen objektivierbare, systematisch aufeinander bezogene Wissenselemente macht den wissenssoziologischen Begriff zudem anschlussfähig für kognitionswissenschaftliches und textanalytisches Beschreibungsinventar. Letzteres insbesondere deshalb, weil Wissen in der Wissenssoziologie als Mittel der Konstruktion von Wirklichkeitsmodellen anerkannt wird – eine Grundannahme, die sie mit der Literaturwissenschaft insofern teilt, als Texte dort grundsätzlich als Modell von ‚Welt‘ angesehen werden (vgl. Lotman 1993). Die Kognitionswissenschaften präzisieren den wissenssoziologischen Wissensbegriff dahin gehend, dass sie die intuitive Vorstellung von Wissenselementen in einem Wissensvorrat kognitiv zu untermauern suchen. Wissen ist hier eine idiosynkratische Konstruktionsleistung, die durch dynamisch relationierte Kategorienund Konzeptsysteme im Gehirn repräsentiert ist und sich durch zeichenhafte Objektivierung kommunizieren und aus Texten rekonstruieren lässt. In diesen wird Kohärenz und Bedeutung überhaupt erst durch die Konfiguration von Konzepten in Propositionen möglich. Kritisch zu sehen ist zwar die erst beginnende theoretischmethodische Fundierung kognitionswissenschaftlich-linguistischer Beschreibungskategorien. Aber die Analyse von Konzepten, ihrem internen Aufbau und inhärenten Gesetzmäßigkeiten (Intra-Ebene) sowie ihre Relation zu anderen Konzepten (InterEbene) macht genauere Propositionsanalysen möglich und kann die struktural-semiotische Rekonstruktion von semantischen Paradigmen sinnvoll ergänzen. Fraglich ist, ob und inwieweit der epistemologische und kognitionswissenschaftliche Wissensbegriff in Einklang gebracht werden können, zumal die Philosophie Wissen zwar (internalistisch) als kognitive Beziehung zu einer Tatsache anerkennt (vgl. Rescher 2003: 8–9), die Konstruktivität und Prozesshaftigkeit von Wissen aber ablehnt.64

64 „knowledge is not an activity“, „knowing is a state“ (Rescher 2003: 8).

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Theoretische Grundlagen

So war es unumgänglich, zwischen einem engen, d. h. propositionalen, und einem erweiterten Wissensbegriff zu unterscheiden, wobei letzterer sich in verschiedene Wissensarten wie personales und impersonales Wissen untergliedern ließ. Gottschalk-Mazouz (2007: 25) plädiert daher für einen „Komplexbegriff“ von Wissen, d. h. einen mehrdeutigen, offenen Containerbegriff. Dem wollen wir uns hier nur insofern anschließen, als im Folgenden eine Rumpfdefinition von Wissen gegeben werden soll, die durch die Betonung bestimmter Charakteristika perspektiviert werden kann. Dabei ist mindestens die Verbindung einer kognitiven, semiotischen und wissenssoziologischen Sicht erforderlich, weil Kommunikation, Verstehen und gesellschaftliche Interaktion sonst nicht erklärt werden können. Als Wissen soll ab hier ein kognitives Konstrukt gelten, welches in Zeichen objektivierbar und kommunizierbar ist. Zu seiner nicht-mentalen Repräsentation bedarf es daher einer medialen Basis (Wissensformat) und einer konkreten semiotischen Repräsentationsform, die einer jeweils medien- bzw. textspezifischen Gestaltung unterliegt.65 Je nach Perspektive zeichnet es sich durch eines oder mehrere der folgenden Merkmale66 aus: 1. Konstruiertheit: Wissen ist das Produkt eines idiosynkratischen, kognitiven Prozesses. 2. Normativität: Wissen hat eine normative Struktur, insofern es in einer Gesellschaft zur Abgrenzung unterschiedlicher Diskurse dient und Bewertungsmaßstäbe setzt, die gesellschaftliche Praxis leiten. 3. Diskursivität: Der normative Charakter von Wissen ist vor dem Hintergrund seiner Diskursivität verstehbar. Es geht aus intra- und interdiskursiven Verhandlungsprozessen hervor, wobei der wissenschaftliche Diskurs für sich beansprucht, das eigentlich gültige Wissen zu produzieren. 4. Sozialität: Die Diskursivität von Wissen lenkt die Aufmerksamkeit auf seine soziale Prägung, die es dadurch erhält, dass seine Gültigkeit auf einem gesellschaftlichen Konsens beruht, es aus der Interaktion von Gesellschaft und Individuum hervorgeht und selbst wissenschaftliches Wissen nicht frei von sozialen Einflussfaktoren ist. 5. Kommunikabilität: Wissen ist semiotisch objektivierbar und muss es sein, um soziale und kulturelle Prozesse steuern zu können. Folgerichtig ist es auch repräsentierbar und tradierbar, wobei interpropositionale Bezüge zu seiner Aneignung rekonstruiert werden müssen. 6. Konstruktivität: Die Sozialität des Wissens kann dahin gehend konkretisiert werden, dass es die Wirklichkeitswahrnehmung des Individuums wie auch der Ge-

65 Ähnlich bei Antos (2005: 347–348). 66 Eine ähnliche Merkmalsliste (Sozialität, Historizität, Diskursivität, Konstruktivität, Poetizität) postuliert Pethes (2003) und im Anschluss an ihn auch Huber (2007: 799). Die Herleitung bei Pethes basiert jedoch auf einer anders gelagerten Argumentation, die die Merkmale nur bedingt nachvollziehbar macht.

Literatur und Wissen

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sellschaft prägt: „Realität und Wissen sind in diesem Sinne gleichursprünglich“ (Strübing 2007: 130).67 7. Handlungsbezug: Der Wissensvorrat dient als Deutungsmuster für alltägliche Situationen und generiert darauf basierende Handlungen. Menschliches Handeln ist damit wissensgeleitet und Wissen entsprechend handlungs- und erfahrungsbasiert. 8. Vernetztheit: Wissenselemente stehen in vielfältigen Relationen zu anderen Wissenselementen, die sich gegenseitig voraussetzen, stützen, begründen etc. Wissen kann so als netzwerkartiges Wissens-/Überzeugungssystem modelliert werden. In diesem Sinne ist Wissen auch modular, da es sich aus Konzepten zu komplexen Wissenseinheiten und Wissensmengen zusammenfügt. 9. Aktualisierbarkeit: Wissen ist ein dynamisches und interaktives Konstrukt. Um die bereits erwähnten Funktionen wahrnehmen zu können, muss es aktualisierbar und sich ändernden Umständen anpassbar sein. Dies drückt sich in der Hinzufügung neuer, der Modifikation, Reorganisation und Erprobung bestehender Wissenselemente aus. 10. Emergenz: Durch Inferenz lässt sich ein bestehendes Überzeugungssystem erweitern. Dies geschieht durch Ableitung impliziten Wissens aus explizitem Wissen. 11. Historizität und Kulturalität: Selbst wenn man erfahrungsbasierte, existenzielle Basisannahmen akzeptiert, sind Wissensbegriffe und auch Wissensinhalte historisch kontingent. Sie sind damit in dem Sinne kulturell geprägt, als Wissenskulturen unterschiedliche Wissensbegriffe ausprägen. Auf diese Merkmale wird im Rahmen der Analysen zurückzukommen sein, da sich an den analysierten Texten z. B. sehr deutlich zeigt, dass Wissen gleichwelcher Herkunft dort diskursiviert und auf seine soziale Gültigkeit und Problemlösungskapazität überprüft wird. Vor allem in komplexen Prozessen der Hybridisierung von Wissensmengen (4.2.3.3) und der Genese von Wissensobjekten (4.2.3.2) werden zudem die Merkmale der Vernetztheit und Aktualisierbarkeit sowie die emergente Qualität von Wissen relevant sein.

2.3 Literatur und Wissen Abhängig davon, welchen der bisher skizzierten Wissensbegriffe man zugrunde legt, wird auch die Frage, ob Literatur Wissen enthalten könne, anders ausfallen. Wenn es auch zur Praxis der Literaturwissenschaft gehört, sich mit Wissen in Literatur zu beschäftigen, so wird diese Containermetapher seit mindestens zwanzig Jahren ins-

67 Zum semiotischen Zusammenhang von Zeichen und Wissen im Anschluss an Charles S. Peirce siehe Abschnitt 2.3.2.4.

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Theoretische Grundlagen

besondere in der Literaturphilosophie68 kritisiert. Die Frage der epistemologischen Qualität von Literatur reicht dabei so weit zurück wie die Geschichte der Literatur selbst. Blume (2007) bringt das Dilemma auf den Punkt: Für die einen, die Theoretiker in Sachen Literatur und Fiktionalität, befasst sich die Untersuchung mit etwas, das schlicht nicht existiert. Den anderen, den Praktikern der philologischen Arbeit an und mit Texten, wird es wenig sinnvoll erscheinen, mit viel Theorieaufwand die Existenz von etwas zu belegen, mit dem sie sich offensichtlich täglich konfrontiert sehen. (ibid.: 7)

Ziel dieses Kapitels wird es vor dieser Ausgangslage einerseits sein, einschlägige Positionen in Bezug auf die Frage zu skizzieren, ob Literatur Wissen enthalten kann (Wissen in Literatur): Dazu wird zunächst das Forschungsfeld Literatur und Wissen(schaften) kurz umrissen (2.3.1), da die epistemologische Qualität der Literatur nicht erst jüngst Gegenstand von Auseinandersetzungen ist: Spätestens seit der Ausdifferenzierung der sozialen Systeme Literatur und Wissenschaft (2.3.2.1) stehen sich die zwei ‚Kulturen‘ mit konkurrierenden Deutungsansprüchen gegenüber. Anschließend werden literaturphilosophische (2.3.2.2), fiktionalitätstheoretische (2.3.2.3) und kultursemiotische Positionen (2.3.2.4) vorgestellt, die eine jeweils spezifische Antwort hierauf zu geben versuchen. Sodann wird die Frage erörtert, ob literarische Gedankenexperimente Quelle von neuem Wissen durch Literatur (2.3.3) sein können. Hierbei wird die Rolle von Metaphern zu erörtern sein, denen das Potenzial zugesprochen wird, Wissensbestände neu zu konfigurieren und quasi neues Wissen zu generieren (2.3.4). So wird es insgesamt möglich sein, den oben formulierten Wissensbegriff im Hinblick auf seine textanalytische Anwendbarkeit zu präzisieren.

2.3.1 Forschungsfeld Literatur und Wissen(schaften)

Mit der Öffnung der Literaturwissenschaft gegenüber den kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen ging auch eine Erweiterung und Pluralisierung der literaturwissenschaftlichen Richtungen und Methoden einher. Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft69 ist bestrebt, Literatur als Produkt kultureller Praxis im kulturellen Kontext zu verorten, sowie Interaktionsprozesse zwischen Text und Kontext zu erhellen (vgl. Neumann/Nünning 2006: 3). Inspiriert durch die Arbeiten Foucaults und die französische Wissenschaftsgeschichte im Allgemeinen gewinnt nun die epistemologische Funktion von Literatur an Bedeutung.70 Im deutschen Kontext sind kri-

68 Vgl. exemplarisch: Lamarque/Olsen (1994); Gabriel (1997); New (1999); Pethes (2003); Wilson (2004); Köppe (2007); Klausnitzer (2008); Köppe (2008); Dittrich (2009); Gibson (2009). 69 Grundlegend bei Voßkamp (2003), kritisch u. a. bei Krah/Ort (2005). 70 Zur epistemologischen Orientierung von Literaturwissenschaft siehe Ehlich, Konrad (Hg.) (2006): Germanistik in und für Europa. Faszination – Wissen. Texte des Münchener Germanistentages 2004. Bielefeld: Aisthesis.

Literatur und Wissen

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tische Auseinandersetzungen dieser Art schon für die Lehrdichtung und Texte des Sturm und Drang dokumentiert, und sie setzen sich durch alle Epochen fort (vgl. Feldmann 1993): Während in der Romantik Literatur bzw. Geistes- und Naturwissenschaft gleichberechtigt nebeneinander standen, stehen sich die zwei Kulturen71 seit der Ausdifferenzierung der Wissenschaften zunehmend mit konkurrierenden Wissens- und Wahrheitsansprüchen gegenüber. Der Forschungsbereich blickt daher auf eine ebenso lange Tradition zurück wie die Wissenschaften selbst. Die jüngere Diskussion löste Charles Percy Snow mit seiner Schrift The Two Cultures (1959: 11) aus, in der er die These vertritt, dass sich „das geistige Leben der gesamten westlichen Gesellschaft [. . . ] immer mehr in zwei diametrale Gruppen“ aufspalte, zwischen denen sich „eine Kluft des Nichtverstehens“ auftue.72 Spätestens seit Snows Äußerungen ist die ZweiKulturen-Debatte (Two Cultures Debate) ein Topos für die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und (Natur-)Wissenschaften. Deren Erörterung wird indes immer mehr zu einer systemimmanenten Frage der Literaturwissenschaft,73 da die faktische Vorherrschaft der Naturwissenschaften weitestgehend unumstritten ist und diskursive Fragen der Abgrenzung vorwiegend in der Literaturwissenschaft von Bedeutung sind (vgl. Pethes 2003: 191).

71 Einen ausgezeichneten Überblick über die Two Cultures Debate seit dem 17. Jh. findet sich in Cartwright/Baker (2005). Zusammenfassend auch bei Levin, Yuval (2003): Snow’s Two Cultures – and Ours. In: The Public Interest, Jg. 153, H. 3, S. 54–68. Den Prozess der Ausdifferenzierung im deutschen Kontext rekonstruiert Conter, Claude D. (2008): Die Entstehung der zwei Kulturen im 19. Jahrhundert. In: KulturPoetik, Jg. 8, H. 1, S. 18–38. 72 Die Rezeption Snows im deutschen Raum dokumentieren Kreuzer, Helmut (Hg.) (1969): Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz. Dialog über die ‚zwei Kulturen‘. Stuttgart: Klett sowie Reinalter, Helmut (Hg.) (1999): Natur- und Geisteswissenschaften – zwei Kulturen? Innsbruck, Wien: Studien-Verlag. 73 Die neuere Forschung zur Zwei-Kulturen-Debatte geht in Richtung public understanding of science und scientific literarcy, ist also auch bildungspolitisch und disziplinensystematisch motiviert. Siehe: Porter, Theodore M. (2005): Historicizing the Two Cultures. In: History of Science, Jg. 43, Sonderheft, H. 2, S. 109–114. Die empirische Studie von McManus (2006) überprüft die Thesen Snows durch Fragenbögen. Siehe McManus, I.C. (2006): Measuring the Culture of C.P. Snow’s Two Cultures. In: Empirical Studies of the Arts, Jg. 24, H. 2, S. 219–227.

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Theoretische Grundlagen

Für die jüngere Forschung im deutschen Raum74 lassen sich in Bezug auf das Verhältnis von Literatur und Wissen bzw. Literatur und (Natur-)Wissenschaften75 verschiedene Modi der (gegenseitigen) Einflussnahme unterscheiden:76 1. Zunächst kann die Interaktion als Rezeptionsphänomen modelliert werden, im Zuge dessen die Wissenschaft Einfluss auf die Literatur als „parasitäres Kommunikationssystem“ (ibid.: 211) ausübt. Hiermit ist nicht nur die – auch modifizierende – Übernahme von thematischen Elementen und Motiven, sondern auch die ästhetische Modellierung spezifischer Wissensbestände in der Literatur sowie Genese literarischer Genres und Textverfahren angesprochen. 2. Andersherum lässt sich auch eine Einflussnahme der Literatur auf die Wissenschaft nachweisen, die sich rhetorischer und bisweilen auch poetischer Formen bedient, um ihre Wissensbestände zu dokumentieren, zu gestalten bzw. durch narrative Elemente überhaupt erst in allgemein rezipierbare Form zu bringen.77 3. Jüngst zeichnet sich eine Tendenz ab, die aus Kritik an den einseitigen

74 Zur Geschichte in Deutschland: Born, Nicolas; Schlaffer, Heinz (Hg.) (1976): Literaturmagazin 6. Die Literatur und die Wissenschaften. Reinbek: Rowohlt; Universitas, Jg. 42 (1987), H. 1. Zur Geschichte in den USA: Rousseau, G. S. (1978): Literature and Science: The State of the Field. In: Isis, Jg. 69, S. 583–591; Rousseau (1987); Weininger, Stephen J. (1989): Introduction. The Evolution of Literature and Science as a Discipline. In: Amrine, Frederick (Hg.): Literature and Science as Modes of Expression. Dordrecht, London: Kluwer, S. xiii-xxv; Baise, Jennifer (Hg.) (2000): Twentieth-Century Literary Criticism (TCLC). Topics Volume 90. Farmington Hills: Gale Group sowie Gossin, Pamela (Hg.) (2002): Encyclopedia of Literature and Science. Westport, London: Greenwood Press; Gossin, Pamela (2003): Literature and the Modern Physical Sciences. In: Nye, Mary Joe (Hg.): The Modern Physical and Mathematical Sciences. Cambridge: Cambridge UP, S. 91–109 und Lawlor, Clark (2006): Poetry and Science. In: Gerrard, Christine (Hg.): A Companion to Eighteenth-century Poetry. Malden: Blackwell, S. 38–52. Einen Vergleich USA/D unternimmt Buckley, Thomas (2004): Literature and Science. A Bilateral View. In: Trommler, Frank (Hg.): The many Faces of Germany. New York: Berghahn Books, S. 245–252. 75 Diese Gleichsetzung erklärt sich dadurch, dass Wissen in den entsprechenden Studien zumeist wissenschaftliches Wissen bezeichnet, welches wiederum häufig mit naturwissenschaftlichem Wissen identifiziert wird. Letzteres geht u. a. darauf zurück, dass die meisten Studien sich auf die Zeit der Ausdifferenzierung der Naturwissenschaften im 18. und 19. Jh. konzentrieren. Pethes (2003: 182) sondiert Anzeichen eines Paradigmenwechsels, der allerdings nur unter der Bedingung anzunehmen sei, dass sich Literaturwissenschaft der Herausforderung naturwissenschaftlichen Wissens (d. h. empirisch überprüfbarer Hypothesen) stelle. Die Frage nach ‚Literatur und Wissen‘ sei daher immer die Frage nach Literatur und Naturwissenschaft. Das ist nicht nur inkonsequent, als er seinen Wissen(schaft)sbegriff nicht entsprechend ausführt, darüber hinaus auch zu eng, wie die Studien im Band von Boden/Müller (2009) zeigen. Siehe auch Halft (2008b). 76 Ähnlich auch Lamping, Dieter (2005): Literatur und Wissenschaft.. In: Kulturpoetik, Jg. 5, H. 2, S. 139–152 und Uerz, Gereon (2004): Science Fiction-Literatur und die Fabrikation von Fakten. In: Eßbach, Wolfgang (Hg.): Landschaft, Geschlecht, Artefakte. Würzburg: Ergon, S. 151–168. 77 Für eine Analyse der narrativen Funktionalisierung von Figuren in historiographischen Texten siehe z. B. die Beiträge in Jappe et al. (2012). Einschlägig sind außerdem: Bono, James J. (1990): Science, Discourse, and Literature. In: Peterfreund, Stuart (Hg.): Literature and Science. Boston: Northeastern UP, S. 59–89; Locke, David (1992): Science as Writing. New Haven, London: Yale UP; Smith, Peter D. (2000): Metaphor and Materiality. German Literature and the World-View of Science 1780–1955. Oxford: Legenda. Siehe auch Hallyn, Fernand (Hg.) (2000): Metaphor and Analogy in the Sciences.

Literatur und Wissen

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Transfermodellen (vgl. Maillard 2005: 160–161; Pethes 2003) „komplexe Transpositionsprozesse“ (Maillard 2005: 162) zwischen Literatur und Wissenschaft im Paradigma einer interaktiven Ko-Evolution zu erfassen versucht: Aus literaturtheoretischer Perspektive ist dies insbesondere durch systemtheoretisch fundierte Ansätze versucht worden. Andere Ansätze streben demgegenüber eine Synthese mit wissenssoziologischen (Titzmann 1989) oder diskurstheoretischen Elementen (Pethes 2004; Vogl 2007) und kultursemiotischen bzw. kulturwissenschaftlichen Theoremen (Greenblatt 1988; Titzmann 1989; Neumann/Nünning 2006) an. Literatur und Wissenschaft werden dort als lediglich unterschiedliche Schreib- und Gestaltungsweisen von Wissen und diskursübergreifenden Ideen innerhalb einer gemeinsamen Episteme begriffen (vgl. Klausnitzer 2008: 50; Pethes 2003: 228; Pethes 2004: 343): An die Stelle eines Einfluss-, Kausal- oder Verarbeitungsverhältnisses tritt also die Vorstellung „einer Gleichursprünglichkeit und Wechselwirkung zwischen Wissen und Poetik“ (Pethes 2004: 354–355).78 Klammerartig als Literature and Science Studies (LSS) bezeichnet, präsentiert sich die daran anschließende Forschungswelle79 als eine Verquickung wissenschaftsgeschichtlicher, literatur- und kulturwissenschaftlicher sowie wissenschaftssoziologischer und auch bildungspolitischer80 Fragestellungen. In den Fokus rückt dabei zunehmend die wissenschaftshistorische Relevanz literarischer Texte bzw. deren Wirkung auf die Wissenschaften, die Konzeptualisierung des „Transfers“ (Pethes 2003: 184) von Wissen zwischen den beiden81 Kulturen und die spezifische Repräsentation von Wissen in Literatur und Wissenschaft gleichermaßen.

Dordrecht u. a.: Kluwer und Krohn, Wolfgang (Hg.) (2006): Ästhetik in der Wissenschaft. Hamburg: Meiner (Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Sonderheft 7). Grundsätzlich sind die sogenannten Rhetoric of Science Studies auch Gegenstand der Wissenschaftssoziologie. 78 Ausführlich und kritisch hierzu siehe Abschnitte 2.3.2.1 c) und d). 79 Als einschlägige Publikationsorgane gelten die Zeitschriften Isis, Configurations, Public Understanding of Science, und im deutschen Raum Scientia Poetica, Iasl, KulturPoetik und Poetica. Einschlägige Publikationen stellen dar: Danneberg/Vollhardt (2002); Maillard/Titzmann (2002); Brandstetter/Neumann (2003); Maillard (2004). 80 Siehe Baumert, Jürgen (2002): Deutschland im internationalen Bildungsvergleich. In: Universitas, Jg. 52: 1, Teil 1: S. 114–135 und Teil 2: S. 570–586 sowie Mittelstraß, Jürgen (2002): Welches Bildungsideal braucht eine offene Wissensgesellschaft. In: Universitas, Jg. 57: 2, S. 1263–1271 und Fischer, Ernst Peter (2006): Wie viel Naturwissenschaft braucht der gebildete Mensch? In: Krimm, Stefan; Sachse, Martin (Hg.): Die Praxis der höheren Sphären. München: Bayerischer Schulbuchverlag, S. 168– 188. Zur Komplementaritäts- bzw. Kompensationsthese der Geisteswissenschaften siehe Gloy, Karen (Hg.) (2002): Im Spannungsfeld zweier Kulturen. Königshausen & Neumann. In populärer Form bei Schwanitz, Dietrich (1999): Bildung. Alles was man wissen muss. Frankfurt am Main: Eichborn und bei Fischer, Ernst-Peter (2001): Die andere Bildung. Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte. Berlin: Ullstein. 81 Je nach Konzeptualisierung werden Literatur und Wissenschaft als „zwei Artikulationsformen“ „einer gemeinsamen kulturellen Matrix“ (Pethes 2003: 194, meine Hervorhebung), zwei dezidiert unterschiedliche Artikulationsformen (vgl. Cordle 1999: 21), als zwei von insgesamt drei (inkl. Sozialwissenschaften) oder noch mehr ‚Kulturen‘ angesehen (vgl. Pethes 2003). Das Forschungsfeld gerät

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Theoretische Grundlagen

Neueste Publikationen82 streben ausdrücklich die theoretische Klärung und Fundierung der Text-Kontext-Interaktion an. Insbesondere kultursemiotische Ansätze erlauben es, klassische Probleme der Literaturphilosophie und Fiktionalitätstheorie zu entschärfen: Sie betrachten Texte als spezifisches Produkt eines Kontextes83 und formulieren daher ein – wie auch immer geartetes bzw. expliziertes – Text-KontextModell. Mit der Modellierung der Interaktion von Text und Kontext ist eine der wesentlichen Herausforderungen gegenwärtiger Literaturwissenschaft und -theorie seit den 1980er Jahren benannt: Die Verlagerung der Methodendiskussionen auf literaturtheoretische Fragestellungen und die kulturwissenschaftliche Neuorientierung der Literaturwissenschaft führten auch zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Textimmanenz und Texttranszendenz, die schließlich in Text-Kontext-Modelle überführt wurden (vgl. Jahraus 2007: 19–22; Neumann/Nünning 2006: 3). Kontextualisierenden Positionen ist deshalb nicht nur daran gelegen, Literatur als Produkt interoder extratextueller Kontexte zu verstehen, sondern auch daran, deren Interaktion genauer zu fassen.

2.3.2 Literarisches Wissen als Wissen in Literatur

Die Interaktion der Literatur mit ihren diversen Kontexten ist unterschiedlich modellierbar, was sich auf die Frage nach dem Wissen in Literatur auswirkt. Im Folgenden wird es daher zunächst darum gehen, Literatur (und Wissenschaft) in der Gesellschaft zu verorten und Interaktionsmodi zu beschreiben. Dazu werden zuerst die Grundlagen der Systemtheorie skizziert und Literatur und Wissenschaft systemtheoretisch reformuliert. Daran anknüpfend werden Positionen aus Literaturphilosophie, Fiktionalitätstheorie und Kultursemiotik daraufhin befragt, ob und wie die Rede von Wissen in Literatur sinnvoll ist.

2.3.2.1 Systemtheorie: Literatur und Wissenschaft als interagierende Systeme Um Literatur und Wissenschaft als interagierende Systeme fassen zu können, müssen einige Bausteine der Systemtheorie näher erläutert werden. Um diese nicht gänzlich zu isolieren, werden sie vor dem Hintergrund der Systembildung und der Intersys-

hierdurch insofern in eine Zwickmühle, als die Trennung aufrecht erhalten werden muss, damit weitere Forschung sinnvoll ist (vgl. Cordle 1999: 1–5; Pethes 2003: 193). 82 Jäger (2005); Klausnitzer (2008); Köppe (2008); Köppe (2011). 83 Als Kontext soll hier die Beziehung eines Textes zu anderen Texten (intertextueller Kontext) oder zu nicht-textuellen Gegebenheiten (extratextueller Kontext) gelten (vgl. Danneberg 2000). Danneberg zählt zum Kontext auch den intratextuellen Cotext (Beziehung von Textteilen zueinander) und den infratextuellen Kontext (Beziehung von Textteil zum ganzen Text). Diese sind an dieser Stelle jedoch nicht von Bedeutung.

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tembeziehungen eingeführt. Hieran anschließend kann die Fruchtbarkeit aktueller systemtheoretisch fundierter Lösungsansätze für die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Wissen erörtert werden.

a) Die Gesellschaft als soziales System: Grundzüge Die Systemtheorie ist ein interdisziplinäres Erkenntnismodell, in dem soziale Phänomene als Reaktionen im Rahmen eines Gesamtsystems erklärt werden. Sie stellt das begriffliche Instrumentarium bereit, um dynamische Vorgänge in natürlichen, künstlichen, formalen oder sozialen Systemen beschreiben und interpretieren zu können.84 Als System soll dabei eine Menge von Elementen gelten, zwischen denen wechselseitige Beziehungen bestehen (Interaktion), das gegenüber seiner Umwelt abgegrenzt ist und durch diese Grenzziehung erst von seiner Umwelt unterscheidbar wird (vgl. Fillieule 2001: 15418). Parsons (1975: 39–45) präzisiert vier Funktionen, die soziale Systeme zwingend erfüllen müssen, um Bestand zu haben. Diese sind: 1. Adaptation (A): Anpassung an die Systemumwelt 2. Goal Attainment (G): Ausrichtung der Systemelemente auf eine gemeinsame Zielsetzung 3. Integration (I): Sicherstellung von Kooperation 4. Latency (L): Aufrechterhaltung grundlegender Handlungs- und Wertstrukturen

Auf der obersten Ebene von Gesellschaften, der Makroebene, übernehmen die heterarchisch-gleichgeordneten Systeme Ökonomie (A), Politik (G), Sozialsystem (I) und

84 Zur Einführung siehe: Scheunpflug, Anette; Treml, Alfred K. (2001): Systemtheoretische Ansätze in den Sozial- und Kulturwissenschaften. In: Hug, Theo (Hg.): Einführung in die Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung. Stuttgart: Hohengehren, S. 339–355 sowie Morel, Julius et al. (2007): Soziologische Theorie. Abriss der Ansätze ihrer Hauptvertreter. München u. a.: Oldenbourg, Kap. 7 und 11. Zur Rezeption der Systemtheorie in der Literaturwissenschaft siehe Plumpe, Gerhard; Werber, Nils (1995): Beobachtungen der Literatur. Opladen: Westdeutscher Verlag. Außerdem: de Berg, Henk; Schmidt, Johannes (Hg.) (2000): Rezeption und Reflexion. Zur Resonanz der Systemtheorie Niklas Luhmanns außerhalb der Soziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp sowie Reinfandt, Christoph (2001): How German is it? The Place of Systems-Theoretical Approaches in Literary Studies. In: European Journal of English Studies, Jg. 5, H. 3, S. 275–288 sowie de Berg, Henk (2001): Luhmann’s Systems Theory and its Applications in Literary Studies: A Bibliography, im selben Heft, S. 385–436. In der Reihe Lumis-Schriften finden sich weitere systematische Zusammenstellungen, darunter: Rusch, Gebhard (1994): Systemtheorien in der germanistischen Literaturgeschichtsschreibung. Siegen: Lumis (Lumis-Schriften 38). Eine konstruktive Kritik aus literaturwissenschaftlicher Sicht bietet Stanitzek, Georg (2001): Systemtheorie? Anwenden? In: Brackert, Helmut; Stückrath, Jörn (Hg.): Literaturwissenschaft. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 650–664.

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Kultur (L) diese Funktionen. Eine Gesellschaft kann also als soziales Makrosystem begriffen werden, das selbst kein Subsystem eines anderen Systems darstellt, sondern als hierarchisch übergeordnetes, umfassendes Sozialsystem aufzufassen ist. Luhmann (1984/1987: 34–70) definiert Systeme als geschlossen operierende Einheiten, die sich mittels fortlaufender Produktion ihrer Elemente selbst erzeugen und erhalten (Autopoiesis). Elemente sind dabei nicht Menschen oder Handlungen, sondern Kommunikation, die zwingend immer wieder selbstbezogene Folgekommunikation als notwendiges Mittel zum Zweck der Systemerhaltung erzeugt (Selbstreferentialität). Die Systeme interagieren in Form von Austauschprozessen über „symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien“ (Luhmann 1982: 24)85 , die auch die Systemumwelt einschließt. Soziale Systeme sind daher immer offene Systeme. Durch Systemdifferenzierung, d. h. Wiederholung der Systembildung innerhalb von Systemen, kommt es zur Entstehung von Subsystemen, deren Umwelt die systeminterne Umwelt des Gesamtsystems ist. Katalysator der Systembildung sind dabei Codes als Grundentscheidungen (Leitdifferenzen), die strikt dichotom sind (z. B. wahr/unwahr). Der Code zieht somit die Systemgrenze. Soziale Systeme zeichnen sich durch gleiche, d. h. systemweit geltende, Wirklichkeitskonstruktionen aus, denen angemessene Handlungen im Umgang mit dieser Wirklichkeit zugeordnet werden und die die Interaktion in Bezug auf diese Wirklichkeit bestimmen. Eine Besonderheit sozialer Systeme ist, dass sie „aktive Systeme“ sind, die „passive Systeme“ als „sozial erzeugte Realitätskonstrukte“ inklusive der für sie erforderlichen Handlungskompetenzen ausbilden (Hejl 1992: 191–192).

b) Kultur, Literatur und Wissenschaft als Systeme In unserem Zusammenhang ist insbesondere der systemtheoretische Kulturbegriff von Bedeutung, der Kultur als gesellschaftliches Teilsystem des Umgangs mit Weltdeutungen konzipiert (vgl. Reckwitz 2000: 79–80). Parsons Modell versteht Kultur einerseits als Teil des allgemeinen Handlungssystems des Individuums86 und andererseits als ausdifferenziertes soziokulturelles Teilsystem einer Gesellschaft87 , das Umwelt für spezialisierte aber funktional äquivalente Teilsysteme, wie Wissenschaft, Re-

85 Unter Medien versteht Parsons Mittel mit Symbolcharakter, die gesellschaftlich institutionalisiert (konventionalisiert) sind, die eine Funktion haben (wie etwa im Handeln bestimmte Absichten deutlich zu machen und durchzusetzen). Sie sind nicht nur zirkulierende Kommunikationsmittel, sondern auch gesellschaftliche Steuerungsmechanismen der Interaktion (vgl. Parsons 1980: 11–18, 22–23, 229–240). Beispiele für Medien/Mediencodes sind Geld, Macht, Liebe und Wahrheit (vgl. Luhmann 1982: 24). 86 Das Teilsystem Kultur dieser Ebene umfasst dabei kulturell stabilisierte Definitionen von Handlung und ist in Interaktion mit der Gesellschaft verantwortlich für die Genese von Standards und Handlungsmustern (vgl. Meyer/Ort 1988: 116–119). 87 Zur Kritik der Statik des Modells bei Parsons siehe Bühl (1986: 125–132), der Kultur als lose gekoppeltes Mehrebenen-System konzipiert. Siehe auch Halft (2008a: 5–21).

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ligion, Kunst und auch Literatur ist. Diese sind wiederum ebenfalls Systeme. Auf der obersten, makrostrukturellen Systemebene L1 sind diese Teilsysteme genauso wie das Gesamtsystem zwingend nach den Funktionen A, G, I und L differenziert. Das bedeutet für das System Literatur (SLit ), dass es einerseits Teil der Struktur des L-Systems ist und andererseits selbst intern strukturiert ist.88 Als Systemreferenzen ergeben sich die Beziehungen von SLit zum Gesamtsystem, zum L-System sowie zu den heterarchischen Teilsystemen. Durch Differenzierung der Makroebene L1 entlang der Funktionen entstehen die Subsysteme A, G, I und L der Mesoebene L2 . Diese stellt eine intermediäre Struktur dar und umfasst SLit -bezogene Institutionen, den Literaturbetrieb. Von den ökonomischen Rahmenbedingungen einer Gesamtgesellschaft (A1 ) hängt z. B. das Ressourcensystem von SLit (A2 ) wesentlich ab (Buchherstellung). Ebenso kann Politik (G1 ) auch in verschiedene Ressorts, so beispielsweise Kultur- oder spezielle Literaturpolitik (G2 ) differenziert werden. Die Mikroebene L3 zerfällt schließlich in die Subsysteme des literaturbezogenen Handelns, die aus einer erneuten Differenzierung der Ebene L2 entsteht. Auf der Mikroebene sind nicht nur Gattungskonventionen und ästhetische Standards literarischer Produktion angesiedelt, sondern auch das persönliche literarische Handeln von Aktoren selbst, die Literaturproduktion.89 Ebendiese Literaturproduktion konstituiert das passive System (sensu Hejl 1992: 192) des Literatursystems im literaturwissenschaftlichen Sinne. Zur Besonderheit von SLit gehört die Offenheit für und Reaktion auf die Bedürfnisse ‚psychischer Systeme‘ (Menschen) und eine fortwährende Aktualisierung nicht nur der Leistungen, sondern auch der Beziehungen zu ihnen.90 Das passive SLit kann von seiner Umwelt durch die Leitdifferenz literarisch/nicht-literarisch91 abgegrenzt werden und umfasst die Gesamtmenge aller literarischen Texte. Zusätzlich ist es wiederum in verschiedene ‚Literatursysteme‘92 im epochentypischen Sinne differenziert.

88 Die folgenden Ausführungen beziehen sich im Wesentlichen auf Meyer/Ort (1988). 89 Titzmann (1991: 413) formuliert den Sachverhalt wie folgt: Literatur ist „das Produkt kulturellen [. . . ] Handelns und kann zu kulturellem Handeln führen: insofern ist sie Teil des faktischen Sozialsystems“. 90 Alternative Realitätsmodelle können quasi dem (textintern simulierten) Test der Handhabbarkeit in sozialen Systemen unterzogen werden, außerdem können private Erfahrungen öffentlich institutionalisiert werden, ohne das Funktionieren des Gesamtsystems zu gefährden. Literatur wird so zur Vermittlungs- und Reflexionsinstanz, die ihr Potenzial aus der Beschreibbarkeit der Welt in Zeichenform zieht, die so erst zugänglich für den Menschen wird (vgl. Jahraus 2004: 123–124). 91 Unter ‚literarisch‘ bzw. ‚Literatur‘ muss dabei behelfsweise die „Menge aller Texte, die die Kultur für Literatur hält, und aller Texte, die dieselben Strukturen aufweisen, wie jene, die die Kultur für Literatur hält“, verstanden werden (Titzmann 1989: 57–58). In ähnlicher Weise auch bei Reinfandt (1997: 24–26). 92 Das ist jeweils die „Gesamtmenge jener Textstrukturen, die epochentypisch bzw. -spezifisch sind, d. h. der Regularitäten, die sich von den Texten eines repräsentativen Textkorpus abstrahieren lassen“ (Titzmann 2002: 303).

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Theoretische Grundlagen

Auch das System der Wissenschaft kann als Teilsystem des Kultursystems modelliert werden. Es operiert also mit der Leitdifferenz wahr/unwahr (vgl. Luhmann 1990: 273). Das bedeutet, dass das System Input nur nach Maßgabe dieses Codes prozessiert und sich dadurch von seiner Umwelt differenziert: Es schließt nur an solche Kommunikation an, deren Information als wahr bezeichnet wird oder solche, die als unwahr bezeichnet wird, aber durch Fragen nach dem, was stattdessen wahr ist, transformiert werden kann (vgl. ibid.: 282–283, 288, 300–301, 307). Dies hat für die Gesellschaft weitreichende Konsequenzen, denn das System beansprucht für sich die alleinige Kompetenz, Wahrheit zu generieren: [N]ur in der Wissenschaft geht es um codierte Wahrheit, nur hier geht es um Beobachtung zweiter Ordnung, nur hier um die Aussage, dass wahre Aussagen eine vorausgehende Prüfung und Verwerfung ihrer etwaigen Unwahrheit implizieren. (ibid.: 274)

Selbst wenn andere Systeme ins Wissenschaftssystem eingreifen, obliegt die Zuschreibung von Wahrheit/Unwahrheit in diesem codierten Sinne nur der Wissenschaft selbst (vgl. ibid.: 293). Für die Gesamtgesellschaft übernimmt das Wissenschaftssystem die Funktion der Entfaltung von Komplexität: Es kann Zweifel und Ambivalenzen systematisch kultivieren, ohne das gesellschaftliche Zusammenleben dadurch direkt zu gefährden bzw. durch zu hohe Unsicherheit zu überfordern (vgl. ibid.: 325, 328). Als problematisch erweist sich dieses Verfahren, weil wissenschaftlich fundierte Wahrheit nicht nur Sicherheit steigert, sondern auch Unsicherheit: Jede Unterscheidung von Wahrem und Unwahren provoziert die Notwendigkeit weiterer Unterscheidungen (re-entry), sodass keine endgültige Wahrheit produziert werden kann (vgl. ibid.: 314). Auf derartige ‚Wahrheitsschäden‘ können wiederum andere Systeme, insbesondere Religion und Literatur, durch ihre Funktionen reagieren.

c) Systembildung und Systembeziehungen Für die Erhellung des Verhältnisses von Literatur und Wissen(schaft) sind insbesondere Luhmanns Ausführungen zur Systembildung und zur Interaktion von Systemen maßgeblich. Systeme entstehen durch Differenzierung: Dazu ist eine Beobachtung nötig, die das Treffen einer Unterscheidung und das gleichzeitige Bezeichnen dieser Unterscheidung darstellt (vgl. Luhmann 2006: 141–166). D. h. die Beobachtung eines Baumes unterscheidet den Baum von allen Nicht-Bäumen und bezeichnet ihn gleichzeitig als solchen. Die andere Seite ist dabei zunächst nicht bekannt. Sie bleibt unbestimmt und ist all das, was die eine Seite nicht oder durch sie ausgeschlossen ist (vgl. Krause 2001: 115). Die andere Seite trägt aber als das Nichtunterschiedene zur Bestimmung des Unterschiedenen bei. Im Beispiel: Alles, was nicht Baum ist (Exklusion), hilft, den Baum als Baum (Inklusion) zu unterscheiden – gleichgültig, was all das ist, was nicht Baum ist. Hiervon ausgehend kann auf der Seite des Unterschiedenen (Baum) weiter unterschieden werden (z. B. Baumarten). Erst indem der Beobachter

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vom Bekannten zum Unbekannten wechselt (crossing), kann das bis dahin nicht Unterschiedene unterschieden werden. Bis dahin bleibt das Unbekannte ein unmarked space, ein Horizont von möglichen weiteren Unterscheidungen. Dieser kann nach dem crossing ebenfalls unterschieden und bezeichnet werden (re-entry), wodurch das im Sinne der Leitdifferenz Unterschiedene inkludiert wird und wiederum ein neuer unmarked space entsteht (vgl. Luhmann 2006: 80–91; 1984/1987: 230, 611–612; Krause 2001: 73–74). Systeme stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander, die sich auf das Gesamtsystem (Funktion), andere Teilsysteme (Leistung) oder sich selbst (Reflexion) beziehen können. Systeme sind interdependent, wenn zwischen ihnen Abhängigkeiten in einer Weise bestehen, dass Abstimmungen zwischen den Systemen erfolgen müssen. Diese Interdependenzen werden in Form sogenannter struktureller Kopplungen (vgl. Luhmann 2006: 118–141) bzw.93 durch Interpenetration (vgl. Luhmann 1984/1987: 289–296, 311) vermittelt: Systeme stellen sich ihre Komplexität gegenseitig zur Verfügung und fördern damit den Aufbau des anderen Systems. Sie nehmen also gegenseitig Einfluss auf die Strukturbildung des jeweils anderen Systems, verschmelzen dabei aber nicht, sondern bleiben autonom. Als Beispiel ließen sich hier das Rechtssystem und das politische System anführen, die durch eine Verfassung gekoppelt sind oder auch Recht und Wirtschaft durch die Institution des Eigentums. Da ein System externe Informationen (Inputs) nur durch den eigenen Code verarbeiten kann, stehen Systeme auch in transformativen Beziehungen, innerhalb derer Medien nach Maßgabe des jeweiligen Systems indirekt konvertiert werden: Das Wissenschaftssystem steht mit dem Wirtschaftssystem z. B. durch einen Geldstrom in operativer Beziehung. Es kann diesen aber nicht direkt in sein Medium (Wahrheit) konvertieren, sondern muss ihn in Form von Forschungsoperationen in Wahrheit transformieren. Das System muss demnach die externe Information in den eigenen medialen Code ‚übersetzen‘ (vgl. Krause 2001: 161). Die Kopplung stellt eine produktive Irritation des Systems dar (vgl. Luhmann 2006: 118–141), die das System dazu anregt, seine Umwelt nach Maßgabe des eigenen Codes zu verarbeiten. Die dabei konstituierten Elemente folgen der Code-Logik desjenigen Systems, das die Strukturen aufbaut. Hierauf aufbauend kann nun eine konkretere Anwendung auf die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Wissen erfolgen.

93 Luhmann (2006: 119, 268) benutzt seine Terminologie selbst nicht konsequent, was ihm auch bewusst ist. Eine endgültige Unterscheidung verschiedener Formen der Interdependenz, Interpenetration und Kopplung ist daher nicht möglich.

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d) Anwendung systemtheoretischer Bausteine auf Literatur und Wissen Pethes (2004: 343) sondiert die theoretischen Bedingungen einer Poetik des Wissens, die „der Grenze und ihrer Überschreitung, der Einheit wie der Differenz zwischen den ‚Diskursen‘ oder ‚Systemen‘ von Poetik und Wissen“ Rechnung tragen kann. Dazu geht er von systemtheoretischen Basisannahmen aus (ibid.: 344). Zur Klärung des Verhältnisses von Literatur und Wissen(schaft) stellt Pethes zunächst auf die Figuren des unmarked space, des crossing und des re-entry ab, die ja gerade die Grenzen eines Systems modellieren und dessen operationale Geschlossenheit zu durchbrechen scheinen. Denn es ist die Spezifik der Kunst, dass sie die unmarkierte Seite einer Unterscheidung nicht vollkommen offen lässt, sondern als erreichbar kennzeichnet (vgl. Luhmann 1995/2007: 189). Weiterhin unterstreicht Pethes die Funktion der Kunst, diese virtuellen Möglichkeiten zu aktualisieren. Indem die Kunst aktiv an der Evolution von Sinn94 mitwirkt, legt sie offen, dass Sinnbildung darin besteht, alternative Möglichkeiten95 zugunsten der tatsächlich realisierten (aktualisierten) Selektion auszublenden bzw. invisibilisieren. Wissenschaft und Kunst sind in diesem Sinne komplementär: Der Wissenschaft geht es um „Aktualisierung noch unbekannter Wahrheiten bzw. Unwahrheiten, also um Strukturierung des Bereichs von möglichen Aussagen mit Hilfe des Codes wahr/unwahr“ (ibid.: 225), wobei die „unwahrscheinlichen oder abgelehnten Perspektiven als Reservoir für möglicherweise dann doch haltbare Erkenntnisse“ potenzialisiert werden (ibid.: 225–226). Wenn Literatur diese Möglichkeiten in sich aktualisiert, beobachtet sie die Wissenschaft und sondiert das Terrain auf der „Negativseite des Wahrheitscodes“, auf dem die Wissenschaft nicht operieren kann (ibid.: 417, 429). Sie verarbeitet das von ihr Invisibilisierte und etabliert dadurch eine Kopplung (vgl. Pethes 2004: 348–349).96 Systemtheoretisch gesprochen kann dabei (aufgrund der Leitdifferenz des Literatursystems) kein Wissen produziert werden. Jedoch nutzt die Literatur Authentizitätsfiktionen, um ihre Aktualisierung gerade

94 Unter Sinn versteht Luhmann die Einheit der Differenz von Aktualität und Potenzialität (vgl. Krause 2001: 233), was bedeutet, dass das „Sinnprozessieren [. . . ] ein ständiges Neuformieren der sinnkonstitutiven Differenz von Aktualität und Möglichkeit [ist]. Sinn ist laufendes Aktualisieren von Möglichkeiten. Da Sinn aber nur als Differenz von gerade Aktuellem und Möglichkeitshorizont Sinn sein kann, führt jede Aktualisierung immer auch zu einer Virtualisierung der daraufhin anschließbaren Möglichkeiten. [. . . ] Sinn ist somit die Einheit von Aktualisierung und Virtualisierung, Re-Aktualisierung und Re-Virtualisierung“ (Luhmann 1984/1987: 100). Literatur leistet nach diesem Verständnis einen wesentlichen Beitrag zur Sinnevolution, indem sie ausprobiert, „welche Schemata der Informationsgewinnung und -verarbeitung sich in ihren Anschlussqualitäten [. . . ] bewähren“ (ibid.: 104). Vgl. auch Luhmann (1995/2007: 224–225). 95 Das heißt in der Terminologie Luhmanns: Möglichkeiten/Potenzialität. Bei Pethes: Possibilitäten. 96 Systemtheoretisch gesprochen vollzieht die Literatur einen re-entry in die von der Wissenschaft exkludierten Elemente (vgl. Luhmann 1995/2007: 58–59).

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als solches zu verkaufen (vgl. ibid.: 352).97 Durchaus treffend ist daher die These, dass Wissen als „kommunikative Kopplungsmöglichkeit“ angesehen werden könne (ibid.: 369): Wenn literarische Kommunikation an wissenschaftliche anschließt, dann possibilisiert sie Wissen in der Literatur, das heißt, sie gibt der versuchsweisen Erprobung von Wissen und seiner Konsequenzen Raum. Und wenn wissenschaftliche Kommunikation an literarische anschließt, dann aktualisiert sie solche Versuchsangebote, indem sie sie praktisch durchführt und zur Beschreibung von Phänomenen verwendet. (ibid.: 371; vgl. Gamper 2009: 102)

Bezüglich der Interaktion der Systeme könnte also gerade die selektive Integration von Wissenselementen aus nicht-literarischen Texten in die Literatur als Indiz dafür interpretiert werden, dass spezifische semiotische Funktionen von Literatur verstärkt sozial funktionalisiert werden und Literatur als „spezifischer Konstruktionsund Transformationsmodus“ funktioniert (Ort 1992: 417). In Kritik an zu einseitigen Modellen der Rezeption von Wissen durch die Literatur führt Pethes (2004: 2004: 354) das Modell der Koevolution ein. Dieses stammt ursprünglich ebenfalls aus der Systemtheorie und erfasst dort als „Co-Evolution“ den Sachverhalt, dass die Evolution eines Systems nur dann möglich sei, wenn dessen Umwelt (also auch die anderen Systeme) hinreichend komplex sind, was letztlich zu einer Co-Evolution von System und Umwelt führe (vgl. Luhmann 1984/1987: 48). Pethes (2004: 354) füllt den Begriff jedoch kultursemiotisch bzw. diskurstheoretisch auf, wenn er nun schreibt, dass „Texte [. . . ] selbst durchzogen [sind] von den verschiedensten [. . . ] Diskursen, diese weniger thematisieren, als ‚zum Sprechen bringen‘“. Dies sei möglich, weil Texte und Diskurse dem „gleichen Wissensraum“ angehörten (ibid.). An die Stelle eines Einfluss-, Kausal- oder Verarbeitungsverhältnisses trete also die Vorstellung „einer Gleichursprünglichkeit und Wechselwirkung zwischen Wissen und Poetik“ (ibid.: 354–355). In der Folge lenkt Pethes die sich in den einzelnen Theorien ergebenden Probleme mehrfach um und versucht, diese mit der jeweils anderen Theorie auszutreiben. Zusätzlich führt er die Zirkulationsmetapher von Greenblatt und das Paradigma der Kultur als Text ein (ibid.: 355–357), um darauf abzustellen, dass Wissen(schaft) und Literatur auf der Ebene der Repräsentation vergleichbar und analysierbar seien. Dies sucht er durch weitere Exkurse in die Wissenschaftssoziologie relativistischer Prägung, die Sozialepistemologie, Metapherntheorie und Romantheorie (roman scientifique) zu untermauern. Dies führt schließlich zu Einführung der Grundannahmen der von Vogl entwickelten Poetik des Wissens (siehe Abschnitt 2.3.2.4).

97 Dies beschreibt Luhmann (1995/2007: 430) wie folgt: „Die Kunst richtet sich [. . . ] auf der einen Seite der Unterscheidung Sein/Schein bzw. Wahrheit/Schönheit ein und überlässt die andere Seite der Wissenschaft. Beide Systeme codieren jeweils ihre Seite als wahr/unwahr bzw. schön/hässlich. Aber die vorausliegende Unterscheidung wird eben damit vergessen“.

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Das von Pethes vorgeschlagene Transfermodell ist mindestens problematisch: Seine Aktualisierung systemtheoretischer Figuren im Hinblick auf das Verhältnis von Literatur und Wissen(schaft) ist sicherlich eine Pointierung der bisherigen Adaption der Systemtheorie in der Literaturwissenschaft. Seine Ausführungen zum diskurstheoretischen Teil des Modells bleiben aber häufig noch unspezifischer als die von ihm zitierten Foucault-Passagen.98 Dies resultiert z. B. auch aus Sprüngen zwischen System- und Diskurstheorie, zahlreichen Redundanzen und einer bis ins Kryptische reichenden, manierierten Schreibweise. Bedenklich ist vor allem, dass nicht lösbare Probleme der einen Theorie in die andere ausgegliedert werden, ohne deren diesbezügliche Inkompatibilität zu reflektieren. Unbeschadet seiner Verdienste in der Systematisierung der Forschung im Bereich Literatur und Wissen(schaft) vermag seine Herleitung der ohnehin schon auf tönernen Füßen stehende Poetologie des Wissens (vgl. Stiening 2007) diese nicht zu stützen: Er löst das Problem des System/Diskurswechsels nicht. Er verschleiert es vielmehr, um die Frage einer möglichen Umcodierung bzw. Transformation von Wissen nicht weiter verfolgen zu müssen. Fassen wir zusammen: Die Systemtheorie konzipiert Literatur und Wissenschaft als Systeme, die mit jeweils spezifischen Codes operieren und Input aus der Umwelt nur gemäß dieser Codes verarbeiten können. Zwar kann die Systemtheorie die Interaktion von Literatur und Wissenschaft, deren komplementäre gesellschaftliche Funktion und ihrer gegenseitigen Leistungen präzise beschreiben, aber die Frage, ob Literatur Wissen enthalten könne, muss sie abschlägig bescheiden: Selbst bei einem re-entry in die von der Wissenschaft exkludierten Elemente verbleibt die Kunst immer innerhalb ihrer selbst (vgl. Luhmann 1995/2007: 58–59). Sie kann also kein Wissen im Code der Wissenschaft (wahr/unwahr) produzieren. Allerdings fällt es in ihre Kompetenz, Möglichkeiten (Potenzialitäten) aufscheinen zu lassen und diese durchzuspielen (Aktualisierung). Das Ergebnis dieser ‚Gedankenexperimente‘ (siehe Abschnitt 2.3.3) kann sie intern zusätzlich als wahr/unwahr zweitcodieren, was ihre Ausdrucksmöglichkeiten um ein Vielfaches erhöht. Der primäre Code der Kunst bleibt dadurch aber unberührt. Sie ist nicht wie andere Systeme an Kompatibilitätsgarantien gebunden (vgl. ibid.: 237). Insbesondere weil die Systemtheorie über keine konkrete Texttheorie verfügt, muss die Frage nach dem Status der zweitcodierten Elemente (Aussagen) an literaturphilosophische, fiktionalitätstheoretische und kultursemiotische Positionen delegiert werden.

2.3.2.2 Literaturphilosophische Positionen Die Literaturphilosophie widmet sich u. a. der Frage, ob Literatur Wissen über die Welt enthalten könne. Stark vereinfacht stehen sich Positionen gegenüber, die diese 98 Diese werden an mindestens einer Stelle auch dekontextualisiert. Pethes spricht von Wissen als „Netz von Analogien“ – eine Interpretation von Foucaults Einleitung zur Ordnung der Dinge (1966/2008: 11), die nicht überzeugend ist.

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Frage intuitiv bejahen, solche, die trotz grundlegender analytischer Probleme eine epistemologische Funktion nicht ausschließen wollen und schließlich jene, die diese Frage aus einer erkenntnistheoretisch-analytischen Tradition kommend verneinen: Intuitive Ansätze vertreten die quasi humanistische Auffassung, dass Literatur mit der Lebenswirklichkeit des Menschen befasst und es somit zumindest Teil ihrer Funktion sei, „[to] reveal[. . . ] to readers something of consequence about the nature of their shared world“ (Gibson 2009: 467). In diesem Sinne könnten literarische Texte also Wissen enthalten und Erkenntnis fördern, weil sie einen „general view of the world or some aspects of it as implied by the nature of an imaginative representation of it“ (New 1999: 117) vermitteln. Es ließe sich von einer impliziten Epistemologie sprechen (vgl. Dittrich 2009: 27), die den literarischen Text als „versprachlichte[. . . ] Modellwelt[. . . ]“ und somit als „Indikator für das text-, wie diskursintern Wiss-, Denkund Sagbare“ sieht (ibid.: 28–29; vgl. New 1999: 155). Hierin nähert sich der intuitive Ansatz kultursemiotischen Positionen an, die die Modellhaftigkeit von Texten jedoch anders herleiten (siehe Abschnitt 2.3.2.4). Vertreter einer propositional theory of literary cognitivism suchen die epistemologische Funktion von Literatur dadurch zu begründen, dass diese vor dem Hintergrund ihrer Zugänglichkeit (Realitätsprinzip) Wissen als Menge implizit oder explizit aus ihr erschließbarer Propositionen oder einer durch sie suggerierte Metaproposition enthalte.99 Als schwierig erweisen sich hier folgende Probleme: 1. Kohärenz: Welche pragmatischen Implikaturen sind gültig?100 2. Rechtfertigung: Wie können Textbehauptungen über die Welt gerechtfertigt werden? 3. Referenz: Können Propositionen in fiktionalen Texten auf Außertextuelles referieren? 4. Fiktionalität: Können fiktionale Texte überhaupt wahrheitsfähige Aussagen machen? No-truth-value-Ansätze vertreten gerade die gegenteilige Meinung, dass literarische Texte „do not embody conceptual knowledge [. . . ] in a propositional package“ (Gibson 2009: 482). Insofern bezeichnet es Gibson (ibid.: 468) als Kategoriefehler, kognitive Begriffe in den Bereich des Ästhetischen zu transferieren. Die Leistung der Literatur bestehe vielmehr in der Kontextualisierung von Konzepten, also etwa der beispielhaften Vorführung kultureller Denkmodelle. Solche, insbesondere angloamerikanischen Positionen heben hervor, dass die Wahrheitsfähigkeit literarischer

99 Vgl. u. a. New (1999: 114), Zipfl (2001: 113–114) und Gibson (2009: 471–472). 100 Dieses bei New (1999: 110–111) formulierte Problem ist mehr methodologischer Natur und wird mittlerweile in den meisten Einführungen in die Textanalyse durch historische Kontextualisierung leicht bewältigt. Siehe Krah (2006a) und insbesondere Titzmann (1993).

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Theoretische Grundlagen

Werke nicht deren Wert beeinträchtige – womit von der eigentlichen Frage abgelenkt wird.101 Der Tenor literaturphilosophischer Positionen hat sich in den letzten fünfzehn Jahren kaum geändert, vielmehr ist die Diskussion in anderen Bereichen aufgenommen worden, so z. B. in der Fiktionalitätstheorie (2.3.2.3) oder der Kultursemiotik (2.3.2.4). Dies rührt insbesondere daher, dass die Diskussion innerhalb der Literaturphilosophie insofern zirkulär zu sein scheint, als verschiedene Positionen immer wieder gegeneinander ausgespielt werden können.102 Eine Neubewertung nehmen die Arbeiten von Tilman Köppe vor.103 Er differenziert die Fragestellung dahin gehend, ob Literatur einerseits Wissen enthalten (Köppe 2007) und andererseits, zu wahren Überzeugungen führen könne (Köppe 2008; siehe Abschnitt 2.3.3): Köppe fragt danach, was man eigentlich meine, wenn man von Wissen in der Literatur spreche und überprüft die Anwendbarkeit des epistemologischen Wissensbegriffs auf die Literatur. Als zentrale Merkmale benennt er 1. die Personalität bzw. Zweistelligkeit von Wissen (Beziehung zwischen einer wissenden Person und dem Gewusstem), 2. Zeitabhängigkeit (Vergessen möglich), 3. Restringiertheit (Standardanalyse) und 4. Normativität (Wahrheitsanspruch) (vgl. Köppe 2007: 400–401). Die Anwendung dieses epistemologisch-personalen Wissensbegriffs auf die Literatur erweist sich – wenig überraschend – als problematisch: Die Zweistelligkeit der Beziehung sei nicht gewährleistet, da man nicht sinnvoll sagen könne, ein Text wisse etwas. Die Rechtfertigungsbedingung werde zudem verletzt, da man nicht sicher sein könne, dass S (hier: Autor) berechtigt ist, davon überzeugt zu sein, dass p, was aus der Fiktionalität des Textes resultiere. Daher könne man lediglich fragen, welche Wissensbestände in einen literarischen Text eingegangen104 oder zu dessen Lektüre erforderlich seien oder was in der Diegese als Wissens gehandelt wird. D. h. konkret, dass fiktionale

101 So z. B. bei Lamarque/Olsen (1994). 102 So kann die These, dass Sätze in fiktionalen literarischen Texten weder wahr noch falsch sein können, weil deren Existenzpräsuppositionen falsch seien, z. B. damit konfrontiert werden, dass jedoch manche Sätze in fiktionalen literarischen Texten wahr sein können, wenn deren Existenzpräsuppositionen wahr sind (Kompositionalität). Eine solche Position könnte dann wiederum von einem Standpunkt aus kritisiert werden, der textinternen Äußerungen aufgrund der nicht möglichen Referenz nur fiktionalen Wahrheitsstatus zubilligt (vgl. Lamarque/Olsen 1994: 57). Dass sich dies bis heute nicht geändert hat, belegt auch Brauneis (2011). 103 Den aktuellen Stand der theoretisch-methodischen Diskussion findet sich in Köppe (2011) abgebildet. Dieser konnte aufgrund des Erscheinungsdatums in der vorliegenden Studie nicht mehr berücksichtigt werden. Die Vorarbeiten der im Sammelband vertretenen Autorinnen und Autoren haben aber Eingang in dieses Kapitel gefunden. 104 Laut Köppe sei aber selbst die Frage nach dem in den Text eingegangenen Wissen irreführend, da dafür die Produktionssituation rekonstruiert werden müsste. Dadurch werde „in Bezug auf die epistemische Situation des Autors eine Vorentscheidung [getroffen], von der sich oftmals herausstellen mag, dass sie durchaus nicht stimmt“ (Köppe 2007: 405). Dem kann so nicht zugestimmt werden: Die Frage nach dem in einen Text eingegangen Wissen soll und kann nur durch Textbelege beantwortet werden. D. h., das Wissenssystem (siehe Abschnitt 2.2.4 oben) eines Textes muss erst rekonstruiert

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Texte aus Sicht der Literaturphilosophie maximal „Kandidaten für Wissen“105 (Köppe 2007: 404) bzw. Auffassungen enthalten können.

2.3.2.3 Fiktionalitätstheoretische Positionen Aufgrund der bereits erwähnten Problemkonstellationen innerhalb der Literaturphilosophie deuten sich pragmatische Lösungsansätze in Bezug auf die Frage nach dem Wissen der Literatur zunehmend im Bereich der Fiktionalitätstheorie an. Dort können drei Grundpositionen unterschieden werden (vgl. Klausnitzer 2008: 215–224; Blume 2004: 5–34): 1. Autonomismus: Strikte Trennung von fiktionaler106 und nicht-fiktionaler Welt 2. Panfiktionalismus: Wirklichkeit selbst gilt als ‚konstruiert‘ 3. Kompositionalismus: Texte sind Mischungen aus fiktionalen und realen Elementen

Im Kontext der vorliegenden Studie würden die Extrempositionen eine Untersuchung unmöglich machen, da sie den Unterschied zwischen literarischem Text und seinem Kontext entweder verabsolutieren oder einebnen würden. Vorzuziehen ist also die Annahme, dass Literatur als kompositionales Gebilde angesehen werden kann (vgl. Gibson 2009: 475):107 Ein fiktionales Werk besteht (oft) aus einer Mischung fiktionaler und nicht-fiktionaler Rede. Die nicht-fiktionalen Sätze eines Werkes können wahr über die Welt sein. (Köppe 2008: 93)108

werden. Ob dieses Wissen als solches erkannt wird bzw. erkennbar ist, ist indes eine andere Frage. Siehe dazu Helbig (1996). 105 Dabei handle es sich um eine „propositionale Einstellung, deren Wahrheits- und Begründungsstatus offen ist“ (Köppe 2007: 409), die aber anhand externer Quellen überprüft werden kann (vgl. ibid.: 640; Köppe 2008: 50). Eine solche Überprüfung wäre z. B. durch diskursanalytisch-wissensgeschichtliche Methoden möglich, wo stets Textgruppen, nie isolierte Einzeltexte analysiert werden. Vgl. hierzu Borgards (2007: 426). 106 In diesem Zusammenhang bezeichnet Fiktivität den imaginären Status von dargestellten Figuren, Orten und Ereignissen „insofern diese keine direkte Korrespondenz in der Realität besitzen“ (Martinez 2007: 239). Fiktionalität hingegen charakterisiert Äußerungen, denen unter dem geltenden Wirklichkeitskonzept keine realitätsbehauptende Funktion zukommt (vgl. Barsch 2008: 201). 107 Eine Bestandaufnahme von Kritikpunkten an kompositionalistischen Theorien leistet Blume (2004: 29–34). 108 So bereits bei Searle (1969: 79) „[I]n real world talk one can refer only to what exists; in fictional talk on can refer to what exists in fiction (plus such real world things and events as the fictional story incorporates)“. Vgl. auch Searle (1979/1998: 94–95): „Bei realistischer oder naturalistischer Fiktion spricht der Autor über wirkliche Orte und Geschehnisse und vermengt diese Bezüge mit den fiktionalen Bezügen und macht es so möglich, die fiktionale Geschichte als eine Erweiterung unseres vorhandenen Wissens zu behandeln“.

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Theoretische Grundlagen

Hiermit wäre es – entgegen der literaturphilosophischen Positionen – denkbar, dass literarische Texte (bzw. deren nicht-fiktionale Sätze) zu außertextuellen Wissensmengen in Beziehung stehen bzw. diese in propositionaler Form enthalten. Dafür müsste jedoch – hier wiederum im Einklang mit den neueren literaturphilosophischen Positionen – zunächst ein Nachweis erbracht werden, was durch Hinzuziehen textexterner Quellen potenziell möglich ist. Somit bleibt jedoch die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit fiktionaler Sätze bestehen. Diese beziehen sich auf fiktive Sachverhalte einer fiktiven Welt. Sie stellen zunächst fiktionale Wahrheiten dar, die nichts über die nicht-fiktionale Wirklichkeit auszusagen vermögen (vgl. ibid.: 41, 94):109 Eine fiktive Gesetzmäßigkeit kann ebenso wenig durch wirkliche Sachverhalte instantiiert, bestätigt oder widerleget, wie wirkliche Gesetzmäßigkeiten durch fiktive Sachverhalte instantiiert, bestätigt oder widerlegt werden können. (ibid.: 97)

Eine tentative Lösung dieses Referenzproblems streben neuere fiktionalitätstheoretische Ansätze unter Berufung auf die kognitive Semantik (siehe 2.2.2.3) und wissenssoziologische Kategorien (siehe 2.2.2.2) an. So führt Blume (2004: 60–61) den Begriff des belief system ein, das die Wissensbasis eines Individuums im Sinn einer Menge von Überzeugungen darstelle, und das – wie Schütz’ Wissensvorrat – nicht nur wahre Annahmen umfasse, sondern auch falsche und unsichere Glaubensinhalte, Meinungen und Werte, weshalb es nicht an einen logischen Wahrheitsbegriff gebunden sei. Aufgrund kultureller Standardisierungen ist das belief system gleichermaßen idiosynkratisch wie kulturell geprägt und die Menge der von allen Mitgliedern geteilten Überzeugungen entspricht der kollektiven Enzyklopädie. Wie auch in der kognitiven Semantik kann Referenz hier nicht nur als Bezugnahme auf Außersprachliches, sondern auch als Verweis auf mentale Konzepte verstanden werden (vgl. ibid.: 65) und damit also durchaus referenzieren: [N]icht das Verhältnis zur außermentalen Realität, sondern das zum mentalen Realitätsbild [ist] der entscheidende Faktor für die Bedeutung sprachlicher Entitäten. (ibid.: 22)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sehr wohl von nichtfiktionalen Bestandteilen fiktionaler Texte gesprochen werden kann. Das Problem der Referenz, wie es

109 Es gilt als Konsens, dass fiktionale Sätze in Bezug auf die Welt nicht wahrheitswertfähig sind (vgl. Köppe 2008: 99), weil die Voraussetzung für eine erfolgreiche Referenz die Existenz des Sachverhaltes ist (Existenzpräsupposition). Ist diese nicht gegeben, ist der Satz nicht wahrheitswertfähig. Vgl. dazu auch die Argumentation bei Lamarque/Olsen (1994: 57), die zum selben Ergebnis kommen. Blume (2004: 25–34) argumentiert diesbezüglich, dass auch fiktive Elemente referenzielle Komponenten enthalten könnten: Ein fiktionaler Text könne in sich fiktionale wie nicht-fiktionale Diskursstränge vereinen. Der fiktionale Diskurs könne dabei erneut aus nicht-fiktionalen und fiktionalen Elementen zusammengesetzt sein, die sich erneut zerlegen ließen. Die auf der Hand liegenden Probleme (Bestimmbarkeit, infiniter Regress, verbleibendes Referenzproblem) thematisiert Blume teilweise selbst.

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sich in literaturphilosophischen und stellenweise auch fiktionalitätstheoretischen Ansätzen darstellt, wird bei Blume durch die Einbindung von Theoremen aus der kognitiven Semantik entschärft. Wie es bereits die Ausführungen zum kognitionswissenschaftlichen Wissensbegriff andeuteten, kann Literatur in dieser Hinsicht also durchaus Wissen ‚enthalten‘, wenn dieses als Menge von mental repräsentierten Wissenselementen gefasst wird.

2.3.2.4 Kultursemiotische Positionen Wesentliche Probleme der literaturphilosophischen und fiktionalitätstheoretischen Positionen wie Referenz und Wahrheitsfähigkeit ergeben sich daraus, dass sie Äußerungen in literarischen Texten entweder wörtlich verstehen oder isoliert von anderen Aussagen betrachten. Dies ist bei (im weitesten Sinne) kultursemiotischen Positionen mit epistemologischer Orientierung nicht oder nicht im gleichen Maße der Fall: Aufgrund ihrer u. a. semiotischen, wissenssoziologischen und diskurstheoretischen Prämissen verfügen sie über ein Modell der Text-Kontext-Interaktion110 , das Erklärungsansätze für die epistemologische Qualität von Literatur bietet.

a) Prämissen Zunächst sollen daher nun wesentliche Prämissen der kultursemiotischen Ansätze umrissen werden.

Wissenssoziologie und (Inter-)Diskurstheorie Vor dem Hintergrund konstruktivistischer Grundannahmen erweitert die Wissenssoziologie den Wissensbegriff dahin gehend, dass er nicht mehr nur eine wahre gerechtfertigte Überzeugung bezeichnet, sondern auch Äußerungen in anderen epistemischen Modi, sofern sie für das Individuum sinnstiftend und handlungsleitend sind. Die wissenssoziologische Konzeption von Wissen erlaubt eine Beschreibung von diskursiven Aushandlungsprozessen und außerdem die Übertragung des Wissensbegriffs auf literarische Texte bzw. Texte im Allgemeinen: Wissen gilt als in Zeichen objektivierbar und wesentliches Element in der Konstruktion von Wirklichkeitsmodellen – eine Grundannahme, die die Wissenssoziologie mit der Literatursemiotik teilt. Von besonderem Interesse sind die von den Literatur- und Kulturwissenschaften adaptierten Reflexionen Foucaults zum Aussagen- und Referenzbegriff: Aussagen beziehen sich ihm zufolge nicht auf ein dem Diskurs vorgängiges Objekt. Jeder Diskurs

110 Eine skalare Einordnung von theoretischen und methodischen Ansätzen nehmen Neumann/Nünning (2006) vor. Ähnlich auch Fohrmann, Jürgen (1997): Textzugänge. Über Text und Kontext. In: Scientia Poetica, Jg. 1, S. 207–223.

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Theoretische Grundlagen

konstituiert seinen Gegenstand vielmehr erst durch die Aussagen, die über ihn gemacht werden (vgl. Foucault 1969/2008: 50). So erfährt die Beziehung einer Proposition zu ihrem Referenten eine entscheidende Modifikation: Sie [die Proposition, SH] ist vielmehr mit einem ‚Referential‘ verbunden, das nicht aus ‚Dingen‘, ‚Fakten‘, ‚Realitäten‘ oder ‚Wesen‘ konstituiert wird, sondern von Möglichkeitsgesetzen, von Existenzregeln für die Gegenstände, die darin genannt, bezeichnet oder beschrieben werden, für die Relationen, die darin bekräftigt oder verneint werden. [. . . ] Das Referential der Aussage [. . . ] definiert die Möglichkeiten des Auftauchens und der Abgrenzung dessen, was dem Satz seinen Sinn, der Proposition ihren Wahrheitswert gibt. (ibid.: 133)

Der Wahrheitswert einer Aussage wird also nicht mehr durch logische Kategorien bestimmt, sondern durch ihre Einpassung in den kommunikativen Kontext, also in das Geflecht von Aussagen zu einem spezifischen Objekt, in dem sie eine spezifische Funktion wahrnimmt.111 Texte können vor diesem Hintergrund als ‚Knotenpunkte‘ im Diskurs verstanden werden, die nicht von der kommunikativen Umwelt abgekoppelte Entitäten sind, sondern deren innere Konfiguration immer auch durch andere Texte und Aussagen sowie grundlegende Denkstrukturen einer Epoche, die Episteme, präfiguriert ist (vgl. ibid.: 36, 225–226). So partizipieren auch literarische Texte an den Wissensstrukturen anderer Diskurse, mit denen sie vielfältige Relationen unterhalten können (vgl. Föcking 2002: 14; Titzmann 1989). Literatur kann in diesem Sinne auch als Interdiskurs konzipiert werden: Das sind „alle interferierenden, koppelnden, integrierenden usw. QuerBeziehungen zwischen mehreren Spezialdiskursen“ bzw. „alle Elemente, Relationen, Verfahren, die gleichzeitig mehrere Spezialdiskurse charakterisieren“ (Link/LinkHeer 1990: 92).112 Interdiskurse re-integrieren das in funktional differenzierten Spezialdiskursen (horizontale Achse) zerstreute Wissen auf verschiedenen Ebenen (vertikale Achse) (vgl. ibid.: 92–93; Link 2007).

111 Hierin deuten sich Parallelen zum Objekt eines Zeichens bei Charles S. Peirce an, da das Objekt dort „auch ein bloßes mentales oder imaginäres Konstrukt“ (Nöth 2000: 63) sein kann. Das Zeichen hat in diesem Sinne die Eigenschaft, den Interpretanten dazu zu determinieren, ein Objekt in einer bestimmten Weise zu repräsentieren (vgl. CP 1.541). Siehe dazu auch weiter unten. 112 Siehe auch Link, Jürgen (1988): Literaturanalyse als Interdiskursanalyse. In: Fohrmann, Jürgen; Müller, Harro (Hg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 284–307. Foucault (1969/2008: 225–226) bezeichnet die Episteme als Interdiskurs: „Sie ist ein Gefüge von Isomorphien zwischen den Diskursen; es handelt sich um strukturelle Gemeinsamkeiten verschiedener Denkfiguren innerhalb einer Epoche, die durchaus konträren Theorien Raum geben können“.

Literatur und Wissen

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Kultur- und Literatursemiotik Kulturen113 können auch als Zeichensysteme verstanden werden, die soziale (Zeichenbenutzer), materiale (Texte) und mentale (Codes) Dimensionen haben (vgl. Posner 2003: 47–50).114 In semiotischer Ausprägung wird Kultur daher als kommunizierbares und kommuniziertes Zeichensystem konzeptualisiert, womit Texte als Artefakte intentionalen Verhaltens zu kulturellen Bedeutungsträgern werden. Dergestalt fungieren Texte als Archive bzw. Kulturelles Gedächtnis115 des Denksystems der Kultur, der sie entspringen (vgl. ibid.: 64; Voßkamp 2003: 80). Folglich können auch literarische Texte als Gegenstände der kulturellen Selbstwahrnehmung (vgl. Voßkamp 2003: 76–77) Aufschluss über mentale Dispositionen geben, denn [d]ie Strukturen literarischer Werke partizipieren an den Wissensstrukturen ihres Kontextes und basieren auf deren Raum- und Zeitkonzeptualisierung, ihrem Sprachverständnis und der vorausgesetzten Art des Verhältnisses des Menschen zur Welt und zu sich selbst. (Dehne 2006: 12)

Wie bereits ausgeführt wurde, müssen literarische Texte daher als mediale Konstrukte verstanden werden, die eine jeweils textspezifische Wirklichkeit konstruieren und die ihnen vorgängige Wirklichkeit auf eine bestimmte Weise repräsentieren. Sie sind sekundäre modellbildende semiotische Systeme (vgl. Lotman 1993: 22–23; Krah 2006a: 34–40), deren spezifische Modellhaftigkeit immer an ihren Entstehungskontext rückgebunden ist. Eine Rekonstruktion der dem Textmodell zugrunde liegenden Basisannahmen116 ist durch regelgeleitete Interpretation (vgl. Titzmann 1993: 245; Ingarden 1979: 58–60) möglich. Diese erlaubt Rückschlüsse auf die mentalen Dimensionen einer Kultur wie etwa das von einer Kultur Gewusste, für Wissen Gehaltene oder Geglaubte.

113 Hier wird ein totalitätsorientierter (whole way of life) Kulturbegriff zugrunde gelegt. Weiterhin kann Kultur differenzierungstheoretisch als Teilsystem innerhalb einer Gesellschaft mit spezifischen Aufgaben betrachtet werden. Vgl. Halft (2008a: 8–16) und grundlegend Reckwitz (2000: 64–90). 114 Kritisch zur Metapher von Kultur als Text: Lenk, Carsten (1996): Kultur als Text. In: Glaser, Renate; Luserke, Matthias (Hg.): Literaturwissenschaft – Kulturwissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 116–128. 115 Grundlegend in Assmann, Aleida (1999): Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München: Beck und Assmann, Jan (1988): Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Assmann, Jan; Hölscher, Tonio (Hg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 9–19. 116 In literarischen Texten sind Sachverhalte notwendigerweise nicht vollständig beschrieben, wodurch sogenannte Leerstellen entstehen. Textverstehen setzt somit Wissen voraus, welches bei der Lektüre/Analyse aktiviert wird und (bewusst und methodisch reguliert oder unbewusst) zur Aktualisierung des Textes eingebracht wird. Dieser Prozess der Aktualisierung wurde zuerst rezeptionsästhetisch bei Ingarden (1979) modelliert, der von „Unbestimmtheitsstellen“ in literarischen Texten ausgeht, die konkretisiert, d. h. nach bestimmten Regeln aufgefüllt werden müssen. Wesentliche Grundannahmen der Rezeptionsästhetik wurden auch kognitionstheoretisch und semiotisch reformuliert.

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Noch einen Schritt weiter führt die zeichentheoretisch fundierte Erkenntnistheorie von Charles S. Peirce, der die These einer durch Zeichen konstituierten Wirklichkeit vertritt: Aus einer Kritik an Kants Kategorien in der Kritik der reinen Vernunft (1781/1787) gelangt er zu der Annahme, dass Urteile auf Zeichenrelationen zurückzuführen sind (vgl. Andermatt 2007: 77, 80). Damit rückt das Zeichen als Form und Mittel der Darstellung von Erkenntnis ins Zentrum: Weil Erkenntnis zeichenvermittelt sei, wird das Zeichen bei Peirce zur selbständigen „Erkenntnis- und Funktionseinheit“ (ibid.: 202). Hieraus resultiert eine „pansemiotische Sicht des Universums“ (Nöth 2000: 61), bei der selbst das außersemiotische Referenzobjekt in den Prozess der Zeicheninterpretation miteinbezogen wird. „Das Objekt muss dem Interpreten [. . . ] bereits bekannt sein und ist somit ein dem aktuellen Zeichen vorausgehendes Zeichen“ (ibid.: 63; vgl. Pruisken 2007: 21–22). Für eine semiotisch ausgerichtete Erkenntnistheorie bedeutet dies, dass die Möglichkeit von Wissen entscheidend von der Möglichkeit der Darstellung von Wissen abhängt; alles was verstanden und als begründetes Wissen gewusst werden soll, muss irgendwie dargestellt oder repräsentiert werden können. Es gibt kein Wissen ohne Repräsentation. (Hoffmann 2001: 5, Hervorhebung im Original)117

Vor dem Hintergrund kultur- und literatursemiotischer Theoriebildung ist die Rede vom Wissen in Literatur somit nicht nur möglich, sondern Ausgangspunkt der Forschungspraxis, da es als medienspezifisch bzw. medienrelativ konstruiert gelten kann (vgl. Pruisken 2007: 20). Medien sind im semiotischen Sinne Strukturbedingung kultureller Sinnkonstitution, da sie den Rahmen zur Verfügung stellen, „in dem etwas als etwas vorkommt bzw. als solches erfahrbar wird“ (ibid.: 27).

Intertextualitätstheorie Intertextualität bettet einen präsenten Text in den Kontext absenter Texte, sogenannter Prätexte, ein. Intertextuelle Bezugnahme kann dabei auf verschiedene Weisen erfolgen, etwa in Form von Erwähnung, Redeakten, Figuren oder Verweisen der Erzählinstanz (vgl. Maillard/Titzmann 2002: 21–32). Ob die Bezugnahme jeweils interpretatorisch relevant bzw. irrelevant ist, hängt davon ab, ob und inwiefern die Textbedeutung des präsenten Textes durch den absenten Text modifiziert wird. Als Grundformen der Intertextualität werden zunächst ‚markierte‘ von ‚unmarkierten‘ Bezugnahmen unterschieden. Das bedeutet: Ist eine Bezugnahme dem Autor nicht bewusst oder diesem zwar bewusst, aber soll/kann diese dem Leser nicht bewusst werden, so gilt die Bezugnahme im Sinne der Intertextualitätstheorie als ‚unmarkiert‘. Ist eine Bezugnahme dem Autor bewusst und soll diese Bezugnahme dem

117 Siehe weiterführend zur epistemologischen Dimension des Medialen Pruisken (2007). Dieser grenzt dyadische und triadische Zeichen- und Medientheorien im Hinblick auf ihre erkenntniskonstitutive Funktion ab.

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Leser auch bewusst werden (können), so gilt die Bezugnahme als ‚markiert‘ (Vollstufe) (vgl. Helbig 1996: 45).118 Weiterhin kann gefragt werden, ob die Bezugnahme dem Leser nicht nur bewusst werden soll, sondern ihm schließlich auch tatsächlich bewusst wird. Helbig (ibid.: 61–62, 83–142) nennt sieben – wenn auch nur bedingt trennscharfe – Kategorien, die analytisch fruchtbar gemacht werden können: 1. Referenzialität: Wie nachdrücklich geschieht die Bezugnahme? 2. Kommunikativität: Welche semantische Funktion hat die Bezugnahme? 3. Autoreflexivität: Wird die Bezugnahme reflektiert? 4. Strukturalität: Wie wird die Bezugnahme syntagmatisch integriert? 5. Selektivität: Wie prägnant ist der Verweis auf den Prätext? 6. Dialogizität: In welchem Verhältnis stehen die Texte zueinander? 7. Präsenz: Reduktionsstufe, Vollstufe und autoreflexive Potenzierungsstufe Eine intertextuelle Analyse kann eine sinnmodifizierende Funktion haben, wenn die Intertextualität auf die semantische Ebene zielt, wodurch ein „semantischer Mehrwert“ entsteht (Lachmann/Schahadat 2001: 678–679). Denkbar sind dabei Partizipation als intertextueller Dialog und Schlüssel zum Verständnis des präsenten Textes, Transformation als Verbergen und Aneignung des Prätextes oder Tropik als Versuch der Überbietung, Abwehr oder gar Löschung des Prätextes (vgl. ibid.: 679–684). Intertextualität ist im textlinguistischen Sinne damit nicht nur Grundvoraussetzung für Textualität, Textbedeutung und Textverstehen (vgl. de Beaugrande/Dressler 2001: 10), sondern sie erlaubt es auch, textinterne Aussagenkonfigurationen zu beschreiben und zu analysieren. Versteht man Wissenschaft oder andere in Zeichen objektivierte Wissensbestände als Textkorpus (vgl. Anz 2002), dann kann die In-

118 Diese Definition erscheint aufgrund der zugrundegelegten Autorintention unbefriedigend. So werden z. B. durch Enkulturation oder Sozialisation unbewusst vollzogene Bezugnahmen vernachlässigt oder auch solche, die sich durch einen unterschiedlichen Allgemeinwissensstand ergeben. D. h. Bezugnahmen, die dem Autor nicht bewusst sind, dem Leser aber bewusst werden, müssten im Sinne der Theorie auch als ‚markiert‘ gelten. Unproblematisch ist der Fall, wenn die Bezugnahme weder Autor noch Leser bewusst ist. Als problematisch erweist sich jedoch der Fall einer Bezugnahme durch den Autor, die dem Leser nicht bewusst wird oder werden kann. Letzterer Fall dürfte auch als ‚unmarkiert‘ gelten können. Der verbleibenden Konstellation kann selbst im literaturwissenschaftlichen Kontext nur annäherungsweise methodisch (etwa durch Recherche) begegnet werden.

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tertextualitätstheorie ein Argument für die These anführen, dass Literatur Wissen enthalten kann.

b) Einzelne Positionen Auf den obigen, eher allgemeinen Grundannahmen kultursemiotischer Positionen aufbauend werden im Folgenden Stephen Greenblatts New Historicism, Michael Titzmanns Ansatz zum Kulturellen Wissen und Joseph Vogls Poetologie des Wissens vorgestellt und auf ihren Wissensbegriff bzw. ihre Konzeptualisierung der Beziehung von Literatur und Wissen bzw. der Möglichkeit von Wissen in Literatur hin befragt.

Stephen Greenblatt: New Historicism Der New Historicism ist das Theorieparadigma einer sich zunehmend kulturwissenschaftlich begründenden Literaturwissenschaft (vgl. Volkmann 2008: 540), aber keine homogene Schule mit einer klar formulierten Methode. Zu seinen Grundannahmen gehört es, Kultur als textuelles Zeichensystem zu begreifen, in dem sich Bedeutung durch intertextuelle Vernetzung konstituiert und der historisch und sozioökonomisch geprägte Einzeltext nur noch eine dezentrale Rolle spielt (vgl. ibid.: 541–542). Entsprechend begibt sich der New Historicism bei seiner Kontingenz betonenden Analyse auf die Suche nach Brüchen in den großen Erzählungen (master narratives) und spürt Subtexte auf, die er kontextualisiert. Von heuristischer Bedeutung für die jeweilige Analyse ist der Zweifel an der Homogenität literarischer Texte (vgl. Greenblatt 1988: 3) bzw. die Frage nach dem Grund für den Eingang bestimmter Elemente in einen Text (vgl. Baßler 2003: 133–134). Der Text ist für Greenblatt (1988: 4) das Produkt kultureller Schaffenspraxen und deren „half-hidden cultural transactions“. Diese Praxen lassen sich laut Greenblatt als im Text codierte Konstellationen aufspüren und im Anschluss an Foucault als Netzwerk von Aussagen und kulturellen Verhandlungsprozessen nachvollziehen. Trotz der berechtigten Kritik119 am New Historicism können seine Grundannahmen im Rahmen dieser Studie von heuristischer Bedeutung sein: Durch seine Foucault-Adaption weitet er die Untersuchungsbasis für literaturwissenschaftliche Analysen auch auf nicht-literarische Texte aus, um Literatur zu kontextualisieren. Im Gegenzug begreift er literarische Texte als ein mögliches Format von Wissen, insofern sie sich intertextuell auf kulturell verfügbare Wissensbestände (im erweiterten Sinne) beziehen, dieses prozessieren und damit zu einem wesentlichen Faktor des Aushand-

119 Zu den wesentlichen Kritikpunkten am New Historicism zählen u. a. seine teils spekulativen Verallgemeinerungen, seine Manierismen (Metaphorik), außerdem Probleme der methodischen Fundierung und der Repräsentativität der aufgezeigten intertextuellen Verbindungen (vgl. Volkmann 2008: 542; Baßler 2003: 146).

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lungsprozesses von Wissen selbst werden. Für Greenblatt ist Wissen im erweiterten Sinne also natürlicherweise in Literatur enthalten.

Michael Titzmann: Kulturelles Wissen Vor dem Hintergrund kultur- und literatursemiotischer Prämissen, sieht Titzmann (1989: 47) Texte jedweder Art als kulturelle Artefakte, die Wissen einer Kultur nicht nur speichern und verbreiten, sondern auch an dessen Produktion beteiligt sind. Literatur ist demzufolge imstande, sich „vieler unterschiedlicher Diskurse [zu] bedienen, sie in sich [zu] konfrontieren, sie in übergeordnete semantisch-ideologische Systeme [zu] integrieren“ (Richter/Schönert/Titzmann 1997: 20). Texte können also Beziehungen zu anderen, in Texten manifestierten Diskursen aufnehmen, indem sie auf diese verweisen, sich mit ihnen auseinandersetzen oder sie voraussetzen (Wissensreferenz) (vgl. Titzmann 1989: 51–53). Mit dem Ziel einer regelgeleiteten Rekonstruktion der in Textaussagen codierten Wirklichkeitsannahmen führt Titzmann den Begriff des Kulturellen Wissens (KW) ein. Dieses bezeichnet die Gesamtmenge der Propositionen, die die Mitglieder der Kultur für wahr halten bzw. die eine hinreichende Anzahl von Texten der Kultur als wahr setzt; jede solche Proposition ist ein Wissenselement; die systematische geordnete Menge der Wissenselemente ist das Wissenssystem. (Titzmann 1989: 48, Hervorhebungen im Original)120

Im Anschluss an die Wissenssoziologie von Schütz enthält das KW auch Annahmen, die sich historisch als falsch erwiesen haben mögen. D. h., es umfasst auch für wahr gehaltene Propositionen (vgl. ibid.: 48; Titzmann 2006: 74), die sich auf Existenzbehauptungen, Behauptungen über Individualgrößen, gesetzartige Annahmen, Behauptungen über unterschiedliche Klassen von Realitäten/Realitätsklassifikationen, Werte/Normen, Theorien, kulturelle Normierungen und anthropologische Annahmen etc. beziehen können (vgl. Titzmann 2006: 77–78). Laut Titzmann lässt sich Wissen in Form von expliziten Propositionen oder impliziten Folgerungen durch Interpretation als Teilmenge der Textbedeutungen rekonstruieren. Deren Zugehörigkeit zum KW lässt sich durch textexterne Quellen bzw. durch Gegenprüfung an anderen Texten eines nach Repräsentativitätsgesichtspunkten zusammengestellten Korpus absichern (vgl. Titzmann 1989: 48).121 Ob sich 120 Titzmann (1989: 49) differenziert das Kulturelle Wissen in allgemeines, gruppenspezifisches, Metawissen, bewusstseinsfähiges/nicht-bewusstes, bewusstseinsfähiges/bewusstes, virtuelles (nicht nachweisbar bewusstseinsfähig), konkurrenzloses und konkurrierendes. Vgl. auch Titzmann (2006: 74–81). 121 In entgegengesetzter Richtung und vor dem Hintergrund der rezeptionsästhetischen Theoriebildung lässt der Ansatz eine interpretatorische Einbeziehung von textexternen Wissensmengen nur unter der Voraussetzung zu, dass sie nachweislich Elemente des kulturellen Wissens zur Zeit der Textentstehung waren und in diesem als relevant nachgewiesen werden können (vgl. Titzmann 1989: 48).

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Textaussagen auf die außertextuelle Wirklichkeit beziehen können, hängt bei diesem Ansatz davon ab, ob der Text sich – bzw. seine Kultur ihm – Fiktivität [. . . ] zuschreibt oder Non-Fiktivität [. . . ]. Dabei gilt einerseits, dass auch aus fiktiven Welten kW-Mengen [. . . ] erschlossen werden können, wie umgekehrt Signale der Non-Fiktivität keine Garantie für Verlässlichkeit darstellen. (Titzmann 2006: 81)

Der Text kann also textintern (implizite oder explizite) Aussagen als wahr/unwahr setzen, ohne dass diese Setzungen dem KW entsprechen müssen (vgl. ibid.: 68). Hierin realisieren sich die Autonomie des Textes bzw. seine diskursiven Strategien. Folgt man Titzmann, so ist Literatur also geradezu prädestiniertes Untersuchungsobjekt einer epistemologisch orientierten Literaturwissenschaft, da sie kulturelle Denkweisen, Basisannahmen und Wissensinhalte (im engen wie im erweiterten Sinne) zu konservieren imstande ist.

Joseph Vogl: Poetologien des Wissens Joseph Vogls Ansätze zu einer Poetologie des Wissens stellen den neuesten Versuch einer Inbezugsetzung von Text und Kontext im Hinblick auf Prozesse der Wissensgenese, -verarbeitung und -verbreitung dar. Literatur wird dort als spezifische Wissensformation, als Gegenstand des Wissens, als Funktionselement des Wissens und als Produkt einer Ordnung des Wissens gleichermaßen konzipiert (vgl. Vogl 1999: 15). Hierbei werden nicht nur Elemente aus den oben formulierten Prämissen entlehnt, sondern noch eine Reihe weiterer theoretischer Ansätze verarbeitet. So geht die synonyme Bezeichnung als ‚Poetik des Wissens‘ auf Jacques Rancière (1992/1994: 17) zurück. Dieser interessiert sich „für die Regeln, nach denen ein Wissen geschrieben und gelesen wird, sich als eine spezifische Rede konstituiert“. Die grundlegende Stoßrichtung teilt die Poetologie mit der Épistemocritique von Pierssens (1999: 64), deren Ziel darin besteht herauszufinden, „auf welche Weise die Literatur zu einem sozialen und kognitiven Faktor wird“, da man in ihr und durch sie „den Wandlungsprozess, die unaufhörlichen Verwebungen des Alten wie des Neuen“ erfassen könne. Pethes (2003: 205–210), der gleichzeitig als einer der wesentlichen Verteidiger der Poetologie gelten darf, führt Vogls Ansatz weiterhin auf epistemologische, wissen(schaft)ssoziologische und dekonstruktivistische Strömungen zurück. Vogl (1997: 109–110) greift zunächst Greenblatts Frage auf, welche Rolle der Literatur in der „Zirkulation des Wissens“ zukomme. Diese sieht Vogl darin, dass Literatur eine diskursive Formation sei, die sich auf diskursive Objekte beziehen und damit Funktionselement von Diskursen sein könne (vgl. ibid.: 123–124). Sie wird zu einer spezifischen Wissensform erhoben, in der sich die „Herstellung von Wissensobjekten und Aussagen unmittelbar mit [. . . ] deren Inszenierung und Darstellbarkeit“ verbindet. D. h., sie liefert „spezifische Figuren zur Fassung und Kodierung historischen Wissens“ (ibid.: 7). Wie auch bei Greenblatt steht nicht die Wahrheitsfähigkeit

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der Aussagen im Vordergrund, sondern vielmehr die Bedingungen, unter denen sich Aussagen formieren (vgl. ibid.: 14). Im Rückgriff auf die systemtheoretische Figur des re-entry (siehe Abschnitt 2.3.2.1) bestimmt Vogl (2004: 15) das Verhältnis von Literatur und Wissen schließlich dadurch, dass sie „die Grenzen von Sichtbarem und Unsichtbarem, Aussagbarem und Nicht-Aussagbarem fortsetzt, bestätigt, korrigiert oder verrückt“. Neben einer Kritik am unspezifischen Gebrauch des Begriffs ‚Poetologie‘ (vgl. Barner 2005) muss der eklektische Rekurs auf heterogene Theoriegebäude auffallen, die sozusagen modular eingeklinkt, aber nicht kritisch rekonstruiert, sondern mehr suggestiv eingesetzt werden. Wie auch bei Greenblatts New Historicism fehlt eine Programmschrift122 bisher, was aber der breiten und nahezu schulebildenden Rezeption von Vogls Ansatz keinen Abbruch tut. Problematisch erscheinen insbesondere zahlreiche Setzungen in Bezug auf die Qualität von Wissen bei Vogl und auch Pethes, die oftmals nicht begründet werden. Ein konkreter Wissensbegriff wird zwar immer wieder in Anlehnung an Foucault angedeutet, bleibt aber vor allem dahin gehend vage, wie verschiedene Wissensarten bzw. -formen zu unterscheiden wären. Zudem wird der Textbegriff bei Vogl noch weiter gefasst als bei Greenblatt, sodass der Gegensatz von Text und Kontext nivelliert zu werden droht (vgl. Stiening 2007: 240). Weiterhin müsste die poietische Funktion von Literatur wesentlich konkreter gefasst werden, da ansonsten Zweifel daran aufkommen müssen, ob „Literatur also nicht nur kulturelles Wissen voraussetzt, sondern zum kulturellen Wissen beiträgt“ (Richter/Schönert/Titzmann 1997: 29): [Es] lässt sich die Annahme formulieren, dass erst dann, wenn in den Wissenschaften auf die ‚Wissensquelle Literatur‘ rekurriert wird oder Korrespondenzen zwischen wissenschaftlich organisiertem Wissen und literarisch formuliertem Wissen erkannt und festgelegt werden, die Rede von ‚literarisch generiertem Wissen‘ akzeptiert wird. Literatur gilt zwar als eine eigenständige Wissensordnung, doch wird der Status ‚Wissen‘ primär von den Wissenschaften bestimmt. (ibid.: 29–30)

Es ließe sich also vorerst maximal behaupten, dass Literatur insofern ‚neues‘ kulturelles Wissen kreiert, als sie die in sich integrierten Wissensmengen neu konfiguriert und dadurch etwas Neues schafft, das dann allerdings nicht vollständig auf vorgängige Referenzwelten zurückführbar sein muss (vgl. Neumann/Nünning 2006: 17). In seiner Replik auf Stiening kann Vogl (2007) die formulierten Kritikpunkte zwar nicht sämtlich entkräften, macht jedoch an einer exemplarischen Analyse von Johannes Keplers Somnium (1609)123 das Potenzial seines Ansatzes deutlich. In Kep-

122 Insbesondere Stiening (2007) unterzieht den Anspruch Vogls, ein neues Paradigma zu entwerfen, einer ausführlichen Kritik im Hinblick auf dessen methodologische Prämissen und Ergebnisse. 123 Enthalten in Kepler, Johannes (2000): Gesammelte Werke, Band 11. Hg. von Volker Bialas, Max Casper und Walther von Dyck. München: Beck. Deutsche Übersetzung des lateinischen Originals bei Günther, Ludwig (1898): Keplers Traum vom Mond. Leipzig: Teubner.

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lers Schrift kommentiert selbiger die fiktionale Geschichte einer Mondreise mit Verweisen auf das astronomische Wissen seiner Zeit sowie weiteren Wissensmengen. Im Sinne Foucaults ist der Mond hier Referential bzw. Wissensobjekt verschiedener Wissensmengen, das durch die „konsequente Verschränkung zwischen Erzählform und Wissensstruktur [. . . ] von Evidenz und Fiktion“ (Vogl 2007: 251) als „Ensemble von Implikationsrelationen“ (ibid.: 253) entsteht. Es entsteht ein Hybridwissen (siehe Abschnitt 4.2.3.3) als „supplementäres Wissen dessen, was nicht gewusst werden kann“ (ibid.). Realisiert man Vogls Ansatz in dieser Weise, so besticht er durch eine Perspektive, die der Analyse literarischer Wissensreferenzen insofern eine neue Dimension hinzufügen kann, als hierdurch poietische Prozesse in literarischen Texten beschreibbar werden.124

2.3.2.5 Das Problem der Wissenstransformation Nun deutet sich zwar an, dass sich die Interaktion zwischen Literatur und Wissenschaft dergestalt fassen ließe, dass Literatur Wissen enthalten kann. Die bisherigen Ausführungen wecken jedoch Zweifel daran, ob dieses Wissen durch seine Integration in literarische Texte nicht verändert wird. Erörtert werden muss also, wie textexternes Wissen in textinternes Wissen umgewandelt wird, und ob bzw. wie es dabei transformiert wird. Da eine umfassende Theorie dieser Interaktion bisher noch aussteht (vgl. Heinemann/Heinemann 2002: X), kommen wir nicht umhin, die bisher in Feld geführten Theorien daraufhin zu überprüfen, ob und wie sie diesen ‚Transfer‘ modellieren: Die Epistemologie kennt nur Wissen und Nichtwissen. D. h., entweder kann einer Aussage Wissensstatus zugeschrieben werden oder nicht. Die Verletzung der Kriterien von Personalität, Rechtfertigung und Wahrheit führt zu einem Wechsel des epistemischen Modus’, sodass nicht mehr von Wissen im epistemologischen Sinne gesprochen werden kann. Transformation ist hier nur als Deformation modellierbar. Positionen der Literaturphilosophie lassen sich dahin gehend auslegen, dass Wissen (textanalytisch gesteuert) rekonstruiert werden kann, wenn die Rechtfertigungsund Wahrheitsbedingung unter Zuhilfenahme externer Quellen erfüllt werden. Der Text ‚enthält‘ in diesem Sinne eine Proposition, die einen Wissensanspruch darstellt, der im positiven Sinne zu Wissen transformiert werden kann.

124 Ein ähnlich gelagertes Beispiel rekonstruiert Polaschegg (2007), die die Figur der Maria Magdalena als synkretistischen Wissenskomplex aus genuin biblischen Elementen und einer Reihe transformierender Anverwandlungen u. a. durch Literatur und Kunst beschreibt. Als Veranschaulichung können auch die im Sammelband von Boden/Müller (2009) versammelten Studien dienen, die nicht nur die Emergenz medienspezifischen Wissens rekonstruieren, sondern auch die Hybridisierung von Wissensformaten zu neuen Wissensobjekten. Insbesondere der Beitrag von Nieberle (2009: 182) zeigt, wie ein „hybrides Amalgam unterschiedlichster Referenztexte“ zur Emergenz von Wissen führen kann. Ähnlich auch Wurm (2009) im selben Band.

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Die Wissenssoziologie von Alfred Schütz kennt unterschiedliche Sinngebiete bzw. Sinnprovinzen, die sich durch einen je spezifischen Erkenntnis- und Erlebnisstil auszeichnen und insofern geschlossen sind. Fantasiewelten, wozu Schütz auch die Dichtung zählt, sind von faktischen (nicht aber logischen) Verträglichkeitszusammenhängen der Alltagswelt entbunden. D. h., wenn wir uns auf einen Traum einlassen, ist dieser im Moment des Träumens Wirklichkeit. In einem anderen Sinngebiet ‚Erlebtes‘ kann dabei Enklaven in der Wirklichkeit der Alltagswelt bilden, etwa ein Traum, der in der Wirklichkeit gedeutet wird. Auch wenn Schütz das Verhältnis von Literatur und Alltagswelt nicht explizit behandelt, so geht aus seinen Ausführungen dennoch hervor, dass zwar ein Bruch zwischen diesen besteht, der aber durch das Individuum und seine Wahrnehmung vermittelt wird. Wissen wird in diesem Sinne nicht transformiert, vielmehr werden Wissenselemente aus einem anderen Sinngebiet als der Alltagswirklichkeit einen anderen Status im Wissensvorrat des Individuums erhalten. Aus dem Blickwinkel der (Inter-)Diskurstheorie lässt sich ein Transfer von Wissen als Diskurswechsel modellieren, wobei Aussagen dadurch transformiert werden, dass sich die diskursspezifischen Formationsregeln, Äußerungsmodalitäten und Äußerungsstrategien ändern. Die Popularisierungsforschung125 begreift den Diskurswechsel als intralingualen Übersetzungsprozess (vgl. Steuer/Voermanek 2006: 334). Wissenselemente werden aus dem ursprünglichen Kontext über Mittler und Medien in einen anderen Kontext überführt (vgl. Whitley 1985; Masseran 2002: 78–79) und dadurch transformiert (vgl. Kretschmann 2003: 15). Der Prozess der Transformation wird durch die Zirkulation von Vorstellungs- und Deutungsmustern, Modellen und Metaphern induziert, die die Wissensbestände strategisch neu ordnen und hybridisieren (vgl. Wegmann 2009). Von besonderer Bedeutung sind hierbei auch mediale und medientechnische Aspekte: Studien zur Wissenspopularisierung (vgl. Boden/Müller 2009) können den Beweis erbringen, dass jede Wissensordnung an medienspezifische Repräsentations- und Gestaltungsweisen rückgebunden ist, durch diese gar erst konstituiert wird (vgl. Halft 2010: 49).

125 Die kommunikationswissenschaftlich orientierte Popularisierungsforschung untersucht Medien, Techniken und Motive der Vermittlung (natur-)wissenschaftlichen Wissens an ein disperses Publikum. Als externe und massenmediale Form der Wissenschaftskommunikation bezeichnet Wissenspopularisierung nach Andreas Daum (2002: 25) eine „spezifische Form der Wissensvermittlung und -präsentation, d. h. [. . . ] den Versuch bzw. Prozess, aus den Naturwissenschaften stammende Inhalte [. . . ] öffentlich an ein Publikum, das nicht selbst im Zentrum der Wissensproduktion steht, weiterzugeben oder [. . . ] diesem Publikum zu präsentieren“. Im Sinne der Popularisierungsforschung gilt es, nach Funktionen und Motiven textueller Wissensrepräsentation und Wissenstransformation zu fragen. Außerdem müssen neue Wissensansprüche in Beziehung zum kulturellen Kontext gesetzt werden. Richtungsweisend sind die Arbeiten von Whitley (1985), Schwarz (1999), Daum (2002) und Kretschmann (2003). Eine ausführlichere Beschreibung von Fragestellungen der Wissenspopularisierung findet sich bei Schwarz (2003: 221). Neue Impulse gibt der Sammelband von Boden/Müller (2009), der mediale und medientechnische Aspekte von Wissen beleuchtet.

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Kognitionswissenschaftlich scheint die Idee der Transformation auf den ersten Blick abwegig, da Wissen hier als Menge von mental repräsentierten Kategorien, Konzepten und Skripten konzipiert wird. Diese sind unterhalb der Ebene der Proposition situiert und kulturell geprägt. Tatsächlich ist dadurch aber nicht gewährleistet, dass jedes Individuum über dieselben Kategorien und Konzepte verfügt, da Wissensstrukturen jeweils individuell aufgebaut werden müssen und demzufolge in hohem Maße erfahrungsabhängig sind. In Kommunikationssituationen müssen die mentalen Strukturen also objektiviert (expliziert) und dadurch fixiert und mitunter vereinfacht werden. Im umgekehrten Falle (Wissensaufbau) finden kognitive Transformationsprozesse statt, insofern die mental repräsentierten Strukturen elaboriert, restrukturiert oder flexibilisiert werden (vgl. Reinmann/Eppler 2008: 43–49). Wie genau sich die Interaktion zwischen mental repräsentierten Strukturen und Text vollzieht, diskutiert die kognitive Linguistik als ‚Schnittstellenproblematik‘ (vgl. Schwarz 2008: 61). Schwarz verweist darauf, dass Textbedeutung flexibel konstituiert bzw. konstruiert werde: Unsere prozedurale Kompetenz lässt uns offensichtlich kognitive Repräsentation erstellen, in die lexikalisches Bedeutungswissen und Weltwissen über kontextuell gesteuerte Inferenzen einfließen und ein plausibles mentales Modell zu jeder Äußerung konstituieren [. . . ]. (Schwarz 2008: 65)

Insofern sind Produzent und Rezipient wesentliche und transformierende Elemente der Integration von Wissen in einen Text. Wenn dieser Prozess bislang auch noch keiner theoretischen Modellierung zugeführt wurde (vgl. ibid.: 66; Schwarz/Chur 2007: 193–194), so ließe sich der Text dennoch als dynamisch-interaktive Verweisstruktur verstehen, in dem Bedeutung einerseits durch die (intratextuell) in ihm spezifizierten und korrelierten Konzepte (Dreistufensemantik) entsteht, andererseits aber auch durch eine – sich wie auch immer vollziehende – (transtextuelle) Aktivierung textexterner Wissensmengen zustande kommt, deren interpretatorische Einbeziehung methodisch reguliert werden müsste. Systemtheoretisch kann der Austausch zwischen Literatur und Wissenschaft durch die Figur des re-entry beschrieben werden: Literatur beobachtet Wissenschaft und aktualisiert die von ihr ausgegliederten, d. h. lediglich potenzialisierten, Elemente. Sie erprobt Wissen, indem sie die Elemente innerhalb des Kunstsystems als wahr/unwahr zweitcodiert. Luhmanns Systemtheorie kann diese Interaktion zwar modellieren, muss aber eine Absage an einen ‚Transfer‘ von Wissen erteilen, da die Wissensansprüche der Literatur immer nur innerhalb des Kunstsystem und seines Codes geäußert werden. Wissen wird also in Kunst transformiert, wodurch seine Markierung als ‚wahr‘ um eine Ebene verlagert wird: Aus wahrem Wissen werden künstlerische Elemente, die sich selbst als wahr oder unwahr inszenieren. Eine Re-Codierung kann systemtheoretisch nur dadurch gedacht werden, dass die Wissenschaft an Aus-

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sagen der 126 Literatur anknüpft (re-entry) und diese als wahr oder falsch markiert. Die Frage, ob Literatur Wissen enthalten kann, kann also nur fallspezifisch (nach Überprüfung) beantwortet werden. Streng genommen geht aber selbst diese Formulierung fehl, da Wissen kein Wissen mehr ist, sobald es im Kunstsystem verarbeitet wird, sondern eben Kunst. Legt man ein semiotisches Kommunikationsmodell zugrunde, so müssen verschiedene transformierende Faktoren (Zufall und ähnlich exogene Einflüsse werden hier ausgeschlossen) berücksichtigt werden127 : 1. Kontext: Der jeweilige historisch-kulturelle und soziale Kontext bedingt jeweils Zeichensystem, Code, Sprache und die Konventionen der Referenzierung von Äußerung und Redegegenstand. Änderungen wie kulturell oder diskursiv bedingte Codewechsel, Zugrundelegung eines anderen Zeichenvorrats (Codedifferenz128 ) oder auch Mehrfachcodierung/Multicodalität wirken sich auf vor allem auf syntaktischer und semantischer Ebene transformierend auf die Äußerung aus. 2. Sender (Autor): Der Sender eignet sich Elemente (Zeichen, Aussagen, Wissen) interpretierend an. Hieraus selegiert er, wodurch insbesondere Wissen dekontextualisiert bzw. isoliert und in einer Botschaft verdichtet und zur Produktion eines sekundären, modellbildenden Textsystems strukturell transformiert wird.129 Maßgeblich beeinflusst wird der Autor dabei durch Konventionen, Zielgruppenanforderungen, mitunter auch öffentliche, systemische, ökonomische und politische Zwänge etc. Das rezipierte Wissen muss dabei in den meisten Fällen – wenn der Autor nicht auch Produzent des Wissens ist – selbst schon als transformiert gelten, da der komplexe Prozess der Wissensgenese nach außen nur in Form von Kommunikation vermittelt werden kann. 3. Medium (Text): Grundsätzlich unterliegen Medien je eigenen Codierungs- und Transformationsregeln.130 Im Text werden Sprachelemente rekontextualisiert, neu kombiniert und semantisiert. Je nach Textsorte gelten hierfür spezifische Konventionen. Im Falle literarischer Texte greift u. a. die Institution der Fiktionalität. 4. Empfänger (Leser): Der Leser rezipiert den Text und aktualisiert ihn vor dem Hintergrund seines historisch-kulturellen und sozialen Hintergrundes.

126 Wissenschaftliche Aussagen über Literatur sind ohnehin Teil des Wissenschaftssystems. 127 Diese Überlegungen lehnen sich im weitesten Sinne an Modelle der Textverarbeitung (Heinemann/Heinemann 2002: 94; de Beaugrande/Dressler 2001) und der funktionalen Wissensarbeitsteilung (Spinner 1998: 128) an. 128 Lotman (1993: 43–46) beschreibt das Phänomen der Umcodierung, bei der die Codes von Sender und Empfänger nicht übereinstimmen (Codedifferenz) und es zur Transformation der Botschaft kommen kann. 129 Als Einflussgrößen hierbei können u. a. gelten: Reduktion der Informationsfülle/-dichte, Umgang mit Fachwörtern, Erzähltechniken, Rhetorik, Metaphern und Analogien, Objektivitätsanspruch/Subjektivität, fiktionale/faktuale Elemente. Siehe grundlegend in: Niederhauser, Jürg (1999): Wissenschaftssprache und populärwissenschaftliche Vermittlung. Tübingen: Narr. 130 Auf diesen Tatbestand weisen auch Medien- und Kommunikationstheorien im Allgemeinen hin. So verweist etwa Maletzke (1963: 76–77) auf den „Zwang des Mediums“. Für eine wissensbezogene Reformulierung des Kommunikationsmodells müssten solche Ansätze ebenfalls berücksichtigt werden.

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Theoretische Grundlagen

Dieser Vorgang kann jedoch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive durch Simulieren eines ‚idealen Lesers‘ weitestgehend kontrolliert werden. Einen weitergehenden Einblick in das Problem der Transformation vermag die handlungssemantisch orientierte Studie von Liebert (2002) zu geben. Dieser erörtert verschiedene Fragestellungen bezüglich der Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens in Fach- und Pressetexten und geht insbesondere der Frage nach, ob es dabei zu Transformationen von Wissensbeständen dergestalt kommen kann, dass sie sich nicht mehr auf dieselben Sachverhalte beziehen: Von einer Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens kann [. . . ] nur dann gesprochen werden, wenn der nichtwissenschaftliche Leser [. . . ] zumindest an einigen wissenschaftlichen Sprachspielen teilnehmen kann, wenn er beispielsweise nicht direkt beobachtbare Gegenstände ebenfalls identifizieren kann. (ibid.: 6–7)

Für Vermittlungstexte hält Liebert fest, dass sie Sachverhalte durch Abweichungen in der Identifikation des Gegenstandes, des Bezugsrahmens131 , der Bezugnahme auf Fachtexte und ihre Argumentation anders konstituieren als Fachtexte. Dies geschieht u. a. deshalb, weil die Vermittlungstexte ihren Bezugsrahmen an einen alltagsweltlichen Wissensvorrat anpassen müssen und Abstrakta wie Nichtbeobachtbares alltagssprachlich umschreiben müssen. Es kommt es zu Transformationsprozessen, die bewirken, dass Gegenstände als klar bestimmt und Aussagen als wahrheitsfähig erscheinen, obwohl sie es nicht mehr sind (vgl. ibid.: 4, 62, 65). Nun ist fiktionale Literatur zwar nicht als Vermittlungstext angelegt. Die Überlegungen Lieberts sind aber dennoch von Relevanz, zumal es auch im Fall der Literatur und im Hinblick auf die Naturwissenschaften seit dem 19. Jh. „keine objektadäquaten direkten Relationen“ mehr geben kann, und die Literatur beispielsweise „das Denken der neuen Physik weder [. . . ] angemessen thematisieren noch [. . . ] es [. . . ] angemessen darstellen“ kann (Titzmann 1997: 303). Im Grunde erscheint also die Möglichkeit, dass fiktionale literarische Texte Wissen ‚enthalten‘ können als äußerst unwahrscheinlich: Im System der Wissenschaft werden nach deren Regeln Aussagen produziert, die vorderhand als Wissen im epistemologischen Sinne gelten können. Aus der Perspektive der Wissenschaftssoziologie müsste dieser Anspruch allerdings relativiert werden: Die Wissensgenese, Verarbeitung und Dokumentation dürfen als transformierende Faktoren gelten, die hier aber vereinfachend als Blackbox ausgeblendet werden. Wenn der Autor dieses Wissen rezipiert (Internalisierung), können transformative Effekte durch dessen dekontextualisierende Aneignung (Strukturgenese) und Verarbeitung (medienspezifische

131 Das ist laut Liebert (2002: 54) das System der Kenntnisse von der Welt und ihrer Geschichte. Im Bezugsrahmen werden Redegegenstände kategorial und konzeptionell verortet. Das muss im Vermittlungsdiskurs ebenso geschehen, damit die Vermittlung erfolgreich ist. Wenn das Laienpublikum kein spezifisches Vorwissen hat, kann diese Verortung nur in einem alltagsweltlichen Bezugsrahmen stattfinden, der (strukturgenetisch bedingt) weniger elaboriert ist.

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Codierung bzw. Zweitcodierung, Rekontextualisierung und Transformation) auftreten. Streng genommen wird Wissen im epistemologischen Sinne dadurch deformiert bzw. ‚depotenziert‘. Schließlich findet ein entgegengesetzter Prozess (Decodierung, Strukturgenese) auch bei der Rezeption des Lesers statt. In diesen Prozess fließen an jeder Stelle auch weitere Wissensmengen ein (Aktualisierung). Das gesamte Modell muss nun noch vor einem historisch-kulturellen Kontext gedacht werden. Wissen ist also anfällig für zahlreiche transformierende Einflüsse in struktureller, formaler, semantischer oder funktionaler Hinsicht. Das kann mitunter auch zu einer Entreferenzialisierung (Bezugsrahmen) führen, wenn das Wissen am Ende nicht mehr objektadäquat ist, sich also nicht mehr auf denselben Gegenstand wie im Ursprungskontext bezieht. Gerade im literarischen Kontext ist hierin jedoch ein konstruktives Moment von Literatur zu sehen, die diese Transformation produktiv nutzen und aufgrund ihres sekundären semiotischen Charakters Wissensobjekte neu konstituieren kann. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive ließe sich außerdem in Anlehnung an die Metaphorik des New Historicism von der Möglichkeit einer ‚Repotenzierung‘ des Wissens sprechen, die – sofern sie methodisch kontrolliert stattfindet – Wissen aus den im Text angelegten Strukturen rekonstruieren können müsste.

2.3.2.6 Zusammenfassung Es war das Ziel dieses Kapitels, die Interaktion von Literatur und Wissenschaft so zu modellieren, dass die Frage nach der Möglichkeit von Wissen in Literatur geklärt und ein textanalytisch anwendbarer Wissensbegriff abgeleitet werden kann. In der literaturwissenschaftlichen Praxis ist die Rekonstruktion von Wissensmengen in literarischen Texten Alltagsgeschäft. Kritik an dieser Containermetapher kommt gegenwärtig u. a. deshalb auf, weil der dabei zugrunde gelegte Wissensbegriff oft nur behelfsweise definiert wird. Die Debatte um eine mögliche epistemologische Neuausrichtung der Literaturwissenschaft verdeutlicht, wie notwendig ein präziser aber gleichermaßen interdisziplinär anschlussfähiger Wissensbegriff für die Analyse fiktionaler literarischer Texte ist. Zwar bietet die Systemtheorie ein umfangreiches theoretisches Instrumentarium zur Beschreibung der Interaktion von Literatur und Wissenschaft, kann aber mangels einer Texttheorie nichts Konkretes über die Möglichkeit von Wissen in Literatur aussagen: Literatur kann im Sinne der Systemtheorie ihre Werke als wahr/unwahr zweitcodieren, verbleibt aber nach wie vor ‚Schein‘. Wie zwischen Textwelt und Wirklichkeit vermittelt werden kann, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Systemtheorie. Seit den 1980er Jahren wurden diesbezüglich literaturphilosophische, fiktionalitätstheoretische und kultursemiotische Positionen entwickelt, die literarisches Wissen als Wissen in Literatur ins Zentrum stellen. Die Literaturphilosophie analytischer Tradition geht vom epistemologischen Wissensbegriff aus, dessen Anwendung auf literarische Texte kaum zu beseitigende Probleme aufwirft: Angesichts der Fiktionalität von Literatur und den in ihr erhaltenen

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Propositionen gilt eine Referenz auf die außertextuelle Wirklichkeit im literaturphilosophischen Mainstream als unmöglich: Ein fiktionaler Text könne nichts über die Wirklichkeit aussagen. Selbst wenn man eine propositionale Theorie literarischen Wissens in Erwägung zieht, so scheitert die Rede vom Wissen in Literatur an dessen nicht gegebener Personalität und Rechtfertigung. Köppe (2007) bietet als Lösung daher den Begriff des Wissensanspruchs an. Das ist eine aus einem Text gewonnene Proposition, die Wissensstatus für sich reklamiert, der aber durch textexterne Quellen abgesichert werden muss. Ähnlich restriktiv fallen autonomistische Positionen der Fiktionalitätstheorie aus, die literarischen Text und außertextuelle Wirklichkeit strikt getrennt sehen wollen. Da die relativistische Position eines Panfiktionalismus hier heuristisch wenig fruchtbar erscheint,132 schließen wir uns der kompositionalistischen Auffassung an, dass Texte Mischungen aus fiktionalen und realen Elementen sein können. Dies erlaubt die Annahme, dass literarische Texte zu außertextuellen Wissensmengen in Beziehung stehen und diese in propositionaler Form enthalten können, sofern hierfür ein Nachweis erbracht werden kann. Das durch die Literaturphilosophie aufgeworfene Referenzproblem wird fiktionalitätstheoretisch durch Einbeziehung kognitiver Ansätze umgangen: Referenz ist hier Referenz auf mental repräsentierte Konzepte von Diskursteilnehmern. Wissen und Wissensreferenzen sind aus dieser Perspektive wesentliche Voraussetzungen für die Kohärenz und Verständlichkeit von Texten. Fiktionale Texte zeichnen sich hier dadurch aus, dass sie auch auf Konzepte referieren, die nicht im kollektiven Konzeptsystem bereitliegen, sondern intentional neu geschaffen werden. Kultursemiotische Positionen traktieren das Problem unter einem anderem Blickwinkel: Texte werden dort als kulturelle Artefakte aufgefasst, die Kultur zeichen- und modellhaft abbilden. Dementsprechend lassen sich mentale sowie epistemologische Aspekte von Kultur methodisch geleitet rekonstruieren. Die vorgestellten Ansätze machen dazu Anleihen in der Wissenssoziologie (Wissensbegriff), Diskurstheorie (Referential) und Intertextualitätstheorie (Partizipation). Bei Greenblatt ist der Text somit gleichermaßen Produkt kultureller Praxis und zirkulierender diskursiver Wissensbestände, die in ihm symbolisch repräsentiert sind. Auch Titzmann konzipiert den Text als Produkt und Modell eines kulturellen Denksystems, das rekonstruiert und historisch kontextualisiert werden kann: Literarische Texte integrieren demzufolge Wissen, um es zu vermitteln, zu bestätigen, zu modifizieren oder zu kritisieren. Vogls Ansatz schließlich begreift literarische Texte als aktive Elemente der Konstruktion von Wissen im weitesten Sinne: Sie seien spezifische Wissensformationen, die als Funktionselemente von Wissen auch neue Wissensobjekte hervorzubringen imstande seien.

132 Hiermit werden nicht die genuin zeichentheoretischen Annahmen suspendiert, die im Rahmen kultursemiotischer Positionen skizziert wurden. Zeichentheoretiker würden die Wirklichkeit kaum als Fiktion bezeichnen, wohl aber als durch Zeichen konstituiert.

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Gerade die kultursemiotischen Positionen setzen sich jedoch nicht mit dem Problem der Wissenstransformation auseinander,133 welches sich durch die Einbindung von Wissen in einen Text ergeben kann: Wissen ist anfällig für zahlreiche transformierende Einflüsse in struktureller, formaler, semantischer oder funktionaler Hinsicht. Das Transformationsproblem ist bisher nur aus handlungssemantischer Sicht und mit Bezug auf die Wissenstransformation von Vermittlungstexten (Liebert 2002) dokumentiert worden. Eine theoretische Modellierung, die insbesondere die Schnittstellenproblematik zwischen mentaler und textueller Repräsentation bzw. die diesbezügliche Interaktion von Systemen und/oder Diskursen zu berücksichtigen hätte, steht noch aus. Eine erste systematisierende Übersicht konnte hier in Anlehnung an ein modifiziertes semiotisches Modell der Kommunikation gegeben werden. Dieses müsste die Einflussgrößen Wissensgenese, Autor, Text, Leser und Kontext gleichermaßen wissenssoziologisch wie kognitionswissenschaftlich reformulieren und aufeinander beziehen. Da dies hier nicht erfolgen kann, müssen stattdessen literaturwissenschaftliche Instrumente dergestalt perspektiviert werden, dass sie das transformierende und wissenskonstruktive Potenzial von Literatur zu beschreiben vermögen. Eine fallweise Modellierung der Transformation aus diskurstheoretischer (Interdiskurse), kommunikationstheoretischer (Codierung) bzw. systemtheoretischer (Umcodierung, Emergenz) oder kulturwissenschaftlich inspirierter Perspektive (Wissenspoetik, Zirkulation) dürfe dazu geeignet sein (vgl. Boden/Müller 2009; Halft 2011b). Resümierend lässt sich festhalten: Wenn wir Wissen kognitionswissenschaftlich fassen, so kann auch von Wissen in Literatur gesprochen werden. Auch aus Sicht der Wissenssoziologie oder kultursemiotisch inspirierter Ansätze ist die Rede von Wissen in Literatur vertretbar. Selbst literaturphilosophische Positionen erlauben es, von Wissensansprüchen in literarischen Texten zu sprechen. Somit ließe sich behaupten, dass Wissen auch in Form impliziter oder explizit Propositionen in literarischen Texten vorhanden sein kann. Einschränkend müsste allerdings hinzugefügt werden, dass diese in transformierter bzw. ‚depotenzierter‘ Weise vorliegen, was methodisch aufgefangen werden muss. Eine kritische Betrachtung der bisherigen Argumentation legt es nahe, die Problematik des Wissens in Literatur nach theoretischen Perspektiven zu differenzieren: So kann im Sinne der Intertextualitätstheorie nach Wissensbeständen gefragt werden, die in einen literarischen Text eingegangen134 oder zu dessen Lektüre (Hintergrundwissen) erforderlich sind. Die Kognitionswissen-

133 Dies könnte zum einen daran liegen, dass Wissen hier sehr unterschiedlich und v. a. im Anlehnung an Wissenssoziologie und Diskurstheorie definiert wird. Damit stellt sich das Problem im Grunde nicht oder nicht im selben Maße. Zum anderen stehen diese Positionen der Philosophie von Peirce nahe, bei dem Wissen ja gerade nicht ein dem Zeichen vorgängiges Konstrukt ist, sondern ein durch den Zeichenprozess Konstituiertes. Siehe dazu Pruisken (2007). 134 Die Frage nach dem eingegangen Wissen soll und kann nur durch Textbelege beantwortet werden. Ob dieses Wissen als solches erkannt wird/erkennbar ist, ist indes eine andere Frage. Siehe dazu Helbig (1996).

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schaften erlauben es demgegenüber, nach textspezifischen oder kulturspezifischen Strukturen von bzw. Relationen zwischen Kategorien und Konzepten zu fragen. So lassen sich Einsichten in deren Denkstruktur gewinnen und emergente Phänomene beschreiben. Im Sinne der Epistemologie und der Diskurstheorie kann nach regelartigen textspezifischen Rechtfertigungs- und Beglaubigungsstrategien von Wissensansprüchen und im Sinne der Poetologie nach Textstrategien gefragt werden, die neue Wissensansprüche bzw. Wissensobjekte zu etablieren suchen. Im Sinne der Wissenssoziologie und der Kultur- und Literatursemiotik wäre es möglich, textspezifische, wissensbasierte Wirklichkeitsmodelle bzw. Deutungsmuster und deren textspezifische Codierung zu rekonstruieren, die jeweils Auskunft über die mentalen Dispositionen einer Kultur (Mentalitäten, Werte, Normen etc.) zu geben vermögen. Im Sinne der Interdiskurs- und Popularisierungsforschung kann schließlich kritisch nach den Techniken, Strategien und Funktionen von Transformationsprozessen gefragt werden.

2.3.3 Literarisches Wissen als Wissen durch Literatur

Bevor wir an die weitere Operationalisierung des reformulierten Wissensbegriffs gehen, soll erörtert werden, wie es sich mit der kognitiven Signifikanz von Literatur verhält. Denn nicht nur die Frage, ob Literatur Wissen enthalten könne, sondern auch die nach der Literatur als Quelle neuen Wissens gewinnt in der Forschung an Attraktivität. Das Spektrum möglicher Positionen in Bezug auf diese Frage stellt sich ähnlich wie für die bereits behandelte Fragestellung dar (vgl. Jäger 2005: 11–13; Wilson 2004): Während essentialistische Varianten eines epistemischen Kognitivismus postulieren, dass Kunst propositionales Wissen vermitteln könne, lehnen antikognitivistische Positionen eines generellen Nonkognitivismus dies kategorisch ab. Moderate Versionen sehen die Möglichkeit eines genuinen Wissenszuwachses unter bestimmten Bedingungen gegeben oder halten zumindest die Erweiterung der wahren Überzeugungen135 bzw. eine Modifikation des Konzeptsystems eines Individuums für plausibel. Köppe (2008) präsentiert in Verteidigung einer solchen Ansicht die Ausarbeitung seiner früheren Überlegungen: Sätze in fiktionalen literarischen Texten (fiktiv wahr/falsch) könnten in homofone (also gleichlautende) Sätze als Kandidaten für Wissen transformiert werden. Diese könnten sodann überprüft und in einen nicht-fiktionalen und somit wahren oder falschen Satz überführt werden (vgl. ibid.: 100–102). Im Ergebnis kommt Köppe zu einer Variante der Makropropositionsthese bzw. zu einer klassischen literatursemiotischen Position: 135 Vgl. dazu die empirische Studie von Appel (2005: 208): „Wenn Personen ein narrativ-fiktionales Medienprodukt rezipieren, dann verändern sich die Überzeugungen (Grad der Zustimmung) in Richtung der Inhalte“.

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Entscheidend ist, dass wir [. . . ] anhand fiktionaler Sätze oder fiktiver Welten Hypothesen über die Wirklichkeit bilden können, und dass diese Hypothesen wahr sein können (je nachdem, was in der Wirklichkeit der Fall ist). [. . . ] Zusammenfassend kann man davon sprechen, dass der Gehalt eines Werkes wahre Annahmen über die Wirklichkeit nahe legen kann [. . . ]. (Köppe 2008: 105)

In elaborierter Form findet sich diese These neuerdings in der Vorstellung wieder, dass Literatur als ‚Experiment‘ begriffen werden könne. Der Experimentbegriff findet in der Literaturwissenschaft nicht nur im Hinblick auf Formenexperimente Anwendung, sondern auch im Sinne eines metaphorischen Transfers wissenschaftlicher Erkenntnismodi auf die Literatur. Darunter fallen nach Marcus Krause und Nicolas Pethes (2005: 7; vgl. Pethes 2003) neben der Thematisierung von Experimenten auch die Adaption physikalischer oder chemischer Versuchsanordnungen durch literarische Texte sowie der Entwurf imaginärer Welten und vergleichbarer Gedankenspiele als Experimente. Hierdurch werden hypothetische Geltungsansprüche literarischer Texte geltend gemacht, insofern man ihre Funktionsweisen im Rahmen von simulativen Szenarien verortet und ihre in diesen Versuchsanordnungen figurativ wie performativ begründeten Einsichten als Wissen deklariert. (Klausnitzer 2008: 223, Hervorhebungen im Original)136

Krause und Pethes (2005: 15) versuchen das Experiment durch die funktionale Relation von empirischer Erfahrung und Möglichkeit zu erfassen, wobei die Literatur Potenzialitäten, die realiter latent geblieben sind, aktualisiere.137 Hierdurch rücken Krause und Pethes die Literatur in die Nähe philosophischer und naturwissenschaftlicher Gedankenexperimente zur Überzeugungsänderung, die den Anspruch haben, „neue Erkenntnisse über die physikalische Wirklichkeit zu verschaffen“ (Cohnitz 2006: 79), ohne dass die geschilderten Experimente de facto „ausgeführt oder die entsprechenden Sachverhalte als real angenommen werden müssten“ (ibid.: 21). Cohnitz fragt nun zum einen danach, wie Gedankenexperimente überhaupt zu Überzeugungsänderungen führen können und zum anderen – und diese Frage ist für die Anwendung des Konzepts auf die Literatur von Bedeutung – wann diese Überzeugungsänderungen gerechtfertigt sind (vgl. ibid.: 80). Wie aufgrund des erkenntnistheoretischen Kontextes zu erwarten war, kommt er dabei zum Ergebnis, dass auch Gedankenexperimente ihre jeweilige Konklusion im erkenntnistheoretischen Sinne rechtfertigen können müssen, um sie zu Wissen zu transformieren (vgl. ibid.: 154). Hiermit stößt Cohnitz auf dieselben Probleme, wie sie sich beim epistemologischen Wissensbegriff wie auch

136 Ob es sich hierbei nicht nur um unverbindliche „metaphorische Vereinnahmung“ handelt (Krause/Pethes 2005: 10), die begriffliche Schärfe vermissen lässt, ist indes nicht geklärt. Pethes unterscheidet diese Ausprägungen des Experimentbegriffs selbst nicht konsequent (vgl. Pethes 2006: 69, 70, 75, 78, 80–81). 137 Ausführlich und kritisch hierzu siehe Abschnitte 2.3.2.1 d).

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Theoretische Grundlagen

dessen Anwendung auf die Literatur offenbaren: Gedankenexperimente sind lediglich dazu imstande, „gerechtfertigte Anfangshypothesen“ (ibid.: 322) zu liefern. Auch wenn man zusammenfassend festhalten kann, dass die Möglichkeit von Wissen durch Literatur denselben Einschränkungen unterworfen ist, wie Wissen in Literatur, so lässt sich das Konzept des Gedankenexperiments trotzdem textanalytisch fruchtbar machen. Denn grundsätzlich können Gedankenexperimente auch als Argumente analysiert werden:138 Das bietet sich vor allem dann an, wenn dadurch eine sogenannte Target-These139 identifiziert werden kann. Auch narratologisch ist die Metapher des Gedankenexperiments anwendbar. So sieht Engels (2004: 14–17) es durch einen „Versuchsaufbau“ aus einer oder mehreren ggf. kontrafaktischen Annahmen, einer „Durchführung“ anhand einer Reflexionsfrage oder eines Fragenkomplexes, Überlegungen zur Beantwortung der Frage(n) sowie die Einordnung in einen funktionalen Zusammenhang gekennzeichnet.140 Hierauf kann im Rahmen der Analysen (siehe Abschnitt 4.2.3.4) zurückgegriffen werden.

2.3.4 Metaphern und Wissen

In der Diskussion um literarisches Wissen als Wissen in oder durch Literatur spielen schließlich auch Figuren und Tropen als eine der zentralen Analysekategorien der Literaturwissenschaft eine prominente Rolle: Während in der Wissenssoziologie im Anschluss an den Pictoral/Iconic Turn die Ästhetisierung von Wissensdarstellung (vgl. Raab 2008: 7; Schnettler 2007: 189)141 in den Fokus rückt, so versuchen die neuere Begriffsgeschichte und die kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft ‚Figuren des Wissens‘, d. h. Formen und rhetorischen Figuren der Gestaltung von Wissen zu erfassen. Im Folgenden soll daher erörtert werden, welche konkrete Bedeutung die Metapher für ein potenzielles Wissen in und/oder durch Literatur haben kann.142 138 Einschränkungen: 1. Eine Reduktion des Gedankenexperimentes auf ein Argument vernachlässigt die experimentelle Komponente. 2. Ein Gedankenexperiment kann selten mit einem einzigen Argument identifiziert werden. 3. Das Gedankenexperiment spezialisiert problematische Hintergrundannahmen zumeist auf einen unproblematischen Einzelfall, um seine Überzeugungskraft zu sichern, was die Rekonstruktion in Form von Argumenten unmöglich machen kann (vgl. Cohnitz 2006). 139 Das ist die durch das Gedankenexperiment zu widerlegende Ausgangsthese. 140 Basierend auf seinem erweiterten Begriff des Gedankenexperiments kann Engels (2004) eine Fülle von ‚Typen‘ abstrahieren, so z. B.: Extrapolation, fiktive Nichtung, hypothetisches Fürwahrhalten, Imagination einer defizitären Situation, imaginäre Erfindungen, Vermischung der Arten, Transformationen, Perspektivenwechsel, Spiele mit der Zeit, fiktive Eingriffe in die Geschichte, Addition/Subtraktion von Fähigkeiten etc. 141 Ein Analysebeispiel findet sich bei Lachmann, Renate (2006): Zwei Weisen der Wissensdarstellung im 17. Jahrhundert. Athanasius Kircher und Johann Amos Comenius. In: Poetica, Jg. 38, S. 329–377. 142 Einen Überblick bietet Kurz (2009). Eine Klassifikation von Metapherntheorien findet sich bei Rolf (2005). Kritisch dazu: Kohl (2007: 3). Eine Sammlung wichtiger Primärtexte (Black, Weinrich u. a.)

Literatur und Wissen

73

2.3.4.1 Klassische Metapherntheorien Während das Übertragungsmodell143 der Substitutionstheorie, davon ausgeht, dass die uneigentliche Bedeutung eines Wortes die eigentliche Bedeutung eines anderen Wortes ersetze (vgl. Kurz 2009: 8–11), postuliert die Interaktionstheorie, dass die Wirkung einer Metapher vielmehr durch die semantische Inkongruenz und die Interaktion zwischen einer Metapher und ihrem Kontext zustande komme (vgl. ibid.: 7–8). Im Sinne der Substitutionstheorie argumentiert Weinrich (1983: 319) daher, dass eine Übertragung eines Bildes von einem Bildspender auf einen Bildempfänger stattfinde und, dass die Metapher desto „kühner“ sei, je größer die „Bildspanne“ zwischen den beiden Bereichen ist (ibid.: 329).144 Diese kühnen Metaphern können laut Weinrich ihre Analogien auch erst stiften und die Wahrnehmung von der Übereinstimmung der Bildbereiche erst schaffen, wie er am Beispiel von ‚Licht ≈ Wahrheit‘ verdeutlicht (vgl. ibid.: 331). Aus einer Kritik an den Schwächen der Substitutionstheorien leitet Black (1983: 69) seine Interaktionstheorie her. Die Interaktion von Metapher und Kontext bringe zwei unterschiedliche Vorstellungen dergestalt in einen aktiven Zusammenhang, dass sich eine neue Bedeutung bzw. Bedeutungserweiterung ergebe. Erforderlich hierfür sei die Kenntnis dessen, was Black „das System miteinander assoziierter Gemeinplätze [system of associated commonplaces]“ nennt (Black 1983: 70–71, Hervorhebung und Ergänzung im Original). Die Metapher aktiviert also kulturelles Allgemeinwissen durch ein System von Implikationen und Attributionen, deren Extensionsbereich durch den von der Metapher vergebenen Rahmen abgesteckt wird (vgl. ibid.: 72, 76–77). Klassische Metapherntheorien sind also ausdrücklich mit der Frage nach Wissen in (literarischen) Texten befasst, insofern auf dieses durch metaphorischen Sprachgebrauch alludiert, es modifiziert oder – in hier noch nicht explizit theoretisch erfasster – Weise neu generiert wird.

2.3.4.2 Kognitionswissenschaftliche Reformulierung Wie der Wissensbegriff ist auch die Metapherntheorie mittlerweile wissenssoziologisch (vgl. Maasen 1999: 54–58) und in mehrfacher Weise kognitionswissenschaftlich (vgl. Skirl/Schwarz-Friesel 2007: 7–10; Klein 2002) reformuliert worden. Metaphern gelten dort als aktive Elemente des Wissensaufbaus und des Wissenstransfers. Im Wesentlichen basieren diese Ansätze auf Lakoff und Johnson (2000: 14, 17, 31–34), die – ausgehend von der These, dass das menschliche Konzeptsystem in seinem Kern

versammelt Haverkamp (1983). Zum Phänomen der Emergenz siehe Skirl/Schwarz-Friesel (2007) und Skirl (2009). Zur Bedeutung von Metaphern in der Wissenschaft siehe Drewer, Petra (2003): Die kognitive Metapher als Werkzeug des Denkens. Tübingen: Narr. 143 metaphorá/metaphérein (gr.: Übertragung). 144 Siehe ausführlich und kritisch bei Kohl (2007: 31–38).

74

Theoretische Grundlagen

Tabelle 2.2: Brückenframe ‹Antagonistische Interaktion› (in Anlehnung an Klein 2002: 182) Matrixframe ‹Interaktion› (Slots) Aktanten

Brückenframe ‹Antagonistische Interaktion› →

Gegner

Aktion



Konflikt

Beziehung



Antagonismus

Ziel



Überlegenheit

Mittel



%

Weitere Beteiligte



%

metaphorisch sei – ein kognitives Metaphernmodell formulieren.145 Lakoff und Johnson verstehen die Metapher als kognitives Konzept, welches durch die Kombination eines Konzeptes, z. B. ‚Geld‘, mit einem anderen, z. B. ‚Zeit‘ entstehe, und durch welches dann das erste Konzept neu erfahren und verstanden werde (vgl. ibid.: 13). So entsteht hier das metaphorische Konzept ‚Zeit ist Geld‘, aus dem sich weitere Metaphern ableiten lassen.146 Es lässt sich also behaupten, dass die Metapher wichtige kognitive Aufgaben der Strukturierung der Wirklichkeitswahrnehmung erfüllt, die von der mentalen Erschließung neuer Wirklichkeitsbereiche über die Kommunikation von Gedanken und Gefühlen (vgl. Kohl 2007: 64) bis hin zur Darstellung und Begründung neuer Wissensansprüche reichen. Der Ansatz der konzeptuellen Metapher wurde frametheoretisch präzisiert: In Anlehnung an Weinrich spricht Klein (2002: 179) von einem Spender- und einem Empfängerframe, die über einen Brückenframe verbunden werden, der sich aus gemeinsamen Aspekten der verschieden Frames ergibt. So lässt sich etwa ein Frame ‹antagonistische Interaktion› als Brücke der Frames ‹Politik› und ‹Krieg› annehmen (vgl. ibid.: 182; siehe Tabelle 2.2).147 Dabei stellt der Brückenframe eine emergente Interpretation der Wirklichkeit dar, die sich aufgrund von ohnehin wahrgenommenen und zusätzlich etablierten Ähnlichkeiten ergibt: Durch den Brückenframe werden die ursprünglichen Frames jeweils neu interpretiert:

145 Zur ausführlichen Kritik an Lakoff und Johnson siehe Eder (2007) sowie Skirl (2009: 65–73). 146 Insbesondere neue Metaphern können dazu beitragen, „dass wir unsere Erfahrung in einem neuen Licht sehen“ (Lakoff/Johnson 2000: 161), d. h., dass Veränderungen im Konzeptsystem auch zu einer veränderten Wahrnehmung der Wirklichkeit führen (vgl. ibid.: 168). Neue Metaphern entstehen auf der Basis von bereits wahrgenommenen Ähnlichkeitsbeziehungen, die dann neue Ähnlichkeiten etablieren (vgl. ibid.: 170–178). ‚Wahrheit‘ ist in diesem Kontext abhängig davon, ob wir einen (metaphorischen) Ausdruck für wahr halten, was wiederum dann der Fall ist, wenn er sich in unser Konzeptsystem einfügt (vgl.ibid.: 206). 147 Dies geschieht unterhalb des durch die Kategorie vorgegebenen Matrixframes ‹Interaktion›.

Literatur und Wissen

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Die Quelldomäne und die Zieldomäne bilden Inferenzbasen, die durch Frames derart strukturiert sind, dass konsolidierte Standardwerte der Quelldomäne entsprechende Leerstellen der Zieldomäne besetzen. So entsteht eine neue konzeptuelle Struktur – eben eine metaphorische Bedeutung. (Ziem 2008: 377)

Eine Elaborierung hat der frametheoretische Ansatz in der Blending-Theorie148 erfahren: Im Gegensatz zu anderen Metapherntheorien wird dort nicht nur von Bildspender und Bildempfänger ausgegangen, sondern von vier mental spaces, nämlich zwei input spaces (Konzepte), die jeweils Bestandteile in einen generic space (Brückenframe) projizieren, der quasi das tertium comparationis der Quellen im Hinblick auf strukturelle Korrespondenzen ihrer Slots darstellt. Das metaphorische Konzept emergiert hieraus dann als blending space (vgl. Grady et al. 2001: 103).149

2.3.4.3 Metaphern und Emergenz Durch das In-Beziehung-Setzen bzw. die Rekonfiguration von geteilten Wissensbeständen im metaphorischen Ausdruck kann die Metapher im kognitionswissenschaftlichen Sinne einen Wissenszuwachs herbeiführen (vgl. Jost 2007: 329). D. h., sie schafft neue konzeptuelle Relationen und Strukturen, aktiviert zusätzlich konzeptuelles Wissen oder konvertiert implizites Wissen zu explizitem.150 Dieses Phänomen wird in Bezug auf die Metapherntheorie durch den Begriff der Emergenz erfasst. Er bezieht sich auf konzeptuelle Merkmale der Äußerungsbedeutung, die von Rezipienten im Sprachprozess durch elaborative Inferenzen konstruiert werden. Sie sind emergent, weil sie weder Teil der kombinierten Wortbedeutungen noch der an sie gekoppelten Konzepte sind. Beim Textverstehen sind diese Merkmale außerdem emergent gegenüber den semantischen Informationen der Textbasis. (Skirl 2009: 174)

Anknüpfend an die Ausführungen zum literarischen Wissen kann resümiert werden, dass Metaphern einerseits wesentlichen Einfluss auf die Konfiguration von Wissen in Texten haben151 und dieses in spezifischer Weise rhetorisch ‚gestalten‘ können. An-

148 Die Grundlagen des Konzepts gehen zurück auf Fauconnier, Gilles; Turner, Mark (2003): The Way We Think. Conceptual Blending and the Mind’s Hidden Complexities. New York, NY: Basic Books, sind dort aber weniger präzise ausgeführt. Zur Kritik an der Bledingtheorie siehe Skirl (2009: 76–77). 149 Problematisch ist – wie grundsätzlich im Bereich der Kognitionswissenschaften –, dass deren Theorie insofern unhintergehbar ist, als alle Phänomene auf Kognition zurückgeführt werden (vgl. Eder 2007). Gerade die ist aber empirisch noch zu wenig ‚beobachtbar‘. 150 Vgl. Rickheit et al. (2002: 72), Löbner (2003: 311), Auer/Sturz (2007: 130), Skirl/Schwarz-Friesel (2007: 61–62), Kurz (2009: 17) und Skirl (2009: 30). Siehe außerdem Elgin, Catherine Z. (2002): Creation as Reconfiguration: Art in the Advancement of Science. In: International Studies in the Philosophy of Science, Jg. 16, H. 1, S. 13–25. 151 Diese Leistung können auch abstrakte semantische Räume als Isotopie-Ebene in einem Text erbringen, indem sie Äquivalenzrelationen zwischen Paradigmen herstellen. Es kommt zu komplexen

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Theoretische Grundlagen

dererseits führt diese Gestaltungsleistung zur Rekonfiguration von Wissensmengen, die in der Emergenz neuer Konzepte oder Relationen zwischen bestehenden Konzepten resultieren kann. Während diese kognitionswissenschaftlich – und auch Vogls Poetologie des Wissens argumentiert ähnlich – bereits als Wissen bezeichnet werden könnte, so scheint es angemessener das emergente Phänomen zunächst als Wissensanspruch zu deklarieren. Die kulturelle Bedeutsamkeit emergenten metaphorischen ‚Wissens‘ dürfte indes jedoch darin begründet sein, dass es neue Deutungsmuster zur Verfügung stellt, deren tatsächliche Rechtfertigung wissenssoziologisch betrachtet weit weniger relevant ist, als ihre wirklichkeitskonstitutiver Charakter.

2.3.5 Zusammenfassung

Ausgehend von einer je nach Perspektive ergänzbaren Rumpfdefinition von Wissen als einem kognitiven Konstrukt, welches grundsätzlich in Zeichenform objektivierbar und kommunizierbar ist und zu seiner Repräsentation einer medialen Basis bzw. einer semiotischen Repräsentationsform bedarf, wurde im vorliegenden Kapitel erörtert, ob ein solcher Wissensbegriff textanalytisch anwendungsfähig ist. Eine kritische Abwägung verschiedener Positionen erbrachte das Ergebnis, dass sich durchaus von Wissen in Literatur sprechen lässt, wenn damit semiotisch repräsentierte152 mentale Kategorien, Konzepte und Skripte (Wissenseinheiten) gemeint sind. Deren systematische Beziehung wird durch ihre Kombination in expliziten oder durch regelgeleitete Interpretation gewonnenen, impliziten Propositionen etabliert. Durch methodisch reguliertes Hinzuziehen textexterner Quellen können diese Propositionen für eine Textanalyse genauer im Hinblick auf ihren epistemischen Modus, ihre Geltungsansprüche sowie ihre (sozial-)räumliche und zeitliche Herkunft (Epoche) differenziert und qualifiziert werden153 : 1. Wissensanspruch: eine in Wissenseinheiten zerlegbare (a) vom Text und (Teilen) seiner Kultur (zur Entstehungszeit des Textes) für wahr gehaltene Proposition154 , die sich (zu dieser Zeit) auf einen gegebenen Sachverhalt bezieht, dessen Wahrheitsstatus (noch) nicht geklärt ist, oder die sich auf einen (noch) nicht gegebe-

Isotopien durch Verflechtung. Die semantischen Räume fungieren hier quasi als ‚Relais‘. Siehe grundlegend bei Rastier (1974). Für eine darauf aufbauende Analyse siehe Abschnitt 4.2.2.1 b). 152 Repräsentation wird hier als Vergegenwärtigung/Wiederpräsentmachen bzw. semiotisch als Bedeutungsfunktion eines (komplexen) Zeichens verstanden (vgl. Werber 2003). 153 Die hier im Folgenden entwickelte Terminologie entlehne ich aus Titzmann (1989). Titzmanns Ansatz wird hier modifiziert, wodurch sich eine ‚Ebenenverlagerung‘ der Begriffe ergibt. 154 Für wahr gehaltene Propositionen können auch nur gruppen- oder kulturspezifische Gültigkeit besitzen oder sich ex post insgesamt als ungerechtfertigt und unwahr herausstellen. Ersteres kann und muss berücksichtigt werden. Letzteres ist schlechterdings bei gegenwärtig für wahr gehaltenen Propositionen nicht möglich.

Literatur und Wissen

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nen Sachverhalt bezieht, sodass ihr Wahrheitsstatus (noch) nicht geklärt werden kann. Oder (b) vom Text als wahr gesetzte Proposition. 2. Wissenselement: eine in Wissenseinheiten zerlegbare wahre Proposition 3. Wissensmenge: systematisch aufeinander bezogene Menge von Wissenselementen 4. Hypothesenmenge: systematisch aufeinander bezogene Menge von Wissensansprüchen 5. Hybridwissen: systematisch aufeinander bezogene Menge von Wissenselementen und Wissensansprüchen (siehe Abschnitt 4.2.3.3) 6. Wissenssystem: systematisch aufeinander bezogene Wissens- und Hypothesenmengen 7. Denkstruktur: „Gesamtmenge der diskursspezifischen und der diskursunspezifischen epistemologischen Basisannahmen“ (Titzmann 1989: 55) 8. Denksystem: Wissenssystem und Denkstruktur 9. Kulturelles Wissen: Wissenssystem, das sich auf eine räumlich und zeitlich zu spezifizierende ‚Kultur‘ (hier totalitätsorientiert als whole way of life verstanden) im materialen, sozialen und mentalen Sinne bezieht155 10. Naturwissenschaftliches Wissen: Wissenssystem, das aus dem System der Naturwissenschaften stammende (dort und nach deren Regeln generierte) Wissensund Hypothesenmengen umfasst, die sich auf Eigenschaften der belebten und unbelebten Natur beziehen. Sobald man die Frage nach dem Wissen in Literatur theoriespezifisch differenziert, lassen sich eine Reihe von Phänomenen mit einem jeweils individuell perspektivierten Wissensbegriff zufriedenstellend beschreiben. Ein so gefasster Wissensbegriff ist für verschiedene textanalytische Verfahren anschlussfähig und kann im Folgenden methodologisch operationalisiert werden.

155 Durch diese Definition wird eine Präzisierung von Titzmanns Begriff des kulturellen Wissens angestrebt, der dieses als die „Gesamtmenge aller von den Mitgliedern einer Kultur, das heißt einer bestimmten Zeitphase Ti (z. B. etwa einer Epoche) in einem bestimmten Raum Rj (z. B. deutsches Sprachgebiet und/oder Europa), für wahr gehaltenen Propositionen“ definiert (Titzmann 2006: 74, Hervorhebungen im Original). Die oben entwickelte Terminologie versucht, eine analytische Trennung zwischen der genetischen Herkunft von Wissens- und Hypothesenmengen zu ermöglichen. Die durch meinen Begriff (hier: attributiver Gebrauch von ‚kulturell‘) analytisch geschiedenen Wissensund Hypothesenmengen lassen sich unter dem Wissen einer Kultur zusammenfassen, die dann jeweils exakt benannt und qualifiziert werden können und müssen, so z. B. ‚naturwissenschaftliches Wissen‘.

3 Methodischer Zugang Die bisherigen Ausführungen konnten zeigen, dass sich die Forschung im Bereich Literatur und Wissen(schaften) aus Ansätzen unterschiedlicher Disziplinen speist. Bei der Zusammenstellung der Analyse-Instrumente ist also zu berücksichtigen, dass je nach Perspektive verschiedene Zugangsweisen denkbar sind: Rein textuelle auf der einen, ausschließlich transtextuelle bzw. kontextualisierende auf der anderen Seite (vgl. Neumann/Nünning 2006: 4–5).1 Im Rahmen dieser Studie wird eine Abbildung des Kontextes auf den Text erforderlich sein, d. h. sie aufeinander zu beziehen, ohne sie voreilig kurzzuschließen. Dazu wurden mögliche Konzeptualisierungen der Interaktion von Texten mit textexternen Wissensbeständen bereits erörtert. Das Verfahren der Rekonstruktion von Wissen aus den literarischen Texten muss aufgrund der bisher aufgeworfenen Probleme methodisch gesteuert und verfügbare literaturwissenschaftliche Instrumente dergestalt justiert werden, dass sie das transformierende und wirklichkeitskonstruktive Potenzial der Literatur zu erfassen vermögen. Da Wissen einer medialen Basis sowie einer semiotischen Repräsentationsform bedarf, wird die Analyse der Texte selbst von zentraler Bedeutung sein. Genuin transtextuell ausgerichtete bzw. kontextorientierte Ansätze sind methodisch hier nur dann von Bedeutung, wenn sie helfen können, die Text-Kontext-Interaktion gezielt analytisch zu erfassen.2 Überdies bedürfen Methoden wie die Diskursanalyse ohnehin einer textanalytischen Grundlage für ihre kontextualisierenden Interpretationsansätze.3 Sie müssen daher durch einen grundständigen textanalytischen Zugang untermauert und können anschließend als perspektivierende Fragestellungen fruchtbar gemacht werden. Das größte Potenzial haben diesbezüglich semiotisch fundierte literaturwissenschaftliche Ansätze, vor allem die mikrostrukturell orientierte strukturale Textanalyse (Titzmann 1993; Krah 2006) und die makrostrukturell ausgerichtete strukturale Erzähltheorie (Martinez/Scheffel 2003; Renner 2004).4 Diese Ansätze erlauben es zu-

1 Jahraus (2004: 237–238) entwirft eine Typologie von Methoden, in der sich jeweils die Extreme Text vs. Kontext, sowie Leser vs. Autor gegenüberstehen und der Analyseschwerpunkt dabei entweder dem Text oder dem Kontext, der Rezeptionsseite oder der Produktionsseite gilt. 2 Die meisten der in Abschnitt 2.3.2 diskutierten Ansätze verstehen sich gleichermaßen als Theorie der Text-Kontext-Interaktion wie auch als Methode der Textinterpretation. Die oben formulierte Einschränkung zielt darauf ab, diese Ansätze nur zur Konzeptualisierung der Text-Kontext-Interaktion heranzuziehen, ihre methodologischen Komponenten jedoch nicht anzuwenden, sondern mehr als Heuristik zu begreifen. 3 Von einer Interdiskurs-/Kollektivsymbolikanalyse nach Link wird hier abgesehen, da diese „nicht bloß einzelne Diskurse, sondern die Gesamtheit der Diskurse einer Kultur“ im Blick hat (Link 1984: 65), was für die vorliegende Studie zu weit gefasst wäre. 4 Für eine grundlegende Einführung in die Beschreibungskategorien strukturaler Text- und Erzählanalyse siehe Saussure (1975), Jakobson (1979), Lotman (1993), Titzmann (1993), Brackert/Stückrath (2001), Martinez/Scheffel (2003), Renner (2004), Krah (2006) und Krah/Titzmann (2006).

Methodischer Zugang

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nächst, mögliche Analyseebenen von Erzähltexten zu unterscheiden, sodass eine Differenzierung von mikrostruktureller Ebene und Textmakrostruktur möglich wird: In Erzähltexten lassen sich demzufolge im Anschluss an Todorov5 eine Ebene der Darstellung (Discours: Wie wird erzählt?) und eine Ebene des Dargestellten (Histoire: Was wird erzählt?) unterscheiden (vgl. Martinez/Scheffel 2003: 20–26; Krah 2006: 286– 288). Der Discours umfasst den „gesamten Bereich der literarischen Vermittlung eines Geschehens“ (Martinez/Scheffel 2003: 23). Hierzu zählen etwa die Reihenfolge der erzählten Ereignisse, das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit sowie die Erzählsituation. Die Histoire bezeichnet hingegen nicht nur die erzählte Geschichte, sondern das „umfassende Kontinuum der erzählten Welt, innerhalb dessen das Geschehen stattfindet“ (ibid.). Neben der eigentlichen Handlung, ihrer Struktur und Motivierung rücken daher auch die Ordnung der dargestellten Welt (Diegese) selber sowie die die Handlung tragenden Figuren in den Fokus der Aufmerksamkeit. Diese Ebene des Dargestellten lässt sich dabei noch weiter in Makrostruktur und Mikrostruktur differenzieren. Während zur ersteren die narrativen Strukturen, d. h. Handlungskonstellation, Themen, Motive, Topoi, Raumsemantik und Figurenkonzeptionen zählen, umfasst letztere das System der propositionalen Textaussagen und die semiotische Ebene der Bedeutungskonstitution selbst (vgl. Jahraus 2004: 350– 357). Das Beschreibungsinventar struktural-semiotischer Analyseverfahren6 erlaubt es, Wissen auf dieser mikrostrukturellen Ebene der Bedeutungskonstitution in Form von Propositionen, Kategorien und Konzepten zu lokalisieren und für die weitere Analyse zu isolieren. Die eigentliche „strukturalistische Tätigkeit“ (Barthes 1966) besteht nun darin, den Vorgang der Textgenese umzukehren, also ihn zunächst zu zerlegen (Segmentierung). Die syntagmatische Ordnung des Textes wird hierbei aufgebrochen. Im Anschluss muss dann gefragt werden, welche Elemente der Text auf welcher Ebene, warum und wie in Bezug gesetzt hat und welche Textbedeutung sich dadurch ergibt. Rekonstruiert wird also, welcher logisch-semantischen Kategorien (Paradigmen) und welcher Wissensmengen sich der Text bedient, wie er sie in Beziehung gesetzt hat und wie hierdurch welche Bedeutung mit welcher textspezifischen Funktion erzeugt wird. Kern dieses Rekonstruktionsverfahrens ist es, in Bezug auf eine spezifische Fragestellung die Menge von Bedeutungen des Textes zu ermitteln. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die semiotischen und semantischen Verfahren und Relationen der Mikrostruktur des Textes auch in der Makrostruktur des Textes in Form sogenannter semantischer Räume abbilden. Diese stellen jeweils eine Menge semantischer Merkmale dar, die „einen spezifischen Merkmalskomplex [bildet], der in Opposition zu anderen semantischen Räu5 Todorov, Tzvetan (1966): Les catégories du récit littéraire. In: Communications, Jg. 8, S. 125–151. 6 Siehe ausführlich bei Titzmann (1993). Einführend in die Terminologie und Analysebeispiel auch: Titzmann, Michael (1981): Zum Verfahren der strukturalen Textanalyse am Beispiel eines diskursiven Textes. In: Analyse & Kritik, Jg. 3, H. 1, S. 64–92.

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men, zu anderen Mengen steht“ (Krah 2006a: 296). Hierdurch ergeben sich textspezifische Konstellationen von topologischen Räumen und Gegenräumen – die Ordnung der dargestellten Welt –, die eine quasi-ideologische Funktion hat: Indem die Texte z. B. ihre Figuren die Grenzen solcher semantischer Räume verletzten lassen (etwa der Hermaphrodit als Verletzung der Ordnungskategorien ‹Mann› vs. ‹Frau›), inszenieren sie Ordnungsverletzungen, deren Handhabung im Text Rückschlüsse auf die Werte und Normen des Textes sowie (über ein größeres Korpus hinweg) Mentalitäten der Kultur des Textes erlaubt (vgl. Lotman 1993: 329–340; Krah 2006a: 316–317). In Form von Ordnungs- und Deutungsmustern kann Wissen also auch auf der makrostrukturellen Ebene von Bedeutung sein.7 Weiterhin kann die Einbeziehung textexternen Wissens (Implikaturen) und die Rekonstruktion von Wissensansprüchen und Inferenzen durch Interpretationsregeln der strukturalen Textanalyse (vgl. Titzmann 1993) intersubjektiv nachvollziehbar gestaltet werden.8 Hierzu wurden jüngst auch intertextualitätstheoretische Ansätze fruchtbar gemacht, um die Bezugnahme durch „Indikatoren“ zu untermauern (Anz 2002: 334–340). Als harte Indikatoren bezeichnet Anz explizite Bezugnahmen auf Prätexte und Kontexte sowie Termini und literarische Figuren als Repräsentanten von Wissensbeständen. Unter den weichen Indikatoren figurieren hingegen interpretationsbedürftige narrative Strukturen (Figurenkonstellationen, semantische Strukturen etc.).9 Ausgehend von den Überlegungen zur Text-Kontext-Interaktion kann dieser textzentrierte Zugang nach der Rekonstruktion der Mikrostruktur also um eine kontextualisierende Perspektive erweitert werden. Kulturwissenschaftliche Ansätze streben dazu eine Verbindung einzelner Theorie- bzw. Methodenkomponenten an (Neumeyer 2004). Im Rahmen der Studie sollen diese weniger als Methoden im Sinne eigenständiger Analyseverfahren, sondern mehr im Sinne von komplementären Fragestellungen fruchtbar gemacht werden. Da diese Impulse größtenteils mikrostrukturell orientiert sind, können sie die strukturale Textanalyse insbesondere bei der Rekonstruktion des Systems der propositionalen Textaussagen sinnvoll

7 Ziel dieser Vorgehensweise ist es, ein abstraktes (idealisiertes) Textmodell zu generieren, das widerspruchs- und wertungsfrei, überprüfbar und intersubjektiv nachvollziehbar ist (vgl. Titzmann 1993, 2010). 8 Entgegen allgemeinen Missverständnissen schließt die strukturale Textanalyse sich weder hermetisch gegen den Kontext ab, noch verfährt sie ahistorisch: Die Praxis struktural-semiotischer Textanalyse zielt gerade auf eine historisch-kulturelle Kontextualisierung der Interpretation ab. Gerade in Bezug auf die Rekonstruktion von Konzepten, Frames und metaphorischen Projektionen (generic und blended space) muss zudem regelbar sein, welche Inhalte vorausgesetzt werden dürfen. Dies lässt sich analog zur Interpretation von Denotation (Kernbedeutung) und kontextuell bedingten, objektiven Konnotationen (vgl. Krah 2006: 55–57) entschärfen: Vorausgesetzt werden dürfen nur durch den Text etablierte sowie allgemein denotierte und objektiv konnotierte Merkmale (Variablen und Ausprägungen). 9 Ähnlich auch bei Maillard/Titzmann (2002: 21–32). Siehe auch Abschnitt 2.3.2.4.

Methodischer Zugang

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ergänzen. Dies gilt auch für das kognitionswissenschaftlich-linguistische Instrumentarium, welches die Möglichkeit einer detaillierten Beschreibung der Dynamik und Interaktion von Wissensmengen sowie deren textspezifischer Funktion eröffnet. Als problematisch für die Rekonstruktion eines Wissenssystems hatte sich erwiesen, dass Wissen durch die Einbindung in einen literarischen Text mitunter in struktureller, formaler, semantischer oder funktionaler Hinsicht transformiert bzw. zum Aufbau emergenter Strukturen funktionalisiert wird. Dieses Problem lässt sich mittels der strukturalen Textanalyse und Erzähltheorie entschärfen, da diese gerade auf die Rekonstruktion von Bedeutung (Propositionen, Paradigmen) und darauf basierenden Welt-/Deutungsmodellen abstellen. D. h., es lässt sich auch implizites Wissen aus im Text verstreuten Fragmenten rekonstruieren. Im Anschluss daran – das hatte auch Köppe bereits gefordert – müssen die so ermittelten Wissensansprüche durch den Abgleich mit textexternen Quellen ohnehin genauer qualifiziert (epistemischer Modus, Wahrheit, Rechtfertigung, Struktur, Kontext) und dann in ihrer jeweils textspezifischen Funktion genau beschrieben werden. Die Beschreibung des Transformationsprozesses als solches muss derweil als ein wünschenswertes Ergebnis der Analyse gelten, die auf Aspekte der Funktions- und Bedeutungstransformation bzw. deren Techniken, Strategien und Funktionen explizit eingehen wird. Die Analyse der Funktionalisierung von Wissen zum Zwecke der Konstruktion von ‹Leben› wird im Folgenden also einerseits möglich sein durch eine Untersuchung von funktionalen Variationen des Discours (4.2.2.2), sowie andererseits und insbesondere durch die Inbezugsetzung der Analyseergebnisse zu Wissensbeständen und deren Transformation mit der mikro- und makrostrukturellen Ebene der Histoire (4.2.2.1 und 4.4) sowie den durch sie etablierten narrativen Strukturen. Ausgehend von einzeltextinternen Welt- und Lebensmodellen können Textmodelle (Text als Ganzes) und schließlich Systemmodelle (Menge von Texten) in Bezug auf ihren Lebensbegriff (4.3.5) abstrahiert und beschrieben werden.

4 Textanalytischer Teil Nach der Klärung der theoretischen und methodischen Prämissen gliedert sich der textanalytische Teil nun in einen Großabschnitt zum Thema „Wissen“ (2.2) und einen Großabschnitt zum Thema „Leben“ (4.3), die am Ende des textanalytischen Teils in einer Synthese (4.4) zusammengeführt werden, um die Frage beantworten zu können, wie naturwissenschaftliches Wissen zur Konturierung eines Lebensbegriffs in den Texten funktionalisiert wird. Im ersten Teil wird es vor allem darum gehen, Wissensmengen in den Texten zu lokalisieren, zu rekonstruieren, zu qualifizieren und damit Einblicke in das von den Texten jeweils spezifisch konfigurierte Wissenssystem zu gewinnen (4.2.1). Davon ausgehend, dass Wissen zu seiner textuellen Manifestation auf semiotische Repräsentationsformen angewiesen ist, wird im Anschluss beschrieben, auf welchen Textebenen und auf welche Weise die Wissensmengen repräsentiert werden (4.2.2). Hierdurch wird erkennbar, dass die Bezugnahme auf Wissensmengen in der der logisch-semantischen Tiefenstruktur der Texte funktionalisiert wird und dort komplexe Prozesse der Wissensgestaltung wie der Aktualisierung, Transformation, Analogisierung, Extrapolation und Hybridisierung bedingt (4.2.3). Noch einen Schritt weiter gehend können schließlich Tendenzen im Sinne von Denkstrukturen abstrahiert werden, in denen sich gesellschaftlich-kulturelle Regeln des Deutens, d. h. diskursunspezifische, quasi epistemologische Basisannahmen z. B. anhand von Deutungsmustern verdeutlichen lassen (4.2.4). Im zweiten Teil erfolgt dann eine Analyse der Texte im Hinblick auf das Phänomen ‹Leben›. Dabei wird unterschieden zwischen einem quasi anthropologischen Lebensmodell einerseits und konkreten Verhandlungen eines mehr oder weniger abstrakten, allgemeinen Lebensbegriffs. Zunächst werden dazu Strukturierung des Lebenslaufs durch Altersklassen umrissen (4.3.2). An diese anschließend lassen sich sodann Lebensphasen aus den Texten rekonstruieren, die kulturelle Basispostulate, Normen und Werte in Bezug auf individuelle und kollektive Modellierungen des Lebensprozesses, d. h. Lebensphasen, Altersklassen, Merkmale und Verhaltensweisen, Lebensformen, Lebensstile, Übergänge und Wendepunkte, widerspiegeln (4.3.3). Eine kleinere Zahl von Texten setzt sich auch explizit mit dem Lebensbegriff im naturwissenschaftlichen Sinne (zoë) auseinander, sodass sich einerseits kontextuelle Semantiken eines gegenwärtigen Lebensbegriffs skizzieren lassen (4.3.5) und andererseits ein Wissensobjekt ‹Leben› konturierbar wird (4.4). Zwischen diesen beiden Zugängen zu ‹Leben› vermitteln Parameter wie Natur- und Menschenbilder, metaphysische Grundannahmen, Körperlichkeit und Sexualität, die in der literarischen Anthropologie von zentraler Bedeutung sind, und die ohne ihre gesellschaftlichen bzw. insbesondere diskursiven und wissenschaftlichen Voraussetzungen kaum verstanden werden können (4.3.4). Dabei deutet sich an, dass diese Parameter als Elemente von Lebensmodellen problematisiert und nicht mehr als selbstverständlicher

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Teil derselben gesehen werden. Sie stehen damit in einem dialektischen Spannungsfeld von bíos und zoë und markieren einen sich wandelnden Lebensbegriff. Da es der vorliegenden Studie darum geht, Regularitäten zu abstrahieren und dadurch den Grundstein für weitere Forschung und diachrone Vergleiche zu legen, werden im Folgenden zunächst die Kriterien erläutert, nach denen die analysierten Texte ausgewählt wurden.

4.1 Kriterien der Textauswahl Um spezifische Muster im Sinne eines Literatursystems1 rekonstruieren und beschreiben zu können, muss ein möglichst repräsentatives Korpus modellbildender Referenztexte zugrunde gelegt werden. Ein solches Korpus würde idealiter die Gesamtmenge aller Texte eines Zeitraums umfassen, d. h. die Grundgesamtheit.2 Im statistischen Sinne repräsentativ wäre es auch, eine Zufallsauswahl aus der Grundgesamtheit zu treffen und dann unter einer Fragestellung zu betrachten. Die Problematik solcher Auswahlverfahren für literaturwissenschaftliche Zwecke liegt auf der Hand. Die umgekehrte Vorgehensweise besteht darin, zunächst eine Fragestellung zu generieren und hierdurch die Menge relevanter Texte a priori zu beschränken. Das wiederum bringt ebenfalls Schwierigkeiten mit sich: Zum einen setzt eine solche Auswahl (zumindest theoretisch) ein Aufarbeiten der Grundgesamtheit voraus, um dann nach der Fragestellung auswählen zu können. Gemessen an den Maßstäben eines sozialwissenschaftlichen Verständnisses von Repräsentativität liefert ein solches Vorgehen zum anderen strenggenommen nur Ergebnisse mit hypothetischem Wert. Die Textauswahl verfährt aus ersichtlichen, forschungspragmatischen Gründen dennoch nach dieser zuletzt beschriebenen Methode, wurde jedoch erheblich durch formale und inhaltliche Kriterien gestützt.

4.1.1 Formale Kriterien

Grundsätzlich relevant waren alle zwischen 1996 und 2007 neu erschienenen deutschsprachigen Erzähltexte aller Genres. Da sich die Fragestellung der Studie nicht auf eine bestimmte Naturwissenschaft beschränkt, war es nicht möglich, eine Zäsur vorzunehmen, die in allen diesen Wissenschaften von Bedeutung gewesen wäre.

1 Das ist die „Abstraktion über eine Menge von Systemen, nämlich den interpretierten Texten eines repräsentativen Korpus eines raumzeitlichen Segments [. . . ] und zwar die Gesamtmenge der Regularitäten, die für die Texte dieses Systems gelten“ (Titzmann 1991: 416, Hervorhebung im Original). Darunter fallen beispielsweise Gattungsregeln, Erzähl- und Sprechsituation, Symbolsysteme, Empfindungs, Denk-, Argumentations- und Verbalisierungsstrukturen etc. 2 Zu den folgenden Ausführungen vgl. Titzmann (1983: 115–121).

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Auch politisch-historische Daten waren dazu ungeeignet. Der Zeitraum wurde daher pragmatisch gewählt. Der Hintergrund dieser Setzung ist allerdings der verstärkt molekularbiologisch-genetische Lebensdiskurs, der sich gegen Ende des 20. Jh. entfaltet (vgl. z. B. Faulstich 2002). Insbesondere die Geburt des Klonschafs Dolly (1996) und die Sequenzierung des menschlichen Genoms am 6. April 2000 durch Craig Venterhaben zusätzliche Diskurse (Biologie, Soziologie, Ethik) und literarische Auseinandersetzungen mit Wissenschaft im Allgemeinen provoziert. Um das Korpus trotz inhaltlicher Vorauswahl so repräsentativ wie möglich zu gestalten, galten – sofern auf Basis der ermittelten Texte anwendbar – als formale Auswahlkriterien: die Gleichverteilung der analysierten Texte über den Erhebungszeitraum, die Gleichberechtigung etablierter und neuer Autorinnen und Autoren, die Gleichberechtigung weiblicher Autorinnen und männlicher Autoren und die Gleichverteilung über Generationen von Autorinnen und Autoren.

4.1.2 Inhaltliche Kriterien

Während die Texte den Lebensbegriff immer implizit verhandeln (siehe Abschnitt 4.3), wird wissenschaftliches Wissen nicht standardmäßig repräsentiert.3 Somit stellen die inhaltlichen Kriterien vor allem darauf ab, den thematischen Fokus im Hinblick auf die Relevanz wissenschaftlichen Wissens in den Texten zu justieren. Dazu zählt in erster Linie die erkennbare Repräsentation wissenschaftlichen Wissens. Der Repräsentationsbegriff wird dabei weitestgehend im Sinne von Niels Werber (2003) gebraucht. Hiernach bezeichnet dieser die Vergegenwärtigung oder das Wieder-präsentmachen von bzw. die zeichenhafte Bezugnahme auf etwas.4 Da intertextuelle bzw. interdiskursive Bezugnahmen5 literarischer Texte auf wissenschaftliche Texte und Diskurse ‚markiert‘ oder ‚unmarkiert‘ sein können, werden nur solche Texte herangezogen, die wissenschaftliches Wissen bereits durch Indikatoren in ihrer lexikalischen Oberflächenstruktur repräsentieren. Da dies in zahlreichen Texten der Fall ist, muss weiterhin unterschieden werden, ob die repräsentierten Wissensmengen handlungsrelevant (Vollstufe) sind bzw. narrativ funktionalisiert (Potenzierungsstufe) werden: Die Wissensmengen sollen wenigstens handlungsrelevant (wie im Genre des Wissenschaftsthrillers) und bestenfalls semantisch relevant (sujethaft6 ) sein.

3 Dass aus sich aus jedem Text bestimmte Naturgesetzte (z. B. Schwerkraft) ableiten lassen, ist für die Studie noch nicht ausreichend. 4 Vor dem Hintergrund postmoderner Theoriebildung kann die Repräsentation Wirkliches, Mögliches oder auch Unmögliches zwar abbilden, sie ist jedoch nie das Repräsentierte selbst (Matisse-Paradox). Von Bedeutung ist hier ein identischer Begriffsinhalt (in Bezug auf ‚Wissenschaft‘). 5 Zur Einführung siehe Helbig (1996). 6 Damit sind Grenzüberschreitungen von Figuren (vgl. Lotman 1993) gemeint, die nicht nur topografische, sondern auch topologisch-semantische Grenzen verletzen (klassifikatorische Grenzen). Die

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4.1.3 Problemkategorie Genre

Die folgenden Anmerkungen zum Genrebegriff erscheinen aus recherchepraktischen Gründen notwendig. Die Textrecherche in großen Onlinedatenbanken und bei Onlinebuchhändlern lässt sich nur durch das Ansprechen von Genrekategorien in adäquater Weise bewältigen. Der Genrebegriff könnte also potenziell zur Eingrenzung der Grundgesamtheit der Texte beitragen. Allerdings ist der Genrebegriff nicht klar definiert und wird zudem auch synonym mit dem Gattungsbegriff verwendet.7 Zwar soll die Analyse gerade nicht genrespezifisch verfahren, jedoch sind einige Genres im Sinne der gewählten Fragestellung ertragreicher als andere. Die Recherche musste so die Genres Science-Fiction, Universitätsroman/Campus Novel8 , Gelehrtenroman9 , wissenschaftlicher Krimi/Thriller, Fantastik, postmoderner bzw. Zeit(geist)roman verstärkt berücksichtigen. Die Thematisierung von Wissenschaft in der Literatur wird heute oft pauschal diesen Genres zugeschlagen. Hierdurch ergibt sich folgende Konstellation: Die Handlungsstruktur der einzelnen Genres ist potenziell problematisch. Das rührt daher, dass unterschiedliche Genres jeweils andere Erwartungen ansprechen. Sie unterliegen genrespezifischen Konventionen, die zu analytischen Verzerrungen führen können. Wenn z. B. ein Fantasytext Magie als Wissenschaft setzt, so ist der Begriff ‚Wissenschaft‘ nominell zwar derselbe, sein Inhalt müsste aber erst rekonstruiert werden. Marianne Wünsch (1991: 23) führt zum Zwecke einer besseren Unterscheidung den Begriff der Realitätskompatibilität ein, um eine Abgrenzung von (dort: fantastischen) Genres vorzunehmen. Peter Blume (2004) definiert unter Bezugnahme auf Wünsch realistischfiktionale Diskurse als Diskurse, „die auf Fiktionen beruhen, denen innerhalb der Konzeptsysteme der Diskursteilnehmer nur zufällig der Status des Nichtseins zugeschrieben wird“, wohingegen fantastisch-fiktionale Diskurse auf solchen Fiktionen beruhen, „denen innerhalb des Konzeptsystems der Diskursteilnehmer notwendig der Status des Nichtseins zugeschrieben wird“ (ibid.: 142). Zur Operationalisierung des Begriffes der Realitätskompatibilität lohnt sich ein Exkurs in die Possible Worlds

Argumentationsfigur der ‚Zwei Kulturen‘ wird hier nicht durch die Hintertür wieder eingeführt, da die überragende Mehrheit der ermittelten Texte dieses Argumentationsmuster 1. nicht funktionalisiert und die Ordnungsparadigmen der Texte 2. anders konzipiert sind. 7 Zu dieser Problematik sei auf Zymner (2003: 132) verwiesen. Eine umfassende Betrachtung einzelner Genres bietet Nourissier (1997). 8 Stachowicz (2001) unterscheidet drei Hauptformen des Universitätsromans: Universitätsromane (im engeren Sinne), fiktionale Erzähltexte über das wissenschaftliche Milieu sowie satirische und parodistische Texte. 9 Der sogenannte Gelehrtenroman wurde von einem wissenschaftlichen Autor verfasst. Siehe hierzu Dietrich (2003).

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Theory (PWT)10 , denn sie liefert einen brauchbaren Kriterienkatalog, an dem sich die Textauswahl orientieren konnte. Die PWT geht davon aus (vgl. Surkamp 2002: 154–156), dass neben der tatsächlichen Welt (actual world, AW) eine nicht-aktualisierte bzw. virtuelle Welt (possible world, PW) ‚existiert‘. Die AW ist dabei lediglich privilegierte Welt eines Sets von möglichen Welten. Die AW steht weiterhin in einer bestimmten Zugangsrelation (accessibility relation) zu jenen alternativen Welten, worunter auch textuelle (textual worlds, TW) fallen. Von zentraler Bedeutung für die Textauswahl ist nun der Anwendungsbereich der Gattungstheorie: Während Maitre (1983: 79–81) vier Typen narrativer Texte postuliert, die sich durch zunehmende Distanz zwischen AW und TW auszeichnen, entwirft Ryan (1991a, 1991b) eine graduelle Skalierung von Genreklassifizierungen: Je größer die Zahl der Zugangsrelationen, desto geringer ist die Distanz zwischen der Textwelt und der tatsächlichen Welt. In Anlehnung an Ryan sind für eine kompatible Beziehung von Textsystem und unserem Realitäts- bzw. Konzeptsystem folgende11 Dimensionen Voraussetzung: 1. Logische Kompatibilität: selbe Ursache hat selbe Wirkung 2. Physikalische Kompatibilität: identische Naturgesetze 3. Begriffliche Kompatibilität: identische Begriffsinhalte 4. Identität des Inventars: humanoide Figuren 5. Identität der Eigenschaften: realitätskompatible Objekte und Artefakte 6. Wahrscheinlichkeit der Handlung 7. Historische Kohärenz12 Zusammenfassend können aus den Anmerkungen zum Genrebegriff folgenden Einsichten gewonnen werden: Der Genrebegriff ist zur Durchführung der Recherche unabdingbar. Dabei ist vorderhand jedes Genre potenziell relevant. Einschränkungen ergeben sich durch die mehr oder weniger ausgeprägte Realitätskompatibilität einzelner Genres, namentlich der fantastischen Genres im weiteren Sinne. Gerade diesen wird aber ein großer Teil der mit Wissenschaft befassten Literatur pauschal zugeschlagen. Eine befriedigende Abgrenzung dieser Genres ist hier unmöglich. Das

10 Grundlegende Gedanken hierzu finden sich bei Pavel (1986) und Dolelžel (1998). 11 Die Dimension der temporalen Kompatibilität wurde hier bewusst vernachlässigt: Zwar hebelt Science-Fiction im engeren Sinne diese regelmäßig aus. Solange jedoch die anderen Dimensionen gewahrt bleiben, ist die temporale Lokalisierung für die Zugänglichkeit mehr oder weniger irrelevant. D. h., die Logik der Konstruktion (Kohärenz) ist von größerer Bedeutung als der Inhalt der Konstruktion (vgl. Ronen 1994: 198). Wenn Raumfahrt oder Aliens Teil der dargestellten Welt sind, kann diese Dimension allerdings durchaus relevant werden. Gerade in letzterem Fall greifen aber auch weitere Kriterien. Ryan (1991b: 43–44) führt außerdem den Begriff des ‚thematischen Fokus‘ ein, der eine pragmatische Klassifizierung bzw. Auswahl von Texten nach Handlungsschwerpunkten erlaubt. 12 Hierdurch ist z. B. ein sogenanntes Recentering, d. h. das Setzen einer anderen als der aktuellen Welt als neue aktuelle Welt, ausgeschlossen. Siehe dazu vor allem Gutenberg (2000: 49–64).

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gilt vor allem für das Subgenre Science-Fiction.13 Von den fantastischen Genres kann durch Anwendung der Kriterien der Zugangsrelation das Subgenre Fantasy von vornherein ausgeschlossen werden (Fantasieuniversen etc.). Das gilt ebenso für die Fantastik im engeren Sinne (Übernatürliches).14 Texte der restlichen fantastischen Genres können nur fallweise entlang der Zugangsrelationen beurteilt werden. Das gilt verstärkt für die Science-Fiction, zumal sich hard und soft Science-Fiction sowie weitere ihrer Subgenres zwar definitorisch erfassen lassen würden, eine Umsetzung dieser Definitionen bei der Recherche aber kaum möglich wäre. Damit ist ein letztes Problem angesprochen: Der bis hierher formulierte akademische Abgrenzungsanspruch ist bei der konkreten Umsetzung kaum erfüllbar.

4.1.4 Konkrete Umsetzung

Zur Erschließung des Textkorpus wurden herangezogen: 1. Bestsellerlisten der deutschsprachigen Buchbranche (Buchreport)15 2. Listen der Nominierungen/Preisträger relevanter nationaler Literaturpreise 3. Periodische Bibliografie Der Romanführer16 4. Auskünfte der Phantastischen Bibliothek Wetzlar17 5. Onlinekatalog der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) 6. Katalog des Onlinehändlers Amazon.de Dabei ergab sich folgendes Bild: Die Bestsellerlisten, die Listen der Buchpreise und Der Romanführer lieferten sehr wenige, dafür aber einschlägige Texte. Vergleicht man nun die letzten drei Quellen, so fällt die Phantastische Bibliothek Wetzlar zunächst dadurch positiv auf, dass 100 % der Neuerscheinungen der fantastischen Genres erschlossen werden. Leider verfügte die Bibliothek zum Zeitpunkt der Recherchen über keinen elektronischen oder Schlagwortkatalog, weshalb von einer Sichtung des Bestands abgesehen wurde. Dies darüber hinaus auch deshalb, weil gerade solche Texte aufgenommen werden, die das Kriterium der Realitätskompatibilität verletzen. Die DNB erschließt hingegen nur 30 % der Neuerscheinungen und vernachlässigt standardmäßig sogenannte Trivialliteratur. Zwar ist eine gezielte Suche im Onlinekatalog durch normierte Schlagwörter und die Sachgruppen der Dewey Dezimalklassifikation (DDC) möglich, es werden aber nicht alle Texte verschlagwortet und somit auch nicht

13 Eine tentative Abgrenzung nehmen Klotz et al. (2005: 194) vor. Speziell mit Science-Fiction setzen sich Friedrich (1995) und James (2003) auseinander. 14 Zur Definition vgl. Wünsch (1991). 15 Online abrufbar unter: www.buchreport.de/bestseller.htm. 16 Hg. von Hans-Christoph Pleßke. Stuttgart: Hiersemann. 17 Siehe www.phantastik.eu.

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von der Suche erfasst. Die durchgeführte Suche im Onlinekatalog der DNB berücksichtigte verschiedene Kombinationen aus Schlagwörtern und alten wie neuen Sachgruppensystemen. Die Zahl der dort ermittelten Texte verblieb im unteren zweistelligen Bereich. Die größte Trefferquote erzielte erwartungsgemäß der Onlinekatalog von Amazon.de. Als nachteilig erwies sich hier die Ausgestaltung der Suchfunktion (Trefferbegrenzung, keine Kombination von Kriterien möglich), die nicht-standardisierte (von Nutzern vergebene tags) oder gänzlich fehlende Verschlagwortung und die nicht klar definierte Einteilung des Auffangbeckens „Belletristik“ in Kategorien. Letztere wurde zudem im Verlauf der Korpuserstellung geändert, d. h. weiter zusammengelegt und somit noch grobmaschiger. Während bei einer ersten Sondierung so tatsächlich alle anzeigbaren Erscheinungen des Untersuchungszeitraumes (technisch begrenzt) zunächst nach Titel und Cover begutachtet und dann ggf. in Detailansicht überprüft wurden, konnte nach und nach die Querverweisfunktion der Website („Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch“) zielführend genutzt werden. So ließ sich eine Liste von rund 200 oberflächlich relevant erscheinenden Texten zusammentragen. Davon wurden nach genauerer Sondierung ca. 60 Texte einer Lektüre unterzogen und ca. 40 Texte zu einem vorläufigen Korpus zusammengestellt. Für die Analyse wurden insgesamt zweiundzwanzig Texte zusammengestellt.18

4.2 Wissen 4.2.1 Wissenssystem: Differenzierung von Wissensmengen

Schon ein erster Blick auf das Analysekorpus offenbart eine Vielzahl von Wissensbezügen. Weder beschränken sich die Texte auf Wissensmengen, die der Kontextualisierung der Narration dienen, wie z. B. Genetik im Falle der Klontexte, noch bleiben die Bezugnahmen auf naturwissenschaftliches Wissen im weitesten Sinne beschränkt. Vielmehr prozessieren sie eine große Menge von naturwissenschaftlichen, ökologischen, medizinischen, philosophischen und psychologischen Diskursen oder Einzeltexten, Mythologemen und literarischen Motivstrukturen, mathematischen wie musikalischen Strukturanalogien sowie paradigmatischen Einzeltexten und Theorien. Frank Schätzings Der Schwarm und Wolfgang Jeschkes Das Cusanus Spiel markieren so rund zwanzig verschiedene Quellbereiche explizit, Bernhard

18 Dass viele der aufgenommenen Texte dem Genre der Jugendliteratur zuzurechnen sind, erschien ex ante eher problematisch, insofern hierdurch bestimmte narrative Strukturen vorgezeichnet sind. Tatsächlich erwies sich dies jedoch als Vorteil, da die Jugendtexte Modelle konstruieren, die sich wider Erwarten auch in solchen Texten finden, die nicht dem Genre der Jugendliteratur angehören. Sofern notwendig wurde die Genrespezifik dieser Texte explizit reflektiert. Die größere Zahl an Texten, die sich molekularbiologisch-genetischen Wissens bedienen, korrespondiert darüber hinaus mit der Zahl der Gesamterscheinungen ähnlicher Texte.

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Kegels Sexy Sons, Tanja Kinkels Götterdämmerung und Charlotte Kerners Blueprint immerhin zehn bis fünfzehn Bereiche und selbst scheinbar triviale Texte wie Boris von Smerceks R− evolution bedienen sich noch etwa zehn heterogener Wissens- oder Hypothesenmengen. Eine erste Unterscheidung der Texte wird dadurch möglich, dass diese nicht alle jeweils referenzierten Wissensmengen im gleichen quantitativen Umfang relevant setzen oder in der gleichen Weise funktionalisieren. Insbesondere Blueprint (Genetik) und mit einigem Abstand Thomas Lehrs Zweiundvierzig (Physik), Bernhard Kegels Wenzels Pilz (Molekularbiologie) und Der Schwarm (Synthetische Evolutionstheorie) zeichnen sich dadurch aus, dass sie viele – oder im Falle von Blueprint nahezu alle – der Wissensreferenzen auch in einem textuellen Wissenssystem in Bezug setzen und die Inbezugsetzung mitunter auch reflektieren, wie sich durch das Aufrufen heterogener Wissensordnungen im folgenden Zitat andeutet: Alles menschliche Handeln folgt [. . . ] Gesetzen, magischen, kosmischen oder mathematischen. [. . . ] Ich beachte ebenfalls diese Gesetze und komme dadurch zu neuen Ausdrucksformen. (ibid.: 16)

Auch, ob dieses Wissenssystem dann eher stark ausdifferenzierte, jedoch homogene Wissensmengen – etwa verschiedene Teildisziplinen der Physik – in Bezug setzt oder Verbindungen zwischen heterogenen Wissensmengen bzw. Wissenskulturen, wie z. B. Genetik, Psychologie, afrikanischer Mythologie und Musik, stiftet und hierdurch neue Deutungsmuster und Wissensobjekte generiert, lässt erste Strukturen in Bezug auf die Funktionalisierung von Wissen in den Texten erkennen. Die Vernetzung von Wissens- und Hypothesenmengen, deren Aktualisierung, Reflexion und Funktionalisierung in textuellen Wissenssystemen legen Techniken und Prozesse frei, die im Folgenden weiter konturiert werden sollen. Dazu gilt es zunächst, sich einen Überblick über die in den Texten relevant gesetzten Wissensmengen zu verschaffen, diese genauer zu qualifizieren und ihre Repräsentation in den Texten zu betrachten (4.2.1.1 bis 4.2.1.8). Die Darstellung der Wissensmengen dient dazu, den Bezugsrahmen zu rekonstruieren, innerhalb dessen die Texte ihre Narrationen ansiedeln. Die Reihenfolge der Wissensmengen ergibt sich dabei durch die absteigende Quantität der Bezugnahmen über das gesamte Analysekorpus. Mithilfe der Intertextualitätstheorie kann die globale Einbindung der Wissens- und Hypothesenmengen in den Texten genauer beschrieben werden. Im Anschluss kann dann präzisiert werden, wie die Wissensmengen auf der Ebene der Histoire (4.2.2.1) bzw. auf der Ebene des Discours (4.2.2.2) der Texte repräsentiert werden und welche Strategien die Texte damit verfolgen (4.2.2.3).19 Darauf

19 Aufgrund des eher abstrakten Erkenntnisinteresses ist von Beginn an eine stark raffende Abstrahierung von den Texten notwendig. Die Rückbindung an die Einzeltexte und deren individuelle Realisierung von Strukturen wird jedoch immer wieder durch exemplarische Einzelanalysen gewährleistet.

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aufbauend können Prozesse der Interaktion und Gestaltung (4.2.3) von Wissenselementen in der Mikrostruktur der Texte analysiert, in ihren Funktionen beschrieben und generelle Denkstrukturen (4.2.4) aufgedeckt werden. Verallgemeinerbare Aussagen zur Differenzierung von Wissensmengen entlang ihrer Funktionalisierung und Qualifizierung durch die Texte selbst ist erst dann möglich.20 Danach lassen sich die referenzierten Wissensmengen im zweiten Analyseteil (4.3) auf den Lebensbegriff beziehen. Im Folgenden sollen nun also die für das zugrundeliegende Textkorpus zentralen Wissensmengen genauer qualifiziert werden.

4.2.1.1 Biblisches und mythologisches Wissen Auf biblisches Wissen wird in nahezu allen, auf mythologisches21 in der überwiegenden Mehrheit der Texte Bezug genommen. Aus theoretischer Sicht ist die Qualifizierung dieser Wissensmengen insofern problematisch, als es sich dabei nicht um Wissen im engeren Sinne handeln kann. Intertextuelle Verweise beziehen sich inhaltlich auf Textkorpora, in denen eschatologische Erzählungen kodifiziert sind, die spezifische Kulturen für Wissen hielten (Mythologie) oder auch heute noch halten (Bibel, christliche Mythologie). Das ‚Wissen‘, von dem hier die Rede ist, bezieht sich also auf die Kenntnis dieser Erzählungen. Diese Wissensformen könnte man also gleichermaßen als ‚Metawissen‘22 , d. h. als Wissen darüber qualifizieren, was bestimmte Kulturen für Wissen hielten/halten. Entsprechend divergiert die weitere Qualifizierung dieser Wissensmengen: Während bestimmte Glaubensinhalte und Deutungsmuster gruppenspezifisch sind, so ist das Wissen über selbige tendenziell kollektiv geteiltes Allgemeingut – so etwa, welche Religionsgemeinschaft im Kern woran glaubt. Die Wissensmengen beinhalten Existenzbehauptungen (z. B. ‹Gott›) und Realitätsklassifikationen, die Konzepte und Ka-

20 Siehe dazu insbesondere die Abschnitte 4.2.3.1 und 4.2.4.1. 21 Als Mythos wird hier in Anlehnung an Heidmann Vischer (2000) die erzählende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten, Figuren und Namen sowie das mythische Denken und daraus resultierende Weltverhältnis, das aus diesen Erzählungen abgeleitet wird, verstanden. Eine ausführliche Erörterung und kritische Reflexion von Mythostheorien findet sich bei Herwig (2007: 34–42). 22 Eine Proposition bezüglich der Eigenschaften des Gottes Zeus etwa stellt Metawissen dar, d. h. Wissen über die Glaubenssätze der griechisch-antiken Kultur. Obwohl es sich bei diesen (von der griechisch-antiken Kultur postulierten) Zuschreibungen nicht um Wissen im epistemologischen Sinne handelt, werden sie in unserem Denksystem zumeist ‚kurzschlussartig‘ wie Wissen behandelt, also ihr sekundärer Charakter ausgeblendet. Das drückt sich in Äußerungen wie „Zeus ist der Sohn des Kronos und der Rhea“ aus, die eigentlich lauten müsste „Die Griechen glaubten, dass Zeus der Sohn des Kronos und der Rhea sei“.

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tegorien prägen, die in der kollektiven Enzyklopädie geteilt werden und damit allgemein verfügbar sind.23 Ebenso werden auch Mythologeme transformiert und durch den Kontext ihrer Rezeption mit dem Ziel aktualisiert, auf Zusammenhänge zurückzuverweisen, die gleichermaßen vergangen wie gegenwärtig und dadurch quasi-objektiv und ‚universell‘ sind (vgl. Wihelmy 2004: 67). Hierdurch stehen biblisches und mythologisches Wissen nahezu automatisch in Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Wissensmengen, was sich in narrativen und diskursiven Strategien niederschlägt: Es ist schön hier, nicht wahr? [. . . ] Wie von Gott geschaffen. Manchmal frage ich mich, ob das alles in nur sechs Tagen erschaffen wurde, wie es in der Bibel steht. (Venuspassage: 51)

Die Texte beziehen sich verstärkt auf biblische wie mythologische Erzählungen der Schöpfung, der Endzeit, des Verhältnisses von Gott/Göttern und Menschen, das Verhältnis der Menschen untereinander sowie zur Natur und auf den göttlichen Zorn. Der folgende Ausschnitt ruft dabei nicht nur Elemente der biblischen ApokalypseVision (Tier, Wasser), sondern potenziell auch der germanisch-mythologischen Götterdämmerung (Tier in Verbindung mit Sonnenfinsternis) auf. Dabei kommt es zu einer Überlagerung von Isotopien (Isotopieverflechtung), die auf übergeordneter Ebene konstruktiv auflösbar ist.24 Ein Donnerschlag rollte über die Stadt [. . . ]. Mittlerweile war es so dunkel, als fände eine Sonnenfinsternis statt. Die Luft war wie erstarrt; ein grauer Bodennebel bildete sich [. . . ]. [. . . ] Und dann begann das Tier [. . . ] sich zu erbrechen. [. . . ] Dann begann es in der Höhe zu brausen [. . . ] und ein paar Sekunden später stürzte Wasser herab. (Cusanus: 86)

Mythologisches Wissen wird indes als „altes Menschheitswissen“ (Blueprint: 95) deklariert. Dies zeigt sich auch an einer starken horizontalen Ausdifferenzierung dieser Wissensmenge: Während Bezugnahmen auf die antike griechisch-römische Mythologie und deren literarische Verarbeitung in Ovids Metamorphosen nicht ungewöhnlich sind, so stechen Bezugnahmen auf ägyptische, indianische, indische, chinesische,

23 Viele dieser Konzepte sind jedoch nicht mehr auf einzelne Textstellen, Texte oder Textkorpora zurückzuführen, sondern stellen palimpsestartige Synkretismen dar. So kann der Einfluss der Bibel nicht „als direkte Wanderungsbewegung eines Textes in einen anderen begriffen [werden], als Interferenz geschriebener Wörter ohne Vermittlung irgendeiner nicht-buchstäblichen Wissenswelt“ (Polaschegg 2007: 212). Vielmehr unterliegen die Prätexte der Eigendynamik ihrer Vermittlung, die jeweils historisch rückgebunden ist. Konzepte gehen so schließlich nicht mehr im Wortlaut der Bibel auf (vgl. ibid.: 214–216). Ein Beispiel hierfür ist der vielzitierte Apfel, der beim Sündenfall eine Rolle gespielt haben soll, der aber nicht wörtlich im Text der Genesis erwähnt wird. Das Motiv der Frucht hat hier eine Erweiterung und Transformation erfahren, die sich aus der Adaption anderer Bibelstellen, Texte und Deutungen speisen. 24 Eine weiterführende Analyse erfolgt im Abschnitt zur Motivierung der Handlung durch intertextuellen/interdiskursiven Dialog auf Seite 135 sowie im Abschnitt 4.2.3.

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afrikanische, germanische, keltische und Maya-Mythen eher hervor. Eine Akkumulation von strukturähnlichen Mythologemen führt so zu einer Überdeterminierung von Deutungen, wie am Beispiel von Blueprint gezeigt werden kann: Der Text setzt das Phänomen der Zwillingsgeburt nicht nur als kulturell, sondern auch als metaphysisch bedeutsam. Dazu werden Zwillingsmythen nicht nur pauschal referenziert (22), sondern Elemente biblischer und literarischer Erzählungen sowie griechischer und afrikanischer Mythologie verbunden, um ein universales Deutungsmuster zu generieren.25 Dies begünstigt einerseits die Interaktion mit anderen Wissensmengen, die strukturelle oder thematische Ähnlichkeiten aufweisen. Andererseits führt dies zu einer Spezialisierung der jeweiligen Wissensbezüge, wenn die Bandbreite noch um kunsthistorische Adaptionen26 und psychoanalytische Reflexionen der Elemente erweitert wird. Psychoanalytisch modifizierte Elemente finden etwa über Anspielungen auf die mythologischen Figuren Ödipus, Elektra und Narziss oder auch den Sisyphos-Mythos Eingang in die Texte. Schließlich finden sich auch zahlreiche Beispiele, in denen die Erzählungen und Mythen nur noch metaphorisch (z. B. „apokalyptische Peinlichkeit“, Infekt: 71) gebraucht werden.

4.2.1.2 Molekularbiologisches und genetisches Wissen Da molekularbiologisches und genetisches Wissen im schulischen Biologieunterricht gelehrt und in den letzten Jahren durch Zeitschriften wie Geo und TV-Formate wie Galileo popularisiert wurde, können zentrale Elemente dieses Wissens als allgemein bekannt gelten. Allerdings scheidet sich bereits an Detailfragen wie dem Unterschied zwischen Gen und Genom das Allgemeinwissen vom gruppenspezifischen Spezialund Expertenwissen. Das gilt auch für den Vorgang des Klonens, der zwar schnell in Form graphischer Darstellungen im Internet auffindbar ist,27 dessen wissenschaftliche Details aber eher Lehrbüchern und Fachpublikationen vorbehalten sind. Der mikroskopische Realitätsbereich, über den die Molekularbiologie Aussagen macht, entzieht sich der allgemeinen Wahrnehmung ebenso wie die darin untersuchten Gegenstände und Prozesse. Das gesicherte Wissen um zellbiologische Vorgänge ist zwar extrem weit fortgeschritten, stößt aber bei der komplexen Interaktion von Genen an seine Grenzen, weshalb beispielsweise gezielte Eingriffe in die Keimbahn derzeit weder möglich, noch in ihren Auswirkungen absehbar wären (vgl. Nüsslein-Volhard 2006: 184–186; Wilmut et al. 2002: 358). Die Komplexität der hiermit angesprochenen Zusammenhänge begünstigt – nicht nur in literarischen Texten – eine analo-

25 Zur genaueren Analyse der Genese von Deutungsmustern siehe Abschnitt 4.2.4.1. 26 Dies ist vor allem bei Wolfgang Schübels Literaturverfilmung Blueprint (D 2002/2003) der Fall. Ausführlich dazu Halft (2010: 403–410). 27 So natürlich bei der freien Enzyklopädie Wikipedia unter de.wikipedia.org/wiki/Klonen, zuletzt geprüft am 21.07.2011.

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gisch-metaphorische Darstellung, die sich aus Konzepten der Buch(druck)kultur, des alphabetischen Sprachsystems und der Informations- oder Kommunikationstheorie speist (vgl. Weigel 2002): Dabei wird der sogenannte genetische Code als Erbinformation gehandelt und über die vier Buchstaben G, T, A und C als lesbares System bzw. als „Buch des Lebens“28 etabliert. Weiterhin wird dieser Komplexität dadurch Rechnung getragen, dass die entsprechenden Zusammenhänge in Texten verschiedener Genres oftmals quasi didaktisch in Dialogform vermittelt werden, wie sich an der Kommunikationssituation im folgenden Zitat erkennen lässt: Weißt du [. . . ], was ein Klon ist? [. . . ] Erklär es mir. (Copy: 62–63)

Gleichzeitig beflügeln gerade die Grenzbereiche der Humangenetik die literarische Fantasie, sodass neben den Texten, die sich explizit mit der Thematik des Klonens befassen,29 auch die meisten anderen analysierten Texte auf diese Wissensmengen zurückgreifen: Lücken im Wissen über die Feinstruktur und Funktionsweise der DNA oder die Wirkung von Umwelteinflüssen auf die Gen-Aktivität bezeichnet die Stellen, an denen Texte ansetzen. Schwarm und R− evolution können so vom aktuellen Wissensstand ausgehend postulieren, dass die nicht-codierenden Abschnitte der DNA30 (Introns) eigentlich genau die sind, die für außergewöhnliche Evolutionserfolge relevant sind. Die Bezüge auf molekularbiologisches und genetisches Wissen sind insgesamt sehr vielfältig und reichen von kulturalisierten Metaphern (‚Bauplan‘) bis zur expliziten Bezugnahme auf gegenwärtige Forschung. Letzteres wird in vielen Texten dazu genutzt, um Aktualität zu inszenieren und sich in den allgemeinen biomedizinischen Chancen- und Risikodiskurs einzuschreiben. Hierbei wird nicht nur die entsprechende Terminologie („M-II-Oozyte“, Copy: 63) adaptiert, sondern auch auf aktuelle Veröffentlichungen verwiesen.31 Die biologischen Wissensmengen werden weder grundsätzlich unverändert adaptiert, noch in allen Texten als unangefochtenes Bild der Realität akzeptiert. Hierin liegt das Potenzial für diverse Interaktionsprozesse mit deutungsstarken Wissensmengen, wie etwa biblischem oder mythologischem Wissen.

28 Eine ausführliche Analyse der (Diskurs-)Geschichte der Metapher des genetischen Codes und des Buches des Lebens findet sich bei Kay, Lily E. (2005): Das Buch des Lebens. Wer schrieb den genetischen Code? Frankfurt am Main: Suhrkamp. Kritisch zum Informationsbegriff aus biologiephilosophischer Sicht nimmt Stellung: Stegmann (2005). 29 Dazu zählen: Blueprint, Copy, Designerbaby, Duplik, Klonfarm, Markenmenschen, Sexy Sons. 30 Diese Abschnitte der DNA werden zwar innerhalb der Zelle transkribiert (bei Anfertigen einer einsträngigen Kopie der DNA), jedoch nicht translatiert, d. h. bei der Synthese von Proteinen nicht berücksichtigt. 31 So in Copy (138), wo auf die Wissenschaftler Ian Wilmut und Keith Campbell (2002) Bezug genommen wird, die das Schaf Dolly geklont haben.

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4.2.1.3 Literarisch-motivgeschichtliches Wissen Stärker noch als beim biblischen oder mythologischen Wissen, handelt es sich bei ‚literarischem‘ Wissen hier nicht um Wissen der Literatur, sondern um Metawissen über Literatur, literarische Motive und Literaturgeschichte. Entsprechend kann es sich dabei wie beim biblischen Wissen oftmals um durch Rezeption und Transformation veränderte Elemente von Erzählungen oder um allgemeine Deutungsmuster handeln, die aus Einzeltexten, Textsystemen/Diskursen oder aus Konstellationen von Elementen hervorgehen. Das Wissen über selbige kann dann als Wissen in Literatur, also als klassischer intertextueller Bezug, figurieren. Inwiefern Bezüge auf literarische Prätexte (noch) Allgemeinwissen sind, lässt sich kaum pauschal beantworten. So vielfältig die Auswahl der referenzierten Texte sein kann, so heterogen werden auch ihre Kontexte, ihre kulturelle Einbettung und ihr Rang, ihre diskursive Position und die in ihnen vertretenen Existenzbehauptungen und Realitätsklassifikationen sein. Da die überwiegende Mehrheit der Texte auf paradigmatische literarische Prätexte referenziert, bietet es sich an, diese Bezüge überblicksartig zu rekonstruieren:

a) Johann Wolfgang v. Goethe: Faust (1808, 1832) Aus den Tragödien Faust I und II werden mindestens drei Motive abgeleitet, nämlich Fausts Charakter und Streben, sein Pakt mit Mephistopheles und die Erschaffung eines Homunkulus im zweiten Teil. So wird etwa in Blueprint (22) ausdrücklich von einem „Pakt“ zwischen dem Reprogenetiker Fisher und seiner klonwilligen Patientin Iris Sellin gesprochen. In Birgit Rabischs Unter Markenmenschen (81) wird der erste Teil der Tragödie sogar textintern aufgeführt, reflektiert und dadurch auf die dargestellte Welt rückbezogen.

b) Mary Shelley: Frankenstein or The Modern Prometheus (1818) Der Text schildert die Geschichte des Schweizer Arztes Viktor Frankenstein, der sich nicht nur mit Medizin, sondern auch mit Alchimie und Mystik befasst. Mithilfe von diversen Materialien und Apparaturen kann er ein aus Leichenteilen zusammengesetztes Wesen (Monster) ins Leben rufen, welches zu seiner Nemesis wird. Das Wesen selbst findet keinen Platz in der Gesellschaft (Identität), wendet sich gegen diese und richtet sich schließlich selbst. Vor allem in Klontexten wird hierauf Bezug genommen. Durch den Zusatz im Titel verweist der Text zusätzlich auf den mythologischen Prometheus-Stoff, der eine göttliche ‹Ordnung›32 versinnbildlicht.

32 Siehe Abschnitt zur Ordnung der dargestellten Welten II: entkonkretisierte semantische Räume auf Seite 129.

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c) Robert Louis Stevenson: The Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde (1886) Dr. Jekyll hat es geschafft, gute und böse Anteile der menschlichen Seele durch einen Trank im Experiment zu trennen. Seine böse Seite tritt Jekyll fortan als sein Doppelgänger, Mr. Hyde, entgegen, der Jekylls Leben durch seine Verbrechen und sein Erstarken zunehmend bestimmt. Es ist primär das Doppelgängermotiv, welches in Klontexten funktionalisiert wird.

d) Herbert George Wells: The Island of Dr Moreau (1896) In ähnlicher Weise experimentiert der Wissenschaftler Moreau auf einer einsamen Insel mit Tieren, die er durch Vivisektion in menschenähnliche Wesen verwandelt und sich von ihnen als Gott verehren lässt. Den Tieren gibt er Gesetze, die sie davor bewahren sollen, wieder in einen verwilderten Zustand zu verfallen. Die Tiere wenden sich schließlich gegen Moreau. Den im weitesten Sinne medizinethischen Diskurs greift beispielsweise Markus C. Schulte von Drachs Text Furor (146) auf, indem er Moreau zitiert: To this day I have never troubled about the ethics of the matter. The study of Nature makes a man at least as remorselsess as Nature. (The Island of Dr Moreau: 78)

e) Aldous Huxley: Brave New World (1932) Dieser Text kann als prägend für den weiteren literarischen Klondiskurs bezeichnet werden. Durch dem Klonen ähnliche reproduktive Methoden wird dort eine Gesellschaft von körperlich und geistig differenzierten Bevölkerungsgruppen erschaffen, deren Lebensweg von der Produktion im Reagenzglas an bereits in wesentlichen Zügen feststeht. Zur physischen Manipulation gesellt sich eine umfassende Indoktrination je nach Kaste. Während Sexualität bzw. Promiskuität zum guten Ton gehört, werden Krankheit und Todesrituale ausgemerzt und tabuisiert. Gesellschaftliche Friktionen werden durch Drogen entschärft. Huxleys Text steht damit zeichenhaft für viele mit dem Klonen in Verbindung gebrachte Ängste. Helmut Saigers Text Der Schrecken des Sisyphos lehnt beispielsweise die in ihm geschilderte Gesellschaftsform (Kastensystem mit Alphas und Betas) an Huxleys Text an. Tendenziell sind zahlreiche weitere Bezüge auf literarische Texte denkbar, deren Rezeption heute größtenteils vermutet werden kann.33 Das gilt zum einen pauschal für das Genre des (Wissenschafts-)Thrillers im Anschluss an Michael Crichtons Jurassic Parc (1990) und andere namhafte anglo-amerikanische Autoren, deren Texte als modellbildend gelten dürfen. In der deutschsprachigen Literatur sind Bezugnahmen

33 Zu intermedialen Bezügen auf Spielfilme siehe weiter unten. Als einschlägig darf der – auch in verschiedenen Texten genannte – Film The Boys from Brazil (Schaffner, USA 1978) gelten, in dem Hitler-Klone durch Manipulation der sozialen Umwelt gezüchtet werden.

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auf verschiedene Gedichte Goethes wie den Zauberlehrling (1797), E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann (1817) und Konrad Loeles Züllingers Zucht (1920) wahrscheinlich. Implizite Bezüge zu weiteren Texten und Motiven werden textspezifisch hergestellt.34 Als Beispiel für die Transformation eines vorliegenden Textes durch den Prätext kann Wolfgang Jeschkes Cusanus gelten: Der Roman reflektiert das Thema Zeit, die Möglichkeit von Zeitreisen, die Struktur und Natur des Universums und andere kosmologische Fragen. Den einzelnen Kapiteln sind thematisch ausgewählte Zitate vorangestellt, die nicht nur das jeweilige Kapitel einrahmen, sondern auch im Verbund bestimmte Paradigmen teilen. Eines dieser Paradigmen ist das der verzweigten Raumzeit bzw. des Multiversums. Von literarischer Seite speist sich dieses Paradigma insbesondere aus der Raummetapher der Zeit in der Erzählung Der Garten der Pfade, die sich verzweigen von Jorge Luis Borges (1944): Der Garten der Pfade, die sich verzweigen, ist zwar ein unvollständiges, aber kein falsches Bild des Universums [. . . ]. Im Unterschied zu Newton und Schopenhauer hat Ihr Ahne nicht an eine gleichförmige, absolute Zeit geglaubt. Er glaubte an unendliche Zeitreihen, an ein wachsendes, schwindelerregendes Netz auseinander- und zueinanderstrebender paralleler Zeiten. Dieses Webmuster aus Zeiten, die sich einander nähern, sich verzweigen, sich scheiden oder einander jahrhundertelang ignorieren, umfasst alle Möglichkeiten. (ibid.: 172, Hervorhebung im Original)

Das Universum wird im Zitat als Raum-Zeit-Labyrinth begriffen, eine Metapher, die nicht nur den Text von Borges’ Erzählung strukturiert (vgl. Johnston 1998: 198–201), sondern auch Jeschkes Roman, der sich auf Borges Zeit- und Raumverständnis bezieht (Cusanus: 314).35

4.2.1.4 Philosophisches Wissen Im Fall der Bezugnahme auf philosophische Einzeldisziplinen, spezielle Philosophien, einzelne Philosophen oder philosophische Einzelfragen ergeben sich ähnliche Konstellationen wie bei den anderen Wissensmengen. Bei philosophischem ‚Wissen‘ handelt es sich ebenfalls um Wissen über Philosophie, einzelne Philosophien etc. Dieses Wissen ist gruppenspezifisch, da es bis auf wenige Elemente (z. B. Kants Kategorischer Imperativ) als kaum popularisiert gelten kann. Je weiter man differenziert, desto stärker wird es sich um Spezial- und Expertenwissen handeln. Gerade der Umstand, dass sich auch gegenwärtige Philosophie teils systematisch bis auf ihre eigenen Anfänge zurückbezieht, können einzelne Elemente zumeist nicht ausschließlich einem Philosophen zugeordnet werden, so z. B. das Konzept der Gewaltenteilung in der Politischen Philosophie.

34 Zur Funktionalisierung dieser Wissensmengen siehe den Abschnitt zur Motivierung der Handlung durch intertextuellen/interdiskursiven Dialog auf Seite 135. 35 Siehe ausführlich dazu und zu weiteren Variationen des Discours Abschnitt 4.2.2.2 a).

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Die Philosophie gilt zwar als Königsdisziplin und ihre Aussagen haben dadurch einen hohen Rang. In Bezug auf ihren epistemischen Modus kann aber ihr Wahrsein (neben ihrer Rechtfertigung) oftmals kaum überprüft werden. Sofern hier nicht mit den Mitteln formaler Logik gearbeitet wird, handelt es sich dabei quasi um Deutungen der Wirklichkeit vor dem Hintergrund bestimmter Prämissen. Die Deutungsangebote der Philosophie legitimieren sich daher vor allem durch ihre jeweilige Anwendbarkeit auf bestehende Sachverhalte sowie ihre Problemlösungskapazität. Etwa die Hälfte der hier betrachteten literarischen Texte bezieht sich explizit auf spezielle Philosophien oder auf einzelne Philosophen bzw. deren Ausführungen zu Einzelfragen. Dazu zählen vor allem: 1. Zeitphilosophie im Anschluss an Heraklit (panta rhei – alles fließt) und Zenon von Elea (Pfeilparadoxon), 2. Platons Höhlengleichnis, 3. Blaise Pascals Wette in den Pensées (1670), 4. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Begriff der Theodizee und seine Monadologie (1714), 5. Immanuel Kants Konzeption von Wahrnehmung, Raum und Zeit in der Kritik der reinen Vernunft (1787) und 6. die Relativierung von Kausalität im Anschluss an die Quantenphilosophie. Diese Bezüge finden sich überwiegend in den Texten Blueprint, Schilf, Sisyphos, Vermessung und Zweiundvierzig komprimiert: Die Zeit existierte nicht unabhängig von uns, wir mussten sie mitbringen, in unseren Köpfen ausspannen, [. . . ], in unseren Augen erst nahm der Strom seine Fahrt auf, [. . . ] in die Vergangenheit fließend. [. . . ] Wir irrten uns, wir schufen ein Schloss, wo keines war, allein dadurch, dass wir – dass DELPHI – . . . (Zweiundvierzig: 116, meine Hervorhebungen)

Im obigen Zitat konvergieren zum einen Elemente aus Konzeptionen der Zeit als Anschauungsform bei Kant sowie der heraklitischen Zeitvorstellung als Fluss. Die Erwähnung des DELPHI-Detektors36 verweist im Text auf relativistische Zeitkonzeptionen. Im Begriff des Schlosses sind im Text sowohl das Märchen von Dornröschen (Stillstehen der Zeit) codiert als auch die Vorstellung von „Chronosphären“, das sind an Leibniz’ Theorie der Monade angelehnte Raum-Zeit-Kapseln, die das Individuum umgeben. Die Interaktion der diversen Bezüge etabliert ein textspezifisches Zeitverständnis, das als Schnittmenge der Bezüge verstanden werden kann.37 Weitere Philosophien werden textspezifisch referenziert, dadurch hervorgehoben und an der Strukturierung des textinternen Wissenssystems maßgeblich beteiligt. Dies zeigt sich exemplarisch an Sisyphos: Der Text bezieht sich nicht nur explizit auf den Sisyphos-Mythos, zitiert und reflektiert diesen, sondern lässt den Protagonisten, Sisyphos, eine Reihe von Prüfungen (11) durchmachen, die Teil eines „Experiments“ (54) sind. In Anlehnung an Camus’ Auslegung des Mythos setzt der Text, dass

36 DELPHI: Detector with Lepton Photon and Hadron Identification. Detektor zur Teilchenidentifikation und zur Identifikation dreidimensionaler Teilchenspuren am CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) bei Genf. 37 Eine detaillierte Analyse erfolgt in Abschnitt 4.2.2.2 a).

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das Leben eine „ewige Baustelle“ (100) bzw. der Weg das Ziel sei (106). Wie Camus folgert der Text dann auch, dass „sie [. . . ] den Menschen im Sinn [hatten], der auf sich selbst zurückgeworfen ist“ (106). Auf diese Form der Interaktion von Texten mit Wissensmengen wird später noch zurückzukommen sein.

4.2.1.5 Psychologisches und psychoanalytisches Wissen Durch die Gestaltung von Figuren bzw. Konstellationen gehen psychologische Zusammenhänge immer implizit in literarische Texte ein. Durch Popularisierung psychologischer Wissensmengen können viele Konzepte in ihren Grundzügen (also mitunter stark vereinfacht oder auch vulgarisiert) als bekannt vorausgesetzt werden. Dazu zählen der Ödipus- bzw. Elektrakomplex, narzisstische Persönlichkeitsstörungen oder Sigmund Freuds Trieblehre. Darüber hinausgehendes Wissen aus dem Bereich spezieller Psychologien (z. B. Sexualpsychologie) dürfte dann wiederum als Spezial- und Expertenwissen gelten. Die Besonderheit psychologischen Wissens liegt darin begründet, dass es sich auf Gegenstände und Sachverhalte bezieht, die nicht greifbar sind, sondern sich in (zumeist subjektiv-individuellen) Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensweisen äußern. Die Psychologie bezieht sich damit auf eine Realität, die nur begrenzt objektivierbar ist, bzw. die erst im Vollzug bestimmter Verhaltensmuster konstituiert wird. Die räumliche Metaphorik des in der ‚Tiefe‘ gelegenen Unter- oder auch Unbewussten unterstreicht, dass es sich potenziell um eine Realität handelt, die von ‚außen‘ nicht einsehbar ist. Gerade in der literarischen Psychoanalyserezeption werden damit Deutungsmuster generiert, die für sich in Anspruch nehmen, eine ‚hinter der Wirklichkeit‘ liegende, ‚eigentliche‘ Realität aufzudecken. Hierdurch konkurriert die Psychologie einerseits oftmals mit anderen Wissensmengen – etwa der Genetik. Andererseits bietet sie als Psychoanalyse dadurch zahlreiche Anknüpfungspunkte, dass ihre Konzepte auf griechische Mythen (Narziss, Adonis, Ödipus, Elektra) zurückgehen, die ja gleichermaßen Deutungsmuster sind. Solche Konstellationen finden sich in paradigmatischer Weise in den Klonromanen realisiert, in denen es zu einer Interaktion entwicklungspsychologischen Wissens (Entwicklung und Pubertät der Figuren), psychoanalytisch-mythologischer Deutungsmuster und hypothetischer Annahmen über die Identität und Psyche von Klonen kommt. Vor allem Blueprint funktionalisiert, reflektiert und hybridisiert diese Wissensmengen in einer Weise, dass hieraus ein neues Hybridwissen emergiert, das sich als ‚Klonpsychologie‘ beschreiben ließe (vgl. Halft 2010: 401–403; siehe Abschnitt 4.2.3.3). Zwar rekurrieren auch viele andere Texte im Untersuchungskorpus explizit auf psychologische oder psychoanalytische Wissenselemente (Spiegelstadium, neuroti-

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sche Depression, Koro-Syndrom38 , Psychogenese, Ödipus- und Elektrakomplex, Adoniskomplex, Midlife-Crisis), funktionalisieren diese aber nicht im gleichen Maße.

4.2.1.6 Evolutionstheoretisches Wissen Seit ihrem Aufkommen konkurriert die Evolutionstheorie mit anderen Erklärungsansätzen für die Entwicklung des Lebens auf der Erde. Selbst heute, da die in die Synthetische Evolutionstheorie39 eingegangenen wissenschaftlichen Disziplinen Theorien vertreten, die als gesichertes Wissen gelten, werden zentrale Paradigmen der Evolutionstheorie40 nicht uneingeschränkt anerkannt. Insbesondere mit der Theologie konkurriert die Evolutionstheorie in Bezug auf die Frage, ob der Mensch die ‚Krone‘ der Schöpfung ist – also um für unser Weltbild zentrale Existenzbehauptungen und Realitätsklassifikationen. In Form des Kreationismus bzw. des Intelligent Design ist diese Auseinandersetzung auch gegenwärtig noch in wissenschaftlichen und kulturellen Diskursen präsent und findet ihren Widerhall auch in etwa der Hälfte der hier analysierten Texte. Die Intelligent-Design-Wissenschaftler wollen nachweisen, dass das Evolutionskonzept einer allmählichen, schrittweisen Höherentwicklung der Lebewesen für die vielfältigen und oft hochspezialisierten Formen des Lebens nicht ausreicht. Hierbei geht es um den Ausschluss natürlicher Ursachen. [. . . ] Derartige Strukturen erfordern zwingend eine intelligente Ursache. (Harke 2008: 26–27)

Während Kernthesen der Evolutionstheorie nach Darwin als Allgemeinwissen gelten dürfen, gilt dies für Details der Synthetischen Evolutionstheorie wie z. B. der Entstehung der DNA oder auch alternative, historische Evolutionstheorien nicht mehr. Diesen Umstand machen sich die Texte R− evolution, Schatten und Schwarm zunutze, um alternative Evolutionstheorien zu konstruieren, verfolgen dabei jedoch unterschiedliche Strategien: Während Schatten die Evolutionstheorie mit anderen Deutungsmustern konfrontiert, setzen die beiden anderen Texte an Leerstellen im gegenwärtigen molekularbiologischen Wissen an und extrapolieren dieses.

38 Hierbei unterliegt der männliche Patient der irrationalen Vorstellung, dass sein Penis schrumpfe und/oder sich in den Körper zurückziehe. Diese Störung kann z. B. bei übergewichtigen Männern auftreten, die ihren Penis durch einen weit vorragenden Bauch nicht mehr sehen können. 39 Die Synthetische Evolutionstheorie basiert auf Darwins Theorie der natürlichen Selektion (Darwin 1859/1979) und wurde sukzessive um Theorien aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen ergänzt, darunter: Zellbiologie, Genetik, Systematik, Paläontologie, Molekularbiologie und Geologie (vgl. Kutschera 2001: 29–32, 46–49). Sie präzisiert die Theorie Darwins dahin gehend, dass Evolution durch genetische Rekombination und Mutation induziert wird, die dann zu genetischen Variationen führen und von diversen exogenen Einflüssen abhängigen Selektionsmechanismen unterliegen (vgl. ibid.: 34–38). 40 Dazu gehören: Baum des Lebens, Adaption, natürliche Selektion, Variation (vgl. Waters 2009: 129; Darwin 1859/1979: 130–172).

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Die Texte Klonfarm, Pilz und Sexy Sons gehen teilweise so weit, gegenwärtige Evolutionstheorien (textintern) als „romantischen Darwinismus“ (Klonfarm: 49) abzutun und einer vom Menschen gesteuerten Evolution gegenüberzustellen. Dies zeichnet sich im folgenden Zitat daran ab, dass der Androloge41 van Steeb aktiv in Reproduktionsprozesse eingreift: Er war im Begriff und in der Lage, dieses Verhältnis umzudrehen. [. . . ] Es ging ihm ausschließlich darum, unter den gegebenen Umständen das Optimale herauszuholen. (Sexy Sons: 311)42

Hierin deuten sich nun auch erste konkrete Einflussfaktoren auf den Lebensbegriff an.

4.2.1.7 Physikalisches Wissen Grundsätzlich kann wohl auch physikalisches Wissen bis zu einem gewissen Grad als allgemeines Wissen qualifiziert werden, solange es sich dabei um basale Grundannahmen handelt – etwa den Atomaufbau sowie wesentliches Grundwissen über Astronomie und Astrophysik. Aufgrund seiner Mathematisierung können Details jedoch sehr schnell als gruppenspezifisches Expertenwissen gelten, die gegenwärtigen Entwicklungen in Quantenphysik und Stringtheorie sogar als Spezialwissen selbst innerhalb der Physik. Da physikalisches Wissen zahlreiche Entitäten in unterschiedlichen Realitätsbereichen in gesetzesartiger Form beschreibt und diese experimentell nachzuweisen sucht, kann physikalisches Wissen sowohl als sehr differenziertes wie auch als ranghohes Wissen gelten. Dabei wird es nicht nur durch unterschiedliche Paradigmen (z. B. Klassische Mechanik vs. Quantenmechanik), sondern auch durch grundlegende Unterschiede zwischen den von ihm beschriebenen Realitätsbereichen (z. B. Makroebene vs. subatomare Ebene) strukturiert. Während Phänomene auf der Makroebene durch die Klassische Mechanik beschrieben werden und im Wesentlichen durch Laien nachvollziehbar – weil sichtbar und alltagslogisch – sind, gilt dies für subatomare und Prozesse von kosmischer Bedeutung nicht. Sie werden von mathematischen Theorien beschrieben, deren Aussagen noch nicht überprüft wurden, noch nicht überprüft werden können oder deren Überprüfung aus heutiger Sicht langfristig unmöglich erscheint. Hierzu gehören u. a. quantenphysikalische Prozesse (vor allem die Erklärung des Übergangs von quantenmechanischer Mikroebene zur Makroebene der Klassischen Mechanik), kosmologische Phänomene (Ursprung und Natur des Universums, Zahl an Universen) und die

41 Die Andrologie (gr.: andros = Mann) ist Spezialgebiet der Medizin, das sich mit den Fortpflanzungsfunktionen des Mannes befasst. 42 Kegels Text Pilz (50) reflektiert z. B. die Möglichkeit einer vom Menschen gesteuerten Evolution, die er aber sowohl auf der Ebene der Narration als auch durch zahlreiche ironische Brechungen verwirft.

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Struktur und Natur der Raumzeit. Diese Lücken im physikalischen Wissen sind aufgrund ihrer weitreichenden Bedeutung für unser Welt- und Realitätsbild dazu prädestiniert, von anderen, z. B. religiös-theologischen oder mythologischen Deutungsmustern besetzt zu werden.43 Um physikalisches Wissen sind die Texte Cusanus, Schatten, Schilf, Schrödinger und Zweiundvierzig zentriert. Dazu stellen sie extrem stark differenzierte Bezüge zu physikalischem Wissen her, die von Thermodynamik und Relativitätstheorie über Astronomie, Kosmologie, Quantenphysik, hin zu Stringtheorie und spezielle Theoremen über die Raumzeit und die Natur des Multiversums reichen. Wenn die Texte sich auf Quantentheorie beziehen, dann immer auch auf ihre Interpretation durch Niels Bohr (1885–1962), Werner Heisenberg (1901–1976) und/oder Hugh Everett (1930– 1982). Die Kopenhagener Deutung von Bohr und Heisenberg interpretiert das Komplementaritätsprinzip und den Indeterminismus der Quantenmechanik nicht als Zeichen der Unvollständigkeit der Theorie, sondern gerade als ihr wesentliches Bestimmungsmerkmal. Demzufolge können Ort und Impuls eines Systems nicht gleichzeitig bestimmt werden. Außerdem wird die klassische Vorstellung von Kausalität aufgegeben. Erwin Schrödingers (1887–1961) Gedankenexperiment (‚Schrödingers Katze‘) sollte gerade die Unvollständigkeit der Quantenmechanik demonstrieren, indem quantenmechanische Gesetzmäßigkeiten auf die makroskopische Ebene projiziert werden – die Katze also gleichzeitig tot und lebendig wäre. Anstatt aber die Kopenhagener Deutung zu entkräften, führt sie zu Everetts Viele-Welten-Interpretation. Ihr zufolge finden alle physikalisch möglichen Ereignisse wirklich statt – allerdings in verschiedenen Universen. Die physikalische Wirklichkeit besteht demnach aus einer Vielzahl von Universen, einem sogenannten Multiversum. (Deutsch/Lockwood 1996: 127)44

Den dargestellten Welten der entsprechenden Texte liegt diese Interpretation als Prämisse zugrunde, die dann unterschiedlich funktionalisiert wird. Während die Zeitromane45 hiervon ausgehend eigene Raum-Zeit-Modelle entwerfen, tendieren Schatten und Schrödinger dazu, die Quantentheorie in Sinne eines ‚sowohl-als-auch‘ statt ‚entweder-oder‘ zu metaphorisieren.

43 Zur Genese von Hybridwissen siehe Abschnitt 4.2.3.3. 44 Siehe ausführlich bei Barrett (2011). 45 Die Texte Cusanus und Zweiundvierzig können in dem Sinne als Zeitromane (vgl. Middeke 2002, 2004; Nünning/Sommer 2002; Zapf 2002) bezeichnet werden, als sie Zeit, Zeitlichkeit und die Beziehung von Raum und Zeit reflektieren und strukturell abzubilden versuchen.

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4.2.1.8 Kulturelles Wissen: Musik, Kunst und Popkultur Kulturelles Wissen wird im Sinne dieser Studie46 als Metawissen verstanden, das sich auf Elemente einer räumlich und zeitlich zu spezifizierenden Kultur im materialen, sozialen und mentalen Sinne bezieht. In den Texten ist solches Wissen in Form der Erwähnung von Musikstücken und Kunstwerken, musikalischen Strukturanalogien (‚DNA = Komposition‘) sowie der Nennung von Elementen der Populärkultur (Popmusik, Filme, Personen, fiktionale Charaktere) repräsentiert. Aufgrund des breiten Spektrums und der Heterogenität der Bezugnahmen ist eine pauschale Qualifizierung der funktionalisierten kulturellen Wissensmengen kaum möglich. In der Tat muss nach individuellen Strategien der Texte gefragt werden, wenn sie einerseits weitestgehend allgemeines und kollektiv geteiltes kulturelles Wissen referenzieren oder andererseits eher gruppenspezifisches Wissen aufrufen.47 In jedem Fall stellen die kulturellen Wissenselemente jedoch ein Reservoir an Paradigmen, Deutungsmustern, Metaphern und Analogien bereit. Ein prägnantes Beispiel hierfür stellt Schwarm dar. Dort wird eine ganze Reihe von Spielfilmen48 genannt, die demselben Genre angehören und ähnliche Themen verhandeln, wodurch ein entsprechendes, hyperkonnektives Deutungsmuster generiert wird (siehe ausführlich in Abschnitt 4.2.3.1). Die Texte funktionalisieren intertextuelle und interdiskursive Verweise heterogener Provenienz in auffälligem Umfang. Während eine verstärkte Bezugnahme auf zentrale Wissenselemente der Genetik vor dem Hintergrund der naturwissenschaftlichen Forschung der vergangenen Jahrzehnte erwartbar war und auch intertextuelle Bezüge auf einschlägige literarische Prätexte kaum ungewöhnlich sind, so fällt die verstärkte Diskursivierung von Bibelwissen und mythologischen Wissensmengen, von Wissen über philosophische und psychologische Theoriegebäude und von evolutionstheoretischem Wissen in der überragenden Mehrheit der Texte auf. Auffällig ist außerdem die nachdrückliche Bezugnahme auf populärkulturelles Wissen (Wissen über populäre Filme, Songs, Texte) in Schwarm und Götterdämmerung, worin sich ein Deutungsmuster abzeichnet, welches als Komplement zu mythologischen oder biblisch-theologischen Deutungsmustern fungiert.49 Biblische Bezüge reaktivieren z. B. eschatolo-

46 Zum Begriff siehe Abschnitt 2.3.5. Für die Definition nach Titzmann (1989, 2006) siehe Seite 59. 47 Über die bisher skizzierten Bezugnahmen auf diverse Wissensmengen hinaus beziehen sich die analysierten Texte auf zahlreiche weitere Wissensmengen, die jedoch zumeist nur in Einzeltexten von Bedeutung sind und entsprechend einzeltextspezifisch funktionalisiert werden. Dazu zählen: 1. Bakteriologie, Virologie, Meeres- und Walbiologie (als spezielle biologische Teilwissensmengen), 2. Geographie und (marine) Geologie, 3. Ökologie und Klimatologie, 4. Kognitionswissenschaften, 5. Mathematik und Chaostheorie, 6. Mykologie (Wissenschaft von den Pilzen), 7. Ethik und 8. Zeitgeschichte. 48 U.a.: The Terminator (Cameron, USA 1984), The Abyss (Cameron, USA 1989), Independence Day (Emmerich, USA 1996), Contact (Zemeckis, USA 1997), Armageddon (Bay, USA 1998) und Deep Impact (Leder, USA 1998). 49 Siehe dazu den Abschnitt zur Motivierung der Handlung durch intertextuellen/interdiskursiven Dialog auf Seite 135.

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gische Deutungsmuster des Alten Testaments sowie Endzeitvisionen aus der Offenbarung des Johannes. In ganz ähnlicher Weise werden mythologische Wissensmengen in Form von Schöpfungsmythen oder die germanische Vorstellung der Götterdämmerung (Ragnarök) referenziert und funktionalisiert. Dass diese Bezüge vor allem in den Texten hergestellt werden, deren dargestellte Welten an Grenzräumen50 situiert sind, könnte darauf hindeuten, dass sie Literatur als ‚Experiment‘ funktionalisieren, d. h. Prozesse der Aktualisierung vorhandenen Wissens durch re-entry vorführen und sich dabei vorhandene Wissens- und Hypothesenmengen transformierend aneignen. Wissenschaftlichen Wissensmengen wird bei dieser Text-Kontext-Interaktion jedenfalls – soviel lässt sich hier bereits festhalten – keine Deutungshoheit eingeräumt. Vielmehr werden die verschiedenen Wissensmengen miteinander konfrontiert und z. B. auf ihre jeweilige ‚Problemlösungskapazität‘ hin abgeklopft. Wie noch zu zeigen sein wird, wirkt sich dies sowohl auf Prozesse der Wissensgestaltung wie auch auf das Konzept ‹Leben› aus, da mit den referenzierten Wissensmengen auch spezifische Bezugsrahmen, Wirklichkeitsmodelle und Deutungsmuster aufgerufen werden.51

4.2.2 Formen der textuellen Wissensrepräsentation (Indikatoren)

Wenn wir Wissen als mentales Konstrukt fassen, so sind wir bei der Analyse von Texten als medialer Basis von objektiviertem Wissen auf semiotische Repräsentationsformen angewiesen. Das sind textuelle Manifestationen und Gestaltungsweisen von Wissensmengen bzw. von deren Bestandteilen (Wissenselemente, Propositionen). Im Folgenden soll nun also genauer betrachtet werden, auf welchen Textebenen Wissen auf welche Weise repräsentiert wird. In den analysierten Texten kann Wissensrepräsentation als ein Phänomen betrachtet werden, das im Wesentlichen auf der Ebene der Histoire (4.2.2.1) stattfindet. Konkret kann dabei zwischen der lexikalischen Oberflächenstruktur der Texte, d. h. der syntagmatischen Distribution von Signifikanten, und der logisch-semantischen Tiefenstruktur, d. h. der paradigmatischen semantischen Ordnung unterschieden werden. In der Oberflächenstruktur der Texte lassen sich Wissensmengen explizit

50 Tiefsee, Grenzen des Universums, subatomare oder kosmologische Prozesse, ‚Forschungsfront‘ des referenzierten naturwissenschaftlichen Diskurses. 51 Für zukünftige Studien erscheint es lohnenswert, einzelne Texte daraufhin zu befragen, inwiefern mit der Bezugnahme auf spezifische Wissensmengen quasi wissenspolitische Strategien verbunden sind. Eine Aussage hierüber wäre für das Analysekorpus als Ganzes zu pauschal gewesen und müsste wohl auch stärker auf diskursanalytischen Verfahren basieren. Im Text Blueprint könnte die Aktivierung afrikanischer und anderer Mythen einerseits z. B. auf den Versuch einer Dezentrierung westlichchristlicher Deutungsmuster hindeuten (siehe dazu auch die Abschnitte 4.2.3.1 und 4.2.4). Andererseits könnte sich hierin auch ein Versuch der diskursiven Aneignung fremdkultureller Elemente ausdrücken, was im Kontext postkolonialer Theorien zu untersuchen wäre.

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durch „harte Indikatoren“ nachweisen, wozu etwa einschlägige Termini und intertextuelle Bezüge in Form von gekennzeichneten Zitaten oder auch nicht gekennzeichneten Zitaten, Paraphrasen und Anspielungen sowie Figuren als Repräsentanten gehören (Anz 2002: 337). An Frank Schätzings Roman Der Schwarm (2004) lassen sich die verschiedenen Formen der Wissensrepräsentation in der Oberflächenstruktur exemplarisch in ihrer textspezifischen Realisation und Funktionalisierung nachvollziehen. Aus der Relation der Elemente der Oberflächenstruktur lässt sich eine semantische Tiefenstruktur abstrahieren (vgl. Titzmann 1993: 164–179), die sich in Form von narrativen Strukturen, der Ordnung der dargestellten Welt (Raumsemantik), der Ereignisstruktur und der Figurenkonstellation manifestiert. Hier kann Wissen implizit durch „weiche Indikatoren“ (Anz 2002: 337) nachgewiesen werden, wenn es in Themen und Motive, semantische Oppositions- und Äquivalenzrelationen, und Wissenseinheiten (Kategorien, Konzepte/Frames und Skripte) eingebunden ist. Am auffälligsten sind jedoch funktionale Variationen des Discours (4.2.2.2), insofern sie sich auf die zeitliche Strukturierung, d. h. das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit, Ordnung, Frequenz und Dauer, die textinterne Kommunikations- oder die Erzählsituation, d. h. Perspektive, Fokalisierung, Stimme und Erzählebenen auswirken. Für die weitere Beschreibung und Analyse wissensbezogener Phänomene wurden die oben differenzierten Wissensmengen in die in den Texten referenzierten Elemente zerlegt. Hierdurch ließ sich ermitteln, welche Texte welche Wissensmengen in besonderem Maße funktionalisieren (z. B. psychologisches Wissen), welche Elemente innerhalb der Wissensmengen textübergreifend am häufigsten funktionalisiert werden (z. B. das Skript ‹Entwicklung›) und welche Texte insgesamt die meisten der von ihnen referenzierten Wissensmengen gezielt und systematisch funktionalisieren. Diese Texte52 werden in den folgenden Kapiteln verstärkt als Referenztexte behandelt. Auf diese Weise wurden aus den nahezu unüberschaubaren Bezugnahmen diejenigen für eine weitere Analyse ausgewählt, die aufgrund ihrer textübergreifenden syntagmatischen Distribution und/oder ihrer logisch-semantischen Ordnungsfunktion als besonders relevant erscheinen.53 Dergestalt lassen sich Strategien der Funktionalisierung abstrahieren, die von der Kontextualisierung und Plausibilisierung der Handlung über die Konstituierung räumlicher Strukturen der dargestellten Welt hin zu diskursiven Verhandlungsprozessen reichen, die komplexe Prozesse der Aktualisierung, Transformation, Analogisierung, Extrapolation und Hybridisierung von Wissen freilegen (siehe dazu Abschnitt 4.2.3).

52 Blueprint, Cusanus, Schwarm und Zweiundvierzig. 53 Eine Ausnahme hiervon wurde für den Text Furor gemacht, der für keine der obigen Wissensmengen in besonderer Weise relevant ist, jedoch kognitionswissenschaftliches Wissen in textspezifischer Weise funktionalisiert.

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4.2.2.1 Wissensrepräsentation auf der Ebene der Histoire a) Oberflächenstruktur Zitate Aufgrund ihrer hohen Selektivität, Referenzialität und Präsenz sowie ihrer zumeist prominenten strukturellen Platzierung stellen Zitate die nachdrücklichste Form der Bezugnahme auf Prätexte und damit bestimmte Wissensmengen dar. Daher überwiegen in den Texten, die hiervon Gebrauch machen, direkte und als solche kenntlich gemachte Zitate. Diese werden in sechs Texten als Epigraph zum Gesamttext, zu einzelnen Kapiteln oder selten auch im Fließtext genutzt. R− evolution zitiert so etwa eine allgemeine Definition der Evolution: Evolution (lat.) – im Gegensatz zur Revolution die langsame, kontinuierlich fortschreitende Entwicklung; v.a. in biologischem Zusammenhang die Entwicklung des Lebens von den niedrigen Organisationsstufen zu den höheren Formen. (R− evolution: 5, Hervorhebung im Original)

Auffällig ist vor allem der quantitative Gebrauch von Zitaten in Schwarm und Cusanus: Ersterer Text stellt jedem der fünf großen Teilabschnitte ein Zitat voran, letzterer sogar jedem einzelnen Kapitel. Insbesondere im Fall von Cusanus verdichten sich die Bezugnahmen und lassen sich in mehrfacher Weise gliedern: Neben Zitaten aus den Werken von Nikolaus von Kues (Cusanus), Giordano Bruno, David Deutsch (Quantenphysiker, *1953) und Albert Einstein führt der Text Zitate von zahlreichen anderen Physikern, Philosophen und Autoren an, die sich thematisch zu Klassen zusammenfassen lassen. So überwiegen Zitate zur Struktur des Universums, der Zeit, des Raumes, der Wahrnehmung und der Reflexion des Möglichen bzw. des Unmöglichen. Die Zitate verdichten sich insgesamt zu einem kosmologischen Raum-Zeit-Modell.54 Als Besonderheit eines direkten Zitats kann die Integration mathematischer Formeln gelten, wie sie sich in dieser Form nur in Zweiundvierzig findet: Abbildung 4.1 zeigt die sogenannte Wheeler-de-Witt-Gleichung. Die nach den Physikern John Archibald Wheeler (1911–2008) und Bryce DeWitt (1923–2004) benannte Gleichung erhebt den Anspruch, das Universum als Ganzes zu beschreiben. In der hier wiedergegebenen Formulierung ist sie trotz ihrer spekulativen Natur Kernelement quantenphysikalischen Nachdenkens über die Zeit (vgl. Lehr 2006: 451) und wird in Lehrs Text Zweiundvierzig zur Plausibilisierung des Zeitstillstands in der dargestellten Welt herangezogen.  H0 Ψ =

16πl2Planck Gabcd

     hR(3) δ δ δ 00 Ψ =0 Φ, + + hT δhab δhcd 16πl2Planck δΦ

Abb. 4.1: Wheeler-de-Witt-Gleichung (Zweiundvierzig: 223)

54 Die Funktion dieser Zitate für die Variation des Discours wird weiter unten auf Seite 141 diskutiert.

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Die Bezugnahme durch die Gleichung ist höchst selektiv, da sie sich auf einen Spezialdiskurs bezieht. Durch ihre zentrierte und abgesetzte Einbettung in den Text (dort: handschriftlich) sowie durch die Verwendung mathematischer Symbole erzeugt sie eine maximale Präsenz. Der umgebende Text und die Gleichung kooperieren insofern, als der Text vor dem Hintergrund des Zeitstillstands gerade die Natur der Zeit reflektiert. Zwar wird die Gleichung nicht explizit erläutert und durch den Text nur sehr weitläufig periphrasiert, jedoch scheinen sich Gleichung und Text wechselseitig zu bestätigen, was insbesondere durch das Ergebnis „0“ als angenommener Durchschnitt der interpretatorisch ableitbaren Propositionen zum Ausdruck kommt: Die Gleichung bzw. ihr Ergebnis bringt die in der umgebenden Textpassage stattfindende Reflexion mit maximaler Präzision auf den Punkt. Sie scheint zu bestätigen, dass „das, was wir sehen, keine Zeit hat“ (Zweiundvierzig: 223). Die mathematische Formelsprache, die zumeist – unabhängig von der Korrektheit der Formel – als maximal präzise und wissenschaftlich empfunden wird, verleiht der Textpassage Autorität. Sie ‚belegt‘ diese sozusagen durch eine visuelle mathematische Wissensreferenz in Form eines Zitats und etabliert dadurch das Konzept der Zeit als Zeitlosigkeit.55 Ähnlich verfährt auch Schwarm (743), wo als ‚Beleg‘ für die Andersartigkeit der in der Tiefsee aufgespürten Wesen einen Ausschnitt aus deren Basenabfolgen präsentiert und die textintern entworfene Theorie der alternativen Evolution dadurch gestützt wird. Neben diesen direkten Zitaten integrieren die Texte auch transformierte Zitate, d. h. benennbare Textstellen in konkreten Texten, die jedoch durch Substitution oder einer Periphrase gleich syntaktisch verändert wurden. So lässt Vermessung Alexander von Humboldt Goethes Wandrers Nachtlied (1776) in Prosaform umschreiben, was den Rezitator ironisch als sperrigen und leidenschaftslosen Wissenschaftler semantisiert.56 In Blueprint werden außerdem Zitate aus der Bibel und aus Shakespeares Hamlet (1603) durch Substitution zentraler Lexeme transformiert: Am Anfang war IHR Wort. (Blueprint: 52)57 Denn SIE sprach: Lasst mich einen Menschen machen nach meinem Ebenbild. (ibid.: 105)58 Im Namen der Mutter, der Tochter und des heiligen Gen-Geistes. (ibid.: 105)59 SIE hatte sich über alles erhoben. (ibid.: 132) Gen oder nicht Gen, Verzeihung, ich meine gehen oder nicht gehen, das ist hier die Frage (ibid.: 135)60

Hierdurch wird – bezogen auf die transformierten Bibelzitate – nicht nur das Skript ‹Schöpfung› aufgerufen, sondern durch die Substitution der Personalpronomina bzw. der Nomen männlichen Geschlechts u. a. eine Semantik der Umkehrung etabliert,

55 Für eine ausführliche Analyse der Zeitstruktur in Zweiundvierzig siehe weiter unten. 56 „Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein“ (Vermessung: 128). 57 Johannes 1,1. 58 Genesis 1,26. 59 Matthäus 28,19. 60 Hamlet III, 1.

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die sich zum Paradigma eines Verstoßes gegen die göttliche ‹Ordnung› erweitern lässt.61 Die verschiedenen Bezugnahmen, die durch die Zitate erfolgen, haben zwar textspezifisch unterschiedliche Funktionen, übertragen aber im Grunde homologe Relationen von den Prätexten auf die vorliegenden Texte und dienen dadurch als Deutungsmuster für Textpassagen oder den Gesamttext. Indem etwa Cusanus das Kapitel III.8 mit „Der innere Kreis der Hölle“ überschreibt, ist auf Dantes Göttliche Komödie (Erster Teil, Gesang 12–17) verwiesen, in dem die innere Hölle beschrieben wird, was zur Semantisierung der im Kapitel III.8 behandelten Landschaft herangezogen werden kann. Auch Schwarm verfährt ähnlich, wenn der Text dem ersten Teil ein Zitat aus der Apokalypse62 voranstellt. Dieses bezieht sich explizit auf den Zorn Gottes und das Meer, das für die Menschen (dort als Wasserquelle) unzugänglich wird. Dadurch wird der Text in einen bestimmten, hier biblisch-apokalyptischen, Kontext gestellt und vor dessen Hintergrund interpretierbar. So kann im Verlauf der Narration im Schwarm nicht nur wiederholt auf das Konzept ‹Apokalypse› zur Semantisierung zurückgegriffen werden, sondern in anderen Fällen auch die Kompositionsstruktur des Textes63 an den entsprechenden Deutungsmustern ausgerichtet werden.

Fachtermini, Peri- und Paraphrasierung, explizite Propositionen Nicht weniger nachdrücklich ist die Bezugnahme auf textexterne Wissensmengen und Diskurse durch einschlägige Begriffe und Fachtermini. Dazu gehören beispielsweise: 1. Biblisches Wissen: Apokalypse, Jüngstes Gericht, Hiob, Teufel, Paradies 2. Mythologisches Wissen: Ibeji, Kehinde/Taiwo, Castor/Pollux, Narziss, Pandora, Shiva, P’an Ku 3. Molekularbiologisches und genetisches Wissen: Intron, Klonierungsvektor, Parthenogenese, M-II-Oozyte 4. Literarisch-motivgeschichtliches Wissen: Pakt, Verwechslungskomödie, Brambilla, edler Wilder, Monster, Dornröschen 5. Philosophisches Wissen: Übermensch, Wiederkehr, Anschauungsform, monadologische Sphäre, Zeitpfeil 6. Psychologisches und psychoanalytisches Wissen: Postpartale/neurotische Depression, Identität, Spiegel 7. Evolutionstheoretisches Wissen: Sexy Sons, Mutation, Anpassung, Selektion, Endosymbiose 8. Physikalisches Wissen: Soliton, Brane, Zeitdillatation, Entropie, EPR-Brücke, Wellenfunktion. 61 Siehe detailliert dazu die Ausführungen zur Ordnung der dargestellten Welten II: entkonkretisierte semantische Räume auf Seite 129. 62 Offenbarung 16,1–21, hier: 2–5. 63 Siehe dazu die Ausführungen zur Motivierung der Handlung durch intertextuellen/interdiskursiven Dialog auf Seite 135.

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Die kurze Aufstellung gibt Anlass zu der Vermutung, dass nicht alle mit diesen Begriffen und Fachtermini angesprochenen Wissensmengen allgemein bekannt sind. Entsprechend müssen in den Texten entweder Figuren als Repräsentanten dieses Wissens oder andere Modi der Vermittlung vorhanden sein, damit es durch das Zielpublikum erschlossen werden kann. Insbesondere die naturwissenschaftlichen Wissensmengen werden in den Texten gezielt popularisiert, um die weitere Handlung zu plausibilisieren. Das dazu erforderliche Grundlagenwissen, d. h. die wesentlichen Kategorien, Konzepte/Frames und Skripte werden dazu wie in den folgenden Zitaten oftmals direkt oder in Form von Peri- bzw. Paraphrasen eingeführt: Die DNA ist in allen Zellkernen eines menschlichen Organismus gleich [. . . ]. Bei ein und derselben Person gibt es keine Unterschiede. (Schatten: 57) Das Phänomen wurde inzwischen häufig beobachtet. Es tritt vornehmlich in trichterförmigen Flussmündungen mit starkem Tidenhub auf. Diese Wellen [. . . ] können über Stunden hinweg [. . . ] flussaufwärts laufen und beträchtliche Zerstörungen anrichten [. . . ]. [. . . ] Unter dem Aspekt der [. . . ] Quantenphysik betrachtet, ist das Soliton ein Energiepaket. (Cusanus: 252)

Gerade das erste Beispiel veranschaulicht, dass die Wissensbezüge durchaus in Form von expliziten Propositionen in den Texten aufspüren lassen, die dann anhand textexterner Quellen bezüglich ihres epistemologischen Status überprüft werden können. Dies wird in manchen Texten dadurch begünstigt bzw. geradezu provoziert, dass sie 1. ein Nachwort des Autors oder der Autorin enthalten, in der die Narration kontextualisiert, reflektiert, in Ansätzen interpretiert bzw. mitunter auch relativiert wird, 2. textintern alludierte Texte, Werke und Personen am Schluss explizit nennen und/oder interpretieren (Blueprint), 3. ein Glossar abdrucken (Duplik), 4. „exklusives Bonusmaterial“ (Götterdämmerung) bieten, was nicht nur den Kontext, sondern auch den Prozess der Fiktionalisierung erhellt oder sie 5. eine Liste von Referenzen (Expertinnen und Experten) angeben (Schwarm) . Schließlich deutet die Häufung von Indikatoren in einer Textpassage auch darauf hin, dass die Texte sich einen besonders ‚wissenschaftlichen Anstrich‘ geben und damit als realistisch inszenieren wollen, indem sie an einem bestimmten wissenschaftlichen Diskurs zu partizipieren scheinen. Gerade an diesen Stellen beginnen viele Texte damit, verifiziertes Wissen zu extrapolieren und Wissensansprüche, Hypothesenmengen und Hybridwissen zu generieren.64

Figuren als Repräsentanten und Vermittlungsinstanzen Die Figuren65 in den analysierten Texten repräsentieren Wissen auf verschiedene Weise. Sie können dieses z. B. direkt repräsentieren, d. h. sie stellen quasi die Manifesta-

64 Siehe ausführlich im Abschnitt 4.2.3.2. 65 Figurenkonstellationen und Figurenentwicklungen sind hier ausgenommen und werden weiter unten thematisiert. Ebenso ausgeblendet werden Modi der intradiegetischen Informationsvergabe im

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tion einer Wissensmenge bzw. eine vom Text etablierten Hypothesenmenge dar. Dies ist z. B. der Fall in Klontexten, in denen die Klone im wahrsten Sinne des Wortes die Inkarnation der Hypothese darstellen, dass es möglich sei, einen Menschen zu klonen. Indem die Texte diese Figuren präsentieren, mit Eigenschaften ausstatten und sich in einem Beziehungsgeflecht entwickeln lassen, dienen sie als Beleg ihrer Denkund ‚Machbarkeit‘. In Blueprint und Copy werden die Klone textintern zwar anfänglich als Verletzung der Ordnung der dargestellten Welt inszeniert, die sie dann jedoch nachhaltig ändern: Die einmal überschrittenen Grenzen werden gerade nicht restituiert, vielmehr stellen die Klone ein Metaereignis dar, mit dessen Folgen nunmehr gelebt werden muss. Eine Ausnahme hiervon bilden Sexy Sons und der zweite Band von Klonfarm, in denen die Klone schließlich aus der dargestellten Welt getilgt werden. In ähnlicher Weise repräsentieren die Figuren Beatrice und Neil in Götterdämmerung die Folgen von Mutationen. Diese verleihen ihnen die notwendige Anpassungsfähigkeit an ihre Umwelt und sichern dadurch ihr Überleben. Auch die in Schwarm entdeckte Lebensform der „Yrr“ repräsentiert auf diese Weise evolutionstheoretische Hypothesen.66 Weiterhin dienen die Figuren als Repräsentanten bestimmter Wissensmengen, indem sie als deren Sprachrohr fungieren und/oder entsprechendes Wissen gezielt vermitteln. Dazu zählt die große Zahl an Wissenschaftlern, die sich quer durch die analysierten Texte zieht. Nahezu alle der Texte erteilen den Lesenden entsprechende Lektionen auf bestimmten Wissensgebieten, insbesondere zu Genetik, Bakteriologie, Quantentheorie, Meeresbiologie, Mykologie und Ökologie. Die Texte wählen dazu recht konventionelle Wege der strukturellen Einbindung als 1. direkte Zitate, 2. Dialog zwischen Wissenschaftler und Laie, 3. Interview oder 4. fingiertes Fachgutachten. Die dialogische Form der meisten Vermittlungswege erlaubt nicht nur die Identifikation der Leserschaft mit den textinternen Zielpersonen, sondern vor allem auch ein Frage-Antwort-Schema, welches die im Grunde wenig komplexe Art der Vermittlung67 auflockert. Insgesamt lässt sich für eine große Zahl von Texten ein starker Kontrast zwischen der Komplexität der Inhalte und der gewählten Form feststellen. Wanning (2008: 343) äußert daher in Bezug auf Schwarm die These, dass aktuelle Probleme auf möglichst schematische Weise vermittelt würden, um eine Konzentration auf die Inhalte zu gewährleisten.68

Sinne eines Wissens der Figuren. Zum Thema des Figurenwissens im Sinne „ganz verschieden geartete[r] Beziehungen zwischen literarischen Figuren und Wissen“ siehe einführend Jappe et al. (2012: 2). 66 Zu diesen Prozessen und den damit verbundenen Phänomenen und Strategien siehe allgemein Abschnitt 4.2.3 und insbesondere Abschnitt 4.2.3.2. 67 Ähnlich auch Hahnemann (2006: 145). 68 Für eine diesbezügliche Analyse von Schwarm siehe ausführlich Wanning (2008) sowie im Hinblick auf serielle Strukturen als massenwirksame, „optimale Präsentations- und Rezeptionsweise“ Giesenfeld (1994: 5).

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Ein Beispiel für diese Art von Vermittlungsstrukturen bietet das Kapitel 17 von Sexy Sons (202–212) in dem der Mikrobiologe Dr. Schenker der Kommissarin Martin eine Einführung in die Bakteriologie gibt. Im Zuge seiner Ausführungen referiert der Wissenschaftler die Entwicklung und Symbiose von Bakterien zu komplexeren Zellen und Organismen (Endosymbiose, vgl. Kutschera 2001: 99–136). Ausgehend von diesem – durchaus faszinierenden – Einblick in Welt der Mikroorganismen werden nicht nur verschiedene wissenschaftliche Positionen diskutiert, sondern aktuelle Forschung auf dem Gebiet der relevanten Wissensmenge aufgegriffen und extrapoliert.69 Die vermittelten Inhalte sind durch ihre Kohäsion, Kohärenz und Informativität augenscheinlich präsent, auf konkrete Wissensmengen bzw. wissenschaftliche Diskurse bezogen (Selektivität) und vereinfachen so die weitere textspezifische Gestaltung bzw. Transformation (siehe Abschnitt 4.2.3). Noch ‚performativer‘ angelegt sind textinterne wissenschaftliche Diskussionen zwischen Expertinnen und Experten, die ihren Standpunkt in die Deutung von Sachverhalten und Situationen einbringen. Die Leserschaft partizipiert hier an einem fiktionalen Fachgespräch, dessen Ergebnis sich durch seine scheinbar wissenschaftlichargumentative Genese Autorität verschafft. Die Texte kopieren, simulieren und inszenieren also wissenschaftliche Verfahren und Prozesse, wodurch sie für ihre Aussagen Wissensstatus reklamieren – sie produzieren Wissensansprüche. Ausgiebig machen die Texte Cusanus, Pilz, Schwarm und Sexy Sons von dieser Form der Wissensrepräsentation Gebrauch. In Kapitel 29 von Pilz (hier: 325–338) werden so etwa mögliche Ursachen dafür gesucht, weshalb die Mykotrophie70 von einem kommensualistischen (nicht-schädlichen) Verhältnis in einen biotrophen Parasitismus umgeschlagen ist. Nachdem im Verlauf der Narration verschiedene Ursachen erwogen wurden, ermittelt die Wissenschaftlergruppe, dass es sich um ein latentes Virus handeln müsse, welches durch den äußeren Einfluss der Genmanipulation wieder über die zur Genexpression und Genomvermehrung benötigten Proteine verfügt.71 Unabhängig davon, ob die Ergebnisse der textinternen Untersuchung im epistemologischen Sinne textextern wahr sind, veranschaulicht der Text einen Prozess, der

69 Der im Text etablierte erdölabbauende Mikroorganismus ist vergleichbar mit dem Bakterium Alcanivorax borkumensis, welches ebenfalls Öl abbaut. Zur Geschichte der diesbezüglichen Forschung siehe „Bakterien gegen Ölpest“ (Handelsblatt online, 20.05.2010) und „Appetit auf Öl“ (Tagesspiegel online, 25.08.2010). Zum wissenschaftlichen Hintergrund: Schneiker, Susanne et al. (2006): Die Entschlüsselung der Genomsequenz des marinen, Erdöl-abbauenden Bakteriums Alcanivorax borkumensis. In: Genomxpress, H. 3, S. 17–19. 70 Ernährung von Pflanzen mit Unterstützung von symbiotischen Pilzen, den Mykobionten (vgl. Weber et al. 1993: 267). 71 Zum mykologischen Hintergrund (Symbiose, Mykorrhizabildung, Arten der Symbiose, Parasitismus, Folgen) siehe Weber (1993) und Schön (2005). Details zu latenten Retroviren erläutert Modrow (2010: 13): Wenn eine Wirtszelle infiziert ist, sind verschiedene Szenarien denkbar: Zerstörung, persistierende Infektion, latenter Zustand (keine Bildung infektiöser Partikel), Immortalisierung/Transformation (Tumorzelle).

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epistemologische Strategien der Rechtfertigung imitiert und folglich Wissensstatus beansprucht. Beispielhaft realisiert auch Schwarm dieses Verfahren und führt dazu gleich mehrere Wissensmengen zusammen. Oftmals fungieren die Figuren nicht nur als neutrale Instanzen der Wissensvermittlung, sondern markieren durch ihr Verhalten, ihre Eigenschaften und Einstellungen auch spezifische Positionen im wissenschaftlichen oder kulturellen Diskurs. Hierdurch werden sie semantisiert und in die Ordnung der dargestellten Welt eingebunden. Die lässt sich am Beispiel der Figur Pamela Barring in Klonfarm (70, 99–100) verdeutlichen: Sie ist Genetikerin und dient textintern der Vermittlung basaler genetischer Zusammenhänge. Ihre direkten Äußerungen und die Zuschreibung von Eigenschaften von anderen Figuren charakterisieren sie als skrupellos, menschenverachtend und fortschritts- bzw. wissenschaftsgläubig. Sie und mit ihr manche der anderen Figuren werden damit zu Elementen von Motivstrukturen, die sich durch viele Texte ziehen, und die die Wissenschaftler als mad scientists, korrupte Opportunisten, mit einem Gottkomplex behaftet oder eher humoristisch als zerstreute und alltagsuntaugliche Individuen porträtieren.72 Sie fungieren dadurch als Kontrastfiguren und illustrieren die Werteordnung der dargestellten Welt. Dieses Phänomen zeigt sich verstärkt bei Figuren, die gleichzeitig Indikatoren für intertextuelle oder interdiskursive Bezugnahmen darstellen bzw. sprechende Namen haben.73 Eine solche Figur ist der Meeresbiologe Leon Anawak in Schwarm, dessen Arbeit, Charakteristika und Entwicklung ihn zum neuen Prototypen des naturliebenden Wissenschaftlers (vgl. Wanning 2008: 349) bzw. Vertreter einer deep ecology machen: Deep ecology identifies the anthropocentric dualism humanity/nature as the ultimate source of anti-ecological beliefs and pratices. (Garrad 2004: 23)

Anawaks Walforschung74 weist ihn zum einen als Repräsentant einer kritischen Haltung zum ökologischen Diskurs aus. Seine Entwicklung (siehe Abschnitt 4.3.3.1) etabliert ihn zum anderen als Kontrastfigur und macht ihn damit gleichermaßen zu einem Repräsentanten eines zentralen Textparadigmas, nämlich der natürlichen ‹Ordnung›.

72 Für einen Überblick über solche Motive in Literatur und Film im Allgemeinen siehe die Arbeiten von Wulff (2001a, 2001b) und Caduff (2003a, 2003b). Prototypisch realisiert finden sich diese als Figuren in Klonfarm (Cornwall), Copy (Wedeberg), Pilz (Olson), Blueprint (Fisher), Götterdämmerung (Mears), Designerbaby (Hellmann), Schwarm (Rubin), Cusanus (Ishida). 73 Maria, Gabriel Fisher, Schrödinger, Dr. Hellmann. 74 Er vermittelt Wissen zum Körperbau, Fress- und Kommunikationsverhalten von Walen. Seine Forschung zielt darauf ab, Wale als selbstbewusste, nicht aber ‚menschliche‘ Spezies zu konturieren. Dazu führt er den Spiegel-Selbsterkennungstest mit Walen durch (Schwarm: 77, 88, 102, 106, 146, 295). Im Sinne von Garrad (2004: 148) kann er dadurch auch als ecocritic bezeichnet werden, der den ökologischen Diskurs insofern hinterfragt, als er sich zwar für die Subjektivität des nicht-menschlichen Lebens interessiert, sich dabei aber der Probleme von Grenziehungsmechanismen und Grenzkonstrukten bewusst ist und diese in seiner Arbeit reflektiert.

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Dass die Figuren solche diskursiven Positionen repräsentieren, reflektiert der Text Sexy Sons, indem er eine Fernsehdebatte zum Thema Sexualität inszeniert. Diese fungiert nicht nur als dialogische Vermittlungsinstanz von diversen Wissensmengen über Sexualität, sondern lässt auch Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen wie Evolutionsbiologie, Sozialwissenschaft, Anthropologie und Fortpflanzungsmedizin zu Worte kommen, deren spezifische Positionen textintern diskutiert und abgewägt werden. Zum selben Instrument greift auch Duplik im Kapitel „Das Bekennervideo“ (132–148), in dem der moralische Status von Klonen aus Sicht von Politikern, Wissenschaftlern und Vertretern von Glaubensgemeinschaften erörtert wird. Durch die auffällige strukturelle Einbindung markieren die Texte diese Abschnitte als besonders relevant und legen in ihnen die wesentlichen semantischen Verwerfungslinien der dargestellten Welt offen. Dies sei schließlich noch an der Figur Beatrice (Götterdämmerung) aufgezeigt: Sie ist das Ergebnis eines genetisch manipulierten In-Vitro-Fertilisationsverfahrens und dadurch Trägerin eines latenten Virus, der durch Schwangerschaftshormone ausbrechen würde. Im Text wird sie als nahezu übermenschlich (489) und elfengleich (236) beschrieben und nennt sich im Chat „Morgana“ (79). Gleichzeitig wird sie aber auch mit der mythologischen Figur der Pandora in Verbindung gebracht (122, 194), die als femme fatal gelten kann (vgl. Harst/Schmid 2008).75 Durch eine Begegnung mit Neil (ebenfalls Mutationsträger) und eine daraus resultierende Schwangerschaft wird das Virus in ihr reaktiviert und leitet die titelgebende Götterdämmerung in Form einer unkontrollierbaren Pandemie ein. In Beatrice konvergieren somit nicht nur verschiedene Wissensmengen. Sie personifiziert vielmehr den im Text verhandelten Verstoß gegen die natürliche ‹Ordnung›.

Textspezifische Gestaltung – das Beispiel Der Schwarm Frank Schätzings Roman Der Schwarm (2004) entfaltet auf knapp eintausend Seiten, wie die Existenz der Menschheit von einer kollektiven Schwarmintelligenz aus der Tiefsee bedroht wird. An verschiedenen Orten der Erde treten scheinbar unabhängig voneinander maritime Erscheinungen auf, die von verschwunden Fischerbooten über aggressive Wale und massenhaftes Auftreten von Urwürmern im Gebiet der Küsten hin zu mit Neurotoxinen verseuchten Hummern reichen. Die Hypothese, dass es sich bei den Phänomenen um gezielte Angriffe der Natur auf den Menschen handeln könnte (218–230), verdichtet sich, als man parasitäre Planktonlebewesen in den untersuchten Hummern findet, Urwürmer beginnen, die Methanhydratvorkommen in

75 Beatrice teilt mit Pandora das Merkmal der teilweise künstlichen Herstellung (Pandora: aus Lehm), ihre Schönheit und tendenziell die Gabe der falschen Rede (vgl. Harst/Schmid 2008). Anstatt ein Vorratsfass (Büchse) mitzubringen, ist sie jedoch selbst die Todbringende, in der das mutierte Genom als Hoffnung auf eine Heilung oder Anpassung der Menschheit verbleibt. Die Figurenkonstellation der mythologischen Vorlage wird indes nicht eindeutig erkennbar adaptiert.

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den Küstengebieten zu destabilisieren76 und die thermohaline Zirkulation77 auszusetzen beginnt. Ein amerikanisch-kanadischer Krisenstab wird eingerichtet, der einen anscheinend ‚fremdgesteuerten‘ Wal durch einen Tauchroboter beobachten lässt. Das Video bestätigt die Annahme einer submarinen, bläulich leuchtenden Lebensform mit schlangenartigen Tentakeln. Während die ersten Küstenstädte durch Tsunamis vernichtet werden, erhärtet sich der Verdacht, dass es sich bei den als „Yrr“ bezeichneten Wesen um eine intelligente Rasse handeln könnte, die aus einem alternativen Evolutionsprozess hervorgegangen ist, über eine natürliche Biotechnologie sowie eine Kultur verfügt, die dem Menschen überlegen ist und diesen als Schmarotzer im terrestrischen Ökosystem betrachtet. Während erster erfolgreicher Kommunikationsversuche auf der Basis des SETI-Projektes78 werden die Yrr genauer untersucht. Bevor eine Biowaffe zur Vernichtung der Yrr fertiggestellt werden kann, greifen diese die schwimmende Kommandozentrale des Krisenstabs an. Zwei der Teammitglieder tauchen in die Tiefsee, wo sie den Yrr eine Pheromonbotschaft mit dem Signal „Ich bin Yrr“ (952–979) übermitteln. Während den Wissenschaftlern ein tieferer Einblick in die Organisationsform der Yrr jedoch verwehrt bleibt, sieht sich die Menschheit von der Spitze der Schöpfung verdrängt und steht während eines latenten Waffenstillstands vor der größten Anpassungsaufgabe ihrer Geschichte: „Nichts ist mehr, wie es war“ (987). Schwarm ist derjenige Text im Analysekorpus, der die meisten Wissensmengen anspricht. Dazu gehören: Klimatologie, Ökologie, Schwarmtheorie, Neurologie und Theorie der Künstlichen Intelligenz, allgemeine Biologie, Molekularbiologie und Genetik, Meeresbiologie, Meeresgeologie, Cetologie (Walkunde), Astrophysik, Psychologie, Chaostheorie sowie zahlreiche biblische, literarisch-motivgeschichtliche, musikalische und populärkulturelle Bezüge.

76 „Gashydrate wirken im Porenraum von Meeressedimenten wie ‚Zement‘ und rufen dadurch eine hohe Festigkeit und Stabilität des Meeresbodens hervor. Werden durch Druck- oder Temperaturschwankungen die Poren füllenden Gashydrate zersetzt, so kommt es zu einer enormen Abnahme der Bodenfestigkeit und submarine Rutschungen können die Folge sein. Letztere können Flutwellen (Tsunamis) auslösen, mit Wellenhöhen an den betroffenen Küsten von bis zu einhundert Metern“ (Latif 2009: 180–181). 77 Die THC ist ein System von Meeresströmungen, das den Globus umspannt, den Austausch von kalten und warmen Wassermassen fördert und daher ein maßgeblicher Faktor im Klimasystem ist. Sie hängt grundsätzlich von Frischwasserzufuhr, Salzgehalt, Temperatur und Wasserdichte ab, aber auch von der Mischung von Wassermassen und der Interaktion mit windbedingten Strömen. Ein Stillstandszenario ist zwar grundsätzlich denkbar, aber ein kompletter Stillstand durch Klimaveränderungen wäre erst im Laufe von mehreren Jahrhunderten zu erwarten (vgl. Rahmstorf 2000, 2006). Eine populäre Darstellung dieser Thematik bietet Wolfgang Emmerichs Film The Day after Tomorrow (USA 2004). 78 Search for Extraterrestrial Intelligence.

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Die Bezugnahmen auf ökologisch-klimatologisches Wissen etablieren realistische Hintergrundannahmen auf dem Niveau gegenwärtiger wissenschaftlicher Forschung in Form von Fachtermini, Paraphrasen, Dialogen und übergeordneter Erzählerrede. Bereits im Prolog etabliert der Text eine Welt, in der Klimaphänomene wie El Niño79 sich auf die Fischgründe und damit auf die Menschen, die von der Fischerei leben, auswirken. Auch die im Text geschilderten oder angedeuteten Folgen des Klimawandels dürfen als realistisch gelten.80 Insgesamt etabliert der Text hierdurch nicht nur zentrale Konzepte der Klimatologie, sondern auch das Paradigma einer organischen Verbundenheit von Mensch und Ökosystemen. Der Eingriff des Menschen in diese natürliche – wenn auch chaotisch wirkende – Ordnung hat den Planeten bereits nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen (766). Der ökologische Diskurs ist auf Handlungsund Figurenebene sowie in Sachtextpassagen präsent und inszeniert wissenschaftlich-objektive Darstellung ökologischer Probleme und deren Folgen genauso wie die subjektive Auseinandersetzung mit ihnen. Da der Ökologiediskurs als breit und massenwirksam popularisiert gelten kann, bietet der Text einen allgemein zugänglichen Anknüpfungspunkt. Der Text bezieht sich nicht nur auf biblische, sondern in eher außergewöhnlicher Weise auch auf indianische Schöpfungsmythen. Die Mythen der nordwestamerikanischen Nootka (Nuu-chah-nulth) und Ditidaht reflektieren die Verbundenheit von Mensch, Tier und Natur. Sie beziehen sich auf eine ferne Vergangenheit, in der Menschen und Tiere noch eins waren, bevor die sogenannten Transformers alles formten. Sie stellen also eschatologische Deutungen der Entstehung der Welt in ihrer heutigen Form dar und gründen auf dem Paradigma eines gemeinsamen Ursprungs bzw. eines übergreifenden Verbundenseins (vgl. McMillan 1999: 32). In anderen Worten: „Alles ist eins. Was mit dem Fluss passiert, passiert mit dem Menschen, den Tieren, dem Meer. Was einem geschieht, geschieht allen“ (Schwarm: 309). Das Deutungsmuster, das der Text hiermit in dialogischen Nacherzählungen einführt, wird textintern durchaus kritisch reflektiert (310). Schlussendlich wird es jedoch – das Spezialwissen allegorisch verallgemeinernd – als zur Ökologie komplementäre Weltsicht akzeptiert (309, 318, 672), die die Ereignisse im Text vor dem Hintergrund des Verrats der Natur durch den Menschen deutbar macht (629) und das Paradigma einer natürlichen ‹Ordnung› bzw. des Verstoßes gegen selbige konsolidiert. Diese Entfremdung des Menschen von der Natur, die Angst vor dieser und die Rückkehr zur Natur wird exemplarisch durch die Figur Leon Anawak repräsentiert. Die Verhandlung und Aufarbeitung seiner Identitätskrise integriert zusätzlich implizites psychologisches Wissen.

79 Warmer Oberflächenstrom, der um die Weihnachtszeit (El Niño = Christkind) auftritt. Er ersetzt kaltes, nährstoffreiches Wasser vor der Küste Perus und geht mit der Verlagerung von Niederschlagssystemen über dem tropischen Pazifik und der atmosphärischen Zirkulation einher. 80 Zu den Folgen des Klimawandels siehe Rahmstorf/Schellnhuber (2006: 54–81) sowie ausführlich in: Müller, Michael; Fuentes, Ursula; Kohl, Harald (Hg.) (2007): Der UN-Weltklimareport. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

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Die unzähligen Details über Meeresbiologie und Meeresgeologie – oftmals in moderne Wissenschaftssprache (Termini) eingebettet – unterstreichen den Faktizitätsanspruch des Textes. Neben der bereits erwähnten Rolle der Methanhydratvorkommen (55, 127, 238, 253) etabliert der Text einen erstaunlich detaillierten Bezugsrahmen für meeresbiologische Zusammenhänge. In wissenschaftlichen Vorträgen von Figuren, Dialogen und übergeordneter Erzählerrede etabliert er Kategorien und Frames von Organismen bzw. deren Interaktion. Explizit wird z. B. die Kategorie der Polychäten eingeführt (30, 55, 127, 137). Dabei handelt es sich um eine Familie von Würmern, die in methanhaltigen Sedimenten siedeln und dort mithilfe von chemoautotrophen Bakterien81 überleben, die sie in speziellen Organen (Trophosom) mit sich führen (vgl. Rouse/Pleijel 2002: 1–5, 33, 96, 202–205). Die differenzierte Bezugnahme hierauf oder auch Spezialwissensmengen wie die Intraspezies- und Interspezieskommunikation durch chemische Botenstoffe (Schwarm: 835–841) suggeriert durch die Menge, Dichte und Vernetzung der Bezugnahmen eine durch Wissenschaft beschreibbare und begreifbare reale Welt und somit auch plausible dargestellte Welt.82 Diese wissenschaftlich beschreibbare Welt ist jedoch nur ein Teil der dargestellten Welt. Ihr steht ein unbekanntes Universum (62, 68, 247, 791) in der Tiefsee gegenüber, ein „inner space“ (953), der fremd, dunkel, unberechenbar, voller Ungeheuer und nicht für den Menschen gemacht ist (68, 313, 388, 397, 402, 430, 791): Zwei Planeten, die wir nur als solche nicht erkennen, weil sie zu einem verschmolzen sind. [. . . ] Aber während das eine System um die Entwicklung des anderen wusste, hat das andere bis heute keinerlei Vorstellung von der Komplexität der Welt unter Wasser, oder – wenn Sie so wollen – von dem fremden Universum, mit dem wir diesen Globus teilen. (Schwarm: 572)

Gerade diese unbekannte Welt ist der Ort des Schwarms, der nicht nur das absolut Fremde und das ‚Andere‘ des Menschen repräsentiert, sondern auch eine wehrhafte Natur, eine „Allegorie der Dynamik des Lebendigen, des Lebens selbst“ (Horn 2009: 120). Zur Konturierung und Plausibilisierung dieses anderen Raumes bzw. der Yrr adaptiert der Text Wissen aus Molekularbiologie, Genetik, Evolutionstheorie und Neurologie. Hierdurch liefert der Text nicht nur eine hypothetische Erklärung für die Möglichkeit der Existenz der Yrr und ihre Charakteristika. Vielmehr postuliert er eine alternative Evolutionstheorie (Schwarm: 741–747, 766, 829–832, 852), die sich aus

81 Chemoautotrophie ist eine spezielle Form der Chemotrophie, d. h. der Nutzung von chemischer Energie, bei der nur anorganische Stoffe für die Energiegewinnung umgesetzt werden (vgl. Rouse/Pleijel 2002: 33). Zur Einführung siehe Kornprobst (2010: 1263–1280) sowie Bakus, Gerald J.; Targett, Nancy M.; Schulte, Bruce (1986): Chemical Ecology of Marine Organisms: An Overview. In: Journal of Chemical Ecology, Jg. 12, H. 5, S. 951–987. 82 Wanning (2008: 343) geht so weit, die Wissenschaft im Text als Garantin einer „fiktive[n] Gewissheit“ zu bezeichnen. Dem ist insofern zuzustimmen, als viele Figuren als wissenschafts- und fortschrittsgläubig gelten können und die zahlreichen Bezugnahmen in der Tat eine Entzauberung und Verwissenschaftlichung der Welt kommunizieren. Diese werden aber ja gerade vom Text unterlaufen.

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überholten Theorien (Lamarckismus83) und aktueller Forschung (u. a. Epigenetik84 ) gleichermaßen speist und den Menschen als ‚Krone der Schöpfung‘ entthront.85 Das Deutungsmuster des Verstoßes gegen die natürliche und tendenziell auch göttliche ‹Ordnung› wird durch die massive Präsenz biblischen Wissens gestützt. Der Text verortet seine Handlung nicht nur selber vor dem Hintergrund der Schöpfungsgeschichte, sondern stellt sie durch explizite Bezüge (Zitate) und Aufrufen von Konzeptbestandteilen in den Kontext biblischer Erzählungen vom Untergang. So wird insbesondere das Konzept ‹Apokalypse› durch ein Zitat aus der Offenbarung (16,2–5) etabliert (Schwarm: 25) und durch wiederholte wörtliche Bezugnahme oder Periphrasierung (402, 425, 665) aktualisiert. Darüber hinaus nimmt der Text implizit Bezug auf die Sieben Plagen (Exodus 7,19–21, Schwarm: 234, 665), die Sintflut (Genesis 6–9, Schwarm: 402, 416, 475) und weitere biblische Motive.86 Diese Bezüge verdichten sich zum Paradigma des ‹göttlichen Zorns›, der auf die verfehlte Menschheit herabkommt: „Gott hat die Geduld verloren“ (482). Dass es sich hierbei um ein Deutungsmuster handelt und, dass sich die im Text etablierten ökologischen, mythologischen und biblischen Deutungsmuster gegenseitig stützen, wird dadurch offenbar, dass der Text diverse, semantisch äquivalente populärkulturelle Bezüge aufbaut. Dazu gehören u. a. Bezugnahmen auf: Die Vögel (Hitchcock, USA 1963), The Abyss (Cameron, USA 1989), Contact (Zemeckis, USA 1997), Armageddon (Bay, USA 1998)87 und Independence Day (Emmerich, USA 1998). Die Bandbreite, Häufung, Selektivität und semantische Äquivalenz der intermedialen Bezugnahmen ist nicht nur Garant für ein nachhaltig etabliertes ökologisch induziertes und eschatologisch ausgedeutetes Weltuntergangsszenario, sondern auch dessen altersgruppen- und schichtübergreifende Verständlichkeit.88 Der Schwarm fällt zusammenfassend durch die große Zahl der im Text repräsentierten Wissensmengen auf, die trotz ihrer scheinbaren Heterogenität auf die zentra-

83 Der Lamarckismus geht zurück auf den Botaniker und Zoologen Jean-Baptiste de Lamarck (1744– 1829), der in seiner Evolutionstheorie die Vererbung erworbener Eigenschaften durch Gebrauch bzw. deren Verkümmern durch Nichtgebrauch postuliert. Darwin grenzt sich später von Lamarck ab und legt eine plausiblere Evolutionstheorie vor. 84 Siehe einführend bei Allis et al. (2009): Die Existenz und grundlegende Funktion der DNAReparatur sowie auch von Repressoren, die solche Reparaturen verhindern, sind bekannt. Allerdings führt dies beim Menschen nicht dazu, dass die DNA ‚lernt‘, da die Translation und Transkription nur unidirektional verläuft (d. h. von der DNA über die RNA zum Protein). Tatsächlich werden aber Veränderungen der Gentranskription beobachtet, die nicht auf der Veränderung der DNA beruht, und die trotz ihrer fehlenden genetischen Codierung vererbt werden können. 85 Zur Analyse der Yrr als Wissensobjekt siehe Abschnitt 4.2.3.2. 86 Hiob, Racheengel, Imitation biblischer Erzählweise und Verweis auf die vernichtende Hand Gottes. 87 Hiermit wird gleichzeitig auch das Apokalypse-Skript gestützt, das eine letzte Schlacht bei Harmageddon beinhaltet (vgl. Offenbarung 16,13–16). 88 Siehe hierzu auch die Ausführungen zur Hyperkonnektivität in Abschnitt 4.2.3.1.

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len Paradigmen des Textes bezogen werden können. Der Detailreichtum bzw. die Differenziertheit der Bezugnahmen und die Imitation wissenschaftlicher Sprache und Erkenntnisprozesse stellen dabei die wesentliche Grundlage für die durch den Text postulierten Wissensansprüche dar. Wenn der Text die meisten naturwissenschaftlichen Bezüge auch nur als genrekonventionelle Folie für seine Handlung integriert, so zeigen sich in Bezug auf die kulturellen Wissensmengen komplexe Adaptions- und Transformationsprozesse, die letztlich zu weiterreichenden Wissensprozessen führen (siehe dazu Abschnitt 4.2.3).

b) Tiefenstruktur Figurenkonstellationen und Figurenkonzeptionen Figuren können nicht nur als Repräsentanten bestimmter Wissensmengen fungieren, sondern durch die Art und Weise ihrer Relationierung auch semantische Oppositionsund Äquivalenzrelationen abbilden, die einer Wissensmenge inhärent sind. Die Wissensmenge wird dann durch die Figurenkonstellation repräsentiert. Während dies für Wissensmengen mit klaren semantischen Leitdifferenzen – wie etwa der Psychoanalyse (vgl. Anz 2002: 343) – leicht vorstellbar ist, so erscheint dies für Wissensmengen bzw. Wissensordnungen wie die Molekularbiologie, die Genetik oder die Physik eher unwahrscheinlich. In den analysierten Texten finden sich allerdings Beispiele für die figurale Repräsentation psychologischen sowie ferner auch literarischen, philosophischen, mythologischen und evolutionstheoretischen Wissens. Während dieses Wissen einerseits lediglich durch die Figuren(konstellation) abgebildet zu werden scheint, lassen sich bei genauerem Hinsehen komplexe Transformationsprozesse nachzeichnen. Hierzu werden im Folgenden vier Beispiele aus den Texten Sexy Sons, Zweiundvierzig, Blueprint und Schrödinger angeführt. 1. Im Text Sexy Sons begegnen wir dem Fortpflanzungsmediziner Herbert van Steeb. Er hat nicht nur einen Mikrophallus (64), sondern leidet auch an Gynäkomastie89 (66). Weiterhin ist er aufgrund einer vormaligen Erkrankung an Hodenkrebs grundsätzlich zeugungsunfähig (74). Insgesamt eine „Montagsproduktion“ (92) lebt er in einer Scheinehe, pflegt einen nachhaltigen Hass auf die – vor allem attraktive – Welt (120) und sublimiert seine Depressionen durch seinen Beruf. Er gehört also grade nicht zu den titelgebenden Sexy Sons.90 Zu diesen zählen im Text die erfolgreiche Schwimmerin Rebecca Scholz, der 60 Jahre alte, aber immer noch virile Eduard Dietrich Senft sowie sein geklonter Sohn, Didi.

89 Vergrößerung der Brustdrüsen, die zur Ausbildung eines sogenannten Männerbusens führt. 90 Zum evolutionsbiologischen Hintergrund siehe Weatherhead/Robertson (1979). Diese weisen nach, dass die Evolution von Charakteristika, die nicht zum besseren Überleben beitragen oder diesem sogar entgegenstehen können, stattdessen die Chancen erhöhen, sich fortzupflanzen. D. h., Attraktivität führt zu mehr Paarungen und dadurch zu mehr Nachkommen, selbst wenn das Paarungsgebiet im Vergleich qualitativ schlechter ist.

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Da van Steeb zwar zur Aufrechterhaltung seiner Scheinehe Nachwuchs bekommen will, aber weder sich noch seine Frau für genetisch eligibel hält, wird er selbst tätig: Er heuert eine Person an, Rebecca Scholz Zellen zu entnehmen, aus denen er sich ein Kind klont. Der Attentäter entpuppt sich später als Didi, der aus Geldnot anonym Sperma in van Steebs Klinik gespendet hatte. Bei einer Untersuchung dieses Spermas stellt sich Didi als Klon seines ‚Vaters‘ heraus. Die Kommissarin Sigrid Martin will indessen ihre eingefrorenen Eizellen nutzen, um nun doch schwanger zu werden und sucht einen passenden Spender. Da sie E.D. Senft anhimmelt und einen Spender ähnlichen Zuschnitts sucht, befruchtet van Steeb ihre Eizellen kurzerhand mit dem genetisch nahezu identischen Sperma von Didi, sodass ihr zukünftiges Kind genetisch gesehen der gemeinsame Sohn mit E.D. Senft ist. Die Hauptfiguren lassen sich also im Wesentlichen an der durch die Theorie der Sexy Sons etablierten Leitdifferenz ‚sexy‘ vs. ‚nicht-sexy‘ ausrichten, sodass es am Schluss zu einer faktischen (genetischen) Reproduktion nur der Sexy Sons kommt. Einerseits wird dadurch evolutionstheoretisches Wissen durch die Figurenkonstellation und -entwicklung illustriert. Andererseits wird die Theorie der (hier: sexuellen) Selektion durch das Zustandekommen des Fortpflanzungserfolges im Text gerade unterlaufen: Nicht die Individuen selbst entscheiden darüber, wann, wie und mit wem sie sich fortpflanzen, dies wird vielmehr durch van Steeb getan: Über Jahrmillionen waren es ausschließlich die Weibchen, die ihren Partnern fremden Nachwuchs unterschoben. Er war im Begriff und in der Lage, dieses Verhältnis umzudrehen. (ibid.: 311)

Die im Zitat zum Ausdruck kommende, gezielte Steuerung der Fortpflanzung der ‚Population‘ wirft Fragen nach den zugrundeliegenden Funktionen von Sexualität im Text bzw. dem dadurch abgebildeten Werte- und Normensystem auf und führt die evolutionstheoretische Perspektive auf menschliche Sexualität ad absurdum (siehe dazu Abschnitt 4.3.4.1). 2. Durch einen Zwischenfall am CERN in Genf kommt es in Zweiundvierzig zu einem Stillstand der Zeit, von dem nur eine Gruppe von 70 „Chronifizierten“ ausgenommen ist. Diese sind nunmehr von individuellen „Chronosphären“ umgeben, in denen die Zeit regulär weiterläuft, die außerhalb der unsichtbaren Blase um 12: 47: 42 Uhr stehengeblieben ist. Die Gruppe sucht nach Strategien für die Bewältigung der außergewöhnlichen Situation, die der Protagonist als Naturzustand interpretiert: Bei Rousseau, bei Voltaire, bei Diderot gab es doch das Bild von den Wilden, die eigentlich die Guten gewesen seien, die Unverfälschten und Unverbildeten, nicht in den Ketten der alten Gesellschaftsverträge Liegenden, Freie und froh Gemutete wie wir. (ibid.: 270)

Angelehnt an die Gesellschaftstheorie Rousseaus91 , auf die sich das Zitat u. a. bezieht, versucht die Gruppe, sich eine neue Gesellschaftsordnung zu geben. Dazu dient nicht 91 Dreistadiengesetz im Discours sur l‘inégalité (1755). Siehe dazu Kersting (2002: 20–21).

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nur eine Beschreibung der angenommenen Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung nach dem Zeitstillstand (18), sondern auch eine „praktische [. . . ] Ethik für das Verhalten zur Unzeit“ (52). Anders als bei Rousseau kommt es im Text aber gerade nicht zur Errichtung einer legitimierten Herrschaftsordnung „durch freiwillige Selbstbeschränkung aus eigenem Interesse unter der Rationalitätsbedingung strikter Wechselseitigkeit“ (Kersting 2002: 204), sondern zu einem rechts- und staatsfreien Zustand. Dies wird daran deutlich, dass das staatliche Gewaltmonopol außer Kraft gesetzt wurde: Die Grenzen zu bestimmen ist das Schwierigste, wenn niemand antwortet und niemand die Zeit hat zu leiden. Wenn niemand bestraft. (Zweiundvierzig: 201)

Zwar kommt es nicht zum in Hobbes’ Leviathan (1651: 13: 62) beschriebenen „bellum omnium contra omnes“, aber die Selbstbezüglicheit der Figuren, ihr gewalttätiges Verhalten gegenüber anderen Gruppenmitgliedern und insbesondere gegenüber den Nicht-Chronifizierten verhindern die Etablierung eines sozialen Gefüges dauerhaft. Der Text konfrontiert die bekannten gesellschaftstheoretischen Modelle mit einem hyperbolischen Modell der (hyper-)individualisierten Gesellschaft. Während letztere dadurch negativ semantisiert wird, so scheint der Text die gesellschaftstheoretischen Modelle selbst aber abzulehnen. Was bei Rousseau, Voltaire und Diderot noch galt, kann die gegenwärtige Gesellschaft grade nicht mehr adäquat beschreiben: Der zerbrochene Goliath der Zivilisation liegt zu unseren Füßen, und wir können ihn bemalen, schänden oder auffressen, ganz wie es uns beliebt. (Zweiundvierzig: 270)

Die Individuen schließen sich also nicht mehr zu einer Gesellschaft zusammen, sondern „schänden“ diese. Die Figurenkonstellation erweist sich folglich als komplexes Konstrukt, welches das in den Text eingegangene Wissen nicht nur repräsentiert, sondern gleichzeitig rekontextualisiert und zur Formulierung eigener Wissensansprüche semantisch transformiert. 3. In Charlotte Kerners Blueprint (1999) leidet die erfolgreiche Pianistin und Komponistin Iris92 Sellin an Multipler Sklerose. Da das Klonen von Menschen mittlerweile möglich ist, nimmt sie Kontakt zum kanadischen Wissenschaftler Mortimer Gabriel Fisher auf und lässt sich klonen. So bringt sie ihre ‚Tochter‘ Siri93 zur Welt, auf die sie ihre Wünsche und Hoffnungen projiziert. Aus der Retrospektive wird nun die Lebensgeschichte des Klons geschildert. Der Fokus liegt dabei auf der beginnenden Pubertät und Emanzipation, denn Siri verspürt zunehmend den Drang, sich von der Mutter abzugrenzen. Siri stürzt in eine Identitätskrise, zieht zu einem Freund und emanzipiert

92 Iris (gr.): Botin des Zeus (bei Homer) und der ambivalenten Göttin Hera (Göttin der Ehe, der Geburt und der Frauen). 93 Umkehrung von I-r-i-s, die keine eindeutige Interpretation zulässt, da sich die Umkehrung/Spiegelung ja nicht auf Zeus oder Hera bezieht, sondern auf Iris. Textintern wird allerdings eine negative Semantisierung (Häresie, Sündenfall o.ä.) nahegelegt.

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sich schließlich von ihrer Mutter. Erst nach deren Tod kann Siri ‚neu geboren‘ werden und sich ihrer eigenen Identität gewiss sein. Im Verlauf der Erzählung erfahren wir, dass Iris’ Familie nach Deutschland übergesiedelt ist. Der bald darauffolgende Tod des Vaters war für die damals dreijährige Iris und ihre Mutter Katharina traumatisch. Katharina muss eine Karriere als Pianistin aufgeben, um die Familie ernähren zu können (32).94 Aus diesen Anlagen modelliert der Text eine Figurenkonstellation, die u. a. psychologisches Wissen aus den Bereichen Familienpsychologie, Entwicklungspsychologie, Adoleszenz und Zwillingspsychologie adaptiert. Zunächst fokussiert der Text die nicht-bewältigte Familienvergangenheit, in der Katharina Sellin ihre Karriere zugunsten der Tochter aufgegeben hat. Katharina fühlt sich durch den Klon Siri um ihre eigene einzigartige Tochter und ihr Opfer betrogen (55). Den Unmut hierüber lässt sie nicht nur die Tochter, sondern auch Siri spüren.95 Die narzisstische Kränkung der Mutter und das nicht-verarbeitete Familientrauma werden auf die Beziehung von Iris und Siri übertragen – das Verhältnis von Katharina zu Iris wird mit dem Verhältnis von Siri und Iris gleichgesetzt (Katharina : Iris :: Iris : Siri) (33, 130). Darüber hinaus deutet sich im sprechenden Namen der Haushälterin Daniela Hausmann eine ödipale Konstellation an, die der Text explizit erwähnt und unter der Siri leidet. So ist Iris nicht nur eifersüchtig auf Daniela (59), sondern Siri hegt andersherum mehrfach Mordgedanken gegenüber der Mutter (105, 130). Schließlich nutzt Siri die zunehmende Ähnlichkeit der Frauen, um Iris’ Freund (beinahe) zu verführen (107). In den Klontexten wird die Figurenkonstellation in doppelter Weise zur Repräsentation von Wissen genutzt: Einerseits führt die Darstellung der Klone zur Genese eines Konzeptes ‹Klon›, das molekularbiologisches bzw. genetisches Wissen funktionalisiert, um Wissensansprüche der Texte zu artikulieren: Die literarische Denk- und Darstellbarkeit der Klone wird als Argument ihrer auch textexternen Machbarkeit instrumentalisiert. Andererseits werden psychologische Wissensmengen extrapoliert und mit anderen Wissensmengen hybridisiert, um die Psychodynamik der Klone darstellen zu können. Darüber hinaus sind in den Verhältnissen zwischen Klon und Klonspender sowie Klonspender und dessen Eltern Konzepte psychologischen Wissens realisiert, deren inhärente Leitdifferenzen zur Darstellung eines Antagonismus von Klon und Klonspender funktionalisiert werden. Darüber hinaus werden psychologisch und psychoanalytisch erklärbare Konstellationen aber zusätzlich durch mythologische und literarische Deutungsmuster interpretiert. Hierdurch wird die Konstellation einerseits in einen mythischen Kontext gesetzt. Andererseits schreibt der Text die

94 Diese Konstellation muss unweigerlich auch an Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin (1983) erinnern. Elemente devianter Sexualität finden sich in Blueprint allerdings nicht. 95 Indem Katharina Siri als „Monster“ (Blueprint: 54–55) bezeichnet, adaptiert der Text außerdem das mythologische bzw. literaturgeschichtliche Motiv bzw. der Deutungsmuster der künstlich erschaffenen Kreatur, die sich gegen den Schöpfer wenden wird (Vorlagen: Pygmalion und Frankenstein).

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Deutungsmuster dadurch fort, indem der die in ihm geschilderte Situation unter das Deutungsmuster subsumiert. Die semantische Schnittmenge der aufgerufenen Wissensmengen und Deutungsmuster wird funktionalisiert, um Siri als fremdbestimmt darzustellen.96 4. Auch in Ulrich Woelks Schrödingers Schlafzimmer (2006) wird psychologisches und psychoanalytisches Wissen für die Figurenkonstellation und -konzeption adaptiert. Die Narration lehnt sich dabei insgesamt stark an Arthur Schnitzlers Traumnovelle (1926) an:97 Doris und Oliver haben seit einem halben Jahr kein Sexualleben mehr (19–20, 296), was insbesondere für Oliver inakzeptabel ist. Doris fühlt sich von seinen latenten Vorwürfen bedrängt, sodass sich die beiden zunehmend entfremden. Den aktuellen Zustand leitet der Text aus der psychischen Konstitution nicht nur der beiden, sondern der familiären Figurenkonstellation her. Oliver hat den Weggang seines Vaters nie überwunden, unterhielt eine dysfunktionale Beziehung zur Mutter und projiziert diese Beziehung nun auf andere Frauen. Doris findet demgegenüber keinen Zugang zu Ihrer Sexualität. Sie spürt eine „Barriere“ oberhalb des Bauchnabels, fühlt sich „in das Korsett ihres Körpers“ eingeschnürt, verschlackt. . . (146). Die gescheiterte Ehe ihrer Eltern und die emotionale Distanz zum Vater prägen sie. Den Hass auf die Mutter interpretiert sie nicht nur als Selbsthass, sondern auch als Elektrakomplex (187–193, 249, 286). Olivers und Doris’ Ehe wird also stark von nicht bewältigten Konflikten mit ihren Eltern überlagert. Das Wissen um ihre jeweiligen psychischen Dispositionen war zwar teils bewusst, teils unbewusst vorhanden, wurde aber nicht konstruktiv genutzt. Dies manifestiert sich bei Doris in einer passiven Haltung gegenüber ihren Eltern und dem Wunsch nach einem anderen Selbst. Bei Oliver hingegen äußert sich die Verdrängung der nicht mehr künstlerisch sublimierten Konflikte in einem gesteigerten Sexualtrieb, dem Doris nicht begegnen kann. Die Figur Schrödingers fungiert einem weitestgehend naturalistischen Erzählmodell folgend als Katalysator: Gerade weil er Parallelen zu Doris Onkel (dem Liebhaber der Mutter) aufweist (96), wird der virile Zauberer für sie zur Projektionsfläche (46). Im Zentrum des Interesses steht Schrödingers Schlafzimmer, das der Mittelpunkt seiner kreativen Macht sein soll.98 Der Konflikt kulminiert in den Kapiteln 12 und 13. In diesen betreten sowohl Oliver als auch Doris

96 Die Relevanz der Wissensgestaltung im Rahmen der hier geschilderten Prozesse wird in den Abschnitten 4.2.3.2, 4.2.3.3 und 4.2.4.1 detailliert erläutert. 97 Neben den Parallelen in der Handlung wird diese Annahme durch die folgende programmatische Aussagen gestützt „aber glauben Sie mir, die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren die wichtigste Zeit in der Geschichte der Menschheit. [. . . ] Die ganze Entdeckung der Psyche stammt aus dieser Zeit. [. . . ] Unsere Triebe sind einfach nicht zu befriedigen“ (Schrödinger: 103). „Ich habe das alles nur geträumt, sagte sie sich“ (294). 98 Zur Relevanz von topographischen und semantischen Räumen als Isotopie-Ebene in den Texten siehe weiter unten.

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Schrödingers Schlafzimmer, sehen und erleben dort aber gänzlich unterschiedliche Dinge: Für Oliver realisieren sich dort seine erotischen Wünsche, indem er mit Mata Hari (ob realiter oder im alkoholinduzierten Traum bleibt unklar) schläft (263). Für Doris wird Schrödinger indes zum Inbegriff einer Idealvorstellung ihres Lebens (294). Sein Schlafzimmer entpuppt sich in ihrem Fall aber als steriles Arbeitszimmer mit Neonröhre und einem pritschenartigen Bett (257). Dass Schrödinger auch noch homosexuell ist und Doris’ Wünsche nicht befriedigen kann, deutet darauf hin, dass es bei ihr weniger um den sexuellen Aspekt geht als um die Bewusstwerdung der defizienten Beziehung zu ihrem Vater. Indem sie nach der Begegnung mit Schrödinger Vater und Mutter konfrontiert, gliedert sie ichfremde Anteile ihres Selbst99 aus und zieht eine klare Grenze zwischen sich und den Eltern sowie auch ihrer Ehe und der der Eltern. Dass sich durch Schrödinger gerade kein neues Selbst auf fantastische Weise realisiert, zeigt, dass sie bislang durch Fremdbilder und ein Wunschselbstbild bestimmt war, die sie nun abstreift und die Realität ihres Selbst, ihre Bedürfnisse und Unzulänglichkeiten erkennt und akzeptiert. Auch Oliver reflektiert sein Begehren durchaus bewusst, arbeitet dessen Ursachen aber ebenfalls nicht auf. Indem er seinen Trieb wenigstens im Traum auslebt und anschließend durch schlechtes Gewissen geplagt wird, reinigt er sich seelisch100 und kann zukünftig wieder seine Bilder als Mittel der Triebsublimierung nutzen. Diese befriedigen gleichzeitig auch Doris’ Narzissmus und Wunsch, begehrt zu werden. Oliver realisiert somit Anteile seines Selbst, die er zwischenzeitlich vernachlässigt hatte, erneut und bewusst. Die Bezugnahme auf psychologisches und psychoanalytisches Wissen dient im Text also primär der Plausibilisierung der Figuren. Es wird darüber hinaus funktionalisiert, um einen Konflikt zu inszenieren, dessen Lösung dann zwar auch vor dem Hintergrund psychologischer und psychoanalytischer Theoreme verstehbar ist. Im Kern wird die Lösung jedoch vom kulturellen Normen- und Wertesystem vorgegeben. Olivers Schuldanerkenntnis, seine ‚Reinigung‘ (267) und das (mutmaßlich) nur virtuelle Ausleben seines Triebs bestätigen ein bürgerlich-konservatives Werteset. Schrödinger kann diesem zwar die nötigen Impulse zur weiteren Funktionstüchtigkeit geben, wird aber schließlich als Fremdkörper aus der dargestellten Welt ausgegliedert. Gerade Letzteres lässt auch Spekulationen darüber, ob Oliver nicht insgeheim ein progressives (libertäres) Werteset repräsentieren könnte, eher unwahrscheinlich anmuten. Das funktionalisierte Wissen wird hierdurch rekontextualisiert und insofern strukturell und funktional transformiert, als es nicht nur den Konflikt nachvollziehbar macht, sondern auch dessen ja im Kern normative Lösung zu erklären und zu legitimieren

99 Die folgenden Überlegungen lehnen sich begrifflich an Titzmanns (1989) Überlegungen zum Konzept der Person und ihrer Identität in der deutschen Literatur um 1900 an. 100 „Das Krankenhaus übte eine reinigende Wirkung auf Olivers Seelenleben aus“ (Schrödinger: 267).

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scheint. Die normativ wünschbare, quasi extrinsisch motivierte Lösung wird damit als individuelle entwickelte und quasi intrinsische kaschiert. Resümierend lässt sich festhalten, dass die Repräsentation von Wissen auf der Ebene der Figuren und Figurenkonstellationen dieses nur scheinbar unverändert adaptiert. Tatsächlich wird es semantisch, strukturell und funktional transformiert und dadurch zur Genese neuer Wissensansprüche benutzt oder aber auch in seiner Gültigkeit hinterfragt. Die narrative Figurendarstellung ist somit ein wesentliches Element der Wissensrepräsentation und Wissensgestaltung in den Texten: Nicht nur als Vermittlungsinstanzen werden sie relevant, sondern sie etablieren sich erst als Produkt von Wissensprozessen. Die jeweiligen Wissensmengen manifestieren sich dadurch in den Texten, sie werden quasi ‚objektiviert‘. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Wissen – hier durch die Handlung der Figur(en) – sujetrelevant verarbeitet werden kann. Eine weitere Möglichkeit der Einbindung von Wissensmengen in die dargestellte Welt stellen topografische und semantische Räume dar, deren Konstituierung im Folgenden betrachtet wird.

Ordnung der dargestellten Welten I: Konstituierung von Raum Wissensmengen können in den Texten nicht nur in explizit markierter Form repräsentiert sein. In der Tiefenstruktur der Texte können sie sich auch quasi implizit in der Ordnung der dargestellten Welt realisiert finden. Basierend auf den Wissensmengen inhärenten oder durch sie neu etablierten Oppositions- und Äquivalenzrelationen (semantische Leitdifferenzen, vgl. Anz 2002: 343) bilden die Texte Paradigmen101 aus, die in bestimmten Relationen stehen und dadurch die den Texten zugrunde liegende semantische Ordnung konstituieren (vgl. Krah 2006a: 286; Titzmann 1993: 161). Im Sinne Lotmans (1993) werden die Texte dadurch zu modellbildenden Systemen, indem sie sich der vorhandenen Zeichensysteme bedienen (Selektion) und mit diesen ein neues, sekundäres Zeichensystem aufbauen (Kombination). Die hierdurch entstehenden Modelle von ‚Welt‘ werden durch die paradigmatisch-semantische Ordnung strukturiert, auf deren Basis sich die Handlung vollzieht.102 In vielen Texten sind bestimmte topographische Räume und die an sie gebundenen Ereignisse nur vor dem Hintergrund bestimmter Wissensmengen beschreibbar. Wissen manifestiert sich also auch in konkretisierten semantischen (sogenannten semantisierten) Räumen. Dies wird im Folgenden an fünf Gruppen von Beispielen herausgearbeitet. 1. Prädestiniert zu dieser Form der Wissensrepräsentation sind in erster Linie diverse Labore und Forschungseinrichtungen in den Texten, in denen der Klonprozess

101 Das sind Einheiten von Zeichen, „deren Signifikate über mindestens ein gemeinsames Merkmal verfügen, und dieses Merkmal ist gerade konstitutiv für die Zugehörigkeit zu dieser Einheit“ (Krah 2006a: 58). Siehe ausführlich bei Titzmann (1993: 149–164). 102 Siehe dazu die Ausführungen zur Motivierung der Handlung durch intertextuellen/interdiskursiven Dialog auf Seite 135.

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durchgeführt wird. Der Text Sexy Sons ruft dazu nicht nur Konzepte aus Mikrobiologie, Genetik und Labortechnik auf, sondern auch das Skript ‹Klonen›: In Kapitel 26 begibt sich van Steeb in sein im Kellergeschoss liegendes „IVF-Labor“ (308), in dem er sein zukünftiges Kind aus Zellen der Sportlerin Rebecca Scholz klonen will. Der Raum des Labors wird nicht nur durch seine Lage und Begrenzungen etabliert, sondern auch durch seine Ausstattung charakterisiert bzw. als einer bestimmten Wissensordnung zugehörig ausgewiesen. Nacheinander werden die für den Klonprozess benötigten Requisiten eingeführt: Mikroskop, Monitor, Mikropipetten, Petrischale, Eizellen, Zellkern, Joystick, Brutschrank (310–316). Unter Rückgriff auf evolutionsbiologisches, genetisches und mikrobiologisches Wissen etabliert der Text das Skript eines Klonvorgangs, das durch die Handlung sozusagen vorgeführt wird: Mit dem Joystick steuerte er eine Mikropipette [. . . ] neben die Eizelle. [. . . ] Rebeccas Zellen hatten in den letzten Tagen einen komplizierten Prozess durchlaufen [. . . ]. [. . . ] Er durchstieß die Eihülle und bohrte die Glasspitze vorsichtig in die Zelle hinein. [. . . ] Er leitete die Elektrofusion ein. (ibid.: 310–316)

Der Raum des Labors und die sich in ihm vollziehenden Vorgänge sind erst vor dem Hintergrund der referenzierten Wissensmengen denkbar. Durch die Rekurrenz bestimmter Lexeme und damit von Konzepten wird eine kohärente Isotopie-Ebene erkennbar. Die Raumdarstellung fungiert hier quasi als Bindeglied zu den aufgerufenen Wissensmengen. 2. Neben der Etablierung bzw. Plausibilisierung einzelner topographischer Räume funktionalisieren manche Texte das aufgerufene Wissen in sehr viel umfassenderer Weise, um die gesamte dargestellte Welt(ordnung) zu plausibilisieren. In Birgit Rabischs Text Unter Markenmenschen (2002) wird uns eine Welt präsentiert, in der die genetische Optimierung mithilfe von Präimplantationsdiagnostik und Keimbahntherapie an der Tagesordnung ist. Natürliche Zeugung kommt im Text nur noch in textintern negativ besetzten außergesellschaftlichen Naturräumen vor (29). Textintern werden die textexternen Verhältnisse zum einen extrapoliert, hyperbolisch überzeichnet und auch verkehrt: Die genetische Manipulation wird textintern zum Standard erhoben, wodurch der normale, d. h. nicht genetisch optimierte Mensch, in der dargestellten Welt zur obszönen Abweichung gerät (61, 110–111). Die dargestellte Welt zeichnet sich somit durch ein politisch und wirtschaftlich gestütztes Reproduktionsregime aus, in dem nicht die Natürlichkeit des Körpers und des Menschen, sondern dessen Modifikation, Normierung und Domestizierung erwünscht sind. Textintern wird dieses Modell von Welt durch den pauschalen Verweis auf genetisches Wissen plausibilisiert. 3. Noch deutlicher kommt die raumkonstituierende Rolle von Wissen jedoch in Vermessung zum Tragen. Dort wird die dargestellte Welt als Ordnung von Räumen vor allem durch die Reisen Humboldts etabliert:

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Er war in Neuspanien, Neugranada, Neubarcelona, Neuandalusien und den Vereinigten Staaten gewesen, hatte den natürlichen Kanal zwischen Orinoko und Amazonas entdeckt, den höchsten Berg der bekannten Welt bestiegen, [. . . ] jeden Fluss, Berg und See auf seinem Weg vermessen. (ibid.: 19; vgl. 101–142)

Durch die Auflistung der Orte bzw. die zusammenfassende Beschreibung von Humboldts Reisen und die Darstellung seiner Arbeit an einzelnen Stationen werden verschiedene topographische Räume etabliert und auf der Weltkugel verortet. Wie das Titelbild des Romans bzw. wie die ihm zugrundeliegende Zeichnung eröffnet der Text einen räumlichen Bezugsrahmen, der mithilfe geologischen, geographischen und botanischen Wissens überhaupt erst konstituiert, konkretisiert und plausibilisiert wird und somit als ‚Wissensraum‘ erscheint. Auf diese Weise zeichnet der Text die Wissensordnung103 nach, deren Grundsteine Humboldt textintern zu legen versucht (235–250) und sich realiter in Humboldts Hauptwerk Kosmos (1845–1862) wiederfinden, in dem er „die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganze[s] aufzufassen“ wünscht (Humboldt 1845/2004: 3). Die titelgebende Tätigkeit der Vermessung etabliert aber nicht nur die topographische räumliche Ordnung der dargestellten Welt, sondern thematisiert und reflektiert diese in Gauß’ Forschung auch auf einer Metaebene (Vermessung: 12): Dessen Arbeit trägt zum einen zur Etablierung von Raum – hier aus geodätischer Perspektive104 – bei. Zum anderen wird mit der Biographie des fiktionalen Gauß die Entwicklung der nicht-euklidischen Geometrie105 des historischen Gauß während einer Ballonfahrt106 nachvollzogen: Das in der Ferne gekrümmte Land. Der tiefe Horizont, die Hügelkuppen [. . . ]. [. . . ] Und der Raum selbst: eine Gerade von jedem Punkt zu jedem [. . . ]. Aus Punkten Linien, aus Linien Flächen und aus Flächen Körper [. . . ]. Seine feine Biegung, von hier oben war sie fast zu sehen. [. . . ] [Er]

103 Zur Relativierung dieser auf Rationalität beruhenden Ordnung sowie der im Text oberflächlich postulierten Wissenschaftlichkeit durch Ironie und weitere Techniken siehe Abschnitte 4.2.4.2 und 4.2.4.3. 104 „Gefragt, was er hier tue, erklärte er nervös die Technik der Triangulation: Wenn man eine Seite und zwei Winkel eines Dreiecks kenne, könne man die anderen Seiten und den unbekannten Winkel bestimmen“ (Vermessung: 89). Gauß’ umfassende Tätigkeit deckt alle Teilgebiete der Geodäsie ab und etabliert dadurch eine globale Raumordnung (Erdmessung, Landvermessung, Vermessungskunde, terrestrische und zälestische Bezugssysteme). Zum geodätischen Hintergrund siehe einführend Torge (2003). 105 Die nicht-euklidische Geometrie ersetzt das Parallelen-Postulat von Euklid, spielt mit dem Parallelenbegriff und damit dem Begriff des Unendlichen (vgl. Glaser 2007: 39). Gauß’ Arbeit liefert textintern Beweise, die der Rechtfertigung der postulierten Wissensansprüche dienen. Die Geometrie macht dadurch das Konzept ‚Raum‘ evident (vgl. Kant 2006: 77). 106 Die hier geschilderte Ballonfahrt ist historisch unmöglich: Der Luftfahrtpionier Jean-François Pilâtre de Rozier (1757–1785) war bereits tot, als Gauß mit seiner Forschung begann.

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begriff zum ersten Mal, was Bewegung war, was ein Körper, und was vor allem der Raum [. . . ]. [. . . ] Dass alle parallelen Linien einander berührten. (ibid.: 66–67)

Indem der Text die Biographien von Humboldt und Gauß parallel und schließlich aufeinanderzu- bzw. zusammenlaufen lässt, illustriert er das Prinzip der nicht-euklidischen Geometrie auch auf der Ebene der Narration. Die Versinnbildlichung dieses Raumkonzeptes und die Kongenialität der beiden Wissenschaftler gehen in Kapitel 15 („Die Steppe“) so weit, dass die Handlung in schneller Folge zwischen Gauß und Humboldt wechselt und deren Gedanken sich gegenseitig ergänzen. 4. Ähnlich verfahren auch die Texte Pilz und Schwarm. Schwarm referenziert die Wissenselemente aus Geologie, Geographie, Klimatologie und den benachbarten Disziplinen, um nicht nur eine Raumordnung zu etablieren, sondern das irdische Ökosystem nachzuzeichnen und seine Funktionsweise im Text zu illustrieren. Dazu dienen insbesondere Details zu den marinen und atmosphärischen Zirkulationssystemen und deren Interaktion. Der ökologische Diskurs ist dabei auf Handlungs- und Figurenebene sowie in Sachtextpassagen präsent, sodass die Darstellung ökologischer Probleme und deren Folgen sowohl quasi ‚wissenschaftlich-objektiv‘ wie auch subjektiv verhandelt werden. Im Rückgriff auf klimageschichtliche Details kann der Text den Frame eines komplexen Ökosystems entwerfen, das sich „in einer Phase empfindlicher Gleichgewichtsschwankungen“ (135) befindet und das der Mensch weiter gefährdet. Vor dem Hintergrund des dergestalt etablierten Systems entwirft der Text mithilfe meeresbiologischen, evolutionstheoretischen und molekularbiologischen Wissens nun den Raum der Tiefsee, die der Erdoberfläche als unbekanntes Universum (62, 247, 953) gegenübergestellt wird. Dieser Raum wird durch die Wissensmengen konturiert und plausibilisiert, d. h. seine Grenzen, Beschaffenheit, Bewohner sowie deren Interaktion werden beschrieben, erklärt und auf die Handlung ausgerichtet. Diese kann nun auf Basis der Funktionsweise des Gesamtsystems, des postulierten (und vor dem Hintergrund des ökologischen Diskurses sogar plausibilisierten) Antagonismus zwischen den Bewohnern der Tiefsee und der Erdoberfläche sowie der durch den Text geschaffenen Entität der Yrr stattfinden. Hierdurch inszeniert der Text quasi eine Wahrnehmungskorrektur in Bezug auf die Weltordnung selbst: Während die Figuren bisher den Raum der Tiefsee zwar als belebt, nicht aber Konkurrenz für das Leben auf der Erdoberfläche wahrgenommen hatten, verschieben die Yrr nicht nur diese Wahrnehmung, sondern tendenziell auch die tatsächlichen räumlichen Verhältnisse zulasten der Menschen der dargestellten Welt (987). Pilz verfolgt eine ähnliche Strategie, indem der Text zwar die Wissensmengen nicht zur detailgetreuen Nachbildung des irdischen Ökosystems, wohl aber zur Beschreibung von dessen labilem Gleichgewicht nutzt: „Wir haben es mit einem labilen Gleichgewicht zu tun, mit actio und reactio“ (76). Ausgehend vom realen Beispiel der

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Manipulation des australischen Ökosystems107 (181–183) führt der Text die nicht kalkulierten Nebenwirkungen des Pilzes Amanita wenzeli, einer genetisch modifizierten Fliegenpilzart, vor, die als Symbiosepartner für ebenfalls genetisch manipulierte Bäume dienen sollte. Da Pilz und Baum unbekannterweise Träger eines inaktiven Virus sind, kommt es durch die Symbiose zur Reaktivierung desselben (332–337) und damit zu schweren Folgen für das betroffene Ökosystem. Da die genetische Modifikation von Organismen in der dargestellten Welt zum Tagesgeschäft gehört, zeigt der Text außerdem eine dem australischen Beispiel ähnliche Kaskade von Auswirkungen beim Eingriff in das natürliche Gleichgewicht (158). Hierdurch führt der Text das Konzept des Gleichgewichts im Hinblick auf das ökologische System ein: Er demonstriert implizit und reflektiert explizit, dass die Beeinflussung des Ökosystems zu chaotischen und nicht vorhersehbaren Änderungen führen kann (225): „Das Klima funktionierte nach neuen Regeln, die niemand kannte“ (125).108 Die dargestellte Weltordnung (das Ökosystem) wird im Text schließlich auch als Organismus charakterisiert: Es gibt Hinweise, dass das fein verzweigte Geflecht der Pilzfäden im Boden die Bäume untereinander vernetzt. Wir hätten es dann nicht mit mehreren Einzelindividuen zu tun, sondern mit einem Hyperorganismus, dem Wald, einem System, in dem alle Einzelelemente miteinander in Verbindung stehen, in dem ein reger Austausch von Stoffen und vielleicht Information erfolgt. (ibid.: 112)

Die dargestellte Raumordnung wird hierdurch auch im Sinne des Lebensdiskurses funktionalisiert (siehe Abschnitt 4.3.4). 5. Besonders deutlich tritt die raumkonstituierende Funktion von Wissen im Falle physikalischer Wissensmengen in Cusanus, Schrödinger und Zweiundvierzig hervor. Was in Arthur Schnitzlers Traumnovelle als Ausdruck des Unterbewussten inszeniert wird, scheint in Schrödinger vor dem Hintergrund physikalischer Theorie in den Bereich des Möglichen zu rücken: Das Schlafzimmer des Zauberers Balthasar Schrödinger – Enkel des Physikers Erwin Schrödinger – bleibt solange Gegenstand von Spekulationen bis die Protagonisten Doris und Oliver endlich einen Blick hineinwerfen können. Für Doris entpuppt sich das Schlafzimmer als steriles Arbeitszimmer, für Oliver hingegen als Ort der Erfüllung seiner erotischen Wünsche. Da der Text die Frage offen lässt, ob es sich bei Olivers Erlebnis um einen Traum handelt, überlagern sich beide räumliche Erfahrungen wie die berühmte lebendig-tote Katze in Schrö-

107 Dort wurden seit der Besiedlung zahlreiche Tierarten sowohl absichtlich als auch versehentlich eingeführt, die die vorhandene Fauna und Flora nachhaltig beeinflusst haben. Besonders bekannt ist die Einführung des europäischen Kaninchens, das zur Plage wurde und dessentwegen der Myxomatosevirus ebenfalls absichtlich importiert wurde. 108 Die Annahme, dass die Wirkung der Summe aller Eingriffe nicht kalkulierbar ist, geht auf den sogenannten Schmetterlingseffekt zurück. Damit ist gemeint, dass kleine Abweichungen langfristig ein ganzes System vollständig und unvorhersagbar verändern können. Siehe grundlegend in: Lorenz, Edward N. (1993): The Essence of Chaos. Seattle: Univ. of Washington Press.

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dingers Gedankenexperiment. Der heterotopische Raum des Schlafzimmers wird vor dem Hintergrund der Quantenphysik wenigstens denkbar.109 In Cusanus bleiben textintern keine Zweifel, dass die Ordnung der dargestellten Welt bzw. des dargestellten Universums auf der Interpretation der Quantenmechanik von Hugh Everett basiert: Nicht nur sind Gegenwart und Vergangenheit hier räumlich begreif- und betretbar, sondern bilden auch verschiedene Versionen (Paralleluniversen) aus, die bei jeder Entscheidung neu entstehen und so alle möglichen Entscheidungen im Wortsinne realisieren. Die Verdichtung von räumlichen und zeitlichen Merkmalen ist hier textintern nicht mehr metaphorischer Ausdruck für den Zusammenhang von Raum und Zeit in Anlehnung an Relativitätstheorie (Chronotopos), sondern wird von dem Hintergrund der Quantenphysik als tatsächlich mögliche Realitätsstruktur gedacht. Die Verräumlichung der zeitlichen Struktur korreliert im Text mit unterschiedlichen Wissensordnungen sowie Werte- und Normensets, sodass die jeweiligen Paralleluniversen im Lotman’schen Sinne sujetrelevant werden.110 Die Bewegung in der Zeit wird damit nicht nur zu einer Raumbewegung, sondern auch an die psychische Entwicklung der Protagonistin geknüpft. Die dargestellte Welt in Zweiundvierzig wird gleichzeitig von verschiedenen Wissensmengen strukturiert: Der Stillstand der Zeit in der dargestellten Welt, die Tendenz von der Bewegung zum Stillstand, die Irreversibilität des Stillstands, eine auffällige Kältemetaphorik und schließlich der textinterne Verweis auf den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik111 sprechen für ein entropisches Weltmodell. Diese Annahme

109 Wahrscheinlicher ist natürlich, dass es sich beim Schlafzimmer Schrödingers in der Tat um eine Heterotopie im Sinne Foucaults handelt, einen metaphorischen Nicht-Ort, an dem Oliver seine von der gesellschaftlichen Norm (Ehe) abweichenden erotischen Wünsche (wenigstens in der Fantasie) ungestraft ausleben kann. Nicht umsonst ist das Haus Schrödingers am Rande der Stadt angesiedelt und Schrödinger eine aus einem unbekannten Außenraum kommende katalytische Figur. 110 Bei ihrer Reise in die Vergangenheit wird Domenica als Fremdkörper dargestellt (Cusanus: 577). Im Verlaufe ihres Aufenthalts verletzt die Regeln der Zeitreisenden, gibt Informationen preis, die sie in Bedrängnis bringen und importiert eine in der Vergangenheit (noch) unbekannte Wissensordnung, derentwegen sie schließlich als Hexe angeklagt wird (606). 111 Die Thermodynamik befasst sich mit Erscheinungsformen von Energie und deren Umwandlungen (vgl. Stephan et al. 2007: 1). Thermodynamische Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie einem Gleichgewichtszustand zustreben, das ist der Endzustand eines Austauschprozesses zwischen zwei oder mehreren Systemen bzw. zwischen einem System und seiner Umgebung (vgl. ibid.: 16). Das Gleichgewicht ist erreicht, „wenn sich eine Teilmenge von Zustandsgrößen nach Isolierung des Systems von seiner Umgebung und nach Beseitigung der auf diese Zustandsgrößen bezogenen Hemmungen nicht mehr ändert“ (ibid.). Der zweite Hauptsatz definiert die Irreversibilität/Nichtumkehrbarkeit aller natürlichen und technischen Prozesse: Bei allen natürlichen und technischen Prozessen nimmt die in Arbeit umwandelbare Energie ab, d. h., Wärme kann nie von selbst von einem Körper niederer auf einen Körper höherer Temperatur übergehen (vgl. ibid.: 139): „Stets laufen die Austauschvorgänge in einem abgeschlossenen System so ab, dass die Entropie zunimmt. Sie sind irreversibel. Im Grenzfall des Gleichgewichts erreicht die Entropie ein Maximum“ (ibid.: 172). Die Thermodynamik sichert damit sozusagen eine apokalyptische Vision vom Ende wissenschaftlich ab (vgl. Freese 2006: 7).

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wird auch durch die zunehmende Unordnung in der dargestellten Welt gestützt, die sich durch die Aktivitäten der Chronifizierten einstellt. Tatsächlich wird dieses Modell jedoch auch textintern infrage gestellt, da sich tendenziell neue Organisationsformen herausbilden.112 Allerdings wird auch diese Tendenz textintern u. a. durch den intertextuellen Verweis auf das Märchen Dornröschen relativiert: Indem die Dornenhecke (14, 106, 113) um das Schloss im Märchen aufgerufen und die in der dargestellten Welt vorherrschende Situation als „Dornröschen-Effekt“ (97) bezeichnet wird, wird zunächst die Raumstruktur der dargestellten Welt mit der des Märchens parallelisiert: Die dargestellte Welt wird als das Innere des Dornröschenschlosses gedeutet, aus dem man nur einen Weg durch den „Dornenverhau [. . . ] in die alte Zeit“ (113) zurückfinden müsse. Wie die obigen Beispiele zeigen konnten, werden die aufgerufenen Wissensmengen genutzt, um die dargestellten Welten topographisch-räumlich zu konstituieren und zu strukturieren. In einem dialektischen Prozess entfalten die hierzu herangezogenen Wissensmengen jeweils spezifische Perspektiven auf den konstituierten Raum. Dies wirkt sich dann einerseits auf die narrative Struktur der Texte aus und modifiziert andererseits – so konnten vor allem die Beispiele Schwarm und Pilz zeigen – die kulturelle Vorstellung realer Räume.

Ordnung der dargestellten Welten II: entkonkretisierte semantische Räume In Bezug auf die Narration ist nun darüber hinaus die durch die Wissensmengen generierte paradigmatisch-semantische Ordnung (Topologie) von Bedeutung. Auf dieser Ebene sind nicht mehr nur räumliche Kategorisierungen, sondern vielmehr deren ideologische Dimension, ihre Bedeutung, Funktion und Leistung für die Texte relevant (vgl. Krah 2006a: 299). Die Genese von paradigmatisch-semantischen Ordnungen in den Texten lässt sich zunächst beispielhaft an Blueprint und Schwarm rekonstruieren. Durch den folgenden Satz wird in Blueprint die allgemeine Vorstellung einer grundsätzlichen ‹Ordnung› etabliert und als Paradigma für den Text relevant gesetzt: Alles menschliche Handeln folgt schließlich Gesetzen, magischen, kosmischen oder mathematischen. (ibid.: 16)

Die Qualifizierung dieser möglichen Ordnung ist dabei so weit gefasst, dass sie einerseits als nicht abschließend (weitere Gesetze sind denkbar) und andererseits als um-

112 Hierdurch wird die Forschung Ilya Prigogines aufgegriffen, der herausfand, dass Selbstorganisation zu neuer Ordnung aus dem Chaos möglich ist, was dem zweiten Hauptsatz entgegenläuft (vgl. Freese 2006: 46–47). Siehe grundlegend in Prigogine, Ilya.; Nicolis, Grégoire (1967): On SymmetryBreaking Instabilities in Dissipative Systems. In: Journal of Chemical Physics, Jg. 46, H. 9, S. 3542– 3550.

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fassend und existenziell (ungeachtet ihres Charakters existiert auf jeden Fall irgendeine Ordnung) betrachtet werden kann. Mithilfe von transformierten Zitaten wird das Paradigma ‹Ordnung› konkretisiert: Am Anfang war IHR Wort. (ibid.: 52) Denn SIE sprach: Lasst mich einen Menschen machen nach meinem Ebenbild. (ibid.: 105) Im Namen der Mutter, der Tochter und des heiligen Gen-Geistes. (ibid.: 105) SIE hatte sich über alles erhoben [. . . ]. (ibid.: 132)

Bei den ersten beiden Textstellen handelt es sich um transformierte Bibelzitate, die genau zugeordnet werden können (Johannes 1,1; Genesis 1,26). Beim dritten Zitat handelt es sich um die transformierte Version des katholischen Kreuzzeichens, welches ebenfalls auf die Bibel zurückgeführt werden kann (Matthäus 28,19). Das vierte Zitat imitiert und transformiert die biblische Rede von Gott. Insbesondere die ersten beiden Zitate rufen den Kontext der biblischen Schöpfung auf, sodass der Akt des Klonens in die Nähe zu dieser Schöpfung gerückt und die Klonspenderin Iris als Gott inszeniert wird. Hierzu passt auch, dass sich die Transformation der Zitate überwiegend auf die Substitution des maskulinen Personalpronomens durch ein weibliches bezieht. Vom biblischen Schöpfungsakt weicht der Klonvorgang aber insofern ab, als Iris nicht Gott ist, auch wenn sie als solcher inszeniert wird. Der Klonvorgang wird dementsprechend vom Text in mehrfacher Hinsicht als Ordnungsverstoß klassifiziert: Iris nennt ihre Tochter Siri. Die Namensbedeutung (Botin der Götter) wird hierdurch umgekehrt. Diese Umkehrung kann bereits in Verbindung mit den transformierten Zitaten paradigmatisch als ‹Umkehrung› gelesen werden. Vor allem aber die mögliche Deutung der Umkehrung von ‚Götterbotin‘ (z. B. Teufelsbotin) lässt diese Lesart plausibel erscheinen. Der Text bezieht sich auf weitere Wissensmengen, die das Paradigma des ‹Verstoßes› untermauern. Dazu gehört zu allererst der Verweis auf den Faustischen Teufelspakt (Blueprint: 22). Weiterhin bezieht sich der Text mit dem Lexem „Monster“ (54, 111) auf literarische Prätexte wie Frankenstein, in denen gleichermaßen ein Verstoß gegen die göttliche ‹Ordnung› durch einen widernatürlichen Schöpfungsakt inszeniert wird. Schließlich wird die Erschaffung Siris auch vor dem Hintergrund des Mythos (bzw. seiner musikalischen Adaption) der Götterdämmerung lesbar, auf die der Text explizit verweist (Blueprint: 109).113 Durch Zitate, Termini und Anspielungen wird auch in Schwarm die Kategorie ‹Zorn Gottes› etabliert. Dazu bezieht sich der Text u. a. auf die Apokalypse bzw. das Jüngste Gericht (25, 402, 425, 665), die ägyptischen Plagen bzw. die Plagen der Endzeit (234, 665) sowie die Sintflut (416, 475). Aufgrund der gemeinsamen semantischen Merkmale der jeweiligen Konzepte (etwa: Bestrafung der Menschen und Zerstörung

113 In der Literaturverfilmung Blueprint (Schübel, D 2002/2003) wird derselbe Zusammenhang durch die Rekombination von visuellem und akustischem Kanal illustriert. Siehe dazu Halft (2010: 408– 410).

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der menschlichen Zivilisation wegen deren Fehltritten) lässt sich die Kategorie ‹Zorn Gottes› bzw. das Paradigma ‹Verstoß gegen die göttliche Ordnung› extrapolieren, deren Konzepte die verschiedenen Arten der Bestrafung und Vernichtung des Menschen durch Gott darstellen. Die Kategorie gewinnt jedoch ihre Bedeutung nur vor dem Hintergrund einer göttlichen ‹Ordnung›, die somit ex negativo eingeführt wird. Die etablierte semantische Ordnung wird durch weitere Verweise – etwa den „Racheengel“ (196) oder den Teufel (479, 805) – gestützt. Darüber hinaus generiert der Text aber auch ein biblisches Schöpfungsparadigma, das sich aus Verweisen auf die biblische Schöpfungsgeschichte (335) speist und das das Ordnungsparadigma weiter untermauert. Dass es sich um ein textübergreifendes Paradigma handelt, kann durch Belege aus weiteren Texten leicht nachgewiesen werden: 1. In Cusanus (149, 574) wird das Bestehen eine gottgefälligen bzw. gottgewollten ‹Ordnung› nicht nur positiv durch Verweise auf die Philosophie von Nikolaus von Kues und Giordano Bruno postuliert, sondern auch ex negativo durch Kontrastierung dieser Ordnung mit entsprechenden Verstößen gegen sie etabliert. Dazu zählt auch hier das Gericht über die Menschheit am Jüngsten Tag (86, 458) sowie darüber hinaus die Bezugnahme auf den Sturz Luzifers (351) und die Etablierung des Konzepts ‹Hölle› im Anschluss an Dantes Göttliche Komödie (die ja per se schon eine göttliche ‹Ordnung› evoziert). 2. In Götterdämmerung wird die göttliche ‹Ordnung› nicht nur durch den Titel bzw. den damit verbundenen intertextuellen Bezug auf die Edda etabliert, sondern auch durch Verweise auf antike Mythen (Ödipus, Elektra, Pandora), die den Verstoß des Menschen gegen den Willen bzw. die Ordnung der Götter verhandeln. 3. Auch Pilz und Zweiundvierzig evozieren eine göttliche ‹Ordnung›, indem sie entsprechende biblische Wissenselemente aufrufen, auf diese anspielen oder explizit reflektieren. Vor dem Hintergrund der Adaption naturwissenschaftlicher Wissensmengen verwundert es nicht, das viele der untersuchten Texte das komplementäre Paradigma einer natürlichen ‹Ordnung› etablieren: Durch die Augen der Figur von Dr. Plodsz reflektiert Pilz die Möglichkeit der genetischen Manipulation von Organismen: Aber im Unterschied zu ihm, der die zahllosen Geschöpfe der Natur nur besser kennen- und voneinander unterscheiden lernen wollte, maßten sich Wenzel und seinesgleichen an, Schöpfer zu spielen [. . . ]. [. . . ] Gott, die Naturgesetze, der Zufall oder auch alle zusammen, wer immer für die Entstehung lebender Materie auf diesem Planeten verantwortlich zeichnete, hatte es den Menschen viel zu leicht gemacht. (ibid.: 176–177)

Die Textstelle evoziert nicht nur die Existenz einer göttlichen ‹Ordnung›, sondern auch eines richtigen und falschen (wissenschaftlichen) Umgangs mit der Natur, der den Respekt vor selbiger ein- bzw. ausschließt. Dieselbe Auffassung teilt im Text auch der Umweltaktivist Hellebrandt, der nun endgültig das Paradigma einer natürlichen ‹Ordnung› einführt, die er als „ein kompliziertes Netz von wechselseitigen Abhängigkeiten [. . . ], das dem Ganzen seine labile Stabilität verleiht“, charakterisiert (225). Dass die beiden Ordnungen komplementärer Natur sind, wird in Schwarm (306, 309,

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310, 318, 676) deutlich, da sich die göttliche ‹Ordnung› dort u. a. aus einem Schöpfungsparadigma speist, das einerseits christlich-religiöser Provenienz ist, andererseits aber auch auf indianische Schöpfungsmythen zurückgreift, die einem naturreligiösen Kontext entstammen. Die göttliche und die natürliche ‹Ordnung› konvergieren dort zu einer Gesamtordnung, die durch den konkreten semantisierten Raum ‹Ökosystem› repräsentiert wird, der im folgenden Zitat evoziert wird: Um hier draußen zu bestehen, brauchte man eine gewisse pantheistische Grundhaltung. [. . . ] Man war nicht wichtig, sondern Bestandteil der beseelten Welt, die sich in Tieren, Pflanzen und im Eis manifestierte und gelegentlich auch in Menschen. Und in den Yrr, dachte er. (ibid.: 627, Hervorhebung im Original)

Ähnlich verfährt auch Schatten, indem der Text postuliert, dass Gott sich in der Natur oder genauer gesagt in deren Ordnung sozusagen widerspiegelt: „Gott gab der Natur die Natur [. . . ]. Er braucht sich nicht ins Geschehen einzumischen“ (130). Weniger explizit, sondern auf der Ebene der textuellen Mikrostruktur führt der Text Copy dasselbe Paradigma anhand der Kategorie ‹Fortpflanzung› ein: Klonierung war im Grunde nur eine Form ungeschlechtlicher Fortpflanzung, die vor allem bei niederen Lebewesen eher die Regel als die Ausnahme war. [. . . ] Es gab eine natürliche Form des Klonens, die man Parthenogenese [. . . ] nannte [. . . ]. Bei Säugetieren allerdings funktionierte Parthenogenese nicht. Hier musste man [. . . ] zu massiven technischen Mitteln greifen, und dass das kein im Grunde natürlicher Vorgang mehr sein konnte, sah man spätestens an einem Phänomen, das die Forscher Riesenfetussyndrom nannten. (ibid.: 140, Hervorhebungen im Original)

Der Text führt im Zitat eine Kategorie ‹Fortpflanzungsarten› mit den Konzepten ‹geschlechtliche Fortpflanzung› und ‹ungeschlechtliche Fortpflanzung› ein. Indem der Text die Konzepte differenziert (Säugetiere vs. „niedere Lebewesen“), hierarchisiert und das Klonen für Säugetiere eindeutig negativ semantisiert, führt er auf diesem Wege eine natürliche ‹Ordnung› ein, die im Verlauf der Handlung sujetrelevant wird.114 Quasi synekdochisch firmiert die DNA als Repräsentantin dieser Ordnung, deren Manipulation als Verstoß gegen die natürliche ‹Ordnung› interpretiert werden kann, wie sich in der narrativen Struktur der Texte zeigt. Der Mensch erweist sich mit seinem „Gestümpere“ (Pilz: 174) als ‚Unintelligent Designer‘ einer postnatürlichen Welt. In den Texten Blueprint, Copy, Designerbaby, Duplik, Klonfarm, Markenmenschen und Sexy Sons manifestieren sich zwei weitere Paradigmen, deren Opposition auf semantische Leitdifferenzen im psychologischen Konzept der ‹Identität› zurückgehen – ‹Fremdbestimmtheit› bzw. ‹Heteronomie› und ‹Selbstbestimmheit› bzw. ‹Autonomie›. Exemplarisch lässt sich die Etablierung eines semantischen Raumes der ‹Fremdbestimmtheit› im Text Blueprint nachvollziehen, in dem sich die Pianistin Iris Sellin

114 Weitere Konzepte der Kategorie ‹Fortpflanzung› führt der Text Duplik (44) ein und greift auf Ironie zurück, um die Konzepte teils negativ zu semantisieren und dadurch das Paradigma einer natürlichen ‹Ordnung› zu etablieren.

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klonen lässt, um ihr Werk und ihre Karriere durch ihren Klon fortzuführen. Bereits vor der Geburt115 verbindet sich mit der Klontochter einer zweckgebundene Erwartungshaltung (21, 27–28): Dieses Kind hatte eine Zweck, und nur wenn es diesen Zweck erfüllte, hatte es einen Sinn, hatte es ein Recht zu sein. (ibid.: 40)

Iris’ Haltung gegenüber ihrer Tochter wird dadurch nicht nur implizit, sondern im Verweis auf den Mythos von Narziss (104) bzw. dessen psychoanalytische Rezeption auch explizit als narzisstischer Missbrauch gekennzeichnet. Siris Kindheit dient der Vorbereitung auf ‚ihre‘ spätere Karriere. Dass es sich dabei nicht um Siris Wunsch, sondern um Iris’ Willen handelt verdeutlicht der Text durch den Verweis auf musikalische Vorlagen: Die Opern Eréndira (65) und Der 35. Mai (80)116 liefern ein tragisches Deutungsmuster für Siris Kindheit (Eréndira) bzw. einen positiven Gegenentwurf (Der 35. Mai), vor dessen Hintergrund Siris Kindheit als fremdbestimmt erscheinen muss. Darüber hinaus nutzt der Text eindeutige Metaphern – „dressierter Papagei“, „abgerichteter Affe“, Fehlen einer eigenen Stimme, „Fessel“ (51–52, 135–136) –, um die Fremdbestimmtheit Siris noch deutlicher zu machen.117 Der Text geht sogar so weit, die Fremdbestimmtheit auf einen (kontrafaktischen) genetischen Determinismus zurückzuführen. Dazu wird die DNA als „Programm“, „Kern aller Dinge“, „Lebensprogramm“ und „Schicksalsfaden“ (22–23) metaphorisiert. Hierdurch sowie durch ein Zwillingsparadigma kann der Text sogar behaupten, dass der Genotyp nicht nur einen identischen Phänotyp hervorbringe, sondern dass sich diese beiden in einer Weise wechselseitig bekräftigen (76), dass Siri überhaupt kein „Selbst-Bewusstsein“ (51) haben könne. Symbolisiert wird die parasitäre (113, 153) Verbindung von Siri und Iris durch das Motiv des Spiegels: Anstatt sich durch den Anblick im Spiegel ihrer selbst bewusst zu werden,118 versichern sich Iris und Siri beim gemeinsamen Blick in den Spiegel ihrer Ähnlichkeit und unterstreichen diese noch durch die Prägung der Personalpronomen „Ichdu“ und „Duich“ (49–50). Die Identifikation Siris mit Iris geht schließlich so weit, dass sich Siri im Spiegel kurzzeitig nur als Iris erkennt (86). Der semantische Raum der ‹Fremdbestimmtheit› zeichnet sich folglich dadurch aus, dass dort weder die Authentizität von noch die Identifikation mit eigenen Wünschen und Handlungen möglich ist. Eigene Wünsche und Ziele werden dort nicht oder nur in geringem Maße gewährt, sodass die durch die Figuren verfolgten Ziele 115 Zur Erzählsituation bzw. der tendenziell unzuverlässigen Erzählerin siehe unten Seite 149. 116 Die Opern werden textintern Iris Sellin zugeschrieben. Eréndira (1992) stammt im Original von Violeta Dinescu (*1953) und basiert auf einer Kurzgeschichte von Gabriel Garcia Marquez (1982). Der 35. Mai stellt eine Adaption des gleichnamigen Romans (1932) von Erich Kästner (Uraufführung 1986) dar. 117 Der Text stützt das Paradigma mit weiteren Verweisen auf literarische (Blueprint: 135) und auch mythologische Vorlagen (138), die transformiert und funktionalisiert werden. 118 Der Spiegeltest dient als Nachweis für die Existenz eines Selbstbewusstseins, was bei Kindern etwa ab dem zweiten Lebensjahr der Fall ist. Auch Menschenaffen bestehen diesen Test.

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und Projekte nicht ihre eigenen sind – sie also kein autonomes und selbstbestimmtes Leben führen.119 Diese eingeschränkte dezisionale Autonomie geht auch mit der Verweigerung lokaler und informationeller Privatheit einher, wie sich an weiteren Texten zeigen lässt: Der Duplik120 Jonas 7 wächst in einer eigens für Klone errichteten Umgebung auf. Dort wird er gezielt konditioniert, desinformiert und seine Sexualität hormonell unterdrückt. Nachdem seine Augen zur Transplantation entnommen werden, ist er wörtlich wie metaphorisch blind (Duplik: 24, 50). Auch Copy führt diese Fremdbestimmtheit exemplarisch vor: Der Protagonist Wolfgang ist der Klon seines totgeglaubten Bruders. Diesen hatte der Vater klonen lassen, nachdem der Bruder sich gegen die Pläne des Vaters gewandt hatte und ins Meer gestürzt war. Wolfgang ahnt hiervon zunächst nichts und soll nun stellvertretend die Ziele des Vaters verfolgen, Ziele, die der Vater in seinem Leben nicht erreichen konnte. Wolfgang ist damit eingangs deutlich fremddeterminiert, eine Last, unter der er zunehmend leidet (27, 34, 58, 100, 160, 192). Durch das Konzept der narzisstischen Persönlichkeitsstörung in Sexy Sons (342, 354) wird das Paradigma ‹Fremdbestimmtheit› auch dort eingeführt und manifestiert sich damit genreübergreifend.121 Während der semantische Raum der ‹Fremdbestimmtheit› als Ausgangspunkt der jeweiligen Narrationen dient, emergiert das oppositionelle Paradigma bzw. der positiv semantisierte Gegenraum der ‹Selbstbestimmtheit› ex negativo aus dem Handlungsverlauf und der Ereignisstruktur selbst. Privatheit und Autonomie werden hierdurch als etwas zu Erreichendes gesetzt (siehe Abschnitt 4.3.2.1). Basierend auf Paradigmen bilden die Texte semantische Räume aus, die mit Hilfe von Wissensmengen konturiert werden.122 Durch die Relation dieser Räume,

119 Dieser Autonomiebegriff lehnt sich an Rössler (2001: 103–109, 116–124) an, die Autonomie in engem Zusammenhang mit der Kategorie der Privatheit bzw. deren lokaler, informationeller und dezisionaler Dimension (vgl. ibid.: 19, 23, 145, 224, 255) sieht: „Privatheit schützt Autonomie in den Hinsichten, in denen die Ausübung von Autonomie angewiesen ist auf meine Kontrolle des ‚Zutritts‘ anderer zu mir, zu meiner Person, zu meinen [. . . ] Entscheidungen, zu Informationen über mich; und ebendiese (symbolischen) Räume können nicht anders abgegrenzt werden als mit Hilfe der normativen Unterscheidung zwischen dem, was als privat, und dem, was als öffentlich zu gelten hat“ (ibid.: 139). Klon- und Privatheitsdiskurs sind genau an der Stelle verwoben, an der jeweils spezifische Modelle der Hierarchisierung und Interaktion von Gesellschaft und Individuum problematisiert werden. Siehe dazu ausführlich Halft (2011a). 120 Klone werden im Text Duplik als „Duplik“ (Pl.: Dupliks) bezeichnet. 121 Bis auf geringe Abweichungen führt Designerbaby die gleiche narrative Struktur vor. Allerdings handelt es sich dort nicht um Klone, sondern um genetisch manipulierte Kinder. Diese werden aber ebenso be- und gehandelt wie die Klone in anderen Texten. 122 Ein semantischer Raum konstituiert sich als Menge semantischer Merkmale, die in Opposition zu anderen semantischen Räumen bzw. Merkmalskomplexen steht (vgl. Martinez/Scheffel 2003: 140– 144; Krah 2006a: 296). Es handelt sich also nicht um topographische, sondern um metaphorisch-topologische Räume, die mentale Regularitäten der dem Text zugrunde liegenden Kultur (Werte, Normen, Ideologien) abbilden. Die semantischen Räume fungieren hier als Isotopie-Ebene und Bindeglied zu den Wissensmengen.

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so Lotman (1993: 327), wird die dargestellte Welt in disjunkte Teilräume aufgeteilt, deren Opposition durch textinterne Grenzziehungsoperationen untermauert wird. Durch die Verletzung dieser Grenzen erhalten Texte Dynamik, die die Handlung im narratologischen Sinne überhaupt erst ermöglicht.123 Auf diese Weise werden die Wissensmengen in der semantischen Ordnung der Texte narrativ funktionalisiert. Die Analyse der hierauf basierenden Ereignisstruktur, also der Verletzung, Restituierung oder Tilgung von Grenzen sowie Veränderungen der paradigmatisch-semantischen Ordnung selbst (Metaereignisse) wird Einblicke in das kulturelle Normen- und Wertesystem im Kontext des Lebensdiskurses vermitteln können. Dies lässt sich im Folgenden bereits exemplarisch an der Genese schematischer Handlungsabläufe (Skripte) zur Motivierung der Handlung mithilfe von Wissensreferenzen in Form intertextuellen bzw. interdiskursiven Dialogs zeigen.

Motivierung der Handlung durch intertextuellen/interdiskursiven Dialog Um von einer Narration sprechen zu können, müssen Texte bekanntlich eine minimale Erzählstruktur aufweisen, die aus den konstitutiven Elementen ‚Ausgangssituation‘, ‚Veränderung‘ bzw. ‚Transformation‘ und ‚Endsituation‘ besteht (vgl. Krah 2006a: 294). Damit der Verlauf der Handlung von der Ausgangs- zur Endsituation einen sinnhaften Zusammenhang darstellen kann, müssen einzelne Ereignisse – wenn auch nicht zwangsläufig explizit – miteinander verknüpft sein und das Geschehen insgesamt als motiviert erscheinen (vgl. Martinez/Scheffel 2003: 111). Neben einer kausalen Motivierung (Ursache-Wirkungs-Zusammenhang) sind auch eine finale (vor einem quasi mythischen Sinnhorizont) oder eine kompositorische (an ästhetischen Kriterien ausgerichtete) Motivierung denkbar (vgl. ibid.: 111–117). Intertextuelle Bezugnahmen können sich auf die Motivierung des Handlungsverlaufs auswirken, insofern die Texte mit anderen Texten oder Diskursen in ein quasi dialogisches Verhältnis treten und sich diesen gegenüber in spezifischer Weise positionieren. Lachmann und Schahadat (2001: 679–684) präzisieren drei komplexe Modelle solcher Bezugnahmen: a) Partizipation als intertextueller Dialog und Schlüssel zum Verständnis des präsenten Textes, b) Transformation als Verbergen und Aneignung des Prätextes und c) Tropik als Versuch der Überbietung, Abwehr oder gar Löschung des Prätextes. In Bezug auf die Motivierung der Handlung können UrsacheWirkungs-Zusammenhänge, finale Bestimmungen und Notwendigkeiten sowie ästhetische Motive aus den Prätexten adaptiert und funktionalisiert werden. Durch diese Bezugnahmen schreiben sich die Texte teilhabend in einen bestimmten kulturellen Kontext ein. Im Folgenden sollen Formen solch dialogischer Teilhabe an der Genese

123 Zu den Begriffen semantisches Feld, Grenze, Grenzüberschreitung, Ereignis, Extremraum, Konsistenzprinzip und Ereignisstruktur siehe Lotmann (1993: 327–340), Martinez/Scheffel (2003: 140–144), Renner (2004) und Krah (2006a: 296–349).

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der Skripte ‹Endzeit› und ‹Entwicklung› beschrieben werden, um aufzuzeigen, dass und wie Wissen auch auf dieser Textebene repräsentiert sein kann. Der Journalist Neil LaHaye recherchiert für ein Buchprojekt zum Thema AIDS. Dabei stößt er auf den Wissenschaftler Sanchez und dessen Tochter Beatrice. Diese leidet angeblich an einer Sonnenunverträglichkeit und lebt daher mit dem Vater und dessen Forscherteam in einem konzernbetriebenen Forschungslabor in Alaska. Wie sich herausstellt, ist Beatrice keineswegs krank, sondern Produkt eines genetischen Experiments (Götterdämmerung: 295, 314). Beatrices einzigartige DNA enthält ein latentes Virus, welches durch die spezielle weibliche Hormonkombination während einer Schwangerschaft reaktiviert würde (484–486). Nachdem sich das Labor für Beatrice zum Gefängnis entwickelt, verhilft der Vater ihr zur Flucht mit Neil. Da die beiden ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, wird das Virus aktiviert und die Welt beginnt im Chaos zu versinken. Neil ist indessen resistent, da er als Embryo radioaktiver Strahlung ausgesetzt war, die ihn mutieren ließ (495). Eine Überlebenschance scheinen die Menschen zu haben, die auf ähnliche Weise mutiert sind (498). Der Text bezieht sich vor allem auf molekularbiologisches und genetisches sowie zellbiologisches und evolutionstheoretisches Wissen, um die dargestellte Handlung zu plausibilisieren. Darüber hinaus werden jedoch auch Elemente aus der griechischen und germanischen Mythologie sowie der Bibel aufgerufen. Dazu zählen die titelgebende Götterdämmerung nach der Snorri-Edda (Ragnarök), der Pandora-Mythos124 , das Element der Sphinx aus dem Ödipus-Mythos125 und diverse Anspielungen auf die Bibel.126 Während die Ödipus-Anspielung der Semantisierung der Figur Beatrice dient, verdichten sich die anderen Bezugnahmen zu einem hybriden Deutungsmuster, welches einen konkreten Handlungsverlauf, das Skript ‹Endzeit›, vorgibt (Tabelle 4.1). Während die Phasen 3, 4 und 5 explizit im Text angesprochen werden (491–498), bedürfen die Phasen 1 und 2 einer weiteren Diskussion. Es ist uneindeutig, was genau als Verstoß gegen die göttliche (oder vor dem molekularbiologischen Hintergrund: natürliche) ‹Ordnung› gewertet werden muss: Beatrice ist das Produkt eines Experiments und hat drei genetische Elternteile (295–296). Sie wird als über- bzw. unmenschlich (236, 489) markiert. Insofern könnte sie selbst den Verstoß inkarnieren. Sie repräsentiert aber gleichzeitig die Bestrafungsinstanz. So wäre sie Verstoß und Be-

124 Nicht nur heißt ein Waffenprojekt der Figur Warren Mears so, auch Beatrice wird in die Nähe der Figur Pandora gerückt (Götterdämmerung: 122, 194). 125 Beatrice wird explizit als Sphinx bezeichnet (Götterdämmerung: 127). Diese ist im Ödipus-Mythos ein Monster, das diejenigen, die ihre Rätsel nicht lösen können, verschlingt. 126 Neil träumt von einem Gespräch mit Beatrice (Götterdämmerung: 382–383), in dem diese auch auf die Worte Jesu beim Letzten Abendmahl (Markus 14,24) anspielt. Am Ende der Szene wird Wasser in Blut verwandelt, was sowohl auf die zehn ägyptischen Plagen (hier: Exodus 7,20), insbesondere aber auch auf die zweite und dritte Plage der Endzeit (Offenbarung 16,3–6) verweist.

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Tabelle 4.1: Skript ‹Endzeit› aus hybridem Deutungsmuster in Götterdämmerung Skript ‹Endzeit› 1.

Verstoß gegen die (göttliche) ‹Ordnung›

2.

Einsetzen einer Bestrafungsinstanz

3.

Vernichtung aller ‚Unwürdigen‘

4.

Läuterung der ‚Würdigen‘

5.

Hoffnung auf einen Neuanfang

strafungsinstanz zugleich.127 Damit erscheinen mehrere Interpretationsmöglichkeiten plausibel: a) Gentechnologie und Genmanipulation werden per se als Ordnungsverstoß gewertet, der als Sanktion das Wesen Beatrice als Trägerin (Bestrafungsinstanz) des Virus (Strafe) in ihrer DNA (Trägermedium) nach sich zieht. b) Diverse Unzulänglichkeiten im Umgang der Menschheit mit der Natur und sich selbst (Verstoß) kulminieren in der Gentechnologie, die als Sanktion wiederum Beatrice hervorbringt. c) Indem die Menschheit die Gentechnologie nutzt (Verstoß), bestraft sie sich aufgrund der unvorhersehbaren Folgen selbst. Grundsätzlich positioniert sich der Text durch alle drei Deutungsmöglichkeiten in einem spezifischen Kontext, vor dessen Hintergrund das Ende der Narration als Bestrafung eines konkreten Verstoßes gegen die göttliche und/oder natürliche ‹Ordnung› gelesen werden kann. Insofern partizipiert der Text an diesem Kontext und adaptiert ihn zur finalen Motivierung der Handlung, die somit eschatologische Dimensionen annimmt: Die referenzierten Wissensmengen werden also im Hinblick auf die im Text verhandelte Thematik aktualisiert, welche dann ein Strukturmodell für die Deutung zur Verfügung stellen. D. h., eine Deutung der Handlung ist dann nur noch innerhalb der durch die Wissensmengen vorgegebenen Bahnen möglich.128 Die letzte Deutungsmöglichkeit läuft dabei auf eine Transformation der Prätexte hinaus, da in ihr weder eine göttliche ‹Ordnung› noch eine Bestrafungsinstanz vonnöten wären: Der Mensch wäre dieser Deutung folgend gänzlich auf sich alleine verwiesen und Herr seines Schicksals im Guten wie im Schlechten. Allenfalls ein abstrakter Chaos- oder Unvorhersehbarkeitsbegriff würden diese Eigenverantwortung dann noch relativieren können. Auch für Schwarm lässt sich ein solches Skript abstrahieren, das trotz der episodischen Aneinanderreihung von Szenen, dem fehlenden Kausalzusammenhang und

127 Eine Wagner-Adaption (Inzest von Siegmund und Sieglinde als Auslöser der Götterdämmerung) wird hier wegen weiterer Inkonsistenzen (keine Verwandtschaft bzw. nur durch ‚Mutation‘) und aufgrund der Tatsache ausgeschlossen, der Inzest zwar in den Gesamtkontext von Der Ring des Nibelungen gehört, aber nicht Teil der titelgebenden Oper Götterdämmerung ist. Es wird also vereinfachend angenommen, dass der Geschlechtsverkehr als Auslöser ästhetisch motiviert ist. 128 Siehe hierzu die Analyse von Deutungsmustern in Abschnitt 4.2.4.1.

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Textanalytischer Teil

der nur bedingt gegeben Konsequenz auf Histoire-Ebene (vgl. Wanning 2008: 342) einen übergeordneten, finalen Sinn stiftet. Die im Skript mitgedachte und – so zumindest die Lesart von Wanning – auch vom Text suggerierte „Heilsgewissheit“ (ibid.: 346) wird jedoch von diesem selbst infrage gestellt, indem er das Skript im Epilog auf einer Metaebene reflektiert (Schwarm: 982–987): Der Text greift dort Fragen der Theodizee auf und deutet an, dass sich der Glaube an Gott mit dem Geschehenen nicht vereinbaren lasse. Dadurch wird die im Text entworfene natürliche ‹Ordnung› untermauert, die göttliche ‹Ordnung› – wenn nicht verworfen, so doch – nachhaltig geschwächt. Von einer auf dem Glauben basierenden Heilsgewissheit kann also gerade nicht die Rede sein, selbst wenn das nackte Überleben eine Perspektive eröffnen mag. Dass die Menschheit am Ende der Narration „glaubenslos“ umherirrt (986), verstärkt das metaphysische Vakuum zusätzlich. Auf diese Weise partizipiert auch Schwarm am biblischen Prätext, um ihn gleichzeitig zu aktualisieren: Nicht mehr der Verstoß gegen eine göttliche ‹Ordnung› und deren Restituierung durch eine außerzeitliche, allmächtige Instanz beeinflusst das Schicksal des Menschen, sondern die sich selbst regulierende und im Text durch die Yrr personifizierte (siehe Abschnitt 4.2.3.2) natürliche ‹Ordnung›, die den Menschen nur unter der Bedingung duldet, dass er sich „des Geschenks, das die Erde immer noch ist, als würdig“ erweist (987). Auf Basis der Klontexte Duplik, Blueprint, Copy und Markenmenschen lässt sich ein weiteres Skript ‹Entwicklung› abstrahieren: Nachdem der Duplik Jonas 7 von den sogenannten „Lebensschützern“ aus der Spezialumgebung für Dupliks befreit wird, setzt ein Aufklärungs- und Emanzipationsprozess ein (Duplik: 113, 127), der darin gipfelt, dass er sich bewusst und aus eigener Überzeugung von der Aktivistengruppe instrumentalisieren lässt (134–137, 169–171, 176, 182), um ein gesellschaftliches Umdenken herbeizuführen: Er wollte nicht blind ins offene Messer laufen. So hatte er es gesagt. Sehend läuft er hinein. [. . . ] Den Schlächtern ihre Messer entreißen. Sie müssen es schaffen. Sie – die Menschen. Oder sie sind keine. (Duplik: 182)

Seine wörtliche Blindheit wird metaphorisch als Unwissenheit inszeniert und die Wiedererlangung der Sehkraft mit einem Emanzipationsprozess korreliert, den der Text als wesentlich für das Individuum markiert. Die Fähigkeit zur Emanzipation und den verantwortungsbewussten Umgang mit der eigenen Autonomie macht der Text gleichzeitig zur Messlatte für die Menschlichkeit von Klonen wie Nichtklonen. In ganz ähnlicher Weise emanzipiert sich die geklonte Siri von ihrer Mutter Iris: Nachdem sie von ihrer Herkunft erfährt, reflektiert sie zunehmend über ihre Situation (Blueprint: 71). Der eigentliche Emanzipationsprozess fällt mit ihrer Pubertät zusammen (127, 129, 155) und markiert die Loslösung von Iris. Auch in Copy verstärken sich die Zweifel des Protagonisten Wolfgang an seiner genetischen und personalen Identität (22, 113, 134, 141, 157). Schließlich widersetzt er sich seinem Vater (28, 31, 111, 117, 122–125) und sucht seinen eigenen Weg, was schließlich in einen Neuanfang mündet (214, 221).

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Tabelle 4.2: Skript ‹Entwicklung› in Texten des Klondiskurses Skript ‹Entwicklung› 1.

‹Fremdbestimmtheit›

2.

Unzufriedenheit und/oder Zweifel

3.

Aufklärung (informationell)

4.

Emanzipation (lokal und dezisional)

5.

‹Selbstbestimmtheit›

Auf diese Weise lässt sich aus den Texten das Skript ‹Entwicklung› abstrahieren, das in den Texten als normative Emanzipationsnarration realisiert ist (Tabelle 4.2). Der Emanzipationsprozess der Klone wird hier noch in den Kontext der jugendlichen Entwicklung129 gestellt und mit dieser verbunden. In Markenmenschen wird der Emanzipationsprozess schließlich auf das Individuum als solches übertragen, als sich dieses von gesellschaftlichen Normen emanzipieren muss (52, 127–128). Hierdurch wird der Prozess der Individuation bzw. die daraus resultierende Autonomie als gesellschaftliche Norm gesetzt, die sich auch in Texten realisiert findet, die weder dem Klondiskurs noch dem Genre Jugendliteratur angehören. So werden etwa die Figuren Doris und Oliver (Schrödinger) durch nicht bewältigte Traumata aus ihrer Kindheit belastet. Durch die katalytische Figur Schrödinger treten die inneren Konflikte nun deutlich in deren Bewusstsein und werden einer Verarbeitung zugeführt. Teils noch im Verlauf der Narration lösen sich Doris und Oliver von ihren Eltern und emanzipieren sich von eingespielten Rollen und Erwartungshaltungen. Mit dem neugewonnenen Selbst-Bewusstsein und einer gesteigerten Autonomie kann sich das Ehepaar wieder aufeinander einlassen. Nicht zuletzt130 partizipieren die Texte an literarischen oder auch filmischen Prätexten, deren Handlungsstruktur sie für die Motivierung der eigenen Handlung funktionalisieren können: 1. Die Texte Furor, Infekt und R− evolution folgen insofern den Konventionen des Thriller-Genres, als ‚die Bösen‘ im Verlauf der Narration sanktioniert und negativ semantisierte Räume schlussendlich getilgt werden. 2. Der Text

129 Dasselbe handlungsmotivierende Skript lässt sich auch in folgenden Spielfilmen des Klondiskurses nachweisen: Parts: The Clonus Horror (Fiveson, GB/USA 1979), The 6th Day (Spottiswoode, USA 2000), It’s all about love (Vinterberg, USA/J/SE 2003), The Island (Bay, USA 2005). Diese beziehen sich auf bereits erwachsene Individuen, die sich ihre Autonomie durch Rebellion gegen das sie unterdrückende System erkämpfen müssen. Die Befreiung aus der Unterdrückung schließt diesen Prozess jedoch nicht ab, sondern präsentiert Individualität vielmehr als langfristige Aufgabe der Selbstverwirklichung und Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Siehe ausführlich bei Halft (2011a). 130 Weitere Einflüsse auf die Handlungsstruktur durch intertextuelle bzw. interdiskursive Partizipation lassen sich aufzeigen für Sisyphos (Mythos und existenzphilosophische Adaption), Zweiundvierzig (Adaption des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik) sowie für Sexy Sons und Wenzel (Unvorhersehbarkeit bzw. Zufallsbasiertheit von Mutation und Evolution).

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Schrödinger lehnt seinen Handlungsverlauf wie bereits dargestellt an Arthur Schnitzlers Traumnovelle an. 3. Durch den Verweis auf zahlreiche Spielfilme131 , die demselben Genre angehören und ähnliche Themen verhandeln, funktionalisiert Schwarm diese als Interpretationsrepertoire. Der Text kann aufgrund der diversen Anknüpfungspunkte vor dem Hintergrund sämtlicher dieser filmischen Prätexte gelesen werden. Die Ereignisse in Schwarm werden vor dieser Folie verknüpfbar und laufen im gemeinsamen Fluchtpunkt der Prätexte, der drohenden Auslöschung der Menschheit, zusammen. 4. Der Text Schilf schließlich scheint sich an die geschlossene Form der Tragödie132 anzulehnen, wodurch der Handlungsverlauf prädeterminiert würde und die Verknüpfung der Ereignisse final motiviert wäre. Für diese Annahme spricht zunächst der dramaturgische Aufbau der Handlung mit einer auffälligen Exposition in Kapitel 1, welche damit endet, dass der Erzähler eine unglückliche Zukunft ankündigt (55), der Steigerung der Handlung durch die scheinbare Entführung des Sohnes und den Anruf der vermeintlichen Entführer (Kapitel 2.4. und 2.5), Sebastians sich daraus ergebender Auftragsmord an Dabbeling (Kapitel 3.4), die tragische Einsicht, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt haben muss (Kapitel 4.3), die Aufklärung der Umstände des Missverständnisses (Kapitel 7.1 bis 7.5) und schließlich die Reinszenierung des Unfalls zur Überführung von Oskar (Kapitel 7.7) mit dem anschließenden Tod des Ermittlers Schilf (Kapitel 7.8). Darüber hinaus können der Prolog und der Epilog des Textes als parodos und exodos des Chores der griechischen Tragödie gelesen werden, die die Handlung einrahmen und kommentieren. Eine ähnliche Funktion haben die Synopsen zu den einzelnen Kapiteln im Inhaltsverzeichnis. Während die ersten Phasen des Tragödienmodells leicht zuzuordnen sind, ist das für den fallenden Handlungsablauf nicht ohne Weiteres möglich. Dies vor allem deshalb, weil unklar bleibt, was der Text als Katastrophe setzt: Das letzte, syntagmatisch hervorgehobene Kapitel beschreibt den Tod des Kommissars Schilf, das vorletzte Kapitel die Überführung Oskars, womit Sebastian mutmaßlich rehabilitiert zu sein scheint, wenn auch die Freundschaft der beiden Männer und Oskars Hoffnung, Sebastian zurückzugewinnen, zunichte sein dürfte. Durch den letzten Satz („So ist es, sagen wir, in etwa gewesen.“) sowie die Erzählsituation133 verweigert der Text außerdem eine Katharsis im Sinne der aristotelischen Poetik (Poetik: 6,2), da das Erzählte zusätzlich infrage gestellt wird. Gerade aber diese sozusagen unvollständige Adaption des Handlungsmodells bzw. die Abwehr der mit ihm verbundenen kla-

131 U.a.: The Terminator (Cameron, USA 1984), The Abyss (Cameron, USA 1989), Independence Day (Emmerich, USA 1996), Armageddon (Bay, USA 1998) und Deep Impact (Leder, USA 1998). 132 Der Idealtyp umfasst 1. die einleitende Exposition der konflikthaften Ausgangssituation, 2. das erregende Moment, durch das der Konflikt in steigender Handlung entfaltet wird, 3. den Höhepunkt, 4. das tragische Moment, 5. der Fall des Protagonisten oder die Umkehr der Handlungsrichtung, 6. das retardierende Moment der letzten Spannung (Hoffnung) und schließlich 7. die Katastrophe (vgl. Pfister 2001: 320–321). 133 Siehe hierzu ausführlich in Abschnitt 4.2.2.2 b).

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ren Bestimmbarkeit von ‚richtig‘ und ‚falsch‘ stützt die textintern von Sebastian vertretene Grundhaltung. Der intertextuelle Dialog zwischen dem Text und der Gattung der griechischen Tragödie wird hier also dazu genutzt, die vom Modell vorgegebene Motivierung der Handlung zu unterlaufen. In einem komplexen Adaptions-, Transformations- und Hybridisierungsprozess eignen sich die Texte also verschiedene Wissensmengen an und funktionalisieren diese zur Motivierung der Handlung. Indem die Texte das Wissen nicht nur zur kausalen, sondern auch zur finalen und teils ästhetischen Motivierung der Handlung nutzen, wird dieses dekontextualisiert, vernetzt, aktualisiert und an die textuellen Wirklichkeitsmodelle, d. h. das kulturelle Normen- und Wertesystem rückgebunden.

4.2.2.2 Funktionale Variationen des Discours Wissen wird in den Texten jedoch nicht nur in Oberflächen- und Tiefenstrukturen auf der Ebene der Histoire repräsentiert. In einigen Texten wird es darüber hinaus genutzt, um Variationen des Discours zu realisieren, also literarische Form- und Strukturexperimente anzustoßen. Diese verdichten Wissensmengen zu Konzepten, deren Merkmale auf der Ebene des Discours quasi dupliziert und analog abgebildet werden. Histoire und Discours werden dabei insofern aufeinander bezogen, als die Konzeptgenese nur durch Indikatoren auf der Ebene der Histoire erfolgen kann und die Variationen des Discours erst durch die Thematisierung dieser Konzepte in der Histoire erkennbar markiert werden. Im Folgenden sollen solche Phänomene an Variationen der Zeitstruktur (Cusanus, Zweiundvierzig) und der Erzählsituation (Blueprint, Schrödinger, Schilf ) erläutert werden.

a) Variation der Zeitstruktur – Cusanus und Zweiundvierzig Wolfgang Jeschkes Cusanus (2005) spielt im Europa des Jahres 2052. Außer mit Auswirkungen einer atomaren Katastrophe in Deutschland kämpfen die Menschen mit sozialen, ökonomischen und ökologischen Problemen. Zur Rettung des Planeten hat der Vatikan das Projekt „Rinascita“134 etabliert. Zusammen mit dem „Zentrum für Quantengravitation und multidimensionale Grenzschichtenforschung“ führt man Reisen in die Vergangenheit durch, um dort u. a. Samen von ausgestorbenen Pflanzen zu sammeln, die zur Rekultivierung in der Gegenwart genutzt werden sollen. Für eine solche Mission wurde auch die Botanikerin Domenica Ligrina gewonnen. Nach einer entsprechenden Ausbildung reist sie ins Jahr 1449, um dort Pflanzen zu sammeln. Paradoxerweise scheint es, als hätten Reisen wie diese gerade zu bestimmten Ereignissen in der Vergangenheit geführt, denn Domenica wird ihrer Sammlung und

134 It.: Wiedergeburt, Wiederbelebung oder hier noch passender: Wiederaufblühen.

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der dahinterstehenden unbekannten Nomenklatur wegen für eine Hexe gehalten und zur baldigen Aburteilung inhaftiert. Durch einen Brief an Nikolaus von Kues, die Hilfe zweier außerzeitlicher Wesen und ihrer Kollegen kann sie dem Prozess entgehen. Zurück in der Gegenwart darf sie den Versuch unternehmen, ihren bereits verstorbenen Vater vor einem Zugunglück zu retten. Nachdem ihr dies gelungen ist, verändert sie sich und wird selbst zu einer außerzeitlichen Erscheinung, die – befreit von sozialen, mentalen und menschlichen Einschränkungen – kraft ihrer Gedanken Raum und Zeit überbrücken kann. Der Text zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass er wie Schwarm auf sehr viele Wissensmengen Bezug nimmt, darunter: physikalisches Wissen, Philosophie, ökologisch-botanisches Wissen, Wissen aus dem Bereich der Kognitionswissenschaften und Kybernetik, aber auch biblisches und literarisches Wissen in Form von Kategorien, Konzepten und Deutungsmustern. Cusanus fällt jedoch dadurch auf, dass der Text zwar nicht alle dieser Wissensmengen funktionalisiert, aber in seinen Bezugnahmen sehr selektiv auf gruppenspezifisches bzw. Expertenwissen zurückgreift. Das gilt neben einer starken Ausdifferenzierung von physikalischem Wissen und dem gezielten Aufrufen literarisch-motivgeschichtlicher Konzepte vor allem für die Adaption philosophischen Wissens. Hierbei bezieht sich der Text nachdrücklich und in strukturell auffälliger Weise (Eingangszitate zu Kapiteln) auf Werke von Cusanus und Giordano Bruno. Im Folgenden werden die jeweils zentralen Konzepte rekonstruiert. Physikalisches Wissen wird durch direkte Zitate zu Beginn einzelner Kapitel aber vor allem durch die Vermittlung durch Wissenschaftlerfiguren der dargestellten Welt vermittelt. Die Eingangszitate stammen u. a. von David Deutsch (Quantenphysiker, *1953), Lee Smolin (Theoretischer Physiker, *1955), David Bohm (Quantenphysiker, 1917–1992), Albert Einstein (Theoretischer Physiker, 1879–1955), Stephen Hawking (Astrophysiker, *1942), Martin Rees (Astronom, *1942), Klaus Mainzer (Philosoph, Wissenschaftstheoretiker, *1947) und John Wheeler (Theoretischer Physiker, 1911– 2008). Die Namen verdichten sich nicht nur zu einer gemeinsamen Klasse, sondern tragen durch den jeweils gemeinsamen Gegenstand der Zitate zur Genese entsprechender Kategorien (Konzepte von Raum, Zeit, Wirklichkeit und Universum) bei. Im Anschluss an Hugh Everetts Interpretation der Quantenphysik als VieleWelten-Theorie diskutieren auch die Wissenschaftler der dargestellten Welt die mögliche Struktur des Uni- bzw. Multiversums (Cusanus: 125, 256–258). Everetts Theorie zufolge finden alle physikalisch möglichen Ereignisse wirklich statt – allerdings in verschiedenen Universen. Die physikalische Wirklichkeit besteht demnach aus einer Vielzahl von Universen, einem sogenannten Multiversum. (Deutsch/Lockwood 1996: 127)

Diese Interpretation der Quantenphysik wird explizit in Form eines Gesprächsprotokolls referiert (Cusanus: 532–535) und als theoretischer Ausgangspunkt für die im Text entwickelte Kosmologie genutzt, die „Erweiterte Allgemeine Branentheorie von Hla

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Thilawuntha“ (649). Diese speist sich nicht nur aus Stringtheorie135 , sondern auch aus spekulativer theoretischer bzw. Quantenphysik, die die Möglichkeit von Zeitreisen reflektiert: Die physikalische Wirklichkeit ist keine Raumzeit. Sie ist eine viel größere und vielfältigere Gegebenheit, das Multiversum. In erster Näherung entspricht das Multiversum einer sehr großen Anzahl von Raumzeiten, die nebeneinander existieren[, aber] nur wenig miteinander wechselwirken. [. . . ] [Die] Zeit [wäre] auch dann eine Abfolge von Augenblicken, mit dem einzigen Unterschied, dass in einem bestimmten Augenblick im Multiversum statt eines Universums viele Universen existieren. Die physikalische Wirklichkeit zu einem bestimmten Augenblick wäre ein ‚Superschnappschuss‘, der aus Schnappschüssen vieler Fassungen des ganzen Raums besteht. Die ganze Wirklichkeit in der ganzen Zeit wäre ein Stapel aller Superschnappschüsse [. . . ]. [. . . ] Dieses ist der Kern des Quantenbegriffs der Zeit: Andere Zeiten sind lediglich Spezialfälle anderer Universen. (Deutsch 2000: 262, 264–265)

Das Multiversum wäre somit Voraussetzung für Zeitreisen (vgl. Deutsch 2000: 300). Diese Annahmen werden im Text periphrasiert (Cusanus: 243) und zur Plausibilisierung der Zeitreisen genutzt. Auch die Frage der konkreten Durchführung der Zeitreisen mittels einer Transitionstechnik (244–245) wird vom Text diskutiert, wofür bestehendes physikalisches Wissen (Strömungslehre) quantentheoretisch interpretiert und extrapoliert wird (250–253). Philosophisches Wissen ist in sehr selektiver Weise durch das Werk von Nikolaus von Kues (1401–1464) und Giordano Bruno (1548–1600) in Form von Eingangszitaten repräsentiert. Durch die teils exakte Referenz auf bestimmte Texte lassen sich die dahinterstehenden Gedankengebäude rekonstruieren und ihre Adaption als Deutungsmuster aufzeigen. In Buch 2 seines Werkes De docta ignorantia (1440) entwirft Cusanus ein metaphysisches (also nicht astronomisches) Modell des Universums. Darin begreift er das Universum als unbegrenzt, weshalb die Erde auch nicht Mittelpunkt des Universums stehen könne. Cusanus denkt das Universum in funktionalen Bezügen von Teilen zu einem Ganzen, die miteinander vernetzt sind und aufeinander einwirken (vgl. Winkler 2001: 102–104). So faltet sich das Universum bis in das Einzelne aus, in dem sich dann das Wesen des Universums widerspiegelt (vgl. Ott 2009: 65). Hierdurch ist eine Geschlossenheit garantiert, die Gott zwar nicht überflüssig macht, aber „wundersame Eingriffe des Schöpfers entbehrlich werden lässt“ (Winkler 2001: 102).136 135 Die Stringtheorie strebt Verbindung von Relativitätstheorie und Quantentheorie an sowie die Verbindung aller Kräfte in einer Gleichung (Theory of Everything). Gemäß der Stringtheorie besteht das Universum aus Strings und aus Branen. Strings sind dabei eindimensionale, offene oder geschlossene Gebilde. Branen sind zweidimensional und können sich mit Strings verbinden. Durch Interaktion von Strings und Branen entstehen ‚verschachtelte‘ Räume mit z. B. zehn Dimensionen, die aber kompaktifiziert vorliegen können. Die Stringtheorie würde Wurmlöcher zwischen Paralleluniversen zulassen (vgl. Zimmerman 2010). 136 Cusanus formuliert: „Die Einheit der Welt ist durch Vielheit eingeschränkt, um Einheit in Vielheit zu sein“ (De docta ignorantia II, c. 6 n. 123, S. 43).

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Es ist insbesondere die Figur der Implikation/Explikation (Einfaltung/Ausfaltung) in Cusanus’ Werk, die der Text aufruft: Einfaltung und Ausfaltung beruhen dabei auf geometrischen Überlegungen. So wird z. B. eine Linie als Ausfaltung eines Punktes begriffen, in dem die Linie wiederum eingefaltet ist. In diesem Sinne ist Gott die Einfaltung von allem, insofern alles in ihm ist. Vor dem Hintergrund dieser Figur wird ein Konzept der Zeit als „Ausfaltung Gottes“ (sensu De docta ignorantia II, c. 3 n. 106 zit. nach Cusanus: 9) eingeführt. Cusanus’ Formulierungen paraphrasierend sei das Jetzt der Gegenwart eine Einfaltung der Zeit, insofern die Vergangenheit Gegenwart war und die Zukunft Gegenwart sein wird. So finde sich in der Zeit nur geordnete Gegenwart. Auch sei die Gegenwart, insofern sich in ihr Zeitmomente reihenweise ausfalten, die Einfaltung aller Zeiten. Ein solches, quasi räumliches Konzept der Zeit ist anschlussfähig für die oben skizzierten physikalischen Theorien, weshalb sie im Text hybridisiert werden (siehe Abschnitt 4.2.3.3). Die Philosophie Giordano Brunos knüpft an Cusanus’ Unendlichkeitsspekulation und die Theorie des unendlichen Universums an und weitet sie aus. Der Dialog De l’infinito, universo e mondi (1584) reflektiert die Struktur des Universums und transformiert die Philosophie Cusanus’ in Richtung einer Viele-Welten-Theorie (vgl. BönkerVallon 2007: xiv-xv, xxxix, xlix). Das Universum wird dabei als lebender Organismus, homogener Raum, vielfältig vernetztes Relationsgefüge von Minima und Maxima und ständiger Austausch gegensätzlich dynamischer Zustände gefasst (vgl. ibid.: liii). Mit den Worten Brunos: Weiter sage ich, dass dieses Unendliche und Unermessliche ein Lebewesen ist, obgleich es keine begrenzte Gestalt noch Sinne hat, die sich auf äußere Dinge richten, denn es hat die Seele insgesamt in sich und schließt in sich alles Beseelte und ist all dieses. (Über das Unendliche zit. nach Cusanus: 643)

Der Text adaptiert dieses Konzept, hybridisiert es mit weiteren Wissensmengen und postuliert, dass das Universum „ein lebendiges Wesen [sei], dessen Evolution noch nicht abgeschlossen ist“ (Cusanus: 498). Literarisch-motivgeschichtliches Wissen ist durch Eingangszitate der Autoren Jorge Luis Borges (1899–1986), Robert Musil (1880–1942), Gene Wolfe (*1931), André Malraux (1901–1976), Charles Baudelaire (1821–1876), (vermutlich) Carl Amery (1922– 2005) und Olaf Stapledon (1886–1950) repräsentiert. Sie ergänzen die durch die anderen Wissensmengen etablierten Konzepte von Raum, Zeit und Multiversum und stellen komplementäre Deutungsmuster dar. Das gilt insbesondere für die Erzählung Der Garten der Pfade, die sich verzweigen (1944) von Borges sowie für eine Textpassage aus Musils Der Mann ohne Eigenschaften (1930/2010): Wer ihn [den Möglichkeitssinn] besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muss geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müsste geschehn; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, dass es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist. (ibid.: 16)

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Während Borges’ Raummetapher der Zeit der gängigen Interpretationspraxis zufolge verschiedene parallele Möglichkeiten (Multiversen) realisiert (vgl. Johnston 1998: 198–201) und damit eine zentrale Folie für die räumliche wie zeitliche Struktur von Cusanus bildet, so wird der „Möglichkeitssinn“ im Text durch die Figur der Domenica Ligrina repräsentiert, die wie Musils Protagonist Ulrich Veränderungen durchmacht und eine Verbesserung des Selbst zu realisieren versucht. Insgesamt verdichten sich die Bezugnahmen zu einem Paradigma aus dem sich textuelle Existenzbehauptungen (Kategorien und Konzepte) und Deutungsmuster bezüglicher der Struktur von Raum und Zeit speisen.137 Zu den zentralen Merkmalen des vom Text postulierten Zeitkonzeptes gehören: die räumliche Qualität der Zeit (145), bzw. genauer die Vorstellung von Raum und Zeit als Raumzeit (242, 285–289), die Möglichkeit der Navigation in der verräumlichten Zeit (230, 243, 285–289), die sich in der Metapher des Abtragens von Gebirgsschichten und des Tunnelbaus äußert (223, 230, 285–289, 386) sowie schließlich die Aufhebung von Zeitkausalität (178, 555, 623– 640) und die damit verbundene, tendenzielle Reversibilität der Zeit (350). Mit den Worten des Textes: Die Vergangenheit ist eine Collage, eine in Schichten angeordnete Galerie, die auf einen zweidimensionalen Bildschirm projiziert wird. [. . . ] Man muss die Tiefendimension negieren, und die im Raum gestaffelten Entfernungen ordnen sich auf der Fläche an wie Geländeformationen auf einer topographischen Karte. (ibid.: 280)

Das skizzierte Zeitkonzept spiegelt sich in Cusanus auf der Ebene des Discours wider und wird dort als konfigurierte Zeit (Ricœur) funktionalisiert. Dies zeigt sich an Variationen der zeitlichen Ordnung, der Frequenz der Erzählung von Ereignissen und der zunehmenden Tendenz zur Achronie im Verlauf der Erzählung. Kapitel 1.5 ist im 15. Jh. situiert und schildert einen Tag im Leben des Nikolaus von Kues. Dieser begutachtet Gefangene, denen der Prozess gemacht werden soll. Darunter befindet sich eine Frau, die eine Sammlung von Sämereien nach einer Ordnung, die auf „häretisches, arkanes Wissen hin[deutet] und [. . . ] unmöglich göttlichen Ursprungs sein“ kann (77). Die angebliche Hexe hat Briefe an Cusanus gerichtet, die man ihm übergibt. Das Kapitel fällt aus der linearen zeitlichen Ordnung des Textes heraus, es steht zwischen zwei Kapiteln, die die Gegenwart zum Thema haben, und stellt somit eine erste Umstellung dar: A→B→C ⇒B→A→C

Ein und dieselbe Begebenheit wird im Verlauf des Textes mehrfach aufgegriffen und fortgesetzt (Kapitel 1.7), vom Gehalt unverändert zusammengefasst (Kapitel 2.4 als Synthese aus den Kapiteln 1.5. und 1.7) oder wörtlich nochmals erzählt (Kapitel 3.9 =

137 Für eine Detailanalyse dieser Konzepte als Parameter des Lebensbegriffs siehe Abschnitt 4.3.4.

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Kapitel 1.5). Somit wird auch die lineare Ordnung der Ereignisse in der Vergangenheit durchbrochen: A1 → A2 → A1,2 → A1 Die repetitive Schilderung der Begebenheiten (Frequenz) hebt diese außerdem hervor. Durch die Handlung in der Gegenwart stellen sich die benannten Kapitel als Analepsen138 heraus. Der Versuch diese in eine gemeinsame Ordnung zu integrieren führt jedoch zu dem Paradox, dass die Kapitel 1.5, 1.7, 2.4 und 3.9 nicht die Kapitel bis einschließlich 4.8 kausal zur Folge haben, sondern für ihre eigene Möglichkeit voraussetzen (A ⇐ B ), dann aber die Kapitel 5.1 bis 5.3 kausal nach sich ziehen (A ⇒ C ). Bezogen auf die Handlung des Textes: Die Festnahme und Verurteilung Domenicas in der Vergangenheit ist nur möglich, weil diese aus der Zukunft in die noch frühere Vergangenheit reist (Kapitel 4.6 bis 4.8), aus der sich die Kapitel 1.5 und 1.7 ergeben. Damit wirkt sich nicht die Vergangenheit auf die Zukunft, sondern die Zukunft auf die Vergangenheit aus. Gleichzeitig bewirken die Kapitel in der Vergangenheit, dass Domenica in der Zukunft wenige Jahre zurückreisen darf (Kapitel 5.1 und 5.2), um ihren Vater zu retten. Sie stehen also in einem kausalen Verhältnis. Die in der Vergangenheit unternommenen Eingriffe (Briefe an Cusanus, misslungene Rettungsversuche von Domenicas Vater) zeigen indes keine Wirkung auf die Gegenwart, aus der Domenica in die Vergangenheit reist. Sie realisieren sich mutmaßlich in Paralleluniversen, worüber auch textintern nur spekuliert wird. Die Verstöße gegen die sogenannte Selbstkonsistenz wurde – so die textinterne Argumentation – durch ein Selbstreparaturprogramm nach dem Vorbild mikrobiologischer Vorgänge korrigiert (650–651).139 Hierdurch wird eine kausale Beziehung von Vergangenheit und Zukunft erneut negiert. Schließlich beschreibt der Text einen Planeten namens „Highgate“ (Kapitel 3.1, 3.2, 4.4 und 5.3). Auf diesem verläuft die Zeit nicht nur anders, d. h. mal ‚vorwärts‘ und mal ‚rückwärts‘, sondern er steht außerhalb der bisher vom Text beschrieben Zeitstrukturen. Er ist die äußerste Welt, in der sich noch Leben findet. Jenseits davon beginnen die Universen, die kein Leben hervorgebracht haben. Und er ist der Wendepunkt der Zeit. Hier hat sie ihre maximale Ausdehnung erreicht. Der Zeitpfeil schaut unschlüssig mal in die diese, mal in die andere Richtung. Da verliert vieles seine Gültigkeit. (ibid.: 697)

138 Reguläre Analepsen in Form von eingeschobenen Rückblenden und assoziativen Erinnerungen sind ebenfalls Teil des Textes, so etwa Domenicas Familiengeschichte (Cusanus: 43, 46, 49, 94, 97, 100). 139 Vgl. auch Cusanus (287), wo das Konzept einer kosmischen Zensur eingeführt wird, die als übergeordnete Superrevisionsinstanz fungiert und Zeitreiseparadoxa unterbindet. In der Tat wird eine solche Instanz auch im einschlägigen physikalischen Diskurs ernsthaft diskutiert (vgl. Wüthrich 2007: 214–216).

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Die erzählte Zeit tendiert in diesen Passagen also insofern gegen null bzw. unendlich, als thermodynamische und soziale Zeit in ihnen keine Gültigkeit mehr haben. Der Text deutet hier also die Möglichkeit von Achronie an. Damit werden die durch die referenzierten Wissensmengen etablierten Konzepte von verräumlichter, reversibler und akausaler Zeit auf der Ebene des Discours wenigstens tendenziell im Form von Variationen der Zeitstruktur abgebildet. In ganz ähnlicher Weise werden physikalisches, philosophisches, mythologisches und literarisch-motivgeschichtliches Wissen in Thomas Lehrs Zweiundvierzig (2005) funktionalisiert. Im Text kommt es durch einen Zwischenfall am CERN in Genf zum Stillstand der Zeit, von dem nur eine Gruppe von 70 „Chronifizierten“ ausgenommen ist. Diese sind nunmehr von individuellen „Chronosphären“ umgeben, in denen die Zeit reguläre weiterläuft, die außerhalb der unsichtbaren Blase um 12: 47: 42 Uhr stehengeblieben ist. Nach fünf Jahren läuft die Zeit für drei Sekunden weiter, was die noch verbliebenen Mitglieder der Gruppe dazu bewegt, ein Experiment zu wagen, das die Zeit wiederherstellen soll. Da das Experiment nicht gelingt, findet sich der Protagonist am Ausgangspunkt seiner (Zeit-)Reise wieder. Die Zeit erweist sich als zeitlos – die zweiundvierzigste Sekunde sich als metaphorischer Tod.140 Wie auch in Cusanus divergieren Erzählzeit und erzählte Zeit in Zweiundvierzig erheblich: Auf 368 Seiten berichtet der Ich-Erzähler Adrian von den Ereignissen, die sich in der von ihm subjektiv erlebten Zeit von fünf Jahren zutragen. Da die Zeit textintern, also außerhalb der die Chronifizierten umgebenden Chronosphären, stehengeblieben ist, beträgt die erzählte Zeit strenggenommen nur etwa drei Sekunden. Diese extreme Dehnung wird dadurch weiter betont, dass die Geschehnisse ausschließlich aus Sicht des Protagonisten (Figuren- und Innenperspektive) erzählt werden. Bis auf wenige Passagen mit zitierter Rede besteht der Text zum überwiegenden Teil aus Gedanken bzw. dem inneren Monolog des Journalisten Adrian, der seine Situation in Tagebüchern reflektiert. Durch assoziative Rückblenden und Exkurse nähert sich die Erzählweise einem Stream of Consciousness an. In diesem Erzählduktus zergliedert Adrian die in der subjektiven Zeit von fünf Jahren gesammelten Eindrücke. Sprachlich fasst der Text diese Wahrnehmungen zudem in zahlreichen Metaphern.141 Nicht nur durch die stillstehende Außenzeit wird so der Eindruck von Ewigkeit im Sinne einer (nahezu) unbegrenzten Dauer, einer permanenten Gegenwart bzw. der tendenziellen Negation aller Zeitlichkeit evoziert.142

140 Die Übersetzung des japanischen Wortes für die Zahl 42 bedeutet ‚Tod‘ (Zweiundvierzig: 36). 141 „Spinnennetz der Zeit“ (Zweiundvierzig: 76). 142 Zeitstruktur, Sprech- und Erzählsituation des Textes können durchaus als epische Elemente im Sinne der brechtschen Dramentheorie gesehen werden: Sie verhindern Einfühlung und rufen eine kritisch-distanzierte Rezeptionshaltung hervor, die es ermöglicht, die psychische und soziale Dynamik im Text in den Blick zu nehmen. Grundlegend in Brecht, Bertolt (1957): Schriften zum Theater. Über eine nichtaristotelische Dramatik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Diese funktionalen Variationen des Discours stehen in enger Beziehung mit den im Text verhandelten Themen und den dazu referenzierten Wissensmengen: Neben einem stark ausdifferenzierten physikalischen Wissen integriert Zweiundvierzig u. a. ein ebenso auffällig differenziertes Wissen über griechische und asiatische Mythologie mit konkretem Bezug zum Thema Zeit, außerdem philosophisches Wissen mit einem nachdrücklichen Fokus auf Zeitphilosophie und schließlich gesellschaftstheoretisches sowie literarisches Wissen. Die Beiträge zur Zeitkonzeption der einzelnen Wissensmengen sollen hier skizziert werden: Den zentralen Beitrag physikalischen Wissens stellt die durch ihre strukturelle Einbindung auffällige Wheeler-de-Witt-Gleichung dar. Nach Lesart des Textes bringt die Gleichung zum Ausdruck, dass „das, was wir sehen, keine Zeit hat“ (223). Das Paradigma der Zeitlosigkeit wird durch eines der weiteren, wenigen direkten Zitat gestützt, in dem Albert Einstein die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als „Illusion“ (7) bezeichnet. Auffällig sind insbesondere Anspielungen auf und ein direktes Zitat aus Gottfried Wilhelm Leibniz’ Monadologie (1714) (Zweiundvierzig: 60, 135, 150–151) als Indikatoren für philosophisches Wissen. Die Monade143 ist Kernstück in der Philosophie von Leibniz und steht dort für „die letzten Elemente der Wirklichkeit“ (Prechtl/Burkart 2008: 388). Zweiundvierzig adaptiert das Konzept der Monade144 , transformiert und hybridisiert es mit weiteren Wissensmengen, um daraus das Konzept der „Chronosphären“ (32, 41–43, 51) als personengebundener Raumzeit abzuleiten.145 Hierdurch wird eine allgemeingültige Zeitkonzeption bereits auf der Ebene der Histoire negiert, womit die im Text realisierte Erzähl- und Zeitkonzeption sachlogisch erscheint. Literarisch-motivgeschichtliches Wissen ist im Text durch Elemente aus den Märchen Dornröschen und Schneewittchen repräsentiert. Durch sehr selektive Bezugnahmen auf diejenigen Passagen der Märchen, in denen Dornröschen und Schneewittchen bereits schlafen, aber noch nicht wieder erwacht sind, wird die in der dargestellten Welt vorherrschende Situation analogisch erschlossen und eine Semantik des Stillstandes und des Schlafens etabliert.146 In der Aussage Adrians, „dass das Mär-

143 monas (gr.): Einheit. 144 Alle bestehenden Dinge sind ihm zufolge aus Monaden zusammengesetzt, die die Prinzipien der Dinge bestimmen. Bedeutsam ist hier vor allem, dass Monaden individuell, selbständig und autark seien, sodass nichts hinein- oder hinausgelangen kann (‚Fensterlosigkeit‘, §§ 4–7). Daher können die Monaden auch keine direkte Wirkung aufeinander ausüben. Jede Monade sei außerdem ein aus sich selbst schöpfender Mikrokosmos und habe ihr Ziel in sich selbst. Hierdurch wird eine Semantik von Kapseln oder Kugeln aufgebaut, die ein Inneres haben, in die aber von außen nichts eindringen kann (§§ 7, 51; vgl. Busche 2009: 53). 145 Zur Analyse der sozialen Konstellationen und Zusammenhänge sowie der daraus abgeleiteten Folgen für den Lebensbegriff siehe Abschnitt 4.3.3.1. 146 Aus Schneewittchen wird dazu das Element des Sarges aufgerufen (Zweiundvierzig: 36, 240, 321): Die Nicht-Chronifizierten erscheinen wie tot, sind es aber dennoch nicht. Sie sind in der Zeit gefroren die sie, die metaphorisch Toten, wie ein Sarg umschließt (321), aus dem nur der Kuss des Prinzen sie befreien kann (36).

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chenbuch recht behielt und nicht die rohe physikalische Spekulation der ersten Wochen“ (100) kommt das Deutungsmuster zum Ausdruck, dass der Zeitstillstand (Dornröschenschlaf) solange andauern wird, bis man eine Lösung gefunden hat (Prinz) und ansonsten ewig (hundert Jahre) dauern könnte. Auch die Elemente mythologischen Wissens im Text werden durch das Thema Zeit strukturiert: Mit dem Kronos-Mythos wird das Konzept einer grausamen Zeit etabliert.147 Ebenso stärkt die Bezugnahme auf den chinesischen Schöpfungsmythos von P’an Ku, der das Weltall aus Granit gemeißelt haben soll (15) ein Paradigma der Versteinerung und des Stillstands, das sich auch auf der Ebene der Darstellung in Form des Zeitkonzeptes und der Erzählsituation manifestiert. Indem die Texte die referenzierten Wissensmengen in der beschriebenen Weise zur Variation der Zeitstruktur funktionalisieren, deuten sie eine Subjektivierung der Lebenswelt und insbesondere der Erfahrung von Raum und Zeit durch Fortschritt, Beschleunigung und Ökonomisierung an, wie sie für Moderne und Postmoderne bereits häufig prognostiziert wurden (vgl. Middeke 2002: 2–3). Dies zeigt sich insbesondere an Zweiundvierzig, wo sich physikalische, psychologische und soziale Prozesse überlagern und beeinflussen. Ein einheitlicher Zeitbegriff scheint dort weder möglich noch sinnvoll, vielmehr zeichnet sich „ein komplexes Netzwerk von Zeitrhythmen ab“ (Mainzer 1996: 7). Zeitlichkeit figuriert somit nicht als thermodynamische Zeit eines irreversiblen Nacheinanders, sondern auch als kulturelle Konstruktion, individuelle oder auch mythisch überformte Interpretation von Zusammenhängen.148 In dieser Form wird sie auch zum Einflussfaktor auf kulturelle Lebensmodelle (siehe dazu Abschnitte 4.3.2 und 4.3.3.1).

b) Variation der Erzählsituation – Blueprint, Schrödinger und Schilf Im Text Blueprint lassen sich Indikatoren für verschiedenste Wissensmengen finden, darunter vor allem Wissenselemente aus Genetik, Entwicklungspsychologie und Mythologie. Darüber hinaus integriert der Text Verweise auf Philosophie und Ethik, Kunst und Musik, Literatur sowie biblisches bzw. christlich-mythologisches Wissen. Die stark vereinfachten zellbiologischen, genetischen und gentechnischen Wissenselemente dienen dabei primär als Voraussetzung für die kontrafaktische Annahme,

147 Dies ist aufgrund der (volks-)etymologischen Nähe zu chronos (gr.: Zeit) möglich. Die Textaussage „Wir, die letzten Kinder von Chronos“ (Zweiundvierzig: 270) legt in Verbindung mit Fancisco Goyas Bild Saturn (1820–1823), der seine Kinder verschlingt, diese Interpretation gleichermaßen nahe. 148 Siehe grundlegende bei Zapf (2002). Ausführlich auch bei Heise, Ursula K. (1997): Chronoschisms. Time, Narrative, and Postmodernism. Cambridge: Cambridge UP sowie Middeke, Martin (2004): Die Kunst der gelebten Zeit, Zur Phänomenologie literarischer Subjektivität im englischen Roman des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Würzburg: Könighausen & Neumann. Zu kulturellen Konstruktionen von Zeit siehe: Assmann, Aleida (1997): Abendländische Zeit-Konstruktionen. In: Kodikas/Code, Jg. 20, H. 1–2, S. 5–23.

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dass Klonen möglich sei (13). Insgesamt werden die in den Text eingehenden Wissensmengen nicht schlicht integriert, sondern rekontextualisiert bzw. aktualisiert. Um zur Plausibilisierung und Analogisierung dienen zu können, müssen die Wissensmengen durch Wissensansprüche erweitert und hybridisiert werden (siehe dazu Abschnitte 4.2.3.3 und 4.2.3.4). Ein Beispiel hierfür ist eine Art ‚Klonpsychologie‘, die sich aus Elementen psychologischen und mythologischen Wissens zusammensetzt und sich auch auf der Ebene des Discours manifestiert. Zur Darstellung dieser funktionalen Variation genügt vorerst die Einbeziehung genuin psychologischen Wissens. Die Instrumentalisierung der „psychologisch motivierten Ego-Klone“ (49), die sich in der bereits beschriebenen Figurenkonstellation ausdrückt, wird von der Protagonistin Siri im Laufe ihrer Bewusstwerdung als Missbrauch empfunden und von ihr mit der Wortneuschöpfung „Missbrut“ (103) belegt. Textintern wird Siri nur eine eingeschränkte Individualität eingeräumt. Ihr wird sozusagen eine eigene Kategorie und eine aktive Selbstpositionierung verweigert (79). Entsprechend fühlt sich Siri fremdbestimmt – ein Paradigma, das der Text durch explizite Erwähnung und Thematisierung von Fesseln (136) sowie die allegorische Darstellung von Fremdbestimmung codiert. Exemplarisch stehen hierfür die Spiegelszenen, in denen Iris und Siri gemeinsam vor einem Spiegel stehen, ihre Ähnlichkeiten fokussieren und sich als „Ichdu“ und „Duich“ (50) bezeichnen. Siri geht sogar so weit anzunehmen, dass die phänotypische Ähnlichkeit auch eine psychische Verbindung der beiden Frauen etabliert, die sie dazu befähigt, das Innere der jeweils anderen kennen und quasi lesen zu können: Deshalb konntest du in mich hineinsehen wie in einen Spiegel und wusstest genau, was in mir vorging. (ibid.: 76)

Um Siris weitere Entwicklung darzustellen, adaptiert der Text nicht nur das entwicklungspsychologische Skript der Adoleszenz, sondern insbesondere auch das Konzept der neurotischen Depression, welches durch die Figur eines Psychologen als Repräsentant der entsprechenden Wissensmenge eingeführt wird (138). Die damit verbundenen Symptome werden vom Text bis hin zu Zusammenbrüchen und Selbstmordgedanken geschildert. Pointiert formuliert der Text: Siri war eine Grenzgängerin: Mühsam balancierte sie auf der Grenze, die zwischen den zwei Leben verlief. Schmal war dieser Grat und manchmal verlor sie das Gleichgewicht und stürzte ab, entweder in das Leben ihrer Mutter oder in ein dunkles Nichts. (ibid.: 143)

Die sich hierin ausdrückende Spaltung findet sich auf der Ebene des Discours in der Erzählsituation auf mehrfache Weise realisiert: Der Text wird bis auf das Schlusskapitel „Pollux Seul“ als Rückblick Siris im Alter von 21 Jahren erzählt. Die Erzählung fokussiert dabei insbesondere auf Siris entwicklungsrelevantes 15. Lebensjahr und ihre Pubertät in den Kapiteln „Zwietracht“ und „Zweikampf“. Bereits im Prolog wird

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eine Herausgeberfiktion etabliert (9), die durch Siris Nachwort im Schlusskapitel und den fiktionalen Kommentar im nachfolgenden Epilog149 bestätigt wird. Auffällig ist, dass es offenbar zwei Erzählinstanzen gibt, wovon die erste ein IchErzähler ist. Dieser kann problemlos mit Siri identifiziert werden, die durch die rückschauende Niederschrift ihrer Kindheit das Erlebte verarbeiten und die „Wahrheit“ wissen will (12). Siri nimmt zum Erlebten oftmals emphatisch Stellung, kommentiert und wertet subjektiv. Die vom Text unterstellte traumatische Spaltung Siris drückt sich hier also in Form einer starken Dissonanz zwischen erlebendem Ich und erzählendem Ich aus. Dabei kommt das erlebende Ich zu keiner Zeit zu Wort – so gesehen existiert es nicht. Die Dissonanz wird noch dadurch verstärkt, dass das Schlusskapitel als nochmals zehn Jahre später verfasst markiert wird. Der Schreibprozess wird damit zu einem rekursiven Prozess der Identitätsbildung.150 Auch die textintern unterstellte ‚klonpsychologische‘ Verbindung zwischen Siri und Iris manifestiert sich auf der Ebene des Discours: Schlechterdings könnte Siri keine Begebenheiten erzählen, die vor ihrer Geburt bzw. nur wenige Jahre nach dieser liegen. Dem ist aber dennoch so. Zwar nimmt Siri in Bezug auf andere Figuren – insbesondere Iris – keine Innenperspektive ein, scheint aber genaue Kenntnisse über deren Befindlichkeit zu haben. Die Erzählerin Siri rechtfertigt dies wie folgt: Und weil wir doch schon immer ein Herz und eine Seele waren [. . . ] kann ich ganz leicht in Iris’ Haut und Hirn schlüpfen. (ibid.: 11)

Selbst wenn man den Wissensanspruch einer ‚Klonpsychologie‘ verwirft, äußert sich in dieser Erzählhaltung die auch textintern thematisierte Überidentifikation von Siri mit Iris bzw. die unvollständige Abgrenzung und Identitätsbildung Siris. Zusätzlich zerfällt die Erzählsituation jedoch neben dem beschriebenen IchErzähler (Siri) in eine zweite, auktoriale Erzählinstanz (Nullfokalisierung), die nicht Teil der dargestellten Welt zu sein scheint (extradiegetisch-heterodiegetisch), aber Einblick in die Gefühlslage der Figuren hat (mit Bewusstseinsschau). Diese Erzählinstanz spricht auch über Siri in der dritten Person. Das Verhältnis der beiden Erzählinstanzen zueinander wird an der folgenden Stelle deutlich, an der der Text zwischen beiden Instanzen wechselt: Strahlend betraten beide [Iris und Siri, SH] die Bühne, wo die Konzertflügel im Scheinwerferlicht standen und die Fernsehkameras auf sie warteten. Dieser lächerliche Auftritt am Muttertag! Und du hast meine gelbe Schleife nicht einmal gesehen. (ibid.: 83)

149 „Der Bericht Blueprint ist einer der ersten Klon-Berichte, den eine Betroffene selbst verfasst hat“ (Blueprint: 174, Hervorhebung im Original). 150 Dies ist auch in Designerbaby und Markenmenschen der Fall, wo die Protagonistinnen eine Art Blog bzw. Tagebuch schreiben.

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Die auktoriale Erzählinstanz stellt hier eine scheinbar neutrale bzw. objektive Erzählebene dar, die durch die Ich-Erzählerin Siri auf einer Kommentarebene reflektiert wird. Da aber die gesamte Narration im Epilog von einer dritten Erzählinstanz (Herausgeberin) als Siris Bericht bezeichnet wird, muss auch die auktoriale Erzählinstanz Siri zugeschrieben werden. Die dahinterstehende Textstrategie bringt Siri selbst auf den Punkt, sie möchte „mich/sie/uns betrachten, wie eine Forscherin ihre Versuchsanordnung im kalten, blauen Laborlicht beobachtet“ (12). Einmal abgesehen von der Semantik der Kälte drückt sich hierin ein quasi-wissenschaftlicher und pseudo-objektiver Anspruch aus, der einen ‚unverstellten‘ Blick auf die im Text geschilderten Sachverhalte als ‚Tatsachen‘ belegen will. Über diese Erzählstrategie hinaus äußert sich in dem Umstand, dass Siri offenbar von sich in der dritten Person spricht, eine weitere Spaltung und gewissermaßen auch Entfremdung zwischen Siris erwachsenem Ich und dem im Text beschriebenen kindlichen Ich. Selbst wenn manche kommentierenden Passagen Ergänzungen am Bericht der 21-jährigen Siri durch die 31-jährige Siri darstellen würden, käme darin eine noch stärkere Dissonanz zum Ausdruck, die sich auch auf die beiden erwachsenen Versionen von Siri erstrecken würden. Der Text präsentiert Siri folglich als eine mehrfach gespaltene bzw. fragmentierte, von sich selbst entfremdete und noch immer nicht gänzlich von Iris abgegrenzte Persönlichkeit. In diesem Sinne wird sie gerade nicht als Individuum (als Unteilbares bzw. Ungeteiltes) dargestellt. In der variablen Fokalisierung und Dissonanz artikuliert der Text die hypothetischen psychischen Folgen des Geklontseins. Durch diese Konstellation von Erzählsituationen ist kaum feststellbar, wessen Rede als logisch privilegiert gelten kann. Das Kind Siri, dem man eine unverstellte Sicht zubilligen würde, kommt nicht zur Sprache. Die erwachsene Siri beschreibt sich selbst aus großer zeitlicher Distanz – ihre Erzählung ist mehr Interpretation als Bericht. Die Subjektivität und Emotionalität (Wut, Frustration, Schmerz) der erwachsenen Siri lassen weitere Zweifel am Dargestellten aufkommen. Es scheint jedoch gerade diese ungebrochene Subjektivität zu sein, die Siri einerseits eine Stimme und ein ‚Ich‘ geben, und die auch das Nachwort positiv hervorhebt. Man könnte sagen, dass der Text nur diese radikalisiert subjektive Sicht auf das Klonen durch den Klon selbst zulässt und jegliche Objektivität im Hinblick auf diese hypothetische Reproduktionstechnik verwirft – und diese gleich mit. Auch in Juli Zehs Schilf (2007) und Ulrich Woelks Schrödinger (2006) lassen sich Variationen der Erzählsituation durch vom Text referenzierte Wissensmengen ausmachen, wenngleich in sehr viel geringerem Maße als in Blueprint. Beide Texte thematisieren physikalisches Wissen, genauer gesagt unterschiedliche Deutungen der Quantenmechanik. Der Text Schrödinger etabliert gleich zu Beginn eine leitmotivische Ambivalenz durch zwei Eingangszitate. Während das erste einem quantenphysikalischen Kontext entstammt, so ist das zweite ein Zitat aus einem Theaterstück. Beide beziehen sich auf die Struktur der Realität bzw. thematisieren die Frage, ob wir uns der Existenz von etwas oder gar von uns selbst sicher sein können. Das zweite Zitat rückt die An-

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nahme, dass wir existieren in die Nähe der Zauberei – um die es auch im Text geht: Der professionelle Zauberer mit Namen Schrödinger ist der Enkel des Physikers Erwin Schrödinger. Dessen Gleichung und Gedankenexperiment151 deutet er als Schlüssel zum Reich der Magie – die Realität sei „eine Verdichtung von Möglichkeiten“ (45). Die Kopenhagener Deutung der Quantenphysik bzw. das in ihr formulierte Komplementaritätsprinzip (Bestimmung von Wellen- und Teilchencharakter von Strahlung oder Materie nicht gleichzeitig möglich) überführt Schrödinger in die Behauptung, dass Entweder-oder-Denken ein Irrtum sei. Im Verweis auf Everetts Interpretation der Quantenmechanik postuliert er, dass das Universum ein „Weiterverästeln von Möglichkeiten und Parallelrealitäten“ sei (108). So kann der Zauberer auch behaupten, dass die Möglichkeit der Präsenz einer Person im Nebenraum erst dann ausgeschlossen werden könne, wenn man nachsehe. Diesen Wissensanspruch illustriert der Text durch eine funktionale Variation der Erzählsituation: Oliver und Doris durchleben eine Ehekrise, die ihren vorläufigen Höhepunkt während einer Gartenparty des Ehepaars findet. Während die Kapitel 1–11 aus der Perspektive eines allwissenden auktorialen Erzählers geschildert werden, der die Gedanken aller Figuren gleichermaßen wiedergibt, so werden die Kapitel 12 und 14 (Oliver) sowie 13 und 15 (Doris) aus aktorialer Perspektive (interne Fokalisierung) erzählt. Hierdurch wird insbesondere ein Einblick in die Gefühlswelt der Ehepartner, deren Bilder vom jeweiligen Gegenüber und die daraus resultierenden Kommunikationshürden gewährt. In Kapitel 12 betrinkt sich Oliver, dringt in Schrödingers Haus und dessen titelgebendes Schlafzimmer ein. Obwohl Oliver und Doris bereits vorher in Schrödingers Haus gewesen waren, bleibt das Schlafzimmer des Zauberers Projektionsfläche für ihre Mutmaßungen und auch Wünsche. Im Schlafzimmer stößt Oliver auf Schrödingers selbsternannte Musen, die biblische Salome, die erotische Tänzerin Mata Hari und die Kurtisane, Dichterin und Philosophin Tullia d’Aragona. Mit den Figuren erörtert Oliver nicht nur seine Eheprobleme und das Wesen der Frau als solcher, sondern hat in einem Séparée, welches als das Innere des Kastens in Erwin Schrödingers Gedankenexperiment charakterisiert wird, mutmaßlich auch Sex mit Mata Hari (234–235). Später wird man Oliver ohnmächtig vor einer Litfaßsäule finden (263). Kapitel 13 erzählt den Verlauf der Gartenparty aus der Sicht von Doris. Diese fährt den Zauberer schließlich nach Hause und versucht ihn zu küssen. In Schrödingers Schlafzimmer angekommen stellt sich nicht nur heraus, dass es sich bei diesem um ein steriles Arbeitszimmer handelt, sondern Schrödinger darüber hinaus nicht der

151 Das Gedankenexperiment überträgt die mögliche Überlagerung von Quantenzuständen auf die makroskopische Ebene, wodurch es zu einem Paradox kommt: Die Katze im Kasten müsste gleichzeitig tot und lebendig sein können. Die Deutung der Figur Schrödinger bezieht sich auf das Möglichkeitspotenzial, das durch die tatsächliche Schrödinger-Gleichung zum Ausdruck gebracht wird (Wahrscheinlichkeit), und das erst durch konkrete Messung/Beobachtung aktualisiert wird (vgl. Kuhn 2001: 463–464).

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Don Juan ist, für den Doris ihn hält, sondern homosexuell. Zwischenzeitlich wurde Oliver ins Krankenhaus eingeliefert. Zwar erscheint das in Kapitel 12 geschilderte Szenario äußerst unwahrscheinlich, es wird jedoch textintern nicht vollständig verworfen (271) und bleibt damit vor dem Hintergrund der im Text geäußerten Annahmen denkmöglich. Selbst, wenn Schrödingers ‚Enttarnung‘ und die symbolische Sterilität seines Schlafzimmers in Kapitel 13 seine Deutung der Quantenphysik ebenfalls diskreditieren, so bleibt die Möglichkeit der geschilderten Ereignisse zumindest bis zum Zeitpunkt, zu dem man Oliver vor der Litfaßsäule auffindet, bestehen.152 Hierdurch und durch die quasi komplementäre Darstellung der Gartenpartyszene deutet der Text jedenfalls eine alternative Lesart an, die erst durch die quantenphysikalisch inspirierte Variation der Erzählsituation erkennbar wird. Der Text Schilf realisiert – ebenfalls ausgehend von Hugh Everetts Interpretation der Quantenmechanik als Vieleweltentheorie – eine ähnliche funktionale Variation des Discours. Everetts Theorie vertritt dort die Figur Sebastian – zur Belustigung153 seines besten Freundes Oskar. Die beiden Männer hatten gemeinsam studiert und arbeiten heute als Physiker. Während Oskar mit seinen Versuchen, die Theory of Everything zu finden, wissenschaftliches Ansehen genießt, belächelt dieser Sebastian, der sich immer noch für Everetts Vielewelteninterpretation starkmacht. Inspiriert von Immanuel Kant sucht Sebastian nach dem wahren physikalischen Wesen der Dinge und der eigentlichen Struktur der Wirklichkeit. Schnell wird klar, dass die fachlichen Differenzen Symptom einer nicht verarbeiteten Vergangenheit der beiden ist: Bereits während des Studiums hatte sich eine Beziehung zwischen den beiden Männern angebahnt. Als sich Sebastian durch Oskar verletzt fühlt, diese Verletzung aber nicht thematisiert, orientiert sich Sebastian neu, heiratet schließlich und hat heute einen Sohn, Liam. Sebastians latente Homosexualität wird bei nahezu jeder Begegnung der Freunde ebenso thematisiert wie Sebastians damalige Entscheidung für ein heterosexuelles Leben. Sebastians Arbeit sei „der Wunsch [. . . ], eine ganz bestimmte Realität zu relativieren“ (36) und stattdessen eine Realität zu suchen, in der ‚richtig‘ und ‚falsch‘ keine Relevanz haben (65). Mit Sebastians Worten: [Die] Multiversen-Idee [ist] nicht nur eine philosophische Bequemlichkeit, sondern eine konsistente Interpretation. Darüber hinaus lässt sie dem Menschen seinen freien Willen. Denn es ist egal, wie stark wir von Ursache-Wirkung-Mechanismen innerhalb der einzelnen Welten dominiert sein mögen – solange wir durch unsere Handlungen immer neue Universen hervorbringen können. Dadurch bleiben wir in unseren Entscheidungen frei. (ibid.: 209–210)

152 Der in Kapitel 12 geschilderte Moment, in dem Oliver ohnmächtig geworden sein müsste, ist so gestaltet, dass sowohl seine Ohnmacht als auch sein Weitergehen zu Schrödingers Haus möglich wären. 153 Sebastian pflegt „einen etwas hemdsärmeligen Umgang mit den Schwierigkeiten beim Übergang von der Quantenmechanik zur klassischen Physik“ (Schilf : 277).

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Anstatt seine damalige Entscheidung für Frau und Kind zu akzeptieren und sich seiner Verantwortung zu stellen, sucht er nach einer physikalischen Möglichkeit annehmen zu können, dass „es weitere Universen geben müsse, in denen [. . . ] er und Oskar einander niemals verlieren würden“ (33). Oskar nennt diese Haltung in Anlehnung an George Orwells Nineteen Eighty Four (1948) als double think (Doppeldenk154 ). Um ihm die Inkonsequenz seines Denkens und Handelns vor Augen zu führen, inszeniert Oskar die Entführung von Sebastians Sohn Liam – der damit entführt wurde, aber gleichzeitig auch nicht. Hierdurch sollte Sebastian erkennen, „was es bedeutet, [. . . ] wenn es kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch gäbe“ (Schilf : 358). Statt einer Lösegeldforderung lässt Oskar übermitteln, dass double think weg müsse. Dies führt zu einem tragischen Missverständnis, da Sebastian am Telefon „Dabbeling“ versteht – was der Nachname eines Arbeitskollegen seiner Frau ist. Während die vermeintliche Aufforderung in Kapitel 2.5 erfolgt und der Mord in Kapitel 3.4, ist die Informationsvergabe durch die Erzählinstanz so gestaltet, dass erst in Kapitel 4.3 klar wird, dass Liam nicht entführt wurde. Dass es sich um ein tragisches Missverständnis handelte und wie es motiviert ist, wird erst im letzten Teil des Textes enthüllt. Über große Teile des Textes hinweg geht nicht nur Sebastian davon aus, sondern muss auch die Leserschaft zunächst glauben, dass Liam entführt wurde. Als sich herausstellt, dass dem nicht so ist und Oskars ‚Experiment‘ noch nicht enthüllt wurde, ist man geneigt, sich auf Sebastian Theorie der parallelen Welten einzulassen. Das hat folgende Gründe: 1. Der Text repräsentiert physikalisches Wissen durch entsprechende Termini sowie Paraphrasen von Everetts Theorie und anderen Deutungen der Quantentheorie. 2. Der Text integriert physikalische Formeln (28), die zwar nicht explizit funktionalisiert werden, die aber dazu beitragen, dem textinternen wissenschaftlichen Diskurs Glaubhaftigkeit zu verleihen. 3. Der titelgebende Ermittler, Schilf, sympathisiert mit Sebastian aus biographischen (160), fachlichen (153) und persönlichen (154) Gründen. Seine Recherchen und Unterhaltungen mit Sebastian stützen die Vorstellung einer Realitätsstruktur im Anschluss an Kants Begriffe von Raum und Zeit (206), Everetts Deutung der Quantenphysik und Erwin Schrödingers Gedankenexperiment (155–156). 4. Hierdurch lenkt der Text die Sympathien zugunsten von Sebastian. 5. Im Gegenzug wird Oskar als exzentrische Persönlichkeit inszeniert und auch negativ semantisiert („Mephisto“, 296). 6. Zusätzlich etabliert der Text intermediale Bezüge auf die Filme Vertigo (Hitchcock, USA 1958) und Lola rennt (Tykwer, D 1998), die die Wirklichkeit in ähnlicher Weise infrage stellen und sich dadurch allzu leicht als Deutungsmuster aufdrängen. 7. Schließlich – und hiermit nähern wir uns der funktionalen Variation der Erzählsituation – provoziert der Erzähler in Prolog und Epilog (dem Eingangs- und Schlusslied des Chores in der griechischen Tragödie gleich) eine Verunsicherung in Bezug auf die Struktur der Wirklichkeit: 154 Doppeldenk bezeichnet die Fähigkeit, zwei widersprüchliche Überzeugungen gleichermaßen und gleichzeitig für wahr zu halten. Dies ist in Orwells Text Teil staatlicher Indoktrination, Realitätskontrolle und der konstanten Selbsttäuschung der Menschen im porträtierten Regime.

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Am Ende scheint alles anders [. . . ] und doch genau so. [. . . ] So ist es, denken wir, in etwa gewesen. (Schilf : 7) So ist es, sagen wir, in etwa gewesen. (ibid.: 383)

Die Unsicherheit, die im Zitat durch den Wortgebrauch und die Formulierungen zum Ausdruck kommt, setzt sich im Haupttext dadurch fort, dass die Erzählinstanz oftmals in indirekter Rede (Konjunktiv I) formuliert. Die Distanz, die sich hierin ausdrückt, wird dadurch verstärkt, dass der extradiegetisch-heterodiegetische Erzähler Vorausdeutungen macht (55) und sich damit quasi allwissend zeigt. Dennoch nimmt er zu keiner Zeit ausdrücklich Stellung dazu, ob Sebastians Sicht der Dinge auf Wunschdenken beruhen oder in der Tat im Bereich des Möglichen liegen. Vielmehr wird die Position des Erzählers sogar noch weiter abgeschwächt, indem er sich stellenweise so weit zurückhält, dass von einem aktorialen Erzähler gesprochen werden könnte. Zusätzlich eröffnen Perspektivenwechsel komplementäre Sichtweisen auf ein und dieselbe Situation (226–227) wie sie sich auch in Schrödinger nachzeichnen ließen. Dadurch, dass der Erzähler als nur eingeschränkt zuverlässig gelten kann, und dass der Text zahlreiche Hintertüren offen lässt, wird eine Lesart ermöglicht, die Sebastians Theorie und Wahrnehmung nicht gänzlich unmöglich erscheinen lässt.155 Das im Text referenzierte physikalische Wissen dient in dieser Hinsicht auch hier als Voraussetzung und Mittel einer funktionalen Variation des Discours. Resümierend lässt sich festhalten, dass die oben analysierten Texte verschiedene Wissensmengen adaptieren, um durch die Variation der Erzählsituation die Zuverlässigkeit, Allwissenheit, Neutralität und Autorität übergeordneter Erzählinstanzen zu relativieren. Hierdurch erzeugen die Texte nicht nur eine latente Unsicherheit in Bezug auf die raumzeitliche Realität bzw. deren logisch-kausale Strukturen (siehe dazu auch Abschnitt 4.2.4.2), sondern provozieren auch eine mitunter radikale Subjektivierung der Handlung. Wie noch zu zeigen sein wird, spiegelt sich dies in den Lebens(phasen)modellen der Texte wider, die das Subjekt bezüglich seiner Lebensgestaltung auf sich selbst verweisen (siehe dazu Abschnitt 4.3.3).

4.2.2.3 Zusammenfassung Ziel dieses Abschnittes war es, die in den Texten referenzierten Wissensmengen zu rekonstruieren, in allgemeiner Weise zu qualifizieren sowie ihre Repräsentation auf der Ebene der Histoire und des Discours nachzuvollziehen. Es bot sich an, hierbei in Bezug auf die Histoire nach lexikalischer Oberflächenstruktur und logisch-semantischer

155 Frappierend ist, dass der Text gleichzeitig den textinternen Fall eines vermeintlichen Zeitreisenden aus einem Paralleluniversum (wofür Everetts Vielewelteninterpretation die Grundlage bildet) als absurd abstempelt (Schilf : 168) und die Begebenheit als relativierendes Ironiesignal bzw. Kontrastfolie nicht zum Tragen kommt.

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Tiefenstruktur zu unterscheiden: An der Oberfläche sind die Wissensmengen in Form von direkten Zitaten, expliziten Propositionen und einschlägigen Fachtermini sowie durch Peri-/Paraphrasierung und Figuren als Repräsentanten präsent. Diese oberflächlichen Bezugnahmen popularisieren nicht nur die wesentlichen Konzepte, die zur Plausibilisierung der weiteren Handlung erforderlich sind, sondern inszenieren auch eine unmittelbare Partizipation am jeweiligen wissenschaftlichen Diskurs, die Faktizität kommuniziert. Gerade die Prozessierung einer großen Zahl von Wissensmengen bietet dabei nicht nur Anknüpfungspunkte für eine heterogene Leserschaft, sondern suggeriert auch eine wissenschaftlich beschreib- und begreifbare Welt. Hierdurch werden die Grundlagen für spätere Wissensansprüche der Texte gelegt. In der logisch-semantischen Tiefenstruktur beeinflussen die Wissensmengen durch die ihnen inhärenten Konzepte und Leitdifferenzen die Figurenkonstellationen und die paradigmatisch-semantische Ordnung der Texte. Die Analyse konnte zeigen, dass die Adaption von Wissensmengen, d. h. von Kategorien, Konzepten und Skripten, topographische Räume in den Texten überhaupt erst konstituiert werden. Darüber hinaus werden die Wissensmengen dazu funktionalisiert, abstrakte semantische Räume zu etablieren, deren Inbezugsetzung kulturelle Werte und Normen spiegelt und die Grundlage für die Narration bildet. Diese wird überdies durch die Adaption oder Hybridisierung von Wissensmengen motiviert. Dazu werden Skripte aus den Wissensmengen entlehnt oder aus hybridisierten Deutungsmustern abgeleitet. Auf der Ebene des Discours manifestiert sich die Bezugnahme auf bestimmte Wissensmengen in Form funktionaler Variationen. Wissensrepräsentation erweist sich hier als ein komplexes semiotisches Verfahren, in dem Histoire und Discours zeichenhaft aufeinander bezogen werden.156 Hierzu greifen die Texte Konzepte auf, die auf der Ebene der Histoire adaptiert und verhandelt oder dort aus verschiedenen Wissensmengen neu generiert wurden und bilden diese in der Art der Darstellung ab. Im Textkorpus lassen sich dabei Beispiele für die Variation sämtlicher Kategorie des Discours finden. Bezogen auf den Umgang mit den Wissensmengen selbst lassen sich verschiedene Strategien der Texte abstrahieren: In erster Linie dient die Bezugnahme auf bestimmte Wissensmengen der Plausibilisierung der dargestellten Welt. Dazu werden entsprechende Kategorien, Konzepte und Skripte adaptiert und zur Modellierung von Figuren und Raumordnungen integriert. Die Wissenselemente werden also zur Konstituierung der textinternen Wirklichkeit genutzt. Die Texte lassen sich danach unterscheiden, ob sie die adaptierten Wissenselemente auch inhaltlich füllen (Vollstufe)

156 Wolfgang Lukas (2012) kann dies auch für die Beziehung von Kulturellem, Text- und Figurenwissen am Beispiel der Genese des Unbewussten in Texten der Goethezeit, romantischer und postromatischer Literatur aufzeigen: Psychische Mechanismen der Verdrängung der Figuren auf der Ebene des Dargestellten wiederholen sich auf der Ebene der Darstellung und werden dort als Leerstelle manifest. Indikator für diese Leerstelle sind dann wiederum sprachliche Mittel, die metonymisch-indexikalisch auf den ‚Verdrängungsprozess‘ zurückverweisen.

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oder diese nur als Indices für die referenzierten Wissensmengen stehen (Reduktionsstufe). Sofern die Wissensmengen lediglich der Kontextualisierung der Handlung dienen und nicht weiter reflektiert werden, kann auch von einer Affirmation derselben gesprochen werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Texte die referenzierten Wissensmengen in quasi positivistischer Manier unhinterfragt übernehmen würden. In den meisten der analysierten Texte zeigt sich, dass die Wissensmengen diskursiviert, d. h. in textinterne Verhandlungsprozesse eingebunden und in diesen reflektiert und prozessiert werden (Potenzierungsstufe). Diese manifestieren sich nicht nur in der Gegenüberstellung von Positionen durch die Inszenierung von Fachdiskussionen und wissenschaftlichen Verfahren, sondern auch in semantischen Oppositionsrelationen. Während diese Verhandlungsprozesse vordergründig fachlicher Natur zu sein scheinen, werden die konkurrierenden Wissensmengen jedoch vielmehr auf ihre soziale Gültigkeit, d. h. ihr Potenzial zur Beschreibung, Deutung und Bewältigung der Wirklichkeit überprüft. Der Reflexionsprozess kann zur gänzlichen Abwehr oder aber zur Modifikation (Aktualisierung, Transformation, Analogisierung, Extrapolation, Hybridisierung) der jeweiligen Wissensmengen führen. Hierdurch rekonfigurieren die Texte vorhandenes Wissen zu textspezifischen Wissenssystemen, die in der textexternen Wirklichkeit keine Entsprechung mehr finden (siehe dazu Abschnitt 4.2.4.3). Die Rede von der ‚Plausibilisierung‘ der dargestellten Welten und Narrationen erscheint vor diesem Hintergrund quasi als Metapher, die darauf verweist, dass auch in der textexternen Wirklichkeit die Gültigkeit nicht nur von wissenschaftlichem Wissen einem sozialen und diskursiven Aushandlungsprozess unterliegt: Plausibel ist nicht unbedingt, was objektiv ‚wahr‘ ist, sondern, was im sozialen und kulturellen Kontext als plausibel gesetzt wird. Diese Techniken und Prozesse der Interaktion von Wissensmengen sollen in den folgenden Abschnitten erhellt werden.

4.2.3 Formen der textuellen Wissensgestaltung

Ausgehend von der Frage, welches Wissen in den Texten wo und auf welche Weise repräsentiert wird, wurden im vorangegangenen Kapitel Wissensmengen differenziert, qualifiziert und Formen ihrer Repräsentation auf den Ebenen der Histoire und des Discours beschrieben und analysiert. Während die Texte auf der Oberflächenstruktur scheinbar rein rezipierend an Wissensordnungen und Diskursen partizipieren und diese popularisieren, deutete sich bereits mehrfach an, dass diese Bezüge in der logisch-semantischen Tiefenstruktur der Texte funktionalisiert werden, um komplexe Bedeutungen zu konstituieren. Die Texte nehmen auf dieser Ebene eine vernetzendreintegrierende Funktion wahr (vgl. Zapf 2008b: 35–39; Link 2007), wodurch die Wissensmengen in Bezug gesetzt und ästhetisch gestaltet werden. Die Vernetzung von Wissens- und Hypothesenmengen, deren Aktualisierung, Reflexion und Funktiona-

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lisierung in textuellen Wissenssystemen legen Techniken und Prozesse in der Mikrostruktur der Texte frei, die im Folgenden weiter konturiert werden sollen. Als besonders auffällig haben sich dabei die Phänomene der Hyperkonnektivität als rekursive Bestätigung von kulturellen Mustern durch Verwendung zentraler Codes (4.2.3.1), der Generierung von Wissensobjekten durch intentional neu geschaffene Konzepte bzw. durch die Modifizierung von Kategorien- und Konzeptsystemen (4.2.3.2), die Genese von Hybridwissen (4.2.3.3) und die Emergenz von Wissensansprüchen durch die Narrativierung von Wissenslücken in literarischen Gedankenexperimenten (4.2.3.4) erwiesen.

4.2.3.1 Hyperkonnektivität Als populär gilt etwas, das – so der Wortsinn – dem Volke angemessen ist, im besten Sinne also allgemeinverständlich.157 In Bezug auf mediale Produkte lässt sich Popularität als eine polysemische (Text-)Struktur begreifen, die die Texte durch ihre Vielstimmigkeit anschlussfähig macht (vgl. Stäheli 2005: 149–150). Sie sind ‚hyperkonnektiv‘, insofern sie semantische Formen verwenden, die „in einer Vielzahl unterschiedlicher Kontexte anschlussfähig sind“ (ibid.: 160). Davon ausgehend, dass Kommunikationsprozesse abhängig von kulturellen Rahmenbedingungen, also dem Wissens- und Denksystem der an der Kommunikation Beteiligten sind (vgl. Krah 2006b: 34–48), dürfen im Anschluss an Lotmans Begriff der Semiosphäre (1990) vor allem solche Formen als hyperkonnektiv gelten, die sich dominierender Zeichensysteme bedienen. Deren Zeichen und Codes gehören zum zentral Kulturellen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie von einer überwiegenden Zahl der Mitglieder einer Gesellschaft geteilt, häufiger verwendet und hoch bewertet werden (vgl. Posner 2003: 58–64). Hierunter fallen u. a. nicht nur bestimmte Inhalte, sondern auch Darstellungsweisen und Deutungsmuster, die in der Kultur ‚zirkulieren‘ (synchron, kommunikatives Gedächtnis) oder in Form semiotischer Substrukturen in ihr gespeichert (diachron, kulturelles Gedächtnis) und damit reaktivierbar bzw. Teil des allgemein verständlichen kulturellen Wissens sind. Sie sind daher nicht nur wesentlich für die kulturelle Identität der betreffenden Gesellschaft, d. h., deren „kulturspezifische ideologische, religiöse, epistemologische Paradigmen“ (Nünning 2008: 98–99), sondern erlauben durch die Anwendung der entsprechenden Zeichen und Codes umgekehrt auch die Vergewisserung über diese Gemeinsamkeiten. Indem viele der analysierten Texte populärkulturelles (Meta-)Wissen und Deutungsmuster in Form von intertextuellen bzw. intermedialen Bezügen integrieren, werden sie auf die oben beschriebene Weise hyperkonnektiv. Dazu zählen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Rückgriffe auf – einen schematischen Spannungsaufbau bzw. – eine schematische Erzählweise bei gleichzeitiger 157 Für eine Begriffsgeschichte des Populären siehe Stäheli (2005).

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Vermittlung von aktuellen Themen und damit verbundenen Ängsten stereotypisierte Figuren(konstellationen) und Entwicklungsmuster (Skripte) bekannte eschatologische bzw. mythologische Erzählungen und Deutungsmuster Funktionalisierung dominanter Codes (Literatur, Film, Musik) Analogisierung und kulturelle Metaphorisierung von komplexen Sachverhalten.

Durch diese Rückgriffe ermöglichen die Texte nicht nur eine rekursive Bestätigung von kulturellen Mustern, sondern betten den Text auch in diese Muster ein. Er wird dadurch vor dem Hintergrund dieser Muster interpretierbar. An Blueprint und Schwarm lassen sich diesbezüglich zwei unterschiedliche Strategien illustrieren. Blueprint etabliert ein Zwillingsparadigma, welches im Text verschiedene Funktionen einnimmt (siehe Abschnitt 4.2.3.2). Das Paradigma speist sich nicht nur aus Kapitelüberschriften und Namen, sondern auch aus zahlreichen Zwillingserzählungen aus Literatur und Mythologie, darunter: Kastor und Pollux, Kehinde und Taiwo, Das doppelte Lottchen (Erich Kästner, 1949) und pauschale mythologische Deutungen des „Zweikampfes“ von Iris und Siri. Darüber hinaus wird das Paradigma durch weitere Topoi untermauert.158 Die Auswahl der Bezugnahmen ist in einer Weise umfassend, dass sie nicht nur synchrone, zentrale und ‚eigenkulturelle‘ semiotische Gebilde einbezieht, sondern auch diachrone, eher periphere und ‚fremdkulturelle‘. Hierdurch kommuniziert der Text nicht nur einen ebenso universalen Deutungsanspruch, sondern wird auch gruppenübergreifend (Alter, Schicht, Kultur) hyperkonnektiv. Schwarm verfolgt eine andere Strategie, die den Text jedoch in ähnlicher Weise hyperkonnektiv macht: Durch die zahlreichen Verweise auf den zeitgenössischen Film ruft der Text eine Vielzahl semantisch nahezu äquivalenter, synchroner Deutungsmuster auf. Im Zusammenspiel von trivialen Figuren- und Handlungsschemata mit einer gleichermaßen massenwirksam-verständlichen wie spannenden Vermittlung von gesellschaftlich relevanten naturwissenschaftlichen Konzepten und der Anpassung an eine kulturell dominante Film- bzw. Drehbuchästhetik erleichtert der Text seine Deutung und Rezeption zumindest oberflächlich. Durch die Verwendung zentraler Codes, d. h. hier: kultureller Paradigmen, wird der Text hyperkonnektiv.159

4.2.3.2 Wissensobjekte Wesentlich komplexer gestaltet sich die Genese von Wissensobjekten, die sich detailliert an Schwarm nachvollziehen lässt. Dort wird die dargestellte Welt von Naturer-

158 Erwähnt werden: Ginkgo-Baum wegen seiner Blattform (Blueprint: 78), siamesische Zwillinge (134), Doppelgängermotiv (38), Spiegelmotiv und Spiegelbildlichkeit (59), Lazarus und sein Autosit Johannes Coloredo (139–141), Siris Künstlername „Double-Jou“ (165). 159 Ähnliche Strukturen lassen sich nachweisen für Infekt, Sexy Sons, Götterdämmerung, Furor, R− evolution und die Klontexte (aufgrund der Narrativierung der zentralen kulturellen Paradigmen Fremdbestimmung, Emanzipation und Selbstbestimmung).

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scheinungen heimgesucht, die sich zu Beginn jeder Erklärung entziehen. Unterwasseraufnahmen liefern allmählich Indizien für eine bislang unbekannte Lebensform in der Tiefsee, die mutmaßlich im Zusammenhang mit den Phänomenen stehen könnte (91–96). Aufgrund der zunehmenden Schwere der Vorfälle und dem Eindruck, dass diese geplante Anschläge darstellen, wird ein Krisenstab einberufen, der die Daten von Unterwasserkameras, Hydrophonen, Satellitendaten, Forschungseinrichtungen und Tiersender auswerten und Handlungsoptionen erarbeiten soll (230, 438). So wie sich der Zusammenhang der Naturerscheinungen zunächst einer Erklärung entzieht, bleibt auch die dahinter vermutete Lebensform lange Zeit eine „Ungestalt“ (Horn 2009: 102), etwas, das nur mittelbar zugänglich ist und dem weder Namen noch konkrete Eigenschaften zugewiesen werden können: Eine Seite mit Photos erschien. [. . . ] »Die Aufnahmen, die Victor gemacht hat.« [. . . ] Sie vergrößerte das erste Photo. »Wir sahen einen Teil von ihm«. (Schwarm: 95, Hervorhebung im Original)

Die Erscheinung ist, dies deutet sich auch im Zitat an, zwar sichtbar, nicht aber beschreibbar. Diese Divergenz von sehen und wissen durchzieht den Text bis zum Schluss und wird vor allem dadurch verstärkt, dass die Existenz der Lebensform immer wieder über äußerliche Erscheinungsmerkmale bestätigt und bekräftigt werden wird, Annahmen über sie jedoch bis zum Schluss Hypothesen bleiben, die nur virtuell (am Computer) bestätigt werden können. Im Akt der Namensgebung, der auf einer zufälligen Buchstabenfolge auf einer Tastatur beruht (ibid.: 474), wird daher nicht nur die Neu- und Andersartigkeit der „Yrr“ betont, sondern auch, dass es sich bei ihnen um eine Entität sui generis handelt, die sich nicht in vorhandene Kategoriensysteme einordnen lässt: „Nein. Dafür wissen wir, was es nicht ist. Keine Qualle, kein Fischschwarm“ (95). Große Teile der Handlung dienen somit dazu, die Yrr einzuordnen und ihnen Eigenschaften zuzuschreiben. Dabei korreliert die textinterne Entdeckung der Yrr mit verschiedenen Textstrategien der Konturierung und Plausibilisierung des Konzeptes. Dazu werden zunächst Daten aus dem Umfeld der Yrr gesammelt, die deren Existenz textintern bestätigen. Die Verankerung der Yrr in der Wirklichkeit der dargestellten Welt geschieht quasi absolut, da nicht nur Photos, sondern auch Videosequenzen, Aufnahmen von Hydrophonen und telemetrische Daten (221, 484) deren Existenz bestätigen. Aber nicht nur die konkrete Benennung der Yrr und ihre datenmäßige Erfassung tragen dazu bei: Der Text bezieht sich auf ein textexternes Geräusch, das seit 1991 durch Hydrophone von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) im Südpazifik registriert wird, das sogenannte Upsweep.160 Das Geräusch wird textintern den Yrr zugeschrieben. Indem der Text dem Signifikant Upsweep hier einen realen empirischen Referenten zuordnet, werden die Yrr textintern exakt lokal

160 Das Geräusch steht auf den Seiten der NOAA (2007) als Audiodatei zur Verfügung: www.pmel. noaa.gov/vents/acoustics/sounds/upsweep20x.wav, zuletzt geprüft am 13.12.2012.

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(a) Arecibo-Botschaft

(b) Botschaft der ‹Yrr›

Abb. 4.2: Visuelle Konstruktion der ‹Yrr› (Schwarm: 669, 756)

verortet (54◦ S, 140◦ W). Dadurch, dass es sich beim Geräusch textintern um ein indexikalisches Zeichen (kausale Relation zwischen Geräusch und Yrr) handelt, entsteht eine produktive Asymmetrie: Zwar ist man nicht unbedingt geneigt, auch das textexterne Geräusch nun indexikalisch zu verstehen, jedoch wirkt sich das reale Vorhandensein des Geräusches verstärkend auf die indexikalische Relation von Geräusch und Yrr im Text aus, deren Existenz quasi mithilfe textexterner Daten zusätzlich plausibilisiert wird. Dieselbe Strategie verfolgt der Text auch zur visuellen Konstituierung der Yrr. Die visuelle Bestätigung durch das Bild des durch die Yrr wahrgenommenen Forschungsschiffs (Abbildung 4.2b) stellt dabei gleichzeitig eine Bestätigung der akustischen Präsenz der Yrr dar, zumal das Bild auf der Decodierung einer akustischen Signalübertragung basiert. Hierbei kombiniert der Text gleich mehrere weitere Strategien, denn: Die textinterne Kommunikation mit den Yrr lehnt sich an einer Botschaft an, die 1974 vom Arecibo-Observatorium (Puerto Rico) zum Sternbild Herkules gesendet wurde. Die Botschaft (Abbildung 4.2a) ist binär codiert und beinhaltet Informationen über das menschliche Zahlensystem, chemische Elemente, Nukleotide, die Struktur der DNA, die Zahl der Menschen, die Position der Erde und den Sender (Teleskop). Hierdurch wird gleichzeitig der Film Contact (Zemeckis, USA 1997) zitiert, der wiederum textintern durch eine Figur des SETI-Projektes repräsentiert und von dieser auf einer Metaebene reflektiert wird. Der Text bildet nicht nur die faktisch-reale AreciboBotschaft ab, sondern auch die fiktional gesendete und fiktional decodierte Botschaft der fiktionalen Entität der Yrr: ein auf dem Meer schwimmendes Schiff von unten. Dem intentional neu geschaffenen Konzept ‹Yrr› werden textintern also gleich mehrere indexikalische Zeichen (Leuchten, Geräusch, Botschaft) zugeordnet, die

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einen räumlichen, akustischen und visuellen Bezug zum textinternen Referenten herstellen. Dessen Status wird gleichzeitig durch das textexterne Geräusch Upsweep untermauert. Der Rückgriff auf die Arecibo-Botschaft inszeniert zudem die Anlehnung an ein reales Verfahren, wodurch die textinterne Antwort plausibilisiert und die Autorität der visuellen Darstellung nochmals verstärkt wird. Die Reflexion des Films läuft indessen darauf hinaus, dass die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion (bzw. wissenschaftlichem und kulturellem System) textintern wiederholt und die Texthandlung in Abgrenzung vom Film als ‚realistisch‘ markiert wird. Der Text zweitcodiert die textinternen Aussagen damit explizit als Wissen. Nachdem erste Hypothesen über das Wesen der Yrr gebildet werden konnten, programmiert man einen Computer, der die Funktionsweise und Organisationsform der Yrr nachbilden (712) und das Überprüfen von Hypothesen ermöglichen soll (838).161 Aufgrund der Computersimulationen nimmt man nun an, dass die Yrr genetische Besonderheiten aufweisen müssen, die es ihnen erlauben, als Einzeller und Schwarm zugleich funktionieren zu können. Diese Annahme bestätigt sich textintern durch eine DNA-Analyse, die nicht nur referiert, sondern ebenfalls an der Textoberfläche visualisiert wird: A 1: AATGCCAATTCCATAGGATTAAATCGA A 2: AATGCCAATTCCATAGGATTAAATCGA A 3: AATGCCAATTCCATAGGATTAAATCGA A 4: AATGCCAATTCCATAGGATTAAATCGA A 1: AATGCCA CGATGCTACCTG AAATCGA A 2: AATGCCA ATTCCATAGGATT AAATCGA A 3: AATGCCA GGAAATTACCCG AAATCGA A 4: AATGCCA TTTGGAACAAAT AAATCGA

Die Abbildung (Schwarm: 743, Hervorhebung im Original) zeigt Ausschnitte der DNA vierer identischer Einzeller und darunter Basenabfolgen von vier Exemplaren der Yrr. Der augenscheinliche Unterschied wird auch textintern im Rückgriff auf basales molekularbiologisches und genetisches Wissen erläutert (741). Der Text fingiert also in doppelter Weise ein Zitat, indem er erstens die fiktional ermittelten Eigenschaften einer fiktionalen Entität visuell darstellt, die zweitens nicht abbildbar sind. Indem er dies dennoch tut, plausibilisiert er die Existenz und Andersartigkeit der Yrr nicht nur in der bisher beschriebenen Weise, sondern auf molekularer Ebene. Er postuliert „eine völlig neuartige Biochemie“ (747). Dazu wird zuerst der molekularbiologische und genetische Kontext etabliert und Wissen über genetische Strukturen referiert. Details über das Genom werden zunächst hypothetisch angenommen, dann textintern am

161 Die meisten Annahmen der Wissenschaftler werden indes nur am Computer überprüft und bleiben dadurch auch textintern Wissensansprüche.

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Textanalytischer Teil

Computermodell verifiziert und schließlich unter Bezugnahme auf textexternes Wissen plausibilisiert, wie sich am Beispiel der oben abgebildeten „hypervariablen Bereiche“ im Genom der Yrr aufzeigen lässt. Die Yrr – so nimmt man an – können ihre DNA auch nach ihrer ‚Geburt‘ durch Zellteilung verändern und dadurch Erfahrungen und Wissen in einem genetischen Gedächtnis speichern, das durch gezielte Mutationen der DNA entsteht. Diese Annahme wird qua Realisierbarkeit im Computermodell textintern bestätigt (829–832). Zur Plausibilisierung wird nun Spezialwissen aus dem Bereich der Molekularbiologie und Genetik referiert, das faktische Reparaturmechanismen der DNA erläutert. Um die kontrafaktische Annahme zu untermauern, dass die Yrr diesen Reparaturmechanismus steuern, d. h. (positive) Mutationen erhalten können (852), beruft sich der Text implizit auf die Epigenetik162 , in der die Natur des Zellgedächtnisses jedoch zu den zentralen und bislang ungeklärten Fragen gehört (vgl. Allis et al. 2009: 55). Der Text vollzieht systemtheoretisch gesprochen also einen re-entry, indem er textexternes Wissen fiktional extrapoliert, also einen bisher durch die Wissenschaft unmarkierten Bereich markiert. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Text diesen re-entry dadurch zu kaschieren versucht, dass die textinternen Überlegungen in einem explizit als wissenschaftlich markierten Umfeld, ja sogar System, geäußert werden, er diesen so vollzieht, dass er unmittelbar an verifiziertes Wissen anschließt und diesen re-entry durch die fingierte visuelle Beweisführung nicht als Extrapolation, sondern als genuine Wissensgenese inszeniert (siehe dazu auch Abschnitt 4.2.3.4). Damit nicht genug wird nun auch der Mechanismus der Vererbung textintern plausibilisiert: Um die individuellen Lerneffekte an das Kollektiv weiterzugeben, verschmelzen die Yrr (Schwarm: 826). Auch dieser durch Botenstoffe und Rezeptoren gesteuerte (835) Prozess wird zunächst wieder textintern angenommen, dann am Computer modelliert, textintern verifiziert und schließlich mit textexternem Wissen abgeglichen.163

162 Siehe einführend bei Allis et al. (2009): Die Existenz und grundlegende Funktion der DNAReparatur sowie auch von Repressoren, die solche Reparaturen verhindern, sind bekannt. Allerdings führt dies beim Menschen nicht dazu, dass die DNA ‚lernt‘, da die Translation und Transkription nur unidirektional verläuft (d. h. von der DNA über die RNA zum Protein). Tatsächlich werden aber Veränderungen der Gentranskription beobachtet, die nicht auf der Veränderung der DNA beruht, und die trotz ihrer fehlenden genetischen Codierung vererbt werden können. 163 Zur Einführung in die chemische Ökologie siehe Kornprobst (2010: 1263–1280). Grundsätzlich wird sowohl Intra- als auch Interspezieskommunikation durch Pheromone ermöglicht. Das sind chemische Botenstoffe, d. h. organische Moleküle, die der biochemischen Kommunikation zwischen Lebewesen einer oder verschiedener Spezies dienen. Diese können nachweislich auch Metamorphosen einleiten. Als Analogie hierfür dient das Bakterium Myxococcus xanthus (Schwarm: 714), welches bei entsprechenden Umweltbedingungen mit anderen Myxobakterien kooperiert und dazu biochemische Signale sendet. Die Bakterienkolonie formt schließlich gemeinsam sporenhaltige Fruchtkörper aus, die einen weiteren Zyklus einleiten. Siehe auch: Bakus, Gerald J.; Targett, Nancy M.; Schulte, Bruce (1986): Chemical Ecology of Marine Organisms: An Overview. In: Journal of Chemical Ecology, Jg. 12, H. 5, S. 951–987.

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Tabelle 4.3: Konstituierung eines Frames ‹Yrr› mit slots und fillers in Schwarm Konzept-Frame ‹Yrr› Slots

Fillers

Farbe

blau, farblos, lumineszent

Gestalt

variabel

Lebensraum

Meere (54◦ S, 140◦ W)

Organisationsform

Verbund aus Einzellern

Kommunikation

chemisch, neuronal, akustisch,. . .

Fortbewegung

autonom, parasitär

Fortpflanzung

Zellteilung

Grundlage

lernfähige DNA

Kognition

intelligent, willensbildend

Kultur

mutmaßlich radikal selektiv

Technik

natürliche Biotechnologie

Waffen

Biotoxine, Lebewesen

Spezies

sui generis (einzigartig)

...

...

Durch die Peri- und Paraphrasierung von Spezialwissensmengen mithilfe von textinternen Vermittlungsinstanzen (Figuren) wird das Konzept ‹Yrr› nicht nur etabliert, sondern in extrem differenzierter Weise mit Merkmalen ausgestattet (siehe Tabelle 4.3). Der Text referiert also nicht auf ein im Wissensvorrat vorhandenes Konzept, sondern erschafft es vielmehr intentional neu, was sich formal im Akt der Benennung ausdrückt. Um das Konzept zu etablieren, müssen dann Einträge im Frame generiert werden, was der Text tut, indem er vorhandene Konzepte adaptiert: Textintern werden die Yrr zunächst mit Zooplankton, dann mit Amöben und schließlich pauschal mit Einzellern verglichen. Dadurch wird zwar auch ihre kategoriale Andersheit unterstrichen, vor allem werden dadurch aber andere Kategorien und Konzepte aufgerufen, die den Frame ‹Yrr› grundlegend strukturieren können (Slots). Die Merkmalsvariablen ergänzt der Text, indem er an verschiedenen naturwissenschaftlichen Wissensordnungen partizipiert, etwa der Molekularbiologie, Evolutionstheorie und Genetik. Dabei entlehnt der Text faktisch-reale Wissenselemente und benutzt sie, um Merkmalsvariablen im Frame (Fillers) zu ergänzen.164

164 Ähnlich, wenn auch weniger elaboriert, vollzieht sich die Konstituierung des Wissensobjekts ‹Globacter› in Sexy Sons. Hierzu werden ebenfalls molekularbiologische, genetische und evolutionstheoretische Wissensmengen funktionalisiert, um das Konzept des Superbakteriums mit Merkmalsvariablen zu füllen, bzw. dieses zu plausibilisieren.

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In auffälliger Weise wird dabei nicht nur die Eintragung der einzelnen Variablen durch die Textargumentation gerechtfertigt (Intra-Ebene). Vielmehr betreibt der Text einen enormen Aufwand, auch diese Einträge wiederum an bestehende Wissensmengen rückzubinden und die funktionalisierten Wissenselemente an ihre jeweiligen Kontexte rückzubinden. Hierdurch werden sowohl die einzelnen Einträge im Frame als auch der Frame als Ganzes weitreichend vernetzt (Inter-Ebene). Dieser Prozess ließe sich in Anlehnung an Peirce auch als Semiose bezeichnen, da die Wissenselemente, die aufgerufen werden, um das Konzept ‹Yrr› zu plausibilisieren, wiederum durch andere Wissensmengen interpretiert werden müssen. Der Prozess der Rechtfertigung wird dadurch quasi ‚kohärentistisch‘ und eine endgültige Interpretation (sensu Derrida) aufgeschoben.165 Somit erscheinen die vom Text extrapolierten Wissensansprüche (hypervariable DNA) als konsequente Fortführung bestehender Ansätze, sie scheinen aus der Vernetzung selbst zu emergieren. Für einen vorher nicht gegebenen Gegenstand werden Sachverhalte postuliert, deren Wahrheits- und Begründungsstatus somit nicht geklärt werden können. D. h., dass die Existenz des gesamten Gegenstands kontrafaktisch behauptet wird. Die postulierten Eigenschaften der Yrr werden durch die Einbettung in ein propositionales Netzwerk quasi kohärentistisch gerechtfertigt. Indem der Text systematisch faktische Wissenselemente und fiktionale Wissensansprüche auf das neu geschaffene Konzept bezieht, Wissen also in spezifischer Weise konfiguriert, generiert er ein Wissensobjekt. Dieses zeichnet sich nicht nur durch seine dynamische Verweisstruktur aus, sondern auch dadurch, dass sich die auf ihn bezogenen Wissensansprüche (anders als beim Hybridwissen, siehe 4.2.3.3) nicht zu Wissen transformieren lassen, da der Gegenstand ja realiter nicht existiert. Um aber sein Wissensobjekt gerade nicht als unbegründete und nicht wahrheitsfähige Behauptung erscheinen zu lassen, führt der Text einen textinternen Prozess der Erprobung der Wissensansprüche vor, in dem die textintern generierten Wissensansprüche in einem textinternen Wissenschaftssystem erprobt und dadurch aktualisiert werden: Systemtheoretisch gesprochen inszeniert der Text, wie bisher Unbekanntes (unmarked space) durch die Wissenschaft aufgegriffen (crossing) und von dieser aktualisiert (re-entry) wird. Auf diese Weise zweitcodiert der Text die literarischen Wissensansprüche textintern als Wissen. Die textinterne Plausibilisierung und die textexterne Rückbindung an Möglichkeitsgesetze und Existenzregeln für Gegenstände (sensu Foucault 1969/2008: 133) konstituiert keine logische Referenz, sondern vielmehr ein Referential, das Aussagen über die Yrr ihren Wahrheitswert gibt. 165 Auch Peirce Zeichentheorie lässt die Annahme der Unmöglichkeit einer Letztbegründbarkeit zu (vgl. Pruisken 2007: 15). Ein konstruktives Moment liegt dort vor allem in der Annahme, dass das Objekt „in seiner Zeichenhaftigkeit [. . . ] vom Repräsentamen nur insoweit unterschieden [ist], als es ein weniger entwickeltes Zeichen ist, denn an Stelle des aktuell durch das Zeichen vermittelte Wissen beinhaltet das Objekt nur das dem gegenwärtigen Semioseereignis vorangehende Vorwissen vom Repräsentierten“ (Nöth 2000: 63). Die Wahrnehmung des Objektes wird also durch den Zeichenprozess strukturiert bzw. tendenziell sogar determiniert.

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Die Generierung eines solchen Wissensobjektes hat Folgen für die Ordnung der dargestellten Welt, da es vorhandene Konzepte neu relationiert, bekannte Kategorien neu strukturiert und letztlich die textinterne Wirklichkeit nachhaltig modifiziert (Metaereignis). Dies betrifft vor allem den sogenannten Baum des Lebens, d. h. den phylogenetischen Baum der (vermuteten) evolutionären Beziehungen zwischen verschiedenen Arten: [W]enn Sie sich so einen Baum vorstellen, wo würden Sie die Menschheit sehen? In einem Hauptoder Nebenast? (Schwarm: 766)

Nicht nur die ungeahnten Eigenschaften der Yrr, sondern ihre Existenz als solches stellen bisherige wissenschaftliche Annahmen über die Evolution und eschatologische Deutungsmuster infrage. Die Existenz der Yrr falsifiziert gängige Theorien der Evolution und zwingt dazu, einen weiteren evolutionären Zweig im Baum des Lebens zuzulassen. Die besonderen Fähigkeiten der Yrr legen textintern nahe, dass es sich um eine intelligente Spezies handelt, die dann als „zweite göttliche Rasse“ (572) anerkannt werden müsste. Die Kategorie ‹intelligente Lebewesen› als deren Spitze sich der Mensch sah, wird also neu strukturiert. Dies wiederum entzieht sämtlichen eschatologischen Narrativen in doppelter Weise den Boden: Nicht nur ist der Mensch nicht die Krone der Schöpfung, vielmehr „existiert kein Trend zu krönenden Epochen in der Natur, nur Auslese“ (770), sodass der Mensch nun ungewollt Teil des natürlichen Überlebenskampfes geworden ist. Der Text setzt dem Menschen die Yrr als sein ‚Anderes‘ gegenüber, als Projektion seiner Unzulänglichkeiten und ökologischen Fehltritte. Obwohl der Text intern argumentiert, dass eine seriöse Beschäftigung mit der Andersartigkeit der Yrr nur dann stattfinden könne, wenn diese nicht „als ins Groteske übersteigerter Ausdruck menschlicher [. . . ] Ängste“ (665) betrachtet würden, legt der Text genau diese Interpretation nahe: Aus dem unbekannten Universum der Tiefsee erscheinen die bislang für das menschliche Auge unsichtbaren Yrr als ‚ökologisches Über-Ich‘ bzw. als Nemesis der Natur, die sich nun gegen den Menschen erhebt, diesen in seine Schranken weist und die bisherige Aufteilung des Planeten rückgängig macht. Mit den Yrr personifiziert der Text die Natur und generiert ein Naturbild, das in seiner Radikalität zwar beängstigend, in seiner Komplexität jedoch beeindruckend wirkt.166 Die durch den Text vollzogene Personifikation korreliert mit einer textexternen Personifikation:

166 Durch solche Personifikationen erscheint die ansonsten abstrakte und übermächtige Natur handhabbar. Anthropomorphisiert lässt sie sich in menschlichen Kategorien beschreiben und verstehen, kann das Naturgeschehen sinnvoll interpretiert und auf den Menschen bezogen werden. So projiziert dieser sich selbst in die Natur und deutet das Naturgeschehen als Reaktionen auf menschliche Aktionen – das ökologische Gewissen des Menschen erschafft eine rächerische Natur. Vor dem Hintergrund des ökologischer Risikowahrnehmung beschwört der Text eine Bestrafungsinstanz, die gänzlich amoralisch und – anders als der jüdisch-christliche Gott – gnadenlos ist: Diese Texte ersetzen den Rachegott durch eine wehrhafte Natur.

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In this view the sum total of species is [. . . ] an entity with properties greater than the simple sum of its parts. Such a large creature, even if only hypothetical, [. . . ] needs a name; I am indebted to Mr. William Golding for suggesting the use of the Greek personification of mother Earth, ‘Gaia’. (Lovelock 1972: 579; vgl. Lovelock 2008: 29–30)

Die im Zitat geäußerte, sogenannte Gaia-Hypothese unterstellt, dass „the Earth’s atmosphere, oceans, and biota form a tightly coupled system that maintains environmental conditions close to optimal for life“ (Staley 2002: 35). Ausgehend vom Bild der Göttin der Erde werden die irdischen Ökosysteme in diesem Teildiskurs als ‚Gaia‘ personifiziert. Es ist insbesondere die aktiv-selbstregulierende und ganzheitliche Qualität dieses angenommenen Systems (vgl. Kirchner 2002: 391), die Parallelen zu den Yrr aufweist.167 Die strafende Qualität der griechischen Göttin168 findet ihre Entsprechung in den textinternen Anspielungen auf die Apokalypse bzw. die ägyptischen Plagen. Schlussendlich konvergieren im Wissensobjekt ‹Yrr› somit nicht nur wissenschaftliche Diskurse, sondern auch ökologische und tendenziell religiöse. Die Yrr werden damit zu einem ‚Superzeichen‘, welches als Signifikant mittels der mit ihm verknüpften Vorstellungen einen Bezug zur textexternen Realität herstellt und diese zu deuten beansprucht. Die bereits oben beschriebenen Prozesse lassen sich auch für das Wissensobjekt ‹Klon› nachweisen. Dieses belegt in eindrücklicher Weise, dass der fehlende Wahrheitsstatus von Wissensansprüchen, Hybridwissen und Wissensobjekten nicht deren Zirkulation und Prozessierung entgegensteht: Aufgrund der fortgesetzten literarischen und vor allem filmischen Darstellungstradition ist der Klon schon so weit im Wissensvorrat verankert, dass mit dem Konzept allgemein bekannte Eigenschaften verknüpft werden, bei denen es sich nicht ausschließlich um Wissen im epistemologischen Sinne handelt.169 Die fiktionale Darstellung von Klonen speist sich im Wesentlichen aus drei Traditionssträngen170 (vgl. Ruppelt 2002: 562–563), einem magisch-mythischen (Halbgötter, Golem, Alraune), einem mechanischen (Roboter, Cyborgs) und einem biochemischen (Homunkuli, Frankenstein). Die Repräsentation des Klon(en)s hat dabei bis-

167 Eine ähnlich gelagerte Strategie verfolgen die Texte Pilz und Sexy Sons, da die Freisetzung genetisch manipulierter Algen/Bakterien schlussendlich nicht nur die Regel der Unberechenbarkeit und Selbstregulation der Natur bestätigt, sondern die dargestellte Raumordnung in ähnlichem Maße zu transformieren droht. 168 Sie schickt Orion einen Skorpion, weil dieser sich gerühmt hatte, er könne alle Tiere der Erde töten. 169 Landläufig ‚weiß‘ man z. B., dass Klone exakt gleich aussehen. 170 Siehe auch bei Wulff (2001a: 48) und Caduff (2003a: 170) sowie in allgemeiner Weise bei Brittnacher, Hans Richard (2005): Der Mensch und sein Double. Der Rückblick der Literatur auf die Zukunft der Wissenschaft. In: Die Horen, Jg. 50, S. 33–42.

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her keine neuen poetischen Verfahren, sondern mehr Motivkreise171 und narrative Strategien hervorgebracht (vgl. Caduff 2003b: 28). Als narrative Strategie ist insbesondere die figurale Vervielfältigung bedeutsam: Dabei überwiegt bisweilen das Bild des „Copy-Cloning“ (Caduff 2003a: 177), d. h. die Darstellung von bild-identischen und somit scheinbar gleichursprünglichen Figuren (vgl. Caduff 2003b: 18–19). Diese rührt u. a. daher, dass die technischen Möglichkeiten der medialen Vervielfältigung (sensu Benjamin) auf die Reproduzierbarkeit des Menschen übertragen wird (Caduff 2003b: 19). So wird die Vorstellung des genetisch (statt sozial) determinierten Menschen bildlich begründet und zementiert. Neuere Texte und Filme inszenieren demgegenüber eine Identitätssuche des Klons und eine damit einhergehende Emanzipation vom Original: Klonen ist also gerade nicht mit Kopieren gleichzusetzen. Während die Genese des Konzeptes ‹Klon› in den analysierten Texten weniger grundlegend als in Schwarm vorgeführt wird, sollen hier die Prozesse der Modifikation von Konzepten und Kategorien fokussiert werden, die mit dem Wissensobjekt ‹Klon› in Verbindung stehen: Als reine Spekulation taten Psychologen den Vorwurf ab, das Klon-Kind könne keine eigene Identität entwickeln. Gerade Studien an eineiigen Zwillingen hätten doch gezeigt, dass dies sehr wohl der Fall sei. [. . . ] Sie seien nur eine direkte Kopie, quasi ein Blueprint eines ganz normalen Menschen und deshalb völlig normal. (Blueprint: 79) Ein Klon ist nichts anderes als ein Zwilling, nur dass er auf technischem Wege ins Leben gerufen wird und mit zeitlicher Verzögerung. (Copy: 66) Er ist nichts anderes als ein künstlich erzeugter Zwilling. (Duplik: 91) Ihr seid Zwillinge, auch wenn ihr wie Fremde zueinander seid. (Klonfarm II: 109) Er war sein Vater und Zwillingsbruder. (Sexy Sons: 299)

In den Zitaten wird nicht nur die (präsupponierte) Identitätsproblematik von Klonen negiert. Vielmehr werden sie ohne weitere Differenzierung und Reflexion erstens mit Zwillingen gleichgesetzt, zweitens als Kopie bzw. Reproduktion172 betrachtet und drittens als nicht-außergewöhnlich bzw. normal gesetzt. Hierdurch wird den Klonen eine eigene Position in der Kategorie ‹Mensch› verwehrt, sie werden stattdessen unter bekannten Kategorien subsumiert und um etwaige differentiae specificae beschnitten.173 Blueprint greift das Konzept ‹Klon› auf und führt es einem Aushandlungsprozess zu, der sich nicht nur auf die Einträge im Konzept erstreckt, sondern auch auf die Einordnung des Klons in vorhandene Kategorien. Schon bei der Einführung des

171 Eine ausführliche Übersicht findet sich in Wulff (2001b: 52). 172 Siehe auch Klonfarm (16, 18, 75) und Markenmenschen (53). 173 In Duplik wird für die Klone der neue Begriff „Duplik“ eingeführt und alle auf sie bezogenen Wörter angepasst (z. B. „gesunder Duplikverstand“). Die Klone werden dadurch textintern noch deutlicher als nicht-menschliche markiert.

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Zwillingsparadigmas als Vor- und Grundlage für die oberflächliche Gleichsetzung von Klonen und Zwillingen erzeugt der Text Ambivalenz, indem er die Geburt von Zwillingen „als ein übernatürliches Zeichen, das Glück, aber auch Unglück ankündigte“ (22), gleichermaßen interpretiert. Diese Ambivalenz spiegelt sich in den Textaussagen wider, die abwechselnd für und gegen die Gleichsetzung plädieren174 , sodass eine eindeutige Textposition nicht zu existieren scheint. Eine Ablehnung der Gleichsetzung realisiert der Text schließlich dadurch, dass in der syntagmatischen Reihenfolge Argumente gegen die Gleichsetzung den Schluss bilden, der Handlungsverlauf die Annahme der Identität von Klon und Spender verwirft und das mithilfe diverser Wissensmengen vom Text etablierte Zwillingsparadigma dekonstruiert wird. Letzteres wird wie folgt bewerkstelligt: Der Text greift den Mythos der Kugelmenschen auf, den Platon in Symposion (189d4) schildert.175 Der Text deutet den Mythos negativ in dem Sinne, dass der Akt des Klonens nicht nur eine physische Spaltung und Vervielfältigung darstelle, sondern die anschließende Identifikation von Klon und Spender darüber hinaus nicht zur Wiederherstellung der mythischen Einheit führen könne, sondern vielmehr das Individuum psychisch spalte (vgl. Blueprint: 104– 105). Der Text reaktiviert implizit also die ursprüngliche Bedeutung der Unteilbarkeit des Wortes Individuum und überführt sie in einen emphatischen Individualitätsbegriff (siehe auch Abschnitt 4.3.3.3). Mit der aus dem folgenden Zitat hervorgehenden Abwandlung des Mythos von Kastor und Pollux wird das Zwillingsparadigma endgültig abgelehnt: Am Himmel also sind Kastor und Pollux auf ewig vereint. Ich aber lasse Pollux am Himmel allein. Mein Kastor folgt ihm nicht [. . . ] und lebt [. . . ] allein weiter. Auch ich lebe weiter. (ibid.: 173)

Im literarischen Klondiskurs markiert der Text also einen auffälligen Bruch: Das Konzept ‹Klon› wird in einen diskursiven Prozess eingebunden an dessen Ende nicht nur bestimmte Merkmale getilgt (vor allem solche die Natur und Identität des Klons betreffend) bzw. durch andere Merkmale substituiert werden. Vielmehr wird das Konzept neu kontextualisiert, indem bestimmte Wissensbezüge abgewehrt bzw. neu auf das Konzept bezogen werden: Die Aktualisierung der mythologischen Wissenselemente wehrt diese nicht gänzlich ab, konfiguriert sie jedoch dergestalt, dass eine andere Lesart erzwungen wird, die das Zwillingsparadigma zu einem Emanzipationsbzw. Individualitätsparadigma transformiert, welches nicht mehr die Gemeinsamkeiten der mythologischen Zwillingsfiguren, sondern deren Unterschiede betont. Textintern wird dem Konzept ‹Klon› dadurch eine eigenständige Position in der Kategorie menschlicher Lebewesen eingeräumt, die nicht mit der von ‹Zwilling› korrespondiert.

174 Blueprint (35, 74, 77, 89, 91, 113, 153, 164). 175 Dabei handelt es sich um eine eschatologische Erzählung, die die Liebe bzw. das Zueinanderstreben von Mann und Frau dadurch erklärt, dass sie die Hälften eines vormals verbundenen, jedoch aus Neid von Zeus zerschnittenen, selbstgenügsamen Kugelwesens waren.

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Betont wird innerhalb der Kategorie nun vor allem die Eigenschaft der Individualität.176 Keine der Wissensmengen, die der Text aufruft, wird pauschal affirmiert oder verworfen. Molekularbiologisches und genetisches Wissen wird extrapoliert, um als kontrafaktische Annahme für die Möglichkeit menschlicher Klone fungieren zu können. Gleichzeitig wird es mit anderen Wissensmengen (v.a. Psychologie und Mythologie) hybridisiert, um eine ‹Klonpsychologie› plausibilisieren zu können (siehe Abschnitt 4.2.3.3), die Siris Entwicklung und damit die weitere Handlung motiviert. Biblisches, mythologisches und literarisch-motivgeschichtliches Wissen dient indessen gleichermaßen als Kontrastfolie und Deutungsmuster. So ruft der Text jeweils nur bestimmte Elemente auf, die die Texthandlung in einem bestimmten Kontext verorten, positiv oder negativ kontrastieren oder in einer spezifischen Weise kommentieren und deuten. Sie werden dazu sämtlich im Hinblick auf die Texthandlung aktualisiert, d. h. in eine semantische Relation (Opposition, Äquivalenz, Homologie) zum Wissensobjekt ‹Klon› gesetzt. Die jeweilige Verknüpfungsbeziehung aller Elemente generiert dann eine spezifische kommunikative Bedeutung. Es ist deutlich geworden, dass die Konstituierung von Wissensobjekten nicht nur für die Handlung der dargestellten Welt bedeutsam ist, sondern diese auch Teil des kulturellen Kontextes werden und dort gleichsam ‚zirkulieren‘ können, wie sich vor allem am Beispiel ‹Klon› zeigen ließ. Gerade der Prozess der Modifizierung von Konzepten durch die Literatur und deren Wiedereinspeisung in den kulturellen Kontext ist es, die die beschriebene Technik der Wissensgestaltung auf für den Lebensbegriff bzw. das Wissensobjekt ‹Leben› relevant werden lässt (siehe Abschnitt 4.4).

4.2.3.3 Hybridwissen und literarische Wissensansprüche Die Prozesse der Genese von Wissensobjekten oder die Modifikation von Wissenselementen sind eng mit einem weiteren Prozess verknüpft, für den hier der Begriff der Hybridisierung eingeführt wird. Damit wird Vereinigung von Wissenselementen und Wissensansprüchen auf einem Gegenstand bezeichnet. Das Resultat dieser Vereinigung soll Hybridwissen heißen.177 Diese Hybridisierung lässt sich am Beispiel der Extrapolation entwicklungspsychologischen Wissens in Blueprint genauer un-

176 Aktuelle Texte wie Kazuo Ishiguros Never let me go (2005) stellen in Bezug auf die Dynamik des Konzeptes ‹Klon› ebenfalls eine Transformation des Klondiskurses dar, da sie nochmals neue Aspekte an das Konzept anlagern. So verweigert Ishiguros Text gerade die genrebedingten Stereotype einer metaphorischen ‹Wiedergeburt› des Klons als Individuum und einer emphatischen Emanzipation. Gleichzeitig setzt sich die Tendenz fort, die kategoriale Trennung von Klon und Mensch aufzuheben. Für die Analyse konzeptueller Dynamiken wird der Klondiskurs also auch zukünftig einen fruchtbaren Grund bieten. 177 Der folgende Abschnitt stellt eine Fortführung früherer Überlegungen in Halft (2010: 397–398, 401–403) dar.

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tersuchen: Die im Text referenzierten Wissensmengen stellen ein Reservoir dar, an dem sich der Text bedient. Die stark vereinfachten molekularbiologischen und genetischen Wissenselemente dienen primär als Voraussetzung für die kontrafaktische Annahme, dass Klonen möglich sei (13). Sie werden teilweise ‚kulturalisiert‘, d. h. durch kulturelle Metaphern, wie z. B. ‚Gene = Töne einer Komposition‘, erläutert. Vorhandene Leerstellen im faktisch-realen molekularbiologischen und genetischen Wissen werden durch kulturelle Wissenselemente aufgefüllt. D. h. konkret, dass Systeme von Propositionen aus faktualen Wissenselementen und durch Analogiebildung generierten, fiktionalen Wissensansprüchen hybridisiert werden und die in der Diegese aber als Wissen gesetzt werden. Der Text ‚demonstriert‘, welche psychologischen Folgen es für einen Menschen haben könnte, nicht geboren, sondern geklont worden zu sein. Da diese Frage wissenschaftlich noch nicht geklärt sein kann, führt der Text faktuale Wissensmengen und fiktionale Wissensansprüche zusammen. Schematisch lässt sich dieser Prozess wie folgt beschreiben: Der Text etabliert zunächst das Wissensobjekt ‹Klon›. Dabei werden Klone textintern kurzerhand mit Zwillingen identifiziert bzw. Klonspender und Klon mit Zwillingen analogisiert (21, 41, 43, 76, 101, 103). Hierdurch kann der Text auf Elemente aus der Zwillingsmythologie und Zwillingspsychologie zurückgreifen, um eine Art ‹Klonpsychologie› zu extrapolieren. Dadurch, dass es sich bei Siri um eine Jugendliche handelt, kann der Text zusätzlich auf die Entwicklungspsychologie (Skript ‹Entwicklung›) zurückgreifen und ihre die Entwicklung von Klon und jugendlicher Person ebenfalls analog setzen. Die Hybridisierung erfolgt dadurch, dass der Gegenstandsbereich der verschiedenen psychologischen Wissensmengen durch die Analogisierung auf den Klon erweitert wird. Sie gelten damit also grundsätzlich als anwendbar. In den faktischrealen Wissensmengen sind aber natürlich keine Propositionen enthalten, die sich auf menschliche Klone beziehen, zumal es sich dabei ja um ein intentional neu geschaffenes Konzept literarischer und filmischer Texte handelt. Diese Leerstellen werden mithilfe anderer Wissensmengen (Mythologie, Literatur) aufgefüllt, die in Bezug auf die Selbstwahrnehmung des Klons, die Beziehung des Klons zum Original und die psychische Disposition des Klons als homolog angesehen werden können. Hierzu dienen im Text insbesondere die im Zwillingsparadigma verdichteten Wissenselemente, die als homologe Deutungsmuster herangezogen werden. Das bedeutet, dass die vormals getrennten Wissensmengen nun sämtlich auf den Klon bezogen und deren Kategorien- und Konzeptsysteme dabei erweitert werden. Die vom Text referenzierten Wissensmengen werden also nicht schlicht partizipierend integriert, sondern rekontextualisiert und durch die neue Verknüpfung transformiert, um zur Plausibilisierung und Analogisierung dienen zu können. Anschließend können bis dahin fehlende Eigenschaften im Frame ‹Klon› ergänzt werden. Aus der Verbindung der Wissensmengen emergiert nicht nur das Hybridwissen der ‹Klonpsychologie›. Indem deren Elemente nun mit zahlreichen anderen Wissensmengen verknüpft sind, lassen sich weitere ‚klonpsychologische‘ Propositionen ab-

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leiten, die ebenfalls aus dem Wissensnetzwerk emergieren. Diese erscheinen im Hinblick auf den Klon vor allem deshalb begründet und akzeptabel zu sein, als viele der vernetzten Wissensmengen (im wissenssoziologischen Sinne) allgemein als gültig anerkannte ‚Wahrheiten‘ über die Wirklichkeit beinhalten (Mythologie). Deren Gültigkeit im Hinblick auf die im Text beschriebenen Sachverhalte wird zudem auch textintern reflektiert, die Genese des Hybridwissens also als diskursiver Aushandlungsprozess inszeniert. Schließlich stellt der Text eine Mischung aus realen, fiktionalen und hybriden Wissenselementen dar. Auch an Furor lässt sich der Prozess der Hybridisierung verdeutlichen: Im Text ist es dem Wissenschaftler Christian Raabe gelungen, menschliche Erinnerungen als Film zu speichern, mit dem sogenannten „Memo-Scan“ (114). Dies ist textintern dadurch möglich, dass Raabe einen Ort im Gehirn gefunden hat, „den fast alle Informationen durchliefen [. . . ]: der Raab’sche Kanal“ (40, Hervorhebungen im Original). Zur Genese dieses Wissensobjektes setzt sich der Text mit der Geschichte der Hirnforschung auseinander, konfrontiert diverse Auffassungen vom Aufbau und der Funktionsweise des Gehirns und schließt sich einer Version der Lokalisationstheorie178 an, vor deren Hintergrund er das Objekt positioniert. Zur weiteren Plausibilisierung benutzt der Text nicht nur einschlägige Termini, Verweise auf Konzepte der Hirnforschung bzw. im entsprechenden Fachbereich bekannte Autoritäten, sondern periphrasiert auch das kognitionswissenschaftliche Konzept ‹Engramm›: Engramme sind die flüchtigen oder überdauernden Veränderungen im Gehirn, die sich aus der Kodierung eines Erlebnisses ergeben. Man nimmt an, dass das Gehirn ein Ereignis aufzeichnet, indem es die Verbindungen zwischen Neuronengruppen stärkt, die an der Kodierung des Ereignisses beteiligt sind. [. . . ] In dem neuen Konnektivitätsmuster konstituiert sich die Aufzeichnung des Ereignisses: das Engramm. (Schacter 1999: 100; vgl. Furor: 106–113)

Um nun die Memo-Scans plausibel darstellen zu können, referiert der Text Ergebnisse der frühen Hirnforschung179 , die mit Elektrostimulation experimentieren. Das

178 Diese postuliert, dass Funktionen des Gehirns eindeutig lokalisierbar seien (vgl. Oeser 2010: 235– 237). Explizit setzt sich der Text bei mit der Theorie Dennetts (1994: 181) auseinander, der einen zentralen Ort im Gehirn, an dem Wahrgenommenes ‚präsentiert‘ wird (Cartesianisches Theater) verwirft. Die räumliche Vorstellung des Gehirns bildet der Text auch in der Ordnung der dargestellten Welt ab, in der das Forschungsinstitut in Anlehnung an den menschlichen Schädel gestaltet wurde und in dessen „Zentrum“ die „Kathedrale der Erinnerung“ (81), also das Gerät zur Aufzeichnung der Erinnerungen liegt. 179 Der Text bezieht sich auf die Experimente von Wilder Penfield und Herbert Jasper (1954). Diese hatten bei Operationen am offenen Gehirn Reizversuche durch elektrische Impulse vorgenommen, um dadurch Körperteile zu Großhirnfeldern zuordnen zu können und stellten dabei u. a. fest, dass die elektrischen Impulse Erinnerungen aktivieren können, die „may carry with it the emotion that the individual ‘felt’ at the time of the original experience and the deductions, true or false, that he made concerning the experience“ (ibid.: 143). Siehe dazu auch Oeser (2010: 230–231) sowie Schacter (1999: 100–101, 112).

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im Text beschriebene Gerät zur Speicherung und Vorführung der Erinnerungsfilme lehnt sich schließlich an die transkranielle Magnetstimulation180 und die Magnetoenzephalograhie181 an, extrapoliert diese und plausibilisiert dadurch die im Text beschrieben Prozesse. Basierend auf faktisch-realem hirnphysiologischem und technischem Wissen stellt der Text also Verbindungen zwischen diesen Wissensmengen her und zentriert sie um die neu geschaffenen Wissensobjekte, dem ‹Raab’schen Kanal› und den ‹Memo-Scans›. Hierdurch entsteht ein propositionales Netzwerk, dem faktische Wissenselemente und fiktionale Wissensansprüche gleichermaßen angehören: Hybridwissen. Ein weiteres Beispiel lässt sich aus Cusanus ableiten: Unter Zuhilfenahme diverser Wissensmengen entwirft der Text ein Zeitkonzept, das sich u. a. dadurch auszeichnet, dass es Zeit in Anlehnung an Heraklit als Fluss begreift (137, 330), genauer als Aufeinanderfolge von „Momentaufnahmen“ des Multiversums, die wie „Pfade durch die Gebirgslandschaft“ begehbar sind (243). Um das Navigieren in diesem verräumlichten Zeitfluss zu beschreiben, adaptiert der Text zunächst das Konzept des Solitons aus der Strömungslehre (252). Aufgrund dessen gleichermaßen wellen- wie teilchenartigen Charakters können leicht Analogien zu anderen Konzepten der Physik hergestellt werden, was der Text auch tut: „Unter dem Aspekt der [. . . ] Quantenphysik betrachtet, ist das Soliton ein Energiepaket“ (ibid.). Der Text reinterpretiert bzw. adaptiert das hydrodynamische Konzept des Solitons, um so das Konzept von „ZeitSolitonen“ (244) zu generieren. Auf diese Weise können Zeitreisen textintern quasi als ‚Surfen‘ auf den Wellen des Zeitflusses verstanden werden. Von den Texten abstrahierend kann der Begriff des Hybridwissens nun genauer gefasst werden. Nicht die Genese eines vorher nicht gegebenen Gegenstands steht hier im Vordergrund. Von Hybridwissen soll vielmehr in den folgenden Fällen gesprochen werden: 1. Für einen gegebenen Gegenstand wird mindestens ein Sachverhalt postuliert, dessen Wahrheits- und Begründungsstatus noch nicht geklärt ist (Wissensanspruch). Hierunter fallen Aussagen, die bisher noch nicht überprüft wurden. So z. B. die Behauptung, dass im Gehirn ein ‚Ort‘ existiert, den fast alle Informationen durchlaufen (Furor). Sofern dieser Wissensanspruch systematisch mit anderen Wissenselementen auf den Gegenstand bezogen wird, lässt sich von Hybridwissen sprechen. Im Fall 1 lässt sich der Wahrheitsstatus (höchstwahrscheinlich experimentell) klären, sodass sich der Wissensanspruch in ein Wissenselement und Hybridwissen in Wissen transformieren lässt.

180 Nicht-invasive Technologie, bei der mithilfe starker Magnetfelder Bereiche des Gehirns sowohl stimuliert als auch gehemmt werden können (vgl. Walter/Erk 2010: 189). 181 Messung der magnetischen Aktivität des Gehirns, die durch elektrische Ströme aktiver Nervenzellen verursacht werden, durch äußere Sensoren. Dadurch können Daten aufgenommen werden, die Ausdruck der momentanen Gehirnaktivität sind (vgl. Ioannides 2009).

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Für einen nicht in der behaupteten Weise gegebenen Gegenstand wird mindestens ein Sachverhalt postuliert, dessen Wahrheits- und Begründungsstatus somit nur bedingt geklärt werden kann. Das heißt, dass einzelne Eigenschaften (per Postulat oder Analogiebildung) des Gegenstandes hypothetisch behauptet werden. Hierunter fallen Aussagen, die sich noch nicht überprüfen lassen. Das wäre etwa bei Aussagen über mögliche oder zukünftige Eigenschaften eines Gegenstandes der Fall. Das betrifft z. B. Aussagen über die thermohaline Zirkulation (globales Förderband von Meeresströmungen) nach dem Höhepunkt der globalen Erderwärmung (Schwarm). Sofern die jeweiligen Wissensansprüche systematisch mit anderen Wissenselementen auf den Gegenstand bezogen werden, lässt sich auch hier von Hybridwissen sprechen. Im Fall 2 kann der Wahrheits- und Begründungsstatus wie im Fall 1 geklärt werden, sofern und sobald der Gegenstand in der behaupteten Weise gegeben ist. Für einen bislang nicht gegebenen Gegenstand (ein intentional neu geschaffenes Wissensobjekt) wird mindestens ein Sachverhalt postuliert, dessen Wahrheitsund Begründungsstatus somit nicht geklärt werden kann. Hierunter fallen z. B. sämtliche Behauptungen über ausgetragene menschliche Klone. Sofern der jeweilige Wissensanspruch systematisch mit anderen Wissenselementen auf den Gegenstand bezogen wird, soll dann auch hier von Hybridwissen gesprochen werden.

Von besonderer Bedeutung ist, dass der ungeklärte oder gar negierte Wahrheitsund/oder Begründungsstatus nicht verhindert, dass hybride Wissensmengen dennoch in das Denksystem einer Kultur eingehen und dort weiterverarbeitet werden. So lässt sich beispielsweise die Existenz des Gegenstandes ‹Gott› nicht zweifelsfrei behaupten. Der Wahrheitsstatus der diesem Gegenstand zugeschriebenen Eigenschaften kann deshalb nicht allgemeinverbindlich geklärt werden. Dennoch sind die Wissensansprüche bezüglich des Gegenstandes ‹Gott› allgemein bekannt und Teil des Denk- und Handlungssystems vieler Gruppen und Kulturen. Bildlich gesprochen wird so ein Wissensnetz im Sinne einer assoziativen Anordnung von Wissenselementen erzeugt, dessen Knotenpunkte nicht aus Wissen im engeren Sinne bestehen müssen, sondern auch aus hybriden Wissensmengen oder auch nur aus Annahmen oder Behauptungen bestehen können. Es handelt sich um ein „supplementäres Wissen dessen, was nicht gewusst werden kann“ (Vogl 2007: 253).

4.2.3.4 Literatur als ‚Experiment‘ Literatur ist ein sekundäres modellbildendes semiotisches System. Indem sie aus den dem Text vorgängigen Zeichensystemen und Wissensordnungen selegiert und diese rekombiniert, erschafft sie eine Welt, die mit der Realität insofern in Verbindung steht, als sie diese, d. h. ihre Normen, Werte und Mentalitäten modellhaft repräsentiert. Dabei greifen literarische Texte textexterne Wissensmengen auf, die sie diskursi-

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vieren, hybridisieren oder zur Genese neuer Wissensobjekte benutzen. Indem sie dies tun und hierbei unwahrscheinliche oder abgelehnte Aussagen über die Realität einbinden oder neue Wissensansprüche formulieren, operieren sie auf der ‚Negativseite des Wahrheitscodes‘. D. h., sie vollziehen einen re-entry in die von der Wissenschaft exkludierten Elemente (vgl. Luhmann 1995/2007: 58–59), aktualisieren diese fiktional und bilden Hypothesen über die textexterne Realität. In Analogie zu naturwissenschaftlichen Experimenten und in Anlehnung an Émile Zolas Le Roman Expérimental (1880) wird der Literatur mitunter also die Fähigkeit zugebilligt, als Instrument der Beobachtung fungieren und durch die fiktionale Versuchsanordnung neue Einsichten generieren zu können. Dies lässt sich an den Klontexten genauer nachvollziehen. Die Texte sind in eine reale (literarische) Kommunikationssituation der textexternen Welt (We ) eingebunden, in der eine Autorin bzw. ein Autor einen literarischen Text verfasst, in welchem eine textinterne Welt (Diegese, Wi ) entworfen wird. In We sind bestimmte Sachverhalte gegeben oder nicht gegeben, ist bestimmtes Wissen vorhanden oder nicht vorhanden und das vorhandene Wissen (und Nichtwissen) ist in einer bestimmten Weise aufeinander bezogen und strukturiert. Der Text entwirft nun Wi und die Texthandlung zeichnet sich per Definition dadurch aus, dass sie aus einem Ausgangszustand über diverse Zwischenstationen (Veränderung, Transformation) in einen Endzustand mündet. Die jeweiligen Ausgangszustände in den analysierten Texten sind weitestgehend mit der textexternen Realität von We kompatibel, weichen von dieser aber durch die kontrafaktische Annahme ab, dass das Klonen von Menschen möglich sei und ein solcher Klon bereits existiere. Wi muss im Hinblick auf We also als modifiziert gelten, da dem textinternen Signifikant ‹menschlicher Klon› kein textexterner empirischer Referent entspricht. Gleichwohl kann der Text auf das Konzept ‹Klon› zurückgreifen, welches im Wissensvorrat als Vorstellungsinhalt vorhanden ist und dem auch bereits eine Menge von faktischen wie hypothetischen Merkmalen zugeordnet sind. Dies stellt den fiktionalen ‚Versuchsaufbau‘ dar, der nun in der Handlung narrativiert wird. D. h., dass der Text ausgehend von der dargestellten Welt, den Figuren, deren individueller (v.a. psychischer) Disposition und Beziehungen einen Handlungsverlauf konstruiert, der der Beantwortung einer erkenntnisleitenden Frage dienen soll, etwa: Wie musste es sich anfühlen, eine genetische Kopie zu sein? Das Duplikat eines anderen Menschen? (Copy: 67) Dann kann ich mich/sie/uns beobachten, wie eine Forscherin ihre Versuchsanordnung im kalten, blauen Laborlicht beobachtet. (Blueprint: 12)182

Ausgehend von der Ausgangssituation werden mitunter heterogene Elemente verknüpft und durch die Einbindung in eine kontinuierliche Abfolge von Ereignissen

182 Den Texten Götterdämmerung, Infekt, Pilz, Revolution und Sexy Sons könnte z. B. die Frage zugeordnet werden: „Wie wirkt sich die Gentechnik auf das Ökosystem und den Menschen aus?“.

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als wahrscheinlich inszeniert (emplotment). In den analysierten Klontexten wird dies vor allem dadurch bewerkstelligt, dass psychologisches Wissen integriert und zur Generierung eines Skripts ‹Entwicklung› genutzt wird, welches die Handlung motiviert. Dabei drängt sich die Vermutung auf, dass sich zur Motivierung der Handlung insbesondere solche Wissensmengen eignen, die ohnehin Narrative ausbilden. Darunter fallen vor allem biblisches und mythologisches Wissen, das in Form von Erzählungen überliefert ist und dessen Elemente und Strukturen leicht adaptierbar sind. Die Adaption von Deutungsmustern müsste damit konkreter als Adaption von Erzählmustern beschrieben werden, die die Texte aufgrund von Homologierelationen zum Auffüllen von Leerstellen funktionalisieren können. Darüber hinaus erscheinen auch solche Wissensmengen interessant, die sich leicht in eine narrative Form bringen lassen, da sie Abläufe und Transformationen beschreiben. Dies gilt z. B. für die Evolutionstheorie oder die Psychoanalyse. Die Texte greifen außerdem auf quasi stereotypisierte Elemente im kollektiven Wissensvorrat zurück (Beziehungsmuster, Figurentypen, Situationstypen), die der Leserschaft vertraut sind und die dargestellte Handlung konsistent und kohärent erscheinen lassen. Wissenselemente, die nicht im Wissensvorrat vorhanden sind, müssen die Texte schließlich ergänzen. Dazu gehört z. B. Wissen über die Psyche von Klonen, welches aus bestehenden Wissensmengen hybridisiert wird. Textintern werden die Wissenslücken also dadurch geschlossen, dass andere Wissensmengen auf ihre Eignung zum Auffüllen der Leerstelle überprüft werden, d. h. z. B. bestimmte Handlungsoptionen, Erklärungsansätze, Eigenschaften etc. textintern durch die Handlung erprobt und schließlich vom Text als passend gesetzt oder verworfen werden. Indem der Text dann eine entsprechende Eigenschaft als zu einem Konzept zugehörig setzt, wird sie Teil des textuellen Wissenssystems. Nachdem sich die Figur Jonas Helcken z. B. mit seinem Klon, Jonas 7, auseinandergesetzt hat, kommt er schließlich zu der Einsicht: „Eins ahnt er jetzt: Jonas 7 ist kein fremdartiges Wesen“ (Duplik: 101). Hierdurch werden Klonen textintern nun menschliche Eigenschaften zugeschrieben. Da Wi das Werte- und Normensystem von We modellhaft abbildet, inszeniert der Text durch die Handlung aber nicht nur einen objektiv-wahrscheinlichen, als vielmehr einen vor dem Hintergrund des idealisierten Normen- und Wertesystems wünschenswerten183 Handlungsverlauf. Dies zeigt sich u. a. auch darin, welche Wissensmengen und Erzählmuster der Text aufgreift und adaptiert und welche er verwirft. So wird in den Klontexten das entwicklungspsychologische Skript ‹Entwicklung› vor dem Hintergrund des Wertes der Individualität adaptiert, mythologische Erzählmuster, in denen dieser Wert nicht codiert ist, jedoch transformiert. Auf diese Weise ‚simuliert‘ der Text die Reaktion des Normen- und Wertesystems von We auf die hypothetische Situation. Der Endzustand in Wi stellt dann das Ergebnis des ‚Experiments‘ dar. In diesem finden sich die vom Text integrierten und die vom Text generierten Wissenselemente konfiguriert. 183 Hierbei wird vereinfachend davon ausgegangen, dass der Text das Normen- und Wertesystem grundsätzlich akzeptiert und diesem kein gänzlich neues entgegenstellt.

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An den Beispielen Sexy Sons und Klonfarm II scheinen dabei die Reibungsflächen zwischen dem Normen- und Wertesystem und dem Fremdkörper ‹Klon› auf: [. . . ] [Er] war dabei, als Dietrich, ohne aus seinem Koma erwacht zu sein, gegen fünf Uhr morgens starb. Es sei besser so, sagte der leitende Arzt, das Gehirn sei zu schwer geschädigt worden. Er hätte das Krankenhaus nie wieder verlassen können. (Sexy Sons: 435) »Das Projekt ist beendet«, nuschelt der Soldat [. . . ]. Dann legt er seine großen, behaarten Hände um Megs weichen Hals. (Klonfarm II: 190)

Hieraus lässt sich eine Reihe von Propositionen ableiten, die – sofern sie vom Text durch die Handlung neu generiert wurden – als Wissensansprüche des Textes gelten können. Bezogen auf die Klontexte könnte ein solcher (abstrakter) Wissensanspruch etwa lauten: ‚Klone sind genetisch betrachtet zwar Zwillinge (Target-These), sie so zu behandeln führt bei diesen jedoch zu psychischen Problemen‘ oder auch ‚Klone haben in unserer Welt keinen Platz‘. Die Texte und die von ihnen generierten Wissensansprüche sind damit normativer Natur. Die Experimente übernehmen also im Wesentlichen eine kontingenzreduzierende und sinnstiftende Funktion. Zu Wissen im epistemologischen Sinne könnten diese Wissensansprüche nur werden, wenn sie durch die Wissenschaft aufgegriffen und verifiziert bzw. sich an der Realität bewähren würden. Am Beispiel menschlicher Klone wird das vorläufig unmöglich bleiben. Von Literatur als Funktionselement von Wissen (vgl. Vogl 1999: 15) zu sprechen, erscheint jedoch von einem wissenssoziologischen Standpunkt aus gerechtfertigt: Gerade weil der Wissensvorrat nicht (nur) aus wahren gerechtfertigten Überzeugungen im Sinne der Epistemologie, sondern im Gegenteil zu großen Teilen aus individuellen, kulturell und sozial geprägten relativnatürlichen Weltanschauungen besteht (vgl. Schütz/Luckmann 1979: 143, 145), kann Literatur diesen transformieren, wenn und indem sie wirkmächtige Deutungsmuster zur Verfügung stellt, aus denen neue konzeptuelle Relationen und Strukturen emergieren, die Überzeugungen verändern. Insbesondere weil die Klontexte sich intensiv mit verschiedenen Wissensmengen und kulturellen Deutungsmustern auseinandersetzen, wäre zu vermuten, dass sie dazu in der Lage sind, Überzeugungen in Richtung der von ihnen suggerierten Makropropositionen184 zu beeinflussen. Fassen wir zusammen: Mit der Genese von Wissensobjekten, d. h. der intentionalen Neuschöpfung von Konzepten, ist nicht nur ein wesentlicher Prozess der Wissensgestaltung im Rahmen der analysierten Texte, sondern auch eine zentrale semiotische Eigenschaft der Literatur als Interdiskurs bezeichnet: Die Texte referenzieren eine große Zahl von Wissensmengen, die sie neu auf einen Sachverhalt beziehen (IntraEbene) und in vorhandene Wissensmengen einbetten (Inter-Ebene). Die Genese von Hybridwissen (4.2.3.3) sowie von emergenten oder durch re-entry gewonnenen Wissensansprüchen (4.2.3.4) ermöglichen diesen Prozess überhaupt erst.

184 Die Vorstellung von Texten als Propositionskomplexe geht zurück auf van Dijk (1980).

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4.2.4 Denkstrukturen

Die Texte beziehen sich aber nicht nur auf textexterne Wissensmengen, adaptieren, gestalten und funktionalisieren diese im Rahmen ihrer dargestellten Welten. Vielmehr partizipieren sie auch an kultur- und epochenspezifischen Denkstrukturen. Diese stellen die „Gesamtmenge der diskursspezifischen und der diskursunspezifischen epistemologischen Basisannahmen“ (Titzmann 1989: 55) dar, d. h. ein übergeordnetes System der Regeln des Deutens und Handelns, das sich in gesellschaftlichen Wissens- und Praxisordnungen manifestiert. Es wirkt sich z. B. auf Relationen zwischen Kategorien und Konzepten ebenso aus wie auf Rechtfertigungs- und Beglaubigungsstrategien von Wissen(sansprüchen). Hierdurch werden nicht nur die bereits beschrieben Formen der textuellen Wissensgestaltung kontextualisiert bzw. sogar präfiguriert, sondern auch der Rahmen für Aussagen zu Lebensmodellen und zum Lebensbegriff abgesteckt. Aus diesem Grunde werden im Folgenden Phänomene rekonstruiert, die im Zusammenhang mit der aus den Texten abstrahierbaren Denkstruktur stehen.

4.2.4.1 Diskursregulierung durch Deutungsmuster Gesellschaften bzw. Kulturen basieren u. a. auf Standardisierungen des Denkens (vgl. Hansen 2000: 88–112). Die Denkstrukturen einer Kultur kondensieren (stereo)typisierte Erfahrungen und Problemlösungsstrategien in Deutungsmustern, die kollektiv geteilte, identitätsstiftende Handlungs- und Interpretationsschemata darstellen. Die Art und Weise wie diese die Realität durch Komplexitätsreduktion bewältigbar machen, mit Sinn erfüllen und dabei Elemente des Wissensvorrats restrukturieren, erlaubt Rückschlüsse über die Denkstruktur der Kultur selbst. Von Interesse ist hier vor allem, welches Hintergrundwissen mit den skriptähnlichen Deutungsmustern verbunden ist, um Situationen zu definieren und zu kontextualisieren: Axiome, begründete Feststellungen und Kausalattribuierungen erklären Ausgangslagen, typische Verläufe und mögliche Folgen der zu deutenden Situation. Hierzu gehört auch ein Bewertungsmaßstab [. . . ]. Deutungsmuster rekurrieren regelmäßig auf ein allgemeines Wertesystem. (Höffling et al. 2002: 8; vgl. Plaß/Schetsche 2001: 528–530)

Da literarische Texte gesellschaftliche Werte und Normen in ähnlicher Weise codieren, erscheint deren Analyse im Hinblick auf Deutungsmuster nur folgerichtig. Als „Situation“ kann im literarischen Kontext dabei eine Inkonsistenz, das ist „das Spannungsverhältnis von postulierter Ordnung und faktischer Abweichung“ (Krah 2006a: 307), gelten. Insbesondere die bereits beschriebenen Aspekte der Motivierung der Handlung bieten einen geeigneten Ausgangspunkt für die weitere Analyse: Das Skript ‹Entwicklung› stellt einen prototypischen Handlungsverlauf dar, der nur vor dem Hintergrund einer spezifischen Ausgangssituation Sinn ergibt, nämlich der der Fremdbestimmung. D. h., dass das Skript nur dann zur Anwendung kommt, wenn

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eine solche Situation der Fremdbestimmung besteht. Viele der vorliegenden Texte setzen, dass eine solche Situation im Falle von geklonten Menschen besteht, wie sich exemplarisch an Duplik rekonstruieren lässt. Die Einstufung von Sachverhalten als spezifische Situation, bzw. deren Konturierung und Konstituierung geschieht durch die Texte selbst: Auf der einen Seite schien es logisch, dass Wesen, die speziell zu Verwertungszwecken hergestellt wurden, nicht mit Menschen auf eine Stufe gestellt werden konnten. Zum anderen waren sie eben doch aus demselben Material gemacht und daher vielleicht doch . . . menschenähnlich? (ibid.: 59)

Der Text identifiziert hier eine Inkonsistenz, deren Erkennung er (aus didaktischen Gründen) der jugendlichen Figur Jonas überträgt. Dieser reflektiert im Zitat mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie die Beziehung von Klonen und Menschen und stößt dabei auf Inkonsistenzen in der Argumentation bzw. im Kategoriensystem der dargestellten Welt, die die Fremdbestimmung der geklonten Dupliks institutionalisieren. Die Positionierung in einem ethisch-moralischen sowie politisch-sozialen Kontext nimmt allerdings seine Schwester vor, die die Inkonsistenz der Situation auch als auflösungsbedürftig markiert: Ich denke, wir müssen politisch gegen dieses ganze unmenschliche System angehen und dafür sorgen, dass alle Dupliks befreit und keine neuen produziert werden. (ibid.: 66)

Als Hintergrundwissen ruft der Text einerseits molekularbiologisches und genetisches Wissen auf, um die genetische Identität von Mensch und Duplik zu untermauern, andererseits beruft er sich ausdrücklich auf diejenigen Werte, die die vom Text als ‚richtig‘ markierte Ordnung darstellen. So wird eine Trennung zwischen menschenrechtsfähiger Person und bloßem Mitglied der Spezies homo sapiens abgelehnt: Ich bin Genetiker. Und für mich zählt ausschließlich die Tatsache, dass ein Duplik dasselbe Genom hat wie sein Mensch. (ibid.: 91) Diese Definition eines Dupliks als Sache ist einfach ein Unding. Sie sagen doch selbst, dass Jonas 7 genidentisch ist mit dem Menschen Jonas Helcken. [. . . ] Er hat die gleiche Substanz, die gleiche Gedanken- und Gefühlskapazität; folglich muss er auch wie ein Mensch behandelt werden. (ibid.: 139)

Den abstrakten Wert Menschlichkeit und das daraus resultierende Recht auf Selbstbestimmung und Gleichbehandlung setzt der Text so hoch an, dass selbst die Figur Ilka ab dem Moment negativ semantisiert wird, ab dem sie den Duplik Jonas 7 für ihre politische Kampagne instrumentalisiert. Die sich aus dem zugrundeliegenden Werte- und Normensystem ergebende Konsequenz der Gleichbehandlung legt die Figur Jonas Helcken schließlich so aus, dass er seinem Duplik eines der von ihm transplantierten Augen zurückgeben will (170). Die Inkonsistenz wird damit zunächst auf Figurenebene aufgelöst, Jonas übernimmt persönliche Verantwortung. Schließlich muss er auch akzeptieren, dass Jonas 7 sei-

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ne neugewonnene Freiheit und Selbstbestimmung dazu nutzt, sich doch Ilka anzuschließen. Für die Ebene der Gesellschaft formuliert der Text abschließend eine ebenso klare Handlungsanleitung: Den Schlächtern ihre Messer entreißen. Sie müssen es schaffen. Sie – die Menschen. Oder sie sind keine. (ibid.: 182)

Die recht schematisch wirkende Handlungsstruktur führt in der textuellen Realisation des Deutungsmusters als wesentlich eingestufte kulturelle Werte und Normen (Gleichbehandlung, Individualität, Selbstbestimmung, Würde) vor. Die Vollständigkeit der Darstellung des Deutungsmusters und das gleichzeitige Auftreten in weiteren Texten signalisieren indessen, dass die Texte der Subsumierung des Klonens unter das Deutungsmuster eine große Bedeutung beimessen: Hierdurch wird das Klonen oder konkreter die unterstellte Fremdbestimmtheit von Klonen negativ bewertet und anhand dieser Bewertung im kollektiven Kategoriensystem verortet. Es ist anzunehmen, dass die Texte damit einer anderweitigen Zuordnung des Klonens (wie teilweise innerhalb der in den Texten dargestellten Gesellschaften) entgegentreten wollen. An den Texten, die nicht dem Klondiskurs zuzuordnen sind, aber einer Variante des Deutungsmusters folgen,185 wird erkenntlich, dass das Klonen nur metaphorischer Ausdruck für Fremdbestimmung im Allgemeinen ist, die es abzustreifen gilt. Anhand von Blueprint lässt sich darüber hinaus zeigen, wie bestimmte Wissensmengen zur Konstituierung und Definition der Ausgangssituation referenziert werden, wie die Texthandlung dadurch unter ein Deutungsmuster subsumiert wird und eine Deutung der Handlung dann nur noch vor dessen Hintergrund möglich ist: Der Text verarbeitet (mindestens) zwei Deutungsmuster, die im Text in Beziehung gesetzt werden. Zum einen greift der Text dasselbe Deutungsmuster wie die anderen Klontexte auf, markiert Siris Situation also als fremdbestimmt, setzt dies als moralisch falsch (103) und formuliert vor diesem Hintergrund eine Handlungsanleitung: „Wir können uns ändern, wenn wir nur wollen“ (126). Zur Definition der Situation als ‹fremdbestimmt› referenziert der Text psychologische, biblische186 , mythologische, biologische und literarische Wissensmengen. In Verbindung mit der sich in der Erzählinstanz ausdrückenden Spaltung und Subjektivität ruft der Text Merkmale einer prototypischen Situation der Fremdbestimmung repetitiv auf und subsumiert Siris Situation dadurch nachdrücklich unter das Muster.187 185 Darunter fallen: Markenmenschen, Designerbaby, Cusanus und Schrödinger. 186 Indem der Text vor allem biblisches Wissen aufruft bzw. Bibelzitate transformiert, wird Iris’ Verhalten als Verstoß gegen die göttliche ‹Ordnung› interpretierbar: „SIE hatte sich über alles erhoben“ (Blueprint: 132). 187 Auch in Götterdämmerung und Schwarm wird Wissen funktionalisiert, um die dargestellte Situation als Verstoß zu markieren. In Götterdämmerung geschieht dies vor allem durch den Titel, aber auch durch die Bezugnahme auf das Paradies am Ende des Textes (490) sowie die Annäherung der Handlungsstruktur an ein endzeitliches Modell. Letzteres wird in Schwarm explizit durch direkte Zitate und weitere Verweise aufgerufen.

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Anders als soziale Deutungsmuster sind biblische und mythologische Deutungsmuster als kulturelle Narrative bereits Teil des kollektiven Gedächtnisses. Diesen Umstand reflektiert auch der Text Schwarm: Fragst du einen Christen, warum es im Wald brennt, wird er dir antworten, Gott manifestiere sich in den Flammen. Er wird auf die alten Überlieferungen verweisen, und da findest du dann tatsächlich einen brennenden Dornbusch. Was meinst du, würde ein Christ auf diese Weise einen Waldbrand erklären? [. . . ] Trotzdem wird ihm die Geschichte vom brennenden Dornbusch viel bedeuten, wenn er gläubiger Christ ist. [. . . ] Es geht nicht darum, ob etwas so oder so ist, sondern um die Idee davon, wie es ist. In unseren Legenden wirst du alles und gar nichts finden, nichts davon wirst du wörtlich nehmen können, aber alles macht Sinn. (ibid.: 310, Hervorhebungen im Original)

Durch das Aufrufen von Mythen oder eschatologischen Deutungsmustern scheint die Handlung der präsenten Texte quasi remythologisiert zu werden. D. h., sie wird mit den Narrativen parallelisiert und dadurch an faktische oder imaginierte kulturelle Fundamente rückgebunden und vor deren Hintergrund interpretiert. Die Texte bedienen sich also quasi einer vorwissenschaftlichen bzw. im epistemologischen Sinne fundamentalistischen Rechtfertigung. D. h., sie unterstellen, dass es basale Sätze und Normen gibt, von denen alle anderen Sätze und Normen abgeleitet werden können. Hierdurch werden die Texthandlung und die in ihr thematisierten Sachverhalte in Bezug auf diese Fundamente positioniert und bewertet. Die dadurch provozierte Deutung der Handlung scheint nur noch durch Dekonstruktion des gesamten Bezugsrahmens – hier also der sogenannten christlich-abendländischen Kultur – möglich. Schlussendlich fungieren die Deutungsmuster also als stabilisierende diskursive Mechanismen, die die Rede über bestimmte Gegenstände regulieren. Auch aus literarischen Texten abstrahierbare Deutungsmuster tragen – sofern sie nicht durch konkurrierende Deutungsmuster kontrastiert werden – dazu bei, da sie Wissensobjekte bzw. Konzepte mit bestimmten Eigenschaften, stereotypisierte Handlungsabläufe und Skripte bzw. normative Lösungen von Konflikten generieren, prozessieren, kolportieren und in einer Kultur zirkulieren lassen. Auf den Lebensbegriff sind derartige Deutungsmuster insofern beziehbar, als sie bestimmte Lebensphasen überhaupt erst als solche konstituieren, d. h. interpretativ erkennbar machen, sie als Situationen kennzeichnen und mit bestimmten Handlungsoptionen und Werten in Beziehung setzen. Diese werden jedoch auch durch textuelle Realitätspostulate beeinflusst, die nun als Teil der Denkstruktur der Texte analysiert werden sollen.

4.2.4.2 Textuelle Realitätspostulate Als Realitätsbegriff wird im literaturwissenschaftlichen Sinne jene Teilmenge des Wissens einer Kultur bezeichnet, die die Gesamtheit aller gesetzmäßigen Annahmen über die Realität umfasst (vgl. Wünsch 1991: 19–25). Dazu zählen neben universalen

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Annahmen über die Struktur der Realität und elementaren Annahmen über Raum und Zeit (formale Basispostulate) auch theologische, naturphilosophische bzw. naturwissenschaftliche sowie sozialphilosophische bzw. sozialwissenschaftliche Basispostulate. Der so gefasste Realitätsbegriff ist Teil der Denkstruktur einer Epoche, die wiederum das System kultureller Faktoren ist, das die Produktion von Wissen regelt: das System, das festlegt, was in dieser Kultur im Allgemeinen oder in einem ihrer Diskurse gedacht bzw. nicht gedacht werden kann und welche der in dieser Kultur denkbaren Propositionen wissensfähig ist [. . . ]. Das im Rahmen dieser Denkstruktur produzierte Wissen fungiert seinerseits als Agens der Begrenzung des möglichen Denkens. (Titzmann 1989: 56)

Wissen, Denkstruktur und Realitätsbegriff stehen damit in einem wechselseitigen Verhältnis, das grundsätzlich auch in literarischen Texten explizit oder implizit thematisiert wird. Somit beschränken die textuellen Realitätspostulate auch die möglichen Aussagen über Lebensmodelle und den Lebensbegriff, insofern die kulturell als normal geltenden Realitätserfahrungen bestimmte Strukturen der dargestellten Welt ermöglichen oder verunmöglichen bzw. Entwicklungsmodelle inkludieren oder exkludieren (vgl. Wünsch 1983; Titzmann 2002). Bei der Thematisierung von Realität sowie deren Funktionalisierung verfolgen die Texte unterschiedliche Strategien. In Bezug auf diese Thematisierungen muss dabei unterschieden werden, welche Annahmen durch Figuren der dargestellten Welt gemacht werden, ob diese Figuren dabei logisch privilegiert sind, also verbindliche Aussagen über die Realität machen können, welche Annahmen durch eine übergeordnete Erzählinstanz geäußert werden und ob diese zuverlässig ist und schließlich welche der geäußerten Annahmen durch die Handlungsstruktur (Ereignisse, inkonsistente Zustände, Tilgungen) bestätigt oder widerlegt werden. Verhandlungen des Realitätsbegriffs werden im Folgenden an einer Reihe von Beispielen aus den Texten Schrödinger, Schilf, Cusanus, Vermessung, Zweiundvierzig und Schwarm rekonstruiert und anschließend systematisiert. 1. Aus einem unbekannt bleibenden Außenraum kommend tritt der Berufszauberer Schrödinger in das Leben des Ehepaars Doris und Oliver, denen er seine Realitätsauffassung unterbreitet. Im Wesentlichen glaubt er, dass über die tatsächliche Struktur der Realität keine verbindlichen Aussagen möglich sind. Dies macht er an der Schrödinger-Gleichung fest: Die Gleichung [. . . ] zeigte, dass quantenmechanische Wahrscheinlichkeiten eine Art Extrakt aus mathematischen Möglichkeitsräumen waren, deren Realitätsgehalt im Rahmen der Theorie insgesamt diffus blieb. (Schrödinger: 106)

Der Text präsentiert uns also eine Figur, die auf der Grundlage physikalischen Wissens oder hier besser Nichtwissens formale Basispostulate über die Realität infrage

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stellt.188 Textintern wird auf dieser Grundlage für eine Erweiterung des Realitätsbegriffs plädiert bzw. eine Bereicherung der Erlebniswelt des Individuums angestrebt, welches dem Häuten einer Zwiebel gleich (73) in die ‚wirkliche‘ Wirklichkeit vordringen solle. Diese sieht Schrödinger im „Reich der Magie und der Leidenschaften“, dem Unbewussten, welches das „enge Korsett des vermeintlich Realen“ (74) zu sprengen imstande sei. Die Zauberei versteht er indessen als diejenige Kunst, die „uns nicht von der Realität ablenken [soll], sondern geradewegs in sie hineinführen, in ihren Kern“ (47). Der Text scheint die Realitätsauffassung der ‚unscharfen Grenzen‘ 1. durch zwei Eingangszitate, die ebendiese Unsicherheit thematisieren, 2. durch die Wiedergabe einer Szene in zwei Versionen, 3. durch eine Erzählinstanz, die sich gerade in diesen Kapiteln zurückzieht, 4. durch die Aufrechterhaltung der Unsicherheit in Bezug auf diese Kapitel und schließlich 5. durch die Gestaltung des synekdochischen Extremraums von Schrödingers Schlafzimmer als Wendepunkt zu stützen. Die Verunsicherung der Realitätserfahrung ist aber in zeitlicher Dauer und qualitativem Umfang so bemessen, dass sie nur wenige Kapitel umfasst und auch nur von der Figur Oliver, der für den Zeitraum des quasi-fantastischen Ereignisses betrunken war, erfahren wird. Indem der Text Schrödingers Schlafzimmer als Extremraum und Wendepunkt in der Entwicklung Olivers inszeniert, wird ein kulturell normiertes, heterosexuelles Beziehungsmodell bestätigt und das Aufscheinen einer anderen Realität nur als Katalysator für die psychische Entwicklung Olivers funktionalisiert. Dass es sich bei seiner Erfahrung nur um eine begrenzte Episode handelt, drückt sich auch in der Ausgliederung der Figur Schrödinger aus. Dass Schrödinger aber als Katalysator fungieren konnte, stützt dessen Postulat einer Realität, die wesentlich durch das Un(ter)bewusste bestimmt ist bzw. sein sollte, insofern dort die Wünsche und das zu realisierende Potenzial der Person liegen. Anders als die Frühe Moderne189 schließt der Text jedoch eine fantastische oder normverletzende Realisierung dieses Potenzials aus. 2. Auch Schilf stellt die formalen Basispostulate des Realitätsbegriffs scheinbar kurzzeitig infrage. Mittels physikalischen Wissens, intermedialer Bezüge, einer funktionalen Variation der Erzählsituation und der expliziten Thematisierung der Realitätsauffassung auf der Figurenebene wird angedeutet, dass Everetts Vielewelteninterpretation der Quantenmechanik eine adäquate Beschreibung der Realität sein könnte. Diese Position wird vor allem von der Figur Sebastian vertreten. Er geht davon aus, dass jede mögliche Entscheidung realisiert würde, wenn auch in einem Paralleluniversum (208–210, 297–298). Dass diese Interpretation textintern nicht allgemein

188 Der Text greift damit populäre Interpretationen von Relativitätstheorie und Quantentheorie auf, die einen lückenlosen Zusammenhang von Ursache und Wirkung und eine vom wahrnehmenden Subjekt unabhängige Wirklichkeit anzweifeln (vgl. Held 1998: 212–213, 243). 189 Siehe dazu Titzmann (1989, 1996, 2002) und Wünsch (1983, 1989, 1990, 1991).

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anerkannt ist, kommt durch die Figur Oskar ebenso zum Ausdruck wie durch die Tatsache, dass ein Mörder, der sich auf ebendiese Interpretation beruft, dennoch festgenommen wird (168). Oskar inszeniert nun eine Situation (die scheinbare Entführung von Sebastians Sohn), die Sebastian vor Augen führen soll, dass seine Theorie nicht zutrifft und sie für den Fall ihres Zutreffens eine verheerende Verunsicherung zufolge hätte. Textintern hat die vermeintliche Verunsicherung der Realität also eine – wenn auch – zweifelhafte didaktische Funktion. In Bezug auf die Entführung werden also zu keinem Zeitpunkt Basispostulate des Realitätsbegriffs verletzt. Nur Kommissar Schilf sympathisiert mit Sebastian und dessen Theorie. Dieser glaubt, dass sich jenseits der wahrnehmbaren Welt eine Art Ursubstanz von Realität befinden müsse. [. . . ] Der Kommissar sagt heute »Quelltext« dazu [. . . ], weil er die Wirklichkeit mit einer menschengemachten Maschine vergleicht [. . . ]. Denn nichts anderes ist diese Wirklichkeit seiner Meinung nach: eine Schöpfung, die sekündlich im Kopf eines jeden einzelnen Beobachters geboren, also zur Welt gebracht wird. (ibid.: 155–156, Hervorhebungen im Original)

Schlussendlich stirbt der Kommissar an einem Hirntumor, der ihn z. B. die Stimme des Erzählers in seinem Kopf hören ließ (160). Die Umstände seines Todes werden auf eine Weise geschildert, dass unklar bleibt, ob sie von einer logisch privilegierten Erzählinstanz oder vom Erzähler in Schilfs Kopf berichtet werden. Die Schilderung greift dabei auf Elemente aus dem obigen Zitat zurück: Etwas drängt zur Freiheit [. . . ]. Die Schale zerbricht. [. . . ] Sein Schädel hat sich geöffnet, ein Zappeln, ein Flattern, etwas zwängt sich hinaus. Es schüttelt sich, spreizt die Schwingen [. . . ]. Auf Wiedersehen, Beobachter, denkt der Kommissar. Ein Vogel steigt auf. (ibid.: 382)

Während eine Verunsicherung des Realitätsbegriffs textintern zunächst zurückgewiesen wurde,190 führt der Text diese durch die Figur Schilfs als Variante eines Radikalen Konstruktivismus erneut ein. Wenn der Text auch die Everett-Interpretation als ernstzunehmendes Modell für die Realität verwirft, so deutet er dennoch einen stark subjektiv eingefärbten Realitätsbegriff an, der sich der objektiven Beschreibung entzieht. 3. Cusanus etabliert diesbezüglich ein Gegenmodell: Der Text integriert die Vielewelteninterpretation ausdrücklich in die Ordnung der dargestellten Welt, die sich der Protagonistin sukzessive erschließt. Im Ausgangszustand wird die dargestellte Welt in bekannter (wenn auch durch die Situierung in einer postapokalyptischen Welt in verfremdeter) Weise beschrieben. Die alltägliche Realitätserfahrung wird dabei bereits durch die Eingangszitate zu den Kapiteln, die sich auf die Struktur von Raum

190 Dies geschieht implizit zugunsten von theologischen Basispostulaten, zumal Sebastian den Glauben an Gott als Schöpfer und den Glauben an die Vielewelteninterpretation als einzige Möglichkeiten der Erklärung der Existenz eines von Menschen bewohnbaren Universums (anthropische Prinzipien) gesetzt hatte (Schilf : 64–65).

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und Zeit beziehen, infrage gestellt. Im Verlauf der Handlung wird die sich aus den Zitaten ableitbare Realitätsauffassung räumlich etabliert (Paralleluniversen, Struktur der Zeit) und das vorhandene Realitätsbild der Protagonistin erweitert. Diese Erweiterung gipfelt schließlich darin, dass die Protagonistin die Fähigkeit erlangt, sich kraft ihrer Gedanken frei in Raum und Zeit zu bewegen. Die Verunsicherung der Realitätserfahrung wird textintern also bestätigt und resultiert dort in der Substitution des begrenzten Realitätsbildes durch ein stark erweitertes. 4. Eine andere Strategie der Verunsicherung nutzt Vermessung. Repräsentiert durch die Figuren Gauß und Humboldt führt der Text die Genese der modernen Naturwissenschaften vor. Die empirischen Untersuchungen Humboldts und die streng mathematischen Arbeiten Gauß’ werden als harte Arbeit an der Grenze zur Selbstaufgabe inszeniert (33, 92, 207). Dabei werden die wissenschaftlichen Methoden Gauß’ und Humboldts in einer Weise dargestellt, dass sie die Wirklichkeit (in konstruktivistischer und damit auf die außertextuelle Gegenwart bezogene Manier) überhaupt erst erschaffen: Humboldt fixierte die untergehende Sonne mit dem Sextanten und maß den Winkel zwischen Jupiterbahn und jener des vorbeiwandernden Mondes. Jetzt erst, sagte er, existiere der Kanal wirklich. [. . . ] Dass der Kanal jetzt auf den Karten verzeichnet sei, werde die Wohlfahrt des gesamten Erdteils befördern. (ibid.: 135–136)

Die Tätigkeit der Wissenschaftler erscheint als ein Entschlüsseln und Bezwingen der Natur, der man ein Netz von Zahlen überstülpt (116), und der man ihre „so offen liegenden Geheimnisse“ (218) ablockt. Auch wenn Gauß grundsätzlich Skeptiker bleibt (220), begreifen die beiden Männer die Wissenschaft noch im Sinne der Aufklärung als den Weg aus dem Aberglauben, hin zu Vernunft und Freiheit (121). Scheinbar etablieren Humboldt und Gauß eine wissenschaftlich-aufgeklärte Weltsicht, die es erlaubt, „die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganze[s] aufzufassen“ (Humboldt 1845/2004: 3). Dieses Wissenschaftsverständnis und vor allem das mit ihm verbundene Realitätsbild werden jedoch vom Text unterlaufen. Während eines Experiments, mit dem Gauß einen Blick „ins Innere der Welt“ (272) wagt, kommt sich dieser gleichzeitig wie „ein Magier der dunklen Zeit vor, wie ein Alchimist“ (273) und konstatiert: Die Scientia Nova war aus der Magie hervorgegangen, und etwas davon würde ihr immer anhaften. (ibid.: 273, Hervorhebung im Original)

Das so explizit auf den Plan gerufene Irrationale, Nichtwissenschaftliche und tendenziell Fantastische bricht an mehreren, vom Text weitestgehend unkommentiert belassenen Stellen in die dargestellte Welt ein. U.a. durch: 1. Auftauchen von Geistern im Hause Humboldt (21), 2. Sichtung eines „Seeungeheuer[s]“ (45), 3. Erscheinen einer weiblichen Figur aus dem Nichts (89–90), 4. Verschwinden eines Hundes „wie ein Spuk“ (90), 5. diverse Formen des Aberglaubens in Südamerika (106–107, 110),

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6. „Verschiebungen in der Wirklichkeit“ (117), 7. Sichtung eines UFOs (135), 8. diverse Erscheinungen bei einer Bergbesteigung (168–180)191 , 9. die Begegnung mit Gott (185–190)192 , 10. Wiederanwachsen einer abgeschlagenen Hand (205) 11. Inszenierung einer Séance (253–256), 12. Überreichen eines Fläschchens mit „kosmischem Äther“193 (284), 13. Anklänge von Franz Kafkas Das Schloss (1926).194 Das Einbrechen des Irrealen in die Wirklichkeit wird auch dadurch unterstrichen, dass sich der Text durch intertextuelle Verweise195 an den magischen Realismus196 anlehnt. Nicht nur das explizit als traumhafte und exotische Sphäre markierte Südamerika, sondern auch die sich einer Erklärung entziehenden Szenen im Leben Gauß’ und Humboldts stehen im eklatanten Gegensatz zur angestrebten Wissenschaftlichkeit und Rationalität der Männer.197 Durch diese Elemente kommt es quasi zum „Verschmelzen von zwei kategorial verschiedenen Ordnungs- und Repräsentationssystemen zu einem dritten, neuen Realitäts- und Darstellungsmodus“ (Nünning 2008: 455). Die vermeintliche Sicherheit in Bezug auf die Realität durch ihre ‚Vermessung‘ wird somit durch den Text selbst unterlaufen, der damit das Bild einer Realität konstituiert, die sich gerade nicht vermessen und durch die Wissenschaft abschließend beschreiben lässt. Insofern reorganisiert der Text kulturelle Realitätsbegriffe, indem er dem streng rational-wissenschaftlichen Realitätsbild konkurrierende Realitätsbilder gegenüberstellt, die zwar ebenfalls Teil der Kultur des Textes sind, dort aber marginalisiert wurden. Die Re-

191 Diese könnten allerdings weitestgehend mit Symptomen der Höhenkrankheit identifiziert werden. 192 Die Figur des Grafen von der Ohe zur Ohe kann mit Gott identifiziert werden, der sich auf frühere Beschwerden Gauß’ bezieht (Vermessung: 59–60, 88, 99). Rickes (2007) rekonstruiert diese Deutungsmöglichkeit ausführlich. 193 Die Substanz zeichnet sich durch ihre extreme Dichte, ihre lichtabsorbierende Fähigkeit und ihre negative Wirkung auf die Psyche aus. 194 Dazu zählen primär folgende Elemente: Name des Grafen Westwest, Tätigkeit des Protagonisten als Landvermesser, Schloss, Traumsequenzen, Schlafstatt (Schloss: 7–23). Siehe auch Rickes (2007) und Kavaloski (2010). 195 Die Namen von Humboldts Ruderern in Südamerika tragen die Vornamen einschlägiger Autoren des magischen Realismus (Vermessung: 106). Siehe ausführlich bei Stenzel (2008: 100). 196 Zur Begriffsgeschichte siehe Reeds (2006). Der magische Realismus ist mit der europäischen Fantastik vergleichbar, stellt jedoch einen spezifisch Stil im lateinamerikanischen Roman des 20. Jh. dar. Er bedient sich fantastischer Elemente, die aus Riten, Mythen und Träumen erwachsen. Hierdurch grenzen sich die Texte von der „stärker empiristisch-naturwissenschaftlich geprägten Erlebnisund Erfahrungswelt in Europa“ (Nünning 2008: 455) ab. Siehe auch Horváth (2009) und Holmes (2010: 198). 197 Die Figuren Gauß und Humboldt werden darüber hinaus durch ihre Begleiter, Bonpland und Eugen, kontrastiert, die eine gänzlich andere Lebensauffassung repräsentieren und das Verhalten der beiden Wissenschaftler mitunter als komisch erscheinen lassen.

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integration oder Rezentrierung – vielleicht auch im psychoanalytischen Sinne – verdrängter Teilrealitäten straft die Annahme Lügen, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. (Weber 1919/2002: 488, Hervorhebungen im Original)

Der „Entzauberung der Welt“ (ibid.) begegnet der Text quasi durch deren Wiederverzauberung.198 Genrebedingt199 teilen die Texte viele Grundannahmen über die Realität. Einige Texte deuten jedoch Unsicherheit über die tatsächliche Struktur der Realität an, insofern die Natur von Raum und Zeit, die Verkettung von Ursache und Wirkung oder mögliche Teilrealitäten anbelangt. Während Schrödinger diese Verunsicherung auf eine subjektiv-individuelle Ebene begrenzt, die Relativierung der bekannten Realität dort nur eine kurze Episode darstellt und diese schlussendlich restituiert wird, lässt Schilf tendenziell offen, ob die Figuren eine abweichende Realitätserfahrung machen. In den Texten Cusanus, Schwarm und Zweiundvierzig wird die Realität indessen nachhaltig transformiert, indem zentrale Basispostulate wie die Struktur der Zeit und des Raums, Kausalität und Evolution infrage gestellt bzw. sogar modifiziert werden. Vermessung suggeriert die parallele Existenz verschiedener Ordnungs- und Repräsentationssysteme, die sich textintern nicht wissenschaftlich erfassen lassen, bzw. die im Falle ihrer Kommentierung vorhandene Kategorien transformieren und einen neuen Realitätsbegriff erforderlich machen würden. Die Elemente bleiben dadurch Fremdkörper im Text und lassen die in ihm dargestellte Realität als brüchig erscheinen. Die Texte, die sich auf physikalische Wissensmengen berufen, verunsichern unseren Alltagsbegriff von Realität nachhaltig. Gerade weil relativitäts- und quantentheoretische Axiome sich der Alltagswahrnehmung weitestgehend entziehen, wirkt deren ‚Vorführung‘ in den Texten befremdlich. Die aufgrund wissenschaftlichen Wissens denkbare Realität erweist sich – in manchen Texten im Wortsinne – als fremdes Universum. Vielleicht streben die Texte gerade deshalb keine unhintergehbar objektive Darstellung von Realität an, sondern siedeln Aussagen über diese in einem subjektiven Bereich an, der dem Individuum zur Gestaltung überlassen wird. Insgesamt deutet sich hierin eine Annäherung genuin fantastischer oder wenigstes ‚wiederverzauberter‘ Realitätsentwürfe und einer nicht in Alltagskategorien er-

198 Für eine ausführliche Rekonstruktion und Kritik der weberschen Metaphorik siehe Vahland, Joachim (1999): Entzauberung. Max Weber und seine Interpreten. In: Kant-Studien, Jg. 90, S. 410–433. 199 Fantastische Genres, die die Tendenz zeigen, kulturell normierte Realitätsauffassungen zu verletzen, wurden nicht in das zu analysierende Textkorpus aufgenommen, da diese Genres per se anders mit wissenschaftlichem Wissen umgehen. Die oben genannten Texte sind eher den nicht-fantastischen Genres zuzurechnen. Cusanus vollzieht diesbezüglich eine Transformation und betont fantastische Elemente schlussendlich stärker. Zum Hintergrund der Einteilung siehe Wünsch (1991).

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fassbaren, wissenschaftlich ‚vermessenen‘ Realität an. In Bezug auf die Denkstruktur ließe sich daher schließen, dass wissenschaftliche Wirklichkeitsdeutungen zwar wirkmächtig sind, nicht jedoch Exklusivität beanspruchen können. Hierdurch wird auch verständlich, weshalb die textuellen Lebensmodelle wissensinduzierten Verhandlungs- und Wandlungsprozessen unterliegen (4.3.4) bzw. weshalb die Texte Alternativen zur Genetisierung von ‹Leben› (4.3.5.3) wenigstens andeuten. Dies wird bei der abschließenden Analyse der Verhandlung wissenschaftlicher Wirklichkeitsdeutungen in den Texten erneut deutlich.

4.2.4.3 Dekonstruktion wissenschaftlicher Wirklichkeit Die Texte popularisieren bzw. repräsentieren nicht nur vorhandenes Wissen, um ihre Handlung zu plausibilisieren, sondern inszenieren auch einen textinternen Prozess der Wissensgenese bzw. der Suche nach Wahrheit: [I]ch recherchiere aus dem gleichen Grund, der mich bei allen meinen Themen bewegt. Ich suche die Wahrheit. (Götterdämmerung: 80)

Der Prozess der Wissens-/Wahrheitssuche nimmt seinen Ausgang in einer Situation, in der Nichtwissen vorherrscht. Dieser Zustand wird als ‚dunkel‘ semantisiert, die Wahrheit ist verdeckt und muss aufgedeckt werden. Aufgrund der strukturellen Äquivalenz handelt es sich bei einigen Texten um Wissenschaftsthriller, in denen der Prozess der Wahrheitsfindung mit einem kriminologischen Detektionsprozess korreliert wird, was sich an Infekt modellhaft nachvollziehen lässt. Der Wissenschaftler Kossoff, der mit DNA-Molekülen experimentiert hatte, wird ermordet. Zeitgleich erkranken Tiere einer Rinderherde in Uruguay und die Menschen in der Umgebung an einem viralen Infekt. Der britische Secret Service Agent Green nimmt sich des Falls an und stellt eine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen her: Aus einem Impfstoff für zur Lebensmittelherstellung bestimmte Rinder wurde durch genetische Manipulation ein biologisches Kampfmittel, was Kossoff herausgefunden hatte und dafür sterben musste. Der Prozess der Aufklärung des Mordes korreliert mit Recherchen zum wissenschaftlichen Hintergrund. Um den Mordfall aufklären zu können, muss der wissenschaftliche Hintergrund erhellt werden, da beide in der Person Kossoffs verquickt sind: Einer der Leute hat ein falsches Stück DNA in die rekombinante Erbinformation für Hybridviren hineingehängt. [. . . ] Und er [Kossoff, SH] hat anscheinend herausgefunden, wofür dieses Stück kodiert. Es setzt den Hybridvirus in die Lage, menschliche Zellen zu infizieren. (ibid.: 296)

Das gesuchte Wissen geht dabei aus einem vom Text inszenierten wissenschaftlichen Analyseprozess hervor, der es als solches konstituiert und legitimiert (Reliabilismus). Während dieser Prozess in Infekt nur mittelbar durch Aufzeichnungen zugänglich ist, führt Schwarm diesen Prozess exemplarisch vor:

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Nach Johansons Rückkehr machten sie sich gemeinsam daran, einzelne Zellen der Gallerte zu isolieren. [. . . ] Sie mischten Phenol bei und zentrifugierten die Proben [. . . ], nahmen die Fällung vor und erhielten endlich [. . . ] DNA-Lösung. [. . . ] Um die DNA zu entschlüsseln, mussten sie Teile davon isolieren [. . . ]. [A]lso stürzten sie sich in die Sequenzanalysen bestimmter Teilabschnitte. (ibid.: 726)

Während des (oftmals rekursiven) Prozesses der wissenschaftlichen Wissensgenese werden Teilwissensmengen in Beziehung gesetzt, die die Wirklichkeit des relevanten Sachverhaltes scheinbar abschließend zu beschreiben imstande sind. Mit diesem Wissen lässt sich dann zwar der Kriminalfall lösen, jedoch stellt sich ex post heraus, dass das generierte Wissen lückenhaft, der damit beschriebene Ausschnitt der Wirklichkeit komplexer als vermutet und die Anwendbarkeit der Ergebnisse eingeschränkt ist. So kann das durch ein reaktiviertes Retrovirus ausgelöste Waldsterben in Pilz schließlich zwar grundsätzlich rekonstruiert, nicht jedoch in seiner komplexen Interaktion mit dem Ökosystem verstanden oder gar rückgängig gemacht werden. Auch in Schwarm können die Wissenschaftler zwar mit gemeinsamen Anstrengungen Proben nehmen, diese analysieren und Hypothesen über die Yrr formulieren. Eine nachhaltige Kommunikation oder ein genuines Verstehen der bislang unbekannten Lebensform bleibt unmöglich. Der Text reflektiert diesen Umstand wie folgt: Wir erträumen uns einen Kosmos der taxonomischen Tabellen und statistischen Mittelwerte, außerstande, die objektive Natur wahrzunehmen. [. . . ] Wir verständigen uns über Idole und Ausschnitte, erklären sie zur Wirklichkeit [. . . ]. [. . . ] Die Etikettierung der Welt folgt den Besonderheiten der jeweiligen Kulturgeschichte. (ibid.: 954–955)200

So wird an dieser Stelle der vollständigen wissenschaftlichen Beschreibbarkeit der Welt eine Absage erteilt. Wissenschaft und wissenschaftliches Wissen werden auf ihre normative soziale Funktion hin verpflichtet und begrenzt.201 Sie erscheinen als eine

200 Ähnliche auch Venuspassage (183): „Andererseits wissen wir, dass ein Großteil unserer Wahrnehmung auf Konvention und Verabredung beruht“ und Cusanus, in dem die Wissensordnung des 21. Jh. der des ausgehenden Mittelalters gegenübergestellt wird (76–77, 605–607). 201 Darin deutet sich auch ein Themenkomplex an, der hier nicht mehr betrachtet werden kann, nämlich die Regulierung von Wissen in literarischen Texten. So dürften hinter Strategien der Begrenzung von Wissen sowie der Kaschierung von Nichtwissen bzw. nicht wissensfähigen Bereichen kulturelle Werte und Normen stehen. Vermutet werden kann hier nur, dass die Texte durch ihre narrative Struktur an der Konturierung von Grenzen zwischen zulässigem und tendenziell tabuisiertem Wissen partizipieren. Dieses wird als illegal, amoralisch und nahezu okkult semantisiert. Insbesondere die Forschung zum Motiv des verrückten Wissenschaftlers (mad scientist) böte hier eine fruchtbare Erweiterung des Blicks auf Wissensrepräsentation und Wissensgestaltung. Siehe einführend dazu Meterling, Arno (2004): Weird Science. Wissenschaft und Wahn im amerikanischen Superheldencomic. In: June, Thorsten; Ohlhoff, Dörthe (Hg.): Wahnsinnig genial. Der Mad Scientist Reader. Aschaffenburg: Alibri, S.171–195 sowie grundlegend Tudor, Andrew (1989): Monsters and Mad Scientists. A Cultural History of the Horror Movie. Oxford: Blackwell.

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mögliche Perspektive auf die Welt unter anderen und werden daher von dem Hintergrund ihrer Anwendbarkeit und sozialen Relevanz evaluiert. Insbesondere die im weitesten Sinne als postmodern einstufbaren Texte202 scheinen absolute Wahrheitsund Wissensansprüche zurückzuweisen. Dies drückt sich in den folgenden Punkten aus: 1. Schwächung einer übergeordneten Erzählinstanz: Die Texte Blueprint, Sisyphos und Zweiundvierzig bedienen sich eines Ich-Erzählers, der die Handlung entsprechend aus einer subjektiven Sicht schildert. Dies geht in Blueprint so weit, dass die sich in der Erzählsituation ausdrückende, radikale Subjektivität zum Selbstzweck wird, die jegliche Objektivität negiert: „Doch was ist das schon, die Wahrheit?“ (11). Fehlende Stellungnahmen zur Handlung bzw. ein Rückzug der Erzählinstanz in (bezogen auf den Realitätsgehalt) unentscheidbaren Szenen in den Texten Schilf und Schrödinger lassen auch dort Zweifel an einer objektiven Realität und Wahrheit aufkommen. 2. Verletzung von Realitätskategorien: Die Texte Cusanus, Schilf, Schrödinger und Zweiundvierzig modellieren mithilfe von physikalischem Wissen und physikalischen Hypothesen eine Realität, die sich mit unserer Alltagswahrnehmung nur schwer vereinbaren lässt. Sie kollidieren in einer Weise miteinander, dass die physikalische Realität zur sinnhaften Gestaltung der Lebenswelt nicht mehr geeignet ist. Die vielmehr sinngefährdende Komplexität der physikalischen Wissenselemente relativiert deren Geltungsanspruch. Stattdessen deuten die Texte eine Realität hinter der Realität an, die sie jedoch nicht weiter konkretisieren: „Wie das Sichtbare in Wahrheit ist, das siehst du nicht [. . . ]. Darum ist von Sinnen, wer da glaubt, er wisse etwas in der Wahrheit und dabei von der Wahrheit gar kein Wissen hat“ (Cusanus: 176). 3. Hybridisierung: Indem die Texte heterogene Wissensmengen hybridisieren und dadurch zu plausiblen Beschreibungen der Wirklichkeit gelangen, relativieren sie den wissenschaftlichen Deutungsanspruch in Bezug auf die Wirklichkeit. Wissen im epistemologischen Sinne und andere Wissensformen werden gleichberechtigt behandelt. 4. Unabschließbarkeit der Semiose durch Intertextualität: Eine Bezugnahme auf genuin wissenschaftliche Wissensmengen wird durch Intertextualität überhaupt erst möglich. Deren Geltung wird jedoch durch umfängliche Bezugnahmen auf Filme, Literatur und vorwissenschaftliche Deutungsmuster relativiert. Insgesamt führen die intertextuellen Bezugnahmen in vielen Texten dazu, dass Bedeutung nicht generiert, sondern aufgrund einer tendenziell unabschließbaren Semiose aufgeschoben wird. Eine objektive und eindeutige Bedeutung lässt sich damit im

202 Die grobe Einordnung erfolgte auf Basis von Hutcheon (1988), Bertens et al. (1999) und Petersen (2003). Hierunter fallen tendenziell: Blueprint, Cusanus, Schilf, Sisyphos, Vermessung, Zweiundvierzig.

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Grunde nicht fixieren. Wissenschaftlichen Wissensmengen wird bei dieser TextKontext-Interaktion keine Deutungshoheit eingeräumt. 5. Aufscheinen von fantastischen Elementen: Insbesondere in Vermessung werden kulturell normierte Realitätspostulate konsequent durch fantastische Elemente unterlaufen. Die Äußerungen der Figuren, die ohnehin im Konjunktiv (indirekte Rede) wiedergegeben werden, und die durch sie verkörperte Wissenschaftlichkeit werden dadurch in ironisierender Weise sabotiert. Da der Text nicht explizit Stellung zu dieser gebrochenen Realität nimmt, bleibt unentscheidbar, was als objektive Realität anzusehen ist.203 Die Gegenüberstellung mit südamerikanischen Geschichten lässt das rational-aufgeklärte Realitätsbild ebenso als nur ein Narrativ unter vielen erscheinen und relativiert es dadurch. Eine vollständige Beschreibbarkeit der Wirklichkeit durch die Wissenschaft und der Geltungsanspruch regulärer Wissensformen werden dadurch infrage gestellt. 6. Handlungsmotivierende Skripte und Deutungsmuster: Die Handlung wird in vielen Texten durch Skripte motiviert die aus textexternen Wissensmengen bzw. Wissensordnungen adaptiert wurden. Dabei greifen die Texte nicht nur auf wissenschaftliches Wissen (z. B. Psychologie) zurück, sondern auch auf mythologische und biblische Wissenselemente. In ähnlicher Weise adaptieren diese Texte mythologische, biblische und literarische Narrative, vor deren Hintergrund die Handlung gedeutet wird. Hierdurch wird der Anspruch einer wissenschaftlichen, rationalen oder objektiven Beschreibung der Wirklichkeit zugunsten anderer Zugänge relativiert. Nicht wissenschaftliches Wissen, sondern hyperkonnektive und quasi ‚universale‘ Wissensformen werden hierzu aufgerufen oder sogar erst durch den Text hybridisiert. 7. Darstellung inkonsistenter Endzustände: Zahlreiche Texte inszenieren den Prozess der wissenschaftlichen Wissensgenese und korrelieren diesen mit der Lösung eines inkonsistenten Zustands. Anstatt jedoch in einem konsistenten Endzustand zu münden, wird die dargestellte Welt in vielen Texten nachhaltig transformiert. Diese Transformation beruht teilweise auf dem Missbrauch von wissenschaftlichem Wissen, einem für die Wissenschaft eingeschränkten Zugang zur komplexen Wirklichkeit oder der mangelnden Problemlösekapazität von Wissenschaft und wissenschaftlichem Wissen. Die Texte dokumentieren hierdurch eine skeptische Haltung gegenüber wissenschaftlichen Geltungsansprüchen. 8. Metaphorische Aneignung von Wissen: Wissenschaftliche Wissensmengen werden in den Texten diskursiviert, d. h. einem Aushandlungsprozess zugeführt, der sie mit anderen Wissensmengen konfrontiert, hybridisiert oder durch deren Kategoriensystem neu strukturiert. Nicht nur wird molekularbiologisches und ge-

203 Auch Cusanus deutet einen solchen Bruch an, indem Wissen aus Traumwelten in der Alltagswelt von Relevanz sein kann. Das scheinbar fantastische Element wird hier allerdings durch physikalische Hypothesen plausibilisiert (532).

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netisches Wissen in kulturelle Kategorien (Codemetapher etc.) übersetzt, sondern z. B. auch physikalisches Wissen psychologisiert (Cusanus, Schilf, Schrödinger). Das wissenschaftliche Wissen wird dadurch dekontextualisiert und zu sinnstiftenden Elementen transformiert. Seine Relevanz entfaltet es somit nicht als wissenschaftliches Wissen, sondern als kulturell vernetzbares und sinnstiftendes Element. Relativierung von Wissen und Wahrheit durch Figuren: Schließlich werden Wissenschaft, das wissenschaftliche Weltbild und wissenschaftliches Wissen textintern bereits an der Oberfläche durch Figuren diskutiert und infrage gestellt.

Durch diese Strategien etablieren die Texte Denkstrukturen, die mögliche Redeweisen über ‹Leben› rahmen. Was als und wie ‹Leben› gedacht werden kann oder nicht wird hierdurch eingeschränkt. Grade die Dekonstruktion wissenschaftlich-objektiver Wirklichkeit eröffnet gewissermaßen überhaupt erst die Denkbarkeit der ästhetischen Gestaltung von Wissen sowie die Zulässigkeit von (nicht-wissenschaftlichen) subjektiven Lebensmodellen. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden analysiert werden, was die Texte über ‹Leben› ‚wissen‘, bzw. wie sie Wissen und ‹Leben› aufeinander beziehen.

4.3 Leben Kulturelle Lebensformen und kollektive Denkmuster werden ständig erneuert und verändert. Das gilt hier auch für den Begriff ‹Leben› (vgl. Palm 2010). Der Lebensbegriff bezeichnet dabei gleichermaßen 1. die Existenz des Menschen bzw. deren Zeitdauer und Verlauf (bíos), 2. die individuelle oder gesellschaftliche Art und Weise des Daseins und 3. die Eigenschaft alles Lebendigen (zoë). Während die physische Existenz vor allem Gegenstand von Physik, Chemie und Biologie ist,204 so sind Lebensdauer, Lebenslauf und Lebensgestaltung Teil soziologischer, ethnologischer, psychologischer, anthropologischer, philosophischer und theologi-

204 Die naturwissenschaftliche Bestimmung fokussiert im Wesentlichen auf den chemischen Aufbau von lebendigen Organismen, deren zellulare Organisation, Stoff- und Energiewechsel, die Fähigkeit zur Fortpflanzung, ihre Reizbarkeit, Zweckmäßigkeit und Anpassungsfähigkeit, die Zunahme des Organisationsgrades und in Bezug auf den Menschen seine besonderen psychischen Eigenschaften. Ein entsprechendes Beispiel liefert Nüsslein-Volhard (2006). Hierin drücken sich materialistische, mechanistische und organizistische Konzeptionen von Leben aus. Ihnen werden klassischerweise vitalistische bzw. animistische Konzeptionen gegenübergestellt, die Leben durch nicht-physikalische Energie-Kausalfaktoren bzw. nicht-materielle Wesenheiten bestimmt sehen. Der entsprechende Diskurs wird aus der Sicht des 19. Jh. rekonstruiert bei Bütschli (1901). Siehe auch Küppers (1987: 11–13).

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scher Fragestellungen. Sie begreifen ‹Leben› als spezifisches kulturelles, soziohistorisches und geistesgeschichtliches Phänomen, als das „unreduzierte menschliche Leben“ (Kozljaniˇc 2004: 120).205 Ein einheitlicher Lebensbegriff existiert also verständlicherweise nicht (vgl. u. a. Toepfer 2005: 157–159). Insofern ist der Lebensbegriff einerseits in hohem Maße kontextabhängig und andererseits dem prägenden Einfluss historisch-politischer, ökonomischer und ökologischer Umstände sowie kulturellem und sozialem Wandel und auch der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung unterworfen.206 Entsprechend ist er anfällig für ideologische Prägungen (vgl. Remotti 1998), wie sich an der Lebensideologie des 18. und 19. Jh. (vgl. Lindner 1994) ebenso zeigt, wie am Missbrauch des Lebensbegriffs während des Nationalsozialismus und seiner verstärkten Diskussion in den gegenwärtigen Debatten um Abtreibung, Euthanasie, Todesstrafe, Gentechnologie (vgl. Faulstich 2002), Umweltschutz und Lebensqualität: Angesichts des wissenschaftlichen und technischen Fortschrittes werden wir mit der Frage konfrontiert, ob sich der Bedeutungsgehalt zentraler Kategorien und Denkmuster wie Menschlichkeit oder ‹Leben› verändert hat und „inwieweit sich die Lebenserscheinungen mittels der Begriffe, Methoden und Gesetzmäßigkeiten von Physik und Chemie erklären lassen“ (Küppers 1987: 7).

4.3.1 ‹Leben› in der literarischen Anthropologie

Als Medium der kulturellen Selbstwahrnehmung entzieht sich die Literatur diesem Problem nicht. Vielmehr reflektieren literarische Texte diese dynamischen Veränderungen und Anpassungen, repräsentieren und prägen sie durch fiktionale Lebensmodelle und inszenierte Lebensformen (vgl. Ette 2007: 12): Literatur lässt sich begreifen als sich wandelndes interaktives Speichermedium von Lebenswissen, das nicht zuletzt Modelle der Lebensführung simuliert und aneignet, entwirft und verdichtet und dabei auf die unterschiedlichsten Wissenssegmente und wissenschaftlichen Diskurse zurückgreift. (ibid.: 13)

Literatur ist als modellbildendes sekundäres semiotisches System eine funktionale Komponente der Gesellschaft. Als solche kann sie ‹Leben› zwar nicht in seiner biologischen Form hervorbringen, aber sehr wohl in sich abbilden: Als paradigmatisches Beispiel hierfür kann Paul Wührs Gedicht Sage (1988) gelten. Dessen 165 Einzelgedichte lassen sich syntaktisch und paradigmatisch-semantisch so gruppieren, dass

205 So auch Kather (2003: 9) und Große (2010: 7–11). 206 Als Produkt gesellschaftlicher Wirklichkeit wird der Lebensbegriff entsprechend damit variieren, ob wir die gegenwärtige Gesellschaft beispielsweise als individualisierte Gesellschaft, Risikogesellschaft, Erlebnisgesellschaft oder Multioptionsgesellschaft betrachten.

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der Text als sich reproduzierendes, metabolisches und mutagenes Produkt erscheint und quasi ein evolutionäres Modell – und damit ‹Leben› – strukturell nachahmt.207 Gerade weil Literatur ‹Leben› auf diese Weise gleichsam semiotisiert kann sie – wie im Falle des Gedichtes – seine Strukturen und Prozesse wenigstens simulieren. Viel wesentlicher ist jedoch, dass Literatur offen für die Komplexität genuin menschlichen ‹Lebens› ist und eine Vermittlungs- und Reflexionsinstanz darstellt: Seitdem der Mensch Literatur erschafft, reflektiert er sein Leben und sich selbst in dieser Literatur. In diesem Sinne archiviert sie einerseits Wissen über ‹Leben›. Dies tut sie jedoch nicht zwingend in Form von Propositionen, sondern in Form von Modellen, die sich auf Mentalitäten, Normen und Werte zurückbeziehen lassen. Diese Modelle können in affirmativer Beziehung zu außertextuellen Realität stehen, müssen es aber nicht. Denkbar und bekannt sind auch normative Entwürfe, die vorgeben, was ‹Leben› (nicht) sein sollte. Andererseits kann Literatur gerade auch Modelle entwerfen, die zu zeigen beanspruchen, was ‹Leben› (noch oder stattdessen) sein könnte. In dieser Form nutzt Literatur ihre Autonomie und unterzieht denkbare Gegenentwürfe einem ‚Test‘, konfrontiert und kommentiert sie. Hierdurch kann Literatur tendenziell auch ein auf Orientierung angelegtes Wissen zum ‹Leben› zur Verfügung stellen. In den analysierten Texten wird Wissen außerdem zum Konstituens von Lebensmodellen, wenn die Einflussnahme wissenschaftlichen Wissens auf die menschliche Lebenswelt reflektiert wird. Kulturelle, im doppelten Sinne zeichenhafte, Konzeptionen von ‹Leben› sind also gerade deshalb von Relevanz, da sie die Wahrnehmung des Lebensvollzugs prägen, ja ihn überhaupt erst als solchen konstituieren und wahrnehmbar machen. Insbesondere das Personenkonzept sowie seine narrative Korrelation mit abgrenzbaren Lebensphasen rückt hierbei als wesentlicher Teil der (literarischen) Anthropologie einer Epoche (vgl. Titzmann 1989: 36) in den Fokus: In der Frühen Moderne gewinnen so etwa neben wörtlich-biologischen Zuständen von ‹Leben› auch metaphorisch-psychische Dimensionen im Sinne eines emphatischen Zustands, als „gesteigerte und intensive Form erfüllten Lebens“ (Wünsch 1989: 170) Bedeutung. ‹Leben› oder Lebendigkeit ist in diesem Sinne also ein „Zum-Bewusstsein-Kommen einer gesteigerten Lebensaktivität, die als dynamische Konstitution der leiblichen und auch der bewussten Leistungen erfahren wird“ (Trautsch 2009: 24). Der Begriff verweist damit auf einen bestimmten Modus des Lebens, „eine relative Steigerung des Lebensvollzugs“ (ibid.: 21, Hervorhebung im Original). Ausgehend von einer Krise dient die Narration in den Texten der Frühen Moderne als Weg der Realisierung emphatischen ‹Lebens› im realistischen oder auch okkult-metaphysischen Sinne (vgl. Wünsch 1989: 170): Im Falle einer erotisch-partner-

207 Siehe ausführlich bei Petersen (2003). Grundlegend auch bei Krah (1997) sowie mit Fokus auf den Begriff ‹Leben› bei Halft (2013).

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bezogenen Variante führt in einschlägigen Texten der Frühe Moderne eine erotische Beziehung zum gesteigerten ‹Leben›, wobei dieser Versuch nur erotikfähigen Altersklassen vorbehalten ist. Bei der Realisierung einer asketisch-altruistischen Variante von ‹Leben› widmet sich das Individuum als Helferfigur anderen Menschen oder dem kollektiven Wohl, während die mystisch-narzisstische Variante vornehmlich im Rahmen der fantastischen Literatur vorgeführt wird (vgl. ibid.). Die Narration führt im Zuge dessen einen Selbstfindungs- und Selbstverwirklichungsprozess der Person vor (vgl. Titzmann 1989: 39),208 der die innerirdische Verwirklichung aller ihrer Potenziale zum Ziel hat. ‹Leben› ist hier ein dynamisches Modell, seine Realisierung ist tendenziell niemals abgeschlossen, da beliebig viele diskontinuierliche Einschnitte und Neuanfänge denkbar sind, solange die Person gemäß kultureller Setzungen als ‚jung‘ gilt. Diese Personenkonzeption korreliert mit der Verletzung und mitunter auch Negation tradierter Werte und Normen, die schließlich in ein scheinbar personenspezifisches Wert- und Normensystem mündet (vgl. ibid.: 50). Derart systematische Studien zum Konstrukt ‹Leben› liegen bisher lediglich für die Literatur der Frühen Moderne vor und beschränken sich ansonsten auf das Werk einzelner Autoren (Seidel 2005). Im Folgenden muss es daher darum gehen, auch für die Gegenwartsliteratur einen Lebensbegriff bzw. ein anthropologisches Modell zu konturieren. Gerade die Literaturwissenschaft verfügt über das geeignete Instrumentarium, explizite Verhandlungen des Lebensbegriffs wie auch implizite Modellierungen des Lebensprozesses, d. h. Lebensphasen, Altersklassen, Merkmale und Verhaltensweisen, Lebensformen, Lebensstile, Übergänge und Wendepunkte sowie die damit korrelierten individuellen oder kollektiven Normen und Werte zu rekonstruieren (vgl. Titzmann 2002: 7; Lindner 1994: 6).209 ‹Leben› lässt sich aus den Texten dabei zum einen in Form von Strukturierungen des Lebenslaufs durch Altersklassen und Lebens(phasen)modelle abstrahieren. Zum anderen setzt sich eine kleinere Zahl von Texten auch explizit mit dem Lebensbegriff im quasi naturwissenschaftlichen Sinne (zoë) auseinander. Darüber hinaus lassen sich ‚Parameter‘ identifizieren, die zwischen den beiden erstgenannten Kategorien vermitteln: Natur- und Menschenbilder, metaphysische Grundannahmen, Körperlichkeit und Sexualität spielen traditionell eine wesentliche Rolle in der literarischen Anthropologie. Sie sind jedoch ohne ihre gesellschaftlichen bzw. insbesondere diskursiven und wissenschaftlichen Voraussetzungen kaum verstehbar. An den vorliegenden Texten deutet sich allerdings an, dass diese Parameter als Elemente von Lebensmodellen problematisiert und nicht mehr als selbstverständlicher Teil derselben verstanden werden. Sie stehen damit in einem dialektischen Spannungsfeld von bíos und zoë und markieren einen sich wandelnden Lebensbegriff.

208 Vgl. auch Wünsch (1983: 384–385) und Titzmann (2002: 192–193). 209 Titzmann (2002) erläutert dies am Beispiel der Bildungs-/Initiationsgeschichte der Goethezeit. Vgl. auch Titzmann (1996).

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4.3.2 Strukturierung des Lebenslaufs: Altersklassen

Ein erster Überblick über den Lebensbegriff der Texte lässt sich durch eine Rekonstruktion von Altersklassen gewinnen. Diese strukturieren den Lebenslauf und geben als kultur- und epochenspezifisch voneinander abgegrenzte Lebensphasen Auskunft darüber, welche Lebenslaufentwürfe im anthropologischen Sinne überhaupt denkbar sind. Die untersuchten Texte präsentieren Figuren, die das ganze Spektrum an Altersklassen abdecken.210 So wird in Blueprint das Leben der Protagonistin Siri bis zur Empfängnis zurückverfolgt und dann bis ins Alter von 31 Jahren erzählt. Mithilfe der Kapitelüberschriften modelliert der Text folgende Altersphasen: 1. Das Jahr null 2. Kindheit I 3. Kindheit II 4. Jugend I 5. Jugend II 6. Das zweite Jahr null 7. Zehn Jahre später Zunächst fällt die Ausdifferenzierung der Kindheit und Jugend in jeweils zwei Teilphasen ins Auge. Während die Jugend durch die erste Menstruation der Protagonistin von der Kindheit abgegrenzt wird,211 wird der Übergang von der Phase der „Jugend I“ zur Phase „Jugend II“ durch eine erste sexuelle Erfahrung markiert. Die Phasen gewinnen durch zusätzliche Überschriften, die sich an die griechische Mythologie anlehnen („Pollux seul“) oder aus musikalischen Analogien speisen („Einklang“, „Duett“) an Kontur: Sie sind sowohl mit entwicklungspsychologischen Phasen von Siri als auch mit ihrer Beziehung zu Iris korreliert, die in den jeweiligen Kapiteln wiederum mit bestimmten Kompositionen als auch mit einer Zahl codiert sind. Dadurch entwirft der Text ein detailliertes Bild von Siris Psychogenese und führt ihre Entwicklungsschritte exemplarisch vor. Alle anderen Texte begrenzen den dargestellten Lebensausschnitt demgegenüber auf die Phase des Erwachsenseins, welches sie zwischen ca. 30 und unter 60 Jahren ansiedeln, und differenzieren diese weiter aus. Durch Leerstellen, Raffungen und die Modifikation der Zeitstruktur werden bestimmte Lebensabschnitte fokussiert und signalisiert, dass die Gesamtdauer des Lebens oder einzelner Phasen weniger wichtig

210 Dabei fokussieren diejenigen des Genres Jugendliteratur erwartungsgemäß vor allem das Kinderund Jugendalter und stellen die Sozialisation und Identitätsgenese der Protagonistinnen und Protagonisten dar. Während die meisten dieser Texte nur die Phase der Pubertät in den Blick nehmen, weicht der Text Blueprint hiervon ab. 211 „Als ich meine erste Periode bekommen hatte, war ich zwölf gewesen. Ich hatte mit Iris ein Glas Sekt getrunken und darauf angestoßen, dass ich jetzt eine Frau war“ (Blueprint: 85).

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ist, als deren spezifische Funktion. Auf die Kindheit und Jugend der Figuren nehmen diese Texte nur in seltenen Fällen Bezug, um gegenwärtige Entwicklungen im Lebenslauf der Figur zu kontextualisieren.212 Darüber hinaus deutet die Kapitelüberschrift „Das zweite Jahr null“ ein Ereignis im Lebenslauf an, das von vielen Texten als ‹Wiedergeburt› konzipiert wird. Das folgende Zitat thematisiert diesen empfindlichen Übergang und unterstreicht die kulturelle Prägung der Altersklassen: Julio fühlte sich nicht als Mann, noch nicht. [. . . ] Wenn es nach den gleichaltrigen Nachbarjungen ging, war man ein Mann, wenn man etwas mit einem Mädchen gehabt hatte. Nach dieser, ihn unwillkürlich abstoßenden Definition war Julio kein Mann, kein richtiger wenigstens. (Klonfarm II: 46)

Da keiner der Texte den Übergang von der Kinder- bzw. Jugendphase zur Erwachsenenphase explizit ausgestaltet, wird ein Bruch zwischen diesen angedeutet. Dieser manifestiert sich sowohl dadurch, dass viele Texte die erstgenannten Phasen gar nicht thematisieren, als auch dadurch, dass die Texte, die dies tun213 , den Bruch (genrebedingt) problematisieren. In anderen Texten kann ein solches Übergangsereignis auch Teil der Phase des Erwachsenenlebens sein und dort den Übergang von einem metaphorischen Lebenszustand zu einem anderen markieren (siehe Abschnitt 4.3.3.3). Die Lebensphase des Alters (ab ca. Ende 50 bzw. Anfang 60) wird in Zusammenhang mit den Hauptfiguren sehr selten dargestellt. Entwicklung scheint in dieser Altersklasse nicht mehr stattzufinden. Dass viele Figuren, darunter auch Protagonisten, vor Erreichen der Lebensphase des Alters sterben und auch die Umstände des Todes werten die Lebensphase zwischen 30 und 60 Jahren weiter auf, zumal dies andeutet, dass der frühe Tod dem Prozess des Alterns vorzuziehen sei. Das mag daran liegen, dass das Altern schon zum Prozess des Sterbens gezählt wird: Altern ist vor allem ein fortgesetztes Rendezvous mit dem eigenen Körper [. . . ]. Sich selbst zu kartographieren, ist gleichbedeutend mit Sterben. (Schilf : 164)

Da die Texte die Phase des Alter(n)s dergestalt marginalisieren, werden aufgrund der phasenspezifischen Entwicklungsprozesse die Phasen der Jugend und des Erwachsenenalters hervorgehoben. Die Abgrenzung dieser beiden Phasen von der Phase des Alters wird dadurch weiter betont, dass die alternden Eltern oftmals physisch oder psychisch-metaphorisch im Weg stehen bzw. Auslöser für Krisen sind.

212 Cusanus inszeniert auch eine Selbstbegegung der erwachsenen Protagonistin mit ihrem kindlichen Ich, die dazu dient, ihren Vater zu entidealisieren, die Lebensphase des Erwachsenseins mit der Phase der Kindheit zu kontrastieren bzw. die weitere Entwicklung zu katalysieren. 213 Blueprint, Klonfarm, Markenmenschen und im Ansatz auch Copy.

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Im Folgenden sollen die beiden Hauptlebensphasen von den Texten ausgehend weiter konkretisiert werden. Dabei geht es zunächst darum, phasenspezifische Aspekte herauszuarbeiten. Im Sinne eines anthropologischen Modells verallgemeinerbare Lebens(phasen)modelle werden in Abschnitt 4.3.3 rekonstruiert.

4.3.2.1 Jugend Für die Lebensphase der Jugend wurde bereits ein Entwicklungsmodell skizziert, welches hier nun erweitert werden kann: Auf Basis der Jugendtexte ließ sich ein Skript ‹Entwicklung› abstrahieren, das von einer Situation der ‹Fremdbestimmung› ausgeht. Für das jugendliche Subjekt besteht zu Beginn nur in sehr eingeschränktem Maße Entscheidungsfreiheit: Ziele, Lebensweise und Zukunft werden von einer Erziehungsinstanz vorgegeben. Dabei handelt es sich bei den vorgegebenen Werten um traditionelle bis konventionelle Wertesets, die ein hohes Maß an Konformität und ein geringes Maß an Selbstentfaltung bedingen. Eine Transformation wird dadurch ausgelöst, dass die Figuren mit ihrer Situation unzufrieden sind, Zweifel an sich selbst, ihrem Dasein oder ihrer Umwelt hegen und schließlich Wissen erlangen, das zu einem Aufklärungsprozess sowie der Emanzipation von den bestehenden Umständen führt. Diese mündet schließlich in eine Situation der Selbstbestimmung, d. h. der lokalen, informationellen und dezisionalen Autonomie (vgl. Rössler 2001: 103–109, 116–124). Die Phase der Jugend wird dadurch als Phase der Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von den Eltern konzipiert. Die Abgrenzung wird von den Texten derart zentral gesetzt, dass sie die politische Radikalisierung, die Erpressung eines Elternteils, den Tod oder die Verhaftung eines Elternteils oder die metaphorische Tötung einer erziehungsberechtigten Person beinhalten kann. Im Vordergrund steht also die Schaffung von Wahlmöglichkeiten, die Genese und Verfolgung eigener Ziele sowie die aktive Selbstpositionierung der Figuren. Es kommt darauf an, genug Wahlmöglichkeiten zu schaffen. (Sisyphos: 82) Sich selbst bestimmen zu können im Leben bedeutet das größte Glück. (ibid.: 91)

Die Texte Designerbaby, Duplik und Markenmenschen verbinden den Prozess der Emanzipation mit der Veränderung des Wertesets der Figuren: In Designerbaby wird die Ausrichtung an Werten wie Schönheit und Perfektion negativ semantisiert und diese schließlich relativiert und für das Leben des Individuums als entbehrlich gesetzt. Dies zeigt sich an der Protagonistin, die beginnt, gesellschaftliche Werte zu reflektieren, diese zu hinterfragen und nach Alternativen zu suchen: Das wäre doch stark, wenn plötzlich gar keiner mehr aussehen würde wie im Fernsehen. (ibid.: 188)

In Duplik muss sich das Subjekt mit als zentral gesetzten, ethisch-moralischen Werten wie Menschlichkeit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Würde und Toleranz auseinanderset-

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zen. Im Zuge der Entwicklung verinnerlicht Jonas diese Werte und beginnt, das textinterne Wertesystem abzulehnen. Auch in Markenmenschen wird ein solcher Prozess inszeniert, sodass das textinterne Werte- und Normensystem zugunsten eines vom Text vorgegebenen Werte- und Normensets zurückgewiesen wird. Die Protagonistin erkennt ihre Situation als fremdbestimmt, und dass sich diese durch aktive Selbstpositionierung und durch ein individuelles Werteset neutralisieren ließe: Auf einmal erschien es mir gar nicht mehr zwangsläufig, dass ich deshalb ein unglückliches Leben führen müsste. [. . . ] Konnte ich nicht lernen, gefühlsmäßig unabhängig zu werden von den Äußerlichkeiten, die den meisten Menschen die Welt bedeuten? Konnte meine Welt nicht eine andere sein? (ibid.: 52)

Die Texte sind damit in mehrfacher Weise präskriptiv: Sie inszenieren eine normative Narration der Individuation, die eine ‚richtige‘ Entwicklung vorschreibt.214 Darüber hinaus erfüllen sie eine didaktische Funktion, indem sie vorführen, welche Werte positiv zu bewerten sind. Die textinternen Normen- und Wertesysteme stellen dabei hyperbolische Modelle der textexternen Realität dar. Deren Werte (z. B. Fortschritt, Schönheit, Perfektion) werden in den Texten überspitzt und dienen als Kontrastfolie für die von den Texten stattdessen als ‚richtig‘ gesetzten Werte (z. B. Toleranz, Freiheit, Solidarität). Die Herauslösung der Person aus den fremdbestimmten Verhältnissen wird begleitet von der Ablehnung der Werte und Normen, die diese Umstände zu verursachen scheinen. Stattdessen ‚entdeckt‘ die Person durch ihre Entwicklung ein alternatives Wertesystem, das sie in der Folge nicht nur zu verinnerlichen, sondern in ihrem Handeln zu realisieren hat. Dieser Schritt wird als alternativenlos dargestellt: Seit Jonas sich entschieden hat mitzumachen, fühlt er sich seltsam leicht. Nachdem er das Skript von Anna Mirdal zu Ende gelesen hat, wusste er, dass es für ihn kein Zurück mehr gibt. (Duplik: 108)

Indem die Texte die wünschenswerte Entwicklung des Subjekts nachzeichnen, stellen sie 3. außerdem kein statistisch-normales Subjekt dar, sondern ein normativ wünschbares – den moralisch-politischen Menschen. Indem sie die textinternen Wertesysteme, die die textexterne Realität hyperbolisch-modellhaft repräsentieren, negativ semantisieren, formulieren sie schließlich 4. einen normativen Anspruch in Bezug auf die Gewichtung von Werten in dieser textexternen Wirklichkeit (Appellfunktion). Das nur scheinbar individuelle Wertekonzept, konzipiert die Person also nicht nur als individualisiert/emanzipiert, sondern auch als ethisch-moralisch reflektiert:

214 Dies konstatieren für den Klondiskurs im Allgemeinen auch Crew (2004: 208) und Jerng (2008: 371). Siehe dazu auch: Brandt, Christina (2008): Cloned Lives. Literarisches Experiment und biowissenschaftliche Narration im Klondiskurs der 1970er Jahre. In: Breger, Claudia et al. (Hg.): Engineering Life. Narrationen vom Menschen in Biomedizin, Kultur und Literatur. Berlin: Kadmos, S. 123– 143.

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Ich [. . . ] habe ein moralisches Wort geschaffen, das ich euch vor die Füße spucke: Sprecht besser nicht mehr vom Klonen oder von uns Klonen, sondern sprecht von Missbrut! (Blueprint: 103, Hervorhebung im Original)

An den Jugendlichen werden also Entwicklungen exemplarisch vorgeführt und durch sie Normen und Werte vermittelt, die durch die entsprechende Kultur insgesamt vertreten werden. Dies ist aber nicht nur für diese Altersklasse der Fall, wie sich an der Phase des Erwachsenenalters zeigen lässt.

4.3.2.2 Erwachsenenalter Die Phase des Erwachsenseins wird oberflächlich deutlich von der Jugend durch sexuelle Aktivität und vom Alter durch den Verlust von Gesundheit, Fruchtbarkeit und Virilität abgegrenzt, wie sich im Zitat an der Metapher der ablaufenden Zeit erkennen lässt: Aber die Uhr in ihrem Körper tickte unaufhörlich [. . . ]. Für sie war die Zeit schon fast abgelaufen. (Sexy Sons: 156)

Das Erwachsenenalter wird dennoch nicht statisch konzeptualisiert. Vielmehr werden Prozesse der Selbstfindung hier wiederholt und das eigene Leben als Gestaltungsaufgabe verstanden: Das Erwachsenenalter kann daher als Phase der Rekonfiguration bezeichnet werden. Diese bezieht sich auf äußere Umstände wie etwa Karriere, Erfolg und Macht sowie auf die Identität oder Psyche der Person und schließlich auch auf deren soziale Beziehungen. Insofern sehen die Texte für diese Phase ähnliche Lebens(phasen)modelle vor wie für die der Jugend. Gerade die Psyche der Person wird hier als von der Jugendphase beeinflusst dargestellt. Deshalb können unabgeschlossene Entwicklungs- bzw. Bewältigungsaufgaben beim erwachsenen Subjekt erneut von Bedeutung sein. Sie werden als zu Bewusstsein „zurück“ kommende, „eingepflanzt[e]“ Fremdkörper geschildert, womit zugleich deren ich-fremde Qualität, d. h. die Notwendigkeit der Ausgrenzung dieser Elemente betont wird: Unterschwellig warf er [. . . ] seiner Mutter vor, ihm ihr tiefes Misstrauen gegen jede Form von individueller Lebensgestaltung eingepflanzt zu haben [. . . ]. In späteren Jahren machte er etwas wie eine ererbte Doktrin des gestutzten Lebenswandels dafür verantwortlich, und je älter er wurde, um so mehr empfand er dies so. (Schrödinger: 118, meine Hervorhebungen) So vieles kam zurück, in rasender Geschwindigkeit. Erinnerungen manifestierten sich wie Schemen in einem Schneesturm und zogen ihn in die Vergangenheit. Er wollte nicht dorthin zurück. (Schwarm: 603, meine Hervorhebungen)

Die Lebensphase des Erwachsenenalters scheint demzufolge anfällig für Entfremdungserscheinungen, Brüche und Krisen, die sich der Einflussnahme des Individuums entziehen, die dieses aber gestalten muss, um nicht der metaphorischen, innerlichen Leere gegenüberzustehen. Insgesamt wird die oberflächliche Trennung

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der Altersklassen auf tiefenstruktureller Ebene also relativiert bzw. werden beide im Hinblick auf zu realisierende Normen und Werte sogar parallelisiert. Die lässt sich im Folgenden an altersklassenübergreifenden Lebens(phasen)modellen nachvollziehen.

4.3.3 Lebens(phasen)modelle

Kulturen nehmen in jeweils unterschiedlichem Ausmaß Modellierung der Lebenszeit und des Lebenslaufs vor, in denen sich kulturelle Basispostulate, Normen und Werte widerspiegeln, und die mit anderen kulturellen Kategorien (Zeit, Subjekt) korreliert sind (vgl. Titzmann 1996: 156). Auf Basis der analysierten Texte lassen sich solche Lebens(phasen)modelle rekonstruieren. Die Texte entwerfen im Wesentlichen zwei oppositionelle Zustände zur Modellierung des Lebenslaufs, den eines todesgleichen, metaphorischen ‹Nicht-Lebens› und einer metaphorischen ‹Wiedergeburt› zu neuem ‹Leben›. Während sich einerseits Ähnlichkeiten zu literarischen Lebensmodellen der Frühen Moderne nachweisen lassen, weichen die Texte von diesen andererseits in markanter Weise ab: Die für die Frühe Moderne so zentrale und mitunter auch normverletzende Sexualität wird in den analysierten Texten marginalisiert. Sofern ein überhaupt als solches zu bezeichnendes, emphatisches ‹Leben› realisiert wird, ist dies zumeist auf eine Liebesbeziehung ausgerichtet. Hierin drücken sich nicht eine Entwertung von Sexualität durch ihre biopolitische Vereinnahmung, sondern auch weitere Wandelsphänomene aus, die die Lebensmodelle nachhaltig beeinflussen. Während diese Parameter eines sich wandelnden Lebensbegriffs in Abschnitt 4.3.4 untersucht werden, rekonstruiert der vorliegende Abschnitt Varianten von emphatischem ‹Leben› und ‹Nicht-Leben› sowie den zwischen ihnen stehenden individuellen wie kollektiven ‹Krisen› und Transformationsprozesse.

4.3.3.1 ‹Nicht-Leben› Der Agent des australischen Geheimdienstes, Stan Lundquist, hat seine große Liebe durch einen Mord verloren. Hierauf reagiert er, indem er sich auf eine griechische Insel zurückzieht, wo er sich isoliert (Infekt: 50–51). Dort vegetiert er seitdem in einem Zustand des metaphorischen ‹Nicht-Lebens› – die „Flucht“ führt gerade nicht zur Lösung seiner Krise. Genauso verhält es sich mit der Journalistin Julie Carlton, die sich mit neunundzwanzig Jahren alt und unattraktiv fühlt, an ihrer Scheidung laboriert und sich daher ebenfalls isoliert: [D]ie Flucht aus der vertrauten Welt, die ihm so unerträglich verdorben und korrupt erschienen war, [. . . ] ließ sich nicht wieder rückgängig machen, obwohl sie sein Innerstes nicht hatte ändern können. Mitunter packte ihn das Verlangen nach der Großstadt, nach der Hektik, nach vielen

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Leuten und auch, das musste er sich eingestehen, nach seinem Geheimdienstjob. (ibid.: 51, meine Hervorhebungen) Und noch immer empfand sie die Trennung als herben Verlust. Seit Oktober schottete sie sich innerlich von ihrer Umwelt ab. (R− evolution: 38)

In einem äquivalenten Zustand verharren auch die Figuren in anderen Texten implizit oder explizit, wie eine Auswahl an Lebensumständen zeigen kann, die die Ausgangssituation der Narration bilden: 1. Domenica (Cusanus) lebt im zerstörten Rom, hat sich soeben von ihrem Partner getrennt und sucht einen neuen Job. Sie leidet noch immer darunter, dass ihr Vater bei einem Zugunglück ums Leben gekommen ist. 2. Beatrice (Götterdämmerung) hat ihr bisheriges Leben in einem abgeschotteten Laborkomplex verbracht und hatte keinen Kontakt zur Außenwelt. 3. Wenzel (Pilz) hat außer seiner Arbeit, die aktuell zu einer ökologischen Katastrophe mittleren Ausmaßes führt, kein Privatleben und ist in seinem Forschungslabor nur bedingt gut gelitten. Er lässt sich von seiner Mutter dominieren. 4. Samuel (Schatten) führt zwar noch eine Ehe, die aber nur des Scheins wegen aufrechterhalten wird. 5. Kommissar Schilf (Schilf ) kämpft mit seiner Vergangenheit und hat alle Mühe, sein Leben zusammenzuhalten. 6. Der Klon Didi (Sexy Sons) ist drogenabhängig, oftmals knapp bei Kasse, und die Musik scheint der einzige positiv besetze Gegenstand in seinem zerrütteten Leben zu sein. Sein Vater gibt sich zwar als Mann auf der Höhe seiner Virilität, ist jedoch innerlich von Schuldgefühlen seinem geklonten Sohn und seiner Frau gegenüber zerfressen und erhält darüber hinaus eine Krebsdiagnose. 7. Die Wissenschaftler Humboldt und Gauß (Vermessung) sind beruflich zwar sehr erfolgreich, führen aber kein nennenswertes Privatleben. Insbesondere Gauß äußert sich immer wieder unzufrieden. Die Liste ließe sich noch um weitere Fälle ergänzen. Die Figur Doris (Schrödinger) beschreibt ihren Zustand und damit den Zustand des metaphorischen ‹Nicht-Lebens› paradigmatisch wie folgt: Mit aller Muskelkraft des Oberkörpers weitete sie ihre Lungen, zwang Luft in sich hinein, fühlte sie einströmen [. . . ]. Doch irgendwo unterhalb ihres Brustbeins und oberhalb des Bauchnabels war eine Barriere für ihren Atem, die sie nicht durchdringen konnte, so sehr sie sich auch anstrengte. [. . . ] Sie fragte sich, ob es diese Barriere schon immer gegeben hatte? [. . . ] Mit allen Sinnen fühlte sie auf einmal diese Begrenztheit, diese Enge ihres Leibs [. . . ]. Vielleicht alterte man ja nicht im eigentlichen Sinne, sondern wuchtete innerlich zu, verschlackte und versandete [. . . ]. Und auf einmal hatte Do das Gefühl, dass sie [. . . ] gegen den Tod kämpfte. (ibid.: 146, meine Hervorhebungen)

Ihr ‹Nicht-Leben› wird von der Figur hier vor allem als physische Erfahrung wahrgenommen, die sich in Beengung, Zwang und nachlassender Vitalität äußert. Die Symptome sind darüber hinaus aber auch Indices für eine emotional-libidinöse Defizienz, die sich körperlich als „Barriere“ manifestiert: Doris wird vom Text nicht nur als neurotisch, sondern eben auch als emotional frustriert und sexuell blockiert beschrieben. Sie selbst empfindet dies als Vorstufe des Todes.

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Die verschiedenen Ausprägungen und Merkmale des ‹Nicht-Lebens› lassen sich noch detaillierter an räumlichen, zeitlichen und figuralen Aspekten215 aufzeigen.

a) Räumliche Aspekte Die Texte Designerbaby, Duplik und Klonfarm begrenzen die geklonten Menschen explizit auf spezielle, zu diesem Zweck geschaffene Räume. Aber auch in Blueprint und Copy werden die jugendlichen Protagonisten zeitweise auf das elterliche Wohnhaus begrenzt, welches als nicht-normal gesetzt (Blueprint: 74) oder eindeutig negativ semantisiert (Copy: 46, 65, 96) wird. Hierin drückt sich eine lokale Beschränkung der Figuren aus, die von diesen verständlicherweise als negativ empfunden wird. Ohne es zu wissen, wird auch die räumliche Privatsphäre der jugendlichen Protagonistin Simone in Markenmenschen verletzt, da ihr Bruder und Erziehungsberechtigter sie durch einen Voyeurspiegel216 beobachtet. Die Entdeckung der Beeinträchtigung der Privatsphäre führt im Text zu einer Krise bzw. der Bewusstwerdung über die faktisch defiziente Lebenssituation. Räumliche Aspekte von ‹Nicht-Leben› drücken sich auch in der wörtlichen oder metaphorischen Isolation von Figuren aus. Letzteres lässt sich paradigmatisch am Beispiel Zweiundvierzig nachvollziehen: Nachdem durch den Unfall am Schweizer CERN die Zeit in der dargestellten Welt stehengeblieben ist, bleiben nur die 70 „Chronifizierten“ bewegungs- und handlungsfähig, weil sie von einer „Chronosphäre“ umgeben sind. Dabei handelt es sich um Sphären in Gestalt von solitären Kugeln [. . . ], die sich [. . . ] überlagern, ganz abhängig davon, wie viele von uns zusammenfinden und sich der Intimität von Bus- oder besser noch Fahrstuhlpassagieren unterwerfen. (ibid.: 42)217

Die Chronifizierten sind durch den Unfall also von den Nicht-Chronifizierten getrennt, in ihrer Chronosphäre isoliert218 und nur dann gemeinschafts- und gesellschaftsfä215 Auf die Erzählperspektive bezogene Aspekte wurden bereits erläutert: So drückt sich der dissonanten Ich-Erzählerin in Blueprint eine psychische Spaltung sowie eine psychisch-emotionale Defizienz aus. Manche Texte (Schatten, Schrödinger, Venuspassage, Vermessung und Zweiundvierzig) tendieren außerdem zur Ereignislosigkeit bzw. einer restitutiven Ereignisstruktur, die einen Eindruck von Statik, Stillstand und Konservierung vermitteln. 216 Bei einem Voyeurspiegel oder auch Venezianischen Spiegel handelt es sich um einen Einwegspiegel, der es dank seiner nur auf einer Seite spiegelnden Beschaffenheit erlaubt, Personen auf der gegenüberliegenden Seite zu beobachten. Diese Funktion wird z. B. auch bei sogenannten Polizeispiegeln genutzt. 217 Bei den Chronosphären handelt es sich um ein Wissensobjekt im Sinne von Abschnitt 4.2.3.2, in dem transformierte physikalische (Raumzeit, Inertialsystem), philosophische (Monade, Vertragstheorie) und tendenziell auch biblische Wissensmengen (Induktion als kurrzeitige Beseelung) konvergieren. 218 „Panzerglas meiner Sphäre“ (Zweiundvierzig: 77), „VIPs (Very Isolated Persons)“ (85), „Schuppenpanzer“ (91).

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hig, wenn sie sich auf andere Chronifizierte einlassen. Die Beschreibung der Sphären als „Soziosphären“ und deren Charakterisierung deutet bereits eine soziale Metaphorik an. Die Bezugnahme auf Leibniz’ Monadologie219 ruft dessen Konzept der Monade auf und weist den Chronosphären weitere Eigenschaften zu: Auch gibt es kein Mittel zu erklären, wie eine Monade durch irgendein anderes Geschöpf in ihrem Innern aufgeregt oder verändert werden könnte [. . . ]. Die Monaden haben keine Fenster, durch die etwas hinein- oder heraustreten kann. (ibid.: § 7)

Die ‚Fensterlosigkeit‘ der Monaden bezieht sich darauf, dass sie nicht aufeinander einwirken können. Es wird also eine Semantik von Kapseln oder Kugel aufgebaut, in die von außen nichts eindringen kann, deren Inneres also isoliert ist (vgl. Busche 2009: 43, 53). Auch die weitere Charakterisierung durch den Text lässt die Chronosphären sowohl als Heterotopie, d. h. als abgegrenzten Nicht-Ort im Sinne Foucaults sowie auch als Chronotopos im Sinne Bachtins, also als Verschmelzung von Raum und Zeit zu einer individuellen Raumzeit, erscheinen. Hierdurch wird ihre Beund Abgrenzung nochmals deutlich hervorgehoben. Die Chronosphäre codiert folglich Hyperindividualisierung sowie emotionale und soziale Entkopplung. Als ‹NichtLeben› wird dieser Existenzmodus implizit durch die negative Semantisierung und explizit durch Adrians Bericht markiert, der deutlich macht, dass es sich um einen Zustand stark reduzierten ‹Lebens› handelt: Er bezeichnet sich und die anderen Chronifizierten mehrfach als „Zombies“ oder „Untote“ (Zweiundvierzig: 168, 197). In einigen Texten lässt sich hieran anknüpfend ein weiterer räumlicher Aspekt von ‹Nicht-Leben› identifizieren: Die Figuren verbringen viel Zeit auf Reisen, auf Schiffen, auf dem Meer, im Flugzeug, im Dschungel, auf instabilen Vulkaninseln, an temporär eingerichteten Orten, an veränderlichen oder durch sie veränderten Orten oder an gänzlich irrealen Orten wie das Schloss des Grafen in Vermessung. Diese Orte werden per se als volatil, im Wandel begriffen und undurchdringlich (Dschungel) konnotiert und lassen sich im Sinne Foucaults als Krisenheterotopien beschreiben: Diese sind Individuen in einem bestimmten Krisenzustand vorbehalten und markieren dadurch den defizienten bzw. in Veränderung befindlichen Zustand der Figuren. Gerade am Beispiel von Reisen und Aufenthalten auf Schiffen wird deutlich, dass es sich um Nicht-Orte handelt, die die Heimat-, Orientierungs-, Identitäts- oder Rastlosigkeit der Figuren und damit ihre Defizienz leitmotivisch codiert.220 Weitere räumliche und raumbezogene Aspekte umfassen: die Ausweitung der Defizienz der Figur auf den Raum selbst, der ebenfalls defizient ist, weil er zerstört, be-

219 Der Text zitiert § 57 der Monadologie im französischen Original, welcher sich auf deren Multiperspektivität und perspektivische Multiplikation bezieht und damit räumliche Qualitäten der Chronosphären konkretisiert (vgl. Zweiundvierzig: 150, 168). 220 Ähnlich – wenn auch mit abweichender Lösung – in Cusanus, Götterdämmerung und Sisyphos. In letzterem Text kann die Figur in keinem der von ihr betretenen Räume langfristig aufgehen und wird in den Ausgangsraum zurückverwiesen.

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schädigt oder destabilisiert wurde, die starke räumliche Begrenzung auf wenige Räume und damit metaphorische Immobilisierung der Figur und schließlich die negative Semantisierung (Sterilität, Kälte) des primären Lebensraums der Figur.

b) Zeitliche Aspekte Aspekte metaphorischen ‹Nicht-Lebens› lassen sich in geringerem Umfang auch an den jeweils spezifischen zeitlichen Strukturen der Texte aufzeigen. Die Bewegung der Figuren von Cusanus durch die Raumzeit isolieren diese zunehmend und entfremden sie von anderen Figuren sowie der eigenen (Herkunfts-)Raumzeit: Wenn sie dann zurückkehren, tauchen sie in eine ihnen fremd gewordene Welt ein, in der alles was sie eben noch kannten oder sogar liebten, sich verändert hat oder gar vergangen ist. Sie führen ein buchstäblich zerrissenes Leben. Ihre Biographie ist von Klüften und Abgründen durchzogen. (ibid.: 477, meine Hervorhebungen)

Dieser Prozess wird von der Protagonistin als Defizienz erfahren, wie sich in der negativen Konnotation der hervorgehobenen Lexeme andeutet. In Zweiundvierzig steht die Zeit gänzlich still, und das Experiment zur Wiedereingliederung in bekannte Zeitabläufe führt dazu, dass der Protagonist schließlich die einzige chronifizierte Person der dargestellten Welt ist. Die wörtliche Ereignislosigkeit und der wörtliche Zeitstillstand dürfen im übertragenen Sinne als Defizienz verstanden werden. Diese codiert der Text zusätzlich im Vergleich der dargestellten Welt mit Dornröschens Schloss oder Schneewittchens Sarg. Ziel des Vergleiches ist im Text explizit der Zeitstillstand und der todesähnliche, nicht-lebendige Zustand der Frauengestalten. In beiden intertextuellen Anspielungen lässt sich aber auch eine Defizienz in sexueller Hinsicht (Jungfräulichkeit) konkretisieren, an der der Text partizipiert. Schließlich verweist der Text durch ein visuelles Zitat explizit auf den 2. Hauptsatz der Thermodynamik, der nach populärer kultureller – wenn auch nicht ganz korrekter – Lesart das Ende allen Lebens in der Entropie vorhersagt.

c) Figurale Aspekte Von großer Bedeutung für die Bewertung von Zuständen als ‹Nicht-Leben› sind die Figuren selbst. Wie bereits mehrfach beschrieben, sind die jugendlichen Figuren in lokaler, informationeller und dezisionaler Hinsicht eingeschränkt, was als metaphorisches ‹Nicht-Leben› interpretiert werden kann. Als defizient wird deren Situation v.a. ab dem Zeitpunkt semantisiert, zu dem sie mit dem in der dargestellten Welt vorherrschenden Normen- und Wertesystem in Konflikt geraten. Aber auch in anderen Texten steht z. B. die ausgebliebene Vergangenheitsbewältigung der Figuren einem emphatischen ‹Leben› zunächst im Weg. Das gilt insbesondere auch für Schrödinger, wo die Ehe von Oliver und Doris stark von nicht bewältigten Konflikten mit ihren Eltern überlagert wird. Erst das Wissen um ihre jeweiligen psychischen Dispositionen

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macht eine Verarbeitung und Rekonfiguration von Anteilen ihrer Psyche möglich und stellt eine Überwindung des ‹Nicht-Lebens› in Aussicht. Die Identitätssuche, die für die jugendlichen Figuren beschrieben wurde, ist indes nicht auf diese beschränkt, wie sich an Sexy Sons und Schwarm zeigen lässt: Didi ist der Klon seines Vaters und soll dessen ungenutztes Potenzial realisieren. In die Pubertät gekommen, widersetzt sich Didi seinem Vater und wächst zu dessen Doppelgänger heran (Sexy Sons: 345–346). Dies führt zu Identitätsproblemen bei beiden Figuren: Der Vater sieht seine Männlichkeit beim Anblick des aufblühenden Sohnes gefährdet. Der Sohn, der allmählich begreift, dass er ein Klon ist, gerät ebenfalls in eine Identitätskrise, da er sein Leben als Lüge empfindet (363–364). Ab diesem Tag entwickelt er eine autodestruktive Tendenz und hat auch als Erwachsener noch Identitätsprobleme (110) und fristet sein Dasein in einem metaphorischen ‹Nicht-Leben›, was gleichermaßen räumlich, psychisch und metaphorisch gefasst wird: Nach Hause wollte er nicht. Er hielt es nicht aus, diesen Scherbenhaufen, der von seinen Träumen übriggeblieben war. [. . . ] Es wurde immer schlimmer mit ihm. Manchmal bekam er Angst. Er verlor den Boden unter den Füßen. (ibid.: 257)

Auf der Ebene von Figurenkonstellationen manifestiert sich ‹Nicht-Leben› außerdem in Form von selbstgewähltem Rückzug, Vereinzelung bzw. Isolation, Ausgrenzung, Diskriminierung und Entfremdung. An der Figur Leon Anawak lassen sich figurale Aspekte von ‹Nicht-Leben› exemplarisch nachvollziehen: Anawak ist Meeresbiologe bzw. Walforscher und indianischer Abstammung. Als sein Vater zum Alkoholiker wird, verlässt Anawak seine Heimat und verleugnet diese seitdem: »Ich bin kein Indianer«, murmelte Anawak. (Schwarm: 85)

Der nicht beigelegte Konflikt mit dem Vater und die nicht abgeschlossene Vergangenheit verfolgen Anawak und machen ihn räumlich wie psychisch heimatlos: Es sind die Orte, die dich loswerden wollen. Sie scheinen dich abzustoßen, dir zu sagen, dass du da nicht hingehörst. Aber keiner erklärt dir, wo du hingehörst, und du rennst und rennst. . . (ibid.: 594, Hervorhebung im Original)

Anawak wird durch die Figur von Jack O’Bannon kontrastiert, dessen Vater irischer, die Mutter jedoch zur Hälfte indianischer Herkunft ist. Anders als Anawak identifiziert er sich jedoch vollkommen mit seinem indianischen Anteil und nennt sich daher Greywolf. Zwar lebt auch Greywolf ein unstetes, richtungsloses, wenig lebenswertes und ähnlich zerrissenes Leben (318, 343–344, 556–557), ist sich dessen jedoch bewusst. In einer der zahlreichen Konfrontationen mit Anawak wirft er diesem schließlich vor: Leon, ich führe vielleicht ein lächerliches Leben, aber du. . . du bist doch schon tot. (ibid.: 355)

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Das Merkmal „tot“ wird hier metaphorisch auf Anawaks Leben bezogen und charakterisiert es als statisch, kalt und todesgleiches ‹Nicht-Leben›. Andere Texte codieren den Zustand des ‹Nicht-Lebens› ebenfalls in der Metapher des Todes: [A]uf einmal hatte Do das Gefühl, dass sie [. . . ] gegen den Tod kämpfte. (Schrödinger: 146) Le Gentil war nicht besonders lebendig gewesen. [. . . ] Er war wirklich kein Mensch mehr, nur noch ein kreischendes Stück rohes Fleisch. (Venuspassage: 258)

Weitere Metaphern zur Beschreibung dieses defizienten Zustands umfassen:221 Leere oder Lücke222, Fragmentierung223 , Orientierungslosigkeit224 , Krankheit225 und (Zeit-) Stillstand.226 Vor allem die Metapher der Leere erfasst zeichenhaft eine emotionale, psychische oder psychosomatische, seelische, personelle, teleologische oder gänzlich abstrakte Position im Leben der Figuren, die nicht besetzt ist, was als Defizienz empfunden wird. Die Leere verweist damit vor allem auf ein Inneres der Person, welches zu besetzen wäre, gegenwärtig aber vakant ist. Der Zustand des Nicht-Lebens kann zusammenfassend also als Mangelerfahrung oder Verlustsituation beschrieben werden, die gleichermaßen physischer wie psychischer und emotionaler Natur ist: Psychische Defizite und Erfahrungen innerlichemotionaler Leere korrelieren oftmals mit der konkret-räumlichen Situation der Figuren und finden in dieser ihre sichtbare Entsprechung. Die psychische Blockade oder Entfremdung wird räumlich u. a. durch die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit, die Verletzung der Privatsphäre oder durch Isolation repräsentiert. Weiterhin spiegelt sich der todesgleiche Zustand auch in der individuellen Zeitwahrnehmung wider, die die Zeitstruktur der Texte an der thermodynamisch inspirierten Metapher der Kälte und Entropie ausrichtet. Verdichtet finden sich diese Konfigurationen in Krisenheterotopien, die gleichzeitig Ausdruck der Suche nach einem anderen physischen, psychischen, emotionalen oder sozialen Dasein sind. Hierin manifestiert sich die ‹Krise›.

221 Auf die Bedeutung und Funktionalisierung der jeweiligen Metapher wird im Folgenden textspezifisch eingegangen. 222 Cusanus (660), Götterdämmerung (304), Markenmenschen (128), R− evolution (47–48), Schilf (256), Schrödinger (135), Schwarm (613), Sexy Sons (55, 132), Sisyphos (128), Venuspassage (93, 185, 306), Zweiundvierzig (12, 59). 223 Cusanus (Versionen der Figuren in unterschiedlichen Raumzeiten), Schilf (19, 199), Schwarm (318), Zweiundvierzig (189–192, 336). 224 Schwarm (594, 613). 225 Duplik („Fraß“), Infekt (Kapitelüberschriften „Viren“, „Diagnose“, „Therapie“ korrelieren mit Entwicklung der Figur Stan), Sexy Sons (Leukämie als körperliche Entsprechung eines zerfressenden Schuldgefühls). 226 Dargestellte Welt in Zweiundvierzig.

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4.3.3.2 Individuelle und kollektive ‹Krise› Anders als in der Anthropologie der Frühen Moderne, in der sich die ‹Krise› als „ein Ereignis oder eine Serie von Ereignissen“ (Wünsch 1989: 170) manifestiert, scheint diese in den analysierten Texten zwar kein permanenter Zustand zu sein, wohl aber eine Phase von längerer zeitlicher Dauer.227 Wenn dies für die Jugendromane als Ausdruck der Adoleszenz plausibel erscheint, so lassen sich mittel- oder längerfristige Krisen auch in den anderen Texten ausmachen. Und dann war da wieder dieser Kokon, der ihn seit seiner Jugend umfing, der ihn vom Leben da draußen trennte. (Venuspassage: 185, meine Hervorhebungen)

Der Zustand des ‹Nicht-Lebens› geht dabei oftmals auf ein vergangenes Ereignis zurück und ist den Subjekten latent bewusst. Es bedarf also weniger eines konkreten auslösenden Ereignisses wie z. B. eines Normenkonflikts als vielmehr eines Bewusstwerdungsprozesses, der den Ausgangszustand nunmehr aufgrund von Unzufriedenheit, Selbstzweifel, Unsicherheit oder Ziellosigkeit (erstes Zitat) konkret als ‹NichtLeben› erfassbar macht: Er wusste nicht, wohin er hätte laufen sollen. Keine Richtung war für ihn bestimmt. (Schwarm: 613) Zum ersten Mal dämmerte ihm, was er nicht nur seiner Frau, sondern vor allem seinem Sohn angetan hatte. (Sexy Sons: 346)

Das zweite Zitat bezieht sich auf die schon vor Jahren gestorbene Frau und den seit ebenso langer Zeit verstoßenen Sohn. Das Plusquamperfekt verdeutlicht die zeitliche Distanz zwischen den damaligen Ereignissen und dem Zeitpunkt der Reflexion. Die Metapher des Heraufdämmerns signalisiert, dass es sich um einen Prozess des Bewusstwerdens handelt, der zwar noch nicht allzu lange zurückliegt, aber im gegenwärtigen Moment „zum ersten Mal“ rational greifbar geworden ist. In diesem Punkt spitzt sich die latente Krise als eigentliche ‹Krise› zu und gibt den Blick auf den defizienten Zustand der Person in Form einer Metapher der Leere frei: Anawak blickte in ein schwarzes Loch. (Schwarm: 613)

Oftmals wird der Zustand des ‹Nicht-Lebens› den Figuren wiederholt vor Augen geführt. D. h., ab dem Bewusstwerden des Zustands folgen mitunter weitere punktuelle Krisen, die den Zustand quasi leitmotivisch vergegenwärtigen. Dies ist ebenso nicht nur in den Jugendromanen der Fall, sondern auch in den anderen Texten, wie sich

227 Eine punktuelle ‹Krise› kann in den analysierten Texten auch der Fall sein: „Als Du starbst, hast du mich fallen gelassen. Jetzt bin ich ein Scherbenhaufen“ (Blueprint: 30). Sie liegen dann aber schon vor dem Beginn der Narration („Dann kam der Bruch“, Schilf : 154) oder stellen nur ein weiteres konkretes Krisenereignis dar.

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prototypisch an Venuspassage zeigen lässt: Le Gentils bisheriges Leben erscheint diesem bereits zu Beginn der Narration als ein einziges Warten. Von seiner Forschungsreise erhofft er sich daher ein „richtiges Leben“ (8). Die Reise verläuft nun aber nicht so wie geplant, und seine Forschungstätigkeit erscheint Außenstehenden nicht erfüllend (64). Dass er die erste Venuspassage verpasst, stürzt ihn in eine kurzfristige ‹Krise›, die er jedoch überwindet, indem er sich entschließt, die nächste Passage abzuwarten (79). ‹Leben› im emphatischen Sinne realisiert die Figur dadurch aber nicht: Kurz sah er sich um und zog sich dann schnell aus. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte sein nackter Körper die frische Luft. [. . . ] Für einen kurzen Moment spürte er eine seltsame Lust, sich so bloß zu präsentieren, aber dann siegte die natürliche Scham. (ibid.: 139–140, meine Hervorhebungen)

Wenn der Text auf „die natürliche Scham“ verweist, so ist damit das kulturelle Werteund Normensystem angesprochen, welches sich Le Gentil angeeignet hat. Nicht also die Natur, sondern seine Erziehung hindert ihn daran, sich seiner Körperlichkeit hinzugegeben und dies als Befreiung und ‹Leben› zu empfinden. Nach diesem kurzen Aufscheinen von Zufriedenheit muss Le Gentil feststellen: „das war nicht wirklich seine Welt“ (145). Die Zweifel am gegenwärtigen Lebensweg legen nun endlich eine Initialkrise frei, nämlich den Verlust seiner großen Jugendliebe, seit dem sein Leben insgesamt als metaphorisches ‹Nicht-Leben› erscheint. Die Reise dient ihm unterschwellig als Flucht vor diesem Leben und der Erinnerung an diese Ur-Krise (185). Nachdem er erneut einen gewissen Grad der Zufriedenheit erlangt hat (228), stürzt er durch ein äußeres Ereignis in eine lebensbedrohliche Krise (258), von der er sich erholt (268), nur um dann endgültig zu scheitern, was seine wissenschaftlichen Pläne anbelangt. Das Verfehlen seines Ziels empfindet Le Gentil als metaphorischen Tod und als Fragmentierung: Die Wolke blieb während des ganzen Venustransits am Himmel. Um die Mittagszeit verdunstete sie. [. . . ] Die Venus war verschwunden. Das war das Ende von Guillaumes Leben. (ibid.: 300, meine Hervorhebungen) Zermürbt vor Enttäuschung war es, als ob sein Körper dem Anrennen der Welt nicht mehr standhalten konnte, wie ein morsches Geländer heftigen Stürmen. Ungeschützt zerbröselte sein Inneres. (ibid.: 306, meine Hervorhebung)

Nachdem er sich nunmehr „auf der falschen Seite der Welt“ fühlt (317–318), kehrt er zurück nach Frankreich. In einem einzigen Satz erfahren wir, dass er geheiratet habe und in seinen Geburtsort zurückgekehrt sei. Der letzte Satz des Textes lautet: Seine Tochter war sein ganzes Glück. (ibid.: 332)

Hieraus gehen nun mehrere Dinge hervor, die sich hypothesenartig formulieren lassen: 1. Krisen können als Zustände von mittelfristiger Dauer oder als punktuelle Ereignisse auftreten. 2. Der metaphorische Zustand des ‹Nicht-Lebens› wird dem Sub-

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jekt mehrfach vor Augen geführt.228 3. Dies kann Ausdruck dafür sein, dass das Subjekt einen falschen Weg zu einem vermeintlichen Ziel verfolgt.229 Während dies für Venuspassage und auch einige andere Texte zuzutreffen scheint, so gilt das nicht für alle Texte: In einer Reihe von Texten wird entweder kein konkretes Ziel gesetzt oder aber nicht mehr vor Ende der Narration erreicht. Während sich in letzterem Umstand andeutet, dass ‹Leben› als Entwicklungsaufgabe zu fassen ist, scheint Ersteres darauf hinzudeuten, dass die latente ‹Krise› selbst und die mit ihr verbundene Verunsicherung wesentlicher Teil des Lebenslaufs ist. Dafür spricht auch, dass die Krise nicht nur vom Subjekt selbst konstatiert, sondern oftmals auch von dessen Umfeld bemerkt und als Einschnitt bewertet230 bzw. sogar psychologisch diagnostiziert (Blueprint: 138) wird. 4. Die Realisierung von ‹Leben› erfordert es im soeben erläuterten Sinne, falsche Wege bzw. Werthaltungen und vermeintliche Ziele aufzugeben. Dabei kann es sich um einen bewussten Akt der Entwicklung handeln, aber auch – wie das Beispiel Venuspassage zeigt – um ein passives Aufgeben bzw. Sichfügen. 5. In einigen Texten ist es erforderlich, dass zusätzlich zu den punktuell auftretenden Krisen eine vergangene, konstitutive ‹Krise› erneut ins Bewusstsein tritt, konstruktiv und damit sujetrelevant verarbeitet oder schlicht ad acta gelegt wird. Eine solch pauschale Lösung wird nur in den Texten Furor, Infekt, R− evolution und Venuspassage erreicht, die auch mit einer plakativen Tilgung sämtlicher negativ semantisierter Räume einhergeht.231 Cusanus ist der einzige Text im Analysekorpus, der eine fantastische Lösung anbietet.232 6. Dass viele Texte die Lösung der Krise und den Ausbruch aus dem ‹Nicht-Leben› aus der Narration auslagern oder auch gar nicht erst in Sicht stellen, lässt Krisensituationen noch dominanter und das metaphorische ‹Nicht-Leben› noch stärker als ein Aufschieben und Warten erscheinen: „Das Leben besteht aus Warten“ (Schilf : 106). In etwa der Hälfte der analysierten Texte werden neben individuellen Krisen auch kollektive Krisen beschrieben. Darunter firmieren: die bevorstehende Vernichtung der Menschheit, die Gefahr eines andauernden Zeitstillstands, die Gefahr einer nachhaltigen bzw. weiterbestehenden Beeinträchtigung des Ökosystems, die Gefahr einer weitreichenden Infektion und die Gefahr einer nachhaltigen Transformation der Gesellschaft durch wissenschaftlich-technische Eingriffe. In diesen Texten lässt sich ein

228 Dies ist auch in Blueprint, Copy, Cusanus, Götterdämmerung, Markenmenschen, Sisyphos, Schrödinger, Schwarm und Sexy Sons der Fall. 229 „Irgendetwas war schief gelaufen. Das war unmöglich sein Leben“ (Schwarm: 616). Zur Begrifflichkeit dieser Weg-Ziel-Struktur siehe Wünsch (1989). 230 Copy (164), Schilf (200, 256), Schrödinger (253), Schwarm (318, 355, 622, 676). 231 Klonfarm verfährt ebenso, entzieht sich jedoch einer Lösung auf der Ebene der Figuren, da alle in die Narration involvierten Figuren in einem Gemetzel umkommen bzw. sich währenddessen selbst richten. So auch Didi in Sexy Sons. 232 So auch folgender Text, der nicht Teil des Analysekorpus war: Jermann, C. W. (1998): Die geklonte Frau. Frankfurt am Main: Fouqué.

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Zusammenhang zwischen individueller und kollektiver ‹Krise› herstellen, der hier genutzt werden soll, um das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft in den Texten – zugegeben auf recht abstrakter Ebene – zu rekonstruieren: 1. Die Lösung der individuellen Krise ist Voraussetzung für und trägt zur Lösung der kollektiven Krise bei (Schwarm). Auf diese Weise wird die Lösung der kollektiven Krise auf der Ebene des Individuums angestrebt. Z. B. findet die Bewusstwerdung ökologischer Zusammenhänge nicht gesamtgesellschaftlich, sondern primär bei der Figur Anawak statt. Damit wird zwar einerseits die Position und Bedeutung des Individuums für die Gesellschaft und deren ökologische Bewusstwerdung gestärkt, andererseits jedoch die Ebene der Gesellschaft als emergente Entität, die größer als die Summe ihrer Teile ist, relativiert. 2. Die Lösung der kollektiven Krise beinhaltet oder ersetzt die Lösung der individuellen Krise (Furor, Infekt, R− evolution). In dieser Form fungiert die primär logistische Bewältigung der Gefahr einer kollektiven Krise als Deus ex Machina für die individuelle Krise. Diese muss nicht durch einen Selbstfindungs- und Verarbeitungsprozess bewältigt werden, sondern verschwindet mit der erfolgreichen Lösung eines ‚Falls‘ gleich mit. Die Krise des Individuums verliert damit tendenziell an Bedeutung und erscheint nicht mehr als existenzielle Krise im eigentlichen Sinne, sondern als Lappalie. Entsprechend sind die Figuren in den drei Texten eher oberflächlich angelegt. 3. Individuelle und kollektive Krise bleiben ungelöst (Zweiundvierzig). Dass die Zeit im Text für immer stillzustehen scheint und der Protagonist schließlich der einzige Chronifizierte ist, führt zu einer maximalen Vereinzelung und Isolation. Eine Gesellschaft existiert nicht mehr. Das Individuum erreicht damit seine maximale Autonomie, die in der absoluten Verwiesenheit auf sich selbst gleichzeitig dessen schwerste Krise darstellt. Der Text bringt damit die Folgen der Auflösung des Sozialen durch Hyperindividualisierung zur Anschauung. 4. Die Lösung der kollektiven Krise wird zugunsten der individuellen Krise ausgeblendet (Sisyphos). Vor dem Hintergrund existentialistischer Philosophie sucht der Protagonist „im Sinnlosen nach einer Nische für die Realisierung seiner Vorstellung eines gelungenen Selbstentwurfs“ (Pieper 2007: 19). Da die Ebene der Gesellschaft im Text entwertet wird, ist das Individuum auf sich verwiesen und einer abstrakten und damit fremden bzw. entfremdeten Gesellschaft nicht mehr verpflichtet. Zwar kann die Figur anscheinend privates Glück und soziale Integration in der Kleingruppe anstreben, die Ebene der Gesellschaft wird dadurch aber relativiert. 5. Die individuelle Krise wird in eine kollektive Krise überführt. Indem der Geschlechtsverkehr von Neil und Beatrice zum Auslöser der Epidemie (Götterdämmerung), Wenzels Neurosen (Pilz) sowie der unbewältigte Vater-Sohn-Konflikt (Sexy Sons) zur Ursache für eine ökologische Katastrophe werden, werden individuelle Krisen in kollektive überführt. Die Texte interpretieren kollektive Krisenzustände damit als eskalierte individuelle Krisen. Damit werden gesellschaftliche

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Missstände zwar einerseits sinnvoll an individuelles Handeln rückgebunden, andererseits wird das Individuum so aber zum ‚Sündenbock‘ kollektiver Krisen. Es ließe sich die Vermutung äußern, dass die Texte auf diese Weise undurchsichtige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge bzw. mangelnde Zurechenbarkeit von Missständen in der funktional differenzierten Gesellschaft kompensieren: Irgendjemand muss Verantwortung tragen und schuldig sein. Die individuelle Krise wird zugunsten der Verhinderung einer kollektiven Krise negiert bzw. getilgt. Hierin liegt gewissermaßen der nächste denklogische Schritt: Damit es nicht zu einer durch das defiziente Subjekt verursachten, kollektiven Krise kommen kann, wird das defiziente, normverletzende Subjekt getilgt. In Klonfarm werden am Ende des zweiten Bandes sämtliche in den Klonvorgang verwickelten Figuren getötet. Diese richten sich teils sogar selbst. Nicht die Auseinandersetzung mit der persönlichen Schuld steht hier im Vordergrund, sondern die Statuierung eines Exempels gegen zukünftige Normverletzungen. Das Individuum wird der Gesellschaft untergeordnet und der Text stellt damit eine einzelne, extreme Gegenreaktion auf die Modelle in den anderen Texten dar. Die individuelle Krise wird auf fantastische Weise gelöst, wodurch die reale individuelle und kollektive Krise ungelöst bleiben (Cusanus). Dadurch, dass die Figur Domenica der realen Welt enthoben und zur quasi freischwebenden Existenz wird, wird die Aufarbeitung sozialer Beziehungen obsolet und deren Krisenpotenzial neutralisiert. Die im Text beschriebe Gefährdung des Fortbestands der europäischen und vor allem deutschen Gesellschaft wird als in der weiten Ferne liegender Sachverhalt ausgeblendet und bleibt damit ebenfalls ungelöst. Was sich auf der Ebene des Discours des Textes als Tendenz zur Achronie darstellt, erscheint auf der Ebene der Histoire als Tendenz zur Relativierung von Individuum und Gesellschaft gleichermaßen.

Resümierend bleibt festzuhalten, dass die Texte in der Bewertung und Funktionalisierung der Krisen stark divergieren: Nur einer der Texte scheint die Krise als konstruktives Mittel der Entwicklung zu begreifen (Schwarm) und auch nur ein Text suggeriert einen dauerhaften Krisenzustand (Zweiundvierzig). Die anderen Texte scheinen die Krise bzw. ihre Funktion eher zu relativieren oder aber mitunter radikal zu individualisieren. Während erstere Haltung einen Eskapismus darstellt, so deutet sich in der zweiten eine latente Entsolidarisierung bzw. eine Entkopplung von Individuum und Gesellschaft an.

4.3.3.3 Transformation und ‹Wiedergeburt› Krisen dienen in den Texten dazu, den Figuren die defiziente Situation metaphorischen ‹Nicht-Lebens› bewusst zu machen. Sie motivieren sodann die weitere Entwicklung der Figur, die erforderlich ist, um falsche Wege, Werthaltungen und vermeintli-

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che Ziele aufzugeben und mittels einer Transformation oder ‹Wiedergeburt› emphatischen ‹Leben› zu realisieren. Irgendwas ist nicht mehr richtig. Seit ich in der Stadt war. [. . . ] Nein, eigentlich seit Konrad weg ist. Oder hat das alles sogar schon vorher angefangen? (Designerbaby: 73)

Wie sich am obigen Zitat zeigt, wirft die Krise in den Jugendromanen Zweifel an der eigenen Lebenssituation auf und lässt die Figuren diese nunmehr als fremdbestimmt empfinden. So werden in den Texten zunächst Aufklärungsprozesse angestoßen, die es den Figuren ermöglichen, sich von ihren Eltern zu emanzipieren, damit symbolisch von der Fremdbestimmung zu befreien und schließlich eigene Entscheidungen zu treffen und eigene Ziele zu entwickeln und zu verfolgen: Ich würde jetzt gern aufhören, mir von anderen sagen zu lassen, was ich kann und was nicht, und anfangen, es selber herauszufinden. (Copy: 221)

Der Prozess der Emanzipation wird in den Texten insofern als dialektischer Prozess gedacht, als nicht nur die äußerliche Fremdbestimmung beseitigt werden muss, sondern diese auch mit psychischen Entwicklungsprozessen korreliert ist. Diese dienen dazu, eine eigene Identität bzw. eine realistisches Selbstbild zu entwickeln, wozu ein Bewusstwerden erforderlich ist: Damals begann ich, mir/dir/uns bewusst zu werden. (Blueprint: 70)233

Der Entwicklungsprozess ermöglicht es den Figuren überhaupt erst, ihre dezisionale Autonomie zu nutzen. Während dieser Prozess in Blueprint pauschal auf die Adoleszenz bezogen und als „eine Art Pflichtprogramm“ deklariert wird (127), führen Duplik und Markenmenschen Stufen der moralischen Entwicklung vor. Im Zuge dieses Prozesses streifen die Figuren falsche Normen ab, integrieren neue, ‚richtige‘ Normen und richten ihr Handeln an diesen aus: Auf einmal erschien es mir gar nicht mehr zwangsläufig, dass ich deshalb ein unglückliches Leben führen müsste. [. . . ] Konnte ich nicht lernen, gefühlsmäßig unabhängig zu werden von den Äußerlichkeiten, die den meisten Menschen die Welt bedeuten? Konnte meine Welt nicht eine andere sein? (Markenmenschen: 52)

Die moralische Entwicklung wird in diesen Texten also vor allem dadurch begünstigt, dass die als falsch erkannten Normen der dargestellten Welt nun auch als Ursache der defizienten eigenen Situation erkannt werden.

233 Blueprint codiert die entsprechenden entwicklungspsychologischen Zusammenhänge im Leitmotiv des Spiegels: Während Iris’ und Siris gemeinsamer Blick in den Spiegel in Siris Kindheit deren enge Verbindung bekräftigen soll (49–50), löst der Blick in den Spiegel bei Siri zunehmend Verunsicherung aus, da sie ihrer Mutter – dem Original – immer ähnlicher sieht (86). Der Spiegel kann für Siris vor ihrer Emanzipation und Iris’ Tod also gerade nicht der Selbstversicherung (vgl. Konersmann 1991: 32–41) dienen. Statt ihrer selbst und ihres Selbst erkennt sie nur Iris.

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Die Krise löst in den analysierten Texten mitunter auch eine Phase der psychischen Rekonfiguration aus, die in Selbstfindung, Selbsterkenntnis oder Selbstverwirklichung mündet:234 Was auf den Bruch folgte, verlangte nach einer neuen Person. Aus den Resten seiner Existenz wählte Schilf die funktionierenden Bestandteile. [. . . ] Irgendwann begriff er, dass es ums Weitermachen ging. (Schilf : 154, meine Hervorhebungen)

Sowohl die mechanistische Baukastenmetapher als auch die Durchhalteparole unterstreichen einerseits erneut den funktionalen Zusammenhang der Transformation und des Ausbruchs aus der Situation des ‹Nicht-Lebens›: Ein Ausbruch ist überhaupt nur vor dem Hintergrund der Transformation möglich. Andererseits deutet sich hier erneut an, dass ‹Leben› nicht notwendigerweise eine emphatisch gesteigerte Lebensweise bedeutet, sondern zunächst Überleben.235 Wie auch in den Jugendromanen dient die psychische Transformation dazu, neue Ziele zu generieren und Entscheidungen zu treffen: Er musste sich entscheiden. (Venuspassage: 79) Es ginge um eine Entscheidung, die sie selbst treffen müsse. (Götterdämmerung: 476) Ein Mann [. . . ] sagte, entscheide dich, gelingen oder nicht, das ist ein Entschluss, man muss dann nur durchhalten, oder? (Vermessung: 25)

Verknüpft mit dem Entwicklungsprozess und der psychischen Transformation findet sich in einer nicht geringen Zahl der Texte die Rede von der ‹Wiedergeburt›.236 Von den insgesamt zwölf dokumentierten Beispielen stammen drei aus Jugendromanen, weitere acht ließen sich in den anderen Texten auffinden.237 Nachdem die geklonte Siri ihre Mutter sozusagen auf deren Terrain überbieten wollte und an einem Solokonzert scheitert, beschließt sie nicht nur, das Klavierspiel aufzugeben, sondern wendet sich auch gegen die Mutter und zieht aus. Die Entscheidung und der Akt des Auszugs werden sogleich in vor einem mythologischen Hintergrund gedeutet und Siri kommentiert:

234 Am auffälligsten ist dieser Prozess in Schrödinger realisiert. 235 Ähnlich auch in Schwarm, wo der Prozess der Selbstfindung vor allem das Aufarbeiten der Vergangenheit ein- und vorläufig mit der Beerdigung des Vaters abschließt (612). Die weitere Handlung erfordert dann jedoch zunächst ein Überleben in einem nunmehr feindlich gesinnten ökologischen Umfeld. ‹Leben› im emphatischen Sinne wird auf den letzten Seiten des Textes nurmehr angedeutet. 236 Während die uneigentliche Verwendung dieses Ausdrucks bis in die nicht-christliche Antike zurückverfolgt werden kann und auch für die Goethezeit belegt ist, nimmt sie in der Frühen Moderne eine epochenspezifische Form an, die die ‹Wiedergeburt› durchaus auch in einem fantastischen Sinne wörtlich begreift (vgl. Wünsch 1983). Dies ist in den vorliegenden Texten nicht der Fall. 237 Ausgewählt wurden hier nur Beispiele, in denen auf die metaphorische ‹Wiedergeburt› wörtlich oder als Periphrase an einer konkreten syntagmatischen Stelle des Textes Bezug genommen wird.

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Als die Wohnungstür hinter mir ins Schloss gefallen war, holte ich den Schrei nach, den ich bei meiner Geburt nicht hervorgebracht hatte. [. . . ] Und so schrie ich um so lauter, denn ich fühlte mich wie neugeboren. (Blueprint: 125)

Siris Emanzipation und die Entscheidung für ein selbstbestimmtes Leben werden hier als Nachholen einer Handlung inszeniert, die schon früher hätte stattfinden müssen. Sie werden als metaphorische ‹Wiedergeburt› bzw. hier sogar als überhaupt erste Geburt („nicht hervorgebracht hatte“) semantisiert. Im Text wird dies auch durch die Kapitelüberschrift „Das zweite Jahr null“ unterstrichen. Vor allem in den Jugendromanen codiert die Metapher der ‹Wiedergeburt› also den Übergang vom semantischen Raum der ‹Fremdbestimmung› in den semantischen Raum der ‹Selbstbestimmung›. Die Verwendung der Metapher ist indes nicht genrespezifisch, was sich an ihrem Auftreten in Texten zeigt, die nicht der Jugendliteratur zuzurechnen sind. Allerdings ist die Bandbreite der durch die Metapher codierten Transformationen in den folgenden Beispielen höher, wie sich an den Zitaten zeigen lässt: Er selber war tot gewesen. Er musste neu geboren werden. (Schwarm: 617) Karen Weaver war ein neuer Mensch geworden. (ibid.: 597) Aber der heutige Abend sollte das Ende der Trauerphase einläuten. [. . . ] Auftakt für ihre Rückkehr ins Leben. (R− evolution: 38) Schwach, ein bisschen wie neu geboren, saß er auf seiner Veranda. (Venuspassage: 60–61)

Eine erste Gruppe von Texten greift auf die Metapher der ‹Wiedergeburt› am Ende einer Krise am Übergang zu neuem ‹Leben› zurück. D. h., die vorhergegangene Lebensphase wird nun rückblickend als metaphorisches ‹Nicht-Leben› erkannt. Erst ein Prozess der Bewusstwerdung und psychischen Rekonfiguration (Zitate 1 und 2), der Aufarbeitung der Vergangenheit (Zitat 1) und der Wille, den Neuanfang durch das Treffen von Entscheidungen einzuleiten (Zitat 3) erlauben in den meisten Fällen jedoch erst die Überwindung der Krise und den Ausbruch oder zumindest Aufbruch, der als ‹Wiedergeburt› empfunden wird. Eine zweite Variante der ‹Wiedergeburt› lässt sich in den folgenden Zitaten ausmachen: Beatrice bildete sich fest ein, man müsse ihr ansehen, dass sie sich verändert hatte, und mir ihr die ganze Welt. (Götterdämmerung: 341) Da verschwindet auch ein Teil meines Lebens, meiner Vergangenheit und meiner Zukunft. Aber nur ein Teil. Ein anderer Teil meiner Zukunft steht neben mir. Meine Zukunft hält meine Hand und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. (Furor: 324)

Die Figur Beatrice hat bis zu dem Moment, auf den sich das Zitat bezieht, bereits eine Entwicklung vollzogen, die sie aus dem lokal begrenzten Umfeld des Forschungslabors befreit, und sie aus dem Zugriff ihres Vaters sowie ihres Antagonisten entzogen

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hat. Die räumliche Bewegung korreliert dabei auch mit einer Emanzipation, die aufgrund eines vorherigen Aufklärungsprozesses möglich war. Die ‹Wiedergeburt› bezieht sich hier auf Beatrices Gefühle und Wahrnehmung nach einer Nacht mit ihrem Geliebten, Neil. Ihre erste sexuelle Erfahrung und die Liebe zu Neil beenden wenigstens vorläufig die Phase des ‹Nicht-Lebens›. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für die Figur Sebastian, die zwar keine nennenswerte Entwicklung durchmacht, aber an der hier zitierten syntagmatischen Stelle des Textes den Mord des Vaters aufgeklärt hat und nun mit der im Zuge dessen gefundenen Freundin ein neues ‹Leben› beginnen kann. Die ‹Wiedergeburt› ist in diesen beiden Fällen also wesentlich auf eine Liebesbeziehung ausgerichtet, die sich als Beginn und Gehalt von ‹Leben› darstellt. Sexualität wird in diesem Zusammenhang zwar erwähnt jedoch nicht als dominantes Merkmal der ‹Wiedergeburt› gesetzt. Eine dritte Variante deutet sich in den Texten Cusanus und Sisyphos an: Die Figur Sisyphos muss eine Reihe von sinnlosen Prüfungen absolvieren. Diese setzen einen Reflexionsprozess in Gang, der darauf hinausläuft, den Weg selbst als Ziel zu erkennen. Die Figur versucht damit, einen im existentialistischen Sinne absurden Lebensentwurf zu realisieren (vgl. Pieper 2007: 19). Bevor Sisyphos jedoch ein gemeinsames Leben mit seiner neugewonnen Liebe realisieren kann, stirbt er (Sisyphos: 126–127). Auf der letzten Seite des Textes tritt die Figur jedoch erneut auf. Mangels Angaben kann die Szene nicht als Analepse im Text verortet werden, sondern scheint die erfolgreiche Wiederbelebung Sisyphos’ zu zeigen. Deren Bewerkstelligung kann ebenfalls nur vermutet werden: Denkbar wäre sowohl eine wissenschaftlich-technische Variante (Klonen, Kybernetik) als auch eine fantastisch-okkultistische Variante. Von zentraler Bedeutung ist jedoch der letzte Satz des Textes, der die vorliegende Variante wiederum in die Nähe der oben beschriebenen, zweiten rückt und die schlussendliche Realisierung einer Liebesbeziehung betont: Ich habe nur einen Spiegel, und in ihm sehe ich dich. (Sisyphos: 128)

In Cusanus verändert sich die Figur Domenica durch ihre Zeitreisen schließlich so sehr, dass sie von ihren beiden letzten Beziehungen und ihren Freunden wörtlich oder innerlich verabschiedet, um dann auf dem außerzeitlichen Planeten Highgate als Hüterin der Raumzeiten des Multiversums zur Ruhe zu kommen: Die Domenica, die du kennst und die du vielleicht liebst, lebt in einer anderen Welt. [. . . ] So verabschiede ich mich nach und nach von allen meinen Wurzeln. (Cusanus: 695)

Mit der als ‹Wiedergeburt› umschreibbaren Veränderung der Protagonistin realisiert diese nunmehr eine fantastische Variante emphatischen ‹Lebens›, die sich durch Askese und Altruismus sowie durch Entrückung auszeichnet. Die Transformation und ‹Wiedergeburt› markiert, so ließe sich resümieren, das Ende der ‹Krise› und den Übergang in einen neuen Daseinsmodus, der mit einer rekonfigurierten Psyche, Autonomie sowie stellenweise auch Liebe und emphatischem

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‹Leben› einhergeht. In etwa einem Drittel der analysierten Texte stehen diese Prozesse nun in enger Verbindung zu Naturräumen. Deren Relevanz soll im Folgenden noch herausgestellt werden: 1. Die Protagonistin Nora in Designerbaby (92–93) erfährt im einzigen natürlichen Garten innerhalb einer gentechnischen Einrichtung von ihrer Berufung in die außerhalb liegende Stadt. 2. Die Beziehung der Figuren Samuel und Julia aus Schatten (116) gewinnt in Portugal an Tiefe, welches zuvor als „Eden“ bezeichnet wird. 3. Die Transformationsprozesse der Figuren Julie und Jeff (R− evolution) vollziehen sich, während sie sich im Dschungel oder auf dem Meer aufhalten. 4. Die Reise des Astronomen Le Gentil (Venuspassage) verläuft durch einen mehrfach als exotisch markierten, außereuropäischen Naturraum (Inseln, Meer). 5. Das zentrale Ereignis in der Entwicklung des jungen Humboldt (Vermessung) (15–26) ereignet sich auf/in einem See. 6. Nach der Befreiung von Beatrice aus ihrem ‚goldenen Käfig‘ führt sie die Reise mit Neil nach Alaska. 7. Anawaks Bewusstwerdungs- und Selbstfindungsprozess wird wesentlich durch eine Reise ins kanadische Nunavut ausgelöst. 8. Domenicas Entschluss, die Zeitreisen auf sich zu nehmen (Cusanus), kommt u. a. dadurch zustande, dass sie durch die „Todeszone“ fährt, in der der Naturraum zerstört wurde (458). Im Vergleich zur Gegenwart der dargestellten Welt wird die Vergangenheit außerdem als „Welt im Rohzustand“ (494) charakterisiert, was einem gesellschaftlichen Naturzustand zumindest annähernd gleichkommt. Die Prozesse werden dadurch in den meisten Beispielen in einem scheinbar in Kontrast zur Gesellschaft und ihrem Normen- und Wertesystem stehenden Außenraum angesiedelt, in dem das Subjekt sein bisheriges Leben ohne Angst vor unmittelbaren Sanktionen reflektieren kann.238 Eine genuin ökologische Stoßrichtung ist damit allerdings nur in Schwarm verbunden, was sich vor allem in der – zugegeben stereotypen – Opposition ‚naturverbundene Indianer vs. naturvergessene Weiße‘ ausdrückt: Quallunaat239 bauten sich Welten außerhalb der Welt. Sie schlossen die natürlichen Abläufe zugunsten künstlicher aus, und alles, was nicht in ihr Konzept passte, wurde ignoriert oder ausgemerzt. (ibid.: 622)

Während Anawak mit seinem Onkel Akesuk durch Nunavut reist, führt ihm der Onkel den Sinn der ursprünglichen Lebensweise der Inuit vor Augen. Indem Akesuk sich in der oben zitierten Weise an Anawak wendet, kritisiert er die westliche, ‚zivilisierte‘ Welt bzw. deren nicht-natürliche oder nicht naturkompatible Lebensweise. Dabei

238 In ähnlicher Weise vollzieht sich die Transformation der Figur Oliver in Schrödinger in besagtem Schlafzimmer, welches der Text mit quantenphysikalischer Begründung als volatilen Nicht-Ort (Krisenheterotopie) inszeniert, an dem Oliver die kulturelle Norm der Monogamie scheinbar kurzzeitig verletzen darf. Der Raum wird jedoch schließlich unzugänglich und das ihn enthaltende Haus verkauft. 239 Das Wort bezeichnet in der Inuitsprache die aus dem Süden Kommenden, also die Weißen.

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geht es nicht um eine pauschale Zivilisationskritik, sondern um eine Synthese im Sinne einer nachhaltigen und naturbewussten Lebensweise. In der Gesellschaft seines Onkels im Naturraum Nunavuts gewinnt Anawak schließlich so viel Abstand zur Gesellschaft, dass er die menschliche Spezies in ihrer Bedeutung im Gesamtgefüge der Natur relativieren kann: Man durfte sich nicht wichtig nehmen. Man war nicht wichtig, sondern Bestandteil der beseelten Welt. (ibid.: 627, Hervorhebung im Original)

Erst durch diese Wahrnehmungskorrektur wird Anawak in die Lage versetzt, nicht nur sein eigenes Leben neu zu bewerten, sondern auch die sich mit den Yrr stellende Herausforderung für die Menschheit. Naturraum, ‹Wiedergeburt› und Fortgang der Narration stehen damit in einem direkten Zusammenhang, wobei die Transformation Anawaks wie in anderen Fällen auch eine Modifikation seines Werte- und Normensystems durch eine ökologische, „pantheistische Grundhaltung“ (627) beinhaltet.

4.3.3.4 Liebe und emphatisches ‹Leben› Ausgehend von der erfolgreichen Überwindung der ‹Krise› und vom Übergang in einen neuen Daseinsmodus durch Transformation und ‹Wiedergeburt› können die Figuren in vielen Texten einem neuen Tag und einer neuen Zukunft entgegensehen. Komplementär zum Zustand des ‹Nicht-Lebens› entwerfen die Texte auch einen oppositionellen Zustand des gesteigerten ‹Lebens›. Dieser steht zumeist im Zeichen des individuellen, privaten Glücks, namentlich der Liebe. Nicht jedoch die alles verzehrende große Liebe ist es, sondern mehr die Aussicht, dem Alleinsein und der Sinnleere wenigstens für eine Weile zu entkommen. Eine solche Endsituation bietet sich uns in nicht wenigen Texten: Nachdem er seinen Verfolgern entkommen konnte, das Forschungsinstitut und mit ihm die Maschine zur Speicherung menschlicher Erinnerungen zerstört wurde, steht Sebastian (Furor) wörtlich vor den Trümmern des Lebenswerkes seines Vaters und seiner wissenschaftlichen Zukunft. Als Zukunft bezeichnet er nunmehr explizit seine neue Freundin, deren Anblick ihm Sicherheit gibt (324). Das jugendliche Pendant hierzu bildet die Figur Wolfgang (Copy), die unterstützt von seiner ersten Freundin herausfinden will, was ihm eigentlich wirklich Spaß macht im Leben (221). Auch zwischen zwei Nebenfiguren in Infekt bahnt sich eine Beziehung an. „Aufgeräumt“ wie man nun ist, wollen die Pärchen zum Abendessen in mediterraner Atmosphäre übergehen (391–393). Der Text R− evolution lässt seine Protagonistin dazu treffend formulieren: Doch darüber wollte sie sich nicht mehr den Kopf zerbrechen. Sie wollte jetzt nur noch an etwas Schönes denken. Zum Beispiel an ein romantisches Picknick am Strand. (ibid.: 348)

So wie im obigen Zitat die noch latent bestehende Gefahr einer ökologischen Krise ausgeblendet wird, so kommt schließlich auch die Hauptfigur in Sisyphos zu dem

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Schluss, dass es die Aufgaben selber sind, die sein Leben ausmachen und nicht deren Lösung. Nach seiner offenbar wörtlichen Wiedergeburt wendet er sich daher von der Welt ab und konzentriert sich auf die Beziehung zu seiner Geliebten (128). Selbst in der postapokalyptischen Welt von Schwarm ist es die Anbahnung einer Beziehung, die das Ende der Narration bildet: Nach dem Kontakt und dem latenten Waffenstillstand mit den Yrr sowie der Rückkehr an die Meeresoberfläche ist das Erste, was die geläuterte Karen Weaver sieht, der ebenfalls metaphorisch wiedergeborene Leon Anawak (979). Vor diesem Hintergrund nimmt sich das Ende von Markenmenschen nahezu euphorisch aus: Die Protagonistin, Simone, ist nunmehr schwanger, weil sie mit ihrem Freund geschlafen hat, bevor eine Sterilisierung vorgenommen werden konnte.240 Simones erste Beziehung mündet damit sogleich in eine – wenn auch ungewollte – Schwangerschaft. Der Text etabliert in diesem Ende ein der dargestellten Welt entgegengesetztes Normen- und Wertesystem, welches auf Originalität, Individualität, Authentizität, Normalität und Natürlichkeit basiert. Die Liebe des Paares wird vor diesem Hintergrund gleichermaßen aufgewertet wie zur Empfängnis des (textintern) normverletzenden Babys funktionalisiert. Die Jugendlichkeit der Protagonistin tritt hinter beidem zurück, denn die Beziehung, das erwartete Kind, das Abstreifen des textinternen Normensystems zugunsten der quasi wörtlichen Inkorporation (siehe Abschnitt 4.3.4.1) eines neuen setzt der Text als ‹Leben›: Und das erfüllte mein von vielen Zweifeln leergefressenes Inneres mit einer ungekannten ruhigen Kraft. (ibid.: 128)

Eine weitere Gruppe von Texten erhebt die Liebe ebenfalls zum wesentlichen Wert eines emphatischen ‹Lebens›, wenn in diesen schlussendlich auch keine Beziehung mehr realisiert wird: Die Beziehung der genetisch exzeptionellen Figuren Neil und Beatrice wird durch die von ihnen ausgelöste Apokalypse vorläufig beendet. Dem Protagonisten Neil bleibt nur zu „[w]arten und [zu] hoffen“ (Götterdämmerung: 498), denn die vorausgegangene Beziehung hatte Neil so hoch bewertet, dass er hierfür sogar seine Kinder vernachlässigt hatte. Die Liebe (nicht die Ehe) ist im Text Hafen in einer defizienten Welt: Sie [. . . ] war froh, dass es in dieser Welt voller zerstörter Gewissheiten etwas gab, das sich nicht verändern würde. [. . . ] [W]as, dachte sie, war an ihrem Leben in der letzten Zeit normal? (ibid.: 316) »Nur um mir zu helfen. Nun hast du alles verloren, und siehst du, das ist meine Schuld.« Es war ein Ende und ein Anfang. (ibid.: 441)

Diese Hoffnung auf ein Leben in wiedererlangter Normalität ist es auch, die die Texte in Aussicht stellen: Nachdem die Protagonisten in Schrödinger alle störenden Elemen-

240 Dies ist in der dargestellten Welt normal. Hierin äußert sich ein Reproduktionsregime, welches ‚wilde Schwangerschaften‘ zugunsten genetisch optimierter und normierter Embryonen stigmatisiert.

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te aus ihrer Ehe beseitigt und damit jeweils ein erneuertes Selbst realisiert haben, soll ein Fünf-Punkte-Plan die angeschlagene Ehe retten. Gerade die Eifersucht und die Angst vor dem Verlust der Ehe und der Familie führen zu einer Rückbesinnung auf die Beziehung der Eheleute. Angedeutet wird am Textende lediglich, dass Doris sich auszieht, um vermutlich gleich mit Oliver zu schlafen. Die weitere Entwicklung blendet der Text aus. Noch größere Unsicherheit besteht über die weitere Entwicklung des Ehepaars Maike und Sebastian in Schilf , denn die vorgetäuschte Entführung und der daraus resultierende, tragische Mord sind zwar aufgeklärt, aber das Verhältnis zwischen den beiden sowie zwischen Sebastian und Oskar bleibt nachhaltig eingetrübt. Lediglich zwischen den Nebenfiguren, der Kommissarin und dem Polizeiobermeister, scheint sich eine Beziehung anzubahnen: „Ein schönes Paar“ (374). Schatten bringt die Positionen der Texte auf den Punkt: Es kommt nicht darauf an, wie lange man lebt, sondern mit wem. . . (ibid.: 186)

Gerade diese Einsicht illustriert implizit auch Venuspassage, denn nicht seine langen Reisen oder die Venuspassage scheinen Le Gentil schließlich erfüllt zu haben, sondern die Liebe zu seiner Tochter. Die Texte rücken ‹Leben› im emphatischen Sinne daher in einen privaten Bereich, der von den Texten überwiegend ausgespart wird. Nicht die Gestaltung der Beziehung und die ‚Arbeit‘ daran stehen im Vordergrund, sondern ihr Erreichen. Gerade Schrödinger zeigt, dass es bei der Thematisierung von Beziehungsarbeit gerade nicht um eine gemeinsame Lösung geht: Die gemeinsamen Probleme werden im Text ausgeklammert und dem Schweigen überantwortet. Von Bedeutung sind vielmehr individuelle Entwicklungsprozesse, nach denen eine Beziehung aufgrund von weiterhin bestehender ‚Kompatibilität‘ entweder noch möglich erscheint – oder eben nicht. Überhaupt machen die Texte die ‚Passgenauigkeit‘ der Partner insofern zum Thema, als Beziehungen, in denen sich eine Partei nicht wie gewünscht ausleben kann241 , beendet werden: Mit Veränderungen konnte man sich arrangieren. Er zumindest konnte es. [. . . ] Das Ende seiner Ehe war ein Anfang gewesen. [. . . ] [Er] dachte an die Menschen in seinem Leben, die an Veränderungen gescheitert waren. [. . . ] Man lernte, dass einem das eigene Leben selbst gehörte, dass man Einfluss darauf hatte. [. . . ] Das Leben war ein Glücksspiel. [. . . ] Für ihn war Veränderung immer Lebenselixier gewesen. Für sie Lebensentzug. [. . . ] [E]s [war] widersinnig, Freiheit und Freiheit aneinander zu ketten. (Schwarm: 512, meine Hervorhebungen)

Die Passage betont die Werte Dynamik, Selbstbestimmung, Selbstbesitz und Selbstverwirklichung, Eigeninitiative, Spontaneität und Freiheit. Nicht die Realisierung einer neuen Beziehung steht dabei im Vordergrund, sondern primär die Beendigung

241 Dies ist der Fall in Copy, R− evolution, Schatten, Schwarm, Sisyphos.

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der defizienten Lebenssituation. Das dadurch angedeutete Beziehungskonzept lässt sich als ein individualistisches bezeichnen, bei dem das Wertprinzip der Wahrung oder Maximierung persönlicher Freiheit im Vordergrund [steht]. Es folgt der Maxime, größtmögliche individuelle Handlungsoptionen und -spielräume offen zu halten, weder sich noch den Partner bzw. die Partnerin durch die Übernahme von aus der Beziehung resultierenden Verpflichtungen in der biographischen Gestaltungsfreiheit einzuengen. (Hirseland/Leuze 2010: 195)

Fragen des idealen alltäglichen Zusammenlebens und des Umfangs wechselseitiger Ver- bzw. Entpflichtung werden in den meisten der angesprochenen Texte also zugunsten des Individuums entschieden. Die radikalsten Entwürfe bzw. die Konsequenzen eines solchen Konzeptes deuten die folgenden Texte an: In Zweiundvierzig missbrauchen und vergewaltigen die Chronifizierten die Nicht-Chronifizierten regelmäßig. Sie benutzen die in der Zeit Eingefrorenen zur Befriedigung ihrer emotionalen und sexuellen Bedürfnisse (178–179). Sexy Sons geht noch einen Schritt weiter, indem Beziehungen hier gänzlich funktionalisiert oder als irrelevant gesetzt werden: E.D. Senft lebt allein, sein geklonter Sohn Didi stirbt und wird noch im Sterben vom Vater zur Heilung der eigenen Leukämie missbraucht. Van Steeb führt nur eine Scheinehe, die von beiden Seiten dazu genutzt wird, eine individuelle Außenwirkung aufrechtzuerhalten. Weder Beziehung, noch Liebe oder Sexualität sind erforderlich, um ein geklontes Kind als notwendiges Funktionselement in die Scheinehe einzubringen. Kommissarin Martin kommt durch eine Samenspende zu ihrem Kind, welches sie mutmaßlich alleine erziehen wird. In Cusanus kann die Protagonistin durch ihre Entwicklung nur noch als freischwebende Existenz leben, die weder durch Raum oder Zeit, noch durch soziale Bezüge gebunden ist. Was Cusanus auf fantastischer Ebene realisiert, führt Blueprint in nicht-fantastischer Weise vor: Nach dem Tod der Mutter kann Siri nun endlich sich selbst verwirklichen und positionieren. Beziehung, Liebe und Sexualität scheinen dabei keine Rolle zu spielen. Vor diesem Hintergrund sticht Markenmenschen erneut durch eine Abweichung hervor: Der Text strebt vielmehr ein kollektivistisches Beziehungsbild nach dem (wenn auch aktualisierten) Modell der traditionellen Gattenehe an.242 In diese Richtung tendiert auch Designerbaby, da für die Protagonistin Nora schlussendlich die genetische Familie auch zur sozialen Familie wird. Eine große Zahl von Texten macht die Emanzipation des Individuums von fremdbestimmten Zuständen demzufolge zur Voraussetzung von Entwicklung und einer metaphorischen ‹Wiedergeburt›. Damit setzen diese Texte Selbstbestimmung bzw.

242 Auch der Figur Eugen Vermessung wird schließlich statt einer wissenschaftlichen Karriere eine Position in einer kleinen Firma und die Ehe in Aussicht gestellt (302). Zum Modell siehe Hirseland/Leuze (2010: 192–196).

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Selbstfindung und -verwirklichung als Wert. In manchen Texten korreliert dieser Zustand auch mit der Realisierung von Liebe (z. B. Copy, Schwarm). Andere Texte setzen Liebe als primären Wert eines ‹Lebens› im emphatischen Sinne, auch wenn diese dadurch relativiert wird, dass sie erst am Ende der Narration erlangt, dort mitunter auch nur angedeutet oder sprachlich eher sehr zurückhaltend ausgestaltet wird. Eine nicht unwesentliche Zahl von Texten scheint darüber hinaus keinen anhaltenden oder grundsätzlich gar keinen emphatischen Zustand von ‹Leben› für einzelne oder alle Figuren zuzulassen. Nun ließe sich annehmen, dass Selbstbestimmung nicht grundsätzlich als primärer Wert gesetzt, sondern dem Wert Liebe/Beziehung oppositionell gegenübergestellt wird, sodass sie sich gegenseitig ausschließen. Tatsächlich deutet sich eine solche Tendenz an,243 wird jedoch durch Gegenbeispiele244 kontrastiert. Die Gewichtung der Werte Selbstbestimmung bzw. Selbstverwirklichung einerseits und Liebe andererseits wird den Figuren überlassen, da eine normative Vorgabe zu fehlen scheint. Hierin zeichnet sich ein Dilemma ab, welches Castel (2000: 403) mit dem Begriff des negativen Individualismus als Defizit an Integration in Kollektive zu erfassen sucht. Damit problematisiert er die oben beschriebene Opposition, durch die das Individuum schlimmstenfalls ein „moralisches, unabhängiges, autonomes und so (wesentlich) nicht-soziales Wesen“ werde.245 Castel resümiert: Aus diesem Grund ist der sich durch den gegenwärtigen Individualisierungsprozess ziehende Widerspruch so groß. Er bedroht die Gesellschaft mit einer Fragmentierung, die sie unregierbar macht, oder sie mit einer Bipolarisierung in diejenigen, die Individualismus und Unabhängigkeit miteinander vereinbaren können, weil ihre soziale Stellung gesichert ist, und jene, die ihre Individualität als ein Kreuz tragen, weil sie für einen Mangel an Bindungen und das Fehlen von Absicherungen steht. (ibid.: 412)

Bezogen auf die Texte scheint die Realisierung von ‹Leben› gerade deshalb nicht einfach zu sein, weil zentrale Werte der Moderne sich teils unvereinbar gegenüberstehen. Die sich andeutende „Bipolarisierung“ wird in den Texten auf der Ebene der Figuren widergespiegelt. Dass die Realisierung von ‹Leben› in ein nahezu utopisches ‚Außerhalb‘ verlegt wird, mag andeuten, dass Strategien der Bewältigung der von Castel

243 Cusanus, Schatten, Schrödinger, Schwarm und Sexy Sons. Der Text Duplik setzt auch den Wert Selbstbestimmung als primär relevant, fokussiert aber insgesamt auch auf eine ethisch-moralische Selbstfindung des Individuums, die einer Hyperindividualisierung (vor allem im Sinne einer Entsolidarisierung) entgegensteht. 244 Copy, Götterdämmerung, Markenmenschen, Schwarm und Sisyphos. Der Text Designerbaby realisiert den Wert Liebe durch in der Form sozialer Einbindung der ja noch kindlichen Protagonistin in eine Familie. 245 „Es geht darum. . . es geht darum, dass wir uns nehmen müssen, was wir wollen“ (Schrödinger: 288, Hervorhebungen im Original). Paradigmatische Beispiele für ein so verstandenes Verhältnis von Individuum und Gesellschaft sind Blueprint, Cusanus, Sexy Sons und Zweiundvierzig, ferner aber auch Götterdämmerung, Markenmenschen, Pilz, Schilf und Schwarm.

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benannten Widersprüche noch fehlen. Es scheint, als sei ‹Leben› nur in reduzierter Form realisierbar. Dies schon deshalb, weil ein Konsens darüber, welche Merkmale den emphatische Zustand auszeichnen (müssen), nicht mehr bzw. noch nicht besteht. Die Texte begegnen diesem Dilemma, indem sie verschiedene Varianten von ‹Leben› und ‹Nicht-Leben› vorführen.

4.3.3.5 Varianten von ‹Leben› und ‹Nicht-Leben› Aus den bisherigen Betrachtungen lässt sich ein Spektrum von Varianten mehr oder weniger emphatisch gesteigerter Daseinsformen ableiten: 1. Acht Texte246 realisieren ‹Leben› tendenziell in einer partnerschaftlichen Variante. Weder aber spielt Erotik in diesen zwangsläufig eine überragende Rolle, noch wird die Beziehung immer vor Ende der Narration realisiert. 2. Vier Texte247 deuten ebenfalls an, dass emphatisches ‹Leben› wesentlich mit Liebe korreliert ist. Die Texte spielen hierauf aber nur an, bzw. die Figuren können diese Variante von ‹Leben› nur sehr kurzzeitig realisieren.248 3. Eine asketisch-altruistische Variante von ‹Leben› wird in Duplik realisiert, da Jonas 7 sein eigenes Leben der Befreiung der anderen Dupliks widmet. Cusanus deutet eine solche Variante darin an, dass Domenica mutmaßlich Teil des kosmischen ‚Reparaturprogramms‘ wird. In Venuspassage scheint Le Gentil sein Leben seiner Tochter gewidmet zu haben. Vermessung ließe sich in Bezug auf die Figuren Gauß und Humboldt ebenfalls hierunter zählen. 4. Für Cusanus käme auch eine mystisch-narzisstische Variante von ‹Leben› infrage, da Domenica nunmehr freischwebend und offenbar nur sich selbst verpflichtet ist. Im weitesten Sinne narzisstisch ist schließlich auch die Lebenssituation der Protagonistin Siri in Blueprint. 5. Sowohl die asketisch-altruistische Variante als auch die (mystisch-)narzisstische Variante werden von den Texten jedoch nicht euphorisch bewertet: In Duplik (182) wird angedeutet, dass der Weg von Jonas 7 einem Selbstmord gleichkommt. Das neue Leben Domenicas außerhalb der Zeit wird von Ängsten und latenten neuen Defiziterfahrungen überlagert (Cusanus: 701). Auch das Leben von Le Gentil wird eher verhalten geschildert (Venuspassage: 329–332). Dass er an einer Blutvergiftung stirbt, ist metaphorischer Ausdruck hiervon. Die Figuren Gauß und Humboldt werden in Vermessung als alternde dargestellt. Ihren wissenschaftlichen Zenit scheinen sie nunmehr überschritten zu haben, und ihr bisheriges Leben war von Entbehrungen (Humboldt) oder latenter Unzufriedenheit (Gauß) geprägt. Siris Situation in Blueprint wird weniger als ‹Leben› in

246 Copy, Furor, Infekt, Markenmenschen, R− evolution, Schrödinger, Schwarm, Sisyphos. 247 Götterdämmerung, Schatten, Schilf, Vermessung. 248 Nicht die Dauer, sondern die Qualität der Beziehung zählt. Dies postuliert Schatten (187) sogar explizit.

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7.

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einem emphatischen Sinne geschildert als vielmehr als Überleben, welches deutlich von ihrer versehrten Psyche gekennzeichnet ist. Die Figuren realisieren eine Variante von ‹Leben›, die eher als ‚reduziert‘ charakterisiert werden müsste.249 In insgesamt sechs Texten repräsentiert die Endsituation einen Zustand, der nicht oder nicht eindeutig einem der obigen Lebensmodelle zugeordnet werden kann. Drei dieser Texte250 führen das Scheitern mindestens einer Figur der dargestellten Welt vor. Deren Leben war auch zu keinem Zeitpunkt als emphatisch beschreibbar: Der Figur Junior (Klonfarm) wurden vom Text weder ein Name noch nennenswerte Eigenschaften zugeschrieben. Er war wie seine Klone ein Neutrum. Der Tod der zentral handlungsbeteiligten Figuren markiert deren Leben als Irrweg. Auch Didis Tod (Sexy Sons) stellt nur den Gipfel eines Selbstverlustes infolge seiner psychischen Belastung dar.251 Adrians Situation tendiert vom ohnehin schon metaphorisch nicht-lebendigen Zustand weiter in Richtung eines metaphorischen Todes. Auch sein Leben erscheint als Irrweg, der zu einem stark reduzierten, weil isolierten und entfremdeten Zustand geführt hat. Drei weitere Texte bleiben ambivalent, was vor allem dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Texte nicht explizit Stellung zur Endsituation nehmen oder diese überhaupt offen sind. Viele Figuren werden trotz intakten biologischen Lebens weder als wirklich lebendig imaginiert, noch aber wird ihre schlussendliche Existenz mit einem metaphorischen Tod gleichgesetzt. Als Gründe hierfür können neben der Konzeptualisierung von ‹Leben› als Entwicklungsaufgabe weiterhin vor allem verschiedenste Konstellationen von Narzissmus und Egoismus (negativer Individualismus) genannt werden.

Die Bemühungen, einen dem bisherigen ‹Nicht-Leben› entgegengesetzten physischen, psychischen, emotionalen oder sozialen Zustand zu erlangen, enden in vielen Texten offenbar in einer Sackgasse. Dies scheint vor allem daran zu liegen, dass nicht gänzlich klar ist, was die Gesellschaft vom Individuum erwartet bzw. ob das Individuum nur durch die Emanzipation von gesellschaftlichen Normen und Werten glücklich werden kann. Vielmehr scheint ‹Leben› die Addition von Merkmalen zu erfordern, zu denen Selbstbestimmung und Liebe zwar zentral gehören, die allein aber nicht zwangsläufig einen (dauerhaft) gesteigerten Daseinsmodus garantieren. Der teils radikalen Subjektivierung, Isolierung und metaphorischen Fragmentierung des Subjekts, die sich sogar auf der Ebene der Erzählsituation und in der Raumordnung bemerkbar macht, steht teilweise ein Streben nach einem ganzheitlichen

249 Zum Konzept eines reduzierten ‹Lebens› siehe Seidel (2005: 23, 190–193). 250 Klonfarm (Tod aller Figuren), Sexy Sons (Tod Didis), Zweiundvierzig (maximale Isolation). 251 Der Text codiert diese Verlorenheit im Raum des Parks, in den Didi seinen Vater lockt, um die erpresserische Geldübergabe abzuwickeln: Der verzweigte Park, die Richtungswechsel, Didis beengtes Versteck, sein Kontrollverlust über die Situation und die Dunkelheit stehen metaphorisch für Didis Lebenssituation (Sexy Sons: 425–434).

226

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Dasein gegenüber. Sofern die Herauslösung aus alten Strukturen nicht mit der Einbindung in neue Strukturen einhergeht, resultiert die neugewonnene Autonomie jedoch eher in Ungewissheit über die Zukunft und Unsicherheit. Folglich erscheinen die Endsituationen der Texte eher als provisorische Lebensformen, die den Lebenslauf als „schräge Musik“ (Schilf : 7), d. h. als tendenziell makel- und krisenbehaftet charakterisieren. Wissen spielt für die Figuren hier insofern eine Rolle, als ihnen ein normatives Orientierungswissen intradiegetisch gerade fehlt. Zwar führen die Texte eine Veränderung der Wissenshorizonte der Figuren vor. Ein emphatisches ‹Leben› ist damit aber nicht notwendigerweise verbunden. Wissen stellt in den Texten daher kaum Lösungen bereit. Gleichwohl ist es wesentlicher Faktor eines sich wandelnden Lebensbegriffs, wie nun noch herauszustellen sein wird.

4.3.4 Parameter eines sich wandelnden Lebensbegriffs

An den Lebens(phasen)modellen zeichnen sich Wandlungsphänomene ab, die im Folgenden genauer untersucht werden sollen. Durch die wissenschaftliche und technische Entwicklung erlangt der Mensch gegenwärtig Zugriff auf Strukturen und Abläufe wie etwa seine genetische Konstitution, die ihm bislang verschlossen waren. Wenngleich sich dies noch nicht oder jedenfalls nicht umfassend auf die menschliche Daseinsweise auswirkt, so deuten die Texte dennoch Entwicklungen hyperbolisch an, die Zeitdauer, Verlauf sowie die individuelle oder gesellschaftliche Gestaltung von Leben(sphasen) zukünftig nachhaltig prägen könnten. Als modifizierende Parameter sind die Wandlungsphänomene zwar noch nicht explizit Teil der Lebensmodelle, sie kontextualisieren diese jedoch. So wirkt sich die reprogenetische Beeinflussbarkeit der Sexualität und deren soziale bzw. biopolitische Vereinnahmung in den Texten dergestalt aus, dass sie gerade nicht mehr als Element emphatischen ‹Lebens› taugt. Dies wird wiederum nur vor dem Hintergrund verständlich, dass sich das Naturbild aufgrund naturwissenschaftlicher Forschung ebenfalls ändert. Die Annäherung naturalistischer und antinaturalistischer Weltbilder bringt jedoch nichts hervor, was alte Weltbilder ersetzen könnte. Folglich werden theologische Weltbilder zwar relativiert und damit die Möglichkeit einer metaphysischen Existenz des Menschen zugleich negiert. Mangels plausibler, neuer Deutungsangebote scheint der Mensch nun aber auf seine physische Existenz – den Körper – zurückgeworfen zu sein. Dieser ist jedoch ins Zeitalter seiner biotechnologischen Manipulierbarkeit und Reproduzierbarkeit eingetreten und wird dem Subjekt zunehmend entfremdet, wenn nicht gar enteignet. Die Parameter eines sich wandelnden Lebensbegriffs bilden damit die Schnittstelle zum Lebensbegriff im engeren Sinne (zoë), der sich in seiner derzeitigen, biophysikalisch-biochemischen Prägung spürbar auf diese auswirkt.

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227

4.3.4.1 Sexualität im Zeitalter ihrer biopolitischen Vereinnahmung a) Relativierung von Erotik für ein emphatisches ‹Leben› Während emphatisches ‹Leben› in der Frühen Moderne wesentlich mit normverletzender Sexualität in oder außerhalb von hetero- wie homosexuellen Beziehungen korreliert ist (vgl. Titzmann 1989, 2002; Wünsch 1989), wird Sexualität in den hier analysierten Texten relativiert: Sie spielt oftmals überhaupt keine Rolle. Sofern sie dargestellt wird, wird sie lediglich in einer bestehenden oder sich anbahnenden Paarbeziehung und auf konventionelle Weise ausgeübt, hat dort aber keine außergewöhnliche Qualität. In Schrödinger steht die Sexualität einem emphatischen ‹Leben› zeitweise sogar entgegen. Ein außerehelicher Geschlechtsverkehr wird dort angedeutet, nicht aber explizit dargestellt und schlussendlich ausgeblendet. Die Texte Cusanus und Markenmenschen semantisieren nicht-konventionelle, d. h. nicht monogame, promiskuitive oder tendenziell deviante Sexualität darüber hinaus eindeutig negativ. Als Lustgewinn wird Sexualität nur in Schatten dargestellt, dort aber sofort zugunsten einer Liebesbeziehung aufgegeben, die Sex eindeutig nicht in den Vordergrund stellt. Sexualität und vor allem sexuelle Grenzüberschreitungen werden hier also als Merkmale emphatischen ‹Lebens› verworfen oder zumindest stark relativiert. In Götterdämmerung wird der Geschlechtsverkehr von Neil und Beatrice ex post sogar in die Nähe des Sündenfalls gerückt, da hierdurch das Virus in Beatrice aktiviert wird und mutmaßlich zur Auslöschung der Menschheit führen wird.

b) Instrumentalisierung von Sexualität Insbesondere in denjenigen Texten, die verstärkt auf molekularbiologisches und genetisches Wissen Bezug nehmen, wird Sexualität demgegenüber aber diskursiviert. Explizit thematisiert wird sie in ihrer Funktion etwa in Blueprint: Der asexuelle Akt des Klonens wird durch den Geschlechtsverkehr von Iris und dem Reproduktionsmediziner Fisher konterkariert, bei dem „kein Mensch gezeugt, sondern im Gegenteil radikal verhütet“ wird (68). Während Blueprint nur auf die Absurdität der Klontechnik angesichts der bestehenden Möglichkeit sexueller Fortpflanzung hinweist, stellt Sexy Sons verschiedene Positionen direkt gegenüber. Dort wird eine populärwissenschaftliche Talkshow zum Thema Sexualität inszeniert. In dieser treten ein Evolutionsbiologe, ein Bakteriologe, eine Sozialanthropologin und der Androloge van Steeb auf. Indem die einzelnen Figuren ‚ihre‘ Expertise einbringen, entfalten sie unterschiedliche Perspektiven auf das Phänomen Sexualität. Aus Sicht der Evolutionsbiologie und der Mikrobiologie werden vor allem genetische Abläufe fokussiert und Sexualität daher als „Austausch von genetischer Information zwischen verschiedenen Individuen“ (392) definiert. Die einzige Frau der Gesprächsrunde vertritt eine anthropologische Perspektive und referiert eine vielfach

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im Text angesprochene Treuestudie, die es erforderlich macht, zwischen genetischer, sozialer und rechtlicher Vaterschaft zu unterscheiden.252 Der Androloge van Steeb differenziert u. a. zwischen Sexualität als Fortpflanzungsmethode und Sexualität im Sinne von Erotik und stuft Lust und Liebe im selben Atemzug als hormonelle Phänomene ein. Er macht darüber hinaus auf die nicht zwingend notwendige Kopplung von Fortpflanzung und Sexualität (Erotik) aufmerksam und lenkt den Blick damit auf soziale Aspekte von Sexualität, die nicht nur als Partnerbindungsstrategie, sondern auch zur Regulierung sozialer Beziehungen funktionalisiert werden könne. Auf eine „Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens“ hatte freilich bereits Foucault (1976/1983: 127–128) in seinen Studien zur Sexualität hingewiesen und dabei „stabilisierende Zwangsmechanismen“ entdeckt. Der Text thematisiert also die Funktion von Sexualität im Werte- und Normensystem einer Kultur. Nicht jedoch die Sexualität per se wird hier zum Machtinstrument, sondern vielmehr die Selektion: Van Steeb hält sämtliche Fäden in der Hand, weil er Genmaterial für die bzw. der anderen Figuren auswählt (Sexy Sons: 184, 299, 342). Das evolutionstheoretische Konzept der natürlichen Selektion wird somit ad absurdum geführt und die Missbrauchsanfälligkeit von Sexualität betont: Sie ist gerade nicht Ausdruck von romantischer Natürlichkeit, sondern Instrument individuell-egoistischer oder politisch-gesellschaftlicher Strategien. Mit den Worten des Textes: Es gibt keine staatliche Verschwörung zum Bösen, es gibt Kunden und Anbieter. (ibid.: 7)

Sexualität wird – und das spiegelt sich in der Ausgrenzung der Anthropologin wider – nicht mehr als anthropologisches und damit lebensmodellrelevantes Konzept begriffen, sondern hier vor allem als ökonomisches Gut. Entsprechend kann genetisches Material kapitalisiert werden, es wird zur Ware, zum neuen Differenzierungsund Stratifizierungssystem, das mit ökonomischem und kulturellem Kapital verwoben ist. Dahinter verbirgt sich eine Instrumentalisierung des Genoms, das optimiert und optimal selegiert werden muss (163–164, 311). Dies lässt sich im Folgenden am Beispiel des Klonens und der genetischen Manipulation aufzeigen.

c) Biopolitische Reproduktionsregime Durch reprogenetische Techniken ist Sexualität nicht mehr nur sozial normierbar, sondern der biologische Mechanismus der Fortpflanzung selbst wird dem Menschen zugänglich und von diesem tendenziell beeinflussbar. Insbesondere am Beispiel des

252 Die Anthropologin periphrasiert textintern die Annahme, dass nicht „Gene, sondern Hormone [. . . ] den Mann zum Vater [machen]“ (Rauch 2006; vgl. Storey 2000). Diese wird dort auch dadurch gestützt, dass dies bei van Steeb und dessen geklontem Kind ja gerade der Fall ist. Zu einer evolutionsbiologischen Erklärung von Vaterschaft im Sinne der Optimierung von Überlebenschancen der Gruppe siehe Fthenakis (1985: 30).

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reproduktiven Klonens und der genetischen Manipulation von Menschen fragen einige der Texte nach gesellschaftlichen Einflüssen auf die Reproduktion.253 Während Blueprint die beginnende Anpassung der Gesellschaft an die Existenz von Klonen vorführt, ist das reproduktive Klonen in anderen Texten längst etabliert und hat die entsprechenden Gesellschaften nachhaltig transformiert: In Duplik wird uns eine Gesellschaft vorgeführt, in der reiche Menschen, einen „Duplik“ (Klon) besitzen, der in vollkommener Unkenntnis seiner Lage gehalten und als Versicherung, d. h. als Organreservoir, benutzt wird. Der Text markiert das Klonen dabei als Spitze von Techniken einer fortschritts- und mediengläubigen (70) sowie menschenverachtenden Gesellschaft. Noch einen Schritt weiter geht Markenmenschen, wo sich Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu einem ausgeklügelten Reproduktionsregime zusammengeschlossen haben, sodass nur noch genetisch überprüfte und zertifizierte Menschen Nachwuchs zeugen dürfen (47), wilde Schwangerschaften jedoch stigmatisiert werden. Techniken der Genmanipulation werden eingesetzt, um die Embryonen von unerwünschten Genen zu befreien und genetisch aufzurüsten. Dabei spielen gesellschaftliche Normen ebenso eine Rolle wie Mode, was an Markenzeichen einzelner Serien von „Markenmenschen“, wie dreieckigen Ohrläppchen, zu erkennen ist. Hiermit geht ein Perfektionierungswahn einher, der „normgerechtes Aussehen“ mit immer feineren Mechanismen der Abgrenzung von „Normmenschen“ und der Ausgrenzung von „Mindernormmenschen“ erzwingt und letztere an den Rand der Gesellschaft verbannt (40–42; 58–59, 65, 74): Jean-Paul: [. . . ] Weg von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. . . Benjamin: . . . hin zu Standardisierung, Ästhetisierung, Optimierung! (ibid.: 59)

Die Texte führen damit einen sich verändernden Normalitätsbegriff vor, der auf größtmögliche Normierung bzw. „Optimierung“ des Individuums abzielt.254 Die angebliche Befreiung aus dem Griff der Natur verkehrt sich in die Fremdbestimmung des Individuums durch seine Mitmenschen, wobei diese Fremdbestimmung bereits vor der Geburt durch Präimplantationsdiagnostik und Keimbahntherapie als Instrumente eines Social Engineering erfolgt. Die Dynamik der Normierung wirkt daher in mehrere Richtungen: Zum einen erhebt sie die genetische Manipulation von Embryonen zum Standard, wodurch Nichtmanipulierte zur obszönen Abweichung werden (61, 110– 111). Als Extrem dieser Abweichung werden all diejenigen gebrandmarkt, die auch in realen Gesellschaften bereits Diskriminierung ausgesetzt sind. Folgerichtig entsteht innerhalb der Menge der Normmenschen eine neue Abgrenzung von besseren und schlechteren Normmenschen.

253 Der folgende Abschnitt stellt eine Fortführung früherer Überlegungen in Halft (2011a: 199–203) dar. 254 Die dargestellte Welt von Duplik hat dazu eine neue DIN-Norm für Embryonen eingeführt (72).

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Diese Abgrenzung manifestiert sich in den Texten Designerbaby, Duplik, Klonfarm und Markenmenschen auch konkret räumlich, indem die Klone oder Mindernormmenschen in Spezialeinrichtungen isoliert werden. Textintern wird ein Ausnahmezustand geschaffen, der in diesen Räumen verstetigt wird. Sie sind Lager im Sinne Agambens: Im Lager erhält der Ausnahmezustand, der vom Wesen her eine zeitliche Aufhebung der Rechtsordnung [. . . ] war, eine dauerhafte räumliche Einrichtung [. . . ]. [. . . ] Es ist ein Stück Land, das außerhalb der normalen Rechtsordnung gesetzt wird, deswegen jedoch nicht einfach Außenraum ist. [. . . ] Was [. . . ] auf diese Weise vor allem in die Ordnung hineingenommen wird, ist der Ausnahmezustand selbst. (Agamben 2002: 177–179)

Die Einhegung des ‚Anderen‘ der Gesellschaft in diesen Lagern markiert also einerseits textintern die zentralen Verwerfungslinien innerhalb dieser Gesellschaft, die das Lager als Regulator benötigt, um Stratifizierungsmechanismen aufrechtzuerhalten. Folge dieses Prozesses sind Entsolidarisierung (Markenmenschen: 67) sowie der Verlust von Sozialkompetenz, Empathie und anderen Fähigkeiten (69). Gesellschaftliche Sanktionsmechanismen schränken das Individuum sowohl in seinen Entscheidungen als auch in seinen genetischen Anlagen ein, und die natürliche Selektion wird durch gesellschaftliche Modezyklen ersetzt. Anders gewendet, wird aus einer scheinbar Freiheit gewährenden Technik das Mittel gesellschaftlicher Kontrolle: „Das Leben der menschlichen Gattung [. . . ] wird zur Zielgröße alltagspolitischer Techniken“ (Gehring 2008: 91). Andererseits repräsentieren diese Lager natürlich auch textexterne Denkstrukturen in Bezug auf die Differenzierung von ‚natürlichem‘ und ‚künstlich erschaffenem‘ Leben. Eine Tilgung dieser Räume wäre positiv zu bewerten, da dadurch der Ausnahmezustand und die Herabstufung der internierten Figuren aufgehoben würden. Dies ist aber nur in Klonfarm II der Fall. Die gänzliche Tilgung der Klone bestätigt dort jedoch die Trennung zwischen Mensch und Klon, zwischen ‚natürlichem‘ und ‚widernatürlichem‘ Leben. Sexualität gerät in den Texten zum Objekt normierender Techniken, die in sozialpolitische Strategien eingebunden sind. Als Merkmal eines emphatischen ‹Lebens› scheint sie deshalb untauglich geworden zu sein. Sie ist nurmehr ein „banales körperliches Bedürfnis [. . . ], [. . . ] ein Trieb, den es abzureagieren gilt“ (Markenmenschen: 39).

4.3.4.2 Entfremdung von Mensch und (Post-)Natur Auch im Hinblick auf das Naturbild zeichnet sich eine wandelnde Wahrnehmung ab. Die Texte problematisieren, dass die Natur in den dargestellten Welten durch das Eingreifen des Menschen so weit transformiert wurde, dass neben der ursprünglichen Natur eine durch den Menschen geschaffene ‚Postnatur‘ entsteht. Diese droht

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231

Tabelle 4.4: Opposition von Natur und ‹Postnatur› (Auswahl) Naturbilder Natur

Postnatur

Gleichgewicht

Ungleichgewicht

organisch

mechanisch

Schöpfung

Produkt

Einklang

Entfremdung

Defizienz?

Optimierung?

Zufall

Kontrolle?

...

...

die ursprüngliche Natur zu verdrängen: „Wir leben in einer postnatürlichen Welt“ (Pilz: 6).255 Indem der Mensch in die Natur eingreift und sie technisch manipuliert, schadet er dieser nicht nur (Ungleichgewicht), sondern erschafft sich eine „Welt aus zweiter Hand“ (Schwarm: 273), die ihn von der eigentlichen Natur entfremdet. Dem Glauben, dass der Mensch die Natur dadurch ‚optimiere‘ oder sie sich gar unterwerfe, treten insbesondere die Texte von Bernhard Kegel nicht ohne ironische Seitenhiebe entgegen. In Pilz erschaffen Wissenschaftler der Firma „Gentel“ zahlreiche gentechnisch manipulierte Organismen. Oftmals unbeabsichtigt entkommen diese aus ihren Laboratorien in die freie Natur und transformieren dort ganze Ökosysteme. Die Herstellbarkeit von organischem Leben im Labor entwertet dieses, sodass künstlich geschaffene, lebendige Kuscheltiere zur Urlaubszeit wie Müll auf Parkplätzen entsorgt werden. Die Nahrungsmittelindustrie der dargestellten Welt fertigt außerdem natürlich aussehende Nahrungsmittel, die jedoch hochgradig manipulierte Hightech-Produkte sind – etwa geklontes Pfirsichfruchtfleisch, auf das eine künstliche Prägung eines nicht-existenten Kerns aufgebracht wird. Dass die Natur nur als begrenzt optimierbar konzeptualisiert wird, zeigt sich vor allem an der misslungenen Manipulation der Mykosymbiose256 , die die skandinavischen Wälder in Schleimtümpel verwandelt. Mit dem Ende der Narration führt der Text schließlich nicht nur vor, dass eine Kontrolle der Postnatur ebenso wenig möglich ist wie die Unterwerfung der Natur, sondern auch, dass die Anpassungsfähigkeit der Natur unhintergehbar ist: In „Assimilatoren“

255 So auch bei Habermas (2001: 83, Hervorhebungen im Original): „In dem Maße, wie die zufallsgesteuerte Evolution der Arten in den Eingriffsbereich der Gentechnologie und damit des von uns zu verantwortenden Handelns rückt, entdifferenzieren sich die in der Lebenswelt nach wie vor trennscharfen Kategorien des Hergestellten und des von Natur aus Gewordenen“. 256 Das ist die Symbiose von Bäumen mit speziellen Pilzen zum gegenseitigen Vorteil. Diese schlägt im Text in Parasitismus um, wodurch die Bäume absterben.

232

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werden an den Meeresküsten genetisch manipulierte Hochleistungsalgen gehalten, die Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre filtern. Durch den Anschlag einer radikalen Naturschutzorganisation werden die Algen freigesetzt. Anstatt beim Kontakt mit Meerwasser zu platzen, passen sich einige Zellen an und vermehren sich. Die Folgen lässt der Text im Dunkeln, sanktioniert aber symbolisch die Allmachtsfantasien der Wissenschaftler der dargestellten Welt. Ganz ähnlich verfährt auch Sexy Sons, wo ein hybrides ölfressendes Bakterium in der freien Natur mutiert und nunmehr nicht nur Ölteppiche, sondern gleich die ganzen tiefseeischen Ölvorräte des Planeten zersetzt. Auf diese Weise verwerfen die Texte die Vorstellung einer Postnatur, die als potenzieller Ersatz oder auch nur als Ergänzung der Natur fungieren könnte. Rechnerisch ließ sich diese Nuss kaum knacken. [. . . ] Die Natur kannte keinen Durchschnitt [. . . ]. Sie war eine Aufeinanderfolge unkalkulierbarer Momentzustände und Extreme. (Schwarm: 423)257

Im Rückgriff auf chaostheoretische Paradigmen machen die obigen Texte deutlich, dass der Mensch weder die Natur, noch die von ihm geschaffene Postnatur zu bändigen imstande ist.258 Somit wird die Natur selbst als unhintergehbar markiert: Ihre Komplexität entzieht sich dem Menschen und die Summe aller Eingriff in ihre Abläufe sind nicht kalkulierbar (Pilz: 224, 334–337, 362–363). Als Rückzugs- oder Entwicklungsraum oder gar als Referent eines romantischen Naturbildes kann dieses Konzept von Natur jedenfalls nicht mehr dienen.

4.3.4.3 Naturalistischer Humanismus Auf die sich als unhintergehbar und irreduzibel komplex erweisende Natur reagieren die Texte mit unterschiedlichen Positionen, die von einem radikalen Naturalismus bis hin zu naturtheologischen Varianten reichen:

1.

Radikaler Naturalismus: „Ich glaube an die Vernunft, an die Logik, auch an die Natur, an die Chemie, die Physik. Ich bin Wissenschaftlerin mit Leib und Seele. Die Theologie ist keine Wissenschaft, sie ist reine Spekulation und [. . . ] ein brutales Herrschaftsinstrument“ (Klonfarm: 100).259

257 Weitere, ähnlich gelagerte Beispiele finden sich u. a. in Cusanus: Entwicklung von manipulierten Organismen nicht absehbar (203, 499), R− evolution: Zerstörung des natürlichen Gleichgewichts (145). 258 Unterschwellig schwingt hier natürlich auch Goethes Zauberlehrling (1797) mit, der die von ihm gerufenen Kräfte nicht zu bändigen weiß. Es handelt sich also um ein literarisches Deutungsmuster, welches hier wenigstens implizit zur Interpretation der Situation aufgerufen wird. 259 Ähnlich auch in Schilf : „Wer nicht an Gott glaube, [. . . ] müsse die Statistik bemühen. [. . . ] Die einzig logische, nicht-theologische Erklärung der menschlichen Existenz liege darin, sich den Raum und damit die Zeit als einen ungeheuren Stapel von Welten zu denken“ (65).

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2.

233

Naturalistischer Humanismus260 : „Sie konnten einen Weg finden, Mythologie und moderne Wissenschaft harmonisch zu vereinen“ (Schwarm: 318). „Wir sind nicht das zwingende Resultat irgendeiner Höherentwicklung der Natur [. . . ]. Der Mensch ist ein Zufallsprodukt. [. . . ] [W]ir sind nur eine kleine Gruppe aus der Spezies der Säugetiere, die von der Evolution längst noch nicht als Erfolg verbucht wurde. [. . . ] Wenn es einen Gott gibt und er ein intelligenter Gott ist, hat er es so eingerichtet, wie ich es schildere. Dann sind wir nicht sein Meisterstück, sondern eine Variante, die nur überleben wird, wenn sie sich ihrer Rolle als Variante bewusst wird“ (ibid.: 770–771).

3.

Pantheismus: „Um hier draußen zu bestehen, brauchte man eine gewisse pantheistische Grundhaltung. [. . . ] Man war nicht wichtig, sondern Bestandteil der beseelten Welt, die sich in Tieren, Pflanzen und im Eis manifestierte und gelegentlich auch in Menschen“ (ibid.: 627, Hervorhebung im Original).

4.

Naturtheologie / Intelligent Design: „Gott gab der Natur die Natur“ (Schatten: 130).

Während die radikal naturalistische Position einen Schöpfergott gänzlich negiert und damit zu einem antihumanistischen Wissenschafts- und Fortschrittsoptimismus tendiert, schließt die naturtheologische Position natürliche Ursachen gänzlich aus. Dazu wird auf Strukturen verwiesen, „die so komplex zusammengesetzt sind, dass alle Teile von Anfang an zugleich und vollständig vorhanden sein müssen, um zu funktionieren“ (Harke 2008: 26–27). Ihnen wird also zwingend eine intelligente Ursache unterstellt. Insbesondere Schwarm stellt diesen Extrempositionen weitere zur Seite, die als Pantheismus oder naturalistischer Humanismus umschrieben werden können, in denen philosophisch-theologische und (natur-)wissenschaftliche Deutungsmuster koexistieren. Dies deutet sich in Schwarm bereits darin an, dass die Paradigmen einer göttlichen und einer natürlichen ‹Ordnung› tendenziell konvergieren. Die Texte verbinden also eine humanistische Weltanschauung, die den Menschen als selbstbestimmten Gestalter seiner Welt konzeptualisiert mit einer naturalistischen (nichtreduktiv-materialistischen261 ) Weltanschauung, in der nur natürliche Faktoren eine

260 Einen einführenden Überblick zum naturalistischen Humanismus bietet Schmidt-Salomon (2010). 261 1. „In der raum-zeitlichen Welt existieren nur die von der Physik postulierten elementaren Partikel und deren Aggregate“ (Kim 1998: 255). 2. „Wenn materielle Partikel-Aggregate eine entsprechende Ebene struktureller Komplexität erreichen, tauchen bei der Charakterisierung dieser strukturellen Systeme genuin neuartige Eigenschaften auf“ (ibid.). 3. „Emergente Eigenschaften sind auf die niederstufigen Phänomene, aus denen sie emergieren, nicht reduzierbar und lassen sich auf der Basis dieser Phänomene auch nicht prognostizieren“ (ibid.: 256). Zu weiteren Merkmalen emergentistischer Theo-

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Textanalytischer Teil

Rolle spielen, aus denen auch unvorhersehbare, emergente Eigenschaften (‚Geist‘) hervorgehen können. Dass ähnliche Tendenzen auch in anderen Texten erkennbar sind, lässt vermuten, dass sich mit dem naturalistischen Humanismus ein neues Weltbild zu konstituieren beginnt. Dieser Prozess scheint jedoch noch längst nicht abgeschlossen. Die daraus resultierende ideologische Unbestimmtheit und Ungewissheit bleibt nicht folgenlos.

4.3.4.4 Relativierung theologischer Weltbilder Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass die Texte nicht nur das Natur- und Menschenbild reflektieren, sondern auf dieser Basis die Relevanz theologischer Weltbilder erörtern und stellenweise auf die Relativierung der institutionalisierten Konfessionen bzw. der Religion als solches anspielen. Es scheint, als könnten diese nicht mehr adäquat auf die komplexe Welt reagieren: Der Wiederholung bekannter Dogmen wie des „Schöpfungsrecht[s] Gottes“ (Duplik: 141) folgen in den Texten keine klar umrissenen Positionen, die Kirchen degenerieren zu Sekten oder werden durch okkultistische Strömungen verdrängt (Cusanus). Viele Figuren äußern daher Zweifel am theologischen Weltbild oder bezeichnen sich ausdrücklich als Atheisten (Götterdämmerung: 111). Selbst, wenn das Vertrauen auf die menschliche Schaffenskraft (Pilz: 19) schlussendlich oftmals relativiert wird: Die institutionalisierte Religion bleibt auf dem Rückzug. Allegorisch wird dies u. a. in Copy und Zweiundvierzig illustriert: Auf die Tatsache, dass es sich beim Jugendlichen Wolfgang um einen Klon handelt, kann der Religionslehrer seiner Schule nur mit Fanatismus reagieren und wird von der Schuldirektorin schließlich in seine Schranken gewiesen (Copy: 72). In Zweiundvierzig begegnet Adrian einem Mann, der Blaise Pascals Pensées262 liest. Sein Eingefrorensein in der Zeit und weitere negative Bezugnahmen auf Gott relativieren theologische Wirklichkeitsdeutungen. Schwarm reflektiert diese Fragen in Form einer evolutionsbiologisch aktualisierten Theodizee. Die relevanten Passagen des syntagmatisch hervorgehobenen Epilogs seien hier etwas ausführlicher zitiert: rien siehe Stephan (2005: 14–65). Einen Überblick über die Geschichte des Emergenzbegriffes gibt: Stöckler, Manfred (1990): Emergenz. Bausteine für eine Begriffsexplikation. In: Conceptus, Jg. 24, H. 63, S. 7–24. Zur Kritik siehe Stephan (2005: 131–155). 262 Bei den Pensées handelt es sich um ein Fragment, welches als Apologie des Christentums geplant war. Sie stellen die Rationalität der vermeintlichen Irrationalität der Religion gegenüber und zielen darauf ab, Atheisten die Religion als achtens- und liebenswert zu vermitteln, indem sie ihnen die missliche Lage des Menschen ohne Gott vor Augen führen. Die in den Pensées formulierte Wette stellt ein Gedankenexperiment dar, das Einsatz und Gewinn für die Existenz bzw. Nicht-Existenz Gottes gegenüberstellt. Sie kommt zu dem Schluss, dass es sich für den Menschen auf jeden Fall lohne, ‚auf Gott zu setzen‘ (vgl. Sabalat 2000: 17–22, 61–66).

Leben

235

Wie sollen wir an uns selbst gesunden angesichts des Scherbenhaufens, der von unserem Selbstverständnis geblieben ist? Die etablierten Religionen bleiben die Antwort schuldig [. . . ]. Die Kirche akzeptierte notgedrungen, dass Gott mit Proteinen und Aminosäuren begonnen hat. [. . . ] Das Problem war anderer Natur: [. . . ] Gott hat mit der Menschheit nicht gerade Sein Meisterstück abgeliefert. [. . . ] Aber konnte man sicher sein, ob Gott nicht anderswo andere Wege gefunden hatte, die Verfehlungen Seiner Schöpfung zu sühnen? [. . . ] Schon tat sich ein neues Problem auf: [. . . ] Wie stellte sich Gottes Unfehlbarkeit dar, wenn Er zur Reinwaschung Seiner Schöpfung hier seinen Sohn sterben ließ, dort aber nicht? War es ein Fehler gewesen, ihn zu opfern, den Er auf anderen Welten keinesfalls wiederholen wollte? Und welchen Sinn sollte es haben, zu einem Gott zu beten, der die Dinge nicht verlässlich im Griff hatte? Streng genommen konnte das Christentum also nur Intelligenzen akzeptieren, die eine Passionsgeschichte vorzuweisen hatten. Andernfalls schnitt entweder die Menschheit schlecht ab oder Gott. Aber selbst die Hüter der christlichen Doktrin konnten kein Universum voller Passionsgeschichten voraussetzen, also was blieb? Unsere Einzigartigkeit auf Erden. [. . . ] Doch die Bastion ist gefallen. Die Yrr haben den letzten fundamentalen Anspruch des Christentums zunichte gemacht. Nicht nur die menschliche Vorherrschaft ist in Frage gestellt, sondern auch Gottes Plan. [. . . ] Was nur heißen kann, dass Gott a) nicht existiert, b) nicht die Kontrolle hat oder c) das Tun der Yrr gutheißt. Dann hätten wir uns einem Irrtum hingegeben, der so alt ist wie die Menschheit. Wir sind gar nicht gemeint gewesen! [. . . ] Die Welt verfällt. (ibid.: 983–986)

Angesichts der Endsituation in der dargestellten Welt verabschiedet der Text zunächst das etablierte Weltbild und menschliche Selbstverständnis als Krone einer göttlichen Schöpfung. Die Argumentation suggeriert, dass Gott entweder fehlbar ist oder nicht existiert. Die Kernfrage nach der Vorherrschaft des Menschen auf der Erde kann der Text jedoch in der dritten Möglichkeit sogar ohne Rückgriff auf theologische Argumente rundheraus negativ bescheiden: Die Übermacht der Natur, repräsentiert durch die Yrr, lässt keine Zweifel daran, dass der Mensch nur eine Variante des Lebens auf der Erde ist. Die Passage verwirft damit nicht nur das anthropozentrische Weltbild, sondern auch die Sinnhaftigkeit der Frage nach Gott, denn alle vom Text präsentierten Antworten verweisen den Menschen zurück auf sich selbst und das Verhältnis zur Natur. In diesem aktualisierten Weltbild ist für einen anthropomorphen Gott kein Platz mehr: Mit dem Überleben der Figuren Samatha Crowe und Leon Anawak verwirft der Text die oben skizzierten Extrempositionen zugunsten eines naturalistischen Humanismus, der ein Minimum an abstrakt-pantheistischer Spiritualität zulässt.

4.3.4.5 Negieren metaphysischer Existenz Ausgehend von dieser Relativierung theologischer Weltbilder ist es verständlich, weshalb sich vor allem christliche Auffassungen vom Tod als Schwellenerfahrung, die zwischen dem irdischen Leben und einem himmlischen Leben steht, in den analysierten Texten kaum finden. Der Tod ist hier zumeist schlicht das Ende des Lebens. Er erscheint wörtlich als ewige Ruhe: Am Anfang und am Ende des Lebens ist Ruhe. (Blueprint: 154)

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Textanalytischer Teil

Aber auch dem Traum eines ewigen Lebens, etwa durch Klonierungstechniken, erteilen die Texte eine Absage. Da das Leben selbst als todesgleich erscheinen kann, wenn das Subjekt entfremdet und isoliert ist, unterscheidet es sich vom Tod qualitativ nurmehr durch dessen Endgültigkeit. Leben und Tod sind in diesem Fall indifferent. Weitere Bezugnahmen auf den Tod sind eher divergent. So wird er einerseits negativ semantisiert als negativer Höhepunkt von Selbstverlust,263 Erlösung von psychischen oder physischen Leiden (Duplik), ideologisch motivierte Sanktion (Entzug des biologischen Lebens z. B. aus mangelndem Respekt vor selbigem) im Rahmen einer Narration und im Falle des Todes einer nahestehenden Person auch als Verlust eines Teils des Selbst.264 Andererseits kann der physische oder metaphorische Tod einer Person mitunter auch positiv als Befreiung265 einer anderen Person semantisiert werden. Metaphysische Überlegungen spielen in diesen Bezugnahmen jedoch keine Rolle, sodass die Texte eine metaphysische Existenz des Menschen überwiegend zu negieren scheinen. Dies drückt sich z. B. darin aus, dass Kommissar Schilf nach der Diagnostizierung eines Hirntumors zwar darüber nachdenkt, unter welchen Umständen er die Nachricht erhalten hat, nicht jedoch über die emotionalen, sozialen, physischen, psychischen oder – im Falle seines Todes – metaphysischen Folgen (Schilf : 154–155). Nur vor diesem Hintergrund kann Zweiundvierzig (309) postulieren: „Unsere Zukunft ist der eigene Körper“ und die menschliche Existenz auf seine körperliche Form begrenzen. Metaphysische Aspekte des Sterbens oder des Todes greifen lediglich Schwarm und die eher randständigen Texte Schatten und Sisyphos auf. Vermittelt durch die indianische Mythologie wird in Schwarm auf eine Geisterwelt angespielt (931).266 Die Figur Greywolf glaubt z. B. daran, dass sie als Orca wiedergeboren werden könnte, wenn ihr Leben (von welcher Instanz auch immer) als gut befunden würde (905). Wie auch in Sisyphos wäre der Tod dann nur eine „Transformation“ (90). Der Text inszeniert Greywolfs Tod als Selbstaufopferung, die seinem Leben ex post Sinn verleiht. Ähnlich bindet wiederum Sisyphos den Tod in den Lebenslauf ein und greift dabei auf eine naturalistisch-humanistische Position zurück: Die organische Existenz des Menschen? Immer wieder musste er über ihre Verletzbarkeit und ihre begrenzte Lebensspanne nachdenken. (ibid.: 82) Erst wer den Tod mit einbezieht, ergreift auch das Leben. (ibid.: 91)

Zwar spielt der Text im zweiten Zitat einerseits auf eine metaphysische Existenz des Menschen nach dem Tod an. Andererseits wird der Tod aber zugunsten einer selbst-

263 Schwarm, Sexy Sons, Venuspassage. 264 Cusanus, Götterdämmerung, Schatten. 265 Blueprint, Copy, Markenmenschen, Pilz, Schwarm, Vermessung. 266 Durch die Einbrüche fantastischer Elemente in die Welt von Vermessung wird eine solche auch dort angedeutet.

Leben

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genügsamen Lebensweise und einer erotisch-partnerschaftliche Variante von ‹Leben› relativiert. Ähnlich vage bleiben auch die Ausführungen in Schatten: Die Gesetze von Materie und Geist, im Fluss von Energie und Information, im Rhythmus von Tod und Leben, sind nicht da, um etwas zu bestimmen. – Die wahre Freiheit: Alles kann entstehen, nichts ist von Dauer. Für die Evolution der Systeme hat das Individuum sein höchstes Opfer zu entrichten. – Der Preis der Freiheit – für die Seele aller Dinge. (ibid.: 165)

Angedeutet werden hier Gesetzmäßigkeiten, die Naturgesetzen ähnlich sind bzw. sich in Kategorien von Physik, Informationstheorie und systemtheoretischer Biologie beschreiben lassen.267 Hierin scheint der Versuch auf, das Bibelwort, dass der Mensch vom Staub komme und zum Staub zurückkehre (Genesis 3,19), quasi-wissenschaftlich zu deuten. Vermessung thematisiert diese Umstände auf einer Metaebene: Im Kapitel „Der Garten“ trifft Gauß auf Gott. Dieser hat jedoch sein Interesse an den Menschen verloren. Er ist im Wortsinne nur noch Deus absconditus, ein verborgener Gott, der durch Atheismus (Napoleon) und die Naturwissenschaften verdrängt wurde, und dem die Restauration nur eine kurze Pause gönnt (vgl. Rickes 2007: 94–95). Dieses Vakuum füllen andere Texte mit synkretistischen Deutungsmustern und pantheistischen Überlegungen, die jedoch kein kohärentes System bilden. Die Antworten liegen bei uns. Nur bei uns. [. . . ] Erst die Erkenntnis unserer Herkunft [. . . ] wird uns den Weg in eine bessere Zukunft weisen. (Schwarm: 987)

Sinn kann – wenn überhaupt – im Irdischen gefunden werden. Metaphysische Kategorien werden dabei zugunsten von evolutionsbiologischen und ökologischen ausgeblendet.

4.3.4.6 Kommerzialisierung des genetisierten Körpers Die Texte verweisen das Subjekt folglich auf seine irdische Existenz, deren wörtliche Inkarnation der Körper selbst darstellt. Dieser erscheint in Zeiten molekularbiologischer und genetischer Forschung jedoch vor allem als Produkt des individuellen Genoms. Als solches wird er in vielen Texten kommerzialisiert. Kommerzialisierung bezeichnet dabei einen Prozess, in dem wirtschaftliche Aspekte zunehmend gegenüber anderen, ideellen Aspekten an Bedeutung gewinnen. [. . . ] Unter Kommerzialisierung des menschlichen Körpers soll folglich verstanden werden, dass körperliche Bestandteile primär als verfügbare Sachgüter behandelt werden, die dann zum Tausch oder Kauf freigegeben werden und somit erwerbbar sind. (Beck 2010: 184)

267 Siehe dazu auch Abschnitt 4.3.5.

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Textanalytischer Teil

In der Tat werden in den Texten wirtschaftliche Bewertungsmaßstäbe als derart zentral dargestellt, dass sich von einem Primat der Ökonomie sprechen lässt. Dies zeigt sich in einigen Texten etwa an der Überordnung wirtschaftlicher über andere gesellschaftliche oder gar individuelle Interessen: Natürlich weiß ich, bei wem ich arbeite und dass unsere Bosse keine Wohltäter der Menschheit sind, sondern Zahlen sehen wollen. (Götterdämmerung: 100) Also ich sehe keinen Grund, warum wir nicht ebenfalls Burger verkaufen können, die aus dem Fleisch unserer infizierten Tiere hergestellt sind. (Infekt: 187) Technische Probleme wurden ohne Rücksicht auf Kosten der Umwelt gelöst. (Schwarm: 64)

Hierdurch wird der Körper in mehrfacher Weise zum Produkt: Erstens ist der Körper in den Texten ins Zeitalter seiner biotechnologischen Manipulierbarkeit und Reproduzierbarkeit eingetreten,268 d. h. vor dem Hintergrund eines naturwissenschaftlich-materialistischen Welt- bzw. eines genetischen Körperbildes wird der Körper auf seine genetische Konstitution reduzierbar und dadurch modifizierbar und reproduzierbar. Designerbaby greift diesen Umstand insofern auf, als die Gentechnik dort umfassend ökonomisch genutzt wird und Pflanzen, Tiere und Menschen genetisch manipuliert oder teilweise sogar gänzlich künstlich gemacht werden: Sofia möchte unbedingt ein Baby haben. Es soll unbedingt ein makelloses Baby sein. Wunderschön [. . . ]. Außerdem natürlich gesund, klug, begabt und so weiter. [. . . ] Sie geht zum nächsten Genosan-Berater. Dort muss man einen Fragebogen ausfüllen, damit die Blauen genau wissen, was Sofia für ein Kind wünscht. [. . . ] Es gibt Kataloge für Nasen, Augen, Haare. [. . . ] Dann wird alles im Labor [. . . ] zusammengemischt. (ibid.: 132–134, Hervorhebung im Original)

Die Entscheidung für ein Kind ist in der dargestellten Welt ästhetischen und vor allem ökonomischen Erwägungen unterworfen, da die oben zitierten genetischen Manipulationen „extra“ kosten. Dabei können körperliche Eigenschaften aus Katalogen ausgewählt und modular zum Wunschkörper zusammengesetzt werden. Das empfangene Kind ist nicht primär Mensch, sondern körperliches Produkt, das bei Nichtgefallen wegen ‚Mängeln‘ zurückgegeben werden kann: Der „Garantiefall“ tritt ein (134). Gentechnologie, Körper und Gesellschaft werden auf diese Weise auf das Engste verflochten. Die Gentechnik wird durch die Modifizierung und Normierung des Körpers zur repressiven Gesellschaftstechnik.

268 Für eine qualitativ-ethnographische Fallstudie zur Kommerzialisierung und Medikalisierung des menschlichen Körpers in der Reproduktionsmedizin siehe: Ullrich, Charlotte (2010): Der Körper ist nicht unser Eigentum? Zur Kommerzialisierung des menschlichen Körpers in der Reproduktionsmedizin. In: Potthast, Thomas et al. (Hg.): Wem gehört der menschliche Körper? Ethische, rechtliche und soziale Aspekte der Kommerzialisierung des menschlichen Körpers und seiner Teile. Paderborn: mentis, S. 121–133.

Leben

239

Zweitens wird der Körper zu einer kommerziellen Ware auf einem von Preismechanismus und Modezyklen regulierten Markt, da seine Konstitution auf genetischer Basis käuflich ist und seine Teile (Organe) und Produkte (Sperma) vermarktet werden können.269 In einer dystopischen Vision präsentiert Sisyphos daher eine Welt, in der eine „Human-Kapital-Industrie“ (17) diverse intellektuelle und physischen Eigenschaften bzw. Komponenten käuflich anbietet und „Menschen wie Waren“ (be)handelt (85). Die maximale Steigerung dieser Kommerzialisierung wird in den Texten Duplik, Klonfarm und Sexy Sons erreicht: In Klonfarm wird der Körper in ein Netz ökonomischer Strategien und Techniken eingebunden. Dies beinhaltet zum einen, dass Kunden Klone aus Körpermaterial herstellen lassen können. Wie eine Dienstleistung wird der Prozess durch diverse Services eingerahmt (62), die jeweils individuelle Einflussnahmen auf das Material, den Prozess oder den Klon ermöglichen und diesen nach Wunsch formen. Zum anderen kann das Klonen nur dadurch realisiert werden, dass mittellose Frauen in eine Leihmutterschaft gelockt werden, in der sie ihren Körper als ‚Gebärmaschine‘ zur Verfügung stellen. Da ihnen das ausgetragene Kind abgenommen wird, verkommt es in doppelter Weise zum Produkt der Technik und des mütterlichen Körpers, das der Kundschaft übergeben werden kann. Auf diese Weise werden nicht nur ‚Mutter‘ und Kind einander entfremdet, sondern auch ‚Eltern‘ und ‚Kind‘, da dieses zunächst primär produzierte Körperware ist. In Duplik existiert ein gesellschaftlich akzeptiertes Reproduktionsregime, in welchem Klone ebenfalls warenmäßig von Leihmüttern ausgetragen werden (55, 102): Nach § 183a BGB sind Dupliks eine Sache. (ibid.: 138)

Den Dupliks wird als „Sache“ damit jegliche Gedanken- und Gefühlskapazität textintern abgesprochen (139). Daher können sie in Spezialeinrichtungen interniert und desinformiert werden. Ihr Daseinszweck besteht darin, mit ihrem Körper für die körperliche Integrität ihrer Spender und Kunden zu garantieren, d. h. sie werden als Ersatzteillager vorrätig gehalten.270 In Sexy Sons wird so nicht nur der Körper, sondern werden auch seine Produkte und seine Erscheinungsweise (Phänotyp als vermeintlicher Indikator des Genotyps) kommerzialisiert und als Projektionsfläche von Wünschen und gesellschaftlichen Idealen fetischisiert. Genom und Körper selbst werden zum Kapital eines neuen Differenzierungs- und Stratifizierungssystems, das mit ökonomischem und kulturellem Kapital verwoben ist (163–164, 311). Diese Form der Ent-

269 Zur Bewertung eines Menschenlebens aus ökonomischer Sicht siehe: Leiter, Andrea M. et al. (2011): Der „Wert“ des Menschen – eine ökonomische Betrachtung. In: Fischer, Michael; Seelmann, Kurt (Hg.): Körperbilder. Kulturalität und Wertetransfer. Frankfurt am Main: Lang, S. 45–58. 270 Die fehlende Kontrolle über den Körper fasst der Text in der Krankheit „Fraß“, die quasi einer Krebserkrankung nachempfunden ist: Jedes Mal, wenn dem Duplik ein Körperteil entnommen werden musste, heißt es zur Begründung, dieses sei vom Fraß infiziert gewesen. Der durch die Metapher evozierte Kannibalismus verweist auf die asymmetrische Machtrelation und die Skrupellosigkeit einer biotechnologisch gestützten Sklaverei. Siehe ausführlich in Halft (2011a).

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Textanalytischer Teil

grenzung der Ökonomie271 dürfte u. a. Auslöser für den Wertewandel sein, der ein individuelles Wertekonzept betont und eine soziale Einbindung des Subjekts erschwert. Drittens manifestiert sich in diesem Körper nicht mehr das Selbst, sondern gerade das Andere – die Gesellschaft, der Auftraggeber, das aktuelle Schönheitsideal – welches den vermeintlich ‚eigenen‘ Körper parasitär überformt. Entsprechend tritt der Körper den Protagonistinnen und Protagonisten als feindlicher Doppelgänger des ‚Originals‘ bzw. gesellschaftlicher Instanzen gegenüber, was insbesondere die Klone autodestruktive Tendenzen entwickeln lässt. Blueprint reflektiert dieses parasitäre Vorhandensein des Originals im Klon explizit und spielt auf die historischen Figuren Lazarus und Joannes Baptista Colloredo (*1617) an. Bei diesen handelte es sich um eine Sonderform siamesischer Zwillinge, bei denen ein Zwilling als unterentwickelter Autosit aus dem Körper des anderen herausragte. Die Figur Siri fühlt sich von ihrer ‚Mutter‘ in ähnlicher Weise physisch, phänotypisch und psychisch parasitär besetzt. Nachdem keine Möglichkeit besteht, sich vom Körper zu lösen, entwickelt Siri Strategien, sich vom Anderen im/am eigenen Körper zu distanzieren und dadurch eine personale Identität zu realisieren. Die Gestaltung des Körpers und des Aussehens wird dabei zum wesentlichen Werkzeug der Selbstfindung. Noch subtilere Mechanismen der Überformung des Körpers präsentieren Cusanus, Designerbaby und Götterdämmerung: In Cusanus werden „Nanotecten“ (482) in den Körper geschleust, um diesen zu sterilisieren, zu optimieren und nach Bedarf zu entemotionalisieren. Durch die Inkorporierung einer technischen Komponente wird der Körper seiner Natürlichkeit weitestgehend entfremdet und zur maschinenbewohnten Maschine, bei der Körperfunktionen und Geist nach Bedarf justiert werden können. In Designerbaby werden die missgebildeten Retortenkinder dergestalt indoktriniert, dass sie die Gesundheits- und Schönheitsideale der Gesellschaft genauestens kennen und sich dementsprechend als falsch empfinden. Entsprechend tritt ihnen im eigenen Spiegelbild die Divergenz von gesellschaftlicher Norm und eigener Abnormität entgegen. Der Körper wird hier zum Stigma der Abnormität und entlarvt gleichzeitig das Normensystem der dargestellten Welt. In ganz ähnlicher Weise wird in Götterdämmerung die Gentechnologie selbst in Beatrices Körper inkorporiert: Die Experimente zur Herstellung einer biologischen Waffe sind Teil ihrer Zellen, in denen ein latentes Virus ruht. Der Körper wird somit zum Bioreaktor degradiert. Exemplarisch verdichtet finden diese Tendenzen vor allem im Markenmenschen: Genetische Eigenschaften, die sich insbesondere auf die körperliche Erscheinung beziehen, können ausgewählt werden. Hierbei spielen nicht nur ökonomische, sondern auch modische Überlegungen eine Rolle. Menschen werden zu Produktserien, die mit entsprechenden Körperformen und serienspezifischen physischen oder materiellen Accessoires ausgestattet werden. Die jeweiligen Genkombinationen wer-

271 Siehe ausführlich dazu: Halft, Stefan (2009): Kultureller Wandel als Entgrenzung. In: Gräf, Dennis; Kolb, Verena (Hg.): Grenzen. Passau: Stutz, S. 259–283.

Leben

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den patentiert (41), sodass der Körper nicht nur Ich-fremden Normen unterworfen, sondern auch kommerzialisiert und dem Individuum sozusagen enteignet wird. Da natürlich empfangene Kinder stigmatisiert werden, sind diese zum Verbrauch als Körper-/Genmaterial in der Forschung freigegeben (62). Während die modifizierten Körper die herrschenden Werte und Normen inkarnieren, verkörpern die nicht-manipulierten Menschen den fleischgewordenen Normenverstoß, der ihren Körper zum Stigma werden lässt und individuelle Strategien des Umgangs erforderlich macht. Zum Dilemma wird für diese Menschen einerseits die Unmöglichkeit der Realisierung der gesellschaftlichen Werte am eigenen Körper, was eine soziale Integration ebenfalls unmöglich macht. Andererseits erfordert diese Situation ein (selbst-)bewusstes Externalisieren der gesellschaftlichen Normen. Gerade aber die Ablehnung der Norm führt die Abnormität des eigenen Körpers ständig neu vor Augen, deren Dominanz im Selbstbild somit unhintergehbar wird. Die Auseinandersetzung mit diesem Körperbild bzw. dem Körper selbst wird so zur zentralen Einflussgröße auf den Lebenslauf und verschiedene Lebensphasen des Subjekts. Indem die Texte Sexualität, Natur- und Weltbild, die Konkurrenz naturwissenschaftlicher und theologischer Weltbilder sowie die Kommerzialisierung des Körpers reflektieren, greifen sie zentrale gesellschaftliche Diskurse auf. Wenn dies teilweise auch der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Genre geschuldet sein mag, so zeichnen sich doch auch verallgemeinerbare Tendenzen ab. Dies gilt insbesondere dafür, dass die Relativierung theologischer Weltbilder bei gleichzeitiger Ablehnung wissenschaftlicher Deutungshoheit in doppelter Weise Unsicherheit erzeugt. Nicht nur der Platz des Menschen im Weltbild ist ungewiss, sondern auch, welches Weltbild überhaupt noch als Bezugsrahmen dienen kann. Hierin könnte schließlich ein Grund dafür liegen, dass emphatisches ‹Leben› in den Texten oft nicht explizit dargestellt oder aber außerhalb der Narration, in einem der Welt entzogenen quasi privaten Bereich, angesiedelt wird. Ähnliche Tendenzen zeichnen sich auch im Lebensbegriff selber ab, wie nun noch darzulegen sein wird.

4.3.5 Leben = Materie + x: Verhandlungen des Lebensbegriffs

Die Kulturwissenschaftlerin Kerstin Palm (2010) zeichnet in ihrer Habilitationsschrift die Dynamik des biologischen Lebensbegriffs zwischen dem 18. und 20. Jh. nach. Ausgehend von Küppers (1987: 17), der den Lebensbegriff der modernen Naturwissenschaften auf die Formel „Leben = Materie + Information“ bringt, weitet Palm diesen Versuch der Pointierung des Lebensbegriffs aus: Um 1700: Leben = Materie + Gottes Wirken [. . . ] Um 1800: Leben = [. . . ] selbsttätige Materie [. . . ] + Subjektivität [. . . ] Um 1850: Leben = (Newton-)Materie + technische Rationalität [. . . ]

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Textanalytischer Teil

Um 1900: Leben = (Newton-)Materie + organisches Unbewusstes [. . . ] Seit 1950: Leben = (Einstein-)Materie + Information

Die Formelfolge lässt erkennen, dass das Vorhandensein von Materie zwar als notwendige, nicht aber als hinreichende Bedingung für die Existenz von Leben (zoë) gilt. Aufschluss über das Denksystem einer Kultur und Epoche vermag also vor allem der zweite Summand zu geben. Für die Zeit um 1900 fällt z. B. auf, dass das Aufkommen der Psychoanalyse sich auch auf den biologischen Lebensbegriff auswirkt, zumal das Unbewusste nunmehr hinreichende Bedingung für die Existenz von Leben zu sein scheint. Auch die hier analysierten Texte thematisieren ‹Leben› explizit und eröffnen eine große Bandbreite kontextueller Semantiken eines gegenwärtigen Lebensbegriffs, wie sich an den folgenden Zitaten zeigt: Du vor allen anderen Menschen [. . . ] [wusstest], dass für die Großen dieser Welt das einzelne Leben nichts ist, wenn es um ihre Macht oder ihren Profit geht. (Götterdämmerung: 403) Die Ideen des Menschen sind die Partitur, sein Leben ist eine schräge Musik. (Schilf : 7) Es wimmelte dort von Leben. (Schwarm: 123) Das Meer. Die Wiege des Lebens [. . . ]. (Sexy Sons: 26) Kurz danach war die Lebenskraft seiner Mutter verbraucht. (Duplik: 87) Das Leben hat keinen Grund, etwas verbessern zu wollen. (Schwarm: 770)

Während im ersten Zitat „das einzelne Leben“ als Synonym für die (ökonomisch bezifferbare Wertigkeit der) Person steht, bezeichnet „Leben“ im zweiten Zitat primär den Lebenslauf einer Person, der sich zwar idealtypisch imaginieren, nicht aber planen oder allgemeingültig regeln lässt. Im dritten Zitat wird die Extension von „Leben“ auf unterschiedliche Lebensformen ausgeweitet, d. h. auf Organismen, die sich durch das gemeinsame Merkmal der Lebendigkeit auszeichnen. Diese Verallgemeinerung geht explizit aus dem vierten Zitat hervor, welches Leben als die einfache Tatsache des Lebens bzw. des Lebendigseins (zoë) fasst. Dieses Lebendigsein führen die letzten beiden Zitate auf die Vorstellung einer vitalistischen „Lebenskraft“ als Grundlage und eigenständiges Element des Lebendigen bzw. auf personale Qualitäten des Lebens selbst zurück. So lässt sich zum einen vorläufig festhalten, dass die analysierten Texte kein übergreifender Lebensbegriff verbindet und in den Texten zum anderen auch unterschiedliche Konzepte von Leben als zoë nebeneinanderstehen. Letztere sollen im Folgenden aufgefächert werden.

4.3.5.1 Unhintergehbarkeit von Leben (zoë) Die Texte, die neben den oben rekonstruierten anthropologischen Lebensmodellen auch den biologischen Lebensbegriff (zoë) thematisieren, sind gleichzeitig insofern

Leben

243

auffällig, als sie auch weitere Differenzierungen von ‹Leben› im Sinne von zoë einführen: Wenn die CX4s gar nicht im Labor gemacht werden, dann sind wir vielleicht auch nicht im Labor gemacht worden. Das bedeutet, dass wir Mütter und Väter haben. (Designerbaby: 27)

In Designerbaby treten drei Klassen von Lebewesen auf: Pflanzen, Tiere und Menschen. Innerhalb dieser Gruppen werden jedoch auch Grenzen zwischen verschiedenen Mitgliedern gezogen, die die Protagonistin Nora hier zu entdecken beginnt: Innerhalb der ersten Klasse existieren naturbelassene und genetisch manipulierte Pflanzen (z. B. Pizzaduftsträucher). Innerhalb der zweiten Klasse existieren Tiere wie etwa die Haustiere mit Namen CX4, die im Labor „gemacht“ werden, deren Erbgut also ausgewählt und rekombiniert wurde, und die dann auf vom Text ungeklärte Weise ‚geboren‘ werden. Die natürliche Geburt von CX4-Babys, legt nahe, dass es auch (im Text aber nicht dargestellte) Tiere geben muss, die gänzlich natürlichen Ursprungs sind. Ebenso sind in der dargestellten Welt Tiere denklogisch, die lediglich teilweise genetisch manipuliert wurden. Indem Nora diese Differenzierungen zu verstehen beginnt, begreift sie auch, dass es in der dargestellten Welt einerseits Menschen gibt, die natürlich empfangen und geboren wurden und solche, die genetisch manipuliert wurden. Menschen, deren Erbgut gänzlich neu rekombiniert wurde, sind nicht Teil der dargestellten Welt. Tabelle 4.5: Differenzierung von Lebewesen in Designerbaby Lebewesen Pflanzen

Tiere

Menschen

natürlich

+

(+)

+

manipuliert

+

(+)

+

künstlich

(+)

+



Zu der geläufigen horizontalen Differenzierung von Lebensformen272 tritt nun also auch eine quasi vertikale Differenzierung von Lebewesen, die deren Zustandekommen reflektiert. Während eine Dynamisierung dieser Grenzziehungen in Designerbaby bereits durch die natürliche Geburt von CX4-Babys angedeutet wird, werden

272 Vermessung führt eine aristotelische Einteilung von Lebewesen nach deren Seelenvermögen (im Sinne von De Anima, II, 2: 413a11–415a13) vor und ironisiert diese vor dem Hintergrund heutigen Wissens: Humboldt nimmt eine graduelle Einteilung von Lebensformen nicht-menschlichen Lebens vor, grenzt beide aber strikt voneinander ab. Hierdurch wird die horizontale Differenzierung semantisiert: „So steige das Leben durch Stadien wachsende Vererbung seiner Organisation, bis es jenen Sprung mache, den man getrost den weitestmöglichen nennen könne: den Blitzschlag der Vernunft. Hin zu ihm finde keine Entwicklung in Graden statt. Die zweitgrößte Beleidigung des Menschen sei die Sklaverei. Die größte jedoch die Idee, er stamme vom Affen ab“ (Vermessung: 237–238).

244

Textanalytischer Teil

diese Grenzen in anderen Texten noch nachdrücklicher thematisiert und problematisiert: Nur ein weltfremder Phantast konnte annehmen, dass man ein Lebewesen aus dem Reagenzglas ziehen und erwarten kann, es würde sich sozusagen im luftleeren Raum zu einem überlebenstüchtigen, fortpflanzungsfähigen, autarken Organismus entwickeln. (Cusanus: 458–459)

Das Zitat bezieht sich vor allem auf die Unterklassen manipulierter und künstlicher Pflanzen, die hier qualitativ herabgestuft werden, weil sie nicht dieselben Fähigkeiten wie natürliche Pflanzen hätten. Hierdurch wird deutlich zwischen natürlichen und künstlichen/manipulierten Pflanzen getrennt. Diese interne Differenzierung und Gewichtung wird in Markenmenschen, wo die Unterklassen manipulierter und annäherungsweise künstlicher Menschen (Klone) besetzt sind, auch auf die Klasse der Menschen übertragen: [W]ir schauen nur noch auf das, was wir nicht haben, und empfinden keine Dankbarkeit mehr für das, was wir haben, seit unser Leben kein Geschenk mehr ist, sondern ein Produkt der Gentechnologie. (ibid.: 51–52)

Der Text argumentiert, dass das menschliche Leben normalerweise ein Geschenk sei (von wem bleibt offen). Der genetisch modifizierte oder geklonte Mensch wird hierdurch als Ausnahme markiert. Diese Ausnahmestellung leitet sich aus dem Produktcharakter her, der ihn und damit alle gentechnologisch manipulierten oder erzeugten Organismen im Vergleich zu natürlichen Organismen qualitativ minderwertig macht: Das manipulierte und künstlich generierte Leben steht dem natürlichen Leben qualitativ nach. Es war so, als ob die Menschen eine instinktive Vorstellung davon hatten, wie natürliche Lebewesen aussehen mussten. Alles was davon abwich, gelangte in eine eigentümliche Zwischenkategorie. Es waren keine richtigen Lebewesen. (Pilz: 145)

Auf diese Weise wird also eine deutliche Grenzziehung zwischen den Unterklassen von Lebewesen vorgenommen. ‚Natur = ‹Leben›‘ vs. ‚Postnatur = ‹Nicht-Leben›‘ Die bereits eingeführte Differenzierung von Natur und Postnatur (siehe Tabelle 4.4) wird hier also semantisiert und mit dem Gegensatz von ‹Leben› und ‹Nicht-Leben› im biologischen Sinne korreliert. Diese Setzung ist jedoch nichtunproblematisch, wie insbesondere Pilz unterstreicht: Es gibt nicht mehr nur eine Form von Leben. Es gibt jetzt deren zwei: das natürliche Leben und das von Menschen veränderte, und es fällt zunehmend schwerer, beides auseinanderzuhalten. (ibid.: 226)

Wie es sich im Zitat andeutet, ist zwar die subjektive Bewertung von Natur/Leben und Postnatur/Nicht-Leben durchaus eindeutig möglich, eine sichere Unterscheidung jedoch kaum: Auch wenn das natürliche Leben dem postnatürlichen vorzuziehen ist,

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scheinen beide Eigenschaften zu teilen, die sie einander annähern. Dies äußert sich in Pilz und Sexy Sons darin, dass die künstlich geschaffenen Lebensformen (Algen, Bakterien, Käfer etc.) aus ihren Laborumgebungen ausbrechen, sich an die neue Umwelt anpassen und deren Evolution nunmehr beeinflussen. Sie zeigen also Eigenschaften, darunter Adaption und Reproduktion, die gemeinhin natürlichem Leben zugeschrieben werden. D. h., die von den Texten eingeführte Unterscheidung zwischen natürlichem und postnatürlichem Leben wird schließlich von diesen selbst eingeebnet. Es gibt nur ein ‚Lebensprinzip‘, welches die vom Menschen geschaffenen Organismen entweder erfüllen und damit Leben haben/sind oder nicht. Anders als im metaphorisch-anthropologischen Sinne kann man im biologischen Sinne sozusagen nicht nur ‚ein bisschen leben‘. Wie auch bei den Ausführungen zum Naturbegriff deutet sich hierin eine tendenzielle Gleichbehandlung unterschiedlicher Formen von Leben an. Vor dem Hintergrund quantenphysikalischer Forschung gehen Cusanus und Sisyphos sogar so weit, die Grenzziehung zwischen organischen und anorganischen Strukturen anzuzweifeln: Was er hier sah, schien [. . . ] die These zu widerlegen, dass irgendeine Lebensform der anderen überlegen ist. Was er hier sah, war die Gleichzeitigkeit der Formen des Lebens und der Synthesen aus ihnen. (Sisyphos: 82) In diesem Größenbereich verhalten sich organische und anorganische Strukturen gleich. (Cusanus: 213)

Eine Hierarchisierung oder Stratifizierung innerhalb von Klassen, insbesondere der Klasse der Menschen, wird damit vor dem Hintergrund im weitesten Sinne naturwissenschaftlicher Erkenntnisse abgelehnt. Das bedeutet aber auch, dass solche Differenzierungen auf ökonomischen oder soziopolitischen Machtkonstellationen beruhen.273 D. h., die Differenzierung von Lebensformen stellt einen genuin kulturellen Grenzziehungsprozess dar, der spezifisch ideologische Werte- und Normensysteme abbildet.

4.3.5.2 Dynamik der Grenzziehung am Beispiel Duplik Diese Problematik kultureller Grenzziehunsprozesse zwischen unterschiedlich bewerteten Formen von Leben wird in Duplik reflektiert: Die [Lebensschützer, SH] sind einfach für alles, was lebt, ohne Unterschied. Das bin ich absolut nicht. Es gibt eindeutig eine Werteskala des Lebenden. [. . . ] Und was die Menschen angeht: Wenn [. . . ] ein schwer behindertes Neugeborenes zur Welt kommt – was ist falsch daran, es zu töten und vor einem Dahinvegetieren zu bewahren? (ibid.: 92)

273 Siehe dazu die Ausführungen zu Reproduktionsregimen in Designerbaby, Duplik, Klonfarm und Markenmenschen auf Seite 228.

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Textanalytischer Teil

Im obigen Zitat wird eine Gleichsetzung alles Lebendigen textintern gerade abgelehnt. Wenngleich dies für eine Unterscheidung von Pflanzen und Tieren einerseits und Menschen andererseits derzeit noch gilt, vor allem im Hinblick auf Tiere bald jedoch schon heikel sein dürfte, provoziert der Text durch die Unterscheidung von ‚lebenswertem‘ und ‚nicht-lebenswertem‘ menschlichem Leben. Während die implizite Bezugnahme auf nationalsozialistische Vorstellungen von Eugenik und Euthanasie nicht per se problematisch ist, insofern diese im Text ja gerade diskursiviert und auf der Ebene des Gesamttextes auch verworfen werden, ergibt sich dadurch ein Dilemma, dass es eine aufgrund genetischer Defekte (Muskeldystrophie) in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkte Figur ist, die die obigen Ansichten äußert. Nun ließe sich einerseits konstatieren, dass der Figur die Worte in den Mund gelegt, die Figur damit instrumentalisiert und in extremem Maße diskriminiert würde. Andererseits weist der Text explizit darauf hin, dass eine allgemeingültige graduelle Skalierung (Person vs. Mitglied der Spezies homo sapiens) wenigstens von menschlichem Leben unmöglich ist: Darf man todkranke Menschen von ihren Leiden erlösen oder ist das Mord? Ist ein Mensch verpflichtet[,] seine Gene zu kennen[,] um der Gesellschaft durch vermeidbare Krankheiten nicht zur Last zu fallen, oder darf er einfach drauflosleben? [. . . ] Wo ist die Grenze? [. . . ] Je mehr sie darüber lasen und diskutierten, umso unlösbarer fand er diese Fragen. (ibid.: 59)

In der Summe scheint es also eher so, dass der Text – wenn auch auf recht krude Weise – die oben aufgeworfenen Fragen selbst im gesellschaftlichen Diskurs thematisiert sehen will. Entsprechend macht der Text auf narrativer Ebene zwar deutlich, dass eine Grenzziehung zwischen Klonen und Nicht-Klonen unzulässig ist, lässt aber die Frage, ob z. B. der Suizid behinderter Menschen und damit eine in Bezug auf die eigene Person radikal subjektivierte Einschätzung der Lebensqualität zulässig wäre, offen, da die Figur Mehmet eines natürlichen Todes stirbt (164–165). Plakativer und somit sehr viel einfacher verfährt Götterdämmerung, indem der Text an der Figur Neil stellvertretend die Einzigartigkeit jedes Subjektes vorführt, damit die grundsätzliche Werthaftigkeit jedes menschlichen Lebewesens konstatiert und Grenzziehungen innerhalb der Kategorie Mensch pauschal auf negativ bewertete, sozioökonomische und soziopolitische Faktoren zurückführt (403, 495). Die Texte geraten dabei insofern in ein Dilemma, als der obigen Dynamik mindestens die Werte Natürlichkeit, Authentizität und Ganzheitlichkeit zugrunde liegen. Gerade aber die Natur/Natürlichkeit wird ja in den Texten problematisiert und als komplexes System entidealisiert. Den Texten scheint somit ein Referenzpunkt zu fehlen, in dem die Werthaftigkeit menschlichen Lebens verankert werden kann. Die naturwissenschaftliche Beeinflussung des Lebensbegriffs mag letztlich also dazu führen, dass andere Kategorien und Begriffe nunmehr aus sich heraus gerechtfertigt werden müssen. Die im Zitat zum Ausdruck kommende Unlösbarkeit der ethisch-moralischen Fragen wären in diesem Sinne paradigmatisch für den gesamten derzeitigen Lebens-

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diskurs, dem es aufgrund der ‚Genetisierung‘ des Lebens an klaren Bewertungsmaßstäben zu mangeln scheint.

4.3.5.3 Alternativen zur Genetisierung des Lebens Wenn nun aber biologische Zusammenhänge durch kulturelle Kategorien und Denkmuster überformt sind und diese nicht mehr an den Wert der Natürlichkeit rückgebunden werden können, lässt sich dann überhaupt ein allgemeingültiger, ‚objektiver‘ Lebensbegriff formulieren? Pilz greift diese Frage auf und problematisiert damit zugleich Versuche, ‹Leben› zu hypostasieren, also ausschließlich materiell fassen zu wollen: DNS [. . . ] sei die eigentliche Essenz des Lebendigen – so hatte er geglaubt. Doch nun musste er feststellen, dass [. . . ] nichts weiter übrigblieb als dieser farblose Tropfen Flüssigkeit [. . . ]. [. . . ] Offenbar war nicht die DNS das Leben. Was dann? [. . . ] Aber was war das Leben? [. . . ] Plodsz hatte nie gehört, dass es einem dieser Biotechniker gelungen war, wirklich neues Leben zu erschaffen. [. . . ] Munter manipulierten sie an Pflanzen- und Tierarten, an Bakterien und Viren herum und erweckten den Eindruck, als wüssten sie genau, was Leben sei, als hätten sie alles im Griff. (ibid.: 175–176, Hervorhebungen im Original)

Der Text, der sich zur Plausibilisierung der Narration insbesondere auf molekularbiologisches und genetisches Wissen stützt, erörtert an dieser Stelle die Frage, ob und inwiefern die DNA als identisch mit dem Leben bzw. dem „Lebendigen“ angesehen werden könne, ob sie quasi das Leben selber sei. Dies wird durch die Figur Plodsz negiert, die implizit davon ausgeht, dass Leben etwas sein müsse, dass sich nicht durch „Zerstörung der Zellmembranen“, „nach Entfernung aller Verunreinigungen, nach zahllosen Trennungsschritten und Zentrifugenläufen“ (174) fixieren lässt. Formelhaft müsste also gelten: Leben = DNA + x, wobei die hinreichende Komponente, so ließe sich schlussfolgern, von irreduzibler und somit immaterieller oder emergenter Qualität sein müsste. Während hierdurch die DNA entidealisiert und auch die Bedeutung der Molekularbiologie als Lebenswissenschaft eingeschränkt wird, so markiert die Unklarheit über den Lebensbegriff (x) eine Leerstelle, die sich darin artikuliert, dass Plodsz auf eine abstrakte Schöpfungsinstanz anspielt: Gott, die Naturgesetze, der Zufall oder auch alle zusammen, wer immer für die Entstehung lebender Materie auf diesem Planeten verantwortlich zeichnete, hatte es den Menschen viel zu leicht gemacht. (ibid.: 177)

Dieser Verunsicherung über die „Essenz des Lebendigen“ im biologischen Sinne begegnen die Texte in unterschiedlicher Weise, indem sie textspezifische Vorschläge zur Vervollständigung der Formel „Leben = Materie (DNA) + x“ anbringen.274

274 Ein dogmatischer Abbruch der Suche nach einem zufriedenstellenden Lebensbegriff stellt dabei eher die Ausnahme dar: „Jan sagt, seit Duplikgedenken fragen die Dupliks nach dem Sinn ihres Le-

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Textanalytischer Teil

Blueprint bemüht so z. B. eine Metapher, die eine mechanistische bzw. molekularbiologisch-materialistische Definition von ‹Leben› nahelegt: Über eine haarfeine Glaskanüle hatte er dann das Eiweiß eingeschleust, um die Lebensuhr mit dem Fischer’schen Verfahren anzuschalten. (ibid.: 23)

‹Leben› ist hier etwas, das wie eine Uhr ‚zum Ticken‘ gebracht werden muss. Es wird damit als komplexe, exakt abgestimmte Maschinerie konzeptualisiert, die durch einen initialen Vorgang in Gang gesetzt werden muss. Dass dies durch ein „Eiweiß“ geschieht, verweist auf molekularbiologisches Wissen und zellbiologische Vorgänge. Im Zitat überlagern sich somit zwei Metaphern: ‚Leben = Uhr‘ + ‚Zellabläufe = Uhrwerk‘ → ‚Leben = Zellabläufe‘. Im Kern emergiert aus der ersten Metapher das Konzept eines komplexen, fein abgestimmten organischen Mechanismus, der in Gang gesetzt werden kann, der jedoch irgendwann mangels Antriebskraft oder wegen Materialverschleißes die Funktion einstellt (Stillstand der Uhr = Tod). Die zweite Metapher codiert das Konzept eines molekularen Mechanismus, bei dem die Zellorganellen und deren biochemische Produkte wie Zahnräder ineinandergreifen und den Betrieb des Gesamtmechanismus der Zelle überhaupt erst ermöglichen. Durch die Zuführung des Botenstoffes beginnt der Zellmechanismus zu ‚ticken‘. Die Überlagerung der beiden Metaphern, konkreter: die homologe Relation von Uhrwerk : Uhr :: Zellabläufe : Leben, konstituiert einen Begriff von ‹Leben› als komplexem, molekularbiologischem und biochemischem Mechanismus, der auf zellulären Abläufen basiert. Durch den Umstand, dass das Zelluhrwerk ‚angeschaltet‘ werden muss – was hier durch den Mediziner Gabriel Fisher geschieht –, ließe sich jedoch auch eine Annäherung an vitalistische (Initialenergie) sowie an biblische bzw. naturtheologische Positionen unterstellen. In erstere Richtung tendiert auch Duplik, wenn der Text ‹Leben› als eine Kraft konzeptualisiert, die für jeden Menschen grundsätzlich begrenzt ist. Der Verlust dieser Kraft resultiert schließlich im Tod: Kurz danach war die Lebenskraft seiner Mutter verbraucht. (ibid.: 87)

Andere Texte scheinen das ‹Leben› als personale Entität bzw. als Entität mit personalen Qualitäten fassen zu wollen. Das Leben wird hier mit Vernunft und Willen ausgestattet: Das Leben hat keinen Grund, etwas verbessern zu wollen. (Cusanus: 770)

Diese Personifizierung führt in Cusanus dazu, dass das Leben als aktive, planende Instanz erscheint, die zu Handlung fähig ist:

bens. Dabei sei das Leben selbst der Sinn“ (Duplik: 22). Zweiundvierzig rekurriert demgegenüber auf ein mythisches Modell: „Das Leben ist Zyklus – oder in äußerster, tödlicher Gefahr“ (287).

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Offenbar hatte das Leben selbst irgendwann in der Zukunft eine Möglichkeit gefunden, zeitübergreifend zu wirken, um seine eigene Existenz zu sichern und im Rückgriff auf die Vergangenheit ein Selbstreparaturprogramm zu starten – und wir waren seine Werkzeuge. (ibid.: 458–459)

Im Text wird das Leben mit dem Multiversum gleichgesetzt.275 Ob es sich tatsächlich so verhält, oder ob das Multiversum vielleicht doch nur ein Computerprogramm sein könnte (696), bleibt indes unklar. Die Argumentation der logisch privilegierten Figuren des Textes wird schließlich in Richtung christlicher Mystik und Spekulation abgelenkt und endet mit dem dogmatischen Abbruch, dass nicht die Natur des Multiversums – also des Lebens – von Bedeutung sei, sondern nur, „dass wir ein Teil davon sind“ (696). Noch unverstellter im Hinblick auf solche Spekulationen ist Schatten, wo sich hinter der Personifizierung die Anspielung auf eine Schöpfungsinstanz verbirgt: Hier stellt sich die Frage, ob der Bauplan des Lebens tatsächlich nur einem glücklichen Moment zu verdanken ist oder ob sich hinter dem fundamentalen Prinzip der Unbestimmtheit und des Zufalls ein schöpferisches Element verbirgt, das wir vielleicht nie beschreiben können. . . (ibid.: 176)

Die Passage erörtert, ob der „Bauplan des Lebens“ nur dem Zufall entspringt, oder ob dieser Produkt eines Willensaktes sein könnte. Selbst aber der Zufall, die „Unbestimmtheit“ wird hier als mögliches Zeichen für diesen Willensakt gesehen, sodass also mit großer Wahrscheinlichkeit ein „schöpferisches Element“ existiert, welches sich dem Menschen entzieht. Der Text postuliert vor dem Hintergrund physikalischer und molekularbiologischer Theorie also zwar ein naturwissenschaftliches Weltbild, dessen als real angenommene Grundlagen wie Elementarteilchen, DNA, Unbestimmtheit und Evolution aber als Indices für ebendieses schöpferische Element gedeutet werden: Leben = Bauplan/Materie + schöpferisches Element. An dieser Stelle entfaltet der Text eine naturtheologische Perspektive, die das Leben auf eine quasi-göttliche Instanz zurückführt. An Schatten wird schließlich auch deutlich, dass die Texte vereinzelt auch verschiedene Lebensbegriffe nebeneinanderstellen: Leben, sagt er, entsteht weder nach vorgefertigten Plänen, noch wird es von außen gelenkt. [. . . ] Aber alles ist im Prinzip ein Austausch von Energie und Information [. . . ]. [. . . ] Leben [. . . ] entsteht in einem toten System, aus einem Gestöber von Materie und Energie. Leben kommt aus einer Welt, in der die Gesetze der Physik gelten – aber sie bestimmten das Geschehen nicht allein! [. . . ] Es gibt keine absolute Bestimmtheit. – Es braucht den Zufall und die Ewigkeit. (ibid.: 121–122)

275 „Aber offenbar entwickelt sich das Multiversum nach den Gesetzen des Lebens“ (Cusanus: 501). „Es ist ein Wesen, das aus Membranen von Raumzeit-Kontinua besteht“ (696).

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Der Text periphrasiert damit die formelhafte These: „Leben = Materie + Information“.276 Indem er auf die Emergenz von Leben aus dem Chaos („Gestöber“) abstellt, beruft sich der Text außerdem auf die Forschung Ilya Prigogines (1917–2003), der im Chaos die Voraussetzung für die Entstehung von Information in biologischen Systemen sieht.277 Leben ist ein selbstorganisierendes, emergentes Phänomen. Da der Text verschiedene Definitionen referiert und reflektiert (130), scheint er deren Verbindung, d. h. die Verbindung materieller und immaterieller Faktoren, anzustreben: In der Materie steckt potenziell Geist. [. . . ] [D]ie Kopplung geladener Teilchen mit Photonen [. . . ] [lässt] materiell-geistige Gewebe entstehen [. . . ]. Geist und Materie sind untrennbar verbunden. (ibid.: 127–128)

Leben wird also letztlich mit wesentlichen Eigenschaften des Lebendigen selbst identifiziert und dadurch letzten Endes selbstbezüglich definiert.

4.3.5.4 Zusammenfassung Während die Texte einerseits vor allem das Aufkommen der Molekularbiologie und der Biotechnologie als Anbruch eines ‚postdarwinistischen‘ Zeitalters reflektieren, so zeichnet sich in ihnen gleichermaßen die historische, natur- und wissenschaftsphilosophische Entwicklung des Lebensbegriffs ab. Deren zyklischer Charakter (vgl. Rheinberger/Müller-Wille 2009: 25) lässt Lebensdefinitionen zwischen einem reduktiven materialistisch-naturalistischen und einem ganzheitlich-vitalistischen Pol oszillieren. Entsprechend finden sich auch in den Texten Anspielungen auf mechanistische wie vitalistische Vorstellungen von Leben. Letztere könnten dabei als Anzeichen für eine neuerliche Suche nach ganzheitlichen Modellen von Leben nach der rasanten Expansion molekularbiologischer und genetischer Forschung der letzten Jahrzehnte gelesen werden, die die DNA quasi entzaubert und die Hoffnung, in ihr die „Essenz des Lebendigen“ (Pilz: 175) gefunden zu haben, enttäuscht hat. Vor diesem Hintergrund scheint es nur konsequent zu sein, dass die Texte auch naturtheologische Modelle von Leben wenigstens auf der Ebene der Figuren verhandeln, die ihre Entsprechung in der Diskussion über Formen des Intelligent Design (Kreationismus)

276 Der Zusatz „Es braucht den Zufall und die Ewigkeit“ lässt sich dabei mit dem Mechanismus der Evolution identifizieren. Anhand einer Computersimulation erläutert dies Küppers (1990), der nachweist, dass aufgrund bestimmter Selektionskriterien und Zufall im Laufe von Generationen stabile Ordnungen entstehen. Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Küppers, Bernd-Olaf (1986): Der Ursprung biologischer Information. Zur Naturphilosophie der Lebensentstehung. München, Zürich: Piper. Zur Kritik am informationellen Konzept von Leben siehe Rose (2009: 163–164). 277 Siehe dazu Stephan et al. (2007) sowie grundlegend: Prigogine, Ilya; Stengers, Isabelle (1993): Das Paradox der Zeit. München, Zürich: Piper.

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der letzten Jahre finden, und die als Strategie betrachtet werden können, der neuerlichen Unsicherheit sowie den ethisch-moralischen Herausforderungen, kollektiven Ängsten und vermeintlichen Gefahren normativ zu begegnen. Dies bezieht sich insbesondere auf eine befürchtete Differenzierung zwischen natürlichem und künstlichem Leben: Einerseits stellt die Differenzierung selbst einen Versuch dar, die menschliche Natur zu idealisieren und ihr eine inhärente Wertigkeit zuzuweisen.278 Andererseits scheint gerade die Aufhebung dieser Differenzierung erforderlich, um die Kategorie der Menschlichkeit nicht zu gefährden, also Menschen erster und zweiter biologischer Klasse im Sinne einer neuen Eugenik zu schaffen. Dies zeigt sich besonders an den Texten Markenmenschen und Duplik, die gleichzeitig darauf verweisen, dass die Unsicherheit darüber, was ‹Leben› ist, eine Kaskade von Fragen im Hinblick auf Begriffe und Kategorien auslöst, die sich auf den Lebensbegriff beziehen. Weder aber plädieren die Texte für eine generelle Ausweitung des Lebensbegriffs, noch unterbreiten sie Vorschläge und Alternativen, wie dieser zu fassen sei. Unhintergehbarkeit, Unberechenbarkeit, Emergenz und Selbstorganisation sind daher Versuche der metaphorischen Beschreibung eines Phänomens, das sich den literarischen Texten in dieser Form entzieht.

4.4 Wissen und Leben Die analysierten Texte prozessieren eine große Menge von naturwissenschaftlichen, ökologischen, medizinischen, philosophischen und psychologischen Wissensbezügen, Diskursen oder Einzeltexten, Mythologemen und literarischen Motivstrukturen, mathematischen wie musikalischen Strukturanalogien. Wissen wird in den Texten dabei repräsentiert 1. durch Oberflächenstrukturen in Form von direkten Zitaten, expliziten Propositionen und einschlägigen Fachtermini sowie durch Peri/Paraphrasierung und Figuren als Repräsentanten, 2. durch logisch-semantische Tiefenstrukturen, in denen das Wissen durch Konzepte und Leitdifferenzen die Figurenkonstellationen und die paradigmatische semantische Ordnung der Texte strukturiert, wenn nicht überhaupt erst konstituiert wird (Räume), 3. auf der Ebene des Discours in Form funktionaler Variationen der Zeitstruktur oder der Sprech/Erzählsituation der Texte. Die Texte beziehen sich dabei weder auf Wissensmengen, die ausschließlich der Kontextualisierung der Narration dienen, noch bleiben die Bezugnahmen auf naturwissenschaftliches Wissen beschränkt.

278 In dieser Normativität ist sie nicht unproblematisch, schränkt sie durch ihre verbindlichen Vorgaben doch auch Werte wie Freiheit und Autonomie ein. Siehe dazu weiterführend bei Bayertz, Kurt (2009): Hat der Mensch eine »Natur«? Und ist sie wertvoll? In: Weiß, Martin G. (Hg.) (2009): Bios und Zoë. Die menschliche Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 191–218.

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Das Wissen wird in den Texten in erster Linie dazu funktionalisiert, die dargestellte Welt zu plausibilisieren, d. h. Figuren zu konturieren, Raumordnungen zu konstituieren und Handlung zu motivieren. Darüber hinaus wird das Wissens nicht selten in textinterne Verhandlungsprozesse eingebunden, in diesen kritisch reflektiert, d. h. auf sein Potenzial zur Beschreibung, Deutung und Bewältigung der in der Narration gegeben Ausgangssituation überprüft. Dass dies trotz der Heterogenität der Wissensmengen möglich ist, kann auf komplexe Gestaltungsprozesse zurückgeführt werden, durch die das Wissen rekontextualisiert und in struktureller, formaler, semantischer oder funktionaler Hinsicht transformiert und mitunter auch hybridisiert wird: 1. Herstellung von Hyperkonnektivität: Durch Rückgriff auf populäre Codes und Darstellungsweisen wird das Wissen in die vorhandenen semiotischen Strukturen der Kultur eingebunden. 2. Genese von Wissensobjekten: Wissensmengen werden zu einem neuen Konzept zusammengeführt oder zur Restrukturierung eines vorhandenen Konzepts genutzt (Intra-Ebene), wodurch auch die Struktur des Wissensnetzes transformiert wird, in die das Konzept eingebunden ist (Inter-Ebene). 3. Genese von Hybridwissen und Wissensansprüchen: Die Texte postulieren ausgehend von vorhandenem Wissen neue Wissensansprüche, deren Wahrheits- und Begründungsstatus noch nicht geklärt ist. Durch die Vereinigung von Wissenselementen und Wissensansprüchen auf einem Gegenstand entstehen Konzepte, die Wissen in neuen Strukturen zusammenführen, bislang unverbundene Wissensmengen aufeinander beziehen und Leerstellen im vorhandenen Wissen durch Analogisierung zu schließen versuchen. 4. Narrativierung von Leerstellen im vorhandenen Wissen: Indem die Texte dies tun, vollziehen sie im systemtheoretischen Sinne einen re-entry in einen bisher unmarkierten Bereich und eignen sich dabei vorhandene Wissens- und Hypothesenmengen transformierend an. Indem sie die Wissensansprüche außerdem in der Handlung als fiktionaler Versuchsanordnung narrativieren und erproben, werden diese textintern gerechtfertigt und als Wissen zweitcodiert. 5. Komplexitätsreduzierende Deutungsmuster: Die in den Texten gegebenen Situationen werden mithilfe von Deutungsmustern interpretiert, die Komplexität reduzieren. Dabei werden Elemente des Wissensvorrats aufgerufen und durch die Anwendung auf die Situation restrukturiert. Durch diese Formen der De-/Rekontextualisierung, metaphorischen Aneignung und Transformation wird das textinterne Wissens- und Denksystem strukturiert, welches sodann für implizite oder explizite Darstellung und/oder Verhandlung von ‹Leben› relevant wird. Dazu greifen die Texte auf unterschiedlichste Elemente aus dem kulturellen Wissensvorrat und aus wissenschaftlichen wie nicht-wissenschaftlichen Diskursen zurück und adaptieren sie zur Modellierung von Altersklassen, Lebensläufen und Lebensentwürfen: Während psychologisches und psychoanalytisches Wissen hierbei explizit zur Konturierung von Figuren und deren Entwicklung genutzt werden kann,

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müssen naturwissenschaftliche Wissensmengen transformierend adaptiert werden, um in Bezug zu den Lebens(phasen)modellen gesetzt werden zu können, wie sich z. B. an der Analogisierung von sozialer Desintegration mit dem thermodynamischen Konzept der Entropie zeigt. Gerade die Genese von Hybridwissen verdeutlicht den Versuch einer sinnhaften Bezugnahme auf naturwissenschaftliches Wissen. Das Hybridwissen kann dann dazu dienen, konkret-topographische oder abstrakt-semantische Räume mit bestimmten Merkmalen zu konstituieren, die in den Lebens(lauf)modellen funktionalisiert werden. So werden etwa physikalisches und ökologisches Wissen u. a. dazu adaptiert, defiziente Räume zu konstituieren, die mit der defizienten Lebenssituationen von Figuren korrelieren bzw. diese metaphorisch z. B. in Form isolierter Chronosphären, eines fragmentierten Multiversums oder eines destabilisierten Naturraums repräsentieren. Durch diese Analogisierung werden die Wissensbestände kulturell semantisiert und sinnstiftend auf den Menschen und sein Leben bezogen. Dies ist bei biblischem, mythologischem, philosophischem und literarischem Wissen ebenso der Fall: Diese Wissensmengen liegen bereits in Deutungsmustern verdichtet vor und können direkt auf die dargestellte Welt bzw. die Lebenssituation der Figuren bezogen werden, um sie vor dem Hintergrund des kulturellen Kontextes zu deuten. Die Texte werden dadurch an kulturelle Fundamente rückgebunden und selbst zu einem Teil des kulturellen Zeichenrepertoires. Die Genese neuer Wissensobjekte mithilfe naturwissenschaftlicher Wissensmengen (‹Yrr›) oder die Modifikation vorhandener Kategorien und Konzepte (‹Klon›) führt darüber hinaus zu Restrukturierungsprozessen in den dargestellten Welten, die sich auf den konkreten Lebensvollzug von Figuren und damit auch auf Lebens(lauf)modelle der Texte auswirken. Durch die Integration unterschiedlicher Diskurse reflektiert die Literatur als Interdiskurs zudem den Einfluss wissenschaftlicher Entwicklungen auf das Leben: Fortschritts-, Risiko- und Ethikdiskurse werden in den Texten auf verschiedenen Ebenen repräsentiert und narrativiert. In dieser Narrativierung drückt sich ein Prozess der kulturellen Erprobung aus, in dem die integrierten Wissensmengen und die an sie gekoppelten Wirklichkeitsbilder versuchsweise auf die dargestellten Welten angewandt werden. Dies zeigt sich in den Texten sowohl an der Transformation der räumlichen Ordnung (Natur und Gesellschaft) als auch an der Verunsicherung des Werteund Normensystems innerhalb der dargestellten Welten bzw. der instabilen der Position des Subjekts in dieser aus. Auf einer Metaebene deutet sich im Hinblick auf die Lebens(phasen)modelle daher auch eine Adaption quantenphysikalischen Wissens dergestalt an, dass das physikalische Konzept der Unbestimmtheit in den Texten metaphorisch zu einem scheinbaren Fehlen von eindeutigen Zielen und Richtwerten umgedeutet wird. Diese Unsicherheit lässt sich jedoch auch auf Parameter eines im Wandel begriffenen Lebensbegriffs zurückführen. Der textspezifische Umgang mit diesen Transformationen und Unsicherheiten setzt die neuen Wissensmengen einerseits in Bezug zum kulturellen Werte- und Normensystem und führt andererseits an der Entwicklung der Narrationen vor, wie das

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Subjekt auf diese Wissensmengen zu reagieren und in seine ‚individuelle‘ Lebensgestaltung zu integrieren bzw. aus dieser zu eliminieren habe. Wenn die Texte die dargestellten Welten und die narrativen Strukturen durch die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Wissensmengen in dieser Weise transformieren, generieren sie neue, normative Deutungsmuster und Wissensansprüche darüber, wie ‹Leben› explizit nicht bzw. implizit stattdessen auszusehen habe. Gerade wenn wir fiktionale literarische Texte als Zeichen verstehen, so modifizieren sie durch neue Deutungsmuster potenziell auch bestehende Interpretationsprozesse. Nimmt man Peirces zeichentheoretisch basierte Erkenntnistheorie ernst, so ließe sich behaupten, dass die Modifikation der dargestellten Welten auch die Bedingungen modifiziert, nach denen ‹Leben› in der realen Welt als ‹Leben› interpretiert wird bzw. werden soll (sensu Pruisken 2007: 23). Sehr viel direkter wirkt sich naturwissenschaftliches Wissen auf den Begriff des Lebendigen (zoë) aus. Dieser wird derzeit insbesondere durch die Synthetische Evolutionstheorie geprägt, die Leben im Wesentlichen als die Summe von Materie und Information fasst. Wenn die literarischen Texte auch keinen neuen Lebensbegriff konturieren, so greifen sie vorhandene Lebensbegriffe jedoch explizit auf und reflektieren mögliche Auswirkungen neuer Wissenselemente auf diese. So wäre z. B. die Ausdifferenzierung von Lebensformen entlang einer gentechnologisch aktualisierten scala naturae denkbar, die zwischen natürlichen und modifizierten Organismen differenziert, oder einer Erweiterung der Kategorie ‹Mensch› um das Konzept ‹Klon›. Während sowohl die Erzeugung von Klonen als auch die genetische Manipulation von Organismen negativ semantisiert werden, lehnen die Texte eine Differenzierung von Lebensformen nach den Umständen ihrer Entstehung jedoch als unrealistisch oder unethisch ab: Ein Mensch ist ein Mensch, gleich wie er ‚erzeugt‘ wurde – ‹Leben› ist per se unhintergehbar. Quantenphysikalisches und nanotechnologisches Wissen nehmen die Texte indes zum Anlass, die Unterscheidung von organischem und anorganischem Leben infrage zu stellen. Hierin deuten sich diskursive Prozesse der Grenzziehung an, die ihren Höhepunkt noch nicht erreicht haben, geschweige denn abgeschlossen sein dürften. Gerade die Frage danach, welche Wissensordnungen überhaupt privilegiert sind, zu definieren, was ‹Leben› ist, beantworten die Texte sehr unterschiedlich. Auch wenn die Naturwissenschaft heute nicht mehr auf einen „Gott der Lücken“ (Wilkinson 1992: 3) angewiesen zu sein scheint, so ist eine pauschale Priorisierung der Naturwissenschaften als Lebenswissenschaften an den Texten jedenfalls nicht ablesbar: Leben ist gerade nicht die Summe seiner genetischen und zellbiologischen Bestandteile, sondern ein Mehrwert, über den die Texte selber jedoch nur spekulieren. Daher weichen sie einer fassbaren Definition eher aus oder besetzen die fehlende Variable x mit vitalistischen oder naturtheologischen Konzepten. In dieser Form sind naturwissenschaftlicher und quasi-anthropologischer Lebensbegriff aufeinander verwiesen: Das spezifisch menschliche ‹Leben› lässt sich

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weder durch biologische Konzepte vollständig erfassen, noch kann es ohne diese modelliert werden. Als animal symbolicum (Cassirer) ist der Mensch im Sinne der Texte eben weitestgehend nicht nur naturwissenschaftlich-physisch ‚vermessbar‘. Er wird vielmehr durch ein kulturell-symbolisches System kontextualisiert. Der Lebensbegriff muss in diesem Sinne als tendenziell unabschließbar begriffen werden. Er ist nur dynamisch erweiterbar und muss dies sein, um der Komplexität menschlicher Daseinsformen ganzheitlich Rechnung tragen zu können. Die Interaktion beider Zugangsweisen ließ sich bereits an den Parametern erkennen, die Wandlungsphänomene an den Schnittpunkten von bíos und zoë darstellen: 1. Ökologisches und klimatologisches Wissen trägt wesentlich zur Konturierung des textuellen Naturbildes bei, welches dann als raumsemantischer Parameter in die Lebensentwürfe der Figuren eingeht. 2. Etablierte Welt- und Menschenbilder werden durch naturwissenschaftliches Wissen infrage gestellt, worauf die Figuren der dargestellten Welten in ihren Lebensentwürfen reagieren müssen. 3. Gerade die Texte, die Techniken der genetischen Manipulation oder Reproduktion des Menschen verhandeln, problematisieren den Übergang vom biologischen Leben zum emphatischen ‹Leben›. 4. Das Wissen der Molekularbiologie und Genetik wird in einigen Texten durch ökonomische Kategorien überformt und transformiert den Körper im mehrfacher Hinsicht zu einem Produkt bzw. biotechnologischen Konstrukt. Dies wirkt sich auf die Psyche und Identität des Individuums sowie dessen Lebensgestaltung aus. 5. Sexualität lässt sich zwar evolutionstheoretisch und mikrobiologisch definieren, solche Definitionen bleiben jedoch unzulänglich im Hinblick auf die soziale Funktionalisierung von Sexualität und ihre Bedeutung für emphatisches ‹Leben›. Ihre Instrumentalisierung lässt sich durch naturwissenschaftliches Wissen gerade nicht plausibel beschreiben. Das Phänomen des Reproduktionsregimes als (einschränkender) Parameter von individuellen Lebensentwürfen wird zwar u. a. durch genetisches Wissen ermöglicht, ist aber vor dessen Hintergrund alleine nicht verstehbar. Trotz der oberflächlichen, quasi programmatischen Unsicherheit über den Lebensbegriff lassen sich rekurrente Semantisierungen von ‹Leben› abstrahieren. Der Lebensbegriff geht als Wissensobjekt aus den analysierten Texten hervor (Tabelle 4.6). Diese Zuschreibung von Merkmalen greift den naturwissenschaftlichen Lebensdiskurs auf einer Metaebene auf. Insbesondere die Paradigmen der Selbstorganisation, der Emergenz, der Komplexität bzw. des Chaos stellen aktuelle Forschungsprogramme dar, die ‹Leben› als ganzheitliches Phänomen komplexer Systeme zu fassen suchen (vgl. Mainzer 1992: 275). In dieser Weise bringen die Texte „Aspekte des Zeitgeistes auf den Begriff“ (ibid.: 259). In den Texten realisiert sich ein solch abstrakter Lebensbegriff zunächst in einer personifizierten Natur, die sich der Kontrolle des Menschen entzieht. Die Texte Cusanus und Schilf integrieren die obigen Paradigmen jedoch auch in Form von Metaphern oder auf der Ebene Figurenentwicklung: In Cusanus werden dem Multiversum, durch das sich die Zeitreisenden bewegen, zum einen nahezu die gleichen Eigenschaften

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Textanalytischer Teil

Tabelle 4.6: Das Wissensobjekt ‹Leben› ‹Leben› 1.

emergent

2.

komplex

3.

natürlich

4.

selbstorganisierend

5.

Teil einer ‹Ordnung›

6.

unberechenbar

7.

unhintergehbar

8.

autonom

...

...

zugeschrieben wie dem oben abstrahierten Lebensbegriff. Der Titel des Textes verweist zum anderen auf ein Spiel, das cusanische Globusspiel, welches Nikolaus von Kues in Dialogus de ludo globi (1463) entwirft: Jeder Versuch, die Mitte [des Spiels, SH] direkt anzuvisieren und zu erreichen, scheitert zwangsläufig.279 [. . . ] Tatsache ist [. . . ], dass die Bewegung des globus prinzipiell nicht vorhersagbar ist. Selbst wenn die Ausgangsbedingungen genau die gleichen wären, ist doch jeder Wurf verschieden. [. . . ] Jeder von uns hat seine Delle. Wir kommen auf unserer Lebensbahn unweigerlich vom Weg ab, selbst wenn wir fest danach trachten, ans Ziel zu gelangen. (Cusanus: 107–108, Hervorhebung im Original)

Ebendiese Unberechenbarkeit und die unvorhersehbare bzw. unplanbare Lebensbahn sind es, die auch Schilf thematisiert: Das Leben ist „eine Reduktion der unendlichen Mengen an Möglichkeiten auf ein Jetzt und Hier“ (16), die vom Zufall bestimmt wird – eine „schräge Musik“ (7).

279 Die Kugeln, mit denen man auf eine in konzentrischen Kreisen angeordnete Rillenkonstruktion wirft, sind nicht gleichmäßig, sondern alle individuell ausgehöhlt, wodurch der Schwerpunkt außerhalb der Mitte liegt.

5 Zusammenfassung und Ausblick Ziel der vorliegenden Studie war es zu präzisieren, wie ausgewählte literarische Texte insbesondere naturwissenschaftliches Wissen funktionalisieren, um ‹Leben›, d. h. kulturell geprägte Lebensmodelle zu konstruieren und den Lebensbegriff explizit zu verhandeln. Dazu wurde zunächst ein textanalytisch operationalisierbarer Wissensbegriff umrissen. Dabei stellte sich heraus, dass ein epistemologischer Wissensbegriff per Definition nicht geeignet ist, die sich in der Literatur vollziehenden Prozesse zu erfassen. Daher wurden auch ein wissenssoziologischer und ein kognitionswissenschaftlich-linguistischer Wissensbegriff herangezogen, die es erlauben, Literatur als eine Wissensordnung zu begreifen und zu beschreiben. Wissen wurde schließlich als ein kognitives Konstrukt definiert, welches in Zeichenform objektivierbar und kommunizierbar ist und zu seiner Repräsentation einer medialen Basis (Wissensformat) und einer konkreten semiotischen Repräsentationsform bedarf. Als ein solches Wissensformat konnte auch die Literatur gefasst werden, in der Wissen in Form von Indikatoren repräsentiert ist. Da gerade in den letzten Jahren einerseits skeptische Stimmen im Hinblick auf das Verhältnis von Literatur und Wissen(schaft) zugenommen haben und andererseits Literatur oft allzu leichtfertig als Wissensordnung bezeichnet wird, wurde die Frage vertieft, ob Literatur Wissen enthalten oder gar produzieren könne. Mithilfe systemtheoretischer, neuerer fiktionalitätstheoretischer und kultursemiotischer Positionen konnten Literatur und Wissen aufeinander bezogen und behauptet werden, dass Literatur Wissen enthalten kann. Dadurch wurde eine epistemologisch orientierte Analyse von literarischen Texten möglich, die durch einen klar umrissenen Wissensbegriff gestützt ist. Für die weitere literaturwissenschaftliche Forschung wäre indes ein ausgearbeitetes Transformationsmodell wünschenswert, das sowohl unterschiedliche Wissensbegriffe, vor allem aber eine theoretisch abgesicherte Präzisierung der Text-Kontext-Interaktion im Hinblick auf die De-/Rekontextualisierung von Wissen integriert. Einen ersten Vorschlag hierzu konnte die vorliegende Studie im Rückgriff auf Lieberts Modell (2002) und auf kultursemiotische Ansätze sowie durch die Analyse von textuellen Gestaltungsprozessen unterbreiten. Der oben entwickelte Wissensbegriff wurde im Anschluss mithilfe der strukturalen Textanalyse und Erzähltheorie sowie epistemologisch oder kulturwissenschaftlich orientierter Ansätze für verschiedene textanalytische Verfahren anschlussfähig gemacht. Er konnte so weit operationalisiert werden, dass auch Prozesse der strukturellen, formalen, semantischen oder funktionalen Transformation bzw. des Aufbaus emergenter Strukturen in den Texten beschrieben werden konnten. Das kognitionswissenschaftlich-linguistische Instrumentarium (Kategorien, Konzepte, Frames) müsste für weitere Analysen allerdings noch konkreter definiert und gemäß den Anforderungen an spezifisch literaturwissenschaftliche Analysen adaptiert werden.

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Dies scheint vor allem notwendig, um einem allzu beliebigen Gebrauch des Wissensbegriffs in der kulturwissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft entgegenzutreten. Hierdurch könnte dann das Potenzial zur Beschreibung konzeptinterner Dynamiken (Intra-Ebene) und Verweisstrukturen innerhalb von Wissenssystemen (Inter-Ebene) noch besser genutzt werden. Außerdem ließe sich so auch eine weitere theoretische Fundierung von Vogls Poetologie erreichen, die hier wichtige heuristische Impulse geben konnte. Basierend auf einem Analysekorpus von deutschsprachigen Erzähltexten (1996– 2007) wurden im ersten Teil der Studie Wissensmengen in den Texten lokalisiert, rekonstruiert und qualifiziert sowie ihre semiotischen Repräsentationsformen mithilfe von Indikatoren auf verschiedenen Textebenen beschrieben. Hierdurch wurde erkennbar, dass die Bezugnahme auf Wissensmengen in der logisch-semantischen Tiefenstruktur der Texte funktionalisiert wird und dort komplexe Prozesse der Wissensgestaltung bedingt. Als besonders auffällig haben sich dabei die Phänomene der Hyperkonnektivität als rekursive Bestätigung von kulturellen Mustern durch Verwendung zentraler Codes, die Generierung von Wissensobjekten durch intentional neu geschaffene Konzepte bzw. durch die Modifizierung von Kategorien- und Konzeptsystemen, die Genese von Hybridwissen und die Emergenz von Wissensansprüchen durch die Narrativierung von Wissenslücken in literarischen Gedankenexperimenten erwiesen. In der Genese von Wissensobjekten, d. h. der intentionalen Neuschöpfung von Konzepten, konnte dabei nicht nur ein wesentlicher Prozess der Wissensgestaltung im Rahmen der analysierten Texte, sondern auch eine zentrale semiotische Eigenschaft der Literatur als Interdiskurs identifiziert werden. Mit Günter Abel (2009a: 36) können diese Wissensobjekte1 als „welterschließende[. . . ] Zeichen- und Interpretationskonstrukte“ gelten, die durch Sprache konstituiert werden und in einem komplexen Geflecht epistemischer Beziehungen stehen. Aufgrund ihres konstruktiven Charakters, beeinflussen Wissensobjekte so die dargestellten Welten der Texte, da sie Kategorien transformieren, kulturell konventionalisierte Deutungsmuster aufbrechen, Semantiken aktualisieren und Wissensmengen neu in Verbindung bringen. Gerade in einer Gesellschaft, deren Strukturen und Prozesse der symbolischen Reproduktion derart von wissensabhängigen Operationen durchdrungen sind, erscheint es von Interesse, diese Phänomene im Spannungsfeld von Sozialen Medien, Populärkultur und wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Diskursen noch genauer zu untersuchen. Wenn Mittelstraß’ (2001: 33) Diagnose der in ihrem epistemischen Wesen unsicher gewordenen Gesellschaft zutrifft, so wäre zu fragen, welche Rolle der Literatur in der Wissensgesellschaft zufällt. Mit der Identifikation von Strategien, wissenschaftliches Wissen an die kulturellen Fundamente der Gesellschaft

1 Abel (2009a) spricht von „epistemischen Objekten“. Die Begriffe Wissensobjekt und epistemisches Objekt werden hier synonym verwendet.

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rückzubinden, es mit diesen zu hybridisieren, Sachverhalte als ganzheitliche Wissensobjekte zu betrachten und die soziale Verträglichkeit neuer Wissensmengen zu überprüfen, konnte die Studie hierzu erste Impulse geben. Mithilfe eines kultursemiotischen Beschreibungsinventars müsste zukünftig präzisiert werden, welche Codes die Literatur wie verwendet, um Wissen zu transformieren und ob die Wissensmengen dabei grundsätzlich gleichbehandelt werden. Vor diesem Hintergrund könnte Greenblatts Zirkulationsmetapher wesentlich konkreter fassbar gemacht und Vermittlungsprozesse zwischen dem Kulturellen Gedächtnis, dem Wissenschaftsund dem Literatursystem beschrieben werden. In einem weiteren Schritt wurden kulturelle Denk- und Deutungsmuster analysiert, die den Umgang der Texte mit Wissen auf einer Metaebene reflektieren und die Möglichkeit bzw. Denkbarkeit literarischen ‚Lebenswissens‘ überhaupt erst eröffnen. Dabei erwies sich, dass viele der Texte kulturelle Realitätsauffassungen reflektieren und modifizieren. Dies konnte in der vorliegenden Studie am Beispiel der Dekonstruktion wissenschaftlicher Wirklichkeitsbilder leider nur angedeutet werden. Über den Befund hinaus, dass semiotische Eigenschaften der Literatur verstärkt sozial funktionalisiert werden, scheint es vielmehr so, als ob die Literatur vorführt, wieso epistemologische Kategorien zwar für die wissenschaftliche Forschung angemessen sind, aber auf der Ebene der Gesamtgesellschaft gerade zu Unsicherheiten führen müssen. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger wissenschaftlicher Forschung und gesellschaftlicher Reaktionen hierauf, scheint damit ein Themenfeld bezeichnet zu sein, das zukünftig mehr Aufmerksamkeit verdient: Weder war eine pauschale Priorisierung der Naturwissenschaften als Lebenswissenschaften an den Texten ablesbar, noch eine Bevorzugung wissenschaftlich vermessener Weltbilder. Systemtheoretische Kategorien und die Figur der Koevolution (Pethes 2003) scheinen dazu geeignet, die kontingenzreduzierenden Eigenschaften von Literatur in Bezug auf ihren wissenstransformativen Charakter zukünftig noch genauer zu erfassen. Eine Wiederbelebung der ZweiKulturen-Debatte müsste dabei freilich ebenso vermieden werden wie ein Zurückfallen auf einen allzu unscharf gebrauchten diskurstheoretischen Wissensbegriff. Vor diesem Hintergrund konnten im zweiten Teil der Studie Konstruktionen von ‹Leben› – in Form eines anthropologischen Lebensmodells einerseits und der konkreten Verhandlung eines mehr oder weniger abstrakten, allgemeinen Lebensbegriffs andererseits (zoë) – aus den Texten abstrahiert werden. Zunächst wurden dazu Strukturierungen des Lebenslaufs durch Altersklassen und Modellierungen des Lebensprozesses durch Lebensphasen sowie deren Übergänge und Wendepunkte analysiert. Die Bemühungen, einen dem metaphorischen ‹Nicht-Leben› entgegengesetzten Zustand zu erlangen, bleiben in vielen Texten unabgeschlossen. Dies scheint vor allem daran zu liegen, dass nicht gänzlich klar ist, was die Gesellschaft vom Individuum erwartet bzw. ob das Individuum nur durch die Emanzipation von gesellschaftlichen Normen und Werten glücklich werden kann. Aspekte eines negativen Individualismus (Castel 2000) codieren die Texte in der Isolierung und metaphorischen Fragmentierung des Subjekts, die sich sogar auf der Ebene der Erzählsituation und in der Raumord-

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nung bemerkbar machen. Die Endsituationen der Texte erscheinen oftmals eher als provisorische Lebensformen, die den Lebenslauf als makel- und krisenbehaftet charakterisieren. In ähnlicher Weise resümiert Sabine Seidel (2005) in ihrer Arbeit zum erzählerischen Werk Marlen Haushofers in Bezug auf den sozialen Rückzug der Hauptfiguren: Zieht man ein Resümee, was die sozialen und emotionalen Möglichkeiten [. . . ] Protagonisten betrifft, so muss man feststellen, dass diese [. . . ] in der Regel sehr restringiert sind: wenig frequente, sympathielose Außenkontakte sowie Entfremdung, oft gar Widerwillen, was die nächsten Angehörigen betrifft, [. . . ] [sofern] man nicht gleich eine isolierte, weitgehend kontaktfreie Rückzugsexistenz führt, ein Tableau also von teils zwar als Fassade mühselig aufrechterhaltener, letztlich aber doch vielfach gescheiterter Intersubjektivität. (ibid.: 190)

Tendenzen eines reduzierten ‹Lebens›, die Seidel für die 1950er und 1960er Jahre herausarbeitet, scheinen zwischenzeitlich also nicht verebbt zu sein. Sie ziehen sich vielmehr auch durch das vorliegende Analysekorpus: Isolation, Entfremdung, Absenz von sexueller Normverletzung und Marginalisierung von Erotik und Sexualität, Zukunftsskepsis, das Fehlen integrativer – vor allem metaphysischer – Sinnangebote und der konservative Rückzug ins Private sind Phänomene, die auch die teils provisorisch anmutenden Lebensentwürfe der Figuren im Übergang vom 20. ins 21. Jh. kennzeichnen. Anders jedoch als Seidel es für die von ihr analysierten Figuren feststellt, zählen Emanzipation, Selbstfindung und Selbstbestimmung in den hier analysierten Texten zu den zentralen Merkmalen emphatisch gesteigerten ‹Lebens›. Ob die von den Texten entworfenen Emanzipationsnarrationen, Beziehungsmodelle und sozialen Strukturen indes die Ankunft eines ‚postsozialen‘, krisengeprägten Zeitalters markieren, ob die Liebe als Inbegriff eines emphatischen ‹Lebens› Ausweg aus einem solchen sein könnte oder ob gerade mythische Idealvorstellungen Auslöser von Krisen sind, müsste indes an einem entsprechend modifizierten Analysekorpus untersucht werden. An einem solchen müsste dann auch überprüft werden, ob und inwieweit ein modifiziertes Analysekorpus andere Konstellationen von Wissensmengen bedingt: Da für einige – oder je nach Auslegung des Begriffs Science-Fiction sogar für alle – Texte Wissen genrebedingt konstitutiv ist, könnte die paradigmatisch-semantische Ordnung dadurch stärker vorstrukturiert sein, als dies bei der Zusammenstellung des Korpus den Eindruck machte. Wenn man also die Frage, in welchem Verhältnis Wissen und ‹Leben› stehen, weniger naturwissenschaftlich perspektivieren wollte, wäre eine breitere Streuung sicher angemessen. Denkbar wäre es z. B., Prozesse der Mythenrezeption zu fokussieren wie sie sich in Texten von Sten Nadolny finden. Zu vermuten wäre allerdings, dass z. B. die Relativierung von Sexualität für ein emphatisches ‹Leben› dort ebenfalls auffällig wäre – nur eben vor dem Hintergrund anderer Prämissen. Ausgehend von kontextuell divergierenden Semantiken eines gegenwärtigen Lebensbegriffs wurde sodann ein Wissensobjekt ‹Leben› konturierbar: Durch die Integration unterschiedlicher Diskurse reflektieren die Texte den Einfluss wissen-

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schaftlicher Entwicklungen auf das Leben. Dabei rekurrieren sie zwar auf bekannte Lebensbegriffe, unterbreiten jedoch keine Vorschläge und Alternativen, wie dieser zu fassen sei. Unhintergehbarkeit, Unberechenbarkeit, Emergenz und Selbstorganisation sind zentrale Metaphern eines Phänomens, das sich den Texten zu entziehen scheint. Vielmehr realisieren sie die dem Wissensobjekt ‹Leben› zugeschriebenen Merkmale in Metaphern bzw. in textuellen Darstellungsweisen. Sowohl das Merkmal der Unberechenbarkeit von ‹Leben› wie auch dessen Zugehörigkeit zu einer ‹Ordnung› wird von den Texten etwa in Form von Ziel- und Orientierungslosigkeit bzw. in der raumsemantischen Konstituierung einer natürlichen und einer göttlichen ‹Ordnung› codiert. Ausgehend von wissenschaftshistorischen Untersuchungen (Palm 2010) müssten Strukturähnlichkeiten in der Entwicklung des wissenschaftlichen und literarischen Diskurses, ihre Schnittpunkte und produktiven Divergenzen sowie diskursübergreifende Metaphern und Kollektivsymbole noch genauer herausgearbeitet werden, als dies hier möglich war. Hierdurch könnten gegenwärtige Debatten neu kontextualisiert werden. In der vorliegenden Studie wurde unterdessen deutlich, dass zwischen den beiden Zugängen zu ‹Leben› Parameter wie Natur- und Menschenbilder, metaphysische Grundannahmen, Körperlichkeit und Sexualität vermitteln, die in einem dialektischen Spannungsfeld von bíos und zoë stehen und einen sich wandelnden Lebensbegriff markieren. Insbesondere die Relativierung theologischer Weltbilder bei gleichzeitiger Ablehnung wissenschaftlicher Deutungshoheit erzeugt in doppelter Weise Unsicherheit, da nicht nur der Platz des Menschen im Weltbild ungewiss zu sein scheint, sondern auch, welches Weltbild überhaupt noch als Bezugsrahmen dienen kann. Die (post-)moderne Naturwissenschaft, zumeist identifiziert mit der Biotechnologie, scheint in gesteigertem Maße Nichtwissen zu produzieren, sodass sich der Mensch einem „Konnex von Komplexität und Ungewissheit“ (Singh 2008: 11) gegenübersieht. Diese Tendenz bildet sich in den Texten oftmals dadurch ab, dass sie die Zuverlässigkeit, Allwissenheit, Neutralität und die Autorität übergeordneter Erzählinstanzen zugunsten einer teils radikalen Subjektivierung der Handlung aufgeben, die eine latente Unsicherheit in Bezug auf die raumzeitliche Realität bzw. deren logischkausale Strukturen provoziert. Auch in den Lebens(phasen)modellen spiegelt sich dies insofern wider, als ein emphatisches ‹Leben› oft nicht explizit dargestellt oder aber außerhalb der Narration, in einem der Welt entzogenen quasi privaten Bereich, angesiedelt wird. Zu fragen wäre, wie diese Phänomene in den Gesamtzusammenhang eines – zumindest so empfundenen – Kultur- und Wertewandels eingeordnet werden können. In einer Zeit, in der selbst die Naturwissenschaften oftmals nicht klar zu sagen wissen, was Leben ist (vgl. Palm 2010), bleibt die Literatur also nicht nur Zaungast. Die Analysen konnten vielmehr zeigen, dass sich die Texte nicht nur mit dem Lebensbegriff, sondern auch mit den ihm zugrundeliegenden Wissensmengen und Weltbildern auseinandersetzen. Die fehlende Variable in der Gleichung „Leben = Materie + x“ ergänzen die Texte, indem sie eine Reihe von Lebensmodellen

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entwerfen, die unterstreichen, dass sich das spezifisch menschliche Leben nicht nur in wissenschaftlichen Kategorien beschreiben lässt. Wenn z. B. auch Terrence Malicks Film The Tree of Life (USA 2011) die gleichen Lebens(phasen)modelle vorführt und die Frage nach der Natur und dem subjektiven Sinn des Lebens letztlich unbeantwortet an die Zuschauerinnen und Zuschauer zurückspiegelt, wird offenbar, dass es sich um verallgemeinerbare Tendenzen handelt, die den Blick auf mentale Aspekte der Kultur der Gegenwart freigeben. Im Rahmen medien(kultur)wissenschaftlicher Forschung im Allgemeinen und literarisch-anthropologischer Forschung im Speziellen wäre zukünftig also auch zu fragen, wie literarische Texte der Gegenwart mit Phänomenen der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit umgehen, die in den letzten fünfundzwanzig Jahren ja auch in anderen gesellschaftlichen Subsystemen wie Politik und Wirtschaft aufgetreten sind. Bleibt nur noch der Rückzug ins Private und in die Subjektivität? Die sich in den Texten abzeichnenden Verwerfungslinien lassen vermuten, dass Prozesse der diskursiven Aushandlung von gegenwärtigen Lebens- und vor allem Weltmodellen ihren Höhepunkt noch nicht erreicht haben.

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Abbildungsverzeichnis 2.1 2.2 4.1 4.2

Kategorie ‹Tier› 26 Beziehung zwischen Konzepten einer Kategorie 105 Wheeler-de-Witt-Gleichung 162 Visuelle Konstruktion der ‹Yrr›

27

Tabellenverzeichnis 2.1 2.2 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

Beispiel für einen Frame ‹Kanarienvogel› 27 74 Brückenframe ‹Antagonistische Interaktion› 137 Skript ‹Endzeit› Skript ‹Entwicklung› 139 165 Frame ‹Yrr› 231 Opposition von Natur und ‹Postnatur› Differenzierung von Lebewesen in Designerbaby 243 256 Das Wissensobjekt ‹Leben›

Personen- und Textregister Baßler, Moritz, 58 Baumann, Peter, 12–15, 30, 31 Berger, Peter, 17–20 Blueprint, 89, 91, 92, 94, 98, 106, 108, 109, 111, 119, 120, 129, 130, 132, 133, 138, 151, 152, 160, 169–171, 176, 181, 191, 197, 201, 204, 209, 211, 214, 216, 222, 224, 227, 229, 235, 240, 248 Blume, Peter, 36, 51–53, 85 Cusanus Spiel, Das, 91, 96, 101, 105, 107, 108, 111, 128, 131, 141–147, 174, 185, 188, 190–192, 198, 203, 205, 206, 208, 211, 213, 217, 218, 222, 224, 227, 232, 234, 240, 244, 245, 248, 249, 255, 256 Designer-Baby, 111, 134, 151, 199, 214, 218, 222, 223, 238, 240, 243, 293 Detel, Wolfgang, 22 Duplik Jonas 7, 108, 112, 132, 134, 138, 169, 177, 180, 199, 200, 208, 214, 223, 224, 229, 234, 236, 239, 242, 245, 248, 251 Ette, Ottmar, 2, 7, 194 Foucault, Michel, 13, 20, 21, 36, 48, 53, 54, 58, 61, 62, 166, 228 Furor, 95, 104, 173, 174, 216, 219 Götterdämmerung, 89, 102, 108, 109, 111, 112, 131, 136, 137, 181, 189, 203, 205, 208, 216, 227, 234, 238, 240, 242, 246 Greenblatt, Stephen, 39, 47, 58–61, 68 Im Schatten der Helix, 99, 101, 108, 132, 203, 218, 221, 224, 227, 233, 236, 237, 249, 250 Infekt, 92, 189, 202, 208, 219, 238 Jahraus, Oliver, 8, 14, 29, 40, 43, 78, 79 Klonfarm, 100, 109, 111, 169, 204, 211, 213, 225, 232, 239 Köppe, Tilmann, 8, 36, 40, 50–52, 68, 70, 71, 81 Krah, Hans, 7, 15, 28, 36, 49, 55, 78–80, 123, 129, 134, 135, 159, 179 Lamarque, Peter und Olsen, Stein H., 8, 36, 50, 52

Lotman, Jurij M., 3, 33, 55, 65, 84, 128, 135 Luckmann, Thomas, 17–20 Luhmann, Niklas, 13, 41, 42, 44–48, 64 Lyotard, François, 16 Maillard, Christine, 8, 39, 56, 80 Nünning, Ansgar und Vera, 5, 36, 39, 40, 53, 61, 78, 101, 159, 187 Palm, Kerstin, 193, 241, 261 Peirce, Charles S., 29, 35, 54, 56, 69, 166, 254 Perfect Copy, 93, 109, 111, 132, 134, 138, 169, 176, 198, 204, 211, 214, 219, 234 Pethes, Nicolas, 34, 36–40, 46–48, 60, 61, 71, 259 Platon, 12, 97, 170 R− evolution, 89, 93, 99, 105, 139, 203, 208, 216, 218, 219, 232 Saussure, Ferdinand de, 28 Schilf, 6, 140, 152, 154–156, 184, 185, 188, 191, 198, 203, 208, 209, 211, 215, 221, 226, 232, 236, 242, 255, 256 Schrecken des Sisyphos, Der, 97, 139, 199, 205, 208, 212, 217, 219, 223, 236, 239, 245 Schrödingers Schlafzimmer, 101, 117, 121, 122, 127, 139, 140, 152, 156, 181, 183, 188, 191, 201, 203, 206, 208, 211, 215, 218, 220, 221, 223, 227 Schütz, Alfred, 17, 18, 20, 59, 63, 178 Schwarm, Der, 93, 99, 102, 105–109, 111, 114–116, 126, 129–131, 137, 138, 140, 142, 160–165, 167, 175, 181, 182, 189, 190, 201, 207–209, 211–213, 215, 216, 218, 220, 221, 223, 231–234, 236–238, 242 Sexy Sons, 89, 100, 109, 110, 112, 117, 118, 124, 132, 134, 139, 165, 168, 169, 176, 178, 201, 203, 207–209, 211, 212, 222, 223, 225, 227, 228, 232, 239, 242, 245 Titzmann, Michael, 8, 13, 21, 28, 30, 39, 43, 49, 54–56, 58–61, 66, 68, 76–80, 83, 102, 104, 122, 123, 179, 183, 184, 195, 196, 202, 227 Unter Markenmenschen, 138, 139, 151, 169, 199, 200, 204, 208, 214, 220, 222, 227, 229, 230, 240, 244, 245, 251

296

Personen- und Textregister

Venuspassage, 91, 190, 208–211, 215, 218, 221, 224 Vermessung der Welt, Die, 106, 124–126, 186–188, 192, 203, 205, 215, 218, 222, 224, 236, 237, 243 Vogl, Joseph, 5, 39, 47, 58, 60–62, 68, 76, 175, 178

Wenzels Pilz, 1, 2, 100, 110, 111, 126, 127, 129, 131, 132, 168, 190, 203, 212, 231, 232, 234, 244, 245, 247, 250 Wünsch, Marianne, 85, 87, 182–184, 188, 195, 196, 209, 211, 215, 227 Zweiundvierzig, 89, 97, 101, 104–106, 118, 119, 127, 128, 131, 139, 147–149, 188, 191, 204, 206, 208, 212, 213, 222, 223, 225, 234, 236, 248